Die verdrängte Niederlage: Politische Öffentlichkeit und Kriegsschuldfrage in der Weimarer Republik 9783666357183, 9783647357188, 3525357184, 9783525357187


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German Pages [301] Year 1983

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Die verdrängte Niederlage: Politische Öffentlichkeit und Kriegsschuldfrage in der Weimarer Republik
 9783666357183, 9783647357188, 3525357184, 9783525357187

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Kritische zur

Studien

Geschichtswissenschaft

Herausgegeben von Helmut Berding, Jürgen Kocka, Hans-Ulrich Wchler

Band 59 Ulrich Heinemann Die verdrängte Niederlage

Göttingen • Vandenhoeck & Ruprecht • 1983 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

D i e

v e r d r ä n g t e

N i e d e r l a g e

Politische Öffentlichkeit und K r i e g s s c h u l d f r a g e in d e r W e i m a r e r R e p u b l i k

von Ulrich

Heinemann

Göttingen • V a n d e n h o e c k & Ruprecht • 1983 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

CIP-Kurztitelau fnahme der Deutschen Bibliothek Heinemann, Ulrich: Die verdrängte Niederlage: polit. Öffentlichkeit u. Kriegsschuldfrage in d. Weimarer Republik/von Ulrich Heinemann. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 1983. (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft; Bd. 59) ISBN 3-525-35718-4 NE GT © Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1983. - Printed in Germany. Alle Rechte des Nachdrucks, der Vervielfältigung und der Übersetzung vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, das Werk oder Teile daraus auf photomechanischem (Photokopie, Mikrokopie) oder akustomechanischem Wege zu vervielfältigen. Gesetzt aus Bembo auf Linotron 202 System 3 (Linotype). Satz und Druck: Guide-Druck GmbH, Tübingen. Bindearbeit: Hubert &: Co., Göttingen

© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

Für Sybille

© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

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Inhalt

Vorwort

11

Einleitung

13

A. Grundlagen der Kriegsschutddiskussion in der Weimarer Republik . . . .

22

I. Deutschland und die Kriegsschuldfrage vor und während der Versailler Friedenskonferenz

22

1. Der Staatsgerichtshof für die ›Kriegsschuldigen‹ 2. Die Weimarer Koalition und der alliierte Schuldvorwurf . 3. ›Probe aufs Exempele: Die Friedensstrategie BrockdorffRantzaus und die »Ehrenpunkte« 4. Friedensbestrebungen im Zeichen ungebrochener Feindschaft II. Das Auswärtige Amt und die Anfänge der deutschen Revisionspropaganda 1. Programmatische Vorüberlegungen und organisatorische Konzepte: Das »Institut für politische Geschichtsforschung« 2. Die Konstituierung der »Revisionsbewegung« III. Die Akteneditionen zur Vorgeschichte des Weltkriegs 1. Die »Deutschen Dokumente zum Kriegsausbruch« . . . . 2. Die »Große Politik der Europäischen Kabinette« 3. Die Dokumente des Auslands B. Die »Deutsche Revisionsbewegung« I. Die »Zentralstelle für Erforschung der Kriegsursachen«. . . . 1. Aufgaben, Finanzierung und Organisation 2. Der Interpretationsrahmen und seine Kritik

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3. Kriegsschulddiskussion und Geschichtswissenschaft. . . . 4. Die Auslandsarbeit 5. Die Zentralstelle und der Nationalsozialismus II. Der »Arbeitsausschuß Deutscher Verbände« (ADV) 1. 2. 3. 4.

Organisationsstruktur und Finanzierung Die In-und Auslandspropaganda »Unser gutes Recht«: Die Programmatik des ADV ›Überparteilichkeit‹ als agitatorisches Stereotyp: Die Praxis des ADV 5. ADV und Nationalsozialismus

C. Chancen und Hindernisse einer kritisch-rationalen Vergangenheitsbewältigung: Der Parlamentarische Untersuchungsausschuß für die Schuldfragen des Weltkriegs I. Vom Staatsgerichtshof zum Untersuchungsausschuß IL Friedensmöglichkeiten im Weltkrieg 1. Wilson-Aktion und unbeschränkter U-Boot-Krieg . . . . 2. Der päpstliche Friedensappell und die gescheiterten Friedensgespräche v. d. Lancken-Briand 3. Die Friedensmöglichkeiten im Osten und die deutsch-amerikanischen Friedensgespräche III. Militärischer Zusammenbruch und Dolchstoßlegende 1. Das Scheitern der deutschen Offensiven desJahres 1918 . . 2. »Heimatpolitik und Umsturzbewegung« IV. Völkerrecht im Weltkrieg 1. Völkerrechtswidrige Maßnahmen in den besetzten Gebieten 2. Kriegführung und Völkerrecht V. Die Vorgeschichte des Krieges 1. Internationale Beziehungen und europäische Bündnisse vor 1914 2. Die Haager Friedenskonferenzen (1899/1907) 3. Julikrise und Kriegsausbruch 8 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

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D. Revisionismus, Weltkrieg und politische Kultur in der Weimarer Republik

219

I. Der ›Rechtsstandpunkt‹ in der offiziellen deutschen Außenpolitik

219

II. Das Ausland und der deutsche Kampf gegen die »Kriegsschuldlüge«

230

III. Die »innenpolitische Einheitsfront« gegen Versailles

238

Schlußbetrachtungen

254

Anhang: Verzeichnis der Mitglieder und Mitarbeiter des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses für die Schuldfragen des Weltkriegs . . . .

260

Abkürzungen

268

Anmerkungen

271

Quellen-und Literaturverzeichnis

336

Personenregister

353

Sachregister

358

9 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

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Vorwort

Die vorliegende Untersuchung über die Behandlung der Kriegsschuldfrage durch die deutsche Öffentlichkeit in der Weimarer Republik wurde im Dezember 1981 von der Abteilung für Geschichtswissenschaft der RuhrUniversität-Bochum als Dissertation angenommen. Für den Druck ist der Text durchgehend gestrafft und an einigen Stellen stärker gekürzt worden. Die Entstehung der Arbeit haben zahlreiche Institutionen und Personen gefördert und unterstützt. Mein Dank gilt zunächst den staatlichen und privaten Archiven, die mir bereitwillig Materialien überlassen und Auskünfte erteilt haben, sodann der Friedrich-Ebert-Stiftung, die mich während der Promotion finanziell gefördert hat. Dank schulde ich auch Prof. Dr. Dietmar Petzina, dem Zweitgutachter der Arbeit, und den Herausgebern der »Kritischen Studien zur Geschichtswissenschaft«, die bereit waren, meine Untersuchung in ihre Reihe aufzunehmen. Vor allem Prof. Dr. Helmut Berding hat das Manuskript einer fruchtbaren Kritik unterzogen und mir eine Fülle wertvoller Hinweise gegeben. Mein besonderer Dank gilt meinem akademischen Lehrer, Prof Dr. Hans Mommsen. Herr Prof. Mommsen hat nicht nur die Bearbeitung des Themas angeregt, er hat mir darüber hinaus gerade in kritischen Arbeitsphasen mit fundiertem Rat und nie nachlassendem Wohlwollen über manche Klippe hinweggeholfen. Nicht zuletzt danke ich meinen Freunden und Kollegen, die die Schrullen und Launen des geplagten Autors mit Langmut und Ironie, Kritik und Solidarität ertragen haben. Stellvertretend für sie alle sei Dr. Martin Martiny genannt, ohne dessen freundschaftliche Hilfe ich an der Universität wohl nie recht heimisch geworden wäre. Historiker meiner Generation tun sich häufig schwer damit, ihre Lebenspartner in Danksagungen dieser Art angemessen zu berücksichtigen. Ich halte das für einen Ausdruck falsch verstandener Emanzipation. Ohne die praktische und intellektuelle Hilfestellung von Sybille Heinemann-Mohr, ohne ihre Zuwendung und ihren bisweilen kritischen Zuspruch wäre das vorliegende Buch nie geschrieben worden. Ihr sei es daher in Dankbarkeit und Freundschaft gewidmet. Bochum, im Mai 1983

U. H.

11 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

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Einleitung

Ludwig Dehio hat in seinem hellsichtigen Beitrag »Deutschland und die Weltpolitik im 20. Jahrhundert« 1 die Hoffnungen skizziert, die sich weltweit an das Ende des Ersten Weltkriegs knüpften. Für Deutschland stand zu erwarten, daß alle hegemonialen Träume verblassen würden, nachdem die »dämonische Übersteigerung« des Machtbewußtseins in den letzten Kriegsjahren so nachhaltig ad absurdum geführt worden war. Doch diese Erwartung erfüllte sich nicht. Nach Dehios Worten folgte der Katastrophe des Krieges die des Friedens auf dem Fuße. Die Vision von der Hegemonialmacht Deutschland blieb ungebrochen. Mehr noch, es verstärkte sich das darauf gerichtete Wunschdenken. Wie konnte, fragte Dehio, das Unerwartete geschehen? »Warum hat die Katastrophe von 1918 nicht im Gegenteil beruhigend gewirkt?« Die vorliegende Arbeit hat sich zur Aufgabe gestellt, dieser Frage nachzugehen. Sie beschäftigt sich mit dem Verhältnis von Revisionismus und politisch-historischer Verarbeitung des Ersten Weltkriegs in der Zeit der Weimarer Republik. Ihre Ausgangsbasis ist der Versailler Vertrag und hier besonders dessen psychologische Auswirkungen auf Parteien, Parlament, Regierung und Öffentlichkeit in Deutschland. Den zentralen Bezugspunkt des Themas bilden die alliierten Schuldanklagen, genauer gesagt, die sog. Kriegsschuldartikel 2 der Siegermächte, die in Deutschland als Rechtsbasis des gesamten Friedens verstanden wurden und an denen sich die deutschen Proteste gegen das Pariser Vertragswerk vornehmlich entzündeten. Im Vordergrund der Kritik stand dabei die dem Ultimatum der Alliierten und Assoziierten Mächte vom 16. Juni 1919 beigefügte Mantelnote, für die der französische Ministerpräsident Clemenceau verantwortlich zeichnete. Dort war den Regierungen des Reiches vorgeworfen worden, um der Vorherrschaft in Europa willen unausgesetzt eine Politik betrieben zu haben, die auf die Erzeugung von »Eifersucht, Haß und Zwietracht« abzielte 3 . Das Kaiserreich war damit, wie es in einer offiziellen deutschen Verlautbarung aus dem Jahre 1924 hieß, zum Alleinschuldigen am Kriegsausbruch und moralisch zum »Verbrecher an der Menschheit« gestempelt worden 4 . Ohne die materiellen Auswirkungen des Friedensvertrages unterschätzen zu wollen 5 , war es sicherlich in besonderer Weise die Schuldanklage der Alliierten, die den Willen des nachrevolutionären Deutschland zur Wiedereingliederung in das internationale System stark beeinträchtigte. Sie verstärkte überdies die Prägekraft des wilhelminischen Kaiserreichs, dessen 13

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Horizont ohnehin die in der Zeit der Weimarer Republik in den führenden Stellungen in Politik und Gesellschaft befindliche Generation bestimmte. Eine idealisierte Vergangenheit diente als Folie für die Betrachtung der Gegenwart. Dies galt für die Innenpolitik, in der die ›gute alte Zeit‹ der grauen Weimarer Realität gegenübergestellt wurde, ebenso wie für die Außenpolitik, in der die nach 1871 entwickelten Großmachtvorstellungen auch weiterhin dominierten. Versailles beeinflußte mithin das politische Denken der Deutschen auf doppelte Weise. Der Vertrag determinierte die außenpolitische Perspektive und die historisch-politische Retrospektive der Zeitgenossen gleichermaßen. Es ist Aufgabe der nachfolgenden Untersuchung, die Spuren dieser Beeinflussung in der politischen Kultur 6 Weimars nachzuzeichnen. Bevor wir uns den damit aufgeworfenen Hypothesen und Fragestellungen zuwenden, sei ein kurzer Blick auf die Forschungslage erlaubt. Hier hat die Anfang der 60er Jahre beginnende Fischer-Kontroverse die entscheidenden Impulse geliefert. Ohne sie wäre die Frage nach der Vergangenheitsbewältigung in der Weimarer Republik vermutlich weiter verzögert oder gar nicht erst aufgeworfen worden. Fischers in Anlehnung an die Forschungsergebnisse von Bernadotte E. Schmitt und Luigi Albertini 7 geführter Angriff gegen die nach 1945 in Deutschland vorherrschenden Ansichten zum Kriegsausbruch 1914 rührte an langgehegte Tabus. Das Bild, das der Hamburger Historiker von der deutschen Vorkriegspolitik zeichnete und in dem ein aggressiver Imperialismus sowohl der militärischen wie der zivilen Führungsschicht, der Gemäßigten wie der Liberalen hervorstach, schreckte nicht nur die Fachhistorie, sondern auch Publizisten und Politiker aus ihrem selbstverordneten Dornröschenschlaf 8 . Fischers Schlußfolgerung, daß es im Hinblick auf die expansionistischen Ziele Deutschlands eine Kontinuität gegeben habe, »vor, während und sogar nach dem Ersten Weltkrieg, bis in den Zweiten Weltkrieg hinein« 9 , führte weit über die Fachwissenschaft hinaus zu einer »historical neurosis« (Konrad Η. Jarausch). Als »Selbstverdunkelung deutschen Geschichtsbewußtseins, das seit der Katastrophe von 1945 die frühere Selbstvergötterung verdrängt« habe 10 , apostrophierte Gerhard Ritter in einem 1962 erschienenen, vielbeachteten Aufsatz die Thesen Fischers zur deutschen Kriegszielpolitik und zur Kontinuität der deutschen Hegemonialpolitik im 19. und 20. Jahrhundert. Der Nestor der westdeutschen Geschichtswissenschaft löste mit seiner polemischen Kritik an Fischers Buch »Griff nach der Weltmacht« 11 eine Kontroverse aus, die der Kriegsschulddebatte in der Weimarer Zeit an Verbissenheit in nichts nachstand 12 , und die mit ihren »Intrigen und Unterstellungen«, wie der amerikanische Historiker Fritz Stern bemerkte, einen Einblick in die »Praktiken des Illiberalismus« bot 13 . Die folgende Auseinandersetzung beendete eine Phase, in der es um die Ursachen des Ersten Weltkriegs still geworden war. Das Problem galt in Westdeutschland weitgehend als gelöst. Gerhard Ritter hatte auf dem ersten 14 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

Historikertag der Bundesrepublik den »Sieg der deutschen Hauptthesen« in der internationalen Kriegsschulddiskussion der 20erJahre als große Leistung der deutschen Geschichtswissenschaft hervorgehoben und dabei auf die Empfehlungen für die Behandlung des Ersten Weltkriegs in den Schulbüchern der Bundesrepublik und Frankreichs hingewiesen, die Anfang der 50er Jahre von einer deutsch-französischen Kommission unter der Beteiligung Gerhard Ritters und Pierre Rcnouvins erarbeitet worden waren. Dort hieß es: »Die Dokumente erlauben es nicht, im Jahre 1914 irgendeiner Regierung oder einem Volk den bewußten Willen zum europäischen Krieg zuzuschreiben« 14 . Die überwiegend konservativ eingestellten Historiker der Bundesrepublik nahmen diese offiziellen Schlußfolgerungen umgehend auf und deuteten sie sogleich apologetisch um. Die schon in Weimar verbreitete These der gleichgewichtigten Verantwortung aller am Krieg beteiligten Hauptmächte lebte wieder auf. Die militärische Eskalation während der Julikrise wurde als fatale Verkettung politischer Fehlperzeptionen, diplomatischer Verwicklungen und militärtechnischer Automatismen interpretiert. Die Mächte waren in den Krieg hineingeschlittert, die gleichgewichtige Verantwortung aller am Weltkrieg beteiligter Staaten war damit erwiesen 15 . Die Sozialisationserfahrungen einer Historikerschaft, die gerade auch von der Kriegsschulddiskussion der Weimarer Zeit geprägt worden war, begründeten den Erfolg dieser Deutung. Das politisch konservativ geprägte Klima der 50er und frühen 60er Jahre war der kritisch-rationalen Reflexion über gesellschaftliche und politische Fehlentwicklungen in der deutschen Geschichte alles andere als zuträglich. Noch 1965 warnte Eugen Gerstenmaier energisch davor, neben den Zweiten auch den Ersten Weltkrieg unter den »gleichen Horizont der Schuld und Verantwortung« der Deutschen zu stellen 16 . Fritz Fischers Thesen brachten einen Wandel in der Beurteilung des Kriegsausbruchs und der deutschen Kriegszielpolitik und ließen auch das Problem der Kontinuität in der deutschen Geschichte wieder aktuell werden. Die von Fischer und seinen Schülern konstruierte Deutung einer »kurvenlosen Einbahnstraße, auf der die Reichspolitik jahrelang den großen Krieg bewußt ansteuerte«, vermochte sich allerdings nicht durchzusetzen. Nicht zuletzt jüngere Historiker lehnten den Versuch Fischers ab, die Politik der Reichsleitung in der Julikrise 1914 unmittelbar aus dem Scheitern der jahrelangen deutschen Bemühungen um eine Wirtschaftsexpansion auf dem Balkan und in der Türkei abzuleiten. Mit Recht warnte Wolfgang Schieder davor, aus dem bloßen Nachweis solcher ökonomischen Interessen ohne weiteres den Entscheidungsablauf in der Julikrise erklären zu wollen 1 7 . Andererseits erfuhr aber auch die in der deutschen Historiographie bis dahin vertretene These, das Reich habe sich im Juli 1914 im wesentlichen Zurückhaltung auferlegt, eine gründliche Revision. Allgemein wurde nun anerkannt, »daß sich die deutsche Politik im Juli 1914 durchaus aktiv verhalten« habe 18 , und es mehrten sich die Stimmen, die von einer überproportionalen 15 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

Verantwortung des Kaiserreichs am Kriegsausbruch sprachen. Für HansUlrich Wehler hat die Regierung Bethmann Hollweg die Julikrise wissentlich verschärft und Wien in die unheilschwangere Konfrontation mit Serbien getrieben, wobei die kaiserlichen Politiker das Risiko eines nicht mehr lokalisierbaren kontinentaleuropäischen Krieges zwar bewußt akzeptieren, sich in Hinblick auf das aktuelle Krisenmanagement aber - wie Karl Dietrich Erdmann zutreffend einschränkte - zunehmend hilflos und fatalistisch zeigten 19 . Mit der Enttabuisierung der Kriegsschuldfrage und dem allgemeinen politischen Klimawechsel nach 1966 änderte sich auch der Blickwinkel der fachwissenschaftlichen Analysen. Vor allem in der jüngeren Historikerschaft konzentrierte man sich jetzt verstärkt auf die innere Struktur des kaiserlichen Deutschland und bezog bewußt sozial- und wirtschaftsgeschichtliche Fragestellungen bzw. sozialwissenschaftliche Methoden in die Betrachtung ein 20 . Aus der Diskussion schälte sich das Bild eines sozial, politisch und kulturell stark zerklüfteten Staatswesens, das seinen mangelnden inneren Zusammenhalt durch eine Flucht in Weltmachtaspirationen zu kompensieren suchte und damit einen ständigen Unruheherd im ohnedies krisengeschüttelten internationalen System der Vorkriegszeit bildete 21 . Nahezu zeitgleich mit der kritischen Untersuchung der deutschen Vorkriegspolitik und dem Paradigmawechsel in der Erforschung des Kaiserreichs rückte auch die Behandlung der Kriegsschuldfrage in der Weimarer Zeit in das Blickfeld. Imanuel Geiss, Schüler und Mitstreiter Fritz Fischers, hatte Mitte der 60er Jahre darauf aufmerksam gemacht, daß die erste deutsche Kriegsschulddiskussion in hohem Maße von amtlichen Stellen gesteuert worden war. Geiss lenkte den Blick auf das in der historischen Forschung bis dahin unbeachtet gebliebene Kriegsschuldreferat im Auswärtigen Amt, das schon im Frühjahr 1919 eingerichtet worden war. Dieses Referat finanzierte, organisierte und dirigierte seiner Ansicht nach eine »Unschuldspropaganda« größten Ausmaßes, die sich die Widerlegung und Beseitigung der »alliierten Kriegsschuldlüge« zum Ziel gesetzt hatte. Als »Frontorganisationen« standen der »Arbeitsausschuß Deutscher Verbände« (ADV) und die »Zentralstelle für Erforschung der Kriegsursachen« zur Verfügung. In einer Art Arbeitsteilung besorgte die Zentralstelle die ›wissenschaftliche‹ Fundierung der Kriegsschuldkampagne, während der Arbeitsausschuß, »eine Vereinigung praktisch aller in der Weimarer Republik einigermaßen gesellschaftsfähiger . . . Gruppierungen«, für die propagandistische Tagesarbeit zuständig war. Die »stärkste Waffe« und zugleich die einzig wirklich bedeutsame Leistung der deutschen Weltkriegsapologetik bis 1945 war j e doch die Edition der diplomatischen Akten des Auswärtigen Amtes 1871 bis 1914 durch Friedrich Thimme, Johannes Lepsius und Albrecht Mendelssohn-Bartholdy. Die Ergebnisse der 40bändigen »Großen Politik der Europäischen Kabinette« wurden mit großem finanziellen und organisatorischen Aufwand im In- und Ausland verbreitet. Zumindest in Deutschland be16 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

stärkten die Dokumente die festgefahrenen Meinungen über die alliierte Schuldanklage. Das Schlagwort der »Kriegsschuldlüge« wurde geboren und verdichtete sich in der anschließenden Debatte zu einem nationalen Tabu. Die offiziellen Erklärungen deutscher Kanzler und Präsidenten verliehen ihm die letzte Weihe. Geiss sieht hier eine direkte Kontinuitätslinie zum Zweiten Weltkrieg, zu dessen moralischer und psychologischer Vorbereitung in Deutschland die Kriegsschuldkampagne der Weimarer Republik in starkem Maße beigetragen habe 22 . Seine Hinweise fanden allerdings in der wissenschaftlichen Diskussion kaum Anklang. Bis auf einige Publikationen 23 , die allerdings über die Feststellungen Geiss' nicht hinausgelangten, und zwei bislang unveröffentlichte amerikanische Dissertationen 24 gibt es noch keine umfassende Studie über die Bedeutung der Kriegsschulddiskussion und -propaganda für die politische Kultur der ersten Deutschen Demokratie. Dagegen halten sich, was die Behandlung der Schuldfrage auf der Versailler Friedenskonferenz anbetrifft, hartnäckig einige Hauptthesen der Weimarer Diskussion. Für Henning Köhler stellt der »berüchtigte Artikel 231« noch immer die Alleinschuld Deutschlands am Ausbruch des Krieges fest 25 und nach wie vor gilt Ernst Fraenkels auf die Alliierten gemünztes Wort von den »Stümpern der psychologischen Friedensgestaltung« 26 . Die Kriegsschuldanklage wird in diesem Zusammenhang als der »wahrscheinlich schwerste und folgenreichste aller Irrtümer und Fehler« bezeichnet, der den Siegermächten in Versailles unterlaufen sei 27 . Gerade sie habe Parteien und Öffentlichkeit in Deutschland unerwartet getroffen und eine Welle der Empörung ausgelöst 28 , die in Brockdorff-Rantzaus »Notenkampf um den Frieden« kulminierte 29 . Die kritische Überprüfung dieser Interpretation bildet den Ausgangspunkt unserer Untersuchung. Eine Reihe von Fragen wird dabei aufgeworfen und beantwortet: Wie groß war beispielsweise in Deutschland die Überraschung über die alliierte Schuldanklage? Hoffte man tatsächlich noch im Frühjahr 1919 unentwegt auf einen Wilson-Frieden? Wie stand es überdies um die Bereitschaft der neuen republikanischen Führungsschichten, von den schwer belasteten Machthabern des Kaiserreichs abzurücken und sich von den Feindbild-Stereotypen der wilhelminischen Vorkriegs- und Kriegspropaganda zu emanzipieren? Zeigte die deutsche Friedensvertragspolitik auch in bezug auf die ideologischen Kriegsfolgen jene »Züge echter Verständigungsbereitschaft«, die ihr für den wirtschafts- und reparationspolitischen Bereich konzediert worden sind 30 ? Und setzte sie schließlich alles daran, um die eilfertigen öffentlichen Hinweise auf den tiefgreifenden Wandel in Deutschland außenpolitisch einzulösen? Bislang galt, daß die Siegermächte als pauschale Begründung für den Anspruch auf Reparationen die alleinige Kriegsschuld Deutschlands konstatierten und diese in der Mantelnote Clemenceaus vom 16. Juni 1919 als kollektive moralische Verurteilung festschrieben. Diese Interpretation deckt jedoch nur einen Teil der historischen 17 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

Wahrheit ab. Sie unterschätzt den deutschen Einfluß auf die Kriegsschulddiskussion in Versailles. In dieser Beziehung war die Friedenspolitik des Reiches keineswegs eine bloße Funktion der alliierten Deutschlandpolitik, wie Susanne Miller festgestellt hat 31 . Sie besaß hier größere Spielräume und Einflußchancen, als man ihr gemeinhin einzuräumen bereit ist. Unstrittig dagegen ist, daß der als außenpolitisches Desaster empfundene Friedensvertrag im Bewußtsein vieler Zeitgenossen wesentliche Ansatzpunkte für die Legitimation des neuen Staates zerstörte. »Kriegsschuldlüge« und Dolchstoßlegende bildeten in der Folgezeit die wichtigsten Schlagworte, mit denen die antirepublikanische Rechte von ihrer eigenen Verantwortung für den Krieg und die Niederlage abzulenken und sie anderen, hauptsächlich Sozialdemokraten und Juden aufzubürden versuchte 32 . Gustav Heinemann hat das treffend so ausgedrückt: »Die schweren Belastungen, unter denen die Weimarer Republik ins Leben trat, ermöglichten den reaktionären und nationalistischen Kräften das billige Spiel, sich aus ihrer Verantwortung für den Ersten Weltkrieg und den militärischen Zusammenbruch davonzustehlen. Anstatt unsere Geschichte unsentimental und kritisch zu sehen, bedienten sich diese Kräfte der Dolchstoßlegende, d. h. des Vorwurfs, daß Deutschland im Ersten Weltkrieg von innen auf landesverräterische Weise ums Leben gebracht worden sei - eine Vergiftung von nachhaltig böser Wirkung« 3 3 . Doch wie unsentimental und kritisch sahen die neuen Machthaber, sahen Demokraten, Sozialdemokraten, Liberale und Zentrumsangehörige die jüngste deutsche Vergangenheit? Wie nahmen sie die »Schmachparagraphen« auf? Führte Versailles hier zur Selbstbesinnung oder bestätigte es alte Vorurteile? Der Umgang, den die Republikaner mit der Kriegsschuldfrage pflegten, interessiert uns und weniger die Schlagwortagitation der antirepublikanischen Rechten 34 . War es beispielsweise notwendig, amtlicherseits eine Propagandaoffensive zu initiieren und über lange Jahre mit erheblichen Mitteln zu fördern, von der man bei klarem Bewußtsein annehmen mußte, daß sie den Feinden der Demokratie in die Hände spielte? Erforderte dies die Staatsräson, gewissermaßen als Tribut an eine gedemütigte und in ihrer Empörung zu allem fähige Nation, als Kompensation für die allerorten abgelehnte Vertragsunterzeichnung? Oder hielt sich die Empörung über Versailles in Grenzen, die den Bestand des neuen Staatswesens nicht gefährdeten? Andreas Hillgruber hat in diesem Zusammenhang davon gesprochen, daß die Abwehrhaltung aller politischen Kräfte gegen die Kriegsschuldartikel eher integrierend auf die Nation gewirkt hat 35 . Jürgen C. Heß meint, daß das »Neinsagen« in Hinblick auf den Abschluß des Friedensvertrages in der Bevölkerung gar nicht so populär war, »wie dies aus der Rückschau nach dem Erlebnis einer erfolgreichen Anti-Versailles-Propaganda der Rechtsparteien und der Nationalsozialisten den Anschein haben könnte« 36 . Wenn letzteres zutrifft, muß dann nicht der Gedanke aufkommen, man habe um der Erreichung bestimmter revisionistischer Ziele willen 18 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

die fraglos virulente Anti-Versailles-Stimmung in einen hausgemachten Nationalismus transformieren wollen und zu diesem Zweck die »Zentralstelle für Erforschung der Kriegsursachen« und den »Arbeitsausschuß Deutscher Verbände« gegründet? Wird dann nicht auch die Interpretation Ernst Schraeplers und Karl Dietrich Erdmanns fragwürdig, nach der die an sich wissenschaftlich-sachliche Arbeit der Zentralstelle erst »unter dem Eindruck des Erstarkens nationalistischer Kräfte . . . über das Ziel hinausgeschossen« sei 37 . Es bedurfte keineswegs der Zerfallserscheinungen in der Endphase Weimars, um die Agitation gegen die »Kriegsschuldlüge« in nahezu allen politischen Trägerschichten des Reiches populär zu machen. Bereits seit Anfang 1921 arbeiteten Demokraten und Deutschnationale in der »Deutschen Revisionsbewegung«, wie sich ADV und Zentralstelle nicht ohne Stolz nannten 38 , zusammen; verbanden sich unter dem Schirm des Auswärtigen Amtes republikanisches Nationalgefühl und antidemokratischer Nationalismus im »Kampf gegen Versailles«. Es wird eine der zentralen Aufgaben der Untersuchung sein, die Kräfte und Interessen aufzuspüren, die diese ›Bewegung‹ begründeten, und dabei ein detailgetreues Bild ihrer Träger und Kritiker, ihrer Struktur und Funktion sowie ihrer Resonanz im In- und Ausland zu entwerfen. Es gab jedoch in der Weimarer Republik auch eine ›andere‹ Kriegsschulddiskussion. In den bewegten Wochen nach der Novemberrevolution beabsichtigten Pazifisten und Sozialisten, die führenden kaiserlichen Politiker und Militärs zur Verantwortung zu ziehen 39 . Sogar die Einrichtung eines Staatsgerichtshofs für die ›Kriegsschuldigen‹ wurde ernsthaft diskutiert. Die Verfassunggebende Deutsche Nationalversammlung rief im August 1919 einen Untersuchungsausschuß ins Leben, der prüfen sollte, »inwieweit Deutsche, die vermöge ihrer Stellung im öffentlichen Leben von Einfluß waren, in begründetem Verdacht stehen, zum Ausbruch, zur Verlängerung und zum Verlust des Weltkriegs schuldhaft beigetragen zu haben« 40 . Nach den Worten des Reichsinnenministers Hugo Preuß sollte der Ausschuß das deutsche Volk davor bewahren, »daß Männer, die an seinem schweren Schicksal mitschuldig sind, wieder zu Amt und Würden kommen oder sonst öffentlichen Einfluß erlangen« 41 . Der Impuls zur Auseinandersetzung mit der jüngsten deutschen Vergangenheit kam mithin, das verdient festgehalten zu werden, aus den Reihen deutscher Politiker und wurde Deutschland nicht wie nach dem Zweiten Weltkrieg von den Siegermächten verordnet 42 . Kritik an der kaiserlichen Vorkriegs- und Kriegspolitik war keineswegs ein Reservat der äußersten Linken. Der Gedanke, auf demokratische Weise mit den kaiserlichen Eliten abzurechnen, war auch Politikern wie Philipp Scheidemann und Matthias Erzberger nicht fremd. Doch bot der Ausschuß mehr als nur die Möglichkeit, alte politische Rechnungen zu begleichen. Vor allem wegen des formal nahezu unbeschränkten Zugangs zu den Archivbeständen der alten Reichs19 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

ämter eröffnete sich hier die Chance, der früh schon einsetzenden Mythenbildung, um die »Kriegsschuldlüge« und den Dolchstoß offiziell Paroli zu bieten. Zumindest wurde den republikanischen Parteien ein Instrument an die Hand gegeben, mit dessen Hilfe man das Wirken des Arbeitsausschusses und der Zentralstelle effektiv kontrollieren konnte. Das Instrument war vorhanden, doch wie stand es mit der Bereitschaft, es wirksam einzusetzen? Die Beantwortung dieser Frage verweist auf den Ausgangspunkt unserer Betrachtung zurück - auf das Verhältnis von Revisionismus und kritisch-rationaler Auseinandersetzung mit der jüngsten deutschen Vergangenheit. Der Parlamentarische Untersuchungsausschuß für die Schuldfragen des Weltkriegs, ein Stück bislang noch unbekannter Parlamentsgeschichte 43 , mag in dieser Beziehung als case study dienen. Seine Arbeiten und Ergebnisse verdeutlichen exemplarisch die Breite, in der das Kriegsschuldthema in der Weimarer Republik diskutiert wurde. Die Abgeordneten beschäftigten sich nicht allein mit der Julikrise 1914, sie bezogen darüber hinaus die Geschichte der europäischen Mächte seit 1871 in ihre Untersuchung ein, befaßten sich mit Fragen der völkerrechtswidrigen Kriegführung, behandelten die Friedensmöglichkeiten im Kriege und analysierten die Ursachen des deutschen Zusammenbruchs im Herbst 1918. Dem nachträglichen Betrachter eröffnet sich ein annähernd repräsentatives Bild der Haltungen, die die Weimarer Politiker zur jüngeren deutschen Vergangenheit einnahmen. Ein Stück politischer Kultur wird sichtbar, konkrete revisionspolitische Erwägungen eingeschlossen. Denn auch hiervon waren die Arbeiten und Ergebnisse der parlamentarischen Kommission nicht frei. Dafür sorgte schon das Auswärtige Amt, das alles nur Erdenkliche tat, um die Arbeiten im Sinne der offiziellen deutschen Außenpolitik zu beeinflussen. Ob und inwieweit diese Interventionen erfolgreich waren, wird im Laufe der Untersuchung zu prüfen sein. Der methodologische Bezugsrahmen der Untersuchung umfaßt diplomatie- und politikgeschichtliche sowie ideen- und organisationsgeschichtliche Fragestellungen. Soweit diplomatiegeschichtliche Aspekte behandelt werden, findet immer auch das je konkrete gesellschaftliche und politische Umfeld der Akteure Beachtung. Der hier zu behandelnde Ausschnitt aus der deutschen Außenpolitik wird demzufolge unter Berücksichtigung der leitenden Interessen und Motive der verantwortlichen Funktions- und Mandatsträger untersucht 44 . Ähnliches gilt auch für die Organisationsgeschichte der »Deutschen Revisionsbewegung« und für die ideengeschichtlichen Aspekte des Kriegsschuldproblems. Daneben werden verschiedentlich Theoreme der politischen Wissenschaften, speziell der Friedens- und Konfliktforschung, in die Untersuchung mit einbezogen. Wo solche Theoreme verwandt werden, sind sie jedoch nicht als eigenständige Erklärungskategorien aus dem narrativen Darstellungszusammenhang herausgehoben, sondern bilden Denkfiguren, mit deren Hilfe die oben formulierten historischen Fragestellungen stärker differenziert werden können 45 . In den politikge20 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

schichtlichen Kontext der Untersuchung wird darüber hinaus die in der sozialistischen und pazifistischen Linken geführte Diskussion über die Kriegsschuldfrage und die Weltkriegsniederlage aufgenommen. Ein solcher Rekurs auf Lösungsalternativen, die historisch nicht zum Zuge gekommen sind, erweitert nach Meinung des Verfassers das Spektrum der Chancen und Möglichkeiten, vor deren Hintergrund die Geschichte der ersten Deutschen Demokratie diskutiert werden muß. Als Quellengrundlage der Untersuchung dienen bislang noch nicht ausgewertete Aktenbestände aus dem Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes in Bonn, aus dem Bundesarchiv Koblenz und aus dem Zentralen Staatsarchiv Potsdam. Sie werden ergänzt durch Dokumente aus verschiedenen staatlichen und privaten Archiven. Besonders hilfreich zur Rekonstruktion der Tätigkeit des ADV und der »Zentralstelle für Erforschung der Kriegsursachen« 46 waren in diesem Zusammenhang der Nachlaß des ehemaligen ADV-Präsidenten Heinrich Schnee im Geheimen Staatsarchiv-Preußischer Kulturbesitz in Berlin-Dahlem und die Akten des »Aufklärungsausschusses Hamburg« im Archiv der Handelskammer Hamburg. Die umfangreiche zeitgenössische Literatur zum Thema Kriegsschuld ist zum größten Teil gesichtet und - wo es geraten erschien - in die Untersuchung eingearbeitet worden. Das gleiche gilt für die Veröffentlichungen des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses für die Schuldfragen des Weltkriegs. Zuletzt noch ein Wort zur Einordnung des gewählten Themas in die allgemeine Forschung zur Geschichte der Weimarer Republik. Andreas Hillgruber hat darüber geklagt, daß eine Analyse der Auswirkungen außenpolitischer Rahmenbedingungen auf die politische Kultur der Deutschen vollkommen fehle, im Rahmen der Fragestellung nach den Gründen des Scheiterns von Weimar aber notwendig sei 47 . Die vorliegende Arbeit vermag dieses Forschungsdesiderat sicherlich nicht zu beheben, die Analyse des spannungsreichen Verhältnisses von Revisionismus und Vergangenheitsbewältigung in der Weimarer Republik kann jedoch eine Teillösung für die von Hillgruber aufgeworfenen Fragen liefern. Schließlich mag die Erfahrung, die die Weimarer Demokraten in der Auflösungsphase ihrer Republik mit der Kriegsschuldagitation machten, den Blick für die Problematik nationaler Konzessionen an die extreme Rechte schärfen. In Deutschland waren es allzu häufig die Gegner der Demokratie, die aus den Appellen an das gemeinsame nationale Interesse‹ Kapital schlugen 48 .

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Α . G r u n d l a g e n der Krieg sschulddiskussion in der W e i m a r e r

Republik

I. D e u t s c h l a n d u n d d i e K r i e g s s c h u l d f r a g e v o r u n d w ä h r e n d der Versailler

Friedenskonferenz

1. Der Staatsgerichtshof für die ›Kriegsschuldigen‹ Am 12. März 1919 brachte der sozialdemokratische Reichsjustizminister Otto Landsberg einen Gesetzentwurf im Reichskabinett ein, der die Errichtung eines Staatsgerichtshofs »zur Untersuchung von Vorgängen vor und in dem Weltkriege« vorsah 1 . Außenpolitisch knüpfte der Landsberg-Entwurf an eine Note des Staatssekretärs im Auswärtigen Amt, Wilhelm Solf, vom 29. November 1918 an 2 , in der den Alliierten und Assoziierten Mächten vorgeschlagen wurde, eine neutrale, international besetzte Untersuchungskommission mit der Klärung der Kriegsverantwortung zu betrauen. Offenbar trug sich die deutsche Seite im Frühjahr 1919 mit dem Gedanken, dieses heikle Problem von vornherein aus den unmittelbaren Friedensverhandlungen auszugrenzen und es der politisch unverbindlichen Erörterung im Rahmen einer internationalen wissenschaftlichen Konferenz anheimzustellen. Die deutsche Initiative erwies sich jedoch als erfolglos. Lange Zeit blieb sie sogar ohne jede Resonanz im Lager der Siegermächte. Erst Anfang März 1919 erhielt man offiziell Antwort aus Paris und London. Der Inhalt war fast gleichlautend und gab die Haltung der Alliierten zur Kriegsschuld in denkbar kürzester Form wieder. Die Errichtung einer neutralen Untersuchungskommission wurde einhellig abgelehnt, da »die Verantwortlichkeit Deutschlands für den Krieg längst unzweifelhaft« feststehe 3 . Auf diese Feststellung nahm der Landsberg-Entwurf vom 12. März 1919 direkt Bezug. Nach der Ablehnung der neutralen Kriegsschuldkommission, so der Justizminister, bleibe der Reichsregierung gar nichts anderes übrig, als eine nationale Gerichtsbehörde einzusetzen, »die dem internationalen Gerichtshof aber nicht vorgreifen, sondern ihm lediglich Material bieten soll« 4 . Die Idee einer Klärung der Kriegsverantwortung mit den Mitteln der politischen Justiz 5 war also von vornherein außenpolitisch-taktisch bestimmt. Hierauf deuten auch die Argumente hin, mit denen BrockdorffRantzau auf dem Höhepunkt der Friedensvertragskontroverse im Juni 1919 22

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die »schleunigste Einbringung« der Staatsgerichtshof-Vorlage in die Nationalversammlung durchzusetzen suchte. Für die »richtige Stellungnahme« der öffentlichen Meinung in den feindlichen Ländern sei es, wie der deutsche Außenminister ausführte, unbedingt erforderlich, daß die Bereitschaft zur »rücksichtslosen« Behandlung der Kriegsschuldfrage im Augenblick des »gewalttätigen Ultimatums« der alliierten Regierungen unzweideutig dargetan werde 6 . Die Landsberg-Vorlage spiegelte unzweifelhaft aber auch den innenpolitischen Streit über Kriegsverantwortung und Weltkriegsniederlage wider, der seit den Novembertagen des Jahres 1918 die Gemüter in Deutschland erregte 7 . Mit Blick darauf hob der Justizminister in seiner Begründung hervor, daß sich die deutsche Öffentlichkeit auf Dauer nicht damit zufrieden geben könne, nur durch »einseitige Presseartikel« oder »leidenschaftliche Äußerungen von Parteipolitikern« über die Schuldfragenproblematik informiert zu werden. Vor allem den ehemals verantwortlichen kaiserlichen Staatsmännern und Militärs solle durch die Einrichtung des Staatsgerichtshofs Gelegenheit gegeben werden, verschiedene, »gegen ihr Handeln im Weltkrieg laut gewordene Vorwürfe« sachlich und objektiv überprüfen zu lassen 8 . Landsberg bezog sich dabei vor allem auf die publizistischen Auseinandersetzungen zwischen Ministerpräsident Scheidemann und General Ludendorff, die im Frühjahr 1919 ein nicht unbeträchtliches Aufsehen erregten. Ausgangspunkt dieser Kontroverse war die Regierungserklärung Scheidemanns vom 13. Februar 1919, in welcher der sozialdemokratische Ministerpräsident den General einen »genialen Hazardeur« genannt hatte 9 . Obschon diese Bemerkung eher beiläufig in die Rede Scheidemanns eingeflossen war - wesentlich schärfer ging der Ministerpräsident mit der revolutionären Linken ins Gericht 1 0 - wurde sie unverzüglich von Ludendorff aufgegriffen und mit der Forderung nach Einsetzung eines Staatsgerichtshofs zur Prüfung der gegen ihn gerichteten Vorwürfe gekontert 11 . In einem offenen Schreiben ergriff der General gleichzeitig die Gelegenheit, sich nachdrücklich von der Verantwortung für das deutsche Waffenstillstandsgesuch vom 4. Oktober 1918 zu distanzieren und die politische Reichsleitung unter Prinz Max von Baden mit der Verantwortung für den »Frieden des Bankrotts« zu belasten 12 . Das Abrücken eines der bedeutendsten militärischen Exponenten des kaiserlichen Deutschland von der Verantwortung für den Kriegsausgang wurde unverzüglich von der deutschnational und alldeutsch-gesinnten Rechten aufgegriffen 13 . Ludendorffs Äußerungen ermutigten die konservative Publizistik, die Aussichtslosigkeit der militärischen Lage im Herbst 1918 zu ignorieren und die Waffenstillstands- und Friedensverhandlungsgesuche auf den mangelnden Durchhaltewillen bestimmter Regierungs- und Bevölkerungskreise zurückzuführen 14 . Scheidemann selber, so kommentierte die »Tägliche Rundschau«, habe bewußt auf den »Unterwerfungsfrie23 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

den« hingearbeitet, lange bevor durch die Revolution der »Frieden der Niederlage« besiegelt worden sei 15 . Äußerungen dieses Tenors verdichteten sich in den folgenden Wochen zu einer mit wachsender Energie und Zielstrebigkeit geführten Propagandakampagne, in der rechtsradikale Kräfte den militärischen Zusammenbruch des Reiches immer unverhohlener der Revolution anlasteten 16 . Die Reichsregierung geriet dadurch nolens volens in den Zugzwang, Gegenmaßnahmen ergreifen zu müssen. Als eine dieser Reaktionen auf die offenkundig konterrevolutionären Bestrebungen in der deutschen Rechten kann die Rede Scheidemanns vom 26. März 1919 gewertet werden, in der er namens des Reichskabinetts ankündigte, dem Parlament schnellstens den Gesetzentwurf zur Errichtung eines Staatsgerichtshofs vorzulegen, »um die Herren zu fassen . . ., die derart die Schuld der Vergangenheit auf eine neue Gegenwart übertragen wollen« 17 . Der Verstoß Scheidemanns verbreiterte noch die offen antirepublikanische Front im deutschen Bürgertum. Die bis dahin eher verhalten argumentierende DNVP warf der Regierung vor, ein »Sondergericht« schaffen zu wollen, das die ihm übertragenen Fälle nach den Grundsätzen »gewöhnlicher Rache« abzuurteilen beabsichtige 18 . Die Rechtspresse verglich den von Scheidemann angekündigten Gerichtshof mit den »französischen Revolutionsgerichten« 19 . Die Absicht war eindeutig: Es galt, in den durch die Novemberereignisse irritierten bürgerlichen Schichten negative Assoziationen zum blutigen Terror vergangener Revolutionen wachzurufen. Bemerkenswerterweise hat aber gerade die revolutionäre Linke bei der Entstehung des Staatsgerichtshofs nur eine untergeordnete Rolle gespielt. In den Akten finden sich für eine unmittelbare Auswirkung ihrer Propaganda auf die Landsberg-Vorlage keine Belege. Auch die diesbezüglichen Kabinettssitzungen hatten in aller Regel die Kampagnen der Rechten und deren negative außenpolitische Resonanz zum Gegenstand 20 . Dies mag auf den ersten Blick erstaunen, waren doch in den Novembertagen des Jahres 1918 — bedingt durch den völligen Machtverfall der traditionellen Herrschaftszentren - allerorten einflußreiche Arbeiter- und Soldatenräte als »provisorische, demokratische Selbstorganisation der Gesellschaft« entstanden 21 . Die revolutionäre Programmatik vieler dieser Arbeiter- und Soldatenräte, die auf demokratisch-sozialistische Reorganisation der Gesellschaft und auf Entmachtung der alten politischen, militärischen und bürokratischen Eliten angelegt war, trat aber gerade in der ersten Phase der Revolution deutlich hinter die vordringliche Aufgabe zurück, die allenthalben auftretenden Demobilisierungs-, Ernährungs- und Wirtschaftsprobleme zu bewältigen 22 . Obschon an allgemeinen politischen Forderungen in den zahlreichen Aufrufen und Resolutionen der Revolutionsorgane kein Mangel herrschte, wurden weder im Umfeld der Arbeiterräte noch im Machtbereich der Soldatenräte konkrete Vorbereitungen für die praktische Umsetzung der revolutionären Ziele getroffen 23 . Dies gilt auch für die Bewertung des Verhaltens 24 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

ehemals kaiserlicher Politiker und Militärs in der Julikrise 1914 und im Weltkrieg. Zwar stellten die neuen revolutionären Kräfte in ihren ersten Verlautbarungen die Verantwortung des wilhelminischen Militarismus für den Kriegsausbruch ebenso deutlich heraus, wie sie die »Verbrechen und Fehler« des alten Regimes und der »besitzenden Klassen« im kaiserlichen Deutschland brandmarkten. Diesen Feststellungen folgten jedoch in der Regel die allgemein gehaltenen Forderungen nach Abschaffung der Monarchie und nach »völliger Demokratisierung« von Justiz, Verwaltung und Militärwesen 2 4 . Nur vereinzelt verlangten die revolutionären Aufrufe die Einleitung konkreter strafrechtlicher Schritte gegen die Repräsentanten des alten Systems. Eine dieser wenigen Ausnahmen stellt die Resolution des »Zentralrats der Marine« vom 9. Dezember 1918 dar, der die Einrichtung eines »Volksgerichts« zur Untersuchung und Aburteilung der am Kriege schuldigen Personen in seinen Forderungskatalog aufnahm. Dieser Gerichtshof sollte nicht zuletzt auch die Exponenten der kaiserlichen Reichsleitung zur Verantwortung ziehen, die einen nach Ansicht des Marinerats durchaus möglichen Verständigungsfrieden vereitelt hatten. Die Soldaten verlangten überdies, diejenigen Richter dem revolutionären Sondergericht zu überantworten, die als Angehörige der Kriegs- und Feldgerichte, namentlich in den letzten Kriegsjahren, »Schreckensurteile« gefällt hatten 25 . Der Gedanke einer ›Aburteilung‹ der politischen und militärischen Führer des alten Kaiserreichs findet sich sonst nur noch im Forderungskatalog des Münchener Arbeiter- und Soldatenrats 26 . Dieser war fraglos von Kurt Eisner, dem neuen bayerischen Ministerpräsidenten, inspiriert worden. Der Sozialist Eisner hatte am 23. November 1918 die Berichte, die von dem königlich-bayerischen Gesandten in Berlin bzw. seinem Vertreter im Juli/ August 1914 nach München übermittelt worden waren, auszugsweise veröffentlicht und bei diesem Anlaß auf die schwere Verantwortung der kaiserlichen Regierung Bethmann Hollweg für die militärische Eskalation der Julikrise 1914 hingewiesen 27 . Die Enthüllungsaktion des Ministerpräsidenten war ebenso spektakulär wie einzigartig in der Geschichte der Weimarer Republik. Sie löste nicht die erwartete Zustimmung, sondern eine Welle der Empörung sowohl in Berliner Regierungskreisen als auch in weiten Teilen der Bevölkerung aus 28 . Daran änderte auch die Begründung Eisners nichts, »daß nur durch die volle Wahrheit jenes Vertrauensverhältnis zwischen den Völkern hergestellt werden kann, das Voraussetzung für einen Frieden der Völkerversöhnung ist« 29 . Doch auch Kurt Eisner war es nie um die strafrechtliche Verurteilung, sondern vielmehr um die moralische Diskreditierung der alten kaiserlichen Eliten gegangen. In dieser Beziehung erwies sich der »libertäre Sozialist« 30 als ein durchaus typischer Vertreter der revolutionären Volksstimmung in Deutschland. Diese tendierte vor dem Hintergrund der gerade überwunde25 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

nen Schrecken des Krieges zu einer gewaltfreien Neugestaltung der gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse 31 . Es fehlte weithin - wie Heinz Hürten festgestellt h a t - j e d e s Bedürfnis, die »Charaktermasken« des alten Systems zu verhaften und anzuklagen 32 . Für die politisch organisierte, revolutionäre Linke gilt diese Feststellung allerdings nur in eingeschränktem Maße. Die »Rote Fahne« hatte die Forderung nach einem »Kriegsschuldigen-Tribunal« bereits in den ersten Wochen der Revolution erhoben 33 . Als eine »sofortige Maßnahme zur Sicherung der Revolution« fand der Gedanke an die Errichtung eines Revolutionstribunals, das die »Hauptschuldigen am Kriege und seiner Verlängerung« aburteilen sollte, kurze Zeit später Eingang in das Programm der SpartakusGruppe 34 . Von hier aus gelangte er, ohne große Veränderungen zu erfahren, in das auf dem Gründungsparteitag der KPD zum Jahreswechsel 1918/19 verabschiedete erste Parteiprogramm 35 . Gegenüber dem sonst recht konsistenten theoretischen Teil der KPDProgrammatik nimmt sich das als Tagesforderung verstandene Verlangen nach revolutionären Sondergerichten jedoch eigenartig widersprüchlich aus: Das Beharren auf einem Revolutionstribunal für die sogenannten Kriegsschuldigen stellt keineswegs eine folgerichtige Konsequenz der im ersten Teil des Grundsatzprogramms vorgenommenen Analyse der Weltkriegsursachen dar. Dort hatten die Repräsentanten des kaiserlichen Deutschland lediglich als »Geschäftsträger« der imperialistischen Bourgeoisie fungiert; die eigentliche Verantwortung für die Weltkriegsentstehung war jedoch der bürgerlichen Klassenherrschaft zugeschrieben worden 3 6 . Der KPD-Programmatik zufolge sollte sich der revolutionäre Kampf deshalb nicht in erster Linie gegen einzelne Funktionsträger des wilhelminischen Systems, sondern gegen die institutionellen Bollwerke der bürgerlichen Herrschaft in Verwaltung, Justiz und Militär richten. Ganz in diesem Sinne hatte Rosa Luxemburg in ihrer großen Parteitagsrede zur Einführung des Gründungsprogramms betont, daß sich die proletarischen Revolutionen im Zuge ihrer tiefgreifenden strukturellen Transformationsaufgaben anders als ihre bürgerlichen Vorläufer nicht damit begnügen könnten, »die offizielle Gewalt zu stürzen und durch ein paar neue Männer zu ersetzen« 37 . Es liegt auf der Hand, daß sich Sondergerichte zur Aburteilung der militärischen und politischen Exponenten des Kaiserreichs nicht bruchlos in dieses Revolutionsverständnis einfügen ließen. Ansatzweise wies darauf auch der Parteitagsdelegierte Max Levien hin, der zu bedenken gab, daß sich die Schaffung von Revolutionstribunalen durchaus dysfunktional zu den übrigen revolutionären Zielen der Partei verhalten könne. Das mit der Tätigkeit solcher Sondergerichte öffentlich geförderte Bewußtsein von der schuldhaften Verantwortung einzelner Persönlichkeiten an der Weltkriegsentstehung war seiner Ansicht nach sehr wohl geeignet, den Massen den Blick auf die Ursachen des Krieges zu verstellen und Illusionen über die Reformierbarkeit des kapitalistischen Systems zu wecken. Diese Einwände 26 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

hinderten Levien aber nicht daran, den in Rede stehenden Programmpunkt prinzipiell zu befürworten und sogar dessen Anwendung auf bestimmte Repräsentanten der MSPD wie Ebert und Seheidemann zu verlangen 38 . Die von Levien ausdrüeklich geforderte Einbeziehung führender MSPDMitglieder läßt die propagandistische Absieht aufseheinen, die die KPD mit der Aufnahme dieses Programmpunktes in ihr Gründungsmanifest verband. Hier bot sieh die willkommene Gelegenheit, die Führer der mehrheitssozialdemokratischen Konkurrenz als ›Verschwörer der Gegenrevolution‹ öffentlich anzugreifen. Auch nach außen hin versprach sieh die junge Partei von einem Kriegssehuld-Tribunal positive Wirkungen. Mit Blick auf das stark lädierte internationale Ansehen der deutsehen Arbeiterbewegung betonte Paul Levi, der enge Vertraute Luxemburgs, daß das deutsehe Proletariat eine Art Vorreiterrolle im Prozeß der internationalen »Entlarvung der Kriegsverantwortlichkeit des Weltkapitalismus und seiner Hauptapologeten, der Clemenceau, Lloyd George und Poinearé« übernehmen könne, indem es diejenigen, »die um sein Geschiek gespielt haben«, anprangere 39 . Unmittelbare Bedeutung für Strategie und Taktik der KPD kam dem Verlangen nach Verurteilung der›Kriegsschuldigen‹jedoch nicht zu. Darauf verweist nicht zuletzt die Tatsache, daß das Parteitagsprotokoll lediglieh zwei Wortmeldungen zu diesem Punkte registrierte und die Kriegssehuldproblematik in den Diskussionsreden des Parteitags nicht weiter thematisiert wurde 4 0 . Anderen Problemen wie der Beteiligung an den Wahlen zur Nationalversammlung oder der Stellung der Partei zur Gewerkschaftsbewegung maßen die Delegierten zweifelsohne größere Bedeutung zu als der Frage, wie mit den im Krieg verantwortlichen Exponenten des wilhelminischen Deutsehland zu verfahren sei 41 . Im Unterschied zur KPD stellte die USPD relativ spät erst die Forderung nach »sofortiger Errichtung« eines Staatsgerichtshofes zur Aburteilung der Schuldigen am Weltkrieg. Weder in den zahlreichen Anträgen zum Berliner »Revolutionsparteitag« noch in dem ursprünglichen Entwurf des »Aktionsprogramms«, der den Delegierten im März 1919 zur Diskussion vorgelegt wurde, findet sieh der Gedanke an revolutionäre Sondergerichte 42 . Erst durch einen ohne weitere Diskussionen angenommenen Zusatzantrag Rudolf Breitseheids 43 gelangte der Staatsgerichtshof- offenbar als Reaktion auf den zur gleichen Zeit kulminierenden Scheidemann-Ludendorff-Konflikt in das Parteiprogramm 4 4 . Die Argumente, mit denen Breitseheid seinen Antrag begründete, verdeutlichen in gleicher Weise wie die späteren parlamentarischen Diskussionsbeiträge der USPD zum Staatsgerichtshofproblem, daß es der Partei nicht in erster Linie auf die strafrechtliche Verfolgung der alten kaiserliehen Machteliten ankam. Im Vordergrund der Erwägungen stand vielmehr die Chance, die eine vorbehaltlose Aufdeckung der deutsehen Verantwortung am Kriegsausbruch sowohl außenpolitisch als auch innenpolitisch bot. Die Einrichtung eines Staatsgerichtshofs stellte im Verständnis vieler Unabhän27 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

giger ein probates Mittel dar, die deutschfeindliche Atmosphäre in den chemaligen Feindstaaten durch den öffentlich bekundeten Willen zur Entmachtung des preußisch-deutschen Militarismus abzubauen 45 . Im innenpolitischen Bereich versuchte die Partei durch die Distanzierung von den Machthabern des Kaiserreichs das revolutionäre Bewußtsein in der Arbeiterschaft zu festigen. Letzteres gewann nach Ansicht der USPD in dem Maße an Bedeutung, in dem sowohl die empörten Reaktionen der öffentlichen Meinung auf die alliierten Schuldvorwürfe als auch die politische Aufwertung des alten Staatsapparats im Zuge der innenpolitischen Pazifizierungsbestrebungen der Weimarer Koalition starken nationalistischen Tendenzen Auftrieb gaben 46 . Der Gedanke einer juristischen Klärung der Kriegsschuldfrage spielte in diesem Kalkül jedoch nur eine untergeordnete Rolle. Wesentlicher erschien den USPD-Mitgliedern die umgehende Publizierung der deutschen Akten über die Julikrise und den Kriegsausbruch. Schon das von ausgeprägt ethischen Motiven gespeiste revolutionäre Pathos der meisten Parteimitglieder ließ es nicht zu, die angestrebte sozialistische Gesellschaftsordnung mit dem Odium der strafrechtlichen Verurteilung chemals herrschender Kräfte zu belasten 47 . In diesem Sinne entsprach Hugo Haase durchaus einer weit verbreiteten Stimmung in seiner Partei, als er davor warnte, an den alten Kräften »einfach Rache zu üben«, und demgegenüber dafür plädierte, »die Schuldigen der Schande des Volkes zu überlassen« 48 . Die vorangegangenen Ausführungen haben deutlich gemacht, daß infolge der Revolution auch in Deutschland eine Diskussion über die Verantwortung kaiserlicher Politiker und Militärs am Ausbruch und an der Verlängerung des Weltkriegs geführt wurde. Die Impulse, die in dieser Bezichung von den revolutionären bzw. republikanischen Kräften ausgingen, blieben bemerkenswert schwach. Von Anfang an wurden sie durch die bereits unmittelbar nach Ausbruch der Revolution einsetzende Dolchstoßagitation der extremen Rechten überlagert. Die von der Regierung der Weimarer Koalition angestrebte Klärung der Kriegsverantwortung mit den Mitteln der politischen Justiz gehörte also schwerlich - wie der DDR-Historiker Max Wolkowiez schreibt-zu den »Grundproblemen, die die Volksmassen im Herbst 1918 aufs tiefste« bewegten 49 . Sie war vielmehr - und hier ist Eugen Fischer 50 Recht zu geben - die Antwort der neuen republikanischen Machtträger auf das »Dolchstoßtreiben« alldeutsch-nationalistischer Kreise 51 . Die sozialdemokratisch geführte Reichsregierung sah durch die rechtsradikale Propaganda vor allem ihren außenpolitischen Handlungsspielraum im Hinbliek auf die anstchenden Versailler Friedensverhandlungen bedroht. In der Tat wurden die Exkulpationsversuche der extremen Rechten im Ausland aufmerksam registriert. Insbesondere im Lager der e h e m a l i g e n Kriegsgegner riefen sie beträchtliches Mißbchagen hervor und verstärkten die Skepsis über den von deutscher Seite immer wieder betonten, tiefgrei28 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

fenden demokratischen Wandel im Reich. Die Haltung der Weimarer Koalitionsparteien zum Kriegsschuldproblem, vor allem aber die Politik des deutschen Außenministers Graf Brockdorff-Rantzau und der Friedensdelegation, sollten das ihre dazu beitragen, das Vertrauen in die außenpolitische Konzessionsbereitschaft des ›neuen‹ Deutschland weiter zu schwächen. 2. Die Weimarer Koalition und der alliierte Schuldvorwurf Die MSPD vermied es im Frühjahr 1919, den Schuldanteil des kaiserlichen Deutschland am Ausbruch des Krieges öffentlich zu thematisieren. In dieser Bezichung bildete nur die Staatsgerichtshofdiskussion eine Ausnahme. Auch sie war den sozialdemokratischen Politikern freilich von der reaktionären Propaganda aufgezwungen worden. Grundsätzlich hatten nach Auffassung der Partei- und Fraktionsspitze alle innerdeutschen Kontroversen angesichts der vermeintlich existenzbedrohenden, alliierten Friedenspläne zurückzutreten oder, wie es Hermann Müller auf dem Weimarer Parteitag 1919 formulierte: »In einem Trauerhaus soll nach Möglichkeit der Streit schweigen« 5 2 . Die MSPD unterstützte damit die offizielle deutsche Außenpolitik, die sich mit Nachdruck gegen die Absicht der Alliierten wandte, aus der Kriegsschuldfrage die Begründung für die Lasten des Friedensvertrags abzuleiten 53 . Man überließ in dieser wie in anderen außenpolitischen Fragen den Beamten der Wilhelmstraße das Feld. Dies hing sicherlich mit der offenkundigen Scheu der MSPD zusammen, in die angestammten Domänen des Auswärtigen Amtes einzugreifen; eine ex post betrachtet verhängnisvolle Auswirkung der trotz jahrelanger parlamentarischer Praxis insgesamt doch untergeordneten Stellung der Partei zu den traditionellen Machtzentren des Kaiserreichs. Von allen staatlichen Funktionsbereichen war die Mchrheitssozialdemokratie programmatisch und personell am wenigsten auf die Übernahme der auswärtigen Politik vorbereitet 54 . Im Weltkrieg stellte sie sich zunächst hinter die Forderungen des Petersburger Arbeiter- und Soldatenrates nach einem »Frieden ohne Annexionen und Kontributionen«. Sehr spät erst und höchst unfreiwillig schwenkte sie dann auf das Friedensprogramm des amerikanischen Präsidenten Wilson vom 8. Januar 1918 ein 55 . Die MSPD vollzog damit verbal eine Anpassung an die sich während des letzten Kriegsjahres dramatisch verschlechternde militärische Situation Deutschlands, wies aber zusammen mit nahezu allen übrigen politischen Gruppierungen des Reiches auch weiterhin bestimmte Forderungen der Kriegsgegner wie z. Β. die Rückgabe Elsaß-Lothringens an Frankreich kategorisch zurück. Sie erklärte sich nur zögernd zur Wiederherstellung der zerstörten Gebiete Belgiens bereit und versäumte es, sich klar und eindeutig von den deutschen Friedensverträgen im Osten, von Brest-Litowsk und Bukarest, zu distanzie29 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

ren 56 . De facto wurde damit einer Reihe von Postulaten widersprochen, die der amerikanische Präsident Wilson zu Kernpunkten seiner Friedensvertragsvorstellungen erhoben hatte. An dieser halbherzigen, beinahe gänzlich auf die Illusion eines Status-quoante-Friedens fixierten Haltung sollte die Partei selbst nach dem militärischen Zusammenbruch festhalten. Auch jetzt rückte sie eindeutig die Aspekte des amerikanischen Friedensprogramms in den Vordergrund ihrer öffentlichen Verlautbarungen, die ausschließlich zu Deutschlands Gunsten sprachen. Dies muß auf den ersten Blick erstaunen, da ihre Führung lange vor dem 7. Mai 1919 offensichtlich wußte oder zumindest ahnte, daß das Reich in Versailles mit harten Friedensbedingungen zu rechnen hatte. Bereits im März 1919 hatte Hermann Müller düstere Andeutungen über den »Schmachfrieden« gemacht, der Deutschland aufgezwungen werde und auf die »Raubpläne, . . . insbesondere die Frankreichs« hingewiesen 57 . Vor allem die zentrale Bedeutung, die die Siegermächte der Kriegsschuldfrage beimaßen, konnte nicht überraschen, hatten doch selbst die sozialistischen Parteien der Ententeländer dieses Problem während der Weltkriegskonferenzen der Internationale immer wieder in den Vordergrund gestellt 58 . Gleichwohl wies die Haltung der MSPD zum Kriegsschuldproblem im Frühjahr 1919 eine bemerkenswerte Starrheit auf. Die Nachkriegskonferenz der europäischen Arbeiterparteien, die Anfang Februar 1919 in Bern stattfand, kann dafür als eindrucksvolles Beispiel gelten, auch wenn der erste Eindruck etwas anderes vermuten läßt. Die berühmt gewordene Berner Schlußresolution unterstellt stillschweigend einen Grad an sozialdemokratischem Entgegenkommen, den es real nie gegeben hat. Die Feststellung der Konferenz, »daß für sie die Frage der unmittelbaren Verantwortlichkeit des Krieges geklärt ist. . . durch die Erklärung der deutschen hen Mehrheit, die den revolutionären Geist des neuen Deutschland und dessen völlige Loslösung von dem für den Krieg verantwortlichen alten System bekundet hat« 59 , bezog sich weit weniger auf die Stellungnahmen der MSPD-Delegierten in Bern als vielmehr auf die freimütigen Schuldeingeständnisse der USPD-Vertreter Kurt Eisner und Karl Kautsky, die den ungeteilten Beifall der Delegierten fanden. Zwar sah sich auch die MSPD unter dem Druck einer anfänglich von starken antideutschen Ressentiments getragenen Stimmung gezwungen, eine Resolution zu verabschieden, die als Kernaussage folgende Feststellung enthielt: »Durch die deutsche Revolution hat das deutsche Proletariat das alte, für den Krieg verantwortliche System gestürzt und zerstört« 60 . In den Beiträgen der MSPD-Delegierten Otto Wels und Hermann Müller wurde das darin implizierte Eingeständnis der Kriegsverantwortung des kaiserlichen Deutschland aber wieder erheblich relativiert. Die Vertreter der Mehrheitssozialdemokratie machten einhellig die »Imperialisten und Militaristen von ganz Europa« für den Ausbruch des Krieges verantwortlich und stellten insbesondere die Kriegsschuld des zaristischen Rußland heraus. Die russische Mobilmachung, so Hermann Müller vor dem 30 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

Plenum der Internationale, sei für den Krieg der »ausschlaggebende Faktor« gewesen 6 1 . Es ist der allgemeinen Tendenz der Berner Konferenz zuzuschreiben, daß die Delegierten im weiteren Verlauf der Verhandlungen auf die Bemerkungen Wels' und Müllers nicht weiter eingingen, obwohl es sich hier eigentlich um eine kaum verhüllte Neuauflage der bereits im Weltkrieg geäußerten MSPD-Standpunkte handelte. Die Versammlung ging statt dessen vom Wortlaut der erwähnten MSPD-Resolution zur Kriegsschuldfrage aus und interpretierte diese ganz im Sinne der von Kurt Eisner und Karl Kautsky auf der Konferenz vertretenen Positionen 62 . Damit entfiel für die auf Wiederherstellung der internationalen Solidarität unter den europäischen Arbeiterparteien eingeschworenen Delegierten jegliche Begründung für eine ausdrückliche Verurteilung der größten deutschen Arbeiterpartei als »Kollaborateur« des wilhelminischen Systems, wie dies beispielsweise die von Albert Thomas geführte Minderheitsfraktion der französischen Sozialisten gefordert hatte. Mehr noch: Die Konferenz koppelt die »weltgeschichtliche Frage« der Kriegsschuld von den materiellen und territorialen Forderungen der Alliierten ab und verwarf expressis verbis jedes »Recht der Sieger auf Beute« 6 3 . Zur bitteren Enttäuschung der europäischen Arbeiterbewegung wurden die Berner Beschlüsse, die neben der Forderung nach einem Frieden ohne »Kontributionen« das Selbstbestimmungsrecht der Völker als grundlegendes Prinzip zwischenstaatlicher Bezichungen herausstellten, den Annexionismus anprangerten und den Völkerbundgedanken präzisierten, von den Regierungen der Siegermächte weitgehend ignoriert 64 . Dennoch läßt das hier skizzierte Beispiel der ersten Nachkriegs-Internationale vermuten, daß eine auch nur in Ansätzen konzessionsbereite deutsche Haltung in der Kriegsschuldfrage die psychologische Ausgangsposition des Reiches bei der Wiederanknüpfung internationaler Kontakte nicht unwesentlich hätte verbessern helfen können. Zu dieser Einsicht vermochte sich die deutsche Mehrheitssozialdemokratie allerdings nicht durchzuringen. Über das vage formulierte Zugeständnis der Mitschuld des Reiches am Kriegsausbruch, das stets mit dem ausdrücklichen Hinweis auf die gleichgewichtige Verantwortung aller am Kriege beteiligten Mächte korrespondierte und über die verbalradikale Kritik an »Kriegsverlängerern« wie Ludendorff gelangte die Partei im Frühjahr 1919 nicht hinaus. Demzufolge vermochte sich auch Reichsminister David mit seinem Vorschlag nicht durchzusetzen, die Kriegsschuldanklagen der Siegermächte mit dem Hinweis auf die NichtVerantwortlichkeit der neuen republikanischen Regierung für die Handlungen der kaiserlichen Reichsleitung zu kontern. Der dem rechten Flügel seiner Partei zuzurechnende Sozialdemokrat fand mit dieser Abgrenzungsstrategie nicht einmal Anklang bei seinen Parteifreunden 65 . Das Kabinett Scheidemann folgte statt dessen der ausnahmsweise einmal einmütigen Argumentation Erzbergers und Brockdorff-Rantzaus, 31 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

die dafür plädierten, die neue republikanische Regierung in allen außenpolitischen Belangen unbedingt als Rechtsnachfolgerin der kaiserlichen Kabinette auftreten zu lassen. Andernfalls geriet ihrer Auffassung nach die Rechtsverbindlichkeit der Lansing-Note vom 5. November 1918 als pactum de contrahendo und als völkerrechtliche Grundlage für einen zukünftigen Frieden in Gefahr, unterminiert zu werden 66 . Die Haltung der führenden MSPD-Politiker war jedoch nicht allein durch die von Brockdorff-Rantzau und Erzberger skizzierten außenpolitischen ›Sachzwänge‹ determiniert. Es kam hinzu, daß sich nach 1914 auch das Verhältnis der Sozialdemokratie zum Staat grundsätzlich gewandelt hatte. Seit Kriegsbeginn bildete die Überzeugung der Parteiführung, Deutschland führe einen Verteidigungskrieg, das Fundament sozialdemokratischer Politik. Die hieraus resultierende Zustimmung zu den Kriegskrediten entsprang fraglos der subjektiv aufrichtigen Furcht vor der in der Parteipresse oftmals beschworenen »russischen Gefahr«. Sie spiegelte aber mindestens ebensosehr eine lange unterdrückte Seite des sozialdemokratischen Selbstverständnisses wider: Das starke Loyalitätsempfinden der Partei gegenüber dem nationalen Staat. Im »Augusterlebnis« eröffnete sich für die SPD die Chan-e, aus der gesellschaftlichen und politischen Pariastellung, die sie im Kaiserreich unbeschadet aller Wahlerfolge innehatte, auszubrechen. Das deutsche Bürgertum, das in seiner Mehrheit der Sozialdemokratie bis dahin feindselig gegenüberstand, nahm die Partei der Arbeiterklasse jetzt mehr oder weniger bereitwillig in die ›nationale Einheitsfront‹ gegen die Kriegsgegner Deutschlands auf67. Das Bestreben der noch unter Bismarck als »vaterlandslose Gesellen« diskreditierten Sozialdemokraten, bessere Patrioten zu sein als ihre innenpolitischen Gegner, sollte sich fürderhin wie ein roter Faden durch die Burgfriedenspolitik von MSPD und Freien Gewerkschaften ziehen und auch nach dem militärischen und politischen Zusammenbruch des kaiserlichen Deutschland im Herbst 1918 nichts von seiner Bedeutung einbüßen. Für die Haltung der MSPD zur Kriegsschuldfrage ist es darüber hinaus nicht ohne Einfluß geblieben, daß die Partei nach dem Novemberumsturz der Parlamentarisierung Deutschlands unter bürgerlich-liberalen Vorzeichen den Primat vor der revolutionären Transformation des Reiches in ein sozialistisches Gemeinwesen eingeräumt hatte und damit in schroffsten Widerspruch zur revolutionären Linken in USPD und KPD geraten war. Dies verwies sie unausweichlich auf bürgerliche Koalitionspartner bzw. auf die traditionellen Machteliten in Bürokratie, Militär und Wirtschaft. Eine Diskreditierung des als ›Ordnungsfaktor‹ in der Innenpolitik benötigten alten Staats- und Militärapparates - und nichts anderes hätte das Zugeständnis eines gewichtigen deutschen Schuldanteils am Ausbruch des Krieges impliziert - konnte mithin nicht im Interesse der mehrheitssozialdemokratischen Spitzenpolitiker liegen: Dies um so weniger, als mit der Frage nach der Verantwortung für den Kriegsausbruch die Politik der MSPD im Weltkrieg stand und fiel68. Traf die These der Entente vom Angriffskrieg der Mittel32 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

mächte auch nur im entferntesten zu, rückte das sowohl die sozialdemokratische Zustimmung zu den Kriegskrediten als auch die Burgfriedenspolitik i.n ein überaus ungünstiges Licht und konnte als Bestätigung für die strikte Oppositionspolitik der USPD in den letzten Kriegsjahren aufgefaßt werden 6 9 . In der Kriegsschuldfrage dachte die Mehrheitssozialdemokratie mithin national. Das sollte sich erst recht nach Überreichung der alliierten Friedensbedingungen am 7. Mai 1919 herausstellen. Führende Parteipolitiker wie Otto Braun empfahlen ihren Genossen nunmehr, »nicht nur immer die Schuld Deutschlands zu sehen und sich über all das, was drüben gemacht worden ist, mit leichter Handbewegung hinwegzusetzen« 70 . In den Freien Gewerkschaften wurden die Vertragsbedingungen der Siegermächte gar als »die bündigste Rechtfertigung« dafür angeschen, daß das deutsche Volk im August 1914 den Krieg als Verteidigungskrieg führen und die äußersten Kräfte zur Abwehr der »gegnerischen Eroberungsabsichten« aufbieten mußte 7 1 . Von den bürgerlichen Parteien der Weimarer Koalition hat insbesondere die DDP, auf die sich die Hoffnung des gemäßigten Bürgertums in der Revolutionszeit konzentrierte, ihr politisches Schicksal aufs Engste mit dem Ausgang der Friedensverhandlungen verknüpft. Weit stärker als das Zentrum 7 2 , das in der Frühzeit der Republik eigentlich nur in Matthias Erzberger 73 , dem Leiter der deutschen Waffenstillstandskommission, einen Außenpolitiker von Format aufzuweisen hatte, konzentrierte sich die DDP auf die auswärtige Politik. Zahlreiche ihrer Angchörigen und Sympathisanten betätigten sich im Frühjahr 1919 äußerst aktiv in Organisationen, die, wie die im Dezember 1918 unter maßgeblicher Unterstützung des Auswärtigen Amtes entstandene »Deutsche Liga für Völkerbund« oder die im Februar 1919 auf Anregung Max v. Badens und Max Webers gegründete »Heidelberger Vereinigung« 74 , die Unterstützung der deutschen Friedensvertragspolitik und damit die Erreichung günstiger Friedensbedingungen auf ihre Fahnen geschrieben hatten. In enger Abstimmung mit dem AA entfalteten diese Einrichtungen, in denen ausschließlich Persönlichkeiten agierten, die im Weltkrieg als Opponenten der alldeutsch-annexionistischen Propaganda hervorgetreten waren, eine über die Grenzen Deutschlands hinausreichende Werbearbeit. Die Agitation dieser Gruppen zeichnete dabei ein Bild von der deutschen Friedenspolitik, in dem die Bereitschaft zur internationalen Zusammenarbeit und der Wille zum demokratischen Neubeginn gleichermaßen hervorstachen. So stellte die Völkerbund-Liga den Kampf für ein befriedetes, internationales Staatensystem in den Mittelpunkt ihrer Arbeit. Zur »Mission Deutschlands« wurde das Eintreten für einen »wahren Völkerbund« erklärt; pazifistische Gedanken galten fürderhin nicht mehr - wie noch im Kaiserreich - als verpönt, sondern wurden als Basis für die Außenpolitik des neuen demokratischen Staates reklamiert 75 . 33 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

So stark die genannten Organisationen die tiefgreifende demokratische Wandlung Deutschlands betonten und so sehr sie die Siegermächte an fortschrittlichem Gestaltungswillen im Hinblick auf eine umwälzende Neugestaltung der internationalen politischen Ordnung zu übertrumpfen suchten, so kompromißlos bezogen sie freilich auch gegen die alliierten Kriegsschuldanklagen Position. Namentlich die »Heidelberger Vereinigung« stellte den Kampf gegen die »Kriegsschuldlüge« der Entente in den Mittelpunkt ihrer Agitation. In ihrer Sicht der Ereignisse gab es nur eine »gemeinsame Schuld« aller kriegführenden Großmächte Europas. Man warf deshalb den Siegermächten vor, unter dem Deckmantel der Forderung nach einer gerechten Strafe für das ›kriegsschuldige‹ Deutschland, imperialistische Kriegsziele verwirklichen zu wollen 76 . In den Äußerungen der genannten linksliberalen Organisationen klang weit stärker als in vergleichbaren Kommentaren der MSPD eine tiefe moralische Entrüstung über die Entente-Anklagen an. Dies darf freilich den Blick nicht darauf verstellen, daß in den Kampf des politischen Linksliberalismus mindestens ebenso sehr innen- wie außenpolitische Wünsche und Erwartungen mit einflossen. Das Beharren auf dem defensiven Charakter der deutschen Kriegserklärungen und das ungebrochene Festhalten am Mythos vom Verteidigungskrieg boten nach Ansicht der DDP die einzige Gewähr für einen gleichberechtigten Eintritt Deutschlands in den auf der Versailler Konferenz gegründeten Völkerbund und damit die beste Garantie für die Erhaltung des deutschen Großmachtstatus. In dem Maße aber, in dem das Reich die Kriegsschuld auf sich nahm, galt es in den Augen der Weltöffentlichkeit - so eine nicht nur im Umkreis der DDP weitverbreitete Annahme als permanente Gefahr für den Weltfrieden und verspicke alle Chancen, in den Bund aufgenommen zu werden. Mithin wurde der Völkerbund für die Mehrheit der Partei zum nationalen »Rettungsmittel in schwerster Not«. Die dezidierte Parteinahme für den Völkerbund oder vielmehr für das Idealbild, das man sich in Deutschland von einem »wahren Völkerbund« machte, ließ jedoch nicht nur die relativ ungeschmälerte Erhaltung des Reiches in den Grenzen von 1914 erhoffen; sie wies im Bewußtsein vieler Linksliberaler noch darüber hinaus. Das von Wilson propagierte Selbstbestimmungsrecht der Völker schien einen langgchegten Traum der Realisierung ein gutes Stück näher zu bringen: Die ›Vollendung‹ des deutschen Nationalstaates durch den Anschluß Österreichs schien in greifbare Nähe gerückt zu sein. Dabei war die Beschwörung des großdeutschen Nationalstaates, die von jetzt an wie ein roter Faden die innen- und außenpolitischen Äußerungen führender DDP-Politiker durchzog, untrennbar verbunden mit der Forderung nach einer demokratisch strukturierten Verfassung des künftig zu schaffenden »ganzen Deutschland«. Abgeschen von der positiven Wirkung auf die chemaligen Kriegsgegner, die man sich von der Propagierung demokratischer Gedanken versprach, spiegeln sich in dieser engen Verflechtung 34 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

demokratischer und nationaler Postulate unübersehbar auch innenpolitische Ansprüche und Erwartungen wider. Mit der Verknüpfung von Demokratie und Nationalstaatsvision verbanden die Linksliberalen die unter wahltaktischen Aspekten nicht uneigennützige Hoffnung, das obrigkeitsstaatlich ausgerichtete Bürgertum mit der parlamentarischen Republik und die revolutionär gesinnte Arbeiterschaft mit dem bürgerlichen Staat zu versöhnen 77 . Vorstellungen dieser Art zielten auf die Reanimation der nationalen Psyche unter zugleich antirevolutionären und antireaktionären Vorzeichen. Sie erwuchsen aus dem real uneinlösbaren Anspruch, nicht eine beliebige Interessenpartei, sondern die einzig wirkliche »Volks- und Staatspartei« zu sein 78 , empfingen aber gleichzeitig wichtige Impulse aus der Sorge vor der Konkurrenz der rechtsliberalen Deutschen Volkspartei (DVP), die sich mit zunchmendem Erfolg anschickte, der DDP mittels nationalistischer Propaganda den beherrschenden Einfluß im Bürgertum streitig zu machen 79 . Insgesamt nährten die linksliberalen Entwürfe einer staatlichen und überstaatlichen Nachkriegsordnung die Friedensvertragsillusionen in der deutschen Bevölkerung, ohne jedoch realistische, außenpolitische Durchsetzungschancen zu besitzen. Allzu deutlich klangen vor allem in der Vision des »ganzen Deutschland« Mentalreservationen in Hinblick auf die Vormachtstellung des Reiches in Europa an, die den Sicherheitsinteressen Frankreichs diametral entgegenstanden. Es trat hinzu, daß auch die Demokraten letzten Endes nicht bereit waren, ihre Friedenspolitik auf das Zugeständnis einer überproportionalen Verantwortung Deutschlands für den Ausbruch des Weltkriegs zu gründen.

3. ›Probe aufs Exempel‹: Die Friedensstrategie Brockdorff-Rantzaus und die »Ehrenpunkte« Neuere historische Studien verweisen mit Recht darauf, daß sowohl die Sozialdemokraten als auch die Demokraten nur verschwindend geringen Anteil an der konkreten Ausgestaltung der deutschen Friedenspolitik im Frühjahr 1919 hatten 80 . In dieser Beziehung hat Lothar Albertin zutreffend von der »Selbstausschaltung« der MSPD gesprochen und für die DDP die Unfähigkeit konstatiert, ihren außenpolitischen Führungsanspruch einzulösen 81 . Die Beamten der alten Reichsbehörden beherrschten die politische Szene. Der Apparat des Auswärtigen Amtes besaß eine Art Deutungsmonopol der alliierten Absichten und der sich daraus ergebenen Folgerungen für die deutsche Politik 82 . Dies zeigte sich auch und gerade in der Kriegsschuldfrage. Politiker wie Matthias Erzberger und der deutsche Außenminister Graf Brockdorff-Rantzau beriefen sich hier immer wieder auf die Lagebeurteilungen verschiedener diplomatischer Vertreter im Ausland. So hatte etwa 35 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

der deutsche Gesandte in Bern, v. Romberg, den »Rat der Volksbeauftragten« schon am 29. November 1918 auf die ›verheerenden‹ Wirkungen der Eisnerschen Aktenveröffentlichungen aufmerksam gemacht 83 . Unter Berufung auf die französische Berichterstattung und seine französischen Gewährsleute warnte der Gesandte die Regierung vor weiteren Enthüllungen dieser Art und stellte dabei insbesondere die negativen Auswirkungen auf die innenpolitische Opposition der französischen Sozialisten gegen die amtierende Regierung Clemeneeau heraus. Die von der französischen Regierung mit Vehemenz vertretene These von der Alleinschuld Deutschlands am Kriegsausbruch sei, so v. Romberg, Teil einer Strategie, die der Absicherung der eigenen innenpolitischen Machtstellung diene. Man beabsichtige damit, die von der sozialistischen Opposition intendierte Herausstellung der Mitverantwortlichkeit Clemeneeaus und seiner Ministerkollegen am Kriegsausbruch zu konterkarieren. Jedes weitere deutsche Schuldeingeständnis arbeite mithin der französischen Regierung in die Hände und mache einen für das Reich günstigen Regierungswechsel in Frankreich unmöglich. Ähnlich negative Auswirkungen der Eisner-Veröffentlichungen glaubte der Vorsitzende der deutschen Waffenstillstandskommission und spätere Reichsfinanzminister, Matthias Erzberger, für das neutrale Ausland nachweisen zu können. Der Zentrumspolitiker berief sich auf den Bericht eines »holländischen Vertrauensmannes« über die Aufnahme der »Bayerischen Dokumente zum Kriegsausbrauch« in den Niederlanden 84 . In gut unterrichteten diplomatischen Kreisen sei, so der ungenannte Vertrauensmann, die Aktenpublikation als »kein glückliches Manöver« bezeichnet worden. Bei einer Fortsetzung der von Eisner empfohlenen außenpolitischen Linie gerate das Reich in Gefahr, mit dem Makel »der Eröffnung eines ungerechtfertigten Krieges« behaftet zu werden und müsse dann ungünstigere Friedensbedingungen gegenwärtigen. Dabei könne sich die neue Regierung nicht einmal auf ihre nachträgliche Distanzierung vom kaiserlichen System bzw. auf die Unschuld des deutschen Volkes berufen. Gerade die Bevölkerung des Reiches habe in vier Kriegsjahren nie versucht, sich von den »Urhebern des Verbrechens« zu trennen: »Wer auch unwissend an einem solchen teilnimmt, macht sich doch mit diesem solidarisch und kann als de facto Mitschuldiger bei seiner Ausführung später nie auf Unschuld plädieren.« Die erwähnten Berichte verfolgten den Zweck, die revolutionäre Regierung auf eine ›harte Linie‹ in der Kriegsschuldfrage einzustimmen 85 . Entsprechend niedrig ist ihr Realitätsgehalt einzuschätzen. Von einer negativen Resonanz der Eisner-Veröffentlichungen in französischen Linkskreisen kann jedenfalls nicht die Rede sein. Das Gegenteil ist cher anzunehmen. Die Außenpolitik des bayerischen Ministerpräsidenten fand, wie der Historiker Pierre Miquel betont, anerkennende Zustimmung sowohl auf der französischen Rechten als auch auf der französischen Linken 86 . Das gleiche dürfte für einen großen Teil der Presse des neutralen Auslands und nicht zuletzt für alle gemäßigten europäischen Arbeiterparteien einschließlich der englischen und 36 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

belgischen Sozialisten gegolten haben. Immerhin waren es gerade die freimütigen Schuldeingeständnisse Eisners und Kautskys, die die deutsche Mehrheitssozialdemokratie in Bern vor dem befürchteten ›Scherbengericht‹ bewahrten 8 7 . Harm Mögenburg hat in seiner detailreichen Studie über das Verhältnis der englischen Regierung zur deutschen Revolution herausgearbeitet, daß schließlich auch das britische Foreign Office und selbst Premierminister Lloyd George trotz aller ideologischen Vorbehalte für die Haltung des bayerischen Ministerpräsidenten gewisse Sympathien zeigten. Sicherlich, die Anerkennung, die man in Paris und London dem Schritt Eisners zollte, war in erster Linie taktisch bestimmt, bestätigten doch die Veröffentlichungen die im alliierten Lager weitverbreitete Ansicht von der unheilvollen, aggressiven Rolle Deutschlands während der Julikrise 1914. Indes begründeten die Eisner-Enthüllungen keineswegs die sich zunehmend verhärtende Haltung der Versailler Verhandlungspartner in der Schuldfrage, auch wenn die Münchener Dokumente später zur Legitimierung der alliierten Anklagen herangezogen wurden. Verantwortlich für die Verschärfung der Kriegsschuldkontroverse war vielmehr die in der Sache wenig konzessionsbereite Friedenspolitik der deutschen Reichsregierung und ihrer Friedensdelegation, die in den Augen französischer und englischer Politiker jeglichen Gesinnungswandel vermissen ließ 88 . Gerade die Behandlung der Kriegsschuldfrage durch Parteien, Regierung und Öffentlichkeit im Reich nahm für die Siegermächte im Laufe des Frühjahrs 1919 immer stärker den Charakter einer ›Probe aufs Exempel‹ für die innere Wandlung Deutschlands an 89 . Wie schon die Solf-Note vom 28. November 1918 zeigt, herrschte dabei an entsprechenden offiziellen und offiziösen Äußerungen des Reiches kein Mangel. Die Dringlichkeit einer Klärung des Kriegsschuldproblems wurde von deutscher Seite immer wieder hervorgchoben. In einer Presseerklärung vom 24. Januar 1919 nannte Graf Brockdorff-Rantzau die Kriegsschuld einen der »zentralen Punkte«, an denen sich die Frage nach dem »neuen System in der Politik« und nach der Neuordnung der internationalen Beziehungen entscheiden werde. Nur wer ein schlechtes Gewissen habe, könne sich dem Wunsche entzichen, »das Seinige zu tun«, damit die Frage der Schuld am Kriege eine so allseitige Behandlung wie möglich erhalte. Gleichzeitig warnte der deutsche Außenminister die Siegermächte vor den Folgen einer einseitigen Behandlung dieses Problems: In den geplanten Völkerbund könne Deutschland nicht als Paria eintreten und ebensowenig könne es seinerseits diesem Völkerbund Vertrauen entgegenbringen, »wenn man es bei seinem Eintreten mit Verleumdungen und übler Nachrede empfängt« 90 . Ein Blick auf die Arbeiten des »Spezialbüros v. Bülow«, die in der historischen Forschung bislang nur unzureichende Erwähnung gefunden haben, offenbart freilich, in wie starkem Maße dieses Plädoyer Brockdorff-Ranzaus für eine vorbchaltlose Klärung der Kriegsschuldfrage deklamatorischen 37 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

Charakter trug. Dieses Büro wurde zur Jahreswende 1918/19 eingerichtet 91 und später der von Graf Bernstorff geleiteten »Geschäftsstelle für die Friedensverhandlungen« angegliedert 92 . Es erhielt die Aufgabe, die in den verschiedenen Reichsämtern, namentlich im AA befindlichen deutschen Akten zum Kriegsausbruch zu sammeln, zu sichten und für die außenpolitische Verwendung aufzubereiten. Daneben richtete sich das Hauptaugenmerk der Arbeit auf die gezielte Überprüfung des von der revolutionären russischen Regierung veröffentlichten Dokumentenmaterials zur zaristischen Bündnis- und Kriegspolitik 93 . Bis zur Abreise der deutschen Delegierten nach Versailles unterstand das Büro, das insgesamt fünf Fachkräfte und eine Schreibhilfe beschäftigte 94 , direkt dem Legationssekretär im AA, Bernhard W. v. Bülow. Während des Versailles-Aufenthalts v. Bülows, der in die politische Kommission der deutschen Friedensdelegation berufen worden war und dort für die Bearbeitung der Kriegsschuldfrage verantwortlich zeichnete 95 , führte sein Bürovorstcher Großkopf die Geschäfte. Die Verbindung zwischen Berlin und Versailles riß freilich nie ab. V. Bülow übermittelte fast täglich chiffrierte Anweisungen und erhielt ebenso häufig aufbereitete Geheimakten zur Kriegsschuldproblematik übersandt 96 . Dieser Dokumentenfluß scheint allmählich das diesbezügliche Materialdefizit abgemildert zu haben, das v. Bülow den mangelnden Vorbereitungen der kaiserlichen Regierungen zuschrieb 97 . Bereits Ende Mai 1919 hatte das »Spezialbüro v. Bülow« eine »Kartothck« erstellt, in der etwa 7000 Aktenstücke sowohl chronologisch als auch systematisch geordnet zusammengefaßt worden waren. Das gleichfalls erarbeitete Personenregister sollte den Zugriff auf die Akten zusätzlich erleichtern helfen 98 . Die Richtlinien, nach denen diese Arbeit vonstatten gehen sollte, waren in ersten Ansätzen zu Beginn desJahres 1919 entwickelt worden. Am 7. Januar 1919 waren unter dem Vorsitz des Leiters der deutschen Waffenstillstandskommission, Matthias Erzberger, Angehörige der OHL und des AA zusammengetroffen, um eine Abstimmung der Ämter über die Aufarbeitung von Aktenmaterial herbeizuführen, aus dem die eventuellen Kriegsvorbereitungen Deutschlands und der Entente ersichtlich werden sollten. Man beschloß, in dieser Beziehung arbeitsteilig vorzugchen und beauftragte Major Bodo v. Harbou, einen chemaligen Mitarbeiter Ludendorffs, mit der Sichtung der entsprechenden Heeresakten sowie v. Bülow mit der Durchforstung des in Frage kommenden diplomatischen Schriftverkehrs; v. Bülow übernahm zudem die Federführung für das Gesamtprojekt 99 . Bereits am 22. Januar 1919 trafen die genannten amtlichen Stellen erneut zusammen. Hierbei einigten sie sich auch auf übergreifende Gesichtspunkte, nach denen die in Frage kommenden Arbeiten zu ordnen und zusammenzustellen waren. Ein Blick auf diese Gesichtspunkte läßt bereits ahnen, in welcher Weise man die geplante Dokumentensammlung zu verwenden beabsichtigte. Die Zusammenstellung sollte Materialien enthalten, aus denen die »Vorbereitungen unserer Feinde von langer Hand für [den] gemein38 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

samen Krieg gegen Deutschland« ebenso zweifelsfrei hervorgingen wie die »unmittelbare Schuld unserer Feinde am Kriegsausbruch«. Im einzelnen beabsichtigte man, Akten über die steigenden Rüstungsausgaben Frankreichs in der Vorkriegszeit sowie Materialien über die intensive Schulung des britischen Festlandsheeres beizubringen. Den Italienern suchte man die gezielte Provokation Österreich-Ungarns und den Russen eine langfristig geplante Thesaurierung von finanziellen Mitteln für den Krieg nachzuweisen 1 0 0 . Eine weitere Besprechung, die am 22. Februar 1919 unter dem Vorsitz Graf Bernstorffs in der »Geschäftsstelle für die Friedensverhandlungen« stattfand 101 , erweiterte den Kreis der an der Vorbereitung für die erwartete Kriegsschulddiskussion in Versailles beteiligten Ämter. Dem preußischen Kriegsministerium, der Reichsmarine, dem Reichsjustizamt und dem Reichswirtschaftsamt wies man nunmehr ebenfalls fest umrissene Aufgaben zu. Geladen waren auch chemals einflußreiche Politiker wie der Staatssekretär a. D. v. Jagow. Namhafte DDP-Politiker oder gar Sozialdemokraten nahmen an der Besprechung nicht teil, sicht man einmal von Graf Bernstorff ab, der mit der linksliberalen DDP sympathisierte 102 . Die in der Sitzung vom 22. Februar 1919 vergebenen Arbeitsaufträge und die politisch-ideologische Ausrichtung der damit betrauten Politiker, Beamten und Militärs erhärten noch die Vermutung, daß die beizubringenden Akten und Dokumente nicht etwa einer vorbehaltlosen Klärung der Verantwortung für den Kriegsausbruch, sondern der einseitigen Entlastung der wilhelminischen Kriegs- und Vorkriegspolitik dienen sollten. So bat man v. Jagow, eine Denkschrift über die Lage Deutschlands im Juni/Juli 1914 zu erstellen, die, wie Generalmajor v. Winterfeld, der Beauftragte des Generalstabs, anregte, insbesondere den aggressiven Charakter der »Revanchepolitik Frankreichs« in den Mittelpunkt der Betrachtung stellen sollte. An das preußische Kriegsministerium erging der Auftrag, »gegen die Behauptung einer militärischen Vorbereitung Deutschlands zum Krieg« Stellung zu bezichen. Einen ähnlich lautenden Auftrag, der sich auf etwaige wirtschaftliche Kriegsvorbereitungsmaßnahmen konzentrierte, übernahm das Reichswirtschaftsamt. Das AA schließlich betraute man mit einer Dokumentenzusammenstellung, aus der »die feindselige und kriegerische Haltung der Entente« in den letzten Kriegsjahren und in der Julikrise hervorzugehen hatte. Neben dem Problem der »Schuld am Kriege« wurde in der Besprechung vom 22. Februar 1919 auch die Frage der »Schuld im Kriege« eingehend erörtert. In diesem Zusammenhang wies man den Generalstab, das Reichsmarincamt und das Kriegsministerium an, eine Denkschrift zur »Widerlegung feindlicher Vorwürfe gegen die deutsche Kriegführung« anzufertigen. Die Wilhelmstraße erbot sich parallel dazu, die während des Krieges bekanntgewordenen Völkerrechtsverletzungen der Alliierten zusammenzustellen. Letzterem maßen die an der Aussprache beteiligten Militärs beson39 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

dere Bedeutung zu, weil sich hier, wie es im Protokoll hieß, die Möglichkeit biete, »zum Gegenangriff« überzugchen. Den Abschluß der Tagesordnung bildete die von den Alliierten bereits früh ins Zentrum ihrer Kriegsschuldanklagen gerückten Thesen von der persönlichen Verantwortung des deutschen Kaisers und der völkerrechtswidrigen deutschen Kriegsführung. Der für diese überaus heikle Problematik zu erarbeitende Argumentationsrahmen - eine Gemeinschaftsarbeit des AA und des Reichsjustizamts - sollte Kaiser Wilhelm IL von den Beschuldigungen entlasten. Bevor die Gesprächsteilnchmer auseinandergingen, einigten sie sich darauf, alle ins Auge gefaßten Ausarbeitungen mit Abschriften besonders aussagckräftiger Dokumente zu verschen, wobei nach einhelliger Überzeugung nur »einwandfreies und jederzeit beweisbares Material« verwendet werden sollte 103 . Übereinstimmung herrschte schließlich auch darüber, daß die Ämter »in völliger Offenheit und Wahrhaftigkeit« zusammenarbeiten müßten 104 . Die meisten Arbeiten gelangten in erstaunlich kurzer Zeit zum Abschluß 105 . Ihre Qualität scheint jedoch unter dem erheblichen Termindruck gelitten zu haben; zumindest zeigte sich v. Bülow vor allem von den Ausarbeitungen der Militärbehörden keineswegs angetan und rügte ihre sprunghafte Darstellungsweise und ihre wenig schlüssigen Ergebnisse 106 . Dennoch sollten diese Arbeiten neben den Dokumenten, die das Spezialbüro v. Bülow in eigener Regie zusammenstellte, die materielle Grundlage der später berühmt gewordenen »Professoren-Denkschrift« bilden und die offiziellen deutschen Stellungnahmen zur Kriegsschuldfrage in Versailles nachhaltig beeinflussen. Es ist deshalb durchaus keine gewagte These, diesen Ausarbeitungen eine weit höhere außenpolitische Relevanz beizumessen als allen vergleichbaren offiziellen bzw. inoffiziellen Aktionen und Bestrebungen der sozialdemokratisch geführten Reichsregierungen. Das gilt auch und gerade für den noch vom »Rat der Volksbeauftragten« erteilten Auftrag, die deutschen Dokumente zur Vorgeschichte des Weltkrieges zu sichten und mit größtmöglicher Beschleunigung zu veröffentlichen107. Das Schicksal dieser Dokumentensammlung, mit deren Bearbeitung der beigeordnete Unterstaatssckretär im AA, Karl Kautsky, betraut worden war, wird uns später noch beschäftigen und muß deshalb an dieser Stelle nicht in allen Einzelheiten nachgezeichnet werden. Festzuhalten bleibt jedoch, daß die Materialien, die der USPD-Politiker den hierfür zuständigen Stellen bereits im März 1919 druckfertig vorlegte 108 , für einige Aufregung in Kabinettskreisen sorgten, da sie ein ungünstiges Licht auf die reichsdeutsche Politik in den kritischen Tagen und Wochen nach Sarajewo warfen. Zwar hielt Kautsky nach Einsichtnahme in die Akten sein ursprüngliches Urteil, Deutschland habe den Krieg planmäßig herbeigeführt, nicht länger aufrecht; die Geheimdokumente des AA ließen aber, wie Kautsky konstatierte, durchaus den Schluß zu, daß die deutschen Machthaber in der Juliknse 1914 »unsäglich leichtfertig und kopflos« gehandelt hatten und damit die Hauptverantwortung für den Ausbruch des Weltkrieges trugen 109 . 40 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

Der niederschmetternde Eindruck, den die von Kautsky beigebrachten Dokumente bei der Mehrheit der Regierungsmitglieder hinterließ, veranlaßte das Kabinett dazu, ihre Veröffentlichung vorerst zurückzustellen. Gegen diese Entscheidung hatte lediglich der sozialdemokratische Minister David votiert. Sein Argument, das Ausland besitze ohnehin Kenntnis von einem Großteil der Dokumente oder würde diese in kürzester Zeit erhalten, vermochte sich freilich im Kabinett nicht durchzusetzen, da insbesondere Brockdorff-Rantzau scharf gegen eine Publizierung der Kautsky-Dokumente polemisierte 110 . Der Außenminister schloß sich dabei einer gutachtlichen Stellungnahme an, die der Vertreter des AA bei der Waffenstillstandskommission, Graf Oberndorff, über die Aktensammlung angefertigt hatte. Oberndorff nannte darin die Dokumentation »ebenso unnötig wie unheilvoll für die deutsche Sache«, weil sie die Katastrophe von 1914 isoliert betrachte und nicht als folgerichtiges Ergebnis der Politik aller Großmächte in der Vorkriegszeit begreife. Durch die Beschränkung der Aktenauswahl auf die Zeit nach dem Mord von Sarajewo verschiebe sich das Geschichtsbild über den Kriegsausbruch einseitig zu Ungunsten des Kaiserreichs 111 . Diese Auffassung leuchtete den Ministern offenbar unmittelbar ein. Die deutsche Vorkriegspolitik sei, wie es in Kabinettskreisen hieß, angemessen nur zu beurteilen unter Beachtung der weiteren Vorgeschichte des Krieges, der »Einkreisungspolitik« Englands, der »Revanchepolitik« Frankreichs sowie der »panslawistischen und großserbischen Politik« 112 . Kautskys eindringliche Warnungen, das Mißtrauen dere h e m a l i g e nKriegsgegner gegenüber dem demokratischen Wandlungsprozeß in Deutschland durch Zurückhaltung der Dokumente nicht unnötig zu verstärken, verfehlten demgegenüber jeden Eindruck auf die Reichsregierung. Auch sein Hinweis auf die bereits im Februar 1919 - aus Anlaß der Berner Sozialisten-Konferenz öffentlich angekündigte Edition der Dokumentensammlung verhallte ungehört 113 . Ein Blick in die Akten der Wilhelmstraße enthüllt die Zweigleisigkeit, durch die die taktische Einbindung des Kriegsschuldproblems in die Friedensstrategie Brockdorff-Rantzaus von vornherein bestimmt war. Nach außen hin orientierte man sich an den »Richtlinien für die deutschen Friedensunterhändler«, die schon im Januar 1919 in ihren wesentlichen Grundzügen konzipiert worden waren. Dieser später mehrfach überarbeitete Leitfaden für die Friedensdelegation wies, was die alliierten Schuldanklagen anbetraf, einen bemerkenswert defensiven Grundzug auf und folgte insgesamt der von Staatssckretär Solf im November 1918 eingeleiteten Politik einer Abkoppelung des Kriegsschuldproblems von den übrigen in Versailles zu behandelnden Verhandlungsgegenständen, vor allen) von den Reparationsforderungen der Siegermächte. Es war beabsichtigt, in Versailles auf die allerorten noch verschlossenen Archive aufmerksam zu machen und die daraus resultierende Unmöglichkeit herauszustellen, ein abgewogenes Urteil über den tatsächlichen Hergang der Julikrise zu fällen. Ferner wollte man 41 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

den Willen des republikanischen Deutschland zur Aburteilung der ›Kriegsschuldigem betonen und hier das Staatsgerichtshof-Projckt in die Waagschale werfen. Vor dem Hintergrund der beiden vorgenannten Argumente sollte schließlich den alliierten und assoziierten Mächten vorgeschlagen werden, »unter Vorbehalt der Schuldfrage in die Friedensverhandlungen einzutreten« 114 . Wie die Arbeiten des »Spezialbüros v. Bülow« zeigen, richtete sich das AA gewissermaßen hinter vorgehaltener Hand bereits zur Jahreswende 1918/19 darauf ein, die defensive bzw. dilatorische Behandlung des Kriegsschuldproblems zugunsten einer offensiven Haltung aufzugeben, sobald dies erforderlich oder möglich erschien. Für einen solchen Eventualfall waren Aktenveröffentlichungen geplant, die ihrerseits die Alliierten mit der Hauptverantwortung am Kriegsausbruch belasteten. Das vorbereitete Material sollte nach dem ›bewährten‹ Muster der deutschen Kriegspropaganda verwertet werden. Dabei galt es im einzelnen nachzuweisen, »daß Rußland sich speziell auf diesen Krieg vorbereitet und seinen Ausbruch herbeigeführt hat [sowie] daß die Entente schon seit langem mit einem Krieg rechnete und diesen nicht ungern sah«. Nach der strikten Ablehnung einer neutralen Kriegsschuldkommission durch die Alliierten im März 1919 trat der Gedanke hinzu, im Alleingang von Berlin aus ein solches Gremium ins Leben zu rufen und ihm die ausgewählten Bestände des Spezialbüros zur Verfügung zu stellen 115 . Bezeichnenderweise fand sich das AA bereit, die Tragfähigkeit der offensiven Seite seiner ›Kriegsschuldstrategie‹ mit kleineren Einzelvorstößen auszuloten, noch bevor die Alliierten zu dem deutschen Vorschlag einer internationalen Untersuchung der Kriegsschuldfrge offiziell Stellung genommen hatten. Das Amt trat bereits im Dezember 1918 - aus Anlaß der Ankunft des amerikanischen Präsidenten Wilson in Paris - an den chemaligen deutschen Botschafter in Paris, Frhr. v. Schoen, mit der Bitte heran, bestimmte Geheimakten, die die französische Politik in der Julikrise belasteten, »im Wege des Interviews« der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Das Begleitschreiben, in dem man dieses Vorhaben näher erläuterte, bezeichnete es als »höchst vaterländische Pflicht«, den Kampf gegen die alliierten Schuldanklagen energisch aufzunchmen, »gerade weil durch diese Machinationen die unerhörten Schadensersatzforderungen unserer Gegner begründet werden«. Das Schreiben kündigte überdies weitere Enthüllungen an, die unmittelbar folgen würden 116 . Das vom AA Wort für Wort vorbereitete Interview v. Schoens erschien am 21. Dezember 1918 sowohl in der »Kölnischen Zeitung« als auch im »Berliner Lokal-Anzeiger« und erregte zumindest im Inland publizistische Aufmerksamkeit 117 . Unter Bezugnahme auf die Äußerungen v. Schoens befand die »Norddeutsche Allgemeine Zeitung«, daß die Verantwortung der Führer des kaiserlichen Deutschland für den Ausbruch des Krieges keineswegs erwiesen sei. Die von der revolutionären Sowjetregierung pu42 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

blizierten, zaristischen Gcheimakten stützten cher die Vermutung, daß die »Hauptschuld« auf Deutschlands Seite nicht zu suchen sei 118 . Schenkt man einer nachträglichen Beurteilung v. Bülows Glauben, blieb die erhoffte Wirkung des Schoen-Interviews im Ausland jedoch aus. V. Bülow zufolge hüllte sich selbst die deutschfreundliche Presse im neutralen Ausland in Schweigen, vermutlich um die ohnehin gespannte internationale Atmosphäre nicht noch stärker aufzuladen. Die chemaligen Kriegsgegner ignorierten die deutschen Enthüllungen 119 . Die alles andere als ermutigende Resonanz dieses Vorstoßes scheint das AA in seinem Entschluß bestärkt zu haben, sich mit der Laneierung vergleichbarer Veröffentlichungen vorläufig zurückzuhalten und statt dessen die Sichtung einschlägiger Archivbestände zu intensivieren. Wie v. Bülow später bemerkte, ließ gerade die in den ersten Monaten des Jahres 1919 noch verhältnismäßig schmale Materialbasis selbst den Kreis der Eingeweihten an der »Zugkraft der deutschen Argumente« zweifeln 120 . Bestimmender freilich war die Tatsache, daß man sich mit einem offensiven Vorgehen in der Schuldfrage innen- und außenpolitisch dem Vorwurf der Doppelzüngigkeit aussetzte. Bezeichnenderweise hat Brockdorff-Rantzau den nicht nur von führenden Militärs, sondern auch von einigen Diplomaten 121 wiederholt geforderten offiziellen »Gegenangriff« lange Zeit mit dem Hinweis auf die deutsche Linke abgelehnt. Man könne, so der Graf, bei der Zusammensetzung der Reichsregierung nicht wissen, »was von der einen oder anderen Seite unternommen wird« und man riskiere bei einem offensiven Vorgchen, »daß die radikalen Elemente uns mit unangenchmen Veröffentlichungen in den Rücken fallen« 122 . Unüberhörbar klingt hier die für den nationalen Außenpolitiker Brockdorff-Rantzau überaus bittere Erinnerung an das Beispiel des bayerischen Ministerpräsidenten Eisner an. Die am 7. Mai 1919 übergebenen alliierten Friedensbedingungen, in denen die Siegermächte die Kriegsverantwortung Deutschlands im Vertrag festschrieben 123 , änderten diese Ausgangslage schlagartig. Die sogenannten Ehrenpunkte rückten in den folgenden Wochen in das Zentrum des Entrüstungssturms, den das ›Diktat‹ der Kriegsgegner in der deutschen öffentlichen Meinung hervorgerufen hatte. Der von der »Reichszentrale für Heimatdienst« zusammen mit den Presseabteilungen der verschiedenen Reichsministerien nunmehr in Gang gesetzte Propagandafeldzug schürte die Erregung durch eine gezielt emotionalisierende Herausstellung der alliierten Kriegsschuldanklagen 124 . Die Agitation suggerierte mit der offiziell ausgegebenen Parole des »Unerfüllbar« in der deutschen Bevölkerung einen Entscheidungsspielraum in bezug auf die Annahme oder Ablehnung des Friedensvertrages, der in Wirklichkeit nicht mehr vorhanden war 1 2 5 . An dieser Kampagne war das Auswärtige Amt - oftmals unter Überschreitung seiner Kompetenzen maßgeblich beteiligt 126 . Um die Propaganda zu forcieren, versorgte das Amt Zeitungen und Zeitschriften mit Materialien und Argumenten gegen 43 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

die einschlägigen alliierten Aktenpublikationen 127 , die während des Krieges veröffentlichten Farbbücher zum Kriegsausbruch 128 . In den folgenden Tagen und Wochen beschäftigten sich beinahe alle namhaften Presseorgane in Deutschland mit diesen Aktensammlungen, die den Siegermächten als Grundlage ihrer Schuldanklagen gegen das Reich gedient hatten. Unisono wurden die Farbbücher zu Produkten der »feindlichen Kriegshetze und Kriegspropaganda« gestempelt 129 . Gegen ihren Inhalt stellte man deutsche und russische Gcheimakten, die zum größten Teil aus den Beständen des A A stammten sowie belgische Dokumente, die den deutschen Truppen bei der Besetzung des Landes in die Hände gefallen waren. Das Ergebnis dieser ›Prüfung‹ war eindeutig. Für den Großteil der deutschen Zeitungen stand die »Schuld und der Kriegswille der Entente« völlig außer Frage 130 . Soweit wie vielerorts die deutsche Presse, die die Entente, ohne große Unterschiede zu machen, mit dem Odium der Kriegsschuld belastete, glaubte die von Brockdorff-Rantzau geleitete Friedensdelegation in ihrem Notenverkehr mit den Siegermächten nicht gehen zu dürfen. Man protestierte zwar in einer für diplomatische Gepflogenheiten kaum zu überbietenden Schärfe gegen den Inhalt des Vertragsentwurfs sowie gegen die Form, in der die Friedensbedingungen den Deutschen überreicht worden waren. Mit Blick auf die neutralen Staaten und die vornehmlich sozialistische Opposition in den Ententeländern, die als Adressaten der deutschen Noten immer mit angesprochen waren, um die Alliierten auch innenpolitisch unter Druck zu setzen, wurde jedoch die (Selbst)-Kritik an der Vorkriegspolitik des Reiches weiterhin aufrechterhalten. Letzteres war freilich kaum mehr als eine rhetorische Pflichtübung, denn gleichzeitig lasteten die deutschen Noten dem zaristischen Rußland die Hauptverantwortung für den Kriegsausbruch an. Von diesem Vorgchen erhoffte sich Brockdorff-Rantzau eine Entlastung des Reiches, ohne die Schuldanteile Frankreichs und Englands thematisieren zu müssen. Es sollte ein Staatswesen angeprangert werden, das aufgehört hatte zu existieren und dessen revolutionäre Nachfolger im Kreis der kapitalistischen Siegermächte auf Ablehnung und tiefes Mißtrauen stießen 131 . Auch diese taktische Variante war lange vor dem 7. Mai im Umkreis der Wilhelmstraße antizipiert worden. Das AA hatte schon im Februar 1919, als es darum ging, die Tagebuchaufzeichnungen des chemaligen deutschen Botschafters in Petersburg, Graf v. Pourtalès, über die Zeit unmittelbar vor und nach dem Kriegsausbruch auf ihre Brauchbarkeit für die Exkulpierung der Regierung Bethmann Hollweg zu überprüfen, großes Interesse daran bekundet, »daß die Schuldfrage von neuem eine Rußland belastende Darstellung erfährt« 132 . Die gleiche Absicht dürfte der deutsche Gesandte in Den Haag, Friedrich v. Rosen, mit seinem Vorschlag verbunden haben, die im Februar 1919 stattfindende Berner Sozialistenkonferenz durch die deutsche Mehrheitssozialdemokratie zu einem Tribunal gegen die chemalige zaristische Regierung umfunktionieren zu lassen 133 . Vor dem Hintergrund der einseitigen 44 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

Belastung Rußlands wird schließlich auch verständlich, daß BrockdorffRantzau nach einigem Zögern das Angebot Otto Bauers, des sozialdemokratischen Staatssekretärs im Wiener Ministerium des Äußeren, ausschlug, österreichisches Aktenmaterial, das den deutschen Standpunkt in der Frage der Kriegsschuld stützte, im Notenwechsel mit den Siegermächten zu verwenden 1 3 4 . Bauer hatte der deutschen Seite Dokumente angeboten, die die Politik des Kaiserreichs in den kritischen Tagen nach Sarajewo in einem günstigen Licht zeigten, die Habsburger Monarchie hingegen schwer belasteten 135 . Ihren Ausdruck auf diplomatischer Ebene fand diese Strategie in der den Alliierten in der letzten Maiwoche des Jahres 1919 überreichten »Professoren-Denkschrift«, einem umfangreichen deutschen Gutachten zur Kriegsschuldfrage, das auf der Materialsammlung des »Spezialbüros v. Bülow« basierte und als dessen Verfasser Hans Delbrück, Maximilian Graf v. Montgelas, Albrecht Mendelssohn-Bartholdy und Max Weber figurierten. Alle Genannten waren Persönlichkeiten, die auch im Ausland als Vertreter des ›anderen‹ Deutschland anerkannt und hoch geschätzt wurden. Die Autorenschaft der Wissenschaftler und Publizisten war freilich mehr symbolischer Natur; die Denkschrift sollte durch ihre Namen aufgewertet werden. In Wirklichkeit hatte man das Gutachten in seinen wesentlichen Grundzügen bereits fertiggestellt, noch che die ›Professoren‹ nach Versailles berufen wurden 1 3 6 . Die Denkschrift räumte »Fehler und Schwächen des alten Systems«, besonders in der Außenpolitik der Vorkriegszeit ein, sprach das kaiserliche Deutschland aber insgesamt von jedem Kriegswillen frei. Sie lastete statt dessen dem Zarismus, »dem fürchtbarsten System der Verknechtung von Menschen und Völkern, welches bis zum jetzt vorgelegten Friedensvertrage jemals ersonnen worden ist«, die Hauptverantwortung für die militärische Eskalation der Julikrise an. Die deutsche Politik in den Wochen nach dem Attentat in Sarajewo wurde hingegen als ihrer Natur nach defensiv charakterisiert. Dementsprechend hieß es im Resümee der Denkschrift: »Nur als Verteidigungskrieg gegen den Zarismus hat 1914 das deutsche Volk - wie mit Recht namentlich die gesamte Sozialdemokratie damals erklärt h a t - den Kampf einmütig und geschlossen aufgenommen« 137 . Die zahlreichen Noten der deutschen Friedensdelegation, insbesondere die Note zur Kriegsschuldfrage und die »Professoren-Denkschrift«, lösten im Lager der Alliierten die schärfsten Reaktionen aus 138 . Dort hatte man nie an der Verantwortung der Mittelmächte für den Kriegsausbruch gezweifelt, verstand diese Schuldzuweisung aber nicht als Generalklausel im moralischen Sinne, sondern bezog sie auf die Auslösung des Krieges durch die Kriegserklärungen und Angriffshandlungen Deutschlands und ÖsterreichUngarns im Sommer 1914 139 . Erst die Politik Brockdorff-Rantzaus brachte die Sieger in den Zugzwang, ihre Haltung in der Kriegsschuldfrage auch vor der eigenen Öffentlichkeit schärfer zu pointieren. Das Resultat war die 45 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

eingangs erwähnte Mantelnote vom 16. Juni 1919, die eine weit überzogene moralische Verurteilung des Kaiserreichs enthielt und Deutschland die ›Alleinschuld‹ am Ausbruch des Weltkriegs aufbürdete. An keiner Stelle des Dokuments wurde freilich verlangt, daß die Deutschen die »Ansicht«, die »Überzeugung« oder das »Urteil« der Alliierten über die preußisch-deutsche Politik in der unmittelbaren Vorkriegszeit teilen oder gar durch ihre Unterschrift bestätigen sollten 140 . Insofern stellte die vom französischen Ministerpräsidenten Clemenceau unterzeichnete Note keineswegs die »authentische Interpretation« des Artikels 231 dar, als die sie in Deutschland in der Weimarer Zeit angeschen wurde 1 4 1 . Dieser Artikel selber war, wie Klaus Schwabe konstatierte, »die Kompromißformel, mit der die Siegermächte ihre divergierenden Ansichten zur Reparationsfrage auf einen Nenner zu bringen und sich damit vor parlamentarischer Kritik in ihren Heimatländern zu schützen vermochten« 1 4 2 . Udo Wengst, dem wir die bislang aufschlußreichste Untersuchung über die Friedenspolitik Brockdorff-Rantzaus verdanken, hat im Zusammenhang mit dem Ausgang der Versailler Verhandlungen gefolgert, »daß Rantzau die sich verhärtende Haltung der Entente in der Schuldfrage nicht unerwünscht war, denn unter diesen Umständen stiegen für ihn die Chaneen, Regierung und Nationalversammlung für die Ablehnung des vorliegenden Friedensentwurfs zu gewinnen« 1 4 3 . In die gleiche Richtung deutet auch der »Bericht der Deutschen Friedensdelegation über die Rückantwort der Alliierten und Assoziierten Regierungen«, der die Berliner Regierung am 17. Juni 1919 erreichte. Die Delegierten nannten darin die Friedensbedingungen »unerträglich und unerfüllbar«. Sie legten dem Kabinett eindringlich nahe, den Vertragsentwurf strikt zurückzuweisen. Mit konkreten politischen Handlungsanweisungen konnten sie allerdings nicht aufwarten. Sie verwiesen die Reichsregierung statt dessen mit dem Pathos der Ratlosigkeit auf die Fiktion einer friedlicheren und gerechteren Zukunft: »Wenn aber der Gegner seine Drohung ausfuhren und gegen uns trotz unserer Bereitwilligkeit, alle gerechten Forderungen zu erfüllen, Gewalt anwenden sollte, so sind wir überzeugt, daß die fortschreitende friedliche Entwicklung der Welt uns bald den unparteiischen Gerichtshof bringen wird, vor dem wir unser Recht suchen werden« 1 4 4 . Dieser Überzeugung mochte sich die Berliner Regierung nicht anschließen. Sie unterzeichnete den Friedensvertrag angesichts der unabschbaren innen- und außenpolitischen Folgen schließlich doch 145 . Allzu deutlich standen die Zeichen der internationalen Großwetterlage auf Sturm. Das Ultimatum der Siegermächte vom 16, Juni 1919 drohte für den Fall der Unterschriftsverweigerung den Einsatz militärischer Gewaltmittel an. Der Bestand des Reiches stand damit ernsthaft in Frage. Schon seit den letzten Maiwochen hatte sich die Reichsregierung deshalb bemüht, den deutschen Außenminister davon abzubringen, die Schuldfrage in »provozierender Weise« in den Mittelpunkt der deutschen Friedensvertragspolitik zu stel46 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

len 1 4 6 . Die Initiative des Berliner Kabinetts kam jedoch zu spät. Die Atmosphäre des Kalten Krieges überlagerte den Abschluß der Versailler Verhandlungen, die mit der Konstituierung des Völkerbunds so hoffnungsvoll begonnen hatten.

