Die Urteilsverkündungsfrist im strafrechtlichen Revisionsverfahren: Eine Untersuchung der §§ 356, 268 III 2 StPO vor dem Hintergrund der Entscheidung RGSt 27, 116 [1 ed.] 9783428583300, 9783428183302

Gilt die Frist zur Urteilsverkündung nach § 268 III 2 StPO auch für die strafrechtliche Revisionshauptverhandlung? Das R

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Die Urteilsverkündungsfrist im strafrechtlichen Revisionsverfahren: Eine Untersuchung der §§ 356, 268 III 2 StPO vor dem Hintergrund der Entscheidung RGSt 27, 116 [1 ed.]
 9783428583300, 9783428183302

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Schriften zum Prozessrecht Band 279

Die Urteilsverkündungsfrist im strafrechtlichen Revisionsverfahren Eine Untersuchung der §§ 356, 268 III 2 StPO vor dem Hintergrund der Entscheidung RGSt 27, 116

Von Oliver Nißing

Duncker & Humblot · Berlin

OLIVER NI ẞING

Die Urteilsverkündungsfrist im strafrechtlichen Revisionsverfahren

Schriften zum Prozessrecht Band 279

Die Urteilsverkündungsfrist im strafrechtlichen Revisionsverfahren Eine Untersuchung der §§ 356, 268 III 2 StPO vor dem Hintergrund der Entscheidung RGSt 27, 116

Von Oliver Nißing

Duncker & Humblot · Berlin

Die Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Bielefeld hat diese Arbeit im Jahre 2020 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2021 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: 3w+p GmbH, Rimpar Druck: CPI buchbücher.de GmbH, Birkach Printed in Germany ISSN 0582-0219 ISBN 978-3-428-18330-2 (Print) ISBN 978-3-428-58330-0 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meiner Familie – Denen, die sind, waren und sein werden

Vorwort Die Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Bielefeld hat diese Arbeit im Wintersemester 2020/2021 als Dissertation angenommen. Die Arbeit befindet sich von der Sach- und Rechtslage her im Wesentlichen auf dem Stand zum Zeitpunkt der Abgabe Anfang Juni 2020. Dennoch kam es zu einigen kleineren Veränderungen. Dabei handelt es sich zum einen um die Anregungen aus den Gutachten, die ich gerne aufgenommen habe, zum anderen konnte vor der Drucklegung auch noch eine anstehende Änderung der Rechtslage berücksichtigt werden. Mit dem Gesetz zur Fortentwicklung der Strafprozessordnung und der Änderung weiterer Vorschriften ist geplant, die hier gegenständliche Urteilsverkündungsfrist von elf Tagen auf zwei Wochen zu verlängern. Berücksichtigt wurde in den Ausführungen diejenige Rechtsänderung, wie sie nach dem Regierungsentwurf vom 21. 01. 2021 geplant ist; insofern ist beim Lesen der Arbeit zu beachten, ob dieser Entwurf auch in dieser Form schließlich Gesetz wurde. Am Ende mag zwar nur ein Name sichtbar auf der Arbeit stehen. Das soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass dies letztlich das Werk einer Vielzahl von Menschen ist, welche mir über die Zeit der Schaffung zur Seite stand und die Fertigstellung ermöglicht hat. All diesen Menschen möchte ich hiermit aufrichtig danken. Gerade in Zeiten wie denen der COVID-19-Pandemie zeigt sich die Wichtigkeit menschlichen Rückhalts. Meinem Doktorvater, Prof. Dr. Stephan Barton, gilt dabei mein erster und ganz besonderer Dank. Er gab mir nicht bloß die Möglichkeit diese Arbeit zu schreiben und betreute sie, sondern er gab stets Raum zur eigenen Entwicklung und war mir über die vielen Jahre, die mein Werdegang uns nun miteinander verbindet, immer ein guter Mentor, dessen Ratschläge und Weisheiten ich gerne aufgegriffen und beachtet habe. Sein Wirken hat mich hierbei nicht nur wissenschaftlich, sondern vor allem menschlich geprägt. Des Weiteren möchte ich Prof. Dr. Lutz Eidam, LL.M. herzlich für dessen Unterstützung bei diesem Projekt danken. Zuvorderst selbstverständlich für die Bereitschaft, das Zweitgutachten zur Arbeit zu erstatten. Aber bereits vor Übernahme dieser Aufgabe stand er schon mit vielen Gesprächen zur Seite, die gerade in den schwierigen Phasen der Arbeit Licht ins Dunkle brachten – dieser Unterstützung und Hilfe messe ich persönlich sogar eine noch viel größere Bedeutung bei. Natürlich gilt großer Dank auch meiner Familie in nah und fern, der diese Arbeit gewidmet ist. Beginnen möchte ich bei meinen Eltern und ihnen danken für ihre bedingungslose Liebe, Geduld und Unterstützung – nicht nur bei diesem Projekt.

8

Vorwort

Gleiches gilt für meinen Bruder und seine Familie. Großen Dank will ich an dieser Stelle auch meinen Tanten und meinem Onkel für den Rückhalt aussprechen, den sie mir all die Jahre gegeben haben, wie mit den vielen aufbauenden und stützenden Gesprächen oder die Zerstreuung auf andere Weise, die sie mir auf dem langen Weg gegeben haben, wenn das Leben mal die eine oder andere Herausforderung bot. Danken will ich auch meinen Cousinen und Cousins dafür, dass sie und ihre Familien mir stets Halt gegeben und Freude bereitet haben. Dank gilt auch meinen Freundinnen und Freunden, die für mich mehr wie ein Teil der eigenen Familie sind. Sie haben mir mein Leben da einfacher gestaltet, wo ich es mir selbst vielleicht mal unnötig kompliziert gemacht habe, und waren mir auf dem Weg eine seelische Stütze. Jede und jeder auf ihre und seine ganz eigene, unersetzliche Art. Ich bin dankbar dafür, dass sie mit mir diesen Teil des Lebenswegs gegangen sind und hoffe, dass wir den Weg auch lange weiter gemeinsam gehen werden. Hierneben möchte ich den Teams an den Lehrstühlen von Prof. Dr. Stephan Barton sowie Prof. Dr. Anne Sanders, Mag. Jur. (Oxford) und nicht zuletzt dem gesamten Team von der akademischen Studienberatung „richtig einsteigen.“ Dank aussprechen. Stellvertretend für die vielen Mitgliedern dieser Teams seien besonders genannt Gina Rabea Rolfes und Marc-Arno Scheuß. Sie und die anderen haben mir über die Jahre bei der Arbeit und außerhalb dieser viel Freude und Abwechslung bereitet und die Zeit an der Universität Bielefeld unvergesslich gestaltet und mir dort ein Zuhause gegeben. Zum Abschluss – aber keinesfalls zuletzt – möchte ich noch zwei ganz besonderen Menschen dafür danken, dass sich unsere Wege kreuzten. Beginnen will ich bei Anne-Christina Hilbring, mit der ich im Team der akademischen Studienberatung von „richtig einsteigen.“ einerseits vielen Studierenden bei Studienproblemen oder sonstigen Problemen des Lebens behilflich sein konnte, andererseits hat sie für mich immer ein offenes Ohr gehabt. Gerade in der turbulenten Zeit des Abschlusses der Arbeit während der Anfänge der COVID-19-Pandemie, als die Welt zusammenzubrechen schien, hielt sie mir den Rücken von der einen oder anderen Arbeit frei, die im Projekt reinkam. So trug auch sie zum Gelingen dieses Projekts bei. Hierfür gilt mein Dank, aber vor allem für die Freundschaft. Und schließlich muss und will ich an dieser Stelle Prof. Dr. Anne Sanders, Mag. Jur. (Oxford) ganz herzlich für alles danken, was sie mir ermöglicht hat. Nicht nur gab sie mir an ihrem Lehrstuhl eine neue Heimat, nachdem Prof. Dr. Stephan Barton pensioniert wurde, sondern sie gab mir die Chance, diese Arbeit auch an der Universität Bielefeld abzuschließen. Ihre menschliche Art hat die übrigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Lehrstuhl und mich in unserem wissenschaftlichen Werdegang stets ermutigt und sie hat unsere und meine Potentiale gesehen und gefördert sowie Perspektiven aufgezeigt. Sie ist ein Vorbild in jederlei Hinsicht für ihr Team sowie für ihre Studierenden und sie ist eine Bereicherung für die Rechtswissenschaft. Essen, im Mai 2021

Oliver Nißing

Inhaltsverzeichnis Erstes Kapitel Einführung

19

A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 B. Forschungsgegenstand und Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 C. Erkenntnisinteresse und Vorgehen der Bearbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 D. Kurz: Zum Fristenbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27

Zweites Kapitel Normativer Inhalt der Vorschriften

31

A. Auslegung der Vorschrift des § 356 StPO im Hinblick auf die Urteilsverkündungsfrist und im Kontext von RGSt 27, 116 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 1. Bestandsaufnahme: Die Entscheidung RGSt 27, 116 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 a) Das methodische Vorgehen des Reichsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 b) Analyse, Fragen und Angriffspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 2. Zu den Koordinaten der Auslegung – Eine Positionierung . . . . . . . . . . . . . . . . 39 a) Gegenstand der Auslegung: Zwischen objektiver und subjektiver Auslegungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 aa) Zum Streitstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 (1) Die objektive Auslegungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 (2) Die subjektive Auslegungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 (3) Vermittelnde Ansichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 (4) Das Für und Wider . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 (a) Das „hermeneutische Argument“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 (b) Das „Formargument“ bzw. „Willensargument“ . . . . . . . . . . . . . . 52 (c) Das „Vertrauensargument“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 (d) Das „Ergänzungsargument“ oder „Rechtsfortbildungsargument“ 55 bb) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 b) Zu den Problemen der Auslegungsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 aa) Exkurs: Lösungssuche bei den Ursprüngen des Auslegungskanons . . . . 61

10

Inhaltsverzeichnis bb) Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 c) Konsequenzen für die Bearbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 II. Die Auslegung im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 1. Auslegung nach dem Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 a) Subjekt des Normsatzes – „Die Verkündung des Urteils“ als Verweisungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 b) Prädikat des Normsatzes – „erfolgt“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 c) Objekt des Normsatzes – „nach Maßgabe des § 268“ als Rechtsfolge . . . . . 74 d) Ergebnis zur Wortlautauslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 2. Systematische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 a) Zur Systemfrage des inneren Systems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 aa) Systembegriff: Hin zu einem teleologischen Systemverständnis . . . . . . 81 bb) Koordinaten des teleologischen Systems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 (1) Systembeziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 (2) Die Rolle der Prinzipien im System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 (a) Die Ansicht nach Canaris/Larenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 (b) Die Ansätze nach Alexy und seiner Prinzipientheorie . . . . . . . . 88 (3) Prinzipiengewinnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 (4) Systemeigenschaften: Offenheit und Beweglichkeit . . . . . . . . . . . . . 91 cc) Parameter für die weitere Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 b) Äußere Systematik des § 356 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 aa) Die äußere Systematik innerhalb der StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 bb) Die äußere Systematik im weiteren normativen Gefüge . . . . . . . . . . . . . 100 (1) Zusammenhang mit weiteren Bundesgesetzen . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 (2) Bezug zum Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 (3) Völkerrechtliche Bezüge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 (a) Europarecht: EMRK und EU-GRCh . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 (b) Weiteres Völkerrecht: AEMR und IPbpR . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 cc) Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 c) Innere Systematik des § 356 StPO und Systembildung . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 aa) Zu den Prinzipien der Hauptverhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 (1) Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 (2) Mündlichkeit und Unmittelbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 (3) Konzentration und Beschleunigungsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 (4) Weitere Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 (a) Persönlichkeitsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 (b) Schriftlichkeitsprinzip der Revisionshauptverhandlung? . . . . . . 124 (5) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 bb) Systembildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 d) Ergebnis zur systematischen Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135

Inhaltsverzeichnis

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3. Historisch-genetische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 a) Vom Entwurf bis zur Verkündung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 aa) Zum historischen Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 bb) Vom Entwurf einer RStPO im Bundesrat bis zur Beratung im Reichstag 140 cc) Erkenntnisse aus den Motiven und Beratungen zum Entwurf – Von der Reichstagsvorlage bis zur Verkündung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 (1) Bedeutung der Konzentrationsmaxime . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 (2) Verständnis von der Revisionshauptverhandlung . . . . . . . . . . . . . . . 147 (3) Die Entwicklung des § 226 RStPO-E im Verhältnis zu § 191 RStPO-E . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 (4) Die Entwicklung des § 396 RStPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 dd) Zwischenergebnis zur historisch-genetischen Auslegung . . . . . . . . . . . . 161 b) Die weiteren Entwicklungen nach 1879 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 aa) Die Veränderung der Frist des § 268 III 2 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 (1) Von „spätestens mit Ablauf einer Woche“ zu „spätestens am vierten Tage“ – Die Änderung durch das Vereinheitlichungsgesetz (1950) 166 (2) Von „spätestens am vierten Tage“ zu „spätestens am elften Tage“ – Die Änderung durch das 1. StVRG (1974) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 (3) Von „spätestens am elften Tage“ zu „spätestens zwei Wochen“? – Die zu erwartende Änderung durch das Gesetz zur Fortentwicklung der StPO und zur Änderung weiterer Vorschriften (2021) . . . . . . . . 170 bb) Blick auf die Veränderung der Frist des § 229 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . 172 cc) Schlüsse aus dem Vergleich der Unterbrechungs- und Verkündungsfrist 173 c) Ergebnis zur historisch-genetischen Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 4. Teleologische Auslegung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 a) Reflektionen zum hiesigen Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 b) Ergebnis in Bezug auf eine teleologische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 5. Gesamtwürdigung der Auslegungsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 6. Anwendbarkeit der ursprünglichen gesetzgeberischen Vorstellung . . . . . . . . . . 187 III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 B. Zur Möglichkeit einer teleologischen Reduktion des § 356 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . 189 C. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191

Drittes Kapitel Statistische Fallzahlen

193

A. Datengrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 B. Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194

12

Inhaltsverzeichnis

C. Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 I. Daten zum 1. Strafsenat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 II. Daten zum 2. Strafsenat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 III. Daten zum 3. Strafsenat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 IV. Daten zum 4. Strafsenat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 V. Daten zum 5. Strafsenat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 VI. Gesamtbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 D. Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206

Viertes Kapitel Rechtsschutz (des Angeklagten)

207

A. Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 B. Zu den einzelnen Möglichkeiten des Rechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 I. Ordentliche Rechtsbehelfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 1. Zwischenrechtsbehelf des § 238 II StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 2. Die Rechtsmittel der StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 II. Außerordentliche Rechtsbehelfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 1. Rechtsbehelfe gegen Gehörsverletzungen nach Art. 103 I 2 GG . . . . . . . . . . . . 217 a) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, § 33a StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 b) Anhörungsrüge, § 356a StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 2. Verfassungsbeschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 a) Gedanken zur Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . 225 b) Begründetheit: Die Verletzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 aa) Justizgrundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 bb) Freiheit der Person, Art. 2 II 2 i. V. m. Art. 104 GG . . . . . . . . . . . . . . . . 230 cc) Auffanggrundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 (1) Allgemeine Handlungsfreiheit, Art. 2 I GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 (2) Allgemeiner Gleichheitssatz, Art. 3 I GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 dd) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 3. Petitionsrechte aus Art. 17 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 a) Dienstaufsichtsbeschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 b) Gegenvorstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255

Inhaltsverzeichnis

13

III. Sonstige Handlungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 1. Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit, § 24 ff. StPO . . . . . . . . . . . . . . 256 2. Verzögerungsrüge, § 198 III GVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 3. Strafanzeige wegen Rechtsbeugung, § 339 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 IV. Ergebnis zu den Rechtsbehelfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 C. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264

Fünftes Kapitel Konklusionen

266

Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311

Abkürzungsverzeichnis a. A. a. a. O. ABl. Abg. Abs. Abs.-Nr. AcP a. D. a. E. AEMR AEUV a. F. AK-StPO Allerh. Alt. Anm. Art. BA BAnz. BayVerfGH BeckOK-GVG BeckOK-StPO Beschl. BFH BFHE BGB BGBl. BGH BGHR BGHSt BGHZ BK-GG BMJV BR-Drucks. BT-Drucks. BT-Prot. BVerfG BVerfGE BverfGG

anderer Ansicht am angegebenen Ort Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft/Europäischen Union Abgeordneter/Abgeordnete Absatz Absatznummer Archiv für die civilistische Praxis außer Dienst am Ende Allgemeine Erklärung der Menschenrechte Vertrag über die Arbeitsweisen der Europäischen Union alte Fassung Alternativkommentar zur Strafprozessordnung Allerheiligen Alternative Anmerkung Artikel Bundesarchiv Bundesanzeiger Bayrischer Verfassungsgerichtshof Beck’scher Onlinekommentar zum Gerichtsverfassungsgesetz Beck’scher Onlinekommentar zur Strafprozessordnung Beschluss Bundesfinanzhof Entscheidungen des Bundesfinanzhofs (amtliche Sammlung) Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof BGH-Rechtsprechung in Zivilsachen oder Strafsachen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen (amtliche Sammlung) Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen (amtliche Sammlung) Bonner Kommentar zum Grundgesetz Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz Bundesrats-Drucksache Bundestags-Drucksache Bundestags-Plenarprotokoll Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (amtliche Sammlung) Bundesverfassungsgerichtsgesetz

Abkürzungsverzeichnis BVerwG bspw. bzw. CCPR CDU CSU DDKR d. h. Di. DJZ DRiG DRiZ EGGVG EGMR EGStPO Einl. EMRK etc. EU EuGH EU-GRCh EuGRZ EUV e.V. f. ff. FG Fn. FS GA GG ggf. GS GVBl. GVG h. A. HansOLG HK-StPO h. M. HRC HRRS Hrsg. hrsg. HS HStR i. d. R. i. E. insbes.

Bundesverwaltungsgericht beispielsweise beziehungsweise Covenant on Civil and Political Rights Christlich Demokratische Union Deutschlands Christlich-Soziale Union in Bayern Dölling/Duttge/König/Rössner, Gesamtes Strafrecht, Kommentar das heißt Dienstag Deutsche Juristenzeitung Deutsches Richtergesetz Deutsche Richterzeitung Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz Europäischer Gerichtshof für Menschrechte Einführungsgesetz zur Strafprozessordnung Einleitung Europäische Menschenrechtskonvention et cetera Europäische Union Europäischer Gerichtshof Grundrechtecharta der Europäischen Union Europäische Grundrechte-Zeitschrift Vertrag über die Europäische Union eingetragener Verein folgende (Einzahl) folgende (Mehrzahl) Festgabe Fußnote Festschrift Goltdammer’s Archiv für Strafrecht Grundgesetz gegebenenfalls Gedächtnisschrift Gesetz- und Verordnungsblatt Gerichtsverfassungsgesetz herrschende Ansicht Hanseatisches Oberlandesgericht Heidelberger Kommentar zur Strafprozessordnung herrschende Meinung Human Rights Council Höchstrichterliche Rechtsprechung im Strafrecht (Zeitschrift) Herausgeber/Herausgeberin herausgegeben Halbsatz Handbuch des Staatsrechts in der Regel im Ergebnis insbesondere

15

16 IPbpR i. R. d. i. R. e. i. S. d. i. S. e. i. V. m. JA JGG JoJZG JR JuMoG Jura JuS JW JZ KG KK-OWiG KK-StPO KMR KritV lit. LK LR Ls. MAH MDR MGS MMR Mo. MRTW MüKo-BGB MüKo-StGB MüKo-StPO MüKo-ZPO m.w.N. NdsVBl n. F. NJW Nr. NRW NStZ NSU NVwZ OLG Oster-Mo. Oster-So. OWiG RegE

Abkürzungsverzeichnis Internationaler Pakt für bürgerliche und politische Rechte im Rahmen des/der im Rahmen eines/einer im Sinne des/der im Sinne eines/einer in Verbindung mit Juristische Arbeitsblätter Jugendgerichtsgesetz Journal der juristischen Zeitgeschichte Juristische Rundschau Justizmodernisierungsgesetz Juristische Ausbildung Juristische Schulung Juristische Wochenschrift Juristenzeitung Kammergericht Berlin Karlsruher Kommentar zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung Kleinknecht/Müller/Reitberger, Kommentar zur Strafprozessordnung Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft litera (Buchstabe) Leipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch Löwe/Rosenberg, Kommentar zur Strafprozessordnung Leitsatz Münchener Anwaltshandbuch Monatsschrift für Deutsches Recht Meyer-Goßner/Schmitt, Kommentar zur StPO Multimedia und Recht (Zeitschrift) Montag Meier/Rössner/Trüg/Wulf, Kommentar zum Jugendgerichtsgesetz Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung mit weiteren Nachweisen/Nennungen Niedersächsische Verwaltungsblätter neue Fassung Neue Juristische Wochenschrift Nummer Nordrhein-Westfalen Neue Zeitschrift für Strafrecht Nationalsozialistischer Untergrund Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Oberlandesgericht Ostermontag Ostersonntag Gesetz über Ordnungswidrigkeiten Regierungsentwurf

Abkürzungsverzeichnis RG RGBl. RGSt. RGVG RGZ Rn. Rspr. RStGB RStPO RStPO-E RuP RV RZPO S. Sa. SJZ SK-StPO So. sog. Sp. SSW-StPO StGB StORMG StPÄG StPO StraFo StRR st. Rspr. StV StVÄG StVRG u. a. UN Urt. v. VereinheitlichungsG VerwArch vgl. VO VVDStL VwGO wistra WT ZAP z. B. ZfPW ZIS ZPO

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Reichsgericht Reichsgesetzblatt Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen (amtliche Sammlung) Reichsgerichtsverfassungsgesetz Entscheidungen des Reichgerichts in Zivilsachen (amtliche Sammlung) Randnummer Rechtsprechung Reichsstrafgesetzbuch Reichstrafprozessordnung Entwurf zur Reichsstrafprozessordnung Recht und Politik (Zeitschrift) Verfassung für das Deutsche Reich Reichszivilprozessordnung Satz/Seite Samstag Süddeutsche Juristen-Zeitung Systematischer Kommentar zur Strafprozessordnung Sonntag sogenannt/sogenannter/sogenannte/sogenanntes Spalte Satzger/Schluckebier/Widmaier, Kommentar zur Strafprozessordnung Strafgesetzbuch Gesetz zur Stärkung der Rechte von Opfern sexuellen Missbrauchs Strafprozessänderungsgesetz Strafprozessordnung Strafverteidiger Forum (Zeitschrift) Strafrechtsreport ständige Rechtsprechung Strafverteidiger (Zeitschrift) Strafverfahrensänderungsgesetz Strafverfahrensrechtsreformgesetz unter anderem/und andere United Nations Urteil vom/von/vor Vereinheitlichungsgesetz Verwaltungsarchiv vergleiche Verordnung Veröffentlichungen der Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer Verwaltungsgerichtsordnung Zeitschrift für Wirtschaft, Steuer, Strafrecht Weihnachtsfeiertag Zeitschrift für die Anwaltspraxis zum Beispiel Zeitschrift für die gesamte Privatrechtswissenschaft Zeitschrift für internationale Strafrechtsdogmatik Zivilprozessordnung

18 ZRP ZStW

Abkürzungsverzeichnis Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft

Erstes Kapitel

Einführung „Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.“ – Art. 20 III GG1

A. Einleitung Zum 1. Oktober 18792 trat die bereits am 1. Februar 1877 verkündete RStPO3 des Deutschen Reichs in Kraft. Dem ging ein Gesetzgebungsprozess voraus, der – mehr als zehn Jahre vor diesem Termin – mit der Aufforderung des Reichstags des damals noch Norddeutschen Bundes an den Bundeskanzler Otto von Bismarck im Jahre 1868 begann, Entwürfe für ein gemeinsames Strafrecht und Strafprozessrecht einschließlich der erforderlichen Vorschriften zur Gerichtsorganisation vorzubereiten und dem Reichstag vorzulegen.4 Am 22. März 1895 traf der IV. Strafsenat des RG eine in der amtlichen Entscheidungssammlung des RG veröffentlichte Entscheidung – RGSt 27, 116 –5 im Hinblick auf die Urteilsverkündung nach § 267 RStPO, der dem heutigen § 268 StPO6 in einer veränderten und erweiterten Fassung entspricht. In dieser Vorschrift, die Anforderungen an die Verkündung des strafgerichtlichen Urteils im erstinstanzlichen Verfahren genereller Art stellt, wird u. a. in Abs. 1 angeordnet, dass das Urteil, sofern ein gesonderter Verkündungstermin angesetzt wird, innerhalb eines bestimmten Zeitraums stattzufinden hat. Dieser betrug zum Zeitpunkt der Ent1 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. 05. 1949, BGBl. 1949 I, S. 1, zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes vom 15. 11. 2019, BGBl. 2019 I, S. 1546. 2 Siehe § 1 des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz in der Fassung vom 27. 01. 1877, RGBl. 1877, S. 77 i. V. m. § 1 des Einführungsgesetzes zur Strafprozessordnung in der Fassung vom 01. 02. 1877, RGBl. 1877, S. 346. 3 Strafprozessordnung in der Fassung vom 01. 02. 1877, RGBl. 1877, S. 253. 4 Eduard Kern, Geschichte des Gerichtsverfassungsrechts, S. 87 f.; siehe die Chronologie bei Schubert/Regge, Entstehung und Quellen der StPO, S. 43. 5 Ebenfalls in Auszügen veröffentlicht in JW 1895, 429. 6 Strafprozessordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 07. 04. 1987, BGBl. 1987 I, S. 1074, zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes zur Verbesserung der Rahmenbedingungen luftsicherheitsrechtlicher Zuverlässigkeitsüberprüfungen vom 22. 04. 2020, BGBl. 2020 I, S. 840.

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1. Kap.: Einführung

scheidung nach § 267 I 1 RStPO längstens eine Woche, nach der heutigen, dieser entsprechenden Vorschrift des § 268 III 2 StPO, elf Tage7 nach Schluss der Verhandlung. In der Entscheidung RGSt 27, 116 nun macht das RG zwei entscheidende Feststellungen. Erstens hält es fest, dass es sich bei der Urteilsverkündungsfrist nach § 267 I 1 RStPO um eine verbindliche Vorschrift handelt, die von den Tatgerichten zu beachten ist und eine Verletzung der Norm durch die Tatgerichte ggf. mit der Revision angegriffen werden kann. Unter vorherigem Rückgriff auf die Materialien zur Entstehung der StPO führt es diesbezüglich aus: „Der […] Vorschrift liegt der Gedanke zu Grunde, daß die Beratung und Entscheidung über das Ergebnis der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gerichte thunlichst unter dem frischen Eindrucke derselben erfolgen müsse, um die richtige Beurteilung der Schuldfrage zu sichern. […] Hat man aber die erwähnte Rücksicht auch bei der Auslegung des § 267 a. a. O. als maßgebend anzuerkennen, so ergiebt sich, daß der Gesetzgeber die Frist von einer Woche als die äußerste Zeitgrenze betrachtet hat, bis zu welcher die Feststellung der Ergebnisse der Hauptverhandlung durch den Thatrichter allenfalls noch mit derjenigen Sicherheit erfolgen kann, welche die nötige Garantie für eine zutreffende Würdigung der Schuldfrage bietet, und daß er bei einem längeren Zwischenraume zwischen der Verhandlung und der Verkündung des Urteiles diese Garantie nicht mehr als gegeben sieht.“8

Direkt im Anschluss bemerkt das RG, was einerseits die erste Feststellung – die Verbindlichkeit der Frist für die Tatgerichte – festzurrt, aber andererseits in die zweite maßgebliche Feststellung dieser Entscheidung überleitet: „Anders liegt die Sache bei den in der Revisionsinstanz ergehenden Urteilen, für welche der durch das angefochtene Urteil festgestellte Thatbestand, bezw. soweit es sich um prozessuale Beschwerden handelt, das Sitzungsprotokoll und eventuell der sonstige Akteninhalt die maßgebende Grundlage bilden. Es kann deshalb daraus, daß das Reichsgericht sich an die Verkündungsfrist des § 267 a. a. O. nicht für absolut gebunden erachtet, nicht die Konsequenz gezogen werden, daß die Nichtbeachtung jener Vorschrift auch bei Urteilen des Thatrichters unwesentlich und überhaupt nicht geeignet sei, eine Revisionsbeschwerde zu begründen.“9

Während das RG die Urteilsverkündungsfrist des § 267 I 1 RStPO als für die Tatgerichte verbindlich zu beachtende und revisibele Verfahrensvorschrift anerkennt, was auch heute (wieder) Ansicht der Rechtsprechung in Bezug auf § 268 III 2 StPO ist,10 stellt es zugleich in einem zweiten Schritt fest, dass es selbst wiederum an 7

Dem aktuellen Regierungsentwurf nach ist gemäß Art. 1 Nr. 34a des Gesetzes zur Fortentwicklung der StPO und zur Änderung weiterer Vorschriften eine Verlängerung der Verkündungsfrist auf zwei Wochen geplant. Diese Änderung war zum Zeitpunkt der Drucklegung noch im Gesetzgebungsverfahren. Siehe hierzu näher unten Zweites Kapitel: A. II. 3. b) aa) (3). 8 RGSt 27, 116, 117. 9 RGSt 27, 116, 117 f. 10 BGHR-StPO § 268 III, Verkündung 4, 5; Kuckein/Bartel, in: KK-StPO, § 268 Rn. 18; Moldenhauer, in: MüKo-StPO, § 268 Rn. 28, 35. Siehe aber demgegenüber auch BGHSt 9, 302 f.

A. Einleitung

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die Frist zur Urteilsverkündung nach § 267 I 1 RStPO nicht gebunden ist. Auch das ist heute immer noch Stand der Rechtsprechung, jedenfalls der Praxis.11 Verwunderlich ist dieses Ergebnis erst auf den zweiten Blick, denn die vorgebrachten Erwägungen des RG entbehren nicht einer gewissen argumentativen Substanz und scheinen zunächst plausibel. Anders hingegen erscheint die Sachlage, wenn eine weitere Vorschrift der StPO in den Blick genommen wird, die im Abschnitt über die Revision im dritten Buch der StPO verortet ist und die das RG in der Entscheidung nicht erwähnt hat. In § 356 StPO, den ursprünglichen und – bis auf eine redaktionelle Anpassung bezüglich der verwiesenen Norm – bis heute vom Wortlaut her unveränderten § 396 RStPO, heißt es wörtlich: „Die Verkündung des Urteils erfolgt nach Maßgabe des § 268.“

Warum diese Vorschrift in der Entscheidung RGSt 27, 116 mit keiner Silbe Erwähnung findet, bleibt im Unklaren. Aber im Gegensatz zu den Gründen der Entscheidung wirkt der Wortlaut des Verweises auf § 268 StPO vollumfassend, d. h. einschließlich einer Anwendungsberufung der Urteilsverkündungsfrist nach § 268 III 2 StPO auch für das Revisionsgericht. Spätestens ab jetzt wirkt die Entscheidung mit ihrer Begründung des RG in der Sache merkwürdig. Entscheidend ist hierbei, dass sich der normative Gehalt der revisionsverfahrensrechtlichen Norm des § 356 StPO nur im Zusammenspiel mit § 268 StPO ergibt, der bei den Vorschriften über das erstinstanzliche Verfahren vor den Amts- und Landgerichten – zum Teil auch vor den Oberlandesgerichten – (vgl. §§ 24, 74 II, 74a, 120, 120b GVG12) im sechsten Abschnitt des zweiten Buches der StPO steht, ergibt. Mit dieser normativen Schnittstelle beginnt der Einstieg in die Argumentation des RG, aus der es sich schließlich „an die Verkündungsfrist des § 267 a. a. O. nicht für absolut gebunden erachtet“,13 nicht, obwohl dies naheliegend wäre. Möglicherweise wäre damit sogar gerade eine „absolute Bindung“ des RG das Ergebnis gewesen. In der Literatur gibt es sehr wohl Stimmen, die zu dem Ergebnis kommen, dass eine solche Bindung des obersten Gerichts der ordentlichen Gerichtsbarkeit, heute der 11 So z. B. in jüngerer Zeit beim „2. Kölner Raserfall“, 4 StR 415/16 gehandhabt. Aus dem Rubrum des Urteils, abrufbar in der Entscheidungssammlung des BGH unter dem Link: https://www.bundesgerichtshof.de/DE/Entscheidungen/entscheidungen, ist ersichtlich, dass die Verhandlung am 08. 06. 2017 stattfand, die Entscheidung aber erst am 06. 07. 2017 verkündet wurde. Der Verkündungstermin wurde darüber hinaus noch vom zunächst angesetzten Termin am 22. 06. 2017 auf den dann tatsächlichen Verkündungstermin am 06. 07. 2017 verschoben, siehe dazu den entsprechenden Terminhinweis auf der Homepage, abrufbar unter: https://www.bundesgerichtshof.de/SharedDocs/Termine/DE/Termine/4StR415.html? nn=12282524, je zuletzt abgerufen am 08. 06. 2020. Vgl. auch Momsen/Momsen-Pflanz, in: SSW-StPO, § 351 Rn. 12. 12 Gerichtsverfassungsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 09. 05. 1975, BGBl. 1975 I, S. 1077, zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes zur Regelung der Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde in Zivilsachen zum Ausbau der Spezialisierung bei den Gerichten sowie zur Änderung weiterer prozessrechtlicher Vorschriften vom 12. 12. 2019, BGBl. I 2019, 2633. 13 RGSt 27, 116, 118.

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1. Kap.: Einführung

BGH, aus § 356 StPO folge.14 Handelt es sich also bei der Auslegung des RG, respektiv bei der Praxis des BGH, um eine Rechtsanwendung entgegen dem geschriebenen Gesetz? Hat sich das RG und das ihm rechtlich nachfolgende Gericht weniger als 16 Jahre nach Inkrafttreten der RStPO einer für die Revisionsgerichte bindenden Norm einfach entledigt? Vor dem Hintergrund der von Art. 20 III GG vorgesehenen Gewaltenteilung und Bindung der Rechtsprechung an Gesetz und Recht, welche in Art. 92 GG nochmals spezifiziert wird, könnte es sich mit der Fortführung dieser Auslegung durch die Praxis des BGH um einen verfassungsrechtlich bedenklichen Vorgang handeln. Zumal die Gewaltenteilung und gerichtliche Bindung an Gesetz und Recht, wie auch vor allem der Schutz der Menschenwürde nach Art. 1 I GG als höchstem Wert,15 zum nach Art. 79 III GG geschützten und unveränderlichen Kern – der Identität des Grundgesetzes – gehört.16 Insoweit verwundert es dann aber wieder, mit welcher Gleichgültigkeit dieser Frage begegnet wird. Insbesondere wegen Fehlens eines (ordentlichen) Rechtsbehelfs gegen diesen Verstoß gebe es für diese Thematik keine praktische Relevanz.17

B. Forschungsgegenstand und Forschungsstand Mit dieser kurzen Skizzierung des Sachstands ist zugleich das Forschungsgebiet dieser Arbeit abgesteckt: Sie soll die Auslegung des § 356 StPO im Hinblick auf die Urteilsverkündungsfrist des § 268 III 2 StPO näher betrachten und dabei vor allem die Auslegung des RG und die durch den BGH fortgeführte Praxis einer methodischen wie auch kritischen Überprüfung unterziehen. Außerdem sollen die Fragen rund um die praktische Relevanz erhellt werden, die einerseits empirische Fallzahlen betreffen, und andererseits die Frage einer praktischen Durchsetzung von Rechtspositionen des Einzelnen, sofern in dem Vorgehen von RG und BGH ein Rechtsfehler zu sehen ist; also den Rechtsschutz in den Blick nehmen. Die konkreten Fragestellungen und das Vorgehen werden sogleich im nächsten Abschnitt dargelegt.

14 Beispielsweise Rackow, in: DDKR, § 356 StPO Rn. 1; Temming, in: HK-StPO, § 356 Rn. 1; Wiedner, in: BeckOK-StPO, § 356 Rn. 1; weitere Nachweise unten in Fn. 20. 15 BVerfGE 6, 32, 41; seitdem st. Rspr., BVerfGE 27, 1, 6; 30, 173, 193; 45, 187, 223; 72, 105, 115; 109, 279, 311; 115, 118, 152; siehe auch zur Rechtsprechung des BVerfG und der Menschenwürde im Wertesystem des Grundgesetzes Häberle, in: HStR II, § 22 Rn. 5 ff. 16 BVerfGE 6, 32, 40 f.; 123, 267, 340; Dietlein, in: BeckOK-GG, Art. 79 Rn. 15 ff.; Dreier, in: Dreier-GG, Art. 79 III Rn. 14 ff.; Matthias Herdegen, in: Maunz/Dürig-GG, Art. 79, Rn. 60; Kirchhof, in: HStR II, § 21 Rn. 64 ff.; Sachs, in: Sachs-GG, Art. 79 Rn. 38; siehe auch grundlegend zu Art. 79 III GG: Bryde, Verfassungsentwicklung, S. 224 ff.; Hain, Die Grundsätze des Grundgesetzes. 17 So z. B. Momsen, in: KMR, § 356 Rn. 1; Momsen/Momsen-Pflanz, in: SSW-StPO, § 356 Rn. 1; Rackow, in: DDKR, § 356 StPO Rn. 1; Velten, in: SK-StPO, § 268 Rn. 11.

B. Forschungsgegenstand und Forschungsstand

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Was den Forschungsstand angeht, ist bereits das Forschungsfeld zu § 356 StPO ersichtlich klein. Zumeist finden sich, wie bereits angedeutet, kurze kursorische oder ganz und gar oberflächliche Darstellungen in der gängigen Kommentarliteratur, die zumeist auf sich gegenseitig verweisen. Sie umfassen selbst in Großkommentaren nur wenige Seiten;18 in „Kurzkommentaren“ zuweilen nicht mal eine halbe Seite.19 Das hat natürlich auch damit zu tun, dass die wesentlichen Inhalte des § 356 StPO aus der verwiesenen Vorschrift des § 268 StPO folgen, die dann deutlich umfangreicher in den Kommentaren erläutert wird. Dennoch gibt es offensichtlich für die Urteilsverkündung innerhalb der Revision beachtliche Abweichungen, die eher kurz gefasst im Rahmen von § 356 StPO dargestellt werden. Konkret in Bezug auf die Urteilsverkündungsfrist nach den §§ 356, 268 III 2 StPO begnügt sich die Kommentarliteratur sogar lediglich mit wenigen Zeilen, ggf. noch mit einem oder zwei behaupteten Argumenten, die für die eine oder andere Ansicht sprechen.20 Im Weiteren findet sich allenfalls selten eine aktuelle Wortmeldung außerhalb des Kommentarbereichs.21 Wesentlich erhellt wird das Forschungsfeld dadurch aber nicht. Dieses Themengebiet befindet sich somit definitiv nicht im Fokus der wissenschaftlichen Diskussion – vielmehr befindet es sich eher „unter dem wissenschaftlichen Radar“. Während in der Wissenschaft immerhin noch einige, wenn auch schwache, Stimmen zu dem Thema zu hören sind, so sind solche im Bereich der Rechtsprechung hingegen praktisch nicht vorhanden. Mit der Entscheidung RGSt 27, 116 wird das Thema erstmalig und, soweit ersichtlich, letztmalig sowie endgültig behandelt. Aus Sicht der Rechtspraxis ist diese Frage weder eine rechtlich noch praktisch relevante – da entschiedene – Angelegenheit.

18 Die Kommentierung zu § 356 StPO in dem klassischen „Großkommentar“ zur StPO Löwe/Rosenberg umfasst in der Bearbeitung von Franke, die von Hanack übernommen wurde und fortgeführt wird, knapp zwei Seiten. 19 Bspw. die Kommentierung zu § 356 in dem StPO-Kommentar von Meyer-Goßner/ Schmitt, die gerade eine Drittelseite im dortigen Satz füllt. 20 Die Elftagefrist für unanwendbar halten u. a.: Gericke, in: KK-StPO, § 356 Rn. 2; Nagel, in: Radtke/Hohmann, § 356 StPO Rn. 2; Eb. Schmidt, Lehrkommentar StPO II, § 268 StPO Rn. 16; Schmitt, in: MGS, § 356 Rn. 1; LR/Stuckenberg, § 268 Rn. 15. Die Elftagefrist halten auch für das Revisionsgericht u. a. verbindlich: Hippel, Der deutsche Strafprozess, S. 591; Kuckein/Bartel, in: KK-StPO, § 268 StPO Rn. 10; Maiwald, in: AK-StPO, § 356 Rn. 1; Momsen, in: KMR, § 356 StPO Rn. 1; Momsen/Momsen-Pflanz, in: SSW-StPO, § 356 Rn. 1; Pfeiffer, StPO, § 356 Rn. 1; Rackow, in: DDKR, § 356 StPO Rn. 1; Temming, in: HK StPO, § 356 Rn. 1; Voll, in: KMR, § 268 StPO Rn. 10; Wiedner, in: BeckOK-StPO, § 356 Rn. 1; Wohlers, in: SK-StPO, § 356 StPO Rn. 2. Unklar bleiben hingegen: LR/Franke, § 356 StPO Rn. 1; Moldenhauer, in: MüKo-StPO, § 268 Rn. 30; Peglau, in: BeckOK-StPO, § 268 Rn. 17; Velten, in: SK-StPO, § 268 StPO Rn. 11. 21 So z. B. Barton, in: GS Weßlau, 33, 38, der eine Anwendbarkeit der Frist wegen des eindeutigen Wortlauts annimmt; Rissing-van Saan, StraFo 2010, 359, 361, die die Frist wegen der abgeschwächten Geltung der Konzentrationsmaxime im Revisionsverfahren für unanwendbar hält, allerdings hier selbst nur auf Kommentarliteratur verweist.

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1. Kap.: Einführung

C. Erkenntnisinteresse und Vorgehen der Bearbeitung Trotz des fehlenden Fokus in Literatur und Rechtsprechung, steht das einer vertieften Behandlung des Themas keinesfalls entgegen. Schon deshalb nicht, weil es im Schrifttum sehr wohl unterschiedliche Ansichten gibt, die sich am jeweils gegenüberliegenden Pol befinden. Eine umfassende und vertiefte methodische Auseinandersetzung hierzu findet sich nicht, weshalb eine solche zur Ordnung der Fragen hilfreich ist. In Anbetracht der nun seit 1895 bestehenden ständigen Rechtsprechung und dem eindeutigen Wortlaut des § 356 StPO stellen sich bei kritischer Betrachtung dieses Vorgehens verschiedene Fragen, die, wie eben zuvor erwähnt, Bezüge zu Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung und Bindung an Gesetz und Recht aufweisen und die es wert erscheinen lassen, sowohl die bestehende Rechtsprechungspraxis als auch die Meinungen in der Literatur einer wissenschaftlichen Würdigung zu unterziehen. Genau hier will diese Bearbeitung ansetzen, die gegebenen Fragen zum Gegenstand und Erkenntnisinteresse erheben sowie bestehende Forschungslücken schließen. Daneben soll es aber auch Ziel der Untersuchung sein, die versteckte Thematik aus dem Schatten ins Licht zu heben und den eingeschlafenen – oder bezeichnender: im Wesentlichen durch RGSt 27, 116 im Keim erstickten – Diskurs wiederzubeleben und neuen Input dafür zu geben. Die zu behandelnden Fragen werden sein: 1. Ist das vom RG in RGSt 27, 116 begründete und vom BGH praktizierte Vorgehen, die Urteilsverkündungsfrist nach den §§ 356, 268 III 2 StPO im Revisionsverfahren nicht anzuwenden unter Anlegung der verfassungsrechtlich22 relevanten, juristischen Auslegungsmaßstäbe methodisch haltbar, bzw. wenn das Vorgehen des RG und BGH unzutreffend ist, lässt sich dieses Ergebnis auf ein anderes methodisches Gerüst stellen, um nicht rechtswidrig zu sein? An die normative Erörterung des ersten Themenfeldes schließt sich das weitere Untersuchungsgebiet an: Das der praktischen Relevanz. Dieses einheitliche Feld gliedert sich in zwei Dimensionen, die von der Bearbeitung jeweils selbstständig betrachtet werden sollen, nämlich: 2. Wie gestaltet sich die Praxis des BGH in Bezug auf die Urteilsverkündungsfrist gemäß der §§ 356, 268 III 2 StPO aus empirischer Sicht? 22 Viele Autoren weisen auf die verfassungsrechtliche Bedeutung der juristischen Auslegungsmethodik hin, bspw. Möllers, Juristische Methodenlehre, § 1 Rn. 23 ff. Besonders nachdrücklich formuliert das aber Bernd Rüthers mit der Formulierung „Methodenfragen sind Verfassungsfragen“ so z. B. in Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 704 ff. 713; Rüthers, JZ 2006, 53, 56, 60; Rüthers, ZRP 2008, 48, 49.; Rüthers, NJW 2009, 1461, 1462; ähnliche formuliert er es in Rüthers, JuS 2011, 865, 867, 869. Reimer, Juristische Methodenlehre, Rn. 46 übernimmt diese Formulierung. So formulieren es auch Rückert/Seinecke, in: Methodik des Zivilrechts – Von Savigny bis Teubner, Rn. 38 ff. Deutlich wird die Bedeutung und Relevanz der Methodik, wenn vorgehalten wird, dass es sich bei der Methodik um einen subtilen „Machtfaktor“ handelt, wie es Dieter Grimm bezeichnet, Dieter Grimm, in: Recht und Staat der bürgerlichen Gesellschaft, S. 347.

C. Erkenntnisinteresse und Vorgehen der Bearbeitung

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Und schließlich: 3. Steht dem Einzelnen ein unmittelbar wirkender, nationaler Rechtsbehelf gegen dieses gerichtliche (Fehl-)Verhalten und folglich Rechtsschutz zu? Die erste Teilfrage zur praktischen Relevanz kann im Grunde unabhängig vom Ergebnis der ersten Untersuchungsfrage beantwortet werden, erhält aber eine wesentlich höhere Brisanz, wenn die Untersuchung im Rahmen der ersten Frage zu dem Ergebnis kommt, dass Auslegung des RG und Praxis des BGH rechtswidrig sein sollten. Für die zweite Teilfrage zur Frage der praktischen Relevanz ist es hingegen essentiell, dass in der Auslegung des RG und der daran anschließenden Praxis des BGH eine Rechtsverletzung zu sehen ist,23 die den einzelnen Betroffenen individuell berührt. Die Bearbeitung wird derart gestaltet, dass eine jede der Untersuchungsfragen für sich in einem eigenen Kapitel behandelt wird. Zu Beginn der jeweiligen Kapitel wird nochmals separat das für die Untersuchungsfrage spezifische methodische Vorgehen dargelegt, sodass sich die Arbeit in drei eigentliche und in sich abgeschlossene Teiluntersuchungen gliedert, die zueinander in Bezug stehen und aufeinander aufbauen. In einem abschließenden Kapitel werden die Ergebnisse einer Gesamtwürdigung unterzogen. Als Normadressat des § 356 StPO wird hier nur der BGH als strafrechtliches Revisionsgericht (§ 135 I GVG) betrachtet und dessen Praxis untersucht. Ausgeblendet bleibt die Praxis der ebenfalls nach § 121 I Nr. 1 GVG für die Revision in Strafsachen zuständigen Oberlandesgerichte. Die gefundenen Ergebnisse sind jedoch – zumindest im Hinblick auf die normativen Untersuchungsergebnisse – ohne Weiteres auf diese übertragbar. Der Schlüssel für das richtige Verständnis der im Raum stehenden Normen und ihres normativen Gehaltes liegt in einer Auslegung derselben mittels der klassischen juristischen Auslegungsmethoden24 zur Ermittlung des Normzweckes. Dieser vorzunehmenden Auslegung widmet sich das Zweite Kapitel; und die Auslegung der §§ 356, 268 III 2 StPO und deren methodischer Kontext werden das Kernstück der vorliegenden Bearbeitung darstellen. Immerhin bildet sie die Weichenstellung für die Erarbeitung der weiteren Untersuchungsfragen und bedarf daher einer entsprechenden Präzision. Neben den üblicherweise benannten Auslegungsmitteln von Wortlaut, Systematik, Historie und Teleologie an sich wird hier vor allem die Rahmung dieser zwischen objektiv-teleologischer Auslegung und subjektiv-historischer Auslegung von Bedeutung werden. Damit stellt diese Untersuchung in ihrem Schwerpunkt eine juristisch-method(olog)ische Arbeit zu verschiedenen Fragen der Norminterpretation dar. 23

Wie ein kurzer Blick in das Inhaltsverzeichnis schon verrät, kommt diese Bearbeitung zu dem Ergebnis, dass es sich dabei um eine Rechtsverletzung handelt. 24 Zu der angewandten Methodik und der mit ihr im Zusammenhang stehenden Fragen im Einzelnen siehe unten Zweites Kapitel: A. I. 2.

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1. Kap.: Einführung

In dem darauffolgenden Dritten Kapitel geht es um die Erhebung statistischer Fallzahlen, um das reale Ausmaß der Frage in der Praxis des BGH einordnen zu können. Es soll die praktische Relevanz der Untersuchungsfrage aus empirischer Sicht betrachtet und für den weiteren Diskurs aufbereitet werden. Auch wenn bereits ein einziger Fall eine praktische Relevanz der ersten Untersuchungsfrage belegt, stellt sich das Bild dennoch anders dar, wenn sich eine gewisse Häufig- und Regelmäßigkeit feststellen ließe, es sich bei der Fristüberschreitung also nicht bloß um Einzelfälle oder „Versehen“ handelte. Datengrundlage wird die von dem Vorsitzenden Bundesrichter a. D. Armin Nack begründete Sammlung für Entscheidungen des BGH in Strafsachen BGH-Nack sein, die ein Bild für einen Erhebungszeitraum von etwa 1999 bis Mitte 2016 entstehen lässt.25 Anspruch ist es in diesem Kapitel, quantitative und qualitative Zahlen zu erheben, die ein etwas klareres Bild über die BGH-Praxis zeichnen. Inwieweit diese Daten das ermöglichen können, ist den Ausführungen und Erörterungen des Dritten Kapitels vorbehalten. Das Vierte Kapitel, welches das letzte inhaltliche Kapitel darstellen wird, beschäftigt sich schließlich mit der Frage der praktischen Relevanz ausschließlich aus Sicht des Angeklagten eines Strafprozesses, dessen Verfahren von einer Überschreitung der Urteilsverkündungsfrist durch das Revisionsgericht betroffen ist. Seine Perspektive soll deshalb stellvertretend für die weiteren Beteiligten stehen, da er als Adressat von einer Vielzahl von Eingriffsnormen im Strafprozess besonders schutzwürdig ist. Es geht darum zu prüfen, welche Rechtsschutzmöglichkeiten das nationale Recht bietet, sich unmittelbar gegen die Verletzung der §§ 356, 268 III 2 StPO zur Wehr zu setzen; ausgeklammert bleiben damit ausdrücklich die internationalen Bezüge. Die Literatur mag diesem Problem spezifisch wenig Bedeutung zumessen, weil gegen die Fristüberschreitung durch das Revisionsgericht einerseits kein ordentlicher Rechtsbehelf zur Verfügung stehe und andererseits in einem Verstoß gegen die einfachgesetzliche Elftagefrist kein Verfassungsverstoß zu sehen sei,26 weswegen ein Rechtsbehelf, auch ein außerordentlicher wie namentlich die Verfassungsbeschwerde, keinen Erfolg verspreche.27 Es soll deshalb ein genauerer Blick darauf geworfen werden, welche Rechtsbehelfe (ordentliche und außerordentliche) in Betracht kommen und genauer beleuchtet werden, ob sie in der Tat durchweg keinen Erfolg versprechen. In den Konklusionen des Fünften und abschließenden Kapitels werden sodann die gefundenen Ergebnisse einer letzten Gesamtwürdigung unterzogen und eine abschließende Einordnung der Untersuchungsfragen vorgenommen, vor allem im Hinblick auf den Gesamtkontext verfassungsrechtlicher Art, in dem sich diese Arbeit befindet. 25

Siehe dazu unten die Ergebnisse der Auswertung, Drittes Kapitel. So ausdrücklich Kuckein, in: KK-StPO7, § 268 Rn. 10; in der aktuellen Kommentierung kommt diese Aussage und Einschätzung hingegen nicht mehr ausdrücklich so vor, Kuckein/ Bartel, in: KK-StPO, § 268 Rn. 10. 27 Vgl. Velten, in: SK-StPO, § 268 Rn. 11. 26

D. Kurz: Zum Fristenbegriff

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D. Kurz: Zum Fristenbegriff Ein wesentlicher Begriff, der im Rahmen dieser Bearbeitung von Bedeutung ist, ist derjenige der Frist und gerade im Besonderen der Begriff der Urteilsverkündungsfrist nach § 268 III 2 StPO. Der Gehalt dieses Fristenbegriffs bereitet zwar für sich genommen keine Schwierigkeiten, bedarf aber dennoch einer, wenn auch kurzen, inhaltlichen Klärung, bevor die Untersuchung die einzelnen Forschungsfragen erörtert. Allgemein formuliert ist nach einer Entscheidung des RG eine Frist ein abgegrenzter Zeitraum, der bestimmt bezeichnet oder jedenfalls bestimmbar ist, auch wenn der Zeitraum nicht zusammenhängend verläuft.28 Dass der Zeitraum einer Frist nicht zusammenhängend sein muss, machen schon die Möglichkeiten der Fristenhemmung bei Großverfahren deutlich, wie gerade in § 229 III StPO.29 Die Nichteinhaltung von Fristen löst dann bestimmte Rechtsfolgen aus, sofern ein bestimmtes Ereignis oder ein sonstiger Umstand innerhalb dieser Frist eingetreten, bzw. nicht eingetreten ist.30 Nach der genannten Definition sollen damit Zeiträume, die sich in ihrer Länge relativ bemessen und von weiteren Umständen abhängen, nicht unter den engen Begriff der Frist fallen, wie z. B. das Merkmal „unverzüglich“ bei der Richterablehnung nach § 25 II 1 Nr. 2 StPO; sie lassen sich aber gleichwohl als eine „Art“ Frist begreifen, da es sich hierbei letztlich auch um zumindest bestimmbare Zeiträume handelt.31 Die Vorschrift des § 268 III 2 StPO bezeichnet mit seinen Voraussetzungen, in denen normiert wird, dass spätestens am elften Tag nach Schluss der Verhandlung das Urteil zu verkünden ist, einen solchen bestimmten Zeitraum und erfüllt damit im Grundsatz die Merkmale einer Frist. Einhellige Meinung ist aber dennoch, dass für diese Frist nicht die §§ 42 ff. StPO gelten, weil die Urteilsverkündungsfrist, wie auch die Unterbrechungsfrist nach § 229 StPO, keine Frist in deren Sinne sei.32 Das RG bezeichnet die Urteilsverkündungsfrist ausdrücklich als eine „Zwischenfrist“ in dem Sinne, dass sie den maximalen zeitlichen Abstand zwischen zwei Verfahrensab28

RGZ 120, 355, 362; LR/Graalmann-Scheerer, Vor § 42 Rn. 1; Grothe, in: MüKo-BGB, § 186 Rn. 4; Schmitt, in: MGS, Vor § 42 Rn. 1; Gruschwitz, JuS 2012, 1090; Schroeter, JuS 2007, 29; vgl. auch Beulke/Swoboda, Strafprozessrecht, Rn. 303; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 22 Rn. 15. 29 Vgl. LR/Stuckenberg, § 268 Rn. 13; Beulke/Swoboda, Strafprozessrecht, Rn. 381. 30 Stackmann, in: MüKo-ZPO, § 221 Rn. 1; Ziegler, in: KMR, Vor § 42 Rn. 1. 31 LR/Graalmann-Scheerer, Vor § 42 Rn. 1. Vgl. in Bezug auf das Merkmal „unverzüglich“ nach § 121 I BGB auch Ziegltrum, JuS 1986, 705, 707, wonach hierin eine technische Frist zu sehen sei. Das entspricht auch noch der Kommentierung zu dem Merkmal „unverzüglich“ bei § 25 II 1 Nr. 2 StPO in LR26/Graalmann-Scheerer, Vor § 42 Rn. 1. 32 RGSt 57, 266, 267; BGH, NStZ 2014, 469; BGH, NStZ-RR 2016, 178; LR/GraalmannScheerer, Vor § 42 Rn. 2, § 42 Rn. 5; LR/Becker, § 229 Rn. 6; Ziegler, in: KMR, Vor § 42 Rn. 5.

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1. Kap.: Einführung

schnitten festlegt.33 Der Begriff der „Zwischenfrist“ findet sich auch in der Literatur, wird aber hier uneinheitlich gebraucht. So werden, wie in der reichsgerichtlichen Entscheidung auch, die Fristen nach §§ 229, 268 III 2 StPO zuweilen als Zwischenfristen bezeichnet,34 in anderen Zusammenhängen wird von Zwischenfristen aber dann gesprochen, wenn den staatlichen Organen in diesem Zeitraum die Vornahme von bestimmten Handlungen untersagt ist – wie z. B. die Ladungsfrist nach § 217 StPO – und nicht gerade dann, wenn sie, wie bei § 268 III 2 StPO, geboten ist.35 Diese fehlende, eindeutige Einordung ist aber nicht weiter von Belang, da insoweit Einigkeit besteht, dass die Urteilsverkündungsfrist, ob nun „Zwischenfrist“ oder nicht, keine Frist i. S. d. §§ 42 ff. StPO ist und sich damit die Fristenbemessung im Hinblick auf Beginn und Ende nur nach § 268 III 2 StPO bestimmt. Beginn der Frist des § 268 III 2 StPO ist der Schluss der Verhandlung i. S. d. § 268 III 1 StPO. Das ist in der Sache widersprüchlich, da die Fällung des Urteils gemäß § 260 I 1 StPO selbst Teil der Hauptverhandlung ist und die Verkündung deren letzten Teil darstellt.36 Insofern geht es also vielmehr um den Schluss des Verhandelns, also nachdem die Schlussvorträge und das Letzte Wort gehalten wurden, zumindest zu letzterem die Gelegenheit erteilt wurde. Dieser Tag markiert damit den Beginn des Fristenlaufs.37 Fristende ist nach geltendem Recht38 der elfte Kalendertag nach dem Schluss des Verhandelns (daher wird im Folgenden von einer Elftagefrist gesprochen, obwohl der zulässige Zeitraum zwischen den Terminen maximal zehn Tage beträgt); der Fristenlauf wird durch Sonn- und Feiertage innerhalb dieses Zeitraums nicht gehemmt und auch die Beratung zählt bei der Fristenberechnung mit.39 Während sich Sonnund Feiertage zwar nicht innerhalb des Fristenlaufs auswirken, so haben gemäß § 268 III 3 i. V. m. § 229 IV 2 StPO Sonntage, Feiertage und Sonnabende sehr wohl eine Auswirkung, sofern sie das Ende der Frist markieren. Entsprechend zu § 43 II StPO, der wie eben angesprochen nicht gilt, wird die Frist auf den nächsten Werktag 33

RGSt 57, 266, 267. Z. B. LR/Graalmann-Scheerer, Vor § 42 Rn. 2; § 42 Rn. 5; vgl. auch allgemein zum Begriff „Zwischenfrist“ im zivilprozessualen Verständnis Stackmann, in: MüKo-ZPO, § 226 Rn. 1; Gruschwitz, JuS 2012, 1090, 1091. 35 So z. B. Schmitt, in: MGS, Vor § 42 Rn. 9; Ziegler, in: KMR, Vor § 42 Rn. 3. 36 BGHSt 4, 279, 280 ff.; so schon RGSt 3, 116 f.; Beulke/Swoboda, Strafprozessrecht, Rn. 371; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 48 Rn. 9; Kuckein/Bartel, in: KK-StPO, § 268 Rn. 7 f.; Schmitt, in: MGS, § 268 Rn. 14; LR/Stuckenberg, § 260 Rn. 1, § 268 Rn. 1. 37 Voll, in: KMR, § 268 Rn. 10; vgl. LR/Stuckenberg, § 260 Rn. 5; vgl. Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 44 Rn. 5 f. A. A. aber z. B. Peters, Strafprozeß, S. 492 und Thier, NJW 1958, 1477. 38 Beachte aber die geplante Verlängerung der Frist auf zwei Wochen nach dem Entwurf für ein Gesetz zur Fortentwicklung der StPO und zur Änderung weiterer Vorschriften. Siehe hierzu näher unten Zweites Kapitel: A. II. 3. b) aa) (3). 39 Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 44 Rn. 7; LR/Stuckenberg, § 268 Rn. 11 f.; Voll, in: KMR, § 268 Rn. 10. 34

D. Kurz: Zum Fristenbegriff

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verlängert.40 Sofern die Voraussetzungen des § 229 III, V StPO vorliegen, so ist der Fristenlauf der Urteilsverkündungsfrist ebenfalls durch den Verweis des § 268 III 3 StPO für die Dauer der Verhinderung gehemmt.41 Ein weiterer Hemmungstatbestand ergibt sich neuerdings, wenn auch zunächst zeitlich befristet, aus § 10 EGStPO42. Die Urteilsverkündungsfrist gilt, das hat RGSt 27, 116 bereits deutlich gemacht, jedenfalls für die Tatgerichte streng und stellt einen relativen Revisionsgrund nach § 337 StPO dar, auf dem das Urteil in der Regel auch immer beruhen wird.43 Anderes soll nur denkbar sein, wenn die Frist überschritten wurde, aber das schließlich verkündete Urteil schon innerhalb der Frist beraten und fixiert wurde.44 Die Striktheit der Frist als zwingend zu beachtendes und in der Revision rügefähiges Recht gilt seit den Entscheidungen des 2. und 4. Strafsenats in den Jahren 2006 und 2007 auch bis heute uneingeschränkt, nachdem der 5. Strafsenat in einem obiter dictum anklingen ließ, wegen der unterschiedlichen und angeblich widersprüchlichen Fristenlänge nach § 268 III 2 StPO zu § 229 I StPO, in der Urteilsverkündungsfrist nur eine Ordnungsvorschrift zu sehen.45 Ein solcher Charakter kam ihr bis zu der Neuformulierung zum 01. 01. 1975 durch das Erste Gesetz zur Reform des Strafverfahrensrechts46, in der § 268 III 2 StPO seine heutige Form erhielt, schon einmal zu.47 Zu dieser Zeit war der zulässige Zeitraum zwischen Schluss des Verhandelns und Tag der Urteilsverkündung mit drei Tagen auch zeitlich kürzer als die damalige Regel-

40 Kuckein/Bartel, in: KK-StPO, § 268 Rn. 9; Peglau, in: BeckOK-StPO, § 268 Rn. 15; Schmitt, in: MGS, § 268 Rn. 16; LR/Stuckenberg, § 268 Rn. 11; Voll, in: KMR, § 268 Rn. 10; vgl. LR/Becker, § 229 Rn. 6; vgl. Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 44 Rn. 10. 41 LR/Stuckenberg, § 268 Rn. 13; Schmitt, in: MGS, § 268 Rn. 16; Voll, in: KMR, § 268 Rn. 10 mit Verweis auf Eschelbach, in: KMR, § 229 Rn. 23 ff.; vgl. Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 44 Rn. 9. 42 Einführungsgesetz zur Strafprozeßordnung vom 01. 02. 1877, RGBl. 1877, S. 346, zuletzt geändert durch Art. 3, 4 des Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht vom 27. 03. 2020, BGBl. 2020 I, S. 569. Der Rechtsausschuss des Bundestags empfiehlt in seiner Beschlussvorlage im Übrigen bereits eine Verlängerung der Befristung um ein weiteres Jahr bis zum 27. 03. 2022, BT-Drucks. 19/ 24740, S. 66, 79. 43 Kuckein/Bartel, in: KK-StPO, § 268 Rn. 18; Moldenhauer, in: MüKo-StPO, § 268 Rn. 28, 35; Peglau, in: BeckOK-StPO, § 268 Rn. 16.1 f. mit abweichender Ansicht; Schmitt, in: MGS, § 268 Rn. 20; LR/Stuckenberg, § 268 Rn. 71; Voll, in: KMR, § 268 Rn. 23. 44 So schon RGSt 57, 422, 423; BGHR-StPO § 268 III, Verkündung 3 m. w. N.; ähnlich in der Begründung auch schon RGSt 31, 140, 141. Eine andere Ansicht diesbezüglich lassen aber noch die Ausführungen in RGSt 27, 116, 118 mit Verweis auf RGSt 3, 116, 117 vermuten. 45 BGHR-StPO § 268 III, Verkündung 3, 4, 5; siehe zusammenfassend, allerdings ohne Behandlung der Entscheidung des 2. Strafsenats, auch Mandla, NStZ 2011, 1, 5. 46 Art. 1 Nr. 77 des Ersten Gesetzes zur Reform des Strafverfahrensrechts (1. StVRG) vom 09. 12. 1974, BGBl. 1974 I, S. 3393. 47 So und unter dem Aspekt der gerichtlichen Gesetzesbindung mit denkwürdiger Begründung BGHSt 9, 302.

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1. Kap.: Einführung

unterbrechungsfrist von maximal zehn Tagen. Die Urteilsverkündungsfrist hatte in dem Verständnis ihrer Verbindlichkeit damit eine wechselhafte Geschichte.48 Interessant ist es insofern zu bemerken, dass die Nichtbeachtung der Urteilsverkündungsfrist durch die Tatgerichte ein beachtlicher Fehler darstellen soll, umgekehrt, die Nichtbeachtung durch das Revisionsgericht gemäß RGSt 27, 116 aber korrekte Rechtsanwendung sein soll. Ob dies die zutreffende Einschätzung ist, wird die nun folgende Erörterung versuchen zu klären.

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Dazu mehr unter Zweites Kapitel: A. II. 3. b) aa).

Zweites Kapitel

Normativer Inhalt der Vorschriften Der Einstieg zur Ermittlung und zum hermeneutischen Verständnis1 des normativen Inhaltes der bereits angeklungenen Vorschriften – also ihrer Gebotsziele bzw. ihrer Normzwecke2 – erfolgt über die Auslegung der verweisenden Norm des § 356 StPO.3 Diese Norm ist letztlich der Dreh- und Angelpunkt für die weiteren Erkenntnisschritte. Als „unvollständiger Rechtssatz“4 stellt sie das Einfallstor unmittelbar in den normativen Inhalt des § 268 StPO dar, formuliert die Reichweite der Übernahme desselben und bestimmt den Kontext zu den weiteren zu dieser Vorschrift im systematischen Zusammenhang stehenden Vorschriften. Nach Abschluss dieses Verstehensprozesses lässt sich in einem ersten Schritt zunächst die vom RG hergeleitete methodische Argumentation gedanklich überprüfen und entweder bestätigen oder ggf. widerlegen. Im Falle der Falsifikation seiner methodischen Herleitung lässt sich in einem zweiten Schritt klären, ob mittels der klassischen Auslegungsmethoden oder weiterer juristisch-methodischer Ansätze das vom RG gefundene und vom BGH beibehaltene Ergebnis – die Nichtanwendung der Urteilsverkündungsfrist des § 268 III 2 StPO bei der Verkündung revisionsgerichtlicher Urteile – auf eine andere methodische Argumentation gestützt werden kann; ggf. durch eine zulässige Rechtsfortbildung.

A. Auslegung der Vorschrift des § 356 StPO im Hinblick auf die Urteilsverkündungsfrist und im Kontext von RGSt 27, 116 Die Art. 20 III, 97 GG konstatieren die Bindung des Richters an Gesetz und Recht bzw. die Unterwerfung unter das Gesetz. Hierunter fällt in jedem Fall jede gültige, 1

Siehe zur Hermeneutik nur m. w. N. Schroth, in: Einführung in die Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart, 243; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 156 ff. und grundlegend, der Teil zur Hermeneutik bei Schleiermacher, Hermeneutik und Kritik, S. 5 ff. 2 Siehe dazu Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 268 f.; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 136, 725. 3 Vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 204; Schäfers, JuS 2015, 875, 875. 4 Dazu Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 257 ff.; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 129, 132.

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2. Kap.: Normativer Inhalt der Vorschriften

geschrieben Gesetzesnorm und so auch § 356 StPO.5 Dass die Rechtsprechung an diese Norm gebunden ist und insofern eine Anwendungspflicht trifft,6 dürfte unstreitig sein. Die Frage ist vielmehr, was der Inhalt dieser Norm ist, der sich aus dem Normtext ableiten lässt. Gesetzesbindung heißt nach der Rechtsprechung des BVerfG nicht Bindung an den buchstäblichen Wortlaut des Gesetzes, sondern Bindung an den Sinn und Zweck des Gesetzes also vielmehr Gesetzessinnbindung.7 Der Normtext darf aber nicht verändert werden.8 Die Klärung dieser Frage ist Aufgabe der Norminterpretation durch Auslegung. So weit so klar. Was die Verwendung der Auslegungsmethodik angeht, besteht hingegen sehr viel Unklarheit.

I. Grundlagen Bevor also mit der eigentlichen Auslegung begonnen werden kann, bedarf es noch einiger Vorarbeiten. Dies betrifft einerseits die genauere Betrachtung der maßgebenden Entscheidung des RG, um auf diese Weise für das weitere methodische Vorgehen sensibilisiert zu werden und zugleich auch diese Entscheidung kritisch überprüfen zu können, was an späterer Stelle mittels eines Rekurses erfolgen wird. Andererseits muss geklärt werden, welche Methodik für die konkrete Auslegung hier zugrunde zu legen sein wird. Dieser Grundlagenklärung widmet sich dieser Abschnitt. 1. Bestandsaufnahme: Die Entscheidung RGSt 27, 116 Die Grundlage der heutigen BGH-Praxis zum Umgang mit der Urteilsverkündungsfrist in der Revisionsinstanz findet sich in der bereits mehrfach genannten reichsgerichtlichen Entscheidung RGSt 27, 116. Diese markiert in gewisser Weise die Geburtsstunde der bis heute tradierten Übung, die auf die in § 356 StPO verwiesene Urteilsverkündungsfrist des § 268 III 2 StPO bei Verkündungsaussetzung in Revisionssachen nicht anzuwenden. Wie in der Einführung bereits dargestellt, ergibt sich aus dieser Entscheidung auch, dass der augenscheinlich eindeutige Wortlaut des § 356 StPO nach Auffassung des RG eben nicht die implizierte Eindeutigkeit besitzt. Hier soll es aber nicht weiter um die Folgen der Entscheidung gehen, sondern um die methodische Begründung dieser und der sich daraus ergebenden Fragen, um in Folge erste Ansatzpunkte herauszufiltern und so das Fundament der Praxis kritisch zu hinterfragen. 5

Sachs, in: Sachs-GG, Art. 20 Rn. 107 f. Sachs, in: Sachs-GG, Art. 20 Rn. 119. 7 BVerfGE 35, 263, 279; siehe auch Müller/Christensen, Juristische Methodik I, Rn. 312; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 735. 8 Vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 322; Morlok, in: Subsumtion, S. 179, 180; Müller/Christensen, Juristische Methodik I, Rn. 311; vgl. Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 118. 6

A. Auslegung der Vorschrift des § 356 StPO

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a) Das methodische Vorgehen des Reichsgerichts Bemerkenswert ist, dass das RG seine Entscheidung, wie für reichsgerichtliche Entscheidungen durchaus typisch, prägnant formuliert. Die in der amtlichen Sammlung abgedruckten Gründe umfassen lediglich etwas mehr als zwei Druckseiten, wobei die zur Begründung angeführten Umstände, mit der es die revisionsgerichtliche Bindung an die Urteilsverkündungsfrist verneint, gerade mal einen Umfang von lediglich sechs Zeilen einnehmen und buchstäblich in einem Nebensatz erfolgen.9 Eine derart kondensierte Darstellung ist von der aktuellen Untersuchung nicht zu erwarten. Es lässt sich also sagen, dass das RG in dieser Frage bildlich gesprochen „kurzen Prozess“ gemacht hat. Ausweislich der Gründe ist erkennbar, dass das RG dem typischen Prüfungsprogramm einer Verfahrensrüge in Form eines relativen Revisionsgrundes nach § 337 StPO, dem damaligen § 376 RStPO, folgt und demgemäß das Urteil in seinen Gründen danach aufbaut. Es wird also zunächst eine Rechtverletzung erörtert und anschließend die Frage des Beruhens des Urteils auf dieser Rechtverletzung behandelt. Die Zulässigkeit der Revision wird, jedenfalls in den abgedruckten Teilen der Entscheidung, nicht behandelt. Wie sich aber aus dem Erfolg der Revision erschließen lässt, ist sie in diesem Punkte offensichtlich gegeben. Zu Beginn stellt das RG im ersten Schritt die für die Begründetheit der Revision notwendige Rechtsverletzung des § 267 RStPO fest, indem es nach Nennung dessen Inhaltes den Sachverhalt unter diese Vorschrift subsumiert. Die Rechtsverletzung ergibt sich hierbei daraus, dass die tatgerichtliche Hauptverhandlung des Landgerichts Altona am 30. 10. 1894 stattfand, das Urteil jedoch erst am 20. 11. 1894 verkündet wurde. Die zulässige Urteilsverkündungsfrist von einer Woche wurde damit um beinahe weitere zwei Wochen überschritten.10 Im darauffolgenden Schritt wendet sich das RG der Beruhensfrage zu, wie es § 376 RStPO sodann verlangt. Dabei befasst es sich sofort mit dem der Vorschrift zugrundeliegenden „Gedanken“, der darin bestehe, dass „die Beratung und Entscheidung über das Ergebnis der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht thunlichst unter dem frischen Eindruck derselben erfolgen müsse, um die richtige Beurteilung der Schuldfrage zu sichern.“11 Dies ist ein deutlicher Bezug auf einen im Gesetz niedergelegten Grundsatz einer prozessualen Beschleunigung, wie sich im weiteren Begründungsverlauf an der Nennung der Vorschrift über die Unterbrechung der Hauptverhandlung nach § 228 RStPO zeigt. Das RG greift jetzt auf die Entwicklung des § 267 RStPO zurück und führt dazu aus, dass der Entwurf zur RStPO, wie vom Bundesrat eingebracht, keine Aussetzung der Verkündung als 9 RGSt 27, 116, 117 f.: „Es kann deshalb daraus, daß das Reichsgericht sich an die Verkündungsfrist des § 267 a. a. O. nicht für absolut gebunden erachtet, nicht die Konsequenz gezogen werden, daß die Nichtbeachtung jener Vorschrift auch bei Urteilen des Thatrichters unwesentlich und überhaupt nicht geeignet sei, eine Revisionsbeschwerde zu begründen.“ 10 RGSt 27, 116, 117. 11 RGSt 27, 116, 117.

