Handbuch Vereinte Nationen: [Eine Veröffentlichung der Forschungsstelle der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen, Bonn] [Reprint 2016 ed.] 9783111601373, 9783794022489


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German Pages 601 [604] Year 1977

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Table of contents :
Vorwort
Inhaltsübersicht
Hinweise für den Benutzer
Stichwortverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
ABC-Waffen – Frauenrechte
Friedens- und Kriegsbegriff – Internationale Organisationen, Theorie der
Intervention – Organisationssystem der Vereinten Nationen
Ost-West-Konflikt – Suchtstoffe
Südliches Afrika – Völkerrecht durch Vereinte Nationen
Weltbevölkerung – Zypern
Anhang – Dokumentenwegweiser
Verzeichnis der Autoren
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Handbuch Vereinte Nationen: [Eine Veröffentlichung der Forschungsstelle der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen, Bonn] [Reprint 2016 ed.]
 9783111601373, 9783794022489

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ΕΖΞ

Handbuch Vereinte Nationen Herausgegeben von Rüdiger Wolfrum, Norbert J. Prill Jens A. Brückner

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Verlag Dokumentation München 1977

Eine Veröffentlichung der Forschungsstelle der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen, Bonn / Berlin

Redakteure und Sachgebiete: Prinzipien der Charta, Allgemeines Völkerrecht Rüdiger Wolfrum Friedenssicherung und Abrüstung

Rüdiger Wolfrum

Wirtschaft und Finanzen

Norbert J. Prill / Hans-Jürgen Schmidt

Kultur und Menschenrechte

Jens A. Brückner / Norbert J. Prill

Entwicklungspolitik und Dritte Welt

Jens A. Brückner / Norbert J. Prill

CIP-Kuiztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Handbuch Vereinte Nationen : e. Veröff. d. Forschungsstelle d. Dt. Ges. für d. Vereinten Nationen, Bonn/Berlin / hrsg. von Rüdiger Wolfrum . . . - 1. Aufl. - München : Verlag Dokumentation, 1977. ISBN 3-7940-2248-3 NE: Wolfrum, Rüdiger [Hrsg.]; Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen / Forschungsstelle

© 1977 by Verlag Dokumentation Saur KG, München Satz: Satzstudio Frohberg, Freigericht Druck / Binden: Friedrich Pustet, Graph. Großbetrieb, Regensburg Printed in the Federal Republic of Germany ISBN 3-7940-2248-3

Vorwort

Seit dem Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu den Vereinten Nationen im Herbst 1973 hat das juristische wie auch politologische Interesse an einer Analyse der Vereinten Nationen zugenommen. Auch die besonderen Probleme, die sich gerade für die Bundesrepublik Deutschland aus ihrer Mitarbeit in den Vereinten Nationen ergeben, sind Gegenstand wissenschaftlicher Erörterungen geworden. Dagegen fehlt es bislang an einem neueren Werk, das sich allgemein mit Strukturen, Funktionen und Arbeitsweise der Vereinten Nationen und ihrer Sonderorganisationen befaßt. Diese Lücke soll das vorliegende Handbuch schließen helfen. Eine Beschäftigung mit den Vereinten Nationen erscheint umso wichtiger, als sie nach dem 147. Beitritt (Westsamoa) praktisch die Universalität erreicht haben und somit ein weltumfassendes Forum für zwischenstaatliche Kontakte und Diskussionen aller Art darstellen. Über die Initiativen zur Friedenssicherung ist in den Nachrichtenmedien stets gebührend berichtet worden. Auch der Beitrag der Vereinten Nationen zur Entkolonialisierung ist vielfach bekannt. Das wirtschafts- und entwicklungspolitische Engagement zugunsten der Entwicklungsländer findet wachsende Aufmerksamkeit, mag das ganze Spektrum dieser Aufgaben und der damit verbundenen Aktivitäten auch noch nicht in das Bewußtsein der Öffentlichkeit gedrungen sein. Demgegenüber blieben zahlreiche bedeutsame Aktionen — vor allem der Sonderorganisationen — unbeachtet. Dazu gehören u.a. die mühseligen Fortschritte im Bereich des Menschenrechtsschutzes, die kodifikatorischen Leistungen zur Fortentwicklung des Völkerrechts, des weiteren die Fülle technischer und sozialer Dienste, von denen hier als Beispiele das Gesundheitswesen und die Flüchtlingshilfe herausgegriffen seien. Das Handbuch ist um eine Gesamtdarstellung bemüht und räumt deshalb auch allen diesen Fragen Platz ein. An dem Handbuch haben Wissenschaftler und Praktiker, Politologen und Juristen mitgewirkt. Es wendet sich an die Universitäten, darüber hinaus aber auch an die Massenmedien und alle diejenigen, die mit den Vereinten Nationen in Berührung kommen. Dabei soll die Aufgliederung in 111 Stichworte es dem an Detailproblemen interessierten Leser ermöglichen, sich über einen speziellen Fragenkreis zu orientieren. Das Handbuch hat für seine Fertigstellung eine verhältnismäßig lange Zeitspanne in Anspruch genommen. Dank gebührt daher in erster Linie den Autoren für ihre Mitarbeit und Geduld, Herrn Professor Dr. Kewenig, Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats unserer Forschungsstelle, für seine kritisch-hilfreichen Anregungen sowie den Redakteuren und Koordinatoren der Forschungsstelle in den Jahren 1972—1976, Professor Dr. Klaus Hüfner und Dr. Jens Naumann. Für die Initiative und Anfangsarbeiten zeichnen verantwortlich Rechtsanwalt Jens A. Brückner, für die Fertigstellung und Endredaktion Dr. Rüdiger Wolfrum und Norbert J. Prill. Nicht zuletzt gilt unser Dank der Deutschen Welthungerhilfe und der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen, die die Entstehung des Handbuchs durch die Finanzierung als gemeinsames Informationsprojekt erst ermöglicht haben. Bonn, im Januar 1977

Karl-Hans Kern (1. Vorsitzender der DGVN)

Rüdiger Wolfrum (Koordinatorder Forschungsstelle)

VII

Inhaltsübersicht

Hinweise für den Benutzer

IX

Stichwortverzeichnis

XI

Abkürzungsverzeichnis Stichwortbearbeitung

XXI 1

Anhang - Dokumentenwegweiser

559

Autorenverzeichnis

564

IX

Hinweise für den Benutzer

Die Angaben in dem Handbuch beruhen auf dem Stand des 1. Januar 1976, soweit nichts anderes vermerkt. In manchen Fällen waren die entsprechenden Zahlen oder sonstigen Mitteilungen noch nicht verfugbar; demgegenüber konnten an anderen Stellen einige neuere Entwicklungen des Jahres 1976 berücksichtigt werden. Die Terminologie orientiert sich, was die Hauptbegriffe angeht, an der des Beitrags „Organisationssystem der Vereinten Nationen". Ansonsten wurde bei Eingriffen in die Wortwahl der Autoren Zurückhaltung geübt und insbesondere auf ausdrücklich geäußerte Wünsche Rücksicht genommen. Vertragsartikel ohne Herkunftsangabe sind solche der Charta der Vereinten Nationen. Mit „Dollar" sind stets „US-Dollar" gemeint. Am Ende eines jeden Beitrags sind die Stichwörter aufgeführt, auf die davor verwiesen worden war. Das Verweisungssystem soll nicht nur den Weg zu zusätzlichen Informationen weisen, sondern auch die größeren Zusammenhänge deutlich machen, aus denen die einzelnen Themen, durch die Darstellung in Stichworten bedingt, herausgenommen worden sind. Auf Dokumente und amtliche Publikationen der Vereinten Nationen wird häufig Bezug genommen. Um dem Benutzer das Auffinden der zitierten Verlautbarungen zu erleichtern, schließt das Handbuch mit einem entsprechenden Wegweiser ab. Rüdiger Wolfrum / Norbert Prill

XI

I. Stichwortverzeichnis ABC-Waffen Michael Bothe 1 Verweise auf: Abrüstung; Ausschußsystem; IAEA; IGH; Kriegsfuhrung; Korea; Seerecht; Sicherheitsrat; Völkerbund; Völkerrecht durch Vereinte Nationen; Weltraumrecht. Abkommen, Verträge Peter Meyer / Knut Ipsen 7 Verweise auf: Organisationssystem der Vereinten Nationen; Seerecht; Völkerrecht durch Vereinte Nationen; Weltraumrecht. Abrüstung Verweise auf: ABC-Waffen; Weltraumrecht.

Otto Kimminich

10

Apartheid Jost Delbrück 16 Verweise auf: Ausschußsystem; Blockbildung; Generalversammlung; Menschenrechte; Mitgliedschaft; Rassendiskriminierung; Sanktionen; Souveränität; Stimmrecht; Südliches Afrika. Ausschußsystem Norbert J. Prill 22 Verweise auf: Apartheid; Beitragssystem, Haushalt; ECOSOC; Entkolonialisierung; Generalversammlung; IBRD; IMF; Mikrostaaten; Nahost; Rassendiskriminierung; Sanktionen; Stimmrecht; Streitschlichtung; Treuhandrat; UNCTAD; UNIDO; Völkerrecht durch Vereinte Nationen; Wirtschaftskommissionen. Befreiungsbewegungen Franz Ansprenger 29 Verweise auf: Ausschußsystem; Entkolonialisierung; Indischer Subkontinent; Nahost; Nigeria; Nord-Süd-Konflikt; Portugiesische Kolonialgebiete; Selbstbestimmungsrecht; Südliches Afrika; Treuhandrat; Zypern. Beistandspflicht Wolf gang Strasser 35 Verweise auf: Abrüstung; Entstehungsgeschichte; Feindstaatenklausel; Friedenssicherung; Friedens- und Kriegsbegriff; Generalversammlung; Gewaltverbot; Kollektive Sicherheit; Regionalabkommen; Sanktionen; Sicherheitsrat; Stimmrecht; Streitkräfte der Vereinten Nationen; Völkerbund. Beitragssystem, Haushalt Rüdiger Wolfrum 40 Verweise auf: Ausschußsystem; Entstehungsgeschichte; FAO; Flüchtlinge; Friedenssicherung; IAEA; IBRD; ICAO; IDA; IFC; ILO; IMCO; IMF; ITU; Stimmrecht; Streitkräfte der Vereinten Nationen; UNDP; UNESCO; UNICEF; UNITAR; UPU; WHO; Wirtschaftskommissionen; WMO. Berichtsystem Andreas Khol 48 Verweise auf: ECOSOC; Generalversammlung; ILO; Mandatsgebiete; Menschenrechte; Petitionen; Rassendiskriminierung; Treuhandrat; UNESCO. Blockbildung Jens A. Brückner 58 Verweise auf: Ausschußsystem; China; Entkolonialisierung; Entwicklungspolitik; Europäische Gemeinschaften; Friedenssicherung; Grundsätze der Vereinten Nationen; Korea; Mitgliedschaft; Nord-Süd-Konflikt; Organisationssystem der Vereinten Nationen; Ost-West-Konflikt; Stimmrecht; Südliches Afrika.

XII

Stichwortverzeichnis

Bundesrepublik Deutschland Norbert Gresch 64 Verweise auf: Beitragssystem, Haushalt; Blockbildung; Deutsche Demokratische Republik; Europäische Gemeinschaften; Mitgliedschaft; Nord-Siid-Konflikt; Ost-West— Konflikt; Sonderorganisationen; Universalität. China Uwe Fabritzek 67 Verweise auf: ABC-Waffen; Abrüstung; Blockbildung; Entkolonialisierung; Korea; Mitgliedschaft; Sicherheitsrat; Sonderorganisationen; Stimmrecht; Streitkräfte der Vereinten Nationen. Deutsche Demokratische Republik Wilhelm Bruns Verweise auf: Bundesrepublik Deutschland; Mitgliedschaft.

71

Diskriminierung Jost Delbrück 76 Verweise auf: Apartheid; Berichtsystem; Frauenrechte; Handels- und Wirtschaftsdiskriminierung; Minderheiten; Rassendiskriminierung; Soziale Mindeststandards. ECOSOC - Wirtschafts-und Sozialrat Hajo Knöll / Knut Ipsen 80 Verweise auf: Ausschußsystem; Blockbildung; Generalversammlung; Kulturpolitik; Nichtstaatliche Organisationen; Organisationssystem der Vereinten Nationen; Revision der Charta; Sicherheitsrat; Sonderorganisationen; Suchtstoffe; Umweltschutz; UNCTAD; UNDP; UNICEF; UNIDO; UNITAR; Wirtschaftskommissionen. Entkolonialisierung Franz Ansprenger 84 Verweise auf: Apartheid; Ausschußsystem; Befreiungsbewegungen; Berichtsystem; Entstehungsgeschichte; Entwicklungsländer; Indischer Subkontinent; Kongo; Mandatsgebiete; Nigeria; Portugiesische Kolonialgebiete; Selbstbestimmungsrecht; Südliches Afrika; Treuhandrat; UNCTAD; Weltwirtschaftsordnung. Entstehungsgeschichte Hermann Weber 88 Verweise auf: Beistandspflicht; Kollektive Sicherheit; Mitgliedschaft; Selbstbestimmungsrecht; Stimmrecht; Treuhandrat. Entwicklungsländer Rudolf Bellinghausen Verweise auf: Blockbildung; Entwicklungspolitik; IBRD; IDA.

94

Entwicklungspolitik Michael Bohnet 101 Verweise auf: Entwicklungsländer; F AO; GATT; IBRD; IDA; ILO; IMF; Kapitalhilfe; NordSüd-Konflikt; Rohstoffabkommen; Technische Hilfe, Technologietransfer; UNCTAD; UNDP; UNESCO; UNICEF; UNIDO; Weltbevölkerung; Weltwirtschaftsordnung; WHO. Europäische Gemeinschaften Norbert Gresch 106 Verweise auf: Ausschußsystem; Blockbildung; Entwicklungspolitik; GATT; IMF; Sonderorganisationen; Vertretung; Wirtschaftskommissionen. F AO — Ernährungs- und LandwirtschafteHans-Joachim Schütz 108 organisation der Vereinten Nationen Verweise auf: Beitragssystem, Haushalt; Entwicklungspolitik; IAEA; IBRD; Öffentlicher Dienst, Internationaler; Sonderorganisationen; UNDP; UNICEF; Weltbevölkerung; Welternährungslage; WHO.

Stichwortverzeichnis

ΧΠΙ

Feindstaatenklausel Dieter Blumenwitz 113 Verweise auf: Entstehungsgeschichte; Menschenrechte; Regionalabkommen; Revision der Charta; Universalität; Völkerbund. Flüchtlinge Eberhard Jahn 117 Verweise auf: Ausschußsystem; Beitragssystem, Haushalt; Berichtsystem; Indischer Subkontinent; Menschenrechte; Nahost; Sonderorganisationen. Frauemechte Hildegard Wolfrum Verweise auf: Berichtsystem; Diskriminierung; ECOSOC; Menschenrechte.

125

Friedens-und Kriegsbegriff Günther Doeker 130 Verweise auf: Friedenssicherung; Kriegsfiihrung; Sanktionen; Sicherheitsrat; Streitschlichtung; Völkerbund. Friedenssicherung Dieter Blumenwitz 135 Verweise auf: Beitragssystem, Haushalt; Feindstaatenklausel; Friedens- und Kriegsbegriff; Gewaltverbot; Intervention; Kollektive Sicherheit; Kongo; Nahost; Sanktionen; Selbstbestimmungsrecht; Sicherheitsrat; Stimmrecht; Streitkräfte der Vereinten Nationen; Streitschlichtung; Zypern. GATT - Allgemeines ZollEckart Wehser 140 und Handelsabkommen Verweise auf: Handels- und Wirtschaftsdiskriminierung; IBRD; IMF; Weltwirtschaftsordnung. Generalsekretär Huber tus von Morr 149 Verweise auf: Beitragssystem, Haushalt; Blockbildung; Friedenssicherung; Generalversammlung; Kongo; Korea; Nahost; öffentlicher Dienst, Internationaler; Organisationssystem der Vereinten Nationen; Sicherheitsrat; Streitkräfte der Vereinten Nationen; Streitschlichtung; Wirtschaftskommissionen; Zypern. Generalversammlung Christian Tomuschat 153 Verweise auf: Ausschußsystem; Beitragssystem, Haushalt; Blockbildung; China; ECOSOC; Friedenssicherung; Generalsekretär; IGH; Kongo; Mikrostaaten; Mitgliedschaft; Nahost; Nord-Süd-Konflikt; öffentlicher Dienst, Internationaler; Organisationssystem der Vereinten Nationen; Ost-West-Konflikt; Resolution, Erklärung, Beschluß; Revision der Charta; Sicherheitsrat; Stimmrecht; Streitkräfte der Vereinten Nationen; Streitschlichtung; Treuhandrat; Universalität; Völkerrecht durch Vereinte Nationen. Gewaltverbot Günther Doeker 161 Verweise auf: Entkolonialisierung; Friedenssicherung; Friedens- und Kriegsbegriff; Korea; Regional abkommen. Grundsätze der Vereinten Nationen Günther Doeker 164 Verweise auf: ECOSOC; Entkolonialisierung; Entstehungsgeschichte; Friedenssicherung; Gewaltverbot; Kollektive Sicherheit; Menschenrechte; Portugiesische Kolonialgebiete; Sanktionen; Selbstbestimmungsrecht; Souveränität; Streitschlichtung.

XIV

Stichwortverzeichnis

Handels- und Wirtschaftsdiskriminierung Hans-Gerd Kausch 167 Verweise auf: Diskriminierung; GATT; Souveränität; Umweltschutz; UNCTAD; Weltwirtschaftsordnung. IAEA - Internationale Rudolf Rometsch Atomenergie-Organisation Verweise auf: ABC-Waffen; Beitragssystem, Haushalt; Sonderorganisationen; UNDP.

171

IBRD - Internationale Bank Hans Petersmann 175 für Wiederaufbau und Entwicklung Verweise auf: Entwicklungsländer; Entwicklungspolitik; FAO; IDA; IFC; ILO; IMF; Kapitalhilfe; Seerecht; Sonderorganisationen; Technische Hilfe, Technologietransfer; UNCDF; UNDP; UNESCO; UNICEF; UNIDO; UNITAR; Weltbevölkerung. ICAO - Internationale Walter Schwenk Organisation fur Zivilluftfahrt Verweise auf: Beitragssystem, Haushalt; Sonderorganisationen.

180

IDA — Internationale Michael Schneider 184 Entwicklungsorganisation Verweise auf: Entwicklungspolitik; IBRD; IFC; IMF; Kapitalhilfe; Sonderorganisationen; Technische Hilfe, Technologietransfer; UNCDF; Weltwirtschaftsordnung. IFC — Internationale Finanz-Corporation Hans Petersmann 188 Verweise auf: China; Entwicklungspolitik; IBRD; IDA; Kapitalhilfe; Sonderorganisationen; Technische Hilfe, Technologietransfer. Meinhard Schröder 190 IGH — Internationaler Gerichtshof Verweise auf: Generalversammlung; IMCO; Organisationssystem der Vereinten Nationen; Sicherheitsrat; Stimmrecht; Streitschlichtung; Südliches Afrika. ILO - Internationale Arbeitsorganisation Friedrich Georg Seib 200 Verweise auf: Beitragssystem, Haushalt; Diskriminierung; Frauenrechte; Multinationale Konzerne; Sonderorganisationen; Soziale Mindeststandards. IMCO — Zwischenstaatliche Beratende Rüdiger Wolfrum 204 Seeschiffahrts-Organisation Verweise auf: Beitragssystem, Haushalt; FAO; IGH; ILO: Sonderorganisationen; Umweltschutz; UNDP; WHO. IMF — Internationaler Währungsfonds Friedrich Meyer / Knut Ipsen Verweise auf: Entwicklungspolitik; GATT; IBRD; Sonderorganisationen; Stimmrecht.

207

Indischer Subkontinent Hans-Werner Schulz 213 Verweise auf: Flüchtlinge; Portugiesische Kolonialgebiete; Sicherheitsrat; Streitkräfte der Vereinten Nationen; Streitschlichtung. Informationswesen

Erwin K. Baumgarten

Internationale Organisationen, Theorie der Volker Rittberger Verweise auf: Multinationale Konzerne; Nichtstaatliche Organisationen; Seerecht.

217 220

Stichwortverzeichnis

XV

Intervention Ulrich Beyerlin 229 Verweise auf: Apartheid; Entstehungsgeschichte; Gewaltverbot; Menschenrechte; Rassendiskriminierung; Sanktionen; Selbstbestimmungsrecht; Souveränität; Südliches Afrika. IRK - Internationales Rotes Kreuz Anton Schlägel Verweise auf: Kriegsfiihrung; Nichtstaatliche Organisationen. ITU — Internationale Fernmelde-Union Siegfried Magiera Verweise auf: Sonderorganisationen; UNDP; Weltraumrecht.

233 237

Kapitalhilfe Peter Nißen 241 Verweise auf: Entwicklungspolitik; IBRD; IDA; IFC; IMF; Technische Hilfe, Technologietransfer; UNCDF; UNCTAD; UNDP; UNIDO; Weltwirtschaftsordnung. Kirche und Vereinte Nationen Monsignore Hyginus E. Cardinale 246 Verweise auf: Entstehungsgeschichte; Flüchtlinge; Friedens- und Kriegsbegriff; Kollektive Sicherheit; Nichtstaatliche Organisationen. Kollektive Sicherheit Joachim Hütter 250 Verweise auf: Entstehungsgeschichte; Friedens- und Kriegsbegriff; Friedenssicherung; Gewaltverbot; Korea; Ost-West-Konflikt; Regionalabkommen; Sanktionen; Sicherheitsrat; Souveränität; Stimmrecht; Streitkräfte der Vereinten Nationen; Südliches Afrika; Völkerbund. Kongo Franz Ansprenger 254 Verweise auf: Beitragssystem, Haushalt; Entkolonialisierung; Stimmrecht; Streitkräfte der Vereinten Nationen. Korea Uwe Fabritzek 256 Verweise auf: China; Friedenssicherung; Stimmrecht; Streitkräfte der Vereinten Nationen. Kriegsfühmng Günther Doeker Verweise auf: Gewaltverbot; IRK; Streitkräfte der Vereinten Nationen.

262

Kulturpolitik, Internationale Klaus Hüfner / Jens Naumann Verweise auf: FAO; IBRD; ILO; IMCO; UNCTAD; UNDP; UNITAR.

269

Mandatsgebiete Felix Ermacora 273 Verweise auf: Apartheid; Berichtsystem; Nahost; Petitionen; Selbstbestimmungsrecht; Südliches Afrika; Treuhandrat; Völkerbund. Menschenrechte Karl Josef Partsch 278 Verweise auf: Mandatsgebiete; Minderheiten; Rassendiskriminierung; Souveränität; soziale Mindeststandards. Mikrostaaten Dieter Ehrhardt Verweise auf: Generalversammlung; Mitgliedschaft; Nord-Süd-Konflikt; Sicherheitsrat.

283

Minderheiten Hermann Raschhof er 286 Verweise auf: Diskriminierung; Entstehungsgeschichte; Menschenrechte; Rassendiskriminierung; Völkerbund.

XVI

Stichwortverzeichnis

Mitgliedschaft Hans-Joachim Schütz 293 Verweise auf: Apartheid; Beitragssystem, Haushalt; Blockbildung; China; Entstehungsgeschichte; Feindstaatenklausel; Friedenssicherung; Generalversammlung; Mikrostaaten; Nahost; Nord-Süd-Konflikt; Ost-West-Konflikt; Portugiesische Kolonialgebiete; Sicherheitsrat; Stimmrecht; Universalität. Multinationale Konzerne

Ernst Piehl

296

Nahost Friedemann Büttner 300 Verweise auf: Befreiungsbewegungen; Flüchtlinge; Mandatsgebiete; Selbstbestimmungsrecht; Streitkräfte der Vereinten Nationen. Nichtstaatliche Organisationen

Jens A. Brückner

315

Nigeria Franz Ansprenger Verweise auf: Befreiungsbewegungen; Selbstbestimmungsrecht.

320

Nord-Süd-Konflikt Manfred Nitsch 322 Verweise auf: Bundesrepublik Deutschland; China; Deutsche Demokratische Republik; Entwicklungsländer; Entwicklungspolitik; Ost-West-Konflikt; Rohstoffabkommen; Umweltschutz; Weltbevölkerung; Welternährungslage. Öffentlicher Dienst, Internationaler Jens A. Brückner 326 Verweise auf: Beitragssystem, Haushalt; Blockbildung; Generalsekretär; Organisationssystem der Vereinten Nationen. Organisationssystem der Vereinten Nationen Beate Lindemann 330 Verweise auf: Ausschußsystem; Beitragssystem, Haushalt; Blockbildung; ECOSOC; FAO; Flüchtlinge; Friedenssicherung; GATT; Generalsekretär; Generalversammlung; IAEA; IBRD; ICAO; IDA; IFC; IGH; ILO; IMCO; IMF; ITU; Mandatsgebiete, Sicherheitsrat; Sonderorganisationen; Stimmrecht; Streitkräfte der Vereinten Nationen; Streitschlichtung; Treuhandrat; Umweltschutz; UNCDF; UNCTAD; UNDP; UNESCO; UNICEF; UNIDO; UNITAR; UPU; Weltbevölkerung; WHO; WIPO ; Wirtschaftskommissionen ; WMO. Ost-West-Konflikt Wilhelm Bruns Verweise auf: Abrüstung; Entstehungsgeschichte; Kollektive Sicherheit.

335

Petitionen Christian Tomuschat Verweise auf: Menschenrechte; Rassendiskriminierung; Souveränität; Treuhandrat.

340

Portugiesische Kolonialgebiete Hans Detlef Laß 346 Verweise auf: Ausschußsystem; Befreiungsbewegungen; Entkolonialisierung; Selbstbestimmungsrecht. Rassendiskriminierung Karl Josef Partsch 350 Verweise auf: Apartheid; Berichtsystem; Diskriminierung; Entkolonisierung; Menschenrechte; Südliches Afrika. Regionalabkommen Ulrich Bey erlin 355 Verweise auf: Feindstaatenklausel; Friedenssicherung; Gewaltverbot; Intervention; Kollektive Sicherheit; Sanktionen; Sicherheitsrat; Wirtschaftskommissionen.

Stichwortverzeichnis

XVII

Resolution, Erklärung, Beschluß Rainer Lagoni 358 Verweise auf: Friedenssicherung; Generalversammlung; Menschenrechte; Rassendiskriminierung; Revision der Charta; Seerecht, Stimmrecht; Völkerrecht durch Vereinte Nationen; Weltraumrecht. Revision der Charta Meinhard Schröder 365 Verweise auf: ECOSOC; Feindstaatenklausel; Generalsekretär; IGH; Mitgliedschaft; Sicherheitsrat; Souveränität; Völkerrecht durch Vereinte Nationen. Rohstoffabkommen Eckart Wehser Verweise auf: Entwicklungsländer; Entwicklungspolitik; GATT; Resolution, Beschluß; UNCTAD; Weltwirtschaftsordnung.

370 Erklärung,

Sanktionen Ulrich Bey erlin / Wolf gang Strasser 376 Verweise auf: Apartheid; Beistandspflicht; Entkolonialisierung; Friedenssicherung; Generalversammlung; Gewaltverbot; IGH; Intervention; Kollektive Sicherheit; Korea; Mitgliedschaft; Portugiesische Kolonialgebiete; Regionalabkommen; Sicherheitsrat; Stimmrecht; Streitkräfte der Vereinten Nationen; Streitschlichtung; Südliches Afrika; Völkerbund; Zypern. Seerecht Rüdiger Wolfrum 382 Verweise auf: Ausschußsystem; IMCO; Kriegsführung; Umweltschutz; Völkerrecht durch Vereinte Nationen; Weltraumrecht. Selbstbestimmungsrecht Karl Josef Partsch 392 Verweise auf: Ausschußsystem; Befreiungsbewegungen; Entkolonialisierung; Entstehungsgeschichte; Mandatsgebiete; Menschenrechte; Mindernheiten; Petitionen; Souveränität; Treuhandrat; Völkerbund. Sicherheitsrat Günther Doeker 396 Verweise auf: Blockbildung; Entstehungsgeschichte; Friedenssicherung; Generalsekretär; Generalversammlung; IGH; Indischer Subkontinent; Korea; Mitgliedschaft; Nahost; Nigeria; Organisationssystem der Vereinten Nationen; Regionalabkommen; Revision der Charta; Sanktionen; Stimmrecht; Streitkräfte der Vereinten Nationen; Streitschlichtung; Treuhandrat; Zypern. Sonderorganisationen Ignaz Seidl-Hohenveldem 401 Verweise auf: Beitragssystem, Haushalt; Bundesrepublik Deutschland; ECOSOC; Entwicklungspolitik; F AO ; Flüchtlinge; GATT; Generalversammlung; IAEA; IBRD; IC AO; IDA; IFC; ILO; IMCO; IMF; ITU; Nichtstaatliche Organisationen; öffentlicher Dienst, Internationaler; Sanktionen; Selbstbestimmungsrecht; Souveränität; Stimmrecht; Technische Hilfe, Technologietransfer; UNCTAD; UNDP; UNESCO; UNIDO; Universalität; UPU; Vertretung; Völkerbund; WHO; WMO. Souveränität Karl Matthias Meessen 404 Verweise auf: Abkommen, Verträge; Befreiungsbewegungen; Entkolonialisierung; Entwicklungsländer; Europäische Gemeinschaften; Friedenssicherung; Intervention; Menschenrechte; Mikrostaaten; Mitgliedschaft; Multinationale Konzerne; Nord-Süd-Konflikt; Resolution, Erklärung, Beschluß; Seerecht; Selbstbestimmungsrecht; Stimmrecht; Südliches Afrika; Weltwirtschaftsordnung.

XVIII

Stichwortverzeichnis

Soziale Mindeststandards Verweise auf: Berichtsystem; FAO; UNESCO; UNIDO.

ILO;

Paul Dimitrijevic Menschenrechte;

411 Rassendiskriminierung;

Stimmrecht Wolfgang Maneke 415 Verweise auf: Ausschußsystem; Bundesrepublik Deutschland; China; Deutsche Demokratische Republik; ECOSOC; Entstehungsgeschichte; Friedenssicherung; Generalsekretär; Generalversammlung; Mitgliedschaft; Sicherheitsrat; Souveränität; Streitkräfte der Vereinten Nationen; Südliches Afrika; Treuhandrat; Universalität. Streitkräfte der Vereinten Nationen Norbert J. Prill 422 Verweise auf: Beistandspflicht; Beitragssystem, Haushalt; Generalsekretär; Kollektive Sicherheit; Kongo; Korea; Nahost; Sanktionen; Stimmrecht; Zypern. Streitschlichtung Rüdiger Wolfrum 430 Verweise auf: Friedenssicherung; Generalsekretär; Generalversammlung; Grundsätze der Vereinten Nationen; IGH; Indischer Subkontinent; Nahost; Sicherheitsrat; Stimmrecht; Südliches Afrika; Völkerrecht durch Vereinte Nationen; Zypern. Suchtstoffe Verweise auf: WHO.

Alexander Boroffka

437

Südliches Afrika Robert von Lucius 441 Verweise auf: Apartheid; Befreiungsbewegungen; Generalversammlung; Mandatsgebiete; Rassendiskriminierung; Sanktionen; Selbstbestimmungsrecht; Treuhandrat. Technische Hilfe, Technologietransfer Wilfried Skupnik 447 Verweise auf: Entwicklungsländer; Kapitalhilfe; IBRD; IDA; UNCDF; UNCTAD; UNDP; UNESCO; WIPO. Treuhandrat Felix Ermacora 452 Verweise auf: Berichtsystem; Entkolonialisierung; Entstehungsgeschichte; Mandatsgebiete; Nahost; Organisationssystem der Vereinten Nationen; Petitionen; Souveränität; Südliches Afrika. Umweltschutz Hans-Gerd Kausch Verweise auf: Beitragssystem, Haushalt; IAEA; ILO; IMCO; Seerecht; WHO; WMO.

457

UNCDF — Kapitalentwicklungsfonds Hans-Jürgen Schmidt 461 der Vereinten Nationen Verweise auf: IBRD; IDA; IFC; IMF; Kapitalhilfe; Multilaterale Entwicklungshilfe; Sonderorganisationen; UNDP. UNCTAD - Konferenz der Vereinten Nationen Hans-Joachim Rungweber / Knut Ipsen 464 für Handel und Entwicklung (Welthandels- und Entwicklungskonferenz) Verweise auf: ECOSOC; GATT; IMF; Kapitalhilfe; Rohstoffabkommen; Technische Hilfe, Technologietransfer; Weltwirtschaftsordnung.

Stichwortverzeichnis

XIX

UNDP — Entwicklungsprogramm Ernst W. Börnsen 468 der Vereinten Nationen Verweise auf: FAO; IBRD; IDA; Kapitalhilfe; Technische Hilfe, Technologietransfer; Umweltschutz; UNCDF; UNCTAD; UNICEF; Weltbevölkerung. UNESCO — Organisation der Klaus Hüfner / Jens Naumann 47 5 Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur Verweise auf: Deutsche Demokratische Republik; FAO; IAEA; IBRD; Kulturpolitik, Internationale; Menschenrechte; Nord-Süd-Konflikt; Ost-West-Konflikt; Sonderorganisationen; WHO; Wirtschaftskommissionen; WMO. UNICEF - Weltkinderhilfswerk Etta Gräfin Waldersee 480 der Vereinten Nationen Verweise auf: Beitragssystem, Haushalt; Flüchtlinge; Nichtstaatliche Organisationen; Organisationssystem der Vereinten Nationen. Karl-Heinz Moritz 482 UNIDO — Organisation der Vereinten Nationen für industrielle Entwicklung Verweise auf: Beitragssystem, Haushalt; ECOSOC; Entwicklungspolitik; Organisationssystem der Vereinten Nationen; Sonderorganisationen; UNDP. UNITAR — Ausbildung»- und Forschungsinstitut der Vereinten Nationen

Wolfgang Maneke

486

Universalität Günter Czerwinski 491 Verweise auf: Entstehungsgeschichte; Mitgliedschaft; Sonderorganisationen; Souveränität; Südliches Afrika; UNESCO; Völkerbund; WHO. UPU - Weltpostverein Siegfried Magiera Verweise auf: Beitragssystem, Haushalt; ITU; Sonderorganisationen; UNDP.

494

Vertretung

497

Ignaz Seidl-Hohenveldern

Völkerbund Hermann Weber 499 Verweise auf: Friedenssicherung; Kollektive Sicherheit; Mandatsgebiete; Sanktionen; Streitschlichtung; Treuhandrat. Völkerrecht durch Vereinte Nationen Meinhard Schröder 503 Verweise auf: ABC-Waffen; Abkommen, Verträge; Abrüstung; Ausschußsystem; ECOSOC; Entkolonialisierung; Generalversammlung; IGH; Menschenrechte; Rassendiskriminierung; Resolution, Erklärung, Beschluß; Revision der Charta; Seerecht; Selbstbestimmungsrecht; Sicherheitsrat; Streitschlichtung; UNCTAD; Weltraumrecht. Weltbevölkerung Jens A. Brückner / Klaus Hüfner / Jens Naumann Verweise auf: ECOSOC; UNDP.

511

Weltemährungslage Verweise auf: FAO; Weltbevölkerung.

515

Bernd Dreesmann

XX

Stichwortverzeichnis

Weltraumrecht Rüdiger Wolfrum Verweise auf: ABC-Waffen; Abrüstung; Diskriminierung; ITU; Seerecht.

520

Welt Wirtschaftsordnung Norbert J. Prill 524 Verweise auf: Blockbildung; Entwicklungsländer; Entwicklungspolitik; GATT, Handels- und Wirtschaftsdiskriminierung; IBRD; IDA; IFC; IMF; Kapitalhilfe; Nord-SüdKonflikt; Resolution, Erklärung, Beschluß; Rohstoffabkommen; Seerecht; Selbstbestimmungsrecht; Souveränität; Technische Hilfe, Technologietransfer; UNCTAD; UNDP; UNIDO; Völkerrecht durch Vereinte Nationen; Welternährungslage. WHO - Weltgesundheitsorganisation H. J. Jusatz / E. K. Kröger 536 Verweise auf: Beitragssystem, Haushalt; Sonderorganisationen; Soziale Mindeststandards; Suchtstoffe; Umweltschutz; UNDP; UNICEF; Weltbevölkerung. WIPO - Weltorganisation für Norbert J. Prill geistiges Eigentum Verweise auf: Beitragssystem, Haushalt; Sonderorganisationen.

540

Wirtschaftskommissionen Reinhold Thode 545 Verweise auf: ECOSOC; Ost-West-Konflikt; UNCTAD; UNIDO; Weltwirtschaftsordnung. WMO — Weltorganisation für Meteorologie Volker Hagemeier Verweise auf: Beitragssystem, Haushalt; Sonderorganisationen.

552

Zypern Jörg-Detlef Kühne 554 Verweise auf: Flüchtlinge; Generalsekretär; Sanktionen; Sicherheitsrat; Streitkräfte der Vereinten Nationen; Streitschlichtung. Anhang — Dokumente der Vereinten Nationen

559

XXI Abkürzungsverzeichnis ABC-Waffen AB1EG ABM Abs. ACAB

Atomare, bakteriologische und chemische Waffen Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Anti Ballistic Missile Absatz Advisory Committee on Administrative and Budgetary Questions

ACC

Administrative Committee on Co-ordination

AFDI

Art. Aufl. AVR Bd. betr.

Annuaire Français de Droit International American Journal of International Law 46 Staaten Afrikas, der Karibik und des Pazifik, beteiligt am Abkommen von Lomé African National Congress o f South Africa; African National Council o f Zimbabwe American Political Science Review Artikel Auflage Archiv des Völkerrechts Band betreffend

BGBl.

Bundesgesetzblatt

AJIL AKP-Staaten

ANC

APSR

BIP BIRPI

Bruttoinlandsprodukt Bureaux internationaux réunis pour la protection de la propriété intellectuelle BT-Drucksache Drucksachen des Deutschen Bundestages Bull. Bulletin BYIL British Year Book of International Law bzw. beziehungsweise ca. circa cal. Kalorie CC Committee on Contributions CCD Conference of the Committee on Disarmament CCEP Commission Consultative des Etudes Postales (bis 1969); Conseil Consultatif des Etudes Postales (seit 1969) CCIR Comité Consultatif International des Radiocommunications CCITT Comité Consultatif International Télégraphique et Téléphonique CCP Conciliation Commission for Palestine

CE CEL CEPT

CERD

CICT CID CIJ CINA

Conseil Exécutif (UPU) Commission Exécutive et de Liaison (UPU) Conférence Européenne des Administrations des Postes et Télécommun icat ions Committee on the Elimination of Racial Discrimination; Convention on the Elimination of Racial Discrimination Commission on International Commodity Trade Centre for Industrial Development Cour Internationale de Justice Commission Internationale de Navigation Aérienne

CIPEC Clunet CNUCED

COMECON CPJI CPRC Cttee DAC DC DCOR ders. d.h. dies. Doc. DUK EA ECA ECAFE ECE ECLA ECOSOC ECWA ed. éd. EDI

Conseil Intergouvernemental des Pays Exportateurs de Cuivre Journal du Droit International Conférence des Nations Unies sur le Commerce et le Développement Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe Cour Permanente de Justice Internationale Coloured Persons' Representative Council Committee Development Assistance Committee (OECD) Disarmament Commission Disarmament Commission Official Records derselbe das heißt dieselbe Document Deutsche UNESCO-Kommission Europa-Archiv Economic Commission for Africa Economic Commission for Asia and the Far East Economic Commission for Europe Economic Commission for Latin America Economic and Social Council Economic Commission for Western Asia editor; edition éditeur; édition Economic Development Institute

XXII EFTA EG ELF ENDC EOKA

EPTA ESCAP ESCOR et al. etc. EURATOM FAO FLN FLQ Fn. FNL FNLA FRELIMO FROLIZ1 g GA GAOR GATT gem. Gen. Cttee GG GPRA GRAE GRP GRUNC HRJ Hrsg. IAAB IACB

Abkürzungsverzeichnis European Free Trade Association Europäische Gemeinschaften Eritrea Liberation Front Eighteen Nations Disarmament Committee Ethniki Organosis Kyprion Agoniston (Nationale Organisation griechisch-zypriotischer Kämpfer) Expanded Programme of Technical Assistance Economic and Social Commission for Asia and the Pacific Economic and Social Council Official Records et alii et cetera Europäische Atomgemeinschaft Food and Agricultural Organization of the United Nations Front de Libération Nationale (Algerien) Front de Libération du Québec Fußnote Front National de Libération (Südvietnam) Frente Nacional para a Liberataçâo de Angola Frente de Libertaçâo de Moçambique Front for the Liberation of Zimbabwe Gramm General Assembly General Assembly Official Records General Agreement on Tariffs and Trade gemäß General Committee Grundgesetz Gouvernement Provisoire de la République Algérienne Governo Revolucionario de Angola do Exilio Gouvernement Révolutionnaire Provisoire (Südvietnam) Gouvernement Royal d'Union Nationale (Kambodscha) Human Rights Journal Herausgeber Inter American Association of Broadcasters Inter-Agency Consultative Board

IAEA IATA IBE IBRD ICA ICAO ICC ICCICA ICFTU ICJ ICJ Reports

ICLQ ICSAB ICSID ICSW id. IDA IDB IF AD IFAP IFC IFRB IGH HEP IKRK ILA ILC ILM ILO IMCO IMF

International Atomic Energy Agency International Air Transport Association International Bureau of Education International Bank for Reconstruction and Development International Co-operative Alliance International Civil Aviation Organization International Chamber of Commerce Interim Co-ordinating Committee for International Commodity Arrangements International Confederation of Free Trade Unions International Court of Justice International Court of Justice Reports of Judgments, Advisory Opinions and Orders International and Comparative Law Quarterly International Civil Service Advisory Board International Centre for the Settlement of Investment Disputes International Council on Social Welfare idem International Development Association Industrial Development Board International Fund for Agricultural Development International Federation of Agricultural Producers International Finance Corporation International Frequency Registration Board Internationaler Gerichtshof International Institute for Educational Planning Internationales Komitee vom Roten Kreuz International Law Association International Law Commission International Legal Materials International Labour Organisation Inter-Governmental Maritime Consultative Organisation International Monetary Fund

XXIII

Abkürzungsverzeichnis INTELSAT IOE IPU IRA IRK IRÒ ISO ITO ITU IULA IUOTO i. V. m. Jg. JIR JO JWTL kg KIWZ KSZE LDC lit. LLDC LNTS LORCS MAC Martens N R G

MBFR

International Telecommunications Satellite Organization International Organisation of Employers Interparliamentary Union Irish Republican Army Internationales Rotes Kreuz International Refugee Organization International Organization for Standardization International Trade Organization International Telecommunication Union International Union of Local Authorities International Union of Official Travel Organizations in Verbindung mit Jahrgang Jahrbuch für internationales Recht Journal Officiel Journal of World Trade Law Kilogramm Konferenz über internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa Less developed countries littera Least developed countries League of Nations Treaty Series League of Red Cross Societies Mixed Armistice Commission Nouveau Recueil général de Traités et autres Actes relatifs aux Rapports du Droit international

No. Nr.

Mutual Balanced Force Reductions meines Erachtens Million(en) Movimento Popular de Libertaçâo de Angola Milliarde(n) Most seriously affected countries Meeting North Atlantic Treaty Organization Number; Numéro Nummer

OAS

Organization of American States

OAU

Organization of African Unity

m. E. Mio. MPLA Mrd. MSAC Mtg NATO

ÖBGB1. OECD o. J. OMPI

Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich Organisation for Economic Cooperation and Development ohne Jahresangabe Organisation Mondiale de la Propriété Intellectuelle

ONUC o. O. OPEC OPEX p. PAC PAIGC PCIJ PICAO PLO qkm RCADI RDH Res. RGBl. RGDIP S. SALT SC SCOR SdN SDR seq. sess. SF SIPRI sm sog. StIGH str. SUNFED Suppl. SWAPO

Organisation des Nations Unies pour le Congo ohne Ortsangabe Organisation of Petroleum Exporting Countries Provision of operational executive and administrative personnel pagina; page Pan-African Congress; Pan Africanist Congress of Azania Partido Africano de Independencia de Guiñé e Cabo Verde Permanent Court of International Justice Provisional International Civil Aviation Organization Palestine Liberation Organization Kilometer im Quadrat Receuil des Cours de Γ Académie de Droit International Revue des Droits de l'Homme Resolution(en) Reichsgesetzblatt Revue Générale de Droit International Public Seite Strategie Arms Limitation Talks Security Council Security Council Official Records Société des Nations special drawing right(s) sequentes session Special Fund Stockholm International Peace Research Institute Seemeile sogenannte(r) Ständiger Internationaler Gerichtshof strittig Special United Nations Fund for Economic Development Supplement South West Africa People's Organization

XXIV TAB TAC TIR u. a. UNCAST

UNCIO UNCITRAL UNCTAD UNDA UNDOF UNDP UNEDA UNEF UNEP UNEPRO UNESCO UNESOB UNFICYP UNFPA UNHCR UNICEF

UNIDO UNIPOM UNITA UNITAR UNJ Y UNMOGIP UNOGIL UNRISD

Abkürzungsverzeichnis Technical Assistance Board Technical Assistance Committee Transport International Routier unter anderem United Nations Conference on the Application of Science and Technology to Development United Nations Conference on International Organization United Nations Commission on International Trade Law United Nations Conference on Trade and Development United Nations Development Authority United Nations Disengagement Observation Force (Golan) United Nations Development Programme United Nations Economic Development Administration United Nations Emergency Force (Nahost) United Nations Environment Programme United Nations East Pakistan Relief Operation United Nations Educational, Scientifìc and Cultural Organization United Nations Economic and Social Office in Beirut United Nations Peace-keeping Force in Cyprus United Nations Fund for Population Activities United Nations High Commissioner for Refugees United Nations International Children's Emergency Fund (1946-1953); United Nations Children's Fund (seit 1953) United Nations Industrial Development Organization United Nations India-Pakistan Observation Mission Uniäo Nacional para Independencia total de Angola United Nations Institute for Training and Research United Nations Juridical Yearbook United Nations Military Observer Group in India and Pakistan United Nations Observer Group in Lebanon United Nations Research Institute for Social Development

UNRRA UNRWA UNSCOB UNSCOP UNSF UNTS UNTSO UNU UNYOM UPAE UPU UTO u. U. vgl. VN vol. VRÜ WCL WEU WFP WFTU WFUNA WHO WIDF WIPO WMO WVF YBILC YUN ZANU ZaöRV ZAPU ζ. Β. Ziff. ζ. T. z. Zt.

United Nations Relief and Rehabilitation Administration United Nations Relief and Works Agency for Palestine United Nations Special Commission on the Balkans United Nations Special Committee on Palestine United Nations Security Force (Westirian) United Nations Treaty Series United Nations Truce Supervision Organization (Nahost) United Nations University United Nations Yemen Observation Mission Union Postale des Amériques et de l'Espagne Universal Postal Union United Towns Organisation unter Umständen vergleiche Vereinte Nationen (Zeitschrift) volume(n) Verfassung und Recht in Übersee World Conference of Labor Western European Union World Food Programme World Federation of Trade Unions World Federation of United Nations Associations World Health Organization Women's International Democratic Federation World Intellectual Property Organization World Meteorological Organization World Veterans Federation Yearbook of the International Law Commission Yearbook of the United Nations Zimbabwe African National Union Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Zimbabwe African People's Union zum Beispiel Ziffer zum Teil zur Zeit

ABC-Waffen

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ABC-Waffen „ABC-Waffen" ist eine zusammenfassende Abkürzung für atomare (A), bakteriologische oder biologische (B) und chemische (C) Waffen. Die militärische Schadenszufügung erfolgt bei A-Waffen durch die bei der Spaltung schwerer Atomkerne bzw. bei der Verschmelzung leichter Atomkerne (thermonukleare oder Η-Waffen) freiwerdende Energie (Druck, Hitze, Strahlung), bei bakteriologischen (biologischen) Waffen durch die Verbreitung von Krankheiten bei Menschen, Tieren oder Pflanzen mittels lebender Organismen oder aus ihnen gewonnenen infektiösen Materials, bei chemischen Waffen durch die toxische Wirkung chemischer Substanzen auf Menschen, Tiere und Pflanzen. Alle drei Waffenarten werden oft unter dem Oberbegriff Massenvernichtungswaffen behandelt, da die moderne Technik die Konstruktion von ABC-Waffen mit großer, ja unvorstellbarer Vernichtungskraft erlaubt. Doch gibt es auch bei den A-Waffen solche mit vergleichsweise geringer Vernichtungskraft, bei den C-Waffen solche, die den Gegner in der Regel nicht töten, sondern nur vorübergehend außer Gefecht setzen. Entwicklung der ABC-Waffen Während es sich bei den B- und C-Waffen u m eine Kriegstechnik handelt, die schon seit Jahrhunderten im Prinzip bekannt ist und nur durch die moderne Technologie perfektioniert wurde, sind die A-Waffen ein Produkt des 2. Weltkrieges. C-Waffen (Kampfgase) wurden im 1. Weltkrieg in großem Umfang angewandt, danach nur noch vereinzelt (ζ. B. durch Italien im Abessinien-Konflikt). In größerem Umfang wurden Tränengas und Entlaubungsmittel von den USA im Vietnam-Konflikt eingesetzt. Die C-Waffen müssen unter militärischen Gesichtspunkten als ein effizientes Kampfmittel angesehen werden, wobei allerdings der Einsatz von Giftgasen, ebenso aber auch der Großeinsatz von Herbiziden wegen der Wirkungen auf die Zivilbevölkerung bedenklich sind. Fälle des zweifelsfrei nachgewiesenen Einsatzes von B-Waffen gibt es nicht und die militärische Brauchbarkeit dieser Waffen erscheint unsicher. Den USA ist der Einsatz von BWaffen im Korea-Konflikt vorgeworfen worden, die diesbezüglichen Debatten in den Vereinten Nationen haben jedoch zu keinem Ergebnis geführt (-»• Korea). Nach den beiden ersten Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki wurde diese Waffe nicht wieder eingesetzt, jedoch sind Atomwaffen in großem Umfang in den Arsenalen der Atommächte USA, UdSSR, Großbritannien, Frankreich und China einsatzbereit. Sie stellen ein zentrales Problem der militärischen Strategie und der weltweiten Sicherheitspolitik dar. Ein Konflikt zwischen den Supermächten wurde und wird durch das „Gleichgewicht des Schreckens", das „atomare P a t t " verhindert, d. h. die Fähigkeit beider Supermächte, sich gegenseitig (auch nach einem ersten atomaren Angriff — sog. second strike capability) zu vernichten, was den Konflikt zu einem nicht mehr tragbaren Risiko macht. Die amerikanische Strategie der 50er Jahre suchte diese Abschreckung durch „massive Vergeltung" zu erreichen, d. h. durch Drohung mit Einsatz von Atomwaffen bei jedem Angriff auf das westliche Bündnissystem. Diese ist für begrenzte Konflikte wenig glaubwürdig. Unter Präsident Kennedy ersetzten die USA darum diese Strategie durch das System des „flexible response", d. h. einer Reaktion, die gemäß der Schwere der Bedrohung abgestuft ist, wodurch die Schwelle des möglichen Einsatzes atomarer Waffen wesentlich höher ist. Bemühungen um ein

Einsatzverbot

Bei dem Verbot des Einsatzes von Waffen muß man unterscheiden zwischen dem Verbot bestimmter Waffen als solcher und dem Verbot bestimmter Einsatzarten (Kampfmethoden). Zur letzteren Kategorie gehört wohl das Verbot von Waffen, die unnötige Leiden verursachen, wobei fraglich ist, ob bestimmte Waffen schlechthin und allgemein unnötige Leiden

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ABC-Waffen

verursachen, oder ob dies nur im konkreten Einzelfall entschieden werden kann. Verboten ist ferner der Angriff auf die Zivilbevölkerung als solche und der Angriff, der unterschiedslos Kombattanten und Zivilbevölkerung, militärische und zivile Objekte trifft. Ein Angriff auf militärische Ziele ist unzulässig, wenn damit zugleich bei der Zivilbevölkerung und zivilen Objekten Schäden verursacht werden, die außer Verhältnis zu dem aus dem Angriff resultierenden militärischen Vorteil stehen (-> Kriegsführung). Diese im Völkergewohnheitsrecht und der Haager Landkriegsordnung von 1906 begründeten Verbote von Kampfmethoden gelten auch für ABC-Waffen, ja sind gerade für den Einsatz von Massenvernichtungswaffen von offenkundiger Bedeutung. Das Verbot von Gift und vergifteten Waffen, ein ehrwürdiger Bestandteil des Kriegsvölkerrechts, umfaßt auch (nach einer freilich nicht unbestrittenen Auffassung) chemische und bakteriologische Waffen. Das erste spezifische Verbot chemischer Waffen ist die Haager Erklärung über Gasgeschosse von 1899. Ein umfassendes und vertragliches Verbot brachte dann das auf der Genfer Waffenhandelskonferenz 1925 unterzeichnete Genfer Protokoll, das den kriegerischen Einsatz „von erstickenden, giftigen oder gleichartigen Gasen sowie allen ähnlichen Flüssigkeiten, Stoffen oder Verfahrensarten" verbietet. Dieses Protokoll ist heute von annähernd 100 Staaten ratifiziert, seit Januar 1975 auch von den Vereinigten Staaten. Hinsichtlich der Tragweite des in diesem Protokoll enthaltenen Verbots gibt es erhebliche Auslegungsprobleme. Umstritten ist namentlich, ob das Protokoll auch den Einsatz von Tränengas und von Entlaubungsmitteln verbietet. Insbesondere seine Vorgeschichte legt es nahe, dies zu bejahen. Das Verbot chemischer und bakteriologischer Waffen ist daneben Bestandteil des Gewohnheitsrechts, jedoch reicht die Tragweite des gewohnheitsrechtlichen Verbots wohl nicht so weit wie die des vertraglichen (-»• Kriegsführung). Immerhin hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen in der (freilich sehr umstrittenen) Resolution 2603 (XXIV) vom 16. Dezember 1969 ein umfassendes gewohnheitsrechtliches Verbot angenommen. Seit 1966 fordern Resolutionen der Generalversammlung alle Staaten regelmäßig zur Beachtung der „Grundsätze und Ziele" des Genfer Protokolls auf (Resolutionen: 2162 Β (XXI) vom 5.12.1966, 2454 A (XXIII) vom 20.12.1968, 2603 Β (XXIV) vom 16.12.1969, 2662 (XXV) vom 7.12.1970, 2827 A (XXVI) vom 16.12.1971, 2933 (XXVII) vom 29.11.1972, 3077 (XXVIII) vom 6.12.1973, 3256 (XXIX) vom 9.12.1974). Dies ist wohl ein deutlicher Beweis dafür, daß jedenfalls der Kernbereich des Verbots auch eine Grundlage im Gewohnheitsrecht findet (-* Völkerrecht durch Vereinte Nationen). Soweit die A-Waffen durch Druck und Hitze wirken, gleichen sie traditionellen Sprengund Brandwaffen, fur die kein Verbot besteht. Soweit sie durch Strahlung wirken, ist zu erwägen, ob sie unter das Giftverbot fallen oder als „ähnliche Verfahrensart" im Sinne des Genfer Protokolls verboten sind. Man kann also der Auffassung sein, daß der Einsatz sog. schmutziger Atomwaffen bereits nach geltendem Recht verboten ist. Eine spezifisches vertragliches Verbot von A-Waffen besteht jedenfalls nicht. Die Generalversammlung hat insbesondere in zwei Resolutionen (1653 (XVI) vom 24.11.1961, 2936 (XXVII) vom 29.11.1972) ein allgemeines Verbot der Atomwaffen erklärt. Jedoch kann man angesichts gewichtiger Gegenstimmen bei beiden Beschlüssen kaum sagen, daß durch diese Resolutionen eine hinreichend allgemeine Rechtsüberzeugung nachgewiesen ist, die es erlauben würde, von einem allgemeinen gewohnheitsrechtlichen Verbot des Einsatzes von A-Waffen zu sprechen. Erklärungen verschiedener Atommächte sprechen immerhin die Absicht aus, solche Waffen nicht als erste einzusetzen. Wieweit darin der Ausdruck einer Rechtsüberzeugung oder lediglich politische Absichtserklärungen zu sehen sind, ist fraglich. Aus alledem läßt sich ein allgemeines gewohnheitsrechtliches Verbot von A-Waffen jeglicher Art nicht mit der erforderlichen Sicherheit entnehmen.

Eingrenzung der Verbreitung von A-Waffen

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Bemühungen um ->• Abrüstung Die Revolte der weltweiten öffentlichen Meinung gegenüber dem Einsatz von Kampfgasen im 1. Weltkrieg führte dazu, daß die B- und C-Waffen alsbald in den Abrüstungsbemühungen, insbesondere im Rahmen des Völkerbundes, eine wichtige Rolle spielten. Die chemische Rüstung war ein wichtiges Thema der (schließlich gescheiterten) Genfer Abrüstungskonferenz 1 9 3 2 - 1 9 3 4 . Nach dem 2. Weltkrieg haben die Bundesrepublik Deutschland im WEU-Protokoll über Rüstungsbeschränkungen 1954 (BGBl. 1955 II S. 266) und Österreich im Friedensvertrag 1955 (ÖBGB1. 1955 S. 725) auf die Herstellung von ABC-Waffen verzichtet, Österreich auch auf Besitz und Erprobung. Seit Beginn der Abrüstungsbemühungen der Vereinten Nationen 1945 waren die ABCWaffen in einer Reihe von Abrüstungsplänen bezüglich Massenvernichtungswaffen enthalten. Alle Pläne einer umfassenden Abrüstung haben aber bislang nicht zu einem Erfolg geführt. Seit dem Beginn der 60er Jahre sind jedoch Fortschritte mit begrenzten Teilmaßnahmen auf dem Gebiet der Abrüstung oder Nichtiüstung erzielt worden, insbesondere nach Schaffung der Achtzehnmächte-Abrüstungskonferenz durch die Vereinten Nationen (GA Res. 1722 (XVI) vom 20.12.1961). Der erste Schritt war der Moskauer Teststopp-Vertrag von 1963 (BGBl. 1964 II S. 90), der alle Atomwaffentests in der Atmosphäre, unter Wasser (-> Seerecht) und im Weltraum (-> Weltraumrecht) sowie darüber hinaus in jedem Falle verbietet, in dem radioaktiver Abfall außerhalb des Hoheitsgebiets der die Explosion durchführenden Vertragspartei anfällt. Damit waren nicht zuletzt die erheblichen Verseuchungsgefahren eingeschränkt, die sich aus dem fall-out der Atomtests weltweit ergaben. Eine Einigung über das allgemeine Verbot auch unterirdischer Explosionen konnte in dem Genfer Ausschuß nicht erzielt werden. Einen Fortschritt bringt hier erst der am 3. Juli 1974 in Moskau unterzeichnete Vertrag zwischen der UdSSR und den USA, der mit Wirkung vom 31. März 1976 unterirdische Waffentestexplosionen mit einer Stärke von mehr als 150 Kilotonnen verbietet (ILM vol. 13 (1974) p. 906). Ein allgemeines vertragliches Testverbot ist bislang insbesondere an der Kontrollfrage gescheitert. Der Bestand der Teststoppabkommen ist auch dadurch gefährdet, daß jede Vertragspartei den Moskauer Teststopp-Vertrag wegen lebenswichtiger nationaler Interessen mit einer dreimonatigen Frist kündigen kann. Der sowjetisch-amerikanische Vertrag von 1974 ist auf fünf Jahre befristet. Frankreich und China sind dem Moskauer Teststopp-Vertrag nicht beigetreten und haben weiterhin oberirdische Atomversuche durchgeführt. Solche Versuche dürften heute allerdings auch gegen Normen des Völkergewohnheitsrechts verstoßen, soweit radioaktiver fall-out Schäden in anderen Staaten hervorruft und soweit die Hohe See für Versuchszwecke praktisch gesperrt wird. Ohne auf diese Rechtsfrage einzugehen, hat der Internationale Gerichtshof (-> IGH) durch einstweilige Verfügung vom 22. Juni 1973 auf Antrag von Australien und Neuseeland Frankreich untersagt, Atomversuche durchzuführen, die zur Ablagerung von radioaktivem fall-out auf dem Gebiet der Antragsteller führen. Durch Urteil vom 20. Dezember 1974 (ICJ Reports 1974 p. 252, 457) erklärte der Internationale Gerichtshof die Sache allerdings im Hinblick auf die einseitigen französischen Erklärungen, keine weiteren Atomtests im Süd-Pazifik durchführen zu wollen, für erledigt.

Eingrenzung der Verbreitung von A- Waffen Das militärische Gleichgewicht zwischen den beiden großen Atommächten hat eine gewisse stabilisierende Wirkung für das weltweite Sicherheitssystem gehabt. Das legte es nahe, dieses Gleichgewicht dadurch zu sichern, daß eine Erweiterung des Kreises der Atommächte ver-

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ABC-Waffen

hindert wird. Dies ist der Sinn des sog. Nichtverbreitungsvertrages, der nach langwierigen Verhandlungen im Abrüstungsausschuß 1968 unterzeichnet wurde (BGBl. 1974 II S. 785). Die Hauptpflicht der Kernwaffenstaaten geht dahin, Nichtkernwaffenstaaten keine Kernwaffen zu überlassen (Art. I), die der Nichtkernwaffenstaaten dahin, keine solchen Waffen zu erwerben oder herzustellen (Art. II). Die Nichtkernwaffenstaaten unterwerfen sich ferner einer Kontrolle gemäß einer mit der -»• IAEA zu treffenden Übereinkunft, die verhindern soll, daß Kernenergie von friedlicher Nutzung abgezweigt und militärischer Nutzung zugeführt wird (Art. III). Die friedliche Nutzung der Kernenergie soll durch den Vertrag nicht beeinträchtigt werden, es sind diesbezüglich auch gewisse Zusammenarbeitspflichten vorgesehen. Insbesondere sind die Kernwaffenstaaten, freilich mit gewissen Kautelen, verpflichtet, den Nichtkernwaffenstaaten mögliche Vorteile aus der friedlichen Verwendung von Kernsprengungen zugänglich zu machen. Die Einwände gegen den Vertrag beziehen sich insbesondere darauf, daß er die Nichtkernwaffenstaaten in vielen Punkten stärker diskriminiert, als dies zum Erreichen des Zweckes der Nichtverbreitung notwendig ist. Einer Kontrolle unterwerfen sich nur die Nichtkernwaffenstaaten. Die Kontrolle könnte außerdem mit ihren Offenlegungspflichten die friedliche Nutzung der Kernenergie in diesen Staaten beeinträchtigen. Für die Mitgliedstaaten von EURATOM ergibt sich ferner das Problem des Verhältnisses von IAEA- und EURATOMKontrollen, wofür eine vertragliche Lösung zwischen den EG und der IAEA ausgehandelt wurde (nach Hinterlegung der Ratifikationsurkunden für den Nichtverbreitungsvertrag im September 1975 in Kraft getreten). Der Vertrag schränkt auch das Wettrüsten der Nuklearmächte nicht ein, enthält jedoch diesbezügliche Verhandlungspflichten. Den Sicherheitsinteressen der Nichtkernwaffenstaaten gegenüber der nuklearen Bedrohung durch Kernwaffenstaaten sollen (von einigen Nichtkernwaffenstaaten freilich kritisierte) Absichtserklärungen der USA der UdSSR und Großbritaniens vom 17. Juni 1968 über die im Falle eines Angriffs mit Nuklearwaffen zu ergreifenden Maßnahmen sowie eine Sicherheitsrats-Resolution (Res. 255 (XXIII) vom 19. Juni 1968) Rechnung tragen, die diese Erklärungen begrüßt und das Recht auf individuelle und kollektive Selbstverteidigung bekräftigt. Die erste der im Vertrag vorgesehenen Überprüfungskonferenzen (5.—30.5.1975) hat bestätigt, alle Parteien hätten die Verpflichtungen aus den Artikeln I und II erfüllt. Sie hat alle Vertragsstaaten aufgefordert, Sicherungsabkommen mit der IAEA zu schließen, und den Wunsch geäußert, nukleartechnische Hilfsmaßnahmen sollten vor allem Vertragsparteien und Entwicklungsländern zugute kommen. Der Nichtverbreitungsvertrag verbietet nicht die Stationierung von Atomwaffen auf dem Gebiet von Nichtkernwaffenstaaten, solange letztere keine Verfügungsgewalt über die Waffen erhalten. Dem Ziel, gewisse geographische Räume ganz frei von Atomwaffen zu halten, dienen eine Reihe anderer Verträge, die zum Teil bereits aus der Zeit vor dem Abschluß des Nichtverbreitungsvertrages stammen, nämlich Abkommen über atomwaffenfreie Regionen (was für Mitteleuropa schon im sog. Rapacki-Plan von 1957 angestrebt wurde) und über atomwaffenfreie besondere Räume. Zur ersten Gruppe gehören der Vertrag über die Antarktis vom 1. Dezember 1959 (UNTS Bd. 402 Nr. 5778) und der Vertrag von Tlaltelolco über das Verbot von Kernwaffen in Lateinamerika aus dem Jahre 1967 (UNTS Bd. 634 Nr. 9068). Der Vertrag von Tlaltelolco verbietet jeglichen Kernwaffenversuch, jegliche Herstellung, Lagerung und Stationierung von Kernwaffen in Lateinamerika. Zur Erreichung der Vertragsziele und Sicherung der Vertragseinhaltung haben die Vertragsparteien eine eigene internationale Organisation geschaffen. Ein Kontrollsystem ist in Zusammenarbeit mit der ->· IAEA vorgesehen. Das Inkrafttreten des Vertrages ist an die vertragliche Anerkennung der Denuklearisierung Lateinamerikas durch die Atommächte geknüpft, die bis jetzt von Seiten der USA, Großbritanniens, Frankreichs und Chinas erfolgt ist, von Seiten der UdSSR noch aussteht. Für andere Regionen wurden ähnliche Verträge noch nicht geschlossen. Für Afrika bestehen darauf abzielende Erklärungen der Organisation der Afrikanischen Einheit von 1964

Verhinderung des Atomkrieges

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und Resolutionen der Generalversammlung von 1961 und 1965 (1652 (XVI) vom 24.11.1961, 2033 (XX) vom 3.12.196 5). An Verträgen über die Atomwaffenfreiheit bestimmter Räume sind zu nennen der Weltraumvertrag vom 27. Januar 1967 (BGBl. 1969 II S. 1969; -> Weltraumrecht) und der Meeresbodenvertrag vom 11. Februar 1971 (ILM vol. 10 (1971) p. 145). Erstgenannter Vertrag verbietet, Massenvernichtungswaffen in eine Erdumlaufbahn zu bringen oder auf Himmelskörpern bzw. anderweitig im Weltraum zu stationieren. Himmelskörper dürfen nur zu friedlichen Zwecken genutzt werden (Art. IV). Der Meeresbodenvertrag verbietet die Lagerung von Massenvernichtungswaffen sowie die Anbringung von Einrichtungen der Lagerung, Erprobung und Verwendung solcher Waffen auf dem Meeresgrund. Ein Beobachtungsrecht ist fur alle Vertragsstaaten vorgesehen, bei Verdacht von Verletzungen ist ein Konsultationsverfahren und schließlich die Anrufung des ->· Sicherheitsrates vorgesehen. Einschränkung der Waffenarsenale Das zentrale Anliegen der -*• Abrüstung ist die Einschränkung der Waffenarsenale. In dieser Hinsicht haben die Verhandlungen des Genfer Abrüstungsausschusses bislang nur fur den Bereich der B-Waffen ein Ergebnis gezeitigt, nämlich den Vertrag über das Verbot der Entwicklung, Herstellung und Lagerung bakteriologischer (biologischer) und Toxin-Waffen und über ihre Zerstörung vom 10. April 1972 (ILM vol. 11 (1972) p. 309). Der Vertrag enthält auch ein Verbreitungsverbot. Mit dem Gebot der Zerstörung vorhandener Waffen ist es der erste Vertrag, der weltweite Abrüstung, d. h. Reduktion vorhandener Rüstung vorschreibt und es nicht bei einem Verzicht auf weitere Aufrüstung (Rüstungsstopp) bewenden läßt. Bei Behauptung einer Vertragsverletzung ist die Anrufung des -> Sicherheitsrates vorgesehen. Eine einheitliche Regelung für chemische und bakteriologische Waffen war nicht zu erzielen. Die Debatte u m die chemischen Waffen war überschattet von dem Einsatz solcher Waffen durch die USA in Vietnam. Wegen der militärischen Brauchbarkeit der C-Waffen erfordert ihr Verbot wohl strengere Kontrollen, als sie für die B-Waffen vorgesehen sind. Diese Kontrollfrage ist noch nicht gelöst. In bezug auf die Einschränkung des Arsenals an A-Waffen sind durch die sog. SALTGespräche gewisse Fortschritte zwischen den USA und der UdSSR erzielt worden. Das Abkommen vom 26. Mai 1972 (ILM vol. 11 (1972) p. 784), ergänzt durch ein Zusatzprotokoll vom 3. Juli 1974 (ILM vol. 13 (1974) p. 904), schränkt die Möglichkeit der Anlage anti-ballistischer Geschoß-Systeme (ABM) durch USA u n d UdSSR ein. Für die Einschränkung der Offensivwaffen sind gegenwärtig Fortschritte abzusehen. Diese Abkommen bewirken eine gezügelte, kontrollierte Entwicklung der Waffentechnik auf der Basis der „Äquivalenz" der Partner, d. h. eine Verlangsamung der Aufrüstung, kaum einen eigentlichen Rüstungsstopp und noch weniger eine echte Abrüstung. Verhinderung des

Atomkrieges

Die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion haben zuerst mit dem Abkommen über den „heißen Draht" von 1963 den Versuch unternommen, durch Sicherung der direkten Verbindung zwischen den beiderseitigen Kommandozentralen das Risiko eines nicht gewollten Krieges zu mindern. Dieses Abkommen wurde 1971 verbessert (ILM vol. 10 (1971) p. 1172). Ferner wurde am 30. September 1971 zwischen beiden Staaten ein Abkommen zur Verringerung der Gefahr eines Kernwaffenkrieges geschlossen (ILM vol. 10 (1971) p . l 172), das durch gegenseitige Informationspflichten die Auslösung von Verteidigungsreaktionen bei Vorgängen, die in Wahrheit kein Angriff sind, ausschließen soll. Schließlich wurde am 22. Juni 1973 das Washingtoner Abkommen zur Verhütung vom Atomkriegen geschlossen (Berber, Völkerrechtliche Verträge, S. 298), das einmal die Vermeidung von Atomkriegen als politische Zielsetzung bekräftigt, zum anderen die Parteien bei Gefahr eines Atomkrieges zu Konsultationen verpflichtet (Art. 4).

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ABC-Waffen

Zusammenfassung Während fur Β- und C-Waffen ein weitreichendes Einsatzverbot besteht, fehlt es für die A-Waffen an einem spezifischen vertraglichen und auch an einem für alle derartigen Waffentypen gesicherten gewohnheitsrechtlichen Verbot. Für alle Massenvernichtungswaffen von großer Bedeutung ist jedoch das Verbot von Angriffen gegen die Zivilbevölkerung, von Angriffen, die unterschiedslos auch die Zivilbevölkerung treffen oder die die Zivilbevölkerung in einem Maße beeinträchtigen, das außer Verhältnis zum militärischen Vorteil steht (-> Kriegsfuhrung). Das Kernproblem der Sicherheit vor dem Einsatz von ABC-Waffen ist jedoch nicht das Einsatzverbot, sondern die Abrüstung. Dieses Thema ist in den Vereinten Nationen seit ihrer Gründung erörtert worden, bis zum Beginn der 60er Jahre ohne greifbares Ergebnis. Seit Schaffung des Abrüstungsausschusses (-> Ausschußsystem) durch die Vereinten Nationen 1961 wurden mit einer Politik der kleinen Schritte einige Erfolge erzielt, die allerdings mit Ausnahme des B-Waffen-Vertrages keine Abrüstung, d. h. Verminderung der bestehenden Rüstung, sondern nur Nichtrüstung (Teststopp, Nichtverbreitung, Verbot von Atomwaffen in auch bisher atomwaffenfreien Räumen und Regionen) zum Gegenstand hatten. Die zentralen Fragen der Abrüstung sind nach wie vor ungelöst. Der Genfer Abrüstungsausschuß hat sich als ein nützliches Verhandlungsgremium bewährt, in dem auch die kleineren Staaten ihre Interessen gegenüber den Supermächten geltend machen konnten. Dennoch werden die zentralen Fragen der Rüstungsbeschränkung im wesentlichen zwischen den beiden Supermächten bilateral ausgehandelt, sei es im Rahmen des Abrüstungsausschusses, sei es — und dies ist gerade bei entscheidenden Problemen der Fall — außerhalb desselben. Ob sich dies angesichts einer zunehmenden Multipolarität der Welt ändert, ist eine der vielen offenen Fragen der Abrüstung. Dabei wird auch die Haltung Chinas, das wie Frankreich den Genfer Abrüstungsverhandlungen ferngeblieben ist, ein wesentlicher Faktor sein.

Literatur Bothe: Das völkerrechtliche Verbot des Einsatzes chemischer und bakteriologischer Waffen. Kritische Würdigung und Dokumentation der Rechtsgrundlagen. Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 59. Köln / Bonn 1973 Fahl (Hrsg.): Internationales Recht der Rüstungsbeschränkung. Berlin 1975 Forndran: Probleme der internationalen Abrüstung. Die internationalen Bemühungen um Abrüstung und kooperative Rüstungssteuerung 1962—1968, Frankfurt a. M./Berlin 1970 Kimminich: Völkerrecht im Atomzeitalter. Der Atomsperrvertrag und seine Folgen, Freiburg i. Br. 1969 Menzel: Legalität oder Illegalität der Anwendung von Atomwaffen, Tübingen 1960 Siegler (Hrsg.): Dokumentation zur Abrüstung und Sicherheit, 10 Bde., 1 9 6 0 - 7 3 SIPRI: The Problem of Chemical and Biological Warfare, 5 Bde., Stockholm / New York 1971/73 Volle / Duisburg: Probleme der internationalen Abrüstung. Eine Darstellung der Bemühungen der Vereinten Nationen 1945-1961, 2 Bde., Frankfurt a. M. / Berlin 1964 Wittig: Die Kontrolle der atomaren Rüstungen, Köln / Berlin / Bonn / München 1967 World Armaments and Disamaments, SIPRI Yearbook 1974, Stockholm u. a. 1974 Michael Bothe

Verweise auf: Abrüstung; Ausschußsystem; IAEA; IGH; Kriegsführung; Korea; Seerecht; Sicherheitsrat; Völkerbund; Völkerrecht durch Vereinte Nationen; Weltraumrecht.

Abkommen, Verträge Ein völkerrechtlicher Vertrag ist jede zwischen zwei oder mehreren Staaten bzw. anderen Völkerrechtssubjekten (Internationale Organisationen) getroffene Vereinbarung, deren Bindungswirkung sich nach dem Völkerrecht richtet. Angesichts der ständig zunehmenden internationalen Kooperation stellen die Verträge heute das wichtigste Mittel zur Entwicklung der Völkerrechtsordnung dar. Dies gilt sowohl für das immer dichter werdende Netz der bilateralen Vertrage als auch fur die multilateralen Verträge, zu denen auch die Charta der Vereinten Nationen gehört. Damit ist der völkerrechtliche Vertrag zur bedeutsamsten Quelle des Völkerrechts geworden. Die Praxis kennt keine einheitliche Bezeichnung des völkerrechtlichen Vertrages. Es werden unterschiedliche Begriffe wie Abkommen, Konvention, Pakt, Protokoll, Übereinkommen etc. verwendet, ohne daß allein damit eine verschiedenartige völkerrechtliche Einordnung oder Eigenschaft verbunden wäre: Sofern es sich um eine dem Völkerrecht unterworfene Vereinbarung zwischen Völkerrechtssubjekten handelt, liegt unabhängig von der gewählten Bezeichnung ein völkerrechtlicher Vertrag vor. Abschluß, räumliche und zeitliche Geltung, Auslegung und Beendigung von Verträgen sowie Vorbehalte einzelner Vertragspartner gegenüber mehrseitigen Verträgen richten sich nach gewohnheitsrechtlichen Regeln. Diese Regeln sind in der (nur für Verträge zwischen Staaten vorgesehenen) Wiener Konvention über das Recht der Verträge (Vienna Convention on the Law of Treaties) vom 23. Mai 1969 kodifiziert und zum Teil fortentwickelt worden (Text: Berber S. 118). Dieses Übereinkommen ist ein Ergebnis der im Rahmen der Vereinten Nationen seit ihrem Bestehen zu verzeichnenden Bemühungen um die umfassende Kodifikation und fortschreitende Entwicklung des Völkerrechts (siehe Art. 13 Abs. 1(a); -»• Völkerrecht durch Vereinte Nationen). Es geht auf Vorarbeiten der Völkerrechtskommission zurück, die 17 Jahre in Anspruch nahmen. Die Wiener Vertragsrechtskonvention wird 30 Tage nach Hinterlegung der 35. Ratifikations- oder Beitrittsurkunde in Kraft treten (am 31.12.1975 lagen 24 Ratifikationen vor). Schon vor diesem Zeitpunkt kommt ihr indizielle Bedeutung für die Ermittlung des Gewohnheitsrechts zu. Der Abschluß eines völkerrechtlichen Vertrages setzt zunächst die Vertragsabschlußkompetenz der beteiligten Organe voraus. Diese Kompetenz steht gewohnheitsrechtlich kraft Amtes dem Staatsoberhaupt, dem Regierungschef und dem Außenminister zu. Andere Organwalter (sonstige Minister, Botschafter usw.) bedürfen einer Bevollmächtigung (Art. 7 Wiener Vertragsrechtskonvention). Weiterhin erfordert der Vertragsabschluß ein förmliches Verfahren, das entweder als „einfaches" oder als ,zusammengesetztes" ausgestaltet ist. Das einfache Verfahren unterfällt in die Verhandlungen, die Paraphierung (= Feststellung des Vertragstextes als Ergebnis der Verhandlungen durch Abzeichnung mit den Initialien der Verhandlungsfuhrer; nur üblich, wenn Verhandlungsfiihrer und Unterzeichnender verschiedene Personen sind) und die Unterzeichnung. Ein nach diesem Verfahren abgeschlossener Vertrag enthält üblicherweise eine Schlußbestimmung, nach der er mit seiner Unterzeichnung bzw. am Tage X nach seiner Unterzeichnung in Kraft tritt. Das zusammengesetzte Verfahren verlangt nach Verhandlungen, Paraphierung und Unterzeichnung noch die Ratifikation. Diese ist völkerrechtlich der Akt, durch den der Vertragsschließende auf internationaler Ebene seinen Bindungswillen mit rechtlicher Bindungswirkung erklärt (Austausch oder Hinterlegung der Vertragsurkunden). Innerstaatlich dagegen bedeutet Ratifikation die Mitwirkung der durch die jeweilige Verfassung hierzu berufenen Staatsorgane (Zustimmung des Parlaments zu bestimmten Verträgen; vgl. z. B. Art. 59 Abs. 2 GG). Umstritten ist, ob in dem Zeitraum zwischen Unterzeichnung und Ratifikation bereits eine aus Treu und Glauben herrührende Pflicht der künftigen Vertragsparteien besteht, alle gegen den entstehenden Vertrag gerichteten Maßnahmen zu unterlassen (vgl. Art. 18 Vertragsrechtskonvention). Zu einem multilaleralen Vertrag ist schließlich — soweit der Vertrag dies vorsieht — für NichtUnteizeichnerstaaten der Beitritt möglich. Die Bindungswirkung für sie entsteht, sofern der

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Vertrag bereits in Kraft getreten ist, mit Hinterlegung der Beitrittserklärung, andernfalls erst mit Inkrafttreten des Vertrages. Der räumliche Geltungsbereich völkerrechtlicher Verträge ist grundsätzlich auf das Hoheitsgebiet der Vertragsparteien beschränkt. Doch können sich Verträge auch auf herrschaftsfreie Räume (Hohe See, Meeresboden (-• Seerecht), Weltraum (->Weltraumrecht)) beziehen, binden dann allerdings nur die Vertragspartner hinsichtlich der entsprechenden Räume (sog. „objektive internationale Ordnungen" können nicht durch Vertrag, sondern nur durch Gewohnheitsrecht begründet werden). Der zeitliche Geltungsbereich von Verträgen wird einmal von dem (dispositiven) Grundsatz bestimmt, daß Verträge nicht zurückwirken. Bei aufeinanderfolgenden Verträgen zum gleichen Gegenstand gilt der jüngste Vertrag. Eine im einzelnen umstrittene Sonderstellung nimmt in diesem Zusammenhang Art. 103 ein, der den Vorrang der Charta vor jedem dieser widersprechenden, auch später abgeschlossenen Vertrag festlegt. Ein besonderes Problem des Geltungsbereichs ist das Verhältnis von Drittstaaten zu Verträgen, deren Partner sie nicht sind. Grundsätzlich gilt, daß keine Verträge zu Lasten Dritter mit Rechtswirkung für den oder die belasteten Dritten geschlossen werden können. Der Drittstaat kann die ihm angelastete Pflicht allenfalls durch Zustimmung übernehmen, wodurch jedoch ein neuer zusätzlicher Vertrag zwischen dem Drittstaat und den ursprünglichen Parteien geschlossen wird. Wird einem Drittstaat durch Vertrag ein Recht eingeräumt, so entsteht auch dieses erst durch Zustimmung des Begünstigten, die u. U. aus der Inanspruchnahme des Rechts zu vermuten ist (vgl. Art. 34—38 Wiener Vertragsrechtskonvention). In Anbetracht der großen Bedeutung multilateraler Verträge spielt der Vorbehalt eine erhebliche Rolle in der Vertragspraxis. Ein Vorbehalt ist die Erklärung der Partei eines multilateralen Vertrages vor dessen Inkrafttreten für diese Partei mit dem Ziel, einzelne Vertragsvorschriften in ihrer Geltung für diese Partei auszuschließen oder abzuändern. Die Rechtswirkung der Erklärung eines Vorbehalts ist umstritten. Nach der bis etwa 1950 herrschenden absoluten Theorie wird der Staat, der einen Vorbehalt gegenüber einem multilateralen Vertrag erklärt, nicht Vertragspartei, wenn auch nur ein Partnerstaat des Vertrages dem Vorbehalt widerspricht. Diese Theorie führt zwar zu klaren Vertragsverhältnissen, aber zugleich zur Beschränkung der Mitgliederzahl eines Vertrages. Nach der (auch vom IGH — ICJ Reports 1951 p. 15 — vertretenen) relativen Theorie tritt ein multilateraler Vertrag lediglich zwischen dem einen Vorbehalt erklärenden und dem diesem widersprechenden Staat nicht in Kraft. Die übrigen Vertragsstaaten werden Partner des einen Vorbehalt erklärenden Staates in dem durch den Vorbehalt festgelegten Umfang. Diese Theorie schafft zwar unterschiedliche und u. U. unübersichtliche Vertragsbindungen, ermöglicht aber einer großen Zahl interessierter Staaten die Vertragszugehörigkeit. Nach der(z. B. in der sowjetischen Völkerrechtsdoktrin vertretenen) erweiterten relativen Theorie entfallen zwischen dem einen Vorbehalt erklärenden und dem diesem widersprechenden Staat ausschließlich die vorbehaltsbetroffenen Vertragsbestimmungen. Danach entstehen selbst zwischen diesen Staaten im übrigen vertragliche Bindungen. Die Wiener Vertragsrechtskonvention (Art. 19—23) enthält einen Kompromiß zwischen diesen Theorien: Der Vorbehalt gegenüber multilateralen Verträgen ist prinzipiell zulässig außer im Falle eines ausdrücklichen vertraglichen Vorbehaltsverbotes oder der Unvereinbarkeit mit Gegenstand und Zweck des Vertrages (Art. 19 (a), (c)). Bei Verträgen, deren Anwendung in ihrer Gesamtheit conditio sine qua non des Vertragsabschlusses war, bedarf ein Vorbehalt der Annahme aller übrigen Vertragsparteien (Art. 20 Abs. 2). Im übrigen schließt sich die Wiener Konvention der erweiterten relativen Theorie an. Sie nimmt jedoch den Fall aus, daß der einem Vorbehalt widersprechende Staat zugleich das Entstehen jeglicher vertraglicher Bindung ausdrücklich ausschließt. Auf diesen Stand hin scheint sich auch das Gewohnheitsrecht zu entwickeln. Die praktische Bedeutung des Vorbehalts nimmt in dem Maße zu, in welchem umstrittene Bereiche (ζ. B. wirtschaftliche Nutzung des Meeresbodens, Staatennachfolge, Breite der Küstengewässer) unter der Ägide der Vereinten Nationen in multilateralen Übereinkommen geregelt werden.

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Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge obliegt zunächst und in erster Linie den Vertragsparteien selbst. Nur eine entsprechende Parteivereinbarung kann die Auslegung einer unparteiischen Instanz überantworten (ζ. B. dem IGH, einer Schiedskommission etc.). Der internationale Streit um die richtige Auslegungsmethode scheint mittlerweile zugunsten der (auch vom IGH vertretenen) objektiven Methode (textual approach; plain bzw. ordinary meaning rule) entschieden worden zu sein. Damit ist die subjektive Auslegungsmethode (subjective approach), nach der entscheidend stets — u. U. auch entgegen dem Wortlaut des Vertrages — der Parteiwille ist, in den Hintergrund getreten. Die Wiener Vertragsrechtskonvention legt als Reihenfolge der Methodenanwendung fest: Die objektive Methode, die systematische Methode, nach der die Vertragsbestimmungen im Zusammenhang mit eventuellen zusätzlichen Vereinbarungen, der nachfolgenden Vertragspraxis und den einschlägigen Gewohnheitsrechtsnormen auszulegen sind, und schließlich die teleologische Methode, die auf Ziel und Zweck des Vertrages abstellt (Art. 31—33). Im Rahmen dieser Auslegungsmethoden kommen formallogische Auslegungsregeln (ζ. B. argumentum e contrario) sowie rechtliche Auslegungsregeln (Auslegung nach Treu und Glauben, nach dem Effektivitätsprinzip) zur Anwendung. Die Bindungswirkung des Vertrages entfallt außer bei Fristablauf im Falle der Ungültigkeit sowie bei Beendigung oder Suspendierung. Die Ungültigkeit ist gegeben bei Verstoß gegen vertragsrelevante Normen des innerstaatlichen Rechts im Falle ihrer allgemeinen Evidenz, bei Irrtum, Täuschung oder Zwangseinwirkungen auf die Abschlußorgane sowie bei Verstoß gegen zwingendes Völkerrecht (ius cogens). Ein Ungültigkeitsgrund wirkt zwar ab initio, ist jedoch durch diejenige Vertragspartei, die sich auf ihn beruft, den übrigen zu notifizieren. Die (endgültige) Beendigung oder (vorübergehende) Suspendierung eines Vertrages kann einvernehmlich (d. h. durch Vertrag) oder einseitig durch eine Vertragspartei erfolgen. Unbeschadet eines vertraglich bestehenden Beendigungsrechts sind als einseitig geltend zu machende Gründe anerkannt die unvorhersehbare objektive Unmöglichkeit der Vertragserfüllung, der schwerwiegende Vertragsbruch und — im einzelnen umstritten — die grundlegende Veränderung der Umstände (clausula rebus sie stantibus). Eine Suspendierung jedenfalls der Kooperationsverträge ist gemeinhin Folge eines internationalen bewaffneten Konflikts. Einseitige Beendigung oder Suspendierung eines Vertrages verlangt eine entsprechende Notifikation seitens der betreffenden Partei an die übrigen Vertragsstaaten. In keinem Zeitabschnitt der Völkerrechtsgeschichte ist die Zahl der Verträge — namentlich der multilateralen Verträge — derart erweitert worden wie seit Bestehen der Vereinten Nationen. Haupt-, Neben- sowie Spezialorgane der Vereinten Nationen (-> Organisationssystem der Vereinten Nationen), aber auch die Sonderorganisationen sowie von den Vereinten Nationen initiierte Konferenzen haben die Fortentwicklung der Verträge sowohl hinsichtlich ihrer Regelungsgegenstände als auch hinsichtlich der Zahl der Vertragsparteien erheblich gefördert. Auf dem Gebiet des Völkervertragsrechts sind die Erfolge der Vereinten Nationen unbestreitbar (-> Völkerrecht durch Vereinte Nationen). Literatur Bernhardt, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge, insbesondere in der neueren Rechtsprechung internationaler Gerichte, Köln / Berlin 1963 Elias,The Modern Law of Treaties, Dobbs Ferry (N.Y.) / Leiden 1974 Reuter, Introduction au droit des traités, Paris 1972 Rosenne,The Law of Treaties (A guide to the legislative history of the Vienna Convention), Leyden / Dobbs Ferry (N.Y.) 1970 Schweisfurth,Der internationale Vertrag in der modernen sowjetischen Völkerrechtstheorie, Köln 1968 Sinclair, The Vienna Convention on the Law of Treaties, Manchester / Dobbs Ferry (N.Y.) 1973

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Abrüstung

Zemanek (ed.), Agreements of International Organizations and the Vienna Convention on the Law of Treaties, Wien / New York 1971 Peter Meyer / Knut Ipsen Verweise auf: Organisationssystem der Vereinten Nationen; Seerecht; Völkerrecht durch Vereinte Nationen; Weltraumrecht.

Abrüstung Die Charta erwähnt die Abrüstung an zwei Stellen: Art. 11 gibt der Generalversammlung die Befugnis, sich mit den Grundsätzen für die Abrüstung und Rüstungsregelung zu befassen und darüber Empfehlungen an die Mitglieder und den Sicherheitsrat zu richten; Art. 26 beauftragt den Sicherheitsrat, „Pläne auszuarbeiten, die den Mitgliedern der Vereinten Nationen zwecks Errichtung eines Systems der Rüstungsregelung vorzulegen sind" und dem Ziel dienen, „die Herstellung und Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit so zu fördern, daß von den menschlichen und wirtschaftlichen Hilfsquellen der Welt möglichst wenig für Rüstungszwecke abgezweigt wird". Die Kommentatoren der Charta sind sich darin einig, daß mit diesen beiden Bestimmungen die Abrüstung in das Programm der Vereinten Nationen aufgenommen worden ist. Bereits wenige Monate nach ihrer Gründung unternahmen die Vereinten Nationen einen ersten Versuch, dieses Abrüstungsprogramm ailf demjenigen Gebiet zu verwirklichen, auf dem die Waffentechnik den spektakulärsten Fortschritt erzielt hatte, nämlich auf dem der Atomwaffen. Durch eine einstimmig angenommene Resolution vom 24. Januar 1946 (Res. 1 (I)) beschloß die Generalversammlung die Errichtung einer Atomenergiekommission, die u. a. Vorschläge „für die Ausschaltung der atomaren Waffen und aller anderen Massenvernichtungswaffen aus den nationalen Rüstungen" erarbeiten sollte. Allerdings stand diese Aufgabe in dem „Stufenplan", den die Generalversammlung als Richtlinie fur die Arbeit der Kommission aufstellte, erst an dritter Stelle nach dem Informationsaustausch über die friedliche Verwendung der Atomenergie und der Kontrolle der Atomenergie. Da insbesondere über die Kontrollfragen keine Einigung zwischen den Großmächten zustande kam, konnte die Kommission nicht bis zu den Problemen der nuklearen Abrüstung vordringen (-»• ABC-Waffen). Der Sicherheitsrat wandte sich daraufhin dem Problem der konventionellen Abrüstung zu und beschloß am 13. Februar 1947 die Errichtung einer Kommission für konventionelle Rüstungen (Res. 18 (II)). Diese begann unverzüglich mit ihrer Arbeit und verabschiedete am 25. Juni 1947 ihren Arbeitsplan, den der Sicherheitsrat am 8. Juli 1947 billigte. Die weitere Arbeit der Kommission wurde jedoch durch den Ost-West-Konflikt behindert. Die Generalversammlung beobachtete diese Entwicklung mit Sorge. In der Resolution (380 (V)) „Frieden durch Taten" vom 17. November 1950, die gegen die Stimmen des Ostblocks zustande kam, forderte sie neben der internationalen Kontrolle der Atomenergie auch „die Kontrolle und Eliminierung aller anderen Massenvernichtungsmittel im Rahmen der Vereinten Nationen", sowie den schrittweisen Abbau „aller Rüstungen ud Streitkräfte unter einem System der Vereinten Nationen für Kontrolle und Inspektion". Anstelle der beiden arbeitsunfähigen Abrüstungskommissionen wurde durch Resolution 502 (VI) der Generalversammlung vom 11. Januar 1952 gemäß dem Vorschlag eines am 13. Dezember 1950 errichteten 12-Mächte-Ausschusses (Res. 496 (V)) eme „Abrüstungskommission" errichtet. Die Sowjetunion stimmte diesem Schritt zu. Die Kommission trat am 4. Februar 1952 erstmals zusammen. Bereits in der zweiten Sitzung der Kommission kam es jedoch zu Auseinandersetzungen zwischen den Vertretern der beiden Supermächte, die jeweils unterschiedliche Arbeitsprogramme vorlegten. Schließlich erteilte die Generalversammlung am 8. April 1953 (Res. 704 (VII)) der Abrüstungskommission den konkreten Auftrag, koordinierte Pläne für die „Regelung, Begrenzung und ausgewogene

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Reduktion aller Streitkräfte und Rüstungen" sowie fur das Verbot aller Massenvernichtungswaffen einschließlich bakteriologischer Mittel auszuarbeiten. Dieses Programm wurde in der Resolution 715 (VIII) vom 28. November 1953 bekräftigt, die die Generalversammlung „in erneuter Bestätigung der Verantwortlichkeit der Vereinten Nationen für das Problem der Abrüstung" bei Stimmenthaltung des Ostblocks verabschiedete. Jedoch nützten alle diese Bekräftigungen nichts. Während in der Abrüstungskommission über Vorschläge und Gegenvorschläge fruchtlos debattiert wurde und die Generalversammlung diese Mißerfolge jeweils mit Sorge zur Kenntnis nahm, verstärkte sich das Wettrüsten im Zeichen des Kalten Krieges. Erst gegen Ende der 50er Jahre wurde der tote Punkt überwunden. In der Herbstsitzung 1958 bekräftigte die Generalversammlung in mehreren Resolutionen nicht nur ihr „fortdauerndes Interesse und die Verantwortlichkeit der Vereinten Nationen auf dem Gebiet der Abrüstung" (Res. 1252 A (XIII) vom 4.11.1958) und faßte Resolutionen zum Problem des Atomteststopps und der Weiterverbreitung von Kernwaffen, sondern unterstützte auch die gleichzeitig in Genf tagende Expertenkonferenz über Maßnahmen gegen Überraschungsangriffe (Res. 1252 C (XIII) vom 4.11.1958), die allerdings am 18. Dezember 1958 ergebnislos abgebrochen wurde. Am 4. November 1958 (Res. 1252 D (XIII)) wurde die Abrüstungskommission erweitert; ihr sollten alle Mitglieder der Vereinten Nationen angehören. Sie trat am 10. September 1959 in New York zusammen und betonte, daß sie die letzte Verantwortung für alle Abrüstungsvorschläge trage. Zugleich begrüßte sie aber auch die Arbeit des außerhalb der Vereinten Nationen im Anschluß an die Genfer Außenministerkonferenz von 1959 gebildeten Zehn-Mächte-Abrüstungsausschusses (DCOR, Suppl. for January to December 1959, p. 3 (Doc. DC/146)). Das letztere Gremium wurde bald als zu klein empfunden, so daß sich die USA und die UdSSR auf die Einberufung eines Achtzehn-Mächte-Ausschusses einigten, was die Generalversammlung durch eine Resolution vom 20. Dezember 1961 (Res. 1722 (XVI)) billigte. Obwohl auch dieser Ausschuß außerhalb der Vereinten Nationen entstanden ist, hielt die Generalversammlung an ihrer letztlichen Verantwortung für alle Abrüstungsvorschläge auch dieses Ausschusses fest, dessen Dokumente als UN-Dokumente (mit dem Kennzeichen ENDC = Eighteen Nations Disarmament Committee) veröffentlicht wurden. Der Achtzehn-Mächte-Ausschuß errang einen ersten Erfolg mit der Einigung der Großmächte bezüglich gewisser Teile eines Vertrags über die allgemeine und vollständige Abrüstung. Diese Einigung kam schrittweise zustande. Am 6. April 1962 legten die beiden Großmächte einen gemeinsamen Arbeitsentwurf für die Präambel des Vertrages vor, am 31. Mai 1962 folgte der gemeinsame Entwurf von Teil I, am 7. August 1962 der gemeinsame Entwurf von Art. 4 des II. Teils des Vertrages (DCOR, Suppl. for January 1961 to December 1962, p. 115, 140, 160). Im übrigen aber hielten die Großmächte an ihren getrennten Vertragsentwürfen (UdSSR: Entwurf vom 15.3.1962; USA: Entwurf vom 18.4.1962; DCOR, id. p. 230, 233) fest und modifizierten diese jeweils nur einseitig. Beide Vertragsentwürfe bezwecken die völlige Beseitigung der nationalen Streitkräfte. Hinsichtlich deijenigen Streitkräfte, die auch in einer abgerüsteten Welt notwendig sind, konnte keine Einigung erzielt werden. Auch der gemeinsame Arbeitsentwurf für Teil I des Vertrags enthält an der entsprechenden Stelle (Art. I Abs. 1) zwei Formulierungen. Nach dem Entwurf der USA sollen die Staaten nach der Durchführung der allgemeinen und vollständigen Abrüstung nur noch über diejenigen Rüstungen verfügen, „die übereinstimmend zur Aufrechterhaltung der inneren Ordnung und zum Schutze der persönlichen Sicherheit der Bürger für notwendig erachtet werden". Dagegen gestattet der sowjetische Vertragsentwurf „genau begrenzte Kontingente von Polizei oder Miliz, die mit leichten Feuerwaffen ausgerüstet und für die Aufrechterhaltung der inneren Ordnung, den Schutz der persönlichen Sicherheit der Bürger bestimmt sind und den Staaten erlauben, ihre Verpflichtungen im Hinblick auf die Erhaltung des internationalen Friedens und der internationalen Sicherheit gemäß der Charta der Vereinten Nationen und den Bestimmungen des gegenwärtigen Vertrages zu erfüllen". Während also der Vorschlag der USA nur auf die

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innere Sicherheit und Ordnung abstellt, dafür aber keine feste Begrenzung vorsieht, bezieht der sowjetische Entwurf auch die internationale Sicherheit mit ein, enthält aber feste Begrenzungen. Eine „Friedenstruppe der Vereinten Nationen" sieht jedoch auch der amerikanische Vorschlag vor. Der schleppende Fortgang der Genfer Abrüstungsverhandlungen im Achtzehn-Mächte-Ausschuß bewog die Großmächte, zur „Vertikal-Technik" der Abrüstungsverhandlungen überzugehen, d. h. zum Abschluß von Verträgen über einzelne Sachfragen. Beispiele hierfür sind der Antarktisvertrag, der Atomteststoppvertrag, der Weltraumvertrag (-* Weltraumrecht) und der Atomsperrvertrag (-+ ABC-Waffen). Dagegen hielt die Generalversammlung, die immer wieder ihre letztliche Verantwortung auch für die Genfer Abrüstungsverhandlungen betonte, an dem Gedanken der allgemeinen und vollständigen Abrüstung fest. Bereits in der Resolution 1378 (XIV) vom 20. November 1959 hatte sie diesen Gedanken zur Grundlage der Abrüstungsbemühungen der Vereinten Nationen gemacht und die darauf bezüglichen Vorschläge der Abrüstungskommission unterbreitet. Diese bezeichnete in ihrer Resolution vom 18. August 1960 die „allgemeine und vollständige Abrüstung unter wirksamer internationaler Kontrolle" als dringlich und notwendig (DCOR, Suppl. for January to December 1960, p. 109 (Doc. DC/182)). In der Resolution 1908 (XVIII) vom 27. November 1963 ermahnte die Generalversammlung den Genfer Achtzehn-MächteAusschuß, die Verhandlungen über die allgemeine und vollständige Abrüstung unter wirksamer internationaler Kontrolle energisch und entschlossen zu betreiben. Dem Ausschuß wurden in dieser und in anderen Resolutionen (Res. 1909 (XVIII) und 1910 (XVIII) vom 27.11.1963) konkrete Weisungen erteilt. Am 11. Juni 1965 empfahl die Abrüstungskommission der Generalversammlung die Abhaltung einer Weltabrüstungskonferenz (DCOR, Suppl. for January to December 1965, p. 38 (Doc. DC/224)). Die Generalversammlung nahm den Vorschlag am 29. November 1965 mit 112 Stimmen ohne Gegenstimme bei einer Enthaltung (Frankreich) an (Res. 2030 (XX)). Zugleich wandte sie sich erneut an den Genfer AchtzehnMächte-Ausschuß und versuchte durch die Resolution 2031 (XX) vom 3. Dezember 1965, die Arbeit dieses Ausschusses zu intensivieren. Gleichzeitig unterstützte die Generalversammlung allerdings auch die Bemühungen im Rahmen der „Vertikal-Technik" und forderte in zahlreichen Resolutionen den Abschluß des Atomteststoppvertrages und des Atomsperrvertrages. Zugleich bemühte sie sich darum, Südamerika und Afrika zu kernwaffenfreien Zonen zu erklären (vgl. Res. 1911 (XVIII) vom 27.11.1963 und 2033 (XX) vom 3.12.1965). In den zahlreichen Resolutionen der Generalversammlung zur Frage der allgemeinen Abrüstung wird immer wieder betont, daß die Abrüstung unter den Bedingungen der modernen Welt nicht ein Augenblicksinteresse bestimmter Staaten oder Staatengruppen ist, sondern ein permanentes Interesse aller Staaten, weil der Friede als Voraussetzung für die Erhaltung des Lebens und der Bedingungen des Fortschritts auf der ganzen Welt notwendig ist. Deshalb verknüpfen die Vereinten Nationen die Abrüstungsfrage nicht nur mit der Frage der Sicherheit einzelner Staaten und Staatengruppen, sondern auch mit den Problemen der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung. Bereits am 18. Dezember 1962 faßte die Generalversammlung einstimmig eine Resolution (Res. 1837 (XVII)) über die Verwendung der durch eine Abrüstung freiwerdenden Ressourcen zu friedlichen Zwecken. Eine vom Generalsekretär eingesetzte Expertenkommission untersuchte die Folgen der Abrüstung auf die Weltwirtschaft. Generalsekretär U Thant veröffentlichte am 3. Juli 1964 einen Bericht an den ECOSOC über die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Abrüstung (Doc. E/3898). Einen erneuten Aufschwung erlebten die Abrüstungsbemühungen der Vereinten Nationen im Jahre 1965. Der Generalsekretär berief die Abrüstungskommission ein, die mit ihren Beratungen am 21. April 1965 begann. Auf der Sitzung vom 5. Juni 1965 unterstützten 33 Länder den Vorschlag, eine Weltabrüstungskonferenz einzuberufen. Obwohl dagegen eingewendet wurde, eine solche Konferenz würde die Genfer Abrüstungsverhandlungen des Achtzehn-Mächte-Ausschusses behindern, wurde der entsprechende Resolutionsentwurf am 11. Juni 1965 mit 89 gegen 0 Stimmen bei 16 Enthaltungen angenommen (DCOR, 98th mtg.,

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p. 3; Text: Doc. DC/224). Aber auch eine Resolution, in welcher die Fortsetzung der Arbeit des Genfer Achtzehn-Mächte-Ausschusses gefordert wurde, erhielt am 15. Juni 1965 eine Mehrheit von 83 Stimmen bei nur einer Gegenstimme (Albanien) und 18 Enthaltungen (DCOR, 102nd mtg., p. 3; Text: DCOR, Suppl. for January to December 1965, p. 38 (Doc. DC/225)). Der Achtzehn-Mächte-Ausschuß trat daraufhin am 27. Juli 1965 nach fast einjähriger Pause wieder in Genf zusammen. Auch in der Generalversammlung schien sich die Auffassung durchgesetzt zu haben, daß die Abrüstungskommission ein zu großes Gremium sei, um mit den Problemen der Abrüstung und Rüstungskontrolle fertigzuwerden. Sowohl der Achtzehn-Mächte-Ausschuß als auch der Sicherheitsrat bemühten sich in der darauffolgenden Zeit vordringlich um die Probleme der Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen, die Schaffung kernwaffenfreier Zonen und die friedliche Nutzung des Weltraums. Nach der Unterzeichnung des Atomsperrvertrages unterstützten die Vereinten Nationen die Bemühungen der Nichtkernwaffenstaaten, das in Art. 6 des Vertrages enthaltene Abrüstungsversprechen der Nuklearmächte zu realisieren. In der Resolution 2153 Β (XXI) vom 17. November 1966 empfahl die Generalversammlung eine Konferenz der Nichtkernwaffenstaaten, die auf Grund der Resolution 2346 Β (XXII) vom 19. Dezember 1967 nach intensiver Vorbereitung am 29. August 1968 unter Beteiligung von 96 Staaten in Genf zusammentrat. Sie nahm eine Reihe von Resolutionen an, in denen nicht nur die Einstellung des nuklearen Wettrüstens und die nukleare Abrüstung gefordert wurden, sondern auch die sowjetisch-amerikanischen Gespräche über strategische Waffensysteme (SALT) unterstützt wurden. In einer am 28. September 1968 ohne Gegenstimmen verabschiedeten Deklaration wurde erneut das Prinzip der allgemeinen und vollständigen Abrüstung bekräftigt (Text: Final Document of the Conference of Non-Nuclear-Weapon States, Doc. A/7277, p. 17). Das nächste große Abrüstungsproblem, dem sich die Vereinten Nationen im Rahmen der „Vertikal-Technik" zuwandten, war die friedliche Nutzung des Meeresbodens. Hierfür setzte die Generalversammlung am 21. Dezember 1968 einen Ausschuß ein, dem 42 Staaten angehörten (Res. 2467 A (XXIII)). Kurz darauf begann auch der Genfer Achtzehn-Mächte-Ausschuß, sich mit dem Problem zu beschäftigen. Dort legte die Sowjetunion am 18. März 1969 einen Vertragsentwurf vor (DCOR, Suppl. for 1969, p. 14), während die USA kurze Zeit später ihre Entschlossenheit betonten, den Meeresboden von Kernwaffen und anderen Massenvernichtungswaffen freizuhalten. In die Zeit der Vorbereitung des Meeresbodenvertrags fällt die Erweiterung und Umbenennung des Achtzehn-Mächte-Ausschusses. Am 3. Juli 1969 wurden Japan und die mongolische Volksrepublik in den Ausschuß aufgenommen, so daß dieser nunmehr aus 20 Mitgliedern bestand. Am 26. August 1969 beschloß der Ausschuß, sich von jetzt an als „Konferenz des Ausschusses für Abrüstung" (CCD) zu bezeichnen. Die Arbeiten am Meeresbodenvertrag gingen zügig weiter. Bereits am 30. Oktober 1969 legten die USA und UdSSR einen gemeinsamen Vertragsentwurf vor (DCOR, Suppl. for 1969, p. 7), der vom Ausschuß noch ausgiebig erörtert und an zahlreichen Stellen verändert wurde, bevor er am 1. September 1970 der Generalversammlung unterbreitet wurde (DCOR, Suppl. for 1970, p. 8). Am 11. Februar 1971 unterzeichneten die USA, die Sowjetunion und Großbritannien das „Abkommen zum Verbot der Stationierung von Kernwaffen und anderen Vernichtungswaffen auf dem Meeresboden und dem Meeresuntergrund". Das Abkommen trat am 18. Mai 1972 nach der Hinterlegung von 22 Ratifikationsurkunden in Moskau in Kraft (Text: BGBl. 1972 II S. 325). Noch bevor die Arbeiten am Kernwaffensperrvertrag und am Meeresbodenvertrag abgeschlossen waren, intensivierten die Vereinten Nationen ihre Abrüstungsbemühungen in einem weiteren Bereich, der infolge wissenschaftlicher und technischer Fortschritte aktuell geworden war, nämlich im Bereich der biologischen und chemischen Waffen (-• ABC-Waffen). Als „Massenvernichtungswaffen" waren sie bereits früher von den Abrüstungsbemühungen der Vereinten Nationen erfaßt gewesen. Der Jahresbericht des Generalsekretärs vom 5. Juli 1948 erwähnte die chemischen und bakteriologischen Waffen ausdrücklich (GAOR (III), Suppl.

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No. 1, p. 40). Die Abrüstungskommission beschäftigte sich während der Beratung ihres Arbeitsprogramms von Märe bis August 1952 mehrfach mit den B- und C-Waffen. Da sich aber anschließend eine Diskussion darüber entfaltete, ob bakteriologische Waffen zum Arbeitsauftrag der Kommission gehörten, beschloß die Kommission im August 1952, die Worte „einschließlich bakteriologischer Waffen" ausdrücklich an das Wort „Massenvernichtungsw a f f e n " anzufügen (DCOR, 24th mtg., p. 8/9). Auf Antrag der Sowjetunion beschäftigten sich in den Jahren 1952 und 1953 der Sicherheitsrat und die Generalversammlung mit den chemischen und bakteriologischen Waffen. Da jedoch die entsprechenden Resolutionsentwürfe mit konkreten Vorwürfen gegen die USA verbunden waren, fanden sie in beiden Gremien keine Mehrheit. Erst 1966 wandte sich die Generalversammlung wieder dem Verbot chemischer und bakteriologischer Waffen zu. In der Resolution 2162 Β (XXI) vom 5. Dezember 1966 forderte sie die strikte Einhaltung der Grundsätze und Ziele des Genfer Protokolls von 1925 und empfahl allen Staaten, dem Protokoll beizutreten. In der Resolution 2 4 5 4 A (XXIII) vom 20. Dezember 1968 wurde dieser Appell wiederholt und der Generalsekretär aufgefordert, einen Bericht über chemische und bakteriologische Waffen zu erstatten. Dieser legte seinen Bericht am 1. Juli 1969 vor. Im Sommer 1968 hatte sich auch der Achtzehn-Mächte-Ausschuß in Genf mit dieser Frage beschäftigt. Ferner hatte die Konferenz der blockfreien Staaten am 26. August 1969 den Entwurf einer Deklaration der Generalversammlung vorgelegt. Auf der Grundlage dieser Materialien, insbesondere des Berichts des Generalsekretärs, verabschiedete die Generalversammlung am 16. Dezember 1969 mit 8 0 gegen 3 Stimmen bei 36 Enthaltungen eine Resolution, in der die Verwendung chemischer und bakteriologischer Kampfmittel als Verstoß gegen „die allgemein anerkannten Grundsätze des Völkerrechts" bezeichnet wurde (Res. 2 6 0 3 A (XXIV)). Da sich jedoch in der Folgezeit weitere Resolutionen (Res. 2662 (XXV) vom 7.12.1970 und 2827 (XXVI) vom 16.12.1971) damit begnügten, die Resolution 2 1 6 2 Β (XXI) zu bestätigen und die Staaten aufzufordern, das Genfer Protokoll zu beachten bzw. dem Protokoll beizutreten, wird gegenwärtig in der Rechtslehre noch erörtert, welche Wirkung der Resolution 2 6 0 3 A (XXIV) z u k o m m t . Auch die Konferenz des Abrüstungsausschusses (CCD) beschäftigte sich weiterhin, vor allen Dingen in den Sitzungsperioden 1970 und 1971, mit dem Verbot chemischer und bakteriologischer Waffen. Nachdem die Ostblockstaaten ihre Forderung, die B- und C-Waffen unbedingt zusammen in einer einzigen Konvention zu behandeln, fallengelassen hatten, gelang es der Konferenz des Abrüstungsausschusses, einen gemeinsamen Entwurf der Staaten der NATO und des Warschauer Paktes zu verabschieden, den die Generalversammlung durch Resolution 2 8 2 6 (XXVI) vom 16. Dezember 1971 annahm. Die „Konvention über das Verbot der Entwicklung, Produktion und Lagerung bakteriologischer (biologischer) und toxischer Waffen und über deren Vernichtung" wurde am 10. Februar 1972 unterzeichnet und trat am 26. März 1975 in Kraft. Die Bemühungen u m das Verbot chemischer Waffen (d. h. solcher Stoffe, die durch ihre chemische Wirkung — also nicht durch Hitze und Druck — gewisse Veränderungen in dem Organismus, auf den sie wirken, hervorbringen) gehen weiter. In einer Resolution vom 9. Dezember 1974 (Res. 3256 (XXIX)) bekannte sich die Generalversammlung erneut zu ihrer Absicht, eine Konvention über das Verbot und die Vernichtung chemischer Waffen herbeizuführen. Die Konferenz des Abrüstungsausschusses beschäftigt sich seit Anfang 1972 intensiv mit diesem Problem. In der Frühjahrssitzung 1972 unterbreiteten zahlreiche Staaten ein Arbeitsprogramm mit Vorschlägen für ein vollständiges oder teilweises Verbot der Entwicklung, Produktion und Lagerung chemischer Waffen und deren Vernichtung (DCOR, Suppl. for 1972, p. 17 seq.). Auch das Problem der Verifizierung, das bereits bei der Kontrolle der atomaren Rüstungen eine große Rolle gespielt und die Verhandlungen über den Kernwaffensperrvertrag erheblich verzögert hatte, k a m in bezug auf die C-Waffen zur Sprache. Die im Ausschuß vorgeschlagenen Methoden der Verifizierung erstreckten sich von einem System der Berichterstattung und Kontrollen wirtschaftlicher Daten, der Satellitenaufklärung, der Untersuchung der L u f t durch abgelegene Sensoren bis zu der Inspektion an Ort und Stelle,

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der chemischen Analyse durch die Messung der Wirksamkeit von Cholinesterase im Blut von Arbeitern und der Verwendung der verbesserten Techniken und Instrumente der GasChromatographie. Im Bericht des Ausschusses an die Generalversammlung und die Abrüstungskommission vom 7. September 1972 (DCOR, Suppl. for 1972) steht das Verbot der C-Waffen unter den „nichtnuklearen Maßnahmen" an erster Stelle. Eine Einigung konnte jedoch nicht erzielt werden. Die Generalversammlung wiederholte in der Resolution 2933 (XXVII) vom 29. November 1972 ihr Bekenntnis zu dem „anerkannten Ziel eines wirksamen Verbots chemischer Waffen". Bei der Wiedereröffnung der Sitzungen der Konferenz des Abrüstungsausschusses am 20. Februar 1973 wiederholte Generalsekretär Waldheim diese Entschlossenheit und gab der Überzeugung Ausdruck, daß die bisherigen Vorarbeiten ausreichten, um mit konkreten Verhandlungen über die endgültige Formulierung einer Konvention zu beginnen. Am 26. April 1973 unterbreiteten zehn blockfreie Staaten den Entwurf einer Konvention über das Verbot der Entwicklung, Produktion und Lagerung von C-Waffen und deren Vernichtung, der jedoch von den übrigen Staaten nicht voll akzeptiert wurde. Vielmehr unterbreiteten einzelne Staaten und Staatengruppen (darunter auch die sozialistischen Länder) eigene Konventionsentwürfe. Im Bericht der Konferenz an die Generalversammlung vom 30. August 1973 (DCOR, Suppl. for 1973) konnten wiederum nur divergierende Auffassungen der einzelnen Delegationen wiedergegeben werden, insbesondere bezüglich des Problems der Verifizierung. Die Generalversammlung begnügte sich in ihrer Resolution 3077 (XXVIII) vom 6. Dezember 1973 damit, das anerkannte Ziel des wirksamen Verbots der C-Waffen erneut zu unterstreichen und ihrer Überzeugung Ausdruck zu verleihen, „daß ein baldiges Einvernehmen" in dieser Frage erzielt werden könne. Diese Hoffnung erfüllte sich nicht. Vielmehr ergaben die Verhandlungen des Jahres 1974, daß ein vollständiges Verbot der C-Waffen zunächst nicht zu erreichen war. Jedoch einigten sich die USA und die UdSSR auf gemeinsame Initiativen, um zunächst ein Teilverbot der gefährlichsten und tödlichsten C-Waffen als ersten Schritt zu erreichen. Die Generalversammlung forderte in ihrer Resolution 3256 (XXIX) die Konferenz des Abrüstungsausschusses auf, die Frage weiterhin vordringlich zu behandeln, und wiederholte dies am 11. Dezember 1975 (Res. 3465 (XXX)). Die allgemeine Abrüstung trat während der intensiven Beschäftigung mit Einzelproblemen im Rahmen der „Vertikal-Technik" zwar in den Hintergrund, wurde aber niemals vergessen. Es ist das Verdienst der Vereinten Nationen, daß sie in jeder Resolution, in der sie Fortschritte bilateraler Verhandlungen (z. B. MBFR oder SALT) begrüßten oder forderten, stets auch an das Endziel der allgemeinen Abrüstung erinnerten. In ihrem eigenen Arbeitsprogramm berücksichtigten sie dieses Zeil ohne Unterbrechung. So verabschiedete die Generalversammlung am 7. Dezember 1973 eine zweiteilige Resolution, in der allen ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrats empfohlen wurde, ihre Militärbudgets um 10% gegenüber dem Niveau von 1973 zu reduzieren, während gleichzeitig der Generalsekretär ersucht wurde, mit Unterstützung durch eine Expertengruppe einen Bericht über die Reduktion der militärischen Budgets aller Staaten mit einem größeren wirtschaftlichen und militärischen Potential sowie über die Nutzung eines Teils der ersparten Mittel für die Entwicklungshilfe auszuarbeiten (Res. 3093 (XXVIII)). Mit den Resolutionen 3254 (XXIX) vom 9. Dezember 1974 und 3463 (XXX) vom 11. Dezember 1975 betrieb sie diese Initiative nachdrücklich weiter. Am 18. Dezember 1973 nahm die Generalversammlung einstimmig eine Resolution an, in der die Errichtung eines aus 40 Mitgliedern bestehenden ad hoc-Ausschusses beschlossen wurde, der alle Auffassungen und Vorschläge von Regierungen über die Frage der Einberufung einer Weltabrüstungskonferenz untersuchen soll (Res. 3183 (XXVIII)). Am selben Tage nahm die Generalversammlung Resolution 3184 (XXVIII) an, in der u. a. erneut die Verantwortlichkeit der Vereinten Nationen in bezug auf alle Abrüstungsangelegenheiten bekräftigt und die allgemeine und vollständige Abrüstung unter wirksamer internationaler Kontrolle als das „letztliche Ziel" herausgestellt wurde. In der einstimmig angenommenen Resolution 3260 (XXIX) vom 9. Dezember 1974 ersuchte die Generalversammlung alle Staaten, dem

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Generalsekretär ihre Vorstellungen von den Hauptzielen der geplanten Weltabrüstungskonferenz zu unterbreiten. Der ad hoc-Ausschuß trat im April 1975 zusammen und hielt bis zum Ende des Jahres 13 Sitzungen ab, in denen er die Vorschläge erörterte. Die Mehrheit der Staaten sprach sich für die Abhaltung einer Weltabrüstungskonferenz aus, jedoch konnte bezüglich der Einzelheiten keine Übereinstimmung erzielt werden. In seinem Bericht vom 27. August 1975 bat der ad hoc-Ausschuß die Generalversammlung, über die Weiterführung seiner Arbeit zu beraten. Sie entsprach dem mit Resolution 3469 (XXX) vom 11. Dezember 1975. Zugleich äußerte sie ihr Bedauern darüber, daß in den letzten Jahren im Bereich der Abrüstung kein bedeutsamer Fortschritt erzielt worden sei, erinnerte daran, daß die Abrüstung zu den grundlegenden Zielen der Vereinten Nationen gehöre, und setzte zur Überprüfung der Rolle, die die Organisation insoweit spiele, einen ad hoc-Ausschuß ein (Res. 3484 Β (XXX) vom 12.12.1975). Literatur Bothe, Das völkerrechtliche Verbot des Einsatzes chemischer und bakteriologischer Waffen, Köln/Bonn 1973 Epstein,Disarmament: Twenty-five Years of Effort, Toronto 1971 Fahl (Hrsg.),Internationales Recht der Rüstungsbeschränkung, Berlin 1975 Jaschinski, Neuartige chemische Kampfstoffe im Blickpunkt des Völkerrechts, Berlin 1975 Seidler, Die Abrüstung, München/Wien 1974 Siegler (Hrsg.), Dokumentation zur Abrüstung und Sicherheit, Bd. I—XII, Bonn/Wien/Zürich 1960-1975 United Nations, Office of Public Information (ed.) — The United Nations and Disarmament 1945-1965, New York 1967 Otto Kimminich Verweise auf : ABC-Waffen; Weltraumrecht.

Apartheid Mit dem Begriff der Apartheid wurde in Südafrika die Politik der Rassentrennung bezeichnet; etwa seit Beginn der 60er Jahre ist — bei inhaltlicher Fortschreibung des politischen Konzepts — die Bezeichnung „Politik der getrennten (parallelen) Entwicklung" (separate/ parallel development) an die Stelle des Begriffs „Apartheid" getreten, während im internationalen Sprachgebrauch die südafrikanische Rassentrennungspolitik weiterhin als Apartheidpolitik bezeichnet wird. Diese Politik wurde mit dem Wahlsieg der ursprünglich vorwiegend von den burischen Bevölkerungsteilen (Einwanderern niederländischer Abkunft, den Afrikaanern) unterstützten Nationalist Party unter J. F. Malan (1948) zur offiziellen Regierungspolitik der damaligen Südafrikanischen Union erhoben. Ihre Wurzeln reichen jedoch tief in die Anfänge der Besiedlung Südafrikas durch zunächst weiße und später indische/asiatische Einwanderer zurück, die in diesem Gebiet mit einer teils autochthonen, teils aus dem Norden des afrikanischen Kontinents ebenfalls einwandernden schwarz-afrikanischen Bevölkerung zusammentrafen. Zur historischen Entwicklung der Apartheid Der Beginn einer Besiedlung Südafrikas durch weiße Siedler, die alsbald auch noch schwarzafrikanische Sklaven aus anderen Teilen Afrikas ins Land brachten, ist auf die Mitte des 17.

Zur historischen Entwicklung der Apartheid

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Jahrhunderts zu datieren. Das Verhältnis der weißen zur nichtweißen Bevölkerung ist zunächst von relativer rassischer Toleranz gekennzeichnet. Mit dem Anwachsen der schwarzafrikanischen Bevölkerung und daraus resultierender Landverteilungskämpfe, die im 18. und 19. Jahrhundert zu teilweise heftigen Kriegen (sog. Kaffernkriege) führten, änderte sich die Haltung der weißen Bevölkerung seit Ende des 17. Jahrhunderts jedoch grundsätzlich. Das Mischheiratsverbot von 1685 und das Verbot gemeinsamer Erziehung schwarzer und weißer Kinder sind für das Ende der Phase relativer rassischer Toleranz kennzeichnend, wobei Mischlinge bereits in dieser frühen Zeit eine gegenüber Schwarzafrikanern günstigere rechtliche Sonderstellung einnahmen. Im 19. Jahrhundert verläuft die Entwicklung der Rassenbeziehungen in den einzelnen Regionen Südafrikas unterschiedlich. Während im Kapland unter dem Einfluß britischer Einwanderer wieder eine Liberalisierung in Richtung auf eine soziale und rechtliche Integration aller Farbigen zu verzeichnen ist (ζ. B. Aufhebung der Sklaverei, Einräumung des Wahlrechts unter bestimmten — allerdings restriktiven — Bedingungen), bleibt in den burischen Landesteilen, insbesondere in den nach dem „Großen Treck" (1836) gegründeten Gebieten „Oranjefreistaat" und „Transvaal", die auf Rassentrennung sowie rechtliche und soziale Diskriminierung abzielende Ordnung erhalten und wird noch verschärft. Die regionalen Unterschiede in der rechtlichen Ordnung der Rassenbeziehungen konnten bei der Bildung der Südafrikanischen Union (1909) nicht aufgehoben werden. Sie wurden durch einen Verfassungskompromiß nur mühsam überdeckt. Die liberalere rechtliche Ordnung der Rassenbeziehungen im Kapland blieb zwar von der Unionsverfassung unangetastet, jedoch wurde sie andererseits von dieser auch nicht rezipiert. Letzteres führte zusammen mit dem wachsenden Einfluß der illiberalen Ordnungen in den übrigen Unionsteilen zu einem schrittweisen Ausbau der Rassentrennung und einer zunehmenden Diskriminierung der gesamten nichtweißen Bevölkerung zwischen 1911 und 1948, wobei die schärfsten Diskriminierungen die schwarzafrikanische Bevölkerung trafen, während die Coloureds (Mischlinge) und die indischasiatische Bevölkerungsgruppe eine relativ günstigere Sonderstellung einnahmen. Von diesem jeweils für sich in einzelnen Lebensbereichen (politische Teilhabe, Arbeitsleben, Schulwesen, Landverteilung, öffentliche Einrichtungen allgemein) realisierten System der Rassentrennung und -diskriminierung will sich die seit 1948 zur offiziellen Politik erhobene Konzeption der Apartheid (auch „große Apartheid" im Gegensatz zur bisher praktizierten „petty apartheid" genannt) abheben.

Ziele, rechtliche Durchführung, Auswirkungen und Zukunft der Apartheidpolitik Die Apartheidpolitik verfolgt ihrem eigenen Anspruch nach das Ziel, im Gegensatz zu der bis zu ihrer Einführung praktizierten diskriminierenden, d. h. die Gleichheit vor dem Gesetz und durch das Gesetz verletzenden Rassenpolitik die schrittweise Gleichstellung aller in Südafrika lebenden Rassen durch ihre völlige politische und im Prinzip auch räumliche Trennung herbeizuführen. Im einzelnen soll dieses Ziel dadurch erreicht werden, daß die Masse der Schwarzafrikaner räumlich in den früheren Reservaten zusammgengefaßt wird, die als „Bantustans" oder „native homelands" die territoriale Basis einer politischen Selbstregierung der Schwarzafrikaner bilden sollen. Durch Entwicklungsmaßnahmen sollen die „homelands" in die Lage versetzt werden, der Bevölkerung eine ausreichende wirtschaftliche Lebensgrundlage zu sichern. Auch soweit Schwarzafrikaner als sog. „foreign migratory workers" außerhalb der „homelands" in den Siedlungsgebieten der weißen Bevölkerung leben, sollen sie ihrer jeweiligen ethnischen Zugehörigkeit entsprechend den „homelands" zugeordnet und an der Selbstregierung etwa durch Einräumung des Wahlrechts beteiligt werden. Der übrigen nichtweißen Bevölkerung (Coloureds, indisch-asiatische Bevölkerung) soll kein gesondertes Territorium zugewiesen, wohl aber eme der den Schwarzafrikanern gewährten Selbstregierung entsprechende politische Organisation eingeräumt werden. Die langfristige Zielsetzung dieser Politik einer „getrennten Entwicklung" (bzw. „parallelen Entwicklung" für Mischlinge,

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Inder und Asiaten) h a t sich im Laufe der Jahre gewandelt. Während in den ersten Jahren letztendlich die Errichtung eines am englischen Beispiel orientierten Commonwealth angestrebt wurde, wird in jüngster Zeit zunehmend auch die Entlassung der entwickelten „homelands" in die Unabhängigkeit ins Auge gefaßt (Transkei plant, den Weg in die Unabhängigkeit 1976 anzutreten). Die so m i t der Trennung der Rassen angestrebte Gleichstellung soll darin bestehen, daß unter Ablehnung einer rassistisch begründeten weißen Vorherrschaft sich jede der Bevölkerungsgruppen in ihrer rassischen/ethnischen und politisch-kulturellen Eigenart entfalten kann, ohne der Gefahr der Überfremdung durch die jeweils anderen Gruppen zu unterliegen. Zentrales Ziel dieses Apartheidkonzepts ist die möglichst weitgehende räumliche Trennung der Rassen. In Realisierung dessen wurden die u. a. durch den Native Trust und Land Act von 1936 aus dem südafrikanischen Territorium ausgegrenzten Reservate für die verschiedenen ethnischen Gruppen der schwarzafrikanischen Bevölkerung zu „homelands" erhoben: Transkei, Bophutha-Tswana, Ciskei, Lebowa, Venda, Gazankulu, Basotho-Qwa-Qwa (seit 1975 Qwa-Qwa) und KwaZulu. In diesen, keine einheitlichen, zusammenhängenden territorialen Einheiten bildenden „homelands", die 13,5 % der Gesamtfläche Südafrikas umfassen — der Anteil an der kultivierbaren Fläche ist höher, wenn auch keineswegs dem schwarzafrikanischen Bevölkerungsanteil proportional —, leben ca. 4 5 % der 16 Millionen Schwarzafrikaner (= 7 0 % der Gesamtbevölkerung, die im übrigen 4 Millionen Weiße, 2 Millionen Coloureds und 0,7 Millionen Inder / Asiaten umfaßt). Die Mehrzahl der „homelands" verfügt heute über eine begrenzte Selbstregierung durch eigene Organe (Gesetzgebende Versammlung, Regierung, Gerichtshof), eine eigene Landessprache u n d Staatssymbole. Allerdings ist der politische Entscheidungsspielraum der „homelands" mit Selbstregierung noch eng begrenzt, insbesondere weil die Höhe der ihnen zugewiesenen finanziellen Mittel von der Entscheidung der weißen Zentralregierung abhängt (wie auch das Inkrafttreten wichtiger Gesetzesbeschlüsse). Änderungen durch Einräumung eines den Bedürfnissen der „homelands" entgegenkommenden Steuererhebungsrechts und eine großzügigere Mittelzuweisung seitens der südafrikanischen Regierung sind in Aussicht genommen. Noch enger bzw. noch gar nicht ausgebildet ist das politische Entscheidungsrecht der „homelands", die bisher nur eine Selbstverwaltung (KwaZulu) oder noch nicht einmal diese erlangt haben. Faktischer Relevanz entbehrt weitgehend auch die Beteiligung an der Selbstregierung für die außerhalb der „homelands" lebenden „ u r b a n " und „rural blacks". Zwar verfügen sie über dieselben politischen Teilhaberechte in ihren jeweiligen „homelands" wie die dort lebenden Landsleute, jedoch beeinflussen sie ihre politische und soziale Lage, die von den Verhältnissen außerhalb der „homelands" bestimmt wird, allenfalls mittelbar durch die Wahl der „homelands"-Führer, die — in letzter Zeit zunehmend — auch die Interessen der „ u r b a n " und „rural blacks" vertreten. Ähnlich wie im Falle der „urban/rural blacks" versagt das Konzept der räumlichen Trennung mit dem Ziel politischer Selbstbestimmung bei der Gruppe der Coloureds und anderen Nichtweißen, die über keine irgendwie geartete territoriale Basis verfügen. Als Ersatz wurde deshalb in Verfolg der Apartheidpolitik eine rein personal ausgerichtete Organisation für diese Gruppe durchgeführt. Sie wählt Beratungsorgane (Coloured Persons' Representative Council — CPRC — und South African Indian Council), die neben der Beratungsfunktion auch beschränkte Gesetzgebungsbefugnisse haben (so der CPRC). Es liegt auf der Hand, daß diese Lösung keinen Ersatz für die Abschaffung der Vertretung dieser Bevölkerungsgruppen im südafrikanischen Parlament darstellt. Dem Anspruch des Konzepts der „getrennten Entwicklung" nach sollte der Verwirklichung der Gleichberechtigung aller Rassen und Völker in Südafrika durch die „große Aparth e i d " die Aufhebung der sog. „petty apartheid" folgen, nämlich der kleinlichen, entwürdigenden Diskriminierung der Nichtweißen, die sich vor allem bei den vielfältigen Kontakten im Alltagsleben äußert, aber auch im Arbeits- und Wirtschaftsleben, w o die Rechte insbeson-

Ziele, rechtliche Durchführung, Auswirkungen und Zukunft der Apartheidpolitik

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dere der schwarzafrikanischen Arbeitnehmer gegenüber denen der Weißen weit zurückgeblieben sind, so ζ. B. im Hinblick auf die Lohnzumessung, das Streikrecht und das berufliche Fortkommen. Von einer solchen Beseitigung der „petty apartheid" k o n n t e bis vor kurzem keine Rede sein. Eher ist die Stellung der Nichtweißen in dieser Hinsicht seit 1948 noch verschlechtert worden. Erst in den allerletzten Jahren hat sich unter dem Druck der Führer der „homelands" und wohl auch angesichts der drohenden internationalen Isolierung Südafrikas eine Lockerung der Diskriminierungspraktiken angedeutet. So ist die südafrikanische Politik der „getrennten Entwicklung" auch insoweit ihren eigenen Ansprüchen nicht oder nur in bescheidenstem Maße gerecht geworden. In Südwestafrika — heute international Namibia genannt — hat die südafrikanische Regierung ebenfalls die Politik der „getrennten Entwicklung" einzuführen begonnen, obwohl dieses Gebiet nach wie vor völkerrechtlich nicht als Teil der Republik anerkannt ist (-»• Südliches Afrika). Ansätze zu einer Apartheidpolitik (ohne ihren territorialen Aspekt) sind seit der einseitigen Unabhängigkeitserklärung Rhodesiens auch dort zu verzeichnen. Eine nüchterne Betrachtung der Auswirkungen und Aussichten der Apartheidpolitik bzw. der Politik der getrennten Entwicklung führt — abgesehen von ihrer prinzipiellen moralischrechtlichen Verwerflichkeit — zu einem ambivalenten Urteil, das sich in der Haltung der politischen Führungen und Organisationen der Nichtweißen ebenso wie in der sich differenzierenden Einstellung der Weißen niederschlägt. Einerseits ist festzustellen, daß auf der jetzigen territorialen Basis selbst bei einer außergewöhnlichen Steigerung der wirtschaftlichen und finanziellen Investitionen in den „homelands" eine ausreichende Lebensgrundlage für die Schwarzafrikaner nicht gewährleistet werden könnte. Eine Arrondierung und wesentliche Vergrößerung der „homelands" ist deshalb von den Führern der „homelands" einerseits und einzelnen Verfechtern der Apartheid andererseits gefordert worden. Hinzukommt, daß die südafrikanische Wirtschaft zunehmend auf die Arbeitskraft der Schwarzen — und zwar auch auf der Ebene fachlich qualifizierter Tätigkeiten (mit der Folge der Lockerung der Politik der j o b reservation) — angewiesen ist, wenn das für die erwähnten Investitionen in den „homelands" erforderliche wirtschaftliche Wachstum erreicht werden soll. Eine völlige Trennung der Schwarzafrikaner von der weißen Bevölkerung erweist sich somit, selbst systemimmanent gedacht, als nicht realisierbar. Schließlich würde die von den „homelands" als Endziel angestrebte Unabhängigkeit faktisch wegen der auf unabsehbare Zeit bestehenbleibenden wirtschaftlichen Abhängigkeit von der Republik Südafrika weitgehend der Substanz entbehren. Wenn andererseits trotz dieser praktischen Einwände, zu denen die prinzipiellen hinzukommen, die Errichtung und der Ausbau der „homelands" mit allen politischen und wirtschaftlichen Implikationen von den Führern der „homelands" (die bedeutendsten sind Chief Gatsha Buthelezi, Chief Lucas Mangope und Kaiser Matanzima) als eine Realität angenommen werden, mit der es zu leben gilt, so h a t diese Haltung ihren Grund darin, daß diese schwaizafrikanischen Führer — anders als die radikale Apartheidopposition — in den „homelands" eine systemimmanente und damit legale Basis zur Überwindung der Unterprivilegierung und Diskriminierung der Schwarzafrikaner sehen. Die sich langsam anbahnende Lockerung des Regimes der „petty apartheid", die schrittweise Einräumung eines Streikrechts für Farbige ( 1 9 7 3 ) und Überlegungen zum A u f b a u kommunaler Selbstverwaltungsstrukturen für die „urban blacks", sowie generell die wachsende Bereitschaft weißer Politiker, mit den schwarzafrikanischen Führern zu verhandeln (vgl. u. a. das Treffen des Premierministers Vorster mit den Führern der acht „homelands" im März 1974), scheinen diesen in der Einschätzung der Lage Recht zu geben. Demgegenüber lehnen radikale Organisationen der Schwarzafrikaner wie der in der Republik Südafrika verbotenen African National Congress aus prinzipiellen Erwägungen eine evolutionäre Überwindung der weißen Vorherrschaft auf der Basis der Apartheid (wie immer modifiziert oder kaschiert) ab. Ihr Ziel ist eine Mehrheitsregierung durch Verwirklichung des Prinzips des „one man, one vote", die sie mit Hilfe der „Black Consciousness" oder „Black Power"-Bewegung erreichen wollen.

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Uneinheitlich, aber weit differenzierter noch als bei den Schwarzafrikanern ist die Haltung der politischen Organisationen der weißen Bevölkerung zur weiteren Entwicklung der Apartheid. Über den künftigen Weg Südafrikas bestehen Meinungsunterschiede zwischen den verschiedenen Parteien, aber auch innerhalb der führenden großen Parteien, der regierenden Nationalist Party und der oppositionellen United Party, ist der Entscheidungsprozeß noch nicht abgeschlossen. Die Auffassungen reichen von der Forderung nach evolutionärer voller rechtlicher und politischer Integration aller Rassen in die südafrikanische Gesellschaft (Progressive Party) über die Tendenz zu umfassenden Zugeständnissen an die Schwarzafrikaner mit dem Ziel, den Weg der „getrennten Entwicklung" territorial, wirtschaftlich und politisch-rechtlich wirklich gangbar zu machen (United Party), und ein noch wenig entschlossenes, teilweise zu Konzessionen neigendes Lavieren (Nationalist Party) bis zur weiteren kompromißlosen Verfolgung einer eindeutig rassistischen Apartheidpolitik (Herstigte Nasionale Party). Ein relativ großes Maß von Übereinstimmung scheint sich in der weißen Bevölkerung hinsichtlich einer Herauslösung der Coloureds und der indisch-asiatischen Minderheit aus dem Apartheidregime abzuzeichnen, die sich ihrerseits stärker der weißen Bevölkerung zugehörig fühlen als der schwaizafrikanischen. Einschneidende Veränderungen zugunsten einer Integration der Coloureds sowie der indisch-asiatischen Minderheit werden als Ergebnis von Untersuchungen einer Regierungskommission (Theron-Kommission) für 1975/76 erwartet, die ihrer politischen Ausrichtung nach als liberal eingestuft wird. Völkerrechtliche und international politische Aspekte der Apartheid Die Apartheidpolitik Südafrikas ist von jeher auf die Kritik der Staatengemeinschaft gestoßen, vornehmlich im Rahmen der Organisation der Vereinten Nationen und der Organisation Afrikanischer Einheit (OAU). Beginnend mit den Beschwerden der indischen Regierung über die Diskriminierung der Bürger indischer Abkunft durch die Regierung Südafrikas ist die südafrikanische Rassen- bzw. Apartheidpolitik seit 1946 ständig Gegenstand der Tätigkeit von Sicherheitsrat, Generalversammlung, anderer Organe und Nebenorgane der Vereinten Nationen sowie ihrer Sonderorganisationen gewesen. Etwa seit 1950 trat speziell die Apartheidpolitik immer stärker in den Vordergrund der Kritik und der Bemühungen um ihre Beseitigung. Zwei Phasen der Behandlung der Apartheidfrage durch die Vereinten Nationen lassen sich unterscheiden. Der erste, bis etwa 1960 reichende Zeitabschnitt ist von der Diskussion um die Reichweite des für die Organisation geltenden Interventionsverbotes gegenüber den Mitgliedern (Art. 2 Ziff. 7) gekennzeichnet. In Übereinstimmung mit der auch sonst praktizierten Auffassung (-> Menschenrechte; Souveränität) wurde Art. 2 Ziff. 7 dahin ausgelegt, daß die durch die Apartheidpolitik aufgeworfenen Menschenrechtsprobleme angesichts der Verpflichtung der Vereinten Nationen zum Schutz der Menschenrechte keme ausschließlich innerstaatliche Angelegenheit darstellten und damit der Zuständigkeit (und Kritik) der Vereinten Nationen unterfielen (GA Res. 820 (IX) vom 14.11.1954; GA Res. 917 (X) vom 9.11.1955). Die zweite, bis heute nicht abgeschlossene Periode steht im Zeichen der Erlangung der Stimmenmehrheit der Staaten der Dritten Welt in der Generalversammlung und den Plenarorganen in den Sonderorganisationen sowie des verstärkten Einflusses dieser Staatengruppe auch in den repräsentativ zusammengesetzten Entscheidungsorganen der internationalen Organisationen (-*• Blockbildung). Die bloß kritische Diskussion der Apartheidpolitik in den internationalen Organisationen weicht nun konkreten Bemühungen um die Verhängung von -*• Sanktionen gegen die Apartheidpolitik einerseits sowie die völkerrechtliche Verankerung des Verbots der Apartheid und jeder anderen Form der ->· Rassendiskriminierung andererseits. In diesem Zusammenhang empfahl die Generalversammlung den Mitgliedern den Abbruch der diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu Südafrika. Sie forderte zugleich den Sicherheitsrat auf, die Möglichkeit für einen Ausschluß Südafrikas aus den Ver-

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einten Nationen zu erwägen (Res. 1761 (XVII) vom 6.11.1962). Der Sicherheitsrat empfahl den Mitgliedern der Vereinten Nationen einen Waffenboykott gegenüber Südafrika (Res. 181 (XVIII) vom 7.8.1963). Zentrales völkerrechtliches Problem, das sich bereits bei der Diskussion dieser frühen Sanktionsversuche durch die politischen Hauptorgane der Vereinten Nationen zeigte, ist bis heute die Frage geblieben, ob die Apartheidpolitik eine friedensbedrohende Situation im Sinne des Kapitels VII der Charta darstellt und damit zur verbindlichen Verhängung von Sanktionen durch den Sicherheitsrat berechtigt. Während die Generalversammlung — wiewohl nach dem Wortlaut der Charta nicht in ihrer Kompetenz liegend - diese Feststellung seit 1965 wiederholt getroffen hat (z. B. Res. 2506 Β (XXIV) vom 21.11.1969), qualifizierte der Sicherheitsrat die Apartheid nur als „ernste Störung" („serious disturbance" - ζ. Β. Res. 181 (XVIII) vom 7.8.1963; Res. 182 (XVIII) vom 4.12.1963; Res. 191 (XIX) vom 18.6.1964) des internationalen Friedens. Angesichts des weitgehenden Mißerfolges aller Sanktionsmaßnahmen auf Grund der mangelnden Solidarität der Mitglieder der Vereinten Nationen hat sich die Organisation zunehmend der Untersuchung der Entwicklung und Folgen der Apartheid durch eigene Organe (Sonderausschuß für Apartheid, Dekolonierungsausschuß; -> Ausschußsystem), der Unterstützung der Gegner der Apartheidpolitik einerseits (ζ. B. Hilfsfonds für südafrikanische Flüchtlinge und Verfolgte) und der Aufklärungsarbeit über die Apartheid (Publikationen der Unit on Apartheid, Seminare über das Apartheidproblem — Brasilien 1966, Doc. ST/TAO/HR/27) andererseits zugewandt. Härtere Sanktionen ergriffen eine Reihe von Sonderorganisationen, die Südafrika von der Mitarbeit ausschlossen (WHO, 1964; ITU, 1973; ICAO, 1974; UPU, 1974; WMO, 1975). Erst in alleqüngster Zeit haben auch die Vereinten Nationen durch die Generalversammlung Südafrika von der Mitarbeit dadurch ausgeschlossen, daß die Beglaubigungsschreiben der Delegation der Republik Südafrika zunächst als nicht repräsentativ für die Bevölkerung dieses Staates zurückgewiesen wurden, dann aber dieser Ausschuß von der Mitarbeit ausdrücklich mit dem Hinweis auf die Apartheidpolitik begründet wurde (Res. 3206 (XXIX) vom 30.9.1974 sowie Beschluß vom 12.11.1974 (GAOR (XXIX) Suppl. 31 p. 10); Generalversammlung; Stimmrecht; Mitgliedschaft). Die Verankerung des Verbotes der Apartheid im Völkerrecht nahm ihren Ausgang von der wiederholten Qualifikation der Apartheidpolitik als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit" (z. B. GA Res. 2202 (XXI) vom 16.12.1966; GA Res. 3324 E (XXIX) vom 16.12.1974). Im völkerrechtlichen Vertragsrecht findet sich diese Qualifikation erstmals in der Konvention über die Nichtveijährung von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit von 1968. Ihren vorläufigen Abschluß fand diese Entwicklung in der Verabschiedung der Konvention zur Unterdrückung und Bestrafung der Apartheid (GA Res. 3068 (XXVIII) vom 30.11.1973), die allerdings wegen ihrer unbestimmten Formulierung der darin enthaltenen Straftatbestände auf rechtsstaatliche Bedenken vor allem westlicher Staaten gestoßen ist. Neben diesen politischen und völkerrechtlichen Maßnahmen der Vereinten Nationen zur Bekämpfung der Apartheid sind die parallel laufenden, inhaltlich allerdings keine wesentlichen zusätzlichen Aspekte verdeutlichenden Bemühungen der OAU zur Überwindung der Apartheid zu erwähnen. Hervorzuheben ist allerdings, daß in jüngster Zeit eine Abkehr von Tendenzen zu einer gewaltsamen Lösung des Konfliktes zu beobachten ist. Als ein bedeutsamer Faktor in der Bekämpfung der Apartheid auf nichtstaatlicher Ebene ist schließlich die Arbeit des Weltkirchenrates zu erwähnen, die sich in einem Antirassismusprogramm konkretisiert hat.

Literatur Adam: Südafrika — Soziologie einer Rassengesellschaft, 2. Aufl., Frankfurt/M. 1970 Brookes: Apartheid — A Documentary Study of Modern South Africa, London 1968 Delbrück: Die Rassenfrage als Problem des Völkerrechts und nationaler Rechtsordnung, Frankfurt/M. 1971, S. 132 ff. und 205 ff. (mit zahlreichen Nachweisen auf ältere Literatur)

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Ausschuß system

Horrell: Legislation and Race Relations, Johannesburg 1971/1974 Horrell / Horner: A Survey of Race Relations in South Africa 1973, Johannesburg 1974 (erscheint seit 1951/52, seit 1967 jährlich) Kloss: Südafrika und das Prinzip der Gruppengleichstellung, in: VN 1965 S. 41 von Lucius: Rassentrennung in Südafrika: Neue Perspektiven? , in: VN 1975 S. 4 6 Noller: Apartheid in Südafrika, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung „Das Parlament", Β 12/75 vom 22.3.1975, S. 3 v.d. R o p p : Perspektiven der politischen Entwicklung Süd- und Südwestafrikas, in: AfrikaF o r u m 1974, S. 296 UNESCO (ed.): Apartheid, Its Effects on Education, Science, Culture and Information, 2nd ed., Paris 1972 Jost Delbrück Verweise auf'. Ausschußsystem; Blockbildung; Generalversammlung; Menschenrechte; Mitgliedschaft; Rassendiskriminierung; Sanktionen; Souveränität; Stimmrecht; Südliches Afrika.

Ausschußsystem Alle kollegialen Hauptorgane der Vereinten Nationen (also fünf der insgesamt sechs) haben Ausschüsse eingesetzt. Art. 7 Abs. 2, wo der umfassende Ausdruck „subsidiary organs" verwendet wird, berechtigt sie dazu. Art. 22 und 29 wiederholen den allgemeinen Grundsatz speziell in Ansehung der Generalversammlung u n d des Sicherheitsrats. Art. 68 sieht die Bildung von „Kommissionen" durch den -> ECOSOC vor. Ausschüsse der

Generalversammlung

Die Geschäftsordnung der Generalversammlung (angenommen am 17.11.1947 durch Res. 173 (II), Doc. A / 520 / Rev. 12) gibt dieser sieben Hauptausschüsse bei (Main Committees, Regel 98) sowie zwei Verfahrensausschüsse (Procedural Committees, Regeln 155—160). Bereits die Vorläufige Geschäftsordnung, die sich die Generalversammlung zu Beginn ihrer ersten Sitzungsperiode am 11. Januar 1946 gab, sah diese nachgeordneten Organe vor, mit Ausnahme des Politischen Sonderausschusses. Die Ausschüsse wurden damals umgehend eingerichtet. Ausschüsse der Generalversammlung tagen grundsätzlich öffentlich. Das von der Geschäftsordnung (Regel 60) anerkannte Recht, die Öffentlichkeit auszuschließen, ist bei den Hauptausschüssen auf den Fall beschränkt, daß außergewöhnliche Umstände nach Meinung des jeweiligen Ausschusses den Ausschluß gebieten. Verfahrensausschüsse Die beiden Verfahrensausschüsse nehmen sofort am Anfang einer jeden Sitzungsperiode ihre Arbeit auf. Der Beglaubigungs-Ausschuß (Credentials Committee, Regel 28 Geschäftsordnung) wird noch vor der Wahl des Präsidenten der Generalversammlung besetzt. Seine neun Mitglieder werden auf Vorschlag des ausscheidenden Präsidenten gewählt. Der Ausschuß prüft, ob die Beglaubigungsschreiben der Delegierten ordnungsgemäß sind. In der jüngeren Vergangenheit ist er darüberhinaus zum Forum von Debatten über die Legitimität entsendender Regierungen geworden (->• Generalversammlung). Dabei hat sich angesichts der geringen Mitgliederzahl wiederholt eme Mehrheit für Resolutionsentwürfe gefunden, die die General-

Verfahrensausschüsse

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Versammlung später abänderte: So ζ. B. bei der zunächst ohne Vorbehalt empfohlenen Akkreditierung der südafrikanischen Vertreter noch im Jahre 1971 (Doc. A/8625; Einschränkung durch Res. 2862 (XXVI) vom 20.12.1971). 1974 vermochte der Antrag, das Beglaubigungsschreiben der Delegierten desselben Landes zurückzuweisen, nur fünf der neun Stimmen auf sich zu vereinigen. Die Generalversammlung folgte der Ausschußempfehlung demgegenüber am 30. September mit sehr großer Mehrheit (Res. 3206 (XXIX)). Für die Ordnung des Geschäftsgangs ist der 25-köpfige Allgemeine Ausschuß (General Committee) zuständig, der der Generalversammlung Empfehlungen zu Aufstellung und Erledigung der Tagesordnung sowie zu der Sitzungsdauer unterbreitet. Er setzt sich zusammen aus dem Präsidenten der Generalversammlung, der ihm vorsteht und den er bei dessen Arbeit unterstützen soll, den siebzehn Vizepräsidenten sowie den sieben Vorsitzenden der Hauptausschüsse. Ihm gehören Vertreter aller ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats an, weil diesen gemäß Generalversammlungs-Resolution 1990 (XVIII) vom 17. Dezember 1963 fünf Vizepräsidentenposten vorbehalten sind. Da dieselbe Resolution auch durch bezifferte Regionalkontingente eme geographisch ausgewogene Aufteilung der Hauptausschußvorsitze und der übrigen Vizepräsidentenposten vorschreibt, stellt der Allgemeine Ausschuß einen Mikrokosmos der Generalversammlung dar. Die Geschäftsordnung verwehrt ihm die Erörterung sachlicher Probleme und die Beschlußfassung über politische Fragen. In der Praxis läßt sich das freilich nicht verhindern. Das galt 1972 etwa für den Streit darüber, ob die Lage in Korea und das Problem des internationalen Terrorismus auf die Tagesordnung der 27. Sitzungsperiode gesetzt werden sollten. An der Tatsache, daß sogar die Verfahrensausschüsse zum Schauplatz erbitterter Auseinandersetzungen werden, bestätigt sich die allgemeine Beobachtung, daß die Ausschüsse der Generalversammlung in den politischen Kampf voll integriert sind. Die Verfahrensausschüsse bieten Platz dem Vorgefecht, das — angesichts der beschränkten Mitgliederzahl — keine Vorentscheidung bringt. Es überrascht also nicht, daß diejenigen Empfehlungen, die in ihnen Gegenstand großer Meinungsverschiedenheiten gewesen waren, im Plenum regelmäßig angegriffen werden. So entging der Tagesordnungspunkt „Internationaler Terrorismus", für den sich im Allgemeinen Ausschuß eine deutliche Mehrheit gefunden hatte, am 23. September 1972 im Plenum zwar knapp der Vertagung, wurde jedoch im Suine der Dritten Welt wortreich umformuliert. Hauptausschüsse Allein in der 19. Sitzungsperiode (1964/65) ist es nicht zur Konstituierung der Hauptausschüsse gekommen. Die Generalversammlung sah sich damals durch die Weigerung Frankreichs und der UdSSR gelähmt, den überfälligen Beitrag zu zwei Friedenssicherungsaktionen zu leisten, und das deshalb fraglich gewordene -»• Stimmrecht dieser beiden Staaten (vgl. Art. 19). In den Hauptausschüssen sind alle Mitgliedstaaten vertreten („committees of the whole"). Sie beraten nahezu alle Tagesordnungspunkte vor und berichten darüber. In der Regel arbeiten sie auch Resolutionsentwürfe aus; verpflichtet sind sie dazu nicht. Da sie gleichzeitig tagen und die unterschiedlichen Standpunkte filtern, insbesondere die Aussichtslosigkeit bestimmter Bestrebungen frühzeitig bloßlegen, sind sie für das Plenum unentbehrlich. Dieses wäre ohne sie außerstande, die Tagesordnung in angemessener Zeit zu bewältigen. Über die Zuweisung der Beratungsgegenstände beschließt die Generalversammlung auf Vorschlag des Allgemeinen Ausschusses. Grundsätzlich soll im Plenum zu keinem Tagesordnungspunkt eine Entscheidung fallen, ohne daß ein Ausschuß darüber berichtet hätte (Regel 65 Geschäftsordnung). Ausnahmen muß die Generalversammlung ausdrücklich beschließen. Davon macht sie gewöhnlich Gebrauch bei Wahlen, insbesondere zu Neben- und anderen Hauptorganen, u n d bei der Aufnahme neuer Mitglieder (z. B. der Bundesrepublik Deutschland und der DDR am 18.9.1973, Res. 3050 (XXVIII)), meistens auf der Grundlage

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Ausschußsystem

von Empfehlungen anderer Organe oder Organisationen oder auch — soweit es um sachliche Stellungnahmen geht — von Konferenzen. Gem. Regel 125 Geschäftsordnung reicht für Ausschuß-Beschlüsse stets die einfache Mehrheit der anwesenden Mitglieder aus, mag auch in der Schlußabstimmung im Plenum eine Zweidrittelmehrheit erforderlich sein. Zu den wenigen Vorlagen, die erst im Plenum die Zweidrittelmehrheit erreichten, die sie im Ausschuß noch verfehlt hatten, gehört der Vorschlag für die Teilung Palästinas (Res. 181 A (II) vom 29.11.1947). Im übrigen sind deutliche Stimmenverschiebungen zwischen Gesamtausschuß-Entscheidung und Endabstimmung im Plenum selten geblieben, mag es auch vorgekommen sein, daß ein Resolutionsentwurf nach Verabschiedung durch einen Hauptausschuß im Plenum schließlich doch noch scheiterte. 1959 kam wegen des Umschwenkens insbesondere einiger lateinamerikanischer Staaten dieserart ein vom Politischen Sonderausschuß am 4. Dezember 1959 gebilligter Entwurf zu Fall, der auch für die Wahl des Präsidenten der Generalversammlung für die Zeitfolge die Anwendung des Grundsatzes ausgewogener geographischer Vertretung vorgesehen hatte (Abstimmung vom 10.12.1959). Die politischen Hauptausschüsse;

Sonderausschüsse

Die Hauptausschüsse leisten die Vorbereitungsarbeit nicht allein. Zur Behandlung einzelner Fragen oder Fragenkomplexe hat die Generalversammlung gem. Art. 22 zahlreiche ad hocAusschüsse mit beschränkter Mitgliederzahl eingesetzt. Der begrenzte Kreis der Mitglieder sowie die Möglichkeit, das ganze Jahr über, anders als die Hauptausschüsse also auch außerhalb der Sitzungszeit der Generalversammlung zu tagen, erlaubt ihnen ein vertieftes Studium schwieriger Probleme über längere Zeit hinweg, was vor allem bei Kodifikationsvorhaben vorteilhaft ist. Allerdings hat die Generalversammlung solche Gremien oft und seit 1960 in zunehmendem Maße auch in der Absicht eingerichtet, sich — bzw. einer Mehrheit ihrer Mitglieder — Werkzeuge zur planmäßigen Verfolgung politischer Ziele zu schaffen. Zu dieser Kategorie zählen, als wichtigste Beispiele, die Besonderen Ausschüsse für -»• Entkolonialisierung (Res. 1654 (XVI) vom 27.11.1961) und Apartheid (Res. 1761 (XVII) vom 6.11.1962). Die Zuteilung der Beratungsgegenstände an die Hauptausschüsse bereitet selten Schwierigkeiten. Die einzelnen Ausschüsse haben einen recht klar umrissenen Zuständigkeitsbereich. Der Ausschuß für politische und Sicherheitsangelegenheiten (1. Ausschuß, Political and Security Committee) hat es vermocht, sich gegenüber dem Politischen Sonderausschuß als der allgemeine politische Ausschuß zu behaupten. Er soll Frieden, Sicherheit und Abrüstung behandeln und hat demgemäß Spannungsherde, Krisen, Atomwaffentests und -Verbreitung sowie die Nutzung von Weltraum und Meeresboden erörtert. Dem Politischen Sonderausschuß (Special Political Committee), also demjenigen Hauptausschuß, der nicht bereits 1946 geschaffen worden ist, sind demgegenüber ausgewählte Einzelfragen überwiesen worden. Einem dieser Probleme verdankt er seine Entstehung. Die Generalversammlung richtete am 23. September 1947 einen ad hoc-Ausschuß für die Palästina-Frage ein (-> Nahost), der den Hauptausschüssen von vornherein insofern glich, als in ihm alle Mitgliedstaaten vertreten waren. „Palästina" war auf der vorangegangenen 1. Sondersitzung der Generalversammlung noch dem 1. Hauptausschuß zugewiesen worden. Auf jener Sondersitzung hatte die Generalversammlung einen 11-köpfigen Sonderausschuß (United Nations Special Committee on Palestine) beauftragt, für die 2. Sitzungsperiode einen Bericht über die Palästina-Frage mit Lösungsvorschlägen zu verfassen (Res. 106 (S-I) vom 15.5.1947) - ein bedeutsamer Meilenstein auf dem Weg zu der Gewohnheit, angesichts komplizierter Probleme zunächst einmal einen ad hoc-Ausschuß mit begrenzter Mitgliederzahl einzusetzen. Der Palästina-Gesamtausschuß überlebte die 2. Sitzungsperiode. In der Folgezeit wurden ihm zur Entlastung des 1. Hauptausschusses weitere Sonderprobleme zugewiesen. 1956 erhielt er dauerhaften Status (Res. 1104 (XI) vom 18.12.). Die Kompetenz für Palästina hat

Sonstige Hauptausschüsse

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er behalten. Neben Apartheid wurde das Nahostproblem in seiner Gesamtheit ein Schwerpunkt seiner Beratungen. Freilich blieben die arabischen Staaten nicht in der defensiven Position, in der sie noch 1947/48 gestanden hatten. In den afroasiatischen Ländern der Dritten Welt fanden sie Verbündete bei ihrem seit dem Oktoberkrieg 1967 stets verstärkten Bemühen, das Ausschußsystem der Vereinten Nationen für ihre Sache zu aktivieren. Besonders deutlich wurde das an dem Beispiel des Sonderausschusses für menschenrechtswidrige Handlungen Israels in den besetzten Gebieten (Special Committee to Investigate Israeli Practices Affecting the Human Rights of the Population of the Occupied Territories). Der Weg zu dessen Arbeitsaufnahme führt zunächst von der Menschenrechtskommission des ECOSOC (Res. 6 (XXIV) vom 27.2.1968) über den Sozialausschuß des ECOSOC bis in dessen Plenum (Res. 1336 (XLIV) vom 31.5.1968), anschließend über den 3. Hauptausschuß zum Einsetzungsbeschluß der Generalversammlung (Res. 2443 (XXIII) vom 19.12.1968). Am 4. März 1969 beschloß die Menschenrechtskommission, ihrerseits einen besonderen Sachverständigenstab einzusetzen „ t o Investigate Allegations Concerning Israel's Violations of the Geneva Convention" (Res. 6 (XXV)). Sonstige

Hauptausschüsse

Für Israels Vorgehen in den besetzten Gebieten war während der Sitzungsperiode der Generalversammlung ursprünglich (1968/69) der Ausschuß für soziale, humanitäre und kulturelle Angelegenheiten (3. Ausschuß, Social, Humanitarian and Cultural Committee) zuständig. Als die Kompetenz 1970 auf den Politischen Sonderausschuß überging, wurde vollends deutlich, daß bei der Inanspruchnahme der Gremien der Vereinten Nationen nicht mehr ein humanitäres Anliegen, sondern eine politische Absicht Antriebskraft war. Der 3. Ausschuß ist als Menschenrechtsausschuß für Fragen der Rassendiskriminierung zuständig, ausgenommen die Apartheid-Politik Südafrikas, die bezeichnenderweise den Politischen Sonderausschuß beschäftigt. Er erörtert den Bericht des Sachverständigenausschusses zur Beseitigung der -> Rassendiskriminierung (Committee on the Elimination of Racial Discrimination). Im übrigen setzt er sich mit so unterschiedlichen Themen wie Gewerkschaftsrechten, Menschenhandel und Pornographie auseinander. Der Wirtschafts- und Finanzausschuß (2. Ausschuß, Economic and Financial Committee) widmet sich u. a. den Fragen, die Unterentwicklung, Bevölkerungswachstum, Nahrungsmangel, Umweltschutz und Handelsbeziehungen aufwerfen. Angesichts des ständig wachsenden Gewichts, das diesen Themen vor allem auf Betreiben der Länder der Dritten Welt gegeben wird, wäre er einer der bedeutendsten Ausschüsse, würden die meisten Wirtschaftsfragen nicht von Sonderorganisationen oder Spezialorganen (z. B. -> UNCTAD) bearbeitet. Diese Organisationen bzw. Organe bilden ihrerseits neben ständigen Ausschüssen (etwa das Permanent Committee des Industrial Development Board der UNIDO) häufig Ausschüsse zur Behandlung gerade besonders brisanter Probleme. Dazu zählen etwa die von der UNCTAD durch Conference Resolution 45 (III) vom 18. Mai 1972 geschaffene Arbeitsgruppe für die Formulierung einer Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten sowie die vom Gouverneursrat des ->· IMF eingerichteten Ausschüsse für die Reform des Weltwährungssystems und der gemeinsame Ausschuß von IMF und IBRD für den Transfer von Ressourcen in die Entwicklungsländer (Entwicklungsausschuß). Zunehmende Aufmerksamkeit erfährt der 87-köpfige Rohstoff-Ausschuß der UNCTAD (Committee on Commodities, Res. 7 (I) des Handels- und Entwicklungsrats vom 29.4.1965), der den Möglichkeiten einer Marktlenkung bei dem Rohstoffhandel besonderes Interesse widmet. Kennzeichnend für das Bemühen der UNCTAD, aktuelle Fragen aufzugreifen, war auch die Einsetzung einer Expertengruppe fur die mit der Verschuldung der Entwicklungsländer verknüpfte Problematik (Ad Hoc Group of Governmental Experts on the Debt Problems of Developing Countries). Die Parallelität zu dem gemeinsamen Entwicklungsausschuß der Finanzorganisationen, denen die Staaten der Dritten Welt wegen der dortigen Stimmenver-

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Ausschußsystem

hältnisse (Gewichtung) skeptisch gegenüberstehen und die sie gerne zugunsten der von ihnen beherrschten UNCTAD in den Hintergrund drängen möchten, liegt auf der Hand. Der Erwähnung bedürfen in diesem Zusammenhang schließlich auch die Ausschüsse, welche mit der Vorbereitung internationaler Konferenzen betraut werden u n d durch die Ausarbeitung von Textentwürfen frühzeitig wichtige, wenn nicht entscheidende Weichen stellen (1975 ζ. B. das Consultative Committee for the World Conference of the International Women's Year, errichtet durch GA Res. 3277 (XXIX) vom 10.12.1974). Der Ausschuß für Treuhandgebiete und Gebiete ohne Selbstregierung (4. Ausschuß, Trusteeship Committee, including Non-Self-Governing Territories) ist lange Zeit Antreiber des -» Treuhandrates gewesen. Dieser ließ es gegenüber den Verwaltern von Treuhandgebieten an dem gewünschten Nachdruck fehlen, was an seiner Zusammensetzung (Parität von Vertretern der Verwaltungsmächte und NichtVerwaltern) gelegen haben mag. Die Treuhandfragen haben mittlerweile an Bedeutung verloren, da von den ursprünglich elf Treuhandgebieten allein Mikronesien noch nicht selbständig ist. Der 4. Ausschuß konzentriert sich dementsprechend auf die Gebiete ohne Selbstregierung. Namibia und Südrhodesien, dessen Form von Selbstregierung nicht hingenommen wird, stehen dabei im Vordergrund. Besondere Ausschüsse mit begrenzter Mitgliederzahl nehmen einen großen Teil der Arbeit ab. Der Verwaltungs- und Haushaltsausschuß (5. Ausschuß, Administrative and Budgetary Committee) berichtet der Generalversammlung über Fragen, die die Organisation der Vereinten Nationen als solche betreffen, also auch Personal, Arbeitssprachen, Veröffentlichungen. Er wird bei seiner Arbeit entlastet und unterstützt von den beiden Ständigen Ausschüssen der Generalversammlung, nämlich dem Beratenden Ausschuß für Verwaltungs- und Haushaltsangelegenheiten (Advisory Committee on Administrative and Budgetary Questions) und dem Beitragsausschuß (Committee on Contributions). Der Beratende Ausschuß ist für die Vorprüfung des Haushaltsentwurfs der Vereinten Nationen verantwortlich, den er an den 5. Ausschuß weiterleitet. Er setzt sich aus dreizehn Fachleuten zusammen, zu denen wenigstens drei allgemein anerkannte Finanzexperten gehören u n d die die Generalversammlung unter Berücksichtigung ausgewogener geographischer Verteilung fur die Dauer von jeweils drei Jahren bestimmt (Regeln 155—157 Geschäftsordnung). Der Beitragsausschuß, in den die Generalversammlung dreizehn Fachleute mit dreijähriger Amtszeit wählt, gibt Rat zum Verteilungsschlüssel für die Festsetzung der Mitgliedsbeiträge und zu der Behandlung säumiger Zahler (Regeln 158—160 Geschäftsordnung; -»• Beitragssystem, Haushalt). Der Rechtsausschuß (6. Ausschuß, Legal Committee) spielt eine hervorragende Rolle bei dem Bemühen der Generalversammlung, gem. Art. 13 Abs. 1 (a) der Charta „die fortschreitende Entwicklung des Völkerrechts und seine Kodifizierung zu begünstigen" (-> Völkerrecht durch Vereinte Nationen). Ihm gehören vorwiegend Juristen an. Von politischen Streitigkeiten ist er weniger als andere Hauptausschüsse heimgesucht worden, mag auch etwa der Tagesordnungspunkt „Internationaler Terrorismus" 1972 scharfe Auseinandersetzungen, insbesondere zwischen Israel und den arabischen Staaten, provoziert haben. Er ist in die Ausarbeitung von Konventionen eingeschaltet. Die wesentlichen Vorarbeiten pflegen dabei von besonderen Nebenorganen, vornehmlich der Völkerrechtskommission, geleistet zu werden. Bei der Aussprache über die Berichte dieser Gremien nimmt der Ausschuß zu den Vertragsentwürfen im einzelnen Stellung, was angesichts der Vertretung aller Mitgliedstaaten im 6. Ausschuß für die endgültige Formulierung der Texte hohe Bedeutung hat. Aus der Vielzahl der Abkommen, an denen der Rechtsausschuß mitgewirkt hat, sei hier nur die Wiener Vertragsrechts-Konvention vom 23. Mai 1969 genannt. Die Kodifizierung des Völkerrechts ist allerdings kein Privileg des 6. Ausschusses. Auch andere Hauptausschüsse tragen dazu im Rahmen ihrer Zuständigkeiten bei. Die beiden Menschenrechtspakte (Res. 2200 (XXI) vom 16.12.1966), die auf Entwürfen der Menschenrechtskommission des ECOSOC beruhen, haben den 3. Hauptausschuß etwa zehn Jahre lang beschäftigt. Sie sind ein gutes Beispiel für die Kodifikationstechnik, die endgültige Fassung von Übereinkommen in die Form von Resolutionsentwürfen eines Hauptausschusses zu gießen. Die Regelung der Nutzung von Weltraum und Meeresboden hat bei dem 1. Hauptausschuß ressortiert.

Ausschüsse des -» ECOSOC

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Ausschußvorsitz Wegen des Stellenwerts der Hauptausschüsse und des Zugangs zum Allgemeinen Ausschuß, den ihre Präsidentschaft vermittelt, ist der Vorsitz in ihnen begehrt. Die HauptausschußVorsitzenden werden vor den Vizepräsidenten der Generalversammlung von den Ausschüssen selbst gewählt (Regel 31 Geschäftsordnung), und zwar - im Gegensatz zu den Vizepräsidenten — namentlich. Nur einmal ist ein Angehöriger eines ständigen Sicherheitsrats-Mitglieds zum Hauptausschuß-Vorsitzenden gewählt worden (ein Chinese am 16.4.1948 auf der 2. Sondersitzung, im 1. Ausschuß). Das ist spätestens seit der Resolution 1990 (XVIII) vom 17. Dezember 1963, die jeder Veto-Macht eine Vizepräsidentschaft reserviert, ausgeschlossen, da gem. Regel 38 Geschäftsordnung keine zwei Mitglieder des Allgemeinen Ausschusses derselben Delegation angehören dürfen. Bei der Wahl der Hauptausschuß-Vorsitzenden haben sich regionale Schwerpunkte herausgebildet. Allein 28 der insgesamt 6 7 afroasiatischen Vorsitzenden (bis 30. Sitzungsperiode) präsidierten den 4. und 5. Hauptausschüssen. Die beiden europäischen Staatengruppen stellten demgegenüber nur viermal den Vorsitzenden des 4. Ausschusses. Der 1. Ausschuß ist dagegen eine Domäne der Lateinamerikaner und Westeuropäer (insgesamt 19 Vorsitzende), der Rechtsausschuß eine der Osteuropäer (8) und der Lateinamerikaner (11). Regel 103 Geschäftsordnung sieht des weiteren vor, daß jeder Ausschuß zwei stellvertretende Vorsitzende und einen Berichterstatter bestimmt. Unterausschüsse Eine reichhaltige Palette von Unterausschüssen, die gem. Regel 102 Geschäftsordnung beliebig eingerichtet werden dürfen, vervollständigt das Bild des Ausschußsystems als eines engmaschigen Netzes. So wie die Hauptausschüsse das Plenum, und die Sonderausschüsse ihrerseits in der Regel die Hauptausschüsse entlasten sollen, dienen Unterausschüsse zumeist dazu, Sonderausschüsse oder ähnliche Gremien bei deren Arbeit zu unterstützen, und zwar durch die Behandlung noch enger umrissener Problembereiche. Das übergeordnete Gremium kann mit der Weiterverweisung unter dem umfassenden Gesichtspunkt der Arbeitsteilung einerseits die Absicht verfolgen, abgegrenzte Einzelfragen von einem eingearbeiteten Expertenkreis studieren zu lassen, andererseits aber auch darauf hinsteuern, zur Durchsetzung einer politischen Zielvorstellung zusätzliche Hilfskräfte zu gewinnen, die sich auf bestimmte Einzelaspekte konzentrieren. Als Beispiel des einen Falles seien die drei Arbeitsgruppen (für internationalen Kauf, für internationales Wertpapierrecht und für internationalen Seehandel) der Kommission für das internationale Handelsrecht (United Nations Commission on International Trade Law (UNCITRAL)) zitiert. Die Unterausschüsse des Sonderausschusses für die friedliche Nutzung des Weltraums (Committee on the Peaceful Uses of Outer Space, geschaffen durch Res. 1348 (XIII) vom 13.12.1958) — der eine zuständig für rechtliche, der zweite für wissenschaftliche und technische Fragen — haben ihrerseits sogar bestimmte Aufgaben an Arbeitsgruppen subdelegiert. Die bezeichnendsten Beispiele des anderen Falles dürften die Sonderausschüsse für Entkolonialisierung (ein fachspezifischer und drei jeweils fur bestimmte Territorien zuständige Unterausschüsse) und für Apartheid (zwei Unterausschüsse) sein. Ausschüsse des ->· ECOSOC Der ECOSOC hat um sich ein ähnlich engmaschiges Ausschußnetz geknüpft wie die Generalversammlung; es ist treffend mit einem Labyrinth verglichen worden. Das ausgedehnte Arbeitsfeld des ECOSOC (ζ. B. Durchführung von Untersuchungen, Abfassung von Berichten, Koordination der Tätigkeit der Sonderorganisationen, vgl. Art. 62, 63) und die organisatorische Verästelung, die ihm entspricht, lassen jeden Versuch, einen Überblick zu gewinnen, mühevoll erscheinen. Der ECOSOC erhofft sich die Sachkunde und technische Beratung, die

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Ausschußsystem

er zur Bewältigung seiner Aufgaben „auf den Gebieten der Wirtschaft, des Sozialwesens, der Kultur, der Erziehung, der Gesundheit und auf verwandten Gebieten" (Art. 62) benötigt, insbesondere von seinen sechs funktionalen Kommissionen, deren bekannteste wohl die Menschenrechtskommission ist - hier sei außerdem noch die verdienstvolle Suchtstoffkommission erwähnt —, sowie von drei Expertenausschüssen, die sich Entwicklungsfragen und dem Problem der Kriminalität widmen. Eine besondere Rolle spielen die fünf regionalen -> Wirtschaftskommissionen, die sich der Einflußnahme durch nationale Regierungen weitgehend zu entziehen vermögen. Sie erteilen sachverständigen Rat und sind, da sie - wie in Europa — ideologische Grenzen überspannen, in die Rolle von Beratungs- und Koordinationsgremien hineingewachsen. Ausschüsse des Sicherheitsrats Der Sicherheitsrat ist mit der Bildung von Ausschüssen zurückhaltend gewesen. Die verhältnismäßig geringe Zahl seiner Mitglieder läßt die Delegierung von Aufgaben entbehrlich erscheinen. Der Generalstabsausschuß (Military Staff Committee), zusammengesetzt aus den Generalstabschefs der ständigen Sicherheitrats-Mitglieder, besteht kraft Art. 47. Er soll den Sicherheitsrat in militärischen Fragen beraten. Er tagt zwar alle zwei Wochen, hat aber fast nie eine bedeutsame Rolle gespielt. Wichtiger sind die beiden ständigen Ausschüsse. Den ExpertenAusschuß (Committee of Experts) hat der Sicherheitsrat auf seiner ersten Sitzung am 17. Januar 1946, den Ausschuß für die Aufnahme neuer Mitglieder (Committee on the Admission of New Members), der später während 22 Jahren nicht befaßt wurde (1949—1971), am 17. Mai 1946 (Res. 6 (I)) eingesetzt. Der Experten-Ausschuß überprüft die Vorläufige Geschäftsordnung des Sicherheitsrats. In beiden Ausschüssen sind alle Sicherheitsrats-Mitglieder vertreten. Der Sicherheitsrat bildet gelegentlich Ausschüsse zur Untersuchung von Einzelproblemen. In den Anfangsjahren geschah dies ζ. B. im Hinblick auf die Lage in Spanien und Griechenland. Ein fünfköpfiger Unterausschuß (Res. 4 (I) vom 29.4.1946) sollte prüfen, ob die Situation in Spanien eine Gefahr für Frieden und Sicherheit darstelle. Ein anderer Unterausschuß (Res. 28 (II) vom 6.8.1947) hatte sich mit angeblichen Verletzungen der griechischen Grenze zu befassen (-» Streitschlichtung). Das bekannteste Beispiel aus der nachkolonialen Epoche ist der Sanktions-Ausschuß (Sanctions Committee), der seine Existenz der Resolution 253 (XXIII) vom 29. Mai 1968 verdankt und die praktische Durchführung der Sicherheitsrats-Resolution 232 (XXI) vom 16. Dezember 1966 überprüft, die gem. Art. 41 zu Sanktionen gegenüber Südrhodesien aufgerufen hatte. Erwähnenswert ist auch der Ausschuß für -»• Mikrostaaten (Committee of experts on micro-States, gebildet auf der 1506. Sitzung am 29.8.1968), der die Problematik einer Mitgliedschaft von Kleinststaaten in den Vereinten Nationen durchleuchtet. Welchen Platz die Ausschüsse im System der Vereinten Nationen künftig einnehmen und inwieweit sie politisiert sein werden, läßt sich nicht sicher absehen. Die bisherigen Erfahrungen sprechen dafür, daß sie je nach Problembereich dem Vorbild der übergeordneten Organe folgen werden. Norbert J. Prill Verweise auf·. Apartheid; Beitragssystem, Haushalt; ECOSOC; Entkolonialisierung; Generalversammlung; IBRD; IMF; Mikrostaaten; Nahost; Rassendiskriminierung; Sanktionen; Stimmrecht; Streitschlichtung; Treuhandrat; UNCTAD; UNIDO; Völkerrecht durch Vereinte Nationen ; Wirtschaftskommissionen.

Befreiungsbewegungen

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Befreiungsbewegungen Begriffsbestimmung In der Internationalen Politik der Gegenwart bezeichnen sich in der Regel solche Organisationen als Befreiungsbewegungen, die staatliche Unabhängigkeit eines kolonisierten oder anderweitig unter Fremdherrschaft stehenden Volkes anstreben. Dieses Ziel kann m i t gewaltfreien Mitteln - verfassungskonforme Tätigkeit als politische Partei, Demonstrationen, Einflußnahme auf die öffentliche Meinung im kolonialen „Mutterland", Verhandlungen — oder durch bewaffneten Kampf angestrebt werden. Da eine Befreiungsbewegung häufig auch die gesellschaftliche und wirtschaftliche Struktur in dem betreffenden Lande gründlich verändern will und muß, um ihr nationales Ziel zu erreichen, ist die begriffliche Abgrenzung von revolutionären Bewegungen schwierig. Südlichen Afrika spielen Befreiungsbewegungen in der afrikaWegen des Konflikts im nischen Politik eine besonders wichtige Rolle. Die „Organisation der Afrikanischen Einheit" (OAU) erkennt nur solche Organisationen als Befreiungsbewegungen an, die gegen weiße Minderheits-Regierungen kämpfen. Aufstandsbewegungen gegen schwarzafrikanische oder arabische Regierungen dagegen, gleich ob sie nationale Selbstbestimmung für Minderheiten oder soziale Veränderungen fordern (ζ. B. die Rebellen im Südsudan 1955—72; die KongoRebellen 1963—65), galten für die OAU bis 1975 als subversive Gruppen, die keinen Anspruch auf den Ehrentitel „Befreiungsbewegung" haben. Bei funktionaler Betrachtung wird man solche Organisationen jedoch auf Grund ihres Selbstverständnisses zu den Befreiungsbewegungen rechnen müssen. Historischer

Überblick

Befreiungsbewegungen sind so alt wie die Geschichte der Menschheit; man lese die Überlieferung vom Auszug der Israeliten aus Ägypten im Alten Testament nach oder die Geschichte des Arminius bei Tacitus. Die aktiven Befreiungsbewegungen der Gegenwart knüpfen im wesentlichen an vier historische Traditionen an: (1) an die islamische Überzeugung von der Vollendung der göttlichen Offenbarung in der eigenen Religion; deshalb erscheint die politische Herrschaft Andersgläubiger über Moslems als unerträglicher Zustand; (2) an den Aufstand der nordamerikanischen Kolonisten gegen eine Herrschaft, die sie als ungerecht empfanden, im Namen allgemeiner Menschenrechte (1776); (3) an die von der Romantik inspirierte Auflehnung der Völker Ost- und Südosteuropas gegen die supranationalen Monarchien des Osmanischen, Habsburgischen und Zaristischen Reiches im 19. und frühen 20. Jahrhundert; (4) an die von Karl Marx 1848 ausgegebene Losung, die „Proletarier aller Länder" sollten sich gegen die Klassenherrschaft der Bourgeoisie vereinigen. Nach dem 2. Weltkrieg setzte sich in Afrika, Asien und Lateinamerika weithin die Überzeugung durch, die Völker der Kolonien und Halbkolonien seien heute die wahren „Verdammten dieser Erde" (Frantz Fanon 1961). Der Sieg der nordamerikanischen Revolution 1783 war das Signal für die Ablösung Mittelund Südamerikas von spanischer und portugiesischer Herrschaft Anfang des 19. Jahrhunderts. Gleichzeitig begann mit dem griechischen Volksaufstand (1821) die Zurückdrängung Osmanischer Herrschaft auf dem Balkan. Die Revolution von 1848 hatte ζ. B. in Ungarn den Charakter einer nationalen Befreiungsbewegung, während der Widerstand des polnischen Volkes gegen (vor allem) die russische und preußische Herrschaft das ganze 19. Jahrhundert über lebendig blieb. Ähnliches gilt vom Kampf der Iren gegen die britische Regierung, in ganz anderer Gestalt von der nationalen Einheitsbewegung in Italien. Der europäische Hochimperialismus seit etwa 1880 weckte nationale Selbstbesinnung in der islamischen, insbesondere arabischen Welt. Befreiungsbewegungen entstanden aber ζ. B. auch in der Kolonie Britisch-Indien (Gründung des All-Indischen Nationalkongresses 1885), in der Halbkolonie

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Befreiungsbewegungen

China (Gründung der Kuo Min Tang 1912), in Südafrika (Gründung des Afrikanischen Nationalkongresses 1912). Die unterworfenen nationalen Minderheiten des Russischen und Chinesischen Reiches versuchten sich nach dem Ende des 1. Weltkrieges zu befreien, scheiterten jedoch mit Ausnahme der Finnen (ζ. B. Eroberung Grusiniens durch die russischen Bolschewiki 1921; Annexion der baltischen Republiken durch die UdSSR 1940; Niederwerfung des Aufstandes in Tibet durch die Volksrepublik China 1959). In Palästina (-»• Nahost) stoßen seit 1917 die zionistische Siedlungsbewegung von Juden, die sich eindeutig als nationale Befreiungsbewegung versteht, und der arabische Nationalismus zusammen. Nach dem Ende des 2. Weltkrieges setzten Befreiungsbewegungen in Süd- und Südostasien, in Nord- und Tropisch-Afrika binnen weniger Jahre die -> Entkolonialisierung durch. Bewaffneter Kampf großen Stils war dabei nur in Vietnam (1946—54) und Algerien ( 1 9 5 4 - 6 2 ) gegen Frankreich sowie in den portugiesischen Afrika-Kolonien (1961—74;-»· portugiesische Kolonialgebiete) erforderlich; in Rhodesien (-> Südliches Afrika) begann aktive Guerilla 1972. Kriege, bei denen sich mindestens eine Partei als Befreiungsbewegung verstand, waren in jüngster Zeit vor allem der zweite Vietnam-Krieg (1958—75), der Bürgerkrieg im Sudan ( 1 9 5 5 - 7 2 ) , der Biafra-Krieg (1967-70) (-> Nigeria), der Krieg um Bangla Desh ( 1 9 7 0 - 7 1 ) (->· Indischer Subkontinent), sowie die Kriege zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn 1 9 4 8 - 4 9 , 1956,1967 und 1973 (-> Nahost). Typologie der Befreiungsbewegungen Die Unterscheidung verschiedener Typen von Befreiungsbewegungen ist noch problematischer als die Abgrenzung der Befreiungsbewegungen insgesamt von revolutionären Strömungen. Bestimmte Typen treten dennoch hervor: (1) Bewegungen, welche die Errichtung (oder Wiedererrichtung) eines eigenen Staates für ein Volk anstreben, das als gesellschaftliche Einheit (in der Regel mit gemeinsamer Sprache, Kultur und Geschichte) bereits seit langem existiert, aber unter Fremdherrschaft steht. Das klassische Beispiel ist das polnische Freiheitsstreben im 19. und frühen 20. Jahrhundert. (2) Verwandt mit Typ (1) sind die Irredenta-Bewegungen. Sie erstreben den Anschluß von Volksteilen, die (noch) unter Fremdherrschaft stehen, an einen bereits bestehenden Nationalstaat. Das klassische Beispiel liefert Italien zwischen 1861 und 1918. Gegenwärtig gehört der Anspruch Somalias auf die von Somali bewohnten Provinzen der Nachbarstaaten zu diesem Typ. (3) Bewegungen, die eine informelle Fremdherrschaft über einen Staat bekämpfen. Das klassische Beispiel sind die rivalisierenden Nationalbewegungen Chinas im 20. Jahrhundert, die Kuo Min Tang und die Kommunistische Partei. Die Nationale Befreiungsfront SüdVietnams (offiziell gegründet 1960) gehörte zu diesem Typ, ebenso die Castro-Bewegung auf Kuba. Dieser Typ bildet das Bindeglied zu den revolutionären Bewegungen. (4) Bewegungen, die ebenfalls gegen Fremdherrschaft kämpfen, dies aber im Namen eines Volkes tun, das sich als solches erst durch die Fremdherrschaft gebildet hat — oder das sogar erst in Entstehung begriffen ist. Diesem Typ gehörten die allermeisten Befreiungsbewegungen in Afrika an, aber ζ. B. auch die Bewegung, die zur Gründung des Staates Bangla Desh geführt hat: Denn er umfaßt keineswegs alle Bengalen (ein durch Sprache und Geschichte definiertes Volk), sondern nur die Bengalen im 1947 gebildeten Ost-Pakistan (-»• Indischer Subkontinent). Auch die „Palästinensische Befreiungs-Organisaton" (PLO) bzw. die in ihr zusammengeschlossenen Gruppen sind eine Befreiungsbewegung dieses Typs, denn eine gesellschaftliche Einheit der arabischen Palästinenser gibt es erst (frühestens) seit der Abgrenzung des britischen Mandatsgebiets Palästina 1922. Viele Befreiungsbewegungen dieses Typs betrachteten bzw. betrachten es als ihre Hauptaufgabe, im Vollzug des antikolonialen Kampfes (ob bewaffnet oder gewaltfrei) das Bewußtsein nationaler Zusammengehörigkeit unter den Kolonisierten erst zu wecken (-» Entkolonialisierung).

Typologie der Befreiungsbewegungen

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(5) Bewegungen, die eine unterdrückte Volks- oder Rassengruppe politisch und gesellschaftlich befreien, dabei aber nicht unbedingt einen neuen Staat gründen wollen. Diese Befreiungsbewegungen stehen am stärksten in der Tradition der nordamerikanischen Revolution von 1776, die dann allerdings doch dem neuen Staat USA den Weg bahnte. „BlackPower"-Bewegungen in den USA, der (gemäßigte) schottische oder baskische Nationalismus gehören zu diesem Typ, vor allem aber die schwarzen Befreiungsbewegungen in der Republik Südafrika, soweit sie eine „multi-rassische" oder „rassenblinde" Gesellschaft anstreben. (6) Schließlich Bewegungen, die nicht primär ein Volk in seinem gegenwärtigen Wohngebiet befreien wollen, sondern die „Befreiung eines Landes" fordern, in dem das Volk, für das sie sprechen, dann erst angesiedelt werden soll. Diesem Typ gehörte die zionistische Bewegung an. Die PLO ist ihm zuzurechnen, soweit sie ihr Ziel in der Zerstörung des Staates Israel und der Vertreibung oder Vernichtung jüdischer Bevölkerung sieht, u m wieder Platz für ein überwiegend von Arabern besiedeltes Palästina zu schaffen.

Die wichtigsten 1975 aktiven

Befreiungsbewegungen

Die OAU hatte bis 1975 u. a. folgende Befreiungsbewegungen aus afrikanischen Ländern unter weißer Minderheits-Herrschaft anerkannt: — aus der Republik Südafrika: den Afrikanischen Nationalkongreß (ANC; gegründet 1912) und den Pan-Afrikanischen Kongreß (PAC; gegründet 1959); der PAC hatte sich kurz vor dem Verbot beider Organisationen durch die südafrikanische Regierung (1960) vom ANC abgespalten; beide Befreiungsbewegungen bereiten bewaffneten Kampf vor; der ANC gehört zu einer Gruppe von Befreiungsbewegungen, die von der Sowjetunion Unterstützung erhalten; es besteht Rivalität zwischen ANC und PAC (Typ 5); — aus Namibia: die Volksorganisation Südwestafrikas (SWAPO; gegründet 1959); sie fuhrt bewaffneten Kampf und wird von den Vereinten Nationen seit 1973 als „authentischer Vertreter des namibischen Volkes" bezeichnet (GA Res. 3111 (XXVIII) vom 12.12.1973), während die anderen afrikanischen Befreiungsbewegungen nur als „authentische Vertreter der wahren Bestrebungen" der betreffenden Völker gelten; SWAPO wird von der Sowjetunion gefördert (Typ 5); — aus Rhodesien: die Afrikanische Volksunion von Zimbabwe (ZAPU; gegründet 1961) und die Afrikanische Nationalunion von Zimbabwe (ZANU; gegründet 1963); beide behaupten, bewaffneten Kampf zu führen, jedoch gehört die seit 1972 aktive Guerilla zur ZANU; es besteht starke Rivalität, wobei ZAPU sich auf sowjetische und ZANU auf chinesische Sympathie berufen kann (Typ 4 oder 5); — aus Mozambique: die Befreiungsfront fiir Mozambique (FRELIMO; gegründet 1962), deren bewaffneter Kampf 1964 begann und 1974 mit der Übernahme der Regierungsgewalt endete; während des Kampfes arbeitete die FRELIMO sowohl mit der Volksrepublik China wie mit der UdSSR zusammen (Typ 4); — aus Angola: die Volksbefreiungsbewegung (MPLA; gegründet 1956) und die Nationale Befreiungsfront (FNLA; gegründet 1962 durch Zusammenschluß älterer Gruppen); beide begannen 1961 bewaffneten Kampf — aber nicht nur gegen die Kolonialregierung, sondern auch gegeneinander; MPLA wurde von der Sowjetunion unterstützt, FNLA von Zaire (angeblich auch von den USA) und seit 1973 von der Volksrepublik China; seit 1964 besteht außerdem als Abspaltung von der FNLA die Union für die volle Unabhängigkeit Angolas (UNITA) (Typ 4); 1975/76 besiegte die MPLA in einem konventionellen Krieg mit sowjetisch-kubanischer Hilfe ihre Rivalen und setzte sich als Alleinregierung Angolas durch; — aus Guinea-Bissau: die Afrikanische Unabhängigkeitspartei für Guinea und die Kapverdischen Inseln (PAIGC; gegründet 1956), deren bewaffneter Kampf 1963 begann und 1974 mit der Anerkennung der unabhängigen Republik Guinea-Bissau durch Portugal endete. Ihr am 20. Januar 1973 ermordeter Generalsekretär Amilcar Cabrai ist der wichtigste Theoreti-

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Befreiungsbewegungen

ker der modernen afrikanischen Befreiungsbewegungen, soweit sie zu bewaffnetem Kampf schritten. Die PA1GC arbeitete vor allem mit der UdSSR zusammen (Typ 4). Eine Aufzählung der von der OAU anerkannten Befreiungsbewegungen aus kleineren Gebieten (Seychellen, Komoren, Kanarische Inseln usw.) kann hier unterbleiben, da keine von ihnen eine wichtige Rolle gespielt hat. Die PLO wurde 1964 von den Chefs der arabischen Staaten gegründet und war zunächst (unter der formellen Führung von Ahmed Shukeiry) ein Instrument der ägyptischen Außenpolitik. Nach 1967 setzte sich die Gruppe Al Fatah (arabisch „militärischer Sieg"; gegründet 1965) unter Yassir Arafat als stärkster Bestandteil der PLO durch. Die 7. Arabische Gipfelkonferenz in Rabat (Oktober 1974) hat die PLO gegen jordanischen Widerstand als „absoluten Vertreter des palästinensischen Volkes" anerkannt (Typ 6). Außerdem spielten 1975 folgende Befreiungsbewegungen eine internationale Rolle: — die Irische Republikanische Armee (IRA) als Trägerin der katholischen Stadtguerilla in Nordirland, sie entstand im Freiheitskrieg Irlands 1919—21, führt aber auch in der Republik Irland eine Untergrund-Existenz; seit 1969 ist sie in die sozialistische „offizielle" IRA und die konservative, terroristische „provisorische" IRA gespalten (Typ 2); — die Befreiungsfront für Eritrea (ELF); sie begann 1961 eine Guerilla gegen die äthiopische Herrschaft über das frühere italienische Kolonialgebiet; die ELF wird von Saudi-Arabien und anderen arabischen Staaten unterstützt (Typ 4); — die Nationale Befreiungsfront in Süd-Vietnam (FNL); offiziell 1960 gegründet, faktisch eine Wiederbelebung des Viet Min, der den Befreiungskrieg in ganz Vietnam gegen Frankreich 1946—54 getragen hatte, und demgemäß von der Regierung Nord-Vietnams beeinflußt; 1969 bildete die FNL eine Provisorische Revolutionäre Regierung (GRP) für die von ihr beherrschten Zonen Süd-Vietnams. 1975 übernahm die FNL die Regierungsgewalt in Saigon (Typ 3); — die Regierung der Nationalen Einheit Kambodschas (GRUNC); im Pekinger Exil von Prinz Sihanouk nach seinem Sturz als kambodschanischer Staatschef 1970 gebildet; die kommunistischen und verbündeten Streitkräfte, die sich auf GRUNC berufen, übernahmen 1975 die Macht in Kambodscha (Typ 3); — die Pathet Lao (Freies Laos) in Laos, die unter Führung des Prinzen Souvannuvong während des 1. Vietnamkrieges entstand; seit Abschluß des „Abkommens über die Wiederherstellung des Friedens und Herbeiführung der nationalen Einheit" vom 21. Februar 1973 war sie paritätisch an der Regierung Souvanna Phuma beteiligt. Im Jahre 1974/75 flammten die Kämpfe wieder auf; am 3. Dezember 1975 setzten sich die Pathet Lao voll durch (Typ i); — der radikale Flügel der griechisch-zyprischen Nationalbewegung, die auch nach der staatlichen Unabhängigkeit (1959) fortbestehende EOKA; sie stürzte am 15. Juli 1974 vorübergehend Präsident Makarios und löste damit die kriegerische Intervention der Türkei aus (Typ 2) (-+ Zypern); — die Befreiungsfront für Québec (FLQ), die 1970 durch Terror von sich reden machte, ist in letzter Zeit nicht mehr in Erscheinung getreten (Typ 1); — die Volksfront für die Befreiung Omans, die hauptsächlich in Dhofar operiert und Ende 1972 einen Putsch gegen den Sultan von Oman versuchte.

Völkerrechtliche

und politische

Probleme

In Art. 3 Abs. 6 c des Aktionsprogramms der Vereinten Nationen vom 12. Oktober 1970 (GA Res. 2621 (XXV)) zur Durchsetzung der Entkolonialisierungs-Resolution (Res. 1514 (XV) vom 14.12.1960) heißt es: „Die Vereinten Nationen oder andere Internationale Organisationen in deren System sollen, wenn immer notwendig, Vertreter von Befreiungsbewegungen einladen, in einer angemessenen Eigenschaft an den Verhandlungen ihrer Organe

Völkerrechtliche und politische Probleme

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teilzunehmen, soweit sie sich mit ihren Ländern befassen". A m 27. September 1972 lud der 4. Hauptausschuß der Generalversammlung (-»• Ausschußsystem) die von der O A U anerkannten Befreiungsbewegungen ein, als Beobachter an seinen Beratungen über die Kolonialgebiete Afrikas teilzunehmen. Gegen diesen Vorschlag stimmten damals nur 13 Delegationen darunter die USA, Frankreich und Großbritannien; es wurden 79 Ja-Stimmen und 16 Enthaltungen gezählt. A m 14. Oktober 1974 lud die Generalversammlung die P L O ein, als „Repräsentant des palästinensischen V o l k e s " an ihren Plenarberatungen über Palästina teilzunehmen; diesmal war die Mehrheit noch erdrückender: 105 Ja-Stimmen gegen 4 NeinStimmen bei 20 Enthaltungen; Yassir Arafat sprach am 13. November 1974 vor der Generalversammlung. Durch diese Beschlüsse wurde die Rolle der Befreiungsbewegungen als selbständige Akteure der internationalen Politik und als mögliche Subjekte des Völkerrechts aktuell. Zwar sind Befreiungsbewegungen nichts völlig Neues im System der Vereinten Nationen: Das Treuhandsystem (->· Treuhandrat) brachte es mit sich, daß Sprecher der Antikolonial-Bewegungen ζ . B. aus T o g o und Kamerun schon 1951 bzw. 1952 vor dem 4. Hauptausschuß der Generalversammlung erschienen. Aber sie kamen gem. Art. 87 lit. b als Petitionäre, nicht als Beobachter oder gar beratende Teilnehmer. Eine solche Aufwertung der Befreiungsbewegungen wurde erst möglich, als die „neuen" Staaten Asiens und vor allem Afrikas die Mehrheit in der Generalversammlung zu bilden begannen ( - » Nord-Süd-Konflikt). Denn viele ihrer Regierungen waren wenige Jahre zuvor selbst noch antikoloniale Befreiungsbewegungen. Allerdings sind auch die etablierten Regierungen Afrikas und Asiens nicht frei von Mißtrauen gegenüber den Befreiungsbewegungen. Die O A U läßt die Vertreter der von ihr anerkannten Organisationen erst seit 1973 als Beobachter zu den Beratungen ihres „Befreiungsausschusses" zu, in dem nur die Vertreter von 17 Mitgliedstaaten Stimmrecht haben; vorher (seit 1963) traten die Befreiungsbewegungen dem Befreiungsausschuß als Bittsteller gegenüber. — In der Arabischen Welt führten die Konflikte zwischen der P L O und Jordanien im September 1970 zu schweren Kämpfen. — Daß alle Staaten solche Befreiungsbewegungen, die gegen die eigene oder befreundete Regierungen ankämpfen, als „subversive K r ä f t e " verurteilen, versteht sich von selbst; das gilt für die afrikanischen Staaten gegenüber der Eritreischen Befreiungsfront genauso wie für den Irak gegenüber der kurdischen Nationalbewegung, für die UdSSR gegenüber ukrainischen, für die Volksrepublik China gegenüber tibetanischen Nationalisten, für die britische Regierung gegenüber der I R A wie für Südafrika gegenüber A N C , P A C oder SWAPO, oder für Israel gegenüber der P L O . Da also für den einen Staat dieselbe Organisation, die sein Gegner als Subjekt des Völkerrechts aufwerten möchte, ein Gesetzesbrecher ist, kann der Status von Befreiungsbewegungen nicht allgemein und verbindlich geklärt werden, solange anerkanntermaßen in erster Linie die souveränen Staaten als Völkerrechts-Subjekte gelten. Der Status von Befreiungsbewegungen ist vor allem dann unklar, wenn sie es ablehnen, eine Exilregierung zu bilden. Über deren Status herrscht eine gewisse Klarheit vor allem seit dem 2. Weltkrieg, als zahlreiche europäische Exilregierungen in Großbritannien amtierten; jedoch beanspruchte schon damals das Freie Frankreich de Gaulles eine Sonderrolle: Es bildete eine provisorische Regierung erst am 3. Juni 1944 in Algier, das zum Gebiet der Französischen Republik gehörte. Von den in O A U und den Vereinten Nationen anerkannten afrikanischen Befreiungsbewegungen hat nur die F N L A 1962 eine Exilregierung gebildet, das G R A E in Kinshasa/ Zaire. G R A E wurde zunächst von vielen afrikanischen Staaten anerkannt, büßte diesen Status jedoch 1968 fast überall wieder ein. Deshalb hat keine andere Befreiungsbewegung bisher eine Exilregierung geschaffen, auch dort, w o die völkerrechtliche Illegalität eines weißen Minderheits-Regimes einen solchen Schritt nahelegt: Das ist der Fall in Rhodesien seit der „einseitigen Unabhängigkeitserklärung" der weißen Regierung ( v o n Großbritannien) 1965, in Namibia seit der Aberkennung des südafrikanischen Mandats durch die Generalversammlung 1966. In Guinea-Bissau hat die P A I G C 1973 ausdrücklich keine Exilregierung gebildet, sondern die staatliche Unabhängigkeit ausgerufen; der Sitz der neuen Regierung war in den

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Befreiungsbewegungen

befreiten Gebieten auf nationalem Territorium. Die PLO hat ägyptischem Druck, eine palästinensische Exilregierung zu bilden, bislang nicht nachgegeben. Der Grund für diese Scheu der Befreiungsbewegungen gegenüber dem völkerrechtlich einigermaßen abgesicherten Institut einer Exilregierung ist vor allem in ihrer Sorge zu suchen, der Aufenthaltsstaat könnte zu starken Einfluß auf sie gewinnen. Ferner dürfte die algerische Erfahrung eine Rolle spielen: 1958 bildete die Befreiungsfront FLN in Tunis eine Provisorische Regierung der Algerischen Republik (GPRA). Diese führte zwar erfolgreich die Verhandlungen mit Frankreich 1961—62, verlor danach aber die Macht im freien Algerien an andere politische Kräfte. Das Argument, eine Befreiungsbewegung könne auch ohne Bildung einer Exilregierung Subjekt des Völkerrechts sein, geht von Art. 1 und 55 aus; dort ist von „Selbstbestimmung der Völker" (-* Selbstbestimmungsrecht) die Rede. Als Repräsentant des Volkes in provisorischer Rechtsgemeinschaft bietet sich die Befreiungsbewegung an, zumal in Fällen, wo die Kolonialregierung keine andere politische Vertretung des Volkes erlaubt. Im Lichte dieser Betrachtung kommt den Formeln, welche die afro-asiatischen und kommunistischen Staaten in den Vereinten Nationen zur Qualifizierung der Befreiungsbewegungen durchsetzen können, hohe Bedeutung zu. Die Generalversammlung nannte 1973 die afrikanischen Befreiungsbewegungen in der Regel „. . . authentic representatives of the true aspirations of the people . . . " und ging nur bei der SWAPO einen Schritt weiter. Im Sicherheitsrat wurde 1972 ein Resolutionsentwurf der afrikanischen Mitglieder zurückgezogen, der die Befreiungsbewegungen als „legitime Vertreter der Völker . . ." ansprach; man fürchtete offenbar das Veto eines ständigen Mitglieds aus der westlichen Gruppe. In logischer Folge des Arguments, daß ein durch eine Befreiungsbewegung repräsentiertes Volk Subjekt des Völkerrechts ist, ist der bewaffnete Kampf einer Befreiungsbewegung gegen eine Kolonialregierung kein Bürgerkrieg mehr, sondern ein dem Kriegsrecht unterliegender internationaler Konflikt. Soldaten einer Befreiungsbewegung würden dann unter den Schutz der Rotkreuz-Abkommen von 1949 fallen und dürften von der gegnerischen Partei nicht mehr als „Terroristen" verurteilt werden — solange sie ihrerseits die Genfer Konventionen einhalten. Aus diesem Grunde hat die Genfer Diplomatische Konferenz über Humanitäres Völkerrecht am 22. März 1974 beschlossen, daß „bewaffnete Konflikte, in denen Völker gegen Kolonialherrschaft und fremde Besetzung sowie gegen rassistische Regimes kämpfen . . . " , in den Anwendungsbereich der zu revidierenden Rotkreuz-Abkommen einzubeziehen seien. Dieser Beschluß wurde mit 70 gegen 21 Stimmen bei 13 Enthaltungen gefaßt. Dagegen stimmten u. a. die USA, Großbritannien, Frankreich, Südafrika, Portugal, Israel sowie die Bundesrepublik Deutschland; dafür stimmten die kommunistischen und fast alle afro-asiatischen Staaten, sowie als einziges NATO-Mitglied Norwegen. Wenn Befreiungsbewegungen die Rechte kriegfuhrender Staaten erhalten sollen, müßten sie auch deren Pflichten übernehmen. Der PLO-Chef Arafat erklärte im November 1974, seme Organisation halte die fünf Palästinenser in Haft, die am 17. Dezember 1973 auf dem Flughafen von Rom 31 Menschen töteten. Bisher hat aber weder die PLO noch eine der in ihr zusammengeschlossenen Gruppen erkennen lassen, daß sie sich an das Genfer Abkommen zum Schutze von Zivilpersonen in Kriegszeiten irgendwie gebunden fühlt. Afrikanische Befreiungsbewegungen argumentierten auf einem OAU-Seminar über humanitäres Völkerrecht (Daressalaam, Januar 1974), daß sie wichtige Vorschriften in einer Guerilla nicht einhalten können, daß insbesondere eine Unterscheidung zwischen Kombattanten und Zivilisten für sie nicht in Frage komme. Dennoch nahm ein OAU-Sprecher auf diesem Seminar für die Befreiungsbewegungen ein ,,. . . ius ad bellum im Rahmen der legitimen Selbstverteidigung . . ." in Anspruch. Die Generalversammlung bestätigte schon am 30. November 1970 (Res. 2649 (XXV)) ein angebliches Recht kolonisierter Völker, die Selbstbestimmung „ . . . by any means at their disposal . . ." durchzusetzen. Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen sind dagegen bekanntlich unter Kap. VI und Art. 1 gehalten, bei der Durchsetzung ihrer Rechte auf die ultima ratio des Krieges zu verzichten. Stellt die Aufrechterhaltung einer Herrschaft, die von

Beistandspflicht

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einer Befreiungsbewegung angefochten wird, eo ipso eine Aggression dar, gegen die Selbstverteidigung gem. Art. 51 erlaubt wäre? Selbst wenn man das bejaht, bleibt die Befreiungsbewegung in einer unklaren Position. Denn ein Mitgliedstaat, der Art. 51 in Anspruch nimmt, muß dies sofort dem Sicherheitsrat anzeigen. Keine Befreiungsbewegung hat dies bei Aufnahme ihres bewaffneten Kampfes bisher getan. Die Politik der Mehrheit in den Vereinten Nationen läuft somit darauf hinaus, Befreiungsbewegungen gegenüber den staatlichen Gewalten, die von ihnen bekämpft werden, zu privilegieren. Der Aufständische wird zum Verteidiger, die Staatsgewalt zum Angreifer gestempelt. Freilich soll diese Theorie nicht allgemein gelten. Die Mehrheit in den Vereinten Nationen setzt sie bisher nur gegen Südafrika, gegen Israel, gegen das rhodesische Regime (und bis 1974 gegen Portugal) ein. Im Bereich aller anderen Staaten der Erde gibt es für die Vereinten Nationen offiziell keine Befreiungsbewegungen, sondern nur legitime Staatsgewalt, die sich gem. Art. 2 Ziff. 7 jedes „Eingreifen in Angelegenheiten, die ihrem Wesen nach zur inneren Zuständigkeit. . ." gehören, energisch verbittet, ganz besonders wenn sie „subversive Elemente" unterdrückt. Es ist zu befürchten, daß die Vertreter der gegenwärtigen Mehrheit in den Vereinten Nationen in der Frage der Befreiungsbewegungen bewußt mit zweierlei Maß messen, was weder der Entwicklung des Völkerrechts noch dem Weltfrieden auf die Dauer dienen kann. Literatur Ansprengen Die Befreiungspolitik der OAU 1963 bis 1975, München / Mainz 1975 Cabrai: Die Revolution der Verdammten, Berlin 1974 Gibson: African Liberation Movements, London etc. 1972 Harkabi: Israel und Palästina, Stuttgart 1974 Quandt et al.: The Politics of Palestinian Nationalism, Berkeley etc. 1973 Pierson-Mathy: Les Luttes de Libération en Afrique Australe au Regard du Droit International, in: Cahiers du Libre Examen 1972 Scharffenorth / Huber (Hrsg.): Bibliographie in: Neue Bibliographie zur Friedensforschung, Stuttgart / München 1973 Tomuschat: Die Befreiungsbewegungen in den Vereinten Nationen, in: VN 1974 S. 65, 110 Franz Ansprenger Verweise auf: Ausschußsystem; Entkolonialisierung; Indischer Subkontinent; Nahost; Nigeria; Nord-Süd-Konflikt; Portugiesische Kolonialgebiete; Selbstbestimmungsrecht; Südliches Afrika; Treuhandrat; Zypern.

Beistandspflicht Begriff und

Begriffsgeschichte

Der Ausdruck „Beistandspflicht", der in dieser Form auf den deutschen Sprachraum begrenzt ist — das Englische und Französische verwenden Umschreibungen in Verbindung mit dem Begriff „assistance, assistence" - , bezeichnet ursprünglich die (hauptsächlich militärischen) Hilfeleistungspflichten im Rahmen von Bündnissen. Da diese bis zum 2. Weltkrieg fast ausschließlich als vertraglich begründete, nicht organisierte Staatenverbindungen auftraten, bezog sich die Beistandspflicht auf das gegenseitige Verhältnis der verbündeten Staaten. Erst

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Beistandspflicht

seit dem A u f k o m m e n organisierter Bündnissysteme nach dem 2. Weltkrieg (->• Regionalabkommen) wird die Beistandspflicht im Rahmen von Bündnissen in erster Linie als eine Verpflichtung gegenüber der Organisation verstanden. Vorläufer dieser Konzeption sind aber auch schon in organisierten Staatenverbindungen mit über einen Bündniszweck hinausgehenden politischen Zielsetzungen anzutreffen (vgl. die Bundestreue im Staatenbund), wobei auch hier der Terminus „Beistandspflicht" auf den militärischen Bereich beschränkt bleibt u n d somit einen besonderen Kreis von Mitgliedschaftspflichten bezeichnet. Derselbe Sprachgebrauch wurde auf den Völkerbund und wird heute auf die Vereinten Nationen angewandt. Hier ist allerdings der Zweck der Beistandspflicht, anders als bei den Bündnissen, nicht die Abwendung einer von außen k o m m e n d e n Gefahr, sondern vielmehr die Bekämpfung einer satzungswidrigen Friedenspflichtverletzung im Inneren. Die Völkerbundsatzung (->• Völkerbund) wollte - der allianzfeindlichen Einstellung des amerikanischen Präsidenten Wilson folgend — die Bündnisse, wie sie vor dem 1. Weltkrieg bestanden hatten (Offensivbündnisse und Geheimabsprachen) verbieten. Art. 20 Völkerbundsatzung verpflichtete die Bundesmitglieder zur Aufhebung von mit der Satzung unvereinbaren Verpflichtungen und Abmachungen. Stattdessen sollte die Gewaltanwendung in den zwischenstaatlichen Beziehungen durch die Bundesorgane kanalisiert werden (-» Friedens- und Kriegsbegriff), zu welchem Zweck in Art. 16 Völkerbundsatzung ein System von -»· Sanktionen mit einer entsprechenden Beistandspflicht der Bundesmitglieder gegenüber einem rechtswidrig angegriffenen Mitgliedstaat und gegenüber dem Bund vorgesehen wurde. In der Praxis versagte dieses System, und die Mitglieder fühlten sich durch Art. 20 der Satzung nicht gehindert, weiterhin Bündnisse abzuschließen, die als Defensivbündnisse deklariert wurden. Die Vereinten Nationen gingen bekanntlich aus dem Kriegsbündnis der Alliierten gegen die Achsenmächte hervor (-> Entstehungsgeschichte). Aus diesem Grunde haben sich in der Charta einige Bestimmungen erhalten, die die Bündnisbeziehungen, die 1945 zwischen den Gründerstaaten bestanden, für unberührt erklären. Neben der besonderen Problematik der Feindstaatenklauseln (Art. 53, 107) ist hier Art. 106 zu nennen, der den alliierten Hauptmächten vorläufig auch generell eine besondere Verantwortung in bezug auf die Erhaltung des Friedens und der internationalen Sicherheit zuerkannte. Neue Beistandspflichten dieser Staaten untereinander wurden dadurch jedoch nicht begründet. Abgesehen von diesen das Kriegsbündnis für bestimmte Zwecke konservierenden Bestimmungen führt die Charta jedoch den in der Völkerbundsatzung bereits angelegten Gedanken eines „nach innen gerichteten Bündnisses" fort, der ihrem universellen Charakter allein adäquat ist (->• Kollektive Sicherheit). Dabei bemühten sich die Gründer der Vereinten Nationen, von den Erfahrungen des Völkerbundes ausgehend, einerseits, die Beistandspflicht der Mitgliedstaaten gegenüber der Organisation allgemein und insbesondere im Fall der Verhängung von Sanktionen genauer zu regeln, andererseits, die Satzungskonformität der Beistandsleistungen der Staaten untereinander, insbesondere im Rahmen regionaler Bündnisse, sicherzustellen. Beistandspflichten

der Mitglieder gegenüber den Vereinten

Nationen

Aus den allgemeinen Mitgliedschaftspflichten der Staaten nach der Charta (vgl. Art. 2 Ziff. 2: die Satzungsbestimmungen nach Treu und Glauben zu erfüllen) ragen diejenigen Verpflichtungen heraus, die einen direkten Bezug zu dem Hauptziel der Vereinten Nationen, der Erhaltung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit (Art. 1 Ziff. 1) haben (-»· Friedenssicherung). Sie bestehen im wesentlichen in der primären Pflicht der Mitglieder, keine Aggression oder sonstige Verletzung des Gewaltsverbots zu begehen (Art. 2 Ziff. 4), und in der sekundären Pflicht, fallsein solcher A k t doch vorkommt, die dagegen gerichteten Maßnahmen („action") der Organisation in jeder Weise zu unterstützen und dem Staat, gegen den diese Maßnahmen ergriffen werden, keinerlei Hilfe angedeihen zu lassen (Art. 2 Ziff. 5).

Beistandspflichten der Mitglieder gegenüber den Vereinten Nationen

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Da die Generalversammlung bloße Empfehlungen aussprechen kann ( A r t . 10) und die Satzung den Ausdruck „ a c t i o n " im weiteren nur für Maßnahmen des ->• Sicherheitsrates verwendet (vgl. insbesondere Art. 42), kann von einer echten Beistandspflicht der Mitglieder nur in bezug auf den Sicherheitsrat gesprochen werden. In der Praxis ist allerdings ein heftiger Streit darüber entbrannt, ob nicht auf dem Umweg der Finanzierung eine Art indirekter Beistandspflicht aller Mitglieder bei sämtlichen von der Generalversammlung ( ζ . B. U N E F I ) oder dem Sicherheitsrat (z. B. O N U C ) beschlossenen, wenn auch nur mit der freiwilligen Hilfe einiger Mitgliedstaaten durchgeführten Friedenssicherungsmaßnahmen (peace-keeping operations, -»• Streitkräfte der Vereinten Nationen) besteht, da die Generalversammlung nach Art. 17 das Budget und den Beitragsschlüssel für alle Mitglieder bindend festsetzt. Der IGH hat dies in seinem Gutachten über Certain expenses o f the United Nations (ICJ Reports 1962 p. 151) bejaht, in der folgenden Verfassungskrise der Vereinten Nationen (Generalversammlung 1964: versuchte Anwendung des Art. 19 gegenüber zahlungsunwilligen Mitgliedern) ist die Frage aber ungelöst geblieben und bis heute nicht geklärt ( - * Stimmrecht). Was die direkte Folgeleistungspflicht gegenüber den Beschlüssen des Sicherheitsrates betrifft, so ist sie gem. der Staffelung der Kompetenzen des Sicherheitsrates gegliedert. In den allgemeinen Kompetenzbestimmungen für den ->• Sicherheitsrat ist festgestellt, daß der Rat bei der Wahrnehmung seiner Kompetenzen auf dem Gebiet der Friedenswahrung, für die er die Hauptverantwortung trägt, im Namen der Mitglieder handelt ( A r t . 24 Abs. 1). Daraus hat man — wohl verfehlterweise — eine Kompetenz des Rates ableiten wollen, auch ohne die Voraussetzungen des V I I . Kapitels (-> Sanktionen) bindende Beschlüsse zu fassen, der eine allgemeine Folgeleistungspflicht der Mitglieder gem. A r t . 25 entsprechen würde. Vorherrschend dürfte jedoch immer noch die Auffassung sein, daß diese Bestimmung mit dem Ausdruck „decisions" nur die bindenden Beschlüsse nach dem V I I . Kapitel im Auge hat. Im V I I . Kapitel wird zwischen Empfehlungen ( A r t . 39, 4 0 ) und Beschlüssen des Sicherheitsrates unterschieden. Nur hinsichtlich der letzteren kann von einer Beistandspflicht der Mitglieder gesprochen werden. Nach Art. 48 Abs. 1 entscheidet der Sicherheitsrat im Einzelfall, ob diese von allen oder nur von einzelnen Mitgliedern in Anspruch genommen wird. Nach Abs. 2 können die Mitglieder den angeforderten Beistand unmittelbar oder durch andere internationale Organisationen, insbesondere -»• Regionalabkommen (vgl. Art. 53), leisten. In jedem Fall sind sie aber gem. Art. 49 zur gegenseitigen Hilfeleistung bei der Durchführung der Sicherheitsratsbeschlüsse verpflichtet. Wenn sie dadurch in besondere wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten, haben sie gem. Art. 50 das Recht, den Rat anzurufen (dasselbe gilt kraft ausdrücklicher Anordnung für Nichtmitgliedstaaten in vergleichbarer Lage). Die soeben erwähnten Regelungen der Beistandspflicht gelten allgemein für alle Sanktionen des Sicherheitsrates. Es muß des weiteren jedoch zwischen nichtmilitärischer und militärischer Beistandsleistung unterschieden werden. Während bei den nichtmilitärischen Maßnahmen in Art. 41 lediglich die Arten möglicher Beistandsleistungen demonstrativ aufgezählt sind (vollständige oder teilweise Unterbrechung der wirtschaftlichen Beziehungen, der Eisenbahn-, Schiffs-, Luft-, Post-, Telegrafen-, Radio- und sonstigen Verbindungen sowie Abbruch der diplomatischen Beziehungen), ist die militärische Beistandsleistung in den Art. 43 seq. näher geregelt. Sie kann gem. A r t . 42 Demonstrationen, Blockade und andere Operationen von Luft-, See- oder Landstreitkräften von Mitgliedern der Vereinten Nationen umfassen. Nach dem in der Charta vorgesehenen System sollten die militärischen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten schon vor der Aktualisierung von Sanktionsbeschlüssen beginnen. Zu deren Überwachung ist dem Sicherheitsrat satzungsmäßig ein eigenes ständiges Hilfsorgan, der Generalstabsausschuß (Military Staff Committee, Art. 47), beigegeben worden. In der Praxis ist dieser Ausschuß zwar gebildet worden, hat aber schon bald nicht mehr funktioniert (-> Streitkräfte der Vereinten Nationen). Seine Aufgaben auf dem Gebiet der Rüstungs-

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Beistandspflicht

kontrolle und -» Abrüstung (Art. 26, 47 Abs. 1) sind von anderen Organen (Generalversammlung und Abrüstungskommission und -ausschuß) übernommen worden, und diejenigen auf dem Gebiet der Vorbereitung des kollektiven Sicherheitssystems der Vereinten Nationen unerfüllt geblieben (->• Kollektive Sicherheit; Streitkräfte der Vereinten Nationen). Insbesondere sind die in Art. 4 3 vorgesehenen besonderen Beistandsabkommen des Sicherheitsrates mit den Mitgliedstaaten (über die Zurverfügungstellung von Streitkräften, Hilfe und Begünstigungen einschließlich Durchmarschrechten — noch näher spezifiziert in Art. 4 3 Abs. 2 und hinsichtlich sofort verfügbarer Luftstreitkräfte in Art. 45) trotz der Zeitbestimmung in Abs. 3 („as soon as possible") bisher nicht abgeschlossen worden. Der Konzeption nach sollten durch diese A b k o m m e n im Rahmen der nach Abrüstungsmaßnahmen noch bestehenden, Rüstungskontrollen unterworfenen nationalen Armeen ständige Bereitschaftstruppen geschaffen werden, die im Einsatzfall nach Konsultation des betroffenen Mitgliedes (Art. 44) dem Sicherheitsrat rasch zur Verfügung gestellt werden und gemäß einem vom Generalstabsausschuß ausgearbeiteten Einsatzplan (Art. 46) unter dessen strategischer Leitung und einer noch zu bestimmenden Kommandostruktur (Art. 47 Abs. 3) zum Einsatz gebracht werden können. Dabei war eine Regionalisierung sowohl auf der Ebene der Streitkräfte (-»• Regionalabkommen) (Art. 53, 54) als auch beim Abschluß der Abkommen (mit „Staatengruppen" gem. Art. 4 3 Abs. 3) und in der Struktur des Generalstabsausschusses (regionale Unterausschüsse gem. Art. 47 Abs. 4) vorgesehen. Nach dem offensichtlichen Scheitern des ursprünglichen Charta-Konzepts der kollektiven Sicherheit wurden verschiedene Versuche unternommen, eine ständige Streitmacht der Vereinten Nationen auf anderer Basis, insbesondere zum Zwecke der Durchführung von friedenserhaltenden Operationen, zustandezubringen. Ihnen war jedoch ebenfalls kein Erfolg beschieden. Deshalb bestehen bis heute auch keine außersatzungsmäßigen Beistandspflichten von Mitgliedern der Vereinten Nationen auf diesem Gebiet, sondern bestenfalls politische Zusagen der Mitwirkungsbereitschaft mit für diesen Zweck besonders ausgebildeten Bereitschaftskontingenten (stand-by forces; -> Streitkräfte der Vereinten Nationen). Die Ostblockstaaten beharrten auch im Zusammenhang mit den friedenserhaltenden Operationen auf der Einhaltung der im VII. Kapitel enthaltenen ursprünglichen Chartabestimmungen, deren Anwendbarkeit in diesem Fall vom Westen und der Mehrheit der Mitglieder verneint wurde. Beistandsleistung

zwischen Mitgliedern der Vereinten

Nationen

Anders als die Völkerbundsatzung, nach deren Art. 16 Abs. 1 die militärische Beistandspflicht der Mitglieder in erster Linie gegenüber einem rechtswidrig angegriffenen Mitglied bestand, bezieht die Charta die Beistandspflicht der Mitglieder auf die Organisation (Sicherheitsrat). Der Beistand, den die Mitglieder einem entgegen dem Gewaltverbot angegriffenen Staat direkt leisten können, erscheint in der Form eines Rechts, nämlich des kollektiven Selbstverteidigungsrechts (Art. 51). Dieses ist jedoch nicht unbeschränkt, sondern durch die Charta bestimmten Regelungen unterworfen. Sie beziehen sich 1.) auf die Beschreibung der Situation, in der dieses Recht ausgeübt werden kann („armed attack"); 2.) auf seine Dauer (bis zur Ergreifung von Maßnahmen durch den Sicherheitsrat); 3.) die Unberührtheit der Kompetenzen des Sicherheitsrates und die Pflicht zur sofortigen Berichterstattung an diesen; sowie 4.) auf die Ausübung dieses Rechtes im Rahmen von regionalen Abmachungen u n d Organisationen (Art. 52—54). In diesen kann eine Beistandspflicht vorgesehen werden, sofern sie sich im Rahmen des von der Charta anerkannten Beistandsrechts hält (Art. 52 Abs. 1). Ferner sind die Regionalorganisationen verpflichtet, den Sicherheitsrat über sämtliche Aktivitäten zu informieren (Art. 54). Nicht als kollektive Selbstverteidigung zu rechtfertigende Zwangsmaßnahmen dürfen sie nur mit vorheriger Ermächtigung des Sicherheitsrates durchführen (Art. 53 Abs. 1). Auch diese das gegenseitige Beistandsrecht der Staaten beschränkenden Bestimmungen der Charta haben sich in der Praxis nicht als sonderlich wirksam erwiesen. Die Staaten haben

Nicht mitglied Staaten

39

sich darauf lediglich zur Rechtfertigung der Gründung der zahlreichen regionalen Bündnisorganisationen berufen, sich im übrigen aber bei ihren militärischen Aktivitäten wenig um die Charta gekümmert. Sonderprobleme

einzelner

Staaten

Die Schweiz war in den Völkerbund unter einem vom Rat anerkannten Neutralitätsvorbehalt eingetreten, der sie von der militärischen Beistandspflicht befreite, die nichtmilitärische jedoch unberührt ließ. In der Tat hat die Schweiz 1 9 3 5 - 3 6 an den wirtschaftlichen Sanktionen gegen Italien wegen des Angriffs auf Abessinien teilgenommen, ist jedoch 1936 durch eine Erklärung des Bundesrats zur „integralen Neutralität" zurückgekehrt. Im wesentlichen wegen dieser Erfahrungen ist sie bisher nicht Mitglied der Vereinten Nationen geworden, hat jedoch auch als Nichtmitglied an den Sanktionen gegen Rhodesien teilgenommen. Bei dem Beitritt Österreichs in die Vereinten Nationen 1955 ist ursprünglich ein ähnlicher Neutralitätsvorbehalt erwogen worden, in der Folge ist es aber nicht dazu gekommen. Der offizielle Standpunkt der österreichischen Bundesregierung zur Vereinbarkeit der Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen mit der kurz zuvor begründeten dauernden Neutralität stützt sich darauf, daß der Sicherheitsrat von Österreich kerne neutralitätswidrigen Leistungen verlangen werde, da dessen (ständige) Mitglieder die Neutralität anerkannt hätten und dadurch zu ihrer Achtung völkerrechtlich verpflichtet seien. Im Lichte des Vorrangs der Charta (Art. 103) kann die Richtigkeit dieser Auffassung allerdings angezweifelt werden. An den wirtschaftlichen Sanktionen gegen Rhodesien hat sich Österreich beteiligt. Nie h tmitgliedstaaten Nichtmitgliedstaaten kann keine bloß in der Charta begründete Rechtspflicht binden (pactatertiis-Regel). Soweit die Charta jedoch Normen des allgemeinen Völkerrechts bekräftigt, wie ζ. B. das Gewaltverbot, haben auch sie materiell gleiche Pflichten wie die Mitgliedstaaten, und die Organisation kann Maßnahmen ergreifen, um diese durchzusetzen. Darauf beruht der Gedankengang des Art. 2 Ziff. 6, wonach die Organisation berufen ist, auf dem Gebiet der Friedenssicherung ein chartakonformes Verhalten auch dieser Staaten sicherzustellen. Das kann ζ. B. die Unterbindung ihrer Unterstützung eines Staates, gegen den Sanktionen gerichtet sind, umfassen (vgl. wegen daraus entstehender wirtschaftlicher Probleme Art. 50), begründet aber wohl kaum eine positive Beistandspflicht bei Sanktionen des Sicherheitsrates. Die Abkommen nach Art. 43 sollen nur mit Mitgliedstaaten geschlossen werden. Eine freiwillige Beistandsleistung bei nichtmilitärischen Maßnahmen des Sicherheitsrates ist jedoch möglich und erwünscht. Dementsprechend haben ζ. B. die Schweiz und die Bundesrepublik Deutschland als Nichtmitglieder an den Sanktionen gegen Rhodesien mitgewirkt, und die Bundesrepublik Deutschland ist vom Sanktionsausschuß sogar wegen angeblicher Sanktionsverletzungen kritisiert worden.

Literatur Fox: Collective Enforcement of Peace and Security, in: APSR vol. 39 (1945) p. 970 Goodrich / Simons: The Maintenance of International Peace and Security, in: Padelford / Goodrich, The United Nations in the Balance: Accomplishments and Prospects, New York 1965, p. 65 Kelsen: Principles of International Law, 2nd ed., New York 1967 (Kapitel „Enforcement Measures") Klein, E.: Rechtsprobleme einer deutschen Beteiligung an der Aufstellung von Streitkräften der Vereinten Nationen, in: ZaöRV 1974 S. 429

40

Beitragssystem, Haushalt

Larus (ed.): F r o m Collective Security to Preventive Diplomacy. Readings in International Organization and the Maintenance of Peace, 1965 Scheuner: Eine internationale Sicherungsmacht im Dienste der Vereinten Nationen, in: Z a ö R V 1958 S. 389 Wolfgang Strasser Verweise auf: Abrüstung; Entstehungsgeschichte; Feindstaatenklausel; Friedenssicherung; Friedens- und Kriegsbegriff; Generalversammlung; Gewaltverbot; Kollektive Sicherheit; Regionalabkommen; Sanktionen; Sicherheitsrat; Stimmrecht; Streitkräfte der Vereinten Nationen; Völkerbund.

Beitragssystem, Haushalt Entwicklung

des

Systems

Grundlage für das Haushalts- und Beitragsrecht der Vereinten Nationen sind Art. 17 und 18. Sie waren Gegenstand intensiver Diskussionen auf der Zusammenkunft von Dumbarton Oaks und der Konferenz von San Francisco. Nach dem ursprünglichen Vorschlag der USA (1943) sollte die Generalversammlung den Haushalt der Hauptorganisation, ihrer Nebenorgane u n d der Sonderorganisationen festsetzen und die Umlegung der Ausgaben auf die Mitglieder vornehmen. Bei der Entscheidung über Ausgaben sah der Vorschlag der USA eine Stimmengewichtung der Mitglieder vor, wonach die Stimmen jeweils im Verhältnis zu der Beitragshöhe des betreffenden Mitgliedes stehen sollten. Dieser Gedanke wurde schon in dem Dubarton Oaks-Vorschlag fallengelassen. Er sah vor, die Haushaltsfragen unter die „wichtigen Fragen" einzureihen, mit der Folge, daß Entscheidungen über sie nur mit Zweidrittelmehrheit fallen konnten. Gleichzeitig einigte man sich darauf, die alleinige Verantwortung in allen Haushaltsangelegenheiten der Generalversammlung zu übertragen. Die endgültige Regelung dieses Komplexes erfolgte auf der Konferenz von San Francisco (1945). Erst hier wurde auch die Verpflichtung der Mitglieder, die Ausgaben der Organisation zu tragen, schärfer formuliert. Hieß es in dem Dumbarton OaksVorschlag noch: „The General Assembly should apportion the expenses among the members of the organization", so erhielt dieser Passus jetzt in Art. 17 Abs. 2 eine klarere Fassung. Ausführliche Diskussionen fanden vor allem darüber statt, ob die Charta selbst schon den Verteilugsschlüssel, nach dem die Ausgaben der Organisation auf die Mitglieder umgelegt werden, bzw. die Art seiner Berechnung näher fixieren sollte. Man einigte sich schließlich darauf, der Generalversammlung insoweit freie Hand zu lassen (-> Entstehungsgeschichte). Aufstellung

des Haushalts

Die Haushaltskompetenzen für die Vereinten Nationen (Prüfung und Genehmigung des gesamten Haushalts) liegen bei der Generalversammlung (Art. 17 Abs. 1). Erst durch Aufnahme in den Haushalt wird der Generalsekretär ermächtigt, die Ausgaben zu tätigen bzw. Verbindlichkeiten bis zur vorgesehenen Höhe einzugehen. Dabei dürfen die in dem Haushaltsplan für einen bestimmten Titel ausgewiesenen Beträge nicht unter einem anderen Titel eingesetzt werden, wenn nicht die Generalversammlung hierzu ihre Genehmigung erteilt. Damit soll die Haushaltskompetenz der Generalversammlung gegenüber dem Generalsekretär gesichert werden. Der Generalversammlung darf außerdem von keinem Ausschuß eine Resolution zur Verabschiedung vorgelegt werden, ohne daß ihr nicht ein Gutachten über die finanziellen Auswirkungen von dem Generalsekretär beigefügt wäre. Bei Resolutionen, die

Aufstellung des Haushalts

41

finanzielle Belastungen nach sich ziehen, ist stets der Verwaltungs- und Haushaltsausschuß (5. Ausschuß, Ausschußsystem) zu hören. Auch die finanziellen Maßnahmen für die Verwirklichung von Sicherheitsratsresolutionen trifft die Generalversammlung. In den Fällen, in denen der Sicherheitsrat eine Entscheidung faßte, während die Generalversammlung nicht tagte, hat der Generalsekretär die notwendigen Aufwendungen unter die außerordentlichen oder unvorhergesehenen Ausgaben gefaßt. Die detaillierte Regelung für Aufstellung und Verabschiedung des Haushaltsplanes findet sich in den Haushaltsrichtlinien der Generalversammlung (in der Fassung vom 21.12.1971 — ST / SGB / Financial Regulations / 1 / Rev. 1), den Finanzregeln des Generalsekretärs (ST / SGB / Financial Rules / 1 / Rev. 1 / Amend. 1—3) sowie in Regeln 152 seq. Geschäftsordnung der Generalversammlung (Doc. A/520/Rev. 12). Gemäß 2.1 Haushaltsrichtlinien dauert das Haushaltsjahr der Vereinten Nationen vom 1. Januar bis zum 31. Dezember desselben Jahres. Mit Resolution 3043 (XXVII) vom 19. Dezember 1972 erfolgte probeweise eine Änderung des Haushaltsgebarens. Um eine längerfristige Planung zu ermöglichen, wurde beschlossen, in Zukunft einen Programmhaushalt für zwei Jahre zu erstellen. Man hoffte, daß sich damit die Planung für die Finanzierung der Vereinten Nationen und ihrer Aktivitäten würde flexibler gestalten lassen. Daneben gibt es einen mittelfristigen Plan (medium-term plan) für vier Jahre (vgl. dazu Bericht des Advisory Committee on Administrative and Budgetary Questions vom 10.7.1972 - Doc. A/8739; Bericht des Generalsekretärs Doc. A/C.5/1429 und Corr. 1,2). Die Vorbereitung des Haushaltsplanes liegt im wesentlichen in den Händen des Generalsekretärs. Er ermittelt mit Hilfe der Abteilungsleiter die Voranschläge für die einzelnen Titel und faßt sie zu einem gegliederten Vorentwurf zusammen. Spätestens zwölf Wochen vor Beginn der ordentlichen Sitzungsperiode unterbreitet der Generalsekretär den Entwurf mit einer eingehenden Begründung dem Beratenden Ausschuß für Verwaltungs- und Haushaltsfragen (Advisory Committee on Administrative and Budgetary Questions — ACAB). Dieser ist für eine sachkundige Prüfung des Vorentwurfs verantwortlich, dabei unterstützt er den 5. Ausschuß (Regel 157 Geschäftsordnung der Generalversammlung). Desgleichen prüft der ACAB den Haushaltsansatz der Sonderorganisationen für die Generalversammlung. Es handelt sich bei ihm um einen ständigen Ausschuß aus 13 Mitgliedern (seit 1971; Regel 155 Geschäftsordnung der Generalversammlung), zu denen drei Finanzexperten von anerkanntem Ruf gehören. Die Mitglieder des Ausschusses werden für drei Jahre von der Generalversammlung gewählt, wobei auf eine breite geographische Verteilung sowie auf die Qualifikation und Erfahrung der Mitglieder geachtet wird. Jedes Jahr scheidet ein Drittel aus, so daß die Kontinuität des Gremiums gewahrt bleibt. Der ACAB fertigt einen Bericht an die Generalversammlung, der gleichzeitig mit den Voranschlägen des Generalsekretärs den Mitgliedern fünf Wochen vor Beginn der Sitzungsperiode übermittelt wird. Nachdem der Voranschlag des Generalsekretärs mit dem Bericht des ACAB der Generalversammlung zugeleitet worden ist, überweist ihn diese an den 5. Ausschuß zur Prüfung. Als Arbeitsunterlagen dienen ihm: Die Voranschläge des Generalsekretärs, der Bericht des ACAB sowie ein von dem Generalsekretär vorbereiteter Bericht über die Ausgaben der ersten acht Monate und über die geschätzten Ausgaben für die noch folgenden vier Monate des laufenden Rechnungsjahres. Zunächst erläutert der Generalsekretär seinen Bericht, dem schließen sich die Erklärungen des Vorsitzenden des ACAB an, dem wiederum eme allgemeine Debatte über die Grundsätze des vorgelegten Haushaltsentwurfs folgt. Danach nimmt der Ausschuß eine ins einzelne gehende Prüfung des Haushalts vor. Sind alle Teile des Budgets einschließlich zusätzlicher Veranschlagungen, zu denen der Generalsekretär berechtigt ist, gebilligt, wird über den Haushalt insgesamt abgestimmt. Der 5. Ausschuß legt dann dem Plenum der Generalversammlung sowie den Mitgliedern drei Resolutionsentwürfe vor. Sie behandeln den ordentlichen Haushalt, die außerordentlichen und unvorhergesehenen Ausgaben (unforeseen and extraordinary expenses) sowie den Betriebsmittelfonds (working capital fund). Die Generalversammlung entscheidet hierüber mit Zweidrittelmehrheit.

42

Beitragssystem, Haushalt

Einer besonderen Erwähnung bedürfen noch die unvorhergesehenen und außerordentlichen Ausgaben. Es handelt sich dabei um Ausgaben, die nicht von dem Haushalt gedeckt sind. Zu den unvorhergesehenen Ausgaben zählen diejenigen auf Grund von Aktivitäten, die dem Programm des ordentlichen Haushalts entsprechen. Darunter fallen also im wesentlichen unerwartete Kostensteigerungen oder zusätzliche Ausgaben. Demgegenüber ergeben sich die außerordentlichen Ausgaben nicht aus Programmaktivitäten, sondern aus besonderen Maßnahmen eines Organs. Als Folge des finanziellen Engagements anläßlich der Friedenssicherungsaktionen in Nahost und im Kongo wurden die Möglichkeiten des Generalsekretärs, unvorhergesehene und außerordentliche Ausgaben zu bewilligen, von der Generalversammlung überprüft. Mußte sich vor 1 9 6 0 der Generalsekretär lediglich mit dem ACAB ins Einvernehmen setzen, sind nunmehr seine Kompetenzen in dieser Hinsicht beschnitten. Er muß sich grundsätzlich mit dem ACAB einigen. Einer Einigung bedarf es nicht, wenn die Gesamtsumme nicht 2 Mio. Dollar im Jahr übersteigt, es sich um Ausgaben für Katastrophenhilfe handelt (bis zu 1 0 5 . 0 0 0 Dollar für 2 Jahre) oder bestunmte Ausgaben des IGH (GA Res. 3 1 9 6 ( X X V I I I ) vom 1 8 . 1 2 . 1 9 7 3 ) . Diese Regelung wurde im wesentlichen für das Haushaltsjahr 1 9 7 6 - 7 7 beibehalten (Res. 3 5 4 0 ( X X X ) vom 1 7 . 1 2 . 1 9 7 5 ) . Mit HÜfe des Betriebsmittelfonds finanziert der Generalsekretär die Ausgaben bis zum Eingang der Mitgliederbeiträge. Er wird durch die Mitglieder entsprechend ihrem Verteilungsschlüssel vorfinanziert. Diese Vorschüsse werden auf die regulären Beiträge angerechnet (Art. 6 Financial Regulations). Der Fonds muß jeweils wieder über den ordentlichen Haushalt aufgefüllt werden. Seine Höhe wird von der Generalversammlung festgelegt. Gem. Resolution 3 1 9 6 (XXVTII) der Generalversammlung vom 18. Dezember 1973 betrug sie für 1974—75 4 0 Mio. Dollar (für 1 9 7 6 - 7 7 desgleichen - Res. 3 5 4 1 ( X X X ) vom 1 7 . 1 2 . 1 9 7 5 ) .

Einnahmen Die Vereinten Nationen verfügen im wesentlichen über folgende Einnahmequellen: Beiträge der Mitglieder, Einnahmen aus dem Verkauf von Briefmarken, Souvenirs und ähnlichem sowie dem Verkauf von Druckerzeugnissen, Besteuerung der Gehälter der Bediensteten und freiwillige Zuwendungen. Die entscheidende Einnahmequelle sind die Beiträge der Mitglieder, durch sie wird der Haushalt im wesentlichen finanziert. Die Beitragspflicht der Mitglieder bemißt sich nach Prozenten von den nicht durch sonstige Einnahmen gedeckten Ausgaben (Beispiel: Nach dem Bericht des Generalsekretärs vom 13. November 1 9 7 5 (Doc. A / 1 0 0 3 5 ) betragen die gesamten Ausgaben fur 1 9 7 4 und 1975 6 1 2 . 5 5 0 . 0 0 0 Dollar. Dem stehen Einnahmen in Höhe von 1 0 0 . 1 1 0 . 0 0 0 Dollar gegenüber; von den Mitgliedern sind also 5 1 2 . 4 4 0 . 0 0 0 Dollar aufzubringen). Welche Quote jedes einzelne Mitglied zu zahlen hat, wird im voraus für drei Jahre festgelegt. Dies erfolgt durch die Generalversammlung auf Vorschlag des Beitragsausschusses (Committee on Contributions — CC), einem ständigen Ausschuß mit 13 Mitgliedern. Sie werden von der Generalversammlung für 3 Jahre gewählt, jedes Jahr scheidet ein Drittel aus. Die Vertreter im Beitragsausschuß müssen Mitglieder verschiedener Nationen sein, ihre Auswahl erfolgt im Hinblick auf eine möglichst breite geographische Streuung, ihre Qualifikation und Erfahrung (Regel 1 5 9 Geschäftsordnung der Generalversammlung). Seit der Resolution 14 ( I ) vom 13. Februar 1 9 4 6 richtet sich die Höhe der Beitragsquote eines Staates nach seiner Zahlungsfähigkeit im Vergleich zu den anderen Mitgliedern. Für deren Berechnung nennt die Resolution 14 ( I ) vier Kriterien: Wichtigster Berechnungsfaktor ist das Nationaleinkommen (Mittelwert aus drei Jahren), daneben wurden noch folgende zu berücksichtigende Faktoren genannt: Pro-Kopf—Einkommen, Einbußen im 2. Weltkrieg, Möglichkeiten, fremde Devisen zu erhalten. Die beiden letztgenannten Gesichtspunkte sind in der Folgezeit in den Hintergrund getreten. Das Pro-Kopf-Einkommen wurde wie folgt bei der Berechnung der Zahlungsfähigkeit berücksichtigt: Man ging von einem theoretischen Normal-Pro-Kopf-Einkommen

Ausgaben: Programmbudget für 1 9 7 4 - 1 9 7 5

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von 1.000 Dollar aus. Der Unterschied zwischen diesem Basiswert und dem wirklichen Pro-Kopf-Einkommen in dem betreffenden Staat schlug sich zur Hälfte als Verminderung der Beitragsquote, berechnet am Nationaleinkommen, nieder (vgl. GA Res. 582 (VI) vom 21.12.1951; Doc. A/7611). Mit Resolution 3228 (XXIX) vom 12. November 1974 gab die Generalversammlung die Berücksichtigung des Pro-Kopf-Einkommens bei Berechnung der Beitragsquote auf (mit Wirkung von 1 9 7 7 - 7 9 an — vgl. zur näheren Begründung Bericht des 5. Ausschusses — Doc. A/9850). Außerdem wurden Maximal- und Minimalquoten fixiert: max. 33,33 % (1954), 31,52 % (1957) (angestrebt waren 30 %), 25 % (1972), mind. 0,02 % (1972) Die Beitragsquote der USA beträgt 25 %, diejenige der UdSSR (zusammen mit der Ukraine und Weißrußland) 15,14 %, Bundesrepublik Deutschland 7,10 %, Frankreich 5,86 % und Großbritannien 5,31 % (gültig für die Jahre 1974, 1975, 1976 - vgl. Res. 3062 (XXVIII) vom 9.11.1973). 76 der 144 Staaten leisten Beiträge nach der Mindestquote von 0,02 %; 98 (Zweidrittelmehrheit) der Staaten mit geringen Beitragsquoten zahlen zusammen 2,89 %, können aber über den Haushalt entscheiden. Für das Eintrittsjahr wird eine Sonderquote festgesetzt, die in aller Regel ein Drittel der normalen Jahresquote beträgt. Die hieraus gewonnenen Einnahmen fließen den Sondereinnahmen zu. Die Beitragsrückstände erschweren die Arbeit der Vereinten Nationen. Am 31. Mai 1975 standen noch Beiträge in folgender Höhe aus: Für 1975 201,3 Mio. Dollar; 1974 43,3 Mio. Dollar; 1973 3,6 Mio. Dollar. Sechs Mitglieder befanden sich zu diesem Zeitpunkt mit zwei Jahresbeiträgen im Rückstand und erfüllten somit die Voraussetzungen von Art. 19 (Bolivien, Tschad, Dominikanische Republik, Haiti, Nicaragua, Paraguay). Ein weiteres Beitragsdefizit ergibt sich daraus, daß die Volksrepublik China nicht alle bei der Republik China aufgelaufenen Beitragsrückstände beglichen hat. Sie werden der Volksrepublik China jedoch nicht mehr angelastet (vgl. Res. 3049 C (XXVII) vom 19.12.1972). Neben den Mitgliedern werden auch Nichtmitglieder für die Teilnahme an Aktivitäten der Vereinten Nationen zu Beitragsleistungen herangezogen (vgl. im einzelnen Res. 3062 (XXVIII)). Die Nettoeinnahmen aus dem Verkauf von Briefmarken, Souvenirs und ähnlichem sowie von Druckerzeugnissen betrugen im Rechnungsjahr 1974—75 7.318.000 Dollar. Auf insgesamt 83.452.000 Dollar beliefen sich die Einnahmen der Vereinten Nationen aus der Besteuerung der Gehälter der Bediensteten. Dabei ist es fraglich, ob es sich um eine Steuer im eigentlichen Sinne und um eine echte Einnahme handelt. Ursprünglich waren die Bediensteten der Vereinten Nationen steuerfrei. Es ergaben sich jedoch Schwierigkeiten mit den USA, die ihren Angehörigen im Dienste der Vereinten Nationen keine Steuerbefreiung gewähren wollten. Daher beschloß die Generalversammlung, die Gehälter zu besteuern, wobei diese gleichzeitig erhöht wurden (Res. 239 (III) vom 18.11.1948). Von der Steuer freigestellt wurden diejenigen Bediensteten, die der nationalen Besteuerung unterliegen. Eine geringere Bedeutung für den ordentlichen Haushalt der Vereinten Nationen kommt sonstigen (freiwilligen) Zuwendungen zu. Sie sind dagegen wichtig für die Finanzierung der Aktivitäten der Spezialorgane. Ausgaben: Programmbudgetßr

1974-1975

Mit Resolution 3195 (XXVIII) vom 18. Dezember 1973 genehmigte die Generalversammlung für die Jahre 1974 und 1975 ein Gesamthaushaltsvolumen von 540.473.000 Dollar. Dieser Ansatz wurde durch Resolution der Generalversammlung (Res. 3359 C (XXIX)) vom 18. Dezember 1974 auf 606.033.000 Dollar erhöht. Der Ausgabenansatz stieg so um 12,1 %, der Voranschlag fur die Einnahmen (außer Mitgliedsbeiträgen) dagegen lediglich um 8,5 % (100.519.000 gegenüber 92.646.000 Dollar). Damit erhöhte sich der von den Mitgliedern zu tragende Betrag von 447.827.000 auf 505.514.000 Dollar, d. h. um 12,8 %. In seinem Bericht an die Generalversammlung zur 30. Sitzungsperiode (Doc. A/1003 5) schlug der Generalsekretär eine weitere Erhöhung um ca. 1 % bei gleichzeitiger Reduzierung des Voran-

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Beitragssystem, Haushalt

schlags für die Einnahmen um 0,4 % vor, die im wesentlichen auf die weltweite Inflation und Kursverluste bei dem Umtausch von Devisen zurückgeführt werden. Dies führte zu einem Gesamtausgabenvolumen von 612.550.000 Dollar, wovon 512.440.000 Dollar durch die Mitglieder aufzubringen sind (Res. 3531 (XXX) vom 17.12.1975). Der Haushaltsplan läßt bis zu einem gewissen Umfang erkennen, wo derzeit das Schwergewicht der Tätigkeiten der Vereinten Nationen liegt. Man muß sich allerdings dessen bewußt sein, daß alle wichtigen Maßnahmen durch Sonderfonds finanziert werden, die auf freiwilligen Zuwendungen der Mitglieder beruhen und die nicht in dem ordentlichen Haushaltsplan ausgewiesen werden (Friedenssicherungsaktionen, Flüchtlingshilfe, Entwicklungshilfe). Lediglich der Verwaltungsaufwand für diese Aktionen erscheint zum größten Teil im ordentlichen Haushalt. Diese Aufspaltung zwischen Verwaltungskosten und Unkosten für direkte Maßnahmen, wobei nur die ersteren im ordentlichen Haushaltsplan ausgewiesen werden, führt dazu, daß der ordentliche Haushalt der Vereinten Nationen praktisch ein reiner Verwaltungshaushalt ist. Die Ausgabenseite des Haushalts gliedert sich in zwölf Teile, die 35 Titel aufweisen. Die Teile beziehen sich auf bestimmte Aktivitäten. 15.895.000 Dollar sind unter dem Teil I ausgewiesen (allgemeine Politik; Richtlinien und Koordination — das sind im wesentlichen die Verwaltungskosten für die Generalversammlung und deren Nebenorgane, den Generalsekretär und sein Büro). Unter Teil II gehören die administrativen Kosten für besondere politische und Friedenssicherungsaktionen mit einem Voranschlag von 34.753.000 Dollar. Ein erheblich höherer Betrag, nämlich 207.177.000 Dollar, ist für wirtschaftliche und soziale Aktivitäten (Teil III) eingesetzt. Hierunter fallen unter anderem die ordentlichen Haushalte der -»• Wirtschaftskommissionen, sowie von UNEP, UNCTAD, UNIDO, dem Hohen Flüchtlingskommissar und der Rauschgiftkommission. Für Aktivitäten auf dem Gebiet der Menschenrechte sind Unkosten von 5.202.000 Dollar veranschlagt (Teil IV). Als weitere Teile des Haushalts sind zu nennen: Staatengleichheit und Selbstbestimmungsrecht (Teil V) 4.912.000 Dollar (ζ. B. Rat und Kommissar für Namibia), Teil VI - Haushalt des IGH, 4.677.000 Dollar, Teil VII - juristische Aktivitäten 6.475.000 Dollar. Den größten Ausgabenposten stellt der Allgemeine Dienst (Teil VIII) dar. Er schlüsselt sich wie folgt auf: Informationsdienst 25.683.000 Dollar, Verwaltung einschließlich der Besoldung der Bediensteten 98.524.000 Dollar, Konferenzdienst 71.347.000 Dollar, Bücherei 7.775.000 Dollar. Weitere Ausgabenposten sind die Sonderausgaben mit rd. 22 Mio. Dollar, die Kosten für die Gebäude mit rd. 23 Mio. Dollar, die Besteuerung des Personals, die gesondert ausgewiesen wird, mit rd. 82 Mio. Dollar und die Aufwendungen zur Unterstützung von Palästinaflüchtlingen mit fast 3 Mio. Dollar. Finanzierung der

Spezialorgane

Die Verwaltungskosten der Spezialorgane (-> Organisationssystem der Vereinten Nationen) gehören bis auf einige Ausnahmen mit in den ordentlichen Haushalt der Hauptorganisation, während ihre Aktivitäten über spezielle oder allgemeine Fonds und auch andere Spezialorgane (vor allem UNDP) finanziert werden, die auf freiwilligen Zuwendungen der Mitglieder beruhen. Teilweise wird auch ein Teil der Verwaltungskosten aus diesen Quellen finanziert. So beläuft sich beispielsweise der ordentliche Haushalt (1974/75) der ECE (-»• Wirtschaftskommissionen) auf 1,44 Mio. Dollar (Teil III Ziff. 8 des Haushalts der Hauptorganisation); der außerordentliche Haushalt mit 363.000 Dollar (getragen von vier Fonds, darunter UNEP) dient im wesentlichen auch der Erfüllung von Verwaltungsaufgaben. Die für besondere Maßnahmen eingesetzten Beträge übersteigen teilweise den ordentlichen Haushalt. So verfügt der Hohe Flüchtlingskommissar (-» Flüchtlinge) z. B. über einen ordentlichen Haushalt von 12,97 Mio. Dollar, sein außerordentlicher Haushalt für Verwaltungsangelegenheiten beträgt 7,63 Mio. Dollar, dagegen für Hilfsaktionen 105,39 Mio. Dollar. Allein 76,75 Mio. Dollar des letztgenannten Betrages stammen aus einem von freiwilligen Beiträgen gespeisten Treuhand-

Finanzierung von Friedenssicherungsaktionen

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fonds für spezielle humanitäre Aktionen. Hauptbeitragszahler sind die USA, Großbritannien, Dänemark und Schweden. Nicht mit dem ordentlichen Haushalt der Hauptorganisation verbunden und damit von dieser selbständig sind - » UNDP, UNICEF und -> U N I T A R . U N D P verfügte beispielsweise für das Rechnungsjahr 1974 über Beitragseinnahmen von 367,27 Mio. Dollar.

Finanzierung

von

Friedenssicherungsaktionen

Die Frage der Finanzierung von Friedenssicherungsaktionen wurde erst seit 1956 (Finanzierung von U N E F I ) aufgeworfen, und die Differenzen hierüber erreichten anläßlich der Kongo-Krise ihren Höhepunkt (-> Streitkräfte der Vereinten Nationen). Bei Abfassung der Charta war man sich offenkundig der Bedeutung dieses Problems nicht in seinem vollen Umfang bewußt gewesen. Man war wohl davon ausgegangen, daß die Kosten der Aktionen gem. Art. 42 von den Beteiligten, die auch die Kontingente stellten, selbst getragen würden. Das heißt, die finanzielle Hauptlast sollte bei den Großmächten liegen, wie ja überhaupt die Charta deren Verantwortung für die Friedenserhaltung betont (-»· Friedenssicherung). Da aber bislang keine Abkommen gem. Art. 43 zustande gekommen sind, konnte die von der Charta unterstellte Kostenverteilung nicht praktiziert werden. Im Falle von U N E F I stellte sich die Generalversammlung auf den Standpunkt, daß die besonderen Kosten, die einer Regierung durch die Bereitstellung von Truppenkontingenten entstünden, bis zu einer Höhe von 10 Mio. Dollar von der Organisation als außerordentliche Kosten, d. h. von allen Mitgliedern gem. ihrem Verteilungsschlüssel zu tragen seien. Die Kosten für Gehalt und Ausrüstung der Truppen sollten auf jeden Fall bei dem entsendenden Staat liegen (Res. 1089 ( X I ) v o m 21.12.1956; Bericht des Generalsekretärs Doc. A/3694). Außerdem wurden die Mitglieder aufgerufen, freiwillige Zahlungen zu leisten (Res. 1090 ( X I ) vom 27.1.1957). Bei der Finanzierung von ONUC wurde in ähnlicher Weise verfahren und die Kosten, wenn auch unter Entlastung (bis zu 80 %) der zahlungsschwachen Mitglieder, umgelegt (Res. 1732 ( X V I ) v o m 20.12.1961). Die Kosten für beide Aktionen überstiegen alle vergleichbaren Kosten und überschritten auch den ordentlichen Haushalt der Vereinten Nationen um das Doppelte. Da sich einige Staaten, vor allem auch aus den Reihen der Hauptbeitragszahler, weigerten, ihren Anteil zu übernehmen, kam es zu der Finanzkrise der Vereinten Nationen. Die ungedeckten Schulden wurden von dem Generalsekretär für Ende 1961 auf 113,9 Mio. Dollar geschätzt. Die Mehrheit der Westmächte stellte sich auf den Standpunkt, es sei das Recht der Generalversammlung, solche Aktionen einzuleiten und die Kosten auch auf die Mitglieder umzulegen. Demgegenüber vertraten vor allem die Staaten des Ostblocks die Ansicht, die Entsendung der Streitkräfte habe außerhalb der Kompetenz der Generalversammlung gelegen. Die entstandenen Kosten könnten daher nicht unter Art. 17 Abs. 2 fallen und seien demgemäß auch nicht von den Mitgliedern zu tragen. A m 20. Dezember 1961 beschloß die Generalversammlung, da die Gegensätze offenkundig nicht zu überbrücken waren, ein Gutachten des I G H zu dieser Frage einzuholen. Dieser entschied, daß es sich bei den Unkosten für die Friedenssicherungsaktionen um Kosten gem. Art. 17 Abs. 2 handele, die Mitglieder also zur Zahlung herangezogen werden könnten (ICJ Reports 1962 p. 150). Dabei stellte er darauf ab, daß derartige Aktionen in die Kompetenz der Vereinten Nationen fielen. Selbst wenn daher die Generalversammlung im Verhältnis zu dem Sicherheitsrat nicht befugt gewesen sei, derartige Maßnahmen einzuleiten, so bliebe das ohne Einfluß auf die Rechtmäßigkeit der Finanzierung. Mit Resolution 1854 A ( X V I I ) vom 19. Dezember 1962 akzeptierte die Generalversammlung das Gutachten des IGH. Dennoch wurde in den folgenden Erörterungen deutlich, daß eine Umlegung der Kosten auf der Basis der normalen Beitragsschlüssel sich nicht würde durchsetzen lassen. Inzwischen waren die Rückstände der Staaten, die ihre Zahlung verweigerten, auf das Doppelte eines Jahresbeitrages angestiegen, so daß die Möglichkeit der Sanktion gem. Art. 19 bestand ( - • Stimmrecht). Man einigte sich jedoch darauf, Art. 19 hinsichtlich der Kosten von U N E F I und O N U C nicht anzuwenden ( R e p o r t o f the

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Beitragssystem, Haushalt

Special Committee on Peace-Keeping Operations, Doc. A/5915,5916). Bei der Finanzierung von UNEF II und UNDOF (-• Streitkräfte der Vereinten Nationen) kam man überein, die Leistungsfähigkeit der Länder und die besondere Verantwortung der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates auch bei ihrer Zahlungsverpflichtung zu berücksichtigen. Die Generalversammlung schuf vier Mitgliedergruppen, die in unterschiedlicher Höhe zu den Kosten der Friedenssicherungsaktionen beitragen sollen (Res. 3101 (XXVIII) vom 11.12.1973, Res. 3211 (XXIX) vom 29.11.1974, Res. 3374 Α/Β (XXX) vom 30.10./28.11.1975). Die erste Gruppe umfaßt die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates, die zweite Gruppe die wirtschaftlich entwickelten Länder, zur dritten Gruppe gehören die wirtschaftlich weniger entwickelten Länder (LDC) und zu Gruppe vier die wirtschaftlich am wenigsten entwickelten Länder (LLDC (-»• Entwicklungsländer). Auf Grund der genannten Resolutionen ergeben sich für den Zeitraum vom 25. Oktober 1973 bis zum 25. Oktober 1976 folgende Zahlungsverpflichtungen: Gruppe I - 1.464 Mio. Dollar, Gruppe II - 793 Mio. Dollar, Gruppe III — 4,7 Mio. Dollar, Gruppe IV - 0,13 Mio. Dollar. Innerhalb jeder Gruppe richtet sich die Zahlungspflicht des einzelnen Mitgliedes nach dem Verhältnis der Beitragsquoten zueinander. Insgesamt betragen nach einer Schätzung des Generalsekretärs (Report of the Secretary General, GAOR (XXX) Suppl. 1) die Kosten für Friedenssicherungsaktionen in Nahost seit dem 27. März 1964 bis zum 15. Dezember 1975 213,5 Mio. Dollar. Davon waren bis zum 31. Mai 1975 lediglich 164,3 Mio. Dollar eingegangen bzw. zugesagt, es fehlten also 49,2 Mio. Dollar. Mit der Form der Finanzierung ist das Problem zweifelsohne noch nicht gelöst. Vor allem die Entwicklungsländer machen geltend, daß auch diese finanzielle Belastung ihre Leistungsfähigkeit übersteigt. Außerdem ist immer noch nicht geklärt, wie die bislang entstandenen Defizite ausgeglichen werden können. Ein von der Generalversammlung dazu eingesetzter Sonderausschuß erreichte keine Einigung und verwies auf freiwillige Beiträge (Report of the Committee on the financial situation of the United Nations, GAOR (XXVII) Suppl. 29; G A Res. 3049 (XXVII) vom 19.12.1972). Die Finanzierung der Sonderorganisationen und der IAEA Während nach der Satzung des Völkerbundes (Art. 6) die Haushaltskompetenzen völlig bei der Völkerbundversammlung konzentriert waren, haben die Sonderorganisationen in finanziellen Fragen eine gewisse Eigenständigkeit. Gem. Art. 17 Abs. 3 prüft und genehmigt die Generalversammlung nur alle Finanz- oder Haushaltsabmachungen zwischen der Hauptorganisation und den Sonderorganisationen. Des weiteren prüft sie deren Verwaltungshaushalte, mit dem Ziel, Empfehlungen an die Sonderorganisationen zu richten. Gestützt auf den Wortlaut des Art. 17 Abs. 3 stellten sich anfangs die Sonderorganisationen auf den Standpunkt, die Generalversammlung sei auf eine Prüfung des Verwaltungshaushaltes beschränkt und könne keine Prüfung der operationeilen Haushalte durchführen, da dies die Eigenständigkeit der Sonderorganisationen bei Abwicklung ihrer Programme beeinträchtige. In der Praxis setzte sich jedoch eine enge Verbindung zwischen der Hauptorganisation und den Sonderorganisationen durch. So finden Beratungen bei der Haushaltsaufstellung statt, die Sonderorganisationen übermitteln ihren Haushaltsansatz der Generalversammlung, die Sonderorganisationen haben beratende Stimme bei den Haushaltsberatungen der Generalversammlung. Außerdem gibt es allgemeine Beratungen über eine Koordinierung der Haushalte und vor allem über eine Angleichung der Beitragssysteme. Insgesamt hat sich das Verfahren nur bedingt bewährt. Zwar hat man sich in der Regel auf ein gemeinsames Rechnungsprüfungswesen geeinigt, jedoch konnten bislang weder die Aufstellung der Haushalte noch die Beitragssysteme völlig aufeinander abgestimmt werden. ITU: Das Beitragssystem der -»• ITU bemht auf einem Klassen-System. Die Mitglieder wählen ihre Beitragsklasse nach freiem Ermessen zwischen 0,5 und 30 Einheiten (Bundes-

Die Finanzierung der Sonderorganisationen und der IAEA

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republik Deutschland beispielsweise 20). Die sich aus den Einheiten ergebende Belastung für jedes Mitglied wird wie folgt errechnet: Ausgaben abzüglich sonstiger Einnahmen, geteilt durch die Anzahl der Beitragseinheiten mal der Anzahl der Einheiten des betreffenden Mitgliedes. Der Verwaltungsrat fixiert den Haushalt und prüft seine Durchführung, die bei dem Generalsekretär liegt. Die Obergrenze der Ausgaben wird von der Konferenz der Regierungsbevollmächtigten festgelegt. Der Haushaltsvoranschlag für 1975 betrug 23,6 Mio. Dollar (umgerechnet von Schweizer Franken). ILO: Die Haushaltskompetenz der -»• ILO liegt gem. Art. 13 Abs. 2 (c) bei der Allgemeinen Konferenz. Das Beitragssystem der ILO stammt aus der Völkerbundszeit. Seit 1968 wird eine Angleichung an das Beitragssystem der Vereinten Nationen angestrebt. Dieser Prozeß wird 1977 abgeschlossen sein. In ihrer 58. Sitzungsperiode genehmigte die Allgemeine Konferenz Ausgaben (netto) in Höhe von 93,6 Mio. Dollar. IMCO: Gem. Art. 16 lit. f IMCO-Vertrag liegt die Haushaltskompetenz für die IMCO bei der Versammlung. Sie entscheidet über Art und Höhe der Ausgaben sowie über das Finanzgebaren. In ihrem Beitragssystem unterscheidet die IMCO zwischen Grundbeiträgen, die entsprechend dem Beitragsschlüssel der Vereinten Nationen eingezogen werden, und einem zusätzlichen Beitrag, dessen Höhe sich nach der für das betreffende Land bei Lloyds registrierten Schiffstonnage bemißt. In ihrer 8. Sitzungsperiode genehmigte die IMCO ein Zweijahresbudget (1974/75) von 5,9 Mio. Dollar. UNESCO: Das Haushalts- und Beitragssystem der -> UNESCO entspricht in weitem Umfang dem der Vereinten Nationen. Die Generalkonferenz bestimmt den finanziellen Beitrag der Mitglieder (Art. IX UNESCO-Satzung). Der Beitragsschlüssel ist von dem der Vereinten Nationen abgeleitet. In einer Resolution vom 21. November 1974 entschied die Generalkonferenz, daß der Beitragsschlüssel demjenigen der Vereinten Nationen entsprechen solle, wie er von der Generalversammlung in der 28. Sitzungsperiode festgelegt worden sei. Das Budget für 1975/76 wurde von der Generalkonferenz am 23. Oktober 1974 auf 169,99 Mio. Dollar festgesetzt. WHO: Gem. Regel 3.4 der Financial Regulations der -> WHO wird der Haushalt durch den Generalsekretär vorbereitet. Dieser leitet ihn dem Exekutivrat und den Mitgliedern zu. Der Exekutivrat legt den Voranschlag mit einer eigenen Stellungnahme der Vollversammlung vor, die den Haushalt im einzelnen genehmigt. Das Haushaltsvolumen beträgt für 1975 129.574.000 Dollar. Der BeitragsschlUssel wird jährlich von der Vollversammlung fixiert und entspricht dem System der Vereinten Nationen. Ein Unterschied liegt darin, daß noch das Pro-Kopf-Einkommen bei der Berechnung der Zahlungsfähigkeit mit berücksichtigt wird. Entsprechend der Resolution 3228 (XXIX) soll dies aber bis 1978 abgeschafft werden. ICAO: Bei der ICAO wird der Haushalt durch den Rat vorbereitet. Er legt ihn der Versammlung vor, die ihn genehmigt und die Ausgaben auf die Mitglieder umlegt. Das Beitragssystem stellt eine Mischform dar. 75 % der Beiträge berechnen sich im wesentlichen nach den von den Vereinten Nationen entwickelten Kriterien, wobei das Pro-Kopf-Einkommen mit berücksichtigt wird. 25 % des Beitrages bemessen sich nach dem Interesse und der Bedeutung des betreffenden Landes für den zivilen Luftverkehr. Der höchste Beitrag soll 25 % nicht übersteigen, der tiefste nicht unter 0,06 % liegen. Bei Beitragserhöhungen soll der Zuwachs nicht 10 % des vorherigen Betrages bzw. 0,07 % des Gesamthaushaltes übersteigen - je nachdem, welcher Beitrag der höhere ist. In ihrer 21. Sitzungsperiode (September 1974) genehmigte die Versammlung Ausgaben in Höhe bis zu 16,4 Mio. Dollar (für 1975). WMO: Die -»• WMO verfügt über ein Beitragsklassensystem, wobei allerdings die Einstufung durch die Versammlung erfolgt. Der Haushalt wird durch die Versammlung für vier Jahre festgesetzt. Der jährliche Einzelhaushalt wird dann von dem Exekutivausschuß festgesetzt (für 1975 8,57 Mio. Dollar). Seit 1964 erfolgt eine Kombination der Klassenmethode mit dem Beitragssystem der Vereinten Nationen. UPU: Auch das Beitragssystem der UPU arbeitet mit Beitragsklassen, wobei die Einheiten seit dem 1. Januar 1976 von den Mitgliedern selbst gewählt werden. Die Versammlung

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Berichtsystem

setzt eine Höchstgrenze für die Ausgaben fest, während der Vollzugsrat den Haushalt im einzelnen aufstellt (1975 — 5,0 Mio. Dollar). Die Regierung der Schweiz gewährt — bis zum Eingang der Beiträge — die notwendigen Vorschüsse und überwacht die Haushaltsführung des Internationalen Büros. FAO: Haushalts- und Beitragssystem der -> FAO entspricht dem der Vereinten Nationen. Für 1976/77 beläuft sich der Haushalt auf 167 Mio. Dollar. IAEA: Die -»• IAEA kennt einen sechsjährigen Haushaltsrahmenplan, der alle zwei Jahre revidiert wird. Die Haushaltskompetenz der IAEA liegt bei dem Gouverneursrat. Er stellt den Haushaltsplan auf und prüft seine Durchführung. Die Verwaltungsaufgaben der IAEA werden nach einem Verteilungsschlüssel auf die Mitglieder umgelegt (1975 — 26,66 Mio. Dollar). Der operative Haushalt beläuft sich auf 5,8 Mio. Dollar. Die Sicherheitsmaßnahmen zahlt der betreffende Staat. Die Kosten für von der IAEA bezogenen Materialien trägt deren Bezieher. Völlige Finanzhoheit genießen wegen ihrer besonderen Aufgabenstellung -»• IBRD, -* IFC, IMF und IDA. Dies ist in den Verträgen gem. Art. 63 niedergelegt. Literatur Al ting von Gensau: Financing United Nations Peace-keeping Activities, in: Nederlands Tijdschrift voor Internationaal Recht, 1965 S. 281 Bissel: A note of the Chinese View of the UN-Financing, in: AJIL vol. 67 (1975) p. 628 Ciobanu: Enforcement procedures of Art. 19 of the UN-Charter, in: Revista di Diritto Internazionale vol. 54 (1971) p. 423 ders.: The scope of Art. 19 of the UN-Charter, in: Revista di Diritto Internazionale vol. 55 ( 1 9 7 2 ) p. 4 8 Döpp: Der Haushalt der Vereinten Nationen, in: VN 1973 S. 14 Padelford: Financing Peace-keeping: Politics and Crisis, in: International Organization vol. 1 9 ( 1 9 6 5 ) p. 444 Rowe: Financial support for the United Nations: The evaluation of member contributions, 1 9 4 6 - 1 9 6 9 , in: International Organization vol. 26 (1972) p. 619 Zemanek: Die Finanzkrise der Vereinten Nationen, in: EA 1973 S. 555 Rüdiger Wolfrum Verweise auf·. Ausschußsystem; Entstehungsgeschichte; FAO; Flüchtlinge; Friedenssicherung; IAEA; IBRD; ICAO; IDA; IFC; ILO; IMCO; IMF; ITU; Stimmrecht; Streitkräfte der Vereinten Nationen; UNDP; UNESCO; UNICEF; UNITAR; UPU; WHO; Wirtschaftskommissionen; WMO.

Berichtsystem Allgemeines Das Berichtsystem ist ein Sicherungsverfahren zum Schutze der Menschenrechte, das im Rahmen der Internationalen Organisationen nach dem 1. Weltkrieg (Internationale ArbeitsOrganisation, Völkerbund) herausgearbeitet und entwickelt wurde, und das im Bereich der Vereinten Nationen und der Sonderorganisationen regelmäßig zur Kontrolle der Einhaltung von menschenrechtlichen Verpflichtungen angewendet wird. Das Berichtsystem besteht darin, daß die Organe einer Internationalen Organisation oder besondere, auf Grund ernes entsprechenden Internationalen Abkommens eingerichtete Organe, in regelmäßigen Zeitab-

Allgemeines

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ständen (ursprünglich im Jahresrhythmus, derzeit oft in Zwei- bzw. Dreijahresabstand) die verpflichteten Staaten auffordern, genaue Antworten auf einen Fragebogen zu geben, der vorher von den betreffenden Organen ausgearbeitet wurde und den gesamten Bereich der entsprechenden Verpflichtung abdeckt. Die in diesen Berichten gegebenen Informationen werden dann von den Sicherungsorganen auf ihren Wahrheitsgehalt geprüft, wobei dies durch die Organe selbst, durch die von ihrem Sekretariat gesammelten Informationen, durch Stellungnahmen interessierter innerstaatlicher Stellen und durch andere Mittel erfolgen kann. Nach dieser Sachverhaltsprüfung wird der so ermittelte Tatbestand unter den entsprechenden Rechtstext bzw. die entsprechende Menschenrechtsverpflichtung subsumiert und festgestellt, ob eine Verletzung dieser Verpflichtung vorliegt. Schließlich wird über die allfällige Abhilfe bzw. über allfállige Sanktionen (im weitesten Sinne) entschieden. Das Berichtverfahren ist ein generelles Sicherungsverfahren zum Schutze der Menschenrechte, d. h. das Rechtsschutzverfahren wird unabhängig von einem konkreten Anlaßfall, ohne Antrag oder Klage von einem Betroffenen (-> Petitionen), oder einer anderen Seite, auf Grund einer entsprechenden Bestimmung der Rechtsgrundlage des betreffenden Organes in regelmäßigen Abständen oder aus eigenem Antrieb vom Sicherungsorgan selbst ausgelöst. Es ist darunter ein Verfahren zu verstehen, bei dem auf Grund von diesbezüglichen Normen in der darin vorgeschriebenen Form Berichte der Mitgliedstaaten bzw. Vertragsstaaten dem Sicherungsorgan in regelmäßigen Abständen vorgelegt werden, die die Verwirklichung der materiellen Schutzbestimmungen im Staate und durch den Staat nachweisen, und das die amtswegige Prüfung dieser Berichte zum Gegenstand hat, ob die darin aufgezeigte innerstaatliche Rechtslage und Praxis den materiellen Schutzbestimmungen entsprechen. Während im üblichen Kontrollverfahren zur Überwachung der Einhaltung übernommener völkerrechtlicher Verpflichtungen die Beschwerde die typische Figur ist, sofern ein Kontrollorgan besteht, oder die zwischenstaatliche Streiterledigung, so liegt hier nicht ein individueller Antrag betreffend einen bestimmten Fall, eine bestimmte Situation, eine bestimmte behauptete Verletzung der Verpflichtung vor, sondern ein amtswegiges, vom Einzelfall losgelöstes Überwachungsverfahren. Die Kontrolle durch Beschwerde geht vom Einzelfall ins Allgemeine, vom Einzelfall in die generelle Lage. Das generelle Sicherungsverfahren in der Form des Berichtsystems geht vom Allgemeinen ins Besondere: Von einem Bericht über die Gesamtlage führt der Bericht ggf. ins Detail. Hier gibt es keine Parteien, sondern nur verpflichtete Staaten. Es gibt keine Prozeßvoraussetzungen, sondern nur Formvorschriften. Die Wirksamkeit dieses Kontrollverfahrens hängt von folgenden Faktoren ab: - Ist das Verfahren so ausgebildet, daß der Sachverhalt festgestellt werden kann? - Ist das Sicherungsorgan so zusammengesetzt, daß es objektiv und nicht politisch entscheidet (politisch hier im Sinne einer grundsätzlichen Haltung, wonach nicht der Rechtsvollzug, sondern das Interesse des vertretenen Staates im Vordergrund steht)? - Ist das Sicherungsorgan in der Lage, über ein Instrumentarium von Sanktionen zu verfügen, wobei die volle Information der Öffentlichkeit im Wege einer qualifizierten Informationsmöglichkeit als Sanktion zu werten ist? Zur Sachverhaltsfeststellung ist im einzelnen zu sagen: Wesentlich ist die Frage, ob das Sicherungsorgan berechtigt ist, den Umfang der vorzulegenden Berichte und seinen Inhalt durch den Fragebogen zu bestimmen, unvollständige oder falsche Auskünfte berichtigen zu lassen (dies bedingt das Recht auf Zusatzfragen); wesentlich ist auch, ob das Sicherungsorgan berechtigt ist, den Fragebogen gegebenenfalls aus eigenem Recht abzuändern, und vor allem den Zeitpunkt der Vorlage selbst zu bestimmen; ist das Kontrollorgan in der Lage, außerhalb eines generell festgelegten Rhythmus individuell zu einer bestimmten Frage von einem bestimmten Staat einen Bericht anzufordern, so nähert sich die generelle Kontrolle in der Form eines Sicherungsverfahrens durch Berichte, sofern dadurch die Fallbezogenheit gemeint ist, einer amtswegigen individuellen Kontrolle. Ein derart weitgehendes Recht ist den Kontrollorganen nach der Rassendiskriminierungskonvention (Art. 9) und dem Weltpakt über bürgerliche und politische Rechte (Art. 40) eingeräumt (-* Menschenrechte; Rassendiskriminie-

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rung). Wesentlich ist weiter, daß der Umfang der Sachverhaltsprüfungskompetenz der Sicherungsorgane genau festgelegt ist, also bestimmt ist, inwieweit das Sicherungsorgan die Berichte auf Vollständigkeit und Wahrheit mittels anderer Auskunftsquellen, wie Anfragen an den Staat, Zeugeneinvernahmen, Lokalaugenschein, eigene Dokumentation, und ähnliches überprüfen lassen kann. Wichtigstes Mittel der Sachverhaltsfeststellung ist der Fragebogen: Fragebögen werden entweder von einem allgemeinen Organ der Internationalen Organisation oder vom Sicherungsorgan selbst festgelegt, wobei bei langjähriger Praxis der Fragebogen schließlich so ausgestaltet werden kann, daß das Sicherungsorgan auf allen wesentlichen Gebieten Auskünfte erhält und sich ein richtiges und vollständiges Bild über die Rechtsordnung und die Rechtsanwendung eines Vertragsstaates im Hinblick auf die zu sichernden Verpflichtungen verschaffen kann. Dem Vergleich der einzelnen Rechtsordnungen kommt dabei besonderes Gewicht zu, da dadurch leicht die möglichen Einbruchsteilen ermittelt und entsprechende Fragen gestellt werden können. Die Fragebögen gehen daher ins Einzelne; die Anfragebeantwortung ist anfanglich nicht einfach, da umfangreiche Darlegungen erforderlich sind. So enthält ζ. B. der Wortlaut des Fragebogens im Treuhandverfahren an die vierhundert Fragen. Bei der Zusammensetzung des Sicherungsorgans ist insbesondere darauf zu achten, ob es sich hier um unabhängige Experten handelt oder um Staatenvertreter. Handelt es sich um Staatenvertreter, also um Diplomaten, so ist trotz aller entsprechenden Unabhängigkeitsfeststellungen mit einem politischen Verfahren regelmäßig zu rechnen. Wesentlich fur das Sicherungsverfahrensorgan ist auch, ob ihm ein ständiges Sekretariat unabhängig zugeordnet ist. Durch das Sekretariat kann die Arbeit vorbereitet, die Information gesammelt und kontrolliert werden, und eine Art ständige Rechtssprechung entstehen. Die mit dem Sicherungsverfahren betrauten Organe kann man in wesentliche und periphere Organe einteilen, wobei die wesentlichen Organe jene sind, die die Sachverhaltsfeststellung und die Beurteilung in rechtlicher Hinsicht vornehmen, die peripheren Organe jene, in denen die Berichte der wesentlichen Organe weiter diskutiert und beraten werden (ζ. B. ECOSOC und Generalversammlung). Weiter kann man zwischen ständigen und nichtständigen Organen unterscheiden, zwischen politischen, d. h. abhängigen, und unabhängigen Organen. Wichtig bei der Organzusammensetzung ist auch die Frage, ob die Organe interessenadäquat zusammengesetzt sind. Sind die Organe nicht interessenadäquat zusammengesetzt, so ist die Wirksamkeit des Sicherungsverfahrens beeinträchtigt. Interessenadäquate Organe sind jene, die so zusammengesetzt sind, daß der in dem konkreten Streitfall jeweils zu erwartenden Interessenlage gleichmäßig Rechnung getragen wird oder potentiell Rechnung getragen werden kann, oder aber die Interessenlage überhaupt nicht berücksichtigt wird. Interesseninadäquate Organe sind jene, bei denen die Art der Zusammensetzung ausschließt, daß die gegebenenfalls konsensbedingt auftretenden oder bereits von Anfang an vorhandenen besonderen Interessenlagen gleichmäßig berücksichtigt werden. Das bedeutet, daß dem einen oder anderem Interesse potentiell oder aktuell der Vorzug gegeben wird und sich dies in der Zusammensetzung des Organs niederschlägt. Damit ist aber eine Konsensbasis auf die Dauer nicht möglich. Ein wichtiges Mittel des Berichtverfahrens liegt in der Möglichkeit, Stellungnahmen anderer internationaler Organisationen einzuholen. Dies trifft beispielsweise für das Berichtsverfahren des Weltpaktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 16. Dezember 1966 (BGBl. 1973 II S. 1569) (Art. 16 und Art. 18) sowie für das Berichtsverfahren des Weltpaktes über bürgerliche und politische Rechte vom 16. Dezember 1966 (BGBl. 1973 II S. 1533) (Art. 40) zu. Weit wichtiger ist das Recht innerstaatlicher Interessenverbände, die am betreffenden Menschenrechtsschutz besonders interessiert sind, den vom Staat vorgelegten Bericht vor dessen Ubergabe an das Sicherungsorgan zu kommentieren und allenfalls zu ergänzen. Dies ist beispielsweise bei allen Berichtsverfahren üblich, die im Rahmen der Internationalen Arbeitsorganisation durchgeführt werden. Durch diese Stellungnahmen der

Die Vorgeschichte des Berichtsystems

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Interessenten besteht ein bestimmter Zwang für den Staat, das Sicherungsorgan vollständig und wahr zu unterrichten. Zugleich werden aber dem Sicherungsorgan die konkreten Druckstellen bei der Durchführung der Verpflichtungen durch den Staat bekannt. Bei den Entscheidungen bzw. den Sanktionen, die die betreffenden Organe zu verhängen berechtigt sind, ist zu unterscheiden zwischen den juristisch unverbindlichen Entscheidungen: Die Empfehlungen. Hier gibt es die Form der Scheinentscheidung, die dann vorliegt, wenn die Sicherungsorgane zwar ein Verfahren zur Feststellung des Sachverhaltes durchführen und abschließend einen förmlichen Akt setzen, womit sie zur Frage der Verletzung der Verpflichtungen des betreffenden Staates im Sinne des Begriffs der Endentscheidung Stellung nehmen, diese Entscheidung aber dadurch geprägt ist, daß sie so allgemein und unpräzise gefaßt ist, daß sie dem Sachverhalt nicht gerecht wird und weder eindeutig rechtsfeststellend noch rechtsgestaltend ist; eine weitere Möglichkeit ist die allgemeine Empfehlung: darunter versteht man jene unverbindliche Endentscheidung, in der generelle Empfehlungen ohne Bezeichnung eines bestimmten Staates an alle Staaten des betreffenden Berichtverfahrens gerichtet werden. Diese generellen Empfehlungen beruhen auf allgemein erkennbaren Lücken oder Mißständen bei der Durchführung des Verfahrens. Sie schonen den einzelnen Staat. Die individuelle besondere Empfehlung ist eine weitere Form der unverbindlichen Endentscheidung. Darunter versteht man jene juristisch unverbindliche (politisch aber manchmal verbindliche) Endentscheidung, womit Empfehlungen an einen individuell bezeichneten Staat gerichtet werden, denen ein Sachverhalt zugrunde liegt, der nur diesen Staat betreffen muß, nicht aber andere. Des weiteren kann man verbindliche Entscheidungen unterscheiden: Es sind dies jene, in denen dem Staat rechtsverbindliche Pflichten auferlegt werden können. Besonders wirksam sind jene Verfahren, in denen das Berichtsystem mit individuellen Beschwerdemöglichkeiten gekoppelt ist. Hier wird das Sicherungsorgan durch die jährlich oder in anderen Abständen einlangenden Berichte regelmäßig über den Stand der Rechtsordnung informiert und kann daher die einzelnen Beschwerden systematisch sofort einordnen; gleichzeitig wird es aber durch Beschwerden auf Lücken im Berichtsystem aufmerksam gemacht und auf allfällige fehlerhafte Berichte. Die Vorgeschichte des

Berichtsystems

Das Berichtsystem, so wie wir es heute in zahlreichen internationalen Konventionen kennen, die im Schöße der Vereinten Nationen bzw. der Sonderorganisationen entstanden sind, wurde im Rahmen der Internationalen Arbeitsorganisation und im Rahmen des Völkerbundes entwickelt. Im Rahmen der legislativen Tätigkeit der 1919 gegründeten -»• ILO entstanden eine ganze Reihe von multilateralen Konventionen auf arbeits- und sozialrechtlichem Gebiet, die auch den Schutz von Menschenrechten vor allem in sozialem Bezug zum Gegenstand haben. In Art. 22 und 23 der Satzung der ILO wird das Berichtsystem niedergelegt. Danach haben die Staaten, die ein Ubereinkommen ratifiziert haben, dem Internationalen Arbeitsamt jährlich einen Bericht über dessen Durchführung vorzulegen, dessen Form der Verwaltungsrat bestimmt. Der Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes hat jeweils der nächstfolgenden Konferenz der ILO einen zusammenfassenden Auszug aus den ihm von den Mitgliedern übermittelten Berichten vorzulegen. Auf Grund dieser eher knappen Vorschrift entwickelten die Organe der ILO ein ausgefeiltes System. Im Jahr 1926, als die Anzahl der vorgelegten Berichte bereits die Zahl von über 150 erreichte, beschloß die Konferenz der ILO in einer Entschließung die Einrichtung eines Ausschusses zur Prüfung des zusammenfassenden Auszuges und forderte den Verwaltungsrat auf, einen technischen Expertenausschuß einzusetzen. Dieser Ausschuß sollte aus sechs bis acht Mitgliedern bestehen, die als unabhängige Fachleute den besten und ausgiebigsten Gebrauch von den vorgelegten Berichten machen und auch ergänzende Auskünfte einholen sollten. Daneben wurde noch ein Ausschuß der

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Konferenz eingesetzt, der der Konferenz die Arbeit der Prüfung der ihr vom Expertenkomitee vorgelegten Unterlagen abnehmen sollte. Der Ausschuß der Konferenz ist heute in Art. 7 der Geschäftsordnung verankert; der Expertenausschuß wurde durch den Verwaltungsrat 1927 eingerichtet, seine Zusammensetzung, sein Aufgabengebiet und sein Verfahren wurden durch eine Entschließung im Jahre 1947 neu umrissen. Der Expertenausschuß hat im Zusammenwirken mit dem Verwaltungsrat die Form des Berichtsverfahrens geprägt, die Fragebögen zu jeder einzelnen Konvention ausgearbeitet und das Berichtsverfahren gestaltet. Parallel zur Herausbildung des Berichtsystems im Rahmen der Internationalen Arbeitsorganisation lief das Berichtsystem bei der Mandatskommission des Völkerbundes (-> Mandatsgebiete). Nach dem 1. Weltkrieg wurden den unterlegenen Mittelmächten, der Türkei und dem Deutschen Reich, die von ihnen verwalteten Kolonien und auch Provinzen von den Alliierten weggenommen und unter einem besonderen Aufsichtssystem des Völkerbunds von den Siegermächten als Mandate verwaltet. Grundlage der Mandatsverwaltung waren die mit dem Völkerbundrat vereinbarten bzw. von ihm genehmigten Mandatsverträge, deren allgemeine Grundzüge bereits in Art. 22 Völkerbundsatzung enthalten waren. In diesen Mandatsverträgen wurden auch Grundrechte zugesichert, da sich die Mandatsmacht zur Wahrung derartiger Rechte verpflichten mußte. Zur Sicherung dieser Rechte der Mandatsbevölkerung und zur Überwachung der Einhaltung der Verpflichtungen der Mandatare wurde gemäß Art. 22 Abs. 9 Völkerbundsatzung ein ständiger Ausschuß, die Mandatskommission, eingerichtet, die auf Grund eben dieser Bestimmung zur Entgegenahme, Prüfung und Begutachtung von Jahresberichten der Mandatare berechtigt war. Die Mandatskommission wurde durch Beschluß des Völkerbundrates vom 26. November 1920 ins Leben gerufen; unmittelbar wurde ihre Satzung beschlossen, die am 8. September 1927 novelliert wurde. Die Mandatskommission gab sich in der Folge ihre eigene Geschäftsordnung. Die Aufgabe der Mandatskommission war in der Satzung sehr kursorisch umrissen. Ohne jegliche explizite Rechtsgrundlage nahm die Mandatskommission das Recht für sich in Anspruch, Fragebögen auszuarbeiten, die die Grundlage der Berichte sein sollten. Bereits auf ihrer ersten Tagung wurde ein solcher entworfen und dem Völkerbundrat vorgelegt, der den Fragebogen bestätigte und damit sanktionierte. Die ersten Fragebögen waren primitiv, die Praxis verfeinerte sie immer mehr, bis schließlich ein neuer Fragebogen mit 118 Fragen vorgeschlagen wurde, der den Informationsbedürfnissen nicht vollkommen, aber besser Rechnung trug. Die Mandatskommission war dadurch letztlich berechtigt, die gesamte Verwaltungstätigkeit des Mandatars zu überprüfen. Dieser neue Fragebogen wurde aber vom Völkerbundrat nie gebilligt, so daß er für die Mandatare nicht bindend war. Ein Großteil von ihnen verwendete ihn aber freiwillig. Im Rahmen der problematischen Mandatsverwaltung durch den Völkerbund, dessen konsensuale Grundlagen stets umstritten waren, bewährte sich dieses System auf diese Weise und bildete dann die Grundlage für die Konzipierung des entsprechenden Systems in der Charta: Die Berichte der Treuhänder (-»• Treuhandrat). Zur historischen Entwicklung des Berichtsystems ist zu sagen, daß es sich nicht als Frucht der Überlegung von internationalen Experten am grünen Tisch entwickelte, sondern von Kontrollkommissionen entwickelt wurde, die sich damit ein Instrument schufen, das für ihre Arbeit ihnen als unerläßlich erschien. Die Berichtsysteme im Rahmen der Vereinten Nationen und ihrer Sonderorganisationen Im Rahmen dieser Ausführung können nur die wichtigsten Berichtsysteme genannt werden; Berichte werden in letzter Zeit auf Grund mehrerer Konventionen angefordert. Die wichtigsten sind die folgenden: 1. Die Berichte des Treuhänders nach Art. 87 a der Charta der Vereinten Nationen.

Die Berichtsysteme im Rahmen der Vereinten Nationen .

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Kapitel XII der Charta errichtet ein internationales Treuhandsystem. Es entspricht in manchem dem Mandatssystem des Art. 22 Völkerbundsatzung. Seine Zwecke sind im Art. 76 Charta festgelegt. In diesem Artikel ist auf die Menschenrechte ausdrücklich Bezug genommen. Zur Begründung und näheren Ausgestaltung der Treuhandschaft werden gemäß Art. 79 Charta Treuhandabkommen zwischen dem Treuhänder und den Vereinten Nationen abgeschlossen. Darin sind die Verpflichtungen des Treuhänders näher umschrieben. Die Gewährung verschiedener Grundrechte gehört dazu, so zum Beispiel das Recht der freien Meinungsäußerung, das Vereins- und Versammlungsrecht, das Recht der Freiheit der Religionsausübung und der Glaubens- und Gewissensfreiheit. Der Sicherstellung der in dem Treuhandabkommen festgelegten Pflichten dienen die in Kapitel XIII der Charta vorgesehenen Kontrollmaßnahmen des Treuhandrates. Durch Art. 86 wird der Treuhandrat eingerichtet, dessen Befugnisse im Art. 87 näher geregelt sind. Er prüft die von der Verwaltungsmacht vorgelegten Berichte. Durch die Pflicht zur Vorlage von Berichten über die Entwicklung des Treuhandgebietes, die nach einem detaillierten Fragebogen ausgearbeitet sein müssen (Text des Fragebogens bei Chowdhuri p. 202 seq.) kann der Treuhandrat in einem Verfahren überprüfen, ob die Verpflichtungen zum Schutze der Menschenrechte in genereller Weise eingehalten werden. Wesentliches Organ dieses Verfahrens, also das entsprechende Sicherungsorgan, ist der Treuhandrat. Das Verfahrensmittel sind die Fragebögen, die in 400-facher Ausfertigung dem Generalsekretär der Vereinten Nationen innerhalb von sechs Monaten nach Ablauf des Berichtsjahres vorgelegt und an die Mitglieder des Treuhandrates gesandt werden. Der Treuhandrat berät über diese Berichte, kann dabei Vertreter der Treuhandmacht hinzuziehen, wobei dieser Vertreter befragt werden kann. Nach einer Generaldebatte wird ein Paritätischer Ausschuß eingesetzt, der aus vier Mitgliedern besteht und der den Bericht an die -»• Generalversammlung entwirft. Dieser Bericht, der Empfehlungen enthält, wird der Generalversammlung nach Annahme durch den Treuhandrat vorgelegt. Der Sachverhalt, der diesen Treuhandberichten zugrundegelegt wird, kann durch Inspektionsausschüsse an Ort und Stelle kontrolliert werden. Die Empfehlungen, die nicht von der Generalversammlung zu genehmigen sind, werden vom Treuhandrat direkt an die Treuhandmacht gerichtet und sind nicht bindend. Das Berichtsystem nach dem Treuhandverfahren hat sich in der Praxis bewährt. Die Rechtsgrundlage für dieses Verfahren ist im einzelnen in der Geschäftsordnung des Treuhandrates geregelt (-+ Treuhandrat). 2. Das allgemeine Berichtsystem der Vereinten Nationen über die Menschenrechte (Periodic Reports on Human Rights). In der Charta der Vereinten Nationen ist auf die Menschenrechte und deren Schutz durch die Vereinten Nationen ausdrücklich Bezug genommen. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948 ist eine Empfehlung der Generalversammlung, die nach herrschender Lehre keine bindende Wirkung für die Staaten hat. Art. 62 Abs. 2 ermächtigt allerdings den ECOSOC zur Abgabe von Empfehlungen, zur Achtung und Verwirklichung der Menschenrechte und Grundfreiheiten. Gemäß Art. 64 ist der ->• ECOSOC dazu befugt, mit den Mitgliedern der Vereinten Nationen und mit den Sonderorganisätionen Abmachungen zu treffen, um Berichte über jene Maßnahmen zu erhalten, die zur Durchführung der Empfehlungen der Generalversammlung und des ECOSOC in jenen Angelegenheiten, die in seine Zuständigkeit fallen, getroffen wurden. Dies ist die für die Einrichtung eines allgemeinen Berichtsystems der Vereinten Nationen herangezogene Grundlage in der Charta. Dieses Berichtsystem beruht auf Empfehlungen, nicht auf Abmachungen mit dem ECOSOC. Es ist daher letzten Endes freiwillig. Der ECOSOC erließ entsprechende Empfehlungen und übertrug deren Anwendung der Menschenrechtskommission, die gemäß Art. 68 eingerichtet wurde. Die Menschenrechtskommission hatte die Einrichtung der Vorlage von jährlichen Berichten in ihrer 12. Sitzung im März 1956 gefordert. Der ECOSOC erließ daraufhin die Empfehlung in seiner Resolution 624 Β (XXII) (vom 1.8.1956), wonach die einzelnen

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Berichtsystem

Staaten und die Sonderorganisationen alle drei Jahre dem Generalsekretär Berichte vorlegen sollten. Diese Berichte hatten die Fortschritte auf dem Gebiet der Menschenrechte und die Schutzmaßnahmen aufzuzeigen. Sie sollten alle jene Rechte behandeln, die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte enthalten sind. A u f Grund dieser Resolution wurden Berichte von 41 Staaten über die Jahre 1954,1955 und 1956 vorgelegt. Die Berichte wurden von der Kommission geprüft, und dem Generalsekretär wurde aufgetragen, den Staaten detaillierte Vorschläge über die Form der Berichte zu machen. Der ECOSOC forderte mit seiner Resolution 728 Β ( X X V I I I ) vom 30. Juli 1959 die Staaten auf, diesen Vorschlägen volle Rechnung zu tragen. In der Folge langten 67 Berichte über die Jahre 1957, 1958 und 1959 ein und wurden geprüft. Der entsprechende Bericht der Menschenrechtskommission wurde v o m ECOSOC in seiner Resolution 888 Β ( X X X I V ) vom 24. Juli 1962 gebüligt. Er enthielt nur allgemeine Bemerkungen. Im Jahre 1965 legte der ECOSOC am 28. Juli ein neuerliches Verfahren fest, und beschloß Resolution 1074 C ( X X X I X ) . Eine genaue Fragebogensystematik wurde vorgeschrieben, und die Unterkommission der Menschenrechtskommission über die Verhinderung von Diskriminierung und für Minderheitenschutz wurde mit der Prüfung beauftragt. Die Bedeutung dieses Berichtsystems hat darin gelegen, daß hier eine Kontrolle der menschenrechtlichen Bestimmungen der Charta vorgenommen wurde, ohne daß eine neuerliche, bindende Rechtsgrundlage vorhanden war: Die Weltpakte über bürgerliche und politische, sowie soziale, wirtschaftliche und kulturelle Rechte kamen ja bekanntlich bis ins Jahr 1966 nicht zustande und sind erst unlängst in Kraft getreten. Um diese Lücke zu schließen, wurde das Berichtsystem entwickelt. Da es freiwillig war, konnte es nicht sehr wirkungsvoll werden. Das Sicherungsorgan für dieses Berichtsystem ist hauptsächlich die Menschenrechtskommission mit der oben genannten Unterkommission. T r o t z der hohen Qualifikationen der Mitglieder dieser Kommission ist es ein wesentlich politisches Organ. Die Endentscheidung wird schließlich vom ECOSOC getroffen, dessen Zusammensetzung bekannt ist. Das Verfahren ist dadurch geprägt, daß die Vorschläge über dieses nicht die Staaten binden, daß daher immer nur ein Bruchteil der Staaten, und zwar jene, die wenig zu befurchten haben, Berichte vorlegen. Da aber keine bindende Pflicht zur Vorlage vorliegt, berichten die Staaten auch nicht vollumfänglich. Die Berichte sind daher lückenhaft. Der Sachverhalt kann nicht objektiv festgestellt werden. Dieses Verfahren abschließende Entscheidungen sind allgemeine Entscheidungen und müssen als Scheinentscheidungen im obigen Sinn qualifiziert werden. Dieses Berichtsystem, das im Rahmen der Vereinten Nationen, wie bereits betont, als Lückenschließverfahren eingesetzt wurde und das die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte sowie die in der Charta niedergelegten Menschenrechte überprüfen soll, ist unwirksam. Es dient vor allem der politischen Argumentation im weitesten Sinn. (Ein ähnliches Berichtsystem gilt für die Berichte der Frauenrechtskommission der Vereinten Nationen.) 3. Das Berichtsystem der UNESCO über die Bekämpfung der Diskriminierung im Erziehungswesen. Die Satzung der UNESCO sieht im Art. V I I I vor, daß ihre Mitglieder in regelmäßigen Zeitabständen in einer Form, die von der Generalkonferenz bestimmt wird, u. a. über jene Maßnahmen Bericht erstatten, die sie in Ausführung von Empfehlungen und Übereinkommen dieser Organisation ergriffen haben. Diese Satzungsbestimmung entspricht einer Bestimmung in der Satzung der I L O , die gleichfalls zur Grundlage eines Berichtsystems geworden ist. Diese Berichte werden gem. Art. I V Abs. 6 von der Generalkonferenz der U N E S C O zur Prüfung entgegengenommen. Bis zum Inkrafttreten der Konvention über die Bekämpfung der Diskriminierung im Erziehungswesen vom 15. Dezember 1960 (BGBl. 1968 II S. 3 8 5 ) und der diesbezüglichen Empfehlung wurde von dieser Möglichkeit nicht Gebrauch gemacht. Die Konvention trat am 22. Mai 1962 in Kraft. Die entsprechende Empfehlung wurde von der Generalkonferenz im Dezember 1960 angenommen. Sowohl die Konvention als auch die Empfehlung verpflichten die Mitgliedstaaten zur Vorlage derartiger Berichte. Der

Das Berichtsystem nach dem Weltpakt der Vereinten Nationen

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Unterschied zwischen den Staaten, die die Konvention ratifiziert haben, und denen, die nur auf Grund der Satzungsbestimmung zur Berichterstattung aufgefordert werden, liegt im Folgenden: Die Konventionsstaaten sind an diese Konvention rechtlich gebunden, während die Durchführung der Empfehlung im Ermessen des Staates steht. Zur Berichterstattung sind jedoch beide Staatengruppen rechtlich verpflichtet. Sicherungsorgane dieses Berichtsystems sind in erster Linie der Exekutivrat mit seinem Sonderausschuß und die Generalkonferenz mit ihrem Berichtsausschuß. Alle diese Organe bestehen aus abhängigen Regierungsvertretern. Die Aufgabe des Sonderausschusses ist die Prüfung der Berichte, ihre Analyse und Auswertung. Er ist zur Abgabe von Vorschlägen berechtigt. Das Verfahren ist in der Geschäftsordnung geregelt. Die vorzulegenden Berichte werden auf Grund eines von der Generalkonferenz unter Mitarbeit des Generaldirektors und des Exekutivrates ausgearbeiteten Fragebogens erstellt. Er wurde von einem Expertenausschuß entworfen. Er umfaßt für die Konvention ca. 50, für die Empfehlung etwas weniger Fragen. Er wurde in der Folge angepaßt und erweitert. Die Generalkonferenz hat jederzeit das Recht, zusätzliche Auskünfte einzuholen. Die Sachverhaltsermittlung erfolgt also mit Hilfe eines im vorhinein ausgearbeiteten präzisen Fragebogens. Die Endentscheidung über die Berichte der Staaten steht der Generalkonferenz zu, die diese auf Grund des ihr vom Exekutivrat vorgelegten Berichtes des Sonderausschusses trifft. Diesem Bericht kommt dabei entscheidende Bedeutung zu. Die Endentscheidung besteht in individuellen besonderen Empfehlungen in der Form von Bemerkungen, die in einem allgemeinen Bericht zusammengefaßt werden, der mit einfacher Stimmenmehrheit angenommen wird. Die Empfehlungen sind juristisch unverbindlich, aber faktisch gewichtig. Das Berichtsystem nachdem Weltpakt der Vereinten Nationen über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte Der Weltpakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (-+ Menschenrechte) der Vereinten Nationen sieht als Sicherungsverfahren ein generelles Verfahren, also ein Berichtsystem, vor. Es ist dies jenes Kontrollsystem für die Einhaltung menschenrechtlicher Verpflichtung, das den sozialen Grundrechten am ehesten angepaßt ist, die einen individuellen Rechtsschutz in der Form von Beschwerden nur schwerlich zulassen. Die Abwicklung dieses Berichtsystems ist in der Konvention selbst geregelt, eine Praxis hierzu ist noch nicht entwickelt. Als Sicherungsorgane sind gem. Art. 16 und 19 des Weltpaktes der ECOSOC sowie die Menschenrechtskommission vorgesehen. Es handelt sich hier um allgemeine, politische, umfangreiche, aus Regierungsvertretern bestehende Organe. Ein Spezialorgan ist nicht eingerichtet, könnte aber in einem aus Fachleuten zusammengesetzten Unterausschuß des ECOSOC oder der Menschenrechtskommission bestehen. Die Zuständigkeit dieser Organe beschränkt sich auf die Aufforderung zur Vorlage von Berichten, auf deren Prüfung und auf die Abgabe von Empfehlungen. Wesentliches Hauptorgan ist der ECOSOC, der gem. Art. 17 des Paktes jenen Plan nach Beratung mit den Vertragsstaaten und den einschlägigen Sonderorganisationen der Vereinten Nationen verfaßt, in dem Termine für die Vorlage der Berichte festgelegt sind; er trifft die Abmachungen mit den Sonderorganisationen betreffend die Vorlage von Berichten in ihrem Arbeitsbereich; er kann die Berichte an die Menschenrechtskommission zur Abgabe von Empfehlungen allgemeiner Art weiterleiten; er kann schließlich der Generalversammlung von Zeit zu Zeit Berichte allgemeiner Art mit entsprechenden allgemeinen Empfehlungen an die Generalversammlung und die anderen Organe der Vereinten Nationen vorlegen. Uber den Inhalt der Berichte treffen Art. 16 und 17 folgende Aussagen: Diese Berichte haben die getroffenen Maßnahmen und den erzielten Fortschritt bei der Verwirklichung der

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Berichtsystem

im Weltpakt zugesicherten Rechte zu berichten. Es können in ihnen jene Umstände und Schwierigkeiten erwähnt werden, die das Maß der Erfüllung der Verpflichtung des Weltpaktes beeinflussen. Darüber hinaus ist nichts gesagt. Als Endentscheidung kommen allgemeine Empfehlungen in Betracht. Das bedeutet, daß anscheinend zu einzelnen Unzukömmlichkeiten, zu einem konkreten Mißstand, eine Empfehlung nicht abgegeben werden kann, sondern nur Allgemeines, unabhängig von einem bestimmten Fall oder einer bestimmten Lage in einem Staat, Gegenstand dieser Empfehlung sein soll. Das Berichtsystem, das durch diesen Weltpakt eingerichtet werden wird, mag zwar geeignet sein, die Menschrechtskommission und den ECOSOC über die mannigfachen sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Entwicklungen zu unterrichten, und es wird die Staaten, die guten Willens sind und diese Rechte gewähren wollen, anspornen und ihnen helfen. Es ist aber ungeeignet, jene Staaten zu kontrollieren, die gegen diese Rechte verstoßen. Ein Sicherungssystem liegt zwar vor, aber es ist nur sehr schwach. Darüber hinaus bietet es die Gefahr der weiteren Verpolitisierung der Menschenrechte und damit Anlaß zur weiteren Diskreditierung des internationalen Schutzes der Menschenrechte durch die Vereinten Nationen. Ausgangspunkt für diese pessimistische Betrachtung sind: Die politische Zusammensetzung des Sicherungsorganes; die mangelnden Rechte, den Sachverhalt in den einzelnen Staaten herauszustellen (Fragebogen, Lokalaugenschein, Zeugeneinvernahme), und schließlich die fehlende Sanktion, insbesondere die fehlenden präzisen Empfehlungsrechte. Die Berichtsysteme auf Grund der Konvention der Vereinten Nationen zur Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung und des Weltpaktes der Vereinten Nationen über bürgerliche und politische Rechte Sowohl in der Rassendiskriminierungskonvention (BGBl. 1969 II S. 961 Rassendiskriminierung), als auch in diesem Weltpakt (-> Menschenrechte) findet sich die Kombination von individuellem Beschwerdeverfahren (-»· Petitionen) und generellem Berichtsystem zur Sicherung der Durchführung der entsprechenden Verpflichtungen im innerstaatlichen Bereich. Die Rassendiskriminierungskonvention ist schon seit längerer Zeit in Kraft, und das entsprechende Sicherungsorgan arbeitet bereits. Das dem Rassendiskriminierungsausschuß nachgebildete Sicherungsorgan im Bereich des Weltpaktes ist noch nicht in Aktion getreten. Beide werden zusammen behandelt, da es sich hier um weitgehend identische Rechtsgrundlagen bzw. weitgehend gleichgestaltete Sicherungsverfahren handelt. Art. 8 der Rassendiskriminierungskonvention bestimmt, daß als Sicherungsorgan ein Ausschuß über die Beseitigung der Rassendiskriminierung gebildet wird. Ihm gehören 18 Fachleute an, die hohes sittliches Ansehen genießen und die erwiesenermaßen unabhängig sein müssen. Sie werden von den Konventionsstaaten gewählt, auf vier Jahre, und sind in ihrer persönlichen Eigenschaft tätig. Im Weltpakt ist gleichermaßen ein unabhängiges, wesentliches Spezialorgan als Menschenrechtsausschuß vorgesehen, der gem. Art. 28 ff. dieses Weltpaktes aus 18 Mitgliedern besteht und im gleichen Verfahren wie der Ausschuß über die Beseitigung der Rassendiskriminierung gewählt wird. Die Mitglieder werden auf vier Jahre gewählt und sind ebenfalls in ihrer persönlichen Eigenschaft tätig. Wesentlich ist bei beiden Organen, daß sie nicht von allen Staaten der Vereinten Nationen, sondern nur von jenen gewählt werden, die die Verpflichtungen der Konventionen auf sich genommen haben, daß diese Organe also interessenadäquat zusammengesetzt sein können. Beide Ausschüsse sind berechtigt, sich ihre eigene Geschäftsordnung zu geben. Der Rassendiskriminierungsausschuß hat dies bereits getan. Die Konvention ist am 4. Januar 1969 in Kraft getreten, und im Jahre 1969 wurde auch der Ausschuß gewählt. Der Ausschuß der Rassendiskriminierungskonvention hat im Rahmen des Berichtsverfahrens die Aufgabe, die Berichte der Konventionsstaaten über die gesetzgeberischen, gericht-

Die Berichtsysteme auf Grund der Rassendiskriminierungskonvention

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liehen, administrativen oder alle anderen Maßnahmen zu prüfen, die diese zur Durchführung der Konvention getroffen haben; er ist fern er berechtigt, derartige Berichte nach Belieben anzufordern und ergänzende Auskünfte zu verlangen. Er hat also die Zuständigkeit, inquisitorisch die Lage in den einzelnen Ländern zu ermitteln. Die Tätigkeit dieses Organs besteht nun weiter darin, auf Grund dieser Berichte einen eigenen Bericht an die Generalversammlung der Vereinten Nationen zu richten, der Vorschläge und allgemeine Empfehlungen enthalten kann und die dazugehörigen Stellungnahmen der betreffenden Staaten. Der Menschenrechtsausschuß des Weltpaktes berät gleichfalls die Berichte der Konventionsstaaten über jene Maßnahmen, die diese zur Verwirklichung der in der Konvention anerkannten Rechte getroffen haben. Der Ausschuß kann derartige Berichte nach Belieben anfordern, ist aber theoretisch nicht berechtigt, ergänzende Auskünfte einzuholen. Die auf diese Weise eingelangten Berichte werden vom Ausschuß geprüft und allenfalls mit allgemeinen Bemerkungen den Teilnehmerstaaten übermittelt, die dazu Stellungnahmen abgeben können. Nach der Rassendiskriminierungskonvention sind die Staaten verpflichtet, binnen einem Jahr nach dem Inkrafttreten für ihren Bereich den ersten Bericht vorzulegen. In der Folge geschieht dies alle zwei Jahre oder immer dann, wenn es der Ausschuß verlangt. Der Rassendiskriminierungsausschuß ist derzeit dabei, eine Standardform für einen Fragebogen auszuarbeiten, und hat diesbezüglich bereits Schritte unternommen. Ein Fragebogen wird sich im Laufe der Praxis dieses Ausschusses als Standard herausbilden. Der Inhalt der Berichte nach der Rassendiskriminierungskonvention muß umfassend sein, dies ergibt sich aus der Bestimmung des Art. 9, und der Praxis dieses Ausschusses folgend, wird auf diese Vollständigkeit Wert gelegt. Im Verfahren nach dem Weltpakt muß jeder Staat binnen einem Jahr nach Inkrafttreten einen entsprechenden Bericht vorlegen. Eine periodische Vorlagepflicht für den folgenden Zeitraum ist nicht vorgesehen, sondern die Anforderung von Berichten liegt im Ermessen des Ausschusses. Dieser kann ein regelmäßiges System in seine Geschäftsordnung aufnehmen. Die Form der Berichte entspricht, soweit die Rechtsvorschriften in Betracht kommen, wesentlich jener nach der Rassendiskriminierungskonvention. Ein ergänzendes Fragerecht ist dem Menschenrechtsausschuß allerdings nicht zugestanden, ein solches kann aber aus der Klausel geschlossen werden, daß Berichte nach Belieben angefordert werden können. Die Endentscheidung liegt in beiden Fällen auf der Ebene des Unverbindlichen: Die Rassendiskriminierungskonvention sieht vor, daß der Ausschuß auf Grund der ihm vorgelegten Berichte und ergänzenden Informationen Vorschläge und allgemeine Bemerkungen abgeben kann. Es handelt sich hier wohl um individuelle Empfehlungen. Der Ausschuß kann, wenn er einen Mißstand oder eine Unzulänglichkeit erkennt, an den betreffenden Staat einen Vorschlag, eine Empfehlung richten, welche Maßnahme er zu ergreifen hat. Der durch den Weltpakt eingerichtete Menschenrechtsausschuß ist gleichfalls zur Abgabe einer unverbindlichen Empfehlung berechtigt. Auf der Basis der Auskünfte, die in den vorgelegten Berichten enthalten sind, teilt er seine allgemeinen Bemerkungen den Mitgliedstaaten mit. Im Gegensatz zum Ausschuß der Rassendiskriminierungskonvention, der seine Empfehlung an die Generalversammlung richtet, richtet der Menschenrechtsausschuß seine allgemeinen Empfehlungen nur an alle Mitgliedstaaten. Die Empfehlungen des Menschenrechtsausschusses auf Grund dieser Berichte nach dem Weltpakt können nur allgemeiner Art sein. Erst die Praxis wird zeigen, ob daraus ein wirksames Instrument des Empfehlungseinsatzes wird. Beiden Sicherungssystemen ist eigen, daß ihre Handhabung einem quasi-gerichtlichen Spezialorgan anvertraut ist, dessen Schwergewicht seine Unabhängigkeit ist. Die Rechte dieser Organe gehen aber nicht sehr weit: Die Feststellung der Lage in den einzelnen Staaten im Bezug auf die Durchführung der Verpflichtungen erfolgt mittels jener Berichte, die auf Grund von Fragebögen angefordert werden. Es besteht in beiden Fällen das Recht auf ergänzende Auskunft. Jedoch ist die Richtigkeit der Berichte nicht sichergestellt, da ein Korrektiv, wie ζ. B. die Berichte von nichtstaatlichen Organisationen, für die Berichte fehlt. Die Sachverhaltsermittlung ist daher nicht unbedingt zielfuhrend. Die Entscheidungs-

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Blockbildung

kompetenz beider Sicherungsorgane ist gering: Sie können Empfehlungen an die Staaten richten, die an deren Einhaltung nicht gebunden sind. Es besteht in beiden Systemen die Gefahr der Verpolitisierung.

Das Berichtsystem nach Art. 22 und 23 der Satzung der ILO über die Durchführung der ratifizierten Übereinkommen Dieses Berichtsystem war eines der ersten Berichtsysteme, und im Rahmen der ILO wurde das Instrumentarium dieses Sicherungsverfahrens entwickelt. Im einzelnen wird hier nicht darauf eingegangen.

Literatur Carey: The United Nations' Double Standard on Human Rights Complaints, in: AJIL vol. 60 (1966) p. 7 9 2 Chowdhuri: International Mandates and Trusteeship Systems, The Hague 1948 Das: Measures and implementations of the international Convention on the Elimination of all forms of Racial Discrimination with special reference to the provisions concerning reports f r o m States Parties to the Convention, in: RDH vol. 4 (1971) p. 2 1 3 Hoare: The UN Commission on Human Rights, in: Luard (ed.),The International Protection of Human Rights, London 1967, p. 59 Khol: Zwischen Staat und Weltstaat; die internationalen Sicherungsverfahren zum Schutze der Menschenrechte, Wien 1969 ders.: „The Committee of Twenty-Four" and the Implementation of the Declaration on the Granting of Independence to Colonial Countries and Peoples, in: RDH vol. 3 (1970) p. 21 Landy: The Effectiveness of International Supervision, Thirty Years of ILO Experience, London 1966 Mertens: L'Application de la Convention et de la Recommandation de l'UNESCO concernant la lutte contre la discrimination dans le domaine de l'Enseignement, in: RDH vol. 1 (1968) p. 91 Roth: Das Kontrollsystem der Völkerbundmandate, Berlin 1930 Saba: La Convention et la Recommandation concernant la lutte contre la discrimination dans le domaine de l'enseignement, in: AFDI 1960 p. 646 Schwelb: Some Aspects of the Measures of Implementation of the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, in: RDH vol. 1 (1968) p. 363 Toussaint: The Trusteeship System of the United Nations, London 1956 Veicopoulos: Traité des Territoires Dépendants, Tome 1, Athen 1960 Andreas Khol Verweise auf: ECOSOC; Generalversammlung; ILO; Mandatsgebiete; Menschenrechte; Petitionen; Rassendiskriminierung; Treuhandrat; UNESCO.

Blockbildung Problemlage Unter dem Begriff „Blockbildung" werden im System der Vereinten Nationen zwei unterschiedliche Erscheinungsformen politischer Zusammenarbeit verstanden: Einerseits der auf politischen, sozialen, sozio-kulturellen und ideologischen Faktoren beruhende Zusammen-

Blockbildung als Machtkonfrontation

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schluß mehrerer Staaten zur Verfolgung einer gemeinsamen Politik im Rahmen bestehender oder antizipierter Interessengegensätze, zum anderen die sich innerhalb der Vereinten Nationen ergebende geographische Gruppenbildung zur Sicherung einer gerechten regionalen Repräsentation bei der Besetzung von Gremien mit beschränkter Mitgliederzahl und Ämtern in diesen Gremien. Blockbildung im ersteren Sinne findet ihren Niederschlag in Begriffen wie Kalter Krieg, -> Ost-West-Konflikt und Nord-Süd-Konflikt, Blockbildung im engeren Sinne in regionaler Gruppenaktivität und Fraktionierung. Diese geographische Blockbildung wird im folgenden als Gruppenbildung bezeichnet. Trotz unterschiedlicher Sachverhalte und Funktionen stehen Blockbildung und Gruppenbildung in der politischen Praxis in unmittelbarer Beziehung. Blockbildung

als

Machtkonfrontation

Während die Entstehungsgeschichte der Vereinten Nationen unter dem Eindruck der Zusammenarbeit der USA und UdSSR im Interesse der Bekämpfung der vom deutschen Nationalsozialismus ausgehenden Gefahr für internationale Sicherheit und Frieden stand, war die unmittelbare Nachkriegszeit nach Gründung der Vereinten Nationen durch eine wachsende Konfrontation zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion bestimmt. Die Gewährleistung der in der Charta niedergelegten Ziele der Aufrechterhaltung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit (->• Grundsätze der Vereinten Nationen; Friedenssicherung) lag auf Grund des wirtschaftlichen wie militärischen Potentials faktisch in erster Linie bei den USA. Durch Wegfall des gemeinsamen Gegners Deutschland trat auch in den Vereinten Nationen der ideologische Konflikt zwischen Kommunismus und westlichem Kapitalismus spätestens 1947 offen zutage. Unter der Prämisse, daß der Weltkommunismus eine Gefahr für die Freiheit der Völker darstelle, entwickelten die USA im Nahen Osten und in Europa eine Politik der Eindämmung (containment). Durch gezielte Wirtschaftshilfe wurde versucht, Partner zu gewinnen und in den eigenen Einflußbereich zu integrieren bzw. gemeinsam dem Kommunismus entgegenzutreten. Die auf Mitteleuropa gerichtete politische und wirtschaftliche Strategie der USA wie der Sowjetunion manifestierte sich als „Kalter Krieg", später neutraler als Ost-West-Konflikt. Im Gegensatz zum Kalten Krieg in Mitteleuropa wurden die Konflikte in Asien als konventionelle Kriege geführt (-* Korea). Wie die USA ihre Wirtschaftshilfe als Mittel zur Verteidigung ihrer Interessen gegen die Verbreitung des Kommunismus verstanden, so betrachteten sie auch die Vereinten Nationen als Instrument zur Stabilisierung des eigenen Einflußbereiches. Das gleiche gilt, konkretisiert durch den Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (COMECON) und den Warschauer Pakt, für die Sowjetunion hinsichtlich der osteuropäischen Staaten. Der Versuch der Behauptung der eigenen Interessensphäre bestimmte auch die Politik der Supermächte in den Vereinten Nationen. Die im Ost-West-Konflikt angelegte Blockbildung und Machtstabilisierung bestimmte zugleich die Zulassung neuer Mitglieder. Mit Ausnahme von Indonesien (1950) sind zwischen 1949 und 1955 keine neuen Mitglieder in die Vereinten Nationen aufgenommen worden (-> Mitgliedschaft). Zwischen 1946 und 1955 war die Diskussion über die Zulassung neuer Mitglieder in unterschiedlich offener Form von der Strategie des Kalten Krieges beeinflußt und bestimmt. Während die westlichen Staaten unter Führung der USA der Aufnahme kommunistischer Mitglieder in die Weltorganisation mit der Begründung widersprachen, daß Kommunismus mit den in Art. 4 niedergelegten Qualifikationen für die Mitgliedschaft nicht vereinbar sei, hat die Sowjetunion ihr Vetorecht Stimmrecht) eingesetzt, u m eine Veränderung der Mitgliederzahl zu ihren Ungunsten zu verhindern. Wenn 1946 Afghanistan, Island, Schweden und Thailand, 1947 Jemen und Pakistan, 1948 Birma, 1949 Israel und 1950 Indonesien in die Vereinten Nationen aufgenommen wurden, so nur deshalb, weil diese Staaten als neutral galten und damit den Auffassungen der Großmächte nach nicht zu einer Veränderung der Kräfteverhältnisse beitrugen. Die die Anfangsphase der Vereinten Nationen bestimmende Blockbildung zwi-

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Blockbildung

sehen Ost und West unter Duldung der Neutralen wurde nach 1955 durch Akzeptanz der Neutralen als politische Kraft modifiziert. In einem Verhandlungspaket wurden 1955 neben den neuen westlichen Mitgliedern Irland, Italien, Österreich, Portugal und Spanien, den östlichen Staaten Albanien, Bulgarien, Rumänien und Ungarn auch acht nicht blockgebundene neutrale Staaten aufgenommen. Erstarkt durch die Bandung-Konferenz, auf der sich die Länder der Dritten Welt zum ersten Mal als neutrale politische Kraft zu formieren suchten, traten im Rahmen der Vereinten Nationen die blockungebundenen Mitgliedstaaten als eigenständige politische Kraft auf. Als Folge der von den neutralen Staaten initiierten Erklärung der Generalversammlung über die Gewährung der Unabhängigkeit an Kolonialländer und -Völker (Res. 1514 (XV) vom 14.12.1960; Entkolonialisierung) — allein im Jahre 1960 wurden 17 Entwicklungsländer als neue Mitglieder in die Weltorganisation aufgenommen — verstärkte sich auch das politische Gewicht der Dritten Welt in der Generalversammlung. Die quantitative Zunahme der afro-asiatischen Staaten führte politisch zu einem Aufgabenwandel, indem zunehmend wirtschaftliche und soziale Probleme Beratungsgegenstand der Generalversammlung und der Sonderorganisationen wurden. Erklärtes Ziel der Dritten Welt war und ist es, die Struktur der Weltpolitik und der Weltwirtschaft, insbesondere die Nutzung der Bodenschätze, Verteilung der Rohstoffe und Ausgestaltung des Handels- und Währungssystems so zu gestalten, daß nicht nur ihre gleichberechtigte Teilnahme am Entscheidungsprozeß gesichert ist, sondern auch das bestehende Gefälle zwischen reichen Industrieländern und armen Entwicklungsländern abgebaut wird (-> Entwicklungspolitik). Im Rahmen dieses Nord-Süd-Konfliktes schlossen sich die Entwicklungsländer als „Ungebundene" oder „Gruppe der 7 7 " zu einem eigenen Block zusammen, u m nicht nur die verbliebenen Privilegien der Großmächte in Form des Vetos im Sicherheitsrat (-»· Stimmrecht) und die gewichteten Stimmrechte in dem IMF und der IBRD abzubauen, sondern die Vereinten Nationen in gleichem Maße systematisch zur Durchsetzung ihrer Interessen zu nutzen, wie dies die USA und UdSSR bis 1960 im Rahmen des Ost-West-Konflikts getan hatten. Die Formierung der Dritten Welt als neuer Block war Anfang der 70er Jahre abgeschlossen; die 27. Sitzungsperiode der Generalversammlung im Jahre 1972 stand als erste klar unter der Dominanz der Dritten Welt. Heute verfügt die Dritte Welt in der Generalversammlung mit mehr als 100 von 144 Stimmen über eine sichere Zweidrittelmehrheit. Infolge der Gruppenbildung verfügt sie auch über die Mehrheit in den Organen und Gremien mit beschränkter Mitgliederzahl. Wenn diese Entwicklung auch von den westlichen Ländern beklagt wird, so ist das nicht Ausdruck eines Strukturdefektes der Weltorganisation, sondern eben gerade Spiegelbild der heutigen Weltsituation und veränderten Kräfteverhältnisse. Gruppenbildung

(Blockbildung

im engeren Sinne)

Nur in der Generalversammlung und ihren sieben Hauptausschüssen haben alle Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen Sitz und Stimme. In allen übrigen Organen (-»• Organisationssystem der Vereinten Nationen; Ausschußsystem) ist nur eine begrenzte Zahl von Mitgliedern vertreten, so daß im Interesse einer Repräsentanz aller vorhandenen politisch relevanten Kräfte eine Selektion hinsichtlich der Besetzung dieser Gremien strukturell und funktional erforderlich ist. Da nach organisationssoziologischen Erkenntnissen die Arbeitseffizienz und politische Effektivität unmittelbar mit der Größe eines Gremiums in Verbindung steht, haben die Mitgliedstaaten ein besonderes Interesse an Sitz und Stimme in den Gremien mit begrenzter Mitgliederzahl. Mit Ausnahme der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates besteht realistische Aussicht auf Repräsentation in Organen und Ausschüssen mit begrenzter Mitgliederzahl nur dann, wenn die dort Sitz und Stimme anstrebenden Mitgliedstaaten die notwendige Wahlunterstützung erhalten. Aus diesem Grunde haben sich bereits in der ersten Sitzungsperiode der Generalversammlung Anfänge eines Systems von geographischer bzw. politischer Gruppen-

Osteuropäische Gruppe

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bildung herauskristallisiert. Durch Erweiterung der Aufgabengebiete der Organisation wie durch insbesondere nach 1955 ständig steigende Mitgliederzahl auf dem Wege zur Universalität hat sich die Gruppenbildung zu einem festen Bestandteil des politischen Systems der Vereinten Nationen verfestigt. Den geographischen Gruppen kommt heute eine quasioffizielle Funktion in der Struktur der Weltorganisation zu. Während bis 1955 auch die Gruppenbildung in erster Linie vom Ost-West-Gegensatz bestimmt war und neben dem östlichen und westlichen Block allenfalls die „Neutralen" und das Commonwealth als besondere Gruppen angesprochen werden konnten, ist im Zuge der -> Entkolonialisierung und des steigenden Selbstbewußtseins der Staaten der Dritten Welt auch hier eine Differenzierung eingetreten. Formell lassen sich heute vier geographische Gruppen unterscheiden: Die afro-asiatische Gruppe, die osteuropäische Gruppe, die lateinamerikanische Gruppe und die Gruppe westeuropäischer und anderer Staaten. Die afro-asiatische

Gruppe

Die Gruppe der afro-asiatischen Staaten entspricht in ihrer Zusammensetzung grundsätzlich der geographischen Zugehörigkeit. Durchbrochen wird das Prinzip der regionalen Zugehörigkeit lediglich hinsichtlich der Republik Südafrika, Israels und Zyperns. Zwar zählt die Republik Südafrika geographisch zur afro-asiatischen Gruppe, doch hat Südafrika (-»· Südliches Afrika) auf Grund der anders gerichteten Interessenlage schon frühzeitig an den Sitzungen der afro-asiatischen Gruppe nicht mehr teilgenommen. Gegenwärtig ist Südafrika der Zutritt zur afro-asiatischen Gruppe infolge seiner Rassenpolitik verwehrt. Ohne feste Gruppenzugehörigkeit nimmt Südafrika an den Sitzungen der Gruppe westeuropäischer und anderer Staaten als Gast teil. Traditionell zwar Mitglied der afro-asiatischen Gruppe, wurde Zypern verschiedentlich auch als westlicher Staat in Organe und Ausschüsse gewählt. Durch die zunehmende politische Wirkungskraft der arabischen Staaten innerhalb der afro-asiatischen Gruppe ist Israel endgültig seit der 27. Sitzungsperiode der Generalversammlung die Mitarbeit in dieser Gruppe verwehrt. Die afro-asiatische Gruppe bildet den zahlenmäßig und politisch stärksten Block innerhalb der Generalversammlung und der anderen Gremien. Die sich bei parlamentarischer Betrachtung ergebende Mehrheit der afro-asiatischen Gruppe hat politisch wie strukturell zu einer Veränderung des Systems der Vereinten Nationen geführt, so daß — mit Ausnahme des Sicherheitsrates — Entscheidungen gegen die Interessen der afro-asiatischen Gruppe unmöglich sind. Die afro-asiatische Gruppe kann nicht als monolithischer Block angesehen werden. Die arabischen Staaten haben seit 1971 einen Führungsanspruch in der Gruppe geltend gemacht und ihn auch weitgehend durchgesetzt. Politischer Gegenspieler der arabischen Staaten im Rahmen dieser Gruppe ist die Volksrepublik -*• China, deren Führungsrolle im Rahmen der Gruppenbildung jedoch gering blieb, so daß die Durchsetzungskraft zunehmend auf die ständige Mitgliedschaft im Sicherheitsrat gestützt wird. Osteuropäische

Gruppe

Zur osteuropäischen Gruppe zählen Bulgarien, Jugoslawien, Deutsche Demokratische Republik, Polen, Rumänien, Tschechoslowakei, Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik, Ungarn, die Weißrussische Sozialistische Sowjetrepublik und die UdSSR. Geographisch wird auch Albanien dieser Gruppe zugerechnet, doch hat Albanien auf Grund der politischen Interessengegensätze und unterschiedlichen Ideologie nur anfangs teilweise an den Gruppenaktivitäten teilgenommen. Entsprechend war Albanien wie die quasi nicht-gruppengebundenen Staaten Südafrika und Israel bislang weder im Sicherheitsrat noch im ECOSOC vertreten. Im übrigen bildet die osteuropäische Gruppe den kohärentesten Block innerhalb der Generalversammlung.