4. Friedensbestrebungen im Zeichen ungebrochener Feindschaft Die Tatsache, daß die Reichsregierung in den letzten Tagen der Versailler Verhandlungen von Brockdorff-Rantzau abrückte, darf jedoch den Blick nicht darauf verstellen, daß die überwiegende Mehrheit der sozialdemokratischen und demokratischen Minister mit den Grundpositionen des Außenministers im wesentlichen übereinstimmte. Dies gilt auch und gerade für den hier behandelten Ausschnitt der deutschen Friedensvertragspolitik. Was die Behandlung des Kriegsschuldproblems anbetraf, hing die neue republikanische Reichsregierung ebenso wie die deutsche Friedensdelegation der Illusion nach, den Siegermächten durch eine Flucht nach vorn die wesentlichen Legitimationsgrundlagen für ihre finanziellen und territorialen Forderungen entzichen zu können. Außerdem war die Ablehnung der Verantwortung für den Kriegsausbruch eine der Geschäftsgrundlagen für den neuen Herrschaftskompromiß, der sich um die Jahreswende 1918/19 zwischen den alten Machtträgern in Militär, Wirtschaft und Verwaltung und den gemäßigt republikanischen Kräften herauskristallisierte. Jede der beteiligten Gruppierungen war auf ihre Art an der Aufrechterhaltung der Legende vom Verteidigungskrieg des Reiches im Sommer 1914 interessiert. Darüber hinaus gab es keinen Politiker von Einfluß, der am grundsätzlich defensiven Charakter der deutschen Kriegserklärungen zweifelte. Politische Interessen und aufrichtige Empörung über die Vorwürfe aus dem alliierten Lager verschmolzen mithin zu einer unauflösbaren Einheit. Es entstand ein politisches Klima, in dem die Bürokratie der Reichsämter nahezu unbehelligt von jeder demokratischen Kontrolle die verfügbaren Gcheimakten zur unmittelbaren Vorgeschichte des Krieges nach Gesichtspunkten zusammenstellen konnte, die der Exkulpierung der wilhelminischen Machteliten Vorschub leistete 147 . So betrachtete es beispielsweise das AA als eine wesentliche Aufgabe, »seine früheren Leiter und Vertreter im Ausland vor der Öffentlichkeit in Schutz zu nehmen« 1 4 8 . Das Interesse an der Exkulpierung der alten Machteliten stellte freilich nur die eine Seite der Medaille dar. Bestimmender dürfte im Umkreis Brockdorff-Rantzaus der Gedanke gewesen sein, den überhöhten Reparationsforderungen der Siegermächte durch die dokumentarische Widerlegung der alliierten Schuldanklagen jede Legitimationsbasis zu entzichen 149 . Auch befürchtete man, daß eine allzu nachgiebige Haltung der Reichsregierung in der Kriegsschuldfrage die 47 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

erwarteten Auslieferungsforderungen der chemaligen Kriegsgegner heraufschrauben könnte. Dies hinwider ließ, wie der Leiter der Rechtsabteilung des AA, Walter Simons, hervorhob, Unruhen in der Reichswehr erwarten, dem nicht nur seiner Ansicht nach einzigen innenpolitischen Ordnungs-und außenpolitischen Machtfaktor des geschlagenen Landes 150 . Die Heeres- und Marinebehörden sprachen sich von vornherein für einen harten und kompromißlosen Kurs in der Frage der Kriegsschuld aus, wobei die »Schuld im Kriege«, die alle der deutschen Seite zur Last gelegten Völkerrechtsverletzungen umfaßte, ihr besonderes Interesse fand 151 . Die in der Sache unnachgiebige, nach außen hin offensiv vertretene Abwehr der alliierten Kriegsschuldanklagen war für die Militärs eine der unabdingbaren Prämissen zur Erreichung eines akzeptablen Friedens 152 . Die außenpolitischen Konsequenzen dieser Überlegungen waren fatal. Die kaum verhüllte deutsche Weigerung, die Kriegserklärungen des Kaiserreichs an Rußland und Frankreich sowie den militärischen Einfall nach Belgien als kriegsauslösende Handlungen zur Kenntnis zu nehmen, verblüfften und verbitterten die Briten und lösten in der öffentlichen Meinung Frankreichs helle Empörung aus. Das als Düpierung der Siegermächte empfundene Auftreten des deutschen Außenministers und besonders der von ihm entfesselte »Notenkrieg« verstärkten noch den Eindruck, daß es sich bei den eilfertigen Hinweisen auf den tiefgreifenden innenpolitischen Wandel im Reich um eine bewußte Täuschung handele. Mit Behagen widmete sich, wie Pierre Miquel schreibt, die französische Presse dem Thema vom »ewigen Deutschland«, das sich durch die Niederlage nicht geändert, ja, seine Niederlage nicht einmal anerkannt und daher aus dem Drama keine Lehre gezogen habe: »Man muß ihm einen harten Frieden nicht nur deshalb auferlegen, weil es schuldig ist, sondern weil es sich nicht als schuldig bekennen will« 1 5 3 . Im britischen Foreign Office erzeugte die deutsche Politik in der Endphase der Friedensverhandlungen einen solchen Grad an Empörung, daß die englischen Politiker darauf bestanden, die im Vertrag und in allen diplomatischen Verlautbarungen bis dahin vermiedenen moralischen Verdikte aufzugreifen und das Hohenzollernreich in der Mantelnote mit der Hauptschuld am Krieg zu belasten 154 . Die Verhärtung der alliierten Position vermochten auch die von den Wirtschafts- und Finanzexperten der deutschen Friedensdelegation entwikkelten Leitvorstellungen für eine zukünftige Friedensordnung nicht entscheidend aufzubrechen. Sie zielten auf eine Rekonstruktion der internationalen Wirtschafts- und Währungsordnung unter liberalkapitalistischen Rahmenbedingungen und enthielten daneben beachtliche finanzielle Konzessionen an die chemaligen Kriegsgegner. Die historische Forschung hat mit Recht darauf verwiesen, daß liberale Persönlichkeiten wie die hanseatischen Kaufleute und Bankiers Albert Ballin, Max Warburg und Carl Melchior sowie der süddeutsche Fabrikant Robert Bosch, die als Sachverständige bzw. Berater diesen Vorstellungen in der deutschen Friedensdelegation zum 48 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

Durchbruch verhalfen, den politischen und wirtschaftlichen Anschauungen ihrer englischen und amerikanischen Verhandlungspartner nicht allzu fern standen 155 . Aus dieser vor allem ideologischen Nähe der meisten deutschen Wirtschafts- und Finanzexperten zu ihren angloamerikanischen Kollegen, die sich in der gemeinsamen freihändlerischen Grundhaltung manifestierte und die konkreter noch in der Vorstellung ihren Ausdruck fand, etwaige zukünftige Friedensregelungen nicht an Erbfeindschaften oder alten politischen Rechnungen, sondern an den schwerwiegenden internationalen Wirtschafts- und Finanzproblemen der Nachkriegszeit zu orientieren, hat man Chaneen und Möglichkeiten für eine zukunftsweisende, allseitige Verständigung in Versailles abgeleitet 156 . Als Maßstab für die Konzessionsbereitschaft und die wirtschaftliche Vernunft der deutschen Seite dient dabei das bemerkenswert weitgehende Angebot von 100 Mrd. Goldmark als deutscher Pauschalreparation sowie das Anerbieten des Reiches, sich am Aufbau einer Weltwirtschaftsordnung freihändlerisch-kapitalistischen Zuschnitts maßgeblich zu beteiligen. Dieser Vorschlag implizierte freilich die gleichberechtigte Integration Deutschlands in den neugegründeten Völkerbund und damit auch die volle wirtschafts- und handelspolitische Gleichberechtigung des Reiches. Gewiß enthielt der skizzierte Gedanke für sich genommen ein hohes Maß an wirtschaftlicher Vernunft, vor allem, wenn man die späteren Erfahrungen mit der großenteils handels- und wirtschaftspolitisch determinierten ökonomischen Stagnation der Zwischenkriegszeit in Rechnung stellt. Im Verein mit dem Beharren auf einem möglichst ungeschmälerten territorialen Bestand des Reiches in den Grenzen von 1914, der Option auf den Anschluß Österreichs und nicht zuletzt der beharrlichen Weigerung Brockdorff-Rantzaus, die Friedensvertragspolitik wenigstens auf das Eingeständnis eines überproportional hohen deutschen Verantwortungsanteils am Ausbruch des Weltkrieges zu gründen, dürfte die Forderung nach vollständiger Handelsfreiheit in Paris jedoch cher alte Befürchtungen wachgerufen haben, als daß sie reale Kompensationen für die durch den Weltkrieg sensibilisierten französischen Sicherheitsinteressen geboten hätte. In Frankreich war man ohnchin der Auffassung, daß die deutsche Machtausdchnung stets dem gleichen Muster folgte: Der Vorbereitung politischer bzw. militärischer Vorrangstellung durch ökonomische und außenwirtschaftliche Mittel. Diese Auffassung war in den Augen der französischen Öffentlichkeit durch das deutsche Vorkriegsengagement auf dem Balkan und in der Türkei bestätigt worden 157 . Es fiel daher auch nicht sonderlich ins Gewicht, daß in den handels-, wirtschafts- und reparationspolitischen Vorstellungen der deutschen Friedensdelegation ökonomische Perspcktiven zum Ausdruck kamen, die für die weltoffenen, exportorientierten und politisch gemäßigten Teile der deutschen Wirtschaft weitaus cher repräsentativ waren als für die durch den 49 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

Weltkrieg im Ausland schwer diskreditierten schwerindustriellen und agrarischen Eliten 158 . Die Tatsache, daß es sich hierbei um Sachverständigenäußerungen handelte, denen man in Versailles ohnedies nicht die größte politische Verbindlichkeit und Relevanz beizumessen pflegte, mag den Wert der deutschen Vorschläge weiter geschmälert haben 159 . Vorherrschend blieb jedenfalls der überaus negative Eindruck, den das Auftreten Brockdorff-Rantzaus während der Verhandlungen hervorgerufen hatte. Die Fixierung des Außenministers auf die Erhaltung einer gleichberechtigten Großmachtstellung Deutschlands wurde mit den Weltmachtaspirationen der kaiserlichen Regierungen gleichgesetzt. Die radikale Diktion des deutschen »Notenkampfes um den Frieden« galt den Alliierten als Indikator dafür, daß auch die neuen Machtträger des Reiches den militärischen Zusammenbruch im Grunde genommen ignorierten; die Weigerung Brockdorff-Rantzaus, den Kriegserklärungen des Kabinetts Bethmann Hollweg die ihnen zukommende Bedeutung für die Eskalation der Julikrise beizumessen, ließ in den Augen der Siegermächte nichts Gutes für den Umgang mit einem wiedererstarkten Deutschland ahnen 160 . Es erscheint abschließend durchaus angebracht, in einem knappen kontrafaktischen Exkurs die historischen Chaneen und Möglichkeiten eines rechtzeitigen Umschwenkens der deutschen Nachkriegspolitik auf die von Kurt Eisner, Karl Kautsky und Eduard Bernstein geforderte deutliche Distanzierung der neuen Republik von den Machtträgern des Kaiserreichs abzuwägen. Hierzu ist ein Blick auf die neuere historische Forschung zur Politik der Alliierten in Versailles unumgänglich. Sicherlich haben die weitgespannten Kriegsziele der Entente, vor allem die hochgesteckten Ansprüche Frankreichs 161 , eine allseits befriedigende Friedensregelung nachhaltig erschwert. So galt ein Hauptaugenmerk der innerfranzösischen Diskussion über den Friedensvertrag unmittelbar ökonomischen Gesichtspunkten wie den Reparationsleistungen, die man von Deutschland erwartete 162 ; mancherorts wurde sogar schon die für das wirtschaftlich schwer angeschlagene und tief verschuldete Land überaus heikle Frage nach den Konditionen der interalliierten Schuldenregelungen aufgeworfen und in einen engen Zusammenhang zur Lösung des Reparationsproblems gebracht 163 . Fraglos hat auch die von den britischen Liberalen und Konservativen mit außenpolitischen Argumenten gegen die auf innere Reformen drängende sozialistische Opposition geführte erste Nachkriegswahl zum Unterhaus, die »Khaki Elections« 164 , ein Abklingen der weitverbreiteten Kriegspsychose behindert und die englische Politik in Versailles nicht völlig unberührt gelassen 165 . Doch signalisiert bereits das Fontainebleau-Memorandum des englischen Premiers Lloyd George vom 25. März 1919, in dem die permanente politische, ökonomische und militärische Knebelung des Deutschen Reiches wegen ihrer negativen Auswirkungen auf die europäische Sicherheit und die internationalen Wirtschaftsbezichungen für nicht wünschenswert 50 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

erachtet wurde, einen Einstellungswandel Großbritanniens in der Friedensfrage 166 . Insbesondere was die Reparationen anbetraf, beachteten die Briten sehr wohl die Grenzen der »financial resources« des Besiegten. Ihre Vorstellungen konzentrierten sich deshalb auf die bereits in der Lansing-Note enthaltene und von der deutschen Seite akzeptierte Forderung nach umfassender Schadensersatzleistung des Reiches für alle Sach- und Personenschäden, die den Alliierten und Assoziierten Mächten durch Kriegshandlungen entstanden waren. Trotz des durch die ›Khakiwahlen‹ hervorgerufenen innenpolitischen Drucks prägte mithin ein auf sachliche Erörterung der anstchenden Probleme bedachter Grundzug die Friedenskonzepte der außenpolitisch verantwortlichen britischen Stellen 167 . Das gleiche gilt in weit höherem Maße noch für die Haltung der amerikanischen Delegation in Versailles 168 . Bemerkenswerterweise konzedieren neuere Forschungsarbeiten vor allem angloamerikanischer Provenienz auch der französischen Politik in Versailles einen höheren Grad an Kompromißbereitschaft, als dies die ältere Geschichtsschreibung zuzugestchen bereit war 1 6 9 . Die Flexibilität der französischen Haltung fand aber ihre Grenzen dort, wo vermeintliche oder tatsächliche Sicherheitsinteressen tangiert wurden. Vieles deutet darauf hin, daß die für das politische Klima der Nachkriegszeit eminent bedeutsame französische Deutschlandpolitik nicht in erster Linie, wie oft vermutet wird, einem Hegemonialstreben napoleonischen Ausmaßes verpflichtet war; die Strategie der bewußten militärischen Schwächung Deutschlands und der Abschöpfung seiner ökonomischen Kraftreserven stellte vermutlich cher eine antizipierende ›Reaktion‹ auf die potentielle Gefahr im Osten dar und sollte der Revanche und der erneuten Aggression des Reiches vorbeugen 170 . Vor dem Hintergrund der in der Vorkriegszeit oft schmerzlich erfahrenen demographischen, ökonomischen und politischen Dynamik des Kaiserreichs, die für die französische Öffentlichkeit in einem übersteigerten deutschen Weltmachtstreben ihren sinnfälligen Ausdruck fand, zielte die französische Außenpolitik nach 1918 auf die Sicherstellung eines Status quo, der eine Umsetzung der ökonomischen Kraft des Deutschen Reiches in politische Pression nicht mehr zuließ. Die »securité nationale« bildete im weitesten Sinne den Rahmen der Außenpolitik Frankreichs, was nicht ausschloß, daß die Pariser Regierungen diese Defensivformel zuweilen zur Legitimierung expansiver politischer Ziele einsetzten 171 . Nur scheinbar widersprechen deshalb die weitgespannten Forderungen, die die französische Delegation während der Pariser Friedenskonferenzen anmeldete, diesem im Grunde genommen defensiven Grundzug der Außenpolitik Frankreichs in der Zwischenkriegszeit. Paradoxerweise scheinen gerade die Aspirationen auf die Rheingrenze sowie später die exorbitant überhöhten Reparationsforderungen dem beinah pathologischen französischen Sicherheitsdenken geschuldet zu sein. Paris besaß die Tendenz, alle erdenklichen deutsch-französischen Konfliktmöglichkeiten als unmittelbare 51 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

Gefährdungen wahrzunehmen und in dieser Hinsicht stets auf das Schlimmste gefaßt zu sein 172 . In der französischen Öffentlichkeit hielt sich hartnäckig die auch von Pariser Regierungskreisen geteilte Auffassung, daß die Weimarer Republik eine unveränderte Auflage des Bismarckreiches - ein Kaiserreich ohne Kaisen sei und daher auch weiterhin als Erbfeind und potentieller Gegner zu gelten habe. Angesichts der massiven deutschfeindlichen Ressentiments in der öffentlichen Meinung Frankreichs, die in den Teilen der englischen Bevölkerung und mancherorts selbst im neutralen Ausland geteilt wurden, kam der Frage, wie die neuen deutschen Machtträger ihr Verhältnis zum gestürzten kaiserlichen Regime definierten, eine nicht zu unterschätzende Bedeutung im Kontext der Versailler Friedensverhandlungen zu. Insbesondere die offiziellen und offiziösen deutschen Stellungnahmen zum Kriegsschuldproblem dürften sowohl den Grad der Intransigenz, mit dem die Pariser Regierung ihren Standpunkt in Versailles verfocht als auch den Grad der Zustimmung bzw. Ablehnung, den diese Politik in der französischen Öffentlichkeit und besonders bei den Verbündeten erfuhr, nicht unbeträchtlich beeinflußt haben. Folgt man dieser Interpretation, dann boten sich der deutschen Friedensvertragspolitik in Versailles durchaus Spielräume. Die Chance, diese auch auszunutzen, bestand für das Reich jedoch nur insoweit, als es gelang, die französische Seite - und erst in zweiter Linie alle übrigen Verhandlungspartner - von der absoluten Friedfertigkeit des neuen republikanischen Staatswesens auf deutschem Boden zu überzeugen. Das gestaltete sich um so schwieriger, als das Deutschlandbild Frankreichs unzweifelhaft Züge einer autistischen Feindschaft trug 173 . Damit ist konkret die in der innerfranzösischen Diskussion vielerorts anzutreffende Tendenz gemeint, aus allen die innenpolitische Entwicklung des Reiches betreffenden Nachrichten diejenigen Informationen auszuwählen, die gegen den von der Reichsregierung öffentlich proklamierten demokratischen Wandel in Deutschland sprachen und diese Indizien dann gewissermaßen als Bestätigung der in der Vorkriegs- und Kriegszeit aufgebauten germanophoben Feindbildstereotypen aufzufassen. Da solche Indizien in der Tat in Fülle vorhanden waren 174 , und da man gerade in der psychologisch so wichtigen Frage der Verantwortung für den Kriegsausbruch intransigent auf den alten Standpunkten beharrte, nimmt es nicht Wunder, daß die eilfertigen Bekenntnisse des ›neuen‹ Deutschland zu Demokratie und Völkerfrieden als Camouflage betrachtet wurden. Damit soll nicht unterstellt werden, daß die von Politikern wie Eisner 175 und Bernstein vertretene außenpolitische Alternative konkrete materielle Auswirkungen in Versailles gezeitigt hätte (innenpolitisch markierte sie ohnchin den Standpunkt einer verschwindenden Minderheit). Mit hoher Wahrscheinlichkeit wäre jedoch durch eine Politik, die den schwierigen atmosphärischen Ausgangsbedingungen der Pariser Friedensverhandlun52 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

gen stärker Rechnung getragen hätte, die nachträgliche ›Politisierung‹ des Reparationsproblems und damit die bruchlose Überleitung der militärischen Auseinandersetzung in den ›Kalten Krieg‹ erheblich erschwert worden. Es dürfte außerdem kein Zweifel daran bestchen, daß angesichts einer deutschen Friedensstrategie, die ihr Hauptaugenmerk auf die Herstellung einer Atmosphäre des Vertrauens gerichtet hätte, die Abfassung der Mantelnote Clemenceaus in dieser Schärfe unterblieben wäre. Und ohne die moralische Verurteilung des Reiches durch seine chemaligen Gegner erscheint es schließlich nur schwer vorstellbar, daß die deutsche Kriegsschuldpropaganda jene beängstigende Dynamik hätte entfalten können, die sie späterhin zum ideologischen Ferment des Weimarer »Revisionssyndroms« werden ließ 1 7 6 . Auf mittlere und weitere Sicht erwies sich demgegenüber die von Brockdorff-Rantzau in Versailles eingeschlagene Außenpolitik der Stärke‹ als ein Danaergeschenk für die junge Republik.

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II

Das A u s w ä r t i g e A m t u n d die A n f ä n g e der deutschen

Revisionspropaganda

1. Programmatische Vorüberlegungen und organisatorische Konzepte: Das »Institut für politische Geschichtsforschung« Bereits unmittelbar nach Abschluß der Pariser Verhandlungen zeigten sich in Deutschland Bestrebungen, die Kriegsschuldanklagen der Alliierten, die in Presse und Politik so große Empörung hervorgerufen hatten, zum Ausgangspunkt einer breit angelegten Revisionspropaganda zu machen. Erste Impulse kamen sowohl aus dem Auswärtigen Amt als auch von Organisationen, die vor und während der Versailler Verhandlungen eine führende Rolle in der deutschen Friedenspropaganda eingenommen hatten. Insbesondere die mit erheblichen staatlichen Mitteln ausgestattete »Deutsche Liga für Völkerbund« 177 und die »Heidelberger Vereinigung«, die nach dem Friedensschluß vor allem von den hanseatischen Bankiers Max Warburg und Carl Melchior unterstützt wurde 1 7 8 , suchten den propagandistischen Kampf gegen Versailles organisatorisch zu vereinheitlichen und ihm programmatisch ihren Stempel aufzudrücken. Die der DDP nahestchende Völkerbund-Liga, die über ihre Repräsentanten Ernst Jäckh und Walther Schücking auch mit gemäßigt pazifistischen Kreisen verbunden war, rückte dabei weit stärker noch, als sie es im Frühjahr 1919 praktiziert hatte, den deutschen ›Rechtsstandpunkt‹ und die Aufklärung über die Kriegsschuldfrage in das Zentrum ihrer Propagandatätigkeit. Die offizielle Zurücknahme der vermeintlich im Friedensvertrag verankerten Schuldanklage wurde zur conditio sine qua non jeder für Deutschland befriedigenden Vertragsregelung erklärt. Erst eine entsprechende Entlastung des Reiches, so eine im Herbst 1919 verfaßte vertrauliche Denkschrift, entziehe dem Friedensvertrag den »angemaßten Charakter eines auf Recht begründeten Urteilsspruchs« und eröffne Chaneen für eine materielle Revision seiner Inhalte 179 . Die grundsätzliche Kritik am Versailler Vertragssystem ließ Raum genug für die gleichzeitige Propagierung der Idee des Völkerbundes. Beides verband sich in der Programmatik der Liga zu einer untrennbaren Einheit, wenngleich der Primat nationaler Interessen aus allen ihren öffentlichen Äußerungen unschwer herauszulesen war. Wiejohann Tiedje, ein Mitarbeiter der Liga, an den Historiker Friedrich Meinecke schrieb, legte man besonderen Wert darauf, in der deutschen Bevölkerung die Einsicht zu wecken, daß ein zukünftiges Mitwirken in Genf gerade unter dem Aspekt 54 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

der Wahrung nationaler Interessen existentiell notwendig sei, da der Völkerbund die einzige Rechtsinstanz darstelle, vor welcher die deutsche Seite eine Revision des Friedens verlangen könne 180 . Die Wertschätzung des Völkerbundes kam auch in den Planungen für die konkrete Propagandaarbeit der Liga zum Ausdruck. Hier lag der Schwerpunkt auf der Konzeption und Verbreitung völkerbundfreundlicher Broschüren und Artikel, mit deren Hilfe man die öffentliche Meinung in Deutschland im oben skizzierten Sinne zu beeinflussen suchte. Betont wurde ferner die Absage an militärische Gewalt als Mittel zur Lösung zwischenstaatlicher Auseinandersetzungen und die Hoffnung auf eine allseitige Verständigung der Nationen. U m für die Anbahnung und Pflege internationaler Kontakte auch praktisch etwas zu leisten, plante die Liga die Eröffnung einer Geschäftsstelle in Genf. Sie sollte den Eintritt Deutschlands in den Völkerbund atmosphärisch vorbereiten 181 . Gegen diese Überlegung hoben sich die programmatischen Äußerungen der »Heidelberger Vereinigung« scharf ab 1 8 2 . Die neuen Formen der internationalen Zusammenarbeit wurden hier als Quantité négligeable behandelt und dem deutschen Revisionsbegehren eindeutig untergeordnet. Eine der wesentlichen Forderungen betraf den Kriegsschuldartikel, den die »Heidelberger Vereinigung« als »moralischen Grundpfeiler« des gesamten Friedens bezeichnete und dessen offizielle Zurücknahme durch die Alliierten sie zum ersten Teilziel der von ihr intendierten Totalrevision des Versailler Friedens erklärte. In diesem Zusammenhang wurde erstmalig auch die Gründung einer »deutschen Kampforganisation« gegen das Vertragswerk ins Auge gefaßt. Ihre mögliche Aufgabenstellung umriß Graf v. Montgelas, einer der Mitautoren der »Professoren-Denkschrift«, in einem eigens für den exklusiven Mitgliederkreis der Vereinigung erarbeiteten Expose. Nach der Auffassung von v. Montgelas sollte die Organisation ihr Hauptaugenmerk auf die »geduldige Einhämmerung« des deutschen Kriegsschuldstandpunkts in das öffentliche Bewußtsein des In- und Auslands richten, denn solange die »Ehrenklauseln« nicht fielen, heiße es »res judicata est, wir stehen verurteilt da, weil wir uns schuldig bekannt haben. . . [und] die öffentliche Meinung der Welt verhärtet sich gegen unsere Leiden«. Die Propaganda war deshalb eng auf die deutschen Interessen zu bezichen, sollte sich jedoch stets um wahrheitsgemäße Berichterstattung und Objektivität bemühen. »Liebedienerische Zugeständnisse« an die Ententemächte waren ebenso zu vermeiden wie »unchrliche Verteidigungsversuche von deutscher Seite«. Für die Führung der ins Auge gefaßten Organisation kamen ausschließlich Persönlichkeiten in Frage, deren »Menschheitsgesinnung der Kriegsverrohung notorisch standgchalten hat«. Wie v. Montgelas schrieb, sollte aber auch denjenigen der Zugang nicht verwehrt werden, die sich unabhängig von ihren früheren Stellungnahmen »heute chrlich zum Rechtsgedanken im internationalen Leben bekennen«. USPD-Mitglieder und »Chauvinisten« schloß der Graf hingegen von vornherein von der Mitarbeit aus. Mit Patrioten, so 55 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

v. Montgelas mit Blick auf das Lager der Siegermächte, könnten sich nur Patrioten verständigen. Ähnliche Überlegungen wurden im Sommer und Herbst 1919 auch im AA angestellt. Dort war in der Nachfolge des »Spezialbüros v. Bülow« ein Kriegsschuldreferat eingerichtet worden, dem die Sammlung und Sichtung aller Aktenbestände und Veröffentlichungen oblag, die mittelbar oder unmittelbar die Kriegsschuldanklagen der Siegermächte betrafen 183 . Der Leiter dieses Referats, Legationsrat Freytag, entwickelte schon unmittelbar nach Friedensschluß den Plan, die gesamte Revisionspropaganda aus dem AA hinauszuverlagern und zu diesem Zweck eine private Organisation zu schaffen, »die dafür zu sorgen hätte, daß diese Propaganda niemals einschläft« 184 . Auch für Freytag waren die Kriegsschuldproblematik und die Gestaltung der zukünftigen deutschen Außenpolitik eng aufeinander bezogen. Als Grundvoraussetzung einer erfolgreichen Revision des Versailler Vertrages mußte seiner Ansicht nach »die Überlegung von unserer ausschließlichen Kriegsschuld in der Welt ins Wanken kommen« 1 8 5 . Eile schien hier geboten, da selbst im Inland breite Bevölkerungsschichten »weit über das Maß des historisch Wahren hinaus« von der Schuld Deutschlands am Kriege überzeugt seien 186 . Nur ein kleiner Personenkreis wurde zunächst in den Plan Freytags eingeweiht. Der Leiter des Kriegsschuldreferats wollte vor allem das Veto der sozialdemokratisch geführten Reichsregierung vermeiden, die wegen ihrer »ewigen Bedenken« nicht in der Lage sei, eine »Schuldfragen-Kampagne« zu führen 187 . Die möglichst weitgehende Geheimhaltung seines Vorhabens erschien Freytag aber auch aus anderen Gründen notwendig. Einerseits rechnete er damit, daß ein Bekanntwerden seiner Initiative im Ausland jede zukünftige Revisionspropaganda von vornherein als offiziös kompromittieren und ihr deshalb viel von der gewünschten Wirkung nehmen würde, andererseits fürchtete er im Falle einer Indiskretion, für das Vorhaben auch im Inland keine potenten Geldgeber mehr zu finden 188 ; allzu offenkundig war gerade in der unmittelbaren Nachkriegszeit das Mißtrauen weiter Unternchmerkreise gegen jede Form staatlicher Einflußnahme auf die öffentliche Meinung. Aus diesem Grunde sollte sich die amtliche Beteiligung an dem geplanten Projekt auf die Einrichtung eines »Schuldfragen-Archivs« beschränken, das die Versorgung der Öffentlichkeit mit einschlägigem Material übernahm 189 . Sonst aber hatte sich das AA nach den Vorstellungen Freytags weitgehend im Hintergrund zu halten. Der Leiter des Kriegsschuldreferats fand mit diesen Überlegungen ungeteilte Zustimmung bei v. Bülow, seinem unmittelbaren Vorgänger im AA. V. Bülow, der als einer der ersten von der geplanten Einrichtung einer »Schuldfragen-Liga« informiert wurde, entwickelte sich in den Jahren 1919 bis 1921 zum rührigsten Propagandisten des Gedankens einer zentral gesteuerten deutschen Revisionspropaganda. Der unmittelbar nach Abschluß der Friedensverhandlungen aus dem AA ausgeschiedene Legationssckretär, der 56 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

Anfang 1923 in den auswärtigen Dienst zurückkehren und dort das neugegründete Völkerbundreferat übernehmen sollte 190 , lehnte zwar das Ansinnen Freytags ab, in der Öffentlichkeit als Repräsentant des ins Auge gefaßten Projekts aufzutreten 191 , knüpfte aber in der Folgezeit eine Vielzahl von Kontakten zu Einzelpersönlichkeiten und einschlägigen Organisationen, deren praktische Mitarbeit bzw. finanzielle Beteiligung erwünscht erschien. Seine Gedanken zur zukünftigen deutschen Außenpolitik und zum propagandistischen Wert der Kriegsschuldproblematik legte er dabei in einer Reihe von zumeist vertraulichen Ausarbeitungen nieder 192 . Die hier angestellten Überlegungen weisen v. Bülow, der unter der Kanzlerschaft Brünings zum Staatssckretär im AA avancierte, als einen kompromißlosen Revisionisten aus, der die neuen Institutionen der internationalen Politik allenfalls unter dem Blickwinkel ihrer Instrumentalisierung für die deutschen Interessen zu akzeptieren bereit war 1 9 3 . V. Bülow warnte davor, auf punktuelle Revisionsangebote der Siegermächte einzugchen. Derartige Offerten waren seiner Meinung nach den deutschen Interessen abträglich. Es dürfe von der Versailler Urkunde so gut wie nichts übrig bleiben, »wenn der Völkerfriede Ereignis werden soll« 194 . Der Politik des Völkerbunds, auf dessen friedens- und verständigungsstiftende Kraft die »Deutsche Liga für Völkerbund« noch alle Hoffnungen gesetzt hatte, stand v. Bülow äußerst skeptisch gegenüber. Er nannte es trügerisch, die deutschen Erwartungen auf den Genfer Bund zu stützen, da dieser schon von seinen institutionellen Voraussetzungen her Vertragsänderungen allenfalls formell genehmigen, sie aber keineswegs selbst herbeiführen könne. Unter den obwaltenden Umständen stellte der Bund zudem ein probates Mittel der Siegermächte dar, den Versailler Vertrag ungeschmälert aufrechtzuerhalten und damit das deutsche Volk zu einem »Helotenvolk« herabzudrücken 195 . Das Reich mußte nach v. Bülows Ansicht auf anderen Wegen als über die Mitarbeit in Genf die deutschen »Rechtsansprüche« durchsetzen. In dieser Beziehung schlug der chemalige Legationssckretär vor, »dankbar die vielen Fehler zu benutzen, die unsere Gegner begangen haben, und die den Versailler Vertrag nicht nur undurchführbar, sondern auch unhaltbar machen«. Den Hebel für eine Revision des Versailler Friedens sah v. Bülow in der »unbegreiflichen Unvorsichtigkeit« der Siegermächte, »den ganzen Vertrag auf einer Lüge aufgebaut zu haben, nämlich auf dem erzwungenen Geständnis von Deutschlands alleiniger Schuld am Kriege« 196 . Vor diesem Hintergrund plädierte er ganz ähnlich wie v. Montgelas für die Gründung einer »Volksbewegung« gegen Versailles, die verhindern sollte, daß »die Welt in die Lage kommt, das uns zugefügte Unrecht zu vergessen und zu glauben, daß Deutschland sich mit dem Unrecht abgefunden hat« 197 . Der »Revisionsbewegung« kam die Aufgabe zu, der Reichsregierung in schwierigen außenpolitischen Situationen den Rücken zu stärken; nötigenfalls hatte sie aber auch in Widerspruch zu bestimmten tagespolitischen Interessen und 57 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

diplomatischen Rücksichtnahmen als Vertreter einer strikt revisionistischen Opposition gegen den offiziell vertretenen außenpolitischen Kurs aufzutreten 198 . Dazu bedurfte es nach Ansicht v. Bülows einer einheitlichen innenpolitischen Front in der Revisionsfrage und fest umrissener programmatischer Zielsetzungen. Letztere sollten sich am 14-Punkte-Programm des amerikanischen Präsidenten Wilson vom Januar 1918 orientieren und dieses »mit den fortschrittlichsten Gedanken der neuesten Zeit verknüpfen, um sie gangbar zu machen [!]«199. Alldeutsche und »extreme Pazifisten« sollten aus der »Volksopposition« gegen den Versailler Vertrag ausgeschlossen bleiben. Desgleichen lehnte v. Bülow den Anspruch der »Heidelberger Vereinigung« bzw. der Völkerbund-Liga ab, als Träger einer zentral zusammengefaßten und programmatisch vereinheitlichten Revisionspropaganda zu fungieren. Beiden Vereinigungen mangele es an ideologischer Integrationskraft, um diese Rolle auszufüllen. Weite Kreise der rechtsstchenden Parteien, so v. Bülow in einem vertraulichen Schreiben an das Mitglied der Versailler Friedensdelegation, den Krupp-Direktor Wiedfeldt, würden im Falle einer »pazifistischen« Führung der deutschen Revisionspropaganda vor einer Beteiligung zurückschrecken 200 . Als Clearing-Stelle für das Projekt faßten v. Bülow und Freytag dagegen die »Deutsche Gesellschaft vom 16. November 1918« ins Auge; einen Berliner Gesprächskreis von DDPnahen Intellcktuellen, Beamten und Politikern, der sich außenpolitisch die Revision des »unerträglichen« Versailler Friedens zum Ziel gesetzt hatte 201 . V. Bülow, der zum Mitgliederkreis der Novembergesellschaft gehörte, machte die Angehörigen dieses exklusiven Zirkels im November/Dezember 1919 mit dem Stand der Planungen vertraut 202 . In den Unterredungen, die dort in der Folgezeit geführt wurden, entstand eine Liste mit Einzelpersonen, die man für eine Mitarbeit an dem geplanten Projekt zu gewinnen suchte 203 . Einschlägig bekannte Militärs, Wissenschaftler und Publizisten 204 wurden informiert und um ihre Unterstützung gebeten. Das Ergebnis rechtfertigte indessen nicht die angestrengten Bemühungen. Es war offenbar schwieriger als erwartet, geeignete Mitkämpfer zu finden, zumal sich insbesondere v. Bülow aus »tiefgründigem« Mißtrauen gegen den deutschen Professor dagegen aussprach, die Universitäten durch ein offizielles Rundschreiben zur Mitarbeit aufzufordern 205 . Diejenigen, die überhaupt antworteten, stimmten zwar durchweg den Ausgangsüberlegungen v. Bülows und Freytags zu, hielten sich aber mit konkreten Kooperationszusagen weitgehend zurück 206 . Auch dem Plan, prominente Wirtschaftskreise für die Idee einer zentral gelenkten Revisionspropaganda zu gewinnen 207 , war kein durchschlagender Erfolg beschieden, obgleich man in dieser Beziehung große Hoffnungen insbesondere auf die chemaligen Wirtschaftssachverständigen der deutschen Friedensdelegation gesetzt hatte. V. Bülow und Freytag übernahmen die Aufgabe, entsprechende Kontakte zu knüpfen, wobei zwangsläufig auch die bislang cher vagen konzeptio58 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

nellen Vorstellungen präzisiert werden mußten. In Briefwechseln mit den Hamburger Bankiers Warburg und Melchior sowie in Schreiben an den Krupp-Direktor Wiedfeldt nahmen jetzt die praktischen Arbeitsfelder und die mögliche Organisationsform der Revisionszentrale schärfere Konturen an. Danach war vorgeschen, eine »geheime« Vermittlungs- und Auskunftsstelle für alle mit dem Versailler Vertrag zusammenhängenden Fragen einzurichten, die das deutsche Verbandswesen mit Materialien versorgen und über die organisatorischen Apparate interessierter Verbände großangelegte Propagandakampagnen abwickeln sollte. Für diesen Zweck genüge - wie v. Bülow dem Industriellen Wiedfeldt auseinandersetzte - ein »verhältnismäßig kleines Büro«, das allerdings in privater Initiative zu fuhren und mit privaten Geldmitteln auszustatten sei. Eine direkte staatliche Beteiligung an dieser Einrichtung hielt der chemalige Legationssckretär nicht für geraten, da man im Falle eines Bekanntwerdens des Proeckts außenpolitische Verwicklungen und innenpolitische Anfeindungen nicht ausschließen könne 208 . Das zu gründende Büro müsse jedoch in enger Fühlungnahme mit dem AA arbeiten 209 . Die Bemühungen, mit den Versailler Sachverständigen in Kontakt zu treten, wurden freundlich, aber verhalten aufgenommen. Sowohl Wiedfeldt als auch Warburg und Melchior begrüßten im Prinzip die geplante Initiative, zeigten sich aber skeptisch, was ihre konkreten Realisierungschancen anbetraf. Wiedfeldt begründete seine Reserve mit den kurz zuvor gescheiterten Versuchen, einen informellen Zusammenschluß aller Wirtschaftssachverständigen der Friedensdelegation zustande zu bringen. Diese sollten die öffentliche Meinung des Reiches in Hinblick auf die deutschen Revisionsforderungen in ähnlicher Weise beeinflussen, wie das e h e d e m der englischen Fabian Society hinsichtlich bestimmter Wahlrechtsfragen und sozialpolitischer Forderungen gelungen war. Entsprechende Pläne, die neben speziellen Vortragsveranstaltungen für Industrie- und Handelskreise auch die Gründung einer Zeitschrift für die wirtschaftlichen Probleme des Versailler Friedens vorsahen, waren nach Wiedfeldts Bekunden schon in den ersten Ansätzen steckengeblieben. Enttäuscht zeigte sich der Krupp-Direktor vor allem über den »vielgerühmten Zusammenhang zwischen den Versailler Friedensdelegierten« und über die seiner Ansicht nach schwächliche Außenpolitik der sozialdemokratisch geführten Regierung Bauer 210 . Letzteres wurde von Carl Melchior noch unterstrichen, der es hauptsächlich den »Verhältnissen in den zuständigen Ministerien« zuschrieb, daß sich die angesprochenen Wirtschaftsexperten revisionspolitisch so vergleichsweise abstinent zeigten 211 . Obgleich gerade v. Bülow in seinen Schreiben den Wert des geplanten Projekts für die Popularisierung wirtschaftlicher Revisionsforderungen stark hervorgchoben hatte, blieb die erhoffte finanzielle Unterstützung aus. Wiedfeldt berührte eine entsprechende Spendenbereitschaft der rheinischwestfälischen Schwerindustrie mit keinem Wort, und Melchior überging 59 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

dieses Thema mit dem Hinweis auf sein starkes Engagement für die »Heidelberger Vereinigung«. An der reservierten Haltung der deutschen Wirtschaft sollte sich auch in der Folgezeit nichts Grundlegendes ändern. Die Initiative amtlicher Stellen schmälerte von vornherein die Erfolgsaussichten des Unternchmens. Hier spiegelte sich das prinzipielle Mißtrauen der Wirtschaft gegenüber der sozialdemokratischen Reichsregierung ebenso wider wie die prinzipielle Staatsverdrossenheit deutscher Unternehmer in der unmittelbaren Nachkriegsperiode 212 . Zwar stellte das Bankhaus M. M. Warburg& Co. im Januar 1920 eine finanzielle Unterstützung des Projekts in Aussicht, nachdem sich führende Mitglieder der »Heidelberger Vereinigung.« dafür stark gemacht hatten 213 . Das angekündigte Engagement blieb jedoch aus, weil sich die Hanseaten angesichts der offensichtlichen Zurückhaltung aller anderen »Finanzgruppen« nicht dazu entschließen konnten, auf diesem Gebiet eine öffentliche Vorreiterrolle zu übernchmen 214 . Noch im März 1921, kurze Zeit bevor die Revisionszentrale tatsächlich gegründet wurde, meldete der Nachfolger Freytags im Kriegsschuldreferat, Prof. Richard v. Delbrueck, seinem Staatssckretär v. Haniel, daß die Industrie für das Vorhaben keine große Begeisterung zeige und allenfalls bereit sei, »mäßige Mittel« aufzubringen 215 . Als ein weiteres Hindernis für die Realisierung des skizzierten Vorhabens erwies sich das geringe Interesse, das man im AA der geplanten Revisionszentrale entgegenbrachte. Die Argumente v. Bülows und Freytags verfingen offenbar nicht recht in den höheren Rängen der Ministerialbürokratie 216 . Die Ministerialdirektoren Walter Simons und Carl v. Schubert verhielten sich bei aller Sympathie für die Idee einer zentral gelenkten Revisiunspropaganda zunächst einmal abwartend. Simons empfahl zwar, den chemaligen Außenminister Graf Brockdorff-Rantzau für das Projekt zu interessieren, warnte aber gleichzeitig vor einem allzu forschen Vorgchen auf diesem Gebiet 217 . Als Indiz dafür, daß die Wilhelmstraße der Kriegsschuldfrage in der unmittelbaren Nachkriegszeit nicht gerade überragende Bedeutung beimaß, kann auch der Plan gewertet werden, das Kriegsschuldreferat im Zuge der beabsichtigten Reorganisation des Amtes aufzulösen. Andere mit dem Vertragswerk eng zusammenhängende Fragen wie die bevorstchenden großen Abstimmungskämpfe in den Ostgebieten des Reiches bzw. in Eupen/Malmedy, die zukünftige Reparationsregelungen und insbesondere die von den Siegermächten geforderte Auslieferung der Kriegsverbrecher 218 wurden als weitaus dringlicher empfunden und absorbierten die Arbeitskraft der Beamten und Diplomaten im auswärtigen Dienst. Noch im Februar 1921 klagte v. Bülow in einem Schreiben an Prof Schoenborn über die mangelnde Aufmerksamkeit, die die verantwortlichen Stellen des AA der Kriegsschuldfrage schenkten. Das Amt habe auf diesem Gebiet nichts geleistet. »Das Schuldreferat schläft mehr und mehr ein und wechselt dauernd von einer Hand zur anderen« 219 . 60 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

Immerhin gelang es Freytag, das Referat, das sich aufgrund seines sachgebietsbezogenen Aufgabenbereichs nicht mehr nahtlos in das für die Reorganisation des AA gewählte Regionalprinzip einfügen ließ 220 , als »Abwicklungsstelle« für laufende Arbeiten zu erhalten 221 . Unter erheblichen Mühen erreichte er im Frühjahr 1920, daß man zumindest die in Angriff genommene Herausgabe der Dokumente zur Vorgeschichte des Krieges nicht einstellte und auch die begonnenen Arbeiten am Schuldarchiv fortsetzte. Gewissermaßen als Nebenprodukt hierzu nahm in den ersten Monaten des Jahres 1920 die geplante Revisionszentrale konkrete Formen an. Im Januar 1920 legte der Leiter des Kriegsschuldreferats einem ausgewählten Kreis von Persönlichkeiten einen detaillierten Etatentwurf vor, wonach die Revisionszentrale, die jetzt unter der Bezeichnung »Institut für politische Geschichtsforschung« firmierte, mit jährlich ca. 200000 Mark ausgestattet werden sollte. Als verantwortlichen Leiter des Instituts hatte Freytag den Publizisten Dr. Karl Federn vorgeschen, der schon im Weltkrieg für das AA propagandistisch tätig gewesen war. Zwei Hilfsarbeiter, ein »Archivar im Nebenamt« und vier Stenotypistinnen sollten ihn unterstützen. Federn erklärte sich grundsätzlich zur Übernahme dieser Aufgabe bereit, machte eine endgültige Zusage aber von der Dotierung der Position abhängig 222 . Für die Vertretung des Instituts gegenüber der Öffentlichkeit dachte Freytag daran, entweder die Hamburger Bankiers Warburg bzw. Melchior oder Ministerialdircktor Walter Simons zu gewinnen. Ferner wurde der Völkerrechtler Mendelssohn-Bartholdy für Repräsentationsaufgaben in die engere Wahl genommen 2 2 3 . In der Begründung zu seinem Etat-Entwurf wies Freytag noch einmal nachdrücklich darauf hin, daß das zu gründende Institut - zumindest für abschbare Zeit-nicht »werbend propagandistisch« auftreten dürfe, sondern »kameralartig« in aller Stille arbeiten müsse, »ohne daß man die Lage erkennt, die die einzelnen Mitwirkenden untereinander verbindet« 224 . Deshalb sprach er sich von vornherein gegen die Anregung Melchiors aus, die Brandmarkung der »feindlichen Kriegsgreuel« als einen der Propagandaschwerpunkte aufzugreifen und das Institut damit für den »Abwehrkampf« gegen die seit dem Sommer 1919 zunchmend ungeduldiger vorgetragenen Auslieferungsbegehren der Alliierten nutzbar zu machen 225 . Diese taktisch bestimmte Zurückhaltung gegenüber tagespolitisch für dringlich erachteten Propagandaerfordernissen mag die Attraktivität des Vorhabens in den Augen der potentiellen Geldgeber weiter geschmälert haben. Jedenfalls gelangte die Absicht, ein »Institut für politische Geschichtsforschung« einzurichten, über das Planungsstadium nicht hinaus. Er scheiterte, wie v. Bülow in einem Schreiben an Ministerialrat Schall vom Juni 1920 resignierend bekannte, »an der Geldfrage« und an der Schwierigkeit, Persönlichkeiten ausfindig zu machen, die bereit und fähig waren, als Repräsentanten und Sachverständige im Rahmen der angestrebten Revisionszentrale mitzuwirken. »Keine Kräfte sind frei und niemand hat Zeit dazu«, so der 61 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

trotz aller Knappheit beredete Kommentar v. Bülows zu der im ersten Jahr nach dem Friedensschluß augenscheinlich unlösbaren Aufgabe, eine programmatisch vereinheitlichte und zentralisierte Revisions- und Kriegsschuldpropaganda zu organisieren 226 . 2. Die Konstituierung der »Revisionsbewegung« Das Jahr 1920 brachte keine Klärung der vielfältigen Probleme, die der Plan einer zentral gelenkten und programmatisch vereinheitlichten Revisionspropaganda aufgeworfen hatte, obgleich sowohl v. Bülow als auch Freytag in ihren Bemühungen nicht nachließen, für diese Idee zu werben 227 . Zwar wurden nach dem Friedensschluß vielerorts Organisationen gegründet, die sich die Revision des Versailler Vertrags und speziell den Kampf gegen die »Ehrenpunkte« zum Ziel gesetzt hatten 228 . Diese Zusammenschlüsse, zumeist am rechten Rand des politischen Spektrums beheimatet und propagandistisch auf die Abwehr der alliierten »Kriegsschuldpropaganda« kapriziert, erlangten im öffentlichen Bewußtsein jedoch selten mehr als ephemere Bedeutung 229 . Schneller als erwartet schien die Empörung breiter Bevölkerungskreise über den Versailler Frieden abgeklungen zu sein. Die öffentliche Aufmerksamkeit wandte sich schon bald nach dem Vertragsabschluß den drängenden innenpolitischen Problemen zu und konzentrierte sich nur noch vereinezelt auf die Außenpolitik, etwa aus Anlaß der alliierten Forderung nach Auslieferung der Kriegsverbrecher, der die Reichsregierung diplomavereinzelt auf die Außenpolitik, etwa aus Anlaß der alliierten Forderung Die Situation änderte sich grundlegend, als die Siegermächte während ihres Pariser Zusammentreffens im Januar 1921 die Reparationsverpflichtung Deutschlands auf die nur schwer vorstellbare Endsumme von 226 Mrd. Goldmark, zahlbar in 42 Jahresraten, steigend von 2 auf 6 Mrd. festlegten. Die Pariser Beschlüsse riefen im Reich eine Welle der Empörung und Enttäuschung hervor. Der politische Lagebericht der preußischen Polizei meldete eine »verzweifelte Stimmung bei vielen patriotischen Deutschen« 231 . Im Bewußtsein der öffentlichen Meinung überlagerte mit einem Schlage die vom Ausland her drohende Gefahr einer existenzgefährdenden Abschnürung der wirtschaftlichen Lebenskraft des Reiches alle innenpolitischen Gravamina, zumal das seit dem Frühsommer 1921 regierende Bürgerblockkabinett Fehrenbach diese Entwicklung durch Verlautbarungen foreierte, die den bereits deutlich spürbaren Inflationsschub in einen engen kausalen Zusammenhang zu den deutschen Sachlieferungen an die Alliierten setzten 232 . Die außenpolitische Lage spitzte sich seit der zweiten Hälfte des Jahres 1920 weiter zu. Die mangelnde deutsche Erfüllungsbereitschaft, die selbst die Briten in Harnisch brachte und die französische Strategie einer Politisierung des Reparationsproblems durch exorbitant überhöhte Forderungen 62 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

verhärteten die Fronten bis zur Unversöhnlichkeit. Wie schon in Versailles betonte Berlin nunmehr wieder stärker den ›Gewaltcharakter‹ des Vertragswerkes. Zwangsläufig rückte damit die alliierte Kriegsschuldanklage, die in Deutschland als Rechtsbasis des Friedens empfunden wurde, von der Peripherie des politischen Interesses in das Zentrum der offiziellen und offiziösen Äußerungen. Hatten die außenpolitisch verantwortlichen Stellen des Reiches vor dem ersten Zusammentreffen der Alliierten seit dem Versailler Friedensschluß, das im Juli 1920 in Spa stattfand, noch versucht, dämpfend auf die innerdeutsche Diskussion über die Kriegsschuld einzuwirken 2 3 3 , war ihnen seit der Jahreswende 1920/21 verstärkt daran gelegen, die deutsche Öffentlichkeit ein zweites Mal gegen die als ungerechtfertigt empfundenen Versailler Schuldverdikte zu mobilisieren. Es nimmt deshalb nicht Wunder, daß unter diesen Umständen die Idee einer Clearing-Stelle für die Revisionsund Kriegsschuldpropaganda an Attraktivität gewann. Auf Initiative von Reichsaußenminister Simons erarbeitete der bei der offiziösen »Deutsche Allgemeine Zeitung (DAZ)« beschäftigte Historiker Peter Rassow eine Denkschrift, die sich mit den politischen Zwecksetzungen und den organisatorischen Rahmenbedingungen einer solchen Einrichtung befaßte 234 . Einleitend hob Rassow die Bedeutung der Kriegsschuldfrage für die deutsche Revisionspolitik hervor und erklärte die Belebung der nationalen und internationalen Diskussion über dieses Problem zur »außenpolitischen Notwendigkeit«. Gleichzeitig bedauerte er die »parteipolitische Ausschlachtung« der Schuldfragenproblematik, wie sie in Deutschland an der Tagesordnung sei, und plädierte für eine innenpolitische »Einheitsfront« in dieser Frage. Den genannten Zielen hoffte er durch die Gründung eines Kriegsschuldinstituts näherkommen zu können, das den in- und 'ausländischen Interessenten Materialien, Informationen und Argumente zu allen Problemstellungen der Vorgeschichte des Kriegs und der Kriegführung zur Verfügung stellte. Gründung und Betrieb dieses Instituts sollte der privaten Initiative vorbehalten bleiben; eine direkte staatliche Beteiligung erschien nicht geraten, da eine mit dem »Odium der Offiziösität« belastete Institution nach Rassows Meinung Gefahr lief, im Inland von potentiell interessierten Wirtschafts- und Pressckreisen gemieden zu werden und im Ausland von vornherein zur Wirkungslosigkeit verurteilt zu sein. In diesem Zusammenhang verhchlte der Historiker keineswegs, daß eine privat geführte Einrichtung dieser Art jederzeit in das Gravitationsfeld partei- und interessenpolitischer Einflußnahmen geraten konnte. Dieser Gefahr sollte die Einrichtung eines Kuratoriums aus »anerkannten Männern aller Parteieinrichtungen« vorbeugen. Dem Kuratorium oblag neben der Kontrolle der laufenden Geschäfte vor allem die Beschaffung und Verwaltung der zum Betrieb des Kriegsschuldinstituts notwendigen Finanzmittel. Das AA war dort zur Wahrung seiner Interessen mit einem ständigen Mitglied, dem Direktor der kulturpolitischen Abteilung, vertreten. Ein probates Mittel amtlicher Einflußnahme sah Rassow ferner in der geplanten Versorgung des Kriegs63 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

Schuldinstituts mit bestimmten Geheimdokumenten und vertraulichen Informationen. Jeder Entzug dieser Unterstützung degradierte das Institut nach seiner Ansicht auf längere Sicht zu einem »obskuren Unternchmen« 235 . Die Überlegungen Rassows trafen auf die Zustimmung des Reichsaußenministers. Dies zeigt die Aufzeichnung eines Gesprächs zwischen Simons und v. Bülow, das am 22. Februar 1921 in der Wilhelmstraße stattfand 236 . Simons, der zu Beginn der Unterredung auf das »dringende Bedürfnis« seines Ministeriums nach Vereinheitlichung der »gegenwärtig in Deutschland völlig zersplitterten Kriegsschulddiskussion« hinwies, machte seinen Gast dabei auch mit seinen eigenen Überlegungen zur Rassow-Denkschrift vertraut. Danach sollte das Institut die Rechtsform einer privaten Stiftung erhalten, »räumlich und persönlich« aber eng mit dem AA verbunden bleiben. Für die Repräsentation nach außen hatte der Außenminister an v. Bülow gedacht, der sich insbesondere der Erschließung der dringend benötigten Finanzierungsmittel widmen sollte. Als Geschäftsführer war Rassow vorgeschen. V. Bülow wies das Angebot Simons höflich, aber bestimmt zurück, sagte jedoch zu, das geplante Institut »innerhalb der Grenzen seiner bisherigen Tätigkeit« zu unterstützen 237 . Auf diese Offerte kam der Außenminister schneller als erwartet zurück; den Anlaß dazu bot die deutsche Vorbereitung auf die Anfang 1921 stattfindende Londoner Reparationskonferenz. Es lag hier von vornherein in Simons Absicht, den nach Lage der Dinge zu erwartenden Reparationsforderungen, die die Siegermächte im Januar 1921 in Paris festgelegt hatten, mit aller Härte entgegenzutreten. Das Risiko einer weiteren Verschärfung der internationalen Lage plante er dabei bewußt ein. Nach dem Urteil seines Biographen, Horst Gründer, rechnete er fest damit, daß ein Scheitern der Konferenz, die bislang abseits stehenden Amerikaner auf den Plan rufen und sie zugunsten des Reiches zu einem Eingreifen in die »verfahrene Situation« veranlassen würde 2 3 8 . In den deutschen Planungen lief daher alles darauf hinaus, das Revisionsproblem, wenn es sein mußte in provozierender Weise, in den Mittelpunkt der Londoner Verhandlungen zu stellen. Der Kriegsschuldfrage kam dabei eine nicht unwesentliche taktische Rolle zu. Wie der Nachfolger Freytags im Kriegsschuldreferat, v. Delbrueck, am 27. Februar 1921 an v. Bülow schrieb, erwog der Minister, für den Fall, daß die Verhandlungen in London keinen Erfolg hätten, die Schuldfrage anzuschneiden 239 . Simons wußte nur zu gut, daß die ausdrückliche Ablehnung der alliierten Kriegsschuldtheseauf seiten der Verhandlungspartner helle Empörung auslösen und voraussichtlich das Ende der Konferenz bedeuten würde. Um sich für diesen Fall bereits im vorhinein einen starken Rückhalt in der deutschen öffentlichen Meinung zu sichern, ließ er v. Bülow bitten, interessierte Persönlichkeiten und Organisationen »ganz vertraulich« in sein Vorhaben einzuweihen und sie für eine »rasche und einheitliche Pressekampagne« zu mobilisieren 240 . 64 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

V. Bülow kam dem Ansinnen des Außenministers zwar umgehend nach, äußerte sich aber von vornherein skeptisch über die Erfolgsaussichten der geforderten Presseunterstützung. In einem Schreiben an v. Delbrueck vom 28. Februar 1921 gab der e h e m a l i g e Legationssekretär seinen Bedenken freimütig Ausdruck. Zwar zweifele er keineswegs an einem Scheitern der Londoner Verhandlungen, halte es aber für unmöglich, für diesen Fall eine intensive Propaganda in der Schuldfrage einsetzen zu lassen 241 . Nicht zuletzt aufgrund der Passivität des AA fehle es an neuem Material und geeigneten Bearbeitern. Die deutsche Kriegsschulddiskussion kranke außerdem daran, daß sie ihre Ziele zu weit stecke, denn gerade im Hinblick auf die agitatorische Wirkung im Ausland komme es nicht in erster Linie darauf an, die »Unschuld« des Reiches zu propagieren. Es genüge, den Nachweis zu fuhren, daß die anderen ebenfalls schwere Verantwortung trügen; dann werde die moralische Grundlage des Vertrages hinfällig 242 . Die Reaktionen der deutschen Öffentlichkeit auf das Auftreten des deutschen Außenministers in London sollten v. Bülow Recht geben. Simons verärgerte mit seinen Kriegsschuld-Statements nicht nur die anwesenden Delegierten Frankreichs, Englands und Belgiens und leistete damit einer verstärkten Politisierung des Reparationsproblems Vorschub 243 . Der Außenminister handelte sich auch scharfe innenpolitische Kritik ein. Die Erklärung: »Es hat mir immer fern gelegen, die deutsche Regierung von jeder Verantwortlichkeit für den Krieg freisprechen zu wollen« 244 , mit der Simons seinen Hinweis auf die allseitige Verantwortung der großen europäischen Mächte am Kriegsausbruch in London abzuschwächen suchte, rief die nationale Empörung‹ konservativ-reaktionärer Kreise hervor und veranlaßte sogar Generalfeldmarschall v. Hindenburg zu einer scharfen, von der Rechtspresse genüßlich zitierten Attacke 245 . Auch die deutsche Linke schlug kritische Töne an. Die Sozialdemokraten Bernstein und Breitscheid tadelten anläßlich der Haushaltsdebatte des Reichstags vom 17. März 1921 die Art und Weise, wie die deutschen Regierungsvertreter auf der zurückliegenden Konferenz aufgetreten waren. In dieser Debatte entwickelte sich eine Diskussion über die Kriegsschuldfrage, in der namentlich der MSPD-Abgeordnete Bernstein und der Deutschnationale Schulz (Bromberg) als Kontrahenten auftraten. Während Bernstein die Schuld des kaiserlichen Deutschland am Ausbruch des Krieges als erwiesen ansah, bemerkenswerterweise, ohne daß sich, wie noch auf dem Weimarer Parteitag 1919, in den Reihen der eigenen Partei eine Stimme des Protests erhob, sprach Schulz (Bromberg) das wilhelminische Reich von jeglicher Schuld am Kriegsausbruch frei und erklärte das Kabinett Bethmann Hollweg zur friedfertigsten Regierung im Europa der Vorkriegszeit 246 . Beide Redner, die mit ihren Beiträgen in etwa die Flügelpositionen in der deutschen Kriegsschulddiskussion markierten, wurden von ihren Parteifreunden mit Beifall bedacht. Es zeigte sich einmal mehr, daß man in dieser Frage innenpolitisch noch weit von jener »Einheitsfront« entfernt war, die den 65 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

außenpolitisch verantwortlichen Stellen des Reiches seit der zweiten Hälfte des Jahres 1920 vorschwebte. Für das AA war das Anlaß genug, die Idee einer zentralisierten sowie programmatisch vereinheitlichten Kriegsschuldund Revisionspropaganda energisch voranzutreiben. Eine solche Initiative erschien den Beamten der Wilhelmstraße um so dringlicher, als im Anschluß an die Londoner Konferenz der Ruf nach einer offiziellen Stellungnahme zur Schuldfrage im Lager der Rechten zunchmend lauter und die dort geübte Kritik an der »Leisetreterei des Amtes« immer unüberhörbarer geworden war 2 4 7 . Die Bereitschaft der deutschen Wirtschaft, Finanzmittel für das Projekt eines Kriegsschuldinstituts bereitzustellen, blieb freilich weiterhin gering. Eine entsprechende Sondierung des AA bei verschiedenen Banken und Industriebetrieben ergab »keine große Begeisterung« für das Unternchmen. Man zeigte sich allenfalls bereit, »mäßige Mittel« für den genannten Zweck aufzubringen 248 . Nach dem Urteil v. Delbruecks war es noch immer das Mißtrauen gegen jede neue Regierungsstelle, das die angesprochenen Wirtschaftskreise davon abhielt, sich für die Pläne zur Vereinheitlichung der deutschen Revisions- und Kriegsschuldpropaganda stärker zu erwärmen 2 4 9 . Unter tagespolitischen Gesichtspunkten trat hinzu, daß sich die Schwerindustrie und die Banken über die Konferenzdiplomatie Simons verärgert zeigten, wobei insbesondere der Vorwurf erhoben wurde, daß die in London von deutscher Seite eingebrachten Vorschläge die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Reiches bei weitem überschritten 250 . Notgedrungen mußte sich das Amt nach anderen Finanzierungsquellen umsehen. Ungeachtet aller Bedenken, die v. Bülow, Freytag und Rassow gegen eine Übernahme des Projekts in staatliche Regie geltend gemacht hatten, kristallisierte sich dabei immer stärker der Gedanke heraus, die für die Gründung und den Betrieb des Kriegsschuldinstituts benötigten Gelder aus Haushaltsmitteln abzuzweigen. Anfang April 1921 trafen sich Außenminister Simons und Reichsfinanzminister Wirth, um diese Überlegung näher zu erörtern. Das Gespräch, an dem auch der Ministerialdircktor im AA und Leiter der Abteilung Westeuropa, v. Simson, sowie der Staatssekretär des Reichsfinanzministeriums, Schröder, teilnahmen, führte allem Anschein nach zu einer für das AA tragbaren Lösung. Wirth erklärte sich bereit, eine Million Mark für den besonderen Zweck bereitzustellen. Das Geld sollte den Finanzbedarf der »Zentralstelle für Erforschung der Kriegsursachen«, wie sich das Institut in der Zukunft nannte, mittelfristig abdecken. Überdies wurden 200000 Mark für die Versorgung der deutschen diplomatischen Auslandsvertretungen mit einschlägigem Material bewilligt 251 . In den ersten Aprilwochen des Jahres 1921 nahmen gleichfalls die bis dahin insgesamt noch recht vagen Vorstellungen über die Organisationsform und das Arbeitsgebiet der Zentralstelle konkrete Gestalt an. Dabei entwickelten sich auch in personeller Hinsicht die Dinge anders als ursprünglich vorgese66 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

hen. So scheiterten in letzter Minute die Bemühungen, Rassow für die Leitung des Instituts zu gewinnen 252 . Statt Rassow, dem sich inzwischen eine Universitätskarriere eröffnet hatte, mußte man mit dem Schweizer Arzt Ernst Sauerbeck vorliebnehmen, der während der letzten Kriegsjahre durch dezidiert deutschfreundliche Publikationen zur Kriegsschuldfrage aufgefallen war 2 5 3 . Der eidgenössische ›Kriegsschuldforscher‹, für den sich besonders der chemalige Staatssekretär im AA, Richard v. Kühlmann, stark gemacht hatte 254 , blieb jedoch in den Augen der außenpolitisch verantwortlichen Stellen stets eine Notlösung. Wie der Leiter des Kriegsschuldreferats, v. Delbrueck, in einem Schreiben an den inzwischen zum Gesandten in Bukarest avancierten Generalkonsul Freytag bekannte, sprach »manches gegen einen als deutschfreundlich bekannten Ausländer«, man habe aber, so v. Delbrueck, trotz sorgfältigen Suchens niemand Geeigneteren gefunden 255 . Mit gemischten Gefühlen betrachtete man im Umkreis des Kriegsschuldreferats auch die Unterbringung der Zentralstelle in den Räumen der »Deutschen Liga für Völkerbund«. Diese Lösung der Raumfrage, die auf Außenminister Simons persönlich zurückging, legte in den Augen v. Bülows die Gefahr einer Einverleibung des Kriegsschuldinstituts durch »pazifistische« Gruppen zumindest sehr nahe. Der Vorsitzende der Liga, Ernst Jäckh, fühlte sich nach v. Bülow bereits als »Patron des neuen Schuldinstituts« 256 . Die Befürchtung des chemaligen Legationssckretärs erwies sich jedoch als unbegründet. Die Völkerbund-Liga vermochte nie größeren Einfluß auf die Zentralstelle auszuüben. Beruhigend konnte v. Delbrueck schon Ende April 1921 vermelden, daß sich die Liga »sehr vernünftig« verhalte und keinen Versuch unternehme, »die Zentralstelle an sich zu ziehen« 257 . Dies ist nicht verwunderlich, denn eine direkte Einflußnahme privater Organisationen auf das Sauerbeck-Institut ließ schon die staatliche Finanzierung des Projekts nicht zu. Im internen Dienstverkehr machten die verantwortlichen Behörden daher keinen Hehl daraus, daß die neugegründete Zentralstelle lediglich nach außen hin als unabhängige Einrichtung figurieren sollte, in Wirklichkeit jedoch alle Direktiven mehr oder weniger unmittelbar aus dem AA bezichen würde 2 5 8 . In die von der Wilhelmstraße beanspruchte Richtlinienkompetenz fiel selbstverständlich auch die Konzeption der zukünftigen Aufgabengebiete der Zentralstelle. Es war vorgeschen, das Institut mit der Sammlung und Sichtung aller in- und ausländischen Veröffentlichungen über den Ursprung des Weltkrieges und Völkerrechtsverletzungen in der Kriegsführung zu betrauen. Ferner sollte es die gesammelten Publikationen zu Literaturberichten und Bibliographien zusammenfassen und an amtliche Stellen, private Organisationen sowie an ausländische Interessenten weiterleiten. Daneben hatte das Institut Literatur über das Kriegsschuldthema anzuregen und einschlägige, bereits abgeschlossene Veröffentlichungen durch den Ankauf von Auflagen einem möglichst breiten Leserkreis zugänglich zu 67 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

machen. Die Erstellung von Übersetzungen deutschsprachiger Kriegsschuldliteratur für das Ausland und die Übertragung fremdsprachiger Texte ins Deutsche gehörten ebenfalls zu den geplanten Aufgaben. Wie es hieß, war daran gedacht, das Institut zur »Kontaktstelle der nationalen und internationalen Kriegsschuldforschung« auszubauen. Interessierte Ausländer sollten durch die Vermittlung der Zentralstelle in Verbindung zueinander treten und neue Erkenntnisse über ihre jeweiligen Forschungsschwerpunkte austauschen 259 . Wissenschafts- und Forschungsorientierung stellten somit die Markenzeichen dar, mit denen die Zentralstelle nach außen hin auftrat. Über ihre eigentliche revisionspolitische Bestimmung ließ man sich dagegen nur hinter vorgehaltener Hand aus. Hier ging es um die Errichtung eines »Energiezentrums für alle an der Entlastung Deutschlands von der Schuld am Weltkrieg tätigen« Kräfte 260 . Mit der Schaffung von finanziellen, personellen und organisatorischen Grundlagen des Instituts war jedoch nur ein Teil der Probleme gelöst, die einer programmatisch vereinheitlichten Revisions- und Kriegsschuldagitation entgegenstanden. Da die Zentralstelle selber von der Propaganda ausgeschlossen bleiben sollte, galt es nunmehr die Gruppierungen, die sich in Deutschland der Bekämpfung der »Kriegsschuldlüge« bzw. der Revision des Versailler Vertrages widmeten und deren politisch-ideologische Bandbreite von DDP-nahen Vereinigungen bis zu völkisch-orientierten Organisationen reichte, auf einen möglichst einheitlichen Propagandakurs zu verpflichten. Die Maximen hierfür wurden ebenfalls im AA konzipiert. Dabei lehnten die Beamten den Vorschlag verschiedener Kriegsschuldorganisationen ab, eine »starke und allgemeine Protestaktion« zu entfesseln und das Ausland durch einen »Sturmangriff« zu erobern. Die Wilhelmstraße plädierte statt dessen für die Abfassung »objektiv gehaltener Artikel«, die das Ausland und hier namentlich die USA »zum Nachdenken« bringen konnten 261 . Wünschenswert erschienen ferner Publikationen, die eine gewisse deutsche Mitverantwortung am Kriegsausbruch zugestanden und die Bereitschaft zur Erfüllung der alliierten Forderungen signalisierten. Folgerichtig wurde der Gedanke, umfassende Revisionsforderungen schon in die frühe Aufklärungsarbeit mit einzuflechten, strikt verworfen. Nach Ansicht der Beamten genügte die zielbewußt und stetig vorgebrachte Forderung nach »Errichtung einer neutralen Kommission zur Untersuchung der Verantwortlichkeit der Völker, die 1914 in den Krieg traten«. Je weniger man von deutscher Seite von der Untersuchung über die Schuldfrage zu erwarten angebe, um so geringer sei der Widerstand gegen die Kommissionsforderung und um so stärker werde »von selbst die Revisionstendenz wachsen« 2 6 2 . Für die praktische Umsetzung dieser Richtlinien fehlte in Deutschland allerdings eine wesentliche Voraussetzung: Trotz der Vielzahl von Organisationen, die die alliierte »Kriegsschuld- und Kriegsgreuellüge« in den Mittelpunkt ihrer Agitation gestellt hatten, gab es auch auf diesem Gebiet keine allseits aner68 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

kannte Clearing-Stelle. Nach dem Urteil des Kriegsschuldreferats arbeiteten »die Verbände. . . durcheinander und vielfach gegeneinander«, wobei insbesondere ihre Auslandspropaganda als abträglich für die deutschen diplomatischen Interessen empfunden wurde 2 6 3 . Ein von Johann Tiedje, dem für Organisationsfragen zuständigen Referenten der Völkerbund-Liga, im Auftrage des AA erarbeitetes Gutachten, das sich mit der Einrichtung einer »Spitzenorganisation zur Revision des Friedensvertrages« befaßte, kam zu ähnlich pessimistischen Schlußfolgerungen. Keiner der zahlreichen Kriegsschuld-Vereinigungen räumte Tiedje eine realistische Chance ein, als ›Leitzentrale‹ für die Revisionspropaganda fungieren zu können. So habe sich die Völkerbund-Liga im Ausland zwar als eine »ausgezeichnete Deckadresse« für Revisionsbestrebungen aller Art bewährt, innenpolitisch werde sie jedoch wie die »Heidelberger Vereinigung« wegen ihrer »pazifistischen« Ausrichtung stark angefeindet 264 . Eine ähnlich »unheilbare Belastung« treffe die »Reichszentrale für Heimatdienst«, deren Arbeit seit geraumer Zeit von den Rechtsparteien und den völkischen Verbänden boykottiert werde 2 6 5 . Auf der politischen Rechten zeigte sich nach Tiedjes Bekunden das gleiche Bild. Keine der dort angesiedelten Vereinigungen besaß seiner Ansicht nach Integrationskraft und Initiative genug, um die Funktion einer auch links von der DVP akzeptierten Spitzenorganisation im Rahmen der geplanten Kriegsschuld- und Revisionspropaganda auszufüllen. Dies gelte für den in München beheimateten »Deutschen Kampfbund gegen die Kriegsschuldlüge« und den Berliner Ausschuß »Entlastung« ebenso wie für den Bremer Volksbund »Rettet die Ehre« und den »Deutschen Schutzbund«. Gerade der Schutzbund machte jedoch im Frühjahr 1921 durch sein starkes Interesse an der Bildung einer »Propagandazentrale« von sich reden 266 . Die dezidiert völkische Organisation, die während der großen Abstimmungskämpfe in den Ostgebieten Wahlhilfe- und Propagandaaktionen im Auftrage der Reichsregierung durchführte 267 , reichte in diesem Zusammenhang sogar eine Denkschrift mit dem Titel »Schuldfragenarbeit« in der Wilhelmstraße ein 268 . Darin sprach sich der Vorsitzende v. Loesch für eine Einrichtung aus, deren Tätigkeitsfeld nicht nur auf die Sammlung, Sichtung und Aufbereitung aller einschlägigen Materialien und Informationen beschränkt bleiben, sondern daneben die »Erkenntnisse des Schuldforschens in die Massen . . . tragen und dann in politische Taten [umsetzen sollte]«. Zwischen den Zeilen kam dabei zum Ausdruck, daß v. Loesch der eigenen Organisation die Erfüllung dieser Aufgabe durchaus zutraute. Der Vorschlag, ein Unternchmen zu schaffen, das neben der Kriegsschuldforschung auch die Kriegsschuldpropaganda in eigener Regie betrieb, wurde im AA mit äußerster Skepsis aufgenommen, zumal man die implizit anklingenden Ansprüche des Schutzbund-Vorsitzenden durchaus richtig zu deuten wußte. V. Delbrueck hielt den v. Loesch-Vorschlag für überaus »bedenklich«. Er befürchtete, daß sich die vorgeschlagene Zentrale auf die 69 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

Dauer den Direktiven des Amtes entziehen und zu einer »Nebenregierung« mit eigenen Auslandsvertretungen entwickeln würde 2 6 9 . Der Leiter des Kriegsschuldreferats gab seinen Bedenken in seinem Schreiben an Freytag vom 31. März 1921 offen Ausdruck. In der Luft liege, so v. Delbrueck, »die Bildung einer Mammutpropaganda-Zentrale, die 300-500 Millionen kostet und nach Lösung der oberschlesischen Frage die bisher aus der Kasse des Schutzbundes unterhaltenen Personen übernehmen soll« 270 . Ein dergestalt weitgespanntes Vorhaben lief sowohl in finanzieller als auch in politischer Hinsicht allen im AA entworfenen Plänen entgegen. Das Amt sah bei Zustandekommen einer vom Schutzbund gesteuerten Mammutzentrale die Möglichkeit ständiger eigener Einwirkungen als nicht mehr gegeben an. Der Alternativvorschlag v. Delbruecks sah deshalb die Bildung eines relativ eigenständigen Dachverbandes vor, der in enger Abstimmung mit dem AA die Propaganda koordinierte, dabei aber den angeschlossenen Verbänden ihr spezifisches Gepräge beließ 271 . Der Leiter des Kriegsschuldreferats führte in der unmittelbaren Folgezeit eine Reihe von Einzelgesprächen, in denen er die an der Kriegsschuld- und Revisionspropaganda interessierten Organisationen und Einzelpersonen mit seinem Plan vertraut machte 272 . Die Bemühungen erwiesen sich als unerwartet fruchtbar. Entgegen der Befürchtung v. Delbruecks, das tiefe Mißtrauen der angesprochenen Verbände gegenüber dem Amt und ihre »disziplinlose Eigenwilligkeit« würden alle Vereinheitlichungsbestrebungen von vornherein im Keim ersticken 273 , fand sein Vorschlag schon bei der ersten Zusammenkunft aller Kriegsschuldorganisationen, die auf Initiative des AA am 13. April 1921 in den Räumen der neugegründeten »Zentralstelle für Erforschung der Kriegsursachen« stattfand, eine breite Mehrheit. Die Anwesenden zeigten sich trotz ihrer politisch unterschiedlichen Grundauffassungen ausnahmslos bereit, den geplanten Dachverband durch ihre Mitarbeit zu unterstützen 274 . Man bestellte einen »provisorischen Siebener-Ausschuß« 275 und betraute ihn mit den notwendigen Vorarbeiten für die Gründungsversammlung. Diese Vorbereitungstätigkeit gelangte schneller als ursprünglich erwartet zum Abschluß. Schon am 30. April 1921 kam es - weitgehend unter Ausschluß der Öffentlichkeit - zur Gründung des »Arbeitsausschusses Deutscher Verbände« 276 . Zum Präsidenten des neuen Dachverbandes aller Kriegsschuldorganisationen wählte man auf Vorschlag des SchutzbundVorsitzenden, v. Loesch, den chemaligen Legationsrat im AA und DVPAbgeordneten, Frhr. v. Lersner 277 . Die Stellvertreterfunktion übernahmen gemeinsam Ernst Jäckh 2 7 8 von der Völkerbund-Liga und der im deutschen Genossenschaftswesen tätige Philipp Stein. Alle Anwesenden kamen am Ende der Gründungsversammlung überein, ihren jeweiligen Verbänden nahezulegen, dem ADV u.a. zur Errichtung einer Geschäftsstelle 10000 Mark als einmalige Gründungseinlage zukommen zu lassen 279 . Der ADV war zweifellos eine rechtsorientierte Gründung. Darüber ver70 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

mag auch die Tatsache nicht hinwegzutäuschen, daß mit dem chemaligen preußischen Finanzminister, Albert Südekum, und dem Vorwärts-Redakteur, Erwin Barth, zwei, wenngleich äußerst nationalgesinnte und rechtsstehende Vertreter der Sozialdemokratie dem Gründungsausschuß angehörten 280 und daß mit Jäckh ein Linksliberaler im Präsidium des ADV vertreten war. Das Übergewicht konservativer Positionen läßt sich an der Besetzung des Präsidiums deutlich ablesen 281 . Frhr. v. Lersner, der Vertreter des AA bei den deutsch-alliierten Verhandlungen über die Kriegsverbrecherfrage, hatte sich durch seine kompromißlose Haltung gegenüber den Auslieferungsforderungen der Siegermächte in konservativen Kreisen einen guten Namen gemacht 282 , und der Honorarprofessor Stein galt als ein Sympathisant des Berliner »Juni-Klubs« 283 , eines militant antidemokratischen und antisozialistischen Zirkels um den Philosophen der »konservativen Revolution«, Arthur Moeller van den Bruck 284 . Im Kriegsschuldreferat wurde die Zusammensetzung des Präsidiums denn auch als »Regiefehler« empfunden. V. Delbrueck etwa hielt die Führungs- und Mitgliederstruktur des neugegründeten ADV für »etwas zu sehr rechtsgerichtet« 285 . Dennoch dürfte der konservative Zuschnitt der Gründung letzten Endes die unabdingbare Voraussetzung dafür gewesen sein, daß sich die mehrheitlich rechtsorientierten Kriegsschuldorganisationen dem Kuratel des AA überhaupt unterordneten. Wie die starken Vorbehalte v. Bülows und Freytags gegen eine pazifistische Führung der Revisionspropaganda verdeutlichen, scheint man sich dieser Tatsache im Umkreis des Kriegsschuldreferats durchaus bewußt gewesen zu sein. Daneben ließen die erfolglosen Bemühungen um die Gründung des »Instituts für politische Geschichtsforschung« im Amt eine weitere Erkenntnis reifen: Allein auf sich gestellt vermochten weder rechtsstehende Verbände wie der »Deutsche Schutzbund« bzw. der Münchener »Kampfbund gegen die Kriegsschuldlüge« noch liberale Gründungen wie die Völkerbund-Liga oder die »Heidelberger Vereinigung« eine programmatisch und organisatorisch vereinheitlichte Kriegsschuld- und Revisionspropaganda in der Weimarer Republik aufzubauen. Dazu bedurfte es der umfassenden Unterstützung durch den Staat. Insofern erweist sich die gängige zeitgenössische These, wonach die deutsche Revisions- und Kriegsschuldpropaganda aus dem gleichsam naturwüchsigen Bestreben aller innenpolitischen Richtungen erwuchs, „dem Befreiungsgedanken Geltung zu verschaffen“ 286 , als eine von interessierter Seite verbreitete Legende. Es ist ferner gezeigt worden, daß die seit dem Sommer 1921 wachsende Bereitschaft des AA, der längere Zeit vernachlässigten Kriegsschuldfrage wieder erhöhte außenpolitische Bedeutung beizumessen, mit dem von Deutschland und Frankreich wechselseitig verschärften Prozeß einer Politisierung des Reparationsproblems positiv korrelierte. Von Anfang an kam dabei der Propaganda gegen die alliierten Schuldanklagen ein besonderes strategisches Gewicht zu. Sie sollte nach dem Willen der Planer im AA das 71 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

ideologische Ferment einer Politik bilden, »welche die Opposition gegen Versailles großzicht“ 2 8 7 . Dieses Kalkül war nicht neu. Schon in Versailles hatte man versucht, die Kriegsschuldfrage für die deutsche Friedenspolitik zu instrumentalisieren, war damit allerdings gescheitert. Die damals gemachten Erfahrungen veranlaßten die Wilhelmstraße im Frühjahr 1921 zumindest in taktischer Hinsicht umzudenken. Eine Propaganda des Alles oder Nichts, wie sie im »Notenkrieg« Brockdorff-Rantzaus aufschien, wurde jetzt trotz der Verschärfung der außenpolitischen Lage nicht mehr für opportun gehalten 288 . Die deutsche Kriegsschuld- und Revisionspropaganda, die ohnehin langfristig angelegt war, sollte nunmehr mit aller gebotenen Vorsicht operieren. Es ging, wie v. Delbrueck gegenüber dem Volksbund »Rettet die Ehre« betonte, weniger darum, »die Freunde Deutschlands in ihrer Auffassung zu bestärken«, als vielmehr darum, »Unentschiedene und Gegner« von der Plausibilität des deutschen Standpunktes in der Kriegsschuldfrage zu überzeugen 289 . Erfolgversprechend schien eine solche Propaganda freilich nur dann zu sein, wenn sie von allen Schichten der Bevölkerung aktiv mitgetragen wurde. In dieser Beziehung hatten Kriegs- und Nachkriegszeit der elitärkonservativen deutschen Ministerialbürokratie nachhaltig vor Augen geführt, wie unumgänglich eine plebiszitäre Abstützung namentlich der offiziellen Außenpolitik mittlerweile geworden war. Die Bestrebungen des AA richteten sich deshalb zunächst einmal darauf, in der Frage der Verantwortlichkeit am Kriegsausbruch eine innenpolitische Einheitsfront zu schaffen. Die »Volksopposition« in der Kriegsschuld- und Revisionsfrage sollte gewissermaßen als selbstinduzierte Beschränkung der außenpolitischen Spielräume des Reiches fungieren 290 . Jedes Nichteingchen auf bestimmte Forderungen der Siegermächte erfuhr durch sie eine zusätzliche Legitimation, und jeder außenpolitische Kompromiß konnte dem Ausland gegenüber durch den Hinweis auf die zu erwartenden innenpolitischen Widerstände aufgewertet werden. Die Tatsache, daß in der Folge der frühen Sammlungsbestrebungen des AA vornehmlich konservative Organisationen aller Schattierungen in das Blickfeld rückten (später hat man sich verstärkt auch um die Einbindung gemäßigt linker Kräfte bemüht 2 9 1 ), kann sicherlich in erster Linie als Ausdruck des quantitativen Übergewichts rechtsorientierter Verbände auf diesem Gebiet gewertet werden. Die mehr als verhaltene Informationspolitik, die Freytag im Vorfeld der hier skizzierten Gründungen gegenüber der sozialdemokratischen Reichsregierung Bauer an den Tag legte, zeigt freilich, daß auf diesem Gebiet auch die politisch-ideologischen Präferenzen der verantwortlichen Beamten eine nicht zu unterschätzende Rolle spielten. In taktischer Hinsicht dürfte sich das Kriegsschuldreferat außerdem von den rechtsorientierten Verbänden eine Dynamisierung der Propaganda erhofft haben. In einer eigens für den Reichsaußenminister angefertigten Aufzeichnung vom 17. März 1921 heißt es dazu: »Es ist gleichgültig, was die deutsch72 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

nationalen Kreise tun, günstig, wenn sie sich schärfer äußern und gegen die Regierung opponieren« 292 . Natürlich durfte diese Opposition nicht den Rahmen sprengen, den das Α Α für die inhaltliche Ausgestaltung der Propaganda vorgegeben hatte. Vor dem Hintergrund der Londoner Konferenz, die von der deutschen Rechten zum Anlaß für eine militante Kampagne gegen die Politik des »nationalen Ausverkaufs« genommen worden war, intendierte man mit der Gründung des ADV deshalb von Anfang an auch eine Disziplinierung der nationalistischen Kräfte. Eine Bemerkung Freytags gibt diesem Bestreben exemplarisch Ausdruck. »Es wird alle Kraft nötig sein«, so der Gesandte in einem Schreiben an v. Delbrueck, »um diese überschäumenden Gewässer in das richtige Bett zu leiten« 293 . In die gleiche Richtung zielten die Aufgaben, die das Kriegsschuldreferat dem ADV im Rahmen seiner Propagandatätigkeit zudachte. Der neugegründete Dachverband für die Revisions- und Kriegsschuldpropaganda hatte »die Schuldfrage einigermaßen außerhalb der parteipolitischen Diskussion zu halten, . . . eine maßvolle, gleichmäßige Auffassung [hierüber] überall durchzusetzen . . . [und] unüberlegte Aktionen zu verhindern“ 294 . Auf die Dauer ließ sich eine derart weitgchende Einbindung der nationalen bzw. nationalistischen Rechten in das revisionspolitische Kalkül des AA allerdings nur schwer bewerkstelligen. Dies deutete schon das erste Zusammentreffen der Mitgliederverbände des ADV an, das am 26. Mai 1921 in den Räumen der »Zentralstelle für Erforschung der Kriegsursachen« stattfand. Die bei dieser Gelegenheit geführten Diskussionen zeigten die deutliche Reserve der Anwesenden gegen die von AA vorgegebenen Propagandarichtlinien. Man monierte vor allem die Zurückhaltung, mit der das Amt die Kriegsschuld- und Revisionspropaganda anzugchen gedachte. Die Erfolgschaneen der Formel von der »Zurückweisung der Alleinschuld Deutschlands« am Ausbruch des Krieges, die das Kriegsschuldreferat als kleinsten gemeinsamen Nenner der deutschen Propaganda ausgegeben hatte, wurde nachdrücklich in Zweifel gezogen; statt dessen plädierte man dafür, die Agitation zumindest gleich stark auf die »Mitschuld der Entente« abzustellen 295 . Unter diesen Umständen war an die ursprünglich geplante Auflösung des Kriegsschuldreferats nicht mehr zu denken. Der Versuch, möglichst breite Teile der deutschen Rechten in eine revisionspolitische »Einheitsfront« zu integrieren, machte im Gegenteil die Aufrechterhaltung, ja sogar den Ausbau dieser Sonderabteilung des AA unumgänglich, wollte man, wie Freytag im Januar 1922 anmerkte, »die Polemik auf der mittleren Linie halten und dafür sorgen, daß multum nicht multa wird« 2 9 6 . Es wird noch zu zeigen sein, mit welchem außenpolitischen Erfolg das hier skizzierte Zähmungskonzept praktiziert werden konnte. In innenpolitischer Hinsicht kam es jedenfalls einem ›Ritt auf dem Tiger‹ gleich. 73 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

III. D i e A k t e n e d i t i o n e n z u r V o r g e s c h i c h t e des Weltkriegs

1. Die »Deutschen Dokumente zum Kriegsausbruch« Mit der Etatisierung der »Zentralstelle für Erforschung der Kriegsursachen« und der Gründung des »Arbeitsausschusses Deutscher Verbände« waren der finanzielle Grundstock für eine aktive deutsche Revisionspropaganda gelegt und deren organisatorische Konturen umrissen worden; noch mangelte es allerdings an Material, um den vorgezeichneten Propagandakurs inhaltlich auszufüllen. Auch auf diesem Gebiet sollte das AA in der Folgezeit Schrittmacherdienste leisten. Schneller als erwartet verhallten die noch im Frühjahr 1921 unüberhörbaren Klagen über die unzulängliche Materialbasis der deutschen Kriegsschuldagitation und die dadurch verursachten Startschwierigkeiten der »Revisionbewegung« 297 . Es bedurfte hierzu freilich intensiver Vorarbeiten, deren Anfänge bis weit in das Jahr 1919 hinein zu verfolgen sind. Die ersten Bemühungen der Wilhelmstraße, ein »Schuldfragen-Archiv« einzurichten, das alle entsprechenden Büchertitel, Zeitschriftenaufsätze und Zeitungsartikel sammeln sollte, reichten in den Dezember 1919 zurück 298 ; bereits im Januar des gleichen Jahres war damit begonnen worden, das Archiv des AA nach Dokumenten und Materialien zur Vorgeschichte des Krieges zu durchforsten. Viele Arbeiten standen in einem engen Zusammenhang mit den Vorbereitungen Deutschlands auf die Versailler Friedenskonferenz. So basierte die Dokumentensammlung zur Vorgeschichte des Krieges, die Kautsky im Auftrage der deutschen Revolutionsregierung erstellt hatte, auf den Archivalien des ΑΑ; das gleiche gilt g utenteils für die Aktenzusammenstellungen, mit denen das Spezialbüro v. Bülow die deutsche Friedensdelegation laufend versorgte 299 . Die Sammlung und Sichtung von Akten zur Vorgeschichte des Krieges wurde auch nach Abschluß des Versailler Friedens fortgesetzt. Der Art. 230 des Vertragswerkes, der die deutsche Regierung verpflichtete, Archivmaterial an die Alliierten zu liefern, das unter anderem zur »erschöpfenden Würdigung der Schuldfrage« erforderlich erschien 300 , legte in den Augen des Kriegsschuldreferats wenn schon nicht die Gefahr einer Beschlagnahmung der Akten des AA im ganzen, so doch die Möglichkeit einzelner »Übergriffe unserer Feinde« nahe und ließ es geraten erscheinen, Archivbestände, die in mittelbarem oder unmittelbarem Zusammenhang zum Kriegsausbruch standen, »in geeigneter Form zu sichern« 301 . 74 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

Die den Siegermächten aus dem Art. 230 erwachsenden Ansprüche spielten allerdings im Kontext der Bemühungen des AA, die amtlichen Aktenstücke zur Vorgeschichte des Krieges möglichst editionsreif aufzubereiten, eine nur marginale Rolle 302 . Beherrschenden Raum nahmen demgegenüber zwei Vorhaben ein, deren Umrisse sich im Sommer bzw. im Herbst 1919 herausgeschält hatten: Die Neubearbeitung und Publizierung der ursprünglich von Kautsky zusammengestellten »Deutschen Dokumente zum Kriegsausbruch« und das Projekt einer großangelegten, bis in das Jahr 1871 zurückreichenden Aktenedition. Die von Kautsky besorgte Dokumentation verdankte ihre Entstehung einer öffentlichen Zusage des Berliner Rates der Volksbeauftragten, die deutschen Archive zu öffnen. Dieses Versprechen hatte sich später als folgenlose Deklamation erwiesen, da die Aktensammlung - wiewohl bereits im März 1919 fertiggestellt - wegen ihrer außenpolitisch unliebsamen Tendenz für die Dauer der Friedensverhandlungen auf Eis gelegt wurde. Immerhin hatte die Öffentlichkeit des In- und Auslands die Zusage der Revolutionsregierung aufmerksam registriert, so daß man über kurz oder lang nicht umhin kam, die Dokumente zu publizieren, wollte man sich nicht den Vorwurf der politischen Camouflage zuzichen. Eine Unterdrückung der »Deutschen Dokumente«, so hieß es in der entsprechenden Aufzeichnung des Kriegsschuldreferats, würde den Siegermächten »neuen Grund geben, zu behaupten, daß wir noch Schlimmes zu verheimlichen haben und auch in weiten Kreisen des Deutschen Volkes den Eindruck bestärken, daß der Krieg von der damaligen Regierung doch wohl beabsichtigt worden sei« 303 . Die Beamten der Wilhelmstraße zeigten sich auch aus einem anderen Grunde nicht abgeneigt, ausgewählte Dokumente aus den kaiserlichen Archiven zu veröffentlichen. Es ist bereits berichtet worden, daß das AA sehr früh schon für eine deutsche Offensive in der Kriegsschuldfrage plädiert und zu diesem Zweck auch die Publizierung unveröffentlichter Aktenstücke zur Vorgeschichte des Weltkriegs ins Auge gefaßt hatte. Dadurch bot sich die willkommene Gelegenheit, die nach außen hin bekundete Bereitschaft des Reiches zur vorbehaltlosen Beschäftigung mit der jüngsten Vergangenheit zu beweisen und Deutschland damit gegen die Ententemächte abzugrenzen, für die ein vergleichbares Vorhaben in den ersten Jahren nach dem Friedensschluß nie zur Debatte stand. Die Tatsache, daß die Wilhelmstraße gleichwohl am ursprünglichen Veto Brockdorff-Rantzaus festhielt und die Herausgabe der »Deutschen Dokumente« auch nach dem Friedensschluß dilatorisch behandelte, ist daher weniger auf grundsätzliche Vorbehalte als vielmehr auf tagespolitisch motivierte Rücksichtnahmen zurückzuführen. Man wollte die unmittelbar bevorstchenden deutsch-alliierten Verhandlungen über die Auslieferung der »Kriegsverbrecher« durch die Publizierung des Aktenwerkes nicht weiter zu Lasten der betroffenen Politiker, Beamten und Militärs komplizieren. Für eine vorläufige Verschiebung des Herausgabetermins setzte sich besonders 75 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

die »Hauptstelle zur Verteidigung Deutscher vor feindlichen Gerichten« ein. Der Leiter dieser eigens für die Kriegsverbrecherfrage eingerichteten Institution, Legationsrat Wedding, befürchtete, daß die Siegermächte das deutsche Urkundenmaterial nicht nur zur »besseren Begründung ihres Begehrens«, sondern auch zur personellen Ausweitung ihrer Auslieferungsforderungen heranzichen würden 3 0 4 . Diese Bedenken wurden vom AA geteilt, zumal die Beamten ohnehin starke inhaltliche Vorbehalte gegen die ursprüngliche Form der Aktensammlung hegten. Nach Ansicht des Kriegsschuldreferats zeigte sich die Dokumentation in der von Kautsky besorgten Fassung von einer revisionspolitisch für unabdingbar erachteten Voraussetzung weit entfernt: Der Prämisse, »bei allem Streben nach historischer Wahrheit und der bestimmten Absicht, nichts zu verheimlichen, nicht den Anschein [zu] erwecken, als wenn sie aus Opposition gegen das alte deutsche Regime die Sache der Feinde unterstützen wolle«. Gegen die Kautsky-Dokumente wurde vor allem eingewandt, daß sie trotz ihrer relativen Vollständigkeit kein abgewogenes Bild der Ereignisse lieferten und daß es somit für die »voreingenommenen Feinde« leicht sei, einzelne Vorgänge aus dem Zusammenhang zu reißen und zum Nachteil des Reiches zu verwerten 305 . Für »Ergänzungen« plädierte auch das Reichskabinett Bauer, wobei die Regierung insbesondere die Einbeziehung von Akten aus der weiteren Vorgeschichte des Weltkrieges in die Dokumentensammlung für erforderlich hielt. Auf der anderen Seite sollten nach dem Willen der Kabinettsmitglieder einige »unwesentliche Dokumente aus neutralen Quellen« gestrichen werden, da man bei ihrer Veröffentlichung Querelen mit den betroffenen Staaten befürchtete 306 . Eine Neubearbeitung erschien daher dringend geboten, wobei es sich bei der Zielrichtung der meisten Einwände beinah von selbst verstand, daß dies auch einen Wechsel in der Herausgeberschaft implizierte. In der Tat bestellte man Anfang Juli 1919 mit Graf v. Montgelas und Walther Schücking zwei neue Herausgeber für die »Deutschen Dokumente zum Kriegsausbruch« 307 . V. Montgelas, der Mitverfasser der »ProfessorenDenkschrift«, war der deutschen Öffentlichkeit seit Versailles als Kriegsschuldspezialist bekannt, und der demokratische Völkerrechtler Schücking galt als gemäßigt pazifistischer, aber national gesinnter Wissenschaftler. Schückings Tätigkeit sollte sich freilich auf die »sporadische« Durchsicht einzelner Aktenstücke beschränken. Wie so oft in den folgenden Jahren gab er im Grunde genommen nicht viel mehr als seinen im In- und Ausland hoch geschätzten Namen für ein offiziöses Projekt her 308 . Den Hauptteil der Arbeit an der Neufassung der »Deutschen Dokumente« leistete der politisch konservativ eingestellte Graf v. Montgelas. Dies schlug sich deutlich auch in der Einleitung zu der gereinigten Fassung des Aktenwerkes nieder, in der die für die deutsche Interpretation der Julikrise 1914 heiklen Dokumente relativiert und apologetisch umgedeutet wurden 309 . Die Weichen für den skizzierten Wechsel in der Herausgeberschaft waren 76 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

noch während der Arbeit der »Kautsky-Kommission« 310 im Frühjahr 1919 gestellt worden. Zug um Zug hatte man Kautsky die »technische Herausgeberschaft« für die Akten entzogen: Zunächst indem man die in seinem Besitz befindlichen Geheimdokumente einforderte, vorgeblich um sie einer »gründlichen Durchsicht« durch ein Kabinettsmitglied zu unterziehen; später dann, indem man Kautsky gegen dessen ausdrücklichen Protest den Zugang zu den Archiven der Wilhelmstraße zu verwehren suchte und damit die Ausführung des offiziellen, jedoch nie stornierten Auftrags der deutschen Revolutionsregierung erheblich erschwerte 311 . Vollständig ausschalten mochte man das bekannte USPD-Mitglied freilich nicht. Das AA achtete sorgsam darauf, daß der Kontakt zwischen Kautsky und den neuen Herausgebern nicht abriß. Nach einer Auskunft Freytags wurde der Sozialdemokrat auch weiterhin zu »allen entscheidenden Fragen« der Edition herangezogen. Er erhielt die wichtigsten Korrekturen zur Nachprüfung zugesandt, und man bemühte sich, für alle Veränderungen, die als notwendig erachtet wurden, sein Einverständnis einzuholen 312 . Diese Rücksichtnahme war unverkennbar taktisch bestimmt; wußte man doch oder ahnte zumindest, daß Kautsky eine Publikation plante, in der er seine in den kaiserlichen Archiven gewonnenen Eindrücke einem breiteren Publikum zugänglich machen wollte. Da man amtlicherseits ein Erscheinen der Aktensammlung frühestens für den Herbst 1919 vorgeschen hatte (tatsächlich erschienen die Dokumente im Dezember dieses Jahres), suchte die Wilhelmstraße Kautsky dahingehend zu beeinflussen, seine Schrift erst im Nachgang zur Publizierung der »Deutschen Dokumente« erscheinen zu lassen. Im Falle einer umgekehrten Abfolge fürchteten die Beamten, daß die Rezeption des offiziellen deutschen Aktenwerkes zum Kriegsausbruch stark durch Kautskys Interpretation der Ereignisse geprägt werden würde. Immerhin galt der Sozialdemokrat auch international als einer der besten Kenner der einschlägigen deutschen Aktenbestände. Sehr zum Mißvergnügen der Wilhelmstraße sollten sich gerade diese Befürchtungen bestätigen. Auszüge aus der Kautsky-Arbeit »Wie der Weltkrieg entstand«, die den wilhelminischen Machteliten zwar keinen Kriegsvorsatz unterstellte, sie aber gleichwohl zu Hauptschuldigen an der militärischen Eskalation der Julikrise erklärte 313 , gelangten Ende November 1919 zunächst in britische, wenig später dann in niederländische Zeitungen 314 . Daran änderte auch die Tatsache nichts, daß der mehrheitssozialdemokratische Außenminister, Hermann Müller, im Hinblick auf das angestrebte Junktim mehrfach bei seinemehemaligenParteifreund interveniert hatte 315 . Kautsky selber kritisierte die vorzeitige Veröffentlichung der wichtigsten Teile seiner Schrift. Gegen die aufbrandende Empörung in der deutschen Presse, die ihm die »Verletzung des nationalen Schamgefühls« vorwarf und vereinzelt sogar von privaten Gewinnmotiven sprach 316 , hob der sozialdemokratische Politiker hervor, daß es sich bei den Veröffentlichungen um ein eigenmächtiges Vorgehen seiner englischen Vertragspartner handele; »eine 77 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

Durchbrechung des Urheberrechts, gegen die ich protestiere«. Gleichzeitig machte er aber auch deutlich, daß eine nicht zu unterschätzende Mitverantwortung für diese »Panne« die verantwortlichen Stellen im AA treffe, da sie das für Oktober angekündigte Erscheinen der »Deutschen Dokumente« aus fadenscheinigen Gründen immer wieder hinausgezögert hätten 317 . Das Erscheinen der »Deutschen Dokumente zum Kriegsausbruch« am 10. Dezember 1919, das die Reichsregierung zum Anlaß nahm, die Forderung nach Öffnung der Archive aller am Krieg beteiligten Staaten anzusprechen318, zeitigte in der Tat die befürchtete negative internationale Resonanz, erstaunlicherweise sogar im neutralen Ausland. Die deutsche Gesandtschaft in Kristiania (Norwegen) meldete ein »teilweise äußerst gehäßiges Echo« in der Presse des Landes. Die Aktensammlung werde in Norwegen als Beweismittel dafür interpretiert, »daß Deutschland und Österreich/Ungarn durch Lug und Trug den Krieg herbeigeführt haben«. Ähnlich lautende Hiobsbotschaften trafen aus Schweden und den Niederlanden in der Wilhelmstraße ein 319 . Selbst im Inland scheint die offizielle deutsche Aktenpublikation zum Kriegsausbruch nicht den erwarteten Nachhall gefunden zu haben. Wie Legationsrat Friedrich Stieve, der Nachfolger v. Delbruecks im Kriegsschuldreferat, im Mai 1922 anmerkte, wurde die Publikation »trotz ihres reichen Inhalts« wenig beachtet, weil sie vom Leser ein hohes Maß an Interesse verlange und außerdem für ein weiteres Publikum nur schwer verständlich sei. Für zukünftige Projekte dieser Art schlug Stieve deshalb vor, die erwünschte Wirkung auf die öffentliche Meinung durch eine »möglichst lebhafte Besprechung in der Presse« herbeizuführen 320 .

2. Die »Große Politik der Europäischen Kabinette« Nicht zuletzt der propagandistische Mißerfolg der »Deutschen Dokumente« bewog das AA nunmehr, ein Projekt zu forcieren, dessen konzeptionelle Umrisse bis in den Sommer 1919 zurückreichten. Am 21. Juli 1919 hatte das Kabinett Bauer beschlossen, eine Aktenedition in Auftrag zu geben, die die wesentlichen Ereignisse der Jahre 1871 bis 1914 im Spiegel der deutschen diplomatischen Akten dokumentieren sollte 321 . Ein solches Vorhaben wurde als Ergänzung zu den Kautsky-Akten für dringend erforderlich gehalten, da - wie es offiziell hieß - »die Gründe für den Weltkrieg . . . viel weiter zurückliegen und nicht erst mit dem Attentat in Sarajewo entstanden sind« 3 2 2 . So hellsichtig diese Begründung unter dem Blickwinkel moderner geschichtlicher Forschung auch klingen mag, so sehr dürfte sich ihr erkenntnisleitendes Interesse an den vermeintlichen Erfordernissen politischer Propaganda orientiert haben. Im Grunde genommen kam der Aktensammlung von Anfang an die Aufgabe zu, die wenig schmeichelhafte Rolle, die das 78 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

kaiserliche Kabinett Bethmann Hollweg in der Julikrise 1914 gespielt hatte und die in den »Deutschen Dokumenten« unbeschadet aller verbalen Kaschierungen relativ offenkundig dokumentiert worden war, durch den Rekurs auf die unzweifelhaft expansionistische Außenpolitik aller Großmächte in der ›klassischen Ära‹ des Imperialismus zu relativieren. Den instrumenteilen Charakter der »Großen Politik der Europäischen Kabinette«, so die Bezeichnung, unter der die Dokumentation später bekannt wurde, beleuchtet schlaglichtartig eine Bemerkung des im AA für die Kriegsschuldfrage zuständigen Referenten. Legationsrat Freytag maß in einem Schreiben an seinen unmittelbaren Amtsvorgänger v. Bülow vom 6. Januar 1920 dem Projekt die Funktion einer »Hilfsarbeit« für die geplante großangelegte Revisionspropaganda bei und versprach sich von ihm eine positive Wirkung auf die Durchsetzung der deutschen Kriegsschuldargumentation, insbesondere in der Öffentlichkeit des Auslands323. Für die praktische Durchführung des Vorhabens gewann man den Würzburger Privat- und Völkerrechtler Albrecht Mendelssohn-Bartholdy, der sich durch sein Engagement in der »Heidelberger Vereinigung« den Beamten empfohlen hatte 324 . Die ursprüngliche Absicht, die in Frage kommenden Akten von nur einem verantwortlichen Mitarbeiter sichten, sammeln und editionsreif aufbereiten zu lassen, erwies sich indes als undurchführbar. Vor der Fülle des in den Archiven des AA lagernden einschlägigen Aktenmaterials mußte ein einzelner Bearbeiter kapitulieren. Das Amt, das die anstehenden Arbeiten rasch beenden wollte, um das Kriegsschuldreferat im Wege der geplanten Organisationsreformen auflösen zu können, mußte sich nolens volens nach weiteren Mitarbeitern umschauen, die willens und in der Lage waren, die skizzierte Aufgabe zu übernehmen. Es war daran gedacht, Albrecht Mendelssohn-Bartholdy zwei Mitherausgeber zur Seite zu stellen 325 . Relativ problemlos gelang die Verpflichtung des Theologen und Orientforschers Johannes Lepsius, der mit einer Aktenedition über die sogenannten Armeniengreuel in der Türkei bereits einschlägige Erfahrungen gesammelt hatte. Schwieriger gestaltete sich hingegen die Suche nach dem dritten Herausgeber der »Großen Politik«. Hier bemühte sich das AA um eine Persönlichkeit, »deren Sachkenntnis und Unabhängigkeit im neutralen und feindlichen Ausland unzweifelhaft anerkannt ist« 3 2 6 . Im Laufe des Winters 1919/20 trat man nacheinander an die bekannten Historiker Max Lehmann und Friedrich Meinecke sowie an den e h e m a l i g e n elsaß-lothringischen Kammerabgeordneten Friedrich Curtius mit der Bitte heran, in das Herausgeberkollegium einzutreten. Im Gespräch waren außerdem die Historiker Hermann Oncken und Friedrich Luckwald, ohne daß hier jedoch konkrete Kontakte geknüpft wurden 3 2 7 . Durchschlagender Erfolg war den Bemühungen des AA zunächst nicht beschieden. Meinecke zeigte ebenso wie Lehmann von vornherein kein überwältigendes Interesse, und Curtius zog seine anfängliche Zusage Ende 79 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

Januar 1920 aus »persönlichen Gründen« zurück 328 . Erst im März 1920 gelang es der Wilhelmstraße, mit Friedrich Thimme, dem Direktor der Bibliothek des preußischen Landtags, einen Wissenschaftler zu verpflichten, der sich durch sein Eintreten für innenpolitische Reformen und durch seine publizistische Zusammenarbeit mit den Freien Gewerkschaften im Weltkrieg im Ausland einen guten Namen gemacht hatte 329 . Der Historiker, den Friedrich Meinecke für die vakante Position vorgeschlagen hatte, stellte für das AA zunächst nur eine Notlösung dar. Er war erst in die engere Wahl genommen worden, nachdem sich die vom Amt ursprünglich ins Auge gefaßten Besetzungspläne zerschlagen hatten. Thimme sollte sich jedoch bald als der eigentliche Aktivposten im Herausgeberkollegium erweisen. Dies kam dem Projekt unzweifelhaft zugute, denn die langwierigen Bemühungen um geeignete Mitarbeiter hatten die Arbeiten im Herbst und Winter 1919/20 empfindlich ins Stocken gebracht. Die Herausgeber einigten sich auf ein arbeitsteiliges Vorgehen: Lepsius übernahm die Aktenbestände, die sich mit osteuropäischen, Balkan- und Türkeifragen befaßten, während Mendelssohn für die Beziehungen des Kaiserreichs zu Großbritannien zuständig war und Thimme sich mit allen übrigen, für eine Veröffentlichung in Frage kommenden Archivalien beschäftigte 330 . Reibungslos verlief das Vorhaben jedoch auch in der Folgezeit nicht. In der Anfangsphase des Projektes mußte das AA häufiger intervenieren, weil sich die Herausgeber lange Zeit nicht über einheitliche Arbeitsgrundsätze zu einigen vermochten. Insbesondere der Grad der bei der Auswahl und Kommentierung der Dokumente zu berücksichtigenden wissenschaftlichen Sorgfalt wurde zum Streitobjekt. Thimme erhob gegen Lepsius den Vorwurf, unstetig zu arbeiten und wesentliche Qualifikationsstandards einer wissenschaftlich soliden Editionsarbeit außer Acht zu lassen. Gegenüber den amtlichen Stellen äußerte er die Befürchtung, daß die von Lepsius bearbeiteten Teile der Edition in der für die Verbreitung der Aktenpublikation so bedeutsamen Zielgruppe der Historiker auf Ablehnung stoßen würden. Die ›Zunft‹ hege wegen der Minderheitsposition der Geschichtswissenschaft im Herausgeberkollegium ohnehin »entschiedene Vorurteile« gegen das Vorhaben. Um hier Abhilfe zu schaffen, schlug Thimme vor, ihm als einzigen Historiker unter den Bearbeitern die Gesamtleitung des Projekts zu übertragen und dies auch formell in der Reihenfolge der Herausgebernamen im Titel der publizierten Aktenbände auszuweisen. Er berief sich dabei auf ein entsprechendes Votum Mendelssohns, der zu seinen Gunsten auf dieses »Privileg« verzichtet hatte 331 . Das Kriegsschuldreferat teilte die Bedenken Thimmes, die alle später von der wissenschaftlichen Kritik vorgebrachten Monita antizipierten. Auch v. Delbrueck bezeichnete Lepsius als das »langsamste Schiff im Geschwader« und stellte die wissenschaftliche Qualität seiner Arbeiten ernsthaft in Zweifel 332 . Gleichwohl blieb die faktische Gleichberechtigung der Herausgeber zunächst bestchen. Staatssekretär v. Haniel verfügte zwar am 80 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

14. September 1921, daß »einem der Herren Herausgeber . . . die Gesamtleitung übertragen wird, . . . nachdem verschiedene Vorkommnisse dargetan haben, daß die glatte und baldige Fertigstellung der Veröffentlichung . . . nur bei Organisierung der vorbereiteten Arbeiten gewährleistet sein kann« 3 3 3 ; die eigentlich brisante Frage, an wen die Leitung des Projekts übergehen sollte, sparte das Amt jedoch aus. Dies sei, so die zuständigen Stellen, » Sache der Herausgeber« 334 . Erst als Thimme mit seinem Ausscheiden aus der Bearbeitertroika drohte, kam das Amt nicht umhin, die offensichtlich unliebsame Personalentscheidung zu treffen. Man übertrug dem Historiker die Leitung des Projekts, die er bis zum Abschluß der Arbeiten im Frühjahr «1927 nicht mehr aus der Hand geben sollte. Thimme wurde von seiner Tätigkeit als Direktor der Bibliothek des preußischen Landtags beurlaubt und insgeheim aus den Fonds des AA bezahlt 335 . Diese Lösung beschränkte sich allerdings nur auf das Innenverhältnis der Herausgeber; offiziell galten sie bis zum Abschluß der Aktenpublikation als gleichberechtigte Mitarbeiter, ein Sachverhalt, den auch die alphabetische Reihenfolge ihrer Namen auf den Titelblättern der meisten publizierten Bände belegt 336 . Der Fortgang der Arbeiten wurde jedoch nicht nur durch die Querelen der Herausgeber untereinander, sondern auch durch das kaum verhüllte Kuratel des AA behindert. Die Wilhelmstraße stellte eigens einen Beamten dafür ab, die für die Veröffentlichung ausgewählten Dokumente auf ihre außenpolitische »Unbedenklichkeit« zu überprüfen. Überdies gab man den Herausgebern Anregungen an die Hand, wie das Material aufzubereiten sei. Auch Kritik wurde geäußert. So monierte der amtliche ›Prüfer‹ der Aktenpublikation, Frhr. v. Romberg, den defensiven Stil, den zumindest Mendelssohn und Thimme bei der Kommentierung der Quellen an den Tag legten 337 , und v. Delbrueck empfahl unverhohlen die Fortlassung von Dokumenten, die in bestimmten tagespolitischen Fragen gegen Deutschland verwendet werden könnten 338 . V. Delbrueck stand, anders als sein unmittelbarer Vorgänger im Amt, Legationsrat Freytag, der geplanten Aktenedition ohnehin skeptisch gegenüber. Wiederholt warnte er seine Vorgesetzten vor den möglicherweise negativen Wirkungen eines solch weitgespannten Vorhabens. Mit der ersten Serie der »Großen Politik« lief man seiner Ansicht nach Gefahr, die Erwartungshaltung des Auslands für die nachfolgenden Serien entscheidend zu präjudizieren; die »rückhaltlose Veröffentlichungsmethode« für die Jahre 1871 bis 1890 könne aber »ohne Schaden« nicht für alle dokumentierten Zeitabschnitte aufrechterhalten werden 339 . Der Leiter des Kriegsschuldreferats war es auch, der die Herausgeber an ihre besondere Verantwortung für die internationale Durchsetzung der deutschen Kriegsschuldargumentation erinnerte. Schon durch die Auswahl des Stoffes und die Fassung der Überschriften, so v. Delbrueck, könnte der Auffassung des Auslandes, daß Deutschland ständig das europäische Gleichgewicht gestört habe, entgegengewirkt werden. Es müßten auch »die außerdeutschen Vorgänge, welche 81 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

die deutsche Politik bestimmten, als maßgebend hervorgehoben und die Entschlüsse der deutschen Regierung als hierdurch bestimmt hingestellt werden« 3 4 0 . Die Anregungen v. Delbruecks verfehlten ihre Wirkung auf die Herausgeber nicht. So suchten sie bespielsweise die »zu großer Empfindlichkeit neigenden Bismarck-Bewunderer, . . . denen ja mit unserer Veröffentlichung manche liebe Überlieferung korrigiert wird«, so weit es ging, zu schonen. Das bedeutete allerdings nicht, daß sie sich in jedem Falle als weisungsgebundene Sachbearbeiter des AA empfanden. Die Briefwechsel zwischen Friedrich Thimme und Albrecht Mendelssohn-Bartholdy belegen anschaulich, wie sehr die Bearbeiter der »Großen Politik« subjektiv durchaus aufrichtig darum bemüht waren, »die Linie der Wahrheit und Ehrlichkeit« nicht zu verlassen und überdies auch auf Empfindlichkeiten im neutralen Ausland Rücksicht zu nehmen. Thimme und Mendelssohn zeigten sich sogar bereit, in diese Rücksichtnahme die chemaligen Feindstaaten mit einzuschließen, letzteres freilich nur in dem Maße, wie dadurch der deutsche Standpunkt in der Kriegsschuldfrage nicht tangiert wurde 3 4 1 . Besonders Mendelssohn hat sich des öfteren gegen die Interventionen des Kriegsschuldreferats zur Wehr gesetzt und im Frühjahr 1922 - als die Veröffentlichung der Akten kurzzeitig gefährdet erschien - seinen Rücktritt und die ›Flucht in die Öffentlichkeit angedroht 342 . Gleichwohl lassen die Quellen keinen Zweifel daran, daß die zeitgenössische Lesart über das Verhältnis zwischen den politisch und wissenschaftlich Verantwortlichen des Projekts erheblicher Modifikationen bedarf Die von offiziellen Stellen wie von Herausgebern gleichermaßen verbreitete Behauptung, das AA habe seinen Mitarbeitern »keinerlei Hemmnisse« in den Weg gelegt und ihnen bei der Auswahl der Akten »souveräne Selbständigkeit und Selbstverantwortung« gewährt, tritt in dieser Form nicht zu 343 . Das gleiche gilt für den Anspruch auf Vollständigkeit, den man für die Aktenedition erhob. Es wurden vor allem in späteren Serien der »Großen Politik« Textstellen ausgelassen oder bestimmte, für den deutschen Standpunkt in der Kriegsschuldfrage unbequeme Papiere durch apologetische Kommentare relativiert. Als Beispiel mögen hier die Randbemerkungen Wilhelms II. genügen, die man zum großen Teil nicht in die Aktenpublikation mit aufnahm 344 . Wichtige Dokumente wurden, nach dem Urteil des DDRHistorikers Fritz Klein, überhaupt nicht erwähnt oder stark gekürzt und die Akten des preußischen Generalstabs bzw. des preußischen Kriegsministeriums blieben von vornherein aus der Dokumentation ausgespart. Ähnliches gilt für Archivalien über wirtschaftspolitische Vorgänge 345 . Inwieweit für die insgesamt doch selektive Auswahl der Dokumente dem Druck der Wilhelmstraße oder der ›Selbstzensur‹ des Herausgeberkollegiums die ausschlaggebende Rolle zukommt, ist naturgemäß nur schwer zu veranschlagen. Eine solche Differenzierung erscheint jedoch akademisch, da mit einiger Sicherheit angenommen werden kann, daß alle an den Editionsarbeiten 82 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

Beteiligten in der Beurteilung des Kriegsschuldproblems und seiner Bedeutung für die deutsche Revisionspolitik weitgehend übereinstimmten. Die Betreuung, die das AA der »Großen Politik« angedeihen ließ, reichte noch weit über den intensiven Kontakt zu den Herausgebern hinaus. Im weitesten Sinne zählten dazu auch alle amtlichen Bemühungen, die Konkurrenz des Reichsarchivs auf dem Gebiet offizieller Publikationsvorhaben zur politischen Geschichte des Krieges auszuschalten 346 . Insbesondere der Plan der Potsdamer Archivräte, eine umfassende Darstellung der politischen Ereignisse des Weltkriegs und seiner Vorgeschichte zu veröffentlichen, führte zu einer langwierigen Kontroverse zwischen den Behörden, die erst im Februar 1923 endgültig beigelegt werden konnte. Das ΑΑ wandte sich mit aller Entschiedenheit g eg en das Vorhaben. In der überaus gefahrvollen Lage des Deutschen Reiches sei, so das Kriegsschuldreferat, »jede Festlegung der geschichtlichen Auffassung über die Ereignisse der jüngsten Zeit durch eine offiziöse Darstellung politisch unerträglich und der Aufklärung hinderlich«. Das Amt vermochte sich schließlich durchzusetzen. Der für das Reichsarchiv zuständige Reichsinnenminister entschied am 28. Februar 1923, »die Erforschung der Kriegsursachen und die Aufklärung darüber [sei] . . . überwiegend Angelegenheit des Auswärtigen Amtes«. Die »Politische Abteilung« des Potsdamer Reichsarchivs wurde durch Erlaß des Reichspräsidenten aufgelöst und dem AA »die Führung in diesen Forschungsfragen« zugesichert. Der Minister bat aber darum, bei einschlägigen Projekten laufend beteiligt zu werden, da den dort angeschnittenen Fragen starke innenpolitische Bedeutung zukomme. Das AA sorgte nicht nur für die Ausschaltung der lästigen Potsdamer Konkurrenz, sondern bemühte sich intensiv auch darum, der »Großen Politik« schon im Vorfeld ihrer Veröffentlichung eine angemessene Publizität zu verschaffen. In diesen Kontext gehörte die Förderung eines Forschungsvorhabens zur deutschen Politik der Jahre 1871 bis 1914, das der konservative Historiker Erich Brandenburg ins Auge gefaßt hatte. Die Arbeit des bekannten Geschichtsprofessors, der im Weltkrieg zum weiteren Führungskreis der Deutschen Vaterlandspartei gehört hatte, sollte nach dem Willen des Kriegsschuldreferats der Aktenpublikation »den Weg bereiten« 347 . Man gewährte ihm großzügig Einblick in die noch laufenden Editionsarbeiten und öffnete ihm bereitwillig die Archive der Wilhelmstraße. Um so größer war die Enttäuschung, als Brandenburg das Resümee seiner Untersuchungen vorlegte. Der Historiker kam zu einem aus seiner Sicht der Dinge vernichtenden Urteil über die deutsche Vorkriegspolitik. Er tadelte nicht nur das »persönliche Regiment« Wilhelms IL, sondern ging auch in scharfer Weise mit der deutschen Kolonial- und Flottenpolitik ins Gericht. Das Verhalten, das die Reichsregierung Bethmann Hollweg in der Julikrise 1914 an den Tag gelegt hatte, bezog er dabei ausdrücklich in seine Kritik mit ein 348 . 83 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

In den Augen der Wilhelmstraße war die Brandenburg-Arbeit damit zu einer »Tendenzschrift gegen unsere Diplomatie« denaturiert. Außenpolitisch erwecke sie, so das Amt, den Eindruck, als sei Deutschland »von einer kleinen Anzahl vermindert zurechnungsfähiger Personen regiert worden«; innenpolitisch trage sie dazu bei, »die Schuldfrage zum Gegenstand des Parteienkampfes zu machen« 349 . Die Herausgeber der »Großen Politik« waren der gleichen Ansicht. Thimme und Lepsius äußerten die Befürchtung, daß die Untersuchung der »ohne Frage entlastenden Wirkung« ihrer Publikation zuwiderlaufen könne, zumal ihr ursprünglich offiziöser Charakter aufgrund der vom Verfasser bemühten Quellen und aufgrund der Verlagsankündigungen für jedermann offenkundig sei 350 . Diese Warnungen bestätigten das Kriegsschuldreferat in dem bereits Anfang 1922 gefaßten Entschluß, die Veröffentlichung der Brandenburg-Arbeit, deren Erscheinen als Auftakt zur Publizierung der »Großen Politik« geplant war, unter allen Umständen zu verzögern. Mit dieser Zielrichtung trat man im Februar 1922 an die »Deutsche Verlagsgesellschaft für Politik und Geschichte« heran, in der auch die »Große Politik« verlegt wurde. Die Intervention hatte Erfolg. Der geschäftlich eng mit dem AA liierte Verleger Moeller versprach, »begütigend« auf Brandenburg einzuwirken und die im Rohmanuskript fertiggestellte Untersuchung »etwas länger zurückzuhalten« 351 . Damit waren j e doch die anstehenden Probleme allenfalls aufgeschoben, nicht aber aufgehoben. Das Amt wurde deshalb bei Brandenburg selbst vorstellig und bat den Historiker, die Arbeit in ihren Grundzügen noch einmal zu überdenken. Dieser zeigte sich erst nach einer Reihe von intensiven Gesprächen bereit, auf die geäußerten Wünsche einzugchen, machte aber eine gewichtige Einschränkung; Korrekturen wollte er nur dort anbringen, wo es »ohne Beeinträchtigung dessen, was ich für richtig halte, möglich scheint« 352 . Insgesamt behielt das umfangreiche Werk daher, als es im Jahre 1924 unter dem Titel »Von Bismarck zum Weltkrieg« endlich erscheinen konnte, trotz mancher nachträglicher Abschwächungen seine kritische Haltung gegenüber der deutschen Vorkriegspolitik bei 353 . Bezeichnenderweise fand es in der interessierten Öffentlichkeit der Weimarer Republik eine überwiegend negative Aufnahme und trug seinem Verfasser eine Reihe wissenschaftlich wie persönlich diffamierender Angriffe ein 354 . Die Förderung der Brandenburg-Arbeit stellte jedoch längst nicht die einzige amtliche Initiative dar, um die große deutsche Aktensammlung zur Vorgeschichte des Weltkriegs schon im Vorfeld ihrer eigentlichen Veröffentlichung einer interessierten Öffentlichkeit bekanntzumachen. In die gleiche Richtung zielten die Bemühungen des »Arbeitsausschusses Deutscher Verbände« 355 , der seit dem Dezember 1921 an einschlägig bekannte Publizisten mit der Bitte herantrat, in Zeitschriften- und Zeitungsartikeln auf Inhalt und Bedeutung der »Großen Politik« hinzuweisen. Der ADV achtete dabei sorgsam darauf, Autoren der verschiedenen politischen Richtungen zu gewinnen, um einen »möglichst vielstimmigen Chorus« zur 84 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

Edition der Aktensammlung zu erzeugen. Eingedenk des publizistischen Mißerfolgs der »Deutschen Dokumente« sollte dreierlei vermieden werden:« 1. Eine ungenügende Beachtung der Publikation, 2. eine Irreführung der deutschen Öffentlichkeit durch die sicher einsetzende Ententepropaganda, 3. eine einseitige parteitendenziöse Beurteilung der Publikation unter rein innerpolitischen Gesichtspunkten«. U m die zuletzt genannte Gefahr auszuschalten, bat der Arbeitsausschuß den sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten Max Quarck, den linksliberalen Historiker Veit Valentin und den außenpolitischen Sprecher der DNVP, Otto Hoetzsch, um Gutachten zur angekündigten ersten Serie der »Großen Politik«. Die Genannten kamen der Bitte nach und legten schon nach relativ kurzer Zeit ihre Gutachten vor. Dabei gingen sie mit der Arbeit der Herausgeber nicht immer schmeichelhaft um. Reichsarchivrat Valentin monierte etwa in seiner im großen und ganzen positiven Bewertung der Aktenpublikation die »inhaltlich nicht immer einwandfreien« Kommentare zu den ausgewählten Dokumenten und den lediglich auszugsweisen Abdruck vieler Aktenstücke 356 . Ähnliche Kritik äußerte der DNVP-Reichstagsabgeordnete und Osteuropaexperte Otto Hoetzsch, der mit der Editionsleistung der Herausgeber wohl am schärfsten ins Gericht ging. Hoetzsch kritisierte die »unwissenschaftliche und unmögliche Art der Kürzungen«, durch die er die Wirkung der gesamten Publikation vor allem im Ausland gefährdet sah. Gewichtige Vorbehalte machte auch Max Quarck geltend. Der dem rechten Flügel seiner Partei zuzurechnende Sozialdemokrat nannte insbesondere das Weglassen von Dokumenten »unzulässig [und] taktisch unklug«, da doch die politische Reichsleitung kein größerer Schuldanteil an der »Schlußkatastrophe« treffe als die Regierungen der gegnerischen Länder und ihre »Treibereien« 3 5 7 . Unbeschadet ihrer kritischen Tendenz erfüllten die drei Gutachten letzten Endes doch ihren Zweck. Zur offiziellen Übergabe der ersten Serie des Aktenwerkes, die mit einer feierlichen Veranstaltung öffentlichkeitswirksam in Szene gesetzt wurde, war, so ein zeitgenössischer Kommentar, »das überparteiliche Zusammenwirken der verschiedenen Gruppen des deutschen Volkes zum ersten Mal gesichert« 358 . Als Vertreter ihrer Parteien hielten Hoetzsch, Quarck und Valentin sowie Georg Schreiber (Z) die Einführungsreden. Sie bekannten sich dabei, wie der oben erwähnte Kommentar weiter ausfuhrt, zu ihrem »Parteistandpunkt«, behandelten das Thema der Veranstaltung aber »von der überparteilichen Warte des Wahrheitssuchenden aus«. ›Wahrheitssuche‹, das war auch das Stichwort für die Rede, mit der Reichsaußenminister Walther Rathenau die Publikation der Öffentlichkeit offiziell übergab. Weit vorsichtiger als die Mehrheit der übrigen Redner, die zum Teil polemische Angriffe gegen die Alliierten in ihre Äußerungen mit einflochten, hob Rathenau als Leitgedanken der Veröffent85 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

lichung den rückhaltlosen Aufklärungswillen der deutschen Reichsregierungen hervor. Der Minister forderte in diesem Zusammenhang die e h e m a ligen Kriegsgegner auf, ihre Archive ebenfalls zu öffnen und dem deutschen Wunsch nach Einrichtung einer internationalen Kommission zur Klärung der Kriegsschuldfrage endlich zu entsprechen 359 . Insbesondere die Forderung nach Öffnung der alliierten Archive tauchte in der Folgezeit wiederholt in regierungsoffiziellen Verlautbarungen zum Kriegsschuldproblem auf. Sie war stets an den Hinweis auf die deutsche Aktenpublikation gekoppelt, die als ein »Ereignis ohne Vorbild« in der Geschichte der europäischen Politik interpretiert wurde 360 . Die »Große Politik« war, wie Gustav Stresemann im September 1923 ausführte, der Ausdruck des »guten Gewissens« Deutschlands und sollte dementsprechend für die Bonität des deutschen Standpunkts in der Kriegsschuldfrage werben 361 . Freilich konnte die Aktenedition diese Aufgabe nur dann erfüllen, wenn ihre publizistische ›Verwertung‹ nicht wesentlich von jener Linie wohltemperierter Apologetik abwich, die auch ihren Inhalt prägte. Nicht umsonst weigerte sich Rathenau daher, seine anläßlich der offiziellen Übergabe der ersten Aktenbände gehaltene Rede zusammen mit den Erklärungen der übrigen Redner veröffentlichen zu lassen. Letztere enthielten nach Auffassung des Ministers »stark aggressiv gehaltene Darstellungen«, die die Wirkung der »Großen Politik« im Ausland nachhaltig gefährden konnten 362 . Aus dem gleichen Grunde erregte sich Thimme über die Art und Weise, in der Lepsius die Aktenstücke der ersten Serie in den »Süddeutschen Monatsheften« interpretiert hatte. Die nationalistischen, von englandfeindlichen Ausfällen durchsetzten Äußerungen seines Kollegen ließen, so der Leiter des Editionsprojekts, eine »wirkliche Schwächung des Eindrucks befürchten, den die Unvoreingenommenheit der Herausgeber bisher dem Ausland gegenüber gewährleisten konnte« 363 . Andererseits war aber Kritik an der Arbeit der Herausgeber alles andere als erwünscht. Das mußten nicht nur die Pazifisten Hans Wehberg und Friedrich Wilhelm Foerster erfahren, denen man öffentlich Vaterlandsverrat, pathologisches Gebaren und »Flagellantentum« vorwarf 364 ; dies bekam auch der deutsche Botschafter in Rom, v. Neurath, zu spüren, der seine diplomatische Tätigkeit in Italien durch bestimmte Aktenstücke, speziell durch »taktlose und indiskrete Veröffentlichungen« von geheimen Briefen und Berichten italienischer Staatsmänner aus der Vorkriegszeit atmosphärisch behindert sah und in Berlin darum einkam, solche Dokumente in Zukunft nicht mehr zu publizieren. Die Reaktion der Wilhelmstraße auf die Monita v. Neuraths war bezeichnend. Außenminister Stresemann empfahl dem Botschafter, eventuellen Klagen seiner italienischen Gesprächspartner mit dem Hinweis auf den besonderen Charakter der deutschen Aktenpublikation zu begegnen und dabei besonders hervorzuheben, daß die »Große Politik« eine »Handlung der Notwehr des deutschen Volkes gegen den 86 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

unerhörten Vorwurf der Alleinschuld am Kriege« sei 365 . Friedrich Thimme schließlich führte gegen die starken Vorbehalte, die Vertreter der deutschen Geschichtswissenschaft in bezug auf das Aktenwerk geäußert hatten 366 , die primär politische Zwecksetzung der Publikation ins Feld. Seiner Ansicht nach berücksichtigte die wissenschaftliche Kritik nicht hinreichend, »daß die gestellte Aufgabe nicht eine rein wissenschaftlich, sondern ebensosehr eine politische war und daß der politische Zweck es erforderte, von bestimmten wissenschaftlichen Grundsätzen . . . abzuweichen« 367 . In der Tat stellte das im März 1927 abgeschlossene Aktenwerk, das mit seinen insgesamt 40 Bänden auch heute noch zu den umfangreichsten Editionen über die deutsche und europäische Außenpolitik der Jahre 1871 bis 1914 gehört, eine eindrucksvolle Begründung für die deutsche Forderung nach Öffnung der alliierten Archive dar, selbst wenn es in Frankreich als »äußerst geschickte deutsche Propaganda« interpretiert und in England als »unvollständig« angeschen wurde 3 6 8 . Die »Große Politik« fungierte darüber hinaus als die grundlegende Materialbasis für jenen Kreis von Publizisten, der sich als ständiger Mitarbeiterstab um die »Zentralstelle für Erforschung der Kriegsursachen« gruppierte, und der sich selber die anspruchsvolle Bezeichnung »Deutsche Kriegsschuldforschung« zulegte 369 . Im einen wie im anderen Falle diente die Aktenedition, so Friedrich Thimme in der Zeitschrift »Die Kriegsschuldfrage«, »der Widerlegung der Versailler Schuldthese« 370 . Allem Anschein nach nicht ohne Erfolg, denn durch die überwiegend positive Aufnahme im neutralen Ausland dürfte sie auf die Siegermächte einen beachtlichen Druck ausgeübt haben, ihrerseits mit der Veröffentlichung geheimer Dokumente zur Vorgeschichte des Krieges nachzuziehen 371 .

