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German Pages 59 Year 2013
Von der UNESCO in die Generalversammlung: Palästina und die Vereinten Nationen
Von
Marten Breuer
A Duncker & Humblot · Berlin
MARTEN BREUER Von der UNESCO in die Generalversammlung: Palästina und die Vereinten Nationen
Lectiones Inaugurales Band 5
Von der UNESCO in die Generalversammlung: Palästina und die Vereinten Nationen
Von
Marten Breuer
Duncker & Humblot · Berlin
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten © 2013 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 2194-3257 ISBN 978-3-428-14246-0 (Print) ISBN 978-3-428-54246-2 (E-Book) ISBN 978-3-428-84246-1 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 ∞
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Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Die vorliegende Schrift stellt die erweiterte Fassung meiner am 7. Juni 2013 an der Universität Konstanz gehaltenen Antrittsvorlesung dar. Der Vortragsstil wurde in Teilen beibehalten. Meiner Mitarbeiterin, Frau Ricarda Hildebrandt, danke ich sehr für die Unterstützung bei der Recherche zu dem Projekt. Dieses Buch wurde gefördert mit Mitteln des im Rahmen der Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder eingerichteten Exzellenzclusters der Universität Konstanz „Kulturelle Grundlagen von Integration“. Für die gewährte Förderung danke ich herzlich. Dem Verlag Duncker & Humblot danke ich für die Aufnahme in die Reihe Lectiones Inaugurales. Ein ganz besonderer Dank gilt schließlich meiner Familie – meiner Frau Barbara sowie Carlotta und Franziska. Ohne ihre Bereitschaft, mit nach Konstanz zu gehen, wäre mir mein Start an der Universität so nicht möglich gewesen. Konstanz, im September 2013
Marten Breuer
Inhaltsverzeichnis I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Palästina und die UNESCO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Historischer Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gründe für die Aufnahme Palästinas im Jahr 2011 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtliche Bedingungen der UNESCO-Mitgliedschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Aufnahme Palästinas im Lichte der UNESCO-Satzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Aufnahme Palästinas im Lichte des Abkommens UNESCO – Vereinte Nationen . . 4. Konsequenzen der UNESCO-Mitgliedschaft . . a) Weltweite Anerkennung Palästinas? . . . . . . b) Abschluss völkerrechtlicher Verträge . . . . .
14 14 16 23 23 27 33 35 37
III. Palästina und die Vereinten Nationen . . . . . . . . . . 1. Antrag auf Vollmitgliedschaft . . . . . . . . . . . . . . 2. Aufwertung zum „Beobachterstaat“ in der Generalversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zielsetzung Palästinas . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Völkerrechtskonformität des Verhaltens der Generalversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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IV. Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Über den Autor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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44 45 53
Abkürzungsverzeichnis a. A.
anderer Ansicht
a. a. O.
am angegebenen Ort
a. E.
am Ende
a. F.
alte Fassung
abl.
ablehnend
Abs.
Absatz
AJIL
American Journal of International Law
Am. U. Int’l L. Rev. Art.
American University International Law Review Artikel
Aufl.
Auflage
AVR
Archiv des Völkerrechts
Bd.
Band
BGBl.
Bundesgesetzblatt
bzw.
beziehungsweise
Chinese JIL
Chinese Journal of International Law
d. h.
das heißt
DDR
Deutsche Demokratische Republik
ders.
derselbe
ECOSOC
Economic and Social Council
EJIL
European Journal of International Law
EU
Europäische Union
EuG
Gericht der Europäischen Union (vor dem 1.12.2009: Europäisches Gericht erster Instanz)
Abkürzungsverzeichnis EuGH
f., ff. FAZ Fn. GA gem. HILJ Hrsg. IAEA ICC ICJ ICLQ IGH ILM IMF insbes. IStGH Jh. JPS krit. lit. LNTS m. E. m.w. N. MPEPIL No. Nr. PLO RdC
9
Gerichtshof der Europäischen Union (vor dem 1.12.2009: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften) folgende Frankfurter Allgemeine Zeitung Fußnote General Assembly gemäß Harvard International Law Journal Herausgeber International Atomic Energy Agency International Criminal Court International Court of Justice International & Comparative Law Quarterly Internationaler Gerichtshof International Legal Material International Monetary Fund insbesondere Internationaler Strafgerichtshof Jahrhundert Journal of Palestine Studies kritisch littera League of Nations Treaty Series meines Erachtens mit weiteren Nachweisen Max Planck Encyclopedia of Public International Law Number Nummer Palestine Liberation Organization Recueil des Cours. Collected Courses of the Hague Academy of International Law
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Abkürzungsverzeichnis
Res. Rn. Rs. S. Slg.
Resolution Randnummer Rechtssache Seite Sammlung der Rechtsprechung des EuGH und des EuG sogenannt unter anderem/und andere United Nations United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization United Nations Juridical Yearbook United Nations Treaty Series United States United States of America verbundene Rechtssache vergleiche Vereinte Nationen. Zeitschrift für die Vereinten Nationen und ihre Sonderorganisationen volume weitere Nachweise World Health Assembly World Health Organization Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen vom 18. April 1961 Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen vom 24. April 1963 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969 zum Beispiel Ziffer
sog. u. a. UN UNESCO UNJY UNTS US USA verb. Rs. vgl. VN
vol. w. N. WHA WHO WÜD WÜK WVK z. B. Ziff.
I. Einleitung Anfang Mai 2013 titelte Spiegel online: „Suchmaschine macht Außenpolitik: Google erkennt Palästina an“.1 Hintergrund dieser etwas reißerisch aufgemachten Meldung war, dass der Suchmaschinenbetreiber google zum 1. Mai 2013 die Länderbezeichnung auf der Eingangsseite „google.ps“ von „Palestinian territories“ in „Palestine“ geändert hatte. Die israelische Regierung reagierte irritiert, in einem Schreiben an google kritisierte der stellvertretende israelische Außenminister die Entscheidung als Eingriff in die Friedensverhandlungen und forderte das Unternehmen auf, seine Entscheidung noch einmal zu überdenken.2 Nun kann ein Privatunternehmen wie google in einem völkerrechtlich relevanten Sinne Palästina selbstverständlich nicht anerkennen. Die Episode wirft aber ein Schlaglicht auf das jahrzehntelange Ringen um die Anerkennung der Staatlichkeit Palästinas. In diesen Bemühungen setzt die palästinensische Seite das System der Vereinten Nationen gleichermaßen virtuos 1
Online abrufbar unter http://www.spiegel.de/netzwelt/ netzpolitik/suchmaschine-macht-aussenpolitik-google-er kennt-palaestina-an-a-897976.html. 2 „Deputy FM tells Google: Recognition of Palestinian state undermines peace talks“, abrufbar unter http://www. haaretz.com/news/diplomacy-defense / deputy-fm-tellsgoogle-recognition-of-palestinian-state-undermines-peacetalks.premium-1.519383.
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I. Einleitung
wie gezielt für ihre Zwecke ein. In jüngster Vergangenheit konnte sie dabei eine Reihe von Achtungserfolgen erringen: Am 31. November 2011 entschied die UNESCO (United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization) – also eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen –, Palästina als 195. Mitglied aufzunehmen.3 Und nur ein Jahr später, am 29. November 2012, wertete die Generalversammlung der Vereinten Nationen den Status Palästinas von einer bloßen „Beobachterentität“ (observer entity) zu „Beobachterstaat“ (observer state)4 auf.5 Über das formelle Aufnahmegesuch Palästinas bei den Vereinten Nationen wurde zu diesem Zeitpunkt noch im Sicherheitsrat verhandelt und ist dort bis heute nicht abschließend entschieden worden.6 Diese Ereignisse werfen eine Reihe von Rechtsfragen auf, die in erster Linie das Recht der Internationalen Organisationen betreffen. Wie kann es sein, 3
Näher unten bei Fn. 33. Die offizielle Bezeichnung lautet „Non-Member observer State“, vgl. A/RES/67/19, Ziff. 2. Dieser Status kommt ansonsten derzeit nur dem Heiligen Stuhl zu, vgl. A/RES/58/314, Ziff. 9. Zum Hintergrund der UN-Praxis, Nicht-Mitgliedstaaten als Beobachter zuzulassen, vgl. näher L. D. Johnson, Palestine’s Admission to UNESCO: Consequences within the United Nations?, The Denver Journal of International Law and Policy 40 (2012), S. 118 (119 ff.); Th. Rensmann, International Organizations or Institutions, Observer Status, in: R. Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law [MPEPIL] (Stand: Juni 2007), insbes. Rn. 9 ff.; E. Suy, The Status of Observers in International Organisations, RdC 160 (1978 II), S. 75 ff. 5 Unten bei Fn. 107. 6 Näher bei Fn. 95. 4
I. Einleitung
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dass eine Sonderorganisation wie die UNESCO dem Sicherheitsrat gleichsam in den Rücken fällt? Handelte sie dabei völkerrechtsgemäß? Die gleiche Frage stellt sich mit Blick auf die Generalversammlung: Ist die Aufwertung Palästinas nicht ein gezielter Affront gegen den durch US-amerikanisches Veto blockierten Sicherheitsrat? Diesen Fragen soll im Folgenden nachgegangen werden. Sie werden wertvolle Einblicke in das tatsächliche Funktionieren des Systems der Vereinten Nationen gewähren.
II. Palästina und die UNESCO 1. Historischer Hintergrund Wie revolutionär der Schritt war, Palästina als Vollmitglied in die UNESCO aufzunehmen, lässt sich erst ermessen, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die palästinensische Seite seit 1989 an die Türen dieser Organisation klopft.7 Ein Jahr zuvor, 1988, hatte die Palästinensische Befreiungsorganisation aus dem Exil in Algier einseitig den Staat Palästina ausgerufen.8 Im Mai 1989 beantragte PLO-Führer Jassir Arafat die Aufnahme Palästinas in die UNESCO.9 Die Entscheidung hierüber ist seither von der UNESCOGeneralkonferenz – also der Konferenz aller UNESCO-Mitgliedstaaten – von einer Sitzungsperiode zur nächsten verschoben worden.10 Im Hintergrund stand unverhohlener Druck der Vereinigten Staaten. An dieser Drohkulisse hat sich bis heute nichts geändert, tatsächlich haben die USA nach der erfolgten Aufnahme Palästinas ihre Zahlungen an die UNESCO (immerhin 22 % des Gesamtbudgets der Organisation) ausgesetzt. Grundlage hierfür war US-amerikanische Ge7 Zum Folgenden vgl. J. Quigley, The Statehood of Palestine, 2010, S. 167 f. 8 Text der Erklärung: ILM 27 (1988), S. 1668. 9 Request for the Admission of Palestine to UNESCO, 25 C/106 vom 16.10.1989. 10 Zuletzt 182 EX/Decisions vom 26.11.2009, S. 52.
1. Historischer Hintergrund
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setzgebung, welche die Finanzierung Internationaler Organisationen verbietet, die international nicht anerkannten Entitäten (bzw. der PLO) Mitgliedschaftsrechte einräumen.11 Die UNESCO war nicht die einzige UN-Sonderorganisation, in der der frisch ausgerufene Staat Palästina um Aufnahme nachsuchte. Die Weltgesundheitsorganisation (World Health Organization, WHO) bot aus palästinensischer Perspektive sogar noch günstigere Bedingungen für eine Mitgliedschaft, da die Aufnahme hier lediglich eine einfache Stimmenmehrheit in der Vollversammlung – statt der sonst bei den Sonderorganisationen üblichen Zweidrittelmehrheit – erfordert (Art. 6 WHO-Satzung).12 Dennoch erfuhr der palästinensische Aufnahmeantrag das gleiche Schicksal wie in der UNESCO: auch er wurde auf USamerikanischen Druck hin verschoben.13 Allerdings 11 Vgl. Contemporary Practice of the United States, AJIL 106 (2012), S. 153 ff.; M. K. Esposito, Update on Conflict and Diplomacy, JPS 41.2 (2012), S. 153 (188); M. Wählisch, Beyond a Seat in the United Nations: Palestine’s U.N. Membership and International Law, HILJ 53 (2012), S. 226 (228). Zur Frage der Völkerrechtskonformität solch einseitiger Maßnahmen vgl. F. L. Kirgis, Jr., Admission of „Palestine“ as a Member of a Specialized Agency and Withholding the Payment of Assessments in Response, AJIL 84 (1990), S. 218 (222 ff.); Chr. Ahlborn, UNESCO Approves Palestinian Membership Bid – A Case for US Countermeasures Against the Organization?, online abrufbar unter: http://www.ejiltalk.org/unesco-ap proves-palestinian-membership-bid- %E2 %80 %93-a-casefor-us-countermeasures-against-the-organization/. 12 Vgl. Wählisch, HILJ 53 (2012), S. 226 (255); allgemein Kirgis, Jr., AJIL 84 (1990), S. 218 (219). 13 Vgl. Quigley (Fn. 7), S. 164 ff., 170 f.