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Blockbildung

Gruppe westeuropäischer und anderer Staaten Unter dem Gesichtspunkt der geographischen Verteilung bildet die Gruppe westeuropäischer Staaten die am wenigsten kohärente Gruppierung. Neben den westeuropäischen Staaten sind Australien, Finnland, Kanada, Neuseeland, die Vereinigten Staaten und die Türkei in dieser Gruppe vertreten. Quantitativ ist die westeuropäische Gruppe mit 23 Mitgliedern nach Osteuropa (10 Mitglieder) die kleinste. Während der Führungsanspruch der westeuropäischen Gruppe bis 1955 nicht nur politisch durch den Kampf gegen den Kommunismus, sondern auch numerisch durch die höhere Mitgliedszahl verkörpert wurde, beruht die weiterbestehende Bedeutung nicht mehr auf diesen Kriterien, sondern auf der Tatsache, daß sie mit Frankreich, Großbritannien und den USA drei der fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates stellt. Zwar werden die fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates auch auf G r u n d ihres Anspruchs auf Repräsentanz in allen Gremien der Vereinten Nationen als gesonderte Gruppe betrachtet, doch erscheint aus politischer und geographischer Interessenlage eine Zuordnung zu den jeweiligen Gruppen sinnvoller. Innerhalb der Gruppe westeuropäischer und anderer Staaten hat sich zunehmend eine Tendenz zur Zusammenarbeit zwischen den neun Staaten der ->• Europäischen Gemeinschaften herausgebildet. Kooperation und Auftreten können jedoch zumindest gegenwärtig weder mit der Kohärenz der arabischen Staaten im afro-asiatischen Block noch mit dem Führungsanspruch anderer Staaten oder Staatenverbindungen in anderen Gruppen verglichen werden.

Funktion der Gruppenbildung Trotz des strukturellen Zwanges zum Anschluß an Regionalgruppen und der damit verbundenen Isolation gruppenungebundener Staaten erscheint die Gruppenbildung auf geographischer Grundlage als einzige Möglichkeit, u m die Sitzverteilung in den Gremien der Vereinten Nationen zu organisieren Die Wahlen zu den Organen und den Organen nachgeordneten Ausschüssen und Gremien der Vereinten Nationen wie die Verteilung der Ä m t e r werden vom Grundsatz der ausgewogenen geographischen Verteilung bestimmt. Zur Sicherstellung der Einhaltung des Grundsatzes der ausgewogenen geographischen Verteilung wurden teilweise „gentlemen's agreements" geschlossen, im übrigen regionale Quoten durch die Generalversammlung festgelegt (Res. 1991 (XVIII) vom 17.12.1963). Von den nunmehr zehn nichtständigen Sitzen des Sicherheitsrates fallen fünf an die afro-asiatischen Staaten, zwei an die lateinamerikanischen, zwei an die europäischen und einer an die osteuropäische Gruppe. Nach Erhöhung der Mitgliedszahl im ECOSOC entfallen 25 (vorher 12) Sitze auf die afroasiatische, 13 (vorher 7) an die westeuropäische, 10 (vorher 5) auf die lateinamerikanische und 6 (vorher 3) Sitze auf die osteuropäische Gruppe. Diese geographische Verteilung wird im wesentlichen auch bei den Wahlen zu Ausschüssen mit begrenzter Mitgliederzahl beachtet. Wie die Besetzung der Organe und Gremien, so erfolgt auch die Verteilung der Ämter in der Regel nach regionalen Gesichtspunkten der Gruppenzugehörigkeit. Mit Resolution 1990 (XVIII) vom 17. Dezember 1963 hat die Generalversammlung das Prinzip der ausgewogenen geographischen Verteilung für das General Committee, damit in der Praxis für alle Ausschüsse festgelegt. Der Grundsatz der auf Gruppenzugehörigkeit beruhenden geographischen Verteilung gilt im gleichen Maße für die Verteilung der Ä m t e r der Generalversammlung und anderen Gremien, w o als zusätzliches Kriterium die persönliche Befähigung des Kandidaten hinzutreten sollte. Obwohl weder Art. 21 noch Regel 31 der Geschäftsordnung der Generalversammlung den Modus der Wahl des Präsidenten der Generalversammlung präzisieren, hat sich hier wie in der Besetzung anderer Präsidentenämter die Praxis durchgesetzt, daß jeweils eine geographische Gruppe zur Nominierung berechtigt ist. Innerhalb dieser Gruppe finden Absprachen statt, die in einem Entscheidungsprozeß zu Gunsten eines bestimmten Kandidaten enden, der dann mit dem Konsens der Generalversammlung rechnen kann. Bis 1975

F u n k t i o n der Gruppenbildung

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wurde das Amt des Präsidenten der Generalversammlung zwölfmal von Staaten der afroasiatischen, neunmal von Staaten der westeuropäischen, sechsmal von Staaten der lateinamerikanischen und dreimal von Staaten der osteuropäischen Gruppe besetzt. Für den Vorsitz der Hauptausschüsse der Generalversammlung wurde in der Entschließung 1990 (XVIII) festgelegt, daß drei Vorsitzende den afro-asiatischen Staaten und j e ein Vorsitz den übrigen drei geographischen Gruppierungen zusteht. Der siebente Vorsitzende wird jährlich alternierend von einem lateinamerikanischen oder einem westeuropäischen oder anderen Staat gestellt. Festgelegt ist damit nur die numerische Verteilung der Ausschußvorsitze unter den Gruppen, nicht die Zuordnung zu bestimmten Ausschüssen. Im politisch bedeutsamen 1. Ausschuß fiel der Vorsitz neunmal an die Gruppe der westeuropäischen und anderen Staaten, achtmal an die lateinamerikanischen Staaten, dreimal an die osteuropäische Gruppe. Im 3. Ausschuß (soziale, humanitäre und kulturelle Fragen) dominierte die westeuropäische Gruppe, im 4. und 5. Ausschuß die afro-asiatische Gruppe, im 6. Ausschuß (Rechtsfragen) die osteuropäische Gruppe (-> Ausschußsystem). Insgesamt hat sich die Gruppenbildung auf regionaler Ebene als effektiver Zusammenschluß zur Absprache prozeduralen und sachlichen Verhaltens und Taktierens, zur Vorstrukturierung politischer Entscheidungen wie zur Selbstabklärung kontroverser Positionen bewährt. Über die Gruppenbildung wird in den Gremien mit beschränkter Mitgliederzahl eine Repräsentanz der politisch wie geographisch relevanten Kräfte und Tendenzen gesichert, die Voraussetzung für eine effektive internationale Zusammenarbeit ist. Als Mängel erscheinen jedoch, daß durch die geographische Gruppenbildung weder das nationalstaatliche Element in der internationalen Politik zurückgedrängt werden konnte noch Handlungsspielraum für gruppengebundene Akteure im Rahmen der Vereinten Nationen gegeben ist. Gerade die Erfahrungen der letzten Sitzungsperioden der Generalversammlung haben gezeigt, daß durch die Blockbildung der auf Überzeugung der anderen Mitgliedstaaten hinauslaufende Meinungsaustausch zugunsten einer Polarisierung vorgeformter Interessenvertretung zurückgedrängt wurde. Wie im nationalen Parlamentarismus werden daher die Reden im Rahmen der Vereinten Nationen zunehmend „zum Fenster hinaus", nämlich an eine imaginäre Weltöffentlichkeit bzw. die eigene Bevölkerung gehalten, so daß die Resolutionen zunehmend zu einer Bestätigung von vorstrukturierten Entscheidungen werden. Die nach außen gerichtete Politisierung erscheint dabei als Entpolitisierung der Organisation.

Literatur Bailey: The General Assembly of the United Nations, 2nd ed., New York 1964, p. 2 1 Hovet: Bloc Politics in the United Nations, Cambridge (Mass.) 1 9 6 0 Lindemann: Die Organisationsstruktur der Vereinten Nationen und die Mitarbeit der Bundesrepublik Deutschland, in: Scheuner / Lindemann, Die Vereinten Nationen und die Mitarbeit der Bundesrepublik Deutschland, München/Wien 1973, S. 2 1 7 Russett: Discovering Voting Group in the United Nations, in: Gregg / Barkun, The United Nations System and how it functions, Princeton 1968, p. 7 3 Jens A. Brückner Verweise auf: Ausschußsystem; China; Entkolonialisierung; Entwicklungspolitik; Europäische Gemeinschaften; Friedenssicherung; Grundsätze der Vereinten Nationen; Korea; Mitgliedschaft; Nord-Süd-Konflikt; Organisationssystem der Vereinten Nationen; Ost-WestKonflikt; Stimmrecht; Südliches Afrika.

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Bundesrepublik D e u t s c h l a n d

Bundesrepublik Deutschland Rahmenbedingungen Das Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland zu den Vereinten Nationen wurde während der bis 1973 dauernden Periode der Nichtmitgliedschaft vor allem durch die Problematik der deutschen Teilung geprägt. Während der hieraus resultierende Alleinvertretungsanspruch der Bundesregierung, nämlich auf internationaler Ebene für ganz Deutschland zu sprechen und zu handeln, bis in die 60er Jahre strukturgebendes Element der westdeutschen Außenpolitik gewesen ist, treten besonders seit dem Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu den Vereinten Nationen ihre Interessen als westliche Industrienation stärker in den Vordergrund. Diese Veränderungen im außenpolitischen Verhalten der Bundesrepublik Deutschland stehen im Zusammenhang mit Wandlungsprozessen des internationalen Systems, die sich durch eine Überlagerung des -* Ost-West-Konflikts durch den Nord-Süd-Konflikt als dem derzeitig dominanten Konfliktmuster der Globalgesellschaft auszeichnen. Die westdeutsche Politik gegenüber den Vereinten Nationen verfolgte zwar in ihrer allgemeinen Orientierung Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen — ein internationales System mit globaler Friedenssicherung, gemeinsamen moralischen Normen, universaler Solidarität und internationaler Ordnung —, doch in ihrer konkreten Ausformung dominierte die Durchsetzung nationaler Eigeninteressen gegenüber dem internationalen System. Von daher nahm das Verhalten der Bundesrepublik Deutschland gegenüber den Vereinten Nationen bisher einen stark instrumentalen Charakter an und war weniger darauf ausgerichtet, einen eigenen Beitrag zum kooperativen Multilateralismus und zum konfliktreduzierenden Kompromiß der Vereinten Nationen zu leisten. Die Bundesrepublik

Deutschland

als

Nichtmitglied

Da die alleinige -»• Mitgliedschaft der Bundesrepublik Deutschland wegen der vom Vetorecht der Großmächte geprägten Aufnahmepolitik der Vereinten Nationen ausgeschlossen war, andererseits der bis zum Ende der Großen Koalition 1969 aufrechterhaltene Alleinvertretungsanspruch der Bundesrepublik Deutschland eine gleichzeitige Aufnahme zweier deutscher Staaten in die Vereinten Nationen unmöglich machte, gestaltete sich bis 1973 das Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland zu den Vereinten Nationen von der Stellung eines Nichtmitgliedes aus, wobei die Bundesrepublik Deutschland den in diesem R a u m möglichen Partizipationsraum extensiv ausnutzte. Bereits 1950 fand die Bundesrepublik Deutschland mit der Aufnahme in die FAO Zugang zu dem System der Vereinten Nationen. In den nachfolgenden Jahre wurde sie Vollmitglied in sämtlichen Sonderorganisationen und in der IAEA. Diese Beteiligung wiederum eröffnete der Bundesrepublik Deutschland eine weitere Mitwirkungsmöglichkeit: Da auf Grund der sogenannten Wiener Formel (-> Universalität) zu den Konferenzen der Vereinten Nationen neben den Mitgliedstaaten in der Regel auch solche Staaten eingeladen werden, die in einer oder mehreren Sonderorganisationen Vollmitglied sind, nahm die Bundesrepublik Deutschland seit Anfang der 60er Jahre an allen Konferenzen unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen teil. Auch als Nichtmitglied arbeitete die Bundesrepublik Deutschland in einigen Speziai- und Nebenorganen der Hauptorganisation mit: Seit 1956 gehört sie der Wirtschaftskommission für Europa (ECE) an, in den drei übrigen regionalen Wirtschaftskommissionen (ESCAP, ECLA, ECA) besitzt sie den Status eines Beobachters mit beratender Funktion. Sie ist Mitglied der UNCTAD und folgender, vorwiegend auf entwicklungspolitischem Gebiet tätiger Einrichtungen: UNIDO, UNDP, Welternährungsprogramm, UNITAR, Bevölkerungsfonds, UNICEF, Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge (UNRWA). Sie beteiligt sich an den Arbeiten des Hohen Flüchtlingskommissars (UNHCR). Am Hauptsitz der Vereinten Nationen in New York als auch beim Europäischen Büro in

Die Bundesrepublik Deutschland als Nichtmitglied

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Genf war die Bundesrepublik Deutschland seit 1952 bzw. 1953 durch einen Ständigen Beobachter vertreten. Der völkerrechtlich nicht klar umrissene Beobachterstatus ermöglichte es der Bundesrepublik Deutschland, an allen Sitzungen der Organe der Vereinten Nationen und ihrer Ausschüsse — soweit es sich nicht u m sogenannte „closed meetings" handelte teilzunehmen, allerdings ohne Recht auf Gehör und Stimme. Diese fast vollständige Präsenz der Bundesrepublik Deutschland wurde deshalb möglich, weil die Mitgliedschaft in den Sonderorganisationen sowie in den Neben- und Spezialorganen (-* Organisationssystem der Vereinten Nationen) nicht von der Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen abhing und außerdem die Mehrheitsverhältnisse in den verschiedenen Organisationen dergestalt waren, daß der Bundesrepublik Deutschland mit Unterstützung der USA und westlich orientierter Staaten der Beitritt ebenso regelmäßig gewährt wie er der Deutschen Demokratischen Republik versperrt wurde. Allerdings bedurfte es in zunehmendem Maße beträchtlicher diplomatischer wie finanzieller Anstrengungen, die Mehrheitsverhältnisse in diesem Sinne ständig zu beeinflussen. Die Präsentation der Bundesrepublik Deutschland in der Hauptorganisation h a t sich zumindest bis zur Großen Koalition vorwiegend auf deutschlandpolitische Interessen konzentriert; ihre Weltpolitik wurde bewußt außerhalb der Weltorganisation und vornehmlich auf bilateraler Basis geführt. Die durch die internationale Plattform gegebenen Kommunikationsmöglichkeiten vor allem gegenüber den sozialistischen Ländern und denen der Dritten Welt wurden kaum genutzt. Zwar engte der Status der Nichtmitgliedschaft den politischen Bewegungsraum ein, doch waren grundsätzlich zahlreiche Partizipationsmöglichkeiten gegeben: Die Bundesrepublik Deutschland fand ungehinderten Zutritt zu den Sitzungen der westlichen wie der westeuropäischen Gruppe (-* Blockbildung), ebenso zu denen der EG-Gruppe, die sich traf, wenn für die -»• Europäischen Gemeinschaften relevante Fragen zur Diskussion standen. Dennoch charakterisierte politische Selbstbeschränkung das Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland zu weltpolitischen Vorgängen, sofern nicht unmittelbare Eigeninteressen angesprochen waren. Auch bei den finanziellen Zuwendungen der Bundesrepublik Deutschland an die Vereinten Nationen lassen sich ähnliche Merkmale erkennen. Als Nichtmitglied der Hauptorganisation leistete die Bundesrepublik Deutschland zu deren Haushalt (-»• Beitragssystem, Haushalt) nur geringfügige Zuschüsse - 1972 6 Mio. DM. Soweit sie Vollmitglied von Speziai- und Nebenorganen war, zahlte sie nach einem von der Generalversammlung festgelegten Verteilerschlüssel Pflichtbeiträge, die sich in den Jahren 1971 bis 1973 auf jeweils 7,1 Prozent des ordentlichen Haushalts beliefen. Dieser Anteil wurde auch für die Beitragsleistung ab 1973 festgesetzt (GA Res. 3062 (XXVIII) vom 9.11.1973). Das bedeutete für die Haushaltsperiode 1974/75 einen Beitrag von ca. 18,2 Mio. Dollar pro Jahr. Weitaus höhere finanzielle Beiträge leistete die Bundesrepublik Deutschland als freiwillige Zuwendungen für eine Reihe von Sonder- und Hilfsprogrammen, so daß sich ihr finanzieller Gesamtbeitrag 1972 auf etwa 4 3 0 Mio. DM belief. Dabei waren die Spenden für humanitäre Hilfsprogramme im Vergleich zu anderen Ländern nur von durchschnittlicher Höhe; sie lagen höher bei Entwicklungsprogrammen, obgleich auch diese Leistungen an internationale Organisationen nur einen geringfügigen Teil der insgesamt vergebenen Entwicklungshilfegelder ausmachten. Die Vollständigkeit der westdeutschen Repräsentanz in den Sonderorganisationen stand im Gegensatz zu der Intensität der dort geleisteten Mitarbeit, die ein Mindestmaß nicht überschritt. Auf der Grundlage der formellen Gleichberechtigung konnte die Bundesrepublik Deutschland zwar ihr wirtschaftlich-politisches Schwergewicht voll zur Geltung bringen (sie gehört der 1964 gegründeten sogenannten „Groupe de Genève" an, die zwölf Länder umfaßt und praktisch die ökonomischen Entscheidungen in den Sonderorganisationen steuert); andererseits aber war sie nicht gewillt, ihre Zielsetzungen durch die Kompromißstruktur einer internationalen Organisation reduzieren zu lassen. Diese selbstauferlegte Zurückhaltung in den internationalen Organisationen schuf eine gewisse Distanz zu den kleineren westeuropäischen und skandinavischen Staaten, die ihre Interessen in der internationalen Zusammen-

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Bundesrepublik Deutschland

arbeit besser vertreten sahen als in der traditionellen bilateralen Politik, und ordnete die Bundesrepublik Deutschland jenem Kreis von Großmächten zu, die auf Grund ihrer faktisch bestehenden Handlungsfreiheit einer internationalen Organisation entweder als führendes oder als passives Mitglied angehören. Die Bundesrepublik

Deutschland

als

Vollmitglied

Veränderungen im Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland zu den Vereinten Nationen setzten mit der Großen Koalition ein und verstärkten sich später. Hierzu trug die aufgeschlossenere Grundeinstellung der SPD gegenüber den Aufgaben internationaler Organisationen bei. Vor allem jedoch zwangen der Wandel in den Vereinten Nationen zugunsten der Dritten Welt und die veränderte internationale Einstellung gegenüber der Deutschlandfrage die Bundesrepublik Deutschland, Zugeständnisse zu machen, um nicht außenpolitisch isoliert zu werden. Die Aufgabe des Alleinvertretungsanspruches und die Entspannungspolitik gegenüber der Deutschen Demokratischen Republik und den osteuropäischen Staaten schufen die politischen Voraussetzungen für eine Neudefinition des Verhältnisses der Bundesrepublik Deutschland zu den Vereinten Nationen; am 18. September 1973 erfolgte die gleichzeitige Aufnahme beider deutscher Staaten als 133. bzw. 134. Mitglied (GA Res. 3 0 5 0 (XXVIII)). Auf Grund ihrer Aufnahme in die Vereinten Nationen ist die Bundesrepublik Deutschland nunmehr Mitglied in der Generalversammlung und deren Hauptausschüssen. Bei den Gremien mit begrenzter Mitgliederzahl wurde die Bundesrepublik Deutschland mit Unterstützung der Gruppe westeuropäischer und anderer Staaten ζ. B. in den ECOSOC sowie in die Kommission für das internationale Handelsrecht (UNCITRAL), den Abrüstungsausschuß, den Weltraumausschuß, den Ausschuß für Naturschätze und die Menschenrechtskommission aufgenommen. Damit wurde den besonderen Interessen der Bundesrepublik Deutschland entsprochen. Zu den wichtigsten Tätigkeitsfeldern der Bundesrepublik Deutschland als Vollmitglied gehören erklärtermaßen Probleme des Gewaltverzichts, der universalen Anwendung des Selbstbestimmungsrechts und der Respektierung der individuellen Menschenrechte. Gleichwohl wird die Bundesrepublik Deutschland durch ihren Beitritt viel eindeutiger als bisher unter internationalen Entscheidungsdruck in vielen Streitfragen der Weltpolitik gestellt. Die Herausforderung zur konkreten Stellungnahme wird jedoch indirekt verringert durch die Einbettung in die westliche Staatengruppe und durch praktizierte Absprachen mit Bündnispartnern und Ländern der -» Europäischen Gemeinschaften; desgleichen wird dem internationalen Entscheidungszwang direkt durch Stimmenthaltungen ausgewichen. Kennzeichnend hierfür war das Verhalten während der 30. Sitzungsperiode der Generalversammlung: Bei der Abstimmung über 69 Resolutionsentwürfe enthielt sich die Bundesrepublik Deutschland 3 0 mal der Stimme. Mit ihren 34 Ja- und 11 Nein-Stimmen lag sie mit den anderen EG-Ländern im wesentlichen auf einer Linie (eine durchgängig einheitliche Haltung der EG-Staaten wurde in der Regel durch Dänemark und Irland verhindert). In der stark regionalen Interessenorientierung deutet sich eine Verlagerung des Schwergewichtes westdeutscher Weltpolitik vom traditionellen Bilateralismus hin zum multinationalen Handeln im Verband der EG-Länder an. Hierbei muß offen bleiben, ob durch dieses A u f t r e t e n im Rahmen einer europäischen politischen Zusammenarbeit der Beitrag der Bundesrepublik Deutschland zur Lösung globalgesellschaftlicher Konflikte eine qualitative Veränderung erfährt. Zu vermuten bleibt viel eher, daß durch die konsequente Mitarbeit in den Europäischen Gemeinschaften die positiven Einwirkungsmöglichkeiten der Bundesrepublik Deutschland innerhalb der globalen Organisation beschränkt bleiben, da auch der Verband der EG-Länder einseitige Interessen vertritt, wodurch das bisherige instrumentale Verhältnis der Bundesrepublik zu den Vereinten Nationen lediglich auf einer höheren Ebene reproduziert würde. Norbert Gresch

China

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Literatur Czempiel: Macht und Kompromiß. Die Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu den Vereinten Nationen 1 9 5 6 - 1 9 7 0 , Düsseldorf 1971 Dröge / Münch / von Puttkamer: Die Bundesrepublik Deutschland und die Vereinten Nationen, München 1966 Pawelka: Die UNO und das Deutschlandproblem, Tübingen 1971 Scheuner / Lindemann (Hrsg.): Die Vereinten Nationen und die Mitarbeit der Bundesrepublik Deutschland, München / Wien 1973 Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (Auftraggeber): Die Bundesrepublik Deutschland Mitglied der Vereinten Nationen, 2. Aufl., Bonn / Wien / Zürich 1974 Verweise auf: Beitragssystem, Haushalt; Blockbildung; Deutsche Demokratische Republik; Europäische Gemeinschaften; Mitgliedschaft; Nord-Süd-Konflikt; Ost-West-Konflikt; Sonderorganisationen; Universalität.

China Politische

Rahmenbedingungen

Die Vertretung Chinas wurde von der Gründung der Vereinten Nationen bis zum 25. Oktober 1971 von der Republik China wahrgenommen, die als Gründungsmitglied zugleich ständiges Mitglied des -> Sicherheitsrates war. Die darin liegende Anerkennung Chinas als Großmacht erfolgte auf Initiative der USA, die im Hinblick auf den Pazifischen Krieg Interesse daran hatten, China als politische Macht gegen Japan aufzuwerten. Außer der Delegation der Republik China hat auch ein Vertreter der Kommunistischen Partei Chinas (mit Zustimmung der eigenen Regierung sowie der USA und der UdSSR), der spätere amtierende Staatspräsident Tung Pi-wu, an der Gründungskonferenz teilgenommen. Der nach Beendigung des Krieges gegen Japan (1937—1945) einsetzende Bürgerkrieg in China endete mit einem Sieg der kommunistischen Truppen und der Flucht großer Teile der Regierung Chiang Kai-shek auf die dem Festland vorgelagerte Insel Taiwan. Damit bestanden de facto zwei chinesische Regierungen: Die der am 1. Oktober 1949 proklamierten Volksrepublik China und die nunmehr in Taipei ansässige Regierung der Republik China unter Chiang Kai-shek. Beide beanspruchten die Alleinvertretung für China, beide halten diesen Anspruch bis heute aufrecht. Eine denkbare Lösung des Problems der Vertretung Chinas in den Vereinten Nationen einschließlich der Anerkennung der Volksrepublik China durch die USA — wurde durch die Intervention chinesischer sogenannter Freiwilligenverbände im Koreakrieg (-> Korea) verhindert. Unter dem Eindruck des Vordringens eines aggressiven Kommunismus auch in Asien wurde die Volksrepublik China ebenso wie Korea am 1. Februar 1951 von der Generalversammlung als „Aggressor" verurteilt (Res. 4 9 8 (V)). Dieses Eingreifen sowie die militärischen Aktionen der Volksrepublik China gegen die von der Republik China besetzten Inseln 1954/55 (Taiwan-Krise) führten zu einer einseitigen amerikanischen Unterstützung der Regierung Chiang Kai-sheks und einer Ablehnung der Volksrepublik China — auch hinsichtlich der Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen. Eine Änderung dieser Haltung erfolgte erst im Rahmen der amerikanisch-chinesischen Annäherung seit 1971, die dann den Eintritt der Volksrepublik China in die Vereinten Nationen — als ständiges Mitglied des Sicherheitsrates — bei gleichzeitigem Ausscheiden der Republik China zur Folge hatte. Bis zu diesem Zeitpunkt aber war die Republik China der offizielle Vertreter Chinas in den Vereinten

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China

Nationen und deren Sonderorganisationen. Die Rolle, die die chinesischen Vertreter während ihrer 26-jährigen Mitgliedschaft einnahmen, entsprach dabei der geringen politischen wie militärischen Bedeutung des Landes und der unbedingten Abhängigkeit vor allem in sicherheitspolitischer Hinsicht von den USA. Die Volksrepublik

China als

Nichtmitglied

Die Kommunistische Partei Chinas war der Weltorganisation gegenüber von Anfang an sehr positiv eingestellt. Mao tse-tung begrüßte in seinem 1945 verfaßten Artikel „Über die Koalitionsregierung" ausdrücklich die Gründung der Vereinten Nationen und ihre Zielsetzungen und erklärte sich mit den Beschlüssen der Gründungskonferenzen „voll und ganz einverstanden". Nach ihrem Sieg auf dem Festland forderte die Regierung der Volksrepublik China die Übernahme der Vertretung, da die Delegation der Regierung Chiang Kai-shek kein Recht mehr habe, für das chinesische Volk zu sprechen (Doc. A / l 123, 1949). Außerdem wurde die Entfernung der damaligen Vertreter aus dem Sicherheitsrat und die Besetzung dieser Plätze durch die Volksrepublik China gefordert (SCOR (V) 459th mtg., vom 10.1.1950, p. 2). Trotz weiterer Forderungen dieser Art und Unterstützung des damaligen Generalsekretärs Trygve Lie, der sich in einem Memorandum für die Zulassung der Delegation der Volksrepublik China einsetzte (Doc. A/1466, p. 3 seq.), wurde den Forderungen nicht entsprochen. Die Stärke der USA und ihrer Verbündeten in der Generalversammlung vermochte der von den Westmächten als rechtmäßig anerkannten Regierung Chiang Kai-sheks die Alleinvertretung zunächst zu sichern (-»• Blockbildung). Trotzdem konnte die Volksrepublik China im November 1950 erstmals eine Delegation zu einer Sitzung des Sicherheitsrates entsenden, die sich mit dem Verlangen der Volksrepublik, Maßnahmen gegen die durch den Koreakrieg bedingte Anwesenheit der 7. US-Flotte in der Straße von Taiwan zu ergreifen, befaßte. Als Bedingungen fur einen Waffenstillstand verlangte die Volksrepublik China den Abzug aller fremden Truppen aus Korea sowie die Übernahme der Vertretung Chinas durch sich selber. Diese Forderungen wurden jedoch abgelehnt. Die Volksrepublik China kritisierte die Resolution der Generalversammlung (Res. 498 (V)), in der sie als „Aggressor" verurteilt worden war, und erklärte dazu, daß sie alle mit dem Koreakrieg in Zusammenhang stehenden Resolutionen als nichtig ansehen werde, da die Weltorganisation dadurch ihre Kompetenz und „moralische Autorität" verloren habe. Die weitere Beteiligung an der Beratung des Sicherheitsrates über die Situation in der Straße von Taiwan lehnte die Volksrepublik China ab, da dies eine „innere Angelegenheit" Chinas sei und sie solange nicht an der Diskussion dieser Fragen teilnehmen werde, als der ihr zustehende Sitz von der „Chiang Kai-shek-Clique" eingenommen werde (Doc. S/3354, 1955 sowie S/3358, 1955). Außerdem teilte die Volksrepublik China dem Generalsekretär am 3. Februar 1955 mit, daß sie alle China betreffenden Entscheidungen des Sicherheitsrates ohne Mitwirkung eines ihrer Vertreter als nichtig ansehe (Doc. S/3358, 1955). Prinzipiell hielt die Volksrepublik China trotz dieser Entwicklung an ihrer positiven Bewertung der Vereinten Nationen fest und unterstützte auch auf der Konferenz von Bandung 1955 deren Grundsätze und Ziele. Bis zum Ende der 50er Jahre Schloß die Volksrepublik China verschiedene Freundschaftsverträge ab, in denen auf die Charta Bezug genommen wurde. Die Frage der Vertretung wurde von den USA kraft der bestehenden Mehrheitsverhältnisse (-»· Blockbildung) jedoch bis zur 26. Sitzungsperiode der Generalversammlung (1971) zugunsten der Republik China geregelt. Dabei bedienten sich die USA verschiedener Taktiken. Von 1951 bis 1960 wurde mit Hilfe der Moratorium-Formel die Erörterung der Chinafrage auf Antrag der USA jeweils u m ein Jahr verschoben. Wegen der wachsenden Unterstützung für die Volksrepublik China änderten die USA diese Taktik 1961, indem sie die Chinafrage nach Art. 18 zu einer „wichtigen Frage" erklärten, die nur mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit entschieden werden kann (-»• Stimmrecht). Die sowjetischen Anträge von 1961 und 1962 und die von Albanien von 1963 bis 1970 konnten damit zurückgewiesen werden. Lediglich 1964 wurde die Chinafrage wegen des Disputs über die Finanzierung der -»·

Die V o l k s r e p u b l i k C h i n a als N i c h t m i t g l i e d

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Streitkräfte der Vereinten Nationen zwischen den USA und der UdSSR nicht behandelt. Das Abstimmungsergebnis aus den Jahren 1961 und 1965 sowie von 1969 und 1970 zeigte eine deutliche Zunahme der Stimmen für eine A u f n a h m e der Volksrepublik China, während von 1966 bis 1968 die Unterstützung für Peking — offensichtlich in Auswirkung der inneren Entwicklung durch die Kulturrevolution — zurückging. Erstmals 1970 wurde mit einem Ergebnis von 51 Ja- und 49 Nein-Stimmen die einfache Mehrheit für die Aufnahme der Volksrepublik China erreicht, was jedoch wegen des zuvor mit 6 6 zu 52 Stimmen angenommenen Antrags der USA auf Erklärung der Chinafrage zu einer „wichtigen Frage" ohne Auswirkung blieb. Die Haltung der Volksrepublik China gegenüber den Vereinten Nationen blieb lange Zeit positiv, wenn auch 1959 eine Resolution der Generalversammlung (Res. 1313 (XIV) vom 21.10.1959), die die Unterdrückung des Aufstands in Tibet kritisierte, als „flagrante . . . Einmischung in innerchinesische Angelegenheiten" zurückgewiesen wurde. Eine Änderung dieser Haltung erfolgte Anfang des Jahres 1965. Sie ist im Zusammenhang mit der Entwicklung der Beziehungen zwischen der Volksrepublik China und der UdSSR sowie der von der Volksrepublik China behaupteten Annäherung zwischen der UdSSR und den USA zu sehen. Premierminister Chou En-lai formulierte die neue Haltung seiner Regierung zu den Vereinten Nationen, als er am 24. Januar 1965 von „vielen Fehlern" der Vereinten Nationen, der Notwendigkeit ihrer Reform und der möglichen Gründung einer Gegenorganisation sprach. Von Bedeutung waren dabei der Austritt Indonesiens (->· Mitgliedschaft) und die Absicht von Präsident Sukarno, eine „Conference of the New Emerging Forces" vorzubereiten. Eine mögliche Aufnahme der Volksrepublik China in die Vereinten Nationen wurde am 29. September 1965 von dem damaligen Außenminister Chen Yi durch die von ihm dafür formulierten Bedingungen fast unmöglich gemacht: Er forderte die Zurücknahme der Resolution, durch die China und Nordkorea als Aggressoren verurteilt worden waren, die Annahme einer Resolution, durch die die USA als Aggressor verurteilt würden, die „Bereinigung" aller durch die Vereinten Nationen begangenen Fehler und die Durchführung einer grundlegenden Reorganisation sowie eine Chartarevision durch alle „großen und kleinen Staaten" u n d die Aufnahme aller unabhängigen Staaten bei gleichzeitigem Ausschluß aller „imperialistischen Marionetten". Bis zum Jahre 1970 erfolgte keine weitere relevante Äußerung aus der Volksrepublik China zur Frage der Weltorganisation, was sowohl auf den Verlust Indonesiens als Gefolgsstaat im Zuge der Entmachtung Sukarnos als auch durch die Konzentration auf innerchinesische Vorgänge während der Kulturrevolution zurückgeführt wird. Eine grundlegende Änderung der Haltung der Volksrepublik China zu der Frage eines eventuellen Beitritts erfolgte im Zusammenhang mit ihrer Neuorientierung der Außenpolitik seit Ende des Jahres 1969 und der A u f n a h m e offizieller Beziehungen zu nahezu allen westlichen Staaten einschließlich der USA. Deutlich erstrebte die Volksrepublik China seither eine Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen und konnte dafür nicht zuletzt wegen der neuen Chinapolitik der USA die Unterstützung einer Vielzahl von Staaten gewinnen, wobei es sich sowohl u m Entwicklungsländer vor allem in Afrika als auch u m solche Staaten handelte, die bis dahin der amerikanischen Chinapolitik verpflichtet gewesen waren. In der 26. Sitzungsperiode der Generalversammlung wurden trotz der Propagierung einer ZweiChina-Konzeption durch die USA dem Antrag Albaniens am 25. Oktober stattgegeben und mit 7 6 gegen 35 Stimmen die Zulassung einer Delegation der Volksrepublik China und der gleichzeitige Ausschluß der Delegation der Republik China beschlossen (Res. 2 7 5 8 (XXVI)). Unter Aufgabe der erwähnten Bedingungen aus dem Jahre 1965 nahm die erste Delegation der Volksrepublik China unter dem stellvertretenden Außenminister Ch'iao Kuan-hua am 15. November 1971 ihre Sitze in der Generalversammlung ein. Die Schulden ihrer Vorgängerin, der Republik China, übernahm die Volksrepublik China nicht.

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China

Die Volksrepublik China als Vollmitglied Die von der Volksrepublik China in den Vereinten Nationen vertretene Politik entspricht ihrer außenpolitischen Zielsetzung, deren Schwerpunkte in dem Kampf um Souveränität und Gleichheit sowie Opposition gegen die Hegemoniebestrebungen der „Supermächte" (USA und UdSSR) liegen. Die Grundlinien der künftigen Politik wurden von Ch'iao Kuan-hua in seiner ersten programmatischen Rede wie folgt umrissen: 1. Stärkung des demokratischen Prinzips im Rahmen der Vereinten Nationen durch Wahrnehmung ihrer Angelegenheiten im Wege gemeinsamer Regelung, unter Beteiligung aller Mitglieder. Keine Monopolstellung der Großmächte in den Vereinten Nationen. 2. Unterstützung der Völker Indochinas und des palästinensischen Volkes. 3. Kampf für die Ausdehnung der Küstengewässer auf 200 Seemeilen, Kampf gegen die wirtschaftliche Ausplünderung der Entwicklungsländer (mit besonderem Bezug auf die Erdölproduzenten der Dritten Welt). 4. Kampf gegen Kolonialismus, Neokolonialismus (-> Entkolonialisierung) und Rassendiskriminierung. 5. Kampf gegen die nukleare Erpressung und „Täuschungsmanöver" derGroßmächte auf dem Gebiet der Abrüstung, welche nur deren Interessen, nicht aber denen der kleinen und mittleren Staaten dienten. Gleichzeitig bezeichnete sich China selbst als Entwicklungsland und der Dritten Welt zugehörig und sagte zu, sich für die Anliegen dieser Staaten einzusetzen (Doc. A/PV 1984). Von dieser generellen Zielsetzung abgesehen, betrieb die Volksrepublik China zunächst den Ausschluß der Vertreter der Republik China aus allen Organen und Sonderorganisationen, obwohl die Resolution 2758, nur für die durch sie geschaffenen Unterorgane bindend, für alle autonomen Sonderorganisationen aber lediglich eine Empfehlung darstellte (-> Sonderorganisationen). Der Alleinvertretungsanspruch der Volksrepublik China, mit dem sie sich — mit Ausnahme der ECAFE — in den Vereinten Nationen weitgehend durchsetzen konnte, entspricht der außenpolitischen Taktik, die Republik China diplomatisch zu isolieren. In den meisten der Sonderorganisationen begnügt sich die Volksrepublik China bisher mit einer bloßen Präsenz. Die Politik der Volksrepublik China in den Vereinten Nationen wird durch das Eintreten für den Fortschritt durch revolutionäre Umwälzungen bestimmt, das regelmäßig eine Kritik aller Bemühungen um Entspannung der USA und der UdSSR nach sich zieht. Dadurch ist es für die Volksrepublik China möglich, ihre nationalen Interessen in Abrüstungsfragen zu rechtfertigen. In der Abrüstungsfrage hält die Volksrepublik China an der bereits 1953 formulierten Forderung einer nuklearen Weltabrüstungskonferenz fest und lehnt alle Vorschläge für eine Konferenz der fünf Nuklearmächte ab (-> Abrüstung). Ebenso abgelehnt werden das Teststoppabkommen sowie der Nichtverbreitungsvertrag als „Betrug der Supermächte" (-> ABC-Waffen). Für eine Abrüstungskonferenz macht die Volksrepublik China zur Bedingung, daß die USA wie die UdSSR auf jeden Ersteinsatz von Atomwaffen verzichten und daß diese Staaten alle Kernwaffen und ihre Trägermittel von fremden Territorien abziehen. In der Diskussion um das Seerecht unterstützt die Volksrepublik China — wie in anderen Fragen auch — die Staaten der Dritten Welt, tritt für ein Küstengewässer von 200 Seemeilen ein und bezichtigt die „Supermächte" der gleichzeitigen Kooperation und Rivalität um die Beherrschung der Meere. Bei diesen und ähnlichen Fragen ist die Volksrepublik China bisher nicht über grundsätzliche Stellungnahmen hinausgegangen, hat beispielsweise ihre Haltung zu komplizierten Detailfragen nicht bekanntgegeben. Gründe hierfür können sowohl in dem Wunsche liegen, sich verschiedene Optionen für das eigene Verhalten offenzuhalten, sind aber auch darin begründet, daß die Delegierten der Volksrepublik China mit den einzelnen Problemen noch zu wenig vertraut sind, was sie zu einer gewissen Zurückhaltung veranlaßt. Das Abstimmungsverhalten der Volksrepublik China zeigt bisher eine kompromißlose Ablehnung aller Vorschläge der UdSSR und eine beschränkte Zustimmung zu Kom-

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promißvorschlägen der kleineren und mittleren Staaten. Stimmenthaltung wurde dann geübt, wenn die Volksrepublik China die Interessen kleinerer und mittlerer Länder trotz anderer Ansicht nicht zu respektieren bereit war, wie beispielsweise im Nahostkrieg 1973, beim Zustandekommen des Waffenstillstandes zwischen Ägypten und Israel. An den Abstimmungen über das Verbot chemischer und bakteriologischer Waffen beteiligte sich die Volksrepublik China bisher ebenso wenig wie an der Achtzehn-Mächte-Abrüstungskonferenz in Genf (-> ABC-Waffen). Die Teilnahme an einem Sonderausschuß für die Weltabrüstungskonferenz wurde abgelehnt. Die Forderungen der Volksrepublik China nach einer Revision der Charta wurden bislang nicht durch konkrete Vorschläge untermauert. Die bisherigen Äußerungen dazu lassen erkennen, daß die Position der Entwicklungslänger gestärkt werden soll, womit eine Schwächung der Positionen der USA und der UdSSR gegeben wäre. Der Erfolg der künftigen Politik der Volksrepublik China in den Vereinten Nationen wird weitgehend davon abhängen, ob die Staaten der Dritten Welt langfristig bereit sind, deren Einfluß auf Kosten des Einflusses der anderen Großmächte zu stärken. Literatur Chiù Hungdah: The United Nations, in: Sha-Chuan Leng / Hungdah Chiù (ed.), Law in Chinese Policy, Communist China and Selected Problems of International Law, New York 1972 Cohen (ed.): China's Practice of International Law, Cambridge (Mass.) 1972 Chen: Die Diskussion der Zwei-China-Frage in der UNO, Mitteilungen des Instituts für Asienkunde, Hamburg, Nr. 47 (1972) Feeney: The Participation of the PRC in the United Nations, in: Hsiao (ed.), Sino-American Détente and its Policy Implications, New York 1974 Kaminski: Chinesische Positionen zum Völkerrecht, Berlin 1973 Weng: Pekings's UN Policy. Continuity and Change, New York 1972 Uwe Fabritzek Verweise auf: ABC-Waffen; Abrüstung; Blockbildung; Entkolonialisierung; Korea; Mitgliedschaft; Sicherheitsrat; Sonderorganisationen; Stimmrecht; Streitkräfte der Vereinten Nationen.

Deutsche Demokratische Republik Die Beziehungen der DDR zum System der Vereinten Nationen können folgendermaßen periodisiert werden: 1. Bis zur Erlangung der Mitgliedschaft in der UNESCO am 21. November 1972 blieb die Politik der DDR gegenüber den Vereinten Nationen in ihrer ersten Periode auf eine nichtformalisierte ad hoc-Partizipation (unverlangte Erklärungen zu Tagesordnungspunkten der Generalversammlung u. a.) beschränkt. Diese erste Periode war im wesentlichen durch den Anerkennungskonflikt zwischen der -> Bundesrepublik Deutschland und der DDR gekennzeichnet, der sich für die DDR bis 1968/69 so auswirkte, daß ihre Bereitschaftserklärungen zur „gleichberechtigten Mitarbeit" (zuerst 1954 in der ECE) und die seit 1955 kontinuierlichen Forderungen der sozialistischen Länder nach Aufnahme der DDR in die Sonderorganisationen unberücksichtigt blieben. Bis zur Paraphierung des Grundvertrages scheiterten alle Versuche der DDR, das Status-

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defizit in der internationalen Politik auszugleichen und mit der Bundesrepublik Deutschland im System der Vereinten Nationen gleichzuziehen. Den Höhepunkt der auf die Vereinten Nationen gerichteten Außenpolitik der D D R stellte ihr Aufnahmeantrag vom 2 8 . Februar 1 9 6 6 dar. Wegen des Aufnahmeverfahrens — alle fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats müssen für eine Aufnahme stimmen - konnte die D D R praktisch nicht allein Mitglied der Vereinten Nationen werden, solange die Bundesrepublik Deutschland nicht ihrerseits Mitglied werden wollte (-»• Mitgliedschaft). Dieser Tatbestand wird treffend durch das Bild von den „siamesischen Zwillingen" illustriert. 2 . Mit der Veränderung des Stellenwerts der deutschen Frage in der Strategie der Westmächte und unter den Bedingungen diplomatischer Entspannung zwischen den USA und der U d S S R mußte die Bundesrepublik Deutschland ihre Beziehungen zur D D R überprüfen. In Abkehr von der „Hallstein-Doktrin" machte die sozialliberale Koalition (SPD/FDP) das Unvermeidliche (Mitgliedschaft der DDR in internationalen Organisationen und Deblockade diplomatischer Beziehungen der DDR zu ,,Dritten") zum operativen Bestandteil ihrer Deutschlandpolitik: Nach einer Formalisierung der deutsch-deutschen Beziehungen wurde von beiden deutschen Staaten eine Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen angestrebt. Das Unvermeidliche ergab sich aus dem Tatbestand, daß die D D R seit 1968/69 prinzipiell nicht mehr von den Sonderorganisationen ferngehalten werden konnte und ihre Mitgliedschaft nur noch durch Vertagungsanträge (seit 1970 in WHO und UNSCO) verhindert wurde. 3. Nach Paraphierung des Grundvertrages am 8. November 1972 wurde die D D R — mit der Stimme der Bundesrepublik Deutschland — Mitglied der UNESCO und erhielt dadurch (Wiener Formel — Art. 4 8 Wiener Konvention über diplomatische Beziehungen vom 18.4.1961; Mitgliedschaft) Zugang zum System der Vereinten Nationen. Am 2 4 . November 1972 bekam die D D R den offiziellen Beobachterstatus. Das J a h r 1 9 7 2 brachte für die D D R einige Novitäten: Zum ersten Mal wurde die D D R Mitglied einer Sonderorganisation (am 2 4 . 1 1 . 1 9 7 2 in der UNESCO). Zum ersten Mal kam es zu einem völkerrechtlichen Vertrag mit einer Organisation der Vereinten Nationen (IAEA). Es handelte sich hier um das „Agreement between the German Democratic Republic and the Agency for the Application of Safeguards in Connection with the Treaty o f the Non-Proliferation o f Nuclear Weapons". Zum ersten Mal nahm eine Delegation der D D R — wenige Tage nach der Präsenz im System der Vereinten Nationen — „gleichberechtigt" an einer Konferenz der Vereinten Nationen teil (Internationale Containerkonferenz Ende November / Anfang Dezember 1 9 7 2 ) . Seit dem 2 4 . November 1972 ist die DDR Mitglied der UNESCO, seit dem 13. Dezember 1972 Mitglieder der ECE, seit dem 3 . April 1 9 7 3 der ITU, seit dem 8 . Mai 1 9 7 3 der WHO, seit dem 1. Juni 1 9 7 3 der UPU, seit dem 2 2 . Juni 1973 der WMO, seit dem 18. September 1973 der IAEA, seit dem 2 5 . September 1 9 7 3 der IMCO, seit dem 1. Januar 1 9 7 4 der ILO, seit dem 2 6 . April 1 9 7 0 der WIPO (Sonderorganisation seit 1 7 . 1 2 . 1 9 7 4 ) ferner in folgenden Spezialorganen: Seit dem 2 3 . Februar 1973 in der UNCTAD, seit dem 1. Oktober 1 9 7 3 in der UNIDO. Die Generalversammlung nahm am 18. September 1 9 7 3 per Akklamation die D D R als Vollmitglied auf (Res. 3 0 5 0 ( X X V I I I ) ) . Zu den positionellen Aspekten der Politik der D D R in den Vereinten Nationen gehört die Feststellung, daß die D D R der Generalversammlung und dem ECOSOC angehört. Ferner ist sie Mitglied des UNEP-Verwaltungsrats sowie einiger Nebenorgane der Generalversammlung. Zum Verständnis der Politik der DDR gegenüber den Vereinten Nationen ist es unum-

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gänglich, sich zunächst — wenn auch kursorisch — mit den Strukturprinzipien der DDRAußenpolitik zu beschäftigen und jene Bestimmungsfaktoren zu identifizieren, die für die Beziehungen zu universalen, internationalen Organisationen konstitutiv sind. Bei der Frage nach Konstanten in der Politik der D D R und damit einem vorhersagbaren Abstimmungsverhalten wird man die immer wieder genannten Strukturprinzipien der DDR-Außenpolitik in ihrer Wirkung analysieren müssen. Es handelt sich hier um die friedliche Koexistenz, die im Verhältnis zu nichtsozialistischen Staaten gilt, und um den sozialistischen Internationalismus, der die internsozialistischen Beziehungen strukturieren soll. Beide Prinzipien implizieren ein bestimmtes Verhalten der sozialistischen Staaten in den Vereinten Nationen und stehen in einem komplementären Verhältnis zueinander. Universale internationale Organisationen erhalten ihren Stellenwert nach Auffassung der D D R als Instrument der friedlichen Koexistenz. Die Vereinten Nationen sind eine zwischen- und keine überstaatliche Organisation. Die Charta ist das „Grunddokument des demokratischen Völkerrechts der Gegenwart". Aus der Feststellung, daß die Vereinten Nationen ein Instrument (kein Akteur) der friedlichen Koexistenz sind, folgt für die D D R , daß die Vereinten Nationen nicht befugt sind, sich in „Beziehungen höherer Qualität" einzumischen. Die Argumentationsfigur „Beziehungen höherer Qualität" — als Ausdruck des sozialistischen Internationalismus — dient dazu, den Vereinten Nationen (insbesondere dem Sicherheitsrat) das Recht zu bestreiten, sich mit Konflikten wie dem Einmarsch von Truppen des Warschauer Paktes in die C S S R 1968 zu befassen. Aus der Fülle jener Merkmale, die für das Verhältnis der D D R zum System der Vereinten Nationen bestimmend sind und das Verhalten der D D R mit einem hohen Wahrscheinlichkeitsgrad vorhersagbar machen, lassen sich folgende herausdestillieren: Erstens das Selbstverständnis der D D R als sozialistischer Staat: Daraus folgt — nach Auffassung der D D R — eine „sozialistische Außenpolitik", die sich „wesentlich" von der „imperialistischen Außenpolitik" der USA und der Bundesrepublik Deutschland abhebt. Die D D R konnte bisher nicht erkennbar machen, worin die spezifischen Merkmale „sozialistischer Außenpolitik" auf der empirisch faßbaren Ebene bestehen. Die Rigidität, mit der in der DDR-Literatur die sozialistische Gesellschaftsordnung als alles erklärende Größe ihrer Politik in den Vereinten Nationen geltend gemacht wird, kontrastiert dann evident mit dem Verhalten der D D R , wenn sie ihre „vitalen Interessen" (Moldt) berührt sieht. Zweitens die demonstrative Orientierung an der Sowjetunion: Sie wird in der DDR-Literatur nicht als Subordination begriffen, sondern als Ausdruck dessen, was in Reden führender Politiker „koordinierte Außenpolitik" sozialistischer Staaten genannt wird und aus dem „besonderen Verhältnis" resultiert, das die D D R mit der Sowjetunion „historisch" verbindet. So folgt aus der akzeptierten Dominanz der Sowjetunion für die D D R im Rahmen der Vereinten Nationen eme Kongruenz des Abstimmungsverhaltens sowie eine Übereinstimmung in allen wesentlichen Fragen. Ferner folgt aus der akzeptierten Führungsrolle der Sowjetunion eine bedingungslose Parteinahme für die U d S S R gegenüber dem ständigen Mitglied des Sicherheitsrates, der Volksrepublik China. Drittens die D D R als Widersacher des Imperialismus: Die Vereinten Nationen werden von der D D R wie auch von den anderen sozialistischen Staaten als Instrument gegen den so genannten Imperialismus perzipiert. Dabei geht die D D R von dem Diktum aus, daß die „gegenwärtige Epoche" gekennzeichnet sei durch den forcierten Kampf zwischen Imperialismus und Sozialismus. Mit der Veränderung des Kräfteverhältnisses seit den 60er Jahren in den Organen und Sonderorganisationen werden die Vereinten Nationen — nach Auffassung der D D R — immer wichtiger als Schauplatz des „unvermeidlichen" Kampfes zwischen Imperialismus und Sozialismus. Viertens der Anspruch der D D R , die Interessen der Entwicklungsländer im „antiimperialistischen K a m p f ' durchsetzen zu helfen: Die Konfliktlinien in den Vereinten Nationen verlaufen nach Auffassung der D D R nicht zwischen „Armen" und „Reichen" (Nord und Süd), sondern Verlauf und Inhalt der Arbeit in den Vereinten Nationen seien bestimmt durch den

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Kampf zwischen Imperialisten und Antiimperialisten. Dieses „Zwei-Lager"-Theorem lebt von der Behauptung, daß die Interessen der Entwicklungsländer mit denen der sozialistischen Staaten identisch seien und daher diese beiden Staatengruppierungen in den Vereinten Nationen eine „antiimperialistische Koalition" bildeten. So sieht die DDR. etwa im Ergebnis der 6. Sondersitzung der Generalversammlung einen Sieg der „antiimperialistischen K r ä f t e " gegen die „imperialistischen Hauptmächte", verbalisiert in der „antikolonialistischen und antimonopolistischen Deklaration" und dem Aktionsprogramm der 6. Sondersitzung. Erkennbar ist das Bemühen der DDR, sich im sog. Nord-Süd-Konflikt zu profilieren, um hier mondial zu notifizieren, daß die DDR ein von der Bundesrepublik Deutschland „völlig verschiedener" unabhängiger Staat ist. Fünftens das Bemühen der DDR, sich gegenüber der Bundesrepublik Deutschland „positiv" abzugrenzen: Je häufiger Bonn die These von den „besonderen Beziehungen" zwischen den beiden deutschen Staaten vorbringt, desto umfassender wird Ost-Berlin sich gegenüber Bonn abgrenzen wollen. Die D D R läßt keine Gelegenheit aus, um die Gegensätzlichkeit der D D R und der Bundesrepublik Deutschland zu notieren und damit ein Gegeneinander der beiden deutschen Staaten in den Vereinten Nationen zu begründen. So h a t der DDR-Außenminister im stark voneinander abweichenden Abstimmungsverhalten der beiden deutschen Staaten während der 28. Sitzungsperiode der Generalversammlung einen Indikator dafür gesehen, „wie verlogen und haltlos die von der Bundesrepublik Deutschland verbreitete These von der Einheit der deutschen Nation ist". Dieses hier skizzierte Selbstverständnis und der sich daraus ableitende Anspruch der DDR muß einer empirischen Kritik unterzogen werden. Die 28. Sitzungsperiode der Generalversammlung war die Premiere für die beiden deutschen Staaten. A m Abstimmungsverhalten ist ablesbar, daß das Ergebnis für die D D R — jedenfalls optisch — besser ist als für die Bundesrepublik Deutschland. Summarisch ist festzustellen, daß die DDR durchweg Mehrheitspositionen beziehen konnte. Eine solche Mehrheitsposition der DDR in der Generalversammlung wird durch mehrere sich ergänzende Faktoren begünstigt: Durch die numerische Dominanz der Entwicklungsländer in allen nicht geschichteten Organen und Sonderorganisationen der Vereinten Nationen können diese ihre Ziele zu den Prioritäten der Vereinten Nationen machen. Es handelt sich um Resolutionsinhalte, von deren Wirkung die DDR sich nicht betroffen fühlt, bzw. keine Skrupel hat, Gewaltanwendungen zu sanktionieren. Während die Bundesrepublik Deutschland am Grundsatz des universalen und absoluten Gewaltverzichtes festhält, optiert die DDR für einen selektiven Gewaltverzicht. Die DDR vermag sich wegen ihrer vorbehaltlosen Zustimmung zu den von den Entwicklungsländern vorgelegten Resolutionen als Freund der Entwicklungsländer zu profilieren. Eine solche Politik ist im Zusammenhang mit der oben dargelegten Instrumentalität der Vereinten Nationen im Kampf des „real existierenden Sozialismus" gegen den „Imperialismus" zu sehen und mit einer nicht auszuschließenden Befassung von Gremien der Vereinten Nationen mit der „deutschen Frage". Die postulierte „aktive Solidarität" mit den Entwicklungsländern zielt auf eine „positive Neutralität" dieser Länder gegenüber den sozialistischen Staaten in den Fragen, in denen die sozialistischen Staaten in die Defensive gedrängt würden. Bei dem Versuch, die verschiedenen Bestimmungsfaktoren in der Politik der DDR zu hierarchisieren, läßt sich folgender Befund formulieren: Mitbestimmend für das Verhältnis der DDR zur Weltorganisation und für ihr Verhalten im System der Vereinten Nationen sind Faktoren wie geographische Elemente, Existenz der Bundesrepublik Deutschland, Situation als Industriestaat, Gesellschaftsordnung, Identitätsproblem, wobei die jeweilige Ausprägung des einzelnen Bestimmungsfaktors vom Erörterungsgegenstand abhängt. Entscheidend für die Politik der D D R ist jedoch der exogene Bestimmungsfaktor, der seinen Ausdruck in der uneingeschränkten und unbefristeten Orientierung auf die Sowjetunion findet und seit dem 7. Oktober 1974 verfassungsrechtlich und seit dem 7. Oktober 1975 völkerrechtlich statuiert ist. Das Verhältnis eines Staates zum System der Vereinten Nationen läßt sich analytisch nur

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bestimmen, wenn davon ausgegangen wird, daß es sich bei diesem System u m ein differenziertes und ausdifferenzierbares System handelt. Dies bedeutet, daß stets konkret nach dem Stellenwert der Hauptorgane der Vereinten Nationen und der zahlreichen Sonderorganisationen gefragt werden muß. Eine Auswertung der einschlägigen Publikationen der DDR und eine Analyse von Reden führender SED-Politiker zeigt, daß die DDR den Sicherheitsrat als Konfliktlösungsinstrument im System der Vereinten Nationen favorisiert. Die anderen Hauptorgane haben nur eine beschränkte Kompetenz. Neben unausgesprochenen Gründen sei hier auf einen Tatbestand hingewiesen: Unter den Bedingungen des Antagonismus als herrschenden Merkmals internationaler Beziehungen und dem Bestreben sozialistischer Staaten, günstige Bedingungen für den Sozialismus herzustellen, sollen die Vereinten Nationen nichts tun dürfen, was in der Wirkung den Handlungsspielraum sozialistischer Staaten einengt und die Bedingungen für das Basisziel sozialistischer Außenpolitik verschlechtert. Von diesen Bemerkungen her ist verständlich, warum der Sicherheitsrat als verbindliche Konfliktregelungsinstanz Priorität erhält: Die von den sozialistischen Staaten immer als möglich perzipierte Monopolisierungsgefahr mit einer Aktion gegen den „real existierenden Sozialismus" ist hier wegen des Einstimmigkeitserfordernisses, das für die ständigen Mitglieder gilt, nicht gegeben. Die Konfliktregelungskompetenzen des Sicherheitsrates sind jedoch de facto beschränkt auf Konflikte zwischen Staaten unterschiedlicher Gesellschaftsordnung. Intersozialistische Konflikte wie im Zusammenhang mit der CSSR 1968 sollen der Regelungskompetenz des Sicherheitsrates entzogen sein. Seitdem sich in der Generalversammlung abzeichnet, daß die Mehrheitsverhältnisse eine „sozialismusfreundliche" Politik erlauben, wird von der zunehmenden Bedeutung der Generalversammlung gesprochen, deren wichtigste Funktion im Forumscharakter liege. Der Generalsekretär erfreut sich in den DDR-Publikationen einer demonstrativ freundlichen Berichterstattung. Die anderen Hauptorgane der Vereinten Nationen haben offensichtlich keine Konfliktregelungskompetenz, insbesondere nicht der IGH als obligatorisches Streitschlichtungsorgan. Die DDR legt darauf Wert, in ihrem Ratifikationstext zu Konventionen, denen sie beitritt, dem IGH explizit die zumeist in den Konventionen genannte automatische Streitschlichtungskompetenz zu bestreiten. Die DDR sieht offensichtlich keinen Grund, sich an einer Diskussion über eine ChartaRevision zu beteiligen. Der in der DDR-Literatur nicht näher erläuterte Hinweis, daß die Vereinten Nationen noch „erhebliche Mängel" aufwiesen, führt zu der Frage, was getan werden m u ß , um diese „erheblichen Mängel" abzustellen, und welchen Beitrag die DDR dazu leisten will. Obwohl sich die DDR bei der konzeptionellen und innovativen Diskussion über die Verbesserung der Effizienz des Systems der Vereinten Nationen zurückhält, lassen sich hier zwei Elemente erkennen: Ex negativo wird jede kompetenzerweiternde Maßnahme „strikt" abgelehnt. Die DDR beantwortet die Frage nach der Kapazität der Vereinten Nationen und ihrer Stärkung mit dem stereotypen Hinweis auf das „internationale Kräfteverhältnis zugunsten des Friedens und des Sozialismus" als die wichtigste Rahmenbedingung für das Wirken und die Wirkung der Weltorganisation. Die Formel der DDR lautet hier: Je günstiger dieses „Kräfteverhältnis" wird, desto mehr können die Vereinten Nationen für den Frieden tun, weil das „Kräfteverhältnis" die „imperialistischen Staaten" dazu zwingt, die Charta einzuhalten. Der Tatbestand, daß die DDR in sechs von vierzehn Sonderorganisationen noch nicht Mitglied geworden ist (neben den vier Finanzinstitutionen war die DDR Ende 1975 weder in der FAO noch in der ICAO Mitglied), und daß sie ihre Mitgliedschaft in Organen der Vereinten Nationen auf forumsorientierte Mitarbeit bei evidenter Vernachlässigung der kostenintensiven Mitarbeit beschränkt, läßt es gerechtfertigt erscheinen, die Politik der DDR gegenüber den Vereinten Nationen als selektiv und eingeschränkt zu qualifizieren. Unabhängig von der Frage nach den Gründen widerspricht die Politik der selektiven Mitgliedschaft dem erklärten Willen der DDR in den 60er Jahren, in allen Gremien der Vereinten Nationen mitzuarbeiten.

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Diskriminierung

Die beiden wichtigsten Begründungsfiguren der DDR im Streben nach „gleichberechtigter Mitgliedschaft" waren Universalität und Utilität: Die Vereinten Nationen müßten universal sein, damit sie ihre „edlen" Ziele (Winzer) auch erreichen könnten. Nur die volle Universalität nutze den Vereinten Nationen. Es schade dem System, wenn Staaten wie die DDR nicht mitarbeiten dürften. Nachdem die DDR die Möglichkeit hat (seit 1972), in allen vierzehn Sonderorganisationen Mitglied zu werden, und diese nicht nutzt, ist die Schlußfolgerung nicht unzulässig, daß sich die vorgebrachten Argumente (Universalität und Utilität) primär an den Interessen der DDR orientierten. Die Prüfung der Mitarbeit der DDR in Sonderorganisationen und Hauptorganen auf den Ebenen „personelle Repräsentanz", „materiell-finanzielles Engagement" sowie „konzeptionelle Mitarbeit" zeigt eine deutliche Präferenz der DDR für eine mehr forumsorientierte Beteiligung. Kostenwirksamen Beschlüssen versagt die DDR ihre Unterstützung.

Literatur Brückner: Der Weg der Deutschen Demokratischen Republik in die UNO, in: VN 1973 S. 117 Bruns: Die uneinigen Vereinten, in: Deutschland Archiv 1975 S. 592 ders.: Zweimal Deutschland in der UNO, in: Deutschland Archiv 1974 S. 497 Czempiel: Macht und Kompromiß. Die Beziehungen der BRD zu den Vereinten Nationen 1 9 5 6 - 1 9 7 0 , Düsseldorf 1971 Morosow: Internationale Organisationen. Ihre Rolle im Prozeß der Veränderung des internationalen Klassenkräfteverhältnisses, (Ost-)Berlin 1971 Spröte: Die UNO in den internationalen Beziehungen, in: Deutsche Außenpolitik 1973 S. 388 Wilhelm Bruns Verweise auf: Bundesrepublik Deutschland; Mitgliedschaft.

Diskriminierung Begriff, Formen und

Auswirkungen

Vielfältig wie die Erscheinungsformen der Diskriminierung und ihrer Auswirkungen sind auch die Inhaltsbestimmungen des Begriffes der Diskriminierung. Erst in jüngster Zeit hat sich im internationalen Sprachgebrauch — vor allem unter dem Einfluß der Arbeit der Vereinten Nationen auf dem Gebiet des Diskriminierungsschutzes — annäherungsweise ein Konsens über den rechtlichen Begriff der Diskriminierung herausgebildet. Im Unterschied zur wertneutralen Differenzierung (distinction) wird unter Diskriminierung die willkürliche Ungleichbehandlung von Rechtsgenossen (Einzelpersonen, Staaten) unter Anknüpfung an Unterscheidungsmerkmale verstanden, die entweder — so im Falle von Individuen und Gruppen — von diesen nicht beeinflußbar sind wie Rasse, Volkszugehörigkeit oder Geschlecht oder unter keinem rationalen Gesichtspunkt als Unterscheidungskriterien von Individuen, Gruppen und Staaten sachlich gerechtfertigt werden können. Jedoch nicht nur die willkürliche Ungleichbehandlung fällt unter den Diskriminierungsbegriff, sondern unter bestimmten Umständen auch die willkürliche, benachteiligende Gleichbehandlung, so etwa im Falle von nationalen oder rassischen/ethnischen Minderheiten (-* Rassendiskriminierung), wenn sie entweder mittels der Gleichbehandlung zwangsweise der dominierenden Gesellschaft assimi-

Begriff, Formen und Auswirkungen

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liert oder zumindest in der Entfaltung ihrer Besonderheit gehindert werden. Demgegenüber wird nach dem Verständnis vor allem der Vereinten Nationen, die insoweit der entsprechenden Praxis der ILO folgen, die zeitlich allerdings begrenzte Vorzugsbehandlung (preferential treatment) von sozial Schwachen und Unterprivilegierten zur Heranführung an die in einer bestimmten Gesellschaft politisch, sozial und kulturell herrschenden Standards so lange als Diskriminierung nicht angesehen, als die Vorzugsbehandlung nicht zu einer Perpetuierung der Separierung der betroffenen Gruppe von der Gesamtgesellschaft führt (-> Soziale Mindeststandards). In den Beziehungen zwischen Staaten treten Diskriminierungen in erster Linie im Bereich der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen auf (-> Handels- und Wirtschaftsdiskriminierung). Eine gewisse Rolle haben diskriminierende Praktiken auch bei der Gestaltung der Einwanderungspolitik durch einzelne Staaten gespielt (ζ. B. in den 20er Jahren zwischen den USA und Japan; bis in die frühen 60er Jahre zwischen Australien und China). Seit dem Ende des 2. Weltkrieges steht jedoch der menschenrechtliche Aspekt der Diskriminierung, also die Diskriminierung von Individuen und Gruppen durch einzelne Staaten, im Zentrum des internationalen Interesses. Dabei haben die Versuche zur Überwindung der Rassendiskriminierung im weitesten Sinne Vorrang vor den Bemühungen um den Schutz von nationalen/ethnischen Minderheiten gewonnen. Insoweit unterscheidet sich die Arbeit der Vereinten Nationen auf dem Gebiet des Diskriminierungsschutzes wesentlich von der des Völkerbundes, der sich in besonderem Maße des Schutzes von solchen ->· Minderheiten angenommen hatte. Die Gründe für das Auftreten von Diskriminierungen gegenüber Individuen und Gruppen sind außerordentlich komplexer Natur. So gründen sie sich j e nach historisch-politischer und sozialer Lage auf primäre rassische Vorurteile und/oder sozioökonomische sowie politische Konkurrenzsituationen, wobei die genannten Faktoren in einer Wechselwirkung Diskriminierungen auslösen bzw. auf ihnen beruhen. Von Diskriminierungssituationen dieser Art ist kaum ein Kontinent oder Staat der Gegenwart frei. Die größte internationale Aufmerksamkeit hatte in der Vergangenheit die nationalsozialistische Rassenpolitik gegen die jüdische Bevölkerung in Deutschland und anderen europäischen Staaten erregt. Nach dem 2. Weltkrieg ist die südafrikanische Apartheidpolitik (-> Apartheid) zentrales Objekt internationaler Kritik geworden. Aber auch eine Vielzahl anderer Staaten hat Probleme der Überwindung von Diskriminierungen rassischer Minderheiten zu bewältigen, so ζ. B. die USA im Hinblick auf ihre schwarzen, indianischen und asiatischen Bevölkerungsminderheiten, Großbritannien gegenüber den farbigen Einwanderern und — von der Weltöffentlichkeit weniger bemerkt — einige schwarzafrikanische Staaten (ζ. B. Kenia, Uganda) gegenüber indischen Minderheiten, Indonesien und Malaysia gegenüber chinesischen Bevölkerungsgruppen. Die Wirkungen der Diskriminierung reichen von der Belastung des internationalen Friedens bis hin zu individuellen psychischen und physischen Schäden bei den Diskriminierten sowie der Zerstörung sozialer und kultureller Strukturen in diskriminierten Gruppen, die wiederum eine existentielle Gefährdung der betroffenen Menschen bewirken kann. Um diesen Auswirkungen der Diskriminierung entgegenzuwirken, hat die Staatengemeinschaft, insbesondere im Rahmen der Vereinten Nationen und ihrer Sonderorganisationen, eine Reihe von völkerrechtlichen Regelungen getroffen und sich bemüht, Instanzen zu ihrer Durchführung zu schaffen, wenn diesen letztgenannten Bemühungen auch bisher noch kein durchschlagender Erfolg beschieden war. Dennoch kann dem R e c h t als Mittel des Diskriminierungsschutzes wesentliche Bedeutung nicht abgesprochen werden, indem u. a. die Existenz verbindlicher Diskriminierungsverbote und die fortwährend wiederholte Forderung nach ihrer Einhaltung einen nicht zu unterschätzenden Einfluß auf das universale Rechtsbewußtsein ausüben und auch erzieherisch auf das zwischenmenschliche Verhalten einwirken.

78 Zur rechtlichen Bewältigung des

Diskriminierung

Diskriminierungsschutzes

Im Völkergewohnheitsrecht finden nach überwiegender Ansicht weder der Schutz der Staaten vor Diskriminierung noch das menschenrechtliche Diskriminierungsverbot zum Schutz von Individuen und Gruppen (Minderheiten) eine verbindliche Basis. Soweit also ein rechtlicher Schutz vor Diskriminierungen erfolgen soll, bedarf es heute noch ausdrücklicher vertraglicher Festlegung des Diskriminierungsverbots. Im zwischenstaatlichen Verhältnis sind u. a. Handels- und Freundschaftsverträge das Instrument, mit dem üblicherweise Diskriminierungen der Partner untereinander ausgeschlossen werden. Grundlegend — sowohl für die zwischenstaatlichen Beziehungen als auch das Verhalten gegenüber Individuen und Gruppen — ist das allgemeine Bekenntnis der Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen in der Charta zur Gleichheit der Staaten und, in menschenrechtlicher Hinsicht, zur „Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten für alle ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion" (Art. 1; entsprechend Art. 13 und 55). Diesen Chartabestimmungen ist zumindest die allgemeine Pflicht der Mitgliedstaaten zur Unterlassung von Diskriminierungen zu entnehmen, ohne daß dieser Pflicht ein subjektives Recht auf Nichtdiskriminierung bei einzelnen Personen und Gruppen entsprechen muß (str.). Dem allgemeinen Schutz vor Diskriminierungen und der Sicherung des gleichen Genusses der Menschenrechte und Grundfreiheiten dienen darüber hinaus auf universaler Ebene — rechtlich unverbindlich — die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (1948), Menschenrechtspakte aus dem Jahr 1966 über den Schutz der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte (in Kraft seit 3.1.1976) sowie der politischen und Bürgerrechte (in Kraft seit dem 23.3.1976) sowie die Europäische Menschenrechtskonvention (1950) und die (Inter-)Amerikanische Menschenrechtskonvention (1969). Speziell der Beseitigung der Rassendiskriminierung dient die 1969 in Kraft getretene und von etwa zwei Dritteln der Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen (darunter die Bundesrepublik Deutschland) ratifizierte Konvention über die Beseitigung jeder Form von -> Rassendiskriminierung (BGBl. 1969 II S. 961). Aus der Arbeit der ILO ist die Konvention Nr. 111 über das Verbot der Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf (1958) (BGBl. 1961 II S. 97) und aus der Arbeit der UNESCO die Konvention über das Verbot der Diskriminierung im Unterrichtswesen (1960) (BGBl. 1960 II S. 385) erwachsen (-» Frauenrechte). Aus diesen zuletztgenannten drei Konventionen sind folgende, der Komplexität des Kampfes gegen die Diskriminierung besonders Rechnung tragende Regelungen hervorzuheben. Sowohl die Konvention über die Beseitigung der Rassendiskriminierung als auch die Konvention über das Verbot der Diskriminierung in Beruf und Beschäftigung enthalten besondere Vorschriften über die nicht als Diskriminierung geltende Vorzugsbehandlung bisher unterprivilegierter Gruppen und Individuen. Demgegenüber führt die Konvention über das Verbot der Diskriminierung im Erziehungswesen eine bisher nicht erwähnte Begriffsunterscheidung ein. Sie differenziert zwischen sogenannter statischer und dynamischer Diskriminierung: Erstere meint eine unterschiedliche Behandlung z. B. von Frauen und Männern im Erziehungswesen auf Grund traditionaler Gesellschaftsstrukturen, die nicht unmittelbar den Regelungen der Konvention unterfallen soll. Letztere hingegen bezeichnet die willkürliche, unter keinem Gesichtspunkt zu rechtfertigende Ungleichbehandlung von Menschen im Bereich des Erziehungswesens. Eine weitere Besonderheit ist, daß die Konvention über die Beseitigung der Rassendiskriminierung die Vertragsstaaten verpflichtet, dem Diskriminierungsverbot auch in den privaten Beziehungen der Rechtsgenossen untereinander zur Geltung zu verhelfen (sog. Drittwirkung des Diskriminierungsverbotes). Zu den neuesten Entwicklungen auf dem Gebiet des Schutzes vor rassischer Diskriminierung gehört die Erklärung der Apartheidpolitik zu einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Konvention über die Nichtverjährung von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit — 1968 —, Konvention zur Unterdrückung und Bestrafung der Apartheid 1973 - ) . Beide Verträge sind bisher nicht geltendes Recht. Nicht abgeschlossen sind die

Zur Durchsetzung des Diskriminierungsverbotes

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Arbeiten der Vereinten Nationen an Verträgen zur Überwindung der Diskriminierung der Frau (-> Frauenrechte), zum Verbot der Diskriminierung auf dem Gebiet der Religions- und Kultusfreiheit und bei der Ausübung politischer Rechte und des Rechtes der Freizügigkeit. Zur Durchsetzung des

Diskriminierungsverbotes

Angesichts des Fehlens einer zentralen völkerrechtlichen Zwangsgewalt ist die Staatengesellschaft überwiegend auf kooperative, der koordinationsrechtlichen Natur des Völkerrechts entsprechende Formen der Durchsetzung des Diskriminierungsverbots angewiesen. Möglichkeiten der gerichtlichen Verfolgung des Diskriminierungsschutzes werden für das Individuum, aber auch für Staaten bis heute nur im Rahmen der regionalen Menschenrechtssysteme in Europa und in Amerika gewährt (Staaten- und Individualbeschwerde, ζ. B. Art. 24, 25 Europäische Menschenrechtskonvention). Typisch für die universale Durchsetzung des Diskriminierungsschutzes ist die Überprüfung der Einhaltung der einschlägigen Völkerrechtsnormen durch internationale Kommissionen, denen Berichte der an menschenrechtlichen Verträgen beteiligten Staaten über ihre Fortschritte bei der Realisierung des Diskriminierungsschutzes bzw. der Menschenrechte allgemein vorzulegen sind (so das Committee on the Elimination of Racial Discrimination — CERD — auf der Grundlage der Art. 8 ff. der Konvention über die Beseitigung der Rassendiskriminierung (-»• Berichtsystem)). Der Plan, dem Diskriminierungsverbot wie den Menschenrechten generell internationale Wirkung durch die Einrichtung des Amtes eines Hochkommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechtsfragen zu verleihen, ist wegen der in diesem Zusammenhang vorgesehenen Kompetenzen zum Eingriff in innerstaatliche Angelegenheiten bisher auf den Widerstand einer Reihe von bedeutenden Staaten gestoßen. Neben den hier skizzierten Durchsetzungsmechanismen haben die Vereinten Nationen versucht, den Gedanken des Diskriminierungsschutzes durch ein umfassendes Erziehungsund Informationsprogramm zu verbreiten. Durch Aufklärungsmaterial und die Abhaltung von Seminaren (ζ. B. Seminar über die Apartheidpolitik, Brasilia 1965, und über die Beseitigung aller Formen der Rassendiskriminierung, New Delhi 1968) soll das internationale Bewußtsein gegen jede Form der Diskriminierung als eine wesentliche Voraussetzung wirksamen Diskriminierungsschutzes gestärkt werden. Literatur Allport: Die Natur des Vorurteils (Titel der Originalausgabe: The Nature of Prejudice, 1954), hrsg. und kommentiert von Carl Friedrich Graumann, Köln 1971 Banton: Race Relations, London / Sydney / Toronto / Wellington 1967 (Neudruck 1969) Delbrück: Die Rassenfrage als Problem des Völkerrechts und nationaler Rechtsordnung, Frankfurt/M. 1971 Ermacora: Diskriminierungsschutz und Diskriminierungsverbot in der Arbeit der Vereinten Nationen, Wien / Stuttgart 1971 ders.: Der Minderheitenschutz in der Arbeit der Vereinten Nationen, Wien / Stuttgart 1964 Jaenicke: Diskriminierung, in: Strupp-Schlochauer, Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. I, Berlin 1960, S. 387 Kewenig: Der Grundsatz der Nichtdiskriminierung im Völkerrecht der internationalen Handelsbeziehungen, Frankfurt/M. 1972 Khol: Zwischen Staat und Weltstaat — Die internationalen Sicherungsverfahren zum Schutz der Menschenrechte, Wien / Stuttgart 1969 Partsch: Die Rechte und Freiheiten der europäischen Menschenrechtskonvention, in: Bettermann / Neumann / Nipperdey, Die Grundrechte, Bd. 1/1, Berlin 1966, S. 235 ders.: Die Konvention zur Beseitigung der Rassendiskriminierung, in: VN 1971 S. 1 Jost Delbrück

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ECOSOC - Wirtschafts- und Sozialrat

Verweise auf·. Apartheid; Berichtsystem; Frauenrechte; Handels- und Wirtschaftsdiskriminierung; Minderheiten; Rassendiskriminierung; Soziale Mindeststandards.

ECOSOC - Wirtschafts- und Sozialrat Nach Art. 7 Abs. 1 ist der ECOSOC (Economic and Social Council) eines der sechs Hauptorgane (-> Organisationssystem der Vereinten Nationen). Seine Zusammensetzung sowie seine Aufgaben und Befugnisse werden in Art. 61 — 72 geregelt. Auf Grund einer Resolution der Generalversammlung vom 20. Dezember 1971 (Res. 2847 (XXVI)) und nach Ratifizierung durch zwei Drittel der Mitglieder (-> Revision der Charta) sind in dem ECOSOC seit dem 1. Januar 1974 54 Mitgliedstaaten vertreten. Die Sitze verteilen sich wie folgt: 14 Sitze sind von afrikanischen, 13 von westeuropäischen und anderen, 11 von asiatischen, 10 von lateinamerikanischen und 6 von osteuropäischen Staaten zu besetzen (-»• Blockbildung). Die Mitglieder des ECOSOC werden jeweils auf drei Jahre gewählt, wobei jedes Jahr 18 Sitze neu besetzt werden (vgl. Regel 145 Geschäftsordnung der Generalversammlung). Bei Gründung der Vereinten Nationen bestand der ECOSOC aus 18 Mitgliedern. Vor allem auf Druck der Entwicklungsländer, die sich im Rat nur unzureichend vertreten fühlten, beschloß die Generalversammlung 1963 (Res. 1991 (XVIII) vom 17.12.1963) eine Erweiterung von 18 auf 27 Mitglieder. Diese Änderung trat 1965 in Kraft. Bei dem nach der erneuten Erweiterung nötigen Ergänzungsverfahren wurden Anfang 1974 zuzüglich zu den neun turnusgemäß ausscheidenden Mitgliedern weitere 27 Mitglieder gewählt, wobei für neun die Amtszeit nach einem Jahr, für weitere neun die Amtszeit nach zwei Jahren endete. Die Mitgliedschaft im ECOSOC können nach Art. 61 Abs. 1 nur Mitglieder der Vereinten Nationen erwerben. Sie werden jeweils von der -* Generalversammlung gewählt. Eine sofortige Wiederwahl ausscheidender Mitglieder ist möglich. Unter Ausnutzung dieser Vorschrift hat die Generalversammlung, ohne dazu verpflichtet zu sein, stets die ständigen Mitglieder des -»• Sicherheitsrates nach Ablauf ihrer Amtszeit erneut zu Mitgliedern des ECOSOC gewählt. Jedes Mitglied besitzt im Rat, der in der Regel zweimal im Jahr tagt, eine Stimme. Zu Beginn der ersten Sitzung werden jedes Jahr aus den Vertretern der Mitgliedstaaten ein Präsident und vier Vize-Präsidenten gewählt. Auf Grund der Erfahrungen mit dem Völkerbund, dessen Arbeit auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet durch eine Aufsplitterung der Kompetenzen sowie durch unkoordiniertes Tätigwerden der Sonderorganisationen behindert wurde, ist der ECOSOC unter der Autorität der Generalversammlung das für den gesamten wirtschaftlichen und sozialen Bereich verantwortliche Organ im System der Vereinten Nationen (Art. 60). Die Ziele der Vereinten Nationen für den wirtschaftlichen und sozialen Bereich sind in Art. 55 festgelegt. Die Aufgaben des ECOSOC bestehen gemäß Art. 62 ff. darin, Untersuchungen über Angelegenheiten der Wirtschaft, des Sozialwesens, der Kultur, der Erziehung, der Gesundheit sowie verwandter Gebiete durchzuführen oder anzuregen, Berichte darüber abzufassen oder zu veranlassen, Empfehlungen an die Generalversammlung, die Mitglieder der Vereinten Nationen oder Sonderorganisationen in diesen Angelegenheiten zu richten, Übereinkommen in Angelegenheiten seiner Zuständigkeit zu entwerfen, Verträge mit den Sonderorganisationen über deren Beziehungen zu den Vereinten Nationen zu schließen sowie die Tätigkeit der Sonderorganisationen zu koordinieren. Innerhalb seines Aufgabenbereichs kann er internationale Konferenzen einberufen sowie Konsultationsabkommen mit Nichtstaatlichen Organisationen ähnlicher Aufgabenbereiche abschließen. Mit Genehmigung der

ECOSOC - Wirtschafts- u n d Sozialrat

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Generalversammlung kann er alle Dienste leisten, um die er von Mitgliedern der Vereinten Nationen oder den Sonderorganisationen ersucht wird. Für die Durchführung seiner umfangreichen Aufgaben besitzt der ECOSOC Nebenorgane (-»· Ausschßsystem), die sich in sechs Gruppen einteilen lassen: 1. Sitzungsausschüsse dienen der intensiven Beratung von Sachfragen während der Tagungen; alle Ratsmitglieder sind vertreten. 2. Ad hoc-Ausschüsse werden jeweils für eine bestimmte Aufgabe vom Rat ins Leben gerufen. 3. Ständige Ausschüsse sind auf Dauer mit einem bestimmten Aufgabenbereich betraut (ζ. B. Ausschüsse für natürliche Ressourcen, Wohnungswesen, Nichtstaatliche Organisationen, Entwicklungsplanung, Koordinierung der Aktivitäten). 4. Regionale -* Wirtschaftskommissionen haben vor allem die Intensivierung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit sowie Entwicklungspolitik in den jeweiligen Regionen zum Ziel. 5. Funktionale Kommissionen liefern auf ihren Gebieten dem ECOSOC vor allem Daten und Empfehlungen. Zu ihnen zählen die Statistikkommission, die Bevölkerungskommission, die Menschenrechtskommission, die Frauenrechtskommission und die Kommission für soziale Entwicklung. Im Einzelfall nehmen sie auch Überwachungsaufgaben wahr wie die Suchtstoffkommission. 6. Hilfsorgane unterstützen die Arbeit des ECOSOC und des gesamten Systems der Vereinten Nationen. Zu nennen ist besonders der Verwaltungsausschuß für Koordination (Administrative Committee on Co-ordination), dem der Generalsekretär sowie die Verwaltungsspitzen der verschiedenen Sonderorganisationen angehören. Seine Aufgabe ist es, die Tätigkeit auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet im Rahmen der Vereinten Nationen zu koordinieren, um Überschneidungen zu vermeiden und bei komplexeren Aufgaben für ein gemeinsames Vorgehen zu sorgen. Daneben bestehen einige Spezialorgane, die den ECOSOC bei seiner Arbeit unterstützen, indem sie in Verantwortung ihm oder der Generalversammlung gegenüber Teilbereiche seines Aufgabengebiets selbständig bearbeiten. Hierzu gehören unter anderen UNDP, UNICEF, UNCTAD, UNIDO, -» UNITAR (-> Kulturpolitik) und UNEP (-> Umweltschutz). Darüberhinaus arbeitet der ECOSOC eng mit dem Sekretariat zusammen. Neben der Ausführung von verwaltungstechnischen Aufgaben liefert das Sekretariat dem ECOSOC einen Teil der benötigten Informationen, Daten und Expertisen. Der ECOSOC wird zumeist auf Anregung seiner Mitglieder tätig. Darüberhinaus können auch die übrigen Mitglieder der Vereinten Nationen, andere Organe, Sonderorganisationen oder Nichtstaatliche Organisationen eine Initiative des ECOSOC anregen. Durch seine Aktivitäten versucht der ECOSOC vor allem, das Gefalle zwischen den hochentwickelten Industrienationen und den Entwicklungsländern abzubauen und damit das Entstehen von Konflikten zu vermeiden, bzw. die dadurch entstandenen Probleme zu lösen. Darüberhinaus bemüht er sich, durch Förderung der internationalen Zusammenarbeit zur Lösung aktueller Probleme einen Beitrag zu leisten. Zu nennen seien hier: Umweltschutz, Welternährungslage, Weltbevölkerung, Rohstoffknappheit. Um seinen Aufgaben gerecht zu werden, benötigt der ECOSOC vor allem statistische Angaben, umfangreiche Informationen sowie problembezogene Studien. Da das Beschaffen der Informationen vielfach eine Zusammenarbeit mit den betroffenen Staaten erfordert, treten Schwierigkeiten namentlich dann auf, wenn diese Staaten ein besonderes Interesse an der Geheimhaltung der Informationen haben (ζ. B. bei Fragen der Behandlung rassischer Minderheiten, von Gefangenen, der Diskriminierung im humanitären und sozialen Bereich). Die vom ECOSOC bisher verfaßten Studien betreffen unter anderem die wirtschaftliche Entwicklung der Entwicklungsländer, das Drogenproblem (-»• Suchtstoffe) sowie die soziale Wohlfahrt und Gesundheit. Erst diese Studien und Berichte ermöglichen es der Generalversammlung, Empfehlungen zu geben, Beschlüsse zu fassen oder bestimmte Planungen und Entwicklungen einzuleiten. So wichtig dieses Betätigungsfeld des ECOSOC auch ist, so besteht doch die Gefahr, daß von Mitgliedern Studien und Berichte angeregt werden, die nur für einzelne Staaten von Nutzen sind.

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Der ECOSOC hat durch eine beachtliche Anzahl von Empfehlungen nicht nur an die Generalversammlung, sondern auch an Sonderorganisationen, an Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen und auch an Nichtmitglieder sehr zur Belebung der internationalen Zusammenarbeit und zur Lösung nationaler und internationaler Probleme beigetragen. Da die Empfehlungen jedoch weder für die anderen Organe der Vereinten Nationen noch für die Mitgliedstaaten bindende Wirkung haben, mußten häufig wichtige Empfehlungen hinter nationalen politischen oder wirtschaftlichen Interessen zurücktreten (so ζ. B. die Erklärung des ECOSOC, daß die Störung ausländischer Radiosendungen durch bestimmte Staaten gegen die Informationsfreiheit verstoße und deshalb zu unterlassen sei — Res. 732 (XXVIII) vom 30.7.1959). Zu den Aufgaben des ECOSOC gehört es außerdem, Entwürfe für internationale Übereink o m m e n auszuarbeiten. Offensichtlich gingen die Urheber der Charta davon aus, daß es leichter sei, die Zustimmung der Staaten zu einer bereits fertig ausgearbeiteten Übereinkunft zu finden. Als die wohl wichtigsten der bisher vom ECOSOC beschlossenen Entwürfe sind zu nennen: Das Genocidabkommen, ECOSOC Res. 153 (VII) vom 26. August 1948, das Suchtstoffabkommen, ECOSOC Res. 689 J (XXVI) vom 28. Juli 1958. Der ECOSOC kann zur Behandlung wichtiger internationaler Probleme internationale Konferenzen einberufen. Zu diesen, die sowohl auf Regierungs- als auch auf Expertenebene stattfinden können, werden die interessierten Staaten unabhängig von ihrer Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen eingeladen. Die Effektivität etlicher Konferenzen litt darunter, daß nicht alle Staaten teilnahmen. Folgende Konferenzen sind vom ECOSOC einberufen worden: Welt-Statistik-Kongreß (1947), Zinn-Konferenz ( 1 9 5 0 ff.), Opium-Konferenz ( 1 9 5 3 ) , Weltbevölkerungskonferenz (1954), Kartographische Konferenz für Asien und den Fernen Osten ( 1 9 5 5 , 1958, 1961, 1964, 1967), Zucker-Konferenz (1956 ff.). Auf Veranlassung des ECOSOC wurde im Jahre 1964 die erste Welthandels- und Entwicklungskonferenz (-»· UNCTAD) von der Generalversammlung einberufen. Auf Grund ihrer großen Bedeutung wurde diese Konferenz später institutionalisiert u n d übernahm als der Generalversammlung unterstelltes Spezialorgan einen Teilbereich der Ratsaufgaben. Der ECOSOC hat schließlich auch die Suchtstoffkonferenz von 1971 in Wien, die Bevölkerungskonferenz von 1974 und die erste Weltfrauenkonferenz (1975) einberufen. Eine der wichtigsten, zugleich aber auch eine der schwierigsten Aufgaben des Rates ist die Koordinierung der Aktivitäten der -»• Sonderorganisationen. Mit diesen hat der ECOSOC gem. Art. 63 Verträge abgeschlossen, die vor allem eine regelmäßige Berichterstattung der Organisationen an den ECOSOC vorsehen. Dabei sind drei Kategorien von Verträgen zu unterscheiden: a) In der größten Gruppe, die vor allem die jüngeren Organisationen mit weitem Aufgabenbereich (FAO, ICAO, ILO, UNESCO, WMO) umfaßt, ist eine enge Zusammenarbeit vorgesehen. So regeln die Verträge ein gegenseitiges Teilnahmerecht an Sitzungen, ein Vorschlagsrecht für Tagungsprogrammpunkte, die Durchführung empfohlener Aktionen sowie eine enge finanzielle Zusammenarbeit. b) Die Verträge mit der UPU und der ITU sehen eine weniger feste Verbindung vor. Diese beiden Organisationen führen eng begrenzte Spezialaufgaben durch, so daß eine so enge Zusammenarbeit wie bei den Organisationen der Gruppe a) mit dem ECOSOC nicht erforderlich erschien. c) Die weitestgehende Autonomie ist den Organisationen der dritten Gruppe (IBRD, IDA, IFC, IMF) zugestanden. Ihre besonderen Aufgaben und Befugnisse erfordern größere Selbständigkeit gegenüber den Vereinten Nationen. Außerdem wollen deren Mitgliedstaaten wegen der großen finanziellen und wirtschaftlichen Tragweite der zu fassenden Beschlüsse verhindern, daß Nichtmitglieder über den ECOSOC einen zu großen Einfluß auf die Politik dieser Organisationen gewinnen können. Die Koordinierung erfolgt weitgehend durch ein Hilfsorgan des ECOSOC, den Verwaltungsausschuß fiir Koordination. Er besteht aus den Verwaltungsspitzen der Sonder-

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Organisationen sowie dem Generalsekretär und berichtet dem ECOSOC laufend über seine Tätigkeit. Eine Koordinierung durch den ECOSOC erweist sich vor allem deshalb als schwierig, weil dieser auf Grund seines umfangreichen Sitzungsprogramms die Berichte der Sonderorganisationen sowie des Koordinationsausschusses über ihre Tätigkeit stets nur oberflächlich durcharbeiten kann. Ein großer Fortschritt bei der Koordinierung wurde durch die Resolution der Generalversammlung 1 7 1 0 ( X V I ) vom 19. Dezember 1961 erzielt, durch die die 60er Jahre zur ersten Entwicklungsdekade der Vereinten Nationen erklärt wurden. Verbunden mit dieser Erklärung zur Entwicklungsdekade erfolgte eine Festlegung von Prioritäten, was zu einer Entwicklung und Anpassung der Programme der Sonderorganisationen führte. Im Zusammenhang damit legte der Koordinationsausschuß dem ECOSOC im Jahre 1 9 6 4 eine Untersuchung über die funktionale Eingruppierung der Sonderorganisationen sowie Vorschläge zur Verbesserung der Projektplanung vor. Diese Entwicklung wird durch das Programm der zweiten Entwicklungsdekade ( 1 9 7 1 - 1 9 8 0 ; GA Res. 2 6 2 6 ( X X V ) vom 2 4 . 1 0 . 1 9 7 0 ) fortgesetzt, wobei eine zusätzliche Überprüfung der Effektivität der Arbeit durch die Einsetzung eines ECOSOC-Ausschusses zur Erfolgskontrolle (Überprüfungs- und Bewertungsausschuß) erfolgt. Durch seine Tätigkeit bemüht sich der ECOSOC, einen Beitrag zur Sicherung des Weltfriedens, zur Lösung der Menschheitsprobleme und zur Förderung der internationalen Zusammenarbeit zu leisten. Trotz allem bleibt das größte Hindernis bei seiner Arbeit die Tatsache, daß bei der Fülle der von ihm wahrzunehmenden Aufgaben zu viele Fragen in zu kurzer Zeit erledigt werden müssen, worunter zwangsläufig die Gründlichkeit leidet. Hier könnte eine Lösung dadurch erfolgen, daß die Aufgabenbereiche des ECOSOC klarer gefaßt, die Sitzungsperioden verlängert sowie Teilbereiche des Aufgabengebietes ausgeklammert und auf bestehende oder neuzuschaffende Organe übertragen werden. Die Arbeitsbedingungen könnten auch besser sein, wenn der ECOSOC von seiner Bindung an Sitzungsperioden gänzlich befreit würde. Ein weiteres Problem des ECOSOC besteht darin, daß in ihm sowie seinen Nebenorganen in der Regel Regierungsbeauftragte sitzen, die nicht notwendigerweise Experten für die zu entscheidenden Fragen sind. So beruht eine getroffene Entscheidung häufig mehr auf politischen als auf fachlichen Überlegungen. Auch die Interessengegensätze zwischen Ost und West sowie zwischen Entwicklungsländern und Industrienationen spielen bei den Beschlüssen des ECOSOC eine Rolle. Während in Erkenntnis der Notwendigkeit effektiver Lösungen die politischen Konflikte eine Zeitlang zurücktraten und sachorientierte Arbeit ermöglichten, gewinnen neuerdings wieder mehr die politischen Überlegungen an Gewicht. Seit dem 1. Januar 1 9 7 4 ist die Bundesrepublik Deutschland ebenfalls Mitglied des ECOSOC. Dies war für sie vor allem deshalb wichtig, weil sie den drittgrößten Beitrag zum Budget der Vereinten Nationen leistet. Darüberhinaus ist die Bundesrepublik Deutschland bereits seit vielen Jahren Mitglied der regionalen Wirtschaftskommission ECE sowie des Verwaltungsrats des UNDP. Auch haben die hohen finanziellen Zuwendungen, die die Bundesrepublik Deutschland im Rahmen der verschiedenen Sonderorganisationen seit Jahren leistet, ihr großes Interesse an der Entwicklungspolitik erkennen lassen. Aus diesem Grund ist die Mitgliedschaft der Bundesrepublik Deutschland im ECOSOC als dem koordinierenden Organ die logische Konsequenz ihres Interesses an der Entwicklungspolitik.

Literatur Boyd: Die Vereinten Nationen, Frankfurt/M. 1967 Dicke: Die administrative Organisation der Entwicklungshilfe durch die Vereinten Nationen, Frankfurt/M. 1972 Goodrich / Hambro / Simons: Charter o f the United Nations, 3rd ed., New York / London 1969

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Entkolonialisierung

Goodspeed: The Nature and Function of International Organization, 2nd ed., New York 1967 Sharp: The United Nations Economic and Social Council, New York 1969 Siegler (Hrsg.): Die Bundesrepublik Deutschland Mitglied der Vereinten Nationen, 2. Aufl., Bonn / Wien / Zürich 1974 Hajo Knöll / Knut Ipsen Verweise auf·. Ausschußsystem; Blockbildung; Generalversammlung; Kulturpolitik; Nichtstaatliche Organisationen; Organisationssystem der Vereinten Nationen; Revision der Charta; Sicherheitsrat; Sonderorganisationen; Suchtstoffe; Umweltschutz; UNCTAD; UNDP; UNICEF; UNIDO; UNITAR; Wirtschaftskommissionen.

Entkolonialisierung Begriffsbestimmung Die Charta spricht in Art. 73 von „ . . . Hoheitsgebieten . . . , deren Völker noch nicht die volle Selbstregierung erreicht haben", und meint damit insbesondere die von westeuropäischen Staaten in früherer Zeit erworbenen Kolonien in Afrika, Asien und Mittelamerika sowie Ozeanien. Eine genaue Definition von Kolonie und Kolonialismus fehlt. In der Praxis der Vereinten Nationen hat sich insbesondere Portugal zwischen 1955, dem Jahr seiner Aufnahme in die Organisation, und 1974 geweigert, seine afrikanischen Territorien Angola, Mozambique und Guinea-Bissau als „Hoheitsgebiete ohne Selbstregierung" gem. Art. 73 zu betrachten. Sie seinen integrierende Bestandteile des portugiesischen Staates (-> Portugiesische Kolonialgebiete). Den gleichen Standpunkt vertrat Frankreich hinsichtlich Algeriens bis 1962, vertritt die Sowjetunion hinsichtlich der asiatischen und osteuropäischen nichtrussischen Sowjetrepubliken bzw. der von Nichtrussen bewohnten Teile der RSFR; ebenso argumentiert die Volksrepublik China hinsichtlich Tibets, argumentieren die USA hinsichtlich Puerto Ricos. Wo aber die Definition der „Kolonie" unklar ist, kann auch die Pflicht zur „Entkolonialisierung" nicht genau bestimmt werden. Eine solche Pflicht ist — infolge britischen Einspruchs (-»• Entstehungsgeschichte) — in Art. 73 vorsichtig angelegt; sie wurde nur für die wenigen Treuhandgebiete (ehemalige deutsche, italienische und japanische Kolonien) in Art. 76 (b) festgelegt: Zweck des Treuhandsystems der Vereinten Nationen ist demnach u. a. die „ . . . fortschreitende Entwicklung zur Selbstregierung oder Unabhängigkeit.. ." (-> Treuhandrat). Am 14. Dezember 1960 beschloß die Generalversammlung mit 89 gegen 0 Stimmen bei 9 Enthaltungen die Erklärung über die Gewährung der Unabhängigkeit an Kolonialländer und -Völker (Res. 1514 (XV)), die seitdem als Entkolonialisierungs-Resolution zitiert wird. Die Generalversammlung verkündete darin „ . . . feierlich die Notwendigkeit, den Kolonialismus in allen Erscheinungsformen schnell und bedingungslos zu beenden", und sie forderte „. . . alsbaldige Schritte . . ., um alle Gewalt den Völkern (der Kolonien) . . . zu übertragen . . ."; allerdings verzichtete die Generalversammlung darauf, einen festen Termin für den Vollzug der Entkolonialisierung festzusetzen. Diese Resolution und zahlreiche an sie anknüpfende Beschlüsse von verschiedenen Organen der Vereinten Nationen machen klar, daß die Vereinten Nationen unter Entkolonialisierung die Ausübung des -*· Selbstbestimmungsrechts durch vorher abhängige Völker verstehen. Die Vereinten Nationen erwarten davon in der Regel die Errichtung unabhängiger Staaten in den vorher abhängigen Ländern. Die Weltorganisation betrachtet die so verstandene Entkolonialisierung als eine ihrer vordringlichen Aufgaben.

Typologie der Entkolonialisierung

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Historischer Überblick Der in den Vereinten Nationen so energisch verurteilte „Kolonialismus" ist das Ergebnis der Ausdehnung europäischer Herrschaft über die ganze Erde in der Periode des Hochimperialismus zwischen 1880 und 1914. In dieser Zeit wurde fast ganz Afrika unter westeuropäischen Kolonialmächten aufgeteilt, die (teilweise viel ältere) Herrschaft europäischer Staaten in Asien einschließlich der russischen Ausdehnung konsolidiert. Außerhalb Europas beteiligten sich nennenswert nur die USA und Japan an dieser Kolonisation. Es handelte sich um eine zweite Welle europäischer Ausdehnung. Die erste hatte um 1500 begonnen; sie führte nicht nur zur kolonialen Eroberung, sondern auch zur Besiedlung Nordamerikas, Sibiriens und (teilweise) Lateinamerikas sowie Australiens, Neuseelands und (teilweise) Südafrikas durch Menschen europäischer Herkunft; außer in Sibirien bildeten diese Kolonisten neue Nationen. In Nord- und Lateinamerika befreiten sie sich ab 1776 von der kolonialen Abhängigkeit. Dieser Prozeß ist eine erste, in sich abgeschlossene Phase der Entkolonialisierung in der neueren Geschichte. Sie war aber nur in Nordamerika mit einer industriellen Revolution nach westeuropäischem Vorbild verbunden. In anderen politisch dekolonisierten Ländern {insbesondere Lateinamerikas) blieb die wirtschaftliche Abhängigkeit von Industrienationen („Metropolen") bestehen. Die zweite Phase der Entkolonialisierung ging stellenweise unmittelbar aus dem Widerstand hervor, den asiatische und afrikanische Völker gegen die koloniale Eroberung leisteten. Merkdaten sind ζ. B. 1857 (der Große Aufstand gegen die britische Herrschaft in Indien), 1882 (sog. Arabi-Aufstand in Ägypten) und 1896 (Sieg des äthiopischen Kaisers Menelik II. über die Italiener). Nach dem 1. Weltkrieg wurden im Mandatssystem des Völkerbundes (-* Mandatsgebiete) Ansätze dafür sichtbar, daß die internationale Politik sich auf eine Entkolonialisierung als Fernziel orientierte. 1931 erhielten die weißen Siedlungskolonien des Britischen Imperiums durch das Statut von Westminster de facto Unabhängigkeit. 1936 gewährte die Stalinsche Verfassung der UdSSR in Art. 17 jeder Unionsrepublik de iure das Recht zum freien Austritt aus der UdSSR. Nach dem 2. Weltkrieg traten in fast allen abhängigen Gebieten der westeuropäischen Staaten nationale -»· Befreiungsbewegungen hervor, die mit gewaltfreien politischen Mitteln oder durch bewaffneten Kampf (insbesondere Vietnam, Algerien) beschleunigte Entkolonialisierung forderten. Die britische Herrschaft in Indien endete am 15. August 1947 (-> Indischer Subkontinent), die niederländische in Indonesien am 27. Dezember 1949, die französische in Vietnam am 21. Juli 1954. Als erster „neuer Staat" Schwarzafrikas wurde Ghana am 6. März 1957 unabhängig. Der Waffenstillstand von Evian beendete den Algerienkrieg am 18. Mäiz 1962. Am 17. September 1974 wurde Guinea-Bissau nach elf Kriegsjahren auf Vorschlag der bisherigen Kolonialmacht Portugal in die Vereinten Nationen aufgenommen. Diese Merkdaten umreißen die zweite Phase der Entkolonialisierung, die nur im -*• Südlichen Afrika gegenwärtig noch unvollendet ist. Typologie der Entkolonialisierung In den meisten Ländern Asiens und Afrikas trat die antikoloniale Befreiungsbewegung der Kolonialregierung in ähnlicher Weise gegenüber wie eine Oppositionspartei der eigenen Regierung in einem Staat, der die Regeln der westlichen Demokratie anerkennt. Die kolonialen Metropolen, die selbst westliche Demokratien sind (d. h. Großbritannien, Frankreich, die Niederlande, Belgien), gingen auf diese Rollenverteilung ein. Wenn die Befreiungsbewegung sich durch Wahlen als authentische Vertretung des kolonisierten Volkes legitimiert hatte, wurden Verhandlungen aufgenommen, die dann in Etappen oder sofort zur politischen Unabhängigkeit der Kolonie führten. In der Ubergangszeit stärkte die Befreiungsbewegung ihre Verhandlungsposition durch Aktionen, wie sie in westlichen Demokratien für Interessenverbände bezeichnend sind: Demonstrationen, Streiks, Einwirkung auf die öffentliche

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Entkolonialisierung

Meinung der Metropole. Mit der Übernahme von Staatsfunktionen in der Kolonie verwandelte sich die Befreiungsbewegung schrittweise in die Führungspartei des neuen Staates. Diesem Idealtyp am nächsten kam die Entkolonialisierung ζ. B. auf Ceylon, in Indien bzw. Pakistan, Ghana, Tansania, Sambia, Senegal, der Elfenbeinküste, Mali (um nur drei Beispiele aus dem ehemaligen Französisch-Westafrika zu nennen), Madagaskar. Abweichungen ergaben sich, wo auf Seiten des kolonisierten Volkes keine einheitliche AntikolonialBewegung zustande kam wie in Nigeria oder Zaire (-»• Kongo). Der bewaffnete Kampf als Weg zur Entkolonialisierung war dort unausweichlich, wo die Kolonialregierung Verhandlungen mit einer Befreiungsbewegung verweigerte (Portugal bis 1974, Frankreich in Algerien bis 1959) oder abbrach (Frankreich in Vietnam 1946). Die Ursache solcher Politik der Kolonialmacht lag entweder darin, daß die Metropole selbst keine Demokratie war (Portugal), oder daß an einer Aufrechterhaltung der Kolonialherrschaft interessierte Gruppen stärkeren Einfluß auf die Regierung der Metropole gewannen als die antikoloniale Befreiungsbewegung; eine solche Situation ergab sich oder drohte in der Regel dort, wo starke weiße Siedlergruppen der Entkolonialisierung widerstrebten: In Algerien, Rhodesien, Kenia. Vergleichbar ist die Lage in der Republik Südafrika, deren Rassenpolitik als „interne Kolonialherrschaft" aufgefaßt werden kann. Vietnam, Algerien, Guinea-Bissau, Mozambique und Angola haben ihre Entkolonialisierung vornehmlich durch bewaffneten Kampf erreicht. In Marokko, Kamerun, Kenia und Indonesien spielte er eine gewisse Rolle neben den erwähnten gewaltfreien Methoden. Vor allem in der Schlußphase der zweiten Entkolonialisierungswelle haben einige Staaten ihre Unabhängigkeit erhalten, ohne daß eine bedeutende politische Bewegung dies gefordert hätte. Die kolonialen Metropolen entledigten sich solcher Rest-Besitzungen wie eines überflüssigen Ballastes. Dies gilt ζ. B. für die früher britischen Enklaven im südlichen Afrika (Botswana, Lesotho, Swasiland) und einige karibische Inseln, für das von Holland 1963 Indonesien überlassene West-Irian. Die Rolle der Vereinten

Nationen

Bis 1960 wirkten die Vereinten Nationen überwiegend durch das Treuhandsystem (-> Treuhandrat) bei der Entkolonialisierung mit. Im Falle Somalias wurde das Treuhand-Abkommen mit der Verwaltungsmacht Italien 1950 auf zehn Jahre begrenzt; die Unabhängigkeit folgte termingerecht 1960. Auch andere afrikanische Treuhandgebiete erlangten die volle Souveränität dank der Aufsicht und Einflußnahme der Vereinten Nationen etwas rascher als benachbarte Kolonien, z . B . Tanganjika 1961 (gegenüber Kenia 1963), Kamerun im Januar 1960 (gegenüber den Ländern Französisch-Äquatorialafrikas im August 1960). Um die Durchführung der grundlegenden Entkolonialisierungs-Resolution 1514 ( X V ) zu überwachen, bildete die Generalversammlung einen Sonderausschuß (Res. 1654 ( X V I ) vom 2 7 . 1 1 . 1 9 6 1 ) , dem seit 1962 in der Regel 2 4 Staaten angehören (deshalb auch häufig „24er Ausschuß" genannt; Ausschußsystem). Nachdem die USA und Großbritannien 1971 aus politischen Gründen ausschieden, sind nur noch zwei westliche Länder (Australien und — seit 1.1.1976 - Norwegen) vertreten. A u f Asien und Afrika entfallen j e sieben Sitze, auf Lateinamerika drei und auf die kommunistischen Staaten fünf Sitze (darunter UdSSR, Volksrepublik China, Jugoslawien). Instrumente zur Überwachung der Entkolonialisierung sind vor allem Berichte (-»· Berichtsystem) und Empfehlungen an den ECOSOC wie an den -»• Treuhandrat. Ein weiteres Organ für Entkolonialisierung ist der 1967 gebildete Rat für Namibia (Res. 2 2 4 8 (S-V) vom 19.5.1967), dem 25 Staaten angehören ( 3 1 . 1 2 . 1 9 7 5 ) . Die Rassenpolitik Südafrikas (-> Südliches Afrika) ist seit 1948 ständiges Thema der Vereinten Nationen. 1962 wurde der Apartheid-Sonderausschuß geschaffen (Res. 1761 ( X V I I ) vom 6 . 1 1 . 1 9 6 2 ; Apartheid); seit 1966 gibt es eine besondere Unit on Apartheid im Sekretariat der Vereinten Nationen, die zahlreiche Studien veröffentlicht.

P r o b l e m e der unvollständigen E n t k o l o n i a l i s i e r u n g

Probleme der unvollständigen

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Entkolonialisierung

Obwohl seit dem Einschwenken Portugals auf die Entkolonialisierung ( 1 9 7 4 ) nur noch die Republik Südafrika und das illegale weiße Regime in Rhodesien dieser Politik offiziell Widerstand leisten, sind die meisten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Probleme der ehemaligen Kolonien ungelöst geblieben. In Afrika, Asien und auch in dem schon viel länger politisch unabhängigen Lateinamerika gewann die Überzeugung an Boden, daß die „Abhängigk e i t " der sogenannte Peripherie-Nationen vom weltpolitischen Zentrum (den Industriestaaten) im System der internationalen Beziehungen strukturell verankert ist. Diese Auffassung beruht zum Teil auf marxistischen Imperialismus-Theorien, zum anderen Teil auf Thesen ζ. B. von Raúl Prebisch über eine angebliche Verschlechterung der Außenhandelsbedingungen („terms o f trade") für -> Entwicklungsländer. Der Vorwurf eines „Neo-Kolonialismus" wird schon seit den 50er Jahren erhoben. Er gilt auch militärischer, kultureller und außenpolitischer Einflußnahme von Industriestaaten in den soeben erst entkolonialisierten Erdteilen; im Vordergrund steht jedoch die Kritik an der „Entwicklungshilfe". Von ihr wird behauptet, daß sie überwiegend auf die Interessen der Geberländer (Industrienationen) ausgerichtet sei. Gemeinsame Anstrengungen der Staaten in Asien, Afrika und Lateinamerika (ihr Zusammenschluß wird als „Gruppe der 7 7 " bezeichnet; Entwicklungsländer), vor allem auf den Konferenzen der Vereinten Nationen über Handel und Entwicklung (-> UNCTAD; seit 1964 alle vier Jahre), Einvernehmen mit westlichen und östlichen Industriestaaten über internationale Wirtschaftsreformen zu erzielen, sind in den Mittelpunkt der Arbeit der Vereinten Nationen gerückt (-> Weltwirtschaftsordnung).

Literatur Ansprenger: Auflösung der Kolonialreiche, 2. Aufl., München 1973 Bohnet (Hrsg.): Das Nord-Süd-Problem, Konflikte zwischen Industrie- und Entwicklungsländern, 3. Aufl., München 1974 El-Ayouty: The United Nations and Decolonization, The Hague 1971 Grimal: La Décolonisation 1 9 1 9 - 1 9 6 3 , Paris 1965 Miège: Expansion européenne et Décolonisation de 1 8 7 0 à nos Jours, Paris 1973 Naini: Analyse der Themen und Ergebnisse der Dritten Welthandelskonferenz, Hamburg 1972 Prebisch: Für eine bessere Zukunft der Entwicklungsländer, Berlin 1967 Schümperli: Die Vereinten Nationen und die Dekolonisation, Bern 1970 Senghaas (Hrsg.): Imperialismus und strukturelle Gewalt. Analysen über abhängige Reproduktion, Frankfurt/M. 1972 ders.: Peripherer Kapitalismus. Analysen über Abhängigkeit und Unterentwicklung, Frankfurt/M. 1974 Franz Ansprenger Verweise auf: Apartheid; Ausschußsystem; Befreiungsbewegungen; Berichtsystem; Entstehungsgeschichte; Entwicklungsländer; Indischer Subkontinent; Kongo; Mandatsgebiete; Nigeria; Portugiesische Kolonialgebiete; Selbstbestimmungsrecht; Südliches Afrika; Treuhandrat; UNCTAD; Weltwirtschaftsordnung.

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Entstehungsgeschichte

Entstehungsgeschichte Die Idee für ein kollektives Sicherheitssystem (-»• Kollektive Sicherheit) in der Form der Organisation der Vereinten Nationen geht unmittelbar auf die Anti-Hitler-Koalition des 2. Weltkrieges zurück. Bereits 1937 hatte der amerikanische Präsident Roosevelt angesichts der zunehmenden Aggressionspolitik Japans, Italiens und Deutschlands eine „gemeinsame Anstrengung der friedliebenden Nationen" gefordert, mit Rücksicht auf die traditionell isolationistische Haltung der Vereinigten Staaten von konkreten Initiativen aber noch abgesehen. Er war jedoch schon vor Ausbruch des 2. Weltkrieges davon überzeugt, daß die Neutralitätspolitik die USA langfristig vor der Aggression nicht schützen werde. Roosevelt hielt deshalb eine deutliche Parteinahme zugunsten der Gegner des Faschismus für notwendig, um die USA in die Lage zu versetzen, nach Beendigung der erwarteten militärischen Auseinandersetzung eine Hauptverantwortung für die dauernde Aufrechterhaltung des Friedens zu übernehmen. Schon bald nach Ausbruch des Krieges haben die USA diese außenpolitische Kehrtwendung vollzogen, als sie 1940, obgleich selbst nicht im Kriegszustand befindlich, mit Großbritannien das berühmte Tauschgeschäft „Zerstörer gegen Basen" (Lend-lease-Abkommen) abschlossen und für sich fortan einen Status der „Nichtkriegführung" oder der „qualifizierten Neutralität" in Anspruch nahmen. Erste Phase (bis 1941 ) Die Gründung der Organisation der Vereinten Nationen selbst vollzog sich in vier Phasen. Die erste war durch die Überlegungen bestimmt, die Roosevelt und seine Regierung um die Jahreswende 1939/40 und danach zur Frage der internationalen Neuordnung nach dem Kriege anstellten. Sie zielten auf eine von den beiden führenden „englisch-sprechenden Demokratien", USA und Großbritannien, geführte Weltorganisation auf der Grundlage des Völkerrechts, der Neuordnung der internationalen Wirtschaft sowie der Rüstungsbegrenzung und der Abrüstung. Der Weltfrieden sollte über eine den beiden Mächten vorbehaltene politische Entscheidungsmaschinerie und durch den Einsatz einer internationalen Polizeistreitmacht gesichert werden. Der Abschluß des britisch-sowjetischen Allianzvertrages vom Juli 1941 als Folge des deutschen Angriffs auf die Sowjetunion im Juni 1941 stellte jedoch die USA vor eine neue Situation, denn er gefährdete die globale internationale Neuordnung nach dem Kriege, wie Roosevelt sie anstrebte. Roosevelt lud daher den britischen Premier Churchill zu einem Treffen auf den Bermudas, um mit ihm gemeinsam die Nachkriegsziele festzulegen. Zweite Phase

(1941-1943)

Die verbindliche Fixierung der Nachkriegsziele der beiden Staatsmänner leitete die zweite Phase im historischen Entwicklungsprozeß der Organisation der Vereinten Nationen ein. Roosevelt und Churchill hatten unterschiedliche Vorstellungen in dieser Frage. Der britische Premier schlug die Schaffung einer „effektiven internationalen Organisation" vor, in Anlehnung an das Vorbild des Völkerbundes und modifiziert durch das Prinzip der regionalen Vertretung, womit er den besonderen britischen Commonwealth-Interessen Rechnung trug. Roosevelt hingegen kam es darauf an, den Eindruck einer Wiedererweckung des Völkerbundes zu vermeiden. Seine Vorstellungen zielten primär auf die Abrüstung der „schuldigen Nationen", bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung einer starken britisch-amerikanischen Streitmacht. Keinesfalls wollte er die kleinen Staaten am Entscheidungsprozeß in Fragen des Weltfriedens u n d der internationalen Sicherheit beteiligt sehen. In der als Atlantik-Charta bekannt gewordenen „Gemeinsamen Erklärung" vom August 1941 hat Roosevelt sich mit seiner Auffassung durchgesetzt. Darin legten die beiden Staats-

Zweite Phase ( 1 9 4 1 - 1 9 4 3 )

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manner ein Bekenntnis ab zum territorialen status quo ante, zum Selbstbestimmungsrecht der Völker, zur Freiheit des Handels und zu einer gerechteren Verteilung der Rohstoffe, zur Verbesserung der sozialen Bedingungen aller Nationen, zur Zerstörung der Nazi-Tyrannei, zur Freiheit der Menschen innerhalb gesicherter Grenzen und zur Freiheit der Meere. Zuletzt erklärten sie, daß „bis zur Errichtung eines weiteren und dauernden Systems der allgemeinen Sicherheit" die Abrüstung der Aggressor-Nationen erforderlich sei. Die friedliebenden Völker sollten durch Maßnahmen unterstützt werden, welche die drückende Last der Rüstung erleichtern. Churchill konnte sich noch insoweit Gehör verschaffen, als die letzte Entscheidung über das Gesicht der neuen Staatenorganisation offen blieb. Die sowjetische Staatsführung war zur Konferenz nicht eingeladen worden, obgleich nach Abschluß des britisch-sowjetischen Abkommens vom Juli 1941 die Beteiligung der Sowjetunion an der gemeinsamen Formulierung der Nachkriegsziele nahegelegen hätte. Die USA suchten jedoch erst nach dem japanischen Überfall auf Pearl Harbor und den dadurch ausgelösten Kriegseintritt der USA im Dezember 1941, eine Staatenkoalition auf breiterer Grundlage zu bilden. Im militärischen Bereich beschränkten sich diese Bemühungen auf die Bildung eines britisch-amerikanischen Militärstabes. Im politischen Bereich hingegen gelang den USA, eine von 26 Staaten getragene Kriegsallianz zustande zu bringen. In einer am 1. Januar 1942 verkündeten „Erklärung der Vereinten Nationen" bekannten sich die Unterzeichnerstaaten zu den Zielen der „Atlantik-Charta" und versprachen sich gegenseitig in ihrem Kampf gegen die Achsenmächte volle militärische und wirtschaftliche Unterstützung. Bis zum 1. März 1945 schlossen sich weitere 21 Staaten dieser Erklärung an. Die Erklärung der Vereinten Nationen enthielt keinen konkreten Hinweis darauf, wie die in der Atlantik-Charta proklamierten Grundsätze zu verwirklichen seien. Die USA suchten die vorzeitige Erörterung kontroverser Details der Nachkriegsordnung zu vermeiden, um die gemeinsamen Kriegsanstrengungen der Alliierten nicht zu gefährden. Die Sowjetunion nahm eine ebenso undeutliche Haltung zu der Frage der Offenlegung ihrer Nachkriegsziele ein. Ihre bereits 1941 bei den britisch-sowjetischen Vertragsverhandlungen angemeldeten Territorialforderungen ließen es indessen Roosevelt fraglich erscheinen, ob die Einigkeit der Allianz über die Erreichung der unmittelbaren Kriegsziele hinaus erhalten werden könne. Der amerikanische Präsident suchte daher anläßlich des Besuchs des sowjetischen Außenministers Molotow im Mai 1942 ein stärkeres Interesse an einer Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten auf sowjetischer Seite zu erwecken und entwarf vor ihm, konkreter noch als vor Churchill, ein persönliches Bild von der Nachkriegsordnung. Es war dadurch gekennzeichnet, daß nunmehr die Sowjetunion gleichberechtigt neben den Vereinigten Staaten, Großbritannien und China als bevorrechtigte Macht an der Hauptverantwortung für die Sicherung des Friedens beteiligt sein und zusammen mit diesen den Weltfrieden mit eigenen Streitkräften sichern sollte, während die anderen Staaten vollständig abzurüsten hätten. Eine neutrale Kommission sollte die Einhaltung des Rüstungsverbots überwachen. Jede Übertretung dieses Verbots aber sollten die vier Mächte nach Roosevelts Vorstellung mit Sanktionen ahnden. Unter dieser Voraussetzung wollte der amerikanische Präsident auch eine Staatenorganisation akzeptieren, der alle anderen mit der internationalen Sicherheit zusammenhängenden Aufgaben übertragen werden könnten. Die Roosevelt'sche Konzeption der Beteiligung der Sowjetunion und Chinas an der Hauptverantwortung für den Frieden stieß auf den entschiedenen Widerspruch Churchills. Der britische Premier erblickte darin unabsehbare Nachteile sowohl für Europa als auch für den künftigen Zusammenhalt des britischen Empires. Er befürwortete deshalb eine Konzeption, wonach das britische Commonwealth, die USA und Großbritannien die anderen Staaten in einer Organisation führen, während besondere Regionalräte für Europa und Asien in Verbindung mit einem Obersten Gericht und eigenen Streitkräften die Nichtwiederaufnahme der Aggression gewährleisten sollten. Der amerikanische Präsident lehnte jedoch die britischen Regionalpläne ab, weil sie die USA von der Mitsprache in europäischen und asiatischen Angelegenheiten praktisch aus-

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Entstehungsgeschichte

schlossen. Er bemühte sich deshalb um eine „genuine association of interest" der vier Mächte und suchte zunächst, eine allgemeine Übereinkunft in den Grundfragen der geplanten Organisation zu erreichen. Auf der Moskauer Außenministerkonferenz (Oktober 1943) hatte diese Strategie Erfolg: Die Sowjetunion und Großbritannien erklärten sich mit der Einbeziehung Chinas in den Kreis der vier für die Aufrechterhaltung des Friedens Hauptverantwortlichen einverstanden, Großbritannien verfolgte seine Regionalkonzeption nicht weiter, und alle drei Mächte erklärten ihre Zustimmung zur Errichtung einer allgemeinen internationalen Organisation zur Aufrechterhaltung des Friedens und der internationalen Sicherheit zum frühestmöglichen Zeitpunkt. Dritte Phase (1943-1945:

Dumbarton Oaks, Jaita)

Die Einigung auf die Errichtung eines internationalen Sicherheitssystems wurde von der Öffentlichkeit als das bedeutendste Ergebnis der Moskauer Konferenz angesehen. Die Moskauer Erklärung leitet die dritte Phase, die der Vorarbeiten für die Errichtung einer Weltorganisation, ein. Nach der Rückkehr von der Konferenz in Teheran im November 1943 forderte Roosevelt erstmals das State Department auf, zur Frage der Errichtung einer „Nachkriegs-Sicherheitseinrichtung" Empfehlungen zu formulieren. Auf der Grundlage bereits früher angestellter interner Überlegungen des State Department wurde dem Präsidenten noch 1943 ein „Plan für die Errichtung einer internationalen Organisation für die Aufrechterhaltung des Friedens und der internationalen Sicherheit" vorgelegt, der die grundsätzliche Billigung Roosevelts fand. Dieser sog. „Outline-Plan" skizzierte die Struktur der vorgesehenen Entscheidungsmaschinerie entsprechend den Vorstellungen des Präsidenten und bildete den ersten Grundstein für die spätere Staatenorganisation. Im Outline-Plan zeigten sich bereits alle Besonderheiten der Charta der Vereinten Nationen: Einerseits umfassende Zuständigkeiten des aus ständigen und nichtständigen Vertretern zusammengesetzten „Executive Council" (später: „Security Council") in allen Sicherheitsfragen, nämlich Streitentscheidung, Entscheidungsvollstreckung, Feststellung drohender und bestehender Aggressionsakte, Maßnahmenkompetenz und Entscheidung in Zweifelsfällen, ob eine Angelegenheit in den vorbehaltenen Bereich der Staaten falle. Auf der anderen Seite enge Zuständigkeiten der Generalversammlung, beschränkt auf bloße Berichtkompetenz in Sicherheitsfragen und Empfehlungskompetenz in allen anderen Angelegenheiten, und endlich Ausklammerung des Internationalen Gerichtshofs (IGH) auch in Rechtsfragen, sobald Angelegenheiten der internationalen Sicherheit in Frage stehen, sowie Beschränkung der obligatorischen Gerichtsbarkeit. Der OutlinePlan basierte auf zwei Grundannahmen: Erstens, daß die vier Mächte sich als „moralisch gebunden" ansähen, gegeneinander oder gegen andere Nationen keinen Krieg zu führen, und zweitens, daß jede von ihnen bereit sei, Streitkräfte zur Verhütung und Unterdrückung aller Aggressionen zu unterhalten und einzusetzen. Die amerikanische Regierung stimmte ihre Vorschläge mit den anderen drei Mächten ab und leitete ihnen darauf eine überarbeitete Fassung ihres Plans, die sog. „Tentative Proposals for a General Organization", zu. Die wichtigsten Änderungen betrafen die Zahl der Sitze der ständigen Vertreter im Sicherheitsrat, die zugunsten Frankreichs auf fünf erhöht wurde, sowie mit Rücksicht auf britische und lateinamerikanische Vorbehalte die Möglichkeit der beschränkten Verwendung regionaler Absprachen und Organisationen im Rahmen des vorgesehenen Sicherheitssystems. Die „Tentative Proposals" dienten der nach Dumbarton Oaks einberufenen Expertenkonferenz der vier Mächte (21.8. — 9.10.1944) als Grundlage dafür, einen ersten gemeinschaftlichen Statutenentwurf für die künftige Organisation der Vereinten Nationen zu erarbeiten. Die in Dumbarton Oaks versammelten Vier-Mächte-Vertreter haben die in sie gesetzten Erwartungen im großen und ganzen erfüllt. Die von ihnen unterbreiteten Vorschläge sind zum größeren Teil mit nur geringen Änderungen in die späteren Charta-Bestimmungen ein-

Sicherheitssystem

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geflossen. Zu den von der Expertenkonferenz nicht gelösten Fragen, die der Entscheidung Roosevelts, Churchills und Stalins überlassen werden mußten, gehörten die Forderung der Sowjetunion nach Aufnahme ihrer 16 Unionsrepubliken in die geplante Organisation, das britisch-amerikanische Verlangen nach Einschränkung des absoluten Veto-Rechts im Sicherheitsrat, sobald eigene Angelegenheiten der ständigen Mitglieder zur Sprache kämen, sowie die Forderung der USA nach Einbeziehung der Menschenrechte in die geplante Charta. Der Konflikt wurde auf der Gipfelkonferenz von Jaita, die im Februar 1945 stattfand, im Wege des Kompromisses gelöst: Für das Zugeständnis Roosevelts und Churchills, den Unionsrepubliken Weißrußland und Ukraine die volle Mitgliedschaft mit Stimmrecht in der Generalversammlung zu gewähren, erklärte sich Stalin seinerseits mit einer modifizierten Abstimmungsformel im Sicherheitsrat einverstanden. Sie besagte, daß der Sicherheitsrat Entscheidungen mit den Stimmen von 7 Mitgliedern treffe, in Nichtverfahrensangelegenheiten die Stimmen der fünf ständigen Vertreter darin eingeschlossen. Nur in Angelegenheiten der friedlichen Streitbeilegung und der Streiterledigung durch regionale Einrichtungen sollten sich ständige Mitglieder der Stimme enthalten, soweit sie selbst betroffen seien. Dagegen sind auch in Jaita in der Frage der Einbeziehung der Menschenrechte in die Charta der Vereinten Nationen wegen des britischen und sowjetischen Widerstandes keine Beschlüsse zustande gekommen: Stalin sah keinen Zusammenhang zwischen Menschenrechten und internationaler Sicherheit. Churchill befürchtete negative Auswirkungen für das britische Commonwealth. Immerhin erhoben Stalin und Churchill kerne Einwendungen gegen amerikanische Pläne, zugunsten der noch in Abhängigkeit stehenden Gebiete eine internationale Treuhandschaft unter der Ägide der Vereinten Nationen zu errichten, Churchill allerdings unter dem Vorbehalt, daß die Gebiete des britischen Empires davon ausgenommen blieben. Vierte Phase (1945: Konferenz in San Francisco) Die vierte und letzte Phase des Entstehungsprozesses der Organisation der Vereinten Nationen leitete die Gründungskonferenz von San Francisco (25.4. — 26.6.1945) ein, auf deren Einberufung sich die Großen Drei in Jaita geeinigt hatten. Die Einladungen jedoch wurden von den für den Weltfrieden hauptverantwortlichen Mächten als „Sponsoring Powers" ausgesprochen. Eingeladen wurden alle Staaten, die die Erklärung der Vereinten Nationen von 1942 unterzeichnet oder sich den Alliierten durch Kriegserklärung an die Achsenmächte angeschlossen hatten, also 4 5 Staaten, mit Ausnahme Polens, dessen Vertretungsbefugnis erst nach Abschluß der Konferenz geklärt werden konnte. Sicherheitssystem Auf der Konferenz von San Francisco war das Sicherheitssystem, wie es die Beschlüsse von Dumbarton Oaks und Jaita vorgezeichnet hatten, dem Grunde nach nicht streitig. Soweit die kleinen und mittleren Staaten Vorbehalte anmeldeten, betrafen sie allerdings wichtige Einzelfragen des geplanten Organisationsstatuts. Sie richteten sich gegen die gesamte Institutionalisierung der Ungleichheit der Staaten, verkörpert in der allumfassenden Zuständigkeit des Sicherheitsrates zu Lasten der Generalversammlung, ferner gegen den Ausschluß der Möglichkeit, regionale Konflikte primär durch regionale Einrichtungen zu regeln, sowie gegen die weitgehende Ausklammerung des IGH, insbesondere in den Bereichen, die sich für die richterliche Streitbeilegung eignen: In den der Rechtsstreitigkeiten und der politischen Streitfälle unterhalb der Linie der Friedensbedrohung. Die kleinen und mittleren Staaten forderten daher die Begrenzung des Veto-Rechts, soweit Mitglieder des Sicherheitsrates selbst betroffen seien, und den Ausschluß des Veto-Rechts in allen Angelegenheiten der friedlichen Streitbeilegung, auch wenn es im Hinblick auf Friedenserhaltung ausgeübt werde. Die internationale Gerichtsbarkeit wollten sie als obligatorische ausgestaltet sehen, den Sicherheitsrat aber als verpflichtet ansehen, die Gerichtsentscheidungen im Falle der Nichtbefolgung mit Zwangsmaßnahmen durchzusetzen.

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Entstehungsgeschichte

Die Großmächte lehnten jedoch eine Abschwächung der in Jaita gefundenen Abstimmungsformel (-> Stimmrecht) ab, da sie nicht bereit waren, zwischen potentiell und tatsächlich friedensbedrohenden Konflikten zu unterscheiden (Art. 27). Die Abstimmungsformel wurde sogar durch eine authentische Interpretation der Fünf Mächte verschärft, indem auch die Zweifelsfälle, ob eine Angelegenheit eine Verfahrensfrage beinhalte oder nicht, dem Veto-Recht unterworfen wurden. Aus diesen Gründen waren die Großmächte auch nicht bereit, sich einer obligatorischen internationalen Gerichtsbarkeit zu unterwerfen. Alle Mitglieder der Organisation wurden zwar „ohne weiteres Vertragsparteien des Statuts" des IGH (Art. 93 Abs. 1), ihre Unterwerfung unter die Gerichtsbarkeit aber durch die Optionsklausel des IGH-Statuts (Art. 36 Abs. 2 und 3) in das freie Ermessen jedes Mitglieds gestellt. Die Frage der Entscheidungsvollstreckung wurde zugunsten der Nichtbindung des Sicherheitsrates beantwortet (Art. 94 Abs. 2). Dagegen waren die Großmächte in der Frage der stärkeren Einbeziehung der regionalen Einrichtungen in das Sicherheitssystem der Vereinten Nationen zu Zugeständnissen bereit, da auch sie sich Vorteile davon versprachen. Um das Sicherheitssystem jedoch durch die Berufung auf regionale Organisationen nicht auszuhöhlen, kleidete man die regionalen Sicherheitsabsprachen in einen abstrakten Vorbehalt zugunsten des ,,naturgegebene(n) Recht(s) zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung" (-» Beistandspflicht). Somit wurde die Primärzuständigkeit des Sicherheitsrates nicht in Frage gestellt und doch den Einzelstaaten die letzte Entscheidung in Angelegenheiten der nationalen Selbstbehauptung belassen (Art. 51). Das strenge ,,Policeman"-Konzept erfuhr auch insoweit geringfügige Abschwächung, als nunmehr ein Streitfall zunächst von den Mitgliedern selbst unter Verwendung regionaler Einrichtungen friedlich beigelegt werden kann (Art. 33 und 52 Abs. 2). Menschenrechte, wirtschaftliche und soziale Fragen Roosevelt und Churchill hatten bereits in der Atlantik-Charta das -» Selbstbestimmungsrecht und die wirtschaftliche Wohlfahrt der Völker als wichtige Friedenssicherung bezeichnet und zusammen mit 45 anderen „Vereinten Nationen" in der gemeinsamen Erklärung vom 1. Januar 1942 auf die klassischen Menschenrechte Bezug genommen. Dennoch bildete auf der Gründungskonferenz der Fragenkomplex Menschenrechte und Selbstbestimmungsrecht einen zentralen Streitpunkt. Die in Dumbarton Oaks vorgeschlagene Einrichtung eines Wirtschaftsund Sozialrats wurde in San Francisco als bedeutender Fortschritt gegenüber dem Völkerbundsystem angesehen, das nur ad hoc-Kommissionen kannte. Viele Staaten wünschten jedoch, die Aktivitäten der neuen Organisation auch auf wirtschaftliche und soziale Menschenrechte zu erstrecken, was notwendigerweise kontroverse und ausfüllungsbedürftige Begriffe und damit ein hohes Maß an Uneinigkeit zutage förderte. Die unterschiedlichen Wirtschaftsideologien der USA und der Sowjetunion, aber auch der USA und Großbritanniens, und die Meinungsverschiedenheiten dieser Staaten in der Einschätzung der Nachkriegsentwicklung im Zuge der erwarteten Umstellung der Kriegs- auf Friedenswirtschaft haben deshalb die Zustimmung aller zur Erweiterung der Menschenrechte um die wirtschaftlichen und sozialen Rechte nur unter Vorbehalten erreichen lassen (Art. 55). Selbstbestimmung

und

Treuhandschaft

Uneinigkeit bestand auch darüber, was Inhalt des Selbstbestimmungsrechts der Völker sei. Die USA hatten eine politische Grundsatzerklärung zum Selbstbestimmungsrecht in Verbindung mit der Errichtung eines Treuhandsystems unter der Ägide der Vereinten Nationen vorgeschlagen. Diesem sollten die noch bestehenden Völkerbundmandate, die Überseebesitzungen der Feindstaaten, in erster Linie diejenigen Japans, sowie solche Gebiete unterstellt werden, die noch in Abhängigkeit von den Kolonialmächten stünden und von diesen freiwillig aufgegeben würden. Wenn auch das Selbstbestimmungsrecht als allgemeingültiges

Mitgliedschaft

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Prinzip nicht strittig war und auch die Kolonialfrage nicht unmittelbar im Mittelpunkt der Erörterungen stand, so bestand doch Dissens in der Frage, ob den abhängigen Gebieten langfristig nur das Recht der inneren Autonomie oder bereits das Recht auf Unabhängigkeit zugestanden werden sollte. Das Recht auf Sezession aber wurde von den Kolonialmächten als mit dem Grundsatz der Gleichheit der Staaten unvereinbare Forderung abgelehnt. Die Konferenz versuchte deshalb, den Konflikt durch eine Formel zu lösen, die die Möglichkeit einer politischen Unabhängigkeit nicht ausschloß, sie aber auch nicht zwingend vorschrieb (Art. 73 (b)). Zum Ausgleich dafür fand die „Unabhängigkeit" ausdrückliche Erwähnung als eines der Ziele des Treuhandsystems (Art. 76 (b)). Die konkrete Ausgestaltung des Treuhandsystems (-> Treuhandrat) stellte die Konferenz vor besondere Probleme, da sie die Interessensphären der Großmächte in unterschiedlicher Weise berührte. Ägypten forderte mit Rücksicht auf die Erhaltung des status quo in Palästina die obligatorische Unterstellung der Völkerbundsmandate unter die Treuhandschaft der Vereinten Nationen, was die USA im Hinblick auf ungeschmälerte Kontrollmöglichkeiten über die Pazifikinseln ablehnten. Die USA forderten ihrerseits die Öffnung der Treuhandgebiete für eine offene Handelspolitik, wozu wiederum die betroffenen Kolonialmächte mit Rücksicht auf die „Interessen der eingeborenen Völker" ihre Zustimmung verweigerten. Der Kompromiß wurde deshalb auf der Grundlage von Einzelabkommen gefunden, in denen die Bedingungen der Treuhandschaft festgelegt waren. Dafür sollten bis dahin die Rechte jedes Staates und jedes Volkes erhalten bleiben (Art. 80) — eine Formel, die nach amerikanischer Interpretation auch die Rechte der Palästinenser gewährleistete. Innerhalb des Fragenkomplexes „Treuhandschaft" bildete auf der Gründungskonferenz die Behandlung der sog. strategischen Gebiete ein besonderes Problem. Die USA wünschten mit Rücksicht auf ihre nationalen Sicherheitsinteressen im Pazifik Sonderregelungen für die Pazifikinseln, die sie in treuhänderische Verwaltung zu übernehmen beabsichtigten. Danach sollten die Aufgaben der Genehmigung der Treuhandabkommen und der Oberaufsicht über die Treuhandgebiete vom Sicherheitsrat anstelle der Generalversammlung wahrgenommen werden. Da die USA diese Forderung zur conditio sine qua non fur ihre Zustimmung zum Treuhandsystem erhoben, wurden die amerikanischen Vorschläge unverändert in die Charta übernommen. Auch in den Fragen der Zusammensetzung des Treuhandrates und der Berichtspflicht haben sich die USA mit ihrer Auffassung durchgesetzt (Art. 86 und 88). Mitgliedschaft Weniger kontrovers war in San Francisco die Frage der Begründung der -*• Mitgliedschaft in der Organisation, nachdem der Konflikt um die Zulassung Polens gelöst war (Polen erhielt noch nach Abschluß der Konferenz Gelegenheit, die Charta als 51. „Gründungsmitglied" zu unterzeichnen). Sie wurde zugunsten des Universalitätsprinzips, eingeschränkt durch das Kriterium der „friedliebenden Staaten", entschieden (Art. 4 Abs. 1). Die Frage des Austritts aus der Organisation wurde mit Rücksicht auf die unbedingten Pflichten der Mitglieder zur Kooperation im Interesse der Friedenssicherung nur als theoretische Möglichkeit gesehen und blieb deshalb ungeregelt. Dagegen wurden die Vorschläge von Dumbarton Oaks über die Suspendierung der Mitgliedschaftsrechte — im Falle der Verhängung von Zwangsmaßnahmen - und über den Ausschluß aus der Organisation - im Falle des beharrlichen Verstoßes gegen die Charta-Bestimmungen — mit geringfügigen Änderungen übernommen (Art. 5 und 6). Auch in der Frage der obersten Verwaltungsspitze der Organisation wurde in San Francisco den Vorschlägen von Dumbarton Oaks zugestimmt. Die Sowjetunion konnte sich mit ihrem Antrag, anstelle eines Generalsekretärs ein kollegiales Leitungsorgan, bestehend aus einem Generalsekretär und vier Stellvertretern, nicht durchsetzen. Der Generalsekretär erfuhr dadurch im Vergleich zur Administration des Völkerbundes eine Aufwertung (Art. 97), die noch durch seine formale Gleichordnung mit den anderen Hauptorganen der Organisation (Art. 7) und durch die Zuweisung eigenständiger Befugnisse im Rahmen der Friedenssicherung (Art. 99) zusätzlich betont wurde.

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Entwicklungsländer

Würdigung Der Gründungskonferenz in San Francisco stand, gemessen an der Bedeutung ihres Vorhabens, nur wenig Zeit für die Ausarbeitung der Charta-Bestimmungen zur Verfügung. Gegen Ende der Konferenz nahm bereits das bevorstehende Gipfeltreffen in Potsdam die Aufmerksamkeit der Sowjetunion und der USA in Anspruch. In Großbritannien wurden soeben die Konservativen von der Labour Party in der Regierung abgelöst. Alles dies beschleunigte die Abschlußarbeiten an der Charta erheblich. Angesichts der Zeitumstände, unter denen das Vorhaben verwirklicht wurde, ist deshalb die Charta, ungeachtet ihrer Schwächen und Lücken, als eine überragende Kodifikationsleistung der Staaten zu würdigen. Sie hat den Rahmen geschaffen für eine Organisation, in der die Vereinten Nationen für ganz unterschiedliche Konfliktsfragen ein Forum der Auseinandersetzung fanden, und hat damit konflikthemmend gewirkt. Dieser Erfolg wurde möglich, weil mit der Organisation der Vereinten Nationen erstmals eine Staatenorganisation Universalität erlangt hat.

Literatur Department of State (ed.): The United Nations Conference on International Organization, Selected Documents, Washington 1946 Russell / Muther: A History of the United Nations Charter, Washington 1958 Hermann Weber Verweise auf: Beistandspflicht; Kollektive Sicherheit; Mitgliedschaft; Selbstbestimmungsrecht; Stimmrecht; Treuhandrat.

Entwicklungsländer Einleitung Die begriffliche und inhaltliche Abgrenzung der Kategorie „Entwicklungsländer" hat zu unterscheiden zwischen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Merkmalen, die die Gruppe der Entwicklungsländer charakterisieren, und den Kriterien und Mechanismen, die zu den verschiedenen Listen und Gruppierungen von Ländern geführt haben, die international als Entwicklungsländer anerkannt sind, bzw. sich selbst als zur Gruppe der Entwicklungsländer gehörig zählen. Der Begriff „Entwicklungsländer" wurde Anfang der 50er Jahre geprägt, um Länder mit ähnlichen Merkmalen und Problemen zu charakterisieren. In der wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Literatur finden sich vielfältige Versuche, den Begriff Entwicklungsländer einzugrenzen und zu bestimmen. Es wurden umfassende Kataloge von Merkmalen zur Charakterisierung der Entwicklungsländer erarbeitet, ohne daß dies zu einer eindeutigen Begriffsbestimmung geführt hätte. Es hat sich gezeigt, daß eine Begriffsbestimmung aus den ökonomischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten allein nicht möglich ist, nicht nur weil diese Gegebenheiten kaum quantifizierbar und die Übergänge fließend sind, sondern vor allem auch weil es sich bei den Entwicklungsländern um eine politische Gruppierung handelt. Im Rahmen der verstärkten entwicklungspolitischen Zusammenarbeit haben sich die Industriestaaten verpflichtet, den Entwicklungsländern bestimmte Leistungen (Kredite, Zuschüsse, Handelspräferenzen u. ä.) zu günstigen Bedingungen zur Verfügung zu stellen (-• Entwicklungspolitik). Dies machte eine enumerative Auflistung der Länder erforderlich, die zum Kreis der Entwicklungsländer zu zählen sind.

Strukturelle Merkmale der Entwicklungsländer

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Die Entwicklungsländer selbst haben nicht nur die Ähnlichkeit ihrer Probleme und Interessen erkannt, sie haben auch die Erfahrung gemacht, daß sie nur als Gruppe ihre Interessen gegenüber den beiden übrigen Wirtschaftsblöcken — westlichen Industriestaaten und Ländern der östlichen Staatengruppe — durchsetzen konnten (-> Blockbildung). Strukturelle Merkmale der Entwicklungsländer Trotz großer Unterschiede haben die Entwicklungsländer eine Reihe gemeinsamer Merkmale und dementsprechend ähnliche Probleme. Allen Entwicklungsländern ist ein strukturelles Ungleichgewicht der Produktionsfaktoren gemeinsam. So ist die Kapitalausstattung ihrer Volkswirtschaften im Vergleich zur Gesamtzahl der Arbeitskräfte zu gering. Die materielle und soziale Infrastruktur ist ungenügend ausgebaut. Es fehlt an Verkehrs- und Bildungseinrichtungen ebenso wie an Industrieanlagen und landwirtschaftlichen Investitionen. Die Zahl der ausgebildeten und erfahrenen Fachkräfte ist zu gering in Relation zur Anzahl der ungelernten Arbeitskräfte. Es besteht ein Mangel an qualifizierten Unternehmern, Administratoren, Managern, Lehrkräften und sonstigen Spezialisten, also von Personen, die Neuerungen vorbereiten und durchsetzen. In einigen Entwicklungsländern steht die landwirtschaftliche Nutzfläche in einem Mißverhältnis zum ländlichen Bevölkerungsanteil. Charakteristisch für die Entwicklungsländer ist weiterhin ihre einseitige Produktionsstruktur. Ein großer Teil der Bevölkerung ist in der Landwirtschaft tätig. Die Produktion erfolgt nach traditionellen Methoden und wird nur zu einem geringen Teil vermarktet. Die industrielle Produktion konzentriert sich in wenigen Zentren, die meist eine stärkere Bindung an die Wirtschaft der Industriestaaten aufweisen als zu den übrigen Sektoren der Wirtschaft des eigenen Landes. Die Organisation von Wirtschaft und Gesellschaft ist vielfach noch an traditionellen Werten orientiert, sie entspricht o f t nicht den Erfordernissen einer arbeitsteiligen und auf E f f i zienz ausgerichteten Industriegesellschaft. Das gleiche gilt für Motivation und Verhalten der Bevölkerung. Folge dieser strukturellen Gegebenheiten ist eine Vielzahl von Problemen, die in unterschiedlicher Ausprägung für die Entwicklungsländer typisch sind: Das Pro-Kopf-Einkommen ist gering; das Einkommen übersteigt für die Masse der Bevölkerung das Existenzminimum kaum, dementsprechend ist die Konsumquote hoch, mit einem hohen Anteil an Nahrungsmittelausgaben. Die Steigerungsraten des Sozialproduktes reichen in den meisten Entwicklungsländern nicht aus, um angesichts des großen Bevölkerungswachstums eine fühlbare Erhöhung des Pro-Kopf-Einkommens zu bewirken. Insbesondere die landwirtschaftliche Produktion hält in vielen Entwicklungsländern nur mühsam Schritt mit dem Bevölkerungswachstum, so daß eine Verbesserung der Versorgung der Bevölkerung selbst bei absolut steigender Agrarproduktion oft nicht erreicht wird. Hunger und Fehlernährung sind symptomatisch für viele Entwicklungsländer. Infolge mangelnder Ausbildung und geringer Kapitalausstattung ist die Arbeitsproduktivität vor allem in der Landwirtschaft gering. Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung gehören zu den Grundproblemen der Entwicklungsländer. Der ganze Umfang dieses Problems ist kaum abzuschätzen, da eine systematische Erfassung der nicht- oder nicht vollbeschäftigten Arbeitskräfte kaum möglich ist. Charakteristisch für viele Entwicklungsländer ist versteckte Arbeitslosigkeit oder Unterbeschäftigung in Form saisonaler Arbeitslosigkeit oder geringer Arbeitsintensität im ländlichen Bereich und im Dienstleistungs- und Handelssektor. Das Arbeitslosenproblem hat in den Entwicklungsländern überwiegend strukturelle Ursachen, ihre Überwindung kann also mit kurzfristig wirkenden Maßnahmen nicht erreicht werden. Zu den Ursachen gehören insbesondere das hohe Bevölkerungswachstum, unzureichende Ausbildung, mangelnde Kapitalausstattung. Der Außenhandel der Entwicklungsländer ist durch die einseitige, auf wenige Produkte — meist Rohstoffe — konzentrierte Exportstruktur einerseits und durch einen differenzierten

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Entwicklungsländer

Importbedarf an industriellen Fertigprodukten andererseits gekennzeichnet. Die Struktur ihrer Exporte macht die meisten Entwicklungsländer in hohem Maße abhängig von der Entwicklung des Weltmarktes ihrer jeweiligen Hauptexportprodukte, während gleichzeitig kaum Möglichkeiten bestehen, den Import an Industriegütern kurzfristig durch Inlandsproduktion zu ersetzen. Einseitige Produktionsstruktur und geringe Flexibilität machen die Beteiligung am Welthandel für die Entwicklungsländer besonders risikoreich. Das niedrige Pro-Kopf-Einkommen und die infolgedessen beschränkten Möglichkeiten zu sparen haben die Entwicklungsländer dazu gezwungen, sich in großem Umfang im Ausland zu verschulden. Der daraus resultierende Schuldendienst gefährdet in einer immer größeren Zahl von Entwicklungsländern den weiteren Entwicklungsprozeß. Das Bevölkerungswachstum ist in den Entwicklungsländern mit ca. 2,5 % jährlich wesentlich höher als in den Industrieländern. In vielen Entwicklungsländern ist das Bevölkerungswachstum, das angesichts traditioneller Verhaltensweisen, geringen Bildungsstandes und unzureichender sozialer Sicherung nur sehr langsam verringert werden kann, zu einer schweren Belastung für die Entwicklung geworden. Unzureichende Gesundheitsvorsorge und -pflege, schlechte und unhygienische Wohnverhältnisse prägen neben unzureichender Ernährung die unmittelbaren Lebensbedingungen der Masse der Bevölkerung. Diese Gegebenheiten beeinträchtigen nicht zuletzt die Leistungsfähigkeit der Arbeitskräfte nachhaltig. Zu den wesentlichen Hemmnissen für den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt vieler Entwicklungsländer gehört der niedrige Ausbildungsstand weiter Bevölkerungskreise, der sich u. a. in der hohen Analphabetenquote in diesen Ländern ausdrückt. Die aufgeführten Merkmale sind nicht vollständig. Sie lassen sich nur mit großen Schwierigkeiten und mit teilweise wirklichkeitsfremden Annahmen quantifizieren und vergleichbar machen. Selbst die zuverlässige Ermittlung des am häufigsten verwendeten Indikators für den Entwicklungsstand eines Landes, das Pro-Kopf-Einkommen, ist grundsätzlich und praktisch problematisch. In vielen Ländern fehlen verlässliche Statistiken über Sozialprodukt und Bevölkerung. Hinzu kommen prinzipielle Probleme, wie etwa die Einbeziehung der Eigenversorgung in die Sozialproduktberechnung. Bei aller Heterogenität der Entwicklungsländer, die insbesondere durch die geographische Lage, durch die geschichtliche Entwicklung, durch klimatische und geologische Gegebenheiten geprägt ist, finden sich die dargestellten Merkmale in mehr oder weniger ausgeprägter F o r m in allen Staaten und Gebieten, die zu den Entwicklungsländern gezählt werden. Gelegentlich sind diese Gemeinsamkeiten durch besondere Einflußfaktoren verdeckt. Ein Beispiel hierfür sind die erdölexportierenden Entwicklungsländer, die einige der für Entwicklungsländer typischen Merkmale wie Kapitalmangel oder hohe Auslandsverschuldung nicht aufweisen, die aber insbesondere angesichts ihrer einseitigen sektoralen und regionalen Wirtschaftsstruktur, ihres Mangels an qualifizierten Arbeitskräften und traditioneller Organisationsformen und Verhaltensweisen dennoch zu den Entwicklungsländern gezählt werden müssen. Es darf nicht verkannt werden, daß die Grenze zwischen den Entwicklungsländern einerseits und Industrieländern und Ländern der östlichen Staatengruppe andererseits fließend ist. Für einige Länder, die zu den westlichen Industrieländern bzw. zur östlichen Staatengruppe gehören, gelten viele der Kriterien, die ein Entwicklungsland charaterisieren. Dies gilt verstärkt, wenn man einzelne Regionen und Sektoren von Entwicklungsländern und Industrieländern miteinander vergleicht. Die Tatsache, daß eine eindeutige Abgrenzung der Entwicklungsländer nicht möglich ist, ist eine der Ursachen dafür, daß international verschiedene Listen von Entwicklungsländern geführt werden. Außerdem hat die unterschiedliche Ausprägung und Gewichtung der für Entwicklungsländer typischen Probleme einige Sondergruppierungen innerhalb der Liste der Entwicklungsländer bedingt.

Entwicklungsländer in den Vereinten Nationen ( 1 1 2 )

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Listen der Entwicklungsländer Die DAC-Liste Der Entwicklungshilfeausschuß (Development Assistance Committee / DAC) ist der für Fragen der Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern zuständige Ausschuß der OECD (Organisation for Economic Cooperation and Development). In der OECD sind die wichtigsten westlichen Industrieländer zusammengeschlossen. Sie hat sich u. a. das Ziel gesetzt, die wirtschaftliche und soziale Entwicklung auch solcher Länder zu fördern, die ihr nicht angehören. Von den 24 Mitgliedern der OECD gehören 17 dem DAC an; diese Länder haben bisher rund 95 % der öffentlichen Entwicklungshilfeleistungen für die Dritte Welt aufgebracht. In jährlichen Überprüfungen werden vom DAC die Entwicklungshilfeleistungen der Mitgliedsländer gemessen und bewertet. Für die internationale Anerkennung und Bewertung von Entwicklungshilfeleistungen ist die Entwicklungsländer-Liste der DAC maßgebend. Sie wurde 1960 von einer Arbeitsgruppe des DAC aufgestellt und zuletzt 1971 revidiert. Bei der Aufstellung dieser Liste wurden auf der Basis allgemeiner Gesichtspunkte alle Länder und Gebiete erfaßt, die als Empfänger von Entwicklungshilfe in Frage kommen ohne besondere Berücksichtigung der Bedürftigkeit. In ihrer generell gehaltenen Formulierung lautet die DAC-Liste wie folgt: „Alle Länder in Afrika außer Südafrika, in Amerika außer den USA und Kanada, in Asien außer Japan und der Volksrepublik China, in Ozeanien außer Australien und Neuseeland. In Europa umfaßt die Liste Zypern, Gibraltar, Griechenland, Malta, Spanien, Türkei und Jugoslawien." 1975 wurde Portugal, das bis 1974 zu den Entwicklungshilfegeberländern des DAC gehörte, in die Entwicklungsländerliste aufgenommen. Die vollständige DAC-Liste lautete am 31. Dezember 1975:

Entwicklungsländer in den Vereinten Nationen (112): Europa (7): Afrika (46):

Amerika (15):

Südamerika (12): Asien (31):

Ozeanien ( 1 ) :

Griechenland, Jugoslawien, Malta, Spanien, Türkei, Zypern, Portugal; Ägypten, Algerien, Äquatorial-Guinea, Äthiopien, Botswana, Burundi, Dahomey (neuerdings Volksrepublik Benin), Elfenbeinküste, Gabun, Gambia, Ghana, Guinea, Guinea-Bissau, Kamerun, Kapverdische Republik, Kenia, Komoren, Kongo, Lesotho, Libyen, Liberia, Madagaskar, Malawi, Mali, Marokko, Mauretanien, Mauritius, Mozambique, Niger, Nigeria, Obervolta, Rwanda, Sambia, Senegal, Sierra Leone, Sao Tomé und Principe, Somalia, Sudan, Swasiland, Tansania, Togo, Tschad, Tunesien, Uganda, Zaire, Zentralafrikanische Republik; Bahamas, Barbados, Costa Rica, Dominikanische Republik,El Salvador, Grenada, Guatemala, Haiti, Honduras, Jamaika, Kuba, Mexiko, Nicaragua, Panama, Trinidad und Tobago; Argentinien, Bolivien, Brasilien, Chile, Ecuador, Guayana, Kolumbien, Paraguay, Peru, Surinam, Uruguay, Venezuela; Afghanistan, Bangla Desh, Bahrain, Bhutan, Birma, Fidschi, Indien, Indonesien, Irak, Iran, Israel, Arabische Republik Jemen, Demokratische Volksrepublik Jemen, Jordanien, Kambodscha, Kuweit, Laos, Libanon, Malaysia, Malediven, Nepal, Oman, Pakistan, Philippinen, Qatar, Saudi-Arabien, Sri Lanka, Singapur, Syrien, Thailand, Vereinigte Arabische Emirate; Papua-Neuguinea.

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Entwicklungsländer

Entwicklungsländer ohne UN-Mitgliedschaft (35): Europa ( 1 ) : Afrika ( 7 ) :

Gibraltar (Britisch);

Amerika ( 9 ) :

Belize, Bermuda (Britisch), Falklandinseln (Britisch), Guadeloupe (Französisch), Guayana (Französisch), Martinique (Französisch), Niederländische Antillen, St. Pierre und Miquelon (Französisch), Westindische Assoziierte Staaten;

Asien ( 9 ) :

Brunei (Britisch), Republik China (Taiwan), Hongkong (Britisch), Republik Korea, Demokratische Volksrepublik Korea, Macao (Portugiesisch), Timor (Portugiesisch), Republik Vietnam, Demokratische Republik Vietnam;

Ozeanien ( 12):

Cook Inseln (Neuseeland), Französisch Polynesien, Gilbert und ElliceInseln, Nauru, Neue Hebriden (Britisch-Französisch), Neukaledonien (Französisch), Niue (Neuseeland), Pazifische Inseln ( U S A ) , SalomonInseln (Britisch), Westsamoa, Tonga, Wallis und Futuna (Französisch).

Angola, Französisches Afar- und Issa-Territorium, Réunion (Französisch), Rhodesien, Sahara (Spanisch), Seychellen (Britisch), St. Helena (Britisch);

Die Liste der Weltbankgruppe (IBRD/IDA) Für die statistische Erfassung des Mitteltransfers aus den Industrieländern in die Entwicklungsländer verwendet die Weltbank die DAC-Liste. Die von der -> I D A verwendete Definition der Entwicklungsländer unterscheidet sich von der DAC-Liste dadurch, daß nur Mitglieder der I B R D aufgeführt sind. Nicht zu den Entwicklungsländern zählen außerdem Kuweit, die Arabischen Emirate, Venezuela, Uruguay sowie abhängige Gebiete und Territorien. IDA-Darlehen (zu besonders günstigen Bedingungen) erhalten nur Mitglieder der I B R D , deren Pro-Kopf-Einkommen unter 375 Dollar im Jahr liegt.

Die Liste der Vereinten Nationen Die erste formell gebilligte und veröffentlichte Liste aus dem Bereich der Vereinten Nationen stammt aus dem Jahre 1963 ( G A Res. 1875 ( S - I V ) vom 27.6.1963 und 1885 ( X V I I I ) vom 18.10.1963). Wie eine spätere Liste aus dem Jahre 1973 ( G A Res. 3101 ( X X V I I I ) v o m 11.12.1973 - bestätigt mit Res. 3374 Β ( X X X ) v o m 28.11.1975 - ) , die wie die von 1963 die Finanzierung eines Einsatzes von Streitkräften der Vereinten Nationen betraf, führt sie die entwickelten Länder auf und klassifiziert alle übrigen Länder als Entwicklungsländer. Zu den Entwicklungsländern wurden auch die in der DAC-Liste genannten europäischen Entwicklungsländer gezählt. Bei der statistischen Ermittlung der Entwicklungshilfeleistungen werden die europäischen Entwicklungsländer demgegenüber als sonstige Marktwirtschaften geführt und nicht zu den Entwicklungsländern gezählt. Den Auflistungen der Entwicklungsländer liegen keine einheitlichen, quantifizierten und verbindlichen Indikatoren zugrunde. So ergibt sich eine sehr unterschiedliche Behandlung insbesondere der europäischen Entwicklungsländer. Während das D A C diese Länder zu den Entwicklungsländern zählt, werden sie von den Vereinten Nationen nicht zu diesem Kreis gerechnet. Einige sozialistische Länder, die von keiner Entwicklungsländer-Liste erfaßt werden, stehen eindeutig auf dem wirtschaftlichen Stand der Länder, die zu den Entwicklungsländern gezählt werden. Jugoslawien wird zwar in der DAC-Liste als Entwicklungsland geführt, Rumänien und Albanien hingegen nicht. In den Listen der Vereinten Nationen wird auch Jugoslawien nicht berücksichtigt, ausgenommen diejenigen, die im Zusammenhang mit der Finanzierung friedenssichernder Operationen aufgestellt worden sind. Jeder Versuch, die eingeführten Listen zu ändern, stößt auf erhebliche Schwierigkeiten,

Die Liste der MSAC's

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da Aufnahme und Ausschluß eines Landes politisches Gewicht haben. So waren alle Bemühungen, diese Listen zu vereinheitlichen, bisher erfolglos. Während die Mitglieder des DAC und die auf der DAC-Liste aufgeführten Entwicklungsländer daran interessiert sind, diese Liste nicht zu verkürzen (weil nur an diese Länder geleistete Hilfe als Entwicklungshilfe anerkannt wird), verhalten sich die Vereinten Nationen restriktiver. Allen Anträgen europäischer Länder (Jugoslawien, Türkei, Rumänien), in deren Liste aufgenommen zu werden, wurde bisher nicht entsprochen (Ausnahme Portugal — Res. 3374 Β (XXX)). Listen der ärmsten

Entwicklungsländer

Die Vereinten Nationen führen zwei Listen besonders armer Entwicklungsländer, nämlich a) die Liste der am wenigsten entwickelten Länder (least developed countries, abgekürzt LLDC), b) die Liste der von der wirtschaftlichen Krise am meisten betroffenen Länder (most seriously affected countries, MSAC). Die Zugehörigkeit zu den beiden Ländergruppen überschneidet sich; die Mehrzahl der LLDC's sind auch MSAC's. Die Liste der LLDC's Die Liste mit 25 LLDC's wurde von der Generalversammlung am 18. November 1971 beschlossen (Res. 2168 (XXVI)). Diesen Ländern werden in der bilateralen und multilateralen Zusammenarbeit besonders günstige Bedingungen eingeräumt. Bei der Festsetzung der Länder wurden folgende drei Indikatoren zugrundegelegt: Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf, Anteil der industriellen Produktion am BIP und Alphabetisierungsquote. Für diese Indikatoren wurden folgende Schwellenwerte festgesetzt: 100 Dollar BIP pro Kopf, 10 %iger BIP-Anteil der industriellen Produktion, 20 % Alphabetisierungsquote der Altersgruppe über 15 Jahren. Länder, die diese Werte nicht erreichten, wurden in die Liste der LLDC's aufgenommen. Als LLDC wurden auch die Länder eingestuft, deren BIP pro Kopf unter 100 Dollar lag, die aber die anderen beiden Schwellenwerte nur leicht überschritten. Das gleiche gilt für Länder mit 100 bis 120 Dollar BIP pro Kopf, sofern sie die beiden übrigen Bedingungen erfüllen. Hinzu kamen schließlich Länder, bei denen ein entsprechend niedriger Entwicklungsstand vermutet, wenn auch wegen fehlender statistischer Daten nicht belegt werden konnte. Unter Anwendung dieser Indikatoren wurden folgende Länder als LLDC's anerkannt: Afghanistan, Äthiopien, Bhutan, Botswana, Burundi, Dahomey, Guinea, Haiti, Arabische Republik Jemen, Laos, Lesotho, Malawi, Malediven, Mali, Nepal, Niger, Obervolta, Rwanda, Somalia, Sudan, Sikkim, Tansania, Tschad, Uganda, Westsamoa. Ende 1975 wurde die Liste der LLDC's um die Länder Bangla Desh, Gambia, Demokratische Volksrepublik Jemen und Zentralafrikanische Republik erweitert (GA Res. 3487 (XXX) vom 12.12.1975). Sikkim ist inzwischen ausgeschieden (Anschluß an Indien). Die Liste der MSAC's Die Gruppe der MSAC's wurde vom Sekretariat der Vereinten Nationen festgelegt, nachdem die sechste Sondersitzung der Generalversammlung im Mai 1974 ein besonderes Hilfsprogramm für die von der wirtschaftlichen Krise am meisten betroffenen Länder beschlossen hatte (in Res. 3202 (S-VI) vom 1.5.1974). Dabei wurden folgende Kriterien zugrundegelegt: Niedriges Pro-Kopf-Einkommen; scharfer Preisanstieg bei wichtigen Importen im Vergleich zu den Exporten; gestiegene Transportund Transitkosten; Schwierigkeiten, ausreichende Exporterlöse zu erzielen; hoher Schuldendienst; niedrige Währungsreserven; relativ große Bedeutung des Außenhandels für den Ent-

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Entwicklungsländer

wicklungsprozeß. Die MSAC-Liste ist flexibler als die LLDC-Liste, da sie nicht durch formellen Beschluß der Generalversammlung festgelegt wurde und für die zugrundeliegenden Indikatoren keine fixierten Schwellenwerte bestimmt wurden. Ursprünglich umfaßte die MSACListe 28 Länder; sie ist bis Ende 1975 auf folgende 42 Länder angewachsen, von denen 22 auch als LLDC anerkannt sind: Ägypten, Afghanistan, Äthiopien, Bangla Desh, Birma, Burundi, Dahomey, Elfenbeinküste, El Salvador, Ghana, Guinea, Guinea-Bissau, Guayana, Haiti, Honduras, Indien, Arabische Republik Jemen, Demokratische Volksrepublik Jemen, Kambodscha, Kamerun, Kapverdische Republik, Kenia, Laos, Lesotho, Madagaskar, Mali, Mauretanien, Mozambique, Niger, Obervolta, Pakistan, Rwanda, Senegal, Sierra Leone, Somalia, Sri Lanka, Sudan, Tansania, Tschad, Uganda, Westsamoa, Zentralafrikanische Republik. Die „Gruppe der 77" Anläßlich der ersten Welthandels- und Entwicklungskonferenz (UNCTAD I) 1964 in Genf schlossen sich 77 Entwicklungsländer aus Asien, Afrika und Lateinamerika zu dieser Gruppe zusammen. Die Zahl ist inzwischen auf über 100 Mitglieder angestiegen; sie umfaßt die Entwicklungsländer Afrikas, Asiens und Lateinamerikas, soweit sie den Vereinten Nationen angehören; außerdem Jugoslawien, Malta und Rumänien. Die Gruppe der 77 versteht sich als Sprachrohr der Dritten Welt vor allem in wirtschaftlichen Fragen. Die AKP-Staaten Am 28. Februar 1975 unterzeichneten 46 Entwicklungsländer aus dem afrikanischen, karibischen und pazifischen Raum (nach den Anfangsbuchstaben der Region „AKP-Staaten" genannt) und die Staaten der Europäischen Gemeinschaften das Abkommen von Lomé, in dem sich die EG-Staaten zu einer Reihe von Leistungen an die AKP-Staaten verpflichteten. Zu den AKP-Staaten zählen: Äquatorial-Guinea, Äthiopien, Bahamas, Barbados, Botswana, Burundi, Dahomey, Elfenbeinküste, Fidschi, Gabun, Gambia, Ghana, Grenada, Guayana, Guinea, Guinea-Bissau, Jamaika, Kamerun, Kenia, Kongo, Lesotho, Liberia, Madagaskar, Malawi, Mali, Mauritius, Mauretanien, Niger, Nigeria, Obervolta, Rwanda, Sambia, Senegal, Sierra Leone, Somalia, Sudan, Swasiland, Tansania, Tonga, Togo, Trinidad und Tobago, Tschad, Uganda, Westsamoa, Zaire, Zentralafrikanische Republik.

Literatur Deutsche Bundesregierung: Berichte zur Entwicklungspolitik der Bundesregierung, Bonn 1973, 1975 Jackson Report: A Study of the Capacity of the United Nations Development System, Geneva 1969 de Lacharrière: Aspects récents du classement d'un pays comme „moins développé", in: AFDI vol. 13 (1967) p. 703 ders.: Identification et statut des pays „moins développés", in: AFDI vol. 17 (1971) p. 461 ders.: La catégorie juridique des pays en voie de développement, in: Pays en voie de développement et transformation du droit international (Colloque d'Aix-en-Provence), Paris 1974, p. 41 Der Pearson-Bericht: Bestandsaufnahme und Vorschläge zur Entwicklungspolitik, Wien / München / Zürich 1969 Rudolf Bellinghausen Verweise auf: Blockbildung; Entwicklungspolitik; IBRD; IDA.

Entwicklungspolitik

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Entwicklungspolitik Definition Der Begriff Entwicklungspolitik kann in einem weiteren und einem engeren Sinne definiert werden. Im weiteren Sinne umfaßt Entwicklungspolitik alle wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Maßnahmen, die ein Entwicklungsland ergreift, um die wirtschaftliche und soziale Entwicklung des eigenen Landes voranzutreiben. Im engeren Sinne bezieht sich der Begriff Entwicklungspolitik auf die Beziehungen zwischen Industrieländern und Entwicklungsländern und umfaßt alle Maßnahmen, die die Industrieländer durchführen, um den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt der Länder der Dritten Welt zu fördern. Die engere Fassung des Begriffs Entwicklungspolitik ist in Industrieländern die üblichere. Deshalb konzentrieren sich die folgenden Ausführungen auf diese engere Interpretation des Begriffes. Ziele Letztes Ziel der Entwicklungspolitik ist es, nachhaltige Verbesserungen der Lebensbedingungen der Bevölkerung der Dritten Welt zu erreichen. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit einer globalen Entwicklungsstrategie auf der Grundlage abgestimmter Aktionen der Industrienationen und der Entwicklungsländer. Die Entwicklungspolitik dient dem Abbau von Spannungen zwischen Nord und Süd (-> Nord-Süd-Konflikt), sie ist deshalb Friedenspolitik im weitesten Sinne. Entscheidend bleibt, daß die Verantwortung für die Entwicklung in der Dritten Welt vornehmlich bei den Entwicklungsländern selbst liegt, jedoch wird heute allgemein anerkannt, daß ihnen geholfen werden muß, sich selbst zu helfen, damit sie ihre Gesellschaften nach ihren eigenen Zielen modernisieren können. Ein Ziel der 2. Entwicklungsdekade der Vereinten Nationen (1971—1980) ist die jährliche Steigerung des Bruttosozialprodukts der Entwicklungsländer um global 6 %. Wachstumsziel für das Bruttosozialprodukt pro Kopf der Bevölkerung im gleichen Zeitraum ist eine Zunahme von durchschnittlich 3,5 % jährlich. Das Wachstumsziel für das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen ist auf der Grundlage einer durchschnittlichen Bevölkerungszunahme von jährlich 2,5 % errechnet. Eine durchschnittliche jährliche Wachstumsrate des Bruttosozialprodukts der Entwicklungsländer von mindestens 6 % während des Jahrzehnts setzt eine durchschnittliche jährliche Steigerung der Produktion von 4 % in der Landwirtschaft und 8 % im gewerblichen Sektor voraus. Die Entwicklungsländer haben auf den großen internationalen Konferenzen der ersten Hälfte der 70er Jahre (UNCTAD III, 6. und 7. Sondersitzung der Generalversammlung, Welternährungskonferenz, Weltbevölkerungskonferenz, 2. UNIDO-Konferenz) deutlich gemacht, daß sie von den Ergebnissen der 2. Entwicklungsdekade enttäuscht sind. Sie haben deshalb einen weitgefächerten Katalog von Forderungen vorgelegt, die auf die Errichtung einer neuen Weltwirtschaftsordnung abzielen. Zu den Kernforderungen der Entwicklungsländer zählen: Volle Souveränität eines jeden Staates über seine natürlichen Ressouren einschließlich Enteignung und Entschädigung nach nationalem Recht, Koppelung der Preise für Exportgüter der Entwicklungsländer an die Preise für Einfuhren aus Industrieländern, -»· Rohstoffabkommen zur Stabilisierung der Märkte und Erlöse für Rohstoffexporte, Produzentenkartelle, einseitige 'Öffnung der Märkte der Industrieländer für Halb- und Fertigfabrikate aus Entwicklungsländern, Erhöhung des Anteils der Entwicklungsländer an der Weltindustrieproduktion von jetzt 7 % auf 25 % im Jahre 2000. Instrumentarium Das Instrumentarium der Entwicklungspolitik umfaßt nicht nur die Entwicklungshilfe im engeren Sinne, sondern entwicklungspolitische Zielsetzungen können auch im Rahmen der

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Entwicklungspolitik

Handels-, Währungs- und Strukturpolitik verfolgt werden. Im folgenden sollen die verschiedenen Instrumente dargestellt werden. Entwicklungshilfe: Die Industrieländer haben zugesagt, jährlich öffentliche und private Mittel in Höhe von mindestens 1 % des Bruttosozialprodukts netto für die Entwicklungsländer aufbringen zu wollen. Der Anteil der öffentlichen Nettoleistungen zu vergünstigten Bedingungen soll mindestens 0,7 % des Bruttosozialproduktes betragen. Zur Klärung des Begriffs Entwicklungshilfe sei darauf hingewiesen, daß heute anerkannt ist, daß Privatinvestitionen nicht zur Entwicklungshilfe zählen. Unter den offiziellen Begriff Entwicklungshilfe fallen öffentliche Kredite (rückzahlbar) und unentgeltliche Zuwendungen (nicht rückzahlbar). Die unentgeltlichen Zuwendungen (Steuermittel) sind mit einem Opfer für den Geber verbunden. Die öffentlichen Kredite können keinesfalls in voller Höhe als Hilfe im Sinne eines Opfers verstanden werden. Nur insoweit, als diese Kredite zu günstigeren Konditionen als denen gewährt werden, die in den Industrieländern selbst zu erzielen sind, kann man von einem Opfer sprechen. Es wäre deshalb korrekter, den offiziellen Begriff Entwicklungshilfe noch weiter einzuengen auf unentgeltliche Zuwendungen und Kredite zu Vorzugskonditionen. Es wird grundsätzlich zwischen -»· Kapitalhilfe und Technischer Hilfe (-* Technische Hilfe, Technologietransfer) unterschieden. In der neueren entwicklungspolitischen Diskussion in der Bundesrepublik Deutschland sind sogar Tendenzen zu erkennen, den Begriff Entwicklungshilfe ganz fallen zu lassen und die beiden Begriffe Kapitalhilfe und Technische Hilfe durch das Begriffspaar „Finanzielle und Technische Zusammenarbeit" zu ersetzen. Entscheidend ist, daß die unterschiedlichen Bedürfnisse der Entwicklungsländer ein hohes Maß an Flexibilität bei der praktischen Ausgestaltung des Instrumentariums fordern. Die Kapitalhilfe wird in Form von Darlehen gewährt. Die Bundesregierung unterscheidet dabei drei Länder- bzw. Konditionengruppen. Den am wenigsten entwickelten Ländern (LLDC-Ländern, -»· Entwicklungsländer) und zusätzlich auch den von der Erdölkrise am schwersten betroffenen Ländern (MSA-Länder: most seriously affected countries) werden künftig die besonders günstigen Kreditbedingungen der IDA zugestanden (0,75 % „Zinsen" (Bearbeitungsgebühr) — 50 Jahre Laufzeit einschließlich 10 tilgungsfreie Jahre). Andererseits werden fortgeschrittenen Entwicklungsländern künftig härtere Bedingungen, nämlich 4,5 % Zinsen, 20 Jahre Laufzeit einschließlich 5 tilgungsfreie Jahre zugemutet. Für die übrigen Entwicklungsländer gelten die bisher gültigen Standardkonditionen weiter (2 % Zinsen — 30 Jahre Laufzeit einschließlich 10 tilgungsfreie Jahre). Kapitalhilfe kann gewährt werden für Einzelprojekte, zur Förderung von Sektor- und Regionalprogrammen, zur Refinanzierung von Entwicklungsbanken oder ähnlichen Einrichtungen sowie zur Finanzierung der Einfuhr lebenswichtiger ziviler Güter (Warenhilfe). Bei der Technischen Hilfe geht es um die Unterstützung der Entwicklungsländer bei der Erschließung und Steigerung ihrer wirtschaftlichen und sozialen Leistungsfähigkeit. Im einzelnen handelt es sich dabei um die Entsendung von Fachkräften, die Bereitstellung von Material und Ausbildungsmöglichkeiten und um die Finanzierung derartiger Maßnahmen. Die Leistungen der Technischen Hilfe werden in der Regel unentgeltlich gewährt. Das Entwicklungsland übernimmt dabei aber meist die in dem Lande selbst anfallenden Kosten. Mit finanzstarken Entwicklungsländern wird seit neuestem eine völlige oder teilweise Bezahlung vereinbart (Technische Hilfe gegen Bezahlung). Im Vergleich zu den Aufgaben in den Entwicklungsländern sind die Mittel immer knapp. Deshalb wird ein konzentrierter Einsatz der Instrumente in einzelnen Ländern, Sektoren und Regionen angestrebt, wenn auch nicht immer verwirklicht. Ein Instrumentarium dazu stellen die Länderhilfeprogramme dar (country aid programming). Für die Bundesregierung haben folgende Schwerpunktbereiche besondere Bedeutung: — Strukturverbesserung in den ländlichen Regionen, — Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung,

Instrumentarium

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— Förderung eines arbeits- und umweltorientierten Bildungssystems zur Aktivierung der Fähigkeit zur Selbsthilfe, — Ausweitung und Diversifizierung des industriellen Sektors, — Stärkung der Planungs- und Organisationsfähigkeit der Entwicklungsländer, — unmittelbare Hilfe zur Verbesserung der Lebensbedingungen, vor allem durch Förderung von Familienplanung, Gesundheits-, Ernährungs- und Wohnungswesen. Entwicklungspolitische Aspekte der Handelspolitik: Der Außenwirtschaftspolitik kommt für den Fortschritt der Entwicklungsländer entscheidendes Gewicht zu. Letztes Ziel ist dabei, die Entwicklungsländer stärker in die internationale weltwirtschaftliche Arbeitsteilung einzubeziehen. Die zunehmende Verflechtung der Weltwirtschaft erfordert eine engere Zusammenarbeit zwischen Industrie-, Erdöl-, sonstigen Rohstoff- und rohstoffarmen Entwicklungsländern. Dabei stehen die Bemühungen des GATT und der UNCTAD, den Außenhandel der Entwicklungsländer zu fördern und insbesondere die tariflichen und nichttariflichen Handelshemmnisse in den Industrieländern abzubauen, im Vordergrund. Insbesondere wird der Abbau der progressiv steigenden Zollbelastung bei der Einfuhr weiterzuverarbeitender Waren in die Industrieländer gefordert. Auch wird von Entwicklungspolitikern eine Verbesserung der allgemeinen Zollpräferenzen der Europäischen Gemeinschaft für Halb- und Fertigwaren, insbesondere im Bereich der sensiblen und halbsensiblen Waren und auf dem Gebiet der landwirtschaftlichen Verarbeitungserzeugnisse angestrebt. In der internationalen Rohstoffpolitik verfolgt man das Ziel, stabilere Exporterlöse, insbesondere für die ärmsten unter den rohstoffexportierenden Entwicklungsländern, zu erreichen und extreme Preisschwankungen im Interesse der Erzeuger und Verbraucher zu verhindern. Entwicklungspolitische Aspekte der internationalen Währungspolitik: Die wirtschaftsund währungspolitischen Ereignisse vor allem am Anfang der 70er Jahre, insbesondere die Ölkrise und die weltweiten Inflationstendenzen, haben dazu geführt, daß eine umfassende Reform des Weltwährungssystems angestrebt wird. Es wurde festgelegt, daß im -> IMF den besonderen Interessen der Entwicklungsländer in allen Bereichen der internationalen Währungspolitik so weit wie möglich Rechnung getragen wird. Durch die 1974 eingerichtete Ölfazilität des IMF kamen ζ. B. 40 erdölimportierende Mitgliedsländer des IMF, darunter 33 Entwicklungsländer, in den Genuß von mittelfristigen Zahlungsbilanzhilfen. Ferner wurden weitere Maßnahmen zugunsten der Entwicklungsländer ergriffen: Ausweitung der Ziehungsmöglichkeiten, die Mobilisierung eines Teils des IMF-Goldes für entwicklungspolitische Zwecke und die Verbesserung des Zugangs der Entwicklungsländer zu den international bedeutsamen Kapitalmärkten. Darüber hinaus fordern die Entwicklungsländer eine automatische Mittelübertragung durch Verbindung von Sonderziehungsrechten des IMF mit der Entwicklungsfinanzierung (link). Diesem Vorschlag stehen die Industrieländer jedoch skeptisch gegenüber. Entwicklungspolitische Aspekte der Strukturpolitik: Man kann nicht die Entwicklungsländer ständig ermuntern, ihre Wirtschaft zu industrialisieren, ihr Exportangebot reichhaltiger zu gestalten, und dann die Rückwirkungen auf die inländische Branchenstruktur vermeiden wollen, die von einer Verschiebung der internationalen Arbeitsteilung ausgehen. Insbesondere sollte in Industrieländern die Abwanderung von Arbeitskräften und Kapital aus Branchen, bei denen Anpassungen an die geänderten weltwirtschaftlichen Marktverhältnisse notwendig sind, nicht durch Erhaltungssubventionen verhindert werden. Die Auslagerung von arbeits- und rohstoffintensiven Produktionen durch den Aus- und Aufbau von Unternehmen oder durch den Erwerb von Beteiligungen an Unternehmen in Entwicklungsländern wird deshalb zunehmend durch finanzielle und steuerliche Hilfen sowie durch Übernahme von Garantien zur Absicherung politischer Risiken unterstützt. Bei der Strukturpolitik werden die Konflikte zwischen Entwicklungspolitik und Gewerkschaftspolitik in den Industrieländern in Zukunft an Schärfe zunehmen.

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Entwicklungspolitik

Träger Träger der Entwicklungspolitik sind nationale, staatliche oder private Organe bzw. Organisationen (bilaterale Entwicklungspolitik) und internationale Organisationen (multilaterale Entwicklungsp olitik). Entwicklungspolitik der Bundesrepublik Deutschland: Die Entwicklungspolitik der Bundesrepublik Deutschland versucht die internationale Kooperation zu fördern und einer Konfrontation zwischen Industrie- und Entwicklungsländern entgegenzuwirken. Die Bundesregierung unterstützt grundsätzlich die qualitativen und quantitativen Ziele, die international für die 2. Entwicklungsdekade gesetzt wurden. Zuständig für die Entwicklungspolitik ist das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Durchführungsorgane für die Abwicklung der Kapitalhilfe sind die Kreditanstalt für Wiederaufbau und für die Technische Hilfe die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit. Nach dem Willen des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit soll der Anteil der Entwicklungshilfe, der den ärmsten Entwicklungsländern zufließt, weiter erhöht werden. Es ist nicht beabsichtigt, den Anteil, der zur Finanzierung multilateraler Organisationen aufgewandt wird und der gegenwärtig annähernd 3 0 % der Mittel beträgt, zu erhöhen. Die Bundesregierung bemüht sich, das Interesse an einer Sicherung der Rohstoffversorgung der deutschen Wirtschaft mit den Interessen der Entwicklungsländer nach Steigerung ihrer Ausfuhren und einem Ausbau der Rohstoffverarbeitung in Einklang zu bringen. Sie fördert ferner eine enge und flexible Zusammenarbeit zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Institutionen. Wie die staatlichen sollten sich auch die Leistungen nichtstaatlicher Institutionen (ζ. B. Kirchen, politische Stiftungen, Gewerkschaften, Genossenschaften) an den Zielen des jeweiligen Entwicklungslandes und dessen Prioritäten orientieren. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit überprüft laufend die Wirksamkeit seiner entwicklungspolitischen Maßnahmen im Rahmen seiner Wirkungsbeobachtung und Inspektion. Das gilt auch für die Tätigkeit nichtstaatlicher Träger der Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern, soweit sie von der Bundesregierung Zuwendungen erhalten. Europäische Entwicklungspolitik: Die Entwicklungspolitik ist ein Kernstück der sich verstärkenden Außenbeziehungen der Europäischen Gemeinschaften. Mit dem Abkommen von Lomé, das ein besonderes Kooperationsverhältnis zwischen der Europäischen Gemeinschaft und 4 6 Staaten Afrikas, der Karibik und des Pazifik (AKP) begründet hat (->· Entwicklungsländer), wurden die Vereinbarungen von Yaoundé und Arusha und die damit begonnene Zusammenarbeit zwischen den Europäischen Gemeinschaften und den Entwicklungsländern fortgesetzt. Die wichtigsten Bestimmungen des Lomé-Abkommens sind: — Im Handelsbereich eröffnet die Gemeinschaft den AKP-Staaten mit Ausnahme einiger Agrarprodukte freien Marktzugang. Die Gemeinschaften verzichten auf Gegenleistungen im Handelsbereich; — die industrielle Kooperation wird verstärkt gefördert; — die Stabilisierung der Ausfuhrerlöse für einige Rohstoffe (überwiegend Agrarprodukte) soll schädliche Wirkungen von Schwankungen der Exporteinnahmen auf die Wirtschaft der AKP-Staaten verhindern; — für die finanzielle und technische Zusammenarbeit stellen die Gemeinschaften im Rahmen des europ. Entwicklungsfonds und der europ. Entwicklungsbank Mittel zur Verfügung. Mit dem Abkommen von Lomé haben die Gemeinschaften ihre Beziehung zu einem großen Teil der Dritten Welt, darunter fast dem gesamten afrikanischen Kontinent, neu geregelt. Die Gemeinschaften streben jedoch auch eine aktive weltweite Entwicklungspolitik an; dies drückt sich ζ. B. aus in der Entschließung über finanzielle und technische Zusammenarbeit mit nicht-assoziierten Entwicklungsländern sowie in der Weiterführung und Verbesserung des Systems der allgemeinen Präferenzen für Importe aus allen Entwicklungsländern. Bei der Frage der weltweiten Entwicklungspolitik der Gemeinschaften gibt es jedoch Spannungen zwischen den Mitgliedsländern.

Kritik der Entwicklungspolitik

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Entwicklungspolitik der Vereinten Nationen: Die Entwicklungshilfe findet im Rahmen von Projekten und Programmen internationaler Spezialorgane und Organisationen zugunsten der Entwicklungsländer statt. Die Finanzierung erfolgt durch Beiträge der Mitgliedstaaten. Ihre Vertreter in den Aufsichtsorganen bestimmen in der Regel auch die Vergabepolitik. Die wichtigsten Spezialorgane und Sonderorganisationen der Vereinten Nationen sind: Das -»· UNDP, die -» UNIDO, die UNICEF, der Weltbevölkerungsfonds der Vereinten Nationen Weltbevölkerung), die ^ ILO, die UNESCO, die -» WHO und die F AO. Neben diesen Gremien ist als finanziell leistungsstärkste Sonderorganisation die ->• IBRD mit der -» IDA zu nennen. Die internationalen entwicklungspolitischen Aktivitäten im Bereich der Währungsund Handelspolitik werden von dem IMF und von dem -»• GATT sowie von der -> UNCTAD gesteuert. Kritik der

Entwicklungspolitik

Einige Kritiker sehen in der Entwicklungspolitik ein „wirksames Instrument der gegenwärtigen imperialistischen Politik der westlichen Industrienationen und ihrer wirtschaftlichen Großorganisationen". Notwendige strukturelle Reformen in der Dritten Welt würden durch Entwicklungspolitik eher verhindert. Es werden deshalb zunehmend unorthodoxe entwicklungsstrategische Thesen formuliert, die das Resultat einer spezifischen Konfliktanalyse darstellen. Diese Konflikte sind kultureller u n d ökonomischer Natur. Einmal wird durch die Übertragung westlicher bzw. östlicher Bildungsinhalte die Entwicklung autonomer Erziehungsmodelle erschwert, zum anderen werden durch die Übertragung der Lebens- und Konsumgewohnheiten der Industrieländer Verhaltensmuster initiiert, die den eigentlichen Bedürfnissen der Entwicklungsländer zuwider laufen. Daraus hat z. B. Illich gefolgert, daß die Entwicklungshilfe in ihrer bisherigen Form drastisch reduziert werden müsse, um den verhängnisvollen Einfluß westlicher Konsumgewohnheiten in den Entwicklungsländern zu unterbinden. Auf ökonomischer Ebene wird die Entwicklungspolitik von den Anhängern der Dependencia-Schule kritisiert, die in der Entwicklungspolitik ein Mittel sehen, die Entwicklungsländer in die weltwirtschaftliche Arbeitsteilung zu integrieren, was die „Entwicklung der Unterentwicklung" beschleunige und die strukturelle Abhängigkeit der Entwicklungsländer von den Industrieländern noch verschärfe („Verelendungswachstum der Entwicklungsländer"). Sie schlagen dagegen eine zeitweilige Dissoziation der Entwicklungsländer vom Weltmarkt vor („autozentrierte Entwicklung"). Literatur Bohnet (Hrsg.): Das Nord-Süd-Problem, Konflikte zwischen Industrie- und Entwicklungsländern, 3. Aufl., München 1974 Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (Hrsg.): 2. Bericht zur Entwicklungspolitik der Bundesregierung. Entwicklungspolitische Konzeption der Bundesrepublik Deutschland (Neufassung 1975), Bonn 1975 Kebschull / Fassbender / Naina: Entwicklungspolitik: Eine Einführung, 2. Aufl., Opladen 1975 Nohlen / Nuscheier: Handbuch der Dritten Welt, Hamburg 1974 Senghaas: Peripherer Kapitalismus. Analysen über Abhängigkeit und Unterentwicklung, Frankfurt/M. 1974 Sohn: Entwicklungspolitik: Theorie und Praxis der deutschen Entwicklungshilfe, 2. Aufl., München 1972 Michael Bohnet Verweise auf: Entwicklungsländer; F AO; GATT; IBRD; IDA; ILO; IMF; Kapitalhilfe; NordSüd-Konflikt; Rohstoffabkommen; Technische Hilfe, Technologietransfer; UNCTAD; UNDP; UNESCO; UNICEF; UNIDO; Weltbevölkerung; Weltwirtschaftsordnung; WHO.

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Europäische Gemeinschaften

Europäische Gemeinschaften Regionale Integration und Weltordnung Das Verhältnis der Europäischen Gemeinschaften (EG) zu den Vereinten Nationen kann aus theoretischer Sicht als ein Problem der Interdependenz von Regionalismus und Weltordnung verstanden werden. Geht man von den Vereinten Nationen als einem normsetzenden System aus, dessen Zielfunktionen im Bereich einer globalen Friedenssicherung und in der Förderung der ökonomischen Entwicklung nichtindustrialisierter Länder liegen, so sind regionale Integrationsentwicklungen, wie sie sich im Bereich der EG darbieten, auf ihre Kompatibilität mit den Zielen einer universalen Ordnung hin zu prüfen. Die geforderte Kompatibilität ist gegeben, wenn die EG als eine „Sicherheitsgemeinschaft" interpretiert werden, welche mit assoziativen Mitteln kriegerische Konfliktlösungen zwischen den Landern dieser Region verhindert; damit entspricht die Konstruktion der EG den Art. 52 bis 54, in denen die Nationen ermuntert werden, sich in regionalen Abmachungen mit dem Ziel der Friedenserhaltung oder der friedlichen Beilegung von Konflikten zusammenzuschließen. Unter dem Gesichtspunkt internationaler Herrschaftsstrukturen kann der wirtschaftliche Zusammenschluß der EG-Länder auch als emanzipatorischer Prozeß Westeuropas gegenüber der dominanten Stellung der USA verstanden werden: In den ökonomischen und politischen Beziehungen zwischen beiden Regionen entstand ein strukturelles Gleichgewicht, das im nordatlantischen Raum eine tendenziell friedenssichernde Struktur schuf. Unter diesem Aspekt kann der westeuropäische Einigungsprozeß als Vorbild für integrative Entwicklungsstrategien der Länder der Dritten Welt dienen; regionale Integration und der Aufbau eigener internationaler Organisationen könnten die internationale Feudalstruktur aufbrechen und die Position der unterentwickelten Länder gegenüber den Industriestaaten verbessern. Auf der Grundlage der Annahme, daß regionaler Integration eine friedenssichernde Funktion zukommt, sind regionalistische Modelle deshalb vielfach als Zwischenstufen zu einer universal orientierten Ordnung hin begriffen worden. Den Regionen, als notwendige Zwischenglieder zwischen Nationalstaat und Weltstaat geschaltet, wird dabei die Rolle eines Mittelpunktes zugedacht, um den sich konzentrisch erweiternde Kreise neuer Gemeinschaftsbildung sammeln. Die Rolle der EG gegenüber der Weltorganisation muß dagegen weniger optimistisch eingeschätzt werden, wenn das Ziel einer Förderung der unterentwickelten Länder in den Vordergrund gestellt wird. Durch ihre Möglichkeiten der Kapitalvergabe und Investitionen in Entwicklungsländern sind die EG in Konkurrenz zu den Spezialorganen und Sonderorganisationen der Vereinten Nationen getreten (UNDP, IBRD, IDA). Da gerade auf der gesellschaftlich-ökonomischen Ebene die Eigeninteressen der EG mit den universalen Zielen der Vereinten Nationen konkurrieren, werden weltweite Lösungen bestehender Konflikte durch den Abbau kriegsfördernder interner Strukturen im westeuropäischen Bereich nicht gleichermaßen gefördert. Damit aber wird im Fall der EG die Interdependenz zwischen regionaler und globaler Organisation zu einer negativen: Das nach innen sichtbare Maß an friedenserhaltender Politik der Wirtschaftsgemeinschaft spiegelt sich in ihren Außenbeziehungen nicht wider. Europäische Gemeinschaften und Vereinte Nationen Das Verhältnis der Europäischen Gemeinschaften und ihrer Mitgliedsländer zu den Vereinten Nationen umschließt in seiner konkreten Ausgestaltung zwei verschiedene, analytisch voneinander zu trennende Dimensionen. Auf einer ersten Ebene treten die Gemeinschaften, repräsentiert durch die Kommission als Handlungsträger, als supranationaler Akteur in Beziehung zu den Vereinten Nationen mit ihren vielfältigen Organen und Sonderorganisationen. Auf

Europäische Gemeinschaften und Vereinte Nationen

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einer zweiten Ebene treten die Mitgliedsländer der Gemeinschaften als einzelstaatliche Akteure innerhalb des Systems der Vereinten Nationen auf, wo sie versuchen, durch Kooperation und Absprachen sich als einheitlicher Interessenverband darzustellen. Die Kommission der EG verfolgt grundsätzlich alle Arbeiten der Vereinten Nationen, bei denen Fragen aus dem Zuständigkeitsbereich der Gemeinschaften behandelt werden, und unterhält deshalb zu den meisten Sonderorganisationen Kontakte mit unterschiedlichem Intensitätsgrad. Zwischen einzelnen Sonderorganisationen und der EG-Kommission fanden in den vergangenen Jahren gesonderte Kooperationstreffen statt, so zwischen der Kommission und der ILO; zu der Einrichtung gemischter Arbeitsgruppen kam es zwischen der Kommission und der UNESCO über Fragen der Entwicklungshilfe, des Hochschulwesens und des Umweltschutzes. Die Kommission vertrat die Europäischen Gemeinschaften als Beobachter auf der Konferenz der Vereinten Nationen über Umweltschutz 1972 in Stockholm und beteiligte sich in New York an den Arbeiten zur Vorbereitung der internationalen Seerechtskonferenz. Innerhalb der Hauptorganisation nimmt die Kommission regelmäßig als Beobachter (-» Vertretung) an den Tagungen des ECOSOC teil und pflegt Kontakte zu den fünf regionalen Wirtschaftskommissionen, wobei sie sich an den Plenartagungen sowie an den Arbeiten einiger Ausschüsse derselben beteiligt, insbesondere der Handelsausschüsse. Während der jährlich stattfindenden Tagungen der Generalversammlung verfolgt die Kommission besonders den Verlauf der Arbeiten in dem mit Wirtschaftsfragen betrauten 2. Hauptausschuß (-> Ausschußsystem); dabei unterstützt sie die Gemeinschaftsländer in ihren jeweiligen Koordinierungsversuchen, soweit es sich um Fragen handelt, die in den Zuständigkeitsbereich der Gemeinschaften fallen. Der Einfluß der EG als einer regionalen Gruppierung mit ökonomischen Eigeninteressen trat bisher am deutlichsten in jenen internationalen Gremien hervor, die sich mit handelsbzw. währungspolitischen Fragen befassen: Denen des GATT und des -> IMF. Anfang der 60er Jahre begannen die EG-Länder im Rahmen des GATT, das formal zwar nicht zu den -* Sonderorganisationen zählt, dennoch in einem engen Zusammenhang mit der Weltorganisation steht, als Einheit zu handeln. Vertreten durch die Kommission der EG, die vertragsgemäß für die Zoll- und Handelspolitik der Mitgliedsländer zuständig ist, traten sie dabei mit einem Machtanspruch auf, wie er in anderen internationalen Organisationen von keiner anderen regionalen Gruppe praktiziert worden war. Ähnlichen Einfluß verschafften sich die Gemeinschaftsländer seit Beginn der 70er Jahre im IMF als der Sonderorganisation für die Regelung weltweiter Währungsprobleme, obgleich sie hier nicht als einheitlicher Akteur auftraten. Schon vor Erweiterung der Gemeinschaften auf neun Mitglieder nahmen die EGStaaten im IMF und im GATT neben den USA eine Veto-Position ein, durch die es ihnen möglich war, auf die Zusammensetzung der Funktionseliten ebenso wie auf Entscheidungsprozesse und Einflußstrukturen in ihrem Sinne einzuwirken. Von der Dominanz der EGStaaten im IMF sind besonders die Entwicklungsländer betroffen, die zur Bezahlung von Importüberschüssen für die Zeit ihrer industriellen Entwicklung und zur Protektion ihrer Agrarexporte in besonderem Maße auf ausreichende Bereitstellung internationaler Liquidität angewiesen sind (-»· Entwicklungspolitik). Hierfür ist u. a. vorgesehen das Instrument der Sonderziehungsrechte, deren Neuschaffung jedoch einer Mehrheit von 85 Prozent der Stimmanteile im -»• IMF bedarf. Da die Mitglieder des IMF über Stimmanteile etwa in Höhe ihrer Einlage verfügen, werden die Abhängigkeitsverhältnisse der Länder der Dritten Welt gegenüber den EG-Staaten deutlich. Über den Rahmen der EG-Verträge und über ihre direkten ökonomischen Interessen hinaus haben die Mitgliedsländer der Europäischen Gemeinschaften seit 1970 zu einer Politischen Zusammenarbeit gefunden, welche sich innerhalb der Hauptorganisation der Vereinten Nationen in engen Konsultationsverfahren zwischen den neun Gemeinschaftsländern niederschlägt (-> Blockbildung). Auf der Grundlage der sogenannten, 1970 von den sechs Außenministern namens ihrer Regierungen in Luxemburg verabschiedeten Davignon-Formel, die gemeinsames Handeln in außenpolitischen Teilbereichen auf intergouvemementaler Ebene

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FAO - Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation .

der Außenministerien und eines politischen Komitees anstrebt, versuchen die Gemeinschaftsländer seitdem, sich auch innerhalb des Systems der Vereinten Nationen im Rahmen von sog. , joint ventures" als politisch gewichtige Gruppe europäischer Staaten zu repräsentieren. Bereits während der 28. Sitzungsperiode der Generalversammlung entwickelten sich zwischen den New Yorker Missionen der Neun umfangreiche Konsultationen, die sowohl einem gegenseitigen Informationsaustausch wie auch einer Harmonisierung der zu einzelnen Tagesordnungspunkten einzunehmenden Haltung dienten. Bei 33 von 77 Resolutionen stimmten die Gemeinschaftsländer einheitlich ab; bei verschiedenen Anlässen gab der Vertreter des den Ratsvorsitz innehabenden Staates im Plenum oder in einem Ausschuß der Generalversammlung im Namen der neun Mitgliedsländer eine vorher vereinbarte Erklärung zu einem Tagesordnungspunkt ab. Auf breiter Themenbasis nahm die Neunergruppe in Diskussionen einheitliche Positionen ein, und während des Nahostkrieges von 1973 standen die beiden ständigen Sicherheitsratsmitglieder Großbritannien und Frankreich in laufender Beratung mit den anderen sieben EG-Staaten. Die politischen Konsultationen innerhalb der europäischen Neunergruppe in New York können als halbinstitutionalisiert bezeichnet werden: Sie sind zu einer Dauereinrichtung auch in der Zeit zwischen den Sitzungen der Generalversammlung geworden, unterliegen jedoch keinen formellen Regeln und haben ihren ad hoc-Charakter noch nicht verloren. Sie finden vorwiegend auf der Ebene der Botschafter und Botschaftsräte statt, weniger auf unterer Ebene. Diese Tendenz, zu intergouvernementalen Absprachen und Harmonisierungen zu kommen, verstärkt sich im Sinne einer kollektiven Abwehrmaßnahme gegenüber jenem politischen Druck, wie er entlang bestehender Konfliktlinien im Bereich der Vereinten Nationen von den Entwicklungsländern auf einzelne Mitgliedstaaten der Gemeinschaft ausgeübt wird. Literatur Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Gesamtbericht über die Tätigkeit der Gemeinschaften, Brüssel / Luxemburg (jährlich) Senghaas-Knobloch: Frieden durch Integration und Assoziation, Stuttgart 1969 von Staden: Politische Zusammenarbeit der EG-Staaten, in: Außenpolitik 1972 S. 200 Norbert Gresch Verweise auf·. Ausschußsystem; Blockbildung; Entwicklungspolitik; GATT; IMF; Sonderorganisationen; Vertretung; Wirtschaftskommissionen.

FAO — Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen Gründung und allgemeine

Zielsetzung

Die FAO (Food and Agricultural Organization of the United Nations) wurde 1945 anläßlich der Konferenz von Québec gegründet (FAO Conference Reports; Report of the First Session of the Conference, Washington, January 1946). Als Gründungsdatum gilt der 16. Oktober 1945. Am 31. Dezember 1975 zählte die FAO 136 Mitglieder. Die Sowjetunion ist nicht Mitglied, da ihre Vorstellungen von Auftrag und Methoden der FAO von denen der Organisation divergieren; sie beteiligt sich aber fallweise an einzelnen Aktivitäten der Organisation. Auf Grund eines Abkommens vom 14. Dezember 1946 (UNTS Bd. 1 Nr. II 10) ist die FAO eine -> Sonderorganisation der Vereinten Nationen. Ihr Sitz ist Rom. Die Idee einer derartigen Organisation kann bis in das 19. Jahrhundert zurückverfolgt

Organisation

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werden. Nach verschiedenen rudimentären Verwirklichungsansätzen um die Jahrhundertwende ( 1 9 0 5 Gründung eines Internationalen Landwirtschaftsinstituts in R o m ; erst 1948 in der FAO aufgegangen) oder in der Völkerbundszeit ( 1 9 3 5 , Technischer Ausschuß zur Bearbeitung von Fragen auf dem Gebiet der Gesundheit und der Ernährung im Rahmen der Hygieneorganisation des Völkerbundes) gewann diese Idee in Friedensplänen im Gefolge des 2. Weltkrieges konkretere Gestalt. Die Gründer gingen von der Überlegung aus, daß ausreichende Ernährung und die hierzu notwendige Agrarerzeugung das Fundament menschlichen Wohlstandes und die Grundlage für den zukünftigen Weltfrieden seien. Die Ziele und Aufgaben der FAO sind in der Satzung der Organisation (BGBl. 1971 II S. 1033 mit Änderungen in BGBl. 1975 II S. 3 5 3 ) niedergelegt: Hebung des Ernährungs- und Lebensstandards der Völker, Sicherung einer Effizienzsteigerung bei der Erzeugung und Verteilung von Nahrungsmitteln und anderen landwirtschaftlichen Erzeugnissen, Verbesserung der Lebensbedingungen der Landbevölkerung, Ausweitung der Weltwirtschaft und Befreiung der Menschheit von Hunger (Präambel). Zu diesem Zwecke sammelt, analysiert und verbreitet die FAO Informationen auf dem Gebiet der Ernährung und der Landwirtschaft (unter letzteren Begriff fallen hier auch Fischerei und Forstwirtschaft). Sie fördert und empfiehlt innerstaatliche und internationale Maßnahmen in bezug auf Forschung, auf Ausbildung und Verwaltung auf dem Gebiet der Ernährung und Landwirtschaft, auf Erhaltung natürlicher Ressourcen und Verbesserung landwirtschaftlicher Produktions-, Vermarktungsund Verteilungsmethoden, sowie in bezug auf die Bereitstellung angemessener staatlicher und internationaler Kredite für die Landwirtschaft, bzw. internationale Richtlinien über Abkommen für landwirtschaftliche Erzeugnisse. Schließlich gewährt sie auf Verlangen der Regierungen technische Unterstützung und ergreift sämtliche Maßnahmen, die notwendig und zweckmäßig sind, um ihre Ziele zu verwirklichen (Art. I FAO-Satzung). Organisation Zur Erfüllung ihrer Funktionen bedient sich die FAO folgender Hauptorgane: Konferenz, Rat und Generaldirektor. In der Konferenz verfügt jeder Mitgliedstaat über eine Stimme; er kann jedoch mehrere Vertreter und Berater entsenden. Die Beschlußfassung erfolgt in der Regel mit einfacher Mehrheit; Fälle für eine qualifizierte Mehrheit (2/3) sind etwa die Neuaufnahme von Mitgliedern (Art. II Abs. 2 FAO-Satzung) oder Empfehlungen für Maßnahmen in einzelnen Staaten (Art. IV Abs. 3 FAO-Satzung). Die Konferenz tritt alle zwei Jahre zu einer ordentlichen Tagung zusammen. Sie bestimmt die Richtlinien der Politik der Organisation und genehmigt das Budget. Sie überprüft die Ernährungslage und die landwirtschaftliche Situation sowie die Planungen der Mitgliedstaaten und erläßt Empfehlungen für staatliche und internationale Maßnahmen. Außerdem kann sie anderen internationalen Organisationen Empfehlungen in bezug auf Angelegenheiten, die die Ziele der FAO betreffen, geben. Die Konferenz wählt ihre Nebenorgane, setzt ihre eigene Geschäftsordnung fest und entscheidet über die Einberufung von außerordentlichen Tagungen. Sie kann die Entscheidungen des Rates und anderer Organe überprüfen. Der von der Konferenz gewählte Rat, das Exekutivorgan der Organisation, besteht aus einem unabhängigen Vorsitzenden und 4 2 von den Mitgliedern entsandten Vertretern, die jeweils über eine Stimme verfügen; dazu können von den betreffenden Staaten auch Stellvertreter und Berater mitentsandt werden. Der Rat beschließt in der Zeit zwischen den Konferenzen über die Politik der Organisation, soweit dies notwendig ist. Er wählt seine eigenen Nebenorgane und erläßt unter Berücksichtigung etwa gefaßter Konferenzbeschlüsse seine Geschäftsordnung. Die Beschlußfassung erfolgt auch hier in der Regel mit einfacher Mehrheit (Art. V FAO-Satzung). Der von der Konferenz für eine einmalige Amtszeit von sechs Jahren ernannte Generaldirektor leitet unter Aufsicht der Konferenz und des Rates die Arbeit der FAO. Zu diesem Zwecke steht ihm ein umfangreicher Apparat zur Seite. Das Stabspersonal der Organisation erwirbt den Status von internationalen Beamten (-»· Öffentlicher Dienst, internationaler).

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Neben den genannten Organen führen weitere, von den drei Hauptorganen errichtete Nebenorgane wie Kommissionen, Ausschüsse oder Arbeitsgruppen die Aufgaben der Organisation durch. Zur weiteren Effektivierung der Arbeit der FAO werden Regional- und Verbindungsbüros eingerichtet. Zur Zeit bestehen solche für Nordamerika (Washington), den Nahen Osten (Kairo), Asien und den Fernen Osten (Bangkok, Neu Delhi), Lateinamerika (Santiago de Chile, Mexico City, Rio de Janeiro), Afrika (Accra) und Europa (Genf) sowie am Hauptsitz der Vereinten Nationen (New York). In Ländern, in denen die Organisation für ein Entwicklungsprogramm größeren Umfanges verantwortlich ist, unterhält die FAO meist eine besondere Vertretung. Der Haushaltsplan wird der Konferenz vom Generaldirektor zur Genehmigung vorgelegt. Die Rechnungsperiode umfaßt zwei Kalendeqahre. Die Budgetmittel für das reguläre Programm (das auf Grund des Satzungsauftrages durchgeführte Programm; Volumen 1976—77: 167 Mio. Dollar) werden durch die Beitragszahlungen der Mitglieder aufgebracht. Der Anteil der einzelnen Mitglieder richtet sich nach einer von der Konferenz bestimmten Skala. Für die USA wurde ein Anteil von 25 % vorgesehen, für einen Staat mittlerer Größe wie die Bundesrepublik Deutschland 9,05 %, für kleinere Staaten wie Österreich oder die Schweiz 0,71 % bzw. 1,04%, für die meisten — nämlich 74 — Entwicklungsländer die Mindestquote von 0,02 % (-> Beitragssystem, Haushalt). Für Sonderaufgaben erhält die FAO Zuwendungen aus anderen Quellen, ζ. B. aus dem -> UNDP (1976—77 voraussichtlich ca. 436 Mio. Dollar) oder von UNICEF. Aktivitäten der FA O Die FAO ist bezüglich des Mitarbeiterstabes die größte Sonderorganisation der Vereinten Nationen, die sich mit den Problemen der Entwicklungshilfe auseinandersetzt. Beschränkte sie sich in der Anfangsphase ihrer Existenz größtenteils darauf, als Beratungsorgan und Informationssammelstelle für Regierungen aufzutreten, so wandte sie sich in den letzten Jahren unter dem Eindruck der sich verschlechternden Welternährungslage immer mehr der aktiven Entwicklungspolitik zu. Sie unterstützt aktiv die Entwicklungsprojekte vieler Staaten und führt eigene Entwicklungsprogramme durch. Neben den vorrangigen Problemen der Nahrungsmittelproduktion widmet sie sich hierbei — und damit kommt sie den Forderungen der Entwicklungsländer nach umfassendem sozialem Wandel entgegen — auch Fragen sozialer Gerechtigkeit, Landreform, Arbeitslosigkeit, Lebensqualität in ländlichen Gebieten oder Umweltschutz. Die Palette der Tätigkeiten der FAO ist mannigfaltig. Neben der Erledigung ihres regulären Programms führt sie im Rahmen der Entwicklungspolitik der Vereinten Nationen zahlreiche spezielle Programme und Entwicklungsmaßnahmen aus. Eines der ältesten Vorhaben ist der Weltleitplan (Provisional Indicative World Plan for Agricultural Development (FAO-Doc. C 65/71)). Darin soll quantitativ dargestellt werden, welchen Verlauf die landwirtschaftliche Entwicklung nehmen muß, damit die Erzeugung den voraussichtlichen Bedarf decken kann. Die gesammelten Daten betreffend den Bedarf an land- und forstwirtschaftlichen und Fischereiprodukten werden ausgewertet: Anhand geeigneter Vorhaben wird gezeigt, wie bestimmte Maßnahmen in den einzelnen Ländern durchgeführt werden müßten, um die Produktion der wichtigsten Erzeugnisse mit dem lebenswichtigen Nahrungsbedarf in Einklang zu bringen. Gemeinsam mit den Vereinten Nationen wird das Welternährungsprogramm (WFP, World Food Programme; Res. 1/61, FAO Conference, 1 Ith sess. / GA Res. 1714 (XVI) vom 19.12.1961) durchgeführt. Es leistet Nahrungsmittelhilfe in Katastrophenfällen (Erdbeben, Überschwemmungen, Dürreperioden; für Flüchtlinge), aber auch — und gerade — in Verbindung mit Entwicklungsprojekten, bei denen die Hilfe als Anreiz für Regierungen zur Inangriffnahme von wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungsprojekten (etwa Steigerung der Nahrungsmittelerzeugung, Erschließung ländlicher Räume, Neulandgewinnung, Auf-

Aktivitäten der F A O

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forstung, Be- und Entwässerung, Straßenbau) dienen oder zur Unterstützung solcher Projekte beitragen soll (ζ. B. Speisung von Vorschul- und Schulkindern; oder Food-for-Work-Projekte, bei denen den an einem Entwicklungsprojekt Arbeitenden ein Teil ihres Lohnes in Form von Nahrungsmitteln ausbezahlt wird). Das WFP wird durch freiwillige Beiträge von Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen und der FAO in Form von Waren (oftmals landwirtschaftliche Überschüsse), Bar- und Dienstleistungen finanziert. Dazu kommen noch Beiträge etwa von Mitgliedstaaten des Weizenabkommens und des Nahrungsmittelhilfeabkommens. Im Jahr 1973 wurden so 101 Mio. Dollar aufgebracht, 1974 ca. 180 Mio. Dollar; dennoch erreichen die Beiträge nicht die Höhe, die zur Durchführung aller geplanten Projekte benötigt wird. Die Generalversammlung setzte 1975 für das Biennium 1977/78 ein Beitragsziel von 750 Mio. Dollar, von denen wenigstens ein Drittel in Form von Bar- und Dienstleistungen beigesteuert werden sollten (Res. 3407 (XXX) vom 28.11.1975). Bis zum 30. Juni 1975 hatte das WFP 686 Entwicklungsprojekte mit 1.993 Mio. Dollar gefördert und in 193 Notfällen mit 156,7 Mio. Dollar geholfen. Über die Verwendung der Mittel und die Durchführung des Programms beschloß zunächst ein Regierungsausschuß (Intergovernmental Committee), der die Aktionen auch mit Aktivitäten anderer Entwicklungshilfeinstitutionen koordinierte. Der Regierungsausschuß bestand aus 24 Mitgliedern, von denen je 12 vom ECOSOC und vom FAO-Rat gewählt wurden. Auf Empfehlung der Welternährungskonferenz (Res. XXII vom 16.11.1974, Punkt 6) wurde dieser Ausschuß von der Generalversammlung in „Ausschuß für Nahrungsmittelhilfepolitik und -programme" (Committee on Food Aid Policies and Programmes) umbenannt, auf 30 Mitglieder erweitert und mit zusätzlichen Aufgaben betraut (Res. 3404 (XXX) vom 28.11.1975). ECOSOC und FAO-Rat sollen jährlich jeweüs fünf wiederwählbare — Mitglieder für eine Amtszeit von drei Jahren wählen und dabei auf ausgewogene Vertretung entwickelter und weniger entwickelter Staaten achten und andere Gesichtspunkte berücksichtigen wie ζ. B. die Einbeziehung der am Programm beteiligten Staaten und gerechte geographische Beteiligung. Der Ausschuß soll in der Regel zweimal jährlich tagen und dem ECOSOC, dem FAO-Rat und in regelmäßigen Abständen und bei besonderen Anlässen auch dem Welternährungsrat Bericht erstatten. Er soll bei der Ausarbeitung und Koordinierung der von der Welternährungskonferenz empfohlenen Nahrungsmittelpolitik helfen und insbesondere ein Forum für Regierungskonsultationen über nationale und internationale Programme sein, Koordinierungsvorschläge dazu ausarbeiten, periodisch die allgemeine Tendenz bei dem Nahrungsmittelhilfebedarf und den entsprechenden Möglichkeiten prüfen und den Regierungen über den Welternährungsrat allgemein konkrete Verbesserungen im gesamten Bereich der Nahrungsmittelhilfe empfehlen. Die FAO führt auch noch mit anderen Partnern gemeinsame Programme durch. So etwa mit der ILO, der UNESCO oder mit UNICEF. Die Kooperation mit -»· UNICEF (Res. 27/63, FAO Conference, 12th sess.) umfaßt die Bereiche Angewandte Ernährungswissenschaft (Verbesserung der Ernährung von Kindern und Familien in ländlichen Räumen), Haltbarmachung von Milch, Hauswirtschaft und Eiweißreiche Nahrungsmittel (Einführung, Erzeugung und Verarbeitung neuer Nahrungsmittel mit hohem Eiweißgehalt). Große Erfolge werden mit Schulspeisungen erzielt. Gemeinsam mit der WHO wird an der Erstellung eines „Codex Alimentarius" gearbeitet (Res. 12/61, FAO Conference, 1 Ith sess.), der einen internationalen Standard für eine gesunde und ausreichende Ernährung festlegen soll. Eine äußerst zukunftsträchtige Kooperation entwickelte sich mit der Gründung einer gemeinsamen FAO/IAEA-Abteilung für Atomenergie im Jahre 1964 (ECOSOC Res. 986 (XXXVI) vom 2.8.1963, FAO Annual Report to the ECOSOC for 1 9 6 4 - 6 5 , p. 9) (-+ IAEA). Als Beispiele der Tätigkeit der Abteilung seien etwa Versuche mit nuklearen Techniken zur Verbesserung von Düngemitteln und in der Tierseuchenbekämpfung angeführt. Ein anderes Forschungsvorhaben untersucht die Möglichkeit der Nahrungsmittelkonservierung mittels radioaktiver Bestrahlung; durch Behandlung mit radioaktiven Stoffen soll auch eine Hebung des Proteingehaltes in gewissen Pflanzenarten erreicht werden; des weiteren be-

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schäftigt man sich etwa mit dem Problem, Pestizidenrückstände in Nahrungsmitteln durch radioaktive Strahlung unschädlich zu machen. Weitere gemeinsame Programme werden mit der -* IBRD (Res. 20/65, FAO Conference, 13th sess.) und mit Industrieunternehmen (Industry Co-operative Programme; FAO Conference Reports, Report of the Thirteenth Session of the Conference, p. 27) verwirklicht. Durch diese Projekte, bei denen die unternehmerischen Fähigkeiten, das technische „knowhow", die wissenschaftliche Erfahrung sowie das Kapital der Industrie mobilisiert werden, soll das Klima für Investitionen in den Entwicklungsländern verbessert werden. Im Rahmen dieser Bemühungen wurde auch beim Generaldirektor der FAO ein Investitionszentrum als Koordinationsinstrument errichtet. Bis Ende 1973 wurden dabei Darlehen u n d Kredite in Höhe von über 217 Mio. Dollar vergeben. Durch den Abschluß von TreuhandfondsAbmachungen wird weiter zur Effizienzsteigerung derartiger Vorhaben beigetragen: Regierungen, Stiftungen u n d andere Institutionen können Geldmittel, Dienstleistungen oder Waren für ein bestimmtes Vorhaben zur Verfügung stellen; die FAO prüft das Vorhaben und überwacht, leitet oder besorgt eventuell selbst seine Durchführung. Damit werden einerseits dem jeweiligen Mittelgeber zusätzliche Kosten für Projektprüfung etc. erspart, andererseits bewirkt die große Erfahrung der FAO, daß die Projekte tatsächlich effizient durchgeführt werden. Der Großteil der FAO-Projekte wird jedoch im Rahmen des ->· UNDP abgewickelt. Die Zusammenarbeit sieht meist so aus, daß die Aufbringung und Zuteilung der finanziellen Mittel durch das UNDP erfolgt, während die FAO die nötigen Dienstleistungen und/oder Produktionsmittel zur Verfügung stellt und das Projekt überwacht. 1974 wurden 133,3 Mio. Dollar, das waren über 30 % des Gesamtvolumens des UNDP, für gemeinsame FAO/UNDPProjekte bewilligt. Die FAO erhielt damit den relativ größten Anteil der UNDP-Mittel und -Projekte zugewiesen. Die UNDP-Projekte machten ihrerseits 69,4 % der gesamten technischen Hilfe der FAO aus. Neue Wege beschreitet die FAO mit der Aktion für den Kampf gegen den Hunger in der Welt (Freedom from Hunger Campaign; GA Res. 1496 (XV) vom 27.10.1960). Mittels publizistischer Offensiven will die Aktion einmal für größeres Verständnis für die Ernährungsprobleme unserer Erde werben und zum anderen für die Durchführung bestimmter Entwicklungsprogramme zusätzliche Leistungen aus allen Bereichen der Gesellschaft mobilisieren. Zu diesem Zwecke werden in vielen Ländern nationale Ausschüsse (Bundesrepublik Deutschland: Deutsche Welthungerhilfe; deutsche Kirchen: „Brot für die Welt") gegründet, die die Leitgedanken der Aktion an die Basis tragen sollen. In der Zwischenzeit sind auf dieser Grundlage über 400 solcher Projekte, die als Patenschaftsprojekte durchgeführt werden, in Angriff genommen worden. Vor allem die Jugend der Welt wird durch diese Aktion angesprochen (Gründung einer Jugendsektion beim Koordinator der Freedom from Hunger Campaign).

Würdigung Bei der Bewertung der Arbeit der FAO müssen mehrere Faktoren berücksichtigt werden. Eine Schwäche der Organisation ist es sicher, daß sie gegenüber den Mitgliedstaaten keine verbindlichen Anordnungen treffen kann, sondern sich auf Vorschläge und Empfehlungen beschränken muß. Infolgedessen können die Vorstellungen und Pläne der FAO nur langsam — wenn überhaupt — durchgesetzt werden. Andererseits zeigt die mangelnde Eigenkompetenz der Organisation auch Vorteile. Durch die Unverbindlichkeit der Empfehlungen der FAO bleibt die internationale Zusammenarbeit auch bei der Behandlung kontroverser Themen gewährleistet. Solcher gibt es viele, da ja auch hier Staaten aus verschiedenen ideologischen Lagern und mit verschieden gearteten Interessen aufeinandertreffen. Allerdings treten in dieser Organisation die Gegensätze angesichts der Konfrontation mit einer der ärgsten Geißeln der Menschheit, dem Hunger, zeitweilig in den Hintergrund. Ein dritter Faktor setzt

Feindstaatenklausel

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der Arbeit der FAO jedoch deutliche Grenzen. Trotz großer Anstrengungen aller an der Arbeit beteiligten Staaten und Institutionen erreicht das eingebrachte „Betriebskapital" nur selten das erforderliche Volumen. Zukünftige Erfolge der Arbeit der FAO werden in hohem Maße davon abhängen, inwieweit es ihr gelingt, einmal die finanziellen Probleme zu bewältigen und zum anderen die betroffene Bevölkerung in den Entwicklungsländern zur Mitarbeit anzuregen. Daneben sollte es möglich sein, mit weiter verbesserten landwirtschaftlichen Produktionsmethoden eine zweite „Grüne Revolution" zu entfachen, wobei allerdings die soziale Komponente stärker berücksichtigt werden müßte (umstritten sind in diesem Zusammenhang etwa die Folgen einer solchen Politik für die Sozialstruktur der betroffenen Länder). Jeder Einsatz wird jedoch vergebens sein, wenn nicht die Entwicklungsländer selbst eines ihrer größten Probleme meistern: Das Bevölkerungsproblem (-»• Weltbevölkerung). Literatur Brown, L. R.: The Social Impact of the Green Revolution, in: International Conciliation 1971 (No. 581) FAO (Hrsg.): FAO, Aufgaben, Struktur, Programm. Informationsschrift der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der VN, 2. Aufl. o. 0 . 1971 FAO (ed.): Development through Food. A Strategy for Surplus Utilization, 3rd ed., Rome 1964 Hambidge: The Story of FAO, Toronto / New York / London 1955 WFP (ed.): World Food Programme. A Story of Multilateral Aid, 3rd ed., o. O. 1973 Hans-Joachim Schütz Verweise auf: Beitragssystem, Haushalt; Entwicklungspolitik; IAEA; IBRD; Öffentlicher Dienst, internationaler; Sonderorganisationen; UNDP; UNICEF; Weltbevölkerung; Welternährungslage; WHO.

Feindstaatenklausel Begriff Unter dem Begriff Feindstaatenklauseln (in der Literatur auch Deutschlandartikel, in der DDR überwiegend „antifaschistische Klauseln" genannt) versteht man die Art. 53 und 107. Entstehung Die Organisation der Vereinten Nationen — dies erscheint symptomatisch für die Feindstaatenklauseln - geht zurück auf die Siegerkoalition des 2. Weltkrieges (-> Entstehungsgeschichte). Die geforderte Universalität der Organisation war schon in ihrem Ansatz durch das Kriterium der „friedliebenden Völker" (peace-loving states) eingeengt. Neben diesen friedliebenden Völkern tauchten in den Chartaentwürfen bald auch als Staaten zweiter Klasse die sog. „Feindstaaten" (enemy states) auf. Im Verhältnis zu ihnen wurden die Sieger des 2. Weltkrieges von der Beachtung wesentlicher Bestimmungen der Charta dispensiert. Der im Kapitel XVII (Ubergangsbestimmungen betreffend die Sicherheit) geregelte Art. 107 stellt die hierfür verantwortlichen Regierungen bei der Durchführung von Kriegsfolgemaßnahmen von den Verpflichtungen der Charta frei. Der im Kapitel VIII über regionale Sicherheitsabkommen geregelte Art. 53 dehnt die Freistellung aus auf Präventivmaßnahmen gegen eine Erneuerung der aggressiven Politik seitens der Feindstaaten. Schließlich wurde

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Feind staa tenklau sei

noch in Art. 4 Abs. 1 die Friedensliebe als Zulassungsvoraussetzung für Nichtmitgliedstaaten aufgestellt, wodurch die Aufnahme der unterlegenen Achsenmächte vor Ablauf einer von den Siegermächten einvernehmlich zu bestimmenden Bewährungszeit ausgeschlossen werden sollte. Damit war eine Friedensordnung geschaffen, die noch deutlicher als in der Völkerbundsatzung (-»· Völkerbund) die Staatengemeinschaft für unabsehbare Zeit in die Klasse der Sieger und die der Besiegten unterteilte und die Besiegten nicht nur bis auf weiteres von der neuen Gemeinschaft ausschloß, sondern als habituelle Angreifer abqualifizierte und in den Art. 53 und 107 zu weitgehend rechtlosen Objekten von Kriegsfolge- und Präventivmaßnahmen herabstufte, ohne den Siegern hierbei irgendwelche zeitlichen Beschränkungen aufzuerlegen. Inhalt und

Auslegung

Zum Verständnis der Problematik der Feindstaatenklauseln ist die Unterscheidung verschiedener, sich zum Teil überlagernder Rechtskreise unumgänglich, die zwar alle auf die Rechtslage der sog. Feindstaaten Einfluß nehmen, rechtslogisch jedoch streng getrennt zu sehen sind. In erster Linie sind naturgemäß die Bestimmungen der Charta selbst von Bedeutung. Die Art. 53 und 107 räumen den ,hierfür verantwortlichen Regierungen" im Verhältnis zu anderen Mitgliedstaaten Sonderrechte bei Maßnahmen gegen die Feindstaaten ein. Bei einer Auslegung der wenig präzisen Bestimmung des Art. 107 ergibt sich, daß der Kreis der durch Sonderrechte bevorzugten Staaten die Siegerstaaten des 2. Weltkrieges in ihrer Gesamtheit umfaßt, die im wesentlichen identisch sind mit den Gründungsmitgliedern der Vereinten Nationen. Allerdings sind von den über 4 0 Staaten der Siegerkoalition, entsprechend einer Erklärung der Regierungschefs der „governments chiefly responsible for the military defeat o f the e n e m y " auf der Konferenz von Jaita am 11. Februar 1945, in der politischen Nachkriegspraxis nur die Großmächte als Träger von Kriegsfolgemaßnahmen in Erscheinung getreten. Noch weiter ist der Kreis der berechtigten Staaten in Art. 53 gezogen. Zu Präventivmaßnahmen gegen Feindstaaten, ohne die sonst erforderliche Einschaltung des Sicherheitsrates, sind alle Mitgliedstaaten berechtigt, die sich zu diesem Zweck in einem regionalen Bündnisvertrag zusammenschließen. Objekt der Maßnahmen der Siegerstaaten sind nach Art. 53 Abs. 2 die Staaten, die während des 2. Weltkrieges Feind eines Unterzeichnerstaates der Charta waren. Dies sind neben Deutschland auch Bulgarien, Finnland, Italien, Japan, Rumänien und Ungarn. In diesem Zusammenhang ist infolge der besonderen Lage im Nachkriegsdeutschland vor allem problematisch, ob die Feindstaateneigenschaft sich auch auf die 1949 neu entstandenen Staaten Bundesrepublik Deutschland und DDR erstreckt. Da die Auffassung, der Begriff „Feindstaat" sei allein durch Territorium und Volk der einstigen Gegner der Siegerkoalition bestimmt, im geltenden Völkerrecht keine Stütze findet, muß die Feindstaateneigenschaft als höchstpersönliches, unübertragbares Merkmal betrachtet werden, das untrennbar mit dem Völkerrechtssubjekt Deutsches Reich verbunden ist. Die Beantwortung der Frage, ob Maßnahmen gegen einen Feindstaat auf deutschem Boden noch zulässig sind, hängt also davon ab, ob das Deutsche Reich mit dem Entstehen der zwei souveränen Staaten Bundesrepublik Deutschland und DDR durch Dismembration untergegangen ist oder ob die Bundesrepublik Deutschland als lediglich territorial geschrumpfter, mit dem Deutschen Reich identischer Staat dessen Rechtspersönlichkeit fortsetzt. Im ersteren Fall wären die Feindstaatenklauseln mangels Feindstaat auf deutschem Boden nicht mehr anwendbar, im letzteren Fall wäre die Bundesrepublik Deutschland weiterhin ein mögliches Objekt von siegerstaatlichen Maßnahmen. Hinsichtlich des Umfangs dieser Maßnahmen werden den Siegern — mit Ausnahme der Verpflichtung zur Beachtung der Menschenrechte, die als individuelle Rechtspositionen außerhalb des herkömmlichen völkerrechtlichen Systems staatlicher Berechtigungssubjekte

Inhalt und Auslegung

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stehen — keine Beschränkungen auferlegt. Unter „Kriegsfolgemaßnahmen" im Sinne von Art. 107 könnten Friedensverträge ebenso subsumiert werden wie einseitige Akte autoritativen Charakters, ζ. B. teilweise Annexion oder militärische Besetzung des Territoriums des Feindstaates, Einschränkung seiner Souveränität oder Erzwingung der Verpflichtungen eines Friedensvertrages mit Waffengewalt. Ähnlich unbeschränkt sind die Befugnisse der Staaten, die in einem regionalen Bündnis (-> Regionalabkommen) gegen die Erneuerung der Angriffspolitik eines Feindstaates zusammengeschlossen sind. Die betreffenden Mächte haben das Recht, den Begriff „Angriffspolitik" selbst auszulegen, und werden hierbei auch nicht an die Angriffsdefinition der Vereinten Nationen von 1974 (Res. 3314 (XXIX) vom 14.12.1974) gebunden. Damit könnte nach Art. 53 bereits eine politische Tendenz, die weder völkerrechtliche Positionen gefährdet, noch auf die vom Völkerrecht anerkannten Rechte dritter Staaten einwirkt — etwa die Berufung auf das Selbstbestimmungsrecht oder das Recht auf Heimat - , sämtliche Zwangsmaßnahmen des Völkerrechts in Gang setzen. Hierbei ist auf Grund des bei der Entstehung der Charta noch nicht im späteren Ausmaß vorhandenen Ost-West-Konfliktes von erheblichem Interesse, ob die in den Art. 53 und 107 aktiv legitimierten Staaten nur gemeinsam Maßnahmen gegen einen Feindstaat treffen können oder ob insbesondere die Sowjetunion für sich das Recht in Anspruch nehmen kann, einseitig mit Gewalt ζ. B. in der Bundesrepublik Deutschland zu intervenieren. Die Bestimmungen der Charta könnten einem solchen einseitigen Vorgehen nicht entgegengehalten werden. Denn die Verwendung der Pluralform in Art. 107 („die . . . Regierungen") verbindet die Siegermächte nicht zu einem Kondominium oder Koimperium im Sinne einer gesamthänderischen Verantwortung. Bei der Beurteilung einer derartigen Maßnahme ist aber auch der Rechtskreis des interalliierten Rechts zu berücksichtigen. Nach den Londoner Protokollen und Abmachungen zwischen den Hauptsiegermächten ist kein Staat befugt, in einem Bereich direkt zu intervenieren, für den er nicht nach der Teilung Deutschlands primär verantwortlich ist. Eine einseitige Intervention der Sowjetunion in der Bundesrepublik Deutschland würde somit einen Verstoß gegen alliiertes Recht bedeuten, woraus jedoch die Bundesrepublik Deutschland als nichtbeteiligter Dritter keine Rechte ableiten könnte; ein Verstoß gegen die Charta läge dagegen nicht vor. Bei einer solchen gewaltsamen Intervention wären jedoch nicht nur die Normen der Charta, sondern auch die des allgemeinen Völkerrechts zu beachten. Ein mit gewaltsamen Maßnahmen überzogener Feindstaat könnte sich daher, solange er nicht Mitglied in den Vereinten Nationen ist, auf den Standpunkt stellen, die Vorrechte der Sieger nach den Feindstaatenklauseln seien für ihn res inter alios gesta, die Siegermächte seien daher auch in ihrem Verhältnis zu den Feindstaaten an das generelle Gewaltverbot des universellen Völkerrechts gebunden, von dem sie sich nicht mittels der Charta einseitig zu Lasten Dritter lossagen könnten. Einem gewaltsamen Vorgehen gegen einen Feindstaat stünden zudem noch erhebliche praktisch-politische Hindernisse entgegen. Die Feindstaaten Bundesrepublik Deutschland bzw. DDR wurden mit der wachsenden Ost-West-Spannung bald als Bündnispartner in das jeweilige Blocksystem eingegliedert. Eine gewaltsame Intervention in einem Feindstaat von einer Seite würde sofort im anderen Blocksystem den Bündnisfall auslösen. Das Recht, dem Feindstaat im Rahmen der kollektiven Selbstverteidigung Nothilfe zukommen zu lassen, steht somit neben dem Recht, gegen den Feindstaat mit Gewalt vorzugehen. Der Rückgriff auf die Feindstaatenklauseln durch eine Siegermacht könnte demnach den 3. Weltkrieg auslösen. Die durch die Feindstaatenklauseln geschaffenen Ausnahmen vom Gewaltanwendungsverbot sind deshalb auch zu Recht als das trojanische Pferd des gesamten Systems der Vereinten Nationen zur Kriegsverhütung, das von hier aus juristisch aus den Angeln zu heben ist, bezeichnet worden (Berber, Lehrbuch des Völkerrechts Bd. II, 2. Aufl. 1969, S. 52 ff).

116 Gegenwärtige

Feindstaatenklausel

Bedeutung

Da weder mit dem Argument des Zeitablaufs noch dem der desuetudo oder der Obsoletität die Hinfälligkeit der Feindstaatenklauseln zweifelsfrei begründet werden kann, kommt der Frage eines rechtswirksamen Verzichts auf ihre Anwendung besondere Bedeutung zu. Es geht vor allem um die Frage, ob die UdSSR im Moskauer Vertrag vom 12. August 1970 sich zu einem derartigen Verzicht bereitgefunden hat. Hierbei läßt sich jedenfalls feststellen, daß eine eindeutige Erklärung der UdSSR, in der sie auf ihre Rechtspositionen aus den Feindstaatenklauseln uneingeschränkt verzichtet, im Moskauer Vertrag nicht enthalten ist. Der in Art. 2 des Moskauer Vertrages vereinbarte Gewaltverzicht kann wohl in bezug auf die Art. 53 und 107 nur als pactum de non petendo verstanden werden; in den Beziehungen Deutsches Reich (mit dem nach sowjetischer Auffassung die Bundesrepublik Deutschland nicht identisch ist) — UdSSR gilt das Gewaltanwendungsverrbot nicht. Die dadurch fortbestehenden Zweifel werden noch durch verschiedene Äußerungen von sowjetischer Seite verstärkt, insbesondere die, wonach die Art. 53 und 107 im Verhältnis zur Bundesrepublik Deutschland vom Moskauer Vertrag nur „überlagert" würden, im übrigen und insbesondere für den Fall der Verletzung oder Nichterfüllung des Vertrages durch die Bundesrepublik Deutschland ihre Bedeutung behielten. Mit der Aufnahme beider deutscher Staaten in die Vereinten Nationen kann weiter eine wesentliche Änderung eingetreten sein. Die Bundesregierung hat im Zusammenhang mit der parlamentarischen Beratung des Gesetzes zum Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zur Charta der Vereinten Nationen mehrfach darauf hingewiesen, daß die Bundesrepublik Deutschland mit ihrem Beitritt als friedliebend anerkannt werde und daher nicht weiterhin Feindstaat sein könne; eine Berufung auf die Feindstaatenartikel sei nach der Aufnahme mit dem dann auch für die Bundesrepublik Deutschland geltenden Grundsatz der souveränen Gleichheit des Art. 2 Ziff. 1 unvereinbar. Weiter sei das von den vier Mächten gegenüber der Bundesrepublik Deutschland förmlich bestätigte Gewaltverbot zwingendes Recht (ius cogens). Die Bundesregierung hielt es allerdings nicht für opportun, ihren Rechtsstandpunkt anläßlich des Beitritts der Weltorganisation gegenüber klarzustellen. Der Rechtsstandpunkt der Bundesregierung findet Rückhalt in der westlichen Völkerrechtsliteratur und Staatenpraxis. Die UdSSR hat andererseits bereits 1966 (im Zusammenhang mit dem Aufnahmeantrag der DDR) klargestellt, daß Bundesrepublik Deutschland und DDR auch noch nach ihrer Aufnahme in die Weltorganisation unter dem Regime des Art. 107 ständen (Brief an den Präsidenten des Sicherheitsrates vom 7.3.1966, Doc. S/7184). Nicht ausreichend berücksichtigt worden zu sein scheint allerdings die Erklärung der nach Art. 107 für Deutschland verantwortlichen vier Mächte vom 9. November 1972, wonach der Beitritt der beiden deutschen Staaten zur Organisation der Vereinten Nationen die Rechte und Verantwortlichkeiten der vier Mächte nicht beeinträchtigen dürfe. Diese auf Art. 107 sich gründende Erklärung der vier Mächte zirkulierte als amtliches Dokument des Sicherheitsrates im Zusammenhang mit den Anträgen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR (Doc. S / 1 0 9 5 2 - 3 - 4 - 5 ) . Deshalb wird auch nicht mit einer Streichung der Feindstaatenklauseln im Zusammenhang mit den gegenwärtigen Bemühungen um eine Revision der Charta (vgl. GA Res. 2697 (XXV) vom 11.12.1970 und 2968 (XXVII) vom 14.12.1972) zu rechnen sein; neben den beiden Feindstaaten Italien und Japan sind bislang nur die Philippinen, der Libanon, Kanada, Kolumbien und Uganda ausdrücklich für die Streichung der Feindstaatenklauseln eingetreten. Politisch dürfte Art. 107 auch künftig eine gewisse Bedeutung beibehalten; er sichert indirekt die fortbestehenden Vier-Mächte-Rechte in bezug auf Deutschland rechtlich ab, soweit die Lösung von Kriegsfolgen noch offen ist. Weiter — und dies scheint seine wichtigste Funktion - entzieht er auch bereits erfolgte Kriegsfolgemaßnahmen, die u. a. die Teilung Deutschlands zum Ergebnis hatten, weiterhin einer Beurteilung nach dem Recht der Vereinten Nationen und dient so einer Festigung des von den Siegermächten geschaffenen status

Flüchtlinge

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quo. In diesem Sinne berücksichtigen auch neuere Kodifikationen die Feindstaatenklauseln (vgl. z. B. Art. 75 Wiener Konvention über das Recht der Verträge vom 23.5.1969). Nach der sowjetischen Interpretation reflektiert diese Bestimmung die Sonderstellung des Aggressorstaates im völkerrechtlichen Vertragsrecht; der Aggressorstaat soll sich weder auf die clausula rebus sie stantibus noch auf den Umstand berufen dürfen, daß ein zu seinen Lasten gehender völkerrechtlicher Vertrag ohne seine Mitwirkung geschlossen wurde. Literatur Albano / Müller: Die Deutschlandartikel in der Satzung der Vereinten Nationen, Stuttgart 1967 Blumenwitz: Feindstaatenklauseln, Die Friedensordnung der Sieger, München / Wien 1972 Frenzke: Einige Aspekte der Artikel 53 und 107 der UN-Satzung aus östlicher Sicht, in: Recht in Ost und West 1969 S. 158 Frenzke / Hacker / Uschakow: Die Feindstaatenartikel und das Problem des Gewaltverzichts der Sowjetunion im Vertrag vom 12.8.1970, Berlin 1971 Hacker: Differenzen in der Interpretation der Feindstaatenklauseln, in: Deutschland-Archiv 1969 S. 90 Krakau: Feindstaatenklauseln und Rechtslage Deutschlands nach den Ostverträgen, Frankfurt/M. 1975 Schneider: Die Charta der Vereinten Nationen und das Sonderrecht für die im 2. Weltkrieg unterlegenen Nationen, Bonn 1967 Trützschler von Falkenstein: Die sich ändernde Bedeutung der Feindstaatenartikel für Deutschland, Frankfurt/M. 1975 Dieter Blumenwitz Verweise auf: Entstehungsgeschichte; Menschenrechte; Regionalabkommen; Revision der Charta; Universalität; Völkerbund.

Flüchtlinge Ausgangslage Wie schon der Völkerbund, so haben es die Vereinten Nationen frühzeitig als ihre Aufgabe angesehen, Flüchtlingen Schutz und Hilfe zukommen zu lassen, Grundsätze für die Rechtsstellung der Flüchtlinge aufzustellen und an der Lösung von Flüchtlingsproblemen mitzuwirken. Anlaß gab das Problem der verschleppten Personen und Flüchtlinge, die sich am Ende des 2. Weltkrieges in den verschiedensten Ländern, hauptsächlich Europas, befanden. Bereits der Vorbereitende Ausschuß der Vereinten Nationen befaßte sich im Dezember 1945 mit der sich abzeichnenden Flüchtlingsfrage und empfahl, daß sich die Generalversammlung auf ihrer ersten Sitzung „angesichts der politischen Aspekte dieses Problems" der Fragen annehmen sollte. Nach Vorarbeiten im 3. Ausschuß (-* Ausschußsystem) am 12. Februar 1946 nahm die Generalversammlung eine für alle weitere Tätigkeit auf diesem Gebiet richtungweisende Resolution an, in der unter anderem festgelegt wurde (Res. 8 (I) vom 12.2.1946): 1. Das Flüchtlingsproblem ist von unmittelbarer Dringlichkeit und von internationaler Tragweite und Bedeutung.

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Flüchtlinge

2. Kein Flüchtling und keine verschleppte Person soll gegen ihren Willen zur Rückkehr in das Herkunftsland gezwungen werden, es sei denn in Verfolgung krimineller Straftaten. 3. Die Flüchtlinge und verschleppten Personen sollen der Obhut einer internationalen Institution unterstellt werden. IRO - Internationale

Flüchtlingsorganisation

Mit Resolutionen vom 15. Dezember 1946 (Res. 62 (I); 83 (I)) wurde sodann die Internationale Flüchtlingsorganisation (International Refugee Organization - IRO) als ->• Sonderorganisation geschaffen. Ihre Hauptaufgabe sollte es sein, die Heimführung von rückkehrwilligen verschleppten Personen und Flüchtlingen zu fördern. Tatsächlich verschob sich das Schwergewicht ihrer Tätigkeit bei einer ständig abnehmenden Zahl heimkehrwilliger Personen auf die Förderung von Auswanderungs- und Ansiedlungsmaßnahmen. Zwischenzeitlich sollte die IRO darüber hinaus den Flüchtlingen und verschleppten Personen Schutz und Betreuung gewähren. Die Rechtsschutztätigkeit sollte die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen gegenüber den Regierungen der Aufenthaltsstaaten sowie die Förderung internationaler Übereinkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und deren Überwachung einschließen. Die IRO hat im Laufe ihrer Tätigkeit, die sich bis zum 28. Februar 1952 erstreckte, insgesamt 1.619.000 Flüchtlinge und verschleppte Personen registriert und in demselben Zeitraum 72.834 Personen zur Rückkehr in ihre Heimat, 1.038.750 Personen zur Auswanderung verholfen. In ihrer Rechtsschutztätigkeit wurden die wesentlichsten Grundsätze des internationalen Flüchtlingsrechts entwickelt, die später ihren Niederschlag in zahlreichen Übereinkommen gefunden haben. Die IRO war von vornherein zeitlich und regional beschränkt zur Lösung des europäischen Nachkriegs-Flüchtlingsproblems geschaffen worden. Daher befaßte sich schon im Herbst 1948 der ECOSOC mit der Schaffung einer mehr auf Dauer und auf weltweite Verantwortung ausgerichteten Institution, die den Schutz von Flüchtlingen wahrnehmen und Lösungen von Flüchtlingsproblemen fördern sollte. Die Vorarbeiten im Sekretariat und im ECOSOC führten zur Ausarbeitung des Status eines Amtes des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (United Nations High Commissioner for Refugees - UNHCR), das am 14. Dezember 1950 von der Generalversammlung angenommen wurde (Res. 428 (V)). Hoher Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen Der Hohe Flüchtlingskommisar begann seine Tätigkeit am 1. Januar 1951. Das Amt wurde ursprünglich nur für einen Zeitraum von drei Jahren errichtet, jedoch wurde das Mandat seither regelmäßig um jeweils fünf Jahre verlängert. Das derzeitige Mandat - beginnend am 1. Januar 1974 - läuft bis zum 31. Dezember 1978 (GA Res. 2957 (XXVII) vom 12.12.1972). Der Hohe Flüchtlingskommissar wird jeweils von der Generalversammlung auf Vorschlag des Generalsekretärs gewählt. Er ist der Generalversammlung und dem ECOSOC direkt verantwortlich und legt diesen Organen jährlich einen Bericht vor (-»• Berichtsystem). UNHCR hat seinen Sitz in Genf. Nach dem Statut des Amtes können in anderen Ländern und mit Genehmigung der betreffenden Regierungen Vertreter ernannt werden. Gegenwärtig bestehen ca. 50 solcher Vertretungen, wobei es sich in acht Fällen um regionale handelt. In weiteren Ländern unterhält das Amt Korrespondenten. Der gegenwärtige Personalstand von UNHCR beträgt 112 Beamte und 210 Angestellte. Die Anstellung des Personals erfolgt durch den Hohen Kommissar selbst, der seine Mitarbeiter statutengemäß aus Personen auswählt, die den Zielen des UNHCR ergeben sind. Danach unterliegt der UNHCR nicht notwendig dem sonst geltenden Prinzip der „geographischen Verteilung". Im übrigen gelten die Personalvorschriften („Staff Rules") der Vereinten Nationen mit der Maßgabe, daß die Beamten

Hoher Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen

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und Angestellten des UNHCR keine Dauerverträge erhalten, sondern solche auf unbestimmte Zeit. Die Verwaltungsausgaben betrugen für das Rechnungsjahr 1 9 7 4 / 7 5 12,97 Mio. Dollar, für 1 9 7 6 / 7 7 sind 15,51 Mio. Dollar angesetzt. Dieser Verwaltungshaushalt ist Teil des allgemeinen Haushalts (-»· Beitragssystem, Haushalt). Demgegenüber erfolgt die Finanzierung der Hilfsprogramme des UNHCR durch freiwillige Beiträge, meist von Regierungsseite. In den über 20 Jahren seiner Tätigkeit hat UNHCR über 1 0 0 Mio. Dollar für das Hilfsprogramm bereitgestellt. Für das Jahr 1975 wurde das Programmvolumen auf 12.656 Mio. Dollar festgesetzt, wovon der größte Teil auf Afrika entfiel ( 4 . 4 0 7 Mio. Dollar). In der Durchführung dieser Programme unterliegt UNHCR den Weisungen eines aus Vertretern von 31 Staaten zusammengesetzten Verwaltungsrates, der auf Grund einer Resolution der Generalversammlung durch ECOSOC gegründet wurde (Res. 1166 ( X I I ) vom 2 6 . 1 1 . 1 9 5 7 und ECOSOC Res. 6 7 2 ( X X V ) vom 3 0 . 4 . 1 9 5 8 ) . Der Verwaltungsrat setzt die Programmziele fest, genehmigt die einzelnen Projekte und berät den Hohen Kommissar auf Ersuchen generell in Fragen der Erfüllung seiner Funktionen. Statutengemäß ist es Aufgabe des UNHCR, den internationalen Rechtsschutz für Flüchtlinge wahrzunehmen und Dauerlösungen für Flüchtlingsprobleme zu fördern. Ferner ist die Tätigkeit des UNHCR „vollkommen unpolitischen Charakters; sie ist humanitär und sozial und soll sich in der Regel nur auf Gruppen und Kategorien von Flüchtlingen erstrecken". Der persönliche Geltungsbereich des Mandats des UNHCR ist im Statut detailliert umrissen. Er erstreckt sich — vereinfacht — auf Personen, die aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Herkunft oder politischen Gesinnung zu Flüchtlingen geworden sind. Das Mandat ist weltweit und hinsichtlich des Eintritts der Fluchtgründe zeitlich unbegrenzt. Nicht eingeschlossen sind Flüchtlinge, die von einer anderen Institution der Vereinten Nationen geschützt und betreut werden. Zur Zeit trifft dies lediglich auf die unter der Betreuung von UNRWA (United Nations Relief and Works Agency for Palestine) stehenden Flüchtlinge zu (->· Nahost). Das Amt kann sich mit zusätzlichen Aufgaben befassen, soweit es durch die Generalversammlung hierzu ermächtigt wird. Die Generalversammlung hat solche Ermächtigungen erteilt, und zwar zunächst speziell für die chinesischen Flüchtlinge in Hongkong (Res. 1 1 6 7 ( X I I ) vom 2 6 . 1 1 . 1 9 5 7 und 1 7 8 4 ( X V I I ) vom 7 . 1 2 . 1 9 6 2 ) und für die algerischen Flüchtlinge in Marokko und Tunesien (Res. 1 2 8 6 ( X I I I ) vom 5 . 1 2 . 1 9 5 8 ; 1 3 8 9 ( X I V ) vom 2 0 . 1 1 . 1 9 5 9 ; 1 5 0 0 ( X V ) vom 5 . 1 2 . 1 9 6 0 und 1 6 7 2 ( X V I ) vom 1 8 . 1 2 . 1 9 6 1 ) . In einer Reihe späterer Resolutionen hat die Generalversammlung den Hohen Kommissar generell aufgefordert, zusätzlich zur Schutz- und Hilfsaktion zu Gunsten der Mandatsflüchtlinge seine „Guten Dienste" zur Lösung von Flüchtlingsproblemen zur Verfügung zu stellen. Aus den derzeit letzten Resolutionen vom 14. Dezember 1 9 7 4 (Res. 3 2 7 1 ( X X I X ) ) wird die Wiedereingliederungshilfe nach erfolgter Repatriierung ausdrücklich erwähnt, obwohl die Zuständigkeit des UNHCR statutengemäß nach Repatriierung der betreffenden Flüchtlinge endet. Die Rechtsschutzfunktion des UNHCR beruht auf menschenrechtlichen Gesichtspunkten: Werden die Rechte auf Staatsangehörigkeit und staatlichen Schutz unter Mißachtung der Menschenrechte versagt oder können sie nicht wahrgenommen werden, so greift der internationale Rechtsschutz ein. Darüber hinaus sollen solche Personen nicht auf den völkerrechtlichen Mindeststandard der Behandlung von Fremden angewiesen sein, sondern entsprechend der Menschenrechtserklärung von 1 9 4 8 und den Weltpakten über die Menschenrechte von 1966 gesichert werden (-> Menschenrechte). Dementsprechend geht es darum, das Zustandekommen von Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und deren weltweite Ratifizierung zu fördern sowie deren Durchführung in den Vertragstaaten zu überwachen. Darüber hinaus sollen alle Maßnahmen gefördert werden, die geeignet sind, die Situation der Flüchtlinge zu erleichtern und zu einer Normalisierung ihrer Situation zu verhelfen, sei es durch Rückkehr in das Herkunftsland, sei es durch wirtschaftliche und soziale Eingliederung

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Flüchtlinge

in geeigneten Aufnahmeländern. Das wichtigste der Vertragswerke über die Rechtsstellung der Flüchtlinge ist die sogenannte „Flüchtlingskonvention" (Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28.7.1951 (BGBl. 1953 II S. 559)), die bisher von 67 Staaten ratifiziert wurde. Dieses zunächst hinsichtlich der Fluchtgründe zeitlich beschränkte Übereinkommen wurde durch das Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31. Januar 1967 (BGBl. 1969 II S. 1293) auf neue Flüchtlingssituationen anwendbar gemacht. Dieses Protokoll hat bisher 60 Ratifizierungen erhalten. Diese beiden Vertragswerke, die durch eine Reihe weiterer Abkommen, teilweise auf regionaler Ebene, ergänzt werden, bieten die Hauptgrundlage der Rechtsschutztätigkeit des UNHCR. In den Abkommen selbst sind Klauseln enthalten, die UNHCR zur Überwachung der Durchführung ihrer Bestimmungen ermächtigen und die Staaten zur Berichterstattung verpflichten (-»• Berichtsystem). Das Asylrecht für Flüchtlinge ist in den genannten Übereinkommen nicht geregelt, jedoch wurde im Rahmen der Vereinten Nationen eine Deklaration über Territoriales Asyl erarbeitet (Declaration on Territorial Asylum, GA Res. 2312 (XXII) vom 14.12.1967). Um den darin enthaltenen Grundsätzen einen für die Staaten verbindlichen Charakter zu verleihen, wurde unter der Ägide des UNHCR der Entwurf eines Übereinkommens über das territoriale Asyl ausgearbeitet, der sich z. Zt. im Stadium der Konsultation interessierter Regierungen befindet. Die Mehrzahl der Regierungen hat sich dafür ausgesprochen, den Entwurf einer Staaten-Konferenz zur endgültigen Formulierung zu unterbreiten, die im Frühjahr 1977 zusammentritt. Im Statut des UNHCR ist keine unmittelbare Ermächtigung zur Durchführung von Hilfsprogrammen enthalten; vielmehr ist er darin lediglich „zur Weiterleitung ihm zur Verfügung gestellter Mittel" berechtigt; er bedarf der Zustimmung der Generalversammlung, um an die Regierungen zur Beschaffung von Geldmitteln herantreten zu können. Durch Beschlüsse der Generalversammlung vom 2. Februar 1952 (Res. 538 (VI)) wurde UNHCR zur Gründung eines beschränkten Notstandsfonds (UN Refugee Emergency Fund) ermächtigt, worauf am 21. Oktober 1954 eine mehr generelle Ermächtigung zur Durchführung eines Vier-JahresProgramms erfolgte (GA Res. 832 (IX)). Diese Mittel sollten hauptsächlich für die Auflösung der Flüchtlingslager in Europa sowie für eine kleinere Gruppe europäischer Flüchtlinge aus der Zeit nach dem 1. Weltkrieg im Fernen Osten verwendet werden. Erst am 26. November 1957 ermächtigte die Generalversammlung UNHCR generell zur Durchführung eines Programms zur Förderung von Dauerlösungen von Flüchtlingsproblemen (Res. 1166 (XII)). In allen darauffolgenden entsprechenden Beschlüssen der Generalversammlung wurde UNHCR aufgefordert, sein Hilfsprogramm fortzusetzen. Hierbei verschob sich das Schwergewicht der Programmtätigkeit des UNHCR zunehmend von Europa auf andere Kontinente, besonders Afrika, Lateinamerika und Asien. Tätigkeit Im Laufe der ersten Jahre standen Lagerauflösung und wirtschaftliche Eingliederung in den Asylländern Europas im Vordergrund, jedoch konnte gleichzeitig einer beträchtlichen Zahl von Flüchtlingen zur Auswanderung nach Übersee, insbesondere USA, Kanada und Australien verholfen werden. Das Fernostprogramm des UNHCR in dieser Zeit konzentrierte sich auf die Auswanderungshilfe für russische Flüchtlinge, die nach der Revolution von 1917 nach Ost-China geflohen waren und denen in Fortführung eines Programms der IRO eine Auswanderung über Hongkong (im wesentlichen nach Australien und Brasilien) ermöglicht wurde. Die Ungarnkrise von 1956 stellte UNHCR vor völlig neue Aufgaben. Als gerade das Lagerauflösungsprogramm in Europa angelaufen war, mußten für über 200.000 ungarische Flüchtlinge Lösungen gefunden werden. Davon hatten 180.000 Ungarn in Österreich und 18.000 in Jugoslawien Zuflucht gesucht. Da sich beide Staaten nicht in der Lage erklärten, die Flüchtlinge endgültig aufzunehmen, wurde UNHCR von der Generalversammlung zur

Lateinamerika

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Durchführung eines Sonderprogramms ermächtigt (Res. 1006 (ES-II) vom 9.11.1956 und Res. 1129 (XI) vom 21.11.1956). Achtzehn Monate später konnte UNHCR berichten, daß 170.000 ungarische Flüchtlinge in 30 Ländern der Welt angesiedelt werden konnten. Um sicherzustellen, daß kein Druck auf die Flüchtlinge ausgeübt wurde, wurde das Amt auch in die Repatriierungsmissionen für Ungarn eingeschaltet. Der Algerienkrieg von 1957 stellte UNHCR vor eine neue Notsituation. In Marokko und Tunesien hatten je über 80.000 Algerier Zuflucht gesucht. In verschiedenen Resolutionen forderte die Generalversammlung UNHCR zur Durchführung eines Hilfsprogramms auf (Res. 1286 (XIII) vom 5.12.1958; 1389 (XIV) vom 20.11.1959 und 1500 (XV) vom 5.12.1960). In Durchführung des Waffenstillstandsabkommens von 1960 unternahm UNHCR die erste große Repatriierungsaktion — gemeinsam mit dem Internationalen Komitee des Roten Kreuzes (GA Res. 1672 (XVI) vom 18.12.1961). In kürzester Zeit konnten die inzwischen über 250.000 Flüchtlinge nach Algerien zurückgeführt werden. Erstmalig wurde in dieser Resolution UNHCR auch zur Durchführung von Wiedereingliederungsmaßnahmen ermächtigt. Afrika In den Jahren nach 1960 lag das Schwergewicht der Hilfstätigkeit von UNHCR in Afrika. In der Resolution 1499 (XV) vom 5. Dezember 1960 hatte die Generalversammlung das „zunehmende Problem von Flüchtlingen, die nicht unter die unmittelbare Zuständigkeit der Vereinten Nationen fallen", anerkannt und UNHCR aufgefordert, in solchen Situationen seine „Guten Dienste" zur Verfügung zu stellen. Es handelt sich hier im wesentlichen um Situationen, die sich aus dem Prozeß der Selbständigwerdung afrikanischer Staaten oder als Folge der Kolonialpolitik oder der Fortsetzung von Minderheitsregierungen in Afrika ergeben hatten. Zu Ende des Jahres 1974 betrug die Zahl der Flüchtlinge unter der Obhut von UNHCR in Afrika fast eine Million und umfaßte folgende Gruppen: Äthiopien Botswana Burundi Kenia Kongo Rwanda Sambia Senegal Sudan Tansania Uganda Zaire Zentralafrikanische Republik

6.000 2.500 48.500 2.140 10.000 6.000 40.000 86.500 53.500 193.000 112.500 500.000 25.000

(aus dem Sudan) (vor allem aus Angola) (aus Rwanda) (aus Burundi und Rwanda) (aus Angola) (aus Burundi) (aus Angola, Mozambique und Namibia) (vor allem aus Guinea-Bissau, mit stark sinkender Tendenz) (vor allem aus Äthiopien und Zaire) (vor allem aus Burundi, Mozambique und Rwanda) (aus Rwanda und Zaire) (vor allem aus Angola) (aus dem Sudan, Zaire, Tschad)

Lateinamerika In Lateinamerika standen Ende 1974 etwa 118.000 Flüchtlinge unter der Obhut des UNHCR, davon 91.000 europäische Flüchtlinge (in Argentinien, Brasilien, Chile, Peru und Venezuela) und 27.000 lateinamerikanische Flüchtlinge (hauptsachlich in Argentinien, Chile, Peru, Mexiko und der Dominikanischen Republik). Mit den Ereignissen in Chile im September 1973 hatte sich die Flüchtlingssituation in Lateinamerika vollkommen verändert. Es haben allein 12.000 - 14.000 Chilenen in Argen-

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tinien und 3.000 in Peru Zuflucht gesucht, wobei die Regierung von Peru von vornherein erklärt hatte, diese Flüchtlinge nur vorübergehend aufnehmen zu können. Ein besonderes Problem stellten die zur Zeit der September-Ereignisse in Chile lebenden, vorwiegend lateinamerikanischen Flüchtlinge dar. Der Generalsekretär, UNHCR und sein Exekutivausschuß appellierten sofort an die neue Regierung, keine Maßnahmen gegen diese Flüchtlinge zu treffen und sie nicht in Länder auszuweisen, in denen sie Verfolgung zu befürchten hätten. Durch Zusicherung der Regierung wurde UNHCR in die Lage versetzt, seine Schutztätigkeit auszuüben und in Chile lebenden Flüchtlingen, die das Land zu verlassen wünschten, eine Umsiedlung in andere Länder zu ermöglichen. Bis zum 1. Juli 1974 gelang es UNHCR, in Zusammenarbeit mit dem Zwischenstaatlichen Europäischen Auswanderungskomitee und dem IKRK, etwa 3.000 betroffene Flüchtlinge umzusiedeln. Um die Flüchtlinge chilenischer Staatsangehörigkeit konnte sich UNHCR naturgemäß nur insoweit befassen, als sie das Land verlassen hatten. Nahost Die Flüchtlingshilfe des UNHCR im Nahen Osten beschränkt sich auf solche Flüchtlinge, die nicht Schutz und Hüfe von UNRWA erhalten (Res. 4 2 8 (V) vom 14.12.1950, Abs. 7 c). Es handelt sich hierbei teilweise noch u m Gruppen, die im Zuge der Auflösung des osmanischen Reiches am Ende des ersten Weltkrieges zu Flüchtlingen wurden (staatenlose Armenier, Assyrer und Assyro-Chaldäer), zum anderen um Neu-Flüchtlinge aus arabischen Ländern und Afrika, sowie u m Zanzibaris arabischen oder iranischen Ursprungs, denen die arabischen Golfstaaten und der Iran Zuflucht bieten. Darüber hinaus wurden einige der Uganda-Asiaten aus europäischen Transit-Lagern in Länder des Nahen Ostens umgesiedelt. Die Gesamtzahl der Flüchtlinge, derer sich UNHCR z. Zt. im Nahen Osten annimmt, wird auf etwa 17.000 geschätzt. Asien In Asien lag seit vielen Jahren das Schwergewicht des Programms bei Hilfsaktionen für chinesische Flüchtlinge in Macao und Hongkong, wobei sich in Hongkong die Zuständigkeit auf die Weiterleitung von Geldmitteln beschränkte (GA Res. 1167 (XII) vom 26.11.1957 und 1784 (XVII) vom 7.12.1962. Für Flüchtlinge aus Tibet in Indien und Nepal führte UNHCR ein Sonderprogramm durch, das — wie die Programme in Hongkong und Macao im Jahre 1974 abgeschlossen wurde. Für die noch hilfsbedürften Flüchtlinge in diesen Ländern fuhren die betreffenden Regierungen kleinere Programme ohne Inanspruchnahme internationaler Mittel weiter. Die seit Jahrzehnten sich in Südostasien abspielenden kriegerischen Ereignisse haben in dieser Region zur Entwurzelung ganzer Bevölkerungsteile geführt. Auf Grund von Hilfsersuchen der Regierungen von Laos, den vietnamesischen Staaten und der Befreiungsfront für Südvietnam hatte UNHCR im Einvernehmen mit dem Generalsekretär für die Jahre 1974/75 ein Hilfsprogramm ausgearbeitet, für das zunächst etwa 12 Mio. Dollar bereitgestellt werden mußten. Die bisher weitaus größte Hilfsaktion der Vereinten Nationen zur Bewältigung von Flüchtlingsproblemen wurde auf dem Indischen Subkontinent als Folge der Krise um OstPakistan im Jahre 1971 durchgeführt. Der im März 1971 beginnende Zustrom von Flüchtlingen nach Indien, hauptsächlich in die Provinzen von West-Bengalen und Tripura, entwickelte sich zu einer Massenbewegung, die bis Mitte des Jahres 1971 zu einer Präsenz von fast 7 Mio. Flüchtlingen in Indien führte. Bereits im April sah sich die indische Regierung genötigt, den Generalsekretär um Einleitung internationaler Hilfsmaßnahmen zu ersuchen. UNHCR wurde zum Koordinator u n d „Focal p o i n t " aller Maßnahmen für die Flüchtlinge in Indien bestimmt. Insgesamt wurden für diese Operation von Seiten der Regierungen über

Relevanz für die Bundesrepublik Deutschland

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UNHCR 183 Mio. Dollar, davon 119 Mio. in Sachwerten, zur Verfügung gestellt. Zusätzlich wurden 6 0 Mio. Dollar bilateral gegeben, 46 Mio. Dollar von privaten Hilfsorganisationen aufgebracht; die Leistungen der indischen Regierung wurden mit 320 Mio. Dollar angesetzt. Die neuartige Tätigkeit von UNHCR als Koordinator aller Hilfstätigkeit umfaßte neben der Mobilisierung des Weltinteresses und entsprechender materieller Beiträge die Feststellung der Bedürfnisse und Ausgabe von Informationen sowie die Koordinierung der Beschaffung von Hilfsgütern und deren Transport wie Verteilung. Darüber hinaus wirkte UNHCR als Verbindungsstelle zwischen der indischen Regierung, anderen interessierten Regierungen, den internationalen und nationalen Wohlfahrtsverbänden sowie den verschiedenen Institutionen der Vereinten Nationen. Bereits am 16. Juli 1971, als der Flüchtlingsstrom noch anhielt, rief der Generalsekretär zu einer Hilfsaktion in Ost-Pakistan selbst auf. Aus der Erkenntnis, daß nur durch eine Verbesserung der Verhältnisse in Ost-Pakistan der Flüchtlingsstrom angehalten und die Flüchtlinge in Indien zu einer Rückkehr veranlaßt werden könnten, wurde als Koordinationsinstrument die UNEPRO (UN East Pakistan Relief Operation) gegründet (Bericht des Generalsekretärs über die Tätigkeit der UNEPRO, GAOR (XXVI), 2nd Cttee, 1877th mtg.). Bereits im Januar 1972 setzte dann mit über 200.000 Rückkehrern pro Tag die Rückflut der Flüchtlinge ein. In Zusammenarbeit zwischen den betroffenen Regierungen, UNHCR und UNEPRO wurden sofort 271 Auffanglager errichtet. Die für Indien geplanten Hilfsmaßnahmen wurden der neuen Situation angepaßt, um den größtmöglichen Nutzen für eine rasche Abwicklung der Transporte und die erste Wiederansiedlungsphase zu erreichen. Die indische Regierung erklärte sich bereit, die im Lande eingesetzten beweglichen Hilfsgüter der Regierung von Bangla Desh für den Wederaufbau des Landes zur Verfügung zu stellen (Report of UNHCR on the activities of the UN-Focal Point for assistance to refugees from East Benghal to India, Doc. E/L. 1502). Mitte 1973 wurde UNHCR zur Mitwirkung an der Lösung eines Problems aufgerufen, das sich aus der Abtrennung von Bangla Desh aus dem pakistanischen Staatsgebiet ergeben hatte. Am 28. August 1973 war in New Delhi zwischen Bangla Desh und Pakistan ein Abkommen geschlossen worden, ihnen bei der Rückführung von Bengalen aus Pakistan nach Bangla Desh und von Nicht-Bengalen aus Bangla Desh nach Pakistan behilflich zu sein. Darüber hinaus wurden 10.850 Pakistanis nach Pakistan zurückgeführt, die im Zuge der Kriegsereignisse in Nepal gestrandet waren. Diese in der Geschichte der Flüchtlingshilfe wohl einzigartige Aktion wurde durch Beiträge von 27 Regierungen in Höhe von 12,5 Mio. Dollar ermöglicht. Der Lufttransport von täglich über 1.000 Personen wurde mit Hilfe von Flugzeugen durchgeführt, die hauptsächlich von Großbritannien, der UdSSR und der DDR zur Verfügung gestellt worden waren. 9.000 Personen wurden mit Hilfe eines von der Sowjetunion zur Verfügung gestellten Schiffes umgesiedelt. Relevanz für die Bundesrepublik

Deutschland

Die Aktionen der Vereinten Nationen auf dem Gebiete der Flüchtlingshilfe waren für die Bundesrepublik Deutschland von Beginn an von großer Bedeutung. Die Tätigkeit der IRO, die aus deutschen Mittel mitfinanziert wurde, führte dazu, daß das Problem der verschleppten Personen und Flüchtlinge in Deutschland auf ein überschaubares Maß reduziert wurde. Bei Ablösung des Besatzungsstatuts spielte die Flüchtlingsfrage eine erhebliche Rolle. So wurde unter anderem die Ubergabe der Flüchtlinge in deutsche Obhut und die Aufgabe der alliierten Hoheitsrechte hinsichtlich der Zulassung von Flüchtlingen (Art. 2 d Besatzungsstatut) davon abhängig gemacht, daß dem UNHCR die Aufnahme seiner Tätigkeit in der Bundesrepublik Deutschland gestattet und diesem gewisse Sonderrechte, insbesondere in Anerkennungsverfahren, zuerkannt würden. Die Rechtsstellung des zu übergebenen Personenkreises wurde durch das Gesetz über die Rechtsstellung Heimatloser Ausländer vom 25. April 1951 (BGBl. I S. 269) geregelt und die Stellung vom UNHCR im Anerkennungsverfahren durch die Asylordnung vom 8. Januar 1953 (BGBl. I S. 3) festgelegt. Einer beson-

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Flüchtlinge

deren Verpflichtung zufolge trat die Bundesrepublik Deutschland auch frühzeitig der Flüchtlingskonvention bei, die in ihr bereits am 24. Dezember 1953 innerstaatliche Rechtswirkung erlangte, also vor Inkraftsetzung auf internationaler Ebene (Ratifìzierungsgesetz vom 24.11.1953, BGBl. 1953 II S. 559). In Durchführung des sogenannten „Überleitungsabkommens" wurde dem UNHCR auch ein Teil der Entschädigungsmaßnahmen zu Gunsten solcher Flüchtlinge übertragen, die im Dritten Reich wegen ihrer Nationalität einen dauernden Gesundheitsschaden davongetragen hatten. Hierzu wurde am 5. Oktober 1960 ein entsprechendes Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und UNHCR geschlossen, das u. a. eine direkte Zusammenarbeit zwischen UNHCR und dem Bundesverwaltungsamt in Köln vorsieht. Eine Summe von etwa 50 Mio. DM wurde direkt durch UNHCR verteilt. Die deutschen Aufwendungen belaufen sich auf fast 300 Mio. DM. In den Jahren 1955 — 1965 wurde in Zusammenarbeit zwischen UNHCR, den deutschen Regierungsstellen und den Verbänden der freien Wohlfahrtspflege in der Bundesrepublik Deutschland ein beachtliches Hilfsprogramm durchgeführt, um die bestehenden Flüchtlingslager aufzulösen und die Flüchtlinge entweder in der Bundesrepublik Deutschland wirtschaftlich einzugliedern oder ihnen zur Auswanderung zu verhelfen. Etwa 10 Mio. Dollar wurden hierfür aus Mitteln des UNHCR bereitgestellt. Ein interessantes Beispiel internationaler Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Flüchtlingshilfe stellt der Darlehensfonds für die wirtschaftliche Eingliederung ausländischer Flüchtlinge bei der Lastenausgleichsbank in Bonn Bad Godesberg dar. Dieser Fonds wurde ursprünglich mit Liquidationsmitteln der IRO geschaffen und später laufend aus deutschen und internationalen Mitteln aufgestockt. Bis zum Jahre 1970 konnte mit einem Gesamtaufwand von 33,2 Mio. DM die Gründung von 2.000 Flüchtlingsbetrieben ermöglicht werden. Die Bundesrepublik Deutschland nimmt ihrerseits an der Tätigkeit von UNHCR starken Anteil. Sie nahm bereits im Jahre 1951 an der Staatenkonferenz zur Schaffung der Flüchtlingskonvention teil und wurde am 10. September 1951 in den aus Vertretern von 15 Staaten zusammengesetzten beratenden Ausschuß für UNHCR gewählt (ECOSOC Res. 393 (XIII) vom 10.9.1951). Auch dem später gegründeten Exekutivausschuß des Flüchtlingsfonds der Vereinten Nationen (ECOSOC Res. 965 (XXXVI) vom 25.7.1963) und dem jetzt tätigen Verwaltungsrat gehört die Bundesrepublik Deutschland an. Auch finanziell beteiligt sich die Bundesrepublik Deutschland an der Arbeit des UNHCR sowohl durch Sonderbeiträge in Notsituationen als auch durch regelmäßige Beiträge an das laufende Programm. Der Jahresbeitrag für 1975 belief sich auf 869.565 Dollar, wodurch die Bundesrepublik Deutschland in der Reihe der beitragenden Staaten an zweiter Stelle rangierte.

Literatur Grahl-Madsen: The Status of Refugees in International Law, vol. I (1966), vol. II (1972), Leyden Holborn: The International Refugee Organization, London 1956 dies.: Refugees: A problem of our time, The Work of the United Nations High Commissioner for Refugees 1951 - 1972, vol. I and II, Metuchen 1975 Institut für Besatzungsfragen: Das DP Problem, eine Studie über die ausländischen Flüchtlinge in Deutschland (bearbeitet von E. Jahn), Tübingen 1950 Jahn: Der völkerrechtliche Schutz von Flüchtlingen, Diss. Bonn 1955 Weis / Jahn: Die Vereinten Nationen und die Flüchtlinge, in: Handbuch des internationalen Flüchtlingsrechts (Hrsg. Schätzel / Veiter),Wien / Stuttgart 1960, S. 245 Weis: The International Protection of Refugees, AJIL vol. 48 (1954) p. 193 Eberhard Jahn

Frauenrechte

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Verweise auf: Ausschußsystem; Beitragssystem, Haushalt; Berichtsystem; Indischer Subkontinent; Menschenrechte; Nahost; Sonderorganisationen.

Frauenrechte Die Vereinten Nationen haben sich seit ihrem Bestehen mit den Rechten der Frau beschäftigt. Diese Zielsetzung kommt schon in der Präambel der Charta zum Ausdruck, in der es heißt, daß die Mitglieder der Vereinten Nationen „unseren Glauben . . . an die Gleichberechtigung von Mann und Frau . . . bekräftigen". In der Charta selbst, in der am 10. Dezember 1948 verkündeten Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und den Weltpakten über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte sowie über bürgerliche und politische Rechte vom 16. Dezember 1966 (->• Menschenrechte), werden die Rechte der Frau und ihr Anspruch auf Gleichbehandlung im wesentlichen im Rahmen des Diskriminierungsverbots bezüglich Geschlecht, Rasse, Staats- und Religionszugehörigkeit behandelt (-* Diskriminierung). Auf der Basis dieser Grundsatzerklärungen sind die Rechte der Frau über den allgemeinen Grundsatz der Gleichbehandlung mit dem Mann hinaus konkretisiert worden. Dabei lassen sich zwei Fallgruppen unterscheiden. Zum einen befassen sie sich mit den Rechten, die dem Mann zustehen und die es für die Frau zu erringen gilt, zum anderen betreffen sie Rechte, die dem speziellen Schutz der Frau, insbesondere der Frau als Mutter, dienen. Für eine Reihe von Konventionen und Deklarationen der Vereinten Nationen hat die Kommission für die Rechtsstellung der Frau die Vorarbeit geleistet. Dieses, im Jahre 1946 vom -»· ECOSOC zunächst als Unterkommission (Res. 5 (I) vom 16.2.1946) eingesetzte Gremium wurde (mit Res. 11 (II) vom 21.6.1946) eine selbständige Kommission; Ziel und Aufgabe ist es, Empfehlungen und Berichte vorzubereiten, um die Rechtsstellung der Frau im politischen, wirtschaftlichen und sozialen Bereich zu fördern. Schon in ihrem ersten Bericht aus dem Jahre 1947 (Doc. E/281/Rev. 1) legte die Kommission einen umfassenden Katalog der Rechte vor, in bezug auf die die Stellung der Frau verbessert werden müßte. Als Ziel der Arbeit wird die Gewährleistung allgemeinen, gleichen, aktiven und passiven Wahlrechts sowie des gleichen Zugangs zu öffentlichen Ämtern genannt. Zivilrechtlich soll die völlige Gleichstellung hinsichtlich Heirat, Scheidung und Erziehungsberechtigung erreicht werden. Ebenso ist es Ziel der Kommission, das Recht der Frau auf eigene, vom Ehemann unabhängige Staatsangehörigkeit, volle Geschäftsfähigkeit, Gleichberechtigung bei der Wohnungswahl, sowie eine Gleichstellung im sozialen und wirtschaftlichen Bereich und in der Ausbildung zu sichern. Haben sich auch noch nicht bezüglich aller Programmsätze erkennbare Erfolge eingestellt, so muß doch festgestellt werden, daß auf Grund der Arbeit dieser Kommission wesentliche Maßnahmen zur Verbesserung der Rechtsstellung der Frau ergriffen worden sind. Die Gleichstellung von Mann und Frau bei der Eheschließung erstrebt zunächst das Zusatzabkommen über die Abschaffung der Sklaverei, des Sklavenhandels und sklavenähnlicher Einrichtungen und Praktiken vom 7. September 1956 (BGBl. 1958 II S. 203), in Kraft für die Bundesrepublik Deutschland mit dem 14. Januar 1959. Danach verpflichten sich die Mitgliedstaaten, alle Einrichtungen oder Praktiken abzuschaffen, durch die 1. eine Frau — ohne ein Weigerungsrecht zu besitzen — gegen eine an ihre Eltern, ihren Vormund, ihre Familie oder eine andere Person oder Gruppe gegebene Geld- oder Naturalleistung zur Ehe versprochen oder verheiratet wird; 2. der Ehemann, seine Familie oder Sippe berechtigt wird, sie gegen Entgelt oder in anderer Weise an eine andere Person abzutreten; 3. eine Frau beim Tod ihres Mannes zwangsläufig an eine andere Person vererbt wird.

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Um dieses Ziel zu erreichen, verpflichten sich die Vertragsstaaten, ein Mindestalter für die Eheschließung festzusetzen und die Anwendung von Vorkehrungen zu fördern, auf Grund derer die Zustimmung beider Ehepartner zur Eheschließung vor einer zuständigen zivilen oder religiösen Behörde frei zum Ausdruck gebracht werden kann. Dieses Übereinkommen mag für die Bundesrepublik Deutschland keine aktuelle Bedeutung haben. Sein Abschluß macht aber deutlich, daß es hinsichtlich der Rechtsstellung der Frau in der Welt ein deutliches Gefálle gibt. In den gleichen Zusammenhang gehört das Übereinkommen über die Erklärung des Ehewillens, des Heiratsmindestalters und die Registrierung von Eheschließungen vom 10. Dezember 1962 (BGBl. 1969 II S. 161), in Kraft für die Bundesrepublik Deutschland seit dem 7. Oktober 1969. Diese Konvention hat zum Ziel, bei der Eheschließung die Zustimmung beider Partner, eine freie Entscheidungsmöglichkeit sowie ein Mindestalter sicherzustellen. In gleiche Richtung zielt die Recommendation on Consent to Marriage, Minimum Age for Marriage and Registration of Marriages (GA Res. 2018 (XX) vom 1.11.1965). Die Rechte der verheirateten Frau bezüglich ihrer Staatsangehörigkeit werden im Übereinkommen über die Staatsangehörigkeit verheirateter Frauen vom 20. Februar 1957 (BGBl. 1973 II S. 1249), in Kraft für die Bundesrepublik Deutschland seit dem 8. Mai 1974, behandelt. Danach soll die Staatsangehörigkeit der Frau weder durch die Eheschließung oder Ehescheidung noch durch einen Staatsangehörigkeitswechsel des Ehemannes betroffen werden. Gleichzeitig wird es der Ehefrau erleichtert, die Staatsangehörigkeit des Ehemannes anzunehmen. Ein weiterer wichtiger Gesichtspunkt, die Gleichstellung der Frau zu erreichen, liegt darin, ihre Rechte in bezug auf Ausbildung sowie in Beruf und Arbeit zu festigen. Dabei gewinnt das Übereinkommen der UNESCO gegen Diskriminierung im Unterrichtswesen vom 15. Dezember 1960 (BGBl. 1968 II S. 385), in Kraft für die Bundesrepublik Deutschland seit dem 17. Oktober 1968, besondere Bedeutung. Die Staaten verpflichten sich in dieser Konvention, eine unterschiedliche Behandlung der Geschlechter, die eine Ungleichheit der Ausbildung zur Folge hätte, mit geeigneten Mitteln zu verhindern. Eine Gleichstellung der Frau in Beruf und Arbeit soll durch das Übereinkommen über die Gleichheit des Entgeltes männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit (Konvention Nr. 100 der ILO vom 29. Juni 1951 (BGBl. 1956 II S. 23)), in Kraft für die Bundesrepublik Deutschland am 8. Juni 1957, und das Übereinkommen über die Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf (Konvention Nr. 111 der ILO vom 25. Juni 1958 (BGBl. 1961 II S. 97)) herbeigeführt werden, das für die Bundesrepublik Deutschland am 15. Juni 1962 in Kraft getreten ist. Im Hinblick auf die politischen Rechte der Frau ist das Übereinkommen über die politischen Rechte der Frau vom 31. März 1953 (BGBl. 1969 II S. 1929) wohl der bedeutsamste Schritt auf dem Weg zur Verwirklichung der rechtlichen Gleichstellung von Mann und Frau. Es ist für die Bundesrepublik Deutschland erst am 2. Februar 1971 in Kraft getreten. Dieses Übereinkommen sichert den Frauen das aktive und passive Wahlrecht und das Recht, öffentliche Ämter zu besetzen. Die Bundesrepublik Deutschland ist diesem Übereinkommen nur mit der Maßgabe beigetreten, daß Art. III des Übereinkommens, der den Frauen freien Zugang zu allen öffentlichen Ämtern sichern soll, auf Dienstleistungen im Verband der Streitkxäfte keine Anwendung findet. Insoweit soll also eine Gleichbehandlung nicht angestrebt werden. Zwar ist es den Vereinten Nationen gelungen, schrittweise in einzelnen Gebieten die Gleichstellung der Frau mit dem Mann einzuleiten, aber in dem Bewußtsein, daß trotz des erreichten Fortschritts Frauen in der Praxis noch in vielen Lebenslagen diskriminiert werden, verabschiedete die Generalversammlung die von der Kommission über die Rechtsstellung der Frau ausgearbeitete Erklärung über die Beseitigung der Diskriminierung gegen die Frauen (Res. 2263 (XXII) vom 7.11.1967). Die Erklärung geht von dem Grundgedanken aus, daß die Ungleichbehandlung von Mann

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und Frau rechtswidrig ist und gegen die menschliche Würde verstößt. Sie fordert, daß alle erdenklichen Anstrengungen unternommen werden, um den Frauen in allen Lebensbereichen die gleichen Rechte einzuräumen wie den Männern. Dabei wird anerkannt, daß nicht nur gegen Gesetze, sondern auch gegen Sitten, Regeln und Praktiken, die diskriminierend wirken, vorgegangen werden muß. Daraus folgt die Notwendigkeit, alle Anstrengungen zu machen, um den Glauben von der Unterlegenheit der Frau gegenüber dem Mann zu beseitigen (Art. 3). Die Erklärung bekräftigt noch einmal, daß die Gleichstellung der Frau bezüglich des passiven und aktiven Wahlrechts, der Staatsangehörigkeit, der zivilrechtlichen Stellung hinsichtlich des Vermögens und des Rechts am Kind, sowie des Rechts auf Ausbildung, Berufswahl und gleichen Lohn erstritten werden muß. Wenn Art. 6 Abs. 1,1. Satz dieser Erklärung lautet: „Unbeschadet der Sicherung der Einheit und Harmonie der Familie, die das Grundelement jeder Gesellschaft bleibt, werden alle Maßnahmen, insbesondere gesetzgeberische Maßnahmen, ergriffen, um Frauen, verheiratet oder unverheiratet, die gleichen Rechte wie Männern auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts zu gewähren", so wird in dieser Formulierung ein Spannungsfeld erkennbar, das auch bei den Debatten in den Ausschüssen der Vereinten Nationen über die Gleichstellung von Mann und Frau zum Ausdruck gekommen ist. Kann eine Gleichstellung von Mann und Frau nur erreicht werden, wenn dies nicht die Harmonie der Familie beeinträchtigt, so müßte auch der Mann gleichen Einschränkungen unterliegen. Bei Gleichstellung müßten beide Partner gleichermaßen ihre Rechte nur mit Rücksicht auf die Familie ausüben dürfen. Die Bestimmung in der vorliegenden Fassung birgt dagegen die Gefahr, daß die Rechte der Frau über die Bedürfnisse der Familieneinheit an die des Mannes geknüpft werden und somit eine wirkliche Gleichstellung nicht erreicht wird. Auch die Proklamation von Teheran vom 13. Mai 1968 (-»• Menschenrechte) zeigt, daß es den Vereinten Nationen durchaus bewußt ist, daß Frauen noch in vielen Regionen das Opfer von Diskriminierungen sind, und die Gleichstellung der Frau noch nicht erreicht ist. Einen anderen Bereich erfassen die Rechte der Frau, die nicht aus dem Grundgedanken der Gleichwertigkeit mit dem Mann fließen, sondern die dem besonderen Schutz der Frau dienen. Dazu zählen die Internationalen Übereinkommen zur Gewährung wirksamen Schutzes gegen den Mädchenhandel (RGBl. 1905 S. 695) vom 18. Mai 1904, zur Bekämpfung des Mädchenhandels vom 4. Mai 1910 (RGBl. 1913 S. 31), zur Unterdrückung des Frauen- und Kinderhandels vom 30. September 1921 (RGBl. 1924 II S. 180) und das Übereinkommen zur Unterdrückung des Handels mit volljährigen Frauen vom 11. Oktober 1933, nebst den Zusatzprotokollen vom 4. Mai 1949 (BGBl. 1972 II S. 1074, 1081). Weiterhin ist zu nennen das Übereinkommen über Zwangs- oder Pflichtarbeit (Konvention Nr. 29 der ILO vom 28.6.1930; BGBl. 1956 II S. 640). Letzteres dient nur indirekt dem Schutz der Frau, denn in Art. 11 Abs. 1 wird bestimmt, daß nur erwachsene, arbeitsfähige Personen männlichen Geschlechts zur Zwangs- oder Pflichtarbeit herangezogen werden dürfen. In diesem Rahmen ist auch das Übereinkommen der ILO vom 21. Juni 1935 über die Beschäftigung von Frauen bei Untertagearbeiten in Bergwerken jeder Art (BGBl. 1954 II S. 624) zu erwähnen. Danach darf keine Frau, gleich welchen Alters, im Bergbau untertage beschäftigt werden. Dem besonderen Schutz der Frau dient auch das Übereinkommen der ILO über die Beschäftigung der Frauen vor und nach der Niederkunft vom 29. November 1919 (RGBl. 1927 II S. 497) und die Declaration of the Rights of the Child (GA Res. 1386 (XIV) vom 20.11.1959) sowie die Declaration on Social Progress and Development (GA Res. 2542 (XXIV) vom 11.12.1969). Diese Konvention sowie die beiden Deklarationen haben zum Ziel, Mutter und Kind zu schützen, wobei der arbeitenden Frau während der Schwangerschaft besondere Unterstützung zu gewähren ist. Diese in den verschiedenen Deklarationen und Konventionen festgelegten Ziele werden in aller Regel dadurch verwirklicht, daß die Staaten verpflichtet werden, Berichte über ihre

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Aktivitäten auf dem entsprechenden Gebiet vorzulegen (-» Berichtsystem). Dies gilt ζ. B. für die Übereinkommen über die politischen Rechte der Frau von 1953 (Berichtsystem eingerichtet durch ECOSOC Res. 504 E (XVI) vom 23. Juli 1953; ECOSOC Res. 961 Β (XXXV) vom 12. Juli 1963 — erweitert auf Nichtmitgliedstaaten), wie auch die Declaration on the Elimination of Discrimination against Women von 1967 (ECOSOC Res. 1325 (XLIV) vom 31.5.1968). Trotz der bislang erarbeiteten Übereinkommen zeigt es sich, daß Fortschritte bei der Umsetzung dieser Prinzipien in die Realität nur langsam zu erzielen sind. Die Schwierigkeiten, denen man bei der Erarbeitung und Anwendung dieser Instrumente begegnet, sind in der durch die großen Unterschiede zwischen den Ländern und Regionen bedingten Komplexität begründet. Aber selbst den Vereinten Nationen ist es bisher nicht gelungen, einen angemessenen Prozentsatz von Frauen vor allem als Bedienstete des höheren Dienstes zu beschäftigen. Der Generalsekretär wurde nunmehr energisch von der Generalversammlung aufgerufen, hier Abhüfe zu schaffen (Res. 3416 (XXX) vom 8.12.1975). Die Probleme, denen die Frauen in vielen Ländern der Welt im täglichen Leben immer noch begegnen bei ihrem Bemühen, an den wirtschaftlichen und sozialen Aktivitäten, an den Entscheidungsprozessen und an der Verwaltung ihres Landes teilzunehmen, haben die Vereinten Nationen veranlaßt, 1975 zum Internationalen Jahr der Frau zu erklären und zu verstärkten Aktivitäten aufzurufen (GA Res. 3010 (XXVII) vom 18.12.1972). Als Mittelpunkt des Internationalen Frauenjahres wurde die Abhaltung einer Konferenz („Internationale Konferenz während des Internationalen Frauenjahrs" — Weltfrauenkonferenz —) empfohlen (ECOSOC Res. 1851 (LVI) vom 16.5.1974), die vom 19. Juni bis 2. Juli 1975 in Mexico City stattfand. Ein Weltaktionsplan, eine Deklaration und 34 Entschließungen waren ihr Ergebnis. Der Aktionsplan will die Anwendung und Durchführung der Instrumente und Programme, die sich mit dem Status der Frau befassen, intensivieren und in einen zeitlichen Rahmen stellen. Vor allem will er nationale und internationale Aktivitäten anregen und die sozioökonomischen Strukturen auflösen, die der Frau eine untergeordnete Position zuweisen. Es wird den Staaten allgemein zur Pflicht gemacht, sicherzustellen, daß Männer und Frauen vor dem Gesetz gleiche Rechte genießen; vor allem soll eine Gleichstellung in Ausbildung und im Berufsleben erreicht werden, wozu insbesondere eine Gleichstellung in den Lohn- und Sozialansprüchen gehört. Der Aktionsplan erkennt an, daß die Lage der Frau von Land zu Land erhebliche Unterschiede aufweist. Daher soll es in erster Linie Aufgabe der Staaten selbst sein, Zielvorstellungen und Prioritäten zu erarbeiten. Es werden jedoch auch Mindestanforderungen genannt, die bis 1980 zu verwirklichen sind: 1. Eine wesentliche Verbesserung der Ausbildungssituation der Frau in allen Bereichen. 2. Verbesserungen der Berufsbedingungen der Frau (Berufswahl, -ausbildung, -ausübung und Entlohnung. 3. Gleichstellung von Mann und Frau im politischen Bereich (gleiches Wahlrecht, gleicher Zugang zum öffentlichen Dienst). 4. Verbesserung der medizinischen, sozialen und gesellschaftlichen Situation der Frau (bessere medizinische Betreuung und Aufklärung; soziale Sicherheit; Bekämpfung der traditionellen Rollenverteilung, die die Frau an die Familie bindet). Gerade im letzten Punkt liegt eine Verbesserung gegenüber Art. 6 der Erklärung über die Beseitigung der Diskriminierung der Frau, wo noch ihre besondere Bindung an die Familie betont wird. Ganz im Gegensatz dazu hebt der Aktionsplan hervor, daß die Familie Mann und Frau gleiche Pflichten auferlegt. Die Frauenkonferenz ruft die Staaten dazu auf, alle Maßnahmen zu ergreifen, damit die Frau neben ihren Aufgaben als Mutter auch ihre Aufgaben und Neigungen im Beruf erfüllen kann. Desgleichen werden die Massenmedien aufgerufen, nicht in den alten Vorurteilen über die Rollenverteilung der Geschlechter zu verharren. 5. Familienplanung: Der Aktionsplan hebt hervor, daß jeder Staat das Recht habe, eine

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eigenständige Familienplanung zu entwickeln. Jedoch soll sichergestellt werden, daß Ehepaare wie Einzelpersonen selbständig darüber entscheiden, wieviele Kinder sie haben wollen. 6. Zivilrechtliche Gleichstellung von Mann und Frau. 7. Anerkennung des wirtschaftlichen Wertes der Arbeit im Haushalt (hierzu fehlen konkrete Angaben in dem Aktionsplan). Die Deklaration von Mexico entspricht dem Aktionsplan in seiner Zielrichtung. Sie bekräftigt, daß Mann und Frau hinsichtlich ihres Wertes als menschliches Wesen gleich stehen. Frauen sollen in allen Bereichen gleiche Rechte, Pflichten und Möglichkeiten haben. Im Anschluß an das Weltfrauenjahr hat sich auch die Generalversammlung in der 30. Sitzungsperiode mit dem Recht der Frau befaßt. Mit Resolution 3520 (XXX) vom 15. Dezember 1975 werden die Jahre 1976—1985 zur Dekade der Frau erklärt. Die Staaten werden dringend aufgerufen, Maßnahmen im Sinne des Aktionsplans zu ergreifen. Besonders mit dem Problem der Diskriminierung der Frau setzt sich die Resolution 3521 (XXX) vom 15. Dezember 1975 auseinander. Sie ruft die Staaten auf, die vorliegenden Konventionen zu ratifizieren. Außerdem wird die Kommission für die Stellung der Frau aufgefordert, ein Übereinkommen gegen die Diskriminierung der Frau zu erarbeiten. Mit der Verbesserung der wirtschaftlichen Stellung der Frau beschäftigt sich die Resolution 3522 (XXX) vom 15. Dezember 1975, mit der Stellung der Frau in ländlichen Gebieten die Resolution 3523 (XXX) vom selben Tag. Als Resumé des Weltfrauenjahres und der Konferenz von Mexico kann man festhalten, daß es nicht ausreicht, Frauen nicht nur die gleichen Rechte wie den Männern zu gewähren. Wenn wirklich eine echte Gleichstellung von Mann und Frau erreicht werden soll, ist es notwendig, die Frauen zu fördern, um ihre natürlichen Bindungen an Familie und Kinder auszugleichen. Es ist eine Neudefinition der den Geschlechtern in der Familie und in der Gesellschaft traditionell zugeteilten Rollen und Funktionen unerläßlich. Dies aber ist primär ein Problem der Erziehung und der Bewußtseinsbildung. Literatur Bruce: Work of the United Nations relating to the Status of Women, in: RDH vol. 4 (1971) p. 365 Büchner: Le droit de la femme à l'égalité de salaire, Paris 1975 Focke: Gleichheit, Entwicklung und Frieden. Zum Internationalen Jahr der Frau, in: VN 1975 S. 61 Haller-Zimmermann: Die Menschenrechtskonvention und die rechtliche Stellung der Frau in der Schweiz, Zürich 1973 Maier, J. (Hrsg.): Gleichberechtigung der Frau, Opladen 1975 Petersmann / Wolfrum: Das Internationale Fraueniahr der Vereinten Nationen, in: VN 1975 S. 68 Hildegard Wolfrum Verweise auf: Berichtsystem; Diskriminierung; ECOSOC; Menschenrechte.

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Friedens- und Kriegsbegriff

Friedens- und Kriegsbegriff Die Charta regelt weder die Rechtsnatur des Friedens und seine Stellung im System der Vereinten Nationen noch Begriff und Inhalt des Krieges eindeutig. Dies gilt, obwohl der Begriff „Frieden" die gesamte Charta durchzieht, der Begriff „Krieg" — außer in der Präambel - keinen Eingang gefunden hat, sondern durch den Begriff „bewaffneter Angriff" ersetzt wird. Entwicklung des Kriegsbegriffs Der Versuch, den Begriff „Krieg" als status negativus und den Begriff „Frieden" als status positivus in völkerrechtlicher Sicht zu definieren und festzulegen, läßt sich bis in das 16. Jahrhundert zurückverfolgen. Das Recht, Krieg gegen einen anderen Staat zu führen, wurde in der Frühphase der Entwicklung des Völkerrechts nicht nur als legitim vorausgesetzt, sondern galt zugleich als höchstes Gut eines Staates und Bestimmungsfaktor des staatlichen Charakters einer menschlichen Gemeinschaft. Der Krieg diente den Staaten sowohl als Selbsthilfe wie auch als Mittel zur Anpassung an veränderte Bedingungen. Demzufolge wurde der Krieg als eine Art Naturzustand betrachtet, der mit dem Frieden in unmittelbarer Wechselbeziehung steht. In diesem traditionellen Sinne wird Krieg definiert als bewaffnete Gewaltanwendung zwischen Staaten in der Absicht, den anderen Staat niederzuwerfen. Krieg zu führen galt als normale Funktion jedes souveränen Staates. Das Recht, Krieg zu führen, stand in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht, dessen Regelungen sich in der Frühphase der Entwicklung zwischenstaatlicher Beziehungen auf die Beziehungen in Friedenszeiten beschränken. Erst die Entstehung von Massenarmeen, die waffentechnologische Entwicklung wie der Wandel des Staatsverständnisses als Folge der Aufklärung führten im späten 19. Jahrhundert dazu, den Krieg als Mittel der Durchsetzung von Rechten gegenüber anderen Staaten zumindest einzuschränken. Auf der I. Haager Konferenz von 1899 wurde zum ersten Mal der Versuch unternommen, Krieg und Kriegsführung an völkerrechtliche Regeln und Vorschriften zu binden (-> Kriegsführung). In ähnlicher Weise diente die II. Haager Konferenz von 1907 der Einschränkung kriegerischer Gewaltanwendung bei der Eintreibung von Schulden und Reparationslasten. Auch die unter dem Begriff „Bryan Treaties" in die Völkerrechtsgeschichte eingegangenen amerikanischen Verträge zur Beschränkung kriegerischer Machtmittel zielten darauf ab, durch die Einführung von Verhandlungen und Sondierungen die Entscheidung über eine Kriegserklärung hinauszuzögern oder zu verhindern. Auch die Satzung des Völkerbundes normierte unter bestimmten Bedingungen ein Verbot der Anwendung kriegerischer Mittel gegenüber einem anderen Staat (Art. 16 in Verbindung mit 13, 15 sowie mit Art. 17 Völkerbundsatzung). Kriegsächtung und Kriegsverbot Die frühen Versuche beschränkten sich darauf, den Krieg als Mittel der Politik und Methode zur Durchsetzung staatlicher Interessen humaner zu machen (->· Kriegsführung). Darüberhinausgehend wurde ab 1920 der Versuch unternommen, den Angriffskrieg als Völkerrechtsverbrechen zu verurteilen. Sowohl der Vorschlag eines „Westpaktes" von 1925 (Text: Berber, Das Diktat von Versailles, Essen 1939, Bd. 1 S. 350) wie auch der Entwurf des Genfer Protokolls vom 2. Oktober 1924 erklärten den Angriffskrieg zum internationalen Verbrechen. Das Genfer Protokoll unternahm dabei in Art. 10 den Versuch, die Feststellung des Angreifers nach objektiven Merkmalen zu bestimmen. Weder der Westpakt noch das Genfer Protokoll traten jedoch in Kraft, da sich Großbritannien den Verpflichtungen beider Verträge nicht unterwerfen wollte. Mit dem Abschluß der Locarnoverträge am 16. Oktober

Kriegsachtung und Kriegsverbot

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1925 (RGBl. 1925 II S. 975) wurden die Versuche zur Errichtung einer Friedensordnung in Europa und zur Eliminierung des Krieges fortgesetzt. Gem. Art. 2 Abs. 1 Locamo-Vertrag verpflichteten sich Deutschland, Frankreich und Belgien, in keinem Falle zu einem Angriff oder zu einem Kriege gegeneinander zu schreiten. Dieser vertragliche Gewaltverzicht ging über das in der Satzung des Völkerbundes nur beschränkt normierte Kriegsverbot hinaus. Allerdings erlaubte auch der Gewaltverzicht weiterhin sowohl die Selbstverteidigung wie die Teilnahme an vom Völkerbund beschlossenen Sanktionen. Ergänzt wurde der Verzicht auf Gewaltanwendung durch ein Verfahren der friedlichen Streitbeilegung (-» Streitschlichtung). Die Locamo-Verträge konnten zwar die politischen Spannungen in Europa vorübergehend abschwächen, doch brachen sie als Verbot des Angriffskrieges zusammen, als 1935 das Vertragswerk vom Deutschen Reich gekündigt, 1936 das Rheinland remilitarisiert wurde und sich kein Vertragspartner dagegen wehrte. Im Rahmen der Bemühungen um die Ächtung des Krieges verabschiedete die Völkerbundsversammlung am 24. September 1927 eine Entschließung, die den Angriffskrieg zum internationalen Verbrechen deklarierte und die Pflicht zur friedlichen Streitbeilegung zum Grundsatz erhob. Unter Führung Frankreichs und der USA konnte am 27. August 1928 in Paris zwischen Deutschland, den USA, Belgien, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Polen, Tschechoslowakei, Kanada, Australischer Bund, Neuseeland, Südafrikanische Union, Freistaat Irland und Indien das als Briand-Kellogg-Pakt bekanntgewordene Kriegsverzichtsabkommen abgeschlossen werden (RGBl. 1929 II S. 97). In Art. I Briand-Kellogg-Pakt verurteilten die Vertragsparteien den Krieg als Mittel zur Lösung internationaler Konflikte und erklärten einen Kriegsverzicht in ihren Beziehungen zueinander. Zwar wurde der Vertrag weitgehend als Kriegsverbot aufgefaßt, doch enthält er keine förmliche ,.Ächtung" des Krieges. Die somit vorhandene Lücke im System des Gewaltverbots konnte erst innerhalb der Vereinten Nationen geschlossen werden, indem der Kriegsbegriff durch die Begriffe bewaffnete Gewaltanwendung bzw. bewaffneter Angriff ersetzt wurde. Die Frage, ob durch den Briand-Kellogg-Pakt der Krieg als Mittel der nationalen Politik in den zwischenstaatlichen Beziehungen verboten wurde, blieb und bleibt weiterhin umstritten. Gleichwohl ist festzuhalten, daß der Briand-Kellogg-Pakt weiter gefaßt ist als die Satzung des Völkerbundes. Der Pakt, dem nahezu alle damals bestehenden Staaten beitraten, gilt in der Gegenwart fort. Das Gewaltverbot der Charta geht jedoch über das im Pakt formulierte Kriegsverbot hinaus, so daß die praktische Bedeutung auf die Staaten beschränkt ist, die nicht Mitglieder der Vereinten Nationen sind. Die im Briand-Kellogg-Pakt niedergelegten Grundsätze sind Bestandteil allgemeiner internationaler Rechtsüberzeugung und dürften — wenn auch umstritten — zwingendes Völkerrecht auch für Nichtsignatarstaaten darstellen. Gewaltanwendung und kriegerische Auseinandersetzungen konnte der Pakt nicht verhindern. Obwohl Art. 16 Völkerbundsatzung -> Sanktionen wegen Verletzung der Satzung oder bei Gewaltanwendung gegenüber Mitgliedstaaten vorsah, wurden solche nur beim Angriff Italiens gegen Äthiopien (1935) ergriffen. Der Angriff Japans auf die Mandschurei 1931 stellte dagegen nach Meinung der Völkerbundsversammlung keine kriegerische Handlung und daher keine Verletzung der Völkerbundsatzung dar. Die japanische Invasion in China im Jahre 1937 führte zwar zu der Entschließung, daß Japan den Briand-Kellogg-Pakt wie den Neun-Mächte-Vertrag vom 6. Februar 1922 (Martens, NRG, 3e série, vol. XIV p. 323) verletzt habe und daher Art. 16 Völkerbundsatzung Anwendung finde, jedoch blieb jedem Mitgliedstaat überlassen, Sanktionen gegen Japan zu ergreifen. Dazu konnte sich kein Völkerbundsmitglied entschließen. Im Chaco-Krieg zwischen Bolivien und Paraguay (1932—35) entschied zwar der Völkerbund, daß Paraguay die Satzung verletzt habe, aber das gegenüber beiden Staaten beschlossene Embargo wurde nur gegen Paraguay angewendet. Der Angriff der Sowjetunion auf Finnland im Jahre 1939 führte hingegen zu dem Ausschluß gem. Art. 16 Abs. 4 Völkerbundsatzung, wobei dieser allerdings nicht auf Grund der in der Satzung vorgesehenen kollektiven Sanktionsmaßnahmen erfolgte. Insgesamt war die Praxis uneinheitlich und nicht von rechtlichen, sondern von politischen Kriterien bestimmt.

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Friedens- und Kriegsbegriff

Definition der Aggression Die Auflösung des Völkerbundes und die Erfahrung des 2. Weltkrieges rückten erneut die Frage nach dem Kriegsverbot in den Mittelpunkt der Diskussionen. Im Gegensatz zur Völkerbundsatzung versucht die Charta nicht mehr, den rechtlichen Status des Krieges zu bestimmen, sondern geht davon aus, den Krieg schlechthin als Mittel zwischenstaatlicher Auseinandersetzungen nicht mehr zu dulden. Die Charta schließt die Gewaltanwendung — ausgenommen im Falle der Selbstverteidigung im Sinne des innerstaatlichen Begriffs der Notwehr - aus. Damit wird nicht nur der Angriffskrieg im eigentlichen Sinne ausgeschaltet, sondern auch die Gewaltanwendung zur Durchsetzung bestehender Ansprüche, also die kriegerische Selbsthilfe zur Wahrung des Rechts. Entsprechend dieser Konzeption verpflichtet Art. 2 Ziff. 4 die Mitglieder, sich in ihren Beziehungen der Drohung mit Gewalt oder Gewaltanwendung, die gegen die territoriale Unversehrtheit oder politische Unabhängigkeit irgendeines Staates gerichtet oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbar ist, zu enthalten. Auch dieses Verbot der Gewaltanwendung brachte — um in der Staatspraxis einen Handlungsspielraum zu erhalten - keine eindeutige Lösung hinsichtlich der Definition der Aggression. Die Generalversammlung beauftragte daher bereits am 11. Dezember 1946 die Völkerrechtskommission, eine Definition des Begriffes Aggression zu erarbeiten. In dem Draft Code of Offences Against the Peace and Security of Mankind (YBILC 1954 p. 112) legte die Kommission folgende Tatbestände fest, die als „Aggression" anzusehen seien: 1. Acts of aggression, including the use of armed force for purposes other than national or collective self-defence. 2. A threat by the authorities of one state to resort to aggression against another state. 3. Preparation for the use of armed force against another state for purpose other than national or collective self-defence. 4. The organization, encouragement, or toleration of armed bands operating against another state. 5. Undertaking or f o m e n t i n g civil strife in another state. 6. The undertaking or encouragement of terrorist activities in another state. 7. Violations of the obligations of treaties restricting or limiting armaments, military training, fortifications, etc. Trotz langwieriger Diskussionen konnte eine Einigung über diese Definition jedoch nicht erzielt werden. Nach Scheitern der Arbeit von zwei Sonderausschüssen setzte die Generalversammlung 1967 einen aus Vertretern von 35 Staaten gebildeten dritten Sonderausschuß zur Definition der Aggression ein. Seit 1969 lagen diesem Ausschuß drei unterschiedliche Definitionsentwürfe der westlichen Staaten, der Sowjetunion und der Dritten Welt vor. Die wesentlichen Schwierigkeiten bei den Beratungen ergaben sich nicht über die Aufstellung einer Real- oder Nominaldefinition, sondern aus konkreten Interessengegensätzen auf Grund unterschiedlicher politischer wie ideologischer Ansichten. Dennoch gelang es 1973, auf der Grundlage der drei Entwürfe einen gemeinsamen Text zu erarbeiten, der von der Generalversammlung mit der Resolution 3314 (XXIX) vom 14. Dezember 1974 angenommen wurde. Die in dieser Resolution erfolgte Definition stellt einen vielfältigen Kompromiß dar, dessen Praktikabilität sich erst noch erweisen muß. Allein schon die Tatsache der Definition des Begriffs Aggression ist ein Kompromiß, da sich die westlichen Staaten, insbesondere die USA und Großbritannien, lange Zeit überhaupt gegen eine Definition gewehrt hatten. Bedingt durch das unterschiedliche Rechtssystem hielten diese Staaten eine Begriffsbeschreibung in abstrakter Form für die Lösung konkreter Probleme für nicht geeignet und betrachteten demgemäß die Definitionsbemühungen als propagandistische Initiative. Während die Sowjetunion ursprünglich entsprechend den Definitionsentwürfen bis 1957

Definition der Aggression

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eine enumerative und abschließende Definition verfocht, war der Westen im Falle einer definitorischen Klarstellung lediglich zu einer Generalklausel bereit. Als Kompromiß dieser unterschiedlichen Anschauungen definiert Art. 1 Aggressionsdefinition die Aggression abstrakt-generell als Anwendung von Waffengewalt durch einen Staat gegen die Souveränität, territoriale Unversehrtheit und politische Unabhängigkeit eines anderen Staates. Daneben normiert Art. 3 eine Aufzählung bestimmter Akte der Aggression, wie Invasion, Beschießung, Bombardierung, Blockade etc., die jedoch gem. Art. 4 nicht vollständig ist. Mithin stellt die jetzt angenommene Definition eine Verbindung von abstrakt-generellen und enumerativen Elementen dar. Streitig war auch, wer Aggressor ist. In ihren Entwürfen hat die Sowjetunion — wie auch der 13-Mächte-Entwurf von 1969 — stets das Prioritätsprinzip verfochten, nach welchem derjenige der Aggressor ist, der als erster die in der Definition genannten Akte begeht oder durchführt. Demgegenüber lehnte der Westen diese Aggressorbestimmung ab, da es sich oft nicht feststellen lasse, wer als erster einen der inkriminierten Akte begangen habe, und darüber hinaus es angesichts der atomaren Rüstung nicht zumutbar sei, den ersten Schlag der Gegenseite abzuwarten. Ausschlaggebend für die Bestimmung des Aggressors sollte demnach die Absicht, nicht die Priorität sein. Unter Berücksichtigung dieser unterschiedlichen Standpunkte bestimmt Art. 2, daß der Staat, der als erster Waffengewalt anwendet, zwar nicht automatisch Aggressor ist, seine Handlungsweise aber einen Beweis des ersten Anscheins dafür in sich trägt. Angesichts anderer bedeutsamer Umstände kann der Sicherheitsrat jedoch zu einem anderen Schluß gelangen. Die Feststellung des Aggressors ist nicht nur relevant im Rahmen der kollektiven Sicherheit, sondern auch für die strafrechtliche Verantwortlichkeit im Völkerrecht. Während sich insbesondere die Staaten der Dritten Welt dafür eingesetzt hatten, daß auch die Formen der wirtschaftlichen und ideologischen Aggression in die Definition aufgenommen werden sollten, wollte der Westen die Definition auf bewaffnete Auseinandersetzungen beschränken. Trotz massiven Widerstandes der Dritten Welt hat sich der Westen in diesem Punkt durchsetzen können, zumal da als Auffangtatbestand auf das allgemeine Gewaltverbot und die „Prinzipien des Völkerrechts betreffend die freundschaftlichen Beziehungen und die Zusammenarbeit zwischen Staaten in Übereinstimmung mit der Charta" (GA Res. 2625 (XXV) vom 24.10.1970) hingewiesen werden konnte. Entgegen den ersten sowjetischen Definitionsentwürfen, die keinen Hinweis auf indirekte Aggressionen enthielten, nimmt Art. 3 (g) auch indirekte Aggressionen auf. Demnach fällt auch das Entsenden bewaffneter Banden, Gruppen, Freischärler oder Söldner durch einen Staat oder für ihn dann unter die Definition, wenn diese Waffengewalt von nicht unbeträchtlicher Schwere anwenden. Indirekte Aggression gilt jedoch nur dann als Angriff, wenn sie die Erheblichkeit und Schwere der im übrigen in Art. 3 genannten Akte der direkten Aggression erreicht. Um ihren Kampf um Selbstbestimmung und Entkolonialisierung nicht zu gefährden, haben es die Staaten der Dritten Welt in Art. 7 durchgesetzt, daß keine Bestimmung der Definition das Recht auf Selbstbestimmung der Völker, insbesondere das Recht der Völker unter Kolonial- und rassistischer Herrschaft, für die Überwindung dieser Unterdrückung zu kämpfen und Unterstützung zu erhalten, beeinträchtigt. Schließlich wird nach Art. 3 (e) eine Aggression auch darin gesehen, daß auf fremdem Hoheitsgebiet stationierte Streitkräfte vertragswidrig eingesetzt werden oder über den vereinbarten Zeitraum hinaus dort verbleiben. Der gemeinsame Text der Aggressionsdefinition kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß in wesentlichen Punkten auf Grund unterschiedlicher politischer und ideologischer Grundhaltungen kontroverse Ansichten fortbestehen. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der Bestimmung des Aggressors wie der antikolonialen Schutzklausel bei Anwendung von Waffengewalt im Rahmen des Selbstbestimmungsrechts. Auch ist die Definition der indirekten Aggression unbefriedigend, zumal heute Bürgerkriege die Ersatzform des Krieges darstellen.

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Friedens- und Kriegsbegriff

Dennnoch stellt die Definition unter der gegenwärtigen weltpolitischen Konstellation den einzig erreichbaren und damit optimalen Kompromiß dar. Friedensbegriff Während der Kriegsbegriff in der Charta zumindest durch den Aggressionsbegriff ersetzt wurde, ist hinsichtlich des Friedensbegriffs eine definitorische Klarstellung bislang nicht erfolgt. Die Charta verwendet verschiedene Formulierungen, die den Begriff „Frieden" voraussetzen, ihn aber nicht erklären: „Weltfrieden", „Bedrohung des Friedens", „friedliche Ordnung", „Friedensbruch", „friedliche Mittel", „friedliebend", „friedliche Regelung", „friedlicher Wandel". Daher bleibt es den Organen der Vereinten Nationen, insbesondere dem Sicherheitsrat, überlassen zu entscheiden, wann eine Verletzung des Friedens vorliegt (Art. 39) oder Staaten als nicht „friedliebend" angesehen werden (-» Friedenssicherung). Grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, daß eine Friedenssituation dann vorliegt, wenn Angriffshandlungen oder militärische Aktionen durch einen Staat gegenüber einem anderen nicht vorgenommen worden sind oder werden. Sind hingegen Handlungen, die unter den Begriff „Aggression" fallen, von einem Staat vorgenommen worden, wird jeweils vom Sicherheitsrat erneut der Begriff des „Friedens" definiert werden müssen. Die Praxis der Weltorganisation zeigt sehr zurückhaltende Entscheidungen bezüglich der von einem Staat vorgenommenen „friedensbedrohenden" oder „aggressiven" Handlungen. Lediglich beim Koreakrieg entschied der Sicherheitsrat, daß Nordkorea sich einer „Aggression" schuldig gemacht und damit den Weltfrieden und die internationale Sicherheit gefährdet habe. Offensichtlich scheinen die Urheber der Charta von einer formalen Definition des „Friedens" ausgegangen zu sein. „Frieden" erscheint dementsprechend als verträgliches Verhältnis zwischen Staaten, Menschen und sozialen Gruppen, in dem etwaige Gegensätze ohne Anwendung von Gewalt ertragen, ausgeglichen und erledigt werden. Fraglich ist aber, ob die Existenz des Nichtkrieges bereits „Frieden" oder einen Friedenszustand konstituiert und der Begriff „Frieden" gleichzeitig ein normatives Element enthält, wobei die Gemeinsamkeit der Partner und Staaten eine inhaltliche Voraussetzung des Friedens darstellt. Zur Durchdringung dieser Frage hat sich seit dem Versuch Kants, eine transzendentale Deduktion des „ewigen Friedens" zu entwickeln, der auf der Freiheitsgarantie im Staate und dem schiedsrichterlichen Ausgleich zwischen den Staaten beruht, als neuer Wissenschaftszweig die Friedens- und Konfliktsforschung oder die Wissenschaft von Krieg und Frieden (Polemologie) herausgebildet. Diese Wissenschaft hat allerdings bislang keine entscheidende und aktive Rolle bei der friedlichen Bewältigung aktueller Konflikte spielen können. Die inhaltliche Differenzierung des Gewaltbegriffs, insbesondere die Herausbildung und Bewußtmachung der „strukturellen Gewalt", hat zwar zu wertvollen Erkenntnissen für die Kriegsursachenforschung geführt, jedoch keinen Beitrag zur Konfliktsprävention leisten können. Die politischen Diskussionen im Rahmen der Vereinten Nationen, insbesondere im Sicherheitsrat, sind von diesen wissenschaftlichen Ansätzen weitgehend unberührt. Da die Charta hinsichtlich der Begriffsdefinition von „Krieg" und „Frieden" keine konzeptionellen Lösungen anbietet, ist die Anwendung im wesentlichen von machtpolitischen Erwägungen geleitet, wobei dem -> Sicherheitsrat in seiner Auslegung von Gewaltverbot, friedlicher Streitschlichtung und kollektiver Sicherheit die entscheidende Rolle zukommt. Literatur Krippendorff: Friedensforschung, Köln / Berlin 1970 Pappke: Progressive Gewalt, Frankfurt 1972 Randelzhofer: Die Aggressionsdefinition der Vereinten Nationen, in: EA 1975 S. 621 Röling: Einführung in die Wissenschaft von Krieg und Frieden, Neukirchen 1970

Friedenssicherung

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Wittig: Der Aggressionsbegriff im internationalen Sprachgebrauch, in: Schaumann (Hrsg.), Völkerrechtliches Gewaltverbot und Friedenssicherung, Baden-Baden 1971, S. 33 Günther Doeker Verweise auf: Friedenssicherung; Kriegsführung; Sanktionen; Sicherheitsrat; Streitschlichtung; Völkerbund.