3. Die Dokumente des Auslands Die Publizierung der deutschen politischen Akten zur Vorgeschichte des Weltkrieges und zum Kriegsausbruch stellte nur einen Teil der Editionsarbeiten dar, die das AA in den Jahren nach dem Abschluß des Versailler Friedens richtungsweisend förderte. Mehr oder weniger direkt durch die Wilhelmstraße beeinflußt gelangten im Laufe der Zeit sowohl Archivbestände dere h e m a l i g e nBündnispartner als auch Geheimdokumente der e h e maligen Kriegsgegner zur Veröffentlichung. Letztere stammten einerseits aus Beständen, die die deutsche Besatzungsmacht während des Krieges in den besetzten Gebieten beschlagnahmt hatte 372 , andererseits basierten sie auf Spionageberichten aus der unmittelbaren Vorkriegszeit oder waren über andere, zumeist ebenfalls dubiose Kanäle in deutsche Hände gelangt. Auf Geheimdienstpapieren beruhten beispielsweise die von Baron v. Siebert, einem e h e m a l i g e n Sekretär der kaiserlich-russischen Botschaft in London, herausgegebenen »Diplomatischen Aktenstücke zur Geschichte der Enten87 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

tepolitik der Vorkriegsjahre« 373 . Es handelte sich hierbei im wesentlichen um Dokumente aus der Korrespondenz zwischen dem Petersburger Außenministerium und seiner Londoner Dependanee, die v. Siebert den deutschen Stellen nach und nach hatte zukommen lassen 374 . Nach Kriegsschluß erwog das AA zeitweilig, das Material bereits im Vorfeld des deutschen Eintritts in die Versailler Friedensverhandlungen zu publizieren. Starker innenpolitischer Druck hatte diese Überlegung reifen lassen. Deutschnationale Kreise waren auf das Material aufmerksam geworden, das, so ein Kommentar der »Täglichen Rundschau«, die »Kriegspläne« Englands, Frankreichs und Rußlands offenlege. Man verlangte von der Regierung eine umgehende Veröffentlichung der Geheimdokumente, da sie eine Stärkung des deutschen Standpunkts in der Kriegsschuldfrage und damit eine Verbesserung der Verhandlungsposition des Reiches in Versailles erhoffen ließen 375 . Nur mit Mühe gelang es v. Siebert unter tatkräftiger Assistenz des deutschen Gesandten in Bern, Adolf Müller, die regierungsoffizielle Veröffentlichung der Dokumente zu verhindern. Die beiden Diplomaten konnten Brockdorff-Rantzau davon überzeugen, daß bei einer Publizierung durch amtliche Stellen die Authentizität des Materials im Ausland sofort angezweifelt würde. V. Siebert schlug statt dessen vor, die Dokumente, die »geschickt verwertet, den unwiderruflichen Beweis für die Kriegsschuld der Entente liefern«, von privater Seite als wissenschaftliche Arbeit edieren zu lassen. Er selbst erklärte sich in diesem Zusammenhang bereit, die Herausgeberschaft zu übernehmen 376 . Das AA willigte in diesen Vorschlag ein, nachdem es den Beamten über informelle Kanäle gelungen war, die Forderung nach Veröffentlichung der Siebert-Akten zum Schweigen zu bringen 377 . Man übersandte in der Folgezeit das Gros der in Berlin lagernden Dokumente in das schweizerische Luzern, dem Wohnsitz v. Sieberts. Ein Teil der Aktenstücke, namentlich das Material, »dessen Veröffentlichung Deutschland schaden könnte«, verblieb freilich in den Archiven der Wilhelmstraße. Die Beamten scheuten allem Anschein nach davor zurück, v. Siebert die unumschränkte Entscheidungsfreiheit bei der Auswahl der zu veröffentlichenden Dokumente zu überlassen 378 . Der Anfang 1920 erneut einsetzende innenpolitische Druck beschleunigte die Fertigstellung der Aktensammlung 379 . Sie erschien im Jahre 1921 mit einem Vorwort, das den privaten Charakter des Werkes ausdrücklich hervorhob. Die öffentliche Resonanz blieb jedoch weitgehend aus. Ebenso wie die »Deutschen Dokumente zum Kriegsausbruch« wurden die SiebertAkten im In- und Ausland wenig beachtet 380 . Auch die wissenschaftliche Kritik reagierte verhalten. Die renommierte »Historische Zeitschrift« hob zwar hervor, daß mit dem Erscheinen der Dokumentation die Rolle des zaristischen Rußland als »am meisten friedensstörendes Element« in der Vorkriegszeit deutlich zu Tage trete, bemängelte aber die »wenig wissenschaftliche« Aufbereitung der Publikation, die ihren Wert im Ausland erheblich schmälere 381 . 88 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

Größeren Erfolg konnten dagegen die sogenannten Iswolki-Akten verzeichnen, für die der Nachfolger v. Delbruecks im Kriegsschuldreferat, Friedrich Stieve, die Federführung übernommen hatte. Die vierbändige Dokumentation beschäftigte sich mit dem diplomatischen Schriftwechsel des russischen Botschafters in Paris, Iswolki, den dieser in den Jahren 1911 bis 1914 mit vorgesetzten bzw. gleichrangigen Stellen geführt hatte. Die Edition diente nach ihrem Erscheinen im Jahre 1924 der deutschen Kriegsschuldpropaganda als eine ihrer wesentlichen Materialgrundlagen. Für die insgesamt wohlwollende wissenschaftliche Kritik war sie ein Spiegel der »weltumgestaltenden imperialistischen Kriegsziele Rußlands . . . und Frankreichs« 382 . Die publizierten Dokumente stammten zum Teil aus den Aktenzusammenstellungen, die die revolutionäre russische Regierung bald nach Übernahme der politischen Gewalt zur »Enthüllung der Eroberungspolitik des russischen Imperialismus« veröffentlicht hatte 383 . Ein kleinerer Teil war den Siebert-Akten bzw. einschlägigen Veröffentlichungen des Parteiorgans der französischen Kommunisten »L'Humanité« entnommen. Besondere Brisanz verlichen der Aktensammlung ca. 500 russische Geheimdokumente, über deren Fundort sich Stieve in seinem Vorwort zur Edition sorgsam ausschwieg 384 . Diese Dokumente waren auf recht abenteuerliche Weise in deutsche Hände gelangt. Der Archivar der russischen Botschaft in Paris hatte sie aus dem Botschaftsgebäude herausgeschmuggelt und für insgesamt 48000 Mark an die Deutschen verkauft 385 . Für sich genommen ist diese Tatsache im Kontext der vorliegenden Arbeit nur am Rande erwähnenswert. Sie gewinnt freilich durch die Begründung an Bedeutung, mit der die Beamten des Kriegsschuldreferats den Ankauf der Dokumente ihren vorgesetzten Stellen gegenüber vertraten 386 . Hier wird beispielhaft deutlich, was das AA dazu bewog, Archivalien der übrigen kriegsbeteiligten Mächte der Weltöffentlichkeit in möglichst weitem Umfang zugänglich zu machen. Es war das Interesse an der Perpetuierung einer intensiven nationalen und internationalen Diskussion über das Problem der Kriegsschuld, dem, wie es hieß, »archimedischen Punkt [jeder] deutschen Revisionspolitik«. Nach der Veröffentlichung der deutschen Akten zum Kriegsausbruch sei, so das Kriegsschuldreferat, die Diskussion um dieses Problem auf einem »toten Punkt« angelangt, da wegen der verschlossen gehaltenen englischen und französischen Archive neue Erkenntnisse hierüber nicht mehr gewonnen werden könnten. Die unbedingte Voraussetzung für jede weitere Belebung der Diskussion müsse daher lauten: »Zugängigmachung und wissenschaftliche Ausbeutung [!] der Akten aus den einschlägigen Beständen der diplomatischen Archive der alliierten Hauptmächte: Rußland, Frankreich und England«. Jede Rücksichtnahme auf finanzielle Erwägungen verbiete sich vor diesem Hintergrund von selber. Ähnliche Gedanken lagen der deutsch-österreichischen Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Sammlung, Sichtung und editionsreifen Aufbereitung 89 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

von Aktenstücken zur Vorgeschichte des Weltkriegs zugrunde, deren Anfange bis in das Jahr 1923 zurückreichte und die zu Beginn der 30er Jahre zur Veröffentlichung der Akten des österreichisch-ungarischen Ministeriums des Äußeren für die Zeit von 1908 bis 1914 durch die offiziöse »Kommission für neuere Geschichte Österreichs« führte 387 . Auf österreichischer Seite ließ die Tatsache, daß durch den Vertrag von St. Germain auch e h e m a l i g e Kriegsgegner relativ ungehindert in den Besitz wichtiger Aktenbestände des Wiener Ballhausplatzes gelangen konnten, den Gedanken an eine offiziöse österreichische Aktenpublikation reifen. Eile schien geboten, da die in den Pariser Vorortverträgen verankerte und später in bilateralen Abkommen präzisierte Geheimhaltungspflicht für die genannten Archivalien im Jahre 1930 ablief und man entsprechenden Aktensammlungen der übrigen Nachfolgestaaten der Doppelmonarchie unbedingt zuvorkommen wollte. Doch lassen die Akten des Kriegsschuldreferats den Schluß zu, daß deutsches Drängen die entsprechenden österreichischen Planungen sehr foreiert hat. Mit Billigung der zuständigen Wiener Behörden war bereits im Herbst 1923 Legationsrat Roderich Goos, der inzwischen in den Dienst des AA getretene Herausgeber des österreichischen ›Rotbuchs‹ zum Kriegsausbruch, in den Archiven des Ballhausplatzes tätig geworden, um dort Aktenstücke aus der Vorkriegszeit zu sichten und die wichtigsten Archivalien in Kopie nach Berlin zu senden. Wie es in einer Aufzeichnung Stieves vom 6. Januar 1925 hieß, dachte man daran, mit den von Goos zu Tage geförderten Dokumenten »neue schlagkräftige Beweise« für die Kriegsschuld der Entente an die Hand zu bekommen. Das Kriegsschuldreferat suchte überdies unter allen Umständen zu verhindern, gegenüber den Nachfolgestaaten der ehemaligen Habsburger-Monarchie, was die Kenntnis der wesentlichen diplomatischen Aktenbestände des ehemaligen Verbündeten anbetraf, ins Hintertreffen zu geraten 388 . Die Wilhelmstraße war es auch, die die Österreicher auf die durch das »gesamt-deutsche Interesse« gebotenen Dringlichkeit deutsch-österreichischer Aktivität in der Frage der Publizierung von Vorkriegsaktenstücken des ehemaligen Habsburger Reiches hinwies und entsprechende Kontakte zu höchsten Wiener Regierungskreisen knüpfte. Anläßlich eines Besuches des österreichischen Bundeskanzlers Ramek in Berlin im Frühjahr 1926 wies der Staatssekretär im AA, Carl v. Schubert, darauf hin, »wie wünschenswert es der deutschen Regierung wäre, wenn auch die (österreichische] Bundesregierung sich entschließen könnte, alle auf die Vorgeschichte des Weltkrieges bezüglichen diplomatischen Aktenstücke . . . zu veröffentlichen«. Eine solche Veröffentlichung werde sicher dazu beitragen, das Märchen von der Kriegsschuld Deutschlands und Österreichs zu entkräften 389 . Die wenig später anlaufenden Editionsarbeiten wurden dann von Berlin inhaltlich wie finanziell unterstützt 390 . Aufgrund einer Vereinbarung, die Stieve mit den Herausgebern der Aktensammlung, Ministerialrat Bittner und Professor Uebersberger, schloß, gewährte das AA der für das Projekt 90 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

verantwortlichen »Kommission für neuere Geschichte Österreichs« ein Darlchen von 50000 RM. Man kam ferner überein, Legationsrat Goos als deutschen Vertrauensmann für die laufenden Arbeiten abzustellen. Gelegentliche »Hilfestellungen« bei der Abstimmung der Dokumente und der Begleitkommentare mit der offiziellen deutschen Aktenpublikation sollten schließlich Thimme und Stieve leisten 391 . Hilfestellung gewährte man deutscherseits auch einem Editionsvorhaben, das der amerikanische Senat im Frühjahr 1925 in Auftrag gegeben hatte. Auf Antrag eines Senators von Oklahoma, Robert Owen, beschloß die Staatenvertretung, einen Sachverständigenausschuß einzuberufen, dem die Aufgabe zugedacht war, dem Senatsausschuß für »Auswärtige Angelegenheiten« ein Gutachten zur Kriegsschuldfrage vorzulegen. Zur Fundierung dieses Gutachtens war eine »unparteiische Zusammenstellung des Tatsachenmaterials zur Frage der Ursachen des Weltkrieges« geplant, die beim Archiv des Kongresses in Auftrag gegeben wurde 3 9 2 . Über Owen, der ausgezeichnete Kontakte zu deutschamerikanischen Kreisen und zur »Zentralstelle für Erforschung der Kriegsursachen« unterhielt, war die deutsche Botschaft in Washington mit den Bearbeitern der geplanten Dokumentation in Verbindung getreten. Es war dabei ihr Bestreben, »die Gefahr eines einseitig gegen Deutschland ausfallenden Gutachtens« von vornherein auszuschalten 393 . Mit dieser Einflußnahme allein mochte sich Berlin aber nicht zufrieden geben. Immerhin sah man in den USA einen der Hauptadressaten für die deutsche Revisions- und Kriegsschuldpropaganda. Das Kriegsschuldreferat sandte deshalb den Nachfolger Sauerbecks in der Leitung der Zentralstelle, Major Alfred v. Wegerer, in die Staaten, um auf die Arbeiten des KongreßArchivs einen »entscheidenden Einfluß« auszuüben. Außerdem trugen die Beamten dafür Sorge, daß die für das Projekt verantwortlichen amerikanischen Stellen das umfangreiche deutsche Material zum Problemkomplex komplett erhielten 394 . Wenngleich sich ihre Bemühungen diesmal als nicht lohnend erwiesen, weil die Arbeiten an dem Senatsgutachten nie zu Ende gebracht wurden und auch die Dokumentation zur Entstehung des Weltkrieges, wiewohl veröffentlicht, für die eigentliche Kriegsschulddiskussion unergiebig blieb 395 , rundet doch der hier skizzierte Versuch der Einflußnahme auf eine ausländische Aktenzusammenstellung das Bild der deutschen Anstrengungen ab. Vergleichbares hatten die ehemaligen Kriegsgegner des Reiches nicht aufzuweisen. In den ersten Nachkriegsjahren veröffentlichte lediglich das bolschewistische Rußland einschlägige Geheimdokumente aus den Petersburger Archiven. Die Gründe hierfür liegen auf der Hand. Es galt, die alten zaristischen Herrschaftseliten durch den Vorwurf der »Kriegstreiberei« auf nationaler und internationaler Ebene nachhaltig zu diskreditieren 396 . Die britische Öffentlichkeit mußte dagegen bis zum Jahre 1927 warten, che sich das Foreign Office dazu bequemte, Dokumente zur Vorgeschichte des Krieges zu publizieren. Diese Aktensammlung erstreckte sich jedoch ledig91 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

lich auf den Zeitraum von 1898 bis 1914 und umfaßte demzufolge nur 11 Bände. Ein knappes Jahr später, im Januar 1928, rief die französische Regierung eine »Commission de publication des documents relatifs aux origines de la Guerre de 1914 à 1918« ins Leben, die beauftragt wurde, zur möglichst vollständigen Aufklärung über die Außenpolitik Frankreichs diplomatische Aktenstücke zur Vorgeschichte des Krieges zu veröffentlichen. Die Kommission ging ähnlich wie die Herausgeber der »Großen Politik« bis in das Jahr 1871 zurück, kehrte aber die chronologische Reihenfolge um und publizierte zunächst Aktenstücke der Jahre 1911 bis 1914 397 . Nach den Angaben Stefan T. Possonys standen am Ende der 20er Jahre den über 90 deutschen Dokumentenbänden lediglich 11 Bände der britischen Aktensammlung, einige russische Veröffentlichungen und die ersten Publikationen der seit 1929 erscheinenden französischen Akten gegenüber 398 . Zieht man die Tatsache in Betracht, daß fast sämtliche der genannten Editionen eine mit staatlichen Mitteln geförderte, deutsche Übersetzung erfuhren, verlagern sich die Gewichte in der Kriegsschulddiskussion noch weiter zuungunsten der Siegermächte des Weltkrieges. Es versteht sich dabei beinahe von selber, daß diejenigen Projekte bevorzugt gefördert wurden, von denen sich die Berliner Stellen eine Unterstützung der deutschen Argumentation erhofften; so wurden ζ. Β. die amtlichen eng lischen und russischen Dokumente ins Deutsche übersetzt 399 . Die offizielle französische Aktensammlung dagegen konnte für ihre geplante Übersetzung nicht mit einer Finanzhilfe der Wilhelmstraße rechnen. Eine entsprechende Anfrage des wissenschaftlichen Verlages Reimar Hobbing wurde abschlägig beschieden. Man sei der Ansicht, so das AA, »daß diejenigen, die sich für das Werk interessieren, die französische Sprache beherrschen und deshalb das Buch im Urtext lesen können« 400 . Die beinahe hektische Publizierung von Geheimakten aus den Archiven aller am Krieg beteiligter Staaten war freilich nur ein erster Schritt zur Sensibilisierung der nationalen und internationalen Öffentlichkeit für die deutschen Forderungen nach Aufrollung der Kriegsschuldfrage; vor allem, wenn man bedenkt, daß die Aktensammlungen wegen ihres trockenen wissenschaftlichen Stils und des für den durchschnittlich begüterten Zeitgenossen unerschwinglichen Preises nur einen äußerst geringen Teil des potentiell interessierten Publikums erreichten. Im AA war man sich frühzeitig bereits darüber im klaren, daß es weiterer Anstrengungen bedurfte, um »den Glauben an die deutsche Schuld als im Ausland feststehende Tatsache zu erschüttern«. Wie der einflußreiche Staatssekretär im AA, Ago v. Maltzan, an das Reichsfinanzministerium schrieb, galt es, in einem zweiten Schritt »die Ergebnisse der Wissenschaft zu popularisieren« 401 Damit waren die Aufgaben der »Zentralstelle für die Erforschung der Kriegsursachen« und im weiteren Verfolg das Tätigkeitsfeld des »Arbeitsausschusses Deutscher Verbände« in Umrissen umschrieben. Die richtungsweisenden Impulse für die deutsche »Kriegsschuldfor92 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

schung« und die Kriegsschuldpropaganda gingen auch in der Folgezeit vom AA aus, das nicht, wie ursprünglich geplant, den privaten Organisationen das Feld überließ. Gerade die Zentralstelle und der ADV wurden in den 20er Jahren maßgeblich von dort beeinflußt. Ernsthafte Konkurrenz von den übrigen Reichsbehörden hatte das AA dabei nicht zu befürchten. Im großen und ganzen akzeptierten auch die Weimarer Militärs, daß die »Richtlinien für die Aufklärungsarbeit in der Schuldfrage« 402 in der Wilhelmstraße konzipiert wurden. Dies um so mehr, als es zwischen den militärisch und außenpolitisch verantwortlichen Stellen keinen prinzipiellen Dissens über die Bedeutung der Kriegsschuldfrage im Kontext der deutschen Revisionspolitik gegeben haben dürfte, wenngleich breite Heeres- und Marinekreise hier eine schärfere propagandistische Gangart forderten, als sie das AA zu gehen bereit war 4 0 3 . Die im folgenden zitierte Bemerkung Otto v. Stülpnagels, eines der Experten des Heeres für alle die »Ehrenpunkte« betreffenden Fragen, wäre jedoch mit Sicherheit auch bei den politischen und bürokratischen Spitzen des Außenamtes auf ungeteilte Zustimmung gestoßen. Anläßlich eines Vortrags, dessen Adressaten leider unbekannt sind, führte der Reichswchroffizier aus: »Erst dann, wenn die fremden Völker innerlich überzeugt sind, daß die Grundlagen des Vertrages, die einseitigen Anklagen gegen Deutschland, allein am Ausbruch des Krieges schuldig zu sein, allein auch im Krieg die scheußlichsten Verbrechen begangen zu haben, bewußt unwahr sind, erst dann werden unsere Bestrebungen, zu einem wahrhaft gerechten Frieden zu gelangen, Erfolg haben« 404 . Größere Konflikte der Wilhelmstraße mit den militärischen Behörden dürften auch schon deshalb eine Ausnahme dargestellt haben, weil die außenpolitisch verantwortlichen Stellen in allen den Weltkrieg berührenden Fragen darauf bedacht waren, den Interessen von Reichswehr und Reichsmarine soweit als möglich zu entsprechen. Dies zeigte sich exemplarisch in der harten Opposition gegen die alliierten Auslieferungsbegehren 405 und setzte sich später in der propagandistischen Behandlung der »Schuld im Kriege« fort 406 . Offizielle bzw. offiziöse Dokumentationen und Darstellungen über die Zeit von 1914 bis 1918 waren von einer Art Arbeitsteilung geprägt. Bestimmten die Beamten der Wilhelmstraße den Tenor der ›politischen‹ Darstellungen über den Weltkrieg, kontrollierten die Militärs alle entsprechenden kriegsgeschichtlichen Abhandlungen. Die bemerkenswert akribisch gearbeitete Weltkriegsdarstellung des von Heeresinteressen majorisierten Reichsarchivs legt davon mit ihrer unverkennbar apologetischen Tendenz beredt Zeugnis ab 4 0 7 . Das militärische Monopol auf die jüngste deutsche Kriegsgeschichte umschloß selbstverständlich auch die Darstellung des Zusammenbruchs Deutschlands im Herbst 1918. Die hier gezogenen Schlußfolgerungen wurden propagandistisch geschickt umgesetzt und gingen ebenso wie die Ergebnisse der »Kriegsschuldforschung« in das Bewußtsein breiter Bevölkerungskreise ein. Auf diese Weise wurde, wie es im Vorwort 93 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

zu dem oben erwähnten Weltkriegswerk des Reichsarchivs hieß, »dem kämpfenden und blutenden Heer«, vor allem dem Offizierskorps ein Denkmal gesetzt, und die Dolchstoßthese erfuhr so ihre wissenschaftliche Legitimation 408 .

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Β. Die »Deutsche

R e v i s i o n s b e w eg u ng «

I. D i e » Z e n t r a l s t e l l e f ü r E r f o r s c h u n g der Kriegsursachen«

1. Aufgaben, Finanzierung und Organisation Die unter der Leitung des Schweizers Ernst Sauerbeck im April 1921 ins Leben gerufene »Zentralstelle für Erforschung der Kriegsursachen« hatte sich zur Aufgabe gestellt, die Öffentlichkeit des In- und Auslandes für die Notwendigkeit einer Klärung des Kriegsschuldproblems zu gewinnen, um damit den Boden für politische Schritte auf diesem Gebiet zu bereiten. Während sich der »Arbeitsausschuß Deutscher Verbände« unter Einsatz erheblicher propagandistischer Mittel direkt an breite Bevölkerungsschichten wandte, betonte die Zentralstelle von Anfang an den »wissenschaftlichen Charakter« ihrer Arbeit und die Exklusivität ihres Adressatenkreises 1 . Es kam ihr darauf an, eine möglichst große Anzahl bekannter in- und ausländischer Wissenschaftler und Publizisten zu interessieren und dadurch gleichsam indirekt auf die öffentliche Meinung einzuwirken. Folglich suchte sie alles zu vermeiden, was sie in den Verdacht bringen konnte, als Propagandaorganisation der Reichsregierung angeschen zu werden. Dies läßt sich deutlich an den von ihr ausgewählten Arbeitsschwerpunkten ablesen. Danach war geplant, die: 1. »Sammlung und Sichtung der Quellen und der Erörterungen in der Zeitungsliteratur des In- und Auslandes; 2. wissenschaftliche und literarische Auskunfterteilung; 3. Vermittlung von wissenschaftlichen Arbeiten; 4. Herausgabe von ›Merkblättern‹, welche einzelne Gebiete der Schuldfrage übersichtlich aufgrund der neuesten Forschungsergebnisse zusammenstellen« 2 . Es fehlte in den Jahren nach der Gründung jedoch an finanziellen Mitteln, um die in der Aufgabenstellung umrissenen, relativ weitgesteckten Ansprüche annähernd einlösen zu können. Die fortschreitende Inflation ließ die Zentralstelle nicht unberührt und auch die Erhöhung der staatlichen Zuschüsse machte den Geldwertschwund auf Dauer nicht wett 3 . Angesichts drastischer Einsparungen im Personalbestand erwog Sauerbeck die Privatisierung des Instituts; ein Gedanke, den das AA jedoch mit dem Hinweis auf 95 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

die Gefahren, die der Arbeit aus der Abhängigkeit von privaten Geldgebern erwachsen konnten, strikt zurückwies 4 . In dieser Situation wurde die Lage der Zentralstelle zusätzlich durch die offenkundige Unfähigkeit ihres Leiters erschwert, die inflationsbedingt entwerteten Etatmittel sparsam und effektiv zu bewirtschaften und die zumeist jungen Mitarbeiter gegen alle finanziellen Widrigkeiten hinreichend zu motivieren. Bereits im November 1921 mußte das AA wegen Unregelmäßigkeiten in der Haushaltsführung intervenieren und auf Kontrolle der Bücher dringen 5 . Seit dieser Zeit häuften sich auch die Beschwerden über die Führungsqualitäten Sauerbecks 6 . Die Wilhelmstraße reagierte umgehend und entzog dem Amateur-Forscher sukzessive wichtige Geschäftsfuhrungskompetenzen. Zur ausschlaggebenden Persönlichkeit innerhalb des Instituts wurde mehr und mehr Alfred v. Wegerer, ein ehemaliger Generalstabsoffizier, der im Oktober 1921 von der völkischen und dezidiert antisozialistischen »Liga für deutsche Kultur« zur Zentralstelle übergewechselt war. V. Wegerer übernahm in der Folgezeit alle wichtigen Lenkungsaufgaben 7 , während sich Sauerbeck durch ständige Querelen mit seinen Mitarbeitern zunehmend isolierte und schließlich jeden Rückhalt im AA verlor. Vor allem die ständigen Klagen über die finanzielle Misere und das fortwährende Drängen auf eine regierungsoffizielle Initiative in der Kriegsschuldfrage brachten die Beamten gegen den Schweizer auf Ein auch nach außen hin sichtbares Revirement in der Führung des Kriegsschuldinstituts erschien unumgänglich, zumal Sauerbeck sehr zum Mißvergnügen des AA in die publizistische Schußlinie pazifistischer Presseorgane geraten war 8 . Der Entschluß des Amtes, ein Direktorium aus »Spezialisten« an die Spitze der Zentralstelle zu stellen, leitete das endgültige Ausscheiden Sauerbecks ein 9 . Im August 1923 legte er sein Amt endgültig nieder 10 , nachdem er es bereits im Dezember 1921 faktisch an v. Wegerer abgetreten hatte, da ihm nicht einmal ein exponierter Rang im genannten Direktorium eingeräumt worden war. Den Vorsitz dort hatte man Hans Delbrück übertragen, zum Stellvertreter avaneierte Graf v. Montgelas, Ferner gehörten dem Gremium neben Sauerbeck der Hallenser Archäologe Georg Karo, der Publizist Hermann Lutz, der Sekretär des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses für die Schuldfragen des Weltkrieges, Eugen Fischer, und v. Bülow an. Reale Befugnisse räumte man dem Direktorium, entgegen allen Zusagen, aber nicht ein. Es diente vornehmlich Repräsentationszwecken, um die im Ausland weithin unbekannte Zentralstelle international aufzuwerten 11 . Die eigentliche Leitung des Instituts verblieb bei v. Wegerer, der diese Position bis zur Auflösung der Zentralstelle im Januar 1937 nicht wieder abgeben sollte 12 . Unter v. Wegerers Führung konsolidierten sich die Verhältnisse, wenngleich die Hyperinflation des Jahres 1923 noch einmal rigorose Einsparungen notwendig machte. Doch blieb die Zentralstelle auch in den Jahren der wirtschaftlichen Stabilisierung der Republik auf finanzielle Hilfen aus dem 96 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

ΑΑ ang ewiesen. Beschränkt nur auf private Spenden oder auf eigene Einnahmen aus dem Verkauf von Broschüren und Periodika wäre sie zu keinem Zeitpunkt ihres Bestehens existenzfähig gewesen. Das verdeutlicht schon ein oberflächlicher Vergleich der staatlichen Zuschüsse in den Jahren 1924/25, 1925/26 und 1929/30 mit den entsprechenden Spendenaufkommen bzw. den eigenen Einkommen 13 . Der dem Kriegsschuldinstitut aus Etatmitteln zufließende Zuschuß belief sich in der Periode 1924/25 auf 23400 RM und stieg über 34400 RM im Abrechnungszeitraum 1925/26 auf 84000 RM in den Jahren 1929/30. Demgegenüber konnten zwar auch die privaten Spenden und eigenen Einnahmen im Laufe der Jahre nicht unwesentliche Steigerungsraten verbuchen; gemessen an der absoluten Höhe der staatlichen Zuschüsse blieben sie in ihrer Bedeutung für das Budget der Zentralstelle jedoch von sekundärer Bedeutung. 5200 RM flossen dem Institut 1924/25 aus diesen Quellen zu; in der Periode 1925/26 waren es schon 19000 RM und im Abrechnungszeitraum 1929/30 24000 RM. Eine nähere Differenzierung nach privaten Spenden einerseits und eigenen Einnahmen aus publizistischer Tätigkeit andererseits lassen die Akten des Kriegsschuldreferats nicht zu. Die Erlöse aus dem Vertrieb der institutseigenen Zeitschrift und dem Verkauf von Broschürenmaterial dürften aber den Anteil der Spenden beträchtlich überstiegen haben. Die deutsche Wirtschaft zeigte mithin auch in den Jahren des wirtschaftlichen Aufschwungs kein übermäßiges Interesse an der Arbeit des Kriegsschuldinstituts 14 . Für die Ausgabenseite ergibt sich aus den Quellen des AA ein leider nur lückenhaftes Bild. Danach deckten die staatlichen Zuschüsse vornehmlich den Grundbedarf der Zentralstelle ab. Hier dominierte der Posten »Bürobetrieb und Gehälter«, wobei die Angestellten des Instituts nach den gleichen Kriterien entlohnt wurden, die auch für die Beschäftigten der Reichsverwaltungen galten. Sie partizipierten also in vollem Umfang an der in der Weimarer Zeit mehrfach vorgenommenen Erhöhung der Beamtengehälter 15 . Mißt man die für die Zentralstelle aufgebrachten staatlichen Mittel an den Aufwendungen der verschiedenen Reichsbehörden für die Betreuung der deutschen Minderheiten in den durch den Versailler Vertrag abgetretenen ehemaligen deutschen Gebieten 16 , nehmen sie sich vergleichsweise bescheiden aus. Das Bild täuscht jedoch, da die namentlich von der Wilhelmstraße für die »Kriegsschuldforschung« und die Revisionspropaganda aufgebrachten Gelder, wie schon die Ausgaben für die deutschen und ausländischen Akteneditionen gezeigt haben 17 , die der Zentralstelle direkt zufließenden Gelder um ein Vielfaches überstiegen. Trotz der wiederholten Klagen v. Wegerers über »unzureichende« Budgetmittel gelangte die Zentralstelle relativ schnell zu nationalem Ansehen und verfugte in der Mitte der 20er Jahre dank der Vermittlung der deutschen Auslandsvertretungen über vielfältige internationale Kontakte. Hierzu trug sicherlich der Freundes- und Förderkreis bei, der als »Gesellschaft zur Erforschung der Kriegsursachen« im November 1923 gegründet worden war 18 . 97 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

Diese Vereinigung, der zunächst der Gesandte a. D. Ludwig Raschdau, ab 1929 dann der mehrmalige Reichskanzler Wilhelm Marx (Z) präsidierten, war von vornherein auf Exklusivität angelegt. Sie umfaßte selten mehr als 60 bis 80 Mitglieder, allesamt Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens - ehemalige Minister, hohe Beamte und Militärs, bekannte Professoren und Publizisten und einflußreiche Pressevertreter. Ihre Versammlungen blieben vertrauliche Veranstaltungen, aus denen so gut wie niemals etwas an die Öffentlichkeit drang. An Publizität war ihr also weniger gelegen, vielmehr suchte sie Vertreter der deutschen Oberschichten für die Tätigkeit der Zentralstelle zu interessieren und ihre mannigfachen Kontakte für die Beeinflussung der Meinungsbildung im In- und Ausland fruchtbar zu machen19. Wesentlich stärker auf direkte öffentliche Wirkung angelegt waren dagegen die Kontakte, die das Wegerer-Institut zur offiziösen »Reichszentrale für Heimatdienst« und zeitweise auch zum ADV unterhielt. Für das Netz von Vertrauensleuten, mit dem die Reichszentrale das Reichsgebiet überzog, erarbeitete die Zentralstelle mehrere Rednermappen mit einschlägigen Themenschwerpunkten 20 , und für den Arbeitsausschuß stellte sie anfangs Material zusammen, das sich für die Revisions- und Kriegsschuldpropaganda eignete 21 . Zum eigentlichen Forum des Instituts entwickelte sich jedoch die im Herbst 1923 gegründete Zeitschrift »Die Kriegsschuldfrage« (KSF), die seit 1929 unter dem Titel »Berliner Monatshefte für internationale Aufklärung« (BM) im zentralstelleneigenen Verlag, dem mit einer Bürgschaft des AA gegründeten »Quader-Verlag«, erschienen 22 . Die Monatsschrift löste die »Merkblätter zur Schuldfrage« ab, die das Institut seit seiner Gründung in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen herausgegeben hatte. Ihre Auflage stieg trotz der genannten finanziellen Schwierigkeiten von 2500-3000 Exemplaren im Jahre 1925 auf 3500-4000 Exemplare im Jahre 1931. Rund ein Viertel davon ging jeweils direkt an ausländische, vornehmlich an amerikanische Bezieher 23 . Für die Bearbeitung der Einzelthemen konnte das Zentralorgan der deutschen »Kriegsschuldforschung« auf einen mehr oder weniger festen Stamm in der Regel nicht historisch vorgebildeter Publizisten und Wissenschaftler zurückgreifen. Imanuel Geiss spricht in diesem Zusammenhang von einem »Heer von Autoren«, das für ein Honorar drei oder vier einschlägige Artikel monatlich verfaßt hätte 24 . Dieses Urteil erscheint jedoch stark übertrieben. Die Zentralstelle arbeitete vielmehr mit einem kleinen, aber ungemein rührigen Kreis von Autoren, deren publizistische Wirkung multipliziert wurde durch die großen Nachrichtenbüros, die - charakteristisch für die Presselandschaft der Weimarer Republik - das Gesicht vieler Provinzzeitungen prägten 25 . So druckten im Juli 1930 53 in- und ausländische Zeitungen und Zeitschriften Artikel, Notizen und Rezensionen ab, die ursprünglich für die KSF/BM verfaßt worden waren. Bestimmte Autoren tauchten dabei immer wieder auf. Allein v. Wegerer hat nach eigenem Bekunden im Zeitraum von 98 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

1921 bis 1931 ca. 200 kleinere und größere Veröffentlichungen zur Kriegsschuldproblematik verfaßt 26 . Auf eine ähnliche Anzahl von einschlägigen Beiträgen dürften v. Montgelas, Lutz und Schwertfeger gekommen sein. Als mehr oder weniger regelmäßig bezahlte Lohnschreiber des AA können dabei lediglich der Belgien-Spezialist Bernhard Schwertfeger und der Münchener Publizist Hermann Lutz gelten. Für sie stellte die publizistische Behandlung der »Ehrenpunkte«, wie Schwertfeger es einmal ausdrückte, die »Hauptgrundlage [ihrer] literarischen und materiellen Existenz« dar 27 . Sie hatten sich verpflichtet, gegen ein Honorar 4 bis 5 Artikel monatlich in Zeitungen und Zeitschriften ihrer Wahl unterzubringen. Die Themen hierfür wählten sie zum Teil selber aus, zum Teil ließ ihnen das AA »Anregung und Material« zugchen 28 . Die Verantwortung für die einzelnen Beiträge der KSF/BM lag weitgehend in den Händen v. Wegerers; eine Vorzensur des ΑΑ fand in der Reg el nicht statt. Allerding s konnten die Beamten jederzeit gegen die Veröffentlichung einzelner Beiträge ihr Veto einlegen 29 , ein Recht, von dem sie freilich so gut wie nie Gebrauch machten. Obgleich die deutschen Auslandsvertretungen des öfteren Klage darüber führten, daß Artikel der zentralstelleneigenen Zeitschrift in ihren Gastländern negativ wirkten 3 0 , griff die amtliche Zensur nur ein einziges Mal ein. Dabei handelte es sich um einen Artikel, den der ehemalige Generalstabsoffizier Carl Hosse Anfang 1928 unter dem Titel »Die Conventions anglo-belges« für das Aprilheft der KSF verfaßt hatte und in dem vorgebliche belgisch-britische Militärabsprachen enthüllt und die belgische Neutralität der Vorkriegszeit nachhaltig in Frage gestellt worden waren 31 . Das AA untersagte die Veröffentlichung des bereits gesetzten Artikels, da es die Thesen Hosses für »unbeweisbar« hielt. Man legte der Zentralstelle nahe, das ›Problem‹ Belgien, einen der neuralgischen Punkte der deutschen Kriegsschuldargumentation, in Zukunft besser auszusparen 32 .

2. Der Interpretationsrahmen und seine Kritik In ihrer Argumentation hat sich die Zentralstelle schon früh festgelegt und bestimmte Grundpositionen in ihrem Kern über die Jahre hinweg beibehalten. Gleichgültig aber welchen Aspekt aus dem breiten Spektrum der Ereignisse des Sommers 1914 man erörterte, stets blieb die Versailler Kriegsschuldthese der Siegermächte Mittel- und Ausgangspunkt der Argumentation. Hierunter subsumierte man nicht nur die Präambel des Versailler Vertrages und die Kriegsschuldartikel (Art. 231, 234), sondern auch die entsprechenden Stellen des alliierten Ultimatums vom 16. Juni 1919 und die diesem Ultimatum beigefügte Mantelnote. Nach einer Definition v. Wegerers umfaßte der Begriff der Versailler Kriegsschuldthese die »Summe der Beschuldigungen, Anklagen und Urteile, die in bezug auf die Herbeifüh99 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

rung und den Ausbruch des Krieges gegen Deutschland von seiten der Alliierten und Assoziierten Mächte sowie ihrer Organe offiziell vorgebracht worden sind«. V. Wegerer selbst ging sogar noch einen Schritt weiter und bezog den Bericht der alliierten Kommission über die »Verantwortlichkeit der Urheber des Krieges«, der den Deutschen offiziell nie zugegangen war, in seine Begriffsbestimmung mit ein 33 . Der Sinn einer derart weitgespannten Auslegung liegt auf der Hand. Damit wurde die berühmt-berüchtigte Mantelnote Clemenceaus in den Rang einer offiziellen Vertragsinterpretation gehoben und dere h e rnüchtern gefaßte Art. 231 in ein moralisches, die gesamte deutsche Nation betreffendes Verdammungsurteil umgedeutet. Naturgemäß ließ sich gegen die wegen ihrer Schärfe historisch unhaltbare Mantelnote leichter argumentieren als gegen den in seinen Formulierungen e h e r verhaltenen Kriegsschuldparagraphen. Die besonderen Umstände des Zustandekommens dieser Note, an deren Überspitzungen BrockdorffRantzau und die deutsche Friedensdelegation - wie oben gezeigt 34 - ein beträchtliches Maß an Mitverantwortung trugen, wurden in diesem Zusammenhang nicht thematisiert. Inhaltlich markierten die 17 Thesen, die Graf v. Montgelas im Jahre 1923 als Zusammenfassung seines »Leitfadens« zur Kriegsschuldfrage publiziert hatte, den Interpretationsrahmen der Zentralstelle und ihrer Zeitschrift. V. Montgelas, der im Weltkrieg für kurze Zeit zum Pazifismus übergewechselt war 35 , exkulpierte darin die Mittelmächte weitgehend von der Verantwortung für die militärische Eskalation der Julikrise 1914 36 . Das Kaiserreich und die Habsburger Monarchie verfolgten seiner Ansicht nach in der Vorkriegszeit keinerlei politische Ziele, die eine kriegerische Auseinandersetzung zwangsläufig heraufbeschworen, wohingegen sowohl Frankreich mit der Rückgewinnung Elsaß-Lothringens als auch Rußland mit seinen Interessen am Bosporus und auf dem Balkan territorialen Ansprüchen nachhingen, die nur »im Rahmen eines europäischen Krieges« verwirklicht werden konnten. Gegen einen gezielt vorbereiteten militärischen Akt der Mittelmächte sprach für v. Montgelas außerdem der deutsch-österreichische Rüstungsstand im Sommer 1914, der quantitativ und qualitativ dem des französisch-russischen Bündnisses weit unterlegen gewesen sei. Daran änderte auch die deutsche Flotte nichts, die das Reich »zu seinem defensiven maritimen Schutz« seit den 90er Jahren in Dienst gestellt habe. Der Flottenbau sei zwar politisch unklug gewesen, in London aber wegen des vertragsmäßig gewahrten britischen Übergewichts nicht als Bedrohung angeschen worden, denn schließlich habe das Reich in der Bismarckzeit seine Friedfertigkeit wiederholt unter Beweis gestellt und mehrere günstige Präventivkriegsmöglichkeiten verstreichen lassen. Zwar plädierte die deutsche Regierung unmittelbar nach dem Attentat in Sarajewo für eine großangelegte kriegerische Auseinandersetzung Österreich-Ungarns mit Serbien, schwenkte aber unmittelbar nach dem Bekanntwerden der Belgrader Antwortnote auf das Wiener Ultimatum um und votierte jetzt für eine »nur sehr 100 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

begrenzte militärische Aktion« gegen das Königreich auf dem Balkan sowie für direkte Verhandlungen zwischen Petersburg und Wien zur Lokalisierung des Konflikts. Die allgemeine russische Mobilmachung habe jedoch alle Verständigungsbemühungen im Keim zerstört. Diese Mobilmachung, die »von Frankreich mit listigen Ratschlägen unterstützt und von England in ihrer Ernsthaftigkeit nicht erkannt« worden sei, machte v. Montgelas für den Ausbruch des Krieges verantwortlich. Die deutschen Kriegserklärungen wurden als »erklärliche politische Fehler« interpretiert, die aus der ungeheuren Gefahr, in eine Zweifrontenlage gebracht zu werden, erwachsen seien. Die Bedeutung des völkerrechtswidrigen Einfalls nach Belgien spielte v. Montgelas dagegen deutlich herunter. England habe lediglich einen »populären Grund« gesucht, dem Kaiserreich den Krieg zu erklären. In Wirklichkeit erachtete es eine zweite Niederlage Frankreichs nach dem Debakel von 1870/71 als mit seinen machtpolitischen Interessen nicht vereinbar. Auf der Grundlage dieser Thesen, die auch von Historikern wie Hans Delbrück und Wilhelm Mommsen als Leitlinien für die Kriegsschulddiskussion empfohlen wurden 3 7 , verwendeten die Autoren, die mit der Zentralstelle zusammenarbeiteten, viel Mühe darauf, eine Rangskala der Verantwortlichkeit für den Kriegsausbruch zu erstellen. Ihre Beiträge konzentrierten sich infolgedessen auf die Ereignisse der Julikrise 1914 und sparten die Zeit von 1880 bis 1914 weitgehend aus. In der erwähnten Skala standen Rußland, Serbien und Frankreich an der Spitze, in weitem Abstand gefolgt von Österreich-Ungarn, Deutschland und England 38 . Auf die beiden erstgenannten Staaten richtete sich das Hauptaugenmerk des Instituts. Besonders Serbien geriet in das Visier der deutschen »Kriegsschuldforschung«. Seinen verantwortlichen Politikern gelte, so v. Wegerer in einem Schreiben an Wilhelm Marx, der »schärfste und nachhaltigste Kampf der Zentralstelle«. An ihrer Mitverantwortung für den Kriegsausbruch bestehe aufgrund der Ergebnisse einschlägiger Forschungen kein Zweifel 39 . Das Beispiel des serbischen Unterrichtsministers der unmittelbaren Vorkriegszeit, Jovanowitsch, mag die Richtung dieser Argumentation verdeutlichen und gleichzeitig die ›wissenschaftliche‹ Arbeitsweise des Kriegsschuldinstituts beleuchten. Jovanowitsch hatte in einer Nachkriegsveröffentlichung Attentatsgerüchte erwähnt, die vor dem Mord an dem österreichischen Thronfolgerehepaar in Belgrader Regierungskreisen kursierten. Auf diese Publikation war die Schriftleitung der KSF durch einen Artikel im »Manchester Guardian« vom 24. Dezember 1924 aufmerksam geworden 40 . In den Augen der Zentralstelle stellten die Bemerkungen des ehemaligen Ministers eine »Belastung« der serbischen Regierung dar, obgleich Jovanowitsch im Zuge seiner Ausführungen mehrfach beteuerte, daß man in Belgrad alles getan habe, um die verantwortlichen Wiener Stellen »inoffiziell« vor einem Besuch Franz-Ferdinands in Bosnien zu warnen. Es half wenig, daß er die englische Quelle der KSF als ein »grobes Falsifikat« seiner 101 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

serbisch gehaltenen Äußerungen bezeichnete und daß ernstzunehmende Dokumente zur Stützung der deutschen Thesen nicht beizubringen waren. Für v. Wegerer blieb der Artikel des »Guardian« ein überzeugender Beweis für die Mitwisserschaft der serbischen Regierung. Der defensive Grundcharakter der österreichisch-ungarischen Politik im Sommer 1914 war damit hinlänglich erwiesen und die Habsburger Monarchie konnte ruhigen Gewissens in der Rangfolge der ›Kriegsschuldigen‹ hinter Frankreich und Rußland eingeordnet werden 4 1 . Öffentlichen Widerspruch gegen die skizzierten Thesen wagte lediglich ein kleiner Kreis politisch vornehmlich linksorientierter Pazifisten. Es waren in der Hauptsache die Juristen Hans Wehberg und Hermann Kantorowiez, die linken Sozialdemokraten Walter Fabian und Siegfried Kawerau, Otto Lehmann-Rußbüldt von der »Liga für Menschenrechte« sowie die Pazifisten Friedrich Wilhelm Foerster, Richard Grelling und Heinrich Kanner, die gegen die Veröffentlichungen der Zentralstelle und ihrer Zeitschrift Stellung bezogen. Begrenzt war auch die Zahl der Zeitschriften und Zeitungen, die ihnen zu diesem Zweck ihre Spalten öffneten. Vor allem pazifistische Blätter wie »Die Friedenswarte«, »Die Menschheit«, »Das Andere Deutschland«, aber auch Hellmuth v. Gerlachs »Welt am Montag«, Jacobsohns »Weltbühne«, der hellsichtige »Dortmunder Generalanzeiger« und die »Sozialistische Politik und Wirtschaft«, das von Paul Levi herausgegebene Hausblatt der SPD-Linken, druckten ihre Artikel ab bzw. machten mit eigenen Beiträgen gegen die »Kriegsschuldforschung« Front 42 . Seit Anfang 1928 existierte eine Zeitschrift, die den Kampf gegen die deutsche »Unschuldspropaganda« auf ihre Fahnen geschrieben hatte: Die von dem Österreicher Heinrich Kanner herausgegebene Schrift »Der Krieg«. Das Blatt vermochte freilich nie, eine größere Leserschaft zu erreichen und stellte bereits im Frühjahr 1930 unmittelbar nach dem Tode Kanners sein Erscheinen ein 43 . Inhaltlich wandte sich die Mehrheit der genannten Autoren gegen die These von der deutschen Alleinschuld, wie sie die Mantelnote Clemenceaus formulierte 44 . Einigkeit herrschte aber in Hinblick auf die ›Hauptverantwortlichkeit‹ der Mittelmächte am Kriegsausbruch, wobei die einen den »planmäßigen« Kriegswillen, die anderen die »fahrlässige« Politik der deutsch-österreichischen Machthaber herausstellten 45 . Einstimmig verurteilte man außerdem die deutsche Kriegsschuldpropaganda und besonders den ADV als »Generalstab der deutschen Unschuldskämpfer«. Nach dem Urteil Lehmann-Rußbüldts hatte er es in knapp einem Jahrzehnt verstanden, fast das gesamte deutsche Volk einschließlich der Kommunisten mit der Vorstellung zu erfüllen, daß einzig und allein der Versailler Vertrag die Verantwortung an der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Misere des Reiches trage 4 6 . In den Augen Richard Grellings diente der Arbeitsausschuß innenpolitisch der »Reinwaschung der früheren Machthaber Deutschlands« und der Aushöhlung der Republik 47 . Seine außenpolitische Funktion umschrieb Hermann Kantorowiez wie folgt: »Zweck der Unschuldskampagne 102 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

ist nicht, wie so viele im Ausland fürchten, die Entzündung des deutschen Revanchekrieges; es ist nicht, was so viele im Inland hoffen, Bekehrung und Verzicht unserer einstigen Kriegsgegner. Es ist vielmehr . . . dies, das deutsche Volk moralisch auf den kritischen Augenblick vorzubereiten, in dem die innen- und außenpolitische Lage der Reichsregierung gestatten würde, einseitig zu erklären, daß der Versailler Vertrag und die auf ihm ruhenden Reparationsverpflichtungen auf der seitdem widerlegten Lüge von der deutschen Kriegsschuld fußen und also nunmehr hinfällig geworden seien« 48 . Diese Schlußfolgerungen riefen beim deutschen Publikum bezeichnenderweise starke Empörung hervor, zumal einige der genannten Autoren ihre Ansichten auch in der Fresse des Auslands publizierten 49 . Das Urteil, die pazifistische Kritik sei von Frankreich gekauft, war rasch gefällt und wurde in der Endphase der Republik sogar von den Kommunisten zur Desavouierung der Linkssozialisten innerhalb und außerhalb der SPD kolportiert 50 . Selbst bei gemäßigten Pazifisten wie Ludwig Quidde und Walther Schücking stießen die Warnungen Foersters, Grellings und Kanners auf Unverständnis, fühlten sie sich doch nach der tiefgreifenden Enttäuschung über das Verhalten der Alliierten in Versailles um so stärker in die nationale Einheitsfront gegen den Friedensvertrag eingebunden. Insgesamt stellte die Behandlung der Kriegsschuldfrage für den organisierten deutschen Pazifismus eine der frühen Reibungsflächen dar, die die Friedensbewegung sichtbar in zwei Lager spaltete 51 . So wundert es nicht, daß sich in der Endphase der Republik Auflösungstendenzen in der Front der Opposition gegen die deutsche Kriegsschuldund Revisionspropaganda zeigten. Hans Wehberg stellte im Juli 1931 fest, daß die »moralische Schuld« der ehemaligen Kriegsgegner Deutschlands am Ausbruch des Krieges erheblich größer sei, als er und seine Freunde lange Zeit angenommen hätten. Er fordere deshalb die deutschen Pazifisten auf, sich den berechtigten Forderungen des deutschen Volkes nicht zu verschließen. Die nationale Friedensbewegung müsse sich »unter Zurückstellung jedes pharisäerhaften Vorurteils über die Entstehung des großen Krieges« zu einer positiven Einstellung zum Problem der Rüstung und der Reparationen durchringen 52 . Trotz dieser Konzessionen, die augenscheinlich dem Klima des ›nationalen Aufbruchs‹ in der Außenpolitik der Brüning-Ära geschuldet waren, muß dem pazifistischen Völkerrechtler, gerade was seine Positionen in der Kriegsschuldfrage anbetrifft, Standhaftigkeit und persönlicher Mut bescheinigt werden. Mut gehörte schon deshalb dazu, weil über Artikel, wie sie Wehberg, Grelling, Kantorowiez u. a. veröffentlichten, beinah ständig das Damoklesschwert strafrechtlicher Verfolgung schwebte. Nicht umsonst interpretierte die auf der politischen Rechten angesiedelte »Rheinisch-Westfälische Zeitung« die oben zitierten Äußerungen Grellings über die Arbeit des ADV als eine »Gefährdung des Staatsinteresses« und empfahl sie einer 103 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

Überprüfung durch den Staatsanwalt 53 . Das Blatt konnte sich dabei auf die Fälle Fechenbach und Wandt berufen, in denen die Gerichte bereits tätig geworden waren. Felix Fechenbach, der ehemalige Privatsekretär des Anfang 1919 ermordeten bayerischen Ministerpräsidenten Eisner, war im Oktober 1922 von einem bayerischen »Volksgericht« zu einer hohen Zuchthausstrafe verurteilt worden, weil - wie das Gericht für erwiesen hielt - auf seine Veranlassung hin ein Dokument in der französischen Zeitschrift »Le Journal« publiziert worden war, dessen Geheimhaltung das »Wohl des Deutschen Reiches« dringend erfordert hätte. Es handelte sich um ein Telegramm des bayerischen Gesandten beim Päpstlichen Stuhl, v. Ritter, in dem von einer zustimmenden Haltung des Vatikans zu dem scharfen Vorgchen Österreich-Ungarns gegenüber Serbien die Rede war. Die Richter sahen in der nachträglichen Veröffentlichung dieses Telegramms den Tatbestand des diplomatischen Landesverrats (§ 92 I StGB) erfüllt und verurteilten Fechenbach zu elf Jahren Zuchthaus. Eine Strafe, die später gemindert und zur Bewährung ausgesetzt wurde 5 4 . Im Fall des pazifistischen Schriftstellers Heinrich Wandt war das Reichsgericht selber tätig geworden. Es hatte Wandt für schuldig befunden, im Jahre 1921 ein Aktenstück an die belgische Presse weitergegeben zu haben, aus dem die engen Weltkriegskontakte der deutschen Militärbehörden zur kollaborationsbereiten flämischen »Frontpartei« ersichtlich wurden 55 . Die Begründung, mit der die höchsten Richter des Reiches den Schriftsteller zu sechs Jahren Zuchthaus verurteilten, erregte Pazifisten wie politische Linkskreise gleichermaßen. Sie enthüllte Geist und Fingerspitzengefühl der deutschen Justiz. Maßgebend für die Verurteilung sei, so das Reichsgericht, »daß durch den Verrat des Schriftstücks zugleich die belgischen Persönlichkeiten verraten worden sind, mit denen die deutsche Regierung während des Krieges in Verbindung getreten war. Sollte unsere Regierung einmal in die Lage kommen, für ihre Zwecke der Hilfe jener Männer sich von neuem bedienen zu müssen, was bei einer Veränderung der politischen Lage leicht eintreten könnte [!], so würde das durch den Verrat bedeutend erschwert sein« 56 . Es ist ein Gemeinplatz in der Historiographie über die erste Deutsche Republik, daß die Weimarer Richter ebenso wie ein großer Teil der Weimarer Öffentlichkeit die politische Rechte weitaus nachsichtiger behandelte als die politische Linke. Deshalb kann es auch nicht erstaunen, daß der ehemalige staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren unbehelligt blieb, als er im November 1924 politische Dokumente aus seinen Dienstjahren publizierte, obgleich er von keiner offiziellen Stelle zur Herausgabe dieser Aktenstücke autorisiert worden war und obgleich der § 11 des Reichsbeamtengesetzes auch ehemalige Staatsdiener bei Strafe zur Geheimhaltung ihrer früheren Dienstgeschäfte verpflichtete57. Doch verhielt sich zumindest die Exekutive 104 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

Staatssc

in dieser Beziehung nicht nur gegen v. Tirpitz großzügig 58 . Bemerkenswerterweise stand für die Wilhelmstraße ein gerichtliches Vorgehen gegen die Kritiker der deutschen »Kriegsschuldforschung« und -propaganda nie ernsthaft zur Debatte. Im Gegenteil: Thimme hat sich mit aller Entschiedenheit gegen das Fechenbach-Urteil gewandt und in diesem Zusammenhang ein vielbeachtetes Gutachten verfaßt, wobei die Anregung hierzu wohl aus dem AA gekommen sein dürfte. Das bedeutete freilich nicht, daß das Amt im Einzelfall vor massiven Repressionen zurückscheute. Die Behinderung der beruflichen Karriere des Freiburger Juristen Hermann Kantorowiez gibt davon beredt Zeugnis ab 5 9 . Die Beamten bedienten sich in der Regel sublimerer Mittel, um der Opposition gegen die Zentralstelle und den ADV ihre Wirkung zu nehmen. Man sucht jede publizistische Kontroverse mit Autoren wie Grelling und Kanner schon im Ansatz zu ersticken, um ihre Thesen nicht einem breiteren Publikum zugänglich zu machen und sie damit öffentlich aufzuwerten. »Kriegsschuldforschern«, die wie v. Montgelas die Auffassung der Beamten nicht teilten und sich für einen offenen Schlagabtausch mit der pazifistischen Kritik aussprachen, blieben die Spalten der Publikationsorgane des ADV und der Zentralstelle für diese Zwecke verschlossen. Sie mußten ihre Erwiderungen in befreundeten ausländischen Zeitschriften unterbringen 60 . Das Kriegsschuldreferat blieb stets darauf bedacht, mit den pazifistischen Kritikern der Kriegsschuldpropaganda in Bezichung zu treten und einmal geknüpfte Kontakte nicht abreißen zu lassen. Das Referat stand nicht nur mit Hermann Kantorowiez und über den ADV mit Hans Wehberg in »dauerndem Gedankenaustausch« 61 , es suchte auch das Gespräch mit Siegfried Kawerau und Otto Lehmann-Rußbüldt. Beide wurden am 23. Februar 1931 zu einem Gespräch in die Wilhelmstraße geladen. Die Inhalte der dort geführten Unterredung verdeutlichen noch einmal die Intentionen der Beamten. Legationsrat Karl Schwendemann betonte mit Blick auf die politische Rechte, daß die Kriegsschuldfrage für das AA nur außenpolitische Bedeutung besitze und die einschlägige Propaganda keine »indirekten reaktionären Ziele« verfolge. Amtlicherseits verurteile man die parteipolitische Ausnützung dieses Themas, das eine Schicksalsfrage für das gesamte deutsche Volk darstelle und deshalb eine innenpolitische »Einheitsfront gegenüber dem Ausland« dringend erforderlich mache 62 .

3. Kriegsschulddiskussion und Geschichtswissenschaft Die Geschichtswissenschaft in der Weimarer Republik hat zur eigentlichen Kriegsursachenforschung erstaunlich wenig beigetragen. Bahnbrechende Arbeiten wie die Luigi Albertinis, Pierre Renouvins oder Bernadotte E. Schmitts 63 fanden auf deutscher Seite kein Pendant. Hier waren es lediglich 105 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

Erich Brandenburg und Hermann Oncken, die in längeren wissenschaftlichen Abhandlungen auf die Kriegsschuldfrage eingingen 64 . Nur wenige Vertreter der ›Zunft‹ haben sich überdies an der Arbeit des Wegerer-Instituts beteiligt, obwohl ihre Mitarbeit wiederholt angemahnt wurde. Am nachdrücklichsten hat wohl Bernhard Schwertfeger die Aufforderung zur Kooperation zwischen Geschichtswissenschaft und »Kriegsschuldforschung« formuliert und die Aufgabe, »das eigene Vaterland von schwerem Makel zu befreien und ihm seine geachtete Stellung unter den Kulturvölkern wiederzugeben«, als die vornchmste Aufgabe der deutschen Historikerschaft herausgestellt 65 . Neben Hans Delbrück, Friedrich Thimme und Paul Herre sowie mit Abstrichen Erich Brandenburg, Richard Fester, Fritz Kern und Georg Karo, sind vor allem Forscher der Frontkämpfergeneration wie Hans Rothfels, Hans Herzfeld, Siegfried Kachler und Wilhelm Mommsen diesem Ruf gefolgt. Aus dem mangelnden Engagement der übrigen Historikerschaft kann aber nicht geschlossen werden, daß die deutsche Geschichtsschreibung inhaltlich der Abwehr der Versailler Schuldthese fernstand. Das Gegenteil ist cher anzunchmen. Das Urteil Hermann Onckens, der für das wilhelminische Deutschland ein genuines Friedensinteresse konstatierte, das er dem »französischen Revanchegeist«, der »russischen Feindschaft« und den englischen Einkreisungsbestrebungen gegenüberstellte, dürfte in nahezu allen Philosophischen Fakultäten Deutschlands auf Zustimmung gestoßen sein. Das gleiche gilt für seine Feststellung, bei der alliierten Kriegsschuldthese handele es sich um den »größten Fälschungsversuch der Weltgeschichte« und die Fortsetzung der antideutschen Vorkriegspolitik mit anderen Mitteln 6 6 . Für die relative Abstinenz der I listoriker müssen mithin andere Gründe gesucht werden. Zunächst einmal scheint die enge Anbindung der Zentralstelle an das AA und ihr Bemühen, den publizistischen Kampf gegen die alliierte Kriegsschuldthese nicht - wie in Rechtskreisen üblich - mit der Dolchstoßlegende zu verknüpfen, den dezidiert antirepublikanischen Flügel der Weimarer Historikerschaft von einer Mitarbeit abgehalten zu haben. Nicht umsonst beklagte man sich in der Leitung des ADV darüber, daß die eigentliche Kontroverse überwiegend von »Demokraten« und kaum von »ausgesprochenen Rechten« getragen werde 6 7 . In der Hauptsache dürften es aber inhaltliche und methodische Einwände gewesen sein, die die ›Zunft‹ davon abhielten, sich stärker zu engagieren. Der Themenkomplex ›Julikrise und Kriegsausbruchs zählte für die Weimarer Geschichtswissenschaft wegen der außenpolitischen Brisanz der Problemstellung, der zeitlichen Nähe zum Betrachter und der insgesamt doch recht schmalen Quellenbasis nicht zu den originär historischen Themen. Selbst engagierte Historiker wie Herre, Thimme, Delbrück oder Mommsen schrieben ihre einschlägigen Artikel daher vornehmlich für Zeitungen bzw. nicht-akademische Zeitschriften oder nahmen in Festreden auf das Kriegsschuldthema Bezug 68 . Ganz in diesem Sinne plädierte man auf dem Göttinger Historikertag 1932 für eine 106 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

rein wissenschaftliche Kriegsursachenforschung: Der Begriff ›Kriegsschuld‹ sei unwissenschaftlich und gehöre nicht in den Sprachschatz des Historikers. Die ›Zunft‹ arbeite mit den Kategorien Ursachen und Folgen, nicht aber mit moralisierenden Begriffen wie Schuld und Sühne 69 . Die hier in Umrissen skizzierten fach wissenschaftlichen Monita wurden auf die eine oder andere Weise auch von den wenigen Historikern aufgegriffen, die sich aktiv an der Kriegsschulddiskussion beteiligten. Zwar würdigte Hans Herzfeld, ganz im Sinne einer stärkeren Gegenwartsbezogenheit der Geschichtswissenschaft, wie sie gerade von deutschen Historikern der Frontkämpfergeneration propagiert wurde 7 0 , die politische Bedeutung der »Kriegsschuldforschung«, in der er »ein Instrument des Verteidigungskampfes gegen die Behauptung der deutschen Alleinschuld« erblickte 71 . Siegfried Kachler ergänzte, mehr politisch-pädagogisch formulierend, daß erst der Kampf gegen die von Fremden verfälschte deutsche Geschichte, wie sich in der Abwehr der Kriegsschuldlüge zeige, ein einheitliches Selbstgefühl und eine gerechte Würdigung der eigenen Vergangenheit ermögliche 72 . Aber schon Hans Rothfels wandte ein, daß die Arbeit der nichtakademischen »Kriegsschuldforscher« bei aller Fruchtbarkeit für den Erkenntnisfortschritt der deutschen Geschichtswissenschaft unter einer bedenklichen Beschränktheit der Fragestellung leide. Ihr Wert erweise sich stets dann, wenn es sich um »vorsätzliches Tun, um die zweckbewußte, in ihrem Kausalverhältnis feststellbare Herbeiführung des allgemeinen Krieges« handele, kurz »bei dem Nachweis der bewußten Absicht und der subjektiven Schuld«. Die wesentlichen wissenschaftlichen Probleme setzten aber erst jenseits dieser Fragestellung ein. Es komme darauf an, »die langfristigen Tendenzen herauszuarbeiten, die für die einzelnen Mächte über die politischen Konjunkturen hinaus konstituierend« gewesen seien 73 . In Übereinstimmung damit warnte Hans Herzfeld vor einer seiner Meinung nach gefährlichen Selbstüberschätzung der »Kriegsschuldforscher«. Sie dürften, so Herzfeld, nicht den Anspruch erheben, »Geschichte in einem weiteren Sinne« schreiben zu wollen. Der Historiker Faul Herre ging unter Aufnahme dieser Kritik mit erstaunlicher Offenheit auch auf die methodischen Unzulänglichkeiten der Arbeiten des Wegerer-Instituts ein. Seine Ansicht nach operierte man dort vor allem taktisch, gruppierte den Stoff nach bestimmten, eng begrenzten Zielen, ließ Glieder aus, die nicht in die Argumentationsketten paßten und neigte dazu, »die gegnerische Seite anzugreifen, um die eigene zu entlasten« 74 . Neben diesen Zweifeln an einer sachgerechten methodischen Handhabung traditioneller Quellenedition, -kritik und -interpretation richteten sich die Monita Herres und Rothfels' insbesondere gegen eine ihrer Meinung nach fatale Auswirkung der Kriegsschuldliteratur auf das politisch-historische Bewußtsein des deutschen Volkes. Mit ihrer »begreiflichen Herausstellung . . . aller deutschen Politik der (mehr oder weniger) ernstgemeinten Versöhnung, des (mehr oder weniger) taktischen Kompromisses« leiste sie, 107 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

wie Herre ausführte, der Züchtung eines «falschen Pazifismus« Vorschub, der sich der »gesunden geschichtlichen Idee der Macht« zunehmend entfremde 75 . Historiker wie Herre glaubten dagegen, gerade durch ihre Kritik an der schwankenden und nicht genügend ›kompromißlosen‹ Politik der wilhelminischen Ära ihrer selbstgestellten politisch-pädagogischen Aufgabe, der Schaffung eines gemeinsamen, strikt gegen alle westlichen Traditionen gewandten nationalen Selbstbewußtseins am besten nachkommen zu können. Angesichts des in seinem diplomatischen Kalkül sehr angreifbaren und nicht gerade von großer politischer Klugheit geprägten »Neuen Kurses« 76 müsse man sich nämlich fragen, so Rothfels, »ob die wahrhaft geschichtliche Schuld, die Verantwortung vor der Nation nicht ebenda beginnt, wo die Unschuld im Sinne von Versailles erhärtet ist« 77 . Die schonungslose Analyse von Kriegsentstehung und Kriegsverlauf für den Prozeß der nationalen moralischen Wiederaufrüstung des deutschen Volkes fruchtbar zu machen 78 , war nach Ansicht der meisten an der Kriegsschulddiskussion beteiligten Fachhistoriker eine der vordringlichsten Aufgaben der deutschen Geschichtswissenschaft und zudem, wie Herre mit kritischem Blick auf die von der Zentralstelle foreierte Einbindung ausländischer Publizisten bemerkte, eine »nationale Angelegenheit«. Nach der Ansicht Herzfelds hatte die Zentralstelle demgegenüber mit der vollständigen Widerlegung der alliierten Schuldthese ihre Aufgabe erfüllt 79 . Einwände gegen die nichtakademische »Kriegsschuldforschung« erreichten die Zentralstelle jedoch nicht nur von konservativer Seite. Der liberale Historiker Wilhelm Mommsen, nach dem Urteil Jürgen C. Heß' einer der republikfreundlichen Gelchrten, welche die im Bürgertum weitverbreitete Gleichsetzung nationaler Gesinnung mit antidemokratischer Attitüde durch die Verfechtung einer betont nationalen Haltung in der Außenpolitik aufzubrechen suchten 80 , hob im Aprilheft (1932) der Zeitschrift des deutschen Geschichtslchrerverbandes »Vergangenheit und Gegenwart« hervor, daß man von der moralisierenden Frage nach der Schuld der Mächte im Sommer 1914 abkommen und sich der Betrachtung der längerwirkenden Ursachen des Weltkriegs zuwenden müsse. Dies sei notwendig, weil die »Ungeschicklichkeit der deutschen Taktik« in den Wochen vor dem Kriegsausbruch feststche und die Einschätzung der gesamten Vorkriegspolitik des Reiches überschatte. Das sei möglich geworden, da seit kurzem selbst in Frankreich deutliche Tendenzen zur Abkehr von der Alleinschuldthese sichtbar würden 8 1 . Der Historiker bezog sich bei diesen Hinweisen auf einen Artikel, den die Pariser Professoren Camille Bloch und Pierre Renouvin im November 1931 in der offiziösen französischen Zeitung »Le Temps« veröffentlicht hatten. Darin war die in Deutschland weitverbreitete Ansicht zurückgewiesen worden, der Art. 231 des Versailler Vertrages impliziere eine pauschale Verurteilung der gesamten Reichspolitik vor 1914. Der Kriegsschuldartikel, so die 108 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

beiden französischen Autoren, fordere von Deutschland nicht die Anerkennung einer moralischen Schuld, sondern konstatiere lediglich, daß die Regierung des Kaiserreichs zusammen mit Österreich-Ungarn qua Kriegserklärung als erste die militärische Auseinandersetzung eröffnet habe und deshalb die »politisch-historische« Verantwortung für den Kriegsausbruch trage 82 . Die Reaktionen der Zentralstelle sowohl auf die Schlußfolgerungen Blochs und Renouvins als auch auf die Vorschläge Mommsens lassen deutlich erkennen, wie wenig aufgeschlossen sich das Kriegsschuldinstitut, namentlich in den Jahren nach 1929, abweichenden Thesenbildungen, ja selbst kritisch-solidarischen Ratschlägen gegenüber zeigte. In bezug auf Bloch und Renouvin beharrte v. Wegerer darauf, daß die Mantelnote als offiziöser Kommentar zum Artikel 231 des Versailler Vertrages anzusehen sei 83 . In unverkennbar scharfem Ton wies er auch Mommsens Feststellungen über die deutsche Politik in der Julikrise zurück. Seiner Ansicht nach konnte selbst eine eingehende Analyse der Jahre vor 1914 das Urteil nicht umstoßen, daß Deutschland den Weltkrieg nicht gewünscht hatte, sondern in den letzten Wochen vor seinem Ausbruch alles versuchte, um ihn zu vermeiden. Ein Abgehen vom Themenschwerpunkt der Julikrise würde gerade in interessierten Kreisen des Auslands als »Ausweichen« interpretiert und mit der Vorstellung verbunden, deutscherseits spare man dieses Problem aus Furcht vor einem ungünstigen Urteil bewußt aus 84 . Die Unzugänglichkeit der Zentralstelle gegenüber kritischen Einwänden der Geschichtswissenschaft hat die wenigen zur Kooperation bereiten Historiker dazu veranlaßt, ihr publizistisches Engagement mit der Zeit einzuschränken oder gar einzustellen. Rothfels etwa, der zu den ersten drei Jahrgängen der KSF noch vier größere Artikel beigesteuert hatte, veröffentlichte nach 1927 keinen einzigen Beitrag. Delbrück, in den Anfangsjahren der Zentralstelle einer der rührigsten Autoren des Instiuts, stellte nach 1926 seine Mitarbeit praktisch ein, obschon seine einschlägige publizistische Aktivität keineswegs nachließ. Lediglich Herre und Thimme schrieben weiter mit einiger Regelmäßigkeit in der KSF/BM. Aber auch ihr Engagement ließ nach 1929 merklich nach 85 . Thimmes Vorbehalte werden dabei aus den Akten ersichtlich. Sie richteten sich besonders gegen die Hartnäckigkeit, mit der v. Wegerer die Kriegsschuld Serbiens und Rußlands herausstellte und dabei Dokumente als Beweisstücke heranzog, die »kein methodisch geschulter Historiker des Inlandes oder des Auslandes . . . als schlüssig anerkennen kann und wird«. Gerade die »brüchige« Beweisführung v. Wegerers, so der Herausgeber der »Großen Politik«, lasse eine Aufweichung der »Einheitsfront unter den Vorkämpfern unserer Bewegung« befürchten 86 . Die hier zu Tage tretende Neigung, alle kritischen Einwände und alle internationalen Verständigungs- und Normalisierungsbemühungen einfach zu ignorieren oder mit dem strikten Beharren auf einmal gefaßten Standpunkten zu beantworten, verweist auf einen irrationalen Bestimmungsfak109 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

tor in der deutschen Kriegsschulddiskussion. Gemeint ist die Tendenz des Wegerer-Instituts, sich seines ursprünglichen Mittelcharakters für die deutsche Revisionspolitik zu entkleiden und eine Eigengesetzlichkeit zu entwikkeln, die die Erhaltung bzw. Erweiterung des einmal erreichten institutionellen Charakters zum selbständigen Ziel werden ließ. Auf Betreiben seines Leiters sonderte sich die Zentralstelle mit der Zeit immer stärker von den übrigen Organisationen der »Revisionsbewegung« ab. Nach dem glaubhaften Urteil des ADV-Geschäftsführers Hans Draeger ließ v. Wegerer Dinge, die nicht von ihm selber ausgingen, »zum Schaden der Gesamtbewegung nicht zustande kommen« 8 7 . In die Richtung einer Verselbständigung des Instituts deutet schließlich die Tatsache, daß sich der organisatorische Apparat der Zentralstelle bei nachlassender Bedeutung der »Ehrenpunkte« in den 30er Jahren überproportional erweiterte 88 . Auch die Autoren im Umfeld der Zentralstelle dürften ihr Engagement gegen den Art. 231 stark mit persönlichen Interessen verknüpft haben. Immerhin versprachen Aktivitäten in diesem Bereich einen erheblichen Gewinn an Popularität und gesellschaftlichem Prestige. Nicht umsonst wurde Schwertfeger, v. Montgelas und v. Wegerer für ihre besonderen Verdienste im Kampf gegen die »Kriegsschuldlüge« die Ehrendoktorwürde verliehen 89 . Die seit 1929 zu beobachtende Instrumentalisierung der Kriegsschuldpropaganda durch die »Nationale Opposition« förderte noch die geschilderten Tendenzen, zumal v. Wegerers politische Sympathien ohnehin bei der sich radikalisicrenden DNVP lagen. Die Zentralstelle entwickelte jetzt auch in bezug auf ihre Ziele ein Eigenleben. War man bis dahin der Berliner Außenpolitik gefolgt, die die Forderung nach Zurücknahme der Kriegsschuldanklage gewissermaßen moralisch-psychologisch begründete und dabei jede Bezugnahme auf die materiellen deutschen Revisionsbegehren vermied, brachte man nunmehr verstärkt das Rcparationsproblcm ins Spiel. In mehreren Artikeln, die zunächst in der Wirtschaftspresse erschienen, später dann zum Teil Eingang in DNVP-Propagandaschriften fanden, wies v. Wegerer daraufhin, daß zwischen der »Schuldfrage und der Schuldcnfragc« ein enger innerer Zusammenhang bestehe. Wichtig sei nicht, so der Leiter der Zentralstelle in der »Berliner Börsenzeitung« vom 14. November 1928, wie oder was Deutschland zahle, sondern daß man überhaupt einer moralischen Verurteilung wegenjährlich riesige Summen ins Ausland abfuhren müsse90. Wie nicht anders zu erwarten, stand das AA diesen Äußerungen mit äußerster Skepsis gegenüber. Das Amt machte v. Wegerer auf die Inopportunität seiner publizistischen Tätigkeit aufmerksam und legte ihm nahe, sich in Zukunft ausschließlich auf die »wissenschaftliche Behandlung« der Kriegsschuldfrage zu beschränken. Der Konflikt, im Rahmen dessen die Beamten zeitweise sogar eine Trennung von v. Wegerer erwogen, wurde zwar durch das Einlenken des ehemaligen Offiziers recht bald beigelegt 91 . Die hier zum Ausdruck kommende Entfremdung zwischen der Zentralstelle 110 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

und dem ΑΑ erwies sich jedoch als irreparabel. Das zeigen die Überlegungen zur Umgestaltung des Instituts, die im Laufe des Jahres 1930 im AA angestellt wurden. Danach war geplant, die BM, die nach dem bemerkenswert offenen Urteil der Beamten ihre Themengebiete bisher nur selten »um der Erforschung . . . der historischen Wahrheit willen« erörtert hatten, in ein Forschungsorgan für neueste Geschichte umzugestalten. Zu diesem Zweck sollte v. Wegerer ein Fachhistoriker an die Seite gestellt werden, von dem man neue Impulse für die Zeitschrift erwartete. Beabsichtigt war außerdem, »die historische Wissenschaft stärker als bisher an die Schuldfrage heranzuführen« 92 . Die Änderung des außenpolitischen Kurses unter der Reichskanzlerschaft Brünings ließ diese Pläne gegenstandslos werden. Im Zuge der sogenannten aktiven Außenpolitik brachte die Reichsregierung selbst immer häufiger das Kriegsschuldproblem mit der Reparationsfrage in Verbindung. Gleichwohl blieben die Beziehungen der Wilhelmstraße zur Zentralstelle auch in der Periode der Präsidialkabinette und darüber hinaus unterkühlt. Lediglich das durchgängige Bestreben der Beamten, in der Diskussion um den Art. 231 jedes unnötige Aufsehen zu vermeiden sowie v. Wegerers gute und in der Wilhelmstraße hochgeschätzten Auslandskontakte bewahrten ihn in dieser Zeit davor, vom AA endgültig fallengelassen zu werden.

4. Die Auslandsarbeit Das AA maß der Einbeziehung ausländischer Autoren in die von der Zentralstelle gesteuerte Kriegsschulddiskussion besondere Bedeutung zu. Man unternahm beträchtliche Anstrengungen, um Politiker, Wissenschaftler und Publizisten aller Nationalitäten als Protagonisten für die deutsche Sache zu gewinnen. Bereits unmittelbar nach der Gründung der Zentralstelle hatten die deutschen Botschaften und Konsulate die Order erhalten, möglichst renommierte Persönlichkeiten ihres jeweiligen Gastlandes ausfindig zu machen, »die sich für Deutschland, für unsere Politik und unsere heutige Lage, insbesondere auch für die Frage unserer Schuld am Kriege interessieren« 93 . Demzufolge sammelten die Auslandsvertretungen entsprechende Daten und sandten sie nach Berlin. Besonderer Wert wurde dabei auf das politische Profil und die Hauptarbeitsgebiete der potentiellen Ansprechpartner gelegt. Das AA erbat überdies Auskunft darüber, welche Wege sich für eine erste Kontaktaufnahme empfahlen. In der Regel übernahm das Wegerer-Institut die Aufgabe der Kontaktpflege. Erschien dies aus bestimmten Gründen nicht opportun, so wurden die in Frage kommenden Ausländer durch die Völkerbund-Liga, das AA oder durch »vertrauenswürdige Gewährsmänner« ihres jeweiligen Heimatlandes angesprochen 94 . Zum täglichen Geschäft der Auslandsvertretungen gehörte 111 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

ferner die Sammlung und Sichtung von Informationen über die Behandlung des Kriegsschuldthemas in der öffentlichen Meinung ihrer Gastländer. Man unterrichtete Berlin, »welche Angriffe vorzugsweise von dort aus gegen uns gerichtet werden [und] welche Art der Abwehr dem dortigen Volkscharakter angepaßt erscheint« 95 . Daneben wurden alle aus der Reichshauptstadt eintreffenden Nachrichten, Presseartikel und Broschüren ausgewertet, zum Teil in die Sprache des Gastlandes übersetzt und über Vertrauensleute in der einheimischen Presse lanciert oder an Interessenten weitergegeben 96 . Die Vertretungen waren dazu allem Anschein nach gut gerüstet. Einer ihrer Beamten war ständig mit der Schuldfragenproblematik beschäftigt 97 . Für die entsprechende Qualifikation hatte das AA gesorgt. Bereits seit Ende 1919 fanden entsprechende interne Schulungen, namentlich für jüngere Beamte statt 98 . Wie nicht anders zu erwarten, lag über dieser Aktivität das Gebot strengster Diskretion. Sowohl das AA als auch seine Außenstellen achteten sorgfältig darauf, sich aus der eigentlichen Kontaktpflege herauszuhalten. Man wollte den mancherorts gegen die deutsche »Kriegsschuldforschung« geäußerten Vorwurf der »Offiziösität« nicht Nahrung liefern. Dies m u ß t e - u m ein Beispiel zu liefern - auch der mit der Zentralstelle in enger Verbindung stehende eidgenössische Publizist Matthias Morhardt erfahren, der die deutsche Reichsregierung im Sommer 1928 direkt um Hilfe für seine einschlägige »Aufklärungsarbeit« in Frankreich bat. Das AA legte der für den Vorgang verantwortlichen Reichskanzlei dringend nahe, dem französisch sprechenden Nordschweizer, den es als »pazifistisch gerichteten extremen Linken« einstufte, gar nicht erst zu antworten. Eine offizielle Stellungnahme zu der gegen die französische Regierung gerichteten Propagandaarbeit Morhardts ließ nach Ansicht des Amts außenpolitische Friktionen und eine Verhärtung der französischen Position in der Kriegsschuldfrage befürchten 99 . In eine ähnliche Richtung zielten die Bemühungen, die zur Mitarbeit gewonnenen ausländischen Persönlichkeiten nicht dem Verdacht allzu starker Deutschfreundlichkeit auszusetzen. Exemplarisch sei hier der Fall des Senators Owen erwähnt, der sich im amerikanischen Repräsentantenhaus wiederholt für eine offizielle Stellungnahme der USA zum Kriegsschuldproblem eingesetzt hatte 100 . Nach dem Wunsch des AA sollten die Bestrebungen Owens in der einschlägigen deutschen Publizistik keine umfassende Erörterung erfahren. Was sich für die Beeinflussung der öffentlichen Meinung vor allem im »neutralen Ausland« anbot-die Darstellung des Senators als »Bahnbrecher« einer internationalen Verständigung in der Kriegsschuld---ge - erschien für Deutschland selber nicht geraten. Ein ähnlicher Tenor in der deutschen Presse, so die amtsinternen Überlegungen, würde Owen in den »Geruch eines pro-german« bringen und die Bedeutung seiner Bemühungen jenseits der deutschen Grenzen schmälern 101 . Der Appell zur Selbstbeschränkung vermochte sich freilich in der Praxis der deutschen ›Schuldfragenarbeit‹ nur begrenzt durchzusetzen. Insbeson112 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

dere die Zentralstelle veröffentlichte fast alle einschlägigen ausländischen Äußerungen, soweit sie nur apologetisch genug gefaßt waren 1 0 2 . Die Frage nach dem revisionspolitischen Gewicht der jeweiligen Veröffentlichungen trat demgegenüber merklich in den Hintergrund. In Verkehrung der ursprünglichen Zweck-Mittel-Relation wurde allein die wachsende internationale Resonanz zum Kriterium des Erfolgs stilisiert. Da Politiker und Publizisten der Weimarer Zeit die Zeitschrift der Zentralstelle sehr häufig als Zitat- und Argumentationsquelle für ihre Äußerungen zur Kriegsschuldfrage benutzten, verstärkte sich in der deutschen Öffentlichkeit der Eindruck, daß die Empörung über den Art. 231 des Versailler Vertrages im Ausland weitverbreitet und die Berechtigung der diesbezüglichen deutschen Forderungen international anerkannt sei. Die nüchternen Beamten der Wilhelmstraße teilten diese Auffassung nicht. Im Gegensatz zur Zentralstelle legten sie deshalb Wert darauf, auch Ausländer in die Kriegsschulddiskussion mit einzubezichen, die dem deutschen Standpunkt fernstanden und das selbst auf die Gefahr hin, daß man ›linientreue‹ Ausländer durch die Kontaktaufnahme verprellte. Kennzeichnend hierfür ist die Einladung an den renommierten amerikanischen Historiker Bernadotte E. Schmitt, nach Berlin zu kommen und mit deutschen Experten das Problem der Kriegsschuld zu diskutieren. Der vom deutschen Generalkonsulat in Chicago vermittelte Besuch kam im Juni 1928 zustande, obgleich die Zentralstelle gegen die Visite des ihrer Ansicht nach in der Schuldfrage »unbelehrbaren« Historikers protestierte 103 . V. Wegerers Hinweis auf die »Verärgerung der revisionistischen Freunde« um den amerikanischen Historiker Barnes konnte das AA nicht davon abhalten, Schmitt einen überaus freundlichen Empfang zu bereiten. Es chrte damit einen Wissenschaftler, der zwar die These von der »geteilten« moralischen Verantwortung am Kriegsausbruch vertrat, das Kaiserreich aber mit dem Hinweis auf die deutschen Kriegserklärungen als › Angreifen im völkerrechtlichen Sinne einstufte 104 . Schenkt man den Aufzeichnungen der Beamten Glauben, zahlte sich ihre Taktik aus. Nach dem Besuch in Deutschland habe Schmitt, so Legationsrat Schwendemann, seine Anschauungen »in vieler Hinsicht modifiziert« 105 . Schwendemann verschwieg hierbei freilich, daß man den amerikanischen Historiker ausschließlich mit Persönlichkeiten zusammengeführt hatte, die alle mehr oder weniger eindeutig die offizielle deutsche Linie vertraten. Schmitts Plan, auch Hermann Kantorowiez, dem wohl bekanntesten Opponenten gegen die deutsche Kriegsschuldpropaganda einen Besuch abzustatten, kam aufgrund geschickter amtlicher Regie nicht zustande 106 . Der internationalen Aufwertung des deutschen Standpunkts galt auch die Förderung der Thesen des renommierten amerikanischen Historikers Sidney Β. Fay. Das Amt kaufte beträchtliche Teile der Auflage des Fay'schen Buches »The Origins of the World War« 1 0 7 auf und ließ sie über die Zentralstelle, den ADV und die deutschen Auslandsvertretungen kostenlos an ausländische Interessenten verteilen. Auch hier wurde es als vorteilhaft 113 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

angeschen, daß Fay nicht als Protagonist der deutschen Seite galt. Zwar bezeichnete er die Mantelnote Clemenceaus als einen historisch längst widerlegten Mythos, hielt es aber ebenso für erwiesen, daß die Regierung Bethmann Hollweg »durch eigene Dummheit in die ruchlose und abenteuerliche Politik Österreichs verwickelt worden war« 1 0 8 . Die gegenüber der alliierten Kriegsschuldthese wie gegenüber der Vorkriegspolitik der Mittelmächte gleichermaßen distanzierte Haltung des amerikanischen Historikers stellte nach Ansicht des AA sicher, daß sein Werk nicht in den Verdacht kam, auf deutsche Veranlassung und auf deutsche Kosten entstanden zu sein. Allein deshalb schon waren die Thesen Fays für die Beamten eine »wertvolle Hilfe im Kampf gegen die Kriegsschuldlüge« 109 . Man übersah dabei großzügig, daß Fay und Schmitt, ebenso wie Barnes, mit ihren Arbeiten eigentlich auf die amerikanische Öffentlichkeit zielten. Als Anhänger einer Außenpolitik der ›splendid isolation‹ suchten sie die Fragwürdigkeit des seinerzeit moralisch begründeten amerikanischen Engagements für die Ententemächte nachzuweisen. Deshalb war ihnen besonders daran gelegen, die Widersprüche in der europäischen Bündnisstruktur von 1914 aufzudekken und Deutschland von der alliierten Kriegsschuldanklage weitgehend zu exkulpieren 110 . Insgesamt scheuten die Deutschen weder Kosten noch Mühen, um die einmal geknüpften Kontakte zu ausländischen Autoren aufrechtzuerhalten 111 . In diesem Zusammenhang sind die geschilderten Beispiele durchaus keine Einzelfälle. Auch Barnes wurde nach Deutschland eingeladen. Ihm zu Ehren veranstaltete der ADV in München einen Empfang, auf dem der bayerische Ministerpräsident Held (BVP) die Begrüßungsansprache hielt und dem Amerikaner für seine »mutige Forschertätigkeit« dankte 112 . Wie immer bei solchen Gelegenheiten kam es den deutschen Gastgebern darauf an, »daß die Herren einen guten Eindruck aus Deutschland mitnehmen« 113 . Gelang dies nicht auf Anhieb, suchte man es gewissermaßen in einem zweiten Anlauf nachzuholen. So im Fall des britischen Professors Raymond Beazley, eines der Labour Party nahestehenden Wissenschaftlers. Nach einer Meldung der deutschen Botschaft in London war Beazley enttäuscht von einem Deutschlandaufenthalt zurückgekehrt, weil die Ehrungen, mit denen er offenbar gerechnet hatte, ausgeblieben waren. Die Botschaft schlug deshalb vor, dem englischen Wissenschaftler noch nachträglich zu akademischen Würden zu verhelfen, »damit er seine Arbeit im Interesse der Aufklärung der Kriegsschuldfrage mit derselben Begeisterung fortsetzt wie bisher« 114 . Die Mobilisierungsbemühungen des AA reichten mithin weiter, als es der überschaubare Kreis der in den BM zu Wort kommenden Ausländer vermuten läßt. Deutscherseits trat man dabei vornchmlich an Wissenschaftler, Publizisten und Politiker heran, welche die Behandlung des Versailler Vertrages durch ihre jeweiligen Regierungen aus innen- oder außenpolitischen Gründen scharf kritisierten und deshalb die deutsche Initiative freudig be114 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

grüßten. Hinzu traten Persönlichkeiten, deren dezidiert deutschfreundliche Haltung weithin bekannt war. Zur ersten Gruppe gehörten u. a. der englische Pazifistenführer E. D. Morel 115 , die bekannten amerikanischen Professoren Harry E. Barnes, M. H. Cochran, Sidney B. Fay und William Langer 1 1 6 sowie die französisch sprechenden Wissenschaftler und Publizisten Dujardin, Fabre-Luc, Ebray, Margueritte und Morhardt 1 1 7 . Für die zweite Gruppe standen die Amerikaner Owen und Shipstead, der norwegische Publizist Aall, der Holländer Jaspike, der Serbe Boghitschewitsch und nicht zuletzt Ernst Sauerbeck, der erste Leiter der Zentralstelle. Trotz des gewiß beträchtlichen Aufwands für die »Auslandsaufklärung« blieben direkte Geldzuwendungen an Einzelpersonen eine Ausnahme. Die Akten des AA belegen nur einen einzigen Fall, in dem finanzielle Mittel ins Ausland flossen, ohne daß deren Verwendungszweck von den Beamten jederzeit kontrolliert werden konnte. Empfänger dieser Gelder war eine französische Oppositionsgruppe um den Historiker Victor Magueritte, die den Kampf gegen Poincaré und seine politischen Freunde auf ihre Fahnen geschrieben hatte. Margueritte unternahm in den 20er Jahren beträchtliche Anstrengungen, um Poincaré, der während der Julikrise 1914 das Amt des französischen Staatspräsidenten bekleidet hatte, die Hauptverantwortung für den Kriegsausbruch anzulasten. Die Kampagne sollte den französischen Politiker innenpolitisch kompromittieren. In einer streng geheimen Aufzeichnung vom 9. März 1925 unterbreitete das Kriegsschuldreferat Außenminister Stresemann den Vorschlag, die geschilderten Bemühungen durch eine deutsche Finanzhilfe zu fördern. Eine Unterlassung dieser »Unterstützungsaktion« betrachtete das Referat als ein »unverzeihliches Versäumnis«, da ein propagandistischer Erfolg Marguerittes die alliierte Kriegsschuldthese in der französischen Öffentlichkeit ins Wanken bringen könne 118 . Allem Anschein nach stieß der Vorschlag in der Reichsregierung auf Zustimmung. Nachdem sich selbst Reichskanzler Luther beim Reichsfinanzministerium für den Plan des Kriegsschuldreferats verwendet hatte, bewilligte der Reichsfinanzminister am 2. April 1925 500 000 RM für diesen besonderen Zweck 1 1 9 . Die Förderung der Margueritte-Gruppe verweist auf das über die individuelle Unterstützung einzelner Autoren hinausreichende Ziel der Auslandsarbeit. Geplant war die Bildung möglichst eigenständiger Auslandsorganisationen, die der Zentralstelle und dem ADV Schützenhilfe leisten sollten. Als ein Schritt in diese Richtung läßt sich die von dem Münchener Publizisten Hermann Lutz verfaßte und vom AA finanzierte Denkschrift »An Appeal to British Fair Play« interpretieren, die Anfang 1924 an 5000 ausgewählte englische Adressen versandt wurde. Sie enthielt die Aufforderung, qua Unterschrift die bekannte deutsche Forderung nach Klärung der Kriegsschuldfrage durch eine internationale Kommission zu unterstützen 120 . Ebenso wie seinem französischen Pendant, dem im Herbst 1925 von Victor Margueritte verfaßten »Appell aux Conscienees« war dem Lutz-Aufruf nur 115 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

geringer Erfolg beschieden 121 . Für England wurden 120 und für Frankreich 102 Unterschriften gezählt. Unbefriedigend blieben auch die Mobilisierungserfolge des »Niederländischen Kommittees zur Erforschung der Kriegsursachen« 122 und der »Neutralen Kommission Norwegens zur Untersuchung der Kriegsschuld«. Beide Einrichtungen unterhielten enge Bezichungen zur Zentralstelle: Die norwegische Kommission stand außerdem über ihren Leiter Herman Harris Aall in mehr oder weniger direkter Verbindung zum AA, das einige Propagandaaktionen der Skandinavier finanzierte123. Aall, der aus seiner Anglophobie keinen Hehl machte und Öffentlich für die Befreiung der germanischen Staaten von der britischen »Weltdespotie« eintrat, wurde in der deutschen Presse hochgeschätzt. Das renommierte »Berliner Tageblatt« apostrophierte sein Unternehmen als »unparteiisch« und ihn selber als einen »Forscher der nüchternen Argumentation« 1 2 4 . Das entsprechende Urteil der Wilhelmstraße fiel weit weniger schmeichelhaft aus, es enthüllte den instrumentellen Charakter, den der Norweger für das AA besaß. Stieve bezeichnete Aall in einem Schreiben an die deutsche Gesandtschaft in Oslo als ein »weltfremdes Kind«, das unter allen Umständen bei guter Laune gehalten werden müsse 1 2 5 . Die Hoffnungen der offiziellen deutschen Stellen, daß sich die AallKommission zu einer »moralischen Macht von zweifelloser politischer Neutralität« entwickeln würde 1 2 6 , erfüllten sich allerdings nicht. Mehr als eine bescheidene Enquete 127 ohne größere öffentliche Wirkung brachten die Skandinavier nicht zuwege. Zwangsläufig mußten sich die Deutschen daher nach anderen Mitteln und Wegen umschen, um ihre Auslandsarbeit auf eine breitere personelle und institutionelle Grundlage zu stellen. Pläne hierzu lagen einer Konferenz deutscher, österreichischer, ungarischer und bulgarischer »Kriegsschuldforscher« zugrunde, die auf Initiative der Zentralstelle vom 15. bis 19. April 1926 in Berlin tagte 128 . Unter Vorsitz des ehemaligen Staatssekretärs im AA, v. Hintze, erörterten die Gesprächsteilnehmer, die alle in mehr oder weniger direktem Kontakt zu ihren jeweiligen Regierungen standen, das Kriegsschuldproblem und die Minderheitenfrage. Den Mittelpunkt der Diskussionen bildeten die Möglichkeiten und Grenzen einer koordinierten Revisionspropaganda auf diesen Gebieten. Dabei faßte man die Einrichtung bzw. Ausgestaltung von »Kriegsschuldinstituten« in Österreich, Ungarn und Bulgarien ins Auge. Diese sollten mit der Zentralstelle eng kooperieren. Als unabdingbare inhaltliche Voraussetzung jeder Zusammenarbeit einigten sich die Gesprächspartner darauf, »wechselseitige Beschuldigungen zwischen den von den Friedensverträgen mit der Kriegsschuld belasteten Ländern« fortab zu unterlassen. Außerdem erklärten sich die ausländischen Gäste bereit, die deutschen Forderungen nach Öffnung der alliierten Archive und nach Klärung der Schuldfrage durch eine internationale Kommission künftig stärker herauszustellen 129 . Die Finanzierung der angestrebten Ausweitung der Kriegsschulddebatte 116 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

auf Österreich, Ungarn und Bulgarien und die Kosten für die Einrichtungen einer Sachverständigenkommission, deren Mitglieder »Weltautorität« genießen sollten, wurden bei der Berliner Zusammenkunft nur am Rande erörtert. Die genannten Probleme bildeten den Schwerpunkt zweier Besprechungen, die in der zweiten Jahreshälfte 1926 in Wien und in Budapest stattfanden. Hier kristallisierte sich der Gedanke heraus, das amerikanische »Carnegie Endowment of International Peace« mit einem entsprechenden Anliegen zu befassen. Durch die Zusage dieser weltberühmten Stiftung wäre neben der offenen Finanzierungsfrage mit einem Schlage die Lösung eines weiteren gravierenden Problems erheblich erleichtert worden: Gegen eine von der Carnegie-Stiftung finanziell getragene internationale Kriegsschuld-Konferenz hätte ein Propagandaverdacht erheblich schwerer formuliert werden können 1 3 0 . U m den skizzierten Plänen überhaupt Realisierungschancen zu eröffnen, mußte das Unternehmen gegenüber seinen potentiellen Finanziers getarnt werden. Diese Aufgabe übernahmen Hermann Lutz und Hans Draeger, der Geschäftsführer des ADV, während sich die Zentralstelle in dieser Planungsphase weitgehend zurückhielt. Sie wollte bei »schlechtem Ausgang der Angelegenheit noch die Chance haben, von wissenschaftlicher Seite irgendeine Behauptung anzufechten«. 131 . Lutz machte sich im Frühjahr 1927 daran, die bis dahin nur vage umrissenen Pläne konkret auszugestalten. Dabei schälten sich folgende Projektschwerpunkte heraus: 1. Die Ausarbeitung von Gutachten über die Vorgeschichte des Krieges, als deren Verfasser Angehörige aller chemals am Weltkrieg beteiligter Staaten gewonnen werden sollten. 2. Die Schaffung eines mehrsprachigen Publikationsorgans mit dem Titel »Kriegsursachen«. 3. Die Gründung des bereits erwähnten Sachverständigenausschusses 132 . Das Konzept wurde im Sommer 1927 im Umkreis des ADV diskutiert und um personelle Vorschläge für die Besetzung des Sachverständigengremiums erweitert. Als Gutachter bzw. Sachverständige benannte man dabei ausschließlich Persönlichkeiten, die der deutschen Argumentation nahestanden oder sich, wie die Herausgeber des britischen Aktenwerkes, Temperley und Gooch, bzw. der Franzose Renouvin, in dieser Bezichung weitgchend verständigungsbereit gezeigt hatten 133 . Der Anteil der potentiellen deutschen Diskussionsteilnehmer wurde bewußt niedrig angesetzt, um nicht den Eindruck zu erwecken, »daß wir mit großer Majorität in diesen Ausschuß eindringen wollen«. In die gleiche Richtung zielte der Vorschlag, Fay den Vorsitz in der geplanten Sachverständigenkommission anzutragen. Insgesamt war der den für die Geldvergabe verantwortlichen Stellen im Herbst 1927 eingereichte Entwurf ganz darauf abgestimmt, das wissenschaftliche Interesse an einer Klärung der Schuldfrage in den Vordergrund zu stellen und politische Motive möglichst nicht anklingen zu lassen. Wie 117 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

Draeger an Heinrich Schnee, den Präsidenten des ADV, schrieb, lag es in der Absicht der Deutschen, den Amerikanern ein Konzept vorzulegen, das »beinahe als ein Entwurf der Carnegie-Stiftung und nicht als ein Vorschlag von deutscher Seite . . . anzusehen ist« 1 3 4 . Nicht zuletzt deshalb stand man beinahe während der gesamten Planungsphase in Verbindung mit Professor Shotwell, dem Leiter der »Division of Economies and History« innerhalb der Carnegie-Stiftung 135 . Die Bemühungen erwiesen sich jedoch als erfolglos. In einer wortreichen Erklärung lehnte es die Stiftung ab, das Projekt zu finanzieren. Es mutete dabei wie Ironie an, daß der im Projektentwurf betonte wissenschaftlichhistorische Charakter des Vorhabens und das bewußte Herunterspielen des (revisions)politischen Interesses seiner Initiatoren die ablehnende Haltung der Amerikaner noch gefordert zu haben scheinen. Bedauernd referierte Shotwell, der sich den deutschen Vorschlägen gegenüber immer »zugänglich« gezeigt hatte, die Ansicht der Stiftung: »The Endowment is not inclined to spend anymore of its very limited budget upon seientific investigations of the character proposed, believing that the time is at hand when we must face rather the problems of the present and future which are in themselves exceedingly difficult and bear directly upon the maintenance of good relations beetween the civilized nations. The purely historical aspect, and this should be purely historical, if it is to be critically done, does not appeal the Carnegie Endowment trustees«. 136 . 5. Die Zentralstelle und der Nationalsozialismus Bis zur Machtübernahme Hitlers arbeitete die Zentralstelle cher noch intensiver mit dem altbewährten, aber eng begrenzten Stamm von Autoren zusammen. Große Wahlmöglichkeiten blieben ihr auf diesem Gebiet allerdings nicht, da sich die ursprünglich engagierten deutschen Historiker, wie bereits erwähnt 137 , immer stärker aus der Kriegsschulddiskussion zurückzogen. In den Jahren nach 1933 zeigten sich dann auch immer weniger Ausländer bereit, der Zentralstelle Artikel und Berichte zur Verfügung zu stellen 138 . Gutenteils politisch links eingestellt waren sie nicht geneigt, den reibungslosen Übergang des Wegerer-Instituts in den nationalsozialistischen Staat zu tolerieren, zumal v. Wegerer selber den neuen Reichskanzler als ein »leuchtendes Vorbild« im Kampf gegen die »Kriegsschuldlüge« herausstellte 139 . Ein Blick auf die Abonnenten der BM verdeutlicht diese Auszehrungstendenzen. Nach Angaben des AA ging ihre Zahl von einigen tausend Personen auf knapp vierhundert zurück 140 . Hier spiegelte sich gleichfalls die nachlassende Relevanz der Kriegsschuldfrage wider, die nach der faktischen Aufhebung der Reparationsverpflichtungen des Reiches durch die Lausanner Konferenz von Juni/Juli 1932, nach Anerkennung der militärischen Gleichbe118 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

rechtigung Deutschlands im Dezember desselben Jahres und nach den erfolgreichen Attacken Hitlers auf das Versailler Vertragswerk im Herbst 1933 nur noch als Quantité négligeable angeschen wurde. Die offizielle Zurücknahme der deutschen Unterschrift unter das Schuldanerkenntnis durch den nationalsozialistischen Reichskanzler im Januar 1937 vollzogen und vom Ausland kaum beachtet 141 , markierte schließlich das Ende des Kampfes gegen den Art. 231. In einem Schreiben des AA an das Reichskriegsministerium vom 24. Mai 1937 heißt es dazu: »Das Ziel der Schuldfragenarbeit, Deutschlands Verfehmung durch die Kriegsschuldlüge entgegenzuarbeiten und dem Revisionsgedanken zum Siege zu verhelfen, kann heute als erreicht gelten. Politische Bedeutung kommt der bisherigen Methode im Schuldkampf nicht mehr zu« 142 . Folgerichtig wurde die Zentralstelle zum 1. Januar 1937 aufgelöst. Die Liquidation des Instituts fiel den Beamten um so leichter, als sie schon seit geraumer Zeit ernsthafte Zweifel an der Effizienz der dort geleisteten Arbeiten hegten. Wie Werner Frauendienst vom Kriegsschuldreferat im Juni 1936 monierte, hatte die Zentralstelle nach 1933 ihren Personalbestand zwar »unverhältnismäßig« vergrößert, die Konzeption der BM aber »ungebührlich« vernachlässigt. Verantwortlich hierfür zeichne der Leiter des Instituts selber, dessen Arbeitskraft durch »Privatarbeiten« absorbiert werde und der durch seinen maßlosen persönlichen Ehrgeiz und seine Empfindlichkeit erreicht habe, daß kaum noch ein Gelehrter bei ihm mitarbeite 143 . V. Wegerer hat sich, wie nicht anders zu erwarten, heftig gegen diese Angriffe zur Wehr gesetzt und dabei die unverkennbar gesunkene Bedeutung des Kriegsschuldproblems mit markigen Worten zu verschleiern versucht. Seiner Ansicht nach verlangte die Ehre der Nation die vorbehaltlose Beseitigung des Versailler Verdikts. Hier gebe es kein Vergessen und keine Versöhnung. In diesem Sinne schlug er vor, die bislang als private Einrichtung geltende Zentralstelle in eine »Reichsstelle« umzuwandeln, da nur dies der Bedeutung einer großen nationalen Frage im Neuen Reich angemessen sei 144 . Die Beschwerden und Vorschläge v. Wegerers konnten jedoch die Auflösung seines Instituts nicht mehr verhindern 145 . Lediglich die BM wurden unter der Leitung seines langjährigen Mitarbeiters, August Bach, fortgeführt. In Anlehnung an die seit Anfang 1930 im AA bestehenden Pläne sollte die Zeitschrift in Zukunft der allgemeinen historischen Erforschung der Vorkriegs- und Kriegsgeschichte dienen und ihre bisherige Beschränkung auf die Julikrise und den Kriegsausbruch aufgeben. Eine solche Lösung erschien den Beamten angesichts der innen- und außenpolitischen Situation in der zweiten Hälfte der 30er Jahre angemessen. In ihren Augen bestand zwar kein aktuelles politisches Interesse an der Kriegsschuldproblematik, andererseits befürchteten sie jedoch, wie es in einer Aufzeichnung Stieves hieß, daß der völlige Abbau des »wissenschaftlichen Kampfes um die deutsche Ehre« auf weite deutsche Bevölkerungskreise befremdlich wirken könnte 146 . 119 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

II. D e r » A r b e i t s a u s s c h u ß D e u t s c h e r V e r b ä n d e « (ADV)

1. Organisationsstruktur und Finanzierung Der im April 1921 unter der Regie des AA gegründete »Arbeitsausschuß Deutscher Verbände« 147 konnte in der Öffentlichkeit schon nach relativ kurzer Zeit mit sehenswerten Organisationserfolgen aufwarten. Bereits ein Jahr nach seiner Gründung meldete er den Anschluß von ca. 500 bis 600 Verbänden; 1931 gehörten ihm 1700 bis 2000 Verbände und andere Einrichtungen an 148 . Eine Analyse der Organisationsstruktur des ADV relativiert freilich die Bedeutung dieses auf den ersten Blick imposanten Mitgliederzustroms. Die meisten der angeschlossenen Verbände und vor allem ihre Mitglieder dürften sich der Zugehörigkeit zum ADV gar nicht recht bewußt gewesen sein. Im Grunde genommen waren nämlich nicht sie, sondern ihre jeweiligen Spitzenorganisationen als korporative Mitglieder in der »Deutschen Revisionsbewegung«, wie sich ADV und Zentralstelle nannten, vertreten. Auch diesen erwuchsen keine größeren Verpflichtungen, was den Willen zum Beitritt erheblich gefordert haben dürfte. Nicht einmal regelmäßige und obligatorische Mitgliederbeiträge kannte die ADV-Satzung 149 . Immerhin repräsentierten die angeschlossenen Spitzenorganisationen einen beträchtlichen Teil des deutschen Verbandswesens. Die Mitgliedschaft reichte vom »Deutschen Städtetag« über den »Caritas-Verband«, den »Internationalen Weltbund für die Freundschaftsarbeit der Kirchen« bis zu den Kriegervereinen und von den Lehrerverbänden bis zu den Jugendverbänden bzw. den Studenten- und Burschenschaften. Die Wirtschafts- und Landwirtschaftsverbände des Reiches waren ebenso vertreten wie die Spitzenorganisationen der Banken und die Handels- und Handwerkskammern. Natürlich fehlten auch die Organisationen nicht, die seit dem Versailler Frieden den propagandistischen Kampf gegen die »Kriegsschuldlüge« auf ihre Fahnen geschrieben hatten. Der »Deutsche Schutzbund«, der »Deutsche Frauenausschuß zur Bekämpfung der Kriegsschuldlüge«, der Volksbund »Rettet die Ehre«, Bremen und der »Aufklärungsausschuß Berlin« gehörten zu den aktivsten Organisationen. Mit den »Vereinigten Vaterländischen Verbänden« war die extreme Rechte in den Arbeitsausschuß integriert, während das vielfältige Verbandswesen der sozialdemokratisch orientierten Arbeiterbewegung mehr oder weniger deutlich auf Distanz blieb. Dafür gehörten die Christlichen Gewerkschaften und die liberalen Hirsch-Dun120

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ckerschen Gewerkvereine mit ihren Arbeiter- und Angestelltengliederungen dem ADV an 1 5 0 . Nahezu der gesamte Schriftverkehr des ADV lief über die Berliner Geschäftsstelle, die auch einen Großteil der umfangreichen Propagandavorhaben abwickelte. Sie war die eigentliche Kommandozentrale der Organisation, blieb aber über die Jahre der Republik hinweg personell schwach besetzt. Außer den jeweiligen Geschäftsführern gehörten ihr selten mehr als fünf Mitarbeiter an 151 . Die Geschäfte führte in den ersten Jahren nach der Gründung Wilhelm v. Vietsch, ein Beamter des Reichswanderungsamtes, der eigens zu diesem Zweck von seiner vorgesetzten Behörde beurlaubt worden war. Man hatte v. Vietsch mit der Aufgabe betraut, die neue Organisation, deren Präsident Frhr. v. Lersner seine Sympathien für die politische Rechte nur schwer verbergen konnte, auf dem von den amtlichen Stellen gewünschten Kurs zu halten 152 . Er schied jedoch schon imJuli1923, kurz nach seiner Ernennung zum Kurator der Universität Breslau, aus den Diensten des ADV aus. Sein Amt wurde interimistisch von den Leitern der Aus- und Inlandsabteilung, Wilhelm v. Schweinitz und Hans Draeger, verwaltet, che es am 1. April 1924 endgültig an den letzteren überging 153 . Draeger, der von der »Rheinischen Volkspflege« zum ADV gestoßen war, sollte die Geschäftsführung bis zur Auflösung des Arbeitsausschusses im Jahre 1937 behalten. Er entwickelte sich zur führenden Kraft im ADV und erwarb dadurch sowohl bei den angeschlossenen Verbänden als auch in der Wilhelmstraße hohes Ansehen. Im September 1931 avancierte der inzwischen zu Ehrendoktorwürden gelangte Geschäftsführer zum Vizepräsidenten des ADV 1 5 4 . Der Rücktritt v. Lersners im Winter 1924, dem scharfe interne Querelen vorausgegangen waren 155 , bescherte dem ADV nicht nur seinen zweiten und gleichzeitig letzten Präsidenten, den DVP-Abgeordneten und ehemaligen Gouverneur von Deutsch-Ostafrika, Heinrich Schnee156. Auch eine Umorganisation wurde nunmehr ernsthaft ins Auge gefaßt. Die bis dahin als »Parlament der Verbände« fungierende Vollversammlung wurde zu einem Kuratorium erweitert, dem die eingangs erwähnten Spitzenorganisationen des bürgerlichen Verbandswesens und der nicht-sozialistischen Gewerkschaften angehörten157. Als oberstes Gremium bekam das Kuratorium nach der Satzung die Aufgabe zugewiesen, die politischen und organisatorischen Richtlinien der Arbeit festzulegen und in geregelten Abständen den Präsidenten zu wählen. Nennenswerten Einfluß auf die Verbandspolitik gewann die ›Hauptversammlung‹ des ADV allerdings nie. Dafür sorgte schon das AA, das die entsprechende Richtlinienkompetenz erfolgreich verteidigte. Das gleiche gilt auch für den mit der Neuorganisation geschaffenen parlamentarischen Beirat und für den zur gleichen Zeit gebildeten Finanzausschuß. Beide erfüllten letzten Endes Repräsentationsfunktionen. Der parlamentarische Beirat, ein Gremium, dem beinahe ausschließlich bürgerliche Politiker an121 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

gehörten, hatte die Aufgabe, dem ADV im parlamentarischen Bereich Freunde zu schaffen und bei den einzelnen politischen Parteien für die überparteiliche Ausschußarbeit zu werben. Dem Finanzausschuß, in dem vornchmlich verbandspolitisch exponierte Unternehmer, Manager und Bankiers vertreten waren, oblag die Kontrolle aller Propagandaausgaben. Seine eigentliche Aufgabe sahen ADV-Präsidium und AA jedoch darin, möglichst enge Kontakte zu führenden Kreisen der deutschen Wirtschaft zu knüpfen und dadurch das Spendenaufkommen des Arbeitsausschusses zu erhöhen 158 . Insgesamt erwies sich das nur lose geknüpfte Organisationsnetz des ADV als ein doppelter Vorteil. Einerseits konnte über die Apparate der einzelnen Mitgliedsverbände eine breit wirkende Propaganda abgewickelt werden, andererseits sicherte sich die Berliner Zentrale hierdurch eine relativ starke Autonomie gegenüber den angeschlossenen Organisationen 159 . Damit war eine Konstruktion gefunden worden, die es dem ΑΑ ermöglichte, auf die deutsche Kriegsschuld- und Revisionspropaganda entscheidenden Einfluß zu behalten. Die Berliner Organisation bezog ihre Gelder zum einen direkt aus dem AA, zum anderen aus behördlich genchmigten Sammelaktionen und zum dritten aus privaten Spenden 160 . Schon in diesem Zusammenhang bedarf jedoch das Urteil Fritz Fischers, wonach der ADV hauptsächlich von der deutschen Industrie bezahlt worden sei 161 , der Relativierung. Insgesamt flossen die Mittel der Unternehmer keineswegs so reichlich, wie das die spärliche Literatur über den Arbeitsausschuß bisher vermuten ließ. Es scheint, als hätten gerade die maßgebenden deutschen Wirtschaftskreise über lange Zeit der »Revisionsbewegung« cher reserviert gegenübergestanden. Trotz zahlreicher einschlägiger Spendenaufrufe, für die man in der Regel die Unterschrift bekannter Industrieller, Kaufleute und Bankiers gewann 162 , finden sich in den Akten eine Reihe von ernstzunehmenden Belegen für die Unzufriedenheit der Berliner Geschäftsstelle über das ihrer Ansicht nach mangelnde finanzielle Engagement der deutschen Wirtschaft 163 . Sucht man nach den Gründen für diese Zurückhaltung, wird man sicherlich an erster Stelle die enge Bindung des ADV an das AA ins Auge fassen müssen. In dieser Bezichung bestand offenbar ein untilgbarer Rest des Mißtrauens, das die Wirtschaft schon der Gründung des Arbeitsausschusses entgegengebracht hatte, noch in den 20er Jahren fort. Dies sollte sich grundlegend erst in den Monaten vor und nach dem Abschluß der Young-PlanVerhandlungen ändern. Mit der propagandistischen Wiederentdeckung der »Kriegsschuldlüge« durch die »Nationale Opposition« rückte der enge Zusammenhang von Kriegsschuld und Kriegsschulden auch in das Zentrum der Argumentation des deutschen Unternchmertums, und es häuften sich die Anspielungen auf die »Schmachparagraphen« 164 . Vor 1929jedoch scheint man in Unternehmerkreisen dem Kriegsschuld122 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

problem keine große Bedeutung beigemessen zu haben. In der Zeit vor und während der Dawes-Plan-Verhandlungen wurde die einschlägige Propaganda sogar für politisch inopportun gehalten, da sie die für notwendig erachtete Lösung der Reparationsfrage, später dann die Finanzierungsbereitschaft der umworbenen ausländischen Kreditgeber negativ zu beeinflussen drohte 165 . Ferner hat die Vielzahl der Organisationen, die trotz der Zentralisierungsbemühungen des ADV auf dem Gebiet der Kriegsschuld- und Revisionspropaganda tätig waren, der Spendenbereitschaft der Unternehmer enge Grenzen gesetzt. Vor allem in den Wirtschaftsverbänden herrschte, wie der Bayerische Industriellen-Verband an den ADV schrieb, »erhebliche Mißstimmung« über die »Zersplitterung« der deutschen »Revisionsbewegung«. Angesichts dieser Tatsache bestche, so der Verband, wenig Neigung, die eine oder andere Organisation finanziell zu unterstützen, nicht zuletzt, weil sich diese ohnehin gegenseitig bekämpften 166 . Um die »Moral und Wirtschaftlichkeit« des deutschen Verbandswesens zu sichern, legte die Fachgruppe Bergbau im RDI ihren Mitgliedern nahe, den an sie herangetragenen Unterstützungsgesuchen nicht ohne weiteres nachzukommen, sondern in allen Fällen, in denen es sich nicht um »bekannte und bewährte Einrichtungen« handele, die in Frage kommenden »Auskunftsstellen« um Hilfe zu bitten 167 . Als eine solche Auskunftsstelle galt fraglos der ADV. Dafür bürgten schon die Mitglieder seines Finanzausschusses, die - wie erwähnt - zu den führenden Persönlichkeiten der deutschen Wirtschaft zählten. Der RDI und die VDA warben ungeachtet der oben skizzierten Vorbehalte regelmäßig für den Berliner Arbeitsausschuß. In ihrer Verbandspresse figurierte der ADV als »Zentralstelle« für alle Propagandabestrebungen, die sich eine Revision des Versailler Vertrages zum Ziele gesetzt hatte 168 . Von daher darf die eingangs getroffene Feststellung, daß die Spenden der Wirtschaft keineswegs den in Berlin erwarteten Umfang erreichten, nicht darüber hinwegtäuschen, daß dem Arbeitsausschuß beträchtliche Summen aus Finanz- und Wirtschaftskreisen zugeflossen sind. Regelmäßige Beiträge kamen von den IG-Farbenwerken, der nordwestlichen Gruppe der Eisenund Stahlindustrie und den sogenannten D-Banken ein 169 . Daneben arbeitete der ADV - wie noch zu zeigen sein wird - eng mit dem »Aufklärungsausschuß« der Handelskammer Hamburg zusammen 170 . Ferner brachten eine ganze Anzahl von weiteren Unternehmen und Wirtschaftsverbänden in unregelmäßigen Abständen größere Summen auf. So wurden etwa im Frühsommer 1929, als die allgemeine Finanzmisere auch auf den Arbeitsausschuß übergriff, die Kosten für die ADV-Kundgebungen zum Zehnten Jahrestag des Versailler Vertragsabschlusses über private »Sonderspenden« beglichen 171 . Wesentlich mehr als die Kosten für die laufenden Propagandaaktionen konnte der ADV nach eigenem Bekunden durch die Spenden der Wirtschaft freilich nie abdecken 172 . Für die Aufrechterhaltung seiner Organisation, 123 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

d. h. für die Gehälter der Mitarbeiter, den Bürobetrieb u. ä., blieb er stets auf staatliche Zuschüsse bzw. auf anderweitige Finanzquellen angewiesen. Allein aus Etatmitteln des AA erhielt er bis 1924 jährlich 20000 RM, ein Betrag, der bis zum Abrechnungszeitraum 1928/29 auf 72000 RM anwuchs 1 7 3 . Diese Zuschüsse wurden in jedem Jahr einer Überprüfung und erneuten Festlegung unterzogen. Ihre jeweilige Höhe richtete sich vor allem nach dem Umfang der dem AA insgesamt zur Verfügung stehenden Mittel, nicht zuletzt aber wohl auch nach dem politischen Wohlverhalten des ADV. Finanziell stand der ADV somit in der Zeit der Weimarer Republik auf höchst unsicheren Beinen, was sich in der Weltwirtschaftskrise besonders negativ auswirken sollte. Die durch die rapide staatliche Sparpolitik bedingte 25%ige Kürzung des monatlichen Zuschusses von 6000 RM 1 7 4 , die das AA im Sommer 1929 veranlaßte, versetzte dem Arbeitsausschuß einen schweren Schlag. Hiervon erholte er sich erst, als die Reichsregierung aus Anlaß ihrer Offensive in der Abrüstungsfrage neue Mittel für die Agitation gegen den Versailler Vertrag bereitstellte 175 . Vor dem Hintergrund der permanent unsicheren Finanzlage verwundert es deshalb nicht, daß sich der ADV schon früh um die Bewilligung fester staatlicher Zuschüsse bemühte, deren Gewährung den Etat der Wilhelmstraße nicht tangierte. Im April 1925 trat Schnee an die Reichskanzlei mit der Bitte heran, dem Arbeitsausschuß einen jährlichen Betrag von 50000 RM »aus den Mitteln des Reiches« zur Verfügung zu stellen 176 . In der Begründung seines Antrags verwies der ADV-Präsident darauf, daß das »Ergebnis der privaten Werbung« für die überparteiliche und behördlich anerkannte Arbeit seiner Organisation nicht ausreiche. Schnees Bemühungen blieben jedoch erfolglos. Das Reichsfinanzministerium lehnte den Antrag »grundsätzlich und wegen der zu erwartenden Berufungen anderer, vergleichbarer Organisationen« ab 177 , obwohl sich sowohl das AA als auch die »Reichszentrale für Heimatdienst« für den Antrag stark gemacht hatten und Reichskanzler Luther im gleichen Sinne intervenierte 178 . Die Wilhelmstraße, die den Wert der ADV-Arbeit im Rahmen der vom Reich unterstützten »Aufklärungsbestrebungen« noch einmal nachdrücklich herausstellte, ließ in diesem Zusammenhang auch keinen Zweifel daran, daß sie zwar eine Entlastung des eigenen Etats und die Bereitstellung gesonderter Mittel für den ADV wünschte, keinesfalls aber daran dachte, die Kontrolle über die gewährten staatlichen Zuschüsse an das Präsidium des Arbeitsausschusses abzutreten. In dieser Bezichung schlugen die Beamten vor, die entsprechenden Beträge durch die AA-Presseabteilung zu leiten, »da von hier aus am leichtesten eine gewisse Kontrolle über die Verwendung der Mittel und die weitere Tätigkeit des Arbeitsausschusses ausgeübt werden kann« 179 . Nach dem Scheitern aller Versuche, gesonderte Mittel aus dem Reichshaushalt zur Verfügung gestellt zu bekommen, bemühte sich die Berliner Organisation verstärkt darum, ihre Finanzlage durch Straßensammlungen 124 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

und Lotterien aufzubessern. Doch auch dabei blieb man auf das Wohlwollen des AA angewiesen. Gemeinhin bedurften solche Aktionen der behördlichen Genehmigung, und die dafür zuständigen Landesämter verfuhren hier cher restriktiv. Erst die entsprechenden Referenzen der Wilhelmstraße eröffneten dem ADV den Zugang zu diesen Finanzquellen 180 , die sich nicht als übermäßig ergiebig erweisen sollten. Den zumeist am rechten Rande des politischen Spektrums agierenden Konkurrenzorganisationen des ADV blieb selbst dieser Weg verschlossen. Entsprechende Gesuche wurden von den zuständigen Behörden in den meisten Fällen abgewiesen. Die Landesämter erkundigten sich in der Regel beim AA nach der revisionspolitischen ›Bonität‹ der Antragsteller und erhielten von dort für gewöhnlich negative Auskünfte 181 . »Im Interesse der Einheitlichkeit des Vorgehens und zur Vermeidung schädlicher Zersplitterung« sei, beschied beispielsweise das Kriegsschuldreferat den Reichskommissar für Überwachung der öffentlichen Ordnung im September 1924, dem bayerischen »Kampfbund gegen die Kriegsschuldlüge« die erbetene Sammlungsgenchmigung zu verwehren 182 . Ihm und anderen vergleichbaren Zusammenschlüssen legte man nahe, dem ADV beizutreten, dessen Ziel es bekanntlich sei, »alle Vereine, die den Vertrag von Versailles bekämpften, zusammenzuschließen und seinerseits zu unterstützen« 183 . Der Arbeitsausschuß selber tat ein übriges, um Geldsammlungen der Konkurrenzorganisationen, da, wo sie ohne behördliche Genchmigung stattfanden, zu unterbinden. Allein dreimal führte er Klage gegen den alldeutschen Hamburger »Fichte-Bund« wegen Verstoßes gegen die »Verordnung zur Regelung der Wohlfahrt während des Krieges« vom 15. Februar 1917, die auch noch in der Weimarer Zeit als rechtliche Grundlage für Straßensammlungen und Lotterien galt 184 . Die Absichten, die man mit diesem restriktiven Kurs verfolgte, sind evident. Die nicht der »Revisionsbewegung« angeschlossenen Kriegsschuld- und Revisionsorganisationen sollten durch finanzielle Auszehrung entweder zur Aufgabe oder zum Anschluß an den ADV gezwungen werden. Mit einiger Berechtigung erkannte deshalb der »Fichte-Bund« in der Weigerung der Behörden, ihn an Straßensammlungen und Lotterien partizipieren zu lassen, eine Disziplinierungsmaßnahme. »Man will uns«, so sein Geschäftsführer, der Hamburger Verlagsbuchhändler Kessemeier, in einem offenen Brief an die Mitglieder, »das Werben neuer Freunde unmöglich machen, um unseren Kampf durch Abschnüren der Geldmittel erdrosseln zu können« 185 . Es bleibt demnach festzuhalten, daß die Finanzquellen und Finanzierungsmodalitäten, von denen der ADV abhängig war, die Zentralisierungstendenzen in der deutschen Kriegsschuldpropaganda erheblich förderten. Daneben determinierten sie ganz entscheidend den im großen und ganzen doch gemäßigten Propagandakurs des Arbeitsausschusses. Selbst dezidiert rechtsstehende Mitgliederorganisationen wie der »Deutsche Frauenaus125 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

schuß zur Bekämpfung der Kriegsschuldlüge« und der Bremer Volksbund »Rettet die Ehre« mußten sich nolens volens mit der Tatsache abfinden, daß bei einem Abweichen von diesem Kurs, dessen Grundlinien das AA bestimmte, die Lebensfähigkeit des ADV in Gefahr geriet. Ohne den Arbeitsausschuß war aber auch ihrer Agitation gegen den Versailler Vertrag auf längere Sicht jede Basis entzogen.