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2. Kap.: Normativer Inhalt der Vorschriften

selbstständige Vorschrift vorgesehen habe, sondern eine solche nur im Rahmen der Unterbrechung der Hauptverhandlung, zu der die Urteilsverkündung selbst auch gehört, zulassen wollte.12 Hierbei werden neben dem Bundesratsentwurf zur RStPO auch die Motive zu § 219 RStPO-E13 bemüht, welcher den Schluss der Hauptverhandlung betrifft und an dessen Stelle sich die entsprechende Gedankenführung ebenfalls findet.14 Somit wird ersichtlich, dass sich das RG eindeutig auf den historischen Willen des Gesetzgebers im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens beruft und ihn bei der Auslegung der Vorschrift heranzieht. Dieses Vorgehen erscheint für die Erfassung des Gesetzessinnes des zum Entscheidungszeitpunkt gerade erstmal etwa 18 Jahre alten Gesetzes nachvollziehbar und ein vom RG durchaus übliches Vorgehen.15 Im darauffolgenden Begründungsschritt stellt das RG nun dar, dass die in § 267 RStPO gefundene Regel aber, trotz eines längeren („spätestens mit Ablauf einer Woche“ statt „spätestens am vierten Tage“), zulässigen Zeitraums, nicht das Verlassen des in § 228 RStPO dargelegten Gedankens einer konzentrierten Verhandlung darstelle, sondern dieser auch hier „bei der Auslegung“ ungemindert Anwendung finde – es handele sich um „eine Erweiterung jenes Standpunktes, welche im Hinblick auf besonders geartete Fälle für zweckmäßig erachtet“ würde.16 Es wird auch bemerkt, dass „der Gesetzgeber“ die Wochenfrist als die „äußerste Zeitgrenze“ ansehe, bei der noch die nötige Garantie bestehe, dass eine zutreffende Feststellung der Schuldfrage mit den Ergebnissen aus der Hauptverhandlung erfolge.17 Im Anschluss an diese Ausführung folgt die eigentliche – für diese Bearbeitung zentrale – Begründung, weswegen nach Ansicht des RG die Urteilsverkündungsfrist nicht auf die Urteile des Revisionsgerichts anwendbar sein soll. Denn für jene Urteile bilde „der durch das angefochtene Urteil festgestellte Thatbestand, bezw. soweit es sich um prozessuale Beschwerden handelt, das Sitzungsprotokoll und eventuell der sonstige Akteninhalt die maßgebende Grundlage.“18 Damit konstituiert das RG seinem Verständnis nach eine grundsätzliche Wesensverschiedenheit der Hauptverhandlungen vor dem Tatgericht einerseits und dem Revisionsgericht andererseits. Während bei Verfahren vor dem Tatrichter der frische Eindruck der lebendigen Hauptverhandlung Erkenntnisquelle bei der Beurteilung 12

RGSt 27, 116, 117. Alle Formulierungen der Vorschriften, die aus dem dem Reichstag vorgelegten Bundesratsentwurf entnommen wurden, abgedruckt bei Hahn, Materialien zur StPO, S. 4 ff., werden im Folgenden mit der Bezeichnung „RStPO-E“ versehen. 14 RGSt 27, 116, 117; siehe dazu auch die Motive des Entwurfs, Hahn, Materialien zur StPO, S. 197. 15 So z. B. auch in den Entscheidungen RGSt 3, 116 f.; 9, 341, 342; 31, 140, 141; 53, 332, 334; 57, 266, 267. 16 RGSt 27, 116, 117; eine gleichlautende Begründung findet sich bereits in RGSt 3, 116 f. 17 RGSt 27, 116, 117; dieser dort genannte Gedanke ist heute nicht mehr der allein Prägende, siehe dazu unten Zweites Kapitel: A. II. 2. c). 18 RGSt 27, 116, 117. 13

A. Auslegung der Vorschrift des § 356 StPO

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der Schuldfrage ist, so soll es beim Revisionsgericht ein im Wesentlichen durch Schriftlichkeit (Tatbestand, Sitzungsprotokoll, ggf. weiterer Akteninhalt) geprägtes Verfahren sein, das bei der Feststellung die Grundlage bildet, ob ein Rechtsfehler vorliegt. Bildlich gesprochen lässt sich das Verfahren vor dem Tatgericht damit als dynamisch-vergänglich, das Revisionsverfahren als statisch-reproduzierbar bezeichnen. Es wird somit ein im weiteren Sinne systematisches Argument herangezogen. In einem weiteren Begründungsschritt stellt das RG nun deutlich heraus, dass aus der Auffassung, „daß das Reichsgericht sich an die Verkündungsfrist des § 267 a. a. O. nicht für absolut gebunden“ erachte, nicht geschlossen werden könne, dass diese Vorschrift bei Verletzung durch das Tatgericht nicht mit der Revision gerügt werden könne.19 Mit dem zuvor herausgearbeiteten Standpunkt, dass es die sichere Konservierung des frischen und lebendigen Eindrucks der Hauptverhandlung sei, die eine alsbaldige Feststellung des Urteils gebiete und eine immer weiter vom Schluss der Beweisaufnahme entfernte Feststellung der Schuldfrage dieses Bedürfnis nicht zu garantieren vermöge, kommt das RG zu dem Ergebnis, dass mit der drei Wochen nach der Hauptverhandlung liegenden Verkündung des Urteils durch das Landgericht Altona vorliegend nicht ausgeschlossen werden könne, dass das Urteil auf dieser Rechtsverletzung beruht.20 In einem nicht tragenden Teil der Entscheidung setzt sich das Gericht noch mit der Frage auseinander, ob eine etwaige alsbaldige Feststellung des Urteils noch innerhalb der Verkündungsfrist die Beruhensfrage ausschließen könnte – das verneint es aber sodann mit der Begründung, dass sich aus dem Verfahren solche Umstände einerseits nicht ergäben und darüber hinaus andererseits in dem Urteil bis zur Verkündung nur ein Entwurf gesehen werden könne, von dem sich die Richter noch jederzeit lösen könnten, wodurch es hinfällig würde.21 Aus dem Vorgehen des RG lässt sich erkennen, dass das Gericht im Wesentlichen versucht, sowohl subjektiv-historische Aspekte der Gesetzesentwicklung als auch systematische und teleologische22 Argumente fruchtbar zu machen, um in erster Linie die Beruhensfrage in dem zugrundeliegenden Fall zu begründen. Der Fokus der Entscheidung liegt damit, was sich auch am Begründungsaufwand erkennen lässt, eindeutig auf dieser Frage. Die Anwendungsfrage der Urteilsverkündungsfrist des § 267 RStPO auf das revisionsgerichtliche Verfahren wird durch RGSt 27, 116 vielmehr nur beiläufig behandelt.23 Eine dezidierte Erörterung dieses Ergebnisses erfolgt in dem Urteil nicht und ist auch an anderer Stelle nicht ersichtlich. 19

RGSt 27, 116, 117 f. RGSt 27, 116, 118. 21 RGSt 27, 116, 118; so schon auch RGSt 3, 116; anders hingegen wird das RG in RGSt 57, 422, 423 unter Berufung auf RGSt 27, 116 entscheiden. 22 Siehe dazu aber auch unten Zweites Kapitel: A. II. 4. a). 23 Es lässt sich auch mutmaßen, dass dieser beiläufigen Entscheidung kaum Bedeutung zugemessen wurde; in der Entscheidungsveröffentlichung in JW 1895, 429 fehlen diese Teile der Entscheidungsgründe. 20

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2. Kap.: Normativer Inhalt der Vorschriften

b) Analyse, Fragen und Angriffspunkte In erster Linie stellt sich das Urteil als eine typische Revisionsentscheidung des RG anhand der Voraussetzungen des § 376 RStPO dar, dem heutigen § 337 StPO. Der größte Umfang der Ausführungen gilt dabei eindeutig der Klärung der Beruhensfrage. Die Feststellung der Rechtsverletzung bedurfte nur einfacher Subsumtionsarbeit unter eine insoweit eindeutige Vorschrift bei klarem Sachverhalt. Die Ausführungen zu der Beruhensfrage lassen sich dabei noch in die tragenden Gründe24 unterteilen, welche die Ausführungen zur Entwicklung des § 267 RStPO und die Betonung der Bewahrung des frischen Eindrucks der Hauptverhandlung bei der Entscheidungsfindung umfassen sowie weitere, nicht tragende Hilfserwägungen,25 die die gefundene Entscheidung in ihrem Ergebnis absichern sollen. Es fällt auf, dass die Ausführungen hinsichtlich der Unanwendbarkeit von § 267 RStPO in der Revisionsverhandlung in RGSt 27, 116 innerhalb der Erörterungen über die tragenden Entscheidungsgründe zur Beruhensfrage erfolgen. Bei genauerer Betrachtung ist die genannte Begründung jedoch nicht für die Gesamtentscheidung von Bedeutung, sondern stellt vielmehr ein obiter dictum dar. Auch ohne jedwede Ausführung zur Anwendungsfrage der Verkündungsfrist innerhalb der Revisionsverhandlung bliebe die Begründungslinie des RG identisch. Denn der Schluss, den das RG vorliegend als nicht zulässig erachten will, lässt sich mit den vorherigen Ausführungen des Gerichts nicht ziehen. Vielmehr ist es offensichtlich, wenn das RG zuvor ausführt, das Revisionsverfahren sei anders geartet, dass sich Schlussfolgerungen allein von diesem hin auf das Verfahren vor dem Tatgericht verböten. Kurz gesagt: Selbst, wenn die in Rede stehenden sechs Zeilen ersatzlos gestrichen würden, machte dies für das Ergebnis der Revisionsentscheidung keinen Unterschied. Es stellt sich daher die Frage, warum sich das RG an dieser Stelle überhaupt veranlasst fühlt, sich hierzu zu äußern. Darüber hinaus ist dessen Schluss, an die Urteilsverkündungsfrist selbst nicht „absolut gebunden“ zu sein, aus seinen bisherigen Ausführungen keinesfalls zwingend; gerade im Hinblick auf die eindeutige Formulierung der Vorschrift des § 396 RStPO! Dann erstaunt die Kürze der Begründung. Es wird schlichtweg eine andere Wesensartigkeit der Revisionshauptverhandlung behauptet, die ihr einen völlig anderen Charakter geben soll. Es werden als maßgebende Grundlage der Entscheidung schriftliche Erkenntnisquellen angegeben und nicht die mündliche Hauptverhandlung nach § 391 RStPO, also in gewisser Weise eine Entscheidung nach Aktenlage. Dies erinnert an eine eher beschlussartige Abwicklung einer zulässigen Revision, wie sie heute in § 349 II, IV StPO vorgesehen ist, im Falle einer als einstimmig erachteten offensichtlichen Unbegründetheit oder Begründetheit. Eine solche Verwerfung durch Beschluss war aber in den Anfängen der RStPO nur eingeschränkt für unzulässige Revisionen gemäß § 389 I RStPO vorgesehen, der dem heutigen § 349 I 24 25

RGSt 27, 116, 117 f. RGSt 27, 116, 118.

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StPO entspricht. Eine Entscheidung im Hinblick auf die Begründetheitsfrage mittels Beschlusses wurde erst durch Art. IV des Gesetzes zur weiteren Entlastung der Gerichte26, der sogenannten Lex Lobe vom 08. 07. 1922 ermöglicht – und damit erst lange Zeit nach der hier in Rede stehenden Entscheidung. War eine Verwerfung der Revision wegen Unzulässigkeit nicht möglich, bedurfte es in jedem Falle einer Hauptverhandlung, egal ob die Revision wegen anderer als in § 389 I RStPO vorliegender Unzulässigkeitsgründe oder wegen Unbegründetheit zu verwerfen wäre oder eben für den Fall, dass die Revision begründet ist und damit keine Revisionsverwerfung in Betracht kommt.27 Es entsteht der Verdacht, dass das RG die Beweismittel des Revisionsverfahrens (Urteilsniederschrift, Sitzungsprotokoll und ggf. freibeweislich der weitere Akteninhalt) mit der Einbringung des Prozessstoffes in die Hauptverhandlung als Erkenntnisquelle schlichtweg gleichgesetzt hat, um ein anders Wesen der Revisionshauptverhandlung zu begründen. Der Revisionshauptverhandlung käme damit eigentlich kaum noch eine Bedeutung zu.28 Auch methodisch wirft das gefundene Ergebnis Fragen auf und bietet Angriffspunkte. Es erklärt sich nicht direkt, warum das RG die Anwendbarkeit des § 267 RStPO mit dessen Urteilsverkündungsfrist im Revisionsverfahren ausschließlich bei Auslegung dieser Vorschrift verortet. Denn die Frage der Anwendbarkeit der Vorschriften über die tatgerichtliche Hauptverhandlung stellt sich nicht aus § 267 RStPO heraus, sondern schon vielmehr aus systematischen Erwägungen einerseits und dann – viel offensichtlicher – andererseits aus § 396 RStPO heraus.29 Dieser Paragraph wird aber mit keinem Wort in der reichsgerichtlichen Entscheidung erwähnt. Auch bemüht sich das RG hierbei, im Gegensatz zur Begründung der Beruhensfrage im Rahmen des § 267 RStPO, nicht der Motive zur StPO oder irgendwelcher weiteren Entwicklungen der einschlägigen Vorschriften im Gesetzgebungsprozess, die aber, wie noch darzustellen ist, hier sehr eindeutige Tendenzen erkennen lassen.30 Die historischen Entwicklungen werden diesbezüglich durch das RG gänzlich ausgeblendet – und das auch schon im Rahmen des § 267 RStPO. Immerhin stellen die Motive nur eine Momentaufnahme im Entstehungsprozess der StPO dar, die vom RG dann mit dem verkündeten Gesetzestext – dem Endprodukt – verglichen wird. Die weitere Entwicklung nach diesem Zeitpunkt hätte bereits nach kurzer Lektüre in den Motiven31 zur revisionsgerichtlichen Hauptverhandlung selbst und den Kommissionberatungen über die einschlägigen Vorschriften aufschlussreiche Erkenntnisse 26

Gesetz zur weiteren Entlastung der Gerichte vom 08. 07. 1922, RGBl. 1922 I, S. 569. Fezer, StV 2007, 40 f.; siehe dazu auch unten Fünftes Kapitel. 28 Vgl. Momsen/Momsen-Pflanz, in: SSW-StPO, § 349 Rn. 1. Ein Bedeutungsverlust – allerdings nicht bis zur beinahe Redundanz wie bei den Revisionsverfahren – ist nicht nur bei der Revisionshauptverhandlung zu erkennen, sondern auch im tatgerichtlichen Verfahren zu beobachten, siehe dazu ausführlich Pollähne, StV 2015, 784. 29 Zu den systematischen Erwägungen siehe unten Zweites Kapitel: A. II. 2. 30 Dazu später mehr unter Zweites Kapitel: A. II. 3. a) cc). 31 Siehe dazu die Ausführungen zu § 318 RStPO-E bei Hahn, Materialien zur StPO, S. 260. 27

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2. Kap.: Normativer Inhalt der Vorschriften

ergeben und das RG vor ein tiefgreifenderes Begründungserfordernis gestellt.32 Aber schon der klare Wortlaut von § 396 RStPO allein würde zumindest eine irgendwie geartete Äußerung zur Auslegung dieser Vorschrift erwarten lassen, welche das RG jedoch schuldig bleibt. Die Begründung zur Unanwendbarkeit der Urteilsverkündungsfrist steht eigentlich zusammenhangslos außerhalb ihres normativen Kontextes da und ist in ihrem Inhalt milde ausgedrückt „defizitär“. Aufdrängende Fragen werden nicht behandelt, förmlich ignoriert und sodann mit einer bloßen – zumindest unkritisch reflektierten, aber zunächst plausibel erscheinenden – Behauptung weggewischt. Ob diese Vorstellung auch valides Motiv des Gesetzgebers war, dazu äußert sich das RG, im Gegensatz zur Begründung zur Verbindlichkeit der Frist für die Tatgerichte, nicht. Es wird noch zu überprüfen sein, ob die Konzeption der Strafprozessordnung tatsächlich – trotz unterschiedlichen Prüfungsprogramms – zwischen tatgerichtlicher und revisionsgerichtlicher Hauptverhandlung wesentlich unterscheiden wollte. Es erscheint genauso möglich, dass die vom RG angeführten Erwägungen von dem Gesetzgeber der RStPO gerade keine Motivation gewesen sind und dass er aus anderen Gründen gerade den Gleichlauf dieser beiden Hauptverhandlungstypen forciert hat. Möglicherweise war es auch überhaupt gar nicht Aufgabe dieser Entscheidung, eine zu klärende Rechtsfrage zu beantworten, sondern es wurde hier vielmehr eine bereits gängige und geübte Praxis der Revisionsgerichte nachgeschrieben, die sich am Gesetz vorbei entwickelt hat. Es ist zumindest nicht ersichtlich, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung eine Kontroverse in Bezug auf die Urteilsverkündungsfrist bestand.33 Es wird sich im weiteren Verlauf aber zeigen, dass das Ergebnis des RG nicht mit den gesetzgeberischen Intentionen im Einklang steht. Die angewandte Methodik bleibt darüber hinaus nebulös und es drängt sich der Eindruck auf, dass an dieser Stelle das gewollte Ergebnis die gewählte Methode bestimmt hat und nicht umge32 Siehe nur die Protokolle von der der Justizkommission in Hahn, Materialien zur StPO, S. 883 ff. (62. Sitzung); 1037 ff. (73. Sitzung), dort insbes. S. 1049; S. 1337 ff. (150. Sitzung), dort insbes. S. 1356 ff. 33 Aus früher Kommentarliteratur zur Entstehungszeit der RStPO ist z. B. keine Auseinandersetzung zu dieser Frage ersichtlich. Bei Löwe1, RStPO, § 396 wird ohne eigene Erläuterungen auf die Ausführungen zu § 267 verwiesen; nach Ziff. 2d wird die Urteilsverkündungsfrist als verbindlich kommentiert. Erst nach der Entscheidung RGSt 27, 116 wird in der Kommentierung der Zusatz aufgenommen, dass die Frist für das Revisionsgericht „ohne Bedeutung“ sei, dies aber ohne kritische Bemerkung oder dergleichen, Löwe10, RStPO, § 267 Ziff. 2d. Auch bei Schwarze, RStPO, findet sich keine weitergehende Kommentierung zu §§ 267, 396 RStPO, die auf eine Kontroverse über die Verbindlichkeit hindeutet. Es bleibt nur die Spekulation, dass das RG in der Entscheidung die Urteilsverkündungsfrist selbst bereits überschritten haben könnte und sich deshalb zu der in RGSt 27, 116 vorgenommene Klarstellung vorgreifend gezwungen sah, um den Wert seiner Entscheidung zur Verbindlichkeit des § 267 I 1 RStPO für die Tatgerichte nicht dadurch zu mindern, dass ihm vorgeworfen werden könnte mit zweierlei Maß zu messen oder ob andere Erwägungen leitend waren. Da die Prozessakte aber in den Recherchen nicht auffindbar war, kann diese Frage nicht geklärt werden.

A. Auslegung der Vorschrift des § 356 StPO

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kehrt das Ergebnis Folge der Methodik ist.34 Gerade dieser letztgenannte Umstand wird für die nachfolgende Untersuchung von Bedeutung werden. Um methodisch möglichst keine Angriffspunkte zu bieten, sodass dieser Bearbeitung vorgeworfen werden kann, letztlich nur das zu tun, was anderen als unlauter vorgeworfen wird – vom Ergebnis her zu denken –, ist das anzuwendende Methodenprogramm offenzulegen. Die Klärung der grundlegenden Methodenfrage ist der Gegenstand des folgenden Abschnitts. 2. Zu den Koordinaten der Auslegung – Eine Positionierung Wie schon an diversen Stellen in dieser Bearbeitung erwähnt wurde, soll die Auslegung der untersuchten Vorschriften mittels der „klassischen“ Auslegungsmethoden35 erfolgen; diese umfassen die Auslegung der Vorschriften nach Wortlaut, Systematik, Historie und Teleologie.36 Bei diesem griffigen Viertakt37 handelt es sich um die sogenannten Canones, die auf die Savigny’schen Canones mit ihren vier Auslegungselementen gründen.38 Dazu später mehr. Die Auslegungsmethoden sind einzelne Komponenten aus dem weit größeren Kosmos der Methodenlehre, welcher im weiteren Zusammenhang mit der Wissenschaft von den Methoden steht, der Methodologie.39 In diesem Universum der Methodik gibt es eine Vielzahl von Streitständen, Ansichten und sonstigen Meinungen. Einige stehen sich dabei diametral gegenüber und sind miteinander nur

34 Vgl. Radbruch, Einführung in die Rechtswissenschaft, S. 169; kritisch zu einem solchen Vorgehen Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 704. 35 Die Begriffe hierfür variieren mitunter zwischen „Auslegungsmitteln“, „Auslegungselementen“, „Auslegungskriterien“, „Argumentationsfiguren“ etc., werden allerdings in der Regel synonym verwendet, siehe dazu zusammenfassend m. w. N. Möllers, Juristische Methodenlehre, § 1 Rn. 92. Gleiches gilt auch für diese Bearbeitung, sofern sich aus dem Kontext nicht eindeutig ergibt, dass der jeweilige Begriff nicht ausnahmsweise anders besetzt ist. 36 Siehe dazu z. B. BVerfGE 11, 126, 130; 35, 263, 278 f.; 79, 106, 120 f.; 117, 71, 111 f.; viele Autoren verwenden für diese Auslegungsmittel die Bezeichnung „klassisch“, „üblich“, „tradiert“ oder „herkömmlich“ so z. B. Adomeit/Hähnchen, Rechtstheorie mit Juristischer Methodenlehre, Rn. 66; Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 436 f.; Hans-J. Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre, S. 166; Möllers, Juristische Methodenlehre, § 4 Rn. 17 ff., dort aber vor allem in Bezug auf die ursprünglichen Auslegungselemente Savignys; Müller/Christensen, Juristische Methodik I, Rn. 351; Reimer, Juristische Methodenlehre, Rn. 274, 278; Vesting, Rechtstheorie, Rn. 196; Zippelius, Juristische Methodenlehre, S. 35; Deckert, JA 1994, 412, 413; Morlok, in: Subsumtion, S. 179; siehe dazu auch Rückert, in: Methodik des Zivilrechts – Von Savigny bis Teubner, Rn. 76 ff. 37 Morlok, in: Subsumtion, 179, 181, nennt die klassischen Auslegungsmittel sogar die „fabulous four“. 38 Savigny, System I, S. 213 ff. spricht ausdrücklich von den „Elementen“ eines einheitlichen Auslegungsvorgangs. Siehe auch Möllers, Juristische Methodenlehre, § 4 Rn. 17 ff. Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 698 ff.; Ulrich Huber, JZ 2003, 1. 39 Vgl. Reimer, Juristische Methodenlehre, Rn. 15.

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2. Kap.: Normativer Inhalt der Vorschriften

schwerlich vereinbar.40 Einen Überblick zu finden, ist bei dem Methodenpluralismus schwierig, sodass zuweilen Bezeichnungen wie „Methodenwirrwarr“41 oder gar „Methoden-Chaos“42 als zutreffende Einschätzung erscheinen.43 Eine klare oder eindeutige Handhabung hierzu gibt es also nicht. Das ist insofern unter zwei Gesichtspunkten misslich und bemerkenswert zugleich. Erstens wird regelmäßig von „juristischer Methodenlehre“ bzw. „Methodik“ sowie den „klassischen“ und „anerkannten“ Auslegungsmethoden bzw. -mitteln, etc. gesprochen, wobei unterstellt wird, dass offenbar wäre, was unter alle dem zu verstehen sei, dies tatsächlich aber nicht der Fall ist. Obwohl die „rechtswissenschaftlichen Methoden“ zum Pflichtfachstoff des juristischen Studiums nach § 5a II 3 DRiG44 gehören, also standardmäßiges Ausbildungsprogramm darstellen müssten, sind sie dennoch eine eher vernachlässigt behandelte und wahrscheinlich insgesamt nicht ausreichend beherrschte Materie und die Fallstricke, die damit verbunden sind, nicht bekannt.45 Die rechtswissenschaftliche Methodik ist eine solche, die seit Jahrhunderten vieldiskutiert worden ist, aber ohne Einheitlichkeit und bis heute ohne scharfe Kontur dasteht, und sie wird nur ungenügend im juristischen Studium vermittelt.46 Dies erstaunt dann noch mehr unter einem zweiten sich aufdrängenden Gesichtspunkt, nämlich den, dass sich Methodenfragen und -probleme in einem (verfassungsrechtlich) äußerst sensiblen Bereich bewegen.47 Aber weder grundgesetzlich noch einfachgesetzlich wird, obwohl grundsätzlich möglich, in Form eines positiven Methodengesetzes ein bestimmtes Methodenprogramm vorgegeben, wie es zu40 So z. B. die Fragen der objektiven und subjektiven Auslegungstheorie, siehe dazu unten Zweites Kapitel: A. I. 2. a) aa). 41 Forsthoff, Der Staat 8 (1969), 523. 42 Ehmke, VVDStL 20 (1963), 53, 59. 43 Vgl. Möllers, Juristische Methodenlehre, § 14 Rn. 86 ff.; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 640 führen dazu bezeichnend aus, dass die zur Methodenlehre vorhandene „Literatur […] zwar ganze Bibliotheken“ ausfülle, „[a]nerkannte einheitliche Lösungen“ jedoch nicht absehbar seien. 44 Deutsches Richtergesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. 04. 1972, BGBl. 1972 I, S. 713, zuletzt geändert durch Art. 1 des fünften Gesetzes zur Änderung des Deutschen Richtergesetzes vom 22. 11. 2019, BGBl. 2019 I, S. 1755. 45 Vgl. Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 640; Rüthers, JuS 2011, 865, 865 f.; Rüthers, JZ 2006, 53, 53; Schäfers, JuS 2015, 875, 875; Würdinger, JuS 2016, 1, 2. Siehe dazu auch die Empfehlung des Wissenschaftsrats von 2012, Drucks. 2258 – 12, Perspektiven der Rechtswissenschaft in Deutschland. Situation, Analysen und Empfehlungen, besonders S. 7 f., 35 ff., 56 ff., die ein Bedürfnis zur Stärkung der Grundlagenfächer und damit auch der Methodik, im rechtswissenschaftlichen Studium ausmacht, abrufbar unter: https://www.wissen schaftsrat.de/download/archiv/2558-12.html, zuletzt aufgerufen am 08. 06. 2020. 46 Vgl. Reimer, Juristische Methodenlehre, Rn. 65; Vesting, Rechtstheorie, Rn. 194; Wank, Juristische Methodenlehre, § 1 Rn. 43; siehe zu den Defiziten in der Juristenausbildung auch in der Methodik generell jüngst, Barton, in: Strafverteidigung 2020, 147. 47 Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 706; Rüthers, NJW 2009, 1461, 1461 betonen zutreffend: „Methodenfragen sind Verfassungsfragen“.

A. Auslegung der Vorschrift des § 356 StPO

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mindest andere, verwandte Rechtsordnungen in Teilen vornehmen.48 Natürlich stellt sich sodann gleich die Folgefrage, ob solche Regelungen, die selbst wiederum der Auslegung zugänglich sind und damit in der Folge auslegungsbedürftige Methodenvorgaben zum Inhalt haben, überhaupt einen echten Zugewinn darstellten.49 Die gesetzliche Regelung von Methodenregeln als Metaregeln ist damit schwierig und in gewisser Weise zirkelschlüssig, eine Befassung mit diesem fundamental wichtigen Ansätzen aber notwendig.50 Denn – und das ist entscheidend – dies darf nicht zu der fälschlichen Annahme führen, dem Auslegenden sei eine Methodenfreiheit zuzugestehen;51 eine freie und flexible Methodik wird flexible Erkenntnisergebnisse produzieren, die in der extremen Form im freien Belieben des Auslegenden stünden.52 Dass das jedenfalls mit dem modernen Verfassungsverständnis von einer Bindung der Gerichte an Gesetz und Recht nichts mehr zu tun hat, ist offensichtlich. Und genauso ist es einleuchtend, dass bereits die vor diesem Extrem liegenden Fälle, die einen gewissen Spielraum bei der Wahl der Auslegungsmethode zulassen, zumindest im Hinblick auf diesen verfassungsrechtlichen Grundsatz problematisch sind. Auch wenn es keine normative Anknüpfung für eine konkrete Methodik gibt, lassen sich aus dem Grundgesetz aber

48 So z. B. §§ 6, 7 ABGB (Liechtenstein), §§ 6, 7 ABGB (Österreich), Art. 1 II, III ZGB (Schweiz); Reimer, Juristische Methodenlehre, Rn. 52, 250; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 704. 49 Vgl. Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 45 ff. und die dortigen Nachweise; kritisch in diese Richtung auch Hassemer, in: Einführung in die Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart, 227, 237; anders aber z. B. Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 704, wonach ein Methodengesetz eine „nützliche Warnung vor den Risiken einer freien richterlichen Methodenwahl“ sein könnte. Siehe zu dem grundlegenden Problem des Verhältnisses von Methodenregeln zu Rechtsauslegung Merkl, in: Die Wiener rechtstheoretische Schule, 1059. 50 Siehe zum Problem und Rechtsstatus von Methodenregeln Reimer, Juristische Methodenlehre, Rn. 45 ff.; Wank, Juristische Methodenlehre, § 1 Rn. 44 ff. 51 So tendieren die Ausführungen bspw. von Hassemer, in: Einführung in die Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart, 227, 237: „Selbst wenn in der Entscheidungssituation die Anweisungen nach den einzelnen Auslegungscanones eindeutig sind, ist der Richter damit noch nicht an ein bestimmtes Entscheidungsergebnis gebunden. Es gibt nämlich keine Meta-Regel der Interpretationsregeln: eine Anweisung, die dem Richter von Fall zu Fall die Anwendung einer bestimmten Methode vorschriebe. Methodisch ist er in der Wahl der Interpretationsregeln frei.“, Nachweise im Zitat ausgelassen; kritisch auch hierzu Rüthers/Fischer/ Birk, Rechtstheorie, Rn. 704. 52 Welche Gefahren aus einer solchen Beliebigkeit und Flexibilität erwachsen können, zeigen die Pfade, auf denen sich die Jurisprudenz im Dritten Reich bewegte. Eindrucksvoll dazu die Habilitationsschrift von Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung, 8. Auflage 2017 und die Gegenwart betreffend Rüthers, Die heimliche Revolution vom Rechtsstaat zum Richterstaat; s. a. dessen Kritik an Larenz und seinem Schüler Canaris in der Aufarbeitung dieses Umstandes z. B. Rüthers, JZ 2011, 593; Rüthers, ZRP 2008, 48, 51; Rüthers, NJW 1996, 1249. Forsthoff, Rechtsstaat im Wandel, S. 148 stellt klar, „daß das Gesetz eine Beliebigkeit der Auslegungsprozeduren nicht duldet, sondern durch eine solche Beliebigkeit negiert oder aufgelöst wird.“

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gewisse verfassungsrechtliche Leitplanken für die anzuwendende Methodik herleiten.53 Für den Rechtsandwender, welcher auch die Gerichte sind, sind das vornehmlich der Grundsatz der Gewaltenteilung sowie die Bindung der Rechtsprechung an Gesetz und Recht nach Art. 20 III, 97 I GG; denn mit der juristischen Methodik wird schließlich das Verhältnis von Rechtsprechung und Gesetzgebung zueinander bestimmt sowie die Machtgrenze der Ersteren festgelegt und hieraus ergibt sich dann, ab wann und inwieweit die Gerichte im Rahmen der Rechtsfortbildung zu eigener Rechtsetzung befugt sind.54 Die hier zu erfüllende Pflicht ist damit klar: Da dieses Sujet der juristischen Methodik gerade essentielles Mittel der vorliegenden Abhandlung ist, jedoch in diesem Bereich viel vertreten wird, ist es erforderlich, dass die Untersuchung Vorgehen, Struktur und innere Ordnung ihrer eigenen Methodik offenlegt, um dem Eindruck einer „methodischen Kaffeesatzleserei“ zu begegnen. Dabei muss die Erwartung des Lesenden aber zugleich auch gebremst werden. Hier ist nicht der Raum, eine völlig neue Methodenlehre oder gar Rechtstheorie zu entwickeln. Insofern wird ein Rückgriff auf bestehende Konzepte der Methodenlehre(n)55, schon aus dem Grund eines kohärenten und in sich schlüssigen Ansatzes, notwendig. Im Vorfeld werden nur einige ausgewählte, aber grundlegende Fragen der Methodik betrachtet und, sofern notwendig, Stellung bezogen. Dem Lesenden muss dazu offenbart werden, welchen methodischen Kategorien und Überzeugungen diese Arbeit zuzuordnen ist. Nur so kann eine Kontrollier- und Nachvollziehbarkeit des gefundenen Ergebnisses gewährleistet werden und letztlich auch argumentativ überzeugen. Stellung ist damit zu zwei Punkten der klassischen Methodendiskussion zu nehmen. Als ein Minimalkonsens kann angesehen werden, dass die moderne deutsche Methodenlehre zumindest grundsätzlich zwischen den Ebenen des Auslegungsziels und der Auslegungsmittel unterscheidet.56 Während die Frage zum Auslegungsziel 53 Beispiele hierzu bei Möllers, Juristische Methodenlehre, § 1 Rn. 23 ff., Reimer, Juristische Methodenlehre, Rn. 52 und Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 603 f.; siehe auch Leenen, in: Methodenlehre zwischen Wissenschaft und Handwerk, 65, 74 ff.; Muthorst, JA 2013, 721, 723. 54 Möllers, Juristische Methodenlehre, § 1 Rn. 24, 34 ff.; Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 603 f.; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 696, 708 f.; Wank, Juristische Methodenlehre, § 1 Rn. 46; Rüthers, JuS 2011, 865, 867. 55 Wank, Juristische Methodenlehre, § 1 Rn. 43 weist darauf hin, dass je nach Adressatenkreis und Rechtsgebiet eigene Anforderungen an die Methodenlehre gestellt werden und es insoweit eher mehrere Methodenlehren gebe anstelle nur einer allgemeinen. In diesem Sinne auch Kaufmann, Das Verfahren der Rechtsgewinnung, S. 65. Jedenfalls konnte sich bis heute keine einheitliche Methodenlehre mit allgemeingültigen Ansätzen herausbilden, so dass dieser Aussage eine gewisse Wahrheit zukommt. 56 Beispielhaft für die Fülle an Ansichten sollen genannt sein Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 316 ff.; Reimer, Juristische Methodenlehre, Rn. 246 ff., 269.; Rüthers/ Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 725; Wank, Juristische Methodenlehre, § 6 Rn. 152 ff.; Deckert, JA 1994, 412, 413; Schäfer, JuS 2015, 875, 876 f. A. A. ist z. B. m. w. N. Bydlinski,

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hochumstritten ist, so besteht im Allgemeinen über die Auslegungsmittel – freilich mit zum Teil erheblichen Variationen – eine gewisse Einigkeit.57 a) Gegenstand der Auslegung: Zwischen objektiver und subjektiver Auslegungstheorie Was die Frage des Auslegungsziels betrifft, so besteht in der juristischen Methodik einer der wohl erbittertsten und schier nie enden wollenden Kämpfe überhaupt, in der sich die beiden Lager unversöhnlich gegenüberstehen.58 Die Argumentation auf beiden Seiten hinsichtlich des Für und Wider ist mannigfaltig und bücherfüllend. Karl Engisch hat die Ausgangsfrage dieses Streits als „die zentrale Problematik der juristischen Auslegungstheorie“59 wie folgt zusammengefasst: „Wird der Sachgehalt des Gesetzes und damit das letzte ,Auslegungsziel‘ durch den vormaligen und einmaligen ,Willen‘ des historischen Gesetzgebers derart bestimmt und festgelegt, dass der Rechtsdogmatiker in die Spuren des Rechtshistorikers treten muss – zwar nicht um der Historie, wohl aber der Sache selbst Willen –, oder aber ruht der sachliche Gehalt des Gesetzes in ihm selbst und in seinen ,Worten‘ als ,Wille des Gesetzes‘, als objektiver Sinn, der unabhängig vom ,subjektiven‘ Meinen und Willen des historischen Gesetzgebers, dafür aber auch notfalls frei beweglich, entwicklungsfähig wie alles, was am objektiven Geist teilhat? Um diese Problematik tobt der Streit der juristischen Auslegungstheorien – man nennt sie kurz: die subjektive und die objektive Theorie – bis auf den heutigen Tag.“60

Es sei hier schon ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Engisch in diesem Zitat nur die beiden Hauptlinien in der Methodendiskussion zwischen objektiver und subjektiver Auslegungstheorie erwähnt, um die es auch im weiteren Verlauf im Wesentlichen gehen wird. Denn in dieser Theoriendiskussion fällt die Frage bezüglich eines objektiven versus subjektiven Ansatzes des Auslegungsziels mit der Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 436 f., der diese „traditionelle Frage“ als „unzureichende Annäherung an die Frage nach dem Rangverhältnis der Auslegungsmittel“ sieht. Einen gänzlich anderen Weg beschreiten jedoch im Grunde Müller/Christensen, Juristische Methodik I, Rn. 248 ff., in Form der Normkonkretisierung statt Auslegung. Vgl. auch Fikentscher, Methoden des Rechts III, S. 668. 57 Looschelders/Roth, Juristische Methodik im Prozeß der Rechtsanwendung, S. 31; Wank, Juristische Methodenlehre, § 6 Rn. 152 ff.; Walter, ZIS 2016, 746, 747. Vgl. zu den verschiedenen Zielen der Gesetzesauslegung Mennicken, Das Ziel der Gesetzesauslegung, S. 17 f. 58 Möllers bezeichnet diesen Methodenstreit gar als „Dauerbrenner der juristischen Methodenlehre“, Möllers, Juristische Methodenlehre, Überschrift zu § 6 II. 1. auf S. 221. 59 Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 133. 60 Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 133. Siehe aber kritisch zu einer „Unbrauchbarkeit“ der Differenzierung nach „subjektiver“ und „objektiver Auslegungstheorie“ Müller/Christensen, Juristische Methodik I, Rn. 442 und so letztlich auch die Ausführungen von Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 428 ff.; siehe hierzu auch vertiefend Kaufmann, Das Verfahren der Rechtsgewinnung, S. 81 f.; Kaufmann, Rechtsphilosophie im Wandel, S. 158 ff.; vertiefend zu Kaufmanns Verständnis der Rechtsfindung siehe auch Kaufmann, Rechtsphilosophie, S. 83 ff.

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Frage des maßgeblichen Zeitpunkts zusammen – also Entstehungszeitpunkt oder Rechtsanwendungszeitpunkt –, was zu einer Vielzahl an Kombinationsmöglichkeiten mit verschiedenen Ausprägungen führen kann.61 Einheitliche Theorien gibt es insbesondere bei der objektiven Theorie nicht, sondern die Ansätze sind auch hier vielfältig und variabel; es dient aber der Vereinfachung der Darstellung, nach den Hauptansatzpunkten differenzierend, von einer Theorie zu sprechen.62 Die bezeichneten Hauptlinien sind die objektiv-teleologische, die den Sinn der Norm nach einer gerechten und zweckmäßigen Auslegung in einem geltungszeitlichen Kontext erfassen will und andererseits der subjektiv-historischen Auslegungsart, die den Normzweck durch Ermittlung des historischen Gesetzgebungszwecks bestimmen will.63 So erbittert der Streit auch nach dem obigen Zitat zwischen objektiver und subjektiver Auslegungstheorie „toben“ mag, stellt er doch keinen althergebrachten Disput dar, sondern er ist eine Erscheinung aus neuerer Zeit. Dieser beginnt mit dem Wechsel zum voluntaristischen Rechtsverständnis in der Mitte des 19. Jahrhunderts und infolge der sozialen Gegebenheiten gerade am Anfang des 20. Jahrhunderts werden die Voraussetzungen für sein Auftreten geschaffen, wodurch die objektive Auslegungstheorie mit ihrem Aufstieg beginnt und der subjektiven als alternativer Entwurf entgegentritt und zunehmend verdrängt.64 Derartige objektive Ansätze bei der Gesetzesauslegung sind nicht neu, sondern bestanden schon vor den in diesem Zusammenhang immer wieder genannten Publikationen von Karl Binding65, Adolf Wach66 und Josef Kohler67.68 Aus dem Zitat von Engisch wird aber auch nochmals deutlich, dass bei der Wahl zwischen objektiver oder subjektiver Auslegungstheorie 61 Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 428 ff.; Fikentscher, Methoden des Rechts III, S. 662 ff.; Mennicken, Das Ziel der Gesetzesauslegung, S. 16 f.; Reimer, Juristische Methodenlehre, Rn. 247 f. 62 Vgl. Mennicken, Das Ziel der Gesetzesauslegung, S. 24 f., der daher ebenfalls so vorgeht. 63 Neben dieser subjektiv-historischen Auslegung gibt es auch vereinzelt einen subjektivaktuellen Ansatz, bei dem der hypothetische Wille des heutigen Gesetzgebers Auslegungsziel sein soll, vertreten z. B. von Walter, ZIS 2016, 746, 747 f.; jedenfalls von der Formulierung dahingehend, die Gesetze auf den heutigen Gesetzgeber zu beziehen, dieses Vorgehen aber letztlich als „sog. objektiv teleologische Auslegung“ bezeichnend Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, Rn. 3c ff., 368. Siehe dazu auch Reimer, Juristische Methodenlehre, Rn. 248. Kramer weist aber zutreffend darauf hin, dass hier bloß fiktionale Ergebnisse produziert werden können, Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 141 dort in Fn. 318. Bei Mennicken, Das Ziel der Gesetzesauslegung, S. 30 wird die subjektiv-aktuelle Auslegungstheorie als eine Kombinationslösung bzw. Vereinigungstheorie aus objektiver und subjektiver Auslegungstheorie betrachtet. 64 Caroni, Einleitungstitel des Zivilgesetzbuches, S. 92 ff.; Meder, Rechtsgeschichte, S. 400; Jan Schröder, Recht als Wissenschaft, S. 281, 331 ff., 345 ff.; vgl. Wank, Juristische Methodenlehre, § 6 Rn. 163; Haferkamp, ZfPW 2016, 319, 320 ff. 65 Binding, Handbuch des Strafrechts I, S. 450 ff. 66 Wach, Handbuch des Deutschen Civilprozessrechts, S. 254 ff. 67 Kohler, Zeitschrift für das Privat- und öffentliche Recht der Gegenwart 13 (1886), 1. 68 Jan Schröder, Recht als Wissenschaft, S. 331 f. mit Verweis auf 62 f.; Caroni, Einleitungstitel des Zivilgesetzbuches, S. 92 f.

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keine konkrete „Methode“ innerhalb der Auslegung an sich betroffen ist, sondern sie – grundlegend – die äußere Einfassung der Auslegungsmittel betrifft.69 Deshalb ist diese Frage als Vorfrage auch vor den Fragen zu den einzelnen Auslegungsmitteln und damit auch vor der Auslegung der in Frage stehenden Vorschriften der §§ 356, 268 III 2 StPO zu erörtern. Welche konkreten Auswirkungen die Entscheidung für die eine oder andere Theorie schließlich hat, sind dann in einem weiteren Schritt zu klärende, konnexe Folgefragen. Zu der jetzt hier im Raum stehenden Vorfrage, welches Auslegungsziel von den Auslegungsmitteln anzuvisieren ist, soll zu den einzelnen Überzeugungen und vorgebrachten Argumenten Stellung bezogen werden. aa) Zum Streitstand Bei der Entscheidung für die eine oder andere Auslegungstheorie geht es letztlich um die – freilich verkürzte – Frage, ob die Auslegung des Gesetzes entweder ex tunc durch den ursprünglichen, vom Urheber beigegebenen, Inhalt determiniert wird und dieser als Auslegungsziel zu bestimmen ist (subjektive Auslegungstheorie70) oder ex nunc aus dem heutigen geltungszeitlichen Zweckverständnis heraus nur aus dem Gesetz alleine als Auslegungsgegenstand zu ermitteln ist, wodurch die Interpretation des Gesetzes „nicht Nachdenken eines Vorgedachten, sondern Zuendedenken eines Gedachten“71 wird (objektive Auslegungstheorie72) –73 oder, letztlich vermittelnd, ob 69 Caroni, Einleitungstitel des Zivilgesetzbuches, S. 95; Wank, Juristische Methodenlehre, § 6 Rn. 152 ff.; vgl. Würdinger, JuS 2016, 1, 2. 70 Zu Vertretern dieser Ansicht zählen u. a. Beling, in: FG Heck u. a., 1, 12; Heck, Gesetzesauslegung und Interessenjurisprudenz, S. 8 f.; wohl auch Looschelders/Roth, Juristische Methodik im Prozeß der Rechtsanwendung, S. 41 ff., 62 ff.; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 717 ff.; Reimer, Verfassungsprinzipien, S. 134 ff.; Rückert/Seinecke, in: Methodik des Zivilrechts – Von Savigny bis Teubner, Rn. 32 ff.; Stammler, Lehrbuch der Rechtsphilosophie, S. 271 ff.; Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts I, S. 54 ff. Regelmäßig wird Savigny ebenfalls als Vertreter der subjektiven Theorie genannt, so z. B. Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 133 und, wenn auch einschränkend, Reimer, Juristische Methodenlehre, Rn. 248 in Fn. 168. Das ist aber, wegen seines grundlegend anderen Rechtsverständnisses nicht der Fall, wie Rückert zutreffend darlegt, Rückert, in: Methodik im Zivilrecht – Von Savigny bis Teubner, Rn. 97 ff., 141; vgl. dazu auch Zippelius, Juristische Methodenlehre, S. 18. 71 Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 111; siehe dazu auch Coing, Grundzüge der Rechtsphilosophie, S. 321, 329 im Hinblick auf den hermeneutischen Ansatz der Objektivität des Textes, dass ihm eine „überschießende Bedeutung“ zuteilwerden kann, die der Autor nicht vorhergesehen hat. 72 Vor allem die Rechtsprechung des BVerfG, BVerfGE 1, 299, 312; 10, 234, 244; 11, 126, 130 st. Rspr.; jüngst auch in der Entscheidung zum sog. „Berliner Mietendeckel“, BVerfG, Beschluss vom 25. 03. 2021, 2 BvF 1/20, Rn. 106, abrufbar unter http://www.bverfg.de/e/fs2021 0325_2bvf000120.html, zuletzt abgerufen am 04. 05. 2021; siehe zur Rechtsprechung des BVerfG insgesamt auch Bleckmann, JuS 2002, 942, 943 ff. Müller/Christensen, Rüthers/Fischer/Birk und Bleckmann machen aber darauf aufmerksam, dass auch die Rechtsprechung nicht ohne Rückgriff auf subjektive Erwägungen auskommt, Müller/Christensen, Juristische Methodik I, Rn. 494; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 800; Bleckmann; JuS 2002, 942, 945. Weitere Vertreter der objektiven Auslegung waren Binding, Handbuch des Strafrechts I, S. 450 ff.; Kohler, Zeitschrift für das Privat- und öffentliche Recht der Gegenwart 13 (1886),

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die Inhaltsbestimmung aus einer Kombination dieser beiden Vorgehensweisen folgt (Kombinationslösungen74).75 Auch wenn dieser zentrale Streit der Auslegungstheorie abstrakt daher zu kommen scheint, so hat er sehr konkrete Konsequenzen. Am plakativsten äußert er sich hinsichtlich der teleologischen Auslegung, weswegen die Differenzierung von objektiver und subjektiver Auslegungstheorie zumeist in diesem Kontext erfolgt; der Auslegungsstreit betrifft aber grundsätzlich alle Auslegungsmittel.76 In Bezug auf die teleologische Auslegung äußert sich die Bedeutung der beiden Ansichten dahingehend, ob bei der Gesetzesauslegung sogenannte objektiv-teleologische77 Kriterien zur Inhaltsbestimmung einer Norm Berücksichtigung finden können. Dabei handelt es sich um tatsächliche oder etwaige überpositiv-rechtliche Umstände, die der Normgeber nicht berücksichtigt hat oder ggf., wegen deren nachträglichem Auftreten auch überhaupt nicht berücksichtigen konnte.78 Mit der Hinzuziehung objektiv-teleologischer Kriterien ließen sich, trotz fehlender vorheriger „Vorhersehung“ durch den Normgeber „sachgemäße“ oder „angemessene“ Lösungen durch die Auslegung eines Gesetzes im Einzelfall finden.79 Beim Befolgen der subjektiven Auslegungstheorie hingegen ist die teleologische Auslegung als eigenes Auslegungsmittel überflüssig, da ihr Auslegungsziel bereits im Rahmen der historisch-genetischen Auslegung zum größten Teil bestimmt wird.80 Die objektive Auslegungstheorie soll in Literatur und Rechtsprechung die wohl vorherrschende Ansicht81 darstellen und wird in der juristischen Ausbildung, aber 1 ff.; Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 109 ff.; Wach, Handbuch des Deutschen Civilprozessrechts, S. 254 ff. Siehe m. w. N. Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 134. 73 Vgl. Engisch, Einführung in das juristische Denken S. 135 ff.; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 784 f. 74 Vertreter dieser Variante sind u. a. Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 143 ff.; Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 154 ff.; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 316 ff.; Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre; S. 632; Würdinger, JuS 2016, 1, 6. 75 Siehe insgesamt zur Darstellung der Ansichten auch Mennicken, Das Ziel der Gesetzesauslegung, S. 19 ff. 76 Wank behandelt die Frage der subjektiven und objektiven Auslegungstheorie daher auch bei den einzelnen Auslegungsmitteln, Wank, Juristische Methodenlehre, § 3 Rn. 57. So letztlich auch Bydlinski, der diese Frage aber, wegen eines anderen Ansatzes, als Rangfolgenfrage der Auslegungsmittel verortet, Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 436. 77 Zum Begriff Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 333. 78 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 317, 333. 79 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 333. 80 Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 727 verzichten daher auch konsequent auf dieses Auslegungsmittel. 81 BVerfGE 1, 299, 312; 11, 130; vgl. auch BVerfGE 111, 54, 91; wobei es auch zuweilen subjektive Ansätze erkennen lässt, wie z. B. in BVerfGE 2, 266, 276; 4, 299, 304 f.; 6, 309, 350 f. In BVerfGE 122, 248 282 ff.; 128, 193 wird ein Trend zur Resubjektivierung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung ausgemacht, Rüthers, NJW 2011, 1856; Rüthers, NJW 2009, 1461; Würdinger, JuS 2016, 1, 4. Auch beim BGH ist die objektive Auslegung gegeben

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eben auch von Gerichten nahezu unhinterfragt angewendet. Tatsächlich dürften die Ergebnisse zwischen subjektiver und objektiver Auslegungstheorie nicht immer weit auseinanderliegen oder sind, im Gegenteil, sogar oftmals identisch, sodass der Streit letztlich doch nicht von zu großer Bedeutung zu sein scheint.82 Allerdings darf die in vielen Einzelfällen nicht immer zu Tage tretende Relevanz des Streits nicht die Brisanz der objektiven Auslegungstheorie verschleiern.83 Im Folgenden werden nun die Inhalte der objektiven Auslegungstheorie, jene der diese schon in ihrem Grunde negierenden subjektiven Auslegungstheorie sowie die Inhalte der zwischen den beiden Extremen vermittelnden Kombinationslösungen, welche die objektive Auslegungstheorie mit subjektiven Elementen einhegen bzw. umgekehrt die subjektive Auslegungstheorie mit objektiven Elementen erweitern, näher erörtert. Der Streitstand wird jedoch nur mit seinen essentiellen Inhalten und Argumenten kursorisch dargestellt werden können, da eine vollständige Darlegung mit all seinen Einzelheiten zu weit führen würde und für den Erkenntnisgewinn der hier zu untersuchenden Forschungsfrage keinesfalls sachdienlich wäre.84 (1) Die objektive Auslegungstheorie Die objektive Theorie, als ein Extrem, hat als Auslegungsziel das Gesetz an sich in seinem i. d. R. geltungszeitlichen Kontext im Fokus – sie will also den „objektiven Willen des Gesetzes“ als Gegenstand der Auslegung anvisieren.85

BGHZ 46, 74, 79. Siehe zu der Einschätzung der objektiven Auslegungstheorie als h. A. auch Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 134; Morlok, in: Subsumtion, 179, 201 f.; Müller/Christensen, Juristische Methodik I, Rn. 493; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 798; Wank, Die Auslegung von Gesetzen, S. 32; Jan Schröder, ZfPW 2016, 307, 318. Fleischer macht aber deutlich, dass dieser Schluss nicht so eindeutig ist, auch wenn er in der Literatur oft so angenommen wird. Vielmehr sind seiner Ansicht nach die vermittelnden Ansichten vorherrschend, da die objektive als auch subjektive Auslegungstheorie nicht in ihren Reinformen vertreten würden, Fleischer, in: Mysterium „Gesetzesmaterialien“, 1, 9 f. So auch Kaufmann, Das Verfahren der Rechtsgewinnung, S. 82. Naucke, in: FS Engisch, 274 ff. zeigt in seinem Beitrag, dass es vielmehr die Formulierbarkeit des Ergebnisses ist, die zur Wahl der einen oder der anderen Auslegungsart führt. Insofern dürfte die Aussage zutreffender sein, dass die Verwendung auch objektiver Ansätze in der h. M. anerkannt ist. 82 Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 155. 83 Siehe dazu Morlok, in: Subsumtion, S. 179, 201 ff.; Reimer, Methodenlehre, Rn. 357 ff.; besonders kritisch Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 806 ff. 84 Selbst Engisch sieht von einer solchen Darstellung in seinem Methodenlehrbuch ab, Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 133. 85 Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 428 ff.; Fikentscher, Methoden des Rechts III, 664 f.; Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 173; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 316; Mennicken, Das Ziel der Gesetzesauslegung, S. 25; Reimer, Juristische Methodenlehre, Rn. 247 f.; Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 628; Jan Schröder, Recht als Wissenschaft, S. 331, 345; Wank, Die Auslegung von Gesetzen, S. 32 f.; Würdinger, JuS 2016, 1 3.

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Ausgehend von dem Gedanken, dass das Gesetz mit seinem Erlass sich, gleich anderen geistigen Werken aus der Lyrik (sog. hermeneutisches Argument86), von seinem Schöpfer emanzipiert und von nun an ein eigenständiges und objektives Dasein erfährt, bestimmt sich dessen Inhalt nur noch aus den Worten des Gesetzes selbst.87 Gegenstand und damit Objekt der Auslegung wird allein das Gesetz selbst, während der Urheber in dessen Bedeutung dahinter zurücktritt und seine Motivationen verblassen, gar belanglos werden.88 So sollen sogar aus den Materialien des Gesetzgebungsprozesses keine Rückschlüsse auf den objektiven Gehalt des Gesetzes gezogen werden können, wenn überhaupt kann ihnen bestätigende, nicht aber widerlegende Funktion zukommen.89 Mit der Loslösung vom Urheber soll schließlich die Frage beantwortet werden, welcher Zweck der Norm nach dem heutigen Verständnis zukommt, indem die einzelne in Rede stehende Norm in einen geltungszeitlichen Kontext der durch das Recht verfolgten Zwecke inkorporiert wird.90 Die objektive Auslegungstheorie ist damit ersichtlich auf Anpassung ausgelegt, was einer ihrer entscheidenden Vorzüge ist. Ohne das Gesetz verändern zu müssen, findet es durch die Neuausrichtung der Worte in dem Kontext der Gegenwart Antworten auf die Fragen der heutigen Zeit, selbst dann, wenn der historische Gesetzgeber die zu beantwortende Fragestellung weder bedacht noch vorausgesehen hat oder voraussehen konnte und es ist dennoch möglich, diese Antwort als dessen entwicklungsfähigen Willen aufzufassen, der im Gesetz fortwirkt.91 Daneben soll dieser Ansatz dem Richter aber auch bewusst Freiheit bei der Rechtsanwendung schaffen.92 Diese Freiheit ist es aber auch, was diesen Ansatz so angreifbar macht, weswegen die sogleich darzustellende subjektive Auslegungstheorie hierauf mit einer stärkeren Bindung des Auslegenden, vor allem des Richters, an das Gesetz reagiert.93 Hier wird deutlich, welche Verantwortung dem Auslegenden bei der Rechtsanwendung zukommt und welche Gefahren drohen können, wenn er dieser Verantwortung nicht gerecht wird. 86

Siehe dazu die Ausführungen unten Zweites Kapitel: A. I. 2. a) aa) (4) (a). Coing, Grundzüge der Rechtsphilosophie, S. 341; Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 135 f.; Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 149; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 317; Meder, Mißverstehen und Verstehen, S. 107; Rüthers/Fischer/ Birk, Rechtstheorie, Rn. 797. 88 BVerfGE 1, 299, 312; 11, 126, 130; 111, 54, 91; Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 135; Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 114 ff.; Zweigert, Studium Generale 7 (1954), 380, 383. 89 Müller/Christensen, Juristische Methodik I, Rn. 493 mit Beispielen aus der Rechtsprechung des BVerfG. 90 So nach der objektiv-aktuellen Auslegungstheorie, Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 155 ff., 173 f.; Möllers, Juristische Methodenlehre, § 6 Rn. 69 f.; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 797; Reimer, Juristische Methodenlehre, Rn. 248. 91 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 318; Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 110 ff.; Zweigert, Studium Generale 7 (1954), 380, 383. 92 Jan Schröder, Recht als Wissenschaft, S. 332; Haferkamp, ZfPW 2016, 319, 320. 93 Reimer, Juristische Methodenlehre, Rn. 361; Haferkamp, ZfPW 2016, 319, 320 f. 87

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(2) Die subjektive Auslegungstheorie Demgegenüber betrachtet die subjektive Auslegungstheorie, als anderes Extrem der teleologischen Konkretisierung, die Norm gerade nicht unabhängig von den Motivationen des historischen Urhebers, sondern sieht diese als maßgeblich an.94 Daher ist der Wille des Normgebers mit den zur Verfügung stehenden Mitteln empirisch zu ergründen und bei der Erforschung des Normzwecks zu beachten – dieser stellt das Auslegungsziel dar.95 Diese Konzeption versteht sich in ihrer reinsten Form freilich als inkompatibel mit der Zulassung objektiv-teleologischer Kriterien mit geltungszeitlichem Ansatz bei der Auslegung, weswegen Bernd Rüthers, Christian Fischer und Axel Birk in ihrer Rechtstheorie sogar so weit gehen, dass sie in konsequenter Ablehnung der objektiven Auslegungstheorie eine objektiv-teleologische Auslegungsform bei den Auslegungsmitteln nicht anwenden.96 Telos kann danach nur das Ableitungsprodukt der übrigen Auslegungsmittel sein und ist folglich Ergebnis und nicht Methode, erst wenn der Zweck ergründet wurde, lässt sich mit ihm arbeiten.97 Fokus der subjektiven Auslegungstheorie ist daher die empirische Erforschung der Regelungsabsichten des historischen Normgebers mit den zur Verfügung stehenden Mitteln.98 In diesem Zusammenhang gewinnt die historisch-genetische Auslegung Bedeutung. Selbstverständlich kann es hier zu der Situation kommen, dass der ermittelte historische Wille im geltungszeitlichen Kontext nicht mehr oder nicht uneingeschränkt umgesetzt werden kann oder darf. Die Frage, inwieweit der ursprüngliche Wille endgültig zu beachten ist, ist dann bei der Gesamtwürdigung der Auslegungsergebnisse zu ermitteln und stellt eine Frage der Gesetzesanwendung dar.99 Der vollständige oder teilweise Anwendungsausfall der Erforschung des historischen Gesetzgebungswillens infolge von Unergiebigkeit dieses Auslegungs94 Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 428; Fikentscher, Methoden des Rechts III, S. 665; Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 139 f., 173; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 316; Mennicken, Das Ziel der Gesetzesauslegung, S. 19 f.; Möllers, Juristische Methodenlehre, § 6 Rn. 63; Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, Rn. 3a; Reimer, Juristische Methodenlehre, Rn. 248; Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 627; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 796; Wank, Die Auslegung von Gesetzen, S. 32.; Würdinger, JuS 2016, 1, 2 f. 95 Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 725; Jan Schröder, Recht als Wissenschaft, S. 347. 96 Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 725; so auch Rüthers, JuS 2011, 865, 867 f.; Rüthers hält die objektive Auslegungstheorie gar für verfassungswidrig, Rüthers, JZ 2006, 53, 60. Ähnliche Bedenken haben auch Hans-J. Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre, S. 169 ff. Für eine Darstellung der Auslegungsmittel bei den weiteren Ansätzen der Auslegungstheorien, siehe Fikentscher, Methoden des Rechts III, S. 668 ff. 97 So i. E. auch Müller/Christensen, Juristische Methodik I, Rn. 67d (S. 98), 364; anders aber gerade die Formulierungen von Radbruch, Einführung in die Rechtswissenschaft, S. 169. 98 Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 131 f.; Mennicken, Das Ziel der Gesetzesauslegung, S. 20; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 725. 99 Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 730b, 730d.

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mittels, was ihm durchaus als Nachteil entgegengehalten wird, kann in seiner Folge zu einer Lückenbildung führen, welche dann im Wege der Rechtsfortbildung, freilich unter Berücksichtigung der Methodenehrlichkeit unter entsprechender Offenlegung, beseitigt werden kann.100 Gleiches wird auch dann zu gelten haben, wenn der Wille des Gesetzgebers nicht zu ermitteln ist.101 (3) Vermittelnde Ansichten Zwischen diesen beiden Extremen gibt es selbstverständlich verschiedene vermittelnde Ansichten in unterschiedlicher Couleur. Sie reichen dabei von primär objektiven Ansätzen mit subjektiven Elementen102 und spiegelbildlich von primär subjektiven Ansätzen mit objektiven Elementen,103 über das Erfordernis der Andeutung104 des Gesetzgeberwillens im Normtext, bis hin zu einer Unterscheidung nach dem Entstehungszeitpunkt des Gesetzes, wonach mit zunehmendem Alter der ursprüngliche gesetzgeberische Wille unbedeutender werde105.106 In allen Fällen sollen, die sogleich zu erörternden, vorgebrachten mehr oder weniger berechtigten Einwände gegen die objektive oder die subjektive Auslegungstheorie aufgefangen werden.107 So soll ein klar erkennbarer gesetzgeberischer Wille die Ausdehnung des Normverständnisses mittels objektiv-teleologischer Kriterien beschränken oder gerade umgekehrt deren Einbeziehung einen zu begrenzten gesetzgeberischen Zweck erweitern können. Eine abschließende Lösung in dem Streit bieten aber auch die Kombinationslösungen letztlich nicht, selbst wenn man ihnen zu Gute halten kann, dass sie sich der größten Kritikpunkte der jeweiligen reinen Auslegungstheorie annehmen und mehr oder weniger zu beseitigen suchen. (4) Das Für und Wider Für die objektive Auslegungstheorie werden im Wesentlichen vier Argumente ins Feld geführt, weswegen sie der subjektiven Auslegungstheorie überlegen sein soll. Das sind das hermeneutische Argument, das Formargument, das Vertrauensargument 100 Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 730b, 730d, 791; Looschelders/Roth, Juristische Methodik im Prozeß der Rechtsanwendung, S. 65 f.; vgl. Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 142 f. 101 Looschelders/Roth, Juristische Methodik im Prozeß der Rechtsanwendung, S. 65 f.; vgl. Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 791, 795. 102 So z. B. Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 158 ff., 173; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 316 ff., 333, 344; wohl auch Möllers, Juristische Methodenlehre, § 6 Rn. 79. 103 So z. B. Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 143 f.; Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 632. 104 So Forsthoff, Rechtsstaat im Wandel, S. 152; Siebert, Die Methode der Gesetzesauslegung, S. 39. 105 Vgl. BVerfGE 54, 277, 297; Würdinger, Rechtskultur 2 (2013), 79, 83. 106 Dazu auch Fikentscher, Methoden des Rechts III, S. 666. 107 In der Argumentation so Möllers, Juristische Methodenlehre, § 6, Rn. 77 ff.

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und schließlich das Rechtsfortbildungsargument. Den Argumenten für die objektive Auslegungstheorie wurde von Philipp Heck bereits systematisch entgegengetreten.108 Zur Vertiefung der hier nur überblicksartig vorgebrachten Argumente für die objektive Auslegungstheorie bzw. zur Verteidigung der subjektiven Auslegungstheorie wird auf die Darstellung anderer verwiesen.109 (a) Das „hermeneutische Argument“ Das hermeneutische Argument ist bereits mit seinem Inhalt angesprochen worden. Die Vorstellung einer Emanzipation des Gesetzestexts von seinem Schöpfer, wie bei anderen geistigen Werken, entspricht dem allgemeinen geisteswissenschaftlichen Interpretationsverständnis.110 Bei genauerer Betrachtung zeigt es sich aber nicht als Argument für die objektive Auslegungstheorie, sondern als deren Prämisse. Erst durch die proklamierte Loslösung des Normtextes von seinem Urheber wird eine von diesem autonome Interpretation ermöglicht. Auch wenn die lyrische Vorstellung, das Gesetz löse sich mit seinem Erlass aus dem Willen des Autors und erfahre ein selbstständiges Dasein, etwas mystisch Erhabenes hat, so ist das hermeneutische Argument deshalb keineswegs zwingend.111 Dass es in der Literaturwissenschaft möglicherweise eine angenommene Eigenschaft eines lyrischen Textes sein mag und sie dort eine Emanzipation des Textes von seinem Schöpfer zulässt, heißt umgekehrt nicht, dass sich gesetzliche Texte unabhängig vom Urheber interpretieren lassen, also das allgemeine geisteswissenschaftliche Argument auch Geltung bei der Auslegung von Gesetzen Geltung beanspruchen kann.112 Vielmehr kann die Prämisse dort gerade jene sein, dass Gesetzestexte eine solche Eigenschaft nicht aufweisen sollen. Hieraus ergäbe sich eine Interpretation nach der Vorstellung des Normgebers, die dem Auslegenden oktroyiert wird.113 Das hermeneutische Argument allerdings liefert die Möglichkeit – wenn es auf den Willen des Urhebers im Endeffekt gar nicht ankommen solle –, sich einen Großteil an empirischer Arbeit bei der Erforschung des 108

Heck, Gesetzesauslegung und Interessenjurisprudenz, S. 67 ff. Siehe insbes. Mennicken, Das Ziel der Gesetzesauslegung, S. 19 ff. und im Detail S. 30 ff. und m. w. N. Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 137 in Fn. 30 sowie bereits erwähnt Heck, Gesetzesauslegung und Interessenjurisprudenz, S. 67 ff. 110 Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 149; Mennicken, Das Ziel der Gesetzesauslegung, S. 26 f.; Merz, AcP 163 (1964), 305, 318 f.; Zweigert, Studium Generale 7 (1954), 380, 383; siehe auch zur Kritik, Säcker, in: MüKo-BGB, Einl. Rn. 96 ff. 111 Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 149 f.; das gilt auch für literarische Texte selbst, Hirsch, Prinzipien der Interpretation, S. 15 ff.; vgl. dazu auch die Ausführungen von Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 137 f.; Rüthers, JZ 2011, 593, 600. 112 Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 138. Siehe auch zum Vergleich von literarischer und juristischer Hermeneutik und der Übertragbarkeit der Argumentationen Coing, Juristische Methodenlehre, S. 25 ff.; Bleich, NJW 1989, 3197. 113 Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 138; Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 150; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 718; vgl. Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 118. Dies stellt einen gewichtigen Einwand im Hinblick auf die Bindung des Richters an das Gesetz dar. 109

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2. Kap.: Normativer Inhalt der Vorschriften

gesetzgeberischen Willens zu ersparen, was vornehmlich bequem sein und deshalb auch einen Vorzug dieser Auslegungstheorie an sich darstellen dürfte.114 (b) Das „Formargument“ bzw. „Willensargument“ Stärker als das hermeneutische Argument hingegen wirkt das Formargument – diesmal im Vergleich zum ersteren als echter Einwand –, das besagt, dass ausschließlich die Worte des verkündeten Gesetzestext die Rechtsverbindlichkeit einer Gebotsanordnung besitzen, nicht hingegen die sonstigen aus vielfältigen Quellen stammenden Materialien, was in gewisser Weise zu einer „textexternen Auslegung“115 führte.116 Mit dem Formargument wird zumeist noch ein Einwand eingebracht, den Heck als „Willensargument“ bezeichnet.117 Die Erforschung eines historischen Gesetzgeberwillens sei nicht möglich, da es einen solchen „Willen“ in einem parlamentarischen Rechtsetzungssystem nicht gebe.118 Die subjektive Auslegungstheorie wäre ihres Auslegungsziels, gar ihres Fundamentes, beraubt. Während sich bei einer monokratischen Organisation, bei der Gesetzgebungswille und Gesetzgeber sowie Gesetzesanwender in einer realen Person zusammenfallen und sich der psychologische „Wille des Gesetzgebers“ und die Person desselben greifen lassen, ist es hingegen bei einem Verfahren, wo die Gesetzgebung auf der Mitwirkung verschiedener verfassungsrechtlich vorgesehener Institutionen und auf einer kollektiven Willensbildung beruht, ungleich schwerer, eine solche Identifikation von „dem Gesetzgeber“ und dessen „Willen“ vorzunehmen.119 Damit stellt der subjektive „Gesetzgeberwille“, aber auch „der Gesetzgeber“ an sich, eine Fiktion dar, die konstruiert wird.120 Gegenstand der Erforschung wird damit nicht ein psychologischer Wille des einen Gesetzgebers, sondern es handelt sich um einen normativen Willen desjenigen (einzelne Personen oder Gremien), den man diesen

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Vgl. Fleischer, in: Mysterium „Gesetzesmaterialien“, 1, 8. Looschelders/Roth, Juristische Methodik im Prozeß der Rechtsanwendung, S. 28 f. m. w. N.; siehe zu der Konzeption einer Unterscheidung in textinterner und textexterner Auslegung ab S. 130 ff. 116 Heck, Gesetzesauslegung und Interessenjurisprudenz, S. 67; Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 150; Mennicken, Das Ziel der Gesetzesauslegung, S. 23; Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 628, dort als Promulgationsargument bezeichnet. 117 Heck, Gesetzesauslegung und Interessenjurisprudenz, S. 67; Mennicken, Das Ziel der Gesetzesauslegung, S. 23. 118 Heck, Gesetzesauslegung und Interessenjurisprudenz, S. 67; Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 627 f.; Wischmeyer, JZ 2015, 957 ff.; Würdinger, JuS 2016, 1, 5; Zweigert, Studium Generale 7 (1954), 380, 382. 119 Morlok, in: Subsumtion, 179, 198; Müller/Christensen, Juristische Methodik I, Rn. 443; Wischmeyer, JZ 2015, 957, 959 f. 120 Mennicken, Das Ziel der Gesetzesauslegung, S. 23; Müller/Christensen, Juristische Methodik I, Rn. 443, dort als „Chimäre“ bezeichnet; Wischmeyer, JZ 2015, 957, 958; kritisch zum Begriff der „Fiktion“ m. w. N. Reimer, Juristische Methodenlehre, Rn. 252. 115

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Willen als Urheber zuschreibt.121 Umgekehrt gilt der Vorwurf der „Fiktion eines Willens“ richtigerweise allerdings, neben dem Vorwurf einer Entkopplung vom historischen Gesetzeszweck, ebenfalls für die objektive Theorie hinsichtlich eines objektiven Willens des Gesetzes.122 Damit würde das Willensargument nicht nur Einwand gegen die subjektive Auslegungstheorie, sondern auch gegen die von ihren Anhängern vorgebrachte objektive Theorie wirken. Eine solche Argumentation ist jedoch in beide Richtungen zu einfach.123 Und trotzdem oder gerade deshalb sind Formargument und Willensargument selbst nicht zwingend,124 lassen sich aus dem gemeinsamen Wirken der am Gesetzgebungsprozess beteiligten Personen doch gewisse intentionelle Schlüsse ziehen, die bei der Auslegung des dann verabschiedeten Gesetzes fruchtbar gemacht werden können. Das Formargument und das mit ihm vorgebrachte Willensargument beachten nicht, dass es um die Erforschung eines normativen und nicht psychologischen Willens geht und hier werden diese beiden Willensbegriffe bewusst vertauscht.125 Das Gesetzgebungsverfahren ist in modernen Staaten ein durch eine verfassungsmäßige und geschäftliche Ordnung in den Gesetzgebungskörperschaften und diesen unterfallenden Teilausschüssen geregelter und aufeinander abgestimmter Prozess, wodurch er sich als eine „kollektiv intentionale Aktivität“ darstellt.126 In diesem wird sich eine gewisse Intention i. S. e. Gesetzgebungsziels durch Mehrheitsentscheid durchsetzen, wobei die befürwortende Mehrheit nicht allesamt gleichgerichtete Motive aufweisen muss. Auch wird in diesem Prozess ein Wille der überstimmten Minderheit zumindest Gegenstand des Diskurses und findet in diesen kollektiven Entscheidungsprozess Eingang, sodass die in diesem Zusammenhang entstandenen Materialien und protokollierten Willensbekundungen der Akteure,

121 Vgl. Heck, Gesetzesauslegung und Interessenjurisprudenz, S. 50, 64 f.; so auch Looschelders/Roth, Juristische Methodik im Prozeß der Rechtsanwendung, S. 46 ff.; Reimer, Juristische Methodenlehre, Rn. 251. 122 Müller/Christensen, Juristische Methodik I, Rn. 29, 442 ff. bezeichnen den Willen des Gesetzes als „Phantom“; vgl. Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 797; Rüthers, ZRP 2008, 48, 51; vgl. auch Möllers, Juristische Methodenlehre, § 6 Rn. 73. 123 So im Hinblick auf die objektive Auslegungstheorie auch schon Heck, Gesetzesauslegung und Interessenjurisprudenz, S. 69 f.: „Die Zusammenstellung zeigt, dass die objektiven Deutungen sich nicht mit dem einfachen Argumente beseitigen lassen, daß das ,Gesetz‘ gar nicht wollen kann […]“. 124 Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 150 f.; vgl. Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 142; Heck macht deutlich, dass bei konsequenter Befolgung des Formarguments „die strengste Buchstabenjurisprudenz, die Alleinbetrachtung des Textsinns“ drohe und damit bloß eine textinterne Interpretation möglich wäre, Heck, Gesetzesauslegung und Interessenjurisprudenz, 68. 125 Heck, Gesetzesauslegung und Interessenjurisprudenz, S. 77 sowie S. 50, 53, 62, 64. 126 Wischmeyer, JZ 2015, 957, 960 ff.; vertiefend zur „Rechtssetzung als kollektive intentionale Aktivität“ Wischmeyer, Zwecke im Recht des Verfassungsstaates, S. 225 ff.; Reimer, Juristische Methodenlehre, Rn. 252.