Friedenssicherung Allgemeines Stärker noch als nach dem 1. Weltkrieg stand nach dem zweiten der Gedanke der Friedenssicherung im Mittelpunkt der Bemühungen der Weltorganisation. Jede den Frieden bedrohende Gewaltanwendung wird heute durch die Charta untersagt (Nichtmitglieder der Vereinten Nationen sind an das -*• Gewaltverbot des allgemeinen Völkergewohnheitsrechts gebunden). Nach Art. 2 Ziff. 4 sollen sich alle Mitglieder in ihren internationalen Beziehungen der Drohung mit oder Anwendung von Gewalt, die gegen die territoriale Unabhängigkeit irgendeines Staates gerichtet oder in irgendeiner sonstigen Weise mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbar ist, enthalten. Funktional ergänzt wird diese Bestimmung durch die Pflicht zur friedlichen Streitbeilegung (Art. 2 Ziff. 3 ; -*• Streitschlichtung) und die Kompetenzen der Organe der Vereinten Nationen zur Friedenssicherung (Kapitel VI und VII). Der Krieg wurde hiermit vollends geächtet, soweit es sich nicht um die weiterhin legitime Verteidigung gegen Angriff oder Gewaltanwendung handelt. Im Ergebnis vermitteln die Normen der Charta ein System kollektiver Sicherheit; sein Funktionieren hängt allerdings davon ab, daß sich die Organe der Weltorganisation aller Streitfälle wirksam annehmen und in der Staatengemeinschaft Einigkeit über die erforderlichen Sanktionsmaßnahmen erzielen läßt. Da diese Prämissen einer universellen Friedenssicherung in der politischen Praxis bislang nur unzureichend erfüllt scheinen, hat sich auch unter dem Regime der Charta der Schwerpunkt der Friedenssicherung auf die kollektive Selbstverteidigung im Rahmen der Bündnisse verlagert (Art. 51, 52); die Konfrontation der Supermächte führte zu einem Wiederaufleben des Prinzips des politischen Gleichgewichts. Friedensbegriff Die mit der Friedenssicherung im Rahmen der Vereinten Nationen verbundenen Schwierigkeiten beginnen schon beim Friedensbegriff selbst (-»· Friedens- und Kriegsbegriff). Nach der ursprünglichen Konzeption der Charta bedeutet Frieden („peace" oder „peace and security"; vgl. z. B. Art. 1 Ziff. 1, 2 Ziff. 4, 24, 39) die Abwesenheit von militärischer Gewalt; dieser Friedensbegriff führt zur Perpetuierung des status quo, da die zur Völkerbundszeit unterbreiteten Vorschläge zur friedlichen Anpassung der Völkerrechtsordnung an die sich wandelnden Verhältnisse und Bedürfnisse („peaceful change") im Instrumentarium der Vereinten Nationen keinen Rückhalt finden. Das Streben nach mehr sozialer Gerechtigkeit, Respektierung der Menschenrechte oder Verwirklichung des -»· Selbstbestimmungsrechts der Völker wird deshalb in den Friedensbegriff projiziert. Dieser erscheint dann als die u. U. auch mit Gewalt („Gegengewalt") anzustrebende gerechte oder gerechtere Friedensordnung, die in ihren schwer bestimmbaren Konturen, z. B. in Art. 1 Ziff. 2, 3, 13 oder 55 angesprochen wird. Die beiden Friedensbegriffe sind inkompatibel; gestattet man Gewaltanwendung zur Durchsetzung einer postulierten, gerechteren Friedensordnung, so schleust man - da die

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Friedenssicherung

Organe der Vereinten Nationen über die Frage einer gerechteren Ordnung nicht autoritativ entscheiden können — die Gewaltanwendung wieder in das System der kollektiven Sicherheit ein, aus dem man sie durch das Gewaltverbot verbannen wollte. Die beiden Friedensbegriffe reflektieren die Spannung zwischen Konstanz und Wandel in den zwischenstaatlichen Beziehungen, die sich in der gegenwärtigen Verfassung der Völkergemeinschaft nicht durch ein „Weltprozeßrecht" eliminieren läßt; als politisches Dokument und Instrument spiegelt die Charta die Gegensätze in ihren Zielbestimmungen und Wertnormen wieder, ohne sie letztlich auszugleichen oder eine Ideologisierung zu verhindern. Hieraus resultieren die Probleme der Friedenssicherung durch Sicherheitsrat und Generalversammlung. Gewaltverbot Gegenstand der Friedenssicherung und damit des Gewaltverbots der Charta sind zunächst nur die internationalen Beziehungen; nach Art. 2 Ziff. 7 findet die Kompetenz der Vereinten Nationen ihre Schranken in der inneren Zuständigkeit („domestic jurisdiction") der Mitgliedstaaten. Der Bürgerkrieg ist deshalb grundsätzlich der Zuständigkeit der Organe der Vereinten Nationen entzogen. Allerdings hat der Sicherheitsrat schon sehr bald versucht, Bürgerkriegssituationen, wie sie bei der Entkolonialisierung oder als Folge der Spaltung von Staaten nach dem 2. Weltkrieg auftraten (vgl. ζ. B. Indonesien-Konflikt 1947 einerseits und KoreaKonflikt andererseits), in den Griff zu bekommen. Ansatzpunkt waren hier die Erkenntnis, daß interne Streitigkeiten auf andere Staaten und damit auf die internationalen Beziehungen ausstrahlen, und die Notwendigkeit, die Charta den besonderen Verhältnissen nach 1945 anzupassen, die durch die verdeckte — meist in der Form des Bürgerkrieges auftretende — Gewaltanwendung charakterisiert werden. Bedenklich (weil der Art. 39 zugrundegelegte Friedensbegriff ausufert und für die internationalen Beziehungen wertlos wird) erscheint es demgegenüber, weitere interne Verhältnisse (wie ζ. B. die Verwirklichung der Menschenrechte, sozialer Fortschritt, höherer Lebensstandard) in den Friedensbegriff mit einzubeziehen, wie dies auf den Druck der sog. Dritten Welt hin mehrfach geschehen ist (vgl. z. B. GA Res. 2625 (XXV) vom 24.10.1970 (Präambel) und 2734 (XXVI) vom 16.12.1971 (Ziff. 21, 22, 23) und - hinsichtlich des Apartheid-Problems - SC Res. 311 (XXVII) vom 4.2.1972 (zurückhaltender hier ICJ Reports 1971 p. 57)). Ein Hauptproblem der Friedenssicherung ist heute die nähere Definition des Gewaltverbots in seiner konkreteren Anwendung in den zwischenstaatlichen Beziehungen. Gewaltanwendung besteht nach geltendem Völkerrecht in der physischen Brechung des Willens eines fremden Staates oder einer selbständigen Herrschaftsordnung ζ. B. durch militärische Invasion, Bombardierung, Zerstörung fremder Hoheitsobjekte, Gefangennahme oder Enthebung fremder Staatsorgane, Vertreibung der Bevölkerung durch die totale Abschnürung eines Gebietes von der Außenwelt, durch die kontrollierte oder geduldete Unterstützung militärischer Operationen von bewaffneten Banden oder sog. „Freiwilligenverbänden". Noch nicht abschließend geregelt ist die völkerrechtspolitisch problematische, von der legalen Regierung erbetene gewaltsame Intervention (vgl. ζ. B. Libanon 1958, Dominikanische Republik 1965). Die Androhung von Gewalt („threat of force") kann ausdrücklich (ζ. Β. durch eine Regierungsverlautbarung) oder konkludent (ζ. B. durch eine militärische Demonstration) erfolgen. Rüstung und weitere Aufrüstung ist kein Fall der konkludenten Drohung, da Art. 2 Ziff. 4 nicht die Rechtspflicht zur Abrüstung enthält. Die Resolution 2625 (XXV) der Generalversammlung vom 24. Oktober 1970 über die „Prinzipien des Völkerrechts hinsichtlich der freundschaftlichen Beziehungen und der Zusammenarbeit zwischen Staaten in Übereinstimmung mit der Charta" leitet aus dem Gewaltverbot vorerst nur die politische Pflicht der Staaten ab, sich an Verhandlungen für einen Vertrag über allgemeine Abrüstung unter effektiver internationaler Kontrolle zu beteiligen und alle angemessenen Maßnahmen zur Reduzierung internationaler Spannung vorzunehmen.

Verfahren bei der Friedenssicherung

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Die genannte Resolution bestätigt weiter das Verbot gewaltsamer Repressalien, was bei organisierter Guerilla- oder Sabotagetätigkeit gegen das Gebiet eines Staates (vgl. Israel) zu einer nicht unproblematischen Einschränkung an sich möglicher Selbstverteidigungsmaßnahmen führen kann. Art. 2 Ziff. 4 dürfte auch wirtschaftlichen oder politischen Druck oder andere staatliche Durchsetzungsmaßnahmen zumindest solange nicht verbieten, als im System kollektiver Sicherheit der Vereinten Nationen keine obligatorischen Streitbeilegungsverfahren oder anderer Schutz vor Rechtsbrüchen gewährt werden (vgl. die unvollkommene Ausgestaltung in Art. 2 Ziff. 3). Insoweit fehlt dem Gewaltanwendungsverbot die rechtspolitische Legitimation, da mit ihm keine dauerhaften, die Konfliktsursachen beseitigenden Lösungsmöglichkeiten geboten werden. Weiterhin statthaft ist die Gewaltanwendung bei Selbsthilfe und Nothilfe zugunsten Dritter gegen rechtswidrige Angriffe; Art. 51 spricht in diesem Zusammenhang vom Selbstverteidigungsrecht als einem natürlichen, unabdingbaren Recht („inherent right"). Angriff setzt bewaffnete Gewalt voraus. Nichtgewaltsame Rechts- oder Besitzstandverletzungen wie ζ. B. die bloße Veränderung des militärischen oder politischen status quo (wie ζ. B. vor der Kubakrise 1962 oder der Invasion der Tschechoslowakei 1968) indizieren kein Verteidigungsrecht und auch grundsätzlich kein Recht zur Präventivgewalt (mögliche Ausnahmen: In engen Grenzen aus Gründen staatlicher Selbsterhaltung und Art. 53, -> Feindstaatenklausel). Verteidigungsakte müssen verhältnismäßig (insbesondere beim Einsatz von Massenvernichtungswaffen) und in Verteidigungsabsicht (Exzeßverbot) vorgenommen sein. Die Vereinten Nationen bemühen sich seit mehr als zwei Jahrzehnten um eine alle Staaten bindende Aggressionsdefinition, was in Anbetracht der divergierenden Interessen der Mitgliedstaaten der Quadratur des Kreises gleichkommt. Die am 14. Dezember 1974 von der Generalversammlung verabschiedete, acht Artikel umfassende Resolution (Res. 3314 (XXIX)) dürfte kaum die in sie gesetzten Erwartungen erfüllen. Da die Aggressionsdefinition, die eine nicht abschließende Auflistung einzelner Angriffstatbestände mit einer prima facie-Vermutung zu Lasten desjenigen, der als erster chartawidrig militärische Gewalt ausübt (vgl. Art. 2, 3, 4 Aggressionsdefinition), kein Völkervertragsrecht enthält, kommt ihr wenig mehr als eine allgemeine Richtlinienfunktion zu, wobei der Sicherheitsrat weiterhin die entscheidenden Akzente setzen wird (vgl. Art. 2, 4 Aggressionsdefinition). Der Aussagegehalt der Definition leidet vor allem am Vorrang der Charta (Art. 6 Aggressionsdefinition) mit ihren ungelösten Problemen, am Gleichrang der einzelnen Regelungen der Definition (Art. 8) mit ihren sich ausschließenden Interpretationen, wobei namentlich die Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts mit militärischer Gewalt und der Befreiungskampf (Art. 7) ungelöst scheinen. Verstöße gegen das Gewaltverbot führen im Interesse der bestehenden Friedensordnung zur völkerrechtlichen Haftung des Aggressors und zur Nichtanerkennung seiner etwa erlangten Vorteile (Anwendung der sog. Stimson-Doktrin durch GA Res. 2625 (XXV) vom 24.10.1970 und Art. 5 Aggressionsdefinition) sowie zur völkerrechtlichen Diskriminierung der Feindstaaten der Siegerkoalition des 2. Weltkrieges. Verfahren bei der

Friedenssicherung

Im Interesse der Friedenssicherung schuf die Charta einen bis dahin in der Völkerrechtsentwicklung nicht gekannten internationalen Überwachungs- und Durchsetzungsmechanismus. Hauptakteur ist der -> Sicherheitsrat, der die Bedrohung oder den Bruch des Friedens oder eine Angriffshandlung feststellt (Art. 39) und Empfehlungen beschließt oder selbst friedliche oder militärische Sanktionsmaßnahmen (Art. 41, 42) ergreift (-»· Sanktionen). Da dem Sicherheitsrat bislang von den Mitgliedstaaten keine Streitkräfte zur Verfügung gestellt wurden, wie das Art. 43 (-> Streitkräfte der Vereinten Nationen) an sich vorsieht, prävalieren die Empfehlungen (als einzige Maßnahme im Rahmen von Art. 42 erscheint SC Res. 221 (XXI) vom 9.4.1966, durch die Großbritannien aufgefordert wurde, u. U. durch Gewaltan-

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Wendung gegen den jeweiligen Flaggenstaat die Landung von Tankern mit Öl für Rhodesien zu verhindern; allerdings ist die Zuordnung zahlreicher Resolutionen umstritten). Nach dem — allerdings nicht unbestrittenen — Gutachten des IGH vom 21. Juni 1971 zur Lage in Südwestafrika (Namibia) kommt als weitere Rechtsgrundlage für Resolutionen des Sicherheitsrates Art. 24 Abs. 1 in Betracht; diese Resolutionen können nach Art. 25 bindende Wirkung haben (vgl. ICJ Reports 1971 p. 52 seq.). Das hat eine Erweiterung der Kompetenzen des Sicherheitsrates zur Folge, da er demnach auch ohne die besonderen Voraussetzungen des Kapitels VII die Mitgliedstaaten verpflichtende weitreichende Entscheidungen treffen kann. Die praktische Bedeutung dieser Kompetenzerweiterung kann kaum überschätzt werden, da sich die Großmächte (ständige Mitglieder des Sicherheitsrats, Art. 23) in der Regel nicht bereit finden, sich im Falle eines Friedensbruchs auf einen bestimmten Aggressor zu einigen, und Art. 24 Raum für Kompromißformeln bietet, die dann aber nicht immer geeignet erscheinen, den Konfliktstoff zu beseitigen (vgl. z. B. SC Res. 242 (XXII) vom 22.11.1967 zum Nahostkonflikt; -»• Nahost). Alle Beschlüsse des Sicherheitsrats, die nicht nur über Verfahrensfragen ergehen, bedürfen der Zustimmung (als solche gilt auch die Enthaltung und die Abwesenheit) aller ständigen Mitglieder (-» Stimmrecht). Die Generalversammlung kann gem. Art. 10, 11 Abs. 2 alle die Friedenssicherung betreffenden Fragen diskutieren und Empfehlungen an die Staaten oder den Sicherheitsrat oder an beide richten; soweit konkrete Maßnahmen notwendig werden, muß jedoch der Sicherheitsrat eingeschaltet werden (Art. 11 Abs. 2 Satz 2). Da dieser durch ein Veto eines seiner ständigen Mitglieder lahmgelegt werden kann, hat die Generalversammlung in ihrer berühmten Uniting for Peace-Resolution (Res. 377 A (V) vom 3.11.1950) erklärt, daß sie in den Fällen die Zuständigkeit übernehmen werde, in denen der Sicherheitsrat seiner Verantwortung nicht gerecht werden könne. Die Generalversammlung empfiehlt dann Kollektivmaßnahmen, deren Zwangscharakter allerdings strittig ist. Von dieser Möglichkeit wurde in der Vergangenheit mehrfach Gebrauch gemacht; die UdSSR hat sich dieser von ihr zunächst als chartawidrig bezeichneten Praxis im Sechs-Tage-Krieg zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarstaaten angeschlossen (vgl. in diesem Zusammenhang auch die Behandlung des indisch-pakistanischen Konflikts vom Dezember 1971 im Sicherheitsrat (Res. 303 (XXVI) vom 6.12.1971) und in der Generalversammlung (Res. 2793 (XXVI) vom 7.12.1971). Die Aufstellung von Friedenstruppen („peace-keeping forces") ist ein weiterer Aufgabenbereich, den sich die Generalversammlung außerhalb des Wortlauts der Charta erschlossen hat; es hat sich als notwendig erwiesen, daß sich die Vereinten Nationen in friedensbedrohenden Situationen ohne die explizite Verurteilung eines Staates als Aggressor als Puffer zwischen die streitenden Parteien schieben. Friedenstruppen sind sowohl durch den Sicherheitsrat (z. B. Zyperneinsatz, -»· Zypern, erstmals Res. 186 (XIX) vom 4.3.1964) als auch durch die Generalversammlung (z. B. der erste Einsatz einer Friedenstruppe im Zusammenhang mit der Suezkrise 1956; Res. 998 (ES-I) vom 4.11.1956 und 1000 (ES-I) vom 5.11.1956) aufgestellt worden; durch die in der Form von Empfehlungen gehaltenen Beschlüsse wurde jeweils dem Generalsekretär die Befugnis zur Organisation der Streitkräfte und zur Übernahme des Kommandos erteilt. Die Rekrutierung erfolgt meist durch kleinere und neutrale Staaten (Ausnahme: Die britischen Kontingente im Zypernkonflikt). Friedenstruppen können nur mit der Zustimmung des betroffenen Staates eingesetzt werden (deshalb der Rückzug der Streitkräfte der Vereinten Nationen von der Suez-Front im Jahre 1967, als Ägypten sein Einverständnis mit der Stationierung widerrief und Jugoslawien und Indien, die die wichtigsten Kontingente stellten, mit dem einseitigen Abzug ihrer Soldaten drohten). Die Friedenstruppen haben grundsätzlich keinen Auftrag zum Waffeneinsatz, außer zur Selbstverteidigung und bei der Behinderung ihrer Aufgaben (dennoch ist es zu umfangreicheren Kampfhandlungen z. B. im Kongo-Einsatz nach 1960 gekommen;^· Kongo). Ihr Einsatz wird nicht als Zwangsmaßnahme bezeichnet, für die allein der Sicherheitsrat zuständig wäre (Art. 11 Abs. 2; Kapitel VII). Die Rechtmäßigkeit der Friedenstruppen und ihrer Einsätze ist weiterhin äußerst umstritten. Der IGH hat sich für den Einsatz der Friedenstruppen im Suez-Gebiet

Ausblick

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und im Kongo und für die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, zu den Kosten von Friedensaktionen beizutragen, ausgesprochen (ICJ Reports 1962 p. 151), aber den Widerstand namentlich Frankreichs und der UdSSR nicht zu brechen vermocht (-> Streitkräfte der Vereinten Nationen; Beitragssystem, Haushalt). Neben der bestrittenen Aufgabe, Friedenstruppen zu organisieren und zu führen (insbesondere die UdSSR beharrt auf dem Vorrang des Sicherheitsrats), kann der Generalsekretär nach Art. 99 jede Friedensbedrohung vor den Sicherheitsrat bringen. Bedeutsamer im Rahmen der Friedenssicherung erscheint allerdings seine Vermittlerrolle, die in der Vergangenheit namentlich U Thant mit diplomatischem Geschick geführt hat (vgl. die erfolgreiche Vermittlung in den Konflikten zwischen Kambodscha und Thailand 1961—68, Rwanda und Burundi 1963/64, Indien und Pakistan 1965/66, Guinea und Spanien 1969, ferner zwischen dem Iran und Großbritannien bezüglich Bahrein 1969 (-»• Streitschlichtung)). Ausblick Die zahlreichen Lücken im System der Friedenssicherung der Vereinten Nationen zeigen, daß die Weltorganisation derzeit nicht am Ideal des Weltstaates gemessen werden kann, sondern daß ihre Funktion nur in einer Verbesserung der Beziehungen zwischen den Staaten zu suchen ist. In diesem Rahmen erfüllen die Vereinten Nationen die Aufgabe eines großen Diskussionsforums. Im übrigen hängt eine befriedigende Friedenssicherung weitgehend von den übereinstimmenden Interessen der Großmächte ab. Die Vereinten Nationen bieten hier vorerst nur den institutionellen Rahmen für den anzustrebenden Interessenausgleich. Ein erster Schritt auf diesem Wege kann darin erblickt werden, daß die Großmächte im steigenden Maße internationale Fragen nicht mehr als lebenswichtig betrachten, vom Vetorecht sparsameren Gebrauch machen und somit den Vereinten Nationen bei der Friedenssicherung - insbesondere durch die Aufstellung von Friedenstruppen — einen größeren Aktionsradius zur Verfügung stellen. Die Bundesrepublik Deutschland hat (ebenso wie die DDR) in der kurzen Zeit seit ihrer Aufnahme in die Weltorganisation wenig Gelegenheit gefunden, sich bei der Friedenssicherung zu profilieren. Ihr Hauptbeitrag liegt in der finanziellen Unterstützung der Friedenstruppen auf Zypern (bislang mit ca. 30 Mio. DM). Sie war bestrebt, in den internationalen Konfliktzonen (ζ. B. Südafrika, Nahost) einen Mittelweg zu suchen. Spannungen können sich bei ihrem Bemühen, den Frieden zu erhalten, vor allem im Hinblick auf ihr verfassungsrechtlich verbindliches Ziel, die deutsche Frage in einer spezifischen Weise „ o f f e n " zu halten, ergeben, da dieser Grundsatz der deutschen Politik von östlicher Seite als Friedensstörung empfunden wird. Es muß deshalb außer Streit gestellt werden, daß die Forderung nach Selbstbestimmung für das ganze deutsche Volk von den Prinzipien der Charta (insbesondere Art. 1 Ziff. 2) getragen wird. Literatur Derpa: Das Gewaltverbot der Satzung der Vereinten Nationen und die Anwendung nichtmilitärischer Gewalt, Bad Homburg 1970 Dicke / Rengeling: Die Sicherung des Weltfriedens durch die Vereinten Nationen. Ein Überblick über die Befugnisse der wichtigsten Organe, Baden-Baden 1975 Frowein: Friedenssicherung durch die Vereinten Nationen, in: Scheuner / Lindemann (Hrsg.), Die Vereinten Nationen und die Mitarbeit der Bundesrepublik Deutschland, München/Wien 1973, S. 45 McDougal / Feliciano: International Coercion and World Public Order, in: Yale Law Journal 1957/58 p. 771 Rosenstock: The Declaration of Principles of International Law concerning friendly Relations: A Survey, in: AJIL vol. 65 (1971) p. 713

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GATT - Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen

Tunkin: Co-Existence and International Law, in: RCADI 95 (1958 III) p. 1 Wehberg: Krieg und Eroberung im Wandel des Völkerrechts, Frankfurt/M. / Berlin 1953 Wengler: Das völkerrechtliche Gewaltverbot, Berlin 1967 Dieter Blumenwitz Verweise auf: Beitragssystem, Haushalt; Feindstaatenklausel; Friedens- und Kriegsbegriff; Gewaltverbot; Intervention; Kollektive Sicherheit; Kongo;Nahost; Sanktionen; Selbstbestimmungsrecht; Sicherheitsrat; Stimmrecht; Streitkräfte der Vereinten Nationen; Streitschlichtung; Zypern.

GATT — Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen Die Entstehungsgeschichte des G A TT Die Entstehung des GATT (General Agreement on Tariffs and Trade) ist in engem Zusammenhang mit den angloamerikanischen Bemühungen um die Schaffung einer Weltwirtschaftsordnung für die Nachkriegszeit zu sehen. Bereits während des 2. Weltkriegs waren vor allem bei den Amerikanern die Pläne für eine umfassende Neugestaltung der internationalen Wirtschaftsbeziehungen herangereift. Man glaubte in den zahlreichen von den einzelnen Staaten im Gefolge der Weltwirtschaftskrise eingeführten Handelsbeschränkungen eine Ursache nicht nur für den weltweiten wirtschaftlichen Niedergang, sondern auch für den Kriegsausbruch erkannt zu haben und befürwortete daher einen von Handelsschranken weitgehend befreiten Handel und Zahlungsverkehr auf nichtdiskriminatorischer Grundlage. Bereits in der Atlantikcharta aus dem Jahre 1941 versicherten sich die USA der britischen Unterstützung für ihre Vorstellungen und ergriffen nach Beendigung des 2. Weltkriegs mit der Veröffentlichung der „Proposals for the Expansion of World Trade and Employment" (Department of State Publications No. 2411) die Initiative für die Ausarbeitung einer Welthandelscharta. Im Frühjahr 1946 beschloß der ECOSOC die Einberufung einer „Konferenz über Handel und Beschäftigung". Nach einer Reihe vorbereitender Tagungen fand die Konferenz vom 21. November 1947 bis zum 24. März 1948 in Havanna statt und endete mit der Annahme der nach dem Konferenzort benannten Havanna Charta (Doc. E/CONF. 2/78, deutscher Text in: Deutsches Handelsarchiv, Oktober 1949, S. 32). Wesentliche handelspolitische Prinzipien der Charta waren Meistbegünstigung, gegenseitiger Zollabbau sowie das prinzipielle Verbot mengenmäßiger Beschränkungen. Die Durchführung dieser Grundsätze sollte einer Sonderorganisation der Vereinten Nationen, der International Trade Organization (ITO, daher häufig auch die Bezeichnung der Havanna Charta als „ITO-Charta"), übertragen werden, die damit neben -*• IMF und IBRD als dritte für den Welthandel zuständige Institution fungieren sollte. Die Charta stellt in weiten Bereichen eine Kompromißlösung zwischen dem von den USA verfochtenen Konzept eines möglichst uneingeschränkten Freihandels und der eher dirigistischen Auffassung der westeuropäischen Staaten, insbesondere Großbritanniens, dar. Diesen Staaten erschien zunächst die Wiederherstellung der im Kriege zerstörten Industrie und unter dem Eindruck der Theorien von Keynes — die Erlangung der Vollbeschäftigung auf nationaler Ebene als vorrangig. Zur Erreichung dieser Ziele glaubte man angesichts der vorherrschenden Divisenknappheit auf gewisse dirigistische Eingriffe in das Wirtschaftsleben nicht verzichten zu können. Diese dirigistischen Elemente, die in die Havanna Charta Eingang gefunden hatten, waren einer der Gründe dafür, daß zunächst die USA und als Folge davon auch die anderen Signatare von einer Ratifikation Abstand nahmen, so daß die Welthandelscharta niemals in Kraft getreten ist. Parallel zu den Vorarbeiten an der Charta hatten jedoch ebenfalls auf amerikanische Initiative in Genf seit April 1947 erfolgreiche Verhand-

Die Organisation des GATT

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lungen zwischen 23 Staaten über einen gegenseitigen Zollabbau stattgefunden. Um die nach schwierigen Verhandlungen erreichten umfangreichen Zollsenkungen zu sichern, kamen die beteiligten Staaten im Protokoll vom 30. Oktober 1947 überein, die in Länderlisten zusammengefaßten Zollzugeständnisse gemeinsam mit den handelspolitischen Bestimmungen des 4. Abschnitts des Entwurfs der Havanna Charta in einem besonderen Vertrag, eben dem GATT, mit Wirkung vom 1. Januar 1948 vorläufig in Kraft zu setzen (Text des Abkommens in Basic Instruments and Selected Documents, vol. 4 p. 1 ; deutscher Text in BGBl. 1951 II S. 173 sowie Anlagenband I—III; 1957 II S. 610, 621, 671, 682; 1967 II S. 2006). Das GATT ist bisher als völkerrechtlicher Vertrag nicht in Kraft getreten, sondern wird von den ursprünglichen Mitgliedern aufgrund des Protokolls vom 30. Oktober 1947, von den später beigetretenen Mitgliedern aufgrund der jeweiligen Beitrittsprotokolle nur vorläufig angewendet. Diese vorläufige Anwendung hat zur Folge, daß die im Teil II des Abkommens enthaltenen handelspolitischen Bestimmungen der Art. 3—23 nur insoweit verbindlich sind, als sie nicht mit der im Zeitpunkt der Unterzeichnung der Protokolle bestehenden nationalen Gesetzgebung im Widerspruch stehen. Im Falle eines derartigen Widerspruchs wird also der Vorrang der nationalen Gesetzgebung gegenüber den in Teil II enthaltenen GATT-Verpflichtungen begründet. Das GATT umfaßt insgesamt vier Teile. Teil I enthält die Meistbegünstigungsverpflichtungen der Art. 1 und 2, Teil II die sonstigen handelspolitischen Regelungen. Die organisatorischen Bestimmungen finden sich in Teil III des Abkommens, während der seit 1966 in Kraft befindliche, neu hinzugekommene Teil IV unter dem Titel „Handel und Entwicklung" den besonderen Problemen der Entwicklungsländer gewidmet ist. Die Organisation des GA TT Das GATT, ursprünglich nur als ein multilateraler Handelsvertrag für die Übergangszeit bis zum Inkrafttreten der Havanna Charta konzipiert, sieht keine Bestimmungen über die Einrichtung der in den Internationalen Organisationen üblichen Organe (Mitgliederversammlung, Exekutivrat, Sekretariat) vor. Nachdem jedoch zunächst die Errichtung der ITO und später auch die auf der GATT-Revisionskonferenz 1955 ins Auge gefaßte „Organization of Trade Cooperation" gescheitert waren, wurde eine organisatorische Mindestausstattung des GATT unvermeidlich. Heute stellt das GATT, das inzwischen über alle wesentlichen Organe verfügt, eine Internationale Organisation dar, die den Sonderorganisationen der Vereinten Nationen ähnelt, ohne allerdings formell deren Status zu genießen. Oberstes Organ ist die GATT-Versammlung. Auf der Grundlage des Art. 25 Abs. I — der einzigen im Abkommen enthaltenen Vorschrift, die einen Ansatzpunkt für die Errichtung von Organen bietet — kommen die Vertreter der Vertragsparteien in regelmäßigen Abständen zu Sitzungsperioden zusammen. Immer dann, wenn das Abkommen die Mitglieder in dieser Rolle als kollektiv handelndes Organ und nicht als individuelle Parteien meint, bringt es dies durch die Großschreibung (VERTRAGSPARTEIEN) zum Ausdruck. Die Zuständigkeiten der GATT-Versammlung, die regelmäßig einmal im Jahr zusammentritt, sind umfassend. Sie erstrecken sich neben der Erörterung aktueller handelspolitischer Fragen und der Förderung des Abbaus der Zolltarife und sonstiger Handelshemmnisse auf die Streitschlichtung sowie die Erteilung von Ausnahmegenehmigungen. Jede Vertragspartei, die der Auffassung ist, daß durch das Vorgehen einer anderen Partei Zollzugeständnisse oder sonstige für sie mit dem Abkommen verbundene Vorteile zunichte gemacht oder geschmälert werden, kann gemäß Art. 23 in Verhandlungen mit dieser Partei treten und, sofern die Verhandlungen zu keinem Ergebnis führen, sich mit einer förmlichen Beschwerde an die GATT-Versammlung wenden. Diese überweist die Sache zur Klärung der meist sehr komplexen tatsächlichen und rechtlichen Probleme regelmäßig an einen Beschwerdeausschuß („complaints panel"). Die Entscheidung selbst trifft jedoch die GATTVersammlung, die insofern gerichtsähnliche Funktionen wahrnimmt. Sie kann zur Beilegung

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G A T T - Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen

des Konflikts Empfehlungen an die beteiligten Staaten richten und im Fall einer schwerwiegenden Vertragsverletzung das betroffene Mitglied zur Aussetzung von Zugeständnissen gegenüber dem vertragsuntreuen Mitglied ermächtigen. Zu dieser im Rahmen des GATT schwersten Sanktion ist es in der Praxis allerdings erst einmal gekommen. Eine andere wichtige Funktion nehmen die VERTRAGSPARTEIEN mit der Erteilung von Ausnahmegenehmigungen („waivers") nach Art. 25 Abs. V wahr. Durch diese — meist zeitlich befristeten — Befreiungen von bestehenden GATT-Verpflichtungen, etwa von Zollbindungen oder vom Verbot mengenmäßiger Beschränkungen, kann unvorhergesehenen politischen und wirtschaftlichen Umständen in den einzelnen Vertragsstaaten Rechnung getragen und dem Mitglied das Verbleiben in der Organisation auch ohne volle Erfüllung der Verpflichtungen ermöglicht werden. Die Versammlung faßt Beschlüsse im Regelfall mit einfacher, in Ausnahmefällen (Beitritt neuer Mitglieder, Ausnahmegenehmigungen) mit 2/3-Mehrheit. Im Unterschied etwa zum IMF kennt das GATT nicht das Prinzip der Stimmenwägung, jedes Mitglied hat vielmehr nur eine Stimme. In der Praxis wird allerdings selten förmlich abgestimmt, sondern im Interesse der Durchsetzbarkeit der Beschlüsse jeweils ein Konsens in den anstehenden Fragen angestrebt. Die Einrichtung des GATT-Rates aufgrund eines Beschlusses der VERTRAGSPARTEIEN im Jahre 1960 entsprach dem Bedürfnis der bedeutenden Handelsnationen unter den Mitgliedern nach einer Plattform für häufigere Zusammenkünfte auch zwischen den Sitzungsperioden der Versammlung. Die Mitgliedschaft im Rat steht allen Vertragsparteien offen, die zur Übernahme der sich aus der Mitgliedschaft ergebenden Verpflichtungen bereit sind. Am 1. Januar 1973 hatten von dieser Möglichkeit 55 Vertragsstaaten Gebrauch gemacht. Die Kompetenzen des Rats entsprechen mit Ausnahme der Erteilung von Ausnahmegenehmigungen denjenigen der GATT-Versammlung. Der Rat, der etwa neunmal im Jahr zusammentritt, bearbeitet zwischen den Sitzungen der Versammlung anfallende Probleme und unterbreitet Empfehlungen zu deren Lösung. Beschlüssen des Rates können die im Rat nicht vertretenen Mitglieder, sofern es sich um dringliche Sachen handelt, auf postalischem Weg, im übrigen auf der nächsten Sitzung der GATT-Versammlung zustimmen. Das von einem Generaldirektor geleitete Sekretariat des GATT war ursprünglich für die Interim Commission of the International Trade Organization eingerichtet, wurde aber nach dem Scheitern der ITO dem GATT zur Verfügung gestellt. Das Sekretariat erledigt die allgemeine Verwaltung, bereitet die Sitzungen der Versammlung vor und ist in zahllosen Fällen um Vermittlung bei Meinungsverschiedenheiten zwischen Vertragsparteien bemüht. Seit 1968 betreut das Sekretariat auch das gemeinsam mit der UNCTAD betriebene Internationale Handelszentrum. Das GATT verfügt ferner über eine Reihe von Ausschüssen, die mit Vertretern der Vertragsparteien besetzt sind. Zu den ständigen Ausschüssen gehören die Ausschüsse für den Handel mit landwirtschaftlichen bzw. mit Industrieerzeugnissen, der Zahlungsbilanzausschuß, der bei den Beratungen über die Zulässigkeit mengenmäßiger Beschränkungen hinzugezogen wird, sowie der Ausschuß für Handel und Entwicklung, der sich mit den speziellen Problemen der Entwicklungsländer (Präferenzen, Rohstoffe) befaßt. Daneben werden zur Untersuchung von Spezialfragen, etwa der GATT-Konformität regionaler Zusammenschlüsse, sog. „working parties" eingesetzt. Schließlich bereiten mit Experten besetzte sog. „panels" die Verhandlung von Streitfällen vor. Für den Beitritt zum Abkommen ist zwischen zwei Formen zu unterscheiden. Im Regelfall muß das neue Mitglied seinerseits Zollkonzessionen dafür einräumen, daß es über die Meistbegünstigungsklausel automatisch in den Genuß sämtlicher bisher ausgehandelter Zugeständnisse gelangt. Während der sich meist über einen längeren Zeitraum erstreckenden Verhandlungen über das „Eintrittsgeld" nimmt der beitrittswillige Staat bereits regelmäßig den Status eines provisorischen Mitglieds ein. Kommt eine Einigung zustande, werden Bedingungen und Beginn der Mitgliedschaft in einem besonderen Beitrittsprotokoll festgelegt.

Die handelspolitischen Bestimmungen des GATT

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Über den Beitritt selbst entscheidet die GATT-Versammlung mit 2/3-Mehrheit. Der Verzicht auf Einstimmigkeit bei dieser Entscheidung wird durch die Bestimmung des Art. 35 kompensiert, wonach die Mitglieder die Anwendung des Abkommens gegenüber einer neuen Partei aussetzen können, wie es von einer Reihe von Mitgliedern über einen längeren Zeitraum Japan gegenüber praktiziert worden ist. Für den Beitritt unabhängig gewordener Staaten, auf deren Territorium das Abkommen bereits früher galt, greift die besondere Regelung des Art. 26 Abs. V lit. c ein. Danach kann der neue Staat, ohne zusätzliche Leistungen erbringen zu müssen, durch einfache Erklärung seitens des ehemaligen Mutterlandes die GATT-Mitgliedschaft erwerben. Das GATT zählte im November 1975 83 Mitglieder, darunter die Ostblockstaaten CSSR, Rumänien, Ungarn und Polen. Die Bundesrepublik Deutschland gehört dem Abkommen gemäß dem Protokoll von Torquay seit dem 1. Oktober 1951 an. 18 unabhängig gewordene Staaten wenden das Abkommen auf de facto-Basis, weitere drei Staaten wenden es provisorisch an. Insgesamt erfaßt das GATT heute 88 % des Welthandels. Die handelspolitischen

Bestimmungen

des GA TT

Dem GATT liegt die Idee zugrunde, daß die in der Präambel genannten Ziele — Erhöhung des Lebensstandards, Vollbeschäftigung auf nationaler Ebene, wirksame Nachfrage und volle Erschließung der Hilfsquellen der Welt - nur auf der Grundlage eines von staatlichen Eingriffen möglichst unbehinderten freien Wettbewerbs zu verwirklichen sind. Das Kernstück des GATT bildet die in Art. 1 Abs. I enthaltene und durch Art. 3 Abs. II ergänzte Meistbegünstigungsklausel. Sie verpflichtet die Vertragsparteien, im internationalen Warenhandel alle Vorteile, die sie irgendeinem dritten (nicht notwendig Vertrags-) Staat im Hinblick auf Zölle, Zahlungsverkehr, interne Steuern und Abgaben sowie sonstige Einund Ausfuhrbeschränkungen gewähren, unverzüglich und bedingungslos auf alle Mitglieder des GATT zu erstrecken (-* Handels- und Wirtschaftsdiskriminierung). Da nach dem der Meistbegünstigungsklausel innewohnenden Mechanismus jede Ware ohne Rücksicht auf ihre Herkunft die gleiche, und zwar die günstigste Behandlung erfährt, muß sich nach den Gesetzen des Marktes jeweils das billigste Angebot durchsetzen. Die Meistbegünstigungsklausel fördert somit die internationale Arbeitsteilung. Zu den ursprünglichen Zielen des GATT gehört neben der gleichmäßigen, nichtdiskriminierenden Anwendung von Handelshemmnissen auch die Stabilisierung bzw. Senkung der Zolltarife. Dieses Ziel wird im Rahmen der Beitrittsverhandlungen sowie in den multilateralen „Zollrunden" angestrebt. Derartige Zollrunden haben seit den ursprünglichen Verhandlungen in Genf in Annecy (1949), in Torquay (1950/51) sowie wiederum in Genf (1956, 1961/62, sog. Dillon-Runde) und 1964/67 (sog. Kennedy-Runde) stattgefunden. Dabei wurde bis einschließlich der Dillon-Runde nach der sog. „chief supplier rule" verfahren. Sie besagt, daß zunächst Hauptlieferant und Hauptabnehmer sowie sonstige am Handel mit einer bestimmten Ware beteiligte Staaten über eine Senkung des Zolltarifs verhandeln. Wird eine Einigung erzielt, werden die Konzessionen über die Meistbegünstigungsklausel auf die anderen GATT-Mitglieder ausgedehnt. Da bei dieser Technik jede Position einzeln beraten werden muß, haben sich die Verhandlungen in zunehmendem Maße als langwierig und unergiebig erwiesen. Seit der Kennedy-Runde, der eine auf fünf Jahre befristete, unter dem Eindruck der zunehmenden wirtschaftlichen Bedeutung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zustandegekommene Ermächtigung des Kongresses an den amerikanischen Präsidenten zu 50%igen Zollsenkungen vorausgegangen war (Trade Expansion Act, 11.10.1962), ist man von einer bilateralen zu einer multilateralen Verhandlungstechnik übergegangen. Bei dieser multilateralen Verhandlungstechnik wird gleichzeitig zwischen allen Mitgliedern über eine einheitliche, einen bestimmten Prozentsatz ausmachende Zollsenkung verhandelt und erst, wenn über diesen linearen Prozentsatz Einigung erzielt worden ist, über einzelne, eng begrenzte Ausnahmen diskutiert. Mit durchschnittlichen Zollsenkungen von 36 % für ein

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Handelsvolumen von 40 Mrd. Dollar war die Kennedy-Runde vergleichsweise außerordentlich erfolgreich. Sämtliche während der Beitrittsverhandlungen bzw. Zollrunden von den Mitgliedern gemachten Zugeständnisse, die in einer Senkung oder auch nur Festschreibung von Zollpositionen bestehen können, werden in besondere, für jedes Mitglied angelegte Zollzugeständnislisten („schedules of concessions") eingetragen, die einen integrierenden Bestandteil des Abkommens bilden. Nach Art. 2 Abs. I sind die in die Listen eingetragenen Zugeständnisse mit der Veröffentlichung automatisch allen Vertragsparteien einzuräumen. Während für sonstige, nicht in den Listen aufgenommene Erzeugnisse die nationale Zollhoheit unberührt bleibt, können die eingetragenen „konsolidierten" Tarife zwar von jeder Vertragspartei ermäßigt, grundsätzlich aber nur im Rahmen der alle drei Jahre stattfindenden Überprüfungen der Tarife in einem formalisierten Verfahren gegen Einräumung gleichwertiger Zugeständnisse geändert oder zurückgenommen werden. Außer im Verfahren nach Art. 28 kann die Aussetzung von Zollzugeständnissen auch im Wege der Notklausel des Art. 19 Abs. I bei Gefahr einer sektoralen Marktstörung bzw. nach Art. 25 Abs. V über einen „waiver" erfolgen. Aus der Verpflichtung zur Gleichbehandlung aufgrund der Meistbegünstigungsklausel folgt die Unzulässigkeit von Verzugs-(Präferenz-)Zöllen zugunsten der Erzeugnisse einzelner Vertragsstaaten. Es bestehen im Rahmen des GATT jedoch drei Ausnahmekomplexe. a) Zunächst sind nach Art. 1 Abs. II—IV einige zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Abkommens in Kraft befindliche, meist auf kolonialem Ursprung beruhende Präferenzsysteme (vor allem die sog. Commonwealth-Präferenzen) als dauernde Ausnahme vom Meistbegünstigungsgrundsatz gestattet; sie dürfen aber weder erhöht, noch erweitert werden. b) Eine weitere Ausnahme gilt nach Art. 24 Abs. IV—X zugunsten von Zollunionen und Freihandelszonen. Der Unterschied zwischen beiden Formen des Zusammenschlusses besteht nach der Definition des Art. 24 Abs. VIII darin, daß die Zollunion über einen gemeinsamen Außentarif verfügt, während die Mitgliedstaaten einer Freihandelszone Drittstaaten gegenüber die unterschiedlichen nationalen Tarife aufrechterhalten. Die Gründe dafür, daß das GATT derartige Zusammenschlüsse zuläßt, obwohl sie der Grundidee einer universellen Liberalisierung des Handels widersprechen, liegen darin, daß man sich von der Belebung des Handels zwischen den an der Integration beteiligten Staaten auch eine Initialwirkung auf den Handel mit Drittstaaten verspricht. Uber die Vereinbarkeit einer beabsichtigten Zollunion oder Freihandelszone mit dem GATT entscheidet die GATT-Versammlung. Sobald sich zwei oder mehrere Vertragsparteien über eine Form der Wirtschaftsintegration geeinigt haben, sind die Vereinbarungen unverzüglich der GATT-Versammlung zu notifizieren. Die Versammlung, der bisher mehr als 20 derartige Zusammenschlüsse zur Kenntnis gebracht wurden, kann die Integration ausdrücklich billigen, sie kann aber auch, sofern die Voraussetzungen des Art. 24 nicht erfüllt sind, an die beteiligten Mitglieder Empfehlungen richten, den Bestimmungen des Abkommens Genüge zu tun oder aber von dem Plan des Zusammenschlusses Abstand zu nehmen. Im einzelnen setzt Art. 24 voraus, daß sich Zölle und sonstige Handelsvorschriften insgesamt für dritte Staaten nicht ungünstiger auswirken als vor der Bildung des Zusammenschlusses. Weiterhin muß die beabsichtigte Zollunion bzw. Freihandelszone annähernd den gesamten Binnenhandel der beteiligten Staaten erfassen. Der Zusammenschluß muß nicht notwendig gleichsam in einem Akt vollzogen werden, vielmehr kann — was in der Praxis die Regel ist — eine Übergangszeit in Anspruch genommen werden. In diesem Fall müssen jedoch ein detaillierter Plan und ein Programm über die Durchführung der Integration vorgelegt werden. Insgesamt zielen diese Vorschriften darauf ab, daß tatsächlich eine enge wirtschaftliche Integration beabsichtigt wird und daß nicht unter dem Deckmantel der Zollunion oder Freihandelszone lediglich neue Präferenzräume mit einer lediglich auf einige wenige Güter beschränkten Liberalisierung geschaffen werden. Dennoch ist es in der Praxis immer weniger zu ausdrücklichen Entscheidungen und immer häufiger zur stillschweigenden Duldung von

Die handelspolitischen Bestimmungen des G A T T

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Zusammenschlüssen gekommen, bei denen die Vereinbarkeit mit dem GATT entweder umstritten war (vor allem im Falle der EWG und EFTA) oder offensichtlich nicht gegeben war. Das letztere trifft für eine Reihe von Zusammenschlüssen von Entwicklungsländern zu, die von vornherein nicht darauf abstellen, den gesamten Handel zu liberalisieren. Hier hat man jedoch das entwicklungspolitische Ziel der Schaffung größerer Märkte in Rechnung gestellt. c) Weitere, im Abkommen allerdings nicht ausdrücklich vorgesehene, sondern auf „waiver" gestützte Ausnahmen vom Grundsatz der Meistbegünstigung stellen die Präferenzzölle dar, die zum einen die Industrieländer den Entwicklungsländern, zum anderen die Entwicklungsländer einander einräumen. Sie entsprechen einer seit langem von den Entwicklungsländern erhobenen Forderung. Die in den ersten Nachkriegsjahren konzipierten, prinzipiell an der Idee eines weltweiten Freihandels ausgerichteten Bestimmungen des GATT zielen vor allem auf eine Ausdehnung des Handels zwischen den entwickelten Staaten ab und halten für die im Laufe des Dekolonisierungsprozesses immer deutlicher zu Tage tretenden Probleme der Entwicklungsländer trotz der beiden Revisionen des Abkommens im Jahre 1955 und 1964 (Teil IV des GATT) nur unvollkommene Lösungen bereit. Die Entwicklungsländer können darauf verweisen, daß ihr Anteil am Welthandel zwischen 1953 und 1973 kontinuierlich von 27 auf 19 % zurückgegangen ist, während derjenige der Industrienationen im selben Zeitraum von 58 auf 68 % angestiegen ist. Diese Entwicklung, die schon im Haberler-Bericht aus dem Jahre 1958 angedeutet wurde, liegt vor allem darin begründet, daß die Exporte der Entwicklungsländer immer noch zu etwa 75 % auf Rohstoffen beruhen, die überwiegend in die Industriestaaten gehen. Da aber die Nachfrage nach landwirtschaftlichen Produkten und Nahrungsmitteln nicht im gleichen Maße wächst, wie diejenige nach hochwertigen Konsumgütern,und darüberhinaus der Export landwirtschaftlicher Produkte durch den Agrarprotektionismus der Industriestaaten behindert wird, stagnieren die Exporterlöse der weniger entwickelten Länder (-> Rohstoffabkommen). Mittel- und langfristig erscheint daher eine Umstrukturierung der Volkswirtschaften der Entwicklungsländer auf die Produktion und den Export von Halb- und Fertigfabrikaten unumgänglich. Bei den auf die Erreichung dieses Ziels gerichteten Bemühungen der Entwicklungsländer wirkt sich jedoch neben den nach dem Grad der Bearbeitung gestaffelten Zollsätzen der Industriestaaten und wachsendem innergemeinschaftlichen Handel vor allem das Meistbegünstigungsprinzip hinderlich aus. Dieses auf formale Gleichbehandlung abstellende Prinzip, das praktisch einen weitgehend einheitlichen Markt ohne Rücksicht auf die Produktionsbedingungen der einzelnen Anbieter schafft, ist nach Auffassung der Entwicklungsländer nur zur Regelung der auf gleicher wirtschaftlicher Entwicklungsstufe befindlichen Länder tauglich. Ihre im Aufbau begriffene Industrie („infant industry") produziere aber nicht kostengünstig genug, um auf den in- und ausländischen Märkten mit den Unternehmen aus den Industriestaaten in einen Wettbewerb mit gleichen Startchancen treten zu können. Sie bedürfe daher einerseits des (Zoll-)Schutzes im eigenen Land, andererseits aber auch eines erleichterten Zugangs zu den Märkten der Industrienationen. Diesem Bedürfnis entspricht nach Auffassung der Entwicklungsländer am ehesten ein System allgemeiner (d. h. von allen Industriestaaten einzuräumenden), nicht reziproker (d. h. ohne Anspruch auf Gegenleistung) und nichtdiskriminierender (d. h. allen Entwicklungsländern zu gewährenden) Zollpräferenzen. Dieses Präferenzsystem, das sich im Ansatz bereits in Art. 15 der Havanna Charta findet und insbesondere von der UNCTAD propagiert wurde (Prebisch-Bericht, Doc. E/CONF. 46/3; Allgemeines Prinzip VIII der UNCTAD I, Doc. E/CONF. 46/141; Res. 21 (II) der UNCTAD II, Doc. TD/97, vol. I, p. 38; „Agreed Conclusions" von 1970, Doc. TD/B/AC. 5/36 Rev. 1), haben die Industrienationen nach längerem Widerstand in einem „waiver" nach Art. 25 Abs. V am 25. Juni 1971 (Basic Instruments and Selected Documents, 18th SuppL, p. 24) zunächst für einen Zeitraum von 10 Jahren zugestanden (-> Handels- und Wirtschaftsdiskriminierung; Weltwirtschaftsordnung). Neben diesen eben erwähnten, seitens der Industriestaaten zu gewährenden Präferenzen, gestattet ein weiterer „waiver" vom 26. November 1971 (Basic Instruments and Selected

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G A T T - Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen

Documents, 18th Suppl., p. 2 6 ) denjenigen Entwicklungsländern, die Teilnehmer des „Protocol relating to trade negotiation among developing countries" sind, sich untereinander Vorzugszölle einzuräumen. Der Vorteil dieser Präferenzen besteht darin, daß im Unterschied zu den nach Art. 2 4 zulässigen Zollunionen und Freihandelszonen nur ein bestimmter Sektor, nicht aber der gesamte Handel liberalisiert werden muß. Insgesamt sind die Einbrüche in das Meistbegünstigungsprinzip erheblich. Dies wird deutlich aus der Zunahme der präferentiellen Importe von 1 0 % 1 9 5 5 auf 2 4 % 1 9 7 0 , wobei der EG-Handel allein 16 % umfaßt. Mehr als 6 0 Mitglieder des G A T T gehören heute einer Zollunion, einer Freihandelszone oder einem Präferenz system an. Das auf der Idee des Freihandels beruhende G A T T anerkennt prinzipiell nur Zölle als Mittel zur Steuerung der Einfuhren. Dagegen sind sonstige Handelshemmnisse, vor allem aber mengenmäßige Beschränkungen der Ein- und Ausfuhren, die in der Zwischenkriegszeit maßgeblich zum Niedergang der internationalen Handelsbeziehungen beigetragen haben, nach Art. 11 Abs. I verboten. Dahinter steht die Überlegung, daß Zölle eine marktkonforme Beschränkung des Handels bilden und von einem ausreichend billig produzierenden Anbieter überwunden werden können. Dagegen stellen mengenmäßige Handelshemmnisse auch für besonders billige Produzenten ein unüberwindbares Hindernis dar, weil nicht der Preis, sondern die Einfuhrerlaubnis über den Zugang zum Markt entscheidet. Da die Importgenehmigungen von der Exekutive erteilt werden, kann darüberhinaus die Gefahr der Manipulation entstehen. Ähnlich wie die Meistbegünstigungsklausel wird aber auch das Verbot mengenmäßiger Beschränkungen durch eine Reihe von Ausnahmeregelungen durchbrochen, die den unterschiedlichen realen Verhältnissen in den Mitgliedstaaten Rechnung tragen. Die zum Teil in Art. 11 Abs. II lit c ausdrücklich vorgesehenen, zum Teil aber auch auf „waivers" beruhende Möglichkeit der Kontingentierung der Einfuhr landwirtschaftlicher Erzeugnisse entspricht vor allem den Bedürfnissen der westlichen Industriestaaten. Nicht zu Unrecht verweisen aber die besonders betroffenen Entwicklungsländer darauf, daß ihnen in einem Bereich, in dem sie kostengünstig produzieren können, im Gegensatz zu der dem Abkommen zugrundeliegenden Idee einer internationalen Arbeitsteilung der Zugang zu den Märkten der Industriestaaten verwehrt wird. Als weitere wichtige Ausnahme gestattet Art. 12 die Einführung mengenmäßiger Beschränkungen für den Fall vtín Zahlungsbilanzschwierigkeiten, da Kontingentierungen die wirksamste Methode zur Schonung knapper Devisenvorräte bilden. Für Entwicklungsländer gelten die gegenüber Art. 12 erleichterten Voraussetzungen des Art. 18 B, wobei für die Frage, ob ein Land „weniger entwickelt" ist, das Prinzip der Selbstwahl entscheidet. Für den Fall der Anordnung mengenmäßiger Beschränkungen sehen die genannten Bestimmungen ein dem Art. 2 3 entsprechendes Konsultationsverfahren vor. Bei der Entscheidungsfindung über die Zulässigkeit der Einfuhrbeschränkungen sind nach Art. 15, der wegen des engen wirtschaftlichen Zusammenhangs zwischen handels- und währungspolitischen Maßnahmen allgemein eine enge Zusammenarbeit zwischen IMF und G A T T voraussetzt, die Feststellungen des Fonds darüber, ob die Devisenvorräte eines Mitglieds knapp sind bzw. knapp zu werden drohen, verbindlich. Nach Art. 13 sind mengenmäßige Beschränkungen gleichmäßig auf die am Handel mit dem kontingentierten Erzeugnis beteiligten Vertragsstaaten anzuwenden. In dieser gleichmäßigen Beschränkung der Anwendungen liegt die eigentliche Schwierigkeit, da Kontingentierungen von Natur aus zur Diskriminierung einzelner Staaten und zur Zementierung bestehender Handelsstrukturen neigen. Art. 13 Abs. II sieht daher eine ausführliche Regelung der Handhabung von Ein- und Ausfuhrverboten vor und bestimmt, daß im Grundsatz eine Regelung anzustreben ist, bei der die Mitglieder im Handel mit der kontingentierten Ware möglichst solche Anteile zugesprochen erhalten, die sie ohne Beschränkungen voraussichtlich erreichen würden. Dies setzt allerdings eine schwierige, nicht fehlerfrei zu erbringende Prognose der künftigen Entwicklung voraus. Im einzelnen empfiehlt Art. 13 Abs. II zunächst die Festsetzung von Global- oder Ge-

Sonstige handelspolitische Bestimmungen

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samtkontingenten, wobei sich die Anteile der einzelnen Handelspartner aus dem Wettbewerb ergeben. Da dieses Prinzip des „wer zuerst kommt, mahlt zuerst" die Nachbarn des kontingentierenden Staates sowie finanzstarke Exporteure begünstigt, neigt die Praxis zu den im Abkommen hilfsweise vorgesehenen Lösungen der Festlegung von Spezialkontingenten bzw. zur Vergabe von Lizenzen an die Importeure. Bei der Festsetzung von Spezialkontingenten werden den Mitgliedstaaten prozentuale Anteile am Gesamtimport der betreffenden Ware zugewiesen, die sich regelmäßig aus einer früheren Vergleichsperiode ergeben. Es handelt sich also bei der durch das Diskriminierungsverbot des Art. 13 Abs. II angeordneten Gleichbehandlung um eine proportionale Form im Unterschied zur formalen Gleichbehandlung, zu der die Meistbegünstigungsklausel verpflichtet. Ausnahmsweise kann eine Vertragspartei nach Art. 14 auch vom Grundsatz der nichtdiskriminierenden Anwendung von Kontingentierungen bei Zahlungsbilanzschwierigkeiten abweichen, wenn damit die gleichen Wirkungen erzielt werden, wie mit gewissen, nach den Bestimmungen des IMF zulässigen Beschränkungen des Zahlungsverkehrs, und somit die Einfuhren aus denjenigen Staaten bevorzugen, deren Devisen es in ausreichendem Maße besitzt. Seit einer Reihe von Jahren macht sich bei den Mitgliedern zunehmend die Tendenz bemerkbar, bei Zahlungsbilanzschwierigkeiten anstelle mengenmäßiger Beschränkungen andere, weniger einschneidende, im GATT allerdings nicht vorgesehene Maßnahmen zu ergreifen. Zu diesen Maßnahmen gehören vor allem Zuschläge zu den regulären Zollsätzen (Einfuhrausgleichssteuern, „surcharges") sowie Importdepots, bei denen die Importeure der Verpflichtung unterliegen, einen bestimmten Prozentsatz des Zollwerts der eingeführten Ware bei einer staatlichen Stelle (etwa der Zentralbank) für einen gewissen Zeitraum zinslos zu hinterlegen. Das GATT hat bisher über die Zulässigkeit dieser Maßnahmen noch nicht entschieden. Für den gegenüber billigen Einfuhren besonders empfindlichen Bereich der Textilindustrie wurde zwischen den westlichen Industriestaaten einerseits sowie Japan und einigen Entwicklungsländern andererseits im Rahmen des GATT im Jahre 1962 ein sog. „Marktbeschränkungsabkommen", das „Langfristige Baumwolltextilabkommen" vereinbart. An seine Stelle ist — durch die technische Entwicklung bedingt - das Multifaserabkommen über den Internationalen Textilhandel vom 20. Dezember 1973 getreten. Wesentlicher Inhalt des Multifaserabkommens ist, daß die Importstaaten prinzipiell weder neue Beschränkungen einführen, noch bestehende verschärfen, und daß den Exportländern wachsende Marktanteile zugestanden werden. Bemerkenswerterweise steht die gesamte Regelung unter der Kontrolle einer internationalen Überwachungsbehörde. Sonstige handelspolitische

Bestimmungen

Besondere Probleme entstehen aus der Mitgliedschaft von Staatshandelsländern im GATT. Das Abkommen enthält keine ausdrückliche Regelung des Handels mit diesen Ländern, sondern bestimmt in Art. 17 lediglich, daß staatliche Ein- u n d Ausfuhrmonopole den Grundsatz der Nichtdiskriminierung beachten müssen. Die Staatshandelsländer gelangen über die Meistbegünstigungsklausel in den Genuß sämtlicher Zollvorteile auf den Märkten der „kapitalistischen" Staaten. Diesen Vorteilen steht keine entsprechende Gegenleistung gegenüber, da in den sozialistischen Staaten nicht die Zölle, sondern der Plan die Importe reguliert. In den neueren Beitrittsverhandlungen mit osteuropäischen Ländern (Polen, Ungarn, Rumänien) hat man das Problem dahingehend gelöst, daß sich diese Länder verpflichten, den übrigen GATT-Mitgliedern kontinuierlich steigende Importanteile zuzubilligen, während letztere schrittweise die vorhandenen mengenmäßigen Einfuhrbeschränkungen abbauen Wenn eine Ware auf den Märkten eines Mitgliedstaates billiger als im Herkunftsland angeboten wird („Dumping") und dadurch die Schädigung der inländischen Industrie droht, kann

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GATT - Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen

das betroffene Mitglied nach Art. 6 Ausgleichszölle bzw. Ausgleichssteuern bis zur Höhe der Dumpingspanne erheben und dadurch die Wirkungen des „Dumpings" neutralisieren. Eine derartige Maßnahme darf aber nicht zu protektionistischen Zwecken, etwa zur Abwehr billiger Einfuhren, ergriffen werden. Einerseits um ein derartiges protektionistisches Vorgehen möglichst zu begrenzen, andererseits um die Voraussetzungen des Dumping näher zu konkretisieren, haben die Vertragsparteien im Rahmen der Kennedy-Runde ein besonderes Abkommen, den Anti-Dumping-Kodex vom 30. Juni 1967, vereinbart, dem inzwischen über 20 Staaten angehören. Nach Art. 16 sind Subventionen zur Steigerung der Konkurrenzfähigkeit einheimischer Produkte auf den Inlandsmärkten prinzipiell zulässig, müssen aber dem GATT zur Kenntnis gebracht werden. Bei Exportsubventionen ist zu unterscheiden: Rohstoffexporte dürfen subventioniert werden, sofern das Mitglied — gemessen an einer früheren Vergleichsperiode — durch die Subventionierung nicht mehr als einen angemessenen Anteil am Handel mit dem Erzeugnis erhält. Dagegen ist die Exportsubventionierung von Industrieerzeugnissen, sofern sie dazu fuhrt, daß Erzeugnisse im Ausland billiger als im Inland angeboten werden, für die 17 wichtigsten Industriestaaten im GATT (unter ihnen die Bundesrepublik Deutschland) unzulässig. Das GATT, das in den ersten beiden Jahrzehnten seines Bestehens hervorragende Erfolge beim Abbau der Handelsbeschränkungen und der Ausweitung des Handels erreicht hat, sieht sich seit einer Reihe von Jahren angesichts der auf die Errichtung einer neuen Weltwirtschaftsordnung gerichteten Forderungen der Entwicklungsländer und unter der unmittelbaren Konkurrenz der UNCTAD einer ernsthaften Belastungsprobe ausgesetzt: Vor die Wahl gestellt, entweder die Rolle einer universalen Handelsorganisation aufzugeben und sich allein mit der Interessenvertretung der Industrienationen zu begnügen oder aber die Forderungen der weniger entwickelten Länder — allerdings unter Eingehung von Kompromissen mit den ursprünglichen wirtschaftspolitischen Ordnungsvorstellungen — im Rahmen des Abkommens zu integrieren, hat sich das GATT in der Tokio-Deklaration vom September 1973, die den Beginn einer neuen weltweiten Verhandlungsrunde über handelspolitische Probleme markiert (sog. Nixon-, später Long-Runde), für den zweiten Weg entschieden und die Verbesserung der Situation der Entwicklungsländer als eines der wesentlichen Verhandlungsziele bezeichnet. Unter diesem Blickwinkel sind auch die Beratungen über den Abbau von Beschränkungen im Handel mit Agrar- und insbesondere tropischen Erzeugnissen sowie über die Revision der Notklausel des Art. 19 Abs. I zu sehen. Neben den spezifischen Problemen der Entwicklungsländer gelten die Verhandlungen der Tokio-Runde der Reduzierung bzw. Harmonisierung der Zolltarife und dem Abbau sog. nicht-tarifárer Handelsbeschränkungen (non tariff barriers). Angesichts der bereits in den früheren Zollrunden erreichten niedrigen Zolltarife kommt dem Abbau nicht-tarifärer Handelsbeschränkungen heute besondere Bedeutung zu. Nach den Feststellungen des GATT verfügen die Mitglieder über ein Arsenal von etwa 850 verschiedenen Beschränkungen, zu denen u. a. Gütevorschriften oder Prüfverfahren gehören. Die ohnehin schwierigen Verhandlungen werden dadurch kompliziert, daß sie vor dem Hintergrund der schwersten Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit und des Zusammenbruchs des Weltwährungssystems geführt werden müssen.

Literatur Bratschi: Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen (GATT), Zürich 1973 Dam: The GATT. Law and International Economic Organization, Chicago / London 1970 Flory: Le GATT, Droit International et Commerce Mondial, Paris 1968 Hudec: The GATT Legal System and World Trade Diplomacy, New York / London 1975 Jackson: World Trade and the Law of the GATT, New York 1969

Generalsekretär

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Jaenicke: Das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen, AVR 1958/59 S. 371 Kewenig: Der Grundsatz der Nichtdiskriminierung im Völkerrecht der internationalen Handelsbeziehungen, Frankfurt/M. 1972 Kock: International Trade Policy and the GATT 1 9 4 7 - 1 9 6 7 , Stockholm 1969 Krämer: Das Meistbegünstigungsprinzip und die Entwicklungsländer, JIR Bd. 17(1974) S. 125 Liebich: Das GATT als Zentrum der internationalen Handelspolitik, Baden-Baden 1971 Lortie: Economic Integration and the Law of GATT, New York / London 1975 Sauvignon: La Clause de la Nation la Plus Favorisée, Grenoble 1972 Steinberger: GATT und regionale Wirtschaftszusammenschlüsse, Köln / Berlin 1963 Eckart Wehser Verweise auf: ordnung.

Handels-

und Wirtschaftsdiskriminierung; IBRD; IMF; Weltwirtschafts-

Generalsekretär Nach Art. 7 ist das Sekretariat, nicht der Generalsekretär, eines der Hauptorgane der Vereinten Nationen. Die nähere Ausgestaltung dieses Hauptorgans in Kapitel XV der Charta (Art. 97—101) läßt jedoch erkennen, daß beide Einrichtungen — Generalsekretär wie Sekretariat — einerseits zwar unterschiedlich ausgeformt sind, andererseits jedoch eine Einheit bilden. Nach Art. 97 ist der Generalsekretär der höchste Verwaltungsbeamte nicht nur des Sekretariats, sondern der gesamten Organisation (-> Organisationssystem der Vereinten Nationen). Art. 98 und 99 übertragen speziell dem Generalsekretär bestimmte Aufgaben und Funktionen. Insofern sind beide Einrichtungen nicht unbedingt identisch. Dennoch sind sie insoweit untrennbar, als das Sekretariat auf einer funktionellen Basis organisiert ist und daher als einheitliche Institution aufgefaßt wird. So besteht das Sekretariat aus dem Generalsekretär und den sonstigen Bediensteten, die dem Generalsekretär unterstellt und verantwortlich sind (Art. 97). Stellung und Funktion des

Generalsekretärs

Der Generalsekretär wird auf Empfehlung des -*· Sicherheitsrates von der -> Generalversammlung ernannt (Art. 97). Im Sicherheitsrat ist die qualifizierte Mehrheit erforderlich, ein Veto ist möglich. Nach Regel 141 Geschäftsordnung der Generalversammlung wird der Generalsekretär in geheimer Wahl in nichtöffentlicher Sitzung gewählt. Gemäß den bei der Wahl des ersten Generalsekretärs durch Beschluß der Generalversammlung festgelegten Anstellungsbedingungen dauert die Amtszeit fünf Jahre, eine Wiederernennung auf weitere fünf Jahre wird nicht ausgeschlossen (GAOR (I) 17th Plen. mtg., 24.1.1946, p. 267, Doc. A / l 1). Diese Bedingungen sind bislang beibehalten worden. Weder der Generalsekretär noch das Personal des Sekretariats dürfen bei Erfüllung ihrer Pflichten Weisungen von Stellen außerhalb der Organisation einholen oder entgegennehmen. Sie sollen jede Handlung vermeiden, die mit ihrer Stellung als nur der Organisation verantwortliche Beamte unvereinbar wäre (-> Öffentlicher Dienst, Internationaler). Die Mitglieder der Vereinten Nationen verpflichten sich, den ausschließlich internationalen Charakter der Aufgaben des Generalsekretars und des Personals zu achten und nicht zu versuchen, sie in der Erfüllung ihrer Aufgaben zu beeinflussen (Art. 100 Abs. 2).

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Generalsekretär

Die einflußreiche Stellung des Generalsekretärs der Vereinten Nationen findet ihre Grundlage vor allem in den Artikeln 98 und 99. Der Generalsekretär kann an allen Sitzungen der Hauptorgane teilnehmen und das Wort ergreifen, er hat aber auch nach deren Beschlüssen zu handeln. Alljährlich erstattet er der Generalversammlung über die Tätigkeit der Organisation Bericht (Art. 98). Nach Art. 99 hat der Generalsekretär ein eigenes Recht, Friedensbedrohungen dem Sicherheitsrat zu melden (-> Friedenssicherung). Er entwirft die Tagesordnung des Sicherheitsrats und bringt ihm die für dessen Tätigkeit wichtigen Mitteilungen der Staaten und anderen Organe zur Kenntnis (Regeln 6 und 7 Vorläufige Geschäftsordnung des Sicherheitsrats). Der Generalsekretär schöpft seine Autorität nicht nur unmittelbar aus der Charta. Auch mittelbar, nämlich über Art. 98, sind seine diplomatische Aktivität und das persönliche Eingreifen in krisenhaften Situationen rechtlich begründet. So sind es unter anderem die Resolutionen der Generalversammlung und des Sicherheitsrats, die ihn zur Vermittlungstätigkeit verpflichten (-• Streitschlichtung). Die Stellung des Generalsekretärs kann aber nicht nur von der Charta her interpretiert werden. Vielmehr ist es auch der Charakter des monokratisch aufgebauten Amtes, welcher seine starke Position sichert. Es kann nach den Worten des zweiten Generalsekretärs folgendermaßen umrissen werden: „Das Amt des Generalsekretärs spiegelt in gewisser Weise das amerikanische politische System wider, welches Gewalt einem obersten Beamten (Chief executive officer) überträgt, der den Legislativorganen nicht schlicht untergeordnet ist, sondern der verfassungsmäßig allein verantwortlich ist für die Ausführung der Gesetze und in mancher Form fur die Ausübung der Gewalt, die er aus dem Verfassungsinstrument direkt herleitet" (Rede Dag Hammarskjölds vor der Universität Oxford am 30. Mai 1961 anläßlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde). Aus der eminent politischen Funktion des Generalsekretärs ergaben und ergeben sich weitgespannte Möglichkeiten, aber auch Konflikte für die jeweiligen Amtsinhaber. Konnten die Generalsekretäre auf Grund der Interessengegensätze der Weltmächte auch vielfach nicht erfolgreich tätig werden, so entfalteten sie doch eme unermüdliche diplomatische Aktivität in Beratungs- und Vermittlungsaktionen, die vielfach den Ausbruch von bewaffneten Konflikten verhindern half (-» Streitschlichtung; Friedenssicherung). Die Verhandlungs- und Vermittlungstätigkeit des Generalsekretärs kann sich auf zwei verschiedenen Ebenen abspielen: Einmal wird der Generalsekretär nach Art. 98 im Auftrag der Hauptorgane tätig, zum anderen kann er selbständig die Initiative ergreifen, ohne daß Art. 99 selbst zur Anwendung gelangen muß. Der Generalsekretär kann in eigener Person zwischen den Streitparteien vermitteln, er kann seine Rolle auf die Offerte der „guten Dienste" beschränken, indem er die Kontrahenten innerhalb oder außerhalb der Vereinten Nationen zu Gesprächen oder Verhandlungen zusammenbringt. Er kann aber auch Verhandlungen einleiten, die später unter den Streitparteien selbst bzw. mit Hilfe Dritter weitergeführt werden. Aus Art. 98 ergibt sich auch die dem Generalsekretär vom Sicherheitsrat von Fall zu Fall übertragene Kommandogewalt über die Friedenstruppen der Vereinten Nationen (-• Streitkräfte der Vereinten Nationen). Der erste Generalsekretär (1946—53), der Norweger Trygve Lie, zog sich auf Grund seiner Tätigkeit während des Koreakrieges (-» Korea) den Zorn der Sowjetunion zu, die die diplomatischen Beziehungen zu ihm abbrach. Ähnlich erging es dem zweiten Generalsekretär (1953—61), dem Schweden Dag Hammarskjöld, wegen seiner Vermittlungsbemühungen im Verlaufe der Kongokrise (-»• Kongo); dem bislang einzigen Fall übrigens, in dem der Generalsekretär von dem Recht nach Art. 99 der Charta Gebrauch machte. Ein Tätigwerden des Generalsekretärs nach Art. 99 setzt genaue und umfassende Kenntnis der Lage im Krisengebiet voraus. Ist der Generalsekretär ungenau informiert oder macht er zu häufig von diesem Recht Gebrauch, so kann Art. 99 zu einer stumpfen Waffe werden. Ein Mittel, dessen sich der Generalsekretär zur Erlangung der notwendigen Information bedienen kann, ist die Entsendung eines „persönlichen" oder „besonderen Beauftragten".

Stellung und Funktion des Generalsekretärs

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Eigenständig, d. h. ohne Auftrag der Hauptorgane machte erstmals Dag Hammarskjöld 1 9 5 8 im Streit zwischen Thailand und Kambodscha um die Eigentumsverhältnisse am Tempel von Preah Vihear davon Gebrauch, als er den schwedischen Botschafter bei den Vereinten Nationen Beck-Friis zu seinem Sonderbeauftragten ernannte mit dem Auftrag, zwischen beiden Regierungen zu vermitteln. Zwar waren auch schon früher persönliche Beauftragte ernannt worden, so von Trygve Lie im Koreakrieg (-> Korea). Aber in diesen Fällen hatte Lie im Rahmen der von den Hauptorganen abgesteckten Politik gehandelt, während Hammarskjöld den Sonderbeauftragten anstatt zur Ausübung der dem Sekretariat übertragenen Tätigkeiten eigenständig zur Beilegung zwischenstaatlicher Streitigkeiten einsetzte. In jüngerer Zeit haben die Generalsekretäre vor allem in Nahost und Zypern versucht, durch Entsendung persönlicher Beauftragter zwischen Streitparteien zu vermitteln bzw. Verhandlungen in Gang zu setzen (-> Nahost; Zypern). In das Ende der Amtszeit Hammarskjölds fiel der bislang schwerste Angriff auf Amt und Stellung des Generalsekretärs: der sowjetische Vorschlag einer Troikalösung. Am 23. September 1 9 6 0 erklärte der damalige Vorsitzende des Ministerrats der U d S S R , Nikita S. Chruschtschow vor der Generalversammlung ( G A O R ( X V ) 8 6 9 t h Plen. mtg. 2 3 . 9 . 1 9 6 0 , p. 6 8 ) , daß es an der Zeit sei, das Amt des Generalsekretärs abzuschaffen. Da es seiner Ansicht nach zwar neutrale Staaten, aber keine neutralen Männer gebe, sollte an die Stelle des Amtes des Generalsekretärs ein Kollektivorgan aus drei Personen treten, von denen je eme den westlichen Ländern, eine dem Ostblock und eine den neutralen Staaten zuzuordnen sei (-> Blockbildung). Dieser Vorschlag stellte nicht nur das Amt des Generalsekretärs aufs Spiel, seine Durchführung hätte auch das Gefüge der gesamten Organisation erschüttert. Das Troikasystem setzte der Konzeption vom dynamischen Instrument der Vermittlung und Streitbeilegung (-> Streitschlichtung) das Modell eines internationalen Sekretariats als Ausführungs- und Hilfsorgan einer mehr oder weniger statischen Konferenzmaschinerie entgegen. Es hätte mit Sicherheit das Ende der Vermittlerfunktion der Vereinten Nationen in Konfliktfällen bedeutet. Eigenständige Aktionen, wie sie seit der Gründung der Organisation mit wechselndem Erfolg durchgeführt wurden, wären dem Willen der Großmächte und damit auch dem Veto jedes Einzelnen von ihnen unterworfen worden; sie hätten also praktisch kaum noch durchgeführt werden können. Vor allem hätte sich in akuten Krisensituationen der Troikaapparat als zu langsam und schwerfällig erwiesen, um wirksam operieren zu können. Zwar wurde die Troikalösung nie verwirklicht. Aber die Angriffe, denen Amt und Person der ersten beiden Generalsekretäre ausgesetzt waren, blieben nicht ohne Auswirkungen für die Folgezeit. Dem schwindenden Einfluß der Vereinten Nationen in den wichtigen weltpolitischen Entwicklungen der 6 0 e r Jahre entsprach die Zurückhaltung, die sich der dritte Amtsinhaber ( 1 9 6 1 — 1 9 7 1 ) , der Birmane U Thant, bei seinen Friedensbemühungen auferlegte. Dabei mögen auch Herkunft, Naturell und eine unterschiedliche Konzeption in der Amtsauffassung eine Rolle gespielt haben, wie überhaupt die Ausgestaltung des Amtes in hohem Maße von der Persönlichkeit des jeweiligen Generalsekretärs abhängt. Erfolgen der Friedensbemühungen U Thants wie bei der Beendigung der Kongokrise oder der Beilegung der Unruhen auf Zypern 1 9 6 4 stand eine durch die Interessengegensätze der Weltmächte verursachte Erfolglosigkeit der Tätigkeiten des Generalsekretärs im Vietnamkrieg und im 6-Tage-Krieg (-> Nahost) gegenüber. Politischer Einfluß und Gewicht der Stellung des Generalsekretärs nahmen so weit ab, daß sich der vierte Generalsekretär (seit 1 9 7 2 ) , der Österreicher Kurt Waldheim, in seiner Antrittserklärung veranlaßt sah, die Wiederherstellung des Vertrauens zu den Vereinten Nationen als vordringliches Ziel seiner Politik hervorzuheben. Da insbesondere der Sicherheitsrat wegen der fehlenden Übereinstimmung seiner Mitglieder häufig wirkungslos bleibt, ist Waldheim bemüht, die Stellung der Generalversammlung wieder aufzuwerten und damit auch die Position des Generalsekretärs zu stärken.

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Generalsekretär

Die Bediensteten des Sekretariats Die Bediensteten des Sekretariats werden vom Generalsekretär nach bestimmten, von der Generalversammlung erlassenen Regelungen ( S t a f f Regulations) ernannt (Art. 101 Abs. 1) (-> Öffentlicher Dienst, Internationaler). Bei ihrer Auswahl ist ein Höchstmaß an Leistungsfähigkeit, fachlicher Eignung und Ehrenhaftigkeit der Person zu gewährleisten. Außerdem ist die Auswahl auf möglichst breiter geographischer Grundlage vorzunehmen (Art. 101 Abs. 1). Nach Art. 97 besteht das Sekretariat aus dem Generalsekretär und den „sonstigen von der Organisation benötigten Bediensteten". Demzufolge ist die Zahl der Mitarbeiter nicht fixiert, sondern richtet sich nach den jeweiligen Erfordernissen. Derzeit setzt sich das Sekretariat aus zwölf Unter-Generalsekretären, sieben Assistenz-Generalsekretären, zwei Sonderbeauftragten, den Exekutiv-Sekretären der Wirtschaftskommissionen sowie dem Registraturbeamten des IGH zusammen. Zuständigkeiten des Sekretariats umfassen die Verbindungen zur ->• Generalversammlung, zum Sicherheitsrat, zum ECOSOC sowie den anderen Organen und Gremien der Vereinten Nationen, die sie bei ihren Aufgaben zu unterstützen haben. Außerdem obliegt ihnen die Verwaltung der Organisation in personeller, finanzieller und rechtlicher Hinsicht. Die unmittelbare Unterstützung der Organe besteht bei der Vorbereitung und Durchführung der Sitzungen im Ausarbeiten von Entwürfen sowie der Erteilung von Auskünften und Interventionen während der Debatten oder in Hinweisen hinsichtlich der Auswahl von Personen ζ. B. bei der Aufstellung einer Unterkommission oder bei der Wahl eines geeigneten Präsidenten oder Berichterstatters. Daran schließt sich die Teilnahme an der Abfassung des Berichtes oder der Resolutionsentwürfe der Tagung an. Mittelbar wirkt das Sekretariat durch seine Dokumentationstätigkeit mit dem Ausarbeiten von Statistiken und anderen Materialsammlungen an der Tätigkeit der Vereinten Nationen mit, auch durch weitgehende Informationstätigkeit über Presse, Radio und Fernsehen. Der Grundsatz der Universalität der Vereinten Nationen schafft für das Sekretariat das Problem der gerechten geographischen Stellenverteilung, da nicht immer genügend geeignete Bewerber aus allen Mitgliedstaaten zur Verfügung stehen. Obwohl ursprünglich davon abgesehen wurde, feste Personalquoten für die einzelnen Mitgliedstaaten festzulegen, hat sich doch die Praxis eingebürgert, wonach jedes ständige Sicherheitsratsmitglied einen Unter- bzw. Assistenz-Generalsekretärs-Posten beziehen soll. Im übrigen gilt für die Besetzung der Posten im Sekretariat das System der „desirable range", der Bandbreite zwischen einer nationalen Höchst- und Mindestquote, innerhalb deren sich die Anzahl der Mitarbeiter aus einem Staat bewegt. Als Maßstab für die Aufteilung der Posten und die Festlegung der „desirable range" gilt die Höhe der nationalen Beitragszahlungen zu dem Budget, die sich wiederum nach dem jeweiligen Volkseinkommen richten (->· Beitragssystem, Haushalt). Um zu verhindern, daß die wirtschaftlich starken Staaten einen übermäßig großen Anteil des Personals stellen, sollten Mitgliedstaaten, die mehr als 1 0 % des Gesamtbudgets tragen, ihre Personalquoten nicht überschreiten. Andererseits stehen den Staaten, deren Beitrag unter 0 , 1 4 % des Gesamtbudgets liegt, bis zu drei Posten zu, ohne daß sie als überrepräsentiert gelten. Dieses System wurde indes von einigen Mitgliedstaaten heftig kritisiert, weil es ihrer Ansicht nach gegen das Gleichheitsprinzip der Charta verstoße und auf die unterschiedliche Bevölkerungszahl der Mitgliedstaaten nicht hinreichend Rücksicht nehme. 1 9 6 2 wurde deswegen ein Punktesystem eingeführt, das auch den unterschiedlichen Wichtigkeitsgraden der Posten im Sekretariat Rechnung trägt: Die Mindest- und Höchstwerte fur jeden Mitgliedstaat und für jede regionale Gruppe werden im Hinblick auf die „desirable range" mit einem Faktor 1 5 1 5 5 multipliziert, um die zulässige Gesamtpunktzahl für die einzelnen Staaten und Gruppen zu erhalten. Jede Besoldungsstufe erhält außerdem einen bestimmten Punktwert, der 1/1000 eines Bruttojahreseinkommens nach der Eingangsstufe darstellt. Damit wird vermieden, daß bei Überwiegen von Stellen mit niedrigen Punktzahlen

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das Kontingent eines Staates erreicht, bei Überwiegen von Posten mit hohen Punktzahlen es überschritten wird. Die Bediensteten sind zu etwa 75 % auf Dauer angestellt, zu 25 % auf Zeit. Innerhalb der Gruppe der dauerbeschäftigten Berufsbeamten ist das Karrieresystem beibehalten worden, obwohl dagegen — wie gegen das Zahlenverhältnis der Dauer- und der Zeitbeamten - von einigen Staaten Widerspruch angemeldet worden ist. Die Vorschläge, die Zahlenverhältnisse umzukehren und das Karrieresystem abzuschaffen, werden freilich von einer Seite erhoben, nach deren Vorstellungen es keine unparteiischen, neutralen Beamten geben kann. Sie sind indes nicht unbeachtlich. Zugunsten der Arbeitseffektivität, der geistigen Beweglichkeit und vor allem der Realitätsnähe ist eine gewisse Personalfluktuation durchaus wünschenswert (-»• Öffentlicher Dienst, Internationaler). Literatur Gordenker: The UN Secretary-General and the Maintenance of Peace, New York 1967 Lindemann: Die Organisationsstruktur der Vereinten Nationen und die Mitarbeit der BRD, in: Scheuner-Lindemann: Die Vereinten Nationen und die Mitarbeit der Bundesrepublik Deutschland, München / Wien 1973, S. 217 Pirotte / Martin: La fonction de Secrétaire général de l'ONU à travers l'expérience de M. Kurt Waldheim, in: RGDIP vol. 78 (1974) p. 121 Schwebel: The Secretary General of the United Nations, Cambridge 1952 Smouts: Le Secrétaire Général des Nations Unies, Paris 1971 U Thant: Die Rolle des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, in: VN 1971 S. 154 Urquhart: Hammarskjöld, New York 1972 Winchmore: The Secretariat: Retrospect and Prospect, in: International Organization vol. 19 (1965) p. 622 Hubertus von Morr Verweise auf: Beitragssystem, Haushalt; Blockbildung; Friedenssicherung; Generalversammlung; Kongo; Korea; Nahost; Öffentlicher Dienst, Internationaler; Organisationssystem der Vereinten Nationen; Sicherheitsrat; Streitkräfte der Vereinten Nationen; Streitschlichtung; Wirtschaftskommissionen; Zypern.

Generalversammlung Die Generalversammlung gehört zu den in Art. 7 Abs. 1 aufgezählten Hauptorganen der Weltorganisation (-> Organisationssystem der Vereinten Nationen). Nicht zufällig wird sie dort an erster Stelle genannt und erfährt sie ihre nähere Regelung in Kapitel IV vor allen anderen Hauptorganen. Auf Grund von Art. 9 Abs. 1 hat in der Generalversammlung jeder Mitgliedstaat Sitzung und Stimme, während alle anderen aus Staaten zusammengesetzten Hauptorgane nur einen beschränkten Kreis von Mitgliedern umfassen. Der Generalversammlung kommt daher als allgemeiner Konferenz innerhalb der Organisationsstruktur der Vereinten Nationen eine zentrale Stellung zu. Politisch gesehen ist sie das einzige Gremium, in dem jeder Mitgliedstaat seine Wünsche vortragen kann. Nachdem die Vereinten Nationen der -»• Universalität der Mitgliedschaft recht nahe gekommen sind, konsolidiert die Generalversammlung zunehmend ihre Stellung als das herausragende Forum der weltpolitischen Diskussion. Eine ganze Reihe von Einzelbestimmungen läßt im übrigen erkennen, daß die Generalversammlung in weitem Umfang auch rechtlich den übrigen Hauptorganen übergeordnet sein soll.

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Das Recht auf einen Sitz in der Generalversammlung ist unabhängig von der Größe des jeweiligen Mitgliedstaates. Überlegungen, für sog. ->• Mikrostaaten einen besonderen Assoziationsstatus mit einem nur indirekten Recht der Mitwirkung in der Generalversammlung zu schaffen, haben bisher zu keinem greifbaren Ergebnis geführt. So wächst das Gewicht der Staaten der Dritten Welt in der Generalversammlung durch die Aufnahme unabhängig gewordener Neustaaten mit tendenziell kleiner werdender Bevölkerungszahl in der Gegenwart laufend an. Am 31. Dezember 1975 stellte diese Staatengruppe weit über 100 der 144 Mitglieder der Generalversammlung (-* Blockbildung; Nord-Süd-Konflikt). Um nicht die kleineren Staaten zu benachteiligen, beschränkt Art. 9 Abs. 2 die Anzahl der Vertreter, welche ein Staat in die Generalversammlung entsenden darf, auf fünf. Jede Delegation h a t sich durch entsprechende Beglaubigungsschreiben auszuweisen. Nach Regel 7 Geschäftsordnung (Doc. A/520/Rev. 12) darf für die Nachprüfung des Beglaubigungsschreibens an sich nur der formale Gesichtspunkt maßgebend sein, ob die Urkunde ordnungsgemäß durch den Staatschef oder den Außenminister unterzeichnet worden ist. Obwohl dieses Erfordernis bei den Delegierten Südafrikas unzweifelhaft erfüllt war, hat die Generalversammlung seit einer Reihe von Jahren deren Beglaubigungsschreiben mit der Begründung zurückgewiesen, daß sie von einer rassistischen Minderheitsregierung ausgestellt seien, die nicht für das Volk von Südafrika zu sprechen vermöge. Erstmals während der 29. Sitzungsperiode im Jahre 1974 ist diese Beanstandung mit der Folgerung verknüpft worden, daß die südafrikanische Delegation nicht zur Teilnahme an den Arbeiten der Generalversammlung berechtigt sei (Res. 3206 (XXIX) vom 30.9.1974, sowie Beschluß vom 12.11.1974 (GAOR (XXIX) Suppl. 31 p. 10); -> Stimmrecht; Mitgliedschaft). Streitigkeiten über die Anerkennung von Beglaubigungsschreiben waren bis dahin meist in Fällen entstanden, w o von zwei miteinander rivalisierenden Regierungen jede den Anspruch erhob, allein zur Vertretung ihres Landes berechtigt zu sein (China, Kongo/Zaire, Jemen, Kambodscha). In der Sache handelte es sich in diesen Konfliktsfällen stets um das Problem der Anerkennung einer Regierung, was die Generalversammlung in der China-Frage auch schon bald förmlich zur Kenntnis nahm. Nach einem Rechtsgutachten des Generalsekretärs aus dem Jahre 1950 kann es für die Anerkennung einer Regierung, d. h. ihres Rechts zur Vertretung des betreffenden Mitgliedstaates, allein auf den Gesichtspunkt der Effektivität ankommen. Ebenso wie die Generalversammlung sich aber bis zum Jahre 1971 gegen die Anwendung dieses Kriteriums im Hinblick auf ->• China gesträubt hat, h a t sie es in bezug auf Südafrika nun wieder verlassen. Die Generalversammlung tagt nicht nur als Plenum. Ihre Beschlüsse werden überwiegend in Ausschüssen (-» Ausschußsystem) vorbereitet. Nach Regel 98 Geschäftsordnung gibt es sieben Hauptausschüsse, in denen jeder Mitgliedstaat durch eine Person vertreten ist: Ausschuß für politische und Sicherheitsangelegenheiten (1. Ausschuß), Politischer Sonderausschuß, Wirtschafts- und Finanzausschuß (2. Ausschuß), Ausschuß für soziale, humanitäre und kulturelle Angelegenheiten (3. Ausschuß), Ausschuß für Treuhandgebiete und Gebiete ohne Selbstregierung (4. Ausschuß), Verwaltungs- und Haushaltsausschuß (5. Ausschuß), Rechtsausschuß (6. Ausschuß). Auf Grund der in Art. 2 2 enthaltenen Generalermächtigung zur Schaffung von Neben- und Spezialorganen h a t sich die Generalversammlung darüber hinaus mit einem weiten Kreis von Hilfseinrichtungen umgeben, die in drei Kategorien eingeteilt werden. Die Gruppe der Verfahrensausschüsse u m f a ß t den Allgemeinen Ausschuß, der aus dem Präsidenten, den 17 Vize-Präsidenten und den Präsidenten der 7 Hauptausschüsse besteht und für Fragen des Geschäftsgangs (Aufstellung der Tagesordnung, Dauer der Sitzungsperiode, Beschleunigung des Verfahrens) zuständig ist, und den Beglaubigungsausschuß. Zwei Ständige Ausschüsse, der Beratende Ausschuß für Verwaltungs- und Haushaltsangelegenheiten sowie der Beitragsausschuß, bestehen aus unabhängigen Experten. Die größte Gruppe bilden schließlich die „Subsidiär-, ad hoc- und ähnlichen Gremien", wie sie das Jahrbuch der Vereinten Nationen bezeichnet, insgesamt ca. 6 0 bis 7 0 Neben- und Spezialorgane, wobei die genaue Anzahl naturgemäß je nach den Erfordernissen der Stunde schwankt (-» Organisationssystem der Vereinten Nationen).

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Auf Grund der Resolution 111 (II) vom 13. November 1947hatte die Generalversammlung einen Interimsausschuß geschaffen, um sich vor allem auf dem Gebiet der Wahrung von Frieden und Sicherheit eine permanente Handlungsfähigkeit auch zwischen den ordentlichen Sitzungsperioden zu sichern (-> Friedenssicherung). Jedem Mitgliedstaat war ein Sitz zugewiesen. Da die Sowjetunion indes die Schaffung des Interimsausschusses als einen Eingriff in den Kompetenzbereich des Sicherheitsrates betrachtete und mitsamt ihren Verbündeten jede Art der Mitarbeit verweigerte, vermochte der Ausschuß die in ihn gesetzten Erwartungen nicht zu erfüllen. Seit Juni 1961 ist er nicht mehr zusammengetreten und gehört damit wohl endgültig der Geschichte an. Zu ihrer ordentlichen Sitzungsperiode tritt die Generalversammlung jedes Jahr am dritten Dienstag im September, und zwar regelmäßig in New York, zusammen. Wegen der Fülle der Tagesordnungspunkte endet die Sitzungsperiode erfahrungsgemäß neuerdings erst kurz vor Weihnachten. Sondersitzungen sind durch den Generalsekretär innerhalb von 15 Tagen einzuberufen, nachdem der Sicherheitsrat oder eine Mehrheit der Mitgliedstaaten ein entsprechendes Verlangen geäußert haben. Die Praxis hat klargestellt, daß für eine solche Aufforderung des Sicherheitsrats an den Generalsekretär ein Vetorecht nach Art. 27 Abs. 3 nicht gilt (-> Stimmrecht). Eine weitere Kategorie von Tagungen verdankt ihre Entstehung der Resolution 377 A (V) der Generalversammlung vom 3. November 1950 („Uniting for Peace") (-» Friedenssicherung); dort ist vorgesehen, daß eine Notsondersitzung („Emergency Special Session") innerhalb von nur 24 Stunden einzuberufen ist, sobald es der Sicherheitsrat, beliebige neun Mitglieder des Sicherheitsrates oder die Mehrheit der Mitglieder der Vereinten Nationen verlangen. Bisher haben 7 Sondersitzungen (1947, 1948, 1961, 1963, 1967, 1974, 1975), sowie sechs Notsondersitzungen stattgefunden (zweimal 1956, je einmal 1958, 1960, 1967, 1971). Bei Abstimmungen (-»· Stimmrecht) verfügt jedes Mitglied der Generalversammlung, d. h. jeder Mitgliedstaat, über eine Stimme (Art. 18 Abs. 1). Grundsätzlich wird mit einfacher Stimmenmehrheit entschieden (Art. 18 Abs. 3), nur bei der Abstimmung über „wichtige Fragen" bedarf es einer Zweidrittelmehrheit (Art. 18 Abs. 2). Die Charta selbst legt einige solcher wichtigen Fragen fest, doch ist die Aufzählung nicht als abschließend zu verstehen. Falls es zur Kontroverse über die Wichtigkeit kommt, wird über diese Vorfrage ebenso wie über die Bestimmung weiterer Gruppen von wichtigen Fragen (Art. 18 Abs. 3) mit einfacher Mehrheit beschlossen (-> Stimmrecht). Feste rechtliche Maßstäbe lassen sich in der Praxis der Generalversammlung nicht erkennen. So wurde im Jahre 1965 entschieden, daß die Resolution 2105 (XX) vom 20. Dezember 1965, die vor allem wegen ihrer an die Kolonialmächte gerichteten Aufforderung, alle Militärbasen in Kolonialgebieten aufzulösen, eine erhebliche Kontroverse ausgelöst hatte, der Annahme durch eine qualifizierte Mehrheit nicht bedürfe. Die mit der Grundsatz-Resolution 1668 (XVI) (vom 15.12.1961) getroffene Entscheidung, daß jeder Vorschlag zur Änderung der Vertretung Chinas in den Vereinten Nationen eine wichtige Frage darstelle, wurde im Jahre 1971 wieder umgestoßen, ohne daß sich an der politischen und rechtlichen Einschätzung der Tragweite der Option zwischen der Volksrepublik China und der Republik China irgend etwas geändert hätte. Man wird daher feststellen können, daß die Generalversammlung in diesem Punkt ein ausschließlich politisch ausgerichtetes Ermessen betätigt. Die überwiegende Mehrzahl der Resolutionen der Generalversammlung wird mit einer breiten Mehrheit, meist sogar einstimmig, verabschiedet. Doch muß zur Modifizierung des Bildes sogleich hinzugefügt werden, daß als „einstimmig" verabschiedet durchweg auch solche Resolutionen bezeichnet werden, bei denen sich einzelne Mitglieder der Stimme enthalten haben. Bis zur 28. Sitzungsperiode der Generalversammlung war es die übliche Praxis der westlichen Staatengruppe, der mangelnden Übereinstimmung mit dem sachlichen Inhalt einer Resolution außer in extremen Fällen nicht in Form eines negativen Votums, sondern durch bloße Stimmenthaltung Ausdruck zu verleihen. Nicht zuletzt in der Absicht, den ungünstigen Eindruck auszuschalten, den Enthaltungen hinterlassen können, wird häufig

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nicht durch Stimmenaufruf („roll-call", Regel 87 Geschäftsordnung) abgestimmt, sondern in unförmlicher Weise. Das Ergebnis, in dem sich unter solchen Umständen die Einmütigkeit niederschlägt, wird unterschiedlich bezeichnet (angenommen „ohne Abstimmung", „ohne Einwendungen", durch „Akklamation" oder im Wege des „Konsenses"). So ist beispielsweise auch die richtungweisende Resolution 2625 (XXV) vom 24.10.1970 über freundschaftliche Beziehungen „ohne Abstimmung" verabschiedet worden, was heute im allgemeinen dahin gedeutet wird, das Votum sei einstimmig erfolgt. Es steht zu erwarten, daß die westliche Staatengruppe, um solche Mißverständnisse und Fehldeutungen zu vermeiden, einen sachlichen Dissens künftig in der Abstimmung selbst deutlich artikulieren wird. Den Anfang zur Neuorientierung ihrer Abstimmungsgewohnheiten hat sie während der 29. Sitzungsperiode gemacht und dies während der 30. fortgeführt. Bei den Entscheidungen über wichtige Fragen wird für die notwendige Zweidrittelmehrheit auf die Zahl der anwesenden und abstimmenden Mitglieder abgestellt. Mitglieder, welche sich der Stimme enthalten, werden hierbei nicht gezählt (Regel 86 Geschäftsordnung). Ein Beschluß kommt also zustande, wenn die Zahl der Ja-Stimmen die Zahl der Nein-Stimmen um mindestens das Doppelte überwiegt. Nach Art. 19 verliert ein Staat sein Stimmrecht in der Generalversammlung, falls er mit zwei Jahresbeiträgen oder mehr in Rückstand gerät. Da vor allem die Sowjetunion und Frankreich sich geweigert hatten, zu den in den ordentlichen Haushalt eingestellten Kosten der ersten Friedenssicherungsaktion der Vereinten Nationen im Nahen Osten (-> Nahost) und der Friedenssicherungsaktion im Kongo/Zaire (-> Kongo) beizutragen, trat bei ihnen im Jahre 1964 die von Art. 19 vorgesehene Lage ein. Beide Staaten vertraten die Ansicht, daß das Gutachten des IGH von 1962 über „Gewisse Ausgaben der Vereinten Nationen" (ICJ Reports 1962 p. 150) unrichtig sei und daß jedenfalls der Stimmverlust nicht automatisch eintrete, sondern als wichtige Frage von der Generalversammlung mit Zweidrittelmehrheit ausdrücklich beschlossen werden müsse. Da die USA auf der Anwendung des Art. 19 gegenüber den säumigen Schuldnern beharrten, die Verhängung der Sanktion des Art. 19 gegen die beiden Ständigen Sicherheitsrats-Mitglieder Frankreich und Sowjetunion der Mehrheit der Staaten aber politisch undenkbar schien, wurde versucht, während der 19. Sitzungsperiode nur solche Gegenstände zu behandeln, die ohne Abstimmung auf Grund eines außerhalb der Generalversammlung ermittelten Konsenses entschieden werden konnten. Schließlich einigte man sich im August 1965 dahin, daß die Frage der Anwendbarkeit des Art. 19 im Hinblick auf die aus Friedenssicherungsaktionen resultierenden Kosten nicht mehr aufgeworfen werden solle. Die Vorschrift ist ihrer praktischen Bedeutung damit teilweise beraubt worden (-• Stimmrecht). Die Grundsatzbestimmung über die Befugnisse der Generalversammlung bildet Art. 10, wonach die Generalversammlung berechtigt ist, „alle Fragen und Angelegenheiten" zu „erörtern", „die in den Rahmen dieser Charta fallen oder Befugnisse und Aufgaben eines in dieser Charta vorgesehenen Organs betreffen", und ihre Diskussionsergebnisse in Form von Empfehlungen an die Adresse der Mitglieder oder des Sicherheitsrats zu richten. Ratione materiae reicht die Zuständigkeit der Generalversammlung also ebenso weit, wie die Zuständigkeit der Weltorganisation als solcher geht, während alle anderen Hauptorgane nur in einem Teilbereich des Aufgabenspektrums der Vereinten Nationen tätig werden können. Bedenkt man die Weite der in den Art. 1 und 2 niedergelegten Ziele und Grundsätze, so wird deutlich, daß es nur wenige vor dem Weltforum überhaupt diskussionswürdige Sachfragen geben kann, mit denen sich die Generalversammlung nicht auseinandersetzen dürfte. Zwar verbietet es Art. 2 Ziff. 7 den Vereinten Nationen insgesamt, also auch der Generalversammlung als ihrem primären Hauptorgan, in diejenigen Angelegenheiten einzugreifen, „die ihrem Wesen nach zur inneren Zuständigkeit eines Staates gehören". Gerade durch die Art. 1 und 2 sowie Art. 55 ist der Umfang der inneren Angelegenheiten aber sehr weitgehend eingeengt worden. Soweit es speziell um „Dekolonisierung", Rassendiskriminierung und Apartheid geht, läßt die Generalversammlung schon seit langem die Berufung auf Art. 2 Ziff. 7 nicht

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mehr zu, und auch bezüglich des Menschenrechtsschutzes im allgemeinen gibt es gewisse Ansätze für ein ähnlich restriktives Verständnis der Vorschrift. Die Art. 11 — 14 variieren in vielfältiger Weise den Grundgedanken des Art. 10, ohne aber etwas grundlegend Neues hinzuzufügen. Eine nicht unwichtige Funktion erfüllt dabei Art. 11 insofern, als er ausdrücklich klarstellt, daß die Generalversammlung auch zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit tätig werden darf, also in einem Bereich, der primär in die Verantwortung des -*• Sicherheitsrats fällt. Hingewiesen sei schließlich noch auf Art. 14, der mit seiner Statuierung eines Empfehlungsrechts in Ansehung von Situationen, die das „allgemeine Wohl" beeinträchtigen können, ebenfalls zu einer weiten Deutung des sachlichen Handlungsspielraums der Generalversammlung einlädt (->• Streitschlichtung). Eine genauere Analyse führt zu einer Unterscheidung zwischen internen und externen Kompetenzen der Generalversammlung. Während der Generalversammlung im organisationsinternen Bereich eine Reihe echter Entscheidungsbefugnisse zukommt, sind ihr solche Befugnisse im übrigen durchweg vorenthalten worden. Unter den der Generalversammlung zugewiesenen Wahlfunktionen sind die wichtigsten die Bestimmung der nichtständigen Mitglieder des Sicherheitsrats (Art. 23 Abs. 1), der Mitglieder des ECOSOC (Art. 61 Abs. 1) sowie der in Art. 86 Abs. 1 c vorgesehenen Mitglieder des Treuhandrats. Bei der Bestellung der Richter des ->· IGH wirken Generalversammlung und Sicherheitsrat in zwei getrennten Wahlhandlungen zusammen (Art. 8 IGHStatut), während die Wahl des -»• Generalsekretärs durch die Generalversammlung auf Vorschlag des Sicherheitsrats erfolgt (Art. 97). Wahlentscheidungen sind auch zu treffen zur Besetzung der nach Art. 22 geschaffenen Neben- und Spezialorgane, soweit deren Mitgliedschaft beschränkt ist. Dem Kreis der organisationsinternen Entscheidungsbefugnisse sind ferner die in Art. 22 verankerte Organisationsgewalt und das Recht zu Festlegung des Personalstatuts fur die Bediensteten der Organisation (Art. 101) zuzurechnen (-»· Öffentlicher Dienst, Internationaler). Ein selbstverständliches Attribut der Eigenständigkeit bildet die Geschäftsordnungsautonomie (Art. 21). Auch das Haushaltsrecht (Art. 17) wird allgemein in diesem Zusammenhang genannt, doch greifen die Rechtswirkungen der Feststellung des Haushalts (-> Beitragssystem, Haushalt) über den Innenraum der Organisation insofern hinaus, als damit nach Maßgabe des ebenfalls von der Generalversammlung festgelegten Verteilungsschlüssels über die Höhe der Beitragsverpflichtungen eines jeden Mitgliedstaates bestimmt wird (Art. 17 Abs. 2). Ebenso im Grenzbereich zwischen Innen und Außen liegen die auf Vorschlag des Sicherheitsrats zu treffenden Entscheidungen über die Aufnahme neuer Mitglieder (Art. 4 Abs. 2), die Suspendierung von Mitgliedschaftsrechten (Art. 5) sowie den Ausschluß aus der Organisation (Art. 6) (-»• Mitgliedschaft). Ein Gleiches gilt schließlich auch für die Mitwirkung der Generalversammlung bei der Änderung der Charta (-» Revision der Charta). Änderungsvorschläge müssen nach Art. 108 in der Generalversammlung mit Zweidrittelmehrheit verabschiedet werden, wobei für ihr Inkrafttreten zusätzlich die Ratifikation von zwei Dritteln der Mitgliedstaaten einschließlich aller ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats erforderlich ist. Von den externen Kompetenzen der Generalversammlung läßt sich wegen der Weite des in den Art. 10 — 14 niedergelegten Auftrags keine detaillierte inhaltliche Umschreibung geben, zumal die Generalversammlung im allgemeinen die rechtlichen Grundlagen ihres Handelns nicht ausdrücklich benennt. Funktionell gliedern sich die externen Kompetenzen in ein umfassendes Diskussionsrecht und ein damit verbundenes Recht der Beschaffung von Informationen jeder Art sowie ein ebenso weit gespanntes Empfehlungsrecht. Schwerpunkte der Arbeit der Generalversammlung liegen gegenwärtig im Bereich der „Dekolonisierung", des Kampfes gegen die Apartheidspolitik Südafrikas und der Förderung der Entwicklungsländer, nachdem ursprünglich Sicherheitsfragen den breitesten Raum eingenommen hatten. Ein kontinuierlich verfolgtes Anliegen der Generalversammlung ist es auch, die Kodifizierung und fortschreitende Entwicklung des Völkerrechts voranzutreiben (Art. 13 Abs. 1 a), wobei

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sie sich im Hinblick auf die als „unpolitisch" eingeschätzten Rechtsfragen überwiegend der Hilfe der Völkerrechtskommission bedient, im übrigen aber mit Vorliebe Sonderausschüsse einsetzt (so zur Definition der Aggression, zur Festlegung der Grundsätze über freundschaftliche Beziehungen) (-» Völkerrecht durch Vereinte Nationen). Erwähnt sei in diesem Zusammenhang noch die Befugnis, den ICH um Erstattung von Rechtsgutachten zu ersuchen (Art. 96). Die über den Innenbereich der Organisation hinauszielenden Resolutionen der Generalversammlung haben für die Adressaten grundsätzlich keine verbindliche Wirkung. Nach allgemeinem völkerrechtlichen Sprachgebrauch handelt es sich bei den Empfehlungen, welche die Generalversammlung erlassen darf, um Rechtsakte, die unmittelbar jedenfalls keine Rechtsverpflichtungen zu begründen vermögen. Gleichwohl ist in neuerer Zeit wiederholt die Behauptung aufgestellt worden, daß einstimmig oder doch zumindest mit großer Mehrheit angenommenen Resolutionen echte Rechtsverbindlichkeit zukomme (-> Resolution, Erklärung, Beschluß). Die gleichen Rechtserwägungen werden angestellt im Hinblick auf Resolutionen, welche eine konkretisierende Auslegung von Bestimmungen der Charta zum Gegenstand haben, und solche, die von der Absicht getragen sind, Regeln des Völkergewohnheitsrechts zu kodifizieren. Der ICH hat in seinem Namibia-Gutachten (ICJ Reports 1971 p. 16) keine Bedenken getragen, die von der Generalversammlung in der Resolution 2145 (XXI) vom 27.10.1966 ausgesprochene Kündigung des Mandatsvertrages gutzuheißen (-»• Völkerrecht durch Vereinte Nationen). Das Verhältnis der Generalversammlung zu den auf Grund von Art. 22 geschaffenen Neben- und Spezialorganen (-* Ausschußsystem) beruht auf dem Grundsatz von Über- und Unterordnung. Die Generalversammlung hat es in der Hand, den Auftrag dieser Organe zu bestimmen, ihre Geschäftsordnung festzulegen, bindende Anweisungen zu geben und die Arbeitsergebnisse anzunehmen oder zu verwerfen. Einige sind freilich in starkem Maße verselbständigt worden, so daß sich ihre Rechtsstellung der einer Sonderorganisation annähert (so namentlich UNCTAD, UNDP, UNICEF, UNIDO) (-> Organisationssystem der Vereinten Nationen). Auch ist eine Selbstbindung der Generalversammlung nicht ausgeschlossen. So hat sie das auf Grund der Resolution 351 A (IV) vom 9.12.1949 zur Entscheidung von Personalstreitigkeiten geschaffene Verwaltungsgericht ausdrücklich als unabhängiges Organ der Rechtspflege ausgestaltet und muß daher dessen Urteilssprüche hinnehmen. Das Verhältnis zu den übrigen Hauptorganen ist unterschiedlich ausgeprägt. Der Sicherheitsrat steht zur Generalversammlung nur insoweit in einem Abhängigkeitsverhältnis, als er ihr nach Art. 15 Abs. 1 jährlich über seine Tätigkeit Bericht zu erstatten hat. Kennzeichnend ist freilich, daß die Generalversammlung diesen Bericht niemals erörtert und über ihn auch keinen förmlichen Beschluß im Sinne einer Billigung oder Ablehnung faßt, sondern lediglich von ihm Kenntnis nimmt. In dieser Zurückhaltung kommt zum Ausdruck, daß der Sicherheitsrat in der Ausübung seiner ihm durch Art. 24 zugewiesenen Hauptverantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit souveräne Entscheidungsfreiheit genießt. Gleichwohl liegen Weltfrieden und internationale Sicherheit auch im Kompetenzbereich der Generalversammlung, die im Einklang mit ihrer allgemeinen Funktionsbestimmung allerdings wiederum auf Diskussion und Abgabe von Empfehlungen beschränkt ist. Zwei zugunsten des Sicherheitsrats erlassene zusätzliche Kompetenzabgrenzungsvorschriften haben in der Praxis ihre Bedeutung teilweise eingebüßt. Zum einen hat die Generalversammlung sich jeder Empfehlung zu enthalten, solange der Sicherheitsrat mit einer Angelegenheit befaßt ist (Art. 12 Abs. 1); weniger denn je fühlt sich die Generalversammlung indes zur Respektierung dieser Vorschrift gehalten. Zum anderen bestimmt Art. 11 Abs. 2 Satz 2, daß die Generalversammlung jede den Weltfrieden oder die internationale Sicherheit betreffende Frage an den Sicherheitsrat zu überweisen hat, sobald zu ihrer Lösung „Maßnahmen" erforderlich sind. Bis heute ist trotz einer Äußerung des IGH im Gutachten über „Bestimmte Ausgaben der Vereinten Nationen" streitig geblieben, ob dieses Wort auf die zur Bereinigung eines Konflikts notwendigen Realhandlungen abstellt oder allein Zwangs-

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maßnahmen des Sicherheitsrats auf Grund des VII. Kapitels im Auge hat. Gegen die Rechtmäßigkeit der Resolution 377 A (V) vom 3.11.1950 erhebt vor allem die Sowjetunion bis heute den Einwand, daß im Falle einer Bedrohung oder eines Bruchs des Friedens oder einer Angriffshandlung im Sinne des Art. 39, die ein Einschreiten erheischten, die Abgabe von Empfehlungen durch die Generalversammlung einen Einbruch in den Kompetenzbereich des Sicherheitsrats bedeute. In der Tat ist auch die Resolution 377 A (V) niemals als Rechtsgrundlage für das Vorgehen gegen eine Aggression herangezogen worden, vielmehr hat sie lediglich als Ermächtigung für Friedenssicherungsaktionen und für die Einberufung von Notsondersitzungen gedient (->• Friedenssicherung; Streitkräfte der Vereinten Nationen). ECOSOC und Treuhandrat arbeiten dagegen beide „unter der Autorität" der Generalversammlung und besitzen anders als der Sicherheitsrat keine ausschließlichen Kompetenzen (-* Organisationssystem der Vereinten Nationen). Ihre Berichte werden von der Generalversammlung ausführlich erörtert. Der Einfluß der Generalversammlung auf beide Gremien ist derart tiefgreifend, daß sich ihr Status in der Praxis kaum von dem der Neben- und Spezialorgane nach Art. 22 unterscheidet. Es bedarf keiner besonderen Hervorhebung, daß der IGH als „Hauptrechtsprechungsorgan" der Vereinten Nationen keiner Aufsicht durch die Generalversammlung unterworfen ist. In Regel 13 Geschäftsordnung waren zwar von Anfang an Jahresberichte des IGH an die Generalversammlung vorgesehen, doch hat der IGH solche Berichte erst vom Jahre 1968 an erstattet. Der -> Generalsekretär hat die Arbeit der Generalversammlung zu unterstützen, soweit dies in seiner Macht steht. Die Generalversammlung kann ihm jede Art von Aufträgen erteilen. Im Verhältnis zu den Sonderorganisationen (Art. 57, 63) spielt die Generalversammlung nur eine bescheidene Rolle. Ihre wichtigste Befugnis ist es, den Verwaltungshaushalt der Sonderorganisationen zu prüfen und durch Empfehlungen auf eine Koordinierung der Finanz- und Haushaltspolitik hinzuarbeiten (Art. 17 Abs. 3). Hier sind in der Tat gewisse Erfolge erreicht worden (Angleichung der Finanzvorschriften und des Personalstatuts, gemeinsame Rechnungsprüfung). Im übrigen aber haben sich die Sonderorganisationen die Eigenständigkeit von Haushaltsrecht und Finanzhoheit bewahrt; die vertraglichen Abmachungen mit den Vereinten Nationen sehen durchweg nur Konsultationsverpflichtungen vor. Zu Auseinandersetzungen hat in den letzten Jahren vor allem die DekolonisierungsPolitik der Generalversammlung geführt. Einige Sonderorganisationen, namentlich die Weltbankgruppe, waren nicht bereit, sich den Empfehlungen zur Unterstützung des kolonialen Befreiungskampfes und zum völligen Abbruch aller Beziehungen mit Portugal und Südafrika anzuschließen. Rechtlich gesehen besitzen die Resolutionen der Generalversammlung in der Tat auch gegenüber den Sonderorganisationen lediglich empfehlenden Charakter; jede andere Lösung müßte die Eigenständigkeit der Sonderorganisationen mit ihrem teilweise völlig verschiedenartig zusammengesetzten Mitgliederkreis und dem in manchen Organisationen vorherrschenden Prinzip der Stimmenwägung zunichte werde lassen. Stellung und Bedeutung der Generalversammlung lassen sich nicht allein mit rechtlichen Kriterien umschreiben, obwohl die politische Wertung naturgemäß keine gleich präzisen Aussagen zuläßt. Als periodisch zusammentretende Weltkonferenz stellt die Generalversammlung zunächst ein Kommunikationsinstrument von unschätzbarem Wert dar. Jede Regierung vermag mit jeder anderen Regierung Kontakt aufzunehmen und Gespräche zu führen, und zwar nicht nur im Hinblick auf die Tätigkeit der Vereinten Nationen, sondern vor allem auch in Hinblick auf die bilateralen Beziehungen von Staat zu Staat. Namentlich für die kleineren Staaten, die sich keine eigenen diplomatischen Vertretungen in mehr als 100 Staaten der Erde leisten können, bieten die jährlichen Sitzungsperioden somit eine einzigartige Gelegenheit, die sie bedrängenden außenpolitischen Fragen mit den interessierten Partnern oder Gegenspielern abzuklären.

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In den ersten zehn Jahren ihrer Existenz wurde die Generalversammlung politisch von den USA angeführt. Als symptomatisch für diesen Zeitraum können die Schaffung des Interimsausschusses sowie die Verabschiedung der Resolution 377 A (V) angesehen werden. Seit 1955, als der Stillstand bei den Neuaufnahmen durchbrochen wurde und 15 neue Staaten in die Vereinten Nationen eintraten, wuchs der Einfluß der Sowjetunion und ihrer Verbündeten. Nachdrücklich unterstützte sie alle „antikolonialistischen" Tendenzen. Vom Jahre 1960 an, das die erste große Unabhängigkeitswelle brachte, steht die Generalversammlung zunehmend im Zeichen der Staaten der Dritten Welt, die auch nicht mehr bereit sind, die Sowjetunion als ihre Führungsmacht anzuerkennen. In der Tat kann von einer Interessenidentität nicht mehr die Rede sein, nachdem sich das Schwergewicht der Tätigkeit der Generalversammlung im Gleichklang mit der Lösung der kolonialen Fragen auf wirtschaftliche und soziale Fragen verlagert hat; an wirtschaftlichen Maßstäben gemessen gehört die Sowjetunion mit ihren Verbündeten zu der Gruppe der Besitzenden, gegen die sich die Ansprüche der Entwicklungsländer auf materielle Besserstellung richten (-* Blockbildung; Nord-Süd-Konflikt; Ost-West-Konflikt). Angesichts der heutigen Stimmenverhältnisse in der Generalversammlung hat sich die anfänglich gerade in der westlichen Welt vorherrschende Tendenz, die Befugnisse der Generalversammlung auf Kosten des Sicherheitsrats zu erweitern, weitgehend verloren. Das Vetorecht der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats wird als ein notwendiges Element zur Herstellung eines Kräftegleichgewichts gegenüber dem egalitär-demokratischen Anspruch der Generalversammlung betrachtet, sich zu einem mit Stimmenmehrheit entscheidenden Weltgesetzgeber aufzuwerfen. Literatur Alker / Russett: World Politics in the General Assembly, New Haven / London 1965 Bailey: The General Assembly of the United Nations. A Study of Procedure and Practice, revised edition, New York 1964 Goodwin: The General Assembly of the United Nations, in: E. Luard (ed.), The Evolution of International Organizations, New York / Washington 1966, p. 42 Tomuschat: Die Generalversammlung der Vereinten Nationen im Spiegel der Praxis. Ein Rückblick nach der 30. Jahrestagung, in: VN 1976 S. 49 Vallat: The General Assembly and the Security Council of the United Nations, BYIL vol. 29 (1952), p. 63 ders.: The Competence of the United Nations General Assembly, RCADI 97 (1959 II) p. 203 Xydis: The General Assembly, in: J. Barros (ed.), The United Nations. Past, Present and Future, New York / London 1972, p. 64 Christian Tomuschat Verweise auf: Ausschußsystem; Beitragssystem, Haushalt; Blockbildung; China; ECOSOC; Friedenssicherung; Generalsekretär; IGH; Kongo; Mikrostaaten; Mitgliedschaft; Nahost; Nord-Süd-Konflikt; Öffentlicher Dienst, Internationaler; Organisationssystem der Vereinten Nationen; Ost-West-Konflikt; Resolution, Erklärung, Beschluß; Revision der Charta; Sicherheitsrat; Stimmrecht; Streitkräfte der Vereinten Nationen; Streitschlichtung; Treuhandrat; Universalität; Völkerrecht durch Vereinte Nationen.

Gewaltverbot

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Gewaltverbot Art. 2 Ziff. 4 verpflichtet alle Mitglieder der Vereinten Nationen, in ihren internationalen Beziehungen jede Androhung oder Anwendung von Gewalt gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit (Souveränität) eines Staates zu unterlassen. Die Bestimmung verbietet den Mitgliedern nicht nur den Angriffskrieg im eigentlichen Sinne nämlich den Krieg, der auf Erweiterung der Macht ausgerichtet ist, sondern auch die Gewaltanwendung zur Durchsetzung bestehender oder berechtigter Ansprüche. Gewalt in diesem Zusammenhang bedeutet primär Waffengewalt und physische Gewaltanwendung. Im Gegensatz zur Satzung des Völkerbundes, die in bestimmten Fällen einen traditionellen Krieg zuließ (vgl. Völkerbundsatzung Art. 12, 13 und Art. 15), wird durch Art. 2 Ziff. 4 der Krieg schlechthin verboten. Schon der Entwurf des Genfer Protokolls vom 2. Oktober 1924 (Société des Nations, Journal Officiel 1925 p. 445), die Locarnoverträge vom 16. Oktober 1925 und der Kellogg-Pakt vom 27. August 1928 versuchten das Kriegsfiihrungsrecht der Staaten einzuschränken (-* Friedens- und Kriegsbegriff). Erst die Charta brachte aber das unbedingte Gewaltverbot. Obwohl die Charta mit der Einführung des Begriffs „Gewalt" eine eindeutige Begriffsdefinition aufzunehmen beabsichtigte, hat die Bestimmung in der Praxis verschiedene Interpretationsprobleme und Schwierigkeiten bei der Anwendung des Begriffs aufgeworfen. Insbesondere blieb und bleibt problematisch: Wann eine „Androhung" oder „Anwendung" von „Gewalt" vorliegt, welche Beschränkungen den Mitgliedstaaten durch die Einfügung des Begriffs „in ihren internationalen Beziehungen" auferlegt sind. Bereits bei den Beratungen über die Charta konnten sich die Vertreter der Staaten nicht über eine Begriffsdefinition der „Gewalt" einigen. Es wurde gefordert, „Gewalt" ausschließlich als „bewaffnete Gewalt" anzusehen und politische und wirtschaftliche Sanktionen demzufolge nicht unter diesen Begriff zu fassen. Die Mehrzahl der Staaten vertrat in San Francisco die Auffassung, wonach politische und wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen nicht gegen das Gewaltverbot, sondern gegen das Prinzip der souveränen Gleichheit verstoßen. Der Begriff impliziert hingegen von seinem Begriffsinhalt her sowohl „militärische" als auch „wirtschaftliche" und „politische" Zwangsmaßnahmen bzw. Formen der Gewaltanwendung, da die Charta keinen Unterschied zwischen militärischer und anderer Gewaltanwendung macht. Diese konträren Auffassungen haben zwangsläufig zu keiner inhaltlichen Klärung des Begriffes „Gewalt" in der Charta geführt. In der Praxis hat die Generalversammlung in verschiedenen Resolutionen die Mitgliedstaaten aufgefordert, unter bestimmten Bedingungen von politischen und wirtschaftlichen Zwangsmaßnahmen Abstand zu nehmen, doch bieten diese wegen ihrer Uneinheitlichkeit keine Klärung. Auch die Resolution 2625 (XXV) der Generalversammlung vom 24. Oktober 1970 (Deklaration über die Prinzipien des Völkerrechts hinsichtlich der freundschaftlichen Beziehungen und der Zusammenarbeit zwischen den Staaten in Ubereinstimmung mit der Charta der Vereinten Nationen) brachte keine Lösung hinsichtlich des Gewaltbegriffs und des Gewaltverbotes, da lediglich das Prinzip des Gewaltverbotes im Sinne von Art. 2 Ziff. 4 umschrieben wird (-> Friedenssicherung). In der Praxis sind ζ. B. die Maßnahmen Ägyptens, den Zugang Israels zum Suezkanal zu verhindern, nicht als Verletzung des Gewaltverbots angesehen worden; sie wurden als eine Verletzung des Waffenstillstandsabkommens und des Prinzips der Freiheit der Meere, nicht aber des Gewaltverbots dargestellt. Die Beschwerde Kubas gegen die USA hinsichtlich der Kürzung der Zuckerimporte wurde an die Organisation der amerikanischen Staaten (OAS) (-• Regionalabkommen) verwiesen, um einer Entscheidung aus dem Wege zu gehen. Diese Anwendung deutet darauf hin, daß politische und wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen zwar als Bedrohung des Friedens oder den Prinzipien der Charta entgegenstehend angesehen werden, gleichwohl aber nicht als Verstoß gegen Art. 2 Ziff. 4 verurteilt wurden und demzufolge nicht unter das Verbot der Anwendung und Androhung von Gewalt fallen.

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Gewaltverbot

Die Androhung von „Gewalt" steht der Anwendung gleich. Die Beantwortung der Frage, wann die Androhung von „Gewalt" vorliegt und gegen Art. 2 Ziff. 4 verstößt, ist hingegen in der Praxis schwer zu entscheiden. Die Versuche, völkerrechtstheoretisch eine Begriffserklärung herbeizuführen, waren bisher nicht erfolgreich. Zwar sind die Vorbereitungen Frankreichs und Großbritanniens zur Invasion des Suezkanalgebietes von einer großen Zahl der Mitglieder der Vereinten Nationen verurteilt worden, die Organe der Weltorganisation sahen sich jedoch nicht in der Lage, die Vorbereitungen als Verstoß gegen die Charta zu werten und von einer Gewaltandrohung im Sinne des Art. 2 Ziff. 4 zu sprechen. Auch in diesem Falle zogen es die Staaten aus politischen Gründen in den Organen vor, „Androhung von Gewaltanwendung" als „Bedrohung des Friedens" anzusehen, um damit einer Verurteilung eines oder mehrerer Mitgliedstaaten aus dem Wege zu gehen. Die Anwendung oder Androhung von Gewalt kann direkt oder indirekt erfolgen. Die angeführte Deklaration (Res. 2625 (XXV)) über die Prinzipien des Völkerrechts hat Klarheit darüber geschaffen, daß Gewaltverbot und Gewaltverzicht die Pflicht der Mitgliedstaaten einschließen, keine irregulären Truppen oder Guerillas zu organisieren oder zu unterstützen (-> Friedenssicherung). Auch Anstiftung, Unterstützung oder Teilnahme an Bürgerkriegsaktionen oder Maßnahmen, die dazu dienen, den Einmarsch in das Territorium eines anderen Staates zu ermöglichen, sind zu unterlassen. Selbst die Duldung der Verhinderung solcher Bürgerkriegsaktionen stellt einen Verstoß gegen das Gewaltverbot dar. Generalversammlung und Sicherheitsrat haben grundsätzlich solche Aktionen als Verstoß gegen die Prinzipien der Weltorganisation beurteilt. Bereits 1947 verurteilte die Generalversammlung die von Albanien, Bulgarien und Jugoslawien unterstützten Operationen von Guerillas in Griechenland (Res. 109 (II) vom 21.10.1947). Der Sicherheitsrat vertrat in der Resolution vom 11. Juni 1958 (Res. 128 (XIII)) die Auffassung, die Vereinigte Arabische Republik lasse terroristischen Organisationen und Aktionen im Libanon Hilfe zukommen. Er entsandte demzufolge eine Beobachtergruppe, um die widerrechtlichen Unterstützungen nachzuprüfen und sicherzustellen, daß sich solche Vorgänge nicht wiederholen. Das Verbot bzw. der Verzicht auf Androhung oder Anwendung von Gewalt unterliegt dadurch einer wesentlichen Beschränkung, daß dieser Grundsatz ausschließlich im Rahmen der „internationalen" Beziehungen der Mitgliedstaaten Anwendung findet. Das Gewaltverbot gilt daher nicht für die „inneren Beziehungen", also im Falle eines Bürgerkrieges. Durch das Gewaltverbot ist daher eine Regierung nicht daran gehindert, Gewalt anzuwenden, um eine Revolution oder andere bürgerkriegsähnliche Zustände zu bekämpfen oder zu beenden. Art. 2 Ziff. 4 entspricht in dieser Hinsicht Art. 2 Ziff. 7. Die Frage der Gewaltanwendung und des Gewaltverbotes zwischen den Mitgliedstaaten ist verschiedentlich Gegenstand der Auseinandersetzungen zwischen Kolonialmächten und früheren Kolonialgebieten gewesen. Der Sicherheitsrat konnte sich zumindest bis 1960 nicht zu einer Verurteilung der Kolonialmächte durchringen, sondern stellte lediglich fest, daß die Gewaltanwendung im Rahmen der -*• Entkolonialisierung „internationale Folgen" nach sich ziehen könne (ζ. B. Res. 163 (XVI) vom 9.6.1961). Die Generalversammlung hat in ihrer grundlegenden Resolution 1514 (XV) vom 14. Dezember 1960 über die Gewährung der Unabhängigkeit an Völker unter Kolonialherrschaft ausdrücklich festgestellt, daß jede Gewaltanwendung gegenüber den Kolonialvölkern gegen das Gewaltverbot verstoße und das Prinzip des Gewaltverzichts verletze. Dies gelte insbesondere dann, wenn die Anwendung der Gewalt auf die Verhinderung der Durchsetzung des Selbstbestimmungsprinzips wie des Rechts auf Unabhängigkeit gerichtet sei. Auch in der Folgezeit hat die Generalversammlung verschiedentlich den in der Resolution 1514 (XV) zum Ausdruck gebrachten Grundsatz bestätigt. In der Praxis hat dies insbesondere zu einer Unterstützung der Befreiungsbewegungen in den portugiesischen Kolonialgebieten geführt. Indien berief sich bei der Besetzung von Goa, Damao und Diu darauf, daß der Kampf gegen ein koloniales Regime nicht gegen das Prinzip des Gewaltverbots verstoße.

Gewaltverbot

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Die weitere Einschränkung Hegt in dem Verbot, die Anwendung und Androhung von Gewalt gegen die „territoriale Unversehrtheit" und „politische Unabhängigkeit" der Mitgliedstaaten einzusetzen. Beide Begriffe verweisen auf ähnliche Probleme, wie sie sich schon aus Art. 10 Völkerbundsatzung ergaben. Umstritten ist insbesondere, ob bereits im Einmarsch fremder Truppen in das Territorium eines Staates, um diesen vor Angriffen eines anderen Staates zu schützen, ein Verstoß vorliegt. Unklar ist weiter, ob auch bereits die zeitweilige Besetzung eines Territoriums ohne die Absicht der Beeinträchtigung der territorialen Unversehrtheit und politischen Unabhängigkeit unter das Gewaltverbot fällt. Schließlich bleibt strittig, ob eine Gewaltanwendung, die weder die territoriale Unversehrtheit noch die politische Unabhängigkeit berührt, schon unter das Gewaltverbot fällt. Kelsen hat allerdings darauf hingewiesen, daß nach Art. 1 Ziff. 1 es das oberste Ziel der Vereinten Nationen sei, „den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren, und zu diesem Zweck wirksame Kollektivmaßnahmen zu treffen". Aus dem Verweis des Art. 2 Ziff. 4 auf die Ziele der Vereinten Nationen schließt er, daß damit jede Gewaltanwendung untersagt wurde, die nicht kollektiven Charakter trage bzw. nicht ausdrücklich erlaubt sei. Verstöße gegen das Gewaltverbot führen zur völkerrechtlichen Haftung des Aggressors und zur Nichtanerkennung seiner etwa erlangten Vorteile (Anwendung der sog. StimsonDoktrin durch GA Res. 2625 (XXV) und Art. 5 der Aggressionsdefinition (Res. 3314 (XXIX) vom 14.12.1974)). Unstreitig ist jede Form von Gewaltanwendung, die von Organen der Weltorganisation gegen einen Mitgliedstaat beschlossen wurde, rechtmäßig. Die Charta unterscheidet zwischen vier Formen legitimer Gewaltanwendung: Individuelle oder kollektive Selbstverteidigung (Art. 51); Zwangsmaßnahmen des Sicherheitsrates gem. Art. 39 seq.; Zwangsmaßnahmen nach Art. 53 seq.; Aktionen gem. Art. 106 und 107. Diese Ausnahmen sind jedoch nicht zur Klärung der Frage geeignet, wann ein Mitgliedstaat legitimiert Gewalt gegenüber einem anderen Staat einsetzen kann. Nachdem der Sicherheitsrat am 27. Juni 1950 (Res. 83 (V)) den Mitgliedstaaten empfohlen hatte, Süd-Korea (-> Korea) militärische Hilfe zukommen zu lassen, folgten zwar einige Mitglieder dieser Resolution, jedoch machte die Sowjetunion geltend, daß die Abstimmung wegen der militärischen Unterstützung gegen Art. 27 Abs. 3 verstoße. Die Mehrheit der Mitglieder sah hingegen in der Entscheidung die Autorisierung des Einsatzes militärischer Gewalt gegen einen anderen Staat. Die Frage nach der Legitimität des Einsatzes militärischer Gewalt stellte sich in gleicher Form in der Kongo-Krise. Er wurde mit dem Versuch der Verhinderung eines Bürgerkrieges gerechtfertigt. Hinsichtlich der Frage, ob ein Staat dann militärische Gewalt einsetzen darf, wenn dies auf Einladung des betreffenden Staates erfolgte, wird in der Praxis der Vereinten Nationen auf Art. 51 verwiesen. Auch die Anwendung militärischer Gewalt im Rahmen regionaler Organisationen und Pakte erscheint in der Praxis der Vereinten Nationen rechtmäßig. Diese Begründung erfolgte im arabisch-israelischen Konflikt und im Streitfall zwischen den USA und der UdSSR hinsichtlich der Errichtung von Raketenbasen in Kuba. Bislang richtete sich Art. 2 Ziff. 4 stets gegen militärische Akte. Es ist aber nicht auszuschließen, daß im Zuge der Entwicklung einer neuen Weltwirtschaftsordnung auch bestimmte wirtschaftliche Maßnahmen dem Verbot des Art. 2 Ziff. 4 unterstellt werden. Darauf deuten die Resolution 3201 (S-VI) vom 1. Mai 1974 sowie die Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten hin (Res. 3281 (XXIX) vom 12.12.1974).

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Grundsätze der Vereinten Nationen

Literatur Dahm: Das Verbot der Gewaltanwendung nach Art. 2 (4) der UNO-Charta und die Selbsthilfe gegen Volkerrechtsverletzungen, die keinen bewaffneten Angriff enthalten, in: Festschrift für R. Laun, 1962 S. 48 Derpa: Das Gewaltverbot der Satzung der Vereinten Nationen und die Anwendung nichtmilitärischer Gewalt, Bad Homburg 1970 Kelsen: Principles of International Law, New York 1959 p. 45 Klein, F.: Der Begriff des Angriffs in der UN-Satzung, in: Festschrift für Jahrreiß, Köln 1964 S. 163 McWhinney: The „New" Countries and the „New" International Law, in: AJIL vol. 60 (1966) p. 1 Simma: Völkerrechtliches Gewaltverbot und Friedenssicherung, in: Österreichische Zeitschrift für Öffentliches Recht 1971 S. 263 Wengler: Das völkerrechtliche Gewaltverbot, Berlin 1967 Günther Doeker Verweise auf: Entkolonialisierung; Friedenssicherung; Friedens· und Kriegsbegriff; Korea; Regionalabkommen.

Grundsätze der Vereinten Nationen Die das System der Vereinten Nationen bestimmenden Prinzipien ergeben sich einerseits aus der Präambel der Charta, andererseits bestimmen Art. 1 und 2 Ziele und Grundsätze der Organisation. Darüber hinaus werden einzelne Grundsätze und Ziele in verschiedenen Bestimmungen der Charta angesprochen und konkretisiert. Die Gründungsmitglieder glaubten noch bei den Verhandlungen zur Errichtung der Vereinten Nationen in Dumbarton Oaks (-> Entstehungsgeschichte), auf eine Präambel verzichten zu können. Sie änderten jedoch auf der Konferenz von San Francisco (25.4. — 26.6.1945) unter dem Einfluß des Südafrikanischen Feldmarschalls Smuts ihre Meinung. In den Diskussionen stellte sich allerdings heraus, daß es grundsätzlich, wenn nicht überhaupt unmöglich ist, zwischen den in der Präambel ausgedrückten Vorstellungen und den in Kapitel I der Charta niedergelegten Zielen und Grundsätzen zu unterscheiden. Gleichwohl versuchte der mit dem Entwurf betraute Ausschuß herauszuarbeiten, daß zunächst die Präambel als Einführung in die Charta anzusehen sei. Die Präambel versucht die gemeinsamen Ziele und Zwecke zu fixieren, durch die die Staaten ihre Politiken harmonisieren und steuern sollen. Diese Ziele („purposes", so Art. 1, „aims", so die Präambel) stellen den Daseinsgrund der Organisation dar. Die Grundsätze („principles", Art. 2) versuchen dagegen Methoden und Verfahren der Vereinten Nationen zu bestimmen, um die Ideale in der Völkergemeinschaft durchsetzen zu können. Bemühungen einer klaren Begriffsabgrenzung sind allerdings nicht gelungen. Tatsächlich existiert kein greifbarer Unterschied zwischen den Zielen und Zwecken, den Idealen der Präambel oder den Grundsätzen der Organisation. Es ist daher nicht überraschend, daß die Präambel in den Entscheidungen und Empfehlungen der Organe kaum eine politische Rolle gespielt hat. In der Resolution über die Prinzipien des Völkerrechts betreffend die freundschaftlichen Beziehungen und die Zusammenarbeit zwischen den Staaten (Res. 2625 (XXV) vom 24.10.1970) wird allerdings ein Passus der Präambel zitiert. Die im Rahmen der Charta festgelegten Ziele, nach denen die Mitgliedstaaten ihre Politik auszurichten haben, lassen sich wie folgt zusammenfassen:

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Primär sind die Vereinten Nationen eine Organisation, die es sich zur Aufgabe gesetzt hat, den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren. Zur Erreichung dieses Zwecks ist die Organisation berechtigt, Kollektivmaßnahmen zur Aufrechterhaltung und Wiederherstellung des Friedens und der Sicherheit nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit und des Völkerrechts zu ergreifen (-> Friedenssicherung). Mittel dazu sind einmal die friedliche Beilegung von Streitigkeiten gem. Kapitel VI (-* Streitschlichtung), zum anderen -> Sanktionen gem. Kapitel VII. Für die Mitgliedstaaten ergibt sich die Verpflichtung, den Frieden zu erhalten und die Lösung von Streitigkeiten auf friedlichem Wege zu suchen (-»• Gewaltverbot) und die Organisation in ihren Bemühungen um die Friedenssicherung zu unterstützen (Art. 2 Ziff. 5 und Kapitel VII). Dieser Primärfunktion dient das in der Satzung verankerte System der kollektiven Sicherheit. Die Praxis der Vereinten Nationen hat jedoch gezeigt, daß durch den Einfluß der Großmächte das System der kollektiven Sicherheit nur teilweise verwirklicht werden konnte. Demgegenüber hat die friedliche Beilegung von Streitigkeiten auch in der Praxis der Vereinten Nationen einen hohen Stellenwert erlangt. Neben der Hauptfunktion, Sicherheit und Frieden zu gewährleisten, hat die Organisation die Verpflichtung, die internationale Zusammenarbeit zu fördern, um wirtschaftliche, soziale, kulturelle und humanitäre Probleme einer Lösung näher zu bringen (Art. 1 Ziff. 3). Ziel ist Wohlfahrt und Wohlstand der Welt durch internationale Zusammenarbeit (Art. 55). Dieses Ziel erscheint satzungsmäßig gegenüber der Friedenssicherung als sekundär, hat aber in der Praxis die größere Bedeutung erlangt. Kapitel IX umschreibt das den Vereinten Nationen dafür zur Verfügung stehende Instrumentarium. Kapitel X definiert Aufgaben und Befugnisse des ECOSOC, der dazu beitragen soll, die Förderung und Entwicklung der Wohlfahrt durch Zusammenarbeit zwischen den Staaten einerseits und den Vereinten Nationen und ihren Sonderorganisationen andererseits zu koordinieren. Ein dem Wohlfahrtszweck gleichgewichtiges Ziel ist der Schutz der Menschenrechte. Dies gilt, obwohl die Charta die Menschenrechte und Grundfreiheiten nicht näher definiert oder bestimmt. Lediglich Art. 1 Ziff. 3, Art. 55 (c), Art. 76 (c) enthalten Hinweise auf die allgemeinen Menschenrechte. Die Charta hat diesen gewichtigen Bereich nicht in dem Organisationssystem durch Schaffung eines dafür primär zuständigen Organs verankert, jedoch hat die Generalversammlung bereits 1948 die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (Res. 217 (III) vom 10.12.1948) verabschiedet und 1966 Menschenrechtspakte beschlossen (-»• Menschenrechte). Die beiden Menschenrechtspakte sind Anfang 1976 in Kraft getreten. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte wird teilweise als geltendes Völkerrecht angesehen (str.). Mit der Gründung der Vereinten Nationen begann das Ende des durch die westlichen Staaten in Asien, Afrika und Lateinamerika betriebenen Kolonialismus und Imperialismus (-> Entkolonialisierung). Bereits die Atlantik-Charta von 1941 (-> Entstehungsgeschichte) enthielt den Grundsatz, daß alle Völker ihre Regierungsform selbst bestimmen sollten. Einen entsprechenden Gedanken griff Art. 1 Ziff. 2 durch Hinweis auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker auf. In den Kapiteln XI — XIII, die sich auf die Gebiete ohne Selbstregierung und das Treuhandsystem beziehen, ist an einer Stelle von Unabhängigkeit die Rede, ohne daß dadurch der Begriff der Selbstbestimmung geklärt würde. In der Praxis der Vereinten Nationen ist die Selbstbestimmung als Recht der Völker angesehen worden, wenn auch den Vereinten Nationen gem. Art. 2 Ziff. 7 kein Recht zusteht, in Angelegenheiten einzugreifen, die ihrem Wesen nach zur inneren Zuständigkeit eines Staates gehören (->• Souveränität). 1950 erkannte die Generalversammlung das Selbstbestimniungsrecht als fundamentales Menschenrecht an (Res. 421 D (V) vom 4.12.1950), die Menschenrechtspakte von 1966 nahmen das Selbstbestimmungsrecht ausdrücklich auf. Ausdruck des Selbstbestimmungsprinzips soll ebenfalls die von der Generalversammlung verabschiedete Resolution 1803 sein, die ein unabänderliches Recht aller Staaten anerkennt,

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Grundsätze der Vereinten Nationen

über ihren Naturreichtum und ihre Ressourcen allein zu verfügen (Res. 1803 (XVII) vom 14.12.1962). Die Anwendung des Grundsatzes der Selbstbestimmung wird durch Art. 2 Ziff. 7 erschwert, da die Grenze zwischen Einmischung in innere Angelegenheiten und Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts oft nur schwer zu ziehen ist. Im Konflikt zwischen Frankreich und Algerien erkannte die Generalversammlung das Selbstbestimmungsrecht für Algerien erst an, nachdem General de Gaulle in seiner Rede vom 16. September 1959 dem algerischen Volk die Selbstbestimmung zugestanden hatte. Auch Portugal hat sich hinsichtlich der -> Portugiesischen Kolonialgebiete auf Art. 2 Ziff. 7 berufen, obwohl die Verpflichtung zur Entkolonialisierung bestand. Im Konflikt zwischen den Niederlanden und Indonesien um Westirian bestanden beide streitenden Parteien auf ihrem Recht der Selbstbestimmung, ohne daß in der Generalversammlung eine Einigung über den Träger dieses Rechts erzielt werden konnte. Während die Intervention der Sowjetunion in Ungarn im Lichte der Selbstbestimmung keine Rolle in den Debatten der Vereinten Nationen spielte, wurde das Recht der ungarischen Bevölkerung, sich eine eigene Regierung zu geben und freie Wahlen abzuhalten, in verschiedenen Resolutionen der Generalversammlung betont. Obwohl das Prinzip der Selbstbestimmung verschiedene Interpretationen auch in der Praxis der Vereinten Nationen erfuhr, ist das Selbstbestimmungsrecht zum tragenden Grundsatz der Entkolonialisierung geworden. In Ausprägung der Erklärung über die Gewährung von Unabhängigkeit an Kolonialländer und -Völker (Res. 1514 (XV) vom 14.12.1960) ist das Selbstbestimmungsprinzip nahezu ausschließlich auf ehemalige Kolonialgebiete angewendet worden. Schließlich bekennt sich die Organisation zu dem Ziel, Bedingungen zu schaffen, unter denen Gerechtigkeit und die Achtung vor den Verpflichtungen aus Verträgen und anderen Quellen des Völkerrechts gewahrt werden können. Obwohl in der Charta verschiedentlich von Gerechtigkeit gesprochen wird (Präambel, Art. 1 Ziff. 1, Art. 2 Ziff. 3), fällt die Zurückhaltung auf, den Begriff der Gerechtigkeit näher zu definieren. Diese Zurückhaltung ist daraus zu erklären, daß zur Zeit der Gründung die Friedenserhaltung zwischen den Völkern als Primärfunktion galt. Erst die' Friedenssicherung gibt Möglichkeit zur Verwirklichung von Gerechtigkeit, die ihrerseits an den Menschenrechten orientiert ist. Die Grundsätze und Ziele der Vereinten Nationen sind in der Charta erschöpfend aufgezählt und beschrieben. Andere der Organisation zugetragene Funktionen bedürfen einer Änderung der Charta. Gleichwohl gilt für die Vereinten Nationen auch das Prinzip der miteinbegriffenen Zuständigkeiten (implied powers), so daß auch solche Aufgaben wahrgenommen werden können, die nicht ausdrücklich niedergelegt sind, die sich aber aus der allgemeinen Zielsetzung ergeben. Die Anwendung der Grundsätze und Ziele der Charta findet dort ihre Grenzen, wo die Organisation an das Prinzip der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten gebunden ist (Art. 2 Ziff. 7). Demnach dürfen die Vereinten Nationen nicht in die Angelegenheiten eingreifen, die den Bereich der nationalen Zuständigkeit der Staaten berühren. Eine weitere praktische Beschränkung ergibt sich daraus, daß die Vereinten Nationen nur die Wirksamkeit zu entfalten in der Lage sind, die die Mitgliedstaaten der Organisation zuerkennen. Literatur Graf zu Dohna: Die Grundprinzipien des Völkerrechts über die freundschaftlichen Beziehungen und die Zusammenarbeit zwischen den Staaten, Berlin 1973 Sahovic (Hrsg.): Principles of international law concerning friendly relations and cooperation, Belgrade 1972 Schwarzenberger: The Purposes of the United Nations: International Judicial Practice, in: Israel Yearbook on Human Rights vol. 4 (1974) p. 11 Günther Doeker

Handels- und Wiitschaftsdiskriminierung

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Verweise auf: ECOSOC; Entkolonialisierung; Entstehungsgeschichte; Friedenssicherung; Gewaltverbot; Kollektive Sicherheit; Menschenrechte; Portugiesische Kolonialgebiete; Sanktionen; Selbstbestimmungsrecht; Souveränität; Streitschlichtung.

Handels- und Wirtschaftsdiskriminierung Erscheinungsformen und Begriff Im internationalen Handels- und Wirtschaftsverkehr wird der Vorwurf einer -» Diskriminierung häufig erhoben, wenn sich Maßnahmen eines Staates im internationalen Waren-, Dienstleistungs- oder Kapitalverkehr auf andere Staaten unterschiedlich auswirken. Zu diesem Vorwurf wird sich ζ. B. ein Staat veranlaßt sehen, auf dessen Waren an der Grenze höhere Zölle erhoben werden als auf vergleichbare Güter anderer Länder, oder der dadurch Wettbewerbsnachteile erleidet, daß sich Importbeschränkungen eines anderen Staates auf den Export seiner Produkte besonders nachteilig auswirken. Neben Zöllen und mengenmäßigen Beschränkungen der Ein- und Ausfuhr gehören verschiedene Maßnahmen des administrativen Protektionismus (-> Umweltschutz), staatliche Außenhandelsmonopole sowie Maßnahmen der Devisenbewirtschaftung zum Instrumentarium der Außenwirtschaftspolitik einzelner oder in Zoll- und Wirtschaftsunionen zusammengeschlossener Staaten. Dabei können außer wirtschaftlichen Zielen auch politische oder militärische Zwecke verfolgt werden. Eine für die rechtliche Beurteilung dieser Maßnahmen brauchbare Definition der Handelsund Wirtschaftsdiskriminierung hat sich angesichts der erheblichen Variationsbreite staatlicher Einflußnahme in diesem Bereich auf allgemeine Merkmale zu beschränken. Als Diskriminierung ist demnach die Ungleichbehandlung gleicher Objekte oder Sachverhalte zu kennzeichnen, die bei den Betroffenen zu Erschwernissen oder Nachteilen führt. Die weitere Bestimmung des materiellen Gehalts einer Handels- und Wirtschaftsdiskriminierung ist nur für die jeweils in Frage stehende Maßnahme möglich, da sie von einer Konkretisierung der einzelnen zu einer Vergleichbarkeit führenden Unterscheidungsmerkmale ausgehen muß. Diskriminierungsverbot und Gleichbehandlungsgebot Ein allgemeines Verbot von Handels- und Wirtschaftsdiskriminierungen, durch das alle Staaten zu einer gegenseitigen Gleichbehandlung verpflichtet wären, läßt sich im Völkergewohnheitsrecht nicht nachweisen. Insbesondere der Grundsatz der Staatengleichheit beinhaltet nur die formale Gleichheit vor dem Recht, womit als Ausdruck der -»· Souveränität der Staaten nur die Fähigkeit gemeint ist, in gleicher Weise Träger von Rechten und Pflichten zu sein. Ein Anspruch auf Gleichbehandlung im materiellen Sinne, daß jeder Staat auch tatsächlich inhaltlich die gleichen Rechte geltend machen kann, ist dagegen für den Bereich der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen völkergewohnheitsrechtlich nicht anerkannt. Ein völkerrechtlich verbindliches Verbot von Handels- und Wirtschaftsdiskriminierungen, das häufig in einer Verpflichtung zu einer entsprechenden Gleichbehandlung zum Ausdruck kommt, beruht stets nur auf vertraglicher Grundlage. Vertragliche Diskriminierungsverbote und Verpflichtungen zu materieller Gleichbehandlung unterscheiden sich dabei hinsichtlich des Grades der Gleichbehandlung danach, ob eine „egalitäre" oder „differenzierende" Gleichbehandlung geschuldet wird. Zumeist wird eine Verpflichtung zu egalitärer Gleichbehandlung vereinbart, die besagt, daß jedem davon profitierenden Staat ohne Unterscheidung dieselbe Behandlung zukommt. Wichtigstes Beispiel einer solchen egalitären Gleichbehandlungspflicht ist die in Art. I Abs. 1 des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens von 1947 (-»• GATT) niedergelegte Verpflichtung der Mitglied-

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Handels- und Wirtschaftsdiskriminierung

Staaten, sich gegenseitig bei Ein- und Ausfuhren in bezug auf damit verbundene Zölle und Abgaben anderer Art sowie den Zahlungsverkehr automatisch alle Vorteile, Vergünstigungen, Vorrechte oder Befreiungen zu gewähren, die irgendeinem anderen Vertragspartner eingeräumt werden. Diese sog. Meistbegünstigungsklausel („most favoured nation clause", „clause de la nation la plus favorisée") soll u. a. bewirken, daß die Waren aller Vertragsparteien jeweils zollmäßig ohne Rücksicht auf ihre Herkunft gleich abgefertigt werden. Dagegen können sich Staaten auch zu einer differenzierenden, sich an der Gerechtigkeitsidee ausrichtenden Form der Gleichbehandlung verpflichten, indem jede Vertragspartei nach ihren tatsächlichen wirtschaftlichen Interessen relativ gleich zu behandeln ist. Ein Beispiel für eine solche differenzierende Gleichbehandlungspflicht ist das in Art. XIII GATT enthaltene Verbot der Diskriminierung bei mengenmäßigen Beschränkungen. Staaten mit einem hohen Importanteil für eine bestimmte Ware sollen demnach nach Erlaß von Einfuhrbeschränkungen nicht genauso behandelt werden wie solche, aus denen vorher nur geringe Mengen eingeführt worden sind. Die Entwicklungsländer fordern — unterstützt von den sozialistischen Staaten — die völkergewohnheitsrechtliche Anerkennung des Prinzips der Nichtdiskriminierung. Sie fühlen sich dadurch benachteiligt, daß sich die Industriestaaten bei der Praxis der Gewährung einer Gleichbehandlung in bi- und multilateralen Handels- und Wirtschaftsverträgen von ihren eigenen wirtschaftlichen und politischen Interessen leiten lassen und dadurch wirtschaftlich schwächere Staaten, die kaum Gegenleistungen zu bieten haben, weniger berücksichtigen. Die tatsächlich vorhandenen geographischen, ökonomischen und politischen Realitäten lassen jedoch gerade eine unterschiedliche Behandlung von Staaten erforderlich werden, wie sie sich in der Außenhandelspolitik — und auch Entwicklungshilfe — aller Handelsnationen niedergeschlagen hat. Ein ausdrückliches Diskriminierungsverbot fand aus diesem Grunde auch keinen Eingang in die Deklaration der Generalversammlung über freundschaftliche Beziehungen und Zusammenarbeit zwischen den Staaten (Res. 2625 (XXV) vom 24.10.1970; vgl. Doc. A/6799; GAOR (XXIV) Suppl. No. 19 (Doc. A/7619)). Statt einer egalitären Gleichbehandlung steht daher vielmehr die Forderung nach differenzierender Gleichbehandlung im Zentrum der Bemühungen der Entwicklungsländer um eine Reform der internationalen Handelsbeziehungen (vgl. GA Res. 3201 (S-VI) und Res. 3202 (S-VI) vom 1.5.1974; Res. 3281 (XXIX) vom 12.12.1974 sowie Res. 3362 (S-VII) vom 16.9.1975; ^ Weltwirtschaftsordnung). Daneben wird allerdings auch eine egalitäre Gleichbehandlung angestrebt. So enthält die Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten vom 12. Dezember 1974 neben dem in Art. 4 und 20 niedergelegten Verbot von Diskriminierungen aufgrund von Unterschieden im politischen, wirtschaftlichen und sozialen System durchgehend das Verlangen nach besonderer Berücksichtigung der Interessen der Entwicklungsländer (vgl. insbesondere Art. 10 dieser „Charta"). Meistbegünstigung und Präferenzen Das Spannungsverhältnis zwischen dem Prinzip der Nichtdiskriminierung und der Forderung der Entwicklungsländer nach Vorzugsbehandlung kommt in der Entwicklung des Meistbegünstigungsprinzips im GATT und der Errichtung eines generellen Präferenzsystems im Rahmen der -» UNCTAD zum Ausdruck. Präferenzen verstoßen grundsätzlich gegen das in Art. I Abs. 1 GATT enthaltene Diskriminierungsverbot. Zahlreiche Ausnahmen vom Prinzip der Meistbegünstigung für bereits zur Zeit des Abschlusses des GATT bestehende Präferenzsysteme sowie zur Errichtung von Zoll- und Wirtschaftsunionen lassen allerdings bereits die flexible Handhabung dieses Prinzips unter Berücksichtigung der Realitäten erkennen. Den Erwartungen der Entwicklungsländer, die ihnen gewährte Handelsvorteile als Form der Entwicklungshilfe von dem Diskriminierungsverbot ausgenommen sehen wollten, trug die 1965 erfolgte Erweiterung des Abkommens um besondere Bestimmungen über „Handel und Entwicklung" jedoch nur in geringem Maße Rechnung. Die Vertragsparteien des GATT ent-

Meistbegünstigung und Präferenzen

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schlossen sich, Handelsschranken für Erzeugnisse aus Entwicklungsländern nach Möglichkeit abzubauen und im Verhältnis zu diesen Ländern auf das Erfordernis der Gegenseitigkeit in den GATT-Verhandlungen zu verzichten. Ein neuer Ausnahmetatbestand, der die generelle Gewährung von Zollpräferenzen für Entwicklungsländer ermöglicht hätte, wurde dagegen nicht geschaffen. Die Vertragsparteien erteilten jedoch Australien 1966 eine Sondergenehmigung zur Einräumung von Vorzugszöllen für Produkte aus diesen Ländern. Damit wurde versucht, eine größere Flexibilität bei der Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes auf Staaten mit unterschiedlichem Entwicklungsniveau zu erreichen, indem die Meistbegünstigungsklausel grundsätzlich ihre Gültigkeit nicht verlor, zeitweilig jedoch von Präferenzen zugunsten von Entwicklungsländern überlagert werden konnte. Die Entwicklungsländer, von denen viele dem GATT nicht beigetreten sind, gaben sich indessen mit einer solchen punktuellen und nur vorübergehenden Sonderbehandlung nicht zufrieden. Seit 1964 ist von der UN CT AD die Einführung eines Systems allgemeiner, nicht auf Gegenseitigkeit beruhender nichtdiskriminierender Präferenzen zugunsten von Entwicklungsländern gefordert worden (Doc. E/Conf. 46/3 „Prebisch-Report"; UNCTAD II, Res. 21 (II) vom 26.3.1968; Doc. TD/B/AC. 5/36/Rev. 1 „Agreed Conclusions" von 1970). Die Präferenzen sollen grundsätzlich allen Entwicklungsländern ohne eine Diskriminierung unter ihnen (durch sog. vertikale Präferenzen und Blockbildung) eingeräumt werden, wobei den am wenigsten entwickelten Ländern jedoch Sonderbedingungen gewährt werden dürfen. Das Ziel des Präferenzsystems ist die vollständige Abschaffung von Zöllen auf Gütern aus Entwicklungsländern. Die Generalversammlung hat sich die Forderung nach einem allgemeinen Präferenzsystem bei Verabschiedung der Resolution über die Internationale Entwicklungsstrategie für die zweite Entwicklungsdekade der Vereinten Nationen (Res. 2626 (XXV) vom 24.10.1970) zueigen gemacht. Nachdem sich die meisten Industrieländer zur Gewährung von Präferenzen für Entwicklungsländer bereiterklärt hatten, erteilten die Vertragsparteien des GATT 1971 dem generellen Präferenzsystem wegen seiner prinzipiellen Unvereinbarkeit mit der Meistbegünstungsklausel des Art. I Abs. 1 GATT eine zunächst nur auf zehn Jahre begrenzte Ausnahmegenehmigung. Eine Verlängerung erscheint jedoch als unumgänglich, da sich die entwicklungspolitischen Ziele des Präferenzsystems kaum in diesem Zeitraum erreichen lassen. Damit ist die Gewährung von Präferenzen für Entwicklungsländer faktisch als neuer Ausnahmetatbestand von dem Prinzip der Meistbegünstigung anzusehen. Seitdem können die Industrieländer allen Entwicklungsländern spezielle Vorzugszölle einräumen. Aufgrund eines weiteren „waiver" ist es auch den Entwicklungsländern gestattet, gegenüber anderen Entwicklungsländern Zölle zu senken oder ganz abzubauen, ohne Industrieländern dieselben Vorteile zu gewähren. Die Bedeutung dieser generellen Präferenzen für Entwicklungsländer als nicht nur vorübergehendem Bestandteil einer neuen internationalen Handelsordnung kommt in Art. 12, 18, 21 und 26 der Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten (GA Res. 3281 (XXIX) vom 12.12.1974) zum Ausdruck. Es wird damit die Tendenz zur Anerkennung eines besonderen Meistbegünstigungsprinzips sichtbar, das nur im Handel mit Entwicklungsländern gilt („clause de la nation en voie de développement la plus favorisée"), während unter den übrigen Handelsnationen das generelle Diskriminierungsverbot des GATT weiterhin gilt. Diese sich abzeichnende Abkehr von der prinzipiellen Anwendbarkeit des in Art. I Abs. 1 GATT festgelegten Gleichbehandlungsprinzips zugunsten eines auf Billigkeitserwägungen beruhenden Präferenzsystems kann jedoch, ungeachtet der wichtigen entwicklungspolitischen Zielsetzung, zu neuen, für den Welthandel gefährlichen Diskriminierungen führen. Die Industriestaaten haben sich nicht auf ein einheitliches Präferenzsystem einigen können, da bereits bestehende traditionelle Präferenzbeziehungen sowie eine Vielzahl eigener wirtschaftlicher und politischer Interessen zu berücksichtigen waren. Am 1. Januar 1976 bestanden 14 verschiedene Präferenzsysteme von Industrieländern (vgl. Doc. TD/B/C. 5/41; TD/B/C. 5/42). Die einzelnen präferenzgebenden Länder bestimmen nach eigenen Gesichts-

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Handels- und Wirtschaftsdiskriminierung

punkten die Dauer der Präferenzregelung, die einzelnen Begünstigten sowie die erfaßten Produkte, die sie wiederum unterschiedlich behandeln können. Zudem schützen sie in der Regel ihre Wirtschaft weiterhin durch zahlreiche Ausnahmen vom Präferenzsystem — zumeist bei Agrarimporten sowie Halb- und Fertigwaren aus Ländern mit niedrigem Lohnniveau —, insbesondere durch Zollkontingente, Höchsteinfuhrwerte und diverse Sicherheitsklauseln. Die Aufrechterhaltung schon bestehender Sonderpräferenzsysteme ist ihnen gestattet. Da weder Minimalstandards noch eine verbindliche Überprüfung der Gewährung von Präferenzen vorgesehen sind, bleibt den Industrieländern ein praktisch unbegrenzter Ermessensspielraum hinsichtlich einzelner begünstigter Länder und Produkte, in den die verschiedensten politischen Gesichtspunkte einfließen können. Dadurch sind praktisch Diskriminierungen, die neue Ungleichbehandlung schaffen, unüberprüfbar. Zudem wirkt sich das allgemeine Präferenzsystem auch unter den begünstigten Entwicklungsländern recht unterschiedlich aus, da vor allem solche Länder Vorteile von Zollsenkungen haben, die bereits über leistungsfähige Industrien verfügen. Ein Präferenzsystem, das neue Ungerechtigkeiten vermeiden und wirkliche Gleichbehandlung erreichen wollte, müßte wegen der — fließenden — Unterschiede zwischen allen Industrie- und Entwicklungsländern sowie unter Berücksichtigung der Vielzahl der gehandelten Produkte so differenziert und zudem auch flexibel sein, daß es kaum realisierbar erscheint. Das GATT-Prinzip der Meistbegünstigung und das UNCTAD-System allgemeiner Präferenzen unterscheiden sich hinsichtlich der mit ihnen verbundenen faktischen Ungleichbehandlung somit zur Zeit jedenfalls noch nicht so wesentlich, wie es zunächst erwartet worden war. Es fragt sich daher, ob eine zunehmende Aufgabe des Meistbegünstigungsprinzips zugunsten von Präferenzen, die kurzfristig für viele Entwicklungsländer von Vorteil sind, auf lange Sicht wegen der damit verbundenen Diskriminierungen dem gesamten internationalen Handelsund Wirtschaftsverkehr nicht unverhältnismäßigen Schaden zufügen kann. Neben der Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen (ILC), die das Prinzip der Meistbegünstigung im Rahmen der Arbeiten der UNCITRAL einer eingehenden Prüfung unterzieht (vgl. zuletzt Doc. A/CN.4/286), hat sich vor allem die UNCTAD der Aufgabe zu stellen, bei der beständigen Überprüfung der Wirksamkeit des allgemeinen Präferenzsystems die offenbaren Vorteile des Systems gegen die sich abzeichnenden Nachteile neuer Diskriminierungen abzuwägen. Die letztlich politische Entscheidung für oder gegen eine Differenzierung des Meistbegünstigungsprinzips im GATT muß von den Ergebnissen dieser Untersuchungen ausgehen.

Literatur Hieronymi: Economic Discrimination Against the United States in Western Europe (1945 — 1958), Genève 1973 Hürni: Die bestehenden Systeme von Präferenzzöllen zugunsten von Entwicklungsländern, in: Außenwirtschaft 1975 S. 115 Hyder: Equality of Treatment and Trade Discrimination in International Law, The Hague 1968 Jaenicke: Der Begriff der Diskriminierung im modernen Völkerrecht, Berlin 1940 Kaplan: Equality and Discrimination in International Economic Law (II): The UNCTAD Scheme for Generalised Preferences, in: Year Book of World Affairs (1972) p. 267 Kewenig: Der Grundsatz der Nichtdiskriminierung im Völkerrecht der internationalen Handelsbeziehungen, Frankfurt/M. 1972 Krämer: Das Meistbegünstigungsprinzip und die Entwicklungsländer, in: JIR Bd. 17 (1974) S. 125 Lindemeyer: Schiffsembargo und Handelsembargo, Baden-Baden 1975 Pescatore: La Clause de la Nation la plus favorisée dans les conventions multilatérales, in: Annuaire de l'Institut de Droit International vol. 53 I (1969) p. 1

IAEA - Internationale Atomenergie-Organisation

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Petersmann: „Entwicklungsvölkerrecht", „Droit International du Développement", „International Economic Development Law": Mythos oder Wirklichkeit, in: JIR Bd. 17(1974) S. 145 Verbit: Preferences and the Public Law of International Trade: The End of the MostFavoured-Nation Treatment? in: Académie de Droit International de la Haye, Colloque 1968, Leiden 1969, p. 19 X X X : Evolution de la réglementation internationale en matière de discrimination et de préférences, in: AFDI vol. 9 (1963) p. 64 Hans-Gerd Kausch Verweise auf·. Diskriminierung; GATT; Souveränität; Umweltschutz; UNCTAD; Weltwirtschaftsordnung.

IAEA — Internationale Atomenergie-Organisation Die IAEA (International Atomic Energy Agency) ist eine autonome, zwischenstaatliche Organisation mit Amtssitz in Wien (Österreich). Sie ist keine ->· Sonderorganisation der Vereinten Nationen im Sinne von Art. 57, da die Vereinbarung zur Zusammenarbeit mit der Hauptorganisation nicht nach dem in Art. 63 festgelegten Verfahren erfolgte. Entstehung Die Gründung der IAEA geht auf einen Vorschlag des amerikanischen Präsidenten Eisenhower an die Generalversammlung im Dezember 1953 zurück, eine Organisation zur ausschließlich friedlichen Verwendung der Atomenergie zu gründen. Ein Jahr später bekräftigte die Generalversammlung diesen Vorschlag und gab der Hoffnung Ausdruck, daß unverzüglich die Errichtung der Internationalen Atomenergie-Organisation unternommen werde (Res. 810 (IX) vom 4.12.1954). Eine Gruppe von acht Staaten, die später auf zwölf erweitert wurde, begann daraufhin in Washington, den Entwurf einer Satzung für diese Organisation auszuarbeiten. Die Satzung wurde am 26. Oktober 1956 auf einer internationalen Konferenz in New York verabschiedet und als Gründungsvertrag zur Ratifikation aufgelegt. Sie trat am 29. Juli 1957 in Kraft. Für die Bundesrepublik Deutschland gilt sie seit dem 1. Oktober 1957 (Text: BGBl. 1957 II S. 1357 bzw. - in neuer Übersetzung - BGBl. 1958 II S. 4 mit Änderungen in BGBl. 1963 II S. 329 und BGBl. 1971 II S. 849). Auf Grund des am 23. Oktober 1957 von der Generalkonferenz der IAEA angenommenen und am 14. November 1957 von der Generalversammlung gebilligten Kooperationsabkommens (Res. 1145 (XII)) wurde eine enge Bindung an die Generalversammlung und den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hergestellt (Text: UNTS Bd. 281 Nr. 548). Diese Bindung geht über die der Sonderorganisationen hinaus, da die IAEA das Recht hat, dem Sicherheitsrat unmittelbar Fragen zu unterbreiten. Damit kommt der Status der IAEA dem eines Hilfsorgans der Vereinten Nationen nahe. Mit zahlreichen Sonderorganisationen wurden ebenfalls Vereinbarungen über Kooperation und Konsultation getroffen. Am 31. Dezember 1975 waren 106 Staaten Mitglied der IAEA. Die Mitgliedschaft steht allen Staaten offen. Über einen Antrag auf Mitgliedschaft entscheidet auf Empfehlung des Gouvemeursrates die Generalkonferenz (Art. 4 IAEA-Satzung). Der Austritt ist jederzeit möglich, die zeitweilige Entziehung der Ausübung der Mitgliedschaftsrechte nur dann, wenn die Generalkonferenz feststellt, daß ein Mitgliedstaat dauernd seine Pflichten verletzt.

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Aufgaben Ziele der Organisation sind nach Art. 2 IAEA-Stzung, 1. „in der ganzen Welt den Beitrag der Atomenergie zum Frieden, zur Gesundheit und zum Wohlstand zu beschleunigen und zu steigern"; 2. dafür zu sorgen, „daß die von ihr oder auf ihr Ersuchen oder unter ihrer Überwachung oder Kontrolle geleistete Hilfe nicht zur Förderung militärischer Zwecke benutzt wird". Daraus ergeben sich als Aufgaben vor allem, — die Erforschung, Entwicklung und praktische Anwendung der Atomenergie für friedliche Zwecke in der ganzen Welt zu fördern und zu unterstützen; — für Material, Dienstleistungen, Einrichtungen und Ausrüstung zu sorgen, um den Bedürfnissen der Erforschung, der Entwicklung oder der praktischen Anwendung der Erzeugung elektrischer Energie nachzukommen; — den Austausch wissenschaftlicher und technischer Informationen über die Verwendung von Atomenergie zu friedlichen Zwecken zu fördern; — den Austausch und die Ausbildung von Wissenschaftlern und Sachverständigen auf dem Gebiet der friedlichen Verwendung der Atomenergie zu fördern; — Sicherheitsmaßnahmen zu treffen und zu handhaben, die gewährleisten, daß besonderes spaltbares Material und sonstiges Material, Dienstleistungen, Ausrüstungen, Einrichtungen und Informationen, nicht zur Förderung militärischer Zwecke benutzt werden, und diese Sicherheitsmaßnahmen auf Ersuchen der betreffenden Parteien auf deren Tätigkeit auf dem Gebiet der Atomenergie anzuwenden; — in Konsultationen und Zusammenarbeit mit den zuständigen Organen der Vereinten Nationen und der Sonderorganisationen Sicherheitsnormen aufzustellen und zu beschließen, um die Gesundheit zu schützen und die Gefahr für Leben und Eigentum auf ein Mindestmaß herabzusetzen; — Einrichtungen, Anlagen und Ausrüstungen, die zur Durchführung von der IAEA übertragenen Aufgaben dienen, zu erwerben oder herzustellen, wenn die ihr sonst in dem betreffenden Gebiet zur Verfügung stehenden Einrichtungen, Anlagen und Ausrüstungen unzulänglich oder nur zu ihr unbefriedigend erscheinenden Bedingungen verfügbar sind (Art. 3 IAEASatzung). Diese Aufgaben werden von der Generalkonferenz, dem Gouverneursrat und dem Sekretariat, den drei Organen der IAEA, wahrgenommen.

Organe Die Generalkonferenz, der alle Mitgliedstaaten angehören, tritt einmal im Jahr zusammen, um über Programm und Aufgaben der IAEA zu beraten, den Haushalt und den Jahresbericht zu genehmigen, über Aufnahmeanträge Beschluß zu fassen, freiwerdende Stellen im Gouverneursrat neu zu besetzen und alle vier Jahre die Ernennung des Generaldirektors durch den Gouverneursrat zu bestätigen. Der Gouverneursrat, dem gegenwärtig 34 Mitgliedstaaten angehören, soll die Aufgaben der IAEA nach der Satzung und vorbehaltlich seiner Verantwortlichkeit gegenüber der Generalkonferenz wahrnehmen. Die 34 Mitgliedstaaten sind in 8 Regionalgruppen eingeteilt, nämlich Nordamerika, Lateinamerika, Westeuropa, Osteuropa, Afrika, Mittlerer Osten und Südasien, Südostasien und Pazifik sowie Ferner Osten. Ständige Sitze haben im Gouverneursrat die USA, die UdSSR, Großbritannien, Frankreich, Kanada, die Bundesrepublik Deutschland, Italien, Indien und Japan. Die restlichen 25 Sitze werden nach einem komplizierten Verfahren auf die 8 Regionalgruppen verteilt. Der Gouverneursrat tritt vier- bis fünfmal im Jahr zusammen, um über die Angelegen-

Tätigkeit

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heiten zu beraten, die ihm von Mitgliedstaaten oder dem Generaldirektor vorgelegt werden. Er beschließt über den Haushaltsentwurf und das Programm der IAEA und leitet beide an die Generalkonferenz weiter. Alle vier Jahre wählt er den Generaldirektor, dessen Ernennung von der Generalkonferenz bestätigt werden muß. Das Sekretariat, dem ca. 400 Beamte und über 800 Angestellte angehören, untersteht dem Generaldirektor, welcher für Verwaltungsangelegenheiten und die Durchführung des Programms verantwortlich ist. Ihm zur Seite stehen an der Spitze von fünf Hauptabteilungen (Verwaltung; Forschung und Isotope; Technische Hilfe und Publikationen; Technische Operationen, Sicherheitsmaßnahmen und Inspektionen) fünf stellvertretende Generaldirektoren. In wissenschaftlichen und technischen Belangen berät den Generaldirektor ein Wissenschaftlicher Beirat, der sich aus zwölf hervorragenden, jeweils auf drei Jahre berufenen Wissenschaftlern zusammensetzt. Finanzierung und Haushalt Der Haushaltsplan 1975 sah Ausgaben von insgesamt (ordentlicher und außerordentlicher Haushalt) 35,5 Mio. Dollar vor. Davon wurden 29,7 Mio. Dollar (ordentlicher Haushalt) durch Beiträge der Mitgliedstaaten — festgesetzt nach dem Verteilungsschlüssel der Vereinten Nationen (-»· Beitragssystem, Haushalt) — gedeckt, und der Rest sollte durch freiwillige Sonderbeiträge flir technische Hilfe, Zuschüsse an bestimmte Projekte sowie Bereitstellung von Geräten und Experten im Rahmen technischer Hilfe aufgebracht werden. Tätigkeit Die Förderungsarbeit der IAEA betrifft die Einführung der Kernenergieerzeugung und andere wichtige Anwendungen der Nukleartechnik. Den Entwicklungsländern wird technische Hilfe gewährt, indem ihnen Experten, Schulungsmöglichkeiten sowie Einrichtungen und Geräte zur Verfügung gestellt werden. Die IAEA führt auch von dem -> UNDP finanzierte nukleartechnische Projekte durch. Im Zusammenhang mit der technischen Hilfe müssen die Förderung von Forschungen und deren Durchführung in eigenen Laboratorien gesehen werden bezüglich der Anwendung von Strahlung und radioaktiven Isotopen in Landwirtschaft, Industrie, Medizin und Hydrologie. Der durch die IAEA vermittelte Erfahrungs- und Informationsaustausch kommt sowohl den Entwicklungsländern als auch den hochentwickelten Staaten zugute. Dasselbe gilt für die Arbeit, deren Ergebnisse der Reglementierung und Gesetzgebung als Grundlage dienen. Sie besteht im Aufstellen von Normen und Richtlinien für den sicheren Betrieb von Kernenergieanlagen, für den gefahrlosen Transport von radioaktivem Material und für die Verarbeitung und Lagerung radioaktiver Abfälle sowie die damit verbundenen Umweltprobleme. Veranlaßt durch die Ölpreishausse und das daraus resultierende Interesse an einer beschleunigten Einführung der Kernenergieerzeugung hat die IAEA eine Intensivierung der Arbeiten über diese Sicherheitsaspekte für die nächsten Jahre vorgesehen. Der Generaldirektor ist ermächtigt worden, mit dem UNEP Vereinbarungen zu treffen zur Durchführung von Studien über den Einfluß der Kernenergie auf die Umwelt und die Anwendung nukleartechnischer Methoden zur Erforschung der gesamten Umweltsbeeinflussung durch die technologische menschliche Gesellschaft. Die weltweite Entfaltung von Wissenschaft und Technik und die parallel ansteigende Flut wissenschaftlicher Literatur veranlaßten die IAEA, ein Internationales Kerntechnisches Dokumentationssystem zu planen, das 1970 die Arbeit aufnahm. Durch Einsatz von Computern zur Speicherung, Gegenüberstellung und Erarbeitung von Daten ist das Dokumentationssystem zu einem weltweiten Katalog für technische Informationen über die friedliche Verwendung der Kernenergie geworden. Am 31. Dezember 1975 waren 47 Staaten und 13 internationale Organisationen dem System angeschlossen; mittlerweise wird die gesamte kernwissenschaftliche Literatur bearbeitet.

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IAEA - Internationale Atomenergie-Organisation

Von ständig steigender Bedeutung ist die Tätigkeit der IAEA zur Gewährleistung friedlicher Verwendung der Atomenergie durch Sicherheitsmaßnahmen und Inspektionen. Kurz nach der Gründung der IAEA wurde ein System von Gewährleistungsmaßnahmen entwickelt mit dem Ziel, zu garantieren, daß von der Organisation unterstützte Projekte und technische Hilfe nicht „zur Förderung militärischer Zwecke" gebraucht werden. Das System war ursprünglich auf Reaktoren angelegt, wurde später jedoch auf alle Nuklearanlagen ausgedehnt. Auf Grund dieses Systems wurde in ca. 55 trilateralen „Safeguards"-Abkommen, im Zusammenhang mit bilateralen Verträgen über die Lieferung von Einrichtungen u n d nuklearem Material, der IAEA die Aufgabe übertragen, die ausschließlich friedliche Verwendung zu gewährleisten. Seit dem Inkrafttreten des Nichtverbreitungsvertrages im März 1970 (Text: BGBl. 1974 II S. 785) sind das IAEA-Gewährleistungssystem weiter ausgebaut und ein entsprechendes Standardabkommen entwickelt worden. Bis zum 31. Dezember 1975 sind 95 Nichtkernwaffenstaaten Vertragspartner geworden, und 56 davon haben entsprechende Gewährleistungsabkommen mit der IAEA abgeschlossen. Auch mit den Nichtkernwaffenstaaten der Europäischen Gemeinschaften (Belgien, Dänemark, Bundesrepublik Deutschland, Irland, Italien, Luxemburg und Niederlande) wurde ein solches Abkommen unter Einbezug der EURATOM-Sicherheitskontrolle abgeschlossen (-» ABC-Waffen); es ist bisher (31.3.1976) nicht in Kraft getreten (Text: BGBl. 1974 II S. 794). Die Zunahme der Gewährleistungs- und Inspektionsarbeit machte eine Standardisierung der Verfahren notwendig für alle typischen Nuklearanlagen inklusive Anreicherungsfabriken. In zunehmendem Maße werden spezielle Meßinstrumente — tragbare und in die Anlagen eingebaute - zur Rationalisierung der Inspektionsarbeit verwendet. Analysen von Proben des überwachten nuklearen Materials werden in den Vertragslaboratorien in verschiedenen Mitgliedstaaten und in einem neuen, von der IAEA betriebenen Speziallabor in der Nähe Wiens durchgeführt. Literatur Balekjian: Les rapports de l'Agence Internationale de l'Energie Atomique avec les autres Organisations internationales, in: RGDIP vol. 69 (1965) p. 76 Fent: Die Internationale Atomenergie-Organisation, ihre Tätigkeit und ihre Probleme, in: E A 1959 S. 431 Hodgetts: Administering the Atom for Peace, London 1964 Joshi: Die Internationale Atomenergieorganisation (IAEO): Entwicklung, Aufgaben und Bewertung, Göttingen 1964 Nieburg: The International Atomic Energy Agency: A Critical Appraisal, in: Year Book of World affairs vol. 19 (1965) p. 47 Rainaud: L'Agence Internationale de l'Energie Atomique, Paris 1970 Seyersted: Die Internationale Atomenergie-Organisation - ihre rechtlichen Aufgaben und Funktionen, Göttingen 1966 Rudolf Rometsch Verweise auf: ABC-Waffen; Beitragssystem, Haushalt; Sonderorganisationen; UNDP.

IBRD -

Internationale Bank fiii Wiederaufbau

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IBRD — Internationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (Weltbank) Entstehung Die IBRD (International Bank for Reconstruction and Development), auch Weltbank genannt, bildet zusammen mit der IFC und der IDA die sog. Weltbankgruppe. Der Sitz der IBRD befindet sich satzungsgemäß auf dem Gebiet des Mitglieds mit der größten Zahl von Anteilen am Grundkapital, nämlich in Washington, USA. Die IBRD ist im Jahre 1944 als Ergebnis der Konferenz von Bretton Woods (USA) zusammen mit dem IMF zu dem Zweck gegründet worden, eine Neuordnung des internationalen Geldwesens sowie den Aufbau eines internationalen Kreditwesens für die Nachkriegszeit zu ermöglichen (vgl. UN Monetary and Financial Conference, Final Act and Related Documents). Auf Grund eines von der Generalversammlung gebilligten Abkommens (Res. 124 (II) vom 15.11.1947) hat die IBRD den Status einer Sonderorganisation der Vereinten Nationen im Sinne des Art. 57 erlangt. — Die Bundesrepublik Deutschland ist der IBRD im Jahre 1952 als Mitglied beigetreten (BGBl. 1952 II S. 637, 664, BGBl. 1959 II S. 930). Die Mitgliedschaft in der IBRD hat - nachdem auf der Bretton Woods-Konferenz erst 44 Länder vertreten waren — seitdem eine ständige Ausweitung erfahren und umfaßt derzeit (Stand: 31.12.1975) 127 Staaten. Dazu gehören die westlichen Industrienationen und die große Mehrheit der Dritten Welt, von der östlichen Staatengruppe jedoch nur Jugoslawien und Rumänien. China — in den Vereinten Nationen seit 1971 durch die Volksrepublik repräsentiert — wird in der Weltbankgruppe weiterhin durch die Regierung in Taipei vertreten. Die Mitgliedschaft in der IBRD setzt die Mitgliedschaft im IMF voraus und ist zugleich mit einem Anteil am Grundkapital der Weltbank verbunden. Das genehmigte Grundkapital der IBRD betrug nach mehrfachen Aufstockungen zur Berücksichtigung von Neuaufnahmen oder Erhöhung der Anteile einzelner Mitglieder am 30. Juni 1975 27 Mrd. Dollar. Es ist in Anteile von jeweils 100.000 Dollar aufgeteilt, wovon jedoch nur ein geringer Teil einzuzahlen ist: Nur 2 % (seit 1959 1 %) der zum Nennwert gezeichneten Anteile sind sofort bei Wirksamwerden der Mitgliedschaft in Gold oder Dollarwährung zur freien Disposition der IBRD einzuzahlen, während weitere 18% (seit 1959 9%) lediglich in der Währung des jeweiligen Mitgliedstaats einzubringen und von der Weltbank nur mit Zustimmung dieses Mitgliedstaates zur Verleihung an dritte Staaten zu verwenden sind. Die verbleibenden 80 bzw. 90 % endlich sind nur dann zu leisten, wenn sie die IBRD abruft, um damit die von ihr eingegangenen Verpflichtungen zu erfüllen, und bilden somit ein reines Haftungskapital. Die Verteilung der Kapitalanteile dient als Grundlage für die Verteilung der Stimmrechte in den Organen der IBRD. Jedes Mitglied hat 250 Stimmen zuzüglich einer weiteren Stimme für jeden gezeichneten Kapitalanteil. Dieses Prinzip des „gewogenen Stimmrechts" verschafft den wirtschaftlich starken, kapitalexportierenden Ländern einen erheblich stärkeren Einfluß in der IBRD als den schwächeren, kapitalimportierenden Ländern. Durch Stimmgewichtung unterscheidet sich die Weltbankgruppe beispielsweise von der Generalversammlung und denjenigen ->· Sonderorganisationen und Spezialorganen, in denen jeder Mitgliedstaat über eine gleichwertige Stimme verfügt und wo daher die Gruppe der Dritten Welt dominiert. Der Kapitalanteil der Bundesrepublik Deutschland betrug 1975 1.365,3 Mio. Dollar, entsprechend 13.653 Anteilen bzw. 5,34% am gezeichneten Grundkapital. Insgesamt betrugen die Anteile der EG-Staaten als Gruppe sowie der USA jeweils mehr als 25 % des Grundkapitals. Dementsprechend verfügten die sechs stärksten Mitgliedstaaten, nämlich die USA, Großbritannien, die Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Japan und Kanada gemeinsam bereits über gut 50 %, die Industriestaaten insgesamt sogar über 64 % der Stimmen. Diese Verteilung von Stimmen und Einfluß entspricht in etwa der bisherigen Herkunft der Finanzierungsmittel, steht jedoch andererseits in einem Mißverhältnis zu der von den einzelnen

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I B R D - Internationale Bank für Wiederaufbau

Regierungen repräsentierten Bevölkerungszahl und ist deswegen zum Gegenstand von Reformbestrebungen von Seiten der Dritten Welt geworden. Die Gründung der IBRD hatte ursprünglich in enger Verbindung mit den Zielen des Marshall-Planes gestanden und sollte vor allem den Problemen der Nachkriegssituation Rechnung tragen. Zunehmend rückte jedoch mit dem Abschluß des europäischen Wiederaufbaus von den drei der Weltbank durch ihre Satzung gestellten Aufgaben - nämlich dem Wiederaufbau der im Kriege zerstörten Produktionsstätten, der Umstellung der Produktion auf die Herstellung von Friedensgütern und der Entwicklung von Produktionsmöglichkeiten in den unterentwickelten Gebieten — die letztgenannte Aufgabe in den Vordergrund der Geschäftstätigkeit. Die IBRD soll diese ihr verbliebene Aufgabe nach ihrer Satzung erfüllen, indem sie die private ausländische Investitionstätigkeit anregt und durch Garantien und Beteiligungen fördert und ergänzt, wobei die nützlicheren und dringlicheren Projekte zuerst auszuführen sind. Die Geschäftstätigkeit der IBRD zur Erfüllung dieser Aufgaben wird heute ergänzt durch die Tätigkeit ihrer Tochterorganisationen, der IFC und der IDA, wovon die erste im Gegensatz zur Weltbank Kredite auch an private Unternehmer ohne die Notwendigkeit einer Bürgschaft des Empfängerlandes und die zweite zinslose und mit günstiger Laufzeit versehene Kredite („soft loans") an besonders hilfsbedürftige Empfängerländer vergeben kann. Organe Die Organe der IBRD, die mit denen der IFC und IDA eng verflochten sind, bestehen aus dem Gouverneursrat (Board of Governors) als oberstem Organ, ferner dem Direktorium (Executive Directors) und dem Präsidenten, der an der Spitze der Verwaltung steht. Im Gouverneursrat, der die Grundentscheidungen trifft, ist jeder einzelne Mitgliedstaat mit einem Gouverneur und einem Stellvertreter vertreten, wobei jedoch bei Abstimmungen nach den dargelegten Regeln jeder Gouverneur nur über 250 Stimmen zuzüglich einer Stimme für jeden auf das von ihm vertretene Mitgliedsland entfallenden Kapitalanteil verfügt. Für die Beschlußfähigkeit müssen im allgemeinen die Hälfte der Gouverneure und zugleich zwei Drittel aller Stimmen repräsentiert sein. Der Rat, der sich in allgemeinen Angelegenheiten von einem Beirat beraten läßt, hält zusammen mit dem IMF eine Jahresversammlung ab, von der häufig wichtige Impulse für die Entwicklung der internationalen Wirtschafts- und Finanzbeziehungen ausgehen. Das Direktorium besteht aus 20 ständig amtierenden, nach Bedarf zusammentretenden Mitgliedern, von denen 5 durch die Mitglieder mit den höchsten Anteilen, darunter die Bundesrepublik Deutschland, ernannt und die übrigen 15 durch die Gouverneure der restlichen Mitglieder der Weltbank gewählt werden. Bei Abstimmungen im Direktorium werden jedem Direktor die Stimmen des bzw. der von ihm vertretenen Mitgliedstaaten zugerechnet. Auf Grund einer entsprechenden Ermächtigung werden von den Direktoren die meisten der dem Gouverneursrat obliegenden Aufgaben wahrgenommen, nicht jedoch die Aufnahme und Suspension von Mitgliedern sowie Entscheidungen über Kapitalveränderungen, Gewinnverwendung und Vereinbarungen über die Zusammenarbeit mit anderen internationalen Organisationen. Der Präsident der IBRD endlich wird von den Direktoren auf die Dauer von 5 Jahren gewählt. Er darf weder Gouverneur noch Direktor sein und leitet die laufenden Geschäfte der Weltbank, wobei ihm die aus internationalen Beamten und Angestellten bestehende Verwaltung zur Verfügung steht. Die Verwaltung der IBRD ist primär in Regional- und Projektabteilungen, daneben aber auch in besondere Abteilungen etwa für Entwicklungsbanken, Rechnungswesen und Finanzen untergliedert. Sie hat unter der Präsidentschaft Robert S. McNamaras seit 1968 eine besonders rasche und weiter anhaltende Expansion erfahren. Zur Straffung der Verwaltung ist 1972 eine Reform der Verwaltungsstruktur durchgeführt worden, die zugleich auf eine stärkere Dezentralisierung, also Verlagerung der Arbeit in die einzelnen Regionen abzielt.

Geschäftstätigkeit

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Geschäftstätigkeit Die Geschäftstätigkeit der Weltbank besteht im eigentlichen Bankgeschäft — der Aufnahme und Plazierung von Finanzmitteln einschließlich Nebengeschäften — und darüber hinaus zunehmend in der Gewährung technischer Hilfe (-> Technische Hilfe, Technologietransfer) im Zusammenhang mit der Auswahl und Durchführung geeigneter Entwicklungsprojekte. Auf der Passivseite der Finanzierungstätigkeit — bei der Finanzmittelbeschaffung — haben in den Anfangsjahren die Kapitaleinzahlungen der Mitgliedsländer ein stärkeres Gewicht gehabt. Seitdem jedoch die IBRD auf Grund einer Satzungsänderung im Jahre 1950 Schuldverschreibungen in den Mitgliedstaaten ausgeben kann, ist diese Refinanzierungsmöglichkeit, wie auch der Verkauf bzw. die Rücknahme bestehender Darlehensforderungen, in den Vordergrund getreten. Nachdem in früheren Jahren der nordamerikanische, japanische und deutsche Kapitalmarkt die wichtigste Refinanzierungsquelle gewesen waren, stammten im Geschäftsjahr 1973/74 erstmals bereits über 30 % der aufgenommenen Finanzierungsmittel aus den ölexportierenden Staaten. Der Verkauf von Darlehensforderungen erfolgt im übrigen zu Marktbedingungen und ohne die Übernahme einer Ausfallbürgschaft durch die IBRD. Auf der Aktivseite ihrer Finanztätigkeit — im Ausleihegeschäft — sind der IBRD durch ihre Satzung enge Grenzen gesetzt. Die Darlehen können nur an die Regierungen der Mitgliedstaaten, an Behörden oder — insoweit abweichend von den für die IFC geltenden Regeln — an Privatunternehmen auf dem Gebiete eines Mitgliedstaats vergeben werden, sofern die Regierung des betreffenden Mitgliedstaats die Rückzahlung garantiert. Entsprechend der entwicklungspolitischen Aufgabenstellung der Weltbank (-> Entwicklungspolitik; Kapitalhilfe) müssen die zu finanzierenden Projekte Priorität für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes haben und Aussicht auf eine erfolgreiche Durchführung bieten. Auf Seiten des Empfängerlandes muß dessen Bilanz der Auslandsschulden die Erwartung der Rückzahlbarkeit des Kredits zulassen, da andernfalls nur die Finanzierung durch verlorene Zuschüsse sonstiger Institutionen (-»· UNCDF; UNDP) oder durch einen zinsfreien Kredit der IDA in Betracht käme. Die Darlehenskonditionen der IBRD, insbesondere der Zinssatz, sind zwar für verschiedene Darlehensnehmer u n d Projekte gleich, werden jedoch periodisch den veränderten Geldmarktkonditionen in den Geber-Ländern angepaßt. Die Laufzeiten liegen zwischen 5 und 30 Jahren, meist um 1 8 - 2 0 Jahre. Die Darlehen sind projektgebunden (Prinzip der „project loans") und können immer nur in einer Teilfinanzierung bestehen, sonstige Beteiligungen also nie ersetzen, sondern nur ergänzen. Der jährliche Reingewinn ist seit 1948 ständig gestiegen und wird ausschließlich einer Rücklage für Verluste aus Darlehen, Garantien und Währungsabwertungen zugeführt. Bei Verlusten, etwa wegen Schuldnerverzugs, hat die IBRD zuerst die Reserven, danach das eingezahlte Kapital und erst zuletzt das nicht eingezahlte Haftungskapital anzugreifen. Diese beträchtliche Absicherung hat auf den internationalen Finanzmärkten in Form einer hohen, der Weltbank zuerkannten Kreditwürdigkeit Früchte getragen. Neben der reinen Finanztätigkeit ist die begleitende technische Hilfe in Form von ProjektVorstudien, Projektkontrollen und darüber hinaus laufender Zusammenarbeit mit Regierungen bei der Erstellung und Durchführung umfassender Entwicklungspläne ein zunehmend an Bedeutung gewinnender Tätigkeitsbereich der IBRD geworden. Die Bewertung einzelner Projekte erfolgt auf Grund einer volkswirtschaftlichen, technischen, organisatorischen und finanziellen Gesamtplanung, wonach die Bedingungen für das einzelne Projekt zwischen der Weltbank und dem Darlehensnehmer in einer besonderen Vereinbarung, dem „loan agreem e n t " bzw. „project agreement", fixiert werden. Zunehmend wird die technische Hilfe und Expertenhilfe aber auch unabhängig von der finanziellen Beteiligung der Weltbank an einem Einzelprojekt gewährt, etwa zur Erstellung von volkswirtschaftlichen Gesamtanalysen oder Sektorstudien oder für die Errichtung von nationalen Entwicklungsinstitutionen. Oft können überhaupt erst auf Grund solcher allgemeiner Gesamtanalysen die Durchführbarkeitsstudien im Hinblick auf ein konkretes Projekt erstellt werden.

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IBRD - Internationale Bank für Wiederaufbau .

Im Geschäftsjahr 1974/75 hat die IBRD für 122 Projekte in 51 Ländern 4,32 Mrd. Dollar bewilligt, wodurch die Gesamthöhe der bewilligten Kredite auf 27,9 Mrd. Dollar anstieg. Das gezeichnete Kapital hatte am 30. Juni 1975 die Höhe von 30,8 Mrd. Dollar (zum Tageskurs), der Ertrag 1,16 Mrd. Dollar und der Reingewinn 275 Mio. Dollar erreicht. Ein besonderer regionaler Schwerpunkt der Weltbanktätigkeit hat bisher primär in Lateinamerika und der Karibik, danach in Afrika und dem Nahen Osten sowie in Asien gelegen. Das sektorale Schweigewicht hat sich in jüngster Zeit verschoben, so daß nunmehr landwirtschaftliche Projekte den ersten Platz vor den Transport-, Energie-, Entwicklungsbanken-, Entwässerungs-, Erziehungs- und sonstigen kleineren Wirtschaftssektoren einnehmen. Würdigung Eine Analyse der Weltbanktätigkeit muß primär zu einer Anerkennung der Verdienste der IBRD um die Entwicklung der internationalen wirtschaftlichen Solidarität führen, wobei hier im einzelnen zweckmäßigerweise zwischen einer Brückenfunktion, einer Koordinierungsfunktion und einer Katalysator- bzw. Führungsfunktion der Weltbankgruppe unterschieden werden mag. Andererseits kann aber auch nicht übersehen werden, daß die Hilfe der Weltbankgruppe für die Entwicklung der Dritten Welt sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht in Zukunft noch erheblicher Verbesserungen bedürfen wird. Von einer Brückenfunktion der Weltbankgruppe kann insofern gesprochen werden, als die IBRD eine Verbindung zwischen den Interessen privater und öffentlicher Kapitalgeber der kapitalexportierenden Staaten mit dem primär entwicklungspolitisch orientierten Interesse kapitalimportierender Staaten herstellt. Dieser Brücken- bzw. Mittlerfunktion entspricht prinzipiell die partnerschaftliche Besetzung der Weltbank-Organe mit Vertretern sowohl der kapitalexportierenden (Geber-)Länder als auch der kapitalimportierenden (Nehmer-)Länder. Daß es sich hierbei allerdings — zumindest in den Augen eines Teils der Dritten Welt — noch um eine „ungleiche Partnerschaft" handelt, hat sich bereits bei der Darstellung der Stimmenverteilung in den Organen der IBRD erwiesen; in dieselbe Richtung mag auch noch die derzeitige Zusammensetzung des Personals weisen, die von einem deutlichen Übergewicht der Vertreter aus kapitalexportierenden Staaten gekennzeichnet ist. Neben ihrer Mittlerfunktion hat sich als weitere wichtige Aufgabe der IBRD ihre Mitwirkung bei der Koordinierung der internationalen Entwicklungshilfe in bezug auf bestimmte Länder, Regionen oder Projekte herausgebildet. Die Koordinierung kann in verschiedenen Formen — etwa von Konsortien, Beratungsgruppen oder auch in informelleren Organisationsformen — erfolgen. Die Weltbank ist an mehreren internationalen Hilfskonsortien führend beteiligt und setzt in anderen Fällen ihre administrativen Mittel unterstützend ein. In den letzten Jahren bemühte sich die Weltbankgruppe zunehmend um eine Konzentrierung ihrer Hilfe auf die von der Generalversammlung so bezeichneten „am wenigsten entwickelten Länder" (->· Entwicklungsländer) und hat ihre Aktivitäten dabei insbesondere mit dem DAC (Development Assistance Committee der OECD), dem Europäischen Entwicklungsfonds, dem Kuwait Fund for Arab Economic Development und anderen Geber-Institutionen koordiniert. Eine enge Zusammenarbeit unterhält sie mit weiteren Sonderorganisationen und Spezialorganen der Vereinten Nationen wie dem -> IMF, der-* FAO, der-» UNESCO, der-» UNICEF, der UNIDO und der -> ILO. Die Unterstützung der Weltbankgruppe bezieht sich dabei auf die jeweiligen finanziellen oder auch finanztechnischen Aspekte eines Projekts, das von dem mit der IBRD kooperierenden Gremium im Bereich von dessen Aufgabengebiet bearbeitet wird. So können beispielsweise bei Projekten im Gesundheits-, Erziehungs- oder Ernährungssektor — sei es im Stadium der Projektprüfung und Vorbereitung, sei es in den späteren Stadien der Projektdurchführung und -kontrolle — die IBRD, die IFC oder die IDA bestimmte finanzielle und auch technisch-organisatorische Aufgaben übernehmen. Das jeweils fachlich zuständige Gremium — in den genannten Beispielen wären dies die WHO, UNESCO und FAO — bleibt dann für die in sein Fachgebiet fallenden Aspekte des Projekts

Würdigung

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verantwortlich. Dementsprechend arbeitet etwa die -> UNIDO auf Grund einer zum 1. Januar 1974 in Kraft getretenen Vereinbarung mit der Weltbank bei der Bestimmung lohnender, von der IBRD mitzufinanzierender Industrieprojekte zusammen. Ferner hat die Weltbank bereits Finanzierungen für verschiedene Projekte auf dem Sektor der Bevölkerungsplanung bewilligt und im Weltbevölkerungsjahr 1974 (-»· Weltbevölkerung) eine besonders enge Zusammenarbeit mit dem Bevölkerungsfonds aufgenommen. Endlich hat die Weltbankgruppe auch eine Signal- bzw. Katalysatorwirkung bei dem Aufbau der allmählich aus ihrem rudimentären Stadium heraustretenden weltweiten Finanz-, Wirtschafts- und Sozialadministration ausgeübt und in einigen Fällen eine Führungsrolle in diesem Prozeß eingenommen. Die Weltbank hat als Vorbild gedient bei der Errichtung von Entwicklungsbanken auf regionaler Ebene in Europa, Amerika, Afrika und Asien sowie auf nationaler Ebene in nunmehr fast allen Entwicklungsländern und steht damit heute an der Spitze eines vertikalen Systems von Entwicklungsbanken. Darüber hinaus hat die IBRD 1955 im Zusammenwirken mit den Ford- und Rockefeller-Stiftungen das Institut für Wirtschaftsentwicklung (EDI, Economic Development Institute) zur Durchführung von Schulungslehrgängen für öffentliche Bedienstete der Entwicklungsländer gegründet, das unter anderem auch mit Institutionen der Bundesrepublik Deutschland zusammenarbeitet. In denselben Bereich gehört die Zusammenarbeit der Weltbank mit dem UNITAR. Der Förderung der internationalen Rechtssicherheit im Bereich der internationalen Investitionen diente die auf Grund einer von der Weltbank ausgearbeiteten Konvention aus dem Jahre 1966 erfolgte Gründung des Internationalen Zentrums für die Beilegung von Investitionsstreitigkeiten (ICSID, International Centre for the Settlement of Investment Disputes), dessen Schiedssprüche zwar nur auf Grund vorheriger Zustimmung der Streitparteien ergehen können, dann jedoch für die Parteien bindend und hinsichtlich ihrer Vollstreckbarkeit innerstaatlichen Gerichtsurteilen gleichgestellt sind. Nach einem Vorschlag der Weltbank soll das ICSID durch eine ebenfalls bereits 1966 von ihr konzipierte internationale Investitions-VersicherungsAgentur ergänzt werden, für deren Errichtung die IBRD den Regierungen der Mitgliedstaaten einen neuen Abkommensentwurf zugeleitet hat. Am eindringlichsten und fruchtbarsten hat sich die Führungsrolle der Weltbank für die Entwicklung der internationalen Wirtschafts- und Finanzbeziehungen an ihrer Initiative aus dem Jahre 1966 zur Erstellung des PearsonBerichts erwiesen, worin eine unter dem ehemaligen kanadischen Premierminister Lester Pearson gebildete Sachverständigenkommission die Bilanz der Entwicklungshilfe der zwei verflossenen Jahrzehnte gezogen und zugleich Leitlinien der künftigen weltweiten Entwicklungsstrategie vorgezeichnet hat und worin insbesondere eine wesentliche Erhöhung der multilateralen Entwicklungshilfe sowie der öffentlichen Leistungen, vor allem an die IDA, gefordert worden ist (-»• Entwicklungspolitik). Den dargelegten Erfolgen der Weltbankgruppe steht als Haupt-Minusposten die Tatsache gegenüber, daß das eigentliche Ziel ihrer Tätigkeit, wie auch der Tätigkeit der mit ihr zusammenarbeitenden Organisationen — nämlich die Verringerung oder wenigstens Stabilisierung der sich erweiternden Kluft zwischen Armen und Reichen —, bisher nicht erreicht werden konnte. Dieser relative Mißerfolg ist einerseits der quantitativen Unzulänglichkeit der für die Entwicklungshilfe zur Verfügung stehenden Mittel und andererseits auch den qualitativen Strukturschwächen der Weltbankhilfe zuzuschreiben. Unter quantitativen Gesichtspunkten ist die ursprünglich von den Vereinten Nationen auf das Jahr 1975 projektierte Erhöhung des Anteils der öffentlichen Entwicklungshilfe auf 0,7 % des Bruttosozialprodukts der Industriestaaten bereits auf der Jahrestagung 1973 vom Präsidenten der Weltbank auf das Jahr 1980 zurückgestellt worden; jedoch dürfte nunmehr selbst diese Projektion infolge der rohstoffpreisbedingten Belastung der Industriestaaten unrealistisch geworden sein, nachdem sich bereits im Geschäftsjahr 1973/74 die amtliche Entwicklungshilfe der Industriestaaten trotz einer leichten nominellen Erhöhung real um 6 % vermindert hat. Ein Ausgleich wird nur möglich sein, sofern es gelingt, die erheblichen Kapitalzuflüsse der erdölexportierenden Staaten wenigstens zum Teil in die bedürftigsten

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ICAO

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Internationale

Zivilluftfahrt-Organisation

Länder umzuleiten, worum sich die Weltbank und der IMF — unter anderem durch Gründung eines gemeinsamen Entwicklungsausschusses — bemühen. Weitere Hoffnungen richten sich auf den grundsätzlich auch von der Leitung der IBRD befürworteten „link" zwischen den von dem -* IMF eingeräumten Sonderziehungsrechten und der internationalen Entwicklungshilfe. Dabei werden die Weltbank, die IDA, das -»• UNDP und die regionalen Entwicklungsbanken als Empfänger dieser Sondeiziehungsrechte in Betracht gezogen. Schließlich hofft man, mit den aus dem Meeresbergbau erwarteten Einnahmen einer noch zu schaffenden, internationalen Meeresboden-Behörde (-> Seerecht) später eine weitere Finanzierungsquelle zu erschließen. Außer der quantitativen Erhöhung der Finanzierungsmittel hat sich in den letzten Jahren auch eine qualitative Neuorientierung der Weltbankhilfe als erforderlich erwiesen, die auf eine verstärkte Konzentration der Entwicklungshilfe auf die ärmsten Länder abzielt (-> Entwicklungspolitik; Entwicklungsländer). Dem letzteren Ziel dient eine verstärkte Förderung arbeitsintensiver Projekte, wobei sich bestimmte Kleinindustrien, landwirtschaftliche Kleinund Mittelbetriebe, der Bau ländlicher Straßen, Kanäle und Dämme sowie die Umstellung kapitalintensiver Industrien auf arbeitsintensive Techniken besonders empfehlen. Jedoch wirft gerade diese Umstrukturierung der Weltbankhilfe im Sinne einer verstärkten Sozialorientierung nicht nur finanzielle, sondern auch weitreichende politische Probleme auf und kann leicht als zu weitgehende sozialpolitische Einmischung in die inneren Angelegenheiten des betroffenen Staates verstanden werden. Dieses Risiko ist nur durch eine entsprechende Stärkung des Vertrauensverhältnisses zwischen der IBRD und den Empfängerländern aufzuwiegen, wozu es wachsender Anstrengungen aller Beteiligten bedarf. So fuhrt die Zwischenbilanz zu der Beurteilung, daß die Weltbankgruppe seit ihrer Gründung zur Entwicklung der Dritten Welt und Verwirklichung der Solidarität zwischen Nord und Süd zwar unschätzbare Beiträge geleistet hat, daß die Anstrengungen jedoch erheblich intensiviert werden müssen. Literatur Donner: Die Weltbank und Deutschland, Tübingen 1956 Ferber / Winkelmann: Internationaler Währungsfonds, Weltbank, IFC, IDA, Frankfurt/M. 1972 Mason / Asher: The World Bank since Bretton Woods, Washington 1973 Der Pearson-Bericht: Bestandsaufnahme und Vorschläge zur Entwicklungspolitik, Wien, München, Zürich 1969 Reid: Strengthening the World Bank, Chicago 1973 Reid: McNamara's World Bank, in: Foreign Affairs 1973 p. 794 Hans Petersmann Verweise auf: Entwicklungsländer; Entwicklungspolitik; FAO; IDA; IFC; ILO; IMF; Kapitalhilfe; Seerecht; Sonderorganisationen; Technische Hilfe, Technologietransfer; UNCDF; UNDP; UNESCO; UNICEF; UNIDO; UNITAR; Weltbevölkerung.

ICAO — Internationale Organisation für Zivilluftfahrt Entstehungsgeschichte Die ICAO (International Civil Aviation Organization) ist das Ergebnis einer internationalen Staatenkonferenz, die am 7. Dezember 1944 in Chicago zum Abschluß des Abkommens über

Struktur und Organisation

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die Internationale Zivilluftfahrt führte. Der Einladung der USA zur Teilnahme an der Konferenz, die sich an alle im Krieg gegen die Achsenmächte stehenden Staaten sowie die Neutralen außer Argentinien richtete, folgten insgesamt 54. Die UdSSR blieb aus Protest gegen die Teilnahme einiger ihr nicht genehmer Länder der Konferenz fern. Von 37 Staaten auf der Konferenz unterzeichnet, trat das Abkommen nach Ratifikationen von 26 Staaten am 4. April 1947 in Kraft (BGBl. 1956 II. S. 411). Am 13. Mai 1947 erhielt die ICAO den Status einer Sonderorganisation (UNTS Bd. 8 Nr. 45). Die Organisation hatte zuvor ihre Arbeit auf provisorischer Basis bereits aufgenommen (Provisional International Civil Aviation Organization - PICAO). Der ICAO gehörten am 31. Dezember 1975 132 Staaten an; die Bundesrepublik Deutschland wurde 1956 Mitglied. Aufgaben und Zielsetzung Aufgaben und Ziele der ICAO lassen sich allgemein als Förderung des internationalen Luftverkehrs umschreiben. Bereits in der Präambel zum Abkommen von Chicago heißt es, daß die „unterzeichneten Regierungen sich auf gewisse Grundsätze und Übereinkommen geeinigt haben, damit die internationale Zivilluftfahrt sich sicher und geordnet entwickeln kann und damit internationale Luftverkehrsdienste auf der Grundlage gleicher Möglichkeiten eingerichtet und gesund und wirtschaftlich betrieben werden können". Darüber hinaus bestimmt Art. 44 des Abkommens: „Ziel und Aufgaben der Organisation sind, die Grundsätze und die Technik der internationalen Luftfahrt zu entwickeln sowie die Planung und Entwicklung des internationalen Luftverkehrs zu fördern, um a) ein sicheres und geordnetes Wachsen der internationalen Zivilluftfahrt in der ganzen Welt zu gewährleisten; b) den Bau und den Betrieb von Luftfahrzeugen zu friedlichen Zwecken zu fördern; c) die Entwicklung von Luftstraßen, Flughäfen und Luftfahrteinrichtungen für die internationale Zivilluftfahrt zu fördern; d) den Bedürfnissen der Völker der Welt nach einem sicheren, regelmäßigen, leistungsfähigen und wirtschaftlichen Luftverkehr zu entsprechen; e) wirtschaftlicher Verschwendung, die durch übermäßigen Wettbewerb verursacht wird, vorzubeugen; f) zu gewährleisten, daß die Rechte der Vertragsstaaten voll beachtet werden und daß für jeden Vertragsstaat eine angemessene Möglichkeit besteht, internationale Luftverkehrsunternehmen zu betreiben; g) eine unterschiedliche Behandlung von Vertragsstaaten zu vermeiden; h) die Flugsicherheit in der internationalen Zivilluftfahrt zu fördern; i) allgemein die Entwicklung der internationalen Zivilluftfahrt in jeder Hinsicht zu fördern." Struktur und Organisation Organe der ICAO sind die Versammlung, der Rat, die Ausschüsse und das Sekretariat. Die Versammlung ist das oberste Organ und besteht aus Vertretern der Mitgliedstaaten. Jeder Mitgliedstaat hat in ihr eine Stimme. Ordentliche Versammlungen finden in dreijährigem Turnus mit wechselndem Tagungsort statt. Daneben können jederzeit außerordentliche Tagungen durch den Rat oder auf Antrag von mindestens einem Fünftel der Mitgliedstaaten einberufen werden. Die Versammlung beschließt über die Tätigkeit der ICAO und überwacht ihre übrigen Organe. Sie hat eine Reihe von Aufgaben dem Rat übertragen. Der Rat ist das ständige Exekutivorgan der ICAO und tagt an ihrem Sitz in Montreal. Die 30, für die Dauer von drei Jahren von der Versammlung gewählten Mitgliedstaaten des Rates haben dort ständige Vertretungen eingerichtet. Auf der 21. ordentlichen Sitzung der Versammlung (vom 24.9. - 16.10.1974) in Montreal wurde die Erweiterung des Rats auf 33

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ICAO - Internationale Zivilluftfahrt-Organisation

Mitglieder beschlossen. Diese Änderung tritt nach Ratifikation von 86 Staaten in Kraft. Im Rat sollen die im Luftverkehr besonders wichtigen (Kategorie 1) und ferner diejenigen Staaten vertreten sein, die den größten Beitrag für Einrichtungen für die internationale Luftfahrt leisten (Kategorie 2). Daneben soll gewährleistet sein, daß alle wichtigen geographischen Gebiete der Welt im Rat vertreten sind (Kategorie 3). Der Kategorie 1 gehören im Rat an: Brasilien, Kanada, USA, Frankreich, Italien, Japan, Bundesrepublik Deutschland, Vereinigtes Königreich, UdSSR, Australien; zur Kategorie 2 zählen: Argentinien, Ägypten, Spanien, Indien, Libanon, Mexiko, Volksrepublik China, Tschechoslowakei, Pakistan, Schweden; unter Kategorie 3 fallen: Kolumbien, Costa Rica, Indonesien, Kenia, Madagaskar, Marokko, Nigeria, Senegal, Jugoslawien, Trinidad und Tobago. Für Abstimmungen gilt das Mehrheitsprinzip. Ein Vetorecht besteht nicht. Da die Versammlung einen großen Teil ihrer Aufgaben dem Rat übertragen hat, ist er das wichtigste Organ der ICAO. Dem Rat unterstellt sind ein Luftverkehrsausschuß und eine Luftfahrtkommission, deren Einrichtung nach dem Abkommen von Chicago zwingend vorgeschrieben ist. Daneben sind weitere Ausschüsse gebildet worden, zum Teil auf Dauer wie der Rechtsausschuß, zum Teil als ad hoc-Ausschüsse. Der Luftfahrtkommission obliegt die Ausarbeitung der Anhänge zum Abkommen, die auf vielen Gebieten des internationalen Luftverkehrs zu einheitlichen Regelungen in den Mitgliedstaaten geführt haben. Die Anhänge sind als Richtlinien oder Empfehlungen zwar für die Mitgliedstaaten nicht bindend, jedoch werden sie überwiegend in nationales Recht transformiert. Die Geschäftsführung der ICAO wird über das Sekretariat in Montreal abgewickelt. An seiner Spitze steht der vom Rat ernannte Generalsekretär. Regionale Büros befinden sich in Paris, Kairo, Bangkok, Lima, Mexico-City und Dakar. Die Tätigkeit des Sekretariats richtet sich nach den Weisungen des Rats. Status, Zusammensetzung und Arbeitsweise des im Sekretariat tätigen Personals entsprechen den für internationale staatliche Organisationen allgemein geltenden Grundsätzen. Die Finanzierung der ICAO erfolgt im wesentlichen durch Beiträge der Mitgliedstaaten (-> Beitragssystem, Haushalt). Der Haushalt der Organisation wird von der Versammlung jeweils für eine Periode von drei Jahren festgesetzt. Die Versammlung bestimmt auch den Schlüssel für die Anteile der einzelnen Mitgliedstaaten. Die Höhe der Beiträge richtet sich nach der Leistungsfähigkeit eines Mitglieds, wobei maßgebende Faktoren das Nationaleinkommen und das Pro-Kopf-Einkommen sind. Bei niedrigem Pro-Kopf-Einkommen ermäßigt sich der Beitrag. Daneben bestehen Höchst- und Mindestbeitragssätze, die sich ab 1975 auf 25 und 0,06 % belaufen. Für das Jahr 1975 betrug der Haushalt der ICAO 16,4 Mio. Dollar, von denen nach Abzug der Einnahmen aus Nichtmitgliedsbeiträgen auf die Bundesrepublik Deutschland ein Anteil von 6,00 % entfiel. Tätigkeit Die Tätigkeit der ICAO erklärt sich aus dem Bedürfnis nach einer multilateralen Regelung des grenzüberschreitenden Luftverkehrs, wie es ähnlich schon bei ihrer 1919 begründeten Vorläuferin, der Commission Internationale de Navigation Aérienne (CINA) bestand. Die Organisation dient - auf einen Nenner gebracht — der Sicherheit und Ordnung im internationalen Luftverkehr. Sie ist daher ihrer Zielrichtung nach technischer Natur und ohne politischen Einschlag. Das erklärt ihre Universalität, von der man seit dem Beitritt der UdSSR (14.11.1970) und der Vertretung Chinas durch die Volksrepublik China (Resolution des Rats vom 19.11.1971) mit Recht sprechen kann. Allerdings bezieht sich die internationale Zusammenarbeit in der ICAO nur auf Teilaspekte der Luftfahrt. Im kommerziellen Bereich wie bei den Verkehrsrechten für den internationalen Fluglinienverkehr hat sich eine multilaterale Regelung, die auf der Konferenz von Chicago mit der sogenannten Transportvereinbarung versucht worden war, als undurchführbar erwiesen. Derartige Regelungen vollziehen sich außerhalb der ICAO durch jeweils bilaterale Verträge zwischen den betreffenden Staaten.

Tätigkeit

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Der technische Charakter der ICAO bedeutet nicht, daß sich ihre Arbeit unbeeinflußt von politischen Faktoren vollzöge. Im Anfangsstadium der ICAO haben Fragen des politischen Systems in einzelnen Staaten als Kriterium für die Zulassung zur Mitgliedschaft eine Rolle gespielt. Der Streit zwischen Spanien und dem Vereinigten Königreich über Gibraltar, in dessen Verlauf Spanien den an Gibraltar angrenzenden Luftraum zum Luftsperrgebiet erklärte, beschäftigte den Rat der ICAO. Die politischen Aspekte bei einer Reihe von Flugzeugentführungen verhinderten zum Teil eine einheitliche Meinungsbildung über die zur Abwehr gegen diese Gewaltakte zu treffenden Maßnahmen. Insgesamt läßt sich jedoch feststellen, daß politische Machtkonstellationen nicht allgemein, sondern nur insoweit offenbar werden, als sie im Zusammenhang mit bestimmten, die ICAO berührenden Fachfragen stehen. Interessengegensätze und Blockbildungen auf anderem als politischem Gebiet sind häufiger. Dies ist verständlich, wenn man in Betracht zieht, wie unterschiedlich die Bedeutung des Luftverkehrs für die einzelnen Mitgliedstaaten ist. Sicherheit und Ordnung des Luftverkehrs sind zwar gemeinsame Nenner für alle Mitglieder. Daneben und im Zusammenhang damit tauchen jedoch zahlreiche Fragen auf, die wegen der verschiedenen Gegebenheiten in den einzelnen Staaten unterschiedlich beantwortet werden. Entsprechend bilden sich Fronten. So stehen den in großem Maße luftfahrttreibenden Staaten vielfach die Staaten mit geringem Luftverkehr gegenüber, oder es bildet sich eine Front zwischen armen und reichen Staaten, wie beispielsweise im Zusammenhang mit der erstrebten Vereinheitlichung der Haftungssummen für die Fluggäste. Ein im Luftverkehr bedeutender Staat wie Indien setzt sich wegen des niedrigen Lebensstandards zusammen mit vielen kleinen Staaten für niedrige Haftungssummen ein, während die USA die Festsetzung ganz erheblicher Summen fordern. Die Bilanz der Tätigkeit der ICAO ist überwiegend erfolgreich. Wenn sich der internationale Luftverkehr weltweit nach einheitlichen Regeln vollzieht, so ist dies ihr Verdienst. Diese Regeln spiegeln sich in den Anhängen zum Abkommen von Chicago und in weiteren technischen Veröffentlichungen wieder, die nach und nach von den zuständigen Organen der ICAO entwickelt worden sind. Sie setzen die internationalen Normen für einen sicheren und ordnungsgemäßen Luftverkehr. Durch eine Reihe multilateraler Abkommen, die im Rahmen der ICAO ausgearbeitet worden sind, wurde auch in nicht unmittelbar luftverkehrstechnischen Bereichen eine Rechtsvereinheitlichung erzielt, so u. a. auf einigen Gebieten des Luftprivatrechts. Weniger erfolgreich und durch politische Gründe beeinflußt blieben die Bestrebungen zur Bekämpfung von Terrorakten gegen den Luftverkehr. Mängel sind auch bei Abänderungen des Abkommens von Chicago zutage getreten. Das Verfahren zur Abänderung ist recht schwerfällig und führt wegen der Möglichkeit des Inkrafttretens für nur einen Teil der Mitgliedstaaten zu unterschiedlichen Fassungen des Abkommens. Bei der Schaffung der ICAO galt es zunächst, die für einen möglichst reibungslosen Ablauf des Luftverkehrs nötigen Regelungen zu treffen. Die anhaltende Fortentwicklung des Luftverkehrs bedingt eine ständige Anpassung, weniger dagegen die Schaffung neuer Regelungen. Mit der Entwicklung zur Universalität der Organisation mußte sich zwangsläufig die Zusammensetzung des Rates ändern. Die zahlreichen neuen afro-asiatischen Mitglieder forderten die ihnen auf Grund des Abkommens zustehende Vertretung. Eine damit verbundene Verschiebung in der Zusammensetzung des Rates wurde jedoch zum Teil durch die Erhöhung der Zahl der Mitglieder ausgeglichen. Die zukünftige Arbeit der ICAO wird im wesentlichen von der Entwicklung des Luftverkehrs, das heißt insbesondere von technischen Gegebenheiten, bestimmt. Diese Entwicklung macht die schon erwähnte ständige Anpassung der bestehenden Regelungen notwendig. Neuland ist der Luftverkehr mit zivilen Uberschallflugzeugen. Auch der zunehmende Einsatz von Weltraumfahrzeugen, die zwangsläufig den der staatlichen Hoheit unterliegenden Luftraum benutzen müssen, bringt für die internationale Luftfahrt Probleme mit sich, die die ICAO berühren. Bei einer weiteren Zunahme des Luftverkehrs bedarf es angesichts der regional beschränkten Luftraumkapazität ordnender Eingriffe, die nicht, wie bisher, auf nationale

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IDA - Internationale Entwicklungsorganisation

Regelungen beschränkt bleiben können. Der Umweltschutz hat die ICAO im Zusammenhang mit der Lärmbekämpfung bereits seit einigen Jahren beschäftigt und wird auch in Zukunft auf ihrem Programm stehen.

Literatur Buergenthal: Law-Making in the International Civil Aviation Organization, New York 1969 Erler: Rechtsfragen der ICAO. Die Internationale Zivilluftfahrt-Organisation und ihre Mitgliedstaaten, 1967 Manin: L'organisation de l'aviation civile internationale, autorité mondiale de l'air, Paris 1970 Meyer (Hrsg.): Internationale Luftfahrtabkommen, Bd. 1, 1953 Rosenmöller: Die Internationale Organisation für Zivilluftfahrt, Diss. Münster, 1959 Schenkmann: International Civil Aviation Organization, Genève 1955 Walter Schwenk Verweise auf: Beitragssystem, Haushalt; Sonderorganisationen.

I D A — Internationale Entwicklungsorganisation

Die IDA (International Development Association) wurde auf Grund der Resolution 1420 (XIV) der Generalversammlung vom 5. Dezember 1959 durch Abkommen vom 26. Januar 1960 (BGBl. 1960 II S. 2137) gegründet. Sie nahm im September 1960 ihre Arbeit auf mit Sitz in Washington. Die IDA ist eine juristisch selbständige Tochterorganisation der Weltbank (->· IBRD), obwohl Verwaltungsorgane, Verwaltungsverfahren, Kompetenzverteilung und Personal mit denen der Weltbank identisch sind. Der Präsident der Weltbank ist auch gleichzeitig der Präsident der IDA. Auf Grund eines Abkommens mit den Vereinten Nationen vom 24. Februar / 27. März 1961 (UNTS Bd. 394 Nr. 582) ist die IDA eine ->• Sonderorganisation gem. Art. 57, 63. Die IDA hatte am 31. Dezember 1975 116 Mitglieder. Mitglied kann nur werden, wer bereits der -> IBRD angehört, bei der wiederum die Zugehörigkeit zum IMF für eine Mitgliedschaft Voraussetzung ist. Diese Bedingungen erfüllen außer Rumänien und Jugoslawien kerne sozialistischen Länder, wobei allerdings Rumänien nur der IBRD und nicht der IDA angehört. Auch die Volksrepublik China gehört der IDA nicht an; dagegen ist die Republik China (Taiwan) als Mitglied in der IDA vertreten. Die Mitgliedsländer der IDA sind in zwei Gruppen aufgeteilt. Die erste Gruppe besteht aus 21 wirtschaftlich hoch entwickelten Staaten: Australien, Belgien, Bundesrepublik Deutschland, Dänemark,' Finnland, Frankreich, Großbritannien, Irland, Island, Italien, Japan, Kanada, Kuweit, Luxemburg, Neuseeland, Niederlande, Norwegen, Österreich, Schweden, USA und Südafrika (Stand 31.12.1975). Diese Länder müssen den Betrag ihres gezeichneten Kapitals in Gold oder in einer frei konvertierbaren Währung einzahlen. Die zweite Gruppe umfaßt alle anderen Mitgliedstaaten. Die Länder dieser Gruppe zahlen nur 10 % ihres Beitrages in frei konvertierbarer Währung ein, den Rest in eigener Währung, der aber von der IDA nur mit Zustimmung des betreffenden Landes verwendet werden darf. Die für die Aufbringung des Grundkapitals der IDA von 1 Milliarde Dollar (Höhe der Erstzeichnungen der Gründungsstaaten) notwendigen Beiträge der Mitgliedstaaten wurden entsprechend den bei der Weltbank eingezahlten Quoten aufgeteilt und eingezahlt. Von der eingezahlten Quote hängt das Stimmrecht bzw. die Anzahl der Stimmen eines

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Mitgliedslandes ab: Jedes Mitglied erhält 500 Stimmen plus eine Stimme für jede Einheit von 5.000 auf das Grundkapital eingezahlten Dollar. Die USA besaßen am 30. Juni 1975 allein 25,14 % der Stimmen; alle 21 Länder der Gruppe I zusammen kamen auf 69,05 % gegenüber den übrigen Ländern mit nur 30,95 % der Stimmen. Die absolute Stimmenzahl der Bundesrepublik Deutschland betrag 174.725 Stimmen (7,01 %). Für die Bundesrepublik Deutschland trat das Abkommen über die IDA am 24. September 1960 in Kraft (BGBl. 1960 II S.2363).Ihre Kapitalzeichnung betrug (zum Werte des Dollars vom 1. Januar 1960) 55,963 Mio. Dollar. Das waren 5,26% des gesamten gezeichneten Kapitals der IDA in Höhe von schließlich 1.063,502 Mio. Dollar (zum Werte vom 1. Januar 1960). Die Quote der Bundesrepublik Deutschland sowie die zusätzlich von ihr eingezahlten Mittel machten am 30. Juni 1975 nach vier Aufstockungen 1.102,289 Mio. Dollar (zum damaligen Wert) aus. Da die von der IDA gewährten Kredite grundsätzlich - bis auf eine jährliche Verwaltungsgebühr von 0,75 % — zinslos sind und eine Laufzeit von 50 Jahren mit 10 Freijahren haben, kann die IDA die nötigen Mittel nicht auf den normalen Finanzmärkten unter den üblichen Bedingungen aufnehmen, sondern ist auf periodische Neuzuweisungen der Mitgliedsländer angewiesen. Eine Pflicht zur Zusatzzeichnung besteht jedoch nicht. 1964 wurde die erste allgemeine Aufstockung vereinbart (ca. 750 Mio. Dollar), 1968 die zweite (ca. 1,2 Mrd. Dollar), 1971 die dritte (2,4 Mrd. Dollar) und 1973 die vierte (4,5 Mrd. Dollar). 1975 setzten die Beratungen über eine fünfte allgemeine Zusatzzeichnung ein, wobei ein Gesamtbetrag in Höhe von 8 — 9 Mrd. Dollar ins Auge gefaßt wurde. Die USA sagten ihre Beteiligung allerdings nur für den Fall zu, daß diesmal auch die Erdölförderstaaten zur Refinanzierung der IDA beitrügen. Zu den wesentlichen Aufgaben der IDA gehören die Förderung der Wirtschaft, die Steigerung der Produktivität und die Erhöhung des Lebensstandards in den Entwicklungsländern; ferner die Beschaffung von die Empfängerländer weniger als herkömmliche Mittel belastenden Kapitalanleihen zur Finanzierung von sorgfältig ausgewählten Projekten, soweit kein Privatkapital aufgebracht werden kann und die Darlehen der IBRD zu teuer sind. Oft jedoch werden IDA-Kredite und IBRD-Darlehen zur Finanzierung eines Projektes gemischt angewendet. Die Kredite der IDA sind projektgebunden, erfordern eine Regierungsgarantie und können nur von Mitgliedsregierungen beantragt werden. Die Finanzhilfen der IDA werden nur an Länder gewährt, deren Bruttosozialprodukt pro Kopf der Bevölkerung unter ca. 375 Dollar im Jahr liegt. Die Mittelvergabe soll durch politische Kriterien nicht beeinflußt werden. Es darf den Empfängern nicht zur Bedingung gemacht werden, die Aufträge zur Durchführung der Projekte in bestimmten Ländern zu vergeben und die Finanzierungsmittel dort auszugeben. In der Praxis hat das dazu gefuhrt, daß die USA bei einem Finanzierungsanteil von über 3 7 % (30.6.1975) nur zu ca. 19% von den Aufträgen profitieren, die Bundesrepublik hingegen zu ca. 12—13 % bei einem Beitrag von 10,23 %. Die Gründung der IDA, des „ungewollten Kindes der Weltbank", war das Ergebnis tiefgreifender ökonomischer und politischer Prozesse im internationalen System. Die Forderung nach einer Organisation mit den Aufgaben und Funktionen, speziell der der „weichen" Kreditgebung, wie sie später der IDA zugeteilt wurden, war von den Entwicklungsländern schon von Anfang an in der Generalversammlung erhoben worden. Zwar wurde 1949 das Erweiterte Programm für technische Hilfe (-» Technische Hilfe, Technologietransfer) (EPTA; GA Res. 304 (IV) vom 16.11.1949) geschaffen, in dem die Vereinten Nationen und ihre Sonderorganisationen mit Ausnahme der IBRD und des IMF zum Zwecke der Koordination der Entwicklungshilfe vertreten waren, doch stellte diese Einrichtung nur Experten und kein Kapital zu Verfügung. Die Entwicklungsländer verlangten daher 1949 im Rahmen des ECOSOC die Errichtung einer United Nations Economic Development Administration (UNEDA) und 1952 in der Generalversammlung den Aufbau eines Special United Nations Fund for Economic Development (SUNFED; Res. 622 A (VII) vom 21.12.1952); beide sollten jeweils langfristige Kredite mit günstigen Konditionen auch für nicht profitable

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Projekte vergeben. Die Stimmverteilung sollte in diesen Organisationen nach dem Prinzip „ein Land, eine S t i m m e " erfolgen und nicht nach dem asymmetrischen System der Weltbank. Die Industrieländer standen solchen Einrichtungen zurückhaltend gegenüber, bei denen sie zwar den größten Teil der finanziellen Mittel aufbringen, aber nicht über die Majorität der Stimmen verfügen sollten. Ein weiterer Ablehnungsgrund für sie und auch für die I B R D war die Besorgnis, daß die von den geplanten Institutionen zu gewährenden weichen Kredite eine zu starke Konkurrenz für das Privatkapital darstellen und die internationale Kreditpolitik unterminieren würden sowie die nationalen Regierungen sorgloser stimmen könnten im Hinblick auf die Herstellung eines günstigen Investitionsklimas in ihren Ländern. Die UNEDA- und SUNFED-Gründung scheiterte vor allem an der kompromißlosen Haltung der USA, die als größter potentieller Kapitalgeber a priori ihre Zustimmung verweigerten, nicht zuletzt, weil die Sowjetunion und andere sozialistische Staaten als Mitglieder mit allen Rechten vorgesehen waren. Als Resultat der Bemühungen um die Etablierung einer günstige Kredite vergebenden Institution entstanden 1 9 5 8 der Special Fund ( S F ) der Vereinten Nationen (Res. 1 2 4 0 ( X I I I ) vom 1 4 . 1 0 . 1 9 5 8 ) , 1 9 6 0 die IDA und 1 9 6 6 der -> UNCDF (Res. 2 1 8 6 ( X X I ) vom 1 3 . 1 2 . 1 9 6 6 ) , bei dessen Gründung sich allerdings die sozialistischen Staaten der Stimme enthielten, während fast alle westlichen Industriestaaten dagegen stimmten. Die Einwände der Gegner von weichen Krediten konnten vor allem deswegen nicht länger aufrechterhalten werden, weil sich die Verschuldungssituation der Entwicklungsländer Ende der 50er Jahre zunehmend verschlimmerte. Immer mehr Länder, insbesondere in Asien, erreichten die von der Weltbank auf 6 bis 7 Prozent Verschuldung festgelegte Grenze der Kreditwürdigkeit; in einigen lateinamerikanischen Ländern war die Relation zwischen Schuldendienstzahlungen auf öffentliche Auslandsschulden und Exporten von Gütern und Dienstleistungen, also der Schuldendienstquotient, auf über 1 0 % gestiegen und hatte in Indien annähernd 13 % erreicht. Dazu kam, daß sich in den USA als mächtigstem westlichen Industrieland ungefähr zur selben Zeit eine Stagnation in der industriellen Produktion bemerkbar machte und die USZahlungsbilanz sich defizitär zu entwickeln begann. Durch vermehrte bilaterale und multilaterale Entwicklungshilfe versuchten die USA, den Kapitalexport zu erhöhen, um damit die an die bilaterale Hilfe gebundenen und von der multilateralen Unterstützung erhofften — industriellen Aufträge zu steigern. Ihre Zahlungsbilanz versuchten sie zusätzlich durch ein verstärktes Heranziehen ihrer Verbündeten bei der multilateralen Entwicklungshilfe auszugleichen. Aus ökonomischen und politischen Gründen erwies sich die Schaffung der IDA für die westlichen Industrieländer allgemein und für die USA insbesondere von großem Vorteil. Politisch auch deswegen, weil der Druck der Entwicklungsländer immer stärker wurde, ihre Zahl ständig wuchs und sich für diese Länder in Gestalt der kubanischen Revolution und des chinesischen Entwicklungsweges gesellschaftspolitisch Alternativen boten. Darüber hinaus war die IDA bestens geeignet, Forderungen nach Einrichtungen wie dem S U N F E D oder ähnlichen Institutionen wirksam zu begegnen. In der inhaltlichen Zielsetzung unterscheidet sich das Programm der IDA nicht von dem der I B R D . S o lag in der ersten Hälfte der 6 0 e r Jahre das Schwergewicht der IDA-Kreditgewährung auf dem Gebiet der Infrastrukturmaßnahmen und verschob sich dann langsam auf die Bereiche Bildungs- und Bevölkerungsplanung und Landwirtschaftsentwicklung (-* Kapitalhilfe). Von den Krediten in Höhe von 8 . 4 3 4 , 8 Mio. Dollar, die die IDA bis zum 30. Juni 1 9 7 5 vergeben hat, sind 2 . 5 5 6 , 4 Mio. Dollar dem Sektor Land- und Forstwirtschaft / Fischerei zugute gekommen. Hier zeigt sich deutlich die neue Strategie der Weltbankgruppe, durch eine integrierte Entwicklung auf dem Lande eine gesellschaftliche Schicht von Kleinproduzenten zu schaffen, um damit Arbeitslosigkeit und eine nicht mehr zu kontrollierende Verstädterung in den Ballungszentren zu vermeiden und um damit größeren sozialen und politischen Krisen vorzugreifen. Wirtschaftliches Wachstum allein ist nicht mehr das oberste Ziel der Entwicklungsstrategie von I B R D und IDA. Die finanziellen Aktivitäten der IDA

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stellen flankierende Maßnahmen zu dem globalen Programm der IBRD dar. So wird die IDA hauptsächlich in nichtindustrialisierten und sich industrialisierenden Ländern tätig. Damit fördert sie die Herausbildung einer neuen Weltarbeitsteilung (-»• Entwicklungspolitik; Weltwirtschaftsordnung). Bei der Realisierung ihrer Ziele arbeiten die Weltbank und IDA mit anderen Sonderoiganisationen der Vereinten Nationen eng zusammen. Die Weltbankgruppe, also auch die IFC, übernimmt dabei oft die finanziellen und technisch-organisatorischen Aspekte, während die jeweiligen Sonderorganisationen die in ihren Bereich fallenden Aufgaben übernehmen. Geographisch gesehen lagen die quantitativen Schwerpunkte der IDA-Finanzierung zunächst in Asien und hier in erster Linie in Indien und Pakistan. Seit 1968 folgt Indonesien an dritter Stelle. Die Verschuldung der Staaten des indischen Subkontinents hatte extreme Ausmaße angenommen (Schuldendienstquotient von Indien 1970: 28 %; von Pakistan: 24,3 %), und in ihrer Entwicklung waren sie weit hinter dem konkurrierenden Entwicklungsmodell der Volksrepublik China zurückgeblieben. Mehr als die Hälfte des Betrages der ersten zwanzig Darlehen in Höhe von 202 Millionen Dollar erhielt Indien. Noch heute ist Indien der beste Kunde der IDA; bis Mitte 1975 hat der indische Staat ca. 41 % — 3,44 Mrd. Dollar von den ca. 8,4 Mrd. Dollar IDA-Krediten überhaupt — zugeteilt bekommen (Pakistan: 592 Mio. Dollar; Indonesien: 562 Mio. Dollar; Bangla Desh: 468 Mio. Dollar). Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre wurde Afrika ein weiteres von der IDA bevorzugtes Investitionsgebiet, jedoch nicht mit den Quantitäten wie in Asien, da die Mehrzahl der afrikanischen Staaten weitaus weniger Einwohner hat und keine Märkte von ökonomisch großer Bedeutung darstellt; immerhin hat die IDA an die Länder Afrikas bis Mitte 1975 1,8 Mrd. Dollar an Krediten vergeben (Spitzenreiter: Äthiopien mit 260 Mio. Dollar; Ägypten — eines der höchstverschuldeten Länder der Erde — mit 216 Mio. Dollar; Sudan mit 173 Mio. Dollar; Tansania mit 168 Mio. Dollar). Ein Teil dieser Länder konnte zudem aus dem Europäischen Entwicklungsfonds ähnlich günstige Kredite erhalten. In Lateinamerika und im karibischen Raum beliefen sich die Kredite der IDA bis Mitte 1975 auf ca. 322 Mio. Dollar (davon 60 Mio. Dollar an Bolivien), was daran liegt, daß in dieser Region die Interamerikanische Bank ebenfalls Kredite zu Sonderbedingungen vergibt und die industrielleEntwicklungder lateinamerikanischen Länder weiter fortgeschritten ist als die vieler afrikanischer und asiatischer Länder. Die Erfolge oder Mißerfolge der IDA sind nicht von denen der IBRD zu trennen. Wirtschaftlich und finanziell waren wohl sämtliche IDA-Projekte (soweit offizielle Angaben vorliegen) sehr erfolgreich. Es ist darum verständlich, daß die Entwicklungsländer fordern, die Mittel der IDA zu vergrößern, zumal die Kredite der „weichen" Weltbank, wie die IDA manchmal genannt wird, zu den billigsten Darlehen der Welt gehören, wenn auch nicht jedes unterentwickelte Land zu jeder Zeit in den Genuß von IDA-Geldern kommt: Es muß sich dann den harten oder oft weitreichenden Bedingungen von IBRD und IDA unterordnen. Für die verstärkte Integration der Entwicklungsländer in die internationalen Wirtschaftsbeziehungen und die weitere Entwicklung der Weltwirtschaft wird die IDA in Zukunft noch große Bedeutung erlangen, weil sie wegen ihres großzügigen Modus der Projektfinanzierung keinem direkten Verwertungszwang unterworfen ist und weil ihre politisch-ideologische Führungsrolle in der westlichen Entwicklungshilfe schon jetzt zusammen mit der IBRD von größter Wichtigkeit ist. Die Weltbankgruppe nimmt im internationalen System zunehmend staatlich-administrative Funktionen wahr. Durch ihre weltweit planende und koordinierende Tätigkeit, vor allem auch im Rahmen der Vereinten Nationen, versucht sie die weitere Integration des kapitalistischen Weltmarktes voranzutreiben. Sie führt für die oft zu schwachen Entwicklungsstaaten eine auf die Interessen der kapitalistischen Industrieländer ausgerichtete Entwicklungspolitik durch. Dabei trägt jedoch besonders die IDA zur Beseitigung der Armut und des Massenelends in der Dritten Welt bei — aber um den Preis einer verstärkten ökonomischen Abhängigkeit der Entwicklungsländer von den Industrieländern.

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I F C - Internationale Finanz-Coiporation

Literatur Der Pearson-Bericht: Bestandsaufnahme und Vorschläge zur Entwicklungspolitik, Wien / München / Zürich 1969, S. 265 Die Weltbank, IFC und IDA, Arbeitsgrundsätze und Geschäftstätigkeit, Frankfurt/M. 1963 Mason / Asher: The World Bank since Bretton Woods, Washington 1973, p. 380 Tetzlaff: Die Entwicklungspolitik der Weltbank: Schaffung neuer Produktionsverhältnisse oder Rekolonisierung der Dritten Welt? , in: Leviathan, 1. Jg. ( 1 9 7 3 ) S. 489 Weaver: The International Development Association, New York / Washington / London 1965 Weltbank: Die Weltbankgruppe. Zielsetzung und Arbeitsweise, 1975 Michael Schneider Verweise auf: Entwicklungspolitik; IBRD; IFC; IMF; Kapitalhilfe: Sonderorganisationen; Technische Hilfe, Technologietransfer; UNCDF; Weltwirtschaftsordnung.

IFC — Internationale Finanz-Corporation Die IFC (International Finance Corporation) wurde am 25. Mai 1955 gegründet und vom ECOSOC mit Vertrag vom 19. Dezember 1956 — von der Generalversammlung durch Res. 1116 (XII) vom 20. Februar 1957 gebilligt — als -> Sonderorganisation im System der Vereinten Nationen anerkannt. Ihr Sitz ist Washington. Sie ist eine Schwesterorganisation der ->· IBRD (Weltbank) und soll die Vergabe von Krediten an private Unternehmer ohne eine Regierungsgarantie des Empfängerlandes ermöglichen, was der Weltbank nach ihrem Statut nicht gestattet ist. Entsprechend dieser ergänzenden Stellung gegenüber der Weltbank besteht die satzungsmäßige Aufgabe der IFC in der Unterstützung der wirtschaftlichen Entwicklung der Mitgliedstaaten — insbesondere in den weniger entwickelten Gebieten — durch Förderung produktiver privater Unternehmen. Im einzelnen soll die IFC gemeinsam mit privaten Kapitalgebern bei der Errichtung, Modernisierung und Erweiterung produktiver Unternehmen durch Kapitalinvestitionen ohne Rückzahlungsgarantie der Regierung des Empfängerlandes behilflich sein. Voraussetzung ist, daß das finanzierte Unternehmen zur Entwicklung eines Mitgliedstaates beitragen kann und privates Kapital zu angemessenen Bedingungen sonst nicht erhältlich ist (-» Kapitalhilfe). Ferner soll die IFC in- und ausländischem Kapital Anlagemöglichkeiten nachweisen, dabei ihre erfahrene Geschäftsführung zur Verfügung stellen und endlich den Fluß von privatem in- und ausländischem Kapital in produktive Investitionen der Mitgliedstaaten fördern. Die IFC unterscheidet sich von einer privaten Investmentbank durch ihre Bindung an die entwicklungspolitischen Zielsetzungen der Mitgliedstaaten (-> Entwicklungspolitik). Von der IBRD hebt sie sich durch folgende Merkmale ab: Darlehnsvergabe an private Unternehmen ohne Regierungsgarantie, Zinskonditionen ausgerichtet an den jeweiligen Kapitalmarktverhältnissen sowie die Möglichkeit (gem. Satzungsänderung von 1961), sich auch direkt am Eigenkapital privater Unternehmen in den Mitglied Staate η zu beteiligen oder an der Zeichnung von Aktien und Schuldverschreibungen solcher Unternehmen mitzuwirken. Dabei darf die IFC, um eine unerwünschte Einflußnahme auf die laufende Geschäftsführung der Unternehmen zu vermeiden, kein Stimmrecht ausüben. Dementsprechend übernimmt sie auch nur Minderheitsbeteiligungen in den geförderten Gesellschaften. Die IFC ist ferner bestrebt, ihre Anteile an private Kapitalgeber weiterzuveräußern, um dadurch Mittel für Neuinvestitionen verfügbar zu machen. Sie veräußert die Darlehensforderungen oder Anteile zu Marktkonditionen und gibt keine Ausfallbürgschaft.

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Die Mitgliedschaft eines Landes in der IFC setzt die Mitgliedschaft in der Weltbank voraus. Am 31. Dezember 1975 hatte die IFC 100 Mitglieder, unter ihnen die Bundesrepublik Deutschland (BGBl. 1956 II S. 747). Zu ihren Mitgliedern gehört die große Mehrzahl der westlichen Staaten und der Entwicklungsländer, von der östlichen Staatengruppe dagegen nur Jugoslawien. China wird in der IFC — wie in der Weltbank und IDA - auch nach 1971 weiterhin nicht durch die Regierung in Peking, sondern die Regierung in Taipei vertreten (-»· China). Das genehmigte Grundkapital der Corporation ist in Anteile von 1.000 Dollar aufgeteilt und betrug am 30. Juni 1975, nachdem es sich ursprünglich auf 100 Mio. Dollar belaufen hatte, 107.331 Mio. Dollar. Es soll 1976 auf 400 Mio. Dollar aufgestockt werden. Die prozentualen Anteile der Mitgliedsländer entsprechen in der Regel ihren Weltbankquoten, wobei jedoch auf die Bundesrepublik Deutschland als Folge ihrer noch relativ geringen wirtschaftlichen Bedeutung bei Gründung der IFC nur der vergleichsweise niedrige Anteil von 3,41 % des Grundkapitals gegenüber Anteilen der USA von 32,77 % und des Vereinigten Königreichs von 13,42 % entfällt. Im Unterschied zu der Regelung in der Weltbank ist der jeweilige Kapitalanteil von den Mitgliedstaaten der IFC innerhalb von 30 Tagen nach Geschäftsaufnahme voll in Gold oder Dollarwährung einzuzahlen. Dementsprechend dient das Grundkapital der IFC - anders als bei der Weltbank — nicht nur vorwiegend als Haftungskapital, sondern als ein Finanzierungsmittel. Weitere wichtige Refinanzierungsquellen der IFC bilden die Aufnahme von Anleihen sowie ferner Kredite der Weltbank, die erst durch eine Abkommensänderung im Jahre 1965 ermöglicht wurden und bis zum 30. Juni 1975 ein Volumen von 443 Mio. Dollar erreicht hatten. Darüber hinaus finanziert sich die IFC aus Verkäufen der von ihr erworbenen Forderungen und Anteile sowie aus dem Eingang von Rückzahlungen der von ihr gewährten Kredite. Der Reingewinn der IFC betrug im Geschäftsjahr 1974/75 5,4 Mio. Dollar. Er ist bisher stets der „Allgemeinen Rücklage" zugeführt worden, die am 30. Juni 1975 70,7 Mio. Dollar betrug. Wie ihre Schwesterorganisationen -> IBRD und -* IDA wird auch die IFC von einem Gouvemeursrat, einem Direktorium und dem Präsidenten verwaltet. Die Kompetenzabgrenzung entspricht der in IBRD und IDA, mit denen die IFC im übrigen organisatorisch eng verflochten ist: Als Gouverneure fungieren diejenigen der Weltbank, deren Entsendestaaten zugleich Mitglieder beider Organisationen sind. Wie bei der Weltbank verfügt jeder Gouverneur über 250 Stimmen zuzüglich einer weiteren Stimme für jeden von ihm vertretenen Kapitalanteil. Entsprechend besteht auch das Direktorium der IFC aus denjenigen Direktoren der Weltbank, die jeweils von mindestens einem Mitglied der IFC ernannt oder gewählt worden sind. Vorsitzender des Direktoriums der IFC ist kraft deren Satzung der Präsident der Weltbank, wobei jedoch für die laufende Geschäftstätigkeit die IFC ihren eigenen Vorsitzenden und stellvertretenden Vorsitzenden hat. Die Belegschaft der IFC ist, anders als bei der IDA, bis auf wenige Ausnahmen organisatorisch von der Belegschaft der IBRD getrennt, und auch der Verwaltungsaufbau der IFC unterscheidet sich von demjenigen der IBRD in vielen Einzelheiten. Bei ihrer Geschäftstätigkeit in den Entwicklungsländern genießt die IFC zwar wie die IBRD weitgehende Privilegien, nimmt jedoch im Hinblick auf die Möglichkeit des Kapitaltransfers keine bessere Stellung ein als ausländische Privatinvestoren. Die IFC hat bis zum 30. Juni 1975 Darlehenszusagen in einer Gesamthöhe von 1,26 Mrd. Dollar gegeben, die sich auf 249 Unternehmen in 57 Staaten verteilten und in die dritte Investoren zugleich 5,131 Mrd. Dollar investiert hatten. Die Tatsache, daß 62 % dergesamten Bruttoinvestitionen allein in den letzten 5 Jahren bis zum 30. Juni 1975 zugesagt worden sind, illustriert, daß die IFC an der unter McNamaras Präsidentschaft zu beobachtenden starken Expansion der Aktivitäten der Weltbankgruppe weitgehend partizipiert hat. Die geographische Streuung der Investitionen der IFC zeigt eine gewisse Bevorzugung Lateinamerikas und der Karibik, auf die in der Zeit von 1957 bis 1975 43 % der Finanzierungszusagen entfielen, während sich der Rest mit 9 % auf Afrika, 5 % auf den Nahen Osten, 24 %

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IGH - Internationaler Gerichtshof

auf Asien und 19 % auf Europa verteilte. Bei der Mittelaufbringung für die von der IFC unterstützten Projekte waren im Geschäftsjahr 1974/75 die USA mit 27,7%, die Europäischen Gemeinschaften mit 11,8 %, Japan mit 2,3 %, die IFC selbst mit 15,0 % und die betroffenen Entwicklungsländer mit 43,2 % beteiligt, woraus die subsidiäre Funktion der IFC deutlich erkennbar wird. Wie die Bank hat auch die IFC im Laufe der letzten Jahre über die reine Finanztätigkeit hinaus immer mehr Aufgaben im Bereich der technischen Hilfe (-»• Technische Hilfe, Technologietransfer) übernommen, wobei Sektorstudien für einzelne Entwicklungsländer im Hinblick auf die Verbesserungsfáhigkeit der Finanzstruktur oder der Struktur einzelner Industriezweige im Vordergrund standen. Einem kürzlich geschaffenen Amt für Investitionsförderung soll die Förderung neuer Projekte obliegen, die möglicherweise für die Gewährung von IFC-Finanzierungsmitteln in Betracht kommen. Literatur Ferber / Winkelmann: Internationaler Währungsfonds, Weltbank, IFC, IDA, Frankfurt/M. 1972 Mason / Asher: The World Bank since Bretton Woods, Washington 1973 Der Pearson-Bericht: Bestandsaufnahme und Vorschläge zur Entwicklungspolitik, Wien, München, Zürich, 1969 Reid: Strengthening the World Bank, Chicago 1973 Reid: McNamara's World Bank, in: Foreign Affairs 1973 p. 794 Hans Petersmann Verweise auf: China; Entwicklungspolitik; IBRD; IDA; Kapitalhilfe; Sonderorganisationen; Technische Hilfe, Technologietransfer.

IGH — Internationaler Gerichtshof Rechtsstellung und Rechtsgrundlagen Der IGH (International Court of Justice (ICJ); Cour Internationale de Justice (ÇIJ)) mit Sitz in Den Haag ist Hauptorgan der Vereinten Nationen und demzufolge mit den in Art. 7 genannten anderen Hauptorganen gleichberechtigt (-+ Organisationssystem der Vereinten Nationen). Funktionell ist ihm im Gegensatz zur allgemeinen -*• Streitschlichtung die gerichtliche Streiterledigung zugewiesen (Art. 33 Abs. 3; 36 Abs. 3; 92). Die Mitglieder der Vereinten Nationen können die Erledigung völkerrechtlicher Streitigkeiten auch anderen internationalen Gerichten, etwa dem Europäischen Gerichtshof oder dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, übertragen (Art. 95). Im übrigen bestehen im System der Vereinten Nationen Spezialgerichte mit enumerativen Zuständigkeiten, wie das Verwaltungsgericht der Vereinten Nationen und der ILO zur Entscheidung über Streitigkeiten mit internationalen Bediensteten. Daraus folgt, daß der IGH weder das einzige Gericht im Rahmen der Vereinten Nationen ist noch eine ausschließliche Entscheidungszuständigkeit in internationalen Fragen besitzt. Anders als sein Vorläufer, der Ständige Internationale Gerichtshof (StIGH/PCIJ/CPJI), ist der IGH Organ der Weltorganisation und deshalb mit deren rechtlichem und tatsächlichem Schicksal enger verbunden als der StIGH mit dem Völkerbund. Daher wird auch eine Verpflichtung des IGH zur Kooperation mit den anderen Organen der Vereinten Nationen und zur Beachtung der Grundsätze und Ziele der Charta angenommen (deutlich in diesem Sinne: ICJ Reports 1950 p. 82 — Auslegung der

Organisation

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Friedensverträge; ICJ Reports 1952, separate opinion, p. 143 - Anglo-iranischer Ölstreit). Die Unabhängigkeit und der richterliche Charakter des IGH sollen aber dabei gewahrt bleiben. Deshalb ergehen die Entscheidungen und Gutachten nicht im Namen der Vereinten Nationen, sondern nur im Namen des Gerichts (zur Betonung der Unabhängigkeit trotz Organstellung ICJ Reports 1 9 5 0 p. 71 — Auslegung der Friedensverträge; 1963 p. 30). Die Rechtsvorschriften für die Organisation und Tätigkeit des IGH finden sich ( 1 ) in Art. 9 2 — 96; ( 2 ) in dem IGH-Statut, das untrennbarer Bestandteil der Charta ist und deshalb in bezug auf Abänderungen (vgl. Art. 6 9 IGH-Statut) und Rang (vgl. Art. 103) den Regeln, die für die Charta gelten, unterliegt; ( 3 ) in einer nach Art. 3 0 IGH-Statut vom IGH erlassenen und diesem rangmäßig nachgeordneten Verfahrensordnung vom 6. Mai 1946, geändert mit Wirkung vom 1. September 1972 (ICJ Series D No. 1 p. 54); (4) in den auf Art. 93 Abs. 2 gestützten Resolutionen der Generalversammlung, durch die einzelne Nichtmitgliedstaaten dem Statut beigetreten und damit an dieses gebunden sind; ( 5 ) in der auf Art. 35 Abs. 2 IGH-Statut gestützten Resolution des Sicherheitsrates (Res. 9 (I) vom 1 5 . 1 0 . 1 9 4 6 ) über die Bedingungen, zu denen Nichtmitglieder der Vereinten Nationen als Partei zum IGH zugelassen werden, ohne dem Statut beizutreten. Die Charta regelt im wesentlichen nur die Organstellung des Gerichtes, die Voraussetzungen der Parteifähigkeit, die Vollstreckung der gerichtlichen Entscheidungen und die Antragsberechtigung für die Einholung von Rechtsgutachten. Die Gerichtsverfassung sowie das Verfahren in Streitsachen und bei Gutachten sind im Statut und in der Verfahrensordnung geordnet. Eine für die internationale Gerichtsbarkeit weithin charakteristische Besonderheit der das Statut konkretisierenden Verfahrensordnung ist es, daß sie den IGH nicht strikt bindet, sondern daß von ihren Bestimmungen im Einzelfall abgewichen werden kann (Art. 3 4 Verfahrensordnung und PCIJ Series A No. 2 2 p. 12 — Genfer Freizonen). Das ist eine Konsequenz der Tatsache, daß das Verfahren vor dem IGH nicht dem Individualrechtsschutz dient, der Vorausberechenbarkeit und starre Bindung auch im prozessualen Bereich verlangen würde. Organisation Der IGH besteht aus 15 ständigen Mitgliedern verschiedener Staatsangehörigkeit (Art. 3 IGH-Statut). Sie werden von der Generalversammlung und von dem Sicherheitsrat in getrennten Wahlen auf 9 Jahre gewählt (Art. 4 , 8, 13 IGH-Statut). Alle 3 Jahre wird 1/3 der Richter neu gewählt. Die Wiederwahl ist zulässig (Art. 13 IGH-Statut). Gewählt ist, wer in beiden Organen die absolute Mehrheit der Stimmen erhalten hat (Art. 10 IGH-Statut). Die Grundlage der Wahl bilden zahlenmäßig begrenzte und alphabetisch geordnete Kandidatenvorschläge (Art. 5 Abs. 2; 7 IGH-Statut) nationaler Gruppen im Sinne des Art. 4 4 I. Haager Abkommen (RGBl. 1910 S. 34). Staaten, die nicht an diesem Abkommen beteiligt waren, bilden die nationalen Gruppen in Analogie zu Art. 4 4 (Art. 4 Abs. 1 ; 2 IGH-Statut). Die Auswahl der Richter bestimmt sich weder de iure noch de facto ausschließlich nach der persönlichen Qualifikation. So dringt bereits durch die Kandidatenbenennung durch nationale Gruppen der Gedanke nationaler Repräsentation und Interessen in die Besetzung des Gerichtes ein. Allerdings sollen nach der Vorschrift des Art. 6 IGH-Statut die nationalen Gruppen den obersten Gerichtshof und die rechtswissenschaftlichen Einrichtungen ihres Landes zur Ermittlung der bestqualifizierten Kandidaten befragen. Ferner verlangt Art. 9 IGH-Statut, daß die zu wählenden Richter „die Vertretung der hauptsächlichen Formen der Zivilisation und der hauptsächlich geltenden Rechtssysteme der Welt gewährleisten". Diese Formel verkennt, daß die Welt nicht aus klar abgrenzbaren Regionen und Rechtssystemen besteht. Andererseits wiederum verlangt Art. 2 IGH-Statut eine Wahl höchstqualifizierter Bewerber ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit. Diese Gemengelage nationaler und internationaler Elemente bei der Besetzung führt in der Praxis dazu, daß die nationalen

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Regierungen auf die Nominierung der Kandidaten erheblichen Einfluß nehmen und die persönliche Qualifikation quasi zweitrangig im Verhältnis zur geographischen Repräsentation behandelt wird. Regelmäßig werden Staatsangehörige der Großmächte als Richter gewählt und etwa entstehende vorzeitige Vakanzen durch die Neuwahl von Staatsangehörigen desselben Staates wieder besetzt. Die Konsultation nach A r t . 6 IGH-Statut wird kaum praktiziert. Die persönliche Rechtsstellung der Richter ist gekennzeichnet durch Unabhängigkeit, Unabsetzbarkeit und die Verpflichtung zur Unparteilichkeit ( A r t . 2, 18, 20 IGH-Statut). Diese Bestimmungen haben sich im ganzen bewährt, wenn auch — vor allem bei den ad-hocRichtern — die Gefahr einer parteiischen Stellungnahme nicht auszuschließen sein wird. Die Vorschrift über die Unvereinbarkeit des Richteramtes mit näher bezeichneten Berufen und Tätigkeiten, über die Ausschließung vom Richteramt und über die Befangenheit ( A r t . 16, 17, 24 IGH-Statut) entsprechen weitgehend innerstaatlichen Vorbildern. Die ständigen Richter erhalten ein steuerfreies Jahresgehalt, die ad hoc-Richter eine steuerfreie Entschädigung (Art. 3 2 Abs. 1, 4, 8 IGH-Statut - z u r Z e i t 50.000 Dollar jährlich bzw. bis zu 137 Dollar pro Tag als Entschädigung). Alle Richter genießen während der Ausübung ihres Amtes diplomatische Vorrechte und Immunitäten ( A r t . 19 IGH-Statut). Ständige Richter, die Staatsangehörige der im Streit befindlichen Staaten sind (sog. nationale Richter), dürfen bei der Entscheidung des Streitfalles mitwirken ( A r t . 31 Abs. 1 IGHStatut). Darin liegt keine Durchbrechung eines allgemeinen Befangenheitsverbotes, sondern ein weiterer Einbruch nationalstaatlicher Interessen in die internationale Gerichtsbarkeit. Staaten unterwerfen sich der internationalen Gerichtsbarkeit nur, wenn sie ihre Interessen bei den Entscheidungen des Gerichtes angemessen berücksichtigt sehen. Dieses Zugeständnis an die nationale Souveränität ist auch die Grundlage der Einrichtung der ad hoc-Richter in streitigen Verfahren: Ist in einem Streit nur eine Partei durch einen ständigen Richter ihrer Staatsangehörigkeit vertreten, so kann die andere Partei einen ad hoc-Richter, der ihr Vertrauen genießt, für den Streit benennen. Dieser wirkt dann mit vollen richterlichen Rechten an der Rechtsfindung mit ( A r t . 31 Abs. 2 IGH-Statut). Ist keine der Parteien durch einen Richter ihrer Staatsangehörigkeit vertreten, besitzen beide Parteien das Benennungsrecht ( A r t . 31 Abs. 3 IGH-Statut). Die ad hoc-Richter sollen so wie die ständigen Richter qualifiziert sein und dürfen an dem Streit nicht schon in anderer Eigenschaft beteiligt gewesen sein ( A r t . 31 Abs. 6 IGH-Statut). Da für sie die richterlichen Inkompatibilitäten nicht gelten und sie in der Praxis regelmäßig für ihr Land stimmen, steht die Verpflichtung zur unparteiischen Entscheidung vorwiegend auf dem Papier. Ihre Unabhängigkeit ist faktisch geringer als die der nationalen Richter, die teilweise auch gegen ihr Land gestimmt haben. A m Benennungsmodus und der damit verbundenen ungenügenden Unabhängigkeit setzt die berechtigte Kritik an der Einrichtung der ad hoc-Richter ein. Im Gutachtenverfahren besteht das Recht, ad hoc-Richter zu benennen nach Maßgabe von Art. 89 Verfahrensordnung. Der I G H übt seine richterliche Tätigkeit regelmäßig als Plenum aus, wobei 9 ständige Richter zur Beschlußfähigkeit genügen (Art. 25 IGH-Statut). Für Eilentscheidungen und im summarischen Verfahren besteht obligatorisch eine aus 5 Richtern gebildete Kammer, die auf Antrag der Parteien tätig wird (Art. 29 IGH-Statut). Der I G H kann ferner fakultativ aus mindestens drei Richtern bestehende Kammern zur ständigen Erledigung bestimmter Angelegenheiten einsetzen, schließlich auch Kammern mit Zuständigkeiten in einem konkreten Streit, deren Richterzahl im Einvernehmen mit den Parteien festgelegt wird ( A r t . 26 IGHStatut). Davon ist bisher kein Gebrauch gemacht worden. Der Gerichtshof wählt aus dem Kreise der Richter einen Präsidenten und Vizepräsidenten ( A r t . 21 IGH-Statut). Der Präsident leitet die gesamte Tätigkeit des Gerichtes und ist für die Gerichtsverwaltung verantwortlich. Im übrigen sind ihm einzelne nichtrichterliche Funktionen übertragen. Dem vom Gerichtshof auf 7 Jahre gewählten Kanzler ( A r t . 21 IGHStatut) unterstehen die gesamten „Dienste" der Kanzlei, von denen hier nur die Geschäftsstellen und Übersetzungsaufgaben sowie die Vorbereitung der Veröffentlichungen des Gerichtshofes genannt seien ( A r t . 21 — 23 Verfahrensordnung).

Zuständigkeit

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Zuständigkeit Der IGH ist ein eininstanzliches Gericht zur Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten zwischen Staaten; er ist ferner für die Erstattung von Rechtsgutachten zuständig. Unter bestimmten Voraussetzungen ist er Berufungsinstanz gegen Entscheidungen richterlicher oder quasirichterlicher Organe der Vereinten Nationen; schließlich kann er Schiedsrichter oder Mitglieder internationaler Kommissionen benennen. Der IGH entscheidet Rechtsstreitigkeiten, d. h. „nichtpolitische" Streitigkeiten zwischen Staaten. Diese Beschränkung ist an sich selbstverständlich für ein Gericht. Deshalb muß der Unterscheidung zwischen Rechtsstreitigkeiten und politischer Streitigkeiten ein anderer Sinn beigelegt werden. Unter „politischen" Streitigkeiten sind solche zu verstehen, über die der IGH, obwohl sie rechtlich entscheiden werden könnten, doch nicht entscheiden soll. Der Umfang gerichtsfähiger (rechtlicher) Streitigkeiten ist in Art. 36 Abs. 2 IGH-Statut festgelegt, soweit die Staaten ihn nicht durch Vorbehalte beschränken. Die Zuständigkeit zur Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten erstreckt sich nur auf solche zwischen Staaten. Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen steht der IGH ohne weiteres offen (Art. 95). Nichtmitglieder sind nach Maßgabe der eingangs erwähnten Resolution zugelassen. Einzelpersonen sowie die Vereinten Nationen, ihre Organe und Sonderorganisationen sind im Streitverfahren nicht parteifähig. Diese Regelung der Parteifähigkeit spiegelt die klassische Konzeption des Völkerrechts, das nur Staaten als Rechtssubjekte kennt, wider. Die Rechtspersönlichkeit der Vereinten Nationen ist inzwischen in der Rechtsprechung anerkannt (ICJ Reports 1962 p. 151 — Ausgaben der Vereinten Nationen), kann aber infolge der eindeutigen Bestimmung des Art. 34 Abs. 1 IGH-Statut nicht zur Parteifähigkeit führen. Einen beschränkten Ausgleich dieser unbefriedigenden Regelung stellt die Möglichkeit der Vereinten Nationen und ihrer Sonderorganisationen dar, die Erstattung eines Rechtsgutachtens zu beantragen. Die rechtlichen Interessen von Einzelpersonen werden in der Praxis zum Teil von ihren Heimatstaaten in Streitverfahren wahrgenommen (ζ. B. in den Fällen Ambatielos, Anglo-iranischer Ölfall, Nottebohm, Interhandel, Barcelona Traction) — freilich nur, wenn die Heimatstaaten sich der Einzelpersonen annehmen, weil sie sich selbst als verletzt ansehen. Die Parteifähigkeit eines Staates hat nicht die automatische Konsequenz, daß ein Staat schon ein für alle Mal der Gerichtsbarkeit des IGH unterworfen ist. Dazu ist vielmehr ein weiterer Unterwerfungsakt erforderlich, weil nach dem derzeitigen Entwicklungsstand des Völkerrechts Grund und Umfang der internationalen Gerichtsbarkeit noch von dem Staatenkonsens abhängen. Darin liegt eines der wesentlichen Hindernisse der Effektivität des IGH. Die Unterwerfung unter die Gerichtsbarkeit des IGH erfolgt durch mehrseitige Staatenabkommen, in denen die Zuständigkeit des IGH festgelegt wird, durch rügelose Einlassung zur Sache in einem vor dem IGH schwebenden Prozeß (sog. forum prorogatum) oder durch einseitige Staatenerklärung nach Art. 36 Abs. 2 IGH-Statut. In der Praxis hat vor allem die Haltung der Ostblockstaaten verhindert, daß das forum prorogatum als Versuch eines klagenden Staates, den beklagten Staat gewissermaßen zur Anerkennung der Gerichtsbarkeit im Einzelfall „einzuladen", größere Bedeutung erlangt hat (ICJ Reports 1954 p. 99, 103; 1956 p. 6, 9; 1958 p. 158; 1959 p. 276 — Luftzwischenfälle). Die einseitige Staatenerklärung wird gegenüber dem Generalsekretär der Vereinten Nationen abgegeben. Sie begründet die Gerichtsbarkeit des IGH als obligatorisch für nahezu alle völkerrechtlichen Streitigkeiten (vgl. die umfassende Formulierung in Art. 36 Abs. 2 IGH-Statut), an denen der erklärende Staat und andere Staaten, die eben solche Erklärungen abgegeben haben, beteiligt sind. Bis zum 31.12.1975 haben 45 von 144 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen den IGH auf diese Weise als obligatorisch anerkannt — ein bescheidenes Ergebnis, das noch ungünstiger wird, wenn man hinzunimmt, daß die 45 Erklärungen überwiegend die Gerichtsbarkeit des IGH nur eingeschränkt — ζ. B. befristet — anerkennen (Wortlaut ICJ Yearbook 1974/75 p. 49 seq.). Diese einschränkenden Vorbehalte sind grundsätzlich zulässig (Art. 36 Abs. 3 IGHStatut), höhlen aber die Zuständigkeit des IGH zum Teil in bedenklicher Weise aus. Das gilt

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vor allem für den auch von anderen Staaten übernommenen Vorbehalt der USA, wonach Streitigkeiten über innere Angelegenheiten der USA der Entscheidung des IGH entzogen sind und der Umfang der inneren Streitigkeiten ausschließlich von den USA selbst bestimmt wird (vgl. ICJ Yearbook 1974/75 p. 78). Sicher sind interne Angelegenheiten eines Staates nur in einem geringen Maße völkerrechtlich justiziabel, aber ihr Umfang wird vom Völkerrecht bestimmt (vgl. den französischen Vorbehalt, Ziff. 2, ICJ Yearbook 1972/73 p. 60, Unterwerfung wurde am 10.1.1974 zurückgezogen) und kann deshalb nicht von den Staaten „authentisch" definiert werden. Im übrigen dürfte der amerikanische Vorbehalt gegen Art. 36 Abs. 6 IGH-Statut verstoßen (vgl. in diesem Sinne dissenting opinion ICJ Reports 1957 p. 67, 71 — norwegische Anleihen). Generalversammlung und Sicherheitsrat haben die Befugnis, ein Rechtsgutachten des IGH über abstrakte Fragen des Völkerrechts einzuholen. Das gleiche Recht steht nach einer inzwischen erteilten Ermächtigung der Generalversammlung dem ECOSOC, dem Treuhandrat und nahezu allen Sonderorganisationen, begrenzt auf ihren Tätigkeitsbereich, zu (Art. 96) (vgl. ICJ Yearbook 1974/75 p. 40 seq.). 11 Gutachten sind bisher von der Generalversammlung, je eines von dem Sicherheitsrat, der UNESCO, der -»• IMCO und von dem „Committee for review of UN Administrative Tribunal Judgements" beantragt worden. Der IGH ist nicht verpflichtet, das beantragte Gutachten zu erstatten (Art. 65 IGH-Statut), hat sich jedoch auf den Standpunkt gestellt, daß er in Anbetracht seiner Kooperationsverpflichtung mit den Organen der Vereinten Nationen nur aus zwingenden Gründen den Antrag ablehnen könne (ICJ Reports 1956 p. 86 — Urteile des Verwaltungsgerichts der ILO). Zu diesen Gründen gehört nicht der Umstand, daß die Befugnis des IGH, die Charta zu interpretieren, umstritten ist (ICJ Reports 1948 p. 61 — Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen), wohl aber der Umstand, daß das Rechtsgutachten einer Streitentscheidung zwischen den am Gutachtenverfahren nicht beteiligten Staaten gleichkommen und insofern keine abstrakte Rechtsfrage betreffen würde (ICJ Reports 1950 p. 81 — Friedensverträge). Die Gutachten des IGH sind grundsätzlich ihrem Wesen entsprechend nicht rechtsverbindlich. Deshalb sind sie nur beschränkt als Mittel der Streiterledigung tauglich (vgl. aber die vertraglich vereinbarte Verbindlichkeit in Art. 37 ILO-Verfassung und Art. 12 Abs. 2 Statut des Verwaltungsgerichts der ILO). Die beantragenden Organe der Vereinten Nationen machen sich in der Regel den Rechtsstandpunkt des IGH zu eigen, können aber nicht verhindern, daß Staaten, die sich in den antragsberechtigten Organen der Vereinten Nationen der Einholung des Rechtsgutachtens widersetzt haben, in der Praxis vielfach nicht geneigt sind, sich dem Gutachten faktisch zu beugen und ihre Politik entsprechend zu ändern (so in den Gutachten betr. Friedensverträge, ICJ Reports 1950 p. 65; Südwestafrika, ICJ Reports 1950 p. 128; 1955 p. 67; 1956 p. 23; Ausgaben der Vereinten Nationen 1962 p. 151). So wird man der meist positiv beurteilten Gutachtenkompetenz des IGH nur einen beschränkten Wert zur Beilegung von Streitigkeit beimessen können. Der IGH ist ein Gericht neben anderen internationalen Gerichten. Er kann deshalb nur nach Maßgabe völkerrechtlicher Vereinbarungen als „Berufungsinstanz" tätig werden: ζ. B. bei vertraglich vereinbarter Zuständigkeit zur Überprüfung von Schiedssprüchen und -urteilen (vgl. ICJ Reports 1954 p. 19 — Münzgold) oder von Entscheidungen (quasi-)richterlicher Organe internationaler Organisationen (vgl. Art. 34 ICAO-Abkommen und die „Berufungsentscheidung" des IGH gegen die Entscheidung des ICAO-Rates: ICJ Reports 1972 p. 56; ferner die Berufungsentscheidung des IGH gegen die Urteile des Verwaltungsgerichts der ILO, ICJ Reports 1956 p. 77). Die Zuständigkeit, Schiedsrichter oder Mitglieder Internationaler Kommissionen zu benennen, wird dem IGH entweder durch internationale Verträge übertragen, oder er wird auf einseitiges Ersuchen eines Staates oder einer internationalen Organisation tätig. Die Zuständigkeit wird üblicherweise dem Präsidenten des IGH übertragen.

Streitverfahren

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Streitverfahren Das Streitverfahren vor dem ICH wird entweder durch Einreichung des speziellen Abkommens, das die Zuständigkeit des IGH begründet und näher definiert hat, oder durch eine Klageschrift eingeleitet. In beiden Fällen müssen Streitgegenstand und Parteien genau bezeichnet sein (Art. 40 Abs. 1 IGH-Statut). Das gesamte Verfahren wird je nach Vereinbarung der Parteien in Französisch oder Englisch durchgeführt, bei fehlender Einigung sind beide Sprachen zugelassen. Dann werden auch die Entscheidungen des IGH in beiden Sprachen erlassen, und der Gerichtshof bestimmt, welcher Text maßgebend ist. Ausnahmsweise kann auf Antrag einer Partei dieser die Benutzung einer anderen Sprache gestattet werden (Art. 39 IGH-Statut). Die Parteien müssen sich im Verfahren durch einen staatlichen Repräsentanten vertreten lassen. In der Praxis werden vielfach Rechtsberater des Außenministeriums benannt. Die Parteien können sich zusätzlich der Hilfe von Rechtsbeiständen und Anwälten bedienen und setzen dazu meist Völkerrechtsexperten mit Erfahrungen in Prozessen vor internationalen Gerichten ein (Art. 42 IGH-Statut). Hat eine Partei das zuständigkeitsbegründende Abkommen oder die Klageschrift bei dem Kanzler des IGH eingereicht, übermittelt dieser sie der anderen Partei, ferner den Mitgliedern der Vereinten Nationen und anderen Staaten, denen der Rechtsweg zum IGH offensteht (Art. 40 Abs. 2,3 IGH-Statut). Auf dieser Weise soll Staaten, die zunächst nicht Parteien des Streitverfahrens sind, die Möglichkeit gegeben werden, dem Verfahren beizutreten, wenn durch das Verfahren ihre rechtlichen Interessen berührt werden (Art. 62 IGH-Statut — vgl. ICJ Reports 1973 p. 320, 324 — Nukleartestfall) oder wenn sie Vertragsparteien eines im Streitverfahren umstrittenen internationalen Vertrages sind (Art. 63 IGH-Statut — ICJ Reports 1951 p. 71 — Haya de la Torre). Nur im letzteren Falle besteht ein Rechtsanspruch auf Beitritt, der dem Umstand Rechnung trägt, daß die Auslegung eines Vertrages durch den IGH notwendig für alle Vertragsparteien von grundsätzlicher Bedeutung ist. An die Einleitung des Streitverfahrens schließt sich — ebenfalls noch Bestandteil des schriftlichen Verfahrens — die erschöpfende schriftsätzliche Behandlung des Streitfalles durch die Parteien an. Der Präsident des IGH setzt im Benehmen mit dem Parteien die Anzahl und Reihenfolge der Schriftsätze sowie die Fristen für deren Einreichung fest (Art. 40 Verfahrensordnung). Im schriftlichen Verfahren müssen bereits sämtliche prozeßhindemde Einreden, z. B. gegen die Parteifähigkeit und insbesondere die Zuständigkeit des IGH geltend gemacht werden. Denn über sie wird in einem Zwischenstreit durch Prozeßurteil vorab entschieden (Art. 67 Verfahrensordnung). Sind sie nicht geltend gemacht, sondern werden sogleich Schriftsätze zur Sache gewechselt, sind die Einreden verwirkt, also die Zuständigkeit des IGH, auch wenn sie nicht bestanden haben sollte, prorogiert. Wenn die zugelassenen Schriftsätze gewechselt sind, ist das schriftliche Verfahren abgeschlossen und das mündliche Verfahren beginnt. Es dürfen dann Schriftsätze nur noch mit Zustimmung der anderen Partei oder bei Gestattung durch das Gericht nachgereicht werden (Art. 52 Verfahrensordnung; vgl. ICJ Reports 1955 p. 6 — Nottebohm). Das vom schriftlichen Verfahren scharf getrennte mündliche Verfahren ist obligatorisch und regelmäßig öffentlich. Ausnahmen von der Öffentlichkeit bedürfen eines Gerichtsbeschlusses oder eines übereinstimmenden Antrages der Parteien (Art. 46 IGH-Statut; vgl. ICJ Reports 1971 p. 12 — Namibia). In der mündlichen Verhandlung werden — allerdings selten, weil Beweise meist durch Dokumente geführt werden — auch Zeugen und Sachverständige gehört (so im CorfuKanalfall, Tempel von Vihear und im Südwestafrika-Fall). Auch eine Ortsbesichtigung durch das Gericht ist denkbar (vom IGH allerdings im Südwestafrika-Fall als „untunlich" abgelehnt, ICJ Reports 1965 p. 9). Im Verlauf der mündlichen Verhandlungen haben die Parteien ihre „Schlußanträge" zu stellen (Art. 48 IGH-Statut). Diese Anträge stellen eine kurze Zusammenfassung des Streitgrundes und des Begehrens (Antrag) dar. Sie bestimmen nunmehr endgültig den Streitgegenstand, an den der IGH bei seiner Entscheidung gebunden ist (sog. „ne ultra petita" — Grundsatz ¡grundlegend ICJ Reports 1950 p. 402 — Asylfall).

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Das Streitverfahren schließt, soweit es nicht schon durch Prozeßurteil beendet war, mit einem Sachurteil ab. Ein solches kann unter den Voraussetzungen des Art. 53 IGH-Statut auch dann ergehen, wenn eine Partei sich im Verfahren passiv verhalten hat, ζ. B. Schriftsätze nicht eingereicht oder an der mündlichen Verhandlung nicht teilgenommen hat (grundlegend ICJ Reports 1949 p. 248 - Corfu-Kanal; ICJ Reports 1974 p. 2 - isländischer Fischereistreit). In jeder Lage des Verfahrens, aber begrenzt auf dessen Dauer, kann der IGH auf Antrag einer der Parteien oder ausnahmsweise von Amts wegen einstweilige Maßnahmen, die ihm notwendig erscheinen, um eine Vereitelung der Rechtsverwirklichung einer der Parteien zu verhindern, erlassen (Art. 41 IGH-Statut). Derartige Maßnahmen müssen von den Parteien befolgt werden und sind auch zulässig, wenn die Zuständigkeit des IGH (noch) bestritten ist (ICJ Reports 1951 p. 89 - Anglo-iranischer Ölstreit), haben allerdings in diesem Fall kaum Chancen, beachtet zu werden. Entscheidungen, Kosten und Vollstreckung Die Entscheidungen des IGH im Streitverfahren bestehen aus den das Verfahren abschließenden Urteilen, aus Verfügungen und formlosen Entscheidungen. Urteile entscheiden entweder in der Sache oder über prozeßhindernde Einreden (Sachund Prozeßurteile). Vielfach sind sie ihrem Inhalt nach Feststellungsurteile, stellen also fest, wie die Rechtslage zwischen den Parteien ist. Da die Urteile praktisch schwer vollstreckbar sind, liegt den Parteien vor allem an einer förmlichen Feststellung der streitigen Rechtslage. Es gibt aber auch Leistungsurteile, etwa auf Schadensersatz (ζ. B. ICJ Reports 1949 p. 244 — Corfu-Kanal-Fall), und Gestaltungsurteile, ζ. B. über die Zugehörigkeit eines umstrittenen Gebietes zu einem Staat (ICJ Reports 1953 p. 47 — Miniers und Ecrehos). Die Urteile werden bei geheimer Beratung mit Stimmenmehrheit der anwesenden Richter gefallt. Bei Stimmengleichheit gibt die Stimme des Präsidenten den Ausschlag (Art. 55 IGHStatut). Das Verfahren bei der Urteilsfällung ist im einzelnen im Beschluß des IGH vom 5. Juli 1968 (ICJ Yearbook 1967/68 p. 88), der notwendige Inhalt der Urteile in Art. 56 und 58 IGH-Statut, sowie in Art. 79 Verfahrensordnung festgelegt. Die Richter, die der Mehrheitsentscheidung nicht zugestimmt haben, sind berechtigt, dem Urteil ihre persönliche Meinung schriftlich beizufügen (Art. 57 IGH-Statut). Meinungen, die von der Mehrheit nur in der Begründung abweichen, werden „separate opinions", solche, die auch im Ergebnis abweichen, werden „dissenting opinions" genannt. Die Einrichtung der „persönlichen Meinung" dient institutionell der Stärkung der richterlichen Unabhängigkeit. In der Sache sind die „Meinungen" zum Verständnis der Urteile des IGH, vor allem für ihre Tragweite und Überzeugungskraft unentbehrlich. Die Urteile werden in öffentlicher Sitzung verkündet. Sie erwachsen in formelle Rechtskraft, da es Berufung und Revision im Sinne des innerstaatlichen Rechts gegen sie nicht gibt. Die Befugnis der Urteilsparteien, den IGH zur streitig gewordenen Auslegung seines Urteils anzurufen (Art. 60 IGH-Statut) — über den Antrag wird durch Feststellungsurteil entschieden — läßt die formelle Rechtskraft des auszulegenden Urteils unberührt. Denn das Auslegungsurteil darf den Gehalt des auszulegenden Urteils in der Sache nicht verändern, sondern nur seine Tragweite bestimmen (ICJ Reports 1950 p. 402 — Asylfall). Damit ist zugleich gesagt, daß Urteile des IGH auch materiell-rechtskräftig in dem Sinne werden, daß der durch sie entschiedene Fall nicht mehr von den Parteien vor den IGH gebracht werden kann (Art. 59 IGH-Statut). Die Bestimmung dessen, was in materieller Rechtskraft erwachsen ist, kann im Einzelfall schwierig sein. Ausschlaggebend ist jedenfalls der Tenor der Urteile. Die Entscheidungsgründe, vor allem die Schlußanträge der Parteien, sind aber zum Verständnis des Tenors heranzuziehen. Nur im Wiederaufnahmeverfahren (Revisionsverfahren im uneigentlichen Sinne), das auf neue, im Zeitpunkt des Urteils unverschuldet unbekannt gebliebene Tatsachen gestützt werden muß (Art. 61 IGH-Statut), kann die materielle Rechts-

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kraft eines Urteils des IGH ausnahmsweise beseitigt und der Streitfall von neuem aufgerollt werden. Nach Art. 64 IGH-Statut trägt jede Partei ihre Kosten des Verfahrens. Von der Möglichkeit, eine andere Kostenentscheidung zu treffen, ist bisher kein Gebrauch gemacht worden. Gerichtskosten sind von den Parteien nicht zu erstatten. Sie werden durch die allgemeine Finanzierung der Tätigkeit des IGH durch die Vereinten Nationen gedeckt. Für die Vollstreckung seiner Entscheidungen Sorge zu tragen, gehört nicht mehr zu den Aufgaben des IGH, sondern ist Angelegenheit der Parteien (ICJ Reports 1951 p. 83 — Haya de la Torre). Deshalb findet sich darüber keine Vorschrift in dem IGH-Statut oder in der Verfahrensordnung, sondern nur in Art. 94. Nach dieser Bestimmung sind die Streitparteien als Mitglieder der Vereinten Nationen verpflichtet, die Entscheidungen des IGH „zu befolgen". Gleiches gilt für die Nichtmitglieder auf Grund ihrer Zulassungsbedingungen zum IGH. Die Verpflichtung erstreckt sich in gleicher Weise auf Urteile und Verfügungen. Die Sanktionen im Falle der Nichtbefolgung sind allerdings unterschiedlich. Die Nichtbefolgung prozeßleitender Verfügungen kann prozessuale Nachteile bringen — eine relativ wirksame Sanktion. Unbefriedigend sind die Sanktionsmöglichkeiten bei Nichtbeachtung von Sachentscheidungen des IGH. Die rechtlichen Schwierigkeiten, die entstehen, wenn der obsiegende Staat versucht, aus einem Leistungsurteil durch Zugriff auf die in seinem Territorium belegenen Vermögenswerte des unterlegenen Staates zu vollstrecken, hat die Affäre „Socobelge" deutlich gezeigt (vgl. das Urteil des Tribunal de Bruxelles vom 30.4.1951, AJIL vol. 47 (1953) p. 508). Aber auch in tatsachlicher Hinsicht wird ein Zugriff auf Vermögenswerte nicht immer möglich sein. Dann kann der obsiegende Staat, um die Vollstreckung von Sachentscheidungen zu erzwingen, diplomatische Pressionen einsetzen, ferner Retorsionen, Repressalien. Eine gewaltsame Durchsetzung von Entscheidungen des IGH ist schon in tatsächlicher Hinsicht unwahrscheinlich, aber auch als Verstoß gegen das Gewaltverbot wohl nicht zulässig. Führen die aufgezählten Vollstreckungsmittel nicht zum Ziel, ist der obsiegende Staat auf die in der Praxis uneffektive Anrufung des Sicherheitsrates verwiesen (Art. 95 Abs. 2). Die unverbindliche Empfehlung des Sicherheitsrates erstreckt sich nach dem Wortlaut nur auf Urteile des IGH und unterliegt dem Veto, so daß ein Vorgehen gegen ständige Mitglieder des Sicherheitsrates schwer realisierbar ist. Die Empfehlung des Sicherheitsrates kann sogar — höchst bedenklich — von der Entscheidung des IGH abweichen. Dadurch wird die Empfehlung zum Mittel einer politischen Überprüfung der Entscheidung des IGH und gefährdet dessen besondere Organstellung im Rahmen der Vereinten Nationen. Der Mechanismus des Art. 94 Abs. 2 ist bisher nur einmal zur Erzwingung einer Schutzmaßnahme, jedoch ohne konkretes Ergebnis, in Gang gesetzt worden. Entscheidungsgrundlagen In den Entscheidungen des Streitverfahrens hat der IGH Völkerrecht anzuwenden, es sei denn, die Parteien wünschen übereinstimmend eine Entscheidung nach Billigkeitsgesichtspunkten. Der IGH ist auf die Anwendung von Völkerrecht beschränkt (grundlegend NottebohmFall ICJ Reports 1955 p. 17). Gemäß Art. 38 Abs. 1 IGH-Statut hat der IGH zu entscheiden auf der Grundlage des einschlägigen Völkervertragsrechtes und des Völkergewohnheitsrechtes. Er kann zusätzlich — insbesondere zur Lückenfullung — die von den „zivilisierten Staaten anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätze" heranziehen, ferner, als Hilfsmittel zur Feststellung des geltenden Völkerrechts, völkerrechtliche Gerichtsentscheidungen und Lehrmeinungen anerkannter Autoren der verschiedenen Völker. Schon bei der Auslegung und Anwendung des geltenden Völkerrechts kann der Gerichtshof Billigkeitsgesichtspunkte heranziehen (grundlegend PCIJ Series A/B No. 70 p. 76 — Wasserableitung aus der Maas). Die Entscheidung nach Billigkeitsgesichtspunkten im Sinne des Art. 38 Abs. 2 IGH-Statut

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geht noch darüber hinaus. Hier kann der IGH die Grenzen des positiven Völkerrechts beiseite schieben und die für den Streit billigste im Sinne von gerechteste Lösung zugrunde legen. Er wird als individueller Gesetzgeber für die Streitparteien tätig. Darin liegt wohl eine der Ursachen, weshalb das Verfahren nach Art. 38 Abs. 2 IGH-Statut bisher nicht angewandt worden ist (vgl. die Ansätze in Haya de la Torre Pleadings 1950 p. 10). Gutachtenverfahren Das Gutachtenverfahren wird bei dem IGH durch einen schriftlichen Antrag des antragsberechtigten Organes eingeleitet, in dem die Fragen formuliert werden (Art. 65 Abs. 2 IGHStatut). Noch nicht abschließend geklärt ist, welche Mehrheiten für die Beschlußfassung in Generalversammlung bzw. in dem Sicherheitsrat erforderlich sind, um ein Gutachten beim IGH einzuholen. Art. 18 Abs. 2 sieht für die Beschlußfassung der -» Generalversammlung über „wichtige Fragen" eine Zweidrittelmehrheit der anwesenden und abstimmenden Mitglieder vor, wobei der Beschluß über Rechtsgutachten nicht erwähnt wird. Eine Zweidrittelmehrheit dürfte nur erforderlich sein, wenn das beantragte Rechtsgutachten seinem Inhalt nach wichtige Fragen betrifft (vgl. aber die Diskussion über den Status von Südwestafrika 1946 und 1949: GAOR (I), S2nd mtg. 8.12.1946 p. 1060; GAOR (IV) 269th mtg. 6.12.1949 p. 536). In der Praxis ist bisher entweder schon die einfache Mehrheit nicht oder ohne weiteres eine Zweidrittelmehrheit erreicht worden. Im Sicherheitsrat bedürfen Beschlüsse über Verfahrensfragen der Zustimmung von 9 Mitgliedern, in allen anderen Fragen der Zustimmung von 9 unter Einschluß aller ständigen Mitglieder (-+ Stimmrecht). Offen ist, worunter Beschlüsse über Rechtsgutachten fallen eine Frage, die für die Blockierung solcher Beschlüsse durch das Veto von weitreichender Bedeutung ist. Der bisher einzige Beschluß über das Rechtsgutachten im Namibia-Fall (-»• Südliches Afrika) gibt keinen Aufschluß, weil er mit 1 2 : 0 Stimmen bei 3 Enthaltungen (Polen, UdSSR, Großbritannien) gefaßt wurde und Enthaltungen nicht als Ausübung des Vetorechts betrachtet werden (-> Stimmrecht). Das Gutachtenverfahren vor dem IGH wickelt sich im wesentlichen wie das Streitverfahren ab. Die Hauptunterschiede bestehen darin, daß das mündliche Verfahren nicht obligatorisch ist und die für das Streitverfahren typische Trennung in Prozeß- und Sachfragen fehlt. Auch im Gutachtenverfahren hat der IGH nur über Rechtsfragen des Völkerrechts zu entscheiden. Tätigkeit Vor den StIGH wurden von 1922-1946 66 Fälle gebracht. 27 Rechtsgutachten und 32 Urteile sind daraus hervorgegangen. Sie betrafen zu einem nicht unwesentlichen Teil Streitigkeiten, die aus den Friedensregelungen nach dem 1. Weltkrieg stammten. Über politisch bedeutsame Konflikte hatte der StIGH vergleichsweise wenig zu entscheiden (vgl. etwa den Ostkarelien-Fall, Series Β No. 5; Österreichischen Zollunions-Fall, Series A/B No. 41 p. 37; Ostgrönland-Fall, Series A/B No. 53 p. 22). Insgesamt spiegelt die recht umfangreiche Tätigkeit des StIGH die im ganzen positive Einstellung der internationalen Gemeinschaft gegenüber der internationalen Gerichtsbarkeit nach dem 1. Weltkrieg wider. Für den IGH betragen die Vergleichszahlen von 1948 — 1975 61 Fälle (15 Rechtsgutachten und 35 Urteile), wobei zu vermerken ist, daß seit Mitte der 60er Jahre der Umfang der Tätigkeit des IGH ständig abnimmt. Durch den 2. Weltkrieg vorgegebene Streitigkeiten gibt es fur den IGH anders als für seinen Vorgänger nicht. Die Inanspruchnahme des IGH hängt von der Einstellung zur gerichtlichen Lösung von Streitigkeiten überhaupt und zum IGH im besonderen ab. Diese Einstellung ist im Vergleich zu der in den 20er und 30er Jahren anders und komplexer, weil die Struktur der internationalen Gemeinschaft sich gewandelt

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hat. So haben mehrere Umstände bewirkt, daß der IGH bisher nur eine vergleichsweise bescheidene Tätigkeit entfalten konnte. Am wichtigsten ist das Prinzip, wonach die Zuständigkeit des IGH nur nach Maßgabe der Unterwerfung der Staaten besteht. Je politisch bedeutsamer ein Streitfall ist, um so mehr zögern vor allem die Großmächte, sich einer Entscheidung des IGH zu unterwerfen. So sind wichtige internationale Streitfälle nicht vor den IGH gekommen. Die Zuständigkeit des IGH wird ferner durch ideologische Vorbehalte sowohl der Ostblockstaaten als auch der Entwicklungsländer belastet. Schließlich mögen auch die unbefriedigenden Vollstreckungsmittel dazu beitragen, daß der IGH einen substantiellen Beitrag zur Friedenssicherung bisher nur hin und wieder durch die Präzisierung und Klärung des Völkerrechts geleistet hat. Entscheidungssammlungen Amtliche Veröffentlichungen des StIGH und IGH StIGH Serie A: Urteile und Verfügungen No. 1 - 24 (1922 - 1930) Serie B: Rechtsgutachten No. 1 - 18 (1922 - 1930) seit 1931 Series A/B: Urteile, Verfügungen und Rechtsgutachten No. 4 0 - 80 (1931 - 1940) Serie C: Akten und Dokumente zu den Urteilen und Rechtsgutachten (Pleadings) No. 1 — 19 (1922 - 1930), 52 - 88 (1931 - 1940) Serie D: Akten und Dokumente über die Organisation des Gerichts No. 1 - 6 (1922 - 1940) Serie E: Jahresberichte No. 1 - 16 (1925 - 1945) IGH Die Urteile, Rechtsgutachten und Verfügungen werden seit 1948 in den sog. Reports veröffentlicht. Die schriftsätzliche und mündliche Behandlung sowie die Dokumente zu jedem einzelnen vom Gerichtshof entschiedenen Fall werden separat in einem oder mehreren Bänden publiziert und Pleadings genannt. 1946 und 1972 ist jeweils 1 Band der Akten und Dokumente über die Organisation des IGH erschienen, der die grundlegenden Texte, die sich auf den IGH beziehen, enthält. Außerdem gibt der IGH seit 1946/47 ein Jahrbuch, seit 1963/64 eine gesonderte Bibliographie zum IGH heraus. Literatur Bernhardt: Homogenität, Kontinuität und Dissonanzen in der Rechtsprechung des IGH in: ZaöRV 1973 S. 1 Dubisson: La Cour Internationale de Justice, Paris 1964 Golsong: Role and Functioning of the International Court of Justice, in: ZaöRV 1971 S. 673 Guyomar: Commentaire du Règlement de la Cour Internationale de Justice — Interprétation et Pratique, Paris 1973 Hambro: The Case Law of the International Court of Justice (seit 1952; ab Bd. V a zus. mit Rovine), Leyden Lauterpacht: The Development of International Law by the Permanent Court of International Justice, London 1934, rev. ed. 1958 („The Development of International Law by the International Court") Max-Planck-Institut für ausländisches Recht und Völkerrecht (Hrsg.): Judicial Settlement of International Disputes, 1974, darin: die Reports von Elias, p. 19, R. J. Jennings, p. 35; Steinberger, The International Court of Justice, p. 193

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ILO - Internationale Arbeitsorganisation

Rosenne: The Law and Practice of the Court of Justice, 2 vols., Leyden 1965 ders.: The World Court, 3rd ed., Leyden 1973 Verzijl: The Jurisprudence of the World Court, 2 vols., Leyden 1965, 1966 Meinhard Schröder Verweise auf: Generalversammlung; IMCO; Organisationssystem der Vereinten Nationen; Sicherheitsrat; Stimmrecht; Streitschlichtung; Südliches Afrika.

ILO — Internationale Arbeitsorganisation Entstehung Die ILO (International Labour Organisation) wurde am 11. April 1919 unter der Schirmherrschaft des Völkerbundes als internationales Arbeitsamt gegründet, um Regierungen, Arbeitgeber und Gewerkschaften zu gemeinsamen Anstrengungen zur Verwirklichung der sozialen Gerechtigkeit und Verbesserung der Lebensbedingungen überall in der Welt zu veranlassen. Historisch gesehen ist die ILO das Resultat der sozialpolitischen Anstrengungen des 19. Jahrhunderts. Diese Bemühungen hatten 1890 mit der internationalen Sozialkonferenz in Berlin, auf der Repräsentanten von 14 Ländern zusammenkamen, einen ersten Erfolg. Die Gelegenheit für einen entscheidenden Schritt ergab sich am Ende des 1. Weltkrieges. Auf Verlangen der Gewerkschaften verschiedener Länder bildete die Friedenskonferenz 1919 eine Kommission für Arbeitsfragen. Diese schuf den Teil XIII des Versailler Vertrags, der bis heute Verfassung der ILO geblieben ist. 1944 wurde in der Erklärung von Philadelphia der Verfassung ein Anhang hinzugefügt, der das Recht aller Menschen feststellt, sowohl ihr materielles Wohlergehen als auch ihre geistige Entwicklung unter den Bedingungen von Freiheit und Würde, wirtschaftlicher Sicherheit und gleicher Chance zu verfolgen. Denn solange noch irgendwo Armut herrscht, ist der Wohlstand aller bedroht. Heute gilt die Verfassung der ILO vom 9. Oktober 1946 (BGBl. 1952 II S. 607) in der Fassung der Änderung vom 25. Juni 1953 (BGBl. 1957 II S. 317) sowie vom 1. November 1974 (BGBl. 1975 II S. 2206). Nach dem 2. Weltkrieg wurde die ILO durch Resolution der Generalversammlung vom 14. Dezember 1946 (Res. 50 (I)) die erste Sonderorganisation der Vereinten Nationen (Text des Abkommens: UNTS Bd. 1 Nr. II 9). Sie hatte am 31. Dezember 1975 126 Mitglieder. Struktur und Organisation Die Präambel der ILO-Verfassung geht davon aus, daß ein dauerhafter Weltfrieden nur auf der Grundlage sozialer Gerechtigkeit geschaffen werden kann. Um die strukturellen Voraussetzungen für eine Repräsentanz der unterschiedlichen Interessen zu schaffen, ist die ILO eine dreigliedrige Organisation, in der Regierungen, Arbeitnehmer und Arbeitgeber weitgehend gleichberechtigt vertreten sind. Organe der ILO sind die Allgemeine Konferenz, der Verwaltungsrat, das Internationale Arbeitsamt sowie Regionalkonferenzen, Ausschüsse und Expertengruppen. Die Allgemeine Konferenz (Internationale Arbeitskonferenz) — das höchste Organ — besteht aus zwei Regierungs- und je einem Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter der Mitgliedstaaten (Art. 3 ILO-Verfassung), wobei die Arbeitnehmer- bzw. Arbeitgebervertreter im Einverständnis mit den maßgebenden Berufsverbänden benannt werden müssen. Die letzteren stehen gleichberechtigt neben den Regierungsvertretern. Die Delegierten haben fraktions-

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ähnliche Gruppen gebildet, nämlich die Regierungen, die Arbeitgebervertreter und die Gewerkschaftsvertreter. Sie beraten über die Tagesordnungspunkte auch in sich geschlossen. Es wird davon ausgegangen, daß Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter unabhängig von ihren Regierungen ihre Stimme nach freiem Entschluß abgeben. Seit die Organisation praktisch Universalität erreicht hat, ergeben sich Probleme hinsichtlich der Unabhängigkeit der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerdelegierten in manchen Mitgliedsländern. Dies war offenkundig mit einer der Gründe für die Erklärung des amerikanischen Austritts aus der ILO am 5. November 1975 (Text: ILM vol. 14 (1975) p. 1582). Nach der Verfassung der ILO wird der Austritt allerdings erst nach zwei Jahren und nach Erfüllung aller finanziellen Verpflichtungen wirksam. Das Austrittsschreiben des amerikanischen Außenministers enthält zwar keine konkreten Gründe, es wird vielmehr geltend gemacht, die ILO entferne sich immer weiter von ihren eigentlichen Zielen und werde fur Zwecke eingesetzt, die weder den Interessen der Arbeiter noch den freien Gewerkschaften diene. Es ist aber offenkundig, daß es die völlig andere Stellung, die Arbeitnehmer- und Arbeitgeberorganisationen im sozialistischen System einnehmen und die daraus resultierenden strukturellen Schwierigkeiten waren, die die USA zu ihrem Schritt veranlaßten. Bestärkt in ihrer schon in den vergangenen Jahren zunehmend kritischen Haltung gegenüber der ILO wurden die USA durch den Beschluß der Konferenz vom Juli 1975, durch den der PLO der Beobachterstatus zuerkannt wurde. Sie wiesen sofort darauf hin, daß damit das strukturelle Prinzip der ILO aufgegeben werde, wonach auf der Konferenz unabhängig von den Regierungsvertretern auch Vertreter der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen beteiligt sind (als Ausdruck der Tarifautonomie). Die Internationale Arbeitskonferenz, die in der Regel jährlich zusammentritt, beschließt den Haushalt und schafft internationale Arbeitsnormen (-»· Soziale Mindeststandards). Sie stellt ferner ein Weltforum für den Erfahrungsaustausch über soziale und arbeitspolitische Fragen dar. Der Verwaltungsrat besteht seit dem 1. November 1974 aus 56 Mitgliedern (28 Regierungsvertreter, 14 Arbeitgeber-, 14 Arbeitnehmervertreter). Die zehn Mitgliedstaaten mit der größten industriellen Bedeutung haben je einen permanenten Regierungssitz im Verwaltungsrat, darunter neben den Industriestaaten, die auch ständige Mitglieder des Sicherheitsrates sind, auch Kanada, Bundesrepublik Deutschland, Indien, Italien und Japan. Die übrigen Mitglieder werden alle drei Jahre von der Konferenz gewählt (Art. 7 ILO-Verfassung). Der dreimal jährlich tagende Verwaltungsrat bildet das Bindeglied zwischen der Konferenz und dem Internationalen Arbeitsamt. Das Internationale Arbeitsamt, gleichzeitig Sekretariat der ILO, wird von einem vom Verwaltungsrat gewählten Generaldirektor geleitet. Die Zahl der Mitarbeiter des Amtes beträgt über 3.000, davon mehr als 800 Experten, die in Projekten der technischen Zusammenarbeit für Entwicklungsländer tätig sind. Zu den Aufgaben des Arbeitsamtes gehört gem. Art. 10 ILO-Verfassung die Sammlung und Weiterleitung von allen für die internationale Regelung der Lebens- und Arbeitsverhältnisse relevanten Informationen, die Bearbeitung von Fragen, die der Konferenz zur Verabschiedung internationaler Übereinkommen unterbreitet werden sollen, sowie die Durchführung von in Auftrag gegebenen Sonderuntersuchungen. Das Internationale Arbeitsamt bildet zugleich ein Dokumentations- und Forschungszentrum für Sozial- und Arbeitspolitik. Über die Tätigkeit der Organisation berichten monatlich die „International Labour Review" und die Vierteljahresschrift „Official Bulletin", die Zweimonatsschrift „Legislative Series" veröffentlicht ausgewählte wichtige Gesetzgebungswerke der Mitgliedsländer. Im „Jahrbuch für Arbeitsstatistik" werden die Grunddaten über die Entwicklung des Arbeitslebens als Basis der internationalen Diskussion veröffentlicht. Es wird periodisch durch das „Bulletin of Labour Statistics" ergänzt. Der Haushalt der ILO beträgt für das Biennium 1974—75 93,6 Mio. Dollar. Er wird aus den Beiträgen der Mitgliedstaaten aufgebracht, wobei der Beitragsschlüssel dem der Vereinten Nationen bis 1977 völlig angepaßt werden soll (->• Beitragssystem, Haushalt). In der Größenordnung der Beiträge steht die Bundesrepublik Deutschland mit 6,38 % zusammen mit Japan an vierter Stelle hinter USA, UdSSR und Großbritannien.

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Aufgaben und Tätigkeit Bis heute ist die wichtigste Aufgabe der Organisation die Schaffung internationaler Arbeitsnormen zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen aller arbeitenden Menschen. Die Organisation hat 143 internationale Übereinkommen und 151 Empfehlungen ausgearbeitet (-> Soziale Mindeststandards). Jedes Übereinkommen bedarf der Ratifikation durch die Mitgliedsländer, um für diese verbindlich zu werden. Daraus ergibt sich eine förmliche Verpflichtung, die Vorschriften des Übereinkommens zu erfüllen, sowie die Bereitschaft, ein gewisses Maß von internationaler Überwachung zu akzeptieren. Dagegen enthalten Empfehlungen, die der Ratifikation nicht bedürfen, allgemeine Richtlinien für das Handeln von Regierungen, Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden im Bereich der Arbeits- und Sozialpolitik. Die Übereinkommen und Empfehlungen beinhalten internationale Standards und stellen Modelle und Anregungen für die nationale Gesetzgebung und Praxis dar. Die ILONormen umfassen ein weites Feld sozialer Probleme, einschließlich sozialer Grundrechte wie Vereinigungsfreiheit, Verbot der Zwangsarbeit u n d Beseitigung der Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf; femer Arbeitsverwaltung, Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehungen, Gewerbeaufsicht, Arbeitsschutz und Schutz der besonderen Gruppen der Arbeitnehmer wie Frauen und Jugendliche (-»• Soziale Mindeststandards, Frauenrechte, Diskriminierung). Nach dem 2. Weltkrieg ist als zweites wichtiges Betätigungsfeld für die Organisation die internationale technische Zusammenarbeit auf sozial- und arbeitspolitischem Gebiet hinzugetreten. Die ILO führt solche Programme in nahezu allen Entwicklungsländern durch. Haupttätigkeitsgebiete sind: Beschäftigungsplanung und -förderung, Berufsbildung und Ausbildung in Management, Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehungen, sowie soziale Institutionen, insbesondere Sozialversicherung.

Weltbeschäftigungsprogramm Im Jahre 1969 rief die Allgemeine Konferenz das Weltbeschäftigungsprogramm (World Employment Programme) ins Leben. Das Programm soll nationale und internationale Bemühungen zur Arbeitsplatzbeschaffung angesichts des Bevölkerungswachstums unterstützen. Auf Einladung der Regierungen verschiedener Mitgliedstaaten haben internationale Experten-Teams damit begonnen, Empfehlungen für die Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit zu unterbreiten, wobei besonderes Gewicht darauf gelegt wird, Arbeitsplatzbeschaffung und -Sicherung mit Wirtschaftswachstum und Industrialisierung in Einklang zu bringen. Pläne zur Erreichung eines hohen Beschäftigungsstandards wurden für Sri Lanka, Madagaskar und Liberia vorgelegt. In Chile, Costa Rica, Jamaika und Peru wurden Arbeitsplatz- und Arbeitsmarktstudien erstellt. Gegenwärtig laufen Bemühungen, die Arbeitsplatzbeschaffung mit der internationalen Handelspolitik sowie der multilateralen Entwicklungshilfe in Einklang zu bringen.

Neueste Entwicklung Auf der Sitzung der Konferenz von 1974 wurden neue Arbeitsnormen über berufsbedingten Krebs und bezahlten Bildungsurlaub angenommen, sowie Normentwürfe über Wanderarbeitnehmer, Landarbeiter und berufliche Ausbildung vorbereitet, die auf der Sitzung von 1975 endgültig formuliert wurden. Darüber hinaus wurde die Einberufung einer Weltkonferenz über Beschäftigung, Einkommensverteilung, sozialen Fortschritt und die internationale Arbeitsteilung vorgeschlagen. Das Übereinkommen über berufsbedingten Krebs (Nr. 139) verpflichtet die Vertragsstaaten, die Verwendung bestimmter Stoffe zu verbieten oder einzuschränken; sie durch weniger gefährliche zu ersetzen; die Zahl der ihnen ausgesetzten Menschen zu verringern; Sicherheitsvorschriften einzuführen; Arbeitnehmer über die Gefahren und entsprechenden Schutzmaß-

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nahmen zu informieren; gefährdete Arbeitnehmer unter ständige ärztliche Beobachtung zu stellen; und schließlich für die Durchführung dieser Bestimmungen durch Gesetzgebung oder andere Maßnahmen nach Absprache mit Arbeitnehmern und Arbeitgebern zu sorgen. Daneben wurde eine Empfehlung über berufsbedingten Krebs angenommen, die praktische Hinweise zur Verwirklichung der Krebsbekämpfungsziele enthält. Das Übereinkommen über bezahlten Bildungsurlaub (Nr. 140) definiert diesen als „Beurlaubung eines Arbeitnehmers zu Bildungszwecken während eines festgesetzten Zeitraumes und bei angemessener finanzieller Regelung". Er kann zur Ausbildung jeder Art verwendet werden, zur allgemeinen Fortbildung ebenso wie zur Weiterbildung in Sozial-, Bürger- und Gewerkschaftskunde. Die Kriterien für die Erteilung des Bildungsurlaubs sollen das Entwicklungsstadium des jeweiligen Landes und seine Bedürfnisse berücksichtigen. Die das Übereinkommen begleitende Empfehlung schlägt Möglichkeiten zur Förderung des bezahlten Bildungsurlaubs vor, betont aber gleichzeitig, daß er kein Ersatz für die Schul- und Berufsausbildungjunger Menschen sein darf. Das Übereinkommen zum Schutze der Wanderarbeitnehmer (Nr. 143) gilt nicht nur der Hilfe fur legale Wanderarbeiter, sondern auch für illegal eingereiste Personen, die oft in menschenunwürdiger Weise ausgebeutet werden. Das Übereinkommen sieht gesetzliche Maßnahmen gegen Schleichhändler vor; ferner will es Chancengleichheit und unterschiedslose Behandlung für Wanderarbeiter fördern. Im Übereinkommen über die Organisierung der Landarbeiter wird ausgeführt, daß die Lage der etwa 700 Mio. Menschen, die in Entwicklungsländern von Landarbeit leben und die von dem wirtschaftlichen und technischen Fortschritt unberührt geblieben sind, sich nur ändern kann, wenn starke, unabhängige und repräsentative Verbände geschaffen werden, die ihre Interessen vertreten. Diese Verbände sollen die Arbeiter in Entwicklungsprogramme, Agrarreformen und öffentliche Bauprogramme einbeziehen und ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen verbessern. Mit dem Übereinkommen zur Förderung der beruflichen Ausbildung (Nr. 141) wird beabsichtigt, den etwa 900 Mio. Kindern, die im kommenden Jahrzehnt bis 1985 ihr fünfzehntes Lebensjahr vollenden, eine berufliche Ausbildung zu ermöglichen. Über 700 Mio. dieser Kinder leben in Entwicklungsländern. Ohne berufliche Ausbildung sind ihre Lebenschancen gering. Im Juni 1976 wird neben der Internationalen Arbeitskonferenz parallel eine Internationale Konferenz über Beschäftigung, Einkommensverteilung und internationale Arbeitsteilung durchgeführt, die zweifellos Weltbedeutung erlangen wird. Die Themen dieser Konferenz beziehen sich besonders auf die nationalen Arbeitskräftestrategien, auf internationale Wanderungsbewegungen, angepaßte Technologien für Entwicklungsländer und die Rolle der multinationalen Unternehmen in der Beschäftigungspolitik von Entwicklungsländern.

Literatur Fried: Rechtsvereinheitlichung im internationalen Arbeitsrecht, Frankfurt 1965 Klotz: Der Einfluß der Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation auf die innerstaatliche Gesetzgebung, in: Bundesarbeitsblatt 1973 S. 499 Dimitrijevic: L'Organisation internationale du Travail. Histoire de la représentation patronale, Genève 1972 Friedrich Geoig Seib Verweise auf·. Beitragssystem, Haushalt; Diskriminierung; Frauenrechte; Multinationale Konzerne; Sonderorganisationen; Soziale Mindeststandards.

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IMCO — Zwischenstaatliche Beratende Seeschiffahrts-Organisation Entstehungsgeschichte Die IMCO (Inter-Governmental Maritime Consultative Organisation) wurde durch Übereinkommen vom 6. März 1948 als -> Sonderorganisation der Vereinten Nationen gegründet (BGBl. 1965 II S. 313). Ihre Aufgabe ist die Beschäftigung mit allen Fragen der zivilen Seeschiffahrt. Das Übereinkommen trat allerdings erst am 17. März 1958 nach Eingang der notwendigen Ratifikationen (Art. 60) in Kraft; die Bundesrepublik Deutschland wurde am 7. Januar 1959 ihr Mitglied. Der Beitritt zur IMCO steht allen Mitgliedern der Vereinten Nationen und den Teilnehmern der Seeschiffahrts-(Gründungs-)konferenz von Genf (1948) offen. Andere Staaten benötigen für ihren Beitritt die Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder. Ende 1975 zählte die IMCO 95 Mitglieder, darunter ein assoziiertes (Hongkong). Die Idee, eine spezielle Organisation zur Regelung der internationalen Seeschiffahrt und zur Vereinheitlichung des Seerechts zu schaffen, geht bereits auf das Jahr 1897 zurück. Damals wurde das heute noch existierende Internationale Maritime Komitee in Brüssel gegründet, das seiner Struktur nach die Dachorganisation nationaler Vereinigungen darstellt (30 Mitglieder). Seine Aufgabe, mit der der IMCO vergleichbar, liegt darin, durch die Vorlage von Konventionsentwürfen auf die Vereinheitlichung des Seerechts hinzuwirken. In dieser Hinsicht wird das Komitee auch heute noch fruchtbar tätig, bei der IMCO hat es einen Beraterstatus. Weitere Bestrebungen zur Errichtung entsprechender internationaler Organisationen gab es während und kurz nach dem 2. Weltkrieg. Organisation Als Hauptorgane der IMCO sind die Versammlung, der Rat, der Ausschuß für die Sicherheit auf See und das Sekretariat zu nennen. Daneben gibt es vier Hilfsorgane, nämlich den Rechtsausschuß, den Förderungsausschuß, der 1967 vom Rat eingesetzt wurde, den Ausschuß für technische Zusammenarbeit - 1969 vom Rat eingerichtet — und den von der Versammlung 1973 gebildeten Ausschuß für maritimen Umweltschutz. Die Versammlung ist das oberste Organ der IMCO. Sie setzt sich aus den Repräsentanten der Mitgliedstaaten zusammen. Ihre ordentlichen Sitzungen finden alle zwei Jahre, normalerweise in London, statt. Außerdem besteht noch die Möglichkeit, außerordentliche Sitzungen einzuberufen. Als die wesentlichen Aufgaben der Versammlung sind zu nennen: Verabschiedung der Resolutionen, der Arbeitsprogramme und des Haushalts. Weiterhin gehört es zu ihren Pflichten, die Mitglieder des Rates sowie des Sicherheitsausschusses zu wählen. Der Rat besteht zur Zeit (seit der Satzungsänderung von 1965) aus 18 Staatenvertretern, die für eine Amtszeit von zwei Jahren gewählt werden. (Am 17.10.1974 wurde eine bislang noch nicht in Kraft getretene Satzungsänderung beschlossen, wonach der Rat auf 24 Mitglieder erweitert werden soll). Bei ihrer Benennung sind von der Versammlung folgende Auswahlkriterien zu berücksichtigen: Sechs der Ratsmitglieder kommen aus der Gruppe derjenigen Staaten, die das größte Interesse an der Bereitstellung internationaler Schiffahrtsdienste haben. Hierzu zählen: Griechenland, Japan, Norwegen, UdSSR, Großbritannien, USA. Weitere sechs Mitglieder werden aus der Reihe derjenigen Staaten benannt, die das größte Interesse an dem Handel über See haben (Belgien, Kanada, Frankreich, Bundesrepublik Deutschland, Italien, Niederlande). Die noch verbleibenden sechs Sitze sollen nach dem Gesichtspunkt des geographischen Gleichgewichts und des besonderen Interesses an der Seeschiffahrt und dem Seetransport verteilt werden (Algerien, Australien, Brasilien, Ghana, Indien, Polen). Der Rat tritt nach Bedarf zusammen, wobei er von seinem Vorsitzenden einberufen wird. Zu seinen Aufgaben gehört es, die Empfehlungen und Berichte des Sicherheitsausschusses entgegenzunehmen und diese an die Versammlung zusammen mit Erläuterung und eigenen

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Empfehlungen weiterzuleiten. Der Rat ernennt den Generalsekretär und schließt Abkommen mit anderen Organisationen, bedarf jedoch zu beidem die Zustimmung der Versammlung. Er erstattet der Versammlung zu jeder ordentlichen Sitzung Bericht und unterbreitet ihr die Haushaltsvorschläge. Der Sicherheitsausschuß empfiehlt die Annahme von Sicherheitsvorschriften für die Seeschiffahrt. Er besteht zur Zeit aus 16 Mitgliedern, die von der Versammlung auf vier Jahre aus dem Kreis deqenigen Staaten gewählt werden, die das größte Interesse an der Sicherheit auf See haben. Nach der bereits erwähnten Satzungsänderung sollen dem Sicherheitsausschuß in Zukunft alle Mitglieder angehören. Acht der Mitglieder werden derzeit von den zehn Staaten mit der größten Handelsflotte gestellt (Japan, Bundesrepublik Deutschland, Griechenland, Liberia, Norwegen, UdSSR, Großbritannien, USA). Vier weitere Mitglieder sollen unter dem Gesichtspunkt gewählt werden, daß je ein Staat aus Afrika, Amerika, Asien und Europa vertreten ist, die vier noch verbleibenden Sitze fallen an bis dahin noch nicht berücksichtigten Länder (Argentinien, Kanada, Ägypten, Frankreich, Italien, Japan, Jugoslawien, Pakistan). Die derzeitige Sitzverteilung im Sicherheitsausschuß geht auf eine Änderung des Übereinkommens aus dem Jahre 1965 zurück; sie ist 1968 in Kraft getreten. Nach der alten Fassung waren die Mitglieder dem Kreis der Staaten mit den größten Interessen an der Sicherheit auf See zu entnehmen, wobei acht der Sitze den Staaten mit den größten Handelsflotten zustanden. Dennoch wurden in den ersten Sicherheitsausschuß weder Liberia (Platz drei der Welttonnageliste) noch Panama (Platz acht der Welttonnageliste) aufgenommen. Auf Vorstellung von Liberia holte die Versammlung ein Rechtsgutachten des -*• IGH ein, in dem dieser feststellte, daß es bei der Sitzvergabe allein auf die in dem jeweiligen Staat registrierte Schiffstonnage ankomme. Er hat also dieses Kriterium wie eine unwiderlegbare Vermutung für ein großes Interesse an der Sicherheit auf See ausgelegt (ICJ Reports 1960 p. 8). Das Sekretariat besteht aus dem Generalsekretär, einem Sekretär für den Sicherheitsausschuß und einem Mitarbeiterstab. Die vier genannten Hilfsorgane (Rechtsausschuß, Förderungsausschuß, Ausschuß für technische Zusammenarbeit und Umweltausschuß) stehen allen interessierten Mitgliedern offen. Die Finanzierung der IMCO erfolgt über Mitgliedsbeiträge nach einem von der Versammlung festgesetzten Schlüssel, der teils dem Beitragsschlüssel der Vereinten Nationen entspricht, teils sich an der Tonnage der Handelsflotten orientiert (-> Beitragssystem, Haushalt). Hauptbeitragszahler sind Liberia, Großbritannien, Japan und Norwegen. Der für 1974/75 genehmigte ordentliche Haushalt beläuft sich auf 5,9 Mio. Dollar. Tätigkeitsbereich Die Aufgaben der IMCO sind beratender und gutachtlicher Natur. Sie erteilt den mit Fragen der Seeschiffahrt befaßten Institutionen Ratschläge und koordiniert ihre Aktivitäten mit denen anderer Sonderorganisationen, insbesondere mit -*• ILO, -» FAO und -*• WHO. Die Organisation kann Konferenzen über Belange der Schiffahrt einberufen und in diesem Bereich Konventionen ausarbeiten und zur Unterzeichnung vorlegen. Ihr satzungsmäßiges Ziel ist es, die Zusammenarbeit zwischen den Regierungen auf dem Gebiet der Schiffahrt zu erleichtern, um so die Sicherheit auf See und die Leistungsfähigkeit der internationalen Seeschiffahrt zu erhöhen. Des weiteren ist es ihre Aufgabe, diskriminierende Maßnahmen und unnötige Beschränkungen in bezug auf die Handelsschiffahrt zu beseitigen, um eine ungehinderte Teilnahme von Schiffen aller Nationen an dem Welthandel zu ermöglichen. Allerdings haben eine Reihe von Staaten wie ζ. B. Dänemark, Finnland, Griechenland, Jugoslawien, Norwegen und Schweden die Erklärung abgegeben, daß sie, falls die IMCO ihre Tätigkeit auf kommerzielle und wirtschaftliche Bereiche ausdehne, von ihrem Austrittsrecht Gebrauch machen würden. Unter diesen Umständen dürfte es für die IMCO schwierig sein, gegen Diskriminierungen im Bereich der Handelsschiffahrt vorzugehen.

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Im Rahmen ihrer Zielsetzung hat die IMCO verschiedene Konventionen erarbeitet und außerdem zahlreiche Empfehlungen an ihre Mitglieder gerichtet. Sie hat sich dabei allerdings weitgehend auf den technischen Bereich beschränkt und konnte hier auch gewisse Erfolge verzeichnen. In der letzten Zeit liegt ein Schwerpunkt ihrer Arbeit im Bereich des maritimen ->· Umweltschutzes. Von ihren Bemühungen um die Sicherheit auf See ist in erster Linie der „Internationale Schiffssicherheitsvertrag, 1960" (BGBl. 1965 II S. 4 6 5 ) zu nennen, durch den der Schiffssicherheitsvertrag von 1948 (BGBl. 1953 II S. 6 0 3 , 1959 II S. 4 0 6 ) ersetzt wurde. Der Schiffssicherheitsvertrag dient wie sein Vorgänger dem Schutz des menschlichen Lebens auf See und enthält Bestimmungen über die Bauart der Schiffe, Rettungsemrichtungen, Navigationshilfsmittel sowie Fahrvorschriften. Dem gleichen Ziel dient die „Convention on the International Regulation for Preventing Collisions at Sea, 1972", die bislang allerdings noch nicht in Kraft getreten ist. Sie enthält vor allem Fahrvorschriften und Bestimmungen über die Lichterführung der Seeschiffe, um so die Gefahr von Schiffskollisionen zu verringern. Neben den bereits genannten Konventionen hat die IMCO noch versucht, die Gefahren von Schiffskollisionen dadurch einzudämmen, indem sie für die am stärksten befahrenen Seewege (über 40), wie den Ärmelkanal und die Deutsche Bucht, Einbahnregelungen eingeführt hat. Schließlich dient der Sicherheit auf See noch das „Internationale Freibordabkommen, 1966" (BGBl. 1969 II S. 249) sowie die Athener Konvention über den Transport von Passagieren, 1974 (noch nicht in Kraft). Besondere Aktivitäten hat die IMCO auf dem Gebiet des maritimen -> Umweltschutzes entwickelt. Jedoch ist bislang erst eine der vorgelegten Konventionen in Kraft getreten. Es handelt sich dabei um das „Internationale Übereinkommen zur Verhütung der Verschmutzung der See durch Öl, 1 9 5 4 " in der Fassung vom 11. April 1962 (BGBl. 1964 II S. 749). Dieses Übereinkommen soll durch die „International Convention for the Prevention of Pollution from Ships, 1 9 7 3 " (ILM vol. 12 (1973) p. 1319) abgelöst werden. Es faßtalle bis dahin ergangenen Maßnahmen zum Schutze der maritimen Umwelt zusammen, wobei es sie gleichzeitig erheblich verstärkt und erweitert. Danach ist nicht mehr allein das Ablassen von Öl untersagt, sondern das Übereinkommen folgt der Erkenntnis, daß ein wirksamer Schutz der Meeresumwelt nur über eine Reglementierung der Schiffahrt erreicht werden kann, in der dieser sowohl navigatorische wie auch schiffbauliche Sicherheitsvorkehrungen abverlangt werden. Aus diesem Grund enthält das Übereinkommen nicht unwesentliche Einschränkungen für die Schiffahrtsfreiheit. Es wird daher abzuwarten sein, ob es genügende Ratifikationen für ein Inkrafttreten erhält. Mit in den Bereich der Bemühungen um den maritimen Umweltschutz gehören das 1975 in Kraft getretene Internationale Übereinkommen vom 29. November 1969 über Maßnahmen auf Hoher See bei Ölverschmutzungsunfällen (BGBl. 1975 II S. 137) sowie das „Protocol Relating to Intervention on the High Seas in Cases of Marine Pollution by Substances other than Oil, 1 9 7 3 " (ILM vol. 13 (1974) p. 6 0 5 - noch nicht in Kraft). Sie geben den Küstenstaaten das Recht, unter gewissen Voraussetzungen und bei Beachtung eines detailliert geregelten Verfahrens, Maßnahmen auch auf Hoher See zu ergreifen, um eine bevorstehende, schwerwiegende Gefährdung ihrer Küsten zu verhindern oder zu verringern. Mit Fragen des Schadensausgleichs bei bereits eingetretenen Umweltschäden beschäftigen sich folgende von der IMCO initiiierte Übereinkommen: Internationales Übereinkommen über die zivilrechtliche Haftung fur Ölverschmutzungsschäden vom 29. November 1969 (BGBl. 1975 II S. 301), Übereinkommen vom 17. Dezember 1971 über die zivilrechtliche Haftung bei der Beförderung von Kernmaterial auf See (BGBl. 1975 II S. 957, 1026), Internationales Übereinkommen vom 18. Dezember 1971 über die Errichtung eines Internationalen Fonds zur Entschädigung für Ölverschmutzungsunfälle (BGBl. 1975 II S. 301, 320). In den Bereich der Förderung des Internationalen Schiffsverkehrs gehört das „Internationale Übereinkommen zur Erleichterung des Internationalen Seeverkehrs, 1 9 6 5 " (BGBl. 1967 II S. 2434, 1971 II S. 1377). Es enthält Erleichterungen für Förmlichkeiten, Doku-

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mentenerfordernisse und Verfahren bei Einlaufen, Aufenthalt und Auslaufen von Schiffen auf Auslandsfahrt. Daneben ist hier noch die „International Convention on Tonnage Measurement of Ships, 1969" zu nennen (noch nicht in Kraft), die der Vereinfachung der Tonnageberechnung dienen soll. Schließlich beteiligt sich die IMCO im Rahmen ihres Aufgabenbereichs auch an dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (-»• UNDP), indem sie einigen Entwicklungsländern (Algerien, Brasilien) bei dem Aufbau einer Handelsflotte technische Hilfe leistet. Außerdem hat sie in einige Länder auf Aufforderung Berater entsandt, um Ratschläge zur Bekämpfung der Verschmutzung der See durch Öl zu geben. Literatur Helm: Zwischenstaatliche Beratende Maritime Organisation, in: Wörterbuch des Völkerrechts, begründet von Strupp, herausgegeben von Schlochauer, Berlin 1962 Mensah / Zimmerli: L'Activité réglementaire de 1OMCI, in: L'élaboration du droit international public (Colloque de Toulouse) Paris 1974 Verzijl: Constitution of the Maritime Safety Committee, in: Nederlands Tijdschrift voor International Recht 7 (1960) p. 243 Rüdiger Wolfrum Verweise auf: Beitragssystem, Haushalt; FAO; IGH; ILO; Sonderorganisationen; Umweltschutz; UNDP; WHO.