2. Die In- und Auslandspropaganda Auf der geschilderten organisatorischen und finanziellen Grundlage entwikkelte sich der ADV im Laufe der 20er Jahre zur eigentlichen »Frontorganisation« 186 der deutschen Kriegsschuld- und Revisionsagitation. Vielfältig wie die angeschlossenen Verbände waren dabei auch die Propagandamedien und -mittel, die der ADV benutzte, um die in- und ausländische Öffentlichkeit von der Bonität der materiellen und moralischen Revisionsforderungen des Reiches zu überzeugen. Die Auslandspropaganda der Berliner Geschäftsstelle stützte sich vornchmlich aufjene Mitgliedsverbände, die bereits jenseits der Reichsgrenzen einschlägige Erfahrungen gesammelt hatten. So stellte der Berliner Ausschuß »Entlastung« Kontakte zu den deutschamerikanischen Zeitungen »European Press« und »Stranger« her und sorgte dafür, daß allein von Januar bis August 1922 ca. 400 Artikel in die nordamerikanischen Presse lanciert wurden, in die der deutsche Kriegsschuldstandpunkt zumindest im »Unterton« Eingang fand 187 . Zu den maßgeblichen Trägern der Auslandsagitation zählten ferner die Vereine des Auslandsdeutschtums und der »Weltbund der Kirchen« 188 , vor allem aber die »Wirtschaftspolitische Gesellschaft/Berlin« und der »Aufklärungsausschuß« der Handelskammer Hamburg (später Hamburg-Bremen). In der Zeit des Ruhrkampfes gegründet hatte sich letzterer anfänglich der propagandistischen Unterstützung des sogenannten passiven Widerstands an Rhein und Ruhr gewidmet 189 , später dann aber sein Aufgabengebiet beträchtlich erweitert. Zunächst richtete sich die Agitation des Ausschusses, der aus Kreisen der Hamburger Wirtschaft und durch Zuschüsse zahlreicher Handelskammern finanziert wurde 190 , allein gegen den Versailler Vertrag und die dann enthaltene »Lüge von der deutschen Alleinschuld am Kriege«. Nach 1924 verstand er sich als Agentur zur »systematischen Durchdringung der gesamten Auslandspresse mit deutscher Kultur-, Wirtschafts- und Exportpropaganda« 191 . Dabei kamen auch die wirtschaftlichen Interessen Hamburgs nicht zu kurz. In seinen Werbeschreiben verwies der Ausschuß darauf, daß er intensiv darum bemüht sei, das »Hamburgische Prestige« im Ausland zu stützen und zu fördern192. 126 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

Das Hauptbetätigungsfeld des Ausschusses, zu dessen Präsidium neben ersten Hamburger Adressen 193 auch Persönlichkeiten gehörten, die wie Wilhelm Cuno und Max Warburg weit über die Grenzen der Hansestadt hinaus bekannt waren, lag zweifellos auf dem »Artikeldienst« für die ausländische Presse. Schenkt man den Berichten des Geschäftsführers Dr. Johannsen Glauben, versorgte die Organisation eine ganze Reihe von Zeitungen in Europa, Asien und Amerika monatlich mit kleineren und größeren Artikeln, deren Übersetzung in die jeweilige Landessprache sie zum großen Teil selbst finanzierte 194 . Zu den geographischen Schwerpunkten gehörten besonders die überseeischen Gebiete. Ein vertraulicher Bericht aus dem Jahre 1924 nennt hier u. a. Guatemala, Nicaragua, Honduras, El Salvador, Venezuela, Mexiko, Kuba, Uruguay, Argentinien, Brasilien, NiederländischIndien, Japan, Thailand, China und Südafrika. Intensiv gestaltete sich auch die Zusammenarbeit mit der nordamerikanischen Presse. Elf über das gesamte Gebiet der USA verstreute Großstadtzeitungen druckten in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen die Artikel, die der »Aufklärungsausschuß« geliefert hatte. In Europa wurde vornchmlich der Kontakt zu süd- bzw. südosteuropäischen und zu skandinavischen Zeitungen gepflegt. Spanien, Portugal und die Türkei aber auch Finnland und Schweden standen hier obenan auf der Verteilerliste. Schwächer gestaltete sich die Verbindung zur französischen, englischen und belgischen Presse. In diesen Ländern war man naturgemäß nicht eben sehr empfänglich für Artikel und Notizen mit eindeutig deutschfreundlicher Tendenz 195 . Einen instruktiven Einblick in den Umfang der Propagandatätigkeit vermittelt der Rechenschaftsbericht der Hanseaten für das Jahr 1929. In diesem Jahr gelang es ihnen 315 größere Einzelartikel in verschiedenen Organen der Auslandspresse unterzubringen. Hierzu trat der sogenannte kleine Artikel-, Notizen- und Fünfzeilendienst, dessen Quantifizierung die Geschäftsführung als »technisch nicht möglich« bezeichnete. Hier gab man lediglich Beispiele an; allein für das bevölkerungsarme Finnland wurden danach 150 Notizen und Nachrichten gezählt, die vom »Aufklärungsausschuß« vermittelt worden waren 1 9 6 . Wenngleich längst nicht alle diese Veröffentlichungen den Versailler Vertrag oder die Kriegsschuldfrage selber zum Thema hatten - wie vorn erwähnt nahm die Werbung für deutsche Exportgüter, die Importforderung und die Öffentlichkeitsarbeit für die Freie und Hansestadt Hamburg den breitesten Raum ein - dürften die meisten der zum Abdruck gelangten Artikel dennoch die aus deutscher Sicht unhaltbaren Rahmenbedingungen der Versailler Friedensordnung zumindest indirekt angesprochen haben. In diesem Zusammenhang beherzigte man in Hamburg, anders als etwa die Vereine der Auslandsdeutschen, deren nationalistische Propaganda vom AA häufig gebremst werden mußte, die von der Berliner Geschäftsstelle des ADV ausgegebenen Propagandaleitlinien. Nicht zuletzt deshalb arbeitete der Arbeitsausschuß mit den Hanseaten ungleich enger zusammen als mit 127 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

den meisten seiner übrigen Mitgliederverbände. Für die Gebiete Nordwestdeutschlands und Schleswig-Holsteins übertrug er ihnen sogar die »Werbeleitung« für die gesamte Kriegsschuld- und Revisionspropaganda 197 . Zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung in Deutschland selbst stellte der ADV Journalisten, Publizisten, Wissenschaftlern, Politikern und den angeschlossenen Mitgliedsorganisationen einschlägige Buchveröffentlichungen kostenlos zur Verfügung, deren Erscheinen er teilweise selbst initiiert, teilweise durch Bereitstellung von Druckkostenzuschüssen, Ankauf von beträchtlichen Auflagenanteilen oder Übersetzungen maßgeblich gefördert hatte 198 . Derselbe Personenkreis konnte sich außerdem durch die vom ADV herausgegebene Zeitschrift »Der Weg zur Freiheit« (WzF) 199 über den aktuellen Stand der Kriegsschulddiskussion informieren und dort neue Argumente zur Begründung der deutschen Revisionsforderungen gewinnen. Darüber hinaus wirkte der Arbeitsausschuß aber auch unmittelbar auf die Bevölkerung ein. Zu den Mitteln dieser direkten Propaganda zählte neben Broschüren und einer Unzahl von Zeitschriften- bzw. Zeitungsartikeln die Flugblattagitation. Es sollte sich jedoch recht bald zeigen, daß die Agitation via Flugblatt das Monopol, das der Arbeitsausschuß in der Festlegung der Propagandainhalte besaß, zu untergraben drohte. Die angeschlossenen Verbände bedienten sich ebenfalls dieses Werbemittels, um ihre oftmals vom ADV-Präsidium erheblich abweichenden Ansichten zur Kriegsschuld- und Revisionsfrage im Inund Ausland kundzutun. Nach dem Ruhrkampf 1923, der in jeder Bezichung den Höhepunkt der Flugblattagitation markierte, stellte der Arbeitsausschuß deshalb die Flugblattwerbung Zug um Zug ein und bediente sich ihrer nur noch in Ausnahmefällen. An die Stelle des Flugblattes trat jetzt die auflagenstarke Broschüre mit speziellem Zuschnitt auf bestimmte Adressatengruppen. Als Beispiel dafür kann die von dem Arbeiter-Dichter und Reichsbanner-Führer, Karl Bröger, verfaßte Broschüre »Versailles« dienen, die in ca. 800 000 Exemplaren vornchmlich in den oberen Klassen der deutschen Schulen verteilt wurde. Hierzu zählten auch das bereits erwähnte »Merkblatt zur Kriegsschuldfrage«, das eine Auflage von etwa 500000 Exemplaren erreichte, sowie der Kalender »Für Freiheit und Ehre« mit 100000 Exemplaren. Den Auflagenrekord hielt jedoch die Broschüre »Schuld am Kriege«, die in nicht weniger als 2,5 Mio. Exemplaren in der deutschen Bevölkerung verteilt wurde200. Die Zielrichtung dieses Umstiegs auf ein anderes Werbemittel liegt auf der Hand. Konzeption und Druck von Broschüren, zumal in den bezeichneten Auflagen, überstiegen bei weitem die personellen und finanziellen Möglichkeiten der einzelnen ADV-Mitgliedsverbände und verwiesen sie wieder stärker auf die vom Arbeitsausschuß bereitgestellten Materialien 201 . In eine ähnliche Richtung wiesen die Informations- und Schulungskurse, die die Berliner Organisation in mehr oder minder regelmäßigen Abständen für die angeschlossenen Verbände durchführte. Nicht zuletzt dank dieser Schulung 128 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

gehörten die Themenkomplexe Kriegsschuld und Revision zum festen Bestandteil der politischen Bildungsarbeit bürgerlicher Vereine und Verbände in der Weimarer Republik. Allein im Jahre 1925 wurden nach Angaben des ADV 1456 einschlägige Vorträge und Schulungen im Umkreis der angeschlossenen Organisationen gehalten 202 . Für die folgenden Jahre müssen ähnliche Größenordnungen angenommen werden. In der Zeitspanne vom Young-Plan-Volksbegeheren bis zur Machtergreifung Hitlers dürfte die Vortragstätigkeit sogar einen beträchtlichen Anstieg verzeichnet haben. Die Schulung verfolgte den Zweck, spezielle »Vertrauensleute«, welche die größeren der ADV-Mitgliedsverbände eigens für die Kriegsschuld- und Revisionspropaganda abgestellt hatten, auf ihre Aufgaben vorzubereiten. Hauptsächlich über die letzteren gelangten die von Berlin zumeist kostenlos zur Verfügung gestellten Materialien in die Bevölkerung. Krankenhäuser, Lesehallen, Wartezimmer von Ärzten und Rechtsanwälten sowie Aufenthaltsräume von Wirtschaftsunternehmen bildeten dabei die beliebtesten Orte zur Auslage der Werbemittel 203 . Der Mobilisierung der Bevölkerung dienten auch Ausstellungen, die unter einschlägigen Titeln wie »Die Weltverleumdung Deutschlands in Bild und Wort« in einigen Großstädten des Reiches gezeigt wurden und für die vielerorts renommierte Politiker als Schirmherren fungierten 204 . In die gleiche Richtung zielten die öffentlichen Kundgebungen, die der ADV vor allem in den kritischen Jahren nach 1921 organisierte. Dabei verstand es die Berliner Geschäftsstelle stets aufs neue, das Kriegsschuldthema zum Mittelpunkt gut besuchter Großveranstaltungen zu machen 205 . Zum wichtigsten Medium der ADV-Propaganda entwickelte sich jedoch die deutsche Presse. Nach eigenem Bekunden stand der ADV mit über dreißig Pressekorrespondenz-Büros in direkter Verbindung. Es existierten hier zum Teil feste Absprachen über regelmäßige Artikellieferungen. Schenkt man den Angaben der Berliner Geschäftsstelle Glauben, haben zeitweise bis zu 300 Zeitungen und Zeitschriften im gesamten Reichsgebiet die vom Arbeitsausschuß lancierten Artikel, Nachrichten und Notizen veröffentlicht. In manchen Monaten zählte man 1600 bis 1700 Nachdrucke, die keineswegs alle den politischen Teil der Presseorgane betrafen. Das Kriegsschuldproblem kam außerdem im Wirtschafts- und Kulturteil, ja selbst in den Unterhaltungsspalten der Weimarer Presse zur Sprache 206 . Die Propaganda machte auch vor einem der modernsten Nachrichtenmedien jener Zeit, dem Rundfunk, nicht Halt. In Zusammenarbeit mit der »Berliner Funkstunde« organisierte der ADV mehrere Vorträge zum Kriegsschuld- und Revisionsthema. Sein eigentliches Interesse richtete sich dabei auf die Unterhaltungssendungen des Hörfunks. Dies geht aus der Niederschrift einer vertraulichen Besprechung hervor, zu der Vertreter des Arbeitsausschusses mit Vertretern der »Rundfunk AG« am 24. September 1924 zusammentrafen. Vor allem mit Blick auf die »starke Beteiligung der Arbeiterschaft am Rundfunk«, hieß es im Protokoll, sei es erstrebenswert, 129 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

künstlerische Darbietungen und Unterhaltungssendungen für die vom ADV verfolgten Ziele nutzbar zu machen 207 . Unter den verschiedenen Bevölkerungsgruppen wurde insbesondere die Jugend an den Schulen und Hochschulen angesprochen. Hier trat der Arbeitsausschuß mit der programmatischen Zielsetzung an, »das Wissen von der Kriegsschuldfrage und über sie zum festen Bestandteil der politischen und historischen Bildung« zu machen 208 . Tatsächlich gelang es, die Unterrichtsverwaltungen einer ganzen Reihe von Reichsländern für die Arbeit der Berliner Organisation einzunehmen. Neben Bayern, das schon im Januar 1922 Materialien wie das mehrfach erwähnte »Merkblatt zur Kriegsschuldfrage« den Schulen zur Anschaffung empfahl, stuften auch Württemberg, Baden, Sachsen-Anhalt, Waldeck und die Hansestadt Lübeck die vom Arbeitsausschuß zur Verteilung gebrachten Bücher, Broschüren und Merkblätter als »Hilfslehrmittel« ein 209 . Zu den Ländern, die dieser Entwicklung reserviert gegenüberstanden, zählte vor allem Preußen. Unter dem Druck einer Reihe sozialdemokratischer Pädagogen, die gegen die vom ADV vorgenommene Beeinflussung des Schulunterrichts mit der Parole »Völkerverhetzung in der Schule«210 Front gemacht hatten, lehnten es die Landesbehörden ab, die Werbemittel des Arbeitsausschusses für die Gestaltung des Unterrichts zu empfehlen 211 . Dies tat freilich der Verbreitung der einschlägigen Propaganda in den preußischen Schulen keinen Abbruch 212 , da sich die Spitzenorganisationen der Weimarer Lehrerschaft, einschließlich der sozialdemokratischen Verbände, schon zu Ende des Jahres 1922 »in den Dienst der Bewegung« gestellt hatten und der ADV wie kaum eine zweite Organisation bemüht war, die Pädagogen mit Lehrmitteln zum Thema Weltkrieg zu versorgen 213 . Auch die Universitäten bezog der Arbeitsausschuß in seine Propaganda mit ein. Er initiierte die Gründung eines »Amtes für politische Bildung der deutschen Studentenschaft«, das nach eigenen Angaben an fast allen Universitäten und Hochschulen des Reiches Seminare und Vorträge über das Kriegsschuld- und Revisionsproblem veranstaltete 2 1 4 . Er arbeitete eng mit dem »Deutschen Hochschulbund« und dem »Verband der deutschen Hochschulen« zusammen und pflegte überdies den Kontakt zur Weimarer Professorenschaft bis hin zur Rektorenkonferenz der deutschen Hochschulen215. Als symptomatisch für die breite gesellschaftliche und politische Zustimmung, die der ADV in der Weimarer Republik fand, kann die Zusammenarbeit mit der »Reichszentrale für Heimatdienst« (RfH) gewertet werden; jener Institution, die in Weimar offiziell mit der staatsbürgerlichen Bildung betraut war. Beide Organisationen vereinbarten schon früh eine Art Arbeitsteilung. Danach sollte sich die ohnehin stärker innenpolitisch ausgerichtete RfH der Abwehr der Dolchstoßthese und der ADV dem »Kampf gegen die Kriegsschuldlüge« zuwenden 2 1 6 . Erst nach dem Young-PlanVolksbegehren und dem damit einhergehenden Rechtsruck der deutschen Kriegsschuldagitation kühlte das Verhältnis zwischen der Reichszentrale 130 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

und dem Arbeitsausschuß merklich ab. Gleichwohl ist es bezeichnend für die mangelnde politische Sensibilität einer so dezidiert republikanischen Institution wie der RfH, daß sie die Wirkungen der ADV-Propaganda lange Zeit nicht unter innenpolitischen Gesichtspunkten reflektierte. Es hätte sonst auffallen müssen, daß die teils vorsichtige, teils unverblümte Idealisierung der deutschen Vorkriegs- und Kriegspolitik, wie sie der ADV massenwirksam betrieb, die auf Stärkung des demokratischen Bewußtseins gerichtete Aufklärungsarbeit der RfH unterhöhlte.

3. »Unser gutes Recht«: Die Programmatik des ADV Die Kriegsschuldfrage stellte für den ADV, wie Draeger noch 1931 programmatisch formulierte, den »Dreh- und Angelpunkt« jeglicher Propaganda dar 217 . Folgerichtig finden sich in den Flugblättern, Artikeln und Broschüren des Arbeitsausschusses die Thesen wieder, die das WegererInstitut unter tatkräftiger Assistenz von Graf Montgelas bereits zu Beginn des »Schuldfragenkampfes« als gesicherte historische Erkenntnisse verbreitet hatte. Allerdings achtete die Berliner Organisation sorgsam darauf, den Inhalt ihrer Agitation auf die Erwartungen des jeweiligen Adressatenkreises abzustimmen. Nicht immer exkulpierte man deshalb die deutsche Seite so unverblümt wie in der ADV-Broschüre »Unser gutes Recht«, die im Sommer 1921 als erste sogenannte Rededisposition für die Mitgliedsverbände entwickelt wurde und die das Revanchestreben Frankreichs, den Expansionismus und Panslawismus Rußlands sowie die Furcht Englands um seine Vorherrschaft zur See als die eigentlichen Ursachen des Weltkrieges herausstellte 218 . Nur selten erreichte die ADV-Agitation die Deutlichkeit jenes Anfang Dezember 1923 entworfenen und in einer Auflage von 500000 Exemplaren verbreiteten »Merkblatts zur Kriegsschuldfrage«, das die Vorbereitung des Attentats von Sarajewo offiziellen serbischen Stellen unterstellte und den Ententemächten anlastete, den österreichisch-serbischen Konflikt nach einem »längst vorliegenden Plan« in eine Weltkrise gesteuert zu haben 219 . Für die Auslandsarbeit wählte man einen sehr viel vorsichtigeren Ton und suchte sich mit Polemik gegen die ehemaligen Kriegsgegner nach Möglichkeit zurückzuhalten. In aller Ausführlichkeit kamen dafür insbesondere prodeutsche Ausländer wie Barnes, Margueritte und Morel zu Wort, die eine breite internationale Solidarisierung mit der deutschen Kriegsschuldargumentation suggerieren sollten 220 . Der Anschein »wissenschaftlicher Sachlichkeit« und Objektivität, den sich das verbreitete Material gab, diente dazu, die Wirkung der ADV-Thesen besonders im neutralen Ausland zu erhöhen und die internationale öffentliche Meinung für die deutschen Begehren einzunehmen 221 . Aus dem gleichen Grund wurden die einschlägigen 131 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

deutschen Kernforderungen wie etwa der Ruf nach Öffnung der Archive aller am Krieg beteiligter Staaten oder die Propagierung einer internationalen Kommission zur Klärung der Kriegsschuldfrage nicht als politische, sondern als moralische Ansprüche deklariert 222 . Man berief sich auf die Völkerbundssatzung und warf den Siegermächten vor, die Versailler Übereinkunft, gerade was ihre auf internationale Gleichberechtigung und rationale Konfliktregelung Bezug n e h m e n d e n Passagen anbetraf, gröblich zu mißachten 223 . Das bedeutete allerdings nicht, daß der ADV in dieser Zeit die materiellen deutschen Revisionsforderungen aus den Augen verlor. Im Gegenteil, speziell die Reparationsfrage, die Rheinlandräumung und die Situation der deutschen Minderheiten standen im Mittelpunkt einer Vielzahl von ADVPublikationen 224 . Man vermied es jedoch, diese Themen mit der Kriegsschuldfrage zu verkoppeln. Für letztere galt, was Stieve schon am 23. Mai 1922 in seinen »Richtlinien für die Aufklärungsarbeit« formuliert hatte. Die Propaganda des ADV sollte im Ausland vor allem die Überzeugung wekken, »daß die Schuldfrage durch den Spruch von Versailles in keiner Weise definitiv gelöst [ist] und daß die Behauptung von der Alleinschuld Deutschlands mehr und mehr an Boden verliert« 225 . Für die Inlandspropaganda des ADV galten dagegen andere Regeln. Sie gerierte sich, wie schon die vorn skizzierten Thesen zur Kriegsverantwortung der europäischen Mächte zeigen, weitaus verbalradikaler als die Auslandsagitation. Allerdings vermied auch sie die einfache Umkehrung des Urteils der Siegermächte vom 16. Juni 1919. Insofern fehlte der ausdrückliche Hinweis auf die ›Alleinschuld‹ der ehemaligen Kriegsgegner bzw. auf die ›Unschuld‹ des Reiches in den allermeisten im Inland verbreiteten Materialien. Man zog statt dessen den Umweg über die gezielte Insinuation vor. Der bewußte Kriegswille der Entente und damit ihre alleinige Verantwortung für die Eskalation der Julikrise wurde in vielen Fällen nicht etwa expressis verbis konstatiert, sondern ergab sich - gewissermaßen zwischen den Zeilen - aus der höchst apologetischen Auswahl, Anordnung und Kommentierung der für die Propaganda aufbereiteten Daten, Fakten und Dokumente 2 2 6 . Verantwortlich für den gegenüber der deutschnationalen Anti-VersaillesAgitation doch meistens gemäßigten Propagandastil war das Bestreben des ADV, linksbürgerliche Gruppen und zeitweilig sogar die sozialdemokratisch orientierte Arbeiterschaft in den »Kampf gegen Versailles« mit einzubeziehen. Als Ziel schwebte dem Arbeitsausschuß die Bildung einer »überparteilichen inneren Einheitsfront« vor 227 . Sie sollte dem Ausland eine gewissermaßen quer zu allen Interessengegensätzen und Klassenfronten verlaufende, allgemeine Empörung über die »Schandklauseln« signalisieren und damit das legitimatorische ›Unterfutter‹ für den moralisch begründeten Anspruch auf Revision der Kriegsschuldartikel abgeben. Um diesen Anspruch auch nur annähernd erfüllen zu können, mußte der 132 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

ADV allerdings einen Formelkompromiß über die Grenzen und Zielsetzungen der Arbeit finden, der von den für eine Kooperation in Frage kommenden innenpolitischen Gruppierungen mitgetragen oder zumindest toleriert werden konnte. Auf einen solchen Minimalkonsens hat sich das ADVPräsidium unter dem fühlbaren Druck der Wilhelmstraße in der Tat bereits früh verständigt. Schon einen Monat nach der Gründung, im Mai 1921, kam man überein, jede ausdrückliche Schuldzuweisung zu vermeiden und sich statt dessen auf die Formel »Zurückweisung der alliierten Alleinschuldthese« und auf die Herausstellung einer im einzelnen nicht näher gewichteten Mitverantwortung der Ententemächte zu verlegen 228 . Diese Sprachregelung erschien geeignet, »Auffassungsgegensätze« in der innerdeutschen Diskussion zu überdecken. Sie vermied, wie Emmy Vogtländer, eine Mitarbeiterin der ADV-Geschäftsstelle, hervorhob, die besonders in Rechtskreisen virulente Ansicht von der Unschuld des Reiches, überging jedoch gleichzeitig die in weiten Teilen der Arbeiterschaft gehegte Überzeugung von einer schwerwiegenden Mitverantwortung des wilhelminischen Deutschland am Ausbruch des Krieges 229 . Orientierungspunkt war in diesem Zusammenhang nicht etwa der unter propagandistischen Gesichtspunkten wenig ergiebige Artikel 231 des Versailler Vertrages, sondern die bereits mehrfach erwähnte Mantelnote Clemenceaus 2 3 0 . Unter Bezugnahme darauf schlossen nicht nur Konservative wie Bernhard Schwertfeger, das Reich sei »verfehmt« und zum »Feind der gesamten Menschheit« gestempelt worden 2 3 1 . Selbst liberale Sympathisanten der ADV-Arbeit wie Eugen Fischer befanden, daß die Versailler Bestimmungen dem deutschen Volk die gesamte Verantwortung für den Kriegsausbruch »unter dem Oberbegriff des Verbrechens« aufbürdeten 232 . Der politische Zweck einer solchen Interpretation liegt auf der Hand: Je extensiver man den Artikel 231 im Sinne der Mantelnote auslegte, desto unangreifbarer wurde der deutsche Rechtsanspruch auf Totalrevision des Versailler Friedens, den man aus dem Friedensprogramm Wilsons vom 8. Januar 1918 und aus der als Vorfriedensvertrag interpretierten Lansing-Note vom 5. November 1918 ableitete 233 . Vereinzelte Einwände gegen diese Deutung, die zuweilen selbst in der bürgerlichen Presse anklangen, ernteten scharfen Widerspruch, vor allem dann, wenn sie auf den nüchternen Kern des Art. 231 hinwiesen 234 . Das Abweichen von der Mantelnote als gewissermaßen offizieller Interpretation des Art. 231 wurde als »ungeheure Gefahr« für Deutschland bezeichnet: Wenn der Versailler Vertrag keine Schuldzuweisung enthalte, so die gängige Argumentation, wenn also von einem Schuldbekenntnis die Gültigkeit des Vertrages nicht berührt werde, bleibe der Vertrag auch bei einer offiziellen Zurücknahme der Kriegsschuldanklage durch die Siegermächte in Kraft und die Erfüllung der deutschen Forderung nach Totalrevision rücke, nunmehr ihrer Rechtsgrundlage und ihres propagandistischen Ansatzpunktes beraubt, in weite Ferne 235 . Ganz in diesem Sinne charakterisierte Wilhelm Ziegler, der stellvertreten133 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

deutschen Kernforderungen wie etwa der Ruf nach Öffnung der Archive aller am Krieg beteiligter Staaten oder die Propagierung einer internationalen Kommission zur Klärung der Kriegsschuldfrage nicht als politische, sondern als moralische Ansprüche deklariert 222 . Man berief sich auf die Völkerbundssatzung und warf den Siegermächten vor, die Versailler Übereinkunft, gerade was ihre auf internationale Gleichberechtigung und rationale Konfliktregelung Bezug nehmenden Passagen anbetraf, gröblich zu mißachten 223 . Das bedeutete allerdings nicht, daß der ADV in dieser Zeit die materiellen deutschen Revisionsforderungen aus den Augen verlor. Im Gegenteil, speziell die Reparationsfrage, die Rheinlandräumung und die Situation der deutschen Minderheiten standen im Mittelpunkt einer Vielzahl von ADVPublikationen 224 . Man vermied es jedoch, diese Themen mit der Kriegsschuldfrage zu verkoppeln. Für letztere galt, was Stieve schon am 23. Mai 1922 in seinen »Richtlinien für die Aufklärungsarbeit« formuliert hatte. Die Propaganda des ADV sollte im Ausland vor allem die Überzeugung wekken, »daß die Schuldfrage durch den Spruch von Versailles in keiner Weise definitiv gelöst [ist] und daß die Behauptung von der Alleinschuld Deutschlands mehr und mehr an Boden verliert« 225 . Für die Inlandspropaganda des ADV galten dagegen andere Regeln. Sie gerierte sich, wie schon die vorn skizzierten Thesen zur Kriegsverantwortung der europäischen Mächte zeigen, weitaus verbalradikaler als die Auslandsagitation. Allerdings vermied auch sie die einfache Umkehrung des Urteils der Siegermächte vom 16. Juni 1919. Insofern fehlte der ausdrückliche Hinweis auf die ›Alleinschuld‹ der ehemaligen Kriegsgegner bzw. auf die ›Unschuld‹ des Reiches in den allermeisten im Inland verbreiteten Materialien. Man zog statt dessen den Umweg über die gezielte Insinuation vor. Der bewußte Kriegswille der Entente und damit ihre alleinige Verantwortung für die Eskalation der Julikrise wurde in vielen Fällen nicht etwa expressis verbis konstatiert, sondern ergab sich - gewissermaßen zwischen den Zeilen - aus der höchst apologetischen Auswahl, Anordnung und Kommentierung der für die Propaganda aufbereiteten Daten, Fakten und Dokumente 226 . Verantwortlich für den gegenüber der deutschnationalen Anti-VersaillesAgitation doch meistens gemäßigten Propagandastil war das Bestreben des ADV, linksbürgerliche Gruppen und zeitweilig sogar die sozialdemokratisch orientierte Arbeiterschaft in den »Kampf gegen Versailles« mit einzubeziehen. Als Ziel schwebte dem Arbeitsausschuß die Bildung einer »überparteilichen inneren Einheitsfront« vor 227 . Sie sollte dem Ausland eine gewissermaßen quer zu allen Interessengegensätzen und Klassenfronten verlaufende, allgemeine Empörung über die »Schandklauseln« signalisieren und damit das legitimatorische ›Unterfutter‹ für den moralisch begründeten Anspruch auf Revision der Kriegsschuldartikel abgeben. Um diesen Anspruch auch nur annähernd erfüllen zu können, mußte der 132 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

ADV allerdings einen Formelkompromiß über die Grenzen und Zielsetzungen der Arbeit finden, der von den für eine Kooperation in Frage kommenden innenpolitischen Gruppierungen mitgetragen oder zumindest toleriert werden konnte. Auf einen solchen Minimalkonsens hat sich das ADVPräsidium unter dem fühlbaren Druck der Wilhelmstraße in der Tat bereits früh verständigt. Schon einen Monat nach der Gründung, im Mai 1921, kam man überein, jede ausdrückliche Schuldzuweisung zu vermeiden und sich statt dessen auf die Formel »Zurückweisung der alliierten Alleinschuldthese« und auf die Herausstellung einer im einzelnen nicht näher gewichteten Mitverantwortung der Ententemächte zu verlegen 228 . Diese Sprachregelung erschien geeignet, »Auffassungsgegensätze« in der innerdeutschen Diskussion zu überdecken. Sie vermied, wie Emmy Vogtländer, eine Mitarbeiterin der ADV-Geschäftsstelle, hervorhob, die besonders in Rechtskreisen virulente Ansicht von der Unschuld des Reiches, überging jedoch gleichzeitig die in weiten Teilen der Arbeiterschaft gehegte Überzeugung von einer schwerwiegenden Mitverantwortung des wilhelminischen Deutschland am Ausbruch des Krieges 229 . Orientierungspunkt war in diesem Zusammenhang nicht etwa der unter propagandistischen Gesichtspunkten wenig ergiebige Artikel 231 des Versailler Vertrages, sondern die bereits mehrfach erwähnte Mantelnote Clemenceaus 2 3 0 . Unter Bezugnahme darauf schlossen nicht nur Konservative wie Bernhard Schwertfeger, das Reich sei »verfehmt« und zum »Feind der gesamten Menschheit« gestempelt worden 231 . Selbst liberale Sympathisanten der ADV-Arbeit wie Eugen Fischer befanden, daß die Versailler Bestimmungen dem deutschen Volk die gesamte Verantwortung für den Kriegsausbruch »unter dem Oberbegriff des Verbrechens« aufbürdeten 232 . Der politische Zweck einer solchen Interpretation liegt auf der Hand: Je extensiver man den Artikel 231 im Sinne der Mantelnote auslegte, desto unangreifbarer wurde der deutsche Rechtsanspruch auf Totalrevision des Versailler Friedens, den man aus dem Friedensprogramm Wilsons vom 8. Januar 1918 und aus der als Vorfriedensvertrag interpretierten Lansing-Note vom 5. November 1918 ableitete 233 . Vereinzelte Einwände gegen diese Deutung, die zuweilen selbst in der bürgerlichen Fresse anklangen, ernteten scharfen Widerspruch, vor allem dann, wenn sie auf den nüchternen Kern des Art. 231 hinwiesen 234 . Das Abweichen von der Mantelnote als gewissermaßen offizieller Interpretation des Art. 231 wurde als »ungeheure Gefahr« für Deutschland bezeichnet: Wenn der Versailler Vertrag keine Schuldzuweisung enthalte, so die gängige Argumentation, wenn also von einem Schuldbekenntnis die Gültigkeit des Vertrages nicht berührt werde, bleibe der Vertrag auch bei einer offiziellen Zurücknahme der Kriegsschuldanklage durch die Siegermächte in Kraft und die Erfüllung der deutschen Forderung nach Totalrevision rücke, nunmehr ihrer Rechtsgrundlage und ihres propagandistischen Ansatzpunktes beraubt, in weite Ferne 235 . Ganz in diesem Sinne charakterisierte Wilhelm Ziegler, der stellvertreten133 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

Zielsetzung war es damals, Berlin in diplomatischen Verhandlungen mit den ehemaligen Kriegsgegnern eine Art von plebiszitärem Rückhalt zu verschaffen 245 . Der für das Verhältnis des ADV zu den außenpolitisch verantwortlichen Stellen des Reiches ungewöhnlich scharfe und distanzierte Tonfall der Draeger-Rede von 1931 ist sicherlich nicht allein aus der allgemeinen außenpolitischen Umorientierung nach 1930 zu erklären. Er spiegelt mindestens ebensosehr die inneren Konflikte wider, mit denen der Arbeitsausschuß in der Endphase der Republik zu kämpfen hatte. Ein beträchtlicher Teil der rechtsorientierten Mitgliederverbände war in das Lager der »Nationalen Oppositon« abgeschwenkt und versuchte von dort aus, die Berliner Geschäftsstelle in seine Hände zu bekommen. Im Zentrum der Pressionsversuche von rechts standen dabei im wesentlichen zwei Punkte: Schärfstens kritisiert wurde einmal die enge Anbindung der Kriegsschuldagitation an die offizielle deutsche Außenpolitik und zum anderen die nach außen hin noch immer dokumentierte Bereitschaft Schnees und Draegers, die SPD in den »Kampf gegen Versailles« zu integrieren. Damit waren Probleme angesprochen, die schon seit der Gründung des ADV unter den Mitgliedsverbänden strittig diskutiert wurden.

4.›Überparteilichkeit‹als agitatorisches Stereotyp: Die Praxis des ADV Die weitgehende finanzielle Abhängigkeit von den Regierungsbehörden verwies den ADV - ungeachtet aller ideologischer Präferenzen - auf eine Politik der Diagonale im innenpolitischen Kräftefeld Weimars. Der Arbeitsausschuß erklärte den »Kampf gegen Versailles« zur »Angelegenheit des gesamten deutschen Volkes« und beschwor Linke wie Rechte, sich bei »völliger Wahrung des eigenen Standpunkts« gegen die Anklagen der Alliierten zusammenzuschließen 246 . Hiervon versprach sich die Berliner Organisation zweierlei: Eine geschlossene innere Front gegen den Friedensvertrag verhieß größere Manövrierfreiheit für die deutsche Revisionspolitik und ließ innenpolitisch eine Abschwächung des Streits über Kriegsursachen, Kriegsverlauf und Zusammenbruch erwarten. Deshalb stellte der ADV seine Inlandspropaganda von Anfang an unter das Motto der Überparteilichkeit. Der Verband griff damit auf einen Topos zurück, der den obrigkeitsstaatlichen Traditionen des kaiserlichen Deutschland entlehnt war, der aber auch in der Weimarer Zeit nichts von seiner Faszination eingebüßt hatte 247 . Überparteilichkeit wurde zum »obersten Prinzip« der ADV-Arbeit erklärt oder, wie es exemplarisch in den auf der Stuttgarter ADV-Tagung vom 22. bis 28. Juni 1925 verabschiedeten »Leitsätzen für die Aufklärungs136 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

arbeit in der Kriegsschuldfrage« hieß: »Alle Aufklärungsarbeit muß überparteilich erfolgen und in jeder Hinsicht, insbesondere auch in der Ausdrucksweise alles vermeiden, was innenpolitisch trennt« 248 . Die Erfüllung dieses Anspruchs, der in den gemäßigten bürgerlichen Parteien uneingeschränkte Zustimmung fand, stieß vor allem auf zwei Schwierigkeiten: einerseits mußte insbesondere die SPD von der Glaubwürdigkeit des ADV überzeugt werden, was angesichts der Zusammensetzung der Berliner Organisation, die trotz ihrer DVP-Führung bestimmte reaktionäre Einsprengsel nicht verleugnen konnte, doppelt schwer hielt. Zudem war es notwendig, die dezidiert rechtsorientierten Mitgliedsverbände von der Instrumentalisierung des Kriegsschuldproblems für innenpolitische Zwecke so weit wie möglich abzuhalten, ohne sie an die außerhalb des ADV stehenden alldeutsch-völkischen Verbände zu verlieren. U m das Vertrauen vor allem der sozialdemokratischen Arbeiterorganisationen zu gewinnen, beschränkte sich der ADV keineswegs allein auf die öffentlichkeitswirksame, aber faktisch unverbindliche Versicherung, im Rahmen seiner Arbeit parteipolitische Abstinenz zu üben. Unter dem sanften Druck der Wilhelmstraße suchte man von Anfang an nach Lösungen, durch welche die offenkundige Rechtslastigkeit der ADV-Mitgliedschaft und des ADV-Präsidiums wenigstens halbwegs ausgeglichen werden konnte. Hier erwies sich aber die ursprüngliche Absicht des AA, der auf der Linken als »Belastung« empfundenen Wahl v. Lersners zum ADV-Präsidenten ein Gegengewicht entgegenzustellen und den Vorsitz im turnusmäßigen Wechsel auch von Ernst Jäckh und Erwin Barth fuhren zu lassen 249 , als unpraktikabel und wurde schon recht bald fallengelassen. Doch glaubte die Wilhelmstraße nicht darauf verzichten zu können, mit dem eigens vom Reichswanderungsamt herübergewechselten v. Vietsch einen »parteipolitisch neutralen Geschäftsführer« an die Spitze des ADV-Büros zu berufen 250 und ihm in Draeger und v. Schweinitz zwei loyale Mitarbeiter an die Seite zu stellen. Durch diese Maßnahmen waren die Schaltstellen der Berliner Organisation schon früh mit Vertretern eines gemäßigten Propagandakurses besetzt. In den Kontext dieser vertrauensbildenden Maßnahmen gehörte auch die »Anti-Versailles-Kundgebung«, die am 11. Dezember 1922 unter der Leitung des SPD-Politikers Rudolf Wissell und unter maßgeblicher Beteiligung aller Gewerkschaftsrichtungen im Reichstagsgebäude stattfand 251 . Sie zeigt gleichzeitig, welche Funktion man der Sozialdemokratie im Rahmen der deutschen Kriegsschuldpropaganda zumaß. Die Veranstaltung war als Auftakt einer Serie von Massenkundgebungen gegen das »Versailler Diktat« gedacht. Wie es in einem Schreiben des ADV an seine Mitgliedsverbände hieß, sollte sie »das Volk im Abwehrwillen gegenüber der gegnerischen Macht stärken und dem Ausland diesen entschiedenen Abwehrwillen sichtbar zeigen« 252 . »Jedem deutschen Manne, jeder deutschen Frau« sei das Gefühl der Verantwortung für das Gesamt137 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

wohl in das Bewußtsein zu hämmern. Dem Ausland gelte es zu zeigen, »daß sich unter dem Zeichen ›Versailles‹ ein fester Block des verzweifelten Volkes gebildet hat, das leben will und das sich in diesem Willen an die ganze Welt wendet« 2 5 3 . Hinter diesen pathetischen Formulierungen verbarg sich ein durchaus rationales außenpolitisches Kalkül: Das ΑΑ suchte im Herbst 1922 dem faktischen Abbruch der Rathenauschen ›Erfüllungspolitik‹, den das Kabinett Wirth im Juli 1922 vorgenommen und mit der desolaten Finanzund Wirtschaftslage begründet hatte, durch die Inszenierung öffentlicher Massenproteste eine plebiszitäre Legitimation zu verschaffen 254 . Um dem Ausland den Eindruck einer »tatsächlich vorhandenen Volksbewegung« und nicht etwa einer »künstlichen Mache« 2 5 5 zu vermitteln, war geplant, die Veranstaltungen zu verschiedenen Zeitpunkten und nach unterschiedlichem Muster ablaufen zu lassen. Sie sollten in nahezu allen deutschen Großstädten stattfinden und in ihrer organisatorischen Gestaltung den jeweiligen örtlichen Verhältnissen Rechnung tragen. In jedem Fall aber war daran gedacht, die großen Arbeitnehmerorganisationen als spontane Initiatoren der Protestveranstaltungen herauszustellen. Tatsächlich lag die Vorbereitung und Koordination beim ADV 256 . Sein Hauptaugenmerk richtete sich von Anfang an darauf, neben den bürgerlichen Gewerkschaftsrichtungen auch den ADGB zu einer Teilnahme zu bewegen. Die sozialdemokratischen Mitglieder der preußischen Regierung, Otto Braun und Carl Severing, der Vorsitzende des Allgemeinen Deutschen Beamtenbundes (ADB), Albert Falkenberg, und sogar der SPD-Partei- und Fraktionsvorsitzende Hermann Müller wurden gebeten, in entsprechender Weise auf die ADGB-Führung einzuwirken 257 . Müller lehnte dieses Ansinnen kategorisch ab, während sich die übrigen Genannten entschieden für eine Teilnahme der Freien Gewerkschaften an den Protestveranstaltungen aussprachen und dies auch gegenüber dem ADGB-Vorstand zum Ausdruck brachten 258 . Die Einschaltung Brauns, Falkenbergs und Severings sollte sich auszahlen. Der anfänglich noch zögernde ADGB nahm an der Veranstaltung vom 11. Dezemberg 1922 teil und stellte sogar einen der Hauptredner. Gewerkschaftssckretär Alexander Knoll referierte über die »Wirkungen des Friedensvertrages auf die deutsche Wirtschaft« 259 . Das Engagement gegen den Versailler Vertrag fiel dem ADGB, der ohnehin stärker als die SPD auf eine Revisionspolitik der starken Worte fixiert war, um so leichter, als maßgebende deutschnationale Kreise schon im Vorfeld der Veranstaltung ihre äußerste Zurückhaltung signalisiert hatten. In dieser Beziehung war offensichtlich dem ADV der entscheidende Durchbruch gelungen. Der Arbeitsausschuß habe es erreicht, so schrieb Geschäftsführer v. Vietsch an Braun, »die starken Kräfte der Rechten, die tatkräftig den Kampf gegen Versailles fuhren wollen, dazu zu veranlassen, ihrerseits auf Aktivität zu verzichten und die Führung den von uns bezeichneten Gruppen der Arbeitnehmer zu überlassen« 260 . 138 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

Rückschauend betrachtet blieb die erwähnte Arbeitnchmer-Kundgebung, die wegen des Ruhr-Einmarsches der Franzosen und Belgier im Januar 1923 nicht die geplante Fortsetzung fand, ein einmaliges Ereignis in der Geschichte des ADV. In der Folgezeit sollte sich die Rechte nicht mehr so ohne weiteres bereit zeigen, ihre Ziele hinter das »nationale Interesse‹ zurückzustellen 261 . Der ADV sah sich daher vor zunehmende Schwierigkeiten gestellt, die von der Wilhelmstraße verordnete Strategie der Einbindung der Freien Gewerkschaften in die oft beschworene revisionspolitische Einheitsfront verbandsintern durchzusetzen. Draegers eindringliche Warnung, daß gerade in der Kriegsschuldagitation »das Tempo des langsamsten Pferdes« 2 6 2 beachtet werden müsse, verfing immer weniger im Umkreis der rechtsorientierten Mitgliedsverbände. Gleichwohl hielt die Berliner Organisation bis weit in die Staats- und Gesellschaftskrise der Republik hinein an ihrem Überparteilichkeitseredo fest263 und wandte für dessen Propagierung beträchtliche Mittel auf. In deutlichem Gegensatz zur DNVP, die gerade in Wahlkampfzeiten das Kriegsschuldproblem und die Dolchstroßthese zu einem Aufguß propagandistischer Parolen mit eindeutig antirepublikanischer und antisozialistischer Stoßrichtung verband, warnte der ADV vor einer Verquickung dieser beiden Problemstellungen. In regelmäßigen Wahlaufrufen mahnte er die Parteien, auf dem Gebiet der »Kriegsschuld- und Kolonialschuldlüge« eine »einheitliche Linie« einzuhalten oder, wo das unmöglich erschien, diese Themen wenigstens aus der Wahlpropaganda auszusparen. Seiner Ansicht nach durfte die »innenpolitische Einheitsfront in außenpolitischen Fragen« durch die Auseinandersetzung zwischen den Parteien keinesfalls geschwächt oder gar zerstört werden 264 . Doch auch das prononciert vorgetragene Überparteilichkeitseredo des ADV, das selbst eine punktuelle Zusammenarbeit mit den Kommunisten nicht ausschloß 265 , änderte nichts an den einseitig apologetischen Propagandainhalten und der stark rechtslastigen Organisationsstruktur der Berliner Organisation 266 . Es fanden sich deshalb auch nur wenige Sozialdemokraten bereit, die ADV-Agitation aktiv zu unterstützen. Das Präsidiumsmitglied des ADV, Erwin Barth, der Arbeiterdichter und Reichsbanner-Führer Bröger 2 6 7 sowie die sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten Quarck und Biedermann - letzterer als Verfasser einer vom AA und der RfH finanziell geförderten Broschüre 268 - bildeten in dieser Beziehung ebenso eine Ausnahme wie der außenpolitische Redakteur des »Vorwärts«, Schwarz, der ehemalige preußische Minister Südekum, der Vorsitzende des Allgemeinen Deutschen Beamtenbundes (ADB) Falkenberg und Carl Severing 269 , der langjährige preussische Innenminister. Die genannten Politiker hielten sich allesamt auf ihre nationale Gesinnung besonders viel zugute. Südekum betrachtete die Frage nach der Verantwortung für den Kriegsausbruch keineswegs als akzidentielles Problem, sondern schlechthin als »Lebensfrage«. Auf der These von Deutschlands Alleinschuld baute seiner Ansicht nach das 139 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

»ganze System der Vergewaltigung und Versklavung« des deutschen Volkes auf. Wer das deutsche Volk vor dem Untergang bewahren wolle, so Südekum, der müsse nach Kräften daran mitarbeiten, »daß die grauenvolle Lüge des Artikels 231 des Versailler Vertrages zerstört wird . . . Das erfordert die Ehre der Nation, das ist schlichte Menschenpflicht jedes Deutschen. Kein Deutscher kann seinem Kinde in die Augen sehen, der diese Pflicht vernachlässigt« 270 . Solche und ähnliche Einstellungen stießen in den Freien Gewerkschaften durchaus auf Resonanz. Schenkt man einer vertraulichen Mitteilung Falkenbergs an Draeger Glauben, wurden von der erwähnten Biedermann-Broschüre zur Kriegsschuldfrage immerhin 50000 Exemplare an Gewerkschaftsmitglieder verteilt 271 . Die SPD insgesamt stand dem Arbeitsausschuß jedoche h e rskeptisch gegenüber. Lediglich der ADB und die Hamburger Gliederungen des ADGB waren dem ADV korporativ beigetreten. Ihre Mitgliedschaft blieb jedoch überwiegend formeller Natur. In den Akten findet sich jedenfalls kein Indiz für ein stärkeres Engagement. Die alles in allem doch überwiegende Reserve der Partei gegenüber der deutschen Kriegsschuldagitation wurde im Umfeld des Arbeitsausschusses sehr wohl registriert 272 . So weigerte sich beispielsweise v. Montgelas, in das Kuratorium des ADV einzutreten, weil dort kein »unanfechtbarer Vertreter der Sozialdemokratie« vertreten sei (Südekum gelte nicht für »voll«) 2 7 3 . Mehrfach versuchte der Arbeitsausschuß, bekannte Sozialdemokraten als Referenten für seine Reichstagungen zu gewinnen oder die SPD zur Mitunterzeichnung einer der öffentlichen ADV-Verlautbarungen zu bewegen. Stets erhob die SPD-Reichstagsfraktion oder die Parteispitze Einwände 274 . Es sei der SPD nicht möglich, so ihr außenpolitischer Sprecher Breitscheid auf eine entsprechende Anfrage des ADV-Präsidenten Schnee, eine gemeinsame Erklärung zur Kriegsschuldfrage zusammen mit denjenigen Abgeordneten der Rechtsparteien abzugeben, welche die Sozialdemokraten in aller Öffentlichkeit als »Vaterlandsverräter« diskreditierten 275 . Im gleichen Sinne lehnte es der »Vorwärts« ab, dem Aufruf des ADV zu folgen und am Tage der zehnjährigen Wiederkehr des Versailler Vertragsabschlusses, am 28. J u ni 1929, die geschlossene innenpolitische Front gegen das Vertragswerk durch parteiübergreifende Massenveranstaltungen auch nach außen hin zu dokumentieren. Die Parteizeitung betonte, daß gerade die SPD in den vergangenen zehn Jahren alles getan habe, »um das Unrecht des Vertrages von Versailles zu mildern« und »falsche Urteile über das deutsche Volk zu erschüttern«. Das Blatt machte aber gleichzeitig deutlich, daß die Partei nicht gewillt sei, den »Revanchereden« und den »Racheschwüren« nationalistischer Elemente zu sekundieren 276 . Die geschilderte Skepsis und die bisweilen verbalradikalen Tone des »Vorwärts« implizierten aber keineswegs schon eine scharfe Frontstellung der SPD gegenüber dem ADV, wie sie von einigen, vornehmlich auf dem linken Parteiflügel angesiedelten Mitgliedern gefordert wurde 2 7 7 . Stillschweigende Duldung kennzeichnete das Verhältnis der Sozialdemokraten 140 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

zum Arbeitsausschuß weit mehr als entschiedene Abgrenzung. Führende SPD-Politiker wie Severing konnten, ohne von der Parteispitze kritisiert zu werden, die »überparteiliche Leitung« des ADV hervorheben und den Arbeitsausschuß als eine Organisation darstellen, in der mitzuarbeiten sich auch für SPD-Mitglieder lohne 278 . Grundsätzliche Kritik an den Inhalten der ADV-Propaganda übte die Partei in der Öffentlichkeit so gut wie nie. Sie bestritt dem Arbeitsausschuß lediglich das Recht, für das gesamte deutsche Volk sprechen zu können und rügte die antirepublikanische und antisozialistische Stoßrichtung der meisten seiner Mitgliedsverbände 279 . Das lag nicht zuletzt daran, daß auch die Mehrheit der deutschen Sozialdemokraten- wie noch ausführlicher zu zeigen sein wird - den Artikel 231 als ein moralisches Verdammungsurteil deutete, das in historisch unhaltbarer Weise die Alleinschuld Deutschlands am Ausbruch des Krieges festschrieb 280 . Dieses Urteil und die der Partei- und Fraktionsführung nicht verborgen gebliebene enge Bindung des ADV an das Auswärtige Amt nahmen den Sozialdemokraten offenbar Mut und Bereitschaft, stärker gegen den Arbeitsausschuß vorzugchen. Ohne größeren Widerspruch erwarten zu müssen, konnte Draeger in aller Öffentlichkeit behaupten, der Gegensatz von SPD und »Revisionsbewegung« sei »mehr formeller denn prinzipieller Natur«281. Was die deutsche Rechte anbetraf, wurde der programmatische Kompromiß, der die Gründung des ADV erst ermöglichte, und der im wesentlichen durch die enge Bezugnahme der Kriegsschuldagitation auf die offizielle deutsche Außenpolitik sowie durch das Bemühen um Integration der sozialdemokratischen Arbeiterschaft in die »Revisionsbewegung« charakterisiert war, in den ersten beiden Jahren des Bestehens der Berliner Organisation nicht ernsthaft in Frage gestellt. Die oben erwähnte Gewerkschaftskundgebund vom 11. Dezember 1922 282 veranschaulicht, daß sich in dieser Zeit selbst die DNVP-nahen Mitgliedsverbände an die Kernpunkte des ADVProgramms gebunden fühlten. Offensichtlich irritiert durch die ungewohnte Oppositionsrolle, die dere h e m a l sstaatsergebenen Rechten in der demokratischen Republik zugefallen war, zeigten sich viele Deutschnationale durchaus empfänglich für Appelle an ihr ›nationales Gewissen‹ 283 . Hinzu trat, daß die allseitige Empörung über den Einmarsch der Franzosen und Belgier ins Ruhrgebiet die innerdeutschen Meinungsverschiedenheiten über die ›richtige‹ Außenpolitik zeitweilig zurücktreten ließen. Als diese nach dem Abbruch des Ruhr-Kampfes und nach Aufnahme der Dawes-Plan-Verhandlungen wieder aufflammten, blieb davon auch der ADV nicht verschont. Dies um so weniger, als mit dem ehemaligen Legationsrat im AA, v. Lersner, ein Politiker an der Spitze der Berliner Organisation stand, der zu den entschiedenen Gegnern der außenpolitischen Umorientierung nach 1923 zählte und der außerdem aus seinem Mißbehagen an der Regierungsbeteiligung der Sozialdemokraten in der Großen Koalition unter der Reichskanzlerschaft Stresemanns keinen Hehl machte 284 . V. Lersner vertrat die Ansicht, daß die Staats- und Regierungskrise des Jahres 1923 141 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

innenpolitisch nur mit Hilfe einer bürgerlichen Rechtsfront unter Einschluß der DNVP zu bewältigen sei. Im außenpolitischen Bereich richtete er seine Kritik insbesondere gegen die Behandlung des Kriegsschuldproblems durch die Reichsregierung 285 . Ähnlich wie die DNVP, für die ein regierungsoffizieller Protest gegen die »Schmachparagraphen« die unabdingbare Voraussetzung jeder Verhandlung über einen »wirklichen Frieden« darstellte 286 , forderte v. Lersner die »amtliche Aufrollung« der Schuldanklage im Vorfeld der deutsch-alliierten Verhandlungen 287 über eine akzeptable Reparations- und Kreditlösung. Dies hätte die Zurücknahme der Anerkennung des Artikels 231 bedeutet und wurde deshalb vom AA strikt abgelehnt. Der ehemalige Diplomat zeigte sich in der Wahl seiner Argumente nicht gerade wählerisch und schreckte auch vor gezielten Beleidigungen maßgeblicher französischer Politiker nicht zurück 288 . Das amtliche Paris reagierte umgehend mit scharfen Protesten und versäumte es dabei nicht, v. Lersners Rolle im ADV hervorzuheben 289 . Die französischen Proteste machten den Arbeitsausschuß in Deutschland weithin bekannt, drohten aber das vorher ausgezeichnete Verhältnis der Berliner Organisation zur Wilhelmstraße empfindlich zu trüben. V. Lersners Ausfälle brachten das AA nicht nur diplomatisch in Verlegenheit. Der Präsident des ADV hatte seine Stellungnahmen zudem in der Rechtspresse publiziert 290 und dadurch den auf der Linken ohnehin starken Zweifeln am überparteilichen Charakter des Arbeitsausschusses neue Nahrung gegeben. Dies mußte nach Lage der Dinge die um eine breite revisionspolitische Übereinstimmung bemühten Mitarbeiter im ADV auf den Plan rufen. Geschäftsführer v. Schweinitz warf v. Lersner in einem Schreiben vom 18. März 1924 vor, den »Kampf gegen Versailles« als »Parteipolitiker« zu fuhren, und damit ein Verhalten an den Tag zu legen, das mit den programmatischen Grundsätzen der Berliner Organisation unvereinbar sei. V. Schweinitz erklärte sich außerstande, mit v. Lersner weiterhin zusammenzuarbeiten und stellte ihn vor die Alternative, zurückzutreten oder das »mindestens zeitweise Auffliegen des Arbeitsausschusses« in Kauf zu nehmen 291 . Die erreichbaren Akten geben leider keinen Aufschluß über den Fortgang dieser Kontroverse, doch scheinen sich v. Schweinitz und das vermutlich hinter ihm stehende Kriegsschuldreferat durchgesetzt zu haben. V. Lersner stellte sein Amt zur Jahreswende 1924/25 zur Verfügung, wobei offiziell zwei Gründe für seinen Rücktritt angegeben wurden. Wie es hieß, mache es ihm der Verlust seines Reichstagsmandats in den Wahlen vom 4. Mai 1924 und die Verlegung seines Wohnsitzes unmöglich, die politische Vertretung des Arbeitsausschusses auch weiterhin in dem erforderlichen Umfang auszuüben 292 . In Wirklichkeit dürfte v. Lersner, dessen persönliche Gegnerschaft zu Stresemann bekannt war und der sich im Mai 1924 zum Übertritt in die DNVP entschlossen hatte, für das AA im Amte des ADV-Präsidenten nicht mehr tragbar gewesen sein. Zur Durchführung einer Revisionspropaganda mit Augenmaß, die sich 142 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

trotz aller Radikalität im großen und ganzen an den Grundlinien der offiziellen deutschen Außenpolitik orientierte, bedurfte es eines Politikers, dessen Loyalität zum deutschen Außenminister außer Frage stand und der in seinen Reaktionen kalkulierbarer war als der eigenwillige und sprunghafte v. Lersner. Einen solchen Politiker fand man in Heinrich Schnee, dem letzten deutschen Gouverneur in Deutsch-Ost-Afrika. Der DVP-Reichstagsabgeordnete und Parteifreund Stresemanns wurde am 3. Februar 1925 einstimmig zum neuen Präsidenten des ADV gewählt 293 . Von nun an besaß der Arbeitsausschuß einen Repräsentanten, der trotz seiner konservativen Einstellung im Parteien- und Verbändespektrum der Weimarer Republik von der gemäßigten Rechten bis zur gemäßigten Linken hochgeschätzt wurde und der auch im Ausland über einen glänzenden Namen und gute Kontakte verfügte 294 . V. Lersners Bemühungen, den Arbeitsausschuß innen- wie außenpolitisch stärker an die deutsche Rechte zu binden, sollten indessen kein Einzelfall in der bewegten Geschichte der Berliner Organisation bleiben. In die gleiche Richtung suchte auch die »Arbeitsgemeinschaft für Vaterländische Aufklärung« zu wirken. Die Arbeitsgemeinschaft, eine Gliederung der »Vaterländischen Verbände« 295 , die sich der Kriegsschuld- und Revisionspropaganda verschrieben hatte, gehörte zu den Gründerorganisationen des ADV. In den ihr angeschlossenen Verbänden, zu denen unter anderem die »Deutsche Kolonialgesellschaft« und der Landbund zählten, regten sich jedoch schon im Frühjahr 1922 gewichtige Stimmen, die für einen Rückzug aus dem ADV votierten. Der Vorstand der AG hielt dies immerhin für relevant genug, um eine außerordentliche Mitgliederversammlung einzuberufen. Das Einladungsschreiben schlüsselte dabei schon im Vorfeld der eigentlichen Diskussion das Für und Wider einer Mitgliedschaft im Arbeitsausschuß detailliert auf 296 . Für ein Ausscheiden sprach danach die Befürchtung, daß der deutsche Protest gegen die »Kriegsschuldlüge« durch die Tätigkeit des ADV eine Verwässerung erfahren könnte, da dort auch »ganz linksstehende, national unzuverlässige Verbände« tätig seien. Gegenüber der AG, die fest und unwiderruflich auf der »völligen Unschuld« Deutschlands am Kriegsausbruch beharre, müsse sich der Arbeitsausschuß »auf jener Mitte der Meinungen und Anschauungen bewegen, welche von einer Teilschuld oder Mitschuld Deutschlands . . . sprechen«. Schon aufgrund dieser Bewertungsunterschiede drohe eine Distanzierung »entschieden gerichteter Kreise« auch von der AG. Diese fühlten sich nämlich in ihrer Hauptarbeit, dem »Kampf gegen den Internationalismus und Pazifismus« behindert, wenn sie - wie etwa auf dem Gebiete der Schuldfrage - Konzessionen machen müßten. »Zugunsten einer verwässerten und künstlich hergestellten Einigung bei grundsätzlicher verschiedener Weltanschauung« wollten sie auf diesen Kampf nicht verzichten. Diese Vorbehalte würden noch dadurch genährt, daß der ADV schon in der ersten Zeit seines Bestchens die ihm ursprünglich 143 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

zugedachte Rolle einer Koordinierungsstelle bei weitem überschritten habe und sich auf dem Wege zu einer »starken und geschlossenen Spitzenorganisation« befinde. Als Begründung für eine weitere Kooperation mit dem ADV führte das Einladungsschreiben vor allem die Tatsache an, daß nur ein von demokratischen und sozialdemokratischen Gruppierungen mitgetragener Kriegsschuldprotest im westlichen Ausland positive Effekte zeitigen könne. Dort sei man bekanntlich auf »die Demokratie eingeschworen« und werde deshalb ausschließlich die »offiziellen Parteistandpunkte der Links- und Mittelparteien gelten und zur Wirkung kommen lassen«. Unter Berücksichtung dieser Ausgangslage sei die aktive Mitarbeit der AG im ADV schon deshalb von Vorteil, weil man nur so die dort vertretenen »Linksgruppen« beobachten könne. Als rechter Flügel im Arbeitsausschuß stelle die AG außerdem die »energisch vorwärtstreibende Kraft« der »Revisionsbewegung« dar und sorge dafür, daß der Standpunkt der völligen Unschuld Deutschlands am Kriegsausbruch nicht unvertreten bleibe. Ihr Austritt aus der Berliner Organisation werde sie »jeder Kenntnis geplanter Aktionen und der oft unausgenutzten Möglichkeit, solche zu verhindern oder umzubiegen, berauben, ihr Gegengewicht im Arbeitsausschuß verschwinden lassen und so den Arbeitsausschuß in einen ausgesprochenen Gegensatz zu allen Organisationen bringen, die die Unschuld Deutschlands vertreten«. Außerdem werde man den »zumeist kostenlosen Bezug der zahlreichen Veröffentlichungen und Flugblätter verlieren, die vom Arbeitsausschuß herausgegeben werden« und die »wertvolle Verbindung« zur »Zentralstelle für Erforschung der Kriegsursachen« lockern. Die am 13. Mai 1922 stattfindende Mitgliederversammlung, auf der alle skizzierten Argumente noch einmal ausführlich diskutiert wurden 2 9 7 , erbrachte ein deutliches Übergewicht für die Verfechter einer weiteren Mitarbeit im ADV, obgleich sich Verbände wie die »Deutsche Kolonialgesellschaft« und der Landbund dagegen ausgesprochen hatten. Allerdings bestanden auch die Befürworter der Kooperationslösung darauf, daß die AG im Arbeitsausschuß ihre Autonomie so weit wie möglich bewahren müsse und beispielsweise nicht daran gehindert werden dürfe, »mit den Mitteln für ihre Anschauung von der völligen Unschuld zu arbeiten, die sie für wirksam hält«. Das Beharren der Arbeitsgemeinschaft auf eigenständiger Durchführung einzelner Propagandaaktionen wurde vom ADV akzeptiert. Ebenso wie die AG umgekehrt die entsprechende ›Richtlinienkompetenz‹ der Berliner Organisation nie ernsthaft in Frage stellte. Auf dieser Grundlage blieben die »Vaterländischen Verbände« über die Zeit der Weimarer Republik hinweg in den Arbeitsausschuß eingebunden. Es gelang jedoch längst nicht in allen Fällen, politisch rechtsorientierte Organisationen, die sich den »Kampf gegen Versailles« zur Aufgabe gestellt hatten, in den Arbeitsausschuß zu integrieren. Ganz besonders scharf grenzte sich der alldeutsche Hamburger »Fichte-Bund« gegen den ADV ab 2 9 8 . Er 144 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

monierte vor allem die Zusammenarbeit des ADV mit sozialdemokratischen Gewerkschaften und Politikern und beschuldigte ihn der amtlich verordneten »Leisetreterei« 299 . Nennenswerten Erfolg vermochten die Hanseaten bei ihrer Agitation jedoch nicht zu verbuchen 300 . Alle Versuche, den Arbeitsausschuß in Rechtskreisen zu desavouieren, erwiesen sich letzten Endes als erfolglos. Wie noch zu zeigen sein wird, zogen selbst die Nationalsozialisten die wenngleich lose Zusammenarbeit mit dem ADV einer Kooperation mit dem »Fichte-Bund« vor 301 . Immerhin zeigten sich auch einflußreichere Organisationen als der »Fichte-Bund«, der über eine Handvoll Mitglieder nie hinausgelangte, skeptisch gegenüber dem Arbeitsausschuß. Problematisch blieb über die Zeit der Weimarer Republik hinweg etwa das Verhältnis zum »Deutschen Kampfbund gegen die Kriegsschuldlüge«, der im süddeutschen Raum vielerorts eine Art Monopolstellung in Hinblick auf die Revisions- und Kriegsschuldpropaganda besaß 302 . Der Kampfbund, eine nach dem Urteil der Wilhelmstraße infolge ihrer »extremen Einstellung« für die »Aufklärungsarbeit« ungeeignete Organisation 303 , dachte nicht daran, dem als linksorientiert und offiziös verdächtigten ADV beizutreten, und dieser wiederum war nicht gewillt, die Forderung des Kampfbundes nach einem Propagandamonopol für Süddeutschland anzuerkennen. Denn gerade Bayern, der ›Ordnungszelle‹ der Republik, wo man der alliierten Schuldanklage mit weit größerer Entrüstung begegnete als andernorts und wo das Mißtrauen gegenüber der Stresemannschen Außenpolitik besonders tief saß, galt die Aufmerksamkeit von AA und ADV. Das beweist nicht nur die Einrichtung einer süddeutschen Geschäftsstelle am 2. März 1925 304 , sondern auch die Tätigkeit des »Akademischen Arbeitsausschusses« an der Münchener Universität. Dieser Ausschuß war im Herbst 1923 mit dem Ziel ins Leben gerufen worden, in der »innenpolitisch verhetzten« Münchener Studentenschaft Interesse und Verständnis für die offizielle deutsche Außenpolitik zu wecken 305 . Gründer und spiritus rector des Unternehmens, das sich nicht nur an die akademische Jugend, sondern darüber hinaus an »Gebildete aller Schichten« wandte und dessen Vortragsabende nach dem Bekunden der Vertretung der Reichsregierung in München ausnahmslos gut besucht wurden, war der Rechtsreferendar und Redakteur der »Münchener Neuesten Nachrichten«, Kurt Trampler 306 . Finanziert wurde der »Akademische Arbeitsausschuß« aus den Fonds des AA. Der ADV steuerte Broschüren und sonstiges Propagandamaterial bei 307 . Für das Kriegsschuldreferat stellte der Trampler-Ausschuß eine wertvolle Stimme in der Münchener ›Diaspora‹ dar. Dies wurde besonders deutlich, als das Α Α im Oktober 1930 angesichts der angespannten Haushaltslag e eine Kürzung der Zuschüsse erwog. In einer Aufzeichnung für seine vorgesetzten Stellen wandte sich Schwendemann gegen eine solche Maßnahme. Gerade diese Einrichtung bildete nach seinem Dafürhalten »ein gewisses Gegengewicht« gegen die übliche Schlagwortpropaganda der süddeutschen Rech145 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

ten. Eine Unterbrechung der Tätigkeit - und diese sei bei Kürzung der Mittel zu erwarten - lasse befürchten, »daß gewisse Parteien, z. B. die Nationalsozialisten in die Bresche springen und ein ähnliches Unternehmen hier aufziehen« 308 . Insgesamt aber waren der offiziösen Propaganda in Bayern enge Grenzen gesetzt. Es verging kaum ein außenpolitisches Ereignis, aus dessen Anlaß die bayerischen Parteien und Verbände nicht das Kriegsschuldproblem angeschnitten und seine offizielle Revision zur conditio sine qua non aller Verhandlungen mit den ehemaligen Gegnern erhoben hätten. Es gab darüber hinaus kaum eine einschlägige Stellungnahme Berlins, deren ›Laschheit‹ in München nicht gerügt worden wäre 3 0 9 . Wenngleich die Einflußmöglichkeiten des ADV in Bayern somit deutlich geringer zu veranschlagen sind als in den übrigen Teilen Deutschlands, so besaß der Arbeitsausschuß doch auch hier einen recht guten Ruf 310 . Für die dezidiert antirepublikanischen Gruppen in München und andernorts gab es im wesentlichen zwei Gründe, mit dem als offiziös und DVP-nah geltenden ADV auf die eine oder andere Weise zu kooperieren. Die Berliner Organisation verstand es, den im ›nationalen‹ Sinne instrumentellen Charakter der Verständigungspolitik Stresemanns scharf herauszuarbeiten und damit so etwas wie eine Zielidentität mit der extremen Rechten zu suggerieren. Daneben gab es auf dieser Seite des politischen Spektrums schlechterdings keine organisatorische Alternative, die mit annähernd gleicher propagandistischer Durchschlagskraft hätte auftreten können. Nicht umsonst klagte die Bundesleitung des Stahlhelm im Juni 1931, daß sich die Konkurrenzverbände des ADV gegenseitig den Rang streitig machten, wer der »wertvollere« sei. Resignierend fügte der »Bund der Frontsoldaten« hinzu: »Es ist schwer zu beurteilen, wer es tatsächlich ist, redliche Mühe geben sie sich alle . . ., aber daß sie es richtig machen, das kann [man] nicht behaupten« 311 . Die Bereitschaft zur Kooperation mit dem ADV sollte sich allerdings nach dem sozialdemokratischen Wahlsieg im Mai 1928 und erst recht nach Eintritt des Reiches in die Young-Plan-Verhandlungen merklich abschwächen. Den politischen Hintergrund dazu bildete das Bestreben der nunmehr in der »Nationalen Opposition« vereinten Rechtsfront von Hugenberg bis Hitler, die anstehende Neuordnung der Reparationsfrage zum Anlaß verstärkter Angriffe auf die parlamentarisch gewählte Reichsregierung zu nehmen 3 1 2 . Die drängenden außen- und wirtschaftspolitischen Probleme spielten hierbei nur eine untergeordnete Rolle. Das Volksbegehren gegen den YoungPlan von 1929 und das in seinem Mittelpunkt stehende »Gesetz gegen die Versklavung des Deutschen Volkes« richteten sich weit weniger als das auf den ersten Blick erscheinen mag, gegen die ehemaligen Kriegsgegner. Die Kernforderungen der »Freiheitsgesetze«, die auf den einseitigen und förmlichen Widerruf des Kriegsschuldanerkenntnisses im Artikel 231 abzielten, müssen vielmehr als demagogisches Mittel der radikalen Obstruktionspolitik gegen das demokratische Regierungssystem gewertet werden. Reichs146 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

kanzler und Reichsminister sowie deren Bevollmächtigten sollte der Prozeß gemacht werden, wenn sie auswärtigen Mächten gegenüber neue Verpflichtungen eingingen, die auf dem Kriegsschuldanerkenntnis beruhten 313 . Daß sich die innen- und außenpolitische Atmosphäre zunchmend auflud, bekam der ADV zu spüren, als er im Frühjahr 1929 die ersten Überlegungen zur Ausrichtung des zehnten Jahrestages der Friedensvertrags-Unterzeichnung anstellte. Entgegen allen Erwartungen stieß der Plan, den 28. Juni 1929 mit einer Reihe von Kundgebungen in allen wichtigen Städten des Reiches zu begehen, bei den verantwortlichen Reichsstellen auf wenig Gegenliebe. Wie übrigens schon anläßlich der fünfjährigen Wiederkehr der Vertragsunterzeichnung am 28. Juni 1924 314 versagten die Reichsregierung und verschiedene Länderkabinette dem ADV ihre Unterstützung. Die Be hörden verwehrten ihren Bediensteten sogar die Teilnahme an den geplanten Veranstaltungen. Das Kabinett der Großen Koalition unter dem sozialdemokratischen Reichskanzler Müller begründete seine Ablehnung mit den bevorstehenden Young-Plan-Verhandlungen, die durch die avisierten Massenkundgebungen zumindest atmosphärisch gestört werden könnten 315 . Die Regierungsvertreter ließen sich auch durch die Beteuerungen nicht umstimmen, mit denen der ADV-Geschäftsführer Draeger das offizielle Plazet doch noch erreichen wollte 3 1 6 . Draeger hatte das Stillhalten der antiparlamentarischen Rechten zugesagt und hierfür Zusagen der »Arbeitsgemeinschaft für Vaterländische Aufklärung« und der DNVP beigebracht. Die Regierung blieb gegenüber seinen Beteuerungen begreiflicherweise mißtrauisch, denn zu mehr als der verbalen Konzession, der »Kampf gegen Versailles« sei eine »Angelegenheit des ganzen deutschen Volkes, nicht nur einzelner Gruppen, Parteien und Berufe«, mochte sich die DNVP nicht durchzuringen 317 . Dagegen ließen die ungefähr siebzig Petitionen aus allen Teilen des Reiches, mit denen das Berliner Kabinett im Vorfeld des 28. Juni konfrontiert wurde, für den außenpolitisch unbedenklichen Ablauf der geplanten Feierlichkeiten nichts Gutes erwarten. Sie sprachen sich sämtlich für eine härtere Gangart der Regierung in der Reparationsfrage aus und forderten die einseitige und offizielle Zurücknahme der Unterschrift unter den Artikel 231 des Versailler Vertrages318. Die Weigerung der sozialdemokratisch geführten Reichsregierung, den Tag der zehnjährigen Wiederkehr von Versailles geräuschvoll in Szene zu setzen, stellte allem Anschein nach einen Grund mehr für einige der ohnehin auf die Politik der »Nationalen Opposition« abonnierten Rechtsverbände im ADV dar, in die Phalanx der Befürworter des Volksbegehrens einzuschwenken. Neben der »Arbeitsgemeinschaft für Vaterländische Aufklärung« tat sich hier besonders der »Deutsche Frauenausschuß zur Bekämpfung der Kriegsschuldlüge« hervor 319 . Letzterer trat im Oktober 1929 mit einem Flugblatt an die Öffentlichkeit, das unverhohlen für die Sache der »Nationalen Opposition« Partei ergriff. Niemals werde der Ausschuß, hieß es dort, dem Young-Plan seine Zustimmung geben und niemals werde er 147 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

ein entsprechendes Plazet der Reichstagsmehrheit für sich als »bindend und endgültig« betrachten. Nur mit äußerster Mühe gelang es der ADV-Spitze, den Ausschuß wieder auf Kurs zu bringen. Erst die massive Drohung der Wilhelmstraße, den regelmäßigen Zuschuß ersatzlos zu streichen, bewog die Organisation, der mehr als fünfzig bürgerliche Frauenverbände angehörten, ihr Flugblatt zurückzuziehen. In einem veröffentlichten Rundschreiben an die Mitglieder deklarierte die Vorsitzende, Clara Mende, die inkriminierte Publikation als ein verbandsinternes Mißverständnis. Der Vorschlag einiger Mitglieder für einen geplanten Aufruf gegen den Young-Plan sei als »offizielle Kundgebung« der gesamten Organisation herausgegangen. Um die »positive Arbeit« nicht zu gefährden, wolle man künftig von allen Stellungnahmen zum Volksbegehren Abstand nehmen 320 . Der geschilderte Vorfall ist ein Indiz dafür, daß der programmatische Grundkonsens des ADV durch die Aktionen der »Nationalen Opposition« ernsthaft in Frage gestellt zu werden drohte. Verschiedene ADV-Verbände zeigten sich jetzt offenbar bereit, das beträchtliche Renommee, das sich der ADV auf dem Gebiet der Kriegsschuld- und Revisionspropaganda erworben hatte, für die Ziele der radikalen Rechten einzusetzen. Ohne die tatkräftige Unterstützung von dieser Seite ist es jedenfalls nicht zu erklären, daß im Oktober 1929 ein Flugblatt des ADV zusammen mit dem Propagandamaterial des »Reichsausschusses für das Volksbegehren« zur Verteilung gelangte 321 . Die Veröffentlichung, die der ADV aus Anlaß des 28. Juni 1929 herausgebracht hatte, war in Millionenauflage nachgedruckt und von der »Nationalen Opposition« verbreitet worden 322 . Sie erregte in der Reichsregierung beträchtliches Aufsehen. Hermann Müller schaltete sich ein und verlangte eine klare Abgrenzung des ADV vom »Hugenberg-Ausschuß«. Andernfalls, so der Reichskanzler, werde die Regierung die »sofortige Sperrung sämtlicher Reichsmittel« für die Berliner Organisation verfügen 323 . Nach kurzem Zögern kamen Draeger und Schnee dieser Forderung Müllers nach. In einer WTB-Notiz stellten sie namens des Arbeitsausschusses öffentlich klar, daß das inkriminierte Flugblatt ohne ihr Wissen veröffentlicht worden sei und daß ihre den Grundsätzen überparteilicher Arbeit verpflichtete Organisation keinesfalls auf dem Boden des Young-Plan-Volksbegehrens stehe. Die gesamte Aktion bezeichneten sie abschließend als einen »groben Mißbrauch« der Tätigkeit des ADV324. Wer nun im einzelnen für den Nachdruck und die Verbreitung des Flugblattes verantwortlich zeichnete, blieb im Dunkeln, obwohl die Reichskanzlei Draeger und Schnee unmißverständlich aufgefordert hatte, die entsprechenden Mitgliedsorganisationen zu ermitteln. In der veröffentlichten WTB-Mitteilung hieß es dazu lapidar, das Flugblatt sei von »nicht festzustellender Seite« verbreitet worden. Es muß indessen bezweifelt werden, daß die Berliner Organisation dieser Frage mit der notwendigen Ernst148 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

haftigkeit nachgegangen ist. Zum einen war sie in ihrer Ablehnung der neuen Reparationsregelung mit der »Nationalen Opposition« durchaus einig: Bezeichnenderweise hielt es Draeger bereits im Januar 1930 für angezeigt, die Forderung nach Revision des Young-Plans zum zentralen Thema der ›Aufklärungsarbeit‹ zu machen 325 . Zum anderen hätte jedes öffentliche Bloßstellen derjenigen Mitgliedsverbände, die hinter dem Rücken der ADV-Spitzen mit der »Nationalen Opposition« paktierten, den Zusammenhalt des Arbeitsausschusses ernsthaft gefährdet. Vereinigungen wie der Frauenausschuß, der Volksbund »Rettet die Ehre« oder die Vaterländischen Verbände wären unter solchen Bedingungen wohl schwerlich bereit gewesen, weiterhin im ADV mitzuarbeiten, zumal sie die Idee einer »Einheitsfront«, die Rechte und Linke gemeinsam gegen den Versailler Vertrag zusammenschloß, immer stärker in Frage stellten. Insbesondere das Prinzip der Überparteilichkeit erfuhr jetzt eine bezeichnende semantische Wandlung. Sicherte es ursprünglich durch die Herausstellung einer imaginären Staatsräson, der vorgeblich alle innenpolitischen Gruppierungen verpflichtet waren, die Einbindung demokratischer und sozialdemokratischer Kräfte in die »Revisionsbewegung« gegenüber der politischen Rechten argumentativ ab, so diente der gleiche Topos nach 1928/ 29 zur Herausdrängung eben dieser Kräfte aus dem ADV. Die rechtsorientierten Mitgliedsverbände definierten Überparteilichkeit nunmehr als ein politisches Prinzip, das darauf angelegt sei, das Reich durch Ausschaltung der parlamentarisch-demokratischen Staats- und Regierungsform von Grund auf zu erneuern. Nur durch die konsequente Anwendung dieses Prinzips im politischen Tageskampf sei die »Einheit des Volkes« wiederherzustellen, welche die auf ihre Sonderinteressen fixierten demokratischen Parteien zerstört hätten 326 . Es verwundert deshalb nicht, daß in der Folgezeit namentlich die Sozialdemokraten scharf attackiert wurden, galten sie doch als maßgebliche Träger des Weimarer »Systems«. Die »Vaterländischen Verbände« etwa nahmen den Hinweis sozialdemokratischer Blätter auf die Mitverantwortung Deutschlands am Ausbruch des Krieges zum Anlaß, die SPD zu beschuldigen, der »Kampffront gegen die Kriegsschuldlüge« in den Rücken zu fallen. Damit sei erwiesen, so ihr Vorsitzender Graf von der Goltz in einem Schreiben an Reichskanzler Brüning vom 1. August 1931, »daß die Rettung des Reiches aus der augenblicklichen Lage nicht mit, sondern nur gegen die SPD, also durch völligen Systemwechsel, zu erreichen ist« 327 . Deutlicher konnte es kaum ausgesprochen werden, daß die politische Rechte nach 1929 in der »Kriegsschuldlüge« eine Propagandaformel sah, die deutsche Sozialdemokratie aus der ›nationalen Gemeinschaft‹ auszuschließen. Folgerichtig verstärkte sich in der Endphase Weimars der innerverbandliche Druck auf die ADV-Spitze. Immer häufiger mußte sich die Berliner Geschäftsstelle gegen den Vorwurf zur Wehr setzen, »ins Schlepptau oder gar in Abhängigkeit von der Sozialdemokratie« geraten zu sein 328 . So 149 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

sehr man freilich auf eine klare Abgrenzung des Arbeitsausschusses von der SPD und auf eine Ausschaltung der wenigen im ADV aktiven Sozialdemokraten drang, so wenig wollte man auf die Arbeitermassen als Resonanzboden der Kriegsschuld- und Revisionspropaganda verzichten. In einer Art Einheitsfront von unten‹ sollte die Arbeiterschaft gegen den Vertrag von Versailles mobilisiert werden: »Da viele Führer der Sozialdemokratie aus allgemein bekannten Gründen ihre der deutschen Sache schädliche Stellung nicht aufgeben wollen«, müsse versucht werden, wie es in einer Verlautbarung der »Vaterländischen Verbände« hieß, »die mit den Tatsachen nicht vertrauten Massen dazu zu bringen, diese Führer von sich aus zu einer Umstellung zu zwingen« 3 2 9 . Die Kritik der rechtsorientierten Mitgliedsverbände beschränkte sich j e doch nicht allein auf die Mitwirkung von Sozialdemokraten im ADV. Wie Draeger gegenüber der Wilhelmstraße klagte, wurde der Arbeitsausschuß jetzt »fortwährend gedrängt, in der Kriegsschuldfrage eine stärkere Initiative zu entfalten« 330 . Die Pressionen von rechts warfen für die Berliner Organisation beträchtliche Probleme auf. Einerseits mußte der ADV der Forderung seiner Mitglieder nolens volens nachkommen, wollte er sich nicht jeglichen Einflusses in der politischen Rechten begeben, andererseits widersprach eine allzu aggressive Kriegsschuldpropaganda den Interessen des AA, das dadurch die erwarteten Erfolge in der Reparations- und Abrüstungsfrage gefährdet sah. In dieser Situation entschlossen sich Draeger und Schnee zur Flucht nach vorn. Sie nahmen den zehnten Jahrestag der ADV-Gründung im April 1931 zum Anlaß, die Reichsregierung öffentlich aufzufordern, in ihrem Kampf gegen die »Kriegsschuldlüge« nicht nachzulassen. Die Erklärung war vorher mit der Wilhelmstraße abgestimmt worden, was übrigens auch für die Erwiderung der Reichsregierung galt, die postwendend erfolgte. Darin hatte man es, wie es intern hieß, von vornherein darauf angelegt, den Rechten »den Wind aus den Segeln zu nehmen«. Die Erklärung der Reichsregierung unterstrich noch einmal den Wert der ADV-Arbeit und versprach, das Kriegsschuldproblem in absehbarer Zeit außenpolitisch anzusprechen. Ein fester Termin für eine entsprechende Intervention wurde allerdings nicht genannt 331 . Insgesamt hielt sich der ADV in seiner Agitation nach 1929 stärker zurück, als dies den rechtsorientierten Mitgliedsverbänden lieb sein konnte. Dennoch gehörte er zu den engagiertesten Verfechtern der ›aktiven Außenpolitik‹, die in der Phase der Präsidialkabinette das Stresemannsche Konzept der Verständigungspolitik Zug um Zug ablöste 332 . Neben der immer stärker werdenden »Anti-Young-Plan-Agitation« konzentrierte sich der ADV vornehmlich auf die Abrüstungspropaganda. Zu diesem Zweck gründete er am 25. Juli 1932 zusammen mit der »Arbeitsgemeinschaft für Deutsche Wehrverstärkung« und dem »Kyffhäuser-Bund« den »Aufklärungsausschuß für nationale Sicherheit« 333 . Der Zeitpunkt der Gründung deutete auf 150 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

die Initiative des AA hin, denn kurz zuvor, am 22. Juli 1932, hatte die deutsche Delegation die Genfer Abrüstungskonferenz unter Protest verlassen, nachdem die Verhandlungen über die prinzipielle Gleichberechtigung Deutschlands an der starren Haltung Frankreichs gescheitert waren 3 3 4 . Auch die Programmatik des von Draeger geführten Aufklärungsausschusses lag auf der Linie der deutschen Revisionspropaganda. Auf »breiter überparteilicher Grundlage« wollte der Ausschuß die »Willensäußerungen des deutschen Volkes auf Selbstbehauptung sammeln, sichten und in Erscheinung treten lassen«. Unter den Schlagworten »militärische Gleichberechtigung des Reiches« und »Abrüstung der anderen« redete er dabei unverhohlen der deutschen Wiederaufrüstung das Wort: »Wenn aber die Annahme falsch war«, so Draeger in einer der ersten öffentlichen Verlautbarungen, »daß die deutsche Abrüstung die Vorbereitung der Abrüstung aller Völker sein sollte, so folgt daraus, daß der [Versailler] Vertrag hinfällig wird, daß Deutschland seine Handlungsfreiheit wiedergewinnt« 335 . Die zitierte Äußerung des ADV-Geschäftsführers ist bezeichnend für den Ton der deutschen Revisionspolitik in der Ära der Präsidialkabinette. Wiedergewinnung der Handlungsfreiheit lautete das Stichwort für die revisionspolitische Offensive nach 1930. Dahinter verbarg sich allerdings weit mehr als der nach außen hin propagierte Anspruch auf Anerkennung der militärischen Gleichberechtigung Deutschlands und die Forderung nach Senkung der Reparationsleistungen. ›Wiedergewinnung der Handlungsfreiheit galt bis weit in das abbröckelnde bürgerlich-republikanische Parteienspektrum hinein als Synonym für die Totalrevision des Friedensvertrags und die Rückgewinnung der machtpolitischen ›Weltgeltung‹ Deutschlands im Rahmen einer grundlegend veränderten internationalen Ordnung 336 .

5. ADV und Nationalsozialismus Vor dem Hintergrund der kombinierten Staats- und Gesellschaftskrise Weimars gewann das rapide Anwachsen der NSDAP nach den Septemberwahlen des Jahres 1930 in den Augen vieler Konservativer besondere Bedeutung. So schien für die Erreichung der antirepublikanischen Zielsetzungen Hugenbergs und der von ihm geführten DNVP die Existenz einer radikalen nationalsozialistischen Opposition mit Massenanhang nur von Vorteil zu sein, zumal man es sich ohne weiteres zutraute, diese Kraft zu zähmen, falls das erforderlich erscheinen sollte. Die ADV-Führung brachte die vermeintliche Zielidentität des konservativen und des nationalsozialistischen Revisionismus auf die abschüssige Ebene zunächst der Tolerierung, später dann der Unterstützung Hitlers. War noch v. Lersners Ansicht, man müsse den »vorhandenen Wissensstoff im Kampf gegen die Kriegsschuldlüge auch in die Reihen der Nationalsozia151 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

listen hineintragen« 337 , auf der Kuratoriumssitzung des Arbeitsausschusses vom 26. Februar 1931 ohne jede Resonanz geblieben, stellte sich im Laufe desselben Jahres ein für den politischen Konservativismus jener Zeit bezeichnender Sinneswandel ein. Im Frühjahr 1932 kam es zu »sehr eingehenden Verhandlungen« zwischen dem Arbeitsausschuß und der Auslandsabteilung der NSDAP 3 3 8 . Die Gespräche hatten die Zielsetzungen der ADVArbeit zum Gegenstand und verliefen allem Anschein nach ganz im Sinne der Berliner Geschäftsstelle. Nicht ohne Stolz meldete Draeger der Wilhelmstraße, daß die NSDAP die Propagandatätigkeit des ADV »grundsätzlich für zweckmäßiger« halte als beispielsweise die alldeutsche Agitation des Hamburger »Fichte-Bundes« 339 . In aller Öffentlichkeit sichtbar wurde die wachsende Sympathie, welche die ADV-Spitze für die Hitler-Bewegung empfand, jedoch erst durch den offenen Brief, mit dem Schnee seinen Austritt aus der DVP erklärte 340 . In seinem an den Vorsitzenden der Volkspartei, Dingeldey, gerichteten Schreiben, das am 30. bzw. am 31. Oktober 1932 in beinahe allen größeren Zeitungen des Reiches, u. a. im »Völkischen Beobachter«, publiziert wurde, erklärte Schnee die bis dahin von der DVP betriebene Unterstützung der Regierung Papen für »vollkommen verfehlt« und plädierte eindringlich für eine Koalition der bürgerlichen Rechtsparteien mit den Nationalsozialisten. Eine wirklich »nationale Front« zur Rettung des Vaterlandes, so der ADVPräsident, könne nur durch das »Zusammenwirken sämtlicher auf nationalem Boden stehender Parteien einschließlich der NSDAP« Zustandekommen341. Entsprechend unproblematisch verlief auch die Anerkennung der Machtübernahme Hitlers durch den ADV. Personelle Umbesetzungen im Sinne der sonst üblichen nationalsozialistischen Gleichschaltungsmaßnahmen erfolgten in der Berliner Geschäftsstelle nicht. Sie waren auch überflüssig, denn das ADV-Präsidium hatte sich rasch mit den neuen Verhältnissen arrangiert. Draeger interpretierte die »nationalsozialistische Revolution [als] die Antwort des deutschen Volkes in seinen stärksten Kräften auf Versailles« 342 , und Schnee sah unter der Reichskanzlerschaft Hitlers die »deutsche Einheitsfront . . . gegen die Kriegsschuldlüge« endgültig verwirklicht. Nunmehr hätten sich, wie Schnee weiter ausführte, Regierung und Volk in dem unerschütterlichen Willen vereint, die »Gleichberechtigung« der deutschen Nation durchzusetzen 343 . Wie diese Äußerungen zeigen, hielt der ADV auch nach 1933 an den altbewährten, moralisierenden Propagandaformeln fest. Die Außenpolitik Hitlers wurde zur »Bürgschaft des europäischen Friedens« 344 stilisiert, und man bemühte sich eilfertig darum, sie gegenüber der anwachsenden Zahl vor allem ausländischer Kritiker in eine Kontinuitätslinie mit dem Revisionismus der Weimarer Zeit zu stellen. In diesem Sinne wurde der im Herbst 1933 erfolgende Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund zu einem Schritt, den die »Ehre« des deutschen Volkes angesichts der »leeren Verspre152 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

chungen und gebrochenen Zugeständnisse« zwingend erheische, und die vertragswidrige Einführung der allgemeinen Wehrpflicht im Jahre 1935 konnte so als eine für die Wahrung der Sicherheit notwendige Aktion interpretiert werden, die »ausschließlich der Verteidigung und damit der Erhaltung des Friedens« diene 345 . Mit der Verbrämung der aggressiven außenpolitischen Tendenzen Hitlers reihte sich der ADV bruchlos in die Front derjenigen konservativen Kräfte ein, die ihr vor allem im Ausland nicht unbeträchtliches Renommee in die Waagschale warfen, um den neuen Reichskanzler und seine Politik jenseits der deutschen Grenzen hoffähig zu machen. Die Wilhelmstraße hielt der Berliner Organisation dabei den Rücken gegenüber den nicht nachlassenden Angriffen ultrarechter Kräfte frei. Sie wurde in diesem Unterfangen von hohen NSDAP-Stellen tatkräftig unterstützt. So verliefen alle Bemühungen des »Fichte-Bundes«, den Arbeitsausschuß in der Partei zu desavouieren, mehr oder weniger im Sande 346 , und selbst den Vorwurf des berüchtigten »Stürmer«, im ADV hätten während der Weimarer Zeit »Juden und Judengenossen« die Führung innegehabt, überstand die Verbandsspitze ohne größeren Schaden 347 . Allerdings ließ der »neue Geist in der Bekämpfung der Kriegsschuld« keinen Raum mehr für die Zusammenarbeit mit Demokraten, geschweige denn für die Kooperation mit Sozialdemokraten. Schon ein knappes Jahr nach der Machtergreifung waren die Vertreter der republikanischen Parteien als national unzuverlässige Kräfte ›entlarvt‹, die, wie der Historiker und »Kriegsschuldforscher« Paul Herre schrieb, gerade in der Kriegsschuldfrage das vaterländische Interesse »sträflich« vernachlässigt hatten. Das galt nach Herres Ansicht ganz besonders für die Sozialdemokratie, die den »Ehrenpunkten« des Versailler Vertrags in den Jahren der Weimarer Republik mit »verhängnisvoller Gleichgültigkeit« gegenübergestanden hätte 348 . Selbst die bereitwillige Kooperation mit dem neuen Regime änderte jedoch nichts daran, daß der ADV nach 1933 mehr und mehr ein Schattendasein führte. Die zentrale »Adolf-Hitler-Spende«, die das Spendenaufkommen privater Unternehmen weitgehend absorbierte, entzog dem Arbeitsausschuß wichtige finanzielle Mittel. Und was noch wichtiger war. Das Kriegsschuldproblem verlor im Laufe der Zeit zunehmend an politischer Bedeutung. Das »tatkräftige Vorgehen« der nationalsozialistischen Regierung beseitigte, wie es in einem Erinnerungsbericht Schnees heißt, »Stück für Stück . . . die Belastungen und Diskriminierungen, welche das Versailler Diktat dem Deutschen Reich auferlegt hatte« 349 . Im Frühjahr 1937 kam dann schließlich das Ende. Der ADV wurde annähernd zeitgleich mit der »Zentralstelle für Erforschung der Kriegsursachen« aufgelöst. Nennenswerten Widerstand gegen diese Auflösung gab es allem Anschein nach nicht. Das mag nicht zuletzt daran gelegen haben, daß die beiden wichtigsten Repräsentanten des ADV in den Diensten des ›neuen Staates‹ verblieben. Draeger fand schon im Mai 1933 eine neue berufliche 153 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

Betätigung im Hauptreferat VI (Propagandaabwehr) des wehrpolitischen Amtes der NSDAP 3 5 0 und Schnee, nunmehr Reichstagsabgeordneter der NSDAP, übernahm ebenfalls im Frühjahr 1933 den Vorsitz der in die »Deutsche Gesellschaft für Völkerbundsfragen« umgewandelten ehemaligen Völkerbund-Liga. Schnee wurde wenig später auch Vorsitzender der »Weltwirtschaftlichen Gesellschaft«, nachdem eine Anzahl jüdischer und demokratischer Mitglieder aus deren Beirat ausgeschieden waren351.

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C . C h a n c e n und Hindernisse einer kritischrationalen

Vergangenheitsbewältigung:

Der Parlamentarische

Untersuchungsausschuß

f ü r die Schuldfragen des

Weltkriegs

I. V o m S t a a t s g e r i c h t s h o f z u m Untersuchungsausschuß Die vorangegangenen Kapitel haben gezeigt, daß die Kriegsschuld- und Revisionspropaganda schon wegen ihrer staatlichen Förderung und hochgradigen Institutionalisierung in der öffentlichen Meinung des Reiches eine bedeutsame Rolle gespielt hat. Sie kultivierte in weiten Kreisen der Bevölkerung die Unzufriedenheit mit dem internationalen Status quo und weckte außenpolitische Ansprüche, die von den Berliner Kabinetten nicht zu erfüllen waren. Ihre unzweifelhaft apologetische Tendenz trug zur Idealisierung des Kaiserreichs bei und bot somit der antirepublikanischen Rechten willkommene Ansatzpunkte für ihre Agitation. Vor diesem Hintergrund drängt sich die Frage nach den historischen Alternativen zum regierungsamtlich geförderten »Kampf gegen die Kriegsschuldlüge« geradezu auf. In das Blickfeld rückt die eingangs skizzierte Diskussion, die in Deutschland unmittelbar nach der Revolution über die Verantwortung am Ausbruch und an der Verlängerung des Weltkriegs geführt wurde und die ihren Ausdruck in dem bereits erwähnten Gesetzentwurf des sozialdemokratischen Justizministers Landsberg vom 12. März 1919 fand1. Die Vorlage Landsbergs, die sich mit der Errichtung eines »Staatsgerichtshofes zur Erforschung von Vorgängen vor und in dem Weltkrieg« beschäftigte, stieß von Anfang an auf große Zurückhaltung bei den bürgerlichen Koalitionspartnern der SPD. Die Skepsis steigerte sich zur offenen Ablehnung, als sich im Frühjahr 1919 die Konturen eines harten Friedensam außenpolitischen Horizont abzeichneten und die konterrevolutionären Angriffe der deutschen Rechten im Zeichen der »innenpolitischen Einheitsfront« gegen Versailles abzuflauen begannen. Sowohl im Zentrum als auch bei den Demokraten setzte sich die Ansicht durch, den neu zu konstituierenden Staatsgerichtshof auf die angestammten Aufgaben eines Verfassungsgerichts, d.h. auf die »Ausgestaltung der Ministerverantwortlichkeit« und andere verfassungsrechtliche Fragen zu beschränken. Von einer Behandlung des Kriegsschuldproblems durch den Gerichtshof befürchtete man insbe155 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

sondere »weitere Reizungen im Innern«, die es angesichts des bevorstchenden Kampfes »um Sein oder nicht Sein« unter allen Umständen zu vermeiden galt 2 . Auch renommierte Juristen ergriffen in diesem Zusammenhang das Wort. Staatsrechtler wie Heinrich Triepel, Otto v. Gierke und Erich Kaufmann machten auf die erheblichen rechtlichen Probleme eines Staatsgerichtshofes für die Kriegsschuldigem aufmerksam. Für sie war die Kriegsschuldfrage ein politisch-historisches, keinesfalls aber ein juristisches Problem: Den Straftatbestand der bewußten Herbeiführung des Krieges gebe es weder im deutschen noch im internationalen Recht; eine gerichtliche Verfolgung der im Juli 1914 auf deutscher Seite verantwortlichen Politiker und Militärs tangiere den Rechtsgrundsatz nulla poena sine lege praevia; darüber hinaus müsse man grundsätzlich bezweifeln, ob es überhaupt möglich sei, verbindliche Rechtsnormen für die Kriegsschuld zu entwickeln 3 . Wie diese wenigen Hinweise zeigen, entspann sich im Frühjahr und Sommer 1919 eine beachtliche Diskussion über den Landsberg-Entwurf, der noch verschiedene Modifizierungen erfuhr4. Die Debatte beschäftigte Parlament und Presse gleichermaßen. In ihrem Verlauf rückte auch die SPD von einer Verfolgung der Kriegsschuldigem mit den Mitteln der politischen Justiz ab. Als Kompromiß schälte sich im Reichstag die Einrichtung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses nach Art. 34 der neuen Reichsverfassung heraus 5 . Dieser Ausschuß konstituierte sich am 21. August 1919 als 15. Ausschuß der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung 6 . Bereits am 14. Oktober 1919 konnte der inzwischen zum Vorsitzenden und Berichterstatter des Ausschusses gewählte DDP-Abgeordnete Carl Petersen 7 dem Parlament eine Zusammenstellung von Beschlüssen vorlegen, in der die 28, mehrheitlich den Weimarer Koalitionsparteien zugehörigen Ausschußmitglieder die vorläufige Stoffgliederung ihrer Arbeit sowie den dazugehörigen Arbeitsplan vorstellten und eine erste Stellungnahme über die Zielrichtung ihrer Untersuchung abgaben. Als eine »Enquete-Kommission« wollte der Ausschuß bestimmte, »vom politischen Interesse des Volkes« diktierte Fragen mit »leidenschaftsloser Sachlichkeit« beantworten und die Ergebnisse seiner Arbeit alsbald der Öffentlichkeit unterbreiten. Im Mittelpunkt der Untersuchung standen dabei - wie aus den Erinnerungen des DDP-Politikers und Ausschußmitglieds Georg Gothein hervorgeht - zwei Hauptpunkte: Die Aufklärung über die »Fehler und Mängel des alten Systems« und die »Widerlegung der gegen Deutschland erhobenen Kriegsschuldlüge«. Wie die meisten seiner Kollegen, die sozialdemokratischen Ausschußmitglieder eingeschlossen, ging auch Gothein davon aus, daß die skizzierten Aufgaben, die kritisch-rationale Beschäftigung mit der jüngsten Vergangenheit einerseits und die Widerlegung der alliierten Schuldanklage andererseits nicht miteinander konfligierten 8 . Gerade in der Frühphase der Untersuchung gaben sich selbst die an einer vorurteilsfreien Beschäftigung mit der Vergangenheit interessierten 156 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

Abgeordneten der Illusion hin, »die Wahrheit werde nicht zu Deutschlands Ungunsten sprechen« 9 . Vor diesem Hintergrund richtete sich das Erkenntnisinteresse der Ausschußmitglieder weniger auf eine möglichst vollständige chronologische Zusammenfassung aller Ereignisse des Weltkrieges, sondern stärker auf bestimmte, durch die deutsche Kriegs- und Vorkriegspolitik aufgeworfene offene Fragen, die seit dem Herbst 1918 kontrovers diskutiert worden waren. Im einzelnen waren dies die: 1. »Aufklärung der Vorgänge, die im Juli 1914 als Folge des Attentats in Sarajewo zum Ausbruch des Krieges geführt haben; 2. Aufklärung sämtlicher Möglichkeiten, zu Friedensbesprechungen mit dem Feinde zu gelangen, und Aufklärung der Gründe, die solche M ö g lichkeiten oder dahingehende Pläne und Beschlüsse deutscherseits zum Scheitern gebracht haben bzw. wenn Besprechungen stattgefunden haben, aus welchen Gründen solche Besprechungen erfolglos geblieben sind; 3. Aufklärung über kriegerische Maßnahmen, die völkerrechtlich verboten waren oder, ohne daß sie völkerrechtlich verboten waren, doch unverhältnismäßig grausam oder hart waren; 4. Aufklärung über die wirtschaftlichen Kriegsmaßnahmen an der Front, im besetzten Gebiet, die völkerrechtswidrig waren oder deren Durchführung, ohne einen besonderen militärischen Vorteil zu versprechen, eine für die betreffende Bevölkerung und deren Land nicht zu rechtfertigende Härte mit sich bringen mußten« 1 0 . U m einen schnellen und reibungslosen Ablauf der Untersuchung zu gewährleisten, delegierte man die einzelnen Themenkomplexe an vier weitgehend autonome Unterausschüsse (UA) mit je sechs bis acht Mitgliedern. Diese hatten laut Arbeitsplan den Hauptteil der anfallenden Arbeiten zu leisten. Außer der Akten- und Dokumentenbeschaffung oblag den Unterausschüssen die Vernehmung von Zeugen und die Anhörung der bestellten Sachverständigen. Ferner waren sie mit der Abfassung der Schlußberichte und der Vorschlagsgestaltung für die endgültigen Entschließungen des Gesamtausschusses betraut. Die Überweisung von Arbeitsaufträgen, die Entscheidung über eventuell erforderliche Beweisaufnahmen, die Wahl der Sachverständigen, die Anhörung und Diskussion von Berichten und Entschließungen sowie deren Überweisung an das Parlament verblieben dagegen beim Gesamtausschuß - dem Plenum aller Ausschußmitglieder. Dieser kam jedoch - schon aus mangelnder Kenntnis der spezifischen Probleme, die die einzelnen Untersuchungskomplexe aufwarfen - den Wünschen der U n terausschüsse in aller Regel nach und leitete deren Entschließungen und Berichte meist unbeanstandet an das Plenum des Parlaments weiter 11 . Die eigentliche Administration fiel einem eigens eingerichteten Ausschußbüro zu, das mit einer Reihe von wissenschaftlichen Hilfskräften - den Ausschußsekretären sowie dem Generalsekretär 12 - und mit einer Anzahl von Bürokräften für die anfallenden Schreib- und Verwaltungsaufgaben 157 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

besetzt war. Dem Büro hatte man die Aufgabe zugewiesen, die mit einer Vielzahl anderweitiger parlamentarischer Aufgaben belasteten Ausschußmitglieder tatkräftig zu unterstützen13. Zum Tätigkeitsfeld der Ausschußsekretäre gehörte unter anderem die Auswahl geeigneter Literatur für Mitglieder und Sachverständige, die Vorschlagsgestaltung für die Untersuchungsmethoden und die Vorbereitung der Zeugenvernehmung. Ferner waren sie mit der oft schwierigen Aufgabe der Materialbeschaffung und -Verwertung betraut 14 . Die Sekretäre gewannen dadurch erheblichen Einfluß auf die von ihnen betreuten Untersuchungen und vermochten nicht selten der inhaltlichen Gestaltung der Ausschußberichte und -entschließungen ihren Stempel aufzudrücken 15 . Ihre Stellung wurde noch dadurch gestärkt, daß man sie in Hinblick auf die Möglichkeit, in geheime Aktenbestände einzusehen, mit den ordentlichen Ausschußmitgliedern gleichstellte16. Die skizzierte Regelung erhöhte noch das Mißtrauen der Behörden gegen den Kriegsschuldausschuß. Besonders die militärischen Stellen äußerten ihre Einwände und sperrten sich gegen eine Einsichtnahme in ihre Aktenbestände 17 . Da es den Reichsämtern aber nicht opportun erschien, ihre Bedenken so kurz nach der Revolution öffentlich zu äußern, gewannen jetzt die Beamten und Militärs an Bedeutung, welche die Ministerien dem Ausschuß auf Geheiß der Reichsregierung zur Verfügung zu stellen hatten, um den Parlamentariern die Orientierung in den amtlichen Archiven zu erleichtern und eventuelle Aktenfunde durch Hintergrundinformationen zu kommentieren. Die Vertreter der Reichsministerien beim Ausschuß entwickelten sich mit der Zeit zu »Zensurstellen« der Untersuchung 18 . Ihr erklärtes Ziel war es, wie von den militärischen Stellen verlautete, alles zu verhindern, was die Untersuchung in »gänzlich unrichtige Bahnen« lenken konnte 19 . In einem anderen für die öffentliche Resonanz der Untersuchung bedeutsamen Punkt, der Frage nach der publizistischen Verwertung der vom Ausschuß bearbeiteten Aktenmaterialien, hatte sich das AA schon von vornherein eine gewichtige Mitsprachemöglichkeit gesichert. Mit Rücksicht auf e h e m a l s neutrale Staaten und in Ansehung der Verantwortung des AA für die Sicherung bestimmter »schwerwiegender, vaterländischer Interessen« blieb eine Veröffentlichung amtlicher Materialien durch den Ausschuß an die schriftliche Zustimmung der Wilhelmstraße gebunden 20 . Insgesamt wurde der Ausschuß also, noch che die Untersuchungen recht begonnen hatten, mit schwerwiegenden Einlassungen und Bedenken der Exekutive konfrontiert. Diese haben sich im Laufe der Untersuchungen noch verstärkt und erheblich dazu beigetragen, der Kriegsschuldkommission des deutschen Parlaments viel von ihrer möglichen öffentlichen Breitenwirkung zu nehmen.