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einem „Indizienbeweis“ gleich,127 wertvollen Aufschluss über das Verständnis des Gesetzes geben können.128 Auf einen einzelnen, psychologischen Willen kommt es bei der Willensermittlung also nicht an. Durch Anlegung von bestimmten Gütekriterien an die in Betracht gezogenen Materialien des Gesetzgebungsprozesses wird auch dem Einwand des Formarguments entgegengewirkt werden können, dass irrelevante Quellen zur Sinnerfassung des Gesetzes herangezogen werden könnten.129 Von daher dürfte es unbestritten sein, dass eine Erforschung des historisch-genetischen Kontexts für die Bestimmung des Gesetzesinhaltes und dessen Verständnis von sehr großer Bedeutung ist.130 (c) Das „Vertrauensargument“ Im Weiteren folgt in der Diskussion das Vertrauensargument, welches den Normadressaten in der Regel in der Form des Bürgers im Blick hat. Dieser soll nicht angehalten sein, auf den damaligen Sprachgebrauch des Gesetzgebers zurückgreifen und ggf. Recherchen hierfür anstellen zu müssen, sondern er soll darauf vertrauen dürfen, das Gesetz in seinem heutigen Sprachverständnis zu erfassen.131 Damit wird hinsichtlich des Verständnisses des Norminhaltes auf den Empfängerhorizont abgestellt. Das ist bemerkenswert, da dem Adressaten damit eine bedeutende Definitionsmacht zukommt, wenn darauf abgestellt wird, wie dieser einen Normbefehl verstehen darf oder vielleicht verstehen will, was bis hin zu einer Beseitigung des ursprünglich vom Gesetzgeber intendierten Inhalts durch eine substituierende Intention des Auslegenden führen könnte, was dann aber keine Auslegung, sondern eine „Einlegung“ darstellt.132 Unklar bleibt auch, warum die Anlegung einer „Lai127 So beschreiben es Looschelders/Roth, Juristische Methodik im Prozeß der Rechtsanwendung, S. 154. 128 So auch schon Heck, Gesetzesauslegung und Interessenjurisprudenz, S. 111; Engisch, Einführung in das juristische Denken S. 142; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 328 ff.; Wischmeyer, JZ 2015, 957, 961. Zu den freilich bestehenden faktischen Problemen bei der Handhabung der Gesetzesmaterialien Thiessen, in: Mysterium „Gesetzesmaterialien“, 45 ff. Hilfreich könnte hier ein Vorgehen des Gesetzgebers sein, der beim Gesetzgebungsprozess Materialien schafft, die bei der Auslegung gut berücksichtigt werden können, siehe dazu den „Wunschzettel an den Gesetzgeber“ von Wedemann, in: Mysterium „Gesetzesmaterialien“, 127 ff.; siehe insgesamt vertiefend zu dieser Thematik die Schrift von Frieling, Gesetzesmaterialien und Wille des Gesetzgebers. 129 Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 151, 158 ff.; zu solchen Gütekriterien siehe Wischmeyer, JZ 2015, 957, 964 f.; siehe auch Fleischer, in: Mysterium „Gesetzesmaterialien“, 1, 14 ff. 130 Ansonsten ist damit eine Verschiebung der „Grenzen der Normsetzungsmacht von der Gesetzgebung auf die Gerichte“ verbunden, wie Kargl zutreffend anmerkt, Kargl, Strafrecht, S. 325. 131 Heck, Gesetzesauslegung und Interessenjurisprudenz, S. 69; Kramer, Juristische Methodenlehre; S. 151 f.; Mennicken, Das Ziel der Gesetzesauslegung, S. 23 f. 132 Vgl. Heck, Gesetzesauslegung und Interessenjurisprudenz, S. 69. Ein Abstellen auf das Verständnis des Normadressaten, der hier zugleich die Gerichte sind, ist daher nicht angängig, so auch Looschelders/Roth, Methodik im Prozeß der Rechtsanwendung, S. 13 f., 31.

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enauffassung“133, die den Gebrauch der geltungszeitlichen Sprachkonvention im Zeitpunkt der Rechtsanwendung untermauern könnte, auch für diejenigen Normen zu gelten hat, die sich ersichtlich an Personen vom Fach richten, wie z. B. die Normen der Strafprozessordnung. Diesen könnte eher zugemutet werden, auch Rückgriff auf die Materialien des Gesetzgebungsprozesses zu nehmen, um sich ein Bild von dem vom Gesetzgeber Intendierten zu machen. (d) Das „Ergänzungsargument“ oder „Rechtsfortbildungsargument“ Das stärkste Argument, das für die objektive Auslegungstheorie vorgebracht wird, ist zugleich dasjenige, was das größte Unbehagen auslöst: Das Ergänzungsargument, auch Rechtsfortbildungsargument genannt.134 Während der Gesetzgeber nur diejenigen Lebensumstände und Gegebenheiten berücksichtigen kann, die bis zu dem Zeitpunkt des Normerlasses bestehen bzw. angelegt sind, so überdauert eine Norm diese Motivationswelt der Vergangenheit und soll in Gegenwart und Zukunft Antworten für den Einzelfall finden.135 Sofern das Gesetz keine Antwort auf den im Anwendungsfall vorliegenden Einzelfall bietet, so soll der Auslegende dem Gesetz einen neuen Deutungsgehalt zukommen lassen, indem er im Rahmen des Wortlautes und der dem Gesetz innewohnenden Zwecke die Norm an die neuen Anforderungen anpasst.136 Es versteht sich auf den ersten Blick nicht, warum es sich bei dieser „Umdeutung“ noch um „Auslegung“ handeln soll. Richtigerweise handelt es sich hierbei um einen eigenen schöpferischen Akt137 des Auslegenden – aber fernab des vom Gesetz ursprünglich Intendierten und damit auch um eine Loslösung von der in Art. 20 III, 97 I GG verfassungsrechtlich verankerten Gesetzesbindung und ist schwer mit der verfassungsrechtlichen Gewaltenteilung im Verhältnis von Legislative und Judikative zu vereinbaren.138 Sie schafft dem Rechtsanwender Freiheit scheinbar auf der Grundlage des Gesetzeswortlautes, indem der alten Gesetzesform neuer Inhalt eingehaucht wird; und diese Freiheit war auch von den „Objektivisten“ gewollt.139 Es dürfte aber offensichtlich sein, dass es sich hierbei tatsächlich um Rechtsfortbildung handelt und es sich – vor allem dann, wenn der schöpferische Akt 133

Heck, Gesetzesauslegung und Interessenjurisprudenz, S. 69. Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 152; Mennicken, Das Ziel der Gesetzesauslegung, S. 24, 27 f. 135 Vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 318: „Wer das Gesetz jetzt auslegt, sucht in ihm eine Antwort auf die Fragen seiner Zeit.“, vgl. auch S. 333; Zweigert, Studium Generale 7 (1954), 380, 383. 136 Heck, Gesetzesauslegung und Interessenjurisprudenz, S. 68; Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 152 ff.; Mennicken, Das Ziel der Gesetzesauslegung, S. 24, 27 f.; Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 628. 137 Radbruch spricht dabei sogar von der Auslegung insgesamt als Akt „schöpferischer Ergänzung des Textes“, Radbruch, Einführung in die Rechtswissenschaft, S. 169. 138 So i. E. auch Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 631; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 810 ff.; siehe auch Mennicken, Das Ziel der Gesetzesauslegung, S. 41 f. 139 Jan Schröder, Recht als Wissenschaft, S. 332; Haferkamp, ZfPW 2016, 319, 322; in dieser Einschätzung auch Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 808. 134

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nicht offenbar gemacht wird – um Rechtsergänzung unter dem Deckmantel der Auslegung handelt; also um methodenunehrliche und verfassungsrechtlich bedenkliche „verdeckte Rechtsfortbildung“.140 Innerhalb der objektiven Auslegungstheorie wird dieses Problem als solches nicht erkennbar, da ihre Prämisse, das „hermeneutische Argument“, das theoretische Gerüst dafür liefert, sich von der Mitgift des Gesetzgebers zu lösen und diesen Inhalt als unbedeutend zu klassifizieren, wodurch dem Subjekt des Auslegenden die Inhaltsbestimmung letztlich abschließend zukommt. Damit wird die „objektive“ Auslegungstheorie letztlich eine „subjektive“.141 Diese Umkehrung des Verhältnisses von Normsetzer zu Normanwender ist der größte und durchschlagendste Einwand gegen die objektive Auslegungstheorie.142 Und genau hierauf gründen sich die Kombinationslösungen, welche versuchen, diesen Einwand jedenfalls abzuschwächen, damit das Auslegungsergebnis „nicht dem Gutdünken des Auslegers überlassen bleib[t]“143, indem sie die subjektiv-historischen Zwecke des Gesetzgebers berücksichtigen wollen. Auch wenn das Ergänzungsargument der objektiven Auslegungstheorie möglicherweise das stärkste der Befürworter ist, sollte wiederum bedacht werden, dass sich die subjektive Auslegungstheorie dem Gedanken nicht verschließt. Sie verortet diese Materie allerdings nicht im Bereich der Auslegung, sondern auf Ebene der Rechtsfortbildung und dort unter Offenlegung dieser.144 Damit ist auch bei Anwendung einer grundsätzlich subjektiven Auslegungstheorie eine Anpassung des Rechts an den geltungszeitlichen Kontext möglich, sofern die Voraussetzungen der Rechtsfortbildung bestehen.145 Von daher sind die Möglichkeiten, die der objektiven Auslegung mit dem Ergänzungsargument zugeschrieben werden, keine, für die die subjektive Auslegung nicht selbst auch eine, wenn auch eingeschränktere, Antwort hätte.

140 Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 813 ff.; so auch der Titel und das Thema der Habilitationsschrift von Christian Fischer, der zu dem Ergebnis kommt, dass diese unzulässig sind, Christian Fischer, Topoi verdeckter Rechtsfortbildungen im Zivilrecht, S. 437, 510, 532 f. 141 Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 631: „[…] ,subjektive‘ Auslegung ist objektiv, ,objektive‘ Auslegung ist subjektiv.“; Reimer, Juristische Methodenlehre, Rn. 258; Rüthers/ Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 820. 142 „Mit der objektiven Theorie haben sich Gerichte von Dienern zu Herren des Gesetzes aufgeschwungen“, befinden Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 631. 143 So schreibt es zumindest Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 319. Dies relativiert sich allerdings schon dann, sobald er Gesetzesauslegung und Rechtsfortbildung „nicht als wesensverschieden […], sondern nur als voneinander verschiedenen Stufen desselben gedanklichen Verfahrens“ ansieht und hier „dem Gericht selbst vielfach noch nicht bewusste Rechtsfortbildung“ als zulässig attestiert, S. 366. Siehe auch Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 810. 144 Mennicken, Das Ziel der Gesetzesauslegung, S. 45; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 730b ff., 813 f. 145 Vgl. Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 628.

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bb) Stellungnahme Es zeigt sich, dass für die subjektive wie auch objektive Auslegungstheorie vielfältige Argumente dargebracht werden, die sich oftmals komplementär ergänzen. Jedem Pro-Argument auf der einen Seite wird ein Kontra-Argument auf der anderen Seite gegenübergestellt.146 Der Methodenstreit hat von seiner Aktualität bis heute nichts verloren, ohne dass er einer Lösung nähergebracht wurde. Die Argumente sind umfassend ausgetauscht – man kann sie überzeugend finden oder nicht. Die Entscheidung für die eine oder die andere Ansicht scheint eher einem „Kulturkampf“147, dem Zusammenstoßen von „Weltanschauungen“148 oder einer Entscheidung mit „Bekenntnischarakter“149 zu entsprechen als einer Entscheidung für einen richtigen Weg. Richtigerweise handelt es sich nicht um eine Frage des Bekenntnisses, da juristische Methodik in einer aufgeklärten Gesellschaft nicht in Verbindung mit Glauben oder religionsartigen Weltanschauungen steht. Es ist auch keine Wissensfrage über „richtig“ oder „falsch“, Fakt oder nicht, sondern es ist vor allem in Anbetracht der Verantwortung des Richters vor den Menschen und der Verfassung mit der Unterwerfung des Richters unter Gesetz und Recht (Art. 20 III, 97 GG) eine Gewissensfrage.150 Diese ist verbunden mit der Pflicht zu einem hinterfragenden und selbstkritischen Vorgehen im Bewusstsein der Verantwortung, die mit der Anwendung der Methodik und letztlich des Rechts einhergeht. Auch wenn Verfassung und einfaches Gesetz keine Methodik ausdrücklich vorgeben, so gibt die Verfassung dem Richter Unabhängigkeit unter der Bedingung, dass er sich dem Gesetz unterwirft, welches der Rückkopplung mit dem Willen des Volkes als Souverän dient.151 Rechtsetzung ist die Aufgabe der Legislative und nur nachrangig die der Rechtsprechung.152 Es kann an dieser Stelle nicht zulässig sein, 146 Siehe zur umfassenden Darstellung der Pro- und Kontra-Argument und deren letztlichen Stichhaltigkeit die Schrift von Mennicken, Das Ziel der Gesetzesauslegung, S. 30 ff. 147 Entsprechend dem Titel des Werks von Fuchs, Juristischer Kulturkampf. 148 So Jan Schröder, ZfPW 2016, 307, 318. 149 Vgl. Reimer, Juristische Methodenlehre, Rn. 247 150 Plakativ drückt Kaufmann die Bedeutung des Gewissens für den Rechtsanwender aus, welche sich auf die Auswahl der Rechtsmethodik übertragen lässt: „Des richterlichen Gewissens bedarf es weit weniger zur Korrektur des Gesetzes als vielmehr zur Erfüllung des Gesetzes.“ Kaufmann, Rechtsphilosophie im Wandel, S. 160; siehe zur Bedeutung des Gewissens und der Geltung von Recht auch Kaufmann, Rechtsphilosophie im Wandel, S. 140 ff. und Kaufmann, Über Gerechtigkeit, S. 125 ff. 151 Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 708. Dieses Erfordernis findet sich in der Notwendigkeit von demokratischer Legitimation auch der rechtsprechenden Gewalt wieder, siehe dazu z. B. BVerfGE 83, 60, 71 f.; 107, 59, 86 f.; Grzeszick, in: Maunz/Dürig-GG, Art. 20 Rn. 107, 235 ff.; Hillgruber, in: Maunz/Dürig-GG, Art. 97 Rn. 27. Siehe dazu auch vertiefend Wittreck, Die Verwaltung der Dritten Gewalt, S. 125 ff. 152 Vgl. Looschelders/Roth, Juristische Methodik im Prozeß der Rechtsanwendung, S. 51 ff.; siehe auch Rüthers, Die heimliche Revolution vom Rechtsstaat zum Richterstaat, S. 75 f.

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dass der Richter dort, wo die Gesetzgebung als der Primat der Rechtsetzung tätig geworden ist, sich über deren festgelegten Regelungsinhalt hinwegsetzt und sich durch die Wahl seiner Methodik dem Gesetz anstelle des Gesetzgebers einen Inhalt gibt, den er selbst für richtig oder wünschenswert hält.153 Es ist Aufgabe der Gerichte, den gesetzgeberischen Willen zur Geltung zu bringen.154 Aus diesem Grunde muss das vorrangige Auslegungsziel ganz eindeutig sein, mit den Auslegungsmitteln den Willen des Gesetzgebers zu erkennen. Erst dort, wo dieses Auslegungsziel lückenhaft oder unergiebig bleibt, besteht überhaupt Raum, weitere Kriterien anzulegen. Ob dann auf eine ergänzende, aber subsidiäre „objektive“155 Auslegung des Gesetzes zurückzugreifen ist (sofern hier nicht vielleicht doch ein Exklusivitätsverhältnis zwischen beiden Auslegungstheorien besteht156),157 oder ob es nun eines offenzulegenden schöpferischen Rechtsfortbildungsaktes des Rechtsanwenders bedarf,158 ist dann in einem zweiten Schritt zu ermitteln. Letzteres Vorgehen erscheint hierbei das Richtige, wobei die Unbehagen auslösenden Einwände gegen die rein objektive Auslegungstheorie im Ergebnis dann nicht durchschlagen, wenn der Vorrang der subjektiven Auslegung wirkt und eine Offenlegung des Vorgehens erfolgt, folglich also Sicherungen bestehen, damit der festgestellte Wille des Gesetzgebers nicht heimlich umgangen wird.159 Unbestritten kann daher wohl sein, dass eine umfassende Aufklärung der gesetzgeberischen Intentionen für ein umfassendes Verständnis des Norminhalts, da wo sie erforschbar sind, notwendig ist. Insoweit steht außer Frage, dass der subjektivhistorische Wille des Gesetzgebers, der beim Erlass der Normen gegeben war, mit den Auslegungsmitteln zu ermitteln ist, was auch hier vorgenommen werden soll. Ob darüber hinaus ein Rückgriff auf objektiv-teleologische Erwägungen überhaupt notwendig wird, wird erst dann relevant werden, wenn die Auslegungsmittel im Zuge der Auslegung widersprechende Ergebnisse aufweisen. Objektiv-teleologischen 153 Vgl. z. B. BVerfGE 113, 88, 103; Looschelders/Roth, Methodik im Prozeß der Rechtsanwendung, S. 51 ff., 61; Reimer, Juristische Methodenlehre, Rn. 255; Meyer, in: Münch/Kunig-GG, Art. 97, Rn. 32; Sachs, in: Sachs-GG, Art. 20 Rn. 120. 154 So zutreffend Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 628. 155 Auch wenn regelmäßig von Kombinationslösungen oder Vereinigungstheorien gesprochen wird, so erscheint die erfolgende, ergänzende objektive Auslegung bei unergiebiger subjektiver Auslegung nicht als eine solche nach objektiven Auslegungsverständnis, sondern um die Hinzuziehung außerhalb der unmittelbar gesetzlichen Motive stehenden weiteren argumentativen Erwägungen. 156 Immerhin visieren objektive und subjektive Auslegungstheorie unterschiedliche Auslegungsziele an, ein Ausweichen auf ein anderes Auslegungsziel im Vorgang der Auslegung stellt vielmehr einen Bruch dar und löst Widersprüche in der Methodenlehre aus. Ähnlich auch Wank, Juristische Methodenlehre, § 6 Rn. 152 ff. 157 So bspw. Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 143 f.; Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 632; wohl auch Reimer, Juristische Methodenlehre, Rn. 251, 253 f.; vordergründig auch Larenz, S. 344, mit aber primär objektivem Ansatz; ebenfalls mit objektivem Ansatz Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 154 ff. 158 So Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 730d. 159 Vgl. Reimer, Juristische Methodenlehre, Rn. 251, 253 f.

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Erwägungen wird jedoch mit Vorsicht begegnet, wenn sie sich auf „Normzwecke“ berufen, die außerhalb der Auslegung identifiziert werden.160 Freie Beliebigkeit des Rechtsanwenders wird auch hier nicht zugestanden werden können, sondern es ist vielmehr zu erarbeiten, was in der Fortentwicklung dem mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers entsprechen dürfte.161 b) Zu den Problemen der Auslegungsmittel Nachdem die grundlegende Vorfrage des Auslegungsziels diskutiert wurde, sind nun die Auslegungsmittel näher zu betrachten, mit denen das Auslegungsziel erfasst werden soll. Auch hier ist vieles unklar, aber die Fronten in der Diskussion sind nicht derart verhärtet, wie es bei der Frage des Auslegungsziels der Fall ist. Bei der Betrachtung der Auslegungsmethoden ist es neben der tatsächlichen Zahl der Auslegungsmittel auch deren Inhalte wie auch ihre Rangfolge zueinander, die ungeklärt sind. Der Sachstand ist im Detail undurchsichtig. Im Allgemeinen aber lassen sich jedoch die, auf die Savigny’schen Canones gründenden, klassischen Auslegungscanones als in der Methodenlehre anerkannt annehmen, die jedenfalls die Auslegung nach Wortlaut, Systematik und Historie umfassen.162 Die Teleologie als Auslegungsmittel hingegen ist gerade bei rein subjektiven Auslegungstheorien, aus den oben angeführten Gründen, hochumstritten und hierbei kein Auslegungsmittel.163 Hierneben werden noch Weiterentwicklungen der Savigny’schen Canones diskutiert, wie die systemkonformen Auslegungen164 als auch die Hinzuziehung weiterer Kriterien wie rechtsvergleichende Auslegung, und auch Argumentationsfiguren wie Folgenorientiertheit oder ökonomische Betrach-

160 Plakativ formulieren es Rückert/Seinecke, in: Methodik des Zivilrechts – Von Savigny bis Teubner, in der Überschrift vor Rn. 56: „Obacht mit dem Telos“; vgl. zur Feststellung von Normzwecken Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 725. 161 Siehe dazu Looschelders/Roth, Juristische Methodik im Prozeß der Rechtsanwendung, S. 65 f. 162 Diese Auslegungsmittel kommen eigentlich bei allen deutschsprachigen Methodenlehren vor. Stellvertretend seien hier für die Vielzahl an Publikationen genannt: Bydlinski, Juristische Methodenlehre, S. 436 ff.; Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 113 ff.; Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 66 ff.; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 320 ff.; Müller/Christensen, Juristische Methodik I, Rn. 351 ff., hier allerdings als Mittel der Normkonkretisierung nach dieser spezifischen Theorie; Reimer, Juristische Methodenlehre, Rn. 274, 281 ff.; Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 613 ff.; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 727, 731 ff.; Vesting, Rechtstheorie, 196. Auch Kaufmann, Das Verfahren der Rechtsgewinnung, S. 65 nimmt in seinem letzten großen Werk zur Entwicklung einer juristischen Methodenlehre die Savigny’sche Methodenlehre und dessen Canones als Grundlage. 163 Insbesondere Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 725 ff. 164 Siehe dazu insgesamt besonders Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, Kapitel 2; zur verfassungskonformen Auslegung auch Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 339 ff.

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tungen werden diskutiert.165 Die hinzugetretenen Kriterien werden zum Teil als Spielarten der hergebrachten Canones verstanden, teilweise als eigene Auslegungen bzw. als Fragen der Rechtsanwendung.166 Die Einordnung bleibt also hier auch vielfältig und unklar. Dem dahingestellt, werden aber diese weiteren Gesichtspunkte, ob nun eigene Auslegungsmittel oder Spielarten der althergebrachten oder eben Fragen der Rechtsanwendung, jedenfalls bei der Erfassung des Normzwecks und der Problembewältigung, Berücksichtigung finden müssen.167 Neben der konkreten Anzahl168 der Auslegungsmittel sind auch ihre Grenzen untereinander zuweilen schwer zu ziehen.169 Im Hinblick auf die Rangfolgen170 der Auslegungsmittel gibt es unterschiedlichste Herangehensweisen. Gerade diejenigen Ansichten, die objektiv-teleologische Ansätze verfolgen, lassen z. B. der teleologischen Auslegung in der Regel den Vorrang gebühren und lassen die historische Auslegung teilweise völlig außer Betracht.171 Aber auch subjektiv-teleologische Ansichten geben dem erkennbaren Gesetzgeberwillen bei Kollision mit anderen Auslegungsmitteln, z. B. der systematischen Auslegung, im Zweifel durchaus den Vorrang, wenn dieser erkennbar wird und zur Korrektur geeignet ist.172 Eine Einhegung soll in vielen Fällen (eine zulässige Auslegung contra legem ausgenommen) aber vor allem durch den Wortlaut als Grenze stattfinden.173 Eine allgemeine Gültigkeit 165

Siehe dazu im Überblick Reimer, Juristische Methodenlehre, Rn. 381 ff.; vertiefend die Ausführungen von Möllers, Juristische Methodenlehre, § 4 Rn. 32; § 5 Rn. 56 ff. 166 Als Frage der Rechtsanwendung werden regelmäßig die systemkonformen Auslegungsarten verstanden, Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 762a ff.; siehe auch Reimer, Juristische Methodenlehre, Rn. 630 ff. 167 Vgl. Möllers, Juristische Methodenlehre, § 4 Rn. 32 f.; Reimer, Juristische Methodenlehre, Rn. 412. 168 Reimer, Juristische Methodenlehre, Rn. 279: „[…] die vier hergebrachten Kanones [bilden] keinen numerus clausus der Auslegungsgesichtspunkte.“ 169 Z. B. für die Auslegung nach dem Wortsinn, der mit anderen Interpretationsmethoden verflochten sein kann, insbes. der systematischen Auslegung, Müller/Christensen, Juristische Methodik I, Rn. 359, siehe zur fehlenden Trennschärfe der Auslegungsmittel auch Rn. 96. 170 Siehe zur Rangfolgendiskussion auch Josef Esser, Vorverständnis und Methodenwahl, S. 7, 121 ff.; Looschelders/Roth, Juristische Methodik im Prozeß der Rechtsanwendung, S. 192 ff.; Möllers, Juristische Methodenlehre, § 1 Rn. 85 ff.; Morlok, in: Subsumtion, 179, 181 f.; Müller/Christensen, Juristische Methodik I, Rn. 433 ff.; Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 612, 631 f.; Vesting, Rechtstheorie, Rn. 199; Gern, VerwArch 80 (1989), 415, 423 f.; siehe m.w. N. Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 201 ff.; siehe auch Fikentscher, Methoden des Rechts III, S. 684. Kaufmann, Das Verfahren der Rechtsgewinnung, S. 93 fasst die Diskussion um die Rangfolge der Auslegungsmittel plakativ mit den Worten zusammen: „Was dies angeht, so kann man an der Gewinnung einer rationalen Rangfolge allerdings verzweifeln.“ 171 So letztlich die Rechtsprechung des BVerfG, siehe z. B. BVerfGE 1, 299, 312; siehe auch Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 784 ff.; siehe zur Bedeutung des historischen Arguments als Auslegungsmittel Würdinger, Rechtskultur 2 (2013), 79 ff. 172 So z. B. Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 728. 173 So auch BVerfGE 71, 108, 115: Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 343; Möllers, Juristische Methodenlehre, § 4 Rn. 65 f.; Reimer, Verfassungsprinzipien, S. 142 f.;

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einer Rangfolgenregelung der einzelnen Auslegungsmittel lässt sich aber nicht erkennen. Vielmehr läuft die abschließende Entscheidung auf eine subjektive Wertung des Rechtsanwenders hinaus nach mehr oder weniger definierten Kriterien.174 Bei der Vielzahl und der Unübersichtlichkeit des Methodenspektrums stellt sich die Frage, ob nicht ein Blick auf die Herkunft der Canones dabei helfen kann, zu diesen Fragen Lösungsansätze zu finden und mit diesen Erkenntnissen in der Bearbeitung umzugehen. aa) Exkurs: Lösungssuche bei den Ursprüngen des Auslegungskanons Bei dem modernen Auslegungskanon handelt es sich im Wesentlichen um die rezipierte Weiterentwicklung des Wirkens von Friedrich Carl von Savigny, der vor allem in seinem achtbändigem Werk „System des heutigen Römischen Rechts“ den zu seiner Zeit gegebenen Sachstand in der juristischen Methodenlehre und -diskussion zusammenfasste, deren Wurzeln über das Kanonische bis in das Römische Recht zurückreichen.175 Mit seinem vierteiligen Auslegungsvorgang von Betrachtung des grammatischen, logischen, historischen und systematischen Elements der Norm, haben die sogenannten Savigny’schen Canones die moderne Methodenlehre maßgeblich beeinflusst und besitzen in einer modifizierten Form bis heute ihrem Wesen nach Gültigkeit.176 Die Ermittlung des im Gesetz niedergelegten Rechtssinnes177 war seiner Ansicht nach mit der Anwendung der Canones, bei der sich der Auslegende in die Rolle des Gesetzgebers zu versetzen habe und den Gesetzgebungsprozess „künstlich wiederhol[t]“ und dadurch „das Gesetz in [seinem] Denken von Neuem entstehen [lässt]“, vollendet, wobei dieses unter Vereinigung aller Elemente178 erfolgen müsse – auch wenn natürlich dann und wann das eine oder andere wichtiger und sichtbarer Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 614 ff.; Vesting, Rechtstheorie, Rn. 197; Deckert, JA 1994, 412, 415. 174 Eine Visualisierung für Beispiele eines solchen Vorgangs findet sich in Schaubildern bei Möllers, Juristische Methodenlehre, § 6 Rn. 59, § 13 Rn. 118. 175 Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 699. Ein lesenswerter und erhellender „Crashkurs“ zum Wirken Savignys findet sich bei Rückert, in: Methodik des Zivilrechts – Von Savigny bis Teubner, Rn. 73 ff.; vertiefend dazu Meder, Mißverstehen und Verstehen; Rückert, in: Theorie der Interpretation vom Humanismus bis zur Romantik, 287 ff. und die Werke von Rückert, Idealismus, Jurisprudenz und Politik bei Carl Friedrich von Savigny sowie von Reutter, Objektiv Wirkliches. 176 Savigny, System I, S. 213 f.; Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 66 f.; Möllers, Juristische Methodenlehre, § 4 Rn. 22 ff.; Morlok, in: Subsumtion, 179; Reutter, Objektiv Wirkliches, S. 342; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 699 ff. 177 Savigny, System I, S. 213 nutzt hierfür den Begriff „Gedanke“ da er den „geistigen Inhalt des Gesetzes am bestimmtesten bezeichnet“ sieht; der Begriff „Sinn“ sei aber „nicht weniger richtig“, siehe dazu die Anmerkung (a) auf der Seite. 178 Savigny, System I, S. 215 nutzte die Begriffe „Elemente“ und „Thätigkeiten“ und verwendete ausdrücklich nicht die Formulierung „Arten der Auslegung“.

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hervortreten möge als andere.179 Insofern lässt sich zwischen den heute anerkannten Auslegungsmitteln und den Begrifflichkeiten Savignys in Bezug auf dessen Elemente der Auslegung eine gewisse Kongruenz erkennen sowie ein scheinbar auch mögliches Konkurrenzverhältnis der einzelnen Auslegungselemente zueinander.180 Es stellt sich dann aber die Frage, weshalb Savigny in seinen umfassenden Werken und der Entwicklung seiner Methodologie die Rangfolge und Hierarchie der einzelnen Elemente zueinander nicht auch geklärt hat. Die Antwort ist erstaunlich simpel: Er brauchte diese Frage nicht zu klären. Das Rangfolgenproblem stellt sich bei Savigny als solches unter der Verwendung seiner vier Elemente nicht.181 Die hier bisher dargestellte Zusammenfassung lässt nämlich bewusst noch den Gesamtzusammenhang der Auslegungstechnik Savignys aus dem Blick, was den üblichen Fehler bei der Darstellung der einzelnen Textpassagen aus dem System darstellt und Ursprung der verbreiteten Missverständnisse von Savignys Methodologie darstellt. Joachim Rückert spricht hier von der Nutzung kontextloser „Traditionszitate“.182 Das spezifische Methodenproblem der inneren Rangfolge ist vielmehr eine Auswirkung einer verkürzten Rezeption der Savigny’schen Canones und, viel schwerwiegender noch, einer Loslösung seiner einheitlichen Methodik aus deren metaphysischen Kontext der historischen Rechtsschule;183 denn das Verfahren diente zum Erkennen eines aus dem Volksgeist entspringenden objektiv wirklichen, also bereits bestehenden und historisch gewachsenen, Rechts, wodurch Savigny in hegelianischer Geistestradition steht.184 Das Recht besteht schon, es ist mit seinem Inhalt und der Methodik Savignys nachzuzeichnen und letztlich festzustellen, was auch Aufgabe der Gesetzgebung, Rechtsanwender und Rechtswissenschaft sein soll, womit sich seine Methodik als ein hermeneutischer Aufnahme- und Verstehensprozess begreifen lässt.185 In dieser Tradition steht das heutige Rechtsverständnis 179

Savigny, System I, S. 212 ff. Allerdings hat hier sehr wohl eine Verschiebung bei den Begriffsbedeutungen stattgefunden Josef Esser, Vorverständnis und Methodenwahl, S. 121; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 700, 702. 181 Nach Savigny, System I, S. 215 besteht die Auslegung aus den vier Elementen, die „vereinigt wirken müssen“, also einen einheitlichen Vorgang darstellen und damit sind sie gerade nicht „Arten der Auslegung, unter denen nach Geschmack und Belieben gewählt werden könnte“; Reutter, Objektiv Wirkliches, S. 440 f.; Rückert, in: Theorie der Interpretation vom Humanismus bis zur Romantik, S. 287, 292 f. 182 Rückert, in: Methodik des Zivilrechts – Von Savigny bis Teubner, bspw. in Rn. 76, 79, 90, 93, 156. 183 Rückert, in: Methodik des Zivilrechts – Von Savigny bis Teubner, Rn. 202; Rüthers/ Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 451 ff., 701 ff. Siehe auch zur Bedeutung der Geschichtlichkeit des Rechts im Verständnis Savignys Reutter, Objektiv Wirkliches, S. 92 ff. 184 Savigny, Vom Beruf unserer Zeit, S. 8 ff.; Savigny, System I, S. 13 ff.; Reutter, Objektiv Wirkliches, S. 167 ff., 436 ff., 439 f.; Rückert, in: Methodik des Zivilrechts – von Savigny bis Teubner, Rn. 81, 115 ff.; Eisenhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, Rn. 712; Köbler, Deutsche Rechtsgeschichte, S. 194 f.; Jan Schröder, Recht als Wissenschaft, S. 194 ff. 185 Savigny, System I, S. 206; Rückert, in: Methodik des Zivilrechts – Von Savigny bis Teubner, Rn. 99. 180

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aber nicht mehr. Recht ist danach nichts aus dem Volksgeist rational Gewachsenes, objektiv Reales mehr, sondern von den Gesetzgebungsinstitutionen gewillkürtes, positives und gar zufällig gesetztes Recht.186 Dieser Umstand, der Wechsel der Rechtsvorstellungen, fällt im Übrigen in dieselbe Zeit, in der auch die Voraussetzungen für den heutigen Methodenstreit zwischen objektiver und subjektiver Auslegungstheorie gelegt wurden.187 Des Weiteren wird schnell übersehen, dass die Methodik der Auslegung von Savigny ein Ganzes im Blick hat und zunächst am konzeptionellen Normallfall des „gesunden Zustands des Gesetzes“188 entwickelt wird, bei der die Betrachtung des grammatikalischen, logischen, historischen und systematischen Elements für einen vollendeten Zugang189 genügen und sodann für die „mangelhaften Zustände“190, welche damals den praktischen Normalfall darstellten, um weitere Hilfsaspekte erweitert wird.191 Hier bezieht Savigny auch Stellung zu einer Rangfolge der einzelnen Hilfsmittel.192 Also kurz gesagt: Der übliche Auslegungskanon aus Grammatik, Logik, Historie und Systematik diente dem vollständigen Erfassen und Verstehen eines bereits im gesunden Gesetz vollkommen zum Ausdruck kommenden Rechtsgedankens.193 Es geht bei Savignys Auslegungselementen also gerade nicht darum, dass mit ihnen etwas Unklares oder nicht aus dem Text Erkennbares ergründet werden solle, wie bei den Gesetzen im mangelhaften Zustand. Nicht zuletzt wird auch regelmäßig verkannt, dass Savigny die Methodik am Beispiel des Gesetzes in seinem System erschließend entwickelt, das Gesetz aber nur eine Rechtsquelle von verschiedenen darstellt, seine Methodik aber auf alle weiteren Rechtsquellen übertragbar sein soll und eben nicht bloß verengt auf Gesetze in dem damaligen und 186 Jan Schröder, ZfPW 2016, 307, 308 f.; siehe vertiefend dazu Jan Schröder, Recht als Wissenschaft, S. 281 ff. 187 Vgl. dazu oben Zweites Kapitel: A. I. 2. a). 188 Das sind jene Gesetze, bei denen „der Ausdruck einen in sich vollendeten Gedanken darstellt, und kein Umstand vorhanden ist, der uns hindert, diesen Gedanken als wahren Inhalt des Gesetzes anzuerkennen“, Savigny, System I, S. 222; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 701. 189 Savigny, System I, S. 319 formuliert die Auslegung nicht mangelhafter Gesetze als „edelste und fruchtbarste Anwendung der Auslegung, welche darauf ausgeht, […] den ganzen Reichthum ihres Inhalts und ihrer Beziehungen zu enthüllen“; denn eigentlich bedürfte es in diesem Bereich keiner besonderen Auslegung des Gesetzes mehr, weil der in ihm zum Ausdruck gebrachte Gedanke bereits aus sich heraus erkennbar ist; so auch Rückert, in: Methodik des Zivilrechts – Von Savigny bis Teubner, Rn. 143. 190 Hier unterscheidet Savigny zwischen Gesetzen mit unbestimmtem und unrichtigem Ausdruck des innewohnenden Gedankens, Savigny, System I, S. 222 ff.; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 701. 191 Reutter, Objektiv Wirkliches, S. 315 ff.; Schroth, in: Einführung in die Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart, 243, 256 f. 192 Savigny, System I, S. 222, 225, 228 f.; Rückert, in: Methodik des Zivilrechts – Von Savigny bis Teubner, Rn. 145; Rückert, in: Theorie der Interpretation vom Humanismus bis zur Romantik, 287, 293. 193 Rückert, in: Theorie der Interpretation vom Humanismus bis zur Romantik, 287, 292 f.

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unserem heutigen Verständnis.194 Das ist deshalb möglich, weil das Recht nach seinem Verständnis eben auch ohne Zutun eines Gesetzgebers existiert. Die Herauslösung des am Römischen Recht entwickelten Auslegungsprogramms Savignys aus seinem metaphysischen Kontext und anschließender abstrahierter Rezeption führen dazu, dass es in seiner Systematik auseinanderbricht und in seiner originären Verwendung als einheitlicher Auslegungsvorgang mit seinen vier gleichmäßig im Blick zu haltenden Elementen versagt, wenn es nunmehr in einem gewandelten Rechtsverständnis und in der Gegenwart einer modernen Verfassungsgesetzgebung mit überwiegend kodifiziertem Recht – das dürfte zu Savignys Zeit eher die Ausnahme als die Regel gewesen sein, wie sich aus dem Kodifikationsstreit zwischen Savigny und Thibaut erkennen lässt –195 fast nur noch in Bezug auf die Rechtsquelle Gesetz zur Anwendung gebracht wird.196 Dies erscheint überhaupt nicht verwunderlich. Die einzelnen Elemente der Auslegung nach Savignys ganzheitlichem Verständnis wandeln sich zu einem Sammelsurium an einzelnen irgendwie in Verbindung zueinanderstehenden Auslegungsmethoden. Sie bewegen sich weg von einem Verstehensprozess des objektiv Wirklichen, durch „Reconstruction“197 des dem Gesetz „inwohnenden Gedankens“198, welcher von einem idealen Volksgeist erzeugt wurde, durch Simulation des Gesetzgebungsprozesses aus der Stellung – und damit ist „Standpunkt“ gemeint und nicht intentionell-psychologische Sicht –199 des Gesetzgebers, hin zu einem Erkenntnisprozess einer „im Dunkeln liegenden Sache“, durch (Re)Konstruktion des subjektiven Gesetzgeberoder objektiven Gesetzeswillens; einen im Gesetz zum Ausdruck kommenden kommunikativen Befehl des Gesetzgebers an den Rechtsanwender, der zu interpretieren ist.200 Erst mit dieser Trennung und Umdeutung ergibt sich das Rangfolgenproblem der Auslegungsmittel.

194 Savigny, System I, S. 207: „Eine solche Aufnahme des Rechts ist denkbar und nothwendig bey allen Arten der Rechtsquellen.“ Und Savigny, System I, S. 254: „[D]enn jene Grundsätze [der Gesetzesauslegung] sind ihrem inneren Wesen auf jede andere Form juristischer Gedankenbildung eben so anwendbar, als auf Gesetze, obgleich die Entwicklung derselben zunächst um der Gesetze Willen nothwendig war.“; Reutter, Objektiv Wirkliches, S. 314; Rückert, in: Methodik des Zivilrechts – Von Savigny bis Teubner, Rn. 136, 146; Rückert, Idealismus, Jurisprudenz und Politik bei Friedrich Carl von Savigny, S. 352 f.; Rückert, in: Theorie der Interpretation vom Humanismus bis zur Romantik, 287, 302. 195 Siehe dazu die Streitschriften von Savigny und Thibaut abgedruckt bei Hattenhauer, Thibaut und Savigny; Eisenhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, Rn. 688 ff. 196 Vgl. Rückert, in: Methodik des Zivilrechts – Von Savigny bis Teubner, Rn. 99 ff. 197 Savigny, System I, S. 213. 198 Savigny, System I, S. 213. 199 Vgl. Rückert, in: Theorie der Interpretation vom Humanismus bis zur Romantik, 287, 315. 200 Vgl. Mennicken, Das Ziel der Gesetzesauslegung, S. 11; Rückert, in: Methodik des Zivilrechts – Von Savigny bis Teubner, Rn. 99 f., 145, 148; Rückert, in: Theorie der Interpretation vom Humanismus bis zur Romantik, 267, 292.

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Diese freilich konzentrierte und verkürzte Darstellung beansprucht nicht, das Wirken Savignys in vollem Umfang zu erfassen. Das wäre auch mehr als vermessen, da dessen Werk sich nicht auf wenigen Seiten zusammenfassen lässt. Und dennoch genügt diese Darstellung, um sicher festzuhalten, dass Savignys Methodologie, wie sie heute angewendet wird, in ihrem Grundsatz missverstanden wurde.201 Die von Savigny entwickelten Werkzeuge zur Auslegung funktionieren in unserer heutigen Rechtswelt nicht. Neben den Auslegungselementen versagen seine Lösungen für etwaige Konkurrenzfragen mit der Herauslösung des Methodenprogramms aus seinem Zusammenhang ebenfalls – und dennoch stellen die Savigny’sche Canones, trotz einer nur bedingten Übertragbarkeit auf das gegenwärtige Rechtsverständnis, heute bei der Sinnerfassung des Gesetzes das non plus ultra dar.202 bb) Schlussfolgerungen Auch wenn die vorherige Darstellung gezeigt hat, dass die Genese des heutigen Auslegungskanons bedauerlicherweise keine definitive Lösung zu den Methodenproblemen bereithält, so hat sie dennoch den Ursprung der heutigen Methodenproblematik etwas erhellen können. Jenes entscheidende Defizit erkannt, lassen sich hieraus gleichwohl ertragreiche Erkenntnisse für das weitere Vorgehen mit diesem Wissen, wie sich gleich zeigen wird, ziehen. Die rezipierten Canones Savignys haben in ihrer heutigen Anwendung ihre Schwächen; das dürfte deutlich geworden sein. Selbstverständlich ist diese Methodik nicht bei Savigny stehengeblieben, sondern sie hat sich stets unter den modernen Einflüssen weiterentwickelt – und musste auch weiterentwickelt werden – und sie ist vieldiskutiert als auch vielkritisiert worden.203 Die Vielfältigkeit der Methodendiskussion, die verschiedenste Versuche unternommen hat, diese Rangfolgen- und Inhaltsprobleme aufzulösen, zeigt eher, dass es schwierig ist, diesem Kanon, ohne seiner völligen Entsagung, einen neuen dogmatischen Unterbau zu geben. Die beklagte Konturlosigkeit der Methodendiskussion und auch das beklagte Defizit der methodischen Ausbildung in der Praxis vermögen vielmehr zur Folge haben, dass die konkrete Anwendung in eine nicht nachvollziehbare Beliebigkeit der Mittelwahl mündet,204 je nachdem welchen Zweck der Auslegende verfolgt und 201

Dazu Rückert, in: Methodik des Zivilrechts – Von Savigny bis Teubner, Rn. 135 ff.; Rückert, in: Theorie der Interpretation vom Humanismus bis zur Romantik, 287, 292 f.; siehe auch zu den Missverständnissen von Savignys Hermeneutik Meder, Mißverstehen und Verstehen, S. 219 ff. 202 Morlok, in: Subsumtion, 179, 183 sagt sogar: „Die Auslegungsmethoden sind (fast) alternativlos.“; Rückert, in: Methodik des Zivilrechts – Von Savigny bis Teubner, Rn. 202. 203 Siehe auch Möllers, Juristische Methodenlehre, § 4 Rn. 30 ff.; Morlok, in: Subsumtion, S. 179, 181 ff.; Müller/Christensen, Juristische Methodik I, Rn. 87 ff. m. w. N. Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 66 f. 204 Vgl. z. B. die Aussage bei Kaufmann, Rechtsphilosophie, S. 92: „Die Gerichte verfahren insofern [bei der Methodenwahl] noch immer willkürlich.“ Pointiert formulieren es m. w. N.

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somit vom Ergebnis her gedacht wird.205 Das hat wiederum das Paradoxon zur Folge, dass die auszulegende Norm schließlich selbst einerseits die Lösung intendiert und damit zugleich auch das zu wählende Methodenprogramm determiniert.206 Gerade das wird auch der objektiven Auslegungstheorie vorgeworfen.207 So droht eine Auslegung nach Gefühl und Meinen – weil man es eben (auch nicht) besser weiß. Trotzdem haben sich die weiterentwickelten, auf den Errungenschaften Savignys gründende, Auslegungs-Canones von Wortlaut, Historie, Systematik und eben Teleologie, ob ihrer Unzulänglichkeiten in der Methodendiskussion bewährt,208 wohl in dem Wissen, dass eine – wenn auch mit Mängeln behaftete – Methodik besser ist als überhaupt keine Methodik, da sie immerhin zumindest einer Ordnung und Nachvollziehbarkeit des Gedankens und Verstehens dient und dem auch förderlich ist.209 Auch wenn die Canones je nach untersuchter Norm eine unterschiedliche Ergiebigkeit aufweisen mögen, stellen sie jedenfalls geeignete Hilfsgesichtspunkte zur Ermittlung des Normzweckes zur Verfügung, mit denen sich der Auslegende dem Gesetzessinn nähern kann.210 c) Konsequenzen für die Bearbeitung Dieser Überzeugung schließt sich auch diese hier vorliegende Untersuchung an, da sie es auch schon allein vom Umfang dieses Vorhabens als unmöglich ansieht, die in der Diskussion bestehenden Unklarheiten – und hier nur kurz angerissene Problematik – der bestehenden Methodik, über die sich seit nunmehr Jahrhunderten Müller/Christensen, Juristische Methodik I, Rn. 96: „Der historische Aspekt ist in der Rechtspraxis vielfach auf wenig geklärte Weise mit genetischen und teleologischen Überlegungen vermengt. Die systematische Auslegung kann ohne zusätzliche Hilfsaspekte zumeist nicht zwischen den differenten Gesichtspunkten der Textformsystematik, der Sinn- und der Sachsystematik wählen. Die teleologische Auslegungsweise ist praktisch kaum mehr als ein Sammelbegriff für Wertungen verschiedenster Herkunft, für ein sachlich wie normativ nicht mehr begrenzbares Feld von Auslegungsmöglichkeiten. Diese pflegen an der Vertretbarkeit und Wünschbarkeit des Entscheidungsergebnisses ausgerichtet zu werden. ,Ratio‘, ,telos‘, ,Sinn und Zweck‘ sind in der Regel nicht mehr als eine Metapher für das, was als Resultat angestrebt wird.“ 205 Josef Esser, Vorverständnis und Methodenwahl, S. 7, 123 f.; Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 53 ff. spricht von einem Eindruck eines „methodologischen ,anything goes‘“; Morlok, in: Subsumtion, 179, 181; Radbruch, Einführung in die Rechtswissenschaft, S. 169. 206 Bezeichnend: Morlok, in: Subsumtion, 179, 181 f. 207 Siehe dazu nur Möllers, Juristische Methodenlehre, § 6 Rn. 60. 208 Siehe m. w. N. Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 66 f.; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 702; Stürner, AcP 214 (2014), 7, 26 f. 209 Morlok, in: Subsumtion, S. 179, 208 bezeichnet die Auslegungsmittel „als praxistaugliche Vereinbarung“; vgl. Müller/Christensen, Juristische Methodik I, Rn. 346, 375; Stürner, AcP 214 (2014), 7, 26 f. 210 Vgl. hinsichtlich des Verfassungsrechts Müller/Christensen, Juristische Methodik I, Rn. 95, die hier auch aufzeigen, dass die Savigny’schen Canones bei der Auslegung von Verfassungsrecht durchaus an ihre Grenzen stoßen.

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kluge Köpfe selbige zerbrochen haben, zu beseitigen und eine hieb- und stichfeste Methodologie inklusive Methodenlehre zu erarbeiten, um das Problem abschließend zu lösen. Die Lektüre der außerordentlich zahlreichen Literatur zu dieser Thematik offenbart vielmehr, dass aufgrund der vielen verschiedenen grundsätzlichen Ansätze keine angebotene Lösung sämtliche Kritiker zufriedenstellen wird – womöglich ist die Entwicklung einer juristischen Methodik für sich genommen auch unmöglich.211 Resignation ist aber keine Lösung des Methodenproblems. Trotzdem muss ein realistischer Ansatz bei der Behandlung der Fragen gewählt werden: Es ist anzuerkennen, dass es in der Methodendiskussion keine einheitliche Lösung gibt und die einzelnen Methodenlehren allenfalls innerhalb ihrer eigenen Systematik kohärent sind, nicht aber wenn sie in Relation zu den anderen Ansichten gesetzt werden. Auch hier wird nicht der Stein der Weisen gefunden werden (können). Vor diesem Hintergrunde werden im Folgenden viele allgemeine Probleme der Methodik ungelöst bleiben. Aber von den vielen bestehenden Problemen der Methodendiskussion müssen viele in der konkreten Untersuchung ggf. auch gar nicht alle relevant werden;212 sofern in der Bearbeitung bei der einen oder anderen Problemstellung Farbe zu bekennen ist, so ist diese Lösung lediglich ein Vorschlag innerhalb des Methodendiskurses, ein konkretes Problem zu handhaben. Als „Lösung“ gibt es damit letztlich nur eine pragmatische Herangehensweise an das Problem: Transparenz und Methodenehrlichkeit.213 Gerade im Hinblick auf das Vertrauen, das an die Auslegenden herangetragen wird, und für die Richter gemäß Art. 97 I GG im Besonderen bei der Ausübung von Rechtsprechungstätigkeit, ist die damit einhergehende Verantwortung in Bewusstsein zu rufen und der Aufgabe mit Demut zu begegnen. Die Methodik soll zu dem Zweck genutzt werden, um den Prozess der Auslegung zu strukturieren, rational zu gestalten und den Rechtsanwender zur kritischen Selbstkontrolle und Selbstdisziplinierung anzuhalten.214 Mit diesem Vorgehen stellt diese Auseinandersetzung einen hoffentlich fruchtbaren Beitrag in dem wissenschaftlichen Methodendiskurs dar, anhand einer Ab-

211 So Schild, der schließlich sogar einen „Abschied“ von der juristischen Methode proklamiert, Schild, in: FS Maihofer, 413, 423, 425. Die Unmöglichkeit der Entwicklung einer definitiv logischen, sicheren und überzeugenden Methodik wird nachvollziehbarer, wenn man wie Kaufmann anerkennt, dass Rechtswissenschaft zu einem gewissen Teil irrational ist und nicht rationale Elemente beinhaltet, welche insofern hinzunehmen aber nicht zu ignorieren sind, siehe dazu Kaufmann, Das Verfahren der Rechtsgewinnung, S. V, 7 f. 212 Das Rangfolgenproblem der Auslegungsmittel wird z. B. erst dann eines, wenn die Auslegungsmittel zu widersprüchlichen Ergebnissen führen; der zunächst kumulativen Anwendung steht die fehlende Klärung der Frage zunächst einmal nicht entgegen, darauf weisen zurecht Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 612 hin. 213 Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 650 ff. Vgl. dazu auch Neumann, Juristische Argumentationslehre, S. 3 f. 214 Vgl. Möllers, Juristische Methodenlehre, § 1 Rn. 34 ff.; 100 ff.

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2. Kap.: Normativer Inhalt der Vorschriften

handlung von einigen konkreten Anwendungsfällen innerhalb der StPO. Freilich ist im Hinblick auf die Entwicklung der juristischen Methodik noch viel zu tun.215 Für die weitere Untersuchung gilt daher: Die heutigen im Wesen anerkannten Canones, wie sie sich in den klassischen Auslegungsmethoden wiederfinden in Form von Wortlaut, Systematik, und Historie, unter Vorbehalt die Teleologie, werden den Erkenntnisprozess hinsichtlich seiner Struktur leiten und er wird zu einem Ergebnis geführt werden, in dem Glauben, dass die Überzeugungskraft des Ergebnisses von der dargelegten Argumentation und Offenheit der dargelegten Argumente abhängen wird; die Auslegung, als Anwendungsfall der juristischen Methodik, also neben der zwingenden und strukturierenden Methodik als Erkenntnisprozess einerseits darüber hinaus auch andererseits einer argumentativen Überzeugungskraft des Ergebnisses in der Darstellung bedarf, was insoweit einen argumentationstheoretischen Ansatz darstellt.216 Der Auslegungsprozess wird damit als ein erster Verstehensprozess begriffen, bei dem die Norm das Medium ist, dessen sich der Gesetzgeber bedient, um Rechtsanwender zu instruieren.217 Das Verstehen der Norm mittels Auslegung stellt den Gegenbegriff zum Rechtsetzen dar,218 bei dem sich der Rechtsanwender, den Gesamtkontext im Blick habend, aller ihm zugänglichen Erkenntnisquellen kumulativ zu bedienen hat, um – mit Savignys Worten ausgedrückt – „den ganzen Reichthum ihres Inhalts und ihrer Beziehungen zu enthüllen“.219 Der Transfer dieser Erkenntnis zur argumentativen Überzeugung Außenstehender schließlich ist Aufgabe der Darstellung und ihrer Nachvollziehbarkeit. Als Blaupause für den weiteren Aufbau zur Ermittlung des normativen Inhalts wird die Rechtstheorie und juristische Methodenlehre von Rüthers, Ch. Fischer und 215 So auch der Apell bei Kaufmann, Das Verfahren der Rechtsgewinnung, S. 99 schon im Jahr 1999. 216 Dazu Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 299 ff.; Neumann, Juristische Argumentationslehre, S. 4. Neben diesen Publikationen zu Ansätzen einer juristischen Argumentationstheorie und den hier nicht weiter vertiefend darzustellenden Problemen um juristische Argumentation und Schaffung einer juristischen Argumentationslehre und -theorie und Begründungslehre siehe ferner u. a. Alexy, Elemente einer juristischen Begründungslehre; Kübbeler, Notwendigkeit und Struktur juristischer Argumentation; Neumann, in: Einführung in die Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart, 303; Struck, Zur Theorie juristischer Argumentation. Siehe auch Kaufmann, Rechtsphilosophie, S. 46 ff.; Möllers, Juristische Methodenlehre, § 1 Rn. 1, 52 ff.; Reimer, in: Juristische Methodenlehre im Geist der Praxis?, 11, 19 ff.; Schild, in: FS Maihofer, 413, 430 f.; Wank, Juristische Methodenlehre, § 1 Rn. 24; § 2 Rn. 12; vgl. Reimer, Juristische Methodenlehre, Rn. 279, 700 ff. 217 Reimer, Juristische Methodenlehre, Rn. 411 ff. 218 Reimer, Juristische Methodenlehre, Rn. 411; vgl. Wank, Juristische Methodenlehre, § 1 Rn. 6 verwendet die Formulierung „umgekehrtes Gesetzgebungsverfahren“; vgl. Leenen, Jura 2011, 723 ff., 729. 219 Vgl. Reimer, Juristische Methodenlehre, Rn. 412 f.; Savigny, System I, S. 319. Zum kumulativen Einsatz der Methoden insgesamt siehe auch Gern, VerwArch 80 (1989), 415, 434; a. A. ist Bydlinski, Juristische Methodenlehre, S. 558 f., der ein umfassende Auslegung nicht für ökonomisch erachtet, wenn sich einschlägige Ergebnisse abzeichnen.

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Birk dienen. Mit der Auswahl einer Methodenlehre sollen strukturelle Brüche vermieden werden, die dadurch entstehen könnten, wenn unterschiedliche Ansätze miteinander vereint werden. Diese Autoren sind Vertreter einer subjektiven Auslegungstheorie, weshalb die Auslegungsmittel bei der Anwendung von dieser eingefasst werden und das vorrangige Auslegungsziel der Normzweck ist, der vom historischen Gesetzgeber beigegeben wurde. Des Weiteren wird der Rechtsanwendungsvorgang aufgespalten: Erstens in die Ermittlung des Normzwecks mit Hilfe der Auslegungsmittel und zweitens in die Anwendung des Rechts zum aktuellen Anwendungszeitpunkt. Bei diesem wird dann die Frage relevant, ob der ursprüngliche Normzweck des Gesetzgebers in Anbetracht von Veränderungen infolge des Zeitmoments auch heute noch Anwendung finden kann oder ob die Voraussetzungen für eine Rechtsfortbildung gegeben sind.220 Auch wenn als Leitbild eine subjektiv-teleologische Methodenlehre gewählt wurde, werden im Zuge der Bearbeitung objektiv-teleologische Erwägungen, welche in der h. M. eine nennenswerte Bedeutung haben, nicht aus dem Blick gelassen werden. Dies schon allein, um die Darstellung umfassender werden zu lassen und auch ein insgesamt breit aufgestelltes, argumentatives Endergebnis zu erreichen. Insofern wird diese Arbeit immer wieder Anleihe auch an anderen Methodenlehren und rechtstheoretischen Konzepten nehmen. Zum Abschluss, bevor nun in die einzelnen Auslegungsschritte übergegangen wird, soll nochmals in Erinnerung gerufen werden, dass der Sachverhalt aus einer recht komfortablen Stellung heraus untersucht werden kann. Seit RGSt 27, 116 besteht bereits eine gefestigte und mit methodischen Argumenten unterlegte, Rechtsprechung zu diesem Thema. Daher kann die Bearbeitung ihr Vorgehen, wie schon deutlich gemacht, in dem angesprochenen Zweischritt verfolgen. Das geschieht, indem sie einerseits die vom RG und in Folge vom BGH fortgeführte Argumentation, welche vor allem an die vom Gesetzgeber beigemessene Sinngebung und die Systematik von tatgerichtlicher und revisionsgerichtlicher Hauptverhandlung anknüpft, methodenkritisch überprüft. Erst für den Fall, dass die obergerichtliche Argumentation nicht haltbar ist, stellt sich die Frage, ob die gefestigte Rechtsprechung auf ein anderes methodisches Fundament gestellt werden kann oder ob ein solches Ergebnis schließlich vollends nicht haltbar ist.

II. Die Auslegung im Einzelnen Nachdem im vorherigen Abschnitt die grundlegenden Fragen zu dem Methodenprogramm und dem weiteren Vorgehen näher betrachtet worden sind, folgt nun die eigentliche, normative Arbeit durch Auslegung der Vorschrift nach den einzelnen Auslegungsmitteln. Begonnen wird dabei zunächst mit dem Wortlaut des § 356 220 Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 730b ff.; siehe zu diesem Vorgehen auch Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, S. 143 ff.; Würdinger, Rechtskultur 2 (2013), 79, 83.

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2. Kap.: Normativer Inhalt der Vorschriften

StPO, bevor dann dessen Stellung im systematischen Gefüge der Rechtsordnung betrachtet wird. Sodann wird sich die Bearbeitung der historischen Genese der Vorschriften zuwenden, bevor schließlich zu der Frage der Teleologie aus objektivteleologischen Gesichtspunkten Stellung bezogen wird. Nachdem die Ergebnisse der einzelnen Auslegungsdisziplinen erarbeitet wurden, werden sie abschließend in einer Gesamtschau einer umfassenden Würdigung unterzogen, um den Normzweck des § 356 StPO in Bezug auf die Urteilsverkündungsfrist des § 268 III 2 StPO abschließend zu bestimmen. 1. Auslegung nach dem Wortlaut Der primäre Zugang eines hermeneutischen Textverständnisses geschieht verständlicher Weise durch die Ermittlung des Wortsinnes, denn der Normtext ist das entscheidende Medium, dessen sich der Gesetzgeber bedient, um seinen Handlungsauftrag an den Adressaten zu übermitteln.221 Ausgehend von dem noch festzustellenden Sprachgebrauch des Gesetzgebers, mit dem die sprachliche Aufschlüsselung des Normtextes beginnt, wird der Bedeutungsgehalt der einzelnen Worte in ihrem grammatischen und semantischen Zusammenhang erschlossen und der Wortsinn ermittelt, welcher dann in der kollektiven Betrachtung aller Satzelemente wiederum Rückschlüsse auf den Normsinn zulässt.222 Maßgebender Gegenstand bei der Erschließung der jeweils einzelnen Wortbedeutungen aus unserer heutigen Perspektive heraus ist, der subjektiven Auslegungstheorie entsprechend, zunächst der zum Entstehungszeitpunkt geltende Gehalt, der den Worten des Gesetzes im Sprachgebrauch beigemessen wurde.223 Ob es sich hierbei um umgangssprachliche oder fachsprachliche Begriffe handelt, ist bei den hier im Raum stehenden Vorschriften nicht von großer Brisanz. Die StPO besitzt mit ihren strafverfahrensrechtlichen Vorschriften der §§ 356, 268 StPO einen besonderen Adressatenkreis:224 Die Gerichte als Spruchkörper, welche – von den teilweise vorhandenen 221

Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 67; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 320; Looschelders/Roth, Juristische Methodik im Prozeß der Rechtsanwendung, S. 130; Möllers, Juristische Methodenlehre, § 4 Rn. 39; Morlok, in: Subsumtion, 179, 184, 192; Reimer, Juristische Methodenlehre, Rn. 281; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 731 ff., 741; Vesting, Rechtstheorie, Rn. 194. Siehe auch Fikentscher, Methoden des Rechts III, S. 670 ff. 222 Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 738 ff. So auch Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 67 f., 98 f. und Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 323 f., allerdings auch ggf. unter Berücksichtigung des modernen Sprachgebrauchs; Looschelders/Roth, Juristische Methodik im Prozeß der Rechtsanwendung, S. 138 f.; siehe auch zum Sprachgebrauch Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 438 ff.; Möllers, Juristische Methodenlehre, § 4 Rn. 62 f. und Müller/Christensen, Juristische Methodik I, Rn. 351d f., die dabei auch zutreffend auf die nicht zu unterschätzenden und durchaus problematischen Fragen zur Ermittlung des Sprachgebrauchs im Allgemeinen hinweisen. 223 Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 741. 224 Vgl. dazu Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 439.

A. Auslegung der Vorschrift des § 356 StPO

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Laienrichtern abgesehen – mit vollausgebildeten juristischen Fachleuten besetzt sind, denen der Zugang zu beiden Sprachformen ohne weiteres möglich ist. Die Vorschrift des § 356 StPO besteht aus einem einzigen, einfachen Hauptsatz: „Die Verkündung des Urteils erfolgt nach Maßgabe des § 268.“

Der Textinhalt ist für sich genommen klar formuliert, auch wenn das nicht zur Folge hätte, dass eindeutig formuliert erscheinende Gesetzestexte einer Auslegung nicht zugänglich wären.225 Der erste augenscheinliche Gehalt dieser Vorschrift ist jedenfalls derjenige, dass die Modalitäten der Urteilsverkündung sich aus der Vorschrift des § 268 StPO ergeben, auf die § 356 StPO verweist, und diese hierfür im Ganzen klar Anwendung findet. Beim syntaktischen Aufbau des Satzes lässt sich Folgendes feststellen: Die Nominalphrase „Die Verkündung des Urteils“ ist eine, ein postnominales Genitivattribut aufweisende, Umschreibung des Nomens „Urteilsverkündung“ und stellt das Subjekt des Satzes dar.226 Es folgt als weiteres Satzglied das Prädikat in Form des intransitiven Verbes „erfolgen“, das dem Subjekt entsprechend in der dritten Person Singular im Verbmodus des aktiven Indikativs konjugiert ist. Damit liegt ein anzeigender, in grammatischer Dimension die Wirklichkeit beschreibender Verbmodus vor.227 Der Satz schließt mit der weiteren Nominalphrase „nach Maßgabe des § 268“, die das ebenfalls mit einem nachgestellten Genitivattribut versehene Objekt des Satzes darstellt.228 Syntaktisch lässt sich hier, wenn man so will, eine gewisse stilistische Wiederholung im Aufbau von Subjekt und Objekt des Satzes erkennen, die gleich einer Strophe eines Gedichts symmetrisch um das Prädikat angeordnet sind. Die Vorschrift ist damit sprachlich betrachtet ein wenig komplexer, beschreibender Satz, der in seinem Aufbau nicht das typische Konditionalschema eines Rechtssatzes aufweist, also der Verknüpfung eines Tatbestands mit einer Rechtsfolge im „Wenn …, dann …“-Format.229 Dennoch lässt sich verdeckt in diesem Satz ein solches Konditionalprogramm ermitteln: „Wenn eine Urteilsverkündung stattfindet, dann erfolgt diese nach den Vorgaben von § 268.“230

225 Zur sogenannten Eindeutigkeitsregel des Wortlauts siehe Möllers, Juristische Methodenlehre, § 4 Rn. 64; Müller/Christensen, Juristische Methodik I, Rn. 258; Rüthers/Fischer/ Birk, Rechtstheorie, Rn. 731 ff. 226 Vgl. Duden, Grammatik, Rn. 1215, 1266, 2221 f.; Altmann/Hahnemann, Syntax fürs Examen, S. 41; Flohr/Lobin, in: Arbeitsbuch Linguistik, 125, 133. 227 Duden, Grammatik, Rn. 713 ff. 228 Vgl. Duden, Grammatik, Rn. 1215, 1266, 2221 f.; Altmann/Hahnemann, Syntax fürs Examen, S. 41; Flohr/Lobin, in: Arbeitsbuch Linguistik, 125, 133. 229 Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 68; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 250 ff.; Vesting, Rechtstheorie, Rn. 34. Näher zu Aufbau und Struktur von Normen, Adomeit/Hähnchen, Rechtstheorie mit Juristischer Methodenlehre, Rn. 19 ff.; Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 36 ff. 230 Vgl. Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 115 f.

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2. Kap.: Normativer Inhalt der Vorschriften

a) Subjekt des Normsatzes – „Die Verkündung des Urteils“ als Verweisungsgegenstand Dieses Satzglied macht den Verweisungsgegenstand des § 356 StPO aus. Bei den verwendeten Worten, die mit der Bedeutung des Wortes „Urteilsverkündung“ identisch sind, handelt es sich nicht um einen umgangssprachlichen Begriff, sondern um einen strafprozessualen Fachbegriff. Er bezeichnet hierbei die mündliche Kundgabe der auf eine mündliche Hauptverhandlung ergehenden, rechtszugabschließenden gerichtlichen Entscheidung an die Beteiligten.231 Der Anwendungsbereich des § 356 StPO ist damit immer dann eröffnet, sofern in der Revisionsinstanz aufgrund einer mündlichen Hauptverhandlung im Urteilsverfahren erkannt wird und nach Abschluss der Hauptverhandlung das Urteil bekannt zu geben ist. b) Prädikat des Normsatzes – „erfolgt“ Das Prädikat des Satzes besteht – dem Nomen „Verkündung“ folgend – aus dem an die dritte Person Singular gebeugtem Verb „erfolgen“. „Erfolgen“ leitet sich etymologisch aus dem mittelhochdeutschen Verb „ervolgen“ bzw. aus dem althochdeutschen Verb „erfolge¯n“ ab, mit einer damaligen Bedeutung von „erreichen, erlangen; sich erfüllen, zuteilwerden“.232 Diese Bedeutung hat sich zum Neuhochdeutschen hin stark geändert, wobei sich die Betonung hin auf „die Folge sein“ verschob, welche auf einen kausalen als wohl auch zeitlichen Zusammenhang zwischen einer Ursache und eintretenden Wirkung abstellt –233 hieraus wurde letztlich das Nomen „Erfolg“ abgeleitet, welches in seiner Herkunft wieder auf die Ursache-Wirkung-Beziehung hindeutet, aber auch nur für die Beschreibung des Ergebnisses an sich verwendet wird.234 Heute hingegen kommt dem Verb „erfolgen“ die Bedeutung von „geschehen, eintreten, vor sich gehen“ zu, womit der häufigste Gebrauch des Verbes von einem kausal-zeitlichen Sinnzusammenhang entkoppelt wurde.235 231 Beulke/Swoboda, Strafprozessrecht, Rn. 488; Peters, Strafprozeßrecht, S. 469 f.; Maier, in: MüKo-StPO, § 260 Rn. 43, 62; vgl. Schmitt, in: MGS, § 260 Rn. 5; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 23 Rn. 1, 5, 12, § 49 Rn. 1. Vgl. hierzu auch die Begründung bei den Motiven zu § 219 I, II RStPO-E, Hahn, Materialien zur StPO, S. 197, 198 a. E.; in diesem sah sich der Motivgeber genötigt, eine besondere Vorschrift zu formulieren, die auch nach Eintritt in die Hauptverhandlung noch eine Verfahrensbeendigung durch Beschluss ermöglicht; siehe zum Verständnis des Urteils aus gesetzgeberischer Sicht auch die Motive zu § 27 RStPO, Hahn, Materialien zur StPO, S. 93 f., vgl. auch Hahn, Materialien zur ZPO, S. 132 f., 283. 232 Duden, Das Herkunftswörterbuch, S. 295 Sp. 2; Hermann Paul, Deutsches Wörterbuch, S. 121 Sp. 2. 233 Duden, Das Herkunftswörterbuch, S. 295 Sp. 2; Grimm’sches Wörterbuch III, Sp. 803; Paul, Deutsches Wörterbuch, S. 121 Sp. 2. 234 Duden, Das Herkunftswörterbuch, S. 295 Sp. 2; Hermann Paul, Deutsches Wörterbuch, S. 121 Sp. 2. 235 So Duden, Deutsches Universalwörterbuch, S. 546 Sp. 2; Duden, Das Herkunftswörterbuch, S. 295 Sp. 2.

A. Auslegung der Vorschrift des § 356 StPO

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Die im heutigen Sprachgebrauch dem Wort „erfolgen“ beigemessene Bedeutung lässt sich mit dem bisher erhaltenen Eindruck, dass sich die Urteilsverkündung im Revisionsverfahren nach der Vorschrift des § 268 StPO zu vollziehen habe, ja geschehen soll, unschwer vereinbaren. Hier irritiert jedoch der Umstand, dass Wörterbücher aus derselben zeitlichen Epoche wie der Entstehung der RStPO dem Verb „erfolgen“ einen Bedeutungsgehalt insbesondere im Sinne von „geschehen“ oder „vor sich gehen“ so nicht zukommen lassen. In dem Maßstäbe setzenden Grimm’schen Wörterbuch, das der BGH – freilich in den aktualisierten Fassungen – auch heute noch, neben weiteren Wörterbüchern, zur Klärung des allgemeinsprachlichen Bedeutungsgehalts heranzieht,236 findet sich noch immer die frühe neuhochdeutsche Bedeutung von „die Folge sein, erwachsen, entstehen“.237 Auf die Ursache-Wirkung-Beziehung, allerdings ohne eine zeitliche Reihenfolge, stellt auch Hermann Paul in seinem Deutschen Wörterbuch von 1897 – und damit etwa zur Zeit der Entscheidung RGSt 27, 116 – ab.238 Die Substitution des Wortes „erfolgt“ in dem Normsatz des § 268 StPO durch die im Grimm’schen Wörterbuch genannten Synonyme ergibt in diesem Kontext jedoch keinen Sinn oder wirkt sprachlich – vom heutigen Standpunkt aus – wenigstens schwerfällig bis sperrig. In einem abstrakten Verständnis hingegen, bei dem es um die Darstellung eines Folgeverhältnisses zwischen dem Fall einer vorzunehmenden Urteilsverkündung geht, bei der die Form des § 268 StPO die „Folge ist“, ließe sich diese Formulierung mit Logik füllen. Hier käme vielmehr die Bedeutung des reflexiven „sich erfolgen“ im Sinne von „eintreten, sich zutragen“ zur Anwendung.239 Der Normsatz ist jedoch ersichtlich nicht reflexiv formuliert. Und dennoch ist die auf den ersten Blick aufkommende Irritation damit eine, die auf dem zweiten Blick verblasst. Der frühen neuhochdeutschen Bedeutung von „erfolgen“ wohnt bereits die Komponente von „sich zutragen, geschehen“ in seinem Wesen inne, wie sich bereits an der reflexiven Bedeutung des Wortes erkennen lässt. Eine solche reflexive Verwendung ist heute nicht mehr gebräuchlich, sondern dürfte, so wie es die heutige umgangssprachliche Wortbedeutung belegt, in der nichtreflexiven Form und Bedeutung des Wortes aufgegangen sein.240 Dass aus dem Sprachgebrauch des Gesetzgebers die Wortbedeutung von „geschehen“ oder „sich zutragen“ zukommt, lässt sich aber jedenfalls mit der Kommentierung in den Mo-

236 237 238 239

Sp. 2.

So z. B. BGH, NStZ 2018, 89. Grimm’sches Wörterbuch III, Sp. 803. Hermann Paul, Deutsches Wörterbuch, S. 121 Sp. 2. Grimm’sches Wörterbuch III, Sp. 803; Duden, Deutsches Universalwörterbuch, S. 546

240 Vgl. auch bei Duden, Deutsches Universalwörterbuch, S. 546 Sp. 2 die direkte Gegenüberstellung der Bedeutungen des mittelhochdeutschen Wortes „ervolgen“ und der neuhochdeutschen Bedeutung von „erfolgen“.