IMF — Internationaler Währungsfonds Entstehung Der IMF (International Monetary Fund) ist als Ergebnis der internationalen Währungskonferenz von Bretton Woods im Juli 1944 errichtet worden. Das Gründungsabkommen ist nach seiner Ratifizierung durch 22 Staaten am 27. Dezember 1945 in Kraft getreten. Die UdSSR, die an den Beratungen in Bretton Woods zusammen mit 43 weiteren Ländern teilgenommen hatte, hat es nicht ratifiziert. Auf Grund eines von der Generalversammlung am 15. November 1947 gebilligten Abkommens (Res. 124 (II); Text der Übereinkunft: IMF Summary Proceedings, 1947, p. 49) hat der IMF den Status einer Sonderorganisation der Vereinten Nationen (-> Sonderorganisationen). Seine Hauptgeschäftsstelle hat ihren Sitz in Washington. An der Ausarbeitung des IMF-Statuts hatten Harry D. White (USA) und John M. Keynes (Vereinigtes Königreich) herausragenden Anteil. Lord Keynes vermochte sich mit seinem Vorschlag, ein regelrechtes internationales Zahlungsmittel zu schaffen, nicht durchzusetzen. Dieses Projekt und die Errichtung des IMF in der ihm schließlich gegebenen Gestalt werden vor dem Hintergrund der vorausgegangenen Wirtschafts- und Währungsentwicklung — insbesondere der 30er Jahre — verständlich. Die damaligen Krisen - Zusammenbruch des Goldstandards 1931, häufige, zum Teil konkurrierende Abwertungen und die ohne Rücksicht auf das Gleichgewicht im internationalen Währungssystem vor Beginn und während des 2. Weltkrieges von den meisten Ländern durchgeführte strenge Devisenbewirtschaftung — hatten zum Bankrott des vorherigen, nicht institutionalisierten internationalen Wirtschafts- und Währungswesens geführt, so daß eine grundlegende Neuregelung erforderlich geworden war. Im monetären Bereich bedurfte der internationale Handel konvertibler und stabiler (wenn auch anpassungsfähiger) Währungen sowie internationaler Liquidität. Im übrigen galt es, die Wirtschaftskraft der Handelsländer wiederherzustellen oder zu entwickeln und den interna-

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tionalen Handel zu liberalisieren. Diesen Zielen sollten folgende drei Organisationen dienen: Der IMF sollte bei der Behebung kurzfristiger Zahlungsbilanzschwierigkeiten helfen und eine stabile Weltwährungsordnung gewährleisten. Die -> IBRD (Weltbank), deren Gründung gleichfalls 1944 in Bretton Woods beschlossen wurde und deren Mitglieder nur IMF-Staaten sein können (Art. II Abschnitt 1 IBRD-Abkommen), war vor allem dazu bestimmt, durch langfristige Kredite den Wiederaufbau und die Entwicklung der kriegsgeschädigten Gebiete und zerstörten oder zerrütteten Volkswirtschaften der Mitgliedsländer zu unterstützen (Art. I (i) IBRD-Abkommen). Nicht verwirklicht wurde die Internationale Handelsorganisation (International Trade Organization, ITO), welche die internationalen Handelsbeziehungen regeln und den Welthandel fördern sollte. Mangels Ratifizierung durch die Vereinten Staaten wurde nur ein Teil des Gründungsabkommens als Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen (->· GATT) angewendet. Die Partner des GATT verpflichteten sich in Art. XV des Abkommens, mit dem IMF in Fragen von Waren- und Devisenverkehr zusammenzuarbeiten. Am 31. Dezember 1975 gehörten dem IMF 128 Staaten an. Da die Sowjetunion das Abkommen nicht ratifiziert hat, Polen bereits 1950 ausgeschieden ist und die Tschechoslowakei 1954 ausgeschlossen wurde, sind heute Jugoslawien und Rumänien, das 1972 beitrat, die einzigen im IMF vertretenen Länder der östlichen Staatengruppe. Von den westlichen Industriestaaten fehlt nur die Schweiz. Die Bundesrepublik Deutschland ist 1952 beigetreten (BGBl. 1952 II S. 637). Das Bretton

Woods-System

Die Ziele des IMF sind in Art. I des Abkommens niedergelegt. Der IMF soll die internationale Zusammenarbeit in der Währungspolitik fördern, den Welthandel erleichtern, zum wirtschaftlichen Wachstum der Mitglieder beitragen, die Stabilität der Wechselkurse gewährleisten, Währungsabwertungen aus Wettbewerbsgründen verhindern, bei der Beseitigung von Devisenverkehrsbeschränkungen mitwirken und den Mitgliedern durch Kredite bei der Bereinigung von kurzfristigen Zahlungsbilanzstörungen helfen, um schädigenden Eingriffen in den internationalen Zahlungsverkehr vorzubeugen. Das Bretton Woods-System sah im einzelnen vor: Um die Liberalisierung des Welthandels zu begünstigen, sollten die Währungen der Mitgliedstaaten grundsätzlich — also unter dem Vorbehalt abweichender Bestimmungen während einer (im Falle zahlreicher Länder bis heute andauernder) Übergangszeit - frei umtauschbar sein (Konvertibilität). Die Mitglieder des IMF hatten den Paritätswert ihrer Währungen in Gold oder — was praktisch auf das Gleiche hinauslief — in Dollar „im Gewicht und in der Feinheit vom 1. Juli 1944" (Art. IV Abschnitt 1 (a) IMF-Statut; der Goldpreis betrug ca. 35 Dollar je Feinunze) auszudrücken. Da die Vereinigten Staaten überdies gehalten waren, ihnen angebotene Dollar gegen Hergabe von Gold anzukaufen, wurde für dieses System die Bezeichnung „Gold-DollarStandard" gefunden. Die effektiven Wechselkurse durften jeweils nur um höchstens 1 % nach oben oder unten von der offiziellen Parität abweichen (Art. IV Abschnitt 3 IMF-Statut); darüber hinausgehende Schwankungen waren durch geeignete Maßnahmen, also vor allem Interventionen am Devisenmarkt, zu verhindern. Eine Paritätsänderung sollte grundsätzlich nur zu dem Zweck vorgenommen werden dürfen, eine grundlegende Störung des Gleichgewichts zu beheben. Für vorübergehende Zahlungsbilanzschwierigkeiten sollten Fondsmittel zur Verfügung stehen. Mittelbeschaffung Der IMF finanziert sich vornehmlich aus Einzahlungen der Mitgliedsländer (Subskriptionen), die zum Teil in Gold (in der Regel 25 %), zum Teil in Landeswährung zu leisten sind. Hierbei

Organe

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kann die Einzahlung in Landeswährung bis auf einen Mindestbetrag in Höhe von 1 % durch Hinterlegung unverzinslicher und unübertragbarer Schuldscheine ersetzt werden, solange der IMF diese Währung nicht zu Kreditzwecken benötigt. Die Höhe der Subskriptionen im Verhältnis der Mitglieder untereinander richtet sich nach einer jedem Mitgliedsland zugeteilten Quote. Für die Gründungsmitglieder wurde diese Quote sowohl nach wirtschaftlichen als auch politischen Gesichtspunkten im Bretton Woods-Abkommen festgelegt. Für neu beitretende Länder bestimmt der IMF die Quote jeweils nach ihrer Wirtschaftskraft und wirtschaftlichen Bedeutung. Alle 5 Jahre werden die Quoten überprüft und erforderlichenfalls neu festgesetzt. 1958 wurde die Gesamtkapitalquote um 50%, 1966 u m 2 5 % erhöht. Auf Grund der sechsten allgemeinen Quotenüberprüfung ist für 1976 eine erneute Erhöhung ins Auge gefaßt. Der Gesamtbetrag der Subskriptionen soll um 32,5 % auf 39 Mrd. Sonderziehungsrechte ansteigen. Der Anteil der Erdölförderstaaten wird sich auf etwa 1 0 % verdoppeln, der der 14 bedeutendsten Industriestaaten von 62,9 % auf 58,75 % fallen. Der Bundesrepublik Deutschland wird eine leicht erhöhte Quote von 5,53 % eingeräumt werden. Die USA werden mit 21,55 % weiterhin den stärksten Beitrag leisten (vorher: 22,95 %). Neben den Subskriptionen kann sich der IMF notfalls weitere Mittel durch Goldkäufe oder durch eigene Kreditaufnahme bei einem Land mit starker Währung verschaffen. Organe Der IMF wird von drei Organen verwaltet. Oberstes Organ ist der Gouverneursrat (Board of Governors). Bei ihm liegen gem. Art. XII Abschnitt 2 a alle Befugnisse. Dazu gehören ζ. B. die Entscheidung über die Aufnahme von neuen Mitgliedern, die einheitliche Änderung der Währungsparitäten aller Mitglieder, die Änderung von Quoten, die Aufstellung von Richtlinien für die Geschäfts- und Ausleihepolitik des IMF, die Zustimmung zu Auf- oder Abwertungen einzelner Mitgliedswährungen, die Zulassung von Devisenverkehrsbeschränkungen im Ausnahmefall und die Entscheidung über den Ausschluß von Mitgliedern. Der Gouverneursrat tritt mindestens einmal im Jahr zusammen (Art. 12 Abschnitt 2 c). Jedes Mitglied stellt einen Gouverneur (gewöhnlich den Finanzminister oder Notenbankpräsidenten) mit einem Stellvertreter. Die allgemeinen Geschäfte erledigt das Direktorium (Executive Directors), das einen Geschäftsführenden Direktor (Managing Director) wählt. Auf das Direktorium kann der Gouverneursrat seine Befugnisse weitgehend übertragen. Nicht übertragbar sind gem. Art. XII Abschnitt 2 b so schwerwiegende Zuständigkeiten wie ζ. B. die Entscheidung über die Aufnahme oder den Ausschluß von Mitgliedern oder über die einheitliche Änderung der Währungsparitäten. Das Direktorium besteht aus mindestens 12 (Art. XII Abschnitt 3 b), zur Zeit aber 20 Mitgliedern, von denen fünf von den Mitgliedsländern mit den höchsten Einzahlungsquoten (Vereinigte Staaten, Großbritannien, Bundesrepublik Deutschland, Frankreich und Japan) ernannt werden. Die übrigen Direktoren werden von den anderen Mitgliedsländern gewählt, sie sind dann zur Abgabe derjenigen Zahl von Stimmen berechtigt, mit der sie jeweils gewählt wurden. Somit kommt auch im Direktorium die Tatsache zur Geltung, daß die Stimmen im IMF gewichtet sind (->• Stimmrecht). Jedes Mitglied verfügt über 250 Stimmen zuzüglich eme Stimme für jeden Teil seiner Quote, der 100.000 Dollar entspricht. Den USA stehen im Ergebnis 21,4 % aller Stimmrechtsanteile zu; sie werden nach der auf der 30. gemeinsamen Jahresversammlung von IMF und IBRD angekündigten Quotenänderung einen Anteil von genau 2 0 % aller Stimmen behalten. Diese Ziffern sind insofern von Bedeutung, als nach dem geltenden IMF-Statut bestimmte Grundsatzentscheidungen mit wenigstens 80 % der Stimmen gefällt werden müssen; die 30. Jahresversammlung hat sich für eine Statutenänderung zur Erhöhung auf 85 % ausgesprochen, welche den Vereinigten Staaten ihr Vetorecht beließe.

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Geschäftstätigkeit Die Kredite, welche der IMF seinen Mitgliedern kurz- und mittelfristig zur Behebung von Zahlungsbilanzstörungen gewährt, bestimmen sich nach der Höhe der Quote des kreditsuchenden Landes. Die Kreditgewährung erfolgt in der Weise, daß ein Land im Rahmen seines Kreditlimits eine andere Währung „zieht", d. h. daß das kreditsuchende Land bei IMF für eigene Währung eine andere Währung — das werden frei konvertierbare Währungen wie Dollar, Pfund Sterling, Deutsche Mark sein — kauft. Im einzelnen entwickelten sich folgende Prinzipien und Modalitäten der Ausleihepolitik, die nur zum Teil im IMF-Abkommen selber zu finden sind: Ziehungen in der Goldtranche, d. h. innerhalb der ersten 25 % der Einzahlungsquote, sind an keine Voraussetzungen geknüpft oder knüpfbar; die Mitgliedstaaten verfügen insoweit über eine Quasi-Währungsreserve. Darüber hinaus sind Ziehungen in vier weiteren Tranchen von jeweils höchstens 25% jährlich möglich, bis die Fondsbestände an einer Mitgliedswährung das Maximum von 200 % der jeweiligen Quote erreicht haben; von der Einhaltung dieser Grenzen darf befreit werden (waiver). Die Ziehungen in diesem Bereich bedürfen von Stufe zu Stufe zunehmend nachhaltiger Begründung. Die Antragsteller müssen sich, je näher die obere Grenze rückt, desto intensiveren Kontrollen des IMF unterwerfen und insbesondere zusagen, den IMF über Fragen der inneren Wirtschaftspolitik zu konsultieren. Die Rückzahlung des Kredits geschieht auf umgekehrtem Wege. Das Schuldnerland kauft vom IMF seine eigene Währung mit Gold oder einer konvertiblen Währung wieder zurück.

Die Entwicklungsstadien des Bretton Woods-Systems Die Gründung des IMF in Verbindung mit den übrigen Organisationen für ein geordnetes Wirtschafts- und Währungssystem hat sich insofern bewährt, als es nicht zuletzt diesen Organisationen zuzuschreiben ist, daß es nach dem 2. Weltkrieg zu einem beispiellosen Aufschwung und einer Ausdehnung des Welthandels ohne schwerwiegende Wirtschafts- und Währungskrisen kam. Schon frühzeitig aber wurde erkannt, daß das System von Bretton Woods auf die Dauer den Bestand geordneter Währungsverhältnisse nicht würde garantieren können. Trotz semer Elastizität und der stetigen Erhöhung seiner Mittel gelangte der Fonds schließlich an die Grenze seiner Möglichkeiten, das von ihm verfolgte Ziel einer stabilen Weltwährungsordnung zu gewährleisten. Nacheinander und in wechselseitiger Beeinflussung wurden die tragenden Säulen des Bretton Woods-Systems in Mitleidenschaft gezogen: Das Gold, die festen Paritäten, der Dollar und sogar die Konvertibilität. Das wachsende Zahlungsbilanzdefizit der — reichlich Kapital exportierenden — USA erschütterte das Vertrauen in den Dollar und erhöhte die Nachfrage der Dollar-Gläubiger nach dem Gold der Vereinigten Staaten. Es wurde zunehmend schwieriger, den Preis des Goldes und dessen monetäre Rolle zu verteidigen. Das Gold wurde in der Folge allmählich demonetisiert. Die unterschiedliche Wirtschaftsentwicklung in verschiedenen Ländern führte in Verbindung mit dem Bemühen, die Währungsparitäten auch auf Kosten binnenwirtschaftlicher Bedürfnisse zu halten, zu immer größeren Zahlungsbilanzungleichgewichten, die ihrerseits immer schwerer auf den überkommenen Paritäten lasteten. Auf Grund der spezifischen Struktur- und Konjunkturprobleme der britischen Wirtschaft war das Pfund Sterling immer weniger imstande, eine maßgebliche Rolle als Reservewährung zu spielen, so daß das Bretton Woods-System zuletzt mit dem Dollar, der schließlich fast allein die Währungsordnung zu tragen hatte und auch durch die Schaffung der Sonderziehungsrechte nicht entscheidend entlastet werden konnte, stehen oder fallen mußte. Es fiel, als das Defizit der amerikanischen Zahlungsbilanz zu Beginn der 70er Jahre ein nie gekanntes Ausmaß annahm und die Dollarschwemme die internationale Liquidität über jeden Bedarf hinaus aufblähte und dieserart einen maßgeblichen Beitrag zu einer weltweiten Inflation leistete. Die zweimalige Abwertung des Dollar und der Übergang der wichtigsten westlichen Währungen zum Floating besiegelten das de facto-Ende des Systems von Bretton Woods. Die monetäre Bedeutung des IMF hatte währenddessen abgenommen.

Die Entwicklungsstadien des Bretton Woods-Systems

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Die einzelnen Etappen der Entwicklung sind die folgenden gewesen: 1952 wurden die Stand-By Arrangements durch eine Entscheidung des Direktoriums eingeführt. Danach konnte jedes Mitglied mit dem IMF vereinbaren, im Bedarfsfalle einen Kredit bis zu einer festgelegten Höhe für eine Laufzeit von etwa sechs bis zwölf Monaten abrufen zu dürfen. Der potentielle Kreditnehmer gab eine Absichtserklärung über die von ihm gegebenenfalls zu verfolgende Finanzpolitik ab. Die Bedingungen des Kredits waren vorbestimmt, seine Inanspruchnahme im Grundsatz ungewiß. Von diesem Verfahren ist vor allem seit 1962 in verstärktem Maß Gebrauch gemacht worden, insbesondere von Großbritannien. Bis zum 30. April 1975 sind Stand-By Arrangements in Höhe von insgesamt 21,137 Mrd. Sonderziehungsrechten wirksam geworden. Im Verlauf der 50er Jahre nahmen das Zahlungsbilanzdefizit der USA und damit das Dollarguthaben von deren Gläubigern zu. Nachdem die Vereinigten Staaten einen erheblichen Teil ihrer Goldreserven gegen Dollar hatten abgeben müssen und der Goldpreis auf dem freien Markt auf 40 Dollar gestiegen war, wurde 1961 unter Beteiligung der USA, Belgiens, der Bundesrepublik Deutschland, Frankreichs (1967 ausgeschieden), Italiens, der Niederlande, Großbritanniens und der dem IMF nicht angehörenden Schweiz der Gold Pool geschaffen. Die Partner verpflichteten sich, auf dem Londoner Goldmarkt zur Stützung des offiziellen Goldpreises von 35 Dollar je Feinmünze im Bedarfsfalle zu intervenieren, wobei die Bank von England als Agent auftreten sollte. Trotz mehrfacher Quotenerhöhungen zeigte sich, daß die Mittel des IMF vor allem hinsichtlich der für Ziehungen in Frage kommenden starken Währungen nicht ausreichten, um die internationale Liquidität sicherzustellen. Daher schlossen Anfang 1962 zehn Hauptindustrieländer (Zehner-Club: USA, Großbritannien, Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Italien, Japan, Kanada, Niederlande, Belgien, Schweden) allgemeine Kreditvereinbarungen ab (General Arrangements to Barrow), in denen sie sich verpflichteten, dem IMF zusätzliche Mittel in Höhe von 6 Mrd. Dollar für Ziehungen der an diesem Abkommen beteiligten Länder zur Verfugung zu stellen. Die General Arrangements to Borrow gelten nach mehrfacher Verlängerung bis Oktober 1980. Im November 1967 wurde das britische Pfund Sterling um 14,3 % abgewertet. Die Spekulation wandte sich daraufhin gegen den Dollar, dessen Abwertung seinerseits befürchtet oder erwartet wurde. Der Gold Pool sah sich schließlich, nachdem er einen großen Teil seiner Reserven zur Stützung des Goldpreises eingesetzt hatte, außerstande, die massive Goldnachfrage zu befriedigen. Die sieben Partner lösten daraufhin im März 1968 den Pool auf und führten einen gespaltenen Goldpreis ein. Für Transaktionen zwischen den Währungsinstitutionen sollte der alte offizielle Preis fortgelten, während sich der Preis im übrigen, also auf dem freien Markt, nach dem Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage zu bilden hatte. Die Partner vereinbarten, kein Gold aus den offiziellen Reservebeständen auf dem freien Markt anzubieten und diesen auch sonst zu meiden. Damit war der erste Schritt zur Demonetisierung des Goldes getan, ohne daß der IMF dabei eine wesentliche Rolle gespielt hätte. Da das Gold als Quelle neuer internationaler Liquidität nunmehr weitgehend ausschied, war es desto dringlicher, ein neues Reserveinstrument zu gewinnen. Diese Rolle sollten die im Mai 1968 durch Ergänzung des IMF-Abkommens geschaffenen Sonderziehungsrechte übernehmen (special drawing rights - SDR, Art. XXI - XXXII IMF-Abkommen, BGBl. 1968 II S. 1225). Dabei handelt es sich um Buchgeld, das den Teilnehmern am Sonderziehungskonto auf Grund eines mit 85 % der Stimmen gefaßten Gouverneursrats-Beschlusses quotengerecht gutgeschrieben wird, ohne daß eine wirtschaftliche Gegenleistung zu erbringen wäre. Zur Teilnahme ist kein IMF-Mitglied verpflichtet. Nur wenige haben darauf verzichtet. Wer teilnimmt, ist gehalten, angebotene SDR im Tausch mit de facto konvertibler Währung anzunehmen, sofern er vom IMF dazu designiert ist und bis sein Gesamtguthaben das Dreifache des zugeteilten Betrages erreicht. Die Werteinheit eines SDR entspricht laut Abkommen 0,888671 Gramm Feingold. Der Tageswert des auch als „Papiergold" be-

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IMF - Internationaler Währungsfonds

zeichneten SDR wird seit Juli 1974 für die Umrechnung in eine Währung aus den Währungsbeträgen der 16 Länder errechnet, deren durchschnittlicher Anteil am Export von Waren und Dienstleistungen in den Jahren von 1968 bis 1972 1 % überstiegen hatte. An diesem „Währungskorb" sind ζ. B. der Dollar mit 40 Cents (Gewicht = 33 %), die Deutsche Mark mit 38 Pfennigen (12,5 %) und der Französische Franc mit 44 Centimes (7,5 %) beteiligt. Soll der SDR-Kurs in Dollar angegeben werden, werden die 16 Teilbeträge zu ihrem DollarMarktkurs bewertet und sodann addiert. Bei dem Inkrafttreten des Verfahrens war 1 SDR etwa 1,2 Dollar wert (am 31.12.1975 gut 1,17). Am Jahresende von 1975 entsprach ein SDR etwas mehr als DM 3. Mit dieser Reform war ein wichtiger Schritt auf die Schaffung eines internationalen Zahlungsmittels hin getan, die bereits 1944 von JohnM. Keynes empfohlen worden war. Die erste Zuteilung von SDR am 1. Januar 1970 belief sich auf 3,5 Mrd. Bis zum 30. April 1975 sind insgesamt 9,3148 Mrd. SDR zugeteilt worden. Als die amerikanische Handelsbilanz 1971 defizitär wurde (Negativsaldo von 2,7 Mrd. Dollar), rückte das Ende des Bretton Woods-Systems rasch näher. Am 15. August 1971 suspendierten die USA die Konvertibilität des Dollar in Gold, um ihre von der Spekulation gegen den Dollar bedrohten Reserven zu schützen. Das Smithsonian Agreement des ZehnerClubs vom 18. Dezember 1971 war ein Versuch, das System durch Paritätskorrektur zu retten: Abwertung des Dollar gegenüber dem Gold um 7,89 %; Aufwertung von Deutscher Mark und Yen um 4,61 % bzw. 7,66 %. Der Goldpreis betrug danach ca. 38 Dollar. Gleichzeitig wurde die Bandbreite, innerhalb derer die Wechselkurse von den Paritäten abweichen durften, von 1 % auf 2,25 % nach oben oder unten erweitert. Der entgegenstehende Art. IV Abschnitt 3 IMF-Abkommen blieb unverändert. Das Direktorium stimmte dem „temporary regime" zu „to enable members to observe the purposes of the Fund to the maximum extent possible" — das wohl bemerkenswerteste Beispiel der für den IMF charakteristischen Übung der Quasi-Legalisierung einer dem Abkommenstext zuwiderlaufenden Praxis. Das Smithsonian Agreement hielt sich für die Dauer von 14 Monaten. Mit der zweiten Dollar-Abwertung vom 13. Februar 1973 (offizieller Goldpreis nunmehr: 42,22 Dollar) und der Einführung des Floating der EG-Währungen einen Monat später war das Bretton WoodsSystem endgültig am Ende. Reformbestrebungen Im Juli 1972 setzte der Gouverneursrat einen 20-köpfigen Ausschuß für die Reform des internationalen Währungssystems ein („Zwanzigerausschuß"). Dieser verabschiedete im Juni 1974 zum Abschluß seiner Arbeit ein Programm von Sofortmaßnahmen und übermittelte eine Rohskizze der Reform. Das Sofort-Programm wurde im wesentlichen durchgeführt: Die Einführung des „Währungskorbes" geht darauf zurück. Der Gouverneursrat setzte einen 20-köpfigen Interimsausschuß mit beratender Funktion ein, einen „Kleinen Gouverneursrat", in dem die Entwicklungsländer angemessen vertreten sind und dem durch Änderung des IMF-Abkommens Entscheidungsbefugnisse verliehen werden sollten. Das Direktorium stellte Richtlinien für die Handhabung schwankender Wechselkurse auf. Es wurde eine Fonds-Fazilität geschaffen, die den Mitgliedern helfen sollte, die anfänglichen Auswirkungen des Anstiegs der öleinfuhrkosten abzufangen (sog. Ölfazilität). Zu der eigentlichen Neuordnung des Weltwährungsgefüges gab es unterschiedliche, zum Teil entgegengesetzte Positionen. Während Frankreich und die USA vor allem über die Rolle des Goldes und die Wechselkursfrage stritten, lag den Entwicklungsländern in erster Linie daran, den IMF stärker in die Entwicklungsfinanzierung einzuschalten, insbesondere durch die Neuzuteilung von SDR gerade zu diesem Zwecke (sog. „link", auch von der Generalversammlung der Vereinten Nationen gefordert, ζ. B. Res. 3202 (S-VI) vom 1.5.1974; Entwicklungspolitik). Auf der 30. Jahrestagung des Gouverneursrates (1975) und einer Sitzung des Interimsausschusses Anfang 1976 auf Jamaika ist schließlich eine Einigung erzielt worden. Der offizielle Goldpreis soll aus dem Statut gestrichen werden. Schwankende Wechsel-

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Indischer Subkontinent

kurse werden nach der vorgesehenen Änderung des IMF-Statuts durch den neuen Wortlaut von Art. IV zulässig sein, ohne als wünschenswert hingestellt zu werden. Ein Drittel des IMF-Goldes wird veräußert werden, und zwar die eine Hälfte davon an die Mitgliedstaaten unter quotenmäßiger Aufteilung; die andere Hälfte soll auf dem freien Markt versteigert werden. Der dabei erzielte Gewinn, also die über den alten offiziellen Preis hinausgehende Einnahme, soll über einen neu zu errichtenden Treuhandfonds den Entwicklungsländern zugute kommen. Die Entwicklungsländer profitieren auch von einer Liberalisierung der Ausgleichslager-Fazilität des IMF, die seit 1969 besteht und bei Einkommenseinbußen, die durch den Abfall der Preise bestimmter Exportwaren bedingt sind, in Anspruch genommen werden darf. Die Stellung, die dem Gold und den SDR damit zugedacht wird, ist unklar. Immerhin bestehen Goldeinlagen bei dem IMF fort, und die SDR werden noch nicht, wie von der Generalversammlung der Vereinten Nationen gefordert (ζ. B. Res. 3362 (S-VII) vom 16.9.1975), zur zentralen Reserveeinheit. Der IMF verliert allerdings an monetärer Bedeutung und wird einem Entwicklungsfinanzierungsinstitut ähnlicher. Literatur Braun: Die Zehner-Gruppe, Würz bürg 1970 Carreau: Le Fonds Monétaire International, Paris 1970 Ferber / Winkelmann: Internationaler Währungsfonds, Weltbank, IDA, IFC, 2. Aufl., Frankfurt/M. 1972 Hexner: Das Verfassungs- und Rechtssystem des Internationalen Währungsfonds, Frankfurt/M. 1960 Kastrinakis: Die Diskussion um die Reform des internationalen Währungssystems, Diss. Köln 1970 Krägenau: Die Reform des Internationalen Währungsfonds, Hamburg 1974 Shuster: The Public International Law of Money, Oxford 1973 Stratmann: Der Internationale Währungsfonds, Göttingen 1972 Sy: International Development Banks, Leiden 1974 Walter: Die Sonderziehungsrechte, Berlin 1974 Friedrich Meyer / Knut Ipsen Verweise auf·. Entwicklungspolitik; GATT; IBRD; Sonderorganisationen; Stimmrecht.

Indischer Subkontinent Konflikt Indien / Pakistan Die Konfliktherde auf dem indischen Subkontinent stellten eine der ersten Bewährungsproben für die Organe der noch jungen Vereinten Nationen dar. Besonders die Ereignisse im Gefolge der Aufteilung der britischen Kronkolonie Indien in die beiden unabhängigen Staaten Indien und Pakistan im Jahre 1947 sollten deren Gremien bis in die jüngste Vergangenheit hinein beschäftigen. Der damalige Teilungsmodus sah vor, daß Provinzen, die Moslemmehrheiten aufwiesen, Pakistan und Provinzen, die Hindumehrheiten aufwiesen, Indien zugeschlagen werden sollten. Die Provinzen Bengalen und Pandschab wurden geteilt. Dabei kam es zu furchtbaren Auseinandersetzungen zwischen Angehörigen beider Religionsgruppen, die allein im Pandschab mehreren hunderttausend Menschen das Leben kosteten. In riesigen Flüchtlings-

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strömen wanderten etwa neun Millionen Menschen in Indien zu, über sechs Millionen mußten in Pakistan eine neue Bleibe finden. Organe der Vereinten Nationen spielten bei der Versorgung und Betreuung dieser Flüchtlinge noch keine bedeutende Rolle. In Anspruch genommen wurden die Vereinten Nationen jedoch durch den Konflikt um Kaschmir, einer der spektakulärsten Folgen der Teilung. Die umstrittene Provinz wird von einer mehrheitlich islamischen Bevölkerung (rd. 70 %) bewohnt und bildet eine natürliche geographische Einheit mit Pakistan. Der hinduistische Maharadscha von Kaschmir ebenso wie ein großer Teil der Bevölkerung sahen ihr Ziel jedoch in der Erlangung der Unabhängigkeit, aber als im August 1947 Bergstämme aus dem nördlichen Pakistan in die Provinz eindrangen und sich der Hauptstadt Srinagar näherten, Schloß sich der Maharadscha der Indischen Union an und forderte das Eingreifen regulärer indischer Truppen. In den darauffolgenden militärischen Auseinandersetzungen gelang es der indischen Armee, den größten Teil Kaschmirs mit der Hauptstadt zu besetzen. Nachdem sich die indische Regierung in der Kaschmir-Frage an den -» Sicherheitsrat gewandt und auch die pakistanische Regierung ihre Position verdeutlicht hatte, forderte die Resolution des Sicherheitsrates vom 17. Januar 1948 (Res. 38 (III)) die betreffenden Regierungen lediglich auf, alle Maßnahmen zu einer Verbesserung der Situation zu ergreifen. In einer zweiten Resolution vom 20. Januar 1948 (Res. 39 (III)) wurde eine Kommission zur Untersuchung des Kaschmir-Problems begründet (-»• Streitschlichtung). Sie bestand aus drei Mitgliedern, von denen je einer durch Indien und Pakistan gewählt wurde, die dann den dritten benannten. Der Ausschuß hatte sowohl Untersuchungs- wie auch Vermittlungsaufgaben. Er wurde später auf fünf Mitglieder erweitert. Am 21. April 1948 wurde in einer ausführlichen Resolution neben der Wiederherstellung von Frieden und Ordnung in diesem Gebiet auch ein Plebiszit unter der Aufsicht der Vereinten Nationen gefordert (Res. 47 (III)). Von der indischen Delegation wurde jedoch betont, ein solches Plebiszit abzuhalten, sei eine innere Angelegenheit Kaschmirs, der Sicherheitsrat könne lediglich Beobachter entsenden und im übrigen werde die indische Regierung diese Resolution nur in den Punkten befolgen, denen sie zustimme. Wenig später legte die Kommission Waffenstillstandsbedingungen vor, und nach deren Annahme durch Indien und Pakistan konnte am 1. Januar 1949 eine vorläufige Feuereinstellung vereinbart werden. Einer Resolution vom 30. März 1951 mit detaillierten Vorschlägen für eine Volksabstimmung stimmten beide Seiten grundsätzlich zu (Res. 91 (VI)). Das Kaschmir-Problem war — abgesehen von einer kurzen Debatte — kein Thema der Generalversammlung, doch es blieb, im Gegensatz zu anderen Konflikten, stets auf der Tagesordnung des Sicherheitsrates. Von Anbeginn an wandten sich beide Parteien mit ihren Beschwerden an den Sicherheitsrat; obwohl dieser niemals die juristischen Positionen beider Seiten diskutierte, sondern den Konflikt als eine hauptsächlich politische Kontroverse behandelte, zeigte sich sehr bald, daß auch weniger mächtige Staaten wie Indien nicht bereit waren und sind, Kompetenzen des Sicherheitsrates anzuerkennen, wenn ihre politischen Interessen gefährdet werden könnten. Zwar wurde am 26. Juli 1949 ein vorläufiger Waffenstillstand abgeschlossen, der damalige Frontverlauf wurde als Demarkationslinie festgelegt, an der bis heute Militärbeobachter der Vereinten Nationen stationiert sind (-* Streitkräfte der Vereinten Nationen), doch gelang es nicht, eine endgültige Lösung zu finden. Das spätere Zögern der Mitglieder des Sicherheitsrates, ihre Autorität zur Beachtung der Resolutionen einzusetzen, ermutigte vor allem Indien immer wieder zu einer unnachgiebigen Haltung. Eine internationale Streitmacht für Kaschmir wurde von Indien abgelehnt. Eigenmächtige Handlungen Indiens nahmen zu, und im Jahre 1957 erklärte die indische Regierung das Gebiet von Jammu und Kaschmir zum integrierten Bestandteil der Indischen Union (16. Bundesstaat). Jegliche Verbindlichkeit gegenüber den Organen der Vereinten Nationen wurde von Indien, das sich der Unterstützung der Sowjetunion sicher sein konnte, abgelehnt. Die Volksabstimmung, zu deren Durchführung sich beide Seiten verpflichtet hatten, fand nie statt. Pakistan als der Staat mit dem besseren Rechtsstandpunkt und den geringeren Machtmitteln war bei der Durchsetzung seiner Ansprüche auf den Sicherheitsrat angewiesen. Es beantragte

Konflikt Indien / Pakistan

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deshalb in den 50er und frühen 60er Jahren mehrere Male Ratssitzungen wegen dieses Themas. Es kam jedoch zu keinen eindeutigen Maßnahmen des Sicherheitsrates. Nur in einer Teilfrage konnte in den 50er Jahren eine Einigung erzielt werden. Die unter der Schirmherrschaft der Weltbank stattfindenden Verhandlungen um die Nutzung des Wassers des Indussystems, das seine Quellen vorwiegend auf indischem Territorium hat, in der Hauptsache aber von Pakistan genutzt wird, konnten im Jahre 1960 mit der Unterzeichnung des „Indus Waters Treaty" erfolgreich beendet werden. Hoffnungen, daß sich nach dieser Einigung im Gefolge des neuen Kurses des pakistanischen Staatspräsidenten Ayub Khan und des indisch-chinesischen Konfliktes eine Annäherung beider Staaten vollziehen könnte, erfüllten sich nicht. Im April 1965 führten Grenzstreitigkeiten in der Salzwüste von Katsch zu einer weiteren bewaffneten Auseinandersetzung, und im September des gleichen Jahres brach auch der Konflikt um Kaschmir wieder offen aus. Unmittelbarer Anlaß für die indischen Truppen, auf pakistanisches Gebiet vorzudringen, war die verstärkte Guerillatätigkeit in dem von Indien beanspruchten Teil von Kaschmir. In New York zögerte man zunächst, den Sicherheitsrat einzuberufen, doch als ein Appell zur sofortigen Feuereinstellung keine Wirkung zeigte, trat der Rat dennoch zusammen. Drei Resolutionen (Res. 209 (XX) vom 4.9.1965, Res. 210 (XX) vom 6.9.1965, Res. 211 (XX) vom 20.9.1965) mit der Aufforderung zur sofortigen Feuereinstellung wurden einmütig, also auch mit den Stimmen der USA und der Sowjetunion verabschiedet, die nachfolgende Friedensmission des Generalsekretärs U Thant (unmittelbare Verhandlungen mit den Regierungen) scheiterte jedoch an der Unvereinbarkeit der gegensätzlichen Standpunkte. Erst als nach 21 Tagen die Reserven beider Armeen aufgebraucht waren, wurde eine Aufforderung zur Einstellung der Kampfhandlungen von beiden Seiten befolgt. Zu dieser Zeit waren sich die Großmächte noch in ihren Maßnahmen einig, doch schon in der Frage des gegenseitigen Truppenrückzuges ergaben sich Differenzen. Ein Rückzug der indischen Truppen ohne gleichzeitigen Abzug der pakistanischen Guerillas war für Indien und damit auch für die Sowjetunion untragbar; in dieser Frage enthielt sich die Sowjetunion im Sicherheitsrat der Stimme. Erst nach der erfolgreichen Vermittlung der sowjetischen Regierung einige Monate später konnte ein Truppenrückzug vereinbart werden. Das KaschmirProblem als solches aber blieb wieder ungelöst, obwohl die pakistanische Regierung nach Abschluß des Waffenstillstandabkommens verlangt hatte, der Sicherheitsrat solle sich endlich den politischen Kernproblemen des Konfliktes zuwenden. Lediglich der Versuch einer zeitweiligen Beilegung des Konfliktes war erfolgreich, weil die Interessen beider in den Vereinten Nationen vertretenen Großmächte auf dem indischen Subkontinent noch in Übereinstimmung zu bringen waren. Der Sicherheitsrat konnte also einmütig auftreten. Wiederholte Bemühungen um einen Nichtangriffspakt zwischen beiden Staaten scheiterten, und im Jahre 1971 spitzte sich die Lage erneut zu. Jetzt zeigte sich deutlich, in welchem Maße die Tätigkeit der Vereinten Nationen von den weltpolitischen Kräfteverhältnissen abhängt. Pakistan konnte sich der Unterstützung der Volksrepublik, die inzwischen den chinesischen Sitz in den Vereinten Nationen eingenommen hatte, sicher sein; die indische Regierung hatte sich mit dem Freundschaftsvertrag mit der Sowjetunion deren vorbehaltslose Unterstützung für alle ihre Maßnahmen gesichert. Die USA waren durch Militärbündnisse an Pakistan gebunden. In jedem Konflikt zwischen Indien und Pakistan lag deshalb auch die Möglichkeit eines Konfliktes zwischen den Großmächten begründet. In den Gremien der Vereinten Nationen mußten die gegensätzlichen Interessenlagen aufeinanderprallen. Als indische Truppen angesichts der brutalen Unterdrückung der dortigen Unabhängigkeitsbewegung nach Ostpakistan einmarschierten, begann der dritte Krieg zwischen Indien und Pakistan. Im Sicherheitsrat fand der Resolutionsvorschlag des amerikanischen Chefdelegierten (Doc. S/10416), nach dem sich beide Seiten hinter ihre Grenzen zurückziehen und die Feindseligkeiten einstellen sollten, weder die Zustimmen New Delhis noch die Moskaus. Er scheiterte am Veto der Sowjetunion (4.12.1971, 1606th mtg.) ebenso wie der einen Tag später eingereichte Vorschlag der chinesischen Delegation (Doc. S/10421). Der chinesische Chef-

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Indischer Subkontinent

delegierte folgerte denn auch, die sowjetische Absicht sei es, die Aktivitäten der Vereinten Nationen zu lahmen, damit die Operationen der indischen Armee nicht behindert würden. Einige Tage später jedoch wurde eine Resolution von der Generalversammlung angenommen, die eine sofortige Feuereinstellung, die Zurückziehung der Truppen und die Rückführung der Flüchtlinge vorsah (Res. 2793 (XXVI) vom 7.12.1971). Dies wurde von der indischen Regierung zurückgewiesen. Erst nachdem die pakistanische Armee in Dacca kapituliert hatte, verabschiedete der Sicherheitsrat eine Resolution (Res. 309 (XXVI) vom 21.12.1971), in der u. a. die Einhaltung des Waffenstillstandes von 1965 gefordert wurde. Inzwischen aber hatte die indische Armee vollendete Tatsachen geschaffen. Bemerkenswert ist, daß sich der Sicherheitsrat erst nach Kriegsausbruch mit der Situation befaßte und daß die grundlegenden Probleme wie ζ. B. die Festlegung einer für alle Seiten verbindlichen Grenze zugunsten einer momentanen Lösung des Konfliktes wieder in den Hintergrund traten. Am 3. Juli 1972 kam es dann zu einem Waffenstillstandsvertrag zwischen Indien und Pakistan (Text in: E A 1972 S. D 358), der vor allem eine Zurücknahme der Truppen vorsah. Sezession Ostpakistans von Pakistan Eng verknüpft mit militärischen Auseinandersetzungen zwischen Indien und Pakistan ist die Entstehung des Staates Bangla Desh. Die ostpakistanische Awami-Liga unter Scheich Mujibur Rahman, die für Ostpakistan einen Autonomiestatus anstrebte, gewann die absolute Mehrheit der Sitze im Gesamtparlament (1970), darauf wurde die Einberufung der Nationalversammlung auf unbestimmte Zeit verschoben. Anfang 1971 wurde in Kalkutta der selbständige Staat Bangla Desh proklamiert, ca. 9,5 Mio. Flüchtlinge kamen aus Ostpakistan nach Indien. Ende 1971 besetzen indische Truppen Ostpakistan, die dortigen Truppen kapitulierten. Am 22. Februar 1974 erkannten sich Pakistan und Bangla Desh gegenseitig an. Am 17. September 1974 wurde Bangla Desh Mitglied der Vereinten Nationen (Res. 3203 (XXIX)). Gegen einen Antrag von 1972 hatte China im Sicherheitsrat sein Veto eingelegt mit der Begründung, Bangla Desh verletze die Resolutionen der Vereinten Nationen, die einen Rückzug der Truppen und einen Austausch der Gefangenen forderten. Konflikt Indien / Portugal Im Jahre 1961 stand ein anderes Problem des indischen Subkontinentes auf der Tagesordnung des Sicherheitsrates. Portugal reichte wegen der Besetzung seiner Kolonien Goa, Damao und Diu durch die indische Armee (-* Portugiesische Kolonialgebiete) eine Beschwerde ein. Angesichts der inzwischen stärker gewordenen antikolonialen Kräfte in den Vereinten Nationen kam es zu keinerlei Sanktionen. Wirtschaftliche und humanitäre Hilfe der Vereinten Nationen So unbefriedigend die Tätigkeit der Organe der Vereinten Nationen bei der Sicherung des Friedens auf dem Subkontinent war, so bedeutend war sie auf dem Gebiet der wirtschaftlichen und humanitären Hilfe. So gehörten die FAO und anderen Gremien der Vereinten Nationen zu den Hauptinitiatoren der „Grünen Revolution", die Ende der 60er Jahre zu einem Durchbruch in der Nahrungsmittelproduktion Südasiens führte, obwohl deren Ergebnisse heute doch kritischer eingeschätzt werden müssen. Unter maßgeblicher Hilfe der UNIDO wurde die Jute-Industrie im damaligen Ostpakistan aufgebaut. Schon vorher wurde durch den Hohen Flüchtlingskommissar (->• Flüchtlinge) die Betreuung tibetanischer Flüchtlinge in Indien und Nepal organisiert. Ihre bisher größte Aufgabe auf dem indischen Subkontinent fanden die Vereinten Nationen in der Bewältigung der Krisen der Jahre 1970-72. Ende des Jahres 1970 wurde das damalige Ostpakistan von einer Flutkatastrophe heimgesucht. Dies gab den Anstoß zur

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Informationswesen

Gründung des „Office of Co-Ordinator for Disaster Relief, das seine Arbeit im März 1972 aufnahm. Doch schon vorher liefen die Hilfeleistungen an. Infolge der Unterdrückung der Unabhängigkeitsbewegung in Ostpakistan strömten zwischen April und Dezember 1971 rund zehn Millionen Flüchtlinge nach Indien. Obwohl durch die Handlungen der pakistanischen Armee eine „Bedrohung des Friedens" durchaus gegeben war und der Sicherheitsrat hätte eingreifen können, beschränkten sich die Organe der Vereinten Nationen auf humanitäre Hilfeleistungen. Die Koordination wurde dem Hohen Flüchtlingskommissar übertragen, fast alle Sonderorganisationen waren daran beteiligt. Selbst der Transport und die Verteilung der Hilfsgüter mußten in eigener Regie übernommen werden, da geeignete Institutionen in dieser Region entweder nicht vorhanden waren oder sich gleichgültig verhielten (-> Flüchtlinge). Schon während des Aufstandes und des sich daraus entwickelnden Krieges waren die Hilfeleistungen der Vereinten Nationen sehr bedeutend; übertroffen wurden sie jedoch durch den Umfang der Hilfeleistungen nach Beendigung der Kämpfe für den Wiederaufbau des Landes. Die von den Vereinten Nationen geleitete „United Nations Relief Operation for the Dacca Area" war die größte derartige Unternehmung in der Geschichte der Vereinten Nationen. Mit ihr wurden die Fundamente für eine weitere Entwicklung des jungen Staates Bangla Desh gelegt. Rund zwei Milliarden Dollar wurden in den Jahren 1970 bis 1973 als Hüfeleistung in dieser Region vergeben. Den größten Teil brachten die Mitglieder der Vereinten Nationen auf. Sollte man eine vorläufige Wertung der Tätigkeit der Vereinten Nationen auf dem indischen Subkontinent geben, so müßte man ihre relativ macht- und daher hilflose Politik der Friedenssicherung wohl auf der negativen Seite verbuchen, ihre Hilfsprogramme mußten jedoch unbedingt positiv zu Buche schlagen. Literatur Aich: Die Grundprobleme des Kaschmir-Konfliktes, in: VN 1965 S. 157 Gerwin: Milliardenhilfe für Bangla Desh, in VN 1973 S. 83 Heß: Bangla Desh, Tragödie einer Staatsgründung, Frauenfeld / Stuttgart 1972 Mittelsten / Scheid: Die Teilung Indiens, Köln 1970 Hans-Werner Schulz Verweise auf: Flüchtlinge; Portugiesische Kolonialgebiete; Sicherheitsrat; Streitkräfte der Vereinten Nationen; Streitschlichtung.

Informationswesen Funktionen Der Informationsdienst der Vereinten Nationen dient in erster Linie dazu, ein Verständnis für die Organisation der Vereinten Nationen bei den verschiedenen Völkern der Welt zu erreichen. Zu diesem Zweck werden folgende Mittel eingesetzt: 1. Pressekonferenzen und Hilfestellung an die Presse bei der Berichterstattung über die Vereinten Nationen; 2. Herausgabe von Broschüren, Informationsmaterial über die Arbeit der Vereinten Nationen; 3. Zusammenarbeit mit Hörfunk und Fernsehen zur Verbesserung der Berichterstattung über die Arbeit der Vereinten Nationen;

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Informationswesen

4. Hilfestellung für Pressefotographen, Wochenschauen und Presseagenturen in der Produktion und Verbreitung von Dokumentarfilmen, Filmserien, Plakaten und graphischem Material über die Vereinten Nationen; 5. Errichtung und Unterhaltung eines Systems von Informationszentren der Vereinten Nationen auf regionaler oder sprachlicher Grundlage; 6. Pflege enger Beziehungen mit nichtstaatlichen Organisationen über Programme der Verbreitung von Informationen der Vereinten Nationen wie die Veranstaltung von Diskussionsrunden mit Journalisten, Stipendien für Studenten und Förderung von Unterrichtsmaterialien; 7. Auskunftsdienst, Durchführung von Besichtigungsgängen durch das Hauptquartier der Vereinten Nationen, Vermittlung von Rednern und Verbreitung von Unterrichtsmaterialien; 8. Verteilung von allgemeinem Informationsmaterial über die Vereinten Nationen. Organisation Die organisatorische Durchführung der Informationsarbeit liegt institutionell auf 6 Ebenen: 1. The Assistant Secretary-General 2. Presse- und Publikationsreferat 3. Rundfunk- und Medienreferat 4. Referat für Außenbeziehungen 5. Informationsstellen und -dienste 6. Informationszentrum für wirtschaftliche und soziale Fragen. Assistant

Secretary-General

Leiter des Informationsdienstes der Vereinten Nationen ist ein Assistant Secretary-General. Er berichtet dem Generalsekretär über die Tätigkeit der Referate und beaufsichtigt sämtliche Aktivitäten. Das Büro des Generalsekretärs ist für die finanzielle und personelle Ausstattung des Informationsdienstes verantwortlich. Zu diesem Zweck unterhält es ständige Kontakte mit allen Referaten des Informationsdienstes wie mit dem Referat für Personalfragen, dem Referat für Verwaltung, dem Referat für Finanzen und dem Referat für Außenaktivitäten. Das Presse- und Publikationsreferat besteht aus dem Direktor, einem Verbindungsbüro für Korrespondenten, der Produktionseinheit für französischsprachige Veröffentlichungen, der Pressesektion und der Sektion für Veröffentlichungen. Das Verbindungsbüro für Auslandskorrespondenten ist für die Akkreditierung von Journalisten bei den Vereinten Nationen verantwortlich, wobei zur gleichen Zeit auch für die Bereitstellung von Büroräumen, Zugang zu Tagungen und Sitzungen und die Verteilung von Dokumenten und Pressemitteilungen an die Korrespondenten gesorgt wird. Insgesamt dient das Verbindungsbüro der ständigen Information der Journalisten am Hauptquartier der Vereinten Nationen. Die Produktionseinheit für die französischsprachigen Veröffentlichungen bereitet täglich oder mehrmals täglich Bulletins in Französisch vor, die über die Entwicklung im Rahmen des Systems der Vereinten Nationen informieren. Wöchentlich wird ein zusammenfassender Bericht verfaßt, der für die Französisch sprechenden Auslandskorrespondenten wie für die Informationsstellen bestimmt ist. Darüber hinaus wird auch Hintergrundmaterial in französischer Sprache erstellt. Die Pressesektion ist sowohl für das Verfassen wie die Herausgabe von Pressemitteilungen über Tätigkeiten der Organisation verantwortlich. Dabei wird auch eine Berichterstattung über sämtliche Gremien gewährleistet. Auf Anfrage von Organisationen der Vereinten Nationen werden Sonderdokumentationen erstellt. Gleichzeitig werden Pressekonferenzen und

Assisatant Secretary-General

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Pressegespräche durchgeführt, um Hintergrundwissen über Aktivitäten in den Vereinten Nationen zu vermitteln. Auch die Durchführung von Pressekonferenzen des Generalsekretärs, von Mitarbeitern des Sekretariats wie verschiedener Delegationen liegt in den Händen der Presse Sektion. Die Sektion für Veröffentlichungen bereitet sämtliche Veröffentlichungen des Informationsdienstes vor. Dazu gehören auch das United Nations Yearbook, das UN Monthly Chronicle, Objective und Everyman's United Nations. Gleichzeitig überwacht die Sektion die Veröffentlichungspolitik der einzelnen Informationsstellen und stellt notfalls die Übersetzung oder Anpassung verschiedener Publikationen sicher. In den privaten Bereich wirkt die Sektion insofern ein, als auf Anfrage von Verlagen Buchbesprechungen über Bücher über die Vereinten Nationen veranlaßt werden oder aber die Produktion von Büchern und Artikeln über die Vereinten Nationen gefördert und angeregt wird. Das Rundfunk- und Medien-Referat ist für die Bereitstellung der technischen Möglichkeiten für Korrespondenten von Rundfunkstationen, Fernsehen und Film verantwortlich. Ihm untersteht gleichzeitig der Filmdienst der Vereinten Nationen, der auf Anfrage von Institutionen oder Privatleuten aus aller Welt abgerufen werden kann. Im Hörfunkbereich wird versucht, eine enge Verbindung zu den nationalen Rundfunkorganisationen zu halten und eine enge Zusammenarbeit mit den Hörfunkkorrespondenten anzustreben. Damit soll eine Verbesserung der Berichterstattung über die Vereinten Nationen erreicht werden. Gleichzeitig werden auch Tagungen der Generalversammlung oder anderer Organe der Vereinten Nationen durch die Hörfunksektion übertragen. Diese Sektion gibt täglich und wöchentlich Nachrichtendienste zum Gebrauch für nationale Rundfunksender in allen Teilen der Welt wie für Kurzwellenfunk aus. Der Mediendienst unterstützt die staatlichen wie die privaten Rundfunk- und Fernsehorganisationen bei der Produktion von Programmen über die Vereinten Nationen. Gleichzeitig sorgt er dafür, daß Debatten und Tagungen der Vereinten Nationen übertragen werden. Das Film- und Fernsehmaterial wird von diesem Dienst produziert. Den Pressefotographen steht ein umfangreiches Archiv zur Verfügung, das ständig abrufbereit ist. Gleichzeitig werden auch Wanderausstellungen und Ausstellungsmaterialien für die weitere Verteilung durch die Informationsstellen vorbereitet. Das Referat für Außenbeziehungen lenkt die Arbeit der weltweiten Informationsstellen und -dienste der Vereinten Nationen wie die allgemeine Informationspolitik der Berichterstattung über internationale Konferenzen und andere besondere Anlässe. Es bereitet das Material für den Tag der Vereinten Nationen, den Tag der Menschenrechte oder andere besondere von den Vereinten Nationen propagierte Tage oder Jahre vor. Das Referat erstellt jährlich Berichte über die Durchführung des Tags der Vereinten Nationen in verschiedenen Ländern der Welt. Zur Erleichterung der Durchführung dieses Tages bereitet es Vorlagen für Redner vor, gibt zusammenfassende Kommentare und Informationsmaterial heraus, das für die Anlässe nutzbar ist. Eine besondere Bedeutung kommt dem Referat hinsichtlich der Gebiete unter Fremdherrschaft dadurch zu, daß es Material über die Verbreitung von Informationen über die Vereinten Nationen in diesen Gebieten sammelt und der Generalversammlung und dem Treuhandrat zur Kenntnis gibt. In Absprache mit den entsprechenden Fachabteilungen und Referaten bereitet es Fragebogen über die Verteilung und Zugänglichkeit von Informationen über die Vereinten Nationen für Besucher-Missionen in den Gebieten unter Fremdherrschaft vor. Gleichzeitig dient es der Aufrechterhaltung ständiger Kontakte mit Sonderorganisationen, Behörden und anderen internationalen Organisationen, die sich mit Problemen der Vereinten Nationen beschäftigen. Ein besonderes Büro für Erziehungsfragen hält — in enger Zusammenarbeit mit der UNESCO — die Zusammenarbeit mit den Erziehungs- und Kultusministerien der verschiedenen Länder aufrecht. Damit soll erreicht werden, daß die Vereinten Nationen auch im

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Internationale Organisationen.

Schulunterricht wie in den Schulbüchern genügende Berücksichtigung finden. Zu diesem Zweck werden auch Unterrichtsmaterialien und audiovisuelle Hilfsmittel von den Vereinten Nationen bereitgestellt. Das Referat ist gleichzeitig verantwortlich für die Stipendienprogramme der Büros für Öffentlichkeitsarbeit und — in Verbindung mit der UNESCO - für die Vorbereitung von laufenden Berichten über die Unterrichtsprogramme über die Vereinten Nationen in den Mitgliedstaaten. Der Verbindungsbeamte für Erziehungsfragen legt diese Berichte dem ECOSOC zur Beschlußfassung vor. Das Informationszentrum für wirtschaftliche und soziale Fragen soll die Aufmerksamkeit der öffentlichen Meinung auf Probleme der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung lenken. Mit seiner Informations- und Weiterbildungsarbeit wendet es sich sowohl an die breite Öffentlichkeit als auch an besonders meinungsbildende Kreise. Wegweisend für seme Aktivität sind die einschlägigen Verlautbarungen von Generalversammlung und ECOSOC. Das Zentrum koordiniert die Informationstätigkeiten der Sonderorganisationen und anderen Institutionen des Systems der Vereinten Nationen im wirtschaftlichen Bereich. Es stellt namentlich das Sekretariat des Gemeinsamen Informationsausschusses der Vereinten Nationen, eines Unterorgans des A C C , und bereitet jährlich einen gemeinsamen Informationsplan für das System der Vereinten Nationen vor. Darüberhinaus unterstützt das Zentrum Regierungsstellen bei der Mobilisierung der öffentlichen Meinung für die Entwicklungsproblematik und die Neuordnung der Weltwirtschaft. Es unterhält ständige Kontakte zu den zuständigen Pressereferenten und veranstaltet z. B. Regionaltreffen. Es wendet sich auch an private Einrichtungen; es führt beispielsweise Entwicklungsexperten und Publizisten zusammen. Zu seinen ständigen Aufgaben gehört die Zusammenstellung und Verbreitung von einschlägigem Grundlagenmaterial. Erwin K. Baumgarten

Internationale Organisationen, Theorie der Wie alle gesellschaftlichen Sachverhalte unterliegen auch internationale Organisationen als Gegenstand der Wissenschaft verschiedenartigen Erkenntnisinteressen. Dementsprechend variiert auch ihre Erklärung und Interpretation, ohne daß über ihre Beschreibung als Ensemble bestimmter Fakten Uneinigkeit bestehen müßte. Es gibt also nicht die Theorie der internationalen Organisationen, sondern mehrere Theorien. Begriff Der Ausdruck „internationale Organisationen" findet in einem weiteren und in einem engeren Sinne Verwendung. Als internationale Organisationen im engeren Sinne bezeichnet man die formell begründeten, eine besondere institutionelle Identität annehmenden Zusammenschlüsse von Staaten mit dem Zweck, bestimmte öffentliche Aufgaben gemeinsam anzugehen. Diese zwischenstaatlichen Organisationen sind als Elemente einer internationalen politisch-administrativen Superstruktur zu begreifen. Sie bilden eine spezifische institutionelle Form der Steuerung des Systems der internationalen Beziehungen, die der Tatsache der fortschreitenden internationalen Vergesellschaftung Rechnung trägt. Internationale Organisationen im engeren Sinne unterscheiden sich nach dem Grad der ihnen innewohnenden politisch-administrativen Steuerungskapazität. Wesentliches Kriterium ist, ob und in welchem Ausmaß durch den durch sie vermittelten politischen Prozeß verbindliche Entscheidungen getroffen werden, für deren Ausführung es keines weiteren mitglied-

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staatlichen Transformationsprozesses mehr bedarf. Internationale Organisationen, die diesem Kriterium genügen, sollen supranationale Organisationen heißen. Sie sind allerdings die in der Wirklichkeit noch am seltensten anzutreffende Klasse der Internationalen Organisationen im engeren Sinn. In einem weiteren Sinne werden als internationale Organisationen auch bezeichnet: 1) Die institutionalisierte Zusammenarbeit zwischen Individuen und Gruppen aus verschiedenen Ländern; ihre Grundlage ist in der Regel eine gemeinsame Interessenlage, ihr Zweck eine wirksamere kollektive Interessenwahrnehmung (-»• Nichtstaatliche Organisationen); 2) die sich auf mehrere Länder verteilende, aber zentral koordinierte Produktion und Distribution von Gütern und Dienstleistungen in einem gemeinsamen Unternehmensverband (_-*• Multinationale Konzerne). Der Ausdruck „internationale Organisationen" wird hier also nicht für den Bereich der internationalen politisch-administrativen Systemsteuerung reserviert, sondern auf den Gesamtbereich der internationalen Vergesellschaftung angewandt. Aus Gründen terminologischer Einfachheit wird jedoch im folgenden der Ausdruck „internationale Organisationen" nur in seinem engeren Bedeutungsgehalt gebraucht. Geschichte Internationale Organisationen in diesem Sinne treten erstmalig im frühen 19. Jahrhundert auf, in vermehrtem Umfang jedoch erst nach 1860. Die Gründung der Internationalen Telegraphen Union 1865 (der heutigen ITU) und des Allgemeinen Postvereins 1874 (heute UPU) stellt den Beginn der ersten größeren Welle der Entstehung von Internationalen Organisationen dar. In diese bis zum 1. Weltkrieg reichende Periode fallt die Gründung vor allem von solchen Internationalen Organisationen, die bestimmte technische und rechtssichernde Voraussetzungen für den internationalen Verkehr von Personen, Waren und Informationen herstellten sowie die aus dem sich intensivierenden internationalen Verkehr ergebenden Folgeprobleme bearbeiteten. Eine zweite, mächtigere Welle der Entstehung von Internationalen Organisationen setzt nach dem 1. Weltkrieg ein. Neben der Gründung weiterer Internationaler Organisationen der in der vorangegangenen Periode vorherrschenden Art kommt es mit der Errichtung des Völkerbundes und des Internationalen Arbeitsamtes (heute ILO) 1919 zu einer grundlegenden Funktionserweiterung der Internationalen Organisationen. Bis dahin fungierten sie als gemeinschaftliche Institutionen der nationalstaatlich zersplitterten bürgerlichen Gesellschaft vor allem zur Erfüllung von der internationalen kapitalistischen Konkurrenz vorgelagerten oder nachgeordneten öffentlichen Aufgaben. Nunmehr wurden bestimmte Internationale Organisationen direkt mit der Regulierung internationaler gesellschafts- und machtpolitischer Konflikte zum Zwecke der Kriegsverhütung betraut. Die dritte und zugleich längste Welle der Entstehung von Internationalen Organisationen bewegt sich seit dem 2. Weltkrieg bis heute mit nahezu ungebrochener Kraft fort. Ihren bezeichnendsten Ausdruck findet sich in der prinzipiell allen Staaten, gleichgültig welcher Gesellschaftsordnung und Entwicklungsstufe, offenstehenden Organisation der Vereinten Nationen sowie in ihren Sonderorganisationen. Neben dem heute eine Vielzahl von Politikbereichen im globalen Maßstab und mit unterschiedlicher Wirkungsmacht bearbeitenden System der Vereinten Nationen existieren weit über 150 Internationale Organisationen mit variierenden Mitgliedszahlen sowie unterschiedlichen Aufgabenbereichen und Entscheidungsbefugnissen. Neuartig ist für die Periode nach 1945 die starke Zunahme von regionalen und subregionalen Internationalen Organisationen sowohl zwischen Industriestaaten als auch zwischen Entwicklungsländern. Im Wechselspiel der Errichtung von globalen und regionalen Internationalen Organisationen spiegelt sich die Ungleichmäßigkeit des Prozesses und die Unvollkommenheit des Standes der internationalen Vergesellschaftung.

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Internationale Organisationen.

Theorien Die wichtigsten Fragen, auf die Theorien der Internationalen Organisationen eine Antwort zu geben versuchen, lauten: 1) Warum, auf welche Weise und wozu kommt es zur Errichtung von Internationalen Organisationen? 2) Wodurch erklären sich die Unterschiede in der politisch-administrativen Steuerungskapazität zwischen einzelnen Internationalen Organisationen?

Konstitu tionalistische Theorie Die älteste Theorie der Internationalen Organisationen ist die konstitutionalistische. Ihr Erkenntnismedium ist die intiutive, durch „common sense" abgeklärte Einsicht des Forschers in das Wesen der internationalen Beziehungen und die Natur des Menschen. Ausgangspunkt für diese Theorie sind die Feststellung eines „Sicherheitsdilemmas" als Grundwesenszug der internationalen Beziehungen und die Übernahme der Hobbes'schen Anthropologie, welche die Menschen als in naturständiger Feindschaft zueinander befindlich begreift. Daraus werden die Permanenz des Strebens der Einzelnen und der Staaten nach Machtüberlegenheit und die Unvermeidlichkeit gewaltsamer Interessenverfolgung abgeleitet, solange eine mit überlegener Sanktionsgewalt ausgestattete Ordnungsinstanz nicht Sicherheit (des Lebens und des Eigentums) für alle gleichermaßen verbürgt. Für die ältere konstitutionalistische Theorie ergab sich daraus der zwingende moralische Appell, an die Stelle der internationalen Anarchie die Herrschaft des Rechts zu setzen — in Formen, die von der Einrichtung einer obligatorischen Schiedsgerichtsbarkeit bis hin zum voll ausgebildeten Weltstaat reichen. Die neuere konstitutionalistische Theorie ergänzt die ältere Argumentation durch Hinweise auf die existentielle Totalgefährdung der Menschheit auf Grund der waffentechnologischen Entwicklung, der sich verschärfenden internationalen Entwicklungsdisparitäten sowie der wachsenden Zerstörung natürlicher Lebensbedingungen und folgert daraus die Notwendigkeit, supranationale Zentralbehörden für Abrüstung, Entwicklung, Umweltschutz etc. zu errichten.

Funktionalistische und neofunktionalistische

Theorie

Der Funktionalismus setzt den konstitutionalistischen „Utopien" die pragmatische Konzeption einer Stückwerk-Strategie entgegen, deren Kern die aufgabenspezifisch organisierte internationale Zusammenarbeit zur Befriedigung vordringlicher gesellschaftlicher Bedürfnisse ausmacht. Die funktionalistische Theorie postuliert, daß durch die Summierung sukzessiv sich ausweitender international organisierter Aufgabenerfüllung die Bereitschaft der beteiligten Staaten zu gewaltsamen Konfliktaustrag abnimmt. Die Gründe erblickt sie einmal darin, daß Konfliktsubstrate entfallen, zum anderen darin, daß funktionelle Kooperation in einigen Bereichen genügend Vertrauen schafft, so daß noch verbleibende konfliktträchtige Bereiche Schritt für Schritt gleichfalls funktioneller Kooperation zugänglich werden. Grundlegend für die funktionalistische Theorie ist die Vorstellung, daß einzelne gesellschaftliche Bedürfniskomplexe (ζ. B. Gesundheit) aus ihrem gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang herausgelöst werden müssen, um für sie problem- und bedürfnisadäquate Lösungen zu finden. Es ist nur folgerichtig, wenn die Funktionalisten als Träger der Internationalen Organisationen auf technisch kompetente Spezialisten abstellen, weil sie von ihnen in ihren jeweiligen Kompetenzbereichen eher einen Konsens über problemadäquate Lösungen erwarten als von Politikern und Diplomaten. Der Funktionalismus stellt also die Errichtung eines internationalen Regierungsapparates nicht an den Anfang seines Programms, sondern erblickt darin allenfalls das Ende einer sich aus der inneren Logik international organisierter gesellschaftlicher Bedürfnisbefriedigung ergebender Sequenz technischer Teillösungen.

Sozialevolutionistische Theorien

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Eine nicht unwesentliche Modifikation erfährt der (ältere) Funktionalismus in der neofunktionalistischen Theorie. Für diese stellt die Isolierung und Entpolitisierung gesellschaftlicher Bedürfniskomplexe zwecks technischer Bearbeitung durch international organisierte Kooperation kein Dauermerkmal, sondern nur eine Anfangsbedingung der Entwicklung von Internationalen Organisationen im Sinne zunehmender Konfliktkontrolle und Gewaltvermeidung dar. Für den Neo-Funktionalismus wesentlich ist die Konzeption eines kontrollierten Prozesses gradueller Politisierung; d. h. die Entwicklung von Internationalen Organisationen wird desto erfolgreicher sein, je mehr sie ihren Ausgang von politisch relativ wenig kontroversen öffentlichen Aufgabenbereichen nimmt und von da aus sich schrittweise auf politisch kontroversere Bereiche erstreckt (Übertragungs- oder ,,spill-over"-Effekt). Diese Konzeption des Übertragungseffekts wird vom Neo-Funktionalismus in der Form einer überprüfbaren Hypothese mit dem Ziel ihrer empirischen Bestätigung als Zentraltheorem der Theorie der Internationalen Organisationen eingeführt. Darüber hinaus bemüht sich dieser theoretische Ansatz um die Identifikation von Kontextvariablen, die bestimmte Eigenschaften (ζ. B. pluralistische Gesellschaft) und Relationen (ζ. B. Interdependenz) der Staaten ausdrücken und die als Bedingungen für das Wirksamwerden des Übertragungseffekts zu interpretieren sind. Sozialevolu tionistische

Theorien

Diese Theorien analysieren die Errichtung von Internationalen Organisationen in einem entwicklungsgeschichtlichen Gesamtzusammenhang. Langfristige Trendaussagen sind eines ihrer wesentlichen Merkmale. Darüber hinaus enthalten sie eine kausalgesetzliche Komponente, indem die Trendaussagen mit Feststellungen über die für die Trendentwicklung relevanten Bestimmungsfaktoren verknüpft werden. In einer minder komplexen Form tritt die sozialevolutionistische Theorie als System von Aussagen über „die internationalen Imperative der Technologie" (Skolnikoff) auf. Ihrer zentralen These nach wird in dem Maße, in dem der technologische Fortschritt in einer Vielzahl von Bereichen Probleme schafft, die einer problemadäquaten Lösung im nationalen Rahmen nicht (mehr) zugänglich sind, die Errichtung von Internationalen Organisationen zu Überwachungs-, Regulierungs- und Verteilungszwecken unumgänglich. Das Beispiel der Meeresnutzung kann diesen behaupteten Zusammenhang verdeutlichen: Die schnelle Entwicklung der Techniken der Tiefseebohrung, beschleunigt nicht zuletzt durch die vorhersehbare Erschöpfung der bisher genutzten Rohstoff- und Energiequellen, wirft Fragen der Regelung des Zuganges zur Meeresbodennutzung, ihres Ausmaßes und der Verteilung der dabei anfallenden Vorteile auf (-• Seerecht). Ebenso wie dieser Ansatz geraten auch komplexere Ausprägungen der sozialevolu tionistischen Theorie in Schwierigkeiten, wenn es u m die theoretische Bestimmung unterschiedlicher Steuerungskapazitäten von Internationalen Organisationen geht. Im Vordergrund stehen für sie die Erklärung und nähere inhaltliche Analyse des Gesamtphänomens „internationale Organisationen" als einer besonderen Form gesamtgesellschaftlicher politischer Organisation. Damit wächst der Theorie die Aufgabe zu, diese Besonderheit nach zwei Richtungen auszuweisen: Einmal als Folge (und partiell zugleich als Bedingung) eines bestimmten gesellschaftlichen Entwicklungsprozesses, zum anderen als relativ unabhängige Organisationsform im Verhältnis zu entwicklungsgeschichtlich älteren Formen. Komplexere sozialevolutionistische Theorien sind zunächst dadurch gekennzeichnet, daß sie die technologische Entwicklung und die Entwicklung der Energiequellennutzung als konstitutiv für die — keineswegs als real-historische lineare Abfolge gedachten — Stufen der soziokulturellen Evolution betrachten und bestimmte, nach ihren spezifischen Integrationsmechanismen unterscheidbare politische Organisationsformen in Beziehung zu den verschiedenen sozio-kulturellen Entwicklungsstufen setzen. So wird ζ. B. die originäre Entstehung des neuzeitlichen Nationalstaates der Phase des Übergangs von der Agrar- zur Industrie-

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Internationale Organisationen.

gesellschaft zugeordnet. Internationale Organisationen — im Unterschied zum Nationalstaat nicht mit dem Legalmonopol physischer Gewaltsamkeit ausgestattet, sondern durch interessenvermittelte Assoziation und Kommunikation zusammengehalten — werden als Ausdruck einer entwicklungsgeschichtlich neuartigen Form politischer Organisation bestimmt. Diese wird sich mit der weiteren, mehr und mehr durch Wissenschaft und Technik geprägten Entfaltung der Zivilisation immer deutlicher herausschälen. Soziopolitisch wird dieser Entwicklungszusammenhang an der reproduktionsbedingten Zunahme der wissenschaftlichtechnischen Intelligenz, ihrer wachsenden Bedeutung für die Erfüllung öffentlicher Herrschaftsfunktionen und ihrer einer spezifischen professionellen Sozialisation entstammenden internationalistischen Orientierung festgemacht. Konsequent zu Ende gedacht ist diesem theoretischen Ansatz die Vorstellung immanent, daß sich im Durchschnitt ein Gleichgewicht zwischen den Ordnungserfordernissen der weiteren zivilisatorischen Entwicklung und der Steuerungskapazität von Internationalen Organisationen herstellen wird. Theorie der kollektiven

Güter

Unmittelbarer handlungsorientert ist eine Analyse der Internationalen Organisationen, die sich auf die wohlfahrtsökonomische Theorie der kollektiven Güter stützt. Wie allen im Selbstverständnis ahistorischen Theorien gesellschaftlicher Prozesse liegen auch der Theorie der kollektiven Güter in ihrer Anwendung auf Internationale Organisationen bestimmte Modellannahmen zugrunde, die für die Theorie selbst axiomatische Bedeutung erlangen. Aus der Verknüpfung dieser Modellannahmen werden deduktiv Aussagen gewonnen, die dem Objektbereich der Theorie zugehörige Realprozesse erklären und vorhersagen sollen. Generell wird postuliert, daß Staaten ein Kooperationsverhältnis mit anderen Staaten nur insoweit eingehen, als sie als einzelne bestimmte notwendige Wohlfahrts- und Sicherheitsaufgaben nicht mehr zu erfüllen vermögen. Diesem Grundpostulat liegen als weitere Annahmen zugrunde, daß a) Staaten die für die wissenschaftliche Analyse allein relevanten Akteure sind, b) Staaten Unabhängigkeit der Interdependenz vorziehen, c) Staaten zu rationalem, am kalkulierten Eigeninteresse orientierten Verhalten fähig sind und d) Staaten in ihrem Verhalten Ökonomisierungsprinzipien folgen. Während dieses Postulat allgemeine Bedingungen des Entstehens von Internationalen Organisationen angibt, ist der Begriff des kollektiven Gutes dazu bestimmt, Unterschiede in der Reichweite und Intensität international organisierter Kooperation zu erklären. Das heißt, nimmt eine von einem Staat erfüllte Wohlfahrts- oder Sicherheitsaufgabe den Charakter eines international-kollektiven Gutes an, so wird er die Erbringung dieser Leistung entweder einzustellen oder aber zu internationalisieren suchen. Das Letztere wird der Fall sein, soweit für den betreffenden Staat eine — wie auch immer bestimmte — Notwendigkeit zur Erfüllung dieser öffentlichen Aufgabe besteht. Aus der Unterscheidung zwischen privaten und kollektiven Gütern ergibt sich eine zweidimensionale Taxonomie mit vier Typen von Internationalen Organisationen. Erster Typ: Die öffentliche Leistung ist teilbar, und mehrere Staaten können davon ausgeschlossen werden. In diesem Fall kommt es zur Errichtung von Internationalen Organisationen als Ergebnis eines einfachen Ökonomisierungskalküls, sei es, um Leistungen zu erbringen, die sonst nicht erbracht werden könnten, sei es, um die Leistung zu erhöhen oder den Leistungsaufwand merklich zu verringern. Zu diesem Typ gehört die übergroße Mehrzahl von Internationalen Organisationen. Die für sie erforderliche, aber auch ausreichende Steuerungskapazität ist die der Koordination nationaler Aktivitäten. Zweiter Typ: Die öffentliche Leistung ist unteilbar, aber andere Staaten können davon ausgeschlossen werden. Hier sind zwei Möglichkeiten zu unterscheiden: Wird die betreffende Leistung von mehreren Staaten zugleich, aber unabhängig voneinander bereitgestellt, so bietet sich ihre Internationalisierung unmittelbar an, sofern nicht übergeordnete, kostenunelastische Gesichtspunkte nationaler Unabhängigkeit entgegenstehen. Wird die Leistung

Imperialismus-Theorie

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dagegen im wesentlichen nur durch einen Staat erbracht, so werden alle anderen Staaten auf ihre Internationalisierung drängen. Die Internationalisierung und ihre Form werden weitgehend vom politisch-strategischen Kalkül des diese Leistung bereitstellenden Staates abhängen. Die Steuerungskapazität solcher Internationaler Organisationen geht über bloße Koordinationsfunktionen hinaus und schließt in beschränktem Umfang die Aufstellung kollektiver Verhaltensregeln ein. Dritter Typ: Die öffentliche Leistung ist teilbar, aber kein Staat kann davon ausgeschlossen werden. Die Gründung von Internationalen Organisationen hängt in diesem Fall davon ab, ob und inwieweit mehrere Staaten sich wechselseitig mit teilbaren öffentlichen Leistungen im positiven oder negativen Sinne beeinflussen. Handelt es sich um Leistungen, von deren Vorteilen kem Staat ausgeschlossen werden kann u n d die von mehreren Staaten parallel bereitgestellt werden, so ist ihre Übernahme in Gemeinschaftsproduktion wahrscheinlich. Handelt es sich um schädliche Wirkungen, die von mehreren Staaten wechselseitig ausgehen, so ist ihre gemeinschaftliche Regulierung zu erwarten. Internationale Organisationen, die aus diesen Gründen errichtet werden, verfügen meist über eine Steuerungskapazität, die sich über die Aufstellung und Durchsetzung von kollektiven Verhaltensregeln hinaus noch auf Maßnahmen kompensatorischer Verteilung erstrecken kann. Vierter Typ: Die öffentliche Leistung ist unteilbar, und kein Staat kann davon ausgeschlossen werden. Wiederum sind die Faktoren der Wechselseitigkeit und der Kosten entscheidend für die Internationalisierung der Leistungserbringung, sei es zur Organisation ihrer kollektiven Bereitstellung, sei es zur Organisation der kollektiven Regulierung schädlicher externer Effekte. Die für die Bearbeitung derartiger Aufgaben errichteten Internationalen Organisationen verfügen am ehesten über Entscheidungsvollmachten, für die die Qualität der Supranationalität in Anspruch genommen werden kann. Die besondere Leistung der Theorie der kollektiven Güter liegt darin, daß sie ein analytisches Instrument bereitstellt, das eine theoretisch begründete und konsistente Bestimmung der politisch-administrativen Steuerungskapazität von Internationalen Organisationen erlaubt. Demgegenüber bleibt sie hinsichtlich der Analyse von Genesis, Entwicklung und Natur der Internationalen Organisationen hinter dem von der sozialevolutionistischen Theorie erreichten Erkenntnisstand zurück. Marxistische und marxistisch-leninistische

Theorien

Während den vorstehend skizzierten Theorien durchgängig das abstrakte Ideal einer durch Internationale Organisationen vermittelten internationalen Friedensordnung, definiert als dauerhafte Abwesenheit zwischenstaatlicher Gewaltanwendung, immanent ist, zeichnen sich die marxistischen und marxistisch-leninistischen Theorien durch eine stärker die herrschenden gesellschaftspolitischen Interessen und Widersprüche berücksichtigende Analyse der Internationalen Organisationen aus. Die friedensvermittelnde Funktion von Internationalen Organisationen wird in Abhängigkeit zu dem in den Mitgliedstaaten vorherrschenden Gesellschaftssystem gesetzt. Imperialismus-Theorie Die Tradition marxistischer Analyse der internationalen Beziehungen weist eine zentrale Strömung auf — die Theorie des (antagonistischen) Imperialismus von Lenin —, nach der Internationale Organisationen allenfalls vorübergehende Erscheinungen sein können. Von Lenin werden sie einmal als zeitweilige Koalitionen zwischen bestimmten kapitalistischen Staaten interpretiert, die sich entweder gegen andere kapitalistische Staaten oder gegen den Sozialismus richten. Zum anderen wendet er sich grundsätzlich gegen die Vorstellung dauerhaft-stabiler international organisierter Kooperation im Kapitalismus. Zwar stellt Lenin fest, daß „die Entwicklung in der Richtung auf einen einzigen, ausnahmslos alle Unternehmungen

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Internationale Organisationen.

und alle Staaten verschlingenden Welttrust verläuft", doch wirke dem die antagonistische Natur des Imperialismus entgegen, die den Kapitalismus, noch bevor er seine Entwicklung vollendet habe, der sozialistischen Revolutionierung überantworte. Demgegenüber nimmt die von Kautsky repräsentierte Richtung der marxistischen Analyse der internationalen Beziehungen (Theorie des „Ultraimperialismus") einen Gedanken von Marx auf, der von der Internationalisierung der kapitalistischen Produktionsweise eine Tendenz zur Auflösung der Nationalstaaten und zum Verschwinden zwischenstaatlicher Konflikte erwartet. Kautsky stellt daran anknüpfend die Überlegung an, ob nicht „an (die) Stelle des Kampfes der nationalen Finanzkapitale untereinander die gemeinsame Ausbeutung der Welt durch das international verbündete Finanzkapital" treten könne. Dies scheint ihm deswegen nicht ausgeschlossen zu sein, weil die Kosten unkontrollierter imperialistischer Rivalität für alle Beteiligten zunehmend untragbar werden könnten. Für Kautsky folgt aus dem ultraimperialistischen Zweckbündnis der nationalen Finanzkapitale die Notwendigkeit internationaler politischer Institutionen zur Bearbeitung von - durch die bloße Existenz des Zweckbündnisses natürlich nicht ausgeschlossenen — Streitfragen. Diese Institutionen lassen sich aber nach Kautsky nicht auf ihre ursprünglichen Funktionen beschränken, sondern neigen dazu, „auf weitere Gebiete des politischen und wirtschaftlichen Lebens über(zu)greifen". Ferner erweisen sie sich für ihn als eine Form, deren — dem imperialistischen System geschuldete — Existenz eine der „Bedingungen des schließlichen Sieges der Arbeiterklasse" darstellt. Das Auftreten einer Vielzahl von Internationalen Organisationen nach dem 2. Weltkrieg hat die parteikommunistischen Theoretiker bewogen, sich um eine Weiterentwicklung der marxistisch-leninistischen Analyse zu bemühen. Aspekte der sowjetmarxistischen

Theorie

Obwohl die sowjetmarxistische Theorie stets die sozialsystemare Spezifik der Natur und Funktionen von Internationalen Organisationen hervorhebt, anerkennt sie doch, daß die Internationalen Organisationen eine nicht ausschließlich durch die unterschiedlichen Gesellschaftssysteme bestimmte Realität sind. „Der Prozeß der Entstehung internationaler Organisationen wird durch die objektiven Bedingungen der gesellschaftlichen Entwicklung bestimmt, der das Streben der Völker und Staaten zur wirtschaftlichen und kulturellen Annäherung zugrunde liegt. . . . Die Weltwirtschaft wird immer komplizierter, und die Entwicklung von Wissenschaft und Technik ruft die Notwendigkeit hervor, die Tätigkeit der Staaten auf vielen Fachgebieten, die von allgemeinem Interesse sind, zu koordinieren. Die wissenschaftlich-technische Revolution hat dieses Bedürfnis erheblich verstärkt. Die Zusammenarbeit der Staaten auf der Grundlage von Internationalen Organisationen kann zum weiteren wissenschaftlichen und technischen Fortschritt, zur Erweiterung der wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen und folglich auch zur Festigung des Friedens beitragen." (Morosow, S. 77) Wenn also die sowjetmarxistische Theorie von allgemeinen Interessen spricht, die den Entwicklungsprozeß der Internationalen Organisationen unabhängig vom Gesellschaftssystem der Mitgliedstaaten begünstigen, so liegt darin beschlossen, daß es sich um einen säkularen Trend handelt, der nicht umkehrbar ist. Damit ist notwendigerweise auch die Vorstellung verbunden, daß selbst Internationale Organisationen kapitalistischer Länder sofern es sich nicht um institutionalisierte Militärallianzen wie die NATO handelt — des progressiven Gehalts nicht entbehren. Diese Schlußfolgerung wurde zwar in der parteikommunistischen Literatur nur sehr zögernd gezogen, aber sowohl in der neueren theoretischen Diskussion über den staatsmonopolistischen Kapitalismus als auch in der jüngsten außenpolitischen Praxis der sozialistischen Länder tritt die Einschätzung der kapitalistischen Internationalen Organisationen als Faktor der internationalen Stabilität sowie als mögliche Arena des „antimonopolistischen Kampfes" deutlich zutage.

E l e m e n t e einer historisch-kritischen T h e o r i e

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Gleichwohl kommt für die marxistisch-leninistische Theorie das allgemeine Interesse an international organisierter Kooperation unzweifelhaft klarer in den sozialsystemar gemischten und den sozialistischen Internationalen Organisationen zum Ausdruck. Die Existenz und Expansion der sozialsystemar gemischten Internationalen Organisationen, in erster Linie der Vereinten Nationen, spiegelt jene Grandbefindlichkeiten heutiger internationaler Beziehungen — die Gefahr nuklearer Selbstzerstörung, die Befreiungsbewegungen gegen kolonialistische und neokolonialistische Abhängigkeit, der Zwang zur internationalen Arbeitsteilung - , die der sowjetmarxistischen Theorie der friedlichen Koexistenz zugrundeliegen. Danach sind sozialsystemar gemischte Internationale Organisationen geprägt durch die Gleichzeitigkeit von Zusammenarbeit, Kompromiß und Klassenkampf. Zusammenarbeit und Kompromißbereitschaft finden allerdings ihre Grenze in den politischen Prinzipien der sozialistischen Länder. Die Respektierung dieser Grenzen ist jedoch in diesen Internationalen Organisationen dadurch institutionalisiert, daß sie in ihren Tätigkeiten vom Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten ausgehen. Diesem Grundsatz steht die Tatsache nicht entgegen, daß den Organen dieser Organisationen bestimmte, fest umrissene Handlungsvollmachten eingeräumt werden. Seine Bedeutung zeigt sich aber darin, daß die Effektivität und Legitimität von Beschlüssen dieser Internationalen Organisationen davon abhängig sind, daß sie nicht mit „mechanischer Mehrheit" gefaßt werden, sondern nach einem Verfahren, in dem die unterschiedlichen international wirksamen gesellschaftspolitischen Kräfte angemessene Repräsentation finden. Während nach sowjetmarxistischer Lehre die sozialsystemar gemischten Internationalen Organisationen eher indirekt für den internationalen Klassenkampf Bedeutung erlangen (Forum zur Mobilisierung der Weltöffentlichkeit gegen reaktionäre gesellschaftliche und politische Kräfte sowie für friedliche Koexistenz und friedlichen Wettbewerb der Systeme), stellen die Internationalen Organisationen der sozialistischen Länder nicht nur eine neue Qualität in den Beziehungen zwischen Staaten, sondern zugleich ein wichtiges Element der Überlegenheit des „sozialistischen Weltsystems" dar. Grundlage der Internationalen Organisationen der sozialistischen Staaten ist das Prinzip des sozialistischen Internationalismus, für das die Freiwilligkeit der gemeinschaftlichen Anstrengungen und die brüderliche gegenseitige Hilfe als Kennzeichen wirklicher Gleichberechtigung und Unabhängigkeit der beteiligten Staaten konstitutiv sind. Diese international organisierte Kooperation der sozialistischen Staaten bewirkt nach sowjetmarxistischer Auffassung eine optimale innersozialistische Arbeitsteilung, beschleunigt das Wirtschaftswachstum aller Mitglieder des „sozialistischen Weltsystems", ermöglicht eine flexible Gestaltung ihrer Wirtschaftsbeziehungen zu den kapitalistischen Industriestaaten und trägt somit dazu bei, daß die sozialistischen Staaten den internationalen Beziehungen zunehmend ihren Stempel aufzudrücken vermögen.

Elemente einer historisch-kritischen Theorie Die Mehrzahl der vorstehend referierten Theorien erhellt bestimmte wesentliche Aspekte der Wirklichkeit der Internationalen Organisationen. Die Hauptaufgabe der Theoriebildung im Hinblick auf Internationale Organisationen besteht gegenwärtig darin, die gültigen Einsichten aus verschiedenen theoretischen Ansätzen in einem konsistenten Erklärungszusammenhang zu interpretieren. Diese Integrationsleistung erfordert ein Paradigma, das es erlaubt, die Internationalen Organisationen sowohl als Moment eines entwicklungsgeschichtlichen Stufenprozesses als auch als Ausdruck bestimmter historisch wirksamer gesellschaftlichpolitischer Interessenkonstellationen zu begreifen. Im Mittelpunkt einer historisch-kritischen Theorie der Internationalen Organisationen steht das Paradigma der internationalen, tendenziell globalen Vergesellschaftung. Eingeschlossen in dieses Paradigma ist die Annahme, daß jedem historisch individuierbaren Vergesellschaftungsprozeß eine bestimmte Form der politischen Organisation eigentümlich ist. Darauf aufbauend ist es eine grundlegende These dieser Theorie, daß in den Internationalen

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Internationale Organisationen.

Organisationen die spezifische Form der politischen Organisation zum Ausdruck kommt, vermittels der die allgemeinen Voraussetzungen internationaler Vergesellschaftung hergestellt, ihre strukturellen und ideologischen Entwicklungsbedingungen durchgesetzt und ihre Folgeprobleme bearbeitet werden. Internationale Organisationen stellen also den institutionellen Rahmen der — nach Raum und Zeit ungleichmäßig sich ausbildenden — Internationalisierung von Politik dar. Der Begriff der internationalen Vergesellschaftung bezeichnet jenen entwicklungsgeschichtlichen Stufenprozeß, in dem sich der Ubergang von der Nationalität zur Universalität vollzieht. Dieser Übergang wird getragen von der inneren Dynamik der — kapitalistisch und/oder etatistisch organisierten — Industrie- und Technologiewirtschaft. Er äußer): sich in der weltweiten Diffusion moderner Technologien, in der globalen Reichweite der Massenvernichtungsmittel, in der alle Teile der Erde erfassenden Arbeitsteilung, im ökologischen Faktor endlicher Ressourcen und in den die ganze Welt umspannenden Kommunikationsnetzen, über die sich das Bewußtsein der internationalen Vergesellschaftung herstellt und vermittelt. Der Begriff der internationalen Vergesellschaftung unterstellt nicht, daß es sich um einen von Interessenwidersprüchen freien oder verteilungsgerechten oder reale Gewaltminderung bewirkenden Prozeß handelt. Er beinhaltet vielmehr die Vorstellung, daß internationale Vergesellschaftung insoweit ein allgemeines Interesse repräsentiert, als sie — wenngleich in durchaus prekärer Weise — die Reproduktionsbasis der Menschheit erweitert, zugleich aber durch die partikularen Interessen der Träger der industrie- und technologiewirtschaftlichen Entwicklung bestimmt wird. Die jüngere industrie- und vor allem technologiewirtschaftliche Entwicklung ist im internationalen Maßstab durch die Tendenz zur Rückbildung privatautonomer Trägerschaft gekennzeichnet. An ihre Stelle treten (bzw. sind getreten) verschiedenartige Formen öffentlicher Trägerschaft — im Extremfall die durchgängige Überführung des industrie- und technologiewirtschaftlichen Apparates in öffentliche Regie. Die öffentliche Regie der materiellen wie immateriellen gesellschaftlichen Reproduktion sucht die Effektivität und Effizienz privatkapitalistischer Organisation der Produktion durch bewußte Dezentralisierungsmaßnahmen einerseits, politisch organisierte Internationalisierung andererseits einzuholen. Dabei kann sich vor allem Internationalisierung für die politisch-ökonomische Führungsgruppe einer Nationalgesellschaft je nach Reproduktionssektor als eine zweischneidige Option erweisen, denn die Internationalisierung der in öffentlicher Regie betriebenen gesellschaftlichen Reproduktion ist stets mit der Einebnung von Konkurrenzvorteilen — zum eigenen Vorteil oder Nachteil - verbunden. Es liegt daher auf der Hand, daß die öffentlichen Träger der gesellschaftlichen Reproduktion vor allem dann für die politisch organisierte Internationalisierung bestimmter Reproduktionssektoren optieren, wenn sich damit bestehende Konkurrenzrückstände aufheben oder doch Kompensationen für kurz- und mittelfristig unaufhebbare Konkurrenzdisparitäten erwirken lassen. Die Option für die politisch organisierte Internationalisierung bietet sich indessen auch für die in der industrie- und technologiewirtschaftlichen Konkurrenz bevorzugten Nationalgesellschaften an, die selbst machtpolitisch nicht in der Lage sind, diesen Konkurrenzvorsprung umfassend durchzusetzen und aufrechtzuerhalten. Die öffentliche Regie der industrie- und technologiewirtschaftlichen Entwicklung bildet also die Skala der Kompetenz- und Steuerungsschemen bewußt voll aus. Unterschiede in der Steuerungskapazität von Internationalen Organisationen ergeben sich einmal aus der ungleichmäßigen Extensität und Intensität der internationalen Vergesellschaftung in räumlicher und zeitlicher Hinsicht, zum anderen aber aus inneren Bedingungen einzelner gesellschaftlicher Reproduktionssektoren. Internationale Organisationen bieten daher ein komplexes Erscheinungsbild, fungieren aber ihrem Wesen nach als historisch neuartige und notwendige institutionelle Form der öffentlichen Regie gesellschaftlicher Reproduktionsprozesse.

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Intervention

Literatur Morosow: Internationale Organisationen, (Ost-)Berlin 1971 Rittberger: Evolution and International Organization, Den Haag 1973 Ruggie: Collective Goods and Future International Collaboration, in: American Political Science Review vol. 66 (1972) p. 874 Senghaas-Knobloch: Frieden durch Integration und Assoziation, Stuttgart 1969 dies.: Internationale Organisationen, in: Krippendorff (Hrsg.), Probleme der internationalen Beziehungen, Frankfurt/M. 1972, S. 103 Skolnikoff: The International Imperatives of Technology, Berkeley (Calif.) 1972 Volker Rittberger Verweise auf·. Multinationale Konzerne; Nichtstaatliche Organisationen; Seerecht.

Intervention Das zwischenstaatliche

Interventionsverbot

Während nach dem — auch in der heutigen Völkerrechtslehre vielfach noch vertretenen ,.klassischen" Interventionsbegriff unter „Intervention" die Einmischung eines Staates in Angelegenheiten der nationalen Zuständigkeit eines anderen Staates mittels Androhung oder Anwendung militärischer Gewalt („dictatorial interference") verstanden wird,umfaßt dieser Begriff nach modernem Verständis jedem ungerechtfertigten Eingriff eines Staates in die kraft des Prinzips der Selbstbestimmung (-»· Selbstbestimmungsrecht) einem anderen Staat zustehenden Rechte; die Intervention stellt danach grundsätzlich einen verbotenen, nur ausnahmsweise gerechtfertigten Akt dar. Ungeklärt ist noch, ob die Aggression, also „the (first) use of armed force by a state against the sovereignty, territorial integrity or political independence of another state . . . " (siehe Art. 1, 2 der von der Generalversammlung am 14.12.1974 in Res. 3314 (XXIX) angenommenen „Definition of Aggression"), begrifflich noch als - gem. Art. 2 Ziff. 4 verbotene — Intervention gelten kann oder von dieser unterschieden werden muß, mit der Folge, daß nur noch Einmischungen in Form von Gewaltandrohung sowie wirtschaftliche, diplomatische, propagandistische und subversive Eingriffe der Intervention zugeordnet werden können. Zur ersteren, wohl zutreffenden Auffassung hat sich die Generalversammlung in der Präambel ihrer „Declaration on the Inadmissibility of Intervention in the Domestic Affairs of States and the Protection of their Independence and Sovereignty" (Res. 2131 (XX) vom 21.12.1965) bekannt, wenn sie feststellt, daß „armed intervention is synonymous with aggression". In dieser Deklaration definiert die Generalversammlung das zwischenstaatliche Interventionsverbot unter Bezugnahme auf entsprechende Prinzipien insbesondere in der Charta der OAS (Art. 15), der Arabischen Liga (Art. 2, 8) und der OAU (Art. III Ziff. 2) wie folgt: „1. No State has the right to intervene, directly or indirectly, for any reason whatever, in the internal or external affairs of any other State. Consequently, armed intervention and all other forms of interference or attempted threats against the personality of the State or against its political, economic and cultural elements, are condemned. 2. No State may use or encourage the use of economic, political or any other type of measures to coerce another State in order to obtain from it the subordination of the exercise of its sovereign rights or the secure form it advantages of any kind". Diese Sätze finden sich wortwörtlich auch in der „Declaration on Principles of International Law concerning Friendly Relations and Co-operation among States in accordance with the Charter of the United Nations" der Generalversammlung (Res. 2625 (XXV) vom 24.10.1970).

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Intervention

Während nach traditioneller Auffassung lediglich die souveränen Staaten durch das Interventionsverbot in ihrem Recht auf innere und äußere Selbstbestimmung geschützt sind, hat die Generalversammlung in ihrer Deklaration von 1965 auch das Recht der „peoples and nations" auf Selbstbestimmung und Unabhängigkeit dem Schutz des Interventionsverbotes unterstellt, wenn sie betont: „The use of force t o deprive peoples of their national identity constitutes a violation of their inalienable rights and of the principle of non-intervention" (Ziff. 3) und verlangt: „All States shall respect the right of self-determination and independence of peoples and nations, to be freely exercised without any foreign pressure, and with absolute respect for human rights and fundamental freedoms" (Ziff. 6). Interventionscharakter nehmen militärische, wirtschaftliche und politische Einflußnahmen eines Staates gegen einen anderen immer nur dann an, wenn sie zu einem Eingriff in Angelegenheiten führen, hinsichtlich derer der betroffene Staat keinen völkerrechtlichen Regeln unterworfen ist; dabei müssen die Mittel und Methoden dieses Eingriffs eine solche Intensität erreichen, daß der Staat, gegen den sie gebraucht werden, zu einem Tun oder Unterlassen veranlaßt wird, zu dem er sich in freier Selbstbestimmung nicht entschlossen hätte. Der einem jeden Staat zustehende interventionsfreie Raum ist nicht statisch, sondern nach dem jeweiligen Entwicklungsstand des Völkerrechts zu bestimmen. Im Zuge der wachsenden bi- und multilateralen Vertragsverflechtungen der Staaten und der fortschreitenden völkerrechtlichen Durchdringung ursprünglich der staatlichen Zuständigkeit vorbehaltener Materien wird die personale und territoriale -» Souveränität der Staaten zunehmend eingeengt. Neben den vertraglichen Beschränkungen des staatlichen Zuständigkeitsbereiches (ζ. B. Gewährung von Durchmarschrechten, Errichtung von Stützpunkten, Truppenstationierung, Folgen des Beitritts zu einer inter- bzw. supranationalen Organisation) resultieren die Souveränitätsbeschränkungen im allgemeinen Völkerrecht heute insbesondere aus der Anerkennung zumindest emes elementaren Bestandes an ->· Menschenrechten, zu dem jedenfalls der kollektive Diskriminierungsschutz zählt (vgl. die Verurteilung der „violations of human rights and fundamental freedoms wherever they occur, especially in all colonial and dependent territories, including the policies of apartheid . . . and racial discrimination" durch die Generalversammlung in der Res. 2144 A (XXI) vom 26.10.1966), und speziell des Selbstbestimmungsrechts der Völker (vgl. Res. 1514 (XV) vom 14.12.1960: „All peoples have the right to self-determination; by virtue of that right they freely determine their political status and freely pursue their economic, social an cultural development"). In ihrem Aktionsprogramm zur Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts (Res. 2621 (XXV) vom 12.10.1970) hat die Generalversammlung darüberhinaus den Mitgliedstaaten sogar die Verpflichtung auferlegt, den Kolonialvölkern jede erforderliche moralische und materielle Hilfe zu leisten; damit dürfte die nichtmilitärische Unterstützung eines Volkes in seinem Kampf gegen koloniale Unterdrückung durch dritte Staaten vom Interventionsverbot ausgenommen sein. Ebenso erscheinen gewaltlose Aktionen zum Schutz der elementaren Menschenrechte (ζ. B. Asylgewährung) unter dem Gesichtspunkt des Interventionsverbotes unbedenklich. Die völkerrechtliche Unzulässigkeit militärischer Maßnahmen zur Durchsetzung des Mindeststandards an Menschenrechten (ζ. B. die „klassische" humanitäre Intervention) und des Selbstbestimmungsrechts der Völker ergibt sich nur insoweit aus dem Interventionsverbot, als die territoriale Souveränität des letzteren gewaltsam verletzt und damit zugleich gegen das -> Gewaltverbot verstoßen wird. Das Gleiche gilt für die militärischen Schutzmaßnahmen eines Staates zugunsten seiner Bürger im Ausland. Da ein Bürgerkrieg (von Sonderfällen abgesehen) auch heute noch zu den inneren Angelegenheiten des von ihm heimgesuchten Staates zählt, ist jede Einmischung Dritter in den Konflikt grundsätzlich verboten. Dazu hat sich auch die Generalversammlung in ihrer Deklaration über die „Unzulässigkeit der Intervention" von 1965 bekannt ( „ . . . no State shall organize, assist, foment, finance, incite or tolerate subversive, terrorist or armed activities directed towards the violent overthrow of the régime of another State, or interfere in civil strife in another State"). Keine verbotene Intervention soll dagegen die Unterstützung der

Das Interventionsverbot.

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etablierten Regierung durch Dritte sein, sofern diese darum ersucht hat (sog. erbetene Intervention). Diese zunehmend bestrittene Lehrmeinung bedarf im Hinblick auf das Interventionsverbot der Korrektur: Während die gewaltlose humanitäre Hilfeleistung Dritter zugunsten der Konfliktsopfer jeder Bürgerpartei mit deren Zustimmung immer zulässig ist, dürfte jede Unterstützung der etablierten Regierung von außen trotz deren Ersuchens heute dann nicht mehr gestattet sein, wenn die Aufständischen einen bestimmten Teil des Staatsgebiets kontrollieren und sich auf einen beachtlichen Teil der Bevölkerung stützen können oder die Hilfe Dritter der Aufrechterhaltung oder Verfestigung eines völkerrechtswidrigen Regimes dient. Letzteres bedeutet insbesondere, daß in den antikolonialen und antirassistischen Befreiungskämpfen jede Unterstützung der etablierten Regierung von außen, auch wenn sie von dieser erbeten worden ist, heute nicht mehr zulässig ist; eine solche Unterstützung ist vielmehr nach der ständigen Resolutionspraxis der Generalversammlung und des Sicherheitsrats (die sich zwischenzeitlich bereits zu Völkergewohnheitsrecht verdichtet haben dürfte) als eine verbotene Intervention gegenüber dem um die Verwirklichung seines Rechts auf Selbstbestimmung und Unabhängigkeit kämpfenden Volk zu qualifizieren (vgl. ζ. B. die schon zitierten Ziff. 3, 6 der Deklaration von 1965, sowie Sicherheitsrat-Resolution 180 (XVIII) vom 31.7.1963). Was die Bedeutung des Interventionsverbots in der heutigen Staatenpraxis anlangt, so treten insbesondere die gerade erst souverän gewordenen Staaten Asiens und Afrikas für eine rigide Beachtung des Prinzips der Nichteinmischung ein. Umgekehrt dient die Intervention den Großmächten oft als Instrument zur Verfolgung ihrer machtpolitischen Interessen. Die Eisenhower-Doktrin für den Nahen Osten von 1957, die Johnson-Doktrin zur Rechtfertigung der amerikanischen Intervention in der Dominikanischen Republik von 1965 (entgegen dem Interventionsverbot in Art. 15 OAS-Charta) und die Breschnew-Doktrin zur Legitimierung des sowjetischen Einmarsches in der CSSR von 1968 (entgegen dem Interventionsverbot in Art. 8 Warschauer Pakt) sind beredte Beispiele für den Versuch der beiden Supermächte, ihre Hegemonialstellung in den beiderseits respektierten geographischen Interessensphären unter Mißachtung der Souveränität der in diesen Einflußzonen befindlichen Staaten und unter Umgehung des Interventionsverbotes zu behaupten. Das Interventionsverbot

des Art. 2 Z i f f . 7

Während bei der zwischenstaatlichen Intervention widerstreitende territoriale und personale Souveränitätsansprüche der Staaten (-> Souveränität) aufeinandertreffen, resultieren verbotene Interventionen einer internationalen Organisation gegenüber ihren Mitgliedstaaten stets aus einer Überschreitung der ihr durch die Satzung eingeräumten Kompetenzen. Nach dem Recht der Charta stehen die Handlungsbefugnisse der Organe (ζ. B. in Art. 10, 11, 13, 14, 24, 55, 60, 62) unter dem Vorbehalt des Art. 2 Ziff. 7, wonach es den Vereinten Nationen nicht gestattet ist, „to intervene in matters which are essentially within the domestic jurisdiction of any state". Gegenüber den „enforcement measures" des VII. Kapitels — mit Ausnahme der „provisional measures" nach Art. 40; str. — (-> Sanktionen), nicht jedoch gegenüber den Maßnahmen nach dem VI. Kapitel der Charta (str.), wird den Staaten der Einwand der „domestic jurisdiction" durch Art. 2 Ziff. 7, 2. Halbsatz von vornherein abgeschnitten. Der Rechtsbegriff „to intervene" in Art. 2 Ziff. 7 stimmt in seinem Kern mit dem weitgefaßten Begriff der zwischenstaatlichen Intervention überein. Als Intervention kommen jedoch nur solche Maßnahmen der Vereinten Nationen in Betracht, die zwar grundsätzlich in der Kompetenz eines ihrer Organe liegen, insofern aber eine Kompetenzüberschreitung darstellen, als sie in die „domestic jurisdiction" der Staaten eingreifen. Eine solche Eingriffswirkung kann vor allem von einer konkreten, an die Adresse eines bestimmten Staates gerichteten Empfehlung, der Aufforderung nach Aussetzung des Vollzugs einer staatlichen Maßnahme und der Einsetzung einer Untersuchungskommission, nicht dagegen von der

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Intervention

bloßen Diskussion einer Angelegenheit oder deren Aufnahme in die Tagesordnung eines Gremiums der Vereinten Nationen ausgehen. Interventionscharakter nehmen die genannten Maßnahmen dann an, wenn sie sich auf Angelegenheiten beziehen, die wesensnotwendig („essentially"; im Gegensatz zu dem schwächeren Ausdruck „solely" in Art. 15 Abs. 8 Völkerbundsatzung) zum nationalen Zuständigkeitsbereich des betreffenden Staates gehören. Entgegen der Absicht der Gründungskonferenzen (-> Entstehungsgeschichte), die Kompetenzen der Organisation gegenüber ihren Mitgliedstaaten stärker als in der Völkerbundsatzung zu begrenzen (vgl. die Ersetzung des Wortes „solely" in Art. 15 Abs. 8 Völkerbundsatzung durch „essentially" in Art. 2 Ziff. 7) hat sich in der Praxis der Vereinten Nationen insbesondere auf dem Gebiete der -»• Menschenrechte schon frühzeitig eine Tendenz zur engen Auslegung des staatlichen Vorbehalts in Art. 2 Ziff. 7 gezeigt. Parallel zu den kodifikatorischen Bemühungen der Vereinten Nationen um einen wirksamen Menschenrechtsschutz (siehe ζ. B. neben den Menschenrechtsbestimmungen der Charta vor allem die Konvention über den Völkermord und die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948, die Konvention zur Beseitigung der Rassendiskriminierung von 1965 und die beiden Menschenrechtspakte von 1966) befassen sich schon seit 1946 die verschiedensten Organe der Vereinten Nationen mit konkreten Menschenrechtsverletzungen: In einer Fülle von Resolutionen haben die Generalversammlung (ζ. B. 1949 im sog. Fall der russischen Ehefrauen, 1959, 1961 und 1965 wegen Menschenrechtsverletzungen in Tibet und insbesondere seit 1946 wegen der Menschenrechtsverletzungen und Rassendiskriminierung im -> südlichen Afrika) und auch der Sicherheitsrat (besonders in der Apartheid-Frage (-* Apartheid) seit 1960) die jeweiligen Verletzerstaaten wegen ihrer menschenrechtswidrigen Praktiken verurteilt, zu deren Beendigung aufgefordert und teilweise auch Sanktionen gegen diese angedroht oder tatsächlich verhängt, wobei sie sich regelmäßig über den von diesen Staaten erhobenen Einwand der „domestic jurisdiction" nach Art. 2 Ziff. 7 hinwegsetzten. Ebenso unbeeindruckt von diesem Einwand ist zunächst auch die Praxis der Vereinten Nationen bei der Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen geblieben, soweit diese auf Maßnahmen außerhalb des Territoriums des betreffenden Verletzerstaats (ζ. B. Anhörung von Zeugen) beschränkt blieb. Neben der Untersuchung der Zwangsarbeit durch ein vom ->• ECOSOC und der -> ILO gemeinsam geschaffenes Organ (1949 - 1953) und der Tätigkeit der von der ILO eingesetzten „Fact-finding and Conciliation Commission on Freedom of Association" (1950) und des „Committee on Freedom of Association" (1951) sind hier vor allem die Untersuchungen der mit Billigung des ECOSOC (Res. 1235 (XLII) vom 6.6.1967) von der Menschenrechtskommission im Jahre 1967 eingesetzten Ad Hoc Working Group of Experts wegen der Beschwerden über Mißhandlungen von Häftlingen in Südafrika (1967), in Namibia (Südwestafrika), Südrhodesien und den portugiesischen Kolonien in Afrika (1968) (-»· portugiesische Kolonialgebiete) bzw. der 1969 geschaffenen speziellen Working Group of Experts zur Aufklärung von angeblichen Verletzungen der IV. Genfer Konvention von 1949 durch Israel in den von ihm besetzten arabischen Gebieten zu nennen. Allerdmgs ist diesen Experten jede Untersuchungstätigkeit „sur place" von den genannten Staaten (teils unter ausdrücklichem Hinweis auf Art. 2 Ziff. 7) verwehrt worden. Das faktische Gewicht des (wenn auch unberechtigten) Einwands der „domestic jurisdiction" und die Einsicht in die Notwendigkeit einer Zusammenarbeit zwischen den Experten und dem einer Menschenrechtsverletzung beschuldigten Staat dürften den ECOSOC in seiner Resolution 1503 ((XLVIII) vom 27.5.1970) bewogen haben, für die Fälle eines „consistent pattern of gross and reliably attested violations of human rights and fundamental freedoms" ein generelles Untersuchungsverfahren zu schaffen, in dem ein von der Menschenrechtskommission bestelltes „ad hoc committee" nur noch „with the express consent" des betreffenden Staates und „in constant co-operation" mit diesem Untersuchungsaufgaben erfüllen kann. Damit hat der ECOSOC selbst die Grenzen aufgezeigt, die den Vereinten Nationen in ihrem Bemühen

IRK - Internationales Rotes Kreuz

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um wirksame Menschenrechtsschutzmechanismen angesichts des unverrückten Festhaltens vieler Staaten an einem starren Souveränitätskonzept auch heute noch gesetzt sind.

Literatur De Lima: Intervention in International Law, Den Haag 1971 Ermacora: Human Rights and Domestic Jurisdiction (Article 2, § 7, of the Charter), in: RCADI 124(1968 II) p. 371 Gerlach: Intervention, Hamburg 1967 Rajan: United Nations and Domestic Jurisdiction, 2nd ed., London 1961 Schindler: Le principe de non-intervention dans les guerres civiles (Rapport provisoire, Rapport définitif et projet de Résolution), in: Annuaire de l'Institut de Droit international, vol. 55 (1973) p. 416, p. 545 Sohn / Buergenthal: International Protection of Human Rights, Indianapolis / Kansas City / New York 1973 Ulrich Beyerlin Verweise auf: Apartheid; Entstehungsgeschichte; Gewaltverbot; Menschenrechte; Rassendiskriminierung; Sanktionen; Selbstbestimmungsrecht; Souveränität; Südliches Afrika.

IRK - Internationales Rotes Kreuz Das Internationale Rote Kreuz besteht gemäß seiner Satzung aus den nationalen RotkreuzGesellschaften, dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) und der Liga der Rotkreuz-Gesell schaften. Nationale

Rotkreuz-Gesellschaften

Die älteste nationale Rotkreuz-Gesellschaft entstand im Dezember 1863 in Württemberg. Gegenwärtig gibt es 122 nationale Rotkreuz-Gesellschaften. Die Zahl ist seit dem Ende des 2. Weltkrieges durch das Schwinden des Kolonialismus und die staatliche Neuordnung im asiatischen und afrikanischen Raum sprunghaft gestiegen. Da auch in den wenigen verbleibenden Ländern noch nationale Rotkreuz-Gesellschaften im Entstehen begriffen sind, kann man davon sprechen, daß so gut wie alle Länder der Erde nationale Rotkreuz-Gesellschaften haben. 104 dieser Gesellschaften führen das Rotkreuz-Zeichen, 17 Gesellschaften führen den Roten Halbmond und eine Gesellschaft, der Iran, führt den Roten Löwen und die Rote Sonne. Das Schutzzeichen des Roten Kreuzes ist — zu Ehren der Schweiz — aus der Umkehrung der eidgenössischen Farben gebildet worden. Aus religiösen Gründen fuhren die arabischen Länder den Roten Halbmond. Die unterschiedlichen Zeichen sind für die Zugehörigkeit zur Organisation rechtlich ohne Bedeutung. In der Bundesrepublik Deutschland besteht das Deutsche Rote Kreuz, das in seiner jetzigen Struktur als Vereinigung der Landesverbände und des Verbandes der Schwesternschaften vom Deutschen Roten Kreuz am 4. Februar 1950 gegründet wurde. Es zählt rund 2,5 Mio. erwachsene Mitglieder und 270.000 Mitglieder des Jugendrotkreuzes. Jede nationale Rotkreuz-Gesellschaft bedarf einer doppelten Anerkennung, nämlich durch die Regierung des eigenen Staates und durch das IKRK. Die Anerkennung durch die eigene Regierung ist völkerrechtlich vorgeschrieben in Art. 26 I. Genfer Abkommen (BGBl. 1954 II S. 781). Die Anerkennung durch das Internationale

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IRK - Internationales Rotes Kreuz

Komitee vom Roten Kreuz setzt voraus, daß bestimmte Punkte für alle nationalen RotkreuzGesellschaften eingehalten werden. Die Anerkennungsbedingungen beziehen sich insbesondere auf einheitliche Struktur, Unabhängigkeit und Selbstverwaltung, das Recht, das Rotkreuz-Zeichen (bzw. das Zeichen des Roten Halbmonds oder des Roten Löwen mit der Roten Sonne) zu führen, Tätigkeit und Verfolgung seiner Prinzipien. Die Aufgaben der nationalen Rotkreuz-Gesellschaften sind vielfältig. Sie ergeben sich teilweise aus den Genfer Rotkreuz-Abkommen (ζ. B. Suchdienst, Tätigkeiten zu Gunsten der Kriegsopfer), teilweise aus den Beschlüssen Internationaler Rotkreuz-Konferenzen (ζ. B. Krankenpflege, Rettungsdienst, Blutspendedienst, Erste Hilfe, Hilfe bei Unglücksfällen und Katastrophen im In- und Ausland, Hilfsaktionen bei Konflikten, Gesundheitsdienst), teilweise aus innerstaatlichen Regelungen. Hierunter fallen in der Bundesrepublik Deutschland der Krankentransport und der weite Bereich der Wohlfahrtspflege. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz Das IKRK entstand aus dem von Henry Dunant angeregten Fünfer-Komitee im Jahre 1863. Es hat eine überaus verdienstvolle Tätigkeit in vielen Konflikten geleistet und sich im Laufe der Zeit zu dem wichtigsten Mittler in Konflikten entwickelt. Das IKRK ist rechtlich eine juristische Person des Schweizer Zivilrechts; es besteht nach seiner Satzung aus höchstens 25 Schweizer Bürgern. An seiner Spitze steht ein Präsident, dem zwei Vizepräsidenten, die jährlich wechseln, zur Seite stehen. Das IKRK erfüllt vielfältige Aufgaben, die zu einem wesentlichen Teil auf den Genfer Rotkreuz-Abkommen, auf Mandaten Internationaler Rotkreuz-Konferenzen sowie auf seiner eigenen Satzung beruhen. Zentrale Aufgabe ist die vielfältige Hilfeleistung im Rahmen von Konflikten. Sie ist in den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 begründet. Diese Abkommen, nämlich das Abkommen zur Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken der Streitkräfte im Felde (BGBl. 1954 II S. 781), das Abkommen zur Verbesserung des Loses der Verwundeten, Kranken und Schiffbrüchigen der Streitkräfte zur See (BGBl. 1954 II S. 813), das Abkommen über die Behandlung der Kriegsgefangenen (BGBl. 1954 II S. 838) und das Abkommen zum Schutze von Zivilpersonen in Kriegszeiten (BGBl. 1954 II S. 917) stellen nicht nur Regelungen zum Schutze der jeweiligen Personenkreise auf (->• Kriegsführung), sondern verpflichten die Parteien, nach einem Kampf alle Maßnahmen zu treffen, um die Verwundeten, Kranken und Gefallenen zu suchen und zu bergen (Art. 15 1. Genfer Abkommen), Verzeichnisse über die Verwundeten und Kranken des Gegners zu führen (Art. 161. Genfer Abkommen), sowie eingerichtete Sanitätszonen von jedwedem Angriff freizuhalten. Durchführung und Kontrolle kann dem IKRK übertragen werden (Art. 8, 101. Genfer Abkommen). Eine stark abgeschwächte Möglichkeit (Anbieten von Hilfeleistungen) hat das IKRK auch in Bürgerkriegen, doch wird eine Ausweitung der Befugnisse zur Zeit auf der Genfer Rotkreuz-Konferenz beraten. In Auswirkung seiner Verpflichtungen hat das IKRK auch die ständige Verbesserung und Einhaltung des humanitären Völkerrechts sowie die Verbreitung seiner Kenntnis übernommen. In bezug auf die nationalen Rotkreuz-Gesellschaften hat das IKRK das Recht und die Pflicht, über ihre Anerkennung zu entscheiden und die Einhaltung der Rotkreuz-Prinzipien zu überwachen. Schließlich hat das IKRK sich immer das freie Initiativrecht im humanitären Bereich vorbehalten und Impulse für die Entwicklung des humanitären Völkerrechts gegeben.

Verhältnis zu den Vereinten Nationen

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Liga der Rotkreuz-Gesellschaften Die Liga der Rotkreuz-Gesellschaften wurde am 6. Mai 1919 von Vertretern von 26 nationalen Rotkreuz-Gesellschaften auf Anregung des Amerikanischen Roten Kreuzes gegründet. Sie ist der Weltbund der nationalen Rotkreuz-Gesellschaften und hat sich insbesondere seit dem Ende des 2. Weltkrieges außerordentlich stark entwickelt. Ihr gehören gegenwärtig alle 122 nationalen Rotkreuz-Gesellschaften an. Die Liga ist eine internationale Organisation. An der Spitze steht gegenwärtig ein Präsident, dem sieben Vizepräsidenten zur Seite stehen. Die Leitung der Exekutive obliegt dem Generalsekretär. Die Hauptversammlung der Liga heißt Gouverneursrat. Den Vorstand bildet ein Exekutivkomitee. Daneben bestehen mehrere beratende Ausschüsse. Im Unterschied zu den Aufgaben des IKRK sind die Aufgaben der Liga friedensbezogen. Sie ergeben sich aus der Satzung der Liga, den Beschlüssen des Gouverneursrats sowie den Empfehlungen der Internationalen Rotkreuz-Konferenzen. Der Zweck der Liga liegt darin, die humanitäre Tätigkeit der nationalen Gesellschaften zu erleichtern. Die Liga fördert die Gründung und Entwicklung dieser nationalen Gesellschaften und koordiniert ihre Zusammenarbeit. Schwerpunkte der Zusammenarbeit sind gegenwärtig: Die internationale Katastrophenhilfe, die Entwicklungshilfe, die Förderung des Jugendrotkreuzes, die Gesundheitshilfe und Sozialarbeit und der Blutspendedienst. Die drei genannten Institutionen haben für die Koordination drei gemeinsame Gremien, nämlich die Rotkreuz-Konferenzen, der Delegiertenrat und die Ständige Kommission.

Delegiertenrat Der Vorbereitung der Konferenzen dient der Delegiertenrat. Anfänglich war der Delegiertenrat nur unmittelbar vor den Internationalen Rotkreuz-Konferenzen zusammengetreten, um über Wahlvorschläge und die Tagesordnung zu beschließen. Erst seit 1961 (Prag) hat der Delegiertenrat eine eigene Bedeutung gewonnen. Der Delegiertenrat besteht aus Delegierten der nationalen Rotkreuz-Gesellschaften, des IKRK und der Liga. Er ist demnach personell mit der Internationalen Rotkreuz-Konferenz teilweise identisch. Es fehlen jedoch die Staatenvertreter. Die Aufgaben des Delegiertenrates liegen im gleichen Bereich wie die Aufgaben der Internationalen Rotkreuz-Konferenz. Der Zweck einer eigenen Tagung des Delegiertenrats liegt vor allem darin, die Übereinstimmung in grundsätzlichen Fragen im Rotkreuz-Bereich zu finden, bevor die Regierungen mitwirken (Beispiel: Grundsätze des Roten Kreuzes).

Ständige Kommission Die Ständige Kommission des Internationalen Roten Kreuzes entstand nach dem 1. Weltkrieg und wurde erstmalig satzungsmäßig im Jahre 1928 verankert. Sie setzt sich aus 9 Mitgliedern zusammen, von denen 2 vom IKRK, 2 von der Liga delegiert werden, während 5 Personen von der Internationalen Rotkreuz-Konferenz gewählt werden. Die Aufgaben der Ständigen Kommission sind doppelt: Sie bereitet die Internationalen Rotkreuz-Konferenzen vor und stellt in den Intervallen zwischen den Konferenzen die Verbindung zwischen den drei institutionellen Trägern des Roten Kreuzes dar. Sie ist also mit einer Art schiedsrichterlicher Kompetenz ausgestattet.

Verhältnis zu den Vereinten Nationen Zwar sind das Rote Kreuz und die Vereinten Nationen völlig getrennte Institutionen, die organisatorisch unabhängig voneinander sind, doch ist ihre Zusammenarbeit sehr eng. Die Genfer Konventionen haben die volle Unterstützung der Vereinten Nationen gefunden. Die

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IRK - Internationales Rotes Kreuz

Vereinten Nationen sind an den Arbeiten des Roten Kreuzes stärkstens interessiert und senden regelmäßig Beobachter zu den Internationalen Rotkreuz-Konferenzen. Auf der anderen Seite gehören das IKRK und die Liga zu den -*• Nichtstaatlichen Organisationen und nehmen daher an jeder Zusammenkunft oder Konferenz der Vereinten Nationen teil, die eine Beziehung zur Tätigkeit des Roten Kreuzes hat. Eine noch engere Einfügung der beiden Rotkreuz-Organisationen IKRK und Liga wird gelegentlich diskutiert, würde aber keiner der beiden Seiten zum Vorteil gereichen. Konferenz über die Weiterentwicklung des humanitären

Völkerrechts

Nach vier Expertenkonferenzen fand im Frühjahr 1974 die vom Schweizer Bundesrat einberufene 1. Session einer diplomatischen Konferenz statt, der im Frühjahr 1975 die 2. Phase der „Konferenz über die Weiterentwicklung des humanitären Völkerrechts" (Kriegsrechtskonferenz) folgte. An der Konferenz nahmen 121 Staaten und als Beobachter die Vertreter von 12 nationalen Befreiungsorganisationen teil. Ziel der Kriegsrechtskonferenz ist die Ausarbeitung von zwei Zusatzprotokollen, die die Genfer Rotkreuz-Konventionen von 1949 und die Haager Landkriegsordnung von 1907 den gegenwärtigen Realitäten anpassen sollen. Das 1. Zusatzprotokoll befaßt sich mit dem Schutz der Opfer internationaler Konflikte, das 2. Zusatzprotokoll mit Bürgerkriegen und anderen internen Konflikten. Von den vorgesehenen 137 neuen Artikeln wurden 77 vorläufig festgelegt, die Annahme der weiteren Bestimmungen auf die 3. Phase der Kriegsrechtskonferenz im Jahre 1976 verschoben. Einigkeit wurde grundsätzlich darüber erzielt, auch Bürgerkriege und größere bewaffnete Konflikte innerhalb eines Landes in das humanitäre Völkerrecht einzubeziehen und für sie Mittel und Methoden des Kampfes festzulegen. Nach dem vorläufig angenommenen Wortlaut sollen die Genfer Konventionen dann bei internen Konflikten Anwendung finden, wenn die Aufständischen „unter verantwortlicher Führung Kontrolle über ein Gebiet" so ausüben, daß sie „anhaltende und geplante militärische Operationen unternehmen und auch das vorliegende Protokoll anwenden können". Die neuen Kriegsrechtsartikel untersagen die Flächenbombardements auf Städte (Bombenteppiche), die Vernichtung der Nahrungs- und Trinkwasserreserven der gegnerischen Zivilbevölkerung, sowie die Zerstörung von „Bauwerken, die gefährliche Kräfte zurückhalten" (Staudämme, Talsperren, Deiche, Atomkraftwerke und Atomreaktoren). Sowohl in internationalen als auch in internen Konflikten verboten werden Kampfmethoden, die zu „breitgestreuten, bleibenden und schweren Umweltschäden" führen. Darunter fällt auch die chemische Entlaubung größerer Vegetationsgebiete. Nach den Zusatzprotokollen wird der Schutz, den die Genfer Abkommen bisher den Kriegsgefangenen gewährten, auch auf Gefangene in nicht-internationalen Konflikten ausgedehnt. Es wird ausdrücklich verboten, internierte Gegner zu foltern, zu verstümmeln, an ihnen pseudo-medizinische Versuche vorzunehmen oder sie als Spender für Organverpflanzungen zu benutzen. Einigkeit wurde auch darüber erzielt, daß die Kriegsparteien stärker als bisher gezwungen sind, eine „neutrale Schutzmacht" zur Wahrung der humanitären Belange zu akzeptieren. Diese Schutzmacht kann entweder eine neutrale Regierung oder eine Organisation wie das IKRK sein. Ungeklärt ist allerdings noch die Frage, welche Guerillakämpfer Anspruch auf einen Kriegsgefangenenstatus haben, ob und inwieweit Waffen mit besonders grausamer Wirkung (ζ. B. Napalm, Zeitzünder) einem Verbot unterliegen, und welche Maßnahmen bei Mißachtung der Bestimmungen ergriffen werden können. Trotz der politischen und humanitären Fortschritte werden einige grundlegende Bestimmungen umstritten bleiben, da sie sehr unterschiedlich interpretiert werden können. So wird von den meisten westlichen Staaten die von den Ländern der Dritten Welt durchgesetzte Bestimmung, wonach nationale Befreiungskriege oder Kriege gegen rassistische Regimes

ITU - Internationale Fernmelde-Union

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unter internationale bewaffnete Konflikte fallen, nicht ohne weiteres hingenommen. Auslegungsschwierigkeiten wird ebenfalls die Definition des internen Konfliktes bereiten, wobei jedoch Einigkeit darüber besteht, daß Straßenaufruhr und einzelne Terrorakte nicht zur Anwendung der Konvention führen. Infolge der Versachlichung auf der 2. Sitzung der Kriegsrechtskonferenz ist jedoch mit einer Klärung und Verabschiedung der Bestimmungen im Jahre 1977 zu rechnen.

Literatur Beyerlin: Die humanitäre Aktion zur Gewährleistung des Mindeststandards in nicht-internationalen Konflikten, Berlin 1975 Bothe: Die Genfer Konferenz über humanitäres Völkerrecht, Bericht über den Stand der zweiten Sitzungsperiode, in: ZaöRV 1975 S. 641 Coursier: La Croix-Rouge Internationale, Paris 1959 Haug: Rotes Kreuz — Werden, Gestalt, Wirken, Bern 1966 Pictet: Les Conventions de Genève du 12 août 1949, Commentaire, 4 vols., Genève 1952-1959 Pokstefl / Bothe: Bericht über Entwicklungen und Tendenzen des Kriegsrechts seit den Nachkriegskodifikationen, in: ZaöRV 1975 S. 574 Schlögel: Die Genfer Rotkreuzabkommen vom 12. August 1949,6. Aufl. Bonn 1974 Anton Schlögel Verweise auf : Kriegsfuhrung; Nichtstaatliche Organisationen.

ITU — Internationale Fernmelde-Union Entstehungsgeschichte Die ITU (International Telecommunication Union; deutsch: Internationale Fernmelde-Union seit BGBl. 1962 II S. 2173; früher: Weltnachrichtenverein, RGBl. 1934 II S. 1063; Internationaler Fernmeldeverein, BGBl. 1952 II S. 341, 1955 II S. 9) wurde am 9. Dezember 1932 gegründet. Auf Grund des Abkommens mit den Vereinten Nationen vom 4. September / 15. November 1947 (UNTS Bd. 30 Nr. 175) ist sie offiziell seit dem 1. Januar 1949 (vorläufig seit dem 15. November 1947) die -*• Sonderorganisation für das Fernmeldewesen. Sie geht zurück auf die 1865 in Paris gegründete Internationale Telegraphen-Union und auf die 1906 in Berlin erstmals zusammengetretene Internationale Funktelegraphen-Konferenz (Internationale Funktelegraphen-Union). Ihre Vorläuferinnen beruhten auf dem Internationalen Telegraphen vertrag von 1865 (Neufassungen Wien 1868,Rom 1872, St. Petersburg 1875) und dem Internationalen Funktelegraphenvertrag von 1906 (Neufassungen London 1912, Washington 1927). Die technischen Aufgaben waren in Vollzugsordnungen — für das Telegraphen- und Telephonwesen ab 1865/1885 und das Funktelegraphenwesen ab 1906 zusammengefaßt. Als Organe fungierten die Konferenzen der Regierungsbevollmächtigten, Verwaltungskonferenzen, ab 1868 das Internationale Büro der Telegraphen-Union in Bern (ab 1906 auch zuständig für Aufgaben aus dem Funktelegraphenvertrag), sowie ab 1925 die Internationalen Beratenden Ausschüsse für den Telegraphen-, den Telephon- und ab 1927 den Funkbetrieb. Die Zusammenfassung zur ITU erfolgte durch den ersten einheitlichen „Weltnachrichtenvertrag" (Madrid 9.12.1932, in Kraft ab 1.1.1934, RGBl. 1934 S. 1063), der durch neue Vollzugsordnungen für die drei Fernmeldedienste ergänzt wurde. Die frühere Organisationsstruktur wurde in den Grundzügen fortgeführt und blieb auch in den Internationalen Fern-

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ITU - Internationale Fernmelde-Union

meldevertragen nach dem 2. Weltkrieg (Atlantic City 1947, Buenos Aires 1952, Genf 1959, Montreux 1965, Malaga-Torremolinos 1973) erhalten. 1947 kamen als weitere Organe der Verwaltungsrat und der Internationale Ausschuß zur Frequenzregistrierung hinzu. An die Stelle des Internationalen Büros trat das Generalsekretariat mit Sitz in Genf. 1956 wurden die beiden Internationalen Beratenden Ausschüsse von 1925 zu einem einheitlichen Ausschuß für den Telegraphen- und Fernsprechdienst zusammengefaßt. Der Tätigkeitsbereich der ITU hat sich entsprechend der technischen Entwicklung des Fernmeldewesens ausgeweitet: Von der Télégraphié (seit 1865) über die Telephonie (1885) zur Funktelegraphie (1906), vom Land- und Seefunk (1906) über den Flug- und allgemeinen Rundfunk ( 1927) bis zum Weltraumflink ( 1959). Die ITU besaß 1974 148 ordentliche Mitglieder und 1 außerordentliches Mitglied. Der ab 1. Januar 1975 geltende Vertrag von Malaga-Torremolinos (BGBl. 1976 II S. 1089) kennt gegenüber den bisherigen Regelungen nur noch eine Art von Mitgliedern. Die Mitgliedschaft steht offen den in Anhang 1 aufgeführten (140) Ländern, ferner jedem Land, das die Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen erwirbt und jedem anderen souveränen Land mit Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder (Art. 1 ITU-Vertrag). Aufgaben und Zielsetzung Aufgabe und Ziel der ITU bestehen in der internationalen Ordnung des Fernmeldewesens. Zu diesem Zweck soll die ITU die internationale Zusammenarbeit der Fernmeldedienste erhalten und ausbauen, die technische Entwicklung fördern und der Öffentlichkeit erschließen sowie die Bemühungen der Nationen auf diese Ziele hin koordinieren. Insbesondere obliegen der ITU Aufgaben bei der Frequenzaufteilung, bei der Gebührenfestsetzung, beim Aufbau von Fernmeldediensten in Entwicklungsländern, bei Maßnahmen zum Schutz menschlichen Lebens durch Zusammenarbeit der Fernmeldedienste und auf dem Gebiet der Weltraum-Fernmeldetechnik (Art. 4 ITU-Vertrag). Die Aufgaben der Fernmeldedienste im einzelnen ergeben sich aus den Vollzugsordnungen für den Telegraphendienst (neueste Fassung: Genf 1973), für den Fernsprechdienst (Genf 1973), für den Funkdienst (Genf 1959; Teiländerungen 1963 [Weltraum], 1966 [Luftfahrt], 1967 [Schiffahrt], 1971 [Weltraum-2], 1974 [Schiffahrt-2] nebst Zusatz-Vollzugsordnung für den Funkdienst (Genf 1959; Teiländerung 1967 [Schiffahrt]). Struktur und Organisation Die ITU besitzt drei periodisch tagende und vier ständige Organe (Art. 5 ITU-Vertrag). Oberstes Organ ist die Konferenz der Regierungsbevollmächtigten, die regelmäßig alle fünf Jahre zusammentreten soll. Sie trifft für die Organisation grundlegende Entscheidungen und hat insbesondere zur Aufgabe, die Tätigkeit der übrigen Organe zu überprüfen, den Haushalt festzustellen, etwaige Abkommen mit anderen Internationalen Organisationen zu schließen und, wenn erforderlich, den Internationalen Fernmeldevertrag abzuändern (Art. 6, 53 ITUVertrag). Um besondere Fragen des Fernmeldewesens, insbesondere Änderungen der Vollzugsordnungen, zu behandeln, können weltweite oder regionale Verwaltungskonferenzen einberufen werden, deren Entscheidungen sich im Rahmen des Internationalen Fernmeldevertrages halten müssen (Art. 7, 54 ITU-Vertrag). Der regelmäßig einmal im Jahr tagende Verwaltungsrat besteht aus 36 Mitgliedern, die von der Konferenz der Regierungsbevollmächtigten gewählt werden, wobei auf eine angemessene Vertretung aller Teile der Welt Rücksicht zu nehmen ist. Er handelt zwischen den Tagungen der Konferenz der Regierungsbevollmächtigten als deren Beauftragter und ist für die wesentlichen Entscheidungen der ITU zuständig (Art. 8, 55 ITU-Vertrag). Von den ständigen Organen nimmt das Generalsekretariat die zentralen Verwaltungsfunktionen wahr. Es wird geleitet von dem Generalsekretär mit Unterstützung eines Vize-Generalsekretärs, die von der Konferenz der Regierungsbevoll-

Aktivitäten

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mächtigten gewählt werden. Der Generalsekretär hat für eine wirtschaftliche Verwaltung zu sorgen und ist dem Verwaltungsrat in allen Wirtschafts- und Finanzangelegenheiten verantwortlich. Er wird bei seiner Tätigkeit von dem Koordinierungsausschuß aus Vertretern der übrigen ständigen Organe unterstützt (Art. 12, 59 ITU-Vertrag). Der Internationale Ausschuß zur Frequenzregistrierung (IFRB — International Frequency Registration Board) besteht aus fünf fachlich qualifizierten Mitgliedern, die von der Konferenz der Regierungsbevollmächtigten gewählt werden. Er registriert die von den Ländern zugeteilten Frequenzen und die Positionen „feststehender" Erdsatelliten, um die amtliche internationale Anerkennung sicherzustellen, berät die Mitglieder zur Vermeidung von Störungen bei der Frequenzbenutzung und erledigt alle anderen damit zusammenhängenden Aufgaben (Art. 10, 57 ITUVertrag). Die beiden Internationalen Beratenden Ausschüsse für den Funkdienst (CCIR — Comité Consultatif International des Radiocommunications) sowie für den Telegraphen- und Fernsprechdienst (CCITT - Comité Consultatif International Télégraphique et Téléphonique) bestehen aus den Verwaltungen aller Mitgliedsländer und aus anerkannten privaten Betriebsgesellschaften. Sie sind mit der Ausarbeitung von Studien und Empfehlungen technischer und betrieblicher Art, der CCITT auch mit Gebührenfragen, beauftragt und üben ihre Tätigkeit aus durch je eine Vollversammlung, Studienkommissionen, je ein Fachsekretariat mit Direktor sowie mit Hilfe von Laboratorien und technischen Anlagen (Art. 11,58 ITU-Vertrag). Die Finanzierung der ITU geschieht hauptsächlich durch Beiträge der Mitglieder, ferner durch Beiträge der anerkannten privaten Betriebsgesellschaften und andere Einnahmen (z. B. aus Veröffentlichungen). Die Mitglieder wählen ihre Beitragsklasse (zwischen 0,5 und 30 Einheiten) nach freiem Ermessen (z. B. Bundesrepublik Deutschland 20). Der Wert einer Beitragseinheit bestimmt sich nach den Ausgaben und den übrigen Einnahmen. Für 1975 entsprach eine Beitragseinheit — bei insgesamt 415,5 Einheiten — dem Gegenwert von 98.600 Schweizer Franken. Die Obergrenze der Ausgaben wird von der Konferenz der Regierungsbevollmächtigten festgelegt (z. B. für 1975 36,65 Mio. Schweizer Franken). In dem von ihr gebilligten Rahmen wird der Haushalt vom Generalsekretär vorbereitet und ausgeführt sowie vom Verwaltungsrat festgestellt und überprüft (Art. 15, 79 ITU-Vertrag). Aktivitäten Die ITU in Verbindung mit ihren Vorläuferinnen ist die älteste Sonderorganisation. Ihr historisch gewachsener komplizierter Aufbau und ihr begrenzter Aufgabenbereich haben sich gleichermaßen als Vorzug wie als Nachteil erwiesen. Die ITU ist weniger eine selbst gestaltende Internationale Organisation als vielmehr eine Anlauf- und Klärungsstelle fur die unterschiedlichen nationalen Fernmeldeinteressen. Ihr im wesentlichen technischer und beratender Charakter hat eine langdauernde sachliche Zusammenarbeit der Mitglieder ermöglicht. Die Internationalen Beratenden Ausschüsse bereiten ihre Empfehlungen in Studienkommissionen vor, die auf Vollversammlungen formal durch Mehrheitsentscheid angenommen werden können. Praktisch kommt es jedoch regelmäßig zur Billigung und Durchführung der nicht-bindenden Empfehlungen durch alle Mitgliedsländer. Eine bemerkenswerte Ausnahme bildet das Scheitern der Vereinheitlichung von Ausrüstungsnormen für das Fernsehen (PAL — SECAM). An diesem Beispiel zeigen sich deutlich die bisweilen schwer oder nicht überwindbaren Spannungen zwischen dem technischen Aufgabenbereich der ITU und den dahinterstehenden wirtschaftlichen und politischen Interessen der Mitgliedsländer. Das gemeinsame Interesse der Staaten an einer störungsfreien Benutzung des begrenzten Funkfrequenzspektrums hat zu einer Aufteilung auf verschiedene Funkdienste (Seefunk, Flugfunk, allgemeiner Rundfunk, Amateurfunk, Weltraumfunk) auf weltweiter und regionaler (Europa—Afrika, Amerika, Asien—Ozeanien) Ebene geführt. Innerhalb dieser Einteilung werden die Frequenzen den einzelnen Benutzern von den Staaten zugeteilt. Um Störungen zu vermeiden, werden zugewiesene Frequenzen dem IFRB zur Eintragung in die dort ge-

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ITU - Internationale Fernmelde-Union

führte Hauptfrequenzliste gemeldet. Das IFRB kann auf etwaige Störungen registrierter Frequenzen hinweisen, diese jedoch nicht unterbinden. Die Tätigkeit der ITU wird entscheidend von den technisch fortgeschrittenen Ländern geprägt. Dabei läßt sich das Erfordernis eines weltweiten leistungsstarken Kommunikationssystems allerdings nicht immer reibungslos mit den finanziellen und technischen Möglichkeiten aller Mitgliedsländer in Einklang bringen. Die ITU besitzt als technische Organisation keine eigenen Mittel für die Entwicklungshilfe, beteiligt sich aber an den Entwicklungsprogrammen der Vereinten Nationen (Aufwendungen unter dem -*• UNDP für 1974 11,1 Mio. Dollar). Außer mit der Hauptorganisation der Vereinten Nationen arbeitet die ITU mit anderen Sonderorganisationen (z. B. ICAO, IMCO, WMO) und einer Reihe regionaler Gremien allgemeiner und spezieller Art (z. B. ECAFE, OAU; EBU - European Broadcasting Union, IAAB — Inter American Association of Broadcasters) zusammen. Dazu gehört auch die INTELSAT (International Telecommunications Satellite Organization — Internationale Fernmeldesatellitenorganisation), eine 1964 vorläufig gegründete und durch Übereinkommen vom 20. August 1971 nebst Betriebsübereinkommen (BGBl. 1973 II S. 249) endgültig errichtete zwischenstaatliche Organisation mit Sitz in Washington (-> Weltraumrecht). Ihr Hauptzweck ist es, auf kommerzieller Grundlage das Weltraumsegment (Fernmeldesatelliten mit zugehörigen technischen Einrichtungen einschließlich Bodenstationen) bereitzustellen, das erforderlich ist, um allen Gebieten der Welt internationale öffentliche Fernmeldedienste von hoher Qualität und Zuverlässigkeit auf der Grundlage der Nichtdiskriminierung zur Verfügung zu stellen (Art. III a INTELSAT-Übereinkommen). Als Organe besitzt die INTELSAT die Versammlung der Vertragsparteien, die Versammlung der Unterzeichner (des Betriebsübereinkommens), den Gouverneursrat und ein diesem verantwortliches geschäftsführendes Organ (Art. VI a INTELSAT-Übereinkommen). Die Zusammenarbeit mit INTELSAT zeigt die Anpassungsfähigkeit der ITU an neue technische Entwicklungen, aber auch ihre immanenten Schwächen, die eine volle Integration des Weltraumfunks nicht gestattet haben. Die 1959 in Genf neu gefaßte Vollzugsordnung für den Funkdienst enthält erstmals eine Frequenzzuteilung für den Weltraumfunk. Erweiterungen erfolgten durch die Teiländerungen 1963 und 1971. 1973 schließlich fand eine Verankerung im Internationalen Fernmeldevertrag von Malaga-Torremolinos statt (Art. 10 Abs. 3 b, 33 Abs. 2). Aber auch auf diesem Gebiet besitzt die ITU eine im wesentlichen passive Registrierfunktion. Insgesamt bestehen kaum tiefgreifende Meinungsverschiedenheiten über die Rolle der ITU. Verbesserungsvorschläge beziehen sich hauptsächlich auf eine Vereinfachung der organisatorischen Struktur, vor allem auf eine Zusammenfassung der Sekretariate und eine Auflockerung des Konferenzsystems. Ob hingegen eine Erweiterung des technischen Charakters um politisch-wirtschaftliche Aufgaben erstrebenswert ist, bleibt vorerst noch eine offene Frage. Literatur von Braun: Die juristische Ausgestaltung eines internationalen Nachrichtensatellitensystems, Frankfurt/M. 1972 Codding: The ITU, Leyden 1952 Garnier: L'ITU et les télé-communications par satellites, Brüssel 1975 Klinter: Satellitenrundfunk, Berlin 1973 Krause: Internationaler Fernmeldeverein, Frankfurt/M. 1960 Leive: International Telecommunication and International Law, Leyden / New York 1970 Smith: International Telecommunication Control, Leyden 1970 Thieme: Rundfunksatelliten und internationales Recht, Hamburg 1973 Siegfried Magiera Verweise auf: Sonderorganisationen; UNDP; Weltraumrecht.

Kapitalhilfe

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Kapitalhilfe Trotz beschleunigten wirtschaftlichen Wachstums in den Entwicklungsländern während der 60er Jahre hat sich die Schere zwischen dem Pro-Kopf-Einkommen dieser Länder und dem der reichen Staaten weiter geöffnet. Nur wenn die Staaten der Erde ihre Anstrengungen zur Verbesserung der Situation in den Ländern der Dritten Welt erheblich intensivieren, besteht Hoffnung, daß die Ziele erreicht werden können, die die Vereinten Nationen weltweit für die 2. Entwicklungsdekade ( 1 9 7 1 - 8 0 ) proklamiert haben (GA Res. 2626 (XXV) vom 24.10.1970). Kapitalhilfe an die bedürftigen Länder ist eines der Instrumente, mit dem die gesteckten Ziele ihrer Verwirklichung näher gebracht werden können (-> Weltwirtschaftsordnung). Begriff, Ziele, Formen Die Kapitalhilfe umfaßt — Nahrungsmittel- und Technische Hilfe sind andere Formen der Förderung — einen großen Teil der finanziellen Unterstützung an die Entwicklungsländer. Der Terminus Kapitalhilfe wird hier weiter verwendet, obwohl der Begriff Finanzierungshilfe zwei konstituierende Elemente der Kapitalhilfe besser verdeutlicht: (1) Die Bereitstellung von Finanzierungsleistungen durch gebende Institutionen oder Staaten, die dem Nehmerland Investitionen zum Aufbau eines Produktivkapitalfonds ermöglichen; (2) die Hilfeleistung im Finanzierungsprozeß, die sich darin manifestiert, daß die Geber die Konditionen der als Kredite, Beteiligungen oder Zuschüsse — meist auf Antrag der Nehmerländer — gewährten Kapitalhilfe im Vergleich zu internationalen Kapitalmarktbedingungen bewußt günstig für die Empfänger gestalten, um so die für den gesamten Entwicklungsprozeß zentrale Kapitalbildung (-> Entwicklungspolitik) zu fördern. Kapitalhilfe bezweckt aus humanitären, ökonomischen und politischen Motiven selbsttragendes Wirtschaftswachstum, maximalen Zuwachs des Volkseinkommens, Abbau des sozio-ökonomischen Gefálles zwischen armen und reichen Nationen, gesellschaftliche Modernisierung der Nehmerländer nach deren Vorstellungen sowie Hilfe bei der Gewinnung weltpolitischen Gewichts durch die Empfänger. Gesellschaftlich-zivilisatorischer Einfluß ist nur zur Schaffung der Voraussetzungen für einen erfolgreichen Wirtschaftsprozeß und nur im Interesse und mit Billigung der Nehmer gerechtfertigt. Kapitalhilfe ist privat und öffentlich, bi- und multilateral, gebunden und ungebunden, zu unterschiedlichen Konditionen (Laufzeit, Zins, Freijahre) möglich. Zu etwa 55 % kam sie in der ersten Hälfte der 70er Jahre aus privaten Quellen, meist von Großunternehmen. Die Vereinten Nationen setzten den entwickelten Staaten zum Ziel, 0,7 % des Bruttosozialprodukts für öffentliche Finanzleistungen an Entwicklungsländer zu verwenden (GA Res. 2626 (XXV) vom 24.10.1970). Wenige Länder sind dieser Marke nahe (Bundesrepublik Deutschland 1975: 0,4%). Der beherrschende Teil öffentlicher Hilfe wird bilateral, oft politisch motiviert, zwischen Geber- und Nehmerland vereinbart. Leistungen westlicher Geberländer sind der Eckpfeiler der Entwicklungshilfe. Nur gut 10% der Hilfe vergeben multilaterale Institutionen, an die die Geber Finanzmittel leiten. Zwischenformen bi- und multilateraler Hilfe sind Gemeinschafts-, Parallel-, Konsortial- und Treuhandfondsfinanzierung. Multilaterale oder bilaterale Kapitalhilfe Die stark von Geberinteressen geprägte bilaterale Hilfe macht Hilfezusagen oft von „politischem Wohlverhalten" der Nehmer abhängig, die so Einmischung in ihre Angelegenheiten befürchten und auch sinnvolle Auflagen bei der Mittelverwendung kaum dulden, was rationale Entwicklungspolitik erschweren kann. Allerdings sind politische Einflüsse und Störfaktoren auch bei multilateraler Hilfe nicht auszuschließen. So haben in den zur Weltbank-

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Kapitalhilfe

gruppe gehörenden Sonderorganisationen (-»• IBRD; IDA; IFC) die Geberländer wegen des an die Kapitaleinlage geknüpften Stimmrechts eine Stimmenmehrheit in den Entscheidungsgremien und damit die Möglichkeit, ihre Geberinteressen gegen die Nehmerinteressen durchzusetzen. Andererseits haben die Nehmerländer in der Generalversammlung und den von ihr abhängigen Spezialorganen eine klare Stimmenmehrheit, da hier jedes Land gleiches Stimmrecht hat. Die Nehmer können diese Organe nutzen, um von Geberinteressen bestimmte, sachlich nicht mit dem Entwicklungshilfeziel in Einklang stehende Maßnahmen der Entscheidungsgremien der Weltbankgruppe vor den Augen der Weltöffentlichkeit anzuprangern und um den Nehmerinteressen entsprechende Entscheidungen herbeizufuhren. Die durch diese Regelungen der Stimmenverhältnisse ausgelöste zusätzliche Spannung zwischen Gebern und Nehmern begünstigt Polarisierungstendenzen, die den Vereinten Nationen schaden können. Sie führt auch dazu, daß auf die Geber aus der Weltbankgruppe von anderen Gremien der Vereinten Nationen politischer Druck ausgeübt wird, der sie zur Nachgiebigkeit gegenüber Nehmerinteressen bewegen kann. Nur so ist es möglich, daß die Kapitalhilfe durch die Weltbankgruppe und andere Sonderorganisationen als weniger von Geberinteressen beeinflußt angesehen wird als die bilateral vergebene Hilfe. Bei multilateraler Vergabe sind die Nehmer daher auch eher als bei bilateraler Hilfe bereit, Einflußnahme auf die Mittelverwendung hinzunehmen. Trotz der ebenfalls bei multilateraler Hilfe bestehenden Probleme ist aus der Nehmerperspektive multilaterale Kapitalhilfe der bilateralen vorzuziehen. Zur Angemessenheit des Hilfevolumens und seiner Bedeutung für die Wahl zwischen den Vergabearten ist zu fragen: (1) Welcher Geber bemüht sich um optimales Projektvolumen; (2) welche Vergabeart erleichtert Mittelerhöhungen; (3) welcher Geber strebt ein angemessenes Hilfevolumen für das zu fördernde Land an? Multilaterale Geber — speziell die IBRD - realisieren bei angemessener Risiko Streuung und Mittelaufbringung auch für Großprojekte eher ein optimales Projektvolumen. Da die Geberländer indirekt auch die multilaterale Hilfe finanzieren, sind Mittelerhöhungen, soweit es um die Bevorzugung der einen oder anderen Vergabeart geht, weitgehend ein Verteilungsproblem, das aus politischen Motiven meist zugunsten bilateraler Hilfe entschieden wird. Das auf einen Staat bezogene Hilfevolumen muß sich an den Entwicklungsmöglichkeiten des Nehmerlandes und seiner Aufnahmefähigkeit für Kapitalhilfe orientieren. Die Aufnahmefähigkeit wächst, je geringer das Verhältnis bereits eingesetzter Mittel zum Sozialprodukt ist, je stärker die Hilfe auf das Gesamtkapitalaufkommen wirkt, je größer die Eigenanstrengungen und je niedriger das Konditionenniveau der Hilfe (je geringer also der Schuldendienst) sind. Hilfe zu „Nullkonditionen" (Schenkungen) - fast immer bilateralen Ursprungs — erhöht die Aufnahmefähigkeit; wird ausschließlich derartige Hilfe gewährt, werden die Grenzen der Aufnahmefähigkeit weitgehend aufgehoben. Zu berücksichtigen sind auch die bereits bestehende Verschuldung und die für den Schuldendienst in Fremdwährungen verfügbaren Exporterlöse der Nehmerländer. Während bilaterale Geber politischen Motiven folgend unter Umständen geneigt sind, bestehende Grenzen auch hinsichtlich der Verschuldung nicht ausreichend zu beachten, zeigen sich die um produktiven Mitteleinsatz bemühten Sonderorganisationen zumindest von der Intention her dafür aufgeschlossener. Bei der Konditionengestaltung kann man nicht von einer Überlegenheit multilateraler Kapitalhilfe sprechen. Die Sonderorganisationen wiesen größere Transparenz auf und waren bei der Festlegung von Laufzeiten und tilgungsfreien Jahren nehmerfreundlicher, während das Zinsniveau bilateral tendenziell niedriger war. Die von den Nehmern benötigten projektungebundenen Hilfeleistungen sind fast ausschließlich bilateral verfügbar; bilateral praktizierte, vom Hilfeziel her abzulehnende Lieferbindungen werden von den Sonderorganisationen nicht ausgesprochen. Die bei multilateraler Hilfe weitestgehend gewahrte Kontinuität des Mittelflusses ist bei bilateralen Gebern aus politischen und haushaltstechnischen Gründen gefährdet. Hinsichtlich der Informationsbeschaffung, der Vermittlung von Selbsthilfeanreizen und der interinstitutionellen Koordination sind die Vergabearten gleichwertig. Die interne Koordination ist allerdings wegen funktionaler Spezialisierung und einheitlicher Ver-

Kapitalhilfe im System der Vereinten Nationen

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gabeinstrumente bei multilateraler Vergabe — vor allem durch die einzelnen Institute der Weltbankgruppe — befriedigender als bei der bilateralen, welche durch Kompetenzvielfalt gekennzeichnet ist. Mit Ausnahme projektungebundener Hilfe sind die Vergabeverfahren bei multilateralen Stellen kürzer. Die anfallenden Verwaltungskosten begründen keinen Vorzug einer Vergabeart; lediglich die -> IFC arbeitet mit relativ hohen Kosten. Auf Grund der Vor- und Nachteile der Vergabearten erscheint die derzeitige Mittelverteilung unangemessen: öffentliche Kapitalhilfe sollte die multilaterale Vergabeform in ähnlichem Umfang wie die bilaterale nutzen. Kapitalhilfe im System der Vereinten

Nationen

Die Generalversammlung mit ihrem 2. Hauptausschuß (Wirtschafts- und Finanzfragen), der ECOSOC, die Wirtschaftskommissionen, die UNCTAD, das -> UNDP, die ^ UNIDO, der -> UNCDF und der IMF sind die bedeutsamsten der Organe bzw. Organisationen, die die Entwicklungsplanung der Vereinten Nationen beeinflussen. Sie stellen Erfahrungen, Informationen, ständige Repräsentanten und Gutachten zur Verfügung und nehmen teils beratend, teils koordinierend an der Tätigkeit der spezifischen Kapitalhilfeorganisationen der Vereinten Nationen teil. Diese im folgenden näher zu betrachtenden Sonderoiganisationen sind in der „Weltbankgruppe" zusammengefaßt (-» IBRD; IDA; IFC). IBRD, IDA und IFC sollen durch Kapitalhilfe und Technische Hilfe (-»• Technische Hilfe, Technologietransfer) die wirtschaftliche Entwicklung bedürftiger Länder fördern. Sie haben weitgehend gemeinsame Verwaltung und arbeiten bei der Entwicklungsplanung eng zusammen. Außer dem Grundsatz politischer Neutralität gelten für sie die folgenden gemeinsamen Prinzipien der Hilfeleistung: Allen Mitgliedstaaten kann Hilfe gewährt werden; primäre Hilfeziele sind wirtschaftliche Stärkung, bessere Nutzung aller Ressourcen und Steigerung der Volkswohlfahrt in den Nehmerländern; Hilfe wird im allgemeinen nur auf Antrag der Regierung eines Mitglied Staate s gewährt — von diesem Grundsatz gibt es lediglich bei der auf private Investitionen spezialisierten IFC Ausnahmen; unter Berücksichtigung der Bevölkerungsstärke der Nehmerländer und der Notwendigkeit der Hilfe wird eine gleichmäßige geographische Verteilung der Mittel angestrebt; Hilfe kann auch über längere Perioden hinweg gewährt werden; bei der Mittelvergabe sollen die finanziellen Möglichkeiten, die bereits bestehende Verschuldung und die fiskalische Situation der Nehmer berücksichtigt werden. IBRD, IDA und IFC verlangen stets Eigenleistungen der Nehmer, in der Regel die Übernahme der in Landeswährung anfallenden „local costs", die bis zu 50 % der Projektkosten betragen können. In allen drei Sonderorganisationen ist die Bundesrepublik Deutschland Mitglied; die Mitglieder von IBRD, IDA und IFC müssen auch dem IMF angehören. Die IBRD gewährt Kredite zu bankmäßigen Konditionen an Regierungen und staatliche Instanzen der Mitglieder; andere Antragsteller müssen Staatsgarantien nachweisen. Weiter ist die Kreditgewährung an folgende Bedingungen geknüpft: Das zu fördernde Projekt muß produktiv und von hoher Priorität sein; entstehende Währungsanforderungen müssen gedeckt sein; die Kreditrückzahlung muß gesichert sein; die Mittel sind streng zweckgebunden zu verwenden; gleichwertige Hilfe aus anderen Quellen und zu angemessenen Konditionen darf nicht verfügbar sein. Kreditmittel können für Käufe bei allen IBRD-Mitgliedern verwendet werden. Die Kreditkonditionen sind relativ hart. Der an Kapitalmarktbedingungen orientierte Zinssatz betrug im Februar 1976 8,5 % (vorher lange Zeit 6 %); weiter werden 1 % vom ausgezahlten Darlehen als Provision, 0,25 % der Kreditsumme als Verwaltungsgebühr und 0,75 % als Bereitstellungsgebühr für nicht abgerufene Kreditbeträge berechnet. Die an der Nutzungsdauer des Projekts orientierte Laufzeit betrug durchschnittlich 18—20 Jahre, kann aber beträchtlich länger sein. Die IBRD-Mittel stammen aus Kapitalzeichnungen der Mitglieder, Anleihen, Verkauf von Schuldverschreibungen, Kreditrückzahlungen und Nettoerträgen. Bei der IBRD ergab sich im Geschäftsjahr 1974/75 folgende regionale Mittelverteilung: Asien erhielt ca. 33 % der Leistungen (ca. 25 % der Projekte), Lateinamerika ca.

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Kapitalhilfe

25 % (ca. 24 %), Europa etwa 19 % (13 %), Afrika ca. 23 % (38 %), Australien/Neuseeland 0 %. Damit hat sich der Anteil Afrikas zum Nachteil Lateinamerikas im Laufe der Zeit erhöht. Sektoral ergab sich folgende Verteilung der Mittel: Verkehrswesen, Energie- und Fernmeldewesen zusammen 32%, Industrieprojekte etwa 16%, Landwirtschaft ungefähr 29 % des Hilfevolumens. Der Rest verteilt sich auf verschiedene Sektoren. Die Landwirtschaft erhielt damit ihren bislang höchsten Anteil. Zur Koordination ihrer Anstrengungen unterhält die IBRD (wie auch IDA und I F C ) Länder- und Regionalausschüsse, in denen Geber- und Nehmerländer vertreten sind. Die IDA gewährt nach den gleichen Kriterien wie die IBRD Darlehen zu besonders günstigen Konditionen ausschließlich an Regierungen oder staatliche Stellen. Zinsen werden nicht berechnet, aber eine Verwaltungsgebühr von 0,75 % der Kreditsumme. Bei 50jähriger Laufzeit bleiben 10 Jahre tilgungsfrei, in den darauffolgenden 10 Jahren sind je 1 % des Kredites, in den letzten 30 Jahren der Laufzeit je 3 % jährlich zu tilgen. Diese Konditionen erleichtern die Schuldenlast der Nehmer, weswegen eine Verfügbarkeit von IDA-Mitteln in größerer Menge wünschenswert erscheint. Finanzquellen der IDA sind Kapitalzeichnungen der Mitglieder, Nettoerträge und Weltbankzuweisungen. Die vergebenen Mittel verteilten sich im Geschäftsjahr 1974/75 regional wie folgt: Asien ca. 65 % der Leistungen (49 % der Projekte), Afrika ca. 32 % (47 %), Lateinamerika ca. 3 % (4 %), Europa 0 %. Dabei war eine deutliche Steigerung der Zuwendungen an Afrika zu erkennen. Die Wirtschaftssektoren waren mit folgenden Anteilen an der IDA-Hilfe ausgestattet: Transportwesen ca. 16%, Industrieprojekte 8 %, Land- und Forstwirtschaft ca. 40 %, der Rest verteilte sich auf andere Sektoren. IDA-Kredite stehen in erster Linie den am wenigsten entwickelten Entwicklungsländern in Aussicht. Seit etwa dem Beginn der 70er Jahre werden diese Staaten in der internationalen Entwicklungspolitik in zunehmendem Maß bevorzugt behandelt. UNCTAD III (1972) empfahl, die finanzielle Hilfe an diese Lander fortan nach IDA-Bedingungen zu vergeben (Res. 62 (III)). Die Bundesrepublik Deutschland entsprach dem mit ihren „Richtlinien für die deutsche bilaterale Kapitalhilfe" vom 9. Juli 1975, die für die Zeit ab 1. Januar 1976 unterschiedliche Konditionen für drei Kategorien von Entwicklungsländern, gestaffelt nach dem Entwicklungsstand, festlegten. Die IFC arbeitet ähnlich wie private Banken für Auslandsinvestitionen und soll die private Kapitalbildung im industriellen Bereich der Entwicklungsländer fördern. Neben den für die IBRD gültigen unterliegt die IFC folgenden weiteren Finanzierungsgrundsätzen: Zur Ergänzung privaten Kapitals können produktive Projekte mit marktfähiger Produktion, ausreichenden Gewinnaussichten, qualifizierter Geschäftsführung und realistischem Finanzierungsplan gefördert werden; es darf keine Verantwortung in der Geschäftsführung übernommen werden; bei gleichzeitiger heimischer Kapitalbeteiligung soll die IFC-Beteiligung einen wesentlichen Anteil darstellen, der immer unter 50 % normalerweise unter 25 % liegen soll, da die IFC nicht größter Anteilseigner sein will; Staatsbetriebe werden nicht gefördert, Staatsgarantien werden nicht verlangt; IFC-Anlagen sind angemessen zu streuen; an langfristige Darlehen ist im allgemeinen eine IFC-Kapitalbeteiligung geknüpft; die IFC soll ihre Anlagen möglichst wieder an Private verkaufen. IFC-Darlehen weisen Laufzeiten von 7—12 Jahren und Zinsen von 8—8,5 % auf, die tilgungsfreie Periode variiert nach Ländern und Projekten. Regional verteilte sich die Mittelveigabe im Geschäftsjahr 1974/75 (Gesamtinvestitionen 211,7 Mio. Dollar) wie folgt: Lateinamerika ca. 38 % der Leistungen (37 % der Projekte), Asien ca. 30 % (ca. 33 %), Afrika ca. 2 % (ca. 9 %), Europa ca. 30 % (ca. 21 %). Der bedeutendste Geber der Weltbankgruppe, gemessen am Rechnungsjahr 1974/75, ist die IBRD mit gut 71 % des Hilfevolumens, gefolgt von IDA (26 %) und IFC (ca. 3 %). Der Anteil der IDA war früher erheblich geringer. Nach Asien flössen ca. 42 % der vergebenen Hilfe, nach Lateinamerika ca. 21%, Afrika ca. 24% und nach Europa knapp 13% des Hilfevolumens der Weltbankgruppe. Die Zinsgestaltung der Weltbankgruppe war tendenziell härter als die bilateraler Stellen, hinsichtlich der Laufzeiten (mit Ausnahme der I F C ) und der Freijahre bot die Weltbankgruppe weichere Konditionen.

Schlußfolgerungen

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Schluβfolgerungen Die internationalen Vergabestellen können beanspruchen, in erster Linie auf Nehmerbedürfnisse zugeschnittene Kapitalhilfegrundsätze entwickelt und praktiziert zu haben. Die Vereinten Nationen erweisen sich als entwicklungspolitisch besonders qualifiziert: Sie befassen sich mit dem Weltproblem der Entwicklungsförderung als weltweites, einzigartiges Willensbildungsinstrument, verfügen über einen einmaligen Erfahrungs- und Informationsfundus, können weltweit qualifizierte Mitarbeiter rekrutieren und können, politisch zumindest weniger als bilaterale Geber beargwöhnt, intensive Selbsthilfeanreize vermitteln. Die Weltbank fand neue Wege wirksamer multilateraler Mittelvergabe und machte sich — gravierende Fehlschläge vermeidend — bei Auswahl und Durchführung der von ihr finanzierten Projekte einen guten Namen. Daher sollten der Weltbankgruppe und — aus schon erwähnten Gründen — besonders der IDA mehr Mittel als bisher von den Mitgliedern zur Verfügung gestellt werden. Ein Problem bildet die Kontrolle der mittelvergebenden Organe und Organisationen, deren Leitung - einmal gewählt — leicht autokratische Züge und damit eine Form annimmt, die demokratischer Prüfung administrativer Vorgänge hinderlich ist. Die Aufsicht durch Generalversammlung und Willensbildungsorgane der Sonderorganisationen ist oft nur Kontrolle einer Bürokratie durch eine andere und entspricht demokratisch-parlamentarischer Kontrolle nur sehr unzulänglich. Der Entwicklungsprozeß der Nehmerländer ist langfristiger Natur. Also muß auch die Kapitalhilfe langfristig gesichert verfügbar sein, und zwar in wachsendem Umfang. Auch die Vergabestellen im System der Vereinten Nationen benötigen dementsprechend ein ständig steigendes Mittelaufkommen. Solche Erhöhungen der Finanzmasse sollten auf einer langfristigen Entwicklungsstrategie beruhen. Alle Mitglieder der Vereinten Nationen — also auch die Bundesrepublik Deutschland — müssen sich der Notwendigkeit erhöhter Mittelvergabe durch die Vereinten Nationen bewußt sein und entsprechende Beiträge leisten. Die Generalversammlung hat es auf ihrer 7. Sondersitzung auf einen kurzen Nenner gebracht: „Finanzmittel zu Vorzugsbedingungen an Entwicklungsländer müssen wesentlich erhöht, die Konditionen verbessert und ihr Zufluß muß voraussagbar, stetig und immer sicherer gemacht werden, um den Entwicklungsländern die Durchführung langfristiger Programme für wirtschaftliche und soziale Entwicklung zu erleichtern. Kapitalhilfe sollte in der Regel ungebunden sein" (GA Res. 3362 (S-VII) vom 16.9.1975).

Literatur Bräker: Multilaterale Hilfeleistung für Entwicklungsländer. Ein Beitrag zur internationalen technisch-wirtschaftlichen Zusammenarbeit, Köln / Opladen 1968 Durgeloh: Die Finanzierung der wirtschaftlichen Entwicklung, in: Bremer Ausschuß für Wirtschaftsforschung (Hrsg.), Auswertung der Dokumentation der dritten Welthandelsund Entwicklungskonferenz Santiago de Chile 1972, Stuttgart 1974, S. 390 Gref / Johann / Jüttner / Tiedtke: Bilaterale oder multilaterale Finanzhilfen? Ein kritischer Beitrag der Vergabeweisen von Finanzhilfen an Entwicklungsländer, Köln / Opladen 1970 Hay ter: Aid as Imperialism, o. O. 1971 Hoffmann, P. G.: The Six Imperatives of Economic and Social Progress, in: Wilcox / Haviland Jr. (ed.), The United States and the United Nations, Baltimore 1961, p. 27 Kruse-Rodenacker / Dumke: Kapitalhilfe. Untersuchungen zur bilateralen Kapitalhilfe im Rahmen öffentlicher Leistungen, Berlin 1970 United Nations (ed.): Assistance for Economic and Social Development from the United Nations System. A Handbook of Criteria and Procedures, New York 1969 Peter Nißen

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Kirche und Vereinte Nationen

Verweise auf: Entwicklungspolitik; IBRD; IDA; IFC; IMF; Technische Hilfe, Technologietransfer; UNCDF; UNCTAD; UNDP; UNIDO; Weltwirtschaftsordnung.

Kirche und Vereinte Nationen Kirche und internationale Organisationen Als göttliche Einrichtung hat die Kirche in der gesamten Welt einen bestimmten Auftrag zu erfüllen. Aus diesem Grunde ist sie an einer besonderen Lebensweise in der internationalen Gemeinschaft interessiert, wobei es ihr obliegt, die göttliche Botschaft mit ihrer Hilfe für das Wohlergehen der Menschheit und jedes einzelnen Menschen zu vereinen. Aus diesem Grunde kann sie nicht untätig bleiben, wenn die moderne Zivilisation sich selbst mehr und mehr auf einer weltweiten Ebene organisiert und internationale Gremien schafft, die eine Vielzahl von Problemen behandeln, die von fundamentaler Bedeutung für den Fortschritt, das Wohlbefinden und das Glück des Menschen in jedem Sektor seines Lebens sind. Von Anfang an haben daher die Christen aller Traditionen die internationalen Bewegungen mit äußerster Aufmerksamkeit verfolgt und dabei versucht, bestimmte Beziehungen und Verbindungen zu jenen internationalen Organisationen zu schaffen, die darauf ausgerichtet sind — wie die Kirche —, zur geistigen, moralischen und sozialen Besserstellung der Mitglieder der menschlichen Gemeinschaft beizutragen. Zu diesen Organisationen gehört auch das System der Vereinten Nationen.

Katholische Kirche Es erscheint selbstverständlich, daß sich die Katholische Kirche von Anfang an den internationalen Organisationen, allen voran den Vereinten Nationen, mit besonderem Interesse zugewandt hat. Auf Grund ihrer engen Verbindung zur Mitwelt versucht sie hinsichtlich einer Erneuerung des geistigen und moralischen Erbes der Menschheit Einfluß zu nehmen. Papst Pius XII (1939 — 1958) hat schon während der Gründung der Vereinten Nationen (-» Entstehungsgeschichte) sein Interesse an der neuen Weltorganisation bekundet, indem er zu verschiedenen Gelegenheiten die grundsätzlichen Kriterien für eme Organisation aufzeigte, die nicht nur eine Wiederbelebung des Völkerbundes sein sollte. Am 2. Juni 1945 führte er in einer Rede vor dem Kardmaiskollegium aus, daß „die gesamte Menschheit den Fortschritt in diesem edlen Unterfangen mit größter Aufmerksamkeit verfolge". In semer Weihnachtsbotschaft im Jahre 1948 gab er dem Wunsche Ausdruck, daß sich die Vereinten Nationen zu einem umfassenden und makellosen Ausdruck der internationalen Solidarität für den Frieden entwickeln und damit über die ursprüngliche Gründungsabsicht — die damals notwendige Solidarität gegen den Krieg — hinausgehen mögen. In seiner Weihnachtsbotschaft 1956 machte er allerdings einige Vorbehalte geltend. Zu dieser Zeit war das Ansehen der Vereinten Nationen infolge der Weigerung einiger Mitgliedstaaten, Beobachtern die Einreise zu gestatten, die die Verletzung von Menschenrechten untersuchen sollten, auf einem Tiefpunkt angelangt. Papst Johannes XXIII (1958 — 1963) unterstützte die wiedergewonnene Funktionsfähigkeit der Vereinten Nationen in seiner Enzyklika „Pacem in tenis" (11. April 1963), in der er zum Ausdruck brachte, daß die Vereinten Nationen auf dem Wege von Stärke zu größerer Stärke seien, so daß die Verfassung wie die Sonderorganisation vervollkommnet würden, um der Größe der Aufgaben gewachsen zu sein. Vom Beginn seiner Amtszeit (1963) an hat Papst Paul VI die Dienste der Kirche der internationalen Gemeinschaft für den Frieden und die Zusammenarbeit zwischen allen Völkern zur Verfügung gestellt. Nur 2 Wochen nach der Krönung stattete der General-

Katholische Kirche

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Sekretär der Vereinten Nationen U Thant dem Papst einen Besuch ab; der Papst versicherte ihm, daß der Heilige Stuhl großes Vertrauen in die Vereinten Nationen habe. Er bekräftigte den Standpunkt, daß die Organisation ein Ergebnis einer Zivilisation sei, zu der die Katholische Kirche mit ihrem geistigen Zentrum im Heiligen Stuhl wichtige Prinzipien beigetragen habe. Die Vereinten Nationen würden als Instrument der Brüderschaft zwischen den Menschen angesehen, ein Prinzip, das der Heilige Stuhl immer gefördert habe, um zum Frieden der Menschheit beizutragen. Damit könne eine ständige Entwicklung und Verbesserung eines ausgeglichenen und vereinheitlichten Lebens der gesamten Menschheit erreicht werden. Die Universalität, die ein Wesensmerkmal der Katholischen Kirche sei, scheine sich in gewisser Weise von der geistlichen Sphäre auf den weltlichen Bereich der Vereinten Nationen übertragen zu haben. Die Kirche betrachte die verschiedenen Ideologien der Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen mit großer Aufmerksamkeit und betrachte die Zusammenfuhrung so vieler Völker in einer Organisation als ein Mittel, das Übel des Krieges zu überwinden und zu einem Frieden zu gelangen, was ihrem Konzept der Humanität als geistlichem Auftrag in der Welt entspräche. Am 4. Oktober 1965 machte Papst Paul VI einen historischen Besuch bei dem Hauptquartier der Vereinten Nationen, wobei er vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen eine grundlegende Rede zum Frieden hielt. Nach seinen eigenen Worten war diese Botschaft in erster Linie „eine emsthafte und moralische Bekräftigung dieser notwendigen Institution". Im Einvernehmen mit seinen Vorgängern und dem gesamten katholischen Episkopat betonte er, „daß diese Organisation Bemühungen der modernen Zivilisation und des Weltfriedens verkörpere", da „die Völker dieser Erde in ihrer Hoffnung auf Frieden und Einigkeit auf die Vereinten Nationen vertrauten". Am 21. März 1964 entsandte Paul VI den ersten Ständigen Beobachter des Heiligen Stuhls zu den Vereinten Nationen in New York, am 1. Februar 1967 den ersten Ständigen Beobachter zu den Behörden in Genf. Letzterer ist auch für die Beziehungen zum Hohen Kommissar für Flüchtlinge (UNHCR), zur UNCTAD, UNIDO und ILO zuständig. Lange vor Entsendung dieser Ständigen Beobachter hatte der Heilige Stuhl bereits Beziehungen mit verschiedenen Sonderorganisationen der Vereinten Nationen hergestellt. 1948 wurde ein Ständiger Beobachter zur FAO entsandt, 1951 ein Vertreter des Auswanderungsbüros bei der Internationalen Flüchtlingsorganisation (IRO) (-»· Flüchtlinge) akkreditiert. Seit 1951 ist der Heilige Stuhl regelmäßig bei den Tagungen der WHO vertreten; im selben Jahr wurde ein Ständiger Beobachter bei der UNESCO ernannt. Im Jahre 1956 wurde der Heilige Stuhl in den ECOSOC gewählt und nahm damit zum ersten Mal unmittelbar an der Arbeit eines Organs der Vereinten Nationen teil. Im selben Jahr wurde der Heilige Stuhl auch Mitglied der IAEA. Die Konvergenz der Zielsetzung der Vereinten Nationen und der Sonderorganisationen mit der des Heiligen Stuhls bildet die Grundlage für das besondere Interesse an der Arbeit der Weltorganisation. Diese Ziele sind die Erhaltung des internationalen Friedens und der Sicherheit (-» Friedens- und Kriegsbegriff; Kollektive Sicherheit), die Entwicklung freundschaftlicher Beziehungen zwischen den Völkern und die Förderung der internationalen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Zusammenarbeit. In seinem apostolischen Brief „Sollicitudo omnium Ecclesarum" vom 24. Juni 1969 bekräftigte Paul VI die Hochachtung der Kirche vor dem Gesamtsystem internationaler Organisationen und den Wunsch, „mit Demut und Liebe in den Bereichen zu dienen, für die sie zuständig ist". Er empfahl, daß päpstliche Vertreter auch dann die Arbeit der Organisationen und Institutionen sorgfältig verfolgen, wenn kerne offiziellen Beobachter des Heiligen Stuhls entsandt oder vertreten sind. Sie sollen weiterhin den Heiligen Stuhl regelmäßig über die Tätigkeit dieser Gremien informieren, in Absprache mit den örtlichen Episkopaten die Zusammenarbeit der Wohlfahrts- und Erziehungseinrichtungen der Kirche mit den entsprechenden internationalen Organisationen erleichtern, sowie die Tätigkeit von internationalen katholischen Organisationen, von denen viele einen Beratungsstatus bei zwischenstaatlichen Organisationen genieße, fördern.

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Kirche und Vereinte Nationen

Vertretung des Heiligen Stuhls bei internationalen Organisationen Der Heilige Stuhl, nicht die Vatikanstadt, ist bei den Vereinten Nationen und ihren Sonderorganisationen vertreten. Dies wurde in einem Notenaustausch zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Generalsekretär der Vereinten Nationen im Jahre 1957 und dem Direktor der IAEA im Jahre 1960 klar gestellt. Der Heilige Stuhl ist das höchste Regierungsorgan unter dem Papst als geistlichem Oberhaupt der Kirche und weltlichem Oberhaupt des Vatikanstaates. Daher ist allein er für die Entscheidung verantwortlich, ob die Vertretungen bei den internationalen Organisationen in seinem oder im Namen des Vatikanstaates oder zugleich in beider Namen handeln. Der Heilige Stuhl akkreditiert Delegierte oder Beobachter bei internationalen Organisationen je nachdem, ob er volles oder nicht volles Mitglied ist, mit dem Recht, aktiv an den Arbeiten und an der Endabstimmung teilzunehmen. In Übereinstimmung mit diesen grundsätzlichen Prinzipien unterhält der Heilige Stuhl Delegierte bei der IAEA und der UNIDO. Infolge seiner Zugehörigkeit zur UN-Familie durch die ursprüngliche Mitgliedschaft des Vatikanstaates in der ITU und UPU, ist der Heilige Stuhl automatisch auch Mitglied der UNCTAD geworden. Gleichzeitig gehört er von Anbeginn an dem Exekutivrat des Hohen Flüchtlingskommissars (-> Flüchtlinge) an. Der Heilige Stuhl unterhält Ständige Beobachter bei den Vereinten Nationen in New York, dem Büro der Vereinten Nationen sowie den Sonderorganisationen in Genf (WHO, ILO) sowie bei der FAO und der UNESCO. Er entsendet Beobachter zu den Tagungen des ECOSOC sowie Beobachter oder Delegierte zu den großen internationalen Konferenzen der Vereinten Nationen und deren Sonderorganisationen (z. B. Seerechtskonferenz). Die Aufgaben der Vertreter sind unterschiedlich, je nach Rang des Delegierten und Natur der Organisation. Gemeinsam ist die Verpflichtung, die Interessen und die Bereitschaft des Heiligen Stuhls zur Zusammenarbeit - soweit mit den Aufgaben der Kirche vereinbar — zum Ausdruck zu bringen. Sie dienen als Verbindung zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Generalsekretariat und stehen den Delegierten und Beobachtern anderer Länder für alle Informationen über den Heiligen Stuhl zur Verfügung. Es wird von ihnen erwartet, daß sie zurückhaltend, zu gleichen Zeit aber auch aktiv und kooperativ auftreten und sich nicht nur mit Fragen beschäftigen, die ausschließlich unter christlichen Gesichtspunkten von Interesse sind. Sie sollten bereit sein, die Arbeit der Organisation in der Gesamtheit zu unterstützen und zu fördern und notfalls die Werte, die ihnen notwendig erscheinen, einzubringen und in den Debatten zum Ausdruck zu bringen.

Wählbarkeit des Heiligen Stuhls für eine Vollmitgliedschaft in die Vereinten Nationen Nach Kunz kann der Heilige Stuhl nicht Mitglied der Vereinten Nationen werden, weil gem. Art. 4 nur Staaten als Mitglieder zugelassen werden können. Demgegenüber vertritt Nuccitelli die Ansicht, daß keine Gründe dagegen sprechen, daß der Heilige Stuhl nicht vollberechtigtes Mitglied der Vereinten Nationen sein sollte und dementsprechend volle diplomatische Beziehungen zu den Vereinten Nationen unterhält. Während Kunz den besonderen Charakter des Heiligen Stuhls, der zwar kein Staat ist, im übrigen aber im internationalen Verkehr wie ein Staat behandelt wird, außer acht läßt, geht Nuccitelli in seiner Argumentation so weit, daß er eme Mitgliedschaft des Heiligen Stuhls für möglich hält. Es ist eher festzustellen, ob eine Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen unter bestimmten Voraussetzungen dem Heiligen Stuhl, der in einigen ihrer Sonderorganisationen voll vertreten ist, wünschenswert erscheint. Die Antwort wäre negativ. Die Mitgliedschaft würde den Heiligen Stuhl zu unmittelbar in politische, müitärische, wirtschaftliche und Handelskonflikte hineinziehen, die zwischen den Staaten entstehen. Er wäre damit verpflichtet, bestimmte Aufgaben wahrzunehmen, die im Widerspruch zu den eigenen

Nichtkatholische religiöse Gemeinschaften

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Grundsätzen und zu dem Auftrag stehen könnten, die dem Heiligen Stuhl obliegen. Gleichzeitig wäre er verpflichtet, an Maßnahmen gegen Staaten teilzunehmen, die gegen die Charta verstoßen. Der Heilige Stuhl legt keinen Wert darauf, selbst Partei solcher Auseinandersetzungen zu werden und begnügt sich damit, seine Stimme in den großen internationalen Organisationen geltend zu machen und durch die Ständigen Beobachter vorbringen zu lassen. Die katholischen internationalen

Organisationen

Die katholischen internationalen Organisationen gehören zu den effektivsten und flexibelsten Instrumenten, die die Kirche dazu benutzt, um die Botschaft Gottes in die Menschheit zu tragen. Sie sichern eine Repräsentanz der Katholiken in allen Bereichen des menschlichen Lebens. Da sie ihren Auftrag nicht vom Heiligen Stuhl, sondern durch die Katholische Kirche erfahren, besitzen sie keinen offiziellen Vertretungsstatus. Ihr Ziel ist es, auf internationaler Ebene Fragen zu untersuchen und einer Lösung zuzuführen, die moralische und geistige Werte betreffen. Dazu gehören die Verteidigung der Menschenrechte, die Hebung des Lebensstandards, soziale und wirtschaftliche Ungerechtigkeiten, Gewalt, Rassenprobleme, Erziehung und Kultur, Position der Frau etc. Als authentischer Ausdruck von über 600 Millionen Katholiken der ganzen Welt repräsentieren sie einen bedeutenden Sektor der öffentlichen Meinung. Von den 40 katholischen internationalen Organisationen genießen 23 einen Beratungsstatus als -» nichtstaatliche Organisationen bei den Vereinten Nationen. Nichtkatholische religiöse

Gemeinschaften

Die nichtkatholischen Kirchen sind keine Völkerrechtssubjekte. Sie erfüllen in der Tat nicht die Voraussetzungen, die das internationale Recht für die Völkerrechtspersönlichkeit vorschreibt: 1. Aufbau als juristisch organisierte Gemeinschaft, 2. Führung durch eine Zentralregierung, die in der Lage ist, ihren Willen und ihre Entscheidung auf die Hoheitsobjekte zu übertragen, 3. Autonomie gegenüber allen Einheiten und Individuen, 4. Freiheit und Unabhängigkeit in der Ausübung der Tätigkeit, 5. Rechtsfähigkeit für internationale Handlungen. Als Nicht-Völkerrechtssubjekte können die nichtkatholischen Kirchen weder Mitglied der Vereinten Nationen und ihrer Sonderorganisationen werden, noch Ständige Beobachter zu diesen Organisationen entsenden. Der Heilige Stuhl ist dazu berechtigt infolge der Tatsache, daß er als juristische Person des Völkerrechts anerkannt ist und auf internationaler Ebene die gleichen Voraussetzungen erfüllt wie andere Staaten. Nichtkatholische Gremien können — sofern sie die notwendigen Voraussetzungen erfüllen — jedoch offizielle Beziehungen mit den Vereinten Nationen und den Sonderorganisationen entwickeln auf der gleichen Grundlage wie die nichtstaatlichen Organisationen. Infolge dieser Möglichkeit können sie eine wichtige Rolle im organisierten internationalen Leben führen und in Zusammenarbeit mit den katholischen internationalen Organisationen zur Sensibilisierung der Vereinten Nationen für humanitäre Zielsetzungen beitragen. Von den nichtkatholischen religiösen Organisationen haben 16 einen Beratungsstatus beim ECOSOC. Von ihnen ist die Kommission der Kirchen für internationale Angelegenheiten (Commission of the Churches on International Affairs) die bei weitem wichtigste. Die Kommission arbeitet im Auftrage des Weltkirchenrates, der Kommissionsmitglieder auf Vorschlag des Exekutivrates für 3 Jahre benennt. Zur Arbeit empfängt er jährlich Unterstützungen durch den Weltkirchenrat. Die Kommission der Kirchen für internationale Angelegenheiten wurde im Jahre 1946 in Cambridge (Großbritannien) anläßlich einer Kirchenkonferenz über internationale Angelegenheiten gegründet. Als ständige Einrichtung wurde sie 1948 bei der ersten Versammlung des Weltkirchenrates in Amsterdam anerkannt.

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Kollektive Sicherheit

Die Kommission vertritt den Weltkirchenrat in allen internationalen Organisationen. Sie genießt Beratungsstatus bei ECOSOC, UNESCO, FAO, UNICEF, Hohem Flüchtlingskommissar und ILO. Literatur Bosc: La Société Internationale et l'Eglise, Paris 1961 Cardinale: The Holy See and the International Order, London 1975 Faber: Der Vatikan, Geschichte und Gegenwart, München 1968 Hudson: The Ecumenical Movement in World Affairs, London 1968 Kunz: The Status of the Holy See in International Law, in: AJIL vol. 46 (1952) p. 308 Nuccitelli: Le Fondement Juridique des Rapports Diplomatiques entre le Saint-Siège et les Nations-Unies, Paris 1956 Monsignore Hyginus E. Cardinale Verweise auf: Entstehungsgeschichte; Flüchtlinge; Friedens- und Kriegsbegriff; Kollektive Sicherheit; Nichtstaatliche Organisationen.

Kollektive Sicherheit Begriff Kollektive Sicherheit bezeichnet eine internationale Ordnung, in der Gewaltanwendung verboten ist (-* Gewaltverbot) und alle Staaten verpflichtet sind, gemeinsam gegen jede Durchbrechung dieses Verbotes vorzugehen. Das setzt ein System von Regeln voraus, in denen festgelegt ist, wann ein solches Vorgehen legitim ist, auf welchem Wege der Beschluß hierfür zustande kommen kann und in welcher Weise die einzelnen Staaten dazu beitragen sollen. Der Gedanke der kollektiven Sicherheit knüpft an die erfolgreiche Befriedung der einzelnen Territorien seit dem Mittelalter durch die Zentralisierung des legitimen Gebrauchs von Gewalt in der Hand des Landesherrn an. Im Unterschied zum historischen Vorbild ist jedoch die Konzentration der Gewaltmittel nicht vorgesehen. Diese bleiben im Besitz der einzelnen Staaten, die sie erst im Falle des Rechtsbruchs in gemeinsamer Aktion vereinigen. Dazu bedarf es einer internationaler Organisation, in deren Rahmen Beschlüsse gefaßt und die Einzelaktionen koordiniert werden können. Keinesfalls bedeutet kollektive Sicherheit die Institutionalisierung des Einflusses einer Großmacht, wenn auch Großmächte gerne den Begriff kollektive Sicherheit in Anspruch nehmen, um ihre Bestrebungen zu legitimieren. Kollektive Sicherheit muß klar von kollektiver Selbstverteidigung unterschieden werden. Diese bezeichnet die gemeinsame Aktion von mehr als einem Staat gegen einen Angriff von dritter Seite. Zu diesem Zweck schließen die Staaten ein Bündnis, in dem Ziel, Dauer, Art und Geltungsbereich ihrer Zusammenarbeit genannt sind. Bis zum 1. Weltkrieg war es üblich, den Bündniszweck so festzulegen, daß nicht jeglicher Angriff, sondern nur ein Angriff bestimmter Staaten den Bündnisfall konstituierte. Seither hat es sich mehr und mehr eingebürgert, in Bündnisverträgen (-»· Regionalabkommen) einen bestimmten Gegner nicht mehr zu nennen, wenn auch beim Abschluß ein solcher de facto existiert (z. B. NATO, Warschauer Pakt). Ein Verteidigungsbündnis bedeutet also Vorsorge für den Fall des Angriffs durch einen Staat, der außerhalb des Bündnisses steht. Ein System kollektiver Sicherheit kennt im Unterschied hierzu keinen Gegner; es richtet sich ausschließlich an seine Mitglieder und bedeutet Vorsorge für den Fall, daß eines von ihnen ein anderes angreift. Das Prinzip der kollektiven Sicherheit hebt sich bewußt ab vom Prinzip des Gleich-

Vereinte Nationen

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gewichts der Macht, das zwischen 1648 und 1914 die Beziehungen der europäischen Staaten untereinander bestimmte. Gleichgewicht bedeutete, daß sich gegen jeden Staat, der eine überragende Machtposition im europäischen System zu erlangen drohte, alsbald eine Koalition der übrigen Staaten bildete, die seine Ausbreitung begrenzte. Hauptakteure waren die Großmächte. Dazu gehörten insbesondere England, Frankreich, Österreich-Ungarn, Preußen und Rußland, die sich im 19. Jahrhundert zum „Europäischen Konzert" zusammenfanden und die europäische Politik teils mit-, teils gegeneinander bis 1914 steuerten. Dieses System konnte nach dem 1. Weltkrieg nicht wieder erneuert werden. Gleichgewichtspolitik setzt die Bereitschaft zum Krieg voraus, um die Macht anderer zu begrenzen. Die Kosten des Krieges waren jedoch offenkundig zu hoch geworden. Außerdem gab es das europäische System nicht mehr: Die internationale Politik wurde zur Weltpolitik. Völkerbund In dieser Situation wurde auf den Pariser Friedenskonferenzen im Jahre 1919 der -» Völkerbund konzipiert, der das erste System kollektiver Sicherheit brachte. Die Mitglieder erklärten den Verzicht auf Gewaltanwendung in ihren gegenseitigen Beziehungen. Sollte ein Mitglied dennoch ein anderes angreifen, so wollten die übrigen dies wie einen Angriff gegen sich selbst ansehen. Der Rat, das Exekutivorgan des Völkerbundes, war in diesem Fall verpflichtet, den Regierungen Vorschläge für gemeinsame militärische Aktionen zu machen. Für seine Beschlüsse war allerdings Einstimmigkeit erforderlich. Konnte sie nicht erzielt werden, stand es den Mitgliedern frei, selbst zu handeln. Das Beispiel des Völkerbundes zeigt, wie schwer es ist, kollektive Sicherheit wirksam zu praktizieren. Bei der Einrichtung dieses Systems war man davon ausgegangen, daß die Gemeinsamkeit zwischen den Staaten für einen Verzicht auf den Einsatz von Gewalt zur Verwirklichung nationaler Ziele ausreichte. Dementsprechend war eine allgemeine Abrüstung vorgesehen, die zur Folge gehabt hätte, daß die für die kollektive Sicherheit ausschlaggebende Übermacht der Staatengemeinschaft über jeden einzelnen Staat sichergestellt worden wäre. Dazu hätte es jedoch eines Souveränitätsverzichts (-> Souveränität) der einzelnen Staaten bedurft, den diese zu leisten nicht gewillt waren. Zugleich stellte sich heraus, daß noch auf Jahre hinaus zur Durchsetzung des Systems große militärische Risiken einzugehen sein würden. Dazu waren die Mitglieder des Völkerbundes nicht bereit. Sie konnten sich nicht einmal zur Durchführung der vom Rat geforderten wirtschaftlichen -* Sanktionen verstehen, als Italien 1935 wegen seines Angriffs auf Abessinien für vertragsbrüchig erklärt wurde. Da zwischen den Großmächten kein anerkannter status quo existierte und einige der Mächtigsten dem Völkerbund nicht angehörten (USA, in den 30er Jahren Japan, Deutschland) oder Distanz zu ihm wahrten (UdSSR), war es im Völkerbund nicht möglich, die erforderliche zentrale Machtzusammenballung zustande zu bringen. Vereinte Nationen Das Scheitern des Völkerbundes führte zu dem Schluß, daß es des positiven Engagements aller Großmächte bedürfe, wenn ein System kollektiver Sicherheit funktionieren solle. Die Konsequenz daraus war die sogenannte „four policement"-Konzeption Roosevelts, wonach die Großmächte (UdSSR, USA, Großbritannien und China) — analog zur Aufgabe der Polizei im Innern der Staaten — in den zwischenstaatlichen Beziehungen dem Recht Geltung verschaffen sollten (-> Entstehungsgeschichte). Das war insofern realistisch, als die Gewährleistungkollektiver Sicherheit gegen eine der Großmächte unmöglich war; sollte dies einmal erforderlich werden, war ein Großkrieg unausweichlich und damit das System gescheitert. Diese Konzeption kam bei der Gründung der Vereinten Nationen zum Tragen. Nach der Charta ist die Hauptverantwortung für die Aufrechterhaltung der internationalen Sicherheit dem Sicherheitsrat übertragen (Art. 24 Abs. 1). Ihm gehören folgende fünf Großmächte als

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Kollektive Sicherheit

ständige Mitglieder an: China (bis 1971 Republik China, seither Volksrepublik China), Großbritannien, Frankreich, UdSSR und USA. Beschlüsse des Sicherheitsrates (Art. 27) — außer in Verfahrensfragen — bedürfen der Zustimmung der ständigen Mitglieder (-» Stimmrecht). Die Bedeutung dieses Vetorechts zeigte sich schon sehr bald nach Verabschiedung der Charta. Die Anti-Hitler-Koalition zerfiel, der Ost-West-Konflikt spaltete die Welt. Dabei waren die kommunistischen Mitglieder den westlichen Staaten an Zahl weit unterlegen. Die UdSSR sah sich daher während der ersten 20 Jahre in den Vereinten Nationen meist in der Minderheit, so daß die westliche Propaganda sie gerne als Neinsager hinstellte, der zur internationalen Zusammenarbeit unfähig sei. Die Kompetenzen des Sicherheitsrates nach der Charta sind umfassend. Er kann sich praktisch mit jeder Situation befassen, die zu einer Bedrohung der internationalen Sicherheit werden könnte (Art. 34). Eine die Mitglieder bindende Beschlußfassung zur Durchführung von Maßnahmen bei Bedrohung oder Bruch des Friedens und bei Angriffshandlungen ist allerdings an besondere Voraussetzungen geknüpft, die im VII. Kapitel der Charta niedergelegt sind. Solche Aktionen sind nur möglich, wenn der Sicherheitsrat festgestellt hat, daß eine Bedrohung des Friedens, ein Friedensbruch oder eine Angriffshandlung vorliegt (Art. 39) (-»· Friedens- und Kriegsbegriff; Friedenssicherung). Auf Grund dieser Feststellung kann er dann vorläufige Maßnahmen beschließen, um eine Verschärfung der Situation zu verhindern (Art. 40); er kann die Mitglieder der Vereinten Nationen auffordern, -*• Sanktionen (Art. 4 1 ) und schließlich auch militärische Operationen (Art. 4 2 ) zur Wiederherstellung der internationalen Sicherheit durchzuführen (-»· Streitkräfte der Vereinten Nationen). Sonderabkommen über die Bereitstellung von Streitkräften durch die Mitglieder, wie sie Art. 43 vorsieht, sind bisher nicht zustandegekommen. Es fehlt damit eine notwendige Voraussetzung für die Durchführung kollektiver Maßnahmen. Das in der Charta niedergelegte System kollektiver Sicherheit konnte also nicht verwirklicht werden. Die bekannte militärische Aktion in -> Korea, bei der verbündete Truppen unter Führung der USA die Flagge der Vereinten Nationen führten, war kein Fall von kollektiver Sicherheit; sie beruhte auf einer Empfehlung des Sicherheitsrates zur kollektiven Verteidigung Südkoreas. Nur in einem Fall wurden die Bestimmungen des Kapitels VII der Charta ausdrücklich angewendet: Bei der Verhängung eines Wirtschaftsboykotts gegen Rhodesien traf der Sicherheitsrat die nach Art. 39 vorgeschriebene Feststellung und berief sich auf Art. 41, der Boykottmaßnahmen erlaubt (Res. 232 ( X X I ) vom 16.12.1966). Dieser Maßnahme bleib jedoch bis heute der gewünschte Erfolg versagt (-»• Südliches Afrika). Regionale Systeme kollektiver Sicherheit Angesichts des Scheiterns im globalen Maßstab gewinnen die Bemühungen an Bedeutung, kollektive Sicherheit in einzelnen Regionen zu schaffen (-+ Regionalabkommen). Die Charta sieht das im VIII. Kapitel ausdrücklich vor. Die Mitglieder sind sogar aufgefordert, im Falle eines Kofliktes bestehende regionale Organisationen in Anspruch zu nehmen, bevor sie den Sicherheitsrat damit befassen (Art. 52 Abs. 2). Der Sicherheitsrat kann außerdem regionale Organisationen mit der Durchführung von kollektiven Zwangsmaßnahmen beauftragen; ohne Auftrag oder Ermächtigung des Sicherheitsrates ist regionalen Organisationen solches nicht gestattet (Art. 53 Abs. 1). Damit sollen sie fest in das globale System kollektiver Sicherheit integriert werden. Die meisten Staatenverbindungen, die hierfür in Frage kommen, erweisen sich jedoch bei genauerer Analyse als Bündnisse oder als diplomatische Schlichtungsstellen ohne die Befugnis zu kollektiven Zwangsmaßnahmen. Bemerkenswert sind in diesem Zusammenhang die kommunistischen Staaten Osteuropas, die mit dem Prinzip des Proletarischen Internationalismus eine Art kollektiver Sicherheit für das kommunistische Gesellschaftssystem kennen, worauf sie sich 1968 bei der Intervention in der Tschechoslowakei beriefen. In der westlichen Welt findet dieses Prinzip seine Entsprechung in der Deklaration von Caracas aus dem Jahre 1954 (AJIL vol. 48 (1954) Suppl. p. 124). Darin stellten die amerika-

Friedlicher Wandel

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nischen Staaten fest, daß die Kontrolle der politischen Institutionen eines Mitgliedstaats durch Kommunisten als Bedrohung der -* Souveränität und politischen Unabhängigkeit aller amerikanischen Staaten angesehen werden würde. Auf dem amerikanischen Kontinent existiert in Gestalt der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) das einzige regionale System kollektiver Sicherheit. Es basiert auf dem Interamerikanischen Beistandspakt von Rio de Janeiro, der am 2. September 1947 (UNTS Bd. 21 Nr. 324) von 19 amerikanischen Staaten unterzeichnet wurde. Der Vertrag sieht vor, daß im Fall eines militärischen Konfliktes zwischen den Vertragspartnern ein „konsultatives Organ" zusammentritt (in der Praxis der Rat der OAS), das mit Zweidrittelmehrheit Sanktionen beschließen kann. Diese Beschlüsse sind für alle Mitglieder bindend; allerdings kann von keinem Mitglied die Anwendung von Waffengewalt gefordert werden, wenn es dem entsprechenden Beschluß nicht zugestimmt hat. Die möglichen Anwendungsfälle dieser Bestimmungen sind im Rio-Pakt sehr weit gefaßt. Jeder Umstand, der die Souveränität oder die politische Unabhängigkeit eines Mitgliedstaates berührt, kann zum Anlaß kollektiver Maßnahmen genommen werden. Die OAS hat bisher dreimal kollektive Zwangsmaßnahmen beschlossen, allerdings nicht die Anwendung von Gewalt. Eine Ermächtigung des Sicherheitsrates wurde in keinem Fall herbeigeführt. Die Beschlüsse richteten sich gegen die Dominikanische Republik wegen eines Komplotts zur Ermordnung des venezolanischen Präsidenten Betancourt (1960) und zweimal gegen Kuba wegen seiner Hinwendung zum MarxismusLeninismus, seiner Verbindungen zum Ostblock sowie wegen seiner Unterstützung subversiver Aktivitäten in Lateinamerika (1962, 1964). Ein Sonderfall ist die Stationierung einer „Interamerikanischen Friedensstreitmacht" in der Dominkanischen Republik während der innenpolitischen Auseinandersetzungen im Jahre 1965. Nachdem die USA zuvor schon einseitig interveniert hatten, nahmen die Truppen der OAS in dem vom Bürgerkrieg zerrissenen Land Polizeiaufgaben wahr und trugen so zur Stabilisierung der Lage bei. Obwohl die OAS die kollektive Sicherheit häufiger praktiziert hat als die Vereinten Nationen, kann daraus nicht geschlossen werden, daß die kollektive Sicherheit im regionalen Rahmen bessere Erfolgschancen habe. In der OAS ist das Ubergewicht der USA über die lateinamerikanischen Staaten ausschlaggebend. Kollektive Maßnahmen ohne Zustimmung der USA sind undenkbar. Friedlicher Wandel Die Zeit nach dem 2. Weltkrieg brachte die Auflösung der europäischen Kolonialreiche in Asien und Afrika; neue Staaten entstanden. Von den derzeitigen Mitgliedern der Vereinten Nationen existierte weniger als die Hälfte schon bei der Gründung der Organisation als souveräner Staat. Es haben also tiefgreifende Veränderungen im Staatensystem stattgefunden — in den meisten Fällen unter Anwendung von Gewalt. Kollektive Sicherheit soll Gewaltanwendung verhindern; ein solches System tendiert daher zur Konservierung des status quo. Das ist jedoch auf Dauer weder wünschenswert noch möglich. Kollektive Sicherheit bedarf also notwendig der Ergänzung durch international anerkannte Verfahrensweisen dafür, daß die unabweisbaren Anpassungen an gewandelte Verhältnisse friedlich erfolgen. Dem dient im Rahmen der Vereinten Nationen eine Vielzahl von Institutionen zur kooperativen Steuerung insbesondere der Entkolonialisierung und der Entwicklungspolitik, vor allem auch eine Vielzahl von Verfahren zur Begrenzung von Konflikten, die vom mehr oder weniger sanften Druck durch Mehrheitsbeschlüsse des Sicherheitsrates oder der Generalversammlung bis hin zur Entsendung von ->• Streitkräften der Vereinten Nationen reichen, die — allerdings nur mit Genehmigung der für das Gebiet zuständigen Regierung — zwischen die streitenden Parteien treten. Gewaltanwendung konnte mit solchen Mitteln gelegentlich vermieden oder wenigstens eingedämmt werden. Auch unter dem System der Vereinten Nationen konnte kollektive Sicherheit nicht verwirklicht werden, wenn auch der Grundgedanke dieses Systems inzwischen Gemeingut ge-

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Kongo

worden ist: Die Institutionalisierung des gemeinsamen Interesses an der Verhinderung von Kriegen. Dieses Interesse nimmt zwar einen sehr viel niedrigeren Rang ein, als unmittelbar nach den beiden Weltkriegen jeweils erhofft wurde, aber es bleibt politisch wirksam. Literatur Claude: Power and International Relations, New York 1962 Gerold: Die Sicherung des Friedens durch die Organisation der Amerikanischen Staaten (OAS), Berlin 1971 Pernice: Die Sicherung des Weltfriedens durch Regionale Organisationen und die Vereinten Nationen. Eine Untersuchung zur Kompetenzverteilung nach Kapitel VIII der UN-Charta, Hamburg 1972 Scheuner: Kollektive Sicherheit, in: Wörterbuch des Völkerrechts Bd. II, Berlin 1961, S. 242 Joachim Hütter Verweise auf: Entstehungsgeschichte; Friedens- und Kriegsbegriff; Friedenssicherung; Gewaltverbot; Korea; Ost-West-Konflikt; Regionalabkommen; Sanktionen; Sicherheitsrat; Souveränität, Stimmrecht; Streitkräfte der Vereinten Nationen; Südliches Afrika; Völkerbund.

Kongo Historischer Überblick Auf dem Gebiet der heutigen Republik Zaire bildeten sich im Verlauf der (europäischen) Neuzeit mehrere bedeutende Staaten, die aber keinen engeren Kontakt untereinander hielten. Zu nennen sind das Königreich der Kongo am Unterlauf des Zaire-Stromes, das sich in das heutige Angola hinein erstreckte und ab 1491 mit Portugal in Beziehungen stand, sowie die Staaten der Luba und Lunda im heutigen Shaba (Katanga) seit dem 15. Jahrhundert. Nach der geographischen Erforschung des Kongoraumes durch europäische Reisende im 19. Jahrhundert schuf der König der Belgier Leopold II. einen „unabhängigen Kongostaat", den die anderen Mächte 1885 anerkannten. Er setzte sich gegen arabisch-sansibarische Handelsherren im Osten durch; jedoch schwollen Proteste gegen die Mißwirtschaft dieser privaten Kolonialregierung nach 1900 so stark an, daß der belgische Staat 1908 die Verwaltung übernahm. Belgisch-Kongo blieb eine paternalistisch durch Beamte, Missionare und Bergbaukonzerne regierte Kolonie, bis sich 1959 erste Sprecher einer afrikanischen Unabhängigkeits-Bewegung zu Wort meldeten. Daraufhin vollzog Belgien im Eiltempo eine gewaltfreie -»· Entkolonialisierung; der Kongo erhielt eine bundesstaatliche Verfassung und schon am 30. Juni 1960 die volle Souveränität. Unmittelbar darauf intervenierten jedoch belgische Truppen gegen Meutereien der kongolesischen Armee. Die von Präsident Joseph Kasavubu (1917—1969) und Premierminister Patrice Lumumba (1925—1961) geleitete Regierung rief die Vereinten Nationen um Hilfe an. Nach Abschluß der Kongo-Operation der Vereinten Nationen am 30. Juni 1964 fiel das Land erneut in einen Bürgerkrieg, da revolutionäre Bewegungen gewaltsam an die Macht drängten. Sie wurden jedoch unter Premierminister Moise Tshombé (1919-1969) durch den Armeechef General Mobutu 1965 besiegt. Am 25. November 1965 übernahm Mobutu durch Staatsstreich die Macht. Im Zuge einer Kampagne für afrikanische „Authentizität" benannte er den Staat 1971 in Zaire um.

Kongo-Operation der Vereinten Nationen

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Kongo-Operation der Vereinten Nationen Das Hilfe-Ersuchen der Regierung des Kongo wurde am 14. Juli 1960 von dem Sicherheitsrat aufgegriffen. Der Sicherheitsrat war in dieser Frage ausnahmsweise aktionsfähig (-»• Stimmrecht), da die USA und die UdSSR zu diesem Zeitpunkt eine Operation der Vereinten Nationen im Kongo mit ihren Interessen für vereinbar hielten. Auf Antrag Tunesiens forderte der Sicherheitsrat Belgien auf, seine Truppen aus dem Kongo zurückzuziehen, und ermächtigte gleichzeitig Generalsekretär Dag Hammarskjöld, „ . . . in Konsultation mit der Regierung der Republik Kongo die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Regierung mit solcher militärischen Unterstützung zu versehen, wie notwendig sein mag, bis die nationalen Sicherheitskräfte fähig sein werden, nach Auffassung der Regierung ihre Aufgabe voll zu erfüllen" (Res. 143 (XV) vom 14.7.1960, keine Gegenstimmen, Enthaltung der Republik China, Frankreichs und Großbritanniens). Der Wortlaut dieser ersten Kongo-Resolution des Sicherheitsrates zeigt das Bestreben der Vereinten Nationen, sich weitgehend aus inneren Angelegenheiten des Kongo herauszuhalten. Dies erwies sich jedoch als unmöglich. Am 11. Juli 1960 hatte die Provinz Katanga unter Tshombé ihre Unabhängigkeit vom Kongo erklärt. Diese Sezession wurde zwar von keinem Staat anerkannt, behauptete sich jedoch infolge indirekter Unterstützung aus Belgien, Rhodesien (damals: Zentralafrikanische Föderation unter autonomer Regierung der weißen rhodesischen Minderheit) und anderen westlichen Ländern. Die Vereinten Nationen entsandten eine Truppe in den Kongo (->• Streitkräfte der Vereinten Nationen), deren Stärke (1960—61) zwischen 15.500 und 20.000 Mann schwankte und die aus 20 Kontingenten meist afrikanischer Staaten bestand. Am 12. August 1960 trafen Soldaten auch in Katanga ein, ohne jedoch zunächst die Sezessions-Regierung in ihrer Autorität zu behelligen. Darüber kam es zu einem Zerwürfnis zwischen Generalsekretär Hammarskjöld und Lumumba, gefolgt vom Abzug der Kontingente Lumumba-freundlicher afrikanischer Staaten (Guinea, Marokko, Ägypten) aus den Streitkräften der Vereinten Nationen. Am 5. September 1960 versuchte Kasavubu, den Premierminister Lumumba zu stürzen, wodurch die kongolesische Innenpolitik handlungsunfähig wurde. Im Sicherheitsrat kehrte sich am 14. September die UdSSR gegen Hammarskjölds angeblich pro-westliche Kongo-Politik, so daß dieses Organ lahmgelegt wurde. Von einer Mehrheit der Generalversammlung (4. Sondersitzung im September 1960) gestützt, in der sich die Westmächte mit den afro-asiatischen Staaten gegen die UdSSR zusammenfanden, konnte Hammarskjöld jedoch die Kongo-Operation (französische Abkürzung: ONUC) weiterführen. Er kam bei einem Flugzeugabsturz nahe Ndola (Sambia) am 18. September 1961 ums Leben. In Katanga waren Kämpfe zwischen den Streitkräften der Vereinten Nationen und Tshombés Gendarmerie ausgebrochen; der Generalsekretär wollte persönlich einen Waffenstillstand vermitteln. Während die Regierungsgewalt in dem Kongo sich unter dem neuen Premier Cyrille Adoula 1961—62 scheinbar konsolidierte (Lumumba war am 17.1.1961 nach Auslieferung an Katanga ermordet worden), konnte der neue Generalsekretär U Thant mit amerikanischer Rückendeckung die ONUC weiterführen. Am 21. Januar 1963 entwaffneten die Streitkräfte der Vereinten Nationen nach erneuten Kämpfen Katangas Truppen; damit wurde die Rückkehr der Provinz unter die Gewalt der Zentralregierung möglich. Um dies zu erreichen, mußte der Generalsekretär die von einem Minimal-Konsens der Großmächte abhängigen Anweisungen des Sicherheitsrates (ζ. B. Gewaltanwendung seitens der Streitkräfte der Vereinten Nationen nur zum Zweck der Selbstverteidigung, Verhinderung von Bürgerkrieg und/oder „Ergreifung" der illegal in Katanga tätigen ausländischen Söldner; Res. 169 (XVI) vom 24.11.1961, ohne Gegenstimmen bei Enthaltung Frankreichs und Großbritanniens angenommen) großzügig auslegen. Der politische Konflikt über ONUC wurde auf finanzieller Ebene weitergeführt. Die Kosten der Operation betrugen 381 Mio. Dollar für militärische und 51 Mio. Dollar für zivile Ausgaben. Die UdSSR und Frankreich weigerten sich, ihren Anteil daran zu übernehmen. Sie brachten vor, die Generalversammlung habe durch ihre Beschlüsse, ONUC weiterzuführen, ihre Befugnisse überschritten (-» Beitragssystem, Haushalt).

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Korea

Aus den Konfrontationen zwischen USA und UdSSR, die sich trotz anfänglicher Übereinstimmung im Verlauf der ONUC ergaben, läßt sich einmal mehr die Lehre ziehen, daß die Vereinten Nationen kaum handlungsfähig sind, sobald eine der beiden Supermächte ihre Interessen berührt sieht. Diese Diagnose güt um so mehr, wenn die Maßnahmen der Vereinten Nationen nicht in Mar zwischenstaatlichen Konflikten gefordert sind (wie ζ. B. bei der „Truppenentflechtung" im Nahen Osten), sondern im Verflechtungsbereich von Außen- und Innenpolitik eines oder mehrerer Staaten. Literatur Gendebien: L'intervention des Nation Unies au Congo 1960—64, La Haye 1967 Hoskyns: The Congo since Independence, London 1965 Leclercq: L'ONU et l'affaire du Congo, Paris 1964 Lefever: Uncertain Mandate; politics of the UN Congo Operation, Baltimore 1967 Nkrumah: Challenge of the Congo, London 1969 Spatafora: L'intervento militare delle Nazioni Unite nel Congo, in: Rivista di Diritto Internazionale 1968 p. 517 Wainhouse et al.: International Peacekeeping at the Crossroads, Baltimore 1974 Franz Ansprenger Verweise auf: Beitragssystem, Haushalt; Entkolonialisierung; Stimmrecht; Streitkräfte der Vereinten Nationen.

Korea Politische

Rahmenbedingungen

Korea war von 1910 bis zum Ende des 2. Weltkrieges von Japan annektiert. Auf der Konferenz von Kairo (1.12.1943) wurde von den USA, Großbritannien und China eine Deklaration über die Unabhängigkeit Koreas nach Kriegsende beschlossen. Die UdSSR, die in Kairo nicht vertreten war, gab der Deklaration auf der Konferenz von Jaita (am 8.2.1945) ihre Zustimmung. Diese Deklaration wurde auch in der Erklärung der Potsdamer Konferenz (26.7.1945) von allen Teilnehmerstaaten bestätigt. Nach der Kapitulation Japans schlugen die USA vor, daß die Truppen der UdSSR, die bereits nach Korea vorgedrungen waren, die Übergabe der japanischen Herrschaft nördlich des 38. Breitengrades, die Truppen der USA südlich dieses Breitengrades entgegenehmen sollten. Damit sollte keine politische Teilung vorgenommen werden, die Entscheidung über den 38. Breitengrad als Demarkationslinie wurde als .vorübergehend gültig', aus .militärischen Zweckmäßigkeitserwägungen' heraus getroffen. Am 28. Dezember 1949 kamen die Außenminister der USA, der UdSSR und Großbritanniens überein, bis zur völligen Unabhängigkeit Koreas eine provisorische Regierung zu bilden; China trat dieser Übereinkunft bei. Da trotz dieser Übereinkommen über die Zukunft Koreas zwischen den USA und der UdSSR keine Einigung erzielt werden konnte, wurde die Korea-Frage von den USA am 17. September 1947 den Vereinten Nationen vorgelegt. Die Generalversammlung beschloß am 14. November 1947 die Durchführung einer Wahl unter Aufsicht der „United Nations Temporary Commission on Korea", die am selben Tage von der Generalversammlung errichtet worden war (GA Res. 112 (II)). Die Kommission sollte eine Nationalversammlung gründen, eine demokratische Verfassung ausarbeiten und eine Nationalregierung einrichten.

Der Koreakrieg

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Die UdSSR vertrat die Ansicht, daß die Korea-Frage nicht unter die Zuständigkeit der Vereinten Nationen falle und verweigerte der Kommission den Zutritt in das Gebiet nördlich des 38. Breitengrades. Wegen dieser Differenzen wurden am 10. Mai 1948 Wahlen nur in Südkorea unter Überwachung durch die Kommission der Vereinten Nationen durchgeführt und am 15. August 1948 die „Republik Korea" gegründet. Sie wurde am 12. Dezember 1948 durch die Vereinten Nationen als die „einzig rechtmäßige Regierung" Koreas anerkannt (Res. 195 (III)). Im Gegensatz dazu wurde am 9. September 1948 nördlich des 38. Breitengrades die „Volksrepublik Korea" gegründet und von der UdSSR sowie anderen sozialistischen Staaten als „einzig wahre Regierung" Koreas anerkannt. Sowohl die „Republik Korea" wie die „Volksrepublik Korea" erhoben den Anspruch, die Belange des gesamten Korea zu vertreten. Die Generalversammlung verabschiedete am 12. Dezember 1948 eine Resolution, nach der die Besatzungsmächte ihre Truppen sobald als möglich aus Korea zurückziehen sollten (Res. 195 (III)), und konstituierte die „UN Temporary Commission on Korea" (KoreaKommission) neu. Diese bestätigte in ihrem Bericht vom 28. Juli 1949 den Abzug der US-Truppen. Die UdSSR erklärte, daß sie ihre Truppen bis Ende 1948 zurückgezogen habe, verweigerte jedoch der Korea-Kommission die Erlaubnis, dies zu kontrollieren. Die Beziehungen zwischen den beiden Regierungen in Korea waren durch offene Feindseligkeiten beider Seiten gekennzeichnet. Die Korea-Kommission berichtete der Generalversammlung über die Zusammenziehung von Streitkräften beiderseits des 38. Breitengrades, eine zunehmende Anzahl von nordkoreanischen Grenzüberschreitungen und eine wachsende Propaganda, die zu Krieg und Rebellion im südlichen Teil des Landes aufrief. Außerdem wurde berichtet, daß Nordkorea mit der UdSSR einen Sicherheitsvertrag abgeschlossen habe und daß mit den chinesischen kommunistischen Kräften in der Mandschurei ein Abkommen über militärische Unterstützung getroffen worden sei. Der Koreakrieg Am 25. Juni 1950 um 13.30 Uhr teilte der Außenminister der Republik Korea der KoreaKommission mit, daß das Gebiet seines Landes um 4.00 Uhr Ortszeit durch bewaffnete Streitkräfte Nordkoreas überfallen worden sei. Nach einem am selben Tag durch den Innenminister der Volksrepublik Nordkorea heraugegebenen Kommuniqué wurde behauptet, daß die südkoreanische Armee am Morgen des 25. Juni einen Überraschungsangriff entlang des 38. Breitengrades gegen Nordkorea entfesselt habe. Die Korea-Kommission erklärte, daß die Republik Korea am 25. Juni 1950 „absolut" nicht in der Lage war, einen Angriff über den 38. Breitengrad zu beginnen. Am selben Tag beantragten die USA die sofortige Einberufung des Sicherheitsrates; die Korea-Kommission schlug dies ebenfalls vor. Von großer Bedeutung für das Vorgehen im Sicherheitsrat war die Verfahrensfrage, da die UdSSR wegen der Mitgliedschaft der Republik China (Taiwan) die Sitzungen des Sicherheitsrates seit Januar 1950 boykottierte. Trotz des Fehlens eines Ständigen Mitglieds war der Sicherheitsrat nach Ansicht des Generalsekretärs (Trygve Lie) befugt, die Entwicklung in Korea zu behandeln und kollektive Sicherheitsmaßnahmen durchzuführen. Die USA legten einen Resolutionsentwurf vor, der der ernsten Besorgnis des Sicherheitsrats über den Angriff Ausdruck gab und Nordkorea aufforderte, die Feindseligkeiten einzustellen und seine Truppen hinter den 38. Breitengrad zurückzuziehen. Außerdem sollte der Sicherheitsrat die Korea-Kommission beauftragen, den Rückzug der Truppen zu überwachen. Großbritannien, die Republik China und Frankreich unterstützten diese Resolution. Der Delegierte der Republik Korea, der zu der Sitzung eingeladen worden war, versicherte, daß sein Land dem Angriff Nordkoreas ohne jede Vorwarnung ausgesetzt gewesen sei. Allei Jugoslawien äußerte Zweifel darüber, daß die bisher eingegangenen Berichte ein hinreichend vollständiges Bild gäben, um die Kriegsschuldfrage zu klären.

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Korea

Am 25. Juni 1950 wurde mit neun Stimmen bei Enthaltung Jugoslawiens der Resolutionsentwurf der USA angenommen - allerdings nur als Empfehlung (SC Res. 82 (V)). Die wesentlichen Punkte der Resolution waren die Aufforderung an Nordkorea, unmittelbar die Feindseligkeiten zu beenden und seine Streitkräfte hinter den 38. Breitengrad zurückzuziehen. Die Korea-Kommission wurde aufgefordert, die Weiterentwicklung des Geschehens zu verfolgen und den Sicherheitsrat über die Durchführung der Resolution zu informieren. Diese Resolution wurde nicht befolgt, und am 27. Juni 1950 trat der Sicherheitsrat erneut zusammen. Die USA legten einen neuen Resolutionsentwurf vor, der militärische Maßnahmen zur Aufrechterhaltung des „internationalen Friedens und der Sicherheit" forderte. Die Resolution (Res. 8 (V)) wurde mit sieben gegen eine Stimme (Jugoslawien) bei zwei Enthaltungen (Indien und Ägypten) angenommen. Die UdSSR hatte auch an dieser Sitzung des Sicherheitsrates nicht teilgenommen und betrachtete auf der Grundlage der Art. 27 und 45 die Beschlüsse als illegal (->· Stimmrecht). Zur Koordinierung der auf die Resolution 87 (V) erfolgten Hilfezusagen für die Republik Korea wurde mit Beschluß des Sicherheitsrates vom 7. Juli 1950 ein „gemeinsames Kommando" unter der Führung der USA empfohlen, das unter der Flagge der Vereinten Nationen die Aktionen gegen Nordkorea leiten solle (Res. 84 (V)). In Erfüllung dieser Resolution wurde am 8. Juli 1950 General McArthur von Präsident Truman zum Oberbefehlshaber der Streitkräfte der Vereinten Nationen in Korea ernannt (Doc. S/PV/477 p. 2). Die militärische Situation war zunächst davon gekennzeichnet, daß die Streitkräfte der Vereinten Nationen bis auf die südliche Spitze der Halbinsel um Pusan zurückgedrängt wurden. Ende Juli 1950 konnte General McArthur den Aufbau einer Verteidigungslinie melden. Am 30. September 1950 erreichten die Streitkräfte der Vereinten Nationen den 38. Breitengrad und stellten damit den status quo ante wieder her. Die weitere Entwicklung war von der Diskussion über die Frage, ob die Streitkräfte über den 38. Breitengrad hinaus vorrücken sollten, beherrscht. Zwar war mit der Erreichung des 38. Breitengrades die Selbstverteidigung erfüllt, doch wurde der Aufruf von McArthur am 1. Oktober 1950, die Feindseligkeiten einzustellen, nicht befolgt. Auf der 5. Sitzungsperiode der Generalversammlung wurden mehrere Resolutionsentwürfe für das weitere Vorgehen in Korea vorgelegt. Der Entwurf der USA empfahl als Maßnahmen, um eine stabile Lage in ganz Korea zu sichern, die Durchführung unabhängiger Wahlen unter der Kontrolle der Vereinten Nationen und den Rückzug der Streitkräfte der Vereinten Nationen bis auf jene, die zur Erreichung dieser Ziele nötig seien. Der Vorschlag der UdSSR sah die sofortige Zurückziehung der fremden Truppen aus beiden Teilen Koreas vor, allgemeine Wahlen unter Aufsicht einer gemeinsamen Kommission sowie die Bildung einer Kommission der Vereinten Nationen, der Vertreter der Volksrepublik China und der UdSSR angehören müßten, die die Überwachung der Wahlen wahrnehmen solle. Die Vorstellungen der neutralen Staaten (Indien, Jugoslawien) gingen von der Aufrechterhaltung des status quo aus. Am 7. Oktober 1950 wurde der Entwurf der USA mit 47 zu 5 Stimmen bei 7 Enthaltungen angenommen (Res. 376 (V)). Die Resolution regte die Schaffung einer „United Nations Commission for the Unification and Rehabilitation of Korea" an, die die „UN Commission on Korea" ablöste. Mit dieser Resolution war de facto der Beschluß über die Uberquerung des 38. Breitengrades durch die Streitkräfte der Vereinten Nationen gegeben. Die Diskussion darüber, ob diese Intervention rechtmäßig war, hält bis heute an. Wie McArthur am 5. November 1950 dem Sicherheitsrat mitteilte, befanden sich seit dem 16. Oktober die Streitkräfte der Vereinten Nationen in Feindseligkeiten mit Streitkräften der Volksrepublik China (Doc. S/1884). Die Volksrepublik China wie die UdSSR und auch Nordkorea bestätigten die Intervention chinesischer Streitkräfte, die als „Freiwilligenverbände" deklariert wurden. Zur Erörterung der neuen Lage wurde auf der Grundlage eines Resolutionsentwurfs Großbritanniens vom 8. November 1950 die Volksrepublik China zur Teilnahme an der Diskus-

Der Koreakrieg

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sion über den Sonderbericht von General McArthur im Sicherheitsrat eingeladen. In den Diskussionen nahm der Chefdelegierte der Volksrepublik China, General Wu Hsiu-chuan, eine Haltung ein, die jeden Kompromiß ausschloß. China beschuldigte die USA als Aggressor in Korea und Formosa und betonte, daß der Widerstand gegen die Aggression auf den „selbstverständlichen Prinzipien des Rechts und der Vernunft" beruhe (Doc. S/PV/527 p. 25). Die Erörterungen im Sicherheitsrat führten zu keinem Ergebnis. Da die UdSSR seit dem 1. August 1950 ihren Platz im Sicherheitsrat wieder eingenommen hatte, wurde dem Sicherheitsrat die Möglichkeit für weitere Aktionen in Korea durch das sowjetische Veto entzogen. Aus diesem Grunde wurde von den USA ein Resolutionsentwurf eingebracht, wonach die Generalversammlung berechtigt sein sollte, im Namen der Vereinten Nationen bei Handlungsunfähigkeit des Sicherheitsrates Friedenssicherungsmaßnahmen zu ergreifen. Gegen den Widerstand der kommunistischen Staaten wurde die „Uniting for Peace-Resolution" am 3. November 1950 mit 52 gegen 5 Stimmen bei 2 Enthaltungen angenommen (GA Res. 377 (V)) (-> Friedenssicherung). Inzwischen hatte China seine Verbände auf ca. 400.000 Mann verstärkt (UN Doc. A/C. 1/639 p. 420), womit sie den Streitkräften der Vereinten Nationen überlegen waren, die sich nach Süden zurückziehen mußten. Am 14. Dezember 1950 wurde ein Resolutionsentwurf dreizehn arabisch-asiatischer Staaten mit 52 gegen 5 Stimmen bei einer Enthaltung angenommen, der die Einsetzung eines Dreierausschusses vorschlug, der sich mit den Voraussetzungen für einen Waffenstillstand beschäftigen sollte (Res. 384 (V)). Die Verhandlungen mit dem Vertreter der Volksrepublik China blieben erfolglos, da dieser den Vorschlag emes sofortigen Waffenstillstands zurückwies. Auf zwei Telegramme an Außenminister Chou En-lai am 16. und 19. Dezember mit Vorschlägen über Waffenstillstandsverhandlungen antwortete dieser am 21. und 23. Dezember und teilte mit, daß die Regiening Chinas den Dreierausschuß nicht anerkenne; er forderte, daß die Verhandlungen über den Waffenstillstand auch politische Verhandlungen einschließen sollten. Vorbedingung für Verhandlungen sei der Rückzug aller ausländischen Truppen aus Korea (Doc. A/C. 1/645 p. 4). Die Feindseligkeiten wurden fortgesetzt, und in der Folgezeit überschritten chinesische Einheiten den 38. Breitengrad nach Süden. Am 11. Januar 1951 wurde durch den Dreierausschuß ein neuer Fünf-Punkte-Vorschlag eingebracht, der u. a. eine sofortige Feuereinstellung, den Rückzug aller Truppen, die Vorbereitung freier Wahlen sowie die Regelung aller offenen Fragen unter Einbeziehung der Volksrepublik China vorsah (Doc. A/C. 1/645 p. 20). Die Volksrepublik China lehnte den Vorschlag ab und unterbreitete einen Vier-Punkte-Gegenvorschlag, nach dem Verhandlungen über die Korea-Frage zwischen sieben Staaten vorgeschlagen wurden, wobei davon ausgegangen wurde, daß China seinen „rechtmäßigen Platz" in den Vereinten Nationen einnehmen werde und daß nicht nur die Korea-Frage, sondern auch der Abzug der US-Truppen von Taiwan sowie andere Fragen des Fernen Ostens erörtert werden sollten (UN Doc. A/C. 1/653 p. 50). Nachdem kein Waffenstillstand herbeigeführt werden konnte, brachten die USA einen Resolutionsentwurf ein, in dem die Volksrepublik China als „Aggressor" verurteilt werden sollte. Am 1. Februar 1951 wurde eine modifizierte Version des Resolutionsentwurfes der USA mit 44 gegen 7 Stimmen bei 8 Enthaltungen angenommen. In der Resolution wurde die Regierung der Volksrepublik China der Aggression in Korea beschuldigt, aufgefordert, ihre Truppen abzuziehen und die Feinseligkeiten einzustellen, zudem die Absicht der Vereinten Nationen bekräftigt, ihre Aktionen in Korea fortzusetzen, und alle Staaten wurden aufgefordert, den Aggressoren in Korea jegliche Unterstützung zu versagen (GA Res. 498 (V)). -> China bezeichnete diese Resolution als „offensichtlich illegal", „null und nichtig". Diese Resolution begründete weitere militärische Maßnahmen wie Verhandlungen, wobei dem „Additional Measures Committee" die Aufgabe übertragen wurde, zusätzliche Maßnahmen gegen China zu erarbeiten. Deren Mitglieder bemühten sich vergeblich um Verhandlungen mit der Volksrepublik.

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Das „Additional Measures Committee" arbeitete ein Programm aus, das wirtschaftliche Sanktionen gegen China und Nordkorea in Form eines Embargos vorsah. Am 18. Mai 1951 wurde eine entsprechende Resolution mit 87 Stimmen bei 8 Enthaltungen angenommen, wobei sich die kommunistischen Staaten nicht an der Abstimmung beteiligten (GA Res. 500 (V)). Die Volksrepublik China bezeichnete die Resolution als illegal und als „weiteren Schritt zur Ausdehnung des aggressiven Krieges der USA". Während die Friedensbemühungen der Vereinten Nationen erfolglos blieben, entwickelte sich die militärische Lage für ihre Streitkräfte günstig; die chinesisch-nordkoreanischen Streitkräfte mußten sich wieder hinter den 38. Breitengrad zurückziehen. Mit Rücksicht auf die militärische Situation gab die UdSSR die Bereitschaft zu Verhandlungen zu erkennen. Waffenstillstandsverhandlungen wurden am 10. Juli 1951 in Kaesong eröffnet. Nach zehn Sitzungen wurde am 20. Juli eine Tagesordnung flir die Gespräche angenommen, nach der zunächst über eine militärische Demarkationslinie und die Herstellung einer entmilitarisierten Zone, eine konkrete Vereinbarung für die Feuereinstellung, ein Überwachungsorgan zur Durchführung der Feuereinstellung und des Waffenstillstands, eine Regelung der Kriegsgefangenenfrage sowie Empfehlungen an die beiderseitigen Regierungen verhandelt werden sollten. Die größten Schwierigkeiten bei den Verhandlungen stellten die Bedingungen für den Waffenstillstand, die Waffenstillstandslinie und die Kriegsgefangenenfrage dar. Diese Frage war deshalb so schwierig, weil mehrere tausend gefangener Nordkoreaner nach ihrer Entlassung nicht nach Nordkorea zurückkehren wollten, die nordkoreanischen Unterhändler aber auf einer vollständigen Repatriierung beharrten. Schließlich wurde ein Resolutionsentwurf Indiens angenommen (GA Res. 610 (VII) vom 3.12.1952), nach dem eine Repatriierungskommission „neutraler Staaten" alle Kriegsgefangenen beider Seiten übernehmen und jenen Gefangenen, die nicht in ihre Heimat zurückkehren wollten, die Freiheit der politischen Wahl gewähren sollte. Nordkorea und die Volksrepublik China protestierten gegen diese Resolution. Nachdem Außenminister Chou En-lai am 31. März 1953 erklärt hatte, daß die vollständige Repatrüerung der Kriegsgefangenen die „einzig vernünftige" Lösung sei, aber bestätigte, daß im Interesse des Friedens ein Kompromiß notwendig sei, konnte am 18. Juni 1953 die Vereinbarung über die Kriegsgefangenenfrage unterzeichnet werden. Südkorea, das mit dieser Vereinbarung nicht einverstanden war, reagierte mit der Freilassung von ca. 27.000 norkoreanischen Kriegsgefangenen am 18. Juni 1953, was Proteste zahlreicher Regierungen hervorrief und Differenzen mit den USA zur Folge hatte. Nach weiteren Verhandlungen konnte am 27. Juli 1953 das Waffenstillstandsabkommen zwischen dem Oberbefehlshaber der Streitkräfte der Vereinten Nationen, General Mark Clark, dem Oberbefehlshaber der chinesischen Freiwilligen, General Peng Teh-huai, und dem Oberbefehlshaber der Streitkräfte Nordkoreas, Kim II Sung, in Panmunjom unterzeichnet werden. Die „Mutual Nations Supervisory Commission" — der Vertreter Schwedens, der Schweiz, Polens und der CSSR angehörten — sollte alle Bewegungen von Personen und Ausrüstungen kontrollieren. Die Verantwortung für die Durchführung des Abkommens oblag der „Military Armistice Commission", die alle Streitigkeiten beilegen sollte. Außerdem sollte dem Abkommen zufolge innerhalb von 90 Tagen eine Konferenz abgehalten werden, um den Krieg endgültig zu beenden. Zusätzlich zum Waffenstillstandsabkommen wurde am 27. Juli 1953 in Washington eine „Sixteen-Nations-Declaration" unterzeichnet, nach der die Teilnehmerstaaten am Koreakrieg ihre Entschlossenheit betonten, bei Ausbruch einer neuerlichen Aggression militärische Hilfe zu leisten, wobei die Vertragspartner verpflichtet waren, nirgendwo in Asien als Folge der Einstellung der Feindseligkeiten in Korea eine neue Aggression zu dulden. Im Hinblick auf diese Entwicklung stellte die Generalversammlung in der Resolution vom 28. August 1953 (Res. 711 (VII)), die mit 42 gegen 5 Stimmen, bei 13 Enthaltungen angenommen wurde, fest, daß das Waffenstillstandsabkommen wesentlich für die Wiederher-

Die Korea-Frage seit der Genfer Konferenz

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Stellung des internationalen Friedens sei, begrüßte die politische Konferenz als Mittel der friedlichen Beilegung und empfahl, daß an ihr jene Staaten teilnehmen sollten, die in den Feindseligkeiten Truppen eingesetzt hatten. In einer weiteren Resolution (Res. 712 (VII)) wurde die aktive Beteiligung der Vereinten Nationen am Koreakrieg als Beitrag zum Weltfrieden gewürdigt. Nach schwierigen Vorverhandlungen wurde am 26. April 1954 die politische Konferenz über die Korea-Frage in Genf eröffnet. An ihr nahmen 19 Staaten teil, darunter die USA, Frankreich, Großbritannien, die UdSSR, die Volksrepublik China und beide koreanische Staaten. Eine der größten Schwierigkeiten der Konferenz war es, daß die Vertreter der kommunistischen Staaten auf ihrem Standpunkt beharrten, daß alle Maßnahmen der Vereinten Nationen als „illegal" betrachtet würden, da sie dem „US-Imperialismus" gedient hätten. Weitere Streitpunkte waren die Wahlen für eine Wiedervereinigung Koreas, da Südkorea nur Wahlen für den Norden vorschlug, Nordkorea aber Wahlen für das ganze Land verlangte. Ein Kompromißvorschlag sah die Abhaltung freier Wahlen in ganz Korea unter Überwachung einer neutralen Kommission vor, wogegen jedoch von Seiten der USA Einwände erhoben wurden, da eine neutrale Kommission nach den bisherigen Erfahrungen unwirksam sein müsse. Endgültig zum Stillstand kamen die Verhandlungen in der Frage über den Abzug der fremden Truppen. Auf Grund dieser Schwierigkeiten entschlossen sich die westlichen Mitglieder der Vereinten Nationen am 15. Juni 1954, die Konferenz als erfolglos abzubrechen, da „die kommunistischen Delegationen alle unsere Bemühungen, ein Abkommen zu erzielen, zurückgewiesen haben". Die Korea-Frage seit der Genfer Konferenz Die weitere Entwicklung der Korea-Frage war — bei anhaltender Feindseligkeit zwischen Nord und Süd — von den Verhandlungen der „Military Armistice Commission" bestimmt, die jedoch kerne Fortschritte brachten. Grundsätzliche Veränderungen im Verhältnis beider koreanischer Staaten zueinander schienen sich erst unter dem Eindruck der veränderten China- und Asienpolitik der USA anzukündigen. Am 6. August 1970 erklärte Kim II Sung seine Bereitschaft zu direkten Verhandlungen mit der regierenden demokratisch-republikanischen Partei Südkoreas und am 14. August des gleichen Jahres erklärten sich die Rot-KreuzGesellschaften beider Staaten zur Aufnahme von Verhandlungen über die Frage der Familienzusammenführung bereit. Schließlich wurde am 4. Juli 1972 in einem gemeinsamen Kommuniqué die Entschlossenheit bekräftigt, die „friedliche Wiedervereinigung ohne Einmischung ausländischer Kräfte" anzustreben und die „große nationale Einheit über die Grenzen der Ideologie, der Ideale und der Gesellschaftssysteme hinweg" zu fördern. Nach 25 Vorkonferenzen wurde am 30. August 1972 die erste Plenarsitzung der Rot-Kreuz-Verhandlungen eröffnet, und am 4. November wurde ein Abkommen über die Bildung und die Tätigkeit des Nord-Süd-Koordinationsausschusses unterzeichnet, der sich mit der praktischen Durchführung der Wiedervereinigung befassen sollte. Trotz der hochgespannten Erwartungen wurde jedoch bis Anfang 1976 keine Einigung erzielt. Die 30. Sitzungsperiode der Generalversammlung trug zwar zur Lösung des Koreaproblems nicht bei, doch wurden erstmals zwei sich in wesentlichen Punkten widersprechende Entschließungen über die Koreafrage verabschiedet. Eine von ihnen wurde von den USA, Japan und 26 anderen Ländern eingebracht (GA Res. 3390 A (XXX)), die andere von der Volksrepublik China, der UdSSR und 31 anderen Staaten (GA Res. 3390 Β (XXX)). Beide Resolutionen sprachen sich zwar für eine Auflösung des 1950 aufgestellten Truppenkommandos der Vereinten Nationen aus, doch wurde dieser Schritt in der Resolution A von Alternativlösungen zur Beibehaltung der koreanischen Waffenstillstandsvereinbarungen aus 1953 abhängig gemacht, während nach der Entschließung Β die Auflösung des Kommandos, der Abzug der unter der Flagge der Vereinten Nationen stationierten Truppen sowie die

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Kriegsfìihiung

Ersetzung der Waffenstillstandsvereinbaiung durch ein nicht definitives Friedensabkommen kategorisch gefordert wurde. Literatur Attia: Les forces armées des Nations Unies en Corée et au Moyen-Orient, Genève 1963 Bowett: United Nations Forces: A Legal Study of United Nations Practice, London 1964 Goodrich: Korea - A Study of US Policy and the United Nations, New York 1956 Gerdenker: The United Nations and the Peaceful Unification of Korea. The Politics of Field Operations 1947 - 50, The Hague 1959 Higgins, R.: United Nations Peacekeeping 1946 - 1967, Documents and Commentary. Vol. II (Asia), London 1970, p. 151 Rees: Korea: The Limited War, London 1964 Sichrovsky: Korea Report, Wien 1973 Uwe Fabritzek Verweise auf: China; Friedenssicherung; Stimmrecht; Streitkräfte der Vereinten Nationen.

Kriegsführung Obwohl die Charta der Vereinten Nationen jede militärische Gewaltanwendung ausschließt, hat dieses allgemeine Kriegsverbot Kriege und Befreiungskriege nicht verhindern können. Im Einklang mit dem geltenden Völkerrecht kennt die Charta in Art. 42 auf Beschluß des Sicherheitsrates die rechtmäßige Anwendung militärischer Gewalt gegen Aggression zur Aufrechterhaltung und Sicherstellung der internationalen Sicherheit. Auch Art. 51 erlaubt die militärische Gewaltanwendung im Falle eines bewaffneten Angriffs gegen ein Mitglied der Vereinten Nationen. Dieses Recht der Kriegsführung kann in individueller und kollektiver Selbstverteidigung ausgeübt werden. Die Regeln und Normen der Kriegsführung und des Kriegsvölkerrechts stehen daher nicht dem allgemeinen ->· Gewaltverbot der Charta der Vereinten Nationen entgegen. Funktion und Zielsetzung der Regelung besteht darin, die Kriegsführung Einschränkungen zu unterwerfen, um die Folgen und Auswirkungen eines Krieges zu verringern. Inwieweit die humanitären Regeln und Normen der Kriegsführung auch in Bürgerkriegen Anwendung finden, ist in der Völkerrechtsentwicklung noch nicht abschließend geklärt. Das Kriegsführungsrecht regelt insbesondere die Fragen der Neutralität, des Kriegsausbruchs, die Stellung von Streitkräften im Land-, See- und Luftkrieg, die Mittel und Methoden der Kriegsführung und die völkerrechtliche Stellung der Zivilbevölkerung im Kriege. Das Kriegsführungsrecht ist nur zu einem Teil kodifiziert, so daß das Gewohnheitsrecht einen überwiegenden Teil des Kriegsrechts darstellt. Teilweise ist auch eine Regel, die anfangs lediglich partikulares Völkerrecht war, zu allgemeinem Gewohnheitsrecht geworden. Daneben gibt es Kodifikationen, wie z. B. die Haager Landkriegsordnung, die lediglich schon bestehendes Gewohnheitsrecht rezipieren. Schließlich ist es möglich, daß auch ein Vertragsentwurf als Erkenntnisquelle für Völkergewohnheitsrecht benutzt werden kann (z. B. Londoner Seerechtsdeklaration von 1909). In jüngster Zeit sind die Bestrebungen wieder verstärkt worden, das Kriegsführungsrecht zu kodifizieren bzw. zu modernisieren. Als wichtigste multilaterale Konventionen sind zu nennen: Die Haager Deklaration von 1899 betreffend das Verbot von Geschossen, die sich leicht im menschlichen Körper ausdehnen oder platt drücken (sog. Dum-Dum-Geschosse - RGBl. 1901 S. 478); die Haager Deklaration von 1899 betreffend das Verbot der Verwendung von Geschossen, deren einziger Zweckes

Neutralität

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ist, erstickende oder giftige Gase zu verbreiten (RGBl. 1901 S. 474, 482); die Haager Konvention von 1899 über die Anwendung der Grundsätze der Genfer Konvention von 1864 auf den Seekrieg (RGBl. 1901 S. 455, 482); die Haager Konvention von 1899 über die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs (RGBl. 1901 S. 423, 482); das III. Haager Abkommen von 1907 über den Beginn der Feinseligkeiten (RGBl. 1910 S. 82); das IV. Haager Abkommen von 1907 betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs (RGBl. 1910 S. 107); das V. Haager Abkommen von 1907 betreffend die Rechte und Pflichten der neutralen Mächte und Personen im Falle eines Landkriegs (RGBl. 1910 S. 151); das VI. Haager Abkommen von 1907 über die Behandlung der feindlichen Kauffahrteischiffe bei Ausbruch der Feinseligkeiten (RGBl. 1910 S. 181); das VII. Haager Abkommen von 1907 über die Umwandlung von Kauffahrteischiffen in Kriegsschiffe (RGBl. 1910 S. 207); das VIII. Haager Abkommen von 1907 über die Legung von unterseeischen selbsttätigen Kontaktminen (RGBl. 1910 S. 231); das IX. Haager Abkommen von 1907 betreffend die Beschießung durch Seestreitkräfte in Friedenszeiten (RGBl. 1910S. 256); das X. Haager Abkommen von 1907 betreffend die Anwendung der Grundsätze des Genfer Abkommens auf den Seekrieg (RGBl. 1910 S. 282); das XI. Haager Abkommen von 1907 über Beschränkungen in der Ausübung des Beuterechts im Seekriege (RGBl. 1910 S. 316); das XIII. Haager Abkommen von 1907 betreffend die Rechte und Pflichten der Neutralen im Falle eines Seekrieges (RGBl. 1910 S. 343); das Genfer Protokoll von 1925 betreffend das Verbot der Anwendung von Giftgasen und bakteriologischen Mitteln (RGBl. 1929 II S. 174); das Genfer Abkommen von 1929 über die Behandlung der Kriegsgefangenen (RGBl. 1934 II S. 207, 227); das Genfer Abkommen von 1929 zur Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken im Felde (RGBl. 1934 S. 207); das Londoner Protokoll von 1936 über den U-Boot-Krieg; die Genfer Abkommen von 1949 zur Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken der Heere im Felde (I) (BGBl. 1954 II S. 781), der Verwundeten, Kranken und Schiffbrüchigen der bewaffneten Kräfte zur See (II) (BGBl. 1954 S. 813), über die Behandlung der Kriegsgefangenen (III) (BGBl. 1954 S. 838) und über den Schutz der Zivilpersonen in Kriegszeiten (IV) (BGBl. 1954 S. 917); das Haager Abkommen von 1954 über den Schutz von Kulturgütern bei bewaffneten Konflikten (BGBl. 1967 II S. 1233); Verbot der Lagerung von Kernwaffen auf dem Meeresboden von 1971 (BGBl. 1972 II S. 325). Neutralität Die Rechte und Pflichten Neutraler im Kriege sind im wesentlichen im V. Haager Abkommen und im XIII. Haager Abkommen niedergelegt. Beide Abkommen behandeln die Neutralität im Kriege. Sie machen keinen Unterschied, ob ein Staat sich zu ständiger Neutralität verpflichtet hat oder lediglich in einem bestimmten militärischen Konflikt seine Neutralität erklärt. Der neutrale Staat darf nicht am Kriege teilnehmen, den kriegsführenden Parteien keine Hilfe zukommen lassen und ist zu gleichwertiger Behandlung verpflichtet. Andererseits ist sein Gebiet unantastbar; auf seinem Territorium dürfen keine Kriegshandlungen vorgenommen werden. Diese Grundsätze gelten auch im Seekrieg. Füi den Luftkrieg sind sie ebenfalls anwendbar, obwohl ein entsprechendes Abkommen hinsichtlich des Luftkrieges und der Stellung neutraler Staaten nicht abgeschlossen worden ist. Die ständige Neutralität wird durch innerstaatliche Rechtssetzung oder durch völkerrechtliche Verträge begründet. Als ständig neutrale Staaten werden heute die Schweiz, Österreich und der Vatikanstaat angesehen. Der Begriff Neutralität wird daneben im Sinne des außenpolitischen Grundsatzes der Blockfreiheit verwendet. Der Grundsatz der Blockfreiheit ist jedoch von der Neutralität im Kriege und der ständigen Neutralität dadurch zu unterscheiden, daß die Blockfreiheit nicht Gegenstand völkerrechtlicher Normierungen und Abkommen ist und ausschließlich als außenpolitische Maxime Ausdruck in der internationalen Politik findet.

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Kriegsfiihrung

Im System der Vereinten Nationen ergibt sich gem. Art. 2 Ziff. 5 dann eine Neutralitätspflicht, wenn im Falle der kollektiven Androhung oder Anwendung von Gewalt ein Staat sich nicht an den vom Sicherheitsrat gem. Art. 41 und 42 beschlossenen Maßnahmen beteiligt oder nach Art. 48 Abs. 1 nicht herangezogen wird. Es fragt sich gleichwohl, ob nicht durch Art. 2 Ziff. 5 und 6 der Grundsatz der Neutralität innerhalb des Systems der Vereinten Nationen aufgehoben worden ist. Art. 2 Ziff. 6 kann jedoch nicht im Sinne einer Kompetenzzuweisung verstanden werden, die es erlaubt, Mitglieder und Nichtmitglieder zur Aufgabe ihrer neutralen Haltung zu zwingen. Die Vorschrift ermöglicht lediglich die politische Einflußnahme auf Mitglieder und Nichtmitglieder, sich an friedenserhaltenden militärischen Maßnahmen der Vereinten Nationen zu beteiligen. Gleiches gilt hinsichtlich der durch den Sicherheitsrat anberaumten Maßnahmen nach Art. 41, 4 3 , 4 8 und 49. Das System der Vereinten Nationen schließt daher die Neutralität nicht aus. Auch die Genfer Konventionen von 1949 bestätigen ausdrücklich die Rechte und Pflichten neutraler Staaten in Konflikten und kriegerischen Auseinandersetzungen. Kriegsausbruch / Kriegsende Das III. Haager Abkommen verlangt, daß Staaten keine Feindseligkeiten eröffnen dürfen, ohne dem Gegner eine entsprechende Benachrichtigung zuzustellen. Ein ohne Ankündigung begonnener Krieg stellt eine Völkerrechtsverletzung dar. Auf jeden Fall tritt aber mit Kriegsbeginn, sei er nun erklärt oder nicht, der volle Kriegszustand mit allen rechtlichen Folgen ein: Die beteiligten Staaten werden zu Kriegsführenden. Ihre konsularischen und diplomatischen Beziehungen enden mit Kriegsausbruch, desgleichen die kulturellen und wirtschaftlichen Verträge. Umstritten ist die Frage der Weitergeltung völkerrechtlicher Verträge. Multilaterale Verträge, an denen auch Neutrale beteüigt sind, werden, darüber besteht Übereinstimmung, lediglich im Verhältnis der Streitparteien suspendiert. Bilaterale Verträge zwischen den Kriegsführenden werden dagegen von der überwiegenden Meinung für beendet angesehen. Etwas anderes könnte jedoch u. U. für nichtpolitische Verträge gelten (str.). Ein Krieg kann nach geltendem Völkerrecht auf dreierlei Weise beendet werden: Totale Unterwerfung des Gegners, Einstellung der Feindseligkeiten und Wiederaufnahme normaler Beziehungen sowie durch einen Friedensvertrag. Räumliche und personelle Schranken des Kriegsrechts In der Anlage zum IV. Haager Abkommen (Haager Landkriegsordnung) wird festgestellt, daß der Kriegsschauplatz, d. h. das Gebiet, in dem kriegsführende Parteien Kampfhandlungen durchführen können, sich auf ihr gesamtes Territorium, einschließlich Territorialgewässer und Luftraum erstreckt. Ausgenommen sind Teile des Staatsgebiets, die dauernd neutralisiert sind (z. B. Aaland Inseln). Daneben gibt es befriedete Räume und Objekte (Sanitätseinrichtungen, Kunstdenkmäler). Geplant ist, auch Staudämme und nicht müitärisch genutzte Atomkraftwerke zu befrieden, mit Rücksicht auf die durch die Zerstörung drohenden Gefahren. Kampfhandlungen werden gem. Art. 1 und 2 Haager Landkriegsordnung und dem I. Genfer Abkommen durch die Streitkräfte der kriegsführenden Staaten vorgenommen. Im Sinne der Haager Landkriegsordnung gelten die Gesetze und Gebräuche des Landkrieges nicht nur für das Heer der streitenden Parteien, sondern auch für die Milizen, FreiwilligenKorps und für solche Teile der kämpfenden Bevölkerung, die folgende Voraussetzungen erfüllen: Sie müssen einer Kriegspartei angehören, dagegen ist es nicht notwendig, daß sie von ihrer Regierung autorisiert sind; sie müssen eine militärische Organisation mit verantwortlichem Oberbefehl haben; sie müssen ein bleibendes, auf Entfernung erkennbares Abzeichen führen, ihre Waffen offen tragen und selbst die Gesetze und Bräuche des Krieges achten.

Allgemeine Beschränkungen.

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Nach Art. 2 der Haager Landkriegsordnung und Art. 4 A (6) III. Genfer Abkommen wird auch die Bevölkerung, die bei Einrücken des Feindes zu den Waffen greift, ohne sich vorher in Milizen formieren zu können, als legale Kombattanten angesehen, wenn sie die Waffen offen führt und die Gebräuche des Krieges achtet (levée en masse). Nach dem bisher geltenden Recht zählen Partisanen nicht zu den legalen Kombattanten und genießen damit auch nicht den Schutz des III. Genfer Abkommens über die Behandlung der Kriegsgefangenen (vgl. Art. 4 A 2). Für die Streitkräfte der Vereinten Nationen (United Nations Peacekeping Forces) gelten die Regeln und Normen des Kriegsvölkerrechts entsprechend, obwohl die Organisation bisher nicht als „kriegsführender Staat" aufgetreten ist, sondern ausschließlich im Rahmen von Friedensmissionen, die nicht als kriegerische Auseinandersetzung mit den Mitgliedstaaten angesehen werden können, tätig wurde. Die Streitkräfte der Vereinten Nationen im Nahen Osten, in Zypern und ehemals im Kongo sowie in Korea sind gleichermaßen an die Kriegsführungsregeln gebunden wie nationale Streitkräfte kriegsführender Staaten (-• Streitkräfte der Vereinten Nationen). Allgemeine Beschränkungen der militärischen Kampfführung Das Kriegsfuhrungsrecht des Völkerrechts enthält Beschränkungen für Methoden und Mittel der Kampfführung, die fiir alle drei Kriegsarten (Land-, See-, Luftkrieg) gemeinsam gelten. Sie beruhen auf folgenden Erwägungen: Es erscheint sinnlos, Waffen einzusetzen, die die eigenen Streitkräfte ebenso gefährden wie den Gegner (ζ. B. Giftgase). Daneben treten sittliche, religiöse oder moralische Bedenken, die besondere Formen der Kriegsführung untersagen. Folgende allgemeine Grundsätze haben sich im Laufe der Zeit sei es gewohnheitsrechtlich, sei es durch Kodifikationen, herausgebildet. Militärische Kriegshandlungen dürfen sich nur gegen Kämpfende, nicht aber gegen Zivilpersonen richten. Allerdings hat der 2. Weltkrieg deutlich werden lassen, daß vor allem der Einsatz von Massenvernichtungswaffen den Unterschied zwischen Kämpfenden und der Zivilbevölkerung zu verwischen droht. Demgegenüber gibt es Bestrebungen des Roten Kreuzes, diese Unterscheidung zu sichern. Die derzeitige Regelung dieses Komplexes erfolgt im IV. Genfer Abkommen. Konsequenterweise werden auch alle Kampfhandlungen für unzulässig gehalten, die nicht auf ein bestimmtes Ziel gerichtet werden können und daher Kämpfende und Zivilpersonen unterschiedslos in Mitleidenschaft ziehen. Beispiele sind das Flächenbombardement von Wohngebieten. Der wehrlose Feind oder der Gegner der sich ergeben will, darf nicht Ziel von Kampfmaßnahmen sein. Dieser Grundsatz ist in der Haager Landkriegsordnung (Art. 23 Abs. 1) ausdrücklich normiert, gilt aber auch für See- und Luftkrieg. Seine konsequente Folge ist das Kriegsgefangenen- und das Verwundetenrecht (I. — III. Genfer Abkommen), dem besondere Bedeutung zukommt. Der Gebrauch von Waffen, die geeignet sind, unnötige Leiden zu verursachen, ist verboten (ausdrücklich normiert in Art. 23 Abs. 1 Haager Landkriegsordnung). Die Auslegung dieses Begriffs ist umstritten. Ist es damit nur untersagt, Leiden zu verursachen, die zur Erreichung des Kriegsziels unnötig sind oder wird damit auch schon jede technisch unnötig grausame Waffe untersagt? Anwendungsfall dieses allgemeinen Grundsatzes ist das Verbot des Einsatzes von Dum-Dum-Geschossen. Umstritten sind unter diesem Gesichtspunkt die Verwendung von Napalm und Flammenwerfern. Der Gebrauch von Giftgas und vergifteten Waffen ist untersagt (ausdrücklich nur Art. 23 Abs. 1 Haager Landkriegsordnung). Trotz des Giftgasabkommens von 1899 wurde im 1. Weltkrieg Giftgas eingesetzt. Der Versailler Vertrag verbot Deutschland die Herstellung. Das Genfer Protokoll von 1925 dehnte das Herstellungs- und Verwendungsverbot aus, es wurde inzwischen von 93 Staaten ratifiziert (der Beitritt der USA erfolgte erst am 10.4.1975). Unter Umständen kann der Einsatz dieser verbotenen Waffen als Repressalie und auf Grund eines militärischen Notstandes zulässig sein.

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Kriegsfiihrung

Landkrieg Neben den bereits behandelten allgemeinen Regeln des Kriegsführungsrechts sind für den Landkrieg folgende Fragenkomplexe spezifisch geregelt: Angriff und Beschießung sowie Zerstörung und Beschlagnahme feindlichen Eigentums. Nach Art. 25 Haager Landkriegsordnung ist es untersagt, unverteidigte Ortschaften zu beschießen, die Behörden sind vorher zu benachrichtigen, sakrale und kulturelle Einrichtungen sind zu schonen. Nach den Erfahrungen des 2. Weltkrieges sind diese Regeln wohl inzwischen illusorisch. Art. 23 Abs. 1 (g) Haager Landkriegsordnung verbietet die Zerstörung oder Wegnahme fremden Eigentums, desgleichen sind Plünderungen untersagt (Art. 28 Haager Landkriegsordnung, Art. 33 Abs. 2 und 3 IV. Genfer Abkommen). Lediglich das bewegliche öffentliche Eigentum auf dem Schlachtfeld ist Kriegsbeute des Staates. Auch die Verwüstung und Zerstörung ganzer Gebiete ist mit Art. 23 Abs. 1 (g) Haager Landkriegsordnung nicht vereinbar (vgl. dazu die Verurteilung von Jodl durch das Nürnberger Militärgericht Bd. I S. 367, Bd XV S. 452). Gem. Art. 23 Haager Landkriegsordnung sind die kriegführenden Staaten verpflichtet, einzelne Waffen und Waffenarten nicht zu gebrauchen. Luftkrieg Obwohl auf den Haager Konferenzen von 1899 und 1907 der Versuch gemacht worden ist, die Verwendung von Kampfmitteln zu verbieten, die aus der Luft ins Ziel gebracht werden, und diese Versuche nach dem 1. und 2. Weltkrieg fortgesetzt wurden, ist es bisher nicht gelungen, Luftkriegsregeln allgemein verbindlich durch internationale Abkommen festzulegen. Ein wichtiger Ansatz fur die Regelung der Luftkriegsführung waren die Haager Luftkriegsregeln von 1923 (Text in: AJIL vol. 17 (1923) p. 245). Danach sollte ein Luftbombardement nur zulässig sein, wenn es sich gegen ein der erschöpfend aufgezählten Objekte richtete. Ausdrücklich verboten wurde ein Luftbombardement zur Terrorisierung der Zivilbevölkerung. Weitere Kodifikationsversuche vor und nach dem 2. Weltkrieg scheiterten, so daß für den Luftkrieg lediglich auf die allgemeinen Grundsätze sowie einige speziell für den Luftkrieg entwickelte Gewohnheitsrechtssätze zurückgegriffen werden kann. Danach ist der militärische Einsatz von Flugzeugen zulässig, verboten ist lediglich der Angriff, der sich unmittelbar gegen die Zivilbevölkerung richtet. Seekrieg Das Seekriegsrecht ist auch heute noch weitgehend Gewohnheitsrecht, da die 1908/9 ausgearbeitete Londoner Seerechtsdeklaration nicht in Kraft trat. Lediglich Teilgebiete konnten kodifiziert werden. Aus ihnen ergibt sich neben den allgemeinen Regeln das geltende Seekriegsrecht. Nicht in Kraft trat das Abkommen über die Errichtung eines Internationalen Prisenhofs. Dagegen wurden die wesentlichen Vorschriften des ebenfalls nicht in Kraft getretenen Washingtoner Vertrags von 1922 über die U-Boot-Kriegsführung in das Londoner Protokoll von 1936 übernommen (LNTS Bd. 173 Nr. 4025 - 46 Ratifikationen - alle vor Kriegsbeginn —). Danach haben U-Boote Handelsschiffen gegenüber die gleichen Regeln einzuhalten wie Uberwasserschiffe. Im Gegensatz zum Landkrieg ist ein Beuterecht an feindlichem Privateigentum möglich. Das im Seekrieg beschlagnahmte private Eigentum gilt als Prise. Jede Prisennahme wird durch spezielle Gerichte, sog. Prisengerichte, entschieden. Bestrafung von Kriegsverbrechen Unter Kriegsverbrechen sind alle Verletzungen des Kriegsrechts zu verstehen, die von Kämpfenden oder Staatsorganen während des Kriegszustandes begangen werden. Nicht

Entwicklungstendenzen

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darunter fallen strafbare Handlungen anderer Personen in Ausnützung der Kriegssituation. Art. 6 Abs. 2 (b) des Statuts des Nürnberger Gerichtshofs nennt folgende Beispiele, die ausdrücklich als nicht abschließend bezeichnet werden: Mord, Mißhandlung oder Deportation zur Skalvenarbeit von Angehörigen der Zivilbevölkerung, Mord oder Mißhandlung von Kriegsgefangenen, Töten von Geiseln, Plünderung, mutwillige Zerstörung von Städten, Märkten oder Dörfern. Die Genfer Konventionen (I — IV) zählen folgende Tatbestände auf: Vorsätzliche Tötung, Folterung oder unmenschliche Behandlung einschließlich biologischer Versuche, vorsätzliche Verursachung großer Leiden oder schwere Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit oder der Gesundheit, Zerstörung und Aneignung von Eigentum, die durch militärische Erfordernisse nicht gerechtfertigt sind. Aus den Genfer Konventionen ergibt sich weiterhin, daß die Vertragsstaaten verpflichtet sind, Kriegsverbrechen zu ahnden. Fallen Kriegsverbrecher in die Hand des Gegners, ist auch dieser zur Bestrafung berechtigt, bei schweren Taten sogar dazu verpflichtet. Da es sich bei den anzuwendenden Normen um transformiertes Völkerrecht handelt, muß auch das Verfahren dem völkerrechtlichen Mindeststandard entsprechen (Art. 85 III. Genfer Abkommen, Art. 64 seq. IV. Genfer Abkommen). Eine der wesentlichsten Fragen in Kriegsverbrecherprozessen ist es, inwieweit der Befehl eines Vorgesetzten als Rechtfertigungsgrund dient. Nach Art. 8 Statut des Nürnberger Gerichtshofs konnte ein Befehl lediglich als Strafmilderungssgrund angesehen werden. Die Versuche, innerhalb der Vereinten Nationen eine Kodifizierung der Nürnberger Prinzipien und damit ein geschlossenes Vorgehen gegen Kriegsverbrecher zu erreichen, haben bislang trotz intensiver Arbeiten der Völkerrechtskommission zu keinem wirklichen Erfolg geführt (vgl. Entwurf von sieben „in der Charta und in dem Urteil des Nürnberger Gerichtshofs anerkannter Prinzipien" — ILC-Yearbook 1950 vol. II p. 278, Entwürfe eines Vertrages über Vergehen gegen den Frieden und die Sicherheit der Menschheit — ILC-Yearbook 1951 vol. II p. 43, 104—109, 1954 vol. II p. 112). Auch die Versuche, ein internationales Gericht zur Aburteilung von „allgemein unter dem Völkerrecht anerkannten Verbrechen" führten zu keinem Erfolg. Ergebnis der entsprechenden Bemühungen ist lediglich die Konvention über die Nichtverjährung von Kriegsverbrechen (Res. 2391 (XXIII) vom 22.11.1968). En twicklu ngstendenzen Die Entwicklung zeigt, bedingt durch Bürgerkriege und Befreiungskriege in der Phase der Entkolonialisierung, daß man sich der Materie des Kriegsfuhrungsrechts erneut anzunehmen hatte. Am 12. Mai 1968 verabschiedete die Internationale Konferenz über die Menschenrechte in Teheran die Resolution XXIII „Human Rights in Armed Conflicts", in der angeregt wurde, die Generalversammlung möge die Notwendigkeit für eine Neuordnung des humanitären Völkerrechts von dem Generalsekretär untersuchen lassen. Seitdem hat sich die Generalversammlung ständig mit diesem Problem befafaßt. Es hat sich dabei eine gewisse Arbeitsteilung zwischen den Vereinten Nationen und dem Internationalen Komitee des Roten Kreuzes ergeben. Die XXI. Konferenz des Roten Kreuzes forderte den Generalsekretär und die Vereinten Nationen auf, gemeinsam das Kriegsfiihrungsrecht unter Berücksichtigung der zahlreichen internen und internationalen Konflikte, insbesondere aber in Anbetracht der wachsenden Anzahl von bewaffneten lokalen Konflikten, Guerillaaktivitäten und terroristischer Aktionen und der Entwicklung neuer waffentechnischer Systeme einer Revision zu unterziehen, um die Regeln des Kriegsführungsrechts dieser Entwicklung anzugleichen. Das Internationale Rote Kreuz verlangte besonders, das Kriegsführungsrecht im Hinblick auf die Verhinderung von Schäden an der Zivilbevölkerung und Nicht-Kombattanten zu überprüfen. Erforderlich erschien aber auch, die Stellung von Freiheitskämpfern einer Revision zu unterziehen. Im Rahmen dieser Überprüfung stellten sich drei Fragenkomplexe zur Diskussion: Stellung und Status irregulärer Kombattanten, Verbot bzw. Anwendung neuer Waffensysteme und Fragen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit für Verletzungen des Kriegsführungsrechtes.

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Kriegsführung

Das Komitee des Roten Kreuzes lud unter Berücksichtigung der Resolution 2597 (XXIV) die Regierungen ein, sich vom 24. Mai — 12. Juni 1971 zu einer diese Fragen diskutierenden Expertenkonferenz einzufinden. Die 1971 nach Genf einberufene Konferenz setzte vier Kommissionen ein, die sich mit Fragen des Schutzes von Kranken und Verwundeten in internationalen bewaffneten Konflikten, des Status von Verletzten in nicht-internationalen Konflikten und der Anwendung dieser Regeln in Bürger- und Guerillakriegen, des Schutzes der zivilen Bevölkerung in bewaffneten Auseinandersetzungen und schließlich mit der Frage der Durchsetzung dieser Regeln im innerstaatlichen Recht einschließlich einer Bestrafung von Kriegsverbrechen auseinandersetzte. Die zweite Sitzung fand vom 3. Mai — 3. Juni 1972 in Genf statt. Die auf der Konferenz gefaßten Beschlüsse deuten an, daß zukünftig die gesamte zivile Bevölkerung im Sinne der erweiterten Genfer Abkommen und Haager Landkriegsordnung Schutz vor kriegerischen Handlungen in Anspruch nehmen kann. Der Schutz der Zivilbevölkerung soll sowohl in internationalen als auch nicht-internationalen Konflikten gelten. Schwieriger war der Fragenkomplex über den Schutz, Status und Stellung von Betroffenen in nicht-intemationalen Konflikten, da eine Einigkeit über den Status von „Freiheitskämpfern" nicht herbeizuführen war, obwohl die Generalversammlung der Vereinten Nationen in verschiedenen Resolutionen forderte, Freiheitskämpfern in Gebieten unter Kolonialund Fremdherrschaft und in Gebieten, die für ihre Befreiung und Selbstbestimmung kämpfen, im Falle einer Gefangennahme als Kriegsgefangene entsprechend der Grundsätze der Haager Konvention von 1907 und der Genfer Konvention von 1949 zu behandeln (Res. 2444 (XXIII) vom 19.12.1968; Res. 2597 (XXIV) vom 16.12.1969; Res. 2621 (XXV) vom 12.10.1970; 2674 (XXV) vom 9.12.1970; 2854 (XXVI) vom 20.12.1971). Schwierigkeiten zeigten sich vor allem mit der Forderung der Generalversammlung, Guerillakämpfern den Anspruch auf Behandlung als Kriegsgefangene im Falle einer Gefangennahme zuzuerkennen. Ein solcher Anspruch hätte zur Folge, daß ihnen die gleiche Behandlung zuerkannt werden müßte wie Kombattanten, die sich durch offenes Waffentragen und Uniform deutlich und entsprechend den Genfer Abkommen von diesen unterscheiden. Unter Berücksichtigung noch anderer Diskussionen hat das Internationale Komitee des Roten Kreuzes die Ergebnisse der Regierungsexpertenkonferenzen neu formuliert und den Entwurf zweier Zusatzprotokolle (internationaler und nicht-internationaler Konflikte) zu den Genfer Konventionen vorgelegt. Sie sind Beratungsgrundlage für die 1974 nach Genf einberufene Diplomatische Konferenz. Literatur Berber: Lehrbuch des Völkerrechts, Bd. II, 2. Aufl. München 1969 Bindschedler: Frieden, Krieg und Neutralität im Völkerrecht der Gegenwart, in: Multitudo Legum ius unum, Festschrift für Wilhelm Wengler, Berlin 1973, S. 27 Bothe: Die Genfer Konferenz über humanitäres Völkerrecht. Bericht über die Verhandlungen nach der zweiten Sitzungsperiode, in: ZaöRV 1975 S. 641 Greenspan / Morris: The modern law of land warfare, Berkeley / Los Angeles 1959 Mulley: Die britische Initiative zur totalen Ächtung der biologischen Methoden der Kriegsführung, in: EA 1969 S. 787 Pictet: Le droit humanitaire et la protection des victimes de la guerre, Leiden 1973 Pokstefl / Bothe: Bericht über Entwicklungen und Tendenzen des Kriegsrechts seit den Nachkriegskodifikationen, in: ZaöRV 1975 S. 574 de la Pradelle: Réflexions sur la XXI e Conférence Internationale de la Croix Rouge, in: RGDIP vol. 74 (1970) p. 262 Randelzhofer: Entwicklungstendenzen im humanitären Völkerrecht für bewaffnete Konflikte, in: Friedens-Warte Bd. 58 (1975) S. 23 Günther Doeker Verweise auf: Gewaltverbot; IRK; Streitkräfte der Vereinten Nationen.

Internationale Kulturpolitik

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Kulturpolitik, Internationale Kultur, Wissenschaft, Bildung Unter Kultur soll hier die Gesamtheit aller ideellen und ideologischen Bezüge verstanden werden, die in einzelnen Gesellschaften in Religionsgemeinschaften, in den verschiedenen Formen des Kunstbetriebs, den Schulen und Universitäten verankert sind und von dort aus das gesellschaftliche Leben und seine Fortentwicklung prägen. Der Einfluß der Kultur besteht vor allem in der Vermittlung umfassender Sinn- und Deutungsmuster für die jeweiligen gesellschaftlichen Strukturen und die Rolle des einzelnen in ihnen, erst in zweiter Linie in der Vermittlung spezieller Kenntnisse und Kulturfertigkeiten (vom Lesen u n d Schreiben bis hin zur Beherrschung einer Kunstfertigkeit oder Wissenschaft). Die Art der dominanten kulturellen Bezüge und das Ausmaß ihrer gesellschaftlichen Verankerung — damit wiederum ihre Auswirkungen auf andere gesellschaftliche Lebensbereiche — variieren mit dem gesellschaftlichen Entwicklungsstand. Wenig entwickelte Gesellschaften sind durch die „Einheit ihrer Kultur" geprägt: Religiöse Bezüge als originäre Formen von „Welterlebnis" und „Weltdeutung" spielen eine hervorragende Rolle und dominieren alle anderen Lebensbereiche; politische Herrschaft erscheint als diesseitige Form außerweltlicher Autorität und nicht als soziale Organisation der Zuteilung von Macht; geschriebenes und vor allem ungeschriebenes Recht weist sich durch religiöse Bezüge aus und kann nur schwer geändert werden; Wissenschaften existieren nicht oder nur in den Grenzen des Dogmas; falls spezielle Schüler- und Lehrerrollen - und damit Schulen — in gesellschaftlich umfassender Weise überhaupt bestehen, sind auch sie vor allem religiös orientiert. Demgegenüber sind hochentwickelte Gesellschaften durch die „Vielfalt ihrer Kultur" charakterisiert: Neben die Religion treten weitere Sinnstrukturen und Deutungsmuster, die eine erweiterte und differenziertere Erfahrung und Verarbeitung der Wirklichkeit erlauben, neben politisch-weltlichen Ideologien rücken vor allem die Wissenschaften in den Vordergrund. Bis zu einem gewissen Grade unabhängig von der spezifischen politischen Verfassung und dem wirtschaftlichen Entwicklungsstand, sind für moderne hochentwickelte Gesellschaften identische oder zumindest ähnliche kulturelle Bezüge charakteristisch, die sich auch in formalen und inhaltlichen Ähnlichkeiten in der jeweiligen Institutionalisierung von Kultur zeigen. Dies betrifft vor allem den Wissenschaftsbereich, d. h. die Verankerung der Wissenschaften in Organisationen der freien und angewandten Forschung an Universitäten, Forschungsinstituten, Akademien und dergleichen, und das Bildungswesen. Das Bildungswesen moderner Gesellschaften erreicht faktisch alle „neuen Gesellschaftsmitglieder" für längere Zeiträume, in denen sie mit einer Kombination von beispielhaften Wissens- sowie Wert- und Ideologie-Elementen konfrontiert werden und auf diese Weise eine schrittweise Einführung in die komplexe Wirklichkeit ihrer Gesellschaft erfahren. Da für das Bildungswesen wegen seiner Sozialisationsfunktion Wert- und Ideologie-Elemente eine größere Bedeutung haben als für große Teile des Wissenschaftsbetriebes, sind zwischen verschiedenen Gesellschaften Ähnlichkeiten formaler (organisatorisch-institutioneller) und inhaltlicher Art im Wissenschaftsbereich am ehesten festzustellen, während im Bereich des Bildungswesens bei häufig weitgehender formaler Ähnlichkeit (interne Differenzierung des Bildungswesens, relativer Schulbesuch, etc.) wegen der gesellschaftlich spezifischen Form der Wert- und IdeologieElemente erhebliche inhaltliche Unterschiede auftreten können. Internationale

Kulturpolitik

Bemühungen um kulturellen Austausch und kulturelle Kontakte zwischen verschiedenen Gesellschaften bestehen seit langem. Technisch ermöglicht oder zumindest erheblich erleichtert durch die Entwicklung moderner Kommunikationsmöglichkeiten verstärkten sich derartige, häufig persönliche Kontakte seit dem 19. Jahrhundert vor allem im Rahmen der

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Kulturpolitik, Internationale

Entwicklung des modernen Wissenschaftsbetriebes. Neben diesem „sozialwüchsigen", in gewisser Weise spontanen Prozeß der Entwicklung und Verbreitung speziellerer transnationaler kultureller Bezüge (von den Natur- und Ingenieurwissenschaften bis hin zu den Sozialwissenschaften und politischen Ideologien) in den kleinen Kreisen wissenschaftlicher und intellektueller Eliten, ist aber auch die offizielle, bewußt verantwortete internationale Bildungs- und Kulturpolitik ein seit dem Ende des 19. Jahrhundert bekanntes — wenn auch unter anderen Bezeichnungen auftretendes — Phänomen. Wenn nämlich „internationale Politik" nicht als zwischenstaatliche, sondern als zwischengesellschaftliche Politik interpretiert wird, dann rücken die kultur- und vor allem bildungspolitischen Bemühungen all jener Staaten in den Vordergrund, die mehrere Gesellschaften (mit ihren unterschiedlichen kulturellen Bezügen und deren verschiedenartiger Verankerung) als politisch-staatliche Einheit zusammenfaßten. Typischerweise ergaben (bzw. ergeben) sich bei solchen Staaten früher oder später Versuche, die politisch-staatliche Einheit durch die Stiftung und soziale Verankerung (Bildungswesen) gemeinsamer kultureller Bezüge abzusichern. Diese langfristigen Prozesse der Aufhebung partikularer Kulturen — durch ihre Zerstörung oder Integration — in einer allgemeineren Kultur konnten in einigen Staaten sehr weit voranschreiten (ζ. B. USA, UdSSR), andere Staatsgebilde zerbrachen als politische Einheiten, bevor diese kulturellen Integrationsprozesse weit fortgeschritten waren (ζ. B. europäische Kolonialreiche). In den heutigen Staaten der Dritten Welt zeigt sich die Ambivalenz kultureller Integrationsprozesse in besonders deutlicher Form: Vor dem Hintergrund einer in vielen Ländern sehr ausgeprägten ethnischen und kulturellen Vielfalt ist die Einführung und Verbreitung einer „modernen Verkehrssprache" (und damit einer „gemeinsamen Kultur") zur Überwindung des sozio-kulturelien Partikularismus unbedingt erforderlich. Unter den heutigen Bedingungen bedeutet dies sehr häufig die direkte Übernahme einer der ursprünglich europäischen Weltsprachen oder einen indirekten Anschluß an diese über entwicklungs- und anpassungsfähige außereuropäische Sprachen. Ist damit einerseits eine Voraussetzung für „nationale kulturelle Integration" gegeben, so liegt darin andererseits ein Potential für transnationale kulturelle Bezüge, und zwar - neben den Wissenschaften - vor allem im Bereich politischer Ideologien und der Formulierung eines neuen, säkularisierten Menschenbildes bis hin zur Beeinflussung der wirtschaftlichen Anspruchsniveaus. Diese transnationalen Vereinheitlichungsprozesse, in die vor allem die politisch-intellektuelten Eliten der Länder der Dritten Welt einbezogen sind, gewinnen eine Eigendynamik und können wegen der ökonomischen Interdependenz und der Entwicklung der Verkehrsund Kommunikationstechnologien nur begrenzt kontrolliert werden. Während die Eigendynamik transnationaler kultureller Integrationsprozesse, bezogen auf die Staaten der „Ersten" und der „Zweiten" Welt als ein wesentlicher Faktor für die langfristige Verringerung des politischen Konfliktpotentials zwischen einzelnen Staaten betrachtet werden kann (sowohl innerhalb der „westlichen" und der „sozialistischen" Staatengemeinschaften wie auch zwischen diesen), dürfte diese Eigendynamik unter weltweiter Perspektive für lange Zeit zur Verstärkung des politischen Konfliktpotentials zwischen der Ersten und Zweiten Welt einerseits, der Dritten Welt andererseits führen: Mit den sich entfaltenden normativen und kognitiven Bezügen der Weltgesellschaft entstehen gemeinsame Interpretations- und Deutungsmuster, die es erlauben, extrem disparate Lebenssituationen als gemeinsam wahrnehmbare und zu verantwortende, konfliktfähige Ungleichheit zu thematisieren. Internationale Kulturpolitik als Sammelbezeichnung für zwischenstaatlich-politisch vermittelte Aktivitäten, die selbst institutionalisiert und organisatorisch fixiert sind, hat sich vor allem in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelt. Sie besteht vor allem darin, politische und ökonomische Rahmenbedingungen für die direkte Interaktion zwischen einzelstaatlichen kulturellen (vor allem wissenschaftlich-technischen) Einrichtungen zu setzen. Die Mehrzahl internationaler Einrichtungen und Abkommen im weiten Bereich der Kulturpolitik ist bilateraler Art. Je ähnlicher sich die jeweils beteiligten Staaten im wirtschaftlichen Entwicklungsstand, in der politischen Orientierung und im generellen kulturellen

Vereinte Nationen und Kulturpolitik

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Hintergrund sind, um so vielfaltiger sind die Anknüpfungspunkte und um so weitreichender die Kooperationsmöglichkeiten (ζ. B. die wissenschaftlich-technische Kooperation jeweils innerhalb der westlichen und sozialistischen Staatengemeinschaft, inzwischen auch in zunehmendem Maße zwischen ihnen). Je inhomogener die internen Strukturen und der Entwicklungsstand zweier oder mehrerer Staaten, um so begrenzter sind ihre informellen und ihre formalisierbaren kulturellen Interaktionsmöglichkeiten: Um so größer ist die Wahrscheinlichkeit, daß (1) ein erheblicher Teil der „kulturellen Beziehungen" sich auf die gegenseitige Präsentation des „kulturellen Erbes" und der Folklore beschränkt, (2) Zusammenarbeit im wissenschaftlichen Bereich in hohem Maße die Beschäftigung mit jeweiligen lokalen Besonderheiten betrifft, die vor allem auch den finanziell und wissenschaftlich stärkeren Partner interessieren, (3) Kooperation im Bildungs- und Ausbildungsbereich die Organisation des überwiegend „einseitigen Transfers" von Fertigkeiten und Kompetenzen des entwickelteren Partners meint (ζ. B. das heutige Verhältnis zwischen westlichen und sozialistischen Industrieländern gegenüber Ländern der Dritten Welt als zeitgemäßge Weiterentwicklung ähnlich wirkender — damals aber noch sehr begrenzter — Arrangements der Kolonialzeit). Vereinte Nationen und

Kulturpolitik

Die -» UNESCO stellt im Rahmen des Systems der Vereinten Nationen den ersten und bis heute einen der wichtigsten Träger „universeller Kulturpolitik" dar. Bis etwa 1960 beschränkte sie sich vornehmlich auf Aktivitäten im Bereich der Pflege des kulturellen Erbes (ζ. B. „Orient-Okzident-Programm") und bestimmte Formen der Förderung wissenschaftlicher Kommunikation (Informationsdienste, Zeitschriften, Konferenzen). Der scharfe OstWest-Gegensatz der fünfziger Jahre wie auch der Kampf der Dritten Welt um die politische Unabhängigkeit gestatteten nur solche Aktivitäten, die einerseits durch die vergangenheitsbezogene und pluralistische Konzeption des „kulturellen Erbes", andererseits durch ihre Beschränkung auf Themen und Methoden einzelner Wissenschaften vor Vorwürfen und Vorbehalten gegen kulturelle Integration oder Vereinheitlichung geschützt waren. Diese Situation änderte sich radikal, nachdem seit Anfang der sechziger Jahre die meisten früheren Kolonien unabhängig geworden waren und seitdem in allen Organisationen der Vereinten Nationen die Forderung nach intensiverer Unterstützung der Entwicklungsländer immer stärker vertreten wird. Der erste deutliche Ausdruck dieser nicht mehr abwehrenden, sondern fordernden Grundhaltung war die 1963 durchgeführte United Nations Conference on the Application of Science and Technology to Development (UNCAST). Inzwischen gibt es keine Sonderorganisation mehr, die nicht in ihrem jeweils eigenständigen Arbeitsbereich und darüber hinaus im Rahmen der über das ->• UNDP abgewickelten gemeinsamen Projekte vielfältige Formen der wissenschaftlich-technischen Ausbildungshilfe und Wissenschaftsförderung betriebe. Die bei der sachlichen Begründung und politischen Propagierung dieser Aktivitäten zu beobachtende Hervorhebung technischer und ökonomischer Aspekte dürfte u. a. darauf zurückzuführen sein, daß die während der Unabhängigkeitskämpfe der Länder der Dritten Welt benutzten Argumente gegen „Kulturimperialismus" und für „nationale Identität" noch immer eine „politische Negierung" objektiv erforderlicher und tatsächlich erfolgender weltweiter kultureller Integrationstendenzen erforderlich machen. Neben der erheblichen Ausweitung der praktischen Aktivitäten der Vereinten Nationen und ihrer Sonderorganisationen im Bereich der Ausbildungshilfe und bei der Vorbereitung und Durchführung von Erweiterungs- und Reformbemühungen für das Bildungs- und Wissenschaftssystem von Entwicklungsländern bedarf die allgemeinere Bedeutung der wissenschaftlichen Dienste und Institute der Vereinten Nationen einiger Bemerkungen. Die Bedeutung dieser Einrichtungen darf nicht ausschließlich oder überwiegend unter dem Aspekt ihrer

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Kulturpolitik, Internationale

jewefls recht beschränkten eigenen Forschungskapazität gesehen werden. Ihre (wissenschafts-)politische Bedeutung liegt vielmehr auch darin, daß sie die wissenschaftliche Kommunikation über politische Grenzen hinweg und gegen die Verdrängungswirkung politischer Prioritätensetzung erleichtern und beeinflussen können, was langfristig und vermittelt über die einzelstaatlichen Wissenschaftsbereiche auf die internationale Politik zurückwirken kann. Funktional betrachtet leisten solche Einrichtungen also einen Beitrag zur Konstitution „der einen Weltgesellschaft" durch die Definition universell relevanter Probleme. Beispiele dafür bieten die wissenschaftlichen Aktivitäten der Vereinten Nationen im Bereich der Demographie und Bevölkerungspolitik seit den 50er Jahren (obwohl damals sowohl die Industriestaaten als auch die Entwicklungsländer offiziell nicht von ihrer pro-natalistischen Haltung abgehen konnten), die Aktivitäten der -»· FAO und ->• IMCO in Fragen der Meeresökologie (trotz generell ablehnender Haltung der Mehrheit der Entwicklungsländer), die Erarbeitung wirtschaftswissenschaftlicher Analysen und wirtschaftspolitischer Programmatiken durch UNCTAD, ILO oder IBRD (trotz politischer Widerstände einzelner (Industrie-) Länder). Von den 12 größeren Forschungsinstituten der Vereinten Nationen seien hier nur zwei autonome Körperschaften hervorgehoben, das 1964 gegründete United Nations Research Institute for Social Development (UNRISD) und das 1965 gegründete United Nations Institute for Training and Research (->• UNITAR) (beide werden über freiwillige Beiträge staatlicher und nicht-staatlicher Stellen sowie durch Zuwendungen der Vereinten Nationen und ihrer Sonderorganisationen finanziert). UNRISD (Haushalt 1975: 0,6 Mio. Dollar) wurde während der ersten Entwicklungsdekade gegründet, um die praktischen Entwicklungshilfeprojekte der Vereinten Nationen durch die systematische Berücksichtigung der Probleme der Sozialorganisation zu verbessern. UNITAR (Haushalt 1973: 1,5 Mio. Dollar) wendet sich einerseits der kritischen Darstellung einzelner Teilbereiche der Vereinten Nationen und ihrer Arbeitsformen und -möglichkeiten zu, andererseits bietet es Ausbildungsmöglichkeiten für Verwaltungspersonal aus Entwicklungsländern, das in nationalen UNO-bezogenen Verwaltungen tätig ist oder in die Vereinten Nationen übernommen wird. Die bereits bestehenden Forschungsinstitute — zusammen mit weiteren noch zu gründenden - sollen Teil der Ende 1974 offiziell gegründeten „Weltuniversität" (United Nations University) werden. Die Weltuniversität ist als ein dezentralisiertes Netz von Forschungsinstituten gedacht, die sich wichtigen Weltproblemen zuwenden (geplant sind unter anderem Institute für Umwelttechnologie, Bevölkerungsstudien, Wüstenforschung, Hydrologie und Flutkontrolle, Ökologie des Meeresraums). Die Finanzierung der Weltuniversität bzw. ihrer einzelnen Institute soll aus Beiträgen regierungsamtlicher Stellen, der Vereinten Nationen und ihrer Sonderorganisationen und nicht-staatlicher Träger erfolgen. Bis Ende 1975 lagen neben einer umfangreichen Finanzierungsverpflichtung Japans größere Zusagen für den Stiftungsfonds der Universität von Venezuela, Schweden und Kanada vor. Literatur Coleman (ed.): Education and Political Development, Princeton 1975, vor allem die Beiträge des Herausgebers Communautés Européenes (éd.): Les cadres juridiques de la coopération internationale en matière scientifique et le problème européen, Bruxelles 1970 Emge: Auswärtige Kulturpolitik. Eine soziologische Analyse einiger ihrer Funktionen, Bedingungen und Formen, Berlin 1967 Jochimsen: Die Universität der Vereinten Nationen, in: VN 1975 S. 139 Luhmann: Rechtssoziologie, Reinbek b. Hamburg 1972, vor allem Bd. 1, S. 132, Bd. 2 S. 333 Parsons: „Social Systems", in: International Encyclopedia of the Social Science 1968, vol. 15 p. 458 Klaus Hüfner / Jens Naumann Verweise auf: FAO; IBRD; ILO; IMCO; UNCTAD; UNDP; UNITAR.

Mandatsgebiete

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Mandatsgebiete Das Mandatssystem des -> Völkerbundes wird auf den Treuhandgedanken des englischen Rechtes zurückgeführt. Nach dem bürgerlichen Recht ist Treuhänder, wer Recht als Eigenrecht empfangen hat mit der Bestimmung, es nicht im eigenen Interesse zu gebrauchen. Die juristische Struktur Treunehmer, Treugeber und Equity-Gericht liegt dem Mandatssystem des Völkerrechts zugrunde. Elemente eines solchen Treuhandsystems wurden schon weit vor der Begründung des Mandatssystems in Auffassungen über das Verhältnis von christlichen Eroberern und Eingeborenen geäußert, sie sind - allerdings unter anderen juristischen Konstruktionen — vor dem Mandatssystem zu finden: So im Protektoratsverhältnis, so in der österreichischen Treuhandschaft über Bosnien-Herzegowina. Näher zum Mandatssystem führen die Konferenzen, die sich mit der Machtverteilung der europäischen Mächte vor allem in Afrika befaßt haben, so die Berliner Konferenz (1884/85) mit der abschließenden General-Akte vom 26. Februar 1885 (Kongo-Akte, RGBl. 1885 S. 215) und die Brüsseler Antisklaverei-Akte vom 2. Juli 1890 (RGBl. 1892 S. 605). Wie sehr das Mandatssystem des Völkerbundes dieser imperialen Machtpolitik dienen sollte, beweist der historisch-politische Hintergrund, vor dem es aufgebaut wurde: Die Alliierten teilten sich für den Fall einer Niederlage der Mittelmächte die Kolonien Deutschlands und die Territorien der Türkei auf. Damit wurde auch der englische Treuhandgedanke verbunden, der sich in der Sorge für das Wohlergehen und die Entwicklung der Bevölkerung ausdrückt. Geistige Väter des Mandatssystems des Völkerbundes waren der spätere Ministerpräsident der Südafrikanischen Union, General Smuts, und Präsident W. Wilson. Dem einen sind eher machtpolitische, dem anderen — als Verfechter der Selbstbestimmungsidee ( ->• Selbstbestimmungsrecht) im Ausgang des 1. Weltkrieges — mehr humanitäre Interessen zuzurechnen. Das Ergebnis beider Entwürfe, dem die Forderung nach Annexion der fraglichen Gebiete durch die jeweiligen Machthaber entgegenstand, war ein Kompromiß, der sich schließlich im Art. 22 Völkerbundsatzung niedergeschlagen hat. Von dem durch die Völkerbundsatzung geschaffenen Mandatssystem waren nicht die Kolonien, Dominions und anderen abhängigen Gebiete der aus dem 1. Weltkrieg als Sieger hervorgegangenen Mächte betroffen, sondern nur die, die unter der Herrschaft der Mittelmächte standen. Das Mandatssystem wurde damit zu einer Methode, den Herrschaftsbereich des Osmanischen und des Deutschen Reiches zu reduzieren. In historischer Reihenfolge wurden folgende Gebiete Mandataren unterstellt: 17. Dezember 1920: Australisches Mandat über frühere deutsche Besitzungen im Pazifischen Ozean, südlich des Äquators; Japanisches Mandat über frühere deutsche Besitzungen im Pazifischen Ozean, nördlich des Äquators; Britisches Mandat über Nauru; Neuseeländisches Mandat über Westsamoa; Mandat der Südafrikanischen Union über das frühere Deutsch Südwestafrika. 20. Juli 1922: Britisches Mandat über Teile Kameruns; Französisches Mandat über Teile Kameruns; Belgisches Mandat über Teile Deutsch-Ostafrikas (Rwanda-Urundi); Britisches Mandat über Teile Deutsch-Ostafrikas (Tanganjika); Britisches Mandat über Teile Togos; Französisches Mandat über Teile Togos.

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Mandatsgebiete

24. Juli 1922: Britisches Mandat über Palästina, Transjordanien; Französisches Mandat über Syrien und den Libanon. 27. September 1924: Britisches Mandat über den Irak. Alle diese Mandate wurden von Art. 22 Völkerbundsatzung beherrscht. Die Wissenschaft hat — unabhängig von der Praxis, die sich auf Grund des Art. 22 Völkerbundsatzung entwickelte — die tragenden Strukturen des Mandatssystems herausgearbeitet. Die Zielsetzungen des Mandatssystems sind: Keine Annexionen der fraglichen Gebiete durch die Mandatare; der Grundsatz des Selbstbestimmungsrechtes oder der Zustimmung der Regierten zu ihrer Regierungsform soll für das zukünftige Regime maßgebend sein; Verwaltungs- und Wirtschaftspolitik sollen in erster Linie auf den wohlverstandenen Interessen der Eingeborenen beruhen. Der Völkerbund soll sein ihm zukommendes Mandat selbst oder durch Staaten ausüben; der Völkerbund soll Aufsichtsrecht haben; der Völkerbund soll dann, wenn er seine Befugnisse weitergibt, dies durch einen besonderen Vertrag besorgen (Mandatsverträge). Art. 22 Völkerbundsatzung gliedert die Mandatsgebiete in drei Gruppen: Die A-, die Bund die C-Mandate. Sie unterscheiden sich nach Machtbefugnissen der Mandatare und dem kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Entwicklungsstand der Mandatsbevölkerung. Α-Mandate waren Gemeinwesen, die zum Osmanischen Reich gehört hatten und deren Entwicklung schon so weit fortgeschritten war, „daß sie in ihrem Dasein als unabhängige Nationen vorläufig anerkannt werden können". Der Mandatar sollte Ratschläge erteilen und Unterstützung gewähren. Zu den Α-Mandaten gehörten der Irak, Palästina einschließlich Transjordaniens und Syrien einschließlich des Libanons. Mit dem Irak hatte der Mandatar am 10. Oktober 1922 einen Bündnisvertrag abgeschlossen (LNTS Bd. 35 No. 890), so daß zunächst eine Art Protektoratsverhältnis entstanden war. Bei den B-Mandaten waren die Kompetenzen der Mandatare größer: Sie hatten die Verwaltung über die fraglichen Gebiete. Von unabhängigen Gebieten ist bei diesen Mandaten nicht die Rede gewesen. Die B-Mandate Togo, Kamerun, Tanganjika, Rwanda-Urundi wurden daher als Objekte des Völkerrechts bezeichnet. Die C-Mandate wurden als „integrierende Bestandteile" des Gebietes des Mandatars verwaltet. Bei ihnen war nicht von „peuples", sondern von „territoires" die Rede. Es scheint, als würden bei diesen Mandaten Imperium und Dominium begründet worden sein. Zu diesen Gebieten gehörten das ehemalige DeutschSüdwestafrika, Westsamoa, Neuguinea, Nauru und die übrigen ehemals deutschen Inseln im Pazifischen Ozean. Das Kontrollsystem des Völkerbundes über die Mandatsverwaltung kann als Vorläufer internationaler menschenrechtlicher Schutzsysteme angesehen werden. Die Mandatare waren dem Völkerbundrat verantwortlich und unterlagen einem Berichtsystem. Das Berichtsystem — auch im Europarat angewandt - hat in die Vereinten Nationen ebenso wie in die ILO Eingang gefunden. Der Völkerbundrat übte seine Aufgaben durch eme Mandatskommission aus. Demgegenüber nahm die Völkerbundversammlung eine geringe Bedeutung ein. Der Ständige Internationale Gerichtshof war nach einzelnen Mandatsverträgen berufen, über Meinungsverschiedenheiten zwischen einer Mandatarmacht und einem anderen Mitglied des Völkerbundes zu entscheiden. Gem. Art. 22 Abs. 9 Völkerbundsatzung wurde eine Mandatskommission (Commission permanente des Mandats) eingerichtet. Diese hatte die Mandatsberichte entgegenzunehmen, zu prüfen und dem Völkerbundrat über „alle die Ausführung der Mandatsverpflichtungen angehenden Fragen" Gutachten zu erstatten. Die Kommission bestand seit dem Beitritt des Deutschen Reiches zum Völkerbund aus zehn Mitgliedern, wobei die Mehrheit der Mitglieder aus Angehörigen von Nichtmandatarstaaten zu bestehen hatte. Die Mitglieder waren in ihrer

Palästina-Mandat

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persönlichen Eigenschaft bestellt und als solche von der sie bestellenden Regierung unabhängig (Buchst, a) Satzung der Ständigen Mandatskommission, SdN JO I (1920) No. 8 p. 87). Das Petitionssystem der Kommission ist der Vorläufer für die im Europarat und in den Vereinten Nationen vorgesehenen ->· Petitionen. Die Kommission konnte von „communautés ou des éléments de la population des territoires sous mandats" angerufen werden. Das System garantierte kein unmittelbares, sondern nur ein mittelbares Beschwerderecht. Das Verfahren war nicht geheim, da eine Petition nur über die Regierung des Mandatars die Kommission erreichen konnte. Petitionen konnten an den Völkerbundrat und die Mitglieder des Völkerbundes weitergeleitet werden (Procédure en matière de pétitions relatives aux habitants des territoires sous mandats, SdN JO IV (1923) p. 298 (300)). Die Grundsätze für die Zulässigkeit von Petitionen sind jenen nicht unähnlich, die in den derzeitigen internationalen Instanzen gebräuchlich sind. Um sich ein Bild von dem Geschehen in den Mandatsgebieten zu machen, hatte die Kommission ein Informationssystem entwickelt, das auf der Aussendung von Fragebögen für B- und C-Mandate beruhte. Das Mandatssystem ist mit dem Niedergang des Völkerbundes im Zuge des 2. Weltkrieges zwar nicht aufgehoben worden, doch fiel die internationale Überwachung weg. Die betroffenen Gebiete sind teils direkt zur staatlichen Unabhängigkeit geführt worden (Irak bereits 1932, Transjordanien, Syrien, Libanon), teils ist an die Stelle des Mandatssystems das Treuhandsystem der Vereinten Nationen getreten (-»• Treuhandrat). Hingegen sind zwei Mandate zum Gegenstand der Weltpolitik geworden: Das frühere A-Mandat Palästina (-»• Nahost) und das frühere C-Mandat Südwestafrika (-* Südliches Afrika). Palästina-Mandat Die sogenannte „Balfour-Deklaration" wurde zum bedeutendsten politischen Dokument in dieser Frage. Der Balfour-Deklaration sind vorgelagert das „British Commitment to the Sherif of Mecca" (1914/15), das Syrien und Arabien betraf, und die Sykes-Picot-Vereinbarung von 1916, die die französisch-britische Verständigung über den Irak beinhaltete. Der Balfour-Deklaration war ein zionistischer Antrag, den Baron Walter Rothschild am 18. Juli 1917 dem britischen Außenministerium unterbreitete, vorausgegangen. Der erste Schritt zur Realisierung der Balfour-Deklaration vom 2. November 1917 war die Einsetzung der „Zionistischen Kommission", die mit der damaligen Militärverwaltung zusammenarbeitete. Die zionistische und die arabische Sache wurde vor der Pariser Friedenskonferenz vertreten. König Faisal sprach am 1. Januar 1919 und unterbreitete Wilson am 21. Januar 1919 ein Memorandum, das „zionist organisation"-Memorandum vom 3. Februar 1919. Es enthielt Vorschläge über ein künftiges Mandat, die Rechtsordnung und die Grenzen Palästinas. Der nicht ratifizierte Friedensvertrag von Sèvres vom 10. August 1920 (Martens, NRG, 3e Série, vol. 12 p. 664) enthält eine Klausel (Art. 95) über Palästina, der Vertrag von Lausanne spricht in Art. 16 von „le sort de ces territoires.. . étant réglé ou à régler par les intéressés". Zu dem eigentlichen Mandatsvertrag kam es am 24. Juli 1922 (Text: LNTS Bd. 28 No. 701) zugleich mit der Mandatsbegründung über Syrien und den Libanon. Während die beiden Territorien Syrien und Libanon zur Unabhängigkeit geführt werden sollten, fand sich dieser Passus nicht im Mandatsvertrag für Palästina (SdN JO III (1922) p. 1007). Nach der Präambel soll nichts geschehen, um die „bürgerlichen und religiösen Rechte" „of existent non-Jewish communities in Palestine" zu beeinträchtigen. Diese „non-Jewish communities" bildeten aber zahlenmäßig die überwältigende Mehrheit der ansässigen Bevölkerung. Im Jahre 1922 waren in Palästina erst 83.790 Juden registriert, gegenüber 93 % der übrigen Bevölkerung. Die Pariser Friedenskonferenz hatte sich um das Selbstbestimmungsrecht der Araber nicht gekümmert. Die Mandatsverwaltung sollte das Mandat so verwalten, daß aus dem Gebiet das „Jewish national h o m e " werden könne. Art. 2 Mandatsvertrag enthält eine sich auf zivile und religiöse Rechte beziehende Antidiskriminie-

Mandatsgebiete

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rungsklausel, Art. 4 anerkennt die jüdischen Immigrations- und Verwaltungsorganisationen, Art. 22 spricht von den „ o f f i c i a l languages" (Englisch, Arabisch und Hebräisch), Art. 23 regelt die Frage der Anerkennung von Feiertagen. Das Mandat wurde im Sinne der Balfour-Deklaration verwaltet, bis durch die zunehmenden A k t e des Widerstandes der arabischen Bevölkerung und vor allem das Interesse, das Großbritannien an der Haltung der arabischen Völkerschaften und Staaten während des 2. Weltkrieges hatte, die Mandatsverwaltung dazu überging, die Einwanderungsquoten erheblich zu senken. Im Jahre 1942 hatte Großbritannien seine Schutzmachtfunktion gegenüber dem „Jewish national h o m e " faktisch weitgehend aufgegeben. A n seine Stelle rückten mit dem Biltmore-Programm der Zionistischen Konferenz vom 11. Mai 1942 erkennbar nun die U S A . Das Palästina-Mandat endete am 15. Mai 1948 (-> Nahost).

Deutsch

Südwestafrika

Das Mandat der Südafrikanischen Union über Südwestafrika war wie alle übrigen Mandate aufgebaut. Es wurde zum C-Mandat bestimmt, so daß dieses Gebiet in erster Linie als „Territorium" behandelt werden sollte. Ein Hinweis darauf, daß die Bevölkerung zur Selbstbestimmung zu führen sei, findet sich für dieses Mandat nicht. Nach A r t . 2 des Mandatsvertrages vom 17. Dezember 1920 ( S d N JO II ( 1 9 2 1 ) p. 89) sollte die Mandatsmacht volle Verwaltungs- und Gesetzgebungshoheit über das Mandatsgebiet als einen integrierenden Teil der Union von Südafrika haben und die Gesetze dieser Union in dem Territorium anwenden. Die Mandatsmacht wurde verpflichtet, so weit wie möglich für das materielle und moralische Wohlergehen sowie den wirtschaftlichen Fortschritt der Einwohner des Gebietes Sorge zu tragen. Art. 3 verbot Sklavenhandel und Zwangsarbeit, Art. 4 die militärische Ausbildung der Eingeborenen, abgesehen von Lokalpolizei und lokaler Verteidigung des Gebietes. In Art. 6 wurde die Mandatsmacht verpflichtet, dem Völkerbundrat jährlich Bericht zu erstatten, in Art. 7 die Kompetenz des Ständigen Internationalen Gerichtshofs für die Entscheidung über Meinungsverschiedenheiten begründet. Solange dieses Mandat unter der Kontrolle des Völkerbundes stand, hatten sich die Mandatskommission und der Völkerbundrat auf Grund der Berichte und Petitionen mit der Mandatsverwaltung zu befassen. Die sich aus der Ausübung des Mandats ergebenden Probleme führen nahtlos zu jenen Fragen, mit denen die Vereinten Nationen seit 1946 in Südafrika und Südwestafrika konfrontiert worden sind (-> Südliches A f r i k a ) . Das Grundproblem der Mandatszeit, das die Organe des Völkerbundes beschäftigte, ergibt sich aus dem Anspruch Südafrikas, das Gebiet tatsächlich oder rechtlich zu annektieren, und dem Bemühen, den Mandatar in die von der Völkerbundsatzung für die Mandatsausübung gezogenen Grenzen zu weisen. Darüber hinaus war die Periode der Mandatsverwaltung von Gleichgültigkeit gegenüber der einheimischen Bevölkerung sowie von der Unfähigkeit der Mandatskommission und der anderen Völkerbundorgane markiert, dem Recht des Völkerbundes zum Durchbruch zu verhelfen. Die Haltung Südafrikas war von Anfang an darauf gerichtet, die Souveränität auf Südwestafrika auszudehnen. Tatsächlich ist der Mandatsvertrag zweideutig formuliert, so daß seine Formulierungen diesen Anspruch nicht widerlegen, wenngleich A r t . 22 Völkerbundsatzung gestützt durch die Materialien — die Annexion des Gebietes untersagt. Erstmals 1926 vertrat Südafrika die Meinung, es „possesses sovereignty over the Territory o f South-West Africa . . . lately under the sovereignty o f G e r m a n y " (Martens, N R G , 3e Série, vol. 23 p. 299). Dieser Anspruch geht auf ein Urteil des südafrikanischen Obersten Gerichtshofs in dem Rechtsstreit Rex v. Christian im Jahre 1924 zurück, in dem ausdrücklich ausgeführt wird, daß die Souveränität über das Territorium weder den alliierten oder assoziierten Mächten, noch dem Völkerbund, noch Großbritannien, sondern der Regierung Südafrikas zukomme. Von 1926 an hat man in den Völkerbundorganen über diese Formel diskutiert und feine Unterscheidungen zwischen den Ausdrücken „volle Souveränität" und „Souveränität" herauszuarbeiten

Literatur

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versucht. In einer Note vom 16. April 1930 hat die Südafrikanische Union schließlich eine vage Interpretation des Ausdruckes Souveränität, wie sie nach jahrelangen Beratungen von der Mandatskommission vorgeschlagen wurde, angenommen (SdN J O X I ( 1 9 3 0 ) p. 8 3 8 ) . Praktischer wurde der Wille Südafrikas, sein Mandat entgegen der Völkerbundsatzung und dem Mandatsvertrag auszuüben, in der Angelegenheit des „Caprivi-Streifens". In den Diskussionen der Mandatskommission ging es vor allem um die Frage, inwieweit auch Ausnahmegesetze Südafrikas auf den „Caprivi-Streifen" übertragen werden dürfen. Dieser Landstrich, der seinerzeit an die Südgrenze der britischen Kolonie Njassaland grenzte, hat noch heute in der Diskussion über die Apartheidpolitik besondere Bedeutung (-> Apartheid). Weiteres markantes Zeichen südafrikanischer Mandatsverwaltung und der Kontrolle durch den Völkerbund war, daß die einheimische Bevölkerung nicht Gegenstand besonderer Sorge gewesen zu sein scheint. Die Dokumente aus dem sogenannten Petitionsverfahren zeigen wohl, daß es in der Mandatszeit Petitionsverfahren gegeben hat, doch waren die Petenten nicht etwa die einheimischen Schwarzen oder Mischlinge, sondern jene Deutschen, die als Kolonialisten in das Land gekommen waren und dort nach dem 1. Weltkrieg bleiben wollten. Die Petitionen beziehen sich auf ihr Wahlrecht und ihre Gewerbe- und Handelsfreiheit, nicht aber auf Freiheiten der Einheimischen. Die Mandatskommission war eine Art Expertenkommission, die sich aus Personen von hohem moralischem und fachlichem Ansehen zusammensetzte. Man gewinnt den Eindruck, daß diese Kommission, eingebunden in die internationalen Beziehungen der Zeit, nicht den Mut hatte, Entscheidungen gegen eine Mandatsmacht zu treffen oder zu versuchen, Entscheidungen, die sie getroffen haben mochte, durchzusetzen. Anders ist es nicht zu erklären, daß über die Frage, ob Südafrika zu Recht oder Unrecht die Souveränität über das Mandatsgebiet beanspruchte, viele Jahre hindurch fruchtlos diskutiert wurde.

Literatur Abendroth: Die völkerrechtliche Stellung der B- und C-Mandate, Breslau 1936 Boutant: Les Mandats Internationaux, Paris 1936 Chowdhuri: International Mandates and Trusteeship Systems, The Hague 1955 v. Freytagh-Loringhoven (Hrsg.): Das Mandatsrecht in den deutschen Kolonien. Quellen und Materialien, München 1 9 3 8 Hall: Mandates, Dependencies and Trusteeship, Washington / London 1948 Menzel: Mandate, in: Strupp-Schlochauer, Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. II, Berlin 1961, S. 4 6 0 van Ress: Les Mandats Internationaux, 2 vols., Paris 1927/1928 Wright: Mandates under the League o f Nations, Chicago 1 9 3 0 Felix Ermacora Verweise auf: Apartheid; Berichtsystem; Nahost; Petitionen; Selbstbestimmungsrecht; Südliches Afrika; Treuhandrat; Völkerbund.

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Menschenrechte

Menschenrechte Begriff und allgemeine

Entwicklung

Aus dem Naturrecht stammt die Vorstellung, daß dem Menschen kraft seiner Zugehörigkeit zum Menschengeschlecht gewisse Rechte auf Achtung einer eigenen Sphäre zusteht; sie wurde in der Zeit der Aufklärung in die Staatslehre übertragen und diente vor allem einer Zurückdrängung staatlichen Einwirkens auf die Individualsphäre und hat ihre Wurzeln in England, von wo sie über die Vereinigten Staaten nach Frankreich wanderte, um sich dann mit dem Gedankengut der französischen Revolution in die Staatsordnungen anderer kontinentaleuropäischer Staaten auszubreiten und von dort aus auch auf überseeische Länder zu wirken. Unter diesen Rechten sind zu unterscheiden: Persönliche Freiheitsrechte (wie der Schutz der persönlichen Freiheit, Meinungs- und Religionsfreiheit, Freizügigkeit usw.), politische Freiheitsrechte (Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit, Freiheit der Wahl, freier Zugang zu öffentlichen Ämtern, Recht auf Teilnahme am politischen Entscheidungsprozess) und schließlich soziale und wirtschaftliche Rechte (Eigentumsfreiheit, Koalitionsfreiheit, Recht auf freie Wahl des Arbeitsplatzes, aber auch die positiven Ansprüche auf einen Arbeitsplatz, auf soziale Sicherheit, auf Wohnung, Gesundheitsfürsorge, auf Urlaub und Teilnahme am Kulturleben). Die drei Kategorien von Rechten können in keiner Staatsordnung im gleichen Umfang gewährt und geschützt werden. Je nachdem, in welcher Weise dies geschieht, bestimmt sich vielmehr der Charakter der Rechtsordnungen als liberale, soziale, wohlfahrtsstaatliche, sozialistische oder totalitäre der verschiedensten Spielarten. Das Eindringen menschenrechtlicher Gedanken in das zwischenstaatliche Recht ging Hand in Hand mit dem Abbau der Lehre von der Staatensouveränität. Denn eine völkerrechtliche Verpflichtung zur Achtung menschenrechtlicher Gebote kann nur begründet werden, wenn der Staat nach Völkerrecht den anderen Mitgliedern der Völkerrechtsgemeinschaft gegenüber verpflichtet ist, seine innere Rechtsordnung nach bestimmten Grundsätzen auszugestalten; die Statuierung derartiger Grundsätze durchbricht daher die äußere -»· Souveränität, insbesondere die ausschließliche Zuständigkeit des Staates zur Regelung seiner inneren Angelegenheiten. Bescheidene Ansätze zur Ausbildung eines internationalen Menschenrechtsschutzes finden sich vor Gründung der Vereinten Nationen im internationalen Fremdenrecht und im Schutz der nationalen -> Minderheiten in den Friedensverträgen nach dem 1. Weltkrieg. Die Völkerbundsakte statuierte darüber hinaus im Mandatssystem(-+ Mandatsgebiete) einen beschränkten Menschenrechtsschutz für die ihm unterstellten Kolonialvölker und allgemein — im Zusammenhang mit der Gründung des Internationalen Arbeitsamtes — den Grundsatz der sozialen Gerechtigkeit im Arbeitsverhältnis (-> soziale Mindeststandards). Diese Ansätze wirkten aber nur partiell. Erst unter dem Eindruck der furchtbaren Erfahrungen des 2. Weltkrieges erhoben die am „Kreuzzug für die Freiheit" beteiligten Staaten einen universellen Menschenrechtsschutz zum Kriegsziel: „Ein vollständiger Sieg über ihre Feinde ist wesentlich, um Leben, Freiheit, Unabhängigkeit und Religionsfreiheit zu verteidigen und sowohl in ihren eigenen wie auch in anderen Ländern Menschenrechte und Gerechtigkeit zu wahren (Erklärung der „Vereinten Nationen" vom 1.1.1942). — Alle Menschen in allen Ländern sollen ihr Leben in Freiheit von Furcht und Not fuhren können" (Atlantik-Charta). Menschenrecht im System der Vereinten Nationen Im System der Vereinten Nationen vollzieht sich das Wirken für den Gedanken der Menschenrechte in zwei Formen: Einerseits laufen seit der Gründung die mühsamen Arbeiten zur

Menschenrechte im System der Vereinten Nationen

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Schaffung eines allgemeinen Katalogs der zu schützenden Rechte und Freiheiten und eines für diese geltenden internationalen Schutzsystemes. Dieses globale Unterfangen trifft auf zwei Schwierigkeiten: Ein universell geltender Standard, auf den sich alle Mitgliedstaaten einigen können, kann nur ein Mindeststandard sein, der den gemeinsamen Nenner der unterschiedlichsten nationalen Rechts- und Sozialordnungen in der Welt formuliert und allenfalls zaghaft anhebt. Die Einrichtung ernes Schutzsystems hat auf den Grundsatz der Staatensouveränität und auch auf nationale Empfindlichkeiten Rücksicht zu nehmen. Andererseits aber gehören zur Verwirklichung des Gedankens der Menschenrechte im weiteren Sinne auch zahlreiche Einzelmaßnahmen sowohl von Organen der Vereinten Nationen selbst wie auch der ihr verbundenen Sonderorganisationen auf Spezialgebieten. Da bei diesen Einzelmaßnahmen die Frage der Grundstruktur der Staatenoiganisation nicht aufgeworfen zu sein braucht, treffen sie nicht notwendig auf dieselben Schwierigkeiten wie die erste (globale) Form des Menschenrechtsschutzes. Die beiden Grundformen der Menschenrechtsverwirklichung laufen nicht unverbunden nebeneinander her. Einerseits können allgemein angenommene programmatische Postulate Einzelmaßnahmen eine Grundlage geben, andererseits aber erleichtern erzielte Ergebnisse auf Teilgebieten die Umgießung programmatischer Postulate in Rechtssätze der umfassenden Menschenrechtsinstrumente. Die Stufen der Menschenrechtsverwirklichung

in den Vereinten

Nationen

Eine allgemeine Menschenrechtsverwirklichung in internationalen Organisationen vollzieht sich in vier Stufen: Programmierung — Statuierung — mittelbarer Schutz durch Offenlegung - Einrichtung eines unmittelbar wirkenden Rechtsschutzes durch internationale Organe. Auf der ersten Stufe wird die Aufgabe der Menschenrechtsverwirklichung zum Programm der Organisation erhoben: Das geschah schon durch die Charta (Präambel Satz 2; Art. 1 Ziff. 3; Art. 55 (c) und für die einzelnen Organe: Art. 13 Abs. 1 — Generalversammlung; Art. 62 Abs. 2 und Art. 68 - ECOSOC; Art. 76 (c) - Treuhandrat). Ihre Menschenrechtsklauseln haben rechtlich die Bedeutung, daß die Achtung von Menschenrechten dem Vorbehalt für die ausschließliche Zuständigkeit der Mitgliedstaaten (Art. 2 Ziff. 7) entzogen wird. Solche Fragen können also in den Organen der Vereinten Nationen erörtert werden. Eine Verletzung von Menschenrechten kann eine Verletzung der Charta jedoch nur darstellen, soweit diese ihren Inhalt schon umreißt. Das ist zum Beispiel hinsichtlich des Verbotes von Diskriminierungen der Fall (vgl. die Entscheidung des IGH im Südwestafrika-Fall, ICJ Reports 1965 p. 4 seq.), nicht aber hinsichtlich der Frage, welche einzelnen Menschenrechte geschützt sein sollen und in welchem Umfange. Auf der zweiten Stufe ist zu umreißen, welchen Inhalt die einzelnen Menschenrechtsgarantien haben, ohne daß diese Definition schon mit einer rechtlichen Sanktion verbunden wäre. Diese zweite Stufe wird durch Annahme der „universellen Erklärung der Menschenrechte" („Erklärung") am 10. Dezember 1948 auf der Generalversammlung in Paris (Res. 217 (III)) betreten, aber noch nicht voll erreicht. Denn voll definiert ist auch eme sanktionslose Regel erst dann, wenn auch ihre Grenzen, das heißt die zulässigen Durchbrechungen statuiert sind. Das geschah in der „Erklärung" aber erst durch eine nur schwer faßbare Generalklausel (Art. 29), deren Verhältnis zur folgenden Generalklausel (Art. 30) zudem nicht bestimmt ist. Dennoch ist in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder der Versuch gemacht worden, dieser „Erklärung", die nur als Empfehlung der Generalversammlung angenommen und nicht zur Ratifikation durch die Mitgliedstaaten aufgelegt wurde, unmittelbare Rechtswirksamkeit zuzuschreiben. Gestützt wurde diese Auffassung (Humphrey, Schwelb) dadurch, daß sich zahlreiche andere Empfehlungen von Organen der Vereinten Nationen auf diese Erklärung bezogen, ohne zu berücksichtigen, daß eine rechtspolitische Forderung dadurch noch nicht den Charakter eines Rechtssatzes erhält, daß sie in Instrumenten ohne Rechtssatzcharakter wiederholt wird (Golsong).

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Menschenrechte

Voll erreicht ist die zweite Stufe erst mit der Annahme (Res. 2200 (XXI) vom 16.12.1966) und dem Inkrafttreten (23.3.1976, 3.1.1976) der völkerrechtlich verbindlichen beiden internationalen Pakte für bürgerliche und politische Rechte (Pakt der Freiheiten) und für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (Sozialpakt), an denen seit Ausarbeitung der „Erklärung" gearbeitet wurde. Sie definieren die zu schützenden Rechte und beziehen bei jedem einzelnen Recht auch die zulässigen Durchbrechungen ein. Wenn auch bisher erst knapp 40 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen — unter ihnen auch die Bundesrepublik Deutschland und die DDR — die Pakte ratifiziert haben, so ist nun doch wenigstens für diesen Teil der Mitglieder völkerrechtlich bindend festgelegt, welchen Inhalt die Menschenrechtsklauseln der Charta haben. Die Bedeutung der Pakte erschöpft sich aber nicht in der Definition von Menschenrechten, sondern sieht auch vor, daß bestimmte Konsequenzen eintreten, wenn das formulierte Ziel auf der nationalen Ebene nicht erreicht ist. Diese Fälle sind offenzulegen, und daher gehören die beiden Pakte auch schon zur dritten Stufe der Menschenrechtsverwirklichung. Schon in einem frühen Stadium der Arbeiten wurde erkannt, daß bürgerliche und politische Freiheitsrechte, die den status negativus sichern, anders geschützt und daher auch anders definiert werden müssen als soziale Rechte, welche den status positivus betreffen und dem einzelnen Leistungsansprüche gegen den Staat gewähren. Daher wurde das Vertragswerk in zwei Pakte zerlegt. Der Sozialpakt statuiert eine Pflicht lediglich zu schrittweiser Verwirklichung der gewährten Rechte, insbesondere auf dem Wege der nationalen Gesetzgebung (Art. 2). Der Pakt der Freiheiten hingegen sieht in seinem Art. 2 vor, daß die Staaten sich zur Achtung und Sicherung der im Pakt gewährten Rechte gegenüber allen Individuen unter ihrer Jurisdiktion schon jetzt verpflichten. Die einzelnen Rechte dieses Katalogs in den Artikeln 6—27 sind so formuliert, daß sie trotz der Präambel nicht nur als Staatenverpflichtungen, sondern darüber hinaus als Individualrechte verstanden werden könnten. Es ist häufig behauptet worden, diese differenzierende Behandlung der beiden Arten von Menschenrechten sei getroffen worden, um dem ideologischen Gegensatz zwischen Rechtsstaaten westlicher Prägung und sozialistischen Staaten Rechnung zu tragen. Die sozialistischen Staaten würden nur den Sozialpakt annehmen, die liberalen Rechtsstaaten nur den Pakt der Freiheiten. Diese Behauptung wird durch die bisherige Entwicklung nicht bestätigt. Zwar haben sich die UdSSR und ihre Verbündeten (aber auch Südafrika und Saudi-Arabien) bei Abstimmung über die „Erklärung" der Stimme enthalten, doch kam der Trennungsvorschlag von dem Bundesstaat Indien, in dem die Verantwortlichkeit für Durchführung der sozialen Rechte bei den einzelnen Gliedstaaten liegt, und wurde von den USA lebhaft unterstützt. Die sozialistischen Staaten haben sich an den weiteren Arbeiten in den Organen der Vereinten Nationen nicht nur lebhaft beteiligt, sondern auch als erste Regionalgruppe geschlossen beide Pakte ratifiziert, während die Philippinen als einziger Staat nur den Sozialpakt, mit Rücksicht auf einen herrschenden Ausnahmezustand aber nicht den Pakt der Freiheiten ratifizierten. Die Haltung der sozialistischen Staaten, die an sich die Doktrin vom Vorrang der sozialen Rechte vor den Freiheitsrechten vertreten, ist nur taktisch zu erklären. Sie setzten sich über ihre eigene Doktrin hinweg und akzeptierten nicht nur die aus rechtstechnischen Gründen vorgenommene Trennung der beiden Kategorien von Rechten, sondern auch eine schwächere Garantie für die sozialen Rechte, um ihre Führungsrolle gegenüber der dritten Welt zu festigen. Mit ihr haben sie dahin gewirkt, den Katalog der Rechte in beiden Pakten erheblich anzureichern und zum Beispiel eine als Fremdkörper wirkende Garantie des Selbstbestimmungsrechts (gemeinsamer Art. 1) in die Pakte aufzunehmen, andererseits aber das Schutzsystem gegenüber früheren Entwürfen erheblich abzuschwächen. Dieses fur die in den beiden Pakten garantierten Rechte vorgesehene Schutzsystem ist zwar auch differenziert, doch nicht so stark wie das System der Definitionen. Die Paktstaaten verpflichten sich hinsichtlich beider Kategorien von Rechten, dem Generalsekretär

Menschenrechte im System der Vereinten Nationen

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über ihre Verwirklichung in ihren nationalen Rechtsordnungen zu berichten. Zunächst ist also ihre eigene Aufgabe, den nationalen Rechtsstandard an dem der Pakte zu messen. Ihre Berichte werden dann aber unterschiedlich behandelt. Berichte über die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte gehen an den ECOSOC, dem es freisteht, sie der Menschenrechtskommission , / u m Studium und zur Erstattung allgemeiner Empfehlungen oder auch als allgemeines Informationsmaterial" weiterzuleiten (Art. 19). Auch die Sonderorganisationen sind in das Verfahren eingeschaltet (Art. 16—18). Das Verfahren kann mit einem Bericht des ECOSOC, verbunden mit allgemeinen Empfehlungen über den erzielten Fortschritt bei der Verwirklichung dieser Rechte, an die Generalversammlung enden (Art. 21). Was weiter geschieht, ist ihr anheimgegeben. Äußerstenfalls kann sie Empfehlungen an die Vertragsstaaten richten (Art. 23). Eine Sanktion für die Beachtung dieser Rechte liegt also im wesentlichen in der Offenlegung des nationalen Rechtsstandards. Berichte über die Verwirklichung der Freiheitsrechte gehen hingegen an einen neu zu bildenden Menschenrechtsausschuß, von dem eine strengere und weniger politische Prüfung und Stellungnahme erwartet wird. Er ist sehr viel kleiner als der ECOSOC (jetzt 54 Mitglieder) und besteht nur aus achtzehn unabhängigen Persönlichkeiten aus den Vertragsstaaten, die von ihnen gewählt werden und ihre Funktionen unter persönlicher Verantwortung und unparteiisch wahrnehmen sollen. Das Ergebnis seiner Prüfungen übermittelt er den Vertragsstaaten, möglicherweise auch dem ECOSOC (Art. 40 Abs. 4). Jährlich einmal berichtet er auch über diesen an die Generalversammlung über seine Arbeitsergebnisse (Art. 45). Dieses Berichtsverfahren bleibt aber auch auf der dritten Stufe der Menschenrechtsverwirklichung: Es bewirkt nicht mehr als eine Offenlegung des erreichten Standards. Hinsichtlich der politischen Freiheiten sind allerdings zusätzlich zwei Sonderverfahren vorgesehen, die nur anwendbar sind, wenn mindestens zehn Staaten sich ihnen durch besondere Erklärungen unterworfen haben (Pakt Art. 41 Abs. 2; Zusatzprotokoll Art. 9) und nur zwischen ihnen. Die Staatenbeschwerde ist im Pakt selbst geregelt (Art.41—43) und setzt ein Vergleichsverfahren in mehreren Stufen — vor dem Ausschuß selbst und vor einem ad hoc bestellten Vergleichsausschuß — voraus. Auch dieses Verfahren führt aber nur zu einem Bericht an die Vertragsparteien, von dem die Generalversammlung freilich im Jahresbericht unterrichtet werden kann. Ähnlich ist die in einem Zusatzprotokoll vorgesehene Individualbeschwerde ausgestaltet. (Für sie liegen die notwendigen zehn Ratifikationen schon vor). Auch sie führt nur zu einem Bericht an die betroffenen Staaten (Art. 5 Abs. 4), dessen Ergebnisse freilich in den Jahresbericht an die Generalversammlung aufgenommen werden (Art. 6). So unterscheiden sich diese zwei Sonderverfahren von dem die Regel bildenden Berichtsverfahren im wesentlichen nur durch die Regelung des Initiativrechts: Bei der Staatenbeschwerde geht die Initiative von einem Mitgliedstaat aus, der den Menschenrechtsstandard oder seine Verwirklichung in einem anderen Staat als unzureichend betrachtet. Das fuhrt immerhin zu einer Auseinandersetzung zwischen diesen beiden Staaten. So nimmt dieses Verfahren die Funktion einer „humanitären Intervention" in geregelten Formen wahr. Bei der Individualbeschwerde wehrt sich der betroffene Einzelmensch gegen Eingriffe in seine Rechte und zwingt den eigenen Staat dazu, vor einem Organ der Vereinten Nationen Rede und Antwort zu stehen. Diese Verlagerung der Initiative aus dem Ausschuß heraus kann bedeutungsvoll werden. Denn auch die Mitglieder des Ausschusses, welche die innere Rechtsordnung eines anderen Staates so gut kennen, daß sie dessen Bericht wirksam zu prüfen vermögen, können sich, bevor sie eine Beanstandung vorbringen, nur allzu leicht von politischen Rücksichten leiten lassen. Insgesamt ist also in dem gesamten Vertragswerk (bestehend aus den beiden Pakten und dem Zusatzprotokoll) ein ähnliches System der Verwirklichung gewählt wie in der Internationalen Konvention zur Beseitigung der -*• Rassendiskriminierung, deren Ausschuß seit

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Menschenrechte

1970 tätig ist. Es ist ein Schandpfahl aufgerichtet, an den sich die Vertragsstaaten zu stellen haben, doch fehlt eine richterliche oder auch nur quasi-richterliche Instanz, welche in der Lage wäre, den Staaten aufzugeben, ihren nationalen Rechtsstandard dem internationalen anzugleichen oder auch sonstige Nachteile (wie zum Beispiel den Ausschluß aus der Organisation) zu verhängen. Das Gegenbeispiel stellt die Organisation des Menschenrechtsschutzes im Rahmen des Europarats dar. Dort folgt auf die Feststellung der Menschenrechtsverletzung der Spruch des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofes oder auch des Ministerrates, der in einem besonderen Verfahren mit Zweidrittelmehrheit — ähnlich wie der Bundesrat des Bismarck-Reiches — quasi-judizielle Funktionen wahrnimmt und zum Beispiel einen Mitgliedstaat aus der Organisation wegen einer flagranten Menschenrechtsverletzung auszuschließen vermag. Dort ist die vierte Stufe wirklich erreicht, und deswegen hat auch die Mehrzahl der Europaratstaaten — mit Ausnahme von drei Mitgliedstaaten des Nordischen Rates — es unterlassen, das Zusatzprotokoll zu ratifizieren, damit der Menschenrechtsausschuß in New York — ein politisches Organ — nicht zur Superrevisionsinstanz des Europäischen Gerichtshofes wird. Dieser Menschenrechtsausschuß, dessen Mitglieder von den Vertragsstaaten unlängst gewählt wurden, weist eine ausgewogene Zusammensetzung nach regionalen Gruppen auf; ihm gehören fünf Mitglieder aus westlichen Staaten (Dänemark, Bundesrepublik Deutschland, Großbritannien, Kanada, Norwegen), vier aus sozialistischen (Bulgarien, DDR, Rumänien, UdSSR) und je drei aus afrikanischen (Mauritius, Rwanda, Tunesien), asiatischen (Iran, Syrien, Zypern) und lateinamerikanischen (Costa Rica, Ekuador, Kolumbien) Staaten an. Er soll im Frühjahr 1977 zum ersten Mal zusammentreten. Von den ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrates gehören nur die Sowjetunion und Großbritannien zu den Vertragsstaaten.