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II. Palästina und die UNESCO
schlug die WHO im Jahr 2000 einen etwas anderen Weg als die UNESCO ein, indem die WHO-Vollversammlung den bereits bestehenden Beobachterstatus Palästinas durch zusätzliche Rechte aufwertete.14 Die WHO folgte damit dem Vorbild der UN-Generalversammlung, die im Jahr 1998 einen entsprechenden Schritt vollzogen hatte.15 Ebenfalls über einen aufgewerteten Beobachterstatus verfügt Palästina in der Internationalen Atomenergiebehörde (International Atomic Energy Agency, IAEA).16 Allerdings bleibt der aufgewertete Beobachterstatus nach wie vor hinter den Rechten aus einer Vollmitgliedschaft zurück. Insofern war die UNESCO tatsächlich die erste der UN-Sonderorganisationen, die sich zu einem derart weitreichenden Schritt entschloss. Vor diesem Hintergrund stellt sich umso mehr die Frage, was für die UNESCO den Ausschlag gegeben hat, Palästina ausgerechnet im Jahre 2011, nach über 20 Jahren erfolglosen Wartens, als Vollmitglied aufzunehmen. 2. Gründe für die Aufnahme Palästinas im Jahr 2011 Zu dieser Frage gibt es keine offiziellen Verlautbarungen. Es lassen sich aber eine Reihe von Überlegungen anstellen, die der Wahrheit vermutlich zumindest nahekommen. Der erste Gedanke, auf den man 14 WHA Res. A53/40 vom 19.5.2000; vgl. Wählisch, HILJ 53 (2012), S. 226 (255). 15 Näher unten bei Fn. 110. 16 GC(42)/RES/20 vom 25.9.1998.
2. Gründe für die Aufnahme im Jahr 2011
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verfallen könnte, ist der Funktionalismus.17 Der Funktionalismus ist das tragende Konstitutionsprinzip, das im 20. Jh. überhaupt erst zur Ausbildung des Phänomens „Internationale Organisationen“ im Völkerrecht geführt hat. Hinter ihm steht die Einsicht, dass einzelne Sachbereiche aus den nationalen Politiken herausgenommen und auf die internationale Ebene gehoben werden müssen, weil nur so eine effektive Aufgabenerfüllung gewährleistet werden kann.18 Funktionalismus geht dabei regelmäßig mit einem Prozess der Entpolitisierung einher.19 Das könnte auch im Falle Palästinas den Ausschlag gegeben haben: Ziel der UNESCO ist u. a. der Erhalt des Weltkulturerbes.20 Die Palästinenser verfügen aber mit der Geburtskirche Jesu in Bethlehem und dem 17 In diesem Sinne W. Th. Worster, The Exercise of Jurisdiction by the International Criminal Court Over Palestine, Am. U. Int’l L. Rev. 26 (2011), S. 1153 (1172) mit Fn. 88. 18 Vgl. E. Klein/St. Schmahl, Die Internationalen und die Supranationalen Organisationen, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 5. Aufl. 2010, 4. Abschnitt, Rn. 3; grundlegend (insbesondere für die europäische Integration) D. Mitrany, The Prospect of European Integration: Federal or Functional, in: A. J. R. Groom/P. Taylor (Hrsg.), Functionalism, 1975, S. 53 ff. (Wiederabdruck des 1965 im Journal of Common Market Studies veröffentlichten Aufsatzes); speziell zum Verhältnis von Funktionalismus und den UN-Sonderorganisationen vgl. A. McKnight, Functionalism and the Specialised Agencies, a. a. O., S. 162 ff. 19 Hierzu auch McKnight (Fn. 18), S. 168 f. 20 Art. I Abs. 2 lit. c UNESCO-Satzung; hierzu allgemein C. Forrest, International Law and the Protection of Cultural Heritage, 2010, S. 224 ff.; Th. M. Schmitt, Cultural Governance. Zur Kulturgeographie des UNESCOWelterberegimes, 2011; J. P. Singh, United Nations Educa-
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II. Palästina und die UNESCO
Grab Abrahams in Hebron über Kulturdenkmäler, die für Christen wie für Muslime von überragender Bedeutung sind. Erst durch die Vollmitgliedschaft in der UNESCO kann diesen Gedenkstätten der Schutz der Organisation umfassend zuteil werden. Allerdings ergeben sich gewisse Zweifel an diesem Erklärungsansatz, wenn man berücksichtigt, dass die UNESCO auch schon früher mit dem Schutz dieser Stätten befasst war: Nachdem es im April 2002 zu bewaffneten Auseinandersetzungen rund um die Geburtskirche in Bethlehem gekommen war, beschloss das Welterbekomitee der UNESCO, die palästinensische Seite bei der Erstellung einer sog. Tentativliste zu unterstützen.21 Bei der Tentativliste handelt es sich um einen Vorschlag für zukünftige Welterbestätten. Mit Rücksicht auf Israel wurde allerdings der Terminus „Tentativliste“ vermieden. Zur Einreichung einer solchen Liste sind nämlich nur Vertragsparteien der Welterbekonvention – und mithin Staaten22 – berechtigt. Stattdessen trägt die 2005 vorgelegte Liste die offizielle Bezeichnung „Inventory of Palestinian Cultural and Natural Heritage Sites of Potential Outstanding Universal Value in Palestine“. Ob sich die UNESCO allein aufgrund der Bedeutung einer (potentiellen) Welterbestätte und ungeachtet der fehlenden Vertragszugetional, Scientific and Cultural Organization (UNESCO), S. 83 ff. 21 WHC-02/CONF.202/25 vom 1.8.2002, 26 COM 6.1 (S. 3 f.); hierzu und zum Folgenden Ch. De Cesari, Cultural Heritage Beyond the „State“: Palestinian Heritage Between Nationalism and Transnationalism, 2009, S. 199 ff. 22 Vgl. Art. 31 f. Welterbekonvention (Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt, BGBl. 1977 II S. 215).
2. Gründe für die Aufnahme im Jahr 2011
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hörigkeit Palästinas überhaupt mit der Sache befassen durfte, erscheint allerdings zweifelhaft.23 War es der UNESCO auch schon vor der Vollmitgliedschaft Palästinas somit jedenfalls faktisch möglich, sich mit dem Schutz der palästinensischen Kulturstätten zu befassen, ist der Grund für die Aufnahme gerade im Jahr 2011 vermutlich anderswo zu suchen. Das führt zu der palästinensischen Kampagne „Palestine 194“, mit der die palästinensische Seite auf die festgefahrenen Gespräche mit Israel über eine Zwei-Staaten-Lösung reagierte. In einem palästinensischen Strategiepapier wurde daraufhin u. a. vorgeschlagen, die Frage gezielt in die Vereinten Nationen hineinzutragen.24 Durch die Aufnahme als 194. Mitgliedstaat der Vereinten Nationen – daher der Titel der Kampagne – sollte die weltweite Anerkennung Palästinas als Staat erwirkt werden.25 Die palästinensische Führung verstärkte daher zunächst ihre Reisediplomatie, um die Zahl bilateraler Anerkennungen Palästinas zu erhöhen.26 In der Tat gelang es der Palästinenserführung, hier für eine signifikante Zunahme 23 Vorsichtig bejahend S. Mißling, Der Status Palästinas in internationalen Organisationen, VN 2013, S. 147 (152). 24 Towards New Strategies for Palestinian National Liberation. Options for Achieving Palestinian Strategic Objectives in the Light of the Breakdown of Bilateral Negotiations, The Palestine Strategy Group, August 2011, S. 19 f. 25 Vgl. M. K. Esposito, Quarterly Update on Conflict and Diplomacy, JPS 41.1 (2011), S. 147 (158 f.). Zur Frage der Anerkennungswirkung einer Aufnahme gem. Art. 4 UN-Charta näher unten bei Fn. 71. 26 Esposito, JPS 41.1 (2011), S. 147 (155).
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II. Palästina und die UNESCO
insbesondere im lateinamerikanischen Bereich27 zu sorgen: Während die Zahl der Staaten, die einen Palästinenserstaat anerkannt hatten, lange Zeit bei etwa 100 stagniert hatte,28 gelang es durch die diplomatischen Anstrengungen, diese Zahl bis Mitte 2011 signifikant zu erhöhen. Die palästinensische Seite selbst gab im Juli 2011 die Zahl derjenigen Staaten, die Palästina als Staat anerkannt hatten, mit 122 an.29 Hierdurch ergab sich für die Palästinenserführung mit Blick auf den Aufnahmeantrag in der UNESCO eine neue strategische Situation: Für die Aufnahme benötigte Palästina eine Zweidrittelmehrheit in der UNESCO-Generalkonferenz.30 Bei zum damaligen
27 Ab 2010 erfolgten diplomatische Anerkennungen durch Argentinien, Bolivien, Brasilien, Chile, die Dominikanische Republik, Ecuador, Guyana, Paraguay, Peru, Uruguay sowie Venezuela, vgl. M. K. Esposito, Quarterly Update on Conflict and Diplomacy, JPS 40.3 (2010), S. 145 (149); T. Megiddo/Z. Nevo, Revisiting lessons on the new law of statehood: Palestine independence in a post-Kosovo world, in: D. French (Hrsg.), Statehood and Self-Determination, 2013, S. 187 f., 203. 28 Die genauen Zahlen schwanken allerdings je nach Zählung; von „some 100 States“ spricht G. Palmisano, in: Ch. Meloni/G. Tognoni (Hrsg.), Is There a Court for Gaza?, 2012, S. 30 (33); von 94 Staaten (unter Berufung auf die Palästinenserbehörde) ist die Rede bei Y. Ronen, ICC Jurisdiction over Acts Committed in the Gaza Strip, a. a. O., S. 469 (476). 29 PLO Negotiations Office, Recognizing the Palestinian State on the 1967 border & Admission of Palestine as a Full Member of the United Nations, S. 1, online abrufbar unter http://www.nad-plo.org/userfiles/file/fact% 20sheet/who%20and%20why%20recognize%20Palestine %20Factsheet%20-%20english%20July%202011_pdf.pdf. 30 Siehe unten bei Fn. 44.
2. Gründe für die Aufnahme im Jahr 2011
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Zeitpunkt 194 UNESCO-Mitgliedstaaten31 waren somit im Grundsatz 130 Ja-Stimmen erforderlich.32 Allerdings werden gem. Art. IV C Ziff. 8 (a) UNESCOSatzung nur die anwesenden und an der Abstimmung teilnehmenden Mitglieder gezählt. Nach Regel 86 der Geschäftsordnung der Generalkonferenz werden zudem Enthaltungen nicht als Stimmabgaben gewertet. Auf diese Weise gelang es der palästinensischen Seite, mit nur 107 Ja-Stimmen gegen 14 Nein-Stimmen und 52 Enthaltungen die Abstimmung über den Aufnahmeantrag für sich zu entscheiden.33 Die Bundesrepublik Deutschland stimmte gegen die Aufnahme.34 Letztlich scheint es sich so zu verhalten, dass die Kampagne „Palestine 194“ und der Antrag auf Aufnahme in die Vereinten Nationen eine Dynamik ent-
31 Die UNESCO verfügte zum damaligen Zeitpunkt über einen Mitgliedstaat mehr als die Vereinten Nationen (seinerzeit 193 Mitgliederstaaten). Die Differenz erklärt sich daraus, dass die Cookinseln und Niue zwar Mitglieder der UNESCO, nicht aber der Vereinten Nationen sind. Umgehrt ist Liechtenstein zwar UN-Mitglied, gehört aber nicht der UNESCO an. 32 Vgl. J. Vidmar, Palestine and the Conceptual Problem of Implicit Statehood, Chinese JIL 2013, S. 1 (16). 33 Zahlen nach AJIL 106 (2012), S. 153. Der Vorschlag zur Aufnahme ist Ende Oktober von einer Staatengruppe in die Generalkonferenz eingebracht worden (Draft Resolution vom 29.10.2011, 36 C/PLEN/DR.1). Der Exekutivrat sprach sich mehrheitlich für die Aufnahme aus, 187 EX/Decisions Nr. 40 vom 30.11.2011, S. 52 (die Sitzung des Exekutivrats fand am 5.10.211 statt; Wiedergabe der Diskussion in den Summary of Records des Exekutivrats vom 31.5.2012, 187 EX/SR.1–8, S. 99 ff.). 34 Vgl. http://www.guardian.co.uk/world/2011/nov/01/ unesco-countries-vote-palestinian-membership.