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2. Kap.: Normativer Inhalt der Vorschriften

tiven zu § 318 RStPO-E erkennen, wonach die Übertragung der Vorschriften über die erstinstanzliche Urteilsverkündung hier zur Anwendung berufen werden sollen.241 Linguistisch interessant ist noch anzumerken, dass das Tätigkeitswort den wesentlichen Handlungsinhalt des Normsatzes nicht beinhaltet, sondern sich die eigentliche Tätigkeitsanweisung aus dem Subjekt des Satzes ergibt, welcher zugleich den Verweisungsgegenstand bestimmt. c) Objekt des Normsatzes – „nach Maßgabe des § 268“ als Rechtsfolge Die den Normsatz abschließende Nominalphrase erfüllt als Objekt der Satzstruktur innerhalb der Normanweisung die Funktion der Rechtsfolgenanordnung. Dem Verweisungsgegenstand entsprechend können damit nur diejenigen Inhalte des § 268 StPO betroffen sein, die irgendwie geartete Anforderungen an die Urteilsverkündung stellen. Bei näherer Betrachtung des § 268 StPO wird diese Voraussetzung sich allerdings – ohne dass es einer besonderen Vertiefung an dieser Stelle bedürfte – für alle seine Regelungsinhalte zweifelsohne bejahen lassen. Für § 268 III StPO im Speziellen lässt sich verdeutlichen, dass dieser an den Zeitpunkt der Urteilsverkündung anknüpft und an diese Vorgaben macht, sobald vom Regelfall („soll“) des § 268 III 1 StPO – der Urteilsverkündung am Schluss der Sitzung – abgewichen wird. Unter Berücksichtigung der zur Entstehungszeit der RStPO geltenden Wortbedeutung definiert der sechste Band des Grimm’schen Wörterbuch von 1862 „Maßgabe“ als „Bestimmung des Maßes, der Richtschnur und des Verhältnisses“, wobei der Begriff von der Formel „Maß geben“ abgeleitet ist.242 Maß bezeichnet die zum Messen verwendete Einheit und hat in der Form „Maß geben“ die Bedeutung von „wie etwas eingerichtet ist“ bzw. auch das „Maß setzen und ordnen“.243 Der Duden beschreibt die heutige Wortbedeutung von „Maßgabe“ mit den Begriffen „Vorgabe, Zielsetzung“ und in der Zusammensetzung „nach Maßgabe“ auch als „einer Sache entsprechend“.244 Zu der Verwendung des Begriffs „entsprechend“ durch den Gesetzgeber siehe aber sogleich. Im direkten Vergleich der beiden Wortbedeutungen lässt sich hier, anders als bei „erfolgen“, kein wesentlicher Unterschied zwischen dem Wortsinn zur Entstehungszeit der RStPO und dem Verständnis zum heutigen Zeitpunkt der Rechtsanwendung erkennen. Das genaue Maß – nicht ein eventuell von diesem abweichbarer Richtwert – nach dem die Urteilsverkündung in der Revisionsinstanz zu vollziehen ist, bestimmt sich danach, wie es durch die Vorschrift des § 268 StPO vorgegeben wird. 241

Hahn, Materialien zur StPO, S. 260. Grimm’sches Wörterbuch VI, Sp. 1740; siehe auch Hermann Paul, Deutsches Wörterbuch, S. 296 Sp. 2 und S. 297, Sp. 1. 243 Hermann Paul, Deutsches Wörterbuch, S. 296 Sp. 1 f.; vgl. Grimm’sches Wörterbuch VI, Sp. 1721 ff. 244 Duden, Deutsches Universalwörterbuch, S. 1190 Sp. 1. 242

A. Auslegung der Vorschrift des § 356 StPO

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Die Motivationen dafür, warum sich der Gesetzgeber genau für die Formulierung „nach Maßgabe“ entschieden hat und nicht für eine andere z. B. mit dem Wort „entsprechend“, lässt sich nicht rekonstruieren – die Quellen über die Einfügung dieser Vorschrift schweigen hierüber.245 Sie stellt jedoch eine Wortfolge des historischen Gesetzgebers in der RStPO dar, wie sie für die Anwendungsberufung weiterer Vorschriften üblich war und wurde auch nur in dieser Variante verwendet. Die Formulierung „mit der Maßgabe“ wird erst in späterer Zeit vom Gesetzgeber innerhalb der StPO häufiger, vor allem bei den neu eingefügten Zwangsmitteln, verwendet.246 In der ersten Fassung der RStPO kommt sie nicht vor. Bei weiterer Untersuchung im Kontext der StPO lässt sich erkennen, dass die Wahl einer Formulierung „nach Maßgabe“ und einer alternativ gebildeten Formulierung mit dem Wort „entsprechend“ nicht zufällig geschieht. Vielmehr findet die jeweilige Formulierung, abhängig von dem vorliegenden Grundverständnis des Gesetzgebers, mal in dem einen, mal in dem anderen Fall Anwendung. Die unterschiedliche Konnotation, die der Formulierung „nach Maßgabe“ zukommt zeigt sich in einem direkten Vergleich zur Verwendung des Wortes „entsprechend“ durch den RStPO-Gesetzgeber bei denjenigen Fällen, in denen er mittels dieser Wortwahl auf andere Normen verweist und sie zur Geltung beruft. In der ursprünglichen Fassung der RStPO von 1877 verwendete der historische Gesetzgeber die Fassung „nach Maßgabe“, neben derjenigen in § 396 RStPO, insgesamt dreizehnmal.247 Das Wort „entsprechend“ wird in der Ursprungsfassung zwölfmal verwendet, um anderweitige Vorschriften zur Anwendung zu bringen.248 Die Verwendung des Begriffs „entsprechend“ drückt bereits den Grundsatz aus, dass die zur Anwendung berufene Vorschrift von sich aus in diesem Kontext keine Geltung besäße. Zugleich wird damit auch ausgedrückt, dass der Normgeber aber von einer grundsätzlichen Vergleichbarkeit der beiden Regelungsmaterien ausgeht, die eine Anwendung der eigentlich nicht geltenden Vorschrift zulässt, was eine gesetzlich angeordnete Analogie darstellt.249 Wird eine entsprechende Geltung angeordnet, so hat dies zur Folge, dass an diejenigen Merkmale, die ihrer Funktion und ihrem Sinn nach vergleichbar sind, die gleiche Rechtsfolge anzuknüpfen ist, wobei unsachgemäße Gleichsetzungen von sich tatsächlich differenzierenden Sachverhalten vermieden werden müssen.250 Bei der konkreten Verwendung der Fassungen „gilt/gelten 245

Die heutige Fassung des § 356 StPO wird in der 23. Sitzung der Justizkommission des Bundesrats vom 21. 05. 1873 in einen Vorentwurf für eine RStPO eingefügt, die bestehenden Materialien lassen keinen Schluss auf die Motivationen zu, Schubert/Regge, Entstehung und Quellen der StPO, S. 43, 221 ff. insbes. 223. 246 So z. B. in den §§ 29 III, 58a II, 81 f II, 101a I, VI, 111k II, 126a II, 153a IV, 154b IV, 384 II, 404 V, 438 III, 477 StPO. 247 So auch in §§ 70, 84, 116 V, 150 I, 199 IV, 242 III, 323, 423, 435 I, 470, 476, 490 II RStPO. 248 Dies erfolgt in §§ 31, 37, 72, 125 III, 325, 336 I, 340 II, 446, 461, 478 I, 480, 504 I RStPO. 249 Vgl. Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 132. 250 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 261.

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2. Kap.: Normativer Inhalt der Vorschriften

entsprechend“ oder „findet/finden entsprechende Anwendung“ entsteht nämlich vorliegend der Eindruck, dass der historische Gesetzgeber diese und die Formulierung „nach Maßgabe“ trotz ihrer ähnlichen Bedeutungsgehalte bei der Rechtsfolgenanordnung nicht synonym verwendet. In der ersteren Konstellation werden solche Vorschriften zur Anwendung berufen, die in dem jeweiligen Fall einen deutlich anderen, aber dennoch ähnlichen Regelungsgegenstand zum Inhalt haben. Plakativ ist das z. B. bei § 31 RStPO, bei dem die Vorschriften über den Ausschluss oder die Ablehnung von Richtern auf Personen zur Anwendung gebracht werden, die nicht Richter sind: Nämlich die Schöffen oder den Gerichtsschreiber. Diese Personengruppen sind keine Berufsrichter, haben aber eine mindestens genauso entscheidende Bedeutung im Verfahren und ihre Objektivität muss gewährleistet werden. Bei den Schöffen, als Laienrichtern, würde schon von sich aus eine direkte Anwendung der Ausschluss- und Ablehnungsvorschriften naheliegen; aber dennoch, so wird es aus der Fassung des § 31 RStPO deutlich, stellen Schöffen und Gerichtsschreiber zu den Richtern wesensverschiedene Personengruppen dar, für die die Vorschriften über die Richter im Wesentlichen zur Anwendung berufen werden.251 Hinsichtlich der verfahrensrechtlichen Schutzzwecke einer unvoreingenommenen Urteilsfindung jedoch besteht aber eine derartige Gleichwertigkeit der Sachverhalte, dass die Vorschriften über den Ausschluss und die Ablehnung von Richtern zur Anwendung gebracht werden können. Modifikationen bedarf es aber dennoch, wie es § 31 II RStPO vorsieht, da einige Verfahrensvorschriften (§ 27 I, II RStPO) keine Anwendung finden können.252 Dieselbe Situation liegt letztlich auch bei § 72 RStPO zugrunde, bei welchem die Vorschriften über die Vernehmung der Zeugen auf einen weiteren Personalbeweis übertragen werden, nämlich den Sachverständigenbeweis.253 Der Sachverständige ist ein anderes Beweismittel als der Zeuge und dennoch wird dessen Vernehmung mit der des Zeugen insoweit gleichgesetzt, als dass der Abschnitt der StPO über die Zeugen die Vorschriften über die Vernehmung der Sachverständigen ergänzt;254 wohlwissend, dass sich die Personenvernehmung hier im Wesentlichen gleicht. Und genau so lässt sich diese Aufzählung innerhalb dieser Vorschriften fortführen, bei denen Vergleichspaare gebildet werden, bei der bestehende Vorschriften durch entsprechende Anwendung zur Geltung berufen werden, soweit eine Gleichsetzung möglich ist: Die Zustellung innerhalb der RStPO wird durch § 37 RStPO mit der Zustellung im Zivilverfahren gleichgesetzt und die dortigen Vorschriften zur Anwendung berufen; § 125 III RStPO setzt den Haftbefehl vor der Anklageerhebung mit dem in §§ 112 ff. RStPO normierten Untersuchungshaftbefehl gegen den Angeschuldigten gleich; auf Verhandlungen im Einziehungs- und Ver251 252 253 254

Siehe Motive zu § 25 RStPO-E, Hahn, Materialien zur StPO, S. 92. Vgl. LR/Siolek, § 31 Rn. 2. Siehe zu den Personalbeweisen Peters, Strafprozeßrecht, S. 325 ff. LR/Krause, § 72 Rn. 1 f.

A. Auslegung der Vorschrift des § 356 StPO

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mögensbeschlagnahmeverfahren sind gemäß § 478 I RStPO die Vorschriften über die Hauptverhandlung anzuwenden etc. Dieses Schema von Vorliegen eines geregelten Falles und Vorliegen eines mit diesem vergleichbaren Fall, auf den die bereits bestehenden Regelungen zur Anwendung berufen werden, lässt sich bei allen zwölf Fällen erkennen, in denen in der ursprünglichen RStPO-Fassung eine entsprechende Geltung von Vorschriften angeordnet wird – es liegt aber keinem Fall zugrunde, in dem der Gesetzgeber die Worte „nach Maßgabe“ verwendet. Hier lässt sich auch feststellen, dass weitere Vorschriften der StPO oder solche anderer Gesetze zur Anwendung berufen werden, vornehmlich die Entschädigung nach der Gebührenordnung (§§ 70, 84, 150 I RStPO) oder eben spezifische, einzelne Vorschriften (so §§ 199 III, 242 III, 323, 435 I, 476, 490 II RStPO). Insbesondere im Falle des § 356 StPO ist es mit der Urteilsverkündung am Schluss einer mündlichen Hauptverhandlung sogar exakt ein und derselbe Anwendungsfall! Damit indiziert die Formulierung „nach Maßgabe“ Rechtsgrund- bzw. Rechtsfolgenverweisungen. Es wird erkennbar, dass der historische Gesetzgeber die Formulierungen „nach Maßgabe“ und „entsprechend“ nicht als Alternativen für synonyme Bedeutungen anwendet. „Nach Maßgabe“ findet Verwendung, wenn die Fälle wesensgleich sind bzw. unabhängig von der Vergleichbarkeit der Fälle Rechtsfolgen angeknüpft werden, dann als Rechtsgrund- oder Rechtsfolgenverweisung.255 „Entsprechend“ hingegen wird verwendet, wenn die zugrunde gelegten Fälle nicht wesensgleich aber durch einen gemeinsamen und noch normativ naheliegenden genus proximum vergleichbar sind. Den Worten „nach Maßgabe“ wohnt neben der allgemeinsprachgebräuchlichen Bedeutung somit darüber hinaus also auch noch eine gesetzestechnische Wortbedeutung inne. d) Ergebnis zur Wortlautauslegung Aus dem Wortlaut des § 356 StPO ergibt sich eindeutig keine Begrenzung des Anwendungsbereichs des § 268 StPO und damit insbesondere auch nicht für diese Untersuchung gegenständliche Regelung über die Urteilsverkündungsfrist nach § 268 III 2 StPO. Dass der Verweis des § 356 StPO hier seinem Wortlaut nach vielmehr eine eindeutige und uneingeschränkte Anwendbarkeit des § 268 StPO intendiert, ergibt sich noch einmal deutlicher aus einem Vergleich zu anderen Formulierungsmöglichkeiten, die dem Gesetzgeber zur Verfügung stehen. So hätte er für eine Sinnbegrenzung des Wortlauts auf bloß bestimmte Inhalte der verwiesenen Norm von einer Formulierung mit dem bereits erörterten Begriff „entsprechend“ Gebrauch machen können, wie z. B.: 255

Bei § 470 RStPO dürfte es sich bei Verhandlungen gegen Abwesende, die sich der Wehrpflicht entzogen haben, bei der Formulierung „nach Maßgabe der nachfolgenden Bestimmungen“ sogar vielmehr um eine ausschließliche Anwendungsberufung spezieller Verfahrensvorschriften eines Verfahrens über Abwesende handeln; damit kommt der Formulierung „nach Maßgabe“ auch in gewisser Weise auch eine Klarstellungs- bzw. Hinweisfunktion zu.

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2. Kap.: Normativer Inhalt der Vorschriften „Die Verkündung des Urteils erfolgt entsprechend dem § 268.“

Oder gar noch deutlicher: „Für die Verkündung des Urteils gilt § 268 entsprechend.“

Eine derartige Formulierung benutzte der Gesetzgeber übrigens in § 79 III 1 OWiG256, der für die Rechtsbeschwerde im Ordnungswidrigkeitenverfahren die Vorschriften der StPO über die Revision, einschließlich § 356 StPO, entsprechend zur Anwendung beruft.257 Eine solche Formulierung würde eine differenzierende Betrachtung aufgrund – vom Gesetzgeber gesehener – unterschiedlicher Wesenszüge der geregelten Gegenstände eröffnen. In Bezug auf die Urteilsverkündungsfrist würde das bedeuten, dass hier tatsächlich unterschiedliche Charakteristika der Hauptverhandlung vor dem Tatgericht einerseits und einer solchen vor dem Revisionsgericht andererseits herangezogen werden könnten, welche eine unterschiedliche Reichweite der Anwendung zuließen – sofern denn tatsächlich solche bestehen würden, die eine Differenzierung verlangten. Derartige wesentliche Charakterunterschiede unterstellt, könnten in diesem Fall nicht aus dem Wortlaut der verweisenden Vorschrift festgestellt werden, sondern ausschließlich mit Hilfe der weiteren Auslegungsmittel.258 Eine weitere Formulierungsmöglichkeit, um einen einschränkenden Wortlaut herbeizuführen und aus dem erkennbar würde, dass der Normgeber eine Wesensverschiedenheit der beiden Verfahrenstypen voraussetzte, wäre in Anlehnung an § 1192 I BGB259 : „Auf die Urteilsverkündung findet § 268 entsprechende Anwendung, soweit sich nicht ein anderes aus dem unterschiedlichen Wesen der Hauptverhandlungen vor dem Revisionsgericht und dem Tatgericht ergibt.“

Aber auch hierbei wäre vorausgesetzt, dass die Unterschiedlichkeit der beiden Verfahrenstypen an dieser Stelle eine Nichtanwendung des § 268 III 2 StPO rechtfertigte. Auch dies könnte wiederum bloß mittels der weiteren Auslegungsmittel ergründet werden. Ein ebenfalls nicht gewähltes Formulierungsbeispiel, das nach dem Wortlaut die Anwendbarkeit der Urteilsverkündungsfrist eindeutig ausschlösse und von der der 256

Gesetz über Ordnungswidrigkeiten in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. 02. 1987, BGBl. 1987 I, S. 602, zuletzt geändert durch Art. 5 des Gesetzes zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten im Jugendstrafverfahren vom 09. 12. 2019, BGBl. 2019 I, S. 2146. 257 Hadamizky, in: KK-OWiG, § 79 Rn. 46 f. 258 Siehe dazu aber gleich auch insbes. die Ergebnisse bei der historischen Auslegung, Zweites Kapitel: A. II. 3. c). 259 Bürgerliches Gesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 02. 01. 2002, BGBl. 2002 I, S. 42, bereinigt S. 2909 und 2003 I, S. 738, zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes zur Umsetzung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 26. 03. 2019 zum Ausschluss der Stiefkindadoption in nichtehelichen Familien vom 19. 03. 2020, BGBl. 2020 I, S. 541.

A. Auslegung der Vorschrift des § 356 StPO

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Gesetzgeber bei den zahlreichen Reformen der StPO und vor allem der Urteilsverkündungsfrist des § 268 StPO hätte Gebrauch machen können, wäre: „Die Verkündung des Urteils erfolgt nach Maßgabe des § 268; Absatz 3 Satz 2 und 3 und Absatz 4 finden keine Anwendung.“

Hieraus würde sich über eine Rückausnahme zweifelsfrei ergeben, dass die Urteilsverkündungsfrist bei der revisionsgerichtlichen Urteilsverkündung keinerlei Bedeutung zukäme, und zwar unabhängig von der Frage, ob der Revisionshauptverhandlung ein anderer Charakter beizumessen ist als der vor dem Tatgericht. Diese Beispiele sollen verdeutlichen, dass dem Gesetzgeber wesentlich eindeutigere Formulierungstechniken zur Verfügung standen und stehen, um über den Wortlaut der Verweisungsnorm eine eindeutige Einschränkung der Urteilsverkündungsfrist vor dem Revisionsgericht vorzunehmen. Von deren Gebrauch hat er aber – wahrscheinlich sogar bewusst – abgesehen. Stattdessen wählte er mit der Verwendung der Worte „nach Maßgabe“ eine starke und nicht einschränkende Formulierung des Wortlauts, die die Vorschrift des § 268 StPO – einschließlich seines Absatzes 3 mit den Sätzen 2 und 3 und im Übrigen auch Absatz 4260 – zur Anwendung beruft. § 356 StPO dupliziert mit seiner Formulierung § 268 StPO in den Normkontext der revisionsgerichtlichen Vorschriften. Bildlich gesprochen ist – vergleichbar mit einem „Copy-Paste“-Verfahren – hier der Wortlaut des § 268 StPO eins zu eins an die Stelle des § 356 StPO eingesetzt worden; auf die identische Wortlautwiedergabe hat der Gesetzgeber, wie in solchen Fällen üblich, aus Gründen der Sparsamkeit und Vermeidung von Wiederholungen verzichtet und an dessen Stelle tritt der tatsächlich gewählte Wortlaut des § 356 StPO.261 Somit lässt sich aus dem Wortlaut des § 356 StPO nicht ableiten, dass die Urteilsverkündungsfrist des § 268 III 2 StPO für das Revisionsgericht nicht gilt – vielmehr deutet er wegen seiner Eindeutigkeit auf dessen Geltung hin und darüber hinaus liegt auch die Vermutung nahe, dass diese eindeutige Formulierung bewusst Eingang in die StPO fand. Ob letztlich in der Gesamtheit ein vertretbares, einschränkendes Auslegungsergebnis hinsichtlich der Urteilsverkündungsfrist des § 268 III 2 StPO im Revisionsverfahren zulässig ist, ist eine Frage der weiteren Auslegungsmittel. Der Wortlaut vermag eine Anwendungsbegrenzung nicht vorzunehmen.

260 Es wird darauf hingewiesen, dass Art. 1 Nr. 34b des geplanten Gesetzes zur Fortentwicklung der StPO und zur Änderung weiterer Vorschriften § 268 IV StPO aufheben soll. Eine Anwendungsberufung durch § 356 StPO dieses Absatzes auch für das Revisionsgericht würde sich dann erledigen. Siehe dazu unten Zweites Kapitel: A. II. 3. b) aa) (3). 261 Vgl. Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 132.

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2. Kap.: Normativer Inhalt der Vorschriften

2. Systematische Auslegung Der nächste Schritt bei der Ermittlung des Normzweckes ist im klassischen Auslegungskanon die auf die Auslegung des Wortlauts folgende systematische Auslegung. Während die vorangegangene Wortlautinterpretation den Zweck der Norm in einem Mikrokontext des einzelnen syntaktischen Wortgefüges untersucht, so erweitert die systematische Auslegung den Blick auf die Stellung der Norm im Gefüge der Gesamtrechtsordnung und versucht den Normzweck, gleichsam durch einen „Schritt zurück“, aus ihrem Makrokontext heraus zu ergründen; dieser Vorgang ist texthermeneutisch anerkannt sowie darüber hinaus auch zwingend und steht mit der Wortlautinterpretation in direktem Zusammenhang.262 Die Notwendigkeit einer kontextuellen Betrachtung liegt am Beispiel des § 356 StPO auch auf der Hand. Sein eigentlicher Sinn, neben der immanenten Verweisungsanordnung, ergibt sich notwendigerweise nur aus einer gemeinsamen Betrachtung mit anderen Normen; zuvorderst mit der des § 268 StPO. Der Blick ist aber nicht auf die äußerliche Stellung der Norm beschränkt, sondern geht – wie sogleich erläutert werden wird – tiefer. Seit Heck wird, der die folgenden Begriffe prägte, zwischen einem „äußeren System“ und einem „inneren System“ der Rechtsordnung unterschieden; die Methodendiskussion hat sich dieser Begriffe angenommen.263 Das äußere System übernimmt im Wesentlichen Darstellungsfunktionen. Es ordnet aufgrund juristischer Begrifflichkeiten und Vorentscheidungen des Gesetzgebers einzelne Rechtssätze oder ganze Gesetze. Die eigentliche Musik spielt allerdings nicht im äußeren System, sondern im inneren System der Rechtsordnung; nur das innere System ist es, was letztlich die Eignung besitzt, offene Rechtsfragen zu beantworten, indem es die Wertungszusammenhänge aufdeckt und in Verbindung bringt.264 Äußeres und inneres System sind also nicht identisch, aber sie stehen auch nicht unverbunden nebeneinander, denn der Gesetzgeber bedient sich des äußeren Systems zur Darstellung seiner Wertentscheidungen in dem Gesetz und daher können aus der 262 Wie schon gezeigt, kam selbst die Wortlautauslegung oben bereits nicht ohne systematische Bezüge zurecht siehe dazu Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 324; Looschelders/Roth, Juristische Methodik im Prozeß der Rechtsanwendung, S. 149 f.; Möllers, Juristische Methodenlehre, § 4 Rn. 22, 94 m. w. N.; Reimer, Juristische Methodenlehre, Rn. 313; vgl. Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 103 f. m. w. N. in Fn. 193 zum Merkmal der „Ganzheit“ im texthermeneutischen Verständnis. 263 Heck, Begriffsbildung und Interessenjurisprudenz, S. 142 ff. Siehe u. a. Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, S. 73 f., 86 f.; Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 104; Reimer; Juristische Methodenlehre, Rn. 31 ff., 316 ff.; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 139 ff., 744 f. Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 439 benennen hingegen Karl Engisch als Begründer der Unterscheidung von äußerem und innerem System. 264 Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 88; Heck, Begriffsbildung und Interessenjurisprudenz, S. 142 f.; Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, S. 73, 83 ff., 133 f.; Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 104 f.; Reimer, Juristische Methodenlehre, Rn. 311 ff.; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 140 f., 144; vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 165 f., 489.

A. Auslegung der Vorschrift des § 356 StPO

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äußeren Anordnung der Normen im Gesetz wertvolle Schlüsse über die Struktur des inneren Systems abgeleitet werden.265 Das innere System der Rechtsordnung ist letztlich der Grund dafür, warum Normen und Gesetzeswerke gerade die konkrete äußere Gestalt, ihr äußeres System, erhalten. Nach dieser Differenzierung ist nun aber zu ergründen, was dieses „innere System“ der Rechtsordnung ist, was überhaupt ein „System“ ist und welche Inhalte es hat. Auch dies hat seine Herausforderungen, denn der Systembegriff wurde seit jeher in verschiedenen Formen und Ausprägungen genutzt und ist inhaltlich – für den Methodendiskurs wenig überraschend – in seinen Details und der Reichweite seiner Geltung umstritten.266 Dennoch sollen gewisse Koordinaten des Systems benannt werden. a) Zur Systemfrage des inneren Systems Dies beginnt zuallererst mit dem System und dessen wesentlichen Charakteristika sowie dem Systembegriff267 an sich, wobei auf eine vertiefte historische Darstellung der Entwicklung des Systemverständnisses verzichtet werden wird. Vielmehr soll der Status quo der Systemdiskussion in Kürze, mit Bezug auf das heute überwiegend anerkannte Verständnis eines teleologischen Systems, dargestellt werden. Darauffolgend werden die weiteren Koordinaten dieses Systems betrachtet, die diskutiert werden. Nach dieser Darstellung wird dann dahingehend Stellung bezogen, welche Parameter hier konkret herangezogen werden können und müssen, um den Normzweck des § 356 StPO in dessen systematischen Zusammenhang zu ermitteln. aa) Systembegriff: Hin zu einem teleologischen Systemverständnis Allgemein lässt sich unter dem Begriff „System“ ein aus einzelnen Bestandteilen zusammengefügtes, logisches Ganzes begreifen, bei dessen Betrachtung aus einer rechtlichen Perspektive der prägende Gedanke zugrunde liegt, dass einem juristischen System die Widerspruchsfreiheit der in ihm getroffenen Wertentscheidungen immanent ist.268 Ein solches Systemverständnis lässt sich bereits auf den von Immanuel Kant in seinem Werk „Critic der reinen Vernunft“ verwendeten allgemeinen philosophischen Systembegriff zurückführen, der sich als klassische Systemdefi265 Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 19; Engisch, Die Einheit der Rechtsordnung, S. 71; Fikentscher, Methoden des Rechts III, S. 672; Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, 73 f., 83 ff.; vgl. Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 104 f. 266 Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 9; Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, S. 8 f.; Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 442 bezeichnen die Antwort auf die Frage „welches System das ,richtige‘ sei“ als „Daueraufgabe der Rechtswissenschaft“. 267 Für einen historischen Überblick des fachsprachlichen Begriffs „System“ in Wissenschaft und Philosophie siehe bereits Ritschl, System und systematische Methode, als auch Peine, Das Recht als System, S. 32 ff. 268 BVerfGE 48, 246, 257; Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 99 f.; Möllers, Juristische Methodenlehre, § 4 Rn. 92, 125 ff.; Peine, das Recht als System, S. 32; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 744; Wank, Juristische Methodenlehre, § 9 Rn. 39.

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2. Kap.: Normativer Inhalt der Vorschriften

nition bezeichnen lässt und auch Grundlage für die in der Jurisprudenz verwendeten Systemdefinitionen ist.269 Dem allgemeinen Systembegriff liegen die Gedanken von „Einheit“ und „Ordnung“ als Systemkonstitutiva zugrunde und diese lassen sich entsprechend – jedenfalls in ihrem Grunde – auch ohne Weiteres auf den Begriff des juristischen Systems übertragen;270 und zwar als „Einheit der Rechtsordnung“ auf der einen sowie als „folgerichtige Einordnung“ der zu systematisierenden Gegenstände auf der anderen Seite.271 Der rechtswissenschaftliche Systembegriff unterlag in der methodischen Diskussion hier nicht weiter zu erörternden Wandlungen, was auch auf die schon angesprochene essentielle Änderung des zugrundeliegenden Rechtsverständnisses im Umbruch zum Ende des 19. Jahrhunderts zurückzuführen ist.272 Die vorherigen Anschauungen waren vor diesem Hintergrund nicht mehr zu halten. Insbesondere die Entwicklung von einer Begriffsjurisprudenz über eine Interessenjurisprudenz und der Freirechtsbewegung hin zu einer Zweckjurisprudenz tat hier ihr Übriges.273 Vertiefter Erwähnung zum Systembegriff finden zumeist, primär im Wege einer historischen Entwicklungsdarstellung, das formal-logische, das axiologisch-deduktive und das teleologische System. Letzteres stellt in der Methodendiskussion das aktuelle Modell dar.274 Deduktive Systemkonzeptionen, wie sie gerade der formal-logische Systembegriff oder auch rein axiologische Systembegriffe zugrunde legen, gelten heute aus verschiedenen Gründen im Ergebnis wohl richtigerweise als überholt.275 In neuerer Zeit wird das System als ein teleologisches System aufgefasst, das im Zeitpunkt der Rechtsanwendung erzeugt wird und darauf bedacht ist, die Einheit der 269 Kant, Critik der reinen Vernunft, S. 832: „Ich verstehe aber unter einem Systeme die Einheit der mannigfaltigen Erkenntnisse unter einer Idee.“; Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 11; Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, S. 7 f. 270 So das Ergebnis der Untersuchung von Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 11 ff.; Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, S. 7. Kritisch zu den von Canaris gefundenen Ergebnissen der Untersuchung Peine, Das Recht als System, S. 20 ff. 271 Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 16 ff.; Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, S. 7 f. 272 Vgl. dazu die obigen Ausführungen unter Zweites Kapitel: A. I. 2. a). Jan Schröder, ZfPW 2016, 307, 308. Zur ausführlichen Darstellung einzelner Systembegriffe, siehe Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 19 ff.; Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, S. 130 ff.; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 19 ff., 165 ff. 273 Siehe dazu den Beitrag von Jan Schröder, ZfPW 2016, S. 307 ff. und zur Freirechtsbewegung nur Kaufmann, JuS 1965, 1; Möllers, Juristische Methodenlehre, § 5 Rn. 19 ff.; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 119 ff.; siehe auch Meder, Rechtsgeschichte, S. 449 ff. 274 Vgl. dazu u. a.: Canaris, Systemdenken und Systembegriff, 41 ff.; Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, S. 133 ff.; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 173; Müller/Christensen, Juristische Methodik I, Rn. 112; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 144a. 275 Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 20 ff.; Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, S. 130 ff.; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 165 ff.; vgl. Rüthers/ Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 628.

A. Auslegung der Vorschrift des § 356 StPO

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Rechtsordnung induktiv aus den getroffenen Wertentscheidungen des positiven Rechts herzustellen.276 Hier soll nicht verschleiert werden, dass dieses Vorgehen nicht ganz unproblematisch ist, vor allem hinsichtlich der oben vorgenommenen Auseinandersetzung mit der subjektiven und objektiven Auslegungstheorie. Sofern die systematische Auslegung mit einem System arbeitet, das im Zeitpunkt der Rechtsanwendung erst erzeugt wird, so handelt es sich hier um ein Auslegungsmittel in einem geltungszeitlichen Kontext. Das deutet auf eine Anwendung nach Maßstab der objektiven Auslegungstheorie hin und nicht der Ermittlung des historischen Normzwecks. Unproblematisch ist ein solches Vorgehen für diejenigen Ansichten, die eine primär objektiv-aktuelle Auslegung vornehmen.277 In einem puristischen Verständnis der subjektiv-historischen Auslegung sorgt dies auf den ersten Blick zu Irritationen, müsste doch das teleologische System im Zeitpunkt des Normerlasses in seinem gesamtsystematischen Kontext betrachtet werden, also im Jahre 1877. Dies erfolgt im Rahmen der unten vorzunehmenden historisch-genetischen Auslegung der Norm. Diese Irritation bei der systematischen Auslegung lässt sich aber mit dem Gedanken erklären, dass die systematische Auslegung sich als eine geübte philologische Kontextauslegung versteht,278 die nicht von der Hand weisen will, dass der heute geltende § 356 StPO schlichtweg in einen anderen rechtlichen Kontext eingebettet ist – nicht nur namentlich verfassungsrechtlich, sondern auch innerhalb der StPO –, als es der § 396 RStPO war; auch wenn sich an seinem Wortlaut nichts geändert hat. Hätte sich der Wortlaut geändert, würde hier auch in erster Linie der geltungszeitliche Wortlaut für die Interpretation herangezogen werden und nicht ein vorzeitlicher. Der Gesetzgeber unter dem Grundgesetz hat die bestehende Rechtsordnung immer wieder vorausgesetzt und das bei jeder Rechtsanpassung, in deren Bezug die gegenständliche Norm steht.279 Daher ist es auch folgerichtig, das aktuelle System zu betrachten, in dem die Norm verortet ist.280

276

Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 41 ff.; Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, S. 133; Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 440; vgl. Kramer, Juristische Methodenlehre, 99 ff.; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 173. Diese Leistung des Systems, Widerspruchslosigkeit herzustellen und Lückenfüllung zu betreiben, ist dem Grunde nach auch bereits bei Savigny angelegt, System I, S. 263 f. (positive und negative Funktion des Systems). Dazu auch Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 223; Müller/Christensen, Juristische Methodik, Rn. 81. 277 Im folgenden Verlauf gilt das namentlich für die Ansicht zum Systemverständnis nach dem Verständnis von Larenz und Canaris. 278 Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 103 f.; Vgl. Jan Schröder, Recht als Wissenschaft, S. 363 f.; Heck, Gesetzesauslegung und Interessenjurisprudenz, S. 92, 127 f. 279 Jan Schröder, Recht als Wissenschaft, S. 364; vgl. Heck, Gesetzesauslegung und Interessenjurisprudenz, S. 127 f. 280 So auch Wank, Die Auslegung von Gesetzen, S. 57; vgl. Wank, Juristische Methodenlehre, § 9 Rn. 2 f.

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bb) Koordinaten des teleologischen Systems Das teleologische System tritt üblicher Weise in „Teilrechtssystemen“ auf, die also lediglich bestimmte Teile des Rechts und seiner Rechtsgebiete umfassen, da ein an sich denkbares „Gesamtrechtssystem“ zumeist an der zu behandelnden Stoffmenge scheitert.281 Die neuere Verortung hat das Systemdenken eines teleologischen Systems zwar im Wesentlichen im materiellen Zivilrecht,282 das methodologische Gerüst lässt sich aber auch auf das Strafverfahrensrecht übertragen. Diesem System werden diverse Eigenschaften und Systembeziehungen zugeschrieben. Sie werden im Folgenden erörtert werden, um die gleich anschließende Bedeutung der Prinzipiendiskussion zu verdeutlichen. Dabei geht es zum einen um die Bedeutung der Rechtsgrundsätze bzw. Rechtsprinzipien und ihrer Beziehung zueinander innerhalb des Systems, als auch zum anderen um die Eigenschaften der „Offenheit“ und „Beweglichkeit“ des teleologischen Systems. (1) Systembeziehung Das teleologische System lässt sich in gewissem Maße als „axiologisch“283 angelegt verstehen, welches aus einer bestimmten Zahl an Grundprinzipien, auch Rechtsprinzipien genannt, gebildet wird.284 Die bereits angesprochenen Wertentscheidungen sind folglich nicht erschöpfend in den geschriebenen Normen zu finden, sondern in deren Hintergrund stehen allgemeinere Vorstellungen, allgemeine Rechtsgedanken und Rechtsgrundsätze, eben jene Rechtsprinzipien, die ebenfalls bei der Auslegung Berücksichtigung finden sollen und die Interessenentscheidungen des Gesetzgebers verdeutlichen.285 Damit sind es gerade die Rechtsprinzipien, die Inhalt des Systems sind und die Rechtsordnung als Fundament tragen; sie lassen sich von daher als „Tiefenstruktur des Rechts“286 bezeichnen. Über diese innere Struktur des Systems spannt sich die Rechtsordnung mit ihren konkreten Ausformungen. Das Auffinden der zugrundeliegenden Rechtsprinzipien ist die eigentliche Herausforderung, da sie metaphorisch gesprochen im Hintergrund stehen und nicht ohne weiteres offenbar sind. Im Gesetz lassen sie sich, wenn überhaupt, dann nur selten

281 Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, S. 135 f.; Peine, Das Recht als System, S. 124; Engisch, Studium Generale 10 (1957), 173, 186; Reimer, Juristische Methodenlehre, Rn. 314 nennt als Grund für die Unmöglichkeit eines Gesamtsystems auch die Komplexität von Kodifikationen, die vielen Bezüge der Normen, in denen sie stehen und die Unvollkommenheit der Normsetzer. 282 Siehe dazu m. w. N. Müller/Christensen, Juristische Methodik I, Rn. 112. 283 Zum Begriff siehe nur Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 886. 284 Vgl. Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 41 ff., 46 ff., 58 ff.; Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 440. 285 Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, S. 91; Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 283; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 144a. 286 Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 283.

A. Auslegung der Vorschrift des § 356 StPO

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ausdrücklich finden.287 Das Auffinden der Rechtsprinzipien wird die entscheidende Vorarbeit für die systematische Auslegung sein. Die Axiome des Systems, i. S. v. Rechtsprinzipien, stehen in ihrer Beziehung nicht notwendigerweise widerspruchsfrei oder ergänzend zueinander, sondern im Gegenteil, sie können in Konkurrenz oder gerade im Widerspruch zueinanderstehen.288 Deshalb kommt Rechtsprinzipien, im Unterschied zu echten Axiomen, keine uneingeschränkte Gültigkeit zu, sondern es gibt zu ihnen sachgerechte Ausnahmen bzw. Rangordnungen im Einzelfall.289 Um Reibungspunkte, insbesondere im Kollisionsfall, aufzulösen, bedarf es wertender Entscheidungen des Rechtsanwenders, bei der die in den Rechtssätzen erkennbaren Zwecke derart zur Verwirklichung gebracht werden, dass eine einheitliche Rechtsordnung hergestellt wird.290 Wegen dieser vorzunehmenden wertendenden Entscheidungen ist dieses System ein „teleologisches“. Die proklamierte Einheitlichkeit der Rechtsordnung, die als Systemkonstitutivum identitätsstiftend ist, stellt sich folglich als ein „Interpretationsprodukt“291 dar, die dem System tatsächlich nicht an sich innewohnt, sondern von diesem – über den Rechtsanwender vermittelt – erst geschaffen wird.292 Das erscheint angesichts der verschiedenen Epochen, aus denen das heute geltende Recht stammt, der Vielzahl der unterschiedlich beteiligten (internationalen) Institutionen im Gesetzgebungsprozess und den fortwährenden Änderungen am Recht, die zum Teil vor allem in neuerer Zeit immer häufiger – jedenfalls gefühlt, wenn auch hier nicht empirisch belegt – mit „heißer Nadel“ gestrickt werden, nicht verwunderlich. Dies muss zu logischen Brüchen und Uneinheitlichkeit führen. Bei der Ordnung des zu systematisierenden Materials oder der Begrifflichkeiten geht es damit um wertungsmäßige Folgerichtigkeit.293

287

Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, S. 92; Möllers, Juristische Methodenlehre, § 9 Rn. 15; Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 283; vgl. Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 110; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 756 ff. 288 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 78 f.; Canaris, Systemdenken und Systembegriff, 52 ff.; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 169. 289 Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 58 ff.; Josef Esser, Grundsatz und Norm, S. 7; Alexy spricht hier ausdrücklich nicht von „Ausnahmen“, sondern von Vorrang eines Prinzips, der die Geltung des zurücktretenden Prinzips nicht berührt, Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 78 f.; vgl. zu den Problemen eines rein axiologischen Systemmodells auch die Ausführungen von Engisch, Studium Generale 10 (1957), 173, 175 ff. 290 So umschreibt Canaris die Aufgabe des Systems, Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 18; Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, S. 133 f. 291 Rüthers/Fisher/Birk, Rechtstheorie, Rn. 776. 292 Vgl. Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, S. 134 f.; Morlok, in: Subsumtion, 179, 196 f.; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 774 ff. 293 Canaris, Systemdenken und Systembegriff, 18; vgl. Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, 134.

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(2) Die Rolle der Prinzipien im System Die systembildenden Faktoren stellen die Rechtsprinzipien dar. So vielseitig die Systemdiskussion sich darstellt, so vielfältig werden auch die Begriffe von Rechtsprinzip, Wertung, Grundsatz, Norm, Zielsetzung usw. unterschiedlich oder auch synonym verwendet – was vielleicht auch daher herrühren mag, dass im allgemeinen Sprachgebrauch die Begriffe oft mehrdeutig verwendet werden.294 Das Rechtsprinzip ist ein schillernder Begriff, der vielfach in Rechtsprechung und Lehre verwendet wird, ohne dass man sich ihm in dieser Diskussion vollständig und trennscharf nähern konnte oder teilweise auch überhaupt der Versuch unternommen wurde, die Begriffe inhaltlich und hinsichtlich ihrer Genese nachvollziehbar zu klären.295 Oftmals bleibt schon unklar, ob der Begriff als Terminus technicus oder bloß als Floskel verwendet wird, um der eigenen Aussage mehr Gehalt zu geben. Das Wort „Prinzip“ lässt sich als Suffix nahezu jedem beliebigen Nomen anfügen, um die eigene Argumentation mit höheren Weihen und Durchschlagskraft auszustatten – mit einer Inhaltssteigerung oder -konkretisierung muss dies aber nicht verbunden sein.296 In der deutschen Methodenlehre gibt es zwei große Ansätze, um sich dem „Mythos Rechtsprinzip“297 zu nähern, die auch von Rüthers, Ch. Fischer und Birk in ihrer hier leitenden Rechtstheorie erörtert werden.298 Dies sind zum einen die Ansätze um Carl Larenz und seinem Schüler Claus-Wilhelm Canaris und zum anderen Robert Alexys, auf den Vorarbeiten Ronald Dworkins aufbauende und in Bezug auf die Grundrechte entwickelte, Prinzipientheorie. (a) Die Ansicht nach Canaris/Larenz Begonnen mit Canaris’ Ansicht, der der Frage der Systembildung eine ganze Schrift gewidmet hat, bilden allgemeinen Rechtsprinzipien die Grundwertungen einer Rechtsordnung.299 Sie stellen damit aus der Gruppe der Wertungen einer Rechtsordnung, eine besondere Teilmenge dar und sind für sie ein tragendes Ele-

294

Zur Wortherkunft des Begriffs „Prinzip“ und seiner inhaltlichen Bedeutung samt seinen philosophischen Zusammenhängen, siehe die Ausführungen bei Reimer, Verfassungsprinzipien, S. 146 ff. Möllers, Juristische Methodenlehre, § 9 Rn. 11 bspw. bezeichnet „Rechtsprinzip“ und „allgemeiner Rechtsgrundsatz“ als gleichbedeutend, Reimer, Juristische Methodenlehre, Rn. 266 unterscheidet hingegen die beiden Begrifflichkeiten. 295 Josef Esser, Grundsatz und Norm, S. 1; Heinold, Die Prinzipientheorie bei Ronald Dworkin und Robert Alexy, S. 27 der auch in der vielschichtigen Kategorie des Prinzipienbegriffs an sich und in der Veranlagung des Themas auf einer rechtlichen Metaebene, die eine vertiefte Auseinandersetzung der Praxis verhindert, einen Grund für dessen unklaren Inhalt sieht; vgl. Reimer, Verfassungsprinzipien, S. 19 ff. 296 Dazu Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 283 „Vieles wird ,Prinzip‘ genannt, was den Namen nicht verdient“ oder auch Reimer, Verfassungsprinzipien, S. 20: „So ergeben Verfassung und Prinzip vereint ein unüberwindliches Argument“. 297 So Heinold, Die Prinzipientheorie bei Ronald Dworkin und Robert Alexy, S. 27. 298 Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 756 ff. 299 Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 46.

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ment.300 Eine Grundwertung als Prinzip ist dann allgemein, wenn sie geeignet ist, das Systemkonstitutivum von der Einheit der Rechtsordnung sichtbar zu machen, also die entsprechenden inneren Zusammenhänge zu verdeutlichen.301 Das Allgemeinheitskriterium ist hierbei kein absolutes, sondern ein relatives und abhängig von der jeweiligen „Höhe des Blickpunktes“.302 Folge dessen ist, dass sich je nach Weite des gezogenen Blickwinkels allgemeine Prinzipien identifizieren lassen, die für die jeweilige Gesamtrechtsordnung oder nur eine untersuchte Teilrechtsordnung systemtragend sind.303 Nur teilweise wird es derart allgemeine Grundwertungen geben, die auf alle Ebenen durchschlagen.304 Solche dürften insbesondere höherrangige Wertentscheidungen, beispielsweise aus dem Verfassungsrecht, sein. In Abgrenzung allerdings zu einem Wert an sich, soll das allgemeine Rechtsprinzip bereits das Konditionalprogramm eines Rechtssatzes in Form von Tatbestand und Rechtsfolge aufweisen.305 Einer unmittelbaren Geltung selbst sind die Prinzipien aber nicht fähig, sondern sie bedürfen einer konkreten (gesetzlichen) Ausgestaltung in einem Normsatz, damit sie wirken können.306 Einen ähnlichen Ansatz lässt auch Larenz erkennen. Rechtsprinzipien bzw. rechtsethische Prinzipien seien demnach „allgemeine Wertungsmaßstäbe oder Wertvorzüge im Hinblick auf die Rechtsidee“ und damit Ausprägung dieses obersten Begriffes.307 Diese „materialen Rechtsgedanken“, sind aber noch nicht zu „unmittelbar anwendbaren Rechtsregeln verdichtet“, sodass sie keinen Einzelfall entscheiden können und stellen damit vielmehr „Normen von großer Allgemeinheit“308 dar.309 Rechtsprinzipien werden also inhaltlich als ein Ableitungsprodukt des in dieser Methodenlehre bestehenden obersten Rechtsbegriffs verstanden und grenzen sich zu Normen über das Merkmal der Generalität ab.310 Von ihrer Herkunft her stellen sie damit die Konkretisierung der Rechtsidee durch Gesetzgebung, Rechtsprechung und Lehre nach ihrem aktuellen historischen Entwicklungsstand dar.311 300

Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 46. Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 46 ff. 302 Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 48. 303 Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 47 f. 304 Vgl. Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 47 f. 305 Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, S. 124; Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 51. 306 Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 57; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 169 f., 474. 307 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 227, 474; eine solche Anknüpfung des Systems an die „Rechtsidee“ trifft Canaris übrigens auch, Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 16. 308 Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 284. 309 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 227, 474; Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S.132; in einem solchen Verständnis auch Möllers, Juristische Methodenlehre, § 9 Rn. 13. 310 Diesem Abgrenzungskriterium folgen auch Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 288. 311 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 474. 301

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Kritisch an der Ansicht Larenz’ ist hier nicht die Klassifizierung, was ein Rechtsprinzip ist, sondern dessen Herkunft. Neben den von der Gesetzgebung positiv aufgenommenen Prinzipien, sollen Prinzipien auch daneben „gefunden“312 werden können und damit auch antipositivistische Rechtsprinzipien bei der Systembildung Berücksichtigung finden könnten;313 weil sie das Ableitungsprodukt der abstrakt bestehenden Rechtsidee darstellen.314 Ein Gedanke, der sich übrigens, wenn auch nur als subsidiäre Quelle, ebenfalls bei seinem Schüler Canaris findet.315 Eine Berufung auf diese Prinzipien bei der Systembildung ist mit äußerster Vorsicht zu genießen; so stellen die Rechtsprinzipien unter Umständen ein Einfallstor für das vom auf diese sich Berufenden Gewollte dar, nicht aber das der Leitgedanken, die dem Recht zugrunde liegen.316 (b) Die Ansätze nach Alexy und seiner Prinzipientheorie In der analytischen Rechtstheorie wird zur Identifikation von Prinzipien hingegen auf inhaltliche Kriterien abgestellt, um sie vor allem zu den Regeln abzugrenzen.317 Die in diesem Zusammenhang genannte Prinzipientheorie von Alexy versteht Prinzipien und Regeln zunächst einmal als Normen, da sie, wie auch die Regeln, einen Sollensgehalt beinhalten und folglich deontologisch sind.318 Werte hingegen sind für Alexy axiologisch, also nicht in der Kategorie des Sollens sondern des Guten eingeteilt und weisen damit einen punktuellen Charakter auf, dennoch sind sie mit den Prinzipien eng verwandt.319 Hinsichtlich des deontologischen Charakters von Prinzipien besteht insofern eine Ähnlichkeit zu der Ansicht von Canaris und Larenz, wonach Prinzipien ein Konditionalprogramm aufweisen. Sie haben einen Regelungsgehalt, der an bestimmte Umstände anknüpft und hierfür eine Art Rechtsfolge vorsieht. Die Rechtsfolge ist aber nicht konkret, sondern gibt lediglich eine Tendenz vor und eröffnet somit ein Spektrum an möglichen Rechtsfolgen zur Verwirklichung des Prinzips.320 Dieses Verständnis von Prinzipien ermöglicht, im Gegensatz zu der 312

Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 474; hier allerdings in Bezug auf die Findung von Rechtsprinzipien durch Rechtsprechung und Lehre. 313 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 474. 314 Wegen der hochgradigen Anpassungsfähigkeit, die mit der Nutzung der Konzeption „Rechtsidee“ verbunden ist und die immer wieder neue, auch Unrecht rechtfertigende, Ergebnisse produzierte, spricht Engisch auch von der „magischen Kraft des Zauberbesens ,Rechtsidee‘“, Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 243. Siehe zur Problematik des Umgangs mit dieser Konzeption S. 242 ff. 315 Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 70. 316 Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 756c. 317 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 71 ff.; Dworkin, Bürgerrechte ernstgenommen, S. 54 ff.; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 756d. Zur bestehenden Kritik siehe die w. N. bei Möllers, Juristische Methodenlehre, § 9 Rn. 12 in Fn. 68. 318 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 72. 319 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 125 ff. 320 Vgl. Dworkin, Bürgerrechte ernstgenommen, S. 60. Bezeichnend für dieses Phänomen ist geradezu die Aussage von von Mittnacht bei Vorstellung des RStPO-Entwurfes in der Ersten

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zuvor genannten Auffassung von Larenz und Canaris, grundsätzlich auch eine unmittelbare Anwendbarkeit von Prinzipien dort, wo keine Regelungen bestehen.321 Bei der Unterscheidung von Prinzipien und Regeln geht Alexy aber einen gänzlich anderen Weg, als die bis dato gängigen Ansichten, indem er in ihnen nicht einen graduellen Unterschied, insbesondere im Hinblick auf die Generalität der Geltung von Prinzipien gegenüber Regeln sieht, sondern einen qualitativen Unterschied.322 Er nimmt damit eine starke Trennung dieser beiden Erscheinungsformen vor, was als „starke Trennungsthese“ bezeichnet wird.323 (Deontologische) Normen können danach entweder Regeln oder Prinzipien sein.324 Deutlich wird diese Differenzierung im Kollisionsfall. Im Unterschied zu Regeln, die in einem Regelkonflikt zur Auflösung desselben nur alternativ gelten oder eben nicht gelten können,325 wird die Gültigkeit von Prinzipien durch einen Prinzipienkonflikt nicht aufgehoben.326 Hier muss eines der kollidierenden Prinzipien ganz oder teilweise in seiner Verwirklichung zurücktreten, der Rechtsanwender wird hierbei also zu Abwägungsentscheidungen bei der Konfliktlösung gezwungen, wenn eine solche Entscheidung nicht durch den Gesetzgeber schon erfolgt ist – die Geltung des Prinzips an sich betrifft das aber nicht.327 Rechtsprinzipien erhalten damit die Funktion als prima-facie-Gebote, die Grund für Regeln und innerhalb derer Argumentationsstoff sind.328 Daher ist es auch folgerichtig, dass Alexy Prinzipien in der Abgrenzung zu Regeln als Optimierungsgebote in einem weiten Sinne versteht, bei denen es darum geht, ihre Inhalte auf einem möglichst hohen Niveau zu realisieren, und zwar in rechtlicher als auch tatsächlicher Hinsicht.329 Den Prinzipien gehen Regeln jedoch grundsätzlich vor. Dies gilt in jedem Fall, wenn eine Regel strikt gilt und mit der in ihr getroffenen Wertentscheidung ein Beratung des Reichstags vom 24. und 26. 11. 1874: „Nicht blos der gemeine deutsche Strafprozeß hat, wo er noch zu Recht besteht, eine ganz verschiedene Gestaltung erfahren durch die Praxis und Partikulargesetze, auch der auf den gemeinsamen Prinzipien der Anklageschaft, Mündlichkeit und Oeffentlichkeit beruhende sogenannte reformierte Strafprozeß hat diese Prinzipien und die Detailbestimmungen in einer so abweichenden und verschiedenen Weise aufgefaßt und durchgeführt, daß die gemeinsame Abstammung in den verschiedenen Kindern einer Familie zu erkennen oft recht schwer wird.“, Hahn, Materialien zur StPO, S. 497 f. 321 Vgl. Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 286. 322 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 74 f. 323 Breckwoldt/Kleiber, in: Prinzipientheorie und Theorie der Abwägung, 1, 8. 324 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 77, 126 f. und das Schaubild auf S. 132. 325 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 77 f.; Dworkin, Bürgerrechte ernstgenommen, S. 58. 326 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 78 f. 327 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 79. 328 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 87 ff.; Dworkin, Bürgerrechte ernstgenommen, S. 60; Josef Esser, Grundsatz und Norm, S. 51 f.; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 756d; Schilling, Rang und Geltung von Normen in gestuften Rechtsordnungen, S. 91. 329 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 75 f.

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Rechtsprinzip einschränkt; dann ist letzteres in jedem Falle verdrängt, egal wie wichtig es ist. Anders sieht es aus, wenn eine Regel nicht strikt gilt. Ihrem Geltungscharakter nach hat die Regel zunächst weiterhin Vorrang. Allerdings besteht in ihr nun eine Öffnungsmodalität, die es zulässt, dass die nicht strikte Regel von einem Prinzip in ihrer Geltung eingeschränkt oder sogar verdrängt werden kann. Das ist jedoch nicht stets der Fall, sondern verlangt, dass das verdrängende Prinzip einerseits das in der Regel zum Ausdruck kommende (inhaltliche) Prinzip überspielt und zugleich das (formelle) Geltungsprinzip, dass eine Regel an sich gilt, übertrumpft.330 Das ist insofern entscheidend, da sich die einschlägigen Rechtsprinzipien nur selten als eigene Formulierungen unmittelbar in den Gesetzen wiederfinden (wie z. B. der Grundsatz von Treu und Glauben in § 242 BGB),331 sondern sie zumeist in Form der gesetzgeberischen Ausgestaltung in Form von an diesen Prinzipien ausgerichteten, konkretisierten Normen erscheinen. Inwiefern eine Regel dann in Bezug auf ein Prinzip strikt gilt oder nicht, ist eine weitere Herausforderung, die es zu bewältigen gilt. (3) Prinzipiengewinnung Die soeben behandelten Rechtsprinzipien bilden das Fundament der Rechtsordnung und des Systems, sie werden von den gesetzlichen Vorschriften in ihrer Konzeption regelmäßig vorausgesetzt, ohne dass sie eine besondere Erwähnung in den Gesetzen finden.332 Da sich, wie bereits angesprochen, Rechtsprinzipien selten unmittelbar aus dem Gesetz entnehmen lassen, sie allenfalls unvollständig Niederschlag finden, ist es ist also die vornehmliche Herausforderung, die Rechtsprinzipien der Rechtsordnung zu entdecken.333 Ihre Gewinnung, damit ist das Auffinden der Prinzipien gemeint, kann auf zwei Wege betrieben werden. Eine Möglichkeit ist es, Prinzipien aus dem positiven Recht herzuleiten, was sich als eine empirische Aufgabe darstellt.334 Eine weitere Möglichkeit ist es, die im Rahmen der Darstellung von 330

Siehe zu alle dem Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 76 dort in Fn. 24, S. 89. Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, S. 92; Möllers, Juristische Methodenlehre, § 9 Rn. 15; Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 283; vgl. Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 110; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 756 ff. 332 Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 283. In gewisser Weise lässt sich hier die Formulierung von Wieacker im Untertitel seiner Schrift genutzte Begriff der „außergesetzlichen Rechtsordnung“ verwenden. In der Schrift setzt er sich mit der Frage des Auffindens außergesetzlicher „Richtlinien“ auseinander, um bestehende Lücken der Rechtsanwendung zu füllen, Wieacker, Gesetz und Richterkunst, S. 8 ff. 333 Savigny, Vom Beruf unserer Zeit, S. 22 formuliert zu dieser Herausforderung: „Diese [Anm.: die leitenden Grundsätze des Rechts] heraus zu fühlen, und von ihnen ausgehend den inneren Zusammenhang und die Art der Verwandtschaft aller juristischen Begriffe und Sätze zu erkennen, gehört eben zu den schwersten Aufgaben unserer Wissenschaft, ja es ist eigentlich dasjenige, was unsrer Arbeit wissenschaftlichen Character giebt.“; Möllers, Juristische Methodenlehre, § 9 Rn. 15, 19 f. 334 Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, S. 97 ff., vgl. für Rechtswerte auch S. 124 f.; Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 68; Höpfner, Die systemkonforme 331

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Larenz’ und Canaris’ Ansicht angeklungene Möglichkeit, Rechtsprinzipien auch antipositivistisch zu ermitteln bzw. auch erstmalig zu entdecken, was eine echte Gewinnung von Prinzipien darstellen würde.335 Das unterstellt aber die Existenz eines überpositiven Rechts, das neben dem positiven Recht besteht, was einer naturrechtlichen Auffassung ähnlich ist.336 (4) Systemeigenschaften: Offenheit und Beweglichkeit Dem teleologischen System werden zwei Systemeigenschaften zugeschrieben. Diese sind zum einen die Offenheit und zum anderen die Beweglichkeit des Systems. Die Offenheit des Systems knüpft dabei an seine eben behandelten Inhalte, den Rechtsprinzipien, an. Auch wenn angenommen wird, dass es eine bestimmte Zahl an rückführbaren Prinzipien gibt, so ist das System in seiner Tiefenstruktur nicht abgeschlossen. Im Gegenteil, das teleologische System weist hierbei eine gewisse Entwicklungsfähigkeit in Bezug auf die Menge der wirkenden Grundätze auf: Durch Erweiterungen und Änderungen im Recht, insbesondere gesetzgeberische Entscheidungen, können weitere Grundprinzipien hinzutreten und Gewichtungen der vorhandenen Prinzipien verändert werden, weswegen das teleologische System ein grundsätzlich offenes System ist.337 Damit gibt es also keinen abgeschlossenen Fundus an systemischen Prinzipien. Sie können im Laufe der Zeit neuentwickelt werden und zu den bestehenden hinzutreten, andere ablösen und damit das System grundlegend oder bloß in Einzelwertungen neu ausrichten. Daran zeigt sich, dass das System im Zeitpunkt der Rechtsanwendung entsteht. Eine bereits bestehende Norm kann durch Verschiebungen des Systems eine andere Bedeutung erhalten, was das Auslegungsergebnis der systematischen Auslegung im Vergleich zu vorherigen Anwendungen früherer Zeit anders ausfallen lassen kann. Neben der Systemoffenheit wird auch das Merkmal der „Beweglichkeit“ diskutiert. Einige Ansichten setzen „Offenheit“ und „Beweglichkeit“ des Systems Auslegung, S. 92 f.; Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 289; Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 110 f.; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 756a. Anschaulich zu den problematischen Praktiken der „Prinzipienfindung“ die Ausführungen bei Josef Esser, Grundsatz und Norm, S. 161 ff., 174. 335 Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, S. 106 ff., 118 ff., vgl. für Rechtswerte S. 125 f.; Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 70; Kaufmann, Das Verfahren der Rechtsgewinnung, S. 55 f., 65 f.; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 173 f., 336, 474; Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, S. 93 f. m. w. N. in Fn. 517; Hans Wolff, in: GS Jellinek, 33, 37 ff. 336 Vgl. Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, S. 39; vgl. Kaufmann, Das Verfahren der Rechtsgewinnung, S. 81. 337 Canaris, Systemdenken und Systembegriff, 63 f.; Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, S. 136 f.; Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 111; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 173, 486 ff.; Müller/Christensen, Juristische Methodik I, Rn. 112; Engisch, Studium Generale 10 (1957), 173, 187 f.

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gleich.338 In der Tat zeigt ein offenes System durch seine Modifizierungsfähigkeit metaphorisch eine gewisse Beweglichkeit auf.339 Durch das Hinzutreten neuerer Wertungen verschiebt sich das gesamte Systemgefüge, was ebenfalls eine bildlichbegriffliche Beweglichkeit darstellt. Die aber vorrangig unter „Beweglichkeit“ diskutierte Vorstellung ist die, ob eine konkrete Rechtsfolge einer Norm aus nur einem Prinzip gefolgert werden kann oder erst im Zusammenwirken mehrerer. Hieraus wird deutlich, dass sich eine Beweglichkeit nur bei solchen Normen zeigen kann, in denen Abwägungen vorgenommen werden.340 Entwickelt wurde dieses Konzept von Walter Wilburg daher auch anhand des Schadensersatzrechts.341 Dieses findet sich übertragen auch auf andere Bereiche materiellrechtlicher Generalklauseln des Zivilrechts, wie der Sittenwidrigkeit.342 Die Rechtsfolge (Schadensersatz und seine Höhe; Sittenwidrigkeit von Rechtsgeschäften) soll demnach aus verschiedenen Prinzipien heraus bestimmt werden können. Eines kann ausreichen, die Rechtsfolge auszulösen, in anderen Fällen bedarf es aber eines Zusammenspiels von mehreren gleichrangigen, untereinander aber austauschbaren Faktoren.343 Weitere Details müssen zu diesem Konzept hier nicht geklärt werden, da die Rechtsordnung nach dem deutschen Recht grundsätzlich unbeweglich ist.344 Das gebietet bereits die verfassungsrechtliche Bindung des Richters an Gesetz und Recht und die Gewaltenteilung, da ein generell bewegliches System die Möglichkeit zu einer verdeckten Rechtsfortbildung eröffnet – was aber gerade nicht der Zweck der systematischen Auslegung ist, denn auch sie soll helfen den Gesetzeszweck zu erfassen.345 Eine Beweglichkeit des Systems kommt, wenn überhaupt, nur im Bereich von Tatbeständen in Betracht, die selbst eine gewisse Wertung eröffnen;346 das ist bei den hier zu untersuchenden Vorschriften des Strafverfahrensrechts ersichtlich nicht der Fall. Die Frage der Beweglichkeit des Systems ist für die weitere Untersuchung, im Gegensatz zur Offenheit, definitiv von keiner Relevanz.

338 Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, S. 137 f. m. w. N.; vgl. Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 111. 339 So auch Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 74. 340 Siehe Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, S. 139 f. 341 Siehe dazu grundlegend Wilburg, Entwicklung eines beweglichen Systems im bürgerlichen Recht; Wilburg, Die Elemente des Schadensrechts. Vertiefend: Westerhoff, Die Elemente des Beweglichen Systems. 342 Jakl, in: beck.online.GROSSKOMMENTAR BGB, § 138 Rn. 98 ff. 343 Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, 139. 344 Zutreffend Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 78; Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, S. 139 f.; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 479. 345 Vgl. Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 755a f. 346 Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, S. 140.

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cc) Parameter für die weitere Auslegung Nach der vorhergehenden grundsätzlichen Erläuterung der wesentlichen Vorstellungen und Strömungen in der aktuellen Systemdiskussion, sind nun die weiteren Parameter festzulegen, mit denen die systematische Auslegung des § 356 StPO im Folgenden vorgenommen werden wird. Dies betrifft vornehmlich die zugrunde gelegte Systemkonzeption, deren Inhalt in Form der Rechtsprinzipien und ihrer Gewinnung. Die erste Entscheidung ist dabei vielmehr eine Klarstellung: Auch diese Bearbeitung legt bei der systematischen Interpretation eine teleologische Systemkonzeption des inneren Systems zugrunde. Dessen Leistung besteht in dem Anspruch, aus den vom Gesetzgeber im positiven Recht mitgegebenen Wertentscheidungen eine Einheit der Rechtsordnung herzustellen, bzw. aufgedeckte Wertungswidersprüche oder sogar Lücken sinnvoll mit den in ihm bereits getroffenen Wertentscheidungen zu beheben.347 Die tragenden, systembildenden Faktoren stellen die Rechtsprinzipien dar. Hinsichtlich der Rechtsprinzipien sind damit auch weitere Entscheidungen, insbesondere ihrer Gewinnung, schon angedeutet. Die vorhergehende Darstellung zeigt, dass eine Bestimmung des Begriffs „Rechtsprinzip“ durch die verschiedenen Ansichten zwar mit einer positiven Definition versucht wird (allgemeine Grundwertungen der Rechtsordnung/Optimierungsgebote). Der eigentliche Zugang mit Erkenntniswert folgt aber nicht aus der positiven Begriffsbestimmung, sondern vielmehr aus den, den Rechtsprinzipien zugeschriebenen, Eigenschaften oder der Abgrenzung zu anderen Erscheinungsformen wie Regelungen und Werten, also gerade durch eine negative Bestimmung mittels ihrer Eigenschaften. Hier wird in einem direkten Vergleich deutlich, dass sich, so unterschiedliche die Grundkonzeptionen in der Qualität des Rechtsprinzips (gradueller vs. qualitativer Unterschied zu Regeln) sind, sich die beiden Ansätze von Canaris/Larenz und Alexy im Ergebnis nicht mehr allzu wesentlich unterscheiden. Das zeigt sich auch darin, dass andere Arbeiten, die gezwungen sind, eine Prinzipiendefinition vorzunehmen, sich irgendwie in diesem Spektrum einfinden.348 Daraus folgt für die weitere Auseinandersetzung, dass alle identifizierbaren Erscheinungsformen, die sich innerhalb des oben abgezeichneten Toleranzbereiches bewegen, sich wahrscheinlich als tatsächliches „Rechtsprinzip“ kategorisieren lassen werden. Jedenfalls dann, wenn die verschiedenen Merkmale, die den Rechtsprinzipien nach den dargestellten Meinungen zugeschrieben werden, kumulativ Berücksichtigung finden. Diese lassen sich als Hilfskriterien bei der Bewertung, ob 347

Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, S. 134; Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 442 f., 452; so auch schon Savigny, System I, 263 ff. 348 Namentlich Borowski, Grundrechte als Prinzipien, S. 101 ff.; Gehne, Nachhaltigkeit als Rechtsprinzip, S. 200 ff.; Schilling, Rang und Geltung von Normen in gestuften Rechtsordnungen, S. 91; Reimer, Verfassungsprinzipien, 179 ff.; Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 288.

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ein Rechtsprinzip vorliegt, heranziehen. Auch wenn die Unschärfe bei der Prinzipienbestimmung letztlich leider bestehen bleibt, so besteht die Hoffnung, dass ein Übersehen von einschlägigen, systembildenden Rechtsprinzipien für die weitere Untersuchung verhindert wird und der unbeabsichtigte Beifang dennoch gering bleibt. Auch geht es nicht darum – das wird so auch nicht möglich sein –, sämtliche in der StPO wirkende Prinzipien zu erfassen, sondern diejenigen, die für die vorliegende Frage, die Anwendbarkeit der Urteilsverkündungsfrist in der Revisionshauptverhandlung, in Betracht kommen. Während bei der Bestimmung des verwendeten Prinzipienbegriffs keine endgültige Entscheidung getroffen werden muss, so ist die Frage der Prinzipiengewinnung (ob nur induktiv-positivistische oder auch antipositivistische Gewinnung) hingegen zu klären. Und diese Entscheidung erfolgt – in Konsequenz mit der vorhergehenden Entscheidung für einen grundsätzlich subjektiv-historischen Ansatz – mit einer eindeutigen Absage an Versuche einer überpositivistischen Prinzipiengewinnung.349 Unter dem heutigen Rechtsverständnis von einem voluntaristischen Recht, das durch gesetzgebende und demokratisch legitimierte Institutionen gesetzt wird, sind diejenigen Wertentscheidungen zu berücksichtigen, die diese Institutionen ihrem Werk beigeben. Rechtsprinzipien können zwar in gewisser Weise auch neu entdeckt werden. Wissenschaft und Rechtsprechung entwickeln Konzeptionen zur Problemlösung und diese können später in das Fundament der Rechtsordnung Eingang finden. Ihre „Entdeckung“ trifft aber noch keine Aussage über ihre Geltung.350 Berücksichtigung finden solche gefundenen und durch die Rechtstradition gewachsenen Prinzipien erst dann, wenn sie in das geltende Recht und damit in den „Rechtskörper“ eingegliedert werden, der Gesetzgeber sie sich durch deren Inkorporation in das positive Recht zu eigen macht.351 Denn dann lassen sich die Prinzipien auch wiederum aus dem geltenden Recht herleiten. Ein solches Vorgehen gebietet die Bindung an Gesetz und Recht und die Gewaltenteilung.352 Es ist offensichtlich nicht der Fall, dass die gesetzgebenden Institutionen sich bei den

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So auch Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 289; Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, S. 93 ff.; Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 110 f.; kritisch auch Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 756c. 350 Josef Esser, Grundsatz und Norm, S. 41. 351 Josef Esser, Grundsatz und Norm, S. 41 spricht hier vom „corpus iuris“; vgl. Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 289. Dass eine solche Absorption des Bekannten bei der Entstehung der StPO stattgefunden hat belegt sich in den Motiven, Hahn, Materialien zur StPO, S. 72: „Man hat sich vielmehr auch bei der Aufstellung dieses Entwurfs […] wiederum wesentlich von dem Gedanken leiten lassen, daß der Gesetzgeber sich nicht durch ein Streben nach Originalität bestimmen lassen dürfe, möglichst Neues schaffen zu wollen, sondern daß er viel mehr dem Gebote gesunder Gesetzgebungspolitik folge, wenn er das in anderen Gesetzen vorhandene Gute sich aneignet und so das neue Werk als Fortbildung und einen Ausbau des Bestehenden erscheinen lässt.“ 352 Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 810 ff.

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jahrelangen Vorarbeiten353 und Beratungen eines Gesetzeswerkes wie das der StPO nicht auf grundlegende Leitgedanken verständigt hätten, nach denen sie dieses Gesetz konzipiert und dessen Normen entsprechend ausgerichtet haben. Immerhin gewinnt ein Normenwerk an Überzeugungskraft, wenn ihm eine prinzipienorientierte Grundkonzeption zugrunde liegt.354 Und damit wird eine weitere Eigenschaft deutlich, mit denen sich Rechtsprinzipien beschreiben lassen: Sie erfüllen die Funktion von Modellen und Direktiven, welche als Blaupausen für das grundlegende Verständnis der (Teil-)Rechtsordnungen Ordnung schaffen und die Masse des Rechts systematisieren.355 Leuchttürmen gleich werden die Rechtsprinzipien Bezugspunkte für die geschaffenen Einzelnormen und ihre Genealogie356 zum inneren System wird sichtbar. Entscheidend ist zu erkennen, dass die Prinzipien nicht aus den Normen folgen, sondern umgekehrt in ihnen angesiedelt sind.357 Die Prinzipien einer entwickelten Rechtsordnung sind deren, vom Gesetzgeber unterlegtes, Vorverständnis und sie werden so zu gesetzgeberischen „Transportkonzeptionen des Willensaktes“.358 Ihre Reichweite liegt aber nicht bloß im Vorfeld bis zur Schaffung des Gesetzeswerkes und dessen Interpretation, sondern sie wirken auch in gewissem Grade bindend für nachfolgende Gesetzgeber in der Gestalt, dass an sie für eine kohärente Weiterentwicklung des Systems angeknüpft werden muss, um Widersprüche zu vermeiden.359 Als induktives System sind die Prinzipien nur empirisch aus dem geltenden Recht zu ermitteln, wobei die Gesetze die Grundlage bilden.360 Insofern wird diese Bearbeitung sich nicht auf die Suche machen, überpositive Prinzipien für die Argumentation zu finden. Im Folgenden Teil sollen nun diejenigen tragenden Wertungen aus dem positiven Recht gewonnen werden, um im nächsten Zuge der Bearbeitung den in § 356 StPO ruhenden Zweck der Norm aus systematischer Perspektive zu ergründen. Der Einstieg geschieht über eine Betrachtung der äußeren Systematik der Vorschrift. Aus der 353 Fast neun Jahre von Aufforderung des Bundeskanzlers zur Entwurfsentwicklung vom 18. 04. 1868 bis zur Verkündung der RStPO am 01. 02. 1877 siehe dazu die Darstellung bei der historischen Auslegung, Zweites Kapitel: A. II. 3. a). 354 Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, S. 65. 355 Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 283 f. 356 Vgl. dazu die Bezeichnung und Konzeption der „Genealogie der Begriffe“ die sich gedanklich übertragen lässt, Puchta, Cursus der Institutionen I, S. 101. 357 Reimer, Juristische Methodenlehre, Rn. 316 spricht dabei von den „Leitgedanken der Reglungen“. 358 Heinold, Die Prinzipientheorie bei Ronald Dworkin und Robert Alexy, S. 394. 359 Vgl. LR/Kühne, Einleitung I Rn. 2. Zu den Fragen um das Bestehen von einem „Systemschaffungsgebot“ und „Systemerhaltungsgebot“, die den Gesetzgeber binden, siehe Peine, Systemgerechtigkeit, S. 208 ff. 360 Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, S. 87 f., der aber in den zulässigen Bereichen der Rechtsfortbildung auch das Richterrecht zum geltenden Recht hinzuzählt, S. 89 f.; vgl. in Bezug auf Werte in einem allgemeinen Verständnis, das auch Rechtsprinzipien umfasst, Ballerstedt, in: FS Flume, 257, 257, 267.