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II. F r i e d e n s m ö g l i c h k e i t e n i m W e l t k r i e g

1. Wilson-Aktion und unbeschränkter U-Boot-Krieg Die Fragestellung des 2. UA, der sich mit den Ursachen und Hintergründen der gescheiterten Friedensmöglichkeiten im Weltkrieg beschäftigte, knüpften direkt an eine politische Kontroverse an, die Parlament und Öffentlichkeit kurz nach dem Abschluß des Friedensvertrages heftig bewegten. Im Mittelpunkt dieses von der antirepublikanischen Rechten geschürten Streits stand der ehemalige Leiter der Waffenstillstandskommission und erste Finanzminister der neuen Republik, Matthias Erzberger 21 . Ihm warf man vor, eine vertrauliche Denkschrift des österreichisch-ungarischen Außenministers, Graf Czernin, über die desolate militärische Lage der Habsburger Monarchie noch im Kriege veröffentlicht zu haben. Im Vertrauen auf ihren Sieg, so die Rechtspresse, habe die Entente daraufhin eine Reihe ursprünglich ernst genommener Friedenssondierungen nicht mehr weiter verfolgt 22 . Die selbst vor offenkundigen Unwahrheiten nicht zurückschreckenden Invektiven reaktionär-konservativer Kreise veranlaßten Erzberger, seinerseits zum Gegenangriff überzugchen. In der Sitzung der Nationalversammlung vom 25. Juli 1919 machte sich der Zentrumspolitiker in direkter Beantwortung vorangegangener Angriffe des DNVP-Abgeordneten v. Graefe anheischig, Beweise dafür zu erbringen, daß dem Reich im Weltkrieg mehrmals die Möglichkeit geboten worden war, zu einem Verständigungsfrieden zu gelangen, daß aber die OHL in Verbindung mit den Rechtsparteien jede dieser Friedensmöglichkeiten von vornherein konterkariert hatte 23 . Sehr zum Mißvergnügen des AA, das seine Strategie der strikten Zurückweisung aller Schuldvorwürfe der Alliierten substantiell gefährdet sah 24 , legte Erzberger der Nationalversammlung eine Reihe bis dahin geheimgehaltener Dokumente vor, die den Wahrheitsgehalt seiner Feststellungen bekräftigen sollten 25 . Seine von Tumulten begleitete Rede schloß der Zentrumspolitiker mit einer Attacke auf die politischen und militärischen Spitzen des Kaiserreichs, deren Verantwortung für die versäumten Friedensmöglichkeiten im Weltkrieg Erzberger als klar erwiesen ansah. Wer in der Kontroverse über die gescheiterten Friedensmöglichkeiten die historische Wahrheit auf seiner Seite hatte, das unter anderem sollte der 2. UA klären helfen, der am 21. Oktober 1919 unter reger Beteiligung der nationalen und internationalen Presse seine öffentlichen Verhandlungen aufnahm 26 . Auf der Tagesordnung der Sitzungen, die von dem deutschnationalen Landgerichtspräsidenten Warmuth geleitet wurden, stand zunächst 159 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

das Friedensvermittlungsangebot des US-Präsidenten Wilson vom 18. Dezember 1916 27 . Hugo Sinzheimer, der sozialdemokratische Berichterstatter des 2. UA, faßte in seinem einleitenden Bericht die Untersuchungsschwerpunkte zu klar gegliederten Hauptfragen zusammen. Danach standen folgende, in der innerdeutschen Diskussion strittig gebliebenen Punkte zur Klärung an: 1. Warum es zu dem deutschen Friedensangebot vom 12. Dezember 1916 kam, obwohl Informationen über die bevorstehende Friedensaktion des amerikanischen Präsidenten Wilson vorlagen; 2. warum deutscherseits keine Friedensbedingungen genannt wurden, obwohl der amerikanische Präsident alle am Kriege beteiligten Mächte darum gebeten hatte; 3. warum die Schlichtungsversuche Wilsons ›dilatorisch‹ behandelt werden sollten und deutscherseits erst am 29. Januar 1917, als der unbeschränkte U-Boot-Krieg schon beschlossen war, Friedensbedingungen (noch dazu annexionistische) vertraulich mitgeteilt wurden; 4. wie es zum »mexikanischen Telegramm« des Staatssekretärs Zimmermann kam, das letztlich den Anstoß zum Kriegseintritt der USA gegeben hatte; 5. inwieweit die militärische Führung und vor allen Dingen die OHL eine positive Aufnahme der amerikanischen Friedensaktion behindert hatte 28 . Die von Sinzheimer vorgenommene Strukturierung des komplexen Untersuchungsgegenstandes vermittelte den Ausschußmitgliedern eine erste wichtige Orientierungshilfe für ihre zukünftige Tätigkeit, vermochte aber die anfangs mangelnde Aktenkenntnis der meisten Parlamentarier keinesfalls zu kompensieren. Die unzureichende Vorbereitung resultierte aus der starken Arbeitsüberlastung der Abgeordneten in der Konstituierungsphase der Republik und der relativ frühzeitigen Verhandlungseröffnung 29 . Solange jedoch die geladenen Zeugen die demokratische Legitimität der Untersuchung und das Bemühen um Objektivität auf Seiten der beteiligten Parlamentarier nicht prinzipiell in Zweifel zogen und soweit sie sich bemühten, objektive Tatsachenfeststellungen von subjektiver Bewertung wenn irgend möglich zu separieren, wirkten sich die Informationsdefizite der Ausschußmitglieder nicht sonderlich nachteilig auf den Erkenntniswert der Vernchmungen aus. Dies zeigen die Vernehmungen des ehemaligen deutschen Botschafters in den USA, Graf Bernstorff, die in ruhiger und sachlicher Atmosphäre verliefen 30 . Bernstorff hob die seiner Ansicht nach aufrichtige Absicht Wilsons hervor, als »chrlicher Makler« zwischen den kriegführenden Mächten zu fungieren und ging besonders auf die Bedeutung des deutschen Friedensangebots vom 12. Dezember 1916 ein. Die unerwartete Bekundung des deutschen Friedenswillens sei von den USA als eine zusätzliche Erschwerung der den Berliner diplomatischen Stellen bereits vertraulich signalisierten Friedensinitiative Wilsons interpretiert worden, wenngleich der amerikanische Präsident sich durch das Vorpreschen des Reiches keines160 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

falls desavouiert gefühlt habe. Zum Kriegseintritt der USA sei es erst in der Folge der Wiederaufnahme des unbeschränkten U-Boot-Krieges durch das Reich gekommen, auf dessen fatale Folgen Bernstorff selbst die verantwortlichen Reichsstellen »unzählige Male« aufmerksam gemacht habe 31 . Der DDP-nahe Diplomat schloß seine Ausführungen mit dem Hinweis auf seine vergeblichen Versuche, den Gang der Dinge, selbst noch nach Abberufung aus den USA, in Richtung auf einen Verständigungsfrieden im Wilsonschen Sinne zu beeinflussen. Er ließ dabei anklingen, daß seine Bemühungen letztlich am entschiedenen Widerstand der OHL, vornehmlich am Veto Ludendorffs gescheitert waren 32 . Der Aussage Bernstorffs folgten Vernehmungen, in denen der Reichskanzler der Kriegsjahre 1914 bis 1917, v. Bethmann Hollweg, sein Vizekanzler Helfferich sowie die Repräsentanten der 3. OHL, Ludendorff und v. Hindenburg, zu Wort kamen 3 3 . Schon bei der Vernehmung v. Bethmann Hollwegs verkrampfte sich die anfangs gelöste Verhandlungsatmosphäre 34 . Selbst die intensiven Gespräche, die der demokratische Gesamtausschußvorsitzende Petersen im Vorfeld der Vernchmungen mit v. Bethmann Hollweg geführt hatte, konnten das prinzipielle Mißtrauen des ehemaligen Reichskanzlers gegenüber der parlamentarischen Untersuchung nicht ausräumen. Abgesehen von der tiefen Verunsicherung über die strafrechtlichen Konsequenzen der Zeugenaussage für die eigene Person ließen es Bewußtseinshaltung und Loyalität des kaiserlichen Politikers nicht zu, vor einem republikanischen Forum alte politische Rechnungen zu begleichen 35 . V. Bethmann Hollweg blieb bestrebt, die seinerzeit aufgetretenen schweren Spannungen zwischen militärischer und ziviler Reichsleitung nach Möglichkeit nicht zu thematisieren. Zwar konnten aufmerksame Beobachter aus seinen Aussagen unschwer auf die unheilvolle Rolle schließen, die die 3. OHL bei dem in den Forderungen »zu stark« formulierten deutschen Friedensangebot vom 12. Dezember 1916 gespielt hatte. Auch wurde das militärische Engagement zugunsten einer innenpolitischen Abwiegelung der amerikanischen Friedensinitiative und für die Wiederaufnahme des UBoot-Krieges hinreichend deutlich 36 . Offen auf den mit der steigenden Machtfülle v. Hindenburgs und Ludendorffs korrespondierenden Machtverfall der zivilen Reichsleitung angesprochen, wich der ehemalige Reichskanzler jedoch in Allgemeinplätze aus. Zur Jahreswende 1916/17 sei jeder politische Widerstand gegen die von der OHL geforderte Wiederaufnahme des unbeschränkten U-Boot-Krieges nur um den Preis einer Heraufbeschwörung stärkster innenpolitischer Konflikte möglich gewesen. Da die Majorität des Reichstags sowie die Mehrheit des deutschen Volkes im unbeschränkten U-Boot-Krieg eine unbedingte Notwendigkeit und damit die hinreichende Bedingung für die Beendigung des Krieges sah, habe die zivile Reichsleitung, wie v. Bethmann resümierend anmerkte, seinerzeit geglaubt, eine »zaghafte und kleinmütige Haltung« politisch nicht vertreten zu können37. 161 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

Eine erste dramatische Zuspitzung erfuhren die öffentlichen Verhandlungen des 2. UA im Verlaufe der Vernchmungen Helfferichs, bevor sie während der Auftritte v. Hindenburgs und Ludendorffs 38 in einen für den gesamten Untersuchungsausschuß spektakulären und folgenreichen Eklat hineinsteuerten. Helfferich bereitete mit seinen bewußt provozierenden Angriffen auf verschiedene Ausschußmitglieder den Boden für die Ausfälle der Repräsentanten der OHL. Ungeachtet seinere h e m a l süberaus starken Vorbehalte gegen die Wiederaufnahme des unbeschränkten U-Boot-Krieges verteidigte der frühere Vizekanzler vor der parlamentarischen Kommission den von den Militärs erzwungenen Beschluß vom 9. Januar 1917 mit allem Nachdruck. Er verband dabei die nachträgliche Legitimierung des unbeschränkten U-Boot-Krieges mit massiven Angriffen auf die Träger der neuen republikanischen Ordnung. »Neidlos«, so Helfferich, überlasse er denjenigen die »untragbare Schuld« an der Kriegsniederlage, die im Juli 1917 [mit der Friedensresolution der Mehrheitsparteien des Reichstags, U. H.] dem deutschen U-Boot-Krieg »in den Rücken gefallen« seien 39 . In erprobter Manier beherzigte Helfferich auch diesmal die erfolgreiche propagandistische Regel, seine Polemik an Personen und nicht etwa an politischen Strukturen festzumachen. In den Mittelpunkt seiner Angriffe rückte das USPD-Ausschußmitglied Cohn, dem Helfferich unter Berufung auf die »nationale Ehre« jede Auskunft verweigerte. Zur Begründung führte der ehemalige Vizekanzler an, Cohn habe Gelder der sowjetrussischen Regierung empfangen, »um Deutschland zu revolutionieren« 40 . Der 2. UA reagierte auf diese Brüskierung mit der Verhängung einer Geldstrafe von insgesamt 600 RM, konnte aber nicht verhindern, daß der Ausschußvorsitzende Warmuth unter Protest gegen dieses Urteil von seinem Vorsitz zurücktrat und sich mit Helfferich solidarisierte 41 . In weiten Teilen der Öffentlichkeit wurde der Rücktritt des deutschnationalen Landgerichtspräsidenten als eine juristische Legitimation der Aussageverweigerung Helfferichs angeschen, zumal Helfferich den nachfolgenden Rechtsstreit 42 um die verhängte Geldstrafe vornehmlich mit juristischen Argumenten bestritt 43 . Aber auch ohne die Beschäftigung der Gerichte hatte sein Auftritt die geplante Funktion erfüllt: Vor den Augen der deutschen Öffentlichkeit waren die ›Schuldigen‹ an der Kriegsniederlage des Reiches, die Revolutionäre und Republikaner, benannt und angegriffen worden. Es sollte dem ebenfalls vor den Ausschuß geladenen Generalfeldmarschall v. Hindenburg vorbehalten bleiben, die von Helfferich angedeutete Dolchstoßlegende öffentlichkeitswirksam zu inaugurieren 44 . Mit geradezu auffälliger Entschlußkraft hatte der zu diesem Zeitpunkt noch amtierende Deutschnationale Warmuth die Ladung v. Hindenburgs angeordnet, ohne die übrigen Ausschußmitglieder befragt zu haben. In diesem Zusammenhang hatte sich der Vorsitzende selber beim zuständigen Minister um einen Sonderzug bemüht. Auch die Reichswehr wollte nicht zurückstehen. Sie schickte eine Ehrenwache zum Bahnhof, stellte Hindenburg zwei Offiziere 162 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

als Adjutanten zur Verfügung und postierte Wachen vor der Villa Helfferichs, bei dem der Generalfeldmarschall während seines Berliner Aufenthaltes zu Gast war. Der Erfolg war durchschlagend. Obwohl Berlin wegen der von Noske vollzogenen Auflösung des Vollzugsrates der Arbeiterräte Großberlins unter Ausnahmezustand lag, kam es, unter Beteiligung von Teilen der Reichswehr, die eigentlich für die Aufrechterhaltung der Ordnung verantwortlich gewesen wären, zu einer überwältigenden Kundgebung für den Generalfeldmarschall, natürlich mit Spitze gegen den neuen Staat und besonders gegen den parlamentarischen Untersuchungsausschuß. Bezeichnend für diese, wie die »Frankfurter Zeitung« schrieb, »von der DNVP zielbewußt herbeigeführte Gewaltprobe mit der jungen Republik« war die Sprengung einer Versammlung der Völkerbund-Liga, ohne daß die zu deren Schutz angerückten Ordnungskräfte, zumeist Reichswehreinheiten, eingegriffen hätten. Für den 18. November 1919 war die Vernehmung v. Hindenburgs und Ludendorffs angesetzt. Plätze im Sitzungssaal waren nicht mehr zu erhalten. Was in Berlin Rang und Namen hatte, vor allem in alldeutscher Umgebung, nationale und internationale Presse eingeschlossen, war vertreten. Als v. Hindenburg den Sitzungssaal betrat, erhoben sich sämtliche Anwesenden von ihren Sitzen und ließen sich erst wieder nieder, als der uniformierte Generalfeldmarschall, »steif und mit schweren Schritten«, seinen Platz eingenommen hatte. Dieser war schon vorher mit einem Strauß weißer Chrysanthemen geschmückt worden, in die ein schwarz-weiß-rotes Band geknüpft war. Hinter v. Hindenburg betrat Ludendorff den Saal. Er wirkte in seinem Straßenanzug, glaubt man dem anwesenden Sachverständigen Moritz Bonn, wie der cholerische Chef eines großen Industrieunternehmens. Man sah ihm die innere Spannung an, »spielte er doch um den großen Einsatz seiner Rückkehr ins öffentliche Leben«. Sofort nachdem der neue Vorsitzende Gothein (DDP) die Sitzung eröffnet hatte, erhob sich v. Hindenburg und verlas, unberührt von der fast devoten Höflichkeit, mit der ihn der Ausschuß empfangen hatte, eine Erklärung 45 , in der er die Wirkungen des militärischen Übergewichts der Alliierten nach dem Kriegseintritt der USA bagatellisierte und in erster Linie die »planmäßige Zersetzung« der deutschen Flotte und des deutschen Heeres durch revolutionäre Kräfte für die Niederlage des Kaiserreichs verantwortlich machte 46 . Man könne, so v. Hindenburg, den »guten Kern« des Heeres und das Offizierkorps nicht mit dem Odium des schuldhaften Versagens belasten; die deutsche Armee sei, wie es auch schon ein englischer General öffentlich formuliert habe, »von hinten erdolcht worden« 47 . Mit dieser Aussage wurde der historische Wahrheitsgehalt der Dolchstoßthese, die bereits während des Krieges von der annexionistischen Rechten mehr oder weniger offen propagiert worden war, gewissermaßen ex cathedra bestätigt 48 Dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuß und damit der neuen republikani163 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

schen Ordnung hatten die Repräsentanten der zivilen und militärischen Reichsleitung des wilhelminischen Deutschland nach allgemeiner Auffassung eine schwere Niederlage zugefügt. Neben der Rechtspresse, die ihre gewohnt scharfen Angriffe auf den Ausschuß fortsetzte49, äußerten nun auch Teile der DDP ihren Unmut über den Verlauf der Verhandlungen. Im Mittelpunkt der linksliberalen Kritik stand aber bezeichnenderweise nicht die eigentümlich unentschiedene Haltung, die die Ausschußmitglieder den Vertretern der OHL gegenüber an den Tag gelegt hatten; weitaus stärker wurde moniert, daß die Vernehmungen den »Feinden« des Reiches nützten 50 . Auch das neutrale Ausland reagierte auf die Verhandlungen. Es rügte vor allem das nachsichtige Verhalten der Ausschußmitglieder gegenüber den Repräsentanten des kaiserlichen Deutschland und äußerte Zweifel an der »politischen Zweckmäßigkeit des Verfahrens« 51 . Unüberhörbar klang dabei die Befürchtung an, die parlamentarische Untersuchung könne verschiedene, bis dahin geheimgehaltene Kontakte der im Weltkrieg neutral gebliebenen Staaten zu den kriegführenden Mächten ans Licht bringen und sich damit zu einer Quelle ernster diplomatischer Verwicklungen auswachsen 52 . Unter dem Eindruck dieser geharnischten nationalen und internationalen Monita faßte der Ausschuß eine tiefgreifende Veränderung seiner Arbeitsweise ins Auge. In einem offiziösen Artikel, den verschiedene Zeitungen im gesamten Reichsgebiet nachdruckten, gab der Ausschußvorsitzende Petersen seinem Bedauern über die »parteipolitische Ausnutzung« der Vernehmungen lebhaft Ausdruck. Gleichzeitig kündigte der DDP-Politiker an, daß der Ausschuß seine Untersuchungen in Zukunft hauptsächlich auf das »gründliche und umfassende Studium der Akten« zu stützen beabsichtige. Da Zeugenvernehmungen in »politische, sich von leidenschaftlicher Stimmung nicht freihaltende Diskussionen« ausarten müßten, wolle man auf dieses Mittel der Verhandlungsführung, so Petersen, nur dann zurückgreifen, wenn es sich »für den großen Zusammenhang der Dinge« als unumgänglich erweise 53 . Die verfahrenstechnische Zäsur in der Ausschußarbeit hat in der Folgezeit bewirkt, daß die parlamentarische Untersuchungskommission der öffentlichen Aufmerksamkeit mehr und mehr entglitt. Die Entschließung des 2. UA zur Wilson-Aktion, die der Ausschuß ungefähr neun Monate nach dem Auftritt v. Hindenburgs verabschiedete, ist in der Tat von der Presse nicht weiter beachtet worden, wiewohl sie der innenpolitischen Diskussion durchaus Zündstoff geboten hätte. Der 2. UA folgte, abweichend von der Mehrheitsauffassung seiner vereidigten Sachverständigen 54 , dem »Vorbericht« des Berichterstatters Sinzheimer und bezeichnete die Initiative Wilsons als eine durchaus ernstzunehmende Chance, zu einem Verständigungsfrieden zu gelangen. Die Ausschußmitglieder rügten in diesem Zusammenhang mit Mehrheit die dilatorische Behandlung, welche die zivile Reichsleitung den Bemühungen des amerikanischen Präsidenten hatte angedeihen 164 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

lassen und monierten, daß sich die Regierung v. Bethmann Hollweg gegenüber der militärischen Forderung nach Wiedereröffnung des unbeschränkten U-Boot-Kriegs nicht »innerlich fest, . . . einheitlich und entscheidungsbereit« gezeigt habe 55 .

2. Der päpstliche Friedensappell und die gescheiterten Friedensgespräche v. d. Lancken-Briand Nach Abschluß der Verhandlungen über die Friedensinitiative des amerikanischen Präsidenten Wilson widmete sich der 2. UA der Friedensaktion des Papstes Benedikt XV. vom Sommer 1917 56 und der damit »in engem Zusammenhang stehenden Fühlungnahme mit England«57. Für die Behandlung der päpstlichen Friedensinitiative entschied sich der 2. UA, der mittlerweile vom neugebildeten Reichstag bestätigt worden war 58 , obgleich das AA schwere außenpolitische Bedenken angemeldet hatte 59 . Das Amt berief sich dabei auf die negative Resonanz, die das Vorhaben des Ausschusses in diplomatischen Kreisen der Kurie gefunden hatte 60 . Wie der Leiter der deutschen Mission beim Päpstlichen Stuhl, Botschafter v. Bergen, warnend hervorhob, sei der Vatikan in dieser Angelegenheit »außerordentlich empfindlich«. Er wünsche nicht, für »wohlgemeinte Absichten« im nachhinein »Unannehmlichkeiten« zu ernten 61 . Der Botschafter machte außerdem auf die seiner Auffassung nach nicht unerheblichen diplomatischen Nachteile aufmerksam, die für die außenpolitischen Belange des Reiches durch eine Verstimmung der Kurie entstehen könnten 62 . Im Falle der Veröffentlichung bestimmter Details der päpstlichen Friedensaktion könnte sich der Vatikan zukünftig mit diplomatischen Initiativen zu Gunsten Deutschlands - beispielsweise in der Frage der Milderung des Friedensvertrags - zurückhalten, um nicht von vornherein in den Verdacht »parteiischer Deutschfreundlichkeit« zu geraten63. Dennoch entschied sich der 2. UA, dem die starken Vorbehalte der Kurie unverzüglich mitgeteilt worden waren 64 , für die Aufnahme der Untersuchungen65. Vor dem Hintergrund der explosiven außenpolitischen Atmosphäre des Frühjahres 1921 erschien den mehrheitlich sozialdemokratischen Ausschußmitgliedern 66 die Behandlung dieser Frage politisch unverfänglicher als etwa die gleichfalls anstehende Untersuchung der deutsch-französischen Friedenssondierungen 67 . Allerdings sagte der Ausschuß dem AA für die Dauer der Verhandlungen den Ausschluß der Öffentlichkeit zu und willigte ein, die Ausschußergebnisse - soweit sie die laufenden Untersuchungen betrafen - geheim zu halten 68 . U m jede öffentliche Diskussion über dieses Thema von vornherein zu unterbinden, bemühten sich die amtlichen Stellen, zusätzlich auf die Presse einzuwirken; Zeitungen und Zeitschriften sollten sich »möglichst wenig mit 165 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

der Angelegenheit beschäftigen« 69 . Überdies traf das AA im Einverständnis mit dem 2. UA Vorkehrungen, die zuständigen diplomatischen Vertreter des Vatikans so umfassend wie möglich über den jeweiligen Stand der Verhandlungen zu unterrichten 70 . Diesen Zweck verfolgte sowohl die Bestellung des Zentrumsabgeordneten Kaas zum Berichterstatter des 2. UA als auch die Einladung an Botschafter v. Bergen, vor dem Ausschuß aufzutreten 71 . Die Auswahl der Zeugen stand insgesamt noch unter dem Eindruck der bitteren Erfahrungen, die man bei den Verhandlungen über die Friedensinitiative Wilsons gesammelt hatte. Der 2. UA verzichtete darauf, die Exponenten der OHL ein zweites Mal vorzuladen und beschränkte sich statt dessen auf die mündliche Vernehmung ehemaliger Mitglieder der Reichsregierung Michaelis und nachgeordneter Militärs 7 2 . Nachdem die obligatorische Einsichtnahme in das zur Verfügung gestellte Aktenmaterial abgeschlossen war, erhielten die Zeugen Gelegenheit, in zusammenhängenden Vorträgen ihren Standpunkt zum päpstlichen Friedensappell darzulegen. In der anschließenden Befragung durch die Ausschußmitglieder wurden dann im wesentlichen folgende Problemfelder erörtert: 1. Die Absichten der Kurie bei Erlaß der Friedenskundgebung des Papstes und die Absichten der deutschen politischen Reichsleitung bei der Sondierungsaktion des spanischen Gesandten in Brüssel, Marquis de Villalobar; 2. die Wirkungen der sogenannten Paniksitzung des Hauptausschusses des Deutschen Reichstages vom 6. Juli 1917 73 und die Wirkungen der Friedensresolution des Deutschen Reichstages vom 19. Juli 1917 auf die Friedensbereitschaft der Entente; 3. das Verhältnis zwischen Reichsregierung und Parlament während der Abfassung der deutschen Antwortnote auf den päpstlichen Friedensappell; 4. die Beziehungen von politischer Reichsleitung und OHL während der päpstlichen Friedensaktion und die Stellung des Kaisers zu dieser Frage 74 . Die Vernehmungen ergaben, daß die Reichsregierung Michaelis der päpstlichen Friedensaktion von Anfang an skeptisch gegenübergestanden hatte. Wie der ehemalige Staatssckretär v. Kühlmann hervorhob, boten die Kontakte mit dem Vatikan - einer »internationalen Institution par excellen-e« - von vornherein nicht die erforderliche Sicherheit für eine unbedingt diskrete Behandlung weitergehender Friedenssondierungen 75 . Vermittlungsbemühungen, wie sie von der Kurie seinerzeit angestrebt worden seien, hätten ohnehin nur selten greifbare Erfolge gebracht; sie beschworen aber nach Auffassung v. Kühlmanns durch ihre für gewöhnlich allzu euphorische Aufnahme in der Öffentlichkeit die Gefahr herauf, die »Kriegsfreudigkeit« der Volksmassen zu unterminieren 76 . Abgeschen von den zweifelhaften Möglichkeiten des Vatikans, als Mittler in erfolgversprechenden Friedensverhandlungen aufzutreten, hatte es nach 166 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

den Aussagen der ehemaligen Staatssekretäre Helfferich und Zimmermann im Sommer 1917 an einer generellen Friedensbereitschaft der Entente gefchlt. Helfferich glaubte zwar, für das Frühjahr 1917, bedingt durch die Anfangserfolge des deutschen U-Boot-Kriegs und die Russische Revolution, eine »gewisse Friedensgeneigtheit« auf Seiten der Kriegsgegner konstatieren zu können 77 . Derartige Friedensstimmungen wurden aber nach seiner Ansicht durch die Aktionen des Reichstags im Juli 1917 konterkariert. Sowohl die Rede Erzbergers in der sogenannten Paniksitzung des Hauptausschusses vom 6. Juli 1917, in deren Verlauf der Zentrumsabgeordnete die prekäre Versorgungslage des Reiches hervorgehoben und die Wirksamkeit des unbeschränkten U-Boot-Krieges angezweifelt hatte, als auch die Friedensresolution des Deutschen Reichstages vom 19. Juli 1917 hätten die Positionen Deutschlands in Hinblick auf einen annehmbaren Frieden entscheidend geschwächt 78 . Um dennoch bei Wahrung unbedingter Geheimhaltung den Grad der Friedensbereitschaft im Lager der Entente hinreichend einschätzen zu können, hatte die Reichsregierung nach Aussage v. Kühlmanns den spanischen Gesandten in Brüssel, Marquis de Villalobar, in ihre Politik eingeschaltet. Villalobar übernahm die Aufgabe, in vertraulichen Gesprächen zu sondieren, ob sich England bereit zeige, bei einer bindenden Erklärung des Reiches zugunsten der vollen Souveränität Belgiens, den territorialen Status quo ante als Ausgangspunkt für Friedensverhandlungen zu akzeptieren 79 . Damit schnitt v. Kühlmann ein Problem an, dem die Ausschußmitglieder bereits in ihrer Vorbereitung auf die Vernehmungen große Aufmerksamkeit geschenkt hatten. Es rückte die Frage in den Mittelpunkt, inwieweit sich die Einbeziehung des spanischen Gesandten nachteilig auf die Erfolgschancen der päpstlichen Friedensinitiative ausgewirkt hatte 80 . Nach eingehenden Vernehmungen konzedierte der Ausschuß der Reichsregierung Michaelis, daß sie mit der Einschaltung Villalobars keinesfalls eine »Kaltstellung der päpstlichen Vermittlung« beabsichtigt habe 81 . Kontrovers wurden die Auffassungen hingegen, als der 2. U Α dazu überging, die Informationspolitik der Reichsregierung gegenüber dem Reichstag während des Verlaufs der päpstlichen Friedenssondierung zu durchleuchten. Zu diesem Zweck wurde der SPD-Politiker Scheidemann - zum fraglichen Zeitpunkt Mitglied des »Siebener-Ausschusses« des Reichtagesals Zeuge geladen. Der »Siebener-Ausschuß«, mit dessen Hilfe die Reichsregierung Michaelis seinerzeit erkunden wollte, »wie der Reichstag . . . über diese Sache urteilt« 82 , war am 28. August 1917 zum erstenmal zusammengetreten. Im Verlauf der Sitzung hatten die Parlamentarier in Kenntnis der anglo-französischen Reaktion 83 auf die päpstlichen Friedensvermittlungsversuche zwar mit Mehrheit dafür votiert, den ausdrücklichen Verzicht auf Belgien in die deutsche Antwortnote mit aufzunehmen; sie unterließen aber auf Intervention v. Kühlmanns die Abfassung eines eigenen Antwortentwurfs. Auch in der entscheidenden zweiten Besprechung zwischen Reichs167 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

regierung und den Parlamentariern insistierte der »Siebener-Ausschuß« nicht auf einer öffentlichen Erklärung über die Wiederherstellung der Souveränität Belgiens. Diesen Entschluß der Abgeordneten führte Scheidemann auf eine Falschinformation v. Kühlmanns zurück. Der Staatssckretär habe den Abgeordneten versichert, der Papst bestehe keineswegs auf einer endgültigen Stellungnahme des Reiches zur Zukunft Belgiens und sei auch über den deutschen Wunsch informiert, einen derart weitgehenden Schritt zum gegebenen Zeitpunkt noch nicht zu wagen 8 4 . Die weiteren Vernehmungen ergaben, daß einer öffentlichen Erklärung über die Zukunft Belgiens durch die Ergebnisse der Kronratssitzung vom 11. Oktober 1917 nur scheinbar der Weg geebnet worden war 8 5 . Obgleich der Kaiser und die anfangs widerstrebende OHL im Kronrat dazu bewogen werden konnten, einer solchen Erklärung wenigstens kein Veto entgegenzusetzen, blieben die auf den westlichen Nachbarn des Reiches bezogenen territorialen und ökonomischen Ansprüche der Militärs und ihrer annexionistischen Klientel in unverändertem Ausmaß bestehen. Wie der Zentrumsabgeordnete Kaas unter Bezugnahme auf eine Äußerung v. Kühlmanns nachdrücklich hervorhob, hätte die für einen öffentlichen diplomatischen Schritt erfolgversprechende Formel »Integrität und Souveränität Belgiens« auch nach dem 11. Oktober 1917 nicht verwendet werden können 86 . Die Reichsregierung Michaelis behandelte die Initiative des Vatikans nach der denkwürdigen Kronratssitzung vom 11. Oktober 1917 dilatorisch, so daß der päpstliche Friedensvermittlungsversuch schließlich im Sande verlief, ohne daß seine Realisierungschancen bei den Alliierten hinreichend ausgelotet worden waren. Wie der Historiker Fritz Fischer schreibt, hatte v. Kühlmann, um sich seines »Faustpfandes« Belgien nicht zu begeben, auf einen Erfolg der geheimen Sondierung Villalobars gesetzt und war damit letztlich gescheitert 87 . Ein so deutliches Urteil mochten die Ausschußmitglieder freilich nicht fällen. Der 2. UA pflichtete in seiner Entschließung, die am 3. September 1922 in allen wichtigen Tageszeitungen publiziert wurde 8 8 , der Mehrheit der befragten Zeugen bei. Obschon zu Beginn der päpstlichen Friedenssondierung durchaus Chancen für einen annehmbaren Frieden bestanden hätten, glaubte er, spätestens seit Juli/August 1917 eine »starke Friedenswahrscheinlichkeit« nicht mehr konstatieren zu können. England und Frankreich hätten ein Eingehen auf die Papstaktion zu diesem Zeitpunkt - angesichts der für sie günstigen Kriegslage - als nicht mehr in ihrem Interesse liegend eingestuft. Die Abgeordneten monierten zwar Fehler in der »formellen« Behandlung des Vermittlungsversuchs, stellten aber resümierend fest, daß die Frage, ob die Papstaktion »allein« durch ihre dilatorische Behandlung auf deutscher Seite gescheitert sei, nicht bejaht werden könne 89 . Diese - wie das »Leipziger Tageblatt« bemerkte - »offenbar Wort für Wort wohlabgewogene Feststellung« 90 fand die zu erwartende Resonanz in der Öffentlichkeit. Das Urteil, dessen Kompromißcharakter evident war, 168 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

wurde von allen politischen Richtungen als Bestätigung des jeweiligen Standpunktes gedeutet91. Sozialdemokratische Presseorgane hoben die »Ernsthaftigkeit« der päpstlichen Friedenssondierung hervor und monierten, daß diese Initiative von den amtlichen deutschen Stellen nicht so behandelt worden sei, »wie sie es verdiente«92. Dagegen fühlte sich die Rechtspresse in ihrer Agitation gegen die Erzbergerschen Enthüllungen bestätigt. Der 2. UA habe, so die »Deutsche Tageszeitung«, das »zu durchsichtigen Zwecken aufgetürmte Schuldgebäude« gründlich zerstört und gleichzeitig festgestellt, daß im Sommer 1917 »kein Friedensangebot, ja nicht einmal eine Friedenswahrscheinlichkeit« bestand93. Den seit Juli 1919 schwelenden Konflikt um die Papstaktion vermochte die knappe Entschließung des 2. UA nicht zu schlichten94. Vielmehr ließen die der Öffentlichkeit trotz wiederholter Presseanfragen95 vorenthaltenen Verhandlungsprotokolle und Aktenstücke des Ausschusses neue Gerüchte über die Vorgänge im Sommer und Herbst 1917 aufkeimen96. Verantwortlich für die auch in der Folgezeit unverändert starre Haltung des AA in dieser Frage zeichnete vor allem der einflußreiche Kardinalstaatssekretär Pacelli, der auf einer Geheimhaltung der Verhandlungsprotokolle und des dazugehörigen Aktenmaterials bestand. Botschafter v. Bergen, dem Pacelli seine Bedenken mitgeteilt hatte, legte seiner übergeordneten Dienststelle zum wiederholten Male nahe, »alles zu vermeiden«, was den Kardinalsstaatssekretär »ohne Grund verärgern oder von seiner deutschfreundlichen Haltung abdrängen könnte«. Die Notwendigkeit einer diplomatischen Rücksichtnahme auf den Vatikan wurde schließlich auch von den anfangs widerstrebenden Ausschußmitgliedern anerkannt. Es bedurfte hierzu freilich der massiven Intervention des Reichstagspräsidenten Löbe (SPD), der die Haltung des AA den Parlamentariern gegenüber mit allem Nachdruck unterstützte. Die Veröffentlichung der Verhandlungsprotokolle und der Akten über die päpstliche Friedensaktion unterblieb; sie wurde auch später nicht nachgeholt97. Nach Abschluß der Verhandlungen über die päpstliche Friedensaktion wandte sich der 2. UA jenen deutsch-belgisch-französischen Kontakten zu, in deren Mittelpunkt der ehemalige Leiter der Politischen Abteilung beim Generalgouverneur in Belgien, der Gesandte v. d. Lancken-Wakenitz, und der französische Politiker Briand gestanden hatten. Einflußreiche belgische Privatpersonen hatten seinerzeit die ersten Kontakte zwischen dem deutschen Diplomaten und dem französischen Staatsmann hergestellt. Als geeigneter Ort für eine geheime Zusammenkunft war die neutrale Schweiz vorgesehen worden. Das Treffen zwischen v. d. Lancken und Briand, für das deutscherseits vor allem v. Bethmann Hollweg und auch Ludendorff reges Interesse bekundeten, mußte jedoch mehrfach verschoben werden und erwies sich schließlich als nicht durchführbar98. V. d. Lancken selber lastete in einer eigens für den 2. UA verfaßten Denkschrift das endgültige Scheitern einer Zusammenkunft mit Briand der französischen Seite an. Dort hatten 169 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

nach seiner Auffassung »persönliche, nicht nationale Gründe« die Fühlungnahme vereitelt. Maßgebende französische Regierungskreise befürchteten bei Erfolg der Friedenssondierung eine innenpolitische Einflußsteigerung Briands“. Der Gesandte legte dem 2. UA nahe, seine schriftlichen Ausführungen streng vertraulich zu behandeln und keinesfalls öffentlich zu verwerten. Darüber hinaus bat er den Ausschuß, von Zeugenvernehmungen über seine damalige Mission generell abzusehen100. Die Bedenken v. d. Lankkens, die vom AA rückhaltlos geteilt wurden, stießen im Ausschuß auf entschiedenen Widerstand101. Der Vorsitzende des 2. UA, Rudolf Breitscheid, drohte sogar, seiner Fraktion Bericht zu erstatten. Der SPD-Politiker kündigte persönliche Konsequenzen an, falls die Vernehmungen, »die nun einmal bestimmungsgemäß öffentlich sind«, erneut hinter verschlossenen Türen stattfinden würden. In einem solchen Fall müsse er sich überlegen, ob er den Vorsitz beibehalten und zukünftig überhaupt den Ausschußsitzungen beiwohnen könne102. Es bedurfte massiver informeller Einwirkungen der Wilhelmstraße, um die vom Ausschuß ins Auge gefaßten öffentlichen Vernehmungen doch noch zu unterbinden. Als probates Mittel, den »allergrößten außenpolitischen Bedenken« des AA Gehör zu verschaffen, sollte sich wieder einmal der Hinweis auf das außenpolitische Interesse des Reiches erweisen. Der im Frankreich-Referat des AA tätige Gesandte v. Mutius hob in einem persönlichen Schreiben an Breitscheid vom 6. Januar 1923 hervor, daß ein Bekanntwerden der Beteiligung Briands an Friedenssondierungen im Weltkrieg mit hoher Wahrscheinlichkeit die Desavouierung des Staatsmannes in der französischen Öffentlichkeit und damit eine Befestigung der Machtstellung Poincarés nach sich ziehen würde. Unter Hinweis auf die in einem solchen Fall nicht auszuschließende Verschlechterung der ohnehin bis zum äußersten gespannten deutsch-französischen Beziehungen appellierte v. Mutius an den außenpolitischen Experten der SPD - »von dem ich weiß, daß Ihnen eine Besserung der deutsch-französischen Beziehungen ebenso am Herzen liegt wie mir« - den Ausschluß der Öffentlichkeit während der Vernehmungen zu akzeptieren103. Der Appell hatte Erfolg. Die Verhandlungen des 2. UA über die Fühlungnahme v. d. Lancken-Briand fanden während des gesamten Untersuchungsverlaufs unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt. Als Zeugen wurden unter anderem der Gesandte Frhr. v. Romberg, der ehemalige Botschafter in Wien, Graf Wedel, v. d. Lancken und wiederum v. Kühlmann vernommen104. Gerade v. Kühlmann dämpfte die Euphorie, welche die unmittelbar vorangegangene Befragung v. d. Lanckens bei den Ausschußmitgliedern hervorgerufen hatte. Gegenüber der sich im Ausschuß durchsetzenden Mehrheitsauffassung, »daß das Spiel schon gewonnen gewesen wäre, wenn man die Herren Briand und v. d. Lancken wirklich zusammengebracht hätte«, wandte der ehemalige Staatssekretär ein, daß v. d. Lancken - rebus sie stantibus - allenfalls das Zugeständnis »winziger Grenzberichtigungen« in 170 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

die Verhandlungen mit Briand hätte einbringen können105. Zu wenig, wie v. Kühlmann betonte, um die bekannte Intransigenz Frankreichs in der Elsaß-Lothringen-Frage aufzubrechen und den Kriegsgegner zum Einlenken zu bewegen; zumal zur fraglichen Zeit diejenige »Richtung« die politische Linie Frankreichs bestimmt habe, deren Kriegsziel die »Vernichtung« Deutschlands gewesen sei106. Für das NichtZustandekommen der Fühlungnahme mit Briand machte v. Kühlmann direkt jedoch die französischösterreichische Friedensinitiative verantwortlich, in deren Mittelpunkt der Schwager Kaiser Karls, Prinz Sixtus v. Bourbon-Parma, gestanden hatte. Ihr maß der Staatssekretär den »allerschädlichsten Einfluß« auf alle nachfolgenden Friedenssondierungen bei107. Die Ausführungen v. Kühlmanns verfehlten ihren Eindruck auf die Ausschußmitglieder nicht108. In einer von Breitscheid entworfenen Entschließung109 machten sie einhellig die innerfranzösischen Machtverhältnisse und die verunglückte Friedenssondierung des Prinzen Sixtus v. Bourbon-Parma für das Scheitern der Kontaktaufnahme zwischen v. d. Lancken und Briand verantwortlich110. Publiziert wurde diese Entschließung allerdings nicht. Allem Anschein nach hielt es das AA in den Krisenmonaten des Jahres 1923 politisch nicht für opportun, das Interesse Briands an einer deutsch-französischen Friedenssondierung während des Krieges öffentlich zur Sprache zu bringen. Lediglich die offiziöse DAZ nahm beiläufig in einem Kommentar zur Czernin-Denkschrift auf die Ausschußentschließung Bezug111.

3. Die Friedensmöglichkeiten im Osten und die deutsch-amerikanischen Friedensgespräche Den Verhandlungen über die gescheitere Fühlungnahme v. d. LanckenBriand folgte im Mai 1923 die Untersuchung der deutsch-russischen Friedenssondierungen während des Weltkriegs. Ein Teil der hierzu notwendigen Vorarbeiten war vom 2. UA bereits zu Beginn des Jahres 1920 veranlaßt worden. Sic betrafen das eng mit den deutsch-russischen Friedenskontakten korrespondierende Problem der Konstituierung eines selbständigen Königreiches Polen in der zweiten Jahreshälfte 1916112. Bereits im Frühjahr 1920 hatte das Ausschußbüro in Verbindung mit den zuständigen amtlichen Stellen die maßgebenden Aktenstücke des AA zusammengestellt113, und die an der Untersuchung beteiligten Parlamentarier waren übereingekommen, das gesammelte Material so schnell wie möglich zu publizieren114. Erneut erhob das AA »auf das entschiedenste« Einspruch115; ein Bekanntwerden der Akten, so die Beamten, würde die schwebenden Verhandlungen mit Polen beeinträchtigen116, die Beziehungen des Reiches zu den baltischen Randstaaten, namentlich zu Litauen trüben, vor allem aber eine erneute Agitation gegen das Deutschtum im Ausland entfesseln117. In einer für den 171 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

internen Dienstgebrauch bestimmten Aufzeichnung ging der fur den 2. UA zuständige Beamte, Konsul Weber, näher auf die Gründe für das amtliche Veto ein. Allzu deutlich ließ die strittige Aktensammlung nach Webers Auffassung die »annexionistischen Absichten« aufscheinen, die vor allem die seinerzeit beteiligten militärischen Reichsstellen hinsichtlich der Grenzziehung gegenüber Polen und den übrigen Randstaaten Rußlands hegten118. Die Intervention des AA hatte Erfolg. Trotz der wiederholten Bemühungen des 2. UA, die gesammelten Akten der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, unterblieb die Publikation. An der Begründung für das Veröffentlichungsverbot änderte sich dabei im Laufe der Jahre nur wenig; stets reklamierten die Beamten eine Beeinträchtigung des nationalen Interesses. Als die Kommission im Dezember 1922 erneut auf Veröffentlichung der Materialien zur Polenfrage drang, lehnte die Wilhelmstraße dieses Ansinnen mit den bekannten Argumenten ab: Eine Edition der Akten gefährde die sich entspannenden deutsch-polnischen Beziehungen; der polnischen Presse werde zudem ein »riesiger Agitationsstoff« an die Hand gegeben und die ohnehin schon übergroße Deutschfeindlichkeit der polnischen Bevölkerung aufs neue angefacht119. Ungeachtet der geschilderten Querelen beschlossen die Ausschußmitglieder am 11. Mai 1923 die Friedensgespräche, die das Reich in den Jahren 1916/17 mit dem zaristischen Rußland geführt hatte, in die Untersuchungen einzubeziehen. In diesem Zusammenhang behielt man sich auch eine Option auf die Behandlung des Friedens von Brest-Litowsk vor. Frhr. v. Rheinbaben eröffnete in direktem Anschluß an diese Entscheidung die Verhandlungen mit zwei Referaten120. Der DVP-Abgeordnete stützte sich hierbei wie üblich auf Aktemnaterial, das vom Ausschußbüro in Zusammenarbeit mit

den zuständigen Beamten des AA zusammengestellt worden war 121 . In seiner Betrachtung des Jahres 1916 ließ Frhr. v. Rheinbaben offen, inwieweit die von der deutschen Seite erzwungene polnische Autonomieerklärung »Rückwirkungen« auf die deutsch-russischen Kontakte gezeitigt hatte122; fur das Jahr 1917 konstatierte er aber ein »aufrichtiges Bemühen« sowohl der maßgebenden militärischen Stellen als auch der zivilen Reichsleitung mit Rußland einen »Separatfrieden« abzuschließen. Die Eröffnung der Brussilow-Offensive im Frühsommer 1917 habe jedoch im Kreise der verantwortlichen Politiker und Militärs die Überzeugung heranreifen lassen, »daß nach Rußland hin nichts mehr zu machen sei«123. V. Rheinbabens Urteil wurde im großen und ganzen von den am 4. und 6. Juli 1923 befragten Zeugen bestätigt124 und auch vom Unterausschuß übernommen. Die Mehrheit seiner Mitglieder gelangte zu der Auffassung, daß reale Möglichkeiten, mit dem Zarenreich zu einem Sonderfrieden zu kommen, »höchstwahrscheinlich« nicht vorhanden waren125. Eine entsprechende Resolution kam allerdings nicht zustande. Die Parlamentarier unterließen es gleichfalls, das vom Ausschußbüro vorbereitete umfangreiche Aktenmaterial zum Frieden von Brest-Litowsk einer näheren Behandlung 172 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

zu unterziehen126. Es sollte späterhin einigen zum 4. UA übergewechselten Ausschußmitgliedern wie Ludwig Quessel (SPD) und v. Rheinbaben vorbehalten bleiben, unter Berufung auf die parlamentarische Untersuchung der Friedensmöglichkeiten im Osten zu diesem Vertragswerk Stellung zu nehmen127. Der 2. UA kehrte zu seinen ursprünglichen Untersuchungsschwerpunkten - den Friedenssondierungen im Westen - zurück und setzte seine Arbeiten mit einer Untersuchung über die Gespräche fort, die der ehemalige Leiter der militärischen Stelle des AA, General v. Haeften, im Frühjahr 1918 in Den Haag mit einem Angehörigen der dortigen amerikanischen Gesandtschaft geführt hatte128. Im Mittelpunkt dieser Fühlungnahme standen die Vorbedingungen, die nach amerikanischen Vorstellungen auf deutscher Seite erfüllt werden mußten, um in aussichtsreiche Friedensverhandlungen eintreten zu können. Die Gespräche zeitigten, wie v. Haeften vor dem Ausschuß hervorhob, wegen der »ganz unerträglichen« amerikanischen Bedingungen ein für das Reich »wenig erfreuliches Ergebnis«129. Über die Verlaufsschilderung und die Bewertungen des Generals ging der Ausschuß jedoch erstaunlich schnell hinweg; die Parlamentarier interessierte in erster Linie die Frage, weshalb v. Haeften der OHL über den Verlauf dieses Kontakts umgehend Mitteilung machte, es aber unterließ, die zuständigen zivilen Reichsstellen zu informieren. Dieser Sachverhalt regte den Ausschußvorsitzenden Breitscheid zu der von v. Haeften energisch in Abrede gestellten Vermutung an, die Fühlungnahme des Generals sei von der OHL geheimgehalten worden, um die bevorstehende militärische Offensive nicht durch »Gerede über Friedensmöglichkeiten« behindern zu lassen130. Im Laufe der Verhandlungen, in denen auch der seinerzeit politisch zuständige Gesandte, v. Rosen, gegen v. Haeften Stellung bezog131, räumte der General zwar ein, »nicht ganz ordnungsgemäß« gehandelt zu haben, er entschuldigte sein Schweigen gegenüber dem AA jedoch mit der aufgaben- und kompetenzmäßigen »Unklarheit« seiner damaligen Stellung132. Angesichts der Einwände Breitscheids und v. Rosens ist es nur schwer erklärbar, daß der Ausschuß in seiner Resolution vom 13. März 1924 der Nichteinschaltung des AA keine »ausschlaggebende Bedeutung« zumaß133. Die amerikanischen Forderungen - so der 2. UA in enger Anlehnung an die Beurteilung v. Haeftens - seien von vornherein nicht geeignet gewesen, die deutsche Regierung zu Verhandlungen zu ermutigen, von einer »verpaßten Friedensmöglichkeit« könne deshalb auch nicht die Rede sein134. Gegen diese Interpretation legte Hans Delbrück energischen Protest ein. In einer für den 4. UA angefertigten Erklärung stellte er nachdrücklich die von v. Haeften und dem 2. UA konstatierte Intransigenz der amerikanischen Haltung in Zweifel und hob demgegenüber hervor, daß eine Fortführung der Fühlungnahme durchaus reale Chancen für einen »Verständigungsfrieden« eröffnet hätte135. Die unterschiedliche Bewertung, zu der Delbrück im Gegensatz zur Auffassung des Ausschusses gelangte, wurde in 173 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

der Öffentlichkeit jedoch nicht weiter thematisiert; wie überhaupt die Resolution des 2. UA zu den deutsch-amerikanischen Friedensgesprächen nennenswerte öffentliche Resonanz nicht verbuchen konnte. Zwar wurde die Entschließung am 14./15. März 1924 in mehreren großen Tageszeitungen veröffentlicht; die Presse druckte die Äußerung des Ausschusses jedoch zumeist kommentarlos ab 136 . Eine ähnlich kontroverse Diskussion, wie sie anläßlich der Entschließung zur päpstlichen Friedensvermittlung stattgefunden hatte, entspann sich nicht. Die deutsch-amerikanischen Friedensgespräche des Frühjahrs 1918 sollten der letzte Untersuchungskomplex bleiben, den der 2. UA mit einer Entschließung zu Ende führte. Obgleich die ursprünglichen Planungen weit über die Behandlung der Sondierung v. Haeftens hinausreichten - das Ausschußbüro hatte insgesamt 37 Aktenzusammenstellungen über die verschiedenen Friedenskontakte der Jahre 1916 bis 1918 an die Ausschußmitglieder versandt 137 -stellte der 2. UA im Frühjahr 1924 die Untersuchungenein138. Zieht man ein Resümee aus seinen Arbeiten und Ergebnissen, kommt man nicht umhin festzustellen, daß die wenigen Entschließungen, die nach dem Auftritt v. Hindenburgs im November 1919 publiziert wurden, eine Entlastung für die im Weltkrieg auf deutscher Seite militärisch und politisch verantwortlichen Persönlichkeiten bedeuteten. Im Hinblick auf die von Erzberger entfachte Kontroverse über die Friedensmöglichkeiten im Weltkrieg kamen die überaus vorsichtigen Verlautbarungen des Ausschusses deshalb einem Punktsieg der nationalen Rechten gleich. Dabei boten gerade die - wie Werner Hahlweg exemplarisch aufgezeigt hat139 - mit großer Akribie und profundem Sachverstand aufbereiteten Aktenmaterialien des 2. UA, vor allem die Dokumente zur Knegszielproblematik, Anknüpfungspunkte genug, um die in weiten Teilen des Bürgertums kursierenden Ansichten über die 3. OHL als Geschichtsmythen zu dekuvrieren. Derartige Erwägungen transzendierten jedoch allem Anschein nach die Vorstellungskraft der Ausschußmitglieder. Allzu stark schlug hier ein nationales Loyalitätsempfinden zu Buche, das namentlich seit der Ministerschaft Stresemanns selbst ehemalige USPD-Mitglieder wie Breitscheid band. Gerade Breitscheid hätte noch 1919 höchstwahrscheinlich nicht gezögert, politisch-historische Details ähnlicher Brisanz zu veröffentlichen, um die kaiserlichen Machteliten innen- und außenpolitisch zu diskreditieren. In seiner Funktion als Ausschußvorsitzender beließ er es hingegen, auch als offenkundig wurde, daß das AA die Ausschußarbeit in eine bürokratisch gelenkte, quasi geheime Untersuchung zu transformieren gedachte, bei verbalen, letztlich aber folgenlosen Protesten. Dem AA kam mithin zugute, daß nicht einmal die Sozialdemokraten im Ausschuß die Plausibilität der stereotyp wiederkehrenden Appelle an die vorgeblich allen Parteiinteressen übergeordnete ›nationale Solidarität ernsthaft in Zweifel zogen, mit denen die Beamten noch bei jeder Meinungsverschiedenheit mit den Ausschußmitgliedern zu operieren pflegten. 174 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

Dies sollte sich auch Jahre später, im Mai 1930140, zeigen, als der Gesamtausschuß im AA mit der Bitte einkam, die Veröffentlichung aller aufbereiteten Materialien des 2. UA nachzuholen. Der Ausschuß räumte dabei ein, daß bei einem Bekanntwerden bestimmter Kriegsziele der OHL die Möglichkeit einer innen- wie außenpolitischen Kompromittierung des Reichspräsidenten mindestens erwogen werden müsse. Er stellte demgegenüber jedoch heraus, daß der 2. UA in keiner seiner öffentlichen Verlautbarungen den prinzipiellen Friedenswillen der OHL auch nur ansatzweise angezweifelt habe. Insgesamt - so das Resümee der Ausschußmitglieder - übertreffe der propagandistischen Nutzen, den das Reich angesichts der überaus verhaltenen Editionspraxis aller Kriegsgegner aus der Veröffentlichung der deutschen Kriegsakten namentlich im neutralen Ausland ziehen könne, den möglicherweise durch eine Rufschädigung v. Hindenburgs eintretenden außenpolitischen Schaden141. Das Kriegsschuldreferat reagierte nicht unmittelbar auf den Antrag der Parlamentarier. Es gab zunächst ein Gutachten über die außenpolitische Folgewirkungen einer Publizierung der Ausschußmaterialien in Auftrag. Dieses Gutachten, von Wilhelm Schaer, einem Mitarbeiter des ADV, verfaßt, kam zu einem für das Vorhaben des Ausschusses vernichtenden Urteil. Seine »grundsätzlichen Bedenken« richteten sich dabei weniger auf die nach internationalen Gepflogenheiten zu wahrenden diplomatischen Rücksichtnahmen ausländischen Persönlichkeiten und Institutionen gegenüber; es erwartete vielmehr »verhängnisvolle« revisionspolitische Folgen von einer Verbreitung jener Dokumente zur Kriegszielpolitik der OHL, die neben der Unterschrift auch einige kompromittierende Randbemerkungen v. Hindenburgs aufwiesen. Zur Erläuterung seiner Vorbehalte ging Schaer dabei auch auf den Inhalt der fraglichen Dokumente ein. Das von der OHL und ihrer schwerindustriellen Klientel propagierte Kriegszielprogramm habe unmißverständlich dem Grundsatz gehuldigt, »daß Deutschland und Preußen alles nachholen müssen, was sie in den letzten 60 bis 100Jahren versäumten«. Damit sei von vornherein jedweder Friedensversuch im Keim erstickt worden. Selbst der Versailler Vertrag nehme sich gegenüber den weitgespannten deutschen Kriegszielaspirationen ausgesprochen milde aus. Die Tatsache sei nicht von der Hand zu weisen, so der Gutachter resümierend, »daß die verantwortlichen Staatsmänner und Heerführer aus einem Verteidigungskrieg einen Eroberungsfeldzug größten Stils machen wollten und ihn, wenn es geglückt wäre, auch durchgeführt hätten«. Besonders unter dem Aspekt einer Ausnützung der genannten Materialien durch die »französische Propaganda«, die ohne große Mühe schon durch den kommentarlosen Abdruck einzelner Dokumente die laufenden Abrüstungsgespräche sabotieren könne, legte er dem A A nahe, eine Veröffentlichungsgenehmigung nicht zu erteilen142. Es geht aus den Akten des Kriegsschuldreferats nicht mit hinreichender Deutlichkeit hervor, in welchem Umfang die zuständigen Beamten mit den 175 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

sicherlich weitreichenden Urteilen Schaers übereinstimmten, hervorzuheben bleibt jedoch, daß die Wilhelmstraße die Veröffentlichung des Ausschußmaterials untersagte und sich dabei in wesentlichen Punkten die Schlußfolgerungen des Gutachtens zu eigen machte. Der zuständige Referent, v. Friedberg, schloß für »absehbare Zeit« eine Aktenedition aus, da die »weitgesteckten Kriegsziele« der OHL, die selbst vor den seinerzeit neutralen Staaten nicht haltgemacht hätten, der »Propaganda gewisser ehemaliger Kriegsgegner« neue Nahrung geben und damit »vermeidbare außenpolitische Belastungen« heraufbeschwören würden 143 . Es wirft - abschließend bemerkt - ein bezeichnendes Schlaglicht auf den mit Beginn der BrüningÄra eingetretenen Wandel der Beziehungen zwischen Ausschuß und dem AA, daß der Nachfolger v. Schuberts im Amte des Staatssekretärs, v. Bülow, den Referenten anwies, den Ausschußmitgliedern diese Entscheidung »mehr mit kalter Autorität als mit Überredung« zu übermitteln144.

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III. Militärischer Zusammenbruch und Dolchstoßlegende 1. Das Scheitern der deutschen Offensiven des Jahres 1918 Obgleich sich der 4. UA bereits am 2. Oktober 1919 konstituiert hatte, gelangte er - im Gegensatz zum 2. UA - relativ spät erst zu konkreter Arbeit. Verantwortlich hierfür war die Entscheidung des Gesamtausschusses, den Untersuchungskomplex der Völkerrechtsverletzungen im Weltkrieg aufzuteilen und von zwei Unterausschüssen gleichzeitig bearbeiten zu lassen. Der ursprüngliche Plan, den 4. UA mit den »wirtschaftlichen Völkerrechtsverletzungen« zu betrauen, und dem 3. UA alle Völkerrechtsverletzungen im militärischen Bereich zu überlassen145, erwies sich schon bald als unpraktikabel. Eine scharfe Aufgabentrennung ließ sich hier nicht durchführen. Mithin einigten sich die betroffenen Unterausschüsse am 8. März 1920 auf ein neues Konzept. Der 3. UA übernahm die Behandlung sämtlicher zur Untersuchung anstehender Völkerrechtsverletzungen, während sich sein Nachbarausschuß einem thematisch vollkommen neuen Aufgabengebiet zuwandte. Der 4. UA wurde beauftragt, die in der innenpolitischen Diskussion der unmittelbaren Nachkriegszeit strittig gebliebene Verantwortung für den militärischen und politischen Zusammenbruch des Reiches im Herbst 1918 abzuklären146. Die entscheidenden Vorarbeiten für eine Differenzierung und Operationalisierung dieser neuen Aufgabe leisteten zwei seiner Sachverständigen, der Historiker Martin Hobohm und Bernhard Schwertfeger147. Ihren Vorstellungen ist der 4. UA bei der endgültigen Formulierung seiner Problemstellungen im großen und ganzen gefolgt. Vier Hauptpunkte bzw. -fragen stellte er dabei in den Mittelpunkt seines Untersuchungsvorhabens: 1. Entstehung, Durchführung und Zusammenbruch der Offensiven des Jahres 1918. 2. Mißstände im Heer und ihre Auswirkungen auf die Offensiven desJahres 1918. 3. Wirtschaftliche, soziale und sittliche Mißstände in der Heimat und ihre Rückwirkungen auf Heer und Marine. Ergänzend hierzu wurde durch Beschluß vom 12. Dezember 1920 noch ein vierter Hauptpunkt in die Diskussion eingebracht: Ob und inwieweit propagandistische Einflüsse (revolutionäre und annexionistische) auf die Widerstandskraft der Front zersetzend gewirkt hatten148. Insbesondere die Erforschung der Wirkungen annexionistischer bzw. 177 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

revolutionärer Propaganda im Weltkrieg - vom Ausschuß kurzerhand unter den Begriff »Heimatpolitik und Umsturzbewegung« subsumiert- warfeine Reihe methodischer Schwierigkeiten und Materialprobleme auf. Martin Hobohm hat denn auch früh die Grenzen einer derartigen Untersuchung abgesteckt und vor Illusionen hinsichtlich ihrer wissenschaftlichen Reichweite gewarnt. Da hierbei »vielgestaltige Massenerscheinungen« und nicht »greifbare Einzelvorgänge« im Vordergrund des Interesses stünden, sei eine erschöpfende Behandlung dieser Probleme so gut wie ausgeschlossen. Zur Behebung wenigstens der Materialdefizite schlug Hobohm vor, die Bevölkerung öffentlich aufzufordern, geeignete Dokumente - Kriegstagebücher, Frontbriefe, Flugblätter und Bekanntmachungen - zur Untersuchung beizusteuern. Gerade eine solche Beteiligung weiter Volksteile erachtete Hobohm mit Blick auf die demokratisch-republikanische Bewußtseinsbildung als »unerläßlich«149. Der Ausschuß sah jedoch davon ab, dieser - schon wegen der anfallenden Kosten - schwerlich zu realisierenden Anregung Hobohms zu folgen und stellte die Untersuchung der propagandistischen Einwirkungen auf »Heer und Heimat« einstweilen zurück150. Erhöhtes Gewicht maß er demgegenüber der gutachtlichen Arbeit der vereidigten Sachverständigen bei. Mit diesen trat nun neben die Ausschußsekretäre und die Vertreter der verschiedenen Reichsministerien eine dritte Kraft, die die parlamentarische Untersuchung in der Folgezeit nachhaltig beeinflussen sollte151. Die Erforschung der Ursachen des militärischen Zusammenbruchs Deutschlands, namentlich die Analyse der großen Frühjahrsoffensiven des Jahres 1918, stellte den 4. UA von Anfang an vor große Schwierigkeiten. Probleme warf schon die Beschaffung geeigneter amtlicher Dokumente für diesen Untersuchungskomplex auf. In dieser Beziehung zeigten sich die Reichswehr- und Reichsmarinebehörden als bevorzugte Adressaten der meisten Anfragen weitaus verschlossener als beispielsweise das AA, das nachdem die Untersuchung einmal begonnen hatte - darauf bedacht war, den Wünschen der Unterausschüsse wenigstens im Bereich der Materialbeschaffung entgegenzukommen152, wenngleich mancherlei daraufhindeutet, daß auch hier Dokumente von besonderer Relevanz zurückgehalten wurden153. Die militärischen Behörden machten hingegen aus ihrer prinzipiellen Ablehnung der parlamentarischen Untersuchung keinen Hehl. Unter Hinweis auf die »weittragenden Folgen«, die eine entsprechende AusschußEntschließung nicht nur für die deutsche Innenpolitik, sondern auch für die »zukünftige Weltgeltung« des Reiches zeitigen könnte, warnte Major Otto v. Stülpnagel, der Vertreter des Reichswehrministeriums beim Ausschuß, eindringlich vor einer Aufnahme der Untersuchungen. Bereits das »voreilige Urteil« führender deutscher Politiker - so Stülpnagel - habe dem deutschen Volk unermeßlichen Schaden zugefügt; er hoffe deshalb, daß der 4. UA Mut genug besitze, »um die Erörterung von Fragen abzulehnen, die zur Zeit beim besten Willen nicht zu lösen sind«154. 178 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

Die Militärs machten sich jedoch angesichts des deutlichen Übergewichts, das die Weimarer Koalitionsparteien zumindest zu Beginn der Untersuchungen im 4. UA besaßen, keine allzu großen Illusionen über den Erfolg ihrer Appelle. Sie trafen deshalb Vorkehrungen, um die parlamentarische Untersuchung von vornherein in die »richtigen Bahnen« zu lenken. Reichswehr- und Rcichsmarinebehörden kamen im April 1920 überein, in der Frage der Bereitstellung von Aktenmaterial für den 4. UA eng zusammenzuarbeiten. Als Maxime dieser Materialabstimmung galt die Verhinderung eines »einseitigen Urteils« der Ausschußmitglieder; eine »objektive« Beurteilung der Tatbestände durch den Ausschuß stand nach dem Dafürhalten der militärischen Behörden wegen der parteipolitischen Zusammensetzung der Untersuchungskommission ohnedies nicht zu erwarten155. Die Befürchtungen von Heer und Marine, das Votum des 4. UA könnte das beinah mystisch verklärte Bild, das sich weite, namentlich bürgerliche Bevölkerungskreise von der 3. OHL machten, nachhaltig ins Wanken bringen, erwiesen sich jedoch als übertrieben. Zwar dachten die Ausschußmitglieder nicht daran, die Untersuchungen über die Offensiven des Jahres 1918 abzubrechen, noch ehe sie recht begonnen hatten, doch zeigt die Auswahl der Sachverständigen, in welch hohem Maße der Ausschuß dem militärischen Sachverstand‹ bei seiner Entscheidungsfindung Raum zu geben trachtete. Mit der gutachtlichen Prüfung aller strategischen und taktischen Maßnahmen, welche die großen Frühjahrsoffensiven betrafen, wurde der ehemalige Generalstabschef der Heeresgruppe »Kronprinz Rupprecht«, General v. Kuhl, betraut. Ein weiterer Militär, Oberst Schwertfeger, übernahm die Untersuchung der »politischen und militärischen Verantwortlichkeiten im Laufe der Offensiven 1918«. Zum Sachverständigen für alle Fragen der »sozialen und sittlichen Mißstände« im Heer und ihrer Wirkungen auf die militärische Schlagkraft der Armee wurde der SPD-Parlamentarier Simon Katzenstein benannt, und die Korreferate für die genannten Fragestellungen, die die Gewähr für ein »kontradiktorisches« und damit objektives Verfahren bieten sollten, übernahm der bekannte Kriegshistoriker Hans Delbrück156. Den Ausgangspunkt für die parlamentarische Untersuchung des militärischen Zusammenbruchs bildete die Analyse, die General v. Kuhl über Entstehung, Durchführung und Zusammenbruch der deutschen Offensiven im Frühjahr 1918 gab. V. Kuhl nannte den Entschluß zur Offensive eine »unbedingte militärische Notwendigkeit« und machte hierfür die mit dem Kriegseintritt der USA bedrohlich anwachsende personelle und waffentechnische Überlegenheit der Kriegsgegner sowie die desolate militärische Situation im Lager der Verbündeten verantwortlich157. Für die strategisch-taktische Durchführung der Operationen konzedierte er »Irrtümer, auch Fehler«, betonte aber, daß dennoch Großes geleistet worden sei und es letztlich an »Kriegsglück« gefehlt habe158. Die Offensiven scheiterten nach seinem Dafürhalten in der Hauptsache an der Materialüberlegenheit der Gegner, 179 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

jedoch habe auch die demoralisierende »Wühlarbeit« der USPD im Innern beträchtliche negative Folgen gezeigt159. Trotz der »Verseuchung von Heer und Heimat« sei im Herbst 1918 ein erfolgreiches Weiterkämpfen durchaus möglich gewesen; einzig die Revolution mit ihren katastrophalen Folgen für Disziplin und Ordnung von Heer und Etappe habe jeden weiteren bewaffneten Widerstand illusorisch gemacht und damit die sehr wohl vorhandenen Chancen, doch noch zu annehmbaren Waffenstillstands- und Friedensbedingungen zu gelangen, konterkariert160. Die Dolchstoßversion v. Kuhls fand breite Zustimmung im konservativen Lager161. Wie nicht anders zu erwarten, stieß sie aber bei einigen Sachverständigen und Ausschußmitgliedern auf harte Kritik. Im Gegensatz zu v. Kuhl führte der Sachverständige Katzenstein die nachlassende militärische Schlagkraft des deutschen Heeres nicht auf die zersetzende Wirkung revolutionärer Propaganda, sondern auf verschiedene »Mißstände« in Heer und Marine zurück. Der Sozialdemokrat lenkte damit die Aufmerksamkeit des Ausschusses auf die gegen Kriegsende stark anschwellende Flut von Beschwerden über das Verhalten des Offizierkorps, den »Bürokratismus« bei der Kriegführung, der sich besonders in den Offensiven gezeigt hatte sowie auf die zuletzt verheerenden Zustände im Melde-, Lazarett- und Verpflegungswesen162. Hier sah Katzenstein ausschlaggebende Bestimmungsfaktoren für die verminderte Schlagkraft und die sinkende Moral der Truppe. Sein Resümee, »Deutschlands herrschende Kreise« - Offiziere, Bürokraten und kapitalistische »Kriegsgewinnler« - hätten letzten Endes selber den Zusammenbruch des Reiches schuldhaft herbeigeführt163, vermochte jedoch die mehrheitlich bürgerlichen Mitglieder des 4. UA nicht zu überzeugen. Mit der Begründung, die Nachprüfung der von Katzenstein aufgeworfenen Probleme verlange die Vorladung einer »unverhältnismäßig großen Anzahl von Auskunftspersonen« und sei deshalb undurchführbar, ging der Ausschuß, ohne die Einwände des sozialdemokratischen Sachverständigen weiter zu berücksichtigen, zur Tagesordnung über164. Katzensteins Gutachten wurde, trotz eines scharfen Protests des Autors nicht einmal in das Gesamtwerk des 4. UA aufgenommen165. Auf einem ganz anderen Gebiet lagen die kritischen Einwände, die Delbrück gegen die Argumentationsführung v. Kuhls vorbrachte. Der Historiker konzentrierte seine Schlußfolgerungen stärker auf die funktionale Einbindung der Frühjahrsoffensiven in die deutsche Kriegspolitik und monierte dabei besonders die im letzten Kriegsjahr erfolgte Umkehr der Ziel-MittelRelation zwischen militärischen Operationen und politisch-diplomatischen Aktionen. Im Unterschied zu v. Kuhl, der das Beharren auf weitreichenden deutschen Kriegszielen als conditio sine qua non jeder Aufrechterhaltung der vollen Kriegsbereitschaft des Reiches ansah166, folgerte Delbrück, daß nur bei einem Verzicht auf alle annexionistischen Aspirationen die trotz geschwächter militärischer Schlagkraft vielversprechend gestarteten Offensiven friedenspolitisch von Nutzen gewesen seien167. Allein in der Ausnüt180 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

zung militärisch-taktischer Teilerfolge für kompromißbereite Verhandlungsofferten vermochte er eine sinnvolle Funktion der »virtuos« vorbereiteten Operationen zu sehen168. Ihr Scheitern und damit das Ende aller Hoffnungen auf einen Verständigungsfrieden lastete Delbrück vor allem Ludendorff an. Dessen Strategie des »totalen Krieges«169, die auf einen alles entscheidenden Sieg der Mittelmächte setzte und damit die militärische Stärke des Reiches in verhängnisvoller Weise überschätzte, habe durch eine Überspannung des deutschen Kräftepotentials alle Chancen zunichte gemacht170. Ludendorff sei aus »ungezügeltem Ehrgeiz, Überhebung und Mangel an Verantwortungsgefühl« schuldig am Unglück Deutschlands geworden 171 . Delbrücks Urteil blieb im Ausschuß natürlich nicht unwidersprochen. Es rief den zweiten militärischen Sachverständigen auf den Plan. Oberst Schwertfeger erklärte Delbrücks Urteil über Ludendorff für historisch unrichtig, da »in der modernen Zeit« politisch relevante Beschlüsse nur auf der Grundlage kollektiver Entscheidungsfindung getroffen würden, die Verantwortung mithin einer ganzen Reihe von Funktionsträgern zufalle172. Eine persönliche Schuld Ludendorffs glaubte Schwertfeger deshalb nicht konstatieren zu können. Das deutsche Volk selber habe - in seiner Neigung zu »übertriebender Heldenverehrung« - die 3. OHL in eine Rolle gebracht, der diese gar nicht gewachsen sein konnte173. Unbeschadet seiner Zurückweisung des Delbrückschen Urteils über Ludendorff übte auch Schwertfeger verhaltene Kritik am Institutionsgefüge, vor allem aber an der faktischen Machtverteilung im kaiserlichen Deutschland. So sehr der bekannte »Kriegsschuldforscher« den Entschluß zur Offensive vom militärischen Standpunkt aus als einzig richtige Entscheidung herausstellte, so sehr bedauerte er die mangelnde Koordination zwischen militärischer und ziviler Leitung, die zu einer »fast völligen Ausschaltung der politischen Gesichtspunkte« geführt habe. Verantwortlich für dieses Primat militärischer Überlegungen waren nach Ansicht Schwertfegers die fast subalterne Rolle der Reichsregierung gegenüber der OHL sowie der Kaiser, der eigentlich auf die gleichberechtigte Integration von ziviler und militärischer Führung hätte hinwirken müssen, es jedoch vorzog, an der Kriegführung »nur als Zuschauer« teilzunehmen174. Vernichtende Verdikte, wie sie Delbrück formuliert hatte, glaubte Schwertfeger dennoch nicht aussprechen zu können; sein Resümee sah auf keiner Seite ein schuldhaftes Verhalten, das »zur persönlichen Inanspruchnahme des einen oder anderen berechtigen oder verpflichten würde« 175 . Die Ludendorff-Kontroverse176 sprengte schon bald den Rahmen der vertraulichen Ausschußverhandlungen. Öffentliche Resonanz fanden dabei weniger die bereits im September 1922 als Reichstagsdrucksachen veröffentlichten Teile der Arbeiten Delbrücks, v. Kuhls und Schwertfegers177, als vielmehr verschiedene, vom Ausschuß nicht freigegebene Absätze aus dem Gesamtgutachten Delbrücks, die im Dezember 1924 in die Presse gelangt 181 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

waren178. Delbrück konnte zwar glaubhaft nachweisen, daß er die Veröffentlichung nicht autorisiert hatte179. Das Erscheinen der genannten Absätze genügte jedoch der rechten Publizistik, um den Berliner Historiker des »offenen Vertrauensbruchs« zu beschuldigen180. In Fachkreisen war Delbrück, der als einer der exponierten Kritiker der alliierten »Kriegsschuldlüge« galt, mit ähnlicher Heftigkeit allerdings auch die Dolchstoßthese der Deutschnationalen bekämpfte181, durch seine stark persönlich gefärbten Angriffe auf Ludendorff ohnehin ins Abseits geraten. Militärische Kriegsgeschichtsexperten wie der Oberarchivrat im Reichsarchiv, Oberstleutnant a. D. Wolfgang Foerster, sprachen seiner Arbeit jeden wissenschaftlichen Wert ab und bezeichneten sie als »in vieler Hinsicht ungründlich, oberflächlich [und] irreführend«182. Auch rechtskonservative Historiker wie Hans Herzfeld standen der »kühnen psychologischen« Interpretation Delbrücks skeptisch gegenüber183, und selbst der republikanische Geschichtswissenschaftler Wilhelm Mommsen, der nach eigenem Bekunden mit den Standpunkten des Berliner Historikers in vielen Punkten übereinstimmte, rückte von der durchgängigen Personalisierung der Schuldfrage in den Arbeiten Delbrücks ab 184 . Im 4. UA stießen die Schlußfolgerungen Delbrücks vor allem auf die Kritik der bürgerlichen Ausschußmitglieder. Lediglich der BVP-Abgeordnete Deermann machte aus seiner Sympathie für den Standpunkt des Berliner Historikers keinen Hehl. Gerade Deermanns Einstellung war freilich für den 4. UA von besonderer Bedeutung, da der BVP-Abgeordnete als Berichterstatter des Ausschusses fungierte und in dieser Eigenschaft den Ausschußmitgliedern Vorschläge für eine entsprechende Ausschußresolution zu unterbreiten hatte. Einen solchen Resolutionsentwurf, der sich im wesentlichen den Thesen Delbrücks anschloß, legte Deermann den Parlamentariern im Frühjahr 1924 vor185. Der 4. UA selber hatte die Arbeit an dieser Vorlage forciert, da die Abgeordneten bemüht waren, ihre Arbeiten nach Möglichkeit mit dem Auslaufen der Ersten Wahlperiode des Reichstags abzuschließen. Obgleich die Konzeption Deermanns wegen ihrer deutlichen Kritik an der politischen, insbesondere aber an der militärischen Führung des Kaiserreichs keineswegs die volle Zustimmung der bürgerlichen Ausschußmehrheit fand, beschloß der 4. UA - in Anbetracht der noch verbleibenden kurzen Zeitspanne bis zur Reichstagswahl - auf eine Abklärung der strittig gebliebenen Fragen zu verzichten und eine von allen Ausfällen gegen Ludendorff gereinigte Fassung des vorliegenden Entwurfs zusammen mit den abweichenden Stellungnahmen einzelner Ausschußmitglieder, den Gutachten der Sachverständigen sowie den kompletten Verhandlungsberichten umgehend zu veröffentlichen und damit die Untersuchungen des 4. UA abzuschließen186. Der kurze Zeit später neugebildete Reichstag sah demzufolge eine Neukonstituierung des 4. UA nicht mehr vor und beabsichtigte lediglich, den 1. und den 3. UA wieder einzusetzen. Dieses Vorhaben rief 182 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

jedoch die DN VF auf den Plan. Mit dem erforderlichen Fünftel aller Mandate setzten die Dcutschnationalen die Fortführung der Arbeiten des 4. UA durch187. Dies mußte das Plenum in Erstaunen versetzen, denn gerade die DNVP hatte bis dahin die Wiedereinsetzung des »Kriegsschuldausschusses« stets zu torpedieren versucht. Albrecht Philipp, der Vorsitzende des 4. UA, begründete die erstaunliche Sinnesänderung seiner Partei damit, daß Deermanns »tendenziöse Leitsätze« nicht unwidersprochen in die Öffentlichkeit gelangen dürften. Andernfalls sei zu befürchten, daß der Deermann-Entwurf als das Ergebnis der Ausschußberatungen betrachtet und im In- und Ausland von den Gegnern der »nationalen Kreise« gegen diese gedeutet werde 188 . Widerspruch gegen das Vorhaben des 4. UA meldete auch das Reichswehrministerium an. In einem Schreiben an die Reichskanzlei führte General v. Seeckt eine Reihe von Gründen gegen die Veröffentlichung der Ausschußmaterialien ins Feld und suchte ein Veto der Reichsregierung zu erwirken. Namentlich das Delbrück-Gutachten enthalte »schwerwiegende Lükken« und verbreite »historisch nicht haltbare Urteile«. Dadurch und durch den Verzicht des Ausschusses auf eine abschließende Beurteilung sei der Gefahr Tür und Tor geöffnet, daß in der Öffentlichkeit »gänzlich irrige Anschauungen« über die militärischen Operationen desJahres 1918 entstünden189. In außenpolitischer Hinsicht befürchtete der Chef der Heeresleitung die propagandistische Ausnützung des Gutachtens durch die ehemaligen Kriegsgegner; innenpolitisch sah er besonders die geistige Ausrichtung der Reichswehr gefährdet - denn nur eine »objektive, einwandfreie Beurteilung« der Kriegsgeschichte stelle - so v. Seeckt - die unabdingbare Voraussetzung jeder erfolgversprechenden Ausbildung des Offizierkorps dar190. Ungeachtet der Einwände v. Kuhls und Schwertfegers, die angesichts der inzwischen erfolgten Teilveröffentlichung der gutachtlichen Äußerung Delbrücks ihrerseits auf Publizierung sämtlicher Sachverständigen-Arbeiten drängten, um öffentlich gegen die Thesen Delbrücks Position beziehen zu können191, folgte das Reichskabinett dem Begehren des Reichswehrministeriums. Am 15. November 1924 kamen die Kabinettsmitglieder überein, ihr Veto gegen die Veröffentlichung der Ausschußmaterialien einzulegen192. Selbst die Drohung Delbrücks, bei Aufrechterhaltung des Veröffentlichungsverbots »einen ungeheuren Skandal« zu entfachen193, vermochte die Reichsregierung nicht zum Einlenken zu bewegen. Statt dessen bekräftigte sie in der Kabinettssitzung vom 4. Dezember 1924 erneut ihren Entschluß. Es gehe nicht an, so die interne Begründung, dem DelbrückGutachten »amtliche Autorität« zu verleihen194. In der entsprechenden amtlichen Pressenotiz hielt es die Reichsregierung jedoch für geraten, auf eine inhaltliche Stellungnahme zu diesem Punkt zu verzichten. Reichskanzler Marx zog sich hier aufjuristische Argumente und Geschäftsordnungskautelen zurück: Der Beschluß des 4. UA, das gesamte Ausschußmaterial zu veröffentlichen, sei am 24. April 1924, also nach der im März desselben 183 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

Jahres erfolgten Reichstagsauflösung, ergangen und demnach nichtig195. Der 4. UA verzichtete darauf, gegen diese Begründung Einwände zu erheben, wiewohl dies ohne Frage möglich gewesen wäre. Die juristische Haltbarkeit der Regierungsargumentation stand nämlich keineswegs fest, da der Ältestenrat des Reichstags den 4. UA noch vor Auflösung des Parlaments am 13. März 1924 ausdrücklich beauftragt hatte, die laufenden Ausschußarbeiten weiterzuführen und die notwendigen Editionsarbeiten zum Abschluß zu bringen196. Unter der einmütigen Zusicherung, die begonnenen Arbeiten mit größtmöglicher Beschleunigung zu beenden, nahm der 4. UA am 25. Januar 1925 seine ruhenden Untersuchungen wieder auf Es gelang den Ausschußmitgliedern im Mai 1925 ihre Arbeiten mit der Vorlage einer Mehrheits- und zweier Minderheitsresolutionen abzuschließen. Die Mehrheitsresolution, die die bürgerlichen Ausschußmitglieder - in wesentlichen Punkten gegen die Stimmen von SPD und KPD - verabschiedeten, wich beträchtlich vom ursprünglichen Resolutionsentwurf Deermanns ab. Die Abgeordneten von Zentrum, Wirtschaftlicher Vereinigung, DVP und DNVP entlasteten die OHL von dem Vorwurf, in Zusammenhang mit der Vorbereitung und Durchführung der Offensiven desJahres 1918 die ihr obliegenden Pflichten schuldhaft verletzt zu haben. Auch der Entschluß, unter Aufbietung aller Kräfte aus dem zermürbenden Stellungskrieg auszubrechen, konnte nach dem Dafürhalten der bürgerlichen Parlamentarier - als letzter Ausweg doch noch zu annehmbaren Friedensbedingungen zu gelangen - politisch und militärisch verantwortet werden. Insgesamt habe die Heeresleitung stets in gutem Glauben gehandelt, einen militärisch erfolgreichen, später dann wenigstens erträglichen Frieden zu sichern: Eine Feststellung, die einen Schuldspruch »nach irgendeiner Seite hin« rechtfertige, könne demnach nicht getroffen werden 197 . Demgegenüber sahen sowohl die Sozialdemokraten als auch - in den Inhalten übereinstimmend, in der Diktion freilich ungleich schärfer - der KPD-Abgeordnete Eichhorn den ungebrochenen Annexionswillen Deutschlands, dokumentiert durch die Kriegszielprogramme der Wirtschaft und der Alldeutschen, als Ursachen der militärischen Niederlage an. Die Offensiven hätten nur mit freiem Rücken im Osten und nur unter ausdrücklicher Preisgabe aller Annexionsabsichten im Westen, besonders in Belgien, gewagt werden dürfen. Haupthindernis für eine solche Lösung sei die OHL gewesen198, die sich darüber hinaus bei der Vorbereitung der Operationen schwerer Verfehlungen schuldig gemacht habe199. Doch nicht diese Deutung, sondern die Interpretation der bürgerlichen Mehrheit galt fortan als das offizielle Resümee des Ausschusses über den militärischen Zusammenbruch im Jahre 1918. Das Urteil gab, wie Philipp in einem Kommentar hervorhob, den nationalen Kreisen die Genugtuung, daß auch der 4. UA den »Freispruch der Männer der OHL von jedem Vorwurf pflichtwidrigen Verhaltens« bei der Kriegführung 1918 bekräftigt hatte und daß die »welthistorische Leistung« der deutschen Armee im Westen unter 184 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

v. Hindenburg und Ludendorff auch durch den deutschen Reichstag anerkannt worden sei 200 .

2. »Heimatpolitik und Umsturzbewegung« Für die Behandlung des Untersuchungskomplexes »Heimatpolitik und Umsturzbewegung« hatte der 4. UA, nachdem seine Arbeiten auf Druck der DNVP wieder in Gang gekommen waren, nur eine kurze Zeitspanne angesetzt201. Die im Verlaufe der Verhandlungen scharf aufeinanderprallenden Gegensätze und die Tendenz der Ausschußmitglieder, auch ursprünglich marginale Streitpunkte einer eingehenden, möglichst gutachtlichen Prüfung zu unterziehen, ließen die Verhandlungen jedoch ausufern. Der 4. UA konnte infolgedessen die im November 1924 begonnenen Arbeiten erst im März 1928 zum Abschluß bringen. Im genannten Zeitraum befaßte er sich nicht nur mit dem Thema »Heimatpolitik und Umsturzbewegung«, das man jetzt der Einfachheit halber unter den Begriff »Dolchstoßfrage« subsumierte202, die Ausschußmitglieder strengten überdies eine umfassende Untersuchung über die Haltung des Deutschen Reichstags im Weltkrieg an203 und beschäftigten sich schließlich mit den Mannekonflikten der Jahre 1917/18. Größere öffentliche Resonanz konnten die Arbeiten und Ergebnisse des 4. UA - bis auf einen einzigen Fall - nicht verbuchen. Gleichwohl sind sie für den nachträglichen Betrachter von hohem heuristischen Wert, da sich hier das Spektrum der zeitgenössischen Stellungnahmen zum Zusammenbruch und zur Revolution exemplarisch widerspiegelt. Besonders deutlich wird dies am Beispiel der Dolchstoßdiskussion im 4. UA. General v. Kuhl, dem selbst ein so entschiedener politischer Gegner wie der Kommunist Arthur Rosenberg hohen wissenschaftlichen Respekt für seine Arbeiten über die Frühjahrsoffensiven zollte, erwies sich in der Dolchstoßfrage als ein kompromißloser Vertreter des deutschnationalen Standpunktes. V. Kuhl konstatierte in einer Art politisch-ideologischem Rundumschlag eine pazifistische, internationale, antimilitaristische und revolutionäre Unterwühlung des Heeres, die nicht unerheblich zur Auflösung der militärischen Schlagkraft des Reiches beigetragen habe. Auch den Zusammenbruch Deutschlands im Herbst 1918 lastete der General den »Volks- und Heeresverderbern« an, »die aus politischen Gründen das tapfer kämpfende Heer zu vergiften bestrebt waren« 204 . Gegenüber der Argumentation v. Kuhls stellt sich das Gutachten Schwertfegers im Ton weit gemäßigter dar. Schwertfeger war sichtlich bemüht, den personellen Geltungsbereich der Dolchstoßthese einzugrenzen und zumindest die in den letzten Khegsjahren oppositionellen bürgerlichen Kräften aus der agitatorischen Schußlinie der militanten Rechten herauszu185 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

nehmen. Im Interesse einer dringend erforderlichen Sammlung205 des deutschen Volkes plädierte Schwertfeger, ganz auf der propagandistischen Linie der »Deutschen Revisionsbewegung«, für äußerste Vorsicht beim Gebrauch des Schlagwortes vom Dolchstoß. Von einem »Dolchstoß der Heimat« könne nicht gesprochen werden, wohingegen die vernichtende Wirkung der Revolution für das noch kämpfende Heer eine »historische Tatsache« sei206. Eine weitere Differenzierung gegenüber den Arbeiten v. Kuhls und Schwertfegers nahm der ebenfalls der Gruppe der ›nationalen‹ Sachverständigen zuzurechnende Reichsarchivrat Erich Volkmann vor207. Er unterschied die Haltung der MSPD, die während des Krieges zumeist um eine kompromißbereite Vermittlung von Arbeiterinteressen und nationalen Erfordernissen bemüht gewesen sei, von der Position der USPD, die den Haß gegen den Krieg geschürt und revolutionäre Propaganda betrieben habe. Volkmann ließ bei seiner Analyse der »oppositionellen sozialdemokratischen Partei-Gruppen« auch die Flügelbildung innerhalb der USPD nicht außer Betracht. Stärker noch als die gemäßigten USPD-Mitglieder hatten seiner Ansicht nach die Radikalen um Liebknecht, Luxemburg und Jogiches dem nationalen Zusammenhang und der militärischen Schlagkraft Deutschlands zugesetzt. Bei allem Bemühen um eine differenzierte Darstellungsweise konnte jedoch auch der im Auftrag des Reichsinnenministeriums für den 4. UA tätige Archivrat seine politische Haltung nicht verleugnen. Den oppositionellen sozialdemokratischen Gruppierungen lastete er an, durch ihr Wirken wesentlich zur Schwächung der »Kraft des Heeres« und des »kriegerischen Geistes« im Volk beigetragen zu haben und für die Mehrheitssozialdemokratie konstatierte er eine trotz ihrer Burgfriedenspolitik aufrechterhaltende Bindung an das Klassenkampfdenken und den proletarischen Internationalismus. Selbst Delbrück, während des Krieges einer der Exponenten der bürgerlichen Opposition gegen die Vaterlandspartei208, vermochte sich nicht zu einer vorbehaltlosen Ablehnung der Dolchstoßlegende durchzuringen, obschon er im Laufe der Verhandlungen das Resümee seines ursprünglichen »Dolchstoß-Gutachtens« erheblich relativierte. In diesem Gutachten hatte der Berliner Historiker den Dolchstoß noch als die »klare Bezeichnung« für einen der »traurigsten und beschämendsten« Sachverhalte der jüngsten deutschen Geschichte bezeichnet209. Nicht zuletzt unter dem Eindruck des im Herbst 1925 stattfindenden Münchener »Dolchstoßprozesses«, der von der deutschen Rechten unter tatkräftiger Mitwirkung eines wenig objektiven Gerichts für die erfolgreiche nationalistische Mythenbildung ausgenützt werden konnte210, mußte Delbrück jedoch konzedieren, in seinen Ansichten »sehr unsicher« geworden zu sein. Die revolutionäre Propaganda stellte für ihn nun ein zwar nicht nebensächliches, bei weitem aber nicht mehr das entscheidende Moment im Prozeß von Niederlage und Staatsumsturz dar211. Klar und eindeutig verwies hingegen der Vorgänger Eugen Fischers, 186 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

Ludwig Herz, die Verantwortung revolutionärer Kräfte für den Zusammenbruch des Heeres in den Bereich der »Fabeln«. Nach seiner Auffassung fiel angesichts der »Seelenverfassung eines verhungernden Volkes und eines erschöpften Heeres« die annexionistische Agitation ungleich stärker ins Gewicht als etwa die revolutionäre Propaganda212. In ähnlichem Sinne äußerte sich auch Katzenstein in seinem Gutachten zur Dolchstoßfrage. Der Sozialdemokrat machte in der Hauptsache die militärische Überlegenheit der Kriegsgegner für die Niederlage verantwortlich, maß aber auch den verkrusteten politischen und sozialen Strukturen des Kaiserreichs hohe Bedeutung für den Zusammenbruch des wilhelminischen Deutschland zu. Erst in »weitaus letzter Linie« hätten linksradikale Bewegungen als Reflex auf die in den letzten Kriegsjahren kulminierenden sozialen Disparitäten und politischen Strukturdefizite des Reiches die militärische Schlagkraft geschwächt213. Die Resolution, die der Ausschuß am 3. November 1927 zum Untersuchungskomplex »Heimatpolitik und Umsturzbewegung« verabschiedete, läßt das Bemühen um eine Versachlichung der Dolchstoßdiskussion deutlich aufscheinen. Einstimmig konstatierten die Ausschußmitglieder eine im Bürgertum und in der Arbeiterschaft gleichermaßen wachsende Kriegsmüdigkeit, die in den schweren Versorgungskalamitäten, den verschärften sozialen Konflikten und der zunehmenden politischen Polarisierung der letzten Kriegsjahre gleichzeitig Ursache wie Verstärkung gefunden habe. Angesichts dieser Situation bildeten sich mit den Parteien der Friedensresolution, der USPD und dem Spartakusbund drei auf Beendigung des Krieges und Umgestaltung des Staates bedachte Strömungen heraus, von denen nach dem Dafürhalten der Ausschußmitglieder lediglich die letzte, der zahlenmäßig unbedeutende Spartakusbund, und einige versprengte Linksradikale den revolutionären Staatsumsturz auf ihre Fahnen geschrieben hatten. Der MSPD konzedierte man in diesem Zusammenhang, daß auch für sie der Ausbruch der Revolution überraschend gekommen sei, fügte aber einschränkend an, daß sich nicht mehr in jedem Fall nachvollziehen lasse, »welche Personen und Gruppen im einzelnen die Initiative ergriffen haben«. In diesen stark deskriptiven Feststellungen erschöpfte sich bereits der Fundus an Gemeinsamkeiten, auf den sich die verschiedenen politischen Richtungen im Ausschuß zu verständigen bereit fanden. Neuralgische Punkte der Untersuchung wie die Fragen, inwieweit die Gegner des Reiches ihre Waffenstillstandsbedingungen ermäßigt hätten, wenn das deutsche Volk zum »letzten Widerstand« bereit gewesen wäre oder »ob die Bedingungen des Versailler Friedens trotz der militärischen Wehrlosigkeit Deutschlands durch politischen Widerstand irgendwie erleichtert worden wären«214, hätten den Formelkompromißcharakter der Resolution gesprengt und wurden deshalb - obgleich sie in der Diskussion immer wieder anklangen - aus der Entschließung ausgeklammert. Selbst engagierten Gegnern der deutschnationalen Dolchstoßversion fiel es sichtlich schwer, derar187 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

tige Fragen ohne antisozialistische Ressentiments zu beantworten. In einem Atemzug konnte beispielsweise Delbrück die maximalistischen Annexionsforderungen der Alldeutschen sowie die »Kriegsverlängerungspolitik« Ludendorffs anprangern und gleichzeitig scharfe Kritik an der deutschen Sozialdemokratie üben, die »ihre Stunde nicht abwartete [und] die Katastrophe heraufbeschwor in dem Augenblick, wo alles darauf ankam, die letzten deutschen Kräfte zusammenzuhalten, um mit dem Feind wenigstens verhandeln zu können« 215 . Der Kompromiß, den der Ausschuß in Hinblick auf die Ursachen der Weltkriegsniederlage gefunden hatte, war mithin äußerst zerbrechlich. Dies zeigt auch die sogenannte Dittmann-Kontroverse, die dem 4. UA in den Wintermonaten des Jahres 1926 unverhofft große Publizität beschied. Anlaß war der bis in die Revolutionszeit zurückreichende Streit über die Hintergründe der großen Flottenunruhen 1917/18, der schon im Münchener »Dolchstoßprozeß« wieder aufflammte. Dort hatte der als Zeuge geladene Admiral v. Trotha unter Berufung auf eine geheime Denkschrift der Marineleitung mehrere ehemalige USPD-Politiker, darunter den Reichstagsabgeordneten Wilhelm Dittmann, beschuldigt, Urheber der Aufstände gewesen zu sein. Auf Antrag Dittmanns216, der an den Münchener Verhandlungen aus bestimmten Gründen217 nicht teilgenommen hatte, gab der 4. UA seinem langjährigen Ausschußmitglied die Gelegenheit, vor dem Ausschußplenum zu den massiven Vorwürfen v. Trothas Stellung zu beziehen. In der Öffentlichkeit wurde Dittmanns Verteidigungsrede vom 22. Januar 1926 ebenso wie die scharfe Reaktion seiner Kontrahenten218 als eine Sensation empfunden219. Für drei Monate flammte der alte Streit um Ursachen und Urheber des Zusammenbruchs in unverminderter Heftigkeit wieder auf. Die Positionen erwiesen sich dabei als unverändert intransigent. Dittmann griff die ehemalige Seekriegsleitung aufs schärfste an und deutete unter Bezugnahme auf den versuchten Flottenausfall vom Oktober 1918 die gängige Zusammenbruchsthese der deutschen Rechten in den »Dolchstoß« der Seekriegsleitung in den Rücken der parlamentarischen Regierung des Prinzen Max v. Baden um 220 . In seiner nicht weniger polemischen Replik warf Graf zu Eulenburg (DNVP) - sekundiert von dem als Vertreter der Marineleitung anwesenden Korvettenkapitän Canaris 221 - sowohl der MSPD als auch der USPD vor, sie habe unter Ausnutzung der Leichtgläubigkeit der Massen Streiks und Meutereien angezettelt, wobei die nachfolgende Revolution dann der »letzte tödliche Stoß in den Rücken der Kampffront« gewesen sei222. Das öffentliche Interesse am »Dittmann-Ausschuß«, wie der 4. UA von nun an genannt wurde, flaute jedoch schneller als erwartet wieder ab. Nahezu unbehelligt von publizistischer Resonanz ging der 4. UA im April 1927 daran, die in den Wintermonaten des Jahres 1926 angerissenen, aber weitgehend unbeantwortet gebliebenen Fragen zu systematisieren und den Versuch einer abschließenden Klärung zu wagen. Erneut wurden Sachver188 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

ständige bestellt223 und Zeugen vernommen; wieder kam es zu zeitraubenden, teils heftigen Diskussionen224. Erst Anfang März 1928, unter dem Zeitdruck, den die bevorstehenden Reichstagswahlen auslösten, schloß der 4. UA den Untersuchungskomplex »Marine und Zusammenbruch« mit einer Resolution ab. Sie war unter Enthaltung des KPD-Ausschußmitglieds Höllein zustandegekommen und enthielt sich wie die meisten anderen Entschließungen jeder dezidierten Parteinahme. Die Ausschußmitglieder konstatierten zwar die Existenz der politischen Propagandatätigkeit revolutionärer Gruppen, wagten aber keine Bewertung der jeweiligen Wirkungen rechter und linker Agitation. Ebensowenig trauten sie sich ein klares Urteil über Ursachen und Urheber der Meutereien im Herbst 1918 zu. Aus seiner Sicht glaubte der 4. UA, weder Beweise dafür erbringen zu können, daß der USPD eine Führungsrolle bei diesen Marineunruhen zukam, noch meinte er, die subjektive Überzeugung der Seekriegsleitung bezweifeln zu dürfen, »aufgrund früherer Anweisung und der bestehenden Übung«, zum Flottenvorstoß im Oktober 1918 berechtigt gewesen zu sein225. Ein Blick in das »Kriegstagebuch der Seekriegsleitung«, das dem 4. UA nicht zur Einsicht vorlag (!), hätte die Parlamentarier eines Besseren belehren können. Dort hieß es unter dem 25. Oktober 1918: »Es ist unmöglich, daß die Flotte alsdann in dem Endkampf, der einem baldigen oder späteren Waffenstillstand vorausgeht, untätig bleibt . . . Wenn auch nicht zu erwarten ist, daß hierdurch der Lauf der Dinge eine entscheidende Wendung erfährt, so ist es doch aus moralischen Gesichtspunkten Ehren- und Existenzfrage der Marine, im letzten Kampf ihr Äußerstes getan zu haben.« Und einige Tage vorher stand im »Operationstagebuch« des Kommandos der Hochseeflotte, das den Abgeordneten ebenfalls verborgen blieb, zu lesen: »Der Flotte steht ein . . . Schlußkampf als höchstes Ziel vor Augen, um nicht den Krieg beschließen zu müssen, ohne daß die in ihr steckende nationale Kraft voll zur schlagenden Wirkung gekommen ist.« Mithin richtete sich die Meuterei der Besatzung der Hochseeflotte, wie der Militärhistoriker Wilhelm Deist bestätigt, gegen ein Vorhaben, das im Bewußtsein seiner Initiatoren die Ehre der Waffen, insbesondere die Ehre des Seekriegsoffizierskorps wahren und auch der Weiterentwicklung der Flotte in der Zukunft dienen sollte226. Einen ähnlich evasiven Charakter wie die Resolution »Marine und Zusammenbruch« besaß das Urteil, mit dem der Unterausschuß nach fast achtjähriger Tätigkeit seine Arbeiten abschloß. Resümierend stellten die Abgeordneten fest, daß »nur im wechselseitigen Zusammenwirken zahlreicher Ursachen die Schuld am deutschen Zusammenbruch gefunden werden könne«227. In diesem sicherlich wohlgemeinten Fazit wirkte die auf Ausgleich der innenpolitischen Zerrissenheit des Reiches bedachte programmatische Zielsetzung des Untersuchungsausschusses nach. Gleichzeitig wird deutlich, daß die Parlamentarier in der für einen demokratischen Konsensus so ungemein bedeutsamen Frage ihrer Haltung zum kaiserlichen System und zu den revolutionären Grundlagen der Republik allenfalls mit wenig 189 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

differenzierten Negativformeln aufwarten konnten. Dabei verliefen die Grenzlinien der Übereinstimmung im 4. UA weder links noch rechts von den Weimarer Koalitionsparteien, sondern mitten durch sie hindurch. Die Tatsache einer sozialdemokratischen Minderheitsresolution in einem so wichtigen Untersuchungskomplex wie dem »militärischen Zusammenbruch« läßt vermuten, daß bei aller Ablehnung der plumpen rechtsradikalen Dolchstoßthesen durch die DDP und das Zentrum eine ›bürgerliche Einheitsfront‹ in allen wesentlichen, den 4. UA betreffenden Problemstellungen existierte. Die Arbeiten des 1. und 3. UA werden zeigen, daß diese Gemeinsamkeiten auch in den Fragen der »Schuld am Kriege« und der »Schuld im Kriege« bestanden. Trotz des unbestreitbar hoch zu veranschlagenden Quellenwertes der vom 4. UA publizierten Materialien, den zeitgenössische Historiker durchaus zu würdigen wußten228, muß, im Gegensatz zum Urteil Hiller v. Gaertringens, bezweifelt werden, daß sich die Ergebnisse der Ausschußverhandlungen »mäßigend« auf die einschlägige innenpolitische Agitation der deutschnationalen, völkischen und nationalsozialistischen Rechten ausgewirkt haben229. Nur wenige Zeitgenossen nahmen überhaupt Notiz von den Entschließungen des 4. UA. Überdies zwangen die Verlautbarungen des Ausschusses kaum dazu, gängige Sichtweisen über die revolutionären Grundlagen der Republik zu modifizieren. Die im Weltkrieg verantwortlichen Militärs konnten als rehabilitiert gelten, und die ›zersetzende‹ Agitation einer, wenngleich personell schwachen Gruppe revolutionärer Sozialisten war auch vom Ausschuß festgestellt worden. Dagegen hatte man die Untersuchungskomplexe »annexionistische Propaganda im Weltkrieg« und »soziale Heeresmißstände in den letzten Kriegsjahren«, die als potentielle Gegengewichte zu den Dolchstoßversionen unterschiedlicher Schattierungen in die Ausschußresolutionen hätten eingebracht werden können230, unberücksichtigt gelassen. Ein Tatbestand, der den zuständigen Sachverständigen Hobohm zu öffentlichem Protest bewegte 231 . Wenn dennoch in den Jahren nach 1924 die Dolchstoß these der nationalistischen Rechten an Propagandawirkung verlor, so dürfte dies kaum als ein Erfolg der parlamentarischen Untersuchung gewertet werden können; vielmehr spiegelt sich hier die Konsolidierung und Stabilisierung der innen- und außenpolitischen Verhältnisse wider. Stärker noch als die Ergebnisse des 4. UA dürften auch die mannigfachen Abwiegelungsbemühungen amtlicher Stellen sowie die betonte Zurückhaltung einiger rechter Verbände zu einer vorübergehenden Entschärfung der Auseinandersetzungen um den Weltkriegsausgang beigetragen haben. Die historische Forschung hat bislang übersehen, daß gerade der unter amtlichen Auspizien arbeitende und in konservativen Kreisen durchaus nicht einflußlose »Arbeitsausschuß Deutscher Verbände« um der Einbeziehung der Arbeiterschaft in eine »innenpolitische Einheitsfront gegen Versailles« willen lange Zeit darum bemüht gewesen ist, Dolchstoßattacken seiner nationalen Mitgliedsverbände zu un190 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

terbinden oder wo das nicht möglich erschien, diese in ihrer Bedeutung herunterzuspielen232. Es dürfte gleichfalls unbekannt sein, daß die Reichskanzlei und das AA im Verein mit gouvernementalen Konservativen wie dem Reichsinnenminister Martin Schiele einiges daran setzten, den Münchener »Dolchstoßprozeß« zu verhindern. Man tat dies zwar unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die aktuelle politische Situation, die wegen der parlamentarischen Beratungen über Locarno »einen möglichst vollkommenen Zusammenschluß des ganzen deutschen Volkes« erfordere; in den amtlichen Prozeßberichten klang jedoch unüberhörbar ein starkes Interesse an der prinzipiellen Glattstellung des Meinungsstreits über den »Dolchstoß« an233. Andererseits ließen die meisten der ernstzunehmenden wissenschaftlichen Darstellungen über die Novemberereignisse immer noch genügend Spielraum für eine Gleichsetzung des revolutionären mit dem reformistischen Flügel der deutschen Arbeiterbewegung. Der Sozialdemokratie wurde die Verantwortung für den Ausbruch der Revolution und damit für die Weltkriegsniederlage angelastet, da sie ihre Anhänger nicht besser unter Kontrolle gehalten und im nationalen Sinne geführt habe234. Von hierher erklärt sich, daß selbst in Zeiten innenpolitischer Normalisierung alte Frontstellungen in unvermittelter Heftigkeit wieder aufbrechen konnten. Der Münchener »Dolchstoßprozeß« von 1925 und die ›Dittmann-Kontroverse‹ von 1926 zeigen diesen Sachverhalt exemplarisch auf

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IV. Völkerrecht im Weltkrieg 1. Völkerrechtswidrige Maßnahmen in den besetzten Gebieten Die Untersuchungen des 3. UA standen anfangs unter einem wenig günstigen Stern. Für den schleppenden Verhandlungsbeginn waren sowohl die bereits geschilderten Arbeitsüberschneidungen mit dem 4. UA als auch die tagespolitische Brisanz des ins Auge gefaßten Themas verantwortlich. Das erste Problem löste sich durch die Entscheidung des 4. UA, von einer Behandlung der Völkerrechtsproblematik insgesamt abzusehen und sich statt dessen dem deutschen Zusammenbruch zuzuwenden235. Damit fielen die Völkerrechtsverletzungen an den 3. UA. Dieser ging daran, aus der beinahe unübersehbaren Fülle der möglichen Untersuchungsstoffe eine Auswahl zu treffen, deren Bewältigung in absehbarer Zeit möglich erschien und die gleichzeitig geeignet war, sowohl in der nationalen als auch in der internationalen Öffentlichkeit Interesse zu wecken. Von Anfang an ging das Bestreben der Ausschußmitglieder über eine möglichst objektive Klärung der anstehenden Problemkreise hinaus; sie beabsichtigten immer auch, durch die Herausarbeitung von Unzulänglichkeiten im bestehenden Völkerrecht Denkanstöße für die Konzeption neuer zeitgemäßer völkerrechtlicher Regelungen zu liefern236. Folgende Themenkomplexe schienen dieser doppelten Zielbestimmung Rechnung zu tragen: 1. Die Zwangsüberführung belgischer Arbeiter nach Deutschland; 2. Die Verschleppung von Bewohnern Elsaß-Lothringens nach Frankreich; 3. Die Verletzung der belgischen Neutralität; 4. Die Verletzung der Neutralität Griechenlands; 5. Der belgische Volkskrieg; 6. Der Gaskrieg; 7. Der U-Boot-Krieg; 8. Der Luftkrieg; 9. Der Wirtschaftskrieg; 10. Die Verletzung des Kriegsgefangenenrechts; 11. Die Verletzung des Genfer Abkommens vom 6. Juli 1906; 12. Die Verletzung des Zehnten Haager Abkommens; 13. Die Zerstörung in Nordfrankreich anläßlich der Rückzüge des deutschen Heeres in den Jahren 1917/18237. Der 3. UA mußte einen Großteil seiner anspruchsvollen Pläne zunächst jedoch auf unbestimmte Zeit vertagen, da die betroffenen Reichsämter ihr 192 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

Veto einlegten238. Von Amts wegen verwarf man insbesondere eine allzu frühe Eröffnung der Ausschußverhandlungen. Die Behörden befürchteten, daß die mit Gewißheit auch international beachtete parlamentarische Untersuchung eine Fülle bislang geheim gehaltener Details zu Tage fordern könnte, aus denen der apologetische Charakter der meisten Kriegsverbrecherurteile des Reichsgerichts in aller Evidenz hervorging239. Die Gefahr einer erneuten Intensivierung des bereits deutlich nachlassenden politischen Drucks der Alliierten in der Auslieferungsfrage war dann nicht mehr auszuschließen. Der 3. UA entsprach den Vorbehalten der amtlichen Stellen und grenzte alle mit der Auslieferungsfrage auch nur entfernt zusammenhängenden Probleme vorläufig aus seinen Untersuchungen aus. Auf Antrag des DDPAbgeordneten und Völkerrechtsprofessors Schücking kamen die Ausschußmitglieder überein, zunächst die außenpolitisch relativ unverfängliche Frage nach der Einführung der Haager Landkriegsabkommen von 1899 und 1907 in die verschiedenen Waffengattungen des deutschen Vorkriegsheeres in den Mittelpunkt ihrer Untersuchungen zu stellen240. Der Vorwurf, die entsprechenden deutschen Richtlinien für die militärische Ausbildung hätten diese Abkommen weitestgehend außer Acht gelassen, gehörte zum Katalog der alliierten Vorwürfe gegen die deutsche Kriegführung. Trotz der Assistenz des Reichswehrministeriums, das ein umfangreiches Gutachten beisteuerte 241 , zogen sich die Verhandlungen bis zum Frühsommer 1921 hin. In dieser Zeit vernahm der Ausschuß einen seinerzeit für die Abfassung des völkerrechtlichen Unterweisungsmaterials zuständigen Offizier und stellte eine Fülle von Materialien zusammen242. Auf der Grundlage dieser Vorarbeiten kam der 3. UA mit der Mehrheit seiner bürgerlichen Abgeordneten zu dem Schluß, daß Deutschland seiner »formellen Verpflichtung« zur Verbreitung der Haager Beschlüsse Genüge getan, die tatsächliche Verbreitung der Beschlüsse jedoch sehr zu wünschen übrig gelassen habe. Der Ausschuß relativierte sein verhalten kritisches Urteil aber sogleich wieder durch eine auch für die nachfolgenden Entschließungen typische Wendung: Selbst in den Dienstanweisungen der ehemaligen Kriegsgegner, namentlich der Franzosen, sei die in den Haager Beschlüssen aufscheinende Verrechtlichung der Kriegführung keineswegs in hinreichendem Maße berücksichtigt worden243. Publiziert wurden Entschließung und Arbeitsmaterialien des 3. UA zum Thema »Einführung der Haager Landkriegsordnung beim Heer« erst im Jahre 1927, aus Anlaß der Edition seines Gesamtwerkes. Gegen ein früheres Erscheinen sperrte sich das AA mit dem Argument einer nachteiligen außenpolitischen Wirkung der Ausschußresolution244. Im Falle des 3. UA war die Wilhelmstraße aber nicht mehr allein darauf bedacht, die Veröffentlichungsbegehren der Parlamentarier nach Möglichkeit abzublocken. Die Beamten griffen jetzt aktiv und gestaltend in die Entscheidungsfindung der Kommission ein und versuchten sogar, die bereits formulierten Entschließungen in 193 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

ihrem Sinne zu ›glätten‹. Überdies nahm das AA Einfluß auf die Auswahl der Sachverständigen245. Mit dem ehemaligen Leiter der Rechtsabteilung des AA, Ministerialdirektor a. D. Johannes Kriege, wurde ein Mann zum Hauptsachverständigen des 3. UA berufen, der, was die völkerrechtliche Beurteilung der deutschen Kriegführung im Weltkrieg anbetraf, »in höchstem Maße Partei« sein mußte246. Mit dem Kölner Juristen Ebers und dem Würzburger Völkerrechtler Meurer stellte man Kriege zwei Sachverständige zur Seite, die der Argumentation und den Schlußfolgerungen des ehemaligen Ministerialdirektors in aller Regel zustimmten247. Es scheint die mehrheitlich bürgerlichen Ausschußmitglieder nicht sonderlich irritiert zu haben, daß Kriege von Anfang an eine vom Selbstverständnis des 3. UA stark differierende Auffassung über die Zielsetzung der Ausschußarbeit besaß und diese auch nicht verschwieg. Bereits unmittelbar nach seiner Berufung stellte er gegenüber den Ausschußmitgliedern fest, daß sich die »im vaterländischen Sinne sehr zu begrüßende Tätigkeit« des 3. UA weniger an der »Fortbildung des Völkerrechts«248, als vielmehr an der bekannten regierungsoffiziellen Forderung nach Einrichtung einer neutralen Kommission zur Untersuchung der »Schuld am und im Kriege« zu orientieren habe. In dieser Hinsicht sei dem Plenum des deutschen Reichstags nach Abschluß der Untersuchungen eine Denkschrift vorzulegen, in der sich der 3. UA auf der Grundlage seiner Arbeiten und Ergebnisse für die unbedingte Notwendigkeit einer derartigen internationalen Institution ausspreche. Zwar rechnete auch Kriege nicht damit, daß sich der »Feindbund« auf eine »unparteiische Untersuchung« einlassen werde; die seiner Ansicht nach nahezu sichere Weigerung Frankreichs, Belgiens und Englands, auf das öffentlich vorgetragene deutsche Ansinnen einzugehen, würde diese Länder aber vor allem im neutralen Ausland ins Unrecht setzen und dem deutschen Standpunkt zu größerer Plausibilität verhelfen249. Die völlig in der Tradition des deutschen Rechtspositivismus stehenden Gutachten Krieges trugen diesem Kalkül dann auch Rechnung250. In engster formaljuristischer Anlehnung an die im Weltkrieg gültigen völkerrechtlichen Regelungen und unter Ausklammerung politischer bzw. philosophisch-ethischer Dimensionen suchte Kriege alle das Reich betreffenden Anschuldigungen der Alliierten abzuwehren, die entsprechenden deutschen Monita jedoch als in jedem Fall berechtigt darzustellen. Beispielhaft verdeutlicht dies sein Gutachten über die »Zwangsüberführung belgischer Arbeiter nach Deutschland«. Kriege sah die Deportationen, die - wie der Wirtschaftshistoriker Gerd Hardach meint - ein »besonders dunkles Kapitel der deutschen Kriegswirtschaftspolitik« darstellten251, durch den Art. 43 der Haager Landkriegsordnung legitimiert252. Die Maßnahme habe durchgeführt werden müssen, weil sich die hohe Zahl belgischer Arbeitsloser zu einer ernsthaften Gefahr für die öffentliche Ordnung des besetzten Landes auszuwachsen begann. Für einen durch die deutsche Besatzungspolitik in194 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

duzierten, mithin »künstlichen« und damit den Regeln des Völkerrechts widersprechenden Arbeitsmangel sah Kriege keine Anhaltspunkte, obwohl er einräumen mußte, daß Demontagen und besatzungspolitisch bedingte Verknappungen von Rohstoffen vorgekommen waren. Das interpretierte Kriege jedoch als kriegsnotwendig und daher völkerrechtlich nicht zu beanstanden253. Die Mißgriffe und Härten bei der Durchführung der Zwangsdeportationen waren - wie der ehemalige Rechtsberater kaiserlicher Reichsregierungen resümierend hervorhob - entweder durch subalterne deutsche Behörden oder durch die zahlreichen Sabotageversuche belgischer Partisanen verschuldet worden, der deutschen Seite insgesamt also nicht zur Last zu legen254. Das Gutachten Krieges wurde im Ausschuß zustimmend aufgenommen. Die bürgerlichen Ausschußmitglieder schlossen sich den Ausführungen Krieges an. Zwar glaubten sie, im nachhinein nicht mehr feststellen zu können, inwieweit das preußische Kriegsministerium und die OHL mit dieser Zwangsmaßnahme Arbeitskräfte für die deutsche Wirtschaft zu gewinnen gedachten, keinen Zweifel wollten sie aber daran aufkommen lassen, daß die seinerzeit zuständigen Behörden der Überzeugung gewesen waren, in voller Übereinstimmung mit dem geltenden Völkerrecht zu handeln255. Im Unterschied dazu standen die Sozialdemokraten im 3. UA den Ausführungen Krieges scharf ablehnend gegenüber. Vor allem Levi begnügte sich nicht damit, die Ergebnisse des Hauptsachverständigen ungeprüft hinzunehmen. Entgegen der üblicherweise praktizierten Verfahrensweise und zum offensichtlichen Befremden der Behörden kam der sozialdemokratische Jurist um die Erlaubnis ein, Einsicht in die vorhandenen Aktenbestände zum Untersuchungsgegenstand nehmen zu dürfen. Wie zu erwarten, verlief die Prüfung der Archivalien nicht ohne Reibungen. Die unschwer erkennbare Zurückhaltung, mit der die Reichskanzlei und das Reichswehrministerium dem ›Forscherdrang‹ des Parlamentariers begegneten, veranlaßte Levi zu scharfen Protesten. Er warf den Ämtern vor, bewußt Desinformationspolitik zu betreiben256, was diese energisch in Abrede stellten257. Eine Klärung der Vorwürfe Levis wurde nie erreicht, obgleich der 3. UA eigens zu diesem Zweck eine Untersuchungskommission einrichtete. Immerhin hatte die Durcharbeitung der vorgelegten Akten bei Levi die Überzeugung wachsen lassen, daß es den Schlußfolgerungen Krieges an Objektivität mangele. Mit Zustimmung seiner dem rechten Parteiflügel zuzurechnenden Fraktionskollegen Moses und Quessel entwarf er ein Minderheitsvotum, das die Deportationen nicht auf die von der Haager Landkriegsordnung geduldete Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung in besetzten Gebieten, sondern auf militärische bzw. kriegswirtschaftliche Interessen zurückführte und die Überführung der Arbeitskräfte - ohne die notwendigsten Subsistenzmittel, dazu im Winter und in ungeheizten Güterwagen-als völkerrechtswidrig anprangerte258. In diesem Zusammenhang sollte die eher beiläufige Schlußbemerkung der 195 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

sozialdemokratischen Ausschußmitglieder noch ein politisches Nachspiel haben. Ihre Entschließung hatte dem AA vorgeworfen, die Deportationen »in Kenntnis ihrer Rechtswidrigkeit«259 gebilligt zu haben. In einem Schreiben an den Vorsitzenden der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion, Müller, monierte Stresemann persönlich die Schärfe dieser Formulierung, durch die im Ausland eine Wiederbelebung alter Vorurteile in der Kriegsschuldfrage drohe. Der Außenminister bat den sozialdemokratischen Politiker, seinen Einfluß wenigstens zugunsten einer Abmilderung der inkriminierten Stellen geltend zu machen260. Ausnahmsweise blieben die Einwände Stresemanns ohne Wirkung. Müller verwahrte sich dagegen, seinen Parteifreunden Formulierungen aufzuzwingen, die diese nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren könnten261. Um dem Minderheitsvotum dennoch etwas von seiner vermeintlichen Brisanz zu nehmen, beeilte sich die Ausschußmehrheit, in einer offiziellen Entgegnung, die Vorwürfe gegen das AA als »rechtlich und sachlich nicht begründet« zurückzuweisen262. Die Tatsache, daß dieser Kommentar die Unterschrift Schückings, eines im Kaiserreich oftmals denunzierten und verfehmten Pazifisten trug, wirft ein bezeichnendes Schlaglicht nicht nur auf das politische Bewußtsein führender Demokraten, sondern auch auf diesubjektiv sicherlich unbeabsichtigte - Alibifunktion, die ihnen im Kontext der parlamentarischen Untersuchung zukam. Schückings Unterschrift hat fraglos die Glaubwürdigkeit der ›Entgegnung‹ gerade in republikfreundlichen Kreisen erhöht. Im Gegensatz zum Untersuchungskomplex der »Zwangsdeportationen«, zu dem sich die bürgerlichen Ausschußmitglieder eine kritische Stellungnahme versagten, glaubten sie bei der Behandlung der »Verschleppung von Bewohnern Elsaß-Lothringens nach Frankreich« auf eine Schuldzuweisung nicht verzichten zu können. Danach hatte die französische Regierung mit ihren Evakuierungsmaßnahmen die Absicht verfolgt, durch Entfernung der zuverlässigen deutschen Elemente sowie durch gewaltsame Einflußnahme auf alteingesessene Einwohner die »Französisierung« des »Reichslandes« voranzutreiben. Die Völkerrechtswidrigkeit solcher Maßnahmen stand für die Ausschußmehrheit außer Frage, zumal auch ihre technische Durchführung »unnötige Härten [und] brutale Grausamkeiten« aufgewiesen habe263. Mit ihrem Votum pflichteten die Ausschußmitglieder - unter Stimmenthaltung der SPD- und KPD-Parlamentarier- einem Gutachten bei, als dessen Autor wieder Kriege figurierte264, obgleich er die Arbeit nicht persönlich verfaßt hatte. Bearbeiter war der ehemalige Leiter der »Hauptstelle zur Verteidigung Deutscher vor feindlichen Gerichten«, Gesandter z. D. Wedding, den das AA zur Unterstützung seines ehemaligen Chefjuristen abgestellt hatte und der Kriege bereits bei den Arbeiten über die Zwangsdeportationen unterstützt hatte265. Die den meisten Ausschußmitgliedern vermutlich gar nicht bekanntgewordene Einbeziehung von Beamten in die Sachverständigenarbeit stellte 196 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

eine Qualitätsveränderung in der behördlichen Einflußnahme auf den Ausschuß dar. Die Transformation der ehemals in persönlicher Verantwortung der Sachverständigen erarbeiteten Gutachten zu quasi amtlichen Stellungnahmen forcierte den Prozeß der Wandlung der parlamentarischen Untersuchung in eine kryptobürokratische Veranstaltung mit eindeutig funktionalem Charakter für die offizielle deutsche Außenpolitik. Das beweist auch der Untersuchungskomplex »Verletzung der Neutralität Griechenlands« durch die Alliierten266. Auf der Grundlage eines Gutachtens, das von einem Angehörigen der deutschen Botschaft in Athen erstellt worden war, ging die bürgerliche Ausschußmehrheit über die Entlastung der deutschen Kriegführung hinaus zum Angriff auf die Kriegführung der Alliierten über und konstatierte, daß die Entente bei ihrem Vorgehen gegen Griechenland alle nur erdenklichen völkerrechtlichen Regelungen verletzt habe267. Ein ähnlich weitgehendes Urteil über den deutschen Einfall nach Belgien traute sich der 3. UA dagegen nicht zu. Die entsprechende Entschließung sollte erst verabschiedet werden, nachdem der 1. UA dieses Problem unter dem Gesichtspunkt der Kriegsschuldfrage abgeklärt hatte268. Die Entscheidung des Völkerrechtsausschusses, seine Bewertung der Okkupation Belgiens an die Ergebnisse des 1. UA zu binden, kam faktisch einer Vertagung ad calendas graecas gleich, da das AA mit großem Nachdruck die dilatorische Behandlung der Kriegsschuldfrage durchzusetzen wußte, zugleich aber darauf bedacht war, das Junktim zwischen den Untersuchungen des 1. UA und der völkerrechtlichen Behandlung des ›Belgien-Problems‹ - auch gegen den Widerstand einiger Ausschußmitglieder269 - aufrechtzuerhalten. Die Wilhelmstraße hegte offenbar die Befürchtung, daß jedwede Resolution des 3. UA zum deutschen Einmarsch in Belgien negative politische Folgen zeitigen würde: Eine tendenziell apologetische Stellungnahme des Ausschusses beschwor die Gefahr einer Verschlechterung der gerade in diesem Punkte neuralgischen deutsch-belgischen Beziehungen herauf, während eine auch vorsichtig formulierte Kritik an der mit dem Namen Schlieffen verbundenen deutschen Okkupation erwarten ließ, daß die alten Frontlinien im innerdeutschen Streit um die belgische Neutralität wieder aufbrechen würden270. Ein erneutes Aufflammen dieser Kontroverse, die selbst die deutsche »Kriegsschuldforschung« in zwei Lager spaltete, kam dem AA vor allem deshalb ungelegen, weil die Rechtfertigung der Besetzung Belgiens zu den Schwachstellen der deutschen Propaganda gehörte. Trotz intensiver Bemühungen verschiedener Reichsämter war es nie gelungen, den quellenmäßigen Nachweis zu führen, daß französische und englische Truppen vor den Deutschen in Belgien gewesen waren271. Amtlicherseits verlegte man sich deshalb darauf, das ›Belgien-Problem‹ mit Schweigen zu übergehen und suchte die öffentliche Diskussion hierüber zu unterbinden. Anders verhielt es sich mit den belgischen Freischärlern, den Franktireurs. Hier gingen vor allem vom Reichswehrministerium Bestrebungen aus, die Vorwürfe Belgiens in bezug auf die inhumane Behandlung der Zivilbevöl197 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

kerung seitens der Besatzungsmacht durch deutsche Untersuchungen widerlegen zu lassen272. Insofern bestanden keine behördlichen Einwände gegen die Aufnahme dieses Themenkomplexes in das Arbeitsprogramm des 3. UA. Für die Abfassung des obligatorischen Gutachtens wurde der Völkerrechtler Christian Meurer gewonnen. Seine Arbeit, die in engster Abstimmung mit den militärischen Reichsstellen entstand273, basierte im wesentlichen auf dem Material des bereits 1915 publizierten, amtlichen deutschen Weißbuchs über die »völkerrechtswidrige Führung des belgischen Volkskrieges«. Die in diesem Zusammenhang relevanten belgischen Publikationen ließ der Sachverständige hingegen außer Acht. Die Festlegung auf eine offizielle Dokumentation, die im Grunde genommen nichts weiter war als eine propagandistische Rechtfertigung des deutschen Vorgehens274, präjudizierte natürlich die Schlußfolgerungen des Gutachtens. Nach Ansicht Meurers entwickelten sich die deutschen Kriegshandlungen »ganz folgerichtig« aus dem Verhalten der belgischen Bevölkerung. Mithin war nicht die deutsche Besatzungspolitik, wohl aber das Vorgehen der Widerstandsgruppen als völkerrechtswidrig anzusehen, wenngleich der Experte relativierend anmerkte, daß »im einzelnen Irrtümer und Ausschreitungen« auch auf deutscher Seite vorgekommen seien275. Die Ausschußmehrheit folgte - bei Enthaltung der Arbeiterparteien - der Ansicht Meurers. Sie erklärte den belgischen Widerstand für völkerrechtswidrig, da das besetzte Land unter den obwaltenden Umständen nur einen »organisierten Volkskrieg« mit regulär ausgehobenen Freiwilligen-Verbänden und unter Neutralität der in den besetzten Gebieten lebenden Zivilbevölkerung hätte fuhren dürfen. Ihre Waffen hätten die Kombattanten überdies deutlich sichtbar tragen müssen276. Ganz wohl bei dieser Entschließung war aber offenbar keinem der Beteiligten. Die Sekretäre Widmann und Fischer fanden intern »mancherlei« an dem Gutachten des Würzburger Völkerrechtsexperten auszusetzen und monierten vor allem die Ausklammerung der relevanten belgischen Materialien277. Schücking bezweifelte im Kollegenkreis gar die Objektivität Meurers278. Gegenüber der Öffentlichkeit wurden diese Bedenken jedoch nicht artikuliert. Selbst im Bewußtsein des Pazifisten Schücking besaß die nationale Geschlossenheit gegenüber dem Ausland eindeutig höheren Wert als die kritische Auseinandersetzung mit der jüngsten deutschen Vergangenheit. Die offiziöse Propaganda kannte da weit weniger Skrupel; trotz der dem Kreis der Eingeweihten sicherlich nicht verborgen gebliebenen Kritik an der Arbeitsweise Meurers und der hinter ihm stehenden Reichsämter konnte Draeger das Gutachten des Würzburger Völkerrechtlers unwidersprochen als »grundlegendes Werk für die Weiterbildung des Völkerrechts« bezeichnen279, und die »Süddeutschen Monatshefte« veröffentlichten unbehelligt von jeglicher Einflußnahme Artikel über die »belgische Schuld« am Franktireur-Krieg280. Auch der Resolution des 3. UA zu den Zerstörungen, die das deutsche Heer auf seinem Rückzug in Nordfrankreich und Belgien angerichtet hatte, 198 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

war die Tendenz zur Entlastung der zuständigen Militärbehörden deutlich anzumerken. Nach der Befragung ehemals verantwortlicher Militärs, wie des ehemaligen Stabchefs der Heeresgruppe »Kronprinz Rupprecht«, General v. Kuhl281, kam die bürgerliche Ausschußmehrheit unter Berufung auf den Artikel 23 der Haager Landkriegsordnung282 zu dem Schluß, daß die entsprechenden Maßnahmen unter rein militärischen Gesichtspunkten befohlen worden waren und damit dem bis dahin geltenden Völkerrecht nicht zuwiderliefen. Ein Blick in das vom Ausschußbüro zusammengestellte Aktenmaterial hätte die Parlamentarier hier eines Besseren belehren können. Aus diesen Archivalien ließ sich - schenkt man dem Urteil eines eigens vom AA bestellten Gutachtens Glauben - ohne große Mühe herauslesen, »daß die Zerstörungen bei der Zurücknahme der deutschen Front gänzlich sinn- und zwecklos waren und nur um der Zerstörung willen gemacht wurden« 283 . Die Ergebnisse des Ausschusses wurden umgehend propagandistisch ausgeschlachtet. Der militärische Verbindungsmann zum Ausschuß, Otto v. Stülpnagel, veröffentlichte bereits im August 1923 Teile der Vernehmungsprotokolle nebst den dazugehörigen Aktenmaterialien in den »Süddeutschen Monatsheften«, ohne vorher das Plazet des Ausschusses eingeholt zu haben. Die Parlamentarier fühlten sich düpiert und kamen bei der Reichsregierung um die Erlaubnis ein, ihre vollständigen Ergebnisse zum Nordfrankrcich-Problem nebst allen dazugehörigen Materialien vorzeitig publizieren zu dürfen284. Die zuständigen Beamten versagten sich diesem Ansinnen mit dem schon stereotypen Hinweis auf die brisante außenpolitische Lage 285 . Die Veröffentlichung v. Stülpnagels hingegen blieb von amtlichen Einwänden unbehelligt. Stresemann selbst hob in einem Schreiben an v. Stülpnagel den besonderen Wert der gegen die »feindlichen Vorwürfe« gerichteten Ausführungen hervor und sprach dem Militär seinen besonderen Dank für die »wertvolle Aufklärungsarbeit« aus 286 .