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II. Palästina und die UNESCO
faltet haben, die auf die UNESCO übergewirkt hat. In diese Richtung deuten jedenfalls eine Reihe von Äußerungen, die einzelne Staatenvertreter im Exekutivrat der UNESCO getätigt haben: Da ist von der „Vorreiterrolle“ der UNESCO innerhalb der UN-Familie die Rede,35 vom „privilege of being the first organization of the United Nations system to open its doors to Palestine“,36 mehrfach wird das Wort „historisch“ verwendet.37 Auf der anderen Seite spiegeln die Redebeiträge aber auch die Problematik der Entscheidung wider: Wiederholt wird auf den Vorrang des Sicherheitsrats verwiesen,38 der US-Vertreter wie auch der Vertreter Israels beklagen eine unzulässige Politisierung der UNESCO.39 Damit wird ein Spannungsfeld sichtbar: Während funktionalistische Gesichtspunkte, insbesondere der effektive Kulturgüterschutz, tendenziell für eine Aufnahme Palästinas als Vollmitglied sprachen, bewirkte die Verquickung des UNESCO-Aufnahmeantrag mit der Anerkennungsfrage eine Politisierung, welche dem Gedanken des Funktionalismus gerade widersprach.40
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Vertreter Sri Lankas, 187 EX/SR.1–8, S. 101. Vertreter Kubas, 187 EX/SR.1–8, S. 103. 37 Vertreter Sri Lankas, Saudi-Arabiens, Marokkos, Pakistans, Indiens, Kubas, Chinas, Russlands sowie des Senegal, 187 EX/SR.1–8, S. 101 ff. 38 Vertreter der USA, Deutschlands, Japans, Lettlands sowie Italiens, 187 EX/SR.1–8, S. 99 ff. 39 187 EX/SR.1–8, S. 99, 105. 40 Zum Aspekt der Politisierung vgl. auch unten bei Fn. 68. 36
3. Rechtliche Bedingungen der Mitgliedschaft
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3. Rechtliche Bedingungen der UNESCO-Mitgliedschaft An dieser Stelle erscheint es angebracht, sich den rechtlichen Bedingungen für die UNESCO-Mitgliedschaft zuzuwenden. Dabei sind zwei Perspektiven klar auseinanderzuhalten, eine interne und eine externe.41 In der Binnenperspektive stellt sich die Frage nach der Übereinstimmung der Aufnahme Palästinas mit UNESCO-Satzung als dem „Verfassungsstatut“ der Organisation.42 In externer Hinsicht hingegen ist zu fragen, ob die UNESCO durch die Aufnahme Palästinas möglicherweise gegen Pflichten im Verhältnis zu den Vereinten Nationen verstoßen hat. Diese Frage beurteilt sich am Maßstab des Abkommens, das zwischen der UNESCO als einer eigenständigen Internationalen Organisation und den Vereinten Nationen geschlossen worden ist.43 a) Die Aufnahme Palästinas im Lichte der UNESCO-Satzung Begonnen werden soll hier mit der Binnenperspektive. Einschlägig ist insoweit Art. II Abs. 2 UNESCOSatzung. Die Vorschrift lautet:
41 Zur „doppelten Rechtsgrundlage“ der Sonderorganisationen vgl. auch Klein/Schmahl (Fn. 18), Rn. 233. 42 UNTS Vol. 4 (1947), No. I-52, S. 275. 43 Agreement between the United Nations and the United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization, UNTS Vol. 1 (1946–47), No. II-11, S. 238, in aktueller Fassung abrufbar unter http://unesdoc.unesco.org/ima ges/0021/002161/216192e.pdf#page=168.
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II. Palästina und die UNESCO „Vorbehaltlich eines auf Grund von Artikel X dieser Satzung genehmigten Abkommens zwischen dieser Organisation und den Vereinten Nationen können Staaten, die nicht Mitglieder der Vereinten Nationen sind, auf Empfehlung des Exekutivrats von der Generalkonferenz mit Zweidrittelmehrheit als Mitglieder der Organisation angenommen werden.“44
Die UNESCO-Satzung geht somit davon aus, dass auch Nichtmitgliedern der Vereinten Nationen die Mitgliedschaft offen stehen soll. Das entspricht durchaus dem Grundgedanken des Funktionalismus, denn eine UN-Mitgliedschaft mag aus verschiedenen Gründen nicht zustande kommen, während es im Interesse des effektiven Kulturgüterschutzes durchaus wünschenswert erscheinen kann, auch solchen Staaten eine Mitgliedschaft in der Organisation zu eröffnen. Und doch bestehen gewisse Zweifel, ob der Fall Palästina wirklich diejenige Konstellation ist, welche Art. II Abs. 2 UNESCO-Satzung vor Augen hat. Als Vergleichsbeispiel sei hier die Schweiz herangezogen. Diese trat aus Gründen ihres Neutralitätsverständnisses erst im Jahr 2002 den Vereinten Nationen bei,45 gehörte der UNESCO jedoch seit 1949 an. Nun ist die Frage der Staatlichkeit im Falle der Schweiz gänzlich unbestritten. Art. II Abs. 2 UNESCO-Satzung diente insofern allein der Zulassung ei44
Übersetzung nach BGBl. 1971 II S. 471. Vgl. Th. Bernauer/S. Lavenex, Abschied vom Sonderfall. Die 90-Prozent-Mitgliedschaft der Schweiz in den Vereinten Nationen, VN 2000, S. 89 ff.; Th. D. Grant, Admission to the United Nations, 2009, S. 244 ff.; zu den Hintergründen siehe auch G. Unser, Der lange Marsch der Schweiz in die Vereinten Nationen, in: S. v. Schorlemer (Hrsg.), Praxishandbuch UNO, 2003, S. 657 ff. 45
3. Rechtliche Bedingungen der Mitgliedschaft
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ner möglichst großen Mitgliederzahl. Das ist im Fall der Aufnahme Palästinas tendenziell anders. Das Aufnahmeverfahren wurde hier – wie beschrieben – von der palästinensischen Seite dazu genutzt, die weltweite Anerkennung der eigenen Staatlichkeit zu befördern und durchzusetzen. Indem Art. II Abs. 2 UNESCO-Satzung von „Staaten“, welche nicht Mitglied der Vereinten Nationen sind, spricht, hat die UNESCO als Internationale Organisation somit jedenfalls implizit die Staatlichkeit Palästinas anerkannt. Teilweise wird allerdings in der Völkerrechtslehre vertreten, die Anerkennung als Staat könne immer nur von Staaten, nicht auch von Internationalen Organisationen ausgesprochen werden.46 Folgte man dieser Auffassung, wäre die Aufnahme Palästinas durch die UNESCO anerkennungsrechtlich irrelevant. Diese Sichtweise erscheint indes nicht gerechtfertigt. Indem nach der UNESCO-Satzung die Mitgliedschaft nur Staaten offen steht, wird auf einen Begriff des allgemeinen Völkerrechts verwiesen. Wenn das Gründungsstatut einer Internationalen Organisation die Mitgliedschaft auf Staaten reduziert, dann ist es sogar die Aufgabe der Internationalen Organisation, im Rahmen eines Beitrittsverfahrens zu klären, ob die Bedingungen der Staatlichkeit erfüllt sind. Allenfalls käme in Betracht, dem in einem Gründungsstatut ver46 Wählisch, HILJ 53 (2012), S. 226 (251) mit Fn. 137; siehe auch Ronen (Fn. 28), S. 486: „Ordinarily, however, international organizations and their organs do not recognize states. Their treatment of entities as states is only a consequence of the prior recognition by member states of those entities’ statehood.“
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II. Palästina und die UNESCO
wendeten Staatsbegriff eine andere, vom allgemeinen Völkerrecht abgelöste Bedeutung beizulegen.47 Diese Frage ist vorrangig anhand des jeweils konkret untersuchten völkerrechtlichen Vertrages im Wege der Auslegung zu ermitteln. Funktionalistische Erwägungen (mithin: Ziel und Zweck des Gründungsstatuts, Art. 31 Abs. 1 WVK) mögen dabei durchaus für eine erweiternde Auslegung streiten. Andererseits bedarf es angesichts der zentralen Stellung des Staates im Völkerrecht schon besonderer Anhaltspunkte, um gerade in diesem Punkt von der „gewöhnlichen Bedeutung“ (im Sinne der ordinary meaning rule, Art. 31 Abs. 1 WVK48) abzuweichen. Das Vorgehen der palästinensischen Seite verlöre viel von seiner Sprengkraft, wenn man argumentierte, die UNESCO habe Palästina als „Staat“ lediglich im Sinne der UNESCO-Satzung, nicht aber zugleich auch im Sinne des allgemeinen Völkerrechts anerkannt. Ist die Aufnahme Palästinas durch die UNESCO somit nicht anerkennungsrechtlich irrelevant, bleibt das Problem der Instrumentalisierung des Aufnahmeverfahrens durch Palästina zum Zweck der Anerkennung der eigenen Staatlichkeit – im Unterschied etwa zur Schweiz. Bedenken an der Satzungskonformität dieser Vorgehensweise ergeben sich aus folgendem Gesichtspunkt: Art. II Abs. 2 UNESCO-Satzung ent47 Hierzu allgemein F. L. Kirgis, Jr., AJIL 84 (1990), S. 218 (220 f.); siehe auch die Debatte um eine vom allgemeinen Völkerrecht abgelöste Definition im Falle des Art. 12 Abs. 3 Rom-Statut unten bei Fn. 123. 48 Zur ordinary meaning rule vgl. nur O. Dörr, in: K. Schmalenbach/ders. (Hrsg.), Vienna Convention on the Law of Treaties, 2012, Art. 31 Rn. 40 ff.
3. Rechtliche Bedingungen der Mitgliedschaft
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hält in seinem Eingangssatz einen Vorbehalt zugunsten des zwischen der UNESCO und den Vereinten Nationen abzuschließenden Beziehungsabkommens. Damit kommt die Außenperspektive ins Spiel. Zu fragen ist, ob mit Rücksicht auf die Vereinten Nationen Art. II Abs. 2 UNESCO-Satzung nicht eine Einschränkung für Gebilde gebietet, deren Staatlichkeit umstritten ist und die gerade aus diesem Grunde noch nicht in die Vereinten Nationen aufgenommen worden sind. b) Aufnahme Palästinas im Lichte des Abkommens UNESCO – Vereinte Nationen Die Grundlagen der Beziehungen zwischen der UNESCO und den Vereinten Nationen finden sich in dem bereits erwähnten Übereinkommen vom Dezember 1946 geregelt. Dieses Abkommen war notwendig, weil es sich bei der UNESCO um eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen (Art. 57 UN-Charta) und damit um ein Mitglied der sog. „UN-Familie“ 49, gleichwohl aber um eine eigenständige Internationale Organisation handelt. Die UNESCO ist somit keineswegs ein „Organ“ der Vereinten Nationen. Das Verhältnis zwischen ihr und den Vereinten Nationen ist das Verhältnis zweier Internationaler Organisationen.50 Zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen die 49 Zu diesem Ausdruck vgl. W. Meng, in: B. Simma/ D.-E. Khan/G. Nolte/A. Paulus (Hrsg.), The Charter of the United Nations. A Commentary, 3. Aufl. 2012, Art. 57 Rn. 35; Klein/Schmahl (Fn. 18), Rn. 225 ff., insbes. Rn. 229 ff. 50 Vgl. Klein/Schmahl (Fn. 18), Rn. 234.