Das Wirken für Menschenrechte im weiteren Sinne Die zahlreichen Einzelmaßnahmen zur Verwirklichung der Menschenrechte können hier nur kurz erwähnt werden. Sie sind umfassend in einer Dokumentation anläßlich der 25jährigen Wiederkehr der Annahme der „Erklärung" geschildert („United Nations Action in the Field of Human Rights"). Es sind teils politisch motivierte Vorwegnahmen der beiden Pakte — wie die Konvention über den Völkermord (1948) und die Internationale Konvention über die Beseitigung der Rassendiskriminierung (1965) —, teils aber in die Arbeit ständiger Organe der Vereinten Nationen oder der Sonderorganisationen eingebettete Spezialarbeiten zu gewissen Themen, unter denen der Schutz des Arbeitsverhältnisses und der Arbeitsschutz, die Herstellung der Gleichheit von Mann und Frau, der Schutz der Religionsfreiheit und des Atheismus, die Flüchtlingsfrage und die Bekämpfung der Staatenlosigkeit eine besondere Rolle spielen. Durch sie wird den in den allgemeinen Instrumenten nur skizzenhaft umrissenen Garantien Inhalt und Leben gegeben. In gewisser Weise stehen diese Instrumente auf der internationalen Ebene der Spezialgesetzgebung auf der nationalen Ebene gleich.

Literatur a) Dokumente Bertram: Der internationale Schutz der Menschenrechte, Köln 1974 Brownlie: Basic Instruments on Human Rights, Oxford 1971 Ermacora: Internationale Dokumente zum Menschenrechtsschutz, Stuttgart 1971 Human Rights: A compilation of International Instruments of the United Nations — Doc. A/Conf. 32/4, New York 1967 United Nations Actions in the Field of Human Rights - Doc. ST/HR/2, New York 1974

Mikrostaaten

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b) Schrifttum Lauterpacht: International Law and Human Rights, London 1950 McDougal: Die Menschenrechte in den Vereinten Nationen; in: Neumann-NipperdeyScheuner: Die Grundrechte Bd. I / l , Berlin 1966 Meißner, F.: Die Menschrechtsbeschwerde vor den Vereinten Nationen, Baden-Baden 1976 Partsch: Bekämpfung der rassischen Diskriminierung im Rahmen des Schutzes der Menschenrechte, in: Die Vereinten Nationen und die Mitarbeit der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. von Scheuner / Lindemann, München 1973 Robinson: The Universal Declaration on Human Rights; its origin, significance and interpretation, 2nd ed., New York 1958 Schwelb: Civil and Political Rights: The International Measures of Implementation, in: AJIL vol. 62 (1968) p. 827 ders.: Entry into force of the International Covenants on Human Rights and the Optional Protocol, in: AJIL vol. 70 (1976) p. 511 Karl Josef Partsch Verweise auf. Mandatsgebiete; Minderheiten; Rassendiskriminierung; Souveränität; soziale Mindeststandards.

Mikrostaaten Begriff Das Gebilde „Mikrostaat" ist bisher eher im Rahmen der Vereinten Nationen völkerrechtlich und politisch in Erscheinung getreten als im bilateralen Verkehr. Es handelt sich um staatsähnliche Teile der Völkerrechtsgemeinschaft, die mit Staaten zumindest das Merkmal der völkerrechtlichen Unabhängigkeit gemeinsam haben. Die Vereinten Nationen verwenden den Ausdruck „Mikrostaat" etwa seit 1967. Der ehemalige Generalsekretär U Thant charakterisierte solche Gebilde als „besonders klein an Fläche, Bevölkerung und menschlichem und wirtschaftlichem Potential". Frühere Bezeichnungen lauten Zwergstaat, Liliputstaat, Stadtstaat, Kleinstaat, Miniaturstaat und Diminutivstaat. Sie wurden u. a. verwendet für San Marino, Monaco und Liechtenstein. Auf Grund seines „wirtschaftlichen Potentials" ist insbesondere Liechtenstein eher Kleinstaaten wie Luxemburg zuzurechnen. Das Merkmal „besonders geringes wirtschaftliches Potential" im Sinne U Thants — Beispiele: Malediven, Nauru, Grenada — kennzeichnet die neue Gruppe der Mikrostaaten. Die Politologie hat den ,.Mikrostaat" für nicht definierbar erklärt. Die Frage, wie der Mikrostaat völkerrechtlich zu definieren sei, ist zwar im Schrifttum und von der Praxis der Vereinten Nationen behandelt worden, doch fehlt es an einer mehrheitlich akzeptierten Definition. In der Völkerrechtstheorie findet sich der Vorschlag, den Mikrostaat zu definieren als eine „unabhängige, effektive politische Einheit auf zugehörigem Gebiet mit weniger als 300.000 Einwohnern, die völkerrechtliche Rechte und Pflichten von Staaten nicht hinreichend wahrnehmen kann". Diese Definition ermöglicht insofern realitätsbezogene Ergebnisse, als Einheiten unter 300.000 Einwohnern — wie Island — als „Staat" angesehen werden können, wenn die Völkerrechtspraxis ihre Fähigkeit bejaht, die entsprechenden Rechte von Staaten wahrzunehmen und Pflichten zu erfüllen. Nach einem Resolutionsentwurf, den die USA im Juli 1969 im Sicherheitsrat vorlegten, sind „Mikrostaaten .states', die ζ. B. eine Bevölkerung von höchstens 100.000, ein Gebiet von höchstens 500 k m 2 , einen Haushalt von höchstens 15 Mio. Dollar und Exporte von nicht mehr als 10 Mio. Dollar haben". Diese Definition fehlt jedoch ersatzlos in der Fassung, die die US-Delegation am 27. August 1969 im Sicherheitsrat einbrachte. Am 25. Mai 1970 unterbreitete die britische Delegation im „Committee of Experts Established by the Security Council at its 1506th Meeting" - „Mikrostaatenausschuß" - einen anderen Vorschlag.

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Mikro Staaten

Danach sollten künftige Mikrostaaten in ihren Anträgen auf Vollmitgliedschaft in den Vereinten Nationen nach Art. 4 erklären, daß sie auf die Ausübung einiger Rechte — die allen Vollmitgliedern zustehen — verzichten. Das könne etwa in folgender Form geschehen: „The State of . . . hereby applies for membership in the UN . . . and declares that it does not wish to participate in voting in any organ of the UN, nor to be a candidate f o r election to any of the three Councils established by the Charter or to any subordinate organ of the General Assembly". Die Ausschußarbeiten führten zu keinem Ergebnis. Die juristische Frage der Vollmitgliedschaft

in den Vereinten

Nationen

Von den Aufnahmen in die Vereinten Nationen der letzten Jahre liegen die folgenden in einer bevölkerungsmäßigen und wirtschaftlichen Größenordnung, die die obige Definition von U Thant erfüllt: Die Malediven, Barbados, Äquatorial-Guinea, Bahrain, Qatar, die Bahamas, die Arabischen Emirate, Sao Tomé und Principe und Grenada. Die Prüfung eines Aufnahmeantrages durch die beiden zuständigen Organe Sicherheitsrat und ->• Generalversammlung sollte einen juristischen und einen politischen Teil haben (-»• Mitgliedschaft). Der Aufnahmeantrag von Bhutan führte zwar dazu, daß sich die Mitglieder des Sicherheitsrates am 9. Feburar 1971 — erstmals seit 1949 — als „Ausschuß für die Aufnahme neuer Mitglieder" selbst einsetzten und den Antrag erörterten, bevor sie — als „Sicherheitsrat" firmierend — der Generalversammlung die Aufnahme empfahlen (Res. 292 (XXVI) vom 10.2.1971). In keinem Falle haben diese Organe jedoch geklärt, ob die beiden hier prüfwürdigen Merkmale rechtlich erfüllt sind, die Art. 4 Abs. 1 aufstellt: Es müsse sich u m einen „Staat" handeln, der „fähig ist, die Charta-Verpflichtungen zu erfüllen". Geht man von Art. 1 Montevideo-Konvention von 1933 aus, so ist eine politische Einheit ein Staat im Sinne des Völkerrechts, wenn vier Merkmale erfüllt sind: Staatsgebiet, Staatsvolk, Staatsgewalt und die Fähigkeit, mit den anderen Staaten in Beziehung zu treten. Es ist fraglich, ob einige der erwähnten Antragsteller die Fähigkeit, mit „den — d. h. allen — anderen Staaten" in Beziehung zu treten, in so hinreichendem Maße haben (Botschaften unterhalten oder wenigstens völkerrechtlichen Verkehr), daß man dieses Merkmal als erfüllt ansehen kann. In allen Fällen ist also bei der Behandlung von Aufnahmeanträgen sehr kleiner Antragsteller lediglich der politische Teil geprüft und beantwortet worden (->• Mitgliedschaft). Hier wird die Tendenz der Weltorganisation deutlich, juristischen Fragen geringe Bedeutung beizumessen und eher nach reinen Interessengesichtspunkten zu entscheiden. Angesichts des sich verschärfenden -> Nord-Süd-Konflikts ist kaum damit zu rechnen, daß sich diese Tendenz in absehbarer Zeit umkehrt. Die Vereinten Nationen werden weiterhin ad hoc-Entscheidungen treffen und sich nicht die Mühe machen, Rechtsregeln selbst zu entwickeln und anzuwenden, um transparenter arbeiten zu können als bisher. Die Frage der Vollmitgliedschaft der Mikrostaaten wird sich voraussichtlich wie folgt erledigen: In einigen Dutzend Fällen wird der Mikrostaat kurz nach Erlangen der Unabhängigkeit sich für die Vollmitgliedschaft interessieren und diese erreichen, ohne daß während des Aufnahmeverfahrens längere rechtliche Erörterungen stattfänden. In anderen Fällen, in denen der Mikrostaat nur wenige Hundert oder Tausend Einwohner zählt (die Pitcairn-Insel, der Unabhängigkeitsaspirant mit der kleinsten Bevölkerungszahl, hat knapp 100 Einwohner), werden größere Staaten, die um die Arbeitsfähigkeit der Weltorganisation fürchten, den Antragstellern raten, besser keinen Antrag zu stellen. West-Samoa (150.000 Einwohner, unabhängig seit 1962) und Nauru (3.400 Einwohner, unabhängig seit 1968) haben bislang die Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen nicht beantragt. Die Vollmitgliedschaft bringt finanzielle und administrative Pflichten mit sich, die die Leistungsfähigkeit vieler Mikrostaaten übersteigen. Das Verhalten der Malediven illustriert diese Schwierigkeiten. Aus Gewohnheitsrecht in den Vereinten Nationen folgt die Pflicht eines Mitglieds, am Hauptsitz der Vereinten Nationen — in New York — eine Mission einzurichten und zu unterhalten. Nachdem die maledi-

Die juristische Frage der Vollmitgliedschaft in den Vereinten Nationen

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vische Delegation als Botschaftsadresse zunächst ein New Yorker Ladengeschaft für Briefmarken angegeben hatte, errichtete sie später eine Botschaft in Washington D.C. mit der Zuständigkeit für die USA und die Vereinten Nationen. Von 137 Ausschußsitzungen nahmen die Malediven im ersten Jahr ihrer Mitgliedschaft an 107 nicht teil. Mindermitgliedstaaten Als Alternative zur Vollmitgliedschaft könnte die Weltorganisation den Mikrostaaten einen Status minderer Pflichten und entsprechend minderen Rechts anbieten. Der Beobachterstatus ist die einzige Mindermitgliedschaftsform, die geltendes Recht der Vereinten Nationen ist. Sie beruht auf Gewohnheitsrecht, ist also weder in der Charta noch in sonstigem positiven Recht der Vereinten Nationen verankert. Selbst diese Institution ist nach der jüngsten Praxis der Vereinten Nationen aus Interessengesichtspunkten in ihrem rechtlichen Gehalt entscheidend verändert worden. Bisher wurde stillschweigend vorausgesetzt, daß der Antragsteller „Staat" ist, Vollmitglied mindestens einer Sonderorganisation der Vereinten Nationen und allgemein von Mitgliedern der Vereinten Nationen anerkannt ist. Entgegen diesem Gewohnheitsrecht hat die Generalversammlung während ihrer 29. Sitzungsperiode beschlossen, Befreiungsbewegungen den Beobachterstatus zu gewähren, bei denen es sich jedenfalls nicht um Staaten handelt. Die „assoziierte Mitgliedschaft" ist in den Satzungen der Sonderorganisationen FAO, IMCO, UNESCO und WHO vorgesehen. Die bisherige Diskussion hat keine Klarheit über die Rechtsstellung gebracht, die ein Assoziierter in den Vereinten Nationen haben würde. Es wäre also zunächst die Frage zu beantworten, welche rechtlichen Eigenschaften die assoziierte Mitgliedschaft haben sollte, um dann die Frage zu entscheiden, ob man eine solche assoziierte Mitgliedschaft für die Vereinten Nationen einfuhrt. Bei der „beschränkten Teilnahme", die schon der Völkerbund erörtert hat, handelt es sich um eine Rechtsstellung, die den Träger ermächtigt, seine schwachen Kräfte auf die Mitarbeit an der Lösung solcher Fragen zu konzentrieren, denen sein Hauptinteresse gilt. Daneben stehe das Modell der „inaktiven Mitgliedschaft". Darunter wird Mitwirkungsund Stimmrecht in den Fällen verstanden, in denen das Mitglied diese Rechte mit der Behauptung beansprucht, seine Interessen seien durch die entsprechenden Verhandlungen berührt. Im inneren Zusammenhang damit steht die Sonderform der „beratenden Mitgliedschaft", die das Teilnahme- und Stimmrecht in den Fällen gewährt, in denen die Generalversammlung einen entsprechenden Beschluß fassen würde mit der Begründung, die Interessen des Mitglieds seien angesprochen. Bei der „indirekten Teilnahme" tritt ein Vollmitglied als Stellvertreter auf für den indirekten Teilnehmer. Dabei hätten der Vertreter und der Vertretene nur eine Stimme. Die „Gruppenmitgliedschaft" würde jedenfalls einer Gruppe von Mikrostaaten eine volle Mitgliedschaft ermöglichen. Die Gruppe könnte man als eine Art Mikrostaatenbund zum Zweck der Mitgliedschaft bezeichnen. Dieses Konzept böte anders als die vorerwähnten keinerlei Schwierigkeiten für die Konstruktion der Rechtsposition solcher Mitglieder innerhalb der Vereinten Nationen (eine volle Mitgliedschaft), wohl aber hinsichtlich des Innenverhältnisses zwischen den Angehörigen der Gruppe. Dabei ginge es vor allem um die Festsetzung einer Mindestbevölkerungszahl oder anderer Mindestkriterien, die die Gruppe erreichen müßte, u m aufgenommen zu werden. Ferner wären unter Umständen geographische Gesichtspunkte zu beachten und die unterschiedliche Wirtschaftskraft der einzelnen Gruppenmitglieder. Literatur Cohen: The Concept of Statehood in United Nations Practice, in: University of Pennsylvania Law Review 1961, p. 1127

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Ehrhardt: Der Begriff des Mikrostaats im Völkerrecht und in der internationalen Ordnung, Aalen 1970 ders.: Das Problem der Mitgliedschaft der Mikrostaaten am Scheideweg, in: VN 1971 S. 161 Farran: The Position of Diminutive States in International Law, in: Festschrift für Walter Schätzel, Düsseldorf 1960, S. 131 Fisher: The participation of microstates in international affairs, in: Proceedings of the ASIL, 62nd annual meeting, April 1968, p. 164 Vital: The Inequality of States, Oxford 1967 Dieter Ehrhardt Verweise auf: Generalversammlung; Mitgliedschaft; Nord-Süd-Konflikt; Sicherheitsrat.

Minderheiten Minderheiten und ihr rechtlicher Schutz stellen sich als politisches und rechtliches Problem in unserer Epoche unter zwei Aspekten: Einem innerstaatlich-staatsrechtlichen und einem zwischenstaatlich-völkerrechtlichen. Der Begriff Minderheit, vorläufig verstanden als politische oder rechtliche Beziehung einer Menschengruppe zu der sie umschließenden politischen Einheit ist mehrdeutig. Definitionsschwierigkeiten sind, wie noch zu zeigen, auf die Arbeiten der Vereinten Nationen nicht ohne Einfluß geblieben. „Minderheit" kann verstanden werden als eine durch gemeinsame politische, soziale oder ähnliche Zielvorstellungen konstituierte Gruppe, die an der Regierungsgewalt nicht beteiligt ist. Dieses Problem des Schutzes von „Minderheiten" stellt sich heute u. a. in der zeitgenössischen Demokratie, wo der Mehrheitswille die Regierung und ihre politische Richtung bestimmt. Für den Klassiker der amerikanischen Demokratie, Tocqueville, ist solche Mehrheit „ein Individuum mit Meinungen und Interessen, die im vollen Gegensatz zu denen eines anderen, genannt Minderheit, stehen". Er zitiert Madison's Satz (aus dem Federalist No. 51), wonach es für die Republiken von größter Wichtigkeit ist, nicht nur die Unterdrückung der Gesellschaft durch die Regierenden zu verhindern, sondern auch den einen Teil der Gesellschaft gegen Ungerechtigkeit durch die anderen zu schützen. Er führt auch Jefferson's Warnung vor der „Tyrannei" des (Mehrheits-)Gesetzgebers an: „Die Exekutivgewalt in unserer Regierung ist nicht der einzige, vielleicht nicht einmal der erste Gegenstand meiner Besorgnis. Gegenwärtig und vielleicht noch auf Jahre hinaus ist die Tyrannei der Gesetzgeber die größte Gefahr. Die Tyrannei der Exekutive wird ebenfalls kommen, aber erst in späterer Zeit". Verfassungsrechtlich und -politisch höchst wichtige Gegenwartsprobleme dieser Art sind aber nicht Gegenstand des völkerrechtlichen Minderheitenbegriffs und -schutzes. Der staatsrechtliche Aspekt des Begriffes der Minderheit zielt auf den Schutz von Gruppen, die, durch gemeinsame politische Zielvorstellungen zusammengehalten, variabel sind, da sie, als Ergebnis von Wahlen, aus der Minderheit zur Mehrheit werden können. Das Problem ist auch bei den Vereinten Nationen angesprochen worden, wo die Notwendigkeit betont wurde, „auch die politische Minderheit zu schützen". Der für die Vereinten Nationen maßgebliche Minderheitenbegriff ist von einer Unterkommission der Menschenrechtskommission dahin bestimmt, daß „der Ausdruck Minderheit sich nur auf solche nicht-herrschende Gruppen einer Bevölkerung beziehen soll, welche ethnische, religiöse oder sprachliche Traditionen oder wesentliche Eigenschaften haben, die sich merklich von denen der übrigen Bevölkerung unterscheiden und die sie beizubehalten wünschen" (Doc. E/CN.4/Sub.2/L.70 Rev.l). Die Dauereigenschaft dieser Minderheitsgruppen ist offensichtlich.

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Dieser verfassungspolitische Aspekt der Minderheit und ihres Schutzes war Ergebnis des Kampfes der europäischen absoluten Monarchien gegen religiöse Minderheitsgruppen und Korporationen; hieran haben sich zuerst völkerrechtliche Konsequenzen geknüpft. Im Frankreich Ludwigs XIV., dem klassischen Modell des fürstlichen Absolutismus, führte er zum Widerruf des Ediktes von Nantes. Wie Leopold von Ranke formulierte, wollte die angestrebte religiöse und politische Uniformität eine Genossenschaft nicht dulden, die in ihrem Glauben wie in ihrem Lehrsystem und ihrer Verfassung „auf sich selbst beruhte". Hugenotten wie Jansenisten wollten den „religiösen Elementen eine eigene Berechtigung vorbehalten, welche in der nationalen Macht und Einheit nicht aufging" (Leopold von Ranke, Französische Geschichte (1924) IV S. 327). So finden sich in den Friedensverträgen der nachreformatorischen Epoche Artikel zum Schutze der verschiedenen reformatorischen Bekenntnisse. Der Schutz dieser Minderheitsbekenntnisse, Ansatz zu religiöser Toleranz, ist der Beginn des völkerrechtlichen Schutzes auch anderer Minderheiten. Dabei wird der Schutz religiöser Güter in der Folge auf zusammenhängende Rechtsgüter auch nichtreligiöser Art ausgedehnt. Diesem vertraglichen Schutz gehen Reichsgesetze des Deutschen Reiches voraus. Der Nürnberger Religionsfriede von 1535 stellt die Protestanten unter den Schutz des allgemeinen Landfriedens. Der Passauer Vertrag von 1552 legt den Entschluß der Religionsparteien nieder, untereinander Friede zu halten. Der Augsburger Religionsfriede von 1555 enthält die reichsrechtliche Anerkennung des lutherischen Bekenntnisses für die Reichsstände. Auf der anderen Seite steht dem Landesherrn das jus reformandi zu, aber beschränkt durch ein Persönlichkeitsrecht: Das Recht der Person auf Auswanderung wegen abweichenden Bekenntnisses (jus emigrandi); damit verbindet sich ein Recht des Eigentumsschutzes: Das Recht zur Mitnahme des Eigentums oder das Recht, in dem verlassenen Lande über den Erlös des veräußerten Eigentums frei zu verfügen. Die Entwicklung verläuft nicht gradlinig. Im Westfälischen Frieden wird das jus reformandi zum Recht der Ausweisung für den Landesherrn, wiederum beschränkt durch das Auswanderungsrecht der Untertanen. Der damit zusammenhängende umfassende Eigentumsschutz des Westfälischen Friedens für freiwillige oder gezwungene Auswanderer hatte auf die späteren Friedensverträge großen Einfluß („Wenn aber ein Untertan, der nach der Verkündigung des Friedens seine Religion wechseln wird, aus freien Stücken auswandern will oder vom Landesherrn (auszuwandern) geheißen wird, so soll es ihm freistehen, entweder mit Behaltung oder nach Veräußerung seiner Güter wegzuziehen, die behaltenen Güter durch Diener bestellen zu lassen und, sooft die Lage es erfordert, zur Beaufsichtigung seiner Sachen oder zur Führung von Rechtshändeln oder zur Eintreibung von Schulden frei und ohne Geleitsbrief sich dorthin zu begeben". Text in: Die Westfälischen Friedensverträge (Osnabrücker Verlag, Quellen zur neueren Geschichte Bern 12/13 § 32)). Aus diesen Anfängen entwickelte sich der vertragliche Schutz religiöser Minderheiten bei staatlichem Gebietswechsel. Bestimmungen dieser Art finden sich mit großer Regelmäßigkeit in den Friedensverträgen des 17., 18. und 19. Jahrhunderts (Beispiele: Vertrag von Breda 1667, Art. 15; Vertrag von Ryswijk 1697, Art. 17; Vertrag von Utrecht 1713, Art. 13; Vertrag von Nystad 1721, Art. 12; Vertrag von Kütschük-Kainardschi 1774, Art. 14; österreichisch-preussischer Vertrag von 1815, Art. 6, 10—15; Zweiter Pariser Frieden vom 20.11.1815, Art. 7; Friede von Adrianopel 1829, Art. 5 und 13; Pariser Vertrag von 1856, Art. 21, 23 und 28; Züricher Friede von 1859, Art. 12; Frankfurter Friede von 1871, Art. 2; griechisch-türkischer Vertrag von 1913, Art. 4 und 6). Sie sind in der Regel begleitet von einem Eigentumsschutz verschiedener Gestaltung. Von der Mitte des 17. Jahrhunderts an wird nun auch zunehmend den von einem Gebietswechsel betroffenen Einwohnern, ohne Rücksicht auf das religiöse Bekenntnis, Auswanderungsfreiheit eingeräumt, die ebenfalls typischerweise einen Eigentumsschutz der Auswanderer umfaßt. Hier liegen die Anfänge ähnlicher Bestimmungen des Eigentumsschutzes wie der völkerrechtlichen Option im System des Minderheitenschutzes des Völkerbundes. Wie der 1919 gegründete Völkerbund selbst ist auch das ihm eingegliederte Minderheiten-

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Schutzsystem aus den Formen und der Praxis der Staatenbeziehungen des 19. Jahrhunderts hervorgegangen. Das „Europäische Konzert", 1815 aus Großbritannien, Österreich, Preußen und Rußland bestehend, 1818 durch gleichberechtigte Zulassung Frankreichs (zur Pentarchie) erweitert, verstand sich als europäisches Großmächte-Direktorium. Hauptaufgaben waren die Erhaltung des Friedens (Repos de l'Europe), Eindämmung des Krieges und Neuordnung unhaltbar gewordener Zustände. Sein hierarchisches Gefüge, das auch protokollarisch streng zwischen Großmächten und Staaten geringeren Ranges unterschied, bestimmte die Anerkennungspraxis gegenüber staatlichen Neubildungen, die die Aufnahme in die „Familie der europäischen Staaten" begehrten. Das Verlangen der verbündeten Großmächte der Pariser Konferenz von 1919 an die neugegründeten oder stark vergrößerten Staaten, ihren Minderheiten vertraglich gewisse Rechtspositionen einzuräumen, ist auf diese europäische Praxis gegründet worden. Die Note, die Clemenceau als Präsident der Pariser Friedenskonferenz am 24. Juni 1919 an die polnische Regierung richtete, berichtet über die Motive der Regelung und nähert sich einer authentischen Interpretation. Sie macht zunächst eindeutig klar, daß es sich um einen imperativen Akt der verbündeten Hauptmächte handelt: Die Note übermittelt die „endgültige Entscheidung der alliierten und assoziierten Hauptmächte" (décision définitive des puissances alliées et associées). Bei diesem Anlaß werden „formell" die Überlegungen der Mächte erläutert. Die Note beruft sich zunächst auf die „seit langem im europäischen öffentlichen Recht bestehende Praxis", die kollektive Anerkennung durch die Großmächte von der in Vertragsform niedergelegten Achtung gewisser Regierungsgrundsätze seitens der Anerkennung begehrenden Staaten abhängig zu machen. Sie zitiert dazu als Beispiel ausführlich Protokolle des Berliner Kongresses, der damals von Serbien, Montenegro und Rumänien Garantien für Achtung der Religionsfreiheit verlangte. Die Note macht geltend, daß Polen seine Souveränität den Anstrengungen der verbündeten Mächte verdanke, die daher auch dafür zu sorgen hätten, daß seine Bewohner die Garantie gewisser wesentlicher Rechte erhielten, das gelte nicht nur für Polen, sondern auch für die anderen neuen Staaten. Die neuen Rechtsformen der Verpflichtung hätten der Veränderung der internationalen Beziehungen durch die Schaffung des Völkerbundes Rechnung zu tragen. War bisher die Garantie den Großmächten überlassen, mit der Gefahr kollektiver oder individueller Einmischung in die inneren Angelegenheiten, so sei jetzt diese Aufgabe dem Völkerbund übertragen, dazu sei eine Befassung des Ständigen Internationalen Gerichtshofes und damit eine rechtsförmige Regelung von Streitigkeiten vorgesehen. Sodann seien aber weitere Veränderungen zu berücksichtigen. Die Verhältnisse des 19. Jahrhunderts verlangten vor allem Garantie religiös-konfessioneller Freiheit (Gegensätze zwischen Mohammedanern und Christen auf dem Balkan). In der Gegenwart sind nationale Gegensätze in den Vordergrund getreten. „Die jetzt an Polen und andere Staaten übertragenen Gebiete schließen zwangsweise beträchtliche Bevölkerungen ein, die verschiedene Sprachen sprechen und anderen Völkern angehören. Zwischen ihnen bestanden oft langjährige Feindschaften. Man hofft, daß das Wissen um den Bestand von Rechtsgarantien die allgemein gewünschte Versöhnung erleichtere." Die Note analysiert dann summarisch die Vertragsbestimmungen, insbesondere den Unterschied der Rechte zwischen Einwohnern und Staatsbürgern. Der Zusammenhang zwischen Minderheitenschutz, Gebietswechsel und Anerkennung tritt deutlich hervor. Das Völkerbundsystem des Minderheitenschutzes besteht aus einem Bündel von Verträgen und vertragsgleichen Erklärungen, in denen Staaten bei Eintritt in den Völkerbund sich zur Übernahme der allgemeinen Grundsätze der Verträge verpflichten und den Völkerbund als Garanten anerkennen (Der Minderheitenschutz des Völkerbundsystems ist z. T. Gegenstand selbständiger Verträge zwischen den alliierten und assoziierten Hauptmächten und Polen (28.6.1919), Tschechoslowakei (10.9.1919), Rumänien (9.12.1919), z . T . Bestandteil von Friedensverträgen, so mit Österreich (10.9.1919), Ungarn (4.6.1920), z. T. Gegenstand von völkerrechtlichen Erklärungen, Litauen (12:5.1922), Lettland (7.7.1923), Estland (17.9.1923). Eine Sonderstellung nimmt das deutsch-polnische Abkommen über Oberschlesien ein (15.5.1922)). Die Verträge sind zum Teil selbständige Kollektiv-Verträge, zum

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Teil den Friedensverträgen eingefügt. Bilaterale Verträge, wie das deutsch-polnische Oberschlesien-Abkommen, bilden die Ausnahmen. Der Beschluß der Völkerbundsversammlung vom 15. Dezember 1 9 2 0 spricht von „allgemeinen Grundsätzen" der Minderheitenschutzverträge, denen die bei Eintritt in den Völkerbund abzugebenden Erklärungen gleichen sollen. Ihre wichtigsten sind: Die Minderheitsrechte haben den Rang von „Grundgesetzen", mit Vorrang vor staatlichen Gesetzen, Verordnungen und Staatsakten. Die materiellen Rechte teilen sich in Rechte der Einwohner (Menschenrechte) und Rechte der Staatsangehörigen. Die Menschenrechte beinhalten „umfassendsten" Schutz von Leben und Freiheit, besonders das Recht der Religionsausübung und Weltanschauung. Die Minderheitsrechte der Staatsbürger beginnen mit dem gesicherten Anspruch auf Staatsangehörigkeit in den neuen Staaten, alternativ das Recht der Option mit dem Folgerecht des Wohnsitzwechsels. Hier taucht der Zusammenhang mit dem Eigentumsschutz der älteren Verträge auf. Art. 3 Abs. 3 des polnischen Vertrages ζ. B. berechtigt die Optanten, ihren unbeweglichen Besitz auf polnischem Gebiet zu behalten, bewegliches Eigentum ohne Ausfuhrzoll mitzunehmen. Grundlage der staatsbürgerlichen Rechtsstellung ist volle bürgerliche und staatsbürgerliche Gleichstellung der Minderheits- mit den Mehrheitsangehörigen (Berufs- und Gewerbefreiheit, gleiche Zulassung zu öffentlichen Ämtern) — ein Diskriminierungsverbot. Der Gebrauch der Minderheitensprachen im öffentlichen Leben, insbesondere vor Gericht, ist geschützt. In den niederen Schulen erhalten Minderheitskinder muttersprachlichen Unterricht. Die Minderheiten haben das Recht, auf ihre Kosten Schulen, sowie religiöse, Wohlfahrts- und Sozialeinrichtungen zu errichten, denen ein angemessener Anteil der öffentlichen Aufwendungen für solche Zwecke zufließen soll. Die Verträge enthalten sodann, je nach Landesverhältnissen, spezifische Rechte für bestimmte Gruppen, so der Polenvertrag für die Juden (Art. 10 und 11), der tschechoslowakische ein autonomes Statut für die Ruthenen (Art. 10—13), der rumänische für Szekler und Siebenbürger-Sachsen (Art. 11) usw.. Die Verträge sind zwischen den alliierten und assoziierten Hauptmächten und dem jeweils verpflichteten Staat abgeschlossen. Die Überwachung der Durchführung war aber Sache des Völkerbundes. Die Clemenceau-Note hatte auf die Folgen der Existenz des Völkerbundes für die Ausübung der Vertragsrechte verwiesen. Verträge wie Erklärungen erkennen die dem Bund übertragene Garantiefunktion an. Die Verträge können nur von einer Ratsmehrheit geändert werden; jedes Bundesmitglied kann ihn mit einer Verletzung oder deren Gefahr befassen, der Rat hat die zweckmäßigen Maßnahmen zu treffen. Meinungsverschiedenheiten über Rechtsfragen kann er dem Ständigen Internationalen Gerichtshof zur Begutachtung oder Entscheidung vorlegen. Eingaben oder Beschwerden der Minderheiten wegen Vertragsverletzung selbst hat die Völkerbundspraxis als bloße Information gewertet, die keine Verpflichtung für die Bundesorgane zur Befassung nach sich zog. Die Minderheit hatte im Verfahren selbst keinen Status; Eingaben oder Beschwerden wurden in der Regel von einem aus drei Ratsmitgliedern bestehenden Komitee geprüft, in dessen Ermessen die weitere Behandlung lag. Hier ist nicht der Ort, über die Bewährung des Völkerbundsystems (->• Völkerbund) zu urteilen. Ein Experte hat an Hand der amerikanischen Untersuchung von Claude die Mängel dahin zusammengefaßt: „Die Siegermächte übernahmen keine Verpflichtungen zum Minderheitenschutz (Italien ζ. B. nicht hinsichtlich der Deutschen Südtirols, Frankreich nicht hinsichtlich der deutschsprachigen Bewohner des Elsaß); es fehlte bei allen der gute Wille, die Schutzbestimmungen ernsthaft zu vollziehen; die den Minderheiten verpflichteten Staaten behandelten die Minderheiten nicht mit der gebotenen Toleranz; die Minderheiten ließen es ihrerseits an Loyalität mangeln; die Ursprungsstaaten der Minderheiten waren nicht gewillt, die Grenzziehungen hinzunehmen; es fehlte schließlich an einem führenden Staat, der die Lösung der Probleme verantwortungsbewußt angestrebt". (Ermacora S . 9 6 ) .

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Das Problem eines völkerrechtlichen Minderheitenschutzes stellte sich angesichts des unbefriedigenden Resultates des Völkerbundsystems während des 2. Weltkrieges neu. Mit der schrittweisen Verwirklichung der neuen Form internationaler Beziehungen der „Vereinten Nationen" trat es in ein neues Stadium. Der Völkerbund, während des Krieges in völliger Passivität, löste sich im April 1945 selbst auf; die Frage einer Kontinuität mit den Vereinten Nationen beschäftigte deren vorbereitende Organe. Eine Gesamtnachfolge in die Funktionen des Völkerbundes wurde abgelehnt Die Vereinten Nationen beschlossen am 12. Februar 1946, sich auf die Übernahme von Aufgaben technischen, nicht aber politischen Charakters zu beschränken (-»• Entstehungsgeschichte). Damit war die Frage nach Bestand oder Ende des Minderheitenschutzes nicht gelöst. Denn die Vertragspartner bestanden ja weiter, nur der Garant war untergegangen. Die vorherrschende Meinung hat die Suspension, nicht das Erlöschen der Minderheitenverträge angenommen, die bei Kriegsende wieder aufleben sollten. Jenseits des rein rechtlichen Aspektes stand die Überlegung, daß das Völkerbundsystem eher als negatives, denn als positives Beispiel eines neuen Minderheitenschutzsystems zu werten sei. Man überlegte, daß der Völkerbund von einer ähnlichen Organisation abgelöst würde, die analoge Schutzbestimmungen vereinbarte. Ihre Notwendigkeit wurde von verschiedenen Seiten betont, Papst Pius XII. verlangte eine wohlwollende Berücksichtigung der Minderheitenprobleme bei einer Friedenskonferenz, protestantische und jüdische Organisationen sprachen sich in ähnlichem Sinne aus. Auch bekannte Politiker traten dafür ein. Konkrete rechtliche Vorschläge wiesen freilich große Verschiedenheiten auf. Bemerkenswert erscheint, daß besonders jüdische Autoren und Organisationen eine Verbindung von menschenrechtlichen und gruppenrechtlichen Formen verfochten. So empfahl die American Jewish Conference (2.9.1943) eine internationale Bill of Rights gleicher Menschenrechte, verbunden mit der Anerkennung der „unveräußerlichen Rechte aller religiösen, volklichen und kulturellen Gruppen auf Bewahrung und Entwicklung ihrer Gruppenidentität". Es wurden ferner Vorschläge für ein ost- und mitteleuropäisches regionales Rechtssystem vorgelegt, mit den Minderheiten als anerkannte Rechtspersönlichkeiten, dem Recht der Besteuerung der Angehörigen, darüber hinaus wurde hier die Errichtung von Nationalitätenstaaten vorgeschlagen; die nationalen Gruppen sollten darin Elemente des Staates auf der Grundlage der Gleichheit darstellen (Janowsky). Ähnliche Vorschläge kamen von Robinson und Teilenbaum. Auf das Ganze gesehen blieb aber die Entscheidung für oder wider einen besonderen oder allgemeinen Schutz offen. Auf der politischen Ebene blieb das Problem in der Schwebe. Doch senkte sich die Waagschale nicht zuletzt in den Kundgebungen führender westlicher Staatsmänner zugunsten eines Systems der -> Menschenrechte ohne besondere gruppenrechtliche Formen. Charakteristische Unsicherheit bezeugen die Vorschläge des USA-Planungsstabes von 1944. Sie empfehlen einmal eine Art von revidiertem Völkerbundsystem, ausgedehnt auch auf Deutschland und Italien, verbunden mit einer verbesserten Rechtsstellung der Minderheiten und einer ständigen Kommission für Minderheitenangelegenheiten, mit dem Recht der Untersuchung, Vermittung und Empfehlung. Sodann wurden Bevölkerungsaustausch, regionale Sonderregimes nach dem Beispiel des Oberschlesienabkommens ins Auge gefaßt. Gleichzeitig wurde aber die gänzliche Ausscheidung des Minderheitenproblems, die Annahme der rechtlichen Beendigung der Verträge und die Lösung der Frage auf bloßer Grundlage der allgemeinen Menschenrechte erwogen. So haben die Gründer der Vereinten Nationen weder den Abschluß besonderer Minderheitenschutzverträge beschlossen noch besondere Schutzbestimmungen in ihre Charta aufgenommen. Zu der nicht unwesentlichen Frage des rechtlichen Fortbestandes der Völkerbunds-Minderheitenverträge wurde von den politischen Organen nicht Stellung genommen. 1950 hat dann der Generalsekretär im Zusammenhang mit einer Studie des ECOSOC die Minderheitenverträge für hinfällig erklärt, sofern die Vereinten Nationen nicht durch Beschluß die Rechte des Völkerbundes übernähmen, ein im Hinblick auf die Natur dieser Rechte wie der Vertragspartner fragwürdiges Verfahren (E/CN. 4/367). Schwerpunkt der

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Tätigkeit der Vereinten Nationen in diesem Bereich wird auf die Verhinderung einer -> Diskriminierung auch der Minderheiten gelegt, wie denn auch die erwähnte Studie erklärt, die neuen Rechtsformen des Schutzes der Menschenrechte würden für den Bereich der Minderheiten genügen. Zwar wurde im Zusammenhang mit der Annahme der allgemeinen Menschenrechtserklärung (10.12.1948) eine Resolution verabschiedet (Res. 217 C (III)), wonach die Vereinten Nationen dem Schicksal der Minderheiten nicht gleichgültig gegenüberstehen, gleichzeitig aber auch die Schwierigkeit für eine einheitliche Lösung einer Frage betonten, „die in jedem Staat besondere Züge trage"; angesichts des universellen Charakters der Menschenrechte befasse sich daher diese Deklaration nicht besonders mit den Minderheiten. Sie forderte aber den ECOSOC auf, der Menschenrechtskommission den Auftrag zu einer sorgfältigen Untersuchung des Minderheitenproblems zu erteilen, als Grundlage für wirksame Maßnahmen zum Schutz rassischer, nationaler, religiöser und sprachlicher Minderheiten. Professor Ermacora hat den daraufhin anlaufenden Arbeiten eine Studie gewidmet und die Kräfte und Gründe geschildert, die schließlich zur Einstellung dieser Untersuchung geführt haben. Das mit Erfolg u. a. von Großbritannien vertretene Motiv, ohne befriedigende Definition der Minderheiten wäre eine solche Untersuchung sinnlos, hält wohl nicht stand: Wie immer die Tätigkeit des Völkerbundes im Minderheitenbereich beurteilt wird, sie kam jedenfalls ohne Definition der Minderheit aus. Das so erneut ausgesparte Problem, dessen objektiver Bestand angesichts isolierter Regelungen (etwa Zypern, Südtirol) nicht zu leugnen ist, wurde durch das im Rahmen der Vereinten Nationen 1969 in Kraft getretene Abkommen gegen Rassendiskriminierung (vom 21.12.1965) berührt. Auch national-ethnische Minderheiten können Gegenstand von -> Rassendiskriminierung sein und so den mittelbaren Schutz des Abkommens genießen (Partsch). Die Vermeidung besonderer Rechtsformen des Minderheitenschutzes zeigt sich auch in den 1947 verabschiedeten Friedensverträgen mit Italien, Rumänien, Bulgarien, Ungarn und Finnland. Sie unterscheiden sich in diesem Punkt entscheidend von den Friedensverträgen von 1919. Sämtliche Verträge enthalten die textlich identische Verpflichtung zugunsten aller Einwohner, die den Genuß der ausdrücklich als Menschenrechte bezeichneten „grundlegenden Freiheiten" eingeräumt erhalten, und zwar „ohne Unterschied von Rasse, Geschlecht, Sprache oder Religion". Die Erwähnung der Sprache kann als mittelbarer Schutz sprachlicher Minderheiteninteressen gewertet werden (Friedensvertrag mit Italien Art. 19, Rumänien Art. 2, Ungarn Art. 2, Finnland Art. 6). Sonderbestimmungen enthält der Italienvertrag hinsichtlich Südtirols. In Art. 10 nehmen die alliierten und assoziierten Mächte den Vertrag zwischen Österreich und Italien vom 5. September 1946 zur Kenntnis, der als Annex IV dem Friedensvertrag eingefügt ist. Er sichert „den deutschsprachigen" Bewohnern der Provinz Bozen und den benachbarten zweisprachigen Ortschaften der Provinz Trient auf der Grundlage der Rechtsgleichheit mit den italienischsprachigen besondere Bestimmungen zum Schutze des Volkscharakters und der kulturellen und wirtschaftlichen Entwicklung der deutschsprachigen Bevölkerung. Als minderheitenrechtliche Sonderbestimmung darf ferner Art. 5 des Ungarn-Vertrages gelten, der Ungarn zu Verhandlungen mit der Tschechoslowakei verpflichtet, um die Fragen der dort lebenden „Einwohner madjarisch-ethnischen Ursprungs" im Zusammenhang mit dem Abkommen über Bevölkerungsaustausch vom 27. Februar 1946 zu lösen. Auch der Art. 7 des österreichischen Staatsvertrages vom 15. Mai 1955 zugunsten von Slowenen und Kroaten in drei österreichischen Bundesländern stellt eine Sonderbestimmung dar und fällt aus den sonst eng menschenrechtlich konstruierten Schutzbestimmungen der Friedensverträge nach 1945. Er stellt zunächst Minderheitsangehörige den deutschsprachigen Staatsbürgern gleich, Minderheitenkinder haben Anspruch auf sprachlichen Elementarunterricht, in gemischtsprachigen Bezirken werden die Minderheiten-Sprachen im amtlichen Verkehr zugelassen. Dort müssen auch Aufschriften topographischer Natur in den MinderheitenSprachen kenntlich gemacht werden. Minderheitenfeindliche Organisationen sind zu verbieten.

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Für die Haltung der Vereinten Nationen zum Minderheitenproblem gilt die Feststellung Fritz Münchs, daß die Menschenrechte kaum etwas für Volksgruppenrechte hergeben; wo man vor Volkstumsproblemen stehe und sie unvoreingenommen lösen wolle, greife man auch jetzt noch zu besonderen Institutionen. Die Londoner Abkommen vom 13. Februar 1959 über die Verfassung Zyperns und die Rechtsstellung der dortigen Griechen und Türken, die ihnen sogar völkerrechtliche Stellung und Handlungsfähigkeit eingeräumt haben, sind dafür ein eindrucksvolles Beispiel auch dann, wenn die wohl überkomplizierte Konstruktion einerseits, machtpolitische Gegensätze andererseits zu ihrer gegenwärtigen Suspension geführt haben. Und trotz der grundsätzlichen Abneigung gegen besondere Minderheitenschutzformen ist das Problem auch in den von den Vereinten Nationen angeregten Konventionen (ζ. B. Weltpakte über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, ferner über bürgerliche und politische Rechte (16.12.1966)) nicht zu umgehen. Art. 2 der letzteren erstreckt sie auf alle Menschen ohne Unterschiede . . . der Sprache, der nationalen oder sozialen Herkunft; Art. 27 spricht ausdrücklich von „ethnischen, religiösen und sprachlichen Minderheiten" und gibt ihnen das Recht, gemeinschaftlich ihre Kultur oder Religion zu betätigen. Die Konvention über den Völkermord vom 9. Dezember 1948 sieht in Art. 2 den Tatbestand auch in der Absicht gegeben, eine „nationale, ethnische oder rassischer Minderheit" gewaltsam ganz oder teilweise zu zerstören. Die europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte, 4. November 1950, sichert den Genuß ihrer Rechte auch unterschiedslos Menschen zu, die einer nationalen Minderheit" angehören (Art. 14). Die Entwicklung seit 1914 zeigt so eine Gegensätzlichkeit zwischen der Doktrin der Vereinten Nationen und der sich unabhängig davon vollziehenden Rechtsgestaltung. Sicher sind die aus dem europäischen öffentlichen Recht erwachsenen Rechtsformen der Verträge von 1919 nicht global anwendbar. Die dort vorausgesetzten, historisch gewachsenen Siedlungsverhältnisse, das Verhältnis der Völker und Volksgruppen zu „ihrem" Boden ist in anderen Erdteilen verschieden. Aber auch die Entwicklung in afrikanischen Neustaaten, wo nicht selten die Unabhängigkeit identisch ist mit unterdrückender Herrschaft eines vorherrschenden Stammes über die anderen, wirft verwandte Probleme des Minderheitenschutzes auf (Das gilt beispielsweise für die künftige, eben in Beratung stehende Verfassung Namibias. Der stärkste Stamm, die Ovambos, stellt eine relative Mehrheit dar). Und die aus dem Jahre 1928 stammende Feststellung von Bruns, je mehr das ganze Staatsleben von der nationalen Idee beherrscht werde, um so geringer werde der allgemeine Wert der Staatsangehörigkeit für Fremdvölkische, gilt m. E. auch für die Menschenrechte. Ein Neudurchdenken des Problems des völkerrechtlichen Minderheitenschutzes ist gefordert.

Literatur Bruns: Minderheitenrecht als Völkerrecht, in: Zeitschrift für Völkerrecht Bd. 14 (1928), Ergänzungsheft 2 Claude: National Minorities, an International Problem, Cambridge 1955 Ermacora: Minderheitenschutz in der Arbeit der Vereinten Nationen, Wien / Stuttgart 1964 Kraus: Das Recht der Minderheiten, Berlin 1927 Münch, F.: Volksgruppen und Menschenrechte, in: Bd. 3/1 System eines internationalen Volksgruppenrechts, Wien 1970 Partsch: Rassendiskriminierung. Die UN-Konvention und ihre Wirkungsweise, Bonn 1971 Veiter: Commentary on the Concept of National Minorities, in: RDH vol. 7 (1974) p. 273 Hermann Raschhofer Verweise auf: Diskriminierung; Entstehungsgeschichte; Menschenrechte; Rassendiskriminierung; Völkerbund.

Mitgliedschaft

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Mitgliedschaft Die Vorschriften, die die Mitgliedschaft in der Organisation der Vereinten Nationen betreffen, finden sich in den Art. 3—6. Die Charta unterscheidet zwischen ursprünglichen Mitgliedern und solchen, die nach Inkrafttreten der Charta (24.10.1945) aufgenommen wurden. Die Organisation hat derzeit 144 Mitglieder. Nichtmitglieder sind die beiden geteilten Nationen Vietnam und Korea und, aus Neutralitätserwägungen, die Schweiz, sowie einige europäische und pazifische Mikrostaaten; umstritten ist die Position Taiwans, das zum einen als Teil Chinas (->• China), zum anderen als eigener Staat angesehen wird. In der Tatsache, daß beinahe alle Staaten der Erde Mitglieder der Vereinten Nationen sind, kommt eines der Hauptprinzipien der Organisation zum Ausdruck: Die Universalität. Zu den 51 ursprünglichen Mitgliedern der Vereinten Nationen zählen die Staaten, welche 1945 in San Francisco an der Konferenz der Vereinten Nationen teilgenommen oder vorher die Erklärung der Vereinten Nationen vom 1. Januar 1942 unterzeichnet haben und die Charta unterzeichnet und gem. Art. 110 ratifiziert haben (Art. 3) (-> Entstehungsgeschichte). Es sind dies zunächst: Ägypten, Äthiopien, Australien, Belgien, Bolivien, Brasilien, Chile, China, Costa Rica, Dominikanische Republik, Ecuador, El Salvador, Frankreich, Griechenland, Guatemala, Großbritannien, Haiti, Honduras, Indien, Iran, Irak, Jugoslawien, Kanada, Kolumbien, Kuba, Libanon, Liberia, Luxemburg, Mexiko, Neuseeland, Niederlande, Nicaragua, Norwegen, Panama, Paraguay, Peru, Philippinen, Saudi-Arabien, Südafrikanische Union, Syrien, Tschechoslowakei, Türkei, UdSSR, Uruguay, Venezuela, Vereinigte Staaten. Zu diesen 46 Staaten stießen später noch Argentinien und das zur Zeit des Konferenzbeginns noch unter deutscher Herrschaft stehende Dänemark. Sonderfälle sind Weißrußland und die Ukraine, welche, obwohl keine Staaten im völkerrechtlichen Sinne, aus Gründen der Machtbalance zugunsten der Sowjetunion in die Vereinten Nationen aufgenommen wurden. Schließlich wird Polen, das auf der Konferenz von San Francisco nicht vertreten war, zu den ursprünglichen Mitgliedern gezählt, da es die oben genannte Erklärung von 1942 unterzeichnet hatte. Die ursprünglichen Mitglieder im Sinne von Art. 3 genießen allerdings gegenüber später aufgenommenen Mitgliedern generell keine rechtliche Sonderstellung (-> Feindstaatenklausel). Gemäß Art. 4 können weitere Staaten aufgenommen werden, wenn sie „friedliebend" sind, die in der Charta enthaltenen Verpflichtungen auf sich nehmen und fähig und gewillt sind, diese Verpflichtungen zu erfüllen. Die Prüfung, ob die Kriterien erfüllt sind, obliegt den Organen der Vereinten Nationen. Die Aufnahme erfolgt nach einer Empfehlung des -»• Sicherheitsrates durch die Generalversammlung. Die Aufnahme neuer Mitglieder geschah in den ersten Jahren des Bestehens der Vereinten Nationen in Schüben. Einer der Hauptgründe dafür, daß im ersten Jahrzehnt der Vereinten Nationen die Aufnahme neuer Mitglieder stagnierte, ist in der Uneinigkeit der Großmächte im Sicherheitsrat zu sehen (-> Blockbildung). Der bereits mit Kriegsende angebrochene „Kalte Krieg" zwischen den westlichen Staaten und dem Ostblock führte dazu, daß jede der beiden Seiten das Kräfteverhältnis in den Vereinten Nationen zu ihren Gunsten verändern wollte und nur ihr genehme Staaten aufgenommen sehen wollte, während sie gleichzeitig bestrebt war, Staaten, die der gegnerischen Seite zugerechnet werden mußten, von der Organisation fernzuhalten (-* Stimmrecht). Unerwünschten Staaten sprach man etwa die Staatsqualität ab oder man bezweifelte ihre „Friedensliebe". Erst durch erheblichen Druck der kleineren Staaten in der Generalversammlung, nach Einsetzung verschiedener SpezialUntersuchungsausschüsse und einer allgemeinen Klimaverbesserung änderte sich die Aufnahmepolitik; 1955 wurden in einem zweiten Schub 16 neue Mitglieder aufgenommen. Dieser Wandel dürfte dadurch begünstigt worden sein, daß die USA und die Sowjetunion darauf verzichteten, Neuaufnahmen primär unter dem Gesichtspunkt

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Mitgliedschaft

der Hausmachtbildung zu sehen. In den folgenden Jahren entwickelte sich eine gleichmäßigere Aufnahmepraxis. Jedes Jahr wurden regelmäßig einige neue Mitglieder aufgenommen (Ausnahme 1959); bei den Neuaufgenommenen handelte es sich größtenteils um soeben unabhängig gewordene Kolonien. Ein größerer Schub wurde erst wieder 1960 verzeichnet, als 17 Neumitglieder, fast ausschließlich ehemalige afrikanische Kolonien, aufgenommen wurden. Die damals entstehende Diskussion über die „Staatsreife" vieler Aufnahmebewerber wurde nicht weitergeführt, da man ein Wiederaufleben von Manipulationsversuchen bei der Mitgliederaufnahme wie in der Ära des Kalten Krieges befürchtete. Durch die Aufnahme zahlreicher Entwicklungsländer begann der bis dahin dominante Ost-West-Konflikt von einem -»• Nord-Süd-Konflikt überlagert zu werden; die heute höchst aktive „neue Mehrheit" der Entwicklungsländer zeichnete sich in ersten Umrissen ab. Ab 1961 normalisierte sich die Aufnahmepolitik. Fortan galt es als Ausnahme, wenn Aufnahmeanträge abgelehnt wurden (Beispiel: Kuweit 1961; Aufnahme erst 1963). Bei den Neuaufnahmen handelte es sich weiterhin vornehmlich um Staaten, die im Entkolonialisierungsprozeß ihre Unabhängigkeit erhalten hatten. Hierbei wurde jedoch ein Problem immer dringlicher: Das der -»· Mikrostaaten. Es geht nunmehr häufig um politische Einheiten, deren Staatsfläche und Bevölkerungszahl so gering sind, daß bisweilen die Staatsqualität in Zweifel steht. Mehrere dieser Staaten erreichen nicht die Bevölkerungsgrenze von einer halben Million, manchmal nicht einmal von 100.000 Einwohnern. Abgesehen von der Tatsache, daß diese Staaten, die meist auch zu den Ärmsten gehören, ihre satzungsgemäßen Pflichten kaum erfüllen können und den Vereinten Nationen finanziell stark zur Last fallen, halten es manche Kritiker auch für ungerechtfertigt, daß ein solcher Staat etwa in der Generalversammlung das gleiche politische Gewicht haben soll wie eine Großmacht. Zur Lösung des Problems wurde vorgeschlagen, daß nur solche Staaten, die eine bestimmte Mindestbevölkerungszahl oder Mindeststaatsfläche aufweisen, aufgenommen werden sollen. Dieser Plan krankt jedoch einmal daran, daß jede diesbezügliche Grenzziehung willkürlich erfolgen müßte,und zum anderen daran, daß diese beiden Elemente wohl nicht ausreichend sind, das Gesamtpotential einer politischen Einheit hinreichend zu umschreiben; dazu müßten auch andere Faktoren, wie ökonomische (Liechtenstein), strategische (Malta) oder etwa intellektuelle Potenz berücksichtigt werden. Andere, gemäßigtere Pläne sahen vor, eine Stimmenwägung einzuführen, mehrere Mikrostaaten zu einem Stimmverband zusammenzufassen und diesen Verband mit einer Stimme auszustatten oder Mikrostaaten lediglich beratende Stimme zu geben. Letztens wurde die Idee der Assoziierung von Mikrostaaten mit einem größeren Staat zum Zwecke der Vertretung in den Vereinten Nationen diskutiert (-* Mikrostaaten). Eine Bestimmung über einen etwaigen Austritt eines Mitgliedstaates aus den Vereinten Nationen wurde in der Charta nicht verankert. Dies, auch Ausdruck des Universalitätsgedankens, geschah wohl aus der Befürchtung, daß Staaten durch eine ausdrücklich vorgesehene Austrittsmöglichkeit eher zu einem Austritt ermuntert würden. Allerdings gibt es nach heute herrschender Lehre kein Verbot des Austritts. Bisher hat erst ein Staat, Indonesien (1965), seinen Austritt erklärt (Wiederaufnahme der Mitarbeit 1966). In jüngster Zeit erwog man auch in Südafrika auf Grund der heftigen Attacken zahlreicher afro-asiatischer und sozialistischer Länder gegen die südafrikanische Innenpolitik die Möglichkeit des Austritts. Gem. Art. 6 kann ein Mitglied der Vereinten Nationen, welches die in der Charta enthaltenen Grundsätze beharrlich verletzt, ausgeschlossen werden. Bevor ein Ausschluß durchgeführt werden kann, müssen verschiedene Bedingungen erfüllt sein. Zum einen muß eine Empfehlung des -> Sicherheitsrats vorliegen, zum anderen muß eine „beharrliche" Verletzung der Grundsätze festgestellt werden, d. h. daß ein einmaliger Verstoß gegen die Grundsätze der Charta, mag er auch noch so gravierend und folgenschwer sein, für einen Ausschluß nicht reicht. Was alles unter „Grundsätze" fällt, wird in der Charta nicht ausdrücklich gesagt, jedoch geht man davon aus, daß die Schöpfer der Charta darunter alle Grundsätze, nicht nur

Literatur

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die in der Präambel und Art. 2 niedergelegten, verstanden, deren Verletzung geeignet wäre, die Zielerfüllung der Vereinten Nationen zu gefährden. Ausgenommen scheint lediglich die Nichtbezahlung der Beiträge (-> Beitragssystem, Haushalt) zu sein, da es zur Ahndung dafür die Spezialregelung des Art. 19 gibt. Ein ausgeschlossenes Mitglied nimmt die gleiche Rechtsstellung wie ein Nichtmitglied ein. Daraus ergibt sich, daß der betreffende Staat gewisse Rechte aus der Charta beanspruchen kann, aber auch gewisse Obliegenheiten zu beachten hat (insbesondere den Weltfrieden und die internationale Sicherheit betreffend) (-» Friedenssicherung). Die Mitgliedschaft in einer Sonderorganisation bleibt von einem Ausscheiden unbeeinflußt, außer die Satzung der betreffenden Sonderorganisation sähe Gegenteiliges vor. Obgleich bisher kein Staat aus den Vereinten Nationen ausgeschlossen wurde, wurde eine solche Möglichkeit des öfteren in den Organen der Vereinten Nationen erörtert. So wurde der Ausschluß Südafrikas wegen seiner Politik der Rassentrennung (-»• Apartheid) gefordert, Israel sollte zugunsten einer gewissen Lösung der Palästina-Frage ausgeschlossen werden (-» Nahost); im Zusammenhang mit der Kongo-Krise 1960 wurde der Ausschluß Belgiens gefordert und auch Portugal (-»• Portugiesische Kolonialgebiete) sollte wegen der Nichtbefolgung einiger Entkolonialisierungsresolutionen der Vereinten Nationen einem Ausschluß zum Opfer fallen. Eine weniger rigorose Maßnahme stellt die Suspension eines Staates durch die Vereinten Nationen dar (Art. 5); sie kann, gleichsam als begleitende Maßnahme, gegen einen Staat ausgesprochen werden, gegen den vom Sicherheitsrat Zwangs- und Vorbeugungsmaßnahmen ergriffen worden sind. Zuvor muß jedoch der Sicherheitsrat eine dahingehende Empfehlung aussprechen (Veto!). Die rechtliche Folge einer Suspension ist der Verlust der Möglichkeit der Ausübung von Mitgliedschaftsrechten; allfällige Verpflichtungen des betroffenen Staates bleiben dagegen unberührt. In der Praxis wurde bisher kein Staat gem. Art. 5 suspendiert (->• Generalversammlung; Stimmrecht); eine dahingehende Forderung wurde gelegentlich von afro-asiatischen und sozialistischen Staaten gegenüber Südafrika und Portugal erhoben. Eine Umgehung der Vorschriften über den Stimmrechtsverlust bedeutet der Ausschluß der Vertreter Südafrikas von der Teilnahme an der Generalversammlung, der erstmals in der 29. Sitzungsperiode (1974) als Folge der Zurückweisung ihrer Beglaubigungsschreiben beschlossen wurde (Res. 3206 (XXIX) vom 30.9.1974 sowie Beschluß vom 12.11.1974 (GAOR (XXIX)Suppl. 31 p. 10)) (-• Generalversammlung; Stimmrecht).

Literatur Ginther / Oppermann: Grundfragen der Mitgliedschaft in Internationalen Organisationen, Karlsruhe 1975 Han: Die Aufnahme von Mitgliedern in die UNO, in: VN 1966 S. 121 Klein, F.: Die Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen, in: AVR 1 (1948/49) S. 147 Ohse: Ausschluß und Suspension der Mitgliedschaftsrechte in der UNO, in: VN 1971 S. 103 ders.: Der Austritt aus den Vereinten Nationen, in: VN 1972 S. 16 und 58 Rapaport / Muteba / Therattil: Small States and Territories — Status and Problems (UNITAR-Studie), New York 1971 Schätzet: Die Universalität der Weltorganisation, in: Festschrift für Hans Wehberg, Frankfurt/M. 1956, S. 343 Scheuner: Die Vereinten Nationen und die Stellung der Nichtmitglieder, in: Festgabe Carl Bilfinger, Köln / Berlin 1954, S. 371 Hans-Joachim Schütz Verweise auf: Apartheid; Beitragssystem, Haushalt; Blockbüdung; China; Entstehungsgeschichte; Feindstaatenklausel; Friedenssicherung; Generalversammlung; Mikrostaaten; Nahost; Nord-Süd-Konflikt; Ost-West-Konflikt; Portugiesische Kolonialgebiete; Sicherheitsrat; Stimmrecht; Universalität.

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Multinationale Konzerne

Multinationale Konzerne Begriff und Bedeutung Die Multinationalen Konzerne sind privatwirtschaftliche Unternehmen, die erstens einen grenzüberschreitenden Transfer von Waren, Kapital und Arbeit vornehmen, zweitens die Produktion auf mehrere Länder ausdehnen, und die drittens trotz rechtlicher Selbständigkeit der Konzernteile von einer Zentrale gelenkt werden. Die Besitzverhältnisse und das Management werden bisher meistens durch eine „Muttergesellschaft" kontrolliert, die ihren Sitz in der Regel im Ursprungsland des Multinationalen Konzerns hat. Leider gibt es bis heute keine Statistik über Zahl, Größe und Wachstum der Multinationalen Konzerne. Gegenwärtig ist die Zahl der die oben angegebenen Kriterien erfüllenden Multinationalen Konzerne auf ca. 1.000 zu schätzen. Davon haben rund die Hälfte ihren Sitz in den USA. An der Spitze stehen General Motors, Exxon und Ford. Zu den 100 größten organisatorischen Einheiten der Welt zählen heute nur noch 60 Nationalstaaten, aber bereits 40 Multinationale Konzerne. Multinationale Unternehmen, die dem Gastland Kapital zur Verfügung stellen, Technologie übertragen, Arbeitsplätze schaffen, den Binnen- und Exportmarkt beliefern, stellen auf der anderen Seite einen Machtfaktor dar, der von Entwicklungsländern und Gewerkschaft als Herausforderung empfunden wird. Die Betätigung Multinationaler Konzerne erzeugt nach Ansicht mancher Regierungen eine Abhängigkeit von diesen oder gar von der Regierung des betreffenden Ursprungslandes. Es ist nicht zu leugnen, daß diese Gesellschaften wesentlich durch die Verhältnisse ihres Ursprungslandes geprägt werden und versuchen werden, diese auf ihre Tochtergesellschaft in dem Gastland zu übertragen. Dies gilt vor allem für Management, Forschung, technisches Niveau und ihre Kapitalkraft. Aber auch für die Ursprungsländer können sich Schwierigkeiten ergeben. Zu denken ist an eine Verschlechterung der Zahlungsbilanz durch Kapitalabflüsse und eine Verschärftung der Arbeitsmarktlage durch „Export von Arbeitsplätzen". Durch gesetzgeberische Maßnahmen des Ursprungslandes oder des Gastlandes oder beider sind daher Spannungen zwischen ihnen möglich (ζ. B. Vorschriften über die Repatriierung eines bestimmten Anteils vom Gewinn einerseits, Pflicht zur Anlage der Gewinne im Gastland andererseits, Exportgebote bzw. Exportverbote). Außerdem bestehen Spannungsmöglichkeiten mit den Gewerkschaften des Ursprungslandes (Export von Arbeitsplätzen), aber auch insbesondere mit den zum überwiegenden Teil nicht voll organisierten Interessenvertretungen der Arbeitnehmer in den Gastländern. Die ökonomische und politische Entwicklung hat seit dem 2. Weltkrieg vor allem in Westeuropa eine zunehmende Zahl gemeinsamer Bedingungen in den einzelnen Ländern hervorgebracht. Im Vergleich dazu bleibt die internationale Gewerkschaftsbewegung von Spaltungen, Divergenzen, Konflikten und Kontroversen geprägt. Auf der anderen Seite steht eine auch internationale Konzentration des Kapitals. Durch die Zentralisierung der Unternehmenspolitik hat sich der Machtvorsprung der multinationalen Konzerne gegenüber den Gewerkschaften gerade bei Tarifverhandlungen und Arbeitskämpfen vergrößert. Zunächst haben die Multinationalen Konzerne einen Informationsvorsprung. Das wichtigste Instrument der Politik der Multinationalen Konzerne ist weiterhin das sogenannte transfer pricing, d. h. die interne Preisgestaltung in einem Multinationalen Konzern. Damit können sie über einen niedrigen Gewinnausweis die Lohn- und Gehaltsforderungen der Gewerkschaften als überzogen hinstellen. Schließlich sind die Arbeitnehmervertretungen davon betroffen, daß wichtige Entscheidungen über Investitionen, Sozial-, Arbeits- und Lohnbedingungen von den Muttergesellschaften getroffen werden. Zentral gefaßte Beschlüsse können von den lokalen oder nationalen Gewerkschaften vielfach nicht durchschaut werden. Die Gewerkschaftsbewegung konnte erst in neuerer Zeit umfangreiche Programme und

Multinationale Konzerne und Entwicklungsländer

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praktische Aktionen gegenüber den Multinationalen Konzernen unternehmen. Diese o f t als Gegenmacht gekennzeichnete Strategie umfaßt sowohl Aktionen durch die eigene Organisation als auch Einflußnahme auf die staatlichen Institutionen aller Ebenen. Multinationale Konzerne und

Entwicklungsländer

Insgesamt wird die Tätigkeit von Konzernen aus den Industriestaaten in den Entwicklungsländern unterschiedlich betrachtet. Einerseits befürchten diese durch derartige Privatinvestitionen eine Überfremdung der nationalen Wirtschaft oder eine Fortsetzung kolonialer Abhängigkeit. Andererseits erfordert der angestrebte wirtschaftliche Entwicklungsstand den Zufluß von Kapital. Deshalb werden ausländische Investitionen je nach Einstellung des Staates geduldet, gefördert oder untersagt. Insgesamt scheint die Haltung der Entwicklungsländer jedoch eher positiv zu sein. Sie spiegelt sich in dem von der Generalversammlung am 24. Oktober 1970 verabschiedeten „Strategie"-Dokument für die 2. Entwicklungsdekade wider (Res. 2626 (XXV) vom 24.10.1970). Dort heißt es in Punkt 50: „Die Entwicklungsländer treffen geeignete Maßnahmen, ausländisches Kapital ins Land zu ziehen und nutzbringend einzusetzen; hierbei richten sie besonderes Augenmerk auf die Bereiche, für die eine Schaffung von Privatkapital in erster Linie in Frage kommt, und denken daran, daß ein günstiges Investitionsklima die Bereitschaft zu fortlaufender Investitionstätigkeit fördert". Etwas zurückhaltender wirkt die Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten (Res. 3281 (XXIX) vom 12.12.1974). Danach hat (Art. 2 Abs. 2) jeder Staat das Recht, Gesetze betreffend ausländische Investitionen in seinem Jurisdiktionsbereich zu erlassen; er ist nicht verpflichtet, Vorzugsrechte zu gewähren. Gem. Art. 2 Abs. 2 (b) kann er die Tätigkeit der multinationalen Unternehmen überwachen. Multinationalen Unternehmen wird es untersagt, sich in die inneren Angelegenheiten ihres Gaststaates einzumischen. Das Schwergewicht der Fragestellung scheint sich damit auf das Problem zu verlagern, inwieweit die Multinationalen Konzerne international überwacht werden können. In diese Richtung zielt auch die Resolution der OAS vom 10. Juli 1975 (ILM vol. 14 (1975) p. 1326,1603). Die Multinationalen Konzerne werden gerade von Ländern angezogen, die dem Privatkapital einen besonders weiten Spielraum lassen, während sie weitgehend jene Staaten meiden, die ihren Entwicklungsprozeß durch gesamtwirtschaftliche Pläne lenken. Zu den als Investitionsanreiz eingeräumten Privilegien gehören: — — — —

Steuernachlässe; Zollbefreiungen für die zur Produktion benötigten Waren; Erleichterungen im Devisenverkehr und Erlaubnis zum steuerfreien Gewinntransfer; Bereitstellung von Infrastruktur (Straßen, Gleisanschluß, Wasser, Strom) sowie von verbilligten oder kostenlosen Grundstücken; — Finanzierungshilfen bei Exportgeschäften; — Verbot von Streiks oder jeglicher gewerkschaftlicher Organisation in Unternehmen mit ausländischem Kapital. Andererseits versuchen manche Entwicklungsländer, mit der Genehmigung ausländischer Investitionen Auflagen zugunsten der eigenen Wirtschaft zu verbinden: — — — —

Beschränkung des Gewinntransfers und Festlegung eines Re-Investitionsanteils; Beteiligung einheimischen Kapitals und Mehrheitsverbot für ausländisches Kapital; Steigerung der Verwendung einheimischer Vorproduktion; Export der gesamten Produktion oder eines Teils davon.

Die Bedeutung der ausländischen Investitionen wird von vielen Entwicklungsländern nicht allein nach der Kapitalzufuhr, sondern nach deren Wirkungen beurteilt. Allgemein ist anerkannt, daß sich Vorhandensein und Tätigkeit vorteilhaft auf den zwischenstaatlichen Handel auswirken. Die Kritik richtet sich insbesondere gegen die einseitige, oft allein vom multi-

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Multinationale Konzerne

nationalen Konzerninteresse bestimmte Produktion, gegen die unausgewogene Regionalpolitik oder gegen beschränkte Anwendung von Lizenzen und Patenten. Der Transfer von Technologie m u ß von Land zu Land sorgfältig überprüft und daraufhin beurteilt werden, ob er auch den nationalstaatlichen Entwicklungsplänen entspricht. Kapitalintensive Produktion bringt in einem Entwicklungsland, das von zunehmenden Arbeitslosenmassen nahezu erdrückt wird, keine durchschlagenden Vorteile. Solange die verwendete Technologie die arbeitssparende Technologie der Industrieländer ist, kann die Zahl der geschaffenen Arbeitsplätze im Verhältnis zum eingesetzten Kapital nur gering sein. Kapitalintensive Produktion kann sich erstens negativ auf die Beschäftigungslage auswirken, wenn bei der bereits geringen Anzahl neugeschaffener Arbeitsplätze einheimische, arbeitsintensivere Produktion vernichtet wird, oder bei der Übernahme einheimischer Produktionsstätten arbeitsintensive Produktion durch kapitalintensive Produktion ersetzt wird. Zweitens ist der Beschäftigungseffekt der Multinationalen Konzerne im industrialisierten Sektor nicht durchgängig positiv: Bei der Verlagerung von arbeitsintensiven Produktionsphasen in Niedriglohnländern (ζ. B. Textil) ergeben sich keine Anschlußarbeitsplätze. Drittens müßte sich eine Entwicklungsstrategie, die das Beschäftigungsproblem lösen würde, auch auf den Agrarsektor beziehen und nicht ausschließlich auf den industriellen Bereich, in dem die Multinationalen Konzerne bisher überwiegend tätig sind. Schließlich findet die Errichtung von Produktionsstätten dort statt, wo mit kaufkräftiger Nachfrage und somit maximalem Gewinn zu rechnen ist. In der Regel fließen die Anlagegelder in die Zentren der Entwicklungsländer. Investiert wird nicht unter dem Gesichtspunkt der wirtschaftlichen Entwicklung der Peripherie der Entwicklungsländer. Diejenigen Länder sowie die Regionen innerhalb eines Entwicklungslandes, die das Kapital am nötigsten brauchen, werden also am wenigsten bedacht. Damit polarisieren sich die Strukturunterschiede verschiedener Regionen zunehmend durch die einseitige Konzentration von Industriebetrieben der Multinationalen Konzerne. Dies gilt jedoch weitgehend auch für die einheimischen Investoren und liegt nicht zuletzt in einer unzureichenden Investitionssteuerung der Staaten selbst begründet. Internationale

Kontrolle der Multinationalen

Unternehmen

Der Gedanke, die Multinationalen Unternehmen zu kontrollieren, um schädliche Einflüsse auf die Gaststaaten zu vermeiden, sich aber ihre positiven Effekte auf die industrielle Entwicklung zu sichern, beschäftigt die Vereinten Nationen schon seit 1948. Bereits die Havanna Charta (Doc. E/CONF. 2/78) enthält in Art. 12 Grundsätze über „Internationale Investierungen, wirtschaftliche Entwicklung und Wiederaufbau". Danach sollten die Mitgliedstaaten u. a. anerkennen, daß „ein Mitgliedstaat unter Vorbehalt der bestehenden internationalen Abkommen, an denen die Mitgliedstaaten beteiligt sind, das Recht hat, (i) alle notwendigen und geeigneten Vorsichtsmaßnahmen zu treffen, u m sicherzustellen, daß die Investierungen des Auslands nicht als Grundlage für eine Einmischung in seine inneren Angelegenheiten oder seine nationale Politik dienen; (ii)zu entscheiden, ob er künftig Investitionen des Auslands zulassen wird und in welchem Maße sowie zu welchen Bedingungen". Auf der anderen Seite sollten sich die Gastländer verpflichten: (i) „Für alles Kapital, das sie aufzunehmen gewillt sind, angemessene Investitionsmöglichkeiten zu bieten und für die bestehenden sowie die künftigen Investitionen eine ausreichende Sicherheit zu gewähren; (ii)gebührend der Tatsache Rechnung zu tragen, daß eine unterschiedliche Behandlung bei Investitionen des Auslandes vermieden werden muß". Zur Überwachung der Einhaltung der Havanna Charta war eine „Internationale Handelsorganisation" vorgesehen. Die Havanna Charta ist nie in Kraft getreten. Ihre Gedanken zur Überwachung Multinationaler Unternehmen werden heute wieder vorgetragen.

Internationale Kontrolle der Multinationalen Unternehmen

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Mit Resolution 1721 (LUI) vom 2. Juli 1972 beauftragte der ECOSOC den Generalsekretär, eine Expertenstudie über die Multinationalen Unternehmen in Auftrag zu geben. Ihr Bericht lag im Mai 1974 vor (Doc. E/5500/Rev. 1). Sie untersuchte die Multinationalen Konzerne unter folgenden Aspekten: Eigentümer und Kontrolle, Kapitalverkehr, Technologie, Beschäftigung, Verbraucherschutz, Kartellrecht, Preisverschiebung und Besteuerung. Außerdem gaben neun der Sachverständigen besondere Voten ab. Die wichtigsten Vorschläge dieser Expertengruppe sind: — Einsetzung einer ständigen Sachverständigenkommission des ECOSOC über Multinationale Konzerne. Ihre Aufgabe soll es vor allem sein, Empfehlungen zu den Verhandlungen zwischen Staaten und Multinationalen Unternehmen auszuarbeiten. — Die Entwicklungsländer werden aufgerufen, ihre Kapitalimporte aufeinander abzustimmen. — Es wird die Einrichtung eines Informations- und Forschungszentrums angeregt, als dessen Hauptaufgabe sich die Vorbereitung von laufenden Empfehlungen an die Institutionen der Vereinten Nationen ergäbe. Mit Resolution 1913 (LVII) vom 5. Dezember 1974 setzte der ECOSOC eine entsprechende Kommission ein, sie trat zu ihrer ersten Sitzung vom 17.—28. März 1975 zusammen. Sie setzt sich aus 48 Staatenvertretern (nicht unabhängigen Sachverständigen) zusammen. Die afrikanische Gruppe stellt zwölf, die asiatische elf, die südamerikanische zehn, die sozialistischen Staaten Osteuropas haben fünf und die westeuropäischen Staaten und andere haben zehn Vertreter. Auf ihrer zweiten Sitzung (März 1976) wird die Kommission ihr Arbeitsprogramm erarbeiten. Hier dürften schon die ersten Kontroversen auftreten. Während der Bericht des Sekretariats (Doc. E/73.II A. 11) und der bereits genannte Bericht der Expertengruppe Nachteile wie Vorteile der Multinationalen Konzerne aufzeigen, verlangt eine Initiative der Entwicklungsländer nur die Behandlung der Nachteile. Weitere Meinungsverschiedenheiten zeichnen sich hinsichtlich der Frage der Enteignungsentschädigung ab. Durch Resolution 1908 (LVII) vom 2. August 1974 wurde das Informationszentrum errichtet. Es arbeitet unter der Verantwortung der Kommission. Seine erste Aufgabe soll es sein, eine Analyse der völkerrechtlichen Regeln sowie der staatlichen Gesetze über die Multinationalen Konzerne und deren Arbeit zu erstellen. Dieser Bericht lag der Kommission auf ihrer 2. Sitzung (März 1976) vor. Außerdem soll das Informationszentrum alle Fakten über Multinationale Konzerne sammeln. Insgesamt ist fraglich, ob die hier gewählte Konstruktion glücklich ist. Es wäre ohne Zweifel besser gewesen, nicht eine Kommission aus Regierungsvertretern, sondern aus Sachverständigen einzusetzen. Das Schwergewicht der empirischen Arbeit wird bei dem Informationszentrum liegen. Dabei erscheint es unsicher, ob dieses seine Aufgaben zu bewältigen vermag. Neben den Vereinten Nationen beschäftigt sich auch die ILO mit den Multinationalen Konzernen. Sie ist wegen ihres dreigliedrigen Aufbaus dafür besonders geeignet. Nach Diskussionen auf den Jahres- und Regionalkonferenzen sowie vor allem in den Industrieausschüssen beschloß der Verwaltungsrat der ILO im März 1973 einstimmig, entsprechende Untersuchungen durchzuführen. Zur ersten Studie wurden eine Reihe von Multinationalen Konzernen in der Metallindustrie ausgewählt, die ihre Zentrale in Westeuropa haben. Geplant waren Fallstudien mit folgenden Schwerpunkten: — Beschäftigung und Ausbildung — Grundlegende Arbeitsbedingungen und Löhne — Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Beziehungen. Inwieweit die Bemühungen der ILO erfolgreich sein werden, läßt sich derzeit noch nicht absehen.

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Nahost

Literatur Barnet / Müller: The Global Reach, Washington 1974 Handelskammer Hamburg (Hrsg.): Wie gefährlich sind die Multinationalen? , Hamburg 1974 Hellmann: Die Kontrolle multinationaler Unternehmen, Baden-Baden 1974 International Labour Organisation (ed.): Multinational Enterprise and Social Policy, Genf 1973 Kebschull / Mayer (O.G.) (Hrsg.): Multinationale Unternehmen — Anfang oder Ende der Weltwirtschaft, Frankfurt/M. 1974 Kreye (Hrsg.): Multinationale Konzerne — Entwicklungstendenzen im kapitalistischen System, München 1974 Palloix: Firmes multinationales et le procès d'internationalisation, Paris 1973 Piehl: Multinationale Konzerne und internationale Gewerkschaftsbewegung. Schriftenreihe der Otto-Brenner-Stiftung, Bd. 2, Frankfurt / Köln 1974 Rubin: Reflections Concerning the United Nations Commission on Transnational Corporations, in: AJIL vol. 70 (1976) p. 73 Turner: Multinational Companies and the Third World, London 1973 Ernst Piehl

Nahost Kein Konflikt hat die Vereinten Nationen seit ihrer Gründung so beschäftigt wie der im Nahen Osten: Als die „Palästina-Frage" 1947 vor die Generalversammlung kam, war bereits die Mandatspolitik des Völkerbundes (-» Mandatsgebiete) an einem Konflikt gescheitert, der sich ein halbes Jahrhundert entfaltet und immer weiter zugespitzt hatte. Seitdem hat das Problem, das sich 1947/48 zu einem allgemeinen Nahost-Konflikt ausweitete, in den Jahren nach 1967 zugleich aber auch wieder ein politisches Palästina-Problem im engeren Sinne zu werden begann, während keiner Sitzungsperiode auf der Tagesordnung der Generalversammlung gefehlt. Sowohl die Institution der Sondersitzung wie die der Notsondersitzung der Generalversammlung wurden erstmals im Zusammenhang mit Palästina bzw. Nahost angewandt; zu keinem anderen Problem mußten sie so oft zusammentreten. Neben der Generalversammlung, die weit über 150 Resolutionen zu Nahost verabschiedet hat, haben sich auch alle anderen Hauptorgane der Vereinten Nationen mit dem Konflikt beschäftigt, insbesondere der Sicherheitsrat. Läßt man Entschließungen zur Neuaufnahme von Mitgliedern und zu Verfahrensfragen unberücksichtigt, hat der Sicherheitsrat mit 82 Resolutionen (bis Dezember 1975) seit seiner ersten Befassung mit der Palästina-Frage ein Drittel seiner Resolutionen zu unmittelbaren oder mittelbaren Folgen dieses Konfliktes abgegeben. Von mehr als 20 Nebenorganen und anderen Institutionen, die die Vereinten Nationen im Laufe der Zeit zur Beilegung des Konfliktes wie zur Bewältigung seiner Folgen geschaffen haben, ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt knapp die Hälfte tätig bzw. noch im Amt. Der Palästina-Konflikt Politischer Zionismus und arabischer Nationalismus Aus der Erfahrung, daß Assimilation die „Judenfrage" nicht hatte lösen können, erwuchs im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert der Zionismus als eine politische Bewegung von Juden, die das Problem des aus romantischem Nationalismus und beginnendem Rassismus

Politischer Zionismus und arabischer Nationalismus

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gespeisten neuen Antisemitismus ein für allemal durch die Gründung eines jüdischen Staates überwinden wollten. Obwohl als nationalistische Bewegung von prinzipiell gleicher Struktur wie die Nationalismen, gegen die er sich wehrte, erhielt der Zionismus historisch einmaligen Charakter, weil er zum einen die in der Welt verstreuten Juden als das von ihm in säkularem Sinne definierte Volk erst am Ort zukünftiger nationaler Existenz zusammenführen wollte. Zum anderen ermöglichten die spezifische Rolle der Gemeinschaft in der rabbinischen Tradition sowie die — besonders in den osteuropäischen Gemeinden lebendig gebliebene — messianische Erwartung einer Rückkehr in das Land der Väter eine so innige Verbindung des Nationalismus mit der Religion, daß geographische Alternativen sehr bald gegenüber Palästina als der ,.historischen Heimat" und damit dem einzig möglichen Ort für den zu schaffenden Staat zurücktreten mußten. Der Realisierung des Zieles sollte neben notwendigen diplomatischen Schritten vor allem die „Besiedlung Palästinas mit jüdischen Ackerbauern, Handwerkern und Gewerbetreibenden" dienen (Baseler Programm von 1897). Die hiermit zugleich beabsichtigte „Befreiung der jüdischen Arbeit", die helfen sollte, die Juden zu einem „Volk wie alle anderen Völker" zu machen, hat einerseits verhindert, daß die jüdische Landnahme in Palästina die traditionellen Formen kolonialer Überlagerung annahm, andererseits aber sehr früh der arabischen Bevölkerung Palästinas die sozialen Konsequenzen verdeutlicht, die sich aus der Durchführung des zionistischen Programms ergeben würden, nämlich die Errichtung einer Gesellschaft, deren Selbstverständnis für sie keinen Platz ließ, theoretisch nicht einmal als Arbeiter. Da es der politisch ausschlaggebenden Richtung des Zionismus auch später nicht gelungen ist, für die bereits im Lande lebende nicht-jüdische Bevölkerung eine sinnvolle aktive Rolle bei der Verwirklichung der zionistischen Idee zu eröffnen, lassen schon wenige Jahre nach Ankunft der ersten Zionisten in Palästina arabische Reaktionen den Konflikt erkennen, der sich seit nunmehr einem dreiviertel Jahrhundert entfaltet. In Palästina, dessen Bevölkerung um die Jahrhundertwende bei etwa einer halben Million Einwohnern zu über 9 0 % aus Muslimen und Christen verschiedener Denominationen bestand, begannen sich damals die Anfänge eines eigenen, (pan-)arabischen Nationalismus zu regen. Wenn auch die Zahl der vor dem 1. Weltkrieg vom „arabischen Erwachen" Erfaßten noch gering war, wurde bereits erkennbar, daß das zionistische Programm kaum friedlich zu realisieren sein würde. Vor der Alternative Kooperation, „um Geld, Wissen und Fleiß der Zionisten fur die Erneuerung des Landes zu nutzen", oder aber Konfrontation entschieden sich viele für letztere — bis hin zu der Konsequenz, wie sie etwa in einem Aufsatz 1 9 1 4 formuliert wurde, „bewaffnete Banden aufzustellen, die sich (den Zionisten) mit Gewalt entgegenstellen". Als Konflikt zweier in ihrer Erfüllung sich gegenseitig ausschließender, weil auf das selbe Territorium gerichteter Nationalismen wurde das Problem schon vor über 70 Jahren von dem Palästina-Araber Négib Azoury in seinem Buch „Le réveil de la nation arabe" (Paris 1 9 0 5 ) diagnostiziert, in dem er nicht nur die Struktur des Konfliktes — „zwei bedeutende Phänomene, die ihrer Natur nach gleich und dennoch einander entgegengesetzt sind" — offenlegte, sondern mit geradezu prophetischer Einsicht Weiterungen voraussah: „Diese beiden Bewegungen sind bestimmt, einander ununterbrochen zu bekämpfen bis zu dem Punkt, da die eine von beiden den Sieg davonträgt. Vom Ausgang dieses Kampfes zwischen den beiden Völkern, die zwei konträre Prinzipien repräsentieren, wird das Schicksal der ganzen Welt abhängen." Die den Konflikt bis heute begleitende wechselseitige Polemik und Apologetik verdeckt leicht diese früh sichtbar gewordenen Wurzeln. Auch verlegen selbst die um Ausgewogenheit bemühten Darstellungen die Anfänge des Konfliktes überwiegend in die 20er Jahre, als das Scheitern der Bemühungen um Ausgleich in erheblichem Maße der Enttäuschung der Araber über die zynische Großmachtpolitik Englands und Frankreichs nach dem Weltkrieg zugeschrieben werden konnte. Die Ernsthaftigkeit solcher Bemühungen von Juden und Arabern um Ausgleich, etwa im Versuch, einen bi-nationalen Staat in Palästina aufzubauen, soll hier nicht bezweifelt werden; nur entspricht es der inneren Logik eines Nationalismus, wenn sich

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die jeweils Energischeren mit weitergehenden „reineren" Zielen durchsetzen. Auch ohne das Dazwischentreten der Großmächte hätte allein die Aktivität der Zionisten im Lande einen Nationalismus der nicht-jüdischen Bevölkerung mit einer gegen den anderen Nationalismus gerichteten Dynamik entstehen lassen. Weder ist die Verbitterung zu verstehen, mit der der Konflikt ausgetragen wird, noch die Erfolglosigkeit der bisherigen Bemühungen der Vereinten Nationen, eine beiden Seiten akzeptabel erscheinende Lösung zu finden, wenn man die Augen davor verschließt, daß das jeweilige Bezugssystem allein die Erfüllung des eigenen Zieles zum Maßstab hatte und kaum ein Kompromiß zwischen zwei Seiten möglich ist, die beide das ganze Palästina jeweils für sich beanspruchten. Die Ansprüche jeder Seite im sich entfaltenden Konflikt wurden dabei (1) auf den für die eigene Seite behaupteten, der anderen aber prinzipiell bestrittenen „Volkscharakter" der Juden bzw. Palästinenser, (2) auf die Notwendigkeit einer nationalstaatlichen Lösung und (3) auf das -»· Selbstbestimmungsrecht gegründet, das die Palästinenser als Recht der im Lande seit Generationen Lebenden, die Zionisten dagegen als das niemals aufgegebene Recht der von den Römern vertriebenen und im Exil auf die Rückkehr in die Heimat wartenden Juden auf das ihnen nach der Bibel von Gott zugewiesene Land verstanden.

Palästina unter Mandatsverwaltung Hinter der Notwendigkeit, die Mittelmächte zu besiegen, hatten für Großbritannien im 1. Weltkrieg alle anderen Überlegungen zurücktreten müssen — so auch die, ob verschiedene, die Zukunft der arabischen Provinzen des Kriegsgegners Türkei betreffende Zusicherungen, die gegenüber dem Scherifen Hussein von Mekka, dem Bündnispartner Frankreich und der Zionistischen Organisation jeweils auf deren Wunsch hin abgegeben wurden, auch miteinander zu vereinbaren seien. Vom jeweiligen Adressaten sind sie zumindest so verstanden worden, daß Hussein als dem Repräsentanten der arabischen Nationalisten in der sog. Hussein-McMahon-Korrespondenz (Juni 1915 — Januar 1916) für die Kriegsbeteiligung auf seiten der Allierten ein unabhängiges arabisches Reich versprochen worden ist, das außer dem Hedschas das geographische Syrien (d. h. einschließlich Palästinas) und Mesopotamien umfassen sollte. Frankreich leitete aus einem Geheimabkommen über die Aufteilung von Interessensphären (sog. Sykes-Picot-Abkommen vom 16. Mai 1916) einen Rechtstitel auf direkte Verwaltungshoheit über den Libanon und Syrien (ohne Palästina) ab. Die Zionistische Organisation wertete eine Sympathieerklärung der britischen Regierung für die Ziele der Organisation (sog. Balfour-Deklaration vom 2. November 1917) als Anerkennung eines historischen Rechtsanspruches der Juden auf Palästina. Die Nachkriegsregelungen durch die Friedenskonferenz von San Remo im April 1920, deren Ergebnisse später vom Völkerbund sanktioniert und durch den Friedensvertrag mit der Türkei (24. Juli 1923) rechtsgültig wurden, brachten zwar keinem alles, was er geglaubt hatte, erwarten zu dürfen; am wenigsten aber erhielten die Araber, denen am meisten versprochen worden war. Es sollte nachhaltig nicht nur den Palästina- bzw. später den NahostKonflikt, sondern auch das Verhältnis der Araber zu Europa beeinflussen, daß sie die Aufteilung Syriens und Mesopotamiens in -> Mandatsgebiete Frankreichs und Großbritannien hinnehmen mußten: Husseins Königreich schrumpfte auf den Hedschas zusammen; Husseins Sohn Faisal, den inzwischen ein aus Teilwahlen in Syrien und Palästina hervorgegangener Arabischer Kongreß in Damaskus zum König von Syrien gewählt hatte, wurde vom Mandatar Frankreich mit Waffengewalt vertrieben. Die Briten setzten Faisal 1921 im Irak (Mesopotamien) als König ein, nachdem sie bereits seinen Bruder Abdullah mit einem Emirat in Transjordanien abgefunden hatten. In erheblichem Umfang erfüllt wurden die Wünsche der Zionisten durch das in San Remo beschlossene und dann am 24. Juli 1922 vom Völkerbund aufgrund Art. 22 Völkerbundsatzung verabschiedete Palästina-Mandat. Zwar hatte die Zionistische Organisation nicht

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durchsetzen können, daß der „historische Rechtsanspruch" (historie title) des jüdischen Volkes auf Palästina im Mandatstext verankert wurde, das Mandat anerkannte jedoch bereits in der Präambel „die historische Verbindung (historical connection) des jüdischen Volkes mit Palästina und die Gründe für die Wiedererrichtung ihrer nationalen Heimstätte (national home) in diesem Land" und verpflichtete den Mandatar, die im Wortlaut zitierte BalfourDeklaration zu verwirklichen. Damit erhielt Großbritannien als Mandatar die Verpflichtung, die „Errichtung in Palästina einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk" zu fördern, zugleich aber dafür zu sorgen, „daß nichts getan werden soll, was die bürgerlichen und religiösen Rechte bestehender nicht-jüdischer Gemeinschaften in Palästina beeinträchtigen könnte" (Präambel; vgl. Art. 2 und 6). Da Großbritannien die Proteste jener 90 % der Bevölkerung, die als „bestehende nicht-jüdische Gemeinschaften" bezeichnet wurden, zunächst nicht als Äußerungen eines arabischen Nationalismus wertete, andererseits später aber auch nicht bereit war, die Ziele des Mandats um jeden Preis durchzusetzen, sollte es mit seiner Politik letztlich an dem Versuch scheitern, der doppelten Verpflichtung des Mandats gerecht zu werden. Für die Araber bedeutete jede Veränderung des status quo zugunsten der Juden eine Beeinträchtigung ihrer Rechte. Sie schenkten den Versicherungen, mit der Errichtung einer nationalen Heimstätte sei nicht die Schaffung eines jüdischen Staates gemeint, keinen Glauben. Auch lehnte ein Großteil ihrer Führer nicht nur die Ziele des Mandats, sondern dieses selbst — genau wie später den Teilungsbeschluß der Vereinten Nationen — als rechtlich nichtige Machenschaft der Großmächte ab, die unter Verletzung des Selbstbestimmungsrechtes der Völker zustandegekommen war. Auf das damals vom amerikanischen Präsidenten Wilson verkündete Selbstbestimmungsrecht glaubten die Araber besonders pochen zu können, weil eme auf Wilsons Vorschlag von der Friedenskonferenz in Versailles eingesetzte Kommission den expliziten Willen der Bevölkerung erkundet hatte - allerdings war der Bericht dieser King-Crane-Kommission, deren Arbeit bereits von Frankreich und Großbritannien boykottiert worden war, in San Remo nicht zur Kenntnis genommen worden. Den Juden auf der anderen Seite schienen viele mit Rücksicht auf die Interessen der arabischen Bevölkerung getroffene Regelungen nur Maßnahmen einer im Grunde pro-arabischen Mandatsverwaltung zu sein, die sich ihrer eigentlichen Verpflichtung, die nationale Heimstätte aufzubauen, zu entziehen suchte. Die Errichtung einer permanenten Verwaltung anstelle der seit 1917 bestehenden britischen Militärverwaltung führte darum nicht die erhoffte Beruhigung der Lage herbei. Weder ließen sich die Araber durch die auch für sie als Konsequenz der jüdischen Investitionen erkennbare Verbesserung der allgemeinen Lebensbedingungen von der Forderung nach umgehendem Abbruch des zionistischen Programms abbringen, noch fühlten sich die Zionisten vom wachsenden Widerstand der Araber gegen die Einwanderung veranlaßt, ihre Ziel aufzugeben. Alle Versuche der Mandatsregierung, von Arabern und Juden gemeinsam getragene politische Institutionen aufzubauen, mußten darum ebenso scheitern wie die Bemühungen einzelner bzw. einiger Gruppen, einen modus vivendi zu finden. Nachdem die Unruhe unter der arabischen Bevölkerung erstmals im Mai 1921 zu schweren Ausschreitungen gefuhrt hatte, blieb es zunächst einige Jahre verhältnismäßig ruhig was nicht zuletzt auf die für die Zionisten enttäuschend geringe Einwanderung in den 20er Jahren zurückzuführen ist, als sich nur etwa 80.000 der nach Palästina kommenden Juden auf Dauer im Lande niederließen. Auch die Bemühungen, arabisches Land aufzukaufen, brachten nicht die nach anfänglichen Erfolgen erhofften Ergebnisse: Während der Anteil der Juden an der Bevölkerung bis 1930 auf ungefähr 15% gestiegen war, befanden sich noch weniger als 5 % des Bodens in jüdischem Besitz, darunter allerdings 14% des überhaupt kultivierbaren Bodens Palästinas unter Kontrolle der Zionistischen Organisation (1931). Wenn auch die Zionisten mit ihren Erfolgen nicht zufrieden waren, schürten gerade die Landkäufe die Gegensätze, die im Jahre 1929 mit für Engländer und Juden unerwarteter Heftigkeit aufbrachen.

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Da bald nach den Zwischenfallen von 1929 als unmittelbare Konsequenz der nationalsozialistischen Machtergreifung in Deutschland die Einwanderungszahlen sprunghaft von knapp 4.000 (1931) auf über 60.000 (1935) stiegen, kam Palästina in der Folgezeit nicht mehr zur Ruhe. Ein vom Arabischen Hohen Komitee im Frühjahr 1936 ausgerufener Generalstreik, der den Forderungen nach totalem Einwanderungsstopp, dem Verbot des Bodenverkaufs an Juden und der Wahl einer palästinensischen Volksvertretung Nachdruck verleihen sollte, wurde zum Signal für bewaffnete Übergriffe, die sich in einen allgemeinen arabischen Aufstand ausweiteten, der nach Phasen der Beruhigung bis 1939 immer wieder aufflammte. In dieser Situation erhielten auch jene Zionisten größeren Zulauf, die des längeren schon vertreten hatten, Palästina müsse mit Gewalt wiedergewonnen werden, so wie es durch Gewalt verloren worden sei. Während die offizielle Zionistische Organisation noch auf Zurückhaltung drängte, bildeten sich auch auf jüdischer Seite Untergrundbanden (Irgun), die ihren Teil zur Eskalation von Gewalt und Terror beitrugen. Bereits damals empfahl eine mit der Untersuchung der Zusammenstöße beauftragte britische Regierungs-Kommission, den unüberbrückbaren, weil von vornherein in der Situation angelegten und durch die Mandatsbestimmungen nur ständig bitterer gewordenen Konflikt durch Teilung Palästinas zu lösen (Bericht der Peel-Kommission vom 7. Juli 1937). Da der Teilungsvorschlag in Palästina auf erbitterten Widerstand der Araber wie der Zionisten stieß, veröffentliche die britische Regierung schließlich ein Weißbuch über Palästina (17. Mai 1939), das den dringendsten Forderungen der Araber insoweit entgegenkam, als es zum einen die Einwanderung für die nächsten 5 Jahre auf 75 000 Einwanderer beschränkte und für die Jahre danach ganz verbot bzw. vom Einverständnis der Araber abhängig machte und zum anderen Landverkäufe erheblich erschwerte. Der wenig später ausgebrochene 2. Weltkrieg hat verhindert, daß das jüdische Einwanderungskontigent in den nächsten Jahren auch nur annähernd ausgeschöpft werden konnte. Dennoch hat die offizielle Beschränkung der Einwanderung in einer Situation, in der die Not der Juden am größten war, äußerste Verbitterung gegen Großbritannien bei den Zionisten hervorgerufen, die einen Konfrontationskurs gegenüber dem Mandatar nicht mehr scheuten. Im Juni 1942 beschlossen die Zionistenfiihrer, auf einen ausschließlich jüdischen Staat in Palästina hinzuarbeiten (Biltmore-Programm) und diesen unter Umständen auch gegen den Willen des Mandatars durchzusetzen.

Die Palästina-Frage vor den Vereinten Nationen Nach dem 2. Weltkrieg begannen die Zionisten, in großem Umfang die illegale Einwanderung von Juden nach Palästina zu organisieren, die den nationalsozialistischen Terror in Europa überlebt hatten. Da die Engländer auch mit Waffengewalt diese Einwanderung nicht ganz unterbinden und ebensowenig das Wiederaufflammen bewaffneter Auseinandersetzungen zwischen Juden und Arabern verhindern konnten, waren sie in dem beginnenden Kleinkrieg aller gegen alle bald nicht mehr Herr der Lage. Nach dem Scheitern einer Palästina-Konferenz in London im Februar 1947 gab Großbritannien darum seine Absicht bekannt, das Mandat zurückzugeben, und beantragte eine Sondersitzung der Generalversammlung der Vereinten Nationen, die am 15. Mai 1947 einen Sonderausschuß für Palästina (United Nations Special Committee on Palestine / UNSCOP) einsetzte, der der nächsten Generalversammlung einen Bericht über das Problem und Lösungsvorschläge vorlegen sollte (Res. 106 (S-I)). Nach der Untersuchung nicht nur der Situation in Palästina, sondern auch der Lage jüdischer Flüchtlinge und verschleppter Personen in Europa konnte sich die UNSCOP in ihrem Bericht zwar nicht auf eine gemeinsame Lösung einigen, doch sahen beide Alternativvorschläge die Teilung Palästinas vor: Im Minderheitsplan auf föderativer Basis und im Mehrheitsplan von acht der elf Mitglieder als Teilung in zwei unabhängige Staaten in einer Wirtschaftsunion und mit Jerusalem als gesonderter Einheit unter Treuhandverwaltung.

Die Palästina-Frage vor den Vereinten Nationen

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Neben dem UNSCOP-Bericht lag in der 2. Sitzungsperiode der Generalversammlung ein Antrag Saudi-Arabiens und des Irak vor, Palästina als einheitlichem Staat die Unabhängigkeit zu gewähren. Beides wurde einem Ad Hoc-Ausschuß überwiesen, dessen Unterausschuß I auf der Grundlage des Mehrheitsplans der UNSCOP einen Teilungsplan für Palästina ausarbeitete, während ein Unterausschuß II über den palästinensischen Einheitsstaat beriet. Da in diesem Unterausschuß II alle arabischen Staaten und die pro-arabischen Staaten Pakistan und Afghanistan saßen, kam der Teilungsplan ohne jede arabische Einwirkung zustande. Auch das Arabische Hohe Komitee, die Vertretung der Palästina-Araber, war so selbstverständlich vom Recht auf Unabhängigkeit Palästinas unter Anerkennung des Mehrheitsprinzips überzeugt, daß es zunächst die Arbeit der UNSCOP boykottiert hatte und jetzt ebenfalls keinen Einfluß auf die Ausarbeitung des Teilungsplanes nahm. Die Araber bestritten das Recht der Vereinten Nationen, gegen den Willen der Mehrheit der Bevölkerung die Teilung Palästinas zu beschließen; mit einem Antrag, die Zuständigkeit der Vereinten Nationen vom Internationalen Gerichtshof prüfen zu lassen, unterlagen die Mitglieder des Unterausschusses II jedoch knapp im Ad Hoc-Ausschuß. Nach viertägiger Debatte in der Generalversammlung wurde, nachdem das Abstimmungsergebnis bis zuletzt offen gewesen war, am 29. November 1947 mit der notwendigen Zweidrittel-Mehrheit von 33 gegen 13 Stimmen bei 10 Enthaltungen die Resolution 181 (II) verabschiedet, die die Teilung empfahl. Für die Resolution haben die USA und die Sowjetunion sowie praktisch alle europäischen und einige außereuropäische Staaten gestimmt, dagegen alle arabischen und islamischen Staaten sowie Griechenland, Indien und Kuba. Zu denen, die sich der Stimme enthielten, gehörte Großbritannien, das bereits vorher erklärt hatte, es würde nur einer Lösung zustimmen können, die von allen Betroffenen akzeptiert werde. Von den Zionisten zwar nicht als volle Erfüllung ihres Traumes begrüßt, aber doch als Kompromiß überwiegend akzeptiert, wurde diese Resolution von den Arabern strikt abgelehnt und nicht nur wegen ihres reinen Empfehlungscharakters für unverbindlich, sondern wegen zahlreicher Verstöße gegen die Völkerbundsatzung und die Charta auch für rechtswidrig und nichtig erklärt. Daß die Teilung Palästinas gegen den geschlossenen Widerstand der Araber beschlossen werden konnte, ist der besonderen Situation nach dem Krieg zuzuschreiben, als die Welt gerade erfahren hatte, was den Juden unter der nationalsozialistischen Herrschaft widerfahren war, und als der aus schlechtem Gewissen geborene Drang, die Juden für das an ihnen begangene Unrecht zu entschädigen, zu stark war, mögliches Unrecht an den Palästina-Arabern in Rechnung zu stellen. Die Durchführung der Resolution 181 (II) in der von der Generalversammlung vorgesehenen Form erwies sich allerdings von Anfang an als unmöglich: Noch am Tag des Teilungsbeschlusses ging der schwelende Konflikt in Palästina in einen offenen Krieg zwischen den beiden Gemeinschaften um günstige Ausgangspositionen für die erwartete große Auseinandersetzung über. Großbritannien blockierte die Durchführung, indem es einseitig die Rückgabe des Mandates für den 15. Mai 1948 ankündigte und der Palästina-Kommission der Vereinten Nationen, die eingesetzt worden war, in der Ubergangszeit die Verwaltung Palästinas zu überwachen, die Einreise verwehrte. Auch der Versuch der Generalversammlung, dem Sicherheitsrat die Verantwortung für die Durchführung des Teilungsbeschlusses aufzuladen, scheiterte am Selbstverständis des Sicherheitsrates, der — einer Interpretation der USA folgend — sich außerstande erklärte, eme politische Lösung im Mandatsgebiet gewaltsam durchzusetzen. Da in der immer verworrener werdenden Situation in Palästina ein Appell des Sicherheitsrates ebenso ungehört verhallte wie schon im Jahre zuvor ein Aufruf der Generalversammlung, von Gewaltanwendung oder -androhung Abstand zu nehmen, forderte der Sicherheitsrat am 1. April 1948 zugleich mit einem ersten Waffenstillstandsaufruf den Generalsekretär auf, eine zweite Sondersitzung der Generalversammlung einzuberufen. Noch während die Generalversammlung einen neuen Vorschlag der USA diskutierte, anstelle einer Teilung ganz

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Palästina der Treuhandschaft der Vereinten Nationen zu unterstellen, beendete Großbritannien am Tag vor dem angekündigten Ende des Mandats den Abzug seiner Truppen aus Palästina. Am selben Abend des 14. Mai 1948 proklamierte David Ben Gurion unter Berufung auf den Teilungsbeschluß der Vereinten Nationen den Staat Israel. Da der neue Staat innerhalb einer Stunde von der US-Regierung und innerhalb eines Tages von der Sowjetunion anerkannt wurde, vertagte sich die Generalversammlung, nachdem sie das Amt eines Vermittlers der Vereinten Nationen geschaffen hatte (Res. 186 (S-II) vom 14.5.1948), das einige Tage später Graf Folke Bernadotte übertragen wurde. Am Tag nach der Proklamation Israels ließen die arabischen Staaten, die gedroht hatten, sie würden die Teilung mit Waffengewalt verhindern, ihre Armeen in Palästina einmarschieren. In der damit beginnenden zweiten Phase des Palästina-Krieges gelang es den zur Armee Israels zusammengefallen Untergrundstreitkräften der Zionisten, in drei von kürzeren Waffenstillständen unterbrochenen Kriegsrunden nicht nur das im Teilungsplan vorgesehene Gebiet nach anfänglichen Rückschlägen mit nur geringen Einbußen zu sichern, sondern mit einem breiten Korridor nach Jerusalem, weiten Teilen Galiläas und fast dem ganzen Negev erhebliche Geländegewinne zu erzielen, ehe die Waffenstillstandsvereinbarungen von Rhodos den status quo vorerst festschrieben.

Friedenssichernde Maßnahmen der Vereinten Nationen Das Bemühen um eine dauerhafte Konfliktregelung Bereits in den Monaten vor der Proklamation des Staates Israel hatte der Sicherheitsrat mehrfach zum Waffenstillstand aufgerufen und schließlich eine Waffenstillstandskommission eingesetzt (Res. 48 (III) vom 23.4.1948), der er dann ebenso wie dem Vermittler konkrete Aufträge erteilte, als mit den ersten Resolutionen der zweiten Kriegsphase die Bedingungen der geforderten Waffenruhe festgelegt wurden (Res. 49 (III) vom 22.5.1948 und besonders Res. 50 (III) vom 29.5.1948). Die auf der Grundlage dieser Resolutionen während der folgenden Waffenruhen eingesetzte Beobachter-Truppe entwickelte sich zu der bis heute tätigen Organisation für die Überwachung der Waffenruhe (United Nations Truce Supervision Organization / UNTSO, ->· Streitkräfte der Vereinten Nationen). Die Beobachter der Vereinten Nationen konnten allerdings die Beachtung wichtiger Bedingungen der Waffenruhe, vor allem das Verbot der Waffeneinfuhr und Truppenverstärkung, nicht gewährleisten; ebensowenig gelang es dem Vermittler, das Wiederaufflammen der Kämpfe zu verhindern oder auch nur die vom Sicherheitsrat mehrfach geforderte Entmilitarisierung Jerusalems und den ungehinderten Zugang zu den Heiligen Stätten zu erreichen. Grundlage der späteren Waffenstillstandsregelungen wurde darum erst Resolution 54 (III) vom 15. Juli 1948, mit der sich der Sicherheitsrat die weitreichenden Möglichkeiten des Kapitels VII der Charta (Maßnahmen bis hin zur Intervention mit eigenen Streitkräften der Vereinten Nationen) eröffnete, indem er die Situation in Palästina zu einer Bedrohung des Friedens erklärte und den beteiligten Regierungen und Autoritäten befahl (orders), alle weiteren militärischen Handlungen zu unterlassen. Die daraufhin in wenigen Tagen herbeigeführte (zweite) Waffenruhe wurde zwar immer wieder durchbrochen, die Autorität des Sicherheitsrats wurde danach jedoch soweit respektiert, daß er am 16. November 1948 beschließen konnte, daß ein dauernder Waffenstillstand (armistice) in allen Teilen Palästinas errichtet werden soll „um den Ubergang von der gegenwärtigen Waffenruhe (truce) zu bleibendem Frieden in Palästina zu erleichtern" (Res. 62 (III)). Die daraufhin im ersten Halbjahr 1949 abgeschlossenen separaten Waffenstillstandsabkommen von Rhodos zwischen Israel und Ägypten (24.2.), Libanon (23.3.), Jordanien (3.4.) und Syrien (29.7.) legten mit geringen Korrekturen den Frontverlauf als Waffenstillstandslinie fest. Zur Überwachung der Waffenstillstände wurden Gemischte Waffenstill-

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standskommissionen (Mixed Armistice Commissions / MAC) vorgesehen, denen jeweils je ein Vertreter der beiden Konfliktparteien unter Vorsitz des UNTSO-Stabchefs bzw. seines Vertreters angehören sollten — ein Verfahren, das der Sicherheitsrat mit seiner Resolution 73 (IV) vom 11. August 1949 sanktionierte. Die Form, in der die Abkommen ausgehandelt wurden, ist auch in späteren Jahren, vor allem wieder nach 1967 als Form für indirekte Verhandlungen zwischen den Konfliktbeteiligten vorgeschlagen worden (sog. „RhodosFormel"): Da die arabischen Staaten auch den Anschein einer völkerrechtlichen Anerkennung Israels vermeiden wollten, verhandelten die Parteien formal jeweils nur mit dem Amtierenden Vermittler Ralph Bunche (der Aufgaben des Vermittlers übernommen hatte, nachdem Graf Bernadotte von jüdischen Extremisten ermordet worden war). Noch ehe die Waffenstillstandsverhandlungen aufgenommen worden waren, hatte auch die Generalversammlung mit ihrer — seitdem von Jahr zu Jahr bekräftigten — Resolution 194 (III) vom 11. Dezember 1948 eine Konfliktlösung herbeizuführen versucht: Jerusalem und Umgebung sollten nach dem Willen der Generalversammlung entmilitarisiert und einer von den Vereinten Nationen wirksam kontrollierten permanenten internationalen Verwaltung unterstellt werden; den Flüchtlingen sollte die Rückkehr zu ihren Wohnstätten erlaubt oder aber, wenn sie das vorzogen, Entschädigung für ihre Vermögensverluste gezahlt werden; eine Schlichtungskommission (Conciliation Commission for Palestine / CCP), als deren Mitglieder dann Frankreich, die Türkei und die USA benannt wurden, sollte diese Beschlüsse verwirklichen helfen, zugleich die Funktionen sowohl des Vermittlers als auch der Waffenstillstandskommission übernehmen und „mit den betreffenden Regierungen und Autoritäten eine endgültige Regelung (final settlement) aller zwischen ihnen offenen Fragen zu erreichen" suchen. Die CCP vermochte diesen ihr übertragenen Aufgaben nicht gerecht zu werden, nicht zuletzt weil ihre Mitglieder das Ausmaß der Gegensätze unterschätzten. Die Vermittlung der Waffenstillstände sollte darum der auf lange Zeit einzige große Erfolg der Vereinten Nationen beim Bemühen um eine dauerhafte Regelung des Konfliktes bleiben. Zwar erkannte Israel bei der Aufnahme als Mitglied in die Vereinten Nationen die Resolutionen 181 (II) und 194 (III) ausdrücklich an (Res. 273 (III) vom 11.5.1949), doch machte es keine Anstalten, sie zu erfüllen: Statt die Flüchtlinge aufzunehmen oder zu entschädigen, erließ es eine umfangreiche Gesetzgebung, die die im Land verbliebenen Araber de facto zu Bürgern zweiter Klasse machte und Grund und Boden nicht nur von Flüchtlingen in Staatsbesitz überführte; zugleich wurde die jüdische Einwanderung so forciert, daß sich die jüdische Bevölkerung Israels von 1948 bis 1952 auf 1,3 Mio. verdoppelte. Jerusalem wurde — obwohl die Generalversammlung im Dezember 1949 den internationalen Status der Stadt erneut bekräftigt hatte (Res. 303 (IV) vom 9.12.1949) - Anfang 1950 zur Hauptstadt Israels proklamiert. Auch die in den Waffenstillstandsabkommen als vorläufig vereinbarten Demarkationslinien wurden zu internationalen Grenzen erklärt, die gegenüber dem Teilungsplan hinzugewonnenen Gebiete politisch und administrativ in das Staatsgebiet eingegliedert und bevorzugt besiedelt. Die arabischen Staaten auf der anderen Seite, die Israels Existenz nicht anzuerkennen gewillt waren, forderten dennoch den Rückzug Israels von den Waffenstillstandslinien auf die Grenzen des — von ihnen als rechtswidrig abgelehnten — Teilungsplans und verlangten von Israel die Erfüllung der Resolution 194 (III) — gegen die sie geschlossen gestimmt hatten. Während Israel seme Bereitschaft erklärte, über alles im Rahmen allgemeiner Verhandlungen reden zu wollen, zugleich aber den status quo ständig weiter zu seinen Gunsten veränderte, bestanden die Araber auf der Wiederherstellung eines status quo ante, zumindest aber auf israelischen Vorleistungen, da sie fürchteten, durch Verhandlungen Israel anzuerkennen, ohne dann auch nur die in den Resolutionen niedergelegten Regelungen als Minimalforderung durchsetzen zu können. An diesen Grundhaltungen beider Seiten, die die nächsten zwei Jahrzehnte unverändert blieben, nach dem Juni-Krieg 1967 sich sogar noch verstärkten, mußten alle Vermittlungsbemühungen scheitern.

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Letzte Hoffnungen auf eine baldige Beilegung des Konfliktes schwanden 1950, als nach der Proklamation Jerusalems zur Hauptstadt Israels die Arabische Liga einen Wirtschaftsboykott gegen Israel zu organisieren begann. Kurz darauf, am 6. Februar, blockierte Ägypten das unter Berufung auf den Kriegszustand Prisenrecht beanspruchte, den Suezkanal für Schiffe mit Ladung von und nach Israel; auch sperrte es bei Sharm el-Shaikh die Straße von Tiran, Israels alternative Seeverbindung zum Roten Meer. Im April annektierte Jordanien jenen heute meist als „Westjordanien" bezeichneten Rest Palästinas, den die Truppen der transjordanischen Arabischen Legion im Palästina-Krieg gehalten hatten. Auch der von ägyptischen Truppen besetzte sog. Gaza-Streifen an der Küste Palästinas wurde zunehmend wie ein ägyptisches Gouvernorat verwaltet. Als dann am 25. Mai 1950 die USA, Frankreich und Großbritannien in einer dreiseitigen Erklärung die Aufrechterhaltung des Kräftegleichgewichts im Nahen Osten als Ziel ihrer Politik formulierten, gaben sie zu erkennen, daß auch sie sich wie die direkten Konfliktbeteiligten auf die Realität eines Dauerkonfliktes einrichteten. Selbst die Vereinten Nationen, die drei Jahre lang einen Großteil ihrer Energien in die Regelung eines Konfliktes investiert hatten, dessen Formen und Abläufe von ihnen — vorzugsweise, aber nicht nur, durch den Teilungsplan — mitbestimmt worden waren, verwalteten danach in erster Linie einige seiner Folgen. Wenn er auch nie ganz von der Tagesordnung der Vereinten Nationen verschwand, erhielt der Konflikt doch — vom Zwischenspiel der Suez-Krise abgesehen — erst seit 1967 wieder hohe Priorität.

Das Flüchtlingsproblem und die UNRWA Schwerstwiegende Folge des Palästina-Krieges war die Flucht und Vertreibung von annähernd einer Million Arabern aus den im Teilungsplan für den jüdischen Staat vorgesehenen bzw. den später von Israel besetzten Gebieten in das restliche Palästina und die arabischen Nachbarstaaten. Die zumeist in Lagern aufgefangenen -»• Flüchtlinge wurden zunächst in Zusammenarbeit mit dem Internationalen Roten Kreuz und anderen Hilfsorganisationen von einem Sonderfonds der Vereinten Nationen für die Hilfe für Palästina-Flüchtlinge (Res. 212 (III) vom 19.11.1948) betreut, bis Berichte der CCP und einer von ihr eingesetzten Wirtschaftlichen Untersuchungskommission die Generalversammlung vom ganzen Ausmaß des in ersten Berichten unterschätzten Flüchtlingselends unterrichteten. Das daraufhin gegründete Hilfswerk der Vereinten Nationen für die Palästina-Flüchtlinge (United Nations Relief and Works Agency / UNRWA, Res. 302 (IV) vom 8.12.1949) nahm seine zunächst keineswegs als Daueraufgabe verstandene Tätigkeit im Jahr 1950 auf. Die Aufgaben des Hilfswerks beziehen sich auf Ernährung, Kleidung, Wohnung, medizinische Versorgung und Ausbildung der Flüchtlinge, deren von der UNRWA erfaßte Zahl 1951 rund 900.000 betrug. Bis 1975 sind die auf Listen der UNRWA geführten PalästinaFlüchtlinge — teils als Folge des 1967er Krieges, in erster Linie aber aufgrund der natürlichen Vermehrung — auf über 1,6 Mio. angewachsen, von denen fast 600.000 immer noch in Lagern leben und Anrecht auf volle Hilfeleistungen haben, während weitere fast 250.000 nur Anrecht auf Nahrungsmittelrationen haben und die übrigen voll in das Wirtschaftsleben der wegen hoher eigener Arbeitslosigkeit nur bedingt aufnahmefähigen arabischen Staaten integriert sind. Diese Integration wurde durch die besonderen Anstrengungen der UNRWA im Bereich von Unterricht und Ausbildung wesentlich erleichtert. Da heute fast die Hälfte der registrierten Flüchtlingsbevölkerung unter 16 Jahre alt ist, verschlingt die Finanzierung des Unterrichts- und Ausbildungsprogramms einen ständig wachsenden Anteil des UNRWA-Haushalts und bildete 1975 mit 44 % den größten Einzelposten im Haushalt von 122 Mio. Dollar. Seit 1963 steckt die ausschließlich mit freiwilligen Leistungen finanzierte UNRWA in einer Finanzkrise, wobei der Fehlbetrag im Haushalt in den letzten Jahren sprunghaft bis auf 46 Mio. Dollar im Jahr 1975 gestiegen ist. Die Hauptlast der Kosten haben die USA und Großbritannien getragen, die von 1950 bis 1971 501

Die Suez-Krise

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Mio. bzw. 119 Mio. Dollar aufbrachten; die Bundesrepublik Deutschland trug in dieser Zeit nur 16 Mio. Dollar bei, zahlte inzwischen allerdings 20 Mio. Dollar (bis Juni 1975) für das nach 1967 errichtete Sonderhilfsprogramm der UNRWA.

Die Suez-Krise Nach Jahren relativer Ruhe verstärkten sich seit 1955 die Spannungen im Nahen Osten; vor allem häuften sich merklich die Grenzzwischenfälle — die allerdings seit den Waffenstillständen nie aufgehört hatten und an denen inzwischen das Waffenstillstandssystem gescheitert war, da die Konfliktbeteiligten, ohne zur Kooperation in dringenden Angelegenheiten bereit zu sein, die MACs mit Beschwerden überschüttet hatten, von denen zeitweilig bis zu 2000 zur Bearbeitung anstanden. Nachdem sich auch der Sicherheitsrat wieder häufiger mit Waffenstillstandsverletzungen hatte beschäftigen müssen, gipfelten die Auseinandersetzungen dann im Rahmen der Suez-Krise 1956 in einem israelisch-britisch-französischen Angriff auf Ägypten, für den die Beteiligten sehr unterschiedliche Motive hatten. Die unabhängige Außenpolitik des jungen ägyptischen Staatschefs Nasser hatte die Westmächte zunehmend verärgert, so daß schließlich im Juli 1956 — nachdem ägyptische Waffenkäufe im Ostblock bekannt geworden waren und Nasser noch dazu die Volksrepublik China diplomatisch anerkannt hatte — die USA, gefolgt von Großbritannien und der Weltbank, Finanzierungszusagen für den Bau des geplanten Assuan-Hochdammes zurückzogen. Als Nasser daraufhin die Suezkanal-Gesellschaft nationalisierte, um mit den Kanalgebühren den Dammbau selbst zu finanzieren, hielt Großbritannien, das gerade widerwillig die SuezkanalZone als Militärbasis hatte räumen müssen, seine strategischen Interessen „östlich von Suez" für gefährdet. Vorgeblich, um die Freiheit der internationalen Schiffahrt zu sichern, berief es im August 1956 nach London eine Konferenz der Kanalbenutzer ein, die den Plan einer internationalen Kanalverwaltung diskutierte, der von Ägypten aber strikt abgelehnt wurde. Bei einer zweiten Konferenz im September bahnte sich jedoch ein Kompromiß an, der die ägyptische Hoheit respektierte und den auch der Sicherheitsrat in einer Resolution über die Bedingungen einer Beilegung der Suez-Frage stützte (Res. 118 (XI) vom 13.10.1956). Inzwischen war in London jedoch bereits die Entscheidung für eine militärische Operation gegen Ägypten gefallen, zu der sich Großbritannien mit Frankreich — das mit dieser Aktion die Unterstützungsbasis für die seit einigen Jahren in Algerien kämpfende Unabhängigkeitsbewegung zu treffen hoffte — und mit Israel verabredete. Für Israel gab es vor allem drei Gründe, an der Aktion teilzunehmen: Zum einen wertete es die aufgrund eines ägyptischsowjetischen Geheimabkommens 1955 aufgenommenen Waffenlieferungen an Ägypten als gefährliche Störung des Kräftegleichgewichts im Nahen Osten. Zum zweiten führte Israel das starke Anwachsen der Aktivitäten der Fedaiyin, palästinensischer Freischärler, die vom Gaza-Streifen aus Überfälle auf israelische Anlagen und Siedlungen verübten, auf die aktive Unterstützung durch die ägyptische Regierung zurück. Drittens war die Situation sowohl am Suezkanal wie an der Straße von Tiran unverändert geblieben, obwohl im Jahr nach der Blockierung des Kanals der von Israel angerufene Sicherheitsrat Ägypten aufgefordert hatte, die Behinderungen der Handelsschiffahrt durch den Kanal aufzuheben (Res. 95 (VI) vom 1.9.1951). Mit wachsendem Wirtschaftsaufbau bei gleichzeitiger Isolierung vom arabischen Wirtschaftsraum als natürlichem Hinterland schien Israel aber ein freier Zugang zum Roten Meer und damit nach Ostafrika und Asien zunehmend wichtiger. Bereits Anfang der 50er Jahre hatte es die Sperrung der Straße von Tiran zum casus belli erklärt; 1955 betonte es, nur noch ein Jahr auf die Öffnung der Straße warten zu wollen. Israels Angriff auf der Sinai-Halbinsel begann am 29. Oktober 1956. Zwei Tage später forderten Großbritannien und Frankreich von den Kriegsführenden ultimativ den „Rückzug" auf Linien westlich und östlich des Suezkanals, die von den israelischen Panzerspitzen noch gar nicht erreicht worden waren. Nachdem Ägypten erwartungsgemäß abgelehnt hatte, be-

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gann am 1. November die Bombardierung ägyptischer Flughäfen und der Kanalzone einschließlich der Städte; wenig später landeten britische und französische Fallschirmjäger in der Kanalzone. Am 31. Oktober, dem Tag des Ultimatums, berief der Sicherheitsrat, der zwar unmittelbar nach Kriegsbeginn zusammengetreten, dann aber zweimal vom Veto Frankreichs und Großbritanniens blockiert worden war, aufgrund der „Uniting for Peace"-Formel Streitkräfte der Vereinten Nationen) eine Notsondersitzung der Generalversammlung ein, die am 2. November zum sofortigen Waffenstillstand und zum Rückzug (Israels) hinter die Waffenstillstandslinie aufforderte (Res. 997 (ES-I)). Die Kämpfe endeten jedoch erst am 6. November, nachdem die Sowjetunion mit dem Einsatz von Interkontinentalraketen gedroht hatte, zugleich aber auch die Angreifer mit der Besetzung der Sinai-Halbinsel und der Kanalzone ihre militärischen Ziele erreicht hatten. Inzwischen liefen aufgrund eines Beschlusses der Generalversammlung vom 4. November die Vorbereitungen für die Entsendung einer Nahost-Friedenstruppe der Vereinten Nationen (United Nations Emergency Force / UNEF I, Res. 998 (ES-I), Streitkräfte der Vereinten Nationen). Während Frankreich und Großbritannien sich den Vereinten Nationen beugten und, ohne ihre politischen Ziele erreicht zu haben, bis Ende des Jahres ihre letzten Truppen aus Ägypten abzogen, bestand Israel auf Garantien vor allem für eine freie Schiffahrt durch die Straße von Tiran. Zwar haben weder die Vereinten Nationen noch Ägypten eine entsprechende Erklärung abgegeben, doch wertete Israel eine Erklärung der USA zur internationalen Schiffahrt im Golf von Aqaba als die erwartete Garantie und zog sich schließlich im März 1957 auch aus Sharm el-Shaikh zurück, wo ein UNEF-Posten stationiert wurde. Die Wiederöffnung des Suez-Kanals, der mit Hilfe eines Sonderprogramms der Vereinten Nationen bis Juni 1957 geräumt wurde, und der Wiederaufbau in den Kanalstädten beseitigten die sichtbaren Folgen des Suez-Krieges, der dennoch die Lage im Nahen Osten tiefgreifend verändert hat: Nasser hatte eine militärische Niederlage in einen politischen Sieg über zwei Großmächte ummünzen können und war damit zum unbestrittenen Führer der arabischen Welt geworden. England und Frankreich auf der anderen Seite haben mit diesem letzten Abenteuer im alten imperialistischen Stil ihre dominierende Stellung unwiederbringlich verloren; die USA und die Sowjetunion wurden von nun an die entscheidenden Großmächte in der Nahost-Politik.

Der Sechs-Tage-Krieg und seine Folgen Die Vereinten Nationen wurden in den folgenden zehn Jahren zwar auch in andere Krisen im Nahen Osten einbezogen, so 1958 während des libanesischen Bürgerkrieges, zu dessen Eindämmung der Sicherheitsrat eine Beobachtergruppe entsandte (United Nations Observer Group in Lebanon / UNOGIL, Res. 128 (XIII) vom 11.6.1958) und dessen Ende eine Notsondersitzung der Generalversammlung mit einem von ihr erarbeiteten MittelostFriedensplan herbeiführte (Res. 1237 (ES-III) vom 21.8.1958), oder 1963 während des Jemen-Krieges, als eine Beobachtergruppe die Einhaltung der zwischen Ägypten und SaudiArabien vereinbarten Truppentrennung überwachen sollte (United Nations Yemen Observation Mission / UNYOM, SC Res. 179 (XVIII) vom 11.6.1963). Diese Krisen berührten jedoch nur am Rande den arabisch-israelischen Konflikt, in dem es ruhig blieb - sieht man von gelegentlichen Zwischenfällen besonders im syrisch-israelischen Grenzgebiet ab. Seit 1964 mehrten sich jedoch die Anzeichen, daß die Araber sich keineswegs an die Gegenwart Israels gewöhnen, den Verlust Palästinas hinnehmen und den Konflikt einfach einschlafen lassen würden. Als Israel in großen Mengen Jordan-Wasser zur Bewässerung der Negev-Wüste abzuleiten begann, werteten die im Januar 1964 in Kairo zusammengekommenen arabischen Staatschefs dies als Akt der Aggression. Als eine Gegenmaßnahme gründeten sie die Palästinensische Befreiungsbewegung (Palestine Liberation Organization / PLO), die

Der Sechs-Tage-Krieg und seine Folgen

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zunächst zwar von Nasser gut kontrolliert wurde, ab 1967 aber eine zunehmend unabhängigere Rolle zu spielen begann und inzwischen ein eigener Faktor in der Nahost-Politik geworden ist. Die politische Organisation der Palästinenser hatte sehr bald auch militärische Konsequenzen: ab Mitte 1966 nahm die Tätigkeit palästinensischer Guerillas, die meist von Basen in Syrien über jordanisches Gebiet nach Israel eindrangen, stark zu. Ein massiver — vom Sicherheitsrat denn auch in ungewöhnlich scharfer Form verurteilter (Res. 228 (XXI) vom 25.11.1966) — Vergeltungsschlag Israels gegen das jordanische Dorf Samua verschärfte die Spannungen, die in den nächsten Monaten immer wieder zu Grenzzwischenfällen führten. Anfang Mai 1967 fürchtete Syrien, von sowjetischen Geheimdienstberichten aufgeschreckt, einen großangelegten israelischen Angriff und mahnte Ägypten an seine Verpflichtungen aus dem ägyptisch-syrischen Beistandspakt vom November 1966. Nasser ließ daraufhin am 16. Mai ägyptische Truppen im Sinai aufmarschieren; gleichzeitig forderte Ägyptens Stabschef den Kommandeur der UNEF zum Abzug aller Truppen auf, was von ihm jedoch abgelehnt wurde, da für Befehle an die UNEF der Generalsekretär zuständig sei. Dieser wiederum nahm noch am selben Tag Beratungen mit den Mitgliedern des Beratenden Ausschusses (nach Res. 1001 (ES-I)) und mit jenen Staaten auf, die UNEF-Kontingente gestellt hatten. Da zwischen ihnen Übereinstimmung herrschte, daß dem ägyptischen Ersuchen nachzugeben sei, und da Israel, das schon 1956/57 die Stationierung von UNEF-Einheiten auf seinem Territorium abgelehnt hatte, auch den Vorschlag U Thants zurückwies, die UNEF auf die israelische Seite zu verlegen, wurden die Truppen abgezogen, als am 18. Mai der ägyptische Außenminister den Generalsekretär formell dazu aufforderte (Zur rechtlichen Beurteilung der Entscheidung von U Thant Streitkräfte der Vereinten Nationen). Als Nasser am 22. Mai den Golf von Tiran erneut für die israelische Schiffahrt sperrte, lieferte er Israel den Angriffsgrund. Ein am 30. Mai überraschend zwischen König Hussein und Nasser abgeschlossener Beistandspakt zog dann auch Jordanien in den wenige Tage später beginnenden Krieg (5. bis 10. Juni), in dessen Verlauf israelische Truppen die Armeen Ägyptens, Jordaniens und Syriens vernichtend schlugen. Wiederholte Forderungen des Sicherheitsrates nach umgehender Waffenruhe (Res. 233—236 (XXII) vom 6., 7., 9. und 11.6.1967) blieben unbeachtet, bis die Kriegsziele erreicht und die Sinaihalbinsel, Westjordanien und die Golan-Höhen besetzt waren. Israel glaubte, mit diesem Krieg seine Position dramatisch verbessert zu haben: Da alle Konfliktbeteiligten damit rechneten, daß der Konflikt letztlich nur mit Gewalt zu lösen sei und eines Tages auch mit Gewalt gelöst werden würde, hatte Israel mit geringen eigenen Verlusten das arabische Militärpotential zerschlagen, noch ehe ihm dies ernsthaft gefährlich werden konnte. Zweitens hatte Israel Linien erreicht, die strategisch unvergleichlich günstiger waren als seine verletzlichen Grenzen. Die besetzten Gebiete wiederum waren ein Faustpfand für Verhandlungen mit den arabischen Gegnern über die Anerkennung des politischen Existenzrechtes Israels und auszuhandelnde sichere Grenzen. Sollte es andererseits in absehbarer Zeit nicht zu einem Frieden kommen, wäre die Besetzung des restlichen Palästina nur eine späte Erfüllung des zionistischen Traumes. Wenn es überhaupt Chancen gab, zu einer schnellen Lösung zu kommen, wurden sie kaum genutzt. Israel betonte zwar von Anfang an, mit dem Ziel eines dauerhaften Friedens verhandeln zu wollen, versuchte aber zunächst nicht, den erneuten Exodus der Palästinenser aus den besetzten Gebieten aufzuhalten, ließ ihn an vielen Orten sogar aktiv fördern. Dies stärkte alte arabische Befürchtungen, Israel sei auf die Annexion ganz Palästinas aus, Befürchtungen, die zusätzliche Nahrung erhielten, als Israel am 28. Juni offiziell die (jordanische) Altstadt von Jerusalem annektierte und mit der (israelischen) Neustadt vereinigte (vgl. unten) und als sehr bald die ersten jüdischen Siedler in den besetzten Gebieten auftauchten. Als schließlich am 22. November 1967 der Sicherheitsrat mit seiner einstimmig verabschiedeten Resolution 242 (XXII) die Prinzipien eines gerechten und dauerhaften Friedens niederlegte (vgl. dazu im einzelnen unten), ließ der Antagonismus der Beteiligten kaum noch Spielraum für Verhandlungen.

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Zwar akzeptierten mit Ägypten, Israel und Jordanien erstmals Konfliktbeteiligte beider Seiten die Prinzipien einer Friedenslösung, weswegen Resolution 242 bis heute maßgeblich ist. Doch bereits im August hatten die arabischen Staatschefs in Khartoum beschlossen, zwar eine politische statt einer militärischen Lösung zu suchen, aber keine direkten Verhandlungen aufzunehmen und Israel nicht anzuerkennen. Während Israel im folgenden immer wieder die Bereitschaft betonte, in Verhandlungen über alles reden zu wollen, zählten führende israelische Politiker gleichzeitig in einer Vielzahl von Stellungnahmen jene Gebiete auf, die, wie etwa Jerusalem, Sharm el-Shaikh oder die Golan-Höhen, niemals aufgegeben werden könnten. Die Araber auf der anderen Seite weigerten sich, direkt oder auch indirekt (nach der Rhodos-Formel) zu verhandeln, solange sich Israel nicht erst aus den im Sechs-Tage-Krieg besetzten Gebieten zurückgezogen haben würde, denn sie fürchteten, durch Verhandlungen Israel anzuerkennen, ohne danach die Rückgabe der Gebiete durchsetzen zu können. Das Scheitern der Vermittlungsbemühungen und der 4. Krieg Der Sicherheitsrat hatte in der Resolution 242 (XXII) den Generalsekretär beauftragt, einen Sonderbevollmächtigten (Special Representative) zu ernennen, der im Kontakt mit den betroffenen Staaten eine auf den Prinzipien der Resolution beruhende Regelung des Konfliktes herbeiführen sollte. Es gelang dem zum Sonderbevollmächtigten ernannten Gunnar Jarring jedoch trotz langer und intensiver Bemühungen nicht, auch nur Teilkompromisse zu erreichen. Im Gegenteil, je länger sich die Jarring-Mission erfolglos hinzog, desto stärker wuchsen wieder die Spannungen. Hierzu trugen vor allem die Palästinenser bei, die nach der Niederlage 1967 nicht mehr darauf hofften, daß die arabischen Staaten für sie Palästina befreien würden, und die sich nun ernsthaft in einer Vielzahl politisch-militärischer Bewegungen selbst zu organisieren begannen. Die größte von ihnen, al-Fatah, blieb mit den meisten anderen in der PLO vereinigt, zu deren Führer 1968 Yasir Arafat aufstieg. Besonders von Jordanien und dem Libanon aus drangen immer häufiger palästinensische Guerillas nach Israel und in das besetzte Westjordanien vor und provozierten mit ihren Anschlägen immer größere Militäraktionen der israelischen Armee, die in den nächsten Jahren viele Male zunächst nach Jordanien und — seit Husseins Beduinen-Armee die militärische Macht der Palästinenser im „schwarzen September" 1970 äußerst blutig zerschlagen hatte — vor allem in den Libanon vorstieß. Formen des Terrors, wie sie der Nahe Osten seit dem Palästina-Krieg nicht mehr erlebt hatte, Anschläge in nicht am Konflikt beteiligten Ländern (München: Olympia 1972), Geiselnahmen, Flugzeugentführungen und massive Vergeltungsschläge, vor allem aus der Luft, wurden zu Dauerelementen des Konfliktes. Mit mehr als einem Dutzend Resolutionen hat der Sicherheitsrat seit 1968 zu diesen Ereignissen Stellung genommen, wobei im Fall einer Verurteilung der Gewaltakte meist Israel wegen der Unverhältnismäßigkeit der eingesetzten Mittel zensiert wurde. Um ein Vielfaches größer war die Zahl der Beschwerden, die der Sicherheitsrat einfach nur registrierte. Als die Sowjetunion, mit deren Hilfe Ägypten und Syrien in einem von Israel nicht antizipierten Maße wieder aufrüsteten, in Ägypten mit der Installation von SAM-3-Flugabwehr-Raketen begann, entwickelte sich aus Artillerie-Duellen und israelischen Kommandounternehmen im Frühjahr 1970 der mit großem Materialaufwand geführte sogenannte Abnutzungskrieg am Suez-Kanal. Dieser „Zwischen-Krieg", der zur Zerstörung der Ölraffinerien und Industrieanlagen der Kanalzone führte und Ägypten über die militärischen Belastungen hinaus zwang, die Großstädte am Kanal zu räumen und Hunderttausende von Evakuierten zu akkommodieren, zog sich hin, bis ein vom amerikanischen Außenminister Rogers im Juni vorgelegter Friedensplan (sogenannter Rogers-Plan) von Ägypten, Israel und Jordanien akzeptiert worden war und der Sonderbevollmächtigte Jarring, der daraufhin seine Mission wieder aufnahm, eine zunächst auf 90 Tage befristete Waffenruhe ab 8. August 1970 aushandeln konnte.

Das Scheitern der Vermittlungsbemühungen und der 4. Krieg

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Der Regierungsantritt Sadats nach dem plötzlichen Tod Nassers im September 1970, die Verlängerung der Waffenruhe und die neuerlichen Vermittlungsbemühungen Jarrings, zunehmend auch der USA, führten zu einer längeren Beruhigungsphase. Da die Vermittlungsbemühungen aber keinerlei Fortschritte brachten, begann Sadat, der eine flexible, kompromißbereite Haltung erkennen ließ, seit 1971 immer häufiger anzukündigen, daß bei anhaltender Kompromißlosigkeit Israels die von Israel besetzte Sinai-Halbinsel mit Waffengewalt zurückgewonnen werden müßte. Als 1973 eine ausführliche Nahost-Debatte des Sicherheitsrates (12.—20.4. und 20.—26.7.) ergebnislos verlief und auch die Gespräche zwischen Nixon und Breschnew nicht zu der erwarteten Nahost-Initiative der Supermächte geführt hatten, begannen Ägypten und Syrien am 6. Oktober 1973 gegen das vom Angriff überraschte Israel einen vierten Nahost-Krieg (Oktober-Krieg; von Israel „Yom Kippur-Krieg", von den Arabern „Ramadan-Krieg" genannt), in dem Israel, das Sadats Ankündigungen nicht ernst genommen hatte, anfangs erhebliche Rückschläge hinnehmen mußte, die es nur unter schweren Verlusten wieder ausgleichen konnte. Heftige Polemiken und ergebnislose Verhandlungen legten den Sicherheitsrat diesmal völlig lahm, so daß es erst in der Nacht zum 22. Oktober zu einem Waffenstillstandsaufruf kam, den der amerikanische Außenminister Kissinger in Moskau vereinbart hatte und dem die übrigen Ratsmitglieder nur noch zustimmen konnten: Resolution 338 (XXVIII) forderte die Kriegführenden auf, unverzüglich das Feuer einzustellen, unverzüglich die Resolution 242 (XXII) vom November 1967 zu erfüllen und unverzüglich Verhandlungen mit dem Ziel aufzunehmen, einen gerechten und dauerhaften Frieden im Nahen Osten herzustellen. Obwohl Ägypten die Resolution akzeptierte, gingen die Kämpfe noch einige Tage weiter, in denen größere israelische Verbände auf der Westseite des Suezkanals in einer Zangenbewegung auf die Stadt Suez vorrückten und eine ägyptische Armee auf dem Ostufer einschlossen. Diese Entwicklung führte dazu, daß der Sicherheitsrat über die Entsendung von UNTSO-Beobachtern (Res. 339 (XXVIII) vom 23.10.1973) hinaus die Aufstellung einer neuen Nahost-Friedenstruppe (UNEF II) beschloß (Res. 340 u. 341 (XXVIII) vom 25. u. 27.10.1973, ->• Streitkräfte der Vereinten Nationen). Durch die Vermittlung der Vereinten Nationen wie durch intensive diplomatische Bemühungen Kissingers wurden die Bedingungen des Rückzugs der israelischen Truppen aus dem nach dem 22. Oktober besetzten Gebiet ausgehandelt und in einem ersten Ägyptisch-Israelischen Truppenentflechtungsabkommen niedergelegt (11.11.1973). Wenige Wochen später wurde am21./22. Dezember von Generalsekretär Waldheim in Genf die unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen stehende Friedenskonferenz für den Nahen Osten eröffnet. Die Konferenz, an der Ägypten, Israel, Jordanien, die Sowjetunion und die USA teilnahmen, während das ebenfalls eingeladene Syrien fernblieb, sollte die Resolutionen 338 und 242 erfüllen und nach der feierlichen Eröffnung auf Botschafterebene weitergeführt werden. Offiziell ist sie seither allerdings nicht mehr zusammengetreten (bis Ende 1975). Die Friedensbemühungen der nächsten beiden Jahre waren ganz von der Initiative Kissingers geprägt, dessen Verhandlungsgeschick nach dem Ägyptisch-Israelischen Zusatzabkommen (18.1.1974) über die Truppentrennung am Suezkanal auch das Zustandekommen eines am 31. Mai 1974 in Genf unterzeichneten Abkommens über die Truppenentflechtung zwischen Syrien und Israel und im Jahr 1975 eines am 4. September unterzeichneten zweiten Ägyptisch-Israelischen Sinai-Abkommens erleichterte. Das Abkommen mit Syrien, das von einer Truppe der Vereinten Nationen zur Beobachtung des Entflechtungsabkommens (United Nations Disengagement Observation Force / UNDOF, SC Res. 350 (XXIX) vom 31.5.1974, Streitkräfte der Vereinten Nationen) überwacht wird, führte zu einer Entspannung auf den Golan-Höhen. Im zweiten Sinai-Abkommen machten beide Seiten Zugeständnisse: Israel zieht sich von den strategisch wichtigen Sinai-Pässen zurück und gibt die Ölfelder an Ägypten zurück; Ägypten gestattet die Passage von Fracht von und nach Israel durch den im Juni 1975 wiedereröffneten Suezkanal. Beide Seiten erklärten zwar nicht den Kriegszustand für beendet, schlossen auch kein Gewaltverzichtsabkommen, betonten aber ihren Willen, Verhandlungslösungen zu suchen.

314 Prinzipien und Probleme einer

Nahost

Nahost-Friedenslösung

Als Prinzipien eines gerechten und dauerhaften Friedens hat der Sicherheitsrat in seiner Resolution 242 (XXII) vom 22. November 1967 einerseits den „Rückzug israelischer Streitkräfte aus im jüngsten Konflikt besetzten Gebieten" genannt und andererseits die Beendigung des Beharrens auf Kriegszustand sowie die „Anerkennung der Souveränität, territorialen Integration und politischen Unabhängigkeit eines jeden Staates in der Region und seines Rechtes, innerhalb gesicherter und anerkannter Grenzen frei von Drohungen und Gewaltakten in Frieden zu leben". Darüberhinaus bekräftigte der Sicherheitsrat die Notwendigkeit (a) einer freien Schiffahrt durch internationale Wasserwege der Region, (b) einer gerechten Regelung des Flüchtlingsproblems und (c) von Maßnahmen zur Garantie der territorialen Unverletzlichkeit und politischen Unabhängigkeit jedes Staates in der Region. Obwohl der Sicherheitsrat während des Oktober-Krieges 1973 erneut die unverzügliche Erfüllung der Resolution 242 forderte (Res. 338 (XXVIII)) und obwohl sie von Ägypten, Jordanien und Israel explizit und von Syrien implizit als Grundlage einer Friedenslösung akzeptiert wurde, sind sich die Konfliktbeteiligten aufgrund unterschiedlicher Interpretationen keinen Schritt näher gekommen. Hauptstreitpunkt ist die vage formulierte Rückzugsforderung der Resolution. Während Israel sie so versteht, daß die auszuhandelnden sicheren Grenzen größere Gebietskorrekturen zu seinen Gunsten mit sich bringen können und aus strategischen Gründen auch müssen, bestehen die Araber auf dem Rückzug Israels aus allen 1967 besetzten Gebieten, da sie die Rückzugsforderung im Zusammenhang mit der Präambel der Resolution sehen, in der die „Unzulässigkeit des Gebietserwerbs durch Krieg" betont wird — eine Formulierung, die auch auf die im Palästina-Krieg 1948/49 besetzten Gebiete bezogen werden kann und die Anerkennung der Waffenstillstandslinien von 1949 als Grenzen zu einem großzügigen Kompromiß machen würde. Gravierender als die Unbestimmtheit der Formulierungen ist eine andere Schwäche der Resolution 242: In ihrem Mittelpunkt stehen Probleme zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarstaaten (Gebiete, Grenzen, Souveränität, internationale Wasserwege), während die Zukunft der Palästinenser, das Kernproblem des ursprünglichen Konfliktes, nur als gerecht zu regelndes Flüchtlingsproblem genannt wird; das Problem Jerusalem wird sogar ganz übergangen. Jerusalem, das wegen seiner jüdischen, christlichen und muslimischen heiligen Stätten besonders umstritten war und ist, sollte nach dem Willen der Generalversammlung einer permanenten internationalen Verwaltung unter Kontrolle der Vereinten Nationen unterstellt werden. Das entsprechende Statut für die Stadt Jerusalem (Treuhandrats-Res. 232 (VI) vom 4.4.1950) ist jedoch nie wirksam geworden. Da die Vereinten Nationen dennoch ihre Haltung zu Jerusalem beibehielten, forderten die Generalversammlung und der Sicherheitsrat seit der Annexion der Altstadt Jerusalems durch Israel im Juni 1967 mehrfach die Rücknahme aller Maßnahmen, die den Status der Stadt veränderten (zuerst in GA Res. 2253 (ES-V) vom 4.7.1967 bzw. SC Res. 252 (XXIII) vom 21.5.1968). Da Israel erklärt hat, es werde niemals einer erneuten Teilung der Stadt zustimmen, auf der anderen Seite aber auch die Araber Jerusalem für unverzichtbar erklärten, wird das Problem Jerusalem zu einem Prüfstein jedes Lösungsversuches werden. In der Diskussion der Alternativen taucht dabei neben der Internationalisierung immer wieder der schon 1947 im Minderheitsplan der UNSCOP entwickelte Gedanke auf, Jerusalem zur doppelten Hauptstadt eines jüdischen und eines arabischen Staates bei freiem Zugang zu den Heiligen Stätten für Angehörige aller Religionen zu machen. Die gerechte Regelung des Flüchtlingsproblems, deren Notwendigkeit die Resolution 242 betont, bezieht sich auf die in der Resolution 194 (III) niedergelegte und danach von der Generalversammlung jährlich bekräftigte Forderung, den Flüchtlingen die Rückkehr zu gestatten oder ihnen Kompensation zu zahlen. Seit 1967 bilden die Palästinenser jedoch nicht mehr nur ein humanitäres Problem, das allein auf der Grundlage dieser Resolution gelöst

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werden könnte. Je häufiger sich die Vereinten Nationen mit dem Nahen Osten zu beschäftigen hatten — neben Generalversammlung und Sicherheitsrat u. a. die Menschenrechtskommission wegen der Verletzung von Menschenrechten in den besetzten Gebieten und die UNESCO wegen Verletzungen der Konvention zum Schutz von Kulturgütern im Fall eines bewaffneten Konfliktes —, desto mehr wurden die Palästinenser zu einem politischen Problem. Was sie in zwanzig Jahren passiv hingenommener Leiden in den Lagern nicht vermocht hatten, erreichten die nun politisierten Palästinenser zudem mit dramatischen Aktionen bis hin zum Terror: Sie fanden zunehmend Gehör für ihre Forderung, das Palästinenser-Problem als Kern des Nahost-Konfliktes zu sehen und sie nicht länger als Flüchtlinge zu behandeln, sondern in ihnen einen politisch sich selbst vertretenden Hauptbeteiligten jeder Nahostlösung anzuerkennen — was die Generalversammlung seit 1969, als erstmals von den unveräußerlichen Rechten der Palästinenser die Rede war, immer mehr tat. Als 1974 die Generalversammlung, nachdem Yasir Arafat als Repräsentant der PLO vor ihr gesprochen hatte, das Recht des palästinensischen Volkes (the people of Palestine) auf Selbstbestimmung ohne Einmischung von außen und auf nationale Unabhängigkeit u n d Hoheit bestätigte (Res. 3236 (XXIX) vom 22.11.1974) und die PLO in der Eigenschaft eines Beobachters zur Teilnahme an allen Konferenzen der Vereinten Nationen einlud (Res. 3237 (XXIX) vom 22.11.1974), haben die Palästinenser einen politischen Durchbruch erzielt, der kaum noch eine Lösung des Konfliktes zwischen Israel und den arabischen Nachbarstaaten ohne Beteiligung der PLO möglich erscheinen läßt. Nachdem die PLO inzwischen von zahlreichen Staaten als -* Befreiungsbewegung politisch anerkannt wird und zu Beginn des Jahres 1976 sogar an Sitzungen des Sicherheitsrates mit Rederecht teilnehmen konnte, ist aus dem Nahostkonflikt, der ursprünglich einmal als Palästina-Frage vor die Vereinten Nationen gekommen war, wieder primär eine Palästina-Frage geworden. Literatur United Nations Resolutions on Palestine 1 9 4 7 - 1 9 7 2 (ed. Musallam), Beirut / Abu Dhabi 1973 Documents on the Arab-Israel Conflict. The Resolutions of the United Nations Organization (ed. Wengler / Tittel), Berlin 1971 Buehrig: The UN and the Palestinian Refugees, Bloomington (Ind.) / London 1971 Hollstein: Kein Frieden um Israel. Zur Sozialgeschichte des Palästina-Konflikts, Frankfurt/M. 1972 Lall: The UN and the Middle East Crisis 1967, New York etc. 1968 Moore (ed.): The Arab-Israeli Conflict, 3 vols., Princeton 1974 Wagner: Der Arabisch-Israelische Konflikt im Völkerrecht, Berlin 1971 Wilson: Jerusalem, Key to Peace, Washington (D.C.) 1970 Friedemann Büttner Verweise auf: Befreiungsbewegungen; Flüchtlinge; Mandatsgebiete; Selbstbestimmungsrecht; Streitkräfte der Vereinten Nationen.

Nichtstaatliche Organisationen Begriff Begriff und Wesen der nichtstaatlichen Organisationen (non-governmental organizations) sind in der Völkerrechtslehre wie in der Praxis der Vereinten Nationen umstritten.

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Nichtstaatliche Organisationen

Herkömmlich werden unter nichtstaatlichen Organisationen privatrechtlich organisierte Vereinigungen und Verbände verstanden, deren Mitgliedschaft und Funktion nicht auf einen Staat beschränkt ist. Über Begriff, Wesen und Aufgabenstellung ist damit ebensowenig gesagt wie über die Abgrenzung zu anderen nichtstaatlichen Akteuren der internationalen Beziehungen. So enthält diese Begriffsbestimmung einerseits keine Abgrenzung gegenüber den ebenfalls privatrechtlich organisierten multinationalen Konzernen, zum anderen trifft sie keine Aussagen zur staatlichen Beteiligung oder „NichtStaatlichkeit" der Organisationen. Entsprechend dieser unklaren Begriffsbestimmung sind auch die als internationale Idealvereine bezeichneten nichtstaatlichen Organisationen höchst unterschiedlich, vielfältig und differenziert. Die Bandbreite der nichtstaatlichen Organisationen reicht vom Internationalen Roten Kreuz bis zur Union der Wellensittichhalter. Gemein ist allen nichtstaatlichen Organisationen die institutionalisierte Zusammenarbeit von Individuen und Gruppen zum Zwecke kollektiver Interessenwahrnehmung auf nationaler wie internationaler Ebene. Als nichtstaatliche Akteure der internationalen Politik spielen die nichtstaatlichen Organisationen auch im System der Vereinten Nationen eine bedeutende Rolle. Während Art. 70 das Zusammenwirken der Vereinten Nationen mit den Sonderorganisationen normiert, regelt Art. 71 die Zusammenarbeit mit den nichtstaatlichen Organisationen. Unabhängig von der politischen und völkerrechtlichen Kontroversalität gelten im Rahmen der Vereinten Nationen diejenigen überstaatlichen Idealvereine als mitwirkungsberechtigte nichtstaatliche Organisationen, die vom ECOSOC als solche anerkannt sind. Nicht nur die Anerkennung einzelner Organisationen, sondern bereits die Abgrenzung von Sonderorganisationen und nichtstaatlichen Organisationen war bei Gründung der Vereinten Nationen kontrovers. Anlaß der Auseinandersetzungen bildete ein von der Sowjetunion eingebrachter, von Frankreich und Belgien unterstützter Antrag, dem Weltgewerkschaftsbund (World Federation of Trade Unions) sowie dem Internationalen Genossenschaftsverband (International Co-operative Alliance) die gleichen Rechte und den gleichen Beraterstatus zuzuerkennen wie der durch Beteiligung von Arbeitnehmer- und -gebervertretem insoweit auch „nichtstaatlichen" ILO. Im Interesse der klaren Trennung von Sonderorganisationen und nichtstaatlichen Organisationen wie zur Wahrung der westlichen Mehrheit in der ILO widersetzten sich die Vereinigten Staaten diesem Antrag zunächst grundsätzlich, forderten dann aber in Modifikation ihrer Position und zur Aufrechterhaltung der bestehenden Kräfteverhältnisse die gleichen Rechte für den Weltverband der Arbeitnehmer (World Confederation of Labor), bzw. den amerikanischen Gewerkschaftsverband (American Federation of Labor). In einer von beiden Seiten doppelbödig geführten Diskussion um Nichtstaatlichkeit und Staatsinteresse wurde schließlich Einigkeit über die Trennung des Verhältnisses von Sonderorganisationen und nichtstaatlichen Organisationen zu den Vereinten Nationen erreicht, die Ausgestaltung der Kriterien für die Anerkennung wie der Beteiligungsrechte aber dem ECOSOC überlassen. Nach dessen Definition aus dem Jahre 1950 gelten als nichtstaatliche Organisationen im Sinne von Art. 71 diejenigen privaten internationalen Vereinigungen und Organisationen, die nicht auf der Grundlage eines zwischenstaatlichen Abkommens oder Vertrages entstanden sind (ECOSOC Res. 288 Β (X) vom 27.2.1950). Im Jahre 1968 erfolgte eine Präzisierung dahingehend, daß diese Organisationen nicht durch zwischenstaatliche Verträge errichtet worden sind oder werden (ECOSOC Res. 1296 (XLIV) vom 23.5.1968). Mitwirkungsrechte im System der Vereinten Nationen Zur Differenzierung der politischen wie fachlichen Bedeutung und zur Kanalisierung der rechtlichen und politischen Einflußmöglichkeiten unterscheidet der ECOSOC drei Kategorien nichtstaatlicher Organisationen: Kategorie I (früher: A), verbunden mit den stärksten Mitwirkungsrechten, Kategorie II (früher: B) und das „Roster". Mindesterfordernis für die Anerkennung in der Kategorie I sind das grundsätzliche Inte-

Mitwirkungsrechte im System der Vereinten Nationen

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resse an fast allen Tätigkeitsfeldern und Aufgabengebieten des ECOSOC, der Nachweis, auf den Gebieten Sozialwesen, Kultur, Erziehung, Gesundheit, Wissenschaft, Technologie und Menschenrechte wesentliche Beiträge für die Arbeit der Weltorganisation leisten zu können, sowie Repräsentation von größeren Bevölkerungsteilen in einer Vielzahl von Ländern (Res. 1296 (XLIV) vom 23.5.1968). Die Aufnahme in die Kategorie II setzt spezifisches Interesse für partielle Aufgabenbereiche des ECOSOC, internationale Reputation als qualifizierte Fachorganisation des entsprechenden Fachgebietes sowie eine repräsentative Vertretung des jeweiligen Fachgebietes voraus. In das Register (Roster) werden schließlich auf Antrag diejenigen nichtstaatlichen Organisationen aufgenommen, die nach Meinung des ECOSOC oder des Ausschusses für nichtstaatliche Organisationen in einzelnen Problemkreisen und Sachfragen einen nützlichen Beitrag für die Arbeit der Vereinten Nationen leisten können. Durch diese Kategorisierung soll eine Filterwirkung erreicht werden, die den politisch oder fachlich bedeutsamen Organisationen eine gebührende Beteiligung als nichtstaatliche Akteure eröffnet, gleichzeitig aber eine Bremswirkung gegenüber der Überzahl interessengebundener Verbände herstellt. Zwar sind die normierten Kriterien auslegungsfähig und auslegungsbedürftig, doch sichern sie tendenziell eine qualitative Verdichtung zur Spitze. Die in die Kategorie I aufgenommenen Organisationen haben das Recht, zu allen Sitzungen des ECOSOC Beobachter zu entsenden, Anträge und Materialien mit je maximal 2.000 Worten an alle Mitgliedstaaten zu verbreiten, Sachfragen auf die vorläufige Tagesordnung des ECOSOC setzen zu lassen sowie auf Antrag oder Aufforderung förmlich konsultiert zu werden. Darüber hinaus haben sie unmittelbaren Zugang zu allen Aussschüssen und Kommissionen des ECOSOC mit Rede- und Anhörungsrecht. Die Organisationen der Kategorie II haben ebenfalls das Recht, zu allen Sitzungen des ECOSOC Beobachter zu entsenden, sind zur Unterbreitung von Anträgen und Materialien (deren Länge 500 Worte nicht überschreiten darf) aber nur dann befugt, wenn dies von mindestens einem Mitgliedstaat beantragt wird. Anhörungs- und Beratungsrecht sind auf Ausschüsse und Kommissionen beschränkt. Neben der grundsätzlich gewährleisteten Entsendung von Beobachtern dürfen die auf das Register gesetzten Organisationen nur auf Antrag und Aufforderung Anhörungs- und Konsultationsrechte in den Ausschüssen wahrnehmen. Die den nichtstaatlichen Organisationen heute zustehenden Mitwirkungsrechte sind gegenüber der ursprünglichen Konzeption erheblich eingeschränkt. Die früher gewährten quasimitgliedschaftlichen Rechte der Organisationen der Kategorie I wie die von allen Organisationen eingebrachte Material- und Antragsflut hatten nicht nur zu Spannungen mit den ordentlichen Mitgliedern der Gremien, sondern auch zu einer Kostenexplosion geführt, so daß eine stärkere Differenzierung und Kanalisierung erforderlich wurde. Der insbesondere für den Zeitraum von 1945—1949 zu konstatierende Mißbrauch der Mitwirkungsbefugnisse führte zu dem Vorschlag, den Organisationen das Recht zu entziehen, Anträge zur Tagesordnung zu machen (Res. 214 E (VIII) vom 16.2.1949; Doc. E/1619), doch wurde diese Empfehlung als Aufweichung des demokratischen Prozesses innerhalb der Weltorganisation von den westlichen Staaten bekämpft. Als Kompromiß wurde den Organisationen der Kategorie I das Antragsrecht zwar im Grundsatz belassen, jedoch der Ausschuß für nichtstaatliche Organisationen mit nicht überprüfbarem Ablehnungsrecht als Vorprüfungsinstanz vorgeschaltet. Darüber hinaus wurde der Ausschuß ermächtigt, die Anträge zuständigkeitshalber ohne Rücksprache bei Ausschüssen, Kommissionen oder anderen Hilfsorganen einzubringen. Diese Institutionalisierung der Einflußwege hat zu einer Stabilisierung der Rechtsbeziehungen unter weitgehendem Ausschluß partikularistischer Interessenvertretung geführt, ohne dabei die externe Innovationsfähigkeit durch „Außenseiter" auszuschließen.

318 Typologie nichtstaatlicher

Nichtstaatliche Organisationen

Organisationen

Gewandelt hat sich nicht nur die rechtliche Qualität der Mitwirkungsrechte, sondern auch die Quantität der nichtstaatlichen Organisationen. Während im Jahre 1949 nur 90 Organisationen Konsultativstatus besaßen, hat sich diese Zahl bis 1975 auf 400 erhöht. 16 davon gehören zur Kategorie I, 137 zur Kategorie II, der Rest ist auf dem Roster registriert. Zur Kategorie I gehören die Internationale Handelskammer (International Chamber of Commerce (ICC); in der Bundesrepublik Deutschland: Deutscher Industrie- und Handelstag), der Internationale Bund freier Gewerkschaften (International Confederation of Free Trade Unions (ICFTU); in der Bundesrepublik Deutschland: Deutscher Gewerkschaftsbund), der Internationale Genossenschaftsverband (International Co-operative Alliance (ICA); in der Bundesrepublik Deutschland: Raiffeisenverband etc.), der Internationale Rat für Sozialarbeit (International Council οτι Social Welfare (ICSW); in der Bundesrepublik Deutschland: Deutscher Länderausschuß^des ICSW), der Internationale Verband landwirtschaftlicher Erzeuger (International Federation of Agricultural Producers (IFAP); in der Bundesrepublik Deutschland: Deutscher Bauernverband), die Internationale Arbeitgeber-Organisation (International Organisation of Employers (IOE); in der Bundesrepublik Deutschland: Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände), der Internationale Gemeindeverband (International Union of Local Authorities (IULA); in der Bundesrepublik Deutschland: Deutscher Städtetag, Deutscher Landkreistag, etc.), die Internationale Vereinigung der offiziellen Fremdenverkehrsorganisationen (International Union of Official Travel Organizations (IUOTO); in der Bundesrepublik Deutschland: Deutsche Zentrale für Tourismus), die Interparlamentarische Union (Interparliamentary Union (IPU); in der Bundesrepublik Deutschland: Deutsche Gruppe der IPU), die Liga der Rotkreuz-Gesellschaften (League of Red Cross Societies (LORCS); in der Bundesrepublik Deutschland: Deutsches Rotes Kreuz), der Weltbund der Partnerstädte (United Towns Organisation (UTO), in der Bundesrepublik Deutschland nicht vertreten), die Internationale Demokratische Frauenkonföderation (Women's Internationa] Democratic Federation (WIDF), in der Bundesrepublik Deutschland nicht vertreten), der Weltverband der Arbeitnehmer (World Confederation of Labor (WCL); in der Bundesrepublik Deutschland: Christlicher Gewerkschaftsbund Deutschlands), der Weltgewerkschaftsbund (World Federation of Trade Unions (WFTU); in der Bundesrepublik Deutschland nicht vertreten), der Weltverband der Gesellschaften für die Vereinten Nationen (World Federation of United Nations Associations (WFUNA); in der Bundesrepublik Deutschland: Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen) und der Weltfrontkämpferverband (World Veterans Federation (WVF); in der Bundesrepublik Deutschland: Verband der Kriegs- und Wehrdienstopfer, Behinderten und Sozialrentner, Reichsbund der Zivil- und Kriegsgeschädigten, Sozialrentner und Hinterbliebenen). In dieser Gruppe ist eine hohe Konsistenz zu verzeichnen, da acht der neun im Jahre 1949 in diese Kategorie eingereihten Organisationen noch heute den gleichen Status genießen und sich die Zahl — im Vergleich zu Kategorie II und dem Register — nur geringfügig erhöht hat. Bei diesen Organisationen handelt es sich durchweg um Vereinigungen und Interessenverbände, die schon auf innerstaatlicher Ebene auf Grund ihrer Mitgliederzahl, Struktur und Funktion über erheblichen politischen und gesellschaftlichen Einfluß verfügen und dementsprechend auf internationaler Ebene als gewichtige Lobby auftreten können. Mit Ausnahme von Selbstdarstellungen und Auftragsforschung dieser Organisationen, deren wissenschaftlicher Aussagewert zweifelhaft ist, stehen umfassende empirische Untersuchungen zur Effizienz und Wirkung von nichtstaatlichen Organisationen im Entscheidungsprozeß der Vereinten Nationen noch aus. Gewandelt hat sich nicht nur die Zahl, sondern auch der schwerpunktmäßige Aufgabenbereich der Organisationen. Unter Zugrundelegung des Selbstverständnisses der Organisationen ergibt ein Grobraster der Funktionen:

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Typologie nichtstaatlicher Organisationen

Funktion Gewerkschaften Arbeitgeberverbände Berufsgenossenschaften Frauenvereinigungen Kommunalfragen Handel und Wirtschaft Verkehr, Transportwesen Menschenrechte Rechtsfragen Familie und Jugend Soziales und Wohlfahrt Kirche, Religion Bildung, Wissenschaft Gesundheit Presse Sonstige insgesamt

Kategorie I 4 1 3 2 2 1 1 1 1

Kategorie II

16 15 9 23 10

8 8 9 13 9

6 5 3 3 16

137

Auffällig ist, daß dezidierte Organisationen in den Bereichen der neuen Aufgabenschwerpunkte Entwicklungspolitik, Entkolonialisierung und Umweltschutz fehlen. Der Mangel an spezifischer Interessenvertretung wird jedoch ausgeglichen durch die Aufgabenerweiterung der bestehenden Organisationen, die ihrerseits durch die Bindung an das System der Vereinten Nationen strukturelle Wandlungen durchmachen. Dadurch hat die Integrationskraft der bestehenden großen nichtstaatlichen Organisationen zugenommen, ohne zu einer Erweiterung der Zahl zu führen. Generell läßt sich feststellen, daß die in der Kategorie I stark vertretenen Interessen nicht in gleichem Verhältnis in der Kategorie II auftauchen. Dieses proportionale Mißverhältnis läßt sich aus der Repräsentationsfunktion wie dem Organisationsgrad der in der Kategorie I anerkannten Organisationen erklären. Da die in der Kategorie I vertretenen Organisationen definitionsgemäß weitgehendes politisches Interesse und Repräsentation bedeutender Teile der Weltbevölkerung aufweisen müssen, besteht wegen des mit verstärkten Rechten versehenen Konsultativstatus kein ausgeprägtes Interesse an einem Zusammenschluß im politisch weniger bedeutsamen Folgefeld. Organisationsgrad und Solidarisierungsfähigkeit setzen damit der Gründung von funktional gleichen Organisationen Grenzen. Die funktionalen Aufgabenschwerpunkte der nichtstaatlichen Organisationen I und II entsprechen numerisch nicht den in Artikel 62 Charta normierten Aufgaben und Zuständigkeiten des ECOSOC. Während für die Gebiete Wirtschafts- und Sozialwesen noch nichtstaatliche Organisationen und Aufgabenbereiche korrelieren, gilt dies nicht für die Gebiete Kultur, Erziehung, Gesundheit und Menschenrechte. Gemessen an der satzungsmäßigen Zuständigkeit besteht in diesen Bereichen eine Unterrepräsentation, die jedoch für die Gebiete Kultur, Erziehung und Gesundheit dadurch kompensiert wird, daß die mit diesen Fragen befaßten nichtstaatlichen Organisationen ihre Beratungsfunktion in erster Linie gegenüber der UNESCO und der WHO wahrnehmen. Bei der UNESCO haben 107, bei der WHO 54 nichtstaatliche Organisationen Konsultativstatus. In der Arbeit der nichtstaatlichen Organisationen ist dabei eine Tendenz zu verzeichnen, daß durch die größere Intemationalität der Organisationen die spezifische Interessenvertretung hinter einem politisch vorformulierten Kompromiß zurücktritt, so daß sich eine stärkere Angleichung an die von den Staaten bzw. Regionalgruppen vertretenen Positionen

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Nigeria

abzeichnet. Dem entspricht eine zunehmende Kontaktaufnahme der nichtstaatlichen Organisationen mit den Delegierten und Vertretern der Mitgliedstaaten am Sitz der Vereinten Nationen, so daß über die Vorverlagerung der Einflußebene die Einwirkung auf die Organe selbst zurücktritt. Während die nichtstaatlichen Organisationen in ihrer Mehrheit zwischen 1955 und 1965 tendenziell als Verfechter der Interessen der Dritten Welt im Zuge der Entkolonialisierung auftraten, ist seit 1970 eine stärkere Identifizierung mit den Interessen der Industriestaaten zu verzeichnen. Abgesehen von der allgemeinen Verlagerung der Blockbildung im gesamten System der Vereinten Nationen ist diese gegenläufige Erscheinung in erster Linie mit einer Unterrepräsentation der Staaten der afro-asiatischen Welt in den nichtstaatlichen Organisationen selbst zu erklären. Diese Staaten verfügen zumeist nicht über die gesellschaftliche und verbandsinterne Infrastruktur, die auch die Voraussetzung für die innerorganisatorische Interessendurchsetzung auf internationaler Ebene darstellt. Das Ziel der Institutionalisierung nicht-regierungsspezifischer Interessen auf den Entscheidungsprozeß innerhalb des Systems der Vereinten Nationen ist zwar durch die Konsultationsrechte der nichtstaatlichen Organisationen strukturell erreicht, jedoch scheint die funktional erwünschte Innovationsfähigkeit durch die zunehmende Anpassung und Kompromißbereitschaft jedenfalls auf der offiziellen Ebene zurückzugehen. Literatur Brückner: Das Verhältnis der nichtstaatlichen Organisationen zu den Vereinten Nationen, in: VN 1973 S. 48 Morosow: Internationales Recht, (Ost-)Berlin, S. 234 Perera: Der Weltverband der Gesellschaften für die Vereinten Nationen, in: VN 1973 S. 53 Stosic: Les Organisations non gouvernementales et les Nations Unies, Genève 1964 White: International Non-governmental Organizations, New York 1951 Jens A. Brückner

Nigeria Historischer

Überblick

Mehrere Völker, die heute in Nigeria leben, haben alte geschichtliche Traditionen. Hervorzuheben sind unter ihnen die Joruba (im Südwesten, Stadtstaaten seit dem 13. oder 14. Jahrhundert) und die Haussa (im Norden; Staaten seit etwa 1000). Im frühen 19. Jahrhundert war Nord-Nigeria Schauplatz der islamisch-reformistischen Reichsgründung Usman Dan Fodios, die bis heute in den sog. Fulbe-Emiraten fortexistiert. Britische Kolonialherrschaft setzte sich in Nigeria seit 1861 (Besetzung der Hafenstadt Lagos) durch und war um 1900 umfassend. 1914 faßte Lord Lugard ganz Nigeria unter einheitlicher Kolonialverwaltung zusammen. Afrikanische Politiker aus dem Süden erhoben den Ruf nach Selbständigkeit schon vor dem 2. Weltkrieg und bildeten ab 1944 eine starke gewaltfreie Befreiungsbewegung; sie zerfiel später in mehrere politische Parteien. 1960 wurde Nigeria mit einer bundesstaatlichen Verfassung unabhängig. Konflikte zwischen den Regionen, hinter denen sich auch soziale Spannungen verbargen, legten ab 1962 die demokratischen Staatsorgane lahm. Am 15. Januar 1966 beseitigte ein Militärputsch die Verfassung. Die mehrheitlich von Ibo bewohnte Ost-Region versuchte sich von Nigeria zu lösen und hoffte dabei auf bessere Entwicklungschancen dank der auf ihrem Gebiet entdeckten Erdöl-Vorkommen: Am 30. Mai

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Die Vereinten Nationen im Biafra-Krieg

1967 proklamierte sie die unabhängige Republik Biafra. Die zentrale Militärregierung bekämpfte jedoch diese Sezession mit militärischer Gewalt. Der Krieg endete am 15. Januar 1970 mit der Kapitulation Biafras. Die zentrale Militärregierung blieb auch nach der Kapitulation im Amt. Sie gliederte Nigeria neu in zwölf Teilstaaten und bemühte sich energisch um nationale Aussöhnung mit der Masse der ehemaligen Biafra-Anhänger. Gegenwärtig übernimmt sie eine zunehmend aktive Rolle in der internationalen Politik Afrikas (u. a. Stimmführung bei den Verhandlungen der afrikanischen und karibischen Staaten mit den Europäischen Gemeinschaften 1973). Eine von allen Gruppen anerkannte Volkszählung, die in Nigeria als Fundament für eine eventuelle Rückkehr zu demokratischer Zivilregierung gilt, war bis 1975 nicht möglich. Die Vereinten Nationen im Biafra-Krieg Sofort nach seiner Unabhängigkeit wurde Nigeria 1960 Mitglied der Vereinten Nationen. Als 1967 des Sezessionskrieg um Biafra ausbrach, betrachtete die nigerianische Regierung die Auseinandersetzung als innere Angelegenheit gem. Art. 2 Ziff. 7. Die Vereinten Nationen wie auch die OAU erkannten diesen Anspruch an und verneinten somit ein Selbstbestimmungsrecht des „Volkes von Biafra". Nur Tansania, Gabun, die Elfenbeinküste und Sambia erkannten April-Mai 1968 Biafras Unabhängigkeit an, gefolgt von Haiti (1969). Frankreich unterstützte Biafra inoffiziell, während Großbritannien und die UdSSR Hilfe an die Zentralregierung von Nigeria leisteten. Nach der Kapitulation Biafras söhnten sich die probiafranischen Regierungen Afrikas noch 1970 mit Nigeria aus. Probleme aus dem Biafrakrieg Die rasche Heilung der Wunden des Biafrakrieges (wenigstens der politischen) darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß die völlige Abstinenz der Vereinten Nationen in diesem Konflikt für die Zukunft Probleme aufwirft. Während eine breite Mehrheit der Mitglieder der Vereinten Nationen darauf drängt, die Selbstbestimmung von Völkern dann mit allen Mitteln durchzusetzen, wenn entsprechende -» Befreiungsbewegungen gegen westliche Kolonial- oder Minderheitsherrschaft ankämpfen, nahm dieselbe Mehrheit den analogen Anspruch Biafras nicht zur Kenntnis (-»• Selbstbestimmungsrecht). Der Verdacht, daß entsprechend der Hautfarbe einer Regierung mit zweierlei Maß gemessen wird, ist nicht von der Hand zu weisen. Darüber hinaus wird der Schluß nahegelegt, daß trotz Existenz der Weltorganisation immer noch der Waffenerfolg über internationale Anerkennung eines Selbstbestimmungsanspruchs entscheidet. Literatur Cervenka: The Nigerian War 1967-1970, Frankfurt/M. 1971 Dudley: Instability and Political Order — Politics and Crisis in Nigeria, Ibadan 1973 Kaden: Das nigerianische Experiment, Hannover 1968 Kirk-Greene: Crisis and Conflict in Nigeria, London 1971 Nwanko / Ifejika: The Making of a Nation — Biafra, London 1969 Uwechue: Afrika ohne Bürgerkrieg, Düsseldorf 1969 Franz Ansprenger Verweise auf·. Befreiungsbewegungen; Selbstbestimmungsrecht.

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Nord-Süd-Konflikt

Nord-Süd-Konflikt Das hervorstechende und offensichtliche Kennzeichen des Nord-Süd-Verhältnisses ist das Nebeneinander von absoluter Massenarmut in den -»· Entwicklungsländern und relativem Massenreichtum in den Industrieländern innerhalb einer nationalstaatlich organisierten Welt, die durch Kommunikationsmittel und technisch-ökonomisch-ökologische Verflechtungen im Hinblick auf einige Bereiche zum „ D o r f geworden ist. Dies ungleichgewichtige Nebeneinander wird deshalb als Nord-Süd-Problem empfunden, weil das weltweit herrschende Wert- und Nonnensystem nach dem Wortlaut der Internationalen Strategie für die 2. Entwicklungsdekade (Res. 2626 (XXV) vom 24.10.1970) der Vereinten Nationen die Wirtschafts- und Sozialordnung in der Welt nur dann als g e r e c h t " und „sinnvoll" betrachtet, wenn „sowohl die Nationen als ganzes wie auch die einzelnen Menschen das Recht auf gleiche Chancen haben" (-» Entwicklungspolitik). Die Diskrepanz zwischen diesem feierlich und einstimmig bekräftigten Ziel und der Realität verstärkt sich nach den verfügbaren statistischen Indikatoren eher, als daß sie sich verringert. Dementsprechend wäre — abgesehen von wenigen Ölförderstaaten — international mit einer Vergrößerung des Abstandes zwischen armen und reichen Nationen zu rechnen; intranational müßte sich in den Entwicklungsländern der Abstand zwischen arm und reich ebenfalls vergrößern, wenn die Eliten im Lebensstandard mit den Ober- und Mittelschichten in den Industrieländern Schritt halten wollen und ihre Ansprüche auch durchsetzen können; und in den Industrieländern würde sich die Kluft zwischen den am nationalen „sacro egoismo" orientierten Gruppen und denen, die sich den Idealen der weltweiten Gleichheit und der universalen Geltung der Menschenrechte verschrieben haben, erweitern. Das Nebeneinander von arm und reich wird jedoch nicht nur als Problem, sondern auch als Nord-Süd-Konflikt empfunden und definiert: Zwischen den industrialisierten Ländern in West und Ost („Nord") und den Entwicklungsländern („Süd") bestünde ein Interaktionszusammenhang, in dem die Ziele des einen Beteiligten zumindest teilweise gegen die Ziele des anderen durchgesetzt würden. Die komplexe Struktur dieses Konflikts läßt sich dadurch verdeutlichen, daß zunächst die Zielstruktur, dann die geläufigsten Totalmodelle vom Konflikt und schließlich die verschiedenen Dimensionen oder Problembereiche und ihre wechselseitige Abhängigkeit untersucht werden. Die Analyse hat nicht nur entgegengesetzte nationale Ziele — etwa möglichst hohe bzw. möglichst geringe laufende Schenkungen der einen Nation an die andere — zu konstatieren, sondern dem Konflikt noch einen Schritt weiter in die gesellschaftliche Struktur der Nationen hinein nachzugehen. Bei Wahrnehmung, Urteil und Aktivität im Hinblick auf das Nord-Süd-Verhältnis kann sich der Konflikt sogar als persönlicher Zielkonflikt auf der individuellen Ebene erweisen: Das „weiche", altruistische Interesse an der Schaffung menschenwürdiger und gleichmäßiger Verhältnisse auf der ganzen Welt steht dem ,.harten", egoistischen Interesse an der Behauptung oder Verbesserung der eigenen relativen Position (als Person, gesellschaftliche Gruppe oder Nation) gegenüber. Durch diese komplexe Motivations- und Zielstruktur mit ihren internationalen, intranationalen und intrapersonell-emotionalen Aspekten wird der Nord-Süd-Konflikt besonders anfällig für schablonenhafte und polarisierte Totalmodelle. Die in westlichen Industrie- und Entwicklungsländern lange vorherrschende Vorstellung hat ihre klarste explizite Formulierung in dem Bestseller „Stadien wirtschaftlichen Wachstums" (Rostow) gefunden: In dem Stufenschema von der traditionellen Gesellschaft über die Gesellschaft im Übergang, den „'Take-off' und die Entwicklung zum Reifestadium wird das Zeitalter des Massenkonsums erreicht. Die einzelnen nationalen Wirtschaften der Gegenwart lassen sich den (ursprünglich historischen) Stufen zurechnen, und so ergibt sich das Bild eines Flottenverbandes mit den USA und den reichsten westeuropäischen Ländern an der Spitze,

Nord-Süd-Konflikt

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in welchem die zurückliegenden Schiffe nach und nach durch die Ausbreitung des technischen und gesellschaftlichen Fortschritts Anschluß gewinnen und aufholen. Die psychologischen Probleme von Angst und Ressentiment bei Positionsverlust der einen durch das Aufholen der anderen werden dadurch ausgeklammert, daß das Modell bei der Ziellinie zum ,.goldenen Zeitalter" des Massenkonsums endet. Der Nord-Slid-Konflikt erscheint damit als ein kooperatives Spiel, bei dem alle gewinnen können und bei dem man sich nur über die Höhe der Einsätze (ζ. B. Beiträge zur Kapitalhilfe) und die faire Vorgabe für schwächere Mitspieler (ζ. B. Handelspräferenzen) auseinandersetzen muß. Im Bild des Flottenverbandes bleibend, geht es darum, wie die Schleppseile zwischen den starken Schleppern im Norden und den langsamen Schiffen im Süden zu knüpfen sind, damit der Verband „Menschheit" als ganzer möglichst schnell den Unbilden und Bedrohungen von Armut und Unterentwicklung entrinnt. Die radikale Kritik an diesem Modell der aufholenden Entwicklung wurde unter dem Stichwort „Entwicklung der Unterentwicklung" (Frank) formuliert. Ihre wichtigste These ist, daß das kapitalistische Weltsystem gleichzeitig und ursächlich zusammenhängend Entwicklung in den westlichen Industriestaaten und Unterentwicklung in der Dritten Welt bewirkt hat und weiter bewirkt. Diese These vom Nord-Süd-Konflikt als Ausbeutungsbeziehung zwischen Unterdrückern und Unterdrückten erscheint nun in mehreren Varianten: Für das sozialistische Lager unter Führung der UdSSR verläuft die Konfliktlinie zwischen „Imperialismus" und „Antiimperialismus", wobei das eigene Lager der natürliche Führer oder zumindest Verbündete der antiimperialistischen Kräfte ist; gegen seine Einreihung in „Nord", zusammen mit den kapitalistischen Industrieländern, müsse man sich zur Wehr setzen (-»• Deutsche Demokratische Republik). Für die Volksrepublik ->• China ist Lin Piaos Bild vom Kampf der „Dörfer" (Asien, Afrika, Lateinamerika) gegen die „Städte" (kapitalistische Industrieländer) als Hauptwiderspruch abgelöst worden vom Bild einer Ausbeutungspyramide mit den beiden Supermächten an der Spitze, den westlichen und östlichen Industrieländern als Zweiter Welt und den Entwicklungsländern als Dritter Welt. Von den Vertretern der These, daß Abhängigkeit („dependencia") und „strukturelle Gewalt" die entscheidenden Merkmale des Nord-Süd-Verhältnisses seien, wird besonders auf die Fortsetzung der Ausbeutungskette über Brückenköpfe („Zentren der Peripherie") in die Entwicklungsländer hinein hingewiesen, aber auch auf die Armen und Unterprivilegierten in den Industrieländern („Peripherien der Zentren"). Der eigentliche Konflikt bestehe nicht zwischen den Nationen in Nord und Süd, sondern zwischen Unterdrückern und Unterdrückten' im Weltmaßstab. Der internationale Nord-Süd-Konflikt erhält so ausdrücklich seinen intranationalen Aspekt und, analog zu den verschiedenen Flügeln der Arbeiterbewegung im intranationalen sozialen Konflikt, erscheint der Nord-Süd-Konflikt den verschiedenen Vertretern dieser Thesen ebenfalls eher reformerisch oder eher revolutionär lösbar. Im Unterschied zum kooperativen Charakter des Nord-Süd-Verhältnisses beim Bild des „Flottenverbandes" beinhaltet die „Ausbeutungspyramide" ein Nullsummenspiel: Was der eine gewinnt, muß der andere verlieren. Besonders eindeutig im Falle der Auseinandersetzung über die völkerrechtlich-politische Kontrolle über Territorien haben auch andere Dimensionen des Nord-Süd-Verhältnisses zumindest partiell diesen Charakter, so etwa wenn die reichen „weißen Kannibalen" (René Dumont) den Armen der Welt auf den Weltmärkten die vorhandenen Nahrungsmittel oder Energieträger wegsteigern. Damit drängt sich nach dem Flottenverband und der Ausbeutungspyramide ein drittes Bild zum Nord-Süd-Verhältnis auf: Wenn auf dem „Raumschiff Erde" (Barbara Ward) mit seinen begrenzten Ressourcen innerhalb des Horizonts der menschlichen Zukunftsperspektive kein unbegrenztes Wachstum möglich ist, dann wird weder der „Flottenverband" noch der Emanzipationsprozeß der Ausgebeuteten in ein „goldenes Zeitalter" münden, sondern die Menschheit drängt sich, Lemmingen ähnlich, ihrer eigenen Vernichtung durch die ökologische Katastrophe entgegen.

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Nord-Süd-Konflikt

Unter dieser Perspektive, die vor allem bei den Dimensionen „Ernährung" (->• Welternährungslage), „Umwelt" (-> Umweltschutz), „Bevölkerung" (-»· Weltbevölkerung) und „ R o h s t o f f e " (-»• Rohstoffabkommen) beschworen wird, erscheint der Nord-Süd-Konflikt wiederum in ganz anderem Licht: Es geht um Zeitgewinn und Verlustminimierung in einem Spiel, in welchem letztlich keiner gewinnen, jeder jedoch mit Erfolgsaussicht versuchen kann, seine Verluste zu Lasten der anderen möglichst zeitlich hinauszuschieben und umfangmäßig klein zu halten. Im Gegensatz zum Bild vom „Flottenverband" haben die Entwicklungsländer danach kein Interesse an wirtschaftsstarken „Schleppern" im Norden, sondern daran, daß die Industrieländer ihren Zugriff auf die Ressourcen der Welt, d. h. ihre Produktion und ihren Lebensstandard, freiwillig oder unfreiwillig einschränken. Wenn sie dies nicht tun und den Entwicklungsländern dennoch Umweltschonung, Familienplanung und haushälterischen Umgang mit Rohstoffen predigen, kann das — in Verbindung mit dem Bild von der Ausbeutungspyramide - als Politik eines „Welt-Morgenthau-Plans" (Eppler) aufgefaßt werden. So schwanken in der politischen und propagandistischen Praxis Einschätzung und Beschwörung des Nord-Süd-Konflikts zwischen der Angst vor dem Positionsverlust oder vor der ökologischen Katastrophe und der Hoffnung auf das friedliche Nachziehen oder auf die kämpferische Emanzipation, ohne daß bereits objektiv-wissenschaftlich fìir alle Dimensionen der Beziehungen und für alle Akteure und Gremien der Auseinandersetzung ein durchgängiges, theoretisch befriedigendes Muster der Konfliktperzeption und der Konflikthandhabung gezeichnet werden könnte. Auf einer anderen Ebene als die generellen „Bilder" liegt das folgende Denkmodell zum Nord-Süd-Konflikt, welches weniger auf die langfristige Totalperspektive, als auf die Interdependenz der verschiedenen Dimensionen abstellt: Ausgangspunkt ist die große wirtschaftliche Ungleichheit zwischen den Völkern in Nord und Süd bei juristischer Gleichheit der Staaten. Bei jeder souveränen Nation ist nun mit einem „normalen" Unabhängigkeitsstreben zu rechnen, das sich in den verschiedensten Dimensionen manifestieren kann. Dabei scheint es vor allem auf die Einhaltung einer durchschnittlichen Mindestdistanz anzukommen, d. h ein als vormundschaftlich oder gar feindselig empfundenes Unabhängigkeitsdefizit in der einen Dimension, bzw. in dem einen Bündel von Dimensionen (im Nord-Süd-Verhältnis typischerweise bei den Wirtschaftsbeziehungen), wird durch die besonders ausgeprägte Manifestation von Unabhängigkeit in anderen Dimensionen (z. B. beim Ost-West-Konflikt in der hohen Zeit der „Blockfreiheit" während des Kalten Krieges oder neuerdings bei der Meeresbodenfrage) kompensiert. Wenn man die verschiedenen Dimensionen des Nord-Süd-Verhältnisses auflistet und jeder einzelnen Dimension — von einzelnen Entwicklungsländern oder Gruppen her gesehen — eine bestimmte Abhängigkeitsintensität zwischen „vollständig abhängig" und „vollständig unabhängig" zuordnet, dann lassen sich für Länder oder Gruppen „Profile" ausmachen. Diese können zwar nicht exakt quantitativ erfaßt werden, aber die Vorstellung von der Sicherung einer Mindestdistanz im Durchschnitt aller relevanten Dimensionen und von mehr oder weniger stark oder schwach „profilierter" Politik vermag doch Licht auf einige Phänomene der Nord-Süd-Beziehungen zu werfen: Je stärker das Nebeneinander von arm und reich im Weltmaßstab als Folge von wirtschaftlicher Abhängigkeit empfunden wird, für welche die Industrieländer zwar verantwortlich sind, aber auf Grund ihrer Machtstellung die Haftung mit Erfolg ablehnen können, um so eher und häufiger werden Regierungen der Entwicklungsländer dazu neigen, entweder in der Innenpolitik oder bei regionalen Konfliktherden, in der Nuklearpolitik oder bei dem Recht auf Nationalisierung, in der Bevölkerungspolitik oder bei Erdöl- und Rohstoffboykotts die nationale Eigenständigkeit und Souveränität hervorzukehren; und der Konflikt-Charakter des Nord-Süd-Verhältnisses wird um so stärker betont werden, j e eher die Akteure sich nicht nur in den „vormundschaftlichen" oder partnerschaftlichen" Bereichen bewegen, sondern in die jeweils als wesentlich und zentral erachteten, empfindlichen Zonen vorstoßen, deren Berührung als „feindselig" empfunden wird.

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Mit dieser Vorstellung von der Interdependenz der einzelnen Dimensionen, wobei es natürlich nicht nur Kompensationen, sondern auch Parallelitäten gibt, läßt sich quer durch alle Bereiche und Gremien der Vereinten Nationen hindurch auch für die Politik der Bundesrepublik Deutschland in den Vereinten Nationen ein Interessenprofil konstruieren: Will man nicht in den Dimensionen Sicherheit, Ost-West, ,,-ismen", regionale Krisen und Rohstoffversorgung Risiken laufen, welche die wirklich wichtigen nationalen Interessen berühren, dann wird man etwa in Fragen der Handels- u n d Währungsbeziehungen, der multinationalen Konzerne und des Technologietransfers, der Nationalisierungen und des Meeresbodens, der Kapitalhilfe und der Umwelt, der Kultur und der Ernährung beweglich und konstruktiv sein müssen. Damit soll gar nicht unterstellt werden, daß es nur an „ N o r d " liegt, ob „Süd" sich intern entwickelt oder nicht entwickelt. Welches externe Profil die Entwicklungsländer in ihrer Politik gegenüber den Industrieländern insgesamt und einzeln, innerhalb und außerhalb der Vereinten Nationen letztlich zeigen werden, ist ebenfalls schwer vorherzusagen und noch schwerer gezielt zu beeinflussen; dennoch wird man bis zu einem gewissen Grade mit einer spiegelbildlichen Beziehung zum Verhalten der Industrieländer rechnen müssen. Auch aus diesem Denkmodell läßt sich also kem Rezept zur Lösung des Nord-SüdKonflikts ableiten, so wie es auf absehbare Zeit angesichts der ökonomischen und demographischen Größenordnungen wohl gar nicht um einen Lösung gehen kann, sondern darum, mit dem Konflikt zwischen Nord und Süd zu leben und ihn so zu handhaben, daß Entwicklung und Weltfriede möglichst nicht beeinträchtigt, sondern gefördert werden. Man wird sich allerdings darauf einstellen müssen, daß — in den drei oben dargestellten Bildern gesprochen — das „Aufholen", die Emanzipation" oder der „Zugriff" der Entwicklungsländer auf die begrenzten Ressourcen der Welt nur ein ungleichgewichtiger und häufig ungerecht erscheinender Prozeß sein kann. Für viele wird er eine schmerzliche, für andere eine angenehme Veränderung der politischen und ökonomischen Landkarte mit sich bringen. Dabei dürfte das erfolgversprechende Verhaltensprofil nicht eine Rundum-Verteidigung des status quo sein, sondern eine Mischung aus der Verteidigung wirklich wichtiger Interessen, der Nachgiebigkeit in einigen Dimensionen und der konstruktiven internationalen Zusammenarbeit in anderen. Die Vereinten Nationen haben eine wichtige Rolle zu spielen, sowohl als Forum, auf dem solche nationalen Verhaltensprofile zum Tragen kommen, als auch als Gruppe von Akteuren, die als institutionelle Maschinerie selbst ein bestimmtes Profil von Härte, Nachgiebigkeit und Zusammenarbeit im Verhältnis zu den Mitgliedstaaten entwickelt und so für alle Beteiligten das Leben mit dem Nord-Süd-Konflikt beeinflußt. Literatur Bohnet (Hrsg.): Das Nord-Süd-Problem, Konflikte zwischen Industrie- und Entwicklungsländern, 3. Aufl., München 1974 Duve: Der Rassenkrieg findet nicht statt. Entwicklungspolitik zwischen Angst u n d Armut, Düsseldorf 1971 Eppler: Wenig Zeit für die Dritte Welt, Stuttgart u. a. 1971 Frank: Kritik des bürgerlichen Anti-Imperialismus, Berlin 1969 Rostow: Stages of Economic Growth. A Non-Communist Manifesto, Cambridge (Mass.) 1960 Senghaas: Imperialismus und strukturelle Gewalt. Analysen über abhängige Reproduktion, Frankfurt/M. 1972 Manfred Nitsch Verweise auf: Bundesrepublik Deutschland; China; Deutsche Demokratische Republik; Entwicklungsländer; Entwicklungspolitik; Ost-West-Konflikt; Rohstoffabkommen; Umweltschutz; Weltbevölkerung; Welternährungslage.

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Öffentlicher Dienst, Internationaler

Öffentlicher Dienst, Internationaler Wie jedes entwickelte soziale System benötigt auch das System der Vereinten Nationen zur Organisation und Durchführung seiner Aufgaben eine Bürokratie und damit einen Apparat von Mitarbeitern. Die Charta spricht in Kapitel XV — Sekretariat —, in den Art. 97, 100 und 101, neutral von „Bediensteten", überläßt aber die rechtliche Ausgestaltung dieser Dienstverhältnisse der Generalversammlung bzw. den Sonderorganisationen. Das internationale Dienstrecht ist ein relativ junges Rechtsgebiet, als dessen Geburtsstunde der Beginn der Tätigkeit des Völkerbundes gilt. Beginnend mit einem kleinen Mitarbeiterstab breitete sich das Sekretariat des Völkerbundes schnell zu einem für damalige Verhältnisse großen internationalen Verwaltungsapparat aus. Im Jahre 1936 umfaßte er 800 Bedienstete aus 35 Staaten. Trotz der Notwendigkeit eines festen Mitarbeiterstabes auch für das Internationale Arbeitsamt, den Ständigen Internationalen Gerichtshof, die Internationale Fernmeldeunion und die Bank für internationalen Zahlungsausgleich bildeten sich Grundzüge eines gemeinsamen Dienstrechts für diese internationalen Organisationen noch nicht heraus. Daher wurde es für die Vereinten Nationen schon sehr frühzeitig notwendig, sich der Schaffung und Normierung eines internationalen Dienstrechts zu widmen. Entsprechend der rechtlichen Trennung von Völkerbund und Vereinte Nationen griffen letztere bei der Errichtung des Sekretariats im Jahre 1946 nicht auf das Dienstrecht des Völkerbundes zurück, sondern setzten unter Berücksichtigung der in Art. 100 und 101 niedergelegten Prinzipien einen neuen Anfang, der die Schaffung eines eigenständigen, von den Mitgliedstaaten unabhängigen, qualifizierten internationalen öffentlichen Diensts als Ziel hatte. Mit der Resolution 13 (I) vom 13. Februar 1946 legte die Generalversammlung als Grundprinzipien für die Ausgestaltung des Dienstrechts unter anderem fest: 1. Gerechte geographische Verteilung (Art. 101 Abs. 3), 2. Leistungsfähigkeit, Sachkunde und persönliche Integrität, 3. Attraktivität der Bezahlung und Beschäftigungsbedingungen. In der gleichen Resolution wurde der Generalsekretär ermächtigt, Dienstposten, Dienstposteneinstufungen, Dienstgrade und Gehälter festzusetzen. Die daraufhin vom Generalsekretär erlassenen „Vorläufigen dienstrechtlichen Bestimmungen" (provisional staff rules) wurden 1949 durch einen Sachverstandigenausschuß modifiziert, der die Trennung der Personalrekrutierung für die höheren Ämter (Professional Category — P-Kategorie) und der mittleren und übrigen Ämter (General Service Category) vorschlug (Doc. A/C.5/331). Nach dieser, von der Generalversammlung gebilligten Empfehlung sollten in Zukunft nur die Bediensteten der P-Kategorie weltweit rekrutiert werden, während die übrigen Bediensteten nach Möglichkeit im jeweiligen Gastland gefunden werden sollten. Der Bericht des Sachverständigenausschusses wie die Empfehlung der Generalversammlung fanden ihren Niederschlag in der Personalordnung der Vereinten Nationen, den Staff Regulations und den Staff Rules. Die grundsätzlichen Bestimmungen sind in den „Staff Rules" niedergelegt. Zusammen mit der gemeinsamen Versorgungskasse der Organisationen der Vereinten Nationen (United Nations Joint Staff Pension Fund) bilden sie die unmittelbaren Rechtsgrundlagen des geltenden Dienstrechts. Das Dienstrecht regelt das Beschäftigungsverhältnis bei der Organisation der Vereinten Nationen und zahlreichen Sonderorganisationen. Zu diesem Dienstrechtskreis gehören die Hauptorganisation, die ILO, F AO, UNESCO, WHO, ICAO, UPU, ITU, WMO, IMCO und nicht als Sonderorganisationen - IAEA und GATT. IBRD, IMF, IFC und die IDA gehören nicht zum Dienstrechtskreis der Vereinten Nationen, da diese Organisationen nicht durch Mitgliedsbeiträge, sondern durch Kapitaleinlagen finanziert werden und daher eine weitgehende verwaltungs- und haushaltsmäßige Unabhängigkeit besitzen (->• Beitragssystem, Haushalt).

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Auch für die zwölf im Dienstrechtskreis der Vereinten Nationen zusammengeschlossenen Organisationen gilt kein einheitliches Dienstrecht, da jede Organisation auf Grund ihrer Satzung zur Schaffung eigener Rechtsbestimmungen befugt ist. Seit 1946 hat jedoch ein ständiger Angleichungsprozeß stattgefunden, so daß eine weitgehende Übereinstimmung gegeben ist. Die Vielzahl der im Rahmen dieser Zusammenarbeit getroffenen Vereinbarungen wird unter dem Begriff „United Nations common system of salaries and allowances and other conditions of service", abgekürzt „Common System", zusammengefaßt. In den zwischen den einzelnen Sonderorganisationen und zwischen Sonderorganisationen und Hauptorganisation bestehenden Abkommen über gegenseitige Beziehungen und Zusammenarbeit („Relationship Agreements") haben die sich zum Dienstrechtskreis der Vereinten Nationen gehörenden Organisationen verpflichtet, gemeinsame Grundsätze und Methoden auf dem Gebiet des Personalwesens zu entwickeln, um Unterschiede in den Beschäftigungsbedingungen zu vermeiden. Aus dieser Bestimmung ist - auch im Selbstverständnis der Organisationen — die Rechtspflicht hergeleitet worden, sich an die Vereinbarungen des „Common System" zu halten und über die Angleichung eine Gleichheit herzustellen. Die in verschiedenen Relationship-Agreements enthaltenen Absichtserklärungen, zu einem einheitlichen gemeinsamen internationalen Dienstrecht zu gelangen, sind bis Ende 1975 noch nicht realisiert worden. Institutionell befassen sich das Administrative Committee on Co-ordination (ACC), das International Civil Service Advisory Board (ICSAB), das Expert Committee on Post Adjustment, das Advisory Committee on Administrative and Budgetary Questions (ACAB) und Gremien der Regierungsvertreter der Mitgliedstaaten mit dem Problem der Angleichung und Vereinheitlichung. Die wirksamste Arbeit wurde dabei bislang von dem ACC geleistet, das als höchstes Koordinationsorgan auf der Ebene der Sekretariate fungiert und von dem Generalsekretär geleitet wird (-> Organisationssystem der Vereinten Nationen). Die übrigen Sachverständigenausschüsse haben zwar umfangreiches Material aufgearbeitet, sich in der Praxis aber durch die Zuordnung zu unterschiedlichen Organen teilweise behindert. Die Gremien der Regierungsvertreter sind nicht im System der Vereinten Nationen verankert, sondern dienen der internen, häufig blockgebundenen Vorabklärung im Entscheidungsprozeß. Im Gegensatz zum Dienstrecht der Bundesrepublik Deutschland oder der Europäischen Gemeinschaften kennt der Dienstrechtskreis der Vereinten Nationen keine Laufbahnen, sondern nur einzelne Dienstposten bzw. Besoldungsgruppen. Der höhere Dienst (P-Kategorie) besteht einheitlich aus den Dienstgraden P I bis Ρ 5 (P 1 Assistant Officer, Ρ 2 Associate Officer, Ρ 3 Second Officer, Ρ 4 First Officer, Ρ 5 Senior Officer) und den beiden Direktorendienstgraden D 1 (Principal Officer) und D 2 (Director). Der übrige Verwaltungsdienst (General Service) besteht aus einer unterschiedlichen, jeweils auf das Bedürfnis der Organisation ausgerichteten Anzahl von Dienstposten. Allgemeine Einstellungsvoraussetzung für den höheren Dienst ist ein abgeschlossenes Hochschulstudium oder — in Ausnahmefällen — eine dem Hochschulabschluß vergleichbare Berufsausbildung. Die Einstufung richtet sich nach Qualität und Dauer der beruflichen Ausbildung und Erfahrung. Eine Verbesserung der Einstufung, die sich für den Bediensteten wie eine Beförderung auswirkt, ist über den „Bewährungsaufstieg" möglich. Dieser Aufstieg ist sowohl vom allgemeinen Verwaltungsdienst auf die Dienstposten Ρ 1 und Ρ 2 wie auch von den höheren Stufen der P-Kategorie auf die Direktorenposten möglich. Außerhalb des allgemeinen Dienstrechts stehen die Posten des Generalsekretärs und der Under bzw. Assistant Secretaries General. Der -» Generalsekretär wird von der Generalversammlung auf Vorschlag des Sicherheitsrates für fünf Jahre gewählt (Art. 97), die Under bzw. Assistant Secretaries General werden vom Generalsekretär nach vornehmlich politischen Kriterien ausgewählt und für die gleiche Amtszeit von fünf Jahren ernannt (Staff Regulations 4.5 - Doc. ST/SGB/Staff Regulations/Rev. 6). Die übrigen Bediensteten werden entweder auf Dauer (permanent category) oder auf Zeit (temporary appointment) berufen. Obwohl zur Sicherung einer personellen Kontinuität die Staff Rules von einem Über-

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wiegen des Dauerpersonals ausgehen, haben in der Praxis die zeitlich begrenzten Dienstverhältnisse die größte Bedeutung erlangt. Bei den Dienstverhältnissen auf Zeit wird unterschieden zwischen Dienst auf Probe (probationary appointment), befristetem Dienstverhältnis (fixed-term-appointment) und Dienstverhältnis auf unbestimmte Dauer (indefinite appointment) (104.12 Staff Rules). Im Rahmen der befristeten Dienstverhältnisse sollen die short-term-appointments eine Dauer von sechs Monaten, die long-term-appointments eine Dauer von fünf Jahren nicht überschreiten (301.1 Staff Rules). Durch die Befristung der Dienstverhältnisse vor allem im höheren Dienst ist eine relativ starke Fluktuation und Umschichtung des Personals gegeben. Diese Möglichkeit zur Rotation wird von den nationalen Regierungen dazu eingesetzt, ihre Bediensteten vorübergehend in das System der Vereinten Nationen zu entsenden, um mit der Abstellung von Fachleuten einen relativ starken Einfluß auf die verwaltungsinterne Entscheidungsstruktur auszuüben, gleichzeitig aber auch die im System der Vereinten Nationen erworbenen Erkenntnisse und Erfahrungen nach Rückkehr in den Entsendestaat zu verwerten. Das Rotationsprinzip, das im Gegensatz zum Karriereprinzip der innerstaatlichen öffentlichen Dienste und dem Dienstrecht der Europäischen Gemeinschaften steht, wird vor allem von den sozialistischen Staaten propagiert und ausgenutzt. Positiv wirkt die damit verbundene institutionalisierte Innovationsfähigkeit, negativ wirkt die mangelnde Kontinuität und der Zwang zur doppelten Loyalität. Durch die befristete Entsendung bleibt nicht nur tendenziell eine Bindung an den früheren Dienstherrn bestehen, weil sich die Tätigkeit im Bereich der Vereinten Nationen auf die Karrierechancen des Beamten im nationalen Dienst auswirken kann, sondern auch die Möglichkeit des früheren und späteren Dienstherrn zur Einflußnahme und Kontrolle. Damit besteht die Gefahr, daß die internationale Tätigkeit in nationalem Interesse erfolgt, während die internationale Organisation überstaatliche Loyalität nicht nur erwartet und fordert, sondern zur Durchführung der Aufgaben auch voraussetzt. Insoweit steht die Praxis der befristeten Dienstverträge der Forderung nach einem internationalen Berufsbeamtentum, das für die Organisation als Garantie für interne Loyalität und Kontinuität gilt, entgegen. Die Verteilung der verfugbaren Posten auf die Mitgliedstaaten erfolgt nach dem in Art. 101 Abs. 3 niedergelegten Grundsatz der möglichst breiten geographischen Verteilung. Um im Rahmen der geographischen Verteilung auch der Nationalitätenvertretung und dem politischen wie wirtschaftlichen Gewicht gerecht zu werden, hat sich seit der Resolution 153 (II) der Generalversammlung vom 15. November 1947 ein System des „desirable range", d. h. einer Bandbreite zwischen der nationalen Höchst- und Mindestquote, durchgesetzt. Als Bemessungsgrundlage für die Aufteilung der Posten und Festlegung des „desirable range" gilt die Höhe der nationalen Beitragszahlungen (-> Beitragssystem, Haushalt). Da eine strikte Durchführung dieses Berechnungsmodus zu Ungerechtigkeiten und geringer Repräsentanz kleinerer und finanzschwacher Mitgliedstaaten führen kann, werden Staaten, deren Beitrag unter 0,14% des Gesamthaushaltes liegt, bis zu drei Posten zuerkannt, ohne daß sie als überrepräsentiert gelten. Bei den Staaten, die über 10 % des Gesamtbudgets tragen, bleibt der darüber hinausgehende Betrag unberücksichtigt. Innerhalb der so geschaffenen Bandbreite ist im Einzelfall eine Abweichung von 25 % nach unten oder oben zulässig. Unberücksichtigt bei der Nationalitätenverteilung bleiben Sprachenpersonal und der allgemeine Verwaltungsdienst (general service). Grundsätzlich begünstigt die zulässige Abweichung im desirable range die finanzstarken Mitgliedstaaten, so daß numerisch und qualitativ eine Überrepräsentation der westeuropäischen Gruppe (-> Blockbildung) gegeben war und ist. Dies gilt um so mehr, als es diese Gruppe wegen ihrer politischen Bedeutung bis 1960 auch verstanden hat, die wichtigsten Posten zu besetzen. Auf Initiative der afro-asiatischen Staaten beschloß daher die Generalversammlung, innerhalb der Bandbreite nicht nur die absolute Zahl der Dienstposten, sondern auch die Wichtigkeit der Ämter zu berücksichtigen (Res. 1559 (XV) vom 18.12.1960). Das schon vorher bei UNESCO und FAO praktizierte Punktsystem der Dienstpostenbewertung

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wurde für das Sekretariat nicht übernommen, sondern durch eine modifizierte Gewichtung der Posten ersetzt. Höchst- und Mindestquoten werden in Beziehung zu den vorhandenen und verfügbaren Dienstposten gesetzt, deren Bewertung sich nach dem durchschnittlichen Jahresbruttogehalt der Eingangsstufen des betreffenden Amtes richtet. Das zulässige Kontingent kann daher bereits durch einen oder mehrere wichtige Posten erreicht oder überschritten, durch viele unwichtige Stellen nicht ausgeschöpft sein. Nicht die numerische, sondern die qualitative Repräsentanz ist daher maßgebend. Trotz der nunmehr perfektionierten Nationalitätenverteilung ist in der Organisation der Vereinten Nationen die Mehrheit der Staaten personell überrepräsentiert, ca. 10 % sind dagegen gar nicht vertreten. Zu den zu schwach repräsentierten Staaten gehört auch die Bundesrepublik Deutschland. Trotz erheblicher Steigerung der Personalquoten ist die Bundesrepublik Deutschland auch in den Sonderorganisationen überwiegend unterdurchschnittlich vertreten. Im Gegensatz zum Völkerbund, dessen Altersversorgung für die Bediensteten im wesentlichen der Auszahlung von Beiträgen zu einer Zwangssparkasse gleichkam, errichteten die Vereinten Nationen eine eigene Pensionskasse, die auch den Sonderorganisationen offen steht. Der Pensionsfonds wird aus den Beiträgen der Bediensteten wie der Organisation und der Sonderorganisationen gespeist. Die Bediensteten haben 7 % ihres Nettogehaltes einzuzahlen, 14 % des jeweiligen Nettogehaltes werden von der Organisation als Zuschuß gegeben. Allgemeine Altersgrenze für den Eintritt in den Ruhestand ist das 60. Lebensjahr. Bei Ausscheiden aus dem Dienst wegen Erreichung der Altersgrenze sowie bei vorzeitiger Dienstunfähigkeit erhält der Beamte bzw. seine Angehörigen bis zum Lebensende eine Pension. Die Ruhebezüge richten sich nach den „Regulations o f the United Nations Joint Staff Pension Fund" vom 1. Januar 1958. Die Pensionsberechtigung beginnt nach fünfjähriger Dienstzeit, ihre Höhe beträgt 1/50 des letzten Jahresbruttogehaltes multipliziert mit der Anzahl der Dienstjahre. Die Einzahlungen in den Pensionsfonds ist für alle Bediensteten obligatorisch. Während des Dienstes unterliegen alle Bediensteten, nach Beendigung der aktiven Tätigkeit uneingeschränkt nur das Dauerpersonal, einer Disziplinarordnung (Rule 10.1 Staff Regulations). Mit der Disziplinarordnung ist die Möglichkeit gegeben, bei vorsätzlicher oder fahrlässiger mangelhafter Verrichtung der Dienstpflichten wie bei Mißbrauch der Vorrechte und Befreiungen gegen den Bediensteten vorgehen zu können. Als Disziplinarmaßnahmen kommen Verwarnung, Verweis, Rückstufung wie Entfernung aus dem Dienst in Betracht. Vor Verhängung einer Disziplinarstrafe soll der gemeinsame Disziplinarausschuß gehört werden ( 1 4 0 Staff Rules). Da angesichts der unterschiedlichen nationalen Anschauungen und WertKriterien ein Disziplinarrecht für heterogen zusammengesetzte Bedienstete ohnehin schon problematisch ist, sind gegen alle disziplinarrechtlichen Entscheidungen wie gegen alle anderen personalrechtlichen Akte ein Beschwerdeweg und Rechtsschutz eröffnet. Verwaltungsinterne Beschwerdeinstanz ist das Gemeinsame Beschwerdegremium (Rule 11 Staff Regulations), gegen dessen Entscheidung das Verwaltungsgericht der Vereinten Nationen (Administrative Tribunal) angerufen werden kann. Das aus sieben Richtern verschiedener Nationalitäten bestehende, von der Generalversammlung auf drei Jahre gewählte Verwaltungsgericht kann die Entscheidung des Generalsekretärs von sich aus nicht ändern, wohl aber unter Darlegung der Rechtsauffassung zur Neubescheidung zurückverweisen. Die Entscheidung ist endgültig, unterliegt aber unter engen Voraussetzungen der Überprüfung durch den Internationalen Gerichtshof zur gutachtlichen Stellungnahme. Literatur Busch: Dienstrechtsreform der UN-Organisationen, in: DÖV 1975 S. 15 Lane: Internationale Beamte im Dienst der Vereinten Nationen, in: VN 1963 S. 130 ders.: Das Dienstrecht der Vereinten Nationen, in: VN 1972 S. 1 8 2 Longrot: The International Civil Service, New York 1963 Jens A. Brückner

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Organisationssystem der Vereinten Nationen

Verweise auf·. Beitragssystem, Haushalt; Blockbildung; Generalsekretär; Organisationssystem der Vereinten Nationen.

Organisationssystem der Vereinten Nationen Im Organisationssystem der Vereinten Nationen ist zwischen Hauptorganen, Spezialorganen, Nebenorganen, insbesondere Ausschüssen (-» Ausschußsystem) und ->• Sonderorganisationen zu unterscheiden. Hauptorgane Gem. Art. 7 Abs. 1 gibt es sechs Hauptorgane (principal organs): Generalversammlung (General Assembly), -> Sicherheitsrat (Security Council), Wirtschafts- und Sozialrat (Economic and Social Council, -> ECOSOC), ->· Treuhandrat (Trusteeship Council), Internationaler Gerichtshof (International Court of Justice, IGH) und Sekretariat (Secretariat, ->• Generalsekretär). Trotz der organisatorischen Gleichstellung in Art. 7 besteht zwischen den Organen ein unterschiedliches Abhängigkeitsverhältnis. Funktionen und Zusammensetzung der Organe sind in der Charta, prozedurale Fragen in den einzelnen Geschäftsordnungen geregelt (Rules of Procedure of the General Assembly, Doc. A/520/Rev. 12; Provisional Rules of Procedure of the Security Council, Doc. S/96/Rev. 6; Rules of Procedure of the Economic and Social Council, ESCOR (LVIII) Suppl. No. 1 p. 11). Generalversammlung Die Generalversammlung mit ihren sieben Hauptausschüssen ist das einzige Hauptorgan, in dem alle 144 Mitgliedstaaten (Stand: 31.12.1975) mit Sitz und Stimme vertreten sind. Sie nimmt die organisatorische Zentralstellung im System der Vereinten Nationen ein: — Sie entscheidet über die Zusammensetzung der anderen Hauptorgane (Art. 2 3 , 6 1 , 8 6 , 9 7 ; Art. 4 IGH-Statut); — Sie übt die Kontrolle über den Haushalt (-> Beitragssystem, Haushalt) und die Administration der Organisation aus (Art. 17 und 101); — Sie kann alle Fragen und Angelegenheiten erörtern, die im Rahmen der Charta liegen oder die Befugnisse und Funktionen jedes anderen Organs betreffen, und entsprechende Empfehlungen an die Mitglieder der Vereinten Nationen, den Sicherheitsrat oder an beide richten (Art. 10); — ECOSOC und Treuhandrat erfüllen ihre Funktionen unter der Autorität der Generalversammlung (Art. 60 und 86). Die Vormachtstellung des Sicherheitsrates gegenüber der Generalversammlung in Fragen, die die internationale Sicherheit berühren, ist in Art. 12 geregelt: Solange der Sicherheitsrat seine ihm in friedensgefährdenden Situationen zugewiesenen Funktionen ausübt, darf die Generalversammlung zu diesen Fragen keine Empfehlungen erstatten, es sei denn, sie wird vom Sicherheitsrat dazu aufgefordert (->· Friedenssicherung; Streitschlichtung). Sicherheitsrat Der Sicherheitsrat ist ebenso wie der ECOSOC und der Treuhandrat ein sog. Organ mit begrenzter Mitgliederzahl. Er umfaßt Mitglieder zwei verschiedener Kategorien: Ständige und

Internationaler Gerichtshof

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nichtständige (Art. 23). Zu den fünf ständigen Mitgliedern zählen die Volksrepublik China, Frankreich, die Sowjetunion, Großbritannien und die Vereinigten Staaten von Amerika. Die zehn nichtständigen Mitglieder werden für zwei Jahre aus dem Kreis aller Mitglieder gewählt. Das politische Gewicht, das den fünf Staaten in dem Organ, das für die Aufrechterhaltung des internationalen Friedens und der Sicherheit zuständig ist, gegeben wurde, ist durch das sog. Veto-Recht (-> Stimmrecht) noch verstärkt worden: Die Einstimmigkeit der ständigen Mitglieder ist für alle Beschlüsse, außer über Verfahrensfragen, erforderlich (Art. 27, 108 und 109). Schließlich kommt ihnen im Organisationssystem der Vereinten Nationen noch insofern eine besondere Bedeutung zu, als sie auf Grund ihrer ständigen Mitgliedschaft im Sicherheitsrat in der Regel in allen anderen Organen und Ausschüssen eine quasi-ständige Mitgliedschaft haben (d. h. sie werden nach Ablauf ihrer Amtszeit regelmäßig wiedergewählt) und ihnen in einzelnen Gremien bestimmte Posten zustehen. Der Generalstabsausschuß, der unter der Autorität des Sicherheitsrats für die Leitung von Streitkräften zuständig ist, besteht ausschließlich aus den Generalstabschefs der fünf Staaten (-» Streitkräfte der Vereinten Nationen). Er ist im Organisationssystem der einzige Ausschuß, dessen Einrichtung und Zusammensetzung in der Charta festgelegt ist.

ECOSOC Der ECOSOC besteht aus 54 Mitgliedern, von denen jedes Jahr 18 für die Dauer von drei Jahren gewählt werden (Art. 61). Er ist das wirtschaftliche Hauptorgan der Organisation, das unter der Autorität der Generalversammlung seine Funktionen ausübt. Die Trennung zwischen Sicherheitsrat und ECOSOC, die der Völkerbund nicht kannte, zeigt die besondere Bedeutung, die dem wirtschaftlichen und sozialen Bereich zugedacht ist. Dem ECOSOC unterstehen die regionalen -*• Wirtschaftskommissionen. Die Sonderorganisationen erstatten dem ECOSOC regelmäßig Bericht.

Treuhandrat Auch die Verantwortung für die Verwaltung von Treuhandgebieten ist — anders als im Völkerbund (->· Mandatsgebiete) — organisatorisch von der Verantwortung für die Aufrechterhaltung des Friedens und der Sicherheit getrennt worden. Der Treuhandrat ist als das Organ geschaffen worden, das für den Fragenbereich der Entkolonialisierung und der Verwaltung von Treuhandgebieten zuständig ist. Er führt seine Aufgaben unter der Autorität der Generalversammlung durch.

Internationaler

Gerichtshof

Der IGH ist das Hauptorgan für die Rechtsprechung; er ist also kein „politisches", sondern ein richterliches Organ. Während sich die Generalversammlung und die drei Räte aus Vertretern der Mitgliedstaaten zusammensetzen, besteht der Gerichtshof aus 15 „unabhängigen" Richtern, die unabhängig von ihrer Nationalität von Generalversammlung und Sicherheitsrat gewählt werden. Der IGH ist weniger stark in das Organisationssystem der Vereinten Nationen integriert als die anderen Organe. Er übt seine Tätigkeit nach einem eigenen Statut aus, das jedoch Bestandteil der Charta ist. Seine Rechtsprechung vollzieht er nicht im Namen der Vereinten Nationen, sondern im eigenen Namen. Die Verbindung zwischen Organisation und Gerichtshof kommt darin zum Ausdruck, daß der IGH Rechtsgutachten für die Organisation erstattet und daß seine Kosten von den Vereinten Nationen in der von der Generalversammlung festgelegten Weise getragen werden.

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Organisationssystem der Vereinten Nationen

Sekretariat Durch Art. 7 Abs. 1 ist theoretisch eine Gleichsetzung des Sekretariats als dem Verwaltungsorgan mit den politischen Hauptorganen der Vereinten Nationen erzielt worden. Der Generalsekretär, der auf Empfehlung des Sicherheitsrats von der Generalversammlung ernannt wird und dem die administrative Zentralgewalt in den Vereinten Nationen zukommt (Art. 97), erhält zusätzliche politische Funktionen, die seine Rolle gegenüber den anderen Hauptorganen, insbesondere dem Sicherheitsrat und der Generalversammlung, stärken. Die Völkerbundsatzung kannte eine politische Funktion des höchsten Verwaltungsbeamten im Organisationssystem nicht. Art. 99 legitimiert die politische Rolle des Generalsekretärs: Er sieht vor, daß der Generalsekretär die Aufmerksamkeit des Sicherheitsrates auf alle Angelegenheiten lenken kann, die seiner Meinung nach die Aufrechterhaltung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit bedrohen. Liegt ein derartiger Fall vor, muß der Sicherheitsratspräsident eine Sitzung des Sicherheitsrats einberufen (Provisorische Geschäftsordnung des Sicherheitsrats, Regel 3). Mit Art. 99 lassen sich auch zahlreiche, nicht ausdrücklich in der Charta erwähnte politische Funktionen begründen. Die politische Verbindung zwischen Generalversammlung und Generalsekretär wird durch Art. 98 hergestellt: Der Generalsekretär erstattet der Generalversammlung alljährlich Bericht über die Tätigkeit der Organisation. Art. 98 ist im Laufe der Jahre zur Grundlage für zahlreiche Geschäftsordnungsbestimmungen geworden, die den politischen Handlungsspielraum des Generalsekretärs erweitern. Sie ermächtigen ihn, Tagesordnungspunkte auf die Agenda zu setzen (Regel 14 und 18) sowie zu jeder Zeit schriftliche oder mündliche Stellungnahmen zu internationalen Angelegenheiten vor dem Plenum abzugeben (Regel 70).

Nebenorgane Ausschüsse können gem. Art. 7 Abs. 2 je nach Bedarf in Übereinstimmung mit der Charta eingesetzt werden. Veränderungen in der Anzahl der Hauptorgane dagegen sind nur durch Änderung der Charta möglich. Generalversammlung und Sicherheitsrat sind in besonderem Maße ermächtigt, Ausschüsse einzurichten, wenn sie dies zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben für erforderlich halten (Art. 22 und 29). Der ECOSOC kann Kommissionen in den verschiedenen Bereichen semer Aktivitäten büden (Art. 68). Mit zunehmender Mitgliederzahl und mit Übernahme zusätzlicher politischer und wirtschaftlicher Funktionen durch die Organisation sind auf diese Weise zahlreiche neue Gremien geschaffen worden, entweder ad hoc oder auf permanenter Basis. Die ungeschriebene Regel, daß ein Gremium nicht mehr als 15 Sitze haben sollte, um arbeits- und beschlußfähig zu bleiben, mußte mit Vergrößerung der Organisation durchbrochen werden, auch wenn bei stärkerer Politisierung die Effizienz der Arbeit erfahrungsgemäß nachläßt. Andererseits kann jedes Gremium aber nur dann funktionsgerecht arbeiten, wenn es so zusammengesetzt ist, daß in ihm die wichtigsten in der Generalversammlung vorhandenen politisch relevanten Tendenzen Ausdruck finden. Den Ausschüssen kommt im Organisationssystem und Entscheidungsprozeß der Vereinten Nationen eine bedeutende Rolle zu. Sie dienen der intensiven und oft permanenten Behandlung bestimmter Probleme. Das besondere Interesse der Staaten an Sitz und Stimme in den Nebenorganen mit begrenzter Mitgliedeizahl erklärt sich daraus, daß den Regierungen durch ihre Repräsentation eine größere Möglichkeit zur Einflußnahme gegeben wird. Durch die ständige Beobachtung von Problemen, die Teilnahme an der Formulierung von Vorschlägen und Programmen, den Entwurf von Resolutionen und schließlich die Ausarbeitung von Konventionen bestimmen die Mitglieder der Gremien die politische Richtung und den Verlauf der Aktivitäten der Vereinten Nationen.

Entwicklung des Organisationssystems

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Spezialorgane Neben den Hauptorganen gibt es die von der Generalversammlung insbesondere in den 60er Jahren eingesetzten Spezialorgane. Diese Entwicklung ist im Zusammenhang mit der Aufgabenerweiterung und den verstärkten Forderungen der Entwicklungsländer nach wirtschaftlicher und finanzieller Unterstützung durch die kapitalkräftigeren Staaten zur Überwindung ihrer Schwierigkeiten zu sehen. Erwähnt seien hier folgende Spezialorgane: -»· UNICEF, UNHCR Flüchtlinge), UNRWA Flüchtlinge), UN CT AD, UNDP, UNEP (-> Umweltschutz), UNITAR, -» UNIDO, UNCDF, UNFPA (-• Weltbevölkerung). Die Spezialorgane, die heute einen festen Platz im Organisationssystem einnehmen, werden in der Regel durch freiwillige Beiträge und aus dem ordentlichen Haushalt finanziert. Während UNICEF, UNDP und UNEP dem ECOSOC berichten, unterstehen die übrigen Spezialorgane direkt der Generalversammlung. Sonderorganisationen Als Sonderoiganisationen werden die Organisationen bezeichnet, die gem. Art. 57 durch zwischenstaatliche Übereinkünfte auf den Gebieten der Wirtschaft, des Sozialwesens, der Kultur, der Erziehung und der Gesundheit gegründet und gem. Art. 63 durch besondere Abkommen mit den Vereinten Nationen in Verbindung gebracht worden sind. Diese Verträge verpflichten die Organisationen in der Regel, Empfehlungen der Organe der Vereinten Nationen zu beachten und in ihren regelmäßigen Berichten an den ECOSOC die Maßnahmen darzulegen, die zur Durchführung der Empfehlungen ergriffen worden sind. Sie regeln im Organisationssystem den Austausch von Informationen und Dokumenten sowie die Koordinierung der Finanz- und Personalpolitik. Sie schaffen schließlich die rechtliche Voraussetzung für eine gegenseitige Teilnahme an den Sitzungen und für das Vorschlagsrecht von Tagesordnungspunkten für die Agenden. Zur Koordinierung der Arbeit der Vereinten Nationen und der Sonderorganisationen ist vom Generalsekretär in Übereinstimmung mit der ECOSOC Resolution 13 (III) vom 21. September 1946 ein Verwaltungsausschuß für die Koordination (ACC) eingerichtet worden, der dem ECOSOC berichtet. Er besteht aus dem Generalsekretär, den ihm rangmäßig entsprechenden Beamten der Sonderorganisationen und der IAEA, dem Untergeneralsekretär für wirtschaftliche und soziale Angelegenheiten sowie den Leitern der Spezialorgane und des GATT. Es hat sich in der Praxis gezeigt, daß der Ausschuß zu groß ist, um effektiv arbeiten zu können, d. h. er operiert zu schwerfällig und langsam, um Streitfälle zwischen den Organisationen und Organen beilegen zu können. Der Trend geht deshalb immer stärker dahin, zunächst auf höchster Verwaltungsebene zu versuchen, Schwierigkeiten und Kompetenzstreitigkeiten bilateral zu lösen. Gegenwärtig gibt es Verträge mit 14 Sonderorganisationen: -»· ILO, F AO,-* UNESCO, ->· WHO, IBRD, -* IFC, -» IDA, -> IMF, ICAO, UPU, ITU, WMO, -> WIPO und IMCO. Die -*• IAEA ist keine Sonderorganisation im Sinne der Charta, sondern eine autonome zwischenstaatliche Organisation. Sie ist durch ein Abkommen mit den Vereinten Nationen verbunden und berichtet regelmäßig der Generalversammlung und in gewissen Fällen dem Sicherheitsrat. Ebenso nimmt das GATT eine Sonderstellung ein. Entwicklung des Organisationssystems Das Organisationssystem der Vereinten Nationen hat sich in mehr als einem Vierteljahrhundert seit Gründung der Organisation entwickelt. Formale Änderungen in der Struktur sind notwendig geworden, um die Organisation weitestgehend den weltpolitischen Realitäten der Nachkriegszeit anzupassen. Daneben ist eine Entwicklung eingetreten, die sich aus dem

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Organisationssystem der Vereinten Nationen

formalen Organisationssystem nicht ersehen läßt: Kompetenzverschiebungen zwischen den Hauptorganen, Nebenorganen, Spezialorganen und Sonderorganisationen haben stattgefunden als Folge der Aufgabenerweiterung, der politischen Schwerpunktverlagerung im Tätigkeitsbereich und schließlich der veränderten Mitgliederzusammensetzung. Mit der Erweiterung des Aufgabenbereichs, insbesondere im wirtschaftlichen und sozialen Bereich, ist die Einsetzung zahlreicher neuer Nebenorgane, Spezialorgane und Sonderorganisationen notwendig geworden. Im Rahmen dieser Entwicklung ist es zu Überschneidungen in speziellen Arbeitsgebieten gekommen, die wiederum eine nachlassende Effektivität einzelner Ausschüsse zur Folge gehabt haben, ohne daß sich dadurch deren formale Struktur geändert hätte. Eine ähnliche Entwicklung ist in einzelnen Abteilungen des Sekretariats zu beobachten gewesen. Die Zunahme der Mitgliedstaaten aus der Dritten Welt, die in der zweiten Hälfte der 50er Jahre einsetzte, hat auch eine zunehmende Befassung der Vereinten Nationen mit Dekolonisierungs- und Rassendiskriminierungsfragen zur Folge gehabt und die Errichtung von Sonderausschüssen impliziert. Der ständige Wettbewerb um Repräsentation in den Gremien, die Forderung der neuen Staaten nach verstärktem Mitsprache recht und schließlich der abnehmende westliche Einfluß als Folge der zunehmenden Aufnahme von Entwicklungsländern haben das organisatorische und politische System der Vereinten Nationen in den vergangenen 20 Jahren stark geprägt. Die geographischen Gruppen (Afro-Asiatische Gruppe, Lateinamerikanische Gruppe, Gruppe westeuropäischer und anderer Staaten und die Osteuropäische Gruppe, -> Blockbildung), die eine gerechte regionale Sitzverteilung garantieren sollen, sind zusätzlich zu einem Instrument der Einflußnahme im politischen Prozeß geworden und bilden heute einen festen Bestandteil des politischen Systems der Vereinten Nationen. Den Gruppen, die auf der Grundlage von allgemeiner Konsensusbildung oder formellen Absprachen existieren, kommt heute eine quasioffizielle Rolle in der Struktur der Vereinten Nationen zu. Unabhängig davon existieren politische Gruppen, zu denen sich Staaten mit ähnlich gerichteten politischen Interessen zusammengeschlossen haben zwecks Koordinierung ihrer Politik und ihres Abstimmungsverhaltens in den Vereinten Nationen. Schließlich hat sich in den Jahren seit Bestehen der Organisation eine vorübergehende Verlagerung der Aufgabenbereiche zwischen den Hauptorganen vollzogen. Die politische Zentralstellung des Sicherheitsrats, die ihm mit der Übertragung der Hauptverantwortung für die Aufrechterhaltung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit zuerkannt worden war, ist durch die häufige Anwendung des Veto-Rechts der ständigen Mitglieder geschwächt worden. Diese Entwicklung hat zu einer begrenzten Verlagerung des politischen Schwergewichts vom Sicherheitsrat auf die Generalversammlung geführt und ihren Höhepunkt mit der „Uniting for Peace"-Resolution (GA Res. 377 (V) vom 3.11.1950) erreicht. Die Resolution sollte bei Funktionsunfähigkeit des Sicherheitsrats mangels Einstimmigkeit seiner ständigen Mitglieder das Aufgreifen von Streitfragen durch die Generalversammlung ermöglichen und dadurch das Vorrecht des Sicherheitsrats umgehen. Die Stellung der Generalversammlung war allerdings von vornherein insofern schwächer als die des Sicherheitsrats, als sie nur offizielle Stellungnahmen und Empfehlungen an die Mitgliedstaaten abgeben und keine bindenden Kollektivmaßnahmen beschließen konnte. Die begrenzte Wirkungsmöglichkeit von Sicherheitsrat und Generalversammlung führte dann insbesondere während der Amtszeit von Dag Hammarskjöld (1953—1961) zur Stärkung der Stellung des Generalsekretärs und zur Erweiterung seiner Einflußmöglichkeiten. Die Bestimmungen der Charta und der Geschäftsordnungen wurden dabei zu einem wirkungsvollen Instrumentarium ausgebaut, das dem Generalsekretär Spielraum für selbständiges politisches Handeln ließ. Schließlich übertrugen Generalversammlung und Sicherheitsrat ihm in Resolutionen, vor allem in Verbindung mit der Aufstellung und Unterhaltung von Friedensstreitkräften und der Vermittlung in Spannungssituationen, Funktionen, die ihn zur eigentlichen Schlüsselfigur im Entscheidungsprozeß machten.

Ost-West-Konflikt

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Der Sicherheitsrat konnte zu Beginn der 70er Jahre seine ursprüngliche Zentralstellung im Organisationssystem wiedererlangen, nicht zuletzt als Folge der Veränderung der Vertretung Chinas in den Vereinten Nationen und des neuen amerikanisch-sowjetischen Bilateralismus, der dem Sicherheitsrat wieder eine größere Bedeutung zukommen läßt, sowie als Folge des verstärkten „Nord-Süd-Konflikts", der zu einer Schwächung der Generalversammlung, in der die Dritte Welt heute über eine Zweidrittelmehrheit verfügt, gefuhrt hat. Literatur Lindemann: Die Organisationsstruktur der Vereinten Nationen und die Mitarbeit der Bundesrepublik Deutschland, in: Scheuner / Lindemann, Die Vereinten Nationen und die Mitarbeit der Bundesrepublik Deutschland, München / Wien 1 9 7 3 , S. 2 1 7 Beate Lindemann Verweise auf: Ausschußsystem; Beitragssystem, Haushalt; Blockbildung; ECOSOC; F A O ; Flüchtlinge; Friedenssicherung; G A T T ; Generalsekretär; Generalversammlung; I A E A ; I B R D ; ICAO; IDA; I F C ; IGH; I L O ; IMCO; IMF; I T U ; Mandatsgebiete; Sicherheitsrat; Sonderorganisationen; Stimmrecht; Streitkräfte der Vereinten Nationen; Streitschlichtung; Treuhandrat; Umweltschutz; UNCDF; UNCTAD; UNDP; UNESCO; UNICEF; UNIDO; UNITAR; UPU; Weltbevölkerung; WHO; WIPO; Wirtschaftskommissionen; WMO.

Ost-West-Konflikt Wenn die Vereinten Nationen als Resultante der historisch entstandenen und sich verändernden internationalen Politik verstanden werden und dabei der Ost-West-Konflikt — oder neutraler formuliert: die Ost-West-Beziehungen — strukturbestimmend für die internationale Politik sind, so ist jede Beantwortung der Frage nach der Problemlösungskapazität der Vereinten Nationen auf die Analyse der Ost-West-Beziehungen verwiesen.

Zum Begriff der Ost-West-Beziehungen Die Ost-West-Beziehungen als Gegenstand der wissenschaftlichen Diskussion entziehen sich einer exakten Definition. Entwicklung, Verhalten der Beteiligten, Änderungen und Ergebnisse dieser Beziehungen werden in der Literatur unterschiedlich benannt und erklärt: „Kalter Krieg", „Entspannung", „Friedliche Koexistenz", „Annäherung", „Konvergenz" und andere. Mit Hilfe einschlägiger Analysen läßt sich die Erscheinung „Ost-West-Konflikt" von 1 9 4 5 bis 1 9 7 5 zwar etwas unscharf, dafür aber umfassend auf folgenden Begriff bringen: Unter Ost-West-Konflikt als Teilbereich der internationalen Politik wird ein komplexes Beziehungsmuster verstanden, das aus einem disparaten Gemisch von kooperativen (kommunikativen), koexistentiellen und konfrontativen Elementen besteht. Zur weiteren Kennzeichnung dieses Beziehungstyps sollen folgende Kriterien genannt werden, die jeweils wichtige Aspekte der Ost-West-Beziehungen definieren: Entscheidend für den Stand der Ost-West-Beziehungen ist die Art und Intensität der Interaktionen zwischen den USA und der UdSSR. Dies erklärt sich damit, daß zumindest bis in die 60er Jahre das internationale System durch diese militärische wie auch politische Bipolarität bestimmt war. In jüngster Zeit wird von einer politischen Multipolarität bei fortbestehender militärischer Bipolarität gesprochen (Kissinger). Es handelt sich um intersystemare Beziehungen, d. h., es konkurrieren bzw. stehen sich

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Ost-West-Konflikt

gegenüber: Der Sozialismus und der Kapitalismus. Kennzeichnend sind antagonistische Wertorientierungen, die ihren jeweiligen Ausdruck in divergierenden Prämissen der Auseinandersetzung finden. So sind heute beide Systeme von dem eigenen überzeugt und verabsolutieren dieses. Die divergierenden Prämissen spiegeln sich manifest bzw. latent in der Unvereinbarkeit der außenpolitischen Ziele wider. Inhaltlich geht es bei den Ost-West-Beziehungen je nach Standort des Interpreten um die Verwirklichung von „Freiheit" und „Frieden", um die Durchsetzung von Machtinteressen, die nur unterschiedlich ideologisch verbrämt werden, um Hegemoniebestrebungen. Andere sehen in diesen Beziehungen den Wertkampf zwischen Humanität und Ausbeutung, zwischen Fortschritt und Reaktion. Wie auch die Ost-West-Beziehungen inhaltlich interpretiert und kommentiert werden, kennzeichnend ist eine eindeutige Dichotomisierung der unterschiedlichen Akteure mit der Folge, daß dem einen Positiwokabeln wie „Frieden", „Freiheit" und „Humanität" zugeordnet werden und dem anderen Negatiwokabeln wie „ K r i e g " , „Ausbeutung" und ähnliche. Diese Dichotomisierung hat den „ V o r t e i l " , daß Vorschläge des jeweils anderen Systems dem vorgegebenen Interpretationsraster konfrontiert und abgelehnt werden, ohne sich mit den Einzelheiten beschäftigen zu müssen. Diese Konstellation läßt sich am Beispiel der Abrüstungs- und Entspannungsvorschläge verdeutlichen. Zum Verständnis der Ost-West-Beziehungen gehört, daß diese geographisch nicht eingrenzbar sind. Kennzeichnend ist vielmehr ihre globale Dimension. So werden der KoreaKonflikt, die Berlin-Krisen, der Vietnam-Krieg wie 1975/6 der Angola-Konflikt begrifflich zu den Ost-West-Beziehungen gezählt. Dies aus zwei Gründen: Erstens, weil die Großmächte U S A und UdSSR diejenigen Akteure sind, die in den Konflikt verwickelt sind bzw. diesen „kontrollieren"; zweitens wegen der perzipierten Auswirkung auf den Fortgang der OstWest-Beziehungen insgesamt. Die Ost-West-Beziehungen hatten wegen der militärischen und politischen Bipolarität bis in die 70er Jahre einen weitgehend bilateralen Aspekt. Die Hauptträger von konfrontativen, negotiativen und kooperativen Entwicklungen waren die USA und die UdSSR. Das Verhältnis beider zueinander bestimmte allein den Rahmen der ihnen jeweils zugeordneten Staaten. Der Gegensatz von fortbestehender Bipolarität und politischer Multipolarität (Kissinger) verlangte einen neuen Ansatz in den internationalen Beziehungen. Die KSZE, der modus vivendi zwischen den Europäischen Gemeinschaften und dem Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (COMECON), das Ostvertragssystem zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den kommunistischen Staaten (einschließlich der D D R ) signalisierten eine partielle Multilateralisierung der Ost-West-Beziehungen. Eine herausgehobene Beschäftigung mit Ost-West-Beziehungen und ihre Isolierung von den „Nord-Süd-Beziehungen" rechtfertigt sich zusammenfassend aus folgenden Gründen: Hauptkontrahenten und Hauptpartner in der intersystemaren Auseinandersetzung sind die Mächte, die strukturbestimmend für die internationalen Beziehungen insgesamt sind (USA/ UdSSR); über 80 % der „Weltrüstung" entfallen nach SIPRI auf die beiden Militärkoalitionen N A T O und Warschauer Pakt; mit über 80 % sind die westlichen wie die östlichen Industriestaaten am „Weltsozialprodukt" beteiligt; nicht zuletzt sollte berücksichtigt werden, daß vier der fünf ständigen Sicherheitsrats-Mitglieder der Vereinten Nationen (Großbritannien, Frankreich, U S A und UdSSR) Hauptbeteiligte an den Ost-West-Beziehungen sind. Zur Periodisierung

der Ost- West-Beziehungen

Nimmt man die jeweils eine bestimmte Epoche in den Ost-West-Beziehungen definierenden Elemente (konfrontativ, negotiativ, koexistentiell, kooperativ-kommunikativ) als Strukturierungshilfe für die Periodisierung der 30-jährigen Geschichte der Ost-West-Beziehungen, und bringt man die einzelnen Abschnitte unter einen Dominanzbegriff, so lassen sich vier große Perioden unterscheiden. Wichtig zum Verständnis ist hierbei die Feststellung, daß im Falle der Dominanz eines Elements (beispielsweise des kooperativen) das andere bzw. die

Zur Penodisierung der Ost-West-Beziehungen

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anderen (konfrontative oder koexistentielle) fortbestehen, also nur überlagert werden. Wenn nämlich divergierende Prämissen (Wertorientierungen) und die sie hervorbringenden unvereinbaren außenpolitischen Zielvorstellungen durchgängig das Strukturmerkmal der intersystemaren Ost-West-Beziehungen sind, so ist die Kategorie des Konfliktes die zentrale Bestimmungsgröße. Es ist dann lediglich noch von einem Konflikt in seiner manifesten Form (wie etwa im „Kalten Krieg") oder in seiner latenten Form („Entspannung") zu sprechen. Das heißt: Das Konfrontationsschema ist substantiell geblieben. Es kommt in der Abschreckung zweier hochgerüsteter Militärkoalitionen zum Ausdruck, die „atomare Superstruktur" ist sein definierendes Attribut. In dieses Konfrontationsschema gehört notwendig die Vorstellung vom Nullsummenspiel, unter das alle Erscheinungen in den Ost-WestBeziehungen subsumiert werden: Jedes Plus, jeder Vorteil des einen Systems bringt zwangsläufig ein Minus, einen Nachteil für das andere System. Eine solche Betrachtungsweise, die sich — wenn auch in anderer Terminologie — sowohl in der östlichen wie in der westlichen Literatur findet, kann Plausibilität und ein hohes Maß an Realitätsnähe für sich beanspruchen. Analysen in der Friedens- und Konfliktforschung, die ihren Bezugspunkt in einem „positiven Friedensbegriff' haben, können sich nur schwer gegen eine Betrachtungsweise der internationalen Politik durchsetzen, die als wesentliche ratio die Abschreckung von Rüstungspotentialen mit mehrfacher Zerstörungskraft allen menschlichen Lebens hat. Grob periodisiert lassen sich in den Ost-West-Beziehungen vier Abschnitte erkennen, in denen jeweils ein Interaktionsmodus dominiert: 1. Abschnitt Die „Anti-Hitler-Koalition" der 40er Jahre, die zum Sieg über den deutschen Faschismus und zur Gründung der Vereinten Nationen gefuhrt hat: Der Fortbestand dieser Koalition war die wichtigste Prämisse fur die Ausgestaltung der Charta, insbesondere für das Konzept der -* kollektiven Sicherheit gegen jeden Aggressor (-* Entstehungsgeschichte). Das in Kapitel VII der Charta vorgesehene kollektive Sicherheitssystem hat bisher seme intendierten Wirkungen nicht entfalten können, weil die entscheidende Grundlage, der gemeinsame Wille der Großmächte, nach der ersten Sitzung des Sicherheitsrats am 17. Januar 1946 hinfällig wurde. Der erste Fall, die Beschwerde des Iran, die Sowjetunion mische sich in innere persische Angelegenheiten ein, führte zu einem Zusammenstoß zwischen den USA und Großbritannien auf der einen Seite und der Sowjetunion auf der anderen. 2. Abschnitt Die Periode des „Kalten Krieges" (Ende der 40er Jahre bis Anfang der 60er Jahre): In diesem Zeitraum dominierten eindeutig konfrontative Elemente bei nahezu völliger Verdrängung der kommunikativen, koexistentiellen und negotiativen. Diese Periode ist in der Literatur heftig in ihren Ursachen und Verläufen umstritten. Im Ergebnis lassen sich drei konkurrierende Erklärungsansätze zum „Kalten Krieg" identifizieren: Im Zentrum der Analyse von Entstehungsbedingungen und Erscheinungsformen des ,,Kalten Krieges" steht am häufigsten das Stimulus-response-Theorem: Entweder wird der „Kalte Krieg" als Ausdruck der amerikanischen Aggression („roll back", „containment") und der „notwendigen" sowjetischen Reaktion oder umgekehrt der russischen Aggression und der „notwendigen" amerikanischen Reaktion interpretiert (Alleinschuldthese gegenüber der UdSSR in der herrschenden westlichen Literatur / Alleinschuldthese gegenüber den USA in der kommunistischen Literatur). Eine vermittelnde Position nimmt die sog. revisionistische amerikanische Geschichtsschreibung ein, die sich mit Namen wie Horowitz, Asperovitz und anderen verbindet, die sich absetzen von der Alleinschuldthese und den USA eine Mitschuld am Ausbruch und Verlauf des „Kalten Krieges" geben. Zustimmend zu der Frage, wer den „Kalten Krieg" ausgelöst

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Ost-West-Konflikt

hat, soll hier Willms referiert werden, der auf folgenden Tatbestand aufmerksam macht: Wer die Verursachung des „Kalten Krieges" einseitig bei den USA sieht, muß die Rücksichtslosigkeit der Stalinschen Westpolitik in den Jahren nach dem 2. Weltkrieg verleugnen. Wer sie jedoch nur in dieser Stalinschen Politik (ζ. B. Iran 1946, CSR 1947/48, Berlin 1948) sieht, muß verschweigen, daß die USA einen zunehmend stärker werdenden Weltkommunismus zumindest einzudämmen versucht haben. 3. Abschnitt Der Beginn der Détente, die von den Hauptträgern Kennedy und Chruschtschow unter die Überschrift „Von der Konfrontation zur Negotiation" gebracht wurde: Mitbestimmend waren der Bau der Berliner Mauer (1961) und die Kuba-Krise (1962). Beide Ereignisse führten zu der Erkenntnis, daß jede Veränderung des Status vom jeweils statusbenachteiligten nicht hingenommen werden würde. Mitentscheidend war sicher auch das veränderte Kräfteverhältnis, das durch die NATO und durch den Warschauer Pakt repräsentiert wurde. Die ratio der Détente hat Kennedy auf folgende Formel gebracht: „If the Soviet Union and the United States, with all their global interests and clashes in commitments of ideology, and with nuclear weapons still aimed at each other today, can find areas of common interest and agreement, then surely other nations can do the same." Vorausgegangen war die erste Konferenz der blockfreien Länder (Belgrad 1961), auf der der Krieg (auch der „Kalte Krieg") zum Anachronismus erklärt wurde. Negotiative Elemente waren kennzeichnend für diese Phase. So konnten ab 1963 bilaterale und multilaterale Abkommen über Rüstungskontrollmaßnahmen abgeschlossen werden (->• Abrüstung). 4. Abschnitt Mit den Ostverträgen von 1970, dem Berlin-Abkommen von 1971, dem Beginn der KSZEVorverhandlungen, dem Abkommen zwischen den USA und der UdSSR von 1972 (SALTAbkommen, -> Abrüstung) und nicht zuletzt nach dem deutsch-deutschen Grundvertrag von 1972/73 begann eine Zeit, die dominiert wurde von kooperativen Elementen. Einen vorläufigen Höhepunkt fand diese Periode mit der Unterzeichnung der KSZE-Schlußakte am 1. August 1975 durch die Repräsentanten von 35 Staaten. Während westliche Interpretationen diese Periode mit dem unscharfen und wertausfüllungsbedürftigen Begriff der Entspannung zu erfassen suchen, wird im Schrifttum der kommunistischen Staaten mit dem konzeptionellen Begriff der „friedlichen Koexistenz" die Gesamtheit von koexistentiellen, negotiativen, kooperativen und konfrontativen Beziehungselementen als konstitutiv für die gegenwärtigen Ost-West-Beziehungen definiert (Jegorow). „Friedliche Koexistenz" findet jedoch eine dreifache Begrenzung: Eine zeitliche eine räumliche

eine subjektive

Per definitionem gilt „friedliche Koexistenz" solange, bis der „Sozialismus im Weltmaßstab" gesiegt hat (Jegorow) - ; „Friedliche Koexistenz" gilt nur für einen Ausschnitt der internationalen Beziehungen, sie soll lediglich der Interaktionsmodus zwischen „sozialistischen" und „kapitalistischen" Staaten sein —; „Friedliche Koexistenz" bezieht sich ausschließlich auf Staaten als Akteure; die „gesellschaftliche Ebene" wird von den Interpreten der „friedlichen Koexistenz" mit der Maßgabe versehen, daß der „ideologische K a m p f unvermindert weitergehen müsse.

Festzuhalten ist, daß die Konzeption der „friedlichen Koexistenz" im Gegensatz zur „Entspannung" begrifflich klarer ist und von den Apologeten einheitlicher vertreten wird. Wegen der skizzierten Begrenztheiten kann dieses Konzept jedoch nicht von allen Beteilig-

Ost-West-Beziehungen und Vereinte Nationen

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ten an den Ost-West-Beziehungen akzeptiert werden, zumal die Schlußakte von Helsinki eine auf alle Implikationen der „friedlichen Koexistenz" reduzierte „Entspannung" nicht nur nicht verbietet, sondern ausnahmslos alle Staaten ausdrücklich verpflichtet, „ungeachtet ihrer politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Systeme" „freundschaftliche Beziehungen" herbeizuführen. In der westlichen Friedens- und Konfliktforschung wird versucht, die komplexe und komplizierte Struktur der Ost-West-Beziehungen mit den Kategorien „Annäherung" und „Abgrenzung" begrifflich zu erfassen. Dieser Ansatz nimmt die Grundzüge der „friedlichen Koexistenz" auf, nämlich das Nebeneinander von innenpolitischer Abgrenzung und intersystemarer Kooperation. Er unterscheidet sich vom definierten Konzept der „friedlichen Koexistenz" dadurch, daß die Kategorien „Annäherung" und „Abgrenzung" lediglich Tatbestände analysieren und in ihrer Entwicklung identifizieren sollen. Der Ansatz postuliert und akzeptiert nicht die „Dialektik" von der Zwangsläufigkeit, je mehr Kooperation (Annäherung), desto mehr „Abgrenzung", wie dies in einer repräsentativen Textstelle von Neubert (1974) zum Ausdruck kommt: Das „Miteinander im Sinne der Zusammenarbeit der Völker" läßt die kommunistischen Staaten nicht „vergessen" daß sich „gleichzeitig ein objektiver, notwendiger Prozeß der Abgrenzung vollzieht". Diese Abgrenzung sei „vielmehr eine Grundbedingung für die konstruktive Politik der friedlichen Koexistenz". Die Diskussion über den Wechsel vom „Kalten Krieg" zur „Entspannung" („friedliche Koexistenz") und über die Gründe für die qualitative Veränderung in den Ost-West-Beziehungen wird von konkurrierenden Thesen beherrscht. So werden in der kommunistischen Literatur die Ost-West-Beziehungen durchgängig als ein Anpassungsvorgang kapitalistischer Staaten an das von den sozialistischen Staaten bestimmte internationale Kräfteverhältnis „zugunsten des Friedens und des Sozialismus" interpretiert. Auffallend ist, daß die Anpassungsthese in der sowjetischen und DDR-Literatur immer sehr undifferenziert und pauschal verwendet und nicht etwa durch Fallstudien empirisch fundiert wird. Nach der westlichen Literatur wird der Wechsel vom „Kalten Krieg" zur Negotiation bei gegenseitig konzediertem status q u o als eine Folge des atomaren Patts interpretiert. Der Wechsel zur „Entspannung" mit der Dominante Kooperation und Kommunikation wird im zunehmenden Bedarf der kommunistischen Staaten an intensiven Wachstumsfaktoren (insbesondere neuen Technologien) gesehen und weniger in der dem Sozialismus angeblich wesenseigenen Friedensliebe. Es lassen sich unschwer Indizien für die Zulässigkeit beider Erklärungsansätze beibringen, ohne daß damit jedoch stringent entschieden wäre, welcher Ansatz „richtig" ist. Ost-West-Beziehungen

und Vereinte

Nationen

Nach der Skizzierung der wichtigsten Rahmenbedingungen für das Wirken und die Wirkung der Vereinten Nationen kann der Beitrag der Weltorganisation auf Verlauf und Ergebnis der verschiedenen Epochen hier nur angedeutet werden. Die Rolle der Vereinten Nationen wird man resümierend damit kennzeichnen können, daß sie stets Registrator von außerhalb der Organisation ablaufenden Prozessen waren. Weil die Vereinten Nationen immer nur Erscheinungen und Tendenzen in der internationalen Politik widerspiegeln konnten, waren sie zu keiner Zeit in der Lage, etwa gegenläufige Prozesse zur Periode des „Kalten Krieges" zu organisieren oder zu initiieren. Die Registratorrolle hängt damit zusammen, daß die Organisation der Vereinten Nationen kein von den Staaten und vom jeweiligen Stand der internationalen Politik unabhängiger Akteur ist, sondern bestenfalls ein Instrument von Mehrheiten der Generalversammlung bzw. abhängig ist von einem friedenssichernden Konsens der USA und der UdSSR im Sicherheitsrat. Es ist sicher kein Zufall, daß in den umfangreichen Studien zum „Kalten Krieg", aber auch in jenen Arbeiten, die sich mit der „Entspannung" bzw. der „internationalen Sicherheit" beschäftigen, die Vereinten Nationen als Akteure entweder nicht vorkommen bzw. nur marginal Erwähnung finden.

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Petitionen

So gab es Situationen für die Vereinten Nationen, in denen beispeilsweise der Sicherheitsrat zur völligen Untätigkeit geradezu verurteilt wurde. Die Studien zur 30-jährigen Geschichte der Vereinten Nationen als Reflektor und Registrator der Geschichte der Ost-WestBeziehungen zeigen mit aller Deutlichkeit, daß die Gründe für die „Ohnmacht" der Weltorganisation, die sich in einer geringen Legitimationsquote in den Bereichen „peace-keeping" und „peace-making" widerspiegelt, nicht in den geschriebenen Kompetenzen zu suchen sind. Die Ohnmacht der Vereinten Nationen ist ein Ergebnis des Tatbestandes, daß sie als zwischenstaatliche Organisation von jenen Faktoren abhängig sind, die zwischen den Staaten und insbesondere zwischen den Hauptantagonisten USA und UdSSR jeweils dominieren. Literatur Boulding: Conflict and Defense. A General Theory, New York 1962 Boyd: Fifteen Men on a Powder Keg. A History of the U.N. Security Council, New York 1971 Feis: From Trust to Terror. The Onset of the Cold War 1945-1950, New York 1970 Forndran: Rüstungskontrolle. Friedenssicherung zwischen Abschreckung und Abrüstung, Düsseldorf 1970 Galtung: Gewalt, Frieden und Friedensforschung, in: Senghaas (Hrsg.), Kritische Friedensforschung, Frankfurt/M. 1971 Jegorow: Friedliche Koexistenz und revolutionärer Prozeß, (Ost-)Berlin 1972 Kissinger: Amerikanische Außenpolitik, Düsseldorf / Wien 1965 Menzel: Die militärischen Einsätze der Vereinten Nationen zur Sicherung des Friedens, in: JIRBd. 15 (1971) S. 11 Neubert: Der antiimperialistische Kampf und die Politik der friedlichen Koexistenz. Zur Strategie der kommunistischen Weltbewegung in der Auseinandersetzung zwischen Sozialismus und Imperialismus, Berlin 1974 Nolte: Deutschland und der Kalte Krieg, München / Zürich 1974 Willms: Entspannung und friedliche Koexistenz, München 1974 Wilhelm Bruns Verweise auf: Abrüstung; Entstehungsgeschichte; Kollektive Sicherheit.

Petitionen Vertraglich vorgesehene Beschwerdeverfahren Die Charta spricht lediglich an einer einzigen Stelle von Petitionen (petitions). In Kapitel XII über den ->• Treuhandrat bestimmt Art. 87 (b), daß die Generalversammlung und unter ihrer Autorität der Treuhandrat „Gesuche" — so die amtliche deutsche Übersetzung — entgegennehmen und sie in Konsultation mit der Verwaltungsmacht prüfen dürfen. In der Tat ist es keine Selbstverständlichkeit, daß Organe der Vereinten Nationen sich mit dem sachlichen Inhalt der bei ihnen eingehenden Individualbeschwerden auseinandersetzen, da Art. 2 Ziff. 7 der Weltorganisation verbietet, in Angelegenheiten der inneren Zuständigkeit eines Staates einzugreifen (-> Souveränität). Auf der sicheren Rechtsgrundlage des Art. 87 (b) wurde ein von vornherein formstrenges Prüfungsverfahren entwickelt. Dieses hat der Treuhandrat durch seine Resolution 1713 (XX) vom 8. Juli 1957 nochmals verfeinert. Nachdem die Zahl der Treuhandgebiete ständig zurückgegangen ist und schließlich nur noch die Pazifischen Inseln mit einer Gesamtbevölkerung von etwa 100.000 Menschen übrig geblieben sind, besitzt die Vorschrift des Art. 87 (b) heute nur noch eine geringe faktische Bedeutung.

Beschwerdeverfahren ohne spezifische vertragliche Rechtsgrundlage

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Da die Förderung und Festigung der ->• Menschenrechte zu den in Art. 1 Ziff. 3 genannten Zielen der Weltorganisation gehört, die Durchsetzung dieses Zieles aber in starkem Maße von der Existenz ergänzender verfahrensrechtlicher Garantien abhängig ist, wird verständlich, weshalb in den Vereinten Nationen immer wieder Vorstöße unternommen worden sind mit dem Ziel, die Menschenrechtsverbürgungen der vielfaltigen Rechtsinstrumente aus dem Bereich der Organisation durch die Einführung von Petitionsverfahren zu verstärken. Der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte von 1966 (->• Menschenrechte) (BGBl. 1973 II S. 1533) sieht in Art. 41 lediglich ein Staatenbeschwerdeverfahren vor, dem sich jeder Mitgliedstaat durch besondere Erklärung unterwerfen kann. Ein gleichzeitig beschlossenes Fakultativprotokoll eröffnet aber auch dem Individuum die Möglichkeit, sich mit Beschwerden — in der amtlichen Fassung: Mitteilungen (communications) — an den auf Grund des Paktes zu bildenden Menschenrechtsausschuß zu wenden, sofern der Staat, gegen den sich die erhobenen Vorwürfe richten, das Protokoll ratifiziert hat. Nach Hinterlegung der 35. Ratifikationsurkunde am 23. Dezember 1975 ist der Pakt am 23. März 1976 in Kraft getreten. Praktische Erfahrungen liegen aber bisher nicht vor, da der Menschenrechtsausschuß erst im Laufe des Jahres 1976 gebildet worden ist. Nach dem Internationalen Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von -»• Rassendiskriminierung vom 7. März 1966 (BGBl. 1969 II S. 961), das seit dem Jahre 1969 in Geltung steht, ist die Staatenbeschwerde obligatorisch (Art. 11). Das Übereinkommen sieht in Art. 14 ferner eine der ausdrücklichen Akzeptierung bedürftige und nicht automatisch wirksame Individualbeschwerde vor, die bisher nicht die notwendige Anzahl von zehn Unterwerfungserklärungen erhalten hat. Daneben bekräftigt das Übereinkommen aber in Art. 15 das Petitionsrecht der Bevölkerung in Treuhandgebieten, Gebieten ohne Selbstregierung und sonstigen Gebieten, die von der Entkolonialisierungs-Resolution 1514 (XV) vom 14. Dezember 1960 erfaßt werden. Danach soll der Ausschuß zur Beseitigung der -* Rassendiskriminierung (CERD) Abschriften aller von den Verhältnissen in diesen Gebieten handelnden Petitionen erhalten, soweit diese unter dem Gesichtspunkt der Diskriminierung erhebliche Fragen aufwerfen. Das Übereinkommen sanktioniert damit eine Zweiteilung nach Ländergruppen: Petitionsfähig sind lediglich Beschwerden gegen eine Treuhandmacht oder eine „Kolonialmacht", während souveräne Staaten im übrigen der Untersuchungskompetenz des Ausschusses nicht unterstehen. Art. 15 Rassendiskriminierungs-Übereinkommen läßt bereits erkennen, daß sich in der Praxis der Organe der Vereinten Nationen bestimmte Petitionsverfahren auch ohne ausdrückliche vertragliche Absicherung herausgebildet haben. Ein generelles Kennzeichen dieser Praxis ist die vorrangige Ausrichtung auf Formen des „Kolonialismus", der Apartheid und der Rassendiskriminierung. Außerhalb dieses Bereichs herrscht eine außerordentlich starke Zurückhaltung. Beschwerdeverfahren ohne spezifische vertragliche Rechtsgrundlage Nach der Gründung der Vereinten Nationen ging beim Generalsekretariat sogleich eine Fülle von Petitionen aus allen Ländern ein. Ihre Zahl belief sich jährlich durchweg auf mehrere Tausend. Nachdem gem. Art. 68 die Menschenrechtskommission als Fachausschuß des ECOSOC gebildet worden war, fragte im Januar 1946 das Sekretariat bei der Menschenrechtskommission an, wie es mit den eingehenden Beschwerden aus Nichttreuhandgebieten zu verfahren habe. Die Kommission entschied, sie habe „keine Befugnis, in bezug auf Beschwerden in Menschenrechtsangelegenheiten in irgendeiner Weise tätig zu werden". Gleichzeitig legte sie eine Verfahrensordnung für die Behandlung solcher „Mitteilungen" vor, die vom ECOSOC (Res. 75 (V) vom 5.8.1947) bestätigt wurde. Sachlich gleichlautend stellte der ECOSOC ferner mit Res. 76 (V) vom selben Tag fest, daß auch die Kommission über die Rechtsstellung der Frau nicht ermächtigt sei, in bezug auf Beschwerden in Angelegenheiten ihres Aufgabenbereichs tätig zu werden. Der Generalsekretär erhielt den Auftrag,

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Petitionen

a) vor jeder Sitzung der Menschenrechtskommission (bzw. der Kommission über die Rechtsstellung der Frau) eine vertrauliche Liste aller eingegangenen einschlägigen Mitteilungen jeweils mit einer kurzen Inhaltsangabe aufzustellen, b) der Kommission diese Liste in vertraulicher Sitzung auszuhändigen, ohne die Namen der Urheber der Mitteilungen preiszugeben, c) den Mitgliedern der Kommission aber die Gelegenheit zu geben, das Original der Mitteilungen insoweit einzusehen, als diese nicht individuelle Rechtsbeeinträchtigungen rügen, sondern zu grundsätzlichen Fragen der Menschenrechtssicherung Stellung nehmen, d) den Urhebern der Mitteilungen Nachricht zu geben und sie gegebenenfalls davon in Kenntnis zu setzen, daß die Kommission einer Beschwerde keine Folge geben könne, und e) allen Mitgliedstaaten, die in einer Mitteilung ausdrücklich erwähnt werden, eine kurze Mitteilung über deren Inhalt zu machen, freilich wiederum ohne Aufdeckung der Identität des Urhebers. Der ECOSOC empfahl ferner, kurz vor jeder Sitzungsperiode solle ein ad hoc-Ausschuß die vertrauliche Liste prüfen. Diese Empfehlung wurde von der Kommission über die Rechtsstellung der Frau stets, dagegen von der Menschenrechtskommission nur selten befolgt. In einer Zeit des Menschenrechts-Optimismus, die ihren Höhepunkt am 10. Dezember 1948 mit der Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte fand — die Generalversammlung bezeichnete am selben Tage das Petitionsrecht als ein „wesentliches Menschenrecht" (Res. 217 Β (III)) - , mußte diese Zurückhaltung zwangsläufig auf Kritik stoßen. Mit ungewöhnlicher Offenheit stellte vor allem der Generalsekretär in einem Bericht vom 2. Mai 1949 fest, daß die Aussage in der ECOSOC-Resolution 75 (V), der Kommission fehle die Befugnis für jedwedes Tätigwerden bei Beschwerden in Menschenrechtsangelegenheiten, dazu führen müsse, das Prestige und die Autorität nicht nur der Menschenrechtskommission, sondern auch der Vereinten Nationen insgesamt vor der Weltöffentlichkeit herabzusetzen. Dementsprechend regte er an, die in dieser Resolution enthaltenen Anweisungen zu revidieren. Eine Korrektur erfolgte jedoch nur in unwesentlichen Einzelheiten. Der Auftrag des Generalsekretärs wurde dahin abgeändert, von den die Grundsatzfragen der Menschenrechtssicherung behandelnden Mitteilungen nunmehr eine nichtvertrauliche (zweite) Liste anzufertigen und allen Staaten nicht nur eme Zusammenfassung, sondern eine Abschrift der sie betreffenden Mitteilungen zuzuleiten. Sachlich gleichlautende Änderungen wurden für die Behandlung von Beschwerden über die Rechtsstellung der Frau beschlossen (ECOSOC-Res. 304 I (XI) vom 14.7.1950). Eine Konsolidierung erhielt der neue Rechtszustand durch die ECOSOC-Resolution 728 F (XXVIII) vom 30. Juli 1959, die auch heute noch die maßgebende Rechtsgrundlage darstellt, soweit sich nicht in der Folgezeit Sonderentwicklungen ergeben haben. Festzuhalten ist vor allem, daß die Petitionsverfahren keinen förmlichen Abschluß finden, sondern allenfalls den Mitgliedern der Menschenrechtskommission als Anschauungsmaterial für ihre sonstige Arbeit dienen. Die Prüfung der beiden Listen durch die Kommission dauert häufig nur wenige Minuten. So nimmt es nicht wunder, daß manche Autoren das Verfahren als „institutionalisierten Papierkorb" bezeichnet haben. Im Jahre 1966 wurde die Menschenrechtskommission vom ECOSOC in zwei Resolutionen ( 1 1 0 2 ( X L ) vom 4.3.1966; 1164 (XLI) vom 5.8.1966) aufgefordert, ihre Bestrebungen zur Bekämpfung von Menschenrechtsverletzungen in allen Ländern, insbesondere aber im Hinblick auf Kolonien und andere abhängige Länder und Gebiete, zu verstärken; die Generalversammlung äußerte sich im gleichen Sinne (Res. 2 1 4 4 A ( X X I ) vom 26.10.1966). Als Menschenrechtsverletzung wurde in diesen Resolutionen ausdrücklich eine Politik der Rassendiskriminierung und der Apartheid hervorgehoben. Die Kommission erbat daraufhin vom ECOSOC die Ermächtigung, die ihr mittels der Petitionslisten regelmäßig zugehenden Informationen über grobe Verstöße gegen die Menschenrechte und Grundfreiheiten prüfen und in geeigneten Fällen auch eine vertiefte Untersuchung über Situationen, die einen Gesamtzusammenhang (consistent pattern) von Menschenrechtsverletzungen erkennen lassen, anstellen zu dürfen (Res. 8 (XXIII) vom 16.3.1967). Diese Ermächtigung wurde ihr sowie der Unter-

Beschwerdeverfahren ohne spezifische vertragliche Rechtsgrundlage

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kommission zur Verhütung von Diskriminierung und für Minderheitenschutz unter ausdrücklichem Hinweis auf die Apartheidspolitik im Südlichen Afrika sowie die Rassendiskriminierung in Rhodesien erteilt (ECOSOC Res. 1235 (XLII) vom 6.6.1967). Nachdem die Unterkommission sich bei ihrer nächsten Sitzung Anfang 1968 u. a. mit den Verhältnissen in Griechenland und Haiti befaßt hatte, kam es in der Menschenrechtskommission zu einer Debatte über die Frage, welche Staaten überhaupt als Beschwerdegegner in Betracht kämen. Einige Mitglieder waren der Ansicht, außerhalb des Kreises der Kolonialmächte würden die maßgebenden Resolutionen allein noch auf Südafrika abzielen. Da der Prinzipienstreit eine effektive Befassung mit den eingegangenen Mitteilungen zu verhindern drohte, erhielt die Unterkommission zusätzlich die Ermächtigung (ECOSOC Res. 1503 (XLVIII) vom 27.5.1970), zum Zwecke der Vorprüfung eine Arbeitsgruppe mit nicht mehr als fünf Personen einzusetzen, die einmal jährlich jeweils vor der Sitzung der Unterkommission maximal zehn Tage zusammentreten soll. Die Aufgabe der Arbeitsgruppe ist dahin umschrieben, aus den der Menschenrechtskommission zugeleiteten Listen mit Mitteilungen alle diejenigen herauszugreifen und an die Unterkommission weiterzuleiten, welche einen Gesamtzusammenhang schwerer und verläßlich belegter Verletzungen von Menschenrechten und Grundfreiheiten im Kompetenzbereich der Unterkommission erkennen lassen. Für das Verfahren schreibt die Resolution strenge Gehemihaltung vor. Den Abschluß kann ein Bericht der Menschenrechtskommission an den ECOSOC oder — sofern der betroffene Staat zustimmt — die Einsetzung eines ad hoc-Untersuchungsausschusses bilden. Im Jahre 1971 verabschiedete die Unterkommission zunächst eine Verfahrensordnung für die Prüfung der Zulässigkeit der nach dem neuen Verfahren zu behandelnden Mitteilungen. Die sodann gebildete Arbeitsgruppe hielt im Jahre 1972 ihre erste Sitzung ab, doch erst ihr zweiter (vertraulicher) Bericht wurde von der Unterkommission im Jahre 1973 beraten. Der erste Bericht der Unterkommission lag der Menschenrechtskommission im März 1974 vor. Diese forderte die betroffenen Staaten auf, spätestens bis zum 1. Dezember 1974 eine Stellungnahme abzugeben. Gleichzeitig setzte sie — mit späterer Billigung durch den ECOSOC — eine eigene fünfköpfige Arbeitsgruppe ein, die eine Woche vor der nächsten Sitzung zur Sichtung des Materials im Lichte der von den Regierungen eingegangenen Antworten zusammentreten sollte (Entscheidung 3 (XXX) vom 6.3.1974). Auf der 31. Tagung der Menschenrechtskommission fand in nichtöffentlicher Sitzung eine Erörterung des vorliegenden Tatsachenstoffes statt. Wiederum wurde beschlossen, zur Vorprüfung eine fünfköpfige Arbeitsgruppe einzusetzen. In keinem Falle ist das neue Verfahren bis Ende 1975 aus dem Stadium der Vertraulichkeit herausgetreten. Nach Meinung sachverständiger Beobachter scheint die Entwicklung einem Fehlschlag zuzusteuern. Allein schon die Vielzahl der nacheinander zu befassenden Gremien steht einer effizienten Sachbehandlung entgegen. Die sozialistischen Mitgliedstaaten haben sich bisher einhellig auf den Standpunkt gestellt, daß das Verfahren nach den ECOSOC-Resolutionen 1235 (XLII) und 1503 (XLVIII) mangels spezifischer vertraglicher Rechtsgrundlagen gegen Art. 2 Ziff. 7 verstoße. Individualbeschwerden komme keinerlei Beweiswert zu, sie dürften daher auch nicht als Arbeitsgrundlage verwertet werden. Weniger umstritten sind andere Petitionsverfahren, welche sich ebenfalls in der Praxis der Organe der Vereinten Nationen ohne spezifische vertragliche Abdeckung herausgebildet haben. Hohes sachliches Gewicht kommt zunächst dem im Rahmen der ILO entwickelten Beschwerdeverfahren wegen Verletzung gewerkschaftlicher Rechte zu. Im Jahre 1950 hatte der Verwaltungsrat der ILO die Schaffung einer Tatsachenermittlungs- und Versöhnungskommission auf dem Gebiet der Vereinigungsfreiheit beschlossen. Diese Kommission sollte auf Anrufung durch Arbeitnehmer- oder Arbeitgeberverbände, einen Staat, den Verwaltungsrat oder die Konferenz der ILO oder schließlich durch den ECOSOC mit Zustimmung des betroffenen Staates als unparteiische Streitschlichtungsinstanz fungieren. Mit Resolution 277 (X) vom 17. Februar 1950 billigte der ECOSOC dieses Verfahren und beschloß, in Ab-

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Petitionen

weichung von der Resolution 75 ( V ) sämtliche eingehenden Beschwerden wegen Verletzung gewerkschaftlicher Rechte dem Verwaltungsrat der ILO vorzulegen. Einstweilen war aber kein Staat bereit, sich dem Verfahren vor der Kommission zu unterwerfen. Daraufhin errichtete der Verwaltungsrat der ILO im Jahre 1951 einen Vereinigungsfreiheitsausschuß, dem die Aufgabe erteilt wurde, zu prüfen, ob dem Verwaltungsrat der I L O die nähere Befassung mit den eingereichten Beschwerden zu empfehlen sei, und sich gegebenenfalls um die Zustimmung des betroffenen Staates zur Verweisung in das Verfahren vor der Tatsachenermittlungs- und Versöhnungskommission zu bemühen. In der Praxis hat dieses Vorprüfungsverfahren vor dem Vereinigungsfreiheitsausschuß das eigentliche Hauptverfahren fast völlig verdrängt. Der Vereinigungsfreiheitsausschuß setzt sich ausführlich mit dem sachlichen Gehalt der erhobenen Vorwürfe auseinander. Bisher sind rd. 1 . 0 0 0 Fälle behandelt worden. Im Hinblick auf Staaten, die wie Südafrika nicht Mitglied der I L O sind, erfolgt die Prüfung durch Gremien der Vereinten Nationen selbst. Der ECOSOC hat mit Resolutionen 1216 ( X L I I ) vom 1. Juni 1967 und 1302 ( X L I V ) vom 28. Mai 1 9 6 8 beschlossen, daß die Zuständigkeit im Hinblick auf Südafrika und Namibia von der Sachverständigenarbeitsgruppe „Behandlung politischer Gefangener in Südafrika", einem Unterorgan der Menschenrechtskommission, wahrgenommen werden solle. Durch Resolution 7 4 9 A ( V I I I ) vom 28. November 1 9 5 3 hatte die Generalversammlung einen Ausschuß für Südwestafrika (Namibia) errichtet, der nach den früheren Verfahrensbestimmungen des Mandatssystems des Völkerbundes auch Petitionen entgegennehmen und prüfen sollte (§ 12 b). In seinem Gutachten vom 1. Juni 1 9 5 6 billigte der Internationale Gerichtshof auch die mündliche Anhörung von Petenten durch den Ausschuß. In Ausweitung dieses rechtlichen Sonderregimes beschloß der Entkolonialisierungs-Sonderausschuß im Jahre 1962, daß er zu Zwecken der vollständigen Information über die Gebiete ohne Selbstregierung auch Petenten anhören und schriftliche Petitionen entgegennehmen werde. In gleicher Weise faßte der Apartheids-Sonderausschuß wenig später im Jahre 1963 den Beschluß, daß er schriftliche Eingaben entgegennehmen sowie Personen anhören werde, die in der Lage seien, ihn über die Apartheidspolitik der Republik Südafrika zu unterrichten. Schließlich haben auch die politischen Hauptausschüsse der Generalversammlung, allen voran der 4 . Ausschuß, seit dem Jahre 1962 damit begonnen, zum gesamten Problembereich von „Kolonialismus", Apartheid und Rassendiskriminierung Petitionen entgegenzunehmen und vor allem öffentliche Anhörungen durchzuführen.

Vergleich und Bewertung Ein Vergleich der verschiedenen Petitionsarten ergibt einen grundlegenden Unterschied zwischen Verfahren, in denen Individuen die Rüge einer individuellen Rechtsverletzung vorbringen und eine Antwort auf ihr persönliches Anliegen erhalten, und Verfahren, die im wesentlichen dazu bestimmt sind, den Informationsstand der zuständigen Organe der Vereinten Nationen zu verbessern und politischen Druck auf die betroffenen Staaten auszuüben. Zum ersten Typ zählen die beiden Verfahren nach dem Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte und nach Art. 14 RassendiskriminierungsÜbereinkommen, zum zweiten Typ die vom Entkolonialisierungs- und vom ApartheidsSonderausschuß institutionalisierten Beschwerdewege sowie die Anhörungen durch die Hauptausschüsse der Generalversammlung. Eine Mittelstellung nehmen die Verfahren nach Art. 87 (b), Art. 15 Rassendiskriminiemngs-Ubereinkommen, den ECOSOC-Resolutionen 1 2 3 5 ( X L I I ) und 1 5 0 3 ( X L V I I I ) sowie vor dem Vereinigungsfreiheitsausschuß der ILO ein. Sie stehen sämtlich sowohl für die Geltendmachung persönlicher Rechtsbeeinträchtigungen wie auch für Hinweise auf allgemeine Mißstände offen. Kaum als Petitionsverfahren kann dagegen die allgemeine Regelung nach der ECOSOC-Resolution 7 2 8 F ( X X V I I I ) angesehen werden, da sie sich im wesentlichen in der Registrierung der eingegangenen Mitteilungen erschöpft.

Vergleich und Bewertung

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Die Zulässigkeit von Mitteilungen nach dem Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, mit denen jede Art von Menschenrechtsverletzungen gerügt werden kann, ist an strenge Voraussetzungen geknüpft, die sich eng an die entsprechenden Vorschriften in der Europäischen Menschenrechtskonvention anlehnen. Als großzügiger erweist sich Art. 14 Rassendiskriminierungs-Übereinkommen, obwohl die Bestimmung strikt an der traditionellen Regel von der vorherigen Erschöpfung der innerstaatlichen Rechtsmittel festhält. Stark formalisiert ist auch — im Gegensatz zu der vom Treuhandrat praktizierten Regelung — das Petitionsverfahren nach den Resolutionen 1235 ( X L I I ) und 1503 ( X L V I I I ) des ECOSOC sowie das Verfahren vor dem Vereinigungsfreiheitsausschuß der ILO. Überwiegend findet eine Vorprüfung durch ein engeres Gremium statt. Die Verfahren der zweiten Fallgruppe entbehren dagegen insoweit völlig der festen Maßstäbe. Auch die Etappe der eigentlichen Sachprüfung spiegelt strukturelle Differenzen wider. Die Verfahren vor den Hauptausschüssen der Generalversammlung sowie vor dem Entkolonialisierungs- und Apartheids-Sonderausschuß sind auf Publizität hin angelegt. Sie unterstehen nicht den Regeln der kontradiktorischen Wahrheitsfindung, zumal es angesichts der überwiegend ablehnenden Haltung der betroffenen Staaten meist von vornherein aussichtslos erscheinen muß, ihnen die Beschwerdepunkte zur Stellungnahme zu übermitteln. Dagegen ist sonst durchweg vorgesehen, daß eine solche Information erfolgt. In den Verfahren der ersten Fallgruppe sowie in denen nach der ECOSOC-Resolution 1503 ( X L V I I I ) gilt der Grundsatz der Vertraulichkeit. Die Verfahrensregeln zu Art. 8 7 ( b ) sowie die vom Rassendiskriminierungs-Ausschuß zu Art. 15 beschlossenen Regeln kennen dagegen keine Geheimhaltung. Selbst diejenigen Verfahren, die zur Geltendmachung individueller Rechtsverletzungen bestimmt sind, enden nicht mit einer verbindlichen Entscheidung. Eine echte IndividualRechtsbeschwerde, wie sie zum Kernbestand der Europäischen Menschenrechtskonvention gehört, ist dem System der Vereinten Nationen fremd. Die Wirksamkeit von Petitionen besteht demnach im wesentlichen in der Überzeugungskraft der Argumente und Empfehlungen, welche in dem verfahrensbeendenden Rechtsakt des Prüfungsorgans ihren Niederschlag finden, oder in der Publizität von Verfahrensgang und -ergebnis, soweit es um die Ausübung mittelbaren politischen Drucks geht. Vorbildlich erscheint insbesondere das Petitionsverfahren zum Treuhandrat. Der Treuhandrat faßt über jede Petition auf Grund einer Vorlage seines ständigen Petitionsausschusses selbst Beschluß. Alle einschlägigen Unterlagen sind für jedermann in den amtlichen Dokumenten zugänglich. Auch die Schlußfolgerungen des Vereinigungsfreiheitsausschusses der ILO werden vollständig im Amtsblatt der Organisation abgedruckt. Als recht zufriedenstellend läßt sich in der Vorausschau ferner das Verfahren nach Art. 14 Rassendiskriminierungs-Übereinkommen beurteilen, da die ausgesprochenen Anregungen und Empfehlungen nicht nur dem betroffenen Staat sowie dem Beschwerdeführer zugeleitet werden, sondern die Vorgänge auch in dem Jahresbericht des Ausschusses dargestellt werden sollen. Äußerst bescheiden nimmt sich dagegen die Regelung nach dem Fakultativprotokoll zum Pakt über bürgerliche und politische Rechte aus. Dort heißt es lediglich, daß der Menschenrechts-Ausschuß die Beteiligten über seine „Auffassungen" unterrichten und jährlich einen zusammenfassenden Bericht über seine Tätigkeit — also offenbar ohne Nennung einzelner Beschwerden - geben soll. In den Verfahren der zweiten Fallgruppe ist der Zweck bereits erreicht, wenn die in der Petition erhaltene Information in den Verfahrensgang der Vereinten Nationen eingebracht worden ist. Jeder schriftlichen Petition und jeder Anhörung im Bereich von Kolonialpolitik, Apartheid und Rassendiskriminierung wird im übrigen die breitest denkbare Publizität gewährt. Literatur Cassese, Antonio: The Admissibility o f Communications to the United Nations on Human Rights Violations, in: HR J vol. 5 ( 1 9 7 2 ) p. 3 7 5

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Cassese, Antonio: The New United Nations Procedure for Handling Gross Violations of Human Rights, La Comunità Internazionale 1975, p. 49 Ermacora: Procedure to Deal with Human Rights Violations: a Hopeful Start in the United Nations?, in: HRJ vol. 7 (1974) p. 670 Khol: Zwischen Staat und Weltstaat, Wien/Stuttgart 1969 Meißner: Die Menschenrechtsbeschwerde vor den Vereinten Nationen, Baden-Baden 1976 Schwelb: Zur Frage der Anrufung der UN-Menschenrechtskommission durch Individuen und nichtstaatliche Organisationen, in: VN 1972 S. 79 Sohn / Buergenthal: International Protection of Human Rights, Indianapolis 1973, p. 739-856 United Nations: United Nations Action in the Field of Human Rights, New York 1974 Yiannopoulos: La protection internationale de la liberté syndicale, Paris 1973 Christian Tomu schat Verweise auf·. Menschenrechte; Rassendiskriminierung; Souveränität; Treuhandrat.

Portugiesische Kolonialgebiete Mit dem Jahre 1974 begann die Auflösung des portugiesischen Kolonialreiches; die ehemaligen Kolonien erlangten Selbständigkeit. Dennoch erscheint es gerechtfertigt, diese Entwicklung hier aufzuzeigen, um vor allem die Rolle der Vereinten Nationen und ihrer Maßnahmen bei der -»• Entkolonialisierung deutlich werden zu lassen. Mit der Eroberung von Ceuta in Marokko leitete Portugal 1415 die europäische Expansion nach Übersee ein. Es wurde mit Spanien im 15./16. Jahrhundert zur führenden Seemacht mit Besitzungen und Stützpunkten in Afrika, Asien und Südamerika. Nationale Gegenbewegungen in Ubersee ebenso wie die aufsteigenden westlichen europäischen Seeund Handelsstaaten der Niederlande, Großbritannien und Frankreich verdrängten Portugal im 17. Jahrhundert aus dem größten Teil dieses Imperiums. Die bedeutendste der Siedlungskolonien, Brasilien, löste Anfang des 19. Jahrhunderts die Bindungen zu Lissabon. Im „Wettlauf um Kolonien" während des letzten Drittels des 19. Jahrhunderts konnte Portugal, angelehnt an Großbritannien, die Reste seines Imperiums retten. Als Ergebnis dieser Entwicklung verfügte Portugal bei Eintritt in die Vereinten Nationen im Jahre 1955 über weit verstreute, recht unterschiedliche Territorien in Afrika und Asien, die allerdings nach portugiesischer Ansicht staatsrechtlich Teile Portugals im Status von Überseeprovinzen waren. Mit dieser Begründung lehnte es Portugal nach seinem Beitritt zu den Vereinten Nationen (14.12.1955) auch ab, gem. Art. 73 (e) Informationen über seine überseeischen Gebiete zu geben. Die Gegner dieser Position verwiesen darauf, daß die überwältigende Mehrheit der ansässigen Bevölkerungen dem „Eingeborenenstatut" unterstünden, welches sie zu Bürgern eines besonderen Status mache und ihnen die vollen Bürgerrechte vorenthielte, die Bewohner europäischer Abkunft und an Portugal assimilierte Einheimische auch in Übersee besaßen und ausüben konnten. Nach fruchtlosen Diskussionen setzte die Generalversammlung mit der Resolution 1467 (XIV) (vom 12.12.1959) einen Sonderausschuß zur verbindlichen Festlegung des Begriffs „Gebiete ohne Selbstregierung" ein. Als Ergebnis seiner Prüfung schlug dieser Ausschuß folgende Unterscheidungskriterien vor: Territoriale Trennung, ethnische und kulturelle Unterschiede, untergeordneter Status in Verwaltung, Recht, Politik, Wirtschaft. Ein solches nicht selbstregiertes Gebiet könne das von den Vereinten Nationen geforderte Maß an Selbstregierung erreichen (-> Selbstbestimmungsrecht):

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a) als souveräner selbständiger Staat, b) durch freien Zusammenschluß mit einem selbständigen Staat, c) durch Integration in einen selbständigen Staat. Für die Fälle b) und c), die auf den ersten Blick einen Status als Überseeprovinzen erlauben konnten, wurden Vorbedingungen gefordert, die für die portugiesischen Überseeterritorien ohne Zweifel nicht gegeben waren. Freier Zusammenschluß sollte nur möglich sein als „Ergebnis einer freien und freiwilligen Entscheidung des Volkes des betreffenden Gebietes, die in aufgeklärtem und demokratischem Entscheidungsablauf ihren Ausdruck findet". Darüber hinaus sollte das assoziierte Gebiet sowohl seinen Status nach eigenem Willen verändern können, wie die interne Verfassung allein bestimmen. Für den Fall der Integration wurde verlangt, daß die Bevölkerungen des ehemals nicht selbstregierten Gebietes und die des aufnehmenden selbständigen Staates vollkommen gleichberechtigt sein müßten, und daß die Entscheidung für die Integration nach der Schaffung eines fortgeschrittenen Maßes an Selbstregierung und nach Durchführung einer Volksabstimmung unter demokratischen Bedingungen gefallt würde. Nachdem Portugal auf seiner Verweigerung von Informationen beharrte, bekräftigte die Generalversammlung in ihrer Resolution 1542 (XV) (vom 15.12.1960) ausdrücklich eine entsprechende Pflicht Portugals und lud es wie Spanien zur Mitarbeit im „Ausschuß für Informationen von nicht selbstregierenden Ländern" ein. Vor allem aber wandte diese Resolution die festgesetzten Kriterien auf die überseeischen Gebiete Portugals an und erstellte eine Liste der portugiesischen Kolonien: Angola - 1.246.700 qkm, 5,6 Mio. Einwohner. Teile des Küstengebietes sind seit 1491 unter portugiesischer Herrschaft, der größere Teil des Hinterlandes wurde erst im 19. Jahrhundert annektiert. Cabinda liegt als Exklave auf der anderen Seite der Kongomündung und wird von Zaire und der Volksrepublik Kongo umschlossen. Mozambique — 783.030 qkm, 8,2 Mio. Einwohner. Seit 1504 bestehen portugiesische Stützpunkte an diesem Teil der ostafrikanischen Küste, das Binnenland wurde erst im 19. Jahrhundert in Besitz genommen. Portugiesisch-Guinea / Guinea-Bissau — 36.125 qkm, 630.000 Einwohner. 1446 erreichten portugiesische Seefahrer diesen Teil der westafrikanischen Küste; der Stützpunkt Bissau wurde 1600 errichtet. Kapverdische Inseln - 4.033 qkm, 272.000 Einwohner. Ab 1460 wurden die Inseln von Portugal besiedelt, vorherrschende Bevölkerung wurden afrikanische Sklaven. Sao Tomé und Principe - 946 qkm, 70.000 Einwohner. Die Inseln wurden 1470 unbewohnt in Besitz genommen und zu Plantagenkolonien entwickelt. Sao Joao Batista de Ajuda — als letzter der portugiesischen Stützpunkte an der westafrikanischen Küste blieb dies 1680 errichtete Fort in Wydah, Dahomey, als exterritoriale Enklave erhalten. Portugiesisch-Timor — 14.925 qkm, 630.000 Einwohner. Die Insel wurde 1511 von portugiesischen Seefahrern erreicht, 1586 formell an Portugiesisch-Indien angeschlossen. Ein Teilgebiet der Insel blieb bei der Errichtung des niederländischen Kolonialreichs in Indonesien ausgespart. Goa, Damao und Diu — 4.183 qkm, 700.000 Einwohner. Goa wurde 1510 erobert und zum Zentrum des asiatischen Kolonialreiches ausgebaut. Macao — 16 qkm, 320.000 Einwohner. Stadt und Hafen wurden 1557 von dem chinesischen Kaiser Portugal als Stützpunkt überlassen. Unmittelbar voraufgegangen war diesen Entscheidungen in der Generalversammlung die Resolution 1514 (XV) vom 14. Dezember 1960, „Die Erklärung über die Gewährung der Unabhängigkeit an Kolonialländer und -Völker", die die Auseinandersetzung um die Informationspflicht nach Art. 73 zum Randproblem machte, da sie weit darüber hinaus die Verpflichtung zur -»• Entkolonialisierung auch für Portugal und seine überseeischen Gebiete deklarierte. Dadurch, daß im Frühjahr 1961 afrikanische Nationalisten in Angola den bewaffneten Kampf gegen die Kolonialherrschaft begannen und Portugal gegen die von den

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Portugiesische K o l o n i a l g e b i e t e

rivalisierenden Befreiungsbewegungen MPLA und UPA getragene Aufstandsbewegung mit umfangreichen und harten militärischen Operationen vorging, wurde dieser Konflikt sehr schnell brisant. Bereits am 20. Februar 1961 verlangte Liberia die Behandlung der Situation in Angola vor dem Sicherheitsrat, allerdings kam es dort noch nicht zu einer Entscheidung. Am 20. April 1961 sprach die Generalversammlung in der Resolution 1603 ( X V ) jedoch bereits eine Verurteilung Portugals wegen seines Vorgehens in Angola aus, und das am 26. Mai 1 9 6 1 von 4 2 blockfreien Staaten wiederholte Begehren an den Sicherheitsrat führte in der Resolution 163 ( X V I ) vom 9. Juni 1961 ebenfalls zu einem Votum gegen Portugal. Im Juli 1961 erledigte die Republik Dahomey das Problem Ajuda dadurch, daß sie Portugal zum Rückzug aufforderte und nach dessen Weigerung das Fort besetzte. Nach vergeblichen Bemühungen, die Aufnahme von Inkorporationsverhandlungen durchzusetzen, ging Indien am 18. Dezember 1961 in gleicher Weise gegen Goa und seine Nebengebiete vor. Nach der gewaltsamen Besetzung Goas schaltete Portugal den Sicherheitsrat ein; sein Versuch, Indien durch dessen Beschluß zum Rückzug zu zwingen, scheiterte am 18. Dezember 1961 an dem Veto der Sowjetunion. Im folgenden Jahr präzisierte die Generalversammlung in der Resolution 1807 ( X V I I ) vom 14. Dezember 1 9 6 2 ihren Katalog von Forderungen an Portugal zur Einleitung der Entkolonialisierung. Die Gründung der Organisation Afrikanischer Einheit im Mai und die Aufnahme des Kampfes durch die PAIGC im Januar im Süden und im Juni im Norden Guinea-Bissaus eskalierten die Auseinandersetzung in und mit den Vereinten Nationen im Jahre 1 9 6 3 erneut. Die Kämpfe in Guinea-Bissau provozierten Zwischenfälle an den Grenzen; am 10. April 1 9 6 3 beschuldigte die Republik Senegal zum ersten Mal Portugal agressiver Akte. In der Resolution 178 ( X V I I I ) verurteilte der Sicherheitsrat am 24. April 1963 einstimmig die Verletzung der senegalesischen Grenze durch portugiesische Truppen. Noch häufig erhob in den folgenden Jahren Senegal derartige Anklagen, und zunehmend schärfer verurteilte der Rat das Verhalten Portugals, zumal auch Guinea, Sambia, Kongo (Brazzaville) und Zaire derartige Aggressionsakte vor den Rat brachten. Bei der Gründung der Organisation Afrikanischer Einheit faßten im Mai die afrikanischen Staatsoberhäupter in Addis Abeba sehr weitgehende Beschlüsse gegen Portugal und Südafrika: Abbruch aller diplomatischen und konsularischen Beziehungen, strikter Boykott in Handel und Verkehr, aktive Unterstützung der Befreiungsbewegungen. Da die Organisation Afrikanischer Einheit in Beziehung auf die Vereinten Nationen nach Art einer Parlamentsfraktion fungieren sollte, mußten diese Beschlüsse dort unmittelbar wirksam werden. Die Außenminister von Liberia, Madagaskar, Sierra Leone und Tunesien wurden beauftragt, im Namen der Organisation Afrikanischer Einheit von den Vereinten Nationen Maßnahmen zur Durchsetzung der Resolution 1 5 1 4 ( X V ) gegen Portugal zu fordern. Mit Schreiben vom 11. Juli 1 9 6 3 verlangten 3 2 afrikanische Staaten die Behandlung des Problems vor dem Sicherheitsrat. Bei Stimmenthaltung Frankreichs faßte der Rat am 3 1 . Juli 1963 die Resolution 180 ( X V I I I ) , die für die weitere Behandlung grundlegend wurde: Wegen ständigen Verstoßes gegen Charta und Beschlüsse durch das Festhalten an seiner Kolonialpolitik und Gefährdung des Friedens und der Sicherheit wurde Portugal verurteilt, und es wurde von ihm verlangt: a) b) c) d) e)

Sofortige Anerkennung des Rechts auf Selbstbestimmung für die abhängigen Gebiete; unverzügliche Einstellung aller Unterdrückungsmaßnahmen; Amnestie für politische Häftlinge und Zulassung von Parteien; Aufnahme von Verhandlungen mit den legitimen Vertretern der afrikanischen Völker; Gewährung der Unabhängigkeit nach Abschluß der Verhandlungen.

Alle Staaten wurden aufgefordert, jede Unterstützung an Portugal einzustellen, die ihm zur Fortsetzung seiner Politik nützen könnte. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen leitete Gespräche zwischen Portugal und afrikanischen Vertretern ein, die jedoch sehr schnell in unüberbrückbaren Gegensätzen festliefen.

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Zwei Jahre danach kam es zur Wiederaufnahme dieser Resolution; der Sicherheitsrat bekräftigte sie am 23. November 1965 (Res. 2 1 8 ( X X ) ) , ergänzt allerdings um eine ausdrückliche Verurteilung von Waffenlieferungen an Portugal. Die NATO-Mitglieder im Rat enthielten sich. Anders als in der Generalversammlung fand der Vorschlag eines Handelsboykotts, der auch für diese Resolution mit beantragt worden war, im Sicherheitsrat keine Mehrheit. Eine so einschneidende Maßnahme wurde auch in den folgenden Jahren im Sicherheitsrat nicht beschlossen. Jedoch verurteilten die Resolutionen des Sicherheitsrats wie die der Generalversammlung zunehmend direkter und schärfer Portugal und die Staaten, die es mit militärischer Ausrüstung und Investitionen stärkten, an der Ausbeutung der Rohstoffe in den überseeischen Gebieten teilnahmen und außenpolitisch mit ihm zusammenarbeiteten. Bereits am 24. Juli 1963 hatte der ECOSOC Portugal von der Wirtschaftskommission für Afrika ausgeschlossen. Das Beispiel machte Schule; nach und nach verlor Portugal seine Mitgliedschaft in vielen der Sonderorganisationen und Spezialorganen. Der Sonderausschuß zur Durchsetzung der Resolution 1 5 1 4 ( X V ) machte die portugiesischen Kolonialgebiete zu einem seiner wesentlichsten Arbeitsvorhaben; regelmäßig legte er umfangreiche, sehr kritische Berichte und detaillierte Empfehlungen zur portugiesischen Kolonialpolitik vor. Zu einzelnen Aspekten arbeiteten weitere Ausschüsse wie ζ. B. die Menschenrechtskommission ( - * Ausschußsystem). Parallel zu der wachsenden Ablehnung und Isolierung Portugals vollzogen die Vereinten Nationen die Aufwertung und Integration der Befreiungsbewegungen aus den abhängigen Gebieten; bei rivalisierend auftretenden Bewegungen orientierten sie sich überwiegend an deren Anerkennung durch die Organisation Afrikanischer Einheit. Das am 20. Dezember 1965 in Resolution 2 1 0 5 ( X X ) der Generalversammlung verabschiedete Aktionsprogramm zur Durchsetzung der Resolution 1 5 1 4 ( X V ) enthält die Aufforderung zur materiellen und moralischen Unterstützung der Befreiungsbewegungen. Am 13. Februar 1971 wurden die Befreiungsbewegungen in Angola, Guinea-Bissau und Mozambique assoziierte Mitglieder der Wirtschafskommission für Afrika. Am 14. Dezember 1972 erklärte sie die Generalversammlung in Resolution 2 9 8 0 ( X X V I I ) zu den für die Arbeit in den Vereinten Nationen legitimen Vertretungen ihrer Völker. Als am 24. September 1973 die PAIGC die unabhängige Republik Guinea-Bissau proklamierte, konnte für 1973 nicht mehr die Aufnahme in die Vereinten Nationen beantragt werden, doch sprach am 2. November die Generalversammlung in einer Sympathie-Entschließung eine Quasi-Anerkennung aus. Die FAO nahm noch im gleichen Monat die Republik auf. Damit zeichnete sich eine Entwicklung ab, in deren Zug die im Guerillakrieg erfolgreich aktiven Befreiungsbewegungen Gegenregierungen errichteten, über die Vereinten Nationen international Anerkennung suchten und Sanktionen gegen die portugiesische Kriegsführung durchsetzten. Der überraschende Umsturz am 25. April 1 9 7 4 in Portugal veränderte in diese Situation hinein die Ausgangslage grundlegend. Die neue Regierung begann aus eigenem Antrieb die Entkolonialisierung der überseeischen Gebiete. Am 26. Juli wurde ein Verfassungsgesetz verkündet, in dem das Recht der Völker auf Selbstbestimmung anerkannt wurde. Gleichzeitig wurde der Verfassungsartikel, demzufolge diese Gebiete als Bestandteile des nationalen Territoriums galten, aufgehoben. Nach Verhandlungen in London und Algier schlossen die PAIGC und Portugal am 26. August 1974 ein Abkommen, nach dem bis Ende September alle portugiesischen Truppen aus Guinea-Bissau abgezogen werden sollten, Portugal die Republik völkerrechtlich anerkennen würde und beide Seiten konkrete Vereinbarungen über technische, kulturelle und wirtschaftliche Zusammenarbeit vorsahen. Am 12. September 1 9 7 4 befürwortete Portugal vor dem Sicherheitsrat die Aufnahme Guinea-Bissaus in die Vereinten Nationen, und einstimmig wurde dort eine entsprechende Empfehlung an die Generalversammlung beschlossen; am 17. September erfolgte die Aufnahme der Republik als Mitglied. Zögernd nur kamen die Verhandlungen zwischen Portugal und der F R E L I M O über Mozambique zustande. Bereits am 7. September 1 9 7 4 wurde jedoch in Lusaka/Sambia ein Abkommen über die Dekolonisation auch dieses Gebietes von Portugal und der F R E L I M O

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Rassend iskriminierung

unterzeichnet. Der 25. Juni 1975 wurde als Datum für die Unabhängigkeit festgelegt. Aus 6 Vertretern der FRELIMO und 3 Vertretern Portugals wurde eine Übergangsregierung gebildet, die diesen Schritt vorbereitete und die Grundlage für eine zukünftige Zusammenarbeit schaffte. Die Rebellion einiger Gruppen der weißen Siedler in Mozambique gegen diese Lösung wurde gemeinsam niedergeschlagen. Die Kapverdischen Inseln wurden am 5. Juli, Sao Tomé und Principe am 12. Juli 1975 unabhängig. Am 16. September 1975 wurden sie zusammen mit Mozambique in die Vereinten Nationen aufgenommen. In Angola wurde am 31. Januar 1975 die Verantwortung an eine Übergangsregierung aus Vertretern der drei konkurrierenden Befreiungsbewegungen unter Leitung des portugiesischen Hochkommissars übertragen. Obwohl eine allgemein anerkannte angolanische Regierung nicht bestand, zog sich, unter Einhaltung des Abkommens über die Dekolonisation Angolas, Portugal am 11. November 1975 zurück; die Befreiungsbewegungen proklamierten gegeneinander kämpfende Regierungen für das unabhängige Angola. An unüberwindbaren inneren Gegensätzen in der Nationalbewegung zerbrach auch die Dekolonisationsplanung fur Ost-Timor: Die einseitige Unabhängigkeitserklärung einer Gruppe am 28. November 1975 veranlaßte den Abzug Portugals und löste einen Bürgerkrieg aus, der im Dezember Anlaß für den Einmarsch indonesischer Truppen wurde. Bisher ohne offensichtlichen Wandel in seinem Status blieb Macao, doch wurden auch hier alle portugiesischen Truppen abgezogen. Literatur Ansprenger: Der Schwarz-Weiß-Konflikt in Afrika, München / Mainz 1971 Laß: Die Vereinten Nationen und die Dekolonisation der portugiesischen Kolonialgebiete, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 40/75,4. Oktober 1975 Schümperli: Die Vereinten Nationen und die Dekolonisation, Bern 1970 Skupnik: Portugals Kolonialismus in Afrika und die Bundesrepublik Deutschland, in: VN 1974 S. 72,113 Tomuschat: Die Befreiungsbewegungen in den Vereinten Nationen, in: VN 1974 S. 65, 110 Woronoff: Organizing African Unity, Metuchen/N. J. 1970 The Security Council and Southern Africa, in: Objektive Justice, No. 1, vol. 1 Die Vereinten Nationen und die portugiesisch verwalteten Gebiete, in: Portugiesisch-Afrika: Kampf um Unabhängigkeit, UNESCO-Kurier 11/1973 Hans Detlef Laß Verweise auf: Ausschußsystem; Befreiungsbewegungen; Entkolonialisierung; Selbstbestimmungsrecht.

Rassendiskriminierung Die Charta der Vereinten Nationen nennt das Problem der Rassendiskriminierung an deutlich sichtbarer Stelle: Eines der Ziele der Organisation ist die internationale Zusammenarbeit, „um . . . die Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten für alle ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion zu fördern und zu festigen" (Art. 1 Ziff. 3). Unter den verbotenen Unterscheidungskriterien erscheint die „Rasse" als erstes; erst danach folgen Geschlecht, Sprache oder Religion. Das ist historisch bedingt. Im 2. Weltkrieg wurden Millionen Menschen nur deswegen gemordet, weil sie einer bestimmten Rasse angehörten. Inzwischen drängte sich der Unter-

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schied zwischen Weißen und Farbigen, zwischen Kolonialmächten und Kolonialvölkern in den Vordergrund. Die Rassenfrage wird nun stärker unter dem Gesichtspunkt der -»• Entkolonialisierung, der Ausschaltung der Überreste der Kolonialherrschaft - insbesondere in Südafrika — gesehen (-»• Südliches Afrika; Apartheid). Auch der Internationale Gerichtshof trägt dieser Entwicklung Rechnung. In seinem Gutachten über die Stellung Südafrikas in Namibia ( I C J Reports 1 9 7 1 , para 1 3 1 ) stellte er fest, die Charta binde die Vertragsparteien unmittelbar, gewisse Menschenrechte zu achten, wobei er die Verpflichtung hervorhob, keine Unterscheidungen nach Rasse, Abkunft, nationaler oder ethnischer Zugehörigkeit zu treffen. Ein Verstoß dagegen sei eine flagrante Verletzung der Ziele und Grundsätze der Charta. Niemals sonst hat der Internationale Gerichtshof so eindeutig hervorgehoben, daß eine Verletzung von Menschenrechten einen Verstoß gegen die Charta darstelle. Dennoch wurde schon vor diesem Gutachten die Notwendigkeit empfunden, das Verbot der Rassendiskriminierung auszubauen. Den Anstoß dazu gab ein neues Aufleben des Antisemitismus im Winter 1959/60. Um Ausschreitungen wirksam bekämpfen zu können, sollte zunächst ein internationales Übereinkommen mit begrenzter Zielsetzung geschaffen werden. Die Generalversammlung erweiterte jedoch 1 9 6 2 die Zielsetzung auf die Überwindung jeder Form von rassischer und zunächst auch religiöser Diskriminierung. Die religiöse wurde dann aber fallengelassen. Am 20. November 1963 nahm die Generalversammlung die Erklärung über die Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung an (Res. 1 9 0 4 ( X V I I I ) ) . Sie umreißt die angestrebten Ziele und nennt die Verpflichtungen der Staaten nicht nur zur Unterdrückung von Diskriminierungen im öffentlichen und gesellschaftlichen Leben, sondern auch zur Förderung der Verständigung zwischen den auf ihrem Gebiet lebenden rassischen und ethnischen Gruppen. Hingegen sieht sie noch kein besonderes internationales Organ zur Überwachung dieser Maßnahmen vor. Ein solches — der Ausschuß zur Beseitigung der Rassendiskriminierung (Committee on the Elimination o f Racial Discrimination — abgekürzt: CERD) — wurde erst von dem Übereinkommen vom 21. Dezember 1965 (Res.. 2 1 0 6 ( X X ) ) - hier: „Übereinkommen" — vorgesehen, das nach Ratifikation durch 27 Staaten am 4. Januar 1969 in Kraft trat. Im Vergleich zu den Arbeiten der Vereinten Nationen für eine allgemeine Kodifizierung von Menschenrechten, die von 1946 bis 1 9 7 6 liefen, ist diese vorweggenommene Teilkodifikation verhältnismäßig schnell zustande gekommen. Das hängt eng damit zusammen, daß in diesen Jahren das Dekolonisierungsproblem stark in den Vordergrund trat. Die Bundesrepublik Deutschland ratifizierte das Übereinkommen am 16. Mai 1 9 6 9 (BGBl. II S. 9 6 1 ) . Das Verbot der Rassendiskriminierung unterscheidet sich von anderen Diskriminierungsverboten (ζ. B. nach Geschlecht, Sprache oder Religion) ganz entscheidend. Diesen anderen Diskriminierungsverboten kann durch die Verwirklichung ganz spezifischer einzelner Menschenrechte Rechnung getragen werden. Werden sie verwirklicht, sind auch diskriminatorische Akte auf diesen Gebieten ausgeschlossen. Das Verbot der Rassendiskriminierung kann hingegen nur dann verwirklicht werden, wenn nicht nur ein derartiges spezifisches Menschenrecht - wie Gleichheit für Mann und Frau, Sprachenfreiheit oder Religionsfreiheit - garantiert ist, sondern erst wenn in ganz breitem Sinne die Gleichheit zwischen allen Menschen hergestellt und alle Menschenrechte verwirklicht sind. Über die Definition des Begriffs der „Rasse" und der „Rassendiskriminierung" gibt es ganze Bibliotheken der Anthropologie, Biologie, Soziologie und der Rechtswissenschaft. Nur die soziologische Definition ist juristisch verwendbar: „Eine Menschengruppe, die sich selbst als anders von anderen Gruppen versteht oder auch auf der Grundlage physischer Merkmale von diesen als anders empfunden und verstanden wird" (Pierre van den Berghep. 9). Dabei ist das subjektive Element in dieser Definition wichtig: Auch eine Gruppe, die nur von anderen als andersartig empfunden wird. Dieser Erkenntnis folgen weitgehend die Definitionen im Vertragsrecht. So stellt das Übereinkommen der Rasse auch Farbe, Abkunft, nationale oder ethnische Abstammung gleich (Art. 1 Abs. 1 Übereinkommen). Im engeren

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Rassendiskriminierung

Sinne ist „Rasse" eine auf Grund physischer Kriterien bestimmte soziale Gruppe. „Farbe" ist nur eines dieser Kriterien. „Abkunft" bezeichnet eine Gruppe auf Grund ihrer sozialen Herkunft (= Kaste); nationale oder ethnische Abstammung bestimmt sich nach Kriterien der Sprache, der Kultur und der Geschichte. In all diesen Fällen handelt es sich nicht um rein objektive, sondern weitgehend um subjektive Kriterien. Es kommt entscheidend darauf an, ob der Mensch, dessen Stellung definiert werden soll, von anderen Menschen als physisch, sozial oder kulturell andersartig angesehen wird, ganz gleich, ob das sachlich zutrifft. Im allgemeinen bestimmt ein anderer und nicht der Betroffene selbst, welcher Rasse er angehört. Aus dieser Definition ergibt sich, daß der Begriff der „Rassenbeziehungen" außerordentlich breit ist und eine Fülle von Fällen umfaßt, die sich nach Intensität und Tragweite unterscheiden. Die Beziehungen zwischen Bantus in Südafrika und den „Africaans" gehören ebenso dazu wie die zwischen einem britischen Arbeiter in einer englischen Fabrik und seinem Arbeitskollegen aus Pakistan, aber auch die zwischen einem Bayern und einem italienischen Gastarbeiter aus Verona, obwohl beide vielleicht der gleichen langobardischen Herkunft sein mögen, nur weil sie verschiedene Sprachen sprechen und in unterschiedlichen ethnischen Überlieferungen aufwuchsen. Es ist allerdings behauptet worden, zwischen „Rassenbeziehungen" und den Beziehungen zwischen ethnischen Gruppen bestünden wesentliche Unterschiede: Rassenprobleme könnten nur auf der Grundlage völliger Gleichheit und Integration gelöst werden, während die ethnische Gruppe ein legitimes Interesse daran habe, gewisse Vorrechte und auf dieser Grundlage eine gewisse Eigenständigkeit zu genießen (Delbrück S. 18). Sicherlich bestehen über die anzustrebenden Lösungen unterschiedliche Auffassungen. Diese sollten aber nicht schon in die Begriffsdefinitionen hineingetragen werden. Nach positivem Recht kann auch die nationale oder ethnische Minderheit von „Rassendiskriminierung" betroffen werden (vgl. Art. 1 Abs. 1 Übereinkommen). Ausgenommen von dem Begriff der „Rasse" ist die Frage der Staatsangehörigkeit (vgl. Art. 1 Abs. 3 Übereinkommen). Der Ausländer darf anders behandelt werden als der Inländer. Es ist noch nicht einmal bestimmt, daß alle Ausländer untereinander gleich behandelt werden müssen. Es bleibt Raum für die Meistbegünstigung gewisser Staaten wie ζ. B. in der Europäischen Gemeinschaft. Darf ein Franzose oder Italiener ohne besondere Aufenthaltsoder Arbeitserlaubnis in anderen Gemeinschaftsstaaten arbeiten, dann stellt das keine Rassendiskriminierung gegenüber Gastarbeitern aus Ländern außerhalb der Gemeinschaft — wie ζ. B. aus Jugoslawien — dar. Zu den maßgebenden Kriterien, nach denen rassische Gruppen untereinander unterschieden werden, gehört nicht die Religion. Freilich kann sich das Bewußtsein, zu einem „Volk" zu gehören, auf religiöse Überlieferungen stützen. So erwarb ζ. B. das jüdische Volk in Israel den Charakter einer ethnischen Gruppe, die von anderen „semitischen" Völkern zu unterscheiden ist. Ob auch die Glaubensgenossen in anderen Ländern (etwa der UdSSR) zu diesem „Volk" gehören, hängt nicht nur von dem Bewußtsein der Angehörigen dieser Gruppe selbst ab, sondern auch von der Haltung des herrschenden Mehrheitsvolkes. Wenn etwa die Juden in der Sowjetunion ethnisch als , J u d e n " (auf der Kennkarte) registriert werden, kann das Mehrheitsvolk nicht geltend machen, sie seien eine religiöse Gruppe. Zweifellos war der Gegensatz zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn ein Rassenproblem im Sinne von Art. 1 des Übereinkommens, auch schon, bevor diese arabischen Nachbarn es in den Vereinten Nationen — in einer unheiligen Allianz mit dem Ostblock — durchsetzten, daß der Zionismus absurderweise auf eine Stufe mit der Apartheidpolitik in Südafrika gestellt wurde (GA Res. 3379 (XXX) vom 10.11.1975). Durch diese Resolution ist Art. 3 des Übereinkommens, das ausschließlich nur die „Apartheid" nennt, nicht ergänzt worden. Sein Art. 1 bleibt anwendbar. Im Fall der Rassendiskriminierung als besonderer Erscheinung von ->• Diskriminierung, wird gefordert:

Rassendiskriminierung

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— Eine Handlung oder Unterlassung, die sich als Unterscheidung, Ausschluß, Beschränkung oder Bevorzugung darstellt; — daß diese Handlung oder Unterlassung sich auf bestimmte Gründe stützt; — daß diese eine bestimmte Wirkung haben müssen: nämlich die Anerkennung, den Genuß oder die Ausübung von Menschenrechten und Grundfreiheiten auf bestimmten Gebieten aufzuheben oder zu beschränken. Alle drei Anforderungen sind zu erfüllen (Schwelb p. 1001). Untereinander stehen Rassendiskriminierung und Menschenrechte mehrfach zueinander in Beziehung. Einerseits gehört es zu den Begriffsmerkmalen der Rassendiskriminierung, daß sie zu einer Einschränkung von Menschenrechten führt. Daher sind die Menschenrechte in dem Übereinkommen (Art. 5) auch einzeln aufgeführt. Der Katalog ist aber nicht abschließend, sondern nur beispielhaft. Auch wenn nur der allgemeine Gleichheitssatz berührt ist, kann Rassendiskriminierung vorliegen. Andererseits kann aber der Schutz der Menschenrechte das Diskriminierungsverbot auch einschränken. Das zeigt Art. 4 Übereinkommen. Die Verbreitung gewisser Ideen und die Gründung gewisser Vereinigungen sind unter Strafe zu stellen, soweit das mit den Menschenrechten vereinbar ist. Daher kann hier ein Konflikt zwischen zwei Gruppen von Rechtsnormen entstehen. Menschenrechtsgarantien können im Interesse der Freiheit die Möglichkeit einschränken, diskriminatorische Akte zu unterbinden. Dagegen ist eingewandt worden, nach Art. 29 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte könnten im Interesse der öffentlichen Ordnung (zu der auch das Verbot der Rassendiskriminierung gehört) alle Menschenrechte eingeschränkt werden. Dabei ist aber übersehen, daß Art. 3 0 derselben Erklärung alle Rechte und Freiheiten vor völliger Aufhebung schützt. Diese Bestimmung setzt der Einschränkung von Grundrechten eine entschiedene Grenze und schützt deren Wesensgehalt. Die Mitgliedstaaten des Übereinkommens haben alle Maßnahmen auf dem Gebiete der Gesetzgebung, der Rechtsprechung und Verwaltung zu treffen, um alle Formen der Rassendiskriminierung in dem Gebiete ihrer Herrschaftsgewalt auszuschalten, zu verbieten und auszumerzen. Diese Verpflichtung verlangt nicht nur, daß die Vertragsstaaten ihren Bürgern volle Gleichheit vor dem Gesetz gewährleisten, sondern daß auch besondere Maßnahmen getroffen werden, um auf den Gebieten der Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltung darüber hinaus jede Rassendiskriminierung zu vermeiden (Art. 2). Die Statuierung des allgemeinen Gleichheitssatzes reicht nicht aus, sondern darüber hinaus müssen nicht n u r die bestehenden Gesetze daraufhin nachgeprüft werden, ob sie einen genügenden Schutz gegen diskriminatorische Maßnahmen gewährleisten (Art. 2 Abs. 1 (a)—(c) Übereinkommen); es müssen auch die notwendigen Rechtsmittel gegen die Maßnahmen sowohl staatlicher wie privater Organe u n d Individuen (Art. 2 (d) und Art. 6) gewährleistet sein. Das Übereinkommen hat ein internationales Organ geschaffen, u m die Einhaltung aller Vorschriften zu überwachen: Den internationalen Ausschuß zur Beseitigung der Rassendiskriminierung, bestehend aus 18 Sachverständigen aus den 87 Staaten, welche das Übereink o m m e n ratifiziert haben. Der Ausschuß ist ein Organ dieser Vertragsstaaten. Seine Mitglieder werden zwar von ihnen präsentiert, sind aber keine Regierungsvertreter, sondern amtieren in persönlicher Eigenschaft, ohne daß die von ihnen geforderte persönliche Unabhängigkeit vertraglich abgesichert wäre. Die Hauptaufgabe dieses Ausschusses ist die Prüfung von Berichten, welche die Mitgliedstaaten erstmals ein Jahr nach dem Inkrafttreten des Übereinkommens und dann fortlaufend alle zwei Jahre über die Erfüllung der Vertragspflichten zu erstatten haben (Art. 9). Über das Ergebnis berichtet der Ausschuß der Generalversammlung unmittelbar. Es liegen bisher (Stand: 31.12.1975) sechs derartige Berichte vor (GAOR (XXV) Suppl. No. 2 7 - D o c . A/8027; (XXVI) Suppl. No. 1 8 - D o c . A / 8 4 1 8 ; (XXVII) Suppl. No. 1 8 - D o c . 8 7 1 8 ; ( X X V I I I ) Suppl. Nr. 1 8 - D o c . A/9018; (XXIX) Suppl. No. 1 8 - D o c . A / 9 6 1 8 und (XXX) Suppl. No. 1 8 - D o c . A/10018). Der Umfang dieser Berichte schwoll in den ersten Jahren von 39 (1970) auf 122 (1973) Seiten an, ging dann aber zurück. Das hat nicht nur redaktionelle Gründe,

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Rassendiskriminierung

sondern liegt an der steigenden Säumnis der Vertragsstaaten bei der Berichterstattung. Von den 1974/75 fälligen 47 Berichten gingen nur vier pünktlich ein, 19 (zum Teil um Jahre) verspätet und 2 4 überhaupt nicht. Das Berichtsverfahren ist aber auch mit anderen Schwächen belastet. Die Mitglieder des Ausschusses können über die internen Verhältnisse in den Mitgliedstaaten schwerlich nur so unterrichtet sein, daß sie die Richtigkeit aller Angaben nachprüfen können. Sie dürfen nun zwar bei ihrer Prüfung auf alle amtlichen Quellen (einschließlich Parlamentsdebatten) zurückgreifen - das war zunächst umstritten —, doch sind deren Auswertung schon aus sprachlichen Gründen Grenzen gesetzt. So sind sie häufiger darauf angewiesen, die ihnen vorliegenden Berichte auf formale Vollständigkeit und innere Geschlossenheit zu prüfen, soweit sie nicht Fragen berühren, die bereits in der politischen Diskussion aufgeworfen wurden. Dennoch kann nach Erfahrungen in sechs Jahren festgestellt werden, daß die Pflicht zur Berichterstattung zahlreiche Staaten — wenn auch nicht alle — wirksam an die Verpflichtung zur Durchführung der Konvention erinnert hat und daher nicht wirkungslos blieb. Daneben hat der Ausschuß das ihm von anderen Organen der Vereinten Nationen übermittelte Material über abhängige Gebiete (einschließlich eingereichter Petitionen) unter dem Gesichtspunkt der Durchführung des Übereinkommens — aber ohne Rücksicht darauf, ob die Verwaltungsstaaten dieses ratifiziert haben — zu prüfen und darüber an die Generalversammlung zu berichten (Art. 15). Hier stellt sich das Problem, daß dieses Material unter dem Gesichtspunkt der Dekolonisierung zusammengestellt ist und nicht unter dem der Rassendiskriminierung. Außerdem stehen dem Ausschuß hier nicht — wie bei den Staatenberichten — die Vertreter der maßgebenden Staaten zur Verfügung, um auf im Ausschuß gestellte Fragen sofort antworten zu können. Die dritte Aufgabe — die Behandlung von Staatsbeschwerden gem. Art. 11 Übereinkommen — ist bisher noch nicht praktisch geworden. Die bisherige Praxis des Ausschusses ist ein wichtiges Modell für das in den Weltpakten für -* Menschenrechte vorgesehene Berichtsystem. Literatur van den Berghe: Race and Racism — a comparative perspective, New York 1967 Delbrück: Die Rassenfrage als Problem des Völkerrechts und nationaler Rechtsordnungen, Frankfurt 1971 Partsch: Rassendiskriminierung - Die UN-Konvention und ihre Wirkungsweise — Darstellung, Text und Materialien, Bonn (Bundeszentrale für politische Bildung) 1971 Partsch: Bekämpfung der Rassendiskriminierung im Rahmen des Schutzes der Menschenrechte, in: Scheuner/Lindemann: Die Vereinten Nationen und die Mitarbeit der Bundesrepublik Deutschland, München 1973, S. 109 Schwelb: The International Convention on the Elimination o f all forms o f racial discrimination, in: ICLQ vol. 15 ( 1 9 6 6 ) , p. 9 9 6 Schwelb: The Implementation o f the International Convention on the Elimination o f Racial Discrimination, in: ILA, Report o f the fifty-fifth Conference, London 1974, p. 585 UNESCO: Le racisme devant la science, 2e éd., Paris 1973 Karl J o s e f Partsch Verweise auf: Apartheid; Berichtsystem; Diskriminierung; Entkolonialisierung; Menschenrechte; Südliches Afrika.