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2. Kap.: Normativer Inhalt der Vorschriften

vom Gesetzgeber mitgegebenen äußeren Stellung der Norm werden Rückschlüsse auf die prägenden Prinzipien des inneren Systems gezogen, um diese aus dem Gesetz herauszuarbeiten. Unter Einbeziehung etwaiger weiterer aus dem Gesetz herleitbarer systembildender Wertentscheidungen wird sodann die innere Systematik der Vorschrift betrachtet, um ihren Normzweck zu erhellen und wertungsmäßige Folgerichtigkeit zu schaffen. b) Äußere Systematik des § 356 StPO Bei § 356 StPO handelt es sich um ein Bundesgesetz auf der Grundlage des Art. 74 I Nr. 1 GG und er ist eine Norm des formellen Strafrechts. Sie ist als Norm des gerichtlichen Verfahrens damit originär öffentlich-rechtlicher Natur.361 Hinsichtlich ihrer äußeren Stellung soll hier eine Betrachtung der Vorschrift in einer Ansehung von nah zu fern erfolgen. Zuerst wird ihre Stellung innerhalb der Teilrechtsordnung des Strafverfahrensrechts genauer bestimmt, wie sie durch die StPO vorgegeben wird, und dann die Stellung dieses Gesetzeswerkes in dessen Kontext zu anderem Bundesrecht (als horizontale Verortung) und sonstigem, höherrangigem bzw. übergeordnetem Recht (als vertikale Verortung). Hier sind für die spätere Systembildung all jene Vorschriften anzusprechen, die mit dem Regelungsinhalt des § 356 StPO in einem direkten Zusammenhang stehen. aa) Die äußere Systematik innerhalb der StPO § 356 StPO ist im vierten Abschnitt („Revision“) des dritten Buches („Rechtsmittel“) der StPO beheimatet. Somit handelt es sich, wie es aus den Titeln der Unterteilungen unschwer ersichtlich ist, um eine Norm des Rechtsmittelrechts, genauer aus den besonderen Vorschriften des Revisionsrechts. Der amtlichen Überschrift selbst zufolge, welche erst 2015 in das Gesetz eingeführt wurde,362 betrifft die Regelung die „Urteilsverkündung“, ohne selbst, ihrem Wesen als reine Verweisungsnorm entsprechend, eigene Regelungen für diese anzuordnen.363 Diese ergeben sich in der Folge aus § 268 StPO, auf den verwiesen wird. Vom Verfahrensstadium wird daher deutlich, dass es sich um eine Norm handelt, die die mündliche Hauptverhandlung innerhalb des strafrechtlichen Hauptverfahrens betrifft – dort im Annex des Rechtsmittelverfahrens –, zu der die Urteilsverkündung gehört; das Gericht also keine Entscheidung im Beschlusswege gemäß § 349 StPO vornimmt.364 361

Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 1 Rn. 10; Schmitt, in: MGS, Einl. Rn. 5. Art. 1 Nr. 13 des Gesetzes zur Stärkung des Rechts des Angeklagten auf Vertretung in der Berufungshauptverhandlung und über die Anerkennung von Abwesenheitsentscheidungen in der Rechtshilfe vom 17. 07. 2015, BGBl. 2015 I, S. 1332. 363 Eine amtliche Überschrift kann im Übrigen zur Auslegung herangezogen werden, BVerfGE 11, 245, 250; Bleckmann, JuS 2002, 942, 944. 364 LR/Franke, § 351 Rn. 1. 362

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Der chronologischen Abfolge der Hauptverhandlung entsprechend, steht § 356 StPO förmlich „am Ende“ derjenigen revisionsrechtlichen Vorschriften, die die Durchführung der mündlichen Hauptverhandlung vor dem Revisionsgericht betreffen; namentlich §§ 350, 351 StPO aber auch derjenigen Vorschriften, die den Umfang der Prüfung und den Entscheidungsinhalt des Urteils regeln (§§ 352 ff. StPO).365 Innerhalb des dritten Buches stellen die §§ 333 bis 358 StPO besondere Vorschriften des Rechtsmittelrechts in Bezug auf das Revisionsverfahren dar. Diejenigen Vorschriften, die allen Rechtsmitteln gemein sind, sind im Ersten Abschnitt dieses Buches in den §§ 297 bis 303 StPO unter „Allgemeine Vorschriften“ als einen allgemeinen Teil zusammengefasst.366 Im dritten Buch der StPO sind folglich die spezifischen Regeln des Rechtsmittelrechts akkumuliert verortet. Weiterer Erörterung bedarf die Frage, inwiefern sich die Vorschriften des Revisionsrechts hinsichtlich der mündlichen Hauptverhandlung zu denen der Eingangsinstanz verhalten. Also, ob aus der äußeren Stellung der Vorschriften an sich erkennbar ist, dass das Revisionsrecht mit seinen Vorschriften über die mündliche Hauptverhandlung womöglich in sich geschlossene und abschließende Regelungen trifft oder nicht. Da, anders als im Berufungsrecht, im Revisionsrecht keine dem § 332 StPO vergleichbare Vorschrift existiert, die die Vorschriften des sechsten Abschnitts des zweiten Buches ergänzend zur Anwendung beruft, könnte sich diese Annahme in gewisser Weise aufdrängen. In diesem Fall wäre § 356 StPO eine Vorschrift, die ausnahmsweise auf eine Vorschrift des erstinstanzlichen Verfahrens verweist. Naheliegender ist tatsächlich ein anderer Schluss: Die Vorschriften des Revisionsrechts sind grundsätzlich solche, die zu denen des erstinstanzlichen Verfahrens, in einem lex specialis Verhältnis stehen. Im Übrigen aber finden diejenigen des Verfahrens erster Instanz ergänzende Anwendung, soweit dies sachgerecht ist.367 Das lässt sich zum einen daran erkennen, dass die Durchführung der Revisionshauptverhandlung nicht in allen Details geregelt ist. So fehlen beispielsweise Vorschriften über die ununterbrochene Gegenwart der zur Urteilsfindung berufenen Personen (§ 226 StPO), der Verhandlungsleitung (§238 StPO), die Zulässigkeit von Aussetzung und Unterbrechungen (§§ 228, 229 StPO) oder Erklärungsrechte der Beteiligten (§257 StPO) etc. Dass von solchen Vorschiften im Rahmen der Revision gänzlich abgesehen werden sollte, ist mehr als fernliegend; genauso die Annahme, diese Regelungen auf „allgemeine Prinzipien“ der Hauptverhandlung zurückzuführen. Eine Normierung für die erstinstanzliche Hauptverhandlung erschiene in 365 Zum praktischen Ablauf der Revisionshauptverhandlung in heutiger Zeit siehe Rissingvan Saan, StraFo 2010, 359, 363 ff. und Wohlers, in: SK-StPO, § 351 Rn. 6 ff. 366 Vgl. Beulke/Swoboda, Strafprozessrecht, Rn. 536; Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 1016 ff.; LR/Jesse, Vor § 296, Rn. 13 ff. 367 LR/Franke, § 351 Rn. 2; Gericke, in: KK-StPO, § 351 Rn. 1; Rissing-van Saan, StraFo 2010, 359, 361. Von einem bedeutendem Wesensunterschied der Hauptverhandlungen vor dem Instanz- und Revisionsgericht gehen allerdings Knauer/Kudlich, in: MüKo-StPO, § 351 Rn. 1 aus.

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einem solchen Falle ebenfalls überflüssig. Nein, die nicht ausdrückliche Normierung solcher Vorschriften entspricht vielmehr der Sparsamkeit des Gesetzgebers, um Regelungswerke in ihrem Umfang überschaubar zu halten und Wiederholungen zu vermeiden.368 Der sechste Abschnitt des zweiten Buches stellt einen funktionellen allgemeinen Teil für die mündliche Hauptverhandlung im Ganzen dar und er regelt die Grundzüge, wann immer eine Hauptverhandlung im Erkenntnisverfahren – ohne Ansehung der Instanz369 – stattfindet. Binnensystematisch konstruiert die StPO also nur einen einzigen Typus Hauptverhandlung. Dass der Gesetzgeber dieses Verhältnis durch die äußere Gestaltung des Gesetzeswerks ausdrücklich mitgeben wollte, lässt sich zum anderen auch mittels der Motive zur StPO zweifelsfrei belegen, indem es dort zur Entwurfsvorschrift des § 351 StPO (§ 312 RStPO-E) in Bezug auf die Hauptverhandlung heißt: „Ueber die Hauptverhandlung selbst (§ 312) bedurfte es nur weniger Bestimmungen. […] Im Uebrigen finden die für die Hauptverhandlung erster Instanz geltenden Regeln entsprechende Anwendung […].“370

Dieses Verständnis wird im weiteren Verlauf der Vorberatungen in der vom Reichstag eingesetzten Kommission als auch in den Lesungen im Plenum des Reichtages bis zur Verkündung des Gesetzes zugrunde gelegt werden.371 In der 73. Sitzung der Kommission vom 16. 09. 1875 wird bei den Beratungen zu § 312 RStPO-E in erster Lesung diese Auffassung sogar noch einmal ausdrücklich durch den kaiserlichen Geheimen Oberregierungsrat Hanauer auf eine Nachfrage eines Kommissionsmitglieds, dem Abgeordneten Struckmann, nochmals bestätigt.372 Von diesem Verhältnis ausgegangen bedarf es also keiner besonderen Anwendungsberufung der erstinstanzlichen Vorschriften.373 Dies wäre aber auch im Berufungsrecht nach § 332 StPO nicht erforderlich. Von daher kommt dieser Vorschrift, 368 Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, S. 77; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 129. 369 Das galt sogar gemäß § 276 RStPO a. F. für die Hauptverhandlung vor den Schwurgerichten, vgl. Hahn, Materialien zur StPO, S. 215, wonach die Sonderbestimmungen für die Verhandlung vor den Schwurgerichten die Allgemeinen ergänzen. 370 Hahn, Materialien zur StPO, S. 256. 371 Siehe zu den Mitgliedern der Kommission und den Details der Kommissionsberatung unten Zweites Kapitel: A. II. 3. a) cc). 372 Hahn, Materialien zur StPO, S. 1044 f., in der Hanauer ausdrücklich feststellt, dass in den Motiven zum Entwurf „zutreffend hervorgehoben [werde], daß für die Hauptverhandlung vor dem Revisionsgericht die in erster Instanz geltenden Regeln entsprechende Anwendung zu leiden hätten.“ Dennoch wurde in dem anschließenden Beschluss der Kommission durch Zusatz bei § 312 RStPO-E, dem heutigen § 351 StPO, klargestellt, dass auch in der Revisionshauptverhandlung dem Angeklagten das Letzte Wort gebühre, obwohl sich dies bereits aus den allgemeinen Vorschriften ergeben müsste. 373 Vgl. Gericke, in: KK-StPO, § 351 Rn. 1; Knauer/Kudlich, in: MüKo-StPO, § 351 Rn. 1, die das allerdings mit einer angeblichen Wesensverschiedenheit der Hauptverhandlungen vor Revisions- und Tatgericht begründen. Eine solche Behauptung lässt sich, wie hier gezeigt, nicht halten.

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als auch § 356 StPO, vielmehr eine klarstellende Aufgabe zu; zumal § 332 StPO nicht einmal eine abschließende Funktion zuerkannt wird.374 Die Vorschriften über die Hauptverhandlung erster Instanz finden von sich aus grundsätzlich Anwendung. Eine ausdrückliche Anwendungsberufung im Revisionsrecht analog dem § 331 StPO wäre aber darüber hinaus auch weitestgehend inhaltslos, weswegen von einer solchen Normierung möglicherweise abgesehen wurde. Die allgemeinen Regelungen des erstinstanzlichen Verfahrens können im Kontext des Revisionsverfahrens nur dann Anwendung finden, sofern dies sinnvoll möglich ist. Das ist aber bei den allermeisten Vorschriften gar nicht der Fall. Von vornherein ausgeschlossen ist eine Anwendung derjenigen Regelungen, die speziell auf die Feststellung des Tatbestandes zur Beurteilung der Schuld- und Rechtsfolgenfrage vor dem Tatrichter ausgerichtet sind und damit im Wesentlichen das gesamte strengbeweisliche Verfahren, weil dies die Revision als ein Rechtsbeschwerdeverfahren nicht betrifft und daher in diesem denklogisch nicht zur Anwendung kommen kann.375 Das Revisionsgericht ist an die Feststellungen des Tatgerichts gebunden.376 Damit verfällt der größte Teil der Vorschriften des sechsten Abschnitts des dritten Buches in die Bedeutungslosigkeit, da er de facto unanwendbar ist.377 Nicht betroffen sind hingegen diejenigen Regelungen des Abschnitts, die im Übrigen die Durchführung der Hauptverhandlung als eine öffentliche und mündliche Verhandlung an sich betreffen, weil diese in der Revision ebenfalls als eine solche durchgeführt wird.378 Innerhalb der StPO ist damit aus der äußeren Systematik des § 356 StPO ableitbar, dass es sich um eine Verfahrensvorschrift aus dem Umfeld des gerichtlichen Hauptverfahrens handelt, die zwar im Bereich des revisionsrechtlichen Rechtsmittelrechts verortet ist, jedoch einen unmittelbaren Bezug (innerlich als auch aufbausystematisch äußerlich) zum Regelungskomplex über die Hauptverhandlung der Eingangsgerichte hat.

374 LR/Gössel, § 332 Rn. 1; Carsten Paul, in: KK-StPO, § 332 Rn. 1; vgl. Quentin, in: KKStPO, § 332 Rn. 2. 375 Vgl. Beulke/Swoboda, Strafprozessrecht, Rn. 559; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 55 Rn. 1, 57; LR/Franke, Vor § 333 Rn. 1 ff.; Gericke, in: KK-StPO, Vor §§ 333 ff., Rn. 1; Schmitt, in: MGS, Vor § 333; § 351 Rn. 3, Rn. 1; Rissing-van Saan, StraFo 2010, 359; siehe allgemein zum Wesen der Revision m. w. N. die neuere Untersuchung von Kästle, Das Wesen der strafprozessualen Revision; Knauer, NStZ 2016, 1. 376 Sofern nicht eine erweiterte Überprüfbarkeit aufgrund der modernen Revisionsrechtsprechung in Betracht kommt, Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 55 Rn. 1; Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 1072 ff.; LR/Franke, Vor § 333 Fn. 9 ff.; Knauer, NStZ 2016, 1, 3 f. 377 Peters, Strafprozeßrecht, S. 659 spricht dabei davon, dass die Hauptverhandlung des Revisionsgerichts im Vergleich zu der des Tatgerichts „verkümmert“ sei. Ähnlich formuliert es bereits Hippel, Der deutsche Strafprozess, S. 590. Vgl. Knauer/Kudlich, in: MüKo-StPO, § 351 Rn. 2. 378 LR/Franke, § 351 Rn. 2; Rissing-van Saan, StraFo 2010, 359, 361. Und eben nach dem gesetzgeberischen Gedanken gemäß den Motiven, Hahn, Materialien zur StPO, S. 256.

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2. Kap.: Normativer Inhalt der Vorschriften

bb) Die äußere Systematik im weiteren normativen Gefüge Im weiteren normativen Kontext ist die StPO horizontal mit den weiteren einfachen Bundesgesetzen zu betrachten, mit denen sie in Verbindung steht. Des Weiteren wird auch eine vertikale Betrachtung der StPO in Bezug auf das Verfassungsrecht als auch internationalen Regelwerken vorzunehmen sein, sofern sie mit dem Strafverfahren in Zusammenhang stehen und sich hier Grundsätze für die Systembildung herleiten lassen können. (1) Zusammenhang mit weiteren Bundesgesetzen Der systematische Zusammenhang der StPO im Kontext zu anderen Regelungswerken wird vornehmlich durch diejenigen Bundesgesetze bestimmt, mit denen sie zeitgleich erlassen wurde. Das sind die weiteren, das gerichtliche Verfahren betreffenden, Reichsjustizgesetze von 1877. Allen voran, neben der Zivilprozessordnung, das Gerichtsverfassungsgesetz.379 Auch wenn diese drei Gesetze unterschiedliche Regelungsmaterien beinhalten, so bilden sie, GVG, StPO und ZPO doch eine Einheit.380 Es finden aber auch noch andere verfahrensrelevante Regelungen aus anderen Gesetzen hier Eingang. Hinsichtlich Hauptverhandlung und Urteilsverkündung sind aus dem GVG insbesondere die Vorgaben von Bedeutung, welche von der StPO ohne gesonderte Nennung vorausgesetzt werden. Das GVG bildet systematisch die Basis des Verfahrensrechts der ordentlichen Gerichtsbarkeit; der Strafprozess wird im speziellen dann durch die StPO ausgeformt.381 Wesentlich ist hier ein Blick auf die Regelungen, die das GVG an die Hauptverhandlung knüpft, vor allem deren Öffentlichkeit im Einklang mit den §§ 169 ff. GVG. Die StPO normiert die Öffentlichkeit der Hauptverhandlung also nicht selbst, sie setzt die Öffentlichkeit aber voraus, wie sich z. B. auch aus §§ 48 III 2 Nr. 2, 272 Nr. 5, 338 Nr. 6 StPO ergibt. Für das Strafverfahren und die mündliche Hauptverhandlung könnten darüber hinaus auch die Vorschriften über die Gerichtssprache nach den §§ 184 ff. GVG relevant werden.382 Immerhin setzt das Verhandeln in Öffentlichkeit die Verwendung des Mediums Sprache voraus. Des Weiteren sind auch die Vorschriften des Jugendstrafrechts von Interesse. Das Jugendstrafrecht bildet mit seinen im JGG festgelegten Wertentscheidungen spezialgesetzliche Modifikationen des materiellen als auch formellen Strafrechts, wie sich aus § 2 II JGG ergibt.383 Hier gibt es auch eine unmittelbar durchbrechende Modifikation bezüglich der Hauptverhandlung im Hinblick auf die Gerichtsöffent379

Eisenhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, Rn. 742 ff.; Hähnchen, Rechtsgeschichte, Rn. 731 f. 380 Die Motive zum GVG sprechen von „ein organisches Ganze“ in Bezug auf alle drei Gesetze, Hahn, Materialien zum GVG, S. 24. 381 Hahn, Materialien zum GVG, S. 24 f. 382 Vgl. Kuhlhanek, in: MüKo-StPO, § 169 GVG Rn. 3. 383 Laue, in: MüKo StGB, § 2 JGG Rn. 10 f.

A. Auslegung der Vorschrift des § 356 StPO

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lichkeit gemäß § 48 JGG.384 Im Jugendstrafverfahren ist die Öffentlichkeit sowohl bei Verhandlung als auch Entscheidungsverkündung nicht vorgesehen.385 Schon aus der amtlichen Überschrift „Nichtöffentlichkeit“ sowie der Formulierung „nicht öffentlich“ in § 48 I JGG ist hier erkennbar, dass im Jugendstrafverfahren der Grundsatz der Nichtöffentlichkeit prägend ist und es sich hier nicht um einen technischen Fall des Ausschlusses der Öffentlichkeit bei sonst vorgesehener Öffentlichkeit handelt. Sonst wäre hier eine Formulierung wie: „In Jugendstrafverfahren ist die Öffentlichkeit in der Hauptverhandlung, einschließlich der Entscheidungsverkündung, ausgeschlossen.“, zu erwarten. Einer besonderen Entscheidung für den Ausschluss bedarf es nicht, er erfolgt Kraft Gesetz.386 Die Möglichkeit, korrespondierend zu den §§ 170 ff. GVG, die Öffentlichkeit ausnahmsweise zuzulassen, ist nicht vorgesehen. § 48 II JGG ermöglicht den Zugang für andere Personen als die Beteiligten und zur Anwesenheit Berechtigten nur im engen Rahmen und knüpft dies, im Unterschied zur Korrespondenzvorschrift des § 175 II GVG, an das Vorliegen eines besonderen sachlichen Grundes.387 Eine Gerichtsöffentlichkeit wie in § 169 I 1 GVG vorgesehen wird hierdurch nicht hergestellt und soll auch nicht hergestellt werden.388 § 48 I JGG erweist sich somit als eine strenge Spezialvorschrift zu den §§ 169 ff. GVG.389 Ein Gegenkonzept sieht in demselben Paragrafen hingegen § 48 III JGG vor, wenn an dem Verfahren auch Heranwachsende oder Erwachsene beteiligt sind. Hier ist wieder das Regel-Ausnahme-Verhältnis, wie in §§ 169 ff. GVG vorgesehen, dass Verfahren gegen Erwachsene und Heranwachsende im Grundsatz öffentlich sind, die Öffentlichkeit jedoch ausgeschlossen werden kann, wenn dies im Interesse jugendlicher Angeklagter ist. Hier wird das Regelverhältnis des § 48 I JGG umgekehrt, wenn das Verfahren zugleich auch nur gegen einen Heranwachsenden geführt wird. Der Grundsatz der öffentlichen Verhandlung erscheint hier als der grundsätzlich dominierende, wenn auch unter Vorbehalt des § 48 III 2 JGG.390 Vorschriften, die auf das Verfahren der Strafprozessordnung verweisen und diese zur entsprechenden Anwendung berufen, finden sich im OWiG. Zum einen mit der allgemeinen Verweisungsnorm für das Bußgeldverfahren in seinem § 46; zum anderen aber im Speziellen in § 79 III 1 OWiG, welcher die Vorschriften über die Revision für den Fall zur Anwendung beruft, dass die gerichtliche Entscheidung im 384

Eisenberg, JGG, § 48 Rn. 12; Höffler, in: MüKo-StPO, § 48 JGG Rn. 1 f. Brunner/Dölling, JGG, § 48 Rn. 12; Höffler, in: MüKo-StPO, § 48 JGG Rn. 2; Trüg, in: MDTW-JGG, § 48 Rn. 1. Das gilt auch für das Revisionsgericht, BGHR-JGG § 48 I, Nichtöffentlichkeit 3 = Böhm, NStZ-RR 2005, 289, 293; a. A. Schmitt, in: MGS, § 169 GVG Rn. 2. 386 Brunner/Dölling, JGG, § 48 Rn. 11; Höffler, in: MüKo-StPO, § 48 JGG Rn. 2. 387 Eisenberg, JGG, § 48 Rn. 12 f., 18. 388 Vgl. Brunner/Dölling, JGG, § 48 Rn. 22. Siehe zu den Anforderungen an die Öffentlichkeit bei der Hauptverhandlung Thomas Fischer, in: KK-StPO, Einleitung Rn. 56 und Diemer, in: KK-StPO, § 169 GVG Rn. 6 ff.; LR/Wickern, § 169 Rn. 9 ff.; Heger, in: FS Beulke, 759, 761 f. 389 Eisenberg, JGG, § 48 Rn. 13; Höffler, in: MüKo-StPO, § 48 JGG Rn. 2; Ott, JA 2010, 886 f. 390 Eisenberg, JGG, § 48 Rn. 21 f.; Trüg, in: MDTW-JGG, § 48 Rn. 5; Ott, JA 2010, 886 f. 385

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2. Kap.: Normativer Inhalt der Vorschriften

Bußgeldverfahren angefochten wird.391 Letztere Vorschrift beruft hierbei übrigens auch § 356 StPO zur Geltung. Anders als bei den Vorschriften, die die Einzelentscheidungen der StPO und des GVG modifizieren, setzen derartige Gesetzeswerke, die die StPO zur Anwendung berufen, das in ihr gebildete System voraus und bedienen sich dieses Systems, wegen sachlicher Ähnlichkeiten der zu regelnden Materie. Sie stehen mit ihm Zusammenhang, an der Systembildung des von ihnen vorausgesetzten Systems nehmen sie aber nicht teil. (2) Bezug zum Verfassungsrecht In einem vertikalen Bezug wird das Verfassungsrecht bei der Systembildung von Bedeutung sein können. Auch wenn das Strafverfahrensrecht als „angewandtes Verfassungsrecht“392 die Wertungen des Grundgesetzes konkretisiert, stellt das Verfassungsrecht gegenüber dem einfachen Bundesrecht der StPO höherrangiges Recht dar, welches durch diese nicht verletzt werden darf.393 Die Werte des Grundgesetzes können bei Kollision im Zweifel systembildende Faktoren in der Strafprozessordnung ausstechen, bzw. selbst systembildende Wertentscheidungen treffen, die sodann bei der systematischen Auslegung zu berücksichtigen sind. Hier wird es deutlich schwieriger, die systematischen Beziehungen des § 356 StPO herauszufinden, wenn man über diejenige des Kollisionsfalles hinausgehen möchte, da eine Vielzahl an Normen in Betracht kommt, die im Einzelfall von Bedeutung für den äußeren Systemzusammenhang werden. Auch zeichnen sich die Verfassungsnormen durch einen hohen Abstraktionsgrad aus und bedürfen daher der Konkretisierung,394 sodass nicht in jedem Fall sofort ersichtlich wird, welche Wertentscheidungen der Verfassung für den Strafprozess systembildend werden können. Das Strafverfahrensrecht stellt aber als gerichtliches Verfahren, welches in die Rechte der Bürger intensiv einschneidet, ein solches dar, das durch seine Justizförmigkeit geprägt ist.395 Somit steht es in direktem Bezug zu den grundgesetzlichen Normen, die diese Justizförmigkeit garantieren, allen voran die Rechtsstaatskonzeption der Bundesrepublik Deutschland nach Art. 20 III GG und diese der Art. 19 IV, 103 I GG sowie die übrigen justizkonstituierenden Normen der Art. 92 ff. GG.396 391

Hadamitzky, in: KK-OWiG, § 79 Rn. 46 f. BVerfGE 32, 373, 383; BGHSt 19, 325, 330. 393 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 339; Möllers, Juristische Methodenlehre, § 1 Rn. 41; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 223; Schmitt, in: MGS, Einl. Rn. 5. 394 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 50, mit grundlegender Erörterung einer Methodik der Verfassungsinterpretation ab Rn. 60 ff.; ebenfalls mit besonderem Fokus auf die Normkonkretisierung des Verfassungsrechts die Methodik bei Müller/Christensen, Juristische Methodik I, Rn. 158 ff. Siehe dazu auch Voßkuhle, JuS 2019, 417 ff. 395 Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 1 Rn. 2; Eb. Schmidt, Lehrkommentar StPO I, Rn. 22; Schmitt, in: MGS, Einl. Rn. 5. 396 Vgl. Sachs, in: Sachs-GG, Art. 20 Rn. 162 ff. 392

A. Auslegung der Vorschrift des § 356 StPO

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Da im Strafverfahren über einen Menschen gerichtet wird und hier zum Teil einschneidende Zwangsmittel eingesetzt werden können und der Strafausspruch bis zum härtesten denkbaren Eingriff, der Entziehung der Freiheit, führen kann, sind selbstverständlich auch die Grundrechtsgarantien, als Schutz- und Abwehrrechte397 aus dem Blick des Beschuldigten, Normen, die im Strafverfahren von Bedeutung werden können. Komplementär gilt das auch für die Perspektive der weiteren Beteiligten am Strafverfahren oder von diesem Betroffenen, insbesondere der (Opfer-)Zeugen, denen vor allem durch die zunehmende Opferorientierung398 des Strafverfahrensrecht in den letzten Jahren ein besonderer Fokus zuteilwurde. (3) Völkerrechtliche Bezüge Neben dem nationalen Recht, ist die StPO bezüglich ihrer äußeren Systematik auch in ihrer internationalen Einbettung zu betrachten. Im Völkerrecht finden sich einige Vorschriften, die direkten Bezug auf die Ausgestaltung des nationalen Verfahrensrechts haben und zum Teil sogar sehr spezifische Vorgaben an die Ausgestaltung der Hauptverhandlung stellen. Das Völkerrecht gewährleistet hier zumeist Mindestgarantien, auf die sich Betroffene unter Umständen auch unmittelbar berufen können und hier Rechtsschutz gewährleistet wird, so beispielsweise mit der Individualbeschwerde nach Art. 34 EMRK. Die Stellung der StPO im internationalrechtlichen Kontext schlägt damit eine Brücke zu Wertungen, die hier potentiell für das innere System des Strafverfahrensrechts systembildend sein können.399 (a) Europarecht: EMRK und EU-GRCh Das Europarecht konstituiert mit zwei Verträgen maßgebliche Vorgaben an das Strafverfahrensrecht. Dabei handelt es sich zum einen um die EMRK400 und zum anderen um die EU-GRCh401, aus der sich ähnliche Inhalte ergeben.

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Siehe zur Statuslehre von Rechten als Schutz- und Abwehrrechten grundlegend Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, S. 86 f., 94 ff., welche auf die Grundrechte des Grundgesetzes übertragen wird, Kingreen/Poscher, Grundrechte Staatsrecht II, Rn. 93 ff. 398 Siehe zur gesetzlichen Entwicklung bis 2006 Rieß, in: FS Jung, 751, 752 f. Zur weiteren Entwicklung, siehe nur Barton, JA 2009, 753 (2. Opferrechtsreformgesetz); Bittmann, ZRP 2011, 72 (StORMG); und zuletzt Ferber, NJW 2016, 279, kritisch Neuhaus, StV 2017, 55 und Pollähne, StV 2016, 671 (3. Opferrechtsreformgesetz). 399 Siehe speziell für die EMRK als Rechtsquelle des deutschen Strafverfahrensrecht, Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 29 ff.; Beulke/Swoboda, Strafprozessrecht, Rn. 9 ff.; Roxin/ Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 3 Rn. 15 ff. 400 Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. 10. 2010, BGBl. 2010 II, S. 1198, zuletzt geändert durch das 15. EMRK-Protokoll vom 24. 06. 2013, BGBl. 2014 II, S. 1034. 401 Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 08. 10. 2008, in der Fassung der Veröffentlichung vom 08. 10. 2008, BGBl. 2008 II, S. 1165.

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Die zentrale Vorschrift der EMRK und zugleich die bedeutendste Garantie dieses Vertrages für das Strafverfahren, ist deren Art. 6.402 In Art. 6 I EMRK werden allgemeine Anforderungen an die Justizförmigkeit in Zivil- und Strafverfahren aufgestellt mit denen, in Bezug auf das Strafverfahren, verfahrensrechtliche Legitimation für die Verantwortlichmachung durch staatliche Institutionen gegenüber dem Angeklagten geschaffen wird.403 Diese Anforderungen sind, neben der wohl bekanntesten Garantie auf ein faires Verfahren und einer Verhandlung in angemessener Frist, eine Verhandlung über die Verfahrensgegenstände vor gesetzlich eingerichteten, nationalen Gerichten in Öffentlichkeit einschließlich – und das betrifft unmittelbar die Urteilsverkündung nach § 356 StPO – die öffentliche Entscheidungsverkündung. Für die Öffentlichkeit sieht Art. 6 I 2 EMRK dabei Umstände vor, nach denen diese ganz oder teilweise ausgeschlossen werden kann. Die Abs. 2 und 3 konkretisieren diese Garantien durch die strafrechtliche Unschuldsvermutung und die Benennung von Mindestrechten des Angeklagten, die gerade das Recht auf ein faires Verfahren absichern und konkretisieren sollen,404 wie ein Recht auf Unterrichtung über das Verfahren (Abs. 3 lit. a), das Recht auf effektive Verteidigung (Abs. 3 lit. b und c) und das Konfrontationsrecht (Abs. 3 lit. d). Die Garantie des Art. 6 I EMRK auf ein Verfahren in angemessener Frist wird nochmals in Art. 5 I 1 HS 1 EMRK im Falle der Festnahme des Beschuldigten speziell und zusätzlich neben dem Inhalt des Art. 6 I EMRK garantiert.405 Sehr ähnlich sieht es bei den durch Art. 47 ff. EU-GRCh aufgestellten Justizgrundrechten aus.406 Es handelt sich bei der EU-GRCh zwar um Unionsrecht, was unmittelbar nur die Union und ihre Institutionen bindet, wie sich aus Art. 51 I EUGRCh sowie Art. 6 I EUV ergibt. Allerdings legt Art. 51 I EU-GRCh auch fest, dass die in der Charta festgelegten Grundrechte vor den nationalen Gerichten Relevanz besitzen, sofern die Gerichte Unionsrecht anwenden.407 Hier können diese Justizgarantien ebenfalls von Bedeutung werden und unmittelbare Bedeutung entfalten. Daher ist es nicht unwahrscheinlich, dass sich auch aus den Grundrechten der EUGRCh systembildende Prinzipien ableiten lassen können. Denn gerade Art. 47 II EUGRCh macht auch hier einschlägige Vorgaben an die Hauptverhandlung vor Gericht, indem er neben einem fairen Verfahren vor einem unabhängigen, unparteiischen und durch Gesetz eingerichteten Gericht eben auch eine öffentliche Verhandlung in 402 Beulke/Swoboda, Strafprozessrecht, Rn. 9b; Gaede, in: MüKo-StPO, Art. 6 EMRK Rn. 1 m. w. N.; Lohse/Jakobs, in: KK-StPO, Art. 6 EMRK Rn. 1. 403 Gaede, in: MüKo-StPO, Art. 6 EMRK Rn. 2; Lohse/Jakobs, in: KK-StPO, Art. 6 EMRK Rn. 2; vgl. LR/Robert Esser, Einführung Art. 6 EMRK/Art. 14 IPbpR Rn. 2. 404 Vgl. Lohse/Jakobs, in: KK-StPO, Art. 6 EMRK Rn. 3 f. 405 LR/Robert Esser, Einführung Art. 5 EMRK/Art. 9, 10, 11 IPbpR Rn. 239 f.; Gaede, in: MüKo-StPO, Art. 5 EMRK Rn. 81. 406 Jarass, EU-GRCh, Art. 47 Rn. 1. 407 Vgl. Jarass, EU-GRCh, Art. 51 Rn. 13, 16. Das verlangt bereits ein nationales Verfahrensrecht, das dem EU-Recht entspricht, siehe dazu EuGH, Urteil vom 27. 02. 2018, C-64/16 – Portugiesenentscheidung, Rn. 32 ff.; EuGH, Urteil vom 25. 07. 2018, C-216/18 – LM, Rn. 51 ff., zitiert nach EUR-Lex.

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angemessener Frist verlangt. Eine Ähnlichkeit zu den Garantien der EMRK ist hier auf der Hand liegend.408 Der Unterschied besteht aber in dem Anwendungsbereich. Während Art. 6 EMRK unmittelbare Geltung vor den deutschen Strafgerichten besitzt, so sind die Justizgrundrechte der EU-GRCh dort lediglich mittelbar anwendbar.409 Eine mögliche systembildende Eigenschaft kann der EU-GRCh deswegen aber nicht abgesprochen werden. (b) Weiteres Völkerrecht: AEMR und IPbpR Wenn man den Blick vom Europarecht wegbewegt und dem weiteren Völkerrecht zuwendet, so sind es zwei weitere Institute, die für das deutsche Strafverfahrensrecht Bedeutung erhalten können. Dabei handelt es sich zum einen um die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR) der Vereinten Nationen vom 10. 12. 1948 und zum anderen um den Internationalen Pakt für bürgerliche und politische Rechte410 (IPbpR oder auch Zivilpakt genannt) 19. 12. 1966. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 stellt eine Resolution der UN-Generalversammlung dar und ist völkerrechtlich, trotz ihrer Bedeutung für die Weiterentwicklung der Menschenrechte für die Staaten nicht bindend.411 Die Charta der Vereinten Nationen selbst normiert keine eigenen, verbindlichen Menschenrechte; sie statuiert aber verbindlich die Achtung der Menschenrechte als eine allgemeine Zielbestimmung in der Präambel und in Art. 1 Nr. 3 UN-Charta.412 Darüber hinaus wird die UN in Art. 55 lit. c UN-Charta zur Förderung von Achtung und Verwirklichung der Menschenrechte verpflichtet.413 Die unverbindliche AEMR erhält somit durch die Verpflichtung der Vereinten Nationen und ihrer Mitglieder die Menschenrechte zu fördern zumindest so etwas wie eine mittelbare Verbindlichkeit. Dies ergibt sich des Weiteren dadurch, dass die AEMR auch als Vorbild für die Entwicklung von völkerrechtlich verbindlichen Pakten, eben auch dem bereits erwähnten Zivilpakt als auch für die regionalen Schutzmechanismen, wie die EMRK, diente, weswegen sie bei deren Auslegung gerade des ersteren herangezogen werden 408 Der Inhalt des Art. 47 EU-GRCh soll auch den Garantien des Art. 6 EMRK entsprechen, vgl. Art. 52 III EU-GRCh und die Erläuterungen zur Charta, ABl. der EU 2007 C 303/30, 34. Dies hat auch der EuGH in seiner Rechtsprechung so zugrunde gelegt, so etwa EuGH, Urteil vom 22. 12. 2010, C-279/09 – DEB, Rn. 29 ff., Urteil vom 08. 12. 2011, C-386/10 – Chalkor, Rn. 51 oder Urteil vom 06. 11. 2012, C-199/11 – Otis, Rn. 46 f., alle zitiert nach EUR-Lex. 409 Gaede, in: MüKo-StPO, Art. 6 EMRK Rn. 3; Jarass, EU-GRCh, Art. 47 Rn. 4. 410 Transformiert durch das Gesetz zu dem Internationalen Pakt vom 19. 12. 1966 über bürgerliche und politische Rechte vom 15. 11. 1973, BGBl. 1973 II, S. 1533. 411 Jötten/Tams, in: Menschenrechte, S. 121; Künzli, Zwischen Rigidität und Flexibilität: Der Verpflichtungsgrad internationaler Menschenrechte, S. 32 f.; Schilling, Internationaler Menschenrechtsschutz, Rn. 5; LR/Robert Esser, Einführung EMRK und IPbpR Rn. 12; Hofmann/Boldt, Internationaler Bürgerrechtepakt, Einleitung Rn. 1; Payandeh, JuS 2012, 506, 511. 412 LR/Robert Esser, Einführung EMRK und IPbpR Rn. 9 ff.; Payandeh, JuS 2012, 506, 511. 413 LR/Robert Esser, Einführung EMRK und IPbpR Rn. 9 f.; Payandeh, JuS 2012, 506, 511.

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kann.414 An dieser Stelle zeigt sich somit eine Systembeziehung zwischen AEMR und IPbpR.415 Verfahrensrechtlichen Bezug weist hierbei das in Art. 10 AEMR beschriebene Menschenrecht auf. Dort wird jedem Menschen das Recht „auf ein der Billigkeit entsprechendes und öffentliches Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Gericht, das […] irgendeine gegen ihn erhobene strafrechtliche Beschuldigung zu entscheiden hat“, eingeräumt. Es werden hier deutliche Ähnlichkeiten, wenn auch nicht in der gleichen Präzision hinsichtlich der Formulierung der eingeräumten Rechte, zu Art. 6 EMRK und Art. 47 EU-GRCh erkennbar. Ebenfalls von allgemeiner Bedeutung für das Strafverfahrensrecht können die weiteren Menschenrechte nach Art. 11 AEMR, die die Unschuldsvermutung (Abs. 1) einerseits und das Gesetzlichkeitsprinzip (Abs. 2) andererseits zum Inhalt haben. Unmittelbar völkerrechtliche Verbindlichkeit weist im Gegensatz zur AEMR der Internationale Pakt für bürgerliche und private Rechte (IPbpR) auf, der darüber hinaus auch einen eigenen, hier nicht weiter zu erläuternden, Rechtsschutzmechanismus durch das 1. Fakultativprotokoll416 vorsieht.417 Durch das Transformationsgesetz ist der Zivilpakt unmittelbar geltendes Bundesrecht i. S. d. Art. 59 II 1 GG und damit von den deutschen Gerichten zu berücksichtigen. Hier ist mit Art. 14 IPbpR eine im Wesentlichen dem Art. 10 AEMR entsprechende, aber deutlich ausdifferenzierter und mit den Garantien aus Art. 6 EMRK vergleichbare, Norm von Bedeutung.418 Art. 14 IPbpR normiert für das Verfahrensrecht allgemeine und spezielle Garantien, die sich mit denen des Art. 6 EMRK im Wesentlichen decken.419 Während Abs. 1 S. 1 die allgemeine Gleichheit der Menschen vor Gericht festlegt, so garantiert der folgende Satz die Justizförmigkeit des Gerichtsverfahrens. Abs. 1 S. 2 konstituiert den allgemeinen Anspruch, dass über strafrechtliche oder zivilrechtliche Gegenstände in einem öffentlichen Verfahren vor einem von Gesetzes wegen eingerichteten, unparteiischen und unabhängigen Gerichts verhandelt wird. In S. 3 414 Matthias Herdegen, Völkerrecht, § 47 Rn. 3; Eckart Klein, in: Menschenrechte, S. 124; Künzli, Zwischen Rigidität und Flexibilität: Der Verpflichtungsgrad internationaler Menschenrechte, S. 33; Schilling, Internationaler Menschenrechtsschutz, Rn. 5; LR/Robert Esser, Einführung EMRK und IPbpR Rn. 12; Payandeh, JuS 2012, 506, 511. 415 Vgl. Nowak, CCPR-Kommentar, Einführung Rn. 2. Die Präambel der EMRK nimmt darüber hinaus auch schon an ihrer Spitze direkt auf die AEMR Bezug. 416 Transformiert durch das Gesetz zum Fakultativprotokoll vom 19. 12. 1966 zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 21. 12. 1992, BGBl. 1992 II, S. 1246. 417 Matthias Herdegen, Völkerrecht, § 48 Rn. 4; Eckart Klein, in: Menschenrechte, S. 126; Payandeh, JuS 2012, 506, 511. Vertiefend dazu Schilling, Internationaler Menschenrechtsschutz, Kapitel X. 418 Vgl. Hofmann/Boldt, Internationaler Bürgerrechtepakt, Art. 14 Rn. 1; Nowak, CCPRKommentar, Art. 14 Rn. 1 f. 419 LR/Robert Esser, Art. 6 EMRK/Art. 14 IPbpR Rn. 11.

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finden sich dann, ähnlich wie auch schon bei dem zuvor angesprochen Art. 6 I EMRK, Möglichkeiten, in denen die Öffentlichkeit aus dem Verfahren ganz oder teilweise ausgeschlossen werden kann. Gleiches gilt auch für die zu verkündende Entscheidung nach Art. 14 I 3 a. E. IPbpR. Während Abs. 1 strafrechtliche und zivilrechtliche Verfahren betrifft, betreffen die dann folgenden Absätze des Art. 14 IPbpR nur noch das Straf(verfahrens)recht.420 In Abs. 2 findet sich die Absicherung der strafrechtlichen Unschuldsvermutung und Abs. 3 stellt Mindestgarantien des Angeklagten im Strafverfahren auf, wie beispielsweise das Recht auf Verteidigung (Art. 14 III lit. b und d IPbpR), das Gebot der Verfahrensbeschleunigung (Art. 14 III lit. b IPbpR), das Konfrontationsrecht mit Belastungszeugen (Art. 14 III lit. e IPbpR) oder die Selbstbelastungsfreiheit, dem „nemo tenetur“-Grundsatz (Art. 14 III lit. g IPbpR). Abs. 4 stellt besondere Anforderungen bei Verfahren gegen Jugendliche und Abs. 5 garantiert das Recht auf Überprüfung einer Gerichtsentscheidung durch ein Gericht höherer Instanz. Die abschließenden Absätze betreffen das Recht auf gesetzmäßige Entschädigung für verbüßte Strafen bei Fehlentscheidungen (Abs. 6) und das Doppelbestrafungsverbot (Abs. 7). cc) Schlussfolgerungen Die vorherigen Betrachtungen hinsichtlich der Einbettung des § 356 StPO im äußeren System lassen eine eindeutige inhaltliche Kohärenz erkennen.421 Die horizontale Verortung im Strafverfahrensrecht und den unmittelbar zu diesem Recht in Bezug stehenden Gesetzen der verfahrensrechtlichen Teilrechtsordnung zum einen bilden, gemeinsam mit ihrer vertikalen Einordnung innerhalb des höherrangigen Bundesrechts und der völkerrechtlichen Garantien zum anderen, eine eindeutige Schnittstelle: Die gerichtliche Hauptverhandlung. Aus der Mikroperspektive innerhalb der StPO hat sich gezeigt, dass das Gesetz zwar verschiedene Instanzenzüge vorsieht, für einen jeden aber – egal ob Tatgericht in Erst- bzw. Berufungsinstanz oder als Rechtskontrollinstanz in der Revision – nur einen universellen Hauptverhandlungstypus vorsieht. Dieser wird je nach Instanz ggf. in Teilen im Ablauf modifiziert, bleibt aber dennoch in seinem Wesen stets eine mündliche Hauptverhandlung. Nachdem die gerichtliche Hauptverhandlung als Fixpunkt im Koordinatensystem bestimmt worden ist, geht es jetzt darum, den Brückenschlag von äußerem System hin zum inneren System zu vollziehen: Im nun anstehenden Schritt sind über die äußere Systematik des § 356 StPO die systembildenden Prinzipien zu enthüllen, 420 Hofmann/Boldt, Internationaler Bürgerrechtepakt, Art. 14. Rn. 2 ff.; Nowak, CCPRKommentar, Art. 14 Rn. 3. 421 Was insbes. in Bezug auf die internationale Einbettung auch auf eine parallele und wechselseitige Entwicklung der Werke, vor allem AEMR, IPbpR und EMRK zurückzuführen ist, Eckart Klein, in: Menschenrechte, S. 124; Schilling, Internationaler Menschenrechtsschutz, Rn. 10, 22. Selbstverständlich dürften ähnliche nationale und internationale Entwicklungslinien im Vorfeld auch die nationale Einbettung des § 356 StPO bedingt haben.

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welche die Verknüpfungen zum inneren System dieser Norm herstellen und damit die besagte „Tiefenstruktur des Rechts“422 an dieser Stelle freizulegen. Dabei fällt auf, dass alle genannten Normen, mehr oder weniger spezifisch, prägende Anforderungen an die gerichtliche Hauptverhandlung und die Verfassung der erkennenden Gerichte anknüpfen. Und allen Normen ist ein gewisser Gleichklang der Inhalte ersichtlich, sodass sich der Schluss ziehen lässt, dass ihnen, gerade auch wegen ihrer teilweise universellen Geltung, etwas Grundsätzliches innewohnt.423 Hinsichtlich der Gestaltung der gerichtlichen Verhandlung, in der die Verantwortlichkeit des Straftäters festgestellt wird, haben die Vorgaben gemein, dass innerhalb der Verhandlungen, mit den bereits dort genannten Ausnahmen, im Grundsatz öffentlich zu verhandeln ist. Die Öffentlichkeit der Hauptverhandlung wird nahezu in allen zuvor genannten Vorschriften ausdrücklich vorgeschrieben;424 genauso wird auch die Öffentlichkeit der Entscheidungsverkündung in den meisten Vorschriften angeordnet,425 was sich im deutschen Recht, trotz der Klarstellung in § 169 I 1 GVG, bereits daraus ergibt, dass die Urteilsverkündung ja gemäß § 260 I StPO selbst Teil der Hauptverhandlung ist und damit öffentlich. Das öffentliche Verhandeln generell negiert hingegen § 48 I JGG, was darauf hindeutet, dass hier andere Erwägungen eine Rolle spielten, dieses Konzept zu beschränken. Inwiefern das weitere Berücksichtigung zu finden hat, wird die Systembildung später klären. Keiner ausdrücklichen Erwähnung findet die Öffentlichkeit der Verhandlung hingegen im Grundgesetz. Eine solche Anforderung an die Hauptverhandlung wird hier nicht ausdrücklich normiert, wie es im Gegensatz z. B. in der Verfassung für den Freistaat Bayern der Fall ist.426 Die Annahme, das Bundesverfassungsrecht verhalte sich neutral zur Öffentlichkeit in der strafverfahrensrechtlichen Hauptverhandlung, ist aber unzutreffend. Sie ist in ihm ebenfalls verankert. Die Rechtsprechung des BVerfG verortet die Öffentlichkeit der Hauptverhandlung im Rechtstaatsprinzip des Art. 20 III GG und die Gerichtsöffentlichkeit entspricht danach auch zugleich dem „allgemeinen Öffentlichkeitsprinzip der Demokratie“, um bürgerliche Teilhabe zu ermöglichen.427 Die Rechtsprechung des BGH betont zudem, dass die Öffentlichkeit eine der „grundlegenden Einrichtungen des Rechtsstaats“ sei und verortet sie

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Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 283. Siehe aber zum universellen Geltungsanspruch im Hinblick auf die genannten menschenrechtlichen Garantien Schilling, Internationaler Menschenrechtsschutz, Rn. 32. 424 Das betrifft § 169 I 1 GVG, Art. 6 I 1 EMRK, Art. 47 II 1 EU-GRCh, Art. 14 I 2 IPbpR und Art. 10 AEMR. 425 So in § 169 I 1 GVG, Art. 6 I 2 EMRK und schließlich Art. 14 I 3 HS. 2 IPbpR. 426 Art. 90 S. 1 Verfassung des Freistaats Bayern in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. 12. 1998, GVBl. 1998, S. 991, zuletzt geändert durch das Gesetz vom 11. 11. 2013, GVBl. 2013, S. 638. 427 BVerfGE 103, 44, 63; Kulhanek, in: MüKo-StPO, § 169 GVG Rn. 7. Allerdings dauerte es, bis das BVerfG sich zu dieser Verfassungsverankerung bekannte, siehe dazu m. w. N. Pielow, Öffentliches Strafverfahren – Öffentliche Strafen, S. 25 f. 423

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ebenfalls in diesem Verfassungsprinzip.428 Die Öffentlichkeit der Hauptverhandlung ist damit – und das auch ohne ausdrückliche Nennung – sehr wohl im Verfassungsrecht an prominenter Stelle verankert. Die durchgängige Nennung der öffentlichen Verhandlung in Vorschriften unterschiedlichster – d. h. nationaler und internationaler – Herkunft zeugt davon, dass es sich bei der Öffentlichkeit der Verhandlung vor dem erkennenden Gericht um einen grundlegenden Gestaltungstopos handelt, der die Verhandlung in ihrem Wesen gerade prägt und auch prägen soll. Daran ändert auch die unterschiedliche Reichweite der Gewährleistungen nach den verschiedenen Rechtsquellen nichts.429 Bei genauerer Betrachtung lässt sich aus den Motiven des GVG jedenfalls auch erkennen, freilich wegen der Entstehungszeit noch nicht aus den verfassungs- und völkerrechtlichen Quellen der heutigen Zeit inspiriert, dass die Öffentlichkeit der Hauptverhandlung ein wesentlicher Gedanke war, der der Gestaltung des Strafprozesses zugrunde lag.430 Die Begründung zum Entwurf verwendet sogar in der einleitenden Kommentierung zu den Vorschriften über die Öffentlichkeit der Hauptverhandlung, dass jene die „allgemeinen Grundsätze über die Oeffentlichkeit der gerichtlichen Verhandlung“ behandeln.431 Das weckt unfreiwillig Erinnerungen an die Formulierung über die systemprägenden Prinzipien nach der Definition von Canaris („Grundwertungen […] einer Rechtsordnung“432). Es lässt sich deutlich erkennen, dass der GVG-Motivgeber die Öffentlichkeit des Verfahrens als Wesenszug des reformierten Strafprozesses433 zugeschrieben hat,434 der weg vom schriftlichen und geheimen Inquisitionsprozess hin zu einem öffentlichen und mündlichen Verfahren führte und dass sich der Motivgeber diese Entwicklung bei der Gestaltung des Strafprozesses nach den Reichsjustizgesetzen offensichtlich zu eigen gemacht hat.435 Dies stellt damit eine implementierte Zeitenwende dar. 428 BGHSt 9, 280, 281. In BGHSt 1, 334, 335 bezeichnet er die Öffentlichkeit der Hauptverhandlung noch lediglich als zu „den Grundlagen des Strafverfahrens“ gehörend. 429 So setzt Art. 6 I EMRK nach der Rechtsprechung des EGMR die Öffentlichkeit der Hauptverhandlung nur bei der ersten verurteilenden Erkenntnisinstanz voraus, nicht aber bei der Rechtsmittelinstanz, wenn ein verurteilendes Urteil bestätigt wird, Gaede, in: MüKo-StPO, Art. 6 EMRK Rn. 121 m. w. N., gleiches gilt für Art. 14 I IPbpR, Nowak, CCPR-Kommentar, Art. 14 Rn. 24, während § 169 I GVG alle strafrechtlichen und zivilrechtlichen Hauptverhandlungen, auch jene vor dem Rechtsmittelgericht, umfasst, Walther, in: BeckOK-GVG, § 169 Rn. 2; LR/Wickern, § 169 GVG Rn. 7. 430 Hahn, Materialien zum GVG, S. 31, 173 f., dort wird auch auf die Entwicklung der Öffentlichkeit und Mündlichkeit im reformierten Strafprozess hingewiesen. 431 Hahn, Materialien zum GVG, S. 173. 432 Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 46. 433 Siehe zum reformierten Strafprozess nur die Darstellungen bei Eb. Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, S. 324 ff. und m. w. N. Wohlers, in: SK-StPO, Einleitung Rn. 117 ff. sowie die Ausführungen von Arnd Koch, ZIS 2009, 542. 434 Hahn, Materialien zum GVG, S. 31. 435 So dann die Begründung zu § 139 GVG-E, dem späteren § 170 RGVG und heutigen § 169 GVG in Hahn, Materialien zum GVG, S. 173: „Ueberall in Deutschland, wo das mündliche Verfahren das schriftliche verdrängt hat, ist die Verhandlung vor den erkennenden

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Die weitergehende Lektüre der Materialien bestätigt diese Ansicht, wodurch sich unmittelbar anschließende Verknüpfungen offenbaren. An der Öffentlichkeit der Hauptverhandlung angesetzt lassen sich weitere Leitgedanken des (Straf-)Prozessrechts heben. Eng verbunden mit der Öffentlichkeit stehen stets die Mündlichkeit sowie Unmittelbarkeit und aus der Mündlichkeit folgt der Gedanke der Konzentration und Einheit der Hauptverhandlung.436 Spätestens an dieser Stelle bestätigt sich die seit Anbeginn der hiesigen Prinzipienerörterung bestehende Vorahnung, dass es vornehmlich die anerkannten Verfahrensmaximen sind, die für die StPO die systembildenden Prinzipien darstellen. Von besonderer Bedeutung sind das für die Hauptverhandlung die Grundätze der Öffentlichkeit, Mündlichkeit und Konzentration i. S. e. einheitlichen Hauptverhandlung.437 Und sowohl nach den oben dargestellten Definitionen von Canaris/ Larenz als auch Alexy lassen sich die Prozessmaximen ohne weiteres als anerkannte Rechtsprinzipien kategorisieren,438 welche als Leitlinien der Strafprozessordnung, zwischen dem bereits genannten abstrakten Rechtsstaatsprinzip sowie sonstigen verfassungsrechtlichen Vorgaben und den konkreten Ausgestaltungen des Strafverfahrensrechts, eine Metaebene einnehmen.439 Für die gleich anstehende Systembildung ist dann aber noch zu berücksichtigen, ob ggf. weitere Prinzipien außerhalb der anerkannten Verfahrensmaxime identifiziert werden können, die bei der Auslegung der §§ 356, 268 III 2 StPO Berücksichtigung finden müssen. c) Innere Systematik des § 356 StPO und Systembildung Bevor im Anschluss die Systembildung betrieben werden kann, sind zunächst die systembildenden Prinzipien aus dem Recht herauszuschälen. Gerichten eine öffentliche geworden.“ Der historische GVG-Gesetzgeber sah in gewisser Weise die Einrichtung der Gerichtsöffentlichkeit als Selbstverständlichkeit an, nachdem sie im reformierten Strafprozess gang und gäbe war, Rohde, Die Öffentlichkeit im Strafprozess, S. 62 f. 436 Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 695, 708, 712; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 16 Rn. 1, § 44 Rn. 7, § 46 Rn. 1 ff.; Thomas Fischer, in: KK-StPO, Einleitung Rn. 15, 24; Kudlich, in: MüKo-StPO, Einleitung Rn. 185; LR/Kühne, Einleitung Abschnitt I Rn. 53, 67; Kulhanek, in: MüKo-StPO, § 169 GVG Rn. 3. Die Mündlichkeit der öffentlichen Verhandlung wird auch im internationalen Recht vorgegeben, wie sich aus dem Wort „hearing“ bzw. „entendue“ ergibt, z. B. in Art. 6 I 1 EMRK oder Art. 47 I EU-GRCh, LR/Robert Esser, Art. 6 EMRK/Art. 14 IPbpR Rn. 387; Gaede, in: MüKo-StPO, Art. 6 EMRK Rn. 118; Valerius, in: BeckOK-StPO, Art. 6 EMRK Rn. 18; Jarass, EU-GRCh, Art. 47 Rn. 39. 437 Gmel, in: KK-StPO, Vor § 226; LR/Kühne, Einleitung Abschnitt I Rn. 53; Schmitt, in: MGS, Vor § 226 Rn. 3. 438 So auch Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 284, 289, welche die Verfahrensmaximen ausdrücklich als solche Rechtsprinzipien bezeichnen; vgl. auch die Formulierung bei LR/Kühne, Einleitung Abschnitt I, Rn. 1 f., die trotz einem gewissen Vorbehalt gegenüber dem Begriff „Rechtsprinzip“ die Merkmale eines solchen nach den Begriffen von Alexy und Larenz/ Canaris umfasst. 439 Kudlich, in: MüKo-StPO, Einleitung Rn. 120 ff.; LR/Kühne, Einleitung Abschnitt I Rn. 1 f.

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aa) Zu den Prinzipien der Hauptverhandlung Bei den Verfahrensmaximen handelt es sich um anerkannte Rechtsprinzipien.440 Ihre wesentlichen Inhalte sind dabei an sich geklärt, darum sollen diese hier noch einmal überblicksartig mit den relevanten Punkten für die Hauptverhandlung dargestellt werden. Dabei geht es um die Darstellung der Prinzipien mit ihrem grundsätzlichen Inhalt und nicht um die Frage, inwiefern ihr Wirken in der konkreten Ausgestaltung des Gesetzes in allen Einzelheiten erscheint. Darüber hinaus ist dann noch zu klären, inwiefern weitere im Gesetz angelegte Motivationen systembildende und -tragende Rechtsprinzipien in Bezug auf die Urteilsverkündungsfrist darstellen können. (1) Öffentlichkeit Dem Öffentlichkeitsgrundsatz441 lässt sich in seinem weitesten Verständnis entnehmen, dass das Strafverfahren an sich öffentlich, also in jedem Bereich jedermann unmittelbar oder mittelbar zugänglich, stattfinden soll. Dieses Konzept ist in der StPO und im GVG in einer solchen Weite nicht umgesetzt worden, denn es gibt, allen voran mit dem Ermittlungsverfahren aber auch dem Vollstreckungsverfahren, sehr wohl Bereiche, die der öffentlichen Kenntnisnahme und Zugänglichkeit entzogen sind.442 Da die Rechtsprinzipien empirisch aus dem geltenden Recht entnommen werden müssen, ist bei der Inhaltsbestimmung des strafprozessrechtlichen Öffentlichkeitsgrundsatzes seine tatsächliche Erscheinung im Gesetz zu berücksichtigen. Hierbei wird offenbar, dass der der StPO zugrundeliegende, leitende Gedanke der Öffentlichkeit nicht das Strafverfahren als Ganzes betreffen soll, sondern, wie § 169 I 1 GVG zeigt, von vornerein nur die Hauptverhandlung, als dessen Kernstück443, umfasst und damit die anderen Verfahrensabschnitte – aber auch die gerichtliche Entscheidungsfindung (vgl. § 193 GVG) – nicht umschließt.444 Außerhalb der Hauptverhandlung kann der Öffentlichkeitsgrundsatz also nicht systembildend sein. 440 Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 284. Vgl. die Ausführungen zu den Prozessmaximen in LR/Kühne, Einleitung Abschnitt I Rn. 1 ff. 441 Grundlegend zur Geschichte und dem Begriff der Öffentlichkeit und der Reichweite in der Rechtspflege die Untersuchungen von Feuerbach, Betrachtungen über die Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Gerechtigkeitspflege Band I und Mittermaier, Die Mündlichkeit, das Anklageprinzip, die Oeffentlichkeit und das Geschworenengericht. 442 Pielow, Öffentliches Strafverfahren – Öffentliche Strafen, S. 8 f.; Rohde, Öffentlichkeit im Strafprozess, S. 63 ff.; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 47 Rn. 2; Wick, Demokratische Legitimation von Strafverfahren, S. 22, 36. 443 Es finden sich für die Hauptverhandlung neben der Bezeichnung „Kernstück“, so auch Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 608 (dort allerdings als dem „zweiten Kernstück“ neben dem Ermittlungsverfahren bezeichnet) und Ranft, Strafprozeßrecht, Rn. 1384 zahlreiche weitere Formulierungen, wie z. B. „Höhepunkt“ Roxin/Schünemann, Strafprozessrecht, § 44 Rn. 1, „Herzstück“, Schild, Der Strafrichter in der Hauptverhandlung, S. 1 oder „zentraler Teil“, Mandla, Die Unterbrechung der strafrechtlichen Hauptverhandlung, S. 21 m. w. N. in Fn. 98. 444 Pielow, Öffentliches Strafverfahren – Öffentliche Strafen, S. 15; Rohde, Die Öffentlichkeit im Strafprozess, S. 64; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 16 Rn. 2, § 44

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Der Öffentlichkeitsgrundsatz ist eine Entwicklung des reformierten Strafprozesses, in dem die Abkehr vom geheimen und schriftlichen Inquisitionsprozesses deutlich wird.445 Seine Übernahme in die StPO stellt damit echte Rechtstradition dar und die Absorption eines rechtshistorische anerkannten Grundsatzes in den „corpus iuris“, um es mit Josef Essers Worten auszudrücken.446 Sein vornehmlicher Zweck ist die Vertrauensbildung in die Rechtspflege, indem es dem kritischen und interessierten Bürger möglich wird, sich über die gerichtlichen Vorgänge und die in die Entscheidung einfließenden Umstände selbst und ungefiltert zu informieren.447 Das gerichtliche Verfahren wird damit der Kontrolle durch die rechtsunterworfenen Bürger unterstellt, was zugleich der Ausdruck der Demokratisierung des Gerichtsverfahrens ist, indem das Volk zumindest passiv an diesem unmittelbar teilhaben kann und die Entscheidungen „vor Augen und Ohren des Volkes erarbeitet werden“.448 Nach der konkreten Ausgestaltung des Verfahrensrechts, muss die Hauptverhandlung in ihrem Grundsatz jedermann offenstehen und zugänglich sein.449 Allerdings gilt dies nicht uneingeschränkt. Gerichtsöffentlichkeit meint nach dem GVG nur die, nach den örtlichen Gegebenheiten mögliche, unmittelbare Saalöffentlichkeit sowie eine nach der Maßgabe der § 169 I durch Presse und sonstige Massenmedien vermittelte Öffentlichkeit, die eine Verbreitung der Verhandlungsereignisse durch mündliche und schriftliche Berichte umfasst.450 Die konkrete Öffentlichkeit der Rn. 1; Wick, Demokratische Legitimation von Strafverfahren, S. 21 ff., 35 f.; Thomas Fischer, in: KK-StPO, Einleitung Rn. 54; Kulhanek, in: MüKo-StPO, § 169 GVG Rn. 1. 445 Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 695; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 47 Rn. 1. Siehe auch zur historischen Entwicklung des Öffentlichkeitsgrundsatzes Laue, in: Strafverteidigung vor neuen Aufgaben, 135; Pielow, Öffentliches Strafverfahren – Öffentliche Strafen, S. 18 ff.; Rohde, Die Öffentlichkeit im Strafprozess, S. 50 ff.; Wick, Demokratische Legitimation von Strafverfahren, S. 94 ff.; Eb. Schmidt, Lehrkommentar StPO I, Rn. 401 ff.; LR/Wickern, Vor § 169 GVG Rn. 2. 446 Josef Esser, Grundsatz und Norm, S. 41. 447 BGHSt 2, 56, 57; Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 696; Pielow, Öffentliches Strafverfahren – Öffentliche Strafen, S. 35 ff.; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 47 Rn. 1; Schmitt, in: MGS, § 169 GVG Rn. 1; LR/Wickern, Vor § 169 GVG Rn. 4. 448 Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 695; Wick, Demokratische Legitimation von Strafverfahren, S. 138. Siehe auch zu der Frage der tatsächlichen Effektivität der Kontrollwirkung und ihrer heute abgeschwächten Bedeutung Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 704 f.; Pielow, Öffentliches Strafverfahren – Öffentliche Strafen, S. 36 ff.; LR/Wickern, Vor § 169 GVG Rn. 3; Franke, StraFo 2014, 361, 362 f. Kritisch zur Kontrolle durch die Öffentlichkeit schon Zachariä, Die Gebrechen und die Reform des deutschen Strafverfahrens, S. 314. 449 BGHSt 5, 75, 83; 27, 13, 14, st. Rspr.; Heger, in: FS Beulke, 759, 761; Peters, Strafprozeßrecht, S. 554; Pielow, Öffentliches Strafverfahren – Öffentliche Strafen, S. 13; Thomas Fischer, in: KK-StPO, Einleitung Rn. 55 f.; LR/Wickern, Vor § 169 GVG Rn. 8. 450 Heger, in: FS Beulke, 759, 761; Pielow, Öffentliches Strafverfahren – Öffentliche Strafen, S. 14; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 47 Rn. 2; Exner, Jura 2017, 770, 771 f. Zur Reichweite der Herstellung einer bedingten Medienöffentlichkeit im Vor- und Hauptverfahren siehe Saliger, JZ 2016, 824, 825 ff. Siehe zur Diskussion um eine Erweiterung der Gerichtsöffentlichkeit auch um eine „digitale Gerichtsöffentlichkeit“ jüngst Paschke, MMR 2019, 563.

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Hauptverhandlung im Einzelfall wird damit eine fakultative, die generelle Möglichkeit ihres Vorhandenseins ist aber, mit den genannten Einschränkungen, obligatorisch.451 Einschränkungen lässt das GVG in den §§ 170 ff. GVG ausdrücklich zu, was vor allem dem Schutz der Beteiligten oder von Zeugen dient.452 Hieran wird ersichtlich, dass der Öffentlichkeitsgrundsatz in einem Spannungsfeld, namentlich mit dem Persönlichkeitsschutz, liegt und ein „zweischneidiges Institut“453 ist, das nicht nur den Interessen des Volkes und einer vertrauenswürdigen Rechtspflege dient, sondern zugleich den individuellen Interessen der durch die Öffentlichkeit Betroffenen zuwiderlaufen kann, wenn z. B. intime Details bekannt werden oder der Angeklagte durch die öffentliche Verhandlung sozial stigmatisiert wird, obwohl für ihn die Unschuldsvermutung streitet.454 Dies stellt damit im Übrigen ein Paradebeispiel dafür dar, wie ein systembildendes Prinzip mit anderen Prinzipien kollidieren kann und in der unmittelbaren Rechtsanwendung zur Abwägung gebracht werden muss.455 Im Jugendstrafrecht hingegen hat der Gesetzgeber mit dem Ausschluss der Öffentlichkeit die Abwägungsentscheidung selbst getroffen und den Persönlichkeitsschutz des jugendlichen Angeklagten entsprechend vorgehen lassen;456 gleiches hat er durch die Einführung von Vorschriften verwirklicht, die aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes den Ausschluss der Öffentlichkeit vereinfachen, namentlich die mittels der Opferschutzgesetzgebung eingeführten Ausschließungsgründe zum Schutze von Opferzeugen.457 Auch wenn es damit im positiven Recht Fälle der Nichtöffentlichkeit gibt, so wird deutlich, dass es sich hierbei – gerade in Anbetracht der völkerrechtlichen Garantien nach Art. 14 I 2 IPbpR und Art. 6 I 1 EMRK – um regelbestätigende Ausnahmen handelt, das Verfahrensrecht für die Hauptverhandlung Öffentlichkeit also gerade konstituierend voraussetzt und nur eine öffentliche Hauptverhandlung Grundlage der Entscheidung sein soll. Dass dieser Gedanke in der StPO nicht vollkommen umgesetzt wurde, was wieder für seinen Charakter als Grundsatz und Modell streitet, zeigen die Regelungen des Strafbefehlsverfahrens nach §§ 407 ff. StPO. Hier ist nämlich, dem Inquisitionsverfahren ähnlich, eine Entscheidung auf Grundlage eines schriftlichen 451

Bezeichnend, Peters, Strafprozeß, S. 554: „Öffentlichkeit bedeutet Freiheit der Anwesenheit an der Gerichtsstelle.“ 452 Pielow, Öffentliches Strafverfahren – Öffentliche Strafen, S. 50, 52 ff.; Wick, Demokratische Legitimation von Strafverfahren, S. 155 ff.; Exner, Jura 2017, 770, 773. 453 So Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 47 Rn. 1. 454 Heger, in: FS Beulke, 759, 763 f.; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 47 Rn. 1; vgl. dazu insbes. Stutz, Zurückdrängung des Öffentlichkeitsprinzips zugunsten der Privatsphäre im Strafverfahren, S. 115 ff.; Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 696 f. 455 So auch Stutz, Die Zurückdrängung des Öffentlichkeitsprinzips zugunsten der Privatsphäre im Strafverfahren, S. 120. 456 Eisenberg, JGG, § 48 Rn. 8 ff. 457 Vgl. Heger, in: FS Beulke, 759, 764; Thomas Fischer, in: KK-StPO, Einleitung Rn. 59 f.; LR/Wickern, Vor § 169 Rn. 12. Siehe zu dieser Thematik auch die Untersuchung von Hagendorn, Schutz der Opfer von Gewaltdelikten durch den Ausschluß der Öffentlichkeit im Strafverfahren, S. 54 ff.