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II. Palästina und die UNESCO
UNESCO einen Nicht-Mitgliedstaat der Vereinten Nationen aufnehmen darf, gibt das Überkommen allerdings – vermeintlich – keine Auskunft. Der in Art. II Abs. 2 UNESCO-Satzung enthaltene Vorbehalt zugunsten des Übereinkommens von 1946 läuft insofern zunächst einmal leer. Das gilt allerdings nur, sofern man das Übereinkommen in seiner jetzigen Fassung konsultiert. Zieht man hingegen die ursprüngliche Fassung zu Rate, stößt man auf den früheren Art. II. Dieser hat folgenden Wortlaut: „Admission of States not Members of the United Nations. Applications submitted by States not members of the United Nations for admission to the United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization shall be immediately transmitted by the secretariat of the Organization to the Economic and Social Council of the United Nations (hereinafter called the Council). The Council may recommend the rejection of such applications and any such recommendations shall be accepted by the Organization. If, within six months of the receipt of an application by the Council, no such recommendation has been made, the application shall be dealt with according to article II, paragraph 2, of the constitution of the Organization.“
Durch dieses Verfahren erhielt der Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC) der Vereinten Nationen (Art. 61 ff. UN-Charta) gewissermaßen eine Vetoposition für die Aufnahme von Nicht-UN-Staaten in die UNESCO. Dass diese Aufgabe dem ECOSOC und nicht dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zugedacht wurde, folgt aus der Koordinationsfunktion, welche der ECOSOC für die Tätigkeit der Sonderorganisationen nach der UN-Charta generell innehat (Art. 63 Abs. 2
3. Rechtliche Bedingungen der Mitgliedschaft
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UN-Charta).51 Jedenfalls gewährleistete Art. II a. F. des Abkommens von 1946 eine Rückbindung bei der Aufnahme von Nicht-UN-Staaten an die Willensbildung innerhalb der Vereinten Nationen. Diese Bestimmung ist indes auf Vorschlag der Sowjetunion im Jahr 1962 aus dem Abkommen getilgt worden.52 Anlass hierfür war die Ablehnung des UNESCO-Beitrittsgesuchs der DDR durch den ECOSOC im Jahr 1955.53 Zuvor waren zwar eine Reihe von Staaten in die UNESCO aufgenommen worden,54 deren Aufnahme in die Vereinten Nationen selbst auf Widerstände stieß.55 Im Falle der DDR führte aller51 Hierzu Klein/Schmahl (Fn. 18), Rn. 236; M. Ruffert, Zuständigkeitsgrenzen internationaler Organisationen im institutionellen Rahmen der internationalen Gemeinschaft, AVR 2000, S. 129 (154) m.w. N. 52 Draft Resolution Submitted by the Union of Soviet Socialist Republics for Amending the Procedure for Admission to UNESCO of States Not Members to the United Nations, 12 C/29 vom 6.7.1962, Annex II; hierzu auch Report of the Executive Board on the Amendment of the Procedure for Admission to UNESCO of States Not Members of the United Nations, 12 C/22 vom 6.7.1962. 53 Vgl. International Organization 10 (1956), S. 293; hierzu C. O. Osakwe, The Participation of the Soviet Union in Universal International Organisations, 1972, S. 152 f.; M. Stein, Der Konflikt um die Alleinvertretung und Anerkennung in der UNO, 2011, S. 47. 54 Z. B. Ceylon: Records of the General Conference of the United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization, Fourth Session, Paris, 1949, S. 7 f. (0.5); Jordanien: Records of the General Conference of the United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization, Fifth Session, Florence, 1950, S. 7 (0.51); Republik Korea: a. a. O., S. 8 (0.53). 55 Siehe L. Gross, Progress Towards Universality of Membership in the United Nations, AJIL 50 (1956),
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II. Palästina und die UNESCO
dings der Alleinvertretungsanspruch der Bundesrepublik dazu, Beitrittsgesuche der DDR zu UN-Sonderorganisationen im Verbund mit den westlichen Partnern abzuwehren.56 Interessanterweise suchte die DDR ganz ähnlich wie Palästina, die Anerkennung auf internationalem Parkett u. a. durch Beitrittsgesuche zu den UN-Sonderorganisationen durchzusetzen.57 Auch war die UNESCO die erste Sonderorganisation, in der das Beitrittsgesuch erfolgreich war – allerdings erst Ende 1972, nach der Paraphierung des Grundlagenvertrags zwischen der Bundesrepublik und der DDR und damit im Zuge des (Ende 1973 erfolgten) gemeinsamen Beitritts beider Staaten zu den Vereinten Nationen selbst.58 Da die Bundesregierung zugesichert hatte, sich bereits mit der Paraphierung des Grundlagenvertrags einer Mitgliedschaft der DDR in UN-Sonderorganisationen nicht mehr zu widersetzen, erfolgte die Aufnahme der DDR mit Zustimmung der Bundesrepublik.59 Im Unterschied zum Fall Palästina ist die UNESCO also im Falle der DDR nicht einsei-
S. 791 (792) mit Fn. 5. Hintergrund war die Ost-WestBlockade um die Aufnahme neuer Mitgliedstaaten zwischen 1946 und 1955, hierzu auch U. Fastenrath, in: Simma/Khan/Nolte/Paulus (Fn. 49), Art. 4 Rn. 6 ff.; Grant (Fn. 45), S. 64 ff. 56 Vgl. St. Schmahl, Deutschland und die Vereinten Nationen: Zwischen staatlicher Souveränität und multilateraler Kooperation, in: M. Breuer u. a. (Hrsg.), Der Staat im Recht. Festschrift für Eckart Klein zum 70. Geburtstag, 2013, S. 861 (864 f.). 57 Vgl. W. Kilian, Die Hallstein-Doktrin, 2001, S. 275 ff.; 354 ff.; Stein (Fn. 53), S. 45 f., 119 ff. 58 Vgl. Schmahl (Fn. 56), S. 865. 59 Vgl. Kilian (Fn. 57), S. 355 f.; Stein (Fn. 53), S. 163.
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tig vorgeprescht, sondern hielt sich im Rahmen der geopolitischen Gesamtlage. Konsequenz der Ablehnung des DDR-Aufnahmegesuchs durch den ECOSOC im Jahr 1955 war aber der schon erwähnte Vorstoß der Sowjetunion, Art. II des Abkommens von 1946 ersatzlos zu streichen. Offiziell begründet wurde der Vorschlag damit, dass die Kompetenzen der UNESCO-Generalkonferenz und die internationale Autorität und Bedeutung der UNESCO insgesamt durch dieses Verfahren geschwächt würden. Die große Mehrheit der übrigen UN-Sonderorganisationen entschieden eigenständig über die Aufnahme von Staaten, ohne dass Konsultationen mit anderen UN-Organen für notwendig befunden würden.60 Zwar traf der Vorstoß im westlichen Lager aus naheliegenden Gründen auf erheblichen Widerstand, letztlich vermochte sich die Sowjetunion jedoch durchzusetzen,61 Art. II wurde aus dem Abkommen getilgt.62
60 Explanatory Note on the draft resolution submitted by the Union of Soviet Socialist Republics for amending the procedure for admission to Unesco of States not members to the United Nations, 12 C/29 vom 6.7.1962, Annex II, S. 5. 61 Die Vorschläge der Sowjetunion gingen allerdings noch wesentlich weiter, insbesondere wollte sie die Entscheidung über ein Beitrittsgesuch auch vom zustimmenden Votum des Exekutivrats unabhängig machen. Hiermit setzte sie sich nicht durch, vgl. Osakwe (Fn. 53), S. 153 f. 62 Zustimmung der Generalkonferenz der UNESCO: Records of the General Conference, Twelfth Session, Paris, 1962, S. 96 f.; Zustimmung des ECOSOC: Res. 865 (XXXIII) vom 4.4.1962; Zustimmung der UN-Generalversammlung (erforderlich gem. Art. 63 Abs. 1 Satz 2 UNCharta): Res. 1786 (XVII) vom 8.12.1962.
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Fraglich ist indes, was aus diesem Befund folgt. Das „beredte Schweigen“ des Abkommens von 1946 muss nämlich keineswegs notwendigerweise dazu führen, dass die UNESCO bei der Aufnahme neuer Mitglieder völlig frei wäre, wenngleich es der Sowjetunion zweifellos darum ging, die Aufnahme in die UNESCO von der Willensbildung in den Vereinten Nationen selbst zu entkoppeln. Demgegenüber ist darauf hinzuweisen, dass das Abkommen eine Reihe von Kooperationspflichten der UNESCO enthält: gegenüber dem Sicherheitsrat, dem Treuhandrat der Vereinten Nationen sowie dem Internationalen Gerichtshof (Art. VII, VIII, X). Man könnte hieraus auf eine dem Übereinkommen zugrunde liegende allgemeine Kooperations- und Rücksichtnahmepflicht den Vereinten Nationen gegenüber schließen, auch wenn diese im Wortlaut des Vertrags keinen Ausdruck gefunden hat. Für die Annahme stillschweigender Kooperationspflichten finden sich durchaus Beispiele in der internationalen Rechtsprechung.63 Da der Sicherheitsrat Ende 2011 mit dem Aufnahmegesuch Palästinas befasst war, könnte man auf eine „Stillhalteverpflichtung“ der UNESCO bis zum Abschluss dieses Verfahrens schließen. Entsprechende Hinweise auf den Vorrang des Sicherheitsrats erfolgten – allerdings wohl eher im Sinne politischer Statements, nicht als Rechtsargumente – in den Stellungnahmen mehrerer Regierungsvertreter im UNESCO-Exekutivrat.64 63 IGH, Interpretation of the Agreement of 25 March 1951 between the WHO and Egypt, Advisory Opinion, ICJ Reports 1980, S. 73 (93), Rn. 43 (freilich für das Verhältnis zwischen einer Internationalen Organisation und einem Mitgliedstaat).