Regionalabkommen

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Regio nalabko mme η Einleitung Den Vereinten Nationen liegt wie schon dem Völkerbund die Konzeption eines universalen Sicherheitssystems zur Erhaltung des Weltfriedens zugrunde, mit der Sicherheitsbestrebungen auf regionaler Ebene konkurrieren. Während das Verhältnis zwischen friedenserhaltenden Regionalabkommen (ζ. B. Locarno-Pakt von 1 9 2 5 ) und dem Völkerbundsystem in Art. 21 Völkerbundsatzung weitgehend offengelassen wurde, findet das Spannungsverhältnis zwischen Universalismus und Regionalismus im Rahmen der Vereinten Nationen eine erheblich stärkere Beachtung: Zum einen weist schon die innere Struktur der Vereinten Nationen zahlreiche regionale Komponenten auf (ζ. B. Art. 23 Abs. 1: Zusammensetzung des Sicherheitsrats entsprechend „equitable geographica] distribution"; Art. 47 Abs. 4 : „regional subcommittees" des Military Staff Committee; im wirtschaftlichen und sozialen Bereich: Die regionalen ->· Wirtschaftskommissionen des ECOSOC sowie die regionalen Unterinstanzen der WHO und der FAO). Zum anderen regelt die Charta das Außenverhältnis der Organisation zu den regionalen Staatenverbindungen, soweit deren Aufgabenziel im Bereich der -> kollektiven Sicherheit (VIII. Kapitel: Art. 5 2 - 5 4 ) und der kollektiven Selbstverteidigung (Art. 5 1 ) liegt; Regionalsysteme mit rein wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Zielsetzung ( ζ . B. Europäische Gemeinschaften, E F T A , COMECON, Europarat) stehen hingegen außerhalb dieser Regelung (lediglich Art. 103 ist im Verhältnis zu diesen anwendbar: Vorrang der Pflichten aus der Charta). Im folgenden interessiert allein das Verhältnis zwischen den Vereinten Nationen und den Regionalabkommen zur Wahrung der Sicherheit und des Friedens (Regionalabkommen im eigentlichen Sinn).

Regionalabkommen im System der Art. 51 und 52-54 Sowohl die Regionalabkommen nach Art. 51 als auch diejenigen nach Art. 52 ff. dürfen keine Abreden enthalten, die gegen das -* Gewaltverbot in Art. 2 Ziff. 4 oder gegen sonstige Chartabestimmungen verstoßen; beide Male dürfen also nur Verteidigungs-, nicht Angriffsabreden getroffen werden. Unterschiedlich sind die Rechtsvoraussetzungen und die Funktion beider Abkommenstypen: Art. 51 anerkennt im Falle eines bewaffneten Angriffs als Ausnahme zu Art. 2 Ziff. 4 das individuelle und kollektive Selbstverteidigungsrecht und gestattet zur effektiven Ausübung dieses Rechts auch eine institutionalisierte Zusammenarbeit der Staaten (in Form von Beistandspakten oder im Rahmen regionaler Verteidigungsorganisationen) bei der Planung und Vorbereitung von Selbstverteidigungsmaßnahmen für den Fall eines künftigen Angriffs. Bei Vorliegen eines Angriffs kann das kollektive Selbstverteidigungsrecht ohne Ermächtigung des Sicherheitsrats ausgeübt werden; es hat jedoch nur subsidiären und provisorischen Charakter (Art. 51 Satz 1). Eine Anzeigepflicht gegenüber dem Sicherheitsrat besteht nur hinsichtlich der bereits getroffenen Selbstverteidigungsmaßnahmen (Art. 51 Satz 2). Stärker unter die Kontrolle des -»• Sicherheitsrats stellt das VIII. Kapitel die regionalen Abmachungen und Einrichtungen, die sich mit „matters relating to the maintenance of international peace and security as are appropriate for regional action" (Art. 52 Abst. 1) befassen. Während die friedliche Beilegung von örtlichen Streitigkeiten in regionalen Verfahren durch den Sicherheitsrat nicht reglementiert, deren Entwicklung vielmehr von ihm gefördert werden soll (Art. 52 Abs. 2, 3), dürfen Zwangsmaßnahmen von einer regionalen Organisation — mit Ausnahme derjenigen gegen ehemalige Feindstaaten (-»• Feindstaatenklausel) nur mit Ermächtigung des Sicherheitsrats ergriffen werden (Art. 53 Abs. 1 Satz 2). Darüber hinaus soll der Sicherheitsrat die regionalen Einrichtungen gleichsam als Hilfsorgane für die Durchführung der von ihm angeordneten Zwangsmaßnahmen in Anspruch nehmen können (Art. 53 Abs. 1 Satz 1). Schließlich soll der Rat von der Regionalorganisation in Fragen der

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Regionalabkommen

Friedenssicherung „at all times be kept fully informed o f activities undertaken or in contemplation" (Art. 54). Während die Regionalabkommen nach der ratio legis des VIII. Kapitels als dezentralisierte, hilfsweise Systeme der kollektiven Sicherheit in das universale Sicherheitskonzept der Vereinten Nationen integriert werden sollen, dienen die Abkommen der kollektiven Selbstverteidigung gemäß Art. 51 (ähnlich wie die traditionellen Allianzen) den in ihnen zusammengeschlossenen Staaten angesichts des wenig wirksamen kollektiven Sicherheitssystems der Vereinten Nationen als ersatzweise und allein verläßliche Sicherung gegen Friedensstörer von außen. Auf dem Hintergrund des Systemgegensatzes zwischen kollektiver Selbstverteidigung und kollektiver Sicherheit lassen sich die derzeit existierenden Regionalabkommen in solche nach Art. 51 und solche nach Art. 52 ff. einteilen, wenngleich einige von ihnen nach ihrer Struktur und Aufgabenstellung Elemente beider Systeme aufweisen. Doppelcharakter hat wohl die Westeuropäische Union (WEU), ehemals Brüsseler Pakt, in der geänderten Fassung vom 23. Oktober 1954 (BGBl. 1 9 5 5 II S. 283), die sich einerseits auf Art. 51 stützt und damit der Berichtspflicht des Art. 5 4 entzieht (Art. V , VI des Vertrages), andererseits aber auch spezifische Aufgaben des VIII. Kapitels (friedliche Streitbeilegung, Art. X ; Befassung mit jeder friedensbedrohenden Lage, Art. VIII Abs. 3 ) wahrnimmt. Primär auf Art. 51 ausgerichtet ist dagegen der Nordatlantik-Pakt (NATO) vom 4 . April 1 9 4 9 (BGBl. 1955 II S. 2 8 9 ) , der bewußt auf Art. 51 gegründet wurde (Art. 5 des Paktes), um der Pflicht aus Art. 54 und der Kontrolle des Art. 53 zu entgehen. Das Gleiche gilt für die S E A T O vom 8. September 1954 (UNTS Bd. 2 0 9 Nr. 2 8 1 9 ) , den ANZUS-Pakt vom 1. September 1951 (UNTS Bd. 131 Nr. 1 7 3 6 ) , den CENTO-Pakt (ursprünglich Bagdad-Pakt) vom 24. Februar 1 9 5 4 (UNTS Bd. 2 3 3 Nr. 3 2 6 4 ) und den Balkanpakt vom 9. August 1 9 5 4 (UNTS Bd. 2 1 1 Nr. 2 8 5 5 ) , der Art. 51 allerdings insofern modifiziert, als die eigenen Verteidigungsmaßnahmen der Paktmitglieder erst beendet werden sollen, wenn der Sicherheitsrat wirksame ( ! ) Schritte unternimmt (Art. VII Abs. 1 dieses Paktes). Schließlich finden auch die bilateralen Sicherheitspakte zwischen den sozialistischen Staaten und der Warschauer Pakt vom 14. Mai 1955 (UNTS Bd. 2 1 9 Nr. 2 9 6 2 ) in Art. 51 ihre Rechtsgrundlage. Bei letzterem ist dies allerdings streitig, da nach dessen Art. 4 die Verteidigung trotz ausdrücklicher Berufung auf Art. 51 nicht nur gegen Angriffe von außen, sondern entsprechend dem Prinzip des sozialistischen Internationalismus auch gegen Angriffe im eigenen Lager (-* Intervention der UdSSR in Ungarn und der C S S R ) zugelassen wird; als Regionalabkommen nach dem VIII. Kapitel kann der Warschauer Pakt aber deshalb nicht eingestuft werden, weil sich dieser nicht als dezentralisiertes Hilfssicherheitssystem der Vereinten Nationen versteht und sich deren Kontrolle in der Praxis entzieht. Eindeutig als Regionalabkommen gemäß dem VIII. Kapitel zu qualifizieren ist die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), die auf dem Rio-Pakt vom 2. September 1 9 4 7 (UNTS Bd. 21 Nr. 3 2 4 ) mit Änderungsprotokoll vom 26. Juli 1 9 7 5 (noch nicht in Kraft, ILM vol. 14 ( 1 9 7 5 ) p. 1122), der Bogotá-Charta vom 3 0 . April 1 9 4 8 (UNTS Bd. 119 Nr. 1609) und dem Bogotá-Pakt über friedliche Streitbeilegung vom 30. April 1 9 4 8 (UNTS Bd. 3 0 Nr. 4 3 4 ) beruht (-> Kollektive Sicherheit). Sie wird in Art. 1 der Bogotá-Charta ausdrücklich als ,Regional agency" im Sinne des Art. 52 Abs. 1 „within the United Nations" bezeichnet und dient ihrer Konzeption nach der regionalen Friedenserhaltung, wie ihr regionales Streitbeilegungsverfahren und ihr kollektives Sicherheitssystem bei Angriffen innerhalb der Region und bei Gefährdung des regionalen Friedens (Art. 6 ff. Rio-Pakt, Art. 2 4 f. Bogotá-Charta) beweisen; für die Einstufung der OAS als „regional agency" ist es unschädlich, daß ihr Sicherheitskonzept auch die kollektive Selbstverteidigung nach Art. 51 bei Angriffen von außen auf die Region einschließt (siehe Art. 5 Rio-Pakt, der bezüglich der Informationspflicht Art. 51 und 54 nebeneinander nennt). Auch die Liga der Arabischen Staaten, die sich auf die Charta der Liga vom 2 2 . März 1 9 4 5 (UNTS Bd. 7 0 Nr. 2 4 1 ) und den Sicherheitspakt vom 13. April 150 ( A V R 4 ( 1 9 5 3 / 5 4 ) S. 89) gründet, und die Organisation Afrikanischer Einheit (OAU) mit ihrer Charta vom 25. Mai 1963 (UNTS Bd. 4 7 9 Nr. 6 9 4 7 ) werden wegen ihrer spezifisch

Regionale u n d universale F r i e d e n s s i c h e r u n g in der Praxis

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regionalen Aufgabenstellung (Arabische Liga: friedliche Streitbeilegung, Abwehr von Angriffen jeder Art; OAU: friedliche Streitbeilegung, Förderung der afrikanischen Einheit, Beseitigung des Kolonialismus, wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit, Aufgaben der gemeinsamen Verteidigung und Sicherheit) überwiegend dem VIII. Kapitel zugeordnet. Dementsprechend sind die OAS, OAU und wohl auch die Arabische Liga von den Vereinten Nationen indirekt als Regionalorganisationen im Sinne des VIII. Kapitels anerkannt worden (Teilnahme als Beobachter an den Sitzungen der Generalversammlung, Tätigkeitsberichte an den Sicherheitsrat gem. Art. 54). Regionale und universale Friedenssicherung

in der Praxis

Dem normativen Rangverhältnis zwischen den regionalen Sicherheitssystemen und dem der Vereinten Nationen entspricht dessen Erscheinungsbild in der Praxis nur sehr unvollkommen. Angesichts der Unfähigkeit der Vereinten Nationen, den Frieden zwischen den von den USA und der UdSSR angeführten Blöcken mit ihrem globalen Sicherheitskonzept des VII. Kapitels zu gewährleisten, haben die beiden Supermächte mit der NATO und dem Warschauer Pakt permanente Ersatzsicherheitssysteme z u r gegenseitigen Abschirmung ihrer Interessensphären geschaffen, die sich der Kontrolle der Vereinten Nationen weitgehend entziehen. Damit k o m m t dem ursprünglich nur als Ausnahme gedachten kollektiven Selbstverteidigungsrecht des Art. 51, soweit die Gewährleistung des Friedens zwischen den Blöcken in Frage steht, absolute Dominanz zu. Aber auch bei Streitigkeiten und Konflikten innerhalb ihrer Einflußsphären ziehen die beiden Weltmächte zur Wahrung ihrer Hegemonialinteressen das Konzept der regionalen Friedenssicherung dem der universalen vor. Während der UdSSR der Warschauer Pakt über dessen ursprüngliche Selbstverteidigungsfunktion hinaus als Instrument zur kollektiven Gewährleistung der Solidarität und Homogenität der sozialistischen Staaten dient, haben die USA bei Streitigkeiten im amerikanischen Raum meist die Einschaltung der unter ihrer Vormacht stehenden OAS befürwortet, um mit ihrer Hilfe insbesondere eine kommunistische Unterwanderung ihres Einflußbereiches zu verhindern. Soweit die OAS als die aktivste der heute bestehenden Regionalorganisationen zum Zwecke der friedlichen Streitbeilegung gemäß Art. 52 Abs. 2 tätig wurde (Konflikte: Guatemala/Honduras, 1954; USA/Kuba, 1960; Haiti/Dominikanische Republik, 1963; USA/ Panama, 1964; USA/Dominikanische Republik, 1965), ist die Frage, ob ihr gegenüber dem Sicherheitsrat die Priorität oder nur eine konkurrierende Zuständigkeit z u k o m m t , im Sicherheitsrat zwar jeweils debattiert, regelmäßig aber bis z u m Eingang eines Berichts der OAS über den Streit zurückgestellt und damit bewußt o f f e n gelassen worden. Über diese faktische Anerkennung der Priorität regionaler Streitbeilegung hinaus forderte der Rat die Arabische Liga im Falle Libanon (1958) und die OAU in der Kongo-Frage ( 1 9 6 4 ) sogar zur aktiven Mitwirkung bei der Bereinigung der Konflikte auf. Die Neigung der OAS unter ihrer Führungsmacht USA, sich entgegen der Intention des VIII. Kapitels aus dem Subordinationsverhältnis zu den Vereinten Nationen zu lösen, k o m m t insbesondere in dem Versuch z u m Ausdruck, durch eine restriktive Auslegung der regionalen „enforcement measures" das Erfordernis einer vorherigen Ermächtigung durch den Sicherheitsrat gem. Art. 53 zu umgehen u n d sich stattdessen mit einer Information an den Sicherheitsrat nach Art. 54 zu bgegnügen (so z. B. die OAS bei der Verhängung wirtschaftlicher und diplomatischer -> Sanktionen gegen die Dominikanische Republik (1960) und Kuba (1962, 1964) sowie die USA und später auch die OAS bei der -»· Intervention in der Dominikanischen Republik (1965). Obwohl diese Praktik im Sicherheitsrat von vielen Staaten (auch Mitgliedern der OAS selbst) wiederholt heftig angegriffen wurde, kam hierüber nie eine klärende Sicherheitsratsentschließung zustande. Angesichts des zunehmenden Übergewichts der USA innerhalb der OAS haben einige Mitgliedstaaten wie z. B. Mexiko, Ecuador, Uruguay u n d Peru schon seit längerem Vorbehalte gegen die weitreichenden Autonomiebestre-

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Resolution, Erklärung, Beschluß

bungen der O A S angemeldet und vermehrt für die Einschaltung des Sicherheitsrats plädiert, um sich dem übermächtigen Einfluß der USA zu entziehen. Diesem Interesse trägt denn auch das noch nicht in Kraft getretene Änderungsprotokoll zum Rio-Pakt von 1975 in einigen Punkten Rechnung. Trotz dieser gegenläufigen Tendenz innerhalb der O A S verstehen sich weder diese noch die Arabische Liga und die O A U als in das globale Friedenssicherungskonzept der Vereinten Nationen integrierte Hilfssicherheitssysteme, auch wenn sie das Erfordernis der Ermächtigung nach Art. 53 selbst nie in Frage gestellt haben und ihrer Informationspflicht gem. Art. 54 bisher im allgemeinen nachgekommen sind. Mit ihrer fortschreitenden Ausgliederung aus dem System der Vereinten Nationen sind sie insoweit in die Nähe der kollektiven Selbstverteidigungsorganisationen gerückt. Diesem Trend zur Regionalisierung der Friedenssicherung scheint auch die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa ( K S Z E ) zu folgen, die bei einem gleichzeitigen Abbau der Konfrontation zwischen den beiden Blöcken (vgl. die Verhandlungen über die Begrenzung strategischer Waffensysteme ( S A L T ) und über eine beiderseitige ausgewogene Truppenreduzierung ( M B F R ) ) den Grund für ein künftiges regionales Sicherheitssystem in Europa legen könnte. Literatur Haas: The United Nations and Regionalism, in: Twitchett (ed.). The Evolving United Nations: A Prospect for Peace? , London 1971, p. 120 Kimminich: Kollektive Sicherheit auf globaler und regionaler Ebene, in: Festschrift für Berber zum 75. Geburtstag, München 1973, S. 217 Krezdorn: Les Nations Unies et les accords régionaux, Thèse Nr. 100, Genf, Speyer 1954 Mahnke: Das Problem der Einheit der Völkerrechtsgemeinschaft und die Organisation der internationalen Sicherheit, Berlin 1965 Pernice: Die Sicherung des Weltfriedens durch Regionale Organisationen und die Vereinten Nationen, Hamburg 1972 Wilcox: Regionalism and the United Nations, in: International Organization vol. 1 9 ( 1 9 6 5 ) p. 789 Ulrich Beyerlin Verweise auf·. Feindstaatenklausel; Friedenssicherung; Gewaltverbot; Intervention; Kollektive Sicherheit; Sanktionen; Sicherheitsrat; Wirtschaftskommissionen.

Resolution, Erklärung, Beschluß Begriffe Die Charta unterscheidet bei den Willensakten der Organe zwischen der Empfehlung (recommendation) und dem Beschluß (decision). Sie verwendet diese Begriffe in den meisten Fällen untechnisch, ohne eine Auskunft über die Form des einzelnen Willensaktes, seine Entstehung oder seine Rechtsverbindlichkeit zu geben. In der Praxis der Vereinten Nationen und ihrer Sonderorganisationen ergehen die Willensakte der Organe mit Ausnahme der Rechtssprechungsorgane in Form von Resolutionen (resolutions, auch Entschließungen genannt), Erklärungen (declarations, auch Deklarationen genannt) oder einfachen Beschlüssen (decisions). Die Resolution ist der übliche Willensakt eines Kollektivorgans der Vereinten Nationen. Sie wird im Verkehr mit anderen Organen, fremden Organisationen, Staaten oder auch mit Privatpersonen verwendet. Gewöhnlich spricht sie eine bestimmte Empfehlung aus oder teilt

Verfahren

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einen Beschluß mit, trifft eine Feststellung oder ruft eine Tatsache in Erinnerung. Die Resolution enthält neben der Bezeichnung des erlassenden Organs und der Sitzungsperiode einen Titel und eine Präambel. Die ständigen Organe numerieren ihre Resolutionen in der Reihenfolge der Annahme, während ad hoc gebildete Nebenorgane und Konferenzen sie gewöhnlich nur mit einem Datum versehen. Die Resolutionen werden nach dem erlassenden Organ mit ihrer Nummer und Sitzungsperiode, gelegentlich auch mit Titel und/oder Datum zitiert: GA Res. 3 3 1 4 ( X X I X ) , Definition of Aggression, 14. Dezember 1974. Die Generalversammlung hat bis Ende 1975 insgesamt 3.541 Resolutionen angenommen, bei den anderen Organen der Vereinten Nationen liegt die Zahl jedoch erheblich niedriger. Die Erklärung ist ein Sonderfall der gewöhnlichen Resolution. Sie unterscheidet sich von dieser durch die hervorragende Bedeutung ihres Inhalts und eine besonders feierliche Form. Gewöhnlich enthält sie besonders wichtige rechtliche oder politische Prinzipien, ohne an einen bestimmten Adressaten gerichtet zu sein. Die wichtigsten der 23 bis Ende 1975 von der Generalversammlung angenommenen Erklärungen betreffen die Menschenrechte (Res. 217 A (III) vom 10.12.1948), die Unabhängigkeit der Kolonialvölker (Res. 1514 ( X V ) vom 14.12.1960), die Hoheitsrechte über natürliche Reichtümer (Res. 1803 ( X V I I ) vom 14.12.1962), die Rassendiskriminierung (Res. 1904 (XVIII) vom 2 0 . 1 1 . 1 9 6 3 ) , die Erforschung und Nutzung des Weltraums (Res. 1962 ( X V I I I ) vom 13.12.1963), die Unzulässigkeit der Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Staaten (Res. 2131 ( X X ) vom 2 1 . 1 2 . 1 9 6 5 ) , das Meeresbodenrecht (Res. 2 7 4 9 ( X X V ) vom 17.12.1970), die Prinzipien des Völkerrechts hinsichtlich der freundschaftlichen Beziehungen und der Zusammenarbeit unter den Staaten (Res. 2625 ( X X V ) vom 2 4 . 1 0 . 1 9 7 0 ) , die Errichtung einer neuen Weltwirtschaftsordnung (Res. 3201 ( S - V I ) vom 1.5.1974, angenommen auf der 6. Sondersitzung) und die Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten (Res. 3281 ( X X I X ) vom 12.12.1974). Als gewöhnlicher Beschluß ergehen in der Praxis normalerweise solche Willensakte eines Organs, die eine Entscheidung über einzelne, weniger bedeutende Fragen aus dem technischen oder organisatorischen Bereich enthalten, wie zum Beispiel die Aufnahme eines Punktes in die Tagesordnung oder die Entgegennahme eines Berichts. Die Beschlüsse der Generalversammlung werden mit dem Datum ihrer Annahme, der Sitzung und der Nummer des Tagesordnungspunktes zitiert (vgl. Anhang: Dokumente der Vereinten Nationen). Verfahren Das Verfahren zum Erlaß einer Resolution, Erklärung oder eines einfachen Beschlusses ist in seinen Grundzügen für alle Organe ähnlich geregelt. Das Initiativrecht steht außer den Mitgliedern des Organs häufig auch anderen Organen, Organisationen oder allen Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen zu. Im Sicherheitsrat und in der Generalversammlung haben sogar Nichtmitglieder ein Initiativrecht bei Streitigkeiten, die den Weltfrieden gefährden (Art. 11 Abs. 2 und 35 Abs. 2). Die Willensakte kommen grundsätzlich mit einfacher Mehrheit der anwesenden und abstimmenden Mitglieder zustande. Jedes Mitglied hat eine Stimme (vgl. für die Hauptorgane Art. 18 Abs. 1, 3, Art. 27 Abs. 1, Art. 67, 89) (-* Stimmrecht). In der Generalversammlung ist bei besonders wichtigen Fragen jedoch eine Zweidrittelmehrheit erforderlich (Art. 18 Abs. 2). Die Beschlüsse des Sicherheitsrates knüpfen an besondere, nur teilweise in der Charta geregelte Voraussetzungen an (Art. 27, vgl. dazu das Gutachten des IGH im Namibia-Fall, ICJ Reports 1971 p. 22). Bemerkenswert ist die in neuerer Zeit erkennbare Tendenz vieler Organe, auf eine formelle Abstimmung zu verzichten und die Resolutionen und Beschlüsse im Wege des allgemeinen Einverständnisses anzunehmen. Die Organe haben Einzelheiten des Verfahrens, wie zum Beispiel die Mitwirkung von Ausschüssen oder das Abstimmungsverfahren, in ihren Geschäftsordnungen geregelt (vgl. Rules o f Procedure o f the General Assembly, Doc. A/520/Rev. 12; Provisional Rules o f Procedure o f the Security Council, Doc. S/96/Rev. 5). Sie veröffentlichen ihre Willensakte gewöhnlich

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Resolution, Erklärung, Beschlufe

am Ende jeder Sitzungsperiode. Im Falle der Generalversammlung geschieht dieses im letzten Ergänzungsband (Supplement) ihrer jährlich erscheinenden amtlichen Sitzungsberichte (Official Records). Rechtsverbindlichkeit Die Frage, ob bestimmte Willensakte der Organe rechtlich verbindlich sind, indem sie selbst Rechtsnormen darstellen, deren Verletzung ein Rechtsbruch wäre, oder ob sie lediglich rechtlich nicht bindende Verpflichtungen oder Prinzipien im Bereich der internationalen Politik oder der Moral erzeugen, läßt sich nicht generell beantworten. Sie wird vor allem bei solchen Resolutionen, Erklärungen oder Beschlüssen aktuell, die von ihren Adressaten bestimmte Handlungen oder Unterlassungen fordern, einen Vertrag auslegen oder eine Regel aufstellen (->• Völkerrecht durch Vereinte Nationen). Die Rechtsverbindlichkeit dieser Willensakte ist jedenfalls nicht aus ihrem Wortlaut zu entnehmen, denn die Organe verwenden häufig gerade in jenen Resolutionen oder Erklärungen besonders eindringliche Formeln, deren Verbindlichkeit nicht feststeht. Ferner ergibt sie sich nicht aus der Terminologie der Charta, denn die Praxis kennt auch verbindliche „Empfehlungen" und unverbindliche „Beschlüsse" im Sinne der Charta. Die Rechtsverbindlichkeit der Willensakte richtet sich nach der für das erlassende Organ und den Adressaten gemeinsam geltenden Rechtsordnung, für die sie jeweils in Frage steht. Sie kann immer nur für einzelne Resolutionen, Erklärungen oder Beschlüsse eines bestimmten Organs festgestellt werden, denn die Organe haben in den verschiedenen Rechtsordnungen und innerhalb jeder Rechtsordnung unterschiedlich weite Kompetenzen zum Erlaß verbindlicher Willensakte. Dabei sind zwei Rechtsordnungen zu unterscheiden, einerseits das zwischen den Organen selbst und zwischen ihnen und ihren Bediensteten geltende organisationsinterne Recht („sekundäres Organisationsrecht") und andererseits das auf die Beziehungen der Organisation zu anderen Völkerrechtssubjekten anzuwendende Völkerrecht. Im organisationsinternen Recht beruht die Kompetenz eines Organs zum Erlaß verbindlicher Willensakte auf der Charta bzw. der Satzung oder auf besonderen organisationsinternen Vereinbarungen. Ein Organ (oder mehrere gemeinsam) kann im Zusammenhang mit Aufgaben, für die es ausschließlich zuständig ist, Willensakte erlassen, welche die gesamte Organisation im internen Bereich binden. Beispiele für derartige ausschließliche Kompetenzen von Organen enthält die Charta in folgenden Bereichen: Die organisationsinterne Seite der Mitgliedschaft (Art. 4 Abs. 2, Art. 5, 6, 93), die Errichtung und Zusammensetzung der Organe (Art. 23, 61, 86, 97), die Einsetzung von Nebenorganen oder Kommissionen (Art. 22, 68), Fragen der Geschäftsordnung (Art. 21, 30), des Haushalts, der Verwaltung und des Verfahrens (Art. 17, 32, 63, 85, 87), der Rechtsbeziehungen zu den Bediensteten (Art. 101) und die organisationsinternen Seiten einer Änderung der Charta (Art. 108). Dabei können die gemeinsam an einer Entscheidung beteiligten Organe sich gegenseitig nicht binden, wie der IGH in seinem Gutachten betreffend die Kompetenz der Generalversammlung für die Zulassung neuer Mitglieder festgestellt hat (ICJ Reports 1950 p. 7). Im übrigen sind die Willensakte eines Hauptorgans nur für seine Neben- oder Hilfsorgane bindend, nicht aber für gleichrangige Hauptorgane. In Einzelfällen kann die Charta aber auch ein Organ einem an sich gleichrangigen anderen unterstellen, so daß es rechtlich an dessen diesbezügliche Willensakte gebunden ist. Wenn zum Beispiel der ECOSOC oder der Treuhandrat „unter der Autorität" der Generalversammlung handeln, sind sie an deren Resolutionen und Beschlüsse gebunden (vgl. Art. 60, 66, 85 Abs. 2, 87). Der Generalsekretär und die ihm unterstellten Bediensteten sind gegenüber sämtlichen Hauptorganen weisungsabhängig u n d dementsprechend an deren Willensakte gebunden. Fehlt eine derartige ausschließliche Zuständigkeit eines Organs und ist auch eine organisatorische und rechtliche Unterordnung unter dieses Organ nicht gegeben, so sind seine Resolutionen und Beschlüsse im internen Recht der

Rechtsverbindlichkeit

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Organisation nicht bindend. Beispielsweise binden die feierlichen Erklärungen und generellen Resolutionen der Generalversammlung zur Auslegung der Charta die anderen gleichrangigen Hauptorgane nicht, da sie keine ausschließliche Kompetenz zur Auslegung der Charta hat (-> Völkerrecht durch Vereinte Nationen). Allerdings ist sie in den Beziehungen zu ihren Bediensteten selbst an ihre eigenen Erklärungen gebunden. Diese Selbstbindung stellte das Verwaltungsgericht der Vereinten Nationen in einem Streit hinsichtlich der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948 fest (vgl. Robinson v. SecretaryGeneral, Judgment No. 15, Doc. AT/DEC/ 15). Viele Willensakte beziehen sich auch oder sogar ausschließlich auf die Außenbeziehungen der Vereinten Nationen bzw. ihrer Sonderorganisationen zu anderen Völkerrechtssubjekten. Am wichtigsten sind hierbei die Resolutionen und Erklärungen der Generalversammlung, welche diese auf Grund ihrer in Art. 10—14 geregelten Kompetenzen an Mitglieder und andere Staaten richten kann. Diese Kompetenzen zur Annahme „politischer" Resolutionen hängen eng mit dem in Art. 10 geregelten allgemeinen Diskussionsrecht der -»· Generalversammlung zusammen. Sie finden ihre Grenzen an der ausschließlichen Zuständigkeit des Sicherheitsrates für die Sicherung des Weltfriedens (Art. 12) (-»• Friedenssicherung). Ein Verstoß gegen die interne Zuständigkeitsverteilung einer Organisation führt in ihren Außenbeziehungen allerdings nicht immer zur absoluten Unwirksamkeit ihrer Willensakte (vgl. das Gutachten des IGH in dem Fall „Certain Expenses of the United Nations", ICJ Reports 1962 p. 168). Eine weitere Grenze enthält das Verbot des Art. 2 Ziff. 7, in die inneren Angelegenheiten eines Staates einzugreifen. Diese zum Schutze der staatlichen -»• Souveränität geschaffene Grenze ist jedoch nicht für alle Fälle genau definiert, sie muß in jedem Einzelfall besonders festgestellt werden. Die „politischen" Erklärungen und Resolutionen der Generalversammlung können zwar beachtliche Faktoren der internationalen Politik darstellen, sie sind selbst aber kein Völkerrecht. Dies wurde schon bei der Entstehung der Charta eindeutig geklärt, indem ein Antrag der Philippinen, der Generalversammlung und dem Sicherheitsrat eine generelle Kompetenz zum Erlaß bindender Rechtsakte einzuräumen, abgelehnt wurde (UNCIO vol. 3 p. 536; vol. 9 p. 70). Der IGH hat es seinerseits in der Entscheidung zu den Südwestafrika-Fällen von 1966 bestätigt (ICJ Reports 1966 p. 50). In der Unverbindlichkeit ihrer Erklärungen liegt auch der Grund dafür, daß die Vereinten Nationen einige besonders wichtige Erklärungen der Generalversammlung nachträglich zum Inhalt eines völkerrechtlichen Vertrages gemacht haben. Sie machten die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948 zur Grundlage der beiden Internationalen Pakte über bürgerliche und politische Rechte bzw. über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 19. Dezember 1966(-> Menschenrechte). Die Erklärung über die Beseitigung aller Formen der -*• Rassendiskriminierung vom 20. November 1963 bildet die Grundlage des entsprechenden Internationalen Übereinkommens vom 21. Dezember 1965, und die Erklärung über die Betätigung der Staaten bei der Erforschung und Nutzung des Weltraums vom 13. Dezember 1963 ist in den sog. Weltraumvertrag vom 27. Januar 1967 eingegangen (-» Weltraumrecht). Da auch das Verhältnis zwischen der Hauptorganisation und den Sonderorganisationen dem Völkerrecht unterliegt, werden auch diese durch die Resolutionen und Beschlüsse der Organe der Hauptorganisation nicht unmittelbar gebunden. Dies wurde in der Praxis mehrfach an Konflikten der Generalversammlung mit der IBRD und der ICAO bestätigt. Diese Sonderorganisationen verweigerten die Befolgung bestimmter an sie gerichteter Resolutionen der Generalversammlung, in denen sie aufgefordert wurden, ihre Zusammenarbeit mit einigen der Erklärung über das Verbot des Kolonialismus und Rassismus zuwiderhandelnden Staaten einzustellen. Die herrschende Lehre begründet die völkerrechtliche Unverbindlichkeit der Resolutionen, Erklärungen und Beschlüsse der Organe der Vereinten Nationen und ihrer Sonderorganisationen damit, daß diese Willensakte weder Vertrags- oder Gewohnheitsrecht noch allgemeine Rechtsgrundsätze seien und demnach keine formelle Völkerrechtsquelle im Sinne des Art. 38 Abs. 1 (a)—(c) IGH-Statut bildeten. Nach dieser Lehre ist ein Willensakt nur

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Resolution, Erklärung, Beschluß

dann rechtsverbindlich, wenn diese Verbindlichkeit in einem entsprechenden Vertrag von den betroffenen Völkerrechtssubjekten vereinbart worden ist. Beispiele für eine vertragliche Vereinbarung der Bindungswirkung der Willensakte eines Organs enthalten Art. 25 (Beschlüsse des Sicherheitsrates), die Statuten der WHO (Art. 2 2 WHO-Satzung), der ICAO (Art. 3 7 ICAO-Abkommen), der WMO (Art. 9 WMO-Satzung) und der ILO (Art. 19 ILO-Satzung), ferner einzelne Verträge der Vereinten Nationen mit den Sonderorganisationen (z. B. Art. 5 des Vertrages mit der UNESCO). Gegen die herrschende Lehre richten sich viele Autoren, nach deren Ansicht die Völkerrechtsquellen in Art. 3 8 Abs. 1 IGH-Statut nicht abschließend geregelt sind. Einige von ihnen nehmen an, daß die Willensakte entweder selbst eine eigenständige Rechtsquelle bilden oder ihre Verbindlichkeit aus einer nicht in Art. 3 8 IGH-Statut genannten Quelle beziehen. Eine rechtssoziologisch orientierte angloamerikanische Auffassung sieht das Verfahren der Vereinten Nationen unter bestimmten Voraussetzungen als ein „internationales Rechtschöpfungsverfahren" an, in dem Völkerrecht entsteht. In den sozialistischen Ländern und in neuerer Zeit vor allen in den Ländern der Dritten Welt ist eine andere Auffassung sehr verbreitet, wonach die Generalversammlung die Charta durch einen einstimmigen Beschluß für die Mitgliedstaaten verbindlich auslegen und damit neues Völkerrecht schaffen kann. Nach einer neuen Auffassung entsteht durch einen Beschluß der Generalversammlung, der einen Konsens ihrer Mitgliedstaaten ausdrückt, neues Völkerrecht, da der Konsens als solcher eine selbständige, den anderen Quellen des Art. 3 8 IGH-Statut vorgeordnete Rechtsquelle sei. Diesen Ansichten ist entgegenzuhalten, daß die Regelung der Frage, was eine Völkerrechtsquelle ist, selbst nur in einer Völkerrechtsnorm erfolgen kann. Das geltende Völkerrecht enthält aber keine Norm, wonach die Willensakte der Organe der Vereinten Nationen oder der in ihnen ausgedrückte Konsens der Mitgliedstaaten eine selbständige Völkerrechtsquelle sind. Die Auslegung der Charta ist ebenso wie jede Vertragsauslegung zweifellos ein Vorgang, der in gewissem Umfang auch Elemente einer Rechtsschöpfung enthalten kann. Die Auslegungskompetenz der Generalversammlung und mit ihr die Verbindlichkeit ihrer Auslegungserklärungen enden aber jedenfalls dort, wo die Charta durch neue Normen ergänzt oder verändert wird, denn für diese Fälle sieht die Charta das Verfahren der Art. 108, 109 vor (->• Revision der Charta). Gegen die Versuche anderer Autoren, die Willensakte der Generalversammlung einer der herkömmlichen Völkerrechtsquellen zuzuordnen, sprechen verschiedene Gesichtspunkte. Ein völkerrechtlicher Vertrag kommt durch die Abstimmung in der Generalversammlung nicht zustande, denn die Zustimmung der Staatenvertreter ist nicht Ausdruck eines vertraglichen Bindungswillens. Sie handeln bei der Abstimmung als Mitglieder des Organs und nicht als Unterhändler ihrer Entsendestaaten und lassen sich dementsprechend häufig von politischen Zielen und Aufgaben des Organs leiten. Sofern die Erklärungen oder Resolutionen unmittelbar eine allen Mitgliedstaaten gemeinsame Rechtsüberzeugung ausdrücken, liegt darin aber noch keine Entstehung von Gewohnheitsrecht. Denn es fehlt das dem Gewohnheitsrecht wesentliche Element der Staatenpraxis. Die Abstimmung in der Generalversammlung ist jedenfalls keine Staatenpraxis. Selbst nach der Feststellung des IGH im Festlandsockelfall, daß der Zeitraum der Staatenpraxis nicht unbedingt sehr groß sein muß, wenn jedenfalls eine eindeutige Praxis der besonders betroffenen Staaten vorhanden ist (ICJ Reports 1969 ρ 4 3 ) , entsteht durch die Annahme einer Resolution kein „spontanes" oder „künstliches" Gewohnheitsrecht. Als allgemeine Rechtsgrundsätze im Sinne des Art. 3 8 Abs. 1 ( c ) IGH-Statut sind die Willensakte der Generalversammlung aber auch nicht anzusehen, da diese Rechtsgrundsätze nach vorherrschender Auffassung von den staatlichen Rechtsordnungen geschaffen und vom Völkerrecht lediglich vorgefunden werden. Angesichts der vielen zweifelnden Stimmen, die sich gegen die herrschende Lehre von der völkerrechtlichen Unverbindlichkeit der Willensakte der Vereinten Nationen, insbesondere der Generalversammlung wenden, muß man annehmen, daß die Diskussion dieser Frage auch zukünftig noch andauern wird. Der Versuch, auf der 29. Sitzungsperiode der Generalver-

Politische Wirkung

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Sammlung eine Resolution durchzusetzen, deren Folge es gewesen wäre, daß jede Resolution ohne Rücksicht auf ihre Gegenstimmen den Rechtscharakter bindenden Völkerrechts erlangt hätte, konnte zunächst gebannt werden (vgl. Res. 3232 (XXIX) vom 12.11.1974). Gelegentlich nimmt die Generalversammlung geltendes Gewohnheitsrecht oder allgemeine Rechtsgrundsätze in eine Resolution oder Erklärung auf und bestätigt auf diesem Wege das geltende Recht. Diese Bestätigung läßt den Willensakt als solchen unverbindlich, eine rechtliche Verbindlichkeit kommt nur der aufgenommenen Norm zu. Enthält der Willensakt neben geltenden Rechtsnormen auch Elemente ihrer Fortentwicklung, so kann er normalerweise nicht einmal zur Bestätigung des geltenden Rechts dienen, denn gewöhnlich sind die geltenden untrennbar mit den gewünschten Regelungen verschmolzen. Bildung neuen Rechts Von der Bestätigung des geltenden Rechts in einer Resolution, Erklärung oder einem Beschluß ist deren rechtsbildende Wirkung zu unterscheiden. Einige Willensakte, insbesondere die Erklärungen und einzelne Resolutionen der Generalversammlung, können insofern rechtsbildend (also eine sog. materielle Rechtsquelle) sein, als sie zur Entstehung völkerrechtlicher Normen beitragen, ohne selbst die Qualität einer Norm zu besitzen (vgl. das Sondervotum Lauterpacht im Gutachten des IGH betreffend Fragen der Abstimmung bezüglich Südwestafrika, ICJ Reports 1955 p. 122). Das Verfahren der Generalversammlung zur Annahme einer Erklärung, einer generellen Resolution oder eines Beschlusses ist ein rechtlich in sich geregelter Prozeß, durch den unter bestimmten Umständen eine gemeinsame rechtliche Überzeugung der Mitgliedstaaten ausgedrückt wird. Anzeichen für eine gemeinsame Rechtsüberzeugung können sich aus den Stellungnahmen der Staaten vor und nach der Abstimmung oder dem Abstimmungsergebnis selbst ergeben. Gegen eine derartige Überzeugung sprechen gewöhnlich die ablehnende Haltung der von der Regelung besonders betroffenen Staaten oder auch Abstimmungsmehrheiten, die nur durch das diplomatische Taktieren einzelner Staaten oder Staatengruppen zustande kommen. Zweifel an der rechtsbildenden Wirkung sind auch bei vielen neueren Resolutionen der Generalversammlung angebracht, in denen vorhandene Konflikte durch weite Formulierungen verdeckt werden. Die in einem Willensakt ausgedrückte gemeinsame Rechtsüberzeugung kann gelegentlich als Anzeichen für das Vorliegen einer allgemeinen Rechtsüberzeugung dienen. Dieses ist insbesondere hinsichtlich rechtlich vorher noch nicht oder nicht eindeutig geregelter Gebiete wie des Weltraums mit den Himmelskörpern oder des Tiefseebodens anzunehmen. Die entsprechenden Erklärungen der Generalversammlung haben deutlich zur Bildung des heutigen Weltraumrechts und des Regimes des Tiefseebodens beigetragen (-»· Seerecht). Machen die Staaten oder die internationalen Organisationen selbst die in einer Erklärung oder Resolution der Vereinten Nationen ausgedrückte Rechtsüberzeugung auch zur Grundlage ihrer Praxis, so trägt dies ebenfalls wesentlich zur Bildung von Gewohnheitsrecht bei. Politische Wirkung Die rechtsbildende Wirkung einzelner Resolutionen oder Erklärungen ist lediglich ein Sonderfall der gesamten politischen Wirkungen, welche alle Willensakte gemeinsam auf die internationalen Beziehungen der Staaten und internationalen Organisationen ausüben. Diese Wirkung besteht darin, daß internationale Konflikte auf friedlichem Wege gelöst, politische Ziele der Staatengemeinschaft formuliert und Wertmäßstäbe für deren Handlungen entwickelt werden. Sie hängt im Einzelfall von zahlreichen Faktoren ab wie zum Beispiel der Haltung der unmittelbar betroffenen Staaten und der Großmächte oder dem Umfang der widerstreitenden oder gemeinsamen Interessen. Außerdem ist sie vor dem Hintergrund der Wechselbeziehungen zu sehen, die zwischen den gegensätzlichen Funktionen der Vereinten Nationen bestehen. Die Vereinten Nationen sind ein Forum zur Bildung und Entwicklung

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Resolution, Erklärung, Beschluß

der politischen Beziehungen ihrer Mitglieder. Sie dienten in ihrer Geschichte aber auch immer bestimmten Großmächten oder Staatengruppen als Instrument zur Durchsetzung eigener Interessen. Kurz nach ihrer Entstehung, in der Phase des sog. Kalten Krieges, wurden die Vereinten Nationen von den Vereinigten Staaten und ihren Verbündeten beherrscht. Daraufhin folgte zeitweilig eine „bipolare Hegemonie" der beiden Großmächte USA und UdSSR. Seit einigen Jahren stehen die Vereinten Nationen nunmehr unter dem Einfluß der mehr als 100 Mitgliedstaaten zählenden „Gruppe der 7 7 " , die sich aus Staaten der Dritten Welt zusammensetzt. Diese Gruppe versucht mit Hilfe ihrer sicheren Zweidrittelmehrheit in nahezu allen Organen, die Industriestaaten der nördlichen Hemisphäre zu einer Umverteilung ihres Reichtums zugunsten der weniger entwickelten Länder zu bewegen. Dabei bedienen sie sich vor allem auch des Mittels der Resolutionen und Erklärungen der Generalversammlung. Die mit der allgemeinen politischen und insbesondere der rechtsbildenden Wirkung der Resolutionen und Beschlüsse der Vereinten Nationen und ihrer Sonderorganisationen zusammenhängenden Fragen bedürfen insgesamt noch einer weiteren begrifflichen und methodischen Durchdringung. Hier liegt für die Völkerrechtslehre und die Lehre von den internationalen Beziehungen noch ein weites Arbeitsfeld. Literatur Arangio-Ruiz: The Normative Role o f the General Assembly of the United Nations and the Declaration o f Principles of Friendly Relations, in: RCADI 137 ( 1 9 7 2 III) p. 4 1 9 Asamoah: The Legal Significance o f the Declarations o f the General Assembly o f the United Nations, The Hague 1966 Bernhardt / Miehsler: Qualifikation und Anwendungsbereich des internen Rechts internationaler Organisationen, Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, Heft 12, Karlsruhe 1973 Castañeda: Legal Effects of United Nations Resolutions, New York / London 1969 Detter: Law Making by International Organizations, Stockholm 1965 Di Qual: Les effets des résolutions des Nations Unies, Paris 1967 Golsong / Ermacora: Das Problem der Rechtsetzung durch internationale Organisationen (insbesondere im Rahmen der UN), Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, Heft 10, Karlsruhe 1971 Gordenker (ed.): The United Nations in International Politics, Princeton 1971 Higgins: The Development of International Law through the Political Organs o f the United Nations, London / New York / Toronto 1963 Schachter: The Evolving International Law o f Development, in: Columbia Journal o f Transnational Law 1976 p. 1 Simma: Methodik und Bedeutung der Arbeit der Vereinten Nationen für die Fortentwicklung des Völkerrechts, in: Kewenig (Hrsg.), Die Vereinten Nationen im Wandel, Berlin 1975 Verdross: Kann die Generalversammlung der Vereinten Nationen das Völkerrecht weiterbilden? , in: ZaöRV 1966 S. 6 9 0 Rainer Lagoni Verweise auf·. Friedenssicherung; Generalversammlung; Menschenrechte, Rassendiskriminierung; Revision der Charta; Seerecht; Souveränität; Stimmrecht; Völkerrecht durch Vereinte Nationen; Weltraumrecht.

Revision der Charta

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Revision der Charta Begriff und Haupt art en Von einer Revision der Charta spricht man, wenn deren Text in den dafür vorgesehenen Verfahren ausdrücklich geändert oder durch neue Bestimmungen ergänzt wird (sog. formelle Revision), aber auch dann, wenn die Charta ohne Eingriff in den Text durch die Praxis der Vereinten Nationen geändert oder ergänzt wird (sog. de facto Revision). Gemeinsam ist beiden Arten der Revision, daß die Charta nicht nur in dem von ihrem Text zugelassenen Rahmen durch Interpretation und Praxis fortentwickelt wird, sondern daß Systemkorrekturen oder -Veränderungen stattfinden. Dementsprechend sind auch die Ursachen der Revision in beiden Fällen dieselben: Es geht um Funktionsmängel und Lücken der Charta, die durch unbestrittene Interpretation und Handhabung nicht behebbar sind. Die formelle Revision der Charta ist in Kapitel XVIII (Art. 108 und 109) geregelt. Die Terminologie der Bestimmungen ist uneinheitlich (deutsch: Änderung, aber auch Revision, französisch: amendements, aber auch révision und modification, englisch: amendments, aber auch review und changements) und stellt nicht eindeutig klar, daß nicht nur Änderungen, sondern auch Ergänzungen gemeint sind. Die de facto Revision hat sich in der Praxis infolge der Schwierigkeit, formelle Revisionen der Charta durchzuführen, entwickelt.

Allgemeine rechtliche und politische Probleme einer Revision Jede Revision der Charta ist zugleich ein rechtliches u n d politisches Problem. Die rechtlichen Probleme liegen im Vorfeld der Revision. Eine Änderung oder Ergänzung der Charta setzt Klarheit über die rechtliche Tragweite der Bestimmungen der Charta voraus. Insofern besteht ein enger Zusammenhang zwischen der Revision und einer Interpretation der Charta, die auf eine widersprüchliche Entstehungsgeschichte, auf einen zum Teil unsystematischen Aufbau der Bestimmungen und auf o f t mehrdeutige Fassungen der Charta sowie auf die Erforschung der uneinheitlichen Praxis angewiesen ist. Zusätzliche Schwierigkeiten dieser Interpretation liegen darin, daß es keine Instanz gibt, die zu einer verbindlichen Interpretation berufen wäre. Eine Schiedsklausel über Auslegungsstreitigkeiten fehlt in der Charta. Der -»• ICH kann nur auf freiwilliges Ersuchen der Generalversammlung oder des Sicherheitsrates durch ein unverbindliches Rechtsgutachten über Auslegungsfragen der Charta entscheiden. Die Auslegung der Charta ist demzufolge im wesentlichen Sache der politischen Organe der Vereinten Nationen. So können die rechtliche Tragweite der Charta und damit die Grenzen zwischen einer noch von den Bestimmungen der Charta gedeckten Interpretation und einer Revision im Einzelfall unsicher sein (->· Völkerrecht durch Vereinte Nationen). Ein im Kern politisches Problem ist die Revision selbst, weil die Ergänzung und Änderung der Charta eine „quasi-legislative" Entscheidung darstellt. Nur selten kann eine Revision auf rein rechtliche Erwägungen gestützt werden. Sie hat in der Regel nicht nur klarstellende oder „kodifizierende" Funktion (ζ. B. Bereinigung einer unbeabsichtigt unklaren Wortfassung oder Aufnahme einer akzeptierten de facto Revision in die Charta) und ist deshalb nicht bloß „technischer" Art. Meist handelt es sich um eine „politische" Revision, weil die Funktion und Struktur der Vereinten Nationen und ihrer Organe geändert oder ergänzt werden. Hat dieser Funktions- und Strukturwandel zugleich Auswirkungen auf die Grundlagen des universellen Völkerrechts, die in der Charta lediglich positiviert sind oder von ihr unverändert vorausgesetzt werden (ζ. B. Gleichheit und Souveränität der Staaten), so erweisen sich Revisionen als besonders schwierig. Die Staaten befürchten, daß mit der Revision der Charta zugleich Grundlagen des Völkerrechts modifiziert werden. Überdies sind die Grenzen zwischen „technischen" und „politischen" Revisionen fließend. Unterschiedliche Vorstellungen bestehen bei den Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen

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Revision der Charta

über die Notwendigkeit einer Reform der Charta. Sie beruhen auf ideologischen, politischen und ökonomischen Interessengegensätzen innerhalb der Völkergemeinschaft. S o nimmt beispielsweise der Ostblock, motiviert durch seine restriktive Einstellung gegenüber Internationalen Organisationen, gegenüber einer Reform der Charta immer wieder mit der Begründung Stellung, daß eine „gewissenhafte" Anwendung der Satzung jede Reform überflüssig mache. Die Staaten der Dritten Welt — vielfach unter Einschluß und Führung der Volksrepublik China — möchten hingegen die Vereinten Nationen zu einem Forum machen, auf dem sie mehrheitlich gegen die Großmächte und die „reichen" Länder votieren können, und plädieren deshalb für Reformen. Unterschiedlich sind selbstverständlich auch die Vorstellungen über die Ziele und Mittel der Reform. In den für die Reform zuständigen Gremien artikulieren die Vertreter die kontroversen Interessen ihrer Entsendestaaten. Sie argumentieren also nicht primär vom Standpunkt der Vereinten Nationen aus, die deshalb auch keine von den Staaten „unabhängige" Reformen betreiben können. Die beiden vorerwähnten Gesichtspunkte unterstreichen die zentrale Bedeutung, die dem Konsensprinzip bei Revisionen der Charta zukommt. Man kann die Charta in Analogie zu Staatsverfassungen als Verfassung der Vereinten Nationen bezeichnen. Der Rechtsform nach ist sie jedoch ein multinationaler Vertrag, dessen Änderungen und Ergänzungen dem Konsensprinzip unterliegen. Das bedeutet, daß die Erfolgsaussichten einer Revision der Charta sowohl hinsichtlich des Zustandekommens als auch hinsichtlich der Beachtung einer durchgeführten Revision vom Willen der Mitgliedstaaten der Organisation abhängen. Auch wenn eine Revision mit qualifizierter Mehrheit durchgesetzt werden kann, ist sie weitgehend wertlos, wenn überstimmte Mitglieder die Revision nicht ratifizieren oder gar mit einem Austritt drohen. Revisionen müssen sich deshalb im Rahmen des weltpolitisch Erreichbaren halten. Es dürfen nicht nur die Auswirkungen einer Revision auf Funktion und Struktur der Vereinten Nationen, sondern es müssen auch ihre Auswirkungen auf die Mitglieder (etwa bei Stimmrechtsveränderungen oder einem Funktionszuwachs der Vereinten Nationen auf die Gleichheit und Souveränität der Staaten) bedacht werden. Das zwingt im Ergebnis vielfach dazu, Reformen der Charta auf einem eben noch konsensfáhigen Minimalstandard zu halten. Auf dem skizzierten Hintergrund müssen die rechtlichen Strukturen der formellen und der de facto Revision sowie deren Ergebnisse gesehen werden.

Die formelle Revision Die Revision der Charta ist sowohl in Art. 108 als auch in Art. 109 an qualifizierte Mehrheiten gebunden. Darin zeigt sich, daß die Charta nach dem Willen ihrer Urheber eine rigide, d. h. nur schwer abänderbare Verfassung der Völkergemeinschaft darstellen soll. Die de facto Revision stellt den Versuch dar, diese Rigidität der Charta partiell zu überwinden. Eine Abgrenzung der in Art. 108 und 109 vorgesehenen Revisionen der Charta läßt sich nur im Hinblick auf das zu beachtende Verfahren vornehmen. S o kann man im Falle des Art. 108 von einem „ordentlichen" Revisionsverfahren sprechen, weil die jährlich stattfindenden Sitzungen der Generalversammlung als Plattform für Revisionen ausgenutzt werden, und im Falle des Art. 109 von einem „außerordentlichen" Revisionsverfahren sprechen, weil eine besondere Revisionskonferenz einberufen wird. Mit dieser Unterscheidung und der uneinheitlichen Terminologie der beiden Artikel hängt es zusammen, daß die Ansicht geäußert wird, Art. 108 ziele nur auf die Revision einzelner Artikel, Art. 109 hingegen auf eine grundsätzlichere, vielleicht sogar auf eine Totalrevision. Wenn auch grundsätzlichere Revisionen kaum auf einer Sitzung der Generalversammlung durchgeführt werden können, so ist doch von Rechts wegen kein durchschlagender Gesichtspunkt für eine Unterscheidung zwischen Art. 108 und 109 nach Gegenständen der Revision erkennbar. Auch die viel diskutierte Frage, ob Art. 109 im Gegensatz zu Art. 108 nur Übergangscharakter besitzt und, nachdem eine Revisionskonferenz bis heute nicht durchgeführt ist, obsolet geworden ist,

Die f o r m e l l e Revision

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wird im wesentlichen zu verneinen sein. Nur Art. 109 Abs. 3 ergibt durch seine Bezugnahme auf die 10. Jahrestagung der Generalversammlung mit genügender Sicherheit, daß er einer wiederholten Anwendung nicht zugänglich ist. Die Generalversammlung versucht denn auch weiterhin, eine Konferenz zustande zu bringen. Vorschläge für eine Revision nach Art. 108 oder für die Einberufung einer Revisionskonferenz nach Art. 109 Abs. 1 können von jedem einzelnen Mitgliedstaat, aber auch von den Organen der Vereinten Nationen selbst in der Generalversammlung eingebracht werden. Das erste ergibt sich aus den Regeln über die Antragsberechtigung in der Generalversammlung (einerseits Regel 13 e Geschäftsordnung, andererseits Regel 13 c, d,g). Das Initiativrecht ist weder zeitlich noch sachlich begrenzt. Vorschläge können auf jeder Generalversammlung eingebracht werden. Artikel der Charta, die von Rechts wegen nicht geändert werden können, gibt es nicht. Jede Revision, sei es, daß sie nach Art. 108, sei es, daß sie nach Art. 109 durchgeführt wird, bedarf intensiver politischer und technischer Vorbereitung, die der Klärung der bereits skizzierten Probleme dient. Die Vorbereitung der Konferenz nach Art. 109 obliegt der Generalversammlung, die dafür seit langem ein aus allen Mitgliedstaaten zusammengesetztes „Committee on Arrangements for a Conference for the Purpose o f Reviewing the Charter" (Res. 9 9 2 ( X ) vom 21. November 1 9 5 5 ) eingesetzt sowie den -» Generalsekretär beauftragt hat, die Meinungsbildung unter den Mitgliedstaaten zu ermitteln und das Repertoire der Praxis der Vereinten Nationen, aus dem sich die Handhabung der Charta ergibt, laufend fortzuschreiben (vgl. etwa Res. 2 9 6 8 ( X X V I I ) vom 14. Dezember 1972). Die Beschlußfassung über eine Revision in der Generalversammlung (Art. 108), über die Einberufung einer Revisionskonferenz (Art. 109 Abs. 1) und über die von der Konferenz empfohlenen Revisionen (Art. 109 Abs. 2) erfordert durchweg eine Zweidrittelmehrheit. Für die Berechnung dieser Mehrheiten verweisen Art. 108 und 109 Abs. 1 auf die Mitglieder der Generalversammlung, während Art. 109 Abs. 2 von einem 2/3-Votum der Konferenz spricht. Daraus wird man entnehmen können, daß sich die Mehrheiten in Art. 108 und 109 Abs. 1 abweichend von Art. 18 Abs. 2 nicht nach der Zahl der anwesenden und abstimmenden, ohne Enthaltungen gezählten Mitglieder der Generalversammlung, sondern nach der von der Charta vorgesehenen Mitgliederzahl (Art. 9 ) richtet. Der Sinn dieser Abweichung von Art. 18 Abs. 2 liegt darin, daß eine nach der Zahl der Mitglieder der Vereinten Nationen berechnete Mehrheit höhere Aussichten für die später notwendige Ratifikation der Revisionen bietet, zugleich aber bei maximaler Erschwerung der Annahme einer Revision in der Generalversammlung die stärkste „demokratische" Legitimation vermittelt. Die nach Art. 109 Abs. 2 erforderliche Zweidrittelmehrheit wird nach der Zahl der an der Revisionskonferenz teilnehmenden Mitgliedstaaten zu berechnen sein, die nicht notwendig mit der Zahl der Mitglieder der Vereinten Nationen identisch ist. Als neuer Bestandteil der Charta werden Revisionen nach Art. 108 und 109 Abs. 2 erst wirksam, wenn zwei Drittel der Mitglieder der Vereinten Nationen unter Einschluß aller ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates die Revision in dem nach ihren jeweiligen Staatsverfassungen üblichen Verfahren ratifiziert haben. Jedes ständige Mitglied des Sicherheitsrates kann also eine Revision durch Nichtratifizierung zu Fall bringen. Diese extrem revisionsfeindliche Regelung entspricht der Logik der Charta, nach der die Großmächte die eigentliche Verantwortung für die friedenssichernde Aufgabe der Vereinten Nationen tragen und in dieser Verantwortung nicht durch Überstimmen ausgeschaltet werden können. Das nach Art. 108 und 109 Abs. 2 mögliche Veto der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates (es kann auch nicht - wie im Falle des Art. 2 7 Abs. 3 — durch eine Enthaltung überwunden werden, weil eine Enthaltung von der Ratifikation eine Nichtratifikation bedeutet) zwingt dazu, von vornherein jede Revision zu unterlassen, die nicht die Billigung aller ständigen Mitglieder erhalten wird. Auch eine Änderung der Art. 108 und 109 unterliegt dieser Regelung, so daß auch künftig kaum Erleichterung für die formelle Revision der Charta zu erwarten ist. — Der Zeitpunkt für die Hinterlegung der Ratifikation kann von der Generalversammlung oder der

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Revision d e r C h a r t a

Revisionskonferenz zeitlich befristet werden. Ein Vorbehalt kann mit der Ratifikation wohl nicht verbunden werden, weil sonst die einheitliche Geltungsgrundlage der Charta zerstört würde. Sind die erforderlichen Ratifikationsurkunden hinterlegt, bindet die Revision nicht nur die Mitglieder der Vereinten Nationen, die ratifiziert, sondern auch diejenigen, die nicht ratifiziert haben. Obwohl die Charta ein Austrittsrecht für Mitglieder, die nicht ratifiziert haben, aus den Vereinten Nationen im Gegensatz zu Art. 26 Abs. 2 Satzung des Völkerbundes nicht vorsieht, wird ein Austrittsrecht, gestützt auf die Deklaration der UNCIO (vgl. UNCIO vol. 7 p. 262 (267)), überwiegend angenommen. Die bisherigen Ergebnisse der formellen Revision sind mager. Seit Bestehen der Vereinten Nationen sind — abgesehen von Reformvorschlägen außerhalb der Vereinten Nationen, insbesondere der Wissenschaft — der Generalversammlung immer wieder Vorschläge für eine Revision der Charta nach Art. 108 und 109 unterbreitet worden. Während ihrer 10. Sitzungsperiode beschloß die Generalversammlung, gestützt auf Art. 109 Abs. 3, eine Revisionskonferenz zu einem „geeigneten" Zeitpunkt einzuberufen. Im übrigen wurden die schon erwähnten Maßnahmen beschlossen. Dabei ist es bis heute geblieben. Eine Umfrage über Revisionswünsche an die Mitgliedstaaten war bisher wenig ertragreich (vgl. Doc. A/8746 mit Corr. 1 und Add. 1—3). Einzelne Vorschläge betreffen derzeit die Abschaffung des Vetos, die Abschaffung der Feindstaatenklauseln, die Schaffung einer ständigen Streitmacht, eine neue Zusammensetzung des Sicherheitsrates, die Schaffung eines besonderen Status als assoziiertes Mitglied für ->• Mikrostaaten und Änderungen im Budgetrecht. — Die erste erfolgreiche Revision ist auf der Grundlage des Art. 108 durchgeführt worden und hat zur Änderung der Art. 23, 27 und 61 geführt. Die seit 1955 ständig steigende Zahl der Mitglieder der Vereinten Nationen nahmen vor allem die Länder der Dritten Welt zum Anlaß, sich für eine zahlenmäßig stärkere Repräsentation der nicht-ständigen Mitglieder im Sicherheitsrat und der Mitglieder im ->• ECOSOC einzusetzen. Ihre Bemühungen hatten vor allem gegen die Opposition der UdSSR anzukämpfen, führten aber schließlich 1963 zum Erfolg. Durch Resolution 1991 A und Β (XVIII) vom 17. Dezember 1963 wurde die Mitgliederzahl der genannten Organe heraufgesetzt. Die dadurch geänderten Artikel sind am 23. August 1965 in Kraft getreten. In einer weiteren Resolution 2101 vom 10. Februar 1965 wurde der versehentlich nicht geänderte Art. 109 Abs. 1 der neuen Mitgliederzahl des Sicherheitsrates angepaßt (neun statt bisher sieben Mitglieder). Abs. 3 blieb unverändert, weil er nur Übergangscharakter hat. Die Änderung des Absatz 1 ist am 12. Juni 1968 in Kraft getreten. Die Revisionen von 1963/1965 — sachlich handelt es sich nur um eine einzige Revision — haben Struktur und Funktion der Vereinten Nationen nicht berührt. Damit ist ihre erfolgreiche Durchführung zu erklären. Die de facto

Revision

Die de facto Revision unterscheidet sich von der formellen Revision einmal dadurch, daß die Änderungen und Ergänzungen der Charta nicht im Revisionsverfahren nach Art. 108 und 109 durchgeführt werden. Zum anderen sind etwa erzielte de facto Revisionen in ihrem Bestand unsicherer als formelle Revisionen. Sie können jederzeit durch eine Praxis, die sich wieder an den ursprünglichen Text und Sinn der Charta hält, beseitigt werden. Solange sie aber Bestand haben, sind sie ebenso rechtlich bindend wie formelle Revisionen. Die Frage nach der rechtlichen Zulässigkeit faktischer Revisionen kann man mit der Begründung aufwerfen, daß die Revisionen auf eine Weise und mit einem Inhalt Zustandekommen, die den in der Charta vorgesehenen Verfahren und sachlichen Bestimmungen zum Teil eindeutig widersprechen. Im Ergebnis ist die Frage akademischer Natur, weil es einen „Hüter der Charta", der über die Vereinbarkeit bestimmter Maßnahmen mit der Charta verbindlich entscheiden könnte, nicht gibt. Die Methoden der de facto Revision bestehen in einer von den Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen akzeptierten und ständig in der Praxis angewandten Interpretation von Bestimmungen der Charta contra legem sowie nach ver-

Die d e f a c t o R e v i s i o n

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breiteter Ansicht in einer ständigen Nichtanwendung von Chartabestimmungen oder sogar in ausdrücklichen, in der Charta vorgesehenen und diese ausfüllenden und ergänzenden Abmachungen. Beispiele einer unbestrittenen de facto Revision durch Interpretation finden sich in den Abstimmungsmodi der Generalversammlung und des Sicherheitsrates. So werden bei Abstimmungen nach Art. 18 Abs. 2 und 3 Enthaltungen für die Mehrheitsberechnung nicht gezählt, und in Art. 27 Abs. 3 gilt eine Enthaltung nicht als Ausübung des Vetorechts (bestritten mit Rücksicht auf die bisher spärliche Praxis ist hingegen, ob auch die Abwesenheit eines ständigen Mitgliedes des Sicherheitsrates nicht als Ausübung des Vetorechts gilt). Beispiele einer bestrittenen de facto Revision durch Interpretation betreffen vor allem und nicht zufällig — die Ausweitung der Organkompetenzen. Hierher gehört die Uniting for Peace Resolution der Generalversammlung (-»• Völkerrecht durch Vereinte Nationen), die aus der Charta nicht klar ersichtliche Ausweitung der politischen Funktionen des ->• Generalsekretärs, sowie die von Art. 73 ( e ) nicht ohne weiteres gedeckte Befugnis der Generalversammlung, einen Sonderausschuß für die Prüfung der nach dieser Bestimmung dem Generalsekretär zu übermittelnden Informationen (vgl. Res. 146 ( I I ) vom 3.11.1947, 1970 ( X V I I I ) vom 16.12.1963; Report of the Secretary General, G A O R ( X V I I I ) Suppl. 1 p. 118) einzusetzen und sich mit den Informationen zu befassen. Die genannten Beispiele werden zum Teil noch als von der Charta gedeckt, zum Teil aber auch als nicht gewohnheitsrechtlich verfestigte Interpretation contra legem eingestuft. Als Beispiele für de facto Revisionen der Charta durch Nichtanwendung ihrer Bestimmungen werden insbesondere genannt das Zurücktreten einzelner, von der Charta festgelegter Kriterien bei der Neuaufnahme von Mitgliedern, bei deren Repräsentation im Sicherheitsrat und bei der Auswahl des Personals: So wurden in den ersten zehn Jahren des Bestehens der Vereinten Nationen Bewerbungen um Mitgliedschaften auch dann zurückgewiesen, wenn die in Art. 4 genannten Bedingungen erfüllt waren (-»• Mitgliedschaft); so werden entgegen Art. 23 die nicht-ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates in erster Linie nach der geographischen Repräsentation gewählt. Dieselbe Bevorzugung geographischer Repräsentation bei der Auswahl des Personals erfolgt im Widerspruch zu Art. 101. Weitere Beispiele der de facto Revision durch Nichtanwendung sollen die Nichterfüllung der in Art. 43 f f . vorgesehenen Verpflichtungen sowie das Obsoletwerden der Feindstaatenklauseln darstellen. Es ist zweifelhaft, ob die genannten Beispiele als de facto Revision durch Nichtanwendung zu betrachten sind. Zwar können nach allgemeinem Völkerrecht vertragliche Bestimmungen infolge längerer einvernehmlicher Nichtanwendung ihre rechtliche Wirkung verlieren (desuetudo). Vorausgesetzt ist dabei aber, daß die Nichtanwendung ihrer Ursache nicht in der Uneinigkeit der Vertragspartner über die Anwendung oder in realen Schwierigkeiten der Durchsetzung der Bestimmung hat, sondern in dem einvernehmlichen Willen erfolgt, die rechtliche Wirkung der Bestimmungen zu beseitigen. Die genannten Beispiele wird man überwiegend als Fälle zu charakterisieren haben, bei denen der Wille zur Rechtsänderung fehlt. Im übrigen muß von den Fällen der Nichtanwendung das Gegenstandsloswerden von Bestimmungen durch bloßen Zeitablauf unterschieden werden (diskutiert etwa im Falle der Feindstaatenklauseln). Als wichtigstes Beispiel für eine de facto Revision durch ausdrückliche Abmachungen werden die Art. 51 ff. genannt. In der Tat ist nicht zu bezweifeln, daß infolge der von den Urhebern der Charta nicht vorgesehenen Blockierung des Sicherheitsrates anstelle der Gewährleistung des Friedens durch kollektives Vorgehen der Schutz durch Selbstverteidigung der Staaten mittels individueller oder kollektiver Aktion getreten ist, der nach dem System der Charta nur ein „vorläufiger" sein soll. Die regionalen Bündnissysteme (etwa N A T O , Warschauer Pakt) mit ihren weitreichenden, auf die primäre Verantwortlichkeit der Vereinten Nationen, insbesondere des Sicherheitsrates für die kollektive Sicherheit nicht Rücksicht nehmenden Bestimmungen machen diese Verlagerung der Verantwortung für Sicherheit und Frieden evident. Auch hier wird man aber bezweifeln können, ob diese Verlagerung bereits eine de facto Revision darstellt. Sie beruht auf realen Schwierigkeiten der Durchführung der

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Rohstoffabkommen

Charta und wird richtiger Ansicht nach nicht als eine rechtlich gewollte Änderung der Charta, sondern als mit der Charta zu vereinbarende Ausfullung der Art. 51 ff. betrachtet, weil und solange der Sicherheitsrat nicht tätig werden kann. Außer Zweifel steht freilich, daß diese Verlagerung unter international-politischen Gesichtspunkten weitgreifende Veränderungen mit sich gebracht hat. Eine Bilanz der faktischen Revision zeigt, daß auch diese Art der Chartareform nur wenige unbestrittene Ergebnisse gezeigt und damit an dem rigiden Charakter der Charta kaum etwas geändert hat. Eine durchgreifende Reform der Vereinten Nationen im Sinne einer Stärkung ihrer Funktionsfähigkeit und Erweiterung ihrer Funktionen ist auch von der faktischen Revision nicht zu erwarten. Literatur Cheng: International Law in the UN, in: Year Book of World Affairs (1954) p. 170 Clark / Sohn: World peace through world law, 3 rd ed., Cambridge (Mass.) 1966 Dehousse: Le Droit de Retrait, in: Revue Beige de Droit International 1965 p. 30, 1966 p. 8 Giraud: La Révision de la Charte des Nations Unies, in: RCADI 90 (1956 II) p. 311 Lachs: Le Problème de la Révision de la Charte des Nations Unies, in: RGDIP vol. 60 (1957) p. 51. Mitrany: The United Nations in historical perspective, in: Twitchett (ed)., The Evolving United Nations: A prospect for Peace? , London 1971, p. 157 (164) Nisot: La Révision de la Charte des Nations Unies, in: Revue Belge de Droit International 1965 p. 369 ders.: Les Amendements à la Charte des Nations Unies et leur Mise en oeuvre, in: Revue Belge de Droit Internation 1966, p. 321 Robinson: Metamorphosis of the United Nations, in: RCADI 94 (1958 II) p. 497 Schlochauer: Bemerkungen zur Revision der Charter of the United Nations, in: ZaöRV 1958 S. 16. Schwelb: The Amending Procedure of Constitutions of International Organisations, in: BYILvol. 31 (1954) p. 49 ders.: Charter Review and Charter Amendment — Recent Developments, in: ICLQ vol. 7 (1958) p. 303 ders.: Amendments to Art. 23, 27 and 61 of the Charter of the United Nations, in: AJIL vol. 59(1965) p. 834 ders.: The 1963/1965 Amendments to the Charter of the United Nations, in: AJIL vol. 60 (1966) p. 371 de Visscher: Les premiers Amendements apportés à la Charte de l'Organisation des Nations Unies, in: Revue Belge de Droit International 1966 p. 332 Meinhard Schröder Verweise auf·. ECOSOC; Feindstaatenklausel; Generalsekretär; ICH; Mitgliedschaft; Sicherheitsrat; Souveränität; Völkerrecht durch Vereinte Nationen.

Rohstoffabkommen Rohstoffabkommen im engeren Sinne sind zwischenstaatliche Verträge, die mittels bestimmter Regulierungstechniken die Stabilisierung der Preise gewisser Rohstoffe zum Ziel haben. Bei Rohstoffen, zu denen vor allem landwirtschaftliche Erzeugnisse und Minerale gehören

Rohstoffabkommen

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(vgl. Art. 56 der Havanna Charta), bewirkt eine Reihe von Faktoren, daß das Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage auf den Märkten gestört wird. Zu diesen Faktoren, die zu einem Über- und Unterangebot führen können, gehören auf Seiten der Produzentenländer ζ. B. klimatische Ursachen, Schädlingsplagen sowie, insbesondere bei Kakao, Kaffee, Zucker, lange Zeitspannen zwischen Investition und erster Ernte, auf seiten der Konsumentenländer dagegen restriktive Handelspraktiken (Agrarprotektionismus der Industrieländer), Börsenspekulationen sowie das Auftreten synthetischer oder natürlicher Ersatzprodukte. Überschüsse im einen, Unterschüsse im anderen Jahr führen bei im wesentlichen unelastischer Nachfrage dazu, daß Perioden mit hohen Rohstoffpreisen von solchen mit niedrigen abgelöst werden und daß insgesamt erhebliche Preisschwankungen auftreten. Diese auch für Rohstoffproduzenten in entwickelten Ländern unbefriedigende Situation verschärft sich für die Entwicklungsländer dadurch, daß die ihnen von der überkommenen Weltwirtschaftsordnung bereits während der Kolonialzeit zugedachte Rolle als Rohstofflieferanten der entwickelten Industriestaaten auch nach Erlangung der Unabhängigkeit nachwirkt. Während sich der Export der ->• Entwicklungsländer zu 75 % aus Rohstoffen, hingegen nur zu 25 % aus Halb- und Fertigfabrikaten zusammensetzt, stellt sich das Verhältnis bei den Exporten der Industriestaaten genau umgekehrt dar. Hinzukommt, daß eine ganze Reihe von Entwicklungsländern lediglich einen einzigen Rohstoff exportiert. Da diese Exporte wesentlich zu ihren Haushaltsund Deviseneinnahmen beitragen (in Chile wird beispielsweise der Haushalt bis zu 80 % aus dem Kupfergeschäft gedeckt), beeinträchtigen Preisschwankungen auf den Rohstoffmärkten in besonderem Maße eine kontinuierliche Wirtschafts- und Finanzpolitik und damit die (innen-) politische Entwicklung dieser Länder insgesamt. Extreme Preisschwankungen führten bereits 1864 bzw. 1902 zu zwischenstaatlichen Vereinbarungen unter den zuckerproduzierenden Staaten zur Begrenzung der staatlichen Exportsubventionen. Die eigentlichen Vorläufer der heutigen Internationalen Rohstoffabkommen sind jedoch in den privaten internationalen Kartellen zu sehen, die sich nach dem 1. Weltkrieg für eine Reihe von Rohstoffen herausbildeten. Der private Charakter dieser Kartelle ging in der Folgezeit verloren, je mehr die Staaten auf Grund der Weltwirtschaftskrise auf die Wirtschaft im allgemeinen und die Rohstoffkartelle im besonderen regulierend Einfluß nahmen. Dies geschah zunächst dadurch, daß die Heimatstaaten der Produzenten die Durchführung der Kartellvereinbarungen garantierten, ohne selbst Vertragspartner zu werden: Sie erließen lediglich die für die innerstaatliche Durchsetzung erforderlichen gesetzlichen Bestimmungen über Anbau- und Exportbeschränkungen. Seit den 30er Jahren kam es dann auch zum Abschluß rein zwischenstaatlicher, allerdings auf die Erzeugerländer beschränkter R o h s t o f f a b k o m m e n . Nach d e m 2. Weltkrieg bereitete die Havanna Charta vom 24. März 1948, die in Kapitel VI (Art. 5 5 - 7 0 ) eine ausführliche Regelung der Internationalen R o h s t o f f a b k o m m e n enthielt, den Boden für den Abschluß von Abkommen, an denen nunmehr auch die Importbzw. Verbraucherländer gleichberechtigt beteiligt sein sollten. Der ECOSOC forderte in einer Reihe von Resolutionen (vgl. vor allem Res. 3 0 (IV) vom 28.3.1947 sowie Res. 373 (XIII) vom 13.9.1951) die Mitglieder der Vereinten Nationen auf, bei der Ausgestaltung zukünftiger Abkommen die Bestimmungen des Kapitels VI der — niemals in Kraft getretenen Havanna Charta als allgemeine Richtlinie zugrundezulegen. Damit ist allerdings kein völkerrechtlich verbindliches Recht der R o h s t o f f a b k o m m e n entstanden, da die Resolutionen der Organe der Vereinten Nationen regelmäßig lediglich empfehlender Natur sind (-» Resolution, Erklärung, Beschluß). Die Havanna Charta selbst steht durchgehend in der Tradition des Freihandels. Sie erkennt daher den Abschluß von R o h s t o f f a b k o m m e n auf Grund der in ihnen enthaltenen dirigistischen Elemente lediglich als Ausnahmeregelung für den Fall an, daß das normale Kräftespiel des Marktes und das Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage nicht schnell genug wiederhergestellt werden können. Als die mit den Abkommen zu verfolgenden Ziele nennt sie unter anderem die Beseitigung von Marktstörungen, die Verhinderung be-

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Rohstoffabkommen

deutender Preisschwankungen bei angemessenen Gewinnen für die Produzenten sowie eine gerechte Verteilung im Falle eines Mangels. Im einzelnen unterscheidet die Havanna Charta zwischen „Rohstoffkontrollabkommen", bei denen mit imperativen Mitteln auf den Markt eingewirkt wird und für die daher die einschränkenden Voraussetzungen der Art. 62—66 gelten, sowie „Sonstigen Rohstoffabkommen", die auf Regulierungstechniken verzichten. Die R o h s t o f f a b k o m m e n sollen auf internationalen Konferenzen unter Beteiligung aller interessierten Staaten ausgehandelt werden und als Hauptorgan einen mit Export— und Importländern paritätisch besetzten Rat vorsehen. Nachdem die International Trade Organization (ITO; -»· GATT) wegen des Scheiterns der Havanna Charta die ihr zugedachte Rolle der Koordinierung der internationalen Rohstoffpolitik nicht übernehmen konnte, war die Zuständigkeit für diesen Bereich zunächst auf verschiedene Organe, auf das durch Resolution 3 0 (IV) des ECOSOC vom 28. März 1947 ins Leben gerufene Interim Co-ordinating Committee for International Commodity Arrangements (ICCICA), die Commission on International Commodity Trade (CICT) sowie auf GATT und FAO aufgesplittert. Unter der Federführung des ICCICA kamen in der Folgezeit eine Reihe von Internationalen Rohstoffabkommen entsprechend den Grundsätzen des Kapitels VI Havanna Charta zustande. Mit der wachsenden Zahl der im Verlaufe des Dekolonisationsprozesses in die Unabhängigkeit entlassenen Staaten wuchs jedoch der Widerstand gegen die traditionelle Rollenverteilung der überkommenen -> Weltwirtschaftsordnung und die ihr zugrundeliegenden Handelsbedingungen im Verhältnis zwischen den Staaten der Dritten Welt und den Industrienationen. Angesichts der sich kontinuierlich verschlechternden Terms of Trade (-»• Entwicklungspolitik), die die Entwicklungsländer vor die Notwendigkeit stellen, ständig mehr Rohstoffe für den Ankauf von Fertigwaren zu exportieren, dabei aber in den Industrieländern auf Agrarprotektionismus und sonstige Handelshemmnisse, die Konkurrenz synthetischer Produkte sowie stagnierende Nachfrage treffen, drängten sie auf neue Lösungen in der internationalen Rohstoffpolitik. Die rohstoffpolitischen Forderungen der Entwicklungsländer machte sich bereits im Jahre 1964 die -»• UNCTAD zu eigen. Seitdem stellt die Diskussion um die internationale Rohstoffpolitik den Kern der Auseinandersetzungen um eine neue Weltwirtschaftsordnung zwischen den entwickelten Industrienationen einerseits und den Staaten der Dritten Welt andererseits dar. Der von der UNCTAD unternommene Versuch einer Neuordnung der Rohstoffpolitik unter stärkerer Berücksichtigung der Interessen der Entwicklungsländer mußte sich auch auf den Inhalt der Internationalen Rohstoffabkommen auswirken. Die eher dirigistisch ausgerichtete UNCTAD markiert ihr Abgehen von den auf der Freihandelskonzeption beruhenden Grundsätzen der Havanna Charta, indem sie Internationale Rohstoffabkommen nicht mehr als geduldete Ausnahme, sondern als notwendigen Regelfall anstrebt und mit der Forderung nach einer — möglichst an die Preise der Industrienationen gekoppelten — Erlösdynamisierung an Stelle der Erlösstabilisierung verbindet, sie also als entwicklungspolitische Instrumente begreift, die durch flankierende Maßnahmen, wie einem verbesserten Zugang zu den Märkten der Industrienationen, Verzicht auf Herstellung synthetischer Produkte u. ä. unterstützt werden sollen (vgl. UNCTAD I, Allgemeines Prinzip VII; Besonderes Prinzip VI, VII; Annex A. II 1, E/CONF. 4 6 , 141, vol. I, p. 18 seq.). In organisatorischer Hinsicht wird die neue Führungsrolle der UNCTAD für den Abschluß von Internationalen R o h s t o f f a b k o m m e n mit der Übertragung der bisher von ICCICA und CICT innegehabten Funktionen auf den 1. (Rohstoff-) Ausschuß der UNCTAD verdeutlicht, in den auch GATT und FAO je einen Vertreter entsenden (vgl. § 23 a der UNCTAD-Gründungsresolution, GA Res. 1995 (XIX) vom 30.12.1964, sowie die Terms of Reference des Ausschusses, TD/B 61). Sowohl die allgemeinen Empfehlungen der UNCTAD I wie auch das auf der UNCTAD II verabschiedete Aktionsprogramm für 19 R o h s t o f f e (Res. 16 (II), T D / 9 7 , vol. I p. 3 4 seq.) blieben — sieht man einmal von der ,,bewußtseinsbildenden" F u n k t i o n der Bemühungen ab — zunächst ohne durchschlagenden Erfolg. Zwar wurden unter ihrer Leitung zahlreiche

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Studiengruppen eingerichtet, formlose Absprachen auf dem Rohstoffsektor herbeigeführt sowie einige Internationale Rohstoffabkommen verlängert (Zinn) oder sogar mit veränderter Zielsetzung neu ausgehandelt (Kakao). Insgesamt h a t sich aber der „commodity by commodity approach" als wenig erfolgreich erwiesen, so daß die UNCTAD nunmehr mit aller Energie das sog. „Integrierte R o h s t o f f p r o g r a m m " , das auf der UNCTAD IV beraten worden ist, verfolgt. Es sieht u. a. die gleichzeitige Aushandlung von Internationalen Rohstoffabkommen für 18 Rohstoffe in einem „package deal", die Einrichtung von durch Importund Exportländern gemeinsam finanzierten Warenausgleichslager, multilaterale Liefer- und Abnahmeverpflichtungen, Ausgleichszahlungen bei einem Rückgang der Exporterlöse und schließlich die Förderung der Rohstoffverarbeitung in den Entwicklungsländern vor (TD/B/C. 1/166 und suppl. 1 - 5 ; TD/184;~> Weltwirtschaftsordnung). Die zur Zeit geltenden Internationalen R o h s t o f f a b k o m m e n bedienen sich im einzelnen unterschiedlicher Techniken zur Erreichung ihrer Ziele auf den Rohstoffmärkten. Während die „Sonstigen R o h s t o f f a b k o m m e n " ihre Ziele lediglich durch Prognosen, Werbung und Konsultationen anstreben, bedienen sich die Rohstoffkontrollabkommen einzeln oder kumulativ bestimmter Marktregulierungsmechanismen, zu denen Export- und Produktionsquotensysteme, Warenausgleichslager sowie multilaterale Kontrakte gehören. Gemeinsames Kennzeichen dieser Regulierungstechniken ist es, daß die Abkommen selbst oder aber die jeweiligen Räte zunächst einen Preisrahmen mit unteren und oberen Interventionspreisen festlegen, bei dessen Annäherung oder Überschreiten einer der Mechanismen eingreift, während der Markt im übrigen prinzipiell dem freien Spiel von Angebot und Nachfrage überlassen bleibt. So beginnt etwa das Kakaoabkommen von 1975 (TD/COCOA. 4/8), das gegenwärtig zur Unterzeichnung ausliegt und mit Wirkung vom 1. Oktober 1976 das Abkommen aus dem Jahre 1972 (TD/COCOA. 3/9; BGBl. 1973 II S. 1693) mit einer Laufzeit von zunächst 3 Jahren ersetzen soll, mit einem Preisrahmen, der zwischen 39 und 55 Cents je (englisches) Pfund Kakao liegt. Nach dem Zinnabkommen von 1975 (TD/TIN. 5/10) werden die bei Auslaufen des Abkommens von 1971 (TD/TIN. 4 / 7 rev. 1; BGBl. 1971 II S. 1197) gültigen Preise übernommen und vom Rat auf jeder seiner Sitzungen anhand der laufenden Entwicklung überprüft. Unter den verwendeten Regulierungstechniken kennen zur Zeit nur das Zinn- sowie das Kakaoabkommen ein Warenausgleichslager (Stabilisierungsreserve, Buffer stock scheme). Die in Form einer internationalen Behörde organisierten und von einem „Buffer stock-manager" geleiteten Lager werden einerseits mit Finanzmitteln für Stützungskäufe zur Verteidigung der Mindestpreise sowie zur Deckung der laufenden Unterhaltskosten und andererseits mit Rohstoffen für Verkäufe zur Verteidigung der Höchstpreise ausgestattet. Ihre Aufnahmekapazität ist begrenzt und beträgt nach dem Zinnabkommen 20 000, nach dem Kakaoabkommen 250 0 0 0 t der jeweiligen Rohstoffe. Zur Erstausstattung der Stabilisierungsreserve des Zinnabkommens tragen die Exportländer entsprechend einem Gegenwert von 7 500 t Zinn verhältnismäßig nach ihren Stimmanteilen sowohl mit Kapitaleinlagen als auch mit Rohstoffen bei. Dagegen erfolgt die Finanzierung des Kakaolagers durch eine laufende Abgabe von 1 Cent für jedes erstmalig von einem Mitglied des Abkommens im- oder exportierte Pfund Kakao. Zusätzliche Mittel können auf den Kapitalmärkten, eventuell gegen Verpfändung der auf dem Lager befindlichen Rohstoffe, aufgenommen werden. Die Warenausgleichslager überlassen die Preisentwicklung grundsätzlich dem freien Markt und nehmen ihre Geschäftstätigkeit erst auf, wenn sich die Preise der unteren bzw. oberen Grenze des Preisrahmens nähern bzw. ihn überschreiten (Art. 28 Zinnabkommen 1975, Art. 34 Kakaoabkommen 1975). Sinken die Preise bis in die Nähe des unteren Interventionspunktes, so kaufen die Lager notfalls bis zur Ausschöpfung ihrer Kapazitäten, wobei das Kakaolager zunächst nur die von den Exportquotenkürzungen betroffenen Partien ankauft. Eine weitere Besonderheit des Kakaoabkommens liegt darin, daß nach Erschöpfung der Lagerkapazität des Buffer stock die Verwendung von Kakaobohnen für „nicht-herkömmliche Zwecke" vom Rat beschlossen werden kann. Zur Verteidigung der oberen Preisgrenze sehen beide Abkommen Verkäufe — gegebenenfalls bis zur Erschöpfung der Lagerbestände — vor.

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Rohstoffabkommen

Produktionsquoten als ein weiteres Regulierungsmittel finden sich im Zusammenwirken mit Stabilisierungsreserven im Kakao- und Zinnabkommen. Ihre Aufgabe besteht darin, eine Angebotsverknappung und damit Preisstabilisierung durch Zuweisung von Basisquoten zu erreichen, die sich proportional zur Produktion der einzelnen Mitglieder in den letzten Jahren verhalten und regelmäßig den neuen Daten angepaßt werden. Zu Beginn eines jeden Quotenjahres schätzt der Rat die voraussichtliche Nachfrage nach dem Rohstoff anhand der verfügbaren Markt- und Produktionsdaten und setzt die jährlichen Exportquoten der einzelnen Mitglieder fest, die eine bestimmte Relation zu den Basisquoten aufweisen. Auch die Quotensysteme werden nicht automatisch mit dem Inkrafttreten der R o h s t o f f a b k o m m e n wirksam, sondern nur dann, wenn Preisrückgänge die Herausnahme von Ware aus dem Markt erforderlich machen und gegebenenfalls — wie nach dem Zinnabkommen - das Warenausgleichslager als die „Erste Verteidigungslinie" den Preisverfall allein nicht stoppen kann. Die Festsetzung von Exportquoten macht die Kontrolle der Ausfuhrmengen mittels Exportdokumenten, die Anzeige der getätigten Exporte bei der Rohstofforganisation und die Verhängung von Sanktionen bei Überschreitung der festgesetzten Quoten erforderlich. Der Erfolg der Festlegung von Quoten hängt allerdings davon ab, daß das Abkommen nach Möglichkeit den gesamten Handel mit dem betreffenden Rohstoff erfaßt und daß Importe von eventuellen Außenseitern nach den für die Teilnehmer des Abkommens gültigen Preisen abgewickelt werden. Produktions- bzw. Exportquoten waren früher auch Bestandteil des Zucker- sowie des Kaffeeabkommens von 1968 (TD/SUGAR. 7/12 bzw. BGBl. 1968 II S. 666). Im Zusammenhang mit steil ansteigenden Preisen wurden jedoch 1972 die Preis- u n d Quotenbestimmungen der A b k o m m e n sowie die damit verbundenen Rechte und Pflichten der Mitglieder aufgehoben. Sowohl das bis zum 30. September 1976 verlängerte Kaffeeabkommen (BGBl. 1974 II S. 90) wie auch das 1973 vereinbarte neue Zuckerabkommen (TD/SUGAR. 8/6) sehen lediglich die Aufrechterhaltung der Internationalen Kaffee- bzw. Zuckerorganisation vor, damit diese das Terrain für den Abschluß neuer Abkommen sondieren können. Diese Sondierungen haben bereits Ende 1975 zur Unterzeichnung eines neuen Kaffeeabkommens (BGBl. 1976 II S. 1389) geführt, dessen Inkrafttreten zum 1. Oktober 1976 vorgesehen ist. Wie die früheren Kaffeeabkommen enthält es wiederum wirtschaftliche Regelungen über Produktions- und Exportquoten. Die Weizenabkommen der Nachkriegszeit verwendeten bis zum Weizenabkommen von 1962 als Regulierungsmechanismen das System der multilateralen Kontrakte. Diese begründeten als eine Art bedingter Kauf- bzw. Verkaufsverträge innerhalb des Preisrahmens bestimmte Liefer- und Abnahmeverpflichtungen von Import- und Exportländern. Das verschiedentlich verlängerte Weizenabkommen von 1971 (TD/WHEAT. 5/9; BGBl. 1973 II S. 178), das sich aus dem Weizenhandels- sowie dem Nahrungsmittelübereinkommen zusammensetzt, erhält - ähnlich wie das Kaffee- und Zuckerabkommen — ebenfalls nur den organisatorischen Rahmen aufrecht. Das einzige Abkommen, das von Anfang an auf dirigistische Maßnahmen verzichtet hat, seine Ziele vor allem durch Werbung und Prognosen erreichen will und daher ein „Sonstiges A b k o m m e n " i. S. der Havanna Charta darstellt, ist das Olivenölabkommen von 1963 (E/CONF. 45/6; BGBl. 1973 II S. 1309). Es wurde verschiedentlich, zuletzt durch Protokoll vom 23. März 1973, bis Ende 1978 verlängert. Die Durchsetzung der Ziele der Internationalen Rohstoffabkommen durch Marktbeobachtung und -regulierung sowie die Überwachung der Abkommen erfordern einen gewissen organisatorischen Aufbau. Diesen Bedürfnissen Rechnung tragend, stellen die Internationalen Rohstoffabkommen nicht nur multilaterale, gegenseitige Rechte und Pflichten begründende völkerrechtliche Verträge, sondern zugleich Gründungsverträge Internationaler Organisationen, der Internationalen Kakaoorganisation etc. dar, die in ihrem Aufbau weitgehend den Sonderorganisationen der Vereinten Nationen angeglichen sind und die für sich selbst sowie

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für ihre Bediensteten die üblichen Vorrechte u n d Befreiungen genießen. Als Organe sehen die Abkommen regelmäßig einen Rat, einen Exekutivausschuß sowie ein Sekretariat vor. Im Rat sind alle Teilnehmer durch je einen, an die Weisungen seiner Regierung gebundenen Delegierten vertreten. Der Rat wählt seinen Vorsitzenden, gibt sich eine Geschäftsordnung und tritt regelmäßig, meist in vierteljährlichem Abstand, zu Sitzungen zusammen. Export- und Importländern steht in den A b k o m m e n (mit Ausnahme bei Olivenöl) die gleiche Stimmenzahl von jeweils 1 0 0 0 Stimmen zu, die eine Majorisierung der einen Gruppe durch die andere — etwa im Wege eines Exporteurkartells — ausschließt. Innerhalb jeder Gruppe werden die Stimmen zu einem Teil gleichmäßig unter den Mitgliedern aufgeschlüsselt, zum anderen entsprechend den Basis- bzw. I m p o r t q u o t e n „gewogen", wobei eine bestimmte Stimmenhöchstzahl je Mitglied unabhängig vom Handelsvolumen (ζ. B. 300 nach dem Kakaoabkommen) nicht überschritten werden darf. Die Bundesrepublik Deutschland hat beispielsweise unter dem Kakaoabkommen von 1972 wie jedes andere Mitglied zunächst 5 Stimmen sowie weitere 70, ihrem Importvolumen entsprechende Stimmen zugeteilt erhalten. Diese „Stimmenwägung" ist eine der wesentlichen Voraussetzungen für die im Rat üblichen verbindlichen Entscheidungen, die regelmäßig mit einfacher, ausnahmsweise mit Zweidrittelmehrheit in beiden Gruppen (sog. geteilte oder getrennte Mehrheit) Zustandekommen. Die Kompetenzen des Rats sind auf die Durchführung des Abkommens abgestimmt. Er beobachtet den Markt, sammelt und veröffentlicht statistische Daten, stellt auf der Grundlage dieser Daten Prognosen über die künftige Produktion und den Verbrauch auf, die wiederum spätere Entscheidungen, etwa die Festsetzung von Preisen und Quoten beeinflussen. Ferner ist der Rat an der Geschäftstätigkeit des Buffer stock beteiligt und wird streitschlichtend bzw. -entscheidend tätig, wenn Konsultationen zwischen den Mitgliedern erfolglos geblieben sind, bzw. der Vorwurf einer Vertragsverletzung erhoben wird. Dabei steht ihm als Sanktion u. a. die Suspendierung des Stimmrechts des vertragswidrig handelnden Mitglieds zur Verfügung. Der Exekutivausschuß (das Zinnabkommen kennt ihn nicht) setzt sich aus je 8 Delegierten von Export- und Importländern zusammen und arbeitet unter der Aufsicht des Rats. Er beobachtet den Markt, gibt Empfehlungen ab und kann auf ausdrücklichen Beschluß des Rats weitere Aufgaben übertragen erhalten. Seine zahlenmäßig geringe Stärke versetzt ihn in die Lage, bei Bedarf kurzfristig zusammenzutreten, so daß er praktisch zwischen den Sitzungsperioden des Rats die laufenden Geschäfte führt. Beschlüsse des Ausschusses, die die gleichen Mehrheiten wie im Rat voraussetzen, unterliegen auf Antrag eines jeden Mitglieds der Überprüfung durch den Rat. Zur Erledigung der allgemeinen laufenden Verwaltung sind den Rohstofforganisationen Sekretariate zugeordnet, die unter der Leitung eines vom Rat gewählten Exekutivdirektors arbeiten. Die leitenden Beamten dürfen keinerlei Beziehungen zu Handel bzw. Industrie des von ihnen verwalteten Rohstoffs aufweisen. Bei einer Wertung der Abkommen ist zunächst festzustellen, daß sie überwiegend die von ihnen angestrebten Ziele nicht erreicht haben. Die Gründe dafür liegen in den auseinanderstrebenden Interessen der Beteiligten, die insbesondere bei der Festlegung von Preisen zutagetreten, in den beschränkten finanziellen Möglichkeiten, die vor allem die Kapazität der Stabilisierungsreserven begrenzen, sowie in der Tatsache, daß wichtige Produzenten- bzw. Verbraucherländer den Abkommen ferngeblieben sind. Soweit Internationale Rohstoffabkommen erfolgreich praktiziert werden, liegen die mit ihnen verbundenen Vorteile überwiegend auf Seiten der rohstoffproduzierenden Entwicklungsländer, da die mit dem Abkommen erreichte Erlösstabilisierung bzw. -dynamisierung die Wirtschaftskraft dieser Länder stärkt. Die damit verbundene Ressourcenübertragung von den Industrienationen auf die Entwicklungsländer wird man allerdings nicht als völlig ungerechtfertigt ansehen dürfen, dies um so mehr, als mit den Abkommen zur Versorgungssicherheit der Industriestaaten beigetragen wird. Unter diesen Gesichtspunkten wird man auch das bereits erwähnte „Integrierte R o h s t o f f p r o g r a m m " der UNCTAD zu würdigen haben, dem die entwickelten Staaten bis-

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Sanktionen

her überwiegend zurückhaltend gegenübertreten. Sie sehen in diesem Programm — wie auch in den einzelnen Internationalen Rohstoffabkommen — auf Grund der von ihnen verwendeten Marktregulierungstechniken einen dirigistischen Fremdkörper in einem Wirtschaftssystem, das noch in weiten Bereichen auf dem freien Wettbewerb beruht. Dabei wird allerdings übersehen, daß die Rohstoffmärkte auch bisher der Einwirkung bzw. Lenkung staatlicher Stellen oder multinationaler Konzerne unterlagen. Die mitunter beschworene Vision, Rohstoffabkommen könnten zu riesigen Rohstoffhalden nach dem Vorbild des europäischen Agrarmarktes führen, ist jedenfalls unbegründet, da der Ankauf von Rohstoffen seitens des Buffer stock durch die Lagerkapazitäten beschränkt ist, während nach den Bestimmungen des Agrarmarktes zum — garantieren - Mindestpreis ohne mengenmäßige Begrenzung angekauft werden muß. Will man seitens der Industriestaaten den Weg der Internationalen Rohstoffabkommen nicht gehen, hat man sich mit der Alternative der Rohstoffkartelle nach dem Vorbild der OPEC auseinanderzusetzen, die allerdings eine Beteiligung der Importstaaten nicht vorsehen. Literatur Fawcett: The Function of Law in International Commodity Agreements, in: BYIL vol. 44 (1970) pp. 157 Gerhard et al.: International Commodity Agreements, in: Law and Contemporary Problems 1963 p. 276 Glismann u . a . : Ökonomische Implikationen der „Neuen Weltwirtschaftsordnung", Kiel 1976 Hager: Commodity Agreements and the Developing Countries: A Collective Bargaining Approach, in: The International Lawyer 1973 p. 309 Knote: Internationale Rohstoffabkommen aus der Nachkriegszeit, Bonn 1965 Krappel: Die Havanna Charta und die Entwicklung des Weltrohstoffhandels, 1975 van Meerhaeghe: International Economic Institutions, 2 nd ed., London 1971, ρ 124 Schöllhorn: Internationale Rohstoffregulierungen, Berlin/München 1955 Seidl-Hohenveldern: Planung im Rahmen internationaler Rohstoffabkommen, in: Planung IV, Baden-Baden 1970, S. 281. Seitz: Rohstoffversorgung und Rohstoffabkommen, in: EA 1975, S. 461. Eckart Wehser Verweise auf: Entwicklungsländer; Entwicklungspolitik; GATT; Resolution, Erklärung, Beschluß; UNCTAD; Weltwirtschaftsordnung.

Sanktionen Begriff und

Begriffsgeschichte

Unter Sanktionen versteht man nach einem besonders von der positivistischen Rechtstheorie (Kelsen) entwickelten Sprachgebrauch den Rechtszwang, der von einer Rechtsordnung als Reaktion auf ein bestimmtes unerwünschtes Verhalten eines Rechtssubjekts vorgesehen ist. Er besteht in einem als Strafe oder Exekution zu deutenden rechtlich autorisierten Eingriff in ein bestimmtes, sonst von der Rechtsordnung geschütztes Rechtsgut des betreffenden Rechtssubjekts. Durch die Sanktionsbewehrtheit ihrer Normen unterscheiden sich Rechtsordnungen von anderen normativen Ordnungen (Recht = Zwangsordnung). Gelegentlich wird zusätzlich das Vorhandensein einer zentralen Zwangsgewalt als konstitutives Element des

Begriff und Begriffsgeschichte

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Rechts angesehen und insofern dem Völkerrecht der Rechtscharakter abgesprochen („Leugner des Völkerrechts"), da es im Gegensatz zu staatlichen Rechtsordnungen kein Zwangsmonopol aufweist, sondern im wesentlichen auf dem Selbsthilfeprinzip beruht, d. h. die Setzung von Sanktionen bei Normverletzungen den verletzten Rechtsgenossen selbst überläßt. Jedenfalls ist ein derart dezentralisiertes Rechtsdurchsetzungssystem unbefriedigend und benachteiligt schwächere Rechtsgenossen gegenüber mächtigeren. Es sind daher schon früh Vorschläge für die Einsetzung einer — wegen des Postulats der souveränen Gleichheit der Staaten meist genossenschaftlich organisierten — Weltexekutive gemacht worden (Abbé St. Pierre, Kant), die schließlich in die Völkerbundsidee (-> Völkerbund) ausmündeten. Bei der Ausgestaltung des kollektiven Sanktionssystems des Völkerbundes und später der Vereinten Nationen konnte außerdem auf die praktischen Erfahrungen der Kollektivintervention des Europäischen Konzerts im 19. Jahrhundert und der seit dem 1. Weltkrieg entwickelten kollektiven wirtschaftlichen Kriegführung sowie auf die Theorie und Praxis der Bundessanktionen im Staatenbund (vgl. insbes. die Verfassung des Deutschen Bundes) zurückgegriffen werden. Die kollektiven Sanktionen der Weltorganisationen haben das dezentralisierte Sanktionssystem des allgemeinen Völkerrechts nicht verdrängt, sondern nur ergänzt. Außer bei der Exekution eines Urteils des IGH (das jedoch nur infolge einer ausdrücklichen Unterwerfung unter die Jurisdiktion des Gerichtshofes Zustandekommen kann, Art. 36 IGHStatut) durch vom -»• Sicherheitsrat empfohlene oder angeordnete Maßnahmen (Art. 94) sind die Staaten zur Durchsetzung ihrer gegenseitigen Rechtsansprüche weiterhin auf bilaterale Sanktionen angewiesen. Denn abgesehen von dieser Ausnahme ist nicht der Rechtszwang an sich, sondern nur die rechtmäßige Gewaltanwendung in den zwischenstaatlichen Beziehungen monopolisiert worden. Durch die im Zusammenhang damit begründete Friedenspflicht der Staaten (->• Friedenssicherung; Gewaltverbot) scheidet allerdings Gewalt in den zwischenstaatlichen Beziehungen (außer zum Zweck der individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung gegen eine Aggression, Art. 51) auch als Mittel der Rechtsverfolgung aus. Wie Staaten können auch internationale Organisationen gegen Rechtsverletzungen mit Sanktionen vorgehen. Da Pflichten der Staaten gegenüber internationalen Organisationen in der Regel nur im Rahmen des Mitgliedschaftsverhältnisses bestehen, können Sanktionen internationaler Organisationen als Rechtszwang definiert werden, den die Organisationen gegenüber ihren Mitgliedern ausüben. (Wenn Organisationen Zwang gegen außenstehende Staaten anwenden, geschieht dies als nur ausnahmsweise erlaubte kollektive Reaktion auf Rechtsverletzungen, die Mitgliedern der Organisation, nicht dieser selbst, zugefügt wurden; Beispiele sind die kollektive Selbstverteidigung im Rahmen regionaler Bündnisorganisationen (->• Regionalabkommen) - Art. 51 — sowie die Anwendung von Zwangsmaßnahmen der Vereinten Nationen gegen Nichtmitglieder — VII. Kapitel in Verbindung mit Art. 2 Ziff. 6). Gegen ihre Mitglieder können internationale Organisationen in der Regel nur mit solchen Sanktionsmaßnahmen direkt vorgehen, die diese in ihren Mitgliedschaftsrechten berühren (z. B. Suspension des Stimmrechts, Ausschluß - vgl. Art. 5, 6 (-> Mitgliedschaft; Stimmrecht; Generalversammlung)). Ein Beispiel ist die Verweigerung der Akkreditierung der südafrikanischen Delegation durch die Generalversammlung in der Resolution 3206 (XXIX) vom 30. September 1974; ein gleichzeitig angenommener Ausschlußantrag (Res. 3207 (XXIX)) scheiterte am Veto im Sicherheitsrat (Doc. S/11543). Darüber hinaus können meist nur Empfehlungen an die Mitgliedstaaten zu einem bestimmten Verhalten gegenüber dem Verletzerstaat (z. B. Waffenembargo) gegeben werden. Eine ->• Beistandspflicht der anderen Mitgliedstaaten besteht hier nur ausnahmsweise bei den der Friedenssicherung dienenden kollektiven Zwangsmaßnahmen. Ein engerer und heute vorherrschender Sprachgebrauch reserviert den Begriff „Sanktionen" im Zusammenhang mit den Vereinten Nationen für eben diese Maßnahmen. Obwohl sie das betroffene Mitglied jenseits seiner Mitgliedschaftsrechte berühren — das Instrumentarium reicht von der Verhängung diplomatischer und wirtschaftlicher Druckmittel bis zur Führung eines sog. Sanktionskrieges, schöpft also das den Vereinten Nationen verliehene Gewaltmonopol nicht notwendig aus —, knüpfen diese Zwangsmaß-

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Sanktionen

nahmen wie andere Sanktionen internationaler Organisationen formell an eine Verletzung von Mitgliedschaftspflichten, nämlich der sich aus dem Gewaltverbot (Art. 2 Ziff. 4, 39) ergebenden besonderen Pflichten an, so daß diese Begriffsverwendung gerechtfertigt erscheint. Unzulässig ist dagegen die Einbeziehung der sog. friedenserhaltenden Operationen (-> Streitkräfte der Vereinten Nationen) in den Sanktionsbegriff. Sie können weder als Sanktionen im weiteren noch im engeren Sinn angesehen werden, da sie nicht als Reaktion auf die Verletzung einer Mitgliedschaftspflicht angeordnet werden und kein Zwangselement beinhalten. Sanktionen des

Völkerbundes

Gemäß Art. 16 Abs. 1 Völkerbundsatzung wurde jedes Bundesmitglied, das entgegen den Verpflichtungen aus Art. 12, 13 und 15 zum Kriege schritt, „ohne weiteres so angesehen, als hätte es eine Kriegshandlung gegen alle anderen Bundesmitglieder begangen"; hieraus folgte für diese automatisch die Verpflichtung zu Sanktionsmaßnahmen gegen den Vertragsbrüchigen Staat (Abbruch der Handels- und Finanzbeziehungen, Unterbindung aller wirtschaftlichen und persönlichen Beziehungen zu den Angehörigen dieses Staates (-»· Kollektive Sicherheit). Den in Art. 16 Abs. 1 Völkerbundsatzung vorgesehenen Sanktionen sollte durch eine „bewaffnete Macht" Achtung verschafft werden, an der sich jedes Bundesmitglied auf (zwingend vorgeschriebenen) Vorschlag des Rates mit Luft-, See- und Landstreitkräften zu beteiligen hatte (Art. 16 Abs. 2). Bei der Durchführung wirtschaftlicher Sanktionen hatten sich die Bundesmitglieder wechselseitig zu unterstützen, Bundesstreitkräften hatten sie den Durchzug durch ihr Gebiet zu ermöglichen (Art. 16 Abs. 3). Schließlich konnte ein Vertragsbrüchiger Staat durch einstimmigen Ratsbeschluß aus dem Völkerbund ausgeschlossen werden (Art. 16 Abs. 4), was am 14. Dezember 1939 mit dem Ausschluß der Sowjetunion praktiziert wurde. Vom Sanktionsmechanismus des Art. 16 Völkerbundsatzung ist nur im italienisch-abessinischen Krieg von 1935/36 tatsächlich Gebrauch gemacht worden: Im Oktober 1935 beschloß die Bundesversammlung mit 50 gegen 3 Stimmen Sanktionen gegen den Angreifer Italien; sie setzte einen Koordinationsausschuß ein, der den Mitgliedstaaten konkrete wirtschaftliche Sanktionsmaßnahmen (Waffenembargo, Kreditsperre, Ein- und Ausfuhrverbot kriegswichtiger Güter) vorschlug, die jedoch bis zu ihrer Aufhebung im Juli 1936 wegen des Verzichts auf ein Ölembargo und militärische Sanktionen gegen Italien, aber auch wegen der Nichtbeteiligung einiger Völkerbundstaaten und wirtschaftlich mächtiger Nichtmitgliedstaaten (USA, Japan, Deutschland) erfolglos blieben. Die Gründe für die Unwirksamkeit des Sanktionssystems in Art. 16 Völkerbundsatzung liegen in 1. der mangelnden Universalität des Völkerbundes; 2. der fehlenden Zuständigkeit eines Organs für die Feststellung einer Friedenspflichtverletzung; 3. der Dezentralisierung der Entscheidung über Sanktionen, die unter Umgehung des Automatismus in Art. 16 Abs. 1 Völkerbundsatzung in das Ermessen jedes einzelnen Bundesmitglieds gestellt blieb; und 4. im Fehlen einer internationalen Streitmacht zur Durchsetzung der Sanktionen. Sanktionen der Vereinten Nationen Unter Sanktionen der Vereinten Nationen werden meist nur Zwangsmaßnahmen nach dem VII. Kapitel der Charta verstanden (zu sonstigen Sanktionsbestimmungen s. o.). Systematisch handelt es sich bei den Vorschriften des VII. Kapitels um besondere Kompetenzbestimmungen für den -> Sicherheitsrat im Hinblick auf „Action with respect to threats to the peace, breaches of the peace, and acts of aggression" (Überschrift). Trotz der Allzuständigkeit der -»• Generalversammlung (Art. 10), die sich im Prinzip auch auf Sicherheitsfragen erstreckt (vgl. Art. 11, 12), überschneiden sich die Zuständigkeitsbereiche des Sicherheitsrates und der Generalversammlung insofern nicht, als a) nur der Sicherheitsrat verbindliche Entscheidungen treffen kann („decide" in Art. 39, 40, 41, wobei Art. 25 eine Beistands-

S a n k t i o n e n der V e r e i n t e n N a t i o n e n

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pflicht der Mitglieder bei der Durchführung der „decisions" vorsieht), während die Zuständigkeit der Generalversammlung auf Empfehlungen beschränkt ist (Art. 14); b ) nur der Sicherheitsrat im Namen der Mitglieder (Art. 24 Abs. 1) militärische Zwangsmaßnahmen anordnen und selbst durchführen kann („take action by air, sea or land forces", Art. 4 2 ) , wobei gem. Art. 4 3 ff. eine besondere militärische Beistandspflicht der Mitglieder besteht, die allerdings durch die Notwendigkeit des Abschlusses besonderer Abkommen (Art. 4 3 ) relativiert ist; c) die Zuständigkeit der Generalversammlung der des Sicherheitsrates weicht, sobald eine derartige Frage bei ihm anhängig ist (Art. 11 Abs. 2, 12 Abs. 1 ; strittig, ob außer bei einem Tätigwerden des Sicherheitsrates nach Kapitel VI im Rahmen der friedlichen Streitschlichtung auch bei einem solchen nach Kapitel VII anwendbar). Jedenfalls können Empfehlungen der Generalversammlung nie Sanktionen im eigentlichen Sinne darstellen, auch wenn sie, was praktisch vorgekommen ist, friedensbedrohende Situationen feststellen oder ähnliche Maßnahmen vorsehen, wie sie der Sicherheitsrat nach dem VII. Kapitel anordnen könnte (vgl. z. B. Res. 5 0 0 ( V ) vom 1 8 . 5 . 1 9 5 1 : Waffenembargo gegen die Volksrepublik China; Res. 2 7 9 3 ( X X V I ) vom 7 . 1 2 . 1 9 7 1 : Feuereinstellungsaufforderung an Indien und Pakistan). In diesem Zusammenhang ist auch die Problematik der Uniting for Peace-Resolution 3 7 7 ( V ) (vom 3 . 1 1 . 1 9 5 0 ) zu sehen, die davon ausgeht, daß bei Beschlußunfähigkeit des Sicherheitsrates die Kompetenzen der -»• Generalversammlung auch ohne die in Art. 12 Abs. 1 vorgesehene Aufforderung des Sicherheitsrates wieder aufleben. Soweit die Generalversammlung hierbei nur Empfehlungen ausspricht, scheint dies mit Rücksicht auf die Effizienz der Organisation vertretbar. Auch die Beschlüsse des Sicherheitsrates nach dem VII. Kapitel sind nicht immer Sanktionen im eigentlichen Sinne, d. h. Zwangsmaßnahmen zur Durchsetzung der Friedenspflicht der Mitglieder. Vielmehr ist ein gestaffeltes System von a) teils präventiven, teils repressiven, b ) empfehlenden oder mandatorischen Maßnahmen vorgesehen. Anwendungsvoraussetzung des VII. Kapitels ist für alle diese Maßnahmen die Feststellung („determine") einer Friedensbedrohung, eines Friedensbruchs oder eines Aggressionsaktes durch den Sicherheitsrat (Art. 39). Die Aufzählung ist taxativ, was die Art der Friedenspflichtverletzung betrifft, läßt jedoch die Frage, wer Urheber derselben und somit letztlich Adressat von Zwangsmaßnahmen sein kann, offen. Die Charta enthält auch in ihren übrigen Bestimmungen keine entsprechende Unterscheidung (nur Art. 4 0 spricht von „parties concerned"), so daß die Maßnahmen des VII. Kapitels sowohl gegen Mitglied- als auch gegen Nichtmitgliedstaaten (Nordkorea) (->· Korea) und sogar gegen nicht als Staat anerkannte Aufständische (Rhodesien) (-»• Südliches Afrika) gerichtet werden können. Von Sanktionen im eigentlichen Sinne wird man dennoch nur bei Zwangsmaßnahmen gegen Mitgliedstaaten oder gegen wenigstens anderweitig an die satzungsmäßige Friedenspflicht gebundene Rechtssubjekte (wie die erwähnten Aufständischen) sprechen können. Die unter den Voraussetzungen des Art. 3 9 zulässigen Maßnahmen stehen untereinander in einem gewissen Rangverhältnis. Das mildeste Mittel sind die vorläufigen Maßnahmen, die der Sicherheitsrat nach Art. 4 0 empfehlen kann. Sie lassen die Rechtsposition der betroffenen Parteien unberührt, treffen allerdings auch nicht notwendig nur den Verletzerstaat. Der Sicherheitsrat kann sich auch nach Feststellung des Verletzerstaates mit Empfehlungen begnügen (Art. 3 9 ) , die praktisch die gleichen Maßnahmen wie die nach Art. 4 1 , 4 2 zum Inhalt haben können. Bei der zwingenden Anordnung von Maßnahmen haben die nichtmilitärischen Mittel, die in Art. 41 demonstrativ aufgezählt sind, vor den militärischen Zwangsmaßnahmen des Art. 4 2 (Sanktionskrieg) den Vorrang. Letztere dürfen kraft positiver Vorschrift nur dann zur Anwendung kommen, wenn nichtmilitärische Mittel nicht erfolgversprechend oder bereits erfolglos geblieben sind. Die Durchführung dieser Zwangsmaßnahmen erfolgt durch die Mitglieder der Vereinten Nationen (eventuell auch im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in anderen internationalen Organisationen, Art. 4 8 ) , ferner mit Hilfe regionaler (-» Regionalabkommen) Organisationen (Art. 5 3 ) und im Falle militärischer Sanktionen auch durch den Sicherheitsrat selbst mit Hilfe des Military Staff Committee (Art. 4 7 ) (-> Beistandspflicht).

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Sanktionen

Art. 3 9 : Von den „Empfehlungen" des Art. 3 9 hat der Sicherheitsrat nur in zwei Resolutionen (Res. 83 ( V ) vom 2 7 . 6 . 1 9 5 0 und 8 4 ( V ) vom 7 . 7 . 1 9 5 0 ) Gebrauch gemacht, als er den Angriff Nordkoreas auf die Republik Korea als „breach o f the peace" wertete und den Mitgliedstaaten empfahl, die Republik zu unterstützen und ihre Streitkräfte dem „unified c o m m a n d " der USA zu unterstellen. Die Fortführung der Korea-Aktion unter der Ägide der Generalversammlung ist nicht dem VII. Kapitel zuzuordnen (s. o. zur Uniting for PeaceResolution). Art. 4 0 : Ausdrücklich hat der Sicherheitsrat nur in der Palästinafrage (Res. 5 4 (III) vom 1 5 . 7 . 1 9 4 8 und 6 2 ( I I I ) vom 1 6 . 1 1 . 1 9 4 8 ) die Art. 3 9 und 4 0 zitiert, als er die Parteien zur Kampfeinstellung und Vereinbarung eines Waffenstillstandes aufforderte. Auch in einigen anderen Ratsentschließungen (z. B. Res. 161 ( X V I ) vom 2 1 . 2 . 1 9 6 1 - Kongo-Frage - und 3 0 7 ( X X V I ) vom 2 1 . 1 2 . 1 9 7 1 - Krieg Indien/Pakistan - ) dürfte Art. 4 0 die ungenannte Rechtsgrundlage für die vorläufigen Anordnungen zur Konfliktseindämmung abgegeben haben. Hingegen hat der Rat im Zypernkonflikt von 1 9 7 4 seine Aufforderung an die Parteien zur totalen Feuereinstellung als erste Maßnahme, obwohl er eine weltfriedensbedrohende Situation annahm, nicht auf Art. 4 0 , sondern erstmalig auf Art. 2 4 gestützt (Res. 3 5 3 ( X X I X ) vom 2 4 . 7 . 1 9 7 4 ; ->• Zypern). Art. 4 1 : Von 1946 bis 1966 faßte der Sicherheitsrat keinen einzigen Entschluß gem. Art. 4 1 , obwohl entsprechende Forderungen schon in der Spanienfrage ( 1 9 4 6 ) und in der Palästinafrage ( 1 9 4 8 ) erhoben wurden. Einziger Anwendungsfall ist bis heute Rhodesien (-» Südliches Afrika). Nachdem der Sicherheitsrat auf Drängen der Generalversammlung (Res. 2 0 2 2 ( X X ) vom 5 . 1 1 . 1 9 6 5 ) schon in der Resolution 2 1 7 ( X X ) (vom 2 0 . 1 1 . 1 9 6 5 ) in der einseitigen Unabhängigkeitserklärung des weißen Minderheitsregimes eine Weltfriedensbedrohung „in t i m e " erblickt und alle Staaten zu einem Waffen- und Ölembargo gegen dieses aufgefordert hatte, berief er sich in Res. 2 3 2 ( X X I ) (vom 1 6 . 1 2 . 1 9 6 6 ) erstmalig ausdrücklich auf Art. 3 9 , 41 und schrieb den Mitgliedstaaten unter Hinweis auf ihre Verpflichtung aus Art. 2 5 detaillierte Wirtschaftssanktionen gegen Südrhodesien vor. In der Folge bestätigte und verstärkte der Rat diese Sanktionsbeschlüsse in einer langen Kette von Resolutionen, die alle in Art. 39, 41 ihre Rechtsgrundlage haben. Trotz der massiven Wirtschaftsblockade ist das südrhodesische Regime nicht zusammengebrochen — dank der Weigerung einiger Staaten, insbesondere Südafrikas und Portugals, den Sanktionsbeschlüssen Folge zu leisten. Auch der Bundesrepublik Deutschland, die sich schon 1966 den Rhodesien-Sanktionen anschloß, sind vom Sanktionsausschuß des Sicherheitsrats wiederholt Sanktionsverletzungen zur Last gelegt worden. Gegen Südafrika ( - * Südliches Afrika) und Portugal (-> Portugiesische Kolonialgebiete) hat der Sicherheitsrat ebenfalls über Jahre hinweg Sanktionen verhängt, die ihrer Art nach (z. B. Unterlassung jeder Hilfe, Waffenembargo, Abbruch der Beziehungen) den in Art. 41 vorgesehenen Maßnahmen entsprechen, ohne diese Beschlüsse aber ausdrücklich auf Art. 39, 41 zu gründen. Weder die fortgesetzte koloniale Unterdrückung von Angola, Guinea-Bissau und Mozambique durch Portugal noch die Apartheid-Praktiken Südafrikas (-> Apartheid) und dessen Weigerung, die — nach dem Namibia-Gutachten des IGH vom 21. Juni 1971 rechtswidrige — Verwaltung Südwestafrikas zu beenden, hat der Rat — im Gegensatz zur Generalversammlung (z. B. Res. 1819 ( X V I I ) vom 1 8 . 1 2 . 1 9 6 2 betr. Portugal; Res. 2 2 0 2 ( X X I ) vom 1 6 . 1 2 . 1 9 6 6 betr. Apartheid in Südafrika) — jemals als Weltfriedensbedrohung nach Art. 3 9 qualifiziert. Vielmehr hat er sich jeweils bewußt auf Formulierungen zurückgezogen, die Maßnahmen nach dem VII. Kapitel von vornherein ausschlossen. Sanktionsbeschlüsse, die auf Feststellungen beruhen wie z. B. „situation . . . seriously disturbing international peace and security" (Res. 181 ( X V I I I ) vom 7 . 8 . 1 9 6 3 betr. Südafrika), „serious threat to the peace and security of independent African States" (Res. 2 9 0 ( X X V ) vom 8 . 1 2 . 1 9 7 0 betr. Portugal) und „conditions detrimental to the maintenance o f the peace and security in the region" (Res. 301 ( X X V I ) vom 2 0 . 1 0 . 1 9 7 1 betr. Südafrika) müssen als praeter legem gelten, sofern man nicht der umstrittenen Auffassung des IGH (Namibia-Gutachten, ICJ Reports 1971

Literatur

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p. 52 seq.) folgt, wonach solche Beschlüsse unabhängig von den Voraussetzungen des VII. Kapitels auf Art. 24 Abs. 1 gestützt werden können (-> Friedenssicherung; Sicherheitsrat). Art. 42: In der gesamten bisherigen Sicherheitsratspraxis findet sich kein einziger zweifelsfreier Anwendungsfall des Art. 42. Lediglich die Resolution 169 (XVI) (vom 24.11.1961) (Ermächtigung der Streitkräfte der Vereinten Nationen zu militärischen Aktionen gegen Katanga) und Resolution 221 (XXI) (vom 9.4.1966) (Aufforderung an Großbritannien, das Anlaufen von Beira durch Öltanker für Rhodesien gewaltsam zu verhindern) werden in der Völkerrechtsliteratur vereinzelt auf Art. 42 zurückgeführt. Nicht auf Art. 42 kann die bereits früher ergangene Aufforderung der Generalversammlung an Großbritannien, das Minderheitsregime in Rhodesien notfalls gewaltsam zu beseitigen (Res. 2022 (XX) vom 5.11.1965), gestützt werden, zudem stellt sich hier — im Unterschied zu Maßnahmen des Sicherheitsrates — die Frage, ob damit nicht in eine innere Angelegenheit (Art. 2 Ziff. 7) eingegriffen wurde. Heute wird allerdings überwiegend verneint, daß sich das Verbot der -* Intervention auf koloniale Situationen erstreckt (-»· Entkolonialisierung). Trotz der Universalität der Vereinten Nationen und der Schaffung einer zentralen Kompetenz für die Feststellung einer Friedenspflichtverletzung hat sich das Sanktionssystem der Vereinten Nationen insgesamt nicht als wirksamer als dasjenige des Völkerbundes erwiesen. Die Gründe dafür sind 1. die Uneinigkeit über den Inhalt der Friedenspflicht, was angesichts des Vetorechts im Sicherheitsrat die Feststellung einer Verletzung derselben äußerst erschwert, weshalb auch die Neigung besteht, vorläufige Maßnahmen unter Wahrung der Rechtspositionen zu empfehlen, die jedoch eher zu einer Perpetuierung der zugrundeliegenden Streitfragen führen; 2. die praktische Unerzwingbarkeit einer lückenlosen Einhaltung auch bindender Sicherheitsratsbeschlüsse über nichtmilitärische Sanktionen durch die Mitglieder; und schließlich 3. der Fehlschlag aller Versuche, das in der Satzung vorgesehene militärische Instrumentarium des Sicherheitsrates zu verwirklichen. Literatur Combacau: Le pouvoir de sanction de 1O.N.U., Paris 1974 Doxey: Economic Sanctions and International Enforcement, London / Oxford / New York 1971 Dumas: Les sanctions de l'arbitrage international, Paris 1905 Kunz: Sanctions in International Law, in: AHL vol. 54 (1960) p. 324 Pfeifenbeiger: Die Vereinten Nationen. Ihre politischen Organe in Sicherheitsfragen, Salzburg 1971 von Schenck: Das Problem der Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an Sanktionen der Vereinten Nationen, besonders im Falle Rhodesiens, in: ZaöRV 1969 S. 257 Ulrich Beyerlin / Wolfgang Strasser Verweise auf: Apartheid; Beistandspflicht; Entkolonialisierung; Friedenssicherung; Generalversammlung; Gewaltverbot; IGH; Intervention; Kollektive Sicherheit; Korea; Mitgliedschaft; Portugiesische Kolonialgebiete; Regionalabkommen; Sicherheitsrat; Stimmrecht; Streitkräfte der Vereinten Nationen; Streitschlichtung; Südliches Afrika; Völkerbund; Zypern.

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Seerecht

Seerecht

Entstehung Das internationale Seerecht u m f a ß t diejenigen völkerrechtlichen Normen, die die Rechtsverhältnisse auf d e m Meer, in d e m darüber liegenden L u f t r a u m sowie hinsichtlich des Meeresb o d e n s u n d seines Untergrundes regeln. Dabei sind das Seefriedens- u n d das Seekriegsrecht (-* Kriegsführung) zu unterscheiden. Die Entwicklung des Seerechts wird in besonderem Maße von den entgegengesetzten macht- u n d wirtschaftspolitischen Interessen der internationalen Staatengemeinschaft geprägt. Daher ist d e n bisherigen Kodifikationsversuchen ein wirklich durchgreifender Erfolg versagt geblieben. Erste b e d e u t e n d e Ansätze zur Regelung des Seerechts sind die Pariser Deklaration von 1856 sowie die Ü b e r e i n k o m m e n „ Z u r einheitlichen Feststellung von Regeln über den Zusamm e n s t o ß von Schiffen, 1 9 1 0 " (RGBl. 1913 S. 49), u n d „ Z u r einheitlichen Feststellung von Regeln über die Hilfeleistung u n d Bergung in Seenot, 1 9 1 0 " (RGBl. 1913 S. 66). Auf der von d e m V ö l k e r b u n d e i n b e r u f e n e n Verkehrskonferenz in Barcelona 1921 w u r d e n das „Übere i n k o m m e n u n d S t a t u t über die Freiheit des Durchgangsverkehrs" (RGBl. 1924 II S. 387), das „ Ü b e r e i n k o m m e n u n d S t a t u t über die O r d n u n g der für internationalen Schiffsverkehr in Frage k o m m e n d e n Wasserstraßen" (LNTS Bd. 7 Nr. 172) sowie die „Erklärung über die A n e r k e n n u n g des Flaggenrechts d e r Staaten ohne Meeresküste" (RGBl. 1932 II S. 93) erarbeitet. Ihre Ergänzung erfolgte d u r c h das Ü b e r e i n k o m m e n und S t a t u t über die internationale R e c h t s o r d n u n g der S e e h ä f e n " (RGBl. 1928 II S. 2 2 ) der G e n f e r K o n f e r e n z von 1923. Schließlich seien in diesem Z u s a m m e n h a n g noch das a m 10. April 1926 in Brüssel unterzeichnete „Internationale A b k o m m e n zur Einheitlichen Feststellung von Regeln über die I m m u n i t ä t der S t a a t s s c h i f f e " (RGBl. 1927 II S. 4 8 3 ) sowie die K o n f e r e n z des V ö l k e r b u n d e s über „Die schrittweise K o d i f i k a t i o n des internationalen R e c h t s " 1930 in Den Haag g e n a n n t , die sich u . a. m i t d e m Problemkreis Küstengewässer beschäftigte. A u f der K o n f e r e n z k a m lediglich ein K o n v e n t i o n s e n t w u r f zustande, da eine Einigung über die Breite der Küstengewässer nicht zu erzielen war. Auch die Vereinten Nationen h a b e n sich im R a h m e n von Art. 13 (-»• Völkerrecht d u r c h Vereinte Nationen) u m eine Kodifikation des Seerechts bemüht. So beschäftigte sich die Völkerrechtskommission auf Anregung der Generalversammlung (Res. 3 7 4 (IV) v o m 6 . 1 2 . 1 9 4 9 ; 899 (IX) vom 1 4 . 1 2 . 1 9 5 4 ; 798 (VIII) vom 7 . 1 2 . 1 9 5 3 ) eingehend mit d e m R e c h t der Küstengewässer u n d der H o h e n See und verabschiedete im Jahre 1956 einen detaillierten Bericht ( G A O R (XI) Suppl. No. 9 (Doc. A / 3 1 5 9 ) , der als Grundlage für die von den Vereinten N a t i o n e n 1958 n a c h Genf einberufene S e e r e c h t s k o n f e r e n z diente (Res. 1105 (XI) v o m 2 1 . 2 . 1 9 5 7 ) . Eingeladen waren alle Mitglieder der Vereinten Nationen u n d ihrer Sonderorganisationen; 86 Staaten, d a r u n t e r a u c h die Bundesrepublik Deutschland, n a h m e n an der Konferenz teil. Die K o n f e r e n z verabschiedete a m 28. April 1958 eine Schlußakte, die 4 Konvent i o n e n enthält. Es handelt sich dabei u m das „ Ü b e r e i n k o m m e n über das Küstenmeer u n d die A n s c h l u ß z o n e " , das „ Ü b e r e i n k o m m e n über die Hohe S e e " , das „ Ü b e r e i n k o m m e n über den Festlandsockel" sowie das „ Ü b e r e i n k o m m e n über die Fischerei u n d die Erhaltung der lebend e n Schätze der H o h e n S e e " sowie ein Fakultativprotokoll über die obligatorische Streitbeilegung (Berber, Völkerrechtliche Verträge, 1973 S. 203). Diese Konventionen kodifizieren ζ. T. nur bestehendes Völkergewohnheitsrecht, teilweise erhalten sie aber auch eine Neuregelung des Seerechts. Die Bundesrepublik Deutschland ist lediglich d e m Ü b e r e i n k o m m e n über die H o h e See u n d d e m Fakultativprotokoll beigetreten (BGBl. 1972 II S. 1091). Für das Jahr 1960 w u r d e eine 2. Seerechtskonferenz von der Generalversammlung einber u f e n (Res. 1307 (XIII) vom 10.12.1958), u m die Breite der Küstenmeere u n d der Fischereigrenzen festzulegen, worüber auf d e r 1. Seerechtskonferenz keine Einigung erzielt w o r d e n war, aber auch sie blieb erfolglos.

Binnen- und Küstengewässer

Binnen- und

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Küstengewässer

Das Seerecht nimmt eine Aufteilung des Gebietes See in verschiedene Zonen dergestalt vor, daß sich die Befugnisse des Küstenstaates in zunehmender Entfernung von den Küsten stufenweise verringern. Von der Küste aus gesehen sind zu unterscheiden: Die Binnengewässer (maritime Eigengewässer), das Küstenmeer, die Anschlußzone und die Hohe See. Für den Bereich des Meeresbodens sind zu trennen: Der Meeresboden unterhalb der Küsten- und Binnengewässer, der Festlandsockel und der übrige Meeresboden und Meeresuntergrund. Die Binnengewässer gehören zum Hoheitsgebiet des Küstenstaates. Dazu zählen Reeden, Häfen, geschlossene Meere, Buchten und das Wattenmeer. Sie werden landwärts durch das Festland und seewärts durch das Küstenmeer begrenzt. In aller Regel unterliegt die staatliche Souveränität hier keinerlei Schranken. Es besteht nur ausnahmsweise die Pflicht, fremden Handelsschiffen die Durchfahrt zu gestatten (Art. 2 ff. Übereinkommen und Statut über die internationale Rechtsordnung der Seehäfen, 1923; Art. 5 Übereinkommen über das Küstenmeer und die Anschlußzone). Auch die Küstengewässer sind Teil des küstenstaatlichen Hoheitsgebietes. Dies gilt ebenso für den Luftraum über dem Küstenmeer wie für seinen Meeresboden. Wegen dieser Rechtslage kann der Küstenstaat die Ausbeutung des Küstenmeeres (Fischerei, Meeresbergbau) sowie die Küstenfrachtfahrt seinen Angehörigen vorbehalten. Weitere Folgen seiner Gebietshoheit ist die Haftung für alle Vorgänge im Bereich des Küstenmeeres (Urteil des ICH vom 9 . 4 . 1 9 4 9 im „Korfu-Kanal-Fall", ICJ Reports 1949 p. 4). Die landwärtige Grenze des Küstenmeeres bildet in der Regel die Niedrigwasserlinie. Seit der Entscheidung des ICH im Britisch-Norwegischen Fischereistreit (ICJ Reports 1951 p. 116) hat sich daneben als weiterer Begrenzungsmodus die Methode der „Geraden Linien" durchgesetzt. Danach ist es nicht erforderlich, daß die Basislinie der Küstengewässer allen Einbuchtungen der Küste unmittelbar folgt. Die innere Grenze der Küstengewässer wird vielmehr durch zwischen den Küstenvorsprüngen gezogene gerade Linien gebildet. Die landwärts dieser Linie befindlichen Gewässer gehören mit zum Binnenmeer, allerdings verlangt Art. 5 Übereinkommen Küstengewässer und Anschlußzone, daß auch in ihnen die Freiheit der friedlichen Durchfahrt gewährt wird, wenn diese Gewässer bislang der Schiffahrt offenstanden. Die äußere Begrenzung der Küstengewässer verläuft parallel zu der inneren Basislinie. Über ihren Abstand konnte aber weder in der 1. noch in der 2. Seerechtskonferenz eine Einigung erzielt werden. Allerdings scheiterte der Versuch, sich auf eine Breite von 6 sm und eine Wirtschaftszone bis zu 12 sm zu einigen nur knapp (vgl. 14th Plenary mtg., 2 5 . 4 . 1 9 5 8 ) . Inzwischen beanspruchen eine Reihe von Staaten Küstengewässer mit einer Breite bis zu 200 sm, wenn auch die Mehrzahl an einem Küstenmeer von 12 sm oder weniger festhält. Der Küstenstaat ist verpflichtet, die friedliche und unschädliche (innocent) Durchfahrt von Schiffen aller Staaten zu dulden. Dieser Begriff wird in Art. 14 Übereinkommen Küstengewässer und Anschlußzone näher bestimmt. Eine Durchfahrt ist nur dann als unschädlich anzusehen, wenn sie nicht den Frieden, die Ordnung und die Sicherheit des Küstenstaates verletzt, sowie im Einklang mit dem Übereinkommen und den übrigen Regeln des Völkerrechts steht. Der Küstenstaat ist berechtigt, eigene Regelungen für die Durchfahrt zu erlassen, die sich im Einklang mit dieser Konvention und den sonstigen Regeln des Völkerrechts befinden müssen. Außerdem kann er alle Maßnahmen treffen, um eine nichtfriedliche Durchfahrt zu verhindern. Dennoch bestehen hinsichtlich der Auslegung des Begriffs „innocent passage" einige Zweifelsfragen. So ist es umstritten, ob auch fremde Kriegsschiffe das Recht haben, das Küstenmeer ohne Genehmigung oder zumindest vorherige Ankündigung zu passieren. Für das Bestehen eines derartigen Rechts spricht sowohl die Entstehungsgeschichte der Konvention wie auch ihr Wortlaut, da sie die Durchfahrt von Kriegsschiffen erwähnt, ohne sie an besondere Bedingungen zu knüpfen. Bereits die Kodifikationskonferenz des Völkerbundes von 1930 sah hinsichtlich der Passagerechte eine Gleichstellung von Handels-und Kriegsschiffen

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vor. Dem entsprach ebenfalls ein Vorschlag Großbritanniens (Doc. A/CN.4/97, Add. 2) in der Völkerrechtskommission, wonach die Durchfahrt von Kriegsschiffen in aller Regel weder von einer Genehmigung noch einer vorherigen Anmeldung abhängig sein sollte. Die Völkerrechtskommission wollte es dagegen den Küstenstaaten freistellen, ob sie die Durchfahrt von fremden Kriegsschiffen von einer Genehmigung oder vorherigen Anmeldung abhängig machen. Die Notwendigkeit einer Genehmigung oder Anmeldung wurde jedoch von der Mehrheit im Plenum der 1. Seerechtskonferenz abgelehnt (20th Plenary mtg., 27.4.1958), da die Belange des Küstenstaates hinreichend gesichert seien. Allerdings haben die UdSSR und die meisten Staaten des Ostblocks zu Art. 23 Übereinkommen Küstengewässer und Anschlußzone einen Vorbehalt angemeldet. Angesichts dieser eindeutigen Haltung kann daher trotz des Fehlens entgegenstehender Vorschriften in dem Übereinkommen über das Küstenmeer und die Anschlußzone nicht von einem gewohnheitsrechtlich gesicherten Recht der Kriegsschiffe auf freie Durchfahrt durch fremde Küstengewässer gesprochen werden. In jüngster Zeit ist die Frage aufgeworfen worden, ob es Schiffen gestattet werden muß, die Küstengewässer zu befahren, selbst wenn sie wegen ihrer Ladung oder der Art ihrer Antriebsanlage eine Gefährdung des Küstenstaates bedeuten könnten. Gedacht ist dabei in erster Linie an Großtanker und Schiffe mit Reaktorantrieb. Trotz eingehender Beratung des Komplexes „innocent passage" haben sich weder die Völkerrechtskommission noch die 1. Seerechtskonferenz konkret mit dieser Frage auseinandergesetzt. Aus den Debatten ist allerdings zu ersehen, daß die Interessen des Küstenstaates weitgehend geschützt werden sollten. Als Voraussetzung für ein Durchfahrverbot wird man aber auf jeden Fall eine hinreichend konkretisierte Gefahr für den Küstenstaat verlangen müssen, wovon zumindest bei Großtankern nicht ohne weiteres ausgegangen werden kann. Das Problem der Reaktorschiffe hat die Bundesrepublik Deutschland durch den Abschluß von bilateralen Abkommen gelöst, die es der „Otto Hahn" ermöglichen, auch fremde Küstengewässer zu durchfahren (ζ. B. Vertrag mit Argentinien vom 21.5.1971, BGBl. 1972 II S. 68). Die Strafgewalt des Küstenstaates ist hinsichtlich der seine Küstengewässer passierenden Schiffe beschränkt. Ihm stehen weitergehende Befugnisse für Schiffe zu, die seine Binnengewässer verlassen haben. Auch kann der Küstenstaat ein sein Küstenmeer durchfahrendes fremdes Schiff weder anhalten noch umleiten, um seine Zivilgerichtsbarkeit gegenüber einer an Bord befindlichen Person auszuüben. Gemäß Art. 21 Übereinkommen Küstengewässer und Anschlußzone kann der Küstenstaat seine Straf- und Zivilgerichtsbarkeit auch gegenüber Staatsschiffen ausüben, die Handelszwecken dienen, während die übrigen Staatsschiffe völlige Immmunität genießen. Insofern folgt das Übereinkommen dem Konzept der funktionalen Immunität. Dies entspricht der Regelung in Art. 9 Übereinkommen über die Hohe See sowie Art. 13 Statut über die Internationale Rechtsordnung der Seehäfen und dem internationalen Abkommen zur einheitlichen Feststellung von Regeln über die Immunität der Staatsschiffe. Die Völkerrechtskommission hatte demgegenüber die Staatshandelsschiffe nur für das Küstenmeer den privaten Handelsschiffen gleichgestellt, ihnen aber für die Hohe See eine Gleichstellung mit den Kriegsschiffen eingeräumt. Diese Divergenz wurde erst nach langen Debatten der Konferenz beseitigt. Die Staaten des Ostblocks haben gegenüber Art. 20 bzw. 21 Übereinkommen Küstengewässer und Anschlußzone sowie gegenüber Art. 9 Übereinkommen über die Hohe See Vorbehalte angemeldet. Sie vertreten die Ansicht, daß Staatsschiffe, gleichgültig welchen Zwecken sie dienen, volle Immunität genießen (UNTS Bd. 516 p. 250 seq.; Bd. 450 p. 136). Diesen Vorbehalten haben u. a. Australien, Madagaskar, Großbritannien und die USA widersprochen (UNTS Bd. 516 p. 279 seq.). Hohe See An das Küstengewässer kann sich die sogenannte Anschlußzone anschließen, deren Ausdehnung gem. Art. 24 Übereinkommen Küstengewässer und Anschlußzone auf 12 sm ge-

Hohe See

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rechnet von der Basislinie begrenzt ist. In ihr übt der Küstenstaat bestimmte Kontroll- und Polizeibefugnisse aus. Das davon erfaßte Gebiet gehört allerdings nicht mehr zum Hoheitsgebiet des Küstenstaates, sondern zur Hohen See. Streitig ist vor allem, o b sich die Rechte des Küstenstaates auf reine Kontrollrechte beschränken, oder ob ihm entsprechende Rechtsetzungsbefugnisse zustehen. Art. 24 Übereinkommen Küstengewässer und Anschlußzone spricht für die engere Lösung. Die Beratungen auf der 1. Seerechtskonferenz haben aber deutlich werden lassen, daß eine erhebliche Anzahl von Staaten dem Küstenstaat Regelungsbefugnisse zubilligen wollen und die sachliche Beschränkung, wie sie in Art. 2 4 Übereink o m m e n Küstengewässer und Anschlußzone vorgezeichnet ist, nicht unterstützen. So fand der Vorschlag Polens (Doc. A/Conf. 13/C. 1/L. 78), auch Regelungen zum Schutze der Sicherheit zuzulassen, zwar die Zustimmung im Ausschuß, erreichte dagegen im Plenum nur knapp nicht die erforderliche 2/3 Mehrheit (UN Law of the Sea Conference OR, 14th Plenary mtg. vom 25.4.1958). Man kann daher nicht davon ausgehen, daß es sich bei Art. 24 Übereinkommen Küstengewässer und Anschlußzone u m die Kodifizierung bestehenden Völkergewohnheitsrechts handelt. Der Begriff „Hohe See" u m f a ß t nach der Definition des Art. 1 Übereinkommen über die Hohe See die Teile des Meeres, die nicht zu den Binnen- und Küstengewässern gehören. Aus dieser Definition ist jedoch nicht zu entnehmen, daß den Küstenstaaten das Recht zukommt, ihre Küstengewässer auszudehnen. Grundlage des völkerrechtlichen Regimes für dieses Gebiet ist das Prinzip der Freiheit der Hohen See. Es besagt, daß jeder Staat grundsätzlich das Recht hat, diesen Bereich sowie den darüber liegenden Luftraum ungehindert zu nutzen oder durch seine Bürger nutzen zu lassen, wobei eine gebietsweise Okkupation ausgeschlossen wird. Bei der Nutzung sind Küsten- und Binnenstaaten gleichberechtigt; Binnenstaaten soll der freie Zugang zum Meer eröffnet werden (Art. 3 Übereinkommen). Die in Art. 2 Übereinkommen über die Hohe See genannten Freiheiten bilden die Grundlage dessen, was man gewöhnlich unter der Nutzung der Hohen See versteht, der Katalog ist, wie sich aus seinem Wortlaut ergibt, nicht abschließend. Ausdrücklich genannt werden die Freiheit der Schiffahrt, der Fischerei, des Überfliegens und das Recht, unterseeische Kabel und Rohrleitungen zu legen. Nicht erwähnt sind dagegen die Forschungsfreiheit und der Meeresbergbau. Man war sich bei den Beratungen in der Völkerrechtskommission darüber einig, daß die Forschung auf der Hohen See mit zu den klassischen Freiheitsrechten zu zählen sei; die Aufnahme des Meeresbergbaus außerhalb des Festlandsockelbereichs in den Katalog scheiterte lediglich daran, daß nach Meinung der Völkerrechtskommission dafür kein praktisches Bedürfnis bestand. Die Freiheiten sind nicht unbegrenzt; grundsätzlich können sie nur unter angemessener Berücksichtigung der Interessen anderer Staaten wahrgenommen werden. Dagegen vermochte sich auf der 1. Seerechtskonferenz nicht ein ausdrückliches Verbot von Atombombenversuchen durchzusetzen (UN Law of the Sea Conference, OR 2nd Cttee. 20th mtg.). Besondere Bedeutung k o m m t der bereits im Völkergewohnheitsrecht verankerten Schiffahrtsfreiheit zu. Sie garantiert allen Schiffen für die Hohe See grundsätzlich volle Bewegungsfreiheit und, soweit das Völkerrecht keine Einschränkungen vorsieht, Freiheit ihres Tätigwerdens. Die Schiffe haben die Nationalität des Staates, dessen Flagge sie berechtigt führen. Jeder Staat setzt die Voraussetzungen selbst fest, unter denen er Schiffen seine Nationalität einräumt. Nach Art. 5 Übereinkommen über die Hohe See m u ß jedoch eine echte Verbindung zwischen dem Staat und dem seine Flagge führenden Schiff bestehen, vor allem muß dieser seine Kontrolle in technischer, sozialer und administrativer Hinsicht ausüben können. Diese, gegen die sog. „billigen Flaggen" gerichtete Norm, ist jedoch nach dem Gutachten des IGH zur Zusammensetzung des Sicherheitsausschusses der IMCO vom 8. Juni 1960 (ICJ Reports 1960 p. 150) nicht Bestandteil des geltenden Völkergewohnheitsrechts. Die Bundesrepublik Deutschland hat die Vorausetzungen zum Führen der Bundesflagge im Flaggenrechtsgesetz vom 8.2.1951 (BGBl. I S. 79) festgelegt. Der Schiffsverkehr wird im Interesse seiner Sicherheit in einer Reihe von speziellen Übereinkommen geregelt. Als wichtigste seien genannt: Der internationale Schiffssicherheits-

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vertrag vom 17.6.1960 (BGBl. 1965 II S. 465), der das Übereinkommen zum Schutze des menschlichen Lebens auf See sowie die Seestraßenordnung u m f a ß t , und das internationale Freibordabkommen vom 5.4.1966 (BGBl. 1969 II S. 249). Die Schiffe unterstehen auf Hoher See grundsätzlich nur der Hoheitsgewalt des Staates, dessen Flagge sie führen (Flaggenstaatsprinzip), und unterliegen seiner Kontrolle. Völlige Immunität genießen Kriegsschiffe und Staatsschiffe, die nicht Handelszwecken dienen. Für Handelsschiffe sieht das Übereinkommen über die Hohe See in Übereinstimmung mit dem bestehenden Völkergewohnheitsrecht dagegen einige Durchbrechungen des Flaggenstaatsprinzips vor. So können Kriegsschiffe fremde Handelsschiffe anhalten, wenn Grund für die Annahme besteht, daß das betreffende Schiff Seeräuberei oder Sklavenhandel betreibt. Unter Seeräuberei werden ausschließlich private Gewalttaten auf Hoher See oder an einem Ort, der keiner staatlichen Hoheitsgewalt unterliegt, und die sich gegen ein Schiff- bzw. Luftfahrzeug, Personen oder Sachwerte richten, verstanden. Die Staaten des Ostblocks haben dagegen erklärt, daß diese Inhaltsbestimmung des Pirateriebegriffs zu eng sei und den gewohnheitsrechtlich entwickelten Begriff nicht voll umfasse (UNTS Bd. 4 5 0 p. 136 seq.). Nach Ansicht der Tschechoslowakei hätte auch die politisch motivierte Piraterie mit einbegriffen werden müssen (UN Law of the Sea Conference OR 2nd Cttee. 27th mtg.). Eine weitere Durchbrechung des Flaggenstaatsprinzips sieht das Institut der Nacheile vor. Darunter versteht man die Weiterverfolgung eines Schiffes aus dem Küstenmeer hinaus auf die Hohe See durch Flugzeuge oder Kriegsschiffe des Küstenstaates, wenn hinreichende Gründe für die Annahme bestehen, d a ß dieses Schiff Vorschriften des Küstenstaates verletzt hat. In jüngster Zeit gewinnen Fragen des Umweltschutzes auf Hoher See für den Schiffsverkehr zunehmend an Bedeutung. Nach Art. 24 Übereinkommen über die Hohe See sind die Staaten verpflichtet, Maßnahmen zu ergreifen, u m das Ablassen von Öl aus Schiffen zu verhindern. Auf diesem Gebiet ist auch die IMCO besonders tätig geworden und hat eine Reihe von Konventionsentwürfen zur Bekämpfung der Verschmutzung der Meere vorgelegt. Bislang ist jedoch nur das Übereinkommen zur Verhütung der Verschmutzung der See durch Öl, 1954 in der Fassung vom 11. April 1962 (BGBl. 1964 II S. 749) in Kraft getreten, das der Schiffahrt lediglich geringfügige Verpflichtungen im Interesse des Umweltschutzes auferlegt. Wesentlich weiter geht in dieser Hinsicht der Konventionsentwurf der IMCO von 1973 über die Verhütung der Meeresverschmutzung durch Schiffe (ILM vol. 12 (1973) p. 1319). Fischbestandsschu

tz

Die gewohnheitsrechtliche Garantie der Freiheit des Fischfangs ging von der Überlegung aus, daß die Fischreichtümer des Meeres unerschöpflich seien. Es hat sich aber gezeigt, daß bei extensivem Fischfang, insbesondere durch die modernen Methoden der Fischverwertungsschiffe, die Gefahr des Überfischens und die Ausrottung einiger Fischarten besteht. Zur Lösung dieses Problems bieten sich verschiedene Möglichkeiten an. So ist u. a. an Erhaltungsmaßnahmen im Wege von bilateralen oder multilateralen Abkommen für einzelne Gebiete durch die dort vertretenen Fischfangnationen zu denken. Diesem Prinzip folgen z. B. das Übereinkommen für die Fischerei im Nordwestatlantik (BGBl. 1957 II S. 265, 277) mit zahlreichen Änderungen sowie das Übereinkommen über die Fischerei im Nordostatlantik (BGBl. 1963 II S. 157; 1971 II S. 1057, 1064). Beide Konventionen errichteten Kommissionen, die in einem besonders geregelten Verfahren Maßnahmen zum Schutze der Fischbestände vorschreiben können. Die genannten Übereinkommen — das gilt aus den gleichen Gründen auch für andere Übereinkommen dieser Art - vermochten allerdings eine gefährliche Verringerung der Fischbestände nicht zu verhindern. Eine weitere Möglichkeit, die Fischbestände zu erhalten, wäre, diese Aufgabe einer oder mehreren, regional gegliederten, internationalen Organisationen zu übertragen. Dieser Lösungsweg wird u. a. in dem Vorschlag der Völkerrechtskommission von 1953 (GAOR (VIII) Suppl. 9) angesprochen. Sie regt darin an, die Erhaltungsmaßnahmen in erster Linie den

Festlandsockel -

Meeresbergbau

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jeweils regional vertretenen Fischfangnationen zu überlassen. Dabei sind diejenigen Küstenstaaten mitzubeteiligen, deren Küstengewässer nicht weiter als 100 sm entfernt sind, gleichgültig, ob sie in dem betreffenden Gebiet Fischfang betreiben. Daneben wird die Errichtung einer internationalen Organisation vorgesehen, die Erhaltungsmaßnahmen mit bindender Wirkung für die Staaten vorschreibt. Diesen Gedanken ließ die Völkerrechtskommission allerdings in der Folgezeit fallen. In ihrem an die Generalversammlung gerichteten Vorschlag (GAOR (XI) Suppl. 9, Art. 50—59) überließ sie die Erhaltung des Fischbestandes in erster Linie den jeweils beteiligten Staaten. Gleichzeitig wird ein besonderes Interesse der Küstenstaaten an der Erhaltung der Fischbestände anerkannt und ihnen das Recht zugebilligt, einseitig entsprechende Maßnahmen für den Teil der Hohen See zu ergreifen, der an das Küstenmeer grenzt. Gemildert wurde dies durch die Einfügung einer Schiedskommission. Sie kann die Maßnahmen des Küstenstaates darauf überprüfen, ob sie notwendig sind, wissenschaftlich fundiert erscheinen und nicht diskriminierend wirken. Dieses System bildete die Grundlage für das auf der 1. Seerechtskonferenz angenommene Übereinkommen über die Fischerei und die Erhaltung der lebenden Schätze des Meeres. Nicht übernommen wurde dagegen Art. 60 A des Vorschlages, der Staaten, deren Volkswirtschaft von Fischfang abhängig ist, Sonderrechte einräumte. Mit der Anerkennung der besonderen küstenstaatlichen Interessen und Befugnisse für Teile der Hohen See wird eines der seerechtlichen Grundprinzipien, nämlich die Gesamtverantwortung der internationalen Staatengemeinschaft für die Hohe See aufgegeben, ohne daß nachgewiesen wäre, daß dies der einzige Weg war, die Erhaltung der Fischbestände sicherzustellen. Gleichzeitig wurden die Bestrebungen der Küstenstaaten ermuntert, ihre Fischereiansprüche immer weiter auszudehnen, wobei häufig nationale Interessen im Vordergrund stehen. Festlandsockel

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Meeresbergbau

In den Konventionen fehlt eine abschließende Regelung des Meeresbergbaus. Lediglich der Ausbeutung des Festlandsockels wurde eine eigene Konvention gewidmet. Unter dem Begriff des Festlandsockels im geologischen Sinn, der sich allerdings nicht mit dem rechtlichen Begriff deckt, versteht man den sich unter dem Meer fortsetzenden Teil des Festlandes bis zum Beginn des sog. Steilabfalls. Völkerrechtliche Bedeutung erhielt der Festlandsockel mit der Festlandsockelproklamation von Präsident Truman vom 28. September 1945 (AJIL Vol. 4 0 (1946) p. 46), wonach die Naturschätze des Schelfs unter der Hohen See angrenzend an die amerikanische Küste den USA gehören und ihrer Kontrolle unterliegen. Dem folgten Erklärungen zahlreicher Staaten, die sich teils inhaltlich mit der TrumanProklamation decken, teils über diese hinausgehen. Die Vorschläge der Völkerrechtskommission, die im wesentlichen die Grundlage der Festlandsockelkonvention bildeten, folgten der restriktiven Truman-Proklamation. Der Begriff des Festlandsockels, der von der Konferenz angenommen wurde, umfaßt den Meeresgrund und den Meeresuntergrund der an die Küste angrenzenden Unterwasserzonen außerhalb des Küstenmeeres bis zu einer Tiefe von 200 m oder darüber hinaus, soweit die Tiefe des darüber befindlichen Wassers die Ausbeutung dieser Zonen gestattet (Art. 1). Bei gegenüberliegenden Staaten erfolgt die Begrenzung des Festlandsockels durch eine Mittellinie, bei benachbarten Staaten durch Vereinbarung oder eine Äquidistanzlinie (vgl. dazu die Entscheidung des IGH vom 20.2.1969 (ICJ Reports 1969 p. 3)) sowie die Verträge der Bundesrepublik Deutschland mit Dänemark und den Niederlanden vom 28.1.1971, BGBl. 1972 II S. 881, 889 und mit Großbritannien vom 25.11.1971, BGBl. 1972 II S. 881, 897 für die Aufteilung des Festlandsockels in der Nordsee). Nach Art. 2 der Konvention übt der Küstenstaat zum Zwecke der Erforschung und Nutzung der Naturschätze die Souveränitätsrechte an dem Schelf aus. Es handelt sich dabei nicht u m eine volle Souveränität, sondern um einige territorial und materiell begrenzte Souveränitätsrechte, die allerdings dem Küstenstaat das Monopol für die Ausbeutung der

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Mineralien und der Grundfischerei übertragen. Nicht berührt wird der Rechtscharakter der über dem Schelf liegenden Gewässer als Hohe See. Insofern wird durch die Festlandsockelkonvention die vertikale Rechtseinheit zwischen dem Meeresboden und der darüber liegenden Wassersäule aufgehoben. Der Küstenstaat darf weder die Schiffahrt, den Fischfang und die Erhaltung der Fischbestände ungerechtfertigt beeinträchtigen, noch wissenschaftliche Forschungen sowie das Kabellegen in diesem Gebiet unbillig behindern. Er ist allerdings berechtigt, um seine Anlagen eine Sicherheitszone von 500 m im Durchmesser zu errichten und diese für den Schiffsverkehr zu sperren. Fraglich ist, ob auch der Meeresbergbau außerhalb des Festlandsockelbereichs den in Art. 2 Übereinkommen über die Hohe See genannten Freiheitsrechten gleichsteht, so daß die Ausbeutung des Meeresbodens außerhalb des Festlandsockelbereichs allen Staaten erlaubt ist. Fraglich ist insbesondere, ob der Meeresbergbau mit dem Prinzip der Gemeinverträglichkeit in Einklang steht, da er, soweit die Errichtung dauerhafter Anlagen erforderlich ist, die Schiffahrt und den Fischfang an Ort und Stelle ausschließt. Allerdings spricht Art. 2 Abs. 2 Übereinkommen über die Hohe See nur von einer angemessenen Berücksichtigung der anderen Tätigkeitsformen, verbietet dagegen nicht jede Beeinträchtigung schlechthin. Wesentlich unterscheidet sich dagegen der Meeresbergbau dadurch von den anderen Nutzungsformen, daß er nachhaltig in die Substanz des Meeres eingreift. Allerdings ist das Verbot eines Substanzeingriffs völkerrechtlich nicht gesichert. Als Ergebnis läßt sich daher festhalten, daß der Meeresbergbau außerhalb des Festlandsockels mit zu den geschützten Freiheiten der Hohen See gehört. Ein Verbot des Meeresbergbaus ist auch nicht der Resolution 2574 D (XXIV) vom 15. Dezember 1969 zu entnehmen, die die Einstellung aller staatlichen Ausbeutungsmaßnahmen bis zur Errichtung eines völkerrechtlichen Regimes für den Meeresbergbau vorsah, ohne daß hier näher auf die Bindungswirkung von Resolutionen eingegangen werden soll (-> Völkerrecht durch Vereinte Nationen). Die in der Resolution enthaltene Forderung vermochte sich in der Staatenpraxis nicht durchzusetzen. Sie ist auch in der folgenden Sitzungsperiode der Generalversammlung nicht wiederholt worden, vielmehr wird in der Resolution 2749 (XXV) vom 17. Dezember 1970 lediglich betont, daß die natürlichen Reichtümer des Meeresbodens im Eigentum der Staatengemeinschaft stehen und ihre Ausbeutung dem Wohle der gesamten Menschheit unter besonderer Berücksichtigung der Entwicklungsländer dienen soll. Sie gestattet damit vorläufig den derzeitigen Ausbeutungsmodus, enthält aber gleichzeitig die Forderung nach einem „gerechteren" Verteilungsverfahren. 3.

Seerechtskonferenz

Um eine Lösung der mit der Ausbeutung des Meeresbodens außerhalb staatlicher Hoheitsgewalt zusammenhängenden Fragen vorzubereiten, setzte die Generalversammlung am 18. Dezember 1967 einen ad hoc-Ausschuß (On the peaceful Uses of the Sea-Bed and the Ocean Floor Beyond the Limits of National Jurisdiction) ein (Res. 2340 (XXII). Er erhielt ein Jahr später dauerhaften Status (-> Ausschußsystem) (Res. 2467 (XXIII vom 21.12.1968). Die anfängliche thematische Beschränkung auf die Meeresbodenproblematik hob die Resolution 2750 (XXV) vom 7.10.1970 auf, und dem Ausschuß fiel die Aufgabe zu, die 3. Seerechtskonferenz u. a. durch Aufstellen eines Themenkatalogs vorzubereiten. Dieser in den Sitzungen von 1972 erarbeitete Katalog (Doc. A/8721 p. 5—8) umfaßt 25 Hauptpunkte, die den Bereich des gesamten Seerechts abdecken. Der Meeresbodenausschuß wurde vor Zusammentritt der Konferenz (Res. 3067 (XXVIII) vom 16.11.1973) formell aufgelöst. Die Konferenz trat vom 3.—15. Dezember 1973 zu einer Vorberatung über Organisations- und Verfahrensfragen in New York zusammen und nahm am 20. Juni 1974 ihre Arbeiten in Caracas auf, die am 17. März 1975 in Genf fortgesetzt wurden. Vom 15. März — 7. Mai 1976 tagt sie wieder in New York. Eine Einigung über die Geschäftsordnung erfolgte erst am 27. Juni 1974 in Caracas (Doc.

3. Seerechtskonferenz

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A/Conf. 62/30). Danach verfügt die Konferenz über drei Hauptausschüsse, die das Recht haben, Unterausschüsse und Arbeitsgruppen einzusetzen, sowie über einen Lenkungs-, einen Beglaubigungs- und einen Redaktionsausschuß. Die Arbeitsverteilung in den Hauptausschüssen der Konferenz entspricht im wesentlichen derjenigen des Meeresbodenausschusses. Der 1. Ausschuß beschäftigt sich vor allem mit dem Status und dem Ordnungsrahmen für den tieferen, küstenfernen Meeresboden. Dem 2. Ausschuß wurden folgende Hauptthemen zugewiesen: Küstengewässer, Anschlußzone, Seewege, Festlandsockel, Wirtschaftszone, küstenstaatliche Vorzugsrechte jenseits der Küstengewässer, Hohe See, Binnen- und Archipelstaaten. Für den 3. Ausschuß verbleiben die Probleme des maritimen Umweltschutzes, der wissenschaftlichen Forschung und der Weitergabe der maritimen Technologie (Doc. A/Conf. 62/28). Alle in den Meeresbodenausschuß eingebrachten Vorschläge sind grundsätzlich auch Gegenstand der Beratungen auf der Konferenz, so daß hinsichtlich der Beratungsgrundlagen eine Kontinuität besteht. Zu welchen Ergebnissen die Konferenz gelangen wird, läßt sich nach dem derzeitigen Stand nicht absehen, vor allem da das ihr vorliegende Material weniger intensiv vorbereitet worden ist, als dies seinerzeit für die 1. und 2. Seerechtskonferenz durch die Völkerrechtskommission erfolgte. Bislang liegen erst drei Verhandlungstexte (A/Conf. 62/WP 8/Part. I, II, III) vor, die von den Vorsitzenden der drei Hauptausschüsse erarbeitet wurden. Das Hauptinteresse richtet sich auf folgende Problemkreise: Status und Ordnungsrahmen des tieferen küstenfernen Meeresbodens, Küstengewässer, Meerengen, Archipelstaaten, Wirtschaftszonen, Fischfang, maritimer Umweltschutz, Meeresforschung und Technologietransfer. Die Ausbeutung des küstenfernen tiefen Meeresbodens ist vor allem wegen der dort vermuteten Ölvorkommen und Manganknollen von großer wirtschaftlicher Bedeutung. Die Überlegungen gehen allgemein dahin, sich nicht nur wie im ->· Weltraumrecht auf materielle Regelungen zu beschränken und deren Durchführung den einzelnen Staaten zu überlassen, sondern gleichzeitig eine internationale Behörde zu errichten und mit entsprechenden Aufgaben zu betrauen. Hierzu existieren eine Fülle von Vorschlägen, deren interessantester wegen seiner inhaltlichen Geschlossenheit deijenige von Malta sein dürfte (Doc. A / 8 4 2 1 p. 105). Der 1. Unterausschuß des Meeresbodensausschusses legte einen entsprechenden Konventionsentwurf vor, der mehrere Alternativen enthält (Doc. A/9021 II, p. 3 9 seq.). Er bildete die Grundlage für die Diskussion auf der Konferenz. Sein organisationsrechtlicher Teil (II) sieht die Errichtung einer selbständigen internationalen Organisation vor, deren Aufgabe es ist, den Meeresboden, der nicht nationaler Kontrolle unterliegt, zu verwalten. Ihre Hauptorgane sollen eine Versammlung und ein Rat sein. Die nähere Ausgestaltung dieses Konzepts ist allerdings noch unklar und von der Konferenz auch bisher nicht in Angriff genommen worden. Der materielle Teil des Entwurfs beruht auf der Meeresbodenresolution (Res. 2 7 4 9 (XXV) vom 17.12.1970), wonach die Reichtümer des Meeres zum gemeinsamen Erbe der gesamten Menschheit gehören, und enthält praktisch ein Ausbeutungsverbot mit internationalem Erlaubnisvorbehalt. Auf der Konferenz wurde bisher im wesentlichen dieser Teil behandelt. Besonders kontrovers war, wer der zukünftige Träger der Bergbauberechtigung sein soll. Einige Industrienationen würden ein Lizenzsystem, (private/staatliche Lizenznehmer) bevorzugen, wobei sich die Meeresbehörde auf die Lizenzausgabe beschränkt. Die Entwicklungsländer neigen eher dazu, der Behörde selbst die Abbauberechtigung zu übertragen (enterprise-System) und ihre dabei die Entscheidung über ihr Tätigwerden weitgehend freizustellen. Mit diesem Modell h o f f e n sie, auf Art und Umfang der Rohstoffgewinnung aus dem Meer Einfluß nehmen zu können. Auf der Konferenz ergaben sich dann schließlich vier Varianten, von denen je eine dem Lizenz- oder dem enterprise-System zuzurechnen sind, während die beiden übrigen einen Kompromiß enthalten. Der Verhandlungstext folgt im Prinzip dem Vorschlag der Entwicklungsländer (Art. 22). Weiterer Hauptdiskussionspunkt im 1. Ausschuß der Konferenz waren die wirtschaftlichen Konsequenzen des Meeresbergbaus. Hier lagen die Studien der UNCTAD und des Generalsekretärs vor (Zusammenfassung in: Doc., A/Conf. 62/C.1/L.2), wonach unter Um-

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ständen die unterindustrialisierten Rohstoffexportländer für Kupfer, Kobalt und Mangan mit Einbußen zu rechnen haben. Ob sich zwischen den Interessen der Industrieländer und der rohstoffabhängigen Enwicklungsländer einerseits und der rohstoffexportierenden Entwicklungsländer andererseits ein Ausgleich finden läßt, ist noch nicht abzusehen. Der Verhandlungstext enthält den Grundsatz, daß wirtschaftliche Beeinträchtigungen der rohstoffexportierenden Entwicklungsländer vermieden werden sollen. In den Beratungen des Meeresbodenausschusses, wie auch in denen der Konferenz, zeichnet sich ein Trend ab, die Küstengewässer nur auf 12 sm zu erweitern (Doc. A/Conf. 62/C.2/WP 1), wenn auch einige Staaten an einer 200 sm Begrenzung festhalten. Einen Sonderkomplex enthält die Meerengenfrage. Schon eine Erweiterung der Küstengewässer würde wichtige Meerengen unter nationale Kontrolle stellen. Hier verlangen vor allem die Großmächte und der Ostblock eine einschränkungslose Gewährleistung der freien Passage für alle Schiffe (System des „free transit"). Gleichzeitig mit der Ausdehung der Küstengewässer wird eine weitgehende Nationalisierung aller küstennahen Meeresschätze für einen Bereich bis zu 200 sm gefordert. Für eine derartige Wirtschaftszone haben sich die Mehrzahl der auf der Konferenz vertretenen Staaten ausgesprochen. Über die genaue Ausgestaltung dieser Zone gehen allerdings die Vorstellungen auseinander, vor allem inwieweit sie dem Status des Küstenmeers angenähert werden soll und ob das bislang geltende Festlandsockelprinzip in der Wirtschaftszone aufgeht. Zumindest garantiert sie dem Küstenstaat die alleinige Kontrolle und Ausbeutung der Meeresschätze. Desgleichen sollen der Umweltschutz, die Meeresforschung und die Errichtung künstlicher Inseln in diesem Gebiet nationaler Kontrolle unterstellt werden. Theoretisch frei sind dagegen Schiffahrt und Überflug. Gegen eine Beschränkung der Meeresforschung in der Wirtschaftszone wenden sich die Industriemächte aus Ost und West. Völlig abgelehnt wird das Wirtschaftszonenkonzept von einigen Binnenstaaten und Staaten mit kleiner oder ungünstig geschnittener Küste. Mit Einführung der Wirtschaftzonen würden etwa 80 % der bisher genutzten Fischbestände unter nationale Kontrolle fallen, was eine Umverteilung zu Lasten der Fernfischfang betreibenden Nationen bedeuten würde. Unter diesem Gesichtspunkt haben sich acht Staaten der Europäischen Gemeinschaft (Ausnahme Großbritannien) für die Erhaltung historischer Fischereirechte sowie eine stärkere Berücksichtigung der Entwicklungsländer und Binnenländer ausgesprochen (Doc. A/Conf. 62/C. 2/L. 40). Sie dürften sich damit aber bei der großen Zahl der Befürworter einer besonderen küstenstaatlichen Vorzugsstellung nicht durchsetzen. Die maritime Umweltverschmutzung läßt sich auf folgende Quellen zurückführen: Umweltverschmutzung der See von Land, durch die Luft, durch Abfallablagerungen, durch Schiffe, sei es als Folge eines Unfalls oder im Rahmen einer Schiffsroutine, bei der Ausbeutung des Meeresbodens oder durch die Errichtung von Anlagen, die auf See eingesetzt werden (Doc. A/Conf. 62/C.3/L.15). Die Konferenz will sich mit allen Ursachen auseinandersetzen. Einigkeit besteht über den allgemeinen Grundsatz, daß alle Staaten verpflichtet sind, die maritime Umwelt zu schützen. Die Konkretisierung bereitet jedoch Schwierigkeiten, wobei sich als Hauptproblem die Umweltverschmutzung durch Schiffe herausstellt. Kontrovers ist in erster Linie, bei wem die Kompetenz zur Regelung von Bau, Ausrüstung und Betrieb der Schiffe liegen soll. Einige Staaten schlagen vor, damit eine internationale Behörde zu betrauen, während andere, unter Führung von Kanada, diese Aufgabe zumindest für eine Zone von 200 sm dem Küstenstaat überlassen wollen (Doc. A/Conf. 62/C.3/L.6). Ähnliche Probleme tauchen bei der Durchsetzung von Reinhaltungsvorschriften auf. Hier stehen sich der Wunsch nach Erweiterung der küstenstaatlichen Kompetenzen und die Bestrebungen auf Beibehaltung des Flaggenstaatsprinzips gegenüber. Vermittelnd ist der Vorschlag der USA, wonach neben die Durchsetzungsbefugnisse des Flaggenstaates u. U. Strafkompetenzen des Staates treten, den das betreffende Schiff angelaufen hat — Hafenstaatskonzept (Doc. A/AC.138/SC.III/L.40). Dem Flaggenstaatskonzept folgt grundsätzlich der Vorschlag der

3. Seerechtskonferenz

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Bundesrepublik Deutschland (Doc. A/Conf. 62/C.3/L.7), der allerdings anderen Staaten weitgehende Untersuchungsrechte einräumt. Weniger tiefgreifend sind die Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich der übrigen Verschmutzungsgründe. Man ist sich weitgehend darüber einig, daß hier die wesentlichen Kompetenzen bei dem jeweiligen Küstenstaat liegen sollen. Für die Verhinderung der Umweltverschmutzung durch Meeresbergbau auf Hoher See wäre dann die Meeresbergbaubehörde verantwortlich. Umstritten ist in diesem ganzen Komplex nur, inwieweit die Staaten verpflichtet sind, internationale Mindestvorschriften einzuhalten. Vor allem die Entwicklungsländer lehnen derartige Forderungen ab, da sie furchten, bei dem Aufbau eigener Industrien behindert zu werden. Es bestehen grundsätzliche Meinungsverschiedenheiten darüber, ob die Freiheit der Meeresforschung garantiert werden soll. Die Entwicklungsländer wollen die Forschung im Bereich der Wirtschaftszone von der Genehmigung des Kontrollstaates abhängig machen und die Forschung auf der Hohen See der Aufsicht der Meeresbehörde unterwerfen (z. B. Doc. A/Conf. 62/C.3/L.9). Gleichzeitig verlangen sie eine Beteiligung an allen Forschungsergebnissen, um so daß wirtschaftliche Gefalle zwischen Industriestaaten und Entwicklungsländern zu verringern. Die Industrienationen setzen sich demgegenüber für eine Sicherung der freien Meeresforschung ein (Doc. A/AC 138/SC.III/L.31 ; L.44). Der Verhandlungstext enthält eine gewisse Annäherung der Standpunkte. Eng verknüpft mit der Frage der Forschungsfreiheit ist der Technologietransfer. Die Entwicklungsländer verlangen eine weitgehende wissenschaftliche Beteiligung an allen wirtschaftlichen Unternehmen auf dem Meer sowie eine entsprechende Ausbüdungshilfe (Doc. A/Conf. 62/C.3/L.12). Dieser Komplex ist bislang auf der Konferenz nicht eingehend erörtert worden.

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Selbstbestimmungsrecht

Selbstbestimmungsrecht Der Gedanke einer Selbstbestimmung von Völkern wurde zwar auch früher schon von Philosophen und Staatsmännern geäußert, doch verdichtete er sich zu einem politischen Grundsatz erst im 1. Weltkriege. Am 18. Januar 1918 proklamierte der amerikanische Präsident Wilson seine 14 Punkte, die einem Frieden zugrundegelegt werden sollten. Unter anderem forderte er dabei den Grundsatz, „bei Bestimmung aller Souveränitätsfragen müssen die Interessen der davon berührten Bevölkerung das gleiche Gewicht haben wie die berechtigten Forderungen der Regierung, deren Regierungsansprüche zu regeln sind" (Foreign Relations 1918, Supplement 1, vol. I, p. 12). Er hat dieses Problem später dahin präzisiert, „im Kriege sei für das zentrale Prinzip gefochten worden, keine Regierung oder Gruppe von Regierungen sei berechtigt, über ein Gebiet zu verfügen oder die politische Zugehörigkeit eines freien Volkes zu bestimmen". Im Vollzug dieses Grundsatzes gewann eine große Zahl von Nationen in Mittel- und Osteuropa die Unabhängigkeit; die früheren deutschen Kolonien und große Teile des Osmanischen Reiches wurden dem Mandatssystem des Völkerbundes unterstellt (Art. 28 Völkerbundsatzung) (-» Mandatsgebiete), ohne daß freilich die Kolonialreiche der alliierten und assoziierten Mächte ähnlich behandelt worden wären. In den Friedensverträgen wurde dem Schutz nationaler -» Minderheiten starke Beachtung geschenkt und, um ethnischen und wirtschaftlichen Ansprüchen gewisser Volksgruppen Rechnung zu tragen, in einigen Gebieten auch Volksabstimmungen durchgeführt (S. Wambaugh). Universell ist dieser „zentrale Grundsatz" freilich nicht durchgeführt worden: „Wir hatten für andere ein System eingeführt, das wir dann auf uns selbst anzuwenden ablehnten, als die Frage auf uns zutrat" (Nicolson). Da waren dann Gesichtspunkte der politischen Zweckmäßigkeit, strategische, wirtschaftliche und andere politische Gesichtspunkte maßgebend. „Selbstbestimmung" wurde nicht als bindender Rechtssatz, sondern bloß als politisches Prinzip verstanden, das je nach Lage des Falles angewandt wurde oder auch nicht. Präsident Wilson hat freilich in seinem Entwurf für Art. 3 Völkerbundsatzung das Verhältnis zwischen Selbstbestimmung und den Grundsätzen der politischen Unabhängigkeit und territorialer Integrität deutlich umrissen (-» Völkerbund). In gewissen Fällen kann der Selbstbestimmung Vorrang gebühren. Das Prinzip ist allgemein formuliert und findet vor allem auf ethnische Minderheiten Anwendung, die bisher innerhalb eines Staates oder Reiches lebten. Eine Dreiviertelmehrheit der Bevölkerung sollte territoriale Veränderungen herbeiführen können. Denn der Frieden in der Welt sollte Vorrang haben vor jeder Frage politischer Herrschaft oder Grenzziehung. Im endgültigen Text der Satzung wurde diese Bestimmung gestrichten. „Selbstbestimmung" kommt dort nicht vor. Dennoch hat dieser Grundsatz zwischen den beiden Weltkriegen eine beherrschende Rolle gespielt. Es braucht nur an die Entwicklung in Böhmen gedacht zu werden, wo einer starken ethnischen Minderheit zunächst die Selbstbestimmung verweigert wurde, diese das Prinzip dann aber gegenüber der Mehrheit grob verletzte. Als „Träger" der „Selbstbestimmung" erschienen damals „Völker" in unterschiedlichen Lagen: — Minderheits- (oder auch Mehrheits-) Völker innerhalb eines von einem anderen Volk regierten Staates (wie die Iren bis 1919 und die Mongolen bis 1911/21). — Als Minderheitsgruppe in mehr als einem fremden Staate lebende Völker (wie die Polen in Rußland, Österreich und Deutschland vor 1919; die Kurden in der Türkei, Irak und Iran; die Armenier in der Sowjetunion und in der Türkei). — Minderheitengruppen, die sich als Teil des Volkes eines Nachbarstaats verstehen (Mexikaner in Kalifornien, Ungarn in Rumänien). — Völker oder Nationen, die durch äußere Einflüsse in getrennten Staaten zu leben gezwungen sind (wie Deutsche). — Mehrheits- (oder auch Minderheits-) Völker in einem Territorium mit Sonderstatus unter Fremdherrschaft (Hauptbeispiel: Kolonialregime).

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In allen fünf Fällen wurde vorausgesetzt, daß diese Völker geschlossen in bestimmten Teilen des Landes angesiedelt waren, in denen sie mindestens eine Mehrheit der Bevölkerung darstellten. Über das ganze Land verstreute Einwanderergruppen (wie Farbige oder auch nicht englisch sprechende Europäer in den USA) wurden nicht als „ V ö l k e r " angesehen (Cobban). Verwirklicht wurde das Prinzip in verschiedenen Formen: Durch Internationalen Minderheitenschutz (-* Minderheiten), regionale Autonomie, eigenes Staatswesen in einem Bundesstaat oder einem Staatenverband (Commonwealth) und schließlich durch nationale Unabhängigkeit. Im 2. Weltkrieg tritt der Grundsatz in der Atlantik-Charta vom 14. August 1941 in drei Formen auf (-> Entstehungsgeschichte): Keine territorialen Veränderungen, welche nicht dem frei geäußerten Willen der betroffenen Völker entsprechen einerseits und andererseits in der Achtung des Rechtes aller Völker, selbst die Form der Regierung zu wählen, unter der sie zu leben wünschen; schließlich aber in der Forderung den Völkern -> Souveränität und Selbstregierung wiederzugewähren, die ihrer mit Gewalt beraubt wurden. Dieser T e x t ist noch ganz im Geist der Zeit zwischen den beiden Kriegen gefaßt. Es mag sogar gefragt werden, ob nicht auch die Grundsatzbestimmung der Charta der Vereinigten Nationen, in der ihre Ziele umrissen werden, in diesem Geiste zu lesen sind: Zu diesen Zielen gehört, „zwischen den Nationen freundschaftliche Beziehungen zu entwickeln, die auf der Achtung für den Grundsatz von Gleichheit und Selbstbestimmung der Völker beruhen" (Art. 1 Ziff. 2). Der Grundsatz der Selbstbestimmung ist hier mit dem Grundsatz der Gleichheit der Staaten nicht nur zusammengefaßt, sondern geradezu gleichgesetzt, indem nur von einem Grundsatz (im Singular !) die Rede ist, während dann „die Achtung vor Menschenrechten und Grundfreiheiten" erst im nächsten Absatz erscheint. Diese eigenartige Form der Erwähnung führte einen prominenten frühen Kommentator der Charta zum dem Schluß, „Selbstbestimmung der Völker gem. Art. 1 Ziff. 2 heißt dasselbe wie Staatssouveränität" und die Formel von Art. 1 Ziff. 2. sei gleichbedeutend mit der Formel von Art. 2 Ziff. 1, in der die Grundsätze von - * Souveränität und Staatengleichheit in sehr problematischer Weise in dem Grundsatz der „souveränen Gleichheit" zusammengefaßt seien (Kelsen S. 5 2 ) . Diese eigenartige Umdeutung des überlieferten Sinns der Selbstbestimmung hat sich nicht allgemein durchgesetzt (vgl. Hu Chou Young S. 1 1 2 - 2 1 6 ) . Zunächst erschien sie als die Auffassung eines Außenseiters. Erst zwanzig Jahre später wurde klar, daß diese Umdeutung einem grundlegenden Wandel der Auffassungen Rechnung trug. Dieser Wandel wurde treffend gekennzeichnet: Wilson proklamierte das (Selbstbestimmungs-) Recht mit Anspruch auf allgemeine Geltung, praktisch wurde es aber auf die territoriale Neuordnung nach dem Kriege konzentriert. Angewandt wurde es damals auf ethnische Gemeinschaften, Nationen oder Nationalitäten, die in erster Linie durch Sprache und Kultur bestimmt wurden. Erst in einer zweiten Periode richtete sich die Aufmerksamkeit auf die Auflösung überseeischer Herrschaftsbereiche, die von Wilsons Selbstbestimmungsgedanken unberührt geblieben waren. In der Periode der Entkolonialisierung hat die ethnische Identität ihre Bedeutung verloren, der entscheidende — gewöhnlich sogar der einzige Gesichtspunkt wurde die Existenz einer politischen Einheit im Gewände eines Kolonialgebietes (Emerson S. 4 6 3 ) . Diese Entwicklung setzte bald nachdem die Vereinten Nationen auf dem Gebiete des internationalen Schutzes der -» Menschenrechte tätig wurden ein und wurde verständlicherweise von den Anhängern der Gedankenwelt W. Wilsons kritisch aufgenommen (Eagleton, Kunz). Daß allgemein ethnische Gruppen, die sich auf der Grundlage politischen Bewußtseins zu „ V ö l k e r n " entwickelt haben, aber unter fremder Herrschaft leben, einen Anspruch auf Selbstbestimmung haben, wird aufgegeben. Es verschwindet die universelle Geltung des Prinzips. Der Anspruch auf Selbstbestimmung soll auch nicht mehr in vielfältiger Weise verwirklicht werden können, durch Einräumung politischer oder kultureller Autonomie innerhalb eines Staates, durch Integration in diesen oder Assoziation mit diesem und schließlich erst

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durch Sezession, um einen eigenen Staat zu bilden oder sich einem anderen Staat anzuschließen. Nach der neuen Lehre haben nur Gebiete unter Kolonialherrschaft ein Recht auf Selbstbestimmung und damit auf Gründung eines eigenen Staates. Es kommt nicht darauf an, wie die Bevölkerung des Gebietes ethnisch zusammengesetzt ist. Sobald die eigene Staatlichkeit erreicht ist, ist das neue Gebiet gegen jeden Versuch geschützt, die nationale Einheit aufzubrechen, selbst wenn durch die neugeschaffene staatliche Einheit ethnische Gruppen unter Fremdherrschaft geraten. Dieses neu formulierte Recht auf Selbstbestimmung darf auch unter Anwendung von Gewalt und mit Hilfe anderer Mächte verwirklicht werden. Diese Lehre fand ihren Niederschlag in der Erklärung über die Gewährung der Unabhängigkeit der Kolonialländer und Kolonialvölker (GA Res. 1 5 1 4 ( X V ) vom 1 4 . 1 2 . 1 9 6 0 ) , in der eine Verbindung zwischen Entwicklungen auf dem Gebiete des Schutzes der -* Menschenrechte mit der Selbstbestimmung hergestellt ist. Das beginnt mit der Präambel (Abs. 2). Im operativen Teil heißt es dann, daß die Unterwerfung von Völkern unter fremdes J o c h und fremde Herrschaft sowie ihre Ausbeutung (das heißt das Vorenthalten der Selbstbestimmung) eine Versagung grundlegender Menschenrechte bedeute (Ziffer 1). Obwohl hervorgehoben wird, daß „alle Völker das Recht auf Selbstbestimmung besitzen" (Ziffer 2), folgt doch aus der Präambel, in der nicht weniger als viermal der Wunsch nach Beendigung der Kolonialherrschaft ausgesprochen ist, daß Selbstbestimmung nur insoweit als Rechtsprinzip angesehen wird, als sie von Völkern unter Kolonialherrschaft geltend gemacht wird. Das wird in Ziffer 5 bestätigt: „In Treuhand- und anderen Gebieten ohne Selbstregierung sollen unmittelbare Schritte unternommen werden, um alle Macht den Völkern dieser Gebiete zu übertragen, um sie instand zu setzen, vollständig unabhängig und frei zu werden." Für diese Gebiete soll Ziffer 6 nicht gelten, wonach jeder Versuch einer teilweisen oder völligen Zerstörung der nationalen Einheit und der territorialen Integrität eines Landes für rechtswidrig erklärt ist. 1 9 6 0 ist noch kein Versuch gemacht worden, den offensichtlichen Widerspruch zwischen dem Recht auf Sezession und der Garantie der nationalen Einheit zu überbrücken. Das geschah erst zehn Jahre später in der „Erklärung der Grundsätze des Völkerrechts über freundschaftliche Beziehungen und Zusammenarbeit zwischen Staaten und der Charta der Vereinten Nationen" (GA Res. 2 6 2 5 ( X X V ) vom 2 4 . 1 0 . 1 9 7 0 ) . Dort wurde die Lehre entwickelt, daß „das Kolonialgebiet oder das Gebiet eines sonstigen Gebietes ohne Selbstherrschaft nach der Charta einen eigenen und getrennten Status von dem Gebiet des Verwaltungsstaates besitzt". Danach ist die Garantie der nationalen Integrität auf jede koloniale Einheit getrennt anwendbar. Beide Erklärungen nehmen für sich in Anspruch, die Charta maßgebend auszulegen, nicht etwa sie zu ergänzen. Wenn Art. 1 Ziff. 2 nur einen politischen Grundsatz der Selbstbestimmung aufstellt, kann eine Entschließung der Generalversammlung daran nichts ändern. Nun hat die Generalversammlung freilich, um den Vorgang der ->· Entkolonialisierung zu beschleunigen, besondere Organe eingerichtet: Zunächst einen Ausschuß zur Information über Gebiete ohne Selbstregierung, später einen Sonderausschuß von 2 4 Mitgliedern (-»• Ausschußsystem). Diese besonderen Organe sind nicht darauf beschränkt, die Verhältnisse in Gebieten ohne Selbstregierung zu beobachten und die Generalversammlung über sie zu unterrichten. Sie beeinflussen auch aktiv Befreiungsbewegungen, die Erklärung über die Gewährung der Unabhängigkeit zu verwirklichen und können sich dafür auf diese Erklärung stützen. Um nicht auf die Erkenntnisquellen angewiesen zu sein, die ihnen die Verwaltungsstaaten liefern, nehmen sie Petitionen von Einwohnern dieser Gebiete an und prüfen sie. So wird dieses Kontrollsystem so weit wie möglich dem des Treuhandrates (nach Kapitel XII/XIII Art. 7 5 - 9 1 ) angenähert. Diese seit Jahren geübte Praxis kann nicht unberücksichtigt bleiben, wenn der Rechtscharakter der beiden Erklärungen gewürdigt wird. Sie stellt eine praktisch wichtige Entwicklung dar, die nicht vernachlässigt werden darf (a. Α. K. Doehring). Wenn auch vielleicht noch nicht mit der Definition des Inhabers des Rechts auf Selbstbestimmung, sicher aber doch mit

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der Einrichtung dieser Verfahren innerhalb der Organisation der Vereinten Nationen hat sich der Charakter des ursprünglichen Grundsatzes gewandelt, freilich nur für das Gebiet, auf das sich die neue Praxis erstreckt. Gegenwärtig besteht — das ist das Ergebnis — ein rechtlich durchsetzbares Recht auf antikoloniale Selbstbestimmung, ein Privileg für einen verhältnismäßig kleinen Teil der Weltbevölkerung von rund 10 bis 20 Millionen Menschen (gegen 75 Millionen, die seit 1961 und gegen fast eine Milliarde Menschen, die von 1945 bis 1960 unabhängig wurden). Die zugunsten dieser kleinen Zahl entwickelte Praxis hat freilich keinen Einfluß auf das Schicksal anderer Menschen unter Fremdherrschaft. Für sie bleibt die Rechtslage nach der Charta unverändert: Auf sie ist nur der Grundsatz der Selbstbestimmung je nach politischer Zweckmäßigkeit oder anderen Gesichtspunkten anzuwenden. Sie haben weder ein Recht auf Sezession noch auf volle Unabhängigkeit (zum Fall Bangla-Desh vgl. V. P. Nanda AJIL vol. 66 (1972)p. 3 2 1 - 3 3 6 ) . Die Internationalen Menschenrechtspakte enthalten in Art. 1 eine Garantie für das Recht auf Selbstbestimmung, ohne aber klar zu sagen, wem dieses Recht zugute kommen soll, welchen Inhalt es hat und wie es zu verwirklichen sei. Auch mit dem Inkrafttreten der Pakte dürfte sich die Rechtslage kaum ändern. Auch an dem Rechtscharakter des Prinzips der Selbstbestimmung im Verhältnis zu den -*· Menschenrechten dürfte sich kaum etwas geändert haben. Das Prinzip ist zwar an den Beginn der Menschenrechtskataloge gestellt, dadurch aber selbst kein „Menschenrecht" geworden, sondern ein Prinzip für die Behandlung von Gruppen geblieben. Allenfalls kann gesagt werden, daß die Achtung der Menschenrechte und der Selbstbestimmung sich gegenseitig bedingen und also in einer engen wechselseitigen Beziehung zueinander stehen.

Literatur Cobban: National Self-Determination, University of Chicago Press, Chicago 1947, p. 463 Doehring: Das Selbstbestimmungsrecht der Völker als Grundsatz des Völkerrechts, Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, Heft 14, Karlsruhe 1973 Eagleton: Excesses of Self-Determination, in: Foreign Affairs, vol. 31 p. 592 Emerson: Self-Determination, in: AJIL vol. 65 (1971) p. 4 6 3 Johnson, S.: Self-Determination within the Community of Nations, Ley den 1967 Kelsen: The law of the United Nations, London 1951, p. 52 Kunz: The principle of self-determination of peoples, particularly in the practice of the United Nations, in: Kurt Rabl (Hrsg.): Inhalt, Wesen und gegenwärtige praktische Bedeutung des Selbstbestimmungsrechts der Völker, München 1964, S. 128 Nanda: Self-determination in international law — the tragic tale of two cities — Islamabad (West-Pakistan) and Dacca (East-Pakistan), in: AJIL vol. 66 (1972) p. 321 Nicolson: Peace making 1919 (1933), p. 193 Rigo-Sureda: The Evolution of the Right of Self-Determination - A study of the United Nations practice, Leyden 1973 Wambaugh: Plebiscites since the world war, with collections of official documents, Washington 1933 Young: Das Selbstbestimmungsrecht als eine Vorbedingung des völligen Genusses der Menschenrechte, Züricher Studien zum internationalen Recht Bd. 52, Zürich 1972, S. 112 Karl Josef Partsch Verweise auf·. Ausschußsystem; Befreiungsbewegungen; Entkolonialisierung; Entstehungsgeschichte; Mandatsgebiete; Menschenrechte; Minderheiten; Petitionen; Souveränität; Treuhandrat; Völkerbund.

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Sicherheitsrat Gem. Art. 7 Abs. 1 ist der Sicherheitsrat (Security Council) eines der sechs Hauptorgane der Vereinten Nationen (-> Organisationssystem der Vereinten Nationen). Der Sicherheitsrat ist primär für die Erhaltung des Friedens und der Sicherheit zuständig (-> Friedenssicherung). Das ergibt sich aus Art. 24. Danach trägt der Sicherheitsrat für die Erhaltung des Friedens und der Sicherheit in den internationalen Beziehungen die Hauptverantwortung, hat insoweit also Vorrang gegenüber allen anderen Hauptorganen. Der Sicherheitsrat ist gleichzeitig das Organ, welches den Führungsanspruch der Großund Supermächte deutlich macht. Ihm sind daher wichtige institutionelle Entscheidungen über die Struktur und Organisation des Systems der Vereinten Nationen übertragen worden. Der Sicherheitsrat entscheidet über Zulassung (Art. 4), Suspendierung (Art. 5) und Ausschluß (Art. 6) von Mitgliedern der Weltorganisation (-»· Mitgliedschaft). Er benennt gegenüber der Generalversammlung den Generalsekretär (Art. 97 Abs. 2) und ist an der Wahl der Richter des Internationalen Gerichtshofes gleichberechtigt mit der Generalversammlung beteiligt (-» IGH). Schließlich legt er die Bedingungen für Staaten fest, die, ohne dem Statut beigetreten zu sein, Zugang zu dem IGH suchen (Art. 35 Abs. 2 IGH-Statut). Zur Erfüllung seiner besonderen Aufgaben und der ihm nach Art. 24 übertragenen allgemeinen Pflicht, den Frieden und die Sicherheit zu gewährleisten, verfügt der Sicherheitsrat über ein umfassendes Entscheidungsinstrumentarium. Zwar erscheinen die Zuständigkeiten der ->· Generalversammlung weiter gefaßt, doch sind dem Sicherheitsrat demgegenüber stärkere Durchsetzungsbefugnisse zugestanden worden. Die in Kapitel VII (Maßnahmen bei Bedrohung oder Bruch des Friedens und bei Angriffshandlungen), Kapitel VI (friedliche Streitbeilegung; -> Streitschlichtung), Kapitel VIII (Regionale Abmachungen; Regionalabkommen) und Kapitel XII (Treuhandsystem; ->· Treuhandrat) niedergelegten Funktionen des Sicherheitsrates machen ihn einerseits zum mächtigsten Organ der Weltorganisation, andererseits zeigt sich darin auch die Schwäche der Konzeption, legalistische und machtpolitische Elemente miteinander zu verknüpfen. Der Sicherheitsrat setzt sich gem. Art. 23 aus 15 Mitgliedern zusammen. Ursprünglich sah die Charta 11 Mitglieder vor. Mit Wirkung vom 31. August 1965 wurde die Anzahl durch Resolution der Generalversammlung (Res. 1991 (XVIII) vom 17.12.1963) und nach Ratifizierung der damit verbundenen Änderung der Charta auf 15 erhöht. Von den 15 Mitgliedern gehören dem Sicherheitsrat fünf ständig an: China, Frankreich, UdSSR, Großbritannien, USA. Seit 1971 nimmt die Volksrepublik China als ständiges Mitglied des Sicherheitsrates die Vertretung Chinas wahr. Die zehn nichtständigen Mitglieder werden jeweils alle zwei Jahre von der Generalversammlung gewählt. Vor der Erhöhung der Mitgliederzahl ist es trotz des entgegenstehenden Chartawortlauts wiederholt dazu gekommen, daß sich zwei Interessenten in eine Wahlperiode teilten, mithin jeweils nur für die Dauer eines Jahres dem Sicherheitsrat angehörten. Die sofortige Wiederwahl eines nichtständigen Mitgliedes ist nicht möglich. Die Unterscheidung von ständigen und nichtständigen Mitgliedern ist Ausdruck des politischen Kräfteverhältnisses der Nachkriegszeit (-*• Entstehungsgeschichte). Der Konzeption liegt die Prämisse zugrunde, daß allein die Großmächte in der Lage sind, die Sicherheit und den Frieden in den internationalen Beziehungen der Mitglieder zu garantieren. Über die geographische Herkunft der nichtständigen Mitglieder wurde bereits 1946 in London eine Einigung erzielt. Zwei Mitglieder sollten aus der lateinamerikanischen Region, jeweils ein Mitglied aus dem ehemaligen britischen Commonwealth, dem Mittleren Osten, Westeuropa und Osteuropa gewählt werden. Mit der am 31. August 1965 in Kraft getretenen Erhöhung der Anzahl der nichtständigen Mitglieder auf zehn Sitze änderte sich auch die regionale Verteilung: Fünf aus dem afro-asiatischen Block, zwei aus Lateinamerika, ein Mitglied aus Osteuropa, zwei aus dem westlichen Europa und anderen Staaten (-»· Blockbildung). Bis

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1976 waren im Sicherheitsrat folgende Staaten als nichtständige Mitglieder am häufigsten vertreten: Brasilien (5 x); Argentinien, Japan, Kolumbien (je 4 x); Ägypten, Australien, Belgien, Indien, Italien, Jugoslawien, Kanada, Niederlande, Pakistan, Panama, Polen, Türkei (je 3 x). Den ständigen Mitgliedern steht gem. Art. 27 ein negatives Entscheidungsrecht hinsichtlich aller substantiellen Fragen zu. Sie haben ein Vetorecht (-> Stimmrecht). Eine Änderung der Charta tritt ohne die Ratifikation durch alle ständigen Mitglieder nicht in Kraft (Art. 108,109; ->• Revision der Charta). Die besondere Stellung der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates wird dadurch unterstrichen, daß sie gleichzeitig in dem Generalstabsausschuß (Military Staff Committee) vertreten sind; solange nicht Sonderabkommen über die Bereitstellung von Streitkräften durch die Mitgliedstaaten abgeschlossen worden sind, obliegt den ständigen Mitgliedern die Pflicht, zur Sicherung des Friedens und der internationalen Zusammenarbeit in Konsultationen einzutreten, um gem. Art. 42 entsprechende Maßnahmen zu ergreifen (Art. 106) (->• Streitkräfte der Vereinten Nationen). Die ständigen und nichtständigen Mitglieder sind im Sicherheitsrat durch je einen Delegierten vertreten (Art. 23). Die Delegierten müssen beim Generalsekretär akkreditiert werden; der Generalsekretär unterbreitet dem Sicherheitsrat einen Bericht über die Prüfung der Beglaubigungsschreiben. Jedes Mitglied hat eine Stimme (Art. 27 Abs. 1). Art. 27 unterscheidet zwei Abstimmungsverfahren: Nach Abs. 2 wird über Verfahrensfragen mit einer Mehrheit von wenigstens 9 Stimmen entschieden; demgegenüber bedürfen alle sonstigen Beschlüsse der Zustimmung von neun Mitgliedern, einschließlich sämtlicher ständiger Mitglieder (Abs. 3). Art. 27 Abs. 3 verlangt im Falle von Beschlüssen auf Grund des Kapitels VI Stimmenthaltung der Streitparteien. Die Regelung des Abstimmungsverfahrens geht zurück auf einen Vorschlag von Roosevelt, der von Stalin und Churchill gebilligt wurde (-> Entstehungsgeschichte). Die in Art. 27 enthaltenen Abstimmungsregeln waren auf der Konferenz von San Francisco Gegenstand schwieriger Verhandlungen, weil sich die Vertreter der Staaten nicht zu dem Prinzip der einfachen Mehrheitsentscheidung durchringen konnten. Die Auslegung des Art. 27 und das Beschlußverfahren des Sicherheitsrates sind in Theorie und Praxis umstritten, da die Charta, die Vier-Mächte-Erklämng vom 7. Juni 1945 (UNCIO Doc. 852, III/1/37 (1)) und die Resolution der Generalversammlung vom 14. April 1949 (Res. 267 (III)) in wesentlichen Punkten nicht übereinstimmen. Die Formel, daß jeder Entscheidung neun (früher: sieben) Zustimmungen zugrundeliegen müssen, erlaubte es, Entscheidungen des Sicherheitsrates durch Enthaltungen zu blockieren. In der Praxis hat sich gezeigt, daß Zustimmungen in vielen Fällen von einer Mehrheit der anwesenden und abstimmenden Mitglieder kamen, ohne jedoch die für eine Entscheidung notwendige Stimmenzahl zu erreichen. Schwierigkeiten bereitet gleichfalls die in Art. 27 getroffene Unterscheidung zwischen „Verfahrensfragen" und „sonstigen Fragen". Strittig ist insbesondere, inwieweit auch interne Verfahrensentscheidungen des Sicherheitsrates dem Veto der ständigen Mitglieder unterliegen. Unterliegt auch das Verfahren (z. B. die Beratung der Tagesordnung oder eines Tagesordnungspunktes) dem Veto, so spricht man von einem Doppelveto. Ginge man davon aus, daß solche Verfahrensangelegenheiten nicht dem Veto unterliegen, dann könnte von dem Vetorecht nur bei den eigentlichen Endentscheidungen Gebrauch gemacht werden (-> Stimmrecht). Würde auch das Verfahren, welches den Abstimmungsmodus bestimmen soll, der Zustimmung der ständigen Mitglieder bedürfen, wäre das von der Mehrheit befürwortete Verfahren einschließlich Abstimmungsmodus bei Widerspruch eines ständigen Mitgliedes nicht durchsetzbar. Die Praxis des Abstimmungsverfahrens des Sicherheitsrates zeigt in dieser Hinsicht keine einheitliche Entwicklung. Die San Francisco-Erklärung vom 7. Juni 1945 (Statement by the Delegations of the Four Sponsoring Governments on Voting Procedure in the Security Council) hat hier keine unzweifelhafte Lösung gebracht. Es liegt weitgehend bei dem amtierenden Präsidenten, eine Frage zur Verfahrensfrage zu machen oder eine Sachentscheidung herbeizufuhren (Regel 30 Vorläufige Geschäftsordnung des Sicherheitsrates).

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Gleichwohl haben die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates durchzusetzen vermocht, daß ihnen in solchen Fällen ein „doppeltes Veto" zugestanden wird. Sie können daher anläßlich der Entscheidung über die Verfahrensfrage in bestimmten Fällen auch die Sachentscheidung durch ein Veto verhindern. Bis 1965 ist vom Vetorecht insgesamt in 108 Fällen Gebrauch gemacht worden. 50 Vetos richteten sich gegen die Aufnahme eines neuen Staates (-> Mitgliedschaft), zwei gegen die Wahl eines Generalskretärs. In 56 Fällen bezog sich der Gebrauch des Vetorechts auf Fragen der -» Friedenssicherung und internationalen Sicherheit. Bis Februar 1976 folgten weitere 35 Vetos. Die relativ hohe Zahl der Vetos insbesondere in den ersten Jahren des Bestehens der Vereinten Nationen hat dazu geführt, die Einrichtung als solche mit dem Argument in Frage zu stellen, die Praxis führe zu Mißbräuchen durch die ständigen Mitglieder und beeinträchtige die Funktionsfähigkeit des Sicherheitsrates in entscheidenden Fällen. In einer sodann von der Generalversammlung initiierten Studie und der darauf begründeten Resolution (Res. 267 (III) vom 14.4.1949) wurde den ständigen Mitgliedern empfohlen, vor entscheidenden Abstimmungen im Sicherheitsrat Übereinstimmung untereinander herzustellen, um die Funktionsfähigkeit des Organs zu gewährleisten. Der Ausschußbericht empfahl darüber hinaus, eine vertragliche Vereinbarung zwischen den ständigen Mitgliedern anzustreben. Der Versuch der Generalversammlung, den ständigen Mitgliedern Zurückhaltung bei der Abgabe des Vetos im Sicherheitsrat nahezulegen, hatte jedoch nicht den erhofften Erfolg. Die folgende Verminderung der Vetos wurde auch durch die sich einstellende Praxis, Stimmenthaltungen nicht als Vetos zu werten, erreicht. Die Stimmenthaltung im Sicherheitsrat hat dem Organ zumindest ein relatives Maß an Handlungsfähigkeit wiedergegeben. In der Koreakrise des Jahres 1950 konnte der Sicherheitsrat in drei entscheidenden Beschlüssen eine rechtliche Grundlage für die Maßnahmen der Vereinten Nationen schaffen. Das war möglich, weil die UdSSR damals wegen des Streits um die Vertretung Chinas den Sicherheitsrat boykottierte (->• Korea; Streitkräfte der Vereinten Nationen). Die Rechtswirksamkeit der Beschlüsse wurde später von den Ländern der östlichen Staatengruppe bestritten. Das Fernbleiben von einer Sitzung des Sicherheitsrates wird heute in der Praxis nicht als Ausübung des Vetorechts aufgefaßt (-»• Stimmrecht). So kann es weiterhin zu dem Einsatz von -»· Streitkräften der Vereinten Nationen kommen, obwohl die Volksrepublik China dem grundsätzlich ablehnend gegenübersteht, denn der chinesische Delegierte pflegt an den entsprechenden Abstimmungen im Sicherheitsrat nicht teilzunehmen. Stimmenthaltung sieht die Charta ausschließlich für Beschlüsse auf Grund des Kapitels VI und des Art. 52 Abs. 3 vor, wenn die am Streit beteiligten Staaten einen Sitz im Sicherheitsrat haben (Art. 27 Abs. 3). Diese Vorschrift gilt auch für die ständigen Mitglieder. Die Entscheidung über den Ausschluß oder die Suspendierung unterliegt daher nicht dem Abstimmungsverbot. Ebensowenig gilt das Abstimmungsverbot, wenn über -»• Sanktionen zu entscheiden ist. Die ständigen Mitglieder sind daher in der Lage, Entscheidungen selbst nach Kapitel VII gegen sich zu verhindern. Schwierigkeiten bereiten indessen die Abgrenzung zwischen Kapitel VI und VII - der Sicherheitsrat vermeidet es häufig, sich ausdrücklich auf das eine oder andere Kapitel festzulegen — und die in Art. 39 getroffene Unterscheidung zwischen Empfehlung und Beschluß über eine Maßnahme. Nach Art. 27 Abs. 3 ist Stimmenthaltung ausschließlich bei Beschlüssen geboten. Demgegenüber dürften aber verfahrensrechtliche Fragen oder „Empfehlungen" häufig Beschlüssen vorgeschaltet sein. Die Klärung der Vorfragen bestimmt daher schon das Abstimmungsverhalten der Mitglieder im Sicherheitsrat. Auch solche Empfehlungen, die Krisensituationen zum Gegenstand haben, bereiten Schwierigkeiten hinsichtlich der Abstimmungsprozedur. Begrifflich ist zwar zwischen „Situation" im Sinne von Art. 34 oder auch von Art. 36 in Verbindung mit Art. 33 (situation) sowie „Streitigkeit" (dispute) zu unterscheiden. Aber es erscheint auch offensichtlich, daß jede „Streitigkeit" eine „Situation" begründet, hingegen nicht jede Situation eine Streitigkeit. Die Schwierigkeiten hinsichtlich der Interpretation des Art. 27 sprechen dafür, die Vorschrift

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ausdehnend auszulegen und nicht nur auf Beschlüsse, sondern auch auf Empfehlungen anzuwenden. Für eine solche Auslegung spricht außerdem der Gesichtspunkt, daß alle Staaten, die in eine internationale Streitigkeit verwickelt sind, vor dem Sicherheitsrat eine vergleichbare Stellung haben sollten. Nach Art. 35 Abs. 1 ist jeder Staat, der nicht dem Sicherheitsrat angehört, berechtigt, eine für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit bedeutsame Angelegenheit vor den Rat zu bringen. Einmal gewährt die Charta allen diesen Staaten ein Initiativrecht gem. Art. 35 Abs. 1, zum anderen erlaubt sie nach Art. 31 und 32 die Teilnahme an Beratungen des Sicherheitsrates auch ohne Zugehörigkeit zu dem Organ. Die Teilnahme erfolgt jedoch, ohne daß gleichzeitig der jeweilige Staat ein Stimmrecht in den Beratungen erhielte. Schließlich ist der Sicherheitsrat verpflichtet, Staaten, die ihm nicht angehören, auch dann einzuladen, wenn sie bei einer Streitigkeit Partei sind, mit der sich der Sicherheitsrat befaßt oder sich zu befassen beabsichtigt. Nach Art. 31 ist die Pflicht zur Einladung des den Sicherheitsrat anrufenden Staates insoweit eingeschränkt, als seine Interessen „besonders betroffen" sein müssen; in der Praxis wird diese Voraussetzung großzügig gehandhabt. Nichtmitglieder der Vereinten Nationen werden eingeladen, wenn sie Streitpartei sind. Sie haben nach Art. 32 Satz 2 in Verbindung mit Regel 39 Vorläufige Geschäftsordnung des Sicherheitsrates nur das Recht, angehört zu werden. Grundsätzlich können nur Staaten (nach Art. 31, 32 und 34) an den Diskussionen des Sicherheitsrates teilnehmen. Dennoch wurde ein Vertreter der PLO zu der Sitzung des Sicherheitsrates vom 12. Januar 1976 zugelassen, auf der das Nahostproblem einschließlich der Palästinafrage zur Debatte stand. Der PLO-Sprecher erhielt Gelegenheit, den Standpunkt seiner Organisation darzulegen. Allein die USA hatten in der Verfahrensabstimmung gegen die Zulassung gestimmt. Sie hatten dabei auch den rechtlichen Einwand geltend gemacht, die PLO sei kein Staat und verneine das Lebensrecht eines Mitglieds der Vereinten Nationen (Israel). Durch die Regelung des Art. 31, den Nichtmitgliedern des Sicherheitsrates kein Stimmrecht zuzugestehen, wird die dominierende Stellung des Sicherheitsrats im System der Organisation der Vereinten Nationen wesentlich unterstrichen, insbesondere wenn man bedenkt, daß im Völkerbundsrat dem eingeladenen Staat das Stimmrecht gewährt worden war. Nach Art. 30 ist der Sicherheitsrat berechtigt, sich eme eigene Geschäftsordnung zu geben. Der Sicherheitsrat soll danach in periodischen Sitzungen zweimal im Jahr, in routinemäßigen wenigstens alle zwei Wochen und in Sondersitzungen auf Verlangen eines Mitglieds tagen. Die erste „regelmäßige" (Art. 28 Abs. 2) Sitzung (periodic meeting) — es ist dabei an Sitzungen gedacht, deren herausgehobene Bedeutung durch die Teilnahme von Regierungsmitgliedern oder anderen eigens dafür bestellten Delegierten unterstrichen wird — ließ schließlich bis zum 21. Oktober 1970 auf sich warten. Nach Art. 30 regelt der Sicherheitsrat auch die Wahl seines Präsidenten selber. Nach der Vorläufigen Geschäftsordnung wechselt der Vorsitz jeden Monat entsprechend der alppabetischen Reihenfolge der Namen der Mitgliedstaaten. Von besonderer Bedeutung ist jeweils die Festlegung der Tagesordnung für die Sitzungen des Sicherheitsrates, die in zwei Phasen durchgeführt wird. Zunächst wird die Tagesordnung gemeinsam mit dem Generalsekretär aufgestellt und als vorläufige Tagesordnung dem Sicherheitsrat zur endgültigen Annahme vorgelegt. Er entscheidet dann abschließend. Es handelt sich dabei um eine verfahrensrechtliche Frage. Ebenso kann auch jeder Tagesordnungspunkt wieder von der Agenda abgesetzt werden. Die Festlegung der Tagesordnung kann daher schon entscheidend Einfluß darauf gewinnen, ob überhaupt bestimmte Streitfälle im Sicherheitsrat zur Diskussion gebracht werden können. Der Sicherheitsrat wird unterstützt durch einige Nebenorgane gem. Art. 29 und 7 Abs. 2. Zwei ständige Ausschüsse, der Experten-Ausschuß für Verfahrensfragen und der Ausschuß für die Aufnahme neuer Mitglieder, stützen den Sicherheitsrat in Spezialfragen. Neben diesen beiden Ausschüssen sieht die Charta die Errichtung eines Generalstabsausschusses vor (Art. 47), der den Sicherheitsrat in Fragen der militärischen Sicherheit, des Friedens und der

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Friedenserhaltung beraten soll. Der Ausschuß besteht aus den Generalstabschefs der fünf ständigen Mitglieder. Er hat geringe Bedeutung. Neben den ständigen Ausschüssen besteht eine Anzahl von ad hoc-Ausschüssen, die für bestimmte Sonderangelegenheiten eingesetzt werden. Möglich ist auch die Einsetzung einer Einzelperson als ad hoc-Nebenorgan. Es ist schwierig, eine Beurteilung der Wirksamkeit des Sicherheitsrates im System der Vereinten Nationen abzugeben. Man kann den Sicherheitsrat nicht an dem Ideal eines Weltstaates messen, in dessen Rahmen er Exekutivfunktionen ausüben würde, die denen eines nationalstaatlichen Kabinetts gleichzustellen wären. Er war und wird auch in Zukunft eher ein Forum für Aussprachen und Diskussionen darstellen, in dem sich die öffentliche Meinung und verschiedene Interessenlagen widerspiegeln. Wird die Interessenlage von den Großmächten unterschiedlich beurteilt, kann der Sicherheitsrat als Kriseninstrument kaum seiner Rolle gerecht werden. Wird hingegen unter den Großmächten Übereinstimmung erzielt, bietet sich gerade die Organisation und Funktion des Sicherheitsrates als Kriseninstrument an. Beispiele für eher erfolgreiches Wirken des Sicherheitsrates sind etwa die Vermittlung in Indonesien (1947/48), die Einschaltung in die beiden offenen Auseinandersetzungen um Kaschmir (1948/49 und 1965: ->• Indischer Subkontinent), die Bemühungen um den Frieden auf Zypern und der Beitrag zur Beendigung des Jom-Kippur-Kriegs 1973 in ->· Nahost. Demgegenüber schwieg der Sicherheitsrat zum Vietnamkrieg, zu den sowjetischen Interventionen in Ungarn (1956) und in der CSSR (1968) sowie zum Sezessionskrieg Biafras (-* Nigeria). Sowjetische Vetos legten ihn im weiteren Verlauf des Koreakrieges (-» Korea) lahm, desgleichen im Zusammenhang mit dem indischen Einmarsch in Goa (1961) und in dem Konflikt zwischen Indien und Pakistan aus Anlaß der Ostbengalenkrise 1971 (-* Indischer Subkontinent). Mithin ist festzuhalten, daß die Effektivität des Sicherheitsrates innerhalb des Systems der Vereinten Nationen jeweils von der weltpolitischen Lage abhängig ist und den Veränderungen derselben unterliegt. Die Rolle und Funktion des Sicherheitsrates muß daher jeweils in konkreten Fällen beurteilt und an ihnen gemessen werden. Literatur Bailey: Voting in the Security Council, Bloomington/London 1969 Goodrich: The UN Security Council, in: Barros (ed.), The United Nations. Past, Present and Future, New York / London 1972, p. 16 Higgins: The Place of International Law in the Settlement of Disputes by the Security Council, in: AJIL vol. 64 (1970) p. 1 Hiscocks: The Security Council. A Study in adolescence, London 1973 Kewenig: Die Problematik der Bindungswirkung von Entscheidungen des Sicherheitsrates, in: Festschrift für Ulrich Scheuner, Berlin 1973, S. 259 Marschik / Neuhold: Der Sicherheitsrat, Wien 1973 Skupnik: Die Vetos im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, in: VN 1970 S. 13, 55, 129 Günther Doeker Verweise auf: Blockbildung; Entstehungsgeschichte; Friedenssicherung; Generalsekretär; Generalversammlung; IGH; Indischer Subkontinent; Korea; Mitgliedschaft; Nahost; Nigeria; Organisationssystem der Vereinten Nationen; Regionalabkommen; Revision der Charta; Sanktionen; Stimmrecht; Streitkräfte der Vereinten Nationen; Streitschlichtung; Treuhandrat; Zypern.

Sonderorganisationen

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Sonderorganisationen Sonderorganisationen sind zwischenstaatliche internationale Organisationen, die der Verwirklichung der in Art. 55 genannten Ziele der Vereinten Nationen dienen. So lobenswert diese Ziele sind, schon deren Aufzählung zeigt die Probleme auf, die das Streben nach deren Verwirklichung im Rahmen der Vereinten Nationen und der Sonderorganisationen auslöst. Auch hier wird Zusammenarbeit ausdrücklich auf der Basis der Gleichberechtigung und der Selbstbestimmung der Völker angestrebt. Selbst wenn man alle Zweifel nach dem Träger des -»· Selbstbestimmungsrechts der Völker beiseite läßt, unterstreicht seine Anführung in Verbindung mit der Gleichberechtigung das Recht der einzelnen Staaten auf Souveränität, ja auf „souveräne Gleichheit" innerhalb der Vereinten Nationen. Die gegenständlichen Ziele lassen sich aber nur durch Eingriffe, ζ. B. in die Bevölkerungs- und Familienpolitik der Mitgliedstaaten erreichen, die viele von ihnen als unvereinbar mit ihrer Souveränität empfinden. Der in diesen Zielen angesprochene Schutz der Menschenrechte umfaßt sowohl die „klassischen" bürgerlichen und politischen Menschenrechte als auch die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte. Dieser Rahmen ist also äußerst weit gespannt. Es gibt praktisch keine Tätigkeit eines Staates, die auf diese Weise nicht in die Kompetenz der Vereinten Nationen und einer ihrer Sonderorganisationen fiele. Zwecks Verwirklichung dieser Ziele erfüllen die Sonderorganisationen auf den Gebieten der Wirtschaft, des Sozialwesens, der Kultur, der Erziehung, der Gesundheit und auf verwandten Gebieten weitreichende internationale Aufgaben (Art. 57). Die Sonderorganisationen werden mit den Vereinten Nationen durch Abkommen in Verbindung gebracht, die der -»• ECOSOC gem. Art. 63 abschließt und die der Genehmigung der Generalversammlung bedürfen. Der ECOSOC kann die Tätigkeit der Sonderorganisationen koordinieren, indem er Konsultationen mit ihnen führt und an sie, an die Generalversammlung und an die Mitglieder der Vereinten Nationen Empfehlungen richtet (Art. 63). Die nach fast einheitlichem Muster abgefaßten Abkommen gem. Art. 63 präzisieren sowohl die Bedingungen zur Koordination der Tätigkeiten der einzelnen Sonderorganisationen und der Vereinten Nationen als auch die Bedingungen zur Koordination zwischen den einzelnen Sonderorganisationen. Sie sehen u. a. ein Mitspracherecht der Vereinten Nationen bei der Aufnahme von Nichtmitgliedstaaten der Vereinten Nationen in die Sonderorganisationen vor und ein gegenseitiges Recht zum Vorschlag der Aufnahme von Fragen in die Tagesordnung, eine Verpflichtung der Sonderorganisationen, Empfehlungen der Vereinten Nationen den zuständigen Organen der Sonderorganisationen zwecks Beschlußfassung zuzuleiten und auch sonst die Organe der Vereinten Nationen in ihren Aufgaben zu unterstützen. Sie geben den Sonderorganisationen das Recht, den IGH um Gutachten über Rechtsfragen zu ersuchen, sofern dieselben nicht die Beziehungen zwischen der Sonderorganisation und den Vereinten Nationen oder den anderen Sonderorganisationen zum Gegenstand haben. Sie statuieren das gegenseitige Recht auf Austausch von Unterlagen und Dokumenten und enthalten Bestimmungen über die Koordination der Verwaltungsdienste und technischen Dienste sowie den Austausch von statistischen Unterlagen zwecks Vermeidung von Doppelarbeit für die Mitgliedstaaten, die Sonderorganisationen und die Vereinten Nationen. Die Verträge sehen ferner vor, daß die Wahl des Sitzes der Sonderorganisationen und ihrer Außenstellen tunlichst mit der Wahl des Standorts entsprechender Gremien der Vereinten Nationen und anderer Sonderorganisationen koordiniert werden soll. So weit wie möglich soll auch ein einheitliches Personalrecht geschaffen werden, um den Austausch von Personal zu erleichtern (->• Öffentlicher Dienst, Internationaler). Die Sonderorganisationen besitzen eine eigene Rechtspersönlichkeit, die von deijenigen der Organisation der Vereinten Nationen verschieden ist. Bei ihnen handelt es sich um internationale Organisationen, die teils schon vor dem Völkerbund als selbständige Organi-

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Sonderorganisationen

sationen bestanden hatten (-> UPU; ITU), teils gleichzeitig mit ihm entstanden (-> ILO), teils erst im Zusammenhang mit der Gründung der Vereinten Nationen kuiz vor oder nach deren Errichtung geschaffen wurden (-* IMF; IBRD), gelegentlich durch Umwandlung aus Organisationen der Völkerbundzeit oder deren Einbeziehung (-» WMO; WHO; F AO; UNESCO; ICAO). Teils sind es spätere Neugründungen, die zur Erreichung der in Art. 55 dargelegten Ziele erforderlich wurden IFC; IDA; IMCO; WIPO). Keine Sonderorganisation im strengen Sinne der obigen Definition ist trotz starker Ähnlichkeit IAEA, da diese infolge der auch militärischen Bedeutung der Atomkraft nicht zu Kontakten mit dem ECOSOC, sondern mit der Generalversammlung und dem Sicherheitsrat verpflichtet ist. Eine Sonderstellung nimmt auch das -> GATT ein, das ursprünglich nur ein Teil eines Vertrages zur Gründung einer Sonderorganisation sein sollte, nämlich der Internationalen Handelsorganisation. Das GATT steht in enger Verbindung mit der Organisation der Vereinten Nationen, jedoch ohne vertragliche Bindung gem. Art. 63. Die Internationale Flüchtlingsorganisation (IRO) wurde aus politischen Gründen ihres Status als selbständige Sonderorganisation entkleidet. Ihre Aufgaben werden in begrenztem Umfang durch den Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (-* Flüchtlinge) wahrgenommen, der lediglich ein Spezialorgan der Vereinten Nationen ist. Versuche einiger Sonderorganisationen, von der Generalversammlung empfohlene Boykottmaßnahmen (->• Sanktionen) nicht mitzumachen, da diese politischen Maßnahmen den Sachinteressen der betreffenden Sonderorganisation zuwidergelaufen wären, führten dazu, daß neu entstandener Bedarf nach weltweiter, an die Vereinten Nationen angelehnter Zusammenarbeit auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet nicht mehr durch die Gründung neuer Sonderorganisationen befriedigt wird. Aus diesen — und auch anderen — Gründen hat die Generalversammlung Gremien wie -»• UNCTAD und -> UNIDO (vermutlich ab Ende 1976 Sonderorganisation) nur noch als Spezialorgane ohne eigene Rechtspersönlichkeit errichtet. Sie unterstehen auf diese Weise direkter den übergeordneten Hauptorganen (-> ECOSOC bzw. -»- Generalversammlung). Grundsätzlich streben alle Sonderorganisationen nach -* Universalität, die allerdings bei einigen von ihnen keineswegs erreicht wird. Der Kreis der Mitglieder der Sonderorganisationen deckt sich auch sonst nicht notwendigerweise mit demjenigen der Vereinten Nationen selbst. So war die ->· Bundesrepublik Deutschland schon lange vor ihrem Beitritt zu der Hauptorganisation Mitglied aller Sonderorganisationen. Die Verpflichtung der Sonderorganisationen zur Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen dient der Koordination ihrer Tätigkeit untereinander und mit der Hauptorganisation. Im Rahmen der Vereinten Nationen ist diese Koordination vornehmlich Aufgabe des ->· ECOSOC. Die Sonderorganisationen legen ihm ihren Haushalt (-» Beitragssystem, Haushalt) und jährliche Tätigkeitsberichte vor. Vertreter der Sonderorganisationen können durch Abmachungen berechtigt werden, ohne Stimmrecht an Sitzungen des ECOSOC und an den Beratungen der von ihm eingesetzten Kommissionen, insbesondere der Regionalen Wirtschaftskommissionen, sowie an Sitzungen anderer Sonderorganisationen teilzunehmen; ebenso kann Vertretern des ECOSOC gestattet werden, sich an den Beratungen der Sonderorganisationen zu beteiligen (Art. 70). Zur Koordination der Tätigkeiten der Hauptorganisation und verschiedener Sonderorganisationen sind überdies Spezialorgane geschaffen worden, insbesondere auf dem Gebiet der Entwicklungspolitik, z. B. das -»• UNDP. Auf Grund ihrer eigenen Satzungen sind die Sonderorganisationen zum Teil verpflichtet, Entscheidungen der Hauptorganisation oder anderer Sonderorganisationen zu übernehmen. Auch kann die Mitgliedschaft in einer Sonderoiganisation an die in einer anderen gebunden sein (Beispiel: IBRD an IMF). In dem Organ der Sonderorganisation, in dem alle Mitgliedstaaten vertreten sind, haben meistens alle Staaten eine Stimme. Bei IMF, IBRD, IDA und IFC herrscht dagegen Stimmenwägung (-> Stimmrecht). Die Sonderorganisationen halten direkte Verbindung mit dem jeweils zuständigen Fachministerium der einzelnen Mitgliedstaaten und den einschlägigen -»• Nichtstaatlichen Organi-

Sonderorganisationen

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sationen. Die erwünschte Fachverbundenheit der Sonderorganisationen wird auch dadurch verstärkt, daß die Staaten als ihre Vertreter zu den einzelnen Sonderorganisationen oft keine Diplomaten, sondern Beamte aus den zuständigen Fachministerien entsenden. Die meisten Sonderorganisationen sind zu ihrer Finanzierung auf Beiträge der Mitgliedstaaten angewiesen. Diese sind verpflichtet, nach einem bestimmten Schlüssel jährlich zu den Kosten der Sonderorganisationen beizutragen (-+ Beitragssystem, Haushalt). Zur Abdeckung außerordentlicher Ausgaben können die Sonderorganisationen auch Anleihen auflegen (ζ. B. UNESCO zur Rettung der nubischen Tempel). Die Sonderorganisationen genießen Vorrechte und Befreiungen auf Grund eines Abkommens vom 21. November 1947 (in der Fassung des BGBl. 1964 II S. 187), das „allgemeine Bestimmungen" für alle Sonderorganisationen enthält, in Anhängen aber auf die besonderen Probleme jeder einzelnen eingeht. Die Sonderorganisationen, ihre Vermögen und ihre Guthaben genießen ohne Rücksicht darauf, wo und in wessen Besitz sie sich befinden, Befreiung von der Gerichtsbarkeit, soweit sie nicht im Einzelfall ausdrücklich darauf verzichtet haben. Ein solcher Verzicht erstreckt sich jedoch nicht auf Vollstreckungsmaßnahmen. Die Räumlichkeiten, das Vermögen und die Archive der Sonderorganisationen sind unverletzlich und jedem Eingriff durch die vollziehende Gewalt oder Justiz entzogen. Die Sonderorganisationen, ihre Guthaben, Einkünfte und sonstigen Vermögenswerte sind befreit von jeder direkten Steuer und von Zoll sowie Ein- und Ausfuhrbeschränkungen für Gegenstände ihres amtlichen Gebrauchs und für ihre Veröffentlichungen. Die Sonderorganisationen unterliegen keinen Devisenbestimmungen, ihr amtlicher Nachrichtenverkehr ist von allen Aufsichts- und Zensurmaßnahmen in gleicher Weise befreit wie der der Diplomaten. Die Vertreter (-> Vertretung) der Mitgliedstaaten bei den Sonderorganisationen und das Personal dieser Vertretungen genießen die gleichen Vorrechte und Befreiungen wie ausländische Diplomaten; das Personal der Sonderorganisationen hat die Rechte ausländischer Konsuln (Befreiung von Gerichtsbarkeit und Steuern nur für Diensthandlungen). In einem Sitzabkommen verpflichten sich der oder die Staaten, in denen die Sonderorganisation ihren Sitz hat oder ihre Tätigkeit ausübt, freien Zugang zu den Dienststellen der Sonderorganisationen für alle zu gewähren, die dienstlich dort zu tun haben. Der Personalaufbau der Sonderorganisationen gleicht dem der Hauptorganisation (-» Öffentlicher Dienst, Internationaler). Im Gründungsstadium der Vereinten Nationen war vorgeschlagen worden, alle weltweiten Tätigkeiten auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet der Hauptorganisation zu übertragen. Man entschied sich dann doch für die Schaffung von Sonderorganisationen, insbesondere in dem Bestreben, politische Diskussionen von fachlicher Zusammenarbeit zu trennen. Hierzu dienen auch die direkten Fachkontakte, die zum Teil zu einem anderen Verhalten der Staatenvertreter in den Sonderorganisationen führten als in der Generalversammlung. Dem Willen der Generalversammlung entsprechend richten aber auch viele Sonderorganisationen nunmehr ihr Handeln eher nach politischen als nach fachlich-technischen Gesichtspunkten aus. Der Boykott politisch mißliebiger Staaten erhält Vorrang vor der gerade bei diesen technischen Sonderorganisationen besonders wichtigen Universalität der Mitgliedschaft. Der Hauptgrund für die Absonderung der Sonderorganisationen von der Hauptorganisation fällt somit weg. Andererseits ist die Koordination zwischen den verschiedenen Sonderorganisationen und der Hauptorganisation auf technischem Gebiet oft recht mangelhaft. Besonders im Bereich der Entwicklungspolitik und Technischen Hilfe (-> Technische Hilfe, Technologietransfer) gibt es viel Doppel- und Dreifacharbeit. Es wäre dennoch nicht einfach, nunmehr zu der Konzeption einer einzigen weltweiten Organisation zurückzukehren, also alle Sonderorganisationen in der Hauptorganisation aufgehen zu lassen. Die Reibungsverluste in einer solchen Monsterorganisation wären nicht viel kleiner als heute. Überdies haben die Sonderorganisationen ein starkes Eigenleben entwickelt, so daß solche Pläne wohl auch an ihrem Widerstand und dem der Fachministerien und Organisationen der einzelnen Mitgliedstaaten scheitern dürften.

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Souveränität

Literatur Dagory: Les rapports entre les institutions spécialisées et l'Organisation des Nations Unies, in: RGDIP vol. 73 (1969) p. 285 Dicke: Die administrative Organisation der Entwicklungshilfe durch die Vereinten Nationen, Frankfurt/M. 1972 Michaels: International Privileges and Immunities, The Hague 1971 Rose (Hrsg.): Die Organisation der Vereinten Nationen. Dokumente Teil III. Die Spezialorganisationen der Vereinten Nationen, (Ost-) Berlin 1962 Schermers: International Institutional Law, 3 vols., Leiden 1 9 7 2 - 7 4 Seidl-Hohenveldern: Das Recht der Internationalen Organisationen einschließlich der Supranationalen Gemeinschaften, 2. Aufl., Köln/Berlin/Bonn/München 1971 Spröte/Wünsche und Autorenkollektiv: Die ökonomischen Organe und Organisationen der Vereinten Nationen, (Ost-) Berlin 1973 Stoessinger: Financing the UN System, Washington 1964 Ignaz Seidl-Hohenveldern Verweise auf: Beitragssystem, Haushalt; Bundesrepublik Deutschland; ECOSOC; Entwicklungspolitik; FAO; Flüchtlinge; GATT; Generalversammlung; IAEA; IBRD; ICAO; IDA; IFC; ILO; IMCO; IMF; ITU; Nichtstaatliche Organisationen; Öffentlicher Dienst, Internationaler; Sanktionen; Selbstbestimmungsrecht; Souveränität; Stimmrecht; Technische Hilfe, Technologietransfer; UNCTAD; UNDP; UNESCO; UNIDO; Universalität; UPU; Vertretung; Völkerbund; WHO; WMO.

Souveränität Souveränität als

Rechtsbegriff

Der Begriff der Souveränität, dessen Wortstamm auf das mittellateinische Wort ,,superanus" (= oberhalb befindlich) zurückgeht, bezeichnet die Eigenschaft einer gesellschaftlichen Macht, ,,zu höchst zu sein". Diese Eigenschaft wird seit Bodin dem neuzeitlichen Territorialstaat zugeschrieben, wobei freilich der Superlativ des ,,Zu-höchst-sein" nach einer frühen absolutistischen Übersteigerung inzwischen relativiert worden ist. Heute bedeutet staatliche Souveränität, daß die Machtbefugnisse des Staates weder im Innern durch nichtstaatlich legitimierte Gewalten, wie Interessenverbände und Wirtschaftsunternehmen, noch von außen her durch andere Staaten, internationale Organisationen oder multinationale Unternehmen grundsätzlich in Frage gestellt werden. Letztlich beinhaltet eine derartige Feststellung — reale Machtverhältnisse lassen sich nicht exakt messen — ein rational kaum überprüfbares Werturteil. Die Unsicherheiten der sozialwissenschaftlichen Fundierung des Souveränitätsbegriffs spiegeln sich in der Vielfalt rechtlicher Probleme, die sich als Souveränitätsprobleme verstehen lassen, wider, denn rechtlich bedeutet Souveränität nichts anderes, als daß der durch obige Definition umschriebene faktische Zustand rechtlich garantiert ist: Die Staatsgewalt ist im Innern gegen ein Übergreifen nichtstaatlich legitimierter Gewalten (innere Souveränität) und nach außen gegen ein Übergreifen anderer Staaten, internationaler Organisationen oder multinationaler Unternehmen (äußere Souveränität) zu schützen. Im folgenden ist lediglich auf die äußere Souveränität des Staates einzugehen, und zwar nur unter den Aspekten, die in Recht und Praxis der Vereinten Nationen eine Rolle spielen.

Unabhängigkeit gegenüber anderen Staaten

Unabhängigkeit und

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Zwischenabhängigkeit

Ein Staat kann nur dann „zu höchst sein", wenn er unabhängig ist. Unabhängigkeit ist der wichtigste Aspekt äußerer Souveränität. Angesichts der bestehenden ökologischen, wirtschaftlichen und technischen Bedingungen kann es heute keine staatliche Unabhängigkeit im Sinne abgeschlossener Territorialstaatlichkeit mehr geben. Alle Staaten stehen heute in einem wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis voneinander. Diese Zwischenabhängigkeit oder Interdependenz findet ihren rechtlichen Niederschlag in einem immer enger werdenden Netz völkerrechtlicher Normen. Unabhängigkeit und Zwischenabhängigkeit stehen jedoch dann in keinem Gegensatz zueinander, wenn man den Begriff Unabhängigkeit als „Befehlsunabhängigkeit" in Abgrenzung zur „Ordnungsunabhängigkeit" versteht. Im Sinne von Befehlsunabhängigkeit bedeutet Unabhängigkeit, daß ein Staat nicht wesentlich fremdbestimmt ist, d. h. er hat nicht regelmäßig und in größerem Umfang Weisungen eines anderen Staats zu beachten, und wird auch nicht von einer internationalen Organisation oder einem multinationalen Unternehmen gesteuert. Daher schließt der heutige relativierte Souveränitätsbegriff völkerrechtliche Bindungen nicht aus. Dies gilt sogar für solche völkerrechtliche Bindungen, denen der jeweilige Staat nicht individuell zugestimmt hat, sofern nur ein allgemeiner Konsens über die Geltung dieser Normen nachgewiesen werden kann. Unabhängigkeit gegenüber anderen Staaten Die (Befehls-) Unabhängigkeit gegenüber anderen Staaten fehlt bei Gliedstaaten eines Bundesstaats sowie bei Kolonien, Protektoraten und sonstigen kolonialen Abhängigkeitsverhältnissen. Sie ist gefährdet bei Mikrostaaten, die in einer engen Verbindung zu einem bestimmten anderen Staat stehen, und bei militärischen und wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnissen (Hegemonialsysteme, Neokolonialismus). Im Recht der Vereinten Nationen gehört die staatliche Unabhängigkeit zu den zwar nicht ausdrücklich genannten, aber allgemein anerkannten Voraussetzungen, die bei der Aufnahme eines Staats als Mitglied der Vereinten Nationen erfüllt sein müssen (->• Mitgliedschaft). In der Regel sind neue Staaten unmittelbar nach Erlangung der Unabhängigkeit in die Vereinten Nationen aufgenommen worden. Gelegentlich ist die Aufnahme aus politischen Gründen verzögert worden. Die tatsächlichen Anforderungen an die Unabhängigkeit sind mitunter, insbesondere im Falle einiger Mikrostaaten, recht großzügig beurteilt worden. Die Verleihung der Mitgliedschaft trägt aber ihrerseits zur Konsolidierung der Unabhängigkeit eines neuen Staates bei. Die Aufnahme eines Staates als Mitglied der Vereinten Nationen ist zwar nicht gleichbedeutend mit einer Anerkennung dieses Staates durch alle Mitglieder (ζ. B. wird Israel, seit über 20 Jahren Mitglied der Vereinten Nationen, von den arabischen Staaten bis heute nicht anerkannt), dennoch läßt sich eine derartige Politik der Nichtanerkennung nach Verleihung der Mitgliedschaft politisch nur noch schwer aufrecht erhalten. Durch Aufwertung des Status, den -»· Befreiungsbewegungen innerhalb der Vereinten Nationen einnehmen, hat man versucht, diesen Konsolidierungseffekt schon in einem früheren Stadium eintreten zu lassen und den Prozeß der Erlangung der Unabhängigkeit auf diese Weise bei bestimmten Staaten zu beschleunigen. Die Vereinten Nationen haben sich nicht nur für den Schutz der Unabhängigkeit (-*• Friedenssicherung), sondern auch für die Erlangung der Unabhängigkeit eingesetzt. So ist der Prozeß der -» Entkolonialisierung durch die Vereinten Nationen ganz wesentlich gefördert worden. Strenggenommen haben sich freilich die Bemühungen um die Entkolonialisierung gegen die Unabhängigkeit und Souveränität anderer Staaten, nämlich der Kolonialmächte, gerichtet. Insofern geraten friedenssichernder Schutz der Unabhängigkeit und - mit der Unterstützung von Befreiungsbewegungen verbundene — Förderung der Verselbständigung miteinander in Konflikt (-» Selbstbestimmungsrecht). Schwerwiegende Probleme treten auf, wenn man nicht nur die Loslösung klar umgrenzter Gebiete von einem bestimmten Mutter-

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Souveränität

land, sondern auch die Änderung von Herrschaftsstrukturen innerhalb eines Staates als Problem der Entkolonialisierung begreift (-• Südliches Afrika). Im Rahmen der Tätigkeit der Vereinten Nationen nehmen die Bemühungen um einen Abbau wirtschaftlicher Abhängigkeiten einen hervorragenden Platz ein (_-*• Entwicklungsländer; Nord-Süd-Konflikt; Weltwirtschaftsordnung). Als Beispiel kann auf die Entwicklung des völkerrechtlichen Enteignungsrechts durch Resolutionen der Generalversammlung — ganz unabhängig von der Frage ihrer rechtlichen Verbindlichkeit (-* Resolution, Erklärung, Beschluß) — verwiesen werden: Das Ziel besteht darin, Enteignungen und insbesondere Verstaatlichungen zu erleichtern, um auf diese Weise die Kontrolle über das wirtschaftliche Geschehen im eigenen Staatsgebiet zu gewinnen und strukturpolitische Änderungen, die meist auf eine Verstärkung der planwirtschaftlichen Elemente der Wirtschaftspolitik hinauslaufen, vorzubereiten. Ausgangspunkt war die Feststellung, daß die freie Verfügung über die natürlichen Reichtümer eines Landes Bestandteil der staatlichen Souveränität sei (GA Res. 626 (VII) vom 21.12.1952). Eine ausdrückliche Verbindung zum völkerrechtlichen Enteignungsrecht wurde zehn Jahre später in der Resolution „Permanent Sovereignty over Natural Resources" hergestellt (GA Res. 1803 (XVII) vom 14.12.1962). Diese Resolution sieht vor, daß bei Enteignungen nach Maßgabe des innerstaatlichen Rechts des Enteignerstaats und nach Maßgabe des Völkerrechts eine angemessene Entschädigung zu zahlen ist. Nach einer Vielzahl weiterer Resolutionen wurde das Recht auf freie Ausübung der vollen und dauernden Souveränität schließlich in Art. 2 der Charta über die wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten (GA Res. 3281 (XXIX) vom 12.12.1974) wie folgt konkretisiert: Jeder Staat ist berechtigt, ausländisches Eigentum zu enteignen, wobei eine angemessene Entschädigung durch den Enteignerstaat unter Berücksichtigung seiner einschlägigen Gesetze und Vorschriften und aller von ihm als maßgeblich angesehenen Umstände gezahlt werden „sollte". Außerdem sind Streitigkeiten über die Frage der Entschädigung nach dem Recht und vor den Gerichten des Enteignerstaats auszutragen. Die in der Resolution 1803 enthaltene Bezugnahme auf das Völkerrecht fehlt. Eine Reihe völkerrechtlicher Normen, die zum Teil in der Charta der Vereinten Nationen selbst verankert sind und zum Teil in Resolutionen der Generalversammlung ihren Niederschlag gefunden haben, sind dem Schutz der Unabhängikeit gegenüber anderen Staaten gewidmet: Das in Art. 2 Ziff. 4 enthaltene Gewaltverbot gehört heute zu den anerkannten Bestandteilen des allgemeinen Völkerrechts (-> Friedenssicherung). Nach allgemeinem Völkerrecht sind auch Einmischungen in innere Angelegenheiten anderer Staaten unterhalb der Stufe der Gewaltanwendung verboten. Das zwischenstaatliche Einmischungsverbot ist zwar nicht in Art. 2 Ziff. 7 — diese Bestimmung richtet sich allein gegen die Organisation der Vereinten Nationen —, aber in der „Erklärung über die Grundprinzipien des Völkerrechts über die freundschaftlichen Beziehungen und die Zusammenarbeit zwischen den Staaten" (GA Res. 2625 (XXV) vom 24.10.1970) niedergelegt worden (-»· Intervention). Unabhängigkeit gegenüber internationalen

Organisationen

Mit dem Abschluß von Verträgen über die Gründung internationaler Organisationen übernehmen die Staaten vielfältige völkerrechtliche Verpflichtungen. Die durch derartige Verträge gegründeten internationalen Organisationen wirken darüber hinaus durch die Tätigkeit ihrer Organe in einer schwer vorausberechenbaren Weise auf Rechte und Interessen der Staaten ein. Anders als bei supranationalen Organisationen sind die rechtlichen Wirkungen aber auf die völkerrechtliche Ebene beschränkt: Rechtsakte internationaler Organisationen beanspruchen keinen Vorrang im Recht der Mitgliedstaaten und wirken nicht in unmittelbarem Durchgriff für und gegen die Bürger der Mitgliedstaaten. Gegenüber internationalen Organisationen bleibt die staatliche Unabhängigkeit stets gewahrt. Ein Souveränitätsverlust tritt nicht ein. In supranationalen Organisationen kann diese Frage anders zu beurteilen sein. Es wäre theoretisch denkbar, daß die Souveränität zwischen den Mitgliedstaaten und der supranationalen Organisation aufgeteilt wird. Dies hätte zumindest eine qualitative Verande-

Souveräne Gleichheit

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rung, wenn nicht eine Auflösung des Souveränitätsbegriffs zur Folge. Selbst in den -»• Europäischen Gemeinschaften, die eindeutig die Schwelle zur supranationalen Organisation überschritten haben, ist dieses Stadium noch nicht erreicht worden. Ein Grund liegt darin, daß, jedenfalls solange die Bildung einer Wirtschafts- und Währungsunion aussteht, der Schwerpunkt der wirtschaftspolitischen Kompetenzen nach wie vor bei den Mitgliedstaaten liegt. Außerdem hat sich die politische Willensbildung der Gemeinschaften noch nicht genügend verselbständigt, weil sie vor allem im Ministerrat nach einem faktischen Einstimmigkeitsprinzip von allen Mitgliedstaaten gesteuert wird. Die Vereinten Nationen sind eindeutig dem Typus internationaler und nicht dem supranationaler Organisationen zuzurechnen. Wegen des Fehlens eines Integrationsziels und wegen der Divergenz der politischen Interessen ist nicht anzunehmen, daß sich die Vereinten Nationen in Zukunft zu einer supranationalen Organisation oder gar zu einem Weltstaat entwickeln werden. Die Vereinten Nationen lassen die Souveränität ihrer Mitgliedstaaten unberührt. Nur auf regionaler Ebene könnte die staatliche Souveränität ganz oder teilweise auf supranationale Organisationen übergehen. Soweit dies geschieht, kann sich allerdings die Frage stellen, ob die -*· Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen nicht von den Mitgliedstaaten der supranationalen Organisation auf diese Organisation selbst übergeleitet werden muß.

Unabhängigkeit gegenüber multinationalen Unternehmen Die -* multinationalen Konzerne haben in ihren Gaststaaten und mitunter auch in ihrem Heimatstaat, also in dem Staat, in dem sich der Sitz der Muttergesellschaft befindet, erheblichen politischen Einfluß gewonnen. Es ist nicht überraschend, daß dieser Einfluß von manchen Staaten als Gefährdung der staatlichen Unabhängigkeit empfunden wird. Gerade unter diesem Aspekt haben auch die Vereinten Nationen begonnen, sich mit dem Problem der Kontrolle multinationaler Unternehmen zu beschäftigen. Entgegen einer weitverbreiteten Meinung ist jedoch festzuhalten, daß sich multinationale Unternehmen staatlicher Kontrolle letztlich nicht entziehen können. Da Wirtschaftsunternehmen heute — anders als zur Zeit der Ostindien-Kompanien — über keine militärischen Machtmittel verfügen, unterliegen sie nicht nur in ihrem Heimatstaat, sondern auch überall dort, wo sich ihre Vermögenswerte befinden, potentiell staatlicher Kontrolle. Die Vereinigten Staaten haben als Heimatstaat der meisten multinationalen Unternehmen im Bereich des Kartellrechts deutlich gezeigt, daß weltweite Aktivitäten national gesteuert werden können. Freilich ist von diesen Steuerungsmöglichkeiten in anderen Fragen, ζ. B. in der Frage der Beeinflussung ausländischer Regierungsmitglieder durch Bestechungsgelder (vgl. GA Res. 3514 (XXX) vom 15.12.1975), nicht oder nur unvollkommen Gebrauch gemacht worden. Dies ist jedoch ein politisches Problem. An der rechtlichen Verantwortung der Staaten, die zur Steuerung der jeweiligen Unternehmen in der Lage sind, ist auch dann nicht zu zweifeln, wenn diese Staaten die inländische und ausländische Tätigkeit multinationaler Unternehmen als Angelegenheit gesellschaftlicher Selbstregulierung betrachten und von jeglichen staatlichen Eingriffen absehen. Die Souveränität und Unabhängigkeit wirtschaftlich schwacher Staaten wird letztlich nicht durch multinationale Unternehmen, sondern durch die jeweils rechtlich verantwortlichen Staaten gefährdet. Der Schutz und die Erlangung der Unabhängigkeit gegenüber multinationalen Unternehmen stellt daher nur einen Teilaspekt des bereits erwähnten Problems wirtschaftlicher Unabhängigkeit gegenüber anderen Staaten dar.

Souveräne Gleichheit Das gemeinsame Merkmal der äußeren Souveränität verschafft allen Staaten die gleiche Rechtsstellung. Daher gehört auch der Grundsatz der souveränen Gleichheit zum Inhalt des Souveränitätsprinzips.

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Souveränität

Der Grundsatz der souveränen Gleichheit ist unbestrittener Bestandteil des allgemeinen Völkerrechts. Er wird in der Präambel der Charta der Sache nach („equal rights . . . of nations large and small") u n d in Art. 2 Ziff. 1 ausdrücklich als eines der konstitutiven Prinzipien der Vereinten Nationen genannt. Vielleicht noch wichtiger als dieses Bekenntnis zur souveränen Gleichheit ist die institutionelle Verwirklichung durch die Regelung des -> Stimmrechts in der Generalversammlung. In der Praxis der Vereinten Nationen ist der Grundsatz der souveränen Gleichheit oft angewandt worden. Er stellt auch eines der „Grundprinzipien des Völkerrechts über die freundschaftlichen Beziehungen und die Zusammenarbeit zwischen den Staaten" dar (GA Res. 2625 (XXV) vom 24.10.1970). Die zwischen den Staaten bestehenden faktischen Ungleichheiten sind nicht zu übersehen. Insofern kann es sich bei dem Grundsatz der souveränen Gleichheit nur um eine rechtliche Gleichheit handeln. Die faktische Ungleichheit wirkt sich allerdings auch auf den rechtlichen Status aus: In der koordinationsrechtlichen Ordnung des Völkerrechts gelingt es mächtigen Staaten immer wieder, sich von weniger mächtigen Staaten durch völkerrechtliche Verträge Sonderrechte einräumen zu lassen. Dies ist auch in der Charta der Vereinten Nationen geschehen. Fünf Staaten sind ständige Mitglieder des Sicherheitsrates und besitzen als solche ein Vetorecht (-> Stimmrecht). Wegen des besonderen wichtigen Zuständigkeitsbereichs des Sicherheitsrates nehmen sie damit eine hervorgehobene Stellung ein. Das faktische Machtgefalle hat rechtlich einen Niederschlag gefunden und wohl auch, wenn man nicht den Bestand der Vereinten Nationen hätte gefährden wollen, finden müssen. Durch diese und andere vertraglich vereinbarte Sonderrechte wird jedoch nicht der Inhalt des Grundsatzes der souveränen Gleichheit auf eine bloße Gleichheit „vor" dem Völkerrecht reduziert. Gleichheit vor dem Völkerrecht würde bedeuten, daß die völkerrechtlichen Normen nicht willkürlich angewandt werden dürfen, wobei aber ihr Inhalt beliebige Differenzierungen enthalten kann. Der Grundsatz der souveränen Gleichheit, dem eindeutig eine egalitäre Komponente zukommt, beeinflußt jedoch auch den Inhalt des Völkerrechts. Die bestehenden und die sich neubildenden Normen des allgemeinen Völkerrechts konkretisieren den Gedanken der Gleichheit der Staaten. Selbst in völkerrechtlichen Verträgen werden in der Regel paritätische Verpflichtungen übernommen. Zweifelhaft ist allerdings, ob der Grundsatz der souveränen Gleichheit in Extremfällen als ius cogens gemäß Art. 53 der Wiener Vertragsrechtskonvention „ungleichen" völkerrechtlichen Verträgen vorgeht (-»• Abkommen, Verträge). Eine nicht unbedenkliche Entwicklung geht dahin, „ungleichen" Verträgen mit der Begründung, daß sie unter Androhung politischer oder wirtschaftlicher Gewalt zustande gekommen seien, gemäß Art. 52 der Wiener Vertragsrechtskonvention die Wirksamkeit abzusprechen (vgl. die Erklärung über das Verbot militärischen, politischen oder wirtschaftlichen Zwangs beim Abschluß von Verträgen, enthalten im Anhang der Schlußakte der Vertragsrechtskonferenz der Vereinten Nationen vom 23.5.1969, Doc. A/Conf. 39/26).

Nationale und internationale

Zuständigkeit

Nach dem überholten absoluten Souveränitätsbegriff sind die Staaten befugt, ohne jede völkerrechtliche Bindung frei zu entscheiden. Im Rahmen des heute allein maßgeblichen relativen Souveränitätsbegriffs ist dieses Recht zur freien Entscheidung auf einen bestimmten Bereich von Angelegenheiten beschränkt. Dieser Bereich nationaler Zuständigkeit, der auch als Vorbehaltsbereich (= domestic jurisdiction, domaine réservé) bezeichnet wird, ist von dem Bereich der internationalen Zuständigkeit per definitionem dadurch abgegrenzt, daß es sich um völkerrechtlich nicht geregelte Angelegenheiten handelt. Eine inhaltliche Definition der nationalen Zuständigkeit ist nicht möglich, denn völkerrechtliche Verträge können sich grundsätzlich mit Angelegenheiten jeder Art befassen. Auch ist der Bereich der durch das allgemeine Völkerrecht geregelten Angelegenheiten ständigen Veränderungen unterworfen. So unterlag das Verhältnis des Staates zu seinen Staatsangehörigen bis in die jüngste Vergan-

Zwischenstaatliche Zuständigkeitsordnung

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genheit hinein keinen völkerrechtlichen Regelungen, so daß selbst grobe Verletzungen der Menschenrechte dem Bereich nationaler Zuständigkeit unterfielen. Die Regierung der Republik Südafrika hatte sich mit diesem Argument immer wieder gegen die Behandlung der Rassenfrage vor den Vereinten Nationen gewandt (-»• Südliches Afrika). Inzwischen haben die Menschenrechte, die in der Charta der Vereinten Nationen an verschiedenen Stellen erwähnt werden ( ζ . B . Präambel Satz 2, Art. 1 Ziff. 3 , Art. 55 c), nicht zuletzt unter dem Einfluß der Vereinten Nationen Eingang in viele völkerrechtliche Verträge (-»· Menschenrechte) und — in ihrem elementaren Gehalt — wohl auch in das allgemeine Völkerrecht gefunden. Der Bereich der internationalen Zuständigkeit hat sich insofern ganz wesentlich zu Lasten des Bereichs der nationalen Zuständigkeit erweitert. Nach Art. 2 Ziff. 7 sind die Vereinten Nationen — außer bei Anwendung der in Kapitel VII vorgesehenen Sanktionen — nicht berechtigt, in Angelegenheiten einzugreifen, „which are essentially within the domestic jurisdiction o f any state". Während die den Vereinten Nationen eingeräumten Befugnisse in der Charta einzeln aufgeführt sind, enthält diese Bestimmung einen generellen Vorbehalt der nationalen Zuständigkeit. Staaten, die in eine politische Isolierung geraten sind, können aber Eingriffe in den Bereich ihrer nationalen Zuständigkeit letztlich nicht abwehren (-» Intervention). Zwischenstaatliche

Zuständigkeitsordnung

Die Abgrenzung zwischen nationaler und internationaler Zuständigkeit ist für die Abgrenzung der Zuständigkeit der Staaten untereinander, also für die zwischenstaatliche Begrenzung der Souveränität, nicht ohne weiteres maßgeblich: Die Feststellung, daß eine bestimmte Angelegenheit völkerrechtlich nicht geregelt ist, enthält keine Aussage darüber, welcher Staat zur Regelung der Angelegenheit befugt ist. Die zwischenstaatliche Zuständigkeitsordnung ergibt sich aus anderen völkerrechtlichen Normen, die die staatlichen Souveränitätsrechte konkretisieren. Auszugehen ist von dem Grundsatz der souveränen Gleichheit. Danach darf jeder Staat grundsätzlich alle denkbaren Staatsaufgaben wahrnehmen. Die völkerrechtliche Zuständigkeitsordnung baut nicht auf sachlichen, sondern auf räumlichen Kriterien auf. Die Geltung und die Erzwingbarkeit des staatlichen Rechts sind auf das jeweilige Staatsgebiet begrenzt; d. h. den Staaten ist es verboten, Hoheitsakte in dem Gebiet anderer Staaten vorzunehmen. Dieser Grundsatz der Territorialität des Geltungsbereichs staatlicher Hoheitsakte ist unbestrittener Bestandteil der staatlichen Souveränität. In vielfacher Hinsicht umstritten sind jedoch die Grenzen der staatlichen Territorien. Die Landmasse der Erde ist durch konkrete Grenzziehungen verteilt. Über den Verlauf der Grenzen finden oft erbitterte Auseinandersetzungen statt. In vielen Fällen sind die Vereinten Nationen zur Schlichtung territorialer Streitigkeiten eingeschaltet worden. Die Abgrenzung des Staatsgebiets gegenüber der Hohen See und im Luftraum und die Zuständigkeitsordnung im Weltraum ergeben sich aus abstrakten völkerrechtlichen Regeln, in deren Rahmen die Staaten in beschränktem Umfang zu individuellen Festsetzungen, z. B. bei der Bestimmung der Ausdehnung des Küstenmeeres, befugt sind. Insbesondere die seewärtige Ausdehnung des staatlichen Zuständigkeitsbereichs, die mannigfachen funktionalen Abstufungen unterliegt (Recht, Schiffen anderer Staaten die Durchfahrt zu verweigern; Fischereirecht; Recht auf Ausbeutung des Meeresgrundes und Meeresuntergrundes usw.), ist in Bewegung geraten. Die Vereinten Nationen haben gerade in diesem Bereich des Völkerrechts wesentliche Veränderungen, die im ganzen gesehen auf eine Erweiterung der staatlichen Souveränitätsrechte hinauslaufen, herbeigeführt (->· Seerecht). Neben dem Geltungsbereich staatlicher Hoheitsakte ist auch der Anwendungsbereich staatlicher Hoheitsakte völkerrechtlich geregelt. Unter dem Anwendungsbereich staatlicher Hoheitsakte ist die Umgrenzung der Sachverhalte zu verstehen, auf die sich staatliche Hoheitsakte beziehen.

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Souveränität

Früher wurden die Staaten als zuständig angesehen, das Verhalten innerhalb ihres Staatsgebietes zu regeln (Territorialitätsprinzip). Auf diese Weise ergab sich eine Ordnung ausschließlicher, territorialer Zuständigkeiten, die lediglich durch das Recht, die im Ausland vorgenommenen Handlungen der eigenen Staatsangehörigen zu erfassen (Personalitätsprinzip), ergänzt wurde. Inzwischen hat sich gezeigt, daß insbesondere im Bereich der Wirtschaft o f t Handlungen, die in dem einen Staat vorgenommen werden, in einem oder mehreren anderen Staaten Fernwirkungen auslösen können. So beeinflussen etwa wettbewerbsbeschränkende Abreden, die zwischen Tochtergesellschaften zweier multinationaler Konzerne in einem Staat und im Hinblick auf einen bestimmten regional abgegrenzten Markt getroffen werden, das Verhalten anderer Konzerngesellschaften in vielen Staaten der Welt. Angesichts der hieraus resultierenden Auswirkungen auf die Wirtschaft mancher Staaten kann die Regelung eines derartigen wettbewerbsbeschränkenden Verhaltens nicht allein dem nach dem Territorialitätsprinzip und dem Personalitätsprinzip zuständigen Staat überlassen werden. Entscheidend ist letztlich der Ort, an dem die Wirkungen des Verhaltens auftreten. Daher ist anzunehmen, daß das Wirkungsprinzip sowohl das Territorialitätsprinzip als auch das Personalitätsprinzip überlagert. Angesichts der Anknüpfung an die Wirkungen kommt es aber noch mehr als bisher zu einer gleichzeitigen Zuständigkeit mehrerer Staaten. Der Interdependenz der Sachverhalte entspricht ein System konkurrierender staatlicher Zuständigkeiten. Dies bedeutet aber, daß die staatliche Zuständigkeitsordnung den Schutz der staatlichen Souveränität nicht mehr in ausreichendem Umfang sicherzustellen vermag. Damit steigt die Bedeutung der bei der Ausübung der Zuständigkeit zu beachtenden völkerrechtlichen Verhaltenspflichten. Gerade die Vereinten Nationen haben sich, ζ. B. durch Verabschiedung der Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten (GA Res. 3281 (XXIX) vom 12.12.1974), bemüht, den Gedanken der internationalen Solidarität zu völkerrechtlichen Verhaltenspflichten zu konkretisieren. Auch derartige Verhaltenspflichten vermögen die Funktionsfähigkeit der Staaten als selbständige politische Leitungszentren zu schützen. Der Übergang von der ausschließlichen Zuständigkeit geschlossener Flächenstaaten zur territorial verflochtenen Zuständigkeit selbständiger staatlicher Leitungszentren entspricht der Realität weltweiter Interdependenz und signalisiert den Wandel, nicht aber die Auflösung der staatlichen Souveränität. Literatur Anand: Sovereignty of States in International Law, in: Studies in Politics: National and International, prepared in honour of A. Appadorai, Delhi etc. 1971, p. 188 Bettati et al.: La Souveraineté au XX e Siècle, Paris 1971 Bindschedler, R. L.: Betrachtungen über die Souveränität, in: Recueil d'études de droit international en hommage à Paul Guggenheim, Genf 1968, S. 167 Dagtoglou: Souveränität, in: Evangelisches Staatslexikon, 2. Aufl., Berlin 1975, Sp. 2321 Delbrück: Regionale Zusammenschlüsse und ihre Auswirkung auf die Souveränität der Staaten, in: Frieden und Völkerrecht, Stuttgart 1973, S. 457 Doehring: Internationale Organisationen und staatliche Souveränität, in: Festgabe für Ernst Forsthoff, München 1967, S. 105 Flory: Souveraineté des états et coopération pour le développement, RCADI 141 (19741) p. 255 Ipsen, H. P.: Über Supranationalität, in: Festschrift für Ulrich Scheuner, Berlin 1973, S. 211 Kewenig (Hrsg.): Die Vereinten Nationen im Wandel, Berlin/München 1975 Klein, R. A. : Souvereign Equality Among States: The History of an Idea, Toronto-Buffalo 1974 Kooijmans: The Doctrine of the Legal Equality of States, Leyden 1964 Meessen: Völkerrechtliche Grundsätze des internationalen Kartellrechts, Baden-Baden 1975 Mughraby: Permanent Sovereignty over Oil Resources, Beirut 1966

Soziale Mindeststandards

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Ninòiè: The Problem of Sovereignty in the Charter and in the Practice of United Nations, Den Haag 1970 v. Simson: Die Souveränität im rechtlichen Verständnis der Gegenwart, Berlin 1965 Stankiewicz (ed.): In Defense of Sovereignty, New York/London/Toronto 1969 Karl Matthias Meessen Verweise auf: Abkommen, Verträge; Befreiungsbewegungen; Entkolonialisierung; Entwicklungsländer; Europäische Gemeinschaften; Friedenssicherung; Intervention; Menschenrechte; Mikrostaaten; Mitgliedschaft; Multinationale Konzerne; Nord-Süd-Konflikt; Resolution, Erklärung, Beschluß; Seerecht; Selbstbestimmungsrecht; Stimmrecht; Südliches Afrika; Weltwirtschaftsordnung.

Soziale Mindeststandards Begriff Die sozialen Mindeststandards beziehen sich auf die Rechtsvereinheitlichung innerhalb des Arbeitnehmerschutzes. Vorgeschichte Der Initiative der schweizerischen Regierung ist es zu verdanken, daß das Interesse der Staaten auf die Schaffung von sozialen Mindeststandards in der innerstaatlichen Gesetzgebung gelenkt wurde. Ein Vorschlag in diesem Sinne wurde zum ersten Mal im Rahmen der Eidgenossenschaft im Jahre 1855 durch eine zwischenkantonale Initiative von der Standeskommission (Regierungsausschuß) des Kantons Glarus eingereicht. Der Dreifache Landrat (Kantonsparlament) hatte diese beauftragt, gegen die Regierungen von Kantonen mit Industrie vorzugehen. Das mehrmalige Übertreten einiger Vorschriften des kantonalen Gesetzes (bei der Landesgemeinde Glarus, 1848) stellte dessen Wirksamkeit in Frage, besonders da die Konkurrenten der anderen Kantone nicht an eine ähnliche Einschränkung gebunden waren. Diese Initiative führte im Jahre 1877 zum Bundesgesetz über Fabrikarbeit. Die gerechte Anwendung dieses Gesetztes in der Schweiz zeigte das Bedürfnis einer internationalen Arbeitsgesetzgebung. Bei den diplomatischen Umfragen des Schweizer Bundesrates im Jahre 1881 wiesen die Regierungen d a r a u f h i n , daß eine solche Gesetzgebung wegen der Interessendivergenzen der Staaten auf internationaler Ebene schwer zu verwirklichen sei. Im Jahre 1890 aber trat auf Einladung von Kaiser Wilhelm II. eine erste internationale Konferenz in Berlin zusammen. Das auf Grund des deutschen Vorschlags angenommene Programm unterschied sich von dem, das vorher von der schweizerischen Regierung ausgearbeitet worden war. Dieses Programm führte nur zu unverbindlichen Beschlüssen über folgende Hauptpunkte: 1. Arbeitsbedingungen im Bergbau, 2. Sonntagsruhe, 3. Kinderarbeit, 4. Arbeit von Jugendlichen, 5. Frauenarbeit, 6. Ausführung. Im Jahre 1900 trat in Paris der inoffizielle internationale Arbeitsschutzkongreß zusammen. Dieser Kongreß führte zur Gründung der privaten Internationalen Vereinigung für gesetzlichen Arbeiterschutz, die das Internationale Arbeitsamt, subventioniert von den Regierungen und mit festem Sitz in Basel, errichtete. Auf ihre Veranlassung wurden zwei Expertenkonferenzen und eine Diplomatenkonferenz in Bern einberufen. Für die erste Expertenkonferenz, die im Jahre 1905 stattfand, wurden zwei Übereinkommen vorbereitet: Das eine über das Verbot der Verwendung von weißem Phosphor bei der Herstellung von Zündhölzern, das andere über das Verbot gewerblicher Nachtarbeit von Frauen. Auf der Diplomatenkonferenz des folgenden Jahres wurde das erste

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Soziale Mindeststandards

Übereinkommen nur von sieben, das zweite aber von dreizehn Staaten unterzeichnet. Auf der zweiten Expertenkonferenz im Jahre 1913 wurden folgende Übereinkommen ausgearbeitet: Das Verbot der Nachtarbeit Jugendlicher unter 16 Jahren (mit einigen Ausnahmen) und aller Kinder unter 14 Jahren sowie eine Höchstarbeitszeit von 10 1/2 Stunden pro Tag und 6 0 Stunden pro Woche für Jugendliche unter 16 Jahren und für alle Frauen. Es muß jedoch auf die Beteiligung einzelner Interessengruppen an der Entwicklung sozialer Mindeststandards hingewiesen werden, vor allem auf die Forderungen der Internationalen Arbeiterassociation beim Genfer Kongreß im Jahre 1866: 1. Beschränkung der Arbeitszeit auf acht Stunden täglich; 2. Arbeit von Frauen und Kindern, Aufteilung der Jugendlichen in drei Altersklassen: Beschränkung der Arbeitszeit in der ersten Klasse (von 9 bis 12 Jahren) auf zwei Stunden, in der zweiten (von 13 bis 15 Jahren) auf vier Stunden, in der dritten (von 16 bis 17 Jahren) auf sechs Stunden mit einer Unterbrechung von einer Stunde. Tätigkeit der ILO Im Jahre 1919 wurde durch den Versailler Friedensvertrag die -»• ILO errichtet und mit der Ausarbeitung von völkerrechtlichen Verträgen zur Rechtsvereinheitlichung der Arbeitsbedingungen beauftragt. Nach der Verfassung der ILO erfolgt die Annahme eines Beschlusses in der Schlußabstimmung (mit Zweidrittel-Mehrheit der anwesenden Delegierten) der Allgemeinen Konferenz in Form von Übereinkommen oder Empfehlungen. Bei Anträgen, die besonders hohe Mindeststandards vorsehen, wird den Vorschlägen die Form einer Empfehlung gegeben, die keine Ratifikation erfordert. Diese Empfehlungen sind aber sehr nützlich, da sie in manchen Fällen zu späteren Übereinkommen führen. Ein Übereinkommen tritt bei seiner Ratifikation durch meistens zwei, manchmal durch mehrere Staaten in Kraft. Jeder Mitgliedstaat ist verpflichtet, das Übereinkommen innerhalb eines Jahres den zuständigen Stellen zur Ratifikation vorzulegen. Die Ratifikation ist dem Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes mitzuteilen. Mit Rücksicht auf die besonderen wirtschaftlichen Verhältnisse mancher Länder schlägt die Konferenz notwendige Abänderungen vor. Durch das Inkrafttreten des neuen Übereinkommens ist jede weitere Ratifikation des alten Übereinkommens ausgeschlossen. Der Sachverständigenausschuß für die Durchführung der Übereinkommen und Empfehlungen des Verwaltungsrates prüft die Berichte von Regierungen über Maßnahmen, die unternommen worden sind, um die von der Konferenz angenommenen Entschließungen durchzuführen. Auf Beschwerde eines Berufsverbandes bezüglich der Durchführung eines Übereinkommens kann der Verwaltungsrat die betroffene Regierung zu einer Erklärung einladen, die gegebenenfalls veröffentlicht wird. Auf Klage eines Mitgliedstaates kann der Verwaltungsrat einen Untersuchungsausschuß beauftragen, einen Bericht anzufertigen. Falls die darin enthaltenen Schlußfolgerungen nicht von den betroffenen Regierungen angenommen werden, kann der Streitfall dem IGH unterbreitet werden. Der IGH kann die Vorschläge des Ausschusses bestätigen, abändern oder aufheben. Eine erste Kündigung kann erst nach fünf oder zehn Jahren eingereicht werden. Vom Deutschen Reich oder der Bundesrepublik Deutschland wurden folgende Übereinkommen ratifiziert: Nr. 2 vom 28.11.1919 über die Arbeitslosigkeit (Unentgeltliche Arbeitsvermittlung, Gleichbehandlung in der Arbeitslosenversicherung), RGBl. 1925 II S. 162; Nr. 3 vom 2 9 . 1 1 . 1 9 1 9 betreffend die Beschäftigung der Frauen vor und nach der Niederkunft, RGBl. 1927 II S. 4 9 7 ; Nr. 7 vom 9 . 7 . 1 9 2 0 über das Mindestalter für die Zulassung von Kindern zur Arbeit auf See, RGBl. 1929 II S. 3 8 3 ; Nr. 8 vom 9 . 7 . 1 9 2 0 über die Gewährung einer Entschädigung für Arbeitslosigkeit infolge von Schiffbruch, RGBl. 1929 II S. 7 5 9 ; Nr. 9 vom 1 0 . 7 . 1 9 2 0 über die Stellenvermittlung für Seeleute, RGBl. 1925 II S. 166; Nr. 10 vom 16.11.1921 über das Alter für die Zulassung von Kindern zur Arbeit in der Landwirtschaft, BGBl. 1 9 5 6 II S. 9 2 7 ; Nr. 11 vom 12.11.1921 über das Vereins- und Koalitionsrecht der landwirtschaftlichen Arbeiter, RGBl. 1925 II S. 1 7 1 ; Nr. 12 vom 12.11.1921 über die Entschädigung der Landarbeiter bei Arbeitsunfällen, RGBl. 1925 II S. 174; Nr. 15 vom

Tätigkeit der ILO

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11.11.1921 über das Mindestalter für die Zulassung von Jugendlichen zur Beschäftigung als Kohlenzieher (Trimmer) oder Heizer, RGBl. 1929 II S. 383; Nr. 16 über die pflichtmäßige ärztliche Untersuchung der in der Seeschiffahrt beschäftigten Kinder und Jugendlichen, RGBl. 1929 II S. 383, 386; Nr. 17 vom 10.6.1925 über die Entschädigung bei Betriebsunfällen, BGBl. 1955 II, S. 93; Nr. 18 vom 10.6.1925 über die Entschädigung aus Anlaß von Berufskrankheiten, RGBl. 1928 II S. 509 (Entschädigungssätze, Verzeichnis anerkannter Berufskrankheiten); Nr. 19 vom 5.6.1925 über die Gleichbehandlung einheimischer und ausländischer Arbeitnehmer bei Entschädigung aus Anlaß von Betriebsunfällen, RGBl. 1928 II S. 509 (Gleichbehandlung der Ausländer ohne Rücksicht auf Wohnsitz, anwendbares Recht bei Beschäftigung in einem anderen Mitgliedstaat, gegenseitige Unterstützung der Signatarstaaten); Nr. 22 vom 24.6.1926 über den Heuervertrag der Schiffsleute, RGBl. 1930 II S. 987 (Form, Dauer, Mindestinhalt, Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarung, Arbeitsbescheinigung); Nr. 23 vom 23.6.1926 über die Heimschaffung der Schiffsleute, RGBl. 1930 II S. 12 (Bedingungen und Kosten); Nr. 24 vom 15.6.1927 betreffend die Krankenversicherung der Arbeitnehmer in Gewerbe und Handel und der Hausgehilfen sowie die Krankenversicherung der Arbeitnehmer in der Landwirtschaft, RGBl. 1927 II S. 887 (Obligatorische Krankenversicherung, Dauer der Unterstützung, Träger der Versicherung, Verteilung der Kosten); Nr. 25 vom 15.6.1927 betreffend die Krankenversicherung der Arbeitnehmer in der Landwirtschaft, RGBl. 1927 II S. 887, 889; Nr. 26 vom 16.6.1928 über die Einrichtung von Verfahren zur Festsetzung von Mindestlöhnen, RGBl. 1929 II S. 375; Nr. 27 vom 21.6.1929 über die Gewichtsbezeichnung an schweren auf Schiffen beförderten Frachtstücken, RGBl. 1933 II S. 940; Nr. 29 vom 28.6.1930 über Zwangs- oder Pflichtarbeit, BGBl. 1956 II S. 640; Nr. 45 vom 21.6.1935 über die Beschäftigung von Frauen bei Untertagearbeiten in Bergwerken jeder Art, BGBl. 1954 II S. 624; Nr. 56 vom 24.10.1936 über die Krankenversicherung der Schiffsleute, BGBl. 1956 II S. 891; Nr. 62 vom 23.6.1937 über Unfallverhütungsvorschriften bei Hochbauarbeiten, BGBl. 1955 II S. 178;Nr. 63 vom 20.6.1938 über Statistiken der Löhne und der Arbeitszeit in den hauptsächlichsten Zweigen des Bergbaus und des verarbeitenden Gewerbes, einschließlich des Baugewerbes sowie in der Landwirtschaft, BGBl. 1954 II S. 437;Nr. 81 vom 11.7.1947 über die Arbeitsaufsicht in Gewerbe und Handel, BGBl. 1955 II S. 584 (Aufgaben und Stellung, Qualifikation, Sanktionen, Mitarbeit technischer Sachverständiger, Befugnisse der Aufsichtsbeamten, Inhalt des Jahresberichts); Nr. 87 vom 9.7.1948 über die Vereinigungsfreiheit und den Schutz des Vereinigungsrechts, BGBl. 1956 II S. 2072; Nr. 88 vom 9.7.1948 über die Organisation der Arbeitsmarktverwaltung, BGBL 1954 II S. 448 (Schaffung von staatlichen Arbeitsämtern); Nr. 96 vom 1.7.1949 über Büros für entgeltliche Arbeitsvermittlung (Neufassung), BGBl. 1954 II S. 456 (Aufhebung bestimmter Büros für entgeltliche Arbeitsvermittlung bei Bestehen einer öffentlichen Arbeitsvermittlung, Bedingungen für entgeltliche Arbeitsvermittlung); Nr. 97 vom 1.7.1949 über Wanderarbeiter (Neufassung 1949), BGBl. 1959 II S. 87 (Anwerbung, Arbeitsvermittlung und Arbeitsbedingungen); Nr. 98 vom 1.7.1949 über die Anwendung der Grundsätze des Vereinigungsrechtes und des Rechtes zu Kollektiwerhandlungen, BGBl. 1955 II S. 1122 (Schutz der Vereinigungsfreiheit);Nr. 99 vom 28.6.1951 über die Verfahren zur Festsetzung von Mindestlöhnen in der Landwirtschaft, BGBl. 1953 II S. 294; Nr. 100 vom 29.6.1951 über die Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit, BGBl. 1956 II S. 23; Nr. 101 vom 26.6.1952 über den bezahlten Urlaub in der Landwirtschaft, BGBl. 1954 II S. 1005 (Mindestdauer, Höhe des Urlaubsgeldes); Nr. 102 vom 28.6.1952 über die Mindestnormen der sozialen Sicherheit, BGBl. 1957 II S. 1321 (ärztliche Betreuung, Krankengeld, Leistungen bei Alter, Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten); Nr. 105 vom 25.6.1957 über die Abschaffung der Zwangsarbeit, BGBl. 1959 II S. 441; Nr. 111 vom 25.6.1958 über die Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf, BGBl. 1961 II S. 97; Nr. 112 vom 19.6.1959 über das Mindestalter für die Zulassung zur Arbeit in der Fischerei, BGBl. 1962 II S. 1429; Nr. 114 vom 19.6.1959 über den Heuervertrag der Fischer, BGBl. 1964 II S. 179;Nr. 115 vom 22.6.1960 über den Schutz der

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Soziale Mindeststandards

Arbeitnehmer vor ionisierenden Strahlen, BGBl. 1973 II S. 933; Nr. 116 vom 26.6.1961 über die Abänderung der Schlußartikel, BGBl. 1963 II S. 1135; Nr. 118 vom 28.6.1962 über die Gleichbehandlung von Inländern und Ausländern in der sozialen Sicherheit, BGBl. 1970 II S. 802; Nr. 120 vom 8.7.1964 über den Gesundheitsschutz im Handel und in Büros, BGBl. 1973 II S. 1255; Nr. 121 vom 8.7.1964 über Leistungen bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten, BGBl. 1971 II S. 1169; Nr. 122 vom 9.7.1964 über Beschäftigungspolitik, BGBl. 1971 II S. 57; Nr. 128 vom 29.6.1967 über Leistungen bei Invalidität und Alter und an Hinterbliebene, BGBl. 1970 II S. 813; Nr. 129 vom 25.6.1969 über die Arbeitsaufsicht in der Landwirtschaft, BGBl. 1973 II S. 940; Nr. 130 vom 25.6.1969 über ärztliche Betreuung und Krankengeld, BGBl. 1974 II S. 705; Nr. 132 vom 24.6.1970 über den bezahlten Jahresurlaub, BGBl. 1975 II S. 745; Nr. 133 vom 30.10.1970 über die Quartierräume der Besatzung an Bord von Schiffen, BGBl. 1974 II S. 862; Nr. 134 vom 30.10.1970 über den Schutz der Seeleute gegen Arbeitsunfälle, BGBl. 1974 II S. 900;Nr. 135 vom 23.6.1971 über Schutz und Erleichterungen für Arbeitnehmer im Betrieb, BGBl. 1973 II S. 953; Nr. 136 vom 23.6.1971 über den Schutz vor den durch Benzol verursachten Vergiftungsgefahren, BGBl. 1973 II S. 958; Nr. 138 vom 26.6.1973 über das Mindestalter für die Zulassung zur Beschäftigung, BGBl. 1976 II S. 201; Nr. 139 vom 24.6.1974 über die Verhütung und Bekämpfung der durch krebserzeugende Stoffe und Einwirkungen verursachten Berufsgefahren, BGBl. 1976 I I S . 577. Tätigkeit der Vereinten Nationen Seit der Gründung der Vereinten Nationen und ihrer Sonderorganisationen, zu denen auch die ILO gehört (Vertrag vom 19.12.1946, UNTS vol. 1 Nr. II 9), erzielte die internationale Zusammenarbeit auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiete (Art. 55, 56) in der Entwicklung sozialer Mindeststandards einen großen Fortschritt. In zunehmendem Maße hat sich die Generalversammlung in diesen Prozeß eingeschaltet. Am Anfang standen zwei Erklärungen der Generalversammlung: Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948 (Art. 2, 4, 20, 22—27) und die Erklärung über die Gewährung der Unabhängigkeit an Kolonialländer und -Völker vom 14. Dezember 1960 (Res. 1514 (XV)). Im Jahre 1963 bekräftigte die Generalversammlung in einer Erklärung erneut die in der Charta und der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verkündeten Mindeststandards (Res. 1916 (XVIII) vom 5.12.1963), und später, im Jahre 1965, in dem Übereinkommen über die Beseitigung jeglicher Form von Rassendiskriminierung die Mindeststandards über Gleichberechtigung. Dieses Übereinkommen enthält außerdem Bestimmungen über das Berichtsverfahren und die Bildung eines Sachverständigenkomitees für dessen Durchführung. Kernstück der bisherigen Bemühungen sind der Weltpakt über bürgerliche und politische Rechte und der Weltpakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (beide vom 16. Dezember 1966 — Res. 2200 (XXI)). Der Weltpakt über bürgerliche und politische Rechte enthält Bestimmungen über die Gleichberechtigung, das Verbot der Zwangsarbeit, die Vereinigungsfreiheit und die Bildung von Gewerkschaften. Er trat am 24. März 1976 in Kraft. Die Bedeutung, die dieser Pakt für die weltweite Durchsetzung von Mindeststandards einmal haben wird, hängt nicht nur von der Zahl seiner Ratifikationen, Art und Ausmaß der Vorbehalte, sondern auch davon ab, inwieweit das Zusatzprotokoll, das Individualbeschwerden an einen Ausschuß gestattet, angenommen wird. Gerade in diesem Punkt zeigen alle Staaten eine enorme Zurückhaltung. In dem Weltpakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (in Kraft seit dem 4.1.1976) hat die Generalversammlung Mindeststandards mit der Bedingung festgelegt, daß die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, das Berichtsverfahren über seine Durchführung nach einem Zeitplan des ECOSOC einzuhalten, der diese Berichte von dem Generalsekretär, ihrem Adressaten, erhält und sie an die Menschenrechtskommission weiterleiten kann (->• Menschenrechte; Berichtsystem). Nächster wesentlicher Schritt bei dem Bemühen um soziale Mindeststandards ist die Erklärung der Generalversammlung über Entwicklung und Fort-

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schritt auf sozialem Gebiet (Res. 2542 (XXIV) vom 11.12.1969). Hier wird das Ziel sozialer Entwicklung deutlich formuliert (Art. 10-13): Vollbeschäftigung; Verbesserung der Arbeitsbedingungen; gerechte und angemessene Entlohnung; Verbraucherschutz; Beseitigung von Hunger und Unterernährung; Beseitigung der Armut; angemessene medizinische Versorgung; freie Ausbildung und Erziehung; angemessene Wohnversorgung für Kinderreiche und Personen mit geringem Einkommen; Ausbau der Sozialversicherung; Schutz von Mutter und Kind; Bekämpfung jeder Form der Diskriminierung. In der Folgezeit trat in den Resolutionen der Generalversammlung das Interesse an der Einzelpersönlichkeit und am Recht auf Teilhabe am sozialen Wachstum zurück und wandte sich mehr einer globalen Förderung der Entwicklungsländer zu (ζ. B. Res. 2626 (XXV) vom 24.10.1970; Res. 3201/2 (S-VI) vom 1.5.1974; Res. 3281 (XXIX) vom 12.12.1974). Demgegenüber verfolgte die ILO weiterhin den Schutz der sozialen Mindeststandards. Auf der Grundlage der gemeinsamen Tagungen der UNESCO, der -» FAO, der UNIDO und der ILO wurde der Bericht der ILO über die Erschließung von Arbeitskraftreserven: Berufsberatung und berufliche Ausbildung, ausgearbeitet. Dieser Bericht wurde auf die Tagesordnung der ILO-Konferenz für das Jahr 1975 gesetzt und in Hinblick auf die Annahme eines Übereinkommens durch eine Empfehlung vervollständigt. Gegenwärtige Entwicklungsstufe An den in der letzten Zeit von der ILO vorgelegten Übereinkommen kann man das hohe Niveau des inzwischen erreichten Mindeststandards ersehen. Auf der anderen Seite bestehen bei der Durchsetzung unleugbar erhebliche Schwierigkeiten. Vor allem die Entwicklungsländer sind außerstande, den in Europa angestrebten sozialen Mindeststandard derzeit zu verwirklichen. Deshalb bietet es sich unter Umständen an, auf die weitere Erarbeitung und Durchsetzung eines mondialen sozialen Mindeststandards zu verzichten und vielmehr eine regionale Lösung anzustreben. Literatur Carey: UN Protection of Civil and Political Rights, New York 1970 Dimitrijevic: L'Organisation internationale du Travail. Histoire de la représentation patronale, Genève 1972 Fried: Rechtsvereinheitlichung im Internationalen Arbeitsrecht, eine Untersuchung zur Methode der Rechtsvereinheitlichung am Beispiel der Internationalen Arbeitsorganisation, Frankfurt/M. 1965 Jenks: Social Justice in the Law of Nations, London 1970 Paul Dimitrijevic Verweise auf: Berichtsystem; FAO; ILO; Menschenrechte; Rassendiskriminierung; UNESCO; UNIDO.

Stimmrecht Die Stimmrechtsregelung in der Generalversammlung Die grundsätzliche Regelung ist Art. 18 zu entnehmen, besondere Vorschriften finden sich in Art. 108, 109 und in Art. 10 IGH-Statut, das gem. Art. 92 Bestandteil der Charta ist.

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Stimmrecht

Regeln für das Abstimmungsverfahren enthält die Geschäftsordnung der Generalversammlung (Rules of Procedure gem. Art. 21, angenommen durch Res. 173 (II) vom 17.11.1947, veröffentlicht als UN Doc A/520, in der Folgezeit vielfach geändert und ergänzt: letzte Fassung Doc. A/520/Rev. 12). Nach Art. 18 hat jedes Mitglied eine Stimme. Ein Vorzugsstimmrecht gibt es nicht. Die Generalversammlung ist beschlußfähig, wenn die Mehrheit der Mitglieder in der Sitzung vertreten ist (Rule 67). Bei der Berechnung dieses Quorums zählen auch die Staaten mit, deren Vertreter sich später bei der Abstimmung der Stimme enthalten. Die Stimme wird durch den Vorsitzenden oder ein anderes von dem Mitgliedstaat dazu bestimmtes Mitglied der höchstens 5 Repräsentanten .und gleichviel Stellvertreter umfassenden Delegation (Rule 25) abgegeben. Die Stimmabgabe erfolgt durch Aufzeigen der Hand oder durch Aufstehen, es kann aber von jedem Vertreter auch eine namentliche Abstimmung verlangt werden, die dann nach der Reihenfolge der Mitgliedstaaten nach dem englischen Alphabet stattfindet (Rule 87). Bei Wahlen ist die Abstimmung geheim (Rule 92). Zu den Einzelheiten des Abstimmungsverfahrens vgl. Rules 82—95. In der Praxis wird häufig vom Präsidenten eine allgemeine Übereinstimmung festgestellt, ohne daß es zu einer formalen Abstimmung kommt (angenommen „ohne Abstimmung", oder „ohne Einwendungen"), Entgegen dem ersten Eindruck soll ein solches Verfahren jedoch oftmals nur elegant sachliche Differenzen verbergen, indem ausschließlich die positive Stimmenmehrheit Berücksichtigung findet, nicht jedoch die Stimmenthaltungen als milderer Ausdruck einer im konkreten Fall nicht als opportun erscheinenden ausdrücklichen Ablehnung (->• Generalversammlung). Entschließungsentwürfen über die Aufnahme neuer Mitglieder wird meist durch „Akklamation" zugestimmt (so auch im Fall der Aufnahme der -»· Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik am 18.9.1973). Eine bestimmte Behandlung von Verfahrensfragen findet auf Vorschlag des Präsidenten gewöhnlich stillschweigende Zustimmung. Die Abstimmungen erfolgen nach dem Mehrheitsprinzip. Je nach dem Gegenstand der Abstimmung genügt entweder die einfache Mehrheit, oder es ist eine Zweidrittelmehrheit erforderlich. In den Fällen des Art. 18 berechnet sich das Quorum der jeweils erforderlichen Mehrheit nach der Zahl der anwesenden und abstimmenden, d. h. der ausdrücklich dafür oder dagegen stimmenden Mitglieder (Art. 18 Abs. 2 und 3). Staaten, deren Vertreter sich der Stimme enthalten, zählen daher — anders als bei der Ermittlung der Beschlußfähigkeit — nicht mit (Rule 86). In besonderen Fällen wird jedoch eine einfache oder Zweidrittelmehrheit der Stimmen aller Mitglieder der Generalversammlung verlangt. Von solchen Vorschriften abgesehen, muß die im Einzelfall erforderliche Mehrheit auf der Grundlage des Art. 18 ermittelt werden. Dort wird unterschieden zwischen „wichtigen Fragen" (Abs. 2), die eine Zweidrittelmehrheit erfordern, und „anderen Fragen" (Abs. 3), über die mit einfacher Mehrheit entschieden wird. Es besteht keine Einigkeit darüber, ob die Aufzählung der „wichtigen Fragen" in Abs. 2 abschließenden Charakter hat. Die praktische Bedeutung dieses Streitpunktes ist jedoch begrenzt, da bisher die Beschlüsse der Generalversammlung in ihrer großen Mehrheit einstimmig, zumindest jedoch mit Zweidrittelmehrheit getroffen worden sind (während der ersten 13 Sitzungsperioden wurden beispielsweise von 1.365 angenommenen Resolutionen bis auf 18 alle mit zwei Dritteln der Stimmen oder mehr angenommen, woran sich in der Tendenz bis heute nichts geändert hat) Die Fälle, in denen in der Generalversammlung bei Abstimmungen dennoch über den Wortlaut des Art. 18 Abs. 2 hinaus eine Zweidrittelmehrheit gefordert wurde, lassen sich in etwa nach folgenden 5 Gesichtspunkten gliedern: 1. Einer oder mehrere Abschnitte eines Resolutionsentwurfes beziehen sich auf eine wichtige Frage im Sinne des Art. 18 Abs. 2 (einen ähnlichen Gesichtspunkt enthält die Geschäftsordnung in Rule 84, wo Zusätze zu Entscheidungsvorschlägen, die eine wichtige Frage zum Gegenstand haben, oder Teile solcher Vorschläge, über die gesondert abgestimmt wird, eine Zweidrittelmehrheit erfordern);

Die Stimmrechtsregelung in der Generalversammlung

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2. wenn zu klären ist, ob eine Frage unter eine der Kategorien des Art. 18 Abs. 2 fällt (hier wird freilich vorausgesetzt, daß Art. 18 Abs. 2 eine abschließende Aufzählung enthält); 3. wenn die wahre Bedeutung einer Frage eine Zweidrittelmehrheit rechtfertigt, obwohl sie nicht mit einer Kategorie des Art. 18 Abs. 2 in Verbindung steht (Anhaltspunkte sollen sein: Ähnlichkeit mit einer der in Abs. 2 aufgeführten Fragen oder auch nur ihre politische Bedeutung); 4. bei bedeutsamen Auswirkungen einer Resolution (rechtlichen, finanziellen, auf die Arbeit der Vereinten Nationen); 5. wenn es sich formal zwar um eine Verfahrensfrage handelt, diese jedoch für die Interpretation der Charta oder politisch besondere Bedeutung hat. Über diese Fälle hinaus ist eine Zweidrittelmehrheit auch dann erforderlich, wenn gem. Art. 18 Abs. 3 mit einfacher Mehrheit weitere Gruppen von Fragen, und zwar allgemeine Gruppen und nicht Einzelfragen, dem Erfordernis einer qualifizierten Mehrheit unterworfen werden. Nach nicht unbestrittener Auffassung soll eine solche Entscheidung ebenfalls mit einfacher Mehrheit wieder rückgängig gemacht werden können. Demnach gibt es jedenfalls zwei Gruppen von .„wichtigen Fragen": Solche kraft ausdrücklicher Bestimmung der Charta (Art. 18 Abs. 2) und solche kraft Zuweisung (Art. 18 Abs. 3). Ob die oben genannten fünf weiteren Fallgruppen die Bildung zusätzlicher Komplexe von wichtigen Fragen, insbesondere unter den Gesichtspunkten des Sachzusammenhangs und der Natur der Sache, rechtfertigen, mag angesichts der Praxis der Generalversammlung dahinstehen. Es dürfte aber zu weit gehen, wenn eben auf Grund dieser Praxis schon von einer „gewohnheitsrechtlichen Umbildung oder Änderung der Satzung im Einvernehmen der Mitgliedstaaten" (Dahm) gesprochen wird. Denn gerade die — wenn auch seltenen Diskussionen über eine Ausweitung des Art. 18 Abs. 2 auf dort nicht erwähnte Fragengruppen zeigen, daß die lange Praxis der übergroßen Mehrheiten keine ununterbrochene ist und vor allem noch keine opinio iuris dergestalt erzeugt hat, daß in jedem Fall mit einer Zweidrittelmehrheit abgestimmt werden müßte. In den Ausschüssen der Generalversammlung (-> Ausschußsystem) genügt bei Abstimmungen stets die einfache Mehrheit der anwesenden und .abstimmenden Mitglieder (Rule 125), was freilich zu einem Scheitern dort gefaßter Beschlüsse in der Generalversammlung führen kann. Ein Mitglied der Vereinten Nationen kann sein Stimmrecht verlieren, und zwar in der Generalversammlung, wenn es Beiträge in der Höhe des Betrages der für die zwei vorangegangenen Jahre zu erbringenden Beiträge schuldet (Art. 19), und überhaupt, wenn ihm unter den Voraussetzungen des Art. 5 seine Rechte zeitweilig entzogen sind. Auch einem ständigen Mitglied des Sicherheitsrats kann demnach in der Generalversammlung der Stimmrechtsverlust drohen. Das führte wegen rückständiger Zahlungen auch seitens der Sowjetunion im Zusammenhang mit den Aktionen von UNEF und ONUC (-»· Streitkräfte der Vereinten Nationen) zu einer besonderen Übereinkunft der Mitglieder über das einzuhaltende Verfahren vor und während der 19. Sitzungsperiode mit dem Ziel, im Interesse der Arbeit der Vereinten Nationen in der Generalversammlung Abstimmungen zu vermeiden, die zwangsläufig in jedem Fall zu Auseinandersetzungen über die Anwendbarkeit des Art. 19 geführt hätten (-» Generalversammlung). Die praktische Bedeutung dieser Vorschrift ist dadurch im Grunde hinfällig geworden (zum Hintergrund vgl. YUN 1964 p. 3 - 6 0 ) . Eine Umgehung der Vorschriften über den Stimmrechtsverlust in entgegengesetzter Richtung bedeutet der Ausschluß der Vertreter Südafrikas (-> Südliches Afrika) von der Teilnahme an den Arbeiten der Generalversammlung, der erstmals auf der 29. Sitzungsperiode der Generalversammlung 1974 als Folge der seit längerem üblichen Zurückweisung ihrer Beglaubigungsschreiben beschlossen worden ist (Res. 3206 (XXIX) vom 30.9.1974 sowie Beschluß vom 12.11.1974, GAOR (XXIX) Suppl. 31 p. 10;-» Generalversammlung).

418 Die Stimmrechtsregelung im

Stimmrecht

Sicherheitsrat

Die Auffassung, daß die Charta ein „herrschaftliches, hegemoniales Gepräge" (Dahm) trägt, findet ihre stärkste Stütze in Art. 27, der das Stimmrecht im Sicherheitsrat regelt. Diese Vorschrift ist das Ergebnis eines langen Ringens zwischen den im 2. Weltkrieg siegreichen Großmächten (-» Entstehungsgeschichte). Während über die Grundzüge einer Organisation der Vereinten Nationen schon relativ früh Einigung erzielt wurde, kam es in Voraussicht der machtpolitischen Bestrebungen der Nachkriegszeit über Mitgliedschaft und Stimmrecht im Sicherheitsrat zu heftigen Auseinandersetzungen, vor allem zwischen Großbritannien und der Sowjetunion. Noch in den Vorschlägen der Konferenz von Dumbarton Oaks mußte die Stimmrechtsregelung deshalb offengelassen werden. Erst die Konferenz von Jaita brachte hier eine Einigung, die als sogenannte Yalta-Voting-Formula bekannt geworden (Text der gesamten Erklärung: YUN 1946—47 p. 9 seq.) und in dieser Gestalt (mit geringfügiger redaktioneller Änderung) als Art. 27 in die Satzung übernommen worden ist (-» Entstehungsgeschichte). Danach hat jedes Mitglied des Sicherheitsrats eine Stimme (Abs. 1). Über Verfahrensfragen wird mit einer Mehrheit von 9 (früher 7) Stimmen der insgesamt 15 (früher 11) Mitglieder des Sicherheitsrats beschlossen (Abs. 2). Beschlüsse über „alle sonstigen Fragen" bedürfen ebenfalls einer Mehrheit von 9 Stimmen, jedoch unter Einschluß der Stimmen sämtlicher ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats (Abs. 3). Wenn die mittleren und kleinen Staaten trotz heftigen Widerstandes diese Regelung schließlich hinnahmen, so allein aus der Einsicht, daß die Mitwirkung der Großmächte in einem System kollektiver Sicherheit nur um den Preis des Opfers der Gleichheitsidee zu erreichen war. Die konsequente Durchführung des Grundsatzes der souveränen Gleichheit aller Staaten bereitet bei internationalen Organisationen zwar stets größere Schwierigkeiten. Auch hat es im Hinblick auf offene Durchbrechungen dieses Grundsatzes nicht an Versuchen harmonisierender Interpretation gefehlt, wobei vor allem geltend gemacht wird, daß die Gleichheit als eine solche vor dem Recht verstanden werden müsse, was in der Sache durchaus ungleiche Teilhabe- und Einflußrechte auf internationale Organisationen bedeute. Der besondere Widerstand gegen Art. 27 erklärt sich jedoch vor allem aus der außergewöhnlichen Beeinträchtigung des Souveränitätsprinzips (-> Souveränität), indem die große Mehrzahl der Mitglieder der Vereinten Nationen unter bestimmten Umständen an Beschlüsse des Sicherheitsrats gebunden ist und sie durchzuführen hat (Art. 25), obwohl sie — bis auf den Fall des Art. 44, der freilich mangels der in Art. 43 vorausgesetzten Sonderabkommen noch nicht praktisch geworden ist — ohne ihre Zustimmung zustande gekommen sind. Dennoch bietet bereits die Charta selbst eine Rechtfertigungsmöglichkeit für diese Regelung in Art. 24, wonach die Hauptverantwortung für die Friedensbewahrung dem Sicherheitsrat übertragen ist, der in Wahrnehmung dieser Pflichten im Namen aller Mitglieder handelt. Die Hauptlast der erforderlichen Maßnahmen haben dabei erfahrungsgemäß die stärksten Mächte unter den Mitgliedstaaten zu tragen, denen daher die volle Teilhabe an den zugrundeliegenden Beschlüssen gewährleistet sein muß (-»• Friedenssicherung). Mit diesem an der Effektivität und dem nicht dauerhaft zuzuordnenden außerrechtlichen Begriff der Großmacht orientierten Argument steht allerdings die Festlegung der Rollenverteilung in Art. 23 in Widerspruch. Wie gegenüber allen Unzulänglichkeiten der Charta muß aber auch insoweit eine allein am Idealzustand ausgerichtete Kritik im Vertrauen auf die Solidarität aller Mitglieder hinter pragmatischer Suche nach schrittweisen Verbesserungen zurückstehen. Diese setzte bereits frühzeitig mit dem Ziel einer Einschränkung des sachlichen Anwendungsbereichs des sogenannten Vetorechts der ständigen Ratsmitglieder ein. Als solches wird in nicht ganz zutreffender Verwendung dieses Terminus das in Art. 27 Abs. 3 — abweichend von den sonstigen (Mehrheits-)Stimmrechtsregelungen der Charta — für den Kreis der ständigen Mitglieder wieder aufgegriffene Einstimmigkeitsprinzip bezeichnet. Es handelt sich dabei im Grunde genommen um ein uneigentliches Veto, da kein organschaftliches Eingriffsrecht,

Die Stimmrechtsregelung im -» Sicherheitsrat

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sondern ein Zustimmungserfordernis vorliegt. (Erst recht ist die negative Stimmabgabe von 7 nicht-ständigen Mitgliedern als Gruppe kein Veto, hier wird nur das Zustandekommen der für einen Beschluß erforderlichen Mehrheit verhindert.) Das Veto bezieht sich auf die „sonstigen Fragen", im Gegensatz zu den Verfahrensfragen meist als Sach- oder meritorische Fragen bezeichnet. Die Charta gibt über die Abgrenzung dieser Fragengruppe keine Auskunft, ebensowenig die vorläufige Geschäftsordnung des Sicherheitsrats, die hinsichtlich des Stimmrechts nur lapidar die Befolgung der diesbezüglichen Vorschriften in Charta und IGHStatut verlangt (Rule 40). („Provisional Rules of Procedure", Text: Doc. S/96/Rev. 6, Febr. 1974). Der Grenzziehung zwischen Verfahrens- und Sachfragen sollte deshalb die auf Drängen mehrerer mittlerer und kleiner Staaten zustandegekommene gemeinsame Erklärung der vier einladenden Großmächte (sponsoring governments) vom 7. Juni 1945 dienen (sog. San Francisco-Statement, Text: YUN 1946—47 p. 23 seq.). Die in ihr entwickelte chain-ofevents-Theorie (Ziff. I, 4) brachte jedoch im Gegenteil eine sehr weite Grenzziehung für den Anwendungsbereich des Vetos und neue Unklarkeiten, indem die einheitliche Zustimmung durch alle ständigen Mitglieder bereits für Entscheidungen und Maßnahmen des Rates verlangt wird, die einen Geschehensablauf in Gang setzen, an dessen Ende er zur Ergreifung von Maßnahmen nach dem jetzigen Kapitel VII der Charta gezwungen sein könnte. Das soll schon bei der Einleitung einer Untersuchung, der Aufforderung an Staaten zur Regelung ihrer Streitigkeiten und sogar schon bei der Erteilung von Empfehlungen an die Parteien der Fall sein. Wie dann z. B. die Bildung eines Hilfsorgans (gem. Ziff. I, 2 Verfahrensfrage) von der Einsetzung eines Untersuchungsausschusses für einen Streitfall abzugrenzen ist, bleibt unklar. Die Erklärung geht (in Ziff. II, 2) noch weiter und unterwirft bei Zweifeln über die Einordnung einer Frage als Verfahrens- oder Sachfrage bereits diese Vorfrage der Einstimmigkeit der ständigen Mitglieder (sog. Doppelveto). Obwohl die rechtliche Einstufung des San Francisco-Statement sehr umstritten ist — teils wird es als „authentische Interpretation" des Art. 27, teils aber als nicht einmal unter den fünf ständigen Mitgliedern verbindlich angesehen (Frankreich hatte sich der Erklärung später angeschlossen) —, haben in der Praxis des Sicherheitsrats die ständigen Mitglieder immer wieder darauf zurückgegriffen. So wurde von dem Doppelveto bis 1948 dreimal (von der UdSSR) Gebrauch gemacht (wichtigster Fall: Verhinderung der Einsetzung eines Untersuchungsausschusses über den Staatsstreich in der Tschechoslowakei 1948). Ein in der Folgezeit häufig praktiziertes Verfahren zur Eindämmung des suspekten Doppelvetos bestand darin, die Einordnung einer bestimmten Frage bis zum Ende der Sachdebatte aufzuschieben und eine diesbezügliche Entscheidung des Präsidenten folgen zu lassen, über deren Gültigkeit im Widerspruchsfalle als Verfahrensfrage abzustimmen war. Auf diese Weise umging man z. B. das Veto Taipeis gegen die Einladung (Art. 32) der Regierung von Peking (Volksrepublik China) anläßlich der bewaffneten Invasion Taiwans. Durch ein solches Verfahren wurde das Doppelveto im Laufe der Zeit schließlich einer „reductio ad adsurdum" (Hiscocks) ausgesetzt und ist heute außer Gebrauch gekommen. Die zunehmende Lähmung des Sicherheitsrats infolge immer häufigeren Gebrauchs des Vetos führte seitens der Generalversammlung zu neuen Einschränkungsversuchen hinsichtlich der Vorrechte aus Art. 27 durch einengende Auslegung; so in der Res. 117 (II) vom 21.11.1947, dem Bericht des Interimsausschusses (UN Doc. A/578 = YUN 1947-48 p. 291 seq.) und der Res. 267 (III) vom 14.4.1949, die den vorgenannten Bericht im wesentlichen bestätigte und eine Liste von Entscheidungen aufführte, deren Behandlung als Verfahrensangelegenheit dem Sicherheitsrat empfohlen wurde. Insgesamt befindet sich trotz aller Bemühungen die Auslegung des Art. 27 Abs. 2 und 3 im Hinblick auf die Abgrenzung von Verfahrens- und Sachfragen bis heute „in einem Zustand der Unklarheit und Verwirrung" (Dahm). Ein qualitativer Umschlag mit einer gewissen Gewichtsverschiebung zwischen den Organen schien sich schließlich anzudeuten, als in der Resolution „Uniting for Peace" (GA Res.

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Stimmrecht

377 A (V) vom 3.11.1950), dem bisher massivsten Versuch zur Umgehung des Vetorechts, die Generalversammlung sich unter bestimmten Voraussetzungen selbst zur Ergreifung von Maßnahmen zur Friedensbewahrung, einschließlich der Empfehlung zum Einsatz von Truppen, für den Fall berechtigt erklärte, daß der Sicherheitsrat infolge Obstruktion eines ständigen Mitglieds unfähig sei, seiner Hauptaufgabe der Friedenssicherung nachzukommen (-* Generalversammlung; Friedenssicherung). Die Änderung der weltpolitischen Lage relativierte in der Folgezeit die Bedeutung dieser Resolution. Aber auch der Sicherheitsrat selbst wirkte der Gefahr der Lahmlegung seiner Arbeit durch „freiwillige", d. h. meist absichtliche Stimmenthaltung oder Abwesenheit eines ständigen Mitglieds entgegen, indem in ständiger, inzwischen zu Völkergewohnheitsrecht erstarkter Praxis Art. 27 Abs. 3 dahin gehandhabt wird, daß das Zustandekommen von Beschlüssen über Sachfragen nicht die ausdrückliche Zustimmung aller ständigen Mitglieder voraussetzt und nur im Falle eines ausdrücklich eingelegten Vetos scheitert. Rechtlich läßt sich das in erster Linie wohl mit der Verpflichtung aller Mitglieder des Sicherheitsrats aus Art. 28 begründen, stets am Sitz der Organisation vertreten zu sein. Eine Sanktion in Form des vermuteten Verzichts auf das Veto erscheint daher bei Verletzung dieser Pflicht angemessen. Damit ist die Beschlußfähigkeit des Sicherheitsrats über die beiden in Art. 27 Abs. 3 geregelten Fälle obligatorischer Stimmenthaltung hinaus in einem nicht unwesentlichen Punkt von dem Verhalten der ständigen Mitglieder unabhängig geworden. Resolutionen über Sachfragen können daher ohne auch nur ein einziges zustimmendes Votum eines ständigen Mitglieds verabschiedet werden, theoretisch sogar Sanktionen gegen ein ständiges Mitglied. Ein Rückgriff auf den Wortlaut des Art. 27 Abs. 3 ist nur mehr mit Zustimmung aller Ratsmitglieder möglich. Andererseits waren von jeher positive Beschlüsse auch ohne Einlegung eines Vetos zu verhindern, wenn sich wenigstens 5 (jetzt 7) Mitglieder zur Stimmenthaltung entschlossen oder dazu überredet werden konnten. Hierin lag auf Grund der politischen Kräfteverhältnisse in den ersten 20 Jahren eine Ursache für das auffällige Mißverhältnis in der Anwendungshäufigkeit des Vetos durch die UdSSR und die westlichen Länder (bis zum 15.2.1976 wurden insgesamt 143 Beschlüsse des Sicherheitsrats durch Veto verhindert, 110 Vetos entfielen auf die UdSSR, 12 auf die USA, 7 auf Frankreich, 11 auf Großbritannien, 3 auf China). Während der UdSSR zur Verhinderung ihr politisch unliebsamer Beschlüsse meist nur das Veto blieb, konnten die USA sie durch geschlossene Stimmenthaltung der ihnen gleichgesonnenen Staaten ohne Gebrauch des Vetos zum Scheitern bringen, manchmal aber auch nur dank verfahrensrechtlicher Spitzfindigkeiten (ζ. B. bei der Ablehnung der Aufnahme Albaniens und der Mongolei - SCOR (I) 55th mtg. vom 28.8.1948, p. 55, 68; 57th mtg. vom 29.8.1946, p. 132-135; -* Ost-West-Konflikt). Zur Stabilisierung des Kräfteverhältnisses in den Vereinten Nationen trug allerdings gerade der Umstand bei, daß die Großzahl der Vetos gegen die Aufnahme neuer Mitglieder gerichtet war. Dabei blockierten sich die UdSSR und die westlichen Länder gegenseitig. Zwischen September 1950 und Dezember 1955 erfolgte deshalb gar keine Neuaufnahme (-»· Mitgliedschaft). Schließlich wurde auch hierin am 14. Dezember 1955 in Form des sogenannten „package-deal" eine Lösung gefunden, wonach kommunistische und nicht-kommunistische Staaten gleichzeitig aufgenommen wurden. Die sprunghafte Vergrößerung der Mitgliederzahl (-»• Universalität) führte schließlich auch zur Vergrößerung der Zahl der nichtständigen Mitglieder im Sicherheitsrat von bisher 6 auf 10, unter gleichzeitiger verbindlicher geographisch-politischer Sitzverteilung (auf 5 afroasiatische, 1 osteuropäisch — kommunistischen, 2 lateinamerikanische und 2 westeuropäische und andere Staaten - GA Res. 1991 (XVIII) vom 17.12.1963, in Kraft seit 1.9.1965). Diese Entwicklung beeinflußte die gesamte Gewichtsverteilung unter den Organen der Vereinten Nationen (nach einer Phase gegenseitiger Blockierung von Generalversammlung und Sicherheitsrat mit Schwerpunktverlagerung zum -»• Generalsekretär, nicht zuletzt dank der starken Persönlichkeit Hammarskjölds, kam es allerdings wieder zu einer gewissen Dominanz des

Die Stimmrechtsregelung im -> ECOSOC und im -» Treuhandrat

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Sicherheitsrats). Vor allem führte sie aber zu einem äußerst sparsamen Gebrauch des Vetos (von 1962-64 nur 5, davon UdSSR: 4, Großbritannien: 1, 1965 kein Veto). Andere politische Gründe, insbesondere die Verbesserung der Beziehungen zwischen den USA und der UdSSR nach der Kuba-Krise kamen hinzu und begünstigten die Ausbildung einer neuen Form der Entscheidungsfindung im Sicherheitsrat. In diesem als consensus-procedure bekannt gewordenen Verfahren versuchen die Mitglieder des Sicherheitsrats auf Grund eines vorangegangenen Prozesses von internen Verhandlungen und Kompromissen mit oder ohne förmliche Abstimmung zu einer einstimmigen Entscheidung zu gelangen. Diese Form der Entscheidungsfindung unterscheidet sich nach Charakter und Art von früheren Verfahren, die bisweilen auch zu einer Entscheidung „by common consent" führten. Das ergibt sich schon aus ihrer jetzigen Häufigkeit. Von 1946 bis 1970 hat der Sicherheitsrat 179 Resolutionen im Rahmen seiner Aufgabe der Friedensbewahrung gefaßt, davon 50 auf Grund allseitiger Übereinstimmung. Von diesen fallen aber nur 7 in die Zeit bis 1963, wohingegen ζ. B. von 1966 bis 1970 durchschnittlich mehr als 6 pro Jahr auf diese Weise zustandegekommen sind. Dem Präsidenten des Sicherheitsrats fällt in diesem Verfahren eine wichtige Rolle zu. Die weitere Entwicklung der Abstimmungspraxis im Sicherheitsrat ist schwer vorherzusagen. Der 1971 erfolgte Übergang des ständigen Sitzes Chinas von Taiwan auf die Volksrepublik China hat zwar ein neues Kräftedreieck geschaffen, das nicht zuletzt durch die von China angestrebte Rolle eines Sprachführers der Dritten Welt gekennzeichnet wird, aber im Abstimmungsverfahren, insbesondere im Gebrauch des Vetos hat er bisher keine Veränderung bewirkt. Bedenkliche Auswirkungen auf das positiv zu bewertende Konsensus-Verfahren sind jedoch von der zunehmenden Übung der Einladung von Nicht-Ratsmitgliedern zur Teilnahme an den Erörterungen des Sicherheitsrats zu befürchten. Der vorläufige Höhepunkt wurde 1972 in der Sitzung des Sicherheitsrats von Addis Abeba erreicht, wo 23 NichtRatsmitglieder Gelegenheit zu teilweise rein propagandistischer Darlegung ihres Standpunktes hatten. Diese allenfalls durch sehr weitherzige Auslegung des Art. 31 gedeckte Praxis birgt die Gefahr, daß der Sicherheitsrat aus mißverstandenem Popularitätsstreben unnötigerweise Funktionen der Generalversammlung zu Lasten seiner eigentlichen Aufgaben übernimmt und dadurch die Freiheit zu verantwortlicher Entscheidung im richtigen Zeitpunkt untergräbt. Die Stimmrechtsregelung

im -* ECOSOC und im -»· Treuhandrat

Nach den inhaltsgleichen Art. 67 und 89 haben in beiden Fällen die Mitglieder je eine Stimme, und Beschlüsse werden stets mit der einfachen Mehrheit der anwesenden und abstimmenden Mitglieder gefaßt. Einzelheiten enthalten die inhaltlich weitgehend übereinstimmenden Geschäftsordnungen. Sie gestatten auf Verlangen namentliche Abstimmung. Erhält bei Wahlen eine Person oder ein Mitglied nicht die erforderliche Mehrheit, kommt es zu einer Stichwahl zwischen den beiden Kandidaten mit den meisten Stimmen, ergibt diese Stimmengleichheit, entscheidet der Präsident durch Los. Stimmengleichheit bei anderen als Wahlentscheidungen führt zur Wiederholung auf der nächsten Sitzung; ergibt sich abermals Stimmengleichheit, gilt der Vorschlag als abgelehnt. Besonderheit im ECOSOC: Entscheidungen, die sich auf Einzelpersonen beziehen, erfolgen geheim. Besonderheit im Treuhandrat: Stimmenthaltungen werden bei Ermittlung des Quorums nicht berücksichtigt. Stimmrechtsregelung

bei Chartaänderung und Änderung des IGH-Statuts

Auch in diese Verfahren ist ein „Vetorecht" zugunsten der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats eingebaut. Während eine auf Chartaänderung gerichtete Allgemeine Konferenz der Mitgliedstaaten durch eine beliebige Mehrheit von 9 Stimmen im Sicherheitsrat und von zwei Dritteln der Mitglieder der Generalversammlung gemeinsam einberufen (Art. 109

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Streitkräfte der Vereinten Nationen

Abs. 1) und dort eine Chartaänderung als solche mit einer Zweidrittelmehrheit ohne Unterschied der Stimmen beschlossen werden kann (Art. 109 Abs. 2, 1. Teil), ist das Inkrafttreten der Änderung von ihrer Ratifikation durch zwei Drittel der Mitglieder der Vereinten Nationen einschließlich aller ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats nach Maßgabe ihres Verfassungsrechts abhängig gemacht (Art. 108, 109 Abs. 2, 2. Teil). Änderungen des IGH-Statuts folgen den gleichen Regeln, vorbehaltlich der Bestimmungen, die die Generalversammlung auf Empfehlung des Sicherheitsrats für die Beteiligung der Staaten beschließt, die — wie ζ. B. die Schweiz — Vertragspartner des Statuts, aber nicht Mitglieder der Vereinten Nationen sind (Art. 69 IGH-Statut). Wahl der Mitglieder des IGH und Abstimmungsregeln am IGH Gewählt ist, wer in der Generalversammlung und im Sicherheitsrat die absolute Mehrheit der Stimmen erhält, wobei im Sicherheitsrat nicht zwischen ständigen und nicht-ständigen Mitgliedern unterschieden wird (Art. 10 Abs. 1 und 2 IGH-Statut). Am IGH werden Entscheidungen mit Stimmenmehrheit der anwesenden Richter gefaßt (Art. 55 Abs. 1 IGH-Statut), deren volle Zahl 15 beträgt (Art. 3 IGH-Statut) und die zur Erhaltung der Beschlußfähigkeit nicht unter 9 sinken darf (Art. 25 IGH-Statut). Bei Stimmengleichheit gibt die Stimme des Präsidenten oder des ihn vertretenden Richters den Ausschlag (Art. 55 Abs. 2 IGH-Statut). Literatur Bailey: The General Assembly of the United Nations — A Study of Procedure and Practice, 2nd ed. London 1964 ders.: Voting in the Security Council, London 1969 Dahm: Völkerrecht Band II, Stuttgart 1961 Goodrich / Hambro / Simons: Charter of the United Nations. Commentary and Documents, 3rd ed., New York / London 1969 Hiscocks: The Security Council, London 1973 Münch: Stichwort „Vereinte Nationen", in: Strupp / Schlochauer, Wörterbuch des Völkerrechts, Band 3, S. 494 ders.: Stichwort „Vetorecht", in: Strupp / Schlochauer, Wörterbuch des Völkerrechts, Band 3, S. 588 Neuhold: Die Rolle des Sicherheitsrates im System der Charta der Vereinten Nationen, in: Marschik / Neuhold, „Der Sicherheitsrat - Konzept und Verwirklichung", Wien 1973 Wolfgang Maneke Verweise auf: Ausschußsystem; Bundesrepublik Deutschland; China; Deutsche Demokratische Republik; ECOSOC; Entstehungsgeschichte; Friedenssicherung; Generalsekretär; Generalversammlung; Mitgliedschaft; Sicherheitsrat; Souveränität; Streitkräfte der Vereinten Nationen; Südliches Afrika; Treuhandrat; Universalität.

Streitkräfte der Vereinten Nationen Das System der Charta (Kapitel VII) Die Gründer der Vereinten Nationen hatten ein System der -» kollektiven Sicherheit vorgesehen. Die vom Sicherheitsrat festzustellende, erste Voraussetzung für den Einsatz von

Das „Uniting f o r Peace"-Sicherheitssystem

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Streitkräften der Vereinten Nationen sollte eine Bedrohung oder ein Bruch des Friedens oder eine Angriffshandlung sein (Art. 39). Nach Art. 42 sollte dann der Sicherheitsrat notfalls auch mit Streitkräften „die zur Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen durchführen" können. Für die Planung von Einsätzen wurde dem Sicherheitsrat ein aus den Generalstabschefs der ständigen Mitglieder zusammengesetzter Generalstabsausschuß beigegeben, dem auch die strategische Leitung von Operationen obliegen sollte (Art. 46, 47). Den Mitgliedstaaten wurde u. a. die Verpflichtung auferlegt, zur Friedenswahrung erforderlichenfalls nach Maßgabe eines oder mehrerer Sonderabkommen dem Sicherheitsrat auf sein Ersuchen Streitkräfte zur Verfügung zu stellen (Art. 43). Sonderabkommen nach Art. 43 sind nicht zustandegekommen. Zwar wurde Einvernehmen über den Grundsatz erzielt, die Streitkräfte der Vereinten Nationen sollten aus nationalen Kontingenten (Art. 3 des Berichts vom 30.4.1947, SCOR (II) special supplement No. 1), vorrangig solchen der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats (Art. 10), bestehen, also nicht eine neu aufzustellende, eigenständige, internationale Armee sein. Doch über den Verteilungsschlüssel im einzelnen (Art. 11), die Modalitäten der Beendigung eines Einsatzes (Art. 20, 21), die Festlegung von Stärke, Zusammensetzung und Bereitschaftsgrad der Luftwaffenkontingente (Art. 16, 25), sonstige Hilfeleistungen, insbesondere die Öffnung von Militärbasen (Art. 26), und die Stationierung der bereitzustellenden Einheiten (Art. 32—34) scheiterte eine Einigung an der Haltung der UdSSR, teilweise aber auch Frankreichs. Vor allem die Sowjetunion setzte sich für Formulierungen ein, die weitestgehend die nationale Souveränität unangetastet ließen und den Sicherheitsrat in jeder Lage Herr des Verfahrens hätten sein lassen. Somit blieb das Sicherheitssystem der Charta unvollständig. Das „ Uniting for

Peace"-Sicherheitssystem

Auf Grund der Lahmlegung des Sicherheitsrats durch die Nein-Stimmen der UdSSR (-*• Stimmrecht) und unter dem Eindruck von dessen Handlungsunfähigkeit während des Koreakriegs (-> Korea) nach der Rückkehr des sowjetischen Delegierten, der wegen des Streits über die Vertretung Chinas vom 13. Januar bis zum 31. Juli 1950 ferngeblieben war, verabschiedete die Generalversammlung am 3. November 1950 die „Uniting for Peace" benannte Resolution 377 (V). Damit wollte sie ein neues Sicherheitssystem schaffen, in dessen Mittelpunkt sie selber stand. Danach sollte die Generalversammlung bei Versagen des Sicherheitsrats im Falle einer Friedensgefährdung berechtigt sein, den Mitgliedern „Empfehlungen für Kollektivmaßnahmen zu geben, im Falle des Friedensbruchs oder einer Angriffshandlung auch für den Gebrauch bewaffneter Kräfte". Dazu sollte notfalls eine „Notsondersitzung" einberufen werden können, ohne daß dem die negative Haltung eines ständigen Sicherheitsrats-Mitglieds entgegenstünde. Auch dieses Sicherheitssystem hat sich nicht durchgesetzt. Die Generalversammlung hat es nie gewagt, das Sanktionsinstrumentarium (-> Sanktionen) der von der Sowjetunion von Anfang an als rechtswidrig verurteilten Resolution 377 (V) auf die Probe zu stellen. Das auf die Ausmanövrierung der den USA gegenüberstehenden Weltmacht angelegte System („Acheson-Plan") trug zu deutlich das Zeichen der Parteilichkeit und war damit selber konfliktsträchtig. Der Einsatz bewaffneter Einheiten durch die Vereinten Nationen geschah schließlich unter anderen Bedingungen und Formen, als sie die Gründer der Organisation oder die Verfasser der Resolution 377 (V) im Auge gehabt hatten. Die Grundstruktur dieser „friedenssichernden Operationen" (peace-keeping operations) folgt nicht einem vorformulierten Muster. Sie beruht auf einer praktischen Übung, die zwar im Verlaufe ihrer Verfestigung Akzentverschiebungen und atypische Aktionen gekannt hat, jedoch die Aufzeichnung eines Schemas erlaubt.