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und nicht öffentlichen Verfahrens auf Aktenbasis vorgesehen.458 Die allgemeinen Erwägungen hierfür liegen einerseits in Beschleunigungstendenzen durch Verfahrensvereinfachung und der Vorstellung, dass eine öffentliche Kontrolle bei der hier im Raum stehenden „Kleinstkriminalität“ nicht erforderlich sei und andererseits, dass eine Anreise des Angeklagten zur und notwendiger Auftritt in öffentlicher Verhandlung das „größere Übel“ darstellten, als eine nicht öffentlich kontrollierte Hauptverhandlung, was insoweit Angeklagteninteressen schützende Tendenzen erkennen lässt.459 Die Gestaltung in der StPO sieht das Strafbefehlsverfahren aber nicht als Regelfall vor, wie es sich bereits aus dem Titel des sechsten Buches („Besondere Arten des Verfahrens“) ergibt.460 Auch gibt es stets Möglichkeiten aus dem Strafbefehlsverfahren heraus in ein Erkenntnisverfahren mit mündlicher Hauptverhandlung zu wechseln (z. B. § 408 III 2, 410, 411 I 2 StPO). Hier wird dann das Regelverhältnis wiederhergestellt, dass die materielle Entscheidung über die Tat- und Schuldfrage des Täters in öffentlicher Verhandlung zu fällen ist. Die Öffentlichkeit der Hauptverhandlung ist durch das Öffentlichkeitsprinzip in der Strafprozessordnung ersichtlich als Normalfall angelegt. Für eine sinnvolle Erfüllung seiner Kontroll- und Informationsfunktion erfordert das Öffentlichkeitsprinzip, dass der Prozessstoff dem Publikum in der Verhandlung zugänglich wird. Deshalb steht das folgend zu erörternde Mündlichkeitsprinzip dem Öffentlichkeitsgrundsatz als „denknotwendige Voraussetzung“ zur Seite.461 (2) Mündlichkeit und Unmittelbarkeit Das Mündlichkeitsprinzip462 ist ebenfalls Folge des reformierten Strafprozesses und Kehrseite des Öffentlichkeitsprinzips weshalb beide Prinzipien oft in einem Atemzug genannt werden.463 Diese beiden Grundsätze stehen also in einer engen 458 Dieses Verfahren war in der Entstehungszeit der StPO nicht unumstritten. Der Abgeordnete Struckmann konnte sich auf der 154. Sitzung der Justizkommission in zweiter Lesung des Gesetzesentwurfs eine „so wesentliche Beeinträchtigung der Oeffentlichkeit und Mündlichkeit“ durch ein derartiges Mandatsverfahren „nur bei Verfehlungen von geringer Bedeutung und mehr polizeilicher Natur“ vorstellen, Hahn, Materialien zur StPO, S. 1425 f. 459 Hahn, Materialien zur StPO, S. 188, 286; Elobied, Die Entwicklung des Strafbefehlsverfahrens von 1846 bis in die Gegenwart, S. 55 f. 460 Elobied, Die Entwicklung des Strafbefehlsverfahrens von 1846 bis in die Gegenwart, S. 39. 461 Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 708. 462 Auch hierzu grundlegend die Untersuchungen von Feuerbach, Betrachtungen über die Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Gerechtigkeitspflege Band I und Mittermaier, Die Mündlichkeit, das Anklageprinzip, die Oeffentlichkeit und das Geschworenengericht. 463 Beulke/Swoboda, Strafprozessrecht, Rn. 23; Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 695, 708; Kuhlhanek, in: MüKo-StPO, § 169 GVG Rn. 3; Peters, Strafprozeß, S. 557; LR/Kühne, Einleitung Abschnitt I Rn. 1. Feuerbach und Mittermaier untersuchen im Übrigen die Mündlichkeit zusammen mit der Öffentlichkeit, Feuerbach, Betrachtungen über die Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Gerechtigkeitspflege Band I sowie Mittermaier, Die Mündlichkeit, das Anklageprinzip, die Oeffentlichkeit und das Geschworenengericht. Auch die Gesetzesmate-

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Verbindung zueinander, diese ist aber, wie sich gleich zeigen wird, nur einseitig bedingt. Normativ ist der Mündlichkeitsgrundsatz in der StPO in den §§ 261, 264 StPO verortet, aber nicht ausdrücklich im Gesetz niedergeschrieben. Da die Urteilsfindung nur auf den „Inbegriff der Verhandlung“ (§ 261) bzw. das „Ergebnis der Verhandlung“ (§ 264 StPO) stützen darf, besagt das Mündlichkeitsprinzip, dass ausschließlich der mündlich vorgetragene und erörterte Prozessstoff der Entscheidung zugrunde zu legen ist.464 Selbstverständlich ist die Mündlichkeit nicht darauf beschränkt, dass ausschließlich akustische Vermittlung des Inhaltes zulässig wäre, sondern im Gegenteil, es geht um den gesamten unvermittelten kommunikativsinnlichen Eindruck, der aus der Hauptverhandlung zu entnehmen ist.465 Die Mündlichkeit ist auch in der Urteilsverkündung angelegt, wie sich aus § 268 II StPO eindeutig ergibt, auf den § 356 StPO für die Revision verweist. Die Verkündung des Urteils geschieht einerseits durch Verlesung der Urteilsformel und andererseits durch mündliche Eröffnung oder Verlesung der Entscheidungsgründe. Die Entscheidung an sich wird also in „tönende Sprache“466 gewandelt und erst damit tatsächlich und vor allem rechtlich bedeutsam.467 Selbstverständlich gibt es in der StPO auch Vorschriften, die diesen Grundsatz einschränken. Das Strafbefehlsverfahren wurde bereits zuvor genannt. Weitere Einschränkungen finden sich aber im Selbstleseverfahren nach § 249 II StPO oder bei der Aufgabe von schriftlichen Anträgen und Anfragen zu Verfahrensfragen nach § 257a StPO, welche beide durch das Verbrechensbekämpfungsgesetz468 vom 28. 10. 1994 eingeführt worden sind.469 Dennoch lässt sich behaupten, dass das Mündlichkeitsprinzip innerhalb der Hauptverhandlung im Übrigen zur „vollen Geltung gebracht [worden] ist“.470 rialien nehmen gemeinsam Bezug auf Öffentlichkeit und Mündlichkeit als zusammenhängende Grundsätze, Hahn, Materialien zum GVG, S. 31, 173 f. 464 Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 708, 711; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 44 Rn. 1, § 46 Rn. 1; Eb. Schmidt, Lehrkommentar StPO I, Rn. 429; Schmitt, in: MGS, § 261 Rn. 7; Carsten Paul, StV 2019, 768. 465 Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 710. 466 Feuerbach, Betrachtungen über die Öffentlichkeit und Mündlichkeit in der Gerechtigkeitspflege I, S. 231. 467 LR/Stuckenberg, § 268 Rn. 19 ff. 468 Art. 4 Nr. 6, 7 des Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung und anderer Gesetze (Verbrechungsbekämpfungsgesetz) vom 28. 10. 1994, BGBl. 1994 I, S. 3186. 469 Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 709; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 46 Rn. 1. Zu der Problematik des Selbstleseverfahrens in Umfangverfahren, mit einer Neuinterpretation von Mündlichkeitsprinzip aber auch Konzentrationsprinzip Feldmann, wistra 2020, 1. 470 So von Mittnacht bei der Vorstellung des Entwurfs zur RStPO in der ersten Lesung des Reichstags vom 24. 11. 1874, Hahn, Materialien zur StPO, S. 501. Im Entwurf ging diese „volle Geltung“ so weit, dass er sogar wegen unbehebbarer Widersprüche zum Grundsatz der Mündlichkeit auf eine Appellation/Berufungsinstanz verzichtete, siehe Hahn, Materialien zur

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2. Kap.: Normativer Inhalt der Vorschriften

Neben der Beschränkung der Entscheidungsfindung auf den beigebrachten und öffentlich eingeführten Prozessstoff, dient die Mündlichkeit des Verfahrens ebenfalls, damals wie heute, der Kommunikationserleichterung.471 Hinsichtlich dieser genannten Funktion wird das Verhältnis von Öffentlichkeits- und Mündlichkeitsprinzip deutlich: Während die Öffentlichkeit der Hauptverhandlung auch deren Mündlichkeit bedingt, um den Prozessstoff der Gerichtsöffentlichkeit zu offenbaren, bedingt umgekehrt die Mündlichkeit jedoch nicht zugleich die Öffentlichkeit einer Hauptverhandlung.472 Letztere kann, gerade wegen ihrer Funktion zur Kommunikationsvereinfachung, sehr wohl auch in nicht öffentlichen Verhandlungen gegeben sein. Angesprochen wurde dies schon im Jugendstrafverfahren nach § 47 JGG, hier sogar bei einer Hauptverhandlung, in der über die Schuld- und Tatfrage erkannt wird. Die StPO sieht aber auch selbst solche Beispiele vor, wie die Haftprüfung nach § 118 I StPO, die als eine mündliche aber wie sich aus § 118a III StPO ergibt, nicht öffentliche Verhandlung ausgestaltet ist und als Grundlage der Entscheidungsfindung dient.473 Eine Hauptverhandlung i. S. d. StPO ist dies nicht.474 Gleiches gilt für die mündliche Verhandlung bei Ausschließung des Verteidigers nach § 138d I StPO.475 Die mündliche Verhandlung bei Einziehung im Nachverfahren bzw. im selbstständigen Einziehungsverfahren nach § 434 III StPO bzw. §§ 436 II, 434 III StPO hingegen ist durch die Anwendungsberufung der Vorschriften über die Hauptverhandlung nach § 434 III 1 HS. 2 StPO wiederum öffentlich.476 Damit wird deutlich, dass die Mündlichkeit der Verhandlung stets eine notwendige Bedingung ihrer Öffentlichkeit ist, die Mündlichkeit in Bezug auf die Öffentlichkeit aber absolut ist.477 Ein weiteres Verfahrensprinzip, welches in Verbindung mit der Form der Beibringung genannt wird, ist die Art, in der der Prozessstoff vermittelt wird. Die Rekonstruktion des Sachverhaltes ist über die Beweismittel des Strengbeweises immer nur eine mittelbare.478 Hierbei versucht die StPO jedoch, den Grad der Vermittlung so

StPO, S. 242 ff.; Rieß spricht von „einem auf die Spitze getriebenen Mündlichkeitsprinzip“, Rieß, in: FS Hanack, 397, 403. 471 Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 708; siehe dazu auch Feuerbach, Betrachtungen über die Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Gerechtigkeitspflege I, S. 230 ff. 472 Eb. Schmidt, Lehrkommentar StPO I, Rn. 401; vgl. Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 695, 708; siehe auch schon Zachariä, Die Gebrechen und die Reform des deutschen Strafverfahrens, S. 313. 473 Schmitt, in: MGS, § 118 Rn. 1, § 118a Rn. 3. 474 Vgl. LR/Kühne, Einleitung Abschnitt I Rn. 62 475 Schmitt, in: MGS, § 138d Rn. 1 f. 476 Schmitt, in: MGS, § 434 Rn. 3; § 436 Rn. 10; vgl. LR/Kühne, Einleitung Abschnitt I Rn. 62. 477 Eb. Schmidt, Lehrkommentar StPO I, Rn. 401; vgl. zu diesem Verhältnis von Öffentlichkeit und Mündlichkeit Stefanie Klein, Die Grundsätze der Öffentlichkeit und Mündlichkeit im Zivilprozeß im Spannungsfeld zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung, S. 4 f., 23 sowie Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 708. 478 Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 914.

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gering wie nur möglich zu halten. Das Unmittelbarkeitsprinzip479 verlangt, dass das Gericht diejenigen Beweismittel nutzt und sich selbst vergegenwärtigt, die die geringste Mittelbarkeit zum Geschehen aufweisen.480 Insofern lässt sich das Unmittelbarkeitsprinzip mit diesem Inhalt auch als ein „Beweisverbot“ für die übrigen Beweismittel in einem weiteren Sinne verstehen.481 Es handelt sich hierbei in jedem Fall um eine, die Hauptverhandlung prägende, Maxime. Für den Zeitpunkt der Urteilsverkündung, wie sie hier im Raum steht, erscheint es aber nicht denkbar, dass die Art der Prozessstoffvermittlung für den Zeitpunkt der Bekanntgabe des aus diesem geschöpften Ergebnis von Bedeutung sein kann, als es sich durch ihre Beziehung zur Öffentlichkeit und Mündlichkeit schon ergibt. Sie ist damit ersichtlich nicht systembildend, so dass ihre Ansprache nur der Vollständigkeit wegen erfolgt. (3) Konzentration und Beschleunigungsgrundsatz Das letzte Verfahrensprinzip, das die Hauptverhandlung vornehmlich prägt, ist die Konzentrationsmaxime. Dieser Begriff wird zum Teil mit unterschiedlichem Inhalt genutzt. Einerseits wird das Konzentrationsprinzip bzw. der Begriff des Beschleunigungsgrundsatzes synonym für sämtliche Grundgedanken mit Beschleunigungsgehalt benutzt,482 andererseits wird zuweilen zwischen den unterschiedlichen Herkünften der Beschleunigungstendenzen und damit zwischen einem Beschleunigungsgrundsatz im engeren und weiteren Sinne unterschieden.483 Trotz ihrer Be479

Vertiefend zum Unmittelbarkeitsprinzip sowie zur Umsetzung im deutschen Strafprozess Geppert, Der Grundsatz der Unmittelbarkeit im deutschen Strafverfahren, S. 121 ff.; Großkopf, Beweissurrogate und Unmittelbarkeit der Hauptverhandlung, S. 26 ff.; Heissler, Die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme im Strafprozeßrecht unter besonderer Berücksichtigung des Zeugnisses vom Hörensagen, S. 37 ff.; Löhr, Der Grundsatz der Unmittelbarkeit im deutschen Strafprozeßrecht, S. 32 ff. 480 Beulke/Swoboda, Strafprozessrecht, Rn. 24; Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 914; Roxin/ Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 46 Rn. 3 f.; Schmitt, in: MGS, § 250 Rn. 1 ff.; Carsten Paul, StV 2019, 768. 481 Heissler, Die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme im Strafprozeß unter besonderer Berücksichtigung des Zeugnisses vom Hörensagen, S. 6 f. m. w. N.; Schmitt, in: MGS, § 250 Rn. 1. 482 So z. B. Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 268 ff., der für den üblichen Begriff der Konzentrationsmaxime den der „Einheit der Hauptverhandlung“ nutzt, Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 712; anders hingegen kommentiert er in LR/Kühne, Einleitung Abschnitt I Rn. 67, wonach „[d]as Beschleunigungsgebot, welches nicht nur die Hauptverhandlung, sondern den vollständigen Rechtsmittelzug umfasst, […] ebenfalls Folge der Konzentrationsmaxime [ist], die insofern über die Hauptverhandlung hinausreicht“. Auch Schmitt, in: MGS, Vor § 226 Rn. 3 unterscheidet hier nicht zwischen Beschleunigungsgebot und Konzentrationsprinzip, sondern spricht nur von einem das ganze Verfahren betreffenden Beschleunigungsgrundsatz. Zu der Entwicklung des „Beschleunigungsgebots“ zu einem „Sammelbegriff für alle auf Beschleunigung gerichteten Interessen“ und der daraus folgenden Begriffsunschärfe siehe Wohlers, NJW 2010, 2470. 483 So z. B. Kudlich, in: MüKo-StPO, Einleitung Rn. 150 ff.; Thomas Fischer, in: KK-StPO, Einleitung Rn. 24 ff. Nach Baumanns, Der Beschleunigungsgrundsatz im Strafverfahren, S. 54,

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deutung, findet weder die Konzentrationsmaxime noch eine sonstige Bezeichnung eines Beschleunigungsgrundsatzes in der StPO oder an anderer Stelle eine ausdrückliche Erwähnung.484 Es erscheint aber für den weiteren Verlauf der Bearbeitung zwischen den unterschiedlichen Dimensionen des Beschleunigungsgrundsatzes zu differenzieren.485 Mit dem Begriff der Konzentrationsmaxime bzw. Konzentrationsprinzip soll im Folgenden nur die prozessuale Beschleunigung gemeint sein, die auf eine konzentrierte Hauptverhandlung möglichst ohne zeitliche Zäsur in einem Zuge abzielt, um so die wahrheitssichernde Funktion der Hauptverhandlung, aufgrund des flüchtigen, mündlichen Prozessstoffes zu gewähren.486 Der „frische Eindruck der mündlichen Hauptverhandlung“ soll es sein, aus dem die zur Urteilsfindung berufenen Personen ihre Überzeugung schöpfen – und nur aus dieser.487 Jede Verzögerung und Ausdehnung der Verhandlung schwächen diesen Eindruck, da die nur begrenzte menschliche Erinnerungsfähigkeit ihn mit zunehmender Distanz zum Geschehen abschwächt.488 Dieses Verständnis betrifft unmittelbar die Hauptverhandlung, zu der auch die Urteilsverkündung gehört; und hier wird ersichtlich, dass dieser Gedanke unmittelbar mit dem zuvor vorgestellten Verfahrensprinzip, dem Mündlichkeitsgrundsatz, in Verbindung steht.489 Es ist vor allem jene Erwägung, die der historische Gesetzgeber bei der Konzeption der Hauptverhandlung zugrunde gelegt hat, um das Verfahren mit seiner Wahrheitsfindung zu sichern.490 Und wieder wird hier eine Abhängigkeit ersichtlich: Wie der Öffentlichkeitsgrundsatz notwendigerweise die Beulke/Swoboda, Strafprozessrecht, Rn. 26a und Waßmer, ZStW 118 (2006), 159, 165 ist die Konzentrationsmaxime eine spezielle Ausprägung bzw. Unterform des Beschleunigungsgrundsatzes. Ähnlich sieht es wohl auch Herbert Landau, in: FS Hassemer, 1073, 1075. 484 BGHSt 21, 81, 84; Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 269; Pest, Das Verzögerungsverbot im Strafverfahren, S. 16 m. w. N.; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 16 Rn. 3; vgl. Thomas Fischer, in: KK-StPO, Einleitung Rn. 24 ff., 29; Kudlich, in: MüKo-StPO, Einleitung Rn. 150 ff. 485 Auf die Notwenigkeit einer Trennung, vor allem im Hinblick auf die objektive und subjektive Dimension des Beschleunigungsgrundsatzes, macht auch Kudlich aufmerksam, m. w. N. Kudlich, Gutachten C zum 68. Deutschen Juristentag, S. C12 ff.; Kudlich, MüKo-StPO, Einleitung Rn. 156; siehe zu den Folgen einer Vermischung in Form „ambivalenter Wirkungen des Beschleunigungsgebots“ auch Imme Roxin, StV 2010, 437. 486 In einem solchen Verständnis auch z. B. Baumanns, Der Beschleunigungsgrundsatz im Strafverfahren, S. 54; Hassemer, Einführung in die Grundlagen des Strafrechts, S. 123 f., 157 f.; Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 712, allerdings als „Einheit der Hauptverhandlung“, siehe auch Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 270; Peters, Strafprozeßrecht, S. 552; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 16 Rn. 5, § 44 Rn. 7; Thomas Fischer, in: KK-StPO, Einleitung Rn. 24; Kudlich, in: MüKo-StPO, Einleitung Rn. 150 f. 487 Vgl. Lilie, in: FS Meyer-Goßner, 483, 485; LR/Sander, § 261 Rn. 1 ff. 488 Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 712; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 44 Rn. 7. 489 Roxin/Schünemann Strafverfahrensrecht, § 44 Rn. 7; LR/Kühne, Einleitung Abschnitt I Rn. 67. 490 Siehe dazu Hahn, Materialien zur StPO, S. 182 ff.; vgl. Kudlich, in: MüKo-StPO, Einleitung Rn. 150.

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Mündlichkeit des Prozesses erfordert, so ist es nun wiederum die Mündlichkeit, welche in sachlicher Notwendigkeit die Konzentration der Hauptverhandlung in einem einheitlichen Zusammenhang erfordert.491 Anders ausgedrückt lässt sich damit ableiten, dass die Konzentrationsmaxime direkte und notwendige Folge des Mündlichkeitsprinzips ist und, über dieses vermittelt, wiederum logische Folge des Öffentlichkeitsprinzips. Wegen der Abstraktheit der mündlichen Vermittlungsform, auch als ein Mittel zur Arbeitserleichterung, ist die Notwendigkeit einer konzentrierten Hauptverhandlung aber nur in ihrer Mündlichkeit begründet; eine Einschränkung oder gar der Ausschluss der Öffentlichkeit mindern keinesfalls die Notwendigkeit der Konzentration. Anders zeichnen sich die Ursprünge des hier als allgemeiner Beschleunigungsgrundsatz bezeichneten Gedankens ab. Dieser Beschleunigungsgrundsatz stellt kein allein die Hauptverhandlung betreffendes Prinzip dar, sondern betrifft das Strafverfahren als Ganzes.492 Das heutige Verständnis des Beschleunigungsgrundsatzes mit seiner Verankerung493 im Verfassungsrecht nach Art. 20 III GG, zumeist im Zusammenhang mit Art. 1 I, 2 I, II GG genannt, um die grundrechtliche Rügefähigkeit herzustellen,494 sowie in internationalen Abkommen, wie Art. 5 III, 6 I EMRK oder Art. 14 III c IPbpR, und der „doppelte[n] Zielrichtung“495 hinsichtlich Bejahung eines einerseits subjektiven Elements, als ein Recht zum Schutze des Angeklagten, und andererseits eines zu diesem auch im Widerspruch stehenden objektiven Elementes, im Interesse einer effektiven Strafrechtspflege, stellt eine eher neuere Entwicklung dar, die für das Strafverfahren heute jedoch als systembildend anerkannt ist.496 Bei der Berücksichtigung dieser hinzutretenden Systemelemente zeigt sich die bereits oben angesprochene Offenheit des teleologischen Systems, welche zu Systemverschiebungen im Laufe der Gesetzesentwicklung führen kann. Die Inhalte dieses Beschleunigungsprinzips, die, wie Thomas Fischer zutreffend feststellt, nicht auf die Bedeutung von Beschleunigung i. S. v. Geschwindigkeitszunahme abstellen, sondern auf die i. S. v. „,Zügigkeit‘, Unverzüglichkeit, Stringenz 491

Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 712. Thomas Fischer, in: KK-StPO, Einleitung Rn. 29.; LR/Kühne, Einleitung Abschnitt I Rn. 67; Schmitt, in: MGS, Vor § 226 Rn. 3. 493 Für eine ausführliche Darstellung der rechtlichen Verankerung des Beschleunigungsgebotes m. w. N. siehe die Publikationen von Baumanns, Der Beschleunigungsgrundsatz im Strafverfahren, S. 46 ff.; Pest, Das Verzögerungsverbot im Strafverfahren, S. 16 ff. Siehe auch Herbert Landau, in: FS Hassemer, 1073, 1076 f., 1079 f.; Waßmer, ZStW 118 (2006), 159, 161 ff. 494 Siehe dazu auch unten Viertes Kapitel: B. II. 2. bb) und cc) (1). 495 Waßmer, ZStW 118 (2006), 159, 200. 496 BVerfGE 122, 248, 279; vgl. auch schon zur Gegenläufigkeit der verfolgten Interessen des Beschleunigungsgebots 63, 45, 68 f.; Baumanns, Der Beschleunigungsgrundsatz im Strafverfahren, S. 56 ff.; Pest, Das Verzögerungsverbot im Strafverfahren, S. 90 f.; Thomas Fischer, in: KK-StPO, Einleitung Rn. 29; Laue, GA 2005, 648 f.; Waßmer, ZStW 118 (2006), 159 ff. 492

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des Verfahrensgangs, Fehlen von sachlich nicht bedingten Verzögerungen“,497 dürften insofern ebenfalls unbestritten sein. Der allgemeine Beschleunigungsgrundsatz zerfällt somit also in eine objektive Dimension, i. S. d. Absicherung einer effektiven Strafrechtspflege,498 eine individuellen Dimension, i. S. e. subjektiven Schutzrechtes des Angeklagten in der Ausprägung eines „Verzögerungsverbotes“,499 und – wenn man die Konzentrationsmaxime in den Beschleunigungsgrundsatz insgesamt einbeziehen wollte – auch in eine prozessuale Dimension, i. S. e. Prozessbeschleunigung infolge der mündlichen Einbringung des Verfahrensstoffes500.501 Letztlich kommt es hier nicht darauf an, abschließend zu klären, ob es sich bei dem „Beschleunigungsgrundsatz“ um einen einheitlichen Grundsatz mit verschiedenen Dimensionen handelt oder ob eine jede Dimension dieses Bündels ein eigenes Rechtsprinzip darstellt.502 Bei der Systembildung sind alle drei Erscheinungsformen so oder so zu berücksichtigen, ganz zuvorderst die Dimension einer prozessualen Beschleunigung. Die unterschiedlichen Wurzeln der tendenziell gleichgerichteten Dimensionen deuten jedoch das Wesen eigenständiger Prinzipien an; vor allem vor dem Hintergrund, dass sie zwar alle drei in ihrer Folge auf eine Beschleunigung ausgerichtet sind, gerade aber die objektive Dimension vornehmlich mit der individuellen Dimension überkreuz liegen kann.503 Dies ist ein Phänomen, wie es gerade bei einer Prinzipienkollision gegeben ist. Die verschiedenen beschleunigenden Ausprägungen im Blick, so liegt es auf der Hand, dass vorliegend vor allem die Beschleunigung in Form der Konzentrationsmaxime für die öffentliche und mündliche Hauptverhandlung im Fokus sein wird. Die weiteren Ausprägungen stehen hier selbstverständlich flankierend, ggf. auch hemmend zur Seite. 497

Thomas Fischer, in: KK-StPO, Einleitung Rn. 30. Siehe dazu m. w. N. Pest, Das Verzögerungsverbot im Strafverfahren, S. 98 ff.; vgl. zu einer objektiven Ausprägung des Beschleunigungsgebots auch Baumanns, Der Beschleunigungsgrundsatz im Strafverfahren, S. 58 f.; Laue, GA 2005, 648 ff. 499 Dazu m. w. N. Baumanns, Der Beschleunigungsgrundsatz im Strafverfahren, S. 57 f.; Fezer, in: FS Widmaier, 177, 178 f.; Pest, Das Verzögerungsverbot im Strafverfahren, S. 91 ff. Von einem objektivrechtlichen Verzögerungsverbot anstelle eines subjektivrechtlichen Verzögerungsverbots spricht aber z. B. Laue, GA 2005, 648, 663. 500 Baumanns, Der Beschleunigungsgrundsatz im Strafverfahren, S. 54; Beulke/Swoboda, Strafprozessrecht, Rn. 26a; LR/Kühne, Einleitung Abschnitt I Rn. 67. 501 Thomas Fischer, in: KK-StPO, Einleitung Rn. 24 ff., 29; Kudlich, in: MüKo-StPO, Einleitung Rn. 150 ff. 502 Zu letzterem tendiert wohl Hanack, JZ 1971, 705, 707, 710, der die Konzentrationsmaxime als Verfahrensprinzip anerkennt aber darin keine Beschleunigung des Verfahrens zur Abwehr von Prozessverschleppungen sieht, sondern bloß als mittelbare Folge zur Absicherung des Mündlichkeitsprinzips und damit vielmehr als prozessuale Komponente. So äußert sich auch im Hinblick auf die die Konzentrationsmaxime konkretisierenden Normen Fezer, in: FS Widmaier, S. 177 f. 503 Siehe dazu Baumanns, Der Beschleunigungsgrundsatz im Strafverfahren, S. 68 ff.; Pest, Das Verzögerungsverbot im Strafverfahren, S. 103 ff.; Kudlich, in: MüKo-StPO, Einleitung Rn. 156. 498

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Aber gerade dieses Verhältnis ist es, das die Frage aufwirft, inwiefern die Einheit der Hauptverhandlung heute noch als ein (maßgebend) systembildendes Prinzip aufgefasst werden kann, welches verwirklichenden Niederschlag im Prozessrecht findet. Jene Normen, in denen sich die prozessuale Beschleunigung der Hauptverhandlung festmachen lässt – namentliche §§ 229, 268 III und in der Verlängerung auch die Urteilsabsetzungsfrist nach § 275 I StPO –,504 wurden seit der Entstehung der StPO maßgeblich verlängert.505 Die Unterbrechungsfrist des § 229 I StPO wurde von ursprünglich drei Tagen nach § 228 RStPO auf heute drei Wochen, unter bestimmten Voraussetzungen nach § 229 II StPO sogar bis zu einem Monat (Fristenhemmungen nach § 229 III StPO, § 10 I, II EGStPO und Fristenverlängerungen nach § 229 IV StPO hier nicht einbezogen), ausgeweitet. Die Urteilsverkündungsfrist wurde von einer Woche nach § 267 I 1 RStPO, nach einer zeitweiligen Verkürzung auf drei Tage,506 auf heute507 nun elf Tage nach § 268 III 2 StPO verlängert. Gleiches lässt sich auch im Hinblick auf die Urteilsabsetzungsfrist des § 275 I StPO beobachten, welche von drei Tagen in den Anfängen von § 275 I RStPO auf heute mindestens fünf Wochen plus etwaiger Verlängerungen bei Großverfahren, wie auch bei der Zahl der Unterbrechungen der Hauptverhandlungen, zu einer Frist mit einem förmlich offenen Ende erweitert wurde.508 In Anbetracht von mehrjährigen „Monsterprozessen“ mit hunderten Verhandlungstagen, wie dem NSU-Prozess in München, könnten hierbei Zweifel dahingehend aufkommen, dass die Einheit der Hauptverhandlung heute noch Bestandteil des Prozessrechts ist. Die Konzentrationsmaxime scheint zugunsten des Gedankens des Fruchterhaltes509 verdrängt worden zu sein und ist damit, wenn man die Gesetzesbegründung zum Ersten Gesetz zur Reform des Strafverfahrens (1. StVRG) heranzieht, welches bisher die weitreichendste Verlängerung dieser

504 Pest, Das Verzögerungsverbot im Strafverfahren, S. 29 ff.; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 10 Rn. 3, § 16 Rn. 5; LR/Becker, § 229 Rn. 1; Frister, in: SK-StPO, § 275 Rn. 3; Keller, in: AK StPO, § 229 Rn. 1; LR/Kühne, Einleitung Abschnitt I Rn. 67; Schmitt, in: MGS, § 229 Rn. 1; Velten, in: SK-StPO, § 268 Rn. 9. 505 Siehe für einen Überblick unten die Synopse auf S. 165. 506 Durch Art. 3 Nr. 121 des Gesetzes zur Wiederherstellung der Rechtseinheit auf dem Gebiet der Gerichtsverfassung, der bürgerlichen Rechtspflege, des Strafverfahrens und des Kostenrechts vom 12. 09. 1950, BGBl. 1950 I, S. 455. 507 Eine Verlängerung der Frist auf zwei Wochen ist mit dem Regierungsentwurf für ein geplantes Gesetz zur Fortentwicklung der StPO und zur Änderung weiterer Vorschriften ausstehend, dazu mehr unten Zweites Kapitel: A. II. 3. b) aa) (3). 508 Vgl. zur Zahl der zulässigen Unterbrechungen LR/Becker, § 229 Rn. 7 und der daraus dann folgenden Zahl der Verhandlungstage zu berechnenden Urteilsabsetzungsfrist nach § 275 I StPO LR/Stuckenberg, § 275 Rn. 10. 509 Vgl. LR/Becker, § 229 Rn. 3, nach dessen Ansicht der Gesetzgeber „einseitig dem Gedanken der Prozessökonomie den Vorrang vor der Verfahrenskonzentration gegeben“ habe. Vgl. auch Scheffler, ZIS 2007, 386, 391, der den „,zeit- und kostenintensiven‘ Verfahrensabbruch“ als Grund für die Verlängerung der Unterbrechungsfrist ausmacht.

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2. Kap.: Normativer Inhalt der Vorschriften

Fristen verursacht hat, kurioserweise gerade Opfer des Beschleunigungsgrundsatzes geworden.510 Beschleunigung durch Verlängerung?511 Dieser Umstand könnte also durchaus Zweifel daran säen, dass die Konzentration des Verfahrensstoffes zur Wahrheitssicherung in einer einheitlichen, mündlichen Hauptverhandlung bündeln zu wollen heute noch immer einen leitenden Gedanken des Verfahrensrechts darstellt, weil in den konzentrierenden Vorschriften vom Konzentrationsprinzip „wegen der permanenten Ausdehnung der Unterbrechungsmöglichkeiten praktisch nichts mehr übrig geblieben“ ist.512 Ein solcher Schluss wäre allerdings verkürzt, da er die konkrete Ausformung im Gesetz mit dem Inhalt des Prinzips gleichsetzen würde. Von der oben herausgearbeiteten Prämisse ausgehend, dass Rechtsprinzipien die leitenden Gedanken in der Konzeption der Teilrechtsordnung sind, ist ein Abgesang auf die Konzentrationsmaxime verfrüht. Sie sind sehr wohl bis heute prägend und davon geht selbst schon die Gesetzesbegründung zum 1. StVRG aus, welche ebenfalls an den frischen Eindruck der Hauptverhandlung, speziell in Bezug auf § 268 III StPO, anknüpft.513 Insofern bleibt das Konzentrationsprinzip weiterhin leitender Gedanke – in der konkreten gesetzlichen Ausformung hat der Gesetzgeber aber nun dieses Prinzip mit anderen Prinzipien in Abwägung gebracht und andere Motivationen bei der Gestaltung der Normen nunmehr verstärkt berücksichtigt. Das Konzentrationsprinzip ist dadurch aber nicht ungültig geworden oder vollkommen verdrängt worden. Auch innerhalb der erweiterten Fristen kann und muss es zur Anwendung kommen, da die äußere Grenze, in der der Gesetzgeber davon ausgeht, dass die Einheit der Hauptverhandlung noch gegeben ist, verschoben worden ist.514 Sie ist deshalb keinesfalls auszunutzen,515 was schon bei den ursprünglichen Fristen der RStPO nicht der Fall gewesen ist. Schon hier hätten Puristen behaupten können, dass bei einer Unterbrechung von drei Tagen von dem Konzentrationsprinzip „nicht mehr viel übrig“ sei. Des Weiteren wird die Verwirklichung des Prinzips durch eine hohe gerichtliche 510 BT-Drucks. 7/551, S. 31 ff., insbes. 47 f., in der es heißt: „Die Neuregelung [Anm.: die Verlängerung der Unterbrechungsfrist von zehn auf bis zu dreißig Tage für Großverfahren] dient auch der Verfahrensbeschleunigung, da sie die Wiederholung einer vieltägigen Hauptverhandlung verhindert, wenn eine Unterbrechung von mehr als 10 Tagen, aber nicht mehr als 30 Tagen unvermeidbar ist.“ Auch in diesem Umstand zeigt sich wieder die Gegenläufigkeit der verschiedenen Dimensionen des Beschleunigungsgrundsatzes, die für den Charakter einzelner Rechtsprinzipien spricht. Siehe auch die weitere Begründung in BT-Drucks. 7/551, S. 80. 511 Ähnlich auch Scheffler, ZIS 2007, 386 im Titel: „Verkürzung durch Verlängerung?“ 512 Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 44 Rn. 7 dort in Fn. 1, § 16 Rn. 5; ähnlich äußert sich auch m. w. N. Böttcher, JR 1988, 37, 38: „Die Geschichte des § 229 StPO ist die Geschichte der Auflockerung der Konzentrationsmaxime.“ 513 BT-Drucks. 7/551, S. 83; vgl. hinsichtlich der weiteren Änderungen zu § 229 StPO die Begründungen in BT-Drucks. 10/1313, S. 24 (StVÄG), die förmlich ein Bekenntnis zur Konzentrationsmaxime darstellt sowie BT-Drucks. 15/1508, S. 25 (1. JuMoG). 514 Vgl. RGSt 27, 116, 117. 515 So auch Peters, Strafprozeß, S. 553, wonach die Bedeutung der Konzentrationsmaxime eine enge Auslegung der Unterbrechungsvorschriften gebietet.

A. Auslegung der Vorschrift des § 356 StPO

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Arbeitslast, die Anberaumung bloßer Schiebetermine sowie den Rückgriff der Praxis auf nicht förmliche und allgemein kontrollierbare Aufzeichnungen der Hauptverhandlung erschwert.516 In diesen Vorschriften kommt also vielmehr das ganze Wesen der Konzentrationsmaxime als systembildendes Prinzip zur Geltung, gerade im Verständnis eines Optimierungsgebotes nach der Prinzipientheorie Alexys. Um es mit den bezeichnenden Worten Kühnes auszudrücken: „In diesem Licht erscheint das Prinzip der Einheit der Hauptverhandlung nur mehr als Optimalforderung, der man sich lediglich asymptotisch nähern kann, deren Existenz jedoch trotz der Unmöglichkeit sie einzulösen, ihre Berechtigung dadurch erhält, dass sie steten Ansporn bedeutet, den unmittelbaren Verhandlungseindruck so weit wie nur irgend möglich dem Urteil zu Grunde zu legen.“517

Die oftmals totgesagte Konzentrationsmaxime ist damit unvermindert, ungeachtet einer erfolgten Relativierung, systembildendes Prinzip des Strafverfahrensrechts im Hinblick auf die Gestaltung der mündlichen Hauptverhandlung. In der Handhabung des Gesetzgebers und der Praxis der Rechtsprechung lässt sie sich bedauerlicherweise aber „einfach an die Wand spielen“518. (4) Weitere Prinzipien Die Verfahrensmaximen der Öffentlichkeit, Mündlichkeit und Konzentration sind wichtige „Konstitutionsprinzipien“, die bei der Systembildung in Bezug auf die Hauptverhandlungsgestaltung zum Tragen kommen.519 Dort verwirklichen sie sich nicht notwendigerweise in ihrer Reinform und sie werden auch nicht an jeder Stelle der Hauptverhandlung relevant, allerdings sind sie Pfeiler, auf denen das konkrete Recht mal mit mehr und mal mit weniger Last ruht.520 Es stellt sich die Frage, ob daneben noch andere Prinzipien existieren, die Einfluss auf die Systembildung nehmen könnten. (a) Persönlichkeitsschutz Im Gesetz findet sich an mehreren Stellen eine Motivation angedeutet, die bei der Hauptverhandlung als solche zu berücksichtigen ist, und zwar jene, die zum Ausschluss der Öffentlichkeit führen kann. Neben dem Schutz des Hauptverhandlungsablaufs, zeigt sich in den §§ 169 ff. GVG vor allem die Rücksichtnahme auf 516 Siehe dazu Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 272, 713. Ähnlich äußert sich auch Schlüchter, GA 1994, 397, 419 f., wonach die Praxis und Ausgestaltung des § 229 StPO (a. F.) der Konzentrationsmaxime wie auch für die Durchführung eines schleunigen Verfahrens abträglich seien. Vgl. kritisch zu Umgang und Ausgestaltung der konzentrierenden Vorschriften auch Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 44 Rn. 8 f. 517 Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 713. 518 Scheffler, ZIS 2007, 386, 393. 519 LR/Kühne, Einleitung Abschnitt I Rn. 54. 520 Vgl. LR/Kühne, Einleitung Abschnitt I Rn. 6 f.

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2. Kap.: Normativer Inhalt der Vorschriften

schutzwürdige Belange der Betroffenen als weitere Motivation, also der Schutz ihres jeweiligen aus den Grundrechten hergeleiteten Persönlichkeitsrechts nach Art. 1 I, 2 I GG.521 Der Persönlichkeitsschutz ist für die Hauptverhandlung grundsätzlich ein prägendes Element und wahrscheinlich heute auch als ein systembildendes Prinzip zu berücksichtigen. Sollte man ihn nicht als eigenes Prinzip der StPO auffassen, so wirkt seine Verwirklichung innerhalb der StPO dennoch jedenfalls kollisionssystematisch aufgrund seiner Verortung im höherrangigen Verfassungsrecht und der Persönlichkeitsschutz ist dann bei der Beurteilung der Verfassungskonformität zur Anwendung zu bringen, um ggf. eine verfassungskonforme Auslegung zu ermöglichen.522 In Bezug auf die Urteilsverkündung ist dieser Faktor nicht ohne Belang, wie § 268 II 3 StPO deutlich macht. Hiernach ist bei der Entscheidung über die Verkündung der Urteilsgründe (Verlesung oder mündliche Mitteilung ihres wesentlichen Inhalts) auf die schutzwürdigen Belange von Beteiligten, Zeugen und Verletzten Rücksicht zu nehmen. Damit wird zugleich eine Kohärenz zu den Fällen hergestellt, in denen die Öffentlichkeit bei Erörterung dieser Inhalte, die nun zum Gegenstand der Urteilsgründe geworden sind, zuvor in der mündlichen Verhandlung ausgeschlossen wurde.523 Dies berührt aber lediglich die äußere Form der Urteilsverkündung, nämlich die Präsentation der Inhalte. Im Hinblick auf den Gegenstand der §§ 356, 268 III 2 StPO, die allein den Zeitpunkt der Urteilsverkündung betreffen, erscheint es jedoch fraglich, ob der Persönlichkeitsschutz der Beteiligten, Zeugen und Verletzten überhaupt denkbar systembildend werden kann. Jedenfalls spricht schon die konkrete Formulierung des § 268 II 3 StPO, die nur Bezug auf die Inhalte der Entscheidungsgründe nimmt, dafür, dass der Persönlichkeitsschutz nur diesbezüglich wirken soll. Damit zeigt sich, dass der Persönlichkeitsschutz zwar fähig ist, als ein systembildendes Prinzip der Hauptverhandlungsgestaltung aufgefasst zu werden, er aber auf den Zeitpunkt der Urteilsverkündung keinen systemprägenden Einfluss erlangt. (b) Schriftlichkeitsprinzip der Revisionshauptverhandlung? In seiner Entscheidung RGSt 27, 116 hat das RG ausgeführt, dass es sich selbst an die Urteilsverkündungsfrist nicht gebunden fühle, da für die Entscheidung im Wesentlichen der im angefochtenen „Urteil festgestellte Thatbestand, […] das Sitzungsprotokoll und eventuell der sonstige Akteninhalt die maßgebende Grundlage bilden“.524 Die Entscheidung lässt hier in der Begründung anklingen, dass im 521

BVerfGE 103, 44, 64, die Entscheidung führt darüber hinaus aus: „Prozesse finden in der, aber nicht für die Öffentlichkeit statt“; Saliger, JZ 2016, 824 (825); Trüg, NJW 2011, 1040, 1041; Sachs, in: Sachs-GG, Art. 2 Rn. 59; Schmitt, in: MGS, § 171b Rn. 1.; LR/Wickern, § 171b GVG Rn. 2. 522 Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, S. 171 f.; Kuhlen, Die verfassungskonforme Auslegung von Strafgesetzen, S. 1; Sachs, in: Sachs-GG, Einführung Rn. 52; Schmitt, in: MGS, § 169 Rn. 1. 523 Moldenhauer, in: MüKo-StPO, § 268 Rn. 24; Schmitt, in: MGS, § 268 Rn. 6a. 524 RGSt 27, 116, 117.

A. Auslegung der Vorschrift des § 356 StPO

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Rahmen der Revisionshauptverhandlung, anders als bei der Feststellung der Schuld durch die Tatgerichte, nicht ihr frischer, unvermittelter Eindruck Basis der Entscheidung ist, sondern das schriftliche Beweismaterial.525 Bei Zugrundelegung eines letztlich schriftlichen und damit nichtflüchtigen Verfahrensstoffs wäre eine Konzentration der Hauptverhandlung mit zügiger Durchführung und alsbaldiger Entscheidungsfindung in der Tat nicht von gleicher Notwendigkeit, wie bei einer mündlichen Hauptverhandlung, bei der eine jederzeitige Reproduktion der Verhandlung nicht möglich ist. Vor diesem Hintergrund verblasst die Notwendigkeit des Konzentrationsprinzips, was sich in der Entscheidung des RG und auch in Bezug auf die Handhabung der Unterbrechungsfristen durch die Revisionsgerichte niederschlägt.526 Allerdings lässt sich in den Normen über die Revisionshauptverhandlung kein Schriftlichkeitsansatz erkennen. Ein Wesensunterschied zwischen tatgerichtlicher und revisionsgerichtlicher Hauptverhandlung ist nicht auszumachen, da die StPO, wie oben bereits dargelegt, unabhängig von der Instanz nur einen einzigen Hauptverhandlungstypus konstruiert.527 Die Verhandlung vor dem Revisionsgericht ist, wie sowohl § 351 StPO als auch die Systematik der StPO eindeutig deutlich machen, als nach § 169 I GVG öffentliche und damit zwangsläufig mündliche Hauptverhandlung ausgestaltet. Nach § 351 I StPO beginnt die Verhandlung „mit dem Vortrag eines Berichterstatters“ und nach diesem Vortrag werden gemäß § 351 II StPO Staatsanwaltschaft, der Angeklagte und sein Verteidiger „gehört“.528 Diese Mündlichkeit folgt nicht allein schon aus dem Wortlaut, sondern auch aus der historischen Konzeption der Vorschrift, wie sie sich aus den Motiven zu ihrer Entwurfsnorm, dem § 312 RStPO-E, ergibt. Der entscheidungserhebliche Verfahrensstoff und die Revisionsbegründungen „werden mittels eines von einem mitwirkenden Richter zu erstattenden Berichts [Anm.: und damit mündlich] zur Kenntnis des Gerichts gebracht“.529 Gleiches gilt für die anschließende Anhörung der Beteiligten; auch ihr Inhalt wird in mündlicher Form zu dessen Kenntnis gebracht.530 Dadurch, dass auch in der Revisionsinstanz der Verfahrensstoff mündlich beigebracht wird, gebietet dessen ebenso bestehende Flüchtigkeit eine Konzentration der Hauptverhandlung in 525

RGSt 27, 116, 117; siehe auch schon oben Zweites Kapitel: A. I. 1. Diese Handhabung beinhaltet die konsequente Nichtanwendung der Unterbrechungsfristen nach §§ 229 StPO, Knauer/Kudlich, in: MüKo-StPO, § 351 Rn. 2; Rissing-van Saan, StraFo 2010, 359, 361. 527 Siehe bereits oben Zweites Kapitel: A. II. 2. b) aa). 528 Dieses Vorgehen wird auch heute noch so in der Revisionshauptverhandlung praktiziert, LR/Franke, § 351 Rn. 3; Rissing-van Saan, StraFo 2010, 359, 363 f. Kraemer weist auch darauf hin, dass es die Beteiligung Mehrerer (Bundesanwaltschaft, Angeklagter, Verteidiger) ist, die, im Unterschied zu einer Behandlung einer Sache in einem bloßen Beschlussverfahren, in dem es im Wesentlichen allein der Berichterstatter ist, der die Beratungsgrundlage vorgibt, der mündlichen Hauptverhandlung in der Revision einen erhöhten Wert gegenüber dem Beschlussverfahren zukommen lässt, Kraemer, SJZ 1950, 300, 301. 529 Hahn, Materialien zur StPO, S. 256. Vgl. hierzu auch Mosbacher, NJW 2014, 124, 125. 530 Siehe dazu ebenfalls Hahn, Materialien zur StPO, S. 256. 526

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2. Kap.: Normativer Inhalt der Vorschriften

einem möglichst einaktigen, nur unwesentlich unterbrochenen, Gesamtgeschehen wie auch in der Tatsacheninstanz.531 Damit ist die Anwendung der erstinstanzlich vorgesehenen Unterbrechungs- und Aussetzungsvorschriften zur Verwirklichung der Verfahrensverdichtung und damit auch die Verwirklichung der Konzentrationsmaxime in der revisionsgerichtlichen Hauptverhandlung bloß konsequent und angezeigt!532 Es ist aber ein Bereich innerhalb des revisionsrechtlichen Verfahrens identifizierbar, in dem die Schriftlichkeit verstärkt zum Tragen kommt und sich im Vergleich zu dem tatgerichtlichen Verfahren eine Abschwächung der Bedeutung des mündlichen Beitrages im Verfahren erkennen lässt. Dieser Bereich nimmt seinen Ausgang im einleitenden Stadium des Revisionsverfahrens. Hier gibt es nämlich sehr wohl eine bemerkenswerte Rückkehr in einen obligatorischen, schriftlichen und nicht öffentlichen Verfahrensabschnitt, in dem sogar eine verfahrensbeendende Entscheidung ohne Hauptverhandlung getroffen werden kann. Dies findet sich in der Verwerfung der Revision durch Beschluss, einerseits bereits durch das Gericht der Vorinstanz nach § 346 I StPO, aber vor allem auch einer Verfahrensbeendigung in Form eines Beschlusses durch das Revisionsgericht nach § 349 I, II, IV StPO. Historisch findet sich für dieses Verfahren in den Motiven eine Begründung, jedoch ist zu bedenken, dass es zu diesem Zeitpunkt gemäß § 398 RStPO keine Verwerfung der Revision auf Grundlage der heutigen § 349 II StPO oder einer Stattgabe nach § 349 IV StPO gab – diese Vorschriften stammen aus späterer Zeit533. Ausgehend von der Annahme, dass es dem Angeklagten ebenfalls möglich sein müsse, eine Entscheidung des Revisionsgerichts herbeizuführen, ohne selbst gegenwärtig zu sein (§ 350 I StPO verlangt auch in seiner jüngst geänderten Fassung534 weiterhin nur die Benachrichtigung des Angeklagten und ihm steht es nach § 350 II StPO frei, in der Hauptverhandlung zu erscheinen) – das dürfte schon wegen des zumeist weitentfernten Wohnsitzes des Angeklagten zum Sitz des Revisionsgerichts zu damaliger Zeit wesentlich erschwert gewesen sein – oder sich stets vertreten lassen zu müssen, sieht der Entwurf zur RStPO „die Nothwendigkeit eines der künftigen Entscheidung zur Grundlage dienenden s ch r i f t l i ch e n Verfahrens, welches in der Anbringung schriftlicher Revisionsanträge, auf die eine schriftliche Gegenerklärung erfolgen kann, besteht […].“535 Bereits die Hervorhebung des Wortes „schriftlichen“ im Originaltext lässt den Ausnahmecharakter erkennen, da die Überwindung des schriftlichen und nicht öffent531 Siehe dazu oben die Ausführungen zu dem Verhältnis von Mündlichkeitsprinzip und Konzentrationsmaxime, Zweites Kapitel: A. II. 2. c) aa) (2) und (3). 532 Es kommt damit also sehr wohl auf die Konzentration der Hauptverhandlung an, und nicht vornehmlich nur auf eine zügige Durchführung der Revisionsverfahren, wie es Wohlers, in: SK-StPO, § 356 Rn. 2, allerdings mit grundsätzlich zutreffender Tendenz, feststellt. 533 Vgl. nur die Ursprungsfassung von § 389 RStPO. 534 Neufassung aufgrund Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes des Rechts des Angeklagten auf Anwesenheit in der in der Verhandlung vom 17. 12. 2018, BGBl. 2018 I, S. 2571. 535 Hahn, Materialien zur StPO, S. 254 f., Hervorhebungen so auch im Original.

A. Auslegung der Vorschrift des § 356 StPO

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lichen (Inquisitions-)Verfahrens dem reformierten deutschen Strafprozess gerade immanent ist und eine „Wiederverschriftlichung“ zu diesem grundsätzlich im Widerspruch steht.536 Diese Vorschriften waren daher in der Beratung nicht unumstritten, sollten aber im Wesentlichen unverändert Bestand haben und wurden schließlich mit den heutigen § 349 II, VI StPO sogar noch derart ausgebaut, dass dem Revisionsgericht eine Entscheidung durch Beschluss nicht bloß in Fällen von Zulässigkeitsfragen, sondern eben auch bei Begründetheitsfragen ermöglicht wird. Eingeleitet wird dieses Verfahren also nur mittels fristgerecht eingereichter, schriftlicher Revisionsbegründung seitens des Beschwerdeführers (vgl. §§ 341, 345 StPO) und die schriftlichen Eingaben der Beteiligten (vgl. § 347 II StPO) stellen die Grundlage zur Verfahrensvorbereitung dar. Durch diese schriftliche Anbringung des Verfahrensstoffes und der Beschwerdepunkte, insbesondere die Verfahrensrüge betreffend, wird die nachfolgende mündliche Darlegung dieser in der Revisionshauptverhandlung vergleichsweise nebensächlich.537 Vorrangig war die Wiederverschriftlichung den Materialien nach aber Mittel der Wahl, um eine Überprüfung des tatgerichtlichen Urteils „aus der Ferne“ zu eröffnen. Sofern das Gericht von einer Entscheidung durch Beschluss keinen Gebrauch macht, hat eine Entscheidung durch Urteil und damit aufgrund mündlicher Hauptverhandlung zu erfolgen – dies war im Übrigen nach der Ursprungskonzeption des § 389 RStPO, dem Vorläufer von § 349 RStPO, der Regelfall sowohl für Fragen der Begründetheit als auch der Zulässigkeit.538 Hier diente also der schriftliche Abschnitt des Revisionsverfahrens ausschließlich zur Vorbereitung der Hauptverhandlung, wenn die Revision nicht durch Beschluss als unzulässig verworfen werden konnte. Ein solches Regel-Ausnahme-Verhältnis von Entscheidung durch Urteil bzw. durch Beschluss hat sich heute offensichtlich in der Rechtsprechungspraxis des BGH ins Gegenteil verkehrt, nachdem dem Revisionsgericht durch die Erweiterung des § 349 StPO auch die Möglichkeit zugestanden wurde, aufgrund dieser Schriftsätze, einschließlich der Inhalte der Akten, in Begründetheitsfragen in der Sache entscheiden zu können.539 Das Gesetz hingegen sieht die mündliche Hauptverhandlung aber als Regelfall vor.540 Und das gilt bis heute. 536 Aus diesem Grunde beantragt der Abgeordnete Herz sowohl in erster als auch zweiter Kommissionslesung die Streichung des § 310 RStPO-E, der dem heutigen § 349 I, IV StPO entspricht, und die Revisionsverwerfung durch Beschluss bei Unzulässigkeit vorsieht. Dieser Antrag findet aber bei den übrigen Kommissionsmitgliedern aus Gründen der Zweckmäßigkeit und Verfahrensvereinfachung keine Mehrheit, Hahn, Materialien zur StPO, S. 1044, 1401 f.; vgl. LR/Kühne, Einleitung Abschnitt I Rn. 53. 537 Hahn, Materialien zur StPO, S. 256. 538 Vgl. Hahn, Materialien zur StPO, S. 255 f.; Rosenau, ZIS 2012, 195, 196. 539 Im vergangenen Jahr 2019 waren es gemäß BGH-Statistik 2891 Revisionen (94,94 % aller Revisionen), die durch Beschluss entschieden wurden. Davon 2115 nur nach § 349 II StPO und lediglich 154 Revisionen wurden durch Urteil entschieden, abrufbar unter: https://www.bun desgerichtshof.de/DE/Service/Statistik/StatistikStraf/statistikStraf_node.html, letzter Abruf am 08. 06. 2020. 540 Peters, Strafprozeß, S. 657.

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2. Kap.: Normativer Inhalt der Vorschriften

Es zeigt sich, dass dem Revisionsgericht heute in gewisser Weise ein AuswahlDualismus zwischen einem schriftlichen Beschlussverfahren und einem Verfahren aufgrund mündlicher Hauptverhandlung bei der Entscheidungsfindung zur Verfügung steht.541 Diese beiden Möglichkeiten stehen aber – und das ist von Bedeutung – bei der Entscheidung über eine Revision in einem Alternativverhältnis, wie § 349 V StPO deutlich macht.542 Eine Vermischung dieser beiden Entscheidungsmodi findet nicht statt, deshalb sind die Vorgehensweisen aus dem einen Modus auch nicht auf den des anderen übertragbar. Das Beschlussverfahren bleibt also schriftlich, das Urteilsverfahren mündlich. In letzterem Fall deutet das oben Gesagte in Bezug auf die Beibringung des Prozessstoffs in der Hauptverhandlung darauf hin, dass es, im Gegensatz zur Einschätzung des RG in RGSt 27, 116, nicht die Schriftstücke von Tatbestand, Sitzungsprotokoll und ggf. Verfahrensakte sind, die Grundlage der Erkenntnis sein sollen, sondern auch hier nur der Inbegriff der Hauptverhandlung (vgl. § 261 StPO)543. Alles andere wäre auch absurd, dann bräuchte es einer solchen Differenzierung nicht und erst recht keines „Schauspiels“ einer mündlichen Hauptverhandlung. Die bereits im die Hauptverhandlung vorbereitenden Verfahren gegebene Abschwächung der Bedeutung des mündlichen Beitrages findet des Weiteren eine Fortsetzung in der Hauptverhandlung selbst. Dies gründet weiterhin in dem eingangs genannten Gedanken: Da dem Angeklagten eine Möglichkeit gegeben werden soll, wegen seiner Entfernung zum Sitz des Revisionsgerichts, das Rechtsmittel ohne seine Anwesenheit oder Vertretung eines Verteidigers durchzuführen, wird ihm ein schriftlich eingeleitetes Rechtsmittel an die Hand gegeben.544 Dem mündlichen Vortrag des bereits schriftlich erstatteten Revisionsbegehrens kommt nicht dieselbe Bedeutung zu, als würde das Revisionsbegehren ausschließlich unmittelbar mündlich angebracht werden. Dieser Umstand war schon zur Entstehung der Vorschriften über die Revision berücksichtigt worden. In den Motiven heißt es dazu, dass sich die Abschwächung der mündlichen Komponente der Revisionsbegründung daraus erklärt, „daß nach der Natur eines nur den Rechtspunkt betreffenden, eine schriftliche Begründung erfordernden Rechtsmittels der mündlichen Ausführung der Beschwerdebegründung […] keine wesentliche Bedeutung beiwohnt“.545 541 Letztere Option ist dabei immer valide, erstere an mehr oder weniger hohe Voraussetzungen geknüpft, LR/Franke, § 349 Rn. 7; Schmitt, in: MGS, § 349 Rn. 35. 542 Ausgenommen sind freilich wieder jene Fälle, in denen das Gericht die Entscheidung dann trotz mündlicher Hauptverhandlung doch wieder durch Beschluss entscheiden muss, §§ 153 II, 154 II, 206a, 206b, 437 IV, 441 IV, Schmitt, in: MGS, § 349 Rn. 35. Berücksichtigung muss hier auch finden, dass der BGH sehr wohl Revisionen durchaus nach Revisionsrügen trennt und dann teilweise in Beschluss oder Hauptverhandlung entscheidet, siehe dazu Barton, in: FS Weßlau, 33, 36 f.; Momsen/Momsen-Pflanz, in: SSW-StPO, § 349 Rn. 48 ff. 543 Hippel, Der Deutsche Strafprozeß, S. 591 macht im Übrigen deutlich, dass über dieses schriftliche Beweismaterial in der Hauptverhandlung auch durch Verlesung Beweis zu erheben ist. 544 Hahn, Materialien zur StPO, S. 254 f. 545 Hahn, Materialien zur StPO, S. 256.

A. Auslegung der Vorschrift des § 356 StPO

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In der Tat lassen sich also Anhaltspunkte erkennen, die ein gewisse Verschiebung des Revisionsverfahrens in ein schriftliches Verfahren erkennen lassen. Im Beschlussverfahren nach § 349 I, II, IV StPO ist diese Verschiebung zur Vollendung gebracht worden. Für die mündliche Hauptverhandlung gilt dies aber nur insoweit, als dass eine Verstärkung des jeweiligen Begehrens des Angeklagten mittels mündlichen Vortrags nicht erforderlich ist. Nicht allerdings lässt sich hieraus der Schluss ziehen, dass das Verfahren im Urteilsverfahren verschriftlicht wurde; der Prozessstoff wird mündlich beigebracht. Und geschieht das hinsichtlich des Revisionsbegehrens nicht dadurch, dass der Angeklagte seine Ansichten selbst oder durch seinen Verteidiger mündlich zur Kenntnis des Gerichts bringt, so ist dies Aufgabe des Berichterstattervortrags.546 Somit wird deutlich, dass die Revisionshauptverhandlung, trotz einer gewissen Abschwächung der mündlichen Komponente, eine originär mündliche Hauptverhandlung bleibt, in der die allgemeinen Grundsätze der mündlichen Hauptverhandlung fortgelten. Schriftlichkeit ist gerade kein Wesensmerkmal dieser Verhandlungsform; ihre Einbeziehung führt gerade zu einem Systembruch, insbesondere in Bezug auf das Öffentlichkeitsprinzip. Die Gleichsetzung der, für Urkunden typischen, Schriftlichkeit des Beweismaterials im Revisionsverfahren (Urteilsurkunde, Verhandlungsprotokoll, weiterer Akteninhalt) mit einem im Wesentlichen schriftlichen Verfahren im Ganzen, wie es das RG in seiner Entscheidung tut, ist daher verfehlt und methodische mehr als unsauber.547 Weder bestand ein Schriftlichkeitsgrundsatz zur Zeit der Entscheidung durch das RG, noch hat ein solcher heute in das Revisionsverfahren Eingang gefunden, sofern aufgrund der Hauptverhandlung entschieden wird. Auch wenn diese Entscheidungsform heute deutlich zurückgedrängt worden ist, so bleibt ihre Grundlage eine öffentliche und mündliche Hauptverhandlung. Sachverhalt, Revisionsbegründung und Replik (ggf. auch Duplik) werden in das Verfahren mündlich eingebracht. Auch die Zulassung freibeweislicher Erhebungen sind in der Revisionsinstanz nicht ausgeschlossen.548 Das alles spricht für eine Notwendigkeit der Konzentration des mündlichen Verfahrensstoffs. Der Umgang des RG und in der Fortsetzung des BGH zeugt vielmehr von einem hier ausdrücklich angesprochenen, 546 Offensichtlich stellte das sogar für die weiteren Senatsmitglieder früher den ersten Fall dar, in dem sie mit dem Prozessstoff vertraut gemacht wurden, was die Bedeutung des Vortrages noch stärker hervorhebt als heute, wo die Senatsmitglieder schon im Vorfeld Kenntnis erhalten, Rissing-van Saan, StraFo 2010, 359, 363. Gericke, in: KK-StPO, § 351 Rn. 2; Knauer/Kudlich, in: MüKo-StPO, § 351 Rn. 17 f.; Rissing-van Saan, StraFo 2010, 359, 363. Zum Einfluss des Berichterstattervortrags auf die Entscheidungsfindung des Revisionsgerichts vor allem im Beschlussverfahren, der dabei maßgeblich sein dürfte, und in dem die Verteidigung und der Angeklagte, anders als in der Hauptverhandlung, keine „korrigierende“ Gegenansicht nach § 351 II StPO äußern können, siehe Thomas Fischer, NStZ 2013, 425. 547 Siehe RGSt 27, 116, 117 und oben unter Zweites Kapitel: A. I. 1. Schon Hippel, Der Deutsche Strafprozeß, S. 591 weist darauf hin, dass die auch im Revisionsverfahren eine Beweisaufnahme erfolgt und ggf. die Urkunden, mit denen prozessuale Beschwerden bewiesen werden, in der Hauptverhandlung zu verlesen sind, siehe dazu auch Anmerkung Nr. 3. 548 LR/Franke, § 351 Rn. 5.

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2. Kap.: Normativer Inhalt der Vorschriften

vom Gesetz entfernten, Usus, der auch nicht in der von den Motiven berücksichtigten Abschwächung des mündlichen Beitrags Niederschlag findet. Einen Schriftlichkeitsgrundsatz i. S. e. systembildenden Rechtsprinzips innerhalb der mündlichen Hauptverhandlung begründet dieses Vorgehen hingegen mitnichten.549 Der Schriftlichkeitsgrundsatz ist eine echte Alternative zum Mündlichkeitsprinzip;550 ein gleichzeitiges Wirken solcher Gegenprinzipien führt zu (nicht behebbaren) Widersprüchen.551 (5) Zusammenfassung Die vorherigen Ausführungen haben gezeigt, dass für die Hauptverhandlung eine Reihe von Prinzipien in der Systembildung relevant werden können. In Bezug auf die Urteilsverkündungsfrist sind dies zuvorderst die Verfahrensmaxime von Öffentlichkeit, Mündlichkeit und Konzentration der Hauptverhandlung, flankiert durch die weiteren Prinzipien des Beschleunigungsgrundsatzes mit seiner objektiven und subjektiven Komponente. Unmittelbarkeitsgrundsatz und Persönlichkeitsschutz sind für die Hauptverhandlung ebenfalls prägende Grundelemente mit Prinzipiencharakter, allerdings für das innere System im Zeitpunkt der Urteilsverkündung nicht von Relevanz. bb) Systembildung Nachdem die für die Hauptverhandlung tragenden Prinzipien herausgearbeitet wurden, ist mit diesen nun in Anbetracht der Urteilsverkündungsfrist der §§ 356, 268 III 2 StPO das System unter seinen eingangs genannten Systemkonstitutiva von Einheit der Rechtsordnung und folgerichtiger Einordnung zu bilden und mit der Vorschrift in Bezug zu setzen.552 Hieraus ist dann abzuleiten, ob aus systematischer Warte heraus hinsichtlich der Geltung der Urteilsverkündungsfrist in der Revisi-

549

Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, S. 89 ff., lässt zwar auch Richterrecht als Quelle von Rechtsprinzipien zu, allerdings kann dies nur in den Fällen gelten, in denen die Rechtsprechung hierfür entsprechende Freiräume besitzt, es sich also nicht um eine „,gesetzesübersteigende‘ Richterrechtsfortbildung“ handelt vgl. Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 724. Diese Voraussetzungen sind hier aber nicht ersichtlich. 550 Vgl. LR/Kühne, Einleitung Abschnitt I Rn. 53; Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 284. 551 Selbstverständlich sind auch Mischformen im Grunde denkbar, allerdings lässt sich erkennen, dass die StPO das Mündlichkeitsprinzip in der Hauptverhandlung deutlich betont, auch im Hinblick auf die Darbietung des Verfahrensstoffs an die Öffentlichkeit. Fezer und Rieß formulieren es, dass der historische Gesetzgeber einer „Mündlichkeitsideologie“ erlegen sei, Fezer, StV 2007, 40, 41; Rieß, in: FS Hanack, 397, 413. Dazu passen auch die Aussagen von von Mittnacht bei der Vorstellung des Entwurfs zur RStPO in der ersten Lesung des Reichstags vom 24. 11. 1874, Hahn, Materialien zur StPO, S. 501. Verschriftlichungen des Verfahrens innerhalb dieser Konzeption führen in diesem Zuge zu Brüchen. 552 Siehe dazu bereits oben Zweites Kapitel: A. II. 2. a) aa).

A. Auslegung der Vorschrift des § 356 StPO

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onshauptverhandlung Einschränkungen vorzunehmen sind oder umgekehrt, das System die Anwendung der Frist gerade bedingt. Hierbei kann jetzt schon erwähnt werden, dass letzteres der Fall ist: Die Regelung aus §§ 356, 268 III 2 StPO stellt sich nämlich als eine logische Folge der systembildenden Prinzipien aus Öffentlichkeits-, Mündlichkeits- und Konzentrationsgrundsatz dar, die versucht, die von ihnen ausgehende Tendenz innerhalb der gesamten Hauptverhandlung, als Kernstück des Strafverfahrens, zur vollständigen – mit Alexys Verständnis: „optimierten“ – Anwendung zu bringen. Sie sind das verbindende Glied der Hauptverhandlung. Die bereits angesprochene Beziehung der Prinzipien zueinander zeigt, dass der Angelpunkt die Mündlichkeit der Hauptverhandlung ist. Auch wenn letztere eine logische Folge der Öffentlichkeit ist, so ist erstere von letzterer unabhängig, sobald – wie hier – eine mündliche Prozessform verbindlich gewählt wurde. Denn neben der Zugänglichkeit des Prozessstoffs für die Gerichtsöffentlichkeit, dient die Mündlichkeit darüber hinaus auch der Verfahrensvereinfachung und -beschleunigung gegenüber einem schriftlichen Verfahren. Die mündliche Prozessform kann aus diesem Grund bereits selbstständig bestehen, ohne dass eine Beschränkung der Öffentlichkeit, wie sie eben das GVG oder das JGG beispielsweise vorsehen, für sie Folgen hätte.553 Die Mündlichkeit steht aber deshalb in einer letztlich untrennbaren Verbindung zur Öffentlichkeit im deutschen Strafprozess, weil dieser von einer grundsätzlich öffentlichen Hauptverhandlung ausgeht, wie es eben auch die bereits genannten verfassungsrechtlichen und internationalen Garantien verlangen. Es ist aber, wie gezeigt, die Mündlichkeit und deren Flüchtigkeit, die die Konzentration der Hauptverhandlung bedingt und verlangt. Von daher ist die Anordnung einer schnellstmöglichen Urteilsfeststellung konsequent und in ihrer stärksten Form in § 268 III 1 StPO erfasst, wonach die Urteilsverkündung im Regelfall am Schluss der Verhandlung, lediglich unterbrochen durch die Beratungen, stattfinden soll.554 Wenn es dem Gericht zugestanden sein soll, die Urteilsverkündung nicht unmittelbar im Anschluss an die Verhandlung vorzunehmen, dann zwingt die Natur der „tönende[n] Sprache“ – nämlich jene, dass sie verklingt und das gesprochene Wort, anders als das geschriebene, vorüber geht –, dass der Zeitraum von Schluss der Verhandlung bis zur Urteilsfällung derart kurz gewählt wird, damit die tönende Sprache so intensiv wie möglich nachhallt.555 Und diese Prämisse gilt gleichermaßen für das Verfahren vor dem Tatgericht als auch vor dem Revisionsgericht. Damit liegen Ulrich Franke und Carl-Friedrich Stuckenberg systematisch falsch,wenn sie behaupten, dass sich aus dem teilweisen Verweis des § 268 III 3 StPO in die Fristenregelungen nach § 229 StPO erkennen 553 554

Rn. 9.

So auch m. w. N. Eb. Schmidt, Lehrkommentar StPO I, Rn. 401. LR/Stuckenberg, § 268 Rn. 8; Velten, in: SK-StPO, § 268 Rn. 9; Voll, in: KMR, § 268

555 Feuerbach, Betrachtungen über die Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Gerechtigkeitspflege I, S. 231 f.

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2. Kap.: Normativer Inhalt der Vorschriften

lasse, dass § 268 III 2 StPO erkennbar auf die Tatsacheninstanz zugeschnitten und deshalb für das Revisionsverfahren unverbindlich sei.556 Diese Aussage verkennt erstens die Genese der Urteilsverkündungsfrist als eine besondere Unterbrechungsfrist,557 zweitens die Konstruktion eines einzigen mündlichen Hauptverhandlungstypus in der StPO, unabhängig von der Instanz, in der sie durchgeführt wird, drittens, dass die Konzentration der Hauptverhandlung auf der Flüchtigkeit des Wortes beruht – was eben auch für die Revisionshauptverhandlung uneingeschränkt gilt –, viertens, der Verweis in § 268 III 3 StPO seinen Grund in dem Charakter der Unterbrechungsfrist als eine Zwischenfrist findet, für den § 43 II StPO nicht gilt,558 und nicht zuletzt fünftens, dass der Verweis auf die Fristenvorschriften des § 229 StPO eine Entwicklung neuerer Zeit559 ist und damit erst mit deren Einführung überhaupt als Argument herangezogen werden könnte, wenn dies zu einer Systemverschiebung führen würde. Mithin ist der Hinweis, dass die Frist des § 268 III 2 StPO nicht gelte, weil auf Vorschriften verwiesen werde, die vor dem Tatrichter gelten, fehlgehend, da § 356 StPO selbst schon auf eine Verfahrensvorschrift vor dem Eingangsgericht zur Anwendung beruft; dass diese dann wiederum weitere solcher Vorschriften zur Anwendung bringt, kann überhaupt nicht verwundern, zumal sie gesetzessystematisch als nicht verdrängte allgemeine Vorschrift schon gelten würde (Stichwort: universeller Hauptverhandlungstypus). In der Verlängerung gilt diese Argumentation nicht bloß für die Geltung der Urteilsverkündungsfrist in der Revisionshauptverhandlung, sondern auch für die Vorschriften über die Aussetzung und Unterbrechung der Hauptverhandlung mit den dort genannten Fristen, wie sie allerdings von dem Revisionsgericht nicht geübt wird.560 Dass sich RG und BGH in der Anwendung aus wahrscheinlich verfahrensvereinfachenden Motiven – blasphemisch: aus Bequemlichkeit – weigerten und weigern, diese Vorschriften anzuwenden, findet nur eine Grundlage in der geübten Praxis, nicht hingegen im Gesetz. Franke und Stuckenberg begehen hier in systematischer Hinsicht so etwas wie einen „Anfängerfehler“, indem sie sich ausschließlich auf vermeintliche und unvollständige Ableitungen aus dem äußeren System der §§ 356, 268 III 2 StPO beschränken. Inhaltlich nehmen sie (ggf. unbewusst) eine verdeckte Rechtsfortbildung vor, indem Sie den klaren Wortlaut des § 356 StPO in seiner Anwendung (vermeintlich) teleologisch reduzieren, ohne zugleich die Voraussetzungen einer solchen Rechtsfortbildung darzulegen und im Wege der Methodenehrlichkeit offenzulegen, dass hier das Recht fortgebildet wird.561 Teleologische Rechtsfortbildung ist jedoch keine 556 LR/Franke, 356 Rn. 1; LR/Stuckenberg, § 268 Rn. 15. Ihnen ist allerdings zugute zu halten, dass sie die Kommentierungen von Gollwitzer und Hanack aus den Vorauflagen übernehmen und fortschreiben und sie damit diese fehlerhafte Argumentationslinie nicht erstmalig schaffen. 557 Siehe dazu unten die Darstellung zur Historie, Zweites Kapitel: A. II. 3. a) cc) (3). 558 RGSt 57, 266, 267; siehe auch die Ausführungen oben Erstes Kapitel: D. 559 Eingeführt durch Art. 1 Nr. 77 des Ersten Gesetzes zur Reform des Strafverfahrensrechts (1. StVRG) vom 09. 12. 1974, BGBl. 1974 I, S. 3393. 560 Siehe Rissing-van Saan, StraFo 2010, 359, 361. 561 Vgl. Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 729, 755a f.