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Andererseits ist vor der vorschnellen Annahme eines allgemeinen Über-/Unterordnungsverhältnisses zwischen Vereinten Nationen und Sonderorganisationen zu warnen. Das heutige System der Sonderorganisationen ist gerade eine Reaktion auf den im Wesentlichen gescheiterten Versuch aus der Zeit des Völkerbundes, andere Internationale Organisationen dem Völkerbund organisatorisch unterzuordnen.65 Die Dezentralisierung ist insoweit also gewollt. Eckart Klein spricht denn auch lediglich von einer „certain tendency towards erecting a hierarchy within the UN system“.66 Die mit der Streichung des Art. II des Abkommens von 1946 bezweckte Loslösung von der Willensbildung in den Vereinten Nationen darf insoweit nicht durch Rückgriff auf eine postulierte allgemeine und zudem ungeschriebene Rücksichtnahmepflicht konterkariert werden. Insgesamt scheinen daher die besseren Argumente für die Sichtweise zu sprechen, dass die UNESCO durch die Aufnahme Palästinas als Vollmitglied nicht gegen Pflichten im Verhältnis zu den Vereinten Nationen verstoßen hat. 4. Konsequenzen der UNESCO-Mitgliedschaft Welche Konsequenzen ergeben sich aus der Mitgliedschaft Palästinas in der UNESCO? Natürlich 64
Siehe oben bei Fn. 38. E. Klein, United Nations, Specialized Agencies, in: MPEPIL, Rn. 2 ff. (Stand: August 2006); Meng (Fn. 49), Art. 57 Rn. 26 ff. 66 Klein (Fn. 65), Rn. 81; siehe auch ders./Schmahl (Fn. 18), Rn. 237; Meng (Fn. 49), Art. 57 Rn. 41; Ruffert, AVR 2000, S. 129 (165). 65
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kann Palästina seit der Aufnahme das vollständige Schutzprogramm, welches die UNESCO bietet, in Anspruch nehmen und hat dies auch schon getan: So wurden die Geburtskirche Jesu und der Pilgerweg in Bethlehem im Juni 2012 in die Welterbeliste aufgenommen.67 In welchem Ausmaß es dabei zu einer Politisierung der UNESCO kommen kann, zeigt das Beispiel des Antrags auf Aufnahme des südwestlich von Jerusalem gelegenen Palästinenserdorfes Battir in die Welterbeliste: Vordergründig ging es um den Schutz einer Landschaft mit einem bis in die Römerzeit zurückreichenden, terrassenartig angelegten Bewässerungssystem. In der Sache stand die Verhinderung eines Teilstücks der israelischen Schutzmauer, welche die Landschaft zu durchschneiden drohte, im Vordergrund.68 Im Jahr 2013 zog die Palästinenserbehörde ihren Antrag überraschend zurück.69 67 Decision 36 COM 8B.5; hierzu auch Mißling, VN 2013, S. 147 (152). 68 Vgl. „Weltkultur-Dorf“, Der Spiegel Nr. 24/2012 vom 11.6.2012, S. 81; „Die Mauer im Paradies“, online abrufbar unter http://www.zeit.de/2012/28/Palaestina-IsraelTerrassengaerten; H. Chr. Rößler, Widerstand durch Denkmalschutz, online abrufbar unter http://www.faz.net/ak tuell/politik/ausland/palaestinenserdorf-battir-widerstanddurch-denkmalschutz-11794439.html; S. J. Frantzman, Terra Incognita: Battir-ing down the gates of UNESCO, online abrufbar unter http://www.jpost.com/Opinion/ Columnists/Terra-Incognita-Battir-ing-down-the-gates-toUNESCO; I. Kershner, A Palestine Village Tries to Protect a Terraced Ancient Wonder of Agriculture, New York Times vom 26.6.2013, S. A6 (online abrufbar unter http:/ /www.nytimes.com/2012/06/26/world/middleeast/ palestinian-village-tries-to-protect-landmark.html). 69 A. Owaineh/G. Hale, Palestine drops bid to register new UNESCO heritage site, online abrufbar unter http://
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Interessanter ist es jedoch, der Frage nachzugehen, welche über die bloße UNESCO-Mitgliedschaft hinausgehenden Wirkungen sich noch ergeben. Insbesondere ist danach zu fragen, ob die palästinensische Seite ihr vorrangiges Ziel, die weltweite Anerkennung eines Palästinenserstaates zu erwirken, erreicht hat. a) Weltweite Anerkennung Palästinas? Diese Frage ist zu verneinen. Es gibt im Völkerrecht bis heute kein formalisiertes Verfahren, um über die Existenz oder Nichtexistenz eines Staates zu entscheiden.70 Der Vorschlag John Dugards, der Aufnahme in die Vereinten Nationen diese Rolle beizumessen, hat sich nicht durchsetzen können.71 Der Anerkennung eines Staates kommt nach der heute vorherrschenden Meinung lediglich deklaratorische Wirkung zu in dem Sinne, dass die Elemente der Staatlichkeit72 außer Streit gestellt, also „anerkannt“ www.maannews.net / eng/ViewDetails.aspx?ID=604958; „Palestinians shelve bid to have West Bank village recognized as UN heritage site“, online abrufbar unter http:// www.haaretz.com/news/diplomacy-defense/1.532183. 70 Vgl. St. Talmon, Kollektive Nichtanerkennung illegaler Staaten, 2006, S. 218 f.; Vidmar, Chinese JIL 2013, S. 1 (9). 71 J. Dugard, Recognition and the United Nations, 1987, S. 125 ff.; weitgehend zustimmend Grant (Fn. 45), S. 252 ff.; abl. Worster, Am. U. Int’l L. Rev. 26 (2011), S. 1153 (1179 f.); ferner Talmon (Fn. 70), S. 217 f., 304 f. 72 Nach der auf Georg Jellinek zurückgehenden sog. Drei-Elemente-Lehre wird ein Staat durch Gebiet, Volk und (effektive) Staatsgewalt konstituiert, vgl. G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl. 1914, S. 394 ff. Teilweise wird in Anlehnung an Art. 1 der sog. Montevideo-Kon-
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II. Palästina und die UNESCO
werden.73 Eine Pflicht zur Anerkennung besteht jedoch nicht.74 Für diejenigen Staaten, die bereits bilateral Palästina als Staat anerkannt hatten, hat sich somit durch das eigene Abstimmungsverhalten in der Generalkonferenz der UNESCO nichts geändert. Umgekehrt sind die Staaten, die gegen die Aufnahme gestimmt oder sich der Stimme enthalten haben, nicht an die Mehrheitsentscheidung gebunden.75 Es steht ihnen vielmehr frei, Palästina im bilateralen Verhältnis die Anerkennung nach wie vor zu verweigern. Lediglich denjenigen Staaten, die Palästina noch nicht als Staat anerkannt hatten, jedoch in der Generalkonferenz für den Aufnahmeantrag gestimmt haben, ist der Einwand der fehlenden Staatlichkeit Palästinas fortan abgeschnitten.76 Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn man sich der Lehre von der sog. Kollektivanerkennung anschlösse. Danach kann eine Anerkennung ausnahmsvention (LNTS Bd. 165, S. 19) noch die sog. Staatenverkehrsfähigkeit verlangt, d. h. die Fähigkeit, Beziehungen zu anderen Staaten zu unterhalten. Die deutsche Völkerrechtslehre lehnt dies als ein zusätzliches Kriterium überwiegend ab, vgl. etwa A. v. Arnauld, Völkerrecht, 2012, Rn. 70; K. Doehring, Völkerrecht, 2. Aufl. 2004, Rn. 49. 73 Vgl. J. Crawford, The Creation of States in International Law, 2. Aufl. 2006, S. 22 ff.; Talmon (Fn. 70), S. 218 ff. 74 Crawford (Fn. 73), S. 22; Talmon (Fn. 70), S. 215 f. 75 Wählisch, HILJ 53 (2012), S. 226 (236). 76 Die von einigen Staaten nach der Abstimmung in der UN-Generalversammlung vorgenommene Aufspaltung zwischen dem Votum zugunsten der Aufwertung Palästinas zum observer state und der diplomatischen Vollanerkennung als Staat erscheint vor diesem Hintergrund inkonsistent; Nachweise bei Vidmar, Chinese JIL 2013, S. 1 (10).
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weise dann konstitutive Wirkung entfalten, wenn sie universell oder quasi-universell ist.77 Ob dieser Lehre zu folgen ist oder nicht, mag für die vorliegenden Zwecke offen bleiben. Denn mit 107 Staaten, die in der UNESCO-Generalkonferenz für die Aufnahme Palästinas gestimmt haben, hat sich gerade einmal gut die Hälfte der Staatengemeinschaft zugunsten der Staatlichkeit Palästinas ausgesprochen. Von einer universellen oder auch nur quasi-universellen Anerkennung kann somit keine Rede sein.78 Es würde auch wunder nehmen, könnten eine Zweidrittelmehrheit der UNESCO-Generalkonferenz mit Wirkung für die Staatengemeinschaft als Ganze die Staatlichkeit Palästinas dekretieren.79 b) Abschluss völkerrechtlicher Verträge Hat die UNESCO-Mitgliedschaft somit in der Frage der Anerkennung eines Palästinenserstaates keine wesentliche Verbesserung gebracht, verhält es sich in einem weiteren Bereich anders, nämlich beim Abschluss völkerrechtlicher Verträge.80 Ursächlich hier77 Vgl. Vidmar, Chinese JIL 2013, S. 1 (11); ders., Explaining the Legal Effects of Recognition, ICLQ 61 (2012), S. 361 ff.; siehe auch Worster, Am. U. Int’l L. Rev. 26 (2011), S. 1153 (1163). 78 Anders die Einschätzung – allerdings bezogen auf das Abstimmungsverhalten in der Generalversammlung – von D. Akande, Palestine as a UN Observer State: Does this Make Palestine a State?, online abrufbar unter http:// www.ejiltalk.org/palestine-as-a-un-observer-state-does-thismake-palestine-a-state/. 79 So auch Vidmar, Chinese JIL 2013, S. 1 (16, 18). 80 Entsprechende gilt für die Teilnahme Palästinas an internationalen Konferenzen, vgl. Johnson, The Denver
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II. Palästina und die UNESCO
für ist die sog. Wiener Formel („Vienna formula“), eine Klausel, die beispielsweise in der Wiener Vertragsrechtskonvention (Art. 81) verwendet wird und die in ähnlicher Weise in etlichen anderen multilateralen Verträgen81 anzutreffen ist. Hintergrund ist der folgende: Wird ein völkerrechtlicher Vertrag zur Ratifikation aufgelegt, stellt sich naturgemäß die Frage, wer sich an diesem Vertrag beteiligen kann. Nach der Wiener Formel steht die Ratifikation eines völkerrechtlichen Vertrags neben den UN-Mitgliedstaaten u. a. auch solchen Entitäten offen, die zumindest einer Sonderorganisation der Vereinten Nationen angehören. Die Wiener Formel erklärt sich aus ihrem historischen Kontext. Mit ihr verfolgten die westlichen Staaten das Ziel, Vertreter des Ostblocks wie beispielsweise die DDR von völkerrechtlichen Verträgen fernzuhalten.82 Da die DDR, wie gesehen, erst Anfang der 1970er Jahre Zugang zu den UN-Sonder-
Journal of International Law and Policy 40 (2012), S. 118 (122 ff.). 81 Z. B. Art. XXI Abs. A IAEA-Satzung (1956); Art. 48 WÜD (1961); Art. 74 WÜK (1961); Art. XXIV Abs. 1 Vienna Convention on Civil Liability for Nuclear Damage (1963); Art. 27 Abs. 1 Satz 2 International Convention on Load Lines (1966); Art. 50 Convention on Special Missions (1969); Art. 16 Abs. 1 Satz 2 International Convention on Tonnage Measurement of Ships (1969); Art. 33 International Convention on Travel Contracts (1970); Art. 18 Abs. 1 Customs Convention on Containers (1972); Art. 20 Framework Convention on Climate Change (1992). 82 Vgl. N. Burniat, in: O. Corten/P. Klein (Hrsg.), The Vienna Conventions on the Law of Treaties, vol. II, 2011, Art. 81 Convention of 1969, Rn. 6; Kilian (Fn. 57), S. 289; Schmahl (Fn. 56), S. 865; Stein (Fn. 53), S. 117 ff.
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organisationen erhielt,83 konnte eine Beteiligung an völkerrechtlichen Verträgen (mit der sich die Gefahr einer internationalen Anerkennung oder zumindest Aufwertung verband) vermieden werden. Nach dem gemeinsamen Beitritt von Bundesrepublik und DDR zu den Vereinten Nationen 1973 ist die Wiener Formel aber weitgehend außer Gebrauch gelangt.84 Die Generalversammlung verabschiedete am 14.12.1973 eine Resolution, nach der sie davon ausgeht, dass sich der Generalsekretär in seiner Funktion als Depositar bei Konventionen, die „allen Staaten“ offen stehen, an der Praxis und Rechtsauffassung der Generalversammlung orientieren wird.85 All diejenigen völkerrechtlichen Verträge, die die Wiener Formel verwenden,86 stehen damit Palästina zur Ratifikation offen.87 Dass diese Frage durchaus praktische Relevanz haben kann, zeigt eine Begebenheit aus dem Jahr 1989: In diesem Jahr äußerte die palästinensische Seite gegenüber der Schweiz den
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Oben bei Fn. 58. Vgl. Chr. Tomuschat, International Law: Ensuring the Survival of Mankind on the Eve of a New Century. General Course on Public International Law, RdC 281 (1999), 2001, S. 190. 85 Abgedruckt UNJY 1973, S. 79 mit Fn. 9; siehe auch UN (Hrsg.), Final Clauses of Multilateral Treaties, 2003, S. 14 f. m.w. N. sowie A. Aust, Modern Treaty Law and Practice, 2000, S. 92; Burniat, in: Corten/Klein (Fn. 82), Art. 81 Convention of 1969, Rn. 7. Näher unten bei Fn. 120. 86 Die Wiener Formel hat nie den Status von Völkergewohnheitsrecht erlangt, vgl. Burniat, in: Corten/Klein (Fn. 82), Art. 81 Convention of 1969, Rn. 6 a. E. 87 Vidmar, Chinese JIL 2013, S. 1 (15). 84
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II. Palästina und die UNESCO
Wunsch, den vier Genfer Konventionen samt ihren zwei Zusatzprotokollen beitreten zu dürfen. Damit war die Schweizer Regierung – und zwar nicht in ihrem bilateralen Verhältnis zu dem mutmaßlichen Palästinenserstaat, sondern in ihrer Funktion als Depositar der Genfer Konventionen – aufgerufen, über die Staatlichkeit Palästinas zu entscheiden. Der Schweizer Bundesrat lehnte das Gesuch unter Hinweis auf die Unsicherheit in der internationalen Gemeinschaft hinsichtlich der Existenz oder Nichtexistenz eines Staates Palästina ab.88 Eine solche Reaktion wäre bei denjenigen völkerrechtlichen Verträgen, die die Wiener Formel verwenden,89 nunmehr ausgeschlossen.