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Streitkräfte der Vereinten Nationen

Die Entwicklung der Praxis: Das Schema Bei seiner Herausbildung ist die erste Nahost-Friedenstruppe der Vereinten Nationen (United Nations Emergency Force / UNEF I) ein wesentlicher Meilenstein gewesen (-> Nahost). Nach Ausbruch des Suezkrieges beschloß der durch Frankreich und das Vereinigte Königreich blockierte Sicherheitsrat am 3 1 . Oktober 1956 mit der Stimme der U d S S R , gemäß der Resolution „Uniting for Peace" eine Notsondersitzung der Generalversammlung einzuberufen und die Sache an sie zu verweisen (Res. 119 (XI)). Bei Stimmenthaltung u. a. der sozialistischen Länder errichtete die Generalversammlung am 5. November das Oberkommando für eine internationale Streitmacht „to secure and supervise the cessation o f hostilities" (Res. 1 0 0 0 (ES-I)). Zwangsmaßnahmen wurden nicht vorgesehen. Die Generalversammlung bestimmte einen Befehlshaber und unterstellte ihn der Weisungsbefugnis des Generalsekretärs unter ihrer eigenen Oberaufsicht. Die Streitmacht sollte aus nationalen Kontingenten ohne Beteiligung der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates bestehen (Res. 1000 (ES-I)) und ausgewogen zusammengesetzt sein (Res. 1001 (ES-I) vom 7 . 1 1 . 1 9 5 6 ) . Die nationalen Einheiten wurden freiwillig und auf ad hoc-Basis zur Verfügung gestellt. Alle am Streit beteiligten Parteien waren mit der Errichtung von UNEF I einverstanden, wie es Resolution 9 9 8 (ES-I) vom 4. November 1956 zur Voraussetzung gemacht hatte. Ägypten stimmte der Aktion am 5. November 1956 ausdrücklich zu (Doc. A/3295). Noch vor dem Eintreffen einer Vorhut willigte es in die Stationierung von Streitkräften der Vereinten Nationen auf seinem Territorium ein. Am 8. Februar 1957 schließlich einigte es sich mit der Organisation der Vereinten Nationen auf ein die Einzelfragen regelndes, 4 4 Punkte umfassendes Stationierungsabkommen (Status of Forces Agreement), das erste seiner Art (Doc. A/3526). Von dem Gebrauch bewaffneter Kräfte im Rahmen eines Systems der kollektiven Sicherheit und zur militärischen Lösung eines friedensgefährdenden Konflikts war man also weit entfernt, und mit dem Geist der Resolution 3 7 7 ( V ) hatte dieses Vorgehen trotz der Einschaltung der Generalversammlung auch insoweit wenig gemein, als der Streitkräfteeinsatz nicht vor dem Hintergrund einer Konfrontation der beiden Großmächte durchgesetzt worden war. Es ist bezeichnend und konsequent, daß die Generalversammlung auf die gleichzeitige sowjetische Intervention in Ungarn lediglich mit Appellen zum Rückzug reagierte (ζ. B. Res. 1 0 0 4 (ES-II) vom 4 . 1 1 . 1 9 5 6 ) und Gegenmaßnahmen zur Wiederherstellung des internationalen Friedens nicht erwog. Hier wurde deutlich, daß der Einsatz von Streitkräften der Vereinten Nationen realistischerweise nur außerhalb der unmittelbaren Einflußsphäre einer Großmacht in Betracht kommt, und außerdem nur in der Form einer sog. „peacekeeping operation". Ein solcher Hilfseinsatz stellt sich im Ergebnis dar als „eine situationserhaltende (gemeint ist: die politische Konfliktsbewältigung nicht berührende, also politisch neutrale) Operation, welche die Vereinten Nationen ohne Zwangsanwendung und auf der Grundlage allseitigen Einvernehmens durchführen" (Virally). Es gibt etliche Systematisierungsversuche, die vor allem auf Aufgabe und Umfang der Einsätze abstellen. So wird zwischen Streitmacht und Beobachtermission differenziert sowie zwischen unterschiedlichen militärischen Funktionen wie Pufferbildung (ζ. B. United Nations Disengagement Observation Force / UNDOF auf dem Golan, SC Res. 3 5 0 ( X X I X ) vom 3 1 . 5 . 1 9 7 4 ) , Durchsetzung von Feuereinstellung (ζ. B. United Nations India-Pakistan Observation Mission / UNIPOM in Kaschmir, SC Res. 211 ( X X ) vom 2 0 . 9 . 1 9 6 5 ) , Waffenstillstandsüberwachung (klassisches Beispiel die United Nations Truce Supervision Organization / UNTSO in Nahost, SC Res. 5 0 ( I I I ) vom 2 9 . 5 . 1 9 4 8 und 73 ( I V ) vom 1 1 . 8 . 1 9 4 9 ) und Grenzüberwachung zur Infiltrationsabwehr (z. B. United Nations Observer Group in Lebanon / UNOGIL, SC Res. 128 ( X I I I ) vom 1 1 . 6 . 1 9 5 8 ) . Eine erste zusammenfassende Darstellung der Eigenart von peace-keeping operations stammt von Dag Hammarskjöld (Bericht vom 9 . 1 0 . 1 9 5 6 , Doc. A/3943).

Die Sonderfälle

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Die Sonderfälle Vor allem der Korea-Krieg nimmt eine Sonderstellung ein (-> Korea). Zwar fand die von amerikanischen Truppen dominierte und von einem amerikanischen General kommandierte Aktion unter den Auspizien der Vereinten Nationen statt, doch die legitimierende Sicherheitsrats-Resolution 82 ( V ) vom 2 5 . Juni 1 9 5 0 wurde nur dadurch möglich, daß die Sowjetunion den Sicherheitsrat seinerzeit boykottierte; im übrigen erklärte sie alle währenddessen gefaßten Beschlüsse für rechtswidrig. Über die systematische Einordnung und rechtliche Beurteilung dieser Einschaltung der Vereinten Nationen hat von Anfang an Streit geherrscht. Als Rechtsgrundlage der Resolution 8 2 ( V ) , die lediglich den Charakter einer Empfehlung hatte, sind insbesondere Art. 39, allein oder in Verbindung mit Art. 4 2 , und Art. 51 (kollektive Selbstverteidigung) genannt worden, wobei nicht unumstritten ist, ob Art. 3 9 isoliert Rechtsgrundlage sein kann. Fest steht, daß die militärische Aktion in Korea wegen der Feindseligkeit der U d S S R und der Prägung durch die amerikanische Vorherrschaft nicht in das Charta-System der kollektiven Sicherheit paßt und aus denselben Gründen sowie wegen der Anwendung von Zwang und des Fehlens politischer Neutralität auch dem Schema der peace-keeping operations in keiner Weise gerecht wird. Von diesem Modell entfernte sich auch zusehends das Eingreifen der Vereinten Nationen im Kongo (Organisation des Nations Unies pour le Congo / ONUC, SC Res. 143 ( X V ) vom 1 4 . 7 . 1 9 6 0 ) , die nach immer tiefer gehender Verstrickung in den inneren Zwist des Landes schließlich Partei nahmen und auf der rechtlich problematischen Grundlage der Sicherheitsrats-Resolution 169 ( X V I ) vom 24. November 1961 die Sezession Katangas mit Waffengewalt beendeten. Ein Sonderfall war wohl auch der Hilfseinsatz in Westirian, wo die United Nations Security Force ( U N S F ) auf Grund eines von der Generalversammlung bestätigten (Res. 1 7 5 2 ( X V I I ) vom 2 1 . 9 . 1 9 6 2 ) niederländisch-indonesischen Abkommens einer von den Vereinten Nationen gestellten zivilen Übergangsverwaltung als Ordnungshüter mit Polizeiaufgaben diente.

Kompetenzfragen Die Auffassung, die Vereinten Nationen hätten als internationale Organisation natürliche Zuständigkeiten, zu denen mangels entgegenstehender Chartabestimmung auch diejenige für peace-keeping operations gehöre (Seyersted; spitzer formuliert: Die Organisation dürfe tun, was ihr nicht verboten sei), hat sich nicht durchgesetzt. Eine zumindest implizite Zuständigkeitsbegründung durch die Charta ist unentbehrlich. Der Internationale Gerichtshof (IGH) leitet diese von dem Ziel der Organisation, der Friedenssicherung zu dienen (Art. 1 Ziff. 1) ab und meint sogar, zugunsten von Aktionen, die auf dieses Ziel gerichtet seien, bestehe die Vermutung, daß sie in die Kompetenz der Organisation fielen (Certain-Expenses-Gutachten, I C J Reports 1 9 6 2 p. 168). Der Richter Winiarski hat in seiner abweichenden Meinung die Gegenposition bezogen, von der Zielsetzung dürfe nicht auf die Zulässigkeit bestimmter Mittel und Verfahrensweisen geschlossen werden ( I C J Reports 1 9 6 2 p. 2 3 0 ) . Zu dem gleichen Ergebnis führt der Standpunkt, gerade aus der Spezialregelung im VII. Kapitel müsse der Umkehrschluß gezogen werden, eine allgemeine Zuständigkeit der Organisation für peace-keeping operations sei durch die Charta nicht impliziert. Mit der Annahme einer solchen allgemeinen Zuständigkeit wäre in der Tat wenig erreicht, da die Fragen der Organkompetenz und von Zuständigkeitsgrenzen in jedem Falle noch zu klären blieben. Organisations- und Organkompetenzen sind letztlich derart eng miteinander verknüpft, daß sie kaum getrennt untersucht zu werden pflegen. Im wissenschaftlichen Schrifttum wird jedenfalls für alle peace-keeping operations eingehend untersucht, welche Chartabestimmung als genaue Rechtsgrundlage bezeichnet werden dürfe. Die Resolutionstexte sind dabei insofern wenig hilfreich, als es die beschlußfassenden Organe wegen Meinungsverschiedenheiten in Grundsatzfragen in aller Regel vermeiden, Chartaartikel zu zitieren oder auch nur deren Terminologie zu verwenden. Insbesondere die UdSSR wünscht keine

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Bezugnahme auf Kapitel V I I , mag sie auch den Standpunkt, dessen Anwendbarkeit hänge von der Durchführung des Art. 43 ab, nicht immer folgerichtig vertreten und beispielsweise fur die Kongo-Aktion gestimmt haben, die sich kaum außerhalb des Kapitels V I I einordnen läßt (anders wohl der IGH, ICJ Reports 1962 p. 177). Die überwiegende Meinung hält „vorläufige Maßnahmen" im Sinne von A r t . 4 0 und „Empfehlungen" gem. Art. 39 trotz fehlender Sonderabkommen ( A r t . 4 3 ) für zulässig und ist nur in Ansehung von militärischen Zwangsmaßnahmen ( A r t . 4 2 ) zurückhaltend. A m häufigsten wird Art. 40 als Rechtsgrundlage zitiert. Die Operationen im Libanon und im Jemen ( 1 9 6 3 ) werden fast einhellig dem Kapitel V I (Maßnahmen zur friedlichen Beilegung von Streitfallen) zugeordnet ( A r t . 34 oder 36). Vielfach herrscht Unsicherheit. Besondere Probleme werfen die Einsätze in Korea und im K o n g o auf, weil die Zwangsanwendung auf A r t . 42 hinweist. Die zentrale Stellung des Sicherheitsrates bei einer Einsatzentscheidung wird mittlerweile kaum noch in Zweifel gezogen. In der Rückschau stellt sich die Frage, ob der Vorrang des Sicherheitsrats durch die Generalversammlung jemals in erheblichem Maße in Frage gestellt gewesen ist. Die von der Generalversammlung eingesetzte U N E F I ist in zweifacher Hinsicht ein fragwürdiges Beispiel: Zum einen geschah die Ausschaltung des Sicherheitsrats seinerzeit mit dem Einverständnis der UdSSR, bezweckte mithin nicht deren Ausspielung; zum anderen widersprachen schließlich auch Frankreich und das Vereinigte Königreich nicht dem Hilfseinsatz der Vereinten Nationen. Dieser wurde im Ergebnis nicht durch eine „Machtergreifung" der Generalversammlung, sondern durch die besondere weltpolitische Konstellation, vor allem die Einstellung der USA, ermöglicht. Auch U N S F in Westirian, die ohne Einschaltung des Sicherheitsrats zustandegekommen ist, gewinnt in diesem Zusammenhang keine entscheidende Bedeutung, denn als die Generalversammlung Resolution 1752 ( X V I I ) annahm — bemerkenswerterweise mit der Stimme der UdSSR, die der Generalversammlung ansonsten jede einschlägige Kompetenz abspricht - , ging es nur noch um die Bestätigung eines von Indonesien und den Niederlanden gemeinsam gewünschten Hilfseinsatzes. Ein einziges Mal, und zwar bei der Schaffung der United Nations Special Commission on the Balkans ( U N S C O B , Res. 109 ( I I ) vom 2.10.1947) zur Untersuchung angeblicher Verletzungen der griechischen Grenze, hat die Generalversammlung eine Aktion gegen den erklärten Widerstand der Sowjetunion eingeleitet. Dieses frühe Beispiel hat keine Nachfolge gefunden. Auch der Wechsel in der Vertretung Chinas im Sicherheitsrat hat dem Gedanken an eine Aufwertung der Generalversammlung keine neue Nahrung gegeben, da sich die Volksrepublik China an Abstimmungen über Friedensaktionen grundsätzlich nicht beteiligt (seit 1971 U N E F II, U N D O F und Mandatsverlängerungen, z. B. für den Einsatz auf Zypern). Die Frage bleibt, ob die Generalversammlung unter dem geltenden Chartawortlaut überhaupt befugt ist, über den friedenssichernden Hilfseinsatz von Streitkräften Beschluß zu fassen. Der I G H hat das trotz Art. 24 für den Fall bejaht, daß keine Zwangsmaßnahmen ergriffen und die Beschlüsse in die Form von Empfehlungen gekleidet werden (ICJ Reports 1962 p. 162—165), und zu erkennen gegeben, daß er Art. 14 für die Rechtsgrundlage von U N E F I hält. Die „Uniting for Peace"-Resolution erwähnte er dabei an keiner Stelle. Art. 24 bleibt der Ausgangspunkt für all diejenigen, die weiterhin den Standpunkt einnehmen, jedes militärische Engagement der Organisation setze eine Zustimmung des Sicherheitsrats unabdingbar voraus.

Herr des Einsatzes,

Mandat

Neben dem Einsatzbeschluß bilden die präzisierenden Emsatzbestimmungen (regulations), die der Generalsekretär zu erlassen pflegt, die wesentliche Beurteilungsgrundlage für die Frage, inwieweit die nationalen Kontingente unter der Eigenverantwortung der Entsendestaaten verbleiben bzw. in eine organschaftliche Stellung innerhalb der Vereinten Nationen eintreten. Die Hoheitsrechte der Herkunftsländer werden durch Mitwirkungsvereinbarungen geschützt, welche die Organisation mit diesen Staaten üblicherweise trifft. Die Entsende-

Dauer

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Staaten behalten sich dort regelmäßig ein Minimum an Einwirkungsrechten vor, wenigstens in der Form einer Kündigungsklausel. Es wird auch wieder häufiger an die Bereitstellung einer ständigen Einsatzreserve gedacht. Norwegen, Dänemark und Schweden unterhalten solche Kontigente freiwillig seit 1964 („stand-by forces"; ->• Beistandspflicht). Einige andere Länder haben sich dem angeschlossen. Auch der Abschluß der in Art. 43 vorgesehenen Sonderabkommen ist wieder in das Gespräch gebracht worden. Die Sowjetunion nimmt hier eine pragmatische, allen Möglichkeiten gegenüber aufgeschlossene Haltung ein (Doc. A/8669 vom 20.3.1972). Dieser Fragenkomplex sowie zahlreiche andere Einzelprobleme sind Gegenstand zum Teil tiefgreifender Meinungsverschiedenheiten im Sonderausschuß für friedenssichernde Operationen (Special Committee for Peace-keeping Operations), den die Generalversammlung am 18. Februar 1965 eingesetzt hat (Res. 2006 (XIX)) und der einen Kodex ausarbeiten soll (das vielfach sogenannte „Kapitel Via"). Durch die Schaffung von Präzedenzfällen hat es die Sowjetunion teilweise verstanden, ihrer von Frankreich unterstützten Forderung nach einem uneingeschränkten Primat des Sicherheitsrats in allen Phasen eines Einsatzes Nachdruck zu verleihen. An eine Aufwertung der Generalversammlung denken nur noch wenige Staaten (etwa Brasilien, Japan, Jugoslawien und mehrere afrikanische Länder in Stellungnahmen an den Sonderausschuß). Die USA teilen in dieser Beziehung nunmehr die ablehnende Haltung der UdSSR (Doc. A/8676 vom 3.4.1972). Im Mittelpunkt des Meinungsstreits steht das Ausmaß der Handlungsfreiheit, die dem -»• Generalsekretär einzuräumen sei. Dessen Aktivitäten waren zeitweilig als Gefährdung der Vorherrschaft des Sicherheitsrats empfunden worden. Er ist erstmals bei der Vorbereitung des Hilfseinsatzes im Jemen deutlich in seine Grenzen verwiesen worden. Als er sich anschickte, ohne Beschluß des Sicherheitsrats eine militärische Beobachtermission zu entsenden (United Nations Yemen Observation Mission / UNYOM), kam ihm der Sicherheitsrat auf Betreiben der Sowjetunion durch Resolution 179 (XVIII) vom 11. Juni 1963 zuvor. Im Falle von UNOGIL hatte sich der Generalsekretär nicht gescheut, sich durch großzügige Interpretation der Sicherheitsrats-Resolution 128 (XIII) für berechtigt zu halten, den Umfang der Mission erheblich zu vergrößern, obwohl ein dahingehender besonderer Resolutionsentwurf am sowjetischen Veto gescheitert war. Im Verlaufe der Kongo-Aktion waren die sozialistischen Staaten soweit gegangen, die Beziehungen zu dem Generalsekretär, dem sie eigenmächtiges Vorgehen und parteiisches Verhalten vorwarfen, abzubrechen. Die umfassende Kontrolle, die der Sicherheitsrat ausübt, hat sich in zunehmendem Maße auch auf Dauer und Umfang des Einsatzes sowie Zusammensetzung und Befehligung der Streitkräfte erstreckt. Dauer Ursprünglich wurde das Mandat der eingesetzten Kräfte nicht von vornherein zeitlich beschränkt. S o besteht eine Beobachtermission in Kaschmir seit 1949 kraft SicherheitsratsResolution 47 (III) vom 21. April 1948 (United Nations Military Observer Group in India and Pakistan / UNMOGIP). Die Sowjetunion konnte erstmals bei der Aufstellung der United Nations Peace-keeping Force in Cyprus (UNFICYP; -*• Zypern) durchsetzen, daß der Sicherheitsrat den Einsatz auf zunächst drei Monate begrenzte (Res. 186 (XIX) vom 4.3.1964). Zwar ist das Mandat seitdem regelmäßig (halbjährlich) erneuert worden, doch die automatische Neubefassung gewährleistet eine kontinuierliche Überprüfung, bei der jeweils das Vetorecht gebraucht werden kann. Durch dieses Verfahren wird zugleich das Problem entschärft, ob das Gastland der Stationierung von Streitkräften der Vereinten Nationen auf seinem Territorium jederzeit ein Ende zu bereiten vermag. Die Frage wurde 1967 akut, als der ägyptische Staatspräsident kurz vor Ausbruch des Sechstagekrieges den sofortigen Abzug von UNEF I verlangte. Diese Forderung wurde im Hinblick auf die Souveränität Ägyptens und das daraus abzuleitende Konsens-

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Streitkräfte der Vereinten Nationen

prinzip nach ganz überwiegender Meinung zu Recht erfüllt. Die Übung, befristete Mandate zu erteüen, hat sich mit UNEF II (Res. 340 (XXVIII) vom 25.10. und 341 (XXVIII) vom 27.10.1973) und UNIX)F verfestigt. Auch die Vereinigten Staaten befürworten jetzt eine periodische Überprüfung von Emsatzmandaten. Zusammensetzung UNEF II hat den Durchbruch bedeutet für eine neue Praxis bei der Zusammensetzung von Streitkräften. Lange Zeit hatte der Sicherheitsrat dem Generalsekretär insoweit recht viel Spielraum überlassen. 1973 indessen klärten die Sicherheitsrats-Mitglieder die Zusammensetzung der Truppe in informellen Gesprächen untereinander und überließen dem Generalsekretär nur noch die Durchführung ihrer Verabredungen. Seit UNEF I war es — entgegen früherer Übung — die Regel gewesen, daß die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates von Streitkräften der Vereinten Nationen ausgeschlossen blieben, wobei allein die Mitwirkung des Vereinigten Königreichs an UNFICYP eine - historisch bedingte — Ausnahme bildete. Außerdem war mit der Ausnahme Jugoslawiens niemals ein sozialistisches Land beteiligt worden. Sicherheitsrats-Resolution 341 (XXVIII) sah durch die Bezugnahme auf einen Bericht des Generalsekretärs erstmals vor, die Streitmacht müsse gemäß dem Grundsatz der geographischen Ausgewogenheit, der sich zu einem tragenden Verfahrensprinzip der Vereinten Nationen entwickelt hat, zusammengesetzt sein. Für das sozialistische Lager kamen polnische Kontingente. Die UdSSR hat daraufhin gute Aussichten, die Anerkennung des Prinzips der geographischen und politischen Ausgewogenheit durch den Sonderausschuß zu erreichen. Der Sonderausschuß hat jedenfalls angekündigt, er werde sich von den bei den neuen Hilfsemsätzen im Nahen Osten gesammelten Erfahrungen inspirieren lassen können (Bericht vom 31.10.1974, Doc. A/9827); die von ihm publizierten Textalternativen zu diesem Punkt (Annex, p. 7, 8) rechtfertigen die Annahme, die USA widersetzten sich nicht länger einem Zwang zum Gleichgewicht. Ob künftig auch mit einer stärkeren Präsenz der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats gerechnet werden muß, ist einstweilen offen. Zwar blieben diese noch UNEF II (kraft SC Res. 340 (XXVIII)) und UNDO F fem, aber in UNTSO traten nach dem Jom-Kippur-Krieg auch amerikanische, russische und französische Beobachter ein. Die UdSSR, Frankreich und das Vereinigte Königreich beharren darauf, daß die ständigen Sicherheitsrats-Mitglieder von Streitkräften der Vereinten Nationen nicht grundsätzlich ausgeschlossen sein dürften. Umstritten ist, inwiefern bei der Auswahl der Militäreinheiten auf die Streitparteien Rücksicht zu nehmen ist. In der Vergangenheit ist das in der Regel wenigstens gegenüber dem Aufnahmestaat geschehen, obwohl bezweifelt wird, daß dessen Hoheitsrechte in den Bereich einer Entscheidung eingreifen können, welche die Vereinten Nationen in eigener Verantwortung zu treffen haben. Auch im Falle von UNEF II haben Konsultationen stattgefunden. Während den Einwendungen des Stationierungslandes in Übereinstimmung mit der Grundsatzposition der UdSSR (Doc. A/8669) alsdann Rechnung getragen wurde, vermochte sich Israel mit der Ablehnung von Kontingenten aus dem sozialistischen Lager nicht durchzusetzen. Problematisch bleibt in diesem Zusammenhang, inwieweit eine Verabredung des Inhaltes „Die UNEF besteht weiterhin aus Einheiten von Ländern, die nicht ständige Mitglieder des Sicherheitsrats sind" (Ägyptisch-israelisches Truppenentflechtungsabkommen vom 18.1.1974) die Vereinten Nationen binden kann. Wegen des Konsensprinzips wird die Organisation kaum daran vorbeigehen können. Operationsleitung Die USA schicken sich nur widerstrebend in die weitere Entmachtung des Generalsekretärs bei der Auswahl von Entsendestaaten. Die gleiche Haltung nehmen sie im Hinblick auf Operationsleitung und Bestimmung des Befehlshabers ein. Die UdSSR möchte hier die Ent-

Finanzierung

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scheidungsgewalt und Kontrolle des Sicherheitsrats zu jedem Zeitpunkt gewährleistet sehen. Zu seiner Entlastung wäre sie mit einer Wiederbelebung des Generalstabsausschusses oder der Bildung eines Sicherheitsrats-Sonderausschusses (Committee on Direction of Operation) nach Art. 29 mit beratender und unterstützender Funktion einverstanden. In dem Ausschuß sollten j e nach Bedarf auch nichtständige Mitglieder des Sicherheitsrats und sonstige, insbesondere an der Operation beteiligte, Staaten vertreten sein können; Beschlüsse bedürften jedoch der Zustimmung aller ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats. Der Ausschuß solle auch die Aufgabe haben, mit Blick auf künftige Einsätze eine Vorschlagsliste mit den Namen geeigneter Befehlshaber aufzustellen und im akuten Falle nach Konsultationen mit dem Aufnahmestaat eine dieser Persönlichkeiten dem Sicherheitsrat zur Ernennung vorzuschlagen (Doc. A/8669). Die USA wären mit der Errichtung eines solchen Nebenorgans einverstanden, würden ihm aber nach dem Vorbilde ähnlicher Gremien bei UNEF I, UNOGIL (dort allerdings ohne formellen Beschluß) und ONUC in erster Linie die Beratung des Generalsekretärs sowie die Rolle eines Verbindungsgliedes zwischen diesem und dem Sicherheitsrat zuweisen. Unter Aufgabe ihrer früheren Positionen gestehen die USA j e t z t zu, daß der Befehlshaber nach umfassenden Konsultationen durch den Generalsekretär auf dessen Vorschlag vom Sicherheitsrat zu bestimmen sei. Der bei UNEF II eingeschlagene Weg ist den Vorstellungen der UdSSR nicht gefolgt. Der Befehlshaber wurde wiederum vom Generalsekretär ernannt, wenn auch erst nach Zustimmung des Sicherheitsrats, und die Leitung des Einsatzes wurde anvertraut „den Vereinten Nationen, wahrzunehmen vom Generalsekretär unter der Autorität des Sicherheitsrats" (Doc. S / 1 1 0 5 2 , 27.10.1973). Ein sowjetischer Vorstoß, der auf die Übernahme des von der UdSSR begünstigten Modells abgezielt hatte, war fehlgeschlagen. Es ist wohl auch kaum ein Zufall, daß das Protokoll zu dem von den USA vermittelten syrisch-israelischen Truppenentflechtungsabkommen vom 31. Mai 1974 amerikanischen Vorstellungen weit entgegenk o m m t , wenn es vorsieht: „Die Stärke der UNDOF wird rund 1250 Mann betragen, die vom Generalsekretär der Vereinten Nationen in Abstimmung mit den Parteien aus den Mitgliedern der Vereinten Nationen, die nicht ständige Mitglieder des Sicherheitsrates sind, ausgewählt werden. Die UNDOF wird unter dem K o m m a n d o der Vereinten Nationen stehen, das vom Generalsekretär unter der Autorität des Sicherheitsrats wahrgenommen wird". Es läßt sich nicht absehen, ob die mit UNSF und UNYOM begonnene und hier in besonders bemerkenswerter Form fortgesetzte Übung, den Vereinten Nationen nur noch die Durchführung bilateraler Abkommen zu überlassen, eine allgemeine darstellt. Das 2. ägyptischisraelische Truppenentflechtungsabkommen vom 4. September 1975, das der Sicherheitsrat mit Resolution 378 (XXX) vom 23. Oktober 1975 zur Kenntnis genommen hat, bedeutet jedenfalls einen weiteren Schritt in diese Richtung. Finanzierung Der Sonderausschuß verdankt seine Entstehung am 18. Februar 1965 unmittelbar einem Streit um Finanzierungsfragen, der die Vereinten Nationen während der 19. Sitzungsperiode der Generalversammlung einer Zerreißprobe unterworfen hat. Die UdSSR und Frankreich hatten sich geweigert, zu den Kosten von UNEF I und ONUC beizutragen, weil sie meinten, die Generalversammlung sei mit den entsprechenden Finanzierungsbeschlüssen, die von dem für Friedenssicherungsmaßnahmen zuständigen Sicherheitsrat hätten gefaßt werden müssen, über ihre Kompetenzen hinausgegangen. Der IGH gab der Generalversammlung in seinem Certain-Expenses-Gutachten vom 20. Juli 1962 recht (ICJ Reports 1962 p. 150). Die UdSSR vertrat darüber hinaus die Auffassung, grundsätzlich sei der Aggressor deijenige, der für die Kosten einer Friedenssicherungsaktion aufzukommen habe. Die weiteren friedenssichernden Operationen der 60er Jahre wurden mit freiwilligen Beiträgen finanziert. Der bei UNEF II unter A u f n a h m e früherer Anregungen gefundene Kompromiß dürfte einen neuen Weg gewiesen haben: Die UdSSR duldete, daß der Sicherheitsrat die Finanzierungsentscheidung der

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Streitschlichtung

Generalversammlung überließ. Diese setzte ein Dreiklassenzahlungsschema fest, wonach die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats zusammen ca. 6 3 %, die sonstigen entwickelten Industriestaaten ( 2 3 ) ca. 35 % und die Entwicklungsländer ca. 2 % (die 24 am wenigsten entwickelten dabei nur 0,05 %) beizusteuern hätten. Die Verteilung innerhalb der Gruppen habe dem Beitragsschlüssel zu folgen (Res. 3101 (XXVIII) vom 11.12.1973; -»• Beitragssystem, Haushalt). Die Hauptverantwortung der ständigen Sicherheitsrats-Mitglieder zeichnet sich damit auch im Bereich der Finanzierung ab; unklar bleibt, wie der zahlungsunwilligen Volksrepublik China begegnet werden wird. Ausblick Ein konkreter Erfolg des Sonderausschusses ist die Ausarbeitung eines Standard-Statusabkommens (Doc. A / A C . 1 2 1 / 1 7 , 19.6.1968). Besondere Probleme waren dabei allerdings nicht zu bewältigen, da schon zuvor anerkannt war, daß die Streitkräfte der Vereinten Nationen im Aufenthaltsstaat die allgemein gültigen Gesetze beachten, Bewegungsfreiheit haben, über freie Nachrichtenverbindungen verfügen u n d unter der Straf- und Disziplinargewalt der jeweiligen Herkunftsländer verbleiben müßten und die örtlichen Zivilbehörden nicht behindern, mit Waffen z u m persönlichen Schutz ausgerüstet sein und diese Waffen nur zur Selbstverteidigung gebrauchen dürften. Die Lösung der meisten anderen Fragen ist in der Schwebe. Zu den wichtigsten Erfahrungen der Vergangenheit gehört, daß die Organisation auch ohne Einigung in Grundsatzfragen aktionsfähig ist. Literatur Ballaloud: L'ONU et les opérations de maintien de la paix, Paris 1971 ders.: L'observation militaire dans le système des Nations Unies, in: RGDIP vol. 78 ( 1 9 7 4 ) p. 399 Bowett: United Nations Forces. A Legal Study of United Nations Practice, London 1964 Higgins, R.: United Nations Peacekeeping 1946—1967, Documents and Commentary. Vol. I (The Middle East), II (Asia), London 1 9 6 9 , 1 9 7 0 Manin: L'organisation des Nations Unies et le maintien de la paix. Le respect du consentement de l'Etat, Paris 1971 Menzel: Die militärischen Einsätze der Vereinten Nationen zur Sicherung des Friedens, in: J I R B d . 15 (1971), S. 11. Seyersted: United Nations Forces in the Law of Peace and War, Leyden 1966 Strasser: Die Beteiligung nationaler Kontingente an Hilfseinsätzen internationaler Organisationen, in: ZaöRV 1974 S. 6 8 9 Virally: L'organisation mondiale (p. 4 6 7 - 5 3 1 ) , Paris 1972 Norbert J. Prill Verweise auf·. Beistandspflicht; Beitragssystem; Haushalt; Generalsekretär; Kollektive Sicherheit; Kongo; Korea; Nahost; Sanktionen; Stimmrecht; Zypern.

Streitschlichtung Allgemeines Alle Verfahren, die der friedlichen Beilegung von Streitigkeiten zwischen Staaten dienen, gehören mit in den Rahmen der Bemühungen u m eine internationale Friedenssicherung.

Diplomatische Formen der Streitbeilegung

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Sie stellen ein Instrumentarium zur Bereinigung von Staatenkonflikten zur Verfügung und sollen im Idealfall die Anwendung von Gewalt verhüten (so ausdrücklich Art. 1 Abkommen zur friedlichen Erledigung internationaler Streitfalle vom 18.10.1907 (I. Haager Abkommen), Berber S. 1683, sowie Art. 1 American Treaty on Pacific Settlement vom 30.4.1948 (Bogotá-Pakt), Berber S. 1701). Besonders deutlich wird dies auch in der Deklaration der Vereinten Nationen über „Friendly Relations and Co-operation among States" (Res. 2625 (XXV) vom 24.10.1970). Hierin heißt es, daß jeder Staat seine Streitigkeiten mit einem anderen Staat durch friedliche Mittel beilegen soll, so daß der internationale Friede, die Sicherheit und die Gerechtigkeit nicht gefährdet werden. Als Mittel friedlicher Streitbeilegung nennt die Deklaration in wörtlicher Übereinstimmung mit Art. 33: Verhandlung, Untersuchung, Vermittlung, Vergleich, Schiedsspruch, gerichtliche Entscheidung, Inanspruchnahme regionaler Einrichtungen oder Abmachungen oder andere friedliche Mittel nach Wahl der Staaten (ähnliche Formulierung in Teil V der Schlußakte von Helsinki, vom 1.8.1975). Die hier genannten Methoden friedlicher Streitbeilegung sind alt und wurden bereits in der Epoche des klassischen Völkerrechts entwickelt. Dennoch haben sie nicht an Aktualität verloren. Die Vereinten Nationen haben mehrfach Anstrengungen unternommen, um ihre Bedeutung zu vergrößern. Die Methoden zur friedlichen Streitbeilegung sind in unverbindliche diplomatische Maßnahmen, die eigentlichen Entscheidungsverfahren sowie die Möglichkeiten friedlicher Streitbeilegung im Rahmen internationaler Organisationen zu unterscheiden. Diplomatische

Formen der

Streitbeilegung

Zu den unverbindlichen diplomatischen F o r m e n friedlicher Streitbeilegung zählen Verhandlung, gute Dienste, Untersuchungs- und Vergleichsverfahren. Ihnen allen ist gemeinsam, daß die Lösung des Konflikts im wesentlichen in den Händen der Streitparteien verbleibt und Dritten darauf kein oder nur geringfügiger Einfluß eingeräumt wird. Bei einer internationalen Streitigkeit wird es sich in erster Linie anbieten, diese im Wege der Verhandlung zwischen den Streitparteien selbst beizulegen. Gelegentlich setzt die Einleitung eines förmlichen Verfahrens sogar voraus, daß dem Verhandlungen der streitenden Parteien vorangegangen sind. K o m m t es nicht dazu, so kann es notwendig werden, daß sich Dritte einschalten, u m Verhandlungen zwischen den Parteien herbeizuführen. Dies kennzeichnet man mit dem Begriff der guten Dienste. Sie erschöpfen sich darin, daß der Dritte die Parteien zu Verhandlungen bestimmt und ein günstiges Klima dafür schafft, ohne aber an den Verhandlungen selbst teilzunehmen (so die Definition in Art. 8 und 9 Bogotá-Pakt). Die „guten Dienste" können vor allem von einer Regierung, einem Staatsoberhaupt, theoretisch aber auch von einer Privatperson angeboten werden. Wichtig ist das internationale Ansehen der Anbietenden. Vor allem der Generalsekretär der Vereinten Nationen hat verschiedentlich und teilweise mit gutem Erfolg seine guten Dienste zur Lösung von Streitigkeiten zwischen Staaten angeboten. Einen größeren Einfluß auf die Verhandlungen hat der Vermittler. Er macht selbst Vorschläge zur Sache, u m die entgegengesetzten Ansprüche auszugleichen und n i m m t an den Verhandlungen teil (vgl. dazu Art. 4 I. Haager Abkommen, Art. 11 und 12 Bogotá-Pakt). Auch in dieser Form ist der Generalsekretär der Vereinten Nationen schon tätig geworden. Das Angebot der guten Dienste oder der Vermittlung kann erbeten oder unerbeten erfolgen. Es besteht weder die Pflicht sie anzutragen, noch eine Verpflichtung sie anzunehmen. Andererseits kann aber gem. Art. 3 I. Haager Abkommen auch das Anerbieten weder als unfreundlicher Akt noch als eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten angesehen werden. Ebensowenig ist die Inanspruchnahme von Streitschlichtungsverfahren als Souveränitätseinbuße zu werten (Declaration on Friendly Relations and Co-operation among States). Als weiteres Mittel friedlicher Streitbeilegung k o m m t die Untersuchung eines Streitfalles durch eine Untersuchungskommission in Betracht. Diese Möglichkeit dient dazu, inter-

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Streitschlichtung

nationale Streitigkeiten, die einer unterschiedlichen Würdigung von Tatsachen entspringen, durch deren Prüfung zu bereinigen (Art. 9 I. Haager Abkommen). Das Untersuchungsverfahren ist im Vergleich zu den beiden vorgenannten F o r m e n stärker formalisiert und in seiner ganzen Ausgestaltung teilweise dem schiedsgerichtlichen Verfahren angeglichen (vgl. Art. 19—36 I. Haager Abkommen). Bekannt geworden ist die Prüfung des sog. DoggerbankZwischenfalls durch eine Untersuchungskommission. Im Rahmen der Vereinten Nationen sind Anstrengungen zu einer Wiederbelebung dieses Instituts gemacht worden. Die Generalversammlung wies in ihrer Resolution 2329 (XXII) vom 18. Dezember 1967 auf die besondere Bedeutung hin, die der Einsetzung einer Untersuchungskommission zur Lösung internationaler Streitigkeiten z u k o m m t . Als letztes Verfahren in dieser Reihe ist das sog. Vergleichs- oder Schlichtungsverfahren zu nennen. Seine Aufgabe ist es, sowohl die streitigen Tatsachen festzustellen wie auch einen friedlichen Ausgleich zwischen den Parteien zu suchen. Es werden hier also das Untersuchungs- und das Vermittlungsverfahren kombiniert, wobei gleichzeitig eine starke Formalisierung des Verfahrens und damit eine Annäherung an die Schiedsgerichtsbarkeit erfolgt (vgl. dazu Art. 15—30 Bogota-Pakt). Anders als im schiedsgerichtlichen Verfahren werden aber die Parteien durch den Spruch einer Vergleichskommission nicht gebunden. Das Vergleichsverfahren war in dem I. Haager Abkommen noch nicht vorgesehen. Es wurde erstmalig im Deutsch-Schweizerischen Schiedsvertrag vom 1921 (RGBl. 1922 S. 217) eingeführt und dann in die Locarno-Verträge von 1925 (RGBl. 1925 II S. 977), die Revidierte Generalakte über die friedliche Beilegung internationaler Konflikte vom 28. April 1949 (Berber, S. 1747) sowie den Bogotá-Pakt und das Europäische Übereinkommen zur friedlichen Beilegung von Streitigkeiten vom 29. April 1957 (BGBl. 1961 II S. 81) übernommen. In den genannten Verträgen wird zwischen Rechtsstreitigkeiten und sonstigen Streitigkeiten (Interessenkonflikten) unterschieden. Zu Rechtsstreitigkeiten zählen im wesentlichen, soweit eine ausdrückliche Definition in den Abkommen erfolgt, im Anschluß an Art. 36 Statut des StIGH und Art. 36 IGH-Statut (-* IGH) Unstimmigkeiten über die Auslegung von Verträgen oder eine Frage des Völkerrechts sowie über das Bestehen einer Tatsache, die, wenn sie erwiesen wäre, die Verletzung einer internationalen Verpflichtung bedeuten würde, und schließlich Streitigkeiten über Art und Umfang der wegen Verletzung einer internationalen Verpflichtung geschuldeten Wiedergutmachung. Für die Entscheidung derartiger Rechtsstreitigkeiten sind bzw. waren nach den genannten Verträgen in erster Linie der -* IGH bzw. der StIGH oder ein Schiedsgericht zuständig, während die Interessenkonflikte unter die Kompetenz der Vergleichskommission fallen. Erst wenn das Verfahren vor der Vergleichskommission erfolglos geblieben ist, kann nach der Generalakte und der Revidierten Generalakte (Art. 21) der Streit einem Schiedsgericht vorgelegt werden, das Um grundsätzlich nach dem Völkerrecht und nur dann nach Billigkeitsgrundsätzen (ex aequo et bono) entscheidet, wenn keine auf den Fall zugeschnittene Völkerrechtsnorm existiert. Diese Regelung ist teilweise mit der Begründung angegriffen worden, daß Interessenkonflikte definitionsgemäß keine Rechtsstreitigkeiten seien und daher auch eine Entscheidung primär nach dem Völkerrecht ausscheide. Auf der anderen Seite dürfte sich aber kein Staat der Gefahr aussetzen wollen, daß ihm durch den bindenden Spruch eines Schiedsgerichtes seine Rechte verkürzt werden. Diese Bedenken vermeidet das Europäische Übereinkommen über die friedliche Beilegung von Streitigkeiten. Führt danach das Vergleichsverfahren zu keinem Ergebnis, so ist die Streitigkeit einem Schiedsgericht vorzulegen, das gem. Art. 26 dieses Übereinkommens ex aequo et bono entscheidet, dabei allerdings die allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts vorbehaltlich der für die Parteien verbindlichen vertraglichen Verpflichtungen und die für sie endgültigen Entscheidungen internationaler Gerichte zu berücksichtigen hat.

Gerichtliche Verfahren

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Gerichtliche Verfahren Von den vorgenannten Maßnahmen friedlicher Streitbeilegung sind die Entscheidungsverfahren zu trennen, die sich dadurch auszeichnen, daß hier eine die Parteien bindende Entscheidung über den Streitgegenstand getroffen wird. Zu ihnen zählen das schiedsgerichtliche Verfahren und das Verfahren vor internationalen Gerichten. Schiedsgerichte sind mit Richtern ausgestattete Spruchorgane, die von den Parteien ad hoc oder generell eingesetzt werden. Dagegen handelt es sich bei internationalen Gerichten um ständige Behörden, die mit auf Dauer und unabhängig von dem Einfluß der Parteien ernannten Richtern besetzt sind. Internationale Schiedsgerichtsbarkeit kann durch Schiedgerichte ausgeübt werden, die erst nach Entstehung eines konkreten Streitfalles ad hoc durch ein Schiedsabkommen (Kompromiß) eingerichtet wurden (sog. isolierte Schiedsgerichte). Daneben gibt es institutionelle Schiedsgerichte, die zur Entscheidung künftiger Meinungsverschiedenheiten vorgesehen werden. Die Einigung über Zuständigkeit, Streitgegenstand und das schiedsgerichtliche Verfahren erfolgt grundsätzlich durch die Parteien selbst im Rahmen des Schiedsabkommens. Allerdings enthält das I. Haager Abkommen Verfahrensvorschriften, auf die die Parteien zurückgreifen können. Danach sind zu unterscheiden das schriftliche Vorverfahren und die mündliche Verhandlung. Letztere wird nach Abschluß der Beweisaufnahme förmlich geschlossen. Die Verhandlung ist in der Regel öffentlich, ebenso die Entscheidungsverkündung und Begründung. Entscheidungsgrundlagen sind, soweit die Parteien nichts anderes vereinbaren, gem. Art. 37 I. Haager Abkommen „die Achtung vor dem R e c h t " ; es enthält also keine ausdrückliche Beschränkung auf das Völkerrecht. Demgegenüber verweist die Revidierte Generalakte auf Art. 38 IGH-Statut. Neben der Aufstellung eines schiedsgerichtlichen Verfahrens liegt die Bedeutung des I. Haager Abkommens darin, daß sie ein Richterreservoir geschaffen hat, auf das die Parteien bei der Auswahl ihrer Schiedsrichter zurückgreifen können. Neben dem I. Haager Abkommen enthalten der Pakt von Bogotá, die Revidierte Generalakte und das Europäische Übereinkommen zur friedlichen Beilegung von Streitigkeiten Regelungen für die Schiedsgerichtsbarkeit, die sich aber im wesentlichen an dem Vorbild des I. Haager Abkommens orientieren. Außerdem hat die Völkerrechtskommission Ansätze gemacht, um das Institut der Schiedsgerichtsbarkeit neu zu beleben. Wesentlichster Punkt ihres Vorschlages war es, daß, wenn eine Streitpartei pflichtwidrig keinen Schiedsrichter benennt, dies durch den Präsidenten des IGH erfolgen soll. Dieser Vorschlag stieß aber in der Generalversammlung auf Widerstand, so daß es nur gelang, Modellregeln für die Schiedsgerichtsbarkeit zu verabschieden, die keinerlei Staatenverpflichtung enthalten (Text: Berber S. 1760). Welche Bedeutung die Schiedsgerichtsbarkeit konkret hat, ist umstritten. Zweifelsohne hatte das I. Haager Abkommen eine Modellwirkung und führte zur Verabschiedung zahlreicher Schiedsabkommen. Gemessen daran ist jedoch die Zahl der Schiedssprüche gering. Vor allem seitens der Staaten des Ostblocks und Teilen der Dritten Welt besteht die Befürchtung, daß Schiedsgerichte ihre Souveränität verletzen oder in ihre inneren Angelegenheiten eingreifen könnten. Dies kommt besonders in den Debatten der Generalversammlung zu dem Entwurf einer Schiedsgerichtsordnung der Völkerrechtskommission zum Ausdruck (GAOR (X), 6th Cttee., 461—464th mtg.; GAOR (XIII), 6th Cttee., 5 5 4 - 5 6 7 t h mtg.). Stärker noch sind naturgemäß die Bedenken gegen die Einführung einer Verpflichtung, bei Streitfällen ein Schiedsgericht anzurufen. Dies wird sogar von Staaten zurückgewiesen, die sich der Jurisdiktion des IGH unterworfen haben. Art. 14 Völkerbundsatzung sah die Errichtung des Ständigen Internationalen Gerichtshofs vor, an dessen Stelle nach Beendigung des 2. Weltkrieges der -> IGH trat. Er ist Hauptorgan der Vereinten Nationen, und ihm obliegt die gerichtliche Erledigung von Streitigkeiten (Art. 33, 36, 92). Allerdings erlaubt Art. 95 es den Mitgliedern, ihre Streitigkeiten auch anderen internationalen Gerichten zu übertragen.

434

Streitschlichtung

Als dritte Gruppe aus d e m Bereich der Maßnahmen zur friedlichen Beilegung von Streitigkeiten wurden die Möglichkeiten innerhalb der internationalen Organisationen genannt. Hier seien exemplarisch nur die Regelungen der Charta herausgegriffen, die diesem Komplex ein eigenes Kapitel widmet. Sie überträgt sowohl dem '->• Sicherheitsrat als auch der-» Generalversammlung Befugnisse für eine friedliche Beilegung von Staatenstreitigkeiten. Aufgaben des Sicherheitsrats

bei der friedlichen

Streiterledigung

Nach Art. 33 Abs. 1 ist es primär Aufgabe der Parteien selbst, ihre Streitigkeiten durch Ausnutzung der bereits genannten Verfahren beizulegen. Art. 33 Abs. 1 enthält insoweit lediglich eine Konkretisierung von Art. 2 Ziff. 3, der es den Mitgliedern der Vereinten Nationen zur Pflicht macht, ihre Streitigkeiten friedlich beizulegen, so daß die internationale Sicherheit, der Weltfrieden und die Gerechtigkeit nicht gefährdet werden (-> Grundsätze der Vereinten Nationen; Friedenssicherung). Allerdings bleibt Art. 33 Abs. 1 hinter dieser allgemeinen Verpflichtung zurück, da die Sicherung der Gerechtigkeit in ihn keine A u f n a h m e gefunden hat. Der Sicherheitsrat kann die Parteien jedoch an ihre Pflicht nach Art. 33 Abs. 1 erinnern (vgl. SC Res. 211 (XX) vom 20.9.1965 gerichtet an Indien und Pakistan). Dies impliziert nicht das Recht, ein bestimmtes der dort genannten Verfahren vorzuschlagen. Hinsichtlich der übrigen Befugnisse der Sicherheitsrates ist zwischen seinem Tätigwerden von Amts wegen und auf Antrag zu unterscheiden. Ob der Sicherheitsrat von sich aus, ohne entsprechenden Antrag, tätig werden will, liegt jeweils in seinem Ermessen; grundsätzlich ist aber Voraussetzung, daß die Wahrung des Weltfriedens oder die internationale Sicherheit bedroht werden. Gemäß Art. 34 hat der Sicherheitsrat das Recht, von sich aus jede Streitigkeit sowie jede Situation, die zu internationalen Reibungen führen oder eine Streitigkeit hervorrufen kann, zu untersuchen und festzustellen, ob deren Fortdauer die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit gefährden könnte. Diese Befugnisse umschließen das Recht, eine Untersuchungskommission einzusetzen (Art. 29). Von diesem Recht hat der Sicherheitsrat bereits mehrfach Gebrauch gemacht. Beispielsweise hat er am 19. Dezember 1946 unter ausdrücklichem Hinweis auf Art. 34 eine Kommission zur Untersuchung der Grenzstreitigkeiten an der nordgriechischen Grenze eingesetzt (Res. 15 (I), SCOR (I), 87th mtg., p. 700). Ausdrücklich auf Art. 34 verwiesen wurde auch bei der Einsetzung einer Untersuchungskommission im Konflikt Indien — Pakistan (-> Indischer Subkontinent) (Res. 39 (III), SCOR 230th mtg., 20.1.1948, p. 130). In anderen Fällen hat der Sicherheitsrat darauf verzichtet, ausdrücklich Art. 3 4 zu nennen. Seinem Wortlaut nach schränkt Art. 34 die Befugnis des Sicherheitsrates insofern ein, als die Untersuchungskommission nur dem Zweck dienen soll, festzustellen, ob die Fortdauer der Streitigkeit eine Gefahr für die internationale Sicherheit oder den Weltfrieden bedeuten könnte. Es besteht jedoch eine Tendenz, diese Einschränkung eng auszulegen, wie die Debatten über das Ergebnis der Kommission zur Untersuchung der griechischen Grenzkonflikte (SCOR (II), 162nd mtg., 22.7.1947, p. 1422—1425) deutlich werden lassen. Außerdem kann der Sicherheitsrat gem. Art. 36 von sich aus in jeder Lage einer Streitigkeit oder einer Situation der in Art. 33 genannten Art geeignete Verfahren oder Methoden zu deren Bereinigung empfehlen. Er ist dabei in mehrfacher Hinsicht gebunden. Seine Empfehlungen können sich nur auf das Verfahren, nicht auch auf die materielle Seite des Streites beziehen, wie ein Vergleich von Art. 36 Abs. 1 mit Art. 37 Abs. 2 deutlich werden läßt. Allerdings ist seine Befugnis weiter als nach Art. 33 Abs. 2, so daß er ein konkret ausgestaltetes Verfahren zur Streiterledigung vorschlagen kann. Der Sicherheitsrat hat mehrfach Staaten Verfahren zur Bereinigung ihrer Streitigkeiten empfohlen, ohne allerdings Art. 36 ausdrücklich zu zitieren. Beispielsweise hat er in seiner Resolution vom 1. August 1947 (Res. 27 (II)) zu den niederländisch-indonesischen Auseinandersetzungen die beiden Staaten aufgerufen, ihre Streitigkeit durch ein Schiedsverfahren oder durch andere friedliche Mittel beizulegen.

Befugnisse der Generalversammlung zur friedlichen Streiterledigung

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Bei seinem Vorschlag h a t der Sicherheitsrat jedoch in Betracht zu ziehen, welche Verfahren die Parteien selbst bereits zur Beilegung der Streitigkeit angenommen haben, und daß Rechtsstreitigkeiten im allgemeinen dem IGH zu unterbreiten sind. Mit Rücksicht darauf hat der Sicherheitsrat Albanien und Großbritannien zur Entscheidung des Korfu-Kanal-Falles an den -*• IGH verwiesen (Res. 22 (II) vom 9.4.1947). Die Verwendung des Begriffs Rechtsstreitigkeiten (legal disputes) in Art. 36 Abs. 3 verweist auf die bereits erwähnte Unterscheidung von Rechtsstreitigkeiten und Interessenkonflikten. Weitergehende Befugnisse billigt die Charta dem Sicherheitsrat zu, wenn er von den Parteien gem. Art. 37 angerufen wird. Voraussetzung dafür ist, daß die in Art. 33 Abs. 1 genannten Maßnahmen friedlicher Streitbeilegung versagt haben. K o m m t der Sicherheitsrat zu der Überzeugung, daß die Fortdauer der Streitigkeit die internationale Sicherheit gefährdet, so kann er entweder nach Art. 36 tätig werden, das heißt sich auf verfahrensrechtliche Empfehlungen beschränken. Er kann aber auch Vorschläge in der Sache selbst unterbreiten. Auffallend ist, daß in Art. 37 nur von Streitigkeiten die Rede ist und Situationen nicht erwähnt werden. Dies hat bislang allerdings in der Praxis keinerlei Kosequenzen gezeigt. Art. 38 enthält eine weitere Ausdehnung der Befugnisse des Sicherheitsrates, d a er es ihm erlaubt, sich auf Antrag der Parteien auch mit der Beilegung deijenigen Streitigkeiten zu befassen, von denen keine Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit ausgeht. Hier kann der Sicherheitsrat Vorschläge sowohl hinsichtlich des Verfahrens wie auch in der Sache machen und erhält quasi die Funktion einer Vergleichskommission. Auf Art. 38 wurde beispielsweise bei der Einsetzung eines Ausschusses für Gute Dienste durch den Sicherheitsrat im niederländisch-indonesischen Streit verwiesen (Res. 3 0 (II) vom 25.8.1947; Stellungnahme der USA, SCOR (III), 251st mtg., 20.2.1948, p. 211 seq.). Diese weiten Befugnisse sind jedoch bislang nicht voll genutzt worden. Schließlich kann jedes Mitglied der Vereinten Nationen gem. Art. 35 die Aufmerksamkeit des Sicherheitsrates auf internationale Streitigkeiten lenken. Es handelt sich dabei um eines der grundlegenden Mitgliedschaftsrechte, von dem in der Praxis stark Gebrauch gemacht wird (vgl. GA Repertory of Practice, Suppl. Nr. 3, vol. II, p. 180). Das gleiche Recht haben auch Nichtmitglieder, soweit sie selbst betroffen sind. In der Praxis richtet der Staat an den Präsidenten des Sicherheitsrates oder den Generalsekretär den Vereinten Nationen das Ersuchen, eine bestimmte Angelegenheit im Sicherheitsrat zu diskutieren (vgl. ζ. B. Note von Großbritannien vom 10.1.1947 - SCOR (II) Suppl. Nr. 3 - , durch die der Korfu-KanalZwischenfall vor den Sicherheitsrat gebracht wurde). Ein derartiges Ersuchen wird auf die vorläufige Tagesordnung gesetzt. Mit der Annahme der Tagesordnung entscheidet der Sicherheitsrat, sich mit der Sache zu beschäftigen. Da es sich um eine Verfahrensentscheidung handelt, gibt es hiergegen kein Veto (-> Stimmrecht). In diesem Zusammenhang ist die Meinung vertreten worden, daß es eine Pflicht des Sicherheitsrates sei, Fragen, mit denen er gem. Art. 35 befaßt wurde, zu behandeln (SCOR (III), 361st mtg., 4.10.1948, p. 16 Berlin-Frage). Diese Ansicht hat sich aber nicht durchzusetzen vermocht. Befugnisse der Generalversammlung

zur friedlichen

Streiterledigung

Die Befugnisse der Generalversammlung sind gegenüber denen des Sicherheitsrates teilweise weiter, teils aber auch enger. So kann nach Art. 35 jedes Mitglied die Aufmerksamkeit der Generalversammlung auf eine Streitigkeit oder eine Situation lenken, ohne daß sie allerdings geeignet sein müßte, die internationale Sicherheit oder den Weltfrieden zu bedrohen. Die Rechte der Generalversammlung bestimmen sich dann nach Art. 11 und 12, auf die Art. 35 Abs. 3 verweist. In erster Linie hat sie das Recht, die Angelegenheit zu erörtern. Hierin ist sie unbeschränkt. Außerdem kann sie an den Sicherheitsrat und die Mitglieder gerichtete Empfehlungen aussprechen, die sich nicht allein auf ein möglicherweise anzuwendendes Streitschlichtungsverfahren, sondern auch auf die Sache selbst beziehen können. Diese Befugnis wird dem Sicherheitsrat nur u n t e r der Voraussetzung des Art. 37 Abs. 2 eingeräumt. Aller-

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Streitschlichtung

dings ist die Befugnis der Generalversammlung, Empfehlungen auszusprechen, insofern eingeschränkt, als sie gem. Art. 12 nicht tätig werden darf, solange der Sicherheitsrat seine Aufgaben in dieser Streitigkeit wahrnimmt. Im Laufe der Zeit hat sich die Überzeugung durchgesetzt, dies sei dahingehend zu verstehen, d a ß es nicht genüge, wenn der Sicherheitsrat die Frage auf seine Tagesordnung gesetzt habe, sondern er müsse aktiv tätig sein (GAOR (IX), Gen. Cttee., 92nd mtg., 22.9.1954; 477th Plen. mtg., 24.9.1954, p. 4 3 - 5 1 ) . Sind im übrigen Maßnahmen erforderlich, so hat die Generalversammlung die Angelegenheiten dem Sicherheitsrat zu überlassen. Was unter dem Begriff „ M a ß n a h m e n " zu verstehen ist, war anläßlich der Verabschiedung der „Uniting for Peace" Resolution umstritten (-> Völkerrecht durch Vereinte Nationen; Friedenssicherung). Schließlich kann sich die Generalversammlung auch damit begnügen, die Aufmerksamkeit des Sicherheitsrates auf die Angelegenheit zu lenken. Von dieser Möglichkeit hat sie ζ. B. hinsichtlich von Namibia (-»• Südliches Afrika) m e h r f a c h Gebrauch gemacht (Res. 1596 (XV) vom 7.4.1961; Res. 1899 (XVIII) vom 13.11.1963; Res. 2 0 7 4 (XX) vom 17.12.1965). Sachlich weiter sind die Befugnisse der Generalversammlung in Art. 10 gefaßt, der es ihr erlaubt, alle Fragen und Angelegenheiten, die in den Rahmen der Charta fallen oder die Befugnisse und Aufgaben eines der Organe berühren, zu diskutieren. Hier wird das Recht der Generalversammlung, alle Angelegenheiten zu diskutieren, in seiner weitesten Form statuiert. Auch hiemach kann sie Empfehlungen abgeben, ist dabei aber ebenso wie unter Art. 11 gebunden, da es ihr verwehrt ist, Empfehlungen in Streitigkeiten oder Situationen abzugeben, solange der Sicherheitsrat die ihm zugewiesenen Maßnahmen wahrnimmt. Unter demselben Vorbehalt stehen auch die Befugnisse der Generalversammlung nach Art. 14. Danach kann sie Maßnahmen zur friedlichen Bereinigung jeder Situation empfehlen, gleichgültig, wie diese entstanden ist. Art. 14 ist damit eine Ergänzung zu Art. 11, so daß klargestellt ist, daß sich die Generalversammlung, anders als der Sicherheitsrat, mit jeder Art von Situationen oder Streitigkeiten auseinandersetzen kann. Art. 14 wird daher häufig im Zusammenhang mit Art. 10 und 35 zitiert. Insofern k o m m t Art. 14, vor allem da er der Generalversammlung erlaubt, unter dem Vorbehalt des Art. 12 Maßnahmen zu ergreifen, eine besondere Bedeutung zu (vgl. hierfür GA Repertory of Practice, Suppl. Nr. 1, vol. I, p. 169; No. 2, vol I, p. 145; No. 3, vol. I, p. 349 seq.). Befugnisse des Generalsekretärs Neben Sicherheitsrat und Generalversammlung kann auch der Generalsekretär bei der friedlichen Erledigung von Streitigkeiten zwischen Staaten tätig werden. Seine Befugnisse sind allerdings der Charta nicht so ohne weitere zu entnehmen. Nach Art. 99 hat der Generalsekretär ein eigenes Recht, dem Sicherheitsrat Friedensbedrohungen zu melden. Hieraus wird gefolgert, der Generalsekretär habe deshalb auch ein eigenes Untersuchungsrecht, um festzustellen zu k ö n n e n , ob wirklich von einer Friedensbedrohung auszugehen sei. Außerdem kann der Generalsekretär auf Weisung eines Hauptorgans — in der Regel handelt es sich um den Sicherheitsrat - bei der friedlichen Streitbeilegung tätig werden. Beispielsweise entsandte der Generalsekretär im Dezember 1971 einen Sonderbeauftragten, der seine guten Dienste bei der Beilegung der Spannungen zwischen Indien und Pakistan anläßlich der Sezession von Bangla Desh anbieten sollte. Grundlage dafür war Res. 307 (XXVI) vom 21. Dezember 1971 des Sicherheitsrats. Ebenfalls auf Grund einer Sicherheitsratsresolution erfolgte die Entsendung eines Sonderbeauftragten des Generalsekretärs als Vermittler im Nahost-Konflikt (->· Nahost) (Res. 2 4 2 (XXII) vom 22.11.1967 - das Amt neu belebt: GA Res. 2799 (XXVI) vom 13.12.1971) sowie die eines Vermittlers im ZypernKonflikt (-> Zypern) (SC Res. 186 (XIX) vorn 4.3.1964). 1974 beauftragte der Sicherheitsrat den Generalsekretär, Untersuchungen im Grenzstreit Irak/Iran einzuleiten (Statement of the Security Council, OR (XXIX) vom 28.2.1974). Umstritten ist, inwieweit dem Generalsekretär das Recht zusteht, ohne einen entsprechenden Auftrag — auf Antrag der beteiligten Staaten — in einen Konflikt einzugreifen.

Suchtstoffe

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Dieses Recht wurde erstmals 1958 in Anspruch genommen, als der Generalsekretär auf Antrag von Thailand und Kambodscha einen Vermittler für die Beilegung des Streits um den Tempel Preah Vihear ernannte. Dieses Recht nahm der Generalsekretär auch in der Folgezeit in Anspruch: ζ. B. Entsendung einer Beobachtergruppe aus Anlaß von Grenzstreitigkeiten Saudi-Arabiens / Jemen (YUN 1963 p. 63—66); Entsendung eines Sonderbeauftragten nach Äquatorial-Guinea wegen Streitigkeiten mit Spanien (YUN 1969 p. 146), Entsendung eines persönlichen Beauftragen bei Stetigkeiten zwischen Großbritannien und dem Iran nach Bahrain (YUN 1970 p. 284). In allen genannten Fällen protestierte die UdSSR; sie behauptete, der Generalsekretär habe sich Kompetenzen des Sicherheitsrates angemaßt. Der Generalsekretär verteidigte die Praxis mit der Begründung, dadurch könnten Streitigkeiten zwischen Staaten auf einer früheren Stufe beigelegt werden (vgl. dazu YUN 1969 p. 146 seq.; 1970 p. 284 seq.). Die Aktion in Bahrain hat der Sicherheitsrat schließlich ausdrücklich gebilligt (Res. 278 (XXV) vom 11.5.1970). Literatur Higgins, R.: The Place of International Law in the Settlement of Disputes by the Security Council, in: AJIL vol. 64 (1970) p. 1 Kunzmann: Die Generalakte von New York und Genf als Streitschlichtungsvertrag der Vereinten Nationen, in: Friedenswarte, Bd. 56 (1961/66) S. 1 ) von Mangoldt: Arbitration and Conciliation, in: Judicial Settlement of International Disputes, in: Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht, Bd. 62, Berlin 1974, S. 417 ders,: Die Schiedsgerichtsbarkeit als Mittel internationaler Streitschlichtung, in: Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht, Bd. 63, Berlin 1974. Scheuner: Decisions ex aequo et bono by International Courts and Arbitral Tribunals, in: International Arbitration, Liber Amicorum for Martin Domke, Hrsg. Pieter Sanders, The Hague 1967, p. 275. Tomuschat: International Courts and Tribunals with Regionally Restricted and for Specialized Jurisdiction, in: Judicial Settlement of International Disputes, in: Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht, Bd. 62, Berlin 1974, S. 285. Rüdiger Wolfrum Verweise auf·. Friedenssicherung; Generalsekretär; Generalversammlung; Grundsätze der Vereinten Nationen; IGH; Indischer Subkontinent; Nahost; Sicherheitsrat; Stimmrecht; Südliches Afrika; Völkerrecht durch Vereinte Nationen; Zypern.

Suchtstoffe Begriffsbestimmung In den maßgeblichen Gesetzestexten und teilweise auch in der Fachsprache ist in den letzten Jahren das Wort Rauschgift durch den weiteren Begriff Suchtstoff ersetzt worden. Wie sehr die Vorstellungen auf diesem Gebiete im Fluß sind, zeigt sich darin, daß die seit Jahren in offiziellen Verlautbarungen gebrauchten Begriffe Sucht (englisch: addiction) und Gewöhnung (habituation) nach dem Vorschlag einer Expertenkommission der WHO aus dem Jahre 1964 durch den übergeordneten Begriff Abhängigkeit (englisch: dependence) abgelöst worden sind. Die nähere Bestimmung erfolgt durch Zusatz des oder der wichtigsten Stoffe, die diese Art von Abhängigkeit hervorrufen. Diese neueste Änderung der Be-

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Suchtstoffe

Zeichnungen hat in den gültigen Gesetzen noch keinen Niederschlag finden können, so daß insoweit der Begriff „Suchtstoffe" beibehalten wird. Suchtstoffe sind Drogen und andere chemische Stoffe, die das Bewußtsein, die Stimmung oder das Verhalten des Menschen zu ändern vermögen und eine seelische und/oder körperliche Abhängigkeit des Benutzers hervorrufen können. Suchtstoffe werden durch den Verdauungstrakt, durch Einatmen, durch Injektionen, oder auch ausnahmsweise auf anderen Wegen (Schleimhäute, unverletzte Haut) aufgenommen. Nach Art. 1 Einheits-Übereinkommen vom 30. März 1961 über Suchtstoffe (BGBl. 1973 II S. 1353) bezeichnet der Ausdruck „Suchtstoffe" jeden in den Anhängen I und II aufgeführten natürlichen oder synthetischen Stoff. Zu den wichtigsten Suchtstoffen gehören Opium, Kokain und Cannabis, einschließlich ihrer chemischen Abkömmlinge. Bei allen drei handelt es sich um natürliche Produkte aus Pflanzen. Ferner gehören dazu synthetisch hergestellte Stoffe der Gruppe der Barbiturate, die vorwiegend als Schlafmittel benutzt werden, und der Gruppe der Amphetamine, die ärztlich als Anregungsmittel bei bestimmten Indikationen verordnet werden. Zu den Suchtstoffen werden seit 1971 auch die Gruppe der Halluzinogene gerechnet, teils natürliche (z. B. Meskalin), teils synthetische (z. B. LSD) Stoffe. Eine besondere Stellung nimmt der Aethylalkohol ein. Mit wenigen Ausnahmen sind alkoholische Getränke in allen Ländern der Erde, anders als die anderen genannten Stoffe, ohne Einschränkungen erhältlich. Dadurch unterscheiden sich die durch Alkohol verursachten vielfach von den durch die anderen genannten Stoffe hervorgerufenen Probleme, obwohl der Alkohol nach der sachlichen Definition unzweifelhaft auch zu den Suchtstoffen gerechnet werden muß, während er nach der gesetzlichen Begriffsbestimmung nicht dazu gehört. Die -»• WHO, die sich mit den Auswirkungen der Drogenabhängigkeit auf die Gesundheit befaßt, richtet sich nicht allein nach den juristischen Begriffsbestimmungen. Sie macht keine Unterschiede zwischen den im Einheits-Übereinkommen erfaßten und den nicht erfaßten Stoffen und bezieht daher auch den Alkohol bei ihren Untersuchungen und Empfehlungen ein (WHO Technical Reports 1974, No. 551, p. 15). Geschichte der

Suchtstoffbekämpfung

Die Stoffe, die wir heute als Suchtstoffe bezeichnen, sind seit eh und je vom Menschen bei religiösen Anlässen, zur Behandlung von Krankheiten und auch einfach zum Vergnügen benutzt worden. In der Vergangenheit waren die verschiedenen Arten der Benutzung durch Sitten und Rituale bestimmt. Ein individueller Mißbrauch spielte praktisch keine Rolle. Die frühesten Berichte über schädliche Folgen von Drogenmißbrauch stammen aus China und wurden im 18. Jahrhundert verfaßt. Nach Erfindung der Injektionsspritze im Jahre 1843 und mit der zunehmenden Mobilität der Menschen und der Informationen häuften sich Mitteilungen über mißbräuchliche Benutzung dieser Stoffe. Die Gefahren für die Gesundheit wurden sehr schnell erkannt. Mit der Ausbreitung humanitärer Einstellungen mehrten sich auch die Stimmen, die Besorgnisse über diesen Mißbrauch äußern und Maßnahmen zu seiner Bekämpfung fordern. Seit dem vorigen Jahrhundert ist die Geschichte der Suchtstoffe untrennbar mit der Geschichte der Bekämpfung ihrer Verbreitung verbunden. Seit dieser Zeit begannen einzelne Länder Gesetze über die Kontrolle von Giften einschließlich der Suchtstoffe zu erlassen. Frankreich machte 1845 den Anfang, gefolgt von England im Jahre 1858. Auf Initiative des amerikanischen Präsidenten Theodore Roosevelt wurde im Jahre 1909 erstmalig auf internationaler Ebene eine von 13 Staaten gebildete Opiumkommission ins Leben gerufen, die in Shanghai zusammentrat. Mit neun Entschließungen wurden die ersten Schritte zu einer Kontrolle des Anbaus, Handels und Umgangs mit dem zunächst im Vordergrund stehenden Opium gemacht.

Suchtstoffkontrolle durch die Vereinten Nationen

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1912 folgte das erste internationale Opiumabkommen von Den Haag (LNTS. Bd. 8 Nr. 222, in Kraft für das Deutsche Reich am 10.1.1920 durch Ratifikation des Friedensvertrages von Versailles, RGBl. 1919 S. 1103; BGBl. 1970 II S. 973), wonach die dem Übereinkommen beigetretenen Staaten sich verpflichteten, in ihren Ländern Gesetze nach gemeinsamen Richtlinien über die Herstellung, den Handel und die Verwendung von Opium u n d Kokain mit ihren chemischen Abkömmlingen zu erlassen. Bei dieser Gelegenheit wurde für diese Stoffe der Begriff Betäubungsmittel (Narcotics) eingeführt. Die Bezeichnung ist noch in neuesten gesetzlichen Bestimmungen der Bundesrepublik Deutschland (BetäubungsmittelVerschreibungs-Verordnung vom 24.1.1974) beibehalten worden, während im Zustimmungsgesetz zu dem Einheits-Übereinkommen vom 30. März 1961 über Suchtstoffe (BGBl. 1973 II S. 1353) der englische Begriff „Narcotic Drugs" durch „Suchtstoffe" übersetzt wird. Nach dem 1. Weltkrieg übernahm der Völkerbund die Aufgaben der Kontrolle der Betäubungsmittel. Durch das Internationale Opiumabkommen vom 19. Februar 1923 (RGBl. II S. 407) wurde erstmalig eine weltweite Regelung des Umgangs mit diesen Stoffen erreicht, zu denen zum ersten Male auch Cannabis gerechnet wurde. Durch das Abkommen wurde das ständige Opiumberatungskomitee errichtet. Nach einem weiteren Abkommen vom 13. Juli 1931 zur Beschränkung der Herstellung und zur Regelung der Verteilung der Betäubungsmittel (RGBl. 1933 II S. 319) wurden bestimmte Einschränkungen in der Herstellung und Verteilung von Betäubungsmitteln geregelt. Der Konvention von 1936, die weitere Maßnahmen zur Unterdrückung des unerlaubten Handels mit diesen Stoffen regelte, sind das Deutsche Reich und einige andere Staaten nicht beigetreten. Nach dem 2. Weltkrieg wurden die Aufgaben der Betäubungsmittelkontrolle durch das am 11. Dezember 1946 in Lake Success unterzeichnete Protokoll den Vereinten Nationen übertragen (BGBl. 1959 II S. 333). Suchtstoffkontrolle

durch die Vereinten

Nationen

Dem ECOSOC obliegt die Behandlung wirtschaftlicher, sozialer, medizinischer und kultureller Fragen, wobei der Rat seine Funktionen durch technische Kommissionen und durch fünf für bestimmte geographische Gebiete zuständige Kommissionen ausübt. Als technische Kommission hat er die Suchtstoffkommission für alle mit Suchtstoffen zusammenhängenden Fragen eingesetzt. Sie ist zwar nicht befugt, selbständig zu handeln, doch ist sie durch das Internationale Einheits-Übereinkommen von 1961 ermächtigt, sämtliche Angelegenheiten zu behandeln, die die Ziele dieses Abkommens betreffen. Das Einheits-Übereinkommen von 1961, das von der Bundesrepublik Deutschland durch Gesetz vom 4. September 1973 übernommen wurde (BGBl. 1973 II S. 1553), f a ß t alle bis dahin existierenden Bestimmungen zusammen. Dadurch wurde eine Gleichschaltung der Internationalen Übereinkünfte gegen Drogenmißbrauch bei gleichzeitiger Regelung der ärztlich notwendigen und gerechtfertigten Anwendungsweisen erreicht. Durch dieses Übereink o m m e n wurden die vorher vorhandenen Kontrollorgane durch das Internationale Suchtstoffkontrollamt ersetzt. In diesem A b k o m m e n sind die Zuständigkeiten der beiden Institutionen der Vereinten Nationen und der nationalen Einrichtungen der Mitgliedstaaten bzw. der Unterzeichnerstaaten im einzelnen geregelt. Von der Suchtstoffkommission werden, seit 1961 durch dieses Übereinkommen geregelt, die politischen Richtlinien erarbeitet, die dann vom ECOSOC bzw. von der Generalversammlung bestätigt werden müssen. Die Ausführung der Kontrollfunktionen obliegt dem Internationalen Suchtstoffkontrollamt, das den ständigen Opiumzentralausschuß, später ständigen Suchtstoffzentralausschuß, und die Drogenüberwachungskörperschaft abgelöst hat. Das Internationale Suchtstoffkontrollamt k o n n t e im Jahre 1968 seine Arbeit aufnehmen. Das Amt besteht aus 11 Mitgliedern, die vom ECOSOC gewählt werden. Drei Mitglieder werden aus einer Liste von fünf Personen mit medizinischer, pharmakologischer oder pharmazeutischer Erfahrung gewählt, die die WHO vorschlägt. Die anderen acht Mitglieder

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Suchtstoffe

werden aus einer Liste gewählt, die von den Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen und den Vertragspartnern des Übereinkommens vorgelegt wird. Durch das neueste A b k o m m e n von 1971 (ILM vol. 10 (1971) p. 261), das nach Ratifizierung durch 4 0 Mitgliedstaaten in Kraft getreten ist, wird auch die Gruppe der halluzinogenen Drogen den Kontrollgesetzen unterstellt. Suchtstoffkommission und Internationales Suchtstoffkontrollamt arbeiten — wie schon ihre Vorgänger — in enger Verbindung mit der WHO. Diese ihrerseits trägt durch ihre Fachabteilung und durch speziell gebildete Expertenausschüsse dazu bei, die Situation des Drogenmißbrauchs zu beobachten und zu studieren, Informationen zu sammeln und Empfehlungen zu erstellen, die es dann dem Suchtstoffkontrollamt ermöglichen, seine exekutiven Aufgaben den jeweiligen Bedürfnissen anzupassen, ζ. B. durch Einbeziehung neuer auf den Markt gekommener Drogen, die potentiell oder tatsächlich in gleicher oder ähnlicher Weise wie die schon erfaßten Suchtdrogen Abhängigkeit verursachen können. Die Organe der Vereinten Nationen, also die Suchtstoffkommission des ECOSOC u n d das Internationale Suchtstoffkontrollamt, befassen sich vordringlich mit der Kontrolle der Suchtstoffe. Im Einheits-Übereinkommen von 1961 ist von der Behandlung Süchtiger lediglich in Art. 38 die Rede. Mit der oder den Ursachen der Sucht bzw. Abhängigkeit befassen sich diese Stellen nicht. Hingegen hat die WHO m i t ihren Expertenausschüssen in zunehmendem Maße ihre Aufmerksamkeit auch den Fragen der Ätiologie, den möglichen sozialen und psychologischen Faktoren, die dabei eine Rolle spielen können, und der Vielfalt menschlicher Probleme, die mit der Entstehung, Behandlung und Vorbeugung der Suchtstoffabhängigkeiten zusammenhängen, zugewandt. Diese zunehmende Aufmerksamkeitsverschiebung von den Suchtstoffen zu den von Abhängigkeit betroffenen Menschen läßt das Studium der 32 Technischen Berichte aus den Jahren 1950 bis 1974 sowie der vielfältigen weiteren Veröffentlichungen der WHO deutlich erkennen, sowie die kürzlich erfolgte Zusammenlegung des Referates Drogenabhängigkeit mit der Abteilung für seelische und geistige Gesundheit. Es klingt wie eine Banalität, wenn man feststellt, daß ohne das Vorhandensein von Suchtstoffen keine Abhängigkeit entstehen kann. Doch sollte nicht übersehen werden, daß dies auf dem so komplexen und widersprüchlichen Gebiet die einzige nicht zu widerlegende und nicht zu bezweifelnde Aussage ist. Insofern ist rein pragmatisch gesehen die Verhinderung des Zugangs zu Suchtstoffen eine eindeutig wirksame Maßnahme zur Suchtbekämpfung. Damit erklärt sich, daß die internationale Regulierung, deren Wirksamkeit ja der Zustimmung aller bedarf, sich bisher auf diese Kontrolle der Suchtstoffe beschränkt hat. Und selbst auf diesem Gebiet gibt es viele Probleme, die noch nicht gelöst sind. Die Wiederaufhebung des nur für kurze Zeit wirksamen Verbotes des Mohnanbaus in der Türkei ist ein typisches Beispiel für die oft unüberwindlich erscheinende Divergenz von wirtschaftlichen Interessen und von Interessen der Suchtbekämpfung. Es ist schwer vorauszusehen, ob und auf welchen Wegen es den Vereinten Nationen und ihren Sonderorganisationen gelingen wird, das in unserer heutigen Welt immer bedrängender werdende Problem der Drogenabhängigkeit zu lösen oder auch nur einer Lösung näher zu bringen. Es scheint jedoch zur Zeit bei den meisten Staaten einschließlich der Bundesrepublik Deutschland wieder Einigkeit darüber zu bestehen, daß das in Jahrzehnten mühevoller Verhandlungen erarbeitete Regelwerk eine vernünftige und nützliche Grundlage für die Bek ä m p f u n g der Drogenabhängigkeit bildet. Mit ihrer Tätigkeit auf dem Gebiet der Suchtstoffkontrolle führen die Vereinten Nationen Aufgaben weiter, die zu den ersten in der Geschichte der Menschheit gehören, auf denen eine internationale Zusammenarbeit erfolgt ist, die praktisch die ganze Welt einbezieht, nachfolgend der internationalen Seuchenbekämpfung und den Abkommen des Internationalen Roten Kreuzes. Diese Kontinuität über sechs Jahrzehnte illustriert die Bedeutung dieses Aufgabenbereichs für die Vereinten Nationen. Aber es ist nicht nur die Kontinuität der Aufgaben allein, sondern ihre kontinuierliche Weiterentwicklung, die von Bedeutung ist. Durch die über die in der Vergangenheit vorherrschenden Kontrollfunktionen hinaus-

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gehenden Aktivitäten der WHO ist der Beitrag der Vereinten Nationen und ihrer Sonderorganisationen auf dem Gebiet der Suchtbekämpfung, auf dem Suchtstoffkontrolle nur ein Sektor sein kann, heute von entscheidend größerer und umfassender Bedeutung.

Literatur Etmer: Internationales Recht. Internationale Gesundheitsvorschriften, in: Arzneimittelgesetz; Kommentar. Bd. IV, Anhang Nr. 200. Stand vom 15.12.1974. Percha am Starnberger See Encyclopaedia Britannica, 1973, Stichworte: Drug Addiction; Narcotics and Dangerous Drugs; United Nations World Health Organization, Technical Reports Series 1974, No. 551 Alexander Boroffka Verweise

auf:

WHO.

Südliches Afrika Das Südliche Afrika steht seit Beginn der verstärkten Dekolonisierungsphase u m 1960 im Vordergrund der Beratungen der Vereinten Nationen. Dabei erfuhren Kernbegriffe wie die Friedensbedrohung (Art. 39), das Interventionsverbot (Art. 2 Ziff. 7) und das Universalitätsprinzip von der Generalversammlung eine stark erweiternde Auslegung, während der Sicherheitsrat insgesamt behutsamer agierte. Republik

Südafrika

Südafrika, Gründungsmitglied des Völkerbundes wie der Vereinten Nationen, ist seit 1946 zunehmend Angriffen der anderen Mitglieder ausgesetzt. Ihm werden vielfältige Verletzungen der Charta und von Sicherheitsratsresolutionen vorgeworfen (vgl. den zusammenfassenden Bericht des Sonderausschusses gegen Apartheid vom 14.10.1974, Doc. A/9780). Die Hauptvorwürfe gelten seiner Rassenpolitik (-> Apartheid), seiner Verwaltung von Namibia (Südwestafrika) sowie seiner Nichtbefolgung der Sanktionen gegen Rhodesien. Als Folge trat Südafrika aus der UNESCO ( 1 9 5 5 / 5 6 ) , der F AO (1963) sowie der ILO ( 1 9 6 4 / 6 6 ) aus. Außerdem wurde Südafrika schrittweise von der Mitarbeit in fast allen Sonderorganisationen ausgeschlossen: Der WHO (1964), der ITU (1965/73), der UPU (1964/69/74), der ICAO (1971/74) sowie der WMO (1975). Ein formeller Ausschluß aus diesen Sonderorganisationen ist nicht möglich, solange Südafrika den Vereinten Nationen angehört. Seit 1974 ist Südafrika nicht mehr in den Exekutivausschüssen der internationalen Finanzorganisationen vertreten (IBRD; IFC; IDA; IMF). Von der Arbeit der IMCO, an der das Nichtmitglied Südafrika nur als Beobachter teilnahm, wurde es 1973 ausgeschlossen. Auch an der Arbeit der Wirtschaftskommission für Afrika (ECA) darf Südafrika seit 1963 nicht mehr mitwirken, nachdem es bereits kurz vorher seine Mitarbeit dort selber eingestellt hatte. Ein satzungswidriger Versuch, die südafrikanische Mitgliedschaft in der UNCTAD zu suspendieren, scheiterte 1968. Die Beglaubigungspapiere der südafrikanischen Delegation wurden mehrfach in der Generalversammlung zurückgewiesen, weil die weiße Minderheitsregierung nicht das Recht habe, für die schwarze Bevölkerungsmehrheit des Landes zu sprechen: Nicht sie, sondern die „von der OAU anerkannten -» Befreiungsbewegungen" (African National Congress of South Africa (ANC), Pan Africanist Congress of Azania (PAC) seien die authentischen Repräsentanten der Bevölkerung (Res. 3151 G (XXVIII) vom 14.12.1973). Dies führte jedoch vorerst nicht zu einer Einschränkung der Rechte und Privilegien der Delegation.

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Ein Ausschlußantrag gegen Südafrika auf Grund des Art. 6 wurde von den drei Westmächten im Sicherheitsrat am 30. Oktober 1974 durch Veto verhindert — sowohl der Ausschlußantrag vor dem Sicherheitsrat wie das Tripel-Veto stellen ein Novum in der Geschichte der Vereinten Nationen dar. Obwohl in die südafrikanische Delegation zur 29. Sitzungsperiode der Generalversammlung 1974 erstmals je ein Schwarzer, ein Farbiger und ein Inder aufgenommen wurden, beschloß der Präsident der Generalversammlung — der algerische Außenminister Bouteflika — am 12. November 1974 — bestätigt durch die Generalversammlung —, Südafrika habe sein Stimmrecht und sein Recht auf Teilnahme an der 29. Jahrestagung der Generalversammlung und allen ihren Hauptausschüssen verloren. Kurz vorher hatten ANC und PAC nebst den anderen von der Organisation der afrikanischen Einheit (OAU) anerkannten Unabhängigkeitsbewegungen vollen Beobachterstatus in allen Hauptausschüssen erlangt. An der 30. Sitzungsperiode der Generalversammlung (1975) nahm Südafrika nicht teil. Wegen einer mangelnden Rechtsgrundlage verstößt die Suspension der südafrikanischen Mitgliedschaftsrechte durch die Generalversammlung gegen die Charta. Spätestens nach Inkrafttreten der „Convention on the Representation of States in their Relations with International Organizations of a Universal Character" vom 14. März 1975 (Text: AJIL vol. 69 (1975) p. 730) wäre zudem schon die Zurückweisung der Beglaubigungspapiere wegen mangelnder Repräsentativität rechtswidrig. Nachdem die Generalversammlung bereits die südafrikanische Regierung als illegitim erklärt und eine besondere Verantwortung der Völkergemeinschaft gegenüber der unterdrückten südafrikanischen Bevölkerung proklamiert hat, könnte sie nach bisherigen Erfahrungen demnächst die — völkerrechtlich recht entlegenen — Überlegungen der OAU übernehmen, ob Südafrika überhaupt ein Staat sei und nicht vielmehr eine Kolonie (mit der Folge, daß ihr die Berechtigung zur Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen fehle). Häufige Aufrufe der Generalversammlung zum Wirtschaftsboykott gegen Südafrika blieben ohne wesentliche Auswirkungen, während ein 1963 vom Sicherheitsrat empfohlener Waffenboykott (Res. 181 (XVIII) vom 7.8.1963) strenger eingehalten wird, so etwa von der Bundesrepublik Deutschland. Der Sicherheitsrat bezeichnete die Situation in Südafrika als Störung und, seit 1970 (Res. 282 (XXV) vom 23.7.1970), als mögliche Bedrohung des Weltfriedens, traf aber — anders als die Generalversammlung seit 1965 (Res. 2054 A (XX) vom 15.12.1965) — nicht die für die Anwendung der Sanktionen des Kapitels VII der Charta erforderliche Feststellung einer Bedrohung. Dementsprechend lehnte der Sicherheitsrat am 6. Juni 1975 einen Resolutionsentwurf (Doc. S/11713) zum bindenden Waffenboykott gegen Südafrika ab, erneut durch Veto aller drei Westmächte. Ein besonderes Problem wird für die Vereinten Nationen durch die Entlassung der Heimatländer (Bantustans, -»· Apartheid) in die Unabhängigkeit aufgeworfen werden. Als erstes Heimatland wird die Transkei im Rahmen der Politik der getrennten (multinationalen) Entwicklung im Oktober 1976 unabhängig werden — auch Bophuthatswana gab seine grundsätzliche Entscheidung für eine Unabhängigkeit bekannt — und will die Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen beantragen. Eine Annahme des Beitrittsantrages wäre eine implizite Anerkennung der Apartheidpolitik. Die Generalversammlung (Res. 3151 G (XXVIII) vom 14.12.1973, bekräftigt 1975 durch Res. 3411 D (XXX) vom 29.11.1975) beschloß daher, daß keine Regierung oder Organisation eine auf Grund der Bantustanpolitik geschaffene Institution anerkennen solle. Die — wahrscheinliche — Ablehnung des Beitrittsanträges stünde hingegen im Widerspruch z u m Universalitätsgedanken der Vereinten Nationen. Namibia Die Vereinten Nationen betrachten Südwestafrika (seit 1968 von der Generalversammlung in Namibia unbenannt — Res. 2372 (XXIII) vom 12.6.1968) als ein internationales Territorium unter südafrikanischer Verwaltung, als eines der letzten großen Probleme der Entkolonialisierung; sie halten, nach Widerruf des Mandats und Übernahme der unmittelbaren Verant-

Namibia

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wortung fur Südwestafrika durch die Vereinten Nationen 1966, die fortdauernde Anwesenheit Südafrikas für illegal. Die ehemalige deutsche Kolonie wurde Südafrika als C-Mandat (-> Mandatsgebiete) übertragen: Nach Art. 22 Völkerbundsatzung sollte sie „nach den Gesetzen des Mandatars und als integrierender Bestandteil seines Gebiets" verwaltet werden. Die Gesetzgebungs- und Verwaltungsbefugnisse wurden zunehmend nach Südafrika, die südafrikanische Rassentrennungsgesetzgebung (-> Apartheid), in geringerem Umfang und mit lokalen Anpassungen, nach Südwestafrika übertragen. Für die ethnisch sehr heterogene farbige Bevölkerung — ca. 6 6 5 . 0 0 0 Schwarze, darunter 4 0 0 . 0 0 0 Ovambos, sowie 115.000 Coloureds und Buschleute (Schätzung 1974) — wurden zehn „Heimatländer", teilweise mit Selbstverwaltung oder Selbstregierung, geschaffen. Das südwestafrikanische Parlament (Landesrat) wird hingegen nur von den Weißen (ca. 100.000) gewählt. Nach der Auflösung des Völkerbundes 1946 Schloß Südafrika kein Treuhandabkommen (->· Treuhandrat) mit den Vereinten Nationen ab. Einen südafrikanischen Antrag auf Eingliederung des Territoriums lehnte die Generalversammlung ab (Res. 65 (I) vom 14.12.1946), weil die afrikanische Bevölkerung dafür noch nicht politisch reif sei. Südafrika weigerte sich 1949, künftig Berichte über Südwestafrika an den Treuhandrat zu senden. Der IGH befand daraufhin in Rechtsgutachten 1950 und ergänzend 1955 und 1956: Das Mandat sei — entgegen der südafrikanischen Auffassung — nicht erloschen; Südafrika sei zwar nicht dazu verpflichtet, ein Treuhandabkommen abzuschließen, müsse jedoch weiterhin Jahresberichte erstellen und Kontrollen der Vereinten Nationen dulden; die Aufsichtsrechte der Generalversammlung dürften die des Völkerbundes nicht überschreiten. Durch Urteil vom 18. Juli 1966 wies der IGH die 1960 erhobene Klage Äthiopiens und Liberias, Südafrika habe gegen Geist und Wortlaut der Mandatsbestimmungen verstoßen, wegen fehlender Klagebefugnis zurück. Daraufhin beschloß die Generalversammlung (Res. 2145 (XXI) vom 27.10.1966), Südafrika habe das Mandat verwirkt; Südwestafrika unterstehe der unmittelbaren Verantwortung der Vereinten Nationen. Diese wird — wenn auch bisher eher fiktiv als effektiv — wahrgenommen durch den Rat der Vereinten Nationen für Namibia mit gegenwärtig 25 Mitgliedern sowie den Hohen Kommissar der Vereinten Nationen für Namibia, seit 1974 der Ire Sean McBride. Die Rechtmäßigkeit des Mandatswiderrufs wurde — bei Ablehnung eines südafrikanischen Vorschlags einer Volksabstimmung — bejaht in einem Gutachten des IGH vom 21. Juni 1971 (ICJ Reports 1971 p. 15). Der Sicherheitsrat bestätigte den — von Südafrika nicht anerkannten — Mandatsentzug 1968 (Res. 245 (XXIII) vom 25.1.1968). Die Anwesenheit Südafrikas in Namibia sei illegal und stehe im Widerspruch zu den Grundsätzen der Charta (Res. 2 6 4 (XXIV) vom 20.3.1969). Er erklärte alle Handlungen Südafrikas „im Namen von und in bezug auf Namibia" für „rechtswidrig und ungültig" (Res. 2 7 6 (XXV) vom 30.1.1970). Alle Staaten sollten wirtschaftliche, diplomatische und vertragliche Bindungen zu Südafrika insoweit unterlassen, als diese Hoheitsbefugnisse der Republik in Namibia beinhalteten. Der Rat der Vereinten Nationen für Namibia soll, so folgerte die Generalversammlung (Res. 3031 (XXVII) vom 18.12.1972), das Gebiet in internationalen Organisationen vertreten. Demgemäß wurde Namibia als assoziiertes Mitglied in die ECA (1971), die WHO sowie UNESCO (1974) aufgenommen. Während der Sicherheitsrat es stets vermied, die Lage in Namibia als Friedensbedrohung zu bezeichnen, tat dies die Generalversammlung seit 1968 wiederholt, gekoppelt mit der Aufforderung an den Sicherheitsrat, Sanktionen nach Kapitel VII der Charta zu beschließen. Nachdem der Sicherheitsrat „die Rechtmäßigkeit des Kampfes des Volkes von Namibia gegen die widerrechtliche Anwesenheit der südafrikanischen Behörden" festgestellt hatte (Res. 269 (XXIV) vom 12.8.1969), billigte die Generalversammlung seit 1971 durch den Zusatz „mit allen Mitteln" sogar den bewaffneten K a m p f gegen Südafrika. Sie erkannte die South West Africa People's Organization (SWAPO) als „authentischen Repräsentanten der namibianischen Bevölkerung" an (Res. 3111 (XXVIII) vom 12.12.1973), obwohl fast nur Ovambos zu ihren Mitgliedern zählen. In den entsprechenden Entschließungen zu Angola,

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Mozambique und Rhodesien wurden die jeweiligen Unabhängigkeitsbewegungen dagegen nur als „authentische Vertreter der wahren Bestrebungen der Völker" bezeichnet, bis der rhodesische African National Council of Zimbabwe 1975 ausdrücklich genannt wurde (Res. 3396 (XXX) vom 21.11.1975). Im September 1974 erließ der Rat für Namibia ein Dekret, das Förderung von und Handel mit namibianischen Bodenschätzen von einer Genehmigung des Rates abhängig machen soll. Verstöße sollen mit Sanktionen, so etwa mit einer Beschlagnahme der Waren zugunsten des Rates, bestraft werden können (Text: ILM vol. 13 ( 1 9 7 4 ) p. 1513). Nach Art. 16 der von der Generalversammlung am 12. Dezember 1974 beschlossenen Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten (Res. 3281 (XXIX)) wäre Südafrika wirtschaftlich für die volle Entschädigung der in Namibia ausgebeuteten Naturschätze verantwortlich. Verhandlungen wurden auf Beschluß des Sicherheitsrates 1972/73 zwischen Generalsekretär Waldheim und seinem Sonderbeauftragten Escher sowie Südafrika geführt. Trotz einer Annäherung der Standpunkte wurden diese im Dezember 1973 abgebrochen. Seit dem Herbst 1974 stiegen durch eine Initiative der Nationalen Partei von Südafrika die Hoffnungen auf eine effektive, friedliche Lösung aber wieder erheblich — diesmal allerdings ohne Zutun, ja, im Widerspruch zu den Vereinten Nationen. Zunehmend wurden Apartheidgesetze aufgehoben und eine Loslösung des Landes von Südafrika betrieben. Eine Konferenz über die staatsrechtliche Z u k u n f t Namibias wurde im September 1975 einberufen (Verfassungskonferenz). Vertreten waren Delegierte aus 11 Bevölkerungsgruppen, die im Konsensverfahren beschließen sollten; die volle Repräsentativität wird allerdings zu Recht bezweifelt, da die Delegierten nur ethnische Gruppen, nicht aber politische Parteien vertreten, insbesondere also auch nicht die SWAPO und die übrigen in der National Convention sowie der Namibia National Convention zusammengeschlossenen Organisationen der Schwarzen und Farbigen. Als Ziel beschloß die Verfassungskonferenz, innerhalb von drei Jahren eine Regierungsform zu schaffen, „die jeder Bevölkerungsgruppe das größtmögliche Mitspracherecht in ihren eigenen und nationalen Angelegenheiten garantiert, voll die Rechte von Minderheiten schützt und allen Recht und Gerechtigkeit ermöglicht", bei Achtung der Menschenrechte und ohne rassische Diskriminierung. Die Unabhängigkeit des Gebietes unter dem neuen Namen wird, bei föderativer oder unitarischer Struktur, vor Ende 1978 erwartet. Ob Owambo — das größte Heimatland im Norden — im Rahmen einer konföderalistischen oder föderalistischen Anbindung bei Namibia verbleibt, ist noch ungewiß. Nach Ausarbeitung einer Verfassung 1977/78 k ö n n t e sich bereits bis zur Unabhängigkeit eine weiß-schwarze Übergangsregierung konstituieren. Die Bundesrepublik Deutschland hat sich 1973 der Meinung angeschlossen, d a ß d i e fortdauernde Präsenz Südafrikas in Namibia rechtswidrig sei. Das Territorium müsse gemäß dem Selbstbestimmungsrecht unabhängig werden. Die Bundesregierung erkennt die SWAPO nicht als alleinige Vertreterin der Bevölkerung Namibias an; darüber könne nur eine Volksbefragung entscheiden. Die vom Rat der Vereinten Nationen für Namibia ausgestellten Reisedokumente hat sie seit Juni 1972 als Paßersatz zugelassen. Das deutsche Konsulat in Windhoek wurde beibehalten, eine Schließung wird aber erwogen. Dem Dekret des Rats für Namibia über Bodenschätze fehlt nach deutscher Ansicht die Rechtskraft. Der Mandatsentzug 1966 und die darauf beruhenden weiteren Entschließungen, insbesondere die Umbenennung in Namibia, erscheinen nach legalistischem, auf klassischem Völkerrecht beruhendem Verständnis nicht unbedenklich, läßt man einmal eine möglicherweise vorliegende Verbindlichkeit der Resolution 1514 (XV) vom 14. Dezember 1960 außer Betracht (-»· Selbstbestimmungsrecht). Die Vereinten Nationen können - und dies auch nur, falls und sofern sie Rechtsnachfolger des Völkerbundes sind — nicht mehr Rechte als der Völkerbund beanspruchen (IGH-Gutachten von 1950). Der Völkerbund war zum Mandatsentzug aber — wenn überhaupt — nur durch einstimmiges V o t u m befugt. Die Resolution muß als rechtlich anfechtbare politische Entscheidung angesehen werden, auf Grund derer die Vereinten Nationen in Namibia das Selbstbestimmungsrecht der Völker verwirklichen

Rhodesien

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und eine demokratisch legitimierte, rassenegalitäre Staats- und Gesellschaftsordnung aufbauen wollen. Rhodesien Südrhodesien, seit 1923 britische Kolonie mit innerer Selbstverwaltung, Schloß sich 1953 mit Nordrhodesien und Njassaland zusammen. Nach Auflösung der Föderation von Rhodesien und Njassaland 1963 wurden 1964 Nordrhodesien als Sambia und Njassaland als Malawi unabhängig. Die südrhodesische Verfassung von 1961, die verstärkte Autonomiebefugnisse für Südrhodesien, einen Grundrechtskatalog sowie einen Schutz gegen diskriminierende Gesetze vorsah, gestand den Schwarzen (6 Millionen gegenüber 300.000 Weißen) mindestens 15 von 65 Parlamentssitzen zu. Da Großbritannien das Wahlsystem für undemokratisch hielt und — auch auf Drängen der Vereinten Nationen — Rhodesien daher keine Unabhängigkeit gewähren wollte, erklärte Rhodesien am 11. November 1965 einseitig seine Unabhängigkeit. Großbritannien wie die Vereinten Nationen betrachten Südrhodesien als rebellische Kolonie und seine Verfassung sowie seine Regierung als illegal. Die 1963 formulierten „Fünf Prinzipien" betrachtet Großbritannien als Grundlage jeder Lösung: 1. 2. 3. 4. 5.

Ungehinderte Fortentwicklung auf eine Mehrheitsregierung hin; Garantien gegen rückschrittliche Änderungen der Verfassung; Sofortige Besserung des politischen Status der Nicht-Weißen; Abbau der Rassendiskriminierung; Annehmbarkeit der Vorschläge für die gesamte Bevölkerung.

Seit 1967 wurde durch Gesetze — besonders das Landbesitz-Gesetz („Land Tenure Act") von 1969, das eine Teilung Rhodesiens je zur Hälfte für Schwarz und Weiß vorsieht — zunehmend, wenn auch nicht so ausgebaut und perfektioniert wie in Südafrika, das System der -» Apartheid auf Rhodesien übertragen. Am 2. März 1970 wurde Rhodesien zur Republik proklamiert. Die neue Verfassung (1969) sah 50 Sitze für die Weißen vor (bei der Parlamentswahl Juli 1974 ganz von der Regierungspartei „Rhodesian F r o n t " besetzt) und zunächst 16 für Schwarze; je nach Anteil der von diesen gezahlten direkten Steuern soll die Mandatszahl schließlich auf ebenfalls 50 — also Parität — erhöht werden. Ende 1971 wurden Vorschläge zu einem britisch-rhodesischen Übereinkommen unterzeichnet, die auf den „Fünf Prinzipien" basierten. Der Bericht der britischen Pearce-Kommission kam nach ausführlichen Befragungen zu dem Ergebnis, diese Vorschläge seien für die Mehrheit der Schwarzen und damit der Bevölkerung als ganzer nicht annehmbar. Seitdem wird eine Lösung vornehmlich durch internen Dialog zwischen der Regierung von Südrhodesien und dem Afrikanischen Nationalrat (African National Council, ANC) gesucht. Zu diesem hatten sich Ende 1974 der alte ANC unter Bischof Abel Muzorewa, die Zimbabwe African People's Union (ZAPU) unter Nkomo, die Zimbabwe African National Union (ZANU) unter Sithole und die Front for the Liberation of Zimbabwe (FROLIZI) (-* Befreiungsbewegungen) zusammengeschlossen. Ein zugleich abgeschlossener Waffenstillstand wurde weder von der rhodesischen Regierung noch vom ANC voll eingehalten; an der Nordostgrenze Rhodesiens gab es weiterhin Guerillakämpfe. Durch Vermittlung des Präsidenten Kaunda (Sambia) und des südafrikanischen Premierministers Vorster im Rahmen der Détente-Politik im Südlichen Afrika — Südafrika zog zugleich seine in Südrhodesien stationierten Polizeieinheiten zurück — kam es im Spätsommer 1975 zu einer erneuten, erfolglosen Verhandlungsrunde. Nach einer Spaltung des ANC im September 1975 führte der Exil-ANC unter Muzorewa und Sithole die Kämpfe fort, während der interne Flügel des ANC unter Nkomo mit Smith Anfang 1976 erfolgversprechende Verhandlungen aufnahm. Diese könnten als Übergangslösung zu einer gemischtrassischen Regierung und Verwaltung und einer gemeinsamen Wählerliste mit qualifiziertem Stimmrecht führen. Die mangelnde Kompromißbereitschaft von Smith hatte bisher zur Folge, daß sich die Haltung der schwarzen Verhandlungspartner zunehmend versteifte und

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eine friedliche Lösung immer schwieriger wurde. Verhandlungsfrage ist heute für die Schwarzen nur noch Modalität und Zeitpunkt des Übergangs zu einer Mehrheitsregierung. Die Vereinten Nationen befaßten sich — zunächst gegen den Widerstand Großbritanniens — mit Südrhodesien seit 1961. Die Unabhängigkeitserklärung wurde von der Generalversammlung wie auch dem Sicherheitsrat verurteilt (GA Res. 2024 (XX) vom 11.11.1965, SC Res. 216 (XX) vom 12.11.1965). Der Sicherheitsrat betrachtete die Situation als äußerst ernst und die Unabhängigkeitserklärung „als ohne rechtlichen Wert" (Res. 217 (XX) vom 20.11.1965). Er forderte alle Staaten zum Abbruch der diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen auf. Mit Resolution vom 9. April 1966 (Res. 221 (XXI)) stellte der Sicherheitsrat in der drohenden Umgehung des Ölboykotts und später in der allgemeinen Situation Südrhodesiens eine „Bedrohung des Friedens" (später: „des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit") fest und autorisierte die britische Regierung, „notfalls durch Anwendung von Gewalt" (Blockade) die Löschung von Erdölktankern im Hafen von Beira zu verhindern. Damit wurde erstmals ein einzelnes Mitglied der Vereinten Nationen zur Gewaltanwendung im internationalen Interesse gem. Art. 42 ermächtigt (-> Sanktionen). Ein obligatorischer Warenboykott (SC Res. 232 (XXI) vom 16.12.1966) auf Grund des Kapitels VII der Charta wurde zunehmend spezifiziert und ausgedehnt (SC Res. 253 (XXIII) vom 29.5.1968). Private Sanktionsbrecher — so der Sicherheitsrat 1973 — sollten bestraft werden (Res. 333 (XXVIII) vom 22.5.1973). Erstmals seit Gründung der Vereinten Nationen wurden damit wirtschaftliche Sanktionen verhängt, um die Regierungsform eines Landes zu ändern. Während die Bundesrepublik Deutschland seit 1968 einen umfassenden Warenboykott einhalten will — sie betrachtet die Minderheitsregierung als illegal —, sahen sich insbesondere Südafrika und Mozambique (1976 Schloß es sich dem Boykott an) nicht an die häufig wiederholten Aufforderungen des Sicherheitsrates gebunden. Bis heute konnten die Sanktionen die erwünschten Auswirkungen nur teilweise erreichen; sie halfen allerdings — neben der internationalen Isolierung Südrhodesiens (kein Land hat es bisher diplomatisch anerkannt, obwohl es seit Abschluß der Sezessionsbestrebungen alle Merkmale des Staatsbegriffs erfüllt) —, die Verhandlungsbereitschaft Südrhodesiens aufrechtzuerhalten. Großbritannien forderte der Sicherheitsrat auf, wirksame Maßnahmen zur Beendigung der Rebellion zu treffen. Die Generalversammlung (Res. 2022 (XX) vom 5.11.1965, also vor der Unabhängigkeitserklärung) und der Sicherheitsrat (Res. 277 (XXV) vom 18.3.1970) erklärten, der Kampf der Bevölkerung von Südrhodesien sei rechtmäßig. Dabei legitimierte die Generalversammlung auch hier später (am 21.11.1975) — erstmals im Konsensverfahren — den Kampf „mit allen Mitteln", also auch mit militärischen. Sie erkannte dabei den ANC als authentischen Repräsentanten der wahren Bestrebungen der Bevölkerung von Zimbabwe an (Res. 3396 (XXX)), ohne zu spezifizieren, welche ANC-Fraktion sie damit meine. Den Namen „Zimbabwe" für und neben „Südrhodesien" benutzt die Generalversammlung seit 1965, der Sicherheitsrat seit 1970. Eine Lösung sehen die Vereinten Nationen in der Ausübung des Selbstbestimmungsrechts durch die Bevölkerung und dem Grundsatz, daß es keine Unabhängigkeit vor einer Mehrheitsregierung geben könne. Literatur Arntz: Der Begriff der Friedensbedrohung in Satzung und Praxis der Vereinten Nationen, Berlin 1975 Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen (Hrsg.): Die Vereinten Nationen und Südrhodesien (Dokumentation), Bonn 1975 Dugard: The South West Africa / Namibia Dispute, Berkeley etc. 1973 Klein, E.: Zur Beschränkung von Mitgliedsrechten in den Vereinten Nationen, in: VN 1975 S. 51 von Lucius: Die verfassungs- und völkerrechtliche Entwicklung Südwestafrikas, in: VN 1973 S. 88

Technische Hilfe,

Technologietransfer

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Schramm: Völkerrechtliche Aspekte des Rhodesien-Konfliktes, Diss. Bonn 1970 Harding / Schulz / Vogt: Die Südafrikapolitik der UNO und der Kirchen, München / Mainz 1976 Slonim: South West Africa and the United Nations, Baltimore etc. 1973 Zacklin: The United Nations and Rhodesia, New York 1974 Robert von Lucius Verweise auf: Apartheid; Befreiungsbewegungen; Generalversammlung; Mandatsgebiete; Rassendiskriminierung; Sanktionen; Selbstbestimmungsrecht; Treuhandrat.

Technische Hilfe, Technologietransfer Begriff der Technischen Hilfe Im Gegensatz zur -*• Kapitalhilfe umfaßt die technische Hilfe die Entsendung von Experten und den Aufbau eines Bildungswesens in den Entwicklungsländern. Die technische Hilfe zielt nicht in erster Linie auf eine Förderung der Technik, sondern sie erstrebt im weitesten Sinne die Ausbildung. Sie läßt sich wiederum im bilaterale und multilaterale technische Hilfe aufgliedern. Zu den bilateralen Maßnahmen rechnet man im wesentlichen: Errichtung von Musterbetrieben im Industrie- oder Agrarbereich; Errichtung von Ausbildungsstätten und ihre Unterhaltung; Ausbildung von Studenten oder Praktikanten; Planungs-, Beratungs- und Gutachtertätigkeit in den Entwicklungsländern. Die gleichen Aufgaben können auch multilateral, d. h. von internationalen Institutionen erfüllt werden. Zu nennen seien hier unter anderem die Tätigkeiten von OECD, UNDP, ->· UNESCO, IBRD. Technische Hilfe der Bundesrepublik

Deutschland

Die Bundesrepublik Deutschland hat ihre technische Entwicklungshilfe konzentriert. 71 % der gesamten Zusagen des Jahres 1974 entfielen auf 25 Entwicklungsländer. Die Konzentration der Mittel richtete sich an folgenden entwicklungspolitischen Verteilungskriterien aus: Bedürftigkeit, Aufnahmefähigkeit für Kapital und technisches Wissen sowie d Mandatsgebiete) trotz der Auflösung dieser Organisation der Form nach weiter bestand — der ICH argumentierte, daß durch den Wegfall des Völkerbundes nur die Überwachungsmaschinerie beseitigt worden sei (ICJ Reports 1950 p. 128 (131 seq.)) —, waren inmitten des 2. Weltkrieges Kräfte am Werk, um das Mandatssystem zu revidieren. So wie versucht wurde, die Universalität der Menschenrechte durch die Vorbereitung der Verfolgung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen völkerrechtlich möglich zu machen, so wurden auch in den USA Bemühungen deutlich, im künftigen Frieden das ehemalige Mandatssystem aus der Konfrontation von Siegern und Besiegten — wie sie im Ausgang des 1. Weltkrieges bestanden hatte — zu lösen. Im Jahre 1942 beschäftigte sich das „University Committee on Post War International Problems" mit Fragen der „Colonial Aspects of Post-War Settlements"; im August 1942 wurden vom US State Department entsprechende Studien vorbereitet. Erst im Jahre 1943 bekamen diese Studien politisches Gewicht: Kolonien und seinerzeitige Mandate sollten unter ein dezentralisiertes, internationales System gestellt, „selfgovernment" und „full independence" für diese Gebiete angestrebt werden. In den Vorbereitungen von Dumbarton Oaks (-> Entstehungsgeschichte) wurden die Vorschläge hinsichtlich der betroffenen Gebiete, des organisatorischen Systems und der Zielsetzung der Verwaltung gründlich geändert. Nur mehr frühere Feindgebiete und Mandatsgebiete sollten von diesem

Entwicklung

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System erfaßt werden. Als zentrales Organ wurde — wie seinerzeit im Völkerbund — die Einrichtung eines Treuhandrats (Trusteeship Council) vorgesehen, dessen Unabhängigkeit nicht mehr als hauptsächliche Zielsetzung des Systems galt. Das alles sollte nicht in Vertragsform, sondern in F o r m einer Deklaration — also unverbindlich — ausgestaltet werden. In dieser Phase erklärten die großen Kolonialmächte Großbritannien und Frankreich, daß sie sich gegen jedes System wenden würden, in dem die abhängigen Gebiete Platz finden sollten. Es begann ein Kampf um die Auslegung der Worte „independence", „self-determination" und „self-government", wobei Großbritannien als äußerste Zielsetzung abhängigen Gebieten Selbstregierung zugestehen wollte. Die Forderungen der marxistisch-leninistischen Ideologie gegen Kolonialismus und Imperialismus zielten auf Unabhängigkeit. Nachdem auf der Jalta-Konferenz vom 3—11. Februar 1945 eine gewisse Ubereinstimmung der Alliierten über die fraglichen Gebiete erzielt worden war, legten die USA auf der Konferenz von San Francisco spezifische Vorschläge vor, die den Vereinten Nationen die Überwachung des Treuhandsystems anvertrauen sollten. Zielsetzung war, in diesem System nicht mehr von Unabhängigkeit und Selbstbestimmung zu reden u n d sich auf jene Gebiete zu beschränken, über die in Jaita eine Einigung erzielt worden war. Die Zustimmung des zuständigen Ausschusses zerfiel in einen Teil über die später in der Charta so bezeichneten „Non-Self-Governing Territories" (Teil A) und einen Teil B, der sich mit der Mandatsfrage beschäftigte. Das System wird als „International Trusteeship System" bezeichnet. Der Weg z u m self-government, eine wirtschaftliche Nicht-Diskriminierungsklausel — schon im Mandatssystem als Prinzip der „ o f f e n e n Tür" bezeichnet —, ist eingefügt. Bereits im Zuge dieser Beratungen setzte Südafrika seine Politik aus der Völkerbundzeit fort, daß dieses System nicht auf Südwestafrika anwendbar sein könne. Eine geteilte Auffassung bestand hinsichüich der Frage, wer das Treuhandsystem tragen solfie. Wegen der Erfahrungen mit dem Mandatssystem sollte der Treuhandrat die Kompetenz erhalten, die entsprechenden Gebiete auch besuchen zu können. Hinter den Kulissen liefen zwischen den sowjetischen und westlichen Delegationen Diskussionen über die Selbstbestimmung, wobei darauf hingewiesen wurde, daß bei A u f n a h m e des Wortes Selbstbestimmung in Palästina die Araber die Juden beherrschen und in Afrika der Tribalismus maßgebend sein würden. Die Ergebnisse der Arbeit dieses Ausschusses sind in den Kapiteln XI, XII und XIII der Charta aufgenommen worden. Aus der Tatsache, daß an ihrer Ausarbeitung nicht nur Staaten beteiligt waren, die einen Besitzstand zu verteidigen h a t t e n , sondern auch solche, die diesen Besitzstand zugunsten Dritter abbauen wollten, erklären sich die grundlegenden Unterschiede zum Mandatssystem des Völkerbundes: Während das Mandatssystem territorial auf frühere „Feindgebiete" beschränkt war, werden vom Treuhandsystem alle Gebiete erfaßt, die die Bedingungen des Kapitels XII erfüllen. Die Unterschiede zwischen A-, B- und C-Mandaten sind weggefallen (-* Mandatsgebiete); alle Gebiete werden potentiell gleichermaßen als entwicklungsfähig angesehen. Selbstregierung oder Unabhängigkeit werden für die unter das System gestellten Gebiete in der Charta als Ziel angesprochen (Art. 7 6 (b)). Die Organisation des Treuhandsystems ist einerseits flexibler, andererseits staatsbezogener geworden, denn Mitglieder des Treuhandrates sind Staaten und nicht mehr — wie im Völkerbund Experten. Der Treuhandrat ist Hauptorgan der Vereinten Nationen (-» Organisationssystem der Vereinten Nationen). Die Einrichtung hat daher mehr Autorität erhalten. Neben dem Treuhandsystem hat die Charta in Kapitel XI das System der Gebiete ohne Selbstregierung herausgebildet. Dem sind Gebiete unterworfen, deren Völkerschaften bis jetzt noch nicht das volle Ausmaß an Selbstregierung zuerkannt bekommen oder es nicht erreicht haben. Alle Staaten, die solche Gebiete u n t e r ihrer Jurisdiktion haben, sind spezifischen Verpflichtungen, vor allem einer Informationspflicht, unterworfen (-> Berichtsystem). Um keine Vakanz zwischen der Auflösung des Mandatssystems und dem Beginn des Treuhandsystems entstehen zu lassen, wurden am 26. Juni 1945 eine Interims-Vereinbarung abgeschlossen und eine vorbereitende Kommission eingesetzt. Der Exekutivausschuß hielt

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Treuhandrat

am 16. August 1945 seine erste Sitzung ab. Relativ reibungslos w u r d e von der Kommission der E n t w u r f einer Resolution vorgeschlagen ( R e p o r t of the Preparatory Commission of the UN, D0C./PC/2O—1945), nach der die bisherigen Mandatsmächte aufgefordert wurden, entsprechende Treuhandverträge der Generalversammlung zur Genehmigung vorzuschlagen. Nach längeren Beratungen wurden der Generalversammlung acht Mandatsverträge übermittelt. Im D e z e m b e r 1946 gelang es ihr, das System der Treuhandschaft — gegen die Stimmen der Ostblockstaaten - mit Mehrheit anzunehmen (Res. 6 3 (I) vom 13.12.1946 und 6 4 (I) vom 14.12.1946). Der Treuhandrat trat das erste Mal am 26. März 1947 zusammen.

Die fraglichen

Gebiete

Die Gebiete u n t e r dem Treuhandsystem sind nach Art. 7 7 in drei Kategorien eingeteilt: Gebiete, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens d e r Charta unter Mandat standen, ehemalige Feindgebiete u n d Gebiete, die von einem Staat freiwillig unter das Treuhandsystem gestellt wurden. E r f a ß t wurden also die früheren Mandatsgebiete, die früheren japanischen Mandate ( u n t e r US-Treuhandschaft), die italienischen Kolonien Eritrea, Somaliland u n d Libyen. Die Mehrzahl dieser Gebiete wurde sehr rasch der Unabhängigkeit zugeführt: Britisch-Togo wurde 1957 mit Ghana verschmolzen; Französisch-Togo und Französisch -Käme run w u r d e n 1960 unabhängig, Tanganjika 1961; Britisch-Kamerun kam 1961 zu Kamerun; RwandaUrundi spaltete sich im Jahre 1962 in zwei unabhängige Staaten. Westsamoa ist im Jahre 1962 unabhängig geworden; Eritrea wurde 1953 mit Äthiopien vereinigt; Libyen wurde, ohne - ebenso wenig wie Eritrea — dem Treuhandsystem unterstellt gewesen zu sein, im Jahre 1951, Somaliland 1960 unabhängig. Nur drei Gebiete h a b e n sich längere Zeit als Treuhandgebiete erhalten: Nauru, Neuguinea u n d die Pazifischen Inseln. Papua-Neuguinea erhielt im S e p t e m b e r 1975 seine Unabhängigkeit. Alles in allem waren es 11 Gebiete mit — im Jahre 1974 — nur etwa 35 Millionen Einwohnern. Alle übrigen kolonialen Gebiete fielen u n t e r Kapitel XI als sog. Gebiete o h n e Selbstregierung. Keine Kolonialmacht machte von der Möglichkeit Gebrauch, ihr Herrschaftsgebiet freiwillig u n t e r Kapitel XII zu stellen. Unter den früheren Mandatsgebieten ragt ein Gebiet heraus, dessen Verwaltung an der Weltsicherheit rührt: Das ehemalige Mandat über Deutsch-Südwestafrika, das von der Südafrikanischen Union wahrgenommen wurde. Südafrika hat entgegen einem G u t a c h t e n des IGH (ICJ R e p o r t s 1950 p. 128) die Meinung vertreten, daß es nach der Auflösung des Völkerbundes keiner Mandatsverpflichtung m e h r unterliege und das R e c h t über Südwestafrika nicht mehr vom Mandat, sondern von militärischer Eroberung herrühre. Seit der Res. 9 (I) vom 9. Februar 1946 bemüht sich die Generalversammlung, der Republik Südafrika zu beweisen, daß das fragliche Gebiet ein Treuhandgebiet sei (siehe G A Res. 65 (I) vom 14.12.1946; 141 (II) vom 1.11.1947; 227 (III) vom 26.11.1948; 337 (IV) vom 6 . 1 2 . 1 9 4 9 ; 449 (V) vom 13.12.1950). In der Folgezeit bemühten sich der Sicherheitsrat u n d d a n n die Generalversammlung darum, den Status des Gebietes — das inzwischen von d e n Vereinten Nationen offiziell als „Namibia" bezeichnet w u r d e — dem Rechte nach zu fixieren. Mit Resolution 2 1 4 5 (XXI) vom 2 7 . 1 0 . 1 9 6 6 wurde von der Generalversammlung die Beendigung des Mandats für Südwestafrika ausgesprochen. Der Sicherheitsrat erklärte mit Resolution 2 6 4 (XXIV) vom 20. März 1969, er halte („considers") die Anwesenheit Südafrikas in Namibia für illegal, und forderte Südafrika mit Resolution 2 6 4 (XXIV) und danach wiederholt (ζ. B. Res. 269 (XXIV) vom 12.8.1969) auf, die Verwaltung über das Gebiet „unverzüglich" ( „ i m m e d i a t e l y " ) aufzugeben. 1970 erklärte der Sicherheitsrat („declares"), d a ß Südafrikas Präsenz in Namibia illegal und alle seine Akte in d e m Gebiet null u n d nichtig seien (Res. 2 7 6 (XXV) v o m 30.1.1970). Der IGH h a t in seinem G u t a c h t e n vom 21. J u n i 1971 die Auffassung des Sicherheitsrates mit 13 zu 2 Stimmen bestätigt (ICJ Reports 1971 p. 16) (-+ Südliches Afrika).

Treuhandverwaltung

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Entkolonialisierung Im Zuge ihrer Bemühungen, ihre Kompetenz gegenüber Namibia geltend zu machen, haben die Vereinten Nationen einen Rat für Namibia eingerichtet (GA Res. 2248 (S—V) vom 19.5.1967), dem auf der Ebene des Sekretariats der Kommissar für Namibia entspricht. Diese unterbreiten der Generalversammlung und dem Sicherheitsrat Berichte über die Verhältnisse in Namibia (ζ. B. Doc. A/10024). Der Rat für Namibia hat die rechtsetzende Gewalt über das Gebiet das erste Mal am 27. September 1974 durch einen legislativen Akt dokumentiert; es handelt sich um das „Decree No. 1 for the Protection of Natural Resources of Namibia" (GAOR (XXIX) Suppl. 24 A (Doc. A / 9 6 2 4 / A d d . 1) para. 84). Weitere Maßnahmen, um die Autorität der Vereinten Nationen über Namibia auszudrücken, werden in der Resolution der Generalversammlung 3399 (XXX) vom 26. November 1975 empfohlen. Man kann nicht übersehen, daß sich eine Reihe von zwischenstaatlichen und privaten Organisationen dem Problem immer mehr zuwenden. Die OAU hat in Kampala im Juli 1975 und in Daressalaam im April 1975 das Recht auf Selbstbestimmung für Namibia erneut betont; im Januar 1976 fand in Dakar eine Konferenz nichtstaatlicher Organisationen und interessierter Persönlichkeiten statt, die eine „Declaration of Dakar" verabschiedete, in der die Organe der Vereinten Nationen aufgefordert werden, verschiedene Handlungen durchzuführen, und auch die Waffengewalt zur Befreiung des Landes gutgeheißen wird. Mit der Kubanisierung Angolas ist Namibia für die Republik Südafrika ohne Zweifel zum Glacis ihrer Interessen geworden. Dieses F a k t u m dürfte für die weitere Entwicklung des ehemaligen Mandatsgebietes nicht ohne Einfluß bleiben. Hinsichtlich des Mandats Palästina hat die Generalversammlung mit Resolution 181 (II) vom 29. November 1947 in ihrem dieser Resolution angeschlossenen Teilungsplan festgestellt, daß das Mandat nicht später als am 1. August 1948 enden solle. Diese Resolution kam zustande, nachdem Großbritannien wegen der Situation in Palästina die Entscheidung über die Mandatsfrage praktisch den Vereinten Nationen überantwortet hatte. Das Mandat endete faktisch mit der Ausrufung des Staates Israel am 14. Mai 1948 (-> Nahost).

Treuhandverwaltung Das Treuhandsystem wurde — ähnlich wie das Mandatssystem — von Treuhandverträgen beherrscht, die jedoch wesentlich flexibler gehalten waren als die Mandatsverträge. Der Treuhandrat hat die Aufgabe, Berichte (-»· Berichtsystem) der Treuhänder zu prüfen, Petitionen anzunehmen und sie gemeinsam mit den Treuhändern zu prüfen. In den fraglichen Gebieten hat er Besuchsrecht. Entsprechende Fragebögen wurden ausgearbeitet. Eine eigene Geschäftsordnung für den Treuhandrat wurde entworfen. Der Treuhandrat soll grundsätzlich paritätisch aus Treuhändern und Nichttreuhändern zusammengesetzt sein. Im einzelnen sollen ihm alle Mitglieder der Vereinten Nationen, die Treuhandgebiete verwalten, sowie sämtliche ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats unabhängig von einer Treuhändereigenschaft angehören, überdies so viele weitere von der Generalversammlung für je drei Jahre gewählte Nichttreuhänder, wie zur Herstellung der Parität erforderlich (Art. 86). Auf Grund dieser Regelung mußten die Verwaltungsmächte mit der Abnahme der Zahl von Treuhandgebieten allein wegen der Präsenz der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates in die Minderheit geraten. Das trat ein, als Nauru am 31. Januar 1968 in die Unabhängigkeit entlassen wurde. Dem Treuhandrat gehörten fortan auf der Seite der Verwaltungsmächte nur noch zwei Staaten an (Australien, USA). Das Sekretariat hielt deren Majorisierung in einer rechtlichen Stellungnahme vom 22. November 1967 für mit Art. 86 vereinbar, da das Paritätserfordernis im Interesse der Einwohner der Treuhandgebiete aufgestellt worden sei (UNJY 1967 p. 3 3 0 seq.). Seit dem 16. September 1975 - dem Tag der Unabhängigkeit Papua-Neuguineas — sind die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats im Treuhandrat unter sich, wobei allein noch die USA in der Rolle einer Verwaltungsmacht

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Treuhand rat

auftreten. Für ihr Treuhandgebiet der pazifischen Inseln ist allerdings, da es sich um eine strategische Zone handelt, gem. Art. 82, 83 in erster Linie der Sicherheitsrat zuständig, so daß dem Treuhandrat nur noch untergeordnete Aufgaben verbleiben werden. Gebiete ohne Selbstregierung (Non-Self-Governing

Territories)

Kapitel XI (Art. 73 und 74) bezieht sich auf die Gebiete ohne Selbstregierung. Hauptfrage war, wer darüber entscheidet, wann ein Gebiet ohne Selbstregierung ist. Daß diese Frage tief in die politische Entscheidungsgewalt der betroffenen Regierungen eingreift, steht außer Zweifel. Während die Kolonialmächte Art. 2 Ziff. 7 für sich in Anspruch nahmen (-»· Souveränität), bemühten sich die anderen Staaten, für diese Gebiete dasselbe System wie für die Treuhandgebiete einzuführen. Die Vereinten Nationen trachteten, sich selbst Aufsichtsrechte über diese Gebiete zu sichern. 79 Gebiete wurden als Hoheitsgebiete ohne Selbstregierung angesehen. Noch 1949 wurde über 64 solche Gebiete berichtet, ein Berichtsausschuß (-> Berichtsystem) über derartige Gebiete ins Leben gerufen. Die Generalversammlung legte Merkmale dafür fest, ob ein Gebiet selbständig sei oder nicht (Res. 741 (VIII) vom 27. November 1953). Seit der Erklärung über die Gewährung der Unabhängigkeit an Kolonialländer und -Völker (GA Res. 1514 (XV) vom 14.12.1960) wenden die Organe der Vereinten Nationen ihr ganzes Instrumentarium auf diese Gebiete an, wobei die Grundgedanken dieser Deklaration maßgebend sind. Ein Sonderausschuß der Generalversammlung wurde zur Überwachung eingesetzt: Special Committee on the Situation with regard to the Implementation of the Declaration on the Granting of Independence to Colonial Countries and Peoples („24er-Ausschuß", Res. 1654 (XVI) vom 27.11.1961). Der Ausschuß, der bislang zu über 1.000 Sitzungen zusammentrat, ist der Generalversammlung berichtspflichtig. Folgende Gebiete wurden Anfang 1976 noch einer besonderen Berichterstattung unterworfen: Südrhodesien, Namibia, Bermudas, Caymaninseln, Turks- und Caicos-Inseln, Spanisch-Sahara, Gibraltar, Französisch-Somaliland, Jungfrauen-Inseln, Monserrat, Neue Hebriden, Tokelau-Inseln, Amerikanisch-Samoa und Guam, Gilbertinseln, Tuvalu (Ellice), Salomoninseln, sowie Französisch Guyana, Niue, Seychellen (vorgesehener Unabhängigkeitstag: 28.6.1976), St. Helena, Pitcairn, Cocos (Keeling)-Inseln, Brunei, Belize, Falklandinseln (Malvinas) und mehrere karibische Inseln. Praktisch hat Kapitel XI die Entkolonialisierung beschleunigt, so daß — bis auf die eben genannten Gebiete — alle abhängigen Gebiete in staatliche Unabhängigkeit entlassen wurden. Über das Schicksal der genannten Gebiete, die zum Teil wegen ihrer territorialen Kleinheit, der geringen Bevölkerungszahl, aber auch wegen ihres strategischen Wertes (z. B. Guam) nicht ohne weiteres in die Unabhängigkeit entlassen werden können, läßt sich im Augenblick nichts voraussagen. Man könnte sich vorstellen, daß diese Gebiete in echte Treuhandgebiete ungewandelt werden. Literatur Blum: The Composition of the Trusteeship Council, in: AJIL vol. 63 (1969) p. 747 Carlson: No Neutral Ground, New York 1973 Chowdhuri: International Mandates and Trusteeship Systems, A Comparative Study, The Hague 1955 Kay: The United Nations and Decolonization, in: Barros (Hrsg.), The United Nations: Past, Present and Future, New York/London 1972, p. 143 Leroy: La nature juridique des accords de Tutelle, in: RGDIP vol. 69 (1965) p. 977 Murray: The United Nations Trusteeship System, Urbana (111.) 1957 Thullen: Problems of the Trusteeship System: A Study of Political Behaviour in the United Nations, Genève 1964 Felix Ermacora

Umweltschutz

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Verweise auf: Berichtsystem; Entkolonialisierung; Entstehungsgeschichte; Mandatsgebiete; Nahost; Organisationssytem der Vereinten Nationen; Petitionen; Souveränität; Südliches Afrika.

Umweltschutz Die Sicherung und Förderung der wichtigsten Lebensbedingungen des Menschen haben sich die Vereinten Nationen seit ihrer Gründung zum Ziele gesetzt. Bereits 1949 war auf der ersten von den Vereinten Nationen veranstalteten wissenschaftlichen Konferenz über die Erhaltung und Nutzung von Ressourcen erkannt worden, daß das Überleben des Menschen im Universum ein Problem darstellen könnte, das hervorragende Beachtung verdient. Für die Mehrzahl der Menschheit handelt es sich dabei bisher nur um die Erreichung eines minimalen Lebensstandards, den viele Staaten u. a. durch die verstärkte Erschließung und Nutzung ihrer natürlichen Ressourcen erreichen wollen. Die Industriestaaten sind um die Erhaltung und den weiteren Ausbau ihres — zumeist ohne Rücksichtnahme auf globale ökologische Folgen — jeweils erreichten eigenen sozio-ökonomischen Besitzstandes bemüht. Akzentuiert wird die gegenwärtige Lage durch die in der Welt bestehende drastische ökonomische Ungleichheit, das Wissen um die Begrenztheit mancher natürlicher Ressourcen sowie den zusätzlichen Druck, der durch die ständig wachsende Weltbevölkerung ausgeübt wird. Die Notwendigkeit einer globalen Neuformulierung der Entwicklungsziele zur Sicherung der wichtigsten Lebensbedingungen des Menschen als „innere Grenzen", ohne in den einzelnen Entwicklungsstadien die „äußeren Grenzen" der Biosphäre und der natürlichen Ressourcen zu gefährden, ist offenbar geworden. Die Vereinten Nationen sind seit langem in vielen Organen und den meisten Sonderorganisationen mit der Erforschung einzelner Aspekte der Umweltproblematik und der Ausarbeitung von Programmen zu ihrer Lösung beschäftigt. Dabei litt ihre Effektivität jedoch weitgehend unter dem Fehlen eines umfassenden Umweltprogramms, durch das Kompetenzüberschneidungen hätten vermieden werden können und das über die Bekämpfung der bereits offenbaren Umweltverschmutzung hinaus eine vorausschauende Planung beinhaltet hätte. Hinzu kam eine Zurückhaltung der Staaten gegenüber prognostizierenden Studien internationaler Organisationen, die nur auf freien aber nicht immer gern gegebenen — Informationen seitens der Staaten aufbauen und zudem die Gefahr bieten können, die eigene Umweltpolitik stärker als gewünscht zu beeinflussen. Für die Vereinten Nationen bietet sich jetzt die Chance und Notwendigkeit, eine ökologisch orientierte Neuformulierung der Entwicklungsziele zu fördern und die nötigen Aktionen zu koordinieren. Auch wenn die Vereinten Nationen in ihrer Handlungsfähigkeit grundsätzlich von einer Übereinstimmung in den Werten und Zielen der sie bildenden Staaten abhängig sind, so können sie doch gerade auf diese Werte und Ziele in der Staatengemeinschaft erheblichen Einfluß nehmen und damit neue Wege weisen. Diesen Zweck verfolgte die Konferenz der Vereinten Nationen über die Umwelt des Menschen, die im Juni 1972 in Stockholm stattfand. Die Konferenz hatte 1968 von der Generalversammlung das Mandat erhalten, die Aufmerksamkeit der Regierungen und der öffentlichen Meinung auf die Bedeutung und Dringlichkeit der Umweltprobleme zu lenken und einzelne Aspekte herauszuarbeiten, die einer Lösung durch internationale Zusammenarbeit und Übereinstimmung am ehesten zugänglich sind (Res. 2398 (XXIII) vom 3.12.1968). Während der sehr gründlichen Vorbereitung der Konferenz mußten zahlreiche Bedenken gegen eine verstärkte Tätigkeit der Vereinten Nationen auf dem Umweltsektor ausgeräumt werden. Aus Kreisen der Entwicklungsländer wurde vor allem die Befürchtung geäußert, die Sorge um den Schutz der Umwelt könne zu Einschränkungen in der Entwick-

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Umweltschutz

lungshilfe oder sogar dazu führen, daß die Industriestaaten versuchen würden, das Wirtschaftswachstum der Entwicklungsländer unter ökologischem Vorwand zu begrenzen und damit ihre Abhängigkeit zu verstärken u n d zu zementieren. Die Tatsache, daß eklatante Umweltprobleme auch in den Entwicklungsländern internationaler Aufmerksamkeit bedürfen, führte schließlich jedoch dazu, daß sich diese Staaten aktiv an der Vorbereitung und Durchführung der Konferenz beteiligten. Ausschlaggebend war, daß die Umweltprobleme der Armut häufig noch weit dringlicher und verbreiteter sind als die des Überflusses, die Entwicklungländer durch den Informationsaustausch mit den industrialisierten Staaten die Möglichkeit haben, ökologische Erfahrungen in ihre Entwicklungsplanung einzubeziehen, und sie durch die Teilnahme ihren Einfluß bei der Formulierung der Ziele verstärkt geltend machen konnten. Die Konferenz wurde von 113 Staaten als Teilnehmern sowie ca. 3 0 0 nationalen und internationalen Organisationen und Verbänden besucht. Aus Protest gegen die letztmalig auf Grund der „Wiener F o r m e l " abgelehnte Teilnahme der DDR blieben ihr lediglich die Sowjetunion sowie einige andere osteuropäische Staaten fern, ohne sich damit jedoch inhaltlich von der Arbeit der Konferenz zu distanzieren. Die Konferenz faßte ihre Ergebnisse in drei Dokumente zusammen: Eine Erklärung über die Umwelt des Menschen, Empfehlungen für einen Aktionsplan zur Bewältugung der weltweiten Umweltprobleme sowie eine Entschließlung über den organisatorischen Rahmen eines Umweltprogramms im System der Vereinten Nationen. Die Ergebnisse wurden in der 27. Sitzungsperiode der Generalversammlung der Vereinten Nationen gebilligt (Res. 2994—3004 (XXVII) vom 15.12.1972). Die Erklärung beinhaltet internationale Prinzipien für die Erhaltung und Verbesserung der „natürlichen" und „sozialen" Umwelt des Menschen. Sie hat keinen rechtlich verbindlichen Charakter, stellt jedoch den Ausdruck von Erwartungen der teilnehmenden Staaten dar und bildet damit eine wertvolle Grundlage für spätere Übereinkommen und die Entwicklung eines internationalen Umweltrechts. Grundsatz 1 der Erklärung postuliert ein „Grundrecht auf Freiheit, Gleichheit und angemessene Lebensbedingungen in einer Umwelt, die so beschaffen ist, daß sie ein Leben in Würde u n d Wohlergehen ermöglicht". Hierin spiegelt sich bereits der weite Rahmen, innerhalb dessen die Vereinten Nationen ihre Aufgabe in der Umwehpolitik sehen. Besondere Bedeutung wird den Grundsätzen 21 und 22 z u k o m m e n : Einerseits wird den Staaten das souveräne Recht zur Ausbeutung ihrer eigenen Ressourcen nach Maßgabe ihrer eigenen Umweltpolitik zuerkannt; andererseits wird jedoch ihre Verpflichtung betont sicherzustellen, daß Tätigkeiten in ihrem Land keine Umweltschäden in Bereichen jenseits ihres Hoheitsgebietes hervorrufen. In den an die Regierungen, den Generalsekretär, das neu geschaffene Umweltprogramm und die Sonderorganisationen der Vereinten Nationen, die regionalen sowie die nichtstaatlichen Organisationen gerichteten 109 Empfehlungen hat die Konferenz ein detailliertes Programm zur Bewältigung der Umweltprobleme ausgearbeitet, dessen Verwirklichung Jahrzehnte beanspruchen dürfte. Die Mehrzahl der Empfehlungen zielt darauf ab, zunächst ein klares Bild unseres Ökosystems durch spezifische Maßnahmen zur Gewinnung von Informationen durch Forschung und Analysen zu erhalten. Denn wirksame Handlungen können nur auf Grund laufend neuester Informationen beschlossen werden, die zugleich die wahrscheinlichen Auswirkungen gegenwärtiger Trends aufzeigen und Toleranzgrenzen festsetzen, Alternativen entwickeln sowie die Kosten und Nutzen ihrer Verwirklichung analysieren. Z u m Problembereich Siedlungsplanung und -nutzung wurden im einzelnen u. a. Maßnahmen gegen Unterernährung, Lärm und Naturkatastrophen, Unterstützung der Familienplanung sowie die Einrichtung eines internationalen Wohnungsfonds empfohlen. Auf dem Gebiet der Nutzung von natürlichen Ressourcen steht die Erhaltung für künftige Generationen im Vordergrund. Ein internationales Programm zur Rettung von Pflanzen, Bäumen und Tieren soll durch ein neues Kommunikationssystem sowie ein 10-JahresMoratorim für Walfang ergänzt werden. Im Wasserhaushalt und Bergbau sowie bei der Ener-

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gieerzeugung sollen Umweltgesichtspunkte verstärkt und auf globaler Ebene berücksichtigt werden. Zur Identifikation und Kontrolle von umweltzerstörenden Stoffen mit weltweiter Bedeutung wird eine engere Zusammenarbeit bei der Kontrolle von Schad- und Abfallstoffen sowie dem Austausch von Forschungsergebnissen und Kontrollverfahren empfohlen. Die Einrichtung eines besonderen Warnsystems für gesundheitsschädliche Stoffe sowie von 1 1 0 allgemeinen Meßstationen soll den Informationsfluß erheblich erleichtern und mögliche Krisen vermeiden helfen. Die Konferenz forderte die Beendigung aller Ölverschmutzung der Meere durch Schiffe bis Mitte der 70er Jahre (-> IMCO). Die Umwelterziehung und -information soll insbesondere durch die Ausbildung von Fachleuten, den Einsatz von Massenmedien und die Proklamierung eines weltweiten Tags der Umwelt (5. Juni) gefördert werden. Die Konferenz regte eine enge regionale Zusammenarbeit der Entwicklungsländer bei der Lösung ihrer Umweltprobleme an. Sie warnte zugleich die Industriestaaten davor, Maßnahmen zum Schutz der Umwelt als Vorwand zu diskriminatorischen Handelspraktiken zu benutzen, den Zugang zu ihren Märkten für Produkte aus Entwicklungsländern zu begrenzen oder die Probleme gar einfach in die Dritte Welt zu verlagern. Richtlinien für den internationalen Handel sollen umweltfreundliche Produkte bevorzugen, eine Verpflichtung zur Information der Handelspartner vor Erlaß von Regelungen sowie eine Entschädigung für Handelseinbußen der Entwicklungsländer vorsehen, die Umweltstandards nicht genügen können. Als Ergebnis wurde festgehalten, daß sich Entwicklung und Umweltschutz nicht ausschließen, sondern komplementär verhalten. Auf Vorschlag der Konferenz wurde das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (United Nations Environment Programme, UNEP) mit Sitz in Nairobi geschaffen, das im Frühjahr 1973 seine Arbeit aufnahm. Man schuf bewußt keine „Super-Organisation", sondern folgte der in dem Aktionsplan entwickelten Aufgabenstellung. Hauptträger der Maßnahmen zur Bekämpfung globaler Umweltverschmutzung bleiben die einzelnen Staaten. Sie werden dabei von den zahlreichen bestehenden internationalen Organisationen in den einzelnen Problembereichen unterstützt. Fast alle Organe und Sonderorganisationen der Vereinten Nationen sind bereits intensiv mit Fragen des Umweltschutzes befaßt und haben ζ. B. Forschungsprogramme oder Toleranzgrenzen für einzelne Verschmutzungsstoffe erarbeitet. V o n besonderem Interesse sind die Programme verschiedener Abteilungen des Sekretariats, der regionalen Wirtschaftskommissionen, der WHO, der FAO, der -> IMCO, der WMO, der -»· IAEA, der ICAO, der -> ILO sowie der -> UNESCO. Speziellen Gebieten widmen sich einige Organisationen gemeinsam; so arbeiten ζ. B. die FAO, UNESCO, WHO, IMCO und IAEA in einer gemeinsamen Expertengruppe an Problemen der Meeresverschmutzung. Besondere Bedeutung werden regionale Organisationen erlangen, die sich den spezifischen Problemen der verschiedenen Wirtschaftsräume am effektivsten annehmen können. Dem UNEP fällt zunächst die Aufgabe zu, die verschiedenen Projekte der Organe und Sonderorganisationen der Vereinten Nationen zu koordinieren. Es soll die internationale Zusammenarbeit anregen und mit Hilfe aller auf dem Gebiet des Umweltschutzes tätigen internationalen, staatlichen und nichtstaatlichen Organisationen ein vollständiges integriertes System der Sammlung und Auswertung von Kenntnissen über internationale Umweltprobleme schaffen, das allein Grundlage internationaler Handlungsfähigkeit sein kann. Die institutionelle Struktur des UNEP reflektiert dessen Aufgaben. Ein aus 58 Mitgliedsländern bestehender und von der Generalversammlung gewählter Verwaltungsrat, in dem die Entwicklungsländer eine Zweidrittelmehrheit besitzen, ist für die gesamte Umweltpolitik der Vereinten Nationen verantwortlich und bestimmt die Prioritätsgebiete. Ein kleines Umweltsekretariat, das von einem Exekutivdirektor geleitet wird, ist für die Durchführung der Beschlüsse des Verwaltungsrats verantwortlich und hat die Funktion einer Koordinierungsstelle der internationalen Umweltprogramme. Der Exekutivdirektor besitzt wichtige Initiativrechte im Verwaltungsrat und wird auf Vorschlag des Generalsekretärs von der Generalversammlung

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Umweltschutz

gewählt. Er verwaltet den aus freiwilligen Beiträgen von mehr als 50 Staaten gebildeten Umweltfonds, der mit seiner maßvollen Ausstattung hauptsächlich zur Anfangsfinanzierung neuer Projekte eingesetzt werden soll (->· Beitragssystem, Haushalt). Bei der Koordination der verschiedenen Programme im System der Vereinten Nationen wird der Exekutivdirektor von einem Koordinationsrat unterstützt. Die Struktur des UNEP entspricht dem allgemein in den Vereinten Nationen aufgetretenen Bedürfnis, Einzelprobleme in größerem Zusammenhang zu sehen. Das UNEP soll in der 31. Sitzungsperiode der Generalversammlung auf seine Effektivität hin untersucht werden und dürfte im Falle einer Reform des Systems der Vereinten Nationen in eine neue umfassende Entwicklungsorganisation integriert werden (siehe Doc. E/AC.62/9). Das Umweltprogramm hat einen recht erfolgreichen Start gehabt. Durch den Umweltfonds sind bereits mehr als 2 0 0 Projekte gefördert worden. Unter anderem ist ein globales Erdüberwachungsprogramm („Earth-watch") geschaffen worden, das aus einem Globalen Umwelt-Überwachungssystem u n d einem Internationalen Dokumentationssystem besteht. Die Stiftung der Vereinten Nationen für menschliches Wohnen sowie die für 1976 geplante Internationale Habitat-Konferenz der Vereinten Nationen werden aus UNEP-Mitteln mitfinanziert. Bei den nur beschränkt zur Verfügung stehenden Mitteln werden sich allerdings Probleme aus den recht unterschiedlichen Zielsetzungen u n d Schwerpunkten der Industrie- u n d Entwicklungsländer ergeben. Viel wird vor allem davon abhängen, inwieweit die Staaten bereit sind, angesichts des globalen Charakters der Umweltgefahren Einschränkungen ihrer Souveränitätsrechte zuzustimmen. Dies gilt für den Bereich der Staatenhaftung genauso wie für einen freien Informationsfluß und die Möglichkeit weltweiter Kontrollmaßnahmen. Ein wenig verheißungsvolles Beispiel stellen die Bemühungen um die Bekämpfung der Meeresverschmutzung dar, deren Dringlichkeit angesichts der Tatsache, daß alle Verschmutzungsstoffe letzüich im Meer angesammelt werden, allseits anerkannt wurde. Die wichtigsten Übereink o m m e n zur Verhinderung der Meeresverschmutzung, die in Zusammenarbeit von zahlreichen Organisationen unter Federführung der IMCO ausgearbeitet worden waren, sind immer noch nicht in Kraft getreten. Auch auf der 3. Seerechtskonferenz erhielten die Vorschläge des UNEP zu Umweltmaßnahmen, nicht die notwendige Aufmerksamkeit Seerecht). Den Programmen der Umwelterziehung und Information sollte daher eine spezielle Priorität eingeräumt werden, um das Bewußtsein u n d die Verantwortung der Staaten für die Lösung der uns alle bedrohenden Umweltprobleme zu stärken.

Literatur Böhme: Der Beitrag der Vereinten Nationen zum marinen Umweltschutz, in: VN 1972 S. 73 Bouchez / Kaijen (ed.): The future of the law of the sea. Proceedings of the Symposion of the future of the law of the sea 1972, The Hague 1973 Kay / Skolnikoff (ed.): World-Eco-Crisis: International Organizations in Response, Madison (Wise.) 1972; Nachdruck von International Organization vol. 26 (1972) p. 169 Kehden: Meeresverschmutzung, Meeresforschung und Technologietransfer, in: VN 1974 S. 139 Kiss (éd.): La protection de l'environnement et le droit international, Académie de droit international de La Haye, Colloque 1973, Leiden 1975 Quick: Umweltaktivität zwischenstaatlicher Organisationen, in: Beiträge zur Umweltgestaltung Heft A 14, Berlin 1973 Rüster / Simma: International Protection of the Environment, Dobbs Ferry 1975 Skupnik: Konferenz der Vereinten Nationen über die menschliche Umwelt, in: VN 1972 S. 111 Sohn: Stockholm declaration on the human environment, in: Harvard International Law Journal vol. 14 ( 1 9 7 3 ) p. 4 2 3

UNCDF

-

Kapitalentwicklungsfonds

der

Vereinten

Nationen

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Steiger: Welt und Umwelt — Zur Fortbildung des internationalen Handlungssystems und des Völkerrechts, in: Festschrift Hans Ulrich Scupin, Berlin 1973, S. 343 Wolfrum: Der Umweltschutz auf Hoher See — Internationale wie nationale Maßnahmen und Bestrebungen, in: VRÜ 1975 S. 201 Hans-Gerd Kausch Verweise auf: Beitragssystem, Haushalt; IAEA; ILO; IMCO; Seerecht; WHO; WMO.

UNCDF — Kapitalentwicklungsfonds der Vereinten Nationen Mit der Gründung des UNCDF (United Nations Capital Development Fund) im Jahre 1966 wurde ein Zwischenergebnis in der Auseinandersetzung zwischen entwickelten und entwicklungsbedürftigen Ländern um Höhe und Durchführung der multilateralen -> Kapitalhilfe (-> multilaterale Entwicklungshilfe) erzielt. Seit den ersten Sitzungsperioden (1946—47) haben sich Stimmen in der Generalversammlung und im ECOSOC erhoben, die verlangten, daß die Vereinten Nationen Entwicklungshilfe leisten sollten (vgl. GA Res. 118 (II) vom 31.10.1947, GA Res. 200 (III) vom 4.12.1948). Die Vereinten Nationen gründeten daraufhin 1949 das Erweiterte Programm für Technische Hilfe (EPTA - Expanded Programme of Technical Assistance, GA Res. 304 (IV) vom 16.11.1949), in dem die Vereinten Nationen und ihre Sonderorganisationen — außer -> IBRD und ->• IMF — ihre Anstrengungen vereinten. IBRD und IMF betrieben eigene technische Hilfe. Die Entwicklungsländer zeigten sich mit dieser Lösung nicht zufrieden, da EPTA im wesentlichen nur Experten zur Verfügung stellte, nicht aber Kapital, während die IBRD zwar Gelder auslieh, aber nur zu strengen bankmäßigen Bedingungen. Auch mißfiel den kapitalarmen Ländern die völlige Beherrschung von IBRD und IMF durch die kapitalkräftigen westlichen Nationen — eine Folge der Stimmrechtszuteilung proportional zur Höhe der Kapitalbeteiligung in jenen Organisationen. 1950 wurde eine Expertengruppe berufen, die eine Bestandsaufnahme der Schwierigkeiten und Möglichkeiten von Entwicklungshilfe im allgemeinen und von Finanzhilfe im besonderen durch die Vereinten Nationen vornehmen sollte (GA Res. 400 (V) vom 20.11.1950 und 520 A (VI) vom 12.1.1952 und ECOSOC Res. 416 A (XIV) vom 23.6.1952 und 482 A (XVI) vom 4.8.1953). 1953 konnte der ECOSOC der Generalversammlung den Expertenbericht vorlegen, der verschiedene Empfehlungen zur Schaffung eines Fonds enthielt (Report on a United Nations Fund for Economic Development). Dieser Fonds sollte den Entwicklungsländern dadurch bei der Durchführung ihrer Entwicklungspläne helfen, daß er ihnen unentgeltliche finanzielle Unterstützung gewährte. Nachdem die Idee eines „Special United Nations Fund for Economic Development" (SUNFED) einmal geboren war, aus dem sich die Entwicklungsländer vor allem die Finanzierung sich nicht selbst tragender Infrastrukturprojekte versprachen, wurde sie von den betroffenen Ländern beharrlich verfolgt. Die als Geldgeber für den SUNFED anvisierten westlichen Industriestaaten leisteten dagegen hinhaltenden Widerstand gegen die Gründung. Sie argumentierten in etwa, daß der Fonds nur eine unnötige administrative Verdoppelung neben der IBRD darstelle, daß neben den Leistungen an IBRD und IMF für den Fonds erst Gelder bereitstünden, wenn man sie im Wege der Abrüstung eingespart habe, oder daß die ungleiche Kapitalaufbringung auch durch Stimmwägung und mehr Einfluß für die Geberländer kompensiert werden müsse; das aber sei gerade unmöglich, weil SUNFED als Spezialorgan der Vereinten Nationen dem Grundsatz

462

U N C D F - Kapitalcntwicklungsfonds der Vereinten Nationen

der Stimmengleichheit unterliege. Auch die sozialistischen Staaten widersprachen der Konzeption von SUNFED. Sie wollten statt seiner eine Institution zur Industrialisierung der Entwicklungsländer. Nur die skandinavischen Staaten und die Niederlande unterstützten die Entwicklungsländer vorbehaltlos. Nach weiteren Untersuchungen kam es 1957 zu einer Kampfabstimmung im ECOSOC. Gegen die Stimmen Großbritanniens, Kanadas und der Vereinigten Staaten beschlossen 11 Länder, der Generalversammlung die Gründung von SUNFED zu empfehlen (ECOSOC Res. 662 Β (XXIV) vom 31.7.1957). Im selben Jahr beschloß die Generalversammlung die Schaffung eines Sonderfonds (Res. 1219 (XII) vom 14.12.1957), was von den Entwicklungsländern als ein Schritt auf SUNFED zu betrachtet wurde, während die potentiellen Geberländer in diesem Fonds eine Ergänzung von EPTA im Bereich des Prä-Investments sahen. Letztere Auffassung setzte sich durch, als die Generalversammlung mit Resolution 1240 (XIII) vom 14. Oktober 1958 die Errichtung des „Special F u n d " (SF) beschloß. Er sollte für relativ umfangreiche Entwicklungsprojekte die Gelder für Prä-Investment-Hilfe zur Verfügung stellen. Nach dieser Entscheidung gaben die Entwicklungsländer die Forderung jedoch nicht auf, einen besonderen „United Nations Capital Development F u n d " (UNCDF) zu schaffen, aus dem allgemeine Infrastrukturprojekte finanziert werden sollten. Sie ließen sich davon auch nicht dadurch abhalten, daß die IBRD 1956 die -» IFC und 1960 die IDA gründete, von denen vor allem die IDA finanzielle Entwicklungshilfe zu weicheren Bedingungen als die IBRD leistet. Die Entwicklungsländer wehrten sich gegen die Rollenverteilung, wonach die Weltbankgruppe für die Finanzhilfe und die Hauptorganisation der Vereinten Nationen allein für den Prä-Investment-Bereich zuständig sein sollte. Sie h o f f t e n wahrscheinlich, durch eine Vervielfachung der Finanzinstitutionen auch eine Steigerung des Gesamtvolumens der multilateralen Finanzhilfe zu erreichen und in einem UNCDF die Mittelverwendung dirigieren zu können. Mit ihrer Resolution 1521 (XV) vom 15. Dezember 1960 beschloß die Generalversammlung „prinzipiell" die Errichtung eines UNCDF. Die Entschließung wurde von den Stimmen der Entwicklungsländer und jetzt auch des Ostblocks getragen. Nach langjährigen Untersuchungen über die Statuten eines UNCDF bzw. über die Umwandlung des ursprünglich projektierten S U N F E D in den UNCDF drängte 1964 die UNCTAD auf eine schnelle Schaffung des UNCDF. Es dauerte noch bis 1966, daß die Entwicklungsländer in einer Kampfabstimmung der Generalversammlung die Gründung eines „United Nations Capital Development F u n d " und die Annahme des Satzungsentwurfs erzwangen: 76 Stimmen - im wesentlichen von Entwicklungsländern — standen 19 Stimmen der westlichen Industrieländer gegenüber. 19 — hauptsächlich sozialistische — Staaten enthielten sich der Stimme. Organisationsgrundlage des UNCDF ist die Resolution 2186 (XXI) vom 13. Dezember 1966 mit den darin enthaltenen 12 Artikeln, die als Satzung des UNCDF anzusehen sind: Nach dem operativen Abschnitt der Resolutions-Präambel wird der UNCDF als ein „Organ der Generalversammlung" gegründet, wobei er „als autonome Organisation innerhalb der Vereinten Nationen funktionieren soll". Diese Formel erinnert an die Gründungsresolution der UNCTAD. Wie UNCTAD, UNIDO und UNITAR wird auch der UNCDF nicht als ->· Sonderorganisation im eigentlichen Sinne ins Leben gerufen, sondern der unmittelbaren Einflußsphäre der Generalversammlung zugeschlagen. Dahinter steht das Bestreben der Entwicklungsländer, einige für sie wichtige Fragen mit ihrer eindeutigen Stimmenmehrheit in der Generalversammlung schnell und definitiv entscheiden zu können und nicht erst die Entscheidung im komplizierten Koordinationsmechanismus des weiteren Systems der Vereinten Nationen abzuwarten. Die UNCDF h a t keine eigene Mitgliederschaft. Alle Staaten, die Mitglied der Vereinten Nationen, einer ihrer Sonderorganisationen oder der IAEA sind, können und sollen die Tätigkeit des UNCDF unterstützen.

UNCDF - Kapitalentwicklungsfonds der Vereinten Nationen D a s Ziel des U N C D F

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soll e s sein, „ d i e E n t w i c k l u n g s l ä n d e r bei der E n t w i c k l u n g ihrer

V o l k s w i r t s c h a f t e n d a d u r c h zu u n t e r s t ü t z e n , d a ß er die b e s t e h e n d e n Q u e l l e n f i n a n z i e l l e r Hilfe m i t t e l s Zuschüssen u n d D a r l e h e n , i n s b e s o n d e r e m i t t e l s langfristiger z i n s l o s e r o d e r niedrig v e r z i n s l i c h e r D a r l e h e n , e r g ä n z t . D i e s e U n t e r s t ü t z u n g soll der E r r e i c h u n g e i n e s b e s c h l e u n i g t e n und s e l b s t ä n d i g e n W a c h s t u m s der V o l k s w i r t s c h a f t e n dieser L ä n d e r d i e n e n u n d a u f die n o t wendige Diversifizierung

der industriellen E n t w i c k l u n g als Basis des w i r t s c h a f t l i c h e n

und

sozialen F o r t s c h r i t t s g e r i c h t e t s e i n " ( A r t . I , R e s . 2 1 8 6 ( X X I ) ) . F ü r die E r r e i c h u n g dieses Zieles sind z w e i Organe v e r a n t w o r t l i c h : D e r E x e k u t i v r a t ( E x e cutive B o a r d ) u n d der L e i t e n d e D i r e k t o r ( M a n a g i n g D i r e c t o r ) . E i n e eigene V o l l v e r s a m m l u n g k e n n t der U N C D F n i c h t . Deren F u n k t i o n erfüllt die G e n e r a l v e r s a m m l u n g , an die der E x e k u tivrat j ä h r l i c h d u r c h den E C O S O C zu b e r i c h t e n h a t (vgl. A r t . V I I I , R e s . 2 1 8 6 ( X X I ) ) . N a c h den B e s t i m m u n g e n der G r ü n d u n g s r e s o l u t i o n ist der E x e k u t i v r a t das o b e r s t e K o n troll- u n d L e n k u n g s o r g a n des U N C D F . D i e s e s i n t e r g o u v e r n e m e n t a l e G r e m i u m soll aus 2 4 R e g i e r u n g s v e r t r e t e r n b e s t e h e n , die von der G e n e r a l v e r s a m m l u n g zu wählen sind. Die

Sitzaufteilung

zwischen

den

wirtschaftlich

entwickelten

und

den

Entwicklungs-

ländern soll g e r e c h t u n d billig sein, w o b e i h i n s i c h t l i c h der e r s t e n G r u p p e d e r e n B e i t r ä g e z u m U N C D F a n g e m e s s e n b e r ü c k s i c h t i g t w e r d e n sollen, w ä h r e n d i n n e r h a l b der z w e i t e n G r u p p e a u f g e r e c h t e g e o g r a p h i s c h e V e r t e i l u n g g e a c h t e t w e r d e n soll. Die S i t z v e r t e i l u n g wird -

anders

als b e i m Handels- u n d E n t w i c k l u n g s r a t der U N C T A D u n d d e m V e r w a l t u n g s r a t des

UNDP

n i c h t z a h l e n m ä ß i g festgelegt. A n der S p i t z e der V e r w a l t u n g s t e h t der L e i t e n d e D i r e k t o r , der v o m G e n e r a l s e k r e t ä r m i t Z u s t i m m u n g der G e n e r a l v e r s a m m l u n g e r n a n n t w i r d . I n n e r h a l b der v o m E x e k u t i v r a t erlassenen R i c h t l i n i e n h a t der L e i t e n d e D i r e k t o r die V e r a n t w o r t u n g für alle O p e r a t i o n e n des U N C D F . Die A m t s d a u e r b e t r ä g t vier J a h r e . D e m D i r e k t o r wird das n o t w e n dige P e r s o n a l b e i g e g e b e n , w o b e i A r t . 1 0 1 zu b e a c h t e n ist. S o w o h l der D i r e k t o r wie a u c h der U N C D F ü b e r h a u p t sollen ein H ö c h s t m a ß an K o o p e r a t i o n u n d K o o r d i n a t i o n m i t a n d e r e n O r g a n e n u n d O r g a n i s a t i o n e n der V e r e i n t e n N a t i o n e n z e i g e n , die a u f v e r w a n d t e m F e l d wie der U N C D F tätig sind (vgl. A r t . I X u n d X , R e s . 2 1 8 6 ( X X I ) ) . Die Kernfrage des U N C D F

ist die n a c h der A u f b r i n g u n g der n o t w e n d i g e n M i t t e l zur

E r r e i c h u n g seiner Z i e l e . Wie bei der M e h r z a h l der I n t e r n a t i o n a l e n O r g a n i s a t i o n e n ist auch b e i m U N C D F z w i s c h e n den a d m i n i s t r a t i v e n u n d den o p e r a t i o n e l l e n K o s t e n z u u n t e r s c h e i den. E r s t e r e dienen der A u f r e c h t e r h a l t u n g u n d dem B e t r i e b der O r g a n i s a t i o n , l e t z t e r e stellen die A u f w e n d u n g e n dar, die bei u n m i t t e l b a r e r Z i e l v e r w i r k l i c h u n g der O r g a n i s a t i o n a n f a l l e n . G e m ä ß A r t . I V der G r ü n d u n g s r e s o l u t i o n d e s U N C D F sind seine a d m i n i s t r a t i v e n K o s t e n aus d e m regulären B u d g e t , d. h . also d u r c h Umlage a u f alle Mitglieder der V e r e i n t e n N a t i o n e n zu b e s t r e i t e n . Die o p e r a t i o n e i l e n Mittel dagegen sollen aus freiwilligen B e i t r ä g e n — vorzugsweise bar u n d in k o n v e r t i e r b a r e r Währung, a b e r a u c h in n a t u r a - durch die am U N C D F B e t e i l i g t e n — v o r allem die e n t w i c k e l t e n L ä n d e r — a u f g e b r a c h t w e r d e n . Wie b e i m U N D P sollen a u f einer jährlich

vom

Generalsekretär

ference)

auch

beim

UNCDF

einzuberufenden

Beitragszusagekonferenz

(pledging

con-

B e i t r ä g e für das f o l g e n d e — oder l i e b e r n o c h m e h r e r e —

J a h r e d u r c h die S t a a t e n v e r t r e t e r angekündigt w e r d e n . D i e Mittelzusage soll w e d e r Iändern o c h p r o j e k t b e z o g e n e r f o l g e n . E s sollen s o u m f a n g r e i c h e U N C D F - M i t t e l e i n g e b r a c h t w e r d e n , daß ein lebenden

„ s i g n i f i k a n t e r Beitrag zur E r r e i c h u n g des b e s c h l e u n i g t e n Wirtschaftswachstums

der

Entwicklungsländer"

u n d aus eigener K r a f t

geleistet

werden

kann.

Der

U N C D F soll dann den E n t w i c k l u n g s l ä n d e r n u n t e r g r ö ß t e r B e a c h t u n g ihrer S o u v e r ä n i t ä t und I n t e g r i t ä t sowie ihrer Wünsche M i t t e l z u r V e r f ü g u n g s t e l l e n . E r soll dabei n i c h t a u f P r o j e k t b i n d u n g e n b e s t e h e n , sondern a u f a l l g e m e i n e E n t w i c k l u n g s p l ä n e b z w . a l l g e m e i n e E n t w i c k lungsbedürfnisse e i n g e h e n (vgl. A r t . I I , I I I der G r ü n d u n g s r e s o l u t i o n 2 1 8 6 ( X X I ) ) . Wie n a c h der G r ü n d u n g s g e s c h i c h t e

des U N C D F fast zu e r w a r t e n , d o k u m e n t i e r t e n die

k a p i t a l k r ä f t i g e n G e b e r l ä n d e r ihre A b n e i g u n g gegen die allgemeine Z i e l s e t z u n g des U N C D F u n d die administrative A u f b l ä h u n g des E n t w i c k l u n g s h i l f e - S y s t e m s der V e r e i n t e n N a t i o n e n d u r c h die Gründung des U N C D F ,

indem

A b e r a u c h die sozialistischen S t a a t e n -

sie den B e i t r a g s z u s a g e k o n f e r e n z e n

fernblieben.

m i t A u s n a h m e J u g o s l a w i e n s u n d K u b a s — unter-

464

U N C T A D - Konferenz der Vereinten Nationen fiir Handel und Entwicklung

stützten den UNCDF nicht, da er nicht die eindeutige Orientierung auf industrielle Entwicklung erfahren hatte, die sie wünschten. Folglich blieben die Entwicklungsländer auf den „pledging conferences" im wesentlichen unter sich: Entsprechend gering waren die Beitragsankündigungen (jeweils ca. 1 Mio. Dollar), noch geringer waren die (baren) Kassenzahlungen in (konvertierbaren, „harten") Dollar. Die minimale finanzielle Unterstützung machte sehr früh und schnell deutlich, daß er nicht seiner Satzung gemäß würde arbeiten können. Mit Resolution 2321 (XXII) vom 15. Dezember 1967 paßte die Generalversammlung das UNCDF-Konzept zunächst organisatorisch den Realitäten an: Der Verwaltungsdirektor des -*• UNDP wurde zum Leitenden Direktor des UNCDF berufen; dem Verwaltungsrat des UNDP wurden die Aufgaben des Exekutivrates des UNCDF übertragen. Bei dieser Lösung ist es bis heute geblieben. So wird jedenfalls ein im Verhältnis zur „Operations-Masse" überproportionaler Verwaltungskostenanteil des UNCDF vermieden. Da die operationeilen Mittel des UNCDF bis heute nicht für bedeutsame selbständige Aktivitäten hinreichen, ordnete das UNDP die Möglichkeiten des UNCDF seinen eigenen Vorhaben zu. Der UNCDF hat im Rahmen dieses Programms vor allem Kapitalentwicklungsprojekte in den am wenigsten entwickelten Ländern zu finanzieren. Das beinhaltet Projekte, die besonders die wirtschaftliche Lage der Schichten mit niedrigem Einkommen merklich verbessern könnten, wie Schaffung neuer Arbeitsplätze, Förderung des Genossenschaftswesens, Einführung geeigneter Technologie, Gesundheitsvorsorge, Hebung der Erziehung, Verbesserung der Behausung, Schaffung von Zahlungserleichterungen u. ä. Durch Zahlung von ca. 5 Mio. Dollar in 1973/74 ermöglichte die niederländische Regierung dem UNCDF die tatsächliche Arbeitsaufnahme. Wie die Resolution 3202 (S-VI) vom 1. Mai 1974 der Generalversammlung anläßlich der Rohstoffkonferenz im April/Mai 1974 zeigt, haben die Entwicklungsländer den Gedanken eines besser dotierten „Sonderfonds unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen" nicht aufgegeben. Die ersten Einzahlungen stimmen aber auch hier eher pessimistisch. Literatur

Autorenkollektiv unter Leitung von Spröte / Wünsche: Die ökonomischen Organe und Organisationen der Vereinten Nationen, (Ost-)Berlin 1973 S. 279 Elmandjra: The United Nations System. An analysis, London 1973 p. 64 Hüfner / Naumann: Das System der Vereinten Nationen. Eine Einführung, Düsseldorf 1974 S. 127 Kurth: UNCDF - eine bis jetzt gescheiterte Initiative. Der Kapitalentwicklungsfonds der UN ist noch ein Torso, in: VN 1969 S. 178 Hans-Jürgen Schmidt Verweise auf·. IBRD; IDA; IFC; IMF; Kapitalhilfe; Multilaterale Entwicklungshilfe; Sonderorganisationen; UNDP.

U N C T A D — Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (Welthandels- und Entwicklungskonferenz)

Der ->· ECOSOC beschloß 1962 die Einberufung einer Konferenz für Handel und Entwicklung, um die Situation der Entwicklungsländer im Welthandel zu verbessern (Res. 917

UNCTAD - Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung

465

(XXXIV) vom 3.8.1962). Die Generalversammlung hatte dazu angeregt (Res. 1707 (XVI) vom 19.12.1961) und begrüßte die Entscheidung des ECOSOC mit Resolution 1785 (XVII) vom 8. Dezember 1962. Die Konferenz fand vom 23. März bis zum 16. J u n i 1964 in Genf statt. Trotz der Vielzahl der schon auf wirtschaftlichem Gebiet tätigen Organisationen empfahl die Genfer Konferenz der Generalversammlung, die UNCTAD (United Nations Conference on Trade and Development) als Spezialorgan einzurichten. Auf Grund dieser Empfehlung und eines vom Generalsekretär veranlaßten Gutachtens einer Expertengruppe faßte die Generalversammlung am 30. Dezember 1964 in der Resolution 1995 (XIX) einen entsprechenden Beschluß. Der Begriff UNCTAD u m f a ß t somit einmal das Spezialorgan der Generalversammlung und zum anderen periodische Zusammentreffen der Mitglieder dieser Institution. Nach dieser Resolution, die zugleich Satzung der UNCTAD ist, sind diejenigen Staaten Mitglieder der UNCTAD, die Mitglieder der Vereinten Nationen, der Sonderorganisationen oder der IAEA sind. Im Februar 1976 gehörten UNCTAD 153 Staaten an. Nach der ursprünglichen Fassung der Satzung sollte sich die Konferenz in Abständen von nicht mehr als drei Jahren treffen. Es fanden statt: UNCTAD I in Genf 1964; UNCTAD II in New Delhi 1968; UNCTAD III in Santiago de Chile 1972; UNCTAD IV in Nairobi 1976. Nach UNCTAD III fand eine Satzungsrevision statt, die den vierjährigen Konferenzrhythmus, der sich durchgesetzt hatte, bestätigte (GA Res. 2904 A (XXVII) vom 26.9.1972). Die Satzung weist der UNCTAD folgende Hauptaufgaben zu: a) Die Förderung des internationalen Handels unter besonderer Berücksichtigung des Handels zwischen Entwicklungsländern, zwischen Ländern mit unterschiedlichen Wirtschaftsund Gesellschaftssystemen und zwischen Ländern unterschiedlichen Entwicklungsstandes; b) die Erarbeitung von Grundsätzen und Richtlinien für den internationalen Handel und damit in engem Zusammenhang stehende Probleme der wirtschaftlichen Entwicklung; c) Vorschläge zur Verwirklichung dieser Grundsätze zu unterbreiten und entsprechende in ihrer Kompetenz stehende Maßnahmen zu ergreifen; d) die Koordinierung der Aktivitäten anderer Einrichtungen innerhalb des Systems der Vereinten Nationen auf dem Gebiet des internationalen Handels u n d der wirtschaftlichen Entwicklung zu unterstützen; e) die Ergreifung von Maßnahmen in Kooperation mit anderen Organen der Vereinten Nationen mit dem Ziel, multilaterale rechtsverbindliche Vereinbarungen auf dem Gebiet des internationalen Handels zustandezubringen; f) eine Plattform für die Harmonisierung der Handels- und Entwicklungspolitik von Staaten sowie regionalen wirtschaftlichen Zusammenschlüssen zu bilden. Um der UNCTAD die Möglichkeit zu verleihen, ihre Aufgaben auch zwischen den Tagungen wirksam zu erfüllen, errichtete die Generalversammlung mit der Resolution 1995 (XIX) zugleich den Handels- und Entwicklungsrat (Trade and Development Board). Dieses ständige Organ besteht seit der institutionellen Reform nach UNCTAD III (GA Res. 2904 A (XXVII)) aus 68 Mitgliedern, bei deren Wahl laut Satzung eine gerechte geographische Verteilung sowie eine ständige Vertretung der Haupthandelsländer zu berücksichtigen sind. Der Rat setzt sich aus folgenden Gruppen zusammen: 29 afro-asiatische Staaten (Gruppe A), 11 lateinamerikanische (Gruppe C), 7 sozialistische (Gruppe D) sowie 21 westliche Industriestaaten (Gruppe B). Diese Sitzverteilung ist entscheidend für das Zustandekommen der Beschlüsse und Empfehlungen, da im Rat eine einfache Mehrheit, hingegen in der Welthandels- und Entwicklungskonferenz eine Zweidrittelmehrheit erforderlich ist. Seit der Satzungsrevision hat der Rat nur zu einer ordentlichen Sitzung im Jahr zusammenzutreten. Nach seiner Geschäftsordnung (Doc. TD/B/16/Rev.) wählt er einen Präsidenten, zehn Vizepräsidenten sowie einen Berichterstatter. Die Aufgaben des Rates bestimmen sich ebenfalls nach der Resolution 1995 (XIX). Grundsätzlich nimmt der Rat alle Aufgaben der UNCTAD wahr, wenn diese nicht in Konferenz tagt. Insbesondere sorgt der Rat für:

466

U N C T A D - Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung

a) den stetigen Fortgang der Arbeit und die Überprüfung der Empfehlungen, Erklärungen, Resolutionen u n d Beschlüsse der Konferenz, b) die Veranlassung von Untersuchungen und Berichten, c) die Beschaffung von sachbezogenen Unterlagen von den regionalen Wirtschaftskommissionen, d) die Zusammenarbeit mit anderen Organen der Vereinten Nationen, deren Tätigkeit sich auch auf die Lösung der internationalen Handels- und Wirtschaftsprobleme erstreckt, e) die Vorbereitung künftiger Konferenzen. Der Rat kann sich nach Bedarf Nebenorgane beigeben. Er hat bereits 1965 vier Hauptausschüsse eingerichtet: Den Rohstoffausschuß, den Ausschuß für Halb- und Fertigwaren, den Ausschuß für Finanzfragen und unsichtbare Transaktionen und den Schiffahrtsausschuß. Daneben bestehen Unterausschüsse, die sich mit Spezialfragen befassen. Weiteres Organ der UNCTAD ist das ständige Sekretariat, das in das Sekretariat der Organisation der Vereinten Nationen integriert ist. Es steht unter Leitung eines Generalsekretärs, zu dessen Aufgaben vor allem die Personalführung, die Organisation von Sitzungen und die Information aller Mitglieder gehören. Er wird vom Generalsekretär der Vereinten Nationen ernannt; die Ernennung bedarf der Bestätigung durch die Generalversammlung. Um die Kosten für die Konferenz, ihre Organe, namentlich ihr Sekretariat zu bestreiten, wurde ein Sondertitel im ordentlichen Haushalt der Vereinten Nationen eingerichtet, d. h. die Finanzierung erfolgt über die regulären Mitgliedsbeiträge. Das Hauptziel der zweiten Entwicklungsdekade ( 1 9 7 1 - 1 9 8 0 ) besteht darin, „eine gerechtere und sinnvollere Wirtschafts- und Sozialordnung in der Welt herbeizuführen" (GA Res. 2626 (XXV) vom 24.10.1970, Punkt 12), um das Wohlstandsgefälle zwischen Nord und Süd zu verringern (-* Weltwirtschaftsordnung). Dies bedeutet unter anderem, daß alle Organe der Vereinten Nationen sich verstärkt den Problemen der Entwicklungsländer widmen sollen. Auch die Generalversammlung hat sich in steigendem Maße in den Dienst dieser Sache gestellt. Gekennzeichnet ist diese Tätigkeit durch die o f t diametral entgegengesetzten Interessen der Entwicklungsländer und der Industriestaaten. Die UNCTAD spielt dabei die Rolle gleichsam eines Transmissionsriemens für die Vorstellungen der Entwicklungsländer auf ihrem Weg in die übrigen Organe der Vereinten Nationen. Sie war von den Entwicklungsländern von vornherein als Konkurrenzinstitution zu dem freihändlerischen -»• GATT ersonnen worden, dessen Ordnungskonzeption wegen des Grundsatzes der Vertragsfreiheit nur mit Zustimmung der marktwirtschaftlich orientierten Industriestaaten abgeändert werden konnte, während in der Generalversammlung, die den Aufgabenkatalog ihres Spezialorgans UNCTAD zu beschließen haben würde, den Ländern der Dritten Welt eine Mehrheit gewiß war. So verschafften sich die Entwicklungsländer mit der von ihnen beherrschten UNCTAD ein Forum, in dem sie ihr dirigistisches Gegenkonzept zum GATT (-> Weltwirtschaftsordnung) unüberhörbar artikulieren und von den Industriestaaten günstigere Bedingungen als die der GATT-Zollrunden verlangen konnten. Dem GATT warfen sie vor, unter seinem System sei ihre Entwicklung eher gehemmt als gefördert worden. Sie forderten das Ende der vordergründigen Gleichbehandlung („equality of treatment is equitable only among equals"), die gezielte Begünstigung durch Präferenzen (-> Handels- und Wirtschaftsdiskriminierung) und eine Fülle von tiefgreifenden Einzelmaßnahmen zu ihren Gunsten (-> Weltwirtschaftsordnung). Auf UNCTAD I schlossen sich die Entwicklungsländer zu einer Interessen- u n d Verhandlungsgruppe zusammen („Gruppe der 77", im Februar 1976 110 Mitglieder stark). Diese pflegt sich namentlich vor den Welthandels- und Entwicklungskonferenzen zu treffen, um ihre Forderungen zu formulieren und eine gemeinsame Haltung festzulegen (1967 Charta von Algier, 1971 Deklaration von Lima, 1976 Charta von Manila). Handelspolitisch sind die Entwicklungsländer für Interventionismus, ergänzend fordern sie Umverteilungsmaßnahmen. Damit wird aber einer der Hauptkonflikte in der UNCTADArbeit sichtbar: Auf der einen Seite berufen sich die Entwicklungsländer, unterstützt von

U N C T A D - Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung

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vielen sozialistischen Staaten, auf den Grundsatz der absoluten Souveränität und Gleichberechtigung aller Mitgliedstaaten. Daraus folgt ihrer Meinung nach das Verbot jeglicher Diskriminierung sowie das Prinzip der Gegenseitigkeit von Rechten und Pflichten. Da auf der anderen Seite jedoch kein Wirtschaftsgleichgewicht besteht, das eine derartige Gleichstellung der Entwicklungsländer mit den Industrieländern ermöglichen würde, verlangen die Entwicklungsländer, daß sich die Industriestaaten verpflichten, durch sie einseitig belastende Maßnahmen zur Beseitigung des herrschenden Wohlstandsgefälles beizutragen. Erforderlich wären dazu spezifische, die Entwicklungsländer begünstigende handels- sowie währungspolitische Maßnahmen (ζ. B. Erweiterung der internationalen -> R o h s t o f f a b k o m m e n ; Einführung und Ausdehnung allgemeiner Zollpräferenzen; Protektion der importkonkurrierenden Industrien in den Entwicklungsländern), vermehrte -»• Kapitalhilfe sowie verstärkter Technologietransfer (-> Technische Hilfe, Technologietransfer). Die Entwicklungsländer fordern also von den Industriestaaten solidarisches Verhalten im Namen einer „internationalen sozialen Gerechtigkeit" (Kapitel I (m) der Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten, GA Res. 3281 (XXIX) vom 12.12.1974), beharren zugleich aber auf uneingeschränkter Wahrung ihrer Souveränität, insbesondere durch die Postulierung einer „ständigen Souveränität über ihre natürlichen Ressourcen". Unter Berufung darauf suchen sie etwa zu vermeiden, den Schutz ausländischen Eigentums zu garantieren, oder — soweit sie Rohstoffproduzenten sind — die Bedingungen des internationalen Rohstoffhandels vorzuschreiben. Diese Einseitigkeit des Ordnungsmodells der Entwicklungsländer belastet auch die Arbeit der UNCTAD. Die Entwicklungsländer werden verstehen müssen, daß sie auf die Kooperationsbereitschaft der entwickelten Industriestaaten angewiesen sind und diese nicht durch die Proklamierung einer Einbahnstraßen-Solidarität werden erzwingen können. Die Aktivität der UNCTAD darf dessenungeachtet nicht geringgeschätzt werden. Zur Lösung der komplexen Handelsprobleme haben die Mitgliedsländer immer wieder Kataloge von Forderungen und Arbeitspapiere erstellt, hat der Rat Gutachten anfertigen lassen und Expertenkommissionen einberufen. Mögen die Entwicklungsländer auch trotz dieser Bemühungen von den Konferenzen im großen und ganzen enttäuscht gewesen sein, da ungeachtet vieler Empfehlungen zu ihren Gunsten der große Durchbruch zu einer neuen Ordnung der Weltwirtschaft nicht gelang, so hat ihnen die Einrichtung der UNCTAD dennoch Nutzen gebracht. Zunächst bietet UNCTAD auf Grund der universellen Mitgliedschaft ein Forum, auf dem die akuten Welthandelsprobleme erörtert werden können, und ist schon insoweit von unschätzbarem Wert. Die ständige Kommunikation zwischen Entwicklungsländern und Industriestaaten und die umfassenden Bestandsaufnahmen, die UNCTAD veranlaßt hat, haben zu einem besonderen Status der Entwicklungsländer geführt und zugleich einen entscheidenden Beitrag zu der für die Lösung der Welthandels- und Entwicklungsprobleme notwendigen Bewußtseinsveränderung geleistet. Darüber hinaus hat UNCTAD an konkreten Ergebnissen oder Fortschritten maßgeblichen Verdienst. An erster Stelle m u ß hier das Allgemeine Präferenzsystem genannt werden, dessen Vereinbarung der wichtigste Erfolg von UNCTAD II gewesen ist (Res. 21 (II) vom 26.3.1968; -> Handels- und Wirtschaftsdiskriminierung). UNCTAD hat den Abschluß v o n ^ Rohstoffabkommen nachhaltig gefördert und durch das — freilich anfechtbare „integrierte Rohstoffprogramm" ihres Generalsekretärs vom 9. Dezember 1974 (Doc. TD/B/C. 1/166 und Suppl. 1—5) der Marktlenkung im Rohstoffbereich neue Perspektiven eröffnet. Die schlechte Stellung der Entwicklungsländer im unsichtbaren Handel hat in der UNCTAD frühzeitig Aufmerksamkeit gefunden, desgleichen der Gedanke, zwischen der Zuteilung von Sonderziehungsrechten und der Entwicklungsfinanzierung eine Verbindung herzustellen („link", ->• IMF; vgl. UNCTAD II, Res. 3 2 (II) vom 28.3.1968). Der Erwähnung bedarf auch UNCTADs Arbeit an einem Verhaltenskodex für den Technologietransfer (-»· Technische Hilfe, Technologietransfer). Kein „konkretes Ergebnis" im materiellen Sinne stellen die 15 „Allgemeinen Prinzipien" dar, die bereits UNCTAD I für die internationalen Handelsbeziehungen aufgestellt hat (UNCTAD Proceedings, 1964, vol. I, p. 18 seq.). Als ausformulierte Alternative zur

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UNDP - Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen

GATT-Handelsordnung sind sie aber die wohl bedeutendste, weil durch allmähliche Verwirklichung folgenreichste Leistung der UNCTAD.

Literatur Bremer Ausschuß für Wirtschaftsforschung (Hrsg.): Auswertung der Dokumentation der dritten Welthandels- und Entwicklungskonferenz Santiago de Chile 1972, 3 Hefte, Stuttgart 1974 Cordovez: UNCTAD and Development Diplomacy, London o. J. El-Naggar: The United Nations Conference on Trade and Development, in: RCADI 128 (1969 III) p. 241 Gosovic: UNCTAD. Conflict and Compromise, Leiden 1972 Heiduk: Die weltwirtschaftlichen Ordnungsprinzipien von GATT und UNCTAD, BadenBaden 1973 Ruge: 10 Jahre UNCTAD, in VRÜ 1974 S. 307 Schlueter: Die Kompetenz der UNCTAD, Analyse einer Entwicklung, in: ZaöRV 1972 S. 297 Viaud: Le rôle de la C.N.U.C.E.D. dans l'élaboration des politiques monétaires et commerciales, in: Pays en voie de développement et transformation du droit international (Colloque d'Aix-en-Provence), Paris 1974, p. 115 Hans-Joachim Rungweber / Knut Ipsen Verweise auf: ECOSOC; GATT; IMF; Kapitalhilfe; Rohstoffabkommen; Technische Hilfe, Technologietransfer; Weltwirtschaftsordnung.

UNDP — Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen

Allgemeines Das UNDP (United Nations Development Programme) wurde im Jahre 1965 (Res. 2029 (XX) vom 22.11.1965) von den Vereinten Nationen durch Verschmelzung des EPTA (Expanded Programme of Technical Assistance) und des SF (Special Fund) gegründet. EPTA war 1949 mit dem Ziel geschaffen worden, die Tätigkeit der Vereinten Nationen und ihrer Sonderorganisationen bei der Vermittlung von Experten zu koordinieren; der SF (1958 gegründet) hatte die Aufgabe, für größere Entwicklungsprojekte das Prä-Investment zu fördern. Die Gründung von UNDP ist Ausdruck des Bedürfnisses nach einer besonderen Organisation, die in der Lage ist, im Bereich internationaler Zusammenarbeit die nötige Koordinierung der verschiedenen Hilfeprogramme und eine Gesamtplanung zu erleichtern. Sie ist gleichzeitig kennzeichnend für eine gewisse Wandlung in der Aufgabenstellung der Vereinten Nationen. Im Laufe der letzten beiden Jahrzehnte trat in den Vereinten Nationen neben der Friedenssicherung immer stärker die Mitwirkung bei der Förderung des wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts in den Vordergrund. Weder die Vereinten Nationen noch ihre Sonderorganisationen waren als typische Entwicklungshüfeorganisationen konzipiert. Trotzdem bilden heute Entwicklungspolitik und Mitwirkung bei der Zusammenarbeit mit und zwischen Entwicklungsländern vielfach das Schwergewicht ihrer Aktivitäten. Kaum geprägt durch für das System der Vereinten Nationen typische Strukturen sind die nur lose mit denVereinten Nationen verbundenen Institutionen der Weltbankgruppe (z. B. IBRD; IDA), in denen die

Allgemeines

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Hauptbeitragszahler durch ihr gewichtetes Stimmrecht u n d durch ihre Staatsangehörigen in dem (nach kommerziellen Methoden betriebenen) Bankmanagement einen maßgebenden Einfluß auf Auswahl und Durchführung der geförderten Projekte ausüben. Die Strukturen fast aller übrigen Organisationen sind dagegen durch wichtige Grundsätze der Vereinten Nationen beeinflußt, ζ. B.: Souveräne Gleichheit aller Staaten; Selbstbestimmungsrecht; Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten; Kooperation aller Staaten auf der Basis von „Gerechtigkeit"; Kampf gegen Ungleichheiten und Diskriminierung, gegen Kolonialismus und Rassismus; verstärkte Hilfe der internationalen Gemeinschaft für Entwicklungsländer, und zwar frei von politischen und militärischen Bedingungen und unter Beachtung des Rechts eines jeden Landes, sein Wirtschafts- u n d Sozialsystem selbst festzulegen. Es ist nicht verwunderlich, daß die Entwicklungsländer unter diesen Voraussetzungen alle Organe und Sonderorganisationen der Vereinten Nationen mehr und mehr für ihre politischen Interessen nutzen. Das bleibt nicht ohne Auswirkungen auf deren Struktur und Funktion. Versucht man, sie systematisch zu ordnen, lassen sich theoretisch 3 Funktionen unterscheiden, mögen sie auch in der Praxis nicht idealtypisch vorkommen, sondern in mehr oder weniger deutlich ausgeprägten Mischformen: — Einige Einrichtungen sind in erster Linie als Forum konstruiert, auf dem Diskussionen und Aussprachen von Regierungsvertretern und Fachleuten stattfinden (ζ. B. -> UNCTAD). Diese Einrichtungen verstehen sich als weltpolitische Bühne und werden gelegentlich von den Staaten auch als solche genutzt. — Andere Einrichtungen befassen sich entweder aus eigener Initiative oder auf Antrag von Entwicklungsländern vorwiegend mit „operationeilen Aktivitäten", d. h. mit praktischen Maßnahmen konkreter Technischer Hilfe (-»· Technische Hilfe, Technologietransfer ζ. B. UNDP: Hilfe bei der landwirtschaftlichen Produktion, beim Aufbau des Gesundheitswesens, im Bildungsbereich usw.). — Nach dem Wunsch vieler Entwicklungsländer sollen sich die operationeilen Aktivitäten der Vereinten Nationen über den Bereich der Technischen Hilfe hinaus auf den Bereich der -»• Kapitalhilfe erstrecken. Der von ihnen zu diesem Zweck ζ. B. gegründete UNCDF hat jedoch bisher nur geringe Bedeutung erlangt. Bis Ende 1974 erhielt der UNCDF insgesamt Beitrangszusagen von knapp 10 Mio. Dollar; sie machen nur etwa 1/260 der Beitragszusagen aus, die allein UNDP bis Ende 1974 erhielt. Die Industrieländer förderten die multilaterale Kapitalhilfe stattdessen durch beachtliche Beiträge an die Weltbankgruppe. Im Bereich multilateraler Technischer Hilfe unterstützen Industrieländer u n d Entwicklungsländer bisher gemeinsam UNDP als Mittelpunkt der Organisationen des Entwicklungssystems der Vereinten Nationen mit ζ. T. erheblichen finanziellen Beiträgen. Während UNDP seit Ende der 60er Jahre seine Aktivitäten dadurch beachtlich ausweiten konnte, blieben typische Wachstumsschwierigkeiten nicht aus. Auch der „Wildwuchs" der Organe und Organisationen der Vereinten Nationen erleichterte eine zügige und wirksame Durchführung der Technischen Hilfe nicht. Um Vorschläge für eine effizientere Struktur der Organisationen des Entwicklungssystems der Vereinten Nationen und für eine bessere Durchführung von Projekten zu erhalten, beauftragte UNDP deshalb 1968 eine Expertengruppe unter Leitung des Australiers Jackson, eine „Kapazitätsstudie" zur Reorganisation vorzulegen. Der im Jahre 1969 vorgelegte sog. Jackson-Bericht gab den Anstoß für eine durchgreifende Reform. Heutige Stellung des UNDP Nach eingehender Diskussion der Reformvorschläge erzielten die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen über eine ganze Reihe von Strukturänderungen einen Kompromiß (vgl. GA Res. 2688 (XXV) vom 11.12.1970). Auf dieser politischen Grundsatzentscheidung, dem sog.

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UNDP - Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen

„Consensus", beruht die heutige Stellung des UNDP als Mittelpunkt des Entwicklungssystems der Vereinten Nationen. Darunter versteht man das verschachtelte Verbundsystem zwischen allen Organisationen der Familie der Vereinten Nationen, die sich (auch) mit Entwicklungshilfe befassen. Für diesen Bereich wurde UNDP zu einer Art „Dachorganisation" aufgewertet, die gegen den zähen Widerstand vor allem der Sonderorganisationen Zug um Zug von einer Finanzierungsquelle zur zentralen Koordinierungs- und Steuerungs-Institution der Organisationen des Entwicklungssystems der Vereinten Nationen ausgebaut wurde. Obwohl UNDP als ein sog. „Organ" durchaus zum Verband der Vereinten Nationen gehört und trotz seines Namens als „Entwicklungsprogramm", ist es m. E. gerechtfertigt, UNDP als eigenständige Organisation einzustufen, die im völkerrechtlichen Sinne über eine eigene Rechtspersönlichkeit verfügt. Für diese Auffassung sprechen ζ. B. folgende Gründe: UNDP hat eine zeitlich nicht limitierte Aufgabe. UNDP ist in der Lage, eigene rechtsgeschäftliche Erklärungen abzugeben, die sich von denen der Mitgliedstaaten als Gesamtheit unterscheiden. UNDP hat eine eigene Verwaltung (ca. 3 7 0 0 Mitarbeiter). UNDP hat einen aus Staaten gebildeten Rat. UNDP übt die zentrale Funktion im Entwicklungssystem der Vereinten Nationen aus. UNDP ist vom Haushalt der Vereinten Nationen unabhängig; das Mittelvolumen, über das UNDP jährlich aus freiwilligen Beiträgen verfügt, ist größer als der den Vereinten Nationen im gleichen Zeitraum zur Verfügung stehende Betrag. Soweit man das Gesamtgebilde der Vereinten Nationen als eine Organisation (und nicht als Dachorganisation) bezeichnet, hat sich — um die Einbindung in den Verband der Vereinten Nationen zu verdeutlichen — im deutschen Sprachgebrauch die Kennzeichnung des UNDP als „Unterorganisation" der Vereinten Nationen eingebürgert. Zum Entwicklungssystem der Vereinten Nationen zählten 1974: ILO, F A O , UNESCO, WHO, ICAO, UPU, ITU, WMO, IMCO, IAEA, UNIDO, UNCTAD, UNICEF, WFP, UNHCR, bestimmte Abteilungen des Sekretariats der Vereinten Nationen, die Weltbankgruppe, IMF und einige Regionalbanken. Die teilnehmenden Organisationen arbeiten j e t z t unter der Führung des UNDP als Partner zusammen. Dabei bleibt die führende Beraterrolle der Sonderorganisationen auf ihrem jeweiligen Fachgebiet unangetastet. Für die Durchführung der Projekte steht diesen jedoch kein Monopol, sondern lediglich eine Vorrangstelle zu. Falls e s z . B. aus Gründen der Wirtschaftlichkeit oder Effizienz geboten erscheint, kann UNDP auch staatliche und nichtstaatliche Institutionen und Firmen mit der Durchführung von Projekten beauftragen, die aus UNDP-Mitteln gefördert werden. Nicht durchgesetzt werden konnte bisher die volle Integration der neben UNDP von den Sonderorganisationen und Spezialorganen durchgeführten eigenständigen Hilfeprogramme in die Programmierung der Hilfe der Vereinten Nationen auf Länderebene. Immerhin enthält der „Consensus" die Aufforderung (vgl. Res. 2 6 8 8 Annex, Abschn. 9), sich um eine solche Integration zu bemühen. Die aus anderen als UNDP-Mitteln finanzierten sonstigen Projekte und Programme der Technischen Hilfe der mit UNDP verbundenen Organe und Organisationen der Vereinten Nationen erreichten 1974 insgesamt folgende Größenordnung, die maßgeblich durch das beachtliche Volumen der Technischen Hilfe der WHO beeinfluß wird: Aus den regulären Budgets finanzierte Hilfe 7 1 , 2 Mio. Dollar ( = 13,9 % der gesamten Technischen Hilfe des Entwicklungssystems der Vereinten Nationen); aus extrabudgetären Quellen finanzierte Projekte - 1 2 0 Mio. Dollar ( = 2 3 , 6 %); zum Vergleich: UNDP-Projekte - 3 1 7 , 4 Mio. Dollar ( = 6 2 . 4 %). Die UNDP-Projekte machten bei einzelnen Organisationen 1 9 7 4 folgende Anteile ihrer gesamten Technischen Hilfe aus: UPU 94,7 % und IMCO 9 6 , 6 %; ITU 8 8 , 6 %; ICAO 8 4 , 0 %; UNIDO 83,8 %; I L O 7 6 , 5 %; FAO 71,7 %; Vereinte Nationen 6 8 , 1 %; UNESCO 67,3 %; WMO 6 0 , 4 %; IAEA 4 7 , 8 %; bei der WHO erreichten UNDP-Projekte lediglich 15.5 % ihrer Technischen Hilfe. Die Entscheidung, UNDP zum zentralen Koordinierungssystem der multilateralen Technischen Hilfe auszubauen, haben die Hauptbeitragszahler des UNDP bisher durch ihre Beitragspolitik demonstrativ unterstützt. So betrug z. B. das Gesamtvolumen der Zusagen an freiwilligen Beiträgen an UNDP für das Jahr 1 9 7 4 ca. 3 3 8 Mio. Dollar.

Heutige Stellung des U N D P

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Es entspricht dieser zentralen Rolle, daß dem UNDP die Verwaltung einer Reihe von Sonderfonds übertragen wurde, z. B. des UNCDF (Beitragszusagen bis Ende 1974 knapp 10 Mio. Dollar) und des Freiwilligendienstes der Vereinten Nationen (Beitragsaufkommen 1974 ca. 0,2 Mio. Dollar). Der Bevölkerungsfonds - UNFPA (-> Weltbevölkerung) - ist ebenfalls ζ. T. in UNDP integriert (Beitragsaufkommen 1974 ca. 40,5 Mio. Dollar). Demgegenüber haben das Umweltprogramm - UNEP (-> Umweltschutz) (Jahreseinkommen 1974 ca. 30 Mio. Dollar ) —, UNICEF (Jahreseinkommen 1974 knapp 100 Mio. Dollar) und das Welternährungsprogramm — WFP (-»• FAO) (Jahreseinkommen 1974 im Wert von ca. 180 Mio. Dollar) — bisher ihre Eigenständigkeit erhalten können. Obwohl die Generalversammlung mit Res. 2688 den Verwaltungsrat des UNDP aufforderte, bis 1971 eine Satzung auf der Basis des „Consensus" und sonstiger früherer Resolutionen zu erarbeiten, sind die Kodifikationsbemühungen noch nicht zum Abschluß gekommen. Der Verwaltungsrat erzielte zwar über den größten Teil der Satzung bereits Einigung (vgl. Doc. DP/76 vom 5.6.1974); ein Abschluß der Kodifikation zeichnet sich jedoch wegen einiger kontroverser Punkte noch nicht ab (ζ. B. Mandat des UNDP; Aggressor-Ausschluß; Zusammensetzung des Verwaltungsrats; ständige Sitze im Verwaltungsrat). Zu den wesentlichen Elementen des „Consensus" gehören ferner folgende Punkte: Die Einführung des „Länder-Ansatzes" (d. h. künftige Hilfeleistung durch Organe und Organisationen der Vereinten Nationen nicht mehr sektor-, sondern länderweise) sowie eines Entwicklungszyklus, der für jedes Entwicklungsland aus mehreren Phasen besteht: a) Programmierung der Hilfe der Vereinten Nationen auf Länderebene (vgl. dazu unten); b) Konkretisierung in Einzelprojekte; c) Projektdurchführung; d) Bewertungsphase; e) Folgemaßnahmen. Der Hilfeprogrammierung geht die Zuteilung einer sog. Planungsleitzahl für jedes Entwicklungsland voraus, mit der die Größenordnung des voraussichüich verfügbaren Hilfevolumens festgelegt wird (vgl. unten). Mindestens 82 % aller für Projekte verfügbaren Mittel setzt UNDP für Länderprojekte ein, den Rest teilt es auf subregionale, regionale, interregionale und globale Projekte auf. Struktur des UNDP Die heutige Organisationsstruktur des UNDP ist das Ergebnis mehrerer Beschlüsse des UNDPVerwaltungsrats, des ECOSOC und der Generalversammlung. Nach herrschender Meinung ist UNDP ein „Spezialorgan" der Vereinten Nationen (subsidiary organ; vgl. Art. 7,22). Als solches ist es unter der politischen Aufsicht des ECOSOC und der Generalversammlung verantwortlich für Verwaltung und Koordinierung des größten Teils der Technischen Hilfe der Organisationen des Entwicklungssystems der Vereinten Nationen. Aus der Stellung im Verband der Vereinten Nationen sind der Autonomie des UNDP in sog. allgemeinen politischen Fragen natürliche Grenzen gesetzt. Die Entwicklungspolitik des UNDP bestimmt ein Verwaltungsrat (Governing Council), dessen 48 Mitglieder Staaten sind, die normalerweise für 3 Jahre gewählt werden, gegenwärtig im Auftrag der Generalversammlung vom ECOSOC (vgl. GA Res. 2813 (XXVI) vom 14.12.1971). 27 Sitze stehen den Entwicklungsländern zu (davon 11 Sitze für Länder aus Afrika, 9 Sitze für Asien, 7 für Lateinamerika). Die Industrieländer sind mit 21 Sitzen erheblich besser repräsentiert als in sonstigen Gremien den Vereinten Nationen. Von den 21 Sitzen der Industrieländer erhalten westeuropäische und andere westliche Länder 17 Sitze und osteuropäische Länder 4 Sitze. Nach seinen Verfahrensregeln kann der Verwaltungsrat Beschlüsse mit einfacher Mehrheit fassen. Dabei hat — anders als in den Institutionen der Weltbankgruppe — im Verwaltungsrat des UNDP entsprechend den Prinzipien der Vereinten Nationen jeder Staat nur eine Stimme. Damit können die Entwicklungsländer die Politik des UNDP entscheidend mitbestimmen. Es ist kennzeichnend für Klima und Stil des UNDP, daß der Verwaltungsrat seine Entscheidungen bisher stets einstimmig getroffen hat. Es entsprach der Interessenlage aller Mitgliedsländer, dieses Consensus-Verfahren beizubehalten.

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UNDP -

E n t w i c k l u n g s p r o g r a m m der Vereinten

Nationen

Der Verwaltungsrat hat insbesondere folgende Aufgaben: -

-

Unmittelbare Kontrolle der Politik und Aktivitäten des UNDP, insbesondere: Verabschiedung allgemeiner Richtlinien für die UNDP-Politik; Festlegung der Programm-Prioritäten und Kontrolle der Durchführung der Aktivitäten; Bestimmung der anteiligen Verwendung der UNDP-Mittel (für Länderhilfeprogramme; länderübergreifende Programm; Programmreserve; operationelle Reserve; Verwaltungskosten); Genehmigung der Hilfeprogramme, Festlegung der Planungsleitzahlen, Ermächtigung des Administrators zur Ausgabe der UNDP-Mittel; Verabschiedung des Verwaltungshaushalts des UNDP; Überprüfung der „Außenpolitik" des UNDP zu den teilnehmenden Organisationen des Entwicklungssystems und der Wirksamkeit seiner Koordinierungsmaßnahmen; Vorlage entsprechender Berichte an den ECOSOC.

An der Spitze der UNDP-Verwaltung steht ein „Administrator" (im Range eines Generaldirektors einer Sonderorganisation). Er führt mit der UNDP-Verwaltung die Beschlüsse des Verwaltungsrats aus und trägt die Gesamtverantwortung für alle Aktivitäten des UNDP. Nach der gegenwärtigen Praxis ernennt der Generalsekretär nach Konsultationen mit den im Verwaltungsrat vertretenen Staaten den UNDP-Administrator für die Dauer von 4 Jahren. Es galt bisher als ungeschriebene Regel, daß de facto die USA als größter Beitragszahler das Benennungsrecht haben. Der Generalsekretär legt seine Entscheidung der Generalversammlung lediglich zur Bestätigung vor, wobei diese nach seiner Auffassung kein konstitutives Element der Ernennung darstellt. Unverkennbar streben andererseits insbesondere die Entwicklungsländer eine echte Wahl des Administrators durch die Generalversammlung an. Sie haben aber bisher davon Abstand genommen, um die Bereitschaft der USA zur Leistung freiwilliger Beiträge nicht zu beeinträchtigen. Neben dem aus Staaten gebildeten Verwaltungsrat besteht ein Beratender Ausschuß aus Repräsentanten internationaler Organisationen. Ihm gehören an: Der Administrator, der Generalsekretär, die Chefs der Sonderorganisationen sowie der IAEA, der UNIDO und der UNCTAD sowie von Fall zu Fall des UNICEF, des WFP, des UNHCR und des UNEP. Der Ausschuß (Inter-Agency Consultative Board — IACB) soll der Abstimmung der operationellen Aktivitäten der Organisationen, ihrer Koordinierung und der größtmöglichen Integration der Entwicklungshilfe dienen. Aufgaben des UNDP Nach dem bisherigen Mandat sieht UNDP seine Aufgaben vor allem darin, den grundlegenden Entwicklungsbedarf eines Mitgliedslandes durch Technische Hilfe im weiteren Sinne decken zu helfen; zu diesem Zweck bietet es in erster Linie Dienstleistungen internationaler Experten sowie Ausrüstungsgegenstände und Stipendienmöglichkeiten an. Die Projekte des UNDP dienen u . a . : -

der Erschließung natürlicher Ressourcen und ihrer Nutzbarmachung für Landwirtschaft, Industrie, Energieerzeugung, Transport und Handel sowie für andere Schlüsselsektoren; der Ausbildung von Lehrern, Managern, Ingenieuren, Technikern und anderen Fachkräften; der Verbesserung der öffentlichen Verwaltung und der Planungskapazitäten; der Bekämpfung von Krankheiten und dem Auf- und Ausbau des öffentlichen Gesundheitswesens; der Anpassung und Anwendung geeigneter produktiver Technologien für die Entwicklung; der Schaffung von Anreizen für gesteigerten Kapitaltransfer durch private Investitionen; der Verbesserung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen den Entwicklungsländern.

F i n a n z e n des U N D P

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Seit 1959 sind direkt oder indirekt angeregt durch (vom UNDP unterstützte) Untersuchungen und Feasibility-Studien Kapitalinvestitionen im Werte von mehr als 9 Mrd. Dollar in den Entwicklungsländern vorgenommen worden. Während dieser Zeit haben mehr als 1 Mio. Einwohner aus Entwicklungsländern eine besondere Ausbildung unter UNDP-Schirmherrschaft erhalten. Finanzen des UNDP Die Länder, die UNDP-Hilfe erhalten, zahlen in der Regel mehr als die Hälfte der Projektkosten selbst und stellen zumeist auch die Mehrheit der Projektmitarbeiter. Für die restlichen Projektkosten können sie von UNDP auf Antrag Zuschüsse erhalten. Anders als bei vielen Organisationen der Vereinten Nationen, die ihre Finanzmittel ganz oder teilweise durch Pflichtbeiträge der Mitgliedsländer erhalten, wird die Tätigkeit des UNDP durch freiwillige Beiträge aus Ländern der ganzen Welt finanziert, u. a. auch von Entwicklungsländern. Nach Durchführung der Reformen der Organisationen des Entwicklungssystems der Vereinten Nationen auf der Basis der Vorschläge der Jackson-Studie hatten sich die Mitgliedstaaten bereiterklärt, ihre freiwilligen Beiträge an UNDP mindestens um 9,6 % jährlich zu steigern. Wegen weltweiter inflationärer Tendenzen forderte die Generalversammlung 1972 alle Staaten auf, ihre Beiträge jährlich um 15 %zu steigern. Seit Ende der 50er Jahren bis 1975 hat UNDP freiwillige Beiträge in einem Gesamtwert von über 3,1 Mrd. Dollar erhalten; davon stammen mehr als 6 0 0 Mio. DM aus der Bundesrepublik Deutschland. Den weitaus größten Teil des Beitragsgesamtaufkommens (3/4) bringen nach wie vor die USA, die Staaten der EG und die skandinavischen Länder auf. Hinter den USA, Schweden, Dänemark und den Niederlanden stand die Bundesrepublik Deutschland bisher an 5. Stelle der Beitragszahler. UNDP verwendet die erhaltenen Gelder zum größten Teil für Länderhilfeprogramme (mindestens 82 % der Projektgelder). Der finanzielle Rahmen der Länderhilfeprogramme richtet sich nach der sog. Planungsleitzahl (indicative planning figure). Mit der Zuteilung einer Planungsleitzahl erwirbt das Entwicklungsland noch keinen Anspruch auf ein bestimmtes Volumen an Entwicklungshilfe. Die Leitzahl gibt jedoch die wahrscheinliche Größenordnung der zu erwartenden Hilfe für eine Periode von 5 Jahren an, die UNDP vergeben kann, wenn die Beiträge der Geberländer um mindestens 9,6 % jährlich gesteigert werden. Der Verwaltungsrat des UNDP hat im Jahre 1974 neue Kriterien für die Bestimmung der Planungsleitzahlen der Periode 1977 — 1981 beschlossen, mit denen die voraussichtlich verfügbaren 2 Mrd. Dollar quotengemäß aufgeteilt werden. Diese Mittel sollen in Z u k u n f t viel stärker als bisher nach dem Grad der Bedürftigkeit der Entwicklungsländer vergeben werden. Bisher erhielten solche Entwicklungsländer von UNDP relativ viel Technische Hilfe, die gute Projektanträge vorlegen konnten. Die erst am Anfang ihrer Entwicklung stehenden Länder waren dazu meist nicht in der Lage. Weil dieses System die schon weiter entwickelten Länder bevorzugte, beschloß der Verwaltungsrat, künftig im Rahmen des Möglichen für eine gerechtere Zuteilung der Hilfe zu sorgen. Die Zuteilungsquote soll sich künftig vor allem an der Bevölkerungsgröße des Landes und am durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommen ausrichten. Daneben wird ein Teil der Mittel nach Zusatzkriterien vergeben werden, wie z. B. nach der Eigenanstrengung des Landes und der Situation seiner Zahlungsbilanz und zum Ausgleich für „historische Ungerechtigkeiten". Hiernach werden die 28 Entwicklungsländer, die gegenwärtig zu den am wenigsten entwickelten Ländern gehören, künftig ca. 3 0 % der Mittel erhalten. Auch die Position der anderen Entwicklungsländer am unteren Ende der Einkommenskala wird erheblich verbessert. Künftig wird UNDP an die ärmeren 2/3 der Entwicklungsländer (ihr Jahres-Bruttosozialprodukt liegt unter 500 Dollar pro Kopf der Bevölkerung) ca. 9/10 aller Mittel für Länderprojekte leiten. Begünstigt werden dadurch vor allem die volkreichen, einkommensschwachen Entwicklungsländer Asiens und Afrikas.

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U N D P - E n t w i c k l u n g s p r o g r a m m der V e r e i n t e n N a t i o n e n

Länderprogramme Die Technische Hilfe des UNDP ist von dem Grundsatz gekennzeichnet, daß die Entwicklungsländer selbst bestimmen sollen, wie die Dienst- und Sachleistungen eingesetzt werden, die ihnen von UNDP zufließen. Ohne Zustimmung der Regierung eines Entwicklungslandes gibt es keine „Durchgriffshilfe" der Vereinten Nationen für einzelne Bevölkerungsgruppen. Dieser Grundsatz und das Antragsprinzip stellen sicher, daß UNDP nur solche Projekte unterstützt, die sich in die Entwicklungspläne und Prioritäten der jeweiligen Regierung des Landes einfügen. Früher genehmigte der Verwaltungsrat des UNDP die einzelnen Projekte. Seit 1971 ist die Technische Hilfe des UNDP u. a. nach folgenden Grundsätzen länderweise programmiert worden: — Die Rolle der UNDP-Hilfe muß innerhalb der Entwicklungsziele des jeweiligen Landes in den einzelnen Bereichen genau festgelegt sein. — Die Programmierung der UNDP-Hilfe geht von einer Planungsleitzahl aus, die die Größenordnung der zu erwartenden UNDP-Hilfe während der Programmperiode angibt. — Das UNDP-Länderhilfsprogramm wird von der Regierung des Entwicklungslandes selbst aufgestellt. Sie soll dabei mit dem in dem Entwicklungsland residierenden Vertreter des UNDP, dem Resident Representative, und den Vertretern anderer Organe und Organisationen der Vereinten Nationen zusammenarbeiten. Das Programm soll solche Aktivitäten unterstützen, die die Realisierung der Entwicklungszielsetzungen des Landes fördern. — Bei der Programmierung der UNDP-Hilfe für ein Entwicklungsland soll zumindest die Entwicklungshilfe aller Organe und Organisationen der Vereinten Nationen erfaßt und ein integriertes Programm auf nationaler Ebene erstellt werden. Inzwischen hat der Verwaltungsrat 118 solcher Länderhilfeprogramme genehmigt und damit den Rahmen für Hüfsmaßnahmen im Gesamtwert von ca. 1,2 Mrd. Dollar bis 1976 abgesteckt. Die Hilfeprogramme führt das UNDP entsprechend den mit den Entwicklungsländern abgeschlossenen Rahmenabkommen zumeist über die am Entwicklungssystem der Vereinten Nationen teilnehmenden Organisationen oder durch eigene Mitarbeiter durch. Dafür stehen dem UNDP aus 140 Ländern insgesamt ca. 5 4 0 Stamm-Mitarbeiter in der Zentrale in New York sowie ca. 3 . 2 0 0 Mitarbeiter in den über 100 Außenstellen in den Entwicklungsländern zur Verfügung. Zusätzlich sind in den Projekten etwa 10.000 internationale Experten und Berater tätig. Die Länderprogramme, die ständig überprüft und fortgeschrieben werden, werden durch Projekte realisiert, die die UNDP-Verwaltung auf Antrag des Entwicklungslandes genehmigt, sofern sie den Anforderungen des UNDP entsprechen. In der Regel stellen die Entwicklungsländer fur das Projekt Räumlichkeiten und sonstige Hilfsmittel bereit, die örtlich verfügbar sind, sowie die Gehälter für eine Reihe einheimischer Projektmitarbeiter. Nach typischen Anfangsschwierigkeiten hat das Instrument der Länderhilfeprogrammierung inzwischen seine Bewährungsprobe bestanden. Die Hilfeprogrammierung hat die Kooperation zwischen Regierungen und innerhalb des Entwicklungssystems der Vereinten Nationen beachtlich gefördert. Künftige

Entwicklung

Die Diskussion um die Verwirklichung einer neuen Weltwirtschaftsordnung blieb nicht ohne Auswirkungen auf UNDP. Der Verwaltungsrat war sich einig, daß auch UNDP einen Beitrag dazu leisten kann, ζ. B. durch Unterstützung der Idee der Self-Reliance und einer engeren Zusammenarbeit der Entwicklungsländer untereinander. Der Trend der nächsten Jahre wird zu einem verstärkten Einsatz von Mitarbeitern aus Entwicklungsländern in den Projekten des UNDP und zu wachsenden Aufträgen an Institute und Firmen in Entwicklungsländern zur Durchführung der Projekte und Programme führen. UNDP bemüht sich, seine Hilfeformen

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flexibler als bisher den sich wandelnden Bedürfnissen der Entwicklungsländer anzupassen und neue Dimensionen fur ergebnisorientierte Formen Technischer Zusammenarbeit zu entwickeln. Dabei bleibt nach wie vor der Grundsatz unangetastet, daß es allein Sache der Regierung des Entwicklungslandes ist, festzulegen, für welche Bereiche sie Hilfe beantragt. Neben solchen Trends zur Fortsetzung der Reformen sind in letzter Zeit aber auch gegenläufige Tendenzen zu beobachten. Zunächst hatte es zwar für einige Zeit so ausgesehen, als würden viele Staaten im Dschungel der Institutionen der Vereinten Nationen überall Doppelarbeit, Überschneidungen und Ineffizienz energisch bekämpfen. Doch schon die Einrichtung des Sonderfonds als eines der Ergebnisse der 6. Sondersitzung der Generalversammlung (1974) bedeutete einen Rückschlag für die Reformbestrebungen. Auch die Empfehlungen der Welternährungskonferenz (1974) werden zu weiteren institutionellen Ausuferungen fuhren (ζ. B. Gründung eines Welternährungsrats; einer beratenden Gruppe für Nahrungsmittelerzeugung und Investitionen; eines Ausschusses für Welternährungssicherheit als Sondergremium des FAO-Rates und eines neuen Internationen Fonds für landwirtschaftliche Entwicklung). Theoretisch wächst durchaus die Einsicht in die Notwendigkeit einer umfassenden Strukturreform der Vereinten Nationen und ihrer vielen Spezialorganen und Sonderorganisationen. So schlug ζ. B. eine 25köpfige Expertengruppe in einer im Frühjahr 1975 veröffentlichten Studie vor, fast alle gegenwärtig bestehenden Organisationen der Vereinten Nationen, die sich mit technischer Hilfe i. w. S. befassen, mit UNDP zu verschmelzen und als neue Organisation eine United Nations Development Authority — UNDA — zu gründen. Ob allerdings solche Vorschläge realisiert werden, bleibt angesichts der Bereitschaft insbesondere von Entwicklungsländern, neue „Zellteilungen" zu beschließen, aber auch wegen der Vielfalt der etablierten Interessen ungewiß. Strukturen der Vereinten Nationen systematisch konsequent fortzuentwickeln, ist kein vordringliches politisches Ziel ihrer Mitglieder. Literatur Börnsen: Neuer Verteilungsschlüssel für UNDP-Mittel, in: Entwicklung und Zusammenarbeit, 1974, Heft 4 S. 17 Debatin: Organisation der UNO muß griffiger werden, in: Handelsblatt vom 13.8.1975 Kurth: Weltweit orientierte Organisationen, Programme und Institutionen der VN, in: Handbuch der Entwicklungshilfe, 102. Lieferung — Juni 1973 ders. : UN-Entwicklungssystem am Scheidewege — Jackson-Studie zwingt zu Reformen, in: VN 1970 S. 80 Seib: Die Befähigung des UN-Systems zu wirksamer Entwicklungshilfe — Der JacksonBericht aus heutiger Sicht, in: VN 1974 S. 179 Emst W. Börnsen Verweise auf: FAO; IBRD; IDA; Kapitalhilfe; Technische Hilfe, Technologietransfer; Umweltschutz; UNCDF; UNCTAD; UNICEF; Weltbevölkerung.

UNESCO - Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur Vorgeschichte und Gründung Die UNESCO (United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization) wurde am 14. Dezember 1945 noch unter dem Eindruck der Ereignisse des 2. Weltkrieges als Sonder-

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organisation der Vereinten Nationen (UNTS Bd. 1 II Nr. 11) gegründet. Diese Motivation kommt auch in der Präambel zur UNESCO-Verfassung zum Ausdruck, in der e s u . a. heißt, „ . . . da Kriege im Geiste der Menschen entstehen, (müssen) auch die Bollwerke des Friedens im Geist der Menschen errichtet werden" (BGBl. 1971 II S. 471). Diese ideelle Leitidee ist es, die im Zusammenhang mit der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte" die Hoffnung auf die Erziehung zum idealen Menschen als grundlegende Voraussetzung zur Sicherung des Weltfriedens z u m Ausdruck bringt („UNESCO-Ideologie", zum generellen Problem kultureller Integration ->· Kulturpolitik, internationale). Die Gründer der UNESCO konnten auf Vorbilder zurückgreifen. 1921 wurde von der Völkerbundversammlung die Gründung einer Kommission für internationale geistige Zusammenarbeit beschlossen, die sich aus 12 (später 15) hervorragenden Wissenschaftlern aus den Mitgliedstaaten zusammensetzte und als Beratungsorgan des Völkerbundes diente, jedoch über keine eigene Administration verfügte. 1926 wurde mit Zustimmung des Völkerbundrates und der -Versammlung von Frankreich ein rechtlich selbständiges Institut für geistige Zusammenarbeit gegründet; die Kommission, die als Kuratorium des Instituts fungierte, konnte damit über einen eigenen Stab verfügen. Viele Aufgabengebiete, die vom Institut in Angriff genommen wurden, hat die UNESCO nach 1945 wieder aufgegriffen. Während des 2. Weltkrieges trat auf Initiative des British Council die Konferenz der alliierten Erziehungsminister regelmäßig zusammen. Auf Anregung der USA behandelte sie auch die Idee einer Organisation der Vereinten Nationen für den Wiederaufbau der Kulturund Erziehungssysteme. Im November 1945 beschloß eine auf Einladung Großbritanniens zusammengetretene Konferenz der alliierten Erziehungsminister die Gründung der UNESCO. Die Verfassung trat am 4. November 1946 in Kraft, nachdem sie von 20 Staaten ratifiziert worden war. Die UNESCO hat derzeit - Stand 31. Dezember 1975 - 137 Mitglieder. Organisation - Aufbau und

Arbeitsweise

Die Organisation hat folgende Organe: Die Generalkonferenz, den Exekutivrat und das Sekretariat. Die Generalkonferenz, die sich aus den Vertretern aller Mitgliedstaaten (136 sowie ein assoziiertes Mitglied) zusammensetzt, tritt alle zwei Jahre zu einer ordentlichen Tagung zusammen. (Die 18. Tagung fand im Oktober/November 1974 in Paris statt). Sie bestimmt Zielsetzung und allgemeine Richtlinien der Arbeit der UNESCO und entscheidet über die ihr vom Sekretariat vorgelegten Programme Der Exekutivrat wird von der Generalkonferenz aus den von den Mitgliedstaaten nominierten Delegierten gewählt; er besteht aus 40 Mitgliedern. Auf die Gruppe I (Westeuropa, USA, Kanada) entfallen 10 Sitze, auf die Gruppe II (Osteuropa, UdSSR) 4 Sitze, auf die Gruppe III (Lateinamerika) 7 Sitze, auf die Gruppe IV (Asien) 6 Sitze und die Gruppe V (Afrika) 13 Sitze. Bei der Wahl soll die Generalkonferenz darauf bedacht sein, Persönlichkeiten mit einem hohen Maß an Sachkompetenz zu wählen. Der Exekutivrat stellt das Bindeglied zwischen Generalkonferenz und Sekretariat dar. Er überprüft das Arbeitsprogramm der Organisation und die entsprechenden Haushaltsvoranschläge (Haushaltsvoranschlag 1975/76: 1. Reguläres Budget: 170 Mio. Dollar; 2. UNDP: 100 Mio. Dollar; darin nicht enthalten: etwa 200 Mio. Dollar für Projekte der IBRD, die mit der UNESCO abgesprochen werden), die ihm vom Generaldirektor vorgelegt werden, und unterbreitet sie dann der Generalkonferenz mit entsprechenden Empfehlungen. Zugleich ist der im Auftrag der Generalkonferenz handelnde Exekutivrat für die Durchführung des von ihr angenommenen Programms verantwortlich. Er tritt mindestens zweimal im Jahr zu einer ordentlichen Tagung zusammen. Das Sekretariat mit Sitz in Paris besteht aus einem Generaldirektor und dem erforderlichen Personal, das sichz. Zt. aus etwa 1.900 internationalen Beamten und 1.700 Angestellten zusammensetzt. Davon arbeiten etwa 1.500 im Felde, d. h. außerhalb des Sekretariats.

Tätigkeitsbereiche im Überblick

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Der Generaldirektor (seit 1 9 7 4 mit Amadou-Mahtar M'Bow/Senegal erstmals ein Afrikaner an der Spitze einer -> Sonderorganisation der Vereinten Nationen) wird vom Exekutivrat vorgeschlagen und von der Generalkonferenz auf 6 Jahre gewählt. Bereits seit der 3. Generalkonferenz 1 9 4 8 nahmen deutsche Beobachter aus den drei westlichen Besatzungszonen Deutschlands an den Generalkonferenzen der UNESCO teil. Die sowjetischen Besatzungsbehörden ließen die Einladung des Exekutivrates unbeantwortet, Ende 1 9 5 0 stellte die Bundesrepublik Deutschland ihren Aufnahmeantrag, der vom ECOSOC befürwortet und von der 6. Generalkonferenz im Juni 1951 mit der erforderlichen ZweiDrittel-Mehrheit angenommen wurde. Seit dem 11. Juli 1951 ist die Bundesrepbulik Deutschland Mitglied der UNESCO. 1 9 5 5 stellte auch die D D R einen Antrag auf Aufnahme in die UNESCO. Dieser Antrag wurde auf Grund eines Abkommens der Sonderorganisation UNESCO mit dem ECOSOC an ihn verwiesen; er empfahl die Ablehnung des Antrages mit 13 gegen 5 Stimmen. (Die D D R wurde erst am 24. November 1972 Mitglied der UNESCO (-> Deutsche Demokratische Republik)). In Art. 7 der UNESCO-Verfassung wird den Mitgliedstaaten empfohlen, nationale UNESCO-Kommissionen zu bilden, die eine Doppelaufgabe erfüllen sollen; sie beraten einerseits die eigene Regierung und informieren die Öffentlichkeit, dienen andererseits auch als Verbindungsstelle der UNESCO in dem jeweiligen Mitgliedsstaat. Sie setzen sich aus Vertretern der Regierungsstellen und nicht-staatlichen Organisationen zusammen. In der Bundesrepublik Deutschland hat die Deutsche UNESCO-Kommission ( D U K ) 1 9 5 0 zunächst als „Deutscher Ausschuß für UNESCO-Arbeit" gegründet — den Status eines privatrechtlichen Vereins, der auch gegenüber der UNESCO rechtlich unabhängig ist. Die Finanzierung der DUK erfolgt jedoch bisher fast ausschließlich aus Mitteln des Auswärtigen Amtes (Haushaltsplan 1 9 7 5 : 1,04 Mio. DM). Rechtsstatus, Finanz träger und Mitgliederzusammensetzung können - vor allem in Demokratien westlichen Typs — daher zu Funktionenkollisionen führen. Generell formuliert, nationale UNESCO-Kommissionen können eine wichtige Rolle im politischen Entscheidungsprozeß spielen; dies setzt jedoch voraus, daß sie einen entsprechenden politischen und finanziellen „Spielraum" erhalten.

Tätigkeitsbereiche im Überblick In der Entwicklung der UNESCO, die mit ihrer derzeitigen Mitgliederzahl das Ziel der Universalität fast erreicht hat, spiegeln sich die allgemeinpolitischen Entwicklungstendenzen des internationalen Systems nach dem 2. Weltkrieg deutlich wieder. In der ersten Phase des Kalten Krieges ( 1 9 4 6 — 1 9 5 3 ) boykottierte der gesamte Ostblock die Arbeit der UNESCO. Die Sowjetunion trat erst 1 9 5 4 bei; andere sozialistische Staaten (ζ. B. die Gründungsmitglieder Polen und Tschechoslowakei) nahmen ihre Mitarbeit wieder auf oder beantragten die Mitgliedschaft erst Mitte der 50er Jahre. Auch in der zweiten Phase des Kalten Krieges ( 1 9 5 4 - 1 9 6 0 ) überwog die Kritik der Sowjetunion: Die UNESCO wurde als „Hilfsorgan des US-Außenministeriums" bezeichnet, die Generalkonferenz als „USAbstimmungsmaschinerie" kritisiert. Die Entwicklung zur Universialität ( 1 9 6 0 - 1 9 7 0 ; 1961 und 1 9 6 2 traten allein 25 neugegründete afrikanische Staaten der UNESCO bei) führte zu einem langsamen, aber deutlichen Abklingen des -* Ost-West-Konfliktes, der durch den in der Generalkonferenz immer stärker artikulierten -> Nord-Süd-Konflikt abgelöst wurde. Die dadurch nicht „unpolitischen" Probleme der sozialen und ökonomischen Entwicklung der „Dritten Welt" prägen heute die Arbeit der UNESCO. Die gegenwärtigen Tätigkeiten sind durch ein doppeltes Dilemma gekennzeichnet: Einerseits gehört die UNESCO zu den polarisiert heterogenen Organisationen der Vereinten Nationen: In ihr wirkt eine Vielzahl von Staaten verschiedener Kulturen mit höchst unterschied-

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liehen religiösen und weltanschaulichen Einstellungen sowie mit gravierenden ökonomischen Unterschieden. Andererseits führt das weite Betätigungsfeld der UNESCO zu Problemen der Überschneidung mit anderen Organisationen der Vereinten Nationen, insbesondere in Zusammenhang mit den Problemen der Dritten Welt. Die Forderung nach einer strafferen Koordinierung stellt sich daher, obwohl so alt wie die Organisation, zur Zeit besonders scharf und kommt u. a. in dem Versuch zum Ausdruck, eine mittelfristige Zielplanung der UNESCO-Tätigkeiten für den Zeitraum 1977-1982 zu erstellen. Etwa 60 % des gegenwärtigen Finanzvolumens im ordentlichen Haushalt werden für operationelle Zwecke in den Bereichen Erziehung (23 %), Naturwissenschaften und deren Anwendung im Entwicklungsprozeß (12 %), Sozial- und Geisteswissenschaften sowie Kultur (10 %), Kommunikation (12 %) eingesetzt. Im Bereich der Naturwissenschaften ergeben sich dabei Abstimmungsprobleme mit den Sonderorganisationen FAO, -»· WHO, WMO sowie mit der IAEA; im Bereich der Sozialwissenschaften mit dem UN Department of Economic and Social Affairs. Im Vordergrund der sozialwissenschaftlichen Aktivitäten stehen Projekte zur Förderung der internationalen Zusammenarbeit und Verständigung sowie der Friedensforschung. Der Bereich der Kulturförderung, der als einziger ausschließlich in den Kompetenzbereich der UNESCO fällt, konzentriert sich vor allem auf den Schutz und die Erhaltung des gesamten Kulturerbes der Menschheit. Der UNDP-Beitrag konzentriert sich zu 59 % auf den Erziehungsbereich; 32,5 % werden für die Förderung der Naturwissenschaften und 8,5 % für Sozial-, Geisteswissenschaften und Kultur sowie Kommunikation aufgewendet. Für Publikationen, Dokumentationen und Konferenzen sieht der ordentliche Haushalt etwa 8 % der Gesamtausgaben vor. Für 1975/76 sind etwa 250 Konferenzen und Expertentreffen geplant. Die UNESCO gibt z. Zt. 16 Periodika mit unterschiedlichen thematischen Schwerpunkten (u. a. Prospects, Impact of Science on Technology, International Social Science Journal, UNESCO Chronicle, UNESCO Courier) heraus, deren jährlicher durchschnittlicher Umfang etwa 10.000 Seiten beträgt. Erziehung Die Verbesserung der Bildungssysteme in den Mitgliedstaaten, die Verwirklichung des Rechts auf Bildung (vgl. Art. 26 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte sowie das UNESCOUbereinkommen vom 15. Dezember 1960 gegen Diskriminierung im Unterrichtswesen und das Protokoll vom 18. Dezember 1962 über die Errichtung einer Schlichtungs- und Vermittlungskommission (BGBl. 1968 II, S. 385); das Ubereinkommen ist für die Bundesrepublik Deutschland am 17.10.1968, das Protokoll am 24.10.1968 in Kraft getreten) sowie die Erziehung zur internationalen Verständigung gehören zu den traditionellen Aufgabengebieten der UNESCO. Durch die Ende 1961 über die Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) propagierten Zusammenhänge zwischen Bildungsinvestitionen und wirtschaftlichen Wachstum einerseits und die große Zahl der neuen Mitgliedstaaten aus der „Dritten Welt" andererseits gehört seit Anfang der 60er Jahre der Problemkomplex „Bildungsplanung" zu den wichtigsten Tätigkeitsbereichen der UNESCO. Die Organisation trat zunächst — in Zusammenarbeit mit den regionalen -> Wirtschaftskommissionen — mit relativ generellen bildungspolitischen Forderungen für größere Regionen hervor, die durch den Bezug zur „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte" auch den notwendigen allgemeinpolitischen Konsensus fanden (vgl. hierzu die Konferenzen von Santiago de Chile (März 1962), auf der für Lateinamerika unter anderem bis 1965 eine Erhöhung der Anteile der Bildungsausgaben am Nationaleinkommen auf 4 % gefordert wurde, von Karachi (Dezember 1959 — Januar 1960), auf der für Asien bis 1980 die Einführung einer allgemeinen, kostenlosen Schulpflicht von mindestens 7 Jahren gefordert wurde, und von Addis Abeba (Mai 1961), auf der ebenfalls für den Gesamtkontinent globale Zielwerte - wie z. B. Erhöhung

Literatur

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des relativen Schulbesuchs a u f der Sekundarstufe von 3 % 1 9 6 1 auf 9 % 1 9 6 6 — fixiert wurden). Die neueren bildungsökonomischen Erkenntnisse führten dazu, daß seit 1 9 6 4 die Bildungshilfe als „kreditwürdig" und daher von der Weltbank (-> I B R D ) , die inzwischen mit der U N E S C O auf diesem Gebiet sehr eng kooperiert, als Kapitalhilfe anerkannt wurde. Innerhalb der U N E S C O fand eine zunehmende institutionelle Ausdifferenzierung von Aktivitäten im Erziehungsbereich statt. Das 1 9 6 3 gegründete Internationa] Institute for Educational Planning ( I I E P ) in Paris (Direktor: Hans Weiler / Bundesrepbulik Deutschland; Haushaltsvoranschlag für 1 9 7 5 / 7 6 : 1 , 6 6 Mio. Dollar für das reguläre Programm) konzentriert sich a u f die Aus- und Fortbildung von Bildungsplanern und -administratoren aus den Entwicklungsländern sowie a u f angewandte Forschungsaktivitäten (Fallstudien sowie Organisations-, Kosten- und Finanzierungsprobleme in der Bildungsplanung). Das International Bureau o f Education ( I B E ) in Genf, 1 9 2 5 gegründet und seit 1 9 6 9 in die U N E S C O eingegliedert, konzentriert sich a u f Disseminationsfunktionen im Bereich der Bildungspolitik und -forschung. Es wird aus dem ordentlichen Haushalt der U N E S C O finanziert (Voranschlag für 1 9 7 5 / 7 6 : 1,7 Mio. Dollar). Als weitere UNESCO-Institutionen im Erziehungsbereich wären das UNESCO-Institut für Pädagogik in Hamburg und das sich im Aufbau befindende U N E S C O European Centre for Higher Education in Bukarest (Direktor: T h o m a s Keller / Bundesrepublik Deutschland) zu nennen. 1 9 7 0 setzte die 16. Generalkonferenz eine Internationale Erziehungskommission ein, die unter dem Vorsitz von Edgar Faure eine umfassende Bestandsaufnahme der bisherigen und zukünftigen Entwicklungen im Bildungsbereich durchführte. Ausgehend vom Konzept des lebenslangen Lernens hat die Kommission der 17. Generalkonferenz 1 9 7 2 einen Bericht vorgelegt, der Ziele, Wege und Mittel einer zukünftigen internationalen Bildungspolitik erläutert. Obwohl der Bericht kein offizielles U N E S C O - D o k u m e n t darstellt, haben die Diskussionen im Exekutivrat und in der Programmkommission der Generalkonferenz gezeigt, daß er generell akzeptierte Leitlinien für die zukünftige internationale Politik und Planung von Bildungsprozessen und -Institutionen durch die U N E S C O aufzeigt. Literatur Deutsche UNESCO-Kommission (Hrsg.): Die deutschsprachige UNESCO-Literatur. Bibliographie 1 9 4 6 - 1 9 7 2 , Pullach/München 1 9 7 3 Faure und andere: Wie wir leben lernen. Der UNESCO-Bericht über Ziele und Zukunft unserer Erziehungsprogramme, Reinbek bei Hamburg 1 9 7 3 von R e c u m : Bildungsplanung in Entwicklungsländern. Die Regionalpläne der UNESCO, Braunschweig 1 9 6 6 Regnery: Die Diskussion über die deutsche auswärtige Kulturpolitik zwischen 1 9 5 7 und 1 9 6 3 unter besonderer Berücksichtigung der Deutschen UNESCO-Kommission, Freiburg, Diss. 1 9 7 3 Sathymamurthy: Politics o f International Cooperation: Contrasting Conceptions o f UNESCO, G e n f / Paris 1 9 6 4 Klaus Hüfner / J e n s Naumann Verweise auf: Deutsche Demokratische R e p u b l i k ; F A O ; I A E A ; I B R D ; Kulturpolitik, internationale; Menschenrechte; Nord-Süd-Konflikt; Ost-West-Konflikt; Sonderorganisationen; WHO; Wirtschaftskommissionen; WMO.

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UNICEF - Weltkinderhilfswerk der Vereinten N a t i o n e n

UNICEF — Weltkinderhilfswerk der Vereinten Nationen Am 11. Dezember 1946 faßte die Generalversammlung der Vereinten Nationen den einstimmigen Beschluß, zunächst zeitlich befristet, ein Spezialorgan (-»• Organisationssystem der Vereinten Nationen) zu gründen mit der alleinigen Aufgabe, in Not befindlichen Kindern zu helfen (Res. 57 (I)). Das Organ wurde United Nations International Children's Emergency Fund genannt. Seinen Sitz erhielt es in New York. In dem Gründungsbeschluß heißt es: Die Hilfe soll allen notleidenden Kindern, ungeachtet politischer, rassischer oder konfessioneller Unterschiede, zuteil werden. Der Gründung von UNICEF ging am 25. Juni 1946 eine Ansprache von Herbert Hoover über Radio Ottawa voraus, in der er die Not von vielen Millionen von Kindern schilderte, die der 2. Weltkrieg in Europa hinterlassen hatte. Hoover rief dazu auf, diesen Kindern auf internationaler Ebene zu helfen. Mit dem Gründungsbeschluß von UNICEF wurde zunächst an die Regierungen der Länder der ganzen Welt appelliert, zur Schaffung eines Hilfsfonds beizutragen. Die Resolution empfahl gleichzeitig, auch an Einzelpersönlichkeiten heranzutreten, damit sie durch freiwillige Beiträge die Hilfsaktionen förderten (-> Beitragssystem, Haushalt). Die ersten Gelder (30 Mio. Dollar) kamen aus der sich auflösenden UNRRA (United Nations Relief and Rehabilitation Administration), die seinerzeit den nach Mitteleuropa gebrachten Fremdarbeitern zur Seite gestanden hatte. Regierungen von 30 Staaten erklärten sich sofort bereit, Beiträge für die Gründung von UNICEF zu leisten. Der erste Regierungsbeitrag fur UNICEF war eine Spende von 15 Mio. Dollar durch die USA. Im Gegensatz zu den Sonderorganisationen — bei diesen ist die Höhe der Regierungsbeiträge festgesetzt - bestimmen bei UNICEF die Regierungen die Höhe nach eigenem Ermessen. Für die Planung der Programme sowie die Überwachung des Etats wurde ein Verwaltungsrat gebildet, der sich aus Delegierten von 26 Ländern zusammensetzte. Heute beträgt die Zahl der Delegierten 30, unter denen die Bundesrepbulik Deutschland seit 1957 vertreten ist. Die Mitglieder des Verwaltungsrats werden durch den ECOSOC jeweils für drei Jahre gewählt — in jedem Jahr steht ein Drittel der Mitglieder zur Wahl, so daß die Kontinuität gewahrt bleibt. Diesem Verwaltungsrat ist ein beratender Ausschuß beigeordnet, dem Vertreter von 84 internationalen Frauen- und Wohlfahrtsverbänden (-»· Nichtstaatliche Organisationen) und vor allem auch Vertreter der Sonderorganisationen wie UNESCO, WHO, FAO, ILO und anderen angehören, um von vornherein jegliche Überschneidungen in der praktischen Arbeit zu vermeiden. Der Verwaltungsrat tritt einmal jährlich zusammen. Die administrative Arbeit wird von einem Stab erfahrener Persönlichkeiten geleistet. An die Spitze dieses Stabes trat bei Gründung von UNICEF Maurice Pate, der sich unvergeßliche Verdienste um die Linderung der Not der Kinder nach dem 2. Weltkrieg in Europa erworben hat und dem die Fortführung von UNICEF für die Hilfe in den Entwicklungsländern nach 1953 zu verdanken ist. Nach dem Tode von Maurice Pate am 10. Januar 1965 wurde Botschafter Henry Labouisse durch Generalsekretär U Thant zum Generaldirektor von UNICEF ernannt. Ihm unterstehen heute der Direktor des Europa-Büros in Genf sowie die Leiter von 38 Außenposten in allen Kontinenten. Zu Beginn der Tätigkeit von UNICEF galten die Hilfsmaßnahmen in Europa der Linderung der unmittelbaren Not. Milchpulver und vor allem Zucker, Medikamente, Kleidung und Schuhe wurden durch die Wohlfahrtsverbände in Deutschland verteilt. In den anderen europäischen Ländern verhielt sich die Situation ähnlich. Auf der Höhe des Einsatzes erhielten 6 Mio. Kinder in 12 Ländern eine Mahlzeit am Tage. 1948 begann UNICEF mit Hilfeleistungen für die Kinder der Palästina-Flüchtlinge, eine Aktion, die bis 1952 dauerte und dann von einem eigens für die arabischen Flüchtlinge gegründeten Spezialorgan übernommen wurde (-> Flüchtlinge).

UNICEF - Weltkinderhilfswerk der Vereinten Nationen

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Nachdem die größte Not in Europa abgeklungen war, faßte die Generalversammlung der Vereinten Nationen im Dezember 1950 den Beschluß (Res. 417 (V) vom 1.12.1950), das Schwergewicht der Tätigkeit auf die Hilfe an Kinder in wirtschaftlich unterentwickelten Ländern zu legen. Die Öffentlichkeit der Industriestaaten war inzwischen darüber unterrichtet, daß in den Entwicklungsländern unvorstellbare Not herrschte. Unter diesem Aspekt war die Tätigkeit von UNICEF nicht mehr umstritten. Die genannte Resolution der Generalversammlung enthielt den Zusatz, daß, falls sich die Arbeit von UNICEF bis zum Jahre 1953 bewähren sollte, UNICEF als ständiges Organ konstituiert würde. UNICEF hat diese Bewährungsprobe bestanden. Die Vereinten Nationen haben 1953 UNICEF in die Reihe der ständigen Spezialorgane eingegliedert. Der Name des Spezialorgans wurde gekürzt und lautete nunmehr United Nations Children's Fund, aber die in der Welt bekannte Abkürzung UNICEF blieb. An dem Verfahrensstatut, vor allem die freiwillige Finanzierung betreffend, hat sich nichts geändert. Zunächst wurde eine enge Zusammenarbeit von UNICEF mit Sonderorganisationen wie WHO, FAO und UNESCO eingeleitet. Forschungsaufträge wurden vergeben, um neue Einsichten in die Bedürfnisse von Kindern zu gewinnen. Die Bilanz der vorliegenden Berichte über unzureichende Ernährung, Krankheiten, Seuchen, Mangel an Ausbildungsmöglichkeiten ergab ein so erschütterndes Bild, daß die Generalversammlung am 20. November 1959 einen seit langer Zeit vorbereiteten Beschluß faßte und einstimmig die „Rechte des Kindes" proklamierte (Res. 1386 (XIV)). UNICEF wurde zum Träger der Verwirklichung dieser „Rechte des Kindes" auf internationaler Ebene bestimmt. Die Planungen für die Programme in den Entwicklungsländern gehen von rationellen Grundsätzen aus. Voraussetzung für die Durchführung eines Programms ist ein entsprechender Antrag der betreffenden Regierung an UNICEF und die Bereitschaft zur Mitfinanzierung. Das Empfängerland muß mindestens das Zweieinhalbfache der UNICEF-Hilfe aufbringen. Inzwischen untersützt UNICEF in 112 Ländern über 500 Hilfsprogramme. Die Arbeitsgebiete von UNICEF umfassen: 1. Gesundheitsdienst für Kinder und Mütter, 2. Erziehung und Ausbildung, 3. bessere Ernährung, 4. Katastrophenhilfe; ca. 45,5% des Gesamtetats gelten dem Gesundheitsdienst für Kinder und Mütter. Der größte Teil dieser Hilfe wird für die Verbesserung und Ausweitung der Netze sog. Gesundheitszentren aufgewendet. UNICEF hat beispielsweise bis 1974 22.000 Gesundheitszentren in 90 Ländern in Zusammenarbeit mit WHO errichtet und ausgestattet. Häufig sind Laboratorien und Krankenstationen angeschlossen. Die weitere Ausbreitung dieser Zentren und deren qualitative Leistungsfähigkeit sind aber eine Frage des Personals. Der Ausbildung von einheimischem Personal, vor allem von Hebammen und Krankenschwestern, mißt UNICEF deshalb größte Bedeutung zu. Über 21.000 Personen, hauptsächlich Frauen, wurden 1974 mit Hilfe von UNICEF für den Gesundheitsdienst aus- und weitergebildet (Report of the Executive Board 13.—24.5.1974, ESCOR (LVII) Suppl. 9). Für die Familienplanung wurden mit der WHO erstmals 1967 Richtlinien ausgearbeitet. UNICEFs Beitrag besteht darin, den Gesundheitszentren diese erweiterte Tätigkeit durch Lieferung von Material und Transportmitteln zu ermöglichen. Von ausschlaggebender Bedeutung für Gesundheit und Hygiene sind die Maßnahmen für Versorgung mit sauberem Wasser. UNICEF hat bis Anfang 1974 ein Frischwasserprogramm in 68 Ländern durchgeführt (Kosten 1973: 7,1 Mio. Dollar). In die Erziehungsprogramme begann UNICEF sich 1961 einzuschalten. Der Schwerpunkt liegt heute in der Reform der Schulprogramme, die bisher zu stark an diejenigen der Industrieländer angepaßt waren. Es gilt nunmehr, die Kinder mit Kenntnissen zu versehen, die über das Lesen, Schreiben und Rechnen hinaus von praktischem Nutzen sind (Landwirtschaft, Handwerk etc.). 1974 erhielten in 88 Ländern ca. 45.000 Lehrer Stipendien für den Besuch entsprechender Fortbildungskurse; 19 % des Budgets fließen in diese Aufgaben. Aufklärung und Erziehung zur richtigen Ernährung hat UNICEF veranlaßt, in Zusammenarbeit mit der FAO die Einrichtung von Ernährungszentren zu unterstützen. Die Förderung

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der Produktion neuer eiweißhaltiger Lebensmittel für Kleinkinder steht heute im Vordergrund seiner Bemühungen. Das erste mit UNICEF-Hilfe entwickelte Produkt „Superamine" enthält 20 % Eiweiß. Die Installation der ersten Superamine-Fabrik begann 1968 in Algerien. Die Katastrophenhilfe von UNICEF beschränkt sich grundsätzlich auf die Hilfe an Kindern. UNICEF springt nur dann ein, wenn zusätzliche Hilfe dringend erscheint. Der Anteil im Etat beträgt nicht mehr als 5 %. Die Finanzierung von UNICEF erfolgt auch heute noch auf freiwilliger Basis. Die Einnahmen, aus denen die Hilfsprogramme sowie der in äußersten Grenzen gehaltene Verwaltungsapparat von UNICEF bestritten werden, setzen sich aus Regierungsbeiträgen und Spenden sowie dem Erlös des Grußkartenverkaufs zusammen. 1947 betrug der UNICEF-Fond 84 Mio. Dollar. Darin enthalten waren Beiträge von 124 Regierungen. An der Spitze der Regierungsbeiträge stehen die USA (15,0 Mio. Dollar), ihnen folgen Schweden (11,2 Mio. Dollar), Norwegen (7,3 Mio. Dollar) und die Bundesrepublik Deutschland (7,1 Mio. Dollar). Abwertung und Verteuerung der Rohstoffe und Nahrungsmittel haben allerdings bewirkt, daß der tatsächliche Wert des Fonds gesunken ist. Außer den privaten Spenden ist ein wesentlicher Faktor im UNICEF-Budget der Erlös aus dem Grußkartenverkauf, dessen Netto-Einnahmen für 1974 ca. 8 Mio. Dollar betrugen. Dieser Erfolg ist ebenso wie die privaten Spendenaufkommen den derzeit 30 Nationalkomitees zu verdanken, die nach Beendigung der Hilfsaktionen in Europa gegründet wurden, um UNICEF bei seiner neuen Aufgabe in den Entwicklungsländern zu unterstützen. Diese Unterstützung, die heute weit über eine moralische Geste der Dankbarkeit für erwiesene Nachkriegshilfe hinausgeht, besteht in der Information der Öffentlichkeit über die Notstände bei Kindern in den Entwicklungsländern. Diese Information bedeutet die Grundlage fur den Grußkartenverkauf und die Spendenwerbung, mit der in jedem Jahr am Weltkindertag, dem 20. September, in 95 Ländern der Welt zur Hilfe aufgerufen wird. Die Arbeit der Nationalkomitees geschieht vorwiegend ehrenamtlich. Im Umsatz der Grußkarten liegt das Deutsche Komitee an zweiter Stelle hinter dem Komitee der USA. Grundsätzlich kauft UNICEF die Waren, die es für seine Hilfsprogramme benötigt, in den Ländern ein, in denen die Spenden aufgebracht werden. 1965 erhielt UNICEF den Friedensnobelpreis. Bei der Entgegennahme in Oslo sagte Generaldirektor Labouisse: „Der Friedensnobelpreis bedeutet eine Anerkennung der Tatsache, daß ein dauerhafter Frieden vom Wohlergehen der Kinder abhängig ist." Etta Gräfin Waldersee Verweise auf: Beitragssystem, Haushalt; Flüchtlinge; Nichtstaatliche Organisationen; Organisationssystem der Vereinten Nationen.

UNIDO — Organisation der Vereinten Nationen für industrielle Entwicklung Entstehung Die Institutionalisierung der Entwicklungshilfe auf dem industriellen Sektor innerhalb des Systems der Vereinten Nationen ist einem bis heute noch nicht abgeschlossenen Wandel unterworfen. In Ausfüllung der Zuständigkeiten der Vereinten Nationen für diesen Bereich gem. Art. 1 Ziff. 3, 55 und 56 schuf die Generalversammlung verschiedene aufeinander folgende Institutionen, die sich speziell mit den Problemen industrieller Entwicklungshilfe befaßten (-»• Entwicklungspolitik). Als Vorläufer der heute bestehenden UNIDO (United Nations In-

Struktur

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dustrial Development Organzation) mit Amtssitz in Wien gab es bereits seit 1956 in der Abteilung für Wirtschafts- und Sozialfragen des Sekretariats eine besondere Unterabteilung, die sog. Industries Section. Diese wurde 1961 in das Centre for Industrial Development (CID) überfuhrt (GA Res. 1712 (XVI) vom 19.12.1961). Am 17. November 1966 verabschiedete die Generalversammlung einstimmig die Resolution 2152 (XXI), durch die zum 1. Januar 1967 die UNIDO geschaffen wurde. Diese Resolution baisert im wesentlichen auf der Arbeit des Ad Hoc Committee on the United Nations Organzation for Industrial Development. Aufgaben, Ziele Dem neuen Spezialorgan (-> Organisationssystem der Vereinten Nationen) wurden weitergehende Aufgaben und Kompetenzen zugewiesen als dem von ihm abgelösten CID. Generell obliegt ihm die Förderung des Industrialisierungsprozesses in den Entwicklungsländern unter besonderer Berücksichtigung des Produktionssektors. Hierzu gehören ζ. B. die Erstellung von Industrialisierungsprogrammen für bestimmte Länder oder Regionen, Studien zur technischen und ökonomischen Durchführbarkeit von Projekten, Verbreitung und Anwendung neuer Technologien in Entwicklungsländern, Aufbau und Unterstützung landeseigener Institutionen für Planung, Technologie und Produktion, Trainingsprogramme, Entsendung von Experten, Errichtung von Musteranlagen sowie in gewissem Rahmen auch die Beschaffung finanzieller Mittel für einzelne Projekte. Ein zur Zeit besonders aktueller Sektor ist die Hilfeleistung bei der Rohstoffausbeutung und Aufbereitung, wobei das Schwergewicht auf der Errichtung von Verarbeitungskapazitäten in den Entwicklungsländern selbst liegt. Neben diesen beispielhaft angeführten operationellen Tätigkeiten obliegt der UNIDO die Koordination aller Aktivitäten auf dem Gebiet der industriellen Entwicklungshilfe im Gesamtrahmen der Vereinten Nationen. Diese für die Effektivität der gesamten Hilfe wichtige Aufgabe kann sie jedoch auf Grund des ausgeprägten Autonomiebewußtseins der übrigen in diesem Bereich tätigen Institutionen wie ζ. B. ILO und FAO nicht immer in dem erforderlichen Umfang erfüllen. Dieses Problem ist auch im Zusammenhang mit der Stellung der UNIDO im Gesamtsystem der Vereinten Nationen zu sehen, die durch ihren Status als Spezialorgan bestimmt ist. Diese Konstruktion steht in gewissem Widerspruch zu der in der Gründungsresolution postulierten Autonomie der UNIDO, deren Stärkung gerade von den Entwicklungsländern als wesentlicher Faktor für eine effektivere Arbeit betrachtet wird, mit der gegenwärtigen Organisationsform jedoch nicht vereinbar ist. Zudem ist diese Forderung in der Gründungsresolution lediglich als ein verbales Zugeständnis an diejenigen Staaten anzusehen, nämlich im wesentlichen die Entwicklungsländer, die von vornherein die UNIDO als ->• Sonderorganisation konzipieren wollten, was sich zur damaligen Zeit jedoch nicht durchsetzen Heß. Seither richtete sich ein ständiges Bemühen dieser Staaten, also der sog. Gruppe der 77, auf die Neugründung der UNIDO als Sonderorganisation. Struktur Zur Realisierung der vielseitigen und komplexen Aufgaben wurden in der Gründungsresolution ein Rat für Industrielle Entwicklung (Industrial Development Board, IDB), sowie ein Sekretariat geschaffen. Ein Plenarorgan ist infolge des Rechtscharakters der Institution nicht vorgesehen, doch hat die Generalversammlung zweimal eine sog. General Conference einberufen (für 1971 und 1975), was einer Mitgliederversammlung gleichkommt. Zu den Aufgaben und Befugnissen des IDB gehört in erster Linie die Bestimmung der Grundprinzipien und einzelnen Maßnahmen der UNIDO sowie die Formulierung eines entsprechenden Aktionsprogramms. Er überwacht die gesamten Aktivitäten des Spezialoigans, insbesondere die effektive Nutzung der zur Verfügung stehenden Mittel und fördert aktiv die

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U N I D O - Organisation d e r V e r e i n t e n N a t i o n e n

Koordinationstätigkeit. Er kann jederzeit von dem an der Spitze des Sekretariats stehenden Exekutivdirektor alle ihm erforderlich erscheinenden Informationen, Berichte und Studien verlangen, so daß eine umfassende Kontrollmöglichkeit gegeben ist. Darüber hinaus erstattet er auf dem Wege über den -> ECOSOC der Generalversammlung den jährlichen Tätigkeitsbericht der UNIDO. Der in der Regel einmal jährlich tagende IDB besteht aus 45 Mitgliedern, die von der Generalversammlung aus dem Kreis der von ihr als wählbar bezeichneten — insgesamt 149 (nach Res. 3401 (XXX) vom 28.11.1975) - Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen, der Sonderorganisationen und der IAEA auf drei Jahre gewählt werden, wobei sofortige Wiederwahl möglich ist. In diesem Zusammenhang wird deutlich, daß es in der UNIDO keine besondere Mitgliedschaft gibt, sondern auf Grund des Rechtscharakters als Spezialorgan Identität mit der Mitgliedschaft in den oben genannten Organisationen besteht. Die Verteilung der Sitze erfolgt nach dem für die gesamte Hauptorganisation maßgeblichen Prinzip angemessener geographischer Repräsentation. Um dies zu gewährleisten, ist ein Schlüssel vorgesehen, nach dem 18 Ratsmitglieder der sog. Gruppe A — afrikanische und asiatische Entwicklungsländer - , 15 Mitglieder der Gruppe Β — Marktwirtschaftsländer —, 7 der Gruppe C — lateinamerikanische Entwicklungsländer — sowie 5 Mitglieder der Gruppe D — Staatshandelsländer — angehören müssen. Jeder im IDB vertretene Staat entsendet einen Vertreter mit einer Stimme. Zu seiner Unterstützung hat sich der IDB 1972 einen Ständigen Ausschuß (Permanent Committee) geschaffen, der im wesentlichen in der Zeit zwischen den Sitzungsperioden gegenüber dem Sekretariat auf die Durchführung der Beschlüsse des IDB zu achten hat. Für die Erarbeitung langfristiger Konzeptionen unterhält dieser noch ein „Ad Hoc Committee on Long Range Strategy". Das Sekretariat ist mit Wirkung zum 1. Janaur 1976 neu geordnet worden, wobei die vorhandene Struktur zwar dem Charakter nach beibehalten, die bisher bestehende Gleichgewichtigkeit der einzelnen Abteilungen jedoch zugunsten einer relativ starken Kopflastigkeit aufgegeben wurde. Die Aufgaben des Sekretariats beinhalten die gesamte Planung, Durchführung und Kontrolle aller ope rationellen Tätigkeiten des Spezialorgans sowie Konferenzdienste, Forschungsaktivitäten und innere Verwaltung. Diese Aufgaben werden innerhalb des Sekretariats von fünf Abteilungen wahrgenommen: Division of Policy Co-Ordination, Division of Conference Services and Public Information, International Centre for Industrial Studies, Industrial Operations Division und Administrative Service Division. Die ersten beiden Abteilungen bilden das Office of the Executive Director. Eine Beurteilung der Funktionsbereiche und Kompetenzen läßt sich zwar aus der inneren Struktur der jeweiligen Abteilung bis zu einem gewissen Grade ablesen, doch wird die Praxis hier mit Sicherheit noch Änderungen bringen. Die Neustrukturierung des Sekretariats geht zurück auf die „Second General Conference" der UNIDO in Lima vom 12.—26. März 1975, die durch die Generalversammlung mit der Resolution 3087 (XXVIII) vom 6. Dezember 1973 einberufen worden war. Die dort verabschiedete „Lima Declaration and Plan of Action on Industrial Development and Co-Ordination" bildet auch die Grundlage fur die Bestrebungen zur Neugründung der UNIDO als Sonderorganisation, die 1966 gescheitert war. Die Mehrheit der teilnehmenden Staaten befürwortete die Neuordnung und legte gleichzeitig Einzelheiten für die künftige Organisationsstruktur fest. Die Staatshandelsländer machten jedoch später Vorbehalte. Auf der Basis der Konferenzbeschlüsse wurde ein Entwurf für die Statuten der neuen Organisation erarbeitet und der Generalversammlung in ihrer 7. Sondersitzung vorgelegt. Diese bestätigte die Neugründungsabsicht, setzte einen Gesamtausschuß für die Satzungsredation ein, der Mitte Januar 1976 in Wien erstmals tagte, und beschloß die Einberufung einer Gründungskonferenz für das letzte Quartal von 1976 (Res. 3362 (S-VII) vom 16.9.1975). Abgesehen von den durch den neuen Rechtscharakter der Organisation notwendig werdenden Änderungen, wie etwa der Schaffung einer „Konferenz" als Plenarorgan bringen die neuen Statuten in der gegenwärtigen Fassung erhebliche Neuerungen. Als Beispiel sei angeführt, daß die Zahl der

Würdigung

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Mitglieder des IDB auf 6 0 erhöht worden ist und daß diese von der Konferenz auf 4 Jahre gewählt werden. Die hierbei bisher vorgegebene Aufschlüsselung nach geographischen Gesichtspunkten wird aufgegeben zugunsten einer lediglich allgemein formulierten Verpflichtung zu gleichmäßiger Besetzung. Darüber hinaus sind die beabsichtigten Änderungen außerordentlich differenzierter Natur. Tätigkeit Die operationellen Aktivitäten, also die Tätigkeiten mit echter Außenwirkung, bestehen ζ. B. in der Anstellung einzelner Experten oder ganzer Teams zur Lösung spezieller Probleme in einzelnen Ländern oder Regionen. Unter besonderer Berücksichtigung exportorientierter Industrien gehören hierher etwa die Erstellung von Industrialisierungsplänen und PräInvestment-Studien, die Lösung akuter organisatorischer, technischer oder kaufmännischer Probleme einzelner Betriebe oder ganzer Industriezweige, Errichtung von Musterfabriken zu Schulungs- und Testzwecken sowie Trainingsprogramme in Produktionsanlagen entwickelter Länder (-* Entwicklungspolitik). Zur Verwirklichung ihrer Aufgaben standen der UNIDO 1974 44,1 (1975 geschätzt 49,7) Mio. Dollar zur Verfügung, die aus verschiedenen Quellen stammen. Auf Grund des Rechtscharakters des Spezialorgans werden die gesamten Kosten des Sekretariats aus dem regulären Haushalt der Vereinten Nationen bestritten (-> Beitragssystem, Haushalt), da die UNIDO keine Personalhoheit hat und es sich um reguläres Personal der Vereinten Nationen handelt. Es waren dies 16,8 (19,7) Mio. Dollar. Im Vergleich hierzu werden die operationellen Aktivitäten entweder aus freiwilligen Beiträgen der Mitglieder oder aus Mitteln des -> UNDP finanziert, für das die UNIDO als ausführende Institution tätig wird. Innerhalb der Gesamtsumme für operationeile Tätigkeiten von 23,9 (26,0) Mio. Dollar entfielen 1974 17,4 Mio. Dollar auf das UNDP, zugeteilt unter einem speziellen Länderschlüssel (Indicative Planning Figure). Die im Vergleich hierzu hoch anmutenden Kosten für den Sekretariatsapparat werden dadurch verständlich, daß auch diese Tätigkeiten zu einem großen Teil Außenwirkung entfalten bzw. die Grundlage für spätere operationeile Tätigkeiten bilden. Würdigung Die Arbeit der UNIDO, abgesehen von ihrer unumstrittenen Existenzberechtigung, wird von der ganz überwiegenden Zahl der Staaten als wesentlicher Beitrag zur Entwicklungshilfe nicht nur im Rahmen der Vereinten Nationen anerkannt. So sind die Bemühungen, die UNIDO in eme Sonderorganisation zu überführen, eher aus politischen Motiven entsprungen als aus der allgemein erklärten Absicht, eine Effektivitätssteigerung herbeiführen zu wollen. Dies erscheint nicht nur im Hinblick auf die schon erfolgte innere Reorganisation der Fall zu sein, sondern insbesondere hinsichtlich der äußeren Organisationsform. Es bieten sich keine hinreichenden Anhaltspunkte, daß die UNIDO als Sonderorganisation bessere Leistungen wird erbringen können, zumal sich der Umfang der finanziellen Mittel kaum ändern wird. Es wäre wohl besser gewesen, das Spezialorgan UNIDO mit größerem Handlungsspielraum bzw. weiteren Kompetenzen auszustatten. Dies gilt insbesondere für die Koordinationsaufgaben gegenüber den Sonderorganisationen und das Problem der ständigen Kompetenzkonflikte mit den daraus resultierenden unnötigen Parallelaktivitäten. Die Tatsache, daß bestimmte Ländergruppen wie z. B. die „Gruppe der 77" in immer stärkerem Umfange Eigeninteressen verfolgen, wird auch in der neuen UNIDO von der Sache her gebotene Entwicklungen nicht immer erleichtem. Die neue Organisationsform wird nicht in dem erwarteten Maße die alten Probleme lösen können.

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UNITAR - Ausbildungs- und Forschungsinstitut.

Literatur Ahooja-Patel: UNIDO, in: JWTL vol. 2 (1968) p. 474 Asher: International Agencies and Economic Development. An Overview, in: International Organization vol. 22 (1968) pp. 432 Kurth: UNIDO: eine neue Initiative zugunsten der Entwicklungsländer, in: E A 1969 S. 325 ders.: UN-Entwicklungssystem am Scheidewege, in: VN 1970 S. 80 ders.: Lima-Konferenz - Kein Konsensus, aber Abbau der Konfrontation, in: VN 1975 S. 74 Plasil-Wenger: UNIDO: Problem Child of the United Nations Family, in: JWTL vol. 8 (1974) p. 186 Karl-Heinz Moritz Verweise auf·. Beitragssystem, Haushalt; ECOSOC; Entwicklungspolitik; Organisationssystem der Vereinten Nationen; Sonderorganisationen; UNDP.

UNITAR — Ausbildungs- und Forschungsinstitut der Vereinten Nationen Entstehung des Instituts Grundlegende weltpolitische Veränderungen — das Abklingen des Kalten Krieges mit dem grundsätzlichen Wandel in den Beziehungen zwischen den USA und der UdSSR nach der Kuba-Krise und die einsetzende große Unabhängigkeitswelle in der Dritten Welt — rückten Ende der 50er Jahre mit Vehemenz den bis dahin weniger beachteten Teil der Zwillingsaufgabe der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und Art. 1, vor allem aber in Art. 55 der Charta formuliert ist, in den Mittelpunkt der Tätigkeit der Weltorganisation. In wiederholender Betonung des inneren Zusammenhanges von sozialem Fortschritt und besserem Lebensstandard in größerer Freiheit mit dem internationalen Frieden und der Sicherheit der Weltgemeinschaft beschloß die Generalversammlung in der Resolution 1710 (XVI) vom 19. Dezember 1961 die 1. Entwicklungsdekade. Damit wurde die Aufmerksamkeit auf einen Prozeß gelenkt, der inzwischen nicht nur in der 2. Entwicklungsdekade (GA Res. 2626 (XXV) vom 24.10.1970) eine formale Fortsetzung gefunden hat, sondern mittlerweile der Organisation der Vereinten Nationen in nahezu allen ihren Gremien eine instrumentale Funktion bei der inhaltlichen Umgestaltung der Weltordnung zuzuweisen scheint. Den positiven Motiven zu Beginn dieser Entwicklung ist die Errichtung von UNITAR (United Nations Institute for Training and Research) zu verdanken. In Erfüllung der ihm durch die Resolution 1710 (XVI) auferlegten entsprechenden Verpflichtungen legte der Generalsekretär in der 34. Sitzungsperiode des ECOSOC seinen Bericht über die 1. Entwicklungsdekade samt den von ihm erarbeiteten Aktionsvorschlägen vor (Doc. E/3613 — vgl. auch YUN 1962 p. 230 seq.). Besondere Beachtung fand sein Hinweis, welch außerordentliche Bedeutung für den Erfolg der Entwicklungsdekade das Vorhandensein fachlich höchstqualifizierten Personals sowohl innerhalb des Systems der Vereinten Nationen als auch ganz besonders in den Entwicklungsländern habe. Ein daraufhin spontan von den Niederlanden gemachtes Angebot, 3,6 Mio. Gulden (damals 1 Mio. Dollar) für die Errichtung eines Forschungsinstituts der Vereinten Nationen für Fragen der sozialen Entwicklung zur Verfügung zu stellen, wurde sofort von der Generalversammlung angenommen. Die Resolution 1827 (XVII) vom 18. Dezember 1962 betraute den Generalsekretär mit der Prüfung der Durchführbarkeit eines derartigen Instituts oder Forschungsprogramms unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen. Der ihm vorgegebene Rahmen sah eine Finanzie-

Stellung, Funktion und Organisation des Instituts

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rung des Projekts durch freiwillige öffentliche und private Beiträge vor und bestimmte das Tätigkeitsfeld des Instituts: Ausbildung von Personal insbesondere aus Entwicklungsländern, für Verwaltungs- und Sachaufgaben innerhalb der Vereinten Nationen und ihrer Spezialorgane, sowohl in den Zentralen als auch vor Ort, aber auch zur Tätigkeit im Dienst ihrer Heimatstaaten; sodann weiterführende Ausbildung für bereits derart tätiges Personal und schließlich diesbezüglich Forschungstätigkeit und Seminare. Der Generalsekretär legte daraufhin bereits sehr detaillierte Vorschläge sowohl für die Sacharbeit als auch die Organisation des Instituts vor (vgl. Doc. E/3780 vom 28.5.1963). Die Generalversammlung folgte diesen Vorschlägen und forderte in ihrer Resolution 1934 (XVIII) vom 11. Dezember 1963 den Generalsekretär auf, die notwendigen Schritte zur Gründung des Instituts einzuleiten. Es setzte zunächst ein intensives Bemühen um Spenden ein — damals wie heute stets von ermunternden Aufforderungen in Gestalt von Resolutionen der Generalversammlung und des ECOSOC an potentielle öffentliche und private Geber begleitet. Ende 1964 stellte die Rockefeiler Foundation die Mittel für den Erwerb des Institutsgebäudes zur Verfügung. Zum Zwecke der Besetzung des als Hauptorgan von UNITAR vorgesehenen Treuhändlerrates wurden Anfang 1965 in allen Teilen der Welt auf verschiedenen Fachgebieten Kontakte zu Persönlichkeiten von internationalem Ruf aufgenommen. Im März 1965 ernannte der Generalsekretär nach Konsultationen mit den Präsidenten der Generalversammlung und des ECOSOC 17 Persönlichkeiten für einen Zeitraum von zwei Jahren zu Mitgliedern des Treuhänderrates, im Juli 1965 noch ein 18. Mitglied. Eines dieser Mitglieder wurde zum Exekutivdirektor des Instituts bestellt und war damit nach den Organisationsvorschlägen neben dem Generalsekretär und den Präsidenten von Generalversammlung und ECOSOC ex officio Mitglied des Treuhänderrates. Beide Organe befaßten sich im weiteren Verlauf von 1965 mit den noch ausstehenden organisatorischen (Entwurf eines Statuts des Instituts, Entwurf einer Geschäftsordnung des Treuhänderrates) und sachlichen Vorbereitungsarbeiten. Zu diesem Zweck fand im Sommer 1965 das erste Treffen eines UNITAR-Beraterausschusses statt, der Vorschläge für das Ausbildungs-, weiterführende Ausbildungs- und Forschungsprogramm erarbeitete. Nach vorausgegangenen Auseinandersetzungen über die Frage des Vorrangs von Forschung oder Ausbildung kam man überein, beides in bestmöglicher Weise unter Ausrichtung auf die Probleme der praktischen Arbeit der Vereinten Nationen miteinander zu verbinden. Besondere Aufmerksamkeit wurde der Abgrenzung zu bereits bestehenden Instituten und Forschungsprojekten innerhalb des Systems der Vereinten Nationen gewidmet, um Überschneidungen und Doppelarbeit zu vermeiden. Diesem Zweck diente auch die Übertragung von drei bereits laufenden Ausbildungsprogrammen der Vereinten Nationen (Ausbildung von Angehörigen des Auswärtigen Dienstes gerade unabhängig gewordener Staaten; Techniken und Verfahren der technischen Hilfe; Entwicklungsfinanzierung) in die Kompetenzen von UNITAR. Mit der Bekanntmachung des UNITAR-Status durch den Generalsekretär im November 1965, der Konkretisierung der Personalplanung des Instituts im gleichen Monat und der Verfügbarkeit eines Spendenvermögens von bis dahin rd. 3,5 Mio. Dollar fand Ende 1965 die Aufbauphase des Instituts ihren Abschluß. Auf Grund der Resolution der Generalversammlung 2044 (XX) vom 8. Dezember 1965 hat der Exekutivdirektor jährlich der Generalversammlung u n d , soweit angebracht, auch dem ECOSOC über die Tätigkeit des Instituts zu berichten. Stellung, Funktion und Organisation des Instituts Art. I UNITAR-Statut bezeichnet UNITAR als eine autonome Institution (Spezialorgan) im System der Vereinten Nationen, die durch Ausführung der im Statut genannten Aufgaben die Wirksamkeit der Vereinten Nationen bei der Erreichung der wesentlichen Ziele der Organisation, insbesondere der Aufrechterhaltung von Frieden und Sicherheit und der Förderung der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung, erhöhen soll.

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Stellung, Funktion und Organisation des Instituts

Art. II UNITAR-Statut nennt als Aufgabe des Instituts Ausbildung und Forschung. Im übrigen beschränkt sich diese einzige mit der Funktion des Instituts befaßte Vorschrift auf zwei grundsätzlichen Anliegen (bevorzugte Ausbildung von Personen aus Entwicklungsländern, vorrangige Berücksichtigung der Belange der Vereinten Nationen), wodurch dem Institut in seiner Aufgabenerfüllung eine optimale Anpassung an die jeweiligen Erfordernisse ermöglicht ist. Bei der Organisation des UNITAR ist deshalb auch zu unterscheiden zwischen der weitgehend vom Statut geregelten Organisation des Instituts als solchem und der Organisation der eigentlichen Aufgabendurchfiihrung. Die Bestimmungen über die Organisation des Instituts sichern diesem in großem Maße sachliche Unabhängigkeit (die Mitglieder des Treuhänderrates gehören diesem nicht als Regierungsvertreter, sondern in persönlicher Eigenschaft an; bei dem Personal handelt es sich um internationale Beamte; finanzielle Zuwendungen dürfen nur angenommen werden, wenn sie nicht an bestimmte Zwecke gebunden oder aber ausschließlich zu solchen bestimmt sind, die mit denen des Instituts in Einklang stehen). Organe sind der Treuhänderrat (Art. III) und der Exekutivdirektor (Art. IV). Der Treuhänderrat kann bis zu 24 Mitglieder haben (am 31.12.1975: 22). Hinzukommen als Mitglieder kraft ihres Amtes der Generalsekretär, die Präsidenten von Generalversammlung und ECOSOC und der Exekutivdirektor des Instituts. Der Treuhänderrat formuliert die Grundsätze und Richtlinien fur die gesamte Institutstätigkeit, prüft und billigt Arbeitsprogramme, hat das Budgetrecht, entscheidet über die Zulassung von Teilnehmern zu den einzelnen Programmen und kann alle ihm für eine wirksame Institutstätigkeit erforderlich erscheinenden Empfehlungen aussprechen. Er wählt in geschlossenen Sitzungen einen Vorsitzenden, gibt sich eine Geschäftsordnung und tritt zur Wahrnehmung seiner Aufgaben jährlich mindestens einmal zusammen. Zur Erhöhung der Wirksamkeit seiner Arbeit wurden von ihm zwei mit eigenen Mitgliedern besetzte Ausschüsse gebildet: Der Verwaltungs- und Finanzausschuß, der hauptsächlich die finanzielle Durchführbarkeit der vom Exekutivdirektor ausgehenden Vorschläge für die Tätigkeit des Instituts im vorhinein überprüft, und der Forschungsausschuß mit der Funktion eines technischen Beratungsorgans bei der Überprüfung von Stand und Fortgang der Forschungsprogramme. Das zweite Organ, der Exekutivdirektor, wird nach Konsultationen mit dem Treuhänderrat vom Generalsekretär ernannt. Nach Rang und Bedingungen seines Dienstverhältnisses steht er einem Untergeneralsekretär gleich. Er trägt die Gesamtverantwortung für Organisation, Leitung und Verwaltung des Instituts, bei seinem Amt liegt die eigentliche Arbeitslast. Zur Erfüllung seiner Aufgaben steht ihm ein Mitarbeiterstab zur Verfügung, dessen Mitglieder von ihm ernannt werden und ihm verantwortlich sind. Es ist zwischen Stammpersonal und projekt- oder programmgebundenem Personal zu unterscheiden. Letzteres scheidet nach Durchführung des Projekts wieder aus. Wegen der häufigen Umorganisation schwankt der Umfang des Stammpersonals, lag bisher aber meist bei 60 (Ausbildungs- und Verwaltungspersonal). Diese erstaunlich niedrige Zahl läßt sich - abgesehen von der Kostspieligkeit verschiedener Projekte (man unterscheidet 3—5-jährige langfristige, wozu die meisten zählen, sodann kurzfristige und schließlich „katalytische" Forschungen) und den geringen, auf freiwilligen Zahlungen beruhenden Finanzmitteln — aus dem Selbstverständnis des UNITAR als Bindeglied zwischen dem System der Vereinten Nationen und der akademischen Welt erklären. Das Statut sieht in Art. VI als Mittel zur Erfüllung des Institutsauftrags ausdrücklich Kontakte zu außenstehenden, besonders qualifizierten Persönlichkeiten vor, die ad hoc als Gastlehrbeauftragte, (Sonder-) Berater, korrespondierende Mitglieder und als Mitglieder besonderer Beratungsgremien die Institutsarbeit von Fall zu Fall mittragen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang weiterhin die strikte Begrenzung auf den eigentlichen Aufgabenbereich des Instituts durch Koordinierung mit anderen Einrichtungen des Systems der Vereinten Nationen. Dem dient einmal die Bestimmung (Art. III Abs. 5), daß Spezialorgane und die IAEA bei Behandlung sie interessierender Fragen an Sitzungen des

Die praktische Tätigkeit des Instituts

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Treuhänderrates teilnehmen können, vor allem aber die in Ausführung von Art. VII inzwischen institutionalisierte jährliche Zusammenkunft des Exekutivdirektors mit den Direktoren von Nachbarinstituten aus dem Bereich der Vereinten Nationen. Zu diesen zählen: — African Institute for Economic Development and Planning — Asian Institute for Economic Development and Planning — Economic Development Institute of the IBRD — International Centre for Advanced Technical and Vocational Training — International Institute for Educational Planning — International Institute for Labour Studies — International Monetary Fund Institute — Latein American Institute for Economic and Social Planning — UN Research Institute for Social Development — UN Social Defence Research Institute Die praktische

Tätigkeit des

Instituts

Der organisatorische Rahmen für die eigentliche Sacharbeit wurde häufig verändert. Nach dem neuesten Stand (beschlossen auf der 13. Sitzung des Treuhänderrates, September 1974) sind vier Hauptabteilungen vorgesehen: — Ausbildung — Forschung — Zukunftsprojekt (Project on the Future) — Finanzen; Verwaltung Abgesehen von dem letztgenannten lassen sich zwischen den einzelnen Bereichen nicht immer klare Trennungslinien ziehen. Ausbildung: Die Ausbildungstätigkeit soll in erster Linie an wirklichen und erwiesenen Bedürfnissen orientiert sein, wobei auf größtmögliche Wirkung bei geringsten Kosten geachtet werden soll. Schwerpunkt soll in jedem Fall der Einsatz für die praktische Tätigkeit sein (zu den einzelnen Prinzipien vgl. Doc. A / 7 2 6 3 para. 2). Zielgruppe der Ausbildung sind daher: — Gegenwärtige und künftige internationale Beamte, mit Vorrang der im Bereich des Systems der Vereinten Nationen tätigen Personen; — Beamte des Auswärtigen Dienstes und andere mit internationalen Kontakten betraute nationale Beamte; — Personen aus dem akademischen Bereich und Ausbildungsinstitutionen, die wesentlich mit internationalen Beziehungen befaßt sind. Eine besondere Ausformung hat die Ausbildungstätigkeit in Gestalt des einzurichtenden UN Staff College als autonome Einheit innerhalb des UNITAR erhalten (Satzentwurf des College vgl. Doc. A/8714, annex II). Forschung: Die Hauptforschungsfelder lassen sich stark zusammengefaßt einteilen in: — Das sog. Zukunftsprojekt: Es wird mit Vorrang behandelt und bereits organisatorisch berücksichtigt; seine Gegenstände sind die Z u k u n f t der Vereinten Nationen, das Zukunftsstudium innerhalb der Vereinten Nationen und die Auswertung der Erfahrungen nationaler Planungen; — die Untersuchung von Struktur- und Verfahrensproblemen im System der Vereinten Nationen: Probleme der interorganisationellen Beziehungen u n d Koordinationsprobleme; — die friedliche Streitbeilegung: Instrumente und Verfahrensweisen; — die wirtschaftliche und soziale Entwicklung: die Gesamte Entwicklungshilfeproblematik, insbesondere Hilfe der Vereinten Nationen, Technologiettransfer und alle für das Institut einschlägigen Probleme des Komplexes „Neue Weltwirtschaftsordnung" entsprechend der Deklaration und dem Aktionsprogramm der 6. Sondersitzung der Generalversammlung;

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UNITAR - Ausbildungs- und Forschungsinstitut.

das Völkerrecht: Entwicklung des Völkerrechts durch die Vereinten Nationen, Menschenrechte.

Eine große Bedeutung kommt der publizistischen Verbreitung der gewonnenen Forschungsergebnisse zu. Zu diesem Zweck unterhält das UNITAR folgende Publikationsreihen (in Klammern Anzahl der jeweiligen Publikationen bis Ende 1974): -

UNITAR Research Reports (14) UNITAR Peaceful Settlement Series (8) UNITAR Studies (früher auch: Books oder nur Series — 12) Unitar Regional Studies (4) UNITAR Lecture Series (5) UNITAR Conference Reports (4) UNITAR Training Manuals (3) UNITAR Occasional Papers (1)

Zahlreiche weitere Aktivitäten des Instituts gelten Forschungs-, Aus- und Weiterbildungszwecken in gleichem Maße. Hierzu zählen vor allem Seminare, Kurse und die sogenannten UNITAR Weekends für Spitzenpersonal. Besondere Beachtung und Wirksamkeit erzielten Ausbildungsprogramme für Diplomaten, neue Delegierte bei den Vereinten Nationen („The making of a resolution") und in Ausführung der Resolution 2099 (XX) der Generalversammlung vom 20. Dezember 1965 Kurse im internationalen Recht (meist im Centre for Studies and Research in International Law and International Relations an der Haager Akademie für Internationales Recht; auch am Geneva Institute for International Studies; in jedem Fall unterstützt durch das UN Office for Legal Affairs). Ausbildungs- und Forschungstätigkeit ist jetzt in begrenztem Rahmen auch in den bisher auf Representations- und Verbindungsfunktionen in Europa beschränkt gewesenen UNITAR Office in Genf möglich. Schließlich werden vom Institut auch Stipendien vergeben (in früheren Jahren „observer fellowships" zur Förderung der Arbeit von Journalisten aus Entwicklungsländern im Hauptquartier der Vereinten Nationen und die Adlai E. Stevenson Memorial Fellowships; heute UN/UNITAR Fellowships für Studien im Bereich des internationalen Rechts). Das Institut muß bei der Durchführung seiner Aufgaben weitgehend auf andere Einrichtungen innerhalb, vor allem aber außerhalb der Vereinten Nationen zurückgreifen, da es außer einer Spezialbibliothek, die die Bestände der Dag Hammarskjöld Bibliothek im Hinblick auf die Bedürfnisse des UNITAR ergänzt, über keine nennenswerten Hilfsmittel verfügt. Es kann davon ausgegangen werden, daß nicht zuletzt aus diesem Grund bereits bis 1973 zu 350 Universitäten in 60 Ländern verschieden intensive Kontakte aufgenommen worden waren. Während UNITAR zu semer Aufgabenerfüllung auf diese externen Hilfsmittel also geradezu angewiesen ist, dürfte von der vollen Aufnahme der Tätigkeit der Universität der Vereinten Nationen (United Nations University, UNU) dagegen eine nicht unwesentliche einschränkende Auswirkung auf die Zukunft des Instituts zu erwarten sein. Gem. Art. 1 ihrer Satzung (vgl. Doc. A/9149/Add. 2) definiert sich diese als „eine internationale Gemeinschaft von Wissenschaftlern, die sich mit Forschung, Graduiertenausbildung und der Verbreitung von Wissen zur Förderung der Ziele und Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen befaßt". Das betrifft einen wesentlichen Teil der bisher von UNITAR betriebenen Forschungs- und Ausbildungstätigkeit. Diese wäre also noch stärker als bisher auf organisationsinterne praktische Probleme zu konzentrieren. Ob dann aber auch noch nach Abzug des dem Staff College zugedachten Aufgabenteils künftighin ein hinreichend breites Betätigungsfeld bleibt, auf das sich eine eigene Existenzberechtigung gründen läßt, muß bezweifelt werden. Da die UNU von freiwilligen Finanzbeiträgen genauso abhängt wie UNITAR, steht außerdem zu befürchten, daß sich beide Institutionen auch materiell zu einem gegenseitigen Bedrängnis

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Universalität

werden. Die Beitragsübersichten des UNITAR zeigen, daß viele Geberländer, insbesondere die sozialistischen, den eigenen Nutzen (Ausbildung und Training eigener Staatsangehöriger im Rahmen der verschiedenen UNITAR-Programme) zum Maßstab ihrer Beitragszahlungen machen — und der Nutzen des UNITAR wird mit der weiteren Entwicklung der neuen Institutionen offensichtlich abnehmen. Finanzielle Beiträge einiger öffentlicher und privater Spender und Anzahl der Teilnehmer aus den jeweiligen Staaten an UNITAR-Programmen (Stand bis 30.6.1974): Land / Stiftung

Bundesrepublik Deutschland DDR USA UdSSR Algerien Brasilien Rockefeiler Foundation Stiftung Volkswagenwerk

Beiträge (= Barbeiträge in Dollar, ohne Sachleistungen oder Zahlungen in nationaler Währung) bis 30.6.1971 1971 - 3 0 . 6 . 1 9 7 4 375.000 —

430.708 -

1.900.000 120.000 5.000 5.000

1.400.000 160.000 15.000 20.000

450.000

40.000

93.149

114.540

Veranstaltungsteilnehmer

7 6 22 15 14 15 -



Referenzdokumente: Das Statut des UNITAR findet sich in Doc. A/6875, annex III; letzte Änderung betr. Erhöhung der Mitgliederzahl des Treuhänderrates von 18 auf bis zu 24 in Doc. A/9014 para. 6; ursprünglicher Text in Doc. E/4200, annex I. Wolfgang Maneke

Universalität

Der Ausdruck Universalität bezeichnet den Zustand, daß alle Staaten der Welt an den internationalen Organisationen und multilateralen Verträgen universalen Zuschnitts mitgliedschaftlich beteiligt sind. Bestrebungen in dieser Richtung hat es bereits Mitte des 19. Jahrhunderts in den damals entstandenen internationalen Verwaltungsunionen und den nachfolgenden internationalen Organisationen mit technischer Zielsetzung gegeben, die sämtlich den Beitritt für alle Staaten offenhielten. Auch im -»• Völkerbund wurde eine möglichst umfassende Mitgliedschaft angestrebt. Dennoch gab es einzelne Staaten, deren Teilnahme von einem Großteil der Mitglieder verhindert wurde, oder die freiwillig außerhalb des Völkerbundes blieben. Das gleiche gilt für die unter den Auspizien des Völkerbundes abgeschlossenen multilateralen Verträge. Auch im Rahmen der Vereinten Nationen haben anfänglich die Großmächte ihnen unliebsame Bewerber ferngehalten. Heute jedoch gibt es nur noch wenige Staaten, die entweder freiwillig auf ihre Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen verzichten oder die sowohl zu

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Universalität

den allgemeinen multilateralen Verträgen als auch zu den Vereinten Nationen und deren -> Sonderorganisationen nicht zugelassen werden. Hiervon sind nach der gemeinsamen Aufnahme der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik im Herbst 1973 insbesondere die aus Teilungen hervorgegangenen Staaten Nord-Korea und Nord-Vietnam betroffen, während Süd-Korea und die Republik Vietnam zwar nicht den Vereinten Nationen selbst, aber fast allen Sonderorganisationen und multilateralen Verträgen beigetreten sind. Darüber hinaus sind in jüngster Zeit Südafrika (->• Südliches Afrika) und Israel von der Mitwirkung in den Vereinten Nationen bzw. in der UNESCO ferngehalten worden. Dieses Verhalten der internationalen Organisationen beruht hauptsächlich auf politischen Gründen. So war die jahrelange Nichtzulassung der DDR etwa zur WHO sachlich in keiner Weise zu rechtfertigen. Sie hatte ihren Grund ausschließlich in dem von den Westmächten unterstützten Alleinvertretungsanspruch der Bundesrepublik Deutschland gegenüber der DDR. Da die Sonderorganisationen regelmäßig eine Zweidrittelmehrheit für die Aufnahme neuer Staaten erfordern, konnte das westliche Lager auf Grund seines zahlenmäßigen Gewichts eine Zeit lang die Aufnahme nicht erwünschter Bewerber ablehnen. Auf diesen Beitrittsregelungen baut auch die sog. Wiener Formel auf, deren Hauptanwendungsgebiet die zahlreichen allgemeinen Übereinkommen sind und mit deren Hilfe der Beitritt von NordKorea, Nord-Vietnam und der DDR verhindert wurde (-» Mitgliedschaft). Ebenfalls politisch motiviert war das Veto der Volksrepublik China gegen die Mitgliedschaft von Bangla Desh in den Vereinten Nationen. Auch die bereits erwähnte Fernhaltung von Südafrika und Israel mag zwar rechtlich auf die Nichtbeachtung bestimmter Auflagen und somit auf ein angeblich grob vertragswidriges Verhalten dieser Staaten gestützt werden. Jedoch überwiegen politische Erwägungen: Isolierung des von Weißen beherrschten Südafrika durch die schwarzafrikanischen Länder einerseits, und andererseits Druck seitens der arabischen Staaten auf Israel, um es zu einem Nachgeben in der Palästina-Frage zu bewegen. Sowohl die Nichtzulassung als auch der Ausschluß von Staaten widersprechen dem schon auf der Konferenz von San Francisco gesteckten Ziel einer universellen Mitgliedschaft im gesamten Bereich der Vereinten Nationen (-»• Entstehungsgeschichte). Das schließt jedoch nicht aus, daß solche Maßnahmen einmal aus besonderen Gründen gerechtfertigt sein können (Art. 6). Das Streben nach Universalität in den Vereinten Nationen selbst wird auch nicht durch Art. 4 beeinträchtigt, der verschiedene Teilnahmevoraussetzungen enthält. Denn durch diese Regelung sollten ursprünglich nur die Achsenmächte des 2. Weltkrieges, nicht aber andere Staaten von einer Teilnahme femgehalten werden. Vielmehr spricht für eine universelle Teilnahme in den Vereinten Nationen, daß es dann wahrscheinlich einfacher ist, potentielle Friedensstörer innerhalb der Organisation an ihre Pflicht zur Aufrechterhaltung von Frieden und Sicherheit zu erinnern und die Gründung einer Gegenorganisation durch außerhalb der Vereinten Nationen stehende Staaten zu verhindern. Es ist aber nicht zu verkennen, daß die bloße Addition von Mitgliedstaaten nicht zur Stützung einer Organisation oder eines multilateralen Vertrags beiträgt, und daß die gemeinsame Teilnahme unter Umständen das gegenseitige Mißtrauen noch verstärken kann. Auch ist es fraglich, ob internationale Organisationen und multilaterale Verträge nur bei universeller Mitgliedschaft ihre bestmögliche Wirkung entfalten und gegen Diskriminierung und Willkür einzelner Staaten schützen können. Immerhin hat sich aber seit der Gründung der Vereinten Nationen gezeigt, daß die stete Änderung der weltpolitischen Situation den Ausbau eines universalen Systems begünstigt hat. Eine weitere Frage ist die, ob das Fernhalten einiger weniger Staaten von diesem System völkerrechtsgemäß ist. Hierdurch könnte nämlich gegen ein Prinzip verstoßen werden, das alle Staaten zur Teilnahme an den universalen internationalen Organisationen und Verträgen berechtigt. Für die Annahme eines solchen rechtlich verbindlichen Grundsatzes spricht das allgemeingültige Prinzip der souveränen Gleichheit der Staaten, auf Grund dessen allen Staaten gleiche Rechte und Pflichten gewährleistet sind (-»• Souveränität). Bezieht man es auf

Universalität

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die Frage der Mitgliedschaft in universalen Zusammenschlüssen, so müßte konsequenterweise allen Staaten das gleiche Recht auf Teilnahme gegeben sein. Bedenken hiergegen könnten allenfalls unter Hinweis auf damit zusammenhängende Probleme der Anerkennung sowie auf das Prinzip der Vertragsfreiheit und auf die Existenz von Beitrittsregelungen überhaupt geltend gemacht werden. Jedoch steht weder die fehlende Anerkennung einer Mitgliedschaft entgegen, noch führt die gemeinsame Mitgliedschaft zu einer von dem einen Vertragspartner nicht gewollten stillschweigenden Anerkennung (str.). Auch das Prinzip der Vertragsfreiheit, das in seiner überkommenen Ausgestaltung den Mitgliedstaaten die freie Wahl ihrer weiteren Vertragspartner einräumte, steht einem Universalitätsprinzip nicht unbedingt entgegen. Voraussetzung ist jedoch, daß dem Universalitätsprinzip, da es Ausdruck einer nahezu von allen Staaten verfochtenen Idee ist, gegenüber dem auf der früheren Auffassung von Souveränität als absoluter Machtflille beruhenden Prinzip der Vertragsfreiheit der Vorrang eingeräumt wird. Die Anerkennung eines Universalitätsprinzips wird schließlich auch nicht durch die Existenz von Teilnahmeklauseln berührt. Ihrem Inhalt nach halten sie nämlich allen Staaten den Beitritt offen. Entscheidend ist nur, daß sie im Sinne der erstrebten Universalität gehandhabt werden und kein Staat aus sachlich nicht zu vertretenden Gründen von der Teilnahme ausgeschlossen wird. Auf diesem Wege wäre auch der derzeitige Mangel an Universalität in internationalen Organisationen und Verträgen zu überwinden — was freilich nach wie vor von dem guten Willen der maßgebenden Staaten abhängt, da eine übernationale Institution zur Durchsetzung dieses Zieles nicht besteht. Die weiterhin gegebene Möglichkeit, Teilnahmeklauseln zum Nachteil einiger Staaten zu mißbrauchen, könnte grundlegend nur durch die allgemeine Einfuhrung der sog. All-Staaten-Klausel ausgeschlossen werden, die den Beitritt ausnahmslos für alle Staaten offenhält. Das gilt insbesondere für die universalen Übereinkommen, weil es für die dort nicht beteiligten Staaten andere Formen der Teilnahme als Zwischenlösung nicht gibt. Dagegen kann im Bereich der Vereinten Nationen — wozu auch die von den Vereinten Nationen einberufenen Staatenkonferenzen zur Ausarbeitung von Übereinkommen gehören — und bei den Sonderorganisationen bis zur endgültigen Zulassung eines Staates in der Weise geholfen werden, daß dem betroffenen Staat einstweilen der Status eines Beobachters gewährt wird. Die Zulassung als Beobachter dürfte aus dem Völkerrechtsprinzip der Universalität, zumindest aber aus dem legitimen Streben der Staaten und internationalen Organisationen nach Universalität begründet sein.

Literatur Broms: The doctrine of equality of states as applied in international organisations, Helsinki 1959 Czerwinski: Das Universitätsprinzip und die Mitgliedschaft in internationalen universalen Verträgen und Organisationen, Berlin 1974 Ninéié: The problem of sovereignty in the Charter and in the practice of the United Nations, The Hague 1970 Schirmer: Universalität völkerrechtlicher Verträge und internationaler Organisationen, (Ost-) Berlin 1966 Soder: Die Vereinten Nationen und die Nichtmitglieder — Zum Problem der Weltstaatenorganisation, Bonn 1956 Günter Czerwinski Verweise auf: Entstehungsgeschichte; Mitgliedschaft; Sonderorganisationen; Souveränität; Südliches Afrika; UNESCO; Völkerbund; WHO.

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UPU - Weltpostverein

UPU - Weltpostverein

Entstehungsgeschichte

und

Zielsetzung

Die UPU (Universal Postal Union) wurde am 9. Oktober 1874 gegründet. Auf Grund des Abkommens mit den Vereinten Nationen vom 4. Juli / 15. November 1947 (UNTS Bd. 19 Nr. 116) ist sie seit dem 1. Juli 1948 die -> Sonderorganisation für das Postwesen. Die Entstehung der UPU geht auf den am 9. Oktober 1874 auf einem Kongreß von 22 Staaten in Bern geschlossenen „Vertrag betreffend die Gründung eines Allgemeinen Postvereins" (RGBl. 1875 S. 223) zurück. Der Vertrag trat am 1. Juli 1875 in Kraft. Er regelte neben der Organisation des Allgemeinen Postvereins — wozu vor allem die Errichtung eines Internationalen Büros mit Sitz in Bern gehörte — nur den internationalen Briefdienst. Der Vertrag ist seitdem auf sechzehn weiteren Weltpostkongressen (zuletzt Wien 1964, Tokio 1969, Lausanne 1974) geändert und ergänzt worden. Der Weltpostverein, der seinen endgültigen Namen auf dem 2. Kongreß (Paris 1878) erhielt, hat seinen Tätigkeitsbereich sachlich und räumlich ständig ausgeweitet. Neben den Briefdienst traten Regelungen über Wertbriefe, Postanweisungen und Postpakete (Paris 1878/1880), Postaufträge (Lissabon 1885), Postzeitungen (Wien 1891), Postüberweisungen (Madrid 1920), Luftpostsendungen (Haag 1927), Postreiseschecks (Kairo 1934), Postnachnahmen (Paris 1947), Postsparkassen (Ottawa 1957). Mit 153 Mitgliedern (1975) ist die UPU die mitgliederstärkste Organisation im System der Vereinten Nationen. Die Mitgliedschaft steht jedem Mitglied der Vereinten Nationen und jedem anderen souveränen Land offen, dessen Aufnahmeantrag von mindestens zwei Dritteln der Mitglieder gebilligt wird (Art. 11 UPU-Satzung). Die Rechtsgundlage der UPU bilden die Verträge des Weltpostvereins, von denen die Satzung sowie die Allgemeine Verfahrensordnung die grundlegenden Organisations- und Verfahrensbestimmungen und der Weltpostvertrag sowie acht weitere Abkommen (einschließlich dazugehöriger Vollzugsordnungen) die technischen Bestimmungen über die einzelnen Postdienste enthalten. Satzung, Allgemeine Verfahrensordnung und Weltpostvertrag sind für alle Mitgliedsländer verbindlich, die übrigen Abkommen nur für die besonders beigetretenen Mitglieder. Seit dem 1. Januar 1976 gelten die Verträge in der Fassung des 17. Weltpostkongresses in Lausanne vom 5. Juli 1974 (BGBl. 1975 II S. 1513). Die Satzung bedarf der Ratifikation der Signatarländer; die Genehmigung der anderen Verträge regelt sich nach dem Verfassungsrecht jedes Signatarlandes. Da die Verträge auf unbestimmte Zeit geschlossen werden, gelten sie für ein Mitgliedsland jeweils so lange, bis dieses die Neufassung genehmigt hat. Gewohnheitsrechtlich hat sich allerdings herausgebildet, daß ein Mitgliedsland die Neufassung schon vom allgemein vorgesehenen Zeitpunkt des Inkrafttretens (de facto) anwendet, auch wenn es die Neufassung selbst noch nicht förmlich genehmigt hat. Aufgabe und Ziel der UPU bestehen in dem Aufbau und der Vervollkommnung der Postdienste sowie der Förderung der internationalen Zusammenarbeit auf diesem Gebiet. Die Mitgliedsländer bilden ein einheitliches Vereinsgebiet, in dem die Freiheit des Postdurchgangs gewährleistet ist. Der Verein beteiligt sich im Rahmen seiner Möglichkeiten an der von den Mitgliedern gewünschten technischen Hilfeleistung auf dem Gebiet des Postwesens (Art. 1 UPU-Satzung). Die Regelungen der einzelnen Postdienste finden sich im Weltpostvertrag (über Briefsendungen) sowie in acht weiteren Postabkommen (über Wertbriefe, Postpakete, Postanweisungen, Postreiseschecks, Postschecks, Postnachnahmen, Postaufträge, Postsparkassen, Zeitungen).

Organisation

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Organisation Die UPU besitzt sechs Organe, davon drei ständige (Art. 13 ff. Satzung, 101 ff. Allgemeine Verfahrensordnung). Oberstes Organ ist der Kongreß, der sich aus den Vertretern der Mitgliedsländer zusammensetzt und jeweils spätestens fünf Jahre nach Inkrafttreten der Verträge des vorhergehenden Kongresses zusammentreten soll. Seine Hauptaufgabe besteht in der Prüfung und Änderung der Weltpostverträge, die — bis auf die seit 1964 „permanente" Satzung - regelmäßig insgesamt neu gefaßt werden. Auf Antrag oder mit Zustimmung von mindestens zwei Dritteln der Postverwaltungen der Mitgliedsländer können Konferenzen zur ftüfung von Verwaltungsangelegenheiten (Verwaltungskonferenzen) einberufen werden. Bisher haben nur drei allgemeine Verwaltungskonferenzen (Bern 1876, Paris 1880, Haag 1927) und einige besondere Luftpostkonferenzen in den 30er Jahren stattgefunden. Der Kongreß oder eine Verwaltungskonferenz kann Sonderkommissionen mit der Untersuchung einer oder mehrerer bestimmter Fragen beauftragen. Auch von dieser Möglichkeit ist bisher nur selten Gebrauch gemacht worden. Zu den ständigen Organen zählt der Vollzugsrat (CE Conseil Exécutif; bis 1964: Vollzugs- und Verbindungskommission — Commission Exécutive et de Liaison — CEL), der jedoch grundsätzlich nur einmal jährlich am Vereinssitz in Bern zusammentritt. Er besteht nach den Verträgen von Lausanne aus 40 (bisher 31) vom Kongreß gewählten, fachlich qualifizierten Mitgliedern und soll zwischen zwei Kongressen die Fortführung der Arbeiten der UPU nach den Bestimmungen der Verträge gewährleisten. Der Vollzugsrat koordiniert und überwacht die Tätigkeiten der UPU, indem er insbesondere mit den Mitgliedsländern Verbindung aufnimmt, um den internationalen Postdienst zu vervollkommnen, und die beiden anderen ständigen Organe der UPU bei der Erfüllung ihrer Aufgaben anregt und kontrolliert. Zu den ständigen Organen gehört weiter der Konsultativrat für Poststudien (CCEP - Conseil Consultatif des Etudes Postales; bis 1969: Beratende Kommission für Poststudien — Commission Consultative des Etudes Postales — CCEP), obwohl auch er grundsätzlich nur zu jährlichen Tagungen am Sitz der UPU zusammentritt. Er besteht aus 35 (bisher 30) vom Kongreß gewählten, fachlich qualifizierten Mitgliedern und ist beauftragt, über technische, betriebliche und wirtschaftliche Fragen, die für den Postdienst von Interesse sind, Studien zu betreiben und Gutachten abzugeben. Das dritte und im eigentlichen Sinne ständige Organ ist das Internationale Büro des Weltpostvereins. Es dient der UPU als zentrale Verwaltungsstelle und den Postverwaltungen der Mitgliedsländer als Verbindungs-, Auskunfts- und Beratungsstelle. Das Internationale Büro wird von einem Generaldirektor geleitet. Dieser und der Vize-Generaldirektor werden auf Vorschlag der Mitgliedsländer vom Kongreß in geheimer Abstimmung für eine Amtsdauer von mindestens fünf Jahren zwischen zwei aufeinanderfolgenden Kongressen gewählt. Einmalige Wiederwahl ist zulässig. Die Finanzierung der UPU geschieht im wesentlichen durch Beiträge der Mitgliedsländer, ferner durch andere Einnahmen (ζ. B. aus Veröffentlichungen). Jedes Mitglied wird vom Kongreß in eine der sieben Beitragsklassen (zwischen 1 und 25 Einheiten) eingeordnet (ζ. B. Bundesrepublik Deutschland: 25). Die Verträge von Lausanne haben eine weitere Beitragsklasse (50 Einheiten) geschaffen und gestatten den Mitgliedern, in Zukunft - wie es bisher schon bei der ITU üblich ist — ihre Beitragsklassen selbst zu wählen. Der Wert einer Beitragseinheit errechnet sich aus der Teilung der Gesamtausgaben durch die Gesamtzahl der Beitragseinheiten unter Berücksichtigung der sonstigen Einnahmen. Für 1975 entsprach eine Beitragseinheit - bei insgesamt 1.013 Einheiten - dem Gegenwert vom 10.860 Schweizer Franken. Der Höchstbetrag der Ausgaben, der nur in bestimmten Ausnahmefällen überschritten werden darf, wird vom Kongreß festgelegt. Dabei wird unterschieden zwischen den jährlichen Ausgaben der UPU (Festlegung fur 1975: 8,832 Mio. Schweizer Franken; genehmigte Überschreitung: 2,796 Mio. Schweizer Franken) und auf den Zusammentritt des jeweils folgenden Kongresses entfallenden Ausgaben (für 1974: rund 0,797 Mio. Schweizer Franken). Auf Grund der historischen Entwicklung der UPU leistet die Regierung der

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UPU - Weltpostverein

Schweizerischen Eidgenossenschaft die notwendigen Vorschüsse und wacht darüber, daß die Kassen- und Haushaltsführung des Internationalen Büros nicht die vom Kongreß festgesetzten Beitragsgrenzen überschreiten (-» Beitragssystem, Haushalt). Tätigkeitsbereich Die Tätigkeit der UPU umfaßt im wesentlichen zwei „unpolitische" Bereiche: Förderung des Postverkehrs zwischen den Mitgliedsländern und posttechnische Hilfeleistung an Mitglieder. Ihr Hauptziel, den weltweiten ungehinderten Austausch von Postsendungen, sucht die UPU durch die Sicherung des freien Durchgangsverkehrs im gesamten Vereinsgebiet und durch die Vereinheitlichung der Grundlagen des internationalen Postdienstes zu erreichen. Der Verwirklichung dienen insbesondere die Unverletzlichkeit von Transitsendungen, die Vereinheitlichung von Gebühren und Transitkosten, die Vereinheitlichung der Gewichtseinheiten und -stufen, die Vereinheitlichung der Zahlungs- und Abrechnungsgrundsätze sowie der Ausgleich unterschiedlicher finanzieller Aufwendungen (UPU als „Clearing-Stelle"). Der einfache Grundsatz, wonach jede Postverwaltung die von ihr vereinnahmten Gebühren für Briefsendungen behält (Nichtteilungsgrundsatz), wurde auf dem Kongreß von Tokio (1969) allerdings dahin geändert, daß eine Verwaltung, die im Verkehr mit einer anderen Verwaltung mehr Briefsendungen erhält als absendet, einen Kostenausgleich verlangen kann (Art. 49 Weltpostvertrag). Der Kongreß von Lausanne (1974) hat eine Intensivierung der Luftpostbeförderung, eine erhöhte Sicherung gegen Brief- und Paketbomben und eine Förderung der Rolle der Post im internationalen Geldverkehr befürwortet. Die technische Hilfeleistung erfolgt auf drei Ebenen: Im Rahmen des -»• UNDP, durch einen Sonderfonds der UPU und durch bilaterale Leistungen zwischen den Mitgliedsländern. Die Programme sollen dazu beitragen, die Postdienste vor allem der weniger entwickelten Mitgliedsländer aufzubauen und zu vervollkommnen. Die Hilfeleistung besteht in der Ausbildung, der Vermittlung und dem Austausch von Fachkräften, in der Gewährung von Stipendien für die Berufsförderung sowie der Überlassung und Vermittlung von Informations- und Ausrüstungsmaterial. Die Finanzierung geschieht durch das UNDP oder durch freiwillige Beiträge der Mitgliedsländer. Im Jahre 1975 stand ein voraussichtliches Kreditvolumen von 2,453 Mio. Dollar aus UNDP-Mitteln und von 0,366 Mio. Schweizer Franken aus Sondermitteln der UPU zur Verfügung. Die Satzung der UPU läßt es zu, daß die Mitgliedsländer oder ihre Postverwaltungen „Engere Vereine" (z. B. Europäische Konferenz der Verwaltungen für Post- und Fernmeldewesen — CEPT — Conférence Européenne des Administrations des Postes et Télécommunications; Amerikanisch-Spanische Postunion — UPAE — Union Postale des Amériques et de l'Espagne) gründen oder besondere Vereinbarungen über den internationalen Postdienst treffen, sofern die Postbenutzer dadurch gegenüber den Bestimmungen der Weltpostverträge, denen ihre Länder beigetreten sind, nicht ungünstiger gestellt werden. Außer mit der Hauptorganisation der Vereinten Nationen unterhält die UPU Beziehungen mit anderen Sonderorganisationen (z. B. ICAO, ILO, ITU, WHO) und Internationalen Organisationen (neben den „Engeren Vereinen", z. B. IATA, ISO). Die technische Ausrichtung hat während des 100jährigen Bestehens der UPU eine sachliche und ständig wachsende Zusammenarbeit nahezu aller Staaten und Gebiete der Welt auf dem Bereich des Postwesens ermöglicht und gefördert. Als herausragendes Ergebnis läßt sich der fast ungehinderte Postverkehr, vor allem hinsichtlich der Briefpost, über die politischen Grenzen hinweg verzeichnen. Die Rolle der UPU ist deshalb insgesamt unumstritten.

Vertretung

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Literatur Chaubert: L'Union postale universelle, Bern 1970 Codding: The Universal Postal Union, New York 1964 Sasse: Der Weltpostverein, Frankfurt/M. 1959 Siegfried Magiera Verweise auf·. Beitragssystem, Haushalt; ITU; Sonderorganisationen; UNDP.

Vertretung Unter Vertretung versteht das Völkerrecht die Wahrnehmung von Rechten und Interessen eines Völkerrechtssubjektes durch eine physische Person. Als Völkerrechtssubjekte nehmen die Internationalen Organisationen am internationalen diplomatischen Verkehr teil. Sie genießen sowohl das aktive als auch das passive Gesandtschaftsrecht. Allerdings werden die Außenstellen der Vereinten Nationen, die deren Verbindungen mit einem Staat auf dessen Gebiet aufrechterhalten, nicht Botschaften, sondern Missionen genannt. Sie stehen unter der Leitung eines Bevollmächtigten. Voll vergleichbar mit den Aufgaben eines bei einem Staat akkreditierten Diplomaten sind auch die eines Vertreters eines Nichtmitgliedstaates oder einer Unabhängigkeitsbewegung im Zuge ihres Staatwerdens bei den Vereinten Nationen. Ein solcher Vertreter wird als Beobachter bezeichnet. Er kann als Zuhörer auf der Besuchergalerie an öffentlichen Sitzungen der Organisation teilnehmen, ihm werden die Dokumente der Organisation, soweit sie nicht vertraulich sind, zugeleitet, er kann durch schriftliches und mündliches Einschreiten bei Mitgliedern des Sekretariats und bei Vertretern der Mitgliedstaaten Entwicklungen in der Organisation zu beeinflussen suchen. Anders ist die Stellung der Vertreter der Mitgliedstaaten. Sie halten nicht nur von außen Verbindung mit den Organen der Organisation, sie sind selbst zugleich auch Mitglieder dieser Organe, die ja, abgesehen von den Mitgliedern des Sekretariats, zumeist (vgl. aber ILO und ICH) aus Vertretern der Mitgliedstaaten bestehen. Sie machen also den Willen ihres Heimatstaates auch in den Organen der Organisation geltend. Gem. Art. 105 Abs. 2 genießen die Vertreter der Mitglieder der Vereinten Nationen die Vonechte und Immunitäten, deren sie bedürfen, um ihre mit der Organisation zusammenhängenden Aufgaben in voller Unabhängigkeit wahrnehmen zu können. Nähere Regelungen enthält das Abkommen über Vorrechte und Befreiungen der Vereinten Nationen vom 13. Februar 1946 (UNTS Bd. 1 I Nr. 4). Gem. Resolution 257 A (III) vom 3. Dezember 1948 unterhalten die Mitgliedstaaten ständige Vertreter am Sitz der Vereinten Nationen. Der Lage bei den Vereinten Nationen entspricht diejenige bei den Sonderorganisationen. Dort ist die Rechtsstellung der Vertreter im Abkommen vom 21. November 1947 über Vorrechte und Befreiung der Sonderorganisationen (BGBl. 1954 II S. 339 - in der Fassung des BGBl. 1964 II S. 187) im wesentlichen gleichlautend geregelt. Ein gedeihliches Funktionieren einer Internationalen Organisation ist nur möglich, wenn jeder Vertreter eines Staates seinen Willen ungehindert von der Zwangsgewalt des Staates kundtun kann, in dem er im Rahmen der Organisation tätig wird oder mit ihr Verbindung hält. Gleichartige Notwendigkeiten haben dazu gefuhrt, daß Diplomaten und Konsuln im Aufnahmestaat Vorrechte und Befreiungen gewährt werden. Die Schwierigkeit für die Internationalen Organisationen liegt darin, daß diese über kein Staatsgebiet verfügen, auf dem sie aus eigenem Recht bei ihr akkreditierten Vertretern von Mitgliedstaaten und Nichtmitgliedstaaten diplomatische Vorrechte und Befreiungen gewähren könnten. Die erforderliche An-

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Vertretung

gleichung an die Stellung der Diplomaten umfaßt außer einer nach der Dienststellung des zur Vertretung gehörigen Personals abgestuften Freistellung von der Straf- und Zivilgerichtsbarkeit (jedenfalls für die dienstlichen, ζ. T. aber auch für die außerdienstlichen Handlungen) auch die Unverletzlichkeit des Gebäudes, den Schutz der Archive, den freien Nachrichtenund Geldverkehr, Steuer- und Zollfreiheit, Freistellung von der Sozialversicherungsgesetzgebung und von persönlichen Dienstpflichten, freie Ausreise in Krisenzeiten und ähnliches. Zwischen der Rechtsstellung der ständigen Vertreter bei der Organisation und deijenigen der „Delegierten", die zu einzelnen Sitzungen der Organe oder zu von der Organisation einberufenen Konferenzen als Vertreter entsandt werden, sollen nach der Konvention vom 14. März 1975 über die Vertretung von Staaten bei der Internationalen Organisationen nur unwesentliche Unterschiede bestehen. Den Delegierten wurde bisher Immunität nur für ihre dienstlichen Handlungen gewährt. Dies entspricht der Stellung, die den Vertretern der Vereinten Nationen und der Sonderorganisationen bei deren Tätigkeit als Mitglieder einer Mission der Vereinten Nationen auf Grund der oben erwähnten Abkommen über Vorrechte und Befreiung eingeräumt werden, es sei denn, daß ein Gastlandabkommen ihnen weitergehende Rechte gewährt. Zur Sicherheit der Rechte der bei ihnen akkreditierten Vertreter schließen Internationale Organisationen mit dem Sitzstaat meist ein Sitzabkommen ab, so die Vereinten Nationen mit den Staaten, in denen sie und ihre Zweigstellen ihren Sitz haben bzw. Konferenzen veranstalten. In diesen Abkommen verpflichtet sich der Sitzstaat, in Ergänzung der eingangs erwähnten Abkommen über Vorrechte und Befreiungen freien Zugang zu den Dienststellen der Organisation für alle zu gewähren, die dienstlich dort zu tun haben, und den Vertretern von Mitgliedstaaten und Nichtmitgliedstaaten die gleichen Vorrechte und Befreiungen wie ausländischen Diplomaten einzuräumen, selbst wenn sie Vertreter eines Staates sind, den der Sitzstaat nicht anerkennt oder mit dem er keine diplomatischen Beziehungen unterhält. Aus Ersparnisgründen betrauen insbesondere kleinere Staaten ihre diplomatischen oder konsularischen Vertretungen im Sitz- oder Konferenzstaat zusätzlich mit der Vertretung bei einer oder mehreren Internationalen Organisationen. Soweit die Vertretungen nicht ohnehin auch als diplomatische oder konsularische Vertreter ihres Staates im Sitzstaat akkreditiert sind, genießen sie als Vertreter bei der Internationalen Organisation die vom Sitzstaat eingeräumten Vorrechte und Befreiungen, die ζ. T. weiter gehen, als sie ihnen etwa in ihrer sonstigen Funktion als Konsul gewährt wurden. Der Sitzstaat ist dagegen nicht zur Gewährung von Vorrechten und Befreiungen an Beobachter verpflichtet. Er tut dies aber vielfach aus Courtoisie. Die von einer durch die Vereinten Nationen einberufenen Konferenz am 14. März 1975 beschlossene Wiener Konvention über die Vertretung von Staaten in deren Beziehungen mit Internationalen Organisationen weltweiten Charakters (Text in: AJIL vol. 69 (1975) p. 730) enthält so weitgehende Vorrechte für Staatenvertreter usw., daß diese Konvention für die Sitzstaaten unannehmbar ist. Um eine volle Redefreiheit der Vertreter sicherzustellen, können diese in keinem Mitgliedstaat, außer in ihrem Heimatstaat, wegen ihrer dienstlichen Äußerungen und Handlungen belangt werden, auch dann nicht, wenn sie nicht mehr Vertreter sind. Vorrechte und Befreiungen werden ihnen nicht zu ihrem persönlichen Vorteil gewährt, sondern zu dem Zweck, die unabhängige Wahrnehmung ihrer Aufgaben bei der Organisation sicherzustellen (§ 13 der Verordnung über die Gewährung von Vorrechten und Befreiungen an die Vereinten Nationen vom 16. Juni 1970, BGBl. 1970 II S. 669). Die Akkreditierung eines Vertreters muß von der Organisation auch dem Sitzstaat zur Kenntnis gebracht werden. Es ist in den Sitzabkommen vorgesehen, daß ein Vertreter, der gröblich gegen die Gesetze des Sitzstaates verstößt, abzuberufen ist. Nach dem Abkommen über Vorrechte und Befreiungen der Sonderorganisationen kann der Sitzstaat ihn sogar zur persona non grata erklären. Streitigkeiten aus den Sitzabkommen und aus Abkommen über Vorrechte und Befreiungen sollen schiedsgerichtlich geregelt werden. Alle bisher aufgetauchten Fälle wurden jedoch schließlich einvernehmlich beigelegt.

Völkerbund

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Literatur Beatus: Interessengruppen in internationalen Organisationen, Göttingen 1967 Cahier: Etude des accords de siège conclus entre les organisations internationales et les états où elles résident, Milano 1959 Erian: Relations between States and International Governmental Organisations, Yearbook of the International Law Commission 1967, p. 133 seq. Fennessy: The 1975 Vienna Convention on the Representation of States in their Relations with International Organizations of a Universal Character, in: AJIL vol. 70 (1976) p. 62 Feuer: Les aspects juridiques de l'assistance technique dans le cadre des Nations Unies et des institutions spécialisées, Paris 1957 Virally / Gerbet et al. (éd): Les missions permanentes auprès des organisations internationales, vol. 1,2,3 Bruxelles 1 9 7 1 - 7 5 Ignaz Seidl-Hohenveldern

Völkerbund En tstehungsgesch ich te Der Völkerbund war der erste große Versuch, eine umfassende Friedensordnung unter den Staaten auf der Grundlage der Zusammenarbeit und der Wahrung des Rechts zu errichten. Seine Gründung war bestimmt von der Erfahrung, daß die Überbetonung nationalstaatlichen Denkens und Handelns entscheidend zur Weltkriegskatastrophe 1914—1918 beigetragen habe. Es sollte eine neue politische Ordnung geschaffen werden, die die nationalen Souveränitätsrechte zugunsten der Staatenorganisation beschränkte. Das entscheidende Element dieser Ordnung war die Sicherung der politischen Unabhängigkeit und äußeren Sicherheit derjenigen Staaten, die sich im Völkerbund zusammenfanden, primär durch diesen Bund. Die Mitglieder mußten deshalb völkerrechtlichen Pflichten unterworfen werden, die kriegsverhütend wirken sollten und sie für den Fall des Konflikts auf den Weg der friedlichen Beilegung verwiesen. Mit Entwürfen für eine friedliche Weltordnung durch einen Zusammenschluß der Staaten sind bereits seit dem 14. Jahrhundert Einzelpersönlichkeiten hervorgetreten. So kam in mehr oder weniger starker Ausprägung immer wieder die Sehnsucht nach Einheit und Zusammenschluß der Völker zum Ausdruck. Ausgelöst durch die jeweiligen, wenn auch sehr unterschiedlichen Zeitumstände, z. B. die Kreuzzüge, die Türkenbedrohung, die europäischen Hegemonialbestrebungen haben P. Dubois (1306), der Böhmenkönig Georg Podebrad, E. Crucé (1623), der Herzog von Sully (1635), W. Penn (1692) und der Abbé St. Pierre (1712) Vorschläge zur Organisation eines Völkerbundes formuliert, vornehmlich zu der Frage, wie der Bund zu regieren und wie Streitigkeiten seiner Mitglieder zu schlichten seien: Besonders starken Widerhall fand der Entwurf St. Pierres, der auf der Grundlage des Friedens von Utrecht (1713) einen systematisch gegliederten Friedensplan entwickelt hatte, dessen entscheidendes Ziel die Erhaltung des status q u o war. Das Zeitalter der Aufklärung mit seinem Bild von dem Menschen als einem vernunftorientierten Wesen entwickelte den Gedanken, daß der Friede unter den Staaten das Produkt menschlicher Einsicht sei. Berühmt ist Kants „Entwurf zum ewigen Frieden", den er in der Form eines Vertrages abfaßte. Durch Parallelisierung des naturrechtlichen Anknüpfungspunktes vom Naturzustand der Menschen, der die staatliche Organisation erforderlich mache, mit dem Zusammenleben der Völker folgert Kant die Pflicht der Staaten zum internationalen Zusammenschluß. Da es im Naturzustand keinen dauernden Frieden gebe, ja sogar der

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stete Zwang zu intensiver Rüstung den Frieden noch drückender erscheinen lasse als den Krieg, entspreche die Errichtung eines Völkerbundes dem Gebot der moralisch-praktischen Vernunft. Kant sah im absoluten Sittengesetz, dem Naturrecht, die Grundlage einer internationalen Rechtsordnung. Deren unveränderliche Rechtsprinzipien galt es durch Kodifikation zu sichern, damit der ewige Friede als Voraussetzung des letztlich angestrebten Rechtszustandes verwirklicht werde. Kant gab der Völkerbundsbewegung entscheidende Impulse, nicht nur durch seinen Gedanken, den Frieden durch die Aufstellung rechtlicher Verhaltensregeln zu konstituieren, sondern vor allem durch die von ihm erreichte Verknüpfung des Friedensbegriffs mit dem der Freiheit, indem er das Recht zum Inbegriff der Selbstbestimmung erhob. Die im 19. Jahrhundert aufkommende Freihandelsbewegung zeigt denn auch in ihren Reihen entschiedene Pazifisten (ζ. B. Cobden und Bright). Die letztlich entscheidenden Anstöße erhielt der Völkeibundgedanke j e d o c h in den kriegerischen Auseinandersetzungen des vergangenen Jahrhunderts und den revolutionären Volksbewegungen, denen weder die restaurative Ordnung der Heiligen Allianz noch die sie ablösende hegemoniale Gleichgewichtsordnung des europäischen Konzerts gewachsen waren. Zahlreiche Friedensvereine und -gruppen in Amerika und etwas später auch in Europa warben für den Gedanken der Völkerverständigung, hielten Friedenskongresse ab und forderten die Schaffung eines Völkerbundes. Ein beispielloses Echo löste der 1888 erschienene Roman Bertha von Suttners „Die Waffen nieder" aus. Auch die teilweise gegebene Interessenidentität zwischen der internationalen Pazifismusbewegung und der internationalen Arbeiterbewegung trug wesentlich zur Verbreitung des Völkerbundgedankens bei. 1899 kam es auf Initiative Zar Nikolaus II. zur I. Haager Friedenskonferenz, auf der die Kriegsführung der Staaten erstmals einem völkerrechtlichen Reglement unterworfen wurde. Auf der II. Haager Friedenskonferenz 1907 wurden diese Regeln verbessert sowie ein Ständiger Schiedshof im Haag geschaffen, der die Möglichkeiten der Staaten für eine friedliche Streiterledigung erweiterte (->• Streitschlichtung). Aber erst Verlauf und Ausgang des 1. Weltkrieges haben die alte europäische Staatsordnung so stark diskreditiert, daß an eine Realisierung des Völkerbundgedankens gedacht werden konnte. Bereits während des Krieges entwarfen die nationalen Friedensgesellschaften in großer Zahl Völkerbundpläne. Der amerikanische Präsident griff den Gedanken auf und forderte in seiner programmatischen Rede zur Nachkriegsordnung vom 8. Januar 1918 („Wilsons 14 P u n k t e " ) : „ Eine allgemeine Staatenverbindung ist zu bilden unter besonderen Satzungen mit dem Zweck, großen und kleinen Staaten gleichermaßen gegenseitige Garantien ihrer politischen Unabhängigkeit und territorialen Unversehrtheit zu gewähren". Wilson erreichte 1919 auf der Pariser Friedenskonferenz, daß der Völkerbund zum integralen Bestandteil der zu schließenden Friedensverträge erklärt wurde. Auf der Grundlage seines Entwurfs, ergänzt durch britische und südafrikanische Vorschläge (Lord Cecil, Lord Philimore und General Smuts), hatte die von der Konferenz eingesetzte Völkerbundkommission einen Satzungsentwurf ausgearbeitet, den die Vollversammlung der Konferenzen am 2 8 . April 1919 annahm und zum Teil I aller Friedensverträge (Versailles, St. Germain, Trianon und Neuilly) machte ( R G B l . 1919 S. 7 1 7 ) . Die Abänderungsvorschläge der Mittelmächte, insbesondere von Deutschland und Österreich, blieben ebenso wie die der neutralen Staaten unberücksichtigt. Der Völkerbund, obgleich universal konzipiert, unterschied zwischen originären Mitgliedern und solchen, die nachträglich Aufnahme fanden. Zur ersten Gruppe gehörten die 32 Signatarstaaten der vier Friedensverträge (ausgenommen die vier unterlegenen Staaten) sowie 13 weitere, denen der vorbehaltlose Beitritt innerhalb von zwei Monaten nach Inkrafttreten der Verträge offen stand. Alle anderen Staaten, auch Dominions und Kolonien, konnten durch Beschluß einer Zweidrittelmehrheit der Bundesversammlung die Mitgliedschaft erwerben. Von den als originäre Mitglieder vorgesehenen Staaten haben die USA, Ecuador und der Hédjaz (heute ein Teil Saudi-Arabiens) die Verträge nicht ratifiziert und damit die Mitgliedschaft nicht angenommen. 21 Staaten haben später Aufnahme in den Völkerbund gefunden, darunter Deutschland 1926 und die Sowjetunion 1934.