A. Auslegung der Vorschrift des § 356 StPO

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Aufgabe der Auslegung im Allgemeinen und damit auch nicht der systematischen Auslegung im Speziellen, weswegen ein solcher Schluss an hiesiger Stelle nicht zu verorten ist.562 Bei der Betrachtung der hier grundlegenden Prinzipien über die Hauptverhandlung lässt sich erkennen, dass Öffentlichkeits-, Mündlichkeits- und Konzentrationsgrundsatz im System Vektoren mit gleicher Ausrichtung darstellen. Sie sind miteinander uneingeschränkt sowie ohne Erzeugung von Spannungsverhältnissen kompatibel – zuweilen stehen sie nicht einfach gleichwertig „in einem engen funktionellen Zusammenhang“563, sondern sie bedingen sich in notwendiger Weise sogar –, wodurch sie als einzelne Glieder zu einer „Prinzipienkette“ verbunden werden können und von ihrer in ihnen angelegten Tendenz zu einem möglichst kurzen Zeitraum zwischen erlebten Eindruck der Hauptverhandlung und Verkündung der darauf basierenden Entscheidung gleichgerichtet drängen. Die weiteren Dimensionen des Beschleunigungsgrundsatzes wirken ab Schluss der Verhandlung ebenfalls in diese Richtung; das Verzögerungsverbot verlangt nunmehr, nachdem der entscheidende Stoff Gegenstand des Prozesses geworden ist, dass eine zügige Entscheidung erfolgt, um die physischen, psychischen und sozialen Belastungen des Angeklagten gering zu halten.564 Es erscheint nicht mehr nachvollziehbar, weshalb das Gericht an dieser Stelle aus Gründen des Angeklagtenschutzes, namentlich zur Aufklärung der materiellen Wahrheit, das Verfahren verzögern dürfte.565 Dabei ist unbeachtlich, dass eine Verletzung des Verzögerungsverbots üblicherweise aus einer Gesamtbetrachtung heraus beurteilt wird; auch eine Nichtbeachtung einfachgesetzlicher Fristen, die zu einer einzelnen Verzögerung führt, nicht aber in der Gesamtbetrachtung zu einem unfairen Verfahren, läuft als eine nicht angezeigte Verfahrensverschleppung dem Verzögerungsverbot objektiv zuwider.566 Einer Verletzung dieses subjektiven Rechts bedarf es für eine Systemwidrigkeit nicht. Und auch aus der objektiven Warte des Beschleunigungsgrundsatzes heraus ist eine schnelle Urteilsfindung im Interesse der Allgemeinheit angezeigt, namentlich zur Absicherung des Strafanspruchs des Staates sowie aus verfahrensökonomischen Gründen.567 Der allgemeine Beschleunigungsgrundsatz wirkt ab Schluss der Verhandlung gleichgerichtet mit der Konzentrationsmaxime auf eine möglichst baldige Urteilsverkündung und somit Vollendung des Verfahrens 562

Vgl. Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 755a f. LR/Kühne, Einleitung Abschnitt I Rn. 53. 564 Baumanns, Der Beschleunigungsgrundsatz im Strafverfahren, S. 62 f.; Pest, Das Verzögerungsverbot im Strafverfahren, S. 91 ff. 565 Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 268; Baumanns, Der Beschleunigungsgrundsatz im Strafverfahren, S. 68; vgl. Thomas Fischer, in: KK-StPO, Einleitung Rn. 30. 566 Vgl. Pest, Das Verzögerungsverbot im Strafverfahren, S. 93, 94; Gaede, in: MüKoStPO, Art. 6 EMRK Rn. 22, 361, 371. 567 Siehe hierzu Baumanns, Der Beschleunigungsgrundsatz im Strafverfahren, S. 65 ff.; Pest, Das Verzögerungsverbot im Strafverfahren, S. 98 ff. 563

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2. Kap.: Normativer Inhalt der Vorschriften

hin.568 Es kann dabei keinen Unterschied machen, ob es dabei um eine Verurteilung auf der Ebene der Tatsacheninstanz geht oder in der Revisionsinstanz. Gerade in letzterer würde eine allgemeine Beschleunigung auch dadurch angezeigt werden, wenn das Urteil des Tatgerichts nach §§ 353 ff. StPO zur Neuverhandlung aufgehoben wird und damit der Zeitraum zwischen Schluss der Verhandlung und Urteilsverkündung und somit auch das Verfahren als Ganzes sehr wohl verlängert. Hinsichtlich des Verzögerungsverbotes könnte die Missachtung einer Einzelfrist dann sehr wohl zu einer insgesamt unangemessenen Verfahrenslänge kausal beitragen.569 Die Regelungen über den Zeitpunkt der Urteilsverkündung nach §§ 356, 268 III StPO ruhen damit förmlich deckungsgleich auf den für sie systembildenden Prinzipien und sind logische Folge derselben. Ihre Verbindlichkeit im Verständnis als besondere Unterbrechungsfrist liegt auch nicht im Widerspruch dazu, dass die Urteilsverkündungsfrist mit einer maximalen Unterbrechung von derzeit zehn Tagen erheblich kürzer ist als die allgemeine Unterbrechungsfrist des § 229 StPO von in der Regel drei Wochen. Dies ließe die Folge zu, dass bei Ablauf der Urteilsverkündungsfrist, nicht aber der Unterbrechungsfrist, ein Wiedereintritt in die Hauptverhandlung möglich wäre, welche dann den Fristenlauf des § 268 III 2 StPO neu in Gang setzte.570 Die Motivation, diese beiden Fristen unterschiedlich zu regeln, mag zwar in Anbetracht der Wesensgleichheit der Fälle als Unterbrechungsfristen und der sie untermauernden Prinzipien einen nicht nachvollziehbarer Wertungswiderspruch darstellen und Friktionen hervorrufen.571 Dadurch, dass die §§ 229, 268 III StPO jedoch unterschiedliche Ausschnitte umfassen (Unterbrechung des Verhandelns/ Aussetzung der Urteilsverkündung), führen sie eben nicht zu einer Normkollision in Form eines Normwiderspruchs, der durch die Systembildung oder Kollisionsregeln zu beheben wäre.572 Beide Regeln können, trotz des Wertungswiderspruchs, kolli568

Vgl. Kudlich, in: MüKo-StPO, Einleitung Rn. 150; Wohlers, in: SK-StPO, § 356 Rn. 2. Vgl. Gaede, in: MüKo-StPO, Art. 6 EMRK Rn. 373. 570 BGHR-StPO § 268 III, Verkündung 3 Rn. 3. Ein solches Vorgehen ist, mit Ausnahme in der Zeit nach dem 31. 08. 1942 (infolge des Art. 9 § 5 der Verordnung zur weiteren Vereinfachung der Strafrechtspflege vom 13. August 1942, RGBl. 1942 I, S. 508, der eine flexible Handhabung der Unterbrechung ermöglichte), dauerhaft erst seit dem Vereinheitlichungsgesetz möglich, durch das die Urteilsverkündungsfrist nunmehr durchgängig kürzer als die Unterbrechungsfrist normiert wurde oder danach höchstens gleichlang. Zuvor war die Urteilsverkündungsfrist stets länger als die Unterbrechungsfrist und der „Kunstgriff“ zur Umgehung der Urteilsverkündungsfrist, wie vom 5. Strafsenat vorgeschlagen, nicht möglich. Vgl. dazu RGSt 53 332, 333 f.; 57, 422, 423. Eb. Schmidt hielt solche „Schleichwege“, wie vom 5. Strafsenat vorgeschlagen, der Justiz für unwürdig, Eb. Schmidt, Lehrkommentar StPO II, § 268 Rn. 14. Siehe auch die Synopse auf S. 165. 571 Zu dem Begriff des Wertungswiderspruchs siehe Engisch, Die Einheit der Rechtsordnung, S. 62 f.; Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 228 ff.; Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, S. 18 f. 572 Dazu Engisch, Die Einheit der Rechtsordnung, S. 46; Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 225 ff.; siehe auch Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 77 f.; vgl. auch Kramer, Juristische Methodenlehre, 116 ff.; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 569

A. Auslegung der Vorschrift des § 356 StPO

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sionsfrei nebeneinander bestehen und dieser unterschiedliche Regelungsinhalt war zusätzlich vom Gesetzgeber bewusst intendiert,573 weswegen der beinhaltete Wertungswiderspruch vom Rechtsanwender hinzunehmen ist.574 Es waren die Gerichte, die sich in daher unzulässiger Weise über diese unterschiedliche Regelung als zwingendes Recht wiederholt hinwegsetzten575 oder es versuchten.576 Mit der nunmehr angestrebten Verlängerung der Urteilsverkündungsfrist auf zwei Wochen würde der bestehende Wertungswiderspruch zur Unterbrechungsfrist tendenziell jetzt sogar noch abgeschwächt werden.577 In der Gesamtbetrachtung ist damit die Geltung der Urteilsverkündungsfrist des § 268 III 2 StPO in Bezug auf die Revisionshauptverhandlung nicht schon allein aufgrund der Verweisungsvorschrift des § 356 StPO logische Folge; nein, ihre Geltung ist vielmehr schon bereits bruchfreie und logische Folge des inneren Systems der Rechtsordnung in Bezug auf die Hauptverhandlung. Die systembildenden Prinzipien werden durch §§ 356, 268 III 2 StPO kumulativ in fast „reinster Form“ verwirklicht und konkretisiert. Ihre strikte Geltung wird durch kein Gegenprinzip des inneren Systems modifiziert oder gebrochen und dieses Ergebnis ergibt sich sowohl nach der Systembildung im Verständnis nach Canaris/Larenz und Alexy. Abschließend lässt sich damit festhalten, dass es die Geltung der Frist ist, die im teleologischen System in Anbetracht der systembildenden Prinzipien zur einheitlichen Rechtsordnung und wertungsmäßigen Folgerichtigkeit führt – die Behauptung der Nichtgeltung ist es erst, die einen Wertungswiderspruch und teleologischen Bruch auslöst. d) Ergebnis zur systematischen Auslegung Mit der Regelung der Urteilsverkündungsfrist nach den §§ 356, 268 III 2 StPO hat der Gesetzgeber hinsichtlich der heute wirkenden, systembildenden Prinzipien der Hauptverhandlung gänzlich prinzipienkonforme Normen geschaffen, die sich in ein S. 334 f.; Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 154, 156 f.; vgl. Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 762a ff. 573 So schon bei der Verkürzung der Urteilsverkündungsfrist auf vier Tage durch das Vereinheitlichungsgesetz, siehe dazu die Vorstellung des Entwurfs durch den Abgeordneten Greve, BT-Prot. 1/79, S. 2884 f.; BT-Drucks. 7/551, S. 83. § 268 III 2 StPO wird damit gegenüber zu § 229 StPO eine Spezialvorschrift, LR/Becker, § 229, Rn. 5. 574 Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 229; Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, S. 19. An dieser Stelle ließe sich zumindest einführen, dass das Bedürfnis nach einer gewissenhaften und ordnungsgemäßen Sachverhaltsaufklärung ab Schluss des Verhandelns nicht mehr retardierend eingreifen kann, so dass die Gefahren eines „kurzen Prozesses“ nicht mehr zu befürchten sind, vgl. Thomas Fischer, in: KK-StPO, Einleitung Rn. 30, nicht besteht, was eine kürzere Frist für die Urteilsverkündung zumindest rechtfertigen könnte. 575 So der BGH, in: BGHSt 9, 302 ff., der die Viertagefrist des § 268 StPO (1950) zu einer Ordnungsvorschrift degradierte. 576 So der 5. Strafsenat in seinem obiter dictum, BGHR-StPO § 268 III, Verkündung 3. 577 Siehe dazu näher unten, Zweites Kapitel: A. II. 3. b) aa) (3).

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2. Kap.: Normativer Inhalt der Vorschriften

kohärentes System einfügen. Die wirkenden Prinzipien werden vollkommen berücksichtigt und die getroffenen Regelungen ruhen bündig auf dem Fundament der hiesigen Teilrechtsordnung. Aus dem System heraus wird die Geltung der Urteilsverkündungsfrist bedingt; sie ist eine logische Folge der wirkenden Prinzipien, namentlich des Mündlichkeitsgrundsatzes und der Konzentrationsmaxime. Die weiteren ebenfalls hier einwirkenden Prinzipien stehen als Wirkverstärker mit gleicher Schlagrichtung zur Seite. Anders als es das RG in seiner Entscheidung RGSt 27, 116 darlegt, besteht keine – und bestand auch nicht im Zeitpunkt der Entscheidung – von erhöhter Schriftlichkeit geprägte revisionsgerichtliche Hauptverhandlung. Aus systematischen Gesichtspunkten ist RGSt 27, 116 nicht tragbar. Vielmehr steht die Annahme eines tatsächlich nicht bestehenden „Schriftlichkeitsprinzips“, das womöglich in der Motivation der Arbeitserleichterung gründet und daher vielmehr als „Bequemlichkeitsprinzip“ zu bewerten ist, mit dem in der StPO umgesetzten Mündlichkeitsprinzip in einem unvereinbaren Widerspruch und provoziert so erst einen nicht behebbaren Systembruch. Es war gerade eine Kernforderung des reformierten Strafprozesses, die Schriftlichkeit durch ein Verfahren, in dem die Erkenntnis auf einer mündlichen Hauptverhandlung beruht, zu verbannen.578 Die systematische Auslegung kommt hier zu dem eindeutigen Ergebnis, dass die Urteilsverkündungsfrist in §§ 356, 268 III 2 StPO gerade eine verbindliche Konkretisierung der systembildenden Prinzipien darstellt und damit uneingeschränkt in der revisionsgerichtlichen Hauptverhandlung anzuwenden ist. Dies gilt nicht schon allein wegen der deutlichen Verweisungsanordnung des § 356 StPO, sondern aus gesamtsystematischen Erwägungen, durch die Bildung eines universellen Hauptverhandlungstypus in der StPO für eine jede mündliche Hauptverhandlung – unabhängig von Gericht oder Instanz. Dieses Ergebnis bedarf darüber hinaus ersichtlich keiner Korrektur wegen systemimmanenter Rechtsprinzipien noch einer Korrektur im Wege einer systemkonformen Auslegung durch Widersprüche mit höherrangigem Recht.579 3. Historisch-genetische Auslegung Nachdem der Wortlaut und der systematische Zusammenhang der §§ 356, 268 III 2 StPO beleuchtet wurden, wendet sich die Bearbeitung nun dem dritten Auslegungsschritt in Form der historisch-genetischen Auslegung zu. Bei der Ermittlung des Normzweckes im Zeitpunkt der Rechtsanwendung stellt die Erhebung des his578

Eisenhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, Rn. 733 f.; LR/Kühne, Einleitung Abschnitt I Rn. 53. Dies passt wieder zu der Einschätzung, dass der historische Gesetzgeber bei der Konzeption der StPO einer „Mündlichkeitsideologie“ verfallen sei, siehe erneut Fezer, StV 2007, 40, 41; Rieß, in: FS Hanack, 397, 413. 579 Vgl. Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, S. 151 ff.; Möllers, Juristische Methodenlehre, § 11, Rn. 38 ff. 47 f.; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 759.

A. Auslegung der Vorschrift des § 356 StPO

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torischen Gesetzgeberwillens und damit die Feststellung des Normzwecks bei deren Erlass, neben der Erforschung des soziologisch-historischen Kontextes, einen wesentlichen Punkt dar, um den Sinn der Norm zu ergründen.580 Diese Felder sollen Gegenstand der hier vorgenommenen historischen Auslegung im Verständnis einer vornehmlich genetischen Auslegung der Vorschrift sein, die aber auch den Blick auf den allgemein-historischen Kontext behält.581 Unabhängig von der Frage, was nun „Wille“ des Gesetzes oder Gesetzgebers sein mag und wie dieser abschließend im Hinblick auf den Methodenstreit zwischen objektiver und subjektiver Auslegungstheorie bei der Auslegung zu berücksichtigen ist, dürfte unumstritten sein, dass die Erforschung der Gesetzesgenese und ihrer Motivationen für das ganzheitliche Verstehen einer Norm essentiell und für die Gerichte und sonstigen Rechtsanwender zwingend ist.582 Das RG beruft sich immerhin in seiner Entscheidung RGSt 27, 116 selbst ebenfalls auf den Normzweck, den der historische Gesetzgeber verfolgte, und rekurriert dabei auf die Motive zur RStPO.583 Die genetischen Faktoren einer Norm sind es schließlich, die ihre endgültige Fassung bestimmen und bei einem Ausblenden der Genetik beraubte man sich einer vernünftigen Erkenntnisquelle.584 Inwieweit dieser ursprüngliche „Wille“ des Gesetzgebers noch im Zeitpunkt der Rechtsanwendung Berücksichtigung finden muss und kann, ist die Frage eines zweiten Schrittes, bei dem zu den einzelnen hier im Raum stehenden Fragen zu einem späteren Zeitpunkt Stellung bezogen wird.585 Im Folgenden sollen diejenigen zugänglichen586 Gesetzgebungsmaterialien betrachtet werden, die eine Relevanz im Gesetzgebungsverfahren aufweisen und deshalb als Zeugnis eines kollektiven Meinungsbildungsprozesses begriffen werden können.587 Als relevant werden all jene Quellen verstanden, die repräsentativ für die 580 Möllers, Juristische Methodenlehre, § 4 Rn. 147 f.; Reimer, Juristische Methodenlehre, Rn. 347 ff.; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 720, 780 ff. 581 Vgl. Looschelders/Roth, Juristische Methodik im Prozeß der Rechtsanwendung, S. 157 ff.; Müller/Christensen, Juristische Methodik I, Rn. 360; Reimer, Juristische Methodenlehre, Rn. 347; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 780 ff. 582 Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 428 ff., 451; Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 132 ff.; Heck, Gesetzesauslegung und Interessenjurisprudenz, S. 110; Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 135 f., 158 ff.; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 32 ff., 329; Möllers, Juristische Methodenlehre, § 4 Rn. 147; Reimer, Juristische Methodenlehre, Rn. 248 f., 251 ff.; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 730c, 784 ff., 794, 796 ff.; Morlok, in: Subsumtion, 179, 197 ff.; Stürner, AcP 214 (2014), 7, 28 f. 583 Siehe RGSt 27, 116, 117. 584 Möllers, Juristische Methodenlehre, § 4 Rn. 147; Müller/Christensen, Juristische Methodik I, Rn. 444. 585 Siehe dazu Zweites Kapitel: A. II. 6.; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 730d. 586 Eine große Schwierigkeit der historisch-genetischen Auslegung besteht selbstverständlich in der Lückenhaftigkeit der Quellen hinsichtlich ihrer Erschließung aber auch Existenz an sich. 587 Vgl. die Ausführungen oben zum Willensargument, Zweites Kapitel: A. I. 2. a) aa) (4) (b).

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2. Kap.: Normativer Inhalt der Vorschriften

Meinungsbildung des jeweilig befassten Organs anzusehen sind, denen gesetzgebungsinterne Bedeutung zukommt und die den Beteiligten im Verfahren allgemein zugänglich waren.588 Im Bereich der RStPO betrifft das damit diejenigen Quellen ab dem Zeitpunkt, in dem der Reichstag des Norddeutschen Bundes den Bundeskanzler am 18. 04. 1868 aufforderte, einen Entwurf für eine Strafprozessordnung für den Norddeutschen Bund auszuarbeiten und dem Bundesrat sowie nachfolgend dem Reichstag zur Entscheidung vorzulegen.589 Nach den Verfassungen des Norddeutschen Bundes und auch des Deutschen Reiches – als Rechtsnachfolger des Norddeutschen Bundes –590 in dessen Existenz die RStPO schließlich in Kraft trat, wirkten Bundesrat und Reichstag gemeinsam an der Reichsgesetzgebung, unter die auch das gerichtliche Verfahren fällt, mit und die Zustimmung beider Organe war obligatorisch.591 Umfasst werden damit die ausgearbeiteten Entwürfe, Beratungsprotokolle des Bunderates und seiner eingesetzten Ausschüsse sowie hauptsächlich der an den Reichstag übersandte Entwurf, einschließlich der Motive zum Entwurf, bis zur Zustimmung des Bunderats zum vom Reichstag verabschiedeten Entwurf. Korrespondierend dazu werden die Quellen untersucht, die im Zuge der Reichstagsbefassung entstanden sind, welche im Wesentlichen die Beratungen im Plenum des Reichtags, die Kommissionsprotokolle und -berichte sein werden. Entsprechend werden diese Quellen für die Zeit nach Ende des Deutschen Reiches erhoben werden, soweit sie erhalten und zugänglich sowie von Bedeutung für den hier untersuchten Gegenstand sind. a) Vom Entwurf bis zur Verkündung Der erste Bereich der Gesetzesgenese betrifft den Zeitraum ab der Entwicklung des ersten Entwurfs für eine RStPO, über die Beratungen in Reichstag und Justizkommission sowie Bundesrat, bis hin zur Verkündung der Reichsstrafprozessordnung im Jahre 1877. Aus dieser Phase lassen sich die Motivationen der Gesetzesschaffung identifizieren. Inwiefern durch spätere Modifikationen Änderungen eingetreten sind, ist dann ein Thema, das der Betrachtung für die Zeit nach der Verkündung vorbehalten ist. 588 Vgl. Wischmeyer, JZ 2015, 957, 964 f., der als Merkmal der Relevanz die Kriterien der „Repräsentativität“, „Schlüsselstellung“, „Transparenz“ und „Konsistenz“ anlegt. Vgl. auch Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 164 f.; Möllers, Juristische Methodenlehre, § 4 Rn. 161 ff.; Reimer, Juristische Methodenlehre, Rn. 350; sehr weitgehend von den nutzbaren Materialien her Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 449. 589 Eduard Kern, Geschichte des Gerichtsverfassungsrechts, S. 87 f.; Schubert/Regge, Entstehung und Quellen der StPO, S. 43. 590 Kotulla, Deutsches Verfassungsrecht I, Abs.-Nr. 447. 591 Siehe jeweils Art. 5 I der Verfassungen, BGBl. des Norddeutschen Bundes 1867, S. 1 und RGBl. des Deutschen Reiches 1871, S. 63. Der Kompetenztitel zur Gesetzgebung im Bereich des Gerichtswesens folgt jeweils aus Art. 4 Nr. 13; Kotulla, Deutsches Verfassungsrecht I, Abs.-Nr. 517, 519, siehe zur Entwicklung des Kompetenztitels auch Abs.-Nr. 498.

A. Auslegung der Vorschrift des § 356 StPO

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aa) Zum historischen Kontext Mit der Vielgestaltigkeit des Deutschen Reiches und der Unterschiedlichkeit seiner Gliedstaaten, hat sich mit deren wechselhafter Geschichte freilich auch eine Vielgestaltigkeit des Strafverfahrensrechts in diesen entwickelt.592 Das führte zu dem bemerkenswerten Umstand, dass selbst innerhalb eines einzelnen Gliedstaates wie Preußen zeitgleich unterschiedliche Strafverfahrensrechte in den jeweiligen Landesteilen zur Anwendung kamen.593 Von dem nationalen Einheitsgedanken beseelt, war es Ziel, mittels der Schaffung der entsprechenden Kompetenztitel zur Gesetzgebung über die Reichsjustizgesetze und weitere Gesetzeswerke auch eine rechtliche Einheit zu schaffen und das Partikularrecht der Länder durch Reichsgesetze zu überwinden, um so nach der Nation auch deren Recht zu einen.594 Hierbei handelt es sich um Bestrebungen, die schon bei der Gründung des Norddeutschen Bundes begannen und mit dem Inkrafttreten der Reichsjustizgesetze im Oktober 1879 einen (ersten) Abschluss fanden.595 Dies war nur der erste große Schritt zur Vereinheitlichung des Reichsrechts. Weitere große Gesetzesvorhaben, insbesondere die Kodifizierung des BGB, sollten noch folgen.596 Die Entwurfsphase der RStPO lässt sich grob in zwei große Abschnitte teilen. Zum einen die Ausarbeitung des Entwurfs durch den Bundesrat und zum anderen die Beratung und weitere Modifikation im Reichstag und seiner Justizkommission. Als maßgeblicher Zeitpunkt, der diese beiden Ereignisse trennt, stellt sich die Übersendung des Bundesratsentwurfes an den Reichstag durch den Reichskanzler Bismarck am 29. 10. 1874 dar.597 Die Erste Phase, einschließlich der abschließenden Beratung im Bundesrat im Anschluss an die Reichstagsberatung, ist durch das Werk598 von Werner Schubert und Jürgen Regge hinsichtlich der zugänglichen aber bis dato unveröffentlichten Quellen erschlossen worden, sodass dieses die maßgebliche Erkenntnisquelle für diesen ersten Abschnitt darstellen wird. Dennoch sei vorweggenommen, dass der Er592 593

S. 5.

Siehe dazu die Aufstellung in Hahn, Materialien zur StPO, S. 68 ff. Hahn, Materialien zur StPO, S. 68; Schubert/Regge, Entstehung und Quellen der StPO,

594 Eisenhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, Rn. 740 ff.; Hähnchen, Rechtsgeschichte, Rn. 730 f.; Peters, Strafprozeß, S. 635; vgl. Köbler, Deutsche Rechtsgeschichte, S. 189; Kotulla, Deutsches Verfassungsrecht I, Abs.-Nr. 361, 498 f. 595 Eisenhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, Rn. 743; Köbler, Deutsche Rechtsgeschichte, S. 189; Kotulla, Deutsches Verfassungsrecht I, Abs.-Nr. 499. Siehe auch zu der Geschichte und der Vorgeschichte der Reichsjustizgesetze die Darstellung bei Peter Landau, in: FS 100 Jahre Gründung des Reichsjustizamts, 161. 596 Eisenhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, Rn. 742 ff.; Hähnchen, Rechtsgeschichte, Rn. 733; Köbler, Deutsche Rechtsgeschichte, S. 189 f.; Kotulla, Deutsches Verfassungsrecht I, Abs.-Nr. 499. 597 Hahn, Materialien zur StPO, S. 3; Schubert/Regge, Entstehung und Quellen der StPO, S. 19. 598 Schubert/Regge, Entstehung und Quellen der StPO.

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2. Kap.: Normativer Inhalt der Vorschriften

kenntnisgewinn nicht überbewertet werden soll. Die hier enthaltenen Dokumente geben vielmehr ein systematisches Bild der RStPO-Entstehung wieder. Die konkreten Motivationen für die weitere Entwicklung sind im Wesentlichen nicht enthalten, da sie in den Beratungen nicht protokolliert wurden, sondern lediglich die dort behandelten Anträge und Abstimmungsergebnisse.599 Hinsichtlich des zweiten Abschnitts der Entwurfsphase ist die Quellenlage glücklicherweise dichter, da die wesentlichen Gesetzesmaterialien zur RStPO und den übrigen Reichsjustizgesetzen in den Werken von Carl Hahn weitgehend umfassend dokumentiert und bereits kurz nach Inkrafttreten der Gesetzeswerke veröffentlicht worden sind.600 In diesen finden sich aufbereitet der RStPO Entwurf des Bundesrates inklusive der Motive, die Plenar- und Kommissionsprotokolle sowie weitere Erkenntnisquellen. Sie bieten dabei einen nahezu ungefilterten Einblick in das Geschehen in der Zeit von der Übersendung des Bundesratsentwurfes für eine RStPO 1874 bis zur endgültigen Bekanntmachung der RStPO 1877. Das Prädikat „ungefiltert“ betrifft allerdings nur den Einblick auf das Geschehen zu dem maßgeblichen Zeitpunkt durch die Akteure aus jener Zeit. Es darf nicht verkannt werden, dass es sich bei den Quellen, gerade den Protokollen aus der Kommission, um Inhaltsprotokolle handeln, die bereits durch deren Protokollführer stark beeinflusst sind und damit das Geschehen aus einer sehr wohl „gefilterten“ Perspektive wiedergeben. Sofern es möglich ist, wird noch auf weitere Primärquellen im Verlauf der Bearbeitung zurückgegriffen werden. bb) Vom Entwurf einer RStPO im Bundesrat bis zur Beratung im Reichstag Dem im Oktober 1874 durch den Reichskanzler Bismarck dem Deutschen Reichstag vorgelegten Entwurf einer RStPO nebst Motiven601 ist bereits eine mehrjährige Entwurfsphase vorausgegangen.602 Die Anfänge liegen in der Zeit kurz nach der Gründung des Norddeutschen Bundes unter der führenden Rolle Preußens, in dem Ersuchen des Reichstags an den Bundeskanzler, ein Strafverfahrensrecht inklusive der dazu gehörigen Gerichtsorganisation auszuarbeiten und dem weiteren Gesetzgebungsprozess zuzuführen.603

599

Schubert/Regge, Entstehung und Quellen der StPO, S. 10. Hahn, Die gesammten Materialien zu den Reichs-Justizgesetzen. 601 Hahn, Materialien zur StPO, S. 4 ff. Es wird nochmals darauf hingewiesen, dass Vorschriften, die diesem Entwurf entnommen sind, im folgenden Verlauf mit der Bezeichnung RStPO-E versehen werden. 602 Hahn, Materialien zur StPO, S. 3; siehe dazu und im Weiteren auch die chronologische Aufstellung bei Schubert/Regge, Entstehung und Quellen der StPO, S. 43 f. 603 Vgl. Kotulla, Deutsches Verfassungsrecht I, Abs.-Nr. 331, 520; Schubert/Regge, Entstehung und Quellen der StPO, S. 4 f. 600

A. Auslegung der Vorschrift des § 356 StPO

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Der ersuchende Reichstagsbeschluss wurde von dem Bundesrat aufgegriffen, worauf Bismarck am 12. 07. 1869 den preußischen Justizminister Adolph Leonhardt damit beauftragte, einen solchen Entwurf auszuarbeiten.604 Während es für das Reichsstrafgesetzbuch (RStGB605) von 1872 mit dem Strafgesetzbuch für den Norddeutschen Bund und auch für dieses schon eine Art „Vorgänger“ gab,606 so stellte sich dies für eine RStPO mit der Vielzahl an Rechtsordnungen anders dar.607 Letzteres war schließlich der Anlass, ein neues Gesetzeswerk zum Strafverfahren zu schaffen, welches von den bestehenden Gesetzgebungen der Länder unabhängig entwickelt werden sollte, wobei zweifelsohne nicht beabsichtigt war, das System von Grund auf neu zu schreiben, sondern es sollte das „vorhandene Gute sich an[ge]eigne[t]“ werden, sodass „das neue Werk als eine Fortbildung und einen Ausbau des Bestehenden erschein[t].“608 Auf diesem Wege sollte ein neues, modernes Verfahrensrecht aus einem Guss geschaffen werden, welches die Errungenschaften der letzten Jahre aufnimmt – und zwar nicht bloß im Hinblick auf neuere Entwicklungen in den Ländern des Deutschen Reichs, sondern auch mit Blick auf die internationalen Entwicklungen, gerade in Bezug auf Frankreich und Großbritannien.609 Namentlich betraf dies die Neuerungen, die im Wege des reformierten Strafprozesses in die Strafverfahrensordnungen Eingang fanden, wie Anklagegrundsatz, Öffentlichkeit und Mündlichkeit des Strafverfahrens.610 Letztgenannte stehen, wie oben bereits dargelegt,611 in enger Verbindung zueinander und ebenfalls in Verbindung mit dem Unmittelbarkeitsgrundsatz und sie stellen die Überwindung des schriftlichen und geheimen Inquisitionsverfahrens dar.612 Bei der Umsetzung von Unmittelbarkeits- und Mündlichkeitsprinzip sollten die Väter des RStPO-Entwurfes derart konsequent vorgehen, dass sie eine zweite Tatsacheninstanz als Rechtsmittel (Berufung oder Appellation) 604 Eduard Kern, Geschichte des Gerichtsverfassungsrechts, S. 87 f.; Schubert/Regge, Entstehung und Quellen der StPO, S. 5 f.; siehe auch den Schriftverkehr zwischen dem Bundeskanzler Bismarck und dem preußischen Justizminister Leonhardt, abgedruckt in Schubert/ Regge, Entstehung und Quellen der StPO S. 47 f. 605 Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich vom 01. 01. 1872, RGBl. 1872, S. 127. 606 Siehe zur Entstehung des StGB die Ausführungen bei Schubert/Vormbaum, Entstehung des Strafgesetzbuchs I, S. XIII ff. 607 Hahn, Materialien zur StPO, S. 71. 608 Hahn, Materialien zur StPO, S. 72. 609 Siehe Hahn, Materialien zur StPO, S. 74 f. in Bezug auf die Neuerungen in den deutschen Ländern sowie die rechtsvergleichende Zusammenstellung in den Anlagen zu den Motiven für die internationalen Einflüsse auf den Entwurf, Hahn, Materialien zur StPO, S. 302 ff.; Schubert/Regge, Entstehung und Quellen der StPO, S. 8 f. 610 Vgl. Eisenhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, Rn. 733 ff.; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 16 Rn. 1, § 46 Rn. 1 ff. 611 Siehe dazu Zweites Kapitel: A. II. 2. c) aa). 612 Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 695 ff., 708; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 46 Rn. 5; LR/Kühne, Einleitung, Abschnitt I Rn. 53. Siehe zur Schriftlichkeit im Inquisitionsprozess Eb. Schmidt, Lehrkommentar StPO I, Rn. 426 ff.

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2. Kap.: Normativer Inhalt der Vorschriften

zunächst vollständig beseitigten, weil diese denklogisch mit einer zuvor auf mündlicher Verhandlung und freier Beweiswürdigung beruhender Urteilsfällung unvereinbar sei.613 Diese eingearbeiteten Neuerungen des gegenwärtigen Strafprozesses stellen wiederum einen weiteren Grundsatz in den Fokus, der, wie bereits aufgezeigt, die logische Verlängerung des Mündlichkeits- und Unmittelbarkeitsprinzips ist und welcher bei der Gestaltung der Hauptverhandlung – und auch das wurde zuvor gezeigt – bis heute prägend und auch noch im weiteren Verlauf dieser Untersuchung von Bedeutung sein wird: Die Konzentrationsmaxime.614 Im preußischen Justizministerium entstand daraufhin bis November 1870 ein Vorentwurf einer Strafprozessordnung für den Norddeutschen Bund.615 Dieser wurde, nach weiterer Revision auf Veranlassung des Justizministeriums und Begutachtung durch Juristen aus verschiedenen Rechtsgebieten und den nun geänderten staatlichen Gegebenheiten in Form der Reichsgründung, bis September 1871 zu einem Entwurf für eine Strafprozessordnung für das Deutsche Reich ausgearbeitet und im Januar 1873 dem Reichskanzler übersandt.616 Zu dieser Verzögerung kam es, da es der preußische Justizminister Leonhardt als sinnvoll erachtete, erst die Fertigstellung eines Entwurfes für ein Gerichtsverfassungsgesetz abzuwarten, bei der es aber selbst, aufgrund vom preußischen Vorschlag abweichender Vorstellungen der nun zum Deutschen Reich gehörenden süddeutschen Staaten, zu Verzögerungen kam.617 In dem Entwurf von 1870, der der später dem Reichstag vorgelegten Fassung in seiner grundlegenden Konzeption stark ähnelt,618 finden sich bereits in den §§ 201 und 223 Vorschriften über eine maximal dreitägige Unterbrechung der mündlichen Hauptverhandlung und die Form der Urteilsverkündung im tatgerichtlichen Hauptverfahren.619 Dieser Entwurf kannte noch keine Revision im heutigen Sinne sondern sah als einziges Rechtsmittel die im preußischen Strafverfahrensrecht bereits bekannte und aus dem französischen Recht entwickelte Nichtigkeitsbeschwerde vor.620 Den Vorschriften über Unterbrechung der Hauptverhandlung und Urteilsverkündung aus dem Entwurf von November 1870 entsprechen in dem Entwurf von 1873 die §§ 183 und 217, der jetzt auch das Rechtsmittel der Revision kennt, welches 613

Hahn, Materialien zur StPO, S. 242 ff. Kühne, Strafprozessordnung, Rn. 712; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 16 Rn. 5, § 44, Rn. 7. 615 Abgedruckt in Schubert/Regge, Entstehung und Quellen der StPO, S. 48 ff. 616 Siehe dazu die Schreiben des preußischen Justizministers Leonhardt an den Reichskanzler und den Entwurf für eine Strafprozessordnung für das Deutsche Reich vom Januar 1873, abgedruckt in Schubert/Regge, Entstehung und Quellen der StPO, S. 110 ff. sowie die Ausführungen in Schubert/Regge, Entstehung und Quellen der StPO, S. 4 ff. 617 Vgl. das Schreiben Leonhardts an den Reichkanzler Bismarck vom 08. 01. 1873, abgedruckt in Schubert/Regge, Entstehung und Quellen der StPO, S. 111 f., siehe auch Schubert/ Regge, Entstehung und Quellen der StPO, S. 8. 618 Vgl. Schubert/Regge, Entstehung und Quellen der StPO, S. 7 f. 619 Schubert/Regge, Entstehung und Quellen der StPO, S. 76, 79. 620 LR/Franke, Vor § 333 Rn. 1; Schubert/Regge, Entstehung und Quellen der StPO, S. 8, 91 ff. 614

A. Auslegung der Vorschrift des § 356 StPO

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an die Stelle der Nichtigkeitsbeschwerde trat.621 Eine dem heutigen § 356 StPO äquivalente Vorschrift über die Form der Urteilsverkündung im Revisionsverfahren besteht hingegen noch nicht. Hieran schlossen sich von April bis Juli 1873 Beratungen einer vom Bundesrat eingesetzten elfköpfigen Justizkommission622 an, die den Entwurf in 39 Sitzungen ohne wesentliche prinzipielle Änderungen, sondern vielmehr stilistisch anpassten.623 In der 23. Sitzung der Kommission am 21. 05. 1873 wurde dann durch Antrag der – bis auf die in ihm verwiesene Vorschrift – identisch formulierte Vorläufer des heutigen § 356 StPO in die Entwurfsfassung aufgenommen, sodass diese Vorschrift ab jetzt in dem Gesetzgebungsprozess existent ist und auch bleiben wird.624 Hinsichtlich der Motive für diesen Antrag schweigen die zur Verfügung stehenden Materialien allerdings, da sie nicht, wie eingangs erwähnt, in den Protokollen enthalten sind.625 In dem im Herbst 1873 an den Bundesrat zurückgesandten Entwurf626, der von diesem alsbald zur weiteren Beratung an den Justizausschuss verwiesen wurde, findet er sich sodann in § 273.627 Innerhalb des Justizausschusses und einem Subausschuss fanden weitere Beratungen und Anpassungen des Entwurfes statt, bis er schließlich im Juni 1874 vom Bundesratsplenum beschlossen wurde und dann durch den Reichskanzler Bismarck dem Reichstag nebst Motiven zur Beratung und Beschlussfassung übersandt wurde.628 cc) Erkenntnisse aus den Motiven und Beratungen zum Entwurf – Von der Reichstagsvorlage bis zur Verkündung Die Übersendung der Regierungsvorlage leitete den zweiten großen Abschnitt der Gesetzesentwicklung ein: Die Beratung des Entwurfs im Reichstag. Auf die erste Plenarberatung am 24. und 26. 11. 1874 zu den Reichsjustizgesetzen, in der bereits eine Aussprache zu den Gesetzesentwürfen stattfand und einzelne Redebeiträge der Abgeordneten grundsätzliche Kritik an dem RStPO-Entwurf äußerten – vor allem den Wegfall der Appellation und die Form der Beteiligung von 621

Schubert/Regge, Entstehung und Quellen der StPO, S. 130, 133, 135. Mitglieder dieser Kommission waren Heinrich von Friedberg, Friedrich von Binder, Adrian Alois Philipp Heinrich Bingner, Franz August Alexander Foerster, August Mager, Otto Samuel Ludwig Mittelstädt, Julius Ritter von Staudinger, Oskar Friedrich von Schwarze, Heinrich Wiener, Heinrich Albert Zachariä und Otto Zentgraf; zu den Biografien dieser Personen siehe Schubert/Regge, Entstehung und Quellen der StPO, S. 10 ff. 623 Schubert/Regge, Entstehung und Quellen der StPO, S. 9, 15 f. 624 Schubert/Regge, Entstehung und Quellen der StPO, S. 223. 625 Vgl. Schubert/Regge, Entstehung und Quellen der StPO, S. 10. 626 Abgedruckt in Schubert/Regge, Entstehung und Quellen der StPO, S. 293 ff. 627 Schubert/Regge, Entstehung und Quellen der StPO, S. 16, 339. 628 Hahn, Materialien zur StPO, S. 3; Schubert/Regge, Entstehung und Quellen der StPO, S. 16 ff. 622

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2. Kap.: Normativer Inhalt der Vorschriften

Laienrichtern –,629 wurden die Entwürfe zu RGVG, RZPO, RStPO und der jeweiligen Einführungsgesetze zur weiteren Beratung an eine 28-köpfige Kommission630 des Reichstages übersandt.631 Unter dem Vorsitz des Abgeordneten Johannes Miquél und dessen Stellvertreter Friedrich Oskar von Schwarze beriet diese XI. Reichstagskommission die Vorlagen in insgesamt über 170 Sitzungen, 72 von diesen für die RStPO, in zwei Lesungen bis Juli 1876.632 Hier fand die Hauptarbeit des letzten großen Gesetzgebungsabschnitts an dem Werk statt, durch die es dann jene Form erhielt, in der es schließlich 1877 im Reichsgesetzblatt verkündet wurde. Mit den Protokollen der Plenar- und Ausschussberatungen ist diese Phase inhaltlich dicht belegt. Der Beratungszeitraum zu den Gesetzesentwürfen fiel mit seinen über drei Jahren in zwei Sessionsperioden des Reichstags, zwischen denen für die nicht abgeschlossenen Vorhaben ein strenger Diskontinuitätsgrundsatz galt.633 Dieser Umstand erforderte eine besondere Ermächtigung des Reichstags durch Gesetz634, der es ermöglichte, den strengen Grundsatz der Diskontinuität des Reichstags hinsichtlich der Reichsjustizgesetzvorlagen zu durchbrechen; dies sicherte eine kontinuierliche Befassung des Reichstags und seiner Kommission mit der Gesetzesvorlage über beide Sessionen.635 Die Urteilsverkündung(sfrist) betreffenden Vorschriften der §§ 226, 318 RStPO-E waren namentlich im Rahmen in der 62. Sitzung636 der Kommission vom 03. 09. 1875 und 73. Sitzung637 vom 16. 09. 1875 in erster Lesung sowie in der 150. Sitzung638 am 14. 06. 1876 und 153. Sitzung639 vom 19. 06. 1876 in zweiter 629 Siehe z. B. die Fortsetzung der Ersten Beratung im Plenum am 26. 11. 1874, Hahn, Materialien zur StPO, S. 504 ff.; Schubert/Regge, Entstehung und Quellen der StPO, S. 20 f. 630 Dieser Kommission gehörten an: Otto Bähr, Hermann Heinrich Becker, Joseph Bernards, Arthur Eysoldt, Christoph Ernst Friedrich von Forcade de Biaix, Friedrich Ludwig Gaupp, Rudolf Gneist, Carl Grimm, Thomas Hauck, Gustav Wilhelm von Jagow, Moritz Klotz, Adolph Kraetzer, Eduard Lasker, Philipp Ernst Lieber, Heinrich Marquardsen, Max Theodor Mayer, Johannes Miquél, Maximilian von Puttkamer, Hugo Pfafferott, Franz Peter Reichensperger, Wilhelm Ludwig August von Schöning, Friedrich Oskar von Schwarze, Johannes Struckmann, Carl Gustav Thilo, Josef Völk, Isaac Wolffson und Friedrich Carl August Zinn, Hahn, Materialien zum GVG, S. 274 f. dort in der Anmerkung; zu den Biografien der Mitglieder, Schubert/Regge, Entstehung und Quellen der StPO, S. 22 ff. 631 Hahn, Materialien zum GVG, S. 269; Hahn, Materialien zur StPO, S. 550; Hahn, Materialien zur ZPO, S. 524; Schubert/Regge, Entstehung und Quellen der StPO, S. 21. 632 Hahn, Materialien zum GVG, S. 274 f.; Schubert/Regge, Entstehung und Quellen der StPO, S. 25 f. 633 Kotulla, Deutsches Verfassungsrecht I, Abs.-Nr. 517. 634 Gesetz vom 23. 12. 1874, RGBl. 1874, S. 194. 635 Vgl. den Antrag Laskers und dessen Begründung vor dem Reichstag in Hahn, Materialien zum GVG, S. 270 ff.; Kotulla, Verfassungsrecht, Abs.-Nr. 517. 636 Hahn, Materialien zur StPO, S. 883 ff. 637 Hahn, Materialien zur StPO, S. 1037 ff., 1049. 638 Hahn, Materialien zur StPO, S. 1337 ff., 1356.

A. Auslegung der Vorschrift des § 356 StPO

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Lesung Gegenstand der Beratungen. Eine erneute Beratung des § 226 RStPO-E erfolgte auf der 172. Kommissionsitzung vom 12. 11. 1876 im Zuge der Nachberatungen, die anlässlich der abändernden Beschlüsse640 des Bundesrates vom 03. 11. 1876 erforderlich wurden.641 Die Zweite und Dritte Lesung des RStPOEntwurfes im Reichstagsplenum fanden in der Zeit vom 27.11. bis 01. 12. 1876 und vom 20. bis 21. 12. 1876 statt.642 Der Bundesrat stimmte dem vom Reichstag angenommenen Entwurf, nachdem seine Bedenken durch einen Kompromiss auf Vermittlung des preußischen Justizministers Leonhardts ausgeräumt werden konnten,643 am 22. 12. 1876 zu, womit nach übereinstimmendem Beschluss von Reichstag und Bundesrat die RStPO als Reichsgesetz angenommen wurde und infolgedessen verkündet werden konnte.644 Bevor die Entwicklung der Vorgängerversionen von den §§ 268, 356 StPO in den Beratungen des Reichstags in den nachfolgenden Abschnitten näher betrachtet werden soll, werden sich die beiden unmittelbar folgenden Abschnitte mit zwei Themen beschäftigen, die zum weiteren Vorverständnis der Entwurfskonzeption und der abschließenden Normgestaltung von Bedeutung sind. Diese betreffen zum einen die Bedeutung der Konzentrationsmaxime für die mündliche Hauptverhandlung einerseits und andererseits darauf aufbauend die grundsätzliche Architektur der Hauptverhandlung im Verhältnis von Tatsacheninstanz zur Revisionsinstanz. (1) Bedeutung der Konzentrationsmaxime An dieser Stelle kann bereits auf einen Teil der zuvor in der systematischen Auslegung gewonnenen Erkenntnisse zurückgegriffen werden. Dort wurde bereits belegt, dass die Konzentrationsmaxime in Form einer prozessualen Beschleunigung prägendes Prinzip der mündlichen Hauptverhandlung ist und aus dem Mündlichkeitsprinzip notwendiger Weise folgt.645 Auch wenn im Hinblick auf die rechtliche Verankerung und Ausprägung der Konzentrationsmaxime als eigenes Prinzip oder Teilprinzip des Beschleunigungsgrundsatzes unterschiedliche Ansichten bestehen, so war gerade die Dimension als prozessualer Beschleunigungsgrundsatz in der Hauptverhandlung für den RStPOGeber bei der Normierung der Vorschriften über Unterbrechung, Aussetzung, Urteilsverkündung und Urteilsabsetzung maßgebend, zwecks einer Verdichtung der 639

Hahn, Materialien zur StPO, S. 1396 ff., 1403. Siehe Hahn, Materialien zur StPO, S. 1596 ff. 641 Hahn, Materialien zur StPO, S. 1598, 1626 ff., 1635. 642 Hahn, Materialien zur StPO, S. 1670 ff., 1997 ff. 643 Eduard Kern, Geschichte des Gerichtsverfassungsrechts, S. 92; Peter Landau, in: FS 100 Jahre Gründung Reichsjustizamt, 161, 204 ff.; Schubert/Regge, Entstehung und Quellen der StPO, S. 27 ff. Siehe dazu auch die Beschlüsse des Bundesrats und den Antrag der Abgeordneten Miquél und Genossen, in: Hahn, Materialien zur StPO, S. 1991 ff. 644 Schubert/Regge, Entstehung und Quellen der StPO, S. 37. 645 Siehe dazu oben Zweites Kapitel: A. II. 2. c) aa). 640

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2. Kap.: Normativer Inhalt der Vorschriften

Hauptverhandlung.646 Die zur Urteilsfindung berufenen Personen sollen unter dem frischen Eindruck der Hauptverhandlung (möglichst) ohne zeitliche Zäsur direkt zur Entscheidungsverkündung schreiten. Das Verfahrensrecht unterstellt für das Verhandeln in einem Zug als Idealverfahren eine Verhandlung an nur einem Tage.647 Bei Betrachtung der 1877 bekanntgemachten Normen ist erkennbar, dass die Konzentrationsmaxime durch die konkrete Ausformung des Hauptverfahrens zu einem denkbaren und seither nicht mehr erreichten Maximum getrieben wurde.648 Unterbrechungen der Verhandlung stehen zu dem Konzentrationsprinzip an sich im Widerspruch, weshalb sie nach § 228 RStPO die Ausnahme und auf die kürzest mögliche Zeit begrenzt sein sollten.649 Gleiches gilt für die Frist zur Urteilsverkündung nach § 267 I 1 RStPO; im Regelfall soll die Urteilsverkündung direkt im Anschluss an die Hauptverhandlung erfolgen und durfte nur in Ausnahmefällen auf bis zu eine Woche ausgesetzt werden.650 Und nicht zuletzt wirkt sich dies auch auf die Absetzung des Urteils gemäß § 275 RStPO aus, welche innerhalb von drei Tagen nach der Urteilsverkündung zu erfolgen hatte.651 War die Verkündung ausgesetzt, so hatte die schriftliche Fixierung sogar gemäß § 267 II RStPO schon vorher zu erfolgen, ohne dass die Absetzungsfrist noch von Bedeutung gewesen wäre. Der frische Eindruck der Hauptverhandlung soll in allen Stadien bis zu seiner endgültig schriftlichen Fixierung im Urteil so intensiv wie möglich Wiederhall finden und diese Garantie erschien nur dadurch gewährleistet, dass jede Verzögerung nach Möglichkeit ausgeschlossen wird, um die Flüchtigkeit der Hauptverhandlung, welche im Mündlichkeitsprinzip und der Vergänglichkeit des gesprochenen Wortes wurzelt, festzuhalten.652 Kann diese Garantie in einem Verfahren nicht gewährleistet werden, so sollte das Gericht gezwungen werden, die Hauptverhandlung unter nunmehriger Beachtung des Prinzips zu wiederholen, § 229 RStPO a. E. Die Konzentrationsmaxime erfüllt damit den hauptsächlichen Zweck, die Unmittelbarkeit des eingebrachten Verfahrensstoffes sowie dessen Gegenwärtigkeit zu gewährleisten und so eine Verfälschung der Erinnerung zu minimieren.653 Eine Absicherung dieses Grundsatzes erfolgt durch die von der RStPO normierten Fristen hinsichtlich maximal zulässiger Dauer der Unterbrechung einer Hauptverhandlung nach § 228 RStPO, der maximal zulässigen Dauer einer Aussetzung der Urteilsverkündung nach 646

Vgl. die Motive zu den Vorschriften über die Hauptverhandlung in Hahn, Materialien zur StPO, S. 182 ff. 647 Lilie, in: FS Meyer-Goßner, 483, 485; Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 712; Kudlich, in: MüKo-StPO, Einleitung Rn. 151. 648 Vgl. Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 16 Rn. 5. 649 Vgl. Hahn, Materialien zur StPO, S. 183 f. 650 Vgl. Hahn, Materialien zur StPO, S. 197 f. 651 Vgl. Hahn, Materialien zur StPO, S. 214. 652 BGHSt 23, 224, 226; RGSt 53, 332, 334; 57, 266, 267; vgl. Hassemer, Einführung in die Grundlagen des Strafrechts, S. 123 f.; Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 712; Schmitt, in: MGS, § 229 Rn. 1. 653 Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 712; Kudlich, in: MüKo-StPO, Einleitung Rn. 150 ff.; vgl. Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 44 Rn. 9.

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§ 267 RStPO und schließlich ergänzend durch die maximal zulässige Dauer bis zur Urteilsabsetzung nach § 275 RStPO. Eine damit zugleich verbundene Prozessbeschleunigung, die Belastungen des Angeklagten verringert, ihm die Durchführung eines Verfahrens in angemessener Zeit garantiert und darüber hinaus einer prozessökonomischen Gestaltung des Verfahrens an sich dient, war für die Konzentration der Hauptverhandlung allenfalls nur mittelbar von Bedeutung.654 Das Verhandeln ist damit ein Wettlauf gegen die Zeit und der historische Gesetzgeber hat mit kurzen Fristen und der Pflicht zum Neuverhandeln bei ihrer Überschreitung, das Hauptverfahren durchaus dysfunktional gestaltet aber auch gestalten wollen.655 Fristenhemmungen, wie sie heute gerade § 229 III StPO großzügig zulässt, sind damit denklogisch nicht vereinbar und laufen der Konzentrationsmaxime fundamental zuwider und sind deshalb auch nicht normiert. Es wird damit deutlich, dass der RStPO-Geber aufgrund der Unzulänglichkeit der menschlichen Erinnerung die Verwirklichung der Konzentrationsmaxime für eine prozessuale Beschleunigung und Einheitlichkeit der Hauptverhandlung als unerlässliche Notwendigkeit verstanden hat.656 (2) Verständnis von der Revisionshauptverhandlung Mit dem aufgefrischten Wissen um die Bedeutung der Konzentrationsmaxime für die tatgerichtliche Hauptverhandlung soll zugleich nochmal das Augenmerk auf das gesetzessystematische Verhältnis von revisionsgerichtlicher und tatgerichtlicher Hauptverhandlung gerichtet werden Auch hier wurde zuvor im Rahmen der systematischen Auslegung festgestellt und belegt, dass das Gesetz aus seiner heutigen Perspektive der Systembildung und willentlich auch der Gesetzgeber nur einen universellen Typus der mündlichen Hauptverhandlung ohne Ansehung von Instanz oder Gericht geschaffen hat.657 Daher gilt: Die Hauptverhandlung vor dem Revisionsgericht ist eine, die in ihrem Grunde einer vor dem Gericht erster Instanz, also dem Tatgericht, entspricht;658 Regelungen, die aufgrund des abweichenden Prüfungsprogramms als Rechtskontrollinstanz und des Ablaufs vor diesem Rechtsmittelgericht notwendig erscheinen, sind in dem 654 Vgl. die Motive zur StPO, Hahn, Materialien zur StPO, S. 182 ff., welche sich zu diesen Beweggründen einer Prozessbeschleunigung in der Hauptverhandlung nicht äußern; siehe aber die Äußerungen des Abgeordneten Thilo in der ersten Lesung der Kommission in der 62. Sitzung, in der er eine Beschleunigung zugunsten des Angeklagten forciert, da die Verkündungsaussetzung für den Angeklagten eine „Grausamkeit“ sei, Hahn, Materialien zur StPO, S. 886. Ebenfalls keine unmittelbare Beschleunigungstendenz zugunsten des Angeklagten in der Konzentrationsmaxime sehen Fezer, in: FS Widmaier, 177 f. und Pest, Das Verzögerungsverbot im Strafverfahren, S. 29 ff. Vgl. Schmitt, in: MGS, § 229 Rn. 1. 655 Hassemer, Einführung in die Grundlagen des Strafrechts, S. 158. 656 Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 713; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 44 Rn. 9. 657 Siehe dazu oben Zweites Kapitel: A. II. 2. b) aa). 658 Vgl. Fezer, StV 2007, 40, 41.

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2. Kap.: Normativer Inhalt der Vorschriften

Abschnitt über die Revision als speziellere Vorschriften normiert – im Übrigen aber gelten die allgemeinen Vorschriften über das Hauptverfahren vor den Eingangsgerichten und die dazugehörigen grundlegenden Prinzipien, sofern eine Anwendung möglich ist. Hierunter fällt neben der Öffentlichkeit des Verfahrens auch notwendigerweise die Mündlichkeit der Verhandlung und in deren Folge auch wiederum die Konzentration.659 Wegen des unterschiedlichen Prüfungsprogramms ist die Hauptverhandlung vor dem Revisionsgericht im Vergleich zur Hauptverhandlung vor dem Tatgericht zwar „verkümmert“,660 aber es ändert nichts an ihrer von den Systemprinzipien her identischen Konzeption. Es handelt sich um ein (quantitativ) Weniger der tatgerichtlichen Hauptverhandlung, aber nicht um ein (qualitativ) Anderes. Diese Gleichsetzung der Hauptverhandlungen lässt sich auch unter dem Gesichtspunkt nachvollziehen, dass das RG, anders als der BGH heute, gemäß § 136 I Nr. 1 RGVG661 selbst als erste und letzte Instanz und damit als Tatgericht (!) agierte;662 das RG hatte in diesen Fällen also eine vollwertige Hauptverhandlung nach den Vorschriften des sechsten Abschnitts des zweiten Buches der StPO durchzuführen, in der sich die sonst zumeist Revisionsrichter des RG die Robe des Tatrichters überstreifen.663 Von daher ist in der Praxis des RG die Durchführung einer tatgerichtlichen Hauptverhandlung nicht fremd. Eine einheitliches Hauptverhandlungsverständnis und dessen Normierung also daher noch umso naheliegender. In Anbetracht dieser Erkenntnisse, ist überhaupt schon die Existenz des § 318 RStPO-E, dem späteren § 396 RStPO und heutigen § 356 StPO, erstaunlich, welcher die Verkündung des Revisionsurteils ausdrücklich nach Maßgabe der Vorschrift über 659

Vgl. Hahn, Materialien zur StPO, S. 256. Peters, Strafprozeß, S. 659. Ähnlich bereits Hippel, Der deutsche Strafprozess, S. 590: „Die Hauptverhandlung schrumpft, entsprechend der Aufgabe der Revision, zusammen auf die Erörterung der Frage, ob und wieweit das Urteil der Vorinstanz auf rechtlichen Verstößen beruht oder nicht.“ 661 Gerichtsverfassungsgesetz vom 27. 01. 1877, RGBl. 1877, S. 41. 662 Die Zuständigkeit nach § 136 I Nr. 1 RGVG bestand für die Verfahren des Hoch- und Landesverrats, sofern sie gegen den Kaiser oder das Reich gerichtet waren; das Reich zog diese Kompetenz als Zuständigkeit des RG an sich, da diese Strafgerichtsbarkeit sonst gemäß Art. 75 RV dem Hanseatischen Ober-Appellationsgericht in Lübeck zustand; die Zuständigkeit als erste und letzte Instanz des RG in diesen Strafsachen war damit verfassungsrechtlich determiniert, Hahn, Materialien zum GVG, S. 137; Eduard Kern, Geschichte des Gerichtsverfassungsrechts, S. 86 f., 107. Die Zuständigkeit für Verfahren erster Instanz für den BGH wurde erst durch das Gesetz zur allgemeinen Einführung eines zweiten Rechtszuges in StaatsschutzStrafsachen vom 08. 09. 1969, BGBl. 1969 I, S. 1582 beseitigt und diese ging auf die OLG über. 663 Die Befassung des RG mit Delikten als erste Instanz schien jedoch als „Belastung“ wahrgenommen worden zu sein, weil sie von der wahrgenommen vornehmlichen Aufgabe der Revisionstätigkeit abhalte, so jedenfalls die Darstellung des Oberreichsanwalts a. D. Ebermayer, DJZ 1928, 33, 34, 36. Hier kam aber auch hinzu, dass zu seiner Amtszeit die erstinstanzlichen Verfahren in der Nachkriegszeit und den folgenden politischen Unruhen (u. a. Kapp-Putsch und Ermordung Rathenaus) der Weimarer Republik stark anstiegen, und viele Delikte mit der Verordnung zum Schutze der Republik vom 26. 06. 1922, RGBl. 1922 I, S. 521 nach § 6 einem Staatsgerichtshof zum Schutze der Republik beim RG zugeordnet wurden. Vgl. auch Lorenz, in: FS 50 Jahre Reichsgericht, 107. 660

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das erstinstanzliche Urteil vorsieht. Nach dem soeben skizzierten Grundverständnis von der Revisionshauptverhandlung, dass die Vorschriften über das Verfahren erster Instanz, also auch § 226 RStPO-E (§ 267 RStPO; § 268 StPO), gelten, bedürfte es dieser Verweisung nämlich gerade nicht. Warum es darüber hinaus keine allgemeine Vorschrift, ähnlich dem § 332 StPO gibt, sondern nur eine spezielle für die Urteilsverkündung, lässt sich nicht erkennen. Die ausdrückliche Erwähnung der Geltung einer tatgerichtlichen Norm kann daher, sofern ihr kein zusätzlicher Eigenwert zukommt, nur noch die Bedeutung einer Wiederholung zum Zwecke der Klarstellung zukommen. Warum ein solches Bedürfnis bestehen sollte, lässt sich aus den Gesetzesmaterialien jedoch nicht entnehmen. Letztlich erscheint der Vorschrift nur die Erklärung des bereits Geltenden zuzukommen, vor allem vor dem Hintergrund, dass die heutige Fassung – redaktionelle Änderungen ausgenommen – mit der Formulierung des Bundesratsentwurfs von 1873 übereinstimmt.664 Sie könnte auch ein redaktionell nicht bereinigtes Rudiment sein. Zuletzt soll nochmals hervorgehoben werden, dass das Urteilsverfahren bei der Entscheidung der Revision gemäß § 310 I RStPO-E der Regelfall sein sollte – aus der Gesetzesstruktur des heutigen § 349 StPO ergibt sich dieses Verhältnis im Übrigen immer noch, auch wenn die Praxis hierzu anders aussieht.665 Die Möglichkeit der Verwerfung der Revision aufgrund Unzulässigkeit durch Beschluss war nur in den nach § 310 I RStPO-E genannten Fällen ausnahmsweise vorgesehen und damals ausschließlich aus formalen Gründen.666 Eine Entscheidung in der Sache hinsichtlich der Begründetheitsfrage, wie es § 349 II, IV StPO heute vorsehen, gab es ursprünglich nicht, sondern wurde 1922 durch die Lex Lobe für offensichtlich unbegründete Revisionen eingeführt und dann 1964 durch das Gesetz zur Änderung der Strafprozessordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes (StPÄG 1964)667 für als einstimmig begründet erachtete Revisionen.668 Die heutige Möglichkeit, eine Revision im Beschlusswege auch in der Sache gemäß § 349 II StPO als „offensichtlich unbegründet“ zu verwerfen oder gemäß § 349 IV StPO als „einstimmig als begründet“ stattzugeben, war zu Beginn der RStPO keineswegs vorgesehen und in ihrer Konzeption wahrscheinlich auch nicht vorstellbar. Eine derartige „Wiederverschriftlichung“ einer Entscheidung in der Sache steht mit den Prinzipien des reformierten Strafprozesses grundsätzlich im Widerspruch; daher waren diese Vor-

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In der Entwurfsphase kam § 318 RStPO-E aber zumindest zeitweise ein eigener Regelungsgehalt in Bezug auf die Urteilsverkündungsfrist vor dem Revisionsgericht zu, siehe dazu unten Zweites Kapitel: A. II. 3. a) cc) (4). 665 Vgl. Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 1088.1 ff.; Fezer, StV 2007, 40; Rissing-van Saan, StraFo 2010, 359, 361. 666 Vgl. Hahn, Materialien zur StPO, 254 ff.; Fezer, StV 2007, 40, 41. 667 Art. 9 Nr. 2 des Gesetzes zur Änderung der Strafprozessordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes (StPÄG) vom 19. 12. 1964, BGBl. 1964 I, S. 1067. 668 Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 1088; Rieß, in: FS Hanack, 397, 413; LR/Franke, § 349 Rn. 5, 31.

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schriften in der Beratung nicht unumstritten, sollten aber im Wesentlichen unverändert Bestand haben.669 Damit kristallisiert sich heraus, dass die mündliche Hauptverhandlung auch bei der revisionsgerichtlichen Entscheidung in der Begründetheitsfrage die einzige Erkenntnisquelle darstellen soll und diese hat – wie auch die erstinstanzliche Hauptverhandlung über den Schuldspruch – öffentlich, unmittelbar und damit mündlich stattzufinden. Dem Revisionsgericht wird allerdings mit der Möglichkeit, die Revision aufgrund formeller Fehler bei der Einlegung im Vorfeld eines schriftlichen Verfahrens wegen Unzulässigkeit zu verwerfen, eine Entscheidungsmöglichkeit eingeräumt, das Verfahren aus prozessökonomischen Gründen abzukürzen. Im Übrigen dient das schriftliche Vorverfahren aber bloß der Einleitung und Vorbereitung der Hauptverhandlung und sortiert somit nur diejenigen Fälle aus, die in jedem Falle verworfen werden würden, ohne in der Sache zu entscheiden. Von einer generellen Verschriftlichung des Revisionsverfahren zu sprechen, wäre ersichtlich verfehlt. (3) Die Entwicklung des § 226 RStPO-E im Verhältnis zu § 191 RStPO-E670 Die fruchtbarsten Ergebnisse zum Verständnis des Wesens der Urteilsverkündungsfrist ergeben sich aus der Betrachtung der Genese des § 226 RStPO-E im Zusammenhang mit den Vorschriften über die Unterbrechung der Hauptverhandlung. Wörtlich heißt es in dem hier relevanten Entwurf für einen § 226 I RStPO-E zu den Modalitäten der Urteilsverkündung: „Die Verkündung des Urtheils erfolgt durch Vorlesung der Urtheilsformel und Eröffnung der Urtheilsgründe. Letztere geschieht durch Vorlesung oder mündliche Mittheilung ihres wesentlichen Inhalts.“671

Bei der Betrachtung des Entwurfs offenbart sich, dass sich in der ursprünglichen Fassung des § 226 RStPO-E keine ausdrücklich normierte Frist für die Urteilsverkündung findet. Diesen Umstand führt das RG in der Begründung zu RGSt 27, 116 ebenfalls an.672 Es handelt sich hierbei nicht um ein bewusstes Absehen einer solchen Frist, sondern eine fehlende Normierung erklärt sich aus dem Grundverständnis, das 669 Weshalb, wie schon zuvor erwähnt, der Abgeordnete Herz in beiden Kommissionslesungen erfolglos die Streichung des § 310 RStPO-E beantragt, der die Revisionsverwerfung durch Beschluss bei Unzulässigkeit vorsieht, Hahn, Materialien zur StPO, S. 1044, 1401 f. 670 Im ursprünglichen Entwurf ist die Höchstfrist der Unterbrechung in § 191 RStPO-E normiert, im Verlauf der Entwurfsphase wechselt lediglich die Bezeichnung zu § 192 RStPO-E in der Kommissionsvorlage und letztlich zu § 228 RStPO, ohne dass damit eine inhaltliche Änderung einhergeht, siehe den Bericht der Kommission, Hahn, Materialien zur StPO, S. 1555 siehe auch die Synopse zu den §§ 191, 192 RStPO-E, Hahn, Materialien zur StPO, 2226 f.; BA R 1401/585, XXXVIII. Redaktionsbeschluss vom 03. 07. 1876 (Nachtrag zu den Redaktionsbeschlüssen), S. 1. 671 Siehe dazu Hahn, Materialien zur StPO, S. 31. Für die weitere Entwicklung der Vorschrift insgesamt, siehe die zugehörige Synopse bei Hahn, Materialien zur StPO, S. 2246 f. 672 RGSt 27, 116, 117.

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der Urteilsverkündung von den Verfassern des Entwurfes beigemessen wurde: Die Fällung des Urteils selbst ist Teil der Hauptverhandlung und dies wird durch § 219 RStPO-E, welcher dem heutigen § 260 StPO entspricht, ausdrücklich so bezeichnet.673 Daher ist es vom Vorgehen des Entwurfes völlig konsequent, keine Urteilsverkündungsfrist separat zu regeln, wenn in den Motiven ausgeführt wird, wonach „[d]urch die Vorschrift, daß die Hauptverhandlung mit der Fällung und Verkündung des Urtheils schließe, […] selbstverständlich die Vorschriften über die Zulässigkeit einer Unterbrechung oder Aussetzung der Hauptverhandlung [also §§ 191, 192 RStPO-E] nicht berührt“ würden.674 Maßgebend für den Zeitpunkt, bis wann das Urteil verkündet werden musste, waren demnach die Vorschriften über Aussetzung und Unterbrechung der Hauptverhandlung; hier insbesondere nach § 191 RStPO des Entwurfes, wonach eine unterbrochene Hauptverhandlung spätestens am vierten Tage nach Beginn der Unterbrechung fortzuführen war. Die Weglassung einer ausdrücklich beschriebenen Frist zur Urteilsverkündung war somit der Sparsamkeit des Entwurfsgebers geschuldet, da es sich bei dieser um eine bloße Wiederholung handeln würde, sofern im Vergleich zur Unterbrechungsfrist keine längere oder kürzere Verkündungsfrist angeordnet würde. Aber – und das wird aus den Motiven ebenfalls deutlich – die Vorstellung, wann bei Abschluss der Verhandlung eine Unterbrechung (als Aussetzung der Urteilsverkündung) in Betracht kommen sollte, war stark limitiert. Die Motive zählen hierzu beispielsweise die „Erholung der zur Urtheilsfindung berufenen Personen“ – wobei es sich nur um kurzzeitige Unterbrechungen handeln kann, die wahrscheinlich keinen Tag überschreiten – oder auch wenn sie „wegen plötzlicher Erkrankung einer derselben [Anm.: die zur Urteilsfindung berufenen Personen] sowie aus anderen Gründen, erforderlich [wird]“.675 Ganz i. S. e. konzentrierten Hauptverhandlung wird, wie der Begriff „erforderlich“ impliziert, hier das Verständnis für die Notwendigkeit einer Unterbrechung eng verstanden. Dies findet sich außerdem in einer weiteren Aussage der Motive, denn es heißt weiter: „Abgesehen von diesen Fällen aber hat der Entwurf nicht geglaubt, eine Aussetzung der Urtheilsfällung gestatten zu sollen, da es von größter Wichtigkeit ist, daß die Berathung des Urtheils ebenso wie die Berathung und Entscheidung der Geschworenen im unmittelbaren Anschluß an die mündliche Verhandlung und unter dem frischen Eindruck derselben erfolge.“676

Die Aussetzung der Verkündung, mit der daraus folgenden Möglichkeit einer Urteilsverkündung innerhalb einer aus der Unterbrechungsvorschrift abgeleiteten Frist, sollte damit bewusst absolute, dringend anlassbezogene Ausnahme sein und gerade keine übliche Möglichkeit, auf die die Gerichte rekurrieren können. Ange673 Hahn, Materialien zur StPO, S. 197: „Die Hauptverhandlung schließt mit der Fällung des Urtheils“. 674 Hahn, Materialien zur StPO, S. 197. 675 Hahn, Materialien zur StPO, S. 197. 676 Hahn, Materialien zur StPO, S. 197.

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merkt sei aber, dass eine ausdrückliche Begrenzung der Unterbrechung bzw. Aussetzung der Urteilsverkündung auf solche, dringende Fälle im Wortlaut der späteren §§ 228, 267 RStPO nicht angedeutet wird. Der Gesetzesentwurf des Bundesrates verfolgt von seinem Zwecke her auf diese Weise also nachweislich eine Verfahrensbeschleunigung zur Verwirklichung der Konzentrationsmaxime. Dieser Umstand führte zu gewissem Unbehagen bei einigen Mitgliedern der eingesetzten Justizkommission des Reichstags, die zwei Punkte der Entwurfsfassung angriffen: Zum einen ging es in der Diskussion im Rahmen der 62. Sitzung der Kommission vom 03. 09. 1875 um die ausdrückliche Normierung einer Urteilsverkündungsfrist, die gerade die Aussetzung der Verkündung unter erleichterten Voraussetzungen ermöglicht, auch wenn die maximale Unterbrechung bereits durch § 191 RStPO-E mit drei Tagen vorgegeben ist und welche von den Kommissionsmitgliedern als äußerste Frist angesehen wurde, die man den Gerichten einräumen dürfe;677 zum anderen ging es um die Frage, ob das Gericht bei Verkündung des Urteils verpflichtet sein solle, die Urteilsformel samt der Urteilsgründe zu verlesen, was eine vorherige schriftliche Fixierung beider erfordern würde, oder ob es dem Gericht freigestellt sein sollte insbesondere die Entscheidungsgründe mündlich zu eröffnen.678 In dem Bundesratsentwurf war bislang nur die Verkündung der Urteilsformel durch Verlesung vorgesehen. Die Urteilsgründe konnten danach auch mündlich eröffnet werden – ihre schriftliche Fixierung wäre dann eine Frage der Urteilsabsetzung nach § 233 RStPO-E gewesen.679 Hinsichtlich der Möglichkeit der generellen Aussetzung der Urteilsverkündung und der einhergehenden Normierung einer Urteilsverkündungsfrist bestand durchaus eine kontroverse Diskussion in der Kommission, bei der unterschiedliche Erwägungen eingebracht wurden. Dabei wird aber auch ersichtlich, dass die Diskussion sich nicht nur auf die erstinstanzliche Urteilsverkündung bezieht, sondern es gerade auch einen ausdrücklichen Brückenschlag zur revisionsgerichtlichen Urteilsverkündung gibt, bei der in diesem Diskurs außer Frage stand, dass die Vorschrift des § 226 RStPO-E, mit den Aussetzungsvorgaben des § 191 RStPO-E, auch für das Revisionsgericht gilt.680 Hier wird erneut das bereits angesprochene allgemeine Verständnis des Entwurfsgebers von tatgerichtlicher und revisionsgerichtlicher Hauptverhandlung deutlich – sie sind grundsätzlich identisch.

677 So das Ergebnis bei der Behandlung des § 191 RStPO-E in erster Lesung in der 57. Kommissionsitzung am 08. 07. 1875, auf die Anregung des Abgeordneten Wolffson, der eine Unterbrechungsfrist von einer Woche vorschlug, dem aber von den Abgeordneten Thilo, von Schwarze und dem Geheimen Justizrat Oehlschläger widersprochen wurde und der Antrag des Abgeordneten Wolffson schließlich nicht gestellt wurde, Hahn, Materialien zur StPO, S. 830. 678 Hahn, Materialien zur StPO, 883 ff. 679 Vgl. die Motive zu §§ 226, 233 RStPO-E, Hahn, Materialien zur StPO. S. 212, 214. 680 Siehe die Redebeiträge der Abgeordneten Struckmann und Bähr, Hahn, Materialien zur StPO, S. 884 f., 886.