88 Abdruck der Erklärung in The Palestine Yearbook of International Law 5 (1989), S. 322; vgl. hierzu auch J. Crawford, The Creation of the State of Palestine: Too Much Too Soon?, EJIL 1 (1990), S. 307 (311); Ch. Meloni/G. Tognoni, in: dies. (Hrsg.), Is There a Court for Gaza?, 2012, S. 13 (26 f.); Quigley (Fn. 7), S. 168; krit. A. Pellet, in: Meloni/Tognoni (Hrsg.), a. a. O., S. 409 (422 f.). 89 Dazu gehört auch die IAEA-Satzung (oben Fn. 81), so dass Palästina insofern die Aufnahme als Mitgliedstaat beantragen könnte (derzeit hat Palästina lediglich einen – aufgewerteten – Beobachterstatus, vgl. oben bei Fn. 16). Zu den Gründen, die die Palästinenserführung derzeit von einem Beitritt abhalten, unten bei Fn. 131.
III. Palästina und die Vereinten Nationen 1. Antrag auf Vollmitgliedschaft Noch vor der Aufnahme Palästinas in die UNESCO hatte Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas im September 2011 einen offiziellen Antrag90 auf Aufnahme Palästinas in die Vereinten Nationen gestellt. Gem. Art. 4 Abs. 2 UN-Charta entscheidet hierüber die Generalversammlung, allerdings erst nach einer entsprechenden Empfehlung des UN-Sicherheitsrats. Wie der IGH in einem frühen Gutachten klargestellt hat, ist die Empfehlung des Sicherheitsrats unabdingbare Voraussetzung für die Zulassung zur UN-Mitgliedschaft.91 Faktisch läuft dies darauf hinaus, dass gegen den Willen eines der ständigen Sicherheitsratsmitglieder eine UN-Mitgliedschaft nicht durchsetzbar ist. Da die Vereinigten Staaten schon im Vorfeld an-
90 Wiedergegeben in A/66/371–S/2011/592, Annex I sowie JPS 41.2 (2012), S. 209; vgl. hierzu auch die Rede von Palästinenserpräsident Abbas in der Generalversammlung vom 23.9.2011, auszugsweise abgedruckt in JPS 41.2 (2012), S. 211 ff.; ausführlich zum Hintergrund Esposito, JPS 41.2 (2012), S. 153 ff. 91 IGH, Competence of Assembly regarding admission to the United Nations, Advisory Opinion, ICJ Reports 1950, S. 4; hierzu Th. M. Frank, Admission of a State to Membership in the United Nations (Advisory Opinions), in: MPEPIL (Stand: November 2006); Grant (Fn. 45), 15 ff.
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III. Palästina und die Vereinten Nationen
gekündigt hatten, einen Aufnahmeantrag Palästinas mittels Vetos zu blockieren,92 waren die Erfolgsaussichten von vornherein ausgesprochen gering. Diskutiert wurde allenfalls, ob bei Blockade des Aufnahmeantrags durch US-Veto im Sicherheitsrat die Generalversammlung unter Berufung auf die sog. Uniting for Peace-Resolution93 einseitig die Aufnahme Palästinas als Vollmitglied beschließen könnte.94 Letztlich ist es hierzu nicht gekommen, da der Antrag schon die im Sicherheitsrat erforderliche Unterstützung von mindestens neun Mitgliedern (Art. 27 Abs. 2 UN-Charta) verfehlte.95 Es bedurfte also gar nicht des Vetos der USA, was einer möglichen Berufung auf „Uniting for Peace“ den Boden entzog.96 Vor diesem Hintergrund verzichtete die palästinensische Seite darauf, ihren Antrag im Sicherheitsrat weiter zu forcieren.97
92 Vgl. P. Eden, Palestinian Statehood: Trapped between Rhetoric and Realpolitik, ICLQ 62 (2013), S. 225 (229); Esposito, JPS 41.1 (2011), S. 147 (155). 93 Hierzu näher unten bei Fn. 137. 94 Vgl. Esposito, JPS 41.1 (2011), S. 147 (156); abl. hierzu Wählisch, HILJ 53 (2012), S. 226 (246 ff.). 95 Entscheidend war insoweit die Ankündigung Bosnien-Herzegowinas, sich der Stimme enthalten zu wollen, vgl. Esposito, JPS 41.2 (2012), S. 153 (158). 96 Gem. Art. 137 der Rules of Procedure of the General Assembly (A/520/Rev.17) kann sich die Generalversammlung im Falle der Ablehnung oder Vertagung des Aufnahmegesuchs durch den Sicherheitsrat zwar mit dem Aufnahmeantrag befassen, sie würde im weiteren Verlauf aber die Bewerbung lediglich an den Sicherheitsrat zur erneuten Befassung zurückleiten. 97 Für die Einleitung einer Abstimmung im Sicherheitsrat hätte mindestens ein Mitglied einen entsprechenden Antrag stellen müssen; da dies nicht geschah, war der An-
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In dem Bericht des Zulassungskomitees (Committee on the Admission of New Members), an das der Antrag Palästinas vom Sicherheitsrat zunächst verwiesen worden war,98 wird deutlich, dass ernsthafte Zweifel an der Staatlichkeit Palästinas geäußert wurden. Keine Bedenken bestanden zwar im Hinblick auf das Vorliegen von Staatsgebiet und Staatsvolk; das Fehlen präzise definierter Grenzen stehe der Existenz eines Staates nicht entgegen.99 Zweifel wurden jedoch im Hinblick auf das dritte Kriterium, das Vorliegen effektiver Staatsgewalt, laut. Die Konsequenzen, die sich aus der israelischen Besetzung ergeben, wurden dabei uneinheitlich beurteilt: Teils wurde hieraus auf ein Fehlen hinreichend effektiver Staatsgewalt geschlossen, teils wurde darauf verweisen, dass mit der Besetzung nicht die Souveränität auf die Besatzungsmacht übergehe.100 Gravierender wogen die Bedenken mit Blick auf die Tatsache, dass die PLO nur Kontrolle über die Westbank ausübt, während der Gaza-Streifen von der Hamas kontrolliert wird.101
trag Palästinas „effectively dead“, vgl. Esposito, JPS 41.2 (2012), S. 153 (158). 98 Die Überweisung erfolgt gem. Rule 59 Satz 2 der Provisional Rules of Procedure of the Security Council (abgedruckt bei Simma/Khan/Nolte/Paulus [Fn. 49], S. 2344); zum Verfahren vgl. Grant (Fn. 45), S. 52 ff. 99 Report of the Committee on the Admission of New Members concerning the application of Palestine for admission to membership in the United Nations, S/2011/ 705, Ziff. 10 (auch abgedruckt in: JPS 41.2 (2012), S. 206). 100 Report (Fn. 99), Ziff. 11. 101 Report (Fn. 99), Ziff. 12; gegen dieses Argument Worster, Am. U. Int’l L. Rev. 26 (2011), S. 1153 (1203).
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III. Palästina und die Vereinten Nationen
Zwar wurde auf Berichte des Internationalen Währungsfonds (IMF),102 der Weltbank103 sowie des Ad Hoc Liaison Committee for Coordination of the International Assistance to Palestinians104 verwiesen, die Palästina allesamt Fortschritte beim Ausbau staatlicher Strukturen attestiert hatten. Letztlich gelang es dem Ausschuss jedoch nicht, sich auf eine einheitliche Linie zu einigen.105 2. Aufwertung zum „Beobachterstaat“ in der Generalversammlung Angesichts der Situation im Sicherheitsrat trat das weitere Vorgehen in der Generalversammlung in den Vordergrund. Hier ging es der Palästinenserführung um die Aufwertung von einer observer entity zu einem observer state.106 Die Abstimmung hierüber gewannen die Palästinenser mit der überwältigenden Mehrheit von 138 zu neun Stimmen bei 41 Enthaltun102 IMF, Macroeconomic and Fiscal Framework for the West Bank and Gaza: Seventh Review of Progress, Bericht vom 13.4.2011. 103 World Bank, Building the Palestinian State: Sustaining Growth, Institutions and Service Delivery, Bericht vom 13.4.2011; siehe auch Sustaining Achievements in Palestinian Institution-Building and Economic Growth, Bericht vom 18.9.2011. 104 Office of the U.N. Special Coordinator for the Middle East Peace Process, Ad Hoc Liaison Committee Meeting, Palestine State-Building: A Decisive Period, Bericht vom 13.4.2011. 105 Report (Fn. 99), Ziff. 21. 106 Zu den Hintergründen der Abstimmung vgl. B. White, Quarterly Update on Conflict and Diplomacy, JPS 42.2 (2013), S. 128 f.
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gen. Die Bundesrepublik Deutschland, die noch in der UNESCO gegen den Aufnahmeantrag gestimmt hatte, enthielt sich diesmal der Stimme.107 Damit hat zumindest die Generalversammlung der Vereinten Nationen die Staatsqualität Palästinas anerkannt.108 a) Zielsetzung Palästinas Es stellt sich allerdings die Frage, was die Palästinenserführung mit ihrem Schritt eigentlich bezweckte. Zweifellos bringt die Aufwertung zu einem Beobachterstaat einen Prestigegewinn mit sich. Das findet auch ganz sinnfällig seinen Ausdruck darin, dass die Sitzplätze Palästinas in der Generalversammlung nunmehr unmittelbar nach den Mitgliedstaaten und noch vor den übrigen Beobachtern – hierzu zählt beispielsweise auch die Europäische Union – angesiedelt sind.109 Doch bewegt sich all dies eher im Bereich des Symbolischen. Rechtlich betrachtet war der Status Palästinas schon zuvor, also unter der Bezeichnung als „observer entity“, von der Generalversammlung erheblich aufgewertet worden.110 In manchen 107
Pressemitteilung GA 11317 vom 29.11.2012. A. A. Vidmar, Chinese JIL 2013, S. 1 (8 f.), mit dem Argument, dass als „Non-member states“ bisweilen Entitäten „geparkt“ worden seien, deren Staatlichkeit zweifelhaft gewesen sei. 109 Vgl. Wählisch, HILJ 53 (2012), S. 226. 110 Zunächst wurde die PLO als Beobachter zur Generalversammlung zugelassen (GA Res. 237 (XXIX) vom 22.11.1974). Nach der einseitigen Ausrufung des Palästinenserstaates (oben bei Fn. 8) ersetzte die Generalversammlung die Bezeichnung „PLO“ durch „Palästina“ (GA Res. 43/177 vom 15.12.1988); vereinzelt ist bereits hierin 108
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III. Palästina und die Vereinten Nationen
Bereichen gingen schon damals die Mitwirkungsrechte Palästinas über die Rechte anderer Nichtmitgliedstaaten (non-member states) deutlich hinaus.111 Daher liegt die Vermutung nahe, dass Palästina mit seiner Aufwertung ein anderes, weiter gehendes Ziel verfolgte. Dieses Ziel ist außerhalb der Vereinten Nationen im organisationsrechtlichen Sinne zu suchen, nämlich beim Internationalen Strafgerichtshof (IStGH). Der IStGH ist zwar im Rahmen der Vereinten Nationen entstanden, beruht aber auf einer eigenständigen völkervertraglichen Grundlage, dem sog. Rom-Statut112. Zwar bestehen Querverbindungen zu den Vereinten Nationen, indem der UN-Sicherheitsrat die Möglichkeit hat, einen Fall an den IStGH zu verweisen (Art. 13 lit. b). Dennoch ist der IStGH kein UN-Organ, sondern besitzt nach dem Rom-Statut sogar eigene Völkerrechtspersönlichkeit (Art. 4 Abs. 1 Satz 1),
eine Anerkennung der Staatlichkeit durch die Generalversammlung erblickt worden (namentlich von J. Quigley, The Palestine Declaration to the International Criminal Court: The Statehood Issue, in: Meloni/Tognoni [Fn. 28], S. 429 [432 f.]; dagegen zutreffend R. W. Ash, Is Palestine a „State“? A Response to Professor John Quigley’s Article, „The Palestine Delcaration to the International Criminal Court: The Statehood Issue“, a. a. O., S. 441 [450 f.]). Schließlich wertete die Generalversammlung die Rechte Palästinas als Beobachter durch Res. 52/250 vom 7.7. 1998 abermals erheblich auf. 111 Vgl. Mißling, VN 2013, S. 147 (148 ff.); siehe auch Johnson, The Denver Journal of International Law and Policy 40 (2012), S. 118 (121). 112 Rome Statute of the International Criminal Court, UNTS Vol. 2187, I-38544, S. 90; BGBl. 2000 II S. 1394.