2. Kriegführung und Völkerrecht In den Verhandlungen des 3. UA über die Kriegführung der am Weltkrieg beteiligten Mächte war es wieder einmal der Sachverständige Kriege, der sich mit seiner Beurteilung des Gaskrieges als Meister juristischer Rabulistik erwies. Im Gegensatz zu den französischen Gasgeschossen, die der Verbreitung von Gasen als einzigem Zweck dienten und damit der Haager Erklärung vom 29. Juli 1899 zuwiderliefen287, besaßen seiner Meinung nach die deutschen Gasgeschosse neben ihrer Gaswirkung noch den Charakter gewöhnlicher Artilleriegeschosse und waren daher nicht völkerrechtswidrig. Überdies war - wie Kriege hervorhob - auch der deutsche Gaseinsatz im »Gaskampf von Ypern« (22. April 1915) vom völkerrechtlichen Standpunkt nicht zu beanstanden, da die deutsche Seite nicht Gasgeschosse eingesetzt, 199 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

sondern vielmehr »Gaswolken in Windrichtung gegen die feindlichen Stellungen« abgelassen hätte288. Wie gewöhnlich folgte die bürgerliche Ausschußmehrheit den Schlußfolgerungen des ehemaligen kaiserlichen Rechtsberaters. Der französischen Seite legte man die erste offenkundige Verletzung der völkerrechtlichen Bestimmungen über den Gaskrieg zur Last. Das Reich habe - als Antwort auf die französische Provokation - »lediglich völkerrechtlich zulässige Gegenmaßnahmen« ergriffen289. In gleicher Weise wie der deutsche Gaskrieg wurde auch der deutsche UBoot-Einsatz gerechtfertigt. Für Kriege besaß er den Charakter einer nicht zu beanstandenen Vergeltungsmaßnahme gegen die zum Zwecke der Aushungerung Deutschlands und der Lahmlegung seiner Industrie völkerrechtswidrig eingeleitete Seeblockade. In diesem Zusammenhang konnte das Reich - wie Kriege hervorhob - von den Neutralen die gleiche Duldung verlangen, die diese den alliierten Absperrungsmaßnahmen entgegengebracht hatten290. Überflüssig nachzutragen, daß die bürgerliche Ausschußmehrheit im deutschen U-Boot-Krieg - gleichgültig ob beschränkt oder unbeschränkt - eine Verletzung des Kriegsrechts nicht zu erkennen vermochte. Dabei hielten sich die Parlamentarier in Anlehnung an Kriege streng an juristische Bewertungskriterien und lehnten es ab, die militärische bzw. politische Zweckmäßigkeit des U-Boot-Einsatzes einer kritischen Beurteilung zu unterziehen291. Ähnliche Entlastung erfuhren die im Weltkrieg verantwortlichen Militärbehörden in bezug auf die Vorwürfe der Alliierten, sie hätten mit ihren Luftangriffen auf Paris, London und einige englische Küstenstädte die Grundsätze des bestehenden Kriegsrechts verletzt292. Auch hier wurden vom Ausschuß Lücken im Völkerrecht angeführt, die das »Werfen von Geschossen und Sprengstoffen aus Luftfahrzeugen« als Kampfhandlungen in unmittelbarem Zusammenhang mit den Kämpfen der Land- und Seestreitkräfte, wenngleich nur gegen »Kraftquellen« der feindlichen Armeen wie Depots und Stapelplätze erlaubten293. Zudem wies die bürgerliche Ausschußmehrheit daraufhin, daß die Haager Erklärung vom 29. Juli 1899, die auch die Bedingungen des Luftkriegs regelte, schon vor Kriegsbeginn abgelaufen war und Frankreich, Rußland und Deutschland die neue Fassung vom 18. Oktober 1907 nicht angenommen hatten294. Diese Schlußfolgerung hinderte die Abgeordneten aber nicht daran, die gegnerischen Luftangriffe auf Karlsruhe am Fronleichnamstag des Jahres 1916 für völkerrechtswidrig zu erklären295. Gegen das Völkerrecht gerichtet war in den Augen des 3. UA ferner der »von England begonnene Wirtschaftskrieg«, der durch das allgemeine Zahlungsverbot für bereits getätigte Handelsgeschäfte mit dem feindlichen Ausland »das Prinzip der Unantastbarkeit des Privateigentums als eines der elementaren Grundsätze des Kriegsrechts verletzt [habe]«296. Die entsprechenden Maßnahmen des Deutschen Reiches wurden als Repressalien und daher als nicht dem Kriegsrecht entgegenstehend definiert. Sowohl die 200 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

Ausschußentschließung über den Luftkrieg als auch die Resolution über den Wirtschaftskrieg war den gutachtlichen Äußerungen des Kölner Völkerrechtlers Ebers gefolgt297. Ebers seinerseits hatte die Gutachten in engster Abstimmung mit der Reichsmarineleitung verfaßt. Die Marinestellen steuerten in diesem Zusammenhang neben dem entsprechenden Aktenmaterial eine detaillierte Stoffgliederung sowie eine Aufstellung der »leitenden Gesichtspunkte« der Stoffbehandlung bei298. Auf amtlichem Material299 basierte auch ein Gutachten, das der Sachverständige Meurer für den 3. UA über die im Weltkrieg bekanntgewordenen Verletzungen des Genfer Abkommens vom 6. Juli 1906 erstellte300. Die Alliierten hatten den deutschen Militärs vorgeworfen, gerade dieses Abkommen, das für die in Feindeshand gefallenen Verwundeten und Kranken eine Behandlung nach den »allgemeinen Gesetzen der Menschlichkeit« verankerte, gröblich verletzt zu haben. Wie nicht anders zu erwarten, vermochte der 3. UA auch hier ein »schuldhaftes Verhalten« auf deutscher Seite nicht festzustellen. Er subsumierte alle diesbezüglichen Anschuldigungen unter die Rubrik »tendenziöse Kriegspropaganda« und stellte demgegenüber nachdrücklich fest, daß sich die deutschen Militärs in bezug auf das Genfer Abkommen sehr wohl »der hohen menschlichen Pflicht, die es zu erfüllen galt« bewußt gewesen seien301. In diesem Sinne wurde auch der Vorwurf zurückgewiesen, Deutschland habe Lazarettschiffe versenkt und dadurch gegen das Zehnte Haager Abkommen verstoßen302. Auf der Grundlage eines Meurer-Gutachtens ging der 3. UA dabei über die reine Verteidigung des deutschen Standpunktes hinaus und konterte die alliierten Anschuldigungen mit der Feststellung, die andere Seite habe das Rote Kreuz »systematisch mißbraucht«303. Besondere Aufmerksamkeit widmete der Völkerrechtsausschuß schließlich der Behandlung von »Verletzungen des Kriegsgefangenenrechts«. Als Grundlage der Untersuchung diente hierbei ein fast tausendseitiges Gutachten, das zwar den Namen Meurers trug, tatsächlich aber von verschiedenen Reichsstellen wie der »Reichszentrale für Kriegs- und Zivilgefangene« und der »Auflösungsstelle des Kriegsgefangenenwesens« erstellt worden war304. Dieses im wesentlichen auf deutschem Aktenmaterial basierende, akribisch gearbeitete Gutachten enthielt eine Gegenüberstellung der Vorwürfe, welche die Kriegsgegner im Hinblick auf die Behandlung der Kriegs-, Zivilund »Kolonialgefangenen« gegeneinander erhoben hatten. Mit einer abgewogenen Beurteilung der aufgelisteten Einzelfälle hatte man sich dabei wenig Mühe gemacht. Stets aufs neue wurden die Anschuldigungen der Alliierten als »Kriegsgreuelpropaganda« bezeichnet, die Verhältnisse in den deutschen Gefangenenlagern als den Umständen entsprechend gut dargestellt305 und bestimmte, nicht zu leugnende Härten in der Gefangenenbehandlung als »kriegsrechtlich erlaubte Repressalien gegen die Kriegsverbrechen der Feinde« interpretiert306. Die entsprechenden Handlungen der Gegner trugen dagegen alle Anzeichen behördenmäßig verordneter und plan201 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

mäßig durchgeführter Verletzungen des Völkerrechts307. Derart weit glaubte die bürgerliche Ausschußmehrheit nicht gehen zu können. Sie konstatierte Völkerrechtsverletzungen im Lager aller kriegsteilnehmenden Staaten, was sie aber keineswegs daran hinderte, die Vorwürfe der Alliierten als weit überspitzt zurückzuweisen und demgegenüber die »schweren Grausamkeiten« der ehemaligen Feinde Deutschlands herauszustellen308. Ausnahmsweise steuerten diesmal auch die SPD-Parlamentarier im 3. UA, die sich bei fast allen übrigen Resolutionen ihrer Stimme enthalten hatten, ein Minderheitsvotum bei. Sic monierten darin die unzureichende und zum Teil völkerrechtswidrige Behandlung der ausländischen Kriegsgefangenen durch die verantwortlichen deutschen Stellen und meldeten überdies Zweifel an der Materialbasis der Untersuchung an, die schon äußerlich alle Anzeichen der Kriegspropaganda trage und eine hinreichende Klärung der in Rede stehenden Tatbestände nicht zulasse309. Die Vorstellung des fünfbändigen Gesamtwerkes des 3. UA in der Reichstagssitzung vom 18. Mai 1927 mündete in einem Eklat. Die Debatte wurde turbulent, als die SPD-Ausschußmitglieder Dittmann und Levi den bürgerlichen Parlamentariern im Völkerrechtsausschuß vorwarfen, der Legende von der Unschuld des Deutschen Reiches durch ihre enge juristische Anlehnung an längst obsolet gewordene Kriegsrechtsregelungen neue Nahrung gegeben zu haben. Gerade die Tendenz der bürgerlichen Ausschußmehrheit, alle völkerrechtlich zweifelhaften Handlungen deutscher Militärs in den Rahmen des veralteten Kriegsrechts zu zwängen, auf der anderen Seite aber den völkerrechtswidrigen Charakter entsprechender Aktionen der Kriegsgegner zu übertreiben, hatte nach Levis Ansicht einer Verschleierung der tatsächlichen Sachverhalte Vorschub geleistet310. Seiner Verantwortung und seiner ursprünglichen Zielsetzung wäre der 3. UA nur dann gerecht geworden, wenn er die Verletzung elementarer Gesetze der Menschlichkeit auf der einen wie auf der anderen Seite in gleich scharfer Weise gerügt hätte. Für das in seinen Augen offenkundige Versagen des Ausschusses machte Levi nicht zuletzt die Auswahl der Sachverständigen verantwortlich: Mit Kriege sei eine Persönlichkeit zum Gutachter bestellt worden, die, »wäre dieser Ausschuß ein Strafgericht«, als erster Angeklagter hätte vorgeladen werden müssen311. Bezeichnenderweise waren es gerade Politiker der republikanisch gesinnten bürgerlichen Parteien, die sich zur Verteidigung der Arbeitsweise des 3. UA aufgerufen fühlten. Dabei klang unüberhörbar der Vorwurf der Nestbeschmutzung an. Der DVP-Abgcordnete Schneider beschuldigte die Linksparteien, von der »Tribüne des Reichstages« aus Propaganda gegen das deutsche Volk zu treiben312. Die Demokraten Schücking und Külz sowie das Zentrumsmitglied Bell grenzten sich in ähnlicher Schroffheit von den Vorwürfen ab313 . Külz befürchtete insbesondere negative Auswirkungen auf die Auslandsarbeit in der Kriegsschuldfrage: Die Vorwürfe Levis und Dittmanns bekräftigten dort das alte Vorurteil, die deutschen Militärs seien 202 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

die »einzig und hauptsächlich Schuldigen« an den Auswüchsen des Krieges gewesen314. Die deutschnationale und völkische Publizistik benützte die parlamentarische Kontroverse um das Gesamtwerk des 3. UA als einen willkommenen Anlaß für ihre antisozialistische Propaganda. Unter der Überschrift »Anwälte der Entente im Reichstag« wurde die Kritik an dem »streng unparteiischen Untersuchungsausschuß« als »nationale Gesinnungs- und Würdelosigkeit« bezeichnet: Die »marxistische Linke« schädige Deutschland, leiste den ehemaligen Kriegsgegnern Helfersdienste und separiere sich mit ihrer »infamen Herabwürdigung der Moral der gesamten deutschen Nation« von der nationalen Gesinnungsgemeinschaft315. Was die Ergebnisse der Untersuchung anbetraf, glaubte die Rechtspresse, nun endlich »dem Gegner auf das Kampfgebiet der Propaganda in bezug auf die barbarische Kriegführung« folgen zu können. In diesem Sinne forderten die »Vereinigten Vaterländischen Verbände« die Reichsregierung auf, »in klarer und offizieller Form« das Versailler Kriegsschuldbekenntnis zu widerrufen und den »Kriegsgreuclanklagen« entschieden entgegenzutreten316. Die deutschen Militärs waren der gleichen Ansicht. Sie drängten ungeachtet aller außenpolitischen Schwierigkeiten (immerhin hatte die belgische Regierung gegen die Ergebnisse des 3. UA in Berlin protestiert317) auf eine propagandistische Offensive in der Frage der »Schuld im Kriege«. In den Jahren nach 1927 wurden Überlegungen angestellt, die beim Verlag befindliche Restauflage aufzukaufen und kostenlos an Multiplikatoren der öffentlichen Meinung weiterzugeben318. Vor dem Hintergrund der deutsch-belgischen Kontroverse über die »Schuld im Krieg« sperrte sich das AA jedoch lange Zeit dagegen, dem Drängen der Reichswehr nachzugeben. Maßgebende Beamte wie der Leiter der Rechtsabteilung, Ministerialdirektor Gaus, maßen dem Ausschußwerk bereits Anfang der 30er Jahre nur noch »antiquarischen Wert« zu319. Erst im Jahre 1934 kam es zu einem Arrangement zwischen dem AA, dem Reichswehr- und dem Reichsfinanzministerium. Auf Betreiben der Minister v. Neurath und v. Blomberg stellte das Reichsfinanzministerium den Betrag von 10000 RM für den Ankauf der Restauflage zur Verfügung. Den beiden Ministern erschienen die Arbeiten des Völkerrechtsausschusses »bestens geeignet«, die »Kriegsgreuelpropaganda« der Alliierten zu widerlegen320. Zügiger und reibungsloser ›verarbeiteten‹ die Publikationsorgane der »Revisionsbewegung« die Untersuchungsergebnisse des 3. UA. Draegers »Taschenbuch zur Kriegsschuldfrage« brachte in einer Auflage von 10000 Exemplaren die Schlußfolgerungen der parlamentarischen Kommission breiten Bevölkerungskreisen zur Kenntnis321. In dieser Weise aufbereitet dürften die Untersuchungen des 3. UA an öffentlicher Resonanz alle übrigen Untersuchungen des Gesamtausschusses bei weitem übertroffen haben322.

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V. Die Vorgeschichte des Krieges 1. Internationale Beziehungen und europäische Bündnisse vor 1914 Der 1. UA wandte sich nach der Konstituierung am 20. Oktober 1919 zunächst der unmittelbaren Vorgeschichte des Weltkriegs zu. Schon bald entschlossen sich die Ausschußmitglieder jedoch, auch die weitere Vorgeschichte des Krieges in ihre Betrachtung mit einzubeziehen323. Ihr Erkenntnisziel richtete sich dabei weniger auf die akribisch-exakte Prüfung des politischen Geschehens seit 1870, sondern vielmehr auf die »großen Linien« in der Politik der Großmächte, die in den Krieg geführt hatten324. Ähnlich wie die übrigen Unterausschüsse knüpfte der 1. UA hohe Erwartungen an das Ergebnis seiner Untersuchungen. Es war beabsichtigt, das »erste autoritative Werk über die Vorgeschichte des Krieges von deutscher Seite«325 vorzulegen und damit gleichzeitig eine endgültige Stellungnahme zur Verantwortung der deutschen Regierung für die Eskalation der Julikrise abzugeben326. Gemessen an ihrer selbstgestellten Aufgabe kann das Resultat der parlamentarischen Untersuchung - ohne einer eingehenden Analyse vorgreifen zu wollen - nur enttäuschend genannt werden327. Resolutionen über die behandelten Untersuchungsgegenstände sollten ebenso eine Ausnahme bleiben wie die Publizierung der Sachverständigen-Gutachten oder gar die Veröffentlichung der bearbeiteten Materialien. Von den umfangreichen Vorarbeiten des 1. UA sind lediglich die Untersuchungen zu den Haager Friedenskonferenzen von 1899 und 1907 sowie der Komplex »Militärische Rüstungen und Mobilmachungen« zur Entschließung gebracht worden. Ferner konnte die Öffentlichkeit zwei Gutachten zur unmittelbaren Vorgeschichte des Weltkriegs und eine Reichstagsdrucksache über »Auskünfte Deutscher Staatsmänner« zur Julikrise zur Kenntnis nehmen. Der größte Teil der Untersuchungen, besonders die Gutachten über europäische Bündnisse und internationale Beziehungen vor 1914, verblieben auf Geheiß des AA in den Akten, ein Umstand, der den 1. UA bereits zur Zeit seiner Verhandlungstätigkeit in Vergessenheit geraten ließ. Schon unmittelbar nach Eröffnung der Beweisaufnahme hatte der Ausschuß schmerzlich erfahren müssen, wie eng seine Grenzen in bezug auf eine autonome Prüfung des alliierten Kriegsschuldvorwurfs gesteckt waren. Probleme warf bereits der Wunsch der Ausschußmitglieder auf, Einsicht in das Rohmanuskript der etwa gleichzeitig entstehenden offiziösen Dokumentensammlung des Reiches zur Vorgeschichte des Weltkriegs nehmen zu dürfen328. Eine entsprechende Bitte stieß auf die entschiedene Ablehnung 204 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

der Herausgeber der »Großen Politik«. »Im Interesse einer geordneten Fortführung der Publikation« verwahrte sich namentlich Thimme gegen das Begehren des 1. UA, von dem er eine »schwere Störung« der laufenden Arbeiten erwartete329. Immerhin hielten es die Herausgeber der »Großen Politik« nicht für ratsam, sich dem Ansinnen einer parlamentarisch legitimierten Institution völlig zu verschließen; sie erklärten sich bereit, auf gezielte Fragen der Ausschußmitglieder ihre Aktenkenntnis - in Ausnahmefällen auch einige Aktenstücke - zur Verfügung zu stellen. Das A A hatte hier zur Zurückhaltung gemahnt und die ängstlich über ihre Autorenrechte wachenden Wissenschaftler gebremst, da es atmosphärische Spannungen zwischen dem Editionskollegium und dem 1. UA vermeiden wollte 330 . Friktionen in diesem Bereich wären der amtlichen Strategie entgegengelaufen, die auf eine enge Anbindung der Untersuchungen des 1. UA an Akteninhalt und Interpretation der »Großen Politik« abzielte. Eine eigenständige Prüfung der verfügbaren Akten zur Vorgeschichte des Krieges durch den Kriegsschuldausschuß wollten die Beamten jedoch wenn irgend möglich verhindern. Unter anderem befürchteten sie, daß dem 1. UA »gewisse Randbemerkungen« des Kaisers sowie ehemals führender Politiker und Militärs zur Kenntnis gelangten, deren Veröffentlichung außenpolitisch auf keinen Fall opportun erschien331. Gegen eine schriftliche Befragung verschiedener, in der Zeit der Sarajewo-Krise verantwortlicher Politiker, Beamter und Militärs erhoben die amtlichen Stellen hingegen keine Einwände. Diese Umfrage wurde schon 1920 unter dem Titel »Auskünfte Deutscher Staatsmänner« publiziert332. Die darin enthaltenen, stark subjektiven Lagebeschreibungen fügten sich nahtlos in den unter amtlichen Auspizien entstehenden Interpretationsrahmen zur Vorgeschichte des Krieges ein. Natürlich vermochten die militärischen und politischen Repräsentanten des Kaiserreichs, die Zimmermanns, v. Jagows und v. Waldersees, keinerlei deutsche Einmischung in den Konflikt der Habsburger Monarchie mit Serbien zu konstatieren333. Ihrer Ansicht nach waren vor Überreichung des österreichisch-ungarischen Ultimatums auf deutscher Seite weder Maßnahmen zur weiteren Rüstung bzw. Mobilmachung getroffen worden noch hatte es spezielle wirtschaftliche oder währungspolitische Vorbereitungen auf den Kriegsfall gegeben. Als Indiz dafür werteten sie, daß hohe Militärs und führende Politiker unmittelbar vor und sogar während der Krisenmonate ihren Urlaub angetreten hatten334. Schenkt man den »Auskünften Deutscher Staatsmänner« Glauben, war der Inhalt des österreichisch-ungarischen Ultimatums den zuständigen Reichsbehörden ebenso wie allen übrigen Regierungen erst am 22. Juli 1914 bekanntgeworden. Zwar kursierten, wie der ehemalige Staatssekretär v. Jagow betonte, schon in der Zeit davor Gerüchte über die außergewöhnliche Schärfe der Note, diese seien aber von der Reichsregierung Bethmann Hollweg als haltlos angesehen und ignoriert worden335.

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Im Anschluß an die große Fragebogenaktion des 1. UA beauftragte man v. Montgelas und Prof. Robert Hoeniger mit der Abfassung von Gutachten über die Rüstungsanstrengungen und Mobilmachungen der am Krieg beteiligten Mächte336. Wie bei der Auswahl der Sachverständigen nicht anders zu erwarten, fiel deren Urteil für die deutsche Seite günstig und für die ehemaligen Gegner negativ aus. V. Montgelas vertrat die Ansicht, daß in der Zeit vor Überreichung des österreichisch-ungarischen Ultimatums an Serbien deutscherseits keinerlei Vorbereitungen militärischer Art stattgefunden hätten. Das vorliegende Material erlaube sogar die Annahme einer Unterschätzung des politischen Zündstoffs der Julikrise durch die verantwortlichen Reichsstellen337. Für den Prozeß des Kriegsausbruchs konstatierte der Graf die ausschlaggebende Rolle der Mobilmachungsmaßnahmen, die in ihrer Wirkung die Bedeutung der »formalen Kriegserklärungen« weit übertroffen hätten338. In diesem Zusammenhang stellte er insbesondere den seit dem 29. Juli 1914 »friedensgefährdenden Charakter« der russischen Mobilmachungsmaßnahmen heraus. Die entsprechenden österreichisch-ungarischen bzw. deutschen Maßnahmen wurden demgegenüber als »rein defensiv« interpretiert339. Der von Abgeordneten der bürgerlichen Parteien majorisierte 1. UA folgte den Schlußfolgerungen v. Montgelas' in allen wesentlichen Punkten. In seinen Resolutionen vom 2. Februar und 26. März 1921 stellte er, gegen den Protest der sozialdemokratischen Ausschußmitglieder Bernstein und Dittmann340, fest, daß Rußland und Frankreich den Mittelmächten schon lange vor Ausbruch des Krieges mit »militärischer Überlegenheit« gegenübergestanden hätten. In Hinblick auf die allgemeinen Mobilmachungsvorbereitungen hielt er es für erwiesen, daß die Kriegsgegner Deutschlands mit Ausnahme Englands derartige Maßnahmen zu einem früheren Zeitpunkt angeordnet hatten als das Reich341. Damit entlastete der Ausschuß-jedenfalls aus militärischem Blickwinkel - das Reich vom Makel der Kriegsverantwortung. Dies klang freilich nur zwischen den Zeilen an. Einer ausdrücklichen Bezugnahme auf den Kriegsschuldvorwurf der Alliierten - wie sie v. Montgelas befürwortet hatte - enthielt sich der 1. UA. Gegen das Drängen der Reichswehr, die die Gelegenheit zu einer offiziellen deutschen Stellungnahme nicht ungenutzt verstreichen lassen wollte, entschloß er sich, die von v. Montgelas erarbeiteten Daten und Ziffern ohne erläuternden Kommentar »für sich sprechen zu lassen«342. Dahinter stand der Gedanke, vor allem in der öffentlichen Meinung des neutralen Auslands den Ruf einer unabhängigen Instanz zu wahren, eine Absicht, die vom AA nach Kräften gefördert wurde. Aus dem gleichen Grunde suchten Amt und Ausschuß den ebenso hartnäckig wie abstrus argumentierenden Sachverständigen Hoeniger-einen notorischen Alldeutschen - nicht zum Zuge kommen zu lassen343. Eine Aufnahme der gewagten Hypothesen dieses nach dem Dafürhalten des AA »konfusen Historikers«344 in die Entscheidungsfindung des 1. UA hätte den Ausschuß in aller Öffentlichkeit zum Sprachrohr des wil206 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

helminischen Deutschland gestempelt und ihm fortan jede propagandistische Wirkung genommen345. Im Rahmen der Vergabe von Gutachten über die Vorgeschichte des Weltkriegs suchte der 1. UA auch einen vertieften Einblick in die Problematik des österreichisch-serbischen Konflikts zu gewinnen. Zu diesem Zweck beauftragte er den sozialdemokratischen Südosteuropa-Experten Hermann Wendel mit der Abfassung eines Gutachtens über das »österreichisch-serbische Problem«. Das Korreferat wurde auf Drängen der Wilhelmstraße dem Legationsrat Roderich Goos, einem Bediensteten des AA, anvertraut346. Wendel hob in seinem Gutachten die Verantwortung der deutschen Politik für die Eskalation des österreichisch-serbischen Konflikts hervor. Seiner Ansicht nach hatte die Regierung Bethmann Hollweg unmißverständlich auf die Karte Krieg gegen Serbien gesetzt. Die politische Kurzformel für die wilhelminische Außenpolitik lautete in diesem Zusammenhang »Lokalisierung, aber unbedingte Austragung des Konflikts«. Das Reich stützte damit ein in seinen Strukturen längst erstarrtes Staatswesen, das sich als unfähig erwiesen hatte, »große nationale Bewegungen als notwendigen Entwicklungsprozeß zu begreifen« und das - unter Leugnung friedlicher Alternativen - aus den wachsenden Schwierigkeiten keinen anderen Ausweg wußte, »als einen Krieg vom Zaune zu brechen«. Mit ihrer bedingungslosen Unterstützung einer »fremden Abenteurerpolitik« hatten die verantwortlichen deutschen Politiker und Militärs nach Wendeis Ansicht die Gegenwart und Zukunft des Reiches leichtfertig aufs Spiel gesetzt und damit schwere »historische Schuld« auf sich geladen347. Zu gänzlich abweichenden Schlußfolgerungen gelangte Wendeis Mitgutachter Goos, der während des Krieges im Dienst des Wiener Ballhausplatzes gestanden hatte. Goos bemühte sich vor allem um den Nachweis einer Verantwortung der serbischen Regierung für das Attentat von Sarajewo. Seiner Meinung nach hatte Belgrad die großserbische Bewegung in ihrem revolutionären Bemühen, die südslawischen Gebiete aus dem Territorium der Donaumonarchie »geistig und materiell« herauszulösen, intensiv gefördert348. Nach der Ermordung Franz Ferdinands habe man in Belgrad überdies nicht angestanden, das Ultimatum der Wiener Regierung mit Ausflüchten und Vorbehalten zu beantworten, die der Entwertung bestimmter bereits gegebener Zusagen gleichkamen. Das Ultimatum Wiens sei demgegenüber in einer den »geltenden Ideen des Völkerrechts« durchaus gemäßen Form verfaßt gewesen und habe keinesfalls die Zerschlagung des serbischen Staates intendiert. Leitgedanke sei vielmehr die »Selbsterhaltung« der Habsburger Monarchie gewesen349. Die Schlußfolgerungen von Goos und Wendel wurden im Ausschuß heftig diskutiert350; eine Entschließung hierüber ließ sich jedoch nicht bewerkstelligen. Auch die Veröffentlichung der Gutachten wurde auf unbestimmte Zeit verschoben. Erneut hatte das AA interveniert, wobei Einwände hauptsächlich gegen das Gutachten Wendeis erhoben wurden351. Doch selbst eine Veröffentlichung des Goos-Gutachtens 207 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

erschien den außenpolitisch Verantwortlichen inopportun, wiewohl die Arbeit als ein »äußerst begrüßenswerter Beitrag« und als »entscheidendes Gegengewicht« zu der sehr zu Ungunsten der Mittelmächte ausgefallenen Abhandlung Wendeis angesehen wurde. Gegen ihre Publizierung sprachen jedoch aktuelle tagespolitische Bedenken, insbesondere die Tatsache, daß sich Goos negativ über amtierende Mitglieder des jugoslawischen Herrschaftshauses, namentlich über den König selbst, ausgelassen hatte352. Die beiden Gutachten fanden erst im Jahre 1930 Aufnahme in die Publikationsreihe des Ausschusses353. Keine Aufnahme fanden dagegen die Gutachten, die namhafte Sachverständige wie Otto Hoetzsch, Martin Spahn, Eduard Bernstein und Eugen Fischer über die Stellung Deutschlands im internationalen System vor 1914 angefertigt hatten354. Mit Ausnahme Bernsteins bestätigten die Sachverständigen darin zwar den prinzipiell friedlichen Charakter der Außenpolitik Berlins in der Vorkriegszeit, zeichneten aber ein überwiegend negatives Bild des wilhelminischen »Neuen Kurses«, den sie scharf gegen die »meisterhaft« angelegte Bündnispolitik Bismarcks abgrenzten. Der russophile Osteuropaexperte und außenpolitische Sprecher der DNVP-Reichstagsfraktion, Hoetzsch, monierte die zu wenig kompromißbereite Haltung Berlins gegenüber Moskau, welche die traditionelle preußisch-russische Freundschaft leichtfertig verspielt habe. Der DDP-nahe Geschäftsführer des Gesamtausschusses, Fischer, betonte die verhängnisvolle Rolle des deutschen Flottenbaus für das Verhältnis des Reiches zu England, und der Sozialdemokrat Bernstein kritisiert besonders die kurzsichtige Türkeipolitik des Kaiserreichs und die rückhaltlose deutsche Parteinahme für die Habsburger Monarchie. Mit Ausnahme des ehemaligen Zentrumspolitikers und DNVPAbgeordneten, Spahn, der vor allem den französischen Revanchegeist als wesentliches Spannungsmoment im internationalen System der Vorkriegszeit hervorhob, stellten die genannten Gutachter-aus verschiedenen politischen Blickwinkeln - die Schwächen der wilhelminischen Weltmachtpolitik unverblümt heraus. Dies und nicht die offizielle Begründung der Wilhelmstraße, die sich auf Verzögerungen bei der Fertigstellung der Gutachten von Spahn und Hoetzsch berief355, dürfte ausschlaggebend dafür gewesen sein, daß eine Veröffentlichung der Arbeiten unterblieb. 2. Die Haager Friedenskonferenzen (1899/1907) Noch während der Beschäftigung mit dem Themenkomplex »Rüstungen und Mobilmachungen« entschloß sich der 1. UA, ein Sonderthema in sein Arbeitsprogramm mit aufzunehmen, das im Laufe des Krieges und in seiner unmittelbaren Folge die alliierte Propaganda stark beschäftigt hatte356. Der Ausschuß beauftragte den bekannten Pazifisten und Völkerrechtler Hans Wehberg mit der Abfassung eines Gutachtens über die Haltung der Reichs208 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

regierungen vor und während der Haager Friedenskonferenzen von 1899 und 1907, insbesondere über die strikt ablehnenden deutschen Stellungnahmen zu den damals behandelten internationalen Rüstungsbeschränkungen und Schiedsgerichtsvereinbarungen. Überdies legte man dem Völkerrechtsexperten nahe, sein Augenmerk auch auf das prekäre Verhältnis von Reichsregierung und pazifistischer Bewegung im fraglichen Zeitraum zu richten357. Neben Wehberg wurden vorerst keine weiteren Sachverständigen zu diesem Themenkomplex bestellt. Das Wehberg-Gutachten, das bereits im März 1922, also nicht einmal ein Jahr nach der Auftragsvergabe druckreif vorlag358, unterzog die Verhandlungsführung des Kaiserreichs auf den Haager Konferenzen einer harten Kritik. Zwar betonte der über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannte Völkerrechtler, daß keine der Vorkriegsmächte den Weg friedlicher Verständigung ohne Mentalreservationen beschritten habe, auch sei die Dringlichkeit internationaler Rüstungsbeschränkungen nahezu einhellig bestritten worden, doch sei die konsequenteste Ablehnung dieser neuartigen Regelungsmechanismen der internationalen Politik durch das wilhelminische Deutschland erfolgt. Dennoch stellte Wehberg die prinzipielle Friedensbereitschaft der verantwortlichen deutschen Politiker nicht in Zweifel. Nur habe ihre außenpolitische Maxime »si vis pacem, para bellum«, die beispielhaft in der scharfen Ablehnung jedweder Beschränkung der Rüstungsautonomie aufschien, das Mißtrauen der Weltöffentlichkeit gegenüber dem kaiserlichen Deutschland erheblich gesteigert. In die gleiche Richtung wirkte die rigorose Ablehnung des organisierten Pazifismus und die unverhohlene Skepsis der wilhelminischen Außenpolitik gegenüber internationalen Zusammenschlüssen und Kongressen359. Insgesamt trug - wie Wehberg resümierend hervorhob - die in allen Fragen supranationaler Verständigung destruktive deutsche Politik mit dazu bei, »jene Atmosphäre zu schaffen, aus der schließlich der Weltkrieg entstand«360. Wie nicht anders zu erwarten, stieß das Wehberg-Gutachten auf heftigen Widerspruch im 1. UA. Die Mehrheit der Abgeordneten wandte sich scharf gegen die Argumentation des pazifistischen Völkerrechtlers. Der DVPAbgeordnetc Piper nannte das Gutachten ein »Pamphlet«, das nicht in die Publikationsreihe des Ausschusses gehöre, und Martin Spahn warnte vor der Gefahr der propagandistischen Ausnützung einiger Wehberg-Passagen durch die ehemaligen Kriegsgegner. Selbst der Vorsitzende des 1. UA, der sozialdemokratische Abgeordnete Gradnauer, befand, daß die Äußerungen Wehbergs ein »etwas zu einseitiges Bild« vermittelten361. Mit Blick auf die geplante Veröffentlichung des Gutachtens regte er deshalb an, Wehberg »privat« zur Modifizierung seiner Thesen zu bewegen. Lediglich Bernstein und der mit Wehberg persönlich befreundete Vorsitzende des Gesamtausschusses, Schücking, stellten sich hinter den pazifistischen Völkerrechtsexperten und plädierten für eine umgehende Veröffentlichung seines Gutachtens in der vorliegenden Form. 209 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

Um der Entscheidung über die Veröffentlichung des Wehberg-Gutachtens und damit einer krisenhaften Zuspitzung der Auseinandersetzungen im Ausschuß zu entgehen, erweiterte der 1. UA den Kreis der Sachverständigen und erklärte die Untersuchungen für nicht abgeschlossen362. Neben den ehemaligen Beamten des AA, Kriege und Zorn, den einzigen auf deutscher Seite noch lebenden Delegierten beider Konferenzen, bat der Ausschuß v. Montgelas, Thimme und Ludwig Herz um ihre gutachtliche Stellungnahme zum Verhandlungsgegenstand363. Die genannten Sachverständigen rückten in ihren Arbeiten deutlich von den Schlußfolgerungen Wehbergs ab. Schärfer als dieser hoben sie die geringe faktische Bereitschaft der Haager Verhandlungspartner des Reiches hervor, sich mittels bindender supranationaler Rüstungsbeschränkungen und Schiedsvertragsregelungen eine Einschränkung ihrer nationalen Souveränität abringen zu lassen364. Die russischen Initiativen im Vorfeld der Konferenz wurden in diesem Zusammenhang als »unehrliche und hinterhältige Manöver« interpretiert. In Wahrheit sei es Rußland darum gegangen, eine völkerrechtlich sanktionierte, militärische »Atempause« zu erreichen, da man sich im Bereich der Rüstungsausgaben hoffnungslos übernommen hatte365. Zwar bedauerten beinahe alle Sachverständigen das psychologische Ungeschick der offiziellen deutschen Außenpolitik während der Haager Konferenzen; gleichzeitig betonten sie aber, daß eine Anlehnung des Reiches an die pazifistische Gedankenwelt, in deren Geist die Zusammenkünfte stattfanden, von den übrigen Mächten als Schwäche- und Verfallserscheinungen aufgefaßt worden wären. Gerade in Hinblick auf sein Rüstungspotential durfte das kaiserliche Deutschland aufgrund seiner exponierten geographischen Lage, der erheblich höheren Rüstungsanstrengungen der übrigen europäischen Mächte und schließlich aufgrund des nicht unerheblichen Maßes an »Eifersucht und Mißtrauen«, welches das Reich umgab, militärpolitische Abstinenz nicht wagen. Es mußte nach Meinung dieser Sachverständigengruppe überdies gewährleistet bleiben, daß sich das deutsche Volk auch stimmungsmäßig auf einen durchaus im Bereich des Möglichen liegenden Krieg einstellte366. Trotz des nunmehr offenkundigen Übergewichts apologetisch gefärbter Gutachten, zu deren gleichwohl nüchterner und sachlicher Tonart lediglich die überzogenen Äußerungen Krieges eine gewisse Dissonanz bildeten367, zerschlugen sich die Hoffnungen des 1. UA auf eine schnelle und reibungslose Veröffentlichung der Gutachten und Materialien zu den Haager Friedenskonferenzen. Mittlerweile hatte sich das AA in die Diskussionen eingeschaltet und eindringlich vor außenpolitisch negativen Wirkungen des Wehberg-Gutachtens gewarnt. Der Verbindungsmann des Amtes beim 1. UA, Oberregierungsrat Dr. Meyer, stellte unmißverständlich klar, daß das AA über den Zeitpunkt der Publizierung mitzubestimmen wünsche und -vorerst jedenfalls - seine Einwilligung hierzu nicht geben könne368. Das Veto wurde auch in der Folgezeit aufrechterhalten. Zur Verärgerung der Parla210 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

mentarier wurden alle Versuche, eine Klärung über die Veröffentlichungsfrage herbeizuführen, dilatorisch behandelt369. Dies galt für den ausschußintern stark umstrittenen Vorschlag, statt der vollständigen Materialien lediglich einen »Generalbericht« über die geleistete Arbeit zu publizieren370, wie für das Anerbieten einiger Ausschußmitglieder, Wehberg zur Ausmerzung bestimmter Passagen zu bewegen371. Selbst der am 10. Dezember 1925 verabschiedete Beschluß des 1. UA, das Material über die Haager Friedenskonferenz »sobald technisch möglich« zu veröffentlichen, blieb folgenlos. Die starre Haltung der amtlichen Stellen erschien den Abgeordneten um so unverständlicher372, als sie bereits am 23. Dezember 1923 eine Entschließung verabschiedet hatten, die sich in wesentlichen Punkten den Gutachten v. Montgelas, Thimmes und Zorns anschloß. Diese gegen die Stimme Dittmanns zustande gekommene Resolution373 nahm dabei sogar ausdrücklich auf die Versailler Mantelnote Bezug. Der sicherlich weit überzogene Vorwurf der Alliierten, ein Kriegsplan »mit dem Ziel der Erringung der Weltherrschaft« habe das Verhalten der deutschen Regierungen während der Haager Friedenskonferenzen bestimmt, wurde als »unbegründete Unterstellung« zurückgewiesen. Gleichzeitig bezeichnet man das Mißtrauen der deutschen Diplomaten gegenüber dem öffentlich bekundeten Friedenswillen der Haager Verhandlungspartner als eine unter den damals obwaltenden Umständen »verständliche« Reaktion. Die Entschließung enthielt zwar auch kritische Anmerkungen; diese bezogen sich allerdings nur auf politisch-taktische Momente: Der Ausschuß charakterisierte etwa die Tatsache, daß die deutsche Regierung ihrem Wunsche nach Verminderung der Rüstung nicht »unzweideutig« Ausdruck verliehen habe, als »bedauerliche Unterlassung« und monierte, daß das Reich sein Entgegenkommen in der Frage obligatorischer Schiedsverträge auch »in der Form« stärker hätte zum Ausdruck bringen müssen374. Die Resolution wurde in der Presse veröffentlicht und von der Publizistik kontrovers diskutiert375. Auch ihre apologetische Tendenz vermochte aber einen prinzipiellen Einstellungswandel des AA in der leidigen Veröffentlichungsfrage nicht herbeizuführen. Erst nachdem einige Ausschußmitglieder ihren Unmut öffentlich bekundet hatten376 und zudem die Gefahr eines publizistischen Alleingangs Wehbergs nicht mehr ausgeschlossen werden konnte377, bequemte sich die Wilhelmstraße, inhaltlich auf die bohrenden Fragen nach den Gründen für das amtliche Veto einzugehen. Dabei wurde eine liberalere Behandlung der Editionswünsche des Ausschusses für die Zeit nach Publizierung der offiziösen Aktensammlung in Aussicht gestellt, da nur die Veröffentlichung der »Großen Politik« ein wirksames publizistisches Gegengewicht zum Wehberg-Gutachten schaffen und die propagandistische Ausnützung dieser Arbeit durch das Ausland in vertretbaren Grenzen halten könne378. Allem Anschein nach zeigten sich die Ausschußmitglieder durch diese höflich, aber bestimmt vorgebrachte Erklärung zufriedengestellt; in den 211 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

Akten findet sich jedenfalls kein Indiz für ihr weiteres Insistieren. Es dauerte noch bis Mitte 1929 ehe der 1. UA für eine stark gekürzte Fassung seiner Arbeiten eine Freigabe der Materialien und Gutachten erreichen konnte. Ein Teil der Verhandlungsprotokolle verblieb in den Akten379. Überdies hatte man die Redebeiträge der Sachverständigen auf die »letzte Form« ihrer Gutachten abgestimmt. Der Öffentlichkeit gegenüber begründete Fischer dieses Vorgehen mit dem geringen Interesse des Publikums am »Prozeß der Meinungsbildung« im Unterausschuß380. In Wahrheit dürfte es Amt und Ausschuß gleichermaßen unangenehm gewesen sein, die langjährigen Querelen um das Wehberg-Gutachten in allen Details einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Dies erklärt auch, weshalb die sozialdemokratische Abgeordnete Clara Bohm-Schuch, die Berichterstatterin des 1. UA, im Reichstag kein Wort über diesen Konflikt verlor. Die Begründung, die Bohm-Schuch für die Verzögerung der Veröffentlichung abgab, entbehrte gleichwohl nicht einer gewissen, sicherlich unfreiwilligen Ironie. Die Sozialdemokratin führte aus, daß das Bestreben der Sachverständigen, eine »möglichst objektive Klarstellung« der untersuchten Ereignisse zu gewährleisten, leider so lange Zeit in Anspruch genommen habe381.

3. Julikrise und Kriegsausbruch Nach Veröffentlichung der »Auskünfte Deutscher Staatsmänner« vergingen drei Jahre, ehe sich der 1. UA erneut der Julikrise zuwandte. Im April 1923 beauftragte der Ausschuß Hermann Lutz und den Freiburger Juristen Hermann Kantorowicz, einen der pazifistischen Bewegung nahestehenden, dezidiert demokratischen Wissenschaftler, mit der Erstellung von Gutachten zum Thema »Europäische Politik in den kritischen Tagen vor 1914«382. Lutz machte die Ausschußmitglieder mit seinen Schlußfolgerungen bereits im Januar 1924 bekannt. Seiner Ansicht nach trugen alle später am Krieg beteiligten Staaten - mit Ausnahme Belgiens und der USA - ein hohes Maß an Verantwortung für die Eskalation der Julkrise383. Gleichwohl setzte er Serbien und vor allem Rußland an die Spitze seiner Rangskala der Verantwortlichkeit; ihnen folgten Österreich/Ungarn und danach alle übrigen Mächte384. Obgleich das Gutachten nach dem eigenen Urteil des Verfassers die »uneingeschränkte Widerlegung der Versailler Anklagen« enthielt385, brachte sich Lutz mit seinen vorsichtigen Stellungnahmen zur englischen und französischen Vorkriegspolitik, vor allem aber mit seiner harten Kritik an der Krisenstrategie der Habsburger Monarchie in offenen Gegensatz zu Sachverständigen wie v. Montgelas und Delbrück, Die beiden Nestoren der »Kriegsschuldforschung« bemühten denn auch ihre ausgezeichneten Beziehungen zum AA, um nachdrücklich vor den nachteiligen Folgen dieses »für Deutschland sehr ungünstigen« Gutachtens zu warnen. Ihre Intervention 212 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

hatte Erfolg386; Lutz nahm in der Endfassung seiner Arbeit Abstriche an seiner ursprünglichen Thesenbildung vor, die die Rolle Österreich-Ungarns nunmehr in einem weit günstigeren Licht erscheinen ließen387. Dies änderte nichts daran, daß das Gutachten des Münchener Publizisten aufJahre hinaus in der Versenkung verschwand und erst 1930 veröffentlicht werden konnte. Verantwortlich hierfür waren weniger die erwähnten Interventionen Delbrücks und v. Montgelas'388 als vielmehr der für das Kriegsschuldreferat brisante Inhalt des Gutachtens, das der Sachverständige Kantorowicz erstellt hatte und das, weil es in scharfem Gegensatz zu allen gängigen Thesen der »Kriegsschuldforschung« stand, um jeden Preis geheimgehalten werden sollte. Die Veröffentlichung des Lutz-Gutachtens war ursprünglich in einer Art Junktim an die gleichzeitige Publizierung der Kantorowicz-Arbeit gebunden worden und erfuhr folglich das gleiche Schicksal. Kantorowicz hatte seinerzeit den Auftrag erhalten, »als Jurist eine Kritik der Schuldfrage« zu liefern389. Er hatte demzufolge seiner Analyse der Handlungen maßgeblicher Politiker in der Julikrise die Folie völkerrechtlicher Normen unterlegt390 und war zu einem für die Regierungen der Mittelmächte vernichtenden Ergebnis gelangt. Zwar sprach auch Kantorowicz die Regierungen der Entente nicht von jeglicher Verantwortung für den Bruch des Weltfriedens frei; die Hauptverantwortung für den Kriegsausbruch lastete er jedoch den Mittelmächten an: Der Habsburger Monarchie, weil sie mit »unbedingtem Vorsatz« den Balkankrieg mit Serbien angezettelt habe; dem Kaiserreich, weil es der Wiener Regierung hierbei aktive Beihilfe geleistet und zusammen mit Österreich-Ungarn alle englischen und russischen Entspannungsbemühungen vereitelt habe391. Diese Schlußfolgerungen, die das AA als »außerordentlich ungünstig« für die deutsche Aufklärungstätigkeit im Ausland ansah, trugen Kantorowicz im Ausschuß den Vorwurf der Nestbeschmutzung ein392. Der Jurist mußte zudem starke berufliche Nachteile in Kauf nehmen. Ein für Kantorowicz vorgesehenes Ordinariat in Kiel konnte von ihm lange Zeit nicht angetreten werden, weil sich das AA gegen die Berufung des pazifistischen Wissenschaftlers sperrte und in dieser Hinsicht massiv bei den verantwortlichen preußischen Stellen intervenierte. Imanuel Geiss hat die Geschichte des nie veröffentlichten Gutachtens und den Leidensweg seines nach 1933 mit Berufsverbot belegten und später zur Emigration gezwungenen Autors nachgezeichnet393. Die vorliegende Arbeit konzentriert sich deshalb auf einige bislang unterbelichtete Aspekte der Untersuchungen des 1. UA. Betrachtet werden sollen dabei vor allem die Rolle des AA in der Endphase der Ausschußarbeiten und die Politik der SPD-Abgeordneten im Kriegsschuldausschuß. Die SPD hatte nach den Maiwahlen des Jahres 1928 ihre Stellung im Gesamtausschuß und damit auch im 1. UA maßgeblich stärken können394. Dieser Tatbestand alarmierte das AA. Den zuständigen Beamten erschien gegenüber einer Ausschußmehrheit, die jetzt deutlich Neigung zeigte, »das Schuldkonto Deutschlands 213 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

unverhältnismäßig stark zu belasten, . . . größte Aufmerksamkeit« geboten. Man befürchtete Beschlüsse, die für den »außenpolitischen Kampf in der Kriegsschuldfrage« ungünstig ausfallen könnten. Insbesondere stand eine umgehende Veröffentlichung der auf Eis gelegten Gutachten Wendeis und Kantorowicz' zu erwarten395. Erklärtes Ziel der Wilhelmstraße war es daher, die Entscheidungsfindung des 1. UA möglichst lange hinauszuzögern. Gleichwohl lehnte das AA den Vorschlag des Ausschußsekretärs Widmann ab, den Ausschuß durch das »autoritative Eingreifen« der Reichsregierung zur Räson zu bringen396. Informelle Einflußnahmen erschienen den zuständigen Stellen auf Dauer erfolgversprechender. So legte man Lutz nahe, sein Gutachten als noch nicht abgeschlossen zu deklarieren und die Freigabe für eine Veröffentlichung zu verweigern397. In die gleiche Richtung zielte die persönliche Intervention Stresemanns beim sozialdemokratischen Reichskanzler Müller398. Nennenswerter Erfolg schien diesen Bemühungen zunächst jedoch nicht beschieden zu sein. Sie riefen vielmehr das Befremden der sozialdemokratischen Ausschußmitglieder hervor. Diese drängten jetzt verstärkt auf den Abschluß der Arbeiten und auf umgehende Veröffentlichung der Gutachten und Ausschußergebnisse399. Man beschloß, das Ende der Untersuchung auf den Februar 1929 zu terminieren. Fischer wurde beauftragt, in der Zwischenzeit die Ergebnisse aller Gutachten in einem »Gesamtbericht« zu verarbeiten, der als unmittelbare Grundlage für die in Aussicht genommene Resolution zur Kriegsschuldfrage dienen sollte400. Das Drängen auf Beschleunigung der Untersuchung war keineswegs allein ein sozialdemokratisches Anliegen. Auch einige bürgerliche Politiker teilten das Unbehagen über den Verhandlungsverlauf. Seit Mitte 1928 mehrten sich die Stimmen, die den 1. UA als einzige noch tätige Kommission des Untersuchungsausschusses baldmöglichst aus dem Etat des Reichstags zu streichen wünschten401. Budgeterwägungen spielten hierbei nur eine untergeordnete Rolle. Wie das AA treffend analysierte402, lagen die tatsächlichen Beweggründe für die distanzierte Haltung der Parlamentarier eher im politischen Bereich. Das Mißtrauen vieler bürgerlicher Abgeordneter rührte aus der Zeit der Staatsgerichtshofdiskussion in der Nationalversammlung und war seitdem nie gänzlich abgebaut worden. Die Skepsis vieler Sozialdemokraten war dagegen Ausdruck enttäuschter Hoffnungen, die man in die Enthüllungsfunktion der parlamentarischen Untersuchung gesetzt hatte. Kommunisten und Nationalsozialisten hielten den Ausschuß ohnehin für ein verfehltes Unternehmen. Die einen charakterisierten ihn als »Reinwaschungsausschuß für die Schandtaten des deutschen Militarismus«, für die anderen stellte er ein »Schauspiel nationaler Schande« dar403. Selbst in den Reihen der Ausschußmitglieder mehrten sich die kritischen Stimmen. Der Vorsitzende der Wirtschaftspartei, Bredt, monierte vor dem Plenum des Reichstags die mangelnde Effizienz der Ausschußarbeit und zog 214 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

die Kompetenz der an der Untersuchung beteiligten Parlamentarier in Zweifel. Bredt riet dem 1. UA, seine Arbeiten »einfach« einzustellen. Der rechtsbürgerliche Politiker attackierte dabei auch das AA, dem er die Verantwortung für den unbefriedigenden Verhandlungsablauf anlastete404. Diese Erosionserscheinungen wurden im Umkreis des AA aufmerksam registriert. Beunruhigt stellte Widmann in einem Schreiben an das AA fest, daß der 1. UA wegen der »Fülle von eigenwilligen Persönlichkeiten« kein Instrument darstelle, auf dem mit »leichter Hand« zu spielen sei; eine stillschweigende Auflösung der Kommission erschien Widmann aus außenpolitischen Gründen aber nicht tragbar. In diesem Fall befürchtete er »erhebliche Nachteile . . . für die deutsche Aufklärungspropaganda im Ausland«. Dort werde man den Schluß ziehen, das Reich habe trotz jahrelanger Bemühungen das »deutsche Konto« von einem Schuldvorwurf nicht entlasten können405. Die Befürchtungen Widmanns sollten sich jedoch als unbegründet erweisen. Schneller als erwartet gelang es den zuständigen Beamten, die republikanische Ausschußmehrheit wieder auf einen einheitlichen Kurs einzuschwören. Das eindrucksvolle Ergebnis dieser amtlichen Bemühungen stellt die Replik Bohm-Schuchs auf die Bredt-Kritik dar. Die Sozialdemokratin hob im Reichstag noch einmal die positive Untersuchungsleistung des 1. UA hervor und wies die Kritik Bredts als »vollkommen unrichtig« zurück406. Die auf den ersten Blick erstaunliche sozialdemokratische Rükkendeckung für das von Bredt kritisierte Auswärtige Amt symbolisiert einen inzwischen eingetretenen Wandel in der SPD-Ausschußpolitik. Die Intervention Stresemanns bei Reichskanzler Müller hatte offenbar erste Wirkungen gezeigt. Vor dem Hintergrund der im Sommer 1929 anlaufenden Anti-Young-Plan-Propaganda der »Nationalen Opposition« erschien der Reichsregierung ein Aufladen der innenpolitischen Atmosphäre nicht geraten. Müller erreichte durch persönliches Einwirken auf Bohm-Schuch sowie durch Intervention beim Reichstagspräsidenten Löbe ein weiteres Hinauszögern der Arbeit und eine Verlangsamung der Editionsvorbereitungen. Die Weigerung des Reichsfinanzministeriums, 40 bis 50000 RM an nicht etatmäßigen Mitteln für die Publizierung der Ergebnisse des 1. U A zur Verfügung zu stellen, verlieh den Argumenten des Reichskanzlers zusätzliche Überzeugungskraft407. Die sozialdemokratischen Ausschußmitglieder erklärten sich jetzt sogar bereit, eine Resolution mitzutragen, die ein eindeutiges Votum gegen die Kriegsschuldanklage der Alliierten enthielt408. Diese vom AA durchaus positiv aufgenommene Willenserklärung blieb jedoch folgenlos, da die Frage der Veröffentlichung des Kantorowicz-Gutachtens noch immer ungeklärt im Raum stand. Um dessen vermeintlich negative Auslandswirkung wenigstens teilweise abzuschwächen, erwog das AA die Erstellung eines zweiten Gutachtens zur Kriegsschuldfrage. Das Amt zeigte sich sogar bereit, eine derartige Abhandlung aus eigenen Mitteln zu finanzieren409. In einer Sondersitzung des 1. UA vom 12. Dezember 1929 hielt 215 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

Reichsaußenminister Curtius, der Nachfolger Stresemanns, ein Plädoyer für das skizzierte Projekt. Der sorgfältig vorbereitete Redebeitrag des DVPPolitikers stellte erneut den »einseitigen Charakter« der Kantorowicz-Thesen heraus und mündete in dem Vorschlag, eine »anerkannte Autorität des Völkerrechts« mit der Abfassung eines Gegengutachtens zum Kriegsschuldproblem zu betrauen410. Die Parlamentarier mochten sich den eindringlichen Appellen des Ministers an ihre Verantwortung für das »gesamtdeutsche Interesse« nicht zu verschließen. Sie beauftragten noch in der gleichen Sitzung die Sachverständigen Kriege und Schücking mit der Erstellung eines gemeinsamen Gutachtens, das die Thesen Kantorowicz' kritisch überprüfen sollte. Es war geplant, beide Gutachten im Herbst 1930 zusammen mit den übrigen Ausschußmaterialien zu publizieren411. Im Vorfeld dieser Ausschußentscheidung hatte es jedoch erheblichen taktischen Geschicks bedurft, um die Abgeordneten für den im Umkreis des 1. UA keineswegs beliebten Sachverständigen Kriege zu erwärmen. Nur das Vertrauen in die Persönlichkeit Schückings und die Terminierung der Vorlage der Gegengutachten auf den 30. September 1930 vermochten die anfänglich starken Bedenken der Ausschußmitglieder auszuräumen412. Schücking selber sträubte sich lange Zeit gegen die Übernahme des Auftrags. Er war sich anscheinend des Alibicharakters seiner Nominierung bewußt, von der er im übrigen auch negative Auswirkungen aufbestimmte, kurz zuvor übernommene internationale Aufgaben befürchtete. Vor allem zog er die fristgemäße Fertigstellung des Gutachtens in Zweifel und äußerte dies auch gegenüber der Wilhelmstraße. Dem 1. UA teilte Schücking seine Bedenken jedoch nicht mit; vielmehr zog er sich schon bald von dem Projekt zurück und überlicß seinem Mitgutachter Kriege die weitere Ausführung

der Arbeiten413. Kriege dachte gar nicht daran, den vom 1. UA verbindlich festgelegten Vorlagetermin einzuhalten. Seine Planungen reichten in Wirklichkeit weit über das Jahr 1930 hinaus. Er beabsichtigte, mit »rein juristischen Methoden« für die Habsburger Monarchie eine »justa causa belli« für den Kriegseintritt nachzuweisen. Den Beweis hierfür hoffte er mit Hilfe bestimmter russischer Akten zu erbringen, deren Publikation die zuständigen Archive aber erst für Herbst 1930 angekündigt hatten414. Das Vorhaben des ehemaligen Ministerialdirektors warf für das AA neue Probleme auf, denn im Falle einer Verzögerung des Gegengutachtens war nicht mehr auszuschließen, daß Kantorowicz die wiederholt angekündigte Drohung wahrmachte und seine Abhandlung »privat« veröffentlichte. Ferner schien keineswegs sicher zu sein, ob die vom 1. UA gegebene Zusicherung, eine das kaiserliche Deutschland entlastende Resolution zum Kriegsschuldproblem zu verabschieden, über den vereinbarten Termin hinaus Bestand haben würde 415 . Beides zusammengenommen - die klare Parteinahme des 1. UA für den deutschen Standpunkt in der Kriegsschuldfrage und die fundierte Kritik der Kantorowicz-Thesen durch zwei auch international renommierte Völker216 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

rechtler - stellte für die zuständigen Beamten indes die notwendige Voraussetzung dar, dem Abschluß der Arbeiten überhaupt zuzustimmen. Nur so schien der außenpolitische Schaden einer Publizierung des KantorowiczGutachtens in kalkulierbaren Grenzen gehalten werden zu können. Dank seiner glänzenden Beziehungen zu Ministern, Ministerialbürokratie und konservativen bzw. rechtsliberalen Parteispitzen gelang es Kriege, sich gegenüber den anfangs widerstrebenden Beamten des AA durchzusetzen. Das Kompromißangebot des Kriegsschuldreferats, für die »würdige« Veröffentlichung seines Gutachtens, auch unabhängig von der parlamentarischen Untersuchung, Sorge zu tragen, ließ Kriege unbeachtet416. In der Sitzung des 1. UA vom 12. Februar 1930 erreichte der Sachverständige gegen die Stimmen der anwesenden SPD-Ausschußmitglieder eine Fristverlängerung für die Fertigstellung bis zum 31. Juli 1931417. Der massive Einbruch der NSDAP in das Wählerreservoir der bürgerlichen Parteien im Herbst 1930 stellte die Fortführung der Ausschußarbeiten aber erneut in Frage. Die Hitler-Partei hatte nie einen Hehl aus ihrer feindseligen Einstellung gegenüber der parlamentarischen Untersuchung gemacht. Angesichts einer keineswegs nur aus Nationalsozialisten bestehenden, gegen den Ausschuß gerichteten Strömung im Ältestenrat des Reichstags bedurfte es erheblicher Anstrengungen, um eine Fortführung der Arbeiten zu erreichen. Das AA mußte allerdings eine Reduzierung der Kommission auf 15 Mitglieder in Kauf nehmen418. Diesen Restausschuß beauftragte das Parlament damit, die Arbeiten des 1. UA »mit tunlicher Beschleunigung« zu Ende zu führen. Die Hinhaltetaktik Krieges machte jedoch alle konkreten Liquidationsbemühungen zunichte, zumal jetzt auch das AA auf die Position seines Sachverständigen einzuschwenken begann. Auf seiten der Wilhelmstraße hatte das Interesse an einem formellen Abschluß der Ausschußarbeiten merklich nachgelassen, nachdem die Gefahr einer privaten Sonderveröffentlichung des Kantorowicz-Gutachtens durch ein einhelliges Veto des 1. UA gebannt worden war419. Der überwältigende Wahlsieg der Nationalsozialisten im Juli 1932 leitete schließlich das unwiderrufliche Ende der parlamentarischen Untersuchung ein. Bei Eröffnung der Sechsten Wahlperiode des durch die Präsidialkabinette längst entmachteten Reichstags wurde der Ausschuß nicht wieder eingesetzt420. Damit endete die großangelegte Untersuchung des deutschen Parlaments über die »Schuldfragen des Weltkriegs«, ohne den neuralgischen Punkt der nationalen und internationalen Kriegsschulddiskussion, die Frage nach der Verantwortung für die militärische Eskalation der Julikrise 1914, abschließend behandelt zu haben421. Die Öffentlichkeit nahm von der Auflösung des Kriegsschuldausschusses so gut wie keine Notiz. Schon vor 1932 war er in Vergessenheit geraten. Auch in den Augen der Parlamentarier hatte sich seine Arbeit überlebt. Hierfür war weniger die Breite des Untersuchungsgegenstandes als vielmehr die andauernde Intervention des Auswärtigen Amtes verantwortlich. 217 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

Selbst die demokratischen und sozialdemokratischen Abgeordneten hatten um des ›nationalen Interesses‹ willen erhebliche Eingriffe in ihre angestammten parlamentarischen Kontroll- und Untersuchungsrechte in Kauf genommen. Sie bewiesen damit, daß ihr Mangel an republikanischem Selbstvertrauen eklatant und die Bindung an vordemokratisch-etatistische Traditionen um so beherrschender war. Unter diesen Bedingungen konnte die Wilhelmstraße die parlamentarische Untersuchung erfolgreich für ihre außenpolitischen Interessen funktionalisieren. Das im deutschen Revisionismus sinnfällig verkörperte Großmachtstreben siegte über den nie sonderlich starken Impetus zur kritisch-rationalen Beschäftigung mit der jüngsten deutschen Vergangenheit.

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D. Revisionismus, Weltkrieg und politische Kultur in der Weimarer Republik I. Der ›Rechtsstandpunkt‹ in der offiziellen deutschen Außenpolitik Die Begründungen, mit denen die verantwortlichen deutschen Politiker in Wahlansprachen, Festreden und - was seltener vorkam - bei diplomatischen Anlässen eine Revision der »Schmachparagraphen« verlangten, stellten in der Regel moralische und psychologische Aspekte heraus und vermieden sorgsam jede Bezugnahme auf die materiellen deutschen Revisionsbegehren. Wilhelm Marx interpretierte die Forderung der Berliner Kabinette nach Zurücknahme der Versailler Schuldthese als die notwendige Antwort auf eine Stimmung, die sich allerorten in der deutschen Bevölkerung äußere und die aus der Empfindung »einer schweren und tief verletzenden Ungerechtigkeit« heraus die »Aufdeckung der Wahrheit« fordere1. Ganz in diesem Sinne ergänzte Stresemann, er sehe »die Frage des Kampfes gegen die Kriegsschuldlüge als einen Kampf, Deutschland frei zu machen von der moralischen Diffamierung, der es durch diesen Artikel [Art. 231] unterliegt«2. Erst nach erfolgter Zurücknahme des Versailler Urteils, so der Außenminister an anderer Stelle, werde die deutsche Nation ihr »inneres Gleichgewicht« und ihre Stärke wiedergewinnen, erst danach werde auch dem »seelischen Wiederaufbau Europas« kein unüberwindbares Hindernis mehr im Wege stehen3. So gewiß die hier zitierten Äußerungen das Trauma von Versailles widerspiegeln, das nach 1919 keinen deutschen Politiker von Rang unberührt gelassen hat, so sehr sowohl Marx als auch Stresemann von der »völkerpsychologischen Schädlichkeit« des Versailler Urteils überzeugt waren4, so wenig bieten psychologische Aspekte allein eine hinreichende Erklärung für die deutschen Initiativen in der Kriegsschuldfrage. Schon Bernhard v. Bülow, der spiritus rector des deutschen »Revisionsfeldzuges«, hatte es verstanden, seine tiefe Empörung über den Ausgang der Pariser Friedensverhandlungen außenpolitisch zu rationalisieren. Nicht umsonst maßen die revisionspolitischen Konzepte, mit denen er seit Sommer 1919 eine Reihe von einflußreichen Politikern, Wirtschaftsführern und Diplomaten bekanntmachte, der Mantelnote Clemenceaus eine zentrale Bedeutung zu. Die 219 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

in Deutschland weitverbreitete Empörung über dieses Dokument, das für v. Bülow den Unrechtscharakter des gesamten Vertragswerks versinnbildlichte, sollte - propagandistisch verstärkt - zum innenpolitischen Katalysator und zugleich zur psychologischen Triebfeder des gewünschten kompromißlosen deutschen Revisionismus werden. Daneben richtete sich der ständige Verweis auf die historische Unhaltbarkeit des alliierten Schuldverdikts darauf, den deutschen ›Rechtsstandpunkt‹ auch im Ausland populär zu machen5. Das AA hat dieses strategische Konzept auch in späteren Jahren niemals ganz aus den Augen verloren, obgleich man sich unter der Ägide Stresemanns von dem bei v. Bülow zu Tage tretenden revisionspolitischen Rigorismus weit entfernte. Als Mentalreservation stand der Gedanke an eine Instrumentalisierung der Alleinschuldthese jedoch stets im Hintergrund, wenn verantwortliche deutsche Politiker in öffentlicher Rede die Aktenpublikationen des Reiches anführten, wenn sie mit vielsagenden Wendungen auf die verschlossenen Archive der ehemaligen Kriegsgegner hinwiesen oder wenn sie eine internationale Kommission zur Klärung der Kriegsverantwortlichkeit forderten und sich dabei auf die ansonsten nicht gerade hochgeachtete Genfer Schiedsgerichtsbarkeit beriefen6. Gerade die letztgenannte Forderung trug, wie das folgende Beispiel zeigt, stark deklamatorische Züge. Stresemann hatte sie am 24. September 1927 in einem Interview mit der französischen Zeitung »Le Matin« noch einmal nachdrücklich bekräftigt7, obwohl er darüber informiert war, daß kurz zuvor vertrauliche Gespräche zwischen deutschen und belgischen Diplomaten über die Einrichtung eines neutralen Kriegsschuld-Komitees ergebnislos verlaufen waren. Zwar trugen letztlich die Belgier die Verantwortung für das Scheitern der Verhandlungen, doch zeigte sich auch die deutsche Seite »heilfroh« über ihren Ausgang8. Wie aus den Akten hervorgeht, setzte die Wilhelmstraße auf den propagandistischen Effekt der Kommissionsforderung9, vor einer Realisierung dieses Projekts scheute jedoch auch sie zurück, da die Beamten sehr wohl wußten, daß die vom ADV und vom WegererInstitut mehr oder weniger offen verbreitete These von der ›Unschuld‹ des Kaiserreichs vor einem internationalen Tribunal ebensowenig Bestand haben würde wie die Inhalte der Versailler Verdikte der Alliierten. Unterhalb der offiziellen Ebene zeigte sich Berlin an der Belebung der internationalen Kriegsschulddiskussion jedoch stark interessiert. Die Mantelnote durfte nicht aus den Schlagzeilen der Weltpresse verschwinden, weil ihre inhaltliche Widerlegung eine ausgezeichnete Begründung für das deutsche ›Recht‹ auf Gesamtrevision des Versailler Friedens darstellte. Andererseits machte sich die offizielle deutsche Außenpolitik zu keinem Zeitpunkt Illusionen über die greifbaren Auswirkungen der Kriegsschuldpropaganda. Mehr oder weniger alle Reichsregierungen der Weimarer Zeit gingen hier von vergleichsweise bescheidenen Zielen aus. Neben der Aufrechterhaltung des ›Rechtsstandpunkts‹ in der Friedensfrage sollte der Hin220 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

weis auf die im Versailler Vertrag vorgeblich enthaltene schwerwiegende Diskriminierung des deutschen Volkes, verbunden mit den beständig wiederholten Appellen an das ›Gewissen‹ der Weltöffentlichkeit, wie ein psychologischer Bonus zugunsten der jeweiligen materiellen revisionspolitischen Forderungen des Reiches wirken10. Mit aller Deutlichkeit geht die Spekulation auf eine indirekte außenpolitische Wirkung der deutschen ›Aufklärungsarbeit‹ aus den Akten des AA hervor. Noch Anfang 1931 formulierte der Leiter des Kriegsschuldreferats, Schwendemann, »Der politische Wert der Propaganda gegen die Kriegsschuldthese besteht doch in erster Linie darin, daß der Versailler Vertrag durch sie mindestens moralisch geschwächt wird« 11 , und im gleichen Sinne hatte Marx am 13. März 1930 vor der »Gesellschaft für Erforschung der Kriegsursachen« bemerkt: »Es kann niemand ernsthaft die Meinung vertreten, daß wir von jeder Kriegsentschädigung befreit würden, wenn der Vorwurf der Kriegsschuld widerlegt sein wird, wohl aber sind wir berechtigt anzunehmen, daß viele Härten und die alles gerechte Maß übersteigenden Bestimmungen des Versailler Friedensvertrages revidiert werden müssen, . . . wenn der Vorwurf der Kriegsschuld« fällt12. Letzten Endes dürfen daher die beträchtlichen Mittel, die das Reich für die einschlägige deutsche Propaganda aufbrachte, nicht darüber hinwegtäuschen, daß das Kriegsschuldproblem in den Verhandlungen mit den ehemaligen Kriegsgegnern nur eine Frage von sekundärer politischer Bedeutung darstellte. Berlin räumte den materiellen deutschen Revisionsforderungen, etwa nach Räumung der besetzten Gebiete oder nach Senkung der Reparationsleistungen, in jedem Falle den Vorrang ein. Daran hielt man auch in der Phase der Präsidialkabinette fest. Allerdings mit einer bemerkenswerten Einschränkung: Nach 1930 vermieden es die Reichsstellen, den ›moralischen‹ Charakter ihrer einschlägigen öffentlichen Forderungen herauszustellen und die Schuldfrage klar von der Schuldenfrage zu trennen. Äußerungen, die sich auf die »Ehre des deutschen Volkes« bezogen, wie sie in der Stresemann-Ära gang und gäbe waren13, hielt man jetzt nicht mehr für opportun. Schwendemann erläuterte gegenüber der deutschen Botschaft in Paris die geänderte Linie. Seiner Ansicht nach mußte aufjeden Fall vermieden werden, direkt oder indirekt »gegen jene Kreise des Auslands, vornehmlich der USA aufzutreten, in denen vielfach der Standpunkt eines engen Zusammenhangs von Kriegsschuld- und Kriegsschulden vertreten wird«. Vielleicht könne sogar das Argument der durch die wissenschaftliche Forschung als irrig nachgewiesenen Kriegsschuld »bei eventuellen Neuregelungen der Reparationsfrage . . . zumindest in der Presse doch verwandt werden«14. Ungeachtet dieses konzeptionellen Wandels in der Kriegsschuldstrategie 15 behandelte das AA das Problem auch in der Phase der aktiven Außenpolitik mit großer Vorsicht. Die Beamten warnten die Reichsregierung v. Papen davor, die Kriegsschuldfrage auf der im Sommer 1932 stattfinden221 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

den Lausanner Konferenz zur Sprache zu bringen. Die Abrüstungsgespräche seien, wie es in einer entsprechenden Aufzeichnung vom 24. Mai 1932 hieß, »bereits mit so vielen Problemen belastet, bei denen wir die Fordernden sind, daß es unerwünscht scheint, eine weitere Streitfrage in die Konferenz hereinzutragen«. Eine amtliche Aufrollung der Kriegsschuldfrage müsse vor allem in Frankreich den Eindruck erwecken, daß Deutschland auf eine »Gesamtrevision« des Friedensvertrages abziele, und würde deshalb die Verhandlungsposition des Reiches empfindlich beeinträchtigen16. Nicht nur in Hinblick auf die strategische Einbindung des Kriegsschuldproblems in die deutsche Revisionspolitik, sondern auch in Hinblick auf das dabei zu verfolgende taktische Vorgehen orientierte sich das AA eigentlich über die gesamte Zeit der Weimarer Republik hinweg an dem von v. Bülow entworfenen Konzept. Die Beeinflussung der öffentlichen Meinung diesseits und vor allem jenseits der Reichsgrenzen bedurfte - darüber war man sich in der Wilhelmstraße früh schon im klaren - hartnäckiger Bemühungen und war nicht von heute auf morgen zu bewerkstelligen. Immer wieder wies das Amt darauf hin, daß der einzig gangbare Weg für eine Bekämpfung der »Schuldlüge« die allmähliche Erschütterung des von der Ententepropaganda in der Weltöffentlichkeit verbreiteten Glaubens an das »ewig« kriegstreibende Deutschland sei. Die zuständigen Beamten favorisierten deshalb die Tätigkeit des ADV und des Wegerer-Instituts und zeigten sich immer dann überaus skeptisch, wenn die Reichskabinette das Kriegsschuldproblem auf diplomatischer Ebene zur Sprache bringen wollten. Ihrer Ansicht nach war es im Interesse einer »glücklichen Lösung der Schuldfrage . . . geradezu verhängnisvoll, wenn voreilig eine offizielle Aufrollung versucht würde. Ein übereilter Schritt der deutschen Regierung würde die Gefahr mit sich bringen, daß die überall noch sehr kräftigen Vertreter der These von Deutschlands Schuld wieder das Oberwasser bekommen und dadurch die überaus günstige Entwicklung im Ausland im Keim ersticken würden« 17 . Wie der Leiter der Rechtsabteilung des AA, Gaus, noch im Mai 1929 in einer Aufzeichnung bemerkte, schwächten sich einseitige deutsche Proteste nur gegenseitig, riefen die Kritik der ehemaligen Gegner hervor und wirkten sich negativ auf die einschlägige deutsche ›Aufklärungsarbeit‹ aus 18 . Gaus wußte sich in dieser Beziehung in voller Übereinstimmung mit seinem Außenminister. Stresemann hatte schon im September 1923 die Ansicht vertreten, daß die Propaganda im wesentlichen »private Kleinarbeit« bleiben müsse, die der »Amtsstempel« nicht entwerten dürfe. Die Regierung habe die Bemühungen derjenigen Organisationen, die auf diesem Gebiet tätig seien, lediglich moralisch zu unterstützen19. Daß sich Berlin dennoch bereit fand, das Kriegsschuldproblem zweimal auf internationaler Bühne zur Sprache zu bringen, hat vornehmlich innenpolitische Gründe. Sowohl das deutsche Memorandum an die Ratsmächte des Völkerbunds vom 29. September 1924 als auch die deutsche Antwort auf die alliierte Einladungsnote zur Locarno-Konferenz vom 26. September 222 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

1925 können als Teil einer flexiblen innenpolitischen Absicherungsstrategie gewertet werden. Mit ihrer Hilfe versuchte die Wilhelmstraße zumindest die Duldung ihres gemäßigt revisionspolitischen Kurses durch die Deutschnationalen zu erreichen. Die DNVP hatte sowohl aus Anlaß der Londoner Konferenz über den Dawes-Plan als auch im Vorfeld des Locarno-Vertrages die regierungsoffizielle Aufrollung des Kriegsschuldproblems zur conditio sine qua non ihrer Tolerierung des Stresemann-Kurses gemacht. In beiden Fällen verabschiedeten die Deutschnationalen einen Forderungskatalog, der u. a. den »förmlichen Widerruf des wahrheitswidrigen Schuldbekenntnisses des Art. 231« als Mindestbedingung jeder vertraglichen Übereinkunft enthielt20. Diese Forderung war nicht neu, denn mit einem ähnlichen Begehren hatten die DNVP und verschiedene konservative Länderregierungen die Reichskabinette schon nach der Londoner Reparations-Konferenz vom März 1921 und aus Anlaß des Fechenbach-Prozesses im Frühjahr 1922 konfrontiert21. Damals blieb dies freilich ohne Erfolg: Berlin lehnte es jedesmal kategorisch ab, auf die Begehren der Rechten einzugehen. Die verantwortlichen Stellen hielten vor allem den Zeitpunkt für ein Aufrollen dieser Frage für verfrüht, wenngleich auch sie die Aufklärung des Auslands über den deutschen Standpunkt als eine für die Durchsetzung der Revision des Friedensvertrages grundlegende Aufgabe erachteten. Wie Reichskanzler Wirth am 26. November 1921 an die bayerische Regierung schrieb, müsse jedoch zunächst einmal die unter der Intelligenz der feindlichen Länder erwachte Gegenbewegung gegen die »Kriegsschuldlüge« noch weiter um sich greifen und parallel dazu in der deutschen Bevölkerung eine einheitliche geschichtliche Auffassung über die Schuldfrage geschaffen werden22. An dieser Position hielten die Reichskabinette bis in den Frühsommer 1924 hinein unbeirrt fest, bevor die Dawes-Plan-Verhandlungen hier grundlegend neue Bedingungen schufen. Die erwähnten DNVP-Mindestbedingungen konnte die Reichsregierung Marx nicht unberücksichtigt lassen, da die parlamentarische Durchsetzung bestimmter Dawes-Plan-Ausführungsgesetze eine verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit im Reichstag erforderlich machte und diese ohne die Zustimmung zumindest eines Teils der Deutschnationalen nicht zu erreichen war. Ganz abgesehen davon hatte Stresemann ein besonderes Interesse daran, die DNVP, die aus den Maiwahlen des Jahres 1924 als stärkste Reichstags-Fraktion hervorgegangen war, auch unabhängig von ihrer Zustimmung zu der neuen Reparationslösung, langfristig an seine Verständigungspolitik zu binden23. Die Einbeziehung der Deutschnationalen sollte aber möglichst ohne Folgen für den vorsichtigen außenpolitischen Kurs der Regierung Marx bleiben. Ungeachtet aller innenpolitischen Pressionen von rechts lehnte es die Reichsregierung beispielsweise ab, die Kriegsschuldfrage schon auf der Londoner Dawes-PlanKonferenz vom 16. Juli bis 16. August 1924 zur Sprache zu bringen und sie damit mit der neuen Reparationsregelung zu verkoppeln. Wie Marx unmit223 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

telbar nach Abschluß der Konferenz an den bayerischen Ministerpräsidenten Held (BVP) schrieb, hätte ein solches Vorgehen die ohnehin schwierigen wirtschaftlichen Verhandlungen weiter kompliziert und außerdem den Franzosen einen willkommenen Anlaß zu größerer Unnachgiebigkeit geliefert24. Deutlicher noch hatte Stresemann einige Wochen zuvor die Haltung des Reichskabinetts umrissen. Der Außenminister warnte die Rechtsparteien in der Besprechung der Staats- und Ministerpräsidenten vom 3. Juli 1924 davor, an ein Aufrollen der Kriegsschuldfrage allzu große revisionspolitische Hoffnungen zu knüpfen. Von einer offiziellen Stellungnahme der Reichsregierung zu den »Schmachparagraphen« sei »realpolitisch« nicht das Geringste zu erwarten. Ihr Wert liege vielmehr in einer Aufhebung der »politischen Diffamierung« des Reiches. Deshalb müsse als »richtiger psychologischer Moment« für eine entsprechende amtliche Verlautbarung eine Zeit gewählt werden, die »nicht belastet ist durch politische Notwendigkeiten und Bedrückungen und in der unsere Wirtschaft die Möglichkeit ruhiger Entwicklung hat«. In dieser Hinsicht schlug Stresemann den Abschluß der großen deutschen Aktenpublikation vor, der nach seinem Bekunden »in zwei bis drei Monaten« in Aussicht stehe. Die Herausgabe der »Großen Politik« legitimiere die Reichsregierung vor der Weltöffentlichkeit, die Öffnung der alliierten Archive zu verlangen und dabei unter Protest gegen die »Kriegsschuldlüge« eine offizielle Behandlung dieser Frage auf internationaler Ebene zu fordern25. Stresemanns Argumentation war unverkennbar auf Zeitgewinn bedacht, denn der Außenminister wußte nur zu genau, daß der Abschluß des Aktenwerkes noch dahinstand, die Editionsarbeiten aber keinesfalls bis zum Herbst 1924 beendet sein würden26. Offensichtlich diente der Hinweis auf die Notwendigkeit, dem Ausland eine zumindest nachvollziehbare, gleichzeitig aber außenpolitisch unverfängliche Begründung für die deutsche Initiative zu liefern, dazu, besonders dem Wirtschaftsflügel der DNVP zu signalisieren, daß ein Anschneiden dieses psychologisch so heiklen Problems bereits während der Dawes-Plan-Konferenz nicht nur die reparations- und wirtschaftspolitischen Interessen des Reiches schädigen, sondern auch dem Erfolg der besagten Initiative selbst Abbruch tun würde. Die DNVP geriet damit argumentativ in die Defensive, denn in der Frage des ›richtigen‹ Zeitpunkts der amtlichen Stellungnahme hatte die Reichsregierung fraglos die plausiblere Alternative aufzuweisen. Es verwundert nicht, daß die außenpolitisch Verantwortlichen ganz ähnlich argumentierten, als die Deutschnationalen aus Anlaß der Verhandlungen über den Locarno-Pakt erneut auf einer offiziellen Kriegsschuldadresse an die ehemaligen Gegner bestanden27. Auch diesmal konnte das AA an den Wünschen der Konservativen nicht achtlos vorübergehen, denn immerhin waren sie zur Jahreswende 1924/25 dem Reichskabinett Luther beigetreten, und Stresemann selber hatte ihre Regierungsbeteiligung lebhaft unterstützt. 224 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

Auch jetzt versuchten der Außenminister und sein engster Mitarbeiter, Staatssekretär v. Schubert, die Deutschnationalen von ihrer harten Linie abzubringen. Die Vertreter des AA beriefen sich dabei nicht auf die Aktenpublikation, sondern auf die »Erfolge« amtlich geförderter Kriegsschuldorganisationen28. Ihre Argumentation konnte einen doppelten Vorteil für sich beanspruchen. Sie unterlief einmal die von rechts kommende Kritik, die eine Vernachlässigung der ›nationalen Pflichten‹ durch alle bisherigen Reichsregierungen zu konstatieren glaubte, und kehrte diese gleichzeitig durch den Hinweis darauf, daß jedes vorschnelle amtliche Handeln in der Kriegsschuldfrage die langfristig angelegte Arbeit der deutschen Propagandaorganisationen im Ausland beeinträchtige, gegen ihre Urheber29. »Seit Jahr und Tag«, äußerte v. Schubert in der Kabinettssitzung vom 22. September 1925, »bearbeite das AA die Kriegsschuldfrage mit aller Energie, aber streng vertraulich«. Auf diesem Gebiet seien bereits größere Erfolge verbucht worden. Weitere Erfolge seien jedoch nur dann zu erzielen, wenn auch künftig danach gestrebt werde, »den Gedanken von dem Deutschland in dieser Frage angetanen Unrecht in den Völkern der Gegenseite (unter äußerst geheimer Nachhilfe unsererseits) reifen zu lassen«30. Die gouvernemental geprägten DNVP-Minister vermochten sich diesen Argumenten nicht zu verschließen. Reichsinnenminister Schiele äußerte in derselben Ministerbesprechung, «daß es selbstverständlich nicht seine Absicht sei, dieser dankenswerten Arbeit des Auswärtigen Amts in den Arm zu fallen«31. Gleichwohl gingen trotz der Bedenken des AA unmittelbar nach den Dawes-Plan-Verhandlungen und aus Anlaß der Locarno-Konferenz Noten an die ausländischen Verhandlungspartner heraus, in denen Deutschland den historischen Wahrheitsgehalt der Versailler Schuldanklage offiziell in Zweifel zog. Doch vermochten der Außenminister und seine Mitarbeiter Formulierungen durchzusetzen, die vorsichtig genug gefaßt waren, um den sich anbahnenden westeuropäischen Normalisierungsprozeß nicht nachhaltig zu gefährden32. So hieß es in dem deutschen Memorandum an die Ratsmächte des Völkerbunds vom 29. September 1924, daß »eine von der deutschen Regierung bei Eintritt in den Völkerbund etwa abzugebende Erklärung über die Erfüllung ihrer internationalen Verpflichtungen nicht so verstanden werden [dürfe], als ob damit die zur Begründung dieser Verpflichtungen aufgestellten Behauptungen anerkannt würden, die eine moralische Belastung des deutschen Volkes in sich schließen«33. Die Note Berlins vom 26. September 1925 verwies nur ohne jede inhaltliche Bezugnahme auf das Völkerbundmemorandum und kündigte für den Fall des deutschen Völkerbundeintritts eine weitergehende offizielle Stellungnahme an34. Letzten Endes konnte sich jedoch auch hier die vorsichtige Linie des AA durchsetzen. Die angekündigte Stellungnahme unterblieb, da sie, wie das Amt begründete, »bestimmte Mächte zweiten oder dritten Ranges« in den Zugzwang bringen könne, offiziell ablehnend zu reagieren. Ein solcher Vorgang 225 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

müsse »auf die in nahezu sämtlichen Ländern fortschreitende Aufklärung über die Kriegsschuldfrage einen sehr ungünstigen Einfluß ausüben«. Die DNVP fand sich mit der Argumentation der Wilhelmstraße ab. Schiele bedauerte zwar, daß der Widerruf der »Kriegsschuldlüge« keine »prägnantere Form« gefunden habe, willigte aber schließlich in die gefundenen Formulierungen ein, damit »Schaden« vermieden werde35. Die Tatsache, daß die Deutschnationalen in Hinblick auf die Kriegsschuldfrage von ihren ursprünglichen Forderungen Abstriche machten, ist in erster Linie sicherlich darauf zurückzuführen, daß sie während der Dawes-Plan- und Locarno-Verhandlungen davor zurückschreckten, politisch alles auf eine Karte zu setzen und sich gegenüber der Reichsregierung bzw. gegenüber den Koalitionspartnern allzu intransigent zu zeigen. Letzteres hätte unweigerlich zu einem schweren Konflikt mit dem eigenen Industrie- und Landwirtschaftsflügel bzw. mit den regierungswilligen Elementen in der Partei geführt und damit den Bestand der DNVP in Frage gestellt36. Dennoch steht zu vermuten, daß sich speziell in der hier skizzierten Diskussion auch der Einfluß jener Politiker mäßigend auswirkte, die wie Schiele, Graf Westarp37 und Hoetzsch38 mit dem ADV bzw. dem Wegerer-Institut teils eng liiert waren, teils lose zusammenarbeiteten. Gerade die genannten Deutschnationalen, die zum gouvernementalen Flügel der DNVP gehörten, der bis 1928 die Politik der Partei bestimmte, waren für die Argumentation Stresemanns besonders empfänglich. Geprägt durch das grundsätzlich Staats- und regierungsfreundliche Verhalten der Konservativen vor 1918 befanden sie sich nach der Revolution in einem politischen Dilemma, das der DNVP-Reichstagsabgcordnete und Staatsrechtler v. Freytagh-Loringhoven bündig als »Problem der nationalen Rechten im anationalen Staat« bezeichnete39. Es liegt auf der Hand, daß der taktisch ungemein geschickte deutsche Außenminister diese Orientierungsschwierigkeiten konservativer Politik in der Weimarer Republik in seine Überlegungen zur Einbindung der DNVP mit einbezog. Freytag und v. Bülow waren, als sie nach 1919 den »Revisionsfeldzug« organisierten, von ähnlichen Erwägungen ausgegangen40. Von Anfang an verfolgte die Wilhelmstraße mit ihrer Förderung der Kriegsschuldpropaganda innenpolitische Zielsetzungen. Als nationales Alibi sollte die amtliche Unterstützung der Revisions- und Kriegsschuldorganisationen den Torpedierungsversuchen der nationalistischen Rechten etwas von ihrer Schärfe nehmen und letztere soweit als möglich in die taktisch flexible und durchaus maßvolle Revisionspolitik des AA nach 1924 einbinden. In die gleiche Richtung zielten die einseitigen Stellungnahmen der Reichskabinette, die zumeist in unmittelbarem Zusammenhang mit den oben erwähnten Noten standen, die jedoch - um der DNVP entgegenzukommen - i n weit schärferer Tonlage verfaßt waren. Als beispielhaft hierfür kann die »amtliche Kundgebung« vom 29. August 1924 gelten. Dort hieß es u. a.: »Die uns durch den Versailler Vertrag unter dem Druck übermächtiger Interessen auferlegte Feststellung, daß 226 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

Deutschland den Weltkrieg durch seinen Angriff entfesselt habe, widerspricht den Tatsachen der Geschichte. Die Deutsche Regierung erklärt daher, daß sie diese Feststellung nicht anerkennt«41. In ähnlicher Weise äußerte sich Stresemann am 26. September 1926 vor der deutschen »Kolonie« in Genf42, und Reichspräsident v. Hindenburg führte anläßlich der Einweihung des Tannenberg-Denkmals am 18. September 1927 aus: »Die Anklage, daß Deutschland schuld sei an diesem größten aller Kriege, weisen wir und das deutsche Volk in allen seinen Schichten einmütig zurück. Nicht Neid, Haß oder Eroberungslust gaben uns die Waffen in die Hand. Der Krieg war uns vielmehr das äußerste, mit den schwersten Opfern des ganzen Volkes verbundene Mittel der Selbstbehauptung einer Welt von Feinden gegenüber«43. Diese Äußerungen wurden nie notifiziert und mußten daher von den Versailler Signatarstaaten nicht offiziell kommentiert werden. Sie paßten überdies ganz vorzüglich in das taktische Konzept des Kriegsschuldreferats, da sie, wie es hieß, »allen Freunden Deutschlands« in ihrer Arbeit Mut machen konnten. Zugleich trugen sie zur Stärkung revisionistischer Einstellungen und Erwartungen in der deutschen Öffentlichkeit bei. Dies wurde in dem Maße akzeptiert, als sich besonders die Anti-Versailles-Propaganda der Rechten glänzend zur taktischen Limitierung der eigenen außenpolitischen Konzessionsfähigkeit eignete. Der Außenminister selbst hat diesem Kalkül vor dem Zentralvorstand seiner Partei freimütig Ausdruck gegeben: »An sich«, so Stresemann, »ließ sich mit einer großen bürgerlichen Mehrheit, die bis zur rechten Seite reicht, viel besser auswärtige Politik machen, als mit der Linken . . ., weil die Linke den Fehler hat, immer zuviel auf den Standpunkt der anderen Rücksicht zu nehmen, während ich hier als Außenminister stets damit operieren könnte, daß ich einen rebellierenden rechten Flügel zur Vernunft bringen müßte« 44 . Daß der Versuch, die allgemeine Empörung über den Friedensvertrag auch in den Jahren der Stabilisierung Weimars zu konservieren, letzten Endes der »Nationalen Opposition« in die Hände spielte, war nicht beabsichtigt, mußte sich aber angesichts der spezifischen Vergangenheitsorientierung des deutschen Revisionismus beinahe zwangsläufig ergeben. In den Kriegsschuldorganisationen setzte sich nach 1929 der deutschnationale Standpunkt immer stärker durch. Wie der eher vorsichtig formulierende Schwertfeger 1931 vor Offizieren bekannte, kam es jetzt nicht mehr auf die Frage an, »ob der Artikel 231 zu Recht besteht, sondern wir verknüpfen mit der Forderung nach Aufhebung des Artikels 231 . . . die weitere nach einer grundlegenden Revision des gesamten Vertrages«45. Existenz wie materielle Förderung der Kriegsschuldorganisationen werfen ein Schlaglicht auf die Politik der Wilhelmstraße auch und gerade in der Strescmann-Ära. Die Geschichtsschreibung über diesen Abschnitt der Weimarer Republik hat bislang lediglich in Spezialstudien die Bedeutung der die deutsche Außenpolitik begleitenden bzw. unterstützenden Propaganda und 227 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

ihrer Träger gewürdigt46. Hier steht eine zusammenfassende Studie noch aus. Sie würde fraglos eine Forschungslücke schließen, denn immerhin arbeitete auch während der Ministerschaft Stresemanns eine Vielzahl von Vereinen, Verbänden und Presseorganen mit einem Aufwand, der die entsprechenden Anstrengungen der ehemaligen Kriegsgegner bei weitem übertraf47, an der Popularisierung der offiziellen deutschen Revisionspolitik im In- und Ausland. Ob es sich um Minderheitenfragen in den ehemaligen deutschen Ostgebieten48 oder im Baltikum49, um die wirtschaftlichen Probleme des Friedensvertrages50, um das Anschlußproblem51 oder, wie im geschilderten Fall, um die Kriegsschuldfrage handelte, stets wurden spezifische Organisationen tätig, die zwar zum überwiegenden Teil mit Reichsmitteln arbeiteten, deren nach außen hin privater Charakter jedoch außenpolitische Verwicklungen so gut wie ausschloß und innenpolitische Kritik zumindest sehr erschwerte52. Die Art und Weise, wie der deutschen Öffentlichkeit die offizielle Außenpolitik nahegebracht wurde, erfolgte dabei stets nach dem gleichen Schema: Wie am Beispiel des ADV gezeigt wurde53 und wie sich sicherlich auch an den Deutschtumsverbänden nachweisen läßt, filterten die meisten der vom AA zur propagandistischen Abstützung des offiziellen Kurses herangezogenen Organisationen alle Normalisierungen und Verständigungsansätze aus der außenpolitischen Konzeption der Wilhelmstraße heraus oder deuteten sie zu taktischen Arabesken um. Überdies erfuhren in der deutschen Revisions- und Kriegsschuldpropaganda nahezu sämtliche außenpolitische Mythen der Vorkriegs- und Kriegszeit, von der ›Einkreisung‹ über die ›deutsche Nibelungentreue‹ bis zum verhängnisvollen Neid‹ der Nachbarn im Osten wie im Westen, eine erneute Bestätigung.

Man wird deshalb nicht übersehen dürfen, daß die Präsentation der Außenpolitik Stresemanns durch die zahlreichen Kriegsschuld- und Revisionsorganisationen in der deutschen Öffentlichkeit überkommene Feindbilder eher bestätigte und illusionäre Revisionserwartungen weckte und zwar unabhängig von der Frage, ob und inwieweit sich der langjährige deutsche Außenminister selber vom revisionistischen ›Saulus‹ zum verständigungspolitischen ›Paulus‹ wandelte54. Hier dürfte eine der zentralen Begründungen dafür liegen, daß die strategische Konzeption Stresemanns, die bei allen revisionistischen Mentalreservationen wegen ihrer rationalen Orientierung an den zentralen Interessen der wichtigsten Versailler Signatarstaaten durchaus vielversprechende Ansätze für eine gesamteuropäische Verständigung bot, in der deutschen Öffentlichkeit so geringe Spuren hinterließ. Bezeichnenderweise wurde die in der Wahl ihrer Mittel eher wilhelminisch anmutende aktive Außenpolitik Brünings in Deutschland als die konsequente Fortsetzung des Stresemann-Kurses unter nunmehr geänderten internationalen Rahmenbedingungen begriffen - und das nicht nur im deutschen Bürgertum, sondern auch in Teilen der sozialistischen Arbeiterbewegung, vor allem in den Freien Gewerkschaften. Dabei spielte es offensichtlich keine 228 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

Rolle, daß der DVP-Politiker in realistischer Einschätzung der internationalen Situation die Wiederherstellung einer gleichberechtigten Stellung des Reiches im Konzert der europäischen Großmächte im Auge hatte55, während die Überlegungen des Reichskanzlers der frühen 30er Jahre relativ offen auf die zumindest mittelfristige Durchsetzung einer mitteleuropäischen Präponderanz, wenn nicht gar einer kontinentalen Hegemonie Deutschlands abzielten56.

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II. Das Ausland und der deutsche Kampf gegen die »Kriegsschuldlüge« Die vorliegende Arbeit müßte sich den Vorwurf gefallen lassen, einen wesentlichen Aspekt des gestellten Themas ausgespart zu haben, wenn sie es unterlassen würde, die Reaktion des Auslands auf die deutsche Forderung nach Zurücknahme des Art. 231 wenigstens in Umrissen nachzuzeichnen. Dazu vorweg eine Einschränkung: Es geht im folgenden Abschnitt nicht etwa um eine differenzierte, komparative Untersuchung der innen- und außenpolitischen Bedeutung des Kriegsschuldproblems in den Ländern Nachkriegseuropas. Wir wollen vielmehr die Spuren verfolgen, die das Beharren offizieller und privater deutscher Stellen auf der Revision der »Schmachparagraphen« im politischen Entscheidungsprozeß und in der öffentlichen Meinung sowohl des ehemals neutralen wie auch des ehemals feindlichen Auslands hinterlassen hat57. Gerade in bezug auf die internationale Rezeption des Friedensvertrags erzeugte bzw. befestigte die deutsche Kriegsschuld- und Revisionspropaganda eine Reihe von Vorstellungen, die einer genaueren Prüfung nicht standhalten. Es ist bereits darauf hingewiesen worden, daß die Mantelnote Clemenceaus und der darin enthaltene Alleinschuldvorwurf keineswegs die offizielle Interpretation des Art. 231 darstellte58, wie das die deutsche Propaganda der Bevölkerung glauben machen wollte. In dieser Beziehung scheinen freilich selbst die Protagonisten der »Revisionsbewegung« nicht recht an ihre eigene Deutung geglaubt zu haben. Alfred v. Wegerer etwa gestand in seinen internen Berichten an das AA offen ein, daß »die Behauptung von einer Alleinschuld Deutschlands am Kriege von seiten der Alliierten offiziell nirgends aufgestellt worden« ist. Im Art. 231 sei nur von Deutschland und seinen Verbündeten als Urheber für alle Verluste und Schäden die Rede59. Weit übertrieben ist ebenfalls die von interessierter deutscher Seite lancierte und während der Weimarer Zeit nie wirklich eingeschränkte Behauptung, große Teile des Auslands sähen in den Deutschen ein ›Verbrechervolk im Herzen Europas‹, das sich kollektiv der Verursachung des Weltkriegs schuldig gemacht habe. Das beweist schon die berühmte Rede, die der englische Premier Lloyd George im März 1921 aus Anlaß der Londoner Reparationskonferenz hielt und in der er unmißverständlich von den »Angriffshandlungen der deutschen imperialistischen Regierungen« sprach bzw. hervorhob, daß »das deutsche Volk keine Ahnung von den Verwüstungen [gehabt 230

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habe], die in den alliierten Ländern als Folge der Handlungen der kaiserlichen Regierung im August 1914 angerichtet worden [seien]«60. Auf der anderen Seite bedarf aber auch die von der Zentralstelle verbreiteten und von nahezu allen innenpolitischen Gruppen kolportierte Vorstellung einer zunehmend positiven Einstellung des Auslands zum deutschen Standpunkt in der Schuldfrage61 erheblicher Differenzierungen. Die Ausländer, die auf Anregung des AA oder der Zentralstelle aktiv wurden, verbanden in der Regel weder reine Deutschfreundlichkeit noch moralische Empörung über die ›schmähliche‹ Behandlung des Reiches in Versailles mit ihrem Eintreten für die deutsche Sache62. Ihr Engagement war in den allermeisten Fällen an persönliche Interessen geknüpft. Als Beispiel hierfür kann E. D. Morel, der spiritus rector des linkssozialistischen britischen »Union of Democratic Control«, gelten, der in vertraulichen Gesprächen keinen Zweifel daran ließ, daß seine Forderung nach Aufrollung der Kriegsschuldfrage »nicht etwa Ausdruck eines deutschfreundlichen Standpunkts« sei. Morel beabsichtigte vielmehr, über den Umweg einer öffentlichen Brandmarkung der geheimen englischen Kabinettspolitik in der Julikrise 1914 die britische Verfassung im Sinne verstärkter Demokratisierung und parlamentarischer Kontrolle umzuformen63. Schon diese Einschränkungen lassen Zweifel am Erfolg der ›privaten‹ Auslandspropaganda aufkommen, die sich zum Ziel gesetzt hatte, den Glauben an die »Kriegsschuldlüge« in der Weltöffentlichkeit allmählich zu erschüttern64. Und in der Tat gibt es eine Reihe von Hinweisen darauf, daß der Ertrag der ›Aufklärungsarbeit‹, die das Wegerer-Institut und der ADV im Ausland geleistet haben, den hohen finanziellen, personellen und technischen Aufwand nicht rechtfertigte. So waren die in allen Fragen der Kriegsverantwortung besonders sensiblen Franzosen recht früh bereits auf den offiziösen Charakter der Zentralstelle und des ADV aufmerksam geworden. Am 5. Januar 1923 hatte die »Temps« einen Artikel veröffentlicht, der die Beziehungen dieser Organisationen zur Wilhelmstraße relativ präzise beschrieb und sogar Angaben über die für das Jahr 1922 vom AA bewilligten Mittel machen konnte65. In der Folgezeit verwiesen insbesondere deutsche Autoren wie Kanner und Grelling in französischsprachigen Artikeln immer wieder auf die einschlägige deutsche Agitation66. Ihre Warnungen und mehr noch die Tatsache, daß die Franzosen jedes Zurückweichen in der Kriegsschuldfrage als Gefährdung der Reparationsforderungen begriffen, dürfte vor allem dem ADV die meisten Ansatzpunkte für eine erfolgversprechende Propaganda in Frankreich genommen haben. Ähnliches gilt übrigens auch für Belgien, das sich aufgrund der Unfähigkeit Deutschlands, wenigstens den Überfall auf das Königreich im August 1914 als völkerrechtswidrigen Akt anzuerkennen, der deutschen Auslandsagitation mißtrauisch verschloß67. Obwohl die öffentliche Meinung in England dem Inhalt der alliierten Mantelnote von vornherein skeptischer gegenüberstand, als das in den 231 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

übrigen Ententeländern der Fall war, betrachtete man auch dort die angestrengten Bemühungen der deutschen Propaganda mit Befremden68. Die Briten befürchteten eine merkliche Beeinträchtigung des sich anbahnenden Tauwetters in der politischen Großwetterlage Europas. Besonders die rührige Auslandsarbeit rechtsorientierter Kriegsschuldorganisationen wurde in London als störend empfunden. Wie die Presseabteilung des Foreign Office der deutschen Botschaft am 4. November 1927 mitteilte, bewirke etwa die »ungeschickte und unerbetene Propaganda« des Hamburger »Fichte-Bundes« eine Verhärtung der selbst in England noch nicht gänzlich verschwundenen Auffassung, »daß Deutschland die ausschließliche Schuld am Kriege« trüge69. Einzig in der englischen Arbeiterbewegung vermochte die deutsche ›Aufklärungsarbeit‹ in den frühen 20er Jahren Erfolge zu verbuchen. Doch auch diese Beziehungen erkalteten mit der Zeit und machten einer wachsenden Gleichgültigkeit Platz70. Deshalb verwundert es nicht, daß die deutsche Botschaft in London im März 1931 zu einem höchst pessimistischen Fazit der jahrelangen Propagandabemühungen gelangte. Nach Ansicht der Auslandsvertretung interessierte sich die englische Öffentlichkeit für die Kriegsschuldfrage »nur noch in sehr geringem Maße«, und alle Versuche, die Bevölkerung in deutschem Sinne zu beeinflussen, führten lediglich zu »gegenteiligen Erfolgen«71. Ein ähnliches Bild bot sich in den englischen Dominions. Das deutsche Generalkonsulat in Südafrika meldete im Januar 1931 »kein großes Interesse« am Kriegsschuldproblem, und das Generalkonsulat in Sidney drahtete zwei Monate später nach Berlin, daß ein »unmittelbarer Erfolg« der deutschen Propaganda in der öffentlichen Meinung Australiens vorerst nicht zu erwarten sei72. Lediglich die USA, denen das deutsche Hauptinteresse galt, bildeten hier eine Ausnahme. Der nach 1919 erfolgende Rückzug in den Isolationismus und die damit verbundene weitverbreitete Skepsis gegenüber der politischen und moralischen Berechtigung des amerikanischen Kriegseintritts ließen die Bemühungen des Schuldreferats auf fruchtbaren Boden fallen. Insbesondere unter den »Revisionisten« und in vielen wissenschaftlichen bzw. politischen Zeitschriften wurden Kriegsausbruch, Kriegsausgang und Versailler Vertrag intensiv diskutiert und wurde der Art. 231 als »rested on an historical falsehood« empfunden. Doch beschränkte sich die Kriegsschulddiskussion auch in den USA auf den Kreis der Wissenschaft und auf Teile der Intelligenz. Die Tagespresse sparte das Thema weitgehend aus, und der Mann auf der Straße zeigte sich der Schuldfrage gegenüber, wie der amerikanische Historiker Wittgens schreibt, völlig indifferent73. Den deutschen Protagonisten der ›Unschuldskampagne‹ ist dieser Sachverhalt nicht verborgen geblieben. So sah sich der ADV-Präsident Schnee im Juni 1925 anläßlich eines Empfanges beim Reichspräsidenten gezwungen, die allzu euphorischen Vorstellungen v. Hindenburgs über die Erfolge der deutschen Aufklärungsarbeit in den Vereinigten Staaten zu dämpfen. »Einzelne Leute der Wissenschaft« hätten dort zwar, wie Schnee ausführte, 232 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

eine fur Deutschland günstige Ansicht gewonnen, aber in der Masse wurzele noch immer die durch die alliierte Kriegspropaganda erzeugte Vorstellung von der Berechtigung der Versailler Verdikte74. Abhilfe scheint hier die deutsche Auslandsagitation der folgenden Jahre nicht geschaffen zu haben. Wie der in dieser Hinsicht für gewöhnlich glänzend informierte Reichskanzler a. D. Marx in der Kuratoriumssitzung des ADV vom 26. Februar 1931 unwidersprochen feststellte, war noch zu Beginn der 30er Jahre die überwiegende Mehrheit der Amerikaner von der Hauptverantwortlichkeit des Kaiserreichs am Kriegsausbruch überzeugt75. Das von allen bürgerlichen Parteien und insbesondere von der »Nationalen Opposition« verbreitete Bild einer starken internationalen Anteilnahme an dem Deutschland in Versailles widerfahrenen ›Unrecht‹ erweist sich somit als eine politische Legende; eine Legende zudem, die ein aufmerksamer Blick in die publizierten Tagungsprotokolle des ADV leicht hätte ins Wanken bringen können. Noch auf der im Juni 1931 stattfindenden Reichstagung des Arbeitsausschusses hatte Schwertfeger die Vertreter der ADV-Mitgliederorganisationen darauf aufmerksam gemacht, daß »bei allen unzweifelhaften Fortschritten in der Kriegsschuldarbeit die alliierte Formulierung des Art. 231 im Ausland noch immer als zu Recht bestehend angesehen wird« 76 . Immerhin lassen die Berichte der deutschen Auslandsvertretungen an das AA den Schluß zu, daß man im Lager der ehemaligen Ententemächte die Kriegsschuldfrage zunehmend nüchterner betrachtete und daß dieses heikle Thema, das noch im Frühjahr und Sommer 1919 die Gemüter erhitzt hatte, nach und nach aus den Schlagzeilen der Weltpresse verschwand. Ein Blick auf die einschlägigen Äußerungen bekannter zeitgenössischer Politiker erhärtete diese Vermutung. Zwar stellte man in London, Paris und Brüssel die Hauptverantwortlichkeit der Mittelmächte am Ausbruch des Krieges nie ernstlich in Frage, wohl aber wurde jetzt jede kollektive Verurteilung des deutschen Volkes vermieden. Überdies bemühte man sich, das Kriegsschuldproblem aus der politischen Diskussion um Frieden und Verständigung in Europa auszuschalten77. Diese Tendenz verkörperte der konservative britische Außenminister Chamberlain, der im September 1925 gegenüber Stresemann bemerkte, es sei außenpolitisch verhängnisvoll, an der Versailler Erklärung über die Kriegsschuld zu rühren. Das Urteil über diese Frage müsse der Geschichte überlassen bleiben78. Natürlich gab es vor allem auf der französischen Rechten auch Mitte der 20er Jahre noch wichtige Gruppen, die - ohne eine nähere Unterscheidung zwischen dem Kaiserreich und der Weimarer Republik zu treffen - im Kriegsschuldigem Deutschland eine beständige Bedrohung des Friedens und der Sicherheit ihres Landes erblickten und die dieses Argument nicht zuletzt aus innenpolitischen Motiven zur Desavouierung der mit dem Namen Briand und Herriot verbundenen französischen Verständigungsbemühungen einsetzten. Es deutet indes einiges daraufhin, daß sich im Laufe der Zeit selbst in Frankreich ein Stimmungswandel vollzog, der die Zahl derer 233 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

sinken ließ, welche die aus der Vorkriegs- und Kriegszeit bekannte aggressive Unruhe Deutschlands und die mit ihr gegebene Anfechtung des internationalen Systems als chronische Leiden ansahen79. Schenkt man einer vom deutschen Botschafter in Paris, v. Hoesch, überlieferten Äußerung Briands Glauben, fand sogar der wegen seiner einschlägigen Angriffe auf das Deutsche Reich bekannte französische Ministerpräsident Poincaré mit entsprechenden Attacken im Kabinett »nur sehr geteilte Aufnahme, während man im Lande überhaupt nicht gern solche Reden vernehme«80. Dort war die anfänglich weitverbreitete Entrüstung über die Abwehr aller Kriegsschuldvorwürfe durch die Deutsche Friedensdelegation allem Anschein nach abgeklungen und hatte einer ebenso weitverbreiteten »Gleichgültigkeit« Platz gemacht. Wie der Übersetzer der französischen Aktenpublikation, Arthur Rosenberg, an den ehemaligen Reichskanzler Marx schrieb, gab es selbst bei politisch Interessierten kein »Wissen und Empfinden« mehr dafür, »daß Deutschland ein Schuldbekenntnis abgerungen wurde und daß der Inhalt dieses Bekenntnisses und die Art, wie es zustande kam, eine dauernde Quelle negativer Gefühle in Deutschland sein muß« 81 . Die Äußerungen Briands und Rosenbergs sind sicherlich quellenkritisch zu bewerten, hatten doch sowohl der Publizist als auch der Politiker ein starkes verständigungspolitisches Interesse daran, das Kriegsschuldproblem in seiner Bedeutung für das deutsch-französische Verhältnis herunterzuspielen. Ihre Urteile dürften gleichwohl der Realität in etwa nahegekommen sein, denn auch Botschafter v. Hoesch, dem ein derartiges Interesse nicht unterstellt werden kann, mußte bei »vorurteilsloser Betrachtung« der Sachlage feststellen, daß »Poincaré und Genossen keine Freude mehr an der Verschärfung der Schuldproblematik [haben] und im Interesse einer deutsch-französischen Verständigung am liebsten stillschweigend über die Schuldfrage hinweggehen möchten«82. Das im Ausland vielerorts zu beobachtende Abklingen der Kriegshysterie läßt vermuten, daß sich die tiefgreifende Entfremdung, in die der Krieg die Völker Europas entlassen hatte, allmählich verflüchtigte. Die Wiederherstellung relativ normaler bi- und multilateraler Beziehungen zwischen 1924 und 1928 darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß es sich hier um einen höchst labilen, jederzeit von Rückfällen bedrohten Zustand handelte. Gerade die Annahme, das Deutsche Reich trage die Hauptverantwortung für die militärische Eskalation der Julikrise 1914, blieb in der öffentlichen Meinung des Auslands tief verwurzelt, und die alten antideutschen Traumata bzw. Feindbildstereotypen konnten bei entsprechender Stimuli unversehens und auf breiter Front wieder an die Oberfläche treten. Nicht zuletzt der Druck einer starken konservativen Opposition83, die in bezug auf die Frage der Kriegsverantwortung mißtrauisch über jede Äußerung der Regierung wachte, verwehrte es deshalb verständigungsbereiten Politikern wie Briand, Herriot und Vandervelde auf die Versuche der Wilhelmstraße einzu234 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

gehen, eine Revision der Schuldartikel auf diplomatischer Ebene zur Sprache zu bringen84. Briand nahm in dieser Frage - wie übrigens alle verantwortlichen französischen Staatsmänner von links bis rechts - eine intransigente Haltung ein, und selbst ein Mann wie der britische Premierminister Ramsey Mac Donald, der noch im August 1924 gegenüber dem deutschen Reichskanzler Marx seine starken Zweifel am historischen Wahrheitsgehalt der alliierten Verdikte geäußert hatte85, zeigte sich über die deutschen Exkulpationsbcmühungen tief besorgt86. Die nervösen Reaktionen auf das Berliner Memorandum an die im Völkerbundrat vertretenen Mächte vom 29. September 1924 und auf die »Sondererklärung« vom 26. September 1925 gaben Mac Donald Recht87. Die Erklärungen, abgegeben aus Anlaß der Annahme der Dawes-Gesetze durch den Reichstag im Rahmen der ersten ernsthaften Sondierung für den deutschen Völkerbundeintritt und zu Beginn der Locarno-Konferenz, führten jeweils zu einer, wenngleich vorübergehenden Abkühlung der Beziehungen Berlins zu Paris, Brüssel und London. Daran änderten die überaus vorsichtigen Formulierungen ebensowenig wie die vertraulichen Begleitkommentare, mit denen die deutschen Diplomaten ihre englischen, französischen und belgischen Gesprächspartner zu beschwichtigen suchten88. Selbst im neutralen Ausland wurden die deutschen Vorstöße mit Besorgnis aufgenommen. Die niederländische Presse empfand das deutsche Völkerbundmemorandum vom 29. September 1924 als einen »Fußtritt«, mit dem Berlin die Genfer Friedensarbeit zerstöre89, und der christlichsoziale österreichische Bundeskanzler Ignaz Seipel sprach in einem Privatschreiben an Reichskanzler Marx von der »großen Furcht«, daß durch das deutsche Memorandum viel von dem, was in den DawesVerhandlungen an Vertrauen gewonnen worden sei, wieder zerstört werden könnte90. In London, Paris und Brüssel wurden die deutschen ›Kriegsschuldvorstöße‹ revisionspolitisch gedeutet, obgleich Berlin immer wieder betonte, daß es sich hier lediglich um eine Frage der Ehre und Moral des deutschen Volkes handle. Man befürchtete, daß schon eine stillschweigende Duldung der deutschen Bestrebungen den Art. 231 ins Wanken bringen und damit den Finanzierungsforderungen der Siegermächte Zug um Zug den Boden entziehen könnte. Insbesondere die französische Regierung sah in den offiziellen ›Kriegsschuldkundgebungen‹ der Berliner Kabinette den Ansatzpunkt für eine »Zerstörung« des Friedensvertrags91. Vielleicht werde Deutschland, wie das Regierungsblatt »Le Temps« im November 1924 schrieb, mit seinen alten Gegnern für eine gewisse Zeit in Frieden leben; bei einer ausdrücklichen Zurücknahme seiner Anerkennung der Kriegsschuld werde es sich jedoch bald weigern, »Frankreich zu bezahlen«92. In Belgien war man ganz ähnlicher Ansicht, und die englische Regierung, die nicht zuletzt aus wirtschaftlichen Erwägungen auch an einer politischen Befriedigung Europas interessiert war, warnte die Wilhelmstraße vor allen Verlautbarungen, die nur im entferntesten als offizielle deutsche Zurücknahme der 235 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

Anerkennung des Art. 231 gewertet werden konnten. Ein solcher Schritt würde »Frankreich und dessen Freundesstaaten von schärfstem Mißtrauen gegen Deutschland erfüllen«93. In Berlin dachte man freilich nicht daran, den deutschen ›Rechtsstandpunkt‹ in der Friedensfrage aufzugeben, wenngleich die Reichsregicrungen seit der Locarno-Konferenz darauf verzichteten, das Kriegsschuldproblem im diplomatischen Verkehr zwischen den Staaten zur Sprache zu bringen. Von einseitigen deutschen Forderungen nach Revision der »Schmachparagraphen« ließen sich die verantwortlichen Stellen hingegen nicht abbringen, wie die Ansprache Strescmanns vom 26. September 1926 vor der deutschen »Kolonie« in Genfund die berühmt gewordene »Tannenberg-Rede« des Reichspräsidenten vom 18. September 1927 zeigen94. Das Ausland reagierte auch auf diese Äußerungen allergisch. So empfand etwa die britische Presse die Hindenburg-Rede, in der kaum verhüllt jede Mitverantwortung des Kaiserreichs am Kriegsausbruch geleugnet wurde, als einen Schlag gegen alle internationalen Bestrebungen, welche die »bitteren Erinnerungen der Kriegszeit« endgültig begraben wollten95. Läßt man die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung Revue passieren, erstaunt es nicht, daß die ersten Impulse zur ›Entpolitisierung‹ des Kriegsschuldproblems aus dem Lager der ehemaligen Gegner Deutschlands kamen. Es waren französische Regierungsstellen, die in der zweiten Hälfte der 20er Jahre ihre Bereitschaft signalisierten, die Frage der Verantwortung am Kriegsausbruch ›stillschweigend‹ aus den Verhandlungen mit dem Reich auszuklammern96. Der Bearbeiter der deutschen Ausgabe des französischen Aktenwerkes, der Publizist Arthur Rosenberg, wurde von Paris veranlaßt, entsprechende Kontakte zu bekannten deutschen Publizisten, Wissenschaftlern und Politikern zu knüpfen97. Rosenbergs Gespräche, die ihn u. a. auch direkt in die Wilhelmstraße führten, blieben jedoch erfolglos. Besonders das AA zeigte sich verschlossen. Das Amt war darauf bedacht, den französischen Unterhändler »möglichst wenig in unsere Karten sehen [zu] lassen«98. Die geschilderte Sondierung blieb durchaus kein Einzelfall. Wie es in einer Aufzeichnung Schwendemanns aus dem Mai 1932 hieß, waren »Fühler im Sinne einer Bereinigung der Kriegsschuldfrage . . . von Paris in den letzten Jahren verschiedentlich ausgestreckt, aber von uns zurückgewiesen worden«. Als Begründung für die ablehnende Haltung des AA führte Schwendemann die an den französischen Vorschlag geknüpfte Bedingung an, »aus der Beseitigung der Kriegsschuldthcse deutscherseits keinerlei Rechtsansprüche oder Forderungen in bezug auf. . . die Verbindlichkeit des Versailler Vertrages« abzuleiten99. Deutlicher noch hatte zwei Jahre zuvor der deutsche Botschafter in Paris, v. Hoesch, die Gründe für die Weigerung Berlins umschrieben, das besagte ›Waffenstillstandsangebot‹ in Sachen Kriegsverantwortung zu akzeptieren. Ein Eingehen auf die vorsichtige Fühlungnahme der Franzosen hielt v. Hoesch für »nicht annehmbar . . ., weil wir dabei insofern im Nachteil wären, als wir den Versailler Schuldspruch 236 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

gegen uns hätten und unsere Gegner weiterhin zu unserem Stillschweigen das sog. Urteil von Versailles unwidersprochen fur sich hätten«100. All dies widerlegt die in der Weimarer Republik weitverbreitete Ansicht, daß die Tätigkeit der Zentralstelle und des ADV sowie die entsprechenden Bemühungen der verschiedenen Reichsregierungen eine Art Notwehr gegen die beständig wiederholten und ehrenrührigen Schuldanklagen der ehemaligen Kriegsgegner darstellten101. In Wirklichkeit war es der Weimarer Staat selber, der die Kriegsschulddebatte gegen den erklärten Willen seiner europäischen Verhandlungspartner nicht zur Ruhe kommen ließ. Es ging Berlin dabei hauptsächlich um den ›Rechtsanspruch‹ auf eine grundlegende Reform des Friedensvertrags, der nach einer in Deutschland gängigen Interpretation aus dem ›Unrecht‹ der alliierten Alleinschuldthese resultierte. Trotz der taktischen Vorsicht, die man in dieser Beziehung vor allem in der Stresemann-Ära an den Tag legte, sind die mit der deutschen Forderung nach Zurücknahme der »Schmachparagraphen« verbundenen Mentalreservationen in Paris, London und Brüssel nicht verborgen geblieben und haben dort den Abbau antideutscher Ressentiments erschwert. Zumindest im atmosphärischen Bereich trug so der von Deutschland stets aufs neue angefachte Streit um die Kriegsverantwortung dazu bei, daß die sich seit 1924 anbahnende europäische Normalisierung auf der Basis eines relativen Status quo lediglich ephemeren Charakter besaß.