Aufgaben

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Organisation Die beiden Hauptorgane des Völkerbundes waren der Rat und die Bundesversammlung. Im Rat erhielten wegen des Fernbleibens der USA nur vier der vorgesehenen fünf Großmächte (Frankreich, Großbritannien, Italien und Japan) einen ständigen Sitz. Die Verteilung der nichtständigen Ratssitze erfolgte jährlich durch die Bundesversammlung. Für das Deutsche Reich und die Sowjetunion wurden anläßlich ihrer Aufnahme in den Völkerbund ständige Ratssitze geschaffen. Auch die Zahl der nichtständigen Sitze wurde mehrmals erhöht: 1923 von vier auf sechs, 1926 auf neun und 1939 auf elf Sitze. In die Bundesversammlung entsandte jedes Mitglied drei Vertreter, verfügte aber ebenso wie die Ratsmitglieder nur über eine Stimme. Die Beschlüsse des Rates und der Bundesversammlung ergingen einstimmig, soweit nicht in der Satzung oder in den Friedensverträgen, in denen dem Völkerbund zahlreiche Aufgaben zugewiesen wurden, ein abweichendes Verfahren vorgeschrieben war. Grundsätzlich waren auch die Zuständigkeiten beider Organe nicht voneinander unterschieden: Rat und Bundesversammlung hatten sich mit jeder Frage zu befassen, die den Weltfrieden anging (Art. 3 Abs. 3, Art. 4 Abs. 5 Völkerbundsatzung). Diese konkurrierende Zuständigkeit wurde durch die Übung eingeschränkt, daß dem R a t als dem kleineren und häufiger tagenden Organ in der Regel die dringlichen Angelegenheiten vorgetragen wurden. Die Vorbereitung der Tagungen und die Ausführung der Beschlüsse des Völkerbundes oblagen dem ständigen Sekretariat in Genf, wo der Bund seinen Sitz hatte. Geleitet von einem Generalsekretär (zunächst der Engländer Sir D r u m m o n d , seit 1933 der Franzose Avenol) gliederte sich das Sekretariat entsprechend den Aufgaben des Völkerbundes in mehrere von Direktoren geleitete Abteilungen. Außerdem standen dem Generalsekretär zwei Stellvertreter, drei Untergeneralsekretäre und ein Rechtsberater zur Seite. Das Verwaltungspersonal rekrutierte sich vornehmlich aus dem Beamtenapparat der Mitgliedsländer, erhielt internationalen Status und genoß Vorrechte und Immunitäten der Diplomaten. Neben dem Generalsekretär bestanden Kommissionen, die je nach Bedeutung und Aktualität der zu regelnden Fragen als ständige oder nichtständige gebildet wurden, ζ. B. für Fragen des Opiumhandels, des Verkehrs, der Bekämpfung des Frauen- und Kinderhandels, der Rüstung. Hingegen waren die Internationale Arbeitsorganisation in Genf sowie der Ständige Internationale Gerichtshof im Haag, die zwar beide im Versailler Friedensvertrag vorgesehen waren, deren Gründung aber durch eigene Statuten erfolgte, keine Organe des Völkerbundes.

Aufgaben Vorrangige Aufgabe des Völkerbundes waren die Kriegsverhütung sowie die Gewährleistung von Frieden und Sicherheit (-> Friedenssicherung). Die Satzung des Völkerbundes verfolgte dieses Ziel auf zwei Wegen: I m Falle eines Streites, der zu einem „Bruch" führen konnte, hatten sich die Konfliktsparteien zunächst einem „cooling off'—Verfahren zu unterziehen, und zwar alternativ einem Schiedsverfahren, einem gerichtlichen Verfahren oder einem Untersuchungsverfahren durch den Rat, bevor sie frühestens nach neun Monaten, zum Kriege schreiten durften (Art. 12 Völkerbundsatzung). Die Frist setzte sich zusammen aus der Sechsmonatsfrist, innerhalb welcher der Rat seinen Bericht zu erstellen hatte, und der Stillhaltefrist von weiteren drei Monaten, die den Bundesmitgliedem auferlegt war. Für das Schieds- und das gerichtliche Entscheidungsverfahren war lediglich eine „vernünftige" Frist festgelegt worden. Einigten sich die Parteien auf ein Schieds- oder Gerichtsverfahren, so waren sie z u r Ausführung der Entscheidung verpflichtet. Gegen ein Bundesmitglied, das der Entscheidung Folge leistete, war dann ein Krieg unzulässig (Art. 13 Abs. 4 Völkerbundsatzung). Zogen es die Parteien vor, ihren Streit nicht vor ein Schieds- oder internationales Spruchgericht zu bringen, so hatten sie den Rat anzurufen, der sich seinerseits u m einen Ausgleich bemühte und

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Völkerbund

im Falle des Erfolges die Streitbeilegung feststellte (Art. 15 Abs. 1—3 Völkerbundsatzung). Kam es zu keiner Einigung vor dem Rat, so legte dieser einen Bericht vor und sprach Empfehlungen aus (Art. 15 Abs. 4 Völkerbundsatzung). Das Abstimmungsergebnis im Rat konnte dabei unterschiedliche Rechtswirkungen auslösen: Beschloß der Rat Bericht und Empfehlungen einstimmig - die Streitbetroffenen ausgenommen —, so führte die Annahme der Empfehlungen durch eine Partei bereits zu einem Kriegsverbot (Art. 15 Abs. 6 Völkerbundsatzung). Im Falle einer bloß mehrheitlichen Beschlußfassung des Rates hingegen gewannen die Streitparteien ihre Handlungsfreiheit zurück und konnten unter Einhaltung einer Frist von drei Monaten zum Kriege schreiten (Art. 15 Abs. 7 i. V. m. Art. 12 Abs. 1 Völkerbundsatzung). Im Falle eines Krieges oder einer Kriegsdrohung hatte der Rat auf Antrag eines, nicht notwendigerweise streitbetroffenen Bundesmitglieds (Art. 11 Völkerbundsatzung) oder von sich aus (Art. 4 Abs. 4 Völkerbundsatzung) zusammenzutreten und über entsprechende Maßnahmen zu beschließen. Das Eigeninitiativrecht hatte hierzu auf Grund der Doppelkompetenz auch die Bundesversammlung (Art. 3 Abs. 3 Völkerbundsatzung). Diese Bestimmungen wurden ergänzt durch Art. 10 Völkerbundsatzung, in dem sich die Bundesmitglieder den territorialen und politischen Status quo gegen „äußere Aggression" garantierten und sich für den Fall der eingetretenen oder der drohenden Aggression im voraus der Entscheidung des Rates unterwarfen. Das Rückgrat des Kriegsverhütungssystems (-> Kollektive Sicherheit) des Völkerbundes waren die -* Sanktionen, die Art. 16 Völkerbundsatzung gegenüber einem Bundesmitglied vorsah, das unter Verstoß gegen Art. 12, 13 oder 15 Völkerbundsatzung zum Krieg schritt. Auch gegenüber Nichtmitgliedern konnte unter der Voraussetzung der Kriegsgefahr das Sanktionssystem der Völkerbundsatzung zur Anwendung gelangen (Art. 17 Völkerbundsatzung). Es umfaßte die ganze Palette von Boykottmaßnahmen, die auf eine totale Wirtschaftsblockade zielten, sowie auf Empfehlung des Rates militärische Sanktionen. An den Sanktionen mußten sich alle Mitglieder beteiligen, wobei allerdings das Ausmaß der militärischen Hilfeleistungspflichten streitig blieb. Der Völkerbund hat nur in der Abessinienkrise von Art. 16 Völkerbundsatzung Gebrauch gemacht, als er gegenüber Italien ein Embargo verhängte. Die Sanktion verfehlte jedoch ihr Ziel, so daß es zu keinen weiteren Völkerbundsmaßnahmen mehr gekommen ist: Weder im japanisch-chinesischen Krieg, noch im Gran Chaco-Krieg, noch im finnisch-sowjetischen Krieg und in anderen Fällen sind Völkerbundsanktionen gegen den Aggressor ergriffen worden. Das Ergebnis war, daß der Völkerbund bei Ausbruch des 2. Weltkrieges praktisch zu bestehen aufgehört hatte. 1946 wurde er formell aufgelöst. Für das Scheitern des Völkerbundes bei der Bewältigung seiner Hauptaufgabe, der Friedenssicherung, waren mehrere Gründe maßgebend: Erstens bestand kein absolutes Kriegsverbot, und das ganze Spektrum der Gewaltaktionen unterhalb des Krieges (Repressalien, Interventionen, Blockaden, Selbsthilfeaktionen etc.) war vom Sanktionssystem des Völkerbundes nicht erfaßt. Zweitens erstreckten sich die Sanktionen nach Art. 16 Völkerbundsatzung nur auf den Fall des „Krieges" („resort to war"), und auch dann nur unter bestimmten Voraussetzungen, und die Durchführung der Sanktionen blieb weitgehend dem freien Ermessen der Bundesmitglieder überlassen. Andererseits setzten Sanktionen gegen einen „Aggressor" im Sinne von Art. 10 Völkerbundsatzung eine unbestrittene Angreiferdefinition voraus — ein Problem, um dessen Lösung der Völkerbund vergeblich rang. Drittens waren die nach „Völkerrecht" internen Angelegenheiten („domestic jurisdiction") und somit auch die friedensbedrohenden Bürgelkriege (ζ. B. in Spanien) vom Sanktionssystem ausgenommen (Art. 15 Abs. 8 Völkerbundsatzung). Viertens schien die Sicherheitsfrage untrennbar mit der Frage der Abrüstung (vgl. Art. 8 Völkerbundsatzung) verknüpft. Schließlich hat das Fernbleiben der USA, wie überhaupt die Tatsache, daß der Völkerbund zu keiner Zeit sämtliche der damaligen Großmächte gleichzeitig vereinte — die Sowjetunion wurde nach Deutschlands Austritt aufgenommen —, den Völkerbund niemals als universales Forum erscheinen lassen.

Völkerrecht

durch

Vereinte

Nationen

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Aus diesen Gründen konnten auch weder das verbesserte Streitbeilegungssystem des Genfer Protokolls von 1924 noch das in den Locarno-Verträgen von 1925 verankerte regionale Sicherheitssystem, noch der drei Jahre später in Paris geschlossene Kriegsächtungspakt (Briand-Kellogg-Pakt), obgleich letzterem fast alle Staaten beitragen, den Zusammenbruch des Völkerbundes verhindern. Das hemmungslose Revisionsstreben auf Seiten der Verlierer und das status quo-Denken auf Seiten der Sieger des 1. Weltkrieges haben gleichfalls den Untergang des Völkerbundes beschleunigt. Dennoch blieb dem Völkerbund nicht jeder Erfolg versagt. Im Sekundärbereich der Friedenssicherung, im Bereich der krisenvorbeugenden und der humanitären wie der sozialen Tätigkeiten, hat der Völkerbund Beachtliches geleistet. Die wirtschaftliche Aufbauhilfe für Österreich, die Heimführung der Kriegsgefangenen, der Schutz und die Sorge u m Tausende russischer, armenischer und griechischer Flüchtlinge (Arbeitsbeschaffungsprogramm, „Nansenpaß"), die vertraglichen Regelungen zum internationalen Frauen- und Kinderschutz, zur Verbesserung des zwischenstaatlichen Verkehrs und vieles mehr stellen eindrucksvolle Erfolge dar, die bis heute nachwirken. Auch der verantwortliche Einsatz des Völkerbundes für die Durchführung der Minderheitenschutzbedingungen der Pariser Verträge sind ihm durchweg als Erfolg anzurechnen. Das Mandatssystem (->· Mandatsgebiete) des Völkerbundes ist Vorbild für das Treuhandsystem (-> Treuhandrat) der Charta der Vereinten Nationen geworden. Zu nennen sind auch die Vorarbeiten für eine Kodifizierung des Völkerrechts (Seerecht, Vertragsrecht, Diplomatenrecht), die von den Vereinten Nationen mit Erfolg weitergeführt wurden. Der Völkerbund muß deshalb trotz aller Mißerfolge als der erste Schritt zur Einigung der Völker angesehen werden, ohne den die Organisation der Vereinten Nationen in ihrer heutigen Gestalt nicht denkbar wäre.

Literatur Guggenheim: Der Völkerbund, Leipzig / Berlin 1932 Pollock: The League of Nations, 2nd ed., London 1922 Ray: Commentaire du pacte de la Société des Nations selon la politique et la jurisprudence des organes de la Société, Paris 1930 Redsloh: Théorie de la Société des Nations, Paris 1927 Schücking / Wehberg: Die Satzung des Völkerbundes, 1. Bd., 3. Aufl., Berlin 1931 Scott: The Rise and Fall of the League of Nations, London 1973 Walters: A History of the League of Nations, 2 vols., London / New York / Toronto 1952 Yepes / da Silva: Commentaire du pacte de la Société des Nations, 3 vols., Paris 1934, 1935, 1939 Hermann Weber Verweise auf: Friedenssicherung; Kollektive Sicherheit; Mandatsgebiete; Sanktionen; Streitschlichtung; Treuhandrat.

Völkerrecht durch Vereinte Nationen Begriff und Ziele der

Völkerrechtsentwicklung

Das Völkerrecht ist weithin noch Gewohnheitsrecht (vgl. Art. 38 Abs. 1 b IGH-Statut) und damit unsicheres, weil ungeschriebenes Recht. Unsicherheit besteht auch über den Inhalt der allgemeinen Rechtsgrundsätze im Sinne des Art. 38 Abs. 1 c IGH-Statut, weil sie als solche nirgends fixiert sind. Soweit das Völkerrecht in bilateralen und multilateralen Verträgen

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Völkerrecht durch Vereinte Nationen

niedergelegt ist (Art. 38 Abs. 1 a IGH-Statut) fehlt ihm die systematische Ordnung; es ist zersplittert und seine Tragweite je nach Inhalt und Zahl der an den Verträgen beteiligten Völkerrechtssubjekte sehr unterschiedlich. Schließlich kann der derzeitige Bestand des Völkerrechts — im Umfang des Art. 38 IGH-Statut — unbefriedigend sein, sei es daß das Völkerrecht fur bestimmte Sachverhalte keine Vorschriften bereithält und die daraus folgende Handlungsfreiheit der Völkerrechtssubjekte nicht tragbar erscheint, sei es, daß Vorschriften bestehen, aber für reformbedürftig gehalten werden. Der Versuch, hier Abhilfe zu schaffen, kann sich erstens darauf beschränken, die Methoden und Mittel, durch die die Existenz ungeschriebenen Rechtes bewiesen wird, zu erleichtern und zu verfeinern. Zweitens können die angedeuteten Unvollkommenheiten des Völkerrechts durch Bestandsaufnahmen, die das geltende Völkerrecht schriftlich fixieren, und durch Vereinheitlichung zersplitterter und unübersichtlicher Regeln ausgeräumt werden. Drittens können neue Regeln des Völkerrechts geschaffen werden. Alle diese Maßnahmen sollen unter dem Oberbegriff Völkerrechtsentwicklung zusammengefaßt werden. Sie zielen darauf ab, den Herrschaftsbereich des Völkerrechts dadurch zu befestigen oder auszuweiten, daß sie zu größerer Klarheit, Einheit und Übersichtlichkeit des Völkerrechts und dadurch zur Beseitigung von Konfliktsmöglichkeiten und damit allgemein zur Festigung des Friedens in der Völkergemeinschaft führen.

Überblick über die Arten der Völkerrechtsentwicklung in den Vereinten Nationen Bereits in der Präambel (Erwägung über die Menschenrechte und über die Bedingungen der Gerechtigkeit und Achtung des Völkerrechts) und in der Zielbestimmung des Art. 1 (freundschaftliche Beziehungen und internationale Zusammenarbeit) ist angedeutet, daß die Vereinten Nationen sich der Völkerrechtsentwicklung annehmen wollen und sollen. An dieser Entwicklung haben die verschiedenen Organe der Vereinten Nationen in unterschiedlicher Weise Anteil. Keines der Organe hat allerdings eine Legislativgewalt, kraft deren es mit unmittelbarer Bindungswirkung für die Mitgliedstaaten völkerrechtliche Normen setzen könnte. Entsprechende Vorschläge, der Generalversammlung eine Rechtsetzungsbefugnis einzuräumen, haben sich auf der Konferenz von San Franzisco nicht durchgesetzt (vgl. UNCIO III, p. 536, Doc. 2/G 14 (k); ferner ebenda p. 404, 427 Doc. 2/G 7 (p); p. 243 Doc. 2/G 7 (e); IX, p. 70). Daher können die Organe der Vereinten Nationen nur die ihnen jeweils zugewiesenen Kompetenzen und Instrumente einsetzen, um das Völkerrecht un definierten Sinne zu entwickeln. Hierbei ergibt sich insbesondere für die Generalversammlung die zusätzliche Schwierigkeit, daß sie durch ihre Beschlüsse regelmäßig nicht das Verhalten der Mitgliedstaaten und anderer Völkerrechtssubjekte binden kann. Trotz der danach zunächst eng begrenzt erscheinenden Möglichkeiten, das Völkerrecht zu entwickeln, können die einzelnen Organe, praktisch gesehen, erhebliche Beiträge zur Völkerrechtsentwicklung leisten. Zur Völkerrechtsentwicklung kraft Auftrages tragen die Vereinten Nationen bei, soweit ihren Organen diese Entwicklung in der Charta zur speziellen Aufgabe gemacht ist. Die -> Generalversammlung soll Untersuchungen anstellen und Empfehlungen geben, um die fortschreitende Entwicklung des Völkerrechts und seine Kodifikation zu fördern (Art. 13 Abs. 1 a). In derselben Weise soll die Anerkennung der Menschenrechte und fundamentalen Freiheiten unterstützt werden (Art. 13 Abs. 1 b). Der ECOSOC kann Empfehlungen zur Achtung und Verwirklichung der Menschenrechte und Grundfreiheiten geben (Art. 62 Abs. 2), ferner im Rahmen seines Zuständigkeitsbereichs Vertragsentwürfe ausarbeiten und der Generalversammlung vorlegen (Art. 62 Abs. 3) sowie internationale Konferenzen nach den von den Vereinten Nationen festgelegten Regeln einberufen (Art. 63 Abs. 4). Diese Befugnisse können teils unmittelbar, teils mittelbar zur Entwicklung des Völkerrechts eingesetzt werden und sind auch in der Praxis als solche eingesetzt worden. Das Sekretariat wirkt an der Entwicklung des Völkerrechts direkt durch Ausarbeitung von Vertragsentwürfen auf Ersuchen anderer Organe der Vereinten Nationen (Grundlage Art. 98)

Aufträge zur Völkerrechtsentwicklung in der Charta

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und indirekt durch die Registrierung internationaler Verträge, an denen ein Mitgliedstaat der Vereinten Nationen beteiligt ist, mit (Art. 102). Die vorstehend zitierten Bestimmungen der Charta deuten darauf hin, daß die Vereinten Nationen in der Völkerrechtsentwicklung auf „Untersuchungen", „Empfehlungen", die Ausarbeitung von Vertragsentwürfen und auf die Registrierung von Verträgen beschränkt sind. Die Praxis zeigt indessen, daß die politischen Organe der Vereinten Nationen, vor allem die Generalversammlung, durch „Resolutionen" und „Deklarationen" auch sehr viel intensiver, rechtlich jedoch schwerer faßbar auf die Entwicklung des Völkerrechts Einfluß nehmen (-»• Resolution, Erklärung, Beschluß). Schließlich sind im Rahmen der Völkerrechtsentwicklung die Organe der Vereinten Nationen zu erwähnen, die vorwiegend als Rechtsanwendungsorgane völkerrechtliche Bestimmungen präzisieren oder auf ihre Beachtung durch die Mitgliedstaaten hinwirken und dadurch den Bestand und Herrschaftsbereich des Völkerrechts sichern. Da sie das Völkerrecht nicht im eigentlichen definierten Sinne „entwickeln", werden sie hier nur kurz betrachtet. Hierher gehört zunächst der Sicherheitsrat. Hervorzuheben ist insbesondere seine Befugnis, im Rahmen der friedlichen Erledigung von Streitigkeiten zwischen Mitgliedstaaten darauf hinzuwirken, daß die Streitigkeiten nach völkerrechtlichen Grundsätzen abgewickelt werden (Art. 33 Abs. 2, 3 6 - 3 8 ) (-* Streitschlichtung). Des weiteren ist der -»• IGH in diesem Zusammenhang zu nennen. Seine Entscheidungen und Gutachten sind wichtige Hilfsmittel zur Ermittlung des geltenden Völkerrechts (vgl. Art. 38 Abs. 1 IGH-Statut). Der Judikatur des Gerichtshofes ist vor allem die Präzisierung des Gewohnheitsrechts und der allgemeinen Rechtsgrundsätze zu verdanken.

Aufträge zur Völkerrechtsentwicklung

in der Charta

Die in Art. 13 Abs. 1 a erwähnte Aufgabe der Kodifikation und Entwicklung des Völkerrechts ist ein besonders hervorgehobener Anwendungsfall der in Art. 11 angesprochenen allgemeinen Prinzipien der Zusammenarbeit bei der Aufrechterhaltung des Friedens und der Sicherheit (so schon das Memorandum des Sekretariats vom 27.2.1948, Doc. A/AC.18/33). Damit wird der gedankliche Zusammenhang der Völkerrechtsentwicklung mit der Friedenssicherung deutlich. Art. 13 Abs. 1 a grenzt — wenig überzeugend und oft kritisiert — die Kodifikation des Völkerrechts von dessen Entwicklung ab (Vorgeschichte und Diskussion um diese Bestimmung in: AJIL vol. 42 (1948) p. 66; Year Book of World Affairs (1948) p. 237). Unter Kodifikation wird die Bestandsaufnahme und Systematisierung des geltenden Völkerrechts, unter Entwicklung die Etablierung neuer Völkerrechtsregeln verstanden. Die Praxis zeigt, daß ein Konsens darüber, ob eine Regel des Völkerrechts bereits besteht oder „neu" ist, allenfalls über Grundregeln allgemeinster Art zu erzielen ist. Die Grenzen zwischen Kodifikation und Neuschöpfung sind auch und gerade im Völkerrecht fließend. Bemerkenswert ist, daß die Charta zwischen Völkerrechtsentwicklung nach Art. 13 Abs. 1 a und der nicht als solcher bezeichneten Völkerrechtsentwicklung in wirtschaftlich-sozialen Fragen einschließlich der Menschenrechte unter dem Gesichtspunkt von Aufgabe und Zuständigkeit unterscheidet (vgl. Art. 13 Abs. 1 a einerseits, 13 Abs. 1 b, 62 Abs. 2, 62 Abs. 3 andererseits). Die Völkerrechtsentwicklung steht im System der Charta demnach nicht nur mit der klassischen Aufgabe der Friedenssicherung, sondern auch im gedanklichen Zusammenhang mit der Förderung der sozialen und wirtschaftlichen Wohlfahrt der Welt. Bei der Verwirklichung der Arbeiten zur Kodifikation und Entwicklung des Völkerrechts bedienen sich die Organe der Vereinten Nationen verschiedener organisatorischer und instrumentaler Methoden. Generalversammlung und ECOSOC setzen für die Vorarbeiten Nebenorgane ein.

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Völkerrecht durch Vereinte Nationen

Im Bereich der Generalversammlung sind hier namentlich zu erwähnen: Die International Law Commission (Völkerrechtskommission), die als ständiges Nebenorgan speziell für die Kodifikation und Völkerrechtsentwicklung im Sinne des Art. 13 Abs. 1 a eingesetzt wurde, und der 6. Ausschuß (Rechtsausschuß) der Generalversammlung; ferner die Sonderausschüsse für Weltraumrecht, für Entkolonialisierung, für die Definition des Begriffes Aggression und für die Prinzipien des Völkerrechts betreffend die freundschaftlichen Beziehungen und die Zusammenarbeit zwischen den Staaten (-* Ausschußsystem). Mit der Völkerrechtsentwicklung in den sozialen und wirtschaftlichen Fragen befassen sich besonders die -»• UNCTAD und die Commission on International Trade Law (GA Res. 2102 (XX) vom 20.12.1965), deren Aufgabe die Förderung des internationalen Handelsrechts ist. Aus dem Bereich des ECOSOC ist vor allem die Kommission für Menschen rechte zu nennen. Das Sekretariat leistet bei der Kodifikation und Entwicklung des Völkerrechts durch die Zusammenstellung von Völkerrechtstexten, Materialien und die Ausarbeitung von Vertragsentwürfen der Generalversammlung und dem ECOSOC Hilfestellung (Beispiele in: ZaöRV 1968 S. 629 Fn. 47). Die von Nebenorganen erstellten Vorarbeiten zur Kodifikation und Völkerrechtsentwicklung können nach ihrer Behandlung in der Generalversammlung und im ECOSOC unterschiedliche Rechtswirkungen auslösen: Die Abschlußberichte der Kommissionen und Ausschüsse werden auf deren Vorschlag in der Generalversammlung, nachdem sie publiziert worden sind (vgl. Art. 23 Abs. 1 a Satzung der Völkerrechtskommission), lediglich zur Kenntnis genommen. Ihnen kann in diesem Falle wie auch dann, wenn die Generalversammlung den Bericht in einer Resolution (vgl. Art. 23 Abs. 1 b Satzung der Völkerrechtskommission) annimmt, im Einzelfalle die Bedeutung einer beweiserleichternden deklaratorischen Feststellung geltenden Völkerrechts zukommen. Die ->• Generalversammlung und (im Zusammenhang mit ihr) der ECOSOC (Art. 62 Abs. 3—4) können Staatenkonferenzen mit dem Ziel des Abschlusses eines internationalen Vertrages einberufen. Auf der Staatenkonferenz legt die Generalversammlung einen von ihr oder dem ECOSOC mit Unterstützung der Nebenorgane ausgearbeiteten Vertragsentwurf vor. Der endgültige Vertragstext wird jedoch erst auf der Konferenz von den Staaten festgelegt. Bindend und damit Völkerrecht erzeugend wird der Vertrag nach den üblichen Regeln des Völkerrechts. Die Organe leisten bei diesem Verfahren der Völkerrechtskodifikation und -entwicklung vorwiegend durch die Vorarbeiten sowie ihren organisatorischen und institutionellen Apparat Hilfe. Wichtige Beispiele sind die (alle auf Entwürfe der International Law Commission zurückgehenden) vier Genfer Seerechtskonventionen vom 29. April 1958 (UN Conference on the Law of the Sea, OR vol. II p. 132 seq.) (-* Seerecht); die Wiener Konventionen über diplomatische und konsularische Beziehungen vom 18. April 1961 und 24. April 1963 (BGBl. 1964 II S. 959; BGBl. 1969 II S. 1585) sowie die Wiener Konvention über das Völkervertragsrecht vom 23. Mai 1969 (UNJY 1969 p. 140 seq.) (->· Abkommen, Verträge). Stärker ist die Mitwirkung der Vereinten Nationen an der Kodifikation und Völkerrechtsentwicklung, wenn die Generalversammlung den im Rahmen der Vereinten Nationen ausgearbeiteten Entwurf eines völkerrechtlichen Vertrages in einer Entschließung annimmt und dann die Staaten zur Unterzeichnung und Ratifizierung des von ihr beschlossenen Vertragstextes auffordert. Auch hier wird das Völkerrecht nicht schon durch die Resolution der Generalversammlung geschaffen, sondern durch die Unterzeichnung und Ratifizierung des von der Generalversammlung festgelegten Vertragsentwurfs. Die Vereinten Nationen haben jedoch auf den Inhalt des Vertrages den ausschlaggebenden Einfluß, während der Einfluß der Mitgliedstaaten im wesentlichen auf die Mitarbeit an den Vorarbeiten und an der Entschließung beschränkt bleibt. Als Beispiele seien erwähnt: Die (auf Vorarbeiten des -* ECOSOC und der Menschenrechtskommission zurückgehenden) Konventionen, die Individual· und Gruppenrechte statuieren, z. B. die Völkermordkonvention (Res. 260 A (III)

Völkerrechtsentwicklung durch Organbeschlüsse

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vom 9 . 1 2 . 1 9 4 8 ) ; die Menschenrechtspakte vom 16. Dezember 1966 (Res. 2 2 0 0 ( X X I ) vom 1 6 . 1 2 . 1 9 6 6 ) (-»• Menschenrechte) und der Vertrag über die Grundsätze der Tätigkeiten von Staaten bei der Erforschung und Nutzung des Weltraums einschließlich des Mondes und anderer Himmelskörper vom 2 7 . Januar 1 9 6 7 ( B G B l . 1969 II S . 1 9 6 7 , - Vorarbeiten: Weltraumausschuß) (-»• Weltraumrecht), Vertrag über die Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen (Res. 2 3 7 3 ( X X I I ) vom 1 2 . 6 . 1 9 6 8 - Vorarbeiten Abrüstungsausschuß ( ^ ABC-Waffen; Abrüstung).

Völkerrechtsentwicklung durch Organbeschlüsse Die Generalversammlung nimmt abgesehen von den bisher erwähnten, durch Untersuchungen und Empfehlungen im Sinne des Art. 13 ohne weiteres gedeckten Maßnahmen zur Förderung der Kodifikation und Entwicklung des Völkerrechts in weitem Umfange auch das Recht in Anspruch, in Resolutionen, insbesondere in ihrer feierlichen F o r m , der Deklaration, auf die Entwicklung des Völkerrechts einzuwirken. Auch andere politische Organe der Vereinten Nationen haben an dieser durch Beschlüsse bewirkten und zum Teil aus dem Rahmen spezieller Aufträge herausfallenden Völkerrechtsentwicklung Anteil (-»• Resolution, Erklärung, Beschluß). Die politischen Organe der Vereinten Nationen können Resolutionen und Deklarationen beschließen, die die Ziele und Grundsätze der Charta im Wege der Interpretation näher präzisieren bzw. entfalten. Hierbei kann unterschieden werden zwischen Beschlüssen, die das Organisationsrecht der Charta interpretativ näher ausformen, und solchen, die materiellrechtliche Aufgaben- und Handlungsbestimmungen der Charta interpretativ konkretisieren. Zur ersten Gruppe kann man die Uniting for Peace-Resolution der Generalversammlung (Res. 377 ( V ) vom 3 . 1 1 . 1 9 5 0 ) rechnen. In ihr hat sich die Generalversammlung das R e c h t zugesprochen, den Mitgliedstaaten kollektive Maßnahmen einschließlich des Einsatzes militärischer Mittel für den Fall zu empfehlen, daß der Sicherheitsrat infolge der Uneinigkeit seiner ständigen Mitglieder nicht in der Lage ist, bei Friedensbedrohungen und -brüchen oder Aggressionsakten seine primäre Verantwortlichkeit für die Aufrechterhaltung des Friedens und der Sicherheit auszuüben. Die Resolution kann als Interpretationsbeschluß im Hinblick auf Art. 1 0 , 1 1 und 14 gedeutet werden. Zur zweiten Gruppe kann man beispielsweise die Deklaration der Generalversammlung über die Gewährung der Unabhängigkeit an Kolonialländer und -Völker (Res. 1 5 1 4 ( X V ) vom 1 4 . 1 2 . 1 9 6 0 ) rechnen, wenn man sie wie die kleineren Länder Afrikas, Asiens und Lateinamerikas als Interpretation der Art. 1 Abs. 2 , 5 5 (-»• Selbstbestimmungsrecht; Entkolonialisierung) ansieht, ferner die Deklaration der Generalversammlung über die Beseitigung aller Formen von Rassendiskriminierung (Res. 1 9 0 4 ( X V I I I ) vom 2 0 . 1 1 . 1 9 6 3 ) , wenn sie eine zulässige Interpretation von Art. 1 Abs. 3 , 1 3 Abs. 1 b , 55, 5 6 , 6 2 ist (-»· Rassendiskriminierung). Durch ihre Existenz allein können diese interpretierenden Resolutionen und Deklarationen aus mehreren Gründen nicht rechtserzeugend wirken. Interpretation ist wesensmäßig Konkretisierung bereits geltenden Rechtes. Interpretationsbeschlüsse zur Charta können also nur präzisieren, was nach der Charta bereits rechtens ist. Zur Völkerrechtsentwicklung, nämlich zur Präzisierung und Verdeutlichung der Chartabestimmungen, tragen Interpretationsbeschlüsse nur in dem Maße bei, in dem Interpretationen der Charta seitens der Organe der Vereinten Nationen für die Mitgliedstaaten ebenso bindend werden wie die ausdrücklichen Bestimmungen der Charta selbst. Eine derartige Bindungswirkung ist nicht anerkannt. Zwar können die Interpretationsbeschlüsse der Organe j e nach den Mehrheiten, mit denen sie zustande gekommen sind (ζ. B. die Erklärung über die Rassendiskriminierung einstimmig, dagegen die Erklärung über die koloniale Unabhängigkeit mit 9 0 Ja-Stimmen und Enthaltung von 9 Delegationen), als autoritative Interpretation der Charta angesehen werden. Sie stellen

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Völkerrecht durch Vereinte Nationen

j e d o c h keine authentische Interpretation dar. Die Befugnis zur bindenden authentischen Interpretation k o m m t nur dem Urheber der Charta, mithin den Mitgliedstaaten zu. Bindungswirkung erlangen die Interpretationsbeschlüsse der Organe aber dann, wenn sie als Konkretisierung des bindenden Chartarechts von den Staaten mit den Mehrheiten des Art. 1 0 9 Abs. 2 für allgemein akzeptabel gehalten werden ( n o c h immer grundlegend die Erklärung des IV/2-Ausschusses der Konferenz von San Franzisco, UNCIO D o c . 9 3 3 I V / 2 / 4 2 ( 2 ) p. 7—8) (-> Revision der Charta). In den drei zitierten Beispielsfállen war bereits umstritten, ob die Resolution bzw. Deklaration überhaupt als Interpretation der Charta anzusehen waren. V o n einer allgemein akzeptablen Interpretation k o n n t e deshalb nicht die R e d e sein. Das zeigt, daß bindende Interpretationsbeschlüsse selten sein werden, weil die Grenzen zwischen Interpretation und Rechtsschöpfung fließend sind. Es ist aber möglich, daß Interpretationsbeschlüsse nicht als solche, sondern als Gewohnheitsrecht akzeptiert werden, das sich durch die Organbeschlüsse der Vereinten Nationen und die darauf folgende einheitliche Praxis der Staaten oder der Organe der Vereinten Nationen bildet. A u f diese Weise ist die Uniting for Peace-Resolution seit der Suezkrise von 1 9 5 6 bindend geworden. Politische Organe der Vereinten Nationen, in denen die Mitgliedstaaten in Diskussionen, Abstimmungen und Beschlüssen zusammenwirken, k o m m e n als F o r u m für die Ermittlung des jeweiligen Bestandes und für die Bildung neuen Völkergewohnheitsrechts in B e t r a c h t . Die mitgliedstaatliche Zusammenarbeit wirkt beweiserleichternd für die Existenz von Staatengewohnheitsrecht insoweit, als die Mitgliedstaaten vor allem in der Generalversammlung und im Sicherheitsrat in konzentrierter F o r m die bestehende allgemeine Staatenpraxis und damit ein wesentliches Element des Gewohnheitsrechts zum Ausdruck bringen (vgl. Art. 3 8 Abs. 1 b IGH-Statut und G A O R 5th Sess. Suppl. No. 12, p. 8 - D o c . A / 1 3 1 6 (1950)). Die Generalversammlung kann sich über Fragen des Völkergewohnheitsrechts äußern, die in ihren Zuständigkeitsbereich fallen, und auf diese Weise die Existenz eines bestimmten Gewohnheitsrechts deklaratorisch feststellen, u m jeden Zweifel darüber zu beseitigen. Hierbei wird es sich j e d o c h u m verhältnismäßig seltene Fälle handeln^ Berühmtes und immer wieder zitiertes, j e d o c h negatives Beispiel ist die Resolution 9 5 ( I ) vom 11. D e z e m b e r 1 9 4 6 , in der die vom internationalen Nürnberger Militärtribunal angewandten Rechtsgrundsätze einstimmig als Völkergewohnheitsrecht „ b e s t ä t i g t " wurden. Nach richtiger Auffassung bestand 1 9 4 6 n o c h kein bestätigungsfähiges Gewohnheitsrecht. Auch von der Erklärung der Generalversammlung über die ständige Souveränität über natürliche Ressourcen vom 14. D e z e m b e r 1 9 6 2 ( R e s . 1 8 0 3 ( X V I I ) ) ist behauptet worden, daß sie zum größten Teil bestehendes Gewohnheitsrecht wieder aufgegriffen haben. E b e n s o hat die Generalversammlung ihre Deklaration über die Prinzipien des Völkerrechts betreffend die freundschaftlichen Beziehungen und die Zusammenarbeit zwischen den S t a a t e n vom 2 4 . O k t o b e r 1 9 7 0 ( R e s . 2 6 2 5 ( X X V ) ) als Grundprinzipien des Völkerrechts bezeichnet. D a ß derartige ganz oder teilweise deklaratorische Resolutionen selten sein werden, liegt daran, daß gerade bei einer Fixierung des Gewohnheitsrechtes die Grenze zwischen schon bestehendem, noch im F l u ß befindlichem, und wünschenswertem R e c h t flüssig ist. Durch ihre Resolutionen und Deklarationen geben die Organe der Vereinten Nationen wichtige Anstöße für die Bildung neuen Gewohnheitsrechtes, wenn die Staaten diese Resolutionen und Deklarationen zur Grundlage ihrer ständigen Praxis machen, und wenn diese Praxis von der Überzeugung der Staaten, rechtlich geboten zu sein, getragen ist. Als Beispiel solcher „Initialbeschlüsse" können die Deklarationen der Generalversammlung über die Erforschung und Nutzung des Weltraumes vom 2 0 . Dezember 1 9 6 1 ( R e s . 1 7 2 1 ( X V I ) ) und vom 13. Dezember 1 9 6 3 ( R e s . 1 9 6 2 ( X V I I I ) ) genannt werden ( - * Weltraumrecht). Zweifelhaft ist, ob Resolutionen und Deklarationen der Vereinten Nationen auch dadurch zum Gewohnheitsrecht werden k ö n n e n , daß sie zur Grundlage einer ständigen Praxis der Vereinten Nationen mit Rechtsbindungswillen gemacht werden. Hier wird es darauf a n k o m m e n , ob das rechtserzeugende Verhalten der Vereinten Nationen einem allgemeinen Konsens ent-

Würdigung

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spricht. Insbesondere ist zu prüfen, mit welchen Mehrheiten die Organbeschlüsse zustande gekommen sind, welche Staaten den Beschlüssen nicht zugestimmt haben, und welche Motivationen den jeweiligen Beschlüssen zu Grunde lagen. Keinesfalls kann jeder Beschluß als Ausdruck eines Rechtsbindungswillens der Abstimmenden verstanden werden. Allgemein läßt sich sagen, daß das angesprochene Problem noch wenig erforscht und deshalb große Vorsicht in der Annahme einer Gewohnheitsrechtsbildung durch die Vereinten Nationen selbst geboten ist. Von der erwähnten Erklärung über die Beseitigung der Rassendiskriminierung ist behauptet worden, sie habe die gewohnheitsrechtliche Praxis der Vereinten Nationen niedergelegt. Es gibt aber zu denken, daß die Generalversammlung durch Resolution vom 21. Dezember 1965 (Res. 2106 (XX)) noch eine internationale Konvention über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung zur Staatenunterzeichnung aufgelegt hat (->· Rassendiskriminierung). Offenbar wurde die gewohnheitsrechtliche Bindung für zweifelhaft erachtet, wie überhaupt der Umstand, daß im Anschluß an Organbeschlüsse noch Konventionen für erforderlich gehalten werden, ein Indiz dafür ist, daß die Beschlüsse kein bindendes Recht enthalten. Beschlüsse der politischen Organe der Vereinten Nationen können auch dann, wenn sie nicht auf eine der vorgeschriebenen Weisen bindendes Völkerrecht geworden sind, für die Völkerrechtsentwicklung bedeutsam sein — dann nämlich, wenn sie als allgemein akzeptiertes rechtspolitisches Programm, als Rechtsstandard, der baldmöglichst erreicht werden soll, verabschiedet werden. In diesem Sinne wirken sie einmal als politische Pression auf die Mitgliedstaaten, zum anderen können sie Vorbild für internationale Verträge werden, die den Inhalt der Beschlüsse übernehmen und so zum bindenden Recht für die Vertragsstaaten machen. Als Beispiel derartiger Beschlüsse ist die allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948 (Res. 217 (III)) zu erwähnen, die u. a. als Grundlage für die Europäische Menschenrechtskonvention gedient hat und von der Weltöffentlichkeit bei Verletzung von Menschenrechten immer wieder als — freilich nicht verbindliche — Schutzcharta angeführt wird (-»• Menschenrechte). Ein weiteres Beispiel stellt die schon erwähnte Deklaration über die Gewährung der Unabhängigkeit an Kolonialländer dar. Die Registrierung internationaler Verträge Zur Entwicklung des Völkerrechts im Rahmen der Vereinten Nationen trägt auch die in Art. 102 vorgesehene Pflicht bei, wonach jeder Vertrag und jede Abmachung, die von einem Mitglied der Vereinten Nationen abgeschlossen werden, bei dem Sekretariat zu registrieren und von diesem zu veröffentlichen sind. Die durch die Veröffentlichung in den United Nations Treaty Series bewirkte Publizität des Völkervertragsrechtes stellt ein wichtiges Mittel zur systematischen Ermittlung der Staatenpraxis dar und ist damit im weiteren bei der Kodifikation des Gewohnheitsrechts nützlich. Im Falle der Nichtregistrierung sieht Art. 102 Abs. 2 als Sanktion vor, daß keine Partei eines nichtregistrierten Vertrages sich vor den Organen der Vereinten Nationen auf diesen Vertrag berufen kann. Praktisch könnte die Sanktion hauptsächlich vor dem IGH werden. Dieser hat es jedoch mehrfach abgelehnt, die Sanktion anzuwenden oder auch nur in Erwägung zu ziehen. Würdigung Die Bemühungen der Vereinten Nationen um die Entwicklung des Völkerrechts schlagen sich zu einem großen Teil in der Verabschiedung von Resolutionen und Deklarationen nieder. Die Zahl der internationalen Verträge, die auf Vorarbeiten der Vereinten Nationen beruhen und von den Staaten unterzeichnet und ratifiziert worden sind, ist demgegenüber relativ gering. Auch läßt die Beteiligung der Staaten an der Unterzeichnung und Ratifizierung dieser Verträge sehr zu wünschen übrig, obwohl — vermutlich aber auch gerade weil — die Verträge in der Sache von großen Gewicht sind (ζ. B. die Menschenrechtspakte). Alles in allem dürfte der

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Völkerrecht durch Vereinte Nationen

Schwerpunkt der Bemühungen der Vereinten Nationen um das Völkerrecht in den zahlreichen Impulsen liegen, die von den Organen der Vereinten Nationen ausgehen. Ihrem Gegenstand nach richten sich diese Impulse hauptsächlich ( 1 ) auf eine Neuordnung der universellen Völkergemeinschaft. Der Versuch, den Menschen- und Gruppenrechten im Völkerrecht Anerkennung zu verschaffen, die Entkolonialisierungsbestrebungen, die Aktivitäten der U N C T A D und der Commission on International Trade Law sowie die Erklärung der R e c h t e und Pflichten der Staaten sind hierfür ein deutlicher Ausdruck. Neben der Entwicklung des neuen universalen Ordnungsbildes stehen ( 2 ) die Bemühungen, die Rechtsverhältnisse in bezug a u f Sachen, die der gemeinsamen Nutzung durch alle Staaten offenstehen (sollen), zu regeln. Seerecht und Weltraumrecht können hier als Beispiele genannt werden. Schließlich gilt ( 3 ) wegen ihrer erstrangigen Bedeutung für den Frieden Abrüstungs-, insbesondere A t o m fragen das besondere Interesse der Vereinten Nationen. Neben Resolutionen h a t es beispielsweise im Atomsperrvertrag und im Vertrag über die Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen seinen Niederschlag gefunden. Inwieweit diese Aktivitäten zu völkerrechtlichen Regeln werden, ist abhängig von der grundsätzlichen Bereitschaft der Mitgliedstaaten, das Völkerrecht zu kodifizieren oder durch neue Regeln zu erweitern, und von der Möglichkeit, die ideologische Spaltung der Welt im Prozeß der Völkerrechtsbildung zu überwinden.

Literatur Asamoah: The Legal Significance o f the Declarations o f the General Assembly o f the United Nations, The Hague 1 9 6 6 Detter: L a w Making b y International Organisations, S t o c k h o l m 1 9 6 5 Golsong/Ermacora: Das Problem der Rechtsetzung durch Internationale Organisationen, in: Berichte der Deutschen Gesellschaft für V ö l k e r r e c h t , Heft 10 ( 1 9 7 1 ) S . 1 und 5 1 Higgins: The Development o f International Law b y the Political Organs o f the United Nations, in: Proceedings o f the American Society o f International Law vol. 5 9 ( 1 9 6 5 ) p. 1 1 6 dies.: T h e United Nations and Lawmaking: T h e Political Organs, in: Proceedings o f the American S o c i e t y o f International Law vol. 6 4 ( 1 9 7 0 ) p. 37 Lauterpacht: Codification and Development o f International Law, in: A J I L vol. 4 9 ( 1 9 5 5 ) p. 16 Liang: T h e General Assembly and the Progressive Development and Codification o f International Law, in: A J I L vol. 4 2 ( 1 9 4 8 ) p. 6 6 Schwelb : Neue Etappen der Fortentwicklung des Völkerrechts durch die Vereinten Nationen, in: A V R 13 ( 1 9 6 6 / 6 7 ) S. 1 Steinberger: Bemühungen zur Kodifizierung und Weiterbildung des Völkerrechts im R a h m e n der Organisation der Vereinten Nationen, in: Z a ö R V 1 9 6 8 S. 6 1 7 Meinhard Schröder Verweise auf: ABC-Waffen; Abkommen, Verträge; Abrüstung; Ausschußsystem; E C O S O C ; Entkolonialisierung; Generalversammlung; I G H ; Menschenrechte; Rassendiskriminierung; R e solution, Erklärung, Beschluß; Revision der Charta; Seerecht; Selbstbestimmungsrecht; Sicherheitsrat; Streitschlichtung; UNCTAD; Weltraumrecht.

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Weltbevölkerung

Weltbevölkerung Problemlage Die Überbevölkerung der Erde, manifest in den „Grenzen des Wachstums", ist in den letzten Jahren auch als Problem und Beratungsgegenstand internationaler Organisationen in den Vordergrund gerückt. Die Erdbevölkerung überschritt 1960 die Drei-Milliarden-Grenze, wobei ihre gegenwärtige jährliche Zuwachsrate von 2 % — sofern sie konstant bleibt — eine Verdoppelung innerhalb von 34 Jahren bedeutet. Die Verdoppelungszeit hat sich damit drastisch verkürzt: 1650 betrug die Erdbevölkerung rund 500 Millionen, 1850 eine Milliarde, 1930 zwei Milliarden. Zur Bevölkerungsexplosion tragen gegenwärtig vor allem die hohen jährlichen Wachstumsraten einiger Länder der Dritten Welt bei: Entwicklungsländer: Brasilien: 2,9 Indien: 2,3 Indonesien: 2,1 Nigeria: 2,5 Industrieländer: USA: UdSSR: Japan: Bundesrepublik Deutschland:

% % % %

Verdoppelungszeit: Verdoppelungszeit: Verdoppelungszeit: Verdoppelungszeit:

24 30 33 28

Jahre Jahre Jahre Jahre

1,0% 1,0% 1,1 % 0,6 %

Die hohen Wachstumsraten sind vor allem zurückzuführen auf die Auswirkungen seuchenund gesundheitspolitischer Maßnahmen, in geringerem Maße auf die Verbesserung des Lebensstandards. Der Primäreffekt der erfolgreichen Bekämpfung von Seuchen und Infektionskrankheiten liegt in der Reduzierung der Sterblichkeit, der langfristige Sekundäreffekt in der Erhöhung der biologischen Reproduktionsbasis. Schon heute sind knapp 40 % der Bevölkerung in den Entwicklungsländern jünger als 15 Jahre. Entwicklung der Geburtenkontrolle

und

Bevölkerungspolitik

Nach vereinzelten Ansätzen während der Blütezeit Athens und Roms wurde Geburtenkontrolle im europäischen Raum unter Einfluß des Christentums nicht weiter propagiert. Erst durch die Veröffentlichungen von Thomas R. Malthus, Jeremy Bentham und Francis Place wurde Anfang des 19. Jahrhunderts das Problem in das Bewußtsein der aufkommenden Industrie-Arbeiterschaft gerückt. Zaghafte Ansätze folgten in den Niederlanden und den USA, doch wurden die zumeist praktisch gehaltenen Hinweise und Druckschriften von der Kirche aus religiösen und ethischen Gründen unterdrückt. Erst durch die Familienplanungsprogramme in den USA um 1930 griff die Bewegung zur Geburtenkontrolle über die „International Planned Parenthood Federation" auf die meisten Länder über. 1974 kannten rund 70 Länder eine staatlich propagierte oder unterstützte Familienplanung bzw. Geburtenkontrolle. Eine auf Bevölkerungszuwachs ausgerichtete Politik wird heute zwar offiziell von keinem Staat mehr betrieben, doch hat die familienfreundliche Sozialgesetzgebung der industrialisierten Länder tendenziell einen pro-natalistischen Effekt. Eine bewußte Bevölkerungspolitik in Form von Familienplanungsprogrammen und Geburtenkontrolle wird heute in etwa 50 Entwicklungsländern, die unmittelbar von der Bevölkerungsexplosion bedroht sind, zu reali-

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Weltbevölkerung

sieren versucht. Davon beschränkt sich etwa die Hälfte auf Familienplanungsprogramme, während die andere Hälfte auf eine Herabsetzung der Fruchtbarkeitsrate abzielt. Vorkämpfer dieser Politik sind Indien (1952), Volksrepbulik China (1956) und Pakistan (1960), wobei die Erfolge mangels individueller Kooperationsbereitschaft und wegen der herrschenden Einstellungen zumeist unbefriedigend blieben. Beachtlichen Erfolg kann lediglich die Volksrepublik China aufweisen. Dort wurden die Programme langfristig durch Massenmedien vermittelt und verbreitet und durch lokale Parteiorganisationen gefördert und kontrolliert. Hinzu trat ein Ausbau der Ärzteversorgung, der medizinischen Infrastruktur und der leichte Zugang zu anti-konzeptionellen Mitteln, sowie die Anhebung des Mindestheiratsalters für Frauen auf 18 Jahre, für Männer auf 20 Jahre. Die Schwierigkeiten von Geburtenkontrollprogrammen besteht im Durchsetzen individueller Änderungen von Verhaltensnormen und Einstellungen innerhalb einer Gesellschaft Die für eine erfolgreiche Geburtenkontrolle notwendige Senkung der Fruchtbarkeitsrate setzt eine sozio- und psychopolitische Kooperationsbereitschaft voraus, die nicht vorgegeben ist und ohne grundlegenden sozialen Wandel nicht erwartet werden kann. Trotz des demographischen Ansatzes der Programme wird die individualistische Komponente durch religiöse Faktoren perpetuiert: Im Hinduismus, orthodoxen Judentum und dem orthodoxen Christentum gilt Nachkommenschaft als religiöse Pflicht. Der Protestantismus hat sich seit etwa 1950 hinsichtlich der Geburtenkontrolle von den Lehren Luthers und Calvins, die auf Augustinus und Thomas von Aquin zurückgehen, gelöst, während die katholische Kirche Schwangerschaftsverhütung weiterhin aus religiösen und moralischen Gründen verwirft. Der Buddhismus verhält sich gegenüber Geburtenkontrolle und Familienplanung neutral. Bevölkerungsprobleme

in den Vereinten Nationen

Die Vereinten Nationen befaßten sich erst relativ spät mit den Problemen des Bevölkerungswachstums. Neben anderen Faktoren ist dies darauf zurückzuführen, daß Bevölkerungspolitik und Geburtenkontrolle weitgehend als innere Angelegenheit eines Staates gewertet wurden und sich daher ein internationales Problembewußtsein erst relativ spät entwickelte. Die Generalversammlung befaßte sich erstmals 1962 eingehend mit dem Problem, gelangte aber nach kontroversen Debatten nur zu der Resolution, dem Bevölkerungszuwachs besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Die Gewährung finanzieller und technischer Hilfe zur Geburtenkontrolle wurde nicht vorgesehen (Res. 1838 (XVII) vom 18.12.1962). Bis zum Jahre 1967 beschränkte sich die Beschäftigung der Vereinten Nationen mit Bevölkerungsfragen vor allem auf die Bevölkerungsabteilung des Sekretariats und die Bevölkerungskommission (Population Commission) des -»• ECOSOC. Innerhalb ihres Tätigkeitsbereiches sammelte und analysierte die Bevölkerungsabteilung demographische Daten und gab technische Hilfestellung. Als ständiges Nebenorgan des ECOSOC befaßte sich die Bevölkerungskommission ohne klare politische Zielsetzung mit allen bevölkerungspolitischen Fragen von demographischer Statistik bis hin zur Familienplanung. Bevölkerungsfonds Infolge der engen Interdependenz zwischen Bevölkerungswachstum und allgemeiner Entwicklungsstrategie wurde es notwendig, eine Institution zu schaffen, um an Stelle der punktuellen Maßnahmen ein integriertes bevölkerungspolitisches Programm zu entwickeln. Im Jahre 1967 wurde auf Grund von Resolutionen der Generalversammlung (Res. 2211 (XXI) vom 17.12.1966) und des ECOSOC (Res. 1084 (XXXIX) vom 30.7.1965) der Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen ins Leben gerufen (United Nations Fund for Population Activities - UNFPA). Ziel des Bevölkerungsfonds ist es, die zur Durchführung bevölkerungspolitischer Maßnah-

Weltbevölkerungskonferenz

513

men notwendigen finanziellen Mittel zu beschaffen und als zentrales Planungs- und Koordinationsgremium für bevölkerungspolitische Maßnahmen zu dienen. In Anlehnung an die Aussagen der Resolution 2211 (XXI) sollen mit den Mitteln des Fonds die Regierungen unterstützt werden, die Bevölkerungsfrage und die sich daraus ergebenden sozialen und wirtschaftlichen Folgen in das Bewußtsein der Öffentlichkeit zu bringen und bevölkerungspolitische Studien mit entsprechenden Anregungen durchzuführen. Nach der Aufbauphase wurde der Bevölkerungsfonds im Mai 1969 der Aufsicht des UNDP unterstellt. Organe des Weltbevölkerungsfonds sind der Exekutivdirektor, der Beirat und der beratende Programmausschuß. Dem Exekutivdirektor obliegt die eigentliche Leitung des Fonds, der organisatorisch aus einer Programmabteilung, einer Durchführungs- und Auswertungsabteilung sowie einem Planungsbüro besteht. In Zusammenarbeit mit dem Administrator des UNDP legt der Exekutivdirektor des Fonds das Arbeitsprogramm fest. Beratende Funktion hat dabei der Beirat, der aus 21 vom Generalsekretär berufenen Mitgliedern besteht. Die Mitglieder dienen in persönlicher Eigenschaft und nicht als Regierungsvertreter. Der Beirat wirkt an der Formulierung der Richtlinien der Gesamtpolitik des Fonds wie der Bewertung der Tätigkeit im Rahmen der unterstützten entwicklungspolitischen Programme und Projekte mit. Der beratende Programmausschuß besteht aus staatlichen und nichtstaatlichen Institutionen auf dem Gebiet der Entwicklungshilfe. Er tritt zweimal im Jahr zu ordentlichen Tagungen zusammen und soll in erster Linie die Koordinierung der Tätigkeit des Fonds mit anderen Gebern sicherstellen. Die Mittel des Bevölkerungsfonds stammen aus freiwilligen Beiträgen von Regierungen wie von privater Seite. Dabei haben die Geberländer die Möglichkeit, die Verwendung der von ihnen gespendeten Mittel unmittelbar über eine Zweckbindung zu beeinflussen. 1970, dem ersten vollen Betriebsjahr, beteiligten sich insgesamt 23 Länder, darunter 13 Entwicklungsländer, mit Leistungen von ca. 15 Mio. Dollar am Fonds. 1971 stieg die Zahl der Geberländer auf 46, das Volumen der Mittel auf 29 Mio. Dollar. Als erfolgreich erwies sich die Aufforderung der Generalversammlung an die Mitgliedstaaten, die freiwilligen Beiträge zu dem Fonds zu erhöhen und dessen Arbeit zu unterstützen (Res. 2815 (XXVI) vom 14.12.1971). Der Fonds wird grundsätzlich auf Antrag der Regierungen und privater staatlicher Organisationen im Bereich der Familienplanung tätig, wobei die Regionalvertreter des UNDP im jeweiligen Entwicklungsland als Vermittlungsstelle fungieren. Besondere Priorität wird solchen Projekten gegeben, die den Bedürfnissen des betreffenden Landes entsprechen und geeignet sind, langfristig zu einer Senkung der Geburtenziffer zu fuhren. Regionale Schwerpunkte liegen im Iran, in Thailand, in den Philippinen und in Indonesien. Infolge der Aufgabenbeschränkung auf technische Hilfe im Bereich der Demographie, auf bevölkerungspolitische Öffentlichkeitsarbeit, Familienplanung und medizinische und biologische Forschung wird die Arbeit zumeist auf breiterer Ebene von den Sonderorganisationen und Spezialorganen der Vereinten Nationen, insbesondere von WHO, UNICEF, UNESCO, FAO, IBRD, ILO und UNIDO durchgeführt. Neben der WHO hat sich dabei insbesondere UNICEF der Familienplanung zugewandt. Weltbevölkerungskonferenz Auf Vorschlag seiner Bevölkerungskommission beschloß der ECOSOC, eine Weltbevölkerungskonferenz einzuberufen (Res. 1484 (XLVIII) vom 3.4.1970). Dieser Beschluß stellte insofern ein Novum dar, als die früheren Weltbevölkerungskonferenzen in Rom im Jahre 1954 und in Belgrad im Jahre 1965 ausschließlich Tagungen wissenschaftlicher Experten, jedoch nicht Regierungskonferenzen gewesen waren. Im Gegensatz zu den früheren Konfe-

514

Weltbevölkerung

renzen, auf denen im wesentlichen Demographen die Probleme auf wissenschaftlicher Grundlage erörtert hatten, sollte die Weltbevölkerungskonferenz auf Grund ihres staatlich-politischen Charakters auch die Chance der Festlegung staatlich legitimierter und autorisierter Programme vermitteln. Die Weltbevölkerungskonferenz fand auf Einladung der rumänischen Regierung vom 19. bis 30. August 1974 in Bukarest statt. Im Plenum und in drei Ausschüssen wurden folgende vier Themenbereiche der quantitativen und qualitativen Entwicklung der Bevölkerung behandelt: 1. 2. 3. 4.

Gegenwärtige Bevölkerungstrends und zukünftige Entwicklung (Plenum); Bevölkerungswandel, soziale und ökonomische Entwicklung (Ausschuß 1); Bevölkerung, Ressourcen und Umwelt (Ausschuß 2); Bevölkerung und Familie (Ausschuß 3).

In einer Arbeitsgruppe wurde darüber hinaus der vom Generalsekretär der Weltbevölkerungskonferenz vorgelegte Entwurf eines „Weltbevölkerungs-Aktionsplanes" behandelt. Der 108 Paragraphen umfassende „Weltbevölkerungs-Aktionsplan" gibt zunächst eine gedrängte Zusammenfassung der gegenwärtigen Weltsituation, präzisiert dann die Grundprinzipien und Ziele, um schließlich Empfehlungen zu den Problembereichen Bevölkerungswachstum, Entwicklung der Geburtenraten, Geburtenplanung und wirtschaftliche Implikationen von Bevölkerungszuwachs auszusprechen. Obwohl der Aktionsplan in seinen Formulierungen sehr vorsichtig gefaßt war, um den Anschein zu vermeiden, daß Ansätze für eine zukünftige weltweite Bevölkerungsplanung geschaffen werden sollten, blieb er während der Weltbevölkerungskonferenz kontrovers. In (notwendig) vergröberter Weise sahen die Staaten der Dritten Welt die Probleme der Weltbevölkerung zunächst unter dem Gesichtspunkt der gerechteren Verteilung der Rohstoffe und einer neuen Weltwirtschaftsordnung, während die industrialisierten Staaten als Lösung die rigide Einführung von Geburtenkontrolle propagierten. Infolge der äußerst kontrovers geführten Diskussionen wurden schließlich die Empfehlungen in eme gegenüber dem Entwurf des Weltbevölkerungsplanes noch vorsichtigere Form gebracht. Während im Entwurf den Ländern mit hohen Geburtenraten noch konkrete Zielwerte für deren Senkung empfohlen wurden (5—10% bis 1985), verzichtete man in den verabschiedeten Empfehlungen völlig auf quantitative Angaben. Der WeltbevölkerungsAktionsplan mag daher keine unmittelbaren Wirkungen zeigen, doch hat sich zumindest die Überzeugung durchgesetzt, daß die Entwicklungsprobleme nicht durch eine isolierte Geburtenplanung gelöst werden können, sondern Bevölkerungspolitik ein integraler Bestandteil der Wirtschafts- und Sozialpolitik sein muß. Auch dies kann man als politischen Erfolg werten. Literatur Berelson: Family Planning and Population Programs, New York / London 1966 Ehrlich: Die Bevölkerungsbombe, München 1971 Hauser: The population dilemma, New York 1965 Meadows u. a.: Die Grenzen des Wachstums, Stuttgart 1972 Strobl: Weltbank und Weltbevölkerung, in: VN 1974 S. 101 Tomuschat: Seid fruchtbar und mehret euch — Zur Weltbevölkerungskonferenz in Bukarest, in: VN 1974, S. 97 Wiesebach: Der Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen, in: VN 1972 S. 143 Jens A. Brückner / Klaus Hüfner / Jens Naumann Verweise auf : ECOSOC; UNDP.

Welternährungslage

515

Welternährungslage Der Kampf um eine ausreichende Ernährung ist so alt wie die Menschheit. Kulturen entstanden auf der Grundlage günstiger Produktionsmöglichkeiten, wie ζ. B. die ägyptischen Reiche oder Mesopotamien, wo Flüsse eine intensive Landwirtschaft zuließen. Sie zerfielen, wenn Klimaänderungen oder andere Einwirkungen die Nahrungsmittelversorgung nachhaltig störten. Fast alle Religionen kennen die Bitte um das „tägliche Brot". Die meisten Währungen waren ursprünglich an einem Getreide-Maß ausgerichtet; auch heute noch werden deutsche Münzen mit einem Ähren-Symbol hergestellt. Die Schwierigkeiten, eine ausreichende Versorgung mit Nahrungsmitteln für alle Menschen sicherzustellen, steigerten sich mit der wachsenden Weltbevölkerung und der zunehmenden Verstädterung. Die Geschichte des Mittelalters und der Neuzeit bis hin in die 20er Jahre unseres Jahrhunderts war darum auch eine Geschichte von Versorgungskrisen und Hungersnöten, die soziale Spannungen, Bauernaufstände und gesellschaftliche Veränderungen verursachten. Seit Thomas Robert Malthus ( 1 7 6 0 - 1 8 3 4 ) die Theorie aufstellte, daß die Zahl der Menschen schneller (geometrisch) zunehme als die Nahrungsmittelproduktion (arithmetisches Wachstum) und darum eine große Katastrophe unvermeidlich sei, trat die Welternährungslage immer mehr in das Bewußtsein der Öffentlichkeit. Diese Tendenz verstärkte sich mit der Verbesserung der Nachrichtenübermittlung und der Gründung der Vereinten Nationen, besonders der ->• FAO. Nach Überwindung der Zerstörungen und Versorgungsschwierigkeiten, die als Folge des 2. Weltkrieges vor allem weite Teile Europas in Mitleidenschaft gezogen hatten, und seit dem Beginn der Entkolonialisierung gewann in den 50er Jahren eine optimistische Grundstimmung über die Entwicklung der Welternährungslage an Boden. Wissenschaftler und Entwicklungsexperten konnten mit Recht darauf hinweisen, daß die jährlichen Schwankungen der Weltgetreideproduktion in der Endbilanz immer positiv waren. Obwohl die Ernten in der einen oder anderen Region zeitweise schlecht ausfielen, bestand weltweit ein Trend zu weiteren Steigerungen. In der jüngsten Vergangenheit sind erhebliche Zweifel aufgetaucht, ob dieser Trend anhält. Ernstzunehmende Stimmen gehen von einer bevorstehenden, teilweise dramatischen Verschlechterung der Welternährungslage aus. Grund für diese Annahme ist u. a. die Tatsache, daß sich die Welternährungslage in den ersten vier Jahren dieses Jahrzehnts deutlich verschlechtert hat. Nach Angaben der FAO blieb im Laufe der letzten beiden Jahrzehnte die Welt-Getreideernte nur zweimal hinter der des Vorjahres zurück, nämlich 1972 und 1974. 1972 waren jedoch beträchtliche Getreidevorräte vorhanden, mit denen die Verknappung überwunden werden konnte. Die durchschnittliche Ernte des Jahres 1973 reichte demgegenüber nicht zur Bildung genügender Vorräte aus, die 1974 als Ausgleich für die Ernteausfälle in den beiden wichtigsten nahrungsmittelproduzierenden Regionen der Welt — Asien und Nordamerika — hätten herangezogen werden können. 1974 entsprachen die Weltgetreidereserven noch einem Bedarf von 26 Tagen; 1961 waren es noch 95 Tage gewesen. Angesichts dieser Lage schlugen im September 1973 die blockfreien Staaten auf einer Konferenz in Algier und wenig später der Außenminister der USA, Henry Kissinger, eine Welternährungskonferenz vor, die im November 1974 stattfand. Die Beratungen der Welternährungskonferenz und die Dokumente, die ihnen zugrunde lagen, lassen folgende Darstellung der Welternährungslage zu: 1970 hungerten bzw. wurden unzureichend ernährt ca. 400 Millionen Menschen. In Südund Südostasien sowie in Afrika fielen 1970 20—25 Prozent der Bevölkerung in diese Gruppe — 61 von 97 Entwicklungsländern hatten Schwierigkeiten, alle Einwohner hinreichend zu ernähren.

516

Welternährungslage

Die Zahl der Hungernden und Unterernährten (1970) Region

Industrieländer Lateinamerika Süd-und Südostasien NaherOsten Afrika Welt

Bevölkerung (Mio.)

2) 3) 4)

1)

Zahl der Hungernden (Mio.)

in % der Gesamtbevölkerung

1074 283 1020 171 273

28 37 221 34 68

3 13 22 20 25

2825

388

14

Quelle: Die Ernährungslage der Welt, S. 50, bzw. FAO 1) Obwohl die Volksrepublik China der FAO angehört, enthalten die FAO-Statistiken bisher in der Regel noch keine Angaben über die Ernährungslage in China. Das gilt auch fur Nordvietnam und Nordkorea. 2) In diese Gruppe fallen Europa (einschließlich der UdSSR), Nordamerika, Australien, Neuseeland und Japan. 3) Die Angaben betreffen Bangla Desh, Birma, Indien, Kambodscha, Südkorea, Pakistan, die Philippinen, Sri Lanka (Ceylon), Thailand und Südvietnam. 4) Diese Region umfaßt nach den FAO-Statistiken Ägypten, Iran, Irak, Israel, Jordanien, Libanon, Libyen, Saudi-Arabien, Syrien, Türkei, Sudan, Zypern. Dabei haben auch die Länder der Dritten Welt in den vergangenen 15 Jahren ein reales Wachstum ihrer Nahrungsmittelproduktion erzielt, die dem Weltdurchschnitt entspricht. Jedoch bewirkte die rasche Bevölkerungszunahme, daß die Pro-Kopf-Versorgung stagnierte oder sich sogar verschlechterte. Die Entwicklung der Nahrungsmittelerzeugung seit 1961/1965 Index-Durchschnitt 1 9 6 1 - 6 5 = 100

Reales Wachstum der Nahrungsmittelproduktion 1969 1971 1973

Pro-Kopf-Zunahme 1969

1971

1973

Industrieländer insgesamt

118

127

132

111

117

120

Latein amerika Süd- und Südostasien Naher Osten Afrika Asiatische Länder mit zentraler Planwirtschaft

120 118 122 118

127 125 129 125

133 132 131 122

102 102 103 102

101 102 103 103

100 103 99 95

116

125

127

104

108

107

Entwicklungsländer insgesamt

118

125

130

103

104

103

Welt insgesamt

118

126

131

105

108

108

Quelle: Die Ernährungslage der Welt, S. 16, bzw. FAO

517

Welternährungslage

Jede mangelhafte Ernährung bringt für die betroffenen Menschen Nachteile mit sich, über die häufig nur sehr unvollkommene Vorstellungen bestehen. Körpergewicht, Leistungsfähigkeit, Krankheitsabwehr und Vitalität pendeln sich im Falle von Mangelernährung auf ein niedriges Niveau ein. Ein „Teufelskreis des Hungers" hält die Menschen gefangen: Weil sie hungern, haben sie keine Arbeitskraft und neigen zu Krankheiten. Sie verdienen daher zu wenig oder sind arbeitslos. Mangels ausreichender Kaufkraft können sie sich nicht die notwendige Nahrung beschaffen. Darum hungern sie . . . Man unterscheidet im wesentlichen zwei Formen der Mangelernährung: — Unterernährung, d. h. einen Mangel infolge einer unzureichenden Nahrungsmenge; — Fehlernährung, d. h. einen Mangel, weil wichtige Bestandteile der Nahrung fehlen, ζ. B. Vitamine und Eiweiß (Protein). Der menschliche Bedarf an Nahrungs-Energie ist unterschiedlich. In den Industrieländern, die überwiegend in die gemäßigten nördlichen Klimazonen fallen, beträgt — nach Angaben der FAO — der tägliche Kalorienbedarf 2.400 cal. pro Kopf, während die leichteren und gewöhnlich kleineren Menschen in den meist wärmeren Entwicklungsländern durchschnittlich mit 2.000 cal. täglich auskommen. Der Eiweißbedarf wird mit 60 g je 100 kg Körpergewicht angegeben, wobei jedoch Jugendliche 20—50 % mehr benötigen und Kleinstkinder sogar einen Bedarf haben, der, gemessen am Körpergewicht, 1 0 0 - 2 0 0 % über dem der erwachsenen Menschen liegt. Durchschnittliche Nahrungsmittelversorgung Region

Bevölkerung in Mio.

Kalorienverbrauch pro Kopf/täglich

Kalorienverbrauch in % des Bedarfs

1961

1970

1961

1970

1961

1970

Industrieländer

975

1074

2960

3110

116

122

Lateinamerika Süd- und Südostasien Naher Osten Afrika Asiatische Staaten mit Planwirtschaft 1)

219 802 134 220

283 1020 171 273

2410 2050 2200 2120

2510 2080 2280 2160

100 92 89 92

105 94 93 92

686

810

2020

2360

86

100

Entwicklungsländer insgesamt

2062

2560

2100

2240

91

97

Welt insgesamt

3037

3635

2380

2500

100

105

1) in diese Gruppe fallen die Volksrepublik China, Nordkorea und Nordvietnam. Quelle: Die Ernährungslage der Welt, S. 45 bzw. FAO Eine Vorstellung der Unterschiede erhält man dann, wenn man außer der Kalorienmenge nicht nur den Eiweißgehalt einer Nahrungsmenge insgesamt, sondern vor allem auch den Anteil des für die menschliche Ernährung so wichtigen tierischen Eiweißes kennt. Tierisches Eiweiß entsteht, wenn Tiere pflanzliche Grundstoffe wie Getreide, Gras und Algen fressen und zu Fleisch, Fisch und Eiern verwandeln.

518

Welternährungslage

Wenn nun, wie im Falle eines Inders oder eines Äthiopiers, die Nahrung fast keine tierischen Bestandteile enthält, so entsprechen 2.000 verzehrte Kalorien derselben Menge Primär-Kalorien. Enthält die Nahrung jedoch wie im Falle eines Deutschen zu einem sehr erheblichen Teil tierische Erzeugnisse, so bedeuten die 3.000 Endkalorien — mit ihrem hohen Anteil an Sekundär-Kalorien — nichts anderes als das Endergebnis von 10.000 und mehr verwandelten Primär-Kalorien. Weiterhin hängt der Wert einer bestimmten Nahrung für die Ernährung eines Menschen auch von der gesamten Zusammensetzung seines täglichen „Speisezettels" ab. Denn der menschliche Körper verwendet eine hochwertige Sekundär-Kalorie (Fleisch) erst dann als Eiweiß-Energie, wenn sein Mindest-Kalorienbedarf gedeckt ist. Das bedeutet: Solange die Mindest-Kalorienversorgung nicht gewährleistet wird, verbraucht der Körper wertvolles Eiweiß als einfache Kalorie. Ein Beispiel kann dies deutlich machen: Der Körper eines Inders, der einen Kalorienbedarf von 2.200 cal. täglich hat, aber nur 2.000 cal. erhält, verwendet einen wesentlichen Teil von Eiweiß-Kalorien als Primär-Kalorie und entzieht sich damit selbst einen wesentlichen Baustoff. Die sog. „Eiweißlücke" in vielen Entwicklungsländern läßt sich also erst schließen, wenn auch die Mindestversorgung mit Kalorien sichergestellt ist. Der Umfang der Mangelernährung ist darum erst zu erkennen, wenn man ihn als „Kalorien-Eiweiß-Energie"-Problem versteht. Über die weitere, insbesondere die langfristige Entwicklung der Welternährungslage besteht unter den Fachleuten keine Einigkeit. Sie neigen in ihrer Mehrheit zu eher negativen Erwartungen, da immer deutlicher zutage tritt, daß die Verknappung der wichtigsten landwirtschaftlichen Produktionsfaktoren — Land, Wasser, Energie und Düngemittel — auch in Zukunft anhalten wird. Zwar würden es die technischen Möglichkeiten erlauben, die Nahrungsmittelproduktion weltweit zu verdoppeln oder sogar zu verdreifachen. Jedoch scheitert eine solche theoretische Lösungsmöglichkeit an den Kosten. Schon heute verhindert in vielen Ländern die mangelnde Kaufkraft großer Bevölkerungsgruppen eine Zunahme der Produktion. Da eine erhöhte Nahrungsmittelerzeugung zu vertretbaren Kosten wegen der Wachstumsgrenze unmöglich ist, schlagen Fachleute wie z. B. Sicco Mansholt vor, auf eine Eindämmung der Nachfrage in den Industrieländern hinzuwirken, die einen prozentual weit überhöhten Anteil an der Nahrungsmittelproduktion zur Aufrechterhaltung ihres sehr hohen Lebensstandards verbrauchen. Zur Auseinandersetzung mit diesen Problemen berief die Generalversammlung am 17. Dezember 1973 eine Welternährungskonferenz ein und betraute sie mit der Aufgabe, Wege und Mittel zu finden, anhand derer die Völkergemeinschaft insgesamt gezielte Maßnahmen zur Lösung des Welternährungs-Problems in größerem Rahmen der Entwicklung und der internationalen wirtschaftlichen Zusammenarbeit treffen könne (Res. 3180 (XXVIII)). Die Konferenz, zu deren Initiatoren sowohl Henry Kissinger als auch — als Sprecher der Blockfreien — Houari Boumediène gehören - fand vom 5.—16. November 1974 in Rom statt. Sie verabschiedete 22 Resolutionen und — als wohl bedeutsamstes Ergebnis — eine Allgemeine Erklärung zur Ausrottung von Hunger und Fehlernährung". Dort heißt es, jeder Mann, jede Frau und jedes Kind habe „das unabdingbare Recht, frei von Hunger und Fehlernährung zu leben, um die körperlichen und geistigen Fähigkeiten voll zu entfalten und zu erhalten". Die Konferenz betonte, in den Entwicklungsländern müsse eine Steigerung der landwirtschaftlichen Produktivität und eine stetige Ausweitung der Nahrungsmittelerzeugung viel rascher erfolgen als in der Vergangenheit, und rief diese Länder auf, der Entwicklung der Landwirtschaft und der Fischerei einen hohen Stellenwert einzuräumen (Res. I). Die Generalversammlung wurde auf ihrer 7. Sondersitzung (über Entwicklung und internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit) noch deutlicher: „Die Lösung der Welternährungsprobleme liegt in erster Linie in einer schnellen Steigerung der Nahrungsmittelproduktion in den Entwicklungsländern" (Res. 3362 (S-VII) vom 16.9.1975, Punkt V 1). Die Welternährungs-

Welternährungslage

519

konferenz sprach sich insbesondere für Maßnahmen aus, die den landwirtschaftlichen Erzeugern angemessene Anreize verschaffen (Res. I). Damit sollte die Erzielung von Überschüssen begünstigt werden, die für Investitionen verwendet werden und mithin einer Agrarstrukturreform dienen könnten. Die Generalversammlung wiederholte den Gedanken auf ihrer 7. Sondersitzung (Res. 3362 (S-VII), Punkt V 3), kurz nachdem der Generaldirektor der FAO offen kritisiert katte, die Preispolitik vieler Entwicklungsländer ziele darauf ab, billige Nahrungsmittel für die städtischen Verbraucher ohne Rücksicht auf die Kostensituation der Landwirte zu erhalten, und verführe die Bauern deshalb, sich auf die Deckung des Eigenbedarfs zu beschränken. Die Welternährungskonferenz forderte die Errichtung eines Internationalen Agrarentwicklungsfonds zur Finanzierung von landwirtschaftlichen Entwicklungsprojekten — vor allem für die Nahrungsmittelerzeugung in den Entwicklungsländern — (Res. XIII). Die Generalversammlung setzte dieser neuen Institution ein Anfangskapital von 1 Mrd. Sonderziehungsrechten zum Ziel (Res. 3362 (S-VII), Punkt V 6). Am 6. Februar 1976 einigten sich sodann die Vertreter von 73 Ländern (ohne UdSSR und Volksrepublik China) auf den Entwurf eines Abkommens über die Errichtung des International Fund for Agricultural Development (IFAD) als neuer Sonderorganisation der Vereinten Nationen. Die westlichen Industriestaaten sagten zu, etwa die Hälfte des vorgesehenen Kapitals von 1 Mrd. Sonderziehungsrechten aufbringen zu wollen, sofern die Erdölförderstaaten den Rest beisteuerten. Auch die Bundesrepublik Deutschland, die der Gründung einer weiteren Institution im gremienreichen System der Vereinten Nationen lange ablehnend gegenübergestanden hatte, kündigte an, sich am Beitrag der EG-Länder mit 5 0 Mio. Dollar beteiligen zu wollen. Dem Generalsekretär der Vereinten Nationen wurde anheim gestellt, zu einem geeigneten Zeitpunkt eine Gründungskonferenz einzuberufen. Die Weltemährungskonferenz proklamierte des weiteren (Allgemeine Erklärung, Punkt 12), es sei die gemeinsame Verantwortung der gesamten Völkergemeinschaft, die jederzeitige Verfügbarkeit von ausreichenden Weltvorräten an Grundnahrungsmitteln sicherzustellen, weshalb alle Länder bei der Etablierung eines wirksamen Systems der Welternährungsicherung mitwirken müßten. Im einzelnen forderte die Konferenz die Einrichung eines globalen Informations- und Frühwarnsystems über Ernährung und Landwirtschaft im Rahmen der FAO (Res. XVI). Es soll die Feststellung der Länder und Regionen ermöglichen, in denen akute Lebensmittelknappheit und Fehlernährungsprobleme drohen. Die Welternährungskonferenz unterstützte außerdem das Vorhaben einer „Internationalen Verpflichtung zur Sicherung der Welternährung" (Res. XVII). Es sollten Getreidevorräte zur Deckung des Nahrungsmittelbedarfs bei Katastrophenfällen bereitgehalten werden. Später wurde ein Weizen- und Reisanteil an der Gesamtreserve in Höhe von 3 0 Mio. Tonnen ins Auge gefaßt (GA Res. 3362 (S-VII, Punkt V 12). Schließlich rief die Welternährungskonferenz die Generalversammlung auf, als Koordinationsinstrument für die internationalen Stellen, die im Bereich der Welternährungspolitik arbeiten, und zur periodischen Überprüfung der Welternährungslage einen Welternährungsrat zu bilden (Res. XXII). Die Generalversammlung errichtete dieses Gremium am 17. Dezember 1974 als Spezialorgan der Vereinten Nationen (Res. 3348 (XXIX)). Ihm gehören 36 Staaten an, von denen die Generalversammlung jährlich zwölf für eine Amtsdauer von drei Jahren wählt (Verteilung: Neun afrikanische Staaten, acht asiatische, sieben lateinamerikanische, vier sozialistische Osteuropas sowie acht westeuropäische und andere). Der Rat soll sich der Einrichtungen der FAO bedienen und hat seinen Sitz wie diese in Rom. Die Bundesrepublik Deutschland gehört ihm seit Errichtung an. Ob die „Welternährungsbürokratie" die drängenden Probleme in den Griff bekommen wird, bleibt abzuwarten. Die Bemühungen, die Landwirtschaft in den Entwicklungsländern zu stärken und den Überfluß-Konsum in den Industriestaaten einzudämmen, müssen schließlich durch einzelstaatliche und internationale Vorkehrungen ergänzt werden, die eine gerechte Verteilung der weltweit vorhandenen Nahrungsmittelproduktion möglich machen.

520

Weltraumiecht

Literatur Brown: By Bread alone, New York 1974 ders.: Perspektiven der Welt-Ernährungslage, in: EA 1975 S. 83 Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (Hrsg.): Materialien Nr. 47 (Welternährung), Bonn 1974 Matzke: Der Hunger wartet nicht, Bonn 1974 Vereinte Nationen, Informationszentrum für wirtschaftliche und soziale Entwicklung (Hrsg.): Die Ernährungslage der Welt in Gegenwart und Zukunft (Marei-Bericht), Genf 1974 Bernd Dreesmann Verweise auf : FAO; Weltbevölkerung.

Weltraumrecht Nachdem die technischen Möglichkeiten geschaffen worden waren, mit bemannten und unbemannten Raumfahrzeugen in den Weltraum vorzudringen, entstand das Bedürfnis nach einer Rechtsordnung, um die bei der Raumfahrt auftretenden rechtlichen Probleme zu lösen. Als Vorbilder konnten bis zu einem gewissen Umfang die Regelungen des Antarktisvertrages 1959 (AJIL vol. 54 (1960) S. 47) und das Übereinkommen über die Hohe See 1958 (-* Seerecht) herangezogen werden. An der Ausarbeitung des nunmehr vorliegenden Weltraumrechts haben die Vereinten Nationen einen wesentlichen Anteil gehabt. Zahlreiche Anregungen gingen vor allem von den beiden Hauptinteressenten, den USA und der UdSSR, aus. Bereits 1958 wurde durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen ein ad hocAusschuß eingesetzt, dessen Aufgabe es sein sollte, die wichtigsten im Zusammenhang mit der Weltraumfahrt auftretenden rechtlichen Probleme zu bearbeiten. Sein Bericht hob sechs Punkte als besonders regelungsbedürftig hervor: Die Sicherung des Grundsatzes der Freiheit zur Erforschung und Nutzung des Weltraums; die Regulierung von Schäden, die durch Weltraumfahrzeuge hervorgerufen werden; die Verteilung von Funkfrequenzen; die Schaffung von Verkehrsvorschriften zur Vermeidung von Kollisionen; die Identifizierung und Registrierung von Raumfahrzeugen sowie die Regelung der Fragen bei Rückkehr von Raumfahrzeugen und ihrer Landung. Die Arbeiten wurden von dem 1959 eingerichteten Ausschuß der Generalversammlung über die friedliche Nutzung des Weltraums weitergeführt (Res. 1472 (XIV) vom 12.12.1959). Dieser legte 1961 einen Resolutionsentwurf vor, der von der Generalversammlung einstimmig verabschiedet wurde (Res. 1721 (XVI) vom 20.12.1961). In ihr werden folgende Grundsätze verkündet: Das Völkerrecht, einschließlich der Charta der Vereinten Nationen, findet auf den Weltraum und die Himmelskörper Anwendung. Der Weltraum und die Himmelskörper stehen der freien Erforschung durch alle Staaten in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht offen und unterliegen nicht nationaler Aneignung. Im Jahre 1963 verabschiedete die Generalversammlung drei weitere Resolutionen (Res. 1884 (XVIII) vom 17.10.1963; 1962, 1963 (XVIII) vom 13.12.1963),womit die Entwicklung des Weltraumrechts zu einem vorläufigen Abschluß gelangte. Besondere Bedeutung unter ihnen kommt der Erklätung über die „Rechtsgrundsätze zur Regelung der Unternehmungen von Staaten bei der Erforschung und Nutzung des Weltraumes" zu (Res. 1962 (XVIII)), die die wesentlichen Grundsätze des Weltraumrechts enthält. Danach hat die Erforschung und Nutzung des Weltraumes zum Nutzen und im Interesse der gesamten Menschheit zu erfolgen; sie steht allen Staaten auf der Grundlage der Gleichberechtigung offen. Eine nationale Inbesitznahme der Himmelskörper und des Weltraums

Weltraumrecht

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wird ausgeschlossen. Alle Unternehmungen im Weltraum müssen im Einklang mit den Grundsätzen des Völkerrechts einschließlich der Charta der Vereinten Nationen stehen, die internationale Zusammenarbeit und Verständigung fördern und im Interesse der Erhaltung des Weltfriedens liegen. Bei ihrer Tätigkeit im Weltraum haben die Staaten auf die Belange anderer Benutzer Rücksicht zu nehmen. Sie sind für nationale Unternehmungen im Weltraum international verantwortlich, gleichgültig ob diese von staatlichen oder nichtstaatlichen Stellen durchgeführt werden. Die Staaten behalten die Jurisdiktion und Kontrolle der bei ihnen registrierten Objekte und haften für die Schäden, die durch diese Weltraumunternehmungen entstehen. Astronauten gelten als Sendboten der Menschheit, und die Staaten verpflichten sich, ihnen in Notfällen Hilfe zu leisten. Außerdem wurde noch in der Präambel zum Ausdruck gebracht, daß die Aktivitäten im Weltraum friedlichen Zielen dienen sollen. Schon unmittelbar nach Verabschiedung der Deklaration (Res. 1962 ( X V I I I ) ) , die im übrigen einstimmig erfolgte, wurde die Erarbeitung eines entsprechenden Übereinkommens gefordert (Res. 1 9 6 3 ( X V I I I ) ) . Dies führte zur Schaffung des Weltraumvertrages 1967 (BGBl. 1969 II S. 1967). Er setzt sich zu einem wesentlichen Teil aus den Textstellen der bislang genannten Resolutionen zusammen, die teilweise wörtlich übernommen wurden. Daneben enthält er aber — wenn auch nur in geringem Umfang — einige Neuregelungen. Nach dem Weltraumvertrag erfolgt die Erforschung und Nutzung des Weltraums einschließlich des Mondes und anderer Himmelskörper zum Vorteil aller Länder ohne Ansehung des wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Entwicklungsstandes. Die Nutzung und Erforschung des Weltraums einschließlich des Mondes und anderer Himmelskörper steht allen Staaten frei ohne jegliche -» Diskriminierung auf der Grundlage der Gleichberechtigung und im Einklang mit dem Völkerrecht (Art. 1 Weltraumvertrag). Was unter freier Nutzung zu verstehen ist, wird nur insoweit näher konkretisiert, als ein uneingeschränkter Zugang zu allen Gebieten der Himmelskörper gewährleistet ist. Daneben umfaßt aber der Grundsatz der freien Nutzung auch das R e c h t auf Vorbeiflug, Eintreten in die Umlaufbahn, Landung sowie Nutzung und Ausbeutung vorhandener Bodenschätze und schließlich die freie Aufrechterhaltung einer Nachrichtenverbindung zwischen Raumstationen und der Erde. Diese Garantie der freien Nutzung ist aber nicht absolut zu verstehen, da der Weltraumvertrag den Vertragsstaaten eine Reihe von Verpflichtungen auferlegt. Der Weltraumvertrag unterstreicht in Art. 2 den Grundsatz, daß der Weltraum einschließlich des Mondes und anderer Himmelskörper keiner nationalen Inbesitznahme durch Beanspruchung von Hoheitsrechten, durch Benutzung oder Besetzung oder durch andere Mittel unterliegt. Dieser Grundsatz war bereits in den Resolutionen der Generalversammlung 1721 ( X V I ) vom 20. Dezember 1961 und 1962 ( X V I I I ) aufgenommen worden. Hier könnten sich, zumindest was die auf Himmelskörpern eingerichteten Raumstationen betrifft, Schwierigkeiten ergeben. Denn eine ständige Station wird sich ohne eine besitzerähnliche Nutzung des Gebiets, auf dem sie sich befindet, nicht unterhalten lassen. Gemäß Art. 8 Weltraumvertrag behält ein Staat die Jurisdiktion und Kontrolle über in den Weltraum gestartete Objekte, die bei ihm registriert sind. Diese Vorschrift entspricht Art. 6 Ubereinkommen über die Hohe See 1 9 5 8 ( - * Seerecht). Die Unternehmungen im Weltraum sind nach Maßgabe des Völkerrechts einschließlich der Charta der Vereinten Nationen im Interesse der Erhaltung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit sowie der internationalen Zusammenarbeit und Verständigung auszuüben (Art. 3 Weltraumvertrag). Dieser bereits in der Resolution 1962 ( X V I I I ) ausgesprochene Grundsatz wird im Weltraumvertrag näher präzisiert. Nach Art. 4 Weltraumvertrag verpflichten sich die Vertragsstaaten, keine Objekte, die Kernwaffen tragen, in die Erdumlaufbahn zu bringen, derartige Waffen nicht auf Himmelskörpern zu installieren und den Weltraum auch nicht damit zu bestücken (-» Abrüstung; ABC-Waffen). Der Weltraum und die Himmelskörper werden also in bezug auf bestimmte Waffen entmilitarisiert. Hinsichtlich des Mondes und anderer Himmelskörper wurde zudem eine weitere Entmilitarisierung festgelegt, da sie nach Art. 4 Abs. 2 Satz 1 Weltraumvertrag lediglich für friedliche Zwecke genutzt

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Weltraumrecht

werden dürfen. Die Errichtung militärischer Anlagen, Stützpunkte und Befestigungen, die Erprobung von Waffen gleich welcher Art und die Durchführung militärischer Manöver auf Himmelskörpern ist verboten (Art. 4 Abs. 2 Satz 2 Weltraumvertrag). Die Auslegung dieser Bestimmung bereitet dennoch Schwierigkeiten; vor allem ist der in Satz 1 verwandte Begriff „friedlich" nicht eindeutig. Wird er als „nicht aggressiv" interpretiert, wäre noch jede Art von militärischer Verteidigung erlaubt; wird er als „nicht militärisch" verstanden, käme dies der totalen Entmilitarisierung des Mondes und der Himmelskörper gleich. Das Wort „friedlich" wird im Sinne der Charta im Gegensatz zu „aggressiv" verwandt, so daß schon von daher der ersten Definition der Vorzug zu geben ist. Im übrigen spricht dafür aber auch die Fassung von Art. 4 Abs. 2 Satz 2 Weltraumvertrag. Wäre nämlich bereits jede militärische Nutzung des Mondes und der Himmelskörper verboten, hätte es der Aufzählung in Satz 2 nicht mehr bedurft, da die in ihm verbotenen Tätigkeiten alle militärischer Natur sind. Etwas anderes läßt sich auch nicht der allgemeinen Regel des Art. 1 Abs. 1 Weltraumvertrag entnehmen, wonach jede Tätigkeit im Weltraum im Interesse der gesamten Menschheit liegen muß. Dies würde eine völlige Entmilitarisierung und Neutralisierung des gesamten Weltraums bedeuten, die — wie sich aus der Regelung des Art. 4 ergibt — nicht Absicht des Weltraumvertrages war. Offen bleibt damit die Frage nach der Zulässigkeit von Spionagesatelliten. Diese sind zweifellos nicht als aggressiv zu qualifizieren und stehen daher mit den Vorschriften des Weltraumvertrages im Einklang. Ein entsprechender Vorstoß der UdSSR, derartige Aktivitäten im Weltraum zu verbieten, konnten sich bislang nicht durchsetzen. Ebenfalls problematisch ist die Fassung von Art. 4 Abs. 2 Satz 2 Weltraumvertrag, wo im Gegensatz zum sonstigen Sprachgebrauch des Vertrages der Mond nicht gesondert neben den Himmelskörpern genannt wird. Dennoch wird man daraus nicht den Schluß herleiten können, daß die Errichtung militärischer Stützpunkte auf dem Mond gestattet ist, nicht aber auf den anderen Himmelskörpern. Satz 2 ist lediglich eine Ergänzung von Satz 1, wie sich aus einem Vergleich mit Art. 9 Antarktisvertrag, dem Vorbild dieser Bestimmung, ergibt. Der Nichterwähnung des Mondes kommt daher keine substantielle Bedeutung zu. Nicht geregelt sind die Möglichkeiten von Gegenmaßnahmen, wenn einer der Vertragstaaten die Vorschriften des Weltraumvertrages verletzt. Abgesehen davon, daß der Angegriffene sein Recht auf Selbstverteidigung ausüben kann, wird man wohl annehmen dürfen, daß der Aggressor sich der Rechte aus dem Weltraumvertrag begibt. Eine gewisse Kontrollle hinsichtlich der Einhaltung der Entmilitarisierungsvorschriften liegt allerdings in den Inspektionsrechten (Art. 10 Weltraumvertrag), die den Vertragsstaaten zustehen und die dem Vorbild des Antarktisvertrages nachgebildet sind. Der Resolution 1962 (XVIII) entnommen sind die Vorschriften über die Hilfeleistung für in Not geratene Astronauten (Art. 5 Weltraumvertrag). Sie wurde insoweit ausgeweitet, als sich nunmehr die Unterstützungspflicht auf die Hilfe sowohl im Falle einer Notlandung auf der Erdoberfläche als auch im Falle von Unglücken oder Notlagen bei der Durchführung von Unternehmungen im Weltraum selbst erstreckt. Eine Präzisierung erhielt dieser Grundsatz durch das „Übereinkommen über die Rettung und Rückführung von Raumfahrern sowie die Rückgabe von in den Weltraum gestarteten Gegenständen" 1968 (BGBl. 1971 II S. 237). Über die Vorschriften des Weltraumvertrages hinaus begründet es die Pflicht, sich auch an Suchaktionen für notgelandete Astronauten zu beteiligen. Die Kosten der Rückführung fallen dem Staat zur Last, von dem die Weltraumunternehmung ausging. Eine weitere Präzisierung hat den Grundsatz staatlicher Zusammenarbeit und Rücksichtnahme bei der Erforschung und Nutzung des Weltraums gefunden. So geben sich die Staaten auf der Basis der Gegenseitigkeit die Möglichkeiten, ihre Flugobjekte vom Gebiet des anderen Staates aus zu beobachten (Art. 10 Weltraumvertrag). Außerdem machen sie sich die Stationen auf dem Mond und anderen Himmelskörpern gegenseitig zugänglich (Art. 12 Weltraumvertrag). Bei der Erforschung und Nutzung des Weltraums haben die Staaten gebührende Rücksicht auf die Interessen anderer Vertragsstaaten zu nehmen und sowohl eine Verseuchung des Mondes und der Himmelskörper wie auch der Erde zu vermeiden (Art. 9

Literatur

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Weltraumvertrag). Damit ist im wesentlichen eine mögliche radioaktive, biologische und chemische Verseuchung des Weltraums angesprochen (-» ABC-Waffen). Ein besonderes Problem stellen in diesem Zusammenhang aber auch diejenigen Weltraumobjekte dar, die ihren wissenschaftlichen Zweck erfüllt haben, sich aber noch auf einer Erdumlaufbahn bewegen. Schließlich sind die Vertragsstaaten verpflichtet, den Generalsekretär der Vereinten Nationen und die Öffentlichkeit in größtmöglichem Umfang, soweit irgend tunlich, über ihre Aktivitäten im Weltraum zu unterrichten (Art. 11 Weltraumvertrag). Detailliert wird auch die internationale Verantwortlichkeit und Schadensersatzpflicht geregelt. Die Staaten sind für nationale Unternehmungen im Weltraum einschließlich des Mondes international verantwortlich und haften für die daraus entstehenden Schäden, gleichgültig, ob die Unternehmung durch eine staatliche oder eine nichtstaatliche Stelle erfolgte bzw. von einer Privatperson ausging. Geht eine solche Unternehmung von einer internationalen Organisation aus, so haften neben dieser auch deren Mitglieder. Diese Regelung ist nicht unproblematisch, da internationale Organisationen nicht selbst Mitglied des Weltraumvertrages werden können. Hier hat das „Übereinkommen über die völkerrechtliche Haftung für Schäden, die durch Weltraumgegenstände verursacht werden" 1971 (Zeitschrift für Luftrecht und Weltraumrechtsfragen 1972 S. 163) Abhilfe geschaffen, nach dem sich die internationalen Organisationen zu einer entsprechenden Haftung bekennen können. Das Übereinkommen geht dabei von dem Staatshaftungsprinzip aus. Der Staat, von dem aus die Weltraumunternehmung gestartet wurde, haftet für Schäden, die seine Weltraumgegenstände auf der Erdoberfläche und im Luftraum an Luftfahrzeugen verursacht haben, ohne sich auf höhere Gewalt berufen zu können. Für Schäden an anderen Orten, also im Weltraum, haftet er nur nach dem Verschuldensprinzp. Neben der Frage der Schadensersatzpflicht regelt das Übereinkommen das Verfahren zur Geltendmachung der Ansprüche. Besondere Bedeutung hat neben der Raumfahrt die Nachrichtenübermittlung im Weltraum mit Hilfe von Satelliten. Zwei miteinander in Zusammenhang stehende Vereinbarungen aus dem Jahr 1964 schufen den rechtlichen Rahmen dafür. Es handelt sich um das „Abkommen zur vorläufigen Regelung für ein weltweites kommerzielles Satelliten-Fernmeldesystem 1964" sowie ein „Sonderabkommen" (Fawcett: Weltraumrecht S. 97 und 105) (-* ITU). Das Hauptabkommen legt die wesentlichen Grundsätze fest, nach denen eine Beteiligung an diesem Nachrichtensatellitensystem, seine Handhabung und Kontrolle erfolgen sollen. Das Sonderabkommen, dem neben Regierungen auch von ihnen beauftragte Fernmeldeverwaltungen beitreten können, trifft Richtlinien für die erforderlichen kommerziellen und technischen Belange.

Literatur Bückling: Die völkerrechtliche Haftung für Schäden, die durch Weltraumgegenstände verursacht werden, in: Zeitschrift für Luftrecht und Weltraumrechtsfragen 1972 S. 213 Fawcett: Weltraumrecht, München 1970 Meyer: Die Auslegung des Begriffes „friedlich" im Lichte des Weltraumvertrages, in: Zeitschrift für Luftrecht und Weltraumrechtsfragen 1969 S. 28 Sontag: Der Weltraum in der Raumordnung des Völkerrechts, Kiel 1966 Zukov: Weltraumrecht, München 1970 Rüdiger Wolfrum Verweise auf ·. ABC-Waffen; Abrüstung; Diskriminierung; ITU; Seerecht.

Weltwiitschaftsordnung

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Weltwirtschaftsordnung Von einer „Weltwirtschaft", also einem universalen Wirtschaftsraum, kann seit der Wende von 19. zum 20. Jahrhundert gesprochen werden. Der Terminus „Weltwirtschaftsordnung" beruht auf einer Anwendung der ursprünglich nationalstaatlichen Konzeption „Wirtschaftsordnung" auf den Rahmen, in dem die zwischenstaatlichen Wirtschaftsbeziehungen stattfinden. Dieser Rahmen wird gebildet aus einer Handels- und einer Währungsordnung, des weiteren aus den Auswirkungen nationalstaatlicher Außenhandelsvorstellungen. Zwischen den beiden Weltkriegen waren die internationalen Wirtschaftsbeziehungen in zunehmendem Maß durch Handelsrestriktionen und Devisenzwangswirtschaft geprägt. Schon während des 2. Weltkrieges setzten sich insbesondere die Vereinigten Staaten für eine freihändlerische Nachkriegsordnung ein. Das -» GATT und der IMF wurden dann zu den tragenden Säulen der Liberalisierung. Es galten fortan die Prinzipien der unbedingten Meistbegünstigung, der Reziprozität sowie des Abbaus tarifärer und nichttarifärer Handelshemmnisse, speziell des Verbots mengenmäßiger Beschränkungen (-»• GATT; Handels- und Wirtschaftsdiskriminierung). Im monetären Bereich stellte Art. VIII IMF-Statut den Grundsatz freien Zahlungsverkehrs bzw. der Konvertibilität von Währungen auf (-> IMF). Unter diesem System lag die jährliche Zuwachsrate des realen Bruttoinlandsprodukts pro Kopf der Bevölkerung von 1950 bis 1960 und weiter bis 1970 in den Entwicklungsländern unter der der entwickelten Staaten mit Marktwirtschaft. Der Anteil der Entwicklungsländer am Welthandel sank von 31 % (1950) auf 21,3 % (1960), schließlich auf 17,6 % (1970). Mit dem Erlös für eine gleichbleibende Menge exportierter Güter konnten die meisten Entwicklungsländer im Ausland währenddessen immer weniger einkaufen (Verschlechterung der Terms of Trade). Vom GATT-Bretton

Woods-System zur „Neuen

Weltwirtschaftsordnung"

Das „ancien régime" der Weltwirtschaftsordnung war funktional bestimmt. Es hatte die Funktion, einen möglichst freien Welthandel zu begünstigen; von diesem versprach man sich allseitigen Wohlstandsgewinn. Die Alternative dazu, die die Entwicklungsländer konzipiert haben, hat finalen Charakter. Die neue Ordnung soll die Aufgabe haben, zu „internationaler sozialer Gerechtigkeit" — so Kapitel I (m) der Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten (GA Res. 3281 (XXIX) vom 12.12.1974) - zu führen. Diese soll durch dirigistische Eingriffe in die internationalen Wirtschaftsbeziehungen gefördert werden, wobei das Schwergewicht auf die Handelsordnung gelegt wird. Die Hauptpostulate lauten: Erhöhung des Anteils der Entwicklungsländer an der Weltindustrieproduktion und — zu diesem Zweck — mehr Eigenweiterverarbeitung, Produktionsdiversifizierung sowie unbehinderter Zugang der Erzeugnisse der Entwicklungsländer zu den Märkten der entwickelten Staaten; Stabilisierung und Erhöhung der Ausfuhrerlöse der Entwicklungsländer durch Marktintervention, etwa in Form von Rohstoffabkommen und von (kaufkraftsichernder) Bindung der Ausfuhrpreise an die Preise der eingeführten Güter, oder durch Kompensation bei Preisverfall, schließlich auch durch Selbsthilfe in Form von Erzeugerzusammenschlüssen (Kartellen); im monetären Bereich die Zuteilung von Sonderziehungsrechten zur Entwicklungsfinanzierung („link"). Der Begriff „Neue Weltwirtschaftsordnung" ist auf der 6. Sondersitzung der Generalversammlung von den Vereinten Nationen sanktioniert worden, und zwar durch die „Declaration on the Establishment of a New International Economic Order" (Res. 3201 (S-VI) vom 1.5.1974; im folgenden: Deklaration). Schon der Zeitpunkt — der „Ölschock" lag erst wenige Monate zurück — deutet darauf hin, daß das Vorgehen der Erdölförderstaaten im Herbst 1973, welches der Gesamtheit der Entwicklungsländer neues Selbstbewußtsein eingeflößt hatte, bei der Proklamation der „Neuen Weltwirtschaftsordnung" eine maßgebliche

. zur "Neuen Weltwirtschaftsordnung"

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Rolle gespielt hat. Der Ursprung des Begriffs ist im übrigen älteren Datums. Bereits auf ihrer Kairoer Konferenz im Juli 1962 ließen 31 Entwicklungsländer in der abschließenden „Cairo Declaration of Developing Countries" (im folgenden: Kairo-Deklaration) Kritik an der überkommenen Struktur der internationalen Wirtschaftsbeziehungen laut werden (Präambel/7; Text: Doc. A/5162). Zum Abschluß der 1. Welthandels- und Entwicklungskonferenz (UNCTADI, 1964) gaben 77 Entwicklungsländer (daraufhin, und unbeschadet wachsender Mitgliederzahl, unter der Bezeichnung „Gruppe der 77" lose organisiert) eine gemeinsame Erklärung ab, in der sie u. a. die grundlegende Aussage machten, sie betrachteten die Konferenz als einen bedeutsamen Schritt in Richtung auf „a new and just world economic order" (UNCTAD Proceedings, 1964, vol. I, p. 66). In der Folgezeit trat der Begriff „Entwicklungsstrategie" in den Vordergrund — auch im Wortgebrauch der Entwicklungsländer —, bis die „Internationale Strategie für das zweite Entwicklungsjahizehnt der Vereinten Nationen" (GA Res. 2626 (XXV) vom 24.10.1970) wieder das Ziel vor Augen hielt: „Eine gerechtere und sinnvollere Wirtschafts- und Sozialordnung in der Welt" (Punkt 12). Auf ihrer Tagung in Lima im Herbst 1971 forderte die Gruppe der 77 unmißverständlich zu „einer raschen Änderung der Weltwirtschaftsordnung" auf. Die Etappen, die zu der Deklaration von 1974 geführt haben, sind damit nicht vollständig nachgezeichnet. Von der Kairo-Deklaration sei nachgetragen, daß sie den wohl ersten umfassenden Forderungskatalog der Entwicklungsländer darstellt (ζ. B. Beseitigung von Importrestriktionen, Stabilisierung der Rohstoffmärkte, Ausgleichszahlungen bei Ausfuhrpreisverfall). Sie sowie eine gemeinsame Erklärung von 75 Entwicklungsländern anläßlich der 18. Sitzungsperiode der Generalversammlung, welche auf eine neue internationale Arbeitsteilung dringt (GA Res. 1897 (XVIII) vom 11.11.1963, Annex), haben die Ergebnisse von UNCTAD I erheblich beeinflußt. Die Gruppe der 77 pflegt seitdem vor UNCTAD-Tagungen Konferenzen abzuhalten, um die Meinungen und Wünsche der Entwicklungsländer abzuklären und zu koordinieren: 1967 in Algier, 1971 in Lima, 1976 in Manila. Die Abschlußerklärungen enthalten Bestandsaufnahmen, Beschwerden und umfangreiche, detaillierte Reformprogramme (Charta von Algier, UNCTAD Proceedings, 2nd session, vol. I p. 431 seq.; Deklaration und Aktionsprogramm von Lima, UNCTAD Proceedings, 3rd session, vol. I p. 374 seq., 385 seq.: Deklaration, Aktionsprogramm von Manila). Die Kairoer Konferenz erscheint als ein Vorläufer dieser Treffen. UNCTAD I hat sich als der erste und vielleicht wichtigste Schritt auf eine Weltwirtschaftsordnung im Dienst der Entwicklung zu erwiesen. Die Konferenz verabschiedete — zum Teil gegen die Stimmen der entwickelten Industriestaaten, insbesondere der des Westens — 15 Allgemeine Prinzipien, die das Ende der GATT—Handelsordnung eingeläutet haben und teilweise bereits vor der Proklamation der „Neuen Weltwirtschaftsordnung" verwirklicht gewesen sind (UNCTAD Proceedings, 1964, vol. I, p. 18 seq.). Die 77 Entwicklungsländer faßten in ihrer damals abgegebenen Erklärung die Grundzüge der — so ausdrücklich bezeichneten — „neuen Ordnung" zusammen: „ . . . they involve a new international division of labour oriented towards the accelerated industrialization of developing countries. The efforts of developing countries to raise the living standards of their peoples, which are now being made under adverse external conditions, should be supplemented and strengthened by constructive international action. Such action should establish a new framework of international trade that is wholly consistent with the needs off accelerated development." UNCTAD II (1968) ist es nach langen Verhandlungen gelungen, mit der Einigung auf das in der Charta von Algier geforderte Allgemeine Präferenzsystem dem Gedanken der ausgleichenden Ungleichbehandlung der Entwicklungsländer endgültig zum Durchbruch zu verhelfen, dem tragenden GATT-Prinzip der Reziprozität zuwider. Weitere wichtige Wegmarkierungen sind die Deklaration über sozialen Fortschritt und Entwicklung (GA Res. 2542 (XXIV) vom 11.12.1969) und die Internationale Strategie für das zweite Entwicklungsjahrzehnt (GA Res. 2626 (XXV) vom 24.10.1970). UNCTAD III (1972) hat, einem Vorschlag des mexikanischen Staatspräsidenten Echeverría folgend, den Anstoß gegeben zur Aus-

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Weltwirtschaftsordnung

arbeitung einer Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten (Res. 45 (III) vom 18.5.1972). Diese „Charta" wurde während der 29. Sitzungsperiode der Generalversammlung verabschiedet (Res. 3281 (XXIX) vom 12.12.1974; im folgenden: Wirtschaftscharta). Die 6. Sondersitzung der Generalversammlung (über Rohstoffe und Entwicklung) war vorausgegangen und hatte neben der Deklaration über die Errichtung einer Neuen Weltwirtschaftsordnung ein Aktionsprogramm verabschiedet (Res. 3202 (S-VI) vom 1.5.1974; im folgenden: Aktionsprogramm). Es folgten eine Rohstoffkonferenz der Entwicklungsländer in Dakar (Februar 1975), die 2. UNIDO-Konferenz wenige Wochen später in Lima (Abschlußerklärungen im folgenden: UNIDO-Deklaration bzw. -Aktionsplan) sowie die 7. Sondersitzung der Generalversammlung (über Entwicklung und internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit) mit ihrer Schlußresolution 3362 (S-VII) vom 16. September 1975. Letztere leitete über zu UNCTADIV und zum „Nord-Süd-Dialog".

Die Akteure bei der Errichtung einer „Neuen Weltwirtschaftsordnung" Die stärkste Antriebskraft blieb die Gruppe der 77. Nach dem Manila-Treffen hatte sie 110 Mitglieder, unter ihnen die PLO. Ihr gehörten fast alle Entwicklungsländer Asiens, Afrikas und Lateinamerikas an. Neuseeland hatte noch zu den 75 Unterzeichnern der gemeinsamen Erklärung der Entwicklungsländer auf der 18. Jahrestagung der Generalversammlung gehört, zählte aber bereits nicht mehr zu den 77 Autoren der gemeinsamen Erklärung auf UNCTAD I. Jugoslawien war von Anfang an dabei und blieb bis Februar 1976, als nach einigem Zögern die Zulassung von Malta und Rumänien gebilligt wurde, das einzige Mitglied aus Europa (-> Blockbildung; Entwicklungsländer). Im Vorfeld der Konferenzen der Gruppe der 77 üben Regionaltreffen und Organisationen wie z. B. die OAU auf die Formulierung der desiderata Einfluß aus. Impulse geben außerdem die Konferenzen der Staats- bzw. Regierungschefs der — mit den „77" weitgehend identischen — blockfreien Staaten (vgl. etwa die wirtschaftliche Erklärung der 4. Konferenz vom 9.9.1973, Doc.A/9330). Auch verschiedene Einzelpersönlichkeiten haben dem Entwurf einer neuen Ordnung ihren Stempel aufgeprägt, so zuvörderst der Argentinier Raül Prebisch — erster Generalsekretär von UNCTAD —, der seinen vorbereitenden Bericht an UNCTAD I „Towards a New Trade Policy for Development" (UNCTAD Proceedings, 1964, vol. II, p. 5 seq.) selber auf den Nenner gebracht hat: „ . . . GATT has not helped to create the new order which must meet the needs of development . . . " (id. p. 7). Besondere Erwähnung verdient daneben die Erklärung, die die 33 Teilnehmer eines UNEP-Symposions in Cocoyoc am 12. Oktober 1974 verabschiedet haben (Text: EA 1975 S. D 357). In eindringlichen Worten werden Raubbau, Vergeudung und Ausbeutung angeklagt und die Errichtung eines internationalen Steuersystems zur Erzielung von Mitteln für Entwicklungshilfe befürwortet.

Die wirtschaftlichen Forderungen im einzelnen Die Haupt-, Neben- und Spezialorgane der Vereinten Nationen, insbesondere die Generalversammlung, UNCTAD und -»• UNIDO, haben sich die Postulate der Entwicklungsländer weitgehend zu eigen gemacht. Als Ausgangspunkt wählten etliche Verlautbarungen die Präambel der Charta sowie Art. 55. Die Präambel hält die Vereinten Nationen dazu an, „den sozialen Fortschritt und einen besseren Lebensstandard in größerer Freiheit zu fördern" bzw. „internationale Einrichtungen in Anspruch zu nehmen, um den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt aller Völker zu fördern". Nach Art. 55 (a) fördern die Vereinten Nationen „die Verbesserung des Lebensstandards, die Vollbeschäftigung und die Voraussetzungen für wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt und Aufstieg" zugunsten eines Zustands der „Wohlfahrt". Spätere Rechtsakte plädierten unter Berufung darauf für Behebung von Ungleichheiten und Beseitigung bestehender Ungerechtigkeiten (z. B. Deklaration) oder,

Die wirtschaftlichen Forderungen im einzelnen

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noch knapper, für „Wohlstand für alle" (GA Res. 2626 (XXV), Punkt 6), mithin einen Gleichstand der Entwicklung. Um die Wirtschaftskraft der Entwicklungsländer zu stärken, sei eine „vernünftige und gerechte internationale Arbeitsteilung" geboten (Aktionsprogramm, Punkt I 3 (a) (vii); dafür bereits UNCTAD I, Allgemeines Prinzip 5). Vor allem bei der Industrieproduktion sei die Arbeitsteilung zu verstärken (-»• UNIDO) mit dem Ziel, daß sich der Anteil der Entwicklungsländer an der Weltindustrieproduktion von 7 % (1975) auf 25 % im Jahre 2 0 0 0 erhöhe (UNIDO-Deklaration, Punkt 28). (Nach Berechnungen deutscher Wirtschaftswissenschaftler wäre eine Zielmarke von 14—17 % realistischer.) Die Industrialisierung habe sowohl importsubstitutiv als auch exportorientiert zu sein (UNIDO-Aktionsplan). Zur Veränderung der internationalen Arbeitsteilung seien u. a. Wettbewerbs- und strukturschwache Industrien aus den entwickelten Staaten in Entwicklungsländer zu verlagern, „so daß Strukturanpassungen in den ersteren und eine bessere Nutzung des natürlichen und menschlichen Potentials in letzteren erfolgen" (GA Res. 3362 ( S - V I I ) , Punkt IV 2). Mit dieser vorsichtigen Formulierung setzte sich die Generalversammlung für einen Ausbau gerade der arbeitsintensiven und rohstoffverarbeitenden Produktionen ein. Den entwickelten Staaten gestand sie in derselben Resolution zu, diese dürften bei strukturpolitischen Anpassungsbeschlüssen ihre Wirtschaftsstruktur sowie ihre wirtschaftlichen, sozialen und Sicherheitsziele berücksichtigen, und kam damit dem Verlangen etwa der Bundesrepublik Deutschland nach einem Strukturwandel „in geordneten Bahnen" entgegen. Die USA haben diese Einschränkung am Ende der 7. Sondersitzung in einer besonderen Erklärung unterstrichen und an den Schutz der Rechte des Arbeitnehmers erinnert. Die Forderung nach mehr Eigenweiterverarbritung durch die Entwicklungsländer wurde wiederholt erhoben (z. B. Aktionsprogramm, Punkt I 1 (g)). Deren Volkswirtschaften seien zu diversifizieren — so bereits das Allgemeine Prinzip 5 von UNCTAD I. Die Entwicklungsländer seien darüberhinaus in verstärktem Maße in die Vermarktung und in den unsichtbaren Dienstleistungsverkehr einzuschalten (Wirtschaftscharta, Art. 27), beispielsweise durch größeren Anteil an der Weltschiffahrtstonnage und am Versicherungswesen (Aktionsprogramm, Punkt I 4 (a) (c)). Zur Erreichung dieser Ziele wurden zahlreiche Maßnahmen in Aussicht genommen. Die Vereinten Nationen betonten immer wieder, die Hauptverantwortung für die Aufbauarbeit in den Entwicklungsländern liege in erster Linie bei diesen selbst (z. B. Wirtschaftscharta, Art. 7; so bereits GA Res. 4 0 0 (V) vom 20.11.1950). Demgemäß sollen sich die Entwicklungsländer zuvörderst selber und gegenseitig helfen. Die Aufforderung zur Zusammenarbeit zieht sich wie ein roter Faden durch die Resolutionen (bereits Allgemeines Prinzip 10 von UNCTAD I; GA Res. 3442 (XXX) vom 9.12.1975 mit den üblichen Rückverweisungen). Es fällt auf, daß die Möglichkeit der regionalen oder subregionalen Integration, die bereits UNCTAD I angesprochen hatte (Allgemeines Prinzip 10), seit dem Aktionsprogramm (Punkt VII 1 (c)) weniger betont zu werden scheint. Das umstrittenste Modell der Selbsthilfe ist die Bildung von Erzeugerzusammenschlüssen (Kartellen) durch die rohstoffproduzierenden Entwicklungsländer. Die Befürwortung dieses Modells nach dem Vorbild von OPEC fand nach der Ölkrise im Herbst 1973 alsbald Eingang in die Resolutionen der Organe der Vereinten Nationen, insbesondere in Deklaration (Punkt 4 (t)), Aktionsprogramm (Punkt I 1 (c)) und Wirtschaftscharta (Art. 5). Bereits auf der 6. Sondersitzung der Generalversammlung legten die USA und die Bundesrepublik Deutschland ausdrücklich Vorbehalte dagegen ein (ILM vol. 13 (1974) p. 744, 749). Den Höhepunkt erlebte der Kartellgedanke auf der Rohstoffkonferenz in Dakar, als sich die 68 teilnehmenden Entwicklungsländer für die Errichtung einer Verbindungsstelle der Eizeugerzusammenschlüsse aussprachen und namentlich mit OPEC und CIPEC solidarisch erklärten (Dakar-Aktionsprogramm, Punkt 2, und Res. 1 und 6; Text: ILM vol. 14 (1975) p. 520 seq.). Die UNIDO-Deklaration griff den Gedanken noch einmal auf (Punkt 47), doch bereits die Schlußresolution der 7. Sondersitzung überging ihn mit Stillschweigen. Die praktischen

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Weltwirtschaftsordnung

Hindernisse, auf die die Versuche, neue Kartelle zu bilden, gestoßen sind, haben die Attraktivität des Modells gemindert. Damit die Entwicklungsländer über ausreichende Eigenmittel zur Finanzierung ihrer Strukturpolitik verfügen, müssen ihre Exporteinkünfte steigen. Das Erfordernis höherer Ausfuhreinnahmen ist spätestens seit UNCTAD I anerkannt (Allgemeines Prinzip 6). Es sind mehrere Mittel zur Erreichung dieses Zwecks in Aussicht genommen worden. Die Kartellbildung kann dazu gerechnet werden. Am Anfang stand aber die Forderung nach einem Abbau der Importrestriktionen in den entwickelten Industriestaaten und einer Öffnung der Märkte für Halb- und Fertigwaren der Entwicklungsländer (ständig wiederholt seit UNCTAD I, Allgemeines Prinzip 7). Wegweisend und — weil GATT-widrig — umwälzend war das Verlangen nach tarifárer und nichttarifärer Vorzugsbehandlung, das die Entwicklungsländer in ihrer gemeinsamen Erklärung auf der 18. Jahrestagung der Generalversammlung geltend machten (Punkt 5 (b)) und welches UNCTAD I gegen den Widerstand der westlichen Industriestaaten übernahm (Allgemeines Prinzip 8; Erwägung der Nichtreziprozität bereits in GA Res. 1707 (XVI) vom 19.12.1961). Australien wurde 1965 zum Vorreiter, als es die Präferenzbehandlung für bestimmte Waren aus Entwicklungsländern einführte (GATT waiver am 28.3.1966: GATT, Basic Instruments and Selected Documents, 14th suppl., p. 23). UNCTAD II stellte schließlich am 26. März 1968 nach langwierigen Auseinandersetzungen „die einmütige Zustimmung zur baldigen Einrichtung eines gegenseitig annehmbaren Systems von allgemeinen einseitigen und nicht-diskriminierenden Präferenzen zum Vorteil der Entwicklungsländer" bei Halb- und Fertigwaren fest (Res. 21 (II); -* Handels- und Wirtschaftsdiskriminierung). Der UNCTAD-Rat verabschiedete das ausformulierte Allgemeine Präferenzsystem am 13. Oktober 1970 (Dec. 75 ( S - I V ) , Doc. TD/B/330/Annex I = ILM vol. 10 (1971) p. 1083). Das EG-Präferenzsystem gemäß Ratsverordnungen vom 21. Juni 1971 (AB1EG Nr. L 142 vom 28.6.1971) trat zum 1. Juli 1971 in Kraft (GATT waiver für zehn Jahre am 25.6.1971: GATT, Basic Instruments and Selected Documents, 18th suppl., p. 24). Die USA folgten erst Anfang 1976. Die Organe der Vereinten Nationen forderten wiederholt zum Ausbau des Systems auf (z. B. GA Res. 3362 (S—VII), Punkt I 8). Einen besonderen Platz nimmt in diesem Zusammenhang das Abkommen von Lomé vom 28. Februar 1975 ein (Text: BGBl. 1975 II S. 2317), in dem die Mitglieder der Europäischen Gemeinschaften 46 afrikanischen, karibischen und pazifischen Staaten („AKP-Staaten", Entwicklungsländer) den EG-Markt nahezu vollständig geöffnet haben. Neben die Begünstigung durch Handelsvorteile haben in der „Neuen Weltwirtschaftsordnung" weitere Formen kompensatorischer Ungleichbehandlung zu treten. Die Wirtschaftscharta bringt diese Ausprägung der Vorstellung ausgleichender Gerechtigkeit auf einen kurzen Nenner: „Allgemeine Vorzugsbehandlung", und zwar in allen Bereichen wirtschaftlicher Zusammenarbeit (Art. 19). Im Hinblick auf die kontinuierliche Durchführung von Entwicklungsplänen ist die Verstetigung der Einnahmen für die Entwicklungsländer besonders bedeutsam. Die Forderung nach Stabilisierung und Erhöhung von deren Exporteinkünften aus dem Rohstoffhandel ist seit UNCTAD I (Allgemeines Prinzip 7) Gemeingut der Resolutionen, mit denen die Vereinten Nationen zur Entwicklungsproblematik Stellung beziehen. Drei Wege wurden laufend vorgezeichnet: Preisstabilisierung und -erhöhung, Erlösstabilisierung und Indexierung. Preisstabilisierung und -erhöhung: Das Ziel wird mit der stets wiederkehrenden Formel „stabile, lohnende und gerechte Preise" umschrieben (z. B. Wirtschaftscharta, Art. 6), wobei die unbestimmten Rechtsbegriffe „lohnend" und „gerecht" der Preisanhebung den Weg ebnen sollen. Das Instrument sind marktregulierende -> Rohstoffabkommen. Art. 6 Wirtschaftscharta erklärt ihren Abschluß gleichsam zur Pflicht. Als Lenkungsmittel bieten sich multilaterale Liefer- und Abnahmeverpflichtungen an sowie Ausgleichslager (buffer stocks), die zur Preisverteidigung je nach Marktlage an- oder verkaufen, und Kontingentierung der Produktion. Vor allem die USA stehen Rohstoffabkommen grundsätzlich reserviert gegenüber (vgl. ihre Vorbehaltserklärung auf der 6. Sondersitzung der Generalversammlung); auf

Die wirtschaftlichen Forderungen im einzelnen

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der 7. Sondersitzung haben sie gleichwohl angekündigt, trotz fortbestehender Skepsis würden sie an künftigen Rohstoffverhandlungen teilnehmen. Erkennt man R o h s t o f f a b k o m m e n ungeachtet der zweifelhaften Erfolgsaussichten und der nicht viel versprechenden Erfahrungen als grundsätzlich vertretbares Mittel an, bleiben jedenfalls noch problematisch die Höhe der Interventionspreise und der gegenständliche Geltungsbereich der Marktregulierung. Auf ihrer 7. Sondersitzung hat die Generalversammlung den Marktlenkungsmaßnahmen expressis verbis aufgegeben, auf ein Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage hinzuwirken. Die Bundesrepublik Deutschland hatte vor künstlich überhöht fixierten Preisen ausdrücklich gewarnt. Die Frage des Regulierungsbereichs war überaus kontrovers, seit der UNCTADGeneralsekretär am 8. August 1974 das Projekt eines „integrierten Rohstoffprogramms" unterbreitet hatte, welches 18 Rohstoffe umfassen sollte (Corea-Plan, Doc. TD/B/498 und später Doc. TD/B/C.1/166 und suppl. 1—5; Corea senkte später die Zahl auf zehn). Westliche Industriestaaten wie namentlich die Bundesrepbulik Deutschland und die USA wünschten kein umfassendes Einheitsprogramm. Die Generalversammlung hat es auf ihrer 7. Sondersitzung vermieden, sich eindeutig festzulegen. Erlösstabilisierung: Bei dieser geht es nicht u m das Verhindern von Preisschwankungen, sondern u m den Ausgleich von konjunkturellen Einkommenseinbußen infolge tatsächlich eingetretenen Preisabfalls. Verluste sind durch Ausgleichszahlungen wettzumachen. Das forderte bereits die Kairo-Deklaration (Punkt 36), und UNCTAD I Schloß sich dem präzisierend an (Besonderes Prinzip 7). Mehrere Modelle sind denkbar: Die Ausgleichszahlungen können an den Preisen einzelner Erzeugnisse orientiert werden oder an dem durch Volumen und Preis bestimmten Erlös, wobei in letzterem Fall produktbezogen vorgegangen oder aber auf eine globale Einbuße abgestellt werden kann. Der ->• IMF führte bereits 1963 ein kompensatorisches Finanzierungsschema ein, das bei vorübergehenden globalen Einbußen Sonderziehungen erlaubt (Selected Decisions of the IMF, 6th issue, p. 42). Die Generalversammlung befürwortete eine Verbesserung des Schemas, dessen Konditionen ihr zu restriktiv schienen (Aktionsprogramm, Punkt II 1 (i)). Auf ihrer 7. Sondersitzung lehnte sie sich dabei an einen amerikanischen Vorschlag an, das überkommene IMF-Schema durch eine im Rahmen des IMF neuzuschaffende Entwicklungssicherheits-Fazilität zu ersetzen, die auch Fertigwaren umfassen und über ein jährliches Kreditvolumen von ca. 2,5 Mrd. Dollar verfügen würde (Res. 3362 ( S - V I I ) , Punkt II 17). Die USA hatten ihr Modell bewußt als Alternative zur Marktlenkung durch Rohstoffabkommen entworfen. Zum Vorbild späterer Systeme könnte der Ausgleichsmechanismus werden, den das Abkommen von Lomé eingerichtet hat („STABEX"). Er erfaßt 12 Erzeugnisse, ist produktorientiert, hat ein Kapital von 375 Mio. EG-Rechnungseinheiten für fünf Jahre und k o m m t bereits bei geringfügigen Verschlechterungen z u m Zug. Indexierung: Hierbei geht es um Kaufkraftsicherung. Die Wirtschaftcharta formuliert es am kürzesten: „Anpassung der Ausfuhrpreise der Entwicklungsländer an ihre Einfuhrpreise" (Art. 28). Die Exporterlöse der Entwicklungsländer sollen nicht entwertet werden. Der Gedanke ist nicht neu. Er klang in der Kairo-Deklaration an (Punkt 32), wurde von UNCTAD I aufgegriffen (Allgemeines Prinzip 7) und kehrte nach der Ölkrise in allen wichtigen Resolutionen wieder (Deklaration, Punkt 4 (j); Aktionsprogramm, Punkt I 1 (d); UNIDO-Deklaration, Punkt 19). Auf ihrer 7. Sondersitzung drückte sich die Generalversammlung vorsichtiger aus; zur Erhaltung der K a u f k r a f t der Entwicklungsländer stünden mehrere Wege zur Verfügung (Res. 3362 ( S - V I I ) , Punkt I 5). Auf der 6. Sondersitzung hatten etliche Industriestaaten grundsätzliche und praktische Einwände gegen die Indexierung vorgebracht (Vorbehaltserklärungen, ILM vol. 13 ( 1 9 7 4 ) p. 7 4 4 seq.). Auch in der „Neuen Weltwirtschaftsordnung" werden die klassischen Instrumente der internationalen -> Entwicklungspolitik einstweilen noch nicht überflüssig sein. Die Vereinten Nationen plädieren unablässig für eine Verstärkung der Kapitalhilfe (->• IBRD; IDA; IFC) und der technischen Hilfe (-* Technische Hilfe, Technologietransfer; UNDP). Bereits 1960 äußerte die Generalversammlung die H o f f n u n g , die Unterstützung mit realen Ressourcen

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Weltwirtschaftsordnung

werde möglichst bald etwa 1 % des aggregierten Volkseinkommens der entwickelten Staaten ausmachen (Res. 1522 (XV) vom 15.12.1960). UNCTAD I bestätigte das 1 %-Ziel, setzte es allerdings nicht der Gesamtheit der entwickelten Staaten (kollektiv), sondern jedem einzelnen davon (individuell; Final Act, Annex Α. IV. 3, UNCTAD Proceedings, 1964, vol. I, p. 44). In der Charta von Algier wählten dann die Entwicklungsländer das Bruttosozialprodukt anstelle des Volkseinkommens zum Maßstab (Teil 2, C 1 (a)) und setzten diesen auf UNCTAD II durch (Dec. 27 (II) vom 28.3.1968). Das bedeutete eine Aufstockung von ca. 25 %. 1970 ging die Generalversammlung noch einen Schritt weiter. Der Nettoumfang der finanziellen Zuflüsse aus staatlichen Quellen (öffentliche Entwicklungshilfe) solle einen Anteil am Bruttosozialprodukt von 0,7 % erreichen (Res. 2626 (XXV), Punkt 43). Die Resolutionen setzten in der Regel Fristen, innerhalb derer die Ziele erreicht sein sollten. Die Fristen mußten mehrfach verlängert werden. Seit Resolution 3362 (S—VII) soll der 0,7 %-Anteil bis zum Ende der 70er Jahre realisiert sein (Punkt II 2). Die meisten Industriestaaten waren 1975 von den beiden Zielmarken recht weit entfernt (öffentliche Leistungen der Bundesrepublik Deutschland 1975 = 0,4 % des Bruttosozialprodukts). Im Bereich der technischen Hilfe trat der Technologietransfer in den Vordergrund, und dabei wiederum das Projekt eines Verhaltenskodex (Aktionsprogramm, Punkt IV (a)). Die westlichen Industriestaaten entschlossen sich, in UNCTAD an der Formulierung eines solchen Kodex mitzuarbeiten. Umstritten blieb vor allem dessen Rechtsnatur. Speziell die USA wehrten sich auf der 7. Sondersitzung der Generalversammlung gegen die verbindliche Statuierung von Rechten und Pflichten. Die Generalversammlung legte sich insoweit nicht fest (Res. 3362 (S—VII), Punkt III 3), doch in der Manila-Deklaration beharrte die Gruppe der 77 auf der völkerrechtlichen Verbindlichkeit des Richtlinienwerks. Die Forderung der Entwicklungsländer nach einer Verbindung zwischen der Zuteilung von Sonderziehungsrechten und der Entwicklungsfinanzierung („link", -> IMF) fuhrt in den Bereich der Weltwährungsordnung über. Diese Form automatischer Mittelübertragung ist wegen der Gefahr übermäßiger Ausweitung der internationalen Liquidität und inflationärer Folgen besonders umstritten. Die Generalversammlung schlug sich mit Resolution 2626 (XXV) auf die Seite der Entwicklungsländer, freilich in behutsamen Worten (Punkt 52; vgl. bereits UNCTAD II, Res. 32 (II) vom 28.3.1968). In der Folgezeit ergriff sie mal deutlich, mal weniger klar Partei, bis sie auf ihrer 7. Sondersitzung eine Kompromißformel übernahm, die die Schaffung neuer Sonderziehungsrechte an den Bedarf nach internationaler Liquidität knüpfte (Res. 3362 (S-VII), Punkt II 3). Die USA lehnten den „link" in einer Vorbehaltserklärung nochmals ab. Die Aussagen von Organen der Vereinten Nationen zu sonstigen Aspekten der internationalen Währungsordnung waren häufig wenig präzis, mag sich die Generalversammlung auch unmißverständlich dafür ausgesprochen haben, die Sonderziehungsrechte zur zentralen Reserve zu machen, die Rolle nationaler Reservewährungen folglich zu vermindern (Res. 3362 (S—VII), Punkt II 15). Die allmähliche Verwandlung des IMF in ein Entwicklungsfinanzierungsinstitut macht jedoch deutlich, daß auch die internationale Währungsordnung in den Dienst der Entwicklungsfinalität tritt. Die Konzeption der „Neuen Weltwirtschaftsordnung" beschränkt sich nicht darauf, eine Sonderordnung für die Armen zu entwerfen, die den Reichen gegenüberstehen (-• Nord-SüdKonflikt). Der Status der Entwicklungsländer erfährt eine wachsende Differenzierung in Richtung auf eine wirtschaftliche und soziale Stufenleiter hin. Die besondere Position der am wenigsten entwickelten Entwicklungsländer wurde frühzeitig erkannt (z. B. UNCTAD I, Allgemeines Prinzip 15; ausführlich GA Res. 2626 (XXV), Punkte 56—58). Auch die Sonderproblematik geographisch benachteiligter Staaten (Binnenländer, Inselstaaten) war bereits UNCTAD I bewußt; die Konferenz widmete den Binnenländern eine eigene, bemerkenswerterweise einmütig gebilligte Acht-Prinzipien-Erklärung (Allgemeines Prinzip 13 und Annex A. I. 2). Die Realisierung eines Rechts auf Seezugang bereitete in der Praxis gleichwohl Schwierigkeiten, wie etwa der Streit zwischen dem Iran, Pakistan und dem Binnenland

Nord-Siid-Dialog

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Afghanistan auf der Manila-Tagung der Gruppe der 77 erwies. Nach der Ölkrise im Herbst 1973 schälte sich schließlich u. a. auch der Sonderstatus der rohstoffreichen, insbesondere der erdölfördernden Entwicklungsländer heraus. Bereits auf ihrer 6. Sondersitzung wies die Generalversammlung diese Staaten auf die aus dem natürlichen Reichtum folgenden besonderen Pflichten hin. Im Zusammenhang mit bestimmten finanziellen Leistungen nannte sie „die entwickelten und andere Länder, die hierzu in der Lage sind" in einem Atemzug oder appellierte an „Entwicklungsländer entsprechend ihrem Entwicklungsstand, ihrem Leistungsvermögen und der Kraft ihrer Wirtschaft" oder einfach an „andere Länder, die einen Beitrag leisten können" (Aktionsprogramm, Punkte IX 6, X (e), X 3; andere prägnante Formel: „Entwicklungsländer, die über ausreichende Ressourcen verfügen", Punkt X (e)). In Resolution 3362 (S—VII) wurde diese junge Oberschicht der Dritten Welt bereits achtmal direkt angesprochen. Nord-Süd-Dialog Die hervorgehobene Position der finanzstarken Entwicklungsländer wurde auch bei der Vorbereitung des sog. Nord-Süd-Dialogs deutlich. Der Gedanke an eine solche Aussprache kam in der Folge der Ölkrise vom Herbst 1973 auf. Frankreich schlug im Januar 1974 die Einberufung einer internationalen Konferenz über Energiefragen vor, und zwar unter Beteiligung von Industriestaaten, Erdölförderstaaten (der OPEC) und anderen Entwicklungsländern. Im Oktober 1974 griff es einen saudi-arabischen Vorschlag auf, wonach sich drei Vertreter der Industriestaaten (EG, Japan, USA) und sieben Vertreter der Entwicklungsländer (Algerien, Brasilien, Indien, Iran, Saudi-Arabien, Venezuela, Zaire — also vier OPEC-Mitglieder) in einem begrenzten Kreis treffen sollten. Die erste Konferenz trat im April 1975 in Paris zusammen, führte aber zu keinem Ergebnis, da die Industrieländer nur über das Energieproblem, die Entwicklungsländer hingegen außerdem über Rohstoffe insgesamt sowie Entwicklung einschließlich Währungsfragen und Finanzen, also über den gesamten Komplex Weltwirtschaftsordnung sprechen wollten. Die entwickelten Industriestaaten des Westens — die sozialistischen Länder Osteuropas standen von vornherein abseits, von Jugoslawien abgesehen gaben später nach, so daß bis zu einer zweiten Konferenz im Oktober 1975 eine Einigung erzielt werden konnte. Der „Dialog" erhielt die Bezeichnung „Konferenz über internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit" (KIWZ). Der Teilnehmerkreis wurde auf 27 festgelegt: Acht Vertreter der Industriestaaten, 19 der Entwicklungsländer. Auf der einen Seite kamen Australien, Kanada, Schweden, Schweiz und bemerkenswerterweise Spanien, das lange Zeit auf seiner Anerkennung als Entwicklungsland bestanden hatte, auf der anderen Seite Ägypten, Argentinien, Indonesien, Irak, Jamaika, Jugoslawien, Kamerun, Mexiko, Nigeria, Pakistan, Peru und Sambia — also drei weitere OPEC-Mitglieder, jedoch kein einziges der am wenigsten entwickelten -> Entwicklungsländer — hinzu. Des weiteren wurde beschlossen, die Arbeit der Konferenz von vier Kommissionen — für Energie, Rohstoffe, Entwicklung und Finanzen — leisten zu lassen. Den Kommissionen sollten jeweils fünf Repräsentanten der Industriestaaten und zehn der Entwicklungsländer angehören. Die Regelung des Vorsitzes unterstellte Hauptkonferenz wie Kommissionen der Kopräsidentschaft von Vertretern beider Seiten. Für die Beschlußfassung wurde das Konsens- und damit praktisch das Einstimmigkeitsprinzip vereinbart. Kurz vor Zusammentritt der ersten Ministertagung der KIWZ schaltete sich die Generalversammlung ein. Sie meinte, zwischen der KIWZ und den Vereinten Nationen müsse eine Beziehung hergestellt werden, ersuchte die Teilnehmerstaaten um volle Berücksichtigung der einschlägigen Verlautbarungen der Vereinten Nationen und bat die Konferenz um Berichterstattung (Res. 3515 (XXX) vom 15.12.1975). Die Konferenz forderte das Sekretariat und einige Spezialorgane der Vereinten Nationen sowie mehrere Sonderorganisationen auf, sich bei den entsprechenden Kommissionen ständig vertreten zu lassen, und sagte der Generalversammlung zu, ihr berichten zu wollen. Die Kommissionen nahmen ihre Arbeit am 11. Februar 1976 auf. Es bestand Einver-

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Weltwirtschaftsordnung

nehmen, daß dort jede Delegation alle auf den Dialog bezogenen Fragen zur Diskussion würde stellen können. Die 19 Entwicklungsländer hatten demgemäß schon im Januar 1976 eine Vorschlagsliste unterbreitet, die den gesamten Katalog ihrer „klassischen" Forderungen enthielt (Text: EA 1976 S. D 134). Völkerrechtliche

Implikationen

Die „Neue Weltwirtschaftsordnung" tastet an Axiome des Völkerrechts wie Souveränität und Gleichheit der Staaten sowie die Lehre von den Rechtssubjekten und den Rechtsquellen. Zahllose Rechtsakte der Vereinten Nationen beschwören — wie bereits Art. 2 Ziff. 1 — die „souveräne Gleichheit" der Staaten (->· Souveränität). Zugleich ist aber eine bevorzugte Behandlung der Entwicklungsländer gefordert und in Teilbereichen durchgesetzt worden. Es gibt mittlerweile die besondere Kategorie des „Entwicklungslandes". Sie ist anerkannt worden durch Organisationsakte der Vereinten Nationen — Beispiele: Besetzung des Verwaltungsrats von UNDP (GA Res. 2813 (XXVI) vom 14.12.1971), Finanzierung von friedenserhaltenden Operationen (wegweisend GA Res. 3101 (XXVIII) vom 11.12.1973) - , in völkerrechtlichen Verträgen - Beispiele: Teil IV des -+ GATT (BGBl. 1967 II S. 2005); Regelung der Zeichnungen im Abkommen über die -> IDA (BGBl. 1960 II S. 2137) — und in Rechtsetzungsakten — Beispiel: Das EG-Präferenzsystem, eingeführt durch Ratsverordnungen vom 21. Juni 1971 mit zum Teil umfassenden Entwicklungsländer-Listen (AB1EG Nr. L 142 vom 28.6.1971). Auch die Anerkennung der Subkategorien der „am wenigsten entwickelten" sowie der geographisch benachteiligten Länder (Binnenstaaten, Inseln) dürfte sich durchgesetzt haben. Hier ist wiederum die Finanzierungsentscheidung vom 11. Dezember 1973 zu zitieren (GA Res. 3101 (XXVIII); vgl. außerdem GA Res. 2786 (XXVI) vom 18.11.1971 und 3487 (XXX) vom 12.12.1975). Als völkerrechtlicher Vertrag mit Sonderregelungen für Staaten, „die am wenigsten entwickelt sind, die keinen direkten Zugang zum Meer haben oder die Inselstaaten sind", sei das Abkommen von Lomé genannt (Liste: Art. 24). In einem Beschluß vom 3./4. Mäiz 1975 kündigte der EG-Rat an, bei der vorgesehenen Verbesserung des Allgemeinen Präferenzsystems „den Interessen der am wenigsten begünstigten Entwicklungsländer Rechnung tragen" zu wollen (Bull. EG 3—1975, Ziff. 2318). Das Präferenzschema für 1976 (Ratsverordnungen vom 17.11.1975, AB1EG Nr. L 3 1 0 vom 29.11.1975) enthielt einige — wenn auch bescheidene — Ansätze in dieser Richtung. 1975 kündigten zahlreiche OECD-Länder an, bei bilateralen Entwicklungshilfeleistungen würden sie sich fortan auf die ärmsten Länder konzentrieren. Die Bundesrepublik Deutschland meldete dies in ihrer „entwicklungspolitischen Konzeption (Fassung 1975)" für die finanzielle Zusammenarbeit an und nahm dabei auf die Liste der Vereinten Nationen Bezug (BundestagsDrucksache 7/4293, S. 48) — eine auffällige Bestätigung der Resolutionen der Generalversammlung 2768 (XXVI) und (später) 3487 (XXX). Am 9. Juli 1975 setzte die Bundesregierung „Richtlinien für die deutsche bilaterale Kapitalhilfe" in Kraft, die für Zusagen ab 1. Januar 1976 ein Dreiklassenschema einführten: Am wenigsten entwickelte und zusätzlich auch die von der Erdölkrise am schwersten betroffenen Länder, „fortgeschrittene Entwicklungsländer" und die übrigen Entwicklungsländer (Zinsstaffelung: 0,75 % (Verwaltungsgebühr) - 4,5 %—2 %; Laufzeiten: 50 - 20 - 30 Jahre; tilgungsfreie Jahre: 10 - 5 - 10; für die ärmsten Länder also Anwendung der IDA-Konditionen, wie durch UNCTAD Res. 62 (III) 1972 gefordert). Auch die Subkategorie der „fortgeschrittenen Entwicklungsländer" dürfte auf dem Weg zur internationalen Anerkennung sein. Die deutschen Kapitalhilfe-Richtlinien sind ein praktisches Beispiel. In diesem Sinne werden auch die hervorgehobene Stellung der rohstoffreichen, insbesondere erdölfördernden Entwicklungsländer im „Nord-Süd-Dialog" und die besonderen Finanzleistungen dieser Staaten an die Ölfazilität des IMF und andere Konten gesehen werden können. Der Internationale Fonds für landwirtschaftliche Entwicklung (IFAD; Welternährungslage) verspricht, die Zwischenposition der finanzkräftigen Ent-

Völkerrechtliche Implikationen

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wicklungsländer klar und deutlich herauszustreichen: Der Satzungsentwurf vom 6. Februar 1976 sah drei Mitgliederkategorien vor: Entwickelte Geberländer, beitragleistende Entwicklungsländer und sonstige Entwicklungsländer. Im Gouverneursrat der neuen Sonderorganisation werden jeder Kategorie 6 0 0 der insgesamt 1.800 Stimmen zugebilligt. Es drängt sich die Frage auf, inwieweit der Sonderstatus der Entwicklungsländer mit der „souveränen Gleichheit" der Staaten vereinbar ist, namentlich auch derjenigen der zu einseitigen Vergünstigungen herausgeforderten Industriestaaten. Eine Lösung wird vielfach im Wege der Neuinterpretation d e r - * Souveränität bzw. der souveränen Gleichheit versucht. Das klassische Verständnis dieses Staatsattributs im Sinne einer — gewissermaßen rechtsstaatlichen — Gewährleistung der Gleichheit „vor dem R e c h t " , mithin im Sinne eines Abwehrrechts, müsse überwunden werden. Es sei eine Tatsache, daß die Staaten im Bereich der wirtschaftlichen Entwicklung ungleich seien. Ohne ihre überkommene Funktion zu verlieren, müsse die souveräne Gleichheit künftig auch positiv-offensiv-dynamisch verstanden werden als Recht auf Herstellung gleicher Entwicklungschancen und letztlich auf vergleichbares Wohlstandsniveau. Neben die liberal-freiheitssichernde oder rechtsstaatliche Komponente der souveränen Gleichheit träte damit eine interventionistische bzw. sozialstaatliche. Verstünde man Souveränität dieserart, dann wäre die ausgleichende Ungleichbehandlung der Staaten im Wirtschaftsbereich durch sie sogar geboten. Die gesteigerte Souveränität der Entwicklungsländer wäre bei dieser Betrachtungsweise, die von der Finalität der Gleichheit und damit von einer wertorientierten Völkerrechtsordnung ausgeht, auf eine tragfähige Grundlage gestellt. Die begrenzte Souveränität der zu internen Strukturreformen angehaltenen und gleichsam international besteuerten Industriestaaten wäre dadurch noch nicht befriedigend erklärt. Die angestrengte Neudeutung der „souveränen Gleichheit" ist auch insofern anfechtbar, als nicht ohne weiteres einleuchtet, daß von d e m universalen Entwicklungsziel „Wohlstand für alle" ein unmittelbarer Bezug zur „Gleichheit der Staaten" hergestellt werden kann. Auf weniger Klippen stößt der Gedanke der „Solidarität". Er wird häufig durch eine Bekräftigung der „Interdependenz" der Staaten eingeleitet. So ist laut Deklaration „klar erkennbar", „daß die Interessen der entwickelten Länder und die der Entwicklungsländer untrennbar geworden sind; daß es eine enge Wechselbeziehung zwischen dem Wohlstand der entwickelten und dem Wachstum und der Entwicklung der Entwicklungsländer gibt" (Punkt 3; vgl. auch Art. 31 Wirtschaftscharta). Die Wirtschaftscharta faßt die Verpflichtung zu Solidarität und Kooperation in die Worte: „Jeder Staat hat die Pflicht, an . . . einer Verbesserung des Wohlstands und des Lebensstandards aller Völker, insbesondere in den Entwicklungsländern, mitzuwirken" (Art. 14). „Die internationale Zusammenarbeit für die Entwicklung ist das gemeinsame Ziel und die gemeinsame Aufgabe aller Staaten" (Art. 17). Der Solidaritätsgedanke ist keineswegs neu. Vattel hatte die Beistandspflicht als eine Obliegenheit des souveränen Staates betrachtet ( „ . . . chaque Nation doit contribuer au bonheur e t à la perfection des autres tout ce qui est en son pouvoir", Droit des Gens, 1758, Préliminaires § 13). Dem positivistischen Völkerrecht blieb die — naturrechtliche — Idee fremd. Heute wird zum Nachweis ihrer Anerkennung durch die Charta der Vereinten Nationen gelegentlich auf Art. 1 Ziff. 3 sowie 55 und 56 verwiesen, doch dürfte diese These weder dem Wortlaut des Textes noch den Vorstellungen der Charta-Verfasser gerecht werden. Ob der Solidaritätsgedanke international sanktioniert werden wird, hängt vermutlich sehr von der inneren Kohärenz des neuen Ordnungskonzepts ab. Modelle, die die prekäre Balance zwischen alter Souveränität und neuer Solidarität zerstören und Rechte und Pflichten einseitig verteilen, erfüllen diesen Anspruch nicht. Problematisch ist in diesem Zusammenhang bereits das Beharren der Entwicklungsländer auf strikter Beachtung ihrer Souveränität im Sinne von Nichteinmischung in ihre inneren Angelegenheiten. Die Abkapselung der Teile ist mit dem Vorbild einer Solidargemeinschaft schwerlich vereinbar. Weitergehende Probleme folgen aus dem Postulat einer „ständigen Souveränität über seine natürlichen Ressourcen", die jedem Lande zustehe, vor allem aber den Entwicklungsländern, wie die UNIDO-Deklara-

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Weltwirtschaftsordnung

tion spezifiziert (Punkt 34) und wovon die Generalversammlung bereits in Resolution 523 ( V I ) vom 12. Januar 1952 ausgegangen war. Es geht dabei — vereinfachend zusammengefaßt — um die Verbürgung einer uneingeschränkten und uneinschränkbaren wirtschaftlichen Verfügungsfreiheit des Nationalstaats im eigenen Bereich. Die Konturen dieser Formel werden nicht dadurch schärfer, daß die Organe der Vereinten Nationen sie teils von der Souveränität abgeleitet haben ( G A Res. 626 ( V I I ) vom 21.12.1952; Deklaration, Punkt 4 ( e ) ) , teils vom Selbstbestimmungsrecht ( G A Res. 1314 ( X I I I ) vom 12.12.1958 und darauf beruhend G A Res. 1803 ( X V I I ) vom 14.12.1962; G A Res. 1514 ( X V ) vom 14.12.1960, übereinstimmend damit A r t . 1 beider Menschenrechtspakte = G A Res. 2200 ( X X I ) vom 16.12.1966; G A Res. 3389 ( X X X ) vom 18.11.1975). Die begriffliche Unsicherheit ist ein weiteres Indiz dafür, daß — wie durch Art. 1 Z i f f . 2 vorgezeichnet — zwischen der Souveränität des Staates und dem ->· Selbstbestimmungsrecht des Volkes bei einem unabhängigen Land von den Vereinten Nationen nicht klar unterschieden wird. Verschwommen sind auch die Umrisse jenes Rechts auf wirtschaftliche Selbstbestimmung, von dem in einigen Rechtsakten der Vereinten Nationen mit unterschiedlicher Präzision des Ausdrucks die Rede ist ( G A Res. 1514 ( X V ) — Dekolonisierungsdeklaration; U N C T A D I, Allgemeines Prinzip 1; A r t . 1 beider Menschenrechtspakte; G A Res. 2625 ( X X V ) vom 24.10.1970 - Friendly-Relations-Deklaration, Prinzip 5; G A Res. 3201 ( S - V I ) , Punkt 4 ( a ) ) . Diese Konzeptionen werden in der Praxis bedeutsam, wenn es etwa um den Schutz ausländischen Eigentums oder einen Rohstofflieferboykott geht. Es fehlt nicht an Versuchen, sie zu relativieren. Zu den Korrekturversuchen zählt das Bemühen westlicher Industriestaaten, die wirtschaftliche Souveränität unter Berufung auf die Solidarität gleichsam mit Dienstbarkeiten zu belasten (etwa: Dem Verfügungsrecht über R o h s t o f f e stehe ein Recht auf gesicherte Versorgung gegenüber). Den wohl ehrgeizigsten Versuch, Souveränität und Solidarität innerhalb eines Gesamtkonzepts miteinander zu versöhnen, stellt das Ordnungsmodell einer „kollektiven wirtschaftlichen Sicherheit" dar. Der Begriff tauchte unvermutet in der gemeinsamen Erklärung der 75 Entwicklungsländer auf der 18. Jahrestagung der Generalversammlung auf und fand elf Jahre später Eingang in die Präambel der Wirtschaftscharta. Ausgehend von der „Interdependenz" wird gegen die Abkapselung souveränitätsbewußter Staaten mit der „Anerkennung allgemeiner Verpflichtungen" und der Zielvorstellung „weltweiter O f f e n h e i t " geworben: Die Staaten müßten in internationalen Organisationen die Präferenzen für die verschiedenen Faktoren wirtschaftlichen Wohlergehensund die Maßnahmen zur Erzielung gemeinsamen Wohlstandsgewinns abstimmen und Normen für die Gewinnverteilung aufstellen ( N y e ) . Die Vereinten Nationen selber haben die „kollektive wirtschaftliche Sicherheit" nicht näher umschrieben, so daß der Begriff eher von seinem guten Klang als der Überzeugungskraft seines Inhalts lebt. Es erscheint letztlich zweifelhaft, ob die Begriffe „Souveränität" und „Solidarität" ein tragfähiges Gerüst für das Völkerrecht der „ N e u e n Weltwirtschaftsordnung" zu bilden vermögen. Es muß ein Punkt gefunden werden, von dem aus das Spannungsverhältnis zwischen dem Staatsattribut und seinem Korrektiv beherrscht werden kann. Dafür bietet sich der Ansatz bei den Menschenrechten an, dies um so mehr, als die Entwicklungsfinalität nur vordergründig den Entwicklungsgleichstand der Staaten zum Gegenstand hat, eigentlich jedoch die Lebensbedingungen des Menschen. Der Durchgriff auf das Individuum wird besonders deutlich, wenn man die Kriterien der Unterentwicklung betrachtet, die in den Vereinten Nationen herausgebildet worden sind, wie etwa Pro-Kopf-Einkommen, Analphabetismus (-»• Entwicklungsländer). Ausgangspunkt könnte etwa A r t . 1 der Deklaration über sozialen Fortschritt und Entwicklung sein ( G A Res. 2542 ( X X I V ) vom 11.12.1969), der aller Menschen Recht auf menschenwürdiges Dasein und Teilhabe am sozialen Fortschritt anerkennt. Hand in Hand damit geht die häufige Berufung auf „Völkergemeinschaft" und „Menschheit", die in den Vereinten Nationen Platz gegriffen hat. Dabei tritt die „Völkergemeinschaft" meistens in der Rolle der Verpflichteten, die „Menschheit" aber als Berechtigte auf. Ein besonders deutliches Beispiel ist die Resolution der Generalversammlung 2571

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(XXIV) vom 13. Dezember 1969, wonach die Völkergemeinschaft für eine wesentliche Verbesserung des Loses der Menschheit Sorge tragen muß. Der Rechtsbegriff „gemeinsames Erbe der Menschheit" Seerecht, vgl. GA Res. 2749 (XXV) vom 17.12.1970) dürfte sich durchgesetzt haben. Sätze wie „wirtschaftlicher und sozialer Fortschritt ist die gemeinsame und unteilbare Verantwortung der ganzen Völkergemeinschaft" (GA Res. 2626 (XXV), Punkt 10; vgl. auch UNCTAD I, Allgemeines Prinzip 4) verraten weltstaatliches Denken: Die Gemeinschaft ist für das wirtschaftliche und soziale Wohlergehen ihrer Teile verantwortlich. Ob der Ausgangspunkt des neuen Völkerrechts tatsächlich die Völkergemeinschaft sein wird, hängt von den Staaten selber ab. Die Resolutionen der Vereinten Nationen (-> Resolution, Erklärung, Beschluß; Völkerrecht durch Vereinte Nationen), so respekterheischend sie sein mögen, können die neue Ordnung nicht allein errichten. Die Generalversammlung scheint dies selber zu wissen. Ihr lag während ihrer 30. Sitzungsperiode ein Resolutionsentwurf zur „Konsolidierung und fortschreitenden Entwicklung der Normen und Grundsätze des Entwicklungsvölkerrechts" vor. Dort wurden zwar die „Normen und Grundsätze" der Resolutionen 2626 (XXV), 3201 (S-VI), 3202 (S-VI), 3281 (XXIX) und 3362 (S-VII) nebst einschlägigen Verlautbarungen von UNCTAD und GATT als „legally sufficient" bezeichnet, zugleich aber auch als „politically relevant" und „timely for consolidation", und schließlich wurde das Bedürfnis festgestellt für einen „umfassenden wirtschaftlichen Verhaltenskodex" (comprehensive code of economic behaviour). Dessen Grundlagen sollten Gerechtigkeit, souveräne Gleichheit, gegenseitige Abhängigkeit, gemeinsames Interesse und Zusammenarbeit seta — dieselben also, auf die die Präambel der Wirtschaftscharta die „Neue Weltwirtschaftsordnung" gestellt sehen wollte. Die Generalversammlung beschloß am 15. Dezember 1975, sich während ihrer 31. Sitzungsperiode mit dem Kodifikationsvorhaben befassen zu wollen, und gab damit zu erkennnen, daß sie sich nicht für den Gesetzgeber der „Völkergemeinschaft", und die voraufgegangenen Rechtsakte der Vereinten Nationen für kein rechtlich ausreichendes Fundament der „Neuen Weltwirtschaftsordnung" halte.

Literatur Bremer Ausschuß für Wirtschaftsforschung (Hrsg.): Auswertung der Dokumentation der dritten Welthandels- und Entwicklungskonferenz Santiago de Chile 1972, 3 Hefte, Stuttgart 1974 Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (Hrsg.): Wissenschaftlicher Beirat beim BMZ zu aktuellen Problemen der Entwicklungspolitik, Materialien Nr. 52, Bonn 1975 Fels: Internationale Umverteilung der Einkommen, in: EA 1975 S. 31 Feuer: Les principes fondamentaux dans le droit international du développement, in: Pays en voie de développement et transformation du droit international (Colloque d'Aix-enProvence), Paris 1974, p. 191 Feuer: Réflexions sur la charte des droits et devoirs économiques des Etats, in: RGDIP vol. 79(1975) p. 273 Flory: Souveraineté des Etats et Coopération pour le Développement, in: RCADI 141 (1974 I) p. 255 Heiduk: Die weltwirtschaftlichen Ordnungsprinzipien von GATT und UNCTAD, BadenBaden 1973 Jenks: Economic and Social Change and the Law of Nations, in: RCADI 138 (1973 I) p. 455 Ladreit de Lacharrière: L'influence de l'inégalité de développement des Etats sur le droit international, in: RCADI 139 (1973 II) p. 227 Nye: Kollektive wirtschaftliche Sicherheit, in: EA 1974 S. 650 Salem: Vers un nouvel ordre économique international. A propos des travaux de la 6e session extraordinaire des Nations Unies, in: Clunet vol. 102 (1975) p. 753

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WHO - Weltgesundheitsorganisation

Scheuner: Solidarität unter den Nationen als Grundsatz in der gegenwärtigen internationalen Gemeinschaft, in: Recht im Dienst des Friedens, Festschrift für Eberhard Menzel, Berlin 1975 Tomuschat: Die Neue Weltwirtschaftsordnung, in: VN 1975 S. 93 Vallée: Le droit international du développement, in: Thierry/Combacau/ Sur/Vallée (éd.), Droit International Public, Paris 1975, p. 503 Virally: La Charte des droits et devoirs économiques des Etats. Notes de lecture, in: AFDI vol. 20 (1974) p. 57 Norbert J. Prill Verweise auf: Blockbildung; Entwicklungsländer; Entwicklungspolitik; GATT; Handels- und Wirtschaftsdiskriminierung; IBRD; IDA; IFC; IMF; Kapitalhilfe; Nord-Süd-Konflikt; Resolution, Erklärung, Beschluß; Rohstoffabkommen; Seerecht; Selbstbestimmungsrecht; Souveränität; Technische Hilfe, Technologietransfer; UNCTAD; UNDP; UNIDO; Völkerrecht durch Vereinte Nationen; Welternährungslage.

WHO — Weltgesundheitsorganisation Entstehung Die WHO (World Health Organization) wurde am 22. Juli 1946 gegründet (Satzung in der Bekanntmachung vom 22.1.1974, BGBl. 1974 II S. 43; Änderung in Kraft seit dem 21.5.1975, BGBl. 1975 II S. 1103). Die Vorgeschichte der WHO läßt sich auf Versuche einer mehr als 100jährigen internationalen Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Gesundheitswesens zurückführen. Die erste internationale Gesundheitskonferenz wurde bereits 1851 in Paris abgehalten. Im Jahre 1907 wurde in Rom die Einrichtung des Internationalen Gesundheitsamtes (Office International d'Hygiène Publique) mit Sitz Paris beschlossen, nachdem bereits 1902 in Washington das Panamerikanische Sanitätsbüro (Pan American Sanitary Bureau) als eine regionale Gesundheitsorganisation geschaffen worden war. Auch der Völkerbund befaßte sich mit internationalen Gesundheitsaufgaben, die von 1923 bis 1939 von der „Hygieneorganisation" wahrgenommen wurden. Die Gründung der WHO wurde 1945 durch die Vereinten Nationen auf der Konferenz in San Francisco auf Antrag Brasiliens und Chinas beschlossen. Ein Gründungsausschuß der Vereinten Nationen traf sich im März/April 1946 in Paris und entwarf die Satzung der WHO. Diese wurde der Internationalen Gesundheitskonferenz in New York im Juni/Juli 1946 vorgelegt und von ihr nahezu unverändert angenommen. Gleichzeitig wurde auf dieser Konferenz das Internationale Gesundheitsamt in Paris aufgelöst. Die Satzung der WHO trat mit der Ratifizierung von 26 Mitgliedstaaten der Vereinen Nationen am 7. April 1948 in Kraft. Dieser Tag gilt daher als offizieller Gründungstag der WHO, und seine Wiederkehr wird jährlich als „Weltgesundheitstag" begangen. Die WHO ist eine -> Sonderorganisation im Sinne von Art. 57 (Abkommen vom 10.7.1948, UNTS Bd. 19 Nr. 115). Ihr Sitz ist Genf. Das Ziel der WHO ist, gem. Art. 1 der WHO-Satzung einen möglichst guten Gesundheitszustand fur alle Menschen zu erreichen. Dabei dürfen Unterschiede der Rasse, der Religion, der politischen Anschauungen und der wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Stellung keine Rolle spielen (Präambel). Unter Gesundheit ist der Zustand des völligen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Krankheiten oder Gebrechen zu verstehen (Präambel).

Tätigkeit

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Organisation Die Repräsentation der WHO erfolgt durch die Weltgesundheitsversammlung (World Health Assembly), die am 3 1 . Dezember 1975 aus 148 Regierungsvertretern der 146 Mitgliedstaaten und der zwei assoziierten Mitglieder bestand, wobei jeder Staat über eine Stimme verfügt. Sie tritt jährlich einmal zusammen und wählt den Präsidenten sowie 10 der 3 0 Mitglieder des Exekutivrates. Dem Exekutivrat, der mindestens zweimal jährlich zusammentritt, obliegen die Festlegung der Richtlinien zur Ausführung der Beschlüsse der Versammlung und die Aufstellung sowie die Beratung des Haushaltsplanes. Ebenfalls von der Versammlung gewählt wird auf Vorschlag des Exekutivrates der Generaldirektor der WHO, der dem Sekretariat der Organisation vorsteht. Im Unterschied zu anderen Sonderorganisationen der Vereinten Nationen verfügt die WHO über eine ausgebaute regionale Untergliederung. Die Regionalbüros unterstehen der Leitung eines Regionaldirektors, der von dem Exekutivrat in Genf und dem Regionalausschuß (Regierungsvertreter der betreffenden Regionen) gemeinsam ernannt wird. Die 6 Regionalbüros der WHO liegen in: Brazzaville Washington Alexandria Kopenhagen Neu-Delhi Manila

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Region Region Region Region Region Region

Afrika Amerika östliches Mittelmeer Europa Südost-Asien westlicher Pazifik

Jeder Mitgliedstaat kann grundsätzlich wählen, welcher Region er sich anschließen will. So gehört ζ. B. Pakistan zur Region „Östliches Mittelmeer", Indien dagegen zur Region „SüdostAsien". Die Region Afrika umfaßt nur die Staaten südlich der Sahara, während die nordafrikanischen Staaten zum Teil der Europäischen Region oder der Region „Östliches Mittelmeer" angeschlossen sind. Das Sekretariat der WHO ist für die Durchführung der Beschlüsse der Generalversammlung verantwortlich. Die Struktur des Sekretariats ist durch die verschiedenen Aufgabenbereiche der WHO bestimmt Entsprechend den Arbeitsgebieten gibt es verschiedene Sektionen (Divisions), von denen jeweils mehrere einem der ursprünglich drei, inzwischen fünf stellvertretenden Generaldirektoren unterstellt sind. Tätigkeit In den Anfängen der WHO umfaßten die Arbeitsgebiete vor allem die Seuchenbekämpfung, öffentliche Gesundheitsdienste, Gesundheitserziehung, Ausbildung und Fortbildung von Gesundheitspersonal, Dokumentation und Statistik sowie Fragen des Arzneimittelwesens. Durch das Aufkommen neuer gesundheitsrelevanter Probleme von internationaler Bedeutung hat sich der Aufgabenkreis der WHO im Laufe der Zeit jedoch erheblich erweitert, so daß heute neben den genannten Bereichen auch Fragen des -* Umweltschutzes, der Gesundheitsplanung in Entwicklungsländern (-*· Soziale Mindeststandards), der Familienplanung (-»· Weltbevölkerung) und der Rauschgiftbekämpfung (-> Suchtstoffe) mit im Vordergrund der Arbeit stehen. Für jedes Arbeitsgebiet, das von der WHO behandelt wird, gibt es außerdem ein internationales Expertengremium, das sich aus führenden Wissenschaftlern des betreffenden Fachgebietes sowie verwandter Fachbereiche zusammensetzt. Diese Expertengremien sind keine institutionalisierten Einrichtungen, sondern werden j e nach Bedarf zusammengerufen. Die Ergebnisse der Beratungen der einzelnen Sachverständigenausschüsse erscheinen zusammengefaßt in den sog. „Technical Reports", die damit den jeweils neuesten anerkannten wissenschaftlichen Stand auf einem Arbeitsgebiet widerspiegeln.

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WHO - Weltgesundheitsorganisation

Für die Arbeit der WHO ist von grundlegender Bedeutung, daß diese gegenüber den einzelnen Mitgliedstaaten keine behördlichen Funktionen im Sinne einer supranationalen Einrichtung hat, sondern funktionsmäßig lediglich ein intergouvernementales Koordinationszentrum darstellt. Auf diese Weise können die Mitgliedstaaten lediglich zur Annahme gleichlautender Gesetze über Gesundheitsmaßnahmen von internationaler Bedeutung, wie ζ. B. Quarantänebestimmungen oder Gültigkeit von Impfbescheinigungen, veranlaßt werden, so daß eine gewisse internationale Einheitlichkeit erzielt wird. Allerdings kann die WHO unmittelbar mit der Gesundheitsverwaltung eines Landes in Verbindung treten. Die völkerrechtlichen Grundlagen für diese neuartige Form der Zusammenarbeit sind in den von der 4. Weltgesundheitsversammlung im Jahre 1951 angenommenen „Internationalen Gesundheitsvorschriften" (International Sanitary Regulations) niedergelegt worden. Im Jahre 1955 erhielt dieses Regelwerk auch in der Bundesrepublik Gesetzeskraft durch das „Gesetz über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu den internationalen Gesundheitsvorschriften vom 25. Mai 1951" (BGBl. 1955 II S. 1060). Im Hinblick auf die Durchsetzung allgemeiner gesundheitspolitischer Vorstellungen ist die WHO auf den guten Willen und die Kooperation der einzelnen Mitgliedstaaten angewiesen. Grundsätzlich kann die WHO nur dann in einem Mitgliedstaat tätig werden, wenn sie dazu von dem betreffenden Land aufgefordert wird, wobei sich die Arbeit auch nur auf das Gebiet beschränkt, für das um Beistand gebeten wurde. Diese Regelung hat in einigen Fällen von der WHO vorgeschlagene gesundheitspolitische Maßnahmen verzögert und sie in einigen Fällen auch scheitern lassen. Zu diesen Schwierigkeiten kommt hinzu, daß in den einzelnen Mitgliedstaaten völlig unterschiedliche Gesundheitssysteme bestehen, die eine international einheitliche Gesundheitspolitik erschweren, vielfach sogar unmöglich machen. In den meisten Ländern der Dritten Welt fehlt es darüber hinaus zusätzlich an den notwendigen finanziellen und fachpersonellen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Gesundheitspolitik. Durch Beratungen bei der Aufstellung langfristiger Entwicklungspläne bemüht sich die WHO um eine Besserung dieser Verhältnisse. Einen entscheidenden Fortschritt im internationalen Gesundheitswesen bedeuten die speziellen Seuchen-Ausrottungsprogramme der WHO wie das Malaria-Ausrottungsprogramm, das bereits 1955 beschlossen worden war und das zum Rückgang der Malaria in vielen Gebieten Amerikas und Asiens, weniger in Afrika, geführt hat, wobei in den lezten Jahren durch das Auftreten neuer Erreger-Varianten, die gegen die bisherigen Bekämpfungsmittel unempfindlich sind, neue Probleme entstanden sind. Erfolgversprechender verlief bisher das Pockenausrottungsprogramm, durch das es bei Anhalten der gegenwärtigen Entwicklung in absehbarer Zeit gelingen könnte, die Pocken auf der Erde auszurotten. Ein entscheidendes Problem bei den Ausrottungsprogrammen ist das Fehlen von Basisgesundheitsdiensten in vielen Ländern der Dritten Welt, durch die ein erneutes Aufflackern der Seuchen von vornherein wirksam bekämpft werden könnte. In jüngster Zeit bemühte sich die WHO deshalb in erster Linie auch um den Aufbau von Basisgesundheitsdiensten in den Mitgliedstaaten. Die WHO unterstützt dabei die Aufstellung von nationalen Gesundheitsplänen, die mit den generellen nationalen Entwicklungsplänen der Staaten abgestimmt sind. Als Grundlage für die Planung bemüht sich die WHO gleichzeitig auch um umfassende Medizinalstatistiken (über Geburten, Todesfalle, Todesursachen, spezielle Infektionskrankheiten, Zahl des Gesundheitspersonals und Zahl der Gesundheitseinrichtungen etc.) aus allen Mitgliedsländern. Zur Vereinheitlichung der Erhebung wurde durch die WHO eine „Internationale Klassifikation von Krankheiten, Verletzungen und Todesursachen" aufgestellt, die bereits als Basis aller nationalen und internationalen Medizinalstatistiken gilt. Die neuesten verfügbaren Daten werden dann entweder in dem wöchentlich erscheinenden „Weekly Epidemiological Record", in dem monatlich erscheinenden „World Health Statistics Report" oder in dem jährlich erscheinenden „World Health Statistics Annual" veröffentlicht.

Tätigkeit

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Neben den genannten Medizinalstatistiken und technischen Berichten gibt die WHO eine Reihe weiterer Veröffentlichungen heraus. Bereits seit 1959 ist die WHO auch zunehmend um eine Ausweitung und Koordination der internationalen medizinischen Forschung bemüht. So unterstützt sie finanziell und personell 240 internationale bzw. regionale wissenschaftliche Referenzzentren sowie mehr als 200 Forschungseinrichtungen und -laboratorien, die sich mit über 40 verschiedenen Aufgabengebieten befassen, darunten Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs, Erbkrankheiten, Immunologie, Luftverunreinigung, Strahlenheilkunde, Viruserkrankungen etc. Darüber hinaus unterhält die WHO Kontakte mit über 1.500 internationalen Fachgesellschaften. Die Arbeit der WHO wird durch einen eigenen Haushalt finanziert, der auf den Beiträgen der Mitgliedstaaten, auf einem jährlichen Zuschuß des „Fonds für Technische Hilfe" der Vereinten Nationen, sowie auf Spenden beruht (-> Beitragssystem, Haushalt). Von den Beiträgen leisten die USA (1976) 25,64%, die Sowjetunion (einschließlich Weißrußland und Ukraine) 15,14 %. An dritter Stelle folgt Japan mit 7,0 % vor der Bundesrepublik Deutschland mit 6,9 % und Frankreich mit 5,73 %. Der offizielle Haushalt der WHOumfaßte 1975 119,3 Mio. Dollar, für 1976 ist ein Haushaltsvolumen von 137,1 Mio. Dollar angesetzt. Zusätzlich zu den offiziellen Beiträgen und Spenden erhält die WHO Zuwendungen aus dem ->• UNDP sowie von -> UNICEF, mit der sie gemeinsame Gesundheitsprogramme abwickelt. Darüber hinaus bestehen in zahlreichen Ländern nationale Vereinigungen zur Förderung der WHO bzw. des Weltgesundheitsgedankens, die ebenfalls zur Unterstützung der Organisation beitragen. Die Bundesrepublik Deutschland, bereits seit 1951 Mitglied der WHO, beteiligte sich in den vergangenen Jahren im Rahmen der WHO-Programme schwerpunktmäßig vor allem am Aufbau verschiedener Biomedizinischer Forschungszentren in Afrika, an der weltweiten Malariabekämpfung sowie an der Onchozerkosebekämpfung in West-Afrika. Im Rahmen des europäischen Regionalbüros erstreckt sich die Mitarbeit der Bundesrepublik Deutschland in erster Linie auf Forschungsprogramme über Zivilisationskrankheiten, darunter Herz-Kreislauf-Erkrankungen, psychische und psychiatrische Leiden, sowie auf den Bereich des Umweltschutzes. Im Jahre 1973 ist auch die Deutsche Demokratische Republik Mitglied der WHO geworden. Literatur Arbab-Zadeh: Das Verhältnis der Weltgesundheitsorganisation zu den Mitgliedstaaten - Probleme internationaler Gesundheitsgesetzgebung, Düsseldorf 1963 Goodman: International Health Organizations, 2nd ed., London 1971 Howard-Jones: The Scientific Background of the International Sanitary Conferences, Geneva 1975 WHO: Handbook of Resolutions and Decisions, Vol. I etc. WHO: Introducing WHO, Geneva 1976 H. J. Jusatz I Ε. K. Kröger Verweise auf: Beitragssystem, Haushalt; Sonderorganisationen; Soziale Mindeststandards; Suchtstoffe; Umweltschutz; UNDP; UNICEF; Weltbevölkerung.

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WIPO - Weltorganisation für geistiges Eigentum

WIPO — Weltorganisation für geistiges Eigentum Die WIPO (World Intellectual Property Organization) ist seit dem 17. Dezember 1974 die 14. -> Sonderorganisation der Vereinten Nationen (Text des Abkommens mit der Hauptorganisation nach Art. 57, 63: GA Res. 3346 (XXIX) vom 17.12.1974, Annex). Am 15. März 1976 hatte sie 65 Mitglieder, unter ihnen die Bundesrepublik Deutschland und die DDR. Ihr Sitz ist Genf. Vorgeschichte,

Entstehung

Die WIPO ist 1967 gegründet worden (Inkrafttreten des Gründungsvertrags: 26.4.1970). Im Bereich des internationalen Schutzes geistigen Eigentums hatte der Administrationstyp des Verbandes, wie er für das 19. Jahrhundert kennzeichnend und namentlich das Post- und Fernmeldewesen charakteristisch gewesen ist und dem das Modell der zwischenstaatlichen Organisation mit eigener Rechtspersönlichkeit gegenübersteht, den 2. Weltkrieg ausnahmsweise überdauert. Er besteht auch neben der neugeschaffenen internationalen Organisation WIPO fort. Es handelt sich dabei vorrangig um den „Pariser Verband" und den „Berner Verband", die für jeweils eine der beiden klassischen Erscheinungsformen geistigen Eigentums zuständig sind, nämlich die gewerbliche und die künstlerisch-wissenschaftliche. Die Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums (1967 revidierte Fassung: BGBl. 1970 II S. 391) ist am 20. März 1883, die Berner Übereinkunft zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst (1971 revidierte Fassung: BGBl. 1973 II S. 1071) am 9. September 1886 geschlossen worden. Diese Verbände waren — wie andere Institutionen gleichen Typs — nur mit internationalen Sekretariaten ohne Exekutivbefugnisse ausgestattet, die ihrerseits unter der „hohen Autorität" des Schweizer Bundesrats standen; über Plenarorgane, die Beschlüsse hätten fassen können, verfügten sie nicht. Die Anpassung der materiellen Verbandsbestimmungen an veränderte Umstände blieb in unregelmäßigen Abständen stattfindenden Revisionskonferenzen, also neuen völkerrechtlichen Verträgen, vorbehalten. 1893 wurden die Sekretariate der beiden Verbände zum „Berner Büro" (Bureaux internationaux réunis pour la protection de la propriété intellectuelle / BIRPI) vereinigt. Die Verbandsübereinkünfte wurden durch etliche Sonderabkommen ergänzt und vervollständigt. Dem Pariser Verband sind folgende besonderen Verbände angeschlossen (die Zugehörigkeit zu ihnen setzt die Mitgliedschaft im Hauptverband voraus): Madrider Abkommen vom 14. April 1891 über die internationale Registrierung von Marken (1967 revidierte Fassung: BGBl. 1970 II S. 418); Madrider Abkommen vom 14. April 1891 über die Unterdrückung falscher oder irreführender Herkunftsangaben auf Waren (1958 revidierte Fassung: BGBl. 1961 II S. 293; Zusatzvereinbarung von 1967: BGBl. 1970 II S. 444); Haager Abkommen vom 6. November 1925 über die internationale Hinterlegung gewerblicher Muster und Modelle (1960 revidierte Fassung: BGBl. 1962 II S. 775; Zusatz- und Ergänzungsvereinbarungen: BGBl. 1962 II S. 938 bzw. 1970 II S. 448); Abkommen von Nizza vom 15. Juni 1957 über die Internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken (1967 revidierte Fassung: BGBl. 1970 II S. 434); Lissaboner Abkommen vom 31. Oktober 1958 über den Schutz von Ursprungsbezeichnungen und ihre internationale Registrierung (ohne Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland; französische Fassung von 1967: Clunet vol. 103 (1976) p. 280); Abkommen von Locarno vom 8. Oktober 1968 über die Einrichtung einer internationalen Klassifikation für gewerbliche Muster und Modelle (ohne Ratifikation der Bundesrepublik Deutschland; französischer Text: La Propriété industrielle 1968 p. 319); Straßburger Abkommen vom 24. März 1971 über die Internationale Patentklassifikation (BGBl. 1975 II S. 284). Der Berner Verband hat keine „Familie" gegründet, insbesondere das Genfer Welturheberrechtsabkommen vom 6. September 1952 (1971 revidierte Fassung: BGBl. 1973 II S. 1111)

Die institutionelle Reform dei Verbände

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ist von ihm unabhängig. Als sich nach dem 2. Weltkrieg der Verbandstyp anschickte auszusterben, wurde in den überlebenden Institutionen der Versuch unternommen, den s c h w e r wiegenden Mängeln des Modells abzuhelfen, nämlich der Abwesenheit eines beschlußfähigen Organs und der allmählich anachronistisch anmutenden schweizerischen Quasi-Treuhandschaft. Der Berner Verband erhielt 1948 einen ständigen Staatenausschuß mit zwölf Mitgliedern zur Beratung des Sekretariats, der Pariser Verband 1958 einen beratenden Plenarausschuß, der ein ständiges Büro einrichtete. Die Lissaboner Fassung der Pariser Verbandsübereinkunft (BGBl. 1961 II S. 274) sah neu vor, daß eine Konferenz von Vertretern der Mitgliedstaaten im Dreijahres-Rhythmus zusammentreten solle. Insgesamt kam es Ende der 50er und Anfang der 60er Jahre zur Einrichtung mehrerer zwischenstaatlicher Ausschüsse vornehmlich im Rahmen der Sonderverbände. Vorläufiger Abschluß der Entwicklung war 1962 die organische Verbindung der Ausschüsse des Pariser und des Berner Verbandes in einem Koordinationsausschuß. Dieses Staatengremium setzte sich alsbald für eine umfassende Reform der Verbände ein. Mehrere Expertenausschüsse wurden damit befaßt, Reformpläne auszuarbeiten. Bei diesen ging es zum einen um — wie mancher heute zu formulieren geneigt wäre — eine „Demokratisierung" der Verbände und eine „Effektivierung" ihrer Aktivität; zum anderen trat der Gedanke in den Vordergrund, künftig auch solche Staaten, die sich zu einer Unterwerfung unter die strengen Verbandsbestimmungen außerstande sähen wie vor allem die meisten Entwicklungsländer, in den internationalen Schutz des geistigen Eigentums organisatorisch einzubeziehen. Namentlich Frankreich und Italien widersetzten sich einer Überfremdung der Verbände durch Außenseiter, insbesondere der Einräumung echter Mitentscheidungsbefugnisse an dieselben, und pochten auf die Autonomie der bestehenden Institutionen. Nichtsdestotrotz kam es auf der Stockholmer Revisionskonferenz mit der Gründung der WIPO am 14. Juli 1967 zu der Errichtung einer internationalen Organisation, der auch Nichtverbandsmitglieder angehören dürfen. Den Bedenken der „Autonomisten" wurde allerdings in vielfältiger Weise Rechnung getragen, so daß die Organisation zwar nicht dem Namen nach, jedoch de facto zwei Klassen von Mitgliedern kennt (quasi-vollberechtigte und quasi-assozüerte). Mitglieder „1. Klasse" sind diejenigen Staaten, die einem Verband angehören, dessen Verwaltung die WIPO übernommen hat; dabei setzt eine Mitgliedschaft von Vertragsstaaten der beiden Verbandsübereinkünfte voraus, daß diese Länder die neuen organisatorischen Bestimmungen ihrer Verbände für sich verbindlich gemacht haben (Art. 14 Abs. 2 WIPO-Übereinkommen); im übrigen kann der WIPO beitreten — gewissermaßen als Mitglied „2. Klasse" —, wer Mitglied der Vereinten Nationen, einer Sonderorganisation oder der IAEA oder wer Vertragspartei des IGH-Statuts ist, schließlich auch der, welcher eine entsprechende Einladung der WIPO-Generalversammlung erhalten hat. Die WIPO weist auch im übrigen eine eigenwillige Struktur auf. Diese wird nur vor dem Hintergrund der Revision der Verbandsübereinkünfte voll verständlich. Die institutionelle Reform der Verbände Alle Verbände — also auch die besonderen — erhielten Versammlungen, in welchen alle Mitgliedsländer vertreten sein sollten, die die neue Regelung anerkennen würden. Jede Versammlung tritt alle drei Jahre einmal zu einer ordentlichen Tagung zusammen und hat u. a. die Kompetenz, das Programm festzulegen, den Dreijahres-Haushaltsplan zu beschließen, bei der Vorbereitung der Revisionskonferenzen mitzuwirken und selber Änderungen der organisatorischen Vorschriften zu beschließen, die Revisionskonferenzen davon also zu entlasten. Bei den beiden Hauptverbänden bestehen nunmehr außerdem Exekutivausschüsse der Versammlungen, die jedes Jahr normalerweise einmal tagen und u. a. alle zweckdienlichen Maßnahmen zur Durchführung der Verbandsprogramme treffen. Versammlungen und gegebenenfalls Exekutivausschuß treten an die Stelle der Schweiz bei der Beaufsichtigung des Sekretariats. Bei diesem handelt es sich jetzt jeweils um das bei der WIPO gebildete „Internationale Büro für geistiges Eigentum". Darauf wird noch einzugehen sein.

542 Ziele, Zwecke,

WIPO - Weltorganisation für geistiges Eigentum

Aufgaben

„Zur Ermutigung der schöpferischen Tätigkeit" (Präambel) will die WIPO einerseits den Schutz des geistigen Eigentums durch Zusammenarbeit der Staaten weltweit fördern, andererseits die verwaltungsmäßige Zusammenarbeit zwischen den Verbänden gewährleisten (Art. 3 WIPO-Übereinkommen; Text des Übereinkommens: BGBl. 1970 II S. 295). Auf der einen Seite unterstützt die WIPO deshalb das Zustandekommen internationaler Vereinbarungen zur Förderung des Schutzes des geistigen Eigentums sowie die Angleichung der innerstaatlichen Rechtsvorschriften auf diesem Gebiet und leistet auf Ersuchen juristisch-technische Hilfe; letztere soll vornehmlich den Entwicklungsländern zugute kommen, wobei vor allem auch an die Vermittlung des Zugangs zum wissenschaftlich-technischen know how gedacht ist. Auf der anderen Seite erfüllt die WIPO in Ansehung der Staaten, die die revidierten organisatorischen Verbandsvorschriften akzeptiert bzw. ratifiziert haben, die Verwaltungsaufgaben des Berner Verbandes sowie des Pariser Verbandes und seiner Sonderverbände, mithin der beiden Madrider Abkommen von 1891, des Haager Abkommens von 1925, des Abkommens von Nizza (1957), des Lissaboner Abkommens von 1958, des Abkommens von Locarno (1968) und des Straßburger Abkommens von 1971. Die WIPO kann sich außerdem damit einverstanden erklären, die Verwaltung jeder anderen internationalen Vereinbarung zur Förderung des Schutzes geistigen Eigentums zu übernehmen oder sich an einer solchen Verwaltung zu beteiligen. Von dieser Möglichkeit ist für das Internationale Abkommen von Rom über den Schutz der ausübenden Künstler, der Herstellung von Tonträgern und der Sendeunternehmen vom 26. Oktober 1961 (BGBl. 1965 II S. 1244) und das Genfer Übereinkommen zum Schutz der Hersteller von Tonträgern gegen die unerlaubte Vervielfältigung ihrer Tonträger vom 29. Oktober 1971 (BGBl. 1973 II S. 1670) Gebrauch gemacht worden. In die Administration dieser beiden urheberrechtlichen Abmachungen sind allerdings auch ILO und UNESCO eingeschaltet; auch hat sich die UNESCO ihre Alleinzuständigkeit im Bereich des Genfer Welturheberrechtsabkommens vom 6. September 1952 nicht aus der Hand nehmen lassen. Beim Schutz des geistigen Eigentums hat die WIPO demzufolge keine umfassende Kompetenz. Die WIPO hat darüberhinaus die Mitverwaltung des in Paris getroffenen Internationalen Übereinkommens (Verbands) zum Schutz von Pflanzenzüchtungen vom 2. Dezember 1961 (BGBl. 1968 II S. 429, sowie Zusatzakte vom 10.11.1972, BGBl. 1976 II S. 438) und des noch nicht in Kraft getretenen Wiener Abkommens (Verbandes) vom 12. Juni 1973 über den Schutz von typographischen Schriftzeichen und ihre internationale Hinterlegung (französischer Text: Droit d'Auteur 1973 p. 137) übernommen.

Organisation Die WIPO hat vier Organe. Das wohl bedeutsamste ist das Internationale Büro für geistiges Eigentum. Es ist gleichzeitig das Sekretariat der WIPO und der Verbände. Es geschieht im wesentlichen durch dieses Organ, daß die WIPO die Verbände verwaltet; das Internationale Büro nimmt die Verwaltungsaufgaben der Verbände in Ansehung deijenigen Staaten wahr, die den Stockholmer Reorganisationsabreden beigetreten sind. Im Verhältnis zu den anderen Staaten, die der WIPO wegen der Mitgliedschaftsregelung in Art. 14 Abs. 2 WlPO-Übereinkommen nicht angehören können, bleiben die BIRPI zuständig, die insoweit prinzipiell fortbestehen; jedoch sieht Art. 21 Abs. 3 (a) WIPO-Übereinkommen vor, daß das Internationale Büro in der Übergangszeit auch die Aufgaben der BIRPI wahrnimmt. Im Rahmen eines Verbandes unterliegt das Büro für die Vorbereitung der Revisionskonferenzen nach neuem Recht den Weisungen der Versammlung, die die Stellungnahme der durch die Reorganisation nicht gebundenen Verbandsländer gebührend zu berücksichtigen hat; im Verhältnis zu letzteren bleibt es bei der Aufsicht des Schweizer Bundesrats. An der Spitze des Internationalen Büros steht ein Generaldirektor, der der höchste

Haushalt, Finanzen

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Beamte der Organisation und der Verbände ist. Er bereitet etwa die Entwürfe der Haushaltspläne und der Programme vor. Er wird von der WIPO-Generalversammlung auf Vorschlag des Koordinierungsausschusses ernannt. Der Bewerber m u ß sowohl in der Generalversammlung als auch in den Versammlungen beider Hauptverbände eine Zweidrittelmehrheit auf sich vereinigen. Die WIPO hat, ihrer doppelten Zielsetzung und ihrer Mitgliederschichtung entsprechend, zwei Versammlungen: Neben der Generalversammlung die Konferenz. Die Generalversammlung ist auf den Organisationszweck zugeschnitten, die verwaltungsmäßige Zusammenarbeit zwischen den Verbänden zu gewährleisten. Sie besteht aus den WIPO-Mitgliedern, die wenigstens einem Verband angehören. Sie erteilt dem Generaldirektor und dem Koordinierungsausschuß Weisungen. Jeder Staat verfügt über eine Stimme. Beschlüsse bedürfen in der Regel einer Zweidrittelmehrheit. Die eine der beiden Ausnahmen betrifft interessanterweise die Entscheidung über ein Abkommen mit den Vereinten Nationen über den Status der Sonderorganisation. Das WIPO-Übereinkommen sah dafür eine Neunzehntelmehrheit vor (Art. 6 Abs. 3 (f)) und verriet damit nicht nur die Bereitschaft der Gründer, einen solchen Schritt ins Auge zu fassen, sondern auch deren Zurückhaltung angesichts dieser Perspektive. Dem Organisationszweck, den Schutz des geistigen Eigentums durch weltweite Zusammenarbeit zu fördern, dient die „Konferenz". Ihr gehören alle WIPO-Mitglieder an. Sie erörtert Fragen von allgemeinem Interesse auf dem Gebiet des geistigen Eigentums und stellt ein Dreijahres-Programm für die juristisch-technische Hilfe auf. Auch in ihr ist grundsätzlich eine Zweidrittelmehrheit erforderlich. Generalversammlung, Konferenz und die Versammlungen der Verbände treten alle drei Jahre einmal zu einer ordentlichen Tagung zusammen, und zwar gleichzeitig und am selben Ort. Auch hierin wird die Verschränkung der internationalen Institutionen des gewerblichen und des Urheberrechtsschutzes deutlich. Dasselbe gilt für den Koordinierungsausschuß, der jährlich einmal zu einer ordentlichen Tagung zusammentreten soll, und zwar möglichst, wie die Verbandsübereinkünfte vorsehen, parallel zu den Exekutivausschüssen der Hauptverbände. Der Koordinierungsausschuß besteht im Prinzip aus den WIPO-Mitgliedern, die dem Exekutivausschuß des Pariser und/oder dem des Berner Verbandes angehören. Er äußert sich zu allen Verwaltungs- und Finanzfragen und beteiligt sich an der Ausarbeitung der Tagesordnung von Generalversammlung und Konferenz. Haushalt, Finanzen Die WIPO hat, ihrem „föderalistischen" Aufbau gemäß (er ruft die Konzeption ernes „dreigliedrigen Bundesstaats" ins Gedächtnis), zwei getrennte Haushaltspläne: Den Haushaltsplan für die gemeinsamen Ausgaben der Verbände und den Haushaltsplan der Konferenz. Beide werden als Dreijahres-Haushaltspläne aufgestellt, der erste von der Generalversammlung, der zweite von der Konferenz. Der Koordinierungsausschuß beschließt im Rahmen dieser Budgets die entsprechenden Jahreshaushaltspläne. Der Haushaltsplan für die gemeinsamen Ausgaben der Verbände gilt den Ausgaben, die für mehrere Verbände von Interesse sind. Er wird in erster Linie durch Beiträge der Verbände gedeckt. Der Haushaltsplan der Konferenz gilt vor allem dem Programm der juristisch-technischen Hilfe. Neben Beiträgen der Verbände und freiwilligen Zuwendungen wird er u. a. durch Beiträge der WIPO-Mitglieder gedeckt, die keinem Verband angehören. Die Beitragshöhe bemißt sich nach einer freigewählten Beitragsklasse auf der Grundlage einer Zahl von Einheiten (Klasse A: 10 Einheiten; Klasse B: 3; Klasse C: 1; sog. Einheiten-System,-» Beitragssystem, Haushalt). Die WIPO verfügt außerdem über einen Betriebsmittelfonds. Reicht er nicht aus, leistet die Schweiz Vorschüsse. Die Eidgenossenschaft hat deshalb ex officio einen Sitz im Koordinierungsausschuß.

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WIPO - Weltorganisation für geistiges Eigentum

Aktivitäten Die WIPO hat ihre Initiativen von vornherein auf zwei Schwerpunkte gelenkt: Auf den Einsatz für das Zustandekommen internationaler Vereinbarungen zur Förderung des Schutzes geistigen Eigentums und auf die juristisch-technische Hilfe zugunsten der Entwicklungsländer. Namentlich bei der Vorbereitung neuer Abkommen, bei der sie besonders erfolgreich gewesen ist, arbeitet sie kompetenzbedingt öfters mit der UNESCO zusammen. An neuen Übereinkünften seit dem Inkrafttreten des WIPO-Übereinkommens sind neben dem Genfer Tonträger-Abkommen zu nennen: Der Washingtoner Vertrag vom 19. Juni 1970 über die internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Patentwesens (besonderer Verband im Rahmen der Pariser Verbandsübereinkunft, Text: BGBl. 1976 II S. 649, 664; das Straßburger Abkommen von 1971 (in Kraft seit dem 7.10.1975); drei Wiener Übereinkünfte vom 12. Juni 1973, nämlich: Vertrag über die internationale Registrierung von Marken (besonderer Verband, französischer Text: La Propriété industrielle 1973 p. 219), Abkommen über den Schutz typograhischer Schriftzeichen und ihre internationale Hinterlegung, Abkommen über die Errichtung einer internationalen Klassifikation der Bildbestandteile von Marken (französischer Text: La Propriété industrielle 1973 p. 285); Brüsseler Übereinkommen vom 21. Mai 1974 über die Verbreitung programmtragender Satellitensignale (französischer Text: Droit d'Auteur 1974, p. 159). Die WIPO befaßt sich außerdem u. a. mit dem Schutz von Computer-Programmen und Ablichtungen von urheberrechtlich geschützten Werken zum eigenen Gebrauch des Kopierenden. Im Bereich der juristisch-technischen Hilfe geht es zum einen u m den Schutz geistigen Eigentums und den Aufbau einer eigenständigen technisch-wissenschaftlichen Infrastruktur in den Entwicklungsländern selber, zum anderen u m die Vermittlung technischer Kenntnisse und, ihr noch vorgelagert, um die Schaffung der Voraussetzungen für die Aufnahme derselben. So organisiert die WIPO Studien- und Ausbildungsaufenthalte in technologisch fortgeschrittenen Staaten für Fachkräfte aus Entwicklungsländern, veranstaltet Seminare — etwa über das Lizenzwesen - , hilft bei dem Aufbau von Dokumentationszentren ζ. B. für das Patentwesen und unterstützt die Entsendung von Experten zur Beratung bei einschlägigen Gesetzgebungsvorhaben. Letztere fördert sie besonders durch die Formulierung von Mustergesetzen. Bereits vor Inkrafttreten des WIPO-Übereinkommens waren Mustergesetze zum Schutz von Erfindungen (1965) sowie für Marken, Handelsnamen und unlauteren Wettbewerb (1967) ausgearbeitet worden. Es folgten Vorlagen für den Schutz gewerblicher Muster und Modelle (1971) sowie für Ursprungsbezeichnungen und Herkunftsangaben (1975). Viel Zeit nahmen die Arbeiten an einem Muster-Urheberrechtsgesetz in Anspruch, an denen auch die UNESCO beteiligt war. 1972 publizierte die WIPO einen Leitfaden für Entwicklungsländer über die juristischen Aspekte der Lizenzverträge im Bereich des Patentwesens, der Marken und des „know h o w " . 1973 verabschiedete die Konferenz auf ihrer 2. ordentlichen Tagung ein ständiges juristischtechnisches Programm für den Erwerb rechtlich geschützten technischen Wissens durch die Entwicklungsländer. Bereits 1970 hatten Generalversammlung und Konferenz an die Adresse des UNDP-Administrators die Bereitschaft der WIPO erklärt, im Rahmen des Washingtoner Patentzusammenarbeitsvertrags als ausführendes Organ in Erscheinung zu treten, und dazu einen Interimsausschuß für technische Hilfe errichtet. Gerade in diesem Bereich der technischen Hilfe sind jedoch die Zuständigkeiten im System der Vereinten Nationen besonders zersplittert. Die WIPO arbeitet deshalb — etwa bei Ausbildungsprogrammen — mit Organen wie UNCTAD, UNDP, UNIDO, UNITAR und den regionalen Wirtschaftkommissionen zusammen. Ein Beispiel für diese Kooperation ist eine Studie über die Rolle der Patente beim Technologietransfer, die UNCTAD III mit Resolution 39 (III) angefordert hatte und die die Wirtschafts- und Sozialabteilung des Sekretariats der Vereinten Nationen, das UNCTAD-Sekretariat und das Internationale Büro für geistiges Eigentum gemeinsam ausgearbeitet haben.

Wirtschaftskommissionen

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Literatur Desbois: La Conférence de Stockholm relative aux droits intellectuels, in: AFDI vol. 13 (1967) p. 7 Ekedi-Samnik: L'organisation mondiale de la propriété intellectuelle (Ο. M. P. I.), Thèse Paris II 1974 Krieger / Rogge: Die neue Verwaltungsstruktur der Pariser und Berner Union und die neue Weltorganisation fur geistiges Eigentum, in: Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, Internationaler Teil, 1967 S. 462 Rideau: Les institutions internationales de la protection de la propriété intellectuelle, in: RGDIP vol. 7 2 ( 1 9 6 8 ) p. 730 Voyame: Une nouvelle organisation intergouvemementale: L'Organisation mondiale de la propriété intellectuelle, in: Annuaire suisse de droit international vol. 2 4 (1967) p. 25 Norbert J. Prill Verweise auf·. Beitragssystem, Haushalt; Sonderorganisationen.

Wirtschaftskommissionen Allgemeines Die fünf Wirtschaftskommissionen sind der organisatorische Rahmen der Vereinten Nationen für die wirtschaftliche Zusammenarbeit auf regionaler Basis. Hinzu k o m m t als besondere Einrichtung ein Büro in Beirut. Die Kommissionen und das Büro tragen die folgenden Bezeichnungen: 1. ECE: Economic Commission for Europe; Wirtschaftskommission für Europa. 2. ECAFE: Economic Commission for Asia and the Far East; Wirtschaftskommission für Asien und den Fernen Osten. Dieser Name wurde am 12. August 1974 vom ECOSOC geändert in ESCAP: Economic and Social Commission for Asia and the Pacific; Wirtschafts- und Sozialkommission für Asien und den Pazifik. 3. ECLA: Economic Commission for Latin America; Wirtschaftskommission für Lateinamerika. 4. ECA: Economic Commission for Africa; Wirtschaftskommission fur Afrika. 5. ECWA: Economic Commission for Western Asia; Wirtschaftskommission fur Westasien. 6. UNESOB: United Nations Economic and Social Office in Beirut; Büro für Wirtschaftsund Sozialfragen in Beirut. Die fünf Wirtschaftskommissionen weisen in ihrer rechtlichen Grundstruktur, ihrer Aufgabenstellung sowie in ihren Tätigkeitsbereichen zahlreiche Gemeinsamkeiten auf. Die Rechtsgrundlage für die Errichtung der Wirtschaftskommission bildet Art. 68. Diese Vorschrift ermächtigt den -*• ECOSOC unter anderem dazu, „Kommissionen für wirtschaftliche und soziale Fragen" einzurichten. Die Konstituierung der einzelnen Kommissionen erfolgt jeweils durch einen Gründungsbeschluß, der die rechtlichen Grundlagen unter anderem für die Organisation, Mitgliedschaft, Aufgaben und Tätigkeit der betreffenden Kommission enthält. Die Kommissionen sind als Nebenorgane im Sinne von Art. 7 Abs. 2 dem ECOSOC rechtlich unterstellt. Aus diesem Unterordnungsverhältnis ergibt sich z. B. für die Kommissionen die Verpflichtung, jährlich einen Tätigkeitsbericht zu erstatten. Die Gründungsbeschlüsse der Kommissionen enthalten zu dem genannten Verhältnis die übereinstimmende

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Regelung, daß die Kommissionen im Rahmen der Politik der Vereinten Nationen unter der allgemeinen Kontrolle des ECOSOC tätig werden können. In der Praxis genießen die Kommissionen ein beachtliches Maß an Unabhängigkeit. Als Aufgabe der Kommissionen bestimmen die Gründungsbeschlüsse (zum Nachweis der Beschlüsse vgl. unten die Abschnitte zu den einzelnen Kommissionen), wenn man von einigen wenigen unterschiedlichen Akzentuierungen einmal absieht, übereinstimmend, daß die Kommissionen dazu verpflichtet sind, gemeinsame Maßnahmen zur wirtschaftlichen Entwicklung ihrer Region einzuleiten oder sich an ihnen zu beteiligen und die wirtschaftlichen Beziehungen der Länder ihrer Region untereinander und zu anderen Ländern zu stärken. Zur Erfüllung dieser Aufgaben haben sie Untersuchungen über technische sowie wirtschaftliche Probleme und Entwicklungen durchzuführen und für die Sammlung, Auswertung und Verteilung wirtschaftlicher, technischer und statistischer Informationen zu sorgen. Die Gründungsbeschlüsse der ECA, ECAFE sowie der ECWA sehen weiterhin vor, daß die Kommissionen Beratungsdienste für die Regierungen der jeweiligen Mitgliedstaaten einrichten. Innerhalb dieses relativ weit gesteckten Rahmens bestimmen die Kommissionen jeweils die nähere Ausgestaltung ihrer Tätigkeit selbst. Die in ihren Grundzügen weitgehend identische Aufgabenstellung der Kommissionen hat zwangsläufig zur Folge, daß sie zu einem großen Teil übereinstimmende Tätigkeitsbereiche aufweisen. Hierbei handelt es sich um Handel, Landwirtschaft, Transport, Industrie, Energie und Statistik. Allerdings haben die Aktivitäten der Kommissionen innerhalb der genannten Tätigkeitsbereiche entsprechend den besonderen Bedürfnissen der jeweiligen Region teilweise unterschiedliche Schwerpunkte. Außerdem liegt der Akzent bei den vier Kommissionen der unterentwickelten Regionen (ECA, ESCAP, ECLA, ECWA) naturgemäß auf der Entwicklung in den genannten Bereichen. Die besondere Situation der vier unterentwickelten Regionen hat zur Folge, daß in den Programmen der vier Kommissionen für sie typische Tätigkeitsbereiche enthalten sind: Wirtschaftliche Entwicklung und Entwicklungsplanung, Naturschätze, Kommunikation sowie soziale Entwicklung einschließlich der Bevölkerungsprobleme. Die ESCAP, ECA und ECWA befassen sich zudem mit Fragen des Tourismus und der Wasserreserven. ECE, ECA, ESCAP, ECLA sowie UNESOB führen Ausbildungsprogramme durch, um das in den unterentwickelten Regionen benötigte Personal für Führungsaufgaben namentlich im Bereich der öffentlichen Finanzen, der Verwaltung und der Industrie heranzubilden. Die ECWA plant entsprechende Programme. Die fünf Kommissionen verfügen neben dem Plenum jeweils über ein Sekretariat und über eine unterschiedliche Zahl an Unterorganen in Form von Fachausschüssen und Fachkonferenzen. Die einzelnen Gremien, die mit Regierungsvertretern besetzt sind, können ihre Beschlüsse mit einfacher Mehrheit fassen. In der Praxis sind Mehrheitsentscheidungen indessen nicht üblich, es wird vielmehr vor der formalen Beschlußfassung durchweg Übereinstimmung hergestellt. Die Sekretariate der Kommissionen sind jeweils integrierender Teil der Abteilung für wirtschaftliche und soziale Angelegenheiten des Sekretariats der Vereinten Nationen. Die Leiter der Sekretariate werden vom Generalsekretär ernannt. Die Sekretariate bestehen im wesentlichen aus dem Büro des Leiters und aus einer unterschiedlichen Anzahl an Expertengruppen und Beratungsstäben. Die Hauptaufgabe der Sekretariate besteht darin, durch wissenschaftliche Forschungsarbeit die notwendigen Informationen zu beschaffen und die Arbeit der Fachausschüsse vorzubereiten. Die Kommissionen können keine für die Mitgliedstaaten verbindlichen Entscheidungen treffen. Ihre Wirksamkeit entfalten sie mit Hilfe von Empfehlungen, Vorschlägen, Entwürfen, Analysen, Ausbildungsprogrammen, Beratungsdiensten sowie durch den Informationsaustausch namentlich in den Fachausschüssen und auf den Fachkonferenzen. Die Haushalte der Kommissionen sind, wie auch die der anderen Nebenoigane, Bestandteil des Gesamthaushalts der Vereinten Nationen.

ECE

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Die fünf Kommissionen arbeiten mehr oder weniger intensiv mit denjenigen Organen und Sonderorganisationen der Vereinten Nationen zusammen, die an der Entwicklungshilfe beteiligt sind. Als wichtigste Beispiele sind hier -»· UNCTAD und UNIDO zu nennen. Neuerdings (Res. 1896 (LVII) vom 1.8.1974) hat der ECOSOC die Kommissionen aufgefordert, sich an der Verwirklichung des von der Generalversammlung aufgestellten Aktionsprogramms zur Errichtung einer neuen Weltwirtschaftsordnung (Res. 3202 (S-VI) vom 1.5.1974) zu beteiligen und ihre Programme und Tätigkeiten entsprechend anzupassen. Die Sekretariate der Kommissionen, ausgenommen das der erst vor kurzem gegründeten ECWA, und UNESOB geben jeweils in recht unterschiedlicher Anzahl Periodika heraus, in denen sie ihre Analysen, wissenschaftlichen Forschungsergebnisse und Statistiken veröffentlichen. Neben ihrer Funktion als Informationsmittel für die Kommissionen und ihre Unterorgane haben sie für die Wissenschaft und die Politik eine beachtliche Bedeutung gewonnen. Von den zahlreichen Periodika - die weitaus größte Zahl wird von der ECE herausgegeben seien die wichtigsten hier kuiz genannt. Die vier älteren Kommissionen (ECE, ESCAP, ECLA, ECA) veröffentlichen jeweils für ihre Region jährlich einen Economic Survey und mit Ausnahme der ESCAP zweimal jährlich ein Economic Bulletin. Das entsprechende Bulletin der ESCAP erscheint viermal jährlich. UNESOB veröffentlicht jährlich eine Sammlung ausgewählter Artikel zu Problemen der betreffenden Region (Studies on Development Problems in Selected Countries of the Middle East). Unter den fünf Kommissionen hat die ECE bisher die relativ größte Bedeutung erlangt. Sie wird deshalb im folgenden ausführlicher behandelt, während die übrigen vier nur in Kürze vorgestellt werden.

ECE Die ECE wurde am 28. März 1947 vom ECOSOC mit dem Ziel gegründet (Res. 36 (IV)), die europäischen Regierungen bei dem Wiederaufbau der durch den 2. Weltkrieg zerstörten Wirtschaft zu unterstützen. Mit dem wirtschaftlichen Aufbau verlagerte sich die Tätigkeit der ECE in erster Linie auf die Förderung der Kooperation zwischen West- und Osteuropa. Die ECE hat derzeit 34 Mitglieder: Albanien, Belgien, Bulgarien, Bundesrepublik Deutschland, Dänemark, DDR, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Island, Italien, Jugoslawien, Kanada, Luxemburg, Malta, Niederlande, Norwegen, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, Schweden, Schweiz, Spanien, Tschechoslowakei, Türkei, UdSSR, Ukraine, Ungarn, USA, Vereinigtes Königreich, Weißrußland sowie Zypern. Der wesentliche Teil der sachlichen Arbeit der ECE wird in ihren Fachausschüssen geleistet. Die ECE verfügt zur Zeit neben dem Sitzungsausschuß über elf Ausschüsse. Daneben bestehen vier weitere Unterorgane: Die Konferenz europäischer Statistiker und die Tagungen der leitenden Berater der ECE-Regierungen für Fragen der Umwelt, der Wissenschaft und Technologie sowie der Wirtschaft. Seit 1969 werden aus dem weitgefächerten Spektrum der Tätigkeiten der ECE vier eng zusammenhängende Bereiche vorrangig behandelt. Dabei handelt es sich um die Verbesserung und Ausweitung der Zusammenarbeit im Bereich des Handels vor allem zwischen Westund Osteuropa und den USA sowie der Zusammenarbeit im Bereich der Wissenschaft und Technologie, die Verbesserung der Umwelt und die langfristige Planung für die genannten Bereiche. Von nennenswerter Bedeutung sind noch die Arbeiten der ECE an einer Analyse der langfristigen wirtschaftlichen Tendenzen und Perspektiven in der ECE-Region, die als Beitrag der ECE zur zweiten Entwicklungsdekade der Vereinten Nationen vorgesehen sind. Zur Zeit des Kalten Krieges war die Tätigkeit der ECE durch die Gegensätze zwischen West und Ost gekennzeichnet (-»• Ost-West-Konflikt). Seit Mitte der 60er Jahre trat mit der Abschwächung des Ost-West-Konfliktes ein grundlegender Wandel ein. Die Weltmächte verloren ihre hegemoniale Position, und neben die traditionellen Ost- und Westfraktionen traten

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Gruppierungen der kleineren Staaten, die sowohl bündnisunabhängige und neutrale Staaten als auch Mitglieder der beiden Militärbündnisse umfassen. Die derzeitige Situation derECE ist gekennzeichnet durch eine Vielzahl unterschiedlicher Interessen und teilweise wechselnde Gruppierungen. Die zunehmende Integration der beiden regionalen Wirtschaftsorganisationen in West- und Osteuropa — EG und COMECON — hat sich auf die Interessenkonstellation innerhalb der ECE zwangsläufig ausgewirkt. Von den zahlreichen Projekten, die von der ECE unternommen worden sind, seien die wichtigsten hier beispielhaft genannt: Die Konvention über Internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit, die Formulierung allgemeiner Geschäftsbedingungen für den Verkauf von Produkten der Maschinenindustrie und das Zollübereinkommen vom 15. Januar 1959 über den internationalen Warentransport mit Carnets TIR (sog. TIR-Übereinkommen; BGBl. 1961 II S. 649), das den grenzüberschreitenden Transport von versiegelten Gütern auf der Straße regelt. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang noch die Konferenz europäischer Statistiker, die sich zu einer Plattform für einen fruchtbaren Informationsaustausch entwickelt hat. Kennzeichnend für die Grenzen der ECE ist z. B. die Tatsache, daß die Ausweitung des Arbeitsbereiches Energie auf die Fragen der Ölversorgung an dem Widerstand der Staaten gescheitert ist, die Ölhandelsinteressen vertreten. Die Perspektiven für die zukünftige Entwicklung der ECE sind nicht günstig. Vor allem die zunehmende Integration der EG und des COMECON haben zu einer merklichen Bedeutungsverminderung der ECE geführt.

EC AFE Die ECAFE (seit 1974 ESCAP, ECOSOC Res. 1895 (LVII) vom 12.8.1974) wurde am 28. März 1947 gegründet (ECOSOC Res. 37 (IV)). Ihren Sitz hat sie in Bangkok. Bei der ECAFE stand wie auch bei der ECE der wirtschaftliche Wiederaufbau anfänglich im Vordergrund. Heute richten sich die Bemühungen der ESCAP auf die wirtschaftliche Entwicklung und die Hebung des Lebensstandards in ihren Mitgliedsländern. Die ESCAP hat derzeit 31 Mitglieder: Afghanistan, Australien, Bangla Desh, Bhutan, Birma, China, Frankreich, Indien, Indonesien, Iran, Japan, Kambodscha, Laos, Malaysia, Mongolei, Nauru, Nepal, Niederlande, Neuseeland, Pakistan, Philippinen, Republik Korea, Republik Vietnam, Singapur, Sri Lanka, Thailand, Tonga, UdSSR, USA, Vereinigtes Königreich, Westsamoa. Hinzu kommen acht assoziierte Mitglieder und die Bundesrepublik Deutschland und die Schweiz als Teilnehmer mit beratender Funktion. Bei der Durchführung ihrer zahlreichen Arbeitsvorhaben wird die ESCAP von 18 Unterorganen unterstützt. Neben den genannten üblichen Tätigkeitsbereichen aller Kommissionen ist die Flußregulierung eines der Hauptprojekte der ESCAP. Im Laufe der Zeit hat sich der Schwerpunkt der Kommissionstätigkeit von der Erstellung allgemeiner Studien und dem Austausch von Informationen auf die Initiierung und Förderung von regionalen Projekten verlagert. Die bedeutendsten seien hier beispielhaft genannt: Das Mekong-Projekt, das Asien-Institut für wirtschaftliche Entwicklung und Planung, das Landstraßenprogramm fur Asien, die Asiatische Entwicklungsbank, der Taifun-Ausschuß, das Statistische Institut für Asien sowie das Südostasiatische Eisen- und Stahlinstitut. Die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Arbeit der ESCAP sind in ihrer Region weit weniger günstig als die der anderen Kommissionen. Die Hindernisse für eine Verbesserung der Zusammenarbeit sind namentlich die geographische Ausdehnung der Region, deren religiöse, kulturelle und sprachliche Mannigfaltigkeit, die tiefgreifenden politischen Gegensätze sowie die großen Unterschiede zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten in Größe, Bevölkerung und wirtschaftlicher sowie sozialer Entwicklung.

ECA

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ECLA Die ECLA wurde am 25. Februar 1948 mit Sitz in Santiago (Chile) gegründet (ECOSOC Res. 106 (VI)). Sie hat 29 Mitglieder: Argentinien, Barbados, Bolivien, Brasilien, Chile, Costa Rica, Dominikanische Republik, Ecuador, El Salvador, Frankreich, Guatemala, Guyana,Haiti, Honduras, Jamaica, Kanada, Kolumbien, Kuba,Mexiko,Niederlande,Nicaragua,Panama,Paraguay,Peru, Trinidad und Tobago, Uruguay, USA, Vereinigtes Königreich sowie Venezuela. Belize und der Zusammenschluß einiger kleiner Staaten haben den Status von assoziierten Mitgliedern. Die Bundesrepublik Deutschland und die Schweiz nehmen in beratender Funktion teil. Die ECLA hat im Gegensatz zu ECE, ESCAP und ECA kein System von Unterorganen entwickelt. Sie verfügt lediglich über zwei Fachausschüsse, den Zentralamerikanischen Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und den Handelsausschuß. Ein Schwerpukt der Tätigkeit der ECLA liegt seit ihrer Gründung auf der Ausbildung von Mitgliedern der nationalen Verwaltungen, die mit Planung und wirtschaftlicher Entwicklung befaßt sind. Daneben haben wissenschaftliche Untersuchungen von Problemen aus allen Tätigkeitsbereichen sowie der wirtschaftlichen Integration und die Beratung der lateinamerikanischen Regierungen durch Experten zunehmend an Bedeutung gewonnen. Eine Besonderheit weist die ECLA insofern auf, als sie als einzige Kommission neben der Zusammenarbeit die Integration der Mitgliedstaaten zu fördern sucht. Die beiden bestehenden Bündnisse, die je eine Teilregion Lateinamerikas erfassen, gehen auf Initiativen und vorbereitende Arbeiten der ECLA zurück. Es handelt sich um das Zentralamerikanische Programm für wirtschaftliche Entwicklung (Central American Economic Integration Programme) und die Lateinamerikanische Freihandelszone (Latin American Free Trade Association). Die Initiativen der ECLA führten unter anderem auch dazu, daß eine Interamerikanische Entwicklungsbank, ein Lateinamerikanisches Eisen- und Stahlinstitut sowie ein Lateinamerikanisches Institut für wirtschaftliche und soziale Planung gegründet wurden. Das letztere unterhält eigene Beraterstäbe für die Regierungen und führt seit 1962 die umfangreichen Ausbildungsprogramme auf den verschiedensten Gebieten für die ECLA durch. Die ECLA arbeitet eng mit der OAS (Organization of American States) zusammen. Die politische Atmosphäre in Lateinamerika ist für die Tätigkeit der ECLA relativ günstig. Sie wird vor allem durch eine relativ große kulturelle Homogenität, eine relativ lange nachkoloniale Geschichte und die hegemoniale Stellung der USA geprägt. Allerdings bestehen auch in der lateinamerikanischen Region vielfältige politische und wirtschaftliche Differenzen, die sich zwangsläufig in der ECLA auswirken. ECA Die ECA wurde am 29. April 1958 gegründet (ECOSOC Res. 671 (XXV)). Ihr Sitz ist Addis Abeba. Derzeit hat sie die folgenden 47 Mitglieder: Algerien,Ägypten,Äthiopien,Äquatorial-Guinea, Botswana, Burundi, Dahomey, Elfenbeinküste, Gabun, Gambia, Ghana, Guinea, GuineaBissau, Kapverdische Republik, Komoren, Kamerun, Kenia, Kongo, Lesotho, Liberia, Libyen, Madagaskar, Malawi, Mali, Mauretanien, Mauritius, Marokko, Mozambique, Niger, Nigeria, Obervolta, Rwanda, Sambia, Sao Tomé und Principe, Senegal, Sierra Leone, Somalia, Südafrika, Sudan, Swasiland, Tansania, Togo, Tschad, Tunesien,Uganda, Zaire und die Zentralafrikanische Republik. Assoziierte Mitglieder sind neben den abhängigen Gebieten in Afrika Frankreich, Spanien und das Vereinigte Königreich. Die Bundesrepublik Deutschland und die Schweiz sind Teilnehmer mit beratender Funktion. Der ECOSOC hatte im Jahre 1963 Portugal aus der Kommission ausgeschlossen (Res. 974 D III (XXXVI) vom 24.7.1963) und die Mitgliedschaft der Republik Südafrika bis zur Änderung der Rassenpolitik suspendiert (Res. 974DIV(XXXVI) vom 30.7.1963).

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Wirtschaftskommissionen

Die ECA verfugt über vier Unterorgane, den Exekutivausschuß, den technischen Expertenausschuß, die Konferenz Afrikanischer Statistiker und den zwischenstaatlichen Ausschuß der Experten für wissenschaftliche und technologische Entwicklung in Afrika. Der Schwerpunkt der Tätigkeit der ECA liegt in der Unterstützung der afrikanischen Regierungen bei der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung ihrer Länder. Dabei sind häufig multinationale Aktionen erforderlich, weil zahlreiche Länder in Anbetracht ihrer geringen Größe die Probleme nicht allein bewältigen können. Die ECA versucht, ihre Aufgabe namentlich dadurch zu verwirklichen, daß sie auf teilregionaler Ebene — Nord-, West-, Zentral- und Ostafrika — die Zusammenarbeit fördert. Zu diesem Zweck hat die ECA vier Subregionalbüros eingerichtet. Daneben befaßt sich die ECA mit Hilfsaktionen für die Bevölkerungen und die Befreiungsbewegungen abhängiger Gebiete. Der ECA gelang es, mehrere regionale Projekte durchzusetzen. Von besonderer Bedeutung sind das Afrikanische Handelszentrum, die Afrikanische Kommission für den zivilen Luftverkehr, das Zentrum für Bevölkerungsprogramme sowie das mittelfristige Programm der Vereinten Nationen für die landwirtschaftliche Entwicklung in Afrika. In Anbetracht der Vielfalt an Bedingungen, die eine Entfaltung der ECA und die Wirksamkeit ihrer Bemühungen maßgeblich behindert haben, sind die Aussichten für die Zukunft der ECA nicht sehr vielversprechend. Ein schwerwiegendes Hindernis für die ECA ist nach wie vor der Mangel der Staaten an administrativer Kapazität und an Personal mit hinreichender Fachausbildung und Erfahrung. Infolgedessen sind viele Staaten nicht in der Lage, die für ihre Entwicklung unerläßliche Planung und Koordinierung ihrer Verwaltung zu leisten. Es gehört zu den Grundproblemen der afrikanischen Region, diesen Circulus vitiosus in den armen Ländern zu durchbrechen. Die bei den gerade in die Unabhängigkeit entlassenen Staaten bestehenden nationalstaatlichen Empfindlichkeiten erschweren die Arbeit der ECA teilweise erheblich. Die in ihrer Entwicklung fortgeschrittenen Länder Afrikas sind durchweg kaum dazu bereit, in der Zusammenarbeit mit ihren ärmeren Nachbarn Opfer zu bringen. Sie sind eher daran interessiert, ihre Beziehungen zu den Industriestaaten auszuweiten. Fortschreitende Entwicklung in den reicheren Ländern Afrikas und Stagnation in den ärmeren sind die Folge. Hinderlich hat sich zudem das durch latente Spannungen gekennzeichnete Verhältnis zwischen den arabischen Staaten u n d den Staaten südlich der Sahara auf die Arbeit der ECA ausgewirkt. ECWA Als jüngste Kommission wurde am 9. August 1973 die ECWA gegründet (ECOSOC Res. 1818 (LV)). Sie tagte zu ihrer ersten Sitzung in Beirut im Juni 1974. Mitglieder der Kommission sind nach dem Gründungsbeschluß diejenigen zwölf arabischen Staaten, die bisher die Dienste von UNESOB in Anspruch genommen haben. Durch diese Regelung, die im Gegensatz zu den entsprechenden Regelungen der anderen Kommissionen nicht auf der Zugehörigkeit zu einer geographischen Region beruht, wurde Israel von der Mitgliedschaft ausgeschlossen. Mehrere westliche Staaten haben der Beschränkung der Mitgliedschaft auf die arabischen Staaten im wesentlichen mit dem Argument widersprochen, eine Regelung der Mitgliedschaft, die sich an der Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe orientiere und einen Mitgliedstaat der Vereinten Nationen aus der betreffenden Region ausschließe, verstoße gegen Art. 1 und 2. Die Tätigkeit der ECWA wird sich nach den von ihr beschlossenen kurz- und mittelfristigen Plänen vor allem in den üblichen Bereichen bewegen. Nach den Vorstellungen der ECWA ist es vordringlich, in den folgenden Problemkreisen in absehbarer Zeit zu konkreten Ergebnissen zu kommen: Wasserreserven, Ernährungsdefizit, petrochemische und Düngemittelindustrie, Fachpersonal, Tourismus, öffentliche Finanzen und Verwaltung, Naturschätze, Bevölkerung, Transport, Kommunikation und Elektrizität.

UNESOB

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In den ersten Jahren wird die Beschaffung und Verbreitung verläßlicher wirtschaftlicher, sozialer, technologischer sowie statistischer Daten im Vordergrund stehen. Daneben ist geplant, das Fachpersonal für die unterschiedlichsten Funktionen auszubilden und einen weitgefächerten Beratungsdienst für die Regierungen aufzubauen.

UNESOB UNESOB wurde im Jahre 1963 von der Abteilung für wirtschaftliche und soziale Angelegenheiten des Sekretariats der Vereinten Nationen und den Sekretariaten von UNCTAD und UNIDO als Vorposten im Nahen Osten gegründet. UNESOB diente als Ersatz für eine regionale Wirtschaftskommission, von deren Errichtung der ECOSOC bis zum Jahre 1973 in Anbetracht der politischen Lage im Nahen Osten abgesehen hatte. Die Aufgabe von UNESOB besteht in erster Linie darin, die zwölf arabischen Staaten, die seine Dienste in Anspruch nehmen, entsprechend den Beschlüssen der Generalversammlung, des ECOSOC sowie von UNCTAD und UNIDO bei ihrer wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung zu unterstützen. Die genannten zwölf Staaten sind: Bahrein, Irak, Jordanien, Libanon, Kuwait, Oman, Qatar, Saudi-Arabien, Syrien, die Vereinigten Arabischen Emirate, die Demokratische Volksrepublik Jemen und die Arabische Republik Jemen. UNESOB unterstützt die Regierungen vor allem bei der Durchführung ihrer nationalen Pläne und Politik, indem sie bei den erforderlichen Situationsanalysen die wissenschaftlichen Vorarbeiten leistet oder die Regierungen entsprechend berät. Schwerpunkte in der Tätigkeit von UNESOB bilden Entwicklungsplanung, Fragen der Besiedlung, der Städteplanung, des Wohnungsbaus, der industriellen Entwicklung, der Entwicklung des Handels, der regionalen Kooperation und der öffentlichen Finanzen sowie Bevölkerungsprobleme und die Demographie. UNESOB hat eine Anzahl von regionalen Beraterstäben für die verschiedenen Fachbereiche, die den Regierungen auf Anforderung zur Verfügung stehen. Nach der Gründung der ECWA stellt sich die Frage nach der künftigen Rolle von UNESOB im Verhältnis zur ECWA. Eine Antwort darauf ist noch nicht möglich.

Literatur Autorenkollektiv unter Leitung von Spröte / Wünsche: Die ökonomischen Organe und Organisationen der Vereinten Nationen, Berlin 1973, S. 139 Gregg: The UN Regional Economic Commissions and Integration in the Underdeveloped Regions, in: Falk/Mendlowitz (ed.), Regional Politics and World Order, San Francisco 1973, p. 308 Magee: ECA and the Paradox of African Cooperation, in: International Conciliation 1970 (No. 580) p. 5 Niederländisches Außenministerium (Hrsg.): De Economische Commissie voor Latijns Amerika (ECLA) 1948-1968, Veröffentlichung Nr. 92 des Niederländischen Außenministeriums Nye: Central American Regional Integration, in: International Conciliation 1967 (No. 562) p. 5 Siotis: ECE in the Emerging European System, in: International Conciliation 1967 (No. 561) p. 5 ders.: Die ECE und Gesamteuropa, Köln 1969 UN—Secretariat (ed.): Fifteen Years of Activity of the Economic Commission for Europe, 1947-1962, New York 1964 Wightman: Economic Co-operation in Europe. A Study of the United Nations Economic Commission for Europe, London 1956

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WMO - Weltorganisation für Meteorologie

Wightman: Toward Economic Co-operation in Asia: The United Nations Economic Commission for Asia and the Far East, Hartford (Conn.) 1963 Wionczek: Latin American Free Trade Association, in: International Conciliation 1965 (No. 557) p. 3 Reinhold Thode Verweise auf: ECOSOC; Ost-West-Konflikt; UNCTAD; UNIDO; Weltwirtschaftsordnung.

WMO — Weltorganisation für Meteorologie Gründung Die WMO (World Meteorological Organization) wurde am 11. Oktober 1947 gegründet (Text: Bekanntmachung des Ubereinkommens vom 12.1.1970 in der Neufassung mit den Änderungen vom 11.4. und 26.4.1967, BGBl. 1970 II S. 18). Die WMO ist aus der bereits 1878 in Utrecht gegründeten internationalen meteorologischen Organisation hervorgegangen. Diese Organisation, bestehend aus den Direktoren der nationalen meteorologischen Dienste, war jedoch infolge der schnellen Entwicklung der Transport- und Verkehrsmittel nicht mehr in der Lage, den ständig steigenden Bedürfnissen der Wirtschaft und den technischen Anforderungen gerecht zu werden. Aus diesem Grunde wurde eine Reorganisation auf internationaler Basis notwendig. Daher wurde am 11. Oktober 1947 auf der Direktorenkonferenz der Nationalen Meteorologischen Dienste, die in Washington zusammentrat, das „Übereinkommen über die Weltorganisation für Meteorologie" geschaffen. Mit Resolution vom 20. Dezember 1951 (GA Res. 531 (VI)) wurde die WMO Sonderorganisation der Vereinten Nationen (Abkommen: UNTS Bd. 123 Nr. 415). Das WMO-Übereinkommen trat nach Ratifizierung durch 30 Mitgliedstaaten am 23. März 1950 in Kraft. Der Sitz der WMO ist in Genf. Aufgaben und Zielsetzung Aufgaben der Organisation sind gem. Art. 2 WMO-Übereinkommen: 1. Erleichterung der internationalen Zusammenarbeit bei der Schaffung eines Netzes von Meteorologischen Beobachtungsstationen und Wetterdiensten, die der Durchführung meteorologischer und anderer geophysikalischer Beobachtungen dienen; 2. Förderung des Austausche von meteorologischen Nachrichten; 3. Förderung einer einheitlichen Veröffentlichung der Beobachtungen und Statistiken; 4. Förderung der Anwendungen meteorologischer Kenntnisse auf Luftfahrt, Schiffahrt, Landwirtschaft und andere Arbeitsgebiete; 5. Unterstützung und Anregung der Forschung und Ausbildung in Meteorologie wie Koordinierung der internationalen Aspekte solcher Programme. Zur Erreichung dieser Ziele organisiert die WMO den internationalen Austausch von Wetterberichten und hilft den Ländern bei der Errichtung meteorologischer Stationen. Organe und Struktur Organe der WMO sind der Meteorologische Weltkongreß, der Exekutivausschuß, das Sekretariat, die 6 Regionalverbände und 8 Fachkommissionen. Der Meteorologische Weltkongreß besteht aus den Vertretern der Mitgliedstaaten und findet alle vier Jahre statt. Dieses höchste Organ, in das die Regierungen die Direktoren ihrer

Haushalt und Finanzen

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nationalen meteorologischen Dienste entsenden, bestimmt die Politik, die Programme und den Haushalt der Organisation. Für die Beschlußfassung ist in der Regel Zweidrittelmehrheit erforderlich. Der 24-köpfige Exekutivausschuß besteht aus dem Präsidenten, 3 Vizepräsidenten, 6 Präsidenten der Regionalverbände sowie 14 von den Mitgliedstaaten bestimmten Direktoren der jeweiligen Wetterdienste. Der Ausschuß tritt mindestens einmal jährlich zusammen und bereitet Studien und Empfehlungen über meteorologische Fragen von internationalem Interesse vor. Neben der Durchführung von Forschungsarbeiten erteilt er den Mitgliedstaaten technische Auskünfte, Ratschläge und Hilfen im Rahmen der Arbeitsbedingungen der Organisation. Die Regionalverbände für Afrika, Asien, Südamerika, Nord- und Zentralamerika, Südwestpazifik und Europa setzen sich aus den Mitgliedstaaten der jeweiligen Bereiche zusammen. Ihre Aufgabe besteht in der Durchführung der Beschlüsse des Kongresses und des Exekutivausschusses in den betreffenden Regionen. Damit dienen sie sowohl der Berücksichtigung regionaler Interessen als auch der Durchführung von Resolutionen und Programmen. Die Fachkommissionen der WMO werden von dem Meteorologischen Weltkongreß eingesetzt, um durch Wissenschaftler Fragen der Anwendung der Meteorologie klären zu lassen. Es bestehen folgende acht Fachkommissionen: Kommission für grundlegende Verfahrenssysteme; Kommission für Beobachtungsgeräte und -methoden; Kommission für Atmosphärologie; Kommission für Luftfahrt-Meteorologie; Kommission für Landwirtschafts-Meteorologie; Kommission für Seefahrt-Meteorologie; Kommission für Hydrologische Meteorologie; Kommission ftir Sonderanwendungen der Meteorologie und Klimatologie. Das Sekretariat untersteht einem Generalsekretär, der zugleich als Koordinationsorgan für die meteorologischen Dienste der Mitgliedstaaten dient. Ihm ist ausdrücklich die Aufgabe übertragen, auch Nichtmitgliedstaaten der Organisation über die Tätigkeit der WMO und ihre Beschlüsse zu informieren.

Mitgliedschaft Mitglied der WMO kann jeder Staat werden, wobei Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen durch einfachen Beitritt zum WMO-Übereinkommen die Mitgliedschaft erwerben. Nichtmitgliedstaaten der Vereinten Nationen müssen einen Aufnahmeantrag beim Sekretariat der WMO stellten, über den mit Zweidrittelmehrheit der Mitglieder der WMO beschlossen wird. Daneben können solche Gebiete die Mitgliedschaft erlangen, die einen eigenen meteorologischen Dienst unterhalten. Die WMO hatte Ende 1975 143 Mitgliedstaaten; die Bundesrepublik Deutschland ist der WMO am 10. Juli 1954 beigetreten, die Deutsche Demokratische Republik am 22. Juni 1973.

Haushalt und Finanzen Die WMO wird durch Beitragsleistungen der Mitgliedstaaten finanziert, wobei zusätzliche Zahlungen durch das Freiwilligenprogramm eingehen (-> Beitragssystem, Haushalt). Das Gesamtbudget der Organisation hat sich von ca. 3 Mio. Dollar im Jahre 1969 auf ca. 8,57 Mio. Dollar im Jahre 1975 erhöht. Hauptbeitragszahler sind die Vereinigten Staaten, die UdSSR, Großbritannien und die Bundesrepublik Deutschland. Der Beitrag wird in Beitragseinheiten berechnet, dessen Höhe die Mitgliedstaaten weitgehend selbst bestimmen können. Von den 1972 insgesamt 1150 Beitragseinheiten entfallen auf die USA 274, die UdSSR 147, Großbritannien 6 9 und die Bundesrepublik Deutschland 59 Einheiten. Beitragszahlung und Stimmrecht sind nicht gewichtet gekoppelt.

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Zypern

Tätigkeit Nachdem die WMO in der Anfangszeit sich hauptsächlich mit der Standardisierung und Koordinierung der Wetterdienste beschäftigte und Bestimmungen für die einheitliche Tätigkeit der meteorologischen Dienste in den einzelnen Mitgliedstaaten festlegte, kommt der WMO heute eine zunehmende Bedeutung bei der Koordinierung der Wetterbeobachtung und der Erarbeitung von Weltwetterkarten in Zusammenhang mit der Satellitenbeobachtung zu. Zur Schaffung einer Weltwetterwacht hat sich die WMO in den vergangenen Jahren zunehmend der Aufgabe gewidmet, in der ganzen Welt ein umfassendes Netz von Beobachtungsstationen zu schaffen, um insbesondere die Informationsdefizite der südlichen Hemisphäre auszugleichen. Durch Resolutionen auf der 16. und 17. Sitzungsperiode der Generalversammlung hat die WMO den Auftrag erhalten, einen Plan zur Entwicklung eines Weltstationsnetzes zu erarbeiten, um eine Weltwetterwacht sicherzustellen (Res. 1721 C (XVI) vom 20.12.1961 und Res. 1802 III (XVII) vom 14.12.1962). Die praktische Arbeit der WMO, insbesondere in Zusammenhang mit der Weltwetterwacht und der Erarbeitung von Weltwetterkarten, wird im wesentlichen von den drei Weltmeteorologischen Zentren in Moskau, Washington und Melbourne sowie den 21 regionalen Meteorologischen Stationen geleistet. In Zusammenarbeit mit dem internationalen Rat wissenschaftlicher Vereinigungen befaßt sich die WMO mit dem globalen atmosphärischen Forschungsprogramm, wobei es ihr insbesondere obliegt, die Probleme der langfristigen Wetterprognosen zu untersuchen und die Bedingungen in der Atmosphäre über den Ozeanen zu erforschen. Literatur Süßenberger: Wetterdienst als weltweite Aufgabe. Die Weltorganisation für Meteorologie, in: VN 1963 S. 94 Volker Hagemeier Verweise auf: Beitragssystem, Haushalt; Sonderorganisationen.

Zypern

Konflikthin

tergrund

Die Vereinten Nationen haben sich bisher mit Zypern in zweifacher Hinsicht befaßt. Einmal ging es u m den mit den Verträgen von Zürich und London (11./19. Februar 1959) abgeschlossenen antikolonialen Kampf gegen Großbritannien (zuletzt GA Res. 1287 (XIII) vom 5.2.1958). Zypern, seit 1960 selbständiger Staat und Mitglied der Vereinten Nationen, beschäftigt diese erneut und bis heute seit Ende 1963. Anlaß hierfür ist ein primär innerstaatlicher Konflikt zwischen griechischen und türkischen Zyprioten, der sich indes vor dem Hintergrund nationalstaatlicher Interessengegensätze zwischen Griechenland und der Türkei abspielt; er wird zunächst aus ethnischen und religiösen, später aber auch sozialen Quellen gespeist. Konfliktgebiet ist der zyprische Staat, der sich mit der gleichnamigen 9.251 qkm großen Insel nicht vollständig deckt; 256 qkm bzw. 2,8 % ihrer Fläche unterstehen britischer Hoheit. Der letzten Volkszählung zufolge (1960) waren bei einer Gesamtbevölkerung von

Konflikthintergrund

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5 7 7 . 6 1 5 Einwohnern, neben Armeniern, Maroniten und anderen Minderheiten, 7 6 , 6 % griechisch- und 18,1 % türkischzypriotisch, ein Verhältnis, das abgesehen von kleineren Aufoder Abrundungen unverändert allen späteren Bevölkerungsschätzungen — 1973 über 6 5 0 . 0 0 0 — zugrundeliegt. Dabei kennt keine der beiden Volksgruppen ein angestammtes einheitliches Siedlungsgebiet. Die für Zypern typische volkliche Gemengelage weicht jedoch seit 1964 einer zunehmenden Siedlungstrennung, die nach den Ereignissen von 1974 fast vollständig ist. Unbeschadet des Volksgruppenverhältnisses von ca. 4 zu 1 behandelt die zyprische Verfassung vom 16. August 1 9 6 0 die beiden Volksgruppen als zwei grundsätzliche gleichberechtigte Staatsvölker. Dabei ist die Verfassungsstruktur, insbesondere was die Gleichstellung beider Volksgruppen angeht, bereits im Rahmen der eingangs genannten Verträge zwischen Griechenland, Großbritannien und der Türkei festgelegt worden. Dem darin ausgehandelten Kompromiß zufolge ist Zypern des weiteren unabhängig und unteilbar, eine Formulierung, die sich gleichermaßen gegen griechische Anschluß- wie türkische Teilungsbestrebungen richten sollte. Um die Einhaltung dieses völkervertragsrechtlichen Kompromisses zu sichern, kam es zugleich zu einem Garantieabkommen (UNTS Bd. 3 8 2 Nr. 5 4 7 5 ) . Hierin verpflichten sich dieselben Signatarmächte, soweit es in ihrer Macht steht, alle Bestrebungen zu verhindern, die das Ziel haben, den Anschluß oder die Teilung der Insel, sei es direkt oder indirekt, herbeizuführen; sie behalten sich darüber hinaus (Nr. 4 ) auch einzeln ein Eingriffsrecht mit dem alleinigen Ziel vor, den vertragsmäßigen Zustand wiederherzustellen. Diese völkerrechtliche Einbindung, der die Volksgruppenvertreter Zyperns seinerzeit einschließlich des bald - vor allem im Hinblick auf die Art. 2 Ziff. 4 und 103 - bestrittenen Interventionsrechts (so insbesondere die Sowjetunion SCOR ( X I X ) , 1096th mtg., Nr. 5 4 f., 1 9 . 2 . 1 9 6 4 ) zustimmten, hat dazu geführt, daß sich jede Veränderung der innerstaatlichen Verfassungslage Zyperns ohne weiteres international auswirkt. Die Gleichberechtigung beider Volksgruppen ergibt sich aus der zyprischen Verfassung (Verf.), die damit der erwähnten völkerrechtlichen Übereinkunft entspricht, wie folgt: Die Sprachen beider Volksgruppen sind Amtssprachen (Verf. 3). Eine vorbildliche personelle Autonomie wird verwirklicht; jede Volksgruppe erhält ein Vertretungsorgan, das u. a. in religiösen, kulturellen, erzieherischen und Ausbildungs-Angelegenheiten allein zuständig ist (Verf. 8 6 ) . Was die gemeinsamen Staatsaufgaben betrifft, so wird innerhalb der präsidialen Staatsspitze das Amt des Präsidenten der griechisch- und das des Vizepräsidenten der türkischzypriotischen Volksgruppe zugeteilt (Verf. 1). Dabei kommt dem Vizepräsidenten ein weitreichendes Mitentscheidungs- (Verf. 4 7 ) und Vetorecht (Verf. 5 0 ) zu. Dafür, daß die türkischzypriotische Seite auch in der noch verbleibenden Exekutive nicht als Minderheit behandelt wird, spricht ein dortiger Stellenanteil von 3 zu 7 (Verf. 4 6 ; 123), der sich bezeichnenderweise bei der Armee auf 2 zu 3 erhöht (Verf. 129). Der Schlüssel von 3 zu 7 gilt auch für die Legislative (Repräsentantenhaus), die über volksgruppenmäßig getrennte Listen gewählt wird. Der Gedanke der Gleichberechtigung tritt dort durch das Erfordernis volklich getrennter Abstimmungsmehrheiten besonders deutlich zutage. Sie werden bei Wahl-, Gemeindeverfassungs-, Steuergesetzen (Verf. 7 8 ) und Verfassungsänderung (Verf. 182) verlangt. Entsprechendes wie für die Exekutive und Legislative gilt für die Judikative. In dem wichtigsten Bereich der Verfassungsgerichtsbarkeit ist der Stellenanteil beider Volksgruppen gleich (Verf. 1 3 3 ) . Wegen der 1 9 6 0 vorhandenen Gemengelage beider Volksgruppen verzichtete man weitgehend darauf, die Gleichberechtigung auch durch volklich geschiedene regionale Verwaltungseinheiten zu untermauern. Derartige Gebilde sollten indes in den fünf größten Städten Zyperns — wenigstens für einen gewissen Zeitraum — geschaffen werden (Verf. 173). Diese Bestimmung wurde ebensowenig verwirklicht wie die Vorschriften über den türkischzypriotischen Stellenanteil in der Verwaltung. Vielmehr suchte die griechischzypriotische Seite die Rechtsstellung der türkischen Zyprioten auf einen Minderheitenstatus herab-

556

Zypern

zudrücken. Der daraus entstehende Konflikt entlud sich Ende 1963 (21. Dezember) in bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den beiden Volksgruppen, die deren verfassungsrechtlich gebotene Zusammenarbeit weitgehend z u m Erliegen brachte. Um eine Lösung dieses Konflikts, der sich wegen der besonderen völkerrechtlichen Lage zugleich international auswirkte, bemühen sich seit 1964 auch die Vereinten Nationen. Konfliktausbruch

und

-eindämmung

Im Verlauf der Kämpfe zwischen den Volksgruppen k o m m t es zu Flucht und Vertreibung, wovon vornehmlich türkische Zyprioten — schließlich ca. 25.000 (Doc. S / 5 9 5 0 Nr. 190 vom 19.9.1964) — betroffen sind. Als die Türkei andeutet, zugunsten der Rechte der im offenen Konflikt zahlenmäßig unterlegenen türkischzypriotischen Volksgruppe von ihrem Interventionsrecht Gebrauch zu machen, r u f t die zyprische Regierung (Doc. S/5488 vom 26.12.1963) ungeachtet des innerstaatlich verbindlichen Vetos des türkischzypriotischen Vizepräsidenten (Doc. S/5491 vom 27.12.1963) den ->· Sicherheitsrat an. Sie wirft der Türkei vor, Angriffshandlungen zu unternehmen und sich in innere Angelegenheiten Zyperns einzumischen. Der Sicherheitsrat h ö r t daraufhin alle betroffenen Staaten zuzüglich der türkischzypriotischen Seite an (SCOR (XIX), 1095th - 1100th mtg., 17.2.-2.3.1964), unbeschadet der Tatsache, daß die Vereinten Nationen die — seit Konfliktbeginn — faktisch rein griechischzypriotische Regierung als Vertreterin ganz Zyperns ansehen (SCOR (XIX), 1098th mtg., Nr. 9 ff., 27.2.1964). Am Ende k o m m t es zu einer Entschließung (SC Res. 186 (XIX) vom 4.3.1964), die für den weiteren Verlauf der Bemühungen seitens der Vereinten Nationen grundlegend wurde. Die Entschließung stellt eingangs fest, daß der Konflikt geeignet ist (,,is likely to threaten"), international Frieden und Sicherheit zu bedrohen. Er wird also noch nicht als Fall des Art. 39 angesehen. Zur Konfliktbereinigung wird im einzelnen einmal, um die bew a f f n e t e n Auseinandersetzungen zwischen den Volksgruppen zu beenden, die Aufstellung einer Friedenstruppe für Zypern beschlossen und damit ungeachtet der fehlenden Angabe einer Rechtsgrundlage nach überwiegender Auffassung Art. 4 0 angewandt (-> Streitkräfte der Vereinten Nationen); zugleich ist die offenbar auf Art. 33 gestützte Einsetzung eines Vermittlers vorgesehen (->• Streitschlichtung). Der Vermittler soll zwischen den streitenden Volksgruppen wie auch zwischen den Regierungen Griechenlands, Großbritanniens, der Türkei und Zyperns eine Lösung suchen. Das A m t war indes dadurch belastet, daß alle vier genannten Regierungen seiner Besetzung seitens des Generalsekretärs zustimmen mußten, eine Bedingung, der verschiedene Vorschläge zum Opfer fielen. Im übrigen verdeutlichte das Zustimmungserfordernis, daß ein Vermittler auch nach einverständlicher Ernennung in seiner Wirksamkeit stets vom Vertrauen der vier Staaten abhängig blieb. Der jederzeit mögliche Vertrauensentzug führte zum baldigen Scheitern des Vermittleramtes, das nach dem Finnen Tuomioja Galo Plaza aus Ecuador versah. Als dessen Bericht an den Generalsekretär (Doc. S/6253 vom 26.3.1965) mit der Vermittlerrolle unverträgliche schiedsrichterliche Elemente aufweist (vgl. insbesondere a.a.O. Nr. 153 f; 163) und von der Türkei und der türkischzypriotischen Volksgruppe als zu einseitig gerügt wird (Doc. S/6267 vom 2.4.1965; 6279 vom 9.4.1965), tritt er zurück (Doc. S/7054 vom 31.12.1965). Das Amt des Vermittlers ist seither nicht mehr besetzt worden. Was die Aufstellung einer Friedenstruppe der Vereinten Nationen für Zypern (United Nations Peace-keeping Force in Cyprus, abgekürzt UNFICYP) angeht, so hat sie laut der Entschließung 186 folgende Aufgaben: — Sie soll ein Wiederaufleben der bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den beiden Volksgruppen verhindern und — soll mit dazu beitragen, Recht und Ordnung aufrechtzuerhalten bzw. wiederherzustellen wie auch dazu, — zu normalen Verhältnissen zurückzukehren.

Konfliktwandel seit 1 9 7 4

557

Hinsichtlich der ersten beiden Aufgaben (im einzelnen Doc. S/5593 vom 12.3.1964; 5 6 3 4 vom 3 1 . 3 . 1 9 6 4 ) hat die Friedenstruppe, bei einer Höchstsollstärke von7.000 und einer Iststärke zwischen 6.411 ( 1 9 6 4 ) und 2.341 ( 1 9 7 4 ) Mann, ihr Ziel weitgehend erreichen können. Die Stationierung der Truppe, die durch entsprechende Einheiten auch polizeiliche Aufgaben wahrnimmt, wurde anfangs für jeweils drei (SC Res. 192 ( X I X ) vom 2 0 . 6 . 1 9 6 4 usw.) und nach einer gewissen Beruhigung — mit zwei Ausnahmen (SC Res. 2 4 4 ( X X I I ) vom 2 2 . 1 2 . 1 9 6 7 ; 247 ( X X I I I ) vom 18.3.1968) - für jeweils sechs Monate fortlaufend erneuert (SC Res. 222 ( X X I ) vom 16.6.1966 usw.). Die Verlängerungen, die auf die grundlegende Entschließung 186 Bezug nehmen, schließen auch die dritte Aufgabe ein, nämlich mit dazu beizutragen, zu normalen Verhältnissen zurückzukehren. Hinsichtlich dieser Aufgabe wurde früh erkannt, daß sie über das rein militärische, bzw. polizeiliche hinausging und insoweit eine für die Friedenstruppe nicht gemäße Last bedeutete. Der -»• Generalsekretär ernannte deshalb ergänzend, in Ausübung seiner Rechte nach Art. 9 9 , einen Sonderbeauftragten, der ihm unmittelbar unterstellt und verantwortlich ist. Dessen Tätigkeit als Zivilbeamter soll sich auf wesentliche Fragen nichtmilitärischer Art beziehen, ohne dabei die Aufgaben des Vermittlers oder des Kommandeurs der Friedenstruppe zu berühren (Doc. S/5671 Nr. 4 vom 2 9 . 4 . 1 9 6 4 ) ; er soll mit den betroffenen Parteien entsprechend dem weitgesteckten Auftrag der Friedenstruppe Diskussionen und Verhandlungen führen (Doc. S/5764 Nr. 2 vom 15.6.1964). Das Amt des Sonderbeauftragten, das zunächst von Galo Plaza und nach seiner Berufung zum Vermittler von dem Brasilianer Bernardes bis Anfang 1967 wahrgenommen wurde, erfuhr eine deutliche Aufwertung (Doc. S/7180 vom 4 . 3 . 1 9 6 6 ) , seit die Stelle des Vermittlers ab Ende 1965 unbesetzt blieb. Im Rahmen dieses Amtes, das nach kurzem Zwischenspiel des Italieners Spinelli ab 1967 der Mexikaner Osorio-Tafall versah, Mitte 1974 sein Landsmann Weckmann-Muñoz übernahm und seit Herbst 1975 der Peruaner Pérez de Cuéllar innehat, gelang es, die Spannungen zwischen den beiden Volksgruppen zu vermindern. Neben Erfolgen im Versorgungs- und Wirtschaftsbereich wurde 1967 die Freizügigkeit der türkischen Zyprioten wiederhergestellt, die seit 1964 in über 3 0 Siedlungseinheiten eine eigene provisorische Verwaltung aufgebaut hatten. Darüber hinaus gelang es 1968, innerzyprische Gespräche mit dem Ziel der Konfliktlösung zwischen Vertretern beider Volksgruppen zustandezubringen. Diese Tatsache spiegelt sich auch in den Entschließungen des Sicherheitsrats, die seitdem empfahlen (erstmals Res. 247 ( X X I I I ) vom 18.3.1968 usw.), in aufbauender Weise die augenblicklich günstige Lage und Gelegenheit zu nutzen. Die innerzyprischen Gespräche, die auf der Grundlage der Verfassung von 1960 geführt werden, dauern mit Unterbrechungen bis heute an. Die türkischen Zyprioten beharren darin grundsätzlich auf dem Kompromiß von 1959/60, der ihnen die Gleichberechtigung einräumte. Zu einem Umbau der Verfassung entsprechend griechischzypriotischen Wünschen sind sie nur bei gleichzeitig verstärkter regionaler Autonomie bereit. Konfliktwandel seit 1974 Diese Wandlung wird durch innergriechische bzw. griechischzypriotische Auseinandersetzungen ausgelöst, deren Schlichtung außerhalb der Befugnisse der Vereinten Nationen liegt. Als die Ziele eines gelungenen Staatsstreichs gegen die zyprische Regierung ( 1 5 . Juli 1974) einen zumindest indirekten Anschluß der Insel an Griechenland befürchten lassen, kommt es auf Grund des anfangs erwähnten Garantieabkommens zur bewaffneten Intervention der Türkei ( 2 0 . Juli 1974). Sie führt in einer zweiten Stufe ( 1 4 . - 1 6 . August 1974) durch Flucht und Vertreibung von ca. 1 8 4 . 0 0 0 griechischen Zyprioten zu einer fast vollständigen Siedlungstrennung der beiden Volksgruppen. Etwa 4 0 % der Insel, ihr nördlicher Teil, geraten unter türkische bzw. türkischzypriotische Botmäßigkeit.

558

Zypern

Diese Vorgänge veranlassen den Sicherheitsrat, hinsichtlich der Bevölkerungsverschiebung den Hohen Flüchtlingskommissar (-»· Flüchtlinge) einzuschalten (SC Res. 361 (XXIX) vom 30.8.1974). Nachdem es zuvor aber unter Anführung von Art. 24 noch zurückhaltend um die Aufrechterhaltung des Weltfriedens geht (SC Res. 353 (XXIX) vom 24.7.1974), kommt es zunächst noch — nach dem neuerlichen Aufflammen der Kämpfe — erstmals zu der ausdrücklichen Feststellung, daß eine Friedensbedrohung vorliegt (SC Res. 360 (XXIX) vom 16.8.1974). Die sich daraus ergebende Anwendbarkeit des weitreichenden Art. 39 (-»· Sanktionen) ist jedoch abgefangen, da kein Verletzerstaat genannt wird. Trotzdem weist die Feststellung in eine Richtung, die vermuten läßt, daß der Sicherheitsrat jedenfalls für die zweite Stufe der Intervention, zu der es nach weitgehender Wiederherstellung des Zustands vor dem Putsch kam, die Berufung auf das Garantieabkommen nicht mehr gelten lassen mochte (arg. e contr. Art. 4 0 Satz 2). Das erklärt auch, warum die errungenen militärischen Vorteile keinen Einfluß auf das Ergebnis der Verhandlungen haben sollen, zu denen der Sicherheitsrat die betroffenen Parteien aufrief (SC Res. 353 (XXIX) vom 20.7.1974; 360 (XXIX) vom 16.8.1974). In dieser Linie liegt weiter der Beschluß, wonach die einseitige Erklärung des nördlichen Inselteils zum türkischzypriotischen Bundesstaat innerhalb einer föderativen Republik Zypern (13. Februar 1975) die endgültige Beilegung des Konflikts nicht festlege (SC Res. 367 (XXX) vom 12.3.1975). Gleichwohl erscheint die türkischzypriotische Forderung nach regionaler Autonomie inzwischen im Grundsatz akzeptiert; ihr Ausmaß ist indes höchst strittig. Im Rahmen des Konfliktwandels seit 1974 ist es bedeutsam, daß die Machtpositionen auf der Insel jetzt in einer Weise verschoben sind, die im Gegensatz zu früher eine Konfliktlösung nicht mehr nur für die türkischzypriotische Seite vordringlich macht. Das kann abgesehen von den geschichtlichen Lehren, die die Betroffenen aus den jüngsten Ereignissen ziehen mögen, für ihre weiteren Verhandlungen heilsam sein, die jetzt unter der persönlichen Schirmherrschaft des Generalsekretärs stehen (SC Res. 367 (XXX) vom 12.3.1975). Ob es dabei für die Vereinten Nationen, an deren Einsatz auf Zypern sich die Bundesrepublik Deutschland seit 1964 mit einem Kostenanteil von 8 % bzw. ca. 4 0 Mio. DM beteiligt hat, auch künftig genügen kann, lediglich ihre guten Dienste anzubieten, läßt sich nach den bisherigen Erfahrungen bezweifeln. Angesichts der vielfältigen Interessengegensätze im Sicherheitsrat sind indes deutlichere Verhandlungsrichtlinien von seiner Seite kaum zu erwarten. Es dürfte vielmehr vom Geschick des Generalsekretärs abhängen, zwischen reiner Verhandlungsleitung und dem Bewußtsein, daß er den Parteien keine Lösung aufzwingen kann, einen Mittelweg zu finden.

Literatur Ballaloud: L'opération des Nations Unies à Chypre, in: RGDIP vol. 8 0 (1976) p. 130 Dischler: Die Zypernfrage, Frankfurt/M./Berlin 1960 Heinze: Stand des Zypernkonflikts — Beitrag der UNO zu seiner Bewältigung, in: VN 1967 S. 179 Kühne: Der zyprische Verfassungskonflikt. Eine kritische Würdigung der Lösungsvorschläge, in: Beiträge zur Konfliktforschung 1973, 3 S. 71 Leichter: Zypernkrise vor den Vereinten Nationen, in: VN 1964 S. 41 Menning: Zypern — Mitwirkung der UNO an einer Lösung des Konflikts, in: VN 1974 S. 172 Stegenga: The United Nations Force in Cyprus, (Columbus 1968) Jörg-Detlef Kühne Verweise auf : Flüchtlinge; Generalsekretär; Sanktionen; Sicherheitsrat; Streitkräfte der Vereinten Nationen; Streitschlichtung.

559

Anhang Dokumente der Vereinten Nationen 1. Bezeichnung der Dokumente Jedes Dokument hat einen Namen. Dieser setzt sich aus Buchstaben und Ziffern zusammen. Die Buchstaben verraten die Herkunft, d. h. das Gremium, aus dem das Dokument stammt. Es

bezeichnen:

A/. . . E/... S/... ST/... T/.. .

General Assembly (Generalversammlung) Economic und Social Council = ECOSOC (Wirtschafts- und Sozialrat) Security Council (Sicherheitsrat) Secretariat (Sekretariat) Trusteeship Council (Treuhandrat)

Der ICH — das 6. Hauptorgan der Vereinten Nationen — spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle. Nebenorgane der Hauptorgane C AC CN

werden mit

Standing Committee (Ständiger Ausschuß) ad hoc Committee (ad hoc-Ausschuß) Commission (Kommission)

angekündigt und durch eine hinzugefügte Ziffer identifiziert (sie werden in der historischen Folge ihrer Entstehung fortlaufend durchnumeriert). Beispiele: A/C.l/... A/CN.4/. . . A/AC.134/. . . E/C.7/.. . E/CN.4/. . .

General Assembly, First (Main) Committee General Assembly, International Law Commission General Assembly, Special Committee on the Question of Defining Aggression ECOSOC, Committee on Natural Resources ECOSOC, Commission on Human Rights

Der Politische Sonderausschuß der Generalversammlung ist nicht beziffert. Die Dokumente des Special Political Committee heißen deshalb A/SPC/.. . Unterorgane werden mit SC Sub

Sub Committee Sub-Commission

gekennzeichnet. Beispiele: A/AC.109/SC.1/. . .

E/CN.4/Sub.2/...

Special Committee on Implementation of Declaration on Independence of Colonial Countries and Peoples („24er-Ausschuß"), SubCommittee on Petitions Commission on Human Rights, Sub-Commission on Prevention of Discrimination and Protection of Minorities

560

Anhang - Dokumente der Vereinten Nationen

Bei Plenar-Unterorganen aber auch nur „C", und bei Unter-Unterorganen zumeist „WG" (working group). Beispiel: A/AC.105/C.1/WG.4/.. . Committee on the Peaceful Uses of Outer Space, Scientific and Technical Sub-Committee, Working Group on Remote Sensing of the Earth by Satellites Auch die Verfahrensausschüsse der Generalversammlung sind nicht beziffert. Das Signum des General Committee („Bureau") ist A/BUR/. . . Speziai- und Hilfsorgane pflegen als Gremien mit einer gewissen Autonomie eigene „Firmenschilder" zu erhalten. Beispiele: TD/.. . AT/... DP/... ID/... WFC/.. . DC/...

UNCTAD = United Nations Conference on Trade and Development Administrative Tribunal UNDP = United Nations Development Programme UNIDO = United Nations Industrial Development Organization Wold Food Council Disarmament Commission

Auch hier mit den „Hausnummern", TD/B/C.l/.. .

z. B.:

UNCTAD, Board, Committee on Commodities (= der Rohstoffausschuß bei dem Rat der UNCTAD)

Dokumente von Konferenzen, die unter den Auspizien der Vereinten Nationen stattfinden, sind an der Signatur „CONF" identifizierbar. Bei Rohstoffkonferenzen im Rahmen der UNCTAD gibt der jeweilige Rohstoff den Dokumenten den Namen. Beispiele: A/CONF.48/. . . E/CONF.65/. . . TD/COCOA.3/...

Umweltschutzkonferenz 1972 Welternährungskonferenz 1974 3. Kakaokonferenz (1972)

Die Dokumente eines und desselben Gremiums werden durchlaufend numeriert und heißen dann zum Beispiel: A/10001 S/11863

(= Jahresbericht 1975 des Generalsekretärs an die Generalversammlung) (= Bericht des Generalsekretärs an den Sicherheitsrat vom 31.10.1975 betr. die Spanische Sahara)

„ L " bedeutet, daß das Dokument nur an einen begrenzten Kreis verteilt wird (vor allem bei Resolutionsentwürfen). Beispiel: A/C.2/L.1474 Außerdem gibt es folgende Add. Corr. Rev.

Zusätze:

Ergänzung zu einem Hauptdokument Korrigierte Fassung eines Dokuments Neufassung eines Dokuments

Anhang - Dokumente der Vereinten Nationen

561

Beispiele: A/10324/Add.l/ A/C,2/L. 1474/Rev./

Ergänzung zu Doc.A/10324 Neufassung von Doc. A/C.2/L. 1474

2. Resolutionen Resolutionen der Hauptorgane werden fortlaufend numeriert. Von 1946 bis zum 31.12.1975 hat die Generalversammlung 3541 Resolutionen erlassen. Die bis dann letzte trägt die Bezeichnung GARes. 3541 (XXX) vom 17.12.1975. Die in Klammern gesetzten römischen Ziffern geben an, in welcher Sitzungsperiode die Resolution verabschiedet worden ist (bei Sondersitzungen heißt es dann z. B. S-V1I, bei Notsondersitzungen ES-IV, ES—V etc.). Entsprechendes gilt für den ECOSOC, der allerdings in zwei Sitzungsperioden jährlich tagt: Beispiele: ECOSOC oder ESC Res. 1850 (LVI) vom 16.5.1974 Bei den Resolutionen des Sicherheitsrates wird das Jahr der Verabschiedung mit angegeben, wobei entweder die Jahreszahl oder das „Alter" des Sicherheitsrats mitgeteilt wird. Also: SC Res. 379 (1975) vom 2.11.1975 oder SC Res. 379 (XXX) vom 2.11.1975

3. Publikation der Resolutionen Das Einzeldokument mit einer Resolution wird folgendermaßen zitiert (Beispiele): A/RES/3541 E/RES/1850 S/RES/379 Die Resolutionen werden pro Sitzungsperiode (Generalversammlung, ECOSOC, Treuhandrat) oder Jahr (Sicherheitsrat) in einem Band zusammengefaßt und erscheinen dann in den amtlichen Veröffentlichungen der jeweiligen Hauptorgane. Die wichtigsten sind: GAOR ESCOR SCOR

= General Assembly Official Records = Economic and Social Council Official Records = Security Council Official Records

Außerdem gibt es die DCOR

= Disarmament Commission Official Records.

562

Anhang - Dokumente der Vereinten Nationen

Die Official Records sind regelmäßig wie folgt geordnet GAOR:

Plenary meeting records Committee records Annexes Supplements

Resolutionen der Generalversammlung sind im letzten Supplement (von heute jährlich ca. 30) zusammengefaßt. Um ζ. B. die Res. 2625 (XXV) vom 24.10.1970 zu finden, sucht man in den GAOR der „25th session", nimmt den letzten Band der „Supplements" und schlägt ihn hinten auf. Die Resolutionen sind in einer „check list of resolutions and decisions" unter Angabe des Titels und der Seitenzahl numerisch geordnet. ESCOR:

Meeting records Annexes Supplements

Bd. No. 1 der Supplements enthält die Resolutionen des ECOSOC. SCOR:

Meeting records Supplements Doc. S / I N F / . . .

Resolutionen des Sicherheitsrats stehen in dem vom Informationsbüro jährlich herausgegebenen Doc. S / I N F / . . . 4. Sitzungsberichte Von Sitzungen können Wortprotokolle oder zusammenfassende Berichte angefertigt werden. Es bezeichnen: PV SR

verbatim records (procès verbal) Summary records

Beispiele: A/SPC/SR.839 Α/Ρ V. 1896

= 839. Sitzung des Politischen Sonderausschusses = 1896. Sitzung des Plenums der Generalversammlung.

5. Publikationen der Dokumente A / . . .—Dokumente werden nur zum geringeren Teil in den GAOR abgedruckt, und zwar einige in den Supplements (ζ. B. Jahresbericht des Generalsekretärs = Supplement No. 1, Ausschußberichte), die übrigen in den Annexes. Dort sind sie nicht numerisch, sondern in der Reihenfolge der Tagesordnungspunkte der jeweiligen Sitzungsperiode geordnet. Das erschwert die Suche. Hilfe leistet der „UNDEX" = United Nations Documents Index, in welchem die Dokumente mit den Tagesordnungspunkten, zu denen sie gehören, aufgeführt sind. Wenn aber — wie häufig — die Zuordnung eines Dokuments zu einem bestimmten Tagesordnungspunkt auf der Hand liegt, genügt ein Blick in die Tagesordnung, die auf der ersten Seiten eines Annex-Bandes abgedruckt ist.

Anhang - Dokumente der Vereinten Nationen

563

E¡.. .-Dokumente finden ebenfalls nur zum geringeren Teil den Weg in die ESCOR. Im übrigen gilt das zu den A/.. .-Dokumenten Dargelegte entsprechend. S/.. .-Dokumente werden fast vollständig in den SCOR veröffentlicht, und zwar in den Supplements in chronologischer, mithin numerischer Reihenfolge.

6. Das Yearbook of the United Nations (YUN) Es ist eine Fundgrube, die viel Zeit sparen kann, erscheint allerdings jeweils mit etwa 3-jähriger Verspätung (letzter Band: 1973). Es enthält praktisch alle wichtigen Resolutionen der Hauptorgane sowie zahlreiche Verweise auf bedeutsame Dokumente. Sein Gebrauch: Wer sich ζ. B. über die Behandlung der Südrhodesien-Frage in den Vereinten Nationen im Jahre 1972 orientieren will, schaut in das Stichwortverzeichnis des YUN 1972 unter „Southern Rhodesia" . . . etc.

7. Internationaler Gerichtshof (IGH) Seine Urteile und Gutachten werden in den ICJ Reports (CIJ Recueil) publiziert.

8. Sonstiges Das Yearbook o f the International Law Commission enthält zahlreiche A/CN.4/. . . — Dokumente (= der Völkerrechtskommission). Das United Nations Monthly Chronicle (UNMC) ist eine Art Chronik der laufenden Ereignisse; wichtige Resolutionen werden dort meist wiedergegeben. Aktuelles Material aus den Vereinten Nationen findet sich schließlich auch in den International Legal Materials (ILM) unter der Rubrik „Other Documents — United Nations". Das United Nations Juridical Yearbook ( U N J Y ) ist vor allem wegen der Urteile des Verwaltungsgerichts der Vereinten Nationen sowie der „Legal opinions" des Sekretariats bedeutsam.

564 Verzeichnis der Autoren Ansprenger, Franz, geb. 1927, Studium der Geschichte in Berlin, Promotion 1952, Dozent an der Freien Universität Berlin seit 1958, Leiter der Arbeitsstelle Politik Afrikas im Fachbereich Politische Wissenschaft seit 1968, o. Prof. für Politik der Internationalen Organisationen und Politik Afrikas seit 1976. Hauptveröffentlichungen: Politik im Schwarzen Afrika, 1961; Afrika - eine politische Länderkunde, Neuaufl. 1972; Auflösung der Kolonialreiche, Neuaufl. 1973; Versuch der Freiheit, 1972; Studien zum Konflikt im Südlichen Afrika, 1975/76 (Hrsg., zusammen mit Czempiel); Die Befreiungspolitik der OAU 1963-1975, 1975. Stichworte·. Befreiungsbewegungen; Entkolonialisierung; Kongo; Nigeria. Baumgarten, Erwin K., geb. 1917, Zertifikat der Haager Akademie für Internationales Recht, seit 1947 Mitglied des Sekretariats der Vereinten Nationen — Informationsdienst - , bis 1972 Leiter des Informationsdienstes in Genf, seit 1975 Sonderberater des Generaldirektors der Vereinten Nationen in Genf. War in verschiedenen Posten für die Vereinten Nationen u. a. in New York, im Haag, Asmara, Accra und Rom tätig. Stichwort: Informationswesen. Bellinghausen, Rudolf, geb. 1939, Studium der Volkswirtschaftslehre in Bonn, Promotion „Entwicklungspolitik in einer gemischten Wirtschaftsordnung — das Beispiel Indiens" —, Dozent für Volkswirtschaftslehre an der Universität Kabul, Berater im afghanischen Planungsministerium, seit 1972 Hilfsreferent im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Stichwort: Entwicklungsländer. Beyerlin, Ulrich, geb. 1944, Studium der Rechtswissenschaften in Tübingen, 1. und 2. Staatsprüfung, Promotion 1975, seit Herbst 1973 wiss. Referent am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Heidelberg. Veröffentlichungen: Die humanitäre Aktion zur Gewährleistung des Mindeststandards in nicht-internationalen Konflikten, 1975; Pactum de contrahendo und pactum de negotiando im Völkerrecht, in: ZaöRV 1976, S. 407—443; Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1973, in: ZaöRV 1975, S. 768-833 (zusammen mit Strasser). Stichworte: Internvention; Regionalabkommen; Sanktionen (zusammen mit Strasser). Blumenwitz, Dieter, geb. 1939, Studium der Rechtswissenschaften und der politischen Wissenschaften in den USA und in München, 1965 Dr. jur., nach der Habilitation für öffentliches Recht, Völkerrecht und internationales Privatrecht Vertretung des Lehrstuhls für Völkerrecht, Rechts- und Staatsphilosophie an der Universität München, 1972 ord. Prof. für Völkerrecht und Europarecht an der Universität Augsburg, seit 1976 ord. Prof. für Völkerrecht, allgemeine Staatslehre, deutsches und bayerisches Staatsrecht und politische Wissenschaften an der Universität Würzburg. Hauptveröffentlichungen: Die Grundlagen eines Friedensvertrages mit Deutschland, 1966; Der Schutz innerstaatlicher Rechtsgemeinschaften beim Abschluß völkerrechtlicher Verträge, 1972; Feindstaatenklauseln, 1972; Einführung in das anglo-amerikanische Recht (2. Aufl. 1976). Stichworte: Feindstaatenklausel; Friedenssicherung. Börnsen, Ernst W., geb. 1938, Studium der Rechts- und Staatswissenschaften in Kiel, Frei-

Verzeichnis der Autoren

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bürg, Paris und Hamburg, 1. und 2. juristisches Staatsexamen, 1969 Promotion in Kiel, Oberregierungsrat im Bundesministerium fur wirtschaftliche Zusammenarbeit. Veröffentlichung mehrerer Aufsätze in Fachzeitschriften. Stichwort: UNDP. Bohnet, Michael, geb. 1937, Dr. rer. pol., bis 1967 Lehrbeauftragter für Wirtschaftstheorie an der Freien Universität Berlin, 1968—1972 an der Afrika-Studienstelle des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung tätig, 1973—1974 Leiter der Arbeitsgruppe Länderhilfeprogramme im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit, seit 1975 Leiter der Abteilung Entwicklungsländer des Ifo-Instituts, 1975 Berufung in den wissenschaftlichen Beirat des BMZ. Hauptveröffentlichungen: Das Nord—Süd-Problem, 3. Auflage 1974; Die Konzepte des external economies unter besonderer Berücksichtigung ihrer Bedeutung für Entwicklungsländer, 1968; Applied Research and its Impact on Economic Development — The East African Case, Afrika-Studien, 1971 (zusammen mit H. Reichelt); Einkommensverteilung in Entwicklungsländern, Ifo-Institut, 1975; Wissenschaft und Entwicklungspolitik, Ifo-Studien, 15. Jg. 1969, Heft 1/2; Die Beziehungen zwischen Kapitalbildung und Wirtschaftsordnung in Entwicklungsländern: Eine empirische Analyse, Schriften des Vereins für Socialpolitik, Bd. 84, 1975. Stichwort·. Entwicklungspolitik. Boroffka, Alexander, geb. 1920, Studium der Medizin, 1947 Promotion und Diplom über Tropenmedizin, 1954 Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, längere Aufenthalte in Nigeria als Regierungsberater und Gastprofessor, seit 1973 Referent für Psychiatrie und Rauschmittelfragen beim Sozialminister von Schleswig-Holstein. Zahlreiche medizinische, insbesondere psychiatrische Veröffentlichungen. Stichwort: Suchtstoffe. Bothe, Michael, geb. 1938, Studium der Rechtswissenschaften in Hamburg und Heidelberg, Studium der Internationalen Beziehungen in Genf, 1961 1. Staatsexamen, 1966 2. Staatsexamen, 1968 Promotion, wiss. Referent am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Heidelberg, und Privatdozent an der Universität Heidelberg. Hauptveröffentlichungen: Le droit de la guerre et les Nations Unies. A propos des incidents armés au Congo, in: Etudes et travaux de l'Institut universitaire de hautes études internationales No. 5, 1967, p. 135—242; Streitkräfte internationaler Organisationen. Zugleich ein Beitrag zu Grundfragen der Anwesenheit fremder Truppen, 1968; Das völkerrechtliche Verbot des Einsatzes chemischer und bakteriologischer Waffen. Kritische Würdigung und Dokumentation der Rechtsgrundlagen, 1973. Stichwort: ABC-Waffen. Brückner, Jens A. Stichworte: Blockbildung; Nichtstaatliche Organisationen; Öffentlicher Dienst, Internationaler; Weltbevölkerung (zusammen mit Hüfner und Naumann) Bruns, Wilhelm, geb. 1943, Studium der Politischen Wissenschaften und Rechtswissenschaft in Hamburg, Dr. phil., Lehrbeauftrager an der Universität Hamburg. Veröffentlichungen zu Fragen der internationalen Politik, Außenpolitik der DDR und zum UNO-System in: Die

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neue Gesellschaft, Frankfurter Hefte, Deutschland-Archiv, liberal, Neue Politische Literatur und Wirtschaftsdienst; Friedliche Koexistenz, Hamburg 1976. Stichworte·. Deutsche Demokratische Republik; Ost-West-Konflikt. Büttner, Friedemann, geb. 1938; Studium der Germanistik und Theaterwissenschaft in Göttingen und München, später politische Wissenschaft, Philosophie sowie Kultur und Geschichte des Nahen Orients in München, London und Oxford; 1968 Μ. Α.; 1969 Dr. phil.; seit 1969 wiss. Assistent am Geschwister-Scholl-Institut für Politische Wissenschaft der Universität München. Veröffentlichungen u. a.: Reform und Revolution in der islamischen Welt (Hrsg.), München 1971; Sozialer Fortschritt durch Entwicklungshilfe (Hrsg.), München 1972; Reform in Uniform? Militärherrschaft und Entwicklung in der Dritten Welt, zus. mit Lindenberg, Reuke u. Sielaff, Bonn 1976; Herrschaft und Krise im Islam, München 1976/77 (im Druck). Stichwort: Nahost. Cardinale, Hyginus E., geb. 1916, Studium an der Lateran-Universität, der Gregorianischen Universität und der Kirchenakademie in Rom, Doktor des Kanonischen Rechts, Magister der Theologie und Diplom in Diplomatologie, seit 1946 im diplomatischen Dienst des Heiligen Stuhls, von 1961 — 1963 Protokollchef im Kardinalstaatssekretariat, 1963 Titularerzbischof von Nepte, von 1963—69 Vertreter des Heiligen Stuhls für Großbritannien, Malta, Gibraltar und Bermudas, seit 1969/70 Apostolischer Nuntius in Belgien und Luxemburg sowie bei den Europäischen Gemeinschaften. Hauptveröffentlichungen: Le Saint-Siège et la Diplomatie, 1962; La Santa Sede e il Diritto Consolare, 1963; Religions Tolerance, Freedom and InterGroup Relations, 1966; Signs of the Times and Ecumenical Aspirations, 1967; The Unity of the Church, 1968; The Vatican and World Peace, 1969; The Holy See and the International Order, 1976. Stichwort : Kirche und Vereinte Nationen. Czerwinski, Günter, geb. 1944, Studium der Rechtswissenschaften in Köln 1964-68, 1. Staatsexamen 1969, von Juli 1970 bis Januar 1972 Verwalter einer wiss. Assistentenstelle im Institut für Völkerrecht und ausländisches öff. Recht der Universität zu Köln, Promotion Dezember 1972, 2. Staatsprüfung 1975, seit Juni 1975 als Rechtsanwalt tätig. Stichwort:

Universalität.

Delbrück, Jost, geb. 1935, Studium der Rechtswissenschaften und politischen Wissenschaften in Kiel, Marburg, Tübingen, 1. Staatsexamen 1958, 1959/60 Indiana University, Bloomington/Ind., LL.M., 2. Staatsexamen 1963, Promotion 1964; 1971 Privatdozent, seit 1972 ordentlicher Professor für Politische Wissenschaften und Allgemeine Staatslehre in Göttingen. Hauptveröffentlichungen: Das Verhältnis von Sicherheitsrat und Vollversammlung der Vereinten Nationen, 1964; Die Rassenfrage als Problem des Völkerrechts und nationaler Rechtsordnungen (Vereinigte Staaten, Südafrika, Großbritannien, Neuseeland und Australien), 1971; Menschenrechte und Grundfreiheiten im Völkerrecht anhand ausgewählter Texte internationaler Verträge und Konventionen, 1972; Selbstbestimmung und Dekolonisation, in: Ulrich Scheuner / Beate Lindemann (Hrsg.), Die Vereinten Nationen und die Mitarbeit der Bundesrepublik Deutschland, 1973, S. 69—108; Die Adäquanz der völkerrechtlichen Kriegsverhütungs- und Friedenssicherungsinstrumente im Lichte der Kriegsursachenforschung, in: JIR 1975, S. 87—124; Rechtsprobleme der Friedenssicherung durch Sicherheitsrat und Generalversammlung der Vereinten Nationen, in: W. Kewenig (Hrsg.), Die Ver-

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einten Nationen im Wandel, Symposium zum Anlaß des 60jährigen Bestehens des Instituts für Internationales Recht an der Universität Kiel am 22. 11. 1974 (= Bd. 73 der Veröffentlichungen des Instituts für Internationales Recht an der Universität Kiel), 1975, S. 131—155. Stichworte: Apartheid; Diskriminierung. Dimitrijevic, Paul geb. 1910, Studium an der juristischen Fakultät und der Schule für politische und soziale Wissenschaften der Universität Lausanne, danach Tätigkeit als Rechtsanwalt im Banat, später als landwirtschaftlicher Attaché in Washington und als Vertreter der jugoslawischen Regierung beim 1. Ausschuß der FAO, 1 9 5 1 - 7 0 Tätigkeit bei dem Internationalen Arbeitsamt in Genf, seit 1966 Schweizer Staatsangehöriger. Hauptveröffentlichungen: L'Organisation internationale du Travail. Histoire de la représentation patronale, 1972. Stichwort: Soziale Mindeststandards. Doeker, Günther, geb. 1933, Studium der Rechts- und Staatswissenschaften, Geschichte, Soziologie in Köln, Bonn, Paris, Cambridge/England und an der Tulane University, New Orleans, 1959, ebendort 1964 Promotion (Ph. D.), nach verschiedenen Gastdozenturen 1968 Übernahme eines Lehrstuhls für Recht und Politik an der kanadischen Brock University, St. Catharines (Ontario), Honorary Fellow des London Institute of World Affairs, 1970 Habilitation an der Philosophischen Fakultät der Freien Universität, Privatdozent, seit 1971 Professor für Politische Wissenschaft an der FU Berlin und von 1971—74 Direktor des Instituts für Innenpolitik und Komparatistik im Fachbereich Politische Wissenschaft, Mitglied des Instituts of Strategie Studies, London. Zahlreiche Veröffentlichungen im In- und Ausland. Stichworte·. Friedens- und Kriegsbegriff; Gewaltverbot; Grundsätze der Vereinten Nationen; Kriegsfiihrung; Sicherheitsrat. Dreesmann, Bernd, geb. 1936, Studium Jura, Volkswirtschaft und Internationale Beziehungen an den Universitäten Bonn und München, 1960/61 Stipendiat der Johns-Hopkins-University am Centre for Advanced International Studies in Bologna, nach 2. Staatsexamen 1966 Justitiar der Deutschen Stiftung für Entwicklungsländer und Leiter des Referats „Auswärtige Beziehungen" der Grundsatzabteilung, Vertreter des Abteilungsleiters. Seit 1969 Geschäftsführer der Deutschen Welthungerhilfe. Zahlreiche Veröffentlichungen zur Welternährungslage, darunter das Taschenbuch „Strategie gegen den Hunger". Stichwort·. Welternährungslage. Ehrhardt, Dieter, geb. 1934, juristisches Studium und Vorbereitungsdienst, 1969 Promotion, 1971-1972 Visiting Scholar bei dem Forschungs- und Ausbildungsinstitut der Vereinten Nationen (UNITAR) in New York, seit 1972 im UN-Referat des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Wichtigste Veröffentlichung: Der Begriff des Mikrostaates im Völkerrecht und in der Internationalen Ordnung, 1970. Stichwort:

Mikrostaaten.

Ermacora, Felix, geb. 1923, seit 1961 o. Professor für öffenliches Recht, Wien, Mitglied der Europäischen Menschenrechtskommission und österreichischer Delegierter zur Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen, seit 1965 Mitglied mehrerer internationaler Untersuchungsausschüsse, K. Mitglieder der österr. Akademie der Wissenschaften. Hauptveröffentlichungen: Minderheitenschutz in der Arbeit der Vereinten Nationen, 1963/64; Diskri-

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minierungsschutz in der Arbeit der Vereinten Nationen, 1971; Allgemeine Staatslehre (2 Bde.), 1970; Menschenrechte in der sich wandelnden Welt, 1974. Stichworte·. Mandatsgebiete; Treuhandrat.

Fabritzek, Uwe G., geb. 1944, Studium der Internationalen Politik, Sinologie und Mongolistik, Diss, zum Thema „Der Konflikt zwischen Peking und Moskau", nach Tätigkeiten an der Universität München und der Stiftung Wissenschaft und Politik, Ebenhausen, derzeit wissenschaftlicher Referent an der Karl-Arnold-Bildungsstätte, Bonn, sowie am Österreichischen China-Forschungsinstitut, Wien; Herausgeber und Chefredakteur der Vierteljahreszeitschrift „Third World Chronicle. An International Quarterly for Developing Countries". Veröffentlichungen: Gelber Drache - Schwarzer Adler. Geschichte der deutsch—chinesischen Beziehungen, 1973; Die Wirtschaft der Volksrepublik China. Grundlagen, Entwicklung, Perspektiven, 1976; Der Konflikt Peking—Moskau 1964—1972, Internationales Recht und Diplomatie 1973/74, 1975; zahlreiche Zeitschriftenartikel und Buchbeiträge. Stichworte: China; Korea.

Gresch, Norbert, geb. 1945, Studium der Politikwissenschaft, Anglistik und Geschichte in Tübingen, Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Forschungsgruppe „Politische Parteien und europäische Integration" am Institut für Politikwissenschaft der Universität Tübingen. Veröffentlichungen: Die Zusammenarbeit der Parteien des demokratischen Sozialismus in Westeuropa, in: Parteienzusammenarbeit in Europa, Bonn (Europa-Union Verl.) 1976; Zeitschriftenartikel zur europäischen Integration. Stichworte·. Bundesrepublik Deutschland; Europäische Gemeinschaften. Hüfner, Klaus, geb. 1939, Studium der Volkswirtschaftslehre und Politikwissenschaft in Berlin, London, Genf, Princeton, Darmstadt, Dipl.-Volkswirt, Dr. rer. pol., wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung von 1964 - 1974, 1970/71 Principie Administrator am Centre for Educational Research and Innovation, Paris, seit April 1974 o. Professor für Bildungsökonomie PH Berlin. Veröffentlichungen: (zusammen mit Naumann, Jens): Zwanzig Jahre Vereinte Nationen. Internationale Bibliographie 1945 1965, 1968; (zusammen mit Naumann, Jens): The United Nations System. An International Bibliography in the United Nations and the Specialized Agencies, Their Internal Structures and Activities, 1965 — 1975. Vol. II, Part 1, 1976; (zusammen mit Naumann, Jens): Das System der Vereinten Nationen, 1974; ferner zahlreiche Veröffentlichungen im Bereich der Bildungsökonomie und -planung. Stichworte: Kulturpolitik, Internationale; UNESCO (beide zusammen mit Naumann); Weltbevölkerung (zusammen mit Brückner und Naumann).

Hütter, Joachim, Dr. phil., M.A. geb. 1943, Studium der Politischen Wissenschaft, der Sozialund Wirtschaftsgeschichte und des Völkerrechts in Bonn, Tübingen und Santa Barbara (Kalifornien), Assistent am Seminar für Politische Wissenschaft der Universität Bonn. Hauptveröffentlichungen: SPD und nationale Sicherheit. Internationale und innenpolitische Determinanten des Wandels der sozialdemokratischen Sicherheitspolitik 1959-1961, 1975; Einführung in die internationale Politik, 1976. Stichwort:

Kollektive Sicherheit.

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Ipsen, Knut, geb. 1935, 1967-1973 wiss. Assistent am Institut für Internationales Recht an der Universität Kiel, seit 1974 Inhaber des Lehrstuhls für öffentliches Recht III an der Ruhr-Universität Bochum. Arbeiten auf dem Gebiet des Kriegsvölkerrechts, des Entwicklungsvölkerrechts, des Verfassungsrechts und des Verwaltungsrechts. Stichworte: Abkommen, Verträge; ECOSOC (zusammen mit Knöll); IMF (zusammen mit Meyer); UNCTAD (zusammen mit Rungweber). Jahn, Eberhard, geb. 1920, Studium der Rechtswissenschaften in Tübingen, 1947 1. Staatsexamen, 1950 2. Staatsexamen, 1949—51 wiss. Assistent beim Institut für Besatzungsfragen, 1955 Promotion, seit 1951 im Dienst des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR), seit 1974 Regionaler Vertreter des UNHCR für den Nahen Osten in Beirut. Hauptveröffentlichungen: Das DP-Problem, eine Studie über die ausländischen Flüchtlinge in Deutschland, 1950; Der völkerrechtliche Schutz von Flüchtlingen, 1955. Stichwort:

Flüchtlinge.

Jusatz, Helmut J., geb. 1907, Dr. med. habil., seit 1966 Professor und Direktor des Instituts für Tropenhygiene und öffentliches Gesundheitswesen der Universität Heidelberg und Leiter der Geomedizinischen Forschungsstelle sowie Mitherausgeber des Welt-Seuchen-Atlas der Heidelberger Akademie der Wissenschaften; Mitbegründer und langjähriges geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Gesundheitskommission der DGVN seit 1955, Leiter der Seminare für internationales Gesundheitswesen und die Arbeit der WHO der DGVN von 1958 bis 1971. Stichwort:

WHO (zusammen mit Kröger).

Kausch, Hans-Gerd, geb. 1943, Studium der Rechtswissenschaften, Wissenschaftlicher Assistent am Institut für Internationales Recht an der Universität Kiel. Veröffentlichung: Grundzüge des Umweltrechts der USA am Beispiel der Luftreinhaltung, 1972. Stichwort:

Handels- und Wirtschaftsdiskriminierung; Umweltschutz.

Khol, Andreas, geb. 1941, Studium der Rechte in Innsbruck, Promotion 1963, danach Assistententätigkeit am Institut für Politik und öffentliches Recht der Universität Innsbruck sowie am Institut für Staats- und Verwaltungsrecht der Universität Wien, seit 1969 Privatdozent in Wien, 1 9 6 6 - 6 9 Sekretär des Verfassungsgerichtshofs in Wien, 1969 Beamter des Europarates (zunächst Verwaltungsrat in der Abt. für Rechtsprechung und Forschung der Europäischen Menschenrechtskommission, dann Sekretär des Expertenausschusses für Menschenrechte bis 1974), seither Geschäftsführer der Politischen Akademie Wien. Veröffentlichungen: Der Menschenrechtskatalog der Völkergemeinschaft (1968); Zwischen Staat und Weltstaat (1969); Der Schutz der Grundrechte des Menschen in Österreich (1970); The European Convention on Human Rights und Fundamental Freedoms — Cases and Materials, zusammen mit Petzold (1973). Stichwort:

Berichtsystem.

Kimminich, Otto, geb. 1932, Studium der Rechtswissenschaften und Volkswirtschaft an den Universitäten Erlangen, Würzburg und Charlottesville (USA), zugleich Besuch der Universitätsdolmetscherschule in Erlangen, Diplomdolmetscher 1951, Master of Arts (Economics) 1954, Referendarexamen 1955, Dr. jur. 1957, Assessorexamen 1959, Habilitation für Völkerrecht, Staats- und Verwaltungsrecht sowie internationale Politik an der Universität

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Würzburg 1961, o. Professor für öffentliches Recht in Bochum 1963, seit 1967 an der Universität Regensburg. Hauptveröffentlichungen: Der internationale Rechtsstatus des Flüchtlings, 1962; Rüstung und politische Spannung, 1964; Asylrecht, 1968; Völkerrecht im Atomzeitalter, 1969; Die Souveränität der Bundesrepublik Deutschland, 1970; Deutsche Verfassungsgeschichte, 1971; Humanitäres Völkerrecht — humanitäre Aktion, 1972; Das Recht des Umweltschutzes, 2. Aufl. 1974; Einführung in das öffentliche Recht, 1972; Menschenrechte, 1973; Atomrecht, 1974; Einführung in das Völkerrecht, 1975; zahlreiche Aufsätze in Fachzeitschriften und Übersetzungen wissenschaftlicher Publikationen ins Deutsche. Stichwort:

Abrüstung.

Knöll, Hajo, geb. 1949, Studium der Rechtswissenschaften in Bochum, 1. Staatsexamen 1974, seither wissenschaftliche Hilfskraft und Referendar. Veröffentlichungen: Mitarbeit bei Ingo von Münch, Völkerrecht 1971 ; Mitarbeit bei Menzel-Ipsen, Völkerrecht, 2. Aufl. 1976. Stichworf. ECOSOC (zusammen mit Ipsen). Kröger, Ε. K., geb. 1940, Studium der Medizin in Göttingen, Universitätsdozent am Institut für Sozial- und Arbeitsmedizin der Universität Heidelberg, Kom. Direktor der Abteilung Arbeits- und Sozialhygiene und Gesundheitsplanung. 1971 Diploma in Tropical Public Health, Universität London, 1973 Habilitation für Tropenhygiene und öffentliches Gesundheitswesen, Universität Heidelberg, Privatdozent daselbst, 1976 staatsärztliche Prüfung, Akademie für öffentliches Gesundheitswesen, Düsseldorf. Leitung verschiedener humanitärer Hilfseinsätze (Vietnam, Peru, Bangla-Desh, Indien), internationale Forschungsaufträge (Sri Lanka, Indonesien). Über 40 wissenschaftliche Publikationen, überwiegend aus dem Bereich des internationalen Gesundheitswesens. Stichwort: WHO (zusammen mit Jusatz). Kühne, Jörg-Detlef, geb. 1943, Studium der Rechtswissenschaft ab 1962, in Berlin, Freiburg i. Br. und Bonn, von 1965 bis 1969 Geschichtsstudium, 1. jur. Staatsexamen 1966, jur. Promotion 1970, 1971 Studienaufenthalt auf Zypern, 2. jur. Staatsexamen 1974, seitdem wiss. Assistent am Institut für öffentliches Recht, Abt. Rechtsvergleichung, der Universität Bonn. Hauptveröffentlichungen: Die Abgeordnetenbestechung, Möglichkeiten einer gesetzlichen Gegenmaßnahme unter dem Grundgesetz, 1971; Die Rechtsentwicklung der Bauleitplanung im räumlichen Bereich des Landes Nordrhein-Westfalen, 1976. Stichwort: Zypern. Lagoni, Rainer, geb. 1941, Studium der Rechts- und Staatswissenschaften an den Universitäten Kiel und Genf (1963 — 1968) sowie an der Universität Dublin, Irland (Trinity College) ( 1 9 6 9 - 1 9 7 0 ) und an der Columbia Universität, New York, USA (ab 1976), 2. Staatsexamen und Promotion 1972, wissenschaftlicher Assistent am Institut für Internationales Recht an der Universität Kiel (seit 1973). Hauptveröffentlichungen: Die politischen Parteien im Verfassungssystem der Republik Irland, Frankfurt a. M. 1973; Einrichtungen des marinen Bergbaus und die Schiffahrtsfreiheit in Nord- und Ostsee, in: Bernhard/Rudolf (Hrsg.), Die Schiffahrtsfreiheit im gegenwärtigen Völkerrecht, 1975; Künstliche Inseln und Anlagen im Meer - Völkerrechtliche Probleme, JIR 18, 1975, S. 230. Stichwort: Resolution, Erklärung, Beschluß. Laß, Hans Detlef, geb. 1937, Studium der Mittleren und Neueren Geschichte, Vergleichen-

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den Erziehungswissenschaft und Literaturwissenschaft in Kiel, Berlin, Hamburg, Promotion, 1969—1971 Dokumentationstätigkeit fur die ECA, seither Dozent für afrikanische Geschichte an der Universität Hamburg. Hauptveröffentlichungen: Der burische Nationalismus, in: Duve (Hrsg.), Kap ohne Hoffnung oder die Politik der Apartheid, 1965; Nationsbildung in Südafrika — Die Rolle der Parteien zwischen den Jahren 1922 und 1934, 1969; Addis Abeba — ein afrikanisches Zentrum, in: Zeitschrift für Kulturaustausch, 1973; Nationale Befreiung und sozialer Wandel — Dekolonisation und Revolution in Afrika, in: Geiss/Tamchina (Hrsg.), Ansichten einer künftigen Geschichtswissenschaft, Bd. 2, 1974. Stichwort: Portugiesische Kolonialgebiete. Lindemann Beate, geb. 1943, Studium der Politischen Wissenschaft, Soziologie und Volkswirtschaft an den Universitäten Tübingen, Aberdeen/Großbritannien, Berlin und Princeton N.J., 1968 Diplom am Otto-Suhr-Institut der FU Berlin, 1970 Praktikantin in der Menschenrechtsabteilung des Sekretariats der Vereinten Nationen, seit 1971 Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V. Hauptveröffentlichungen: Die Vereinten Nationen und die Mitarbeit der Bundesrepublik Deutschland, 1973 (mit Scheuner Hrsg.); Kernenergie und internationale Politik, 1975 (mit Kaiser Hrsg.); Die Vereinten Nationen als Bezugssystem deutscher Außenpolitik, in: Handbuch der deutschen Außenpolitik, 1975 (Hrsg. Schwarz); Das westliche Europa und die Dritte Welt, in: EUROPA-ARCHIV 13/1976. Stichwort: Organisationssystem der Vereinten Nationen. von Lucius, Robert, geb. 1949, Studium der Rechtswissenschaften und Politologie in Heidelberg, Bonn, 1. Staatsexamen 1973, Dissertation über Wechselkursprobleme im deutschen und internationalen Recht in Vorbereitung. Hauptveröffentlichungen: Gesetzgebung durch Parlamentsausschüsse? , in: AöR 1972 S. 568; Die verfassungs- und völkerrechtliche Entwicklung Südwestafrikas, in: VN 1973 S. 88; Rassentrennung in Südafrika: Neue Perspektiven? , in: VN 1975 S. 46; Church and State in South Africa, in: South Africa International Quarterly 1975 p. 88. Stichwort: Südliches Afrika. Magiera, Siegfried, geb. 1941, Studium der Rechts- und Staatswissenschaften in Kiel, Freiburg, Berlin und Kansas/USA, 1. Staatsexamen 1965, M.A. (Political Science) 1967, Promotion 1969, 2. Staatsexamen 1971, Referent am Institut für Internationales Recht, Kiel. Hauptveröffentlichungen: Allgemeine Regelungsgewalt („Rechtsetzung") zwischen Parlament und Regierung — Zur Auslegung und Reform des Art. 80 GG, in: Der Staat 1974, S. 1—26; Zur Bezeichnung vorsorglicher Maßnahmen durch den Internationalen Gerichtshof: Verfahrenseffektivität gegen staatliche Souveränität, in: JIR 1975, S. 253—282; Bundesstaat und EG-Finanzordnung: Zur Verteilung der Finanzlast zwischen Bund und Ländern bei der Durchführung von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaften, in: Festschrift für E. Menzel, 1975, S. 621-644. Stichworte·. ITU, UPU. Maneke, Wolfgang, geb. 1944, Studium der Rechtswissenschaften in Frankfurt und Bonn, 1. Staatsexamen 1971, 1975 2. Staatsexamen, seitdem Mitarbeiter am Institut für Völkerrecht der Universität Bonn, völkerrechtliche Dissertation über Rohstofffragen in Vorbereitung. Stichworte: Stimmrecht; UNITAR.

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Meessen, Karl Matthias, geb. 1939, Studium der Rechte in München, London und Bonn, Graduierten-Studium in Genf, Promotion (1965), Rechtsanwalt (1967-1969), Habilitation (1972), o. Professor für Öffentliches Recht an der Universität Augsburg (1976). Publikationen: Die Option der Staatsangehörigkeit, 1966; Völkerrechtliche Grundsätze des internationalen Kartellrechts, 1975; Staatsverträge zum Internationalen Privatrecht, 1975; Erlaß eines Verbändegesetzes als rechtspolitische Aufgabe?, 1976. Stichwort: Souveränität. Meyer, Friedrich, geb. 1945, Studium der Rechtswissenschaft (Bochum) seit 1967, 1. Staatsexamen 1972, Referendar und wiss. Hilfskraft am Lehrstuhl für öffentliches Recht, 2. Staatsexamen 1975, seit Oktober 1975 Richter (Landgericht Bochum). Veröffentlichungen: Demokratie in der Schule, in der Reihe „Aktuelle Dokumente", 1973; Mitarbeit bei Ingo v. Münch, Völkerrecht, 1971. Stichwort: IMF (zusammen mit Ipsen). Moritz, Karl-Heinz, geb. 1947, Studium der Rechtswissenschaften in Kiel, währenddessen wiss. Hilfskraft am dortigen Institut für Internationales Recht, 1974 1. Staatsexamen, 1975 Stage in der UNIDO-Rechtsabteilung. Dissertation über die UNIDO in Vorbereitung. Stichwort: UNIDO. von Morr, Hubertus, geb. 1947, Studium der Rechtswissenschaften in Bonn und Genf, 1973 1. Staatsprüfung, 1973—1975 wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Öffentliches Recht, Bonn, Dissertation über die deutsche Staatsangehörigkeit in Vorbereitung. Stichwort·. Generalsekretär. Naumánn, Jens, geb. 1943, Studium der Volkswirtschaftslehre und Politikwissenschaft in Genf, Berlin, Stanford University (USA), Darmstadt, M. A. (Economics), Dr. rer. pol., seit 1966 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung. Veröffentlichungen: (zusammen mit Hüfner, Klaus:) Zwanzig Jahre Vereinte Nationen. Internationale Bibliographie 1945—1965, 1968; (zusammen mit Hüfner, Klaus:) The United Nations System. An International Bibliography on the United Nations and the Specialized Agencies, Their Internal Structures and Activities, 1965-1975. Vol. II, Part 1, 1976; (zusammen mit Hüfner, Klaus:) Das System der Vereinten Nationen, 1974, sowie Veröffentlichungen im Bereich der Bildungsökonomie und -planung. Stichworte: Kulturpolitik, Internationale; UNESCO (beide zusammen mit Hüfner); Weltbevölkerung (zusammen mit Brückner und Hüfner) Nifien, Peter, geb. 1948, 1966-1971 Studium der Volkswirtschaftslehre und der Politologie in Kiel, 1971 Diplom-Volkswirt, 1972-1974 nebenamtlicher Dozent für Politologie und Volkswirtschaftslehre an der Wirtschaftsakademie Kiel, seit 1973 wissenschaftlicher Assistent am Institut für Politische Wissenschaft der Universität Kiel, 1975 Promotion. Hauptveröffentlichungen: Struktur der Wählerschaft, in: W. Kaltefleiter und E. Keynes (Hrsg.), Das labile Gleichgewicht, Jahrbuch „Verfassung und Verfassungswirklichkeit" 1973 II, 1974, S. 15-26; Ansätze einer Machttheorie bei Karl W. Deutsch, in: W. Röhrich (Hrsg.), Neuere politische Theorie. Systemtheoretische Modellvorstellungen, 1975, S. 125-147; Das Zusammenwirken von Parteiidentifikation, Issues und Images zur Erklärung politischen Verhaltens. Am Beispiel der Wahlen in den USA vom 7. November 1972, 1976; Das Wahl-

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ergebnis 1972, in: W. Kaltefleiter und E. Keynes (Hrsg.), Das labile Gleichgewicht, S. 219-255 (zusammen mit Detlef H. Schmidt). Stichwort: Kapitalhilfe. Nitsch, Manfred, geb. 1940, Studium (Volkswirtschaft, Betriebswirtschaft, Wirtschafts- und Sozialpädagogik, Sprachen) in Göttingen, Genf, Middlebury (USA), München, Dipl.-Hdl. 1965, Promotion 1968, seit 1972 Leiter der Fachgruppe „Lateinamerika", Stiftung Wissenschaft und Politik, Ebenhausen bei München, seit 1970 Lehrbeauftragter beim Fachbereich Volkswirtschaft der Universität München. Hauptveröffentlichungen: Die Gewährleistung der Flexibilität der Entwicklungsplanung, 1968; Entwicklungsfinanzierung in Lateinamerika dargestellt am Beispiel Columbiens, 1970; Optionen der Bundesrepublik Deutschland im Nord-Süd-Verhältnis — unter besonderer Berücksichtigung der Europäischen Gemeinschaft und Lateinamerikas, 1973; Brasilien: Sozio-ökonomische und innenpolitische Aspekte des „brasilianischen Entwicklungsmodells", 1975. Stichwort: Nord-Süd-Konflikt. Partsch, Karl Josef, geb. 1914, Studium der Rechtswissenschaften in München, Freiburg, Frankfurt/M., Promotion 1937, Assistent des Rechtsberaters im Auswärtigen Amt 1950—54, Habilitation 1953, Konsul in Neapel 1955—57, ordentlicher Professor für öffentliches Recht in Kiel 1957, Mainz 1960, Bonn seit 1966, seit 1970 Mitglied des Ausschusses der Vereinten Nationen zur Beseitigung der Rassendiskriminierung. Hauptveröffentlichungen: Parlament und Regierung im modernen Staat, in: W d S t R L 16 S. 74; Die Anwendung des Völkerrechts im innerstaatlichen Recht, in: Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, 1964, S. 13; Empfiehlt es sich, Funktion, Struktur und Verfahren der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse grundlegend zu ändern. Gutachten für den 45. Deutschen Juristentag 1964; Die Rechte und Freiheiten der europäischen Menschenrechtskonvention, 1966; Rassendiskriminierung — Die UN-Konvention und ihre Wirkungsweise, 1971; Die Bekämpfung der rassischen Diskriminierung im Rahmen des Schutzes der Menschenrechte, in: Die Vereinten Nationen und die Mitarbeit der Bundesrepublik Deutschland, Hrsg. Scheuner/Lindemann, 1973; The Right to Leave and to return into the Countries of the Council of Europe, in: Israel Yearbook on Human Rights, 1975, p. 215; zahlreiche Arbeiten in staatsrechtlichen, völkerrechtlichen, verwaltungs- und wirtschaftswissenschaftlichen Zeitschriften Deutschlands, Italiens, Frankreichs und Israels. Stichworte: Menschenrechte; Rassendiskriminierung; Selbstbestimmungsrecht. Petersmann, Hans, geb. 1941, Studium der Rechtswissenschaften, 1. und 2. Staatsexamen 1966 bzw. 1972, LL.M. University College London 1968, Promotion 1971, seit 1972 Auswärtiges Amt (LR I). Veröffentlichung: Die Souveränität des Britischen Parlaments in den Europäischen Gemeinschaften, 1972. Stichworte·. IBRD; IFC. Piehl, Ernst, geb. 1943, Studium der Politischen Wissenschaften, Volkswirtschaftslehre und Sozialgeschichte in Berlin, 1964-69, 1973 Promotion, 1969-1975 wiss. Referent für Gesellschafts- und Gewerkschaftsfragen im Wirtschafts- und Sozialwiss. Institut des DGB, seither Exekutiv-Direktor des Europäischen Jugendwerks beim Europarat, Veröffentlichungen: Multinationale Konzerne und internationale Gewerkschaftsbewegung. Ein Beitrag zur Analyse und zur Strategie der Arbeiterbewegung im international organisierten Kapitalismus, insbesondere in Westeuropa, 1974; Gewerkschaftliche Strategie gegenüber den Multinationalen Konzernen, in: Die Neue Gesellschaft 1974 S. 49¡Multinationale Konzerne und internationale Gewerkschaftsbewegung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte Β 11/1974 S. 25; Gegenstrategien zur Kapitalstrategie der Multinationalen Konzerne — insbesondere am Beispiel des

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Verzeichnis der Autoren

Energie-Sektors, in: V. Brandes (Hrsg.), Perspektiven des Kapitalismus, 1974; Vergleich der Interessenvertretungen der Arbeitnehmer in Westeuropa, in: Festschrift für Flechtheim, Köln 1975. Stichwort: Multinationale Konzerne. Prill, Norbert J., geb. 1946, Studium der Rechtswissenschaften in Bonn, 1969 und 1973 1. und 2. juristisches Staatsexamen, einjähriger Studienaufenthalt an der Ecole Nationale d'Administration in Paris, seit Dezember 1974 wiss. Assistent am Institut für Völkerrecht der Universität Bonn. Aufsätze über Bundestagsauflösung und die 7. Sondersitzung der Generalversammlung der Vereinten Nationen. Stichworte: WIPO.

Ausschußsystem; Streitkräfte der Vereinten Nationen; Weltwirtschaftsordnung;

Raschhofer, Hermann, geb. 1905, volkswirtschaftliches und juristisches Studium Marburg, Wien, Innsbruck, Dr. rer. pol. 1927, Dr. iur. 1928, Assistent Berlin - Tübingen 1928-1931, Rockefeller Fellow Paris - Turin 1931-1933, 1934-1937 Referent Kaiser-Wilhelm-Institut für Völkerrecht Berlin, 1937 Dr. iur. habil. Berlin, 1940/42 a. o. und o. Professor der Deutschen Karls-Univeristät Prag, seit 1956 o. Professor Würzburg, emeritiert 1970. Mitglied des Staatsgerichtshofes Bremen 1955—1963. Hauptsächliche Schriften: Minderheitenrecht der Republik Österreich; Hauptprobleme des Nationalitätenrechts; Der Volksbegriff im modernen Italien; das Völkerbunds-Juristengutachten im Aalandstreit u. a. Stichwort·. Minderheiten. Rittberger, Volker, Ph. D., nach Studium der Rechts- und Politikwissenschaften an den Universitäten Freiburg i. Br., Genf und Stanford (USA) o. Professor der Politikwissenschaft an der Universität Tübingen, Leiter der ständigen Arbeitsgruppe „Internationale Organisation und Integration" der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft (DVPW), 1. Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung (AFK). Veröffentlichungen: Evolution and International Organization, 1973; Abrüstungspolitik und Grundgesetz, 1976 (mit Dieter Lutz); Crisis, Choice and Change, 1973 (mit Gabriel A. Almond u. Α.); Die Ostpolitik der Bundesrepublik, 1974 (Mithrsg.); Konflikt-Eskalation-Krise, 1972 (Mithrsg.). Stichwort: Internationale Organisation, Theorie der. Rometsch, Rudolf, geb. 1917, Staatsangehörigkeit Schweiz, 1936—1943 Studium der Physik und Chemie an der Universität Basel, 1939—1943 Assistent am Physikalisch — Chemischen Institut der Universität Basel, 1945-1959 beschäftigt bei CIBA, Basel, 1956-1959 Lektor an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich über chemische Probleme der Reaktortechnologie, 1959—1964 beschäftigt bei Eurochemie, Mol, Belgien, als Leiter der Forschungsabteilung, 1964—1969 geschäftsführender Direktor, seit 1.9.1969 als Inspector General (DDG) bei der IAEA, Leiter der Abteilung Sicherheitsmaßnahmen und Inspektionen. Stichwort·. IAEA. Rungweber, Hans-Joachim, geb. 1950, Studium der Rechtswissenschaften in Bochum, 1974 1. Staatsexamen, seither wissenschaftliche Hilfskraft am Lehrstuhl für öffentliches Recht, Bochum. Stichwort: UNCTAD (zusammen mit Ipsen).

Verzeichnis der Autoren

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Schlögel, Anton, geb. 1911, Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und München, 1935/39 Referendar- und Assessorexamen, seit 1945 in leitender Stellung im Roten Kreuz, seit 1958 Generalsekretär des Deutschen Roten Kreuzes. Wichtigste Veröffentlichung: Die Genfer Rotkreuz-Abkommen vom 12.8.1949, 6. Aufl. 1974. Stichwort·. IRK. Schmidt, Hans-Jürgen, geb. 1941, 1961—1965 Studium der Rechtswissenschaften in Saarbrücken, Bonn, Köln, Studium der Volkswirtschaftslehre in Bonn (1964—1966), Studium des Europarechts in Saarbrücken (1966—1967), wiss. Mitarbeiter am Europa-Institut der Universität Saarbrücken (1967—1971) sowie von 1971—1974 am Institut für Internationales Recht der Universität Kiel, seit 1975 Bankjurist und Rechtsanwalt in Bremen, seit 1976 Geschäftsführer und Justitiar. Veröffentlichungen: Mitarbeit am Lehrbuch des Völkerrechts (8. Kapitel), Menzel/Ipsen (Hrsg.), 1976; staats- und völkerrechtliche Beiträge in Sammelwerken. Stichwort: UNCDF. Schneider, Michael Stichwort·. IDA. Schröder, Meinhard, geb. 1942, Studium der Rechtswissenschaften in Mainz, Frankfurt/M., 1. Staatsexamen 1966, 2. Staatsexamen 1971, 1969 Promotion, seit 1971 wiss. Assistent am Institut für öffentliches Recht, Bonn. Hauptveröffentlichungen: Die .wohlerworbenen Rechte' der Bediensteten in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, 1969; Die Neuordnung des französischen Staatsgebietes, 1974; Planung auf staatlicher Ebene, 1974; Gedanken zu einer Hierarchie der Interpretationsregeln im Völkerrecht, in: Revue Hellénique de Droit International 21 (1968) p. 123; Die völkerrechtliche Problematik vertraglicher Leistungsgewährungen an Entwicklungsländer, in: AVR 1972 S. 303; Zur verfassungskonformen Auslegung völkerrechtlicher Verträge, in: JR 1974 S. 182; Staatstheoretische Aspekte einer Aktenöffentlichkeit im Verwaltungsbereich, in: Die Verwaltung 1971 S. 301. Stichworte: IGH; Revision der Charta; Völkerrecht durch Vereinte Nationen. Schütz, Hans-Joachim, geb. 1948, Studium der Rechts- und Staatswissenschaften sowie der Politikwissenschaft in Salzburg, Promotion 1970, wiss. Assistent am Institut für Völkerrecht und Institut für Internationales Wirtschaftsrecht, Salzburg, wiss. Mitarbeiter am Institut für Internationales Recht, Kiel. Stichworte: F AO, Mitgliedschaft. Schulz, Hans-Werner, geb. 1948, Studium der Politologie in Berlin, Diplom 1974 mit einer Arbeit über die Rolle der Weltbank auf dem indischen Subkontinent. Stichwort: Indischer Subkontinent. Schwenk, Walter, geb. 1931, 1952-1956 Studium der Rechtswissenschaften, 1959 Promotion (Die Vertretung Chinas in den Vereinten Nationen), 1960 Assessorexamen, 1961 — 1965 wiss. Assistent am Institut für Luftrecht und Weltraumrechtsfragen der Universität Köln, ab 1965 Bundesverkehrsministerium, Abteilung Luftfahrt, Regierungsdirektor, zahlreiche, insbesondere luftrechtliche Publikationen, Mitglied in wissenschaftlichen Gremien auf dem Gebiet des Luft- und Weltraumrechts. Stichwort·. ICAO.

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Veiziechnis der Autoren

Seib, Friedrich Georg, geb. 1915, Studium der Wirtshaftswissenschaften in Leipzig, Königsberg, Göttingen, 1948 Diplom-Volkswirt, 1950 Eintritt in das Bundesministerium für den Marshall-Plan, 1953 Direktor des Deutschen Zweigamtes der ILO, 1963 Chef-Berater der Regierung von Pakistan für Arbeitskräfteplanung, 1970 Direktor des ILO-Bereichsamtes Indien, Sri Lanka und Nepal (in New Delhi), 1971 Sonderberater von Paul Hoffman, UNDP Administrator, New York, 1971—1973 UNDP Resident Representative in Äthiopien (Addis Abeba), 1973 Direktor des Zweigamtes der ILO in der Bundesrepublik Deutschland, Bonn. Stichwort:

ILO.

Seidl-Hohenveldern, Ignaz, geb. 1918, Studium der Rechtswissenschaften, 1946 Promotion, 1 9 4 9 - 1 9 5 0 Mitglied der Rechtsabteilung der OECD, 1 9 5 0 - 1 9 5 4 Stellv. Leiter der völkerrechtlichen Abteilung des österreichischen Bundesministeriums für Auswärtige Angelegenheiten, Privatdozent in Wien 1951, a. o. Professor in Saarbrücken 1954, o. Professor 1955 daselbst, seit 1964 ordentlicher Professor in Köln und Direktor des Instituts für Völkerrecht und ausländisches öffentliches Recht daselbst. Hauptveröffentlichungen: Kurzlehrbuch Völkerrecht, 3. Aufl. 1975; Das Recht der internationalen Organisationen, 2. Aufl. 1972. Stichworte:

Sonderorganisationen; Vertretung.

Skupnik, Wilfried, geb. 1939, Studium der Geschichte, Politischen Wissenschaften und Anglistik in Münster, Freiburg, Brighton und Bonn, Promotion (Politische Wissenschaften) 1972, Mitarbeiter des wissenschaftlichen Dienstes bei dem Deutschen Bundestag. Veröffentlichungen zum Thema Vereinte Nationen in der Zeitschrift Vereinte Nationen. Stichwort:

Technische Hilfe, Technologietransfer.

Strasser, Wolfgang, geb. 1942, Studium der Rechtswissenschaften, Promotion 1965 (Univ. Wien), 1967 Assistent am Institut für Staats- und Verwaltungsrecht der Universität Wien, 1969 Generalsekretär der österreichischen Gesellschaft für Außenpolitik in Wien, 1971 wiss. Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg, 1974 Internationaler Beamter des Europarates im Sekretariat der Europäischen Menschenrechtskommission. Veröffentlichungen: Österreich und die Vereinten Nationen, 1967; und mehrere Aufsätze, insbesondere zu den friedenserhaltenden Operationen der Vereinten Nationen. Stichworte:

Beistandspflicht; Sanktionen (zusammen mit Beyerlin).

Thode, Reinhold, geb. 1941, Studium der Rechtswissenschaften 1 9 6 3 - 6 8 , 1 . Staatsexamen 1968, 2. Staatsexamen 1973, Promotion 1973, 1 9 7 3 - 1 9 7 5 wiss. Ass. Institut für Internationales Recht Universität Kiel, seither Richter. Veröffentlichungen: International Law Commission, Entstehungsgeschichte, Organisation, Arbeitsweise, Tätigkeit, Diss. Kiel, Mitarbeit am Völkerrechtslehrbuch Menzel/Ipsen (Hrsg.), 2. Aufl. 1976. Stichwort : Wirtschaftskommissionen. Tomuschat, Christian, geb. 1936 in Stettin, Studium der Rechtswissenschaften in Heidelberg und Montpellier, Promotion (1964) und Habilitation (1970) in Heidelberg, dort auch Tätigkeit am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, seit 1972 ordentlicher Professor an der Universität Bonn, Mitdirektor des Instituts für Völkerrecht. Hauptveröffentlichungen: Die gerichtliche Vorabentscheidung nach den Verträgen über die Europäischen Gemeinschaften (1964); Zur politischen Betätigung des Ausländers in der Bundesrepublik Deutschland (1968); Die Aufwertung der Deutschen Mark (1970); Verfassungsgewohnheitsrecht? (1972); International Courts and Tribunals with Regionally Restricted and/or Specialized Jurisdiction (1974). Aufsätze: Die Interamerikanische Men-

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schenrechtskommission (ZaöRV 1968); Retorsion und Repressalie (ZaöRV 1973); Die Befreiungsbewegungen in den Vereinten Nationen (VN 1974); Freizügigkeit (DÖV 1974); Die Neue Weltwirtschaftsordnung (VN 1975); Der Schutz der Familie durch die Vereinten Nationen (AöR 1975); Die Generalversammlung der Vereinten Nationen im Spiegel der Praxis (VN 1976); Die Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten (ZaöRV 1976). Stichworte: Generalversammlung; Petitionen. Gräfin Waldersee, Etta, geb. von le Fort, geb. 1902, Studium der Psychologie und Philosophie in Berlin, 1922 Geschäftsiuhrerin der Österreichischen Freundeshilfe, Berlin (Vorläufer des Studentenwerks der Universität Berlin), 1940 Beginn ehrenamtlicher Arbeit im Deutschen Roten Kreuz (Suchdienstarbeit), nach 1945 Aufbau des neuen Deutschen Roten Kreuzes in der Britischen Besatzungszone, 1950—1966 Erste Vizepräsidentin des Deutschen Roten Kreuzes in der Bundesrepublik Deutschland (Mitglied des Präsidiums bis 1973), 1952 Gründung des Deutschen Komitees für UNICEF, seither 1. Vorsitzende. Stichwort: UNICEF. Weber, Hermann, geb. 1936, Studium der Rechts- und Staatswissenschaften in Genf, Freiburg/Br., München, 1. Staatsexamen 1960, 2. Staatsexamen 1964, Übersetzer-Diplom für die russische Sprache 1964, Referent für Völkerrecht am Institut für Internationale Angelegenheiten der Universität Hamburg. Veröffentlichungen: Der Vietnam-Konflikt — bellum legale?; Die Bukowina im Zweiten Weltkrieg; Grundlehre Völkerrecht. Das internationale Recht des Friedens und der Friedenssicherung, 1976, sowie zahlreiche Zeitschriftenaufsätze aus dem Bereich des internationalen Rechts. Stichworte: Entstehungsgeschichte; Völkerbund. Wehser, Eckart, geb. 1939, Studium der Rechts- und Staatswissenschaften an den Universitäten Würzburg, München und Kiel (1961—1966), Promotion 1970, 2. Staatsexamen 1971, wissenschaftlicher Assistent am Institut für Internationales Recht an der Universität Kiel seit 1971. Stichworte·. GATT; Rohstoffabkommen. Wolfium, Hildegard, geb. Hörner, geb. 1944, Studium der Rechtswissenschaften in Bonn und Freiburg, 1. Staatsexamen 1969, bis 1973 wiss. Mitarbeiterin Universität Bonn, 1973 2. Staatsexamen, danach Richterin (Verwaltungsgericht Koblenz). Veröffentlichung: Das Internationale Frauenjahr der Vereinten Nationen, in: VN 1975 S. 68—73 (zusammen mit Petersmann). Stichwort:

Frauenrechte.

Wolfrum, Rüdiger, geb. 1941, Studium der Rechts- und Staatswissenschaften in Bonn und Tübingen, 1. Staatsexamen 1969, 1973 Promotion und 2. Staatsexamen, seitdem wiss. Assistent im Institut für Öffentliches Recht, Bonn. Veröffentlichungen: Die innerparteiliche Demokratie nach dem Parteiengesetz, 1974; Der Umweltschutz auf Hoher See — Internationale wie nationale Maßnahmen und Bestrebungen, in: VRÜ 1975 S. 201—219; Die Beschränkungen für die Freiheit der Schiffahrt durch das kanadische Arctic Waters Pollution Prevention Act sowie die internationalen Übereinkommen zum Schutz der Meeresumwelt, in: Die Schiffahrtsfreiheit im gegenwärtigen Völkerrecht (Hrsg. Bernhardt/Rudolf), 1975; Der Schutz der Familie durch Art. 8 MRK sowie Art. 16 und 19 Ziff. 6 der Europäischen Sozialcharta, in: Friedens-Warte 1975 S. 264. Stichworte: Beitragssystem, Haushalt; IMCO; Seerecht; Streitschlichtung; Weltraumrecht.

The United Nations System International Bibliography

Das System der Vereinten Nationen Internationale Bibliographie Von Klaus Hüfner und Jens Naumann Eine Veröffentlichung der Forschungsstelle der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen, Bonn/Berlin Als erste umfassende Bibliographie des internationalen Schrifttums über die Vereinten Nationen erfaßt dieses Werk die Sekundärliteratur aus dem englischen, französischen und deutschen Sprachbereich für den Zeitraum 1 9 4 5 - 1 9 6 5 (Band 1) und 1 9 6 5 - 1 9 7 5 (Band 2 und 3). Verzeichnet sind Monographien, Beiträge aus wissenschaftlichen Zeitschriften und aus Sammelwerken. Primärliteratur, d.h. Veröffentlichungen der Vereinten Nationen und ihrer Sonderorganisationen wurde nur in Ausnahmefällen aufgenommen. Die Bibliographie erscheint in drei Bänden: 1

Learned Journals and Monographs 1945—1965 Wissenschaftliche Zeitschriften und Monographien 1945—1965 1976. L V , 519 Seiten. Linson D M 9 8 , - . I S B N 3-7940-2250-5 Sonderausgabe der Auflage 1968. (Titel ist gleichzeitig als Bd. 2 der Reihe „Beiträge zur auswärtigen und internationalen P o l i t i k " bei Walter de Gruyter, Berlin, lieferbar.)

2 A

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Learned Journals 1965-1970 Wissenschaftliche Zeitschriften 1965-1970 1977. X C I I , 286 Seiten. Linson D M 7 8 , - . I S B N 3-7940-2251-3 Learned Journals 1971-1975 Wissenschaftliche Zeitschriften 1971-1975 1977. ca. 460 Seiten. D M 7 8 , - . I S B N 3-7940-2252-1 Monographs and Articles in Collective Volumes 1965—1970 Monographien und Artikel in Sammelwerken 1965—1970 1977. I S B N 3-7940-2253-X Monographs and Articles in Collective Volumes 1971 —1975 Monographien und Artikel in Sammelwerken 1971-1975 1977. I S B N 3-7940-2254-8

Verlag Dokumentation München Postfach 711009 · D-8000 München 71 · Bundesrepublik Deutschland

Veröffentlichungen der UNESCO Die deutschsprachige UNESCO-Literatur. Bibliographie 1 9 4 6 - 1 9 7 2 Zusammengestellt von Willi Gorzny und Christiane Koschwitz unter Mitarbeit von Werner Kaupert 1973. 2., erweiterte Ausgabe. 222 Seiten. Linson DM 2 8 , - . ISBN 3-7940-3056-7 Diese zweite Ausgabe der Bibliographie deutschsprachiger UNESCO-Literatur bietet etwa dreimal soviel Titelmaterial wie die erste Ausgabe aus dem Jahre 1968. Die Ausweitung des Berichtszeitraumes und vertiefende Recherchen für die früheren Jahre, vor allem aber die Auswertung der deutschsprachigen UNESCO-Zeitschriften (UNESCO-Kurier, UNESCO-Dienst, UNESCO-Presse und UNESCO-Austria) ermöglichten es, die Eigenveröffentlichungen der UNESCO, wie auch die Sekundärliteratur in weit stärkerem Maße als bisher zu erfassen. Für 1972 wurden erstmals auch Beiträge in überregionalen Tages- und Wochenzeitungen berücksichtigt. Die Bibliographie enthält vier Allgemeingruppen mit alphabetischer Titelfolge: 1) Abkommen, Gesetze, Konventionen; 2) Zeitschriften und Serien; 3) Bibliographien, Nachschlagewerke, Wörterbücher und 4) Filme. In den anschliessenden 14 Sachgruppen sind die Titel chronologisch geordnet, so daß die fortlaufende Arbeit der UNESCO und ihre Auswirkungen verdeutlicht werden. Mehrere Register. Bibliography of publications issued by Unesco or under its auspices the first twenty-five years: 1946 to 1971 UNESCO, Paris. 1973. X V I I I , 385 Seiten. Leinen DM 3 6 , - . ISBN 3-7940-5124-6 Englisch und französisch Die UNESCO hat seit dem Jahre ihrer Gründung, 1946, eine sehr große Anzahl von Titeln in 86 Sprachen im eigenen Verlag herausgebracht, bzw. deren Erscheinen in anderen Verlagen unterstützt. Die Bibliographie verzeichnet mit 5475 Eintragungen die veröffentlichten Arbeiten von 1946 bis 1971 und gestattet einen umfassenden Überblick der Vielfalt der publizistischen Aktionen von UNESCO. Nicht zuletzt dient sie der Identifizierung aller Veröffentlichungen an denen die UNESCO teilhatte und informiert darüber, wie und wo sie auch heute noch beschafft werden können. Die Titel sind nach der Universal-Dezimal-Klassifikation erfaßt, in alphabetischer Ordnung innerhalb der Sachgruppen. Der Band enthält ein Klassifikationsschema, ein Titelregister, Verzeichnis der Autoren, Abkürzungsverzeichnisse von Sprachen und internationalen Organisationen, und Hinweise auf Beschaffungsmöglichkeiten für die Publikationen. Kulturförderung und Kulturpflege in der Bundesrepublik Deutschland Herausgegeben von der Deutschen UNESCO-Kommission 1974. 86 Seiten. Broschiert DM 12,80. ISBN 3-7940-3059-1 Eine knappe, dennoch umfassende Übersicht über Struktur, Bereiche und Förderung des des kulturellen Lebens in der Bundesrepublik Deutschland, die unter Mitwirkung des Auswärtigen Amtes, des Bundesministeriums des Innern, des Deutschen Städtetags, der Deutschen UNESCO-Kommission und des Sekretariats der Ständigen Kultusministerkonferenz der Länder erarbeitet worden ist. Die Kapitel "Staat und Kultur in der Bundesrepublik" — "Institutionen und Instrumente" — " K u l t u r p o l i t i k in den einzelnen Sachbereichen" erschließen die Voraussetzungen für die Kultursituation in der BRD und der einzelnen Kulturbereiche: Theater, Musik, Bildende Künste, Kunstpreise, Akademien, Literatur, Museen, Bibliotheken, Denkmalschutz, Naturschutz und Landschaftspflege, Film, Fernsehen/Rundfunk.

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