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d. h. es handelt sich um eine eigenständige Internationale Organisation.113 Nun kann der IStGH seine Gerichtsbarkeit – außer bei Überweisung durch den Sicherheitsrat – im Wesentlichen nur ausüben, wenn das zu verfolgende Verbrechen auf dem Territorium einer Vertragspartei des Rom-Statuts begangen worden ist.114 Da Palästina bislang dem Statut nicht angehört, scheidet diese Option aus.115 Allerdings eröffnet Art. 12 Abs. 3 Rom-Statut auch Staaten, die nicht Vertragspartei sind, die Möglichkeit, durch eine einseitige Anerkennungserklärung die Zuständigkeit des IStGH zu begründen. Eine solche Erklärung hat Palästina im Januar 2009 tatsächlich abgegeben.116 Hintergrund war die israelische Operation „Gegossenes Blei“ (operation cast lead) vom Dezember 2008/Januar 2009.117 Mit ihrer Erklärung vom Januar 2009 verfolgte die palästinensische Führung das Ziel, israe-
113 Als solche besitzt der IStGH Beobachterstatus bei den Vereinten Nationen, vgl. Art. 4 Abs. 2 des Relationship Agreement (Fn. 121). 114 Vgl. M. Breuer, Souveränität in der Staatengemeinschaft, in: Festschrift für Eckart Klein (Fn. 56), S. 747 (757). 115 Das bedeutet nicht, dass keinerlei Fälle mit Bezug zum Israel-Palästina-Konflikt vor den IStGH gelangen könnten. So haben die Komoren die Einleitung eines Verfahrens wegen israelischen Beschusses der sog. Gaza-Flottille im Mai 2010 beantragt (online abrufbar unter http:// www.icc-cpi.int /iccdocs/otp/Referral-from-Comoros.pdf). Grundlage hierfür ist, dass eines der Schiffe unter komorischer Flagge fuhr. Die territoriale Anknüpfung ist also (in Gestalt der Anknüpfung an den Flaggenstaat) gewahrt. 116 Wiedergegeben bei Quigley (Fn. 110), S. 429 f. 117 Vgl. hierzu statt vieler den sog. Goldstone-Report (A/HRC/12/48) vom 15.9.2009.
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III. Palästina und die Vereinten Nationen
lische Offizielle wegen behaupteter Kriegsverbrechen vor den IStGH bringen zu können. Deshalb stellte sich die Frage, ob die palästinensische Erklärung nach Art. 12 Abs. 3 Rom-Statut wirksam war. Denn auch hier wird wiederum vorausgesetzt, dass es sich bei der Nichtvertragspartei zumindest um einen „Staat“ handelt. Die Frage ist vom Ankläger am IStGH im April 2012 negativ entschieden worden.118 Der Ankläger verwies darauf, dass das Rom-Statut nur Staaten offensteht (Art. 125 Abs. 1) und Depositar des Statuts der Generalsekretär der Vereinten Nationen sei (Art. 125 Abs. 3 Satz 2).119 Bei der Frage, ob einer Entität Staatsqualität zukommt, orientiere sich der Generalsekretär aber an der Einstellung der Generalversammlung.120 Da zum damaligen Zeitpunkt Palästina in der Generalversammlung noch den Status einer bloßen „observer entity“ hatte, kam der Ankläger zu dem Schluss, dass ungeachtet der Anerkennung Palästinas durch über 130 Staaten und auch ungeachtet der Mitgliedschaft in der UNESCO eine Erklärung
118 Zum Folgenden: Office of the Prosecutor, Situation in Palestine, 3.4.2012, abrufbar unter http://www.icccpi.int/NR/rdonlyres/C6162BBF-FEB9-4FAF-AFA9-8361 06D2694A/284387/SituationinPalestine030412ENG.pdf. 119 Krit. zu diesem Ansatz D. Akande, ICC Prosecutor Decides that He Can’t Decide on the Statehood of Palestine. Is He Right?, online abrufbar unter http://www. ejiltalk.org/icc-prosecutor-decides-that-he-cant-decide-onthe-statehood-of-palestine-is-he-right/. 120 Summary of Practice of the Secretary-General as Depositary of Multilateral Treaties, 1999, ST/LEG/7/ REV.1, Ziff. 81.
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nach Art. 12 Abs. 3 Rom-Statut zum damaligen Zeitpunkt nicht wirksam abgegeben werden konnte. Die Haltung des Anklägers ist interessant vor allem, wenn man sie zum Verhalten der UNESCO in Beziehung setzt. Bei beiden – beim IStGH wie bei der UNESCO – handelt es sich ungeachtet gewisser Unterschiede um eigenständige, von den Vereinten Nationen getrennte Internationale Organisationen. Beide sind durch ein Relationship Agreement mit den Vereinten Nationen verbunden, die UNESCO durch das schon erwähnte Abkommen von 1946, der IStGH durch ein Abkommen aus dem Jahr 2004121. Während nun die UNESCO einseitig für sich die Kompetenz in Anspruch genommen hat, die Staatlichkeit Palästinas zu bestimmen, spielt der Ankläger am IStGH den Ball an die Vereinten Nationen, konkret an die Generalversammlung, zurück. Man wird dies wohl eher im Sinne eines UN-freundlichen Verhaltens als einer echten Rechtspflicht interpretieren können. Auch der Ankläger (bzw. der IStGH selbst) hätte die Kompetenz zur Bestimmung der Staatlichkeit Palästinas für sich in Anspruch nehmen können.122 Es hat nicht an namhaften Völkerrechtlern gefehlt, die für eine Auslegung des Art. 12 Abs. 3 Rom-Statut im
121 Relationship Agreement between the International Criminal Court and the United Nations, UNTS vol. 2283, No. 1272, S. 195. 122 Vgl. V. Gowlland-Debbas, Note on the Legal Effects of Palestine’s Declaration Under Article 12(3) of the ECC Statute, in: Meloni/Tognoni (Fn. 28), S. 513 (515), unter Verweis auf Art. 19 Rom-Statut; Pellet, a. a. O., S. 409 (415 ff.); siehe auch den Goldstone-Report (Fn. 117), Ziff. 1632.
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III. Palästina und die Vereinten Nationen
Lichte der besonderen Funktionen des IStGH und damit in Ablösung vom klassischen Staatsbegriff plädiert haben.123 Dass der Ankläger beim IStGH dem nicht gefolgt ist, deutet m. E. auf ein im Entstehen begriffenes „Verbundsystem“ Internationaler Organisationen hin. Die Abgrenzung der Zuständigkeitsbereiche zwischen Internationalen Organisationen gehört zu den nach wie vor ungelösten Problemen des institutionalisierten Völkerrechts.124 Während die völkerrechtliche Diskussion der jüngeren Vergangenheit stark auf das Phänomen der „Konstitutionalisierung“ zentriert war, bietet der vorliegende Ansatz einen anders gearteten Zugang. „Konstitutionalisierung“ geht – insbesondere aufgrund ihrer innerstaatlichen Konnotationen – regelmäßig mit einer strengen Hierarchisierung einher. Die UN-Charta erscheint hier als „Weltverfassung“,125 der für Verfassungen typische höhere Rang 123 Vgl. Gowlland-Debbas, in: Meloni/Tognoni (Fn. 28), S. 513 ff.; Y. Shany, In Defence of Functional Interpretation of Article 12(3): A Response to Yaël Ronen, a. a. O., S. 497 ff.; Pellet, a. a. O., S. 409 (411 ff.); Worster, Am. U. Int’l L. Rev. 26 (2011), S. 1153 (1180 ff.); abl. Ronen, a. a. O., S. 469 ff.; M. Shaw, The Article 12(3) Declaration of the Palestinian Authority, the International Criminal Court and International Law, Journal of International Criminal Justice 9 (2011), S. 301 ff. 124 Vgl. M. Ruffert/Chr. Walter, Institutionalisiertes Völkerrecht, 2009, Rn. 210: Kompetenzverteilung zwischen Internationalen Organisationen „noch in den Anfängen“; instruktiv Ruffert, AVR 2000, S. 129 ff. 125 Vgl. etwa B. Fassbender, The United Nations Charter as the Constitution of the International Community, 2009; für w. N. siehe Th. Kleinlein, Konstitutionalisierung im Völkerrecht, 2012, S. 29 ff.
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gegenüber einfachem Recht kommt in Art. 103 UNCharta, welcher den Vorrang der Chartaverpflichtungen vor widersprechendem Völkervertragsrecht festschreibt, zum Ausdruck.126 Der hier gewählte Ansatz über ein „Verbundsystem“ ist ein weicherer. Er löst das Problem der Zuständigkeitsabgrenzung nicht durch strenge Hierarchisierung, sondern über das Prinzip freiwilliger Rücksichtnahme.127 Derartige Phänomene freiwilliger Selbstbeschränkung sind auch aus anderen Zusammenhängen bekannt128 und erscheinen eher geeignet, die völkerrechtlichen Realitäten abzubilden. Zugleich ermöglicht es das Konzept der freiwilligen Rücksichtnahme, der immer weiter zunehmenden Fragmentierung129 des Völkerrechts entgegenzuwirken. Wie der Fall der UNESCO zeigt, gibt 126
Näher Kleinlein (Fn. 125), S. 411 ff. m.w. N. Der Verbundbegriff ist bislang eher im Zusammenhang mit verwaltungsrechtlichen Phänomenen fruchtbar gemacht worden, vgl. G. Dimitropoulos, Zertifizierung und Akkreditierung im Internationalen Verwaltungsverbund, 2012, S. 31 ff. m.w. N. 128 Vgl. EuG, Rs. T-315/01, Slg. 2005, II-3649, Rn. 225 – Kadi I, wo das EuG eine indirekte Kontrolle von Maßnahmen des UN-Sicherheitsrats (außer am Maßstab zwingenden Völkerrechts) abgelehnt hat; der EuGH hat sich demgegenüber zwar gegen eine indirekte Kontrolle des UN-Sicherheitsrats, aber für eine vollumfängliche Kontrolle von Umsetzungsmaßnahmen auf EU-Ebene ausgesprochen, EuGH, verb. Rs. C-402/05P, C-415/05P, Slg. 2008, I-6351 – Kadi I, Rn. 286, 327; hierzu jüngst wiederum EuGH, verb. Rs. C-584/10P, C-593/10P und C595/10P, Urteil vom 18.7.2013 – Kadi II. 129 Zur Fragmentierungsdebatte vgl. statt vieler J. Pauwelyn, Fragmentation of International Law, in: MPEPIL (Stand: September 2006); siehe auch E. Klein, Self-Contained Regime, in: MPEPIL (Stand: November 2006). 127
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III. Palästina und die Vereinten Nationen
es aber durchaus auch Beispiele, in denen jenes Verbundsystem nicht in dem beschriebenen Sinne funktioniert. Damit ist auf die Generalversammlung zurückzukommen. Das Ziel, das die Palästinenserführung mit der Aufwertung von einer „observer entity“ zu einem „observer state“ verfolgte, liegt nunmehr offen zutage: Infolge dieser Aufwertung ist es der palästinensischen Seite jedenfalls für die Zukunft dem Grunde nach möglich, israelische Militärs (oder gar Politiker) vor den IStGH zu bringen. Presseberichten zufolge soll sich die neue Chefanklägerin am IStGH, Fatou Bensouda, bereits klar in dem Sinne geäußert haben, dass einem neuen Antrag Palästinas auf Mitgliedschaft nichts entgegen stehe.130 Auf diese Weise ist der palästinensischen Seite ein beträchtliches Drohpotential zugewachsen. Nicht von ungefähr berichtete die Presse im April 2013, die Palästinenserführung habe dem neuen US-Außenminister Kerry die Zusage gegeben, vorerst den IStGH nicht anzurufen.131 Das führt abschließend zu der Frage, wie das Verhalten 130 Vgl. J. V. Whitbeck, Palestinian dilemma over ICC, Arab News vom 11.4.2013, online abrufbar unter http:// www.arabnews.com/news/447737; vgl. auch die Einschätzung von D. Akande, Palestine as a UN Observer State: Does this Make Palestine a State?, online abrufbar unter http:/ /www.ejiltalk.org/palestine-as-a-un-observer-statedoes-this-make-palestine-a-state/; A. Zimmermann, Palästina und die UN. Beobachter in Nöten, FAZ vom 29.11. 2012, S. 8. 131 Vgl. K. Abu Toameh, PA to halt ICC plans against Israel as peace gesture, Jerusalem Post vom 1.5.2013, online abrufbar unter http://www.jpost.com/Diplomacy-and-Poli tics/PA-to-freeze-efforts-to-join-ICC-as-peace-talks-gesture311721.