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III. Die »innenpolitische Einheitsfront« gegen Versailles Die vorstehenden Ausführungen haben gezeigt, daß sich die Träger der deutschen Außenpolitik aus durchaus rationalen, revisionspolitischen Erwägungen schon früh darum bemüht haben, die starke Anti-VersaillesStimmung des Jahres 1919 über die Zeit der Weimarer Republik hinweg zu erhalten und gezielt zur Verfolgung ihrer außenpolitischen Ziele einzusetzen. Daß diese mit großem finanziellen und technischen Aufwand verfolgte Absicht zumindest im Ausland nicht im erhofften Umfang realisiert werden konnte, signalisierten bereits die oben vorgestellten Berichte der Auslandsvertretungen des AA. Welche Wirkung konnte aber die amtlich geförderte Kriegsschuld- und Revisionspropaganda in der öffentlichen Meinung des Reiches und bei den hier agierenden politischen Gruppierungen verzeichnen? Genauer gefragt, inwieweit veränderte oder verstärkte sie bereits vorhandene Einstellungen zur jüngsten deutschen Vergangenheit, zur außenpolitischen Gegenwart des Reiches im Rahmen der Versailler Friedensordnung und zur zukünftigen Stellung Deutschlands im internationalen System? Eine Beantwortung dieser Fragen muß naturgemäß von bestimmten hypothetischen Setzungen ausgehen; immerhin handelt es sich um Beharrungs- bzw. Veränderungstendenzen politisch-ideologischer Denkfiguren,

die sich nicht anhand von quantitativ meßbaren Entwicklungstrends verfolgen lassen. Man darf jedoch aufgrund der Intensität der Propaganda, vor allem aber aufgrund der weitgehenden Ausschaltung anderer als apologetischer Interpretationsschemata zur außenpolitischen Konstellation der Vorkriegs- und Kriegszeit vermuten, daß hier das gleiche gilt, was Klaus-Jürgen Gantzel generell für die Entwicklung von Freund-Feindbildern festgestellt hat. Danach macht eine starke Selektion von Nachrichten die Bevölkerung noch abhängiger, als es ohnehin schon der Fall ist, von dem «schwer kontrollierbaren Informationsangebot und von den zur Informationsverwertung notwendigen Deutungsmustern, die von den Eliten und der Publizistik bereitgestellt werden«. Kognitive (z. B. emotionaler Nationalismus) und evaluative (z. B. ideologisch fixierte Wertsysteme) Konfliktpotentiale verdichten sich zu einer Mentalität, die in zunehmendem Maße selbst für einen Rest alternativer Informationen unempfänglich wird 102 . Diese, aus der neueren Friedens- und Konfliktforschung stammende These trifft sicherlich auch auf die Wirkungen der Kriegsschuld- und Revisionsagitation in Deutschland zu, die unter den Bedingungen des internationalen Systems der Zwischenkriegszeit als Propaganda der Friedlosigkeit‹ defi238 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

niert werden könnte. Die von der Bevölkerung nur schwer zu kontrollierenden Informationsangebote des ADV reaktivierten bzw. stimulierten die allerorten virulente Anti-Versailles-Stimmung, statt - in Entsprechung zum verständigungspolitischen Kurs Stresemanns - zur rationalen Selbstbesinnung und damit zur außenpolitischen Selbstbescheidung beizutragen. In welchem Umfang das geschah, ist unschwer an den Mobilisierungserfolgen abzulesen, die der ADV-Aufruf zur feierlichen Begehung des zehnten Jahrestags der Versailler Vertragsregelung zeitigte. Obgleich sich die Reichsregierung, um die laufenden Young-Plan-Verhandlungen nicht zu stören, gegen Massenkundgebungen am 28. Juni 1929 aussprach und allen Staatsbediensteten die Teilnahme an derartigen Veranstaltungen untersagte103, folgten Tausende den Aufrufen des Arbeitsausschusses und der ihm angeschlossenen Verbände. Die größte Kundgebung dieser Art fand in Berlin statt, wo sich nach amtlichen Polizeiberichten 40- bis 50000 Menschen zum Protest gegen den Versailler Vertrag versammelten. Großkundgebungen wurden auch aus einer Reihe weiterer deutscher Großstädte gemeldet. Der „Berliner Lokalanzeiger“ berichtete von ähnlichen Veranstaltungen in Hamburg, Köln, Leipzig und Saarbrücken104. Wie leicht sich aus dem Protestpotential gegen den Versailler Vertrag ein Instrument gegen die Weimarer Demokratie schmieden ließ, sollte schon wenige Monate später das Young-PlanVolksbegehren erweisen, das-als »Kriegsschuld-Volksbegehren« deklariert - zwar abgewiesen wurde, dem aber immerhin über vier Mio. Deutsche ihre Zustimmung nicht versagten. Unter den leitenden Fragestellungen dieser Arbeit muß die Sonde jedoch tiefer angesetzt werden, genügt es nicht, auf den nur grob skizzierten Hintergrund und den generalisierenden Befund zu verweisen. Hier interessiert das konkrete Verhältnis von außenpolitischem Revisionismus und politischer Kultur Weimars in den je verschiedenen politischen und ideologischen Brechungen. Dazu sei eine Beobachtung vorausgeschickt: Es gab in der öffentlichen Meinung Weimars, was die Einschätzung der historisch-politischen Relevanz des Kriegsschuldproblems anbetraf, durchaus verschiedene Auffassungen, denen unterschiedlich starke Initiativen korrespondierten. Erst die im folgenden versuchte, ideologisch und temporal differenzierende Herausarbeitung der Haltung, welche die Träger der politischen Willensbildung - die Parteien und sonstigen politisch relevanten Gruppen - diesem Problem gegenüber einnahmen, vermag deshalb die Bedeutung der Kriegsschuldfrage für die deutsche Innenpolitik annähernd realitätsgerecht auszuloten und das bisland gezeichnete Bild weiter abzurunden. Auffallend ist dabei zunächst einmal das starke Engagement, mit dem sich der politische Liberalismus aller Schattierungen der Kriegsschuldproblematik annahm. Die Führungsspitze des ADV galt als DVP-orientiert, und in der ›Aufklärungsarbeit‹ der Berliner Organisation taten sich, wie die einschlägige Aktivität der »Heidelberger Vereinigung« und der VölkerbundLiga zeigt, eine Reihe namhafter liberaler Politiker, Publizisten und Wissen239 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

schaftler hervor. Die große Enquete der Nationalversammlung und des Reichstags - der Parlamentarische Untersuchungsausschuß für die Schuldfragen des Weltkriegs - wurde nach außen hin von DDP-Mitgliedern repräsentiert105, und es gab fast keinen parlamentarischen Antrag der DNVP in Sachen Kriegsschuld, auf den nicht unmittelbar ein entsprechender Antrag der liberalen Parteien folgte106. Schließlich hat auch der bürgerliche Pazifismus der Weimarer Zeit dieses Problem ungemein intensiv und kontrovers diskutiert107. Einen wichtigen Erklärungsgrund für diese erstaunliche Aktivität der Liberalen liefert sicherlich der starke Anpassungsdruck, der von den Rechtsparteien ausging. Weder die DDP noch die DVP verfugten über eine der klassenmäßig verbundenen Sozialdemokratie bzw. der religiös verklammerten Zentrumspartei annähernd vergleichbare Stammwählerschaft. Beide Parteien konkurrierten mit dem politischen Konservativismus um ein Wählerpotential, in dem das Revisionsverlangen besonders stark und die Disposition für aggressiv-nationalistische Zielvorstellungen weithin virulent waren. Fraglos besaß die durch die Präsidentschaft Schnees verkörperte volksparteiliche Prägung des ADV für die DVP den Charakter eines nationalen Alibis‹, mit dem man der in breiten bürgerlichen Kreisen nicht gerade populären Verständigungspolitik Strescmanns ein zumindest deklamatorisches Gegengewicht entgegenzusetzen beabsichtigte108. Andererseits erwies sich gerade die Außenpolitik als probates Integrationsmittel für die Partei, die eine Reihe von zum Teil äußerst gegensätzlichen wirtschaftlichen und politischen Interessen parlamentarisch zu vertreten hatte. Dies galt jedenfalls solange, wie Stresemann die Geschicke der DVP lenkte. Der Außenminister verstand es stets aufs neue, widerstreitende volksparteiliche Interessengruppen durch die Berufung auf außenpolitische Probleme zu innenpolitischen Kompromissen zu bewegen109. Für ihn fand die DVP ihre Identität nicht als demokratische oder konservative, sondern als nationale Partei. Immer dann, »wenn um nationale Fragen gerungen wurde«, wuchs sie, so Stresemann, zu wahrer »Größe und Höhe« heran. Patriotismus war mithin ihr Lebenselexier, politische Arbeit zugleich »vaterländische Pflicht«. An nationaler Gesinnung durfte sich die DVP deshalb »von niemandem übertreffen lassen«110. Der Kampf gegen die »Kriegsschuldlüge« war in diesem Zusammenhang die ›Probe aufs Exempel‹. Zwar handelte es sich bei der »Aufklärungsarbeit zur Wegräumung der Deutschlands Stellung in der Welt beeinträchtigenden Kriegsschuldlüge«, wie Heinrich Schnee in einer DVP-Publikation schrieb, um eine »Sache des ganzen deutschen Volkes«. Volksparteiler hatten aber nach Meinung des ADVPräsidenten in diesem »Kampf um Deutschlands Ehre . . . mit in vorderster Reihe« zu stehen111. Ganz ohne Zweifel suchten auch die Linksliberalen durch ihr Engagement in der Kriegsschuldfrage die nationale Glaubwürdigkeit der DDP unter Beweis zu stellen; bot sich hier doch die Chance, das der Partei von der 240 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

deutschen Rechten erfolgreich angehängte Odium mangelnden Nationalgefühls durch eine patriotische Rhetorik abzustreifen. Hinzu trat für die DDP ein besonderes innenpolitisches Interesse an der Kriegsschuldfrage. Die Partei, die sich als »eigentliche Verfassungspartei« und als zentripetales Element im deutschen Parteiensystem begriff112, sah in den überparteilichem Revisionsanstrengungen gerade auch des ADV einen Faktor der »innenpolitischen Gesundung«. Eine »Einheitsfront gegen Versailles«, so der liberale Historiker Wilhelm Mommsen in einem eigens vom ADV initiierten Diskussionsbeitrag, bedinge »das Kennenlernen der verschiedenen politischen Gruppierungen und die Entstehung des Bewußtseins, daß es trotz aller Gegensätze ein Volk ist, dem alle politischen Richtungen dienen«113. Mommsens Aussage verdeutlicht, daß die Abwehr der »Kriegsschuldlüge« im Bewußtsein vieler Demokraten nicht nur als legitimatorisches Unterfutter für den ›Rechtsanspruch‹ des Reiches auf Totalrevision des Versailler Vertrages verstanden wurde. Im gemeinsamen Kampf aller Deutschen um die Wiederherstellung der ›Ehre‹ des Vaterlandes hoffte man mindestens ebenso sehr eine emotionale Klammer gefunden zu haben, welche die vielfältig zerrissene Nation oberhalb aller Interessendivergenzen und politischen Widersprüche zusammenband. Gleichwohl ist zu konstatieren, daß sich die Mehrheit der Linksliberalen im Unterschied etwa zu den Deutschnationalen oder auch zu zahlreichen DVP-Mitgliedern in der Zeit der Stabilisierung Weimars von ihrer ursprünglichen Politik des moralischen Auftrumpfens in der Schuldfrage löste. Hatte der Parteivorstand noch im Oktober 1921 eine »starke Regierung« gefordert, die »der Erregung des Volkes einen feierlichen Ausdruck geben« könne114, lehnte man zwischen 1924 und 1928 eine »amtliche Reklamation der Kriegsschuldlüge« ab und gab der ›privaten‹ und wissenschaftlichen Prüfung des Problems den Vorzug. Die Partei vertrat jetzt die Ansicht, daß jede einschlägige Initiative des Reichskabinetts der deutschen Verständigungspolitik nur schaden würde, ohne im Ausland irgendeine positive Wirkung zu erzielten. Sie erklärte aber gleichzeitig, daß sie in Hinblick auf die alliierte Kriegsschuldthese an einer »gemeinsamen Kampffront« aller nationalen Kräfte festhalte115. Diese gemäßigte Haltung war Ausdruck eines außenpolitischen Lernprozesses, den man den Demokraten für die Mittelphase der Republik bescheinigen muß. Neben einer deutlich abgeklärteren Haltung in der Schuldfrage, die in etwa der Position der Wilhelmstraße entsprach, fand sich die DDP bereit, die noch 1919 scharf bekämpften territorialen Abtretungen des Reiches im Westen als irreversible Tatbestände anzuerkennen. Die ursprünglich erhobene Forderung nach massiver Unterstützung der deutschen Irredenta in den abgetretenen Gebieten war spätestens seit 1925 kein diskussionswürdiges Thema mehr, und die Wiedergewinnung der ehemaligen deutschen Kolonien wurde nur am Rande des Parteispektrums, vornehmlich in Kreisen hanseatischer Demokraten stärker diskutiert. Bemerkenswerterweise besaß selbst der Anschluß Österreichs an das Reich, die Vision vom »ganzen 241 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

Deutschland«, für die meisten Linksliberalen nach 1924 lediglich Fernzielcharakter116. Die dramatisch schwindenden Wähler- und Mitgliederzahlen der DDP nach 1928 änderten dieses Bild. Die Partei suchte nunmehr Anschluß an die rechten Kräfte im Parteienfeld. Im Juli 1930 schloß sie sich mit dem bündischen Jungdeutschen Orden zusammen, der mit seinen Balleien, Großkompturen, Ordenskanzlern und Großmeistern den Gegensatz zum parlamentarischen System und zu demokratischen Organisationsprinzipien bewußt stilisierte117. Von dieser Rechtsschwenkung blieben die außenpolitischen Vorstellungen natürlich nicht unbeeinflußt. Die Deutsche Staatspartei, wie sich die DDP nach ihrer Fusion mit dem Jungdeutschen Orden nannte, betonte jetzt wieder stärker ihre grundsätzliche Opposition gegenüber dem Versailler Vertrag und forderte mit Blick auf die Arbeit der Kriegsschuld- und Revisionsorganisationen, »unbekümmert um die Katastrophenpolitik der Rechten die demokratische und gerechte Proteststimmung des Volkes wachzuhalten[!]«118. Jürgen C. Heß hat in seiner Studie über den »demokratischen Nationalismus« der DDP zutreffend herausgearbeitet, daß nicht zuletzt durch solche Äußerungen eine scheinbare Zielgleichheit der Nationalismen suggeriert und ein Großteil vormals gemäßigter bürgerlicher Kräfte in die Arme der antidemokratischen Rechten getrieben wurde. Nach Heß hatten auch die Demokraten Anteil an der Mobilisierung der Unzufriedenheit mit dem außenpolitischen Status quo, die sich später in Form nationalistischer Opposition gegen die Republik und ihre Träger kehrte119. Symptomatisch hierfür ist das Programm der »Starken Außenpolitik«, das auf dem Gründungsparteitag der Staatspartei im November 1930 vorgestellt wurde. Darin wurde neben der grundsätzlichen Beseitigung jeglicher Reparationsverpflichtungen, der Korrektur der Ostgrenzen, dem Anschluß Österreichs und der Rückführung sämtlicher deutscher Kolonien insbesondere auch die Wiederherstellung der deutschen »Ehre« durch schleunigste Zurücknahme der »Lüge von der Alleinschuld Deutschlands« gefordert120. Betrachtet man das Engagement einzelner Parteimitglieder, so wird man dem katholischen Zentrum insgesamt eine größere Distanz gegenüber der in weiten Teilen der Weimarer Öffentlichkeit virulenten Kriegsschuldpsychose zugestehen müssen, als sie die Mehrheit der Liberalen an den Tag legte. Die voluminösen, von Rudolf Morsey bearbeiteten Protokolle der Zentrums-Reichstagsfraktion und des Fraktionsvorstands (1926 bis 1933) belegen nur für einen einzigen Fall die Beschäftigung dieser Parteigremien mit der Kriegsschuldfrage121. Zentrumspolitiker gehörten gemeinhin auch nicht zu den Protagonisten des Wegerer-Instituts und des ADV. Lediglich der viermalige Reichskanzler Marx als langjähriger Vorsitzender der »Gesellschaft für Erforschung der Kriegsursachen« bildete hier eine Ausnahme. Marx klagte denn auch darüber, daß bestimmte Kreise in seiner Partei »allzu wenig Sinn« für die Bedeutung des Kriegsschuldproblems aufbrächten und 242 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

nannte dabei insbesondere die Parteipresse und den Arbeitnehmerflügel des Zentrums122. Von dort war in der Tat einschlägige Kritik laut geworden. Die »Germania«, das Hausblatt des Zentrums, scheute nicht davor zurück, die wiederholten DNVF-Forderungen nach einem amtlichen Aufrollen der Kriegsschuldfrage scharf zu rügen und dieses Vorgehen als »deutschnationales Affektheldentum« zu geißeln. Wirklich nationales Interesse erfordere »taktvolle, delikate, diplomatische Behandlung der Kriegsschuldfrage, wenn nicht außenpolitischer Schaden angerichtet werden soll«133. Von der »aufklärenden Tätigkeit privater deutscher und neutraler Stellen« sei, so hieß es in einer offiziösen Zentrumspublikation, in jedem Falle mehr zu erwarten, als von entsprechenden Initiativen der Reichsregierung124. Überdies erspare, wie Georg Schreiber im politischen Handbuch über die »Grundfragen der Zentrumspolitik« feststellte, eine im deutschen Sinne befriedigende Lösung des Kriegsschuldproblems noch lange nicht die eigenständige Beschäftigung mit der Reparationsfrage, wie das die deutschnationale Propaganda der deutschen Bevölkerung glauben machen wolle125. Vereinzelt gab es im Zentrum sogar Stimmen, die auf die Gefahren hinwiesen, die der republikanischen Ordnung durch eine überzogene Kriegsschuldagitation erwachsen konnten. Für die Deutschnationalen sei - wie es in einem Schreiben eines besorgten Parteimitglieds an Marx hieß - die Frage der Kriegsschuld keine »sittlich-rechtliche Frage«, sondern ein taktisches Mittel auf dem Wege zu ihren antidemokratischen Zielen. Das Zentrum müsse deshalb klar von der DNVP abrücken, da es ansonsten in die Gefahr gerate, »Schlepperdienst« für die politische Rechte zu leisten126. Teile der katholischen Friedensbewegung maßen der einschlägigen deutschen ›Aufklärungsarbeit‹ ohnehin sekundäre Bedeutung bei. Sie plädierten statt dessen für eine stärkere Propagierung der Ideen des Völkerbunds in der deutschen Innenpolitik. Walter Dirks etwa war davon überzeugt, daß der Vorwurf der Alleinschuld dann eine formelle Korrektur erfahren werde, wenn Deutschland den Weg der Anerkennung der Tatsachen weitergehe und seinen Beitrag zum Werk der »wirklichen Befriedung Europas« nicht verweigere127. Solche Ansichten markierten jedoch auch in der Zentrumspartei eine Minderheitsposition. So wenig sich die durchaus national gesinnten Exponenten des Arbeitnchmcrflügels wie Adam Stegerwald mit ihrer Kritik an der Vor- und Kriegspolitik des kaiserlichen Deutschland zurückhielten128, so gern die »Germania« zuweilen die sonst in der bürgerlichen Presse sakrosankte Argumentation des ADV und des Wegerer-Instituts angriff, so strikt lehnte die Partei als Ganze die »Mär« von der Alleinschuld Deutschlands ab. Sie sah es als »selbstverständliche Ehrenpflicht« jedes Deutschen an, »bei jeder passenden Gelegenheit auf die Widerlegung der Lügen bedacht zu sein, die eine gewissenlose Hetze über uns verbreitet hat«129. Wie der Historiker Heinrich Lutz konstatiert, hielt sich gerade auch im politischen Katholizismus der Weimarer Zeit das Bewußtsein, »Opfer eines riesigen und unerträg243 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

lichen Unrechts« geworden zu sein. Maßlos entflammte nationale Leidenschaft führte dazu, daß der Respekt vor fremdem Recht eine »opportunistische Erweichung« erfuhr und man bereit war, »tiefste Eingriffe in die bürgerliche Rechtssphäre und die politischen Freiheitsrechte zu dulden, wenn nur das ›eine‹ Ziel erreicht würde: Sprengung der Fesseln des Diktats, Wiederaufstieg Deutschlands zum Morgenrot einer neuen Zeit«130. Analog zur Entwicklung in der DDP sollte sich diese Haltung mit dem Rechtsdruck des Zentrums zu Ende der 20er Jahre eher noch verstärken. Als exemplarisch dafür kann die Entschließung zur Kriegsschuldfrage gelten, die der »Gewerkverein Christlicher Bergarbeiter« am 7. September 1931 auf seiner in Essen stattfindenden Reichstagung verabschiedete. Die Bergarbeiter wandten sich dort »aus nationaler Selbstachtung und Interesse am Weltfrieden« gegen die »Kriegsschuldlüge«, auf der ihrer Ansicht nach der ganze Versailler Vertrag basierte, und forderten die »Beseitigung der durch den Versailler Vertrag verschuldeten Ursachen der wirtschaftlichen Krise«131. Die deutsche Sozialdemokratie132 bewahrte auf den ersten Blick einen weit größeren Abstand zum innerdeutschen Kriegsschuldsyndrom als alle übrigen republikanischen Parteien. Dies war sicherlich ein Resultat der in der Partei einhellig vertretenen Auffassung, daß für die militärische Eskalation der Julikrise weniger subjektive als vielmehr objektive Faktoren verantwortlich zeichneten. Die Mehrheit der Sozialdemokraten, gleichgültig ob sie sich dem linken oder dem rechten Parteiflügel zugehörig fühlte, sah im kapitalistischen System und im Imperialismus die eigentlichen Triebkräfte für den Ausbruch des Krieges. Führende SPD-Politiker maßen dem Kriegsschuldproblem auch schon deshalb keine überragende außenpolitische Bedeutung bei, weil nach ihrer Ansicht die deutsche Zahlungsverpflichtung nicht - wie von der DNVP behauptet - in der alliierten Kriegsschuldthese, sondern in der einfachen Tatsache begründet lag, daß Deutschland den Krieg verloren hatte und außenpolitisch nicht fähig war, die Reparationen auf ein »gerechtes und erträgliches Maß« zurückzuführen133. Die Zurückhaltung der Partei lag schließlich in der scharfen innenpolitischen Gegnerschaft begründet, mit der die SPD den Rechtsparteien gegenüberstand, die für gewöhnlich mit den Trägerorganisationen der offiziös gelenkten deutschen Kriegsschuldpropaganda kooperierten. Gruppen, die im innenpolitischen Raum gegen die SPD ständig mit dem Vorwurf der »nationalen UnZuverlässigkeit« operierten, waren in den Augen der Parteiund Fraktionsführung keine adäquaten Bündnispartner in revisionspolitischen Fragen. Bezeichnenderweise entzog sich die SPD denn auch den ›Einheitsfrontangeboten‹ des ADV und seiner Mitgliedsverbände. Deren Aktivität, so Hermann Müller in einem Schreiben an v. Montgelas vom 24. April 1922, trüge eindeutig einen »gemeingefährlichen nationalistischen Charakter«134. Gleichwohl blieb die deutsche Sozialdemokratie von der ›nationalen‹ Argumentation in Sachen Kriegsschuld nicht unberührt. Einerseits distan244 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

zierte man sich von der »Unschuldspropaganda« des ADV und der Zentralstelle, indem man eine schwere Mitverantwortung des Reiches am Kriegsausbruch konzedierte135 und sich dabei besonders auf die Politik des kaiserlichen Kabinetts in der Julikrise sowie auf den Einfall deutscher Truppen nach Belgien bezog, andererseits aber besaß der Versailler Vertrag auch für die SPD den Charakter eines in höchstem Maße ungerechtfertigten moralischen Verdikts der ehemaligen Kriegsgegner. In dieser Beziehung unterschied sich das Gros der Sozialdemokraten nicht im mindesten von den sonst in der öffentlichen Meinung Deutschlands vertretenen Ansichten. Es war noch einmal Müller, der diese doppelte Frontstellung im Februar 1928 zu einer bündigen These zusammenfaßte: Nur wer die »deutsche Mitschuld« anerkenne, so der Parteivorsitzende im theoretischen Organ der SPD, der »Gesellschaft«, der werde mit der Zurückweisung der alliierten Alleinschuldthese im Ausland Eindruck machen können136. Mithin propagierte auch die SPD den Kampf gegen die Alleinschuldthese, suchte aber wie in allen programmatischen außenpolitischen Äußerungen ihre Bündnispartner nicht im nationalen, sondern im internationalen Raum. Der internationale Sozialismus stelle, wie Breitscheid am 24. Juni 1929 im Reichstag formulierte, den »festen Boden« dar, von dem aus die deutsche Sozialdemokratie ihre Angriffe sowohl gegen »Kriegstreiber und Hetzer« als auch gegen die Ungerechtigkeit des Friedensvertrages richte137. Die Äußerungen Müllers und Breitscheids brachten die offizielle Haltung der SPD-Führung zum Kriegsschuldproblem zum Ausdruck. Auf den Parteiflügeln herrschten hierzu aber stark divergierende Auffassungen. Für die Parteirechte und für große Teile der Freien Gewerkschaften hatten die Alliierten das Reich in Versailles mit der Alleinschuld am Kriegsausbruch belastet, um freie Bahn zur Erreichung lange verfolgter imperialistischer Ziele zu erhalten. Hinter dieser Sichtweise trat bisweilen sogar die von Müller geforderte Kritik an den kaiserlichen Vorkriegs- und Kriegskabinetten zurück. Das »erpreßte Schuldbekenntnis«, schrieb die »Gewerkschaftszeitung«, das ADGB-Zentralorgan, am 19. Juni 1929, sei die Krönung des Propagandasystems der Alliierten in der Kriegszeit. Demgegenüber sei »der deutsche Militarist, der beim Friedensschluß von Brest-Litowsk frech-fröhlich mit der Säbelklinge auf der Tischplatte trommelte, . . . der letzte Ritter eines unmaskierten militärischen Eroberertums [und] in seiner Art achtbarer als Kriegsvater Poincaré und die anderen Tributkollektoren«138. Während die sozialdemokratische Rechte in aller Regel dazu neigte, die Rolle der kaiserlichen Kabinette in der Julikrise zu verharmlosen und den Unrechtscharakter des Versailler Friedens herauszustellen139, wandte sich die Linke gegen die ihrer Ansicht nach von der Parteiführung geförderte Tendenz, »die Frage der Kriegsschuld im Katzengrau einer allgemeinen Schuldhaftigkeit sich auflösen zu lassen«. Paul Levi machte zwar die durch den Kapitalismus geschaffenen politischen und sozialen Umstände für den Ausbruch des Weltkrieges verantwortlich, stellte aber ebenso unmißver245 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

ständlich klar, daß immer auch eine Person oder ein Personenkreis dazugehöre, um die im Schoße der Gesellschaft schlummernden Tendenzen aufbrechen zu lassen. Dies in der Julikrise bewirkt zu haben, war nach Levis Ansicht »das einzige und ausschließliche Verdienst oder Verbrechen« der deutschen Diplomaten und des deutschen Generalstabs140. Zu mehr als gelegentlicher Frontstellung gegenüber den in breiten Teilen der Öffentlichkeit virulenten Vorstellungen vermochte sich indes auch die marxistisch orientierte Parteilinke nicht aufzuraffen. Für sie scheint die innerdeutsche Kriegsschulddebatte letzten Endes eine Diskussion um Überbauphänomene und damit eine Quantité négligeable geblieben zu sein. Sie traf sich in dieser Ansicht mit der Parteiführung. Die SPD-Spitze pflegte sich zum Kriegsschuldthema nur dann zu äußern, wenn sie zuvor von der antirepublikanischen Rechten angegriffen worden war. Auf innerparteiliche Fingerzeige reagierten die Parteiführer hingegen nicht. Exemplarisch deutlich wird dies an der Resonanz auf das im Jahr 1924 erschienene ›Kriegsschuldbuch‹ Walter Fabians. Fabians Schlußfolgerungen, die der deutschen Regierung von 1914 einen »entscheidenden Teil« der Verantwortung für den Ausbruch des Weltkrieges zusprachen141, wurden zwar in der konservativen Publizistik und selbst im AA heftig diskutiert, die Parteiöffentlichkeit nahm von den Thesen ihres linkspazifistischen Flügelmannes jedoch so gut wie keine Notiz142. Ähnlich wirkungslos blieben die Hinweise Wendeis auf den engen Zusammenhang von Dolchstoßlegende und Kriegsschuldpropaganda143 sowie die hellsichtigen Warnungen Mierendorffs, welcher der »Schuldfragenbewegung« vorwarf, mit dem Art. 231 Mißbrauch zu treiben und den republikanischen Parteien eindringlich riet, sich »endlich von der nichts als auf Demagogie eingestellten Agitation der Rechten zu trennen«144. Lediglich in der etwas entlegenen »Glocke«, der Zeitschrift Alexander Parvus-Helphands, eines der wohl schillerndsten und umstrittensten Sozialdemokraten der Vorkriegs- und Kriegszeit145, ergaben sich Ansätze zu einer Kriegsschulddebatte. In den Jahren 1920 bis 1924 kamen die Kritiker der einschlägigen deutschen Propaganda wie Bernstein und Wendel ebenso zu Wort wie die Apologeten des ›Revisionsfeldzuges‹ Delbrück und v. Wegerer. Eine Diskussion zwischen den Parteiflügeln, die zu einer Klärung des Problems innerhalb der SPD hätte beitragen können, entwickelte sich jedoch nicht146. Desgleichen unterblieb eine kritische Reflexion der politischen Voraussetzungen und Folgen des Schlagwortes von der alliierten »Kriegsschuldlüge«. Ungeachtet aller besonders im Dialog mit den europäischen Schwesterparteien geäußerten Kritik147 an der Vorkriegs- und Kriegspolitik der wilhelminischen Eliten, nahm die Parteiführung hier offenbar Rücksicht auf die nationale Empfindlichkeit der deutschen Öffentlichkeit148 und vor allem auf entsprechende Sprachregelungen der offiziellen deutschen Außenpolitik149, der die SPD bekanntlich ihre parlamentarische und publizistische Zustimmung so gut wie nie versagte. Insbesondere letzteres dürfte 246 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

ausschlaggebend dafür gewesen sein, daß die Abgrenzungsbemühungen gegenüber dem ADV und der Zentralstelle150 so defensiv bestimmt waren und deshalb folgenlos blieben. Die SPD unternahm im positiven Sinne nichts, um den deutschen Arbeitern »klaren Wein« über die Verantwortlichkeit am Weltkrieg einzuschenken151. Bernstein hat diese Politik »selbstmörderisch« genannt und sein Urteil in einem Schreiben an Kautsky vom 26. Juli 1924 wie folgt begründet: »Unsere Leute sind dem Kriegsschuldmaterial, mit dem die Nationalisten die wachsende Menge ihrer Hörer bearbeitet, beinahe waffenlos ausgeliefert. Denn das früher ins Spiel gebrachte Material reicht ihm gegenüber nicht mehr aus. Von der These aus, daß das kaiserliche System nicht allein schuld am Kriege sei, die sie dann mit bequemer Dialektik in »überhaupt nicht schuld‹ umdeuten, ist es leicht, den Massen plausibel zu machen, daß das Kaisertum zu Unrecht gestürzt worden und die ›Judenrepublik‹ und ihre Erfüllungspolitik an allem Übel schuld seien, unter dem Deutschland leide«152. In der Weltwirtschaftskrise versiegte die sozialdemokratische Kritik an der Behandlung des Kriegsschuldproblems in der deutschen Öffentlichkeit gänzlich. Selbst ein ehemaliges USPD-Mitglied wie Breitscheid äußerte sich jetzt mit unverkennbarer Vorsicht zu dieser Frage. Breitscheid, der im Frühjahr 1919 mit großer Entschiedenheit einen Staatsgerichtshof für die deutschen ›Kriegsschuldigen‹ gefordert hatte153, sprach nun im Reichstag nur noch sehr vage von »einer Schuld der Fahrlässigkeit und der Leichtfertigkeit in der Behandlung internationaler Fragen« und befand: »Deutschland, auch die alte deutsche Regierung, trägt nicht die Alleinschuld am Kriege, alle die alten Regierungen sind mitschuldig an diesem Kriege«154. Der außenpolitische Sprecher der SPD stellte damit entgegen der einhelligen USPD-Ansicht aus den Anfangsjahren der Republik die Kriegsverantwortlichkeit des Kaiserreichs auf eine Stufe mit der Kriegsverantwortlichkeit der Ententemächte. Zu Beginn der 30er Jahre ging die Gesamtpartei analog zur allgemeinen Richtung der deutschen Außenpolitik auch in der Reparationsfrage zu einer härteren Gangart über und stellte dabei besonders den Art. 231 heraus155. Theodor Leipart, der Vorsitzende des ADGB, schrieb am 31. Dezember 1931 im »Vorwärts«, der Versailler Vertrag und besonders die alliierten Reparationsforderungen hätten die Weltwirtschaftskrise »unheilvoll« verschärft, wenn sie nicht geradezu als die »entscheidenden Ursachen« des globalen ökonomischen Niedergangs anzusehen seien156. Einen Erklärungsansatz für den Umfang der deutschen Zahlungsverpflichtungen hatte der SPD-Vorsitzende Lipinski bereits ein halbes Jahr zuvor auf dem Leipziger Parteitag 1931 unter dem großen Beifall der Delegierten geliefert. Für Lipinski lag die Schwere der Reparationen in der alliierten Behauptung begründet, »daß Deutschland die Alleinschuld am Kriege trage«157. Damit war die SPD offiziell und entgegen allen früheren Äußerungen, in 247 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

denen die Frage der Kriegsverantwortung immer von den materiellen Inhalten des Versailler Vertrages getrennt worden war, auf die von der antirepublikanischen Rechten schon seit Beginn der 20er Jahre beharrlich propagierte Interpretation des Art. 231 eingeschwenkt, die in der »Kriegsschuldlüge« den Dreh- und Angelpunkt des gesamten Friedensvertrages sah158. Die Parteimehrheit realisierte in diesem Zusammenhang nicht, daß der Griff in das nationalistische Argumentationsarsenal die schon in der Vorkriegszeit virulenten außenpolitischen Feinbilder bestätigte und der antirepublikanischen Rechten in die Hände arbeitete, die mit ihren Modellen einer nach außen hin formierten Gesellschaft autoritären und antisozialistischen Zuschnitts längst den Kampf gegen die Weimarer Demokratie aufgenommen hatte. Mahnende Stimmen wie die des linken Sozialdemokraten Kleineibst, der vor dem Leipziger Parteitag auf die Affinität zwischen sozialdemokratischer und reaktionärer bzw. nationalsozialistischer Kriegsschuldargumentation hinwies und der Partei in diesem Zusammenhang davon abriet, in die Kampagne gegen die »Kriegsschuldlüge« einzuschwenken, weil dadurch das »Gerechtigkeitsgefühl der Jugend, . . . daß wir sozial und politisch auszunützen hätten«, in die falschen Bahnen gelenkt würde, wurden von der Parteimehrheit als Provokation empfunden159. Vor dem Hintergrund der »nationalistischen Psychose«, die nach dem Bekunden Hilferdings in der Endphase der Weimarer Republik bei vielen sozialdemokratischen Führern und besonders im Umkreis der Freien Gewerkschaften Platz gegriffen hatte160, war an eine nüchtern-kritische Behandlung des Kriegsschuldproblems nicht mehr zu denken. Die Weimarer Sozialdemokratie hatte der bürgerlichen Kriegsschuld-und Revisionsidcologie mithin nicht übermäßig viel entgegenzusetzen. Dies gilt

besonders für die Zeit der Weltwirtschaftskrise, in der sich unverkennbar nationalistische Töne in der SPD breit machten und das in den 20er Jahren entwickelte, auf eine internationale kollektive Friedensordnung fixierte Konzept des »realistischen Pazifismus«161 mehr und mehr in den Hintergrund trat. Doch stellte selbst der Internationalismus, den die Partei in der Stabilisierungsphase der Republik vertrat, nicht viel mehr als eine programmatische Leerformel dar. In allen wichtigen außenpolitischen Fragen unterstützte die SPD beinah rückhaltlos den Revisionskurs Stresemanns, der trotz aller unbestreitbar verständigungspolitischen Elemente von relativ engen nationalen Zielsetzungen bestimmt war. Hilferding hat dies mit bedauerndem Unterton bereits auf dem Berliner Parteitag von 1924 herausgestellt. Rückschauend konstatierte er dort, »daß wir unter dem Zwang der Außenpolitik in einer Front kämpfen mußten, die nicht die unsere war, daß wir, um ärgeres politisches Elend abzuwenden, Bundesgenossen suchen mußten, die sonst nicht unsere Bundesgenossen sein können . . . Wenn außenpolitisch etwas getan werden mußte, was der nationalistischen Demagogie unbequem war, erging der Ruf an die Sozialdemokratie. Wir haben gewußt, daß es uns als Partei schaden würde und sind doch hineingegangen und 248 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

haben eine Politik getrieben, von der wir wußten, daß viele Schichten sie nicht verstehen werden. Wir taten es in der Überzeugung, daß wir durchhalten müssen, bis diese Politik Erfolg gehabt hat, weil wir erst dann freie Bahn für die eigentlichen Aufgaben des Sozialismus bekommen.«162 Die SPD betrieb de facto, um einen zeitgenössischen Kritiker zu Wort kommen zu lassen, Außenpolitik im »Anhängerwagen des gemäßigten deutschen Bürgertums«. Gustav Warburg, von dem diese durchaus treffende Bemerkung stammt, machte in einem Artikel, den er im Jahre 1931 für die »Neuen Blätter für den Sozialismus« verfaßte, auf die fatalen innenpolitischen Konsequenzen einer solchen ›Realpolitik‹ aufmerksam. Damit werde die »Parole Revision«, mit der sich große Teile des Bürgertums die Zustände der Vorkriegszeit zurückwünschten, allzu kritiklos von der SPD übernommen und nicht deutlich genug herausgestellt, daß sich der sozialistische Revisionsbegriff keineswegs auf das Europa von 1914, sondern auf ein neues »vom Gemeinschaftsgeist getragenes Europa« beziehe163. Es muß nicht näher erläutert werden, daß das halbherzige Schwanken der SPD zwischen nationaler ›Realpolitik‹ und deklamatorischem Internationalismus, zu dem im übrigen auch die Parteilinken mit ihrer strikten revisionspolitischen Verweigerungshaltung keine realitätsgerechte Alternative zu bieten hatten164, Wasser auf die Mühlen der antirepublikanischen Propaganda von rechts leitete. Dort wurde der Attentismus der Partei in der Kriegsschuldfrage als anationale Haltung abqualifiziert. Wie der DNVP-Abgeordnete Rademacher am 19. Juni 1929 im Reichstag ausführte, habe die SPD im Jahre 1919 die »Schuldlüge« auf Deutschland genommen, weil ihr Haß gegen das alte System »stärker war als die Treue zum neuen Vaterland«165. Überhaupt verstand man es in den Reihen der DNVP glänzend, die alliierte Kriegsschuldthese für die eigenen politischen Zwecke auszunützen. Die jeweiligen Ziele erfuhren dabei jedoch im Laufe der Zeit eine charakteristische Gewichtsverschiebung. Die einschlägigen Forderungen, die noch während der Dawes-Plan-Verhandlungen bzw. im Vorfeld des LocarnoVertrages als Sprengsatz für den verständigungspolitischen Kurs Stresemanns gedacht und damit primär außenpolitisch motiviert waren bzw. der Ablenkung von innerparteilichen Querelen dienten, richteten sich zu Ende der 20er Jahre verstärkt auf die Desavouierung der demokratischen Ordnung und ihrer Träger. Gouvernementale Deutschnationale wie Hoetzsch, denen es mit ihrem politischen Glaubensbekenntnis »erst Außenpolitik, dann Innenpolitik, erst Volk und sein Staat, dann die Klasse und das einzelwirtschaftliche Interesse«166 ernst war, standen in dem sich radikalisierenden Spektrum der deutschen Rechten zunehmend auf verlorenem Posten. Der Gedanke, »es müsse erst noch schlimmer, ja ganz schlimm werden, bevor es besser wird«, setzte sich in der DNVP immer stärker durch. Diejenigen, die wie Hoetzsch und Westarp der Spekulation entschieden entgegentraten, »daß aus dem Aschenhaufen der Phoenix entstehen« werde 167 , verließen resigniert die Partei. Ihr Plädoyer für die »staatspolitische 249 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

Gemeinschaftsarbeit« und den »friedlichen Wettstreit der Bekenntnisse«168 wurde von vielen Deutschnationalen als nicht mehr zeitgemäß empfunden. Damit war auch das Schicksal der von der Wilhelmstraße seit 1921 nicht ohne Erfolg propagierten »innenpolitischen Einheitsfront gegen Versailles« besiegelt. Es war kein Zufall, daß die DNVP schon im Dezember 1928 und dann wieder im Februar 1931 dem Reichstag Gesetzesentwürfe vorlegte, die das Verbreiten von Artikeln und Literatur unter Strafe stellten, welche die »Lüge von der deutschen Kriegsschuld« auch nur im entferntesten stützten169. Nicht zufällig enthielten die »Freiheitsgesetze«, der Kern des YoungPlan-Volksbegehrens, die gleiche Tendenz, nur daß hier die Strafandrohung für den Fall bestimmter außenpolitischer Handlungen die Repräsentanten des Weimarer Staates mit der bezeichnenden Ausnahme des Reichspräsidenten traf. Spätestens seit diesem Volksbegehren, der, wie Hugenberg es nannte, ersten großen nationalen Offensive gegen das »Machtgebäude des Marxismus«170, entwickelte sich der Topos von der »Kriegsschuldlüge« zu einem der meistgebrauchten Propagandaschlagworte der antiparlamentarischen Rechten. Die Aktivisten der »Nationalen Opposition« gebrauchten ihn dabei zugleich als Agitations- und Integrationsformel. Der Massenmobilisierungseffekt wurde zunächst sogar als zweitrangig angesehen. Einer vertraulichen Erklärung der »Vaterländischen Verbände« vom 27. November 1927 zufolge, kam es anfangs stärker darauf an, »einmal wenigstens in der Sache alle großen nationalen Gruppen und Vereinigungen zu einem gemeinsamen Vorgehen zu bringen«171. Das Kriegsschuldproblem erschien dem alldeutsch orientierten Verband für diesen Zweck besonders geeignet. Maßgebende Rechtskräfte erkannten durchaus den Wert der ›Aufklä-

rungsarbeit‹, die von der offiziösen Kriegsschuldpropaganda geleistet wurde. Das zeigt sich an der Reaktion des Stahlhelm auf die Kritik des alldeutschen Hamburger »Fichte-Bundes« am ADV172. Der »Bund der Frontsoldaten« hielt gegen alle Angriffe auf den »marxistisch beeinflußten« Arbeitsausschuß an der losen Kooperation mit der Berliner Organisation fest. Die Begründung, die der Stahlhelm-Bundeskanzler Wagner dafür gab, macht den instrumentellen Charakter, den der ADV in den Augen der militanten Rechten besaß, exemplarisch deutlich. Sie soll deshalb im folgenden ausführlicher zitiert werden: »Der Ausschuß mag«, so Wagner in einem Schreiben vom 6. November 1931 an das Stahlhelm-Landesamt Nordmark, »in vielem, da vom Staate unterstützt, weicher sein und nicht so in unserer Linie liegen. Das ist richtig. Aber er hat aus demselben Grunde in vielem eine größere Reichweite und kann uns in mancher Einzelheit nützliche Hilfsarbeit leisten, zumal die Erkenntnis von der tatsächlichen Unhaltbarkeit des Versailler Vertrages in allen Kreisen zunimmt, sogar auch in der jungen Sozialdemokratie. Eine Einwirkung in unserem Sinne ist daher über den Ausschuß oft bis in Kreise hinein möglich, in die wir sonst nicht hineingelangen würden«173. 250 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

Der Unfähigkeit konservativ-reaktionärer Gruppierungen, in der Kriegsnicderlage etwas anderes zu sehen als die demütigende Zerstörung berechtigter nationaler Hoffnungen, entsprach auf Seiten der zumeist jüngeren Vertreter des Neokonscrvativismus und Nationalsozialismus die totale Verweigerung jeglicher auch nur annähernd rationalen Beschäftigung mit der jüngsten deutschen Vergangenheit. In dieser »Flucht in den Mythos« des im Feld unbesiegten, von Wilson hintergangenen und von den »Novemberverbrechern« schmählich verratenen Deutschland manifestierten sich durchaus existentielle Bedürfnisse und Sehnsüchte174. Hier kam, wie Annelise Thimme treffend festgestellt hat, das Dilemma autoritärer Menschen in einer für sie autoritätslosen Zeit sinnfällig zum Ausdruck175. Die absolute Identifikation mit dem Vaterland, eine besonders in der bürgerlichen Jugend Weimars weitverbreitete Haltung, wirkte als Palliativ für die offenkundigen materiellen und psychischen Mangelgefühle. Die völlige Konfusion aller Werte und Vorstellungen, Haß und Trauer über Kriegsniederlage und verlorene Staatsautorität konnten dadurch kompensiert werden176. Die Realitätsverleugnung wurde zu einem der tragenden politischen Prinzipien des neokonservativ-nationalsozialistischen Spektrums. Dies traf auch und gerade auf die Behandlung der »Ehrenpunkte« zu. Für die Nationalsozialisten etwa war jeder, der den Begriff Kriegsschuld auch nur verwandte, bereits ein »Schuldlügner« (»denn wir kennen nur eine Kriegsschuldlüge«)177. Er war damit entweder ein Schwächling oder ein Feind des Vaterlandes. Beide galt es mit allen Mitteln zu bekämpfen. Im Falle der NSDAP verbanden sich politischer Irrationalismus und zweckrationale innenpolitische Instrumentalisierungsabsichten zu einer untrennbaren Einheit. Wie der NSDAP-Abgeordnete Eveling am 30. November 1929 im Reichstag bekannte, half der Topos von der »Kriegsschuld--ge« die Wahrheit über die Revolution und über die gesamte republikanische Staatsordnung aufzudecken, wobei »das System durch seine Dccouvrierung in der nützlichsten Weise geholfen habe«178. Speziell den bürgerlichen Parteien warfen die Nationalsozialisten vor, den Kampf gegen Versailles bislang ausschließlich mit »schönen Redewendungen« geführt zu haben. Die einzige Möglichkeit, die Schuldfrage aufzurollen, lag ihrer Ansicht nach darin, »daß die ganze Politik, die seit Versailles in Deutschland getrieben wird und die auf dem Boden der Schuldlüge steht, aufhört und durch eine ersetzt wird, die nicht auf dem Boden der Schuldlüge steht«179. Die KPD gerierte sich seit 1928/29 in außenpolitischen Fragen mindestens ebenso radikal wie die NSDAP, der sie sogar den Verrat nationaler Interessen unterstellte und etwa vorwarf, das Selbstbestimmungsrecht der Südtiroler an den italienischen Faschismus verraten zu haben180. Der »Versailler Raubfrieden« und der Young-Plan standen im Mittelpunkt der Bemühungen, die unbestreitbar hohe Werbekraft nationalistischer Parolen für die eigenen politischen Zielsetzungen auszunützen. Es kam den Kommunisten besonders darauf an, kleinbürgerliche und proletarische Wählerschichten, 251 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

die durch die Weltwirtschaftskrise sozial verunsichert und radikalisiert worden waren, politisch aber noch schwankten, durch eine zugleich antikapitalistische und nationale Propaganda auf ihre Seite zu ziehen. Beschworen wurde das Feindbild einer unheiligen Allianz zwischen der deutschen Bourgeoisie und dem westeuropäischen bzw. nordamerikanischen Kapital. Regierung und Wirtschaft in Deutschland wurde vorgeworfen, mittelfristig die alliierten Reparationen- hier besonders die Lasten des Young-Plans-auf die Werktätigen abzuwälzen und langfristig »die Liquidierung des Versailler Vertrages sowie die Durchsetzung der Ansprüche des deutschen Imperialismus bei der Neuaufteilung der Welt auf dem Wege der Beteiligung an einem Interventionskrieg gegen die Sowjetunion« anzustreben181. Von den Siegermächten des Weltkriegs wurde besonders Frankreich angegriffen. Folgerichtig verurteilte man die Westorientierung Stresemanns scharf, während man in Übereinstimmung mit der Politik Stalins und der Komintern einer stärkeren Anlehnung Deutschlands an die Sowjetunion das Wort redete182. Der Kriegsschuldfrage selber kam in der Propaganda der KPD so gut wie keine Bedeutung zu. Unter dem Motto, »nicht das besiegte Volk, sondern die Kapitalisten aller Länder sind die wahren Kriegsschuldigen«, wurden die deutschen Bemühungen auf diesem Gebiet als »nationaler Theaterdonner« abgetan183. Jedes nähere Eingehen auf dieses Problem erschien nicht lohnenswert. Von daher erklärt es sich, daß die KPD-Abgeordneten in den Reichstagsdebatten um den Young-Plan und das gleichnamige Volksbegehren nicht ein einziges Mal auf die ansonsten heftig diskutierte »Kriegsschuldlüge« eingingen184. Die Fixierung auf die Vergangenheit, die den deutschen Revisionismus ansonsten charakterisierte, ist mithin in der kommunistischen Anti-Versailles-Agitation nicht zu beobachten. Das hatte einsichtige Gründe: Zum einen konnte es nicht im Interesse der KPD liegen, die Träger der deutschen Vorkriegs- und Kriegspolitik gewissermaßen nachträglich zu exkulpieren, zum anderen neigten die Kommunisten aus ideologischen Gründen dazu, den Ausbruch des Weltkriegs ausschließlich auf die strukturbedingte Militanz des weltumspannenden Vorkriegsimperialismus zurückzuführen und darüber den persönlichen Anteil einzelner Politiker und Militärs sowie die Bedeutung bestimmter Einzelereignisse im Kontext der Kriegsentstehung zu vernachlässigen. Trotz ihrer Abstinenz in Sachen »Kriegsschuldlüge« dürfte die kommunistische »Befreiungspropaganda« insgesamt jedoch nicht unerheblich zur Radikalisierung des deutschen Revisionismus beigetragen haben, zwang sie doch die »Nationale Opposition« zu einer noch deutlicheren Sprache. Zumindest aber hatte sie die Tendenz, radikale nationalistische Aspirationen in KPD-nahen Wählerschichten hoffähig zu machen und damit die Berechtigung der einschlägigen Propaganda von rechts indirekt zu bestätigen. Es blieb sicherlich nicht ohne Einfluß auf das Bewußtsein der eigenen Klientel, wenn die KPD den Young-Plan zur »Achse des Klassenkampfes in Deutsch252 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

land« erklärte und - wie am 24. August 1930 geschehen - für den Fall ihrer revolutionären Machtübernahme verhieß: »Wir werden den räuberischen Friedensvertrag und den Young-Plan, der Deutschland knechtet, zerreißen und alle internationalen Schulden und Reparationszahlungen, die den Werktätigen Deutschlands durch die Kapitalisten auferlegt sind, annullieren.«185

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Schlußbetrachtungen Für eine abschließende Bewertung des Kriegsschuldproblems im Kontext der innenpolitischen Entwicklung Weimars erscheint es angebracht, auf die Ergebnisse zurückzugreifen, die Manfred Salewski in einer komprimierten Analyse des zeitgenössischen deutschen Revisionismus gewonnen hat1. Wie Salewski zutreffend herausarbeitet, darf das Fehlen eines fundamentaldemokratischen Konsensus, der zusammen mit der politischen und sozialen Heterogenität der Parteien und gesellschaftlichen Gruppen zu den wesentlichen Strukturdefiziten der ersten Deutschen Republik zählt, nicht den Blick darauf verstellen, daß es ungeachtet aller Klassenkonflikte und politischen Unversöhnlichkeiten eine gemeinsame Grundeinstellung gab, die in der Weimarer Öffentlichkeit von links bis rechts geteilt wurde: Es handelte sich um die Überzeugung, daß der Versailler Vertrag von Grund auf revidiert werden müsse. Ganz in diesem Sinne konstatierte etwa das sozialdemokratische »Freie Wort« im Jahre 1930, daß Meinungsverschiedenheiten in der Revisionsfrage vom »Vorwärts« bis zum »Völkischen Beobachter« eigentlich nur in taktischen Fragen bestünden, daß sich aber alle Deutschen über die unbedingte Notwendigkeit einer weitgehenden Revision einig seien2. Diese Überzeugung war während der Versailler Friedensverhandlungen gewachsen. Der alliierte Schuldvorwurf und dessen weit überzogene Interpretation in Deutschland verliehen ihr eine Aura moralischer Rechtmäßigkeit, vor der die Stimmen derjenigen, die für nationale Mäßigung eintraten, und die, wie Eisner und Bernstein einer Politik der ›vertrauensbildenden Maßnahmen‹ das Wort redeten, wirkungslos verhallten. Die realitätsblinde Informationspolitik der personell weitgehend unverändert gebliebenen Reichsämter determinierte im Frühjahr 1919 das außenpolitische Denken der neuen republikanischen Führungsschichten, die sich ohnehin nur schwer von den in der Vorkriegs- und Kriegszeit entstandenen Feindbildern zu lösen vermochten. Die Verantwortung der Friedensstrategie Brockdorff-Rantzaus für die Eskalation der Kriegsschulddiskussion in Versailles geriet dabei ganz aus dem Blickfeld. Die nationalistisch-imperialistischen Tendenzen des wilhelminischen Deutschland lebten kaum gezügelt in der Weimarer Republik fort; der außenpolitische Autismus des Kaiserreichs erfuhr durch Versailles eher noch eine Verstärkung. Biographien und Memoiren gerade auch demokratischer und sozialdemokratischer Politiker und Wissenschaftler enthalten zahllos Hinweise auf die überschäumenden Wogen der Empörung, welche die berühmt-berüchtigte Mantelnote in Presse und Politik hervorrief3. Mit einem Schlage schwanden dort alle Hoffnungen, die trotz (oder gerade wegen) der außer254 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

gewöhnlichen Härte der Waffenstillstandsbedingungen im »Traumland«4 der unmittelbaren Nachkriegsperiode aufgekommen waren. Die euphorischen Spekulationen auf Bewahrung des territorialen Bestandes der Kerngebiete des deutschen Nationalstaats, die Hoffnungen auf freie wirtschaftliche Entfaltung des Reiches und die Illusion einer politischen Gleichberechtigung Nachkriegsdcutschlands wichen nunmehr einer tiefgreifenden Depression5. Doch scheint es hier einen bezeichnenden Unterschied in der Perzeption der deutschen Ober-und Unterschichten gegeben zu haben. In der Bevölkerung selber hielt sich die Protesthaltung offensichtlich in Grenzen. Führende DDP-Politiker zeigten sich geradezu betroffen über den »Mangel an moralischem Widerstand in unserem Volke«. Friedrich Naumann konstatierte am 8. Juni 1919, daß die Bevölkerung im ganzen ein »absolutes Bedürfnis nach Ruhe, Ernährung und Arbeit« habe und sich daher von ihr ein »unglaublicher Friede« erzwingen lasse6. Es war deshalb keineswegs eine Selbstverständlichkeit, daß sich die Anti-Versailles-Stimmung allmählich in allen Schichten des deutschen Volkes zu einem Syndrom verdichtete. Nur stokkend kam anfangs die deutsche Agitation gegen den Friedensvertrag in Fluß. Massive staatliche Unterstützung war hierzu notwendig. Vor allem mit Hilfe des Auswärtigen Amtes und einer Reihe weiterer Reichsämter entwikkelte sich eine Kriegsschuld- und Revisionspropaganda, die alle entsprechenden Anstrengungen der ehemaligen Kriegsgegner bei weitem übertraf und die politische Kultur Weimars nachhaltig beeinflußte. Hinter dieser Propaganda stand von Anfang an ein rationales revisionspolitisches Kalkül. Das nicht nachlassende Bombardement der internationalen Öffentlichkeit mit angeblichem Aufklärungsmaterial über Kriegsentstehung und Kriegsverlauf sollte das Verständnis für das Recht Deutschlands auf eine grundlegende Revision des Versailler Vertrages weltweit herbeizwingen. Die innerdeutsche »Revisionsbewegung«, die - quer zu allen Klassenfronten und politischen Gegensätzen - Sozialdemokraten und Deutschnationale zu einigen versuchte, sollte korrespondierend dazu den ›Rechtsstandpunkt‹ der offiziellen deutschen Außenpolitik plebiszitär abstützen. Doch in Paris, Brüssel und London wußte man nur zu gut, daß die deutsche Forderung nach »Aufrollung« der Kriegsschuldfrage die prinzipielle Nichtanerkennung der 1919 entstandenen Friedensordnung implizierte, so deklamatorisch sie auch immer gemeint war und so sehr sich das AA bemühte, sie hinter die jeweils für dringlich erachteten materiellen Revisionsforderungen zurückzustellen. Oft genug hatten vor allem die Parteien der Rechten die Kriegsschuldartikel als Basis des Versailler Vertrages interpretiert und darauf ihre Revisionsforderungen begründet. Entsprechend erfolglos war die deutsche ›Aufklärungsarbeit‹ im Ausland. Sie löste zwar keine längerfristigen außenpolitischen Friktionen aus, erwies sich aber im diplomatischen Verkehr eher als hinderlich. Neben dieser außenpolitischen Funktion besaß die amtliche ›Kriegs255 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

schuldstrategie‹ von vornherein eine innenpolitische Stoßrichtung. Das Engagement der Wilhelmstraße diente immer auch der Abschirmung des offiziellen außenpolitischen Kurses gegenüber der antirepublikanischen Rechten. Hier waren durchaus Erfolge zu verzeichnen. Bis in die Auflösungskrise der Republik hinein gelang es, erhebliche Teile des nationalistischen Spektrums in der Agitation gegen die »Kriegsschuldlüge« auf einer mittleren Linie zu halten. Der für die Rechte um Hugenberg und Hitler insgesamt enttäuschende Ausgang des Young-Plan-Volksbegehrens, das wegen seiner einseitigen Ausrichtung auf die Kriegsschuldfrage auch in sonst sympathisierenden bürgerlichen Kreisen auf Skepsis stieß, legt davon beredt Zeugnis ab. Für die Weimarer Demokratie war es jedoch ein Pyrrhussieg, den die Wilhelmstraßc errang. Bestimmte entspannungsfeindliche Grundpositionen verfestigten sich in der deutschen Öffentlichkeit. Die Ergebnisse der im wesentlichen vom Wegerer-Institut getragenen deutschen Kriegsursachenforschung suggerierten - wissenschaftlich verbrämt - die Unschuld des Reiches am Kriegsausbruch, und die Propaganda des ADV konzentrierte sich allein auf die revisionistischen Aspekte in der Außenpolitik Stresemanns. Daß sich der deutsche Außenminister im Laufe der Zeit immer weiter von jeder nationalistischen Egozentrik entfernte, die die deutsche Außenpolitik seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert prägte, wurde hingegen nicht rezipiert. Der verständigungs- und entspannungsbereite Kurs, den Stresemann nach 1924 einschlug, wurde als mehr oder weniger taktisches ›Übel‹ begriffen. Die Zielperspektive einer allein von deutschen Interessen diktierten Revision des Versailler Vertragssystems schien dadurch nicht grundsätzlich berührt. Hier rächte sich, daß auch Stresemann stärker auf politische Manipulation als auf politische Überzeugung vertraute und daß sich der D VP-Politiker bei der innenpolitischen Durchsetzung seiner Außenpolitik weniger auf Parlament und Parteien als auf demokratisch nicht legitimierte und zumeist rechtsorientierte Verbände und Organisationen bzw. einflußreiche Politiker stützte. Peter Krüger hat dazu festgestellt, daß »trotz der konservativen Grundstruktur des Auswärtigen Amtes in dessen Spitzen der Ausgleich zwischen einer parlamentarischen Orientierung bzw. dem Rechnen mit parlamentarischen Größen und außenpolitischer Haltung, Konzeption, Durchführung und Organisierung des äußeren Dienstes usw. im Sinne der damaligen Möglichkeiten überraschend gut geglückt ist«7. Die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit lassen an dieser These zweifeln. Gerade in ihren Methoden war die Politik des Auswärtigen Amtes noch weit von den Prinzipien demokratischer Außenpolitik entfernt. Die ›Kriegsschuldstrategie‹ der Wilhelmstraßc und das Verhalten, das ihre Repräsentanten gegenüber dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuß an den Tag legten, konnten die Handschrift von Beamten nicht verleugnen, die im Kaiserreich ausgebildet worden waren und für die Parlament und Parteien eher Störfaktoren im außenpolitischen Entscheidungsprozeß darstellten. 256 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

Die bürgerlich-republikanischen Parteien haben sich nicht nur tatkräftig an der Kampagne gegen Versailles beteiligt, sondern diese mit begründet und zu erheblichen Teilen auch personell wie institutionell getragen. Diese Feststellung gilt verstärkt für Rechts- und Linksliberale. Mitglieder des Zentrums griffen demgegenüber nur selten aktiv in die einschlägigen Diskussionen ein, wenngleich auch sie vom Unrechtscharakter des Friedensvertrages überzeugt waren. Im Bewußtsein vieler DVP- und DDP-Politiker besaß der Kampf gegen die »Schmachparagraphen« eine gleichermaßen innen- wie außenpolitische Stoßrichtung. Er zielte einmal auf die Aushöhlung des Versailler Vertragssystems, mit dem man sich nie hatte wirklich abfinden können und sollte zum anderen als eine Art Integrationsklammer für die sozial und politisch zerklüftete Nation dienen. Gerade in dieser Überlegung wirkte das »Augusterlebnis« von 1914 nach, dessen Erinnerung man stilisierte und dessen vermeintliche Wirkungen man in die Realität der Weimarer Republik zu übertragen wünschte. Die innenpolitischen Folgen waren fatal: Die Mobilisierung der Unzufriedenheit über den außenpolitischen Status quo auch und gerade durch die Mittelparteien suggerierte eine tatsächlich nicht vorhandene Übereinstimmung von demokratischem Nationalgefühl und extremem Nationalismus und schuf ein Klima, in dem sich letzten Endes die extreme Rechte behauptete. Das ursprünglich auf die Siegermächte gemünzte Schlagwort von der »Kriegsschuldlüge« rückte nach 1929 immer stärker in die Nähe des Dolchstoßes. Der unter den Auspizien der »Revisionsbewegung« zwischen gemäßigt bürgerlichem Lager und organisierter Arbeiterschaft faktisch zustandegekommene ›Burgfrieden‹ in der Bewertung des Ersten Weltkriegs zerbrach im Schatten der Weltwirtschaftskrise. In den Augen der »Nationalen Opposition« hatte die Sozialdemokratie nicht nur den Dolchstoß gegen das kämpfende Heer im Herbst 1918 geführt, man beschuldigte die SPD auch, der »Kampffront« gegen Versailles in den Rücken gefallen zu sein. Dies war eine grobe Verzeichnung des Verhältnisses von Sozialdemokratie und »Revisionsbewegung«, deren diffamierende Absicht auf der Hand liegt. Die SPD setzte sich zwar insgesamt recht erfolgreich gegen alle Integrationsbemühungen des Auswärtigen Amtes und des ADV zur Wehr, brachte aber weder den Mut noch die Kraft auf, in offene Opposition zur »Revisionsbewegung« zu treten. Mit anderen Vorzeichen als bei den Liberalen entfaltete auch hier das »Augusterlebnis« seine politischen Wirkungen. Im Zweifel waren SPD und Freie Gewerkschaften nur allzu oft bereit, ihren programmatischen Internationalismus und ihr demokratisches Selbstbewußtsein zugunsten eines nicht näher überprüften nationalen Interesses zurückzustellen. Das beweist trotz des Wirkens von Sinzheimer, Dittmann und Levi die sozialdemokratische Mitarbeit im Kriegsschuldausschuß des deutschen Parlaments. Mit Hilfe dieses Ausschusses hätte sich über den Weg der kritischen 257 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

Verarbeitung der jüngsten Vergangenheit und über die vorbehaltlose Aufdeckung der Verantwortung des kaiserlichen Deutschland für den Kriegsausbruch die Chance geboten, das Verhältnis zu den ehemaligen Kriegsgegnern atmosphärisch zu verbessern und gleichzeitig zur Festigung der Weimarer Republik beizutragen. Die Chance ist vertan worden. Mangelndes republikanisches Selbstbewußtsein und vor allem die Tatsache, daß sich die meisten der beteiligten Abgeordneten an die Vergangenheit klammerten, statt sich kritisch mit ihr auseinanderzusetzen, ließen die Untersuchung trotz einiger hoffnungsvoller Ansätze in die in Weimar vorherrschende Weltkriegsapologetik einmünden. Die parlamentarische Kommission unterstützte im großen und ganzen ein Geschichtsbild, das die politische und soziale Realität Vorkriegsdeutschlands verklärte und vor dessen Hintergrund der Weimarer Staat fast zwangsläufig als ein ephemeres ›Notinstitut‹ erscheinen mußte. Hier liegt einer der Gründe dafür, daß der revisionspolitische Zielhorizont nahezu aller innenpolitischen Gruppierungen in der Vergangenheit lag. In dieser Beziehung machte auch die Sozialdemokratie keine Ausnahme8. Es galt für das Reich die außenpolitische Bewegungsfreiheit des Jahres 1914 wiederherzustellen und Deutschland zumindest als gleichberechtigte Großmacht in das Konzert der europäischen Mächte zurückzuführen. Aufgrund ihrer Vergangenheitsorientierung war die deutsche Revisionspolitik tendenziell immer auch innenpolitische Restaurationspolitik: Dies galt um so mehr, als die von den meisten Kabinetten und gemäßigten bürgerlichen Parteien angestrebte »innenpolitische Einheitsfront« gegen Versailles eine weitgehende Gleichsetzung des (außen)politischen Willens und Wollens popularisierte. Nicht zu Unrecht hat Salewski den Weimarer Revisionismus

ein »Syndrom« genannt und ihn als die »Krankheit der Weimarer politischen Kultur« bezeichnet9. Wenngleich Salewskis Ansatz die vor allem in der Stabilisierungsphase der Republik zu beobachtenden verständigungspolitischen Lernprozesse der DDP und die insgesamt auf Gewaltverzicht und Verhandlungsbereitschaft ausgerichtete außenpolitische Grundlinie der SPD nicht gebührend berücksichtigt, so ist seiner Auffassung insgesamt doch zuzustimmen. Auf außenpolitischem Gebiet lag in der Tat einer der Sprengsätze für die politische Ordnung der ersten Deutschen Republik. Revisionsbestrebungen entwickelten sich, wie die Außenpolitik Brünings beweist, zu Katalysatoren der inneren Verfassungsänderung. Mit diesen Schlußfolgerungen soll keineswegs einer monokausalen Interpretation für das Scheitern der Weimarer Republik das Wort geredet werden. Der außenpolitische Revisionismus war nur einer der destabilisierenden Faktoren, die letztlich die Auflösung der Demokratie herbeigeführt haben. Seine systemsprengende Wirkung liegt dort, wo er zum Bewußtwerden und zur Politisierung der nach 1929 stark anwachsenden gesellschaftlichen Spannungszustände beitrug. Der Weimarer Staat hatte sich in den Augen vieler Zeitgenossen als unfähig erwiesen, Deutschland von den 258 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

Fesseln des verhaßten Friedensvertrags zu befreien. »Versailles« wurde mit Zuspitzung der kombinierten Staats- und Gesellschaftskrise für immer breitere Bevölkerungsschichten zum Synonym für das Versagen demokratischer Ideen und rationaler politischer Konfliktregelung. Der unter amtlichen Auspizien geführte Kampf gegen die »Kriegsschuldlüge« hat diese Entwicklung in maßgeblicher Weise gestützt und hier in die Breite und in die Tiefe gewirkt. Der wohltemperierte Nationalismus des ADV verstärkte im gemäßigten Bürgertum und vereinzelt auch in der organisierten Arbeiterschaft das Verständnis für revisionistische Aspirationen. Gerade die Tatsache, daß sich viele Deutsche durch den Versailler Vertrag und hier besonders durch die Kriegsschuldartikel bestraft fühlten, erzeugte ein Gefühl nationaler Minderwertigkeit und erhöhte die Resonanz nationalistischer Parolen. Gleichzeitig wurde schon in der Stabilisierungsphase der Republik ein Klima geschaffen, in dem die Unzufriedenheit der nationalistischen Rechten wuchs. Die »innenpolitische Einheitsfront« gegen Versailles überwölbte nur die tiefen emotionalen und leicht politisierbaren Auffassungsunterschiede über die Entstehung und den Ausgang des Ersten Weltkriegs. In dieser Beziehung konnte die »Revisionsbewegung« die Gräben zwischen rechts und links nie überbrücken. Mit Hilfe des Auswärtigen Amtes band sie jedoch - wie das Beispiel der »Vaterländischen Verbände« zeigt - einen nicht unerheblichen Teil der extremen Rechten an das sonst nur als ideologische Phrase akzeptierte ›nationale Interesse‹ und verstärkte dadurch auf dieser Seite des politischen Spektrums das Bewußtsein, in Hinblick auf die für essentiell gehaltenen innen- und außenpolitischen Ziele Verzicht leisten zu müssen. Es gehörte zur verhängnisvollen Dialektik der starken Funktionalisierung nationalistischer Ressentiments m der Weimarer Republik, daß die amtlich gesteuerte »Volksopposition« gegen Versailles jahrelang zu den wichtigsten innenpolitischen Vermittlungsgliedern der Stresemannschen Verständigungspolitik zählte, daß aber der durch sie verbreitete Revisionismus in den frühen 30er Jahren eine Dynamik entwickelte, welche die Fundamente der demokratischen Ordnung fortspülte-paradoxerweise zu einem Zeitpunkt, als sich die reale Abhängigkeit des Reiches von Versailles und vom Westen zu lösen begann. Die Republikaner hatten die Gefahr nationaler Konzessionen an die extreme Rechte unterschätzt und fanden sich unversehens in der Rolle des ›Zauberlehrlings‹ wieder, dem die antidemokratischen Geister, die er gerufen hatte, über den Kopf wuchsen.

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Anhang: Verzeichnis der Mitglieder und Mitarbeiter des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses für die Schuldfragen des Weltkriegs Verzeichnis der Mitglieder des 1. Unterausschusses a) In der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung (6. 2. 1919—21. 5 1920) SPD: Katzenstein Dr. Quarck, Vorsitzender Dr. Gradnauer, Vorsitzender Frau Bohm-Schuch DDP: Dr. Herrmann Dr. Pachnicke

Dr. Schücking

( 6. 10. 19-21. 5.20) ( 6. 10. 19-24. 4. 20) (24. 4.20-21. 5. 20) ( 6. 10. 19-21. 5.20) ( 6. 10. 19-12. 12. 19) (12. 12. 19-21. 5.20) ( 6. 10. 19- 21. 5. 20)

DNVP: Schultz, stellv. Vorsitzender ( 6.10. 19-21. 5. 20) USPD: Haase Dr. Cohn Geyer Eichhorn

( 9. 10. 19- 1. 11. 19) ( 1. 11. 19-27. 11. 19) (27. 11. 19- 4. 3. 20) ( 4. 3. 20-21. 5. 20)

Zentrum: Frau Schmitz Burlage

( 6. 10. 19-23. 4. 20) (23. 4. 20-21. 5.20)

DVP: Dr. Graf zu Dohna

SPD: Dr. Gradnauer, Vorsitzender Dr. Köster Dr. Gradnauer, Vorsitzender Frau Bohm-Schuch Obermeyer Frau Bohm-Schuch

(23. 11. 20-29. 6. 21) (29. 6 . 2 1 - 8. 11.21) ( 7. 12.21-13. (23. 11. 20-10. (10. 7. 2 3 - 5. ( 5. 12. 23-13.

3.24) 7. 23) 12. 23) 3.24)

DVP: Dr. Curtius Dr. Piper

(23.11.20-26. 1.21) (26. 1.21-13. 3.24)

USPD: Pittmann

(23. 11. 20-13. 3. 24)

DDP: Dr. Schücking Dr. Schücking, Vorsitzender

(23. 11. 20-13. 3. 24) (29. 6. 2 1 - 7. 12. 21)

Zentrum: Dr. Lauscher

(23. 11.20-13. 3.24)

DNVP: Schultz Hammer Henning Dr. Philipp Schultz Graf v. Westarp

(23. 11.20-25. 1.21) (25. 1.21- 1. 2.21) ( 1. 2.21-28. 6.21) (28. 6.21-13. 12.21) (13. 12.21-13. 3.23) (13. 3.23-13. 3.24)

c) In der 2. Wahlperiode des Deutschen Reichstages (27. 5. 1924-20. 10. 1924) ( 6. 10. 19-21. 5.20)

b) In der 1. Wahlperiode des Deutschen Reichtages (24. 6. 1920-13. 3. 1924):

SPD: Frau Bohm-Schuch Dr. Breitscheid, Vorsitzender

260 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

(30. 8. 24-20. 10. 24) (30. 8.24-20. 10. 24)

DVP: Dr. Schnee, stellv. Vorsitzender (30. 8. 24-20. 10. 24)

DNVP: Berndt Fürst Bismarck

(23. 1. 25-31. 3. 28) (23. 1.25-31. 3.28)

DNVP: Dr. Hoetzsch Schultz

(30. 8. 24-20. 10. 24) (30. 8. 24-20. 10. 24)

VA: Henning

(31. 1.25-31. 8.28)

KPD: Dengel Dr. Rosenberg

(30. 8. 24-20. 10. 24) (30. 8. 24-20. 10. 24)

Zentrum: Dr. Kaas Dr. Spahn

(30. 8. 24-20. 10. 24) (30. 8. 24-20. 10. 24)

NSFP: Dr. Roth

(30. 8. 24-20. 10. 24)

d) In der 3. Wahlperiode des Deutschen Reichstages (5. 1. 1925-31. 3. 1928) SPD: Frau Bohm-Schuch Dr. Breitscheid, Vorsitzender Wendemuth

(23. 1.25-31. 3. 28)

e) In der 4. Wahlperiode des Deutschen Reichstages (20. 5. 1928-14. 9. 1930)1 SPD: Frau Bohm-Schuch Dr. David Dittmann Dr. Levi Dr. Moses Dr. Quessel Frau Schreiber Wendemuth DVP: Frhr. v. Rheinbaben Dr. Schnee Dr. Schneider

(23. 1.25-31. 3.28) (23. 1.25-31. 3. 28)

BVPGraf Lerchenfeld Rauch

WP: Dr. Dr. Bredt Lauterbach

(23. 1.25-18. 7.25) (18. 7.25-31. 1.28)

WP: Dr. Dr. Bredt

(31. 1.28-31. 3. 28)

Zentrum: Dr. Bell Dr. Bockius Dr. Kaas Joos

KPD: Torgier Bohla Creutzburg

(23. 1. 2 5 - 3. 3. 26) ( 3. 3.26-11. 3.27) (11. 3.27-31. 3.28)

Zentrum: Dr. Wirth Brüning Becker Brüning Dr. Kaas

(23. 1.25-25. (25. 11. 25-17. (17. 12. 25-27. (27. 1. 2 6 - 5. ( 5. 2. 26-31.

11.25) 12. 25) 1. 26) 2. 26) 3. 28)

DVP: Dr. Schnee, stellv. Vorsitzender (23. 1.25-31. 3.28)

DDP: Dr. Hellpach DNVP: Berndt Dr. Hannemann Graf zu Eulenburg Dr. Philipp Schultz, Vorsitzender BVP: Rauch

261 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

f) In der 5. Wahlperiode des Deutschen Reichstages (14. 9. 1930-31. 7. 1931)1

Verzeichnis der Mitarbeiter des 1. Unterausschusses

SPD: Frau Bohm-Schuch, Vorsitzende Dittmann Dr. Moses Ströbel Wendemuth

a) Sachverständige Bernstein Prof. Dr. Delbrück Dr. E. Fischer Dr. Goos Prof. Dr. Hoeniger Prof. Dr. Hoetzsch Dr. Jäckh Dr. Kantorowicz Dr. Kriege Lutz Graf v. Montgelas Dr. Spahn Dr. Thimme Prof. Dr. Wehberg Wendel Prof. Dr. Zorn

WP: Dr. Dr. Bredt KPD: Putz Schlaffer Schreck Dt. Landvolk: Schlange NSDAP: Dr. Frick Göring Stöhr Graf zu Reventlow

b) Vertreter der Reichsregierung: (Auswärtiges Amt) Konsul Müller (an dessen Stelle trat) Konsul v. Bülow (an dessen Stelle trat) Konsul Dr. Weber (an dessen Stelle trat) Leg. Rat Dr. Meyer

Staatspartei: Dr. Heuß Christlich sozialer Volksdienst Graf v. Westarp

c) Sekretäre: Dr. E. Fischer2 Dr. Herz 2

Zusammengestellt aus: WUA, 1. Reihe, Bd. 5, 1. Hbb., S. XI f.

BVP: Rauch DNVP: Dr. Spahn

Verzeichnis der Mitglieder des 2. Unterausschusses

DVP: Dr. Schnee Zusammengestellt aus: WUA, 1. Reihe, Bd. 5, 1. Hbb., S. Xa u. Xb; PA SchReF, PU, 11.26-11.30. Sch. 811.

1 Das Verzeichnis gibt Aufschluß über sämtliche in der 4. u. 5. Wahlperiode des Reichstages im 1. Unterausschuß für die einzelnen Parteien tätigen Mitglieder. Ihre jeweilige Verweildauer ließ sich in den vorliegenden Fällen leider nicht ermitteln.

a) In der Verfassunggebenden Nationalversammlung (6. 2. 1919-21. 5. 1920)3 2 Dr. Herz (bis 31. 12. 1923) und Dr. Fischer (ab 1. 1. 1924) fungierten gleichzeitig als Generalsekretäre des Gesamtausschusses. 3 Das Verzeichnis gibt Aufschluß über sämtliche in der Nationalversammlung und m der 1. Wahlperiode des Reichstages im 2. Unterausschuß für die einzelnen Parteien tätigen Mitglieder. Ihre jeweilige Verweildauer ließ sich in den vorliegenden Fällen leider nicht ermitteln.

262 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

SPD: Frau Pfülf Dr. Sinzheimer, Berichterstatter

a) Sachverständige:

USPD: Dr. Cohn DDP: Gothein. Vorsitzender Dr. Schücking

Verzeichnis der Mitarbeiter des 2. Unterausschusses

(15. 11. 19-21. 5. 20)

DNVP: Dr. Warmuth, Vorsitzender Schultz

(bis 15. 11. 19)

b) In der 1. Wahlperiode des Deutschen Reichstages (24. 6. 1920-13. 3. 1924): SPD: Frau Pfülf Dr. Meerfeld Dr. Quessel

Prof. Dr. Bonn Dr. Guttmann StS a. D. v. Hintze Prof. Dr. Hoetzsch Ges. z. D. Frhr. v. Romberg Prof. Dr. Schäfer b) Vertreter der Reichsregierung: (Auswärtiges Amt) Konsul v. Bülow Konsul Dr. Weber Leg. Rat Meyer Leg. Rat Frohwein

(an dessen Stelle trat) (an dessen Stelle trat) (an dessen Stelle trat)

c) Sekretäre: Reg. Rat Dr. Trier Dr. Bloch

DVP: Frhr. v. Rheinhaben USPD: Dr. Breitscheid, Vorsitzender Frau Sender

Zusammengestellt aus: W. Hahlweg, BrestLitowsk, S. XVIII ff.

Zentrum: Dr. Kaas

Verzeichnis der Mitglieder des 3. Unterausschusses

DNVP: Prof. Dr. Hoetzsch Dr. Warmuth

a) In der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung (6. 2. 1919-21. 5. 1920):

Zusammengestellt aus: W. Hahlweg, BrestLitowsk, S. XVIII ff.

USPD: Dr. Cohn

( 9. 10. 19-21. 5. 20)

DDP: Heile

( 9. 10. 19-21. 5.20)

Zentrum: Bolz, Vorsitzender Schneider

(22. 10. 19-22. 11. 19) (22. 11. 19-21. 5.20)

263 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

DVP: Dr. Kahl, stellv. Vorsitzender ( 9. 1019-22. 11. 19) Vorsitzender (22. 11. 19-21. 5.20)

KPD: Koenen DDP: Dr. Schücking

b) In der 1. Wahlperiode des Deutschen Reichstages (24. 6. 1920-13. 3. 1924):

DNVP: Roth

MSPD/USPD: Dr. Herzfeld Dr. Moses Dr. Levi Dr. Radbruch Dr. Radbruch Dr. Meerfeld Löffler Sieboldt Schöpflin Dr. Levi

(23. (23. (24. (23. (23. (10. (23. (11. (11. (21.

11. 20-13. 11. 20-24. 5.22-23. 11. 20-10. 12. 22-13. 7.21-23. 5. 22-11. 12.22-11. 6.23-21. 9. 23-13.

3. 24) 5. 22) 12. 22) 7. 21) 3. 24) 5. 22) 12. 22) 6.23) 9.23) 3. 24)

Zentrum: Dr. Fleischer, Vorsitzender

DNVP: Dr. Warmuth Dr. Hoetzsch Dr. Philipp v. Gallwitz Dr. Hoetzsch Dr. Warmuth

(23. 11. 20-25. (25. 4.21-27. (27. 6. 21-30. (30. 6. 2 1 - 7. ( 7. 11. 21-11. (11. 5. 23-13.

4. 21) 6.21) 6. 21) 11. 21) 5. 23) 3. 24)

DDP: Dr. Schücking stellv. Vorsitzender (23. 11. 20-13. 3. 24) Zentrum: Burlage, Vorsitzender Dr. Fleischer

( 4. 10. 21-13. 3. 24) ( 4. 10. 21-13. 3. 24)

DVP: Dr. Moldenhauer v. Kemnitz Dr. Düringer

(23. 11. 20-21. 6. 22) (21. 6.22-12. 5.23) (12. 5.23-13. 3.24)

c) In der 2. Wahlperiode des Deutschen Reichstages (27. 5. 1924-20. 10. 1924) (infolge der Auflösung des Reichstages fand in dieser Wahlperiode nur die konstituierende Sitzung des 3. UA statt): SPD: Dittmann Dr. Levi

BVP: Merck DVP: v. Kemnitz Frhr. v. Rheinbaben d) In der 3. Wahlperiode des Deutschen Reichstages (5. 1. 1925-31. 3. 1928): SPD: Dr. Levi Bernstein Dr. Moses Dr. Leber Dr. Moses Dr. Quessel

(1. 1.25-18. (21. 1.25-10. (10. 11. 25-26. (26. 11. 25-20. (20. 12. 25-18. (10. 9. 25-18.

KPD: Dr. Korsch

(21. 5. 25-10. 9. 25)

Zentrum: Dr. Bell, Vorsitzender Dr. Bockius

(21. 1.25-18. 5.27) (21. 11. 25-18. 5. 27)

DVP: Frhr. v. Rheinbaben Brüninghaus Frhr. v. Rheinbaben

(21. 1. 2 5 - 9. 11. 25) ( 9. 11. 25-13. 11. 25) (13. 11. 25-18. 5. 27)

DNVP: Dr. Hannemann v. Kemnitz

(21. 1.25-18. 5. 27) (21. 1.25-18. 5.27)

5.27) 11. 25) 11. 25) 12. 25) 5. 27) 5. 27)

Zusammengestellt aus: WUA, 3. Reihe, Bd. 1, S 16 a u. b.

264 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

Verzeichnis der Mitarbeiter des 3. Unterausschusses

Krüger Dr. Meerfeld Hellmann

( 8. 3. 20-21. 5. 20) ( 2. 10. 19- 8. 3. 20) ( 8. 3. 20-21. 5. 20)

a) Sachverständige: Prof. Dr. Ebers Dr. Kriege Prof. Dr. Meurer

USPD: Eichhorn

( 8. 3. 20-21. 5. 20)

Zentrum: Diez Schwarz

( 2. 10. 19-21. 5. 20) ( 2. 10. 19-21. 5. 20)

b) Sekretäre: Dr. Herz4 Dr. E. Fischer4 Dr. B. Widmann

(an dessen Stelle trat)

b) Vertreter der Reichsregierung: (Auswärtiges Amt) Konsul Müller (an dessen Stelle trat) Konsul v. Bülow (an dessen Stelle trat) Konsul Dr. Weber (an dessen Stelle trat) Leg. Rat Meyer (Reichswehrministerium) Oberstleutnant v. Stülpnagel (an dessen Stelle trat) Oberstleutnant Koch (Marineleitung) Kapitänleutnant Stephan (an dessen Stelle trat) Kapitänleutnant Reimer Zusammengestellt aus: WUA, 3. Reihe, Bd. 1, S. 17.

Verzeichnis der Mitglieder des 4. Unterausschusses a) In der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung (6. 2. 1919-21. 5. 1920): SPD: Landsberg, Vorsitzender Katzenstein, Vorsitzender Kahmann

( 2. 10. 19-23. 1. 20) (23. 1. 20-21. 5. 20) ( 2. 10. 19- 8. 3. 20)

Dr. Herz (bis 31. 12. 1923) und Dr. Fischer (ab 1. 1. 1924) fungierten gleichzeitig als Generalsekretäre des Gesamtausschusses.

4

DNVP: Dr. Philipp, stellv. Vorsitzender ( 2. 10. 19-21. 5. 20) b) In der 1. Wahlperiode des Deutschen Reichstages (24. 6. 1920-13. 3. 1924): MSPD/USPD: Hellmann, stellv. Vorsitzender (24. 11. 20-17. Dr. Radbruch (17. 1.23-13. Kaiser (24. 11. 20-23. Franz (23. 6. 21-13. Henke (24. 11. 20-23. Dr. Moses (13. 7.22-13.

1. 23) 3.24) 6. 21) 3. 24) 6. 21) 3.24)

DVP: Dr. Kahl, Vorsitzender

(24. 11. 20-13. 3. 24)

DNVP: Dr. Philipp

(24. 11. 20-13. 3. 24)

DDP: Korell

(27. 1.21-13. 3.24)

Zentrum: Dr. Spahn

(24. 11. 20-13. 3. 24)

BVP: Merck Dr. Deermann

(24. 11. 20-30. 11. 20) (30. 11.20-13. 3. 24)

c) In der 2. Wahlperiode des Deutschen Reichstages (27. 5. 1924-20. 10. 1924) (infolge der Auflösung des Reichstages unterblieb die Bildung des 4. UA. Vom Gesamtausschuß wurden ihm einmalig Mitglieder zugewiesen):

265 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

KPD: Eichhorn Dr. Rosenberg6 Höllein

SPD: Dr. Quessel Dr. Moses KPD: Frölich

(21. 1. 25-26. 7. 25) ( 4. 8. 25-30. 4. 27) (30. 4. 27-31. 3. 28)

Zentrum: Dr. Spahn (an dessen Stelle trat) (21. 1.25-31. 8. 25) Joos (24. 1. 25-31. 3. 28)

DDP: Dr. Goetz DVP: Dr. Schneider

DDP: Dr. Bergsträsser

DNVP: Dr. Philipp Graf v. Westarp

(15. 7. 25-31. 3. 28)

DVP: (21. 1.25- 4. 5. 25) Dr. Hoff Frhr. v. Rheinbaben ( 4. 5. 25-31. 3. 28) Brüninghaus5 ( 4. 5. 25-31. 3. 28)

NSFP: Wulle

DNVP: Dr. Philipp, Vorsitzender (21. 1. 25-31. 3. 28) Graf v. d. Schulenburg (21. 1. 25- 5. 5. 25) Graf zu Eulenburg ( 5. 5. 25-31. 3. 28) Dr. Spahn5 Treviranus3

Zentrum: Dr. Bell d) In der 3. Wahlperiode des Deutschen Reichstages (5. 1. 1925-31. 3. 1928): SPD: Dr. Quessel (21. Dittmann (21. Dr. Moses, stellv. Vorsitzender (21. ( 7. Schnabrich Dr. Moses ( 8. WP: Dr. Dr. Bredt (an dessen Stelle trat) (21. Holzamer5 (an dessen Stelle trat) ( 7. Bachmeier5 ( 7. ( 8. Bredt

5. 25-15. 7. 25) 1.25-31. 3.28) 1. 2 5 - 7. 3. 25) 3. 2 5 - 8. 5. 25) 5. 25-31. 3. 28)

5. 2 5 - 7. 5. 27) 5. 27- 7. 6. 27) 6. 27- 8. 7. 27) 7. 27-31. 3. 28)

5 Die genannten Mitglieder wurden nur für einen bestimmten Problemkomplex (z. B. die Dolchstoßfrage) in den Ausschuß delegiert.

Zusammengestellt aus: WUA, 4. Reihe, Bd. 1, S. 12u. Bd. 4. S. XIII f.

Verzeichnis der Mitarbeiter des 4. Unterausschusses a) Sachverständige: Mannesekretär a. D. Alboldt Dr. Dr. Bredt Prof. Dr. Delbrück Dr. Herz Prof. Dr. Hobohm Katzenstein General a. D. v. Kuhl Oberst a. D. Schwertfeger Stumpf Vizeadmiral a. D. v. Trotha Reichsarchivrat Volkmann Dr. Rosenberg nahm auf Beschluß des 4. UA v. 6. 5. 1927 weiterhin an den Beratungen teil. 6

266 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

b) Vertreter der Reichsregierung: (Auswärtiges Amt) Konsul Müller (an dessen Stelle trat) Konsul v. Bülow (an dessen Stelle trat) Konsul Dr. Weber (an dessen Stelle trat) Leg. Rat Meyer

c) Sekretäre: Dr. Widmann Dr. Bloch Dr. Herz7 Dr. Fischer7

(an dessen Stelle trat) (an dessen Stelle trat) (an dessen Stelle trat)

Zusammengestellt aus: WUA, 4. Reihe, Bd. 1, S. 13fu. Bd. 4, S. XXV.

(Reichswehrministerium) Oberstleutnant v. Stülpnagel (an dessen Stelle trat) Oberstleutnant Koch General Wetzeil (Zeuge zur Auskunfterteilung) (Marineleitung) Kapitänleutnant Stephan (an dessen Stelle trat) Kapitänleutnant Reimer (an dessen Stelle trat) Korvettenkapitän Canaris

Dr. Herz (bis 31. 12. 1923) und Dr. Fischer (ab 1. 1. 1924) fungierten gleichzeitig als Generalsekretäre des Gesamtausschusses. 7

267 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

Abkürzungen A AA ADB ADGB AdsD ADV AfA-Bund AG

Archiv Auswärtiges Amt Allgemeiner Deutscher Beamtenbund Allgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund Archiv der sozialen Demokratie Arbeitsausschuß Deutscher Verbände Allgemeiner freier Angestellten-Bund Arbeitsgemeinschaft

BA BA/MA BBA BM BVP

Bundesarchiv Bundesarchiv/Militararchiv Begbau-Archiv Berliner Monatshefte Bayerische Volkspartei

DAZ DDP DGFK DNVP DVP

Deutsche Allgemeine Zeitung Deutsche Demokratische Partei Deutsche Gesellschaft für Friedens- und Konfliktforschung Deutschnationale Volkspartei Deutsche Volkspartei

GG GStA GWU

Geschichte und Gesellschaft Geheimes Staatsarchiv Geschichte in Wissenschaft und Unterricht

HAGHH HistRef HK HZ

Historisches Archiv der Gutehoffnungshütte A V, Oberhausen Historisches Referat Handelskammer Historische Zeitschrift

IISG InpreKorr IWK

Internationaal Internationale Internationale der deutschen

JMH

Journal of Modern History

KPD KSF

Kommunistische Partei Deutschlands Die Kriegsschuldfrage

Instituut voor Sociale Geschiedenis Presse-Korrespondenz (Deutsche Ausgabe) Wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte Arbeiterbewegung

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MGM MSPD

Militärgeschichtliche Mitteilungen Mehrheitssozialdemokratische Partei Deutschlands

ND NF NL NPL NSDAP NSFP NV

Neudruck Neue Folge Nachlaß Neue Politische Literatur Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Nationalsozialistische Freiheitspartei Stenographische Bericht der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung

OHL

Oberste Heeresleitung

PA Prot. PT PU

Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes Protokoll (e) Parteitag Parlamentarischer Untersuchungsausschuß

RDI RfH RGBl RJM RLB RM RMI RT

Reichsverband der Deutschen Industrie Reichszentrale für Heimatdienst Reichsgesetzblatt Reichsministerium der Justiz Reichslandbund Reichsminister Reichsministenum des Innern Stenographische Berichte des Deutschen Reichstages

SchRef SAI SPD StdA StA StS

Schuldreferat Sozialistische Arbeiter-Internationale Sozialdemokratische Partei Deutschlands Stadtarchiv Staatsarchiv Staatssekretär

UA USPD

Unterausschuß (-ausschüsse) Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands

VA VDA VfZ

Völkische Arbeitsgemeinschaft Vereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände Viertcljahreshefte für Zeitgeschichte

WB Wk WP WTB WUA

Weltbühne Weltkrieg Wirtschaftspartei (Reichspartei des deutschen Mittelstandes) Wolffsches Telegraphen-Büro Das Werk des Untersuchungsausschusses der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung und des Deutschen Reichstages

269 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35718-8

WzF

Weg zur Freiheit

Z ZfG ZStA

Zentrum Zeitschrift für Geschichtswissenschaft Zentrales Staatsarchiv

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Anmerkungen Einleitung 1 L. Dehio, Deutschland und die Weltpolitik im 20. Jahrhundert, München 1955, S. 15-21. 2 Zu nennen ist hier vor allem der Artikel 231 des Versailler Vertrags, in dem es hieß: »Die alliierten und assoziierten Regierungen erklären und Deutschland erkennt an, daß Deutschland und seine Verbündeten als Urheber für alle Verluste und Schäden verantwortlich sind, die die alliierten und assoziierten Regierungen und ihre Staatsangehörigen infolge des Krieges, der ihnen aufgezwungen wurde, erlitten haben«. Ferner wurde die Kriegsschuldanklage verankert: In der Präambel des Versailler Vertrages, die den Ursprung des Krieges in der Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien vom 28. 7. 1914, in den Kriegserklärungen Deutschlands an Rußland vom 1. 8. 1914 und an Frankreich vom 3. 8. 1914 sowie im deutschen Einfall nach Belgien begründet sah; im Art. 227, der Kaiser Wilhelm II. »wegen schwerster Verletzung des internationalen Sittengesetzes und der Heiligkeit der Verträge unter öffentliche Anklage« stellte. Vgl. Die Friedensbedingungen der Alliierten und Assoziierten Mächte, Berlin 1919, S. 11 u. S. 108 ff. Vgl. auch Materialien betr. die Friedensverhandlungen, Teil VII. Der Friedensvertrag zwischen Deutschland und den alliierten und assoziierten Mächten, Charlottenburg 1919, S. 211. 3 Der vollständige Text der Mantelnote ist abgedruckt in: Schulthess' Europäischer Geschichtskalender, NF, Bd. 60, 1919, II, S. 559-567. 4 Schulthess, Bd. 65, 1924, S. 78. 5 Die ältere Literatur im Überblick findet sich bei E. Wuest, Der Vertrag von Versailles im Licht und Schatten der Kritik. Zürich 1962. Zur neueren Literatur zum Reparationsproblem, vgl. P. Krüger, Das Reparationsproblem der Weimarer Republik in fragwürdiger Sicht, in: VfZ, Bd. 29, 1981, S. 21-47. 6 Der Begriff »politische Kultur« bezieht sich auf die psychologische Situation eines politischen Systems; »political culture is the pattern of the individual attitudes and orientations toward politics among the members of a political system. It is the subjective realm which underlies and gives meaning to political actions«. Diese Orientierungen können kognitiver, emotionaler und wertender Art sein. Die Orientierungsebenen sind untereinander verbunden und auf verschiedenste Weise kombinierbar. Art und Kombination vorwiegender Orientierungen in einer Bevölkerung haben bedeutenden Einfluß auf die Eigenarten ihres politischen Systems insofern, als diese durch gemeinsame Orientierungsmuster geformt und bestimmt werden; sie bilden die latent vorhandenen politischen Tendenzen - die Neigungen eines Systems zu bestimmtem politischen Verhalten. Vgl. G. A. Almond: Comparative Political Systems, in: Journal of Politics, Bd. 18, 1956, S. 391-409. G. A. Almond u. B. G. Powell, Comparative Politics. A Development Approach, Boston 1966, S. 50. Vgl. jetzt auch die theoretische Einführung bei P. Reichel, Politische Kultur der Bundesrepublik, Opladen 1981, S. 18-58. 7 Vgl. dazu unten, S. 105. 8 Vgl. K. H. Jarausch, World Power or Tragic Fate? Die Kriegsschuldfrage as Historical Neurosis, in: Central European History, Bd. 5, 1972, S. 79-92. 9 F. Stern, Das Scheitern illiberaler Politik. Studien zur Politischen Kultur im 19. und 20. Jahrhundert, Berlin 1974, S. 175 f. 10 G. Ritter, Eine neue Kriegsschuldthese? in: HZ, Bd. 194, 1962, S. 646-668. 11 F. Fischer, Griff nach der Weltmacht. Die Kriegsziele des kaiserlichen Deutschland

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Anmerkungen zu Seite 1 4 - 1 7 1914-18, Düsseldorf 1961. Zur weiteren Thesenbildung Fischers vgl. ders., Krieg der Illusionen. Die deutsche Politik 1911-1914, Düsseldorf 19702; ders., Bündnis der Eliten, Düsseldorf 1979. 12 Vgl. dazu A. Sywottek, Die Fischer-Kontroverse. Ein Beitrag zur Entwicklung des politisch-historischen Bewußtseins in der Bundesrepublik, in: I. Geiss u. B. J . Wendt (Hg.), Deutschland in der Weltpolitik des 19. und 20. Jahrhunderts. F. Fischer zum 65. Geburtstag, Düsseldorf 1973, S. 19-47, bes. S. 21 ff. Hier findet sich auch die maßgebliche Literatur zur Fischer-Kontroverse. 13 J . A. Moses, The Politics of Illusion. The Fischer Controversy in German Historiography, London 1975. Stern, S. 175. 14 Deutsch-französische Vereinbarungen über strittige Fragen europäischer Geschichte, in: GWU, Bd. 3, 1952, S. 288-295. Vgl. auch K. D. Erdmann, Vom Scheitern einer Demokratie. Forschungsprobleme zum Untergang der Weimarer Republik, in: GWU, Bd. 32, 1981, S. 65-78, bes. S. 68 f. 15 I. Geiss, Die Fischer-Kontroverse, in: ders., Studien über Geschichte und Geschichtswissenschaft, Frankfürt 1972, S. 108-198. Wie gering der Einfluß der Fischer-Kontroverse auf die Hand- und Studienbücher zur deutschen und europäischen Geschichte bislang geblieben ist von den Schulbüchern ganz zu schweigen - das hat jüngst noch Volker R. Berghahn festgestellt. Vgl. V. R. Berghahn, Die Fischer-Kontroverse- 15 Jahre danach, in: GG, Bd. 6, 1980, S. 403-419. 16 E. Gerstenmaier, Neuer Nationalismus?, Stuttgart 1965, S. 84. 17 Vgl. dazu H.-U. Wehler, Das Deutsche Kaiserreich 1871-1918, Göttingen 1973, S. 194. W. Schieder, Weltkrieg, in: Sowjetsystem und Demokratische Gesellschaft, Freiburg 1972, Bd. VI, Sp. 841-873, hier Sp. 853. 18 Vgl. dazu W. Schieder, Ergebnisse und Möglichkeiten der Diskussion über den Ersten Weltkrieg. Einleitung, in: ders, (Hg.), Erster Weltkrieg. Ursachen, Entstehung und Kriegsziele, Köln 1979, S. 11-26, bes. S. 17. Eine der gründlichsten inhaltlichen Analysen der Ergebnisse des Streits um die Fischer-Thesen findet sich bei W. J . Mommsen, Die deutsche Kriegszielpolitik 1914-1918. Bemerkungen zum Stand der Diskussion, in: W. Laqueur u. G. L. Mosse (Hg.), Kriegsausbruch 1914, München 1967, S. 60-100. 19 Wehler, Kaiserreich, S. 192 ff, K. Riezler, Tagebücher, Aufsätze und Dokumente, hg. v. K. D. Erdmann, Göttingen 1972, S. 52. 20 Zur Literatur und zur aktuellen Kontroverse über die Geschichte des Deutschen Kaiserreichs vgl. G. Eley, Die ›Kehrites‹ und das Kaiserreich: Bemerkungen zu einer aktuellen Kontroverse, in: GG, Bd. 4, 1978, S. 91-107. Vgl. dagegen H. J . Puhle, Zur Legende von der »Kehrschen« Schule, in: ebd., S. 108-119. Zur neueren Weltkricgsforschung vgl. L. Köllner u. M. Kutz, Wirtschaft und Gesellschaft in beiden Weltkriegen. Berichte und Bibliographie, München 1980, S. 53 ff. 21 Vgl. etwa V. R. Berghahn, Der Tirpitz-Plan, Düsseldorf 1971. D. Stegmann, Die Erben Bismarcks, Köln 1970. Vgl. dagegen D. P. Calleo, Legende und Wirklichkeit der deutschen Gefahr. Neue Aspekte zur Rolle Deutschlands in der Weltgeschichte von Bismarck bis heute, Bonn 1980, S. 81-90. 22 I. Geiss, Die Kriegsschuldfrage-das Ende eines nationalen Tabus, in: ders., Das Deutsche Reich und die Vorgeschichte des Weltkriegs, München 1978, S. 204-229. Vgl. auch Schieder, Weltkrieg, Sp. 844–849. 23 Vgl. S. T. Possony, Zur Bewältigung der Kriegsschuldfrage. Völkerrecht und Strategie bei der Auslösung zweier Weltkriege, Köln 1968. J . Richter, Kriegsschuld und Nationalstolz. Politik zwischen Mythos und Realität, Tübingen 1972. I. Geiss, Das Kriegsschuldreferat des Auswärtigen Amtes, 1919-1933 (= bisher ungedrucktes Manuskript, vorgelegt der Association internationale d'histoire contemporaine, Genf 1979). 24 H. J . Wittgens, The German Foreign Office Campain against the Treaty of Versailles: An

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Anmerkungen zu Seite 1 7 - 1 9 Examination of the Activities of the Kriegsschuldreferat in the United States, University of Washington, 1970. R. Grass, War Guilt and the Schuldreferat. An Inquiry into the Connections between Politics and Scholarship, University of Alberta, 1980. Die Dissertation von Grass war leider auch über University Microfilms, Ann Arbor, nicht zu beziehen. Der kanadische Historiker E. J . C. Hahn plant schon seit längerem eine Studie zum Thema Kriegsschuldfrage und deutsche Innenpolitik (Schreiben Hahns an den Verfasser vom 9. 12. 1977) und W. Jäger, Gießen, arbeitet an einer Dissertation über die Aufarbeitung der Kriegsschuldfrage des Ersten Weltkriegs in der deutschen Historiographie (Schreiben Jägers an den Verfasser vom 16. 7. 1978). 25 H. Köhler, Geschichte der Weimarer Republik, Berlin 1981, S. 26 f. 26 E. Fraenkel, Idee und Realität des Völkerbundes im deutschen politischen Denken, in: VfZ, Bd. 16, 1968, S. 1-14, hier S. 2. 27 F. Dickmann, Die Kriegsschuldfrage auf der Friedenskonferenz von 1919, in: HZ, Bd. 197, 1963, S. 1-101, hier S. 99. Bei Dickmann findet sich auch die ältere Literatur zu dem erörterten Problemkomplex. 28 Hier zwei Bewertungen aus der neueren deutschen Literatur. »Alle Anzeichen deuten darauf hin, daß sich die Reichsregierung . . . allzu optimistischen Gedanken über die künftige Friedensgestaltung hingab«. Vgl. R. Morsey, Die Deutsche Zentrumspartei 1917-1923, Düsseldorf 1966, S. 180. »In Deutschland hoffte man auch im Frühjahr 1919 noch unentwegt auf einen Wilson-Frieden«. Vgl. L. Haupts, Deutsche Friedenspolitik 1918-1919. Eine Alternative zur Machtpolitik des Ersten Weltkriegs?, Düsseldorf 1976, S. 383. 29 Diese Bezeichnung stammt von Brockdorff-Rantzau selbst. Vgl. U. Graf BrockdorffRantzau, Dokumente und Gedanken zu Versailles, Berlin 19253, S. 82. Zum Gegenstand vgl. auch K. Epstein, Matthias Erzberger und das Dilemma der deutschen Demokratie, Berlin 1976, S. 351 ff. u. H. Holborn, Diplomats and Diplomacy in the Early Weimar Republic, in: The Diplomats 1919-1939, hg. v. G. A. Craig u. F. Gilbert, Princeton 1953, S. 123-171, bes. S. 146. 30 Haupts, S. 417. 31 Miller formuliert: »Deutschland war nach seiner militärischen Kapitulation zum Objekt der internationalen Politik geworden . . . Der Spielraum für eigenes Handeln war dabei äußerst gering, denn er bestand faktisch nur im Reagieren auf von außen auferlegte Zwänge«. S. Miller, Die Bürde der Macht. Die deutsche Sozialdemokratie 1918-1920, Düsseldorf 1978, S. 202. 32 W. Wette, Einleitung: Probleme des Pazifismus in der Zwischenkriegszeit, in: K. Holl u. W. Wette (Hg.), Pazifismus in der Weimarer Republik, Paderborn 1981, S. 9-25, hier S. 19. 33 Ebd. 34 Vgl. dazu A. Thimme, Flucht in den Mythos. Die Deutschnationale Volkspartei und die Niederlage von 1918, Göttingen 1969. 35 A. Hillgruber, Unter dem Schatten von Versailles. Die außenpolitische Belastung der Weimarer Republik. Realität und Perzeption bei den Deutschen, in: K. D. Erdmann u. H. Schulze (Hg.), Weimar. Selbstpreisgabe einer Demokratie, Düsseldorf 1980, S. 51-67, hier S. 57. 36 J . C. Heß, »Das ganze Deutschland soll es sein«. Demokratischer Nationalismus in der Weimarer Republik am Beispiel der Deutschen Demokratischen Partei, Stuttgart 1978, S. 101. 37 E. Schraepler, Die Forschung über den Ausbruch des Ersten Weltkriegs im Wandel des Geschichtsbildes 1919-1969, in: GWU, Bd. 23, 1972, S. 321-338, hier S. 328. Vgl. auch Erdmann, Scheitern, S. 69. 38 Vgl. dazu H. Draeger, Die Deutsche Revisionsbewegung, ihre bisherige Entwicklung und künftigen Ziele, Berlin o. I. 39 Vgl. dazu die im Herbst und Winter 1918 geführte Diskussion in der Weltbühne: G. Metzler, Die Schuld des Reichstags, in: WB, 14. Jg., 1918, S. 501-505; Olf, Die Lüge?, in: ebd., S. 548; C. Meinhard, Wilsonismus, in: ebd., S. 578-580. 40 NV, Bd. 339, S. 1218 f.

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Anmerkungen zu Seite 19-23 41 Vgl. dazu ZStA Potsdam RMI, Bd. 16941, Bl. 109 f. 42 Vgl. dazu H. Graml, Die Alliierten in Deutschland, in: Westdeutschlands Weg zur Bundesrepublik 1945-1949, München 1976, S. 25-52, bes. S. 34. Zum ›Erfolg‹ dieser alliierten Bestrebungen vgl. besonders A. u. M. Mitscherlich, Die Unfähigkeit zu trauern. Grundlagen kollektiven Verhaltens, München 1968. 43 Vgl. E. Fischer-Baling, Der Untersuchungsausschuß für die Schuldfragen des Ersten Weltkriegs, in: A. Herrmann (Hg.), Aus Geschichte und Politik, Festschrift für L. Bergsträsser, Düsseldorf 1954, S. 117-137. 44 Zur Bedeutung eines solchen Ansatzes vgl G. Ziebura, Einleitung, in: ders. (Hg.), Grundfragen der deutschen Außenpolitik seit 1871, Darmstadt 1975, S. 1-11. 45 Zu den Problemen einer Integration politik- und sozialwissenschaftlicher Theoreme in die historische Forschung vgl. J . Kocka, Einleitende Fragestellungen, in: ders. (Hg.), Theorien in der Praxis des Historikers, Göttingen 1977, S. 9-12, bes. S. 11. 46 Die Aktenbestände der »Zentralstelle für Erforschung der Kriegsursachen« und des »Arbeitsausschusses Deutscher Verbände« sind wahrscheinlich durch Kriegseinwirkungen vernichtet worden. 47 Hillgruber, Schatten, S. 51. 48 Vgl. dazu H. Mommsen, Nationalismus und transnationale Integrationsprozesse in der Gegenwart, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 9/80, S. 3-14. A. Grundlagen der Kriegsschulddiskussion in der Weimarer Republik 1 Vgl. BA R 43 I 1348, D 741 710ff; auszugsweise abgedruckt in: Akten der Reichskanzlei. Weimarer Republik, hg. v. K. D. Erdmann u. W. Mommsen: Das Kabinett Scheidemann (13. Februar bis 20. Juni 1919), bearb. v. H. Schulze, Boppard 1971, S. 40, Anm. 15. 2 Die Solf-Note ist abgedruckt in: KSF, Bd. VI, 1928, S. 2. 3 Ursachen und Folgen. Vom deutschen Zusammenbruch 1918 und 1945 bis zur staatlichen Neuordnung Deutschlands in der Gegenwart, hg. v. H. Michaelis u. E. Schraepler, Bd. III, Berlin o. J . , S. 332. Die französische Antwortnote findet sich in: La Dokumentation Internationale; La Paix de Versailles, hg. v. A. G. de Lapradelle, Paris 1929, Bd. Ill, S. 226. Für die Haltung Frankreichs vgl. P. Miquel, Versailles im politischen Meinungsstreit Frankreichs 1919-1926, VfZ, Bd. 20, 1972, S. 1-15, hier S. 1. 4 Kabinett Scheidemann, S. 40, Anm. 15. 5 Unter›politischerJustiz‹ soll in Anlehnung an Otto Kirchheimer im folgenden der Einsatz gerichtsförmiger Verfahren zu politischen Zwecken verstanden werden, vgl. O. Kirchheimer, Funktionen des Staates und der Verfassung, Frankfürt 1972, S. 143; vgl. auch ders., Politische Justiz, Verwendung juristischer Verfahrensmöghchkeiten zu politischen Zwecken, Neuwied 1965, S. 85. 6 Brockdorff-Rantzau an Paxkonferenz, 3. 6. 1919, PA Deutsche Friedensdelegation, Vorgeschichte des Krieges, Bd. 1, E 213 519. 7 Dazu ZStA Potsdam AA, Bde. 54505 u. 54506. 8 BAR 431 1348, D 741 711. 9 Vgl. NV, Bd. 326, S. 46. Zur Begründung Scheidemanns für diese Bemerkung über Ludendorff vgl. NV, Bd. 327, S. 860. 10 Miller, Bürde, S. 250. 11 Die gleiche Forderung hatten auch der ehemalige Staatssekretär im AA, Kurt v. Jagow, sein Amtsnachfolger Zimmermann und der ehemalige Chef der OHL, v. Falkenhayn sowie Reichskanzler a. D. v. Bethmann Hollweg und General Groener gestellt: NV, Bd. 338, S. 1998; vgl. auch Kabinett Scheidemann, S. 86. 12 Vgl. Ludendorff an Scheidemann, 28. 2. 1919, in: Vorwärts, Nr. 138, 16 3. 1919.

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Anmerkungen zu Seite 23 - 26 13 Vgl. Tägliche Kundschau, Nr. 91, 19. 2. 1919. 14 Vgl. Deutsche Tageszeitung, Nr. 115, 4. 3. 1919. 15 Vgl. zu dieser Kampagne Vorwärts, Nr. 158, 27. 3. 1919. 16 Vgl. Tägliche Rundschau, Nr. 81, 14. 2. 1919. 17 Vgl. NV, Bd. 327, S. 809; vgl. auch Scheidemann an Ludendorff, 5. 3. 1919, in: Tägliche Rundschau, Nr. 132, 16. 3. 1919. 18 Vgl. NV. Bd. 327, S. 839. 19 Vgl. Tägliche Rundschau, Nr. 152, 27. 3. 1919; Der Tag, Nr. 146, 3. 4. 1919. 20 Vgl. Kabinett Scheidemann, S. 99. 21 Zur Problematik der Arbeiter- und Soldatenräte vgl. den Forschungsbericht von W. J . Mommsen, Die deutsche Revolution 1918-1920. Politische Revolution und soziale Protestbewegung, in: GG, Bd. 4, 1978, S. 362-391. 22 So der Tenor der Einleitung von R. Rürup, in; ders. (Hg.), Arbeiter- und Soldatenräte im rheinisch-westfälischen Industriegebiet, Wuppertal 1975, S. 7-38. 23 Vgl. dazu E. Kolb, Die Arbeiterräte in der deutschen Innenpolitik, Düsseldorf 1962, S. 405. U. Kluge, Soldatenräte und Revolution. Studien zur Militärpolitik in Deutschland, Göttingen 1975, S. 115 u. S. 352 ff. 24 Hierfür ist beispielhaft der Aufruf der Versammlung der Berliner Arbeiter- und Soldatenräte vom 10. 11. 1918 in: G. A. Ritter u. S. Miller (Hg.), Die deutsche Revolution 1918/19. Dokumente, Hamburg 19752, S. 96ff; vgl. auch ebd., S. 59. 25 Vgl. Ursachen und Folgen, Bd. Ill, S. 32. Einen der ersten konkreten Hinweise auf die Behandlung der Schuldfrage mit den Mitteln der politischen Justiz bietet der Parteitag der bayerischen MSPD in der ersten Oktoberhälfte 1918. Dort hieß es: »Der Parteitag der bayerischen Sozialdemokratie fordert die Einsetzung eines Staatsgerichtshofes zur Feststellung und Aburteilung aller Schuldigen, die frühere Friedensaktionen zum Scheitern gebracht und für die ungeheure Zahl an Opfer während und nach dem Kriege die Verantwortung zu tragen hätten«. Bezeichnenderweise ging aber auch die bayerische MSPD nicht auf die »Schuld am Kriege« ein. Vgl. F. Osterroth u. D. Schuster, Chronik der deutschen Sozialdemokratie, Bd. I: Bis zum Ende des Ersten Weltkriegs, Berlin 1975, S. 204. 26 Vgl. Rote Fahne, Nr. 29, 14. 12. 1918. 27 Vgl. P. Dirr, Bayerische Dokumente zum Kriegsausbruch und zum Versailler Schuldspruch, München 19253, S. XIV-XXIV; Revolution und Räterepublik in München in Augenzeugenberichten, hg. v. G. Schmolze, Düsseldorf 1969, S. 157 ff. Neuerdings auch H. Schueler, Auf der Flucht erschossen. Felix Fechenbach 1894-1933, Köln 1981, S. 154-167. 28 Vgl. dazu F. Schade, Kurt Eisner und die bayerische Sozialdemokratie, Hannover 1961, S. 66 ff. 29 F. Eisner, Kurt Eisner. Die Politik des libertären Sozialismus, Frankfürt 1978, S. 113 ff. 30 So die zutreffende Charakterisierung von F. Eisner in: dies. (Hg.), Kurt Eisner, Sozialismus als Aktion. Ausgewählte Aufsätze und Reden, Frankfürt 1975, S. 150 f. 31 W. Wette, Frieden durch Revolution. Das Scheitern der Friedenskonzeption der radikalen Linken in der deutschen Revolution von 1918/19, in: W. Huber u. J . Schwerdtfeger (Hg.), Frieden. Gewalt, Sozialismus. Studien zur Geschichte der sozialistischen Arbeiterbewegung, Stuttgart 1976, S. 282-357, hier S. 350. 32 Vgl. H. Hürten, Die Novemberrevolution. Fragen an die Forschung, in: GWU, Bd. 30, 1979, S. 158-174, hier S. 162. 33 Vgl. Rote Fahne, Nr. 10, 24. 11. 1918 u. Nr. 29, 14. 12. 1918. 34 Das Programm ist erstmals abgedruckt in: Rote Fahne, Nr. 29, 14. 12. 1919. 35 Vgl. Bericht über den Gründungsparteitag der Kommunistischen Partei Deutschlands (Spartakus-Bund) v. 30. 12. 1918-1. 1. 1919, o. O., o. J . (1919), S. 53. 36 Vgl. ebd., S. 49; vgl. auch die Leitartikel von R. Luxemburg u. P. Levi in: Rote Fahne, Nr. 3, 18. 11. 1918u. Nr. 11,25. 11. 1918.