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Aus diesem Grunde hielt es das Kommissionsmitglied Struckmann gerade für „wünschenswerth“, dem Revisionsgericht eine ausdrückliche Möglichkeit zur Urteilsaussetzung zu gewähren, da sich hier oftmals zeitintensivere Rechtsfragen ergäben, welche eine umfassende Vorbereitung aller Richter erforderten.681 Auch der Abgeordnete Bähr schlug in diese Kerbe, da es aus seiner Sicht „[g]erade für die höchste Instanz […] bei den vielen ihr vorliegenden intrikaten Fällen unmöglich [sei], binnen 4 Tagen nach der Verhandlung auf Grund eingehender Berathung zu einem Resultat zu gelangen.“682 Ein solches Vorgehen hielt er bei dem „höchsten Gericht“ und „in schwerwiegenden Fällen“ auch für „nicht wünschenswerth“.683 Einigkeit bestand im Wesentlichen insofern, dass die Bestimmung einer solchen Frist sinnvoll sei.684 Jedoch standen verschiedene Anträge hinsichtlich der Länge im Raum, die, in Anlehnung an § 191 RStPO-E, eine Frist von drei Tagen685 vorsahen sowie ein Änderungsantrag, der eine Frist von bis zu einer Woche686 ermöglichen wollte. Letztlich obsiegt in der ersten Lesung der Kommission aber der gemeinsame Antrag der Abgeordneten Eysoldt, Klotz und Herz, wonach – man bemerke – die 681

Hahn, Materialien zur StPO, S. 884 f. Hahn, Materialien zur StPO, S. 886. 683 Hahn, Materialien zur StPO, S. 886. Hierbei ist zu beachten, dass das RG nach dem Entwurf auch Verfahren als Tatgericht durchzuführen hatte, sodass der Bezug auf das „höchste Gericht“ nicht unbedingt nur in der Funktion als Revisionsgericht allein gesehen werden kann. Allerdings erfolgt die Äußerung Bährs auf die Struckmanns, sodass sich ein solcher Bezug auf das RG auch als Revisionsgericht, für das eine Aussetzung der Urteilsverkündung ermöglicht werden soll, in der Argumentation herstellen lässt. 684 So führt das Kommissionsmitglied Eysoldt aus, dass aus Gründen der Kongruenz mit dem Zivilprozessrecht eine Urteilsverkündungsfrist im Strafverfahren ausdrücklich geregelt werden müsse, wenn im Ersteren bereits eine solche vorgesehen wurde, schon alleine um „in dieser wichtigen Frage allen Zweifeln vorzubeugen“, dies solle auch garantieren, dass das Urteil gefällt werde, „bevor bei den Richtern der frische Eindruck der Verhandlung verloren sei“, Hahn, Materialien zur StPO, S. 884. Ausdrücklich gegen die Möglichkeit einer Aussetzungsfrist positioniert sich der Abgeordnete Thilo, der darin für den Angeklagten eine „Grausamkeit“ sieht, Hahn, Materialien zur StPO, S. 886. 685 So der gemeinsame Änderungsantrag der Abgeordneten Eysoldt, Klotz und Herz, als auch die Änderungsanträge der Abgeordneten Völk und von Schwarze, Hahn, Materialien zur StPO, S. 883. Der erstgenannte Antrag findet sich auch bei den Materialien im Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde, BA R 1401/585, Anträge Nr. 43 vom 09. 07. 1875, S. 1. Hier wird deutlich, dass es bei der Dokumentation bei Hahn und der archivierten Drucksache zu Divergenzen kommt. Bei Hahn, Materialien zur StPO, S. 883 lautet der Antrag: „in Abs. 1 hinter dem Worte ,erfolgt‘ die Worte einzuschalten: ,spätestens vier Tage nach Schluß der Sitzung‘“. In der Drucksache hingegen lautet der Antrag: „Abs. 1. dem ersten Satze folgende Worte beizufügen: ,spätestens 4 Tage nach Schluß der Sitzung‘“. Ein Auseinanderfallen von Tenorverkündung und Eröffnung der Urteilsgründe kann aber nur nach der Version geschehen, die in den Materialien des Bundesarchivs enthalten ist. Wahrscheinlich wurde über diesen auch abgestimmt, wie es zumindest die dann durch die Redaktionskommission bereinigte Fassung nahelegt, siehe dazu sogleich. 686 So der Eventualantrag des Abgeordneten Mayer, welcher von dem Abgeordneten Bähr gerade mit Rücksicht auf die Bedürfnisse des Revisionsgerichts unterstützt wurde, Hahn, Materialien zur StPO, S. 884, 885. 682

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Eröffnung der Urteilsgründe (!) spätestens am vierten Tage nach dem Schluss der Verhandlung zu erfolgen habe.687 Die Urteilsformel hingegen war immer noch am Schluss der Sitzung zu verkünden, und zwar durch Vorlesung. Lediglich die Eröffnung der Urteilsgründe konnte ggf. bis zu drei Tage ausgesetzt werden, was eine Trennung zwischen Bekanntgabe des Tenors und der Begründung zur Folge gehabt hätte, sofern das Gericht von dieser Möglichkeit Gebrauch machen wollte. Diesem Umstand sollte erst zu einem späteren Zeitpunkt begegnet werden. Damit war die Aussprache über eine Urteilsverkündungsfrist aus § 226 RStPO-E für tatgerichtliche und revisionsgerichtliche Instanz in erster Lesung der Kommission abgeschlossen. Der Wortlaut des § 226 I RStPO-E lautete damit nach Abschluss der Behandlung in erster Lesung: „Die Verkündung des Urtheils erfolgt durch Vorlesung der Urtheilsformel und Eröffnung der Urtheilsgründe. Letztere geschieht spätestens am vierten Tag nach Schluss der Sitzung durch Vorlesung oder mündliche Mittheilung ihres wesentlichen Inhalts.“688

Der Vollständigkeit halber sei aber bereits an hiesiger Stelle erwähnt, dass in der 73. Kommissionssitzung vom 16. 09. 1875, immer noch in erster Kommissionslesung, dem § 318 RStPO-E auf Initiative der Abgeordneten Struckmann und Bähr ein Satz 2 angefügt wurde, der es dem Revisionsgericht ermöglichen sollte, die Urteilsverkündung bis zu einer Woche auszusetzen.689 Satz 2 findet sich aber nicht mehr in der dem Reichstag zum Beschluss vorgelegten Kommissionsvorlage und wurde auch nicht Gesetz690. Dieser Zeitraum war in der Entwurfsphase der einzige, in dem für das Revisionsgericht eine eigene Urteilsverkündungsfrist vorgesehen war, die sich zudem von der für das Tatgericht unterscheiden sollte. Auch wenn dieser Satz 2 zu einem späteren Zeitpunkt wieder gestrichen wurde, ist hervorzuheben, dass eine Urteilsverkündungsfrist für das Revisionsgericht ausdrücklich normiert werden sollte! Dazu im folgenden Abschnitt mehr. Eine weitere Veränderung der Urteilsverkündungsfrist ergab sich dann in zweiter Lesung der Kommission, die im Protokoll der 150. Sitzung vom 14. 06. 1876 festgehalten ist.691 Erneut wurde dabei die Frage aufgeworfen, inwiefern das Gericht bei der Verkündung des Urteils, also sowohl bei Verkündung von Urteilsformel als auch Urteilsgründen, verpflichtet sein solle, diese zuvor schriftlich zu fixieren, damit sie anschließend verlesen werden können. Außerdem richteten sich gleich mehrere Anträge gegen den Zustand, dass die aktuelle Fassung des § 226 RStPO-E nach der

687

Hahn, Materialien zur StPO, S. 887. Hierbei handelt es sich um die bereinigte Fassung durch die Redaktionskommission, siehe BA R 1401/585, IX. Beschluss der Redaktionskommission vom 04. 09. 1875, S. 3 und Hahn, Materialien zur StPO, S. 2246. 689 Hahn, Materialien zur StPO, S. 1049. 690 Siehe dazu die Synopse bei Hahn, Materialien zur StPO, S. 2304 f. 691 Hahn, Materialien zur StPO, S. 1337 ff., 1356 ff. 688

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ersten Kommissionslesung ein Auseinanderfallen von Tenorverkündung und der Verkündung der Entscheidungsgründe unter Umständen zuließ.692 Für den hier zu untersuchenden Gegenstand der Urteilsverkündungsfrist viel entscheidender ist jedoch, dass sich hier eine Tendenz in der Kommission durchsetzt, dem Tatgericht – das Revisionsgericht hatte in diesem Verfahrenszustand bereits durch Ergänzung des § 318 S. 2 RStPO-E eine Verkündungsfrist von einer Woche zur Verfügung – einen längeren Aussetzungszeitraum einzuräumen als den von drei Tagen, welcher von der Unterbrechungsvorschrift vorgesehen wurde.693 Diese Anträge führten bei dem Kommissionsmitglied Becker zu Verwunderung, da in der ersten Lesung der Kommission doch Einigkeit darüber bestand, dass die Frist des § 191 RStPO-E von vier Tagen einschlägig sei und es einer eigenen Normierung in § 226 RStPO-E nicht bedürfe, sie aber zur Klarstellung, in Kohärenz mit der Frist aus § 191 RStPO-E, aufgenommen wurde.694 Als Begründung für eine längere Aussetzungsfrist im Vergleich zur Unterbrechungsfrist werden aber verschiedene, im wesentlichen praktische Erwägungen vorgebracht. So sei die Frist von lediglich drei Tagen bei Fällen, die eine tatsächliche oder rechtliche Komplexität aufweisen, zu kurz gegriffen, um eine vollständige Sichtung der Fachliteratur zur ermöglichen.695 Außerdem würde so Vorsorge getroffen, dass in solchen Fällen die Frist nicht regelmäßig überschritten werde, was letztlich zu einer neuen Verhandlung führte, auch wenn im Regelfall eine abschließende Beratung innerhalb der Unterbrechungsfrist möglich sein dürfte;696 und eine Frist von einer Woche entspreche durchaus der Gerichtspraxis, Sitzungen nach korrespondierenden Wochentagen anzuberaumen.697 Der Geheime Oberregierungsrat Hanauer ergänzt hierbei im wahrsten Sinne abschließend und mit einem erneuten, eindeutigen Bezug zur Urteilsverkündung in der Rechtsmittelinstanz, dass durch die Verlängerung der Frist in § 226 RStPO-E „Uebereinstimmung mit der für die Revisionsinstanz in § 318 gegebenen Vorschrift herbeigeführt“ werde; in der darauffolgenden Abstimmung wird eine entsprechende Verlängerung der Urteilsverkündungsfrist auf eine Woche durch die Kommission angenommen.698 Bemerkenswert ist, dass – ausweislich des Protokolls – die Fürsprecher einer verlängerten Aussetzung hierbei keine Bedenken hinsichtlich der Konzentrationsmaxime hegten. Es werden solche nur von den Abgeordneten Becker 692

Sämtliche gestellte Anträge der Kommissionsmitglieder sahen eine Formulierung oder Anpassung der Formulierung vor, welche ein Auseinanderfallen der Bekanntgabe von Urteilsformel und Urteilsgründe verhindern sollten, Hahn, Materialien zur StPO, S. 1356 f. 693 Namentlich der Antrag des Abgeordneten Puttkamer („eine Woche“) und der Änderungsantrag des Abgeordneten Mayer ([am] „achten“ [Tage]), Hahn, Materialien zur StPO, S. 1356 f. 694 Hahn, Materialien zur StPO, S. 1357 f. 695 So die Argumentation des Abgeordneten Puttkamer, Hahn, Materialien zur StPO, S. 1357. 696 Vgl. den Redebeitrag des Abgeordneten Mayer, Hahn, Materialien zur StPO, S. 1358. 697 So der Beitrag des Abgeordneten Reichensperger, Hahn, Materialien zur StPO, S. 1358. 698 Hahn, Materialien zur StPO, S. 1359.

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und Gneist geäußert, die sich für eine viertägige Verkündungsfrist aussprechen, wobei letzterer eine längere Aussetzungsfrist wegen komplexer Rechtsfragen beim Revisionsgericht für durchaus zweckmäßig halte, nicht aber beim Tatgericht bei Erkennung „über Schuld und Strafe“.699 Zugleich lässt sich aus der Debatte in der zweiten Lesung wieder erkennen, dass die Kommission auch weiterhin keinen Zweifel darüber hegt, dass auch das Revisionsgericht selbst an eine Urteilsverkündungsfrist, aufgrund der notwendigen Frische des Eindrucks aus der Hauptverhandlung, gebunden sein soll.700 Die in zweiter Kommissionslesung geänderte Fassung des § 226 RStPO-E, mit nun einwöchiger Aussetzungsfrist, wird im übrigen Gesetzgebungsprozess nur noch redaktionell701 geändert und in jene Form überführt: „Die Verkündung des Urtheils erfolgt durch Verlesung der Urtheilsformel und Eröffnung der Urtheilsgründe am Schlusse der Verhandlung oder spätestens mit Ablauf einer Woche nach dem Schlusse der Verhandlung. Die Eröffnung der Urtheilsgründe geschieht durch Verlesung oder durch mündliche Mittheilung ihres wesentlichen Inhalts.“702

Ohne Einwände der Abgeordneten in den weiteren Lesungen des Reichstags wird diese Fassung Bestand haben und in § 267 RStPO Gesetz werden.703 Betont werden soll hier, dass der Abgeordnete von Schwarze, als Berichterstatter der Justizkommission, die Motivationen für die Wochenfrist während der zweiten Lesung des Gesetzesentwurfes im Parlament sogar noch einmal ausdrücklich zur Kenntnis des Reichstagsplenums bringt, nachdem der Geheime Oberregierungsrat Hanauer die vom Bundesrat beantragte Streichung des Absatzes 2 befürwortet, in 699 Hahn, Materialien zur StPO, S. 1357 f., Hervorhebungen aus dem Original wurden weggelassen. 700 Die Ausführungen in Bezug auf die Einrichtung einer Urteilsverkündungsfrist für das Revisionsgericht bleiben unwidersprochen, Hahn, Materialien zur StPO, S. 1356 ff. Selbiges war bereits auf der 62. Sitzung vom 03. 09. 1875 in erster Lesung der Fall, Hahn, Materialien zur StPO, S. 883 ff. bzw. bei erstmaliger Normierung einer Frist für das Revisionsgericht in § 318 RStPO-E in der 73. Sitzung am 16. 09. 1875, Hahn, Materialien zur StPO, S. 1049. Die endgültigen Fassungen der in Rede stehenden Normen bleiben in der zweiten und dritten Beratung im Reichstag unbeanstandet, Hahn, Materialien zur StPO, S. 1978, 1973, 2084, 2092. Das alles weist eindeutig darauf hin, dass die Normierung einer verbindlichen Frist auch für das Revisionsgericht unstreitig war. 701 Die in zweiter Lesung des Reichstags eingebrachte Fassung des § 226 I RStPO-E beruht auf einen Änderungsantrag des Bundesrates, Hahn, Materialien zur StPO, S. 1598. Dieser Antrag ist in den Nachberatungen der Justizkommission angenommen worden und entspricht inhaltlich der bisherigen Fassung. Allerdings wurde in diesen Beratungen die Pflicht zur vorherigen schriftlichen Feststellung der Urteilsgründe bei Aussetzung der Verkündung als Absatz 2 wieder angefügt, was der bisherigen Kommissionsfassung entsprach; ein Änderungsantrag des Abgeordneten Zinn, die Verkündungsfrist von einer Woche auf zwei Wochen zu verlängern wurde abgelehnt, Hahn, Materialien zur StPO, S. 1635 f. 702 Diese Fassung erhält § 226 I RStPO-E nach der erneuten Behandlung in der Justizkommission auf Beschluss der Redaktionskommission und sie wird dem Reichstag zur zweiten und dritten Lesung vorgelegt, BA R 1401/585, XVII. Beschluss der Redaktionskommission vom 22. 06. 1876, S. 4; siehe auch Hahn, Materialien zur StPO, S. 2247. 703 Hahn, Materialien zur StPO, S. 1887, 2090.

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welchem die vorherige Niederschrift des Urteils im Falle der Aussetzung konstatiert wird. Hanauer äußert die Befürchtung, dass Gerichte, im Gegensatz zu jenen Fällen, in denen die schriftliche Feststellung noch nach der Verkündung stattfinden könne – so wie im Falle der sofortigen Verkündung nach § 233 RStPO-E vorgesehen – geneigt sein könnten, bei der schriftlichen Fixierung des Urteils nicht mit der „nöthige[n] Genauigkeit zu Werke“ gehen.704 Von Schwarze stellt klar, dass die Verkündung des Urteils direkt im Anschluss an die Verhandlung der Regelfall sein solle, „[d]enn dann sind sie unter dem frischen Eindruck der Verhandlung selbst.“705 In dem Wissen, dass dies eine praktisch nicht stets durchführbare Vorgehensweise sei, habe man die Möglichkeit zur Aussetzung der Urteilsverkündung bis maximal eine Woche zugestanden.706 Deutlich macht er in seinem Vortrag, dass die Wochenfrist die Grenze dessen ist, welche die Konzentrationsmaxime zuließen, sodass die Gerichte innerhalb dieser fertig werden „m ü s s e n “; in der gefassten Vorschrift des § 226 RStPO-E liege damit „eine Garantie dafür, daß in Wahrheit die Entscheidungsgründe der mündlichen Verhandlung und dem Eindruck, den die Richter dabei empfangen haben, entspricht.“707 In Kenntnis dieses fast schon flammenden Plädoyers, wird die von der Kommission eingebrachte Fassung, unter Ablehnung des Bundesratsantrages, den Hanauer unterstützte, durch den Reichstag angenommen.708 Die Schaffung einer allgemeinen Verkündungsfrist für die Gerichte in § 267 I 1 RStPO hatte im Übrigen in der Folge noch eine weitere Konsequenz.709 In einem Bereich waren die vorgebrachten Beweggründe, dem Gericht eine Aussetzung zuzugestehen, nämlich nicht gegeben und daher eine sofortige Verkündung des Urteils angezeigt: Bei Verhandlungen vor den Schwurgerichten. In der 163. Sitzung710 der Justizkommission am 19. 10. 1876 wurde in den redaktionellen Nachberatungen ein § 271a RStPO-E711, allerdings ohne weitere Erläuterungen, eingefügt,712 der schließlich als § 315 RStPO Gesetz werden sollte. Wegen der Zweiteilung des Erkenntnisverfahrens in der schwurgerichtlichen Hauptverhandlung durch ein Schuldinterlokut,713 schließt sich die Bekanntgabe des Urteils direkt an den Geschworenenspruch nach §§ 308 ff. RStPO aufgrund des Geschworenenspruchs (vgl. auch § 309 II RStPO) an, bei der nur noch über die Rechtsfolgen zu entscheiden ist, wenn 704

Hahn, Materialien zur StPO, S. 1885 f. Hahn, Materialien zur StPO, S. 1886. 706 Hahn, Materialien zur StPO, S. 1886. 707 Hahn, Materialien zur StPO, S. 1886 f., Hervorhebungen so auch im Original. 708 Hahn, Materialien zur StPO, S. 1887. 709 So Schwarze, RStPO, § 315. 710 Hahn, Materialien zur StPO, S. 1496 ff. 711 Siehe Anlage F bei Hahn, Materialien zur StPO, S. 1498. 712 Vgl. Hahn, Materialien zur StPO, S. 1496. 713 Eine echte Zweiteilung der Hauptverhandlung soll damit aber nicht verbunden gewesen sein, RGSt 49, 69, 70 f.; Heckner, Die Zweiteilung der Hauptverhandlung nach Schuld- und Reaktionsfrage, S. 9; Eduard Kern, Geschichte des Gerichtsverfassungsrechts, S. 114; Ulmen, Das Schuldinterlokut, S. 64 f. 705

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kein Freispruch erfolgt.714 Für den Schuldspruch bedurfte es keiner Begründung im Urteil, sodass einer alsbaldigen Urteilsverkündung keine Hindernisse entgegenstehen.715 Dies stellt damit die spezialgesetzliche Rückausnahme zu der allgemeinen Vorschrift des § 267 I 1 RStPO dar, weil hier eine andere Behandlung der Schwurgerichtsverhandlung als notwendig erschien. Abweichende Schlüsse in Bezug auf die Handhabung der Urteilsverkündung durch das Revisionsgericht lassen sich aus dieser Normierung nicht ziehen. Mit der Lex Emminger716 waren die echten Geschworenengerichte und auch die Spezialregelung in § 315 RStPO zur Urteilsverkündung ab 1924 auf deutschem Boden schließlich Geschichte. Nach dem Zitierten lässt sich an dieser Stelle also statuieren, dass die Aussetzung der Verkündung – trotz des Terminus „Aussetzung“ – lediglich ein Fall der Unterbrechung darstellt, der auf die entsprechenden Vorschriften über die Aussetzung und Unterbrechung der Hauptverhandlung aufbaut, also den Vorschriften der §§ 191 f. RStPO-E, auch wenn sich ab diesem Entwurfsstadium nun eine eigens kodifizierte, besondere Unterbrechungsfrist in § 226 RStPO-E wiederfindet. Unter Berücksichtigung der Wesensgleichheit von Revisionshauptverhandlung und der Verhandlung vor dem Tatgericht, lassen sich diese Ergebnisse auf die revisionsgerichtliche Urteilsverkündung nach § 396 RStPO-E übertragen. (4) Die Entwicklung des § 396 RStPO Es hat sich gezeigt, dass die Vorschrift des § 226 RStPO-E in der Beratungsphase durchaus intensiven Wandlungen unterworfen war und sie immer wieder in die eine oder andere Richtung angepasst wurde. Im Gegensatz dazu lässt sich die Entwicklung des § 356 StPO mit seiner heutigen Fassung, im Vergleich zu der Fassung seit ihrer erstmaligen Einbringung in den Entwurf durch die eingesetzte Bundesratskommission im Mai 1873, als eher statisch bezeichnen. § 356 StPO weist damit eine – für eine strafprozessrechtliche Vorschrift eher unüblich – erstaunliche, über 140jährige Kontinuität auf. Zum Bedeutungsinhalt der Vorschrift kommentieren die Motive prägnant: „§ 318 [RStPO-E] überträgt die im § 226 für die erste Instanz gegebenen Bestimmungen hinsichtlich der Verkündung des Urtheils […] auf die Revisionsinstanz.“717

Die Beschreibung des Bedeutungsgehaltes der Norm ist insgesamt nur um wenige Worte länger als die Verweisungsvorschrift selbst. Nach erhöhtem Erklärungsbedarf von Seiten des Entwurfsgebers klingt dies nicht und ist mit den bisher gefundenen Auslegungsergebnissen völlig kongruent. 714

Eduard Kern, Die Geschichte des Gerichtsverfassungsrechts, S. 116 f.; Vormbaum, Die Lex Emminger vom 4. Januar 1924, S. 112. 715 Vgl. Vormbaum, Die Lex Emminger vom 4. Januar 1924, S. 112. 716 Verordnung über Gerichtsverfassung und Strafrechtspflege vom 04. 01. 1924, RGBl. 1924 I, S. 15; siehe dazu vertiefend Vormbaum, Die Lex Emminger vom 4. Januar 1924. 717 Hahn, Materialien zur StPO, S. 260.

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Die soeben erwähnte Kontinuität besteht hinsichtlich der Beratungsphase aber nur auf den ersten Blick. Obwohl § 356 StPO in seiner Formulierung mit der aus dem Regierungsentwurf (dort § 318 I RStPO-E) identisch ist – redaktionelle Änderungen vorbehalten – darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass, wie bereits angeklungen, während deren Beratung in der Justizkommission des Reichstags sehr wohl Änderungen vorgenommen wurden; so wurde z. B. der in der Regierungsvorlage vorgesehene Abs. 2 gestrichen.718 Die in Abs. 1 normierte Urteilsverkündungsfrist betreffend, weist eine dieser Änderungen sogar für die Untersuchung ihrer Anwendbarkeit in der Revisionsinstanz durchaus Relevanz auf. Die bei Hahn abgedruckte Übersicht zu den Fassungen des § 318 RStPO-E in den einzelnen Beratungsphasen zeigt, dass – wie im vorherigen Abschnitt bereits angesprochen – nach der ersten Lesung in der Justizkommission dem § 318 I RStPO-E ein Satz 2 angefügt wurde, wonach es dem Revisionsgericht möglich sein sollte, die Urteilsverkündung bis zu einer Woche auszusetzen.719 Zur Erinnerung sei nochmals erwähnt, dass dem Tatgericht in erster Instanz zu diesem Zeitpunkt lediglich eine Aussetzung bis zu drei Tage zugestanden wurde. Die dem Reichstag vorgelegte Entwurfsfassung enthält diesen Satz 2 aber nicht mehr. Welche Tendenz sich aus dem nachträglichen Wiederwegfall der einst ausdrücklich aufgenommenen Urteilsverkündungsfrist für das Revisionsgericht ableiten lässt, bedarf der Klärung. Hier sind als Folge sowohl die Wiederherstellung des ursprünglichen Gefüges als auch eine beabsichtigte Befreiung des Revisionsgerichts von einer Urteilsverkündungsfrist denkbar. Gerade letzteres wäre ein gewichtiges Argument für das in RGSt 17, 116 vom RG gefundene Ergebnis. Angefügt wurde Satz 2 in der 73. Sitzung der Justizkommission auf Antrag der Abgeordneten Struckmann und Bähr.720 Zu den Motivationen gibt das Protokoll der Sitzung keine Aufschlüsse; es gibt nur preis, dass der Antrag „nach kurzer Motivierung seitens des Abg. Struckmann angenommen wird“.721 Die Vermutung liegt nahe, dass hierfür jene Gründe einschlägig waren, die insbesondere bei der Diskussion im Rahmen der 62. Sitzung vom 03. 09. 1875 in erster Lesung, aber auch der 150. Sitzung vom 14. 06. 1876 in zweiter Lesung hinsichtlich der Beratung des § 226 RStPO-E relevant wurden: Dem Revisionsgericht sollte vor allem zur umfassenden Sichtung von Literatur bei umfangreichen Rechtsfragen mehr Zeit zur Verfügung stehen.722 Diese und pragmatische Erwägungen waren schließlich die Motivation, weswegen die Frist in § 226 RStPO auch für das Tatgericht auf eine Woche verlängert wurde und die dort normierte Frist nun mit der nach der ersten Lesung Aufge718

Vgl. Hahn, Materialien zur StPO, S. 2305. Hahn, Materialien zur StPO, S. 2304 f. Die Fassung des § 318 RStPO-E lautete damit nach erster Lesung: „Die Verkündung des Urteils erfolgt nach Maßgabe des § 226. Dieselbe kann eine Woche nach Schlusse der Verhandlung ausgesetzt werden.“ 720 Hahn, Materialien zur StPO, S. 1049. 721 Hahn, Materialien zur StPO, S. 1049. 722 Hahn, Materialien zur StPO, S. 883 ff., 1357 ff. 719

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nommenen des § 318 I RStPO-E parallel lief.723 Mit diesem Vorgang im Hinterkopf liegt nun die Annahme nahe, dass die daraufhin erfolgte Streichung des § 318 I 2 RStPO-E nicht inhaltlicher, sondern bloß redaktioneller Natur gewesen sein könnte: Die Beseitigung einer überflüssigen textlichen Wiederholung eines bereits angeordneten Zustands. Dies ist auch, wie sich sogleich zeigen wird, der Fall. Für diese These geben die Materialien von Hahn selbst keine eindeutigen Anhaltspunkte. Als § 318 RStPO-E wenige Tage später auf der 153. Sitzung der Justizkommission vom 19. 06. 1876 in Zweiter Lesung behandelt wurde, blieb die Fassung unbeanstandet.724 Es lässt sich nicht erkennen, wann und warum § 318 I 2 RStPO-E wieder gestrichen wurde. Mit der eben entwickelten These im Blick verschiebt dies aber nun den Fokus auf eine Unterkommission der Justizkommission, die maßgeblich an den Formulierungen des Gesetzeswerkes während der Beratungen beteiligt war: Die Redaktionskommission. Und tatsächlich findet sich die Antwort hier. In der 5. Sitzung vom 26. 04. 1875 setzte die Justizkommission eine Redaktionskommission bestehend aus den Abgeordneten von Schwarze, Bähr und Becker ein.725 Sie war mit der Aufgabe betraut, die Gleichmäßigkeit der Sprachweise von den drei Entwürfen zu GVG, ZPO und StPO sicher zu stellen und dies auch für die jene abändernden Beschlüsse zu gewährleisten. Des Weiteren sollten durch sie etwaige Inkongruenzen im Inhalt der Beschlüsse aufgedeckt werden und der Redaktionskommission kamen dann noch organisatorische Funktionen zu.726 Aus eigener Vollkommenheit war die Redaktionskommission befugt, abändernde Beschlüsse des Wortlautes von angenommenen Änderungsbeschlüssen und an den Entwürfen vorzunehmen. Sofern die redaktionellen Beschlüsse, die den übrigen Kommissionsmitgliedern in gedruckter Form zur Verfügung gestellt wurden, von keiner Seite innerhalb von zwei Tagen beanstandet wurden, galten diese als genehmigt.727 In dem XXIX. Beschluss der Redaktionskommission vom 24. 06. 1876 sodann – und damit zehn Tage nach Erweiterung der Frist des § 226 RStPO-E auf der 150. Sitzung vom 14. 06. 1876 – wird § 318 RStPO-E in der Fassung der Regierungsvorlage, unter Wegfall der Wochenfrist über die Urteilsverkündung, wiederhergestellt.728 Diesbezüglich gab es bereits einen entsprechenden Redaktionsantrag der Abgeordneten Becker, Struckmann und von Schwarze, welcher vom 14. 06. 1876 datiert und damit dasselbe Datum trägt, wie es die 150. Sitzung der Justizkom723

Hahn, Materialien zur StPO, S. 1359. Hahn, Materialien zur StPO, S. 1396 ff., 1403. 725 Hahn, Materialien zur ZPO, S. 528; Hahn, Materialien zum GVG, S. 275, dort in der Anmerkung. 726 Hahn, Materialien zur ZPO, S. 528 f.; Hahn, Materialien zum GVG, S. 275, dort in der Anmerkung. 727 Hahn, Materialien zur ZPO, S. 552; Hahn, Materialien zum GVG, S. 275, dort in der Anmerkung. 728 BA R 1401/585, XXIX. Beschluss der Redaktionskommission vom 24. 06. 1876, S. 4. 724

A. Auslegung der Vorschrift des § 356 StPO

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mission ausweist – also derjenigen, in der die Urteilsverkündungsfrist des § 226 RStPO-E mit der Annahme des Änderungsantrages von Puttkamer von vier Tage auf eine Woche erweitert wurde.729 Ein Zusammenhang der beiden Ereignisse liegt damit auf der Hand. § 318 RStPO-E räumt dem Revisionsgericht als speziellere Norm dieselbe Urteilsverkündungsfrist ein, wie sie die auf sie verwiesene und aktivierte Norm des § 226 RStPO-E ebenfalls gewährt. Dadurch wird die Aussetzungsfrist des § 318 RStPO-E obsolet – sie stellt lediglich eine inhaltsgleiche, spezialgesetzliche Wiederholung ohne eigene weitere Bedeutung dar. Ihre Streichung ist daher völlig konsequent und bloß redaktioneller Natur. Die Sitzungen der Redaktionskommission wurden nicht protokolliert, sodass sich dieses Ergebnis nicht durch etwaige dort getätigte Aussagen zusätzlich absichern lässt.730 Dennoch kann dieses Ergebnis durch die weiteren Umstände im Kontext der Streichung der Wochenfrist in § 318 RStPO-E ohne Weiteres bestätigt werden. Der eingebrachte Änderungsantrag von den Abgeordneten Becker, Struckmann und von Schwarze lautet: „Die Regierungsvorlage wird wiederhergestellt.“ und der Antrag wird zusammen mit weiteren Anträgen unter der Überschrift „Redaktionsanträge“ eingebracht.731 Von den Befugnissen her war die Redaktionskommission schon für sich genommen nicht ermächtigt, inhaltliche Änderungen des Entwurfstextes vorzunehmen; ihr kamen eben nur redaktionelle Aufgaben zu und derartige, weitreichende Änderungen im Verborgenen könnten gar nicht dazu führen, dass diese Eingang in die Motivierungen des Gesetzgebungsentwurfes finden könnten. Derartige Inhaltsänderungen könnten nur legitim berücksichtigt werden, wenn sie Ergebnis kollektiver Willensbildung der Justizkommission gewesen wären und nicht bloß dreier Beteiligter.732 Zuletzt spricht auch die Formulierung des soeben genannten Antrags als auch die des Beschlusses: „§ 318. Abs, 1. wie Abs. 1. der Regierungsvorlage.“733 dafür, dass hier nur das ursprünglich konstruierte Gefüge wiederhergestellt werden sollte und damit die Geltung der allgemeinen Aussetzungsfrist nach § 226 RStPO-E. dd) Zwischenergebnis zur historisch-genetischen Auslegung Die Heranziehung der zugänglichen Gesetzesmaterialien lässt im Hinblick auf die genetische Betrachtung der Normen über die Urteilsverkündungsfrist Konklusionen zu, die für die weitere Auseinandersetzung grundlegend sind. Diese Schlüsse weisen darüber hinaus eine erstaunliche Klarheit auf und die glücklicherweise vorhandene 729 Hahn, Materialien zur StPO, S. 1337; BA R 1401/585, Redaktionsanträge Nr. III vom 14. 06. 1876. 730 Schubert/Regge, Entstehung und Quellen der StPO, S. 26. 731 BA R 1401/585, Redaktionsanträge Nr. III vom 14. 06. 1876, S. 1 f. 732 Siehe zum Merkmal der Repräsentativität und der Schlüsselstellung von Gesetzesmaterialien als Gütekriterium nochmals Wischmeyer, JZ 2015, 957, 964 f. 733 BA R 1401/585, XXIX. Beschluss der Redaktionskommission vom 24. 06. 1876, S. 4, Interpunktion wie in der Drucksache.

162

2. Kap.: Normativer Inhalt der Vorschriften

hohe Materialdichte lässt das Ergebnis fundiert erscheinen. Nennenswerte Lücken, die die Ergebnisse in Frage stellen könnten, lassen sich guten Gewissens ausschließen. Mit den hier gefundenen Resultaten wird sich bei der abschließenden Fassung des Auslegungsergebnisses nochmals zu befassen sein. Die in diesem Zwischenfazit folgenden Gesetzesbezeichnungen entstammen der aus dem Jahre 1877 erfolgten Erstverkündung der RStPO in RGBl. 1877, S. 253 ff. Festzuhalten ist, dass die RStPO in ihrer Architektur eine Hauptverhandlung zentral um die ihr mitgegebenen und daher in ihr innewohnenden Prinzipien von Öffentlichkeit, Mündlichkeit und Unmittelbarkeit gestaltet. Das Prinzip der Mündlichkeit verlangt eine verdichtete Hauptverhandlung, sodass aufgrund des beigebrachten flüchtigen Verfahrensstoffes das Konzentrationsprinzip als Ausprägung eines Grundsatzes prozessualer Beschleunigung logische Konsequenz ist. Nur so kann der frische Eindruck der Hauptverhandlung hinreichend bis zur Entscheidung konserviert werden. Hierbei konstruiert die RStPO gerade keinen Unterschied zwischen der Hauptverhandlung in der Tatsacheninstanz oder vor dem Revisionsgericht, sondern einen einheitlichen Hauptverhandlungstypus. Diese schon zu Anbeginn der StPO mitgegebene Konstruktion wirkt auch heute noch genauso fort, was die systematische Auslegung, trotz des Hinzutretens neuerer Systemprinzipien, aufzeigen konnte. Auch in der Revision ist die Entscheidungsfindung in der Hauptverhandlung der vorgesehene Regelfall, unabhängig davon, dass die praktische Realität heute eine andere ist. Und auch in dieser Revisionshauptverhandlung wird der Verfahrensstoff ausschließlich mündlich eingeführt mit der – aus dem Mündlichkeitsprinzip resultierenden notwendigen – Folge, dass eine Konzentration der Hauptverhandlung erforderlich wird. Aufgrund ihrer Wesensgleichheit bedarf es für die Ausgestaltung der Revisionshauptverhandlung nur weniger besonderer Vorschriften, die wegen des unterschiedlichen Prüfungsprogrammes erforderlich werden. Im Übrigen gelten die Vorschriften über die Hauptverhandlung vor der Eingangsinstanz ungemindert – als allgemeine Vorschriften – auch für die Revisionsinstanz entsprechend. Mit § 396 RStPO wurde von diesem Grundsatz abweichend eine spezielle Vorschrift geschaffen, die, ob der bereits aus der Systematik heraus geltenden Vorschrift des § 267 RStPO, diesen nochmals ausdrücklich zur Anwendung in der Revisionsinstanz beruft. Notwendig ist dies nicht, aber es lassen sich hieraus ggf. nochmals Schlussfolgerungen für die Auslegung ziehen, die gegenüber dem Fall einer Nichtnormierung einen Mehrwert darstellen, sodass § 396 RStPO keine Redundanz aufweist. Des Weiteren zeigt sich, dass die Urteilsverkündungsfrist des § 267 RStPO sich nach der Hauptverhandlungsarchitektur als eine besondere Unterbrechungsfrist im Verhältnis zu § 228 RStPO darstellt, die damit länger sein darf als die an sich bloß vorgesehene Hauptverhandlungsunterbrechung. Allerdings ist ein Wiedereintritt in die Hauptverhandlung nach Verstreichen der in § 228 RStPO genannten Frist ausgeschlossen, sodass dies einen Neubeginn der Hauptverhandlung erfordern würde.734 734

So RGSt 37, 365, 366.

A. Auslegung der Vorschrift des § 356 StPO

163

Die ganz entscheidende Konklusion aus der Betrachtung der Gesetzesgenese ist aber, dass es für die Beteiligten am Gesetzgebungsprozess zu keinem Zeitpunkt außer Frage stand, dass das Revisionsgericht bei seiner Urteilsverkündung nicht an die Urteilsverkündungsfrist des § 267 RStPO gebunden sein könnte. Die genetische Auslegung kommt somit bezüglich der Entstehungsphase zu einem so nicht erwarteten und eindeutigen Ergebnis: Die Urteilsverkündungsfrist ist nach dem Willen der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Institutionen und Personen zweifelsohne auch für das Revisionsgericht bindend. Bemerkenswert ist hierbei, dass dieses Ergebnis mit den Ergebnissen der zuvor vorgenommenen systematischen Auslegung aus der geltungszeitlichen Perspektive heraus auch heute völlig kongruent ist. Der historische Gesetzgeber hat seinen subjektiven Willen bei der Gestaltung der §§ 396, 267 RStPO und seine vorausgesetzte systematische Konzeption der Strafprozessordnung direkt in dem geschriebenen Gesetz abgebildet. Inwiefern dies für eine abweichende objektiv teleologische Interpretation überhaupt noch Raum lässt, ist zu einem etwas späteren Zeitpunkt zu behandeln. An dieser Stelle lässt sich jedoch schon eindeutig feststellen, dass sich die reichsgerichtliche Entscheidung von RGSt 27, 116, nachdem sie schon unter systematischen Gesichtspunkten nicht überzeugen konnte, methodisch jetzt schon fast gänzlich nicht mehr halten lässt. Die in Rede stehenden Vorschriften waren bei jener Entscheidung unverändert, und dass der historische Wille bei einem zur Entscheidung noch verhältnismäßig jungen Gesetz nicht mehr von Bedeutung sein könnte, kann nicht überzeugen.735 Es verdichtet sich auch hier zunehmend der Eindruck, dass das RG sich bewusst von den möglicherweise als unangenehm empfundenen Vorgaben der Urteilsverkündungsfrist nach §§ 396, 267 I 1 RStPO aus eigener Vollkommenheit befreien wollte oder den Normbefehl zumindest fahrlässig missachtete. b) Die weiteren Entwicklungen nach 1879 Die Intentionen des ursprünglichen Gesetzgebers konnten mit der bisherigen Untersuchung eindeutig geklärt werden. Für die Frage der Rechtsanwendung ist aber nicht bloß jener ursprüngliche Wille von Bedeutung, sondern auch die Frage, ob dieser Wille im Zeitpunkt der Rechtsanwendung so noch unvermindert Geltung haben kann. Seit der Verkündung der Norm 1877 und ihrem Inkrafttreten 1879 ist ein Zeitraum von über 140 Jahren vergangen. Neben der Änderung tatsächlicher Gegebenheiten, die eine Anwendung der Norm nach dem ursprünglichen Willen nicht mehr zulassen, kann aber auch eine Willensänderung des Gesetzgebers zu einem solchen Ergebnis geführt haben, zumal die RStPO bis zur heutigen StPO das Deutsche Kaiserreich, die Weimarer Republik, das Dritte Reich, die Besatzungszeit und schließlich bis in die Gegenwart der Bundesrepublik überdauert hat und zwischen Erstverkündung 1877 und heutiger Rechtsanwendung eine enorme Zeitspanne

735

Vgl. Möllers, Juristische Methodenlehre, § 13 Rn. 37.

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2. Kap.: Normativer Inhalt der Vorschriften

vergangen ist.736 Ob sich eine originäre Willensänderung aus den weiteren Gesetzgebungsmaterialien valide feststellen lässt, kann nur bei einer Betrachtung der in diesem Zusammenhang erfolgten Gesetzesänderungen geklärt werden, welche vornehmlich die Urteilsverkündungsfrist betreffen. Vorneweg darf schon hier erwähnt werden, dass die Änderungen des § 356 StPO keine vorrangige Bedeutung spielen werden. Dieser Vorschrift wurden seit 1879 nur zwei Änderungen zuteil. Das betrifft einmal die redaktionelle Anpassung zum 01. 04. 1924, bei der § 396 RStPO in § 356 RStPO neunummeriert und damit einhergehend die auf sie verwiesene Vorschrift des § 267 RStPO in § 268 RStPO geändert wurde sowie zugleich die Rechtschreibung an die bis heutige gültige Schreibweise angepasst wurde, mit der Folge, dass in dem Wort „Urtheils“ das „h“ entfiel.737 Die zweite Änderung betrifft die Einführung von amtlichen Überschriften.738 Eine inhaltliche Änderung des § 356 StPO bzw. § 396 RStPO, die auf eine unmittelbare Willensänderung des Gesetzgebers hinsichtlich dieser Norm schließen lässt, ist damit aber nicht einhergegangen. Eine solche könnte sich vielmehr nur noch aus den mit § 356 StPO in Verbindung stehenden Normen ergeben; vornehmlich den § 268 StPO, der schließlich die in Rede stehende Urteilsverkündungsfrist, eben auch für § 356 StPO, enthält. Aber auch ein Blick auf die im Grunde nach verwandte Vorschrift des § 229 StPO über die Unterbrechungsfrist ist möglicherweise erhellend.739 Damit die Ermittlung des Gesetzgeberwillens, entsprechend der Gütekriterien für eine valide Heranziehung außergesetzlicher Materialien, vernünftig erfolgen kann, sollen auch wieder diejenigen herangezogen werden, bei denen man eine Äußerung der beteiligten Organe in einer verbindlichen Weise erwarten darf.740 Dabei handelt es sich namentlich um diejenigen Materialien, die im Rahmen der Fristenänderungen angefallen sind und diese sollen dazu auch gesichtet werden. Denn im Gegensatz zu dem vorhergehenden Untersuchungsteil geht es nicht darum den Willen zum Zeitpunkt der Entstehung zu erfassen, sondern den dynamischen Prozess der Gesetzesevolution nach der Erstverkündung. Zum besseren Überblick wird die folgende Synopse zur Hand gegeben, aus der sich die Veränderung der Urteilsverkündungsfrist im Verhältnis zur Unterbrechungsfrist ergibt:

736

Vgl. Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 730, 730d. Siehe dazu die Neubekanntmachung der RStPO, RGBl 1924 I, S. 299, aufgrund § 43 der Verordnung über Gerichtsverfassung und Strafrechtspflege vom 07. 01. 1924, RGBl. 1924 I, S. 15. 738 Art. 1 Nr. 13 i. V. m. Anlage 1 des Gesetzes zur Stärkung des Rechts des Angeklagten auf Vertretung in der Berufungshauptverhandlung und über die Anerkennung von Abwesenheitsentscheidungen in der Rechtshilfe vom 17. 07. 2015, BGBl 2015 I, S. 1332. 739 Siehe im Detail zur Veränderung der zulässigen Unterbrechungsdauer seit Entstehen der StPO nach § 229 StPO auch Mandla, Die Unterbrechung der strafrechtlichen Hauptverhandlung, S. 125 ff. 740 Vgl. Möllers, Juristische Methodenlehre, § 4 Rn. 161 ff.; Wischmeyer, JZ 2015, 957, 964 f. 737

A. Auslegung der Vorschrift des § 356 StPO Gültig ab: (Fassung gemäß:) 01. 10. 1879

Unterbrechungsfrist nach § 229 StPO* „spätestens am vierten Tage“

165

Verhältnis: Verkündungsfrist nach § 268 StPO*, **


„spätestens mit Ablauf einer Woche“

01. 10. 1950

„spätestens am elften Tage“

>

„spätestens am vierten Tage“

„bis zu zehn Tage“ (Abs. 1)

+

„spätestens am elften Tage“

+

„spätestens am elften Tage“

>

„spätestens am elften Tage“

(RStPO, RGBl. 1877, S. 253) 31. 08. 1942

(Art. 3 Nr. 103, 121 VereinheitlichungsG, BGBl. 1950 I, S. 455) 01. 01. 1975

(Art. 1 Nr. 74, 77 1. StVRG, „einmal bis zu dreißig Tage“ BGBl. 1974 I, S. 3393) (Abs. 2 S. 1) „ein zweites Mal nach Satz 1 unterbrochen werden“ (Abs. 2 S. 2) 01. 04. 1987

„bis zu zehn Tage“ (Abs. 1)

(Art. 1 Nr. 13 StVÄG 1987, „einmal bis zu dreißig Tage“ BGBl. 1987 I, S. 475) (Abs. 2 S. 1) „ein zweites Mal nach Satz 1 unterbrochen werden“ (Abs. 2 S. 2) „jeweils einmal innerhalb eines Zeitraums von zwölf Monaten bis zu dreißig Tagen“ (Abs. 2 S. 3) 01. 09. 2004 (Art. 3 Nr. 9 1. JuMoG, BGBl. 2004 I, S. 2198)

„bis zu drei Wochen“ (Abs. 1) „bis zu einem Monat“ (Abs. 2)

* In der Erstverkündung von 1877 entspricht § 229 StPO dem § 228 RStPO und § 268 StPO dem § 267 RStPO. ** Mit Art. 1 Nr. 34a des Regierungsentwurfs für das Gesetz zur Fortentwicklung der StPO und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 20. 01. 2021 wird nunmehr eine Ausweitung der Urteilsverkündungsfrist auf zwei Wochen beabsichtigt; da diese Änderung zum Zeitpunkt der Drucklegung noch nicht Gesetz war, wurde sie bei der Synopse nicht berücksichtigt; siehe dazu auch unten Zweites Kapitel: A. II. 3. b) aa) (3).

166

2. Kap.: Normativer Inhalt der Vorschriften

aa) Die Veränderung der Frist des § 268 III 2 StPO Mit dem Vorhergesagten lassen sich hinsichtlich § 268 III 2 StPO zwei Zeitpunkte nach 1879 identifizieren, die für die Untersuchung relevant werden, da hier Änderungen der Urteilsverkündungsfrist stattgefunden haben. Dabei handelt es sich einerseits um die Änderungen durch das Vereinheitlichungsgesetz,741 bei der die Wochenfrist des § 268 StPO auf eine Verkündung bis zum vierten Tage nach Verhandlungsschluss verkürzt wurde, sowie andererseits die Änderung durch das Erste Gesetz zur Reform des Strafverfahrensrechts (1. StVRG),742 bei der die Frist dann bis auf den elften Tag nach Schluss des Verhandelns verlängert wurde. Die übrigen Veränderungen betreffen dann nur noch die Fristenhemmung durch teilweise Anwendungsberufung der Hemmungsvorschriften des § 229 StPO, wie sie sich im heutigen § 268 III 3 StPO finden. (1) Von „spätestens mit Ablauf einer Woche“ zu „spätestens am vierten Tage“ – Die Änderung durch das Vereinheitlichungsgesetz (1950) Das Vereinheitlichungsgesetz ist, ausweislich der Gesetzesbegründung, von Rückformung und Dringlichkeit geprägt. Nachdem die Regierungsgewalt mit der Errichtung der Bundesrepublik Deutschland ihre Arbeit aufgenommen hat, war es das vordringliche Ziel eine grundgesetzkonforme Arbeitsfähigkeit der Rechtspflege in allen Bereichen auf rechtsstaatlicher, einheitlicher Ordnung durch alle westdeutschen Besatzungszonen hinweg wiederherzustellen, indem der Rechtszustand im Wesentlichen vor 1933 wiederhergestellt wurde.743 Die Änderungen, die die Ideologie des Dritten Reiches in das geschriebene Recht infiltriert hat, sollten wieder herausgeschnitten werden und die eingetretene Rechtszersplitterung durch die verschiedenartige Regelungstätigkeit von Besatzungsmächten sowie im Anschluss durch die wiedererrichteten Länder war zu beheben.744 Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass der Regierungsentwurf für § 268 StPO in Abs. 2 (für den neuen Abs. 1 wurde mit Blick auf die Legitimation der Rechtsprechung von der Volksgewalt eine Regelung zur Verkündungsformel „Im Namen des Volkes“ vorgesehen) eine Formulierung in Art. 3 Nr. 111 vorschlug, die, wie auch schon vor 1933 und damit wie seit Anbeginn der RStPO, eine Wochenfrist für die Urteilsverkündung einräumte.745 Diese Wiederherstellung war Folge dessen, dass in der britischen 741 Art. 3 Nr. 121 des Gesetzes zur Wiederherstellung der Rechtseinheit auf dem Gebiete der Gerichtsverfassung, der bürgerlichen Rechtspflege, des Strafverfahrens und des Kostenrechts vom 12. 09. 1950, BGBl. 1950 I, S. 455. 742 Art. 1 Nr. 77 des Ersten Gesetzes zur Reform des Strafverfahrensrechts (1. StVRG) vom 09. 12. 1974, BGBl. 1974 I, S. 3393. 743 BT-Drucks. 1/530, Anlage Ia, S. 3; Rieß, in: FS Helmrich, 127, 130; Rieß, StraFo 2010, 401 f. Siehe dazu auch Eduard Kern, Geschichte des Gerichtsverfassungsrechts, S. 298 ff.; eine spezifische Darstellung der Vereinheitlichung des Strafverfahrensrechts findet sich bei Eduard Kern, MDR 1950, 582. 744 Rieß, in: FS Helmrich, 127, 128 f. 745 BT-Drucks. 1/530, Anlage I, S. 50.

A. Auslegung der Vorschrift des § 356 StPO

167

Besatzungszone die eingeräumte Urteilsverkündungsfrist auf vier Tage verkürzt wurde.746 Die Begründungen im Entwurf sind lediglich dünn, sodass sich hier kaum Schlüsse auf Willensänderungen finden lassen. Sie sind hier, wie schon erwähnt, primär vorrangig von Rechtsvereinheitlichung gekennzeichnet und der Rezeption einer Strafprozessordnung im Geltungszeitalter der Bundesrepublik in einem Zustand vor 1933; das betrifft folglich auch eine Rezeption ihrer Systematik und ihrer ursprünglichen Gesetzgebungsintention, wodurch zwischen den beiden Regelungszeitpunkten Kontinuität entsteht.747 Eine Änderung erfuhr der Entwurf in den Beratungen des Rechtsausschusses des Bundestags, indem die Wochenfrist hier auf vier Tage verkürzt wird womit die Rechtslage wieder der in der britischen Besatzungszone entspricht;748 bemerkenswerter Weise entspricht dieser gewählte Zeitraum aber auch der ursprünglichen Idee des RStPO-Motivgebers, die Verkündungsfrist mit der Unterbrechungsfrist von drei Tagen gleichlaufen zu lassen. Allerdings sieht der Regierungsentwurf zum Vereinheitlichungsgesetz in Art. 3 Nr. 93 für § 229 StPO im Wesentlichen die Fassung von 1942 vor,749 wonach eine unterbrochene Hauptverhandlung grundsätzlich nicht zu wiederholen ist, außer, das Gericht hält die Wiederholung aus besonderen Gründen für notwendig, bzw. eine maximal zulässige Unterbrechungslänge wird überschritten. Der Gesetzentwurf senkt diese maximale Unterbrechung von dreißig auf zehn Tage.750 Im Laufe der Beratungen im Rechtsausschuss wird § 229 StPO dann in eine Fassung überführt, die eine Fortführung der Hauptverhandlung spätestens am elften Tage verlangt,751 welche dann auch Gesetz wird.752 Ein Gleichlauf von Urteilsverkündungsfrist und Unterbrechungsfrist, wie im Entwurf von 1873 zur RStPO vorgesehen, wird damit durch das Vereinheitlichungsgesetz nicht erreicht. Änderungen an der Unterbrechungsfrist sollen erst wieder zusammen mit der Änderung der Verkündungsfrist durch das 1. StVRG vorgenommen werden.

746

Vgl. BT-Drucks. 1/530, Anlage Ia, S. 48. Vgl. Rieß, StraFo 2010, 401, 402. 748 Siehe BT-Drucks. 1/1138, S. 59 f. 749 Art. 9 § 5 der Verordnung zur weiteren Vereinfachung der Strafrechtspflege vom 13. 08. 1942, RGBl. 1942 I, S. 508: „Eine unterbrochene Hauptverhandlung wird nach der Unterbrechung nur dann noch einmal von neuem begonnen, wenn es das Gericht aus besonderen Gründen für nötig hält oder wenn die Hauptverhandlung insgesamt mehr als dreißig Tage unterbrochen war; dabei bleiben Unterbrechungen von weniger als drei Tagen unberücksichtigt.“ 750 BT-Drucks. 1/530, Anlage I, S. 47. 751 BT-Drucks. 1/1138, S. 56. 752 Art. 3 Nr. 103 des Gesetzes zur Wiederherstellung der Rechtseinheit auf dem Gebiete der Gerichtsverfassung, der bürgerlichen Rechtspflege, des Strafverfahrens und des Kostenrechts vom 12. 09. 1950, BGBl. 1950 I, S. 455. 747

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2. Kap.: Normativer Inhalt der Vorschriften

Einblick in die Motivationen für die Verkürzung der Urteilsverkündungsfrist abweichend vom Regierungsvorschlag von einer Woche auf vier Tage gibt der Abgeordnete Otto Heinrich Greve als Berichterstatter des Rechtsausschusses für das Strafverfahren in der zweiten Lesung zu dem Gesetzentwurf am 26. 07. 1950. Dort heißt es, dass sich der Ausschuss nach reiflicher Überlegung darüber schlüssig geworden sei, dass es auch in schwierigen Verfahren im Interesse aller Beteiligten, „insbesondere aber des Angeklagten,“ möglich sein müsse, das Urteil am vierten Tage nach Schluss der Verhandlung zu verkünden.753 Der Ausschuss war sich also der verbundenen Widrigkeit bewusst, dass in langen Verhandlungen eine Urteilsverkündung innerhalb von vier Tagen schwierig sein könnte, hat aber diese kurze Frist im Hinblick auf die Interessen der Beteiligten, und zwar vor allem auf das Interesse des Angeklagten, trotzdem gewählt. Das ist ein klarer Hinweis auf eine Betonung des allgemeinen Beschleunigungsgebots in seiner Ausprägung als subjektives Recht des Angeklagten, dem Verzögerungsverbot. So wurde diese Änderung schließlich in den Beratungen angenommen und auch Gesetz. Der ebenfalls durch das Vereinheitlichungsgesetz errichtete Bundesgerichtshof wird aber diese als streng verstandene Vorschrift schon bald in seiner Gesetzesauslegung zu einer Ordnungsvorschrift degradieren.754 Aus den zugänglichen Materialien lässt sich hier leider kein ausdrücklicher Bezug zu § 356 StPO herstellen, da die Beratungen vor allem § 268 StPO im Blick halten. Allerdings werden die Ausführungen, die in Bezug auf § 268 StPO für die Beschleunigung des Strafverfahrens gelten („im Interesse aller Beteiligten“), auch in der Revisionsinstanz zu gelten haben. Insofern lässt sich aus dieser Rechtsänderung nicht schließen, dass der Gesetzgeber eine Nichtgeltung der Urteilsverkündungsfrist im Revisionsverfahren konstituieren will, zumal das Vereinheitlichungsgesetz vielmehr den Rechtszustand von vor 1933 rezipiert, welche im Wesentlichen auf die ursprüngliche Gesetzesfassung von 1877 basiert, jedenfalls für die hier zugrunde gelegten Vorschriften. Damit lässt sich vielmehr auch die Aussage treffen, dass der Bundesgesetzgeber auch das vorher gültige System rezipiert. Und danach gilt die Urteilsverkündungsfrist nach dem geschriebenen Recht. (2) Von „spätestens am vierten Tage“ zu „spätestens am elften Tage“ – Die Änderung durch das 1. StVRG (1974) Ein ähnliches Bild, wie auch bei den Begründungen zu der Reform der Urteilsverkündungsfrist durch das Vereinheitlichungsgesetz, zeigt sich bei dem 1. StVRG; ausdrückliche Bezüge zu § 356 StPO sind hier weder in der Begründung zum Gesetzesentwurf755, noch in dem Bericht756 des Rechtsausschusses des Bundestags oder 753 754 755 756

BT-Prot. 1/79, S. 2884 f. Siehe BGHSt 9, 302. BT-Drucks. 7/551. BT-Drucks. 7/2600.

A. Auslegung der Vorschrift des § 356 StPO

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in den Plenarprotokollen757 während der Beratungen gegeben, sodass sich nicht auf die Aufnahme eines geänderten gesetzgeberischen Willens schließen lässt. Bemerkenswert ist aber die Begründung, weswegen eine Fristverlängerung bei § 268 StPO als erforderlich erachtet wird. Dort wird festgestellt, dass „[n]ach dem geltenden § 268 Abs. 2 Satz 1 […] das Urteil spätestens am vierten Tage nach dem Schluß der Verhandlung verkündet [wird]. Rechtsprechung und Literatur lassen die Verkündung jedoch auch später zu, soweit die Zehntagefrist des geltenden § 229 nicht überschritten wird; innerhalb dieser zeitlichen Begrenzung wird § 268 Abs. 2 Satz 1 lediglich als Ordnungsvorschrift behandelt […].“758 Zur Erinnerung: Die Diskussion im Gesetzgebungsprozess beim Vereinheitlichungsgesetz deutet darauf hin, dass diese Frist mit einer maximalen Unterbrechung von drei Tagen, trotz der damit verbundenen Schwierigkeiten, streng zu verstehen war. Dass sich die Rechtsprechung über diese Intention hinwegsetzt, ist für sich genommen schon ein starkes Stück; dass sie den Gesetzgeber in der Entscheidung dann auch noch in gewisser Weise zurechtweist und dessen Intention einfach ohne nähere Begründung abtut, ein noch viel Stärkeres.759 Erstaunlich ist auch, dass der Regierungsentwurf diesen Umstand als gegeben hinnimmt und den BGH gewähren lässt, anstatt ihm Einhalt zu gebieten. Hier werden die Rollen von Gesetzgebung und Rechtsprechung vertauscht! In gewisser Weise schafft der Gesetzesentwurf aber hier nunmehr Abhilfe, indem er die Urteilsverkündungsfrist mit der regelmäßigen Unterbrechungsfrist des § 229 StPO von damals maximal zehn Tagen, gleichsetzt; hier der Norm aber nun, gerade auch im Hinblick auf die vom Entwurf ebenfalls vorgesehene außerordentliche Unterbrechungsfrist von bis zu 30 Tagen bei mindestens erfolgten zehn Verhandlungstagen, für die Elftagefrist zur Urteilsverkündung einen zwingenden Charakter gibt und sie folglich als „Muss“-Vorschrift ausgestaltet – und zwar auch für Großverfahren.760 Zugleich wird auch die ausdrückliche Anordnung hinzugefügt, wie sie bei § 229 StPO schon eigentlich seit Anbeginn bestand, dass bei Nichteinhaltung der Frist mit der Verhandlung von Neuem zu beginnen ist. In diesem Zusammenhang rekurriert der Entwurf auch schon auf die mittlerweile gefestigte Rechtsprechung des BGH, der die schriftliche Festlegung von Beratungszwischenständen in Großverfahren zulässt, sodass eine entsprechende Planbarkeit zur Einhaltung der Urteilsverkündungsfrist möglich sein soll.761 Vom historischen Gesetzgeber war das aber gerade, als ein mit dem Mündlichkeitsprinzip im

757

BT-Prot. 7/34, 7/226. BT-Drucks. 7/551, S. 83. 759 BGHSt 9, 302, 303: „§ 268 Abs. 2 ist jedoch insoweit trotz seiner Fassung nur eine Ordnungsvorschrift. Es kann nicht der Sinn des Gesetzes sein, ein Verfahren anzuordnen, das bei umfangreichen Strafsachen versagt.“ 760 BT-Drucks. 7/551, S. 83. 761 BT-Drucks. 7/551, S. 83, mit Verweis auf BGHSt 17, 337, 339 f. 758

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2. Kap.: Normativer Inhalt der Vorschriften

Widerspruch stehendes Vorgehen, nicht vorgesehen.762 Nach der Gesetzesbegründung zum Entwurf wird § 268 StPO eine Vorschrift, die „die Frist für die Verkündung des Urteils abschließend und selbstständig“ regelt.763 Wie weit diese proklamierte Selbstständigkeit der Urteilsverkündungsfrist geht, wird sich später im Vergleich zu der Unterbrechungsfrist zeigen. Aus den übrigen Materialien ergeben sich keine weiteren Motivationen für die Gesetzesänderungen. (3) Von „spätestens am elften Tage“ zu „spätestens zwei Wochen“? – Die zu erwartende Änderung durch das Gesetz zur Fortentwicklung der StPO und zur Änderung weiterer Vorschriften (2021) Mit dem Regierungsentwurf764 für ein Gesetz zur Fortentwicklung der StPO und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 20. 01. 2021 kommt seit 1974 erstmals nach 47 Jahren wieder Bewegung in die Diskussion um die Länge der Urteilsverkündungsfrist gemäß § 268 III 2 StPO. Ob es wie vorgesehen Gesetz wird, bleibt abzuwarten. Wie schon die Änderungen zuvor, so ist die Tendenz der Entwicklung von Ausweitung geprägt.765 Nach Art. 1 Nr. 34a des Entwurfs ist eine Hochsetzung der Elftagefrist auf eine Zweiwochenfrist geplant.766 Der Referentenentwurf767 zu dieser Gesetzesnovelle aus dem Oktober 2020 sah eine Änderung des § 268 StPO noch nicht vor. Auch bei dieser geplanten Änderung weisen die Begründungen keinen direkten Bezug zu § 356 StPO auf – dennoch lassen sich die Erwägungen wenigstens teilweise im Grunde auf die Urteilsverkündung in der Revisionsinstanz übertragen. Für die Notwendigkeit einer Verlängerung der Urteilsverkündungsfrist führt der Regierungsentwurf aus, dass die Verkündung des Urteils in einem gesonderten Termin erleichtert werden solle, um so dem Wochenturnus der gerichtlichen Sitzungsterminierung gerecht zu werden.768 Zugleich aber macht der Entwurf deutlich, dass in einem Verkündungstermin kein regulärer Fortsetzungstermin der Hauptverhandlung gesehen werde, weswegen eine weitere Angleichung an die jetzt nur noch vergleichsweise geringfügig längere Frist der Regelunterbrechung des § 229 I StPO nicht zulässig sei.769 Die Verkündung des Urteils am Schluss der Verhandlung soll aber der Regelfall und die Anberaumung eines Verkündungstermin die Ausnahme 762

Vgl. Hahn, Materialien zur StPO, S. 183 f. BT-Drucks. 7/551, S. 83. 764 Abrufbar auf der Seite des BMJV unter: https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzge bungsverfahren/Dokumente/RegE_StPO_Fortentwicklung.pdf?__blob=publicationFile&v=2, zuletzt abgerufen am 19. 03. 2021, im Weiteren als RegE bezeichnet. 765 Siehe dazu auch sogleich die Ausführungen zur Änderung des § 229 StPO. 766 RegE, S. 18. 767 Ebenfalls abrufbar auf der Homepage des BMJV unter: https://www.bmjv.de/Shared Docs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_StPO_Fortentwicklung.pdf?__blob=publica tionFile&v=2, zuletzt abgerufen am 19. 03. 2021. 768 RegE, S. 48, 111. 769 RegE, S. 111. 763

A. Auslegung der Vorschrift des § 356 StPO

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bleiben.770 Die Urteilsverkündungsfrist solle sicherstellen – gerade das gilt uneingeschränkt auch für die Revisionshauptverhandlung –, dass die Schlussplädoyers und das Letzte Wort des Angeklagten möglichst unmittelbar auf den Spruchkörper im Anschluss an die Verhandlung einwirken, der Angeklagte nicht unnötig lange auf das Urteil warten müsse und zugleich auch sachfremde Beeinflussungen insbesondere der Laienrichter verhindert würden.771 „Aus diesen Gründen war die Urteilsverkündungsfrist seit jeher kürzer als die regelmäßigen Unterbrechungsfristen.“772 Ob die angeführten Begründungen für sich genommen geeignet sind, eine Verlängerung der Frist zu tragen, mag freilich Ansichtssache sein. Auf den ersten Blick sprechen sie eigentlich vielmehr für die Notwendigkeit einer weiteren Verkürzung der Urteilsverkündungsfrist im Vergleich zur regelmäßigen Unterbrechungsfrist, wollte man die Beweggründe ernst nehmen – diesen Schluss zieht der Entwurf aber nicht. Jedenfalls der abschließende Satz der Entwurfsbegründung ist schlichtweg falsch. Die Urteilsverkündungsfrist war zu Beginn der StPO länger als die regelmäßige Unterbrechungsfrist, dann zeitweise kürzer, später wiederum längere Zeit gleichlaufend und schließlich erst seit 1974 – und damit nicht „seit jeher“ – dauerhaft kürzer als die regelmäßige Unterbrechungsfrist.773 Der unsaubere Begründungsentwurf lässt den Eindruck entstehen, dass hier tatsächlich andere Interessen als die angeführten für die Änderung der Urteilsverkündungsfrist leitend waren. Es beschleicht einen das Gefühl – und das soll hier auch kritisch verstanden werden – von „Ergebnisrechtssetzung“. Das beabsichtigte Ergebnis einer größeren Praktikabilität der Vorschrift wird mit einer nachgeschobenen Begründung nachträglich unterlegt; diese war für das bestimmte Ergebnis aber nicht entscheidend. Für die Ermittlung des historischen Gesetzgeberwillens sind derart künstliche und wenig authentische Gesetzesbegründungen jedenfalls abträglich. Die zu erwartende Änderung der Urteilsverkündungsfrist wird aber, durch ihre letztlich nur moderate Ausweitung im Vergleich zum derzeitigen Rechtsstand, das bestehende Gefüge innerhalb der StPO nicht verändern. Allerdings schreibt die Begründung des Entwurfs die bereits im Entwurf zum 1. StVRG genannte Selbstständigkeit der Verkündungsfrist zur Unterbrechungsfrist weiter fest.774 Im selben Atemzug soll mit dem Gesetz übrigens, neben der Ausweitung der Urteilsverkündungsfrist, § 268 IV StPO, der die vorherige Fixierung der Urteilsgründe im Falle der Aussetzung als Sollvorschrift festschreibt, aufgehoben werden.775 In Anbetracht der stiefmütterlichen Behandlung dieser als eher störend empfundenen Vorschrift, die bereits von einer Muss-Vorschrift in den Anfängen der RStPO durch das Vereinheitlichungsgesetz 1950 mit der Einfügung des Wortes 770 771 772 773 774 775

RegE, S. 111. RegE, S. 111 f. RegE, S. 112. Siehe dazu erneut oben die Synopse auf S. 165. Siehe erneut BT-Drucks. 7/551, S. 83. Art. 1 Nr. 34b, RegE, S. 18.

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2. Kap.: Normativer Inhalt der Vorschriften

„tunlichst“ zu einer Soll-Vorschrift herabgestuft wurde,776 ist die Aufhebung dieser Norm als nächster Schritt zumindest konsequent.777 bb) Blick auf die Veränderung der Frist des § 229 StPO Die Veränderung des § 229 StPO ist, hinsichtlich seiner enthaltenen zulässigen Unterbrechungshöchstfristen, um ein Vielfaches bewegter als die Fristveränderungen von § 268 StPO. Von einem einzigen Satz zur Zeit der StPO-Verkündung, wuchs sie zu einer heute fünf Absätze umfassenden Vorschrift an. Die Tendenz, die bei der Fristenveränderung hervortritt, ist eindeutig auf Verlängerung angesetzt.778 Diese Tendenz wird lediglich einmalig in der Historie unterbrochen und zwar durch die Rückformung durch das Vereinheitlichungsgesetz 1950.779 Von da an wurde die zehntägige Unterbrechungsfrist in drei Gesetzesnovellen ausgeweitet. Zunächst durch die Einräumung außerordentlicher Fristen bei überlangen Verfahren durch das 1. StVRG780, die durch das Strafverfahrensänderungsgesetz 1987 (StVÄG 1987)781 nochmals erweitert wurden, ehe dann die regelmäßige Höchstunterbrechungsfrist durch das 1. Justizmodernisierungsgesetz (1. JuMoG)782 auf drei Wochen in Abs. 1 verlängert wurde, wobei eine Unterbrechung von bis zu einem Monat gemäß Abs. 2 bei langen Verfahren (vorheriges Stattfinden von zehn Verhandlungstagen vorausgesetzt) als außerordentliche Unterbrechungsfrist zulässig blieb. Parallel zur stetigen Ausweitung der Unterbrechungsfristen wurden seit 1974 § 43 StPO entsprechende Vorschriften zur Fristverlängerung eingeführt sowie Regelungen zur Fristenhemmung, welche den maximalen Zeitraum, der zwischen zwei Verhandlungstagen liegen darf, erheblich erweitern.783 Hauptmotivation dieser Veränderungen war auf Seiten der Entwurfgeber stets Beschleunigung, Entlastung der Justiz und Kostenreduzierung vor allem durch Vermeidung von Hauptverhandlungswiederholun-

776

Art. 3 Nr. 121 des Gesetzes zur Wiederherstellung der Rechtseinheit auf dem Gebiete der Gerichtsverfassung, der bürgerlichen Rechtspflege, des Strafverfahrens und des Kostenrechts vom 12. 09. 1950, BGBl. 1950 I, S. 455. Die Änderung erfolgte im Rechtsausschuss, siehe BT-Drucks. 1/1138, S. 59 f. Der Regierungsentwurf sah hier noch eine Muss-Vorschrift vor, siehe BT-Drucks. 1/530, Anlage I, S. 50 und Anlage 3, S. 28. 777 Siehe dazu die Begründung RegE, S. 112. 778 Dasselbe gilt uneingeschränkt auch für die Urteilsabsetzungsfrist nach § 275 I StPO. 779 Siehe dazu bereits oben Zweites Kapitel: A. II. 3. b) aa). 780 Art. 1 Nr. 74 des Ersten Gesetzes zur Reform des Strafverfahrens vom 09. 12. 1974, BGBl. 1974 I, S. 3393. 781 Art. 1 Nr. 13 Strafverfahrensänderungsgesetz 1987 (StVÄG 1987) vom 27. 01. 1987, BGBl. 1987 I, S. 475. 782 Art. 3 Nr. 9 des Ersten Gesetzes zur Modernisierung der Justiz (1. JuMoG) vom 24. 08. 2004, BGBl. 2004 I, S. 2198. 783 Zuletzt durch Art. 1 Nr. 13 des Gesetzes zur Modernisierung des Strafverfahrens vom 10. 12. 2019, BGBl. 2019 I, S. 2121, durch die Neufassung des § 229 III StPO.

A. Auslegung der Vorschrift des § 356 StPO

173

gen.784 Diese Tendenzen werden auch nach den Beratungen im Rechtsausschuss unverändert beibehalten,785 und es finden sich auch in den Plenardebatten zu den Beratungen der Gesetze diesbezüglich keinerlei Abweichungen786. Unter dieser Prämisse bleibt es bei dem bisherigen Ergebnis, dass keine originäre Willensabweichung hinsichtlich der Geltung der Elftagefrist im Revisionsverfahren erkennbar wird. cc) Schlüsse aus dem Vergleich der Unterbrechungs- und Verkündungsfrist Die weitere Untersuchung hinsichtlich der Fristenänderung war bezüglich einer Willensänderung des Gesetzgebers in Bezug auf die Geltung der Frist nach §§ 356, 268 III 2 StPO nicht sonderlich ergiebig. Weder ließ sich feststellen, dass der Gesetzgebungswille im bundesrepublikanischen Zeitalter die Urteilsverkündungsfrist nach § 268 III 2 StPO auch willentlich im Rahmen des § 356 StPO, also in der Revisionshauptverhandlung, gelten lassen wollte; noch ließ sich feststellen, dass die Friständerungen des § 268 III 2 StPO auch mit Blick auf die Revisionshauptverhandlung erfolgten. In Anbetracht der gefestigten Rechtsprechung des RG, die vom BGH fortgeführt wird, ist eher davon auszugehen, dass das Verhältnis der Urteilsverkündungsfrist im Hinblick auf die Revisionshauptverhandlung nicht beachtet wurde; also dass der bundesrepublikanische Gesetzgeber die der RG-Rechtsprechung folgenden Praxis des BGH, die Elftagefrist in der Revisionshauptverhandlung nicht anzuwenden, zumindest als Faktum gebilligt hätte. Es stellt sich aber die Frage, inwiefern diese Billigung der gefestigten Rechtsprechung eine Aufnahme in den gesetzgeberischen Willen darstellen könnte. Und diese Frage lässt sich einfach beantworten, wobei hier das bereits erwähnte Formargument der objektiven Auslegungstheorie herangezogen werden kann.787 Der Wille des Gesetzgebers kann redlich nur dann in der weiteren Entwicklung berücksichtigt werden, wenn er an einer Stelle zu Tage tritt, wo man ein solches 784

BT-Drucks. 7/551, S. 36 f., 80 f. (zu 1. StVRG); 10/1313, S. 10 ff. 24 ff. (zu StVÄG 1987); 15/1508, S. 13, 25; und die bezüglich § 229 StPO gleichlautenden Entwürfe (beide mit dem bemerkenswerten Titel „Justizbeschleunigungsgesetz“, siehe zu der Geschichte dieser Gesetzesnovelle auch Scheffler, ZIS 2007, 386 ff.) des Bundesrats (Art. 2 Nr. 20) 15/1491, S. 22, 38 und Abgeordneter der CDU/CSU-Fraktion (Art. 2, Nr. 20), 15/999, S. 13 ff., 24 f. (zu 1. JuMoG). Zur Kritik an dieser letztlich phrasenhaften Behauptung dieser Motivation Thomas Fischer, JoJZG 2019, S. 66 ff. 785 Vgl. BT-Drucks. 7/2600 (zu 1. StVRG); 10/6592 (zu StVÄG 1987); 15/3482 (zu 1. JuMoG). 786 Vgl. BT-Prot. 7/43, 1875 ff., 7/126, 8483 ff. (zu 1. StVRG); 10/77 S. 5718; 10/253, S. 19754 ff. (zu StVÄG 1987); 15/54, S. 4497 ff.; 15/63, S. 5420 ff.; 15/115, S. 10501; 15/118 S. 10760 ff. (zu 1. JuMoG). 787 Vgl. oben Zweites Kapitel: A. I. 2. a) aa) (4) (b). Im Übrigen wird das Gesetz in dem ursprünglichen Sinne Geltung erlangen, weil es bis jetzt unverändert ist und noch immer in Kraft ist, vgl. Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 730d; vgl. auch Möllers, Juristische Methodenlehre, § 4 Rn. 170.

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2. Kap.: Normativer Inhalt der Vorschriften

Hervortreten erwarten darf; das verlangen schon die hier mehrfach erwähnten Gütekriterien, um den Willen des Gesetzgebers valide zu erforschen. Dies wurde hier im Rahmen der Gesetzesänderungen umgesetzt, indem sie sowohl die spezifische Fristenänderung hinsichtlich der Urteilsverkündungsfrist des § 268 StPO als auch der Unterbrechungsfrist des § 229 StPO betreffen. Hier waren keine Willensänderungen positiv feststellbar. Andere etwaig in weiteren Materialien entäußerten Willensbekundungen können hier für die Untersuchung nicht herangezogen werden, weil dann völlig beiläufige, nicht rechtsverbindliche Texte einen bis heute noch immer verbindlichen Gesetzestext im Vorbeigehen außer Kraft setzen würden. Und darum sei nochmals das Augenmerk auf § 356 StPO gerichtet. Diese Vorschrift ist bis heute unverändert und kann nicht durch eine vielleicht existente, beiläufig in Gesetzesmaterialien kundgetane, Willensänderung abbedungen werden. Mit anderen Worten: Wie der Gesetzgeber natürlichen Gegebenheiten zuwider die tatsächliche Anwendbarkeit eines Gesetzes nicht dadurch bedingen kann, dass er dies noch so sehr will und diesen Willen im Gesetzgebungsprozess und dessen Materialien äußert,788 so kann er umgekehrt nach den Gesetzgebungsmaterialien die Ungültigkeit eines tatsächlich geltenden Gesetzes nicht dadurch herbeiführen, indem er die Nichtgeltung nachträglich nach den Gesetzgebungsmaterialien noch so sehr will – dazu muss der Gesetzgeber tätig werden. Entweder durch die Aufhebung bzw. Änderung des Gesetzes oder durch eine Veränderung des Systems derart, dass sein Wille in dieser Änderung Ausdruck findet. Aber, auch das kann schon hier vorweggenommen werden – das belegte schon die systematische Auslegung –,789 eine solche Systemverschiebung lässt sich aus geltungszeitlicher Perspektive nicht erkennen. Die geübte Rechtsprechung kann