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der Generalversammlung rechtlich zu bewerten ist. Hat die Generalversammlung durch die Aufwertung Palästinas zum „observer state“ möglicherweise gegen Pflichten im Verhältnis zum Sicherheitsrat verstoßen?132 b) Völkerrechtskonformität des Verhaltens der Generalversammlung In diesem Zusammenhang ist im Ausgangspunkt eines klarzustellen: Die Generalversammlung hat Palästina lediglich im Rahmen ihrer eigenen Organisationshoheit den Status eines Beobachterstaates zugewiesen. Was sie nicht getan hat – und was sie rechtlich wohl auch nicht hätte tun können –, war, Palästina als Vollmitglied der Vereinten Nationen aufzunehmen. Hierzu ist nach dem IGH-Gutachten aus dem Jahr 1950 die positive Empfehlung des Sicherheitsrates unabdingbar.133 Allerdings hat die Generalversammlung mit der Anerkennung als Beobachterstaat eine Bedingung für die Aufnahme als Vollmitglied – eben die Staatlichkeit Palästinas – bejaht, während der Sicherheitsrat in diesem Punkte gespalten war.134 Hierdurch könnte die Generalversamm132 Das Problem wird zumindest vorsichtig angedeutet, wenn auch nicht weiter ausgeführt, bei V. Kattan, Litigating „Palestine“ before international courts and tribunals: the prospects of success and perils of failure, Hastings Int’l & Comp. L. Rev. 35 (2012), S. 129 (143 f.). Demgegenüber stellen Wählisch, HILJ 53 (2012), S. 226 (252 f.) und Zimmermann (Fn. 130) das Recht der Generalversammlung zur Verleihung des Nichtmitgliedsstatus nicht in Frage. 133 Siehe Fn. 91. 134 Oben bei Fn. 105.
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III. Palästina und die Vereinten Nationen
lung gegen ihre Organtreuepflicht im Verhältnis zum Sicherheitsrat verstoßen haben. Eine solche ungeschriebene Loyalitätspflicht wird angesichts gemeinsamer Organstellung (Art. 7 UN-Charta) sowie der Verpflichtung aller Organe auf die Zwecke und Grundsätze der Vereinten Nationen (Art. 1, 2 UN-Charta) allgemein bejaht.135 Die Figur der Organtreuepflicht ist zudem auch von anderen Internationalen Organisationen wie etwa der EU (dort unter dem Schlagwort des „institutionellen Gleichgewichts“) her bekannt.136 Um dem Vorwurf des Verstoßes gegen die Loyalitätspflicht zu entgehen, könnte sich die Generalversammlung auf die Uniting for Peace-Resolution137 berufen. Darin hatte sie sich selbst eine Handlungsermächtigung zugesprochen für den Fall, dass der Sicherheitsrat durch ein drohendes oder ausgeübtes Veto blockiert sein würde. Gerade dies könnte man im Falle Palästinas bejahen, da die USA ja bereits in 135 Vgl. E. Klein, Paralleles Tätigwerden von Sicherheitsrat und Internationalem Gerichtshof bei friedensbedrohenden Streitigkeiten, in: R. Bernhardt u. a. (Hrsg.), Völkerrecht als Rechtsordnung – Internationale Gerichtsbarkeit – Menschenrechte, Festschrift für Hermann Mosler, 1983, S. 467 (481 f.). 136 Z. B. EuGH, Rs. C-70/88, Slg. 1990, I-2041, Rn. 21 ff. – Parlament/Rat. 137 A/RES 377 (V) vom 3.11.1950; hierzu Chr. Binder, Uniting for Peace Resolution (1950), in: MPEPIL (Stand: August 2006); J. Krasno/M. Das, The Uniting for Peace resolution and other ways of circumventing the authority of the Security Council, in: B. Cronin/I. Hurd (Hrsg.), The UN Security Council and the Politics of International Authority, 2008, S. 173 ff.; Chr. Tomuschat, Uniting for Peace: Ein Rückblick nach 50 Jahren, Die Friedens-Warte 76 (2001), S. 289 ff.
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Aussicht gestellt hatten, das Aufnahmegesuch durch ihr Veto zu blockieren.138 Andererseits haben die im Sicherheitsrat laut gewordenen Zweifel durchaus einen zutreffenden Kern. Auch wenn die Bemühungen der Palästinenserbehörde um einen Ausbau der staatlichen Strukturen innerhalb der Westbank seit 2009 deutliche Fortschritte gemacht haben,139 bleibt doch die problematische Situation des von der Hamas kontrollierten Gaza-Streifens. Man wird dem Sicherheitsrat somit nicht vorwerfen können, die Staatlichkeit Palästinas willkürlich verneint zu haben. In einer solchen Situation die Berufung auf Uniting for Peace zuzulassen, erscheint problematisch. Der Sicherheitsrat ist nicht ohne Grund in das Aufnahmeverfahren gem. Art. 4 Abs. 2 UN-Charta eingebunden. Dessen Bedenken durch Anerkennung als Beobachterstaat in der Generalversammlung zu unterlaufen, scheint mir mit den innerhalb einer Internationalen Organisation gebotenen Organtreuepflichten nicht vereinbar zu sein. Die rechtliche Situation der Generalversammlung als eines Organs der Vereinten Nationen unterscheidet sich insoweit deutlich von der Stellung eigenständiger Internationaler Organisationen wie UNESCO oder IStGH.
138 Prinzipielle Zweifel an der Vergleichbarkeit äußert jedoch Wählisch, HILJ 53 (2012), S. 226 (246 ff.). 139 Vgl. die erwähnten Berichte von Weltbank und IMF, oben bei Fn. 102 ff.
IV. Schlussbetrachtung Wenn die vorstehenden Ausführungen eines belegt haben, dann wie zentral das Gebilde „Staat“ für das heutige Völkerrecht nach wie vor ist. Beinahe ist man geneigt, in Anlehnung an Goethes Faust zu sagen: „Zum Staate drängt, am Staate hängt doch alles“.140 Das wäre angesichts des Ausmaßes an internationaler Kooperation sicherlich eine stark überzeichnete Sichtweise.141 Das Bemühen Palästinas um die Anerkennung der eigenen Staatlichkeit belegt jedoch deutlich, dass an dem Staat als dem geborenen Völkerrechtssubjekt nach wie vor kein Weg vorbeiführt. Das Zusammenspiel von UNESCO, Ankläger am IStGH, Sicherheitsrat und Generalversammlung hat ein bezeichnendes Licht geworfen auf das angedeutete Verbundsystem Internationaler Organisationen. Nur durch freiwillige Rücksichtnahme lässt sich langfristig gewährleisten, dass einander widersprechende Einschätzungen zu einem im Entstehen begriffenen Staat vermieden werden und der Sicherheitsrat die ihm von der UN-Charta zugedachte zentrale Frie-
140 J. W. v. Goethe, Faust. Der Tragödie erster Teil, Vers 2802 ff.: „Nach Golde drängt,/Am Golde hängt/Doch alles. Ach wir Armen!“ 141 Zum „Kooperationsvölkerrecht“ vgl. statt vieler M. Payandeh, Internationales Gemeinschaftsrecht, 2010, S. 489 ff.
IV. Schlussbetrachtung
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denssicherungsfunktion (Art. 24 Abs. 1 UN-Charta) erfüllen kann. Das setzt andererseits aber auch voraus, dass der Sicherheitsrat nicht dauerhaft das Selbstbestimmungsrecht des palästinensischen Volkes ignoriert.142 An dieser Stelle wird ein schwer aufzulösendes Spannungsverhältnis deutlich: Denn einerseits wird in der Völkerrechtsliteratur bei Vorliegen der Kriterien der Staatlichkeit angesichts der universellen Ausrichtung der Vereinten Nationen bereits über das Bestehen eines Anspruchs auf UN-Mitgliedschaft diskutiert.143 Andererseits läuft ein solcher Anspruch – so er denn existiert – Gefahr, durch die rechtlich nicht hinterfragbare Ausübung des Vetorechts im Sicherheitsrat torpediert zu werden. Ob die einseitige Aufnahme als UN-Mitglied durch die Generalversammlung unter Berufung auf „Uniting for Peace“ hier einen gangbaren Ausweg böte, erscheint zweifelhaft. Möglicherweise zeichnet sich mit den Ende Juli 2013 aufgenommenen Nahost-Gesprächen ein neuer Weg ab.144 Am Ende eines solchen Weges stünde dann – möglicherweise – auch die Aufnahme Palästinas als Vollmitglied der Vereinten Nationen.
142 Das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser ist auch vom IGH anerkannt worden, vgl. IGH, Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory, Advisory Opinion, ICJ Reports 2004, S. 136, Rn. 118. 143 Vgl. Tomuschat (Fn. 84), S. 190. 144 „Erste Nahost-Gespräche ,positiv‘“, FAZ vom 31.7. 2013, S. 5.
Über den Autor Marten Breuer wurde 1971 in Celle geboren und studierte Rechtswissenschaften an der Bayerischen Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Nach dem Ersten Juristischen Staatsexamen promovierte er bei Prof. Dr. Dieter Blumenwitz zum Thema „Verfassungsrechtliche Anforderungen an das Wahlrecht der Auslandsdeutschen“. Die Arbeit ist im Verlag Duncker & Humblot erschienen (Schriften zum Öffentlichen Recht Bd. 840). Nach dem Zweiten Juristischen Staatsexamen war er von 2003 bis 2009 Assistent am Lehrstuhl für Staats-, Völker- und Europarecht von Prof. Dr. Eckart Klein (Universität Potsdam). 2010 erfolgte die Habilitation daselbst mit einer Arbeit zum Thema „Staatshaftung für judikatives Unrecht. Eine Untersuchung zum deutschen Recht, zum Europaund Völkerrecht“. Von 2009 bis 2012 war er Claussen-Simon-Dozent für Europäisches und Internationales Recht am Europa-Kolleg Hamburg. Während dieser Zeit nahm er Lehrstuhlvertretungen an den Universitäten Tübingen, Hamburg und Konstanz wahr. Seit 2012 ist Marten Breuer Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht mit internationaler Ausrichtung an der Universität Konstanz. Im Verlag Duncker & Humblot hat er zuletzt die Festschrift für Eckart Klein zu dessen 70. Geburtstag mitherausgegeben (Staat und Recht. Schriften zum Öffentlichen Recht Bd. 1232).