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Anmerkungen zu Seite 26- 30 37 Zitiert nach E. Waldman, Spartakus. Der Aufstand von 1919 und die Krise der deutschen sozialistischen Bewegung, Boppard 1967, S. 208. 38 Prot, des Gründungsparteitags der Kommunistischen Partei Deutschlands, hg. v. Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, Berlin 1972, S. 239. 39 Vgl. P. Levi, Das Gericht, in: Rote Fahne, Nr. 11, 25. 11. 1918; der Artikel läßt jedoch nicht erkennen, ob sich Levi für die Errichtung eines Revolutionstribunals oder für die öffentliche Diskreditierung der einstmals Mächtigen ohne strafrechtliche Folgen ausgesprochen hat. 40 Vgl. Prot. PT-KPD, 1919, S. 233. 41 Vgl. zur Bewertung des Parteitags die noch immer maßgebende Studie von A. Rosenberg, Geschichte der Weimarer Republik, Frankfürt 1962, S. 50 ff. 42 Vgl. Prot, der Parteitage der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, Bd. 1, 1917-1919, ND, Glashütten 1975, S. 16ff. u. S. 80. 43 Vgl. ebd., S. 142. 44 Das Programm ist hier zitiert nach K. Marchionini, Was trennt uns Unabhängige von den Rechtssozialisten?, Leipzig 1919, S. 30 f.; zur Bewertung vgl. auch: D. W. Morgan, The Socialist Left and the German Revolution. A History of the German Independent Social Democracy, London 1975, S. 258 f.; Miller, Bürde, S. 322 ff. 45 Vgl. Prot. PT-USPD, Bd. 1, S. 142f.; vgl. auch die Rede des USPD-Abg. Henke anläßlich der Beratung des Staatsgerichtshofgesetz-Entwurfs am 29. 7. 1919, in: NV, Bd. 328, S. 2039. 46 Vgl. R. F. Wheeler, USPD und Internationale. Sozialistischer Internationalismus in der Zeit der Revolution, Berlin 1975, S. 88. 47 Vgl. IISG Dittmann-Erinnerungen, D 14/42, S. 883. 48 Vgl. die Rede Haases v. 27. 3. 1919, NV, Bd. 327, S. 848. 49 M. Wotkowicz, Zur Stellung des Zentrums im »Kampf gegen die Kriegsschuldlüge« in der zweiten Hälfte des Jahres 1919, in: Jenaer Beiträge zur Parteiengeschichte, Nr. 23, Jena 1968, S. 136-146, hier S. 136 f. 50 Um Verwechslungen mit dem nationalsozialistischen Rassetheoretiker Eugen Fischer zu entgehen, nannte sich der langjährige Geschäftsführer des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses für die Schuldfragen des Weltkriegs seit 1945 nach seinem Heimatort Balingen in Württemberg, Eugen Fischer-Baling. Diesen Hinweis verdankt der Verf. Frau Cilli FischerBaling, Nymwegen, Niederlande. 51 Vgl. Fischer-Baling, S. 118. 52 Prot. PT-SPD, 1919, S. 130. 53 Vgl. Miller, Bürde, S. 130 f. u. S. 282. 54 Vgl. L. Albertin, Liberalismus und Demokratie am Anfang der Weimarer Republik. Eine vergleichende Analyse der Deutschen Demokratischen Partei und der Deutschen Volkspartei, Düsseldorf 1972, S. 309. 55 Das sog. Stockholmer Memorandum v. 12. 6. 1917 ist abgedruckt in: Ursachen und Folgen, Bd. II, S. 64—70. Zum Friedensprogramm Wilsons v. 8. 1. 1918 und zur Lansingnote v. 5. 11. 1918 vgl. ebd., S. 374 ff. u. S. 467f. Zur Friedenspolitik der SPD jetzt auch: F. Boll, Frieden ohne Revolution? Friedensstrategien der deutschen Sozialdemokratie vom Erfurter Programm 1891 bis zur Revolution 1918, Bonn 1980, S. 209 ff. 56 S. Miller, Burgfrieden und Klassenkampf. Die deutsche Sozialdemokratie im Ersten Weltkrieg, Düsseldorf 1974, S. 394 f. 57 Miller, Bürde, S. 275. 58 Miller, Burgfrieden, S. 276-281. 59 Vgl. Prot. PT-SPD, 1919, S. 47. 60 Schulthess, Bd. 60, 1919, II, S. 191. Weiter hieß es: »Die deutsche Sozialdemokratie hat wie immer man im einzelnen über ihre Politik während des Krieges urteilen mag, jetzt durch die Tat ihren entschlossenen Willen bekundet, alle ihre Kraft dem Aufbau der vom Kriege zerrütte-

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Anmerkungen zu Seite 31-33 ten Welt zu widmen und im Geist und im Dienste der Internationale zusammen mit den Sozialisten aller Länder im Völkerbund den Sozialismus zu erkämpfen«. 61 Ebd., S. 183 ff. 62 Zur besonderen Rolle Eisners auf der Berner Konferenz vgl. R. F. Wheeler, The Failure of »Truth and Clarify« at Berne. Kurt Eisner, the Opposition and the Reconstruction of the International, in: International Review of Social History, Bd. 17, 1973, S. 173-201. Kautsky und Eisner wurden auf der Konferenz von Bernstein unterstützt, der, ohne offiziell Delegierter zu sein, das Wort erhielt. Vgl S. Miller, Bernsteins Haltung im Ersten Weltkrieg und in der Revolution 1918/19, in: H. Heimann u. T. Meyer (Hg.), Bernstein und der Demokratische Sozialismus, Bonn 1978, S. 213-221, hier S. 220. 63 Unter dem Druck der von den Bolschewiki geplanten Einberufung einer Internationale radikal linker Arbeiterparteien nach Moskau und angesichts der expressis verbis bekundeten Absicht der Konferenz im Sinne der internationalen Arbeiterbewegung Einfluß auf die Friedensvorstellungen der Siegermächte zu nehmen, gab man sich in Bern alle Mühe, die sehr wohl vorhandenen Interessengegensätze mit Formelkompromissen zu überdecken. Eine Gesamtbewertung der Konferenz findet sich bei: Wheeler, USPD, S. 57 ff. 64 Mit Blick auf die gescheiterten Bemühungen der europäischen Arbeiterparteien, Einfluß auf die Versailler Friedensverhandlungen zu nehmen, hat Mayer die Berner Internationale »the stillborn Berne Conference« genannt. A. J . Mayer,, Politics and Diplomacy of Peacemaking. Containment and Counterrevolution at Versailles 1918-1919, London 1968, S. 373 ff. 65 David war der Ansicht, in der Kriegsschuldfrage helfe nur »völlige Klarheit und Wahrheit«. Er stützte sich dabei auf die Aktensammlung Kautskys und auf österreichische Geheimdokumente, die ihm der Österreichische Gesandte in Berlin, Hartmann, zugänglich gemacht hatte. Vgl. Kabinett Scheidemann, S. 146 u. S. 350 f. 66 Vgl. K. Schwabe, Deutsche Revolution und Wilson-Frieden. Die amerikanische und deutsche Friedensstrategie zwischen Ideologie und Machtpolitik 1918/19, Düsseldorf 1971, S. 531 f. 67 D. Groh, Negative Integration und revolutionärer Attentismus. Die deutsche Sozialdemokratie am Vorabend des Ersten Weltkriegs, Berlin 1973, S. 720 ff. 68 Die USPD-Agitation gegen die Schwesterpartei sprach nicht umsonst von der »Kriegsschuld der Rechtssozialisten«, vgl. Die Freiheit, Nr. 609, 15. 12. 1919 u. Leipziger Volkszeitung, Nr. 248, 4. 12. 1919. 69 Es ist bezeichnend, daß die MSPD in ihre ablehnende Haltung gegenüber den alliierten Friedensbedingungen immer auch harte Kritik an der von »naiven Illusionen« getragenen Politik der USPD mit einfließen ließ. Der USPD warf man vor, nationale Fragen wie den Friedensschluß ausschließlich »unter dem Gesichtswinkel engsten Parteiinteresses« zu behandeln. Vgl. H. Cunow, Die Versailler Friedensbedingungen, in: Die Neue Zeitung, 37. Jg., 1919, S. 171-177, hier S. 174. 70 H. Schulze, Otto Braun oder Preußens demokratische Sendung, Berlin 1977, S. 260. 71 H. Potthoff, Gewerkschaften und Politik zwischen Revolution und Inflation, Düsseldorf 1979, S. 207. 72 Vgl. Money, S. 180-195; zur Empörung der Zentrumsabgeordneten über die alliierten Kriegsschuldanklagen vgl. den Erlebnisbericht des späteren Reichskanzlers Marx, in: StdA Köln NL Marx, Nr. 101. 73 Zur außenpolitischen Strategie Erzbergers, der sich mit seiner kompromißbereiteren Haltung gegenüber den Siegermächten im Reichskabinett nicht hat durchsetzen können, vgl. vor allem Epstein, S. 337-368. 74 Zur »Deutschen Liga für Völkerbund« vgl. D. Acker, Walther Schücking (1875-1935), Münster 1970, S. 148 ff. Zur »Heidelberger Vereinigung« vgl. W. J . Mommsen, Max Weber und die deutsche Politik 1890-1920, Tübingen 19742, S. 338; Alhertin, S. 212-215. 75 Vgl. Heß, S. 51-56. Auch die Koalitionspartner der DDP hatten in ihren programmati-

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Anmerkungen zu Seite 3 4 - 31 schen Äußerungen den Beitritt Deutschlands zum Völkerbund gefordert und eine Politik der Völkerversöhnung propagiert. Vgl. M. Brink, Deutschlands Stellung zum Völkerbund in den Jahren 1918/19- 1922 unter besonderer Berücksichtigung der politischen Parteien und pazifistischen Vereinigungen, phil. Diss., FU Berlin 1968, S. 206f. 76 Vgl. Mommsen, Weber, S. 339. 77 Vgl Heß, S. 84 u. S. 111. 78 H. Schustereit, Linksliberalismus und Sozialdemokratie in der Weimarer Republik. Eine vergleichende Betrachtung der Politik von DDP und SPD 1919-1930, Düsseldorf 1975, S. 195. 79 Vgl. H. Heiher, Die Republik von Weimar, München 19747, S. 55; T. Eschenburg, Matthias Erzberger. Der große Mann des Parlamentarismus und der Finanzreform, München 1973, S. 135. Für die DVP vgl. W. Hartenstein, Die Anfänge der Deutschen Volkspartei 1918-1920, Düsseldorf 1962, S. 126-129. 80 Vgl. Miller, Bürde, S. 193ff., bes. S. 202. So auch schon Rosenberg, Geschichte, S. 12. 81 Albertin, S. 309. 82 E. Kolb, Internationale Rahmenbedingungen einer demokratischen Neuordnung in Deutschland 1918/19, in: Poltische Parteien auf dem Weg zur parlamentarischen Demokratie in Deutschland. Entwicklungslinien bis zur Gegenwart, hg. v. L. Albertin u. W. Link, Düsseldorf 1981, S. 147-176, hier S. 168f. 83 V. Romberg an AA, 29. 11. 1918 (A 51544), PA Wk adh. 4, Bd. 13. 84 Erzberger an AA (v. Bergen), 2. 12. 1918, ebd. 85 Diese Strategie hatte die Wilhelmstraße auch in anderer Beziehung verfolgt. Wie Kolb herausgearbeitet hat, besteht die starke Vermutung, daß das AA Meldungen, nach denen sich die Alliierten scharf gegen die Arbeiter- und Soldatenräte aussprachen, bei den deutschen, diplomatischen Vertretungen im Ausland regelrecht bestellte. Vgl. Kolb, Arbeiterräte, S. 186. 86 Vgl. Miauet, Versailles, S. 2. 87 Für die Baseler Nationalzeitung stand ebenso wie für die Neue Züricher Zeitung fest, daß Deutschland nur durch die aufrichtige Enthüllung seiner Schuld am Kriege, das Vertrauen der Welt zurückerlangen könne; die Kopenhagener Zeitung Politiken riet der neuen deutschen Regierung an, die Schuld »gerecht« auf die Männer zu verteilen, die das deutsche Volk durch »Bluff und Unwahrheiten« in Kriegsstimmung versetzt hatten. ZStA Potsdam AA, Bd. 54506. Zur Frage der Reaktion der Berner Internationale auf die Reden Eisners vgl. Miller, Bürde, S. 336 f. 88 Mögenburg schreibt: »Die Wiederentdeckung der so lange als linksradikal verteufelten USPD im April und Mai 1919 als potentiellen Verbündeten Großbritanniens ausgerechnet durch britische Generale . . . und den Premier, belegt sehr eindrucksvoll, daß Großbritannien die deutsche Rechtsentwicklung seit dem Frühjahr 1919 wieder mehr beunruhigte als die unheimlich dunkle Wolke des russischen Bolschewismus (Herzfeld)«. Vgl. H. Mögenburg, Die Haltung der britischen Regierung zur deutschen Revolution, phil. Diss., Hamburg 1975, S. 596f Vgl. dagegen H. Köhler, Novemberrevolution und Frankreich. Die französische Deutschland-Politik 1918-1919, Düsseldorf 1980, S. 99; W. Schwengler, Völkerrecht, Versailler Vertrag und Auslieferungsfrage. Die Strafverfolgung wegen Kriegsverbrechen als Problem des Friedensschlusses 1919/20, Stuttgart 1982, S. 142. 89 Mögenburg fuhrt dazu aus: »Je kleiner die Gefahr eingeschätzt wurde, daß Berlin dem Beispiel Petersburg folgen könnte, desto häufiger wurde Weimar in die Nähe von Potsdam gerückt«. Mögenburg, S. 580. 90 Vgl. Frankfurter Zeitung, Nr. 66, 25. 1. 1919. Temps reagierte umgehend: Zwar hätten die Ententemächte - so das offiziöse französische Blatt - die volle Aufklärung nicht zu fürchten, unerträglich sei jedoch, daß die an der Macht befindliche deutsche Regierung, deren Mitglieder durch Abstimmungen, »Schweigen oder Lügen«, ebenfalls schwere Schuld auf sich genommen hätten, ein derartiges Begehren an die alliierten Regierungen stellen würde, »gleich als ob diese wie Deutschland Rechenschaft zu geben hätten«. Nur »bei unglaublicher Ahnungslosigkeit

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Anmerkungen zu Seite 3 8 - 4 0 oder bösem Willen« könne man von der Entente Rechenschaft fordern und dabei »das Zeugnis der Opfer mit den Entschuldigungen der Beschuldigten auf eine Stufe stellen«. Vgl. PA Wk adh. 4, Bd. 13. 91 Großkopf an v. Bülow, 30. 5. 1919, PA SchRef, Handakten des Büros Großkopf. Das Büro wurde am 6. 12. 1919 wieder aufgelöst. Aufzeichnungen Großkopf, 7. 12. 1919, ebd. Der Impuls zur Beschäftigung mit der Kriegsschuldfrage ging noch auf Staatssekretär Solf zurück. Dieser gab schon am 7. 11. 1918 der Nachrichtenabteilung seines Hauses folgende Anweisung: »Bei den bevorstehenden Friedensverhandlungen werden die Schuldfrage des Krieges und die Greuel-Frage eine besondere Rolle spielen; wir werden gezwungen sein, uns nicht nur zu verteidigen, sondern dem Angriff der Gegner mit Gegenangriffen zu begegnen. Ich bitte daher, alles geeignete Material. . . bereit zu stellen«. Zitiert nach Schwengler, S. 138. 92 Zur Organisation der deutschen Friedensvorbereitung vgl. Haupts, S. 394-404. Vgl. auch Kabinett Scheidemann, S. LIV. 93 Großkopf an v. Bülow, 30. 5. 1919 (zit. Anm. 91). 94 Vgl. Zirkular J. Nr. 47, 28. 5. 1919, ebd. 95 Vgl. P. Krüger u. E. J . C. Hahn, Der Loyalitätskonflikt des Staatssekretärs Bernhard Wilhelm v. Bülow im Frühjahr 1933, in: VfZ, Bd. 20, 1972, S. 376-410, hier S. 378. 96 Zu diesem Material vgl. PA IA Weltkrieg, Handakten Legationssekretär v. Bülow, Bde. 1-3. 97 Vgl. das vertrauliche Schreiben v. Bülows an die Hauptschriftleitung der MünchenAugsburger Abendzeitung, 9. 6. 1922, PA NL v. Bülow, Bd. 4, E 203 239 f. 98 Großkopf an v. Bülow, 30. 5. 1919 (zit. Anm. 91); vgl. auch den »Entwurf [zur] Registrierung des Interzeptionsmaterials«, ebd. 99 Aufzeichnung Dieckhoff (betr. Vorbereitungen zu den Friedensverhandlungen), 9. 1. 1919, PA SchRef, Leg. Sekr. v. Bülow (rote Mappe). 100 Vgl. Sitzungsprotokoll v. 22. 1. 1919 (Auszug), ebd. 101 Dieckhoff an v. Bülow, 19. 2. 1919, ebd. 102 Anwesenheitsliste der Besprechung am 22. 2. 1919, ebd. 103 Ergebnis der Besprechung v. 22. 2. 1919, ebd. 104 V. Harbou an v. Bülow, 5. 2. 1919, ebd. Dieses Problem hatte v. Bülow schon im Vorfeld der Besprechung v. 22. 2. 1919 angesprochen. In diesem Zusammenhang schrieb er an v. Harbou: »Von besonderer Bedeutung erscheint mir, daß im internen Dienstverkehr über diese Fragen keine suggestio falsi oder supressio veri vorkommt. Was wir auf der Konferenz vorbringen wollen, können wir später noch vereinbaren. Zunächst gilt es den Tatbestand klarzulegen«. Vgl. v. Bülow an v. Harbou, 3. 2. 1919, ebd. 105 Bereits Anfang März liefen die Denkschriften der Militärbehörden im AA ein. V. Bülow an v. Harbou, 4. 3. 1919, ebd. 106 V. Bülow an Dieckhoff, 4. 3. 1919, ebd. V. Bülow fügte einschränkend hinzu: »In kurzer Zeit und mit beschränkten Mitteln läßt sich aber wohl nicht viel mehr machen«. Die Arbeiten wurden nach dem Friedensschluß veröffentlicht. Für diesen Zweck stellte der Reichsfinanzminister 280000 M zur Verfügung. Aufzeichnung Freytag, 3. 12. 1919, PA Wk adh. 4, Nr. 2, Bd. 2, E 615 527. 107 Der Auftrag zur Herausgabe eines deutschen Weißbuches zur Vorgeschichte des Weltkriegs war in der Sitzung des Rates der Volksbeauftragten v. 18. 11. 1918 an die beigeordneten Unterstaatssekretäre Kautsky (USPD) und David (MSPD) ergangen. Vgl. Kabinett Scheidemann, S. 63, Anm. 8; IISG NL Kautsky, G 11/120. Am 5. 12. 1918erschienen dann Kautsky u. Quarck (MSPD) als Bearbeiter. Vgl. Julikrise und Kriegsausbruch 1914, hg. v. I. Geiss, Hannover 1963, Bd. 1, S. 28-34 sowie Dickmann, S. 63 ff. 108 Kautsky an Brockdorff-Rantzau, 26. 3. 1919, IISG NL Kautsky, G 11/12. Zu den Schwierigkeiten Kautskys mit dem AA, ebd. Nr. 5, 8, 42, 44, 105, 135. 109 Vgl. K. Kautsky, Wie der Weltkrieg entstand, Berlin 1919, S. 171 u. S. 178.

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Anmerkungen zu Seite 4 1 - 4 4 110 U. Wengst, Graf Brockdorff-Rantzau und die außenpolitischen Anfänge der Weimarer Republik, Berlin 1973, S. 33 f. 111 Vgl Aufzeichnung Oberndorff, 26. 3. 1919, PA Wk adh. 4, Nr. 2, Bd. 2, E615672ff. 112 Wengst, Brockdorff-Rantzau, S. 34. 113 Kautsky an Brockdorff-Rantzau, 26. 3. 1919 (zit. Anm. 108). 114 Ein Umdruck der Richtlinien findet sich in: Kabinett Scheidemann, S. 193-204. Über die diesbezüglichen Verhandlungen im Reichskabinett vgl. ebd. Vgl. dazu auch G. Schulz, Revolutionen und Friedensschlüsse, 1917-1920, München 1967, S. 213-216. 115 Dazu die im März 1919 entstandene Aufzeichnung des Legationsrates Freytag »Veröffentlichungen zur Kriegsschuldfrage« (undatiert), PA Wk adh. 4, Nr. 2, Bd. 2, E 615 667ff. Vgl. dagegen die Interpretation bei Schwengler, der die Ansicht vertritt, man habe deutscherseits nicht beabsichtigt, die Schuldfrage auf der Friedenskonferenz oder in deren Vorfeld aufzuwerfen. Schwenglers Arbeit enthält zwar Hinweise auf die Aktivitäten des Auswärtigen Amtes und anderer Reichsbehörden in Sachen Kriegsschuld; auf die Arbeit des Spezialbüros v. Bülow geht der Autor jedoch nicht ein. Schwengler, S. 152-155. 116 AA an v. Schoen, 16. 12. 1918, PA Wk adh. 4, Bd. 13. Die Durchschrift »st mit »St. S.« unterzeichnet. 117 Berliner Lokal-Anzeiger, Nr. 646, 21. 12. 1918. 118 Norddeutsche Allgemeine Zeitung, Nr. 649, 21. 12. 1918. 119 V. Bülow an v. Harbou, 10. 4. 1919, PA SchRef, Leg. Sekr. v. Bülow (rote Mappe). 120 Vgl. Anm. 97. 121 Für ein »angriffsweises« Vorgehen der Reichsregierung hatte sich z. B. auch der deutsche Gesandte in Bern, Adolf Müller (MSPD), ausgesprochen. Vgl. Dieckhoff an v. Bülow, 5. 3. 1919, PA SchRef, Bd. 123. Müller bezog hier-wie so häufig-eine Position, die nicht mit der außenpolitischen Linie seiner Partei übereinstimmte. Zur Person des sozialdemokratischen Diplomaten vgl. K. H. Pohl, Ein sozialdemokratischer Frondeur gegen Stresemanns Außenpolitik. Adolf Müller und Deutschlands Eintritt in den Völkerbund, in: W. Benz u. H. Graml (Hg.), Aspekte deutscher Außenpolitik, Stuttgart 1976, S. 68-86, bes. S. 68f. Für die Militärs hatte der Leiter der Deutschen Waffenstillstandskommission in Spa, Generalmajor Frhr. v. Hammerstein, am 25. 3. 1919 Position bezogen: »Legen wir nicht bald Bresche in die Geistesrichtung unserer Feinde, die in ihrem Haß und ihrer Verachtung gegen uns immer noch ihren einheitlichen Sammelpunkt findet, so wird das deutsche Volk dies mit jahrelanger Erniedrigung und mit vielen Milliarden zu bezahlen haben. Der Weg der Reue für etwas, was wir gar nicht begangen, oder woran wir wenigstens nicht allein schuld sind, führt uns nur noch tiefer in den Sumpf«. Zitiert nach Schwengler, S. 162. 122 Dieckhoff an v. Bülow, 5. 3. 1919, PA SchRef, Leg. Sekr. v. Bülow (rote Mappe). 123 Im einzelnen wurde die Kriegsschuldanklage verankert: In der Präambel des Versailler Vertrages, die den Ursprung des Krieges in der Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien v. 28. 7. 1914, in den Kriegserklärungen Deutschlands an Rußland v. 2. 8. 1914 und an Frankreich v. 3. 8. 1914 sowie im deutschen Einfall in Belgien begründet sah; im Art. 227, der Kaiser Wilhelm IL »wegen schwerster Verletzung des internationalen Sittengesetzes und der Heiligkeit der Verträge unter öffentliche Anklage« stellte und schließlich im Art. 231, der die Legitimationsgrundlage für die Reparationsforderungen der Alliierten abgab. Vgl. Die Friedensbedingungen der Alliierten und Assoziierten Mächte, Berlin 1919, S. 11 u. S. 108 ff. 124 Vgl. dazu K. W. Wippermann, Politische Propaganda und staatsbürgerliche Bildung. Die Reichszentrale für Heimatdienst in der Weimarer Republik, Köln 1976, S. 111 ff. 125 Zu den Wirkungen dieser Propaganda vgl. P. Krüger, Die Reparationen und das Scheitern einer deutschen Verständigungspolitik auf der Pariser Friedenskonferenz im Jahre 1919, in: HZ, Bd. 221, 1975, S. 327-329. 126 Wengst, Brockdorff-Rantzau, S. 65. 127 V. Bülow an Freytag, 13. 5. 1919, PA NL v. Bülow, Bd. 2, Bl. 150-152; v. Bülow an

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Anmerkungen zu Seite 44 - 46 Pax Konferenz (Geschäftsstelle für die Friedensverhandlungen), 9. 5. 1919; v. Bülow an AA, 12. 5. 1919, PA Deutsche Friedensdelegation, Pol. 7, Bd. 1/1919, E 213 275 u. E 213 289. 128 Vgl. Das französische »Gelbbuch«. Diplomatische Aktenstücke 1914. Der europäische Krieg, Bern 1915; Das englische »Weißbuch« in der deutschen Übersetzung, hg. v. F. Siegmund-Schultze, o. O., o. J . (Nov. 1914); Das serbische »Blaubuch«/Das russische »Orangebuch«. Diplomatische Aktenstücke zur Vorgeschichte des Krieges, Wien 19152; Das belgische »Graubuch«. Diplomatischer Schriftwechsel des Königlich Belgischen Ministeriums des Äußeren zu dem Kriege von 1914 (24. 7.-29. 8.), Bern 1914. 129 Vgl. DAZ, Nr. 242, 22. 5. 1919 u. Nr. 246, 22. 5. 1920. 130 Vgl. Berliner Tageblatt, Nr. 225, 18. 5. 1919; Frankfurter Zeitung, Nr. 400, 16. 5. 1919; Süddeutsche Zeitung, Nr. 128, 17. 5. 1919; DAZ, Nr. 266, 2. 6. 1919. 131 Vgl. die Interpretation bei Wengst, Brockdorff-Rantzau, S. 56. 132 AA an v. Roediger, 13. 2. 1919, PA Wk adh. 4, Bd. 13. 133 Telegramm v. Rosen an AA, 7. 2. 1919, ebd. 134 Dies hinderte Brockdorff-Rantzau freilich nicht daran, das österreichische Material im Kabinett zur Stützung seines Standpunktes vor allem gegen Reichsminister David (MSPD) heranzuziehen. Vgl. Kabinett Scheidemann, S. 351. 135 Wie Unterstaatssekretär Frhr. Langwerth v. Simmern an die Friedensdelegation telegraphierte, zeichnete das genannte Aktenmaterial die Bemühungen des österreichisch-ungarischen Außenministers Graf Berchtold nach: »Deutschland über beabsichtigte Demarche und Ultimatum gegen Serbien im Unklaren zu lassen . . ., ferner auch direkte Fälschungen und planmäßige Verzögerungen, um Londoner und Berliner Aktionen zur Erhaltung des Friedens zu durchkreuzen«. Langwerth an Friedensdelegation, 30. 4. 1919, PA Deutsche Friedensdelegation, Pol. 7, Bd. 1/1919, E 213 224. Zum weiteren Verlauf der Ereignisse: Ebd., Wedel an AA, 1. 5. 1919, E 213 221, Langwerth an Friedensdelegation, 1. 5. 1919, E 213 224, v. Bülow an Pax-Konferenz, 13. 5. 1919, E 213 292, Wedel an Langwerth, 6. 5. 1919, Aktennotiz Langwerth (undatiert) E 213 429. 136 Vgl. Dickmann, S. 87, Anm. 1. 137 Das deutsche Weißbuch über die Schuld am Kriege. Mit der Denkschrift der deutschen Viererkommission zum Schlußbericht der Alliierten und Assoziierten Mächte, Charlottenburg 1919, S. 56-69. 138 Vgl. Mögenburg, S. 545. 139 Vgl. die Interpretation bei J . Fisch, Krieg und Frieden im Friedensvertrag. Eine universalgeschichtliche Studie über Grundlagen und Formelemente des Friedensschlusses, Stuttgart 1979, S. 206 ff. 140 Die englischen und französischen Termini lauten: »view«, »conviction«, »avis« und »vue«. Vgl. Mögenburg, S. 553. 141 Dies sei kritisch gegen Dickmann festgehalten, der schreibt: »Erst mit der Mantelnote und der Denkschrift vom 16. Juni erhielt die alliierte Kriegsschuldthese ihre . . . verletzende Schärfe, zugleich auch ihre authentische Interpretation, von der es später kein Abrücken mehr gab«. Dickmann, S. 92. 142 K. Schwabe, Versailles nach 60Jahren, in: NPL, 24. Jg., 1979, S. 446-475, hier S. 450. Es muß jedoch eingeräumt werden, daß die Forderung des Art. 231, Deutschland müsse seine Verantwortlichkeit auch anerkennen, den sehr weitgehenden deutschen Interpretationen neue Nahrung gab und aus psychologischen Gründen besser unterblieben wäre. Dickmanns Deutung, durch diese Formulierung habe der Art. 231 »den Charakter eines demütigenden Schuldbekenntnisses« erhalten, ist jedoch weit überzogen. Vgl. Dickmann, S. 59. 143 Wengst, Brockdorff-Rantzau, S. 57. 144 PANLv . Bülow, Bd. 3, E 203 491, E 203 498. 145 Vgl. den Erinnerungsbericht des Zentrumspolitikers Bell »Beteiligung der Reichsregie-

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Anmerkungen zu Seite 4 6 - 50 rung und der Friedensdelegation bei den Friedensverhandlungen«, BA NL Bell, Bd. 9. Vgl. auch Dickmann, S. 84 ff. 146 Kabinett Scheidemann, S. 323. 147 Vgl. dagegen die Interpretation bei Schwengler, S. 136 ff. 148 AA an v. Schoen, 16. 12. 1918, PA Wk adh. 4, Bd. 13. 149 P. Krüger, Deutschland und die Reparationen. Die Genesis des Reparationsproblems in Deutschland zwischen Waffenstillstand und Versailler Friedensschluß, Stuttgart 1973, S. 48. 150 Vgl. Schwabe, Revolution, S. 525. Diese Befürchtungen basierten auf beunruhigenden Meldungen aus dem Heer. Vgl. dazu Zwischen Revolution und Kapp-Putsch. Militär und Innenpolitik 1918-1919, bearb. v. H. Hürten, Düsseldorf 1977, S. 125, S, 154 f. u. S. 190 ff. Vgl. zusammenfassend K. Schützte, Der »Kriegsrat« am 19. Juni 1919, in: Zeitschrift für Militärgeschichte, 1966, S. 584-594. 151 Vgl. Groener an Reichskanzlei, 3. 6. 1919, BA R 43 I 803, Bl. 253-256. 152 Vgl. Groener an Ebert, 27. 1. 1919, zit. nach Militär und Innenpolitik, S. 51. 153 Miquel, Versailles, S. 5. 154 Mögenburg, S. 594 f. 155 Haupts, S. 383-394. 156 Schwabe, Versailles, S. 454. 157 C. A. Wurm, Die französische Sicherheitspolitik in der Phase der Umorientierung 1924-1926, Frankfürt 1979, S. 3 ff. 158 Der vor allem von L. Haupts herausgestellte Einfluß liberal-freihändlerischer Wirtschaftsgruppen auf die deutsche Außenpolitik hielt freilich nicht lange vor. Bereits im August 1919 begann die Schwerindustrie ihre ehemals einflußreiche Position in außenpolitischen und außenwirtschaftlichen Fragen zurückzuerobern. Vgl. G. Soutou, Der Einfluß der Schwerindustrie auf die Gestaltung der Frankreichpolitik Deutschlands, in: H. Mommsen, D. Petzina u. B. Weisbrod (Hg.), Industrielles System und politische Entwicklung in der Weimarer Republik, Düsseldorf 1974, S. 543-552. Für die spätere Entwicklung: K. H. Pohl, Weimars Wirtschaft und die Außenpolitik der Republik 1924—1926. Vom Dawes-Plan zum internationalen Eisenpakt, Düsseldorf 1979. 159 Dazu D. Kitsikis, Le rôle des experts à la conference de la paix des 1919. Gestation d'une technocratie en politique internationale, Ottawa 1972, S. 6, 19, 188-190, 209 f. 160 Dies sei kritisch gegen Schwabe angemerkt, der von den sicherlich nicht ›wilhelminischen‹ Intentionen Brockdorff-Rantzaus ausgeht, die Wirkungen der Friedenspolitik des deutschen Außenministers auf die Versailler Verhandlungspartner jedoch nicht gebührend berücksichtigt. Vgl. Schwabe, Versailles, S. 453. 161 Diese Ziele lassen sich mit den Schlagworten »restitution-reparation-securité« charakterisieren. Zumindest in der öffentlichen Meinung Frankreichs umfaßten sie auch den Gedanken an die Annexion des Rheinlandes bzw. die Bildung rheinischer Pufferstaaten sowie weitgehende Schadensersatzforderungen. Vgl. J . B. Duroselle, Histoire diplomatique de 1919ànos jours, Bd. 1, Paris 19664, S. 60. P. Renouvin, Die Kriegsziele der französischen Regierung 1914—1918, in: GWU, Bd. 17, 1966, S. 129-158. P. Miquel, La Paix de Versailles et l'opinion publique française, Paris 1972. S. 546. 162 In diesem Sinne auch die in Frankreich oft verwandte Parole »L'Allemagne paiera«. Vgl. J . Chastenet, Les anneeś d'illusions 1918-1931. Histoire de la Troisième Republique, Paris 1960, S. 21 f. Vgl. hierzu auch G. Steinmeyer, Die Grundlagen der französischen Deutschlandpolitik 1917-1919, Stuttgart 1979, S. 129. 163 Zu diesem Problem vgl. die instruktive Untersuchung von D. Artaud, La question des dettes interalliées et la reconstruction de L'Europe (1917-1929), Paris 1976. Vgl. auch Ch. P. Kindleberger, Die Weltwirtschaftskrise 1929-1939, München 1973, S. 40. 164 In diesen ersten Nachkriegswahlen zum britischen Unterhaus, die im Dezember 1918 stattfanden, richtete man heftige Angriffe auf Deutschland. Das Reich sollte für die gesamten

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Anmerkungen zu Seite 5 0 - 52 Kriegskosten der Siegermächte aufkommen; seine Führer sollten hart bestraft werden. 165 G. Barraclough ist der Ansicht, daß die Wahlversprechungen, die Lloyd George im Dezember 1918 gemacht hat, Englands Haltung in der Reparationsfrage auf der Versailler Friedenskonferenz beeinflußt haben könnten, versieht diese Annahme jedoch mit einem Fragezeichen. Vgl. G. Barraclough, Das Britische Reich und der Frieden, in: H. Rößler (Hg.), Ideologie und Machtpolitik 1919. Plan und Werk der Pariser Friedenskonferenzen 1919, Göttingen 1969, S. 58-77, hier S. 71. 166 Das Memorandum ist abgedruckt in: Schulthess, Bd. 60, 1919, II, S. 474-476; die Hintergründe der Entstehung beleuchtet Mayer, S. 604; zur Bewertung vgl. H. Graml, Europa zwischen den Kriegen, München 1969, S. 87. 167 Mögenburg, S. 516 ff. 168 Vgl. hierzu Schwabe, Revolution, S. 411-447. 169 Vgl. M. Trachtenberg, Reparation in World Politics. France and European Economic Diplomacy 1916-1923, New York 1980, S. 29-99; K. Nelson, Victor Divided. Amerikan and the Alines in Germany 1918-1923, Berkeley 1975. Vgl. auch W. A. Mc Dougall, France's Rhineland Diplomacy 1914-1924. The Last Bid for a Balance of Power in Europe, Princeton 1978. 170 Wurm, S. 3 ff. 171 J . Bariéty, Les relations franco-allemandes aprés la prèmiere guerre mondiale, Paris 1977, S. 750ff. Vgl. auch R. Poidevin u. J . Bariéty, Frankreich und Deutschland. Die Geschichte ihrer Beziehungen 1815-1975, München 1982, S. 310-317. 172 Wurm, S. 19. 173 Für das Verständnis der französisch-deutschen Beziehungen nach dem Ersten Weltkrieg scheint das von der neueren Friedens- und Konfliktforschung aus der Individualpsychologie übernommene und weiterentwickelte Autismus-Modell neue Aufschlüsse und Einsichten vermitteln zu können. Der Verfasser ist sich dabei sehr wohl der Tatsache bewußt, daß im allgemeinen bei der Übernahme des psychoanalytischen Instrumentariums aus der individuellen Therapie in die historische Analyse größte Vorsicht geboten ist (Vgl. H. U. Wehler (Hg.), Geschichte und Psychoanalyse, Köln 1971, S. 20 ff.). Gleichwohl hält er das von der Friedensforschung verwandte Autismus-Modell für geeignet, die eingefahrenen und mit vielen Erklärungslücken behafteten Interpretationsschemata der internationalen Beziehungen in der unmittelbaren Nachkriegszeit ertragbringend zu ergänzen. Für den individualpsychologischen Bereich bezeichnet Autismus nach E. Bleuler ein Denken, »das keine Rücksicht nimmt auf die Erfahrung und das auf eine Kontrolle der Resultate an der Wirklichkeit und eine logische Kritik verzichtet, d. h. das also und in gewissem Grade geradezu identisch ist mit dem Denken im Traume und dem des autistischen Schizophrenen, der sich um die Wirklichkeit möglichst wenig kümmert, im Größenwahn seine Wünsche erfüllt und im Verfolgungswahn seine eigene Unfähigkeit in die Umgebung projiziert . . . Dieses Denken hat seine besonderen, von der (realistischen) Logik abweichenden Gesetze; es sucht nicht Wahrheit, sondern Erfüllung von Wünschen; zufällige Ideenverbindungen, vage Analogien, vor allem aber affektive Bedürfnisse ersetzen ihm an vielen Orten die im strengen realistisch-logischen Denken zu verwendenden Erfahrungsassoziationen«. Für den Bereich der Friedens- und Konfliktforschung präzisiert D. Senghaas: »Autistisch oder extrem selbstbczogen nennen wir dabei in einem latenten oder manifesten Konfliktfeld, gerade auch in der internationalen Politik, ein Kommunikationsmuster, in welchem die Umweltbilder, wie sie im Innensystem eines Akteurs entstehen, die tatsächlichen, realitätsadäquaten Informationen aus der Umwelt selbst dominieren. Je mehr sich, aus welchen Gründen immer, diese Selbstbezogenheit weiterentwickelt, um so blinder wird ein Akteur gegenüber seiner Umwelt«. Zitate aus: D. Senghaas, Rüstung und Militarismus, Frankfürt 1972, S. 46 u. S. 50. 174 So dürfte die empörte Zurückweisung beinahe jeglicher Verantwortung des Reiches für den Kriegsausbruch durch die deutsche Presse und die bereits in den ersten Monaten desJahres

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Anmerkungen zu Seite 5 2 - 51 1919 einsetzende Dolchstoßdiskussion nicht ohne Einfluß auf die französische öffentliche Meinung geblieben sein. 175 Völlig unbefriedigend, mit z. T. diffamierenden Werturteilen besetzt und deshalb vor dem Hintergrund des persönlichen Schicksals Eisners geradezu ärgerlich ist die Darstellung der Politik des bayerischen Ministerpräsidenten durch den Berliner Historiker Henning Köhler. Eisner - »vielleicht das Opfer einer bewußten [französischen] Täuschung . . ., doch das entschuldigt ihn keineswegs«, - wird in Köhlers Untersuchung der Vorwurf gemacht, gerade in der Kriegsschuldfrage »dilettantisch und völlig unkritisch« agiert zu haben. Im Verein mit Politikern, »die stets bereit waren, in erster Linie die Schuld auf der deutschen Seite zu suchen« - Köhler nennt hier die USPD-Mitglieder Breitscheid, Ströbel und Bernstein - habe der bayerische Ministerpräsident der »Propaganda der Entente« wertvolle Dienste geleistet. Der Berliner Historiker folgt hier weitgehend einer Deutung, wie sie in der Weimarer Republik gang und gäbe war. Dadurch stützt er zwar die Grundthese seiner Arbeit, wonach die Macht der außenpolitischen Zwänge und hier vor allem die Intransigenz Frankreichs den Reichsregierungen der unmittelbaren Nachkriegszeit jede Gelassenheit gegenüber »linksradikalen« Entwicklungstendenzen versagt habe. Seine Argumentation berücksichtigt aber in keiner Weise die außenpolitische Wirkung »einseitig vertrauensbildender Maßnahmen gerade unter den Bedingungen autistischer Feindschaft, wie sie zunehmend von der neueren Friedensforschung erkannt wird. Vgl. Köhler, Novemberrevolution, S. 99 f. Zu den skizzierten Fragestellungen der Friedensforschung vgl. D. Senghaas (Hg.), Zur Pathologie des Rüstungswettlaufs, Freiburg 1970, S. 9-19. 176 Vgl. dazu M. Salewski, Das Weimarer Revisionssyndrom, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 2/80, S. 14-25. 177 Der Leiter des Kriegsschuldreferats im AA, Legationsrat Freytag, schätzte den Jahresetat der Völkerbund-Liga im Januar 1920 auf 600 000 M; Freytag an Trautmann, 29. 1. 1920, PA NL v. Bülow, Bd. 4, E 203 342. 178 Freytag an v. Bülow, 11. 1. 1920, ebd., E 203 381. 179 Ein hektographiertes Exemplar des Programms der Völkerbund-Liga befindet sich im Nachlaß des Historikers Friedrich Meinecke, GStA Berlin NL Meinecke, Bd. 8, Bl. 110 ff. 180 Tiedje an Meinecke, ebd., Bl. 108. 181 Programm der Völkerbund-Liga, ebd., Bl. 111. 182 Für das folgende vgl. BA NL Schwertfeger, Bd. 427. 183 Zu den ursprünglichen Aufgaben des Kriegsschuldreferats vgl. Aufzeichnung Freytag, 29. 8. 1919, PA Abt. IA Deutschland, Akten betr. d. Geschäftsgang b. d. Pol. Abt., Bd. 30; ein kurzgefaßter Überblick mit allen Leitern des Referats bei W. Frauendienst, Das Kriegsschuldreferat des Auswärtigen Amtes, in: BM, Bd. XV, 1937, S. 201-233. 184 V. Bülow an Langwerth, 19. 12. 1919, PA NL v. Bülow, Bd. 4, E 303 429. Legationsrat Hans Freytag übernahm 1926, nachdem er mehrere Jahre die deutsche Gesandtschaft in Bukarest geleitet hatte, die Führung der Kulturabteilung des AA. 185 Freytag an v. Schubert, 21. 2. 1920, PA SchRef, Schriftwechsel mit Behörden und Privatleuten, Schriftwechsel des Gesandten Freytag/Korrespondenz v. Bülow/Freytag (zit. Schriftw. Freytag). 186 Aufzeichnung Freytag v. 24. 7. 1919, ebd. 187 V. Bülow an Langwerth, 19. 12. 1919 (zit. Anm. 184). 188 Aufzeichnung Freytag v. 24. 7. 1919 (zit. Anm. 186). 189 Freytag an v. Bülow, 6. 1. 1920, PA NL v. Bülow, Bd. 4, E 203 394. 190 Vgl. Krüger u. Hahn, S. 378. 191 V. Bülow an Saß, 19. 12. 1919, PA NL v. Bülow, Bd. 4, E 203 423. 192 Vgl. dazu die unveröffentlichten Manuskripte »Revisionsfeldzug« und »Völkerfrieden«, ebd., Bd. 5. Veröffentlicht wurde die v. Bülow-Arbeit Die Behandlung der Schuldfrage, in: Deutsche Nation, 3. Jg., 1921, S. 334-337.

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Anmerkungen zu Seite 51 - 59 193 Das außenpolitische Denken v. Bülows trug deutlich erkennbar sozialdarwinistische Züge. Dies läßt sich unschwer aus seinem Erklärungsansatz für die Ursachen des Weltkriegs ablesen: «Völker wachsen und schwinden. Aus dem brodelnden Kessel, in dem sich die Massen mischen, gehen immer neue Nationen hervor. Der durch Geschichtskenntnis geschulte Blick erkennt die Kurven ihres Auf- und Abstiegs. Die politische Gestaltung Europas hat die Entwicklung des deutschen Volkes überlange aufgehalten. Nach Schaffung der vorläufigen Reichseinheit durch Bismarck entfaltete es sich aber in beispielloser Schnelle zu gewaltiger Größe (. . .). Aus welchen Anlässen der Weltkrieg hervorging, spielt keine Rolle gegenüber der Tatsache, daß er aufgrund der Gegensätze geführt wurde, die Deutschlands natürliches Wachstum geschaffen hat«. Vgl. Völkerfrieden, S. 2. 194 Ebd., S. 7. 195 Ebd. 196 Ebd. 197 Revisionsfeldzug, S. 3. In gleichem Sinne auch die Ausführungen v. Bülows gegenüber Kurt Hahn, dem Vertrauten Max v. Badens: »Persönlich bin ich der Ansicht, daß wir Deutsche die Schuldfrage nicht zur Ruhe kommen lassen dürfen, da sie nun einmal der Eckpfeiler des Friedensvertrages geworden ist«. V. Bülow an Hahn, 30. 12. 1919, PA NL v. Bülow, Bd. 4, E 203 413. 198 Für v. Bülow stand fest: »Der Feind [ist] dem organisierten Willen unseres Volkes gegenüber machtlos. Er kann uns nur durch das Werkzeug unserer eigenen Regierung auspressen. Der Kern des Problems wäre daher die Schaffung einer Organisation, die einen ebenso starken oder noch stärkeren Druck auf die Regierung auszuüben vermag, als der Feindbund dies tut«. V. Bülow an v. Weizsäcker, 14. 7. 1920, PA NL v. Bülow, Bd. 5. 199 Revisionsfeldzug, S. 6. 200 V. Bülow an Wiedfeld, 20. 12. 1919, ebd. In diesem Sinne auch v. Bülow an Langwerth, 7. 1. 1920, PA NL v. Bülow, Bd. 4, E 203 388 f. 201 Zur politischen Zielsetzung der »Deutschen Gesellschaft vom 16. November 1918«, die ihren Namen mit dem Gründungsdatum der DDP verbunden hatte (Gründungsaufruf der Partei vom 16. 11. 1918). Vgl. das Schreiben des Verlegers Neven Du Mont an Friedrich Meinecke, GStA Berlin NL Meinecke, Bd. 30, Bl. 109f. 202 Vgl. das Schreiben v. Bülows an den Vorsitzenden der Novembergesellschaft, Trautmann, vom 24. 11. 1919. Vgl. auch v. Bülow an Kraus, 29. 11. 1919, PANL v. Bülow, Bd. 5. Dr. Herbert Kraus war der verantwortliche Redakteur der von führenden Mitgliedern der Novembergesellschaft herausgegebenen Zeitschrift Deutsche Nation. 203 V. Bülow an Ruppel, 19. 12. 1919, ebd. 204 Informiert wurden u.a. Oberst Schwertfeger, v. Montgelas sowie die Professoren Bergsträsser, Hashagen, Karo, Schücking und der eidgenössische Schriftsteller Ernst Sauerbeck, PA NL v. Bülow, Bd. 4, E 203 420 ff. 205 V. Bülow an Schall, 1. 6. 1920, ebd., Bd. 5. 206 Kraus an v. Bülow, 8. 12. 1919, ebd. 207 V. Bülow an Kraus, 19. 12. 1919, ebd. Diese Überlegung hatte sich als Ergebnis intensiver Diskussionen innerhalb der Novembergesellschaft herauskristallisiert und gegenüber den von Konsul v. Roediger in die Debatte geworfenen Vorschlag, bekannte Politiker und Wissenschaftler für das Projekt zu interessieren und ein »Gremium berühmter Leute aller Richtungen« an die Spitze der Revisionszentrale zu stellen, den Vorzug erhalten. 208 V. Bülow an Wiedfeldt, 20. 12. 1919 (zit. Anm. 200). 209 Vgl. die undatierte Aufzeichnung Freytag (Febr. 1920), PA NL v. Bülow, Bd. 4, E 203 322. 210 Wiedfeldt an v. Bülow, 2. 1. 1920 u. v. Bülow an v. Prittwitz, 8. 1. 1920, PA NL v. Bülow, Bd. 5. 211 Melchior an v. Bülow, 27. 12. 1919, ebd.

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Anmerkungen zu Seite 5 9 - 62 212 Vgl. J . Kocka, Klassengesellschaft im Kriege. Deutsche Sozialgeschichte 1914—1918, Göttingen 1973. 213 Melchior an Freytag, 22. 1. 1920, PA NL v. Bülow, Bd. 4, E 203 369. 214 Freytag an v. Bülow, 19. 2. 1920, ebd., E 203 308 ff. 215 Aufzeichnung v. Delbrueck, 7. 3. 1921, PA SchRef, andere Bearb., Nr. 19-612. 216 V. Bülow an v. Prittwitz, 20. 12. 1919, PANL v. Bülow, Bd. 5. 217 PANL v. Bülow, Bd. 4, E 203 351 ff. 218 Unter Federführung des AA und des Reichswehrministeriums wurde bereits am 14. 7. 1919 eine »Hauptstelle zur Verteidigung Deutscher vor feindlichen Gerichten« ins Leben gerufen, deren Leitung man dem geheimen Legationsrat z. D. Wedding übertrug. Zu den diesbezüglichen Anstrengungen des AA vgl. PA Wk adh. 4, Nr. 1, Bd. 1. Zu den Vorkehrungen der militärischen Behörden vgl. BA/MA RM 20/628, Bl. 50-66. 219 V. Bülow an Schoenborn, 28. 2. 1921, PANL v. Bülow, Bd. 4, E 203 253. 220 Freytag an v. Bülow, 3. 2. 1920, ebd., E 203 288. Zur Reorganisation des AA vgl. K. Doß, Das Auswärtige Amt im Übergang vom Kaiserreich zur Weimarer Republik, Düsseldorf 1977, bes. S. 215 ff. 221 Freytag selbst bekam als Referent ein anderes Aufgabengebiet zugewiesen und führte das Kriegsschuldreferat »im Nebenamte« weiter. Vgl. Freytag an v. Bülow, 19. 2. 1920 (zit. Anm. 214). 222 Freytag an Federn, 29. 1. 1920, ebd., E 203 345; vgl. auch Freytag an v. Bülow, 31. 1. 1920, ebd., E 203 337 ff. 223 Vgl. eine undatierte Aufzeichnung Freytags (Febr. 1920), ebd., E 203 321 f. u. v. Bülow an Langwerth, 19. 12. 1919 (zit. Anm. 184). 224 Freytag an v. Bülow, 6. 1. 1920 (zit. Anm. 189). 225 Freytag an Melchior, 24. 1. 1920, ebd., E 203 371. 226 V. Bülow an Schall, 1. 6. 1920 (zit. Anm. 205). 227 V. Bülow suchte im Juli 1920 den ehemaligen Ministerpräsidenten von Württemberg, Carl Frhr. v. Weizsäcker, als Repräsentanten für die »Revisionszentrale« zu werben. Vgl. v. Bülow an v. Weizsäcker, 14. 7. 1920, PANl v. Bülow, Bd. 5. 228 Zu den 54 im Jahre 1921 bestehenden Zusammenschlüssen, die sich dem »Kampf gegen die Kriegsschuldlüge« und dem »Kampf gegen das Versailler Diktat« widmeten, zählten neben der »Heidelberger Vereinigung« und der Völkerbund-Liga u. a. der Volksbund »Rettet die Ehre«-Bremen, der »Aufklärungsausschuß betreffend die Kriegsschuldlüge«-Dresden, der Ausschuß »Entlastung«-Berlin, der »Deutsche Volksbund für Gerechtigkeit«-Bremen, der Bund »Für Recht und Wahrheit«-Breslau, der Deutsche Volksbund »Revision von Versailles«, die »Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Wahrheit, Recht und Ehre« (»Deutscher Kampfbund gegen die Kriegsschuldlüge e. V.«)-München, die »Vereinigung für staatsbürgerliche Bildung und Erziehung«-Braunschweig, die »Arbeitsgemeinschaft für gerechten Frieden«-Hannover, der »Deutsche Volksbund gegen die Lüge von der deutschen Schuld am Kriege«-Liegnitz, der »Deutsche Schutzbund«-Bcrlin, die »Liga zum Schutz der deutschen Kultur«-Berlin, der »Reichsbürgerrat« und der »Deutsche Fichtebund«-Hamburg. Vgl. H. Draeger (Hg.), Der Arbeitsausschuß Deutscher Verbände 1921-1931, Berlin 1931, S. 16-17. 229 Freytag an v. Bülow, 27. 5. 1920, PA NL v. Bülow, Bd. 4, E 203 273 f. 230 Vgl. dazu die Sitzung des Reichsratsausschusses für auswärtige Angelegenheiten v. 2. 2. 1920, PA Wk adh. 4, Nr. 1, Bd. 1. Zur Finanzierung dieser Propaganda vgl. auch das Schreiben des Unterstaatssekretärs in der Reichskanzlei, Heinrich Albert, an den Reichswehrminister Geßler v. 20. 4. 1920, PA SchRef, andere Bearb., Nr. 19-612. 231 Vgl. den Lagebericht der politischen Polizei v. 1. 2. 1921, GStA Berlin Preuß. Innenministerium, Bd. 7330, Bl. 104. 232 So heißt es beispielsweise in einem Flugblatt der offiziösen »Reichszentrale für Heimatdienst« mit dem Titel »Der Kampf gegen den Hunger«: »Zur Behebung der Schwierigkeiten

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Anmerkungen zu Seite 6 2 - 6 7 gegen Teuerung und Wucher wird (vor allem von der Arbeiterschaft) die Einrichtung von Kontroll- und Überwachungsausschüssen gefordert. Eine ausgezeichnete Idee, wenn die wirklichen Ursachen von uns aus zu kontrollieren wären. Ein vergebliches Unterfangen aber, wenn man sich bewußt ist, daß der Ursprung all dieser Nöte zunächst im Ausland liegt. . . Die Axt an die Wurzel der üppig wuchernden Teuerung zu legen, wird aber nicht eher möglich sein, als bis die Lasten, die der Friedensvertrag Deutschland aufgebürdet hat, auf das Maß des Erträglichen wieder zurückgeführt werden«. Zitiert nach GStA Berlin Preuß. Innenministerium, Bd. 5571, Bl. 184. 233 Außenminister Simons riet dem bekannten Berliner Historiker Hans Delbrück davon ab, mit dem amerikanischen Professor James Beck einen »öffentlichen Redekampf über die Schuldfrage« auszufechten. Dies sei vor der Spa-Konferenz »politisch unzweckmäßig«. Vgl Schreiben Simons an Delbrück v. 30. 6. 1920 u. 21. 7. 1920, BA NL Delbrück, Bd. 48. 234 Für das folgende vgl. PA SchRef, andere Bearb., Nr. 19-612. 235 Das Institut sollte mit einem Jahresetat von 300 000 M ausgestattet werden. Vgl. Rassow an v. Delbrueck, 15. 2. 1921, ebd. 236 Vgl. Aufzeichnung Simons, 25. 2. 1921, PA Büro RM, Bd. 122/2, E 336 974. 237 Ebd., E 336 975. 238 Vgl. H. Gründer, Walter Simons als Staatsmann, Jurist und Kirchenpolitiker, Neustadt 1975, S. '177 ff. 239 V. Delbrueck an v. Bülow, 27. 2. 1921, PA NL v. Bülow, Bd. 4, E 203 246. Der Archäologieprofessor Richard v. Delbrueck war Kirchenreferent im AA. Das Kriegsschuldreferat verwaltete er im Nebenamt. 240 Dies zeigen die Schreiben v. Bülows an Hashagen, Schoenborn, Schwertfeger u. Tönnis, in denen er die Angesprochenen bat, entsprechende Presseartikel zu verfassen und auf deren Verbreitung zu wirken. Vgl. PA NL v. Bülow, Bd. 4, E 203 249 ff. 241 V. Bülow an v. Delbrueck, 28. 2. 1921, ebd., E 203 257. 242 V. Bülow an v. Blittersdorff (Ausschuß »Entlastung«), 28. 2. 1921, ebd., E 203 255. 243 Vgl. Gründer, S. 189. 244 Zur Rede Simons vgl. Schulthess, Bd. 62, 1921, S. 252-258. 245 Vgl. Gründer, S. 191. 246 Für das folgende vgl. RT, Bd. 348, S. 3094 ff. 247 V. Delbrueck an Freytag, 31. 3. 1921, PA SchRef, Schriftw. Freytag. 248 Vgl. die Aufzeichnung v. Delbruecks für Staatssekretär v. Haniel v. 7. 3. 1921, PA SchRef, andere Bearb., Nr. 19-612. 249 V. Delbrueck an Freytag, 31. 3. 1921 (zit. Anm. 247). 250 Vgl. Gründer, S. 191. 251 Hierzu das ausführliche Schreiben v. Delbruecks an das Reichsfinanzministerium v. 7. 4. 1921, PA SchRef, andere Bearb., Nr. 19-612. 252 V. Delbrueck an Rassow, 23. 4. 1921, ebd. 253 Vgl. E. Sauerbeck, Die Großmachtpolitik der letzten zehn Friedensjahre im Lichte der belgischen Diplomatie, Basel 19182. Sauerbeck betonte schon in der Einleitung zu dieser Publikation die »Friedensliebe« Deutschlands und den »Kriegswillen« Frankreichs, der das Land »zu dem Verbrechen von 1870 das Verbrechen von 1914 hinzufügen ließ, indem es Rußland bei seiner Kriegshetze Vorschub leistete, statt ihm in den Arm zu fallen«. Ebd., S. 4. 254 V. Kühlmann an Simons, 9. 3. 1921, PA Büro RM, Bd. 122/2, E 336 976 f. 255 V. Delbrueck an Freytag, 31. 3. 1921 (zit. Anm. 247). 256 V. Bülow an v. Delbrueck, 28. 2. 1921, PA NL v. Bülow, Bd. 4, E 203 260; vgl. auch Freytag an v. Delbrueck, 8. 4. 1921, PA SchRef, Schriftw. Freytag. 257 V. Delbrueck an Freytag, 20. 4. 1921, ebd. 258 Das AA beabsichtigte, teils unmittelbar, teils durch einen »Beirat aus führenden Historikern und Diplomaten« auf die Zentralstelle einzuwirken. Gedacht war dabei an Diplomaten

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Anmerkungen zu Seite 6 1 - 10 wie die Gesandten v. Romberg und v. d. Lancken und an Wissenschaftler wie Delbrück und Mendelssohn-Bartholdy. Vgl. v. Delbrueck an v. Prittwitz (Rom), 24. 4. 1921, PA SchRef, Schriftw. m. Behörden, Nr. 54-625, Sch. 490. 259 Vgl. dazu den ersten Jahresbericht der »Zentralstelle für Erforschung der Kriegsursachen« für den Berichtszeitraum von April bis Dezember 1921, PA SchRef, andere Bearb., Nr. 19-612. 260 V. Delbrueck an Reichsfinanzministerium, 7. 4. 1921 (zit. Anm. 251). 261 Vgl. die unsignierte Aufzeichnung für Ministerialdirektor v. Simson v. 12. 3. 1921, PA SchRef, andere Bearb., Nr. 19-612. 262 Vgl. hierzu die für Außenminister Simons gefertigte Aufzeichnung v. 17. 3. 1921, PA Büro RM, Bd. 122/2, E 336 982 ff. 263 Aufzeichnung v. Delbrueck für Simons (undatiert), PA SchRef, andere Bearb., Nr. 19-612. 264 Ebd., Sch. 550. 265 Aus den Berichten verschiedener Oberpräsidenten (Ostpreußen, Hannover und Westfalen) an das preußische Innenministerium geht hervor, daß die Arbeit der »Reichszentrale für Heimatdienst« auf tiefgreifendes Mißtrauen und entschiedene Ablehnung bei der konservativen Rechten stieß. Vgl. GStA Berlin Preuß. Innenministerium, Bd. 5771. 266 In dieser Beziehung wurde seit etwa Mitte 1920 der Berliner Ausschuß »Entlastung«, dem u.a. der Historiker Friedrich Meinecke und der spätere Präsident des Reichsarchivs, General a. D. v. Haeften, angehörten, im AA vorstellig. Vgl. Freytag an v. Bülow, 19. 2. 1921, PA NL v. Bülow, Bd. 4, E 203 308. In gleicher Richtung machte der Bremer Volksbund »Rettet die Ehre« durch Eingaben an den Bremer Magistrat und durch direkte Kontakte zum AA von sich Reden. Vgl. StA Bremen, 3-V. 2, Nr. 1961. 267 Nach Angaben des Schutzbund-Vorsitzenden v. Loesch hatte der Schutzbund in den Jahren 1919-1921 im Auftrage der Reichsregierung »400000 Abstimmungsberechtigte ermittelt, transportiert, während des Transportes in die Abstimmungsgebiete verpflegt und wieder in ihren Wohnort zurückgeführt«. Vgl. v. Loesch an Reichsregierung, 14. 4. 1924, PA Abt. Kultur, Akten betr. d. Dt. Schutzbund, Bd. 1, K 654 376. Zur Politik des Schutzbundes insgesamt D. Fensch, Zur Vorgeschichte, Organisation und Tätigkeit des Deutschen Schutzbundes in der Weimarer Republik. Ein Beitrag zur Geschichte des deutschen Revanchismus, phil. Diss., Berlin 1966. 268 Die Denkschrift findet sich in PA SchRef, andere Bearb., Nr. 19-612. 269 V. Delbrueck an v. Simson (Aktennotiz), 4. 4. 1921, ebd. 270 V. Delbrueck an Freytag, 31. 3. 1921 (zit. Anm. 247). 271 Aufzeichnung v. Delbrueck (zit. Anm. 263). 272 v. Delbrueck an Freytag, 20. 4. 1921 (zit. Anm. 257). 273 Aufzeichnung v. Delbrueck (zit. Anm. 263). 274 Vgl. Protokoll einer Besprechung in der »Schuldfrage« v. 30. 4. 1921, PA SchRef, andere Bearb., Nr. 19-612. 275 Dem »Siebener-Ausschuß« gehörten an: Otto Hoetzsch, Ernst Jäckh, Frhr. v. Lersner, August Müller, Max Pfeiffer, Philipp Stein u. Albert Südekum. Zur Tätigkeit dieses Gremiums vgl. Mendelssohn-Bartholdy an Thimme, 25. 4. 1921, BA NL Thimme, Bd. 12. 276 Nach einem Bericht v. Montgelas' wohnten der Sitzung dreißig Personen aller politischen Richtungen, »mit Ausnahme der U.S.P. und der K.P.« bei. Vgl. BA NL Schwertfeger, Bd. 427. 277 Vgl. Protokoll einer Besprechung in der »Schuldfrage« v. 30. 4. 1921 (2. Teil), PA SchRef, andere Bearb., Nr. 614-996. 278 Im Gegensatz zu einer von Reinhard Opitz vertretenen These hat Ernst Jäckh weder in der Gründungsphase des ADV noch später in der praktischen Propagandaarbeit des Arbeitsausschusses eine ausschlaggebende Rolle gespielt. Opitz leitet die Annahme, Jäckh sei der maßgeb-

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Anmerkungen zu Seite 70- 73 liche Gründer des ADV, aus der unkritischen Übernahme der Memoiren des linksliberalen Wissenschaftlers ab. Vgl. R. Opitz, Der deutsche Sozialliberalismus 1917-1933, Köln 1973, S. 126f. 279 Vgl. Anm. 277. 280 Barth, der in der Endphase der Weimarer Republik zum Polizeipräsidenten von Hannover avancierte, leitete zeitweilig die Zeitschrift Heimatdienst, das Organ der gleichnamigen Reichszentrale. Vgl. Wippermann, S. 122. Südekum stand am äußersten rechten Rand der Partei. Bezeichnend für seine Stellung zur SPD ist die folgende an einen schwedischen Freund gerichtete, vertrauliche Bemerkung: »Von der eigentlichen Parteipolitik habe ich mich in der letzten Zeit mehr und mehr zurückgezogen, weil sie mir keine Befriedigung gewährt und weil ich in gar zu vielen Punkten von der Parteischablone abweichende Gedanken vertrete. Aber immerhin habe ich meine Beziehungen zur Sozialdemokratie aufrecht erhalten, schon weil eine öffentliche Wirksamkeit schließlich doch nur durch das Medium einer Partei möglich ist und weil keine andere deutsche Partei heute eine bessere Zukunft für Männer, wie ich es bin, bietet als die Sozialdemokratie«. Vgl. BA NL Südekum, Bd. 180b, Bl. 34. 281 Zum engeren Führungsgremium des ADV gehörten ferner: Barth als Vertreter der »Reichszentrale für Heimatdienst«, v. Berg, »Liga zum Schutze der deutschen Kultur«, v. Loesch, »Deutscher Schutzbund«, Kapitän a. D. Heuber, »Reichsbürgerrat«, Vgl. Draeger, ADV, S. 21. 282 Als bezeichnend hierfür kann ein Telegramm gelten, das v. Lersner am 27. 11. 1919 an das AA sandte. Hierin bat der Kommissar der Deutschen Friedensdelegation um die »Ermächtigung vor allem in [der] Gefangenenfrage [eine] starke Sprache fuhren zu können«. Vgl. PA Abt. I A Deutschland, Akten betr. Geschäftsgang, Bd. 31, Nr. 481. 283 Zum Juni-Club vgl. J . Petzold, Wegbereiter des Faschismus. Die Jungkonservativen in der Weimarer Republik, Köln 1978, S. 99-106. 284 Vgl. V. Mauersherger, Rudolf Pechel und die »Deutsche Rundschau«. Eine Studie zur konservativ-revolutionären Publizistik in der Weimarer Republik 1918-1933, Bremen 1971, S. 152. 285 V. Delbrueck an Freytag, 4. 5. 1921, PA SchRef, Schriftw. Freytag; vgl. auch Aufzeichnung v. Delbrueck v. 2. 5. 1921, PA SchRef, andere Bearb., Nr. 614-996, Sch. 614. 286 Draeger, ADV, S. 18. 287 Aufzeichnung v. 17. 3. 1921 (zit. Anm. 262). 288 Wie vorsichtig das Kriegsschuldreferat in dieser Beziehung agierte, ergibt sich aus einer Kritik an der 1921 erschienenen Publikation »Der Fehlspruch von Versailles« des gemäßigten »Kriegsschuldforschers« Schwertfeger. V. Delbrueck beurteilte die Arbeit als für das Ausland ungeeignet und fügte erklärend hinzu: »Es dürfte nicht zweckmäßig sein, wenn als Autor ein früherer deutscher Offizier erscheint«. Vgl. Aufzeichnung v. Delbrueck v. 2. 5. 1921 (zit. Anm. 285). 289 V. Delbrueck an Volksbund »Rettet die Ehre« (undatiert, April 1921), PA SchRef, andere Bearb., Nr. 19-612. 290 Ebd. 291 Vgl. unten S. 136-141. 292 Vgl. Anm. 262. 293 Vgl. Freytag an v. Delbrueck, 8. 4. 1921, PA SchRef, Schriftw. Freytag. 294 Vgl. Aufzeichnung für Ministerialdirektor v. Schubert v. 11. 2. 1922, PA Schriftwechsel mit Behörden, Erlasse und Berichte, Aufzeichnungen (zit. Schriftw. m. Beh.), Nr. 54-625, Sch. 180. 295 Vgl. hierzu das Zirkular der »Heidelberger Vereinigung« v. 28. 5. 1921, BA NL Schwertfeger, Bd. 427. 296 Freytag an v. Delbrueck, 23. 1. 1922, PA SchRef, Schriftw. Freytag. Das Schuldreferat wurde der Abteilung II, Westeuropa, angegliedert.

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Anmerkungen zu Seite 73- 78 297 Das Defizit an geeigneten Dokumenten für eine überzeugende Propaganda gegen die alliierten Schuldanklagen hatte schon B. v. Bülow im Februar 1921 bitter beklagt, als es darum ging, den Londoner Kriegsschuldstatements des deutschen Außenministers Simons in öffentlichkeitswirksamer Weise Hilfestellung zu leisten. Und noch im Frühsommer des gleichen Jahres führte Sauerbeck das schleppende Anlaufen der Arbeit der »Zentralstelle für Erforschung der Kriegsursachen« auf »unzureichende Materialversorgung« zurück. Vgl. v. Bülow an v. Delbrueck, 28. 2. 1921, PA NL v. Bülow, Bd. 4, E 203 257 ff Aufzeichnung v. Delbrueck v. 9. 6. 1921, PA SchRef, Schriftw. m. Beh., Nr. 54-625, Sch. 180. 298 Zur Funktion des »Schuldarchivs« vgl. Freytag an v. Bülow, 6. 1. 1920, PA NL v. Bülow, Bd. 4, E 203 394ff. Die Idee hierzu ging ebenfalls auf v. Bülow zurück. Vgl. v. Bülow an Freytag, 19. 12. 1919, ebd., E 203 428. 299 Vgl. oben S. 38. 300 Materialien betr. d. Friedensverhandlungen, Teil VII. Der Friedensvertrag zwischen Deutschland und den Alliierten und Assoziierten Mächten, Charlottenburg 1919, S. 105. 301 Aufzeichnung Freytag v. 17. 7. 1919, PA Pol. Abt. IA, Akt. betr. d. Geschäftsgang, Bd. 30. 302 Vgl. dazu die Aufzeichnung des Legationsrates Mertens v. 28. 7. 1919, ebd., Bd. 31. 303 Vgl. die undatierte Aufzeichnung »Aktenveröffentlichung über den Kriegsausbruch«, PA Wk adh. 4, Nr. 2, Bd. 2. 304 Wedding an Außenminister Müller (MSPD), 8. 12. 1919, PA Wk adh. 4, Nr. 1, Bd. 1. 305 Vgl. »Aktenveröffentlichung über den Kriegsausbruch« (zit. Anm. 303). 306 Müller an Kautsky, 8. 7. 1919, IISG NL Kautsky, G 11/44. 307 Aufzeichnung Freytag, 21. 11. 1919, PA Wk adh. 4, Nr. 2, Bd. 2, E615502. 308 Schücking wirkte beispielsweise auf den pazifistischen »Bund Neues Vaterland« ein, gegen die faktische Ausschaltung Kautskys nicht öffentlich zu opponieren. Dies erwecke im Ausland einen »schlechten Eindruck«. IISG NL Kautsky, G 11/135. 309 Vgl. Julikrise, S. 28-34, dazu auch die Deutschen Dokumente zum Kriegsausbruch, hg. v. K. Kautsky, M. v. Montgelas, u. W. Schücking, Charlottenburg 1919, S. IX-XI. 310 Kautsky waren zur Erfüllung seiner Aufgabe zwei historisch ausgebildete Mitarbeiter zur Seite gestellt worden. Aufzeichnung Freytag, 21. 11. 1919 (zit. Anm. 307). 311 Vgl. die Schreiben des Unterstaatssekretärs im AA Langwerth v. Simmern an Kautsky v. 19., 23. u. 30. 5. 1919, IISG NL Kautsky, G 11/5, 8, 42. 312 Vgl. Aufzeichnung Freytag, 21. 11. 1919 (zit. Anm. 307). 313 Vgl. oben S. 40 f. 314 Nach Auszügen in der Times v. 26. u. 27. 11. zog der Nieuwe Rotterdamsche Courant mit einer 24seitigen Sonderauflage am 29. 11. nach. Vgl. Vossische Zeitung, Nr. 605, 27. 11. 1919 u. Deutsche Tageszeitung, 29. 11. 1919. 315 Müller an Kautsky, 27. 10. 1919 u. 2. 12. 1919, IISG NL Kautsky, G 11/51 u. 53. 316 Nach einer Meldung der Germania ging auch der Vorwärts mit Kautsky hart ins Gericht. Vgl. Germania, Nr. 557, 4. 12. 1919. 317 So Kautsky am 28. 11. 1919 in einem Interview mit der Vossischen Zeitung (Nr. 606). Vgl. die insgesamt sachliche Berichterstattung in der Berliner Börsenzeitung, Nr. 558, 6. 12. 1919. 318 Aufzeichnung Freytag, 10. 12. 1919, PA Wk adh. 4, Nr. 2, Bd. 2, E615 530 f. 319 Deutsche Gesandtschaft in Kristiania an AA, 10. 12. 1919, ebd.; Deutsche Gesandtschaft in Stockholm an AA, 16. 12. 1919, ebd. Bereits Anfang Dezember hatte der deutsche Botschafter in Den Haag, v. Rosen, gemeldet, daß die Kautsky-Veröffentlichung die niederländische Öffentlichkeit stark gegen Deutschland einnehme. V. Rosen an AA, 7. 12. 1919, ebd. 320 Vgl. PA HistRef, Bd. 4/1, D 545 910. 321 Aufzeichnung Freytag, 16. 12. 1919, PA Wk adh. 4, Nr. 2, Bd. 2, E 615 536. Es war

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Anmerkungen zu Seite 7 8 - 8 2 beabsichtigt, für diese Dokumente einen besonderen Posten von 700000 M in den Reichshaushalt des Jahres 1920 einzustellen. 322 Zitiert nach einem Schreiben Freytags an Thimme v. 28. 2. 1920, ebd., E 615 648. 323 Freytag an v. Bülow, 6. 1. 1920, PA NL v. Bülow, Bd. 4, E203 461. 324 Aufzeichnung Freytag, 21. 11. 1919, PA Wk adh. 4, Nr. 2, Bd. 2,E615503. 325 Aufzeichnung Freytag, 3. 12. 1919, ebd., E 615 525. 326 Aufzeichnung Freytag, 16. 1. 1920, ebd., E 615 573. 327 Freytag an Mendelssohn, 28. 1. 1920, ebd., E 615 581; Freytag an Curtius, 30. 1. 1920, ebd., E 615 583; Freytag an Warbure, 26. 1. 1920, PA NL v. Bülow, Bd. 4, E 203 364. 328 Freytag an v. Bülow, 12. 1. 1920, ebd., E 203 379; Meinecke an Freytag, 25. 1. 1920, PA Wk adh. 4, Nr. 2, Bd. 2, E 615 581; Curtius an AA, 5. u. 18. 2. 1920, ebd., E 615 580. 329 Vgl. dazu Die Arbeiterschaft im neuen Deutschland, hg. v. F. Thimme u. C. Legien, Leipzig 1915. Zu Thimme auch die biographische Notiz bei A. Thimme, Der »Fall Tirpitz« als Fall der Weimarer Republik, in: Geiss u. Wendt, S. 463-482, hier S. 464 f. 330 Vgl. H. Schleier, Die bürgerlich deutsche Geschichtsschreibung der Weimarer Republik, Köln 1975, S. 145. 331 Vgl. dazu das die einzelnen Phasen des Streits zusammenfassende Schreiben Thimmes an v. Delbrueck v. 17. 12. 1921, BA NL Thimme, Bd. 43, Bl. 4 ff. 322 Aufzeichnung v. Delbrueck, 11. 8. 1921, PA SchRef, Behdl. d. Schuldfrage, 12.19-10.21. Sch. 866. 333 V. Haniel an Thimme, 14. 9. 1921, BA NL Thimme, Bd. 43. Gleichlautende Schreiben erhielten, wie aus dem Verteiler hervorgeht, Mendelssohn u. Lepsius. 334 Zu dieser Stellungnahme des AA vgl. Thimme an v. Delbrueck, 17. 12. 1921 (zit. Anm. 331). 335 Vgl. Schleier, S. 143. 336 Die Große Politik der Europäischen Kabinette, 1871-1914. Sammlung der Diplomatischen Akten des Auswärtigen Amtes, hg. v. J . Lepsius, A. Mendelssohn-Bartholdy u. F. Thimme, Bde. 1–40, Berlin 1922 bis 1927. 337 V. Romberg an v. Delbrueck, 18. 8. 1921, PA SchRef, Behdl. d. Schuldfrage, 12. 19-10.21, Sch. 989. 338 V. Delbrueck bezog sich dabei auf Dokumente aus der Zeit unmittelbar nach dem deutsch-französischen Krieg 1870/71: »Der Umstand, daß Frankreich einen Franzosen, der einen deutschen Soldaten ermordet hatte, zur Aburteilung durch deutsche Gerichte ausgeliefert hat, könnte in der Frage der Kriegsschuldigen gegen Deutschland verwendet werden . . . Fortlassung empfohlen«. V. Delbrueck an Thimme, 27. 7. 1921, ebd. 339 Aufzeichnung v. Delbrueck (undatiert), ebd., Sch. 798. 340 V. Delbrueck an Thimme, 27. 7. 1921 (zit. Anm. 338). 341 So heißt es in einem Schreiben Thimmes an Mendelssohn: »Ich habe Stücke nicht aufgenommen, die ohne zur Feststellung der tatsächlichen Wahrheit in Kriegs- und Friedensfragen etwas beizutragen, das englische oder französische Volk verletzen müssen«. Vgl. Thimme an Mendelssohn, 28. 2. 1921; vgl. dazu auch Mendelssohn an Thimme, 20. 5. 1921, BA NL Thimme, Bd. 12, Bl. 8 ff. 342 Mendelssohn an v. Schubert, 12. 4. 1922, PA SchRef, Behdl. d. Schuldfrage, Aktenpublikation, Jan.-Juni 1922, Sch. 460. 343 Vgl. dazu die Rede Stresemanns vor dem Verein der Berliner Presse v. 16. 12. 1923, PA SchRef, Schriftw. m. Beh., Nr. 16-602. Vgl. auch F. Thimme, Das Ausland und die deutsche Aktenpublikation, in: WzF, Nr. 20, 15. 10. 1927, S. 314-319, hier S. 314. 344 Dazu die Kritik bei H. Wehberg, Mein Angriff gegen die Aktenpublikation, in: Die Friedenswarte, 26. Jg., 1926, S. 13-14. Wehberg, der aufgrund seiner Tätigkeit im Parlamentarischen Untersuchungsausschuß für die Schuldfragen des Weltkriegs mit der Aktenlage glänzend vertraut war, monierte z. B. das Bild, das die Dokumentation über die Rolle Deutsch-

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Anmerkungen zu Seite 8 2 - 81 lands auf den beiden Haager Friedenskonferenzen (1899 u. 1907) vermittelte. Der Eindruck, so Wehberg, sei »wesentlich günstiger, als derjenige, den ich aus dem Studium der gesamten Akten schöpfte«. Wehberg an Löbe, 21. 3. 1923, BA NL Wehberg, Bd. 47. 345 F. Klein, Über die Verfälschung der historischen Wahrheit in der Aktenpublikation »Die große Politik der Europäischen Kabinette, 1871-1914«, in: ZfG, 7. Jg., 1959, S. 318-330. Vgl. dagegen W. J . Mommsen, Zur Kriegsschuldfrage 1914, in: HZ, Bd. 212, 1971, S. 608-614. 346 Für das folgende vgl. Aufzeichnung v. Delbrueck, 29. 12. 1921, PA SchRef, Schriftw. m. Beh., Nr. 54-625. RMI an AA, 28. 2. 1923, ZStA Potsdam RMI, Bd. 13521; vgl. auch Schleier, S. 130 ff. 347 Thimmean v. Schubert, 18. 4. 1922, PA SchRef, Behdl. d. Schuldfrage, Aktenpublikation Jan.-Juni 1922, Sch. 348. 348 E. Brandenburg, Von Bismarck zum Weltkrieg. Die deutsche Politik in den Jahrzehnten vor dem Kriege, Berlin 1924, S. 256, 355, 442. Vgl. dazu auch die Zusammenfassung der Brandenburg-Thesen, allerdings in einer bezogen auf den Kriegsausbruch apologetischen Zuspitzung, in: ders., Die Ursachen des Weltkrieges, Leipzig 1925. 349 Aufzeichnung v. Delbrueck, 29. 4. 1922, PA SchRef, Behdl. d. Schuldfrage, Aktenpublikation, Jan.-Juni 1922, Sch. 643. 350 Lepsius an v. Schubert, 19.4. 1922, ebd., Sch. 439. 351 Aufzeichnung v. Delbrueck, 11. 2. 1922, PA SchRef, Aktenpublikation (1922-1927), Sch. 184. 352 Brandenburg an v. Delbrueck, 22. 6. 1922, PA SchRef, Behdl. d. Schuldfrage, Aktenpublikation, Jan.-Juni 1922. 353 Man hatte amtlicherseits auf Brandenburg eingewirkt, durch Entfernung von Zitaten aus den noch nicht erschienenen Bänden der Großen Politik, »die Beziehung zum Dokumentenwerk zu lockern«. V. Delbrueck an Brandenburg, 27. 3. 1922, ebd., Sch. 340. Brandenburg hatte daraufhin das Schlußkapitel seines Buches noch einmal durchgearbeitet und dabei die unbedingte Friedensliebe Deutschlands und die Kriegsschuld Iswolskis und Poincarés besonders herausgestellt. Vgl. Brandenburg, Bismarck, S. 445ff. 354 Genannt sei hier nur die Rezension des dezidiert deutschnationalen Historikers Adalbert Wahl in der renommierten HZ. Wahl nannte Brandenburgs Kritik an der deutschen Vorkriegspolitik »grämlich, . . . nörgelnd« und mokierte sich zudem über den Stil des Verfassers: »Zunächst, das Werk ist matt geschrieben, ganz unerträglich matt, z. B. die letzten Sätze, deren spießbürgerliche Gelassenheit man kaum begreift, aber nicht nur matt, sondern auch mehrfach mit Stilkünsten einer vergangenen Zeit«. Vgl. HZ, Bd. 133, 1926, S. 107-113. 355 Für das folgende vgl. ADV an Schwertfeger, 22. 12. 1921, BA NL Schwertfeger, Bd. 88, Bl. 44-46. 356 Das Gutachten findet sich in: PA SchRef, Behdl. d. Schuldfrage, Aktenpublikation, Jan.-Juni 1922. Es wurde erweitert und später veröffentlicht: V. Valentin, Bismarcks Außenpolitik von 1871-1890, Berlin 1922. 357 Hierzu PA SchRef, Behdl. d. Schuldfrage, Aktenpublikation, Jan.-Juni 1922, Sch. 268 u. Sch. 630; vgl. auch Hoetzsch an v. Schubert, 4. 5. 1922, ebd. 358 Draeger, ADV, S. 102. 359 Auszüge aus dieser Rede bei Draeger, Anklage, S. 124. 360 Vgl. Große Politik, 1. Serie, Berlin 1922, S. XIII. 361 Zit. nach Draeger, Anklage, S. 126. 362 AA an Reichskanzlei, 28. 9. 1922, BA R 43 I 806. 363 Thimmean Mendelssohn, 4. 12. 1922, BA NL Thimme, Bd. 12, Bl. 25. 364 Vgl. Schleier, S. 152. 365 V. Neurath an Stresemann, 16. 2. 1925; Stresemann an v. Neurath, 18. 2. 1925, PA Büro StS, Akten betr. Kriegsschuldfrage, Bd. l, E 134 136 u. E 134 140.

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Anmerkungen zu Seite 81 - 89 366 Auf diese Kritik kann hier nicht im einzelnen eingegangen werden. Sie bezog sich auf die »wenig übersichtliche Einteilung der Kapitel«, das Fehlen eines »chronologischen Zusammenhangs« und die von den Herausgebern vorgenommene Kürzung der Quellen. Nicht zuletzt wurde auch die Tatsache gegen die Aktenpublikation ins Feld geführt, daß dem Herausgeberkollegium lediglich ein einziger Historiker angehörte. Vgl. HZ, Bd. 128, 1923, S. 133-141; HZ, Bd. 131, 1925, S. 31 Off.; unterschwellig auch bei H. Rothfels, HZ, Bd. 141, 1930, S. 659. 367 Thimmc an Meinecke, 15. 5. 1926, GStA Berlin NL Meinecke, Bd. 46, Bl. 104. 368 Vgl. den undatierten Bericht eines britischen Gewährsmannes des AA über die englischen Pressereaktionen, PA SchRef, Schriftw. m. Beh., Nr. 29-178, Sch. 37. Über die Reaktion der französischen Presse vgl. Aufzeichnung Stieve, 10. 3. 1924, zit. nach StdA Köln NL Marx, Nr. 113. 369 Für eine Popularisierung der Großen Politik sorgten auch die von Mendelssohn-Bartholdy herausgegebenen Europäischen Gespräche und die von F. Irmer, W. Marholz u. H. Roeseler herausgegebene Zweimonatsschrift Archiv für Politik und Geschichte. Vgl. Schleier, S. 151. Überdies wurde 1928 eine vierbändige Kurzfassung der Dokumentation publiziert. Vgl. Die Auswärtige Politik des Deutschen Reiches 1871-1914. Einzige vom AA autorisierte, gekürzte Ausgabe der amtl. großen Aktenpublikation der Dt. Reichsregierung. Unter Leitung v. A. Mendelssohn-Bartholdy u. F. Thimme, hg. v. Institut f. auswärtige Politik in Hamburg, Bde. 1-4, Berlin 1928. 370 F. Thimme, Die Auswertung der Aktenpublikation des AA für die Kriegsschuldfrage, in: KSF, Bd. V, 1927, S. 387-395, hier S. 389. 371 Zur internationalen Reaktion vgl. KSF, Bd. IV, 1926, S. 895 ff.; KSF, Bd. V, 1927, S. 365 ff. 372 Vgl. dazu Amtliche Aktenstücke zur Geschichte der Europäischen Politik 1889-1914. Vollständige Ausgabe der vom Deutschen Auswärtigen Amt herausgegebenen Diplomatischen Urkunden aus Belgischen Staatsarchiven. Im Auftrage des Auswärtigen Amtes u. Mitwirkung v. A.Dorenu. W. Köhler, hg. v. B. Schwertfeger, Bde, 1-5, Berlin 1925. 373 Berlin 1921. 374 A. Müller an Brockdorff-Rantzau, 19. 3. 1919, PA Wk adh. 4, Bd. 1, Geheim (Sasonow-Interzepte), E 620 417. 375 Vgl. Tägliche Rundschau, Nr. 129, 14. 3. 1919. 376 A. Müller an Brockdorff-Rantzau, 19. 3. 1919 (zit. Anm. 374). 377 Brockdorff-Rantzau an A. Müller, 24. 3. 1919 u. 3. 4. 1919, ebd., E 620 427 f. 378 Dienstanweisung zur Bearbeitung der Sasonow-Interzepte (Geheim), ebd., E 620 429. 379 A. Müller an AA, 16. 2. 1920, ebd., E 620 556. 380 Dazu die Aufzeichnung »Richtlinien für die Aufklärungsarbeit in der Schuldfrage« v. 23. 5. 1922, PA Hist Ref, Bd. 4/1, D 545 910. 381 Vgl. die Rezension F. Luckwalds, in: HZ, Bd. 130, 1924, S. 115-118. 382 Die Diplomatischen Schriftwechsel Iswolskis 1911- 1914. Aus den Geheimakten der Russischen Staatsarchive. Im Auftrage des Deutschen Auswärtigen Amtes in deutscher Übertragung, hg. v. F. Stieve, Bde. 1-4, Berlin 1924. In der deutschen Diskussion griff man besonders auf die beiden Schriften zurück, die Stieve unmittelbar nach der Dokumentation zur Popularisierung ihres Inhalts veröffentlicht hatte. Vgl. F. Stieve, Iswolski und der Weltkrieg, Berlin 1924; den., Iswolski im Weltkrieg, Berlin 1925. Vgl. auch die Rezension O. Beckers, in: HZ, Bd. 136, 1927, S. 370-372. 383 Vgl. Die Internationalen Beziehungen im Zeitalter des Imperialismus. Dokumente aus den Archiven der Zaristischen und Provisorischen Regierung. Einzig berechtigte deutsche Ausgabe namens der Deutschen Gesellschaft zum Studium Osteuropas, hg. v. O. Hoetzsch, 1. Bd., Berlin 1931, S. XIII. 384 Stieve bemerkte dazu im Vorwort zu seiner Aktenedition lapidar: »Außerdem war es

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Anmerkungen zu Seite 8 9 - 93 noch möglich, die bereits bekannten Akten durch über fünfhundert neue Stücke zu ergänzen, die unmittelbar aus dem russischen Originaltext übertragen sind«. Stieve, Schriftwechsel, Vorwort. 385 Reichsministenum der Finanzen an AA, 3. 6. 1922, PA HistRef, Bd. 4/1, D 545 861. 386 Für das folgende vgl. Aufzeichnung v. Delbrueck, 2. 11. 1921 u. Aufzeichnung Goos, 28. 10. 1921, ebd., D 545 862 ff. 387 Vgl. Österreich-Ungarns Außenpolitik von der bosnischen Krise 1908 bis zum Kriegsausbruch 1914. Diplomatische Aktenstücke des österreichisch-ungarischen Ministeriums des Äußeren. Ausgewählt von L Bitttier, A. F. Pribam, H. v. Srbik u. H. Uebersberger, Bde. 1-9, Wien 1930. 388 Aufzeichnung Stieve, 6. 1. 1925, PA SchRef, Kriegsschuldfrge, Allg. Sonderheft, 1.25-10.28. 389 Vgl. dazu F. Engel-Janosi, Zur Geschichte des Österreichischen Aktenwerks über den Ursprung des Ersten Weltkriegs, in: Zeitgeschichte 1977/78, S. 39-52. 390 Vgl. Aufzeichnung Goos, 10. 3. 1926, PA SchRef, Kriegsschuldfrage, Allg. Sonderheft, 1.23-10.28. 391 Goos an AA, 26. 3. 1926; Aufzeichnung Stieve, 7. 6. 1926, PA SchRef, Schriftw. m. Goos. 392 Vgl. KSF, Bde. I/II, 1925, S. 286; vgl. auch KSF, Bd. Ill, 1926, S. 252 f. 393 Deutsche Botschaft in Washington an AA, 23. 2. 1926, PA SchRef, Schriftw. m. Beh., Nr. 29-178, Sch. 137. 394 Aufzeichnung v. 18. 8. 1925 (unsigniert), PA Büro StS, Akten betr. Kriegsschuldfrage, 8.24-10.26, E 134 172. 395 Die Dokumentation wurde im März 1928 veröffentlicht. Vgl. KSF, Bd. VI, 1928, S. 400. 396 Vgl. A. S. Jerussalimski, Der Deutsche Imperialismus. Geschichte und Gegenwart, Berlin 1968, S. 306 f. 397 Vol. BM, Bd. VII, 1929, S. 769 ff. 398 Vgl. Possony, S. 164 f. 399 Nach einer eidesstattlichen Erklärung von Lutz v. 30. 11. 1946 hatte sich die deutsche Regierung an der deutschen Übersetzung der englischen Aktenpublikation beteiligt. GStA Berlin NL Schnee, Bd. 44, Bl. 76. Das gleiche wird man für die von O. Hoetzsch besorgte russische Aktensammlung annehmen können. Vgl. Anm. 383. 400 R. Hobbing an RMl, 26. 2. 1931, ZStA Potsdam RMI, Bd. 25811, Bl. 177. 401 V. Maltzan an Reichsfinanzministerium, 28. 8. 1924, PA SchRef, Kriegsschuldfrage, Allg. Sonderheft, 1.23-10.28. 402 So der Titel einer Aufzeichnung Stieves v. 23. 5. 1922 (zit. Anm. 380). 403 Zur Stimmung in der Reichswehr vgl. F. L. Carstens, Reichswehr und Politik 1918-1933, Köln 1964, S. 70 f. Zum Problemkreis Militär und Weimarer Gesellschaft vgl. neuerdings W. Wette, Ideologien, Propaganda und Innenpolitik als Voraussetzung der Kriegspolitik des Dritten Reiches, in: W. Deist u. a., Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Bd. 1, Ursachen und Voraussetzungen der Deutschen Kriegspolitik, Stuttgart 1979, S. 25-166. Zu den Zielsetzungen der Militärs im Reichsarchiv vgl. B. F. Schulte, Neue Dokumente zu Kriegsausbruch und Kriegsverlauf 1914, in: MGM, Bd. 25, 1979, S. 123-185, hier 124. 404 Das Manuskript dieses Vortrags findet sich in BA-MA RM 20/652, Bl. 281-284. 405 Vgl. das Schreiben des Reichswehrministers Gessler (DDP) an Außenminister v. Rosen (parteilos) v. 26. 9. 1921, BA-MA RM 20/645. 406 Vgl. unten, S. 199 u. 203. »Schuld im Kriege« bezeichnete als stehende Redewendung alle während des Weltkriegs vermeintlich oder tatsächlich begangenen Völkerrechtsverletzungen deutscher Soldaten und Militärbehörden. 407 Vgl. Reichsarchiv (Bearb.), Der Weltkrieg 1914-1918, I. Bd., S. X.

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Anmerkungen zu Seite 9 4 - 91 408 General v. Kuhl führte in seiner vielzitierten zweibändigen Weltkriegsdarstellung aus: »Die Revolution zerbrach schließlich den Rest der deutschen Widerstandskraft. Für sie gilt unweigerlich das Wort vom Dolchstoß«. H. v. Kuhl, Der Weltkrieg 1914-1918, Bd. 2, Berlin 1929, S. 559. B. Die »Deutsche Revisionsbewegung« 1 Aufzeichnung Hüffner, 3. 8. 1921, PA SchRef, Akten betr. Kriegsschuldfrage, Geheim, Bd. 1. 2 Ein Programmentwurf der Zentralstelle findet sich in: BA NL Delbrück, Bd. 52. 3 Das AA zahlte Anfang 1923 vierzehntäglich 30000 M auf das Konto der Zentralstelle ein. Vgl. die Zahlungsbelege in PA SchRef, Delbrück-Schickler & Co., 5.1921-3.1923. 4 Vgl. die Denkschrift »Gesichtspunkte für die Ausgestaltung der Zentralstelle für Erforschung der Kriegsursachen« (Januar 1922), PA SchRef, Schriftw. m. Beh., Nr. 54—625; vgl. dagegen v. Delbrueck an Zentralstelle, 25. 2. 1922, ebd. 5 Das AA schritt ein, nachdem Sauerbeck beträchtliche Beträge als »entwendet« deklariert hatte. Vgl. Quittungen, 1-128. V. Delbrueck an Sauerbeck, 5. 11. 1921 u. 14. 11. 1921, PA SchRef, andere Bearb., Nr. 997-1292, ebd. 6 Aktennotiz v. Delbrueck, 7. 11. 1921, ebd. 7 V. Wegerers Vertrag mit dem AA datiert v. 6. 10. 1921, PA SchRef, Schriftw. m. Beh., Nr. 16-602, Sch. 365. Ein Lebenslauf v. Wegerers findet sich in den Akten des Historischen Referats des AA im Ordner Akten betr. BM 1937-1939, D 546 680 ff. Zu seinen Aufgabengebieten vgl v. Wegerer an AA, 23. 12. 1921, PA SchRef, andere Bearb., Nr. 997-1292, Sch. 1279. 8 Sauerbeck an v. Delbrueck, 23. 10. 1921, ebd. 9 Sauerbeck an v. Schubert, 14. 11. 1921; Sauerbeck an v. Delbrueck, 19. 11. 1921; Sauerbeck an Hüffner, 21. 11. 1921, ebd. 10 Sauerbeck an AA, 2. 8. 1923, PA SchRef, Schriftw. m. Beh., Nr. 16-602. 11 Aus einer Aufzeichnung Stieves v. 15. 12. 1922 geht hervor, daß das Direktorium vornehmlich als »Gegenhieb« gegen die Errichtung eines Lehrstuhls für die Geschichte des Weltkriegs an der Pariser Sorbonne gedacht war. Nach einer Meldung des Petit Parisien v. 15. 11. 1922 stellte sich dieser Lehrstuhl die Aufgabe, »den deutschen falschen Darstellungen die dokumentarische Wahrheit gegenüberzustellen«. Vgl. PA SchRef, Schriftw. m. Beh., Nr. 29-178. Sch. 29. 12 Das Direktorium wurde im Juni 1928 stillschweigend wieder aufgelöst. Stieve an v. Wegerer, 18. 6. 1928, PA SchRef, Schriftw. m. Zentralstelle, 3.26-11.28. 13 Für das folgende Aufzeichnung Pawelke, 25. 10. 1930, PA SchRef, Schriftw. m. Zentralstelle, 7.29-12.30; Aufzeichnung Schwendemann, 26. 6. 1929, PA SchRef, ebd., 11.28-7.29. 14 Für die Inflationszeit finden sich Hinweise auf Spenden der »Rhein-Ruhr-Hilfe« und der Siemens-Schuckert-Werke; v. Wegerer an Lutz, 27. 6. 1923, PA SchRef, Schriftw. m. Beh., Nr. 16-662. Danach sind Spenden und eigene Einnahmen in den mehr als spärlichen Belegen nur in einer Gesamtsumme angegeben. Eine Durchforstung der entsprechenden Aktenbestände der Wirtschaftsvereinigung Bergbau bzw. der Fachgruppe Bergbau im RDI und des Nachlasses Paul Reusch im Historischen Archiv der Gutehoffnungshütte AV, Oberhausen, erbrachte keine greifbaren Ergebnisse. Die rheinisch-westfälische Schwerindustrie und der Ruhrbergbau gehörten jedenfalls nicht zu den herausragenden Förderern der Zentralstelle. Lediglich für das Jahr 1929 ist eine Spende des Vorsitzenden des Langnamvereins an die Zentralstelle in Höhe von 1000 RM belegt. Reusch an v. Wegerer, 10. 3. 1929, u. 30. 7. 1929, HA GHH 400 101293/ 9 a. 15 Dies geht beispielsweise aus einem Schreiben Stieves an v. Wegerer v. 6. 6. 1924 hervor.

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Anmerkungen zu Seite 91 - 102 Vgl. PA SchRef, Schriftw. m. Zentralstelle, 2.24-2.26. 16 Vgl. dazu N. Krekeler, Revisionsanspruch und geheime Ostpolitik der Weimarer Republik. Die Subventionierung der deutschen Minderheiten in Polen, Stuttgart 1973. 17 Vgl. oben, S. 91 f. 18 V. Wegerer an Schwertfeger, 24. 11. 1923, BA NL Schwertfeger, Bd. 91, Bl. 75. 19 Vgl. den Erinnerungsbericht des Zentrumspolitikers und mehrmaligen Reichskanzlers Marx, StdA Köln NL Marx, Nr. 255. Hier findet sich auch eine Mitgliederliste der Gesellschaft. 20 GStA Berlin Preuß. Innenministerium, Bd. 5573, Bl. 137. 21 Vgl. den Jahresbericht der Zentralstelle für den Zeitraum von April-Dezember 1921, PA SchRef, Schriftw. m. Beh., Nr. 54-625, Sch. 155. 22 Ab 1932 nannte sich die Zeitschrift nur noch Berliner Monatshefte. 1935 legte sie sich den Untertitel »Zeitschrift zur Vorgeschichte des Weltkriegs« zu, der aber 1937 wieder verschwand. Zum Quader-Verlag vgl. PA SchRef, Schriftw. m. Zentralstelle, 7.29-12.30, Sch. 1894. 23 Vgl. den vertraulichen Bericht der Zentralstelle v. 5. 3. 1931, StdA Köln NL Marx, Nr. 257. 24 Vgl. Geiss, Kriegsschuldfrage, S. 206. 25 Vgl. D. Guratzsch, Macht durch Organisation. Die Grundlegung des Hugenbergschen Presseimperiums, Düsseldorf 1974, S. 225 ff. 26 Vgl. dazu StdA-Köln NL Marx, Nr. 257. 27 Schwertfeger an Stieve, 27. 11. 1928, PA SchRef, Schriftw. m. Schwertfeger. 28 Stieve an Lutz, 23. 3. 1923, PA SchRef, Schriftw. m. Lutz, 1.24-4.26; Stieve an Schwertfeger, PA SchRef, Schriftw. m. Schwertfeger. 29 V. Wegerer an Stieve, 20. 6. 1924, PA SchRef, Schriftw. m. Zentralstelle, 2.24-2.26. 30 Aufzeichnung Schwendemann, 25. 4. 1929, PA SchRef, Schriftw. m. Zentralstelle, 12.28-7.29. 31 Ein Exemplar findet sich in: PA SchRef, Schriftw. m. Zentralstelle, 3.26-11.28. 32 Aufzeichnung Schwendemann, 20. 1. 1931; Aufzeichnung v. Bülow, 6. 12. 1932, PA SchRef, Kriegsschuldfrage, Stellung Deutschlands, Belgien, Bd. 1, Sch. 61 u. Sch. 1155. 33 A. v, Wegerer, An unsere Leser, KSF, Bd. III, 1926, S. 1. 34 Vgl. oben, S. 42-17. 35 Vgl. R. Grelling, Der vergeßliche General, in: WB, 24. Jg., 1928, S. 625-628. Vgl. auch Fischer, Krieg, S. 667. 36 Vgl. für das folgende M. Graf v. Montgelas, Leitfaden zur Kriegsschuldfrage, Berlin 1923, S. 164-167. 37 Hans Delbrück bezeichnete die Thesen v. Montgelas' als einen »vollständigen Überblick über die ganze Schuldfrage« und als »Waffe im Kampf gegen die Unwahrheiten und Verdächtigungen unserer Feinde«; der linksliberale Historiker Wilhelm Mommsen nannte den »Leitfaden« eine gründliche Darstellung, die die »völlige Haltlosigkeit der Schuldthesen des Versailler Diktats« belege. Vgl. H. Delbrück, Die Behandlung der Kriegsschuldfrage, in: KSF, Bd. I, 1923, S. 1-3, hier S. 2. Vgl. auch Mommsens Äußerungen in: Archiv für Politik und Geschichte, NF,2.J g . , 1924, S. 457. 38 Dazu führte v. Wegerer zuJahresbeginn 1931 aus: »Deutschland war nicht der Angreifer, als der es immer hingestellt wurde. Es war Rußland, getrieben von Frankreich und nicht zurückgehalten von England, das den Krieg vom Zaune brach«. Vgl. BM, Bd. IX, 1931, S. 1. 39 StdA Köln NL Marx, Nr. 257. 40 Der Artikel war unter dem Titel »Serajewo Murder. New Information from Serbia« am 20. 12. 1924 erschienen, vgl. KSF, Bd. III, 1926, S. 213–220, hier S. 213. 41 Vgl. dazu A. v. Wegerer, Die Widerlegung der Versailler Kriegsschuldthese, KSF, Bd. VI, 1928, S. 1-76, hier S. 13; ders., Wo bleibt das serbische Blaubuch?, BM, Bd. VII, 1929, S.

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Anmerkungen zu Seite 1 0 2 - 105 361-362, hier S. 362; ders., Herr Jovan M. Jovanowitsch über die Verantwortung für den Weltkrieg, BM, Bd. VIII, 1930, S. 869-875. 42 Vgl. W. Tomislav, Die Kriegsschuldforscher, in: WB, 22. Jg., 1926, S. 443-446. Vgl. auch R. Grelling, Der Schlüssel zur Kriegsschuldfrage. Ein verheimlichtes Kapitel der Vorkriegsgeschichte. Nebst polemischen Artikeln vom General Graf Max v. Montgelas, München 1926. 43 Vgl. den Nachruf H. Wehbergs auf H. Kanner, in: Die Friedenswarte, 30. Jg., 1930, S. 81. 44 Vgl. F. W. Foerster, Zur Reichskanzlerrede über die Schuldfrage, in: Die Menschheit, Nr. 41, 14. 10. 1922. 45 Vgl. dazu die Thesen Kanners, in: Der Krieg, 2. Jg., 1929, S. 176-177; vgl. dagegen die Argumentationsführung im Kantorowicz-Gutachten zur Kriegsschuldfrage, unten S. 213. 46 Vgl. Dortmunder Generalanzeiger, Nr. 321, 21. 11. 1930. 47 R. Grelling, Videant Consules . . . oder die Gefahren der Unschuldskampagne, Hagen 1926, S. 4. 48 H. Kantorowiez, Der Geist der englischen Politik und das Gespenst der Einkreisung Deutschlands, Berlin 1929, S. 467 f. 49 Heinrich Kanner und Richard Grelling veröffentlichten anscheinend regelmäßig Artikel in der Presse des Auslands. Vgl. Deutsche Botschaft in Paris an AA, 31. 3. 1926, Deutsche Botschaft in Bukarest an AA, 7. 4. 1926, PA SchRef, Schriftw. m. Beh., 1.26-7.26. 50 InpreKorr, (Deutsche Ausgabe), Nr. 95, 20. 10. 1931, S. 2153. 51 F. K. Scheer, Die Deutsche Friedensgesellschaft (1892-1932). Organisation- Ideologie Politische Ziele, Frankfürt 1981, S. 350-353. 52 Vgl. die Äußerungen Wehbergs in: Die Friedenswarte, 31. Jg., 1931, S. 193f. Dazu schon die gegen Foerster und Kanner gerichteten Äußerungen K. Hillers im Berliner Tageblatt, 24. 7. 1926 u. in der Friedenswarte, 27. Jg., 1927, S. 55. 53 Rheinisch-Westfälische Zeitung, 6. 1. 1927, zit. nach PA SchRef, Veröffentl. Grelling, 9.26-2.29. Es deutet einiges daraufhin, daß die Strafverfolgungsbehörden zeitweise auch gegen Grelling ermittelt haben. Grelling an Bernstein, 18. 1. 1927, IISG NL Bernstein, D 222. 54 Vgl. dazu A. Freymuth, Das Fechenbach-Urteil. Eine Untersuchung im Auftrage des Republikanischen Richterbundes, Berlin 1923. M. Hirsch, Das Fehlurteil im Strafgerichtsprozeß. Zur Pathologie der Rechtssprechung, Frankfürt 1962. Mit bislang unbekannten Details jetzt auch Schueler, S. 130f. u. S. 171-192. 55 Vgl. F. Fechenbach, Der Fall Wandt, in: WB, 22. Jg., 1926, S. 20-22. 56 Zit. nach: Die Friedenswarte, 25. Jg., 1925, S. 161. 57 Vgl. dazu Thimme, Tirpitz, S. 463 ff. 58 Eine Ausnahme von dieser Regel bildeten die Memoiren des früheren Reichskanzlers v. Bülow, die - Anfang der 30er Jahre erschienen - wegen ihrer Angriffe auf die wilhelminische Vorkriegspolitik großes öffentliches Aufsehen erregten. Das AA startete eine großangelegte Kampagne gegen die Memoiren und ihren Verfasser. Vgl. dazu die Schriftwechsel in PA SchRef, Kriegsschuldfrage, Stellung Deutschlands, Memoiren v. Bülow, Bd. 1. Vgl. auch Frhr. Hiller v. Gaertringen, Fürst Bülows Denkwürdigkeiten. Untersuchungen zu ihrer Entstehungsgeschichte und ihrer Kritik, Tübingen 1956. 59 Vgl. unten, S. 213. 60 Stieve an v. Montgelas, 5. 6. 1925; v. Montgelas an Stieve, 20. 9. 1926, PA SchRef, Schriftw. m. v. Montgelas, 4.24-7.30. 61 Draeger an AA, 23. 7. 1931, PA SchRef, Kriegsschuldfrage, Stellung Deutschlands, Bd. l, Sch. 1051. 62 PA SchRef, Veröffentl. z. Schuldfrage, Kawerau, Sch. 282. 63 L. Albertini, Le origini della guerra del 1914, I-III, Milano 1942-1943; engl.: The origins of the War 1914, I-III, Oxford 1952-57; P Renouvin, La Crise Europeénne et La Grande Guerre

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Anmerkungen zu Seite 106- 110 (1914-1918), Paris 1939; B. E. Schmitt, The Coming of the World War, Bde. I u. II, New York 1930. 64 Brandenburg, Bismarck. H. Oncken, Das Deutsche Reich und die Vorgeschichte des Weltkrieges, 2 Bde., Leipzig 1933. Zur nationalen und internationalen Erforschung der Ursachen des Ersten Weltkrieges im Überblick vgl. Schraepler, S. 321 ff. 65 B. Schwertfeger, Geschichtswerdung und Geschichtsschreibung, in: Archiv für Geschichte und Politik, NF, 1. Ig., 1923, S. 385–408, hier S. 389. 66 Oncken, S. 657, 677, 680. E. Troeltsch etwa hat die alliierte Kriegsschuldthese eine »imperialistische Ungeheuerlichkeit« und ein »moralisches Ketzergericht« genannt. Vgl. E. Troeltsch, Spektatorbriefe. Aufsätze über die deutsche Revolution und die Weltpolitik, hg. v. H. Baron, Tübingen 1924, S. 314f. 67 Draeger an Schnee, 25. 8. 1927, GStA Berlin NL Schnee, Bd. 30, Bl. 24. 68 Dies geht aus den Kurzbiographien »Deutscher Kriegsschuldforscher« hervor, die im Jahre 1929 von den BM veröffentlicht wurden. Vgl. BM, Bd. VII, 1929, S. 552 ff. 69 Vgl. dazu Bericht über die 18. Versammlung Deutscher Historiker in Göttingen v. 2.-5. August 1932, München 1932, bes. BM, Bd. X, 1932, S. 914. 70 Vgl. B. Faulenbach, Ideologie des deutschen Weges. Die deutsche Geschichte in der Historiographie zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus, München 1980, S. 307. 71 Vgl. dazu H. Herzfeld, in: HZ, Bd. 142, 1930, S. 369. 72 S. Kaehler, Vom geschichtlichen Erlebnisgehalt der Versailler Schuldthese, Breslau 1929, S. 19. 73 H. Rothfels, Zur Beurteilung der englischen Vorkriegspolitik, in: Archiv für Politik und Geschichte, NF, 4. Je., 1926, S. 599-615 hier S. 600. 74 P. Herre, Kriegsschuldfrage und Geschichtswissenschaft, in: KSF. Bd. VII, 1929, S. 109-122, hier S. 113. 75 Ebd., S. 116. 76 H. Rothfeh, Das Problem der Schuldfrage und der Neue Kurs, in: KSF, Bd. I/1I, 1925, S. 196-200, hier S. 199. 77 Ders., Beurteilung, S. 600. 78 Faulenbach, S. 305 f. 79 Vgl. Herzfeld, S. 369 f. 80 Zur Haltung Wilhelm Mommsens vgl. Heß, S. 152-157. 81 Vgl. Vergangenheit und Gegenwart, Bd. 22, 1932, S. 185 ff. 82 Der Aufsatz erschien in deutscher Übersetzung in den BM, Bd. IX, 1931, S. 1059-1073. Zur Bewertung seines offiziösen Charakters vgl. L. Herz, Versailler Kriegsschuldthesen. Der Streit über die Verantwortung am Weltkrieg, in: Preußische Jahrbücher, Bd. 229, 1932, S. 109-125. 83 A. v. Wegerer, Der Streit um den Artikel 231. Neue Erklärungen von G. Bloch und P. Renouvin, in: BM, Bd. X, 1932, S. 170-183, hier S. 180. 84 Ebd., S. 706; bezeichnenderweise zeigte sich der ADV diesen Thesen gegenüber weitaus aufgeschlossener. Draeger etwa sah in den Thesen Blochs und Renouvins einen ersten Ansatzpunkt für die lange geforderte internationale »Kriegsschuldkommission«. Vgl. Draeger an W. Mommsen, 19. 4. 1929, PA SchRef, Schriftw. m. ADV, 4.29-1.31, Sch. 680. 85 Von den übrigen deutschen Historikern, die die Zeitschrift der Zentralstelle ihren Lesern als »Kriegsschuldforscher« vorstellte, veröffentlichten E. Brandenburg, H. Oncken, A. Wahl und F. Kernje einen Artikel, der Verfassungshistoriker F. Hartung zwei Artikel. Alle Angaben nach dem Register der KSF und der BM für die Jahrgänge I-VI (1923-1928) u. VII-X (1929-1932) (zusammengestellt v. K. Haenchen), Berlin 1935. ' 86 Thimmean Marx, 29. 3. 1931, 8. 9. 1931, 11. 9. 1931, StdA Köln NL Marx, Nr. 257; vgl. auch BA NL Thimme, Bd. 57, Bl. 28-31. 87 Draeger an Schnee, 10. 6. 1927, GStA Berlin NL Schnee, Bd. 30, BL 22.

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Anmerkungen zu Seite 1 1 0 - 114 88 Vgl. unten, S. 119. 89 Vgl. DAZ, 28. 12. 1928. 90 Vgl. auch v. Wegerers Artikel in der Deutschen-Arbeitgeber-Zeitung, Nr. 8, 23. 2. 1930. 91 Aufzeichnung Schwendemann, 24. 6. 1929; V. Wegerer an Schwendemann, 24. 6. 1929, PA SchRef, Schriftw. m. Zentralstelle, 12.28-7,29. 92 Vgl. dazu die «Vorschläge hinsichtlich einer eventuellen Umgestaltung der Berliner Monatshefte« v. 23. 10. 1930, PA SchRef, Schriftw. m. Zentralstelle, 7.29-12.30. 93 AA an Deutsche Botschaft in London, 4. 7. 1921, PA SchRef, andere Bearb., Nr. 614—996, Sch. 834. 94 AA an Deutsche Botschaft in Rom, 17. 3. 1921, PA SchRef, Schriftw. m. v. Montgelas, Sch. 398. 95 So die Verfügung des Unterstaatssekretärs v. Haniel v. 6. 11. 1919, PA SchRef, Schriftw. Freytag. 96 Nicht alles, was die Berliner Behörden übersandten, gelangte zur Verteilung. Veröffentlichungen, deren Weitergabe unter den spezifischen Bedingungen des jeweiligen Gastlandes inopportun erschienen, wurden des öfteren zurückgehalten. Vgl. Deutsche Botschaft in Helsinki an AA, 31. 3. 1924; Deutsche Botschaft in Madrid an AA, 23. 4. 1924, PA SchRef, Schriftw. m. Beh., Nr. 54-625. 97 V. Delbrueck an v. Prittwitz, 24. 4. 1921, ebd. 98 Verfügung v. Haniel, 6. 11. 1919 (zit. Anm. 95). 99 AA an Reichskanzlei, 21. 9. 1928, BA R 431 810, Bl .93. 100 Vgl. oben, S. 91. 101 V. Bülow an Stieve, 4. 3. 1924, PA SchRef, Schriftw. m. Beh., Nr. 29-178, Sch. 78. 102 So veröffentlichte die Zentralstelle weiterhin die Äußerungen Owens. Vgl. R. L. Owen, Eine neue Rede über die Kriegsschuldfrage, gehalten am 27. 3. 1926, hg. v. Zentralstelle für Erforschung der Kriegsursachen, Berlin 1926. 103 V. Wegerer an Stieve, 19. 7. 1928, PA SchRef, Schriftw. m. Zentralstelle, 3.26-11.28. 104 Zu den Thesen Schmitts vgl. KSF, Bd. IV, 1926, S. 293 ff. 105 Aufzeichnung Schwendemann, 17. 8. 1928, PA SchRef, Schriftw. m. Zentralstelle, 3.26-11.28. 106 Namentlich H. Lutz hatte Schmitt suggeriert, ein Besuch bei Kantorowicz sei wegen dessen »Einseitigkeit« nicht lohnenswert. Vgl. Aufzeichnung über Schuldfragengespräche mit Prof Bernadotte E. Schmitt am 22., 23., 24. u. 25. 6. 1928, ebd. 107 New York 1928. 108 Zur Auffassung Fays vgl. Berliner Tageblatt, Nr. 375, 8. 8. 1924. 109 Aufzeichnung Schwendemann, 12. 11. 1928, PA SchRef, Veröffentl. Fay, 11.28-10.30, Sch. 947. Deutscherseits hat man auch die französische Übersetzung des Fay-Buchcs gefördert. Vgl. Deutsche Botschaft Paris an AA, 17. 4. 1929, ebd., Sch. 678. 110 Zu Barnes vgl. R. Turner, Die amerikanischen Revisionisten, in: Der Krieg, 2. Jg., 1929, S. 97-100. 111 In diesem Zusammenhang wurden eine Reihe von Beiträgen dieser Autoren ins Deutsche übersetzt. Vgl. u. a. G. Demartial, Die Mobilmachung des Gewissens, Berlin 1926; ders., Das Evangelium des Quai d'Orsay, Berlin 1928; A. Ebray, Der unsaubere Friede, Berlin 1925; A. Fabre-Luc, Der Sieg, Frankfürt 1925; V. Margueritte, Der Weg zum Frieden mit dem Appell an das Gewissen, Berlin 1925; S. Fay, Der Ursprung des Weltkriegs, Berlin 1930; H. Barnes, Die Entstehung des Weltkriegs, Stuttgart 1928. Insgesamt H. Draeger, Die internationale Erörterung der Kriegsschuldfrage lm Jahre 1928, Berlin o. J . (1928). 112 Dazu den Bericht der Vertretung der Reichsregierung in München (v. Haniel) an die Reichskanzlei v. 29. 7. 1926, BA R43I 810, Bl. 85. 113 Schnee an Lutz, 19. 9. 1926, GStA Berlin NL Schnee, Bd. 44, Bl. 61.

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Anmerkungen zu Seite 1 1 4 - 1 1 8 114 Aufzeichnung Dieckhoff, 3. 12. 1930, PA SchRef, Schriftw. m. Zentralstelle, 7.29-12.30. 115 Zur zeitgenössischen Interpretation der Aktivitäten Morels vgl. L. Brentano, Der Weltkrieg und E. D. Morel. Ein Beitrag zur englischen Vorgeschichte des Weltkriegs, München 1921. Die Beziehungen Morels und seiner »Union of Democratic Control« zu den deutschen Autoren wie v. Montgelas beschreibt eingehend W. Krieger, Labour Party und Weimarer Republik, Bonn 1979, S. 164 ff. 116 Vgl. dazu ausführlich Wittgens, S. 223-260. 117 Vgl. Aufzeichnung Stieve für Außenminister Stresemann, (Geheim), 9. 5. 1925, PA SchRef, Kriegsschuldfrage, Allg. Sonderheft, 1. 23-10. 28. 118 Aufzeichnung Stieve, 9. 3. 1925, PA SchRef, Kriegsschuldfrage, Allg. Sonderheft, 1.23-10.28. 119 Vgl. BA R 431 808, Bl. 253-358. 120 Lutz an Stieve, 24. 4. 1924, 10. 7. 1924, 20. 8. 1924; Stieve an v. Harnel, 20. 9. 1924, PA SchRef, Schriftw. m. Lutz, 1.24–4.26. 121 Hierzu PA SchRef, Schriftw. m. Margueritte, Bd. 1. 122 Vgl. Draeger, Erörterung, S. 14. 123 Aall an Stieve, 21. 12. 1927; Deutsche Gesandtschaft Helsingfocrs an AA, 20. 1. 1928, PA SchRef, Schriftw. m. Norw. Kom. z. Kriegsschuldfrage, 2.27-3.28. 124 Berliner Tageblatt, Nr. 617, 31. 12. 1927. 125 Stieve an Deutsche Gesandtschaft Oslo, 28. 2. 1928, PA SchRef, Schriftw. m. Norw. Kom. z. Kriegsschuldfrage, 12.27-3.28. 126 BA R43I 803, BL 127. 127 H. H. Aall, Neutrale Komitees und Gelehrte über die Kriegsschuld, Oslo 1927. Die Enquete war mit insgesamt 13500 Kronen von deutschen Stellen gefördert worden. Aall an Stieve, 21. 12. 1927, PA SchRef, Schriftw. m. Norw. Kom. z. Kriegsschuldfrage, 2.27-3.28. 128 Die Tagung fand unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt. Nach dem Willen der Beteiligten sollten die »nationalen Vertrauensmänner untereinander im Verborgenen Fühlung halten«. Vgl. GStA Berlin NL Schnee, Bd. 30, Bl. 5 u. 12. Im gleichen Tenor auch das Schreiben des AA an die Reichskanzlei v. 12. 4. 1926, BA R43I 810, BL 45-47. 129 Vgl. den Tagungsbericht v. 17. 4. 1926, PA SchRef, Schriftw. m. Bch., 1.26-7.26. 130 Vgl. GStA Berlin NL Schnee, Bd. 24, Bl. 46 u. 53, Bd. 44, Bl. 53 u. 61. 131 Draeger an Schnee, 25. 8. 1927, GStA Berlin NL Schnee, Bd. 30, Bl. 23. 132 Das Konzept befindet sich ebd., BL 25 ff. 133 Folgende Persönlichkeiten wurden der Stiftung gegenüber als mögliche Mitglieder der Sachverständigenkommission genannt. Amerika: Fay, Schmitt, Barnes, Lingelbach; Kanada: Kennedy; England: Gooch, Temperley; Frankreich: Renouvin, Morhardt, Ebray, Dubin, Bourgeois, Fabre-Luc; Italien: Lombroso, Barthagallo, Torre; Sowjetunion: Adamov, Pobrolski; Österreich: Uebersberger, Goos, Pribram; Ungarn: Horvath; Deutschland: v. Montgelas, Mendelssohn-Bartholdy, Brandenburg, Delbrück, Oncken, Lutz, Hoetzsch, v. Wegerer. Vgl. ebd., BL 24. 134 Draeger Schnee, 25. 8. 1927 (zit. Anm. 131). 135 Dazu den Erinnerungsbericht Schnees, GStA Berlin NL Schnee, Bd. 24, Bl. 51. 136 Das Schreiben ist abgedruckt, ebd., Bd. 34, Bl. 7. Es ist durchaus möglich, daß die Carnegie-Stiftung aus Deutschland auch warnende Stimmen erreichten, die von einer Förderung des Projekts energisch abrieten. Kanner an Bernstein, 21. 10. 1926, IISG NL Bernstein, D 338. 137 Siehe oben, S. 109. 138 Dieser Sachverhalt kommt andeutungsweise zum Ausdruck in: BM, Bd. XIV, 1936, S. 2. 139 Vgl. BM, Bd. XII, 1934, S. 363.

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Anmerkungen zu Seite 1 1 8 - 122 140 Aufzeichnung Stieve, 19. 11. 1936, PA SchRef, Veröffentl. Zentralstelle, 3.36-2.37. 141 PA HistRef, BM, 2.37-3.39. Anläßlich seiner Reichstagsrede v. 30. 1. 1937 proklamierte Hitler das »Ende der Kriegsschuldlüge«. Die Erklärung ist abgedruckt in: BM, Bd. XV, 1937, S. 176f. 142 Vgl. PA HistRef, BM, 2.37-3.39. 143 Aufzeichnung Frauendienst, 25. 6. 1936, PA SchRef, Veröffentl. Zentralstelle, 3.36-2.37. 144 Vgl. BM, Bd. XIII, 1935, S. 781 f. Zu den Querelen um v. Wegerer vgl. Aufzeichnung Frauendienst, 13. 12. 1936, PA SchRef, Veröffentl. Zentralstelle, 3.36-2.37; insbesondere v. Wegerer an Lammers (Reichskanzlei), 26. 10. 1936, ebd. 145 V. Wegerer selbst wurde im November 1938 als Oberregierungsrat in das Kriegsgeschichtliche Forschungsamt des Reichskriegsministeriums übernommen. Im Jahre 1939 erschien sein Lebenswerk »Der Ausbruch des Weltkriegs 1914« (Bde. 1 u. 2., Hamburg 1939). 146 Aufzeichnung Stieve, 19. 11. 1936 (zit. Anm. 140). Zum weiteren Schicksal der Zeitschrift vgl. PA HistRef, BM. 2.37-3.39. 147 Vgl. oben, S. 70. 148 Draeger, ADV, S. 60. 149 M. Wolfowitz, Der Arbeitsausschuß Deutscher Verbände, in: D. Fricke (Hg.), Die bürgerlichen Parteien in Deutschland, Bd. 1, Leipzig 1968, S. 48-55, hier S. 50. 150 Ebd. 151 Ebd. 152 Vgl. dazu das Prot. der ersten Ausschußsitzung des ADV v. 26. 5. 1921, PA SchRef, andere Bearb., Nr. 614-996. 153 Draeger, ADV, S. 22. 154 Der am 2. 4. 1896 in Mecklenburg geborene Hans Draeger war seit dem 19. 9. 1921 beim ADV tätig, dazu Schnee an Schwertfeger, 28. 8. 1931, BA NL Schwertfeger, Bd. 90, Bl. 126. Nach einer Aufzeichnung des Kriegsschuldreferats für Außenminister Stresemann v. 30. 4. 1928 war Draeger die »zweifellos wichtigste Kraft des ADV«, PA SchRef, Schriftw. m. ADV, 4.28-1.31. 155 Vgl. unten, S. 141 f. 156 Schnee wurde in der Kuratoriumssitzung v. 3. 2. 1925 gewählt, Draeger, ADV, S. 21. 157 Eine Auflistung der Mitglieder des Kuratoriums findet sich ebd., S. 24ff. 158 Ebd., S. 27 ff. Zum Finanzausschuß gehörten neben K. Borsig u. a. die Bankdirektoren Gutmann (Dresdner Bank), Simson (Darmstädter und Nationalbank) und v. Strauß (Deutsche Bank), Döring vom RDI, Graf Kalckreuth vom Landbund, der Siemens-Direktor Haller und Holthöfer von der Geschäftsführung des Vereins für die bergbaulichen Interessen in Essen. Mitglieder des parlamentarischen Beirats waren u.a. Stegerwald (Z), Hoetzsch (DNVP), Südekum (SPD), Schücking (DDP), v. Raumer (DVP). 159 AA an badische Gesandtschaft in Berlin v. 9. 8. 1928, PA SchRef, Schriftw. m. ADV, 4.28-1.31. 160 Nicht umsonst rühmte sich der ADV seiner »Beweglichkeit« auf den Gebieten der Inund Auslandspropaganda. Draeger, ADV, S. 60. 161 Fischer, Krieg, S. 670. 162 Vgl. dazu den Spendenaufruf des ADV-Finanzausschusses v. 1. 11. 1924, PA SchRef, Schriftw. m. ADV, 1.24-3.25. Der ADV bemühte sich auch in Einzelschreiben um bekannte Industrielle, so z. B. um Paul Reusch, den Chef der Gutehoffnungshütte in Oberhausen. ADV an Reusch, 6. 5. 1927; Reusch an ADV, 11. 6. 1927, HA GHH 400101293/8a. 163 Draeger an Stresemann, 23. 12. 1924, PA SchRef, Schriftw. m. ADV, 1.24-3.25. 164 In einer Unternehmerveröffentlichung v. Januar 1931 hieß es dazu: »Das ganze Reparationssystem baut sich wie überhaupt der Versailler Vertrag auf der Behauptung von der alleinigen Schuld Deutschlands auf«. G. E. Heinecke, Revision des Young-Plans, Berlin 1931, S. 34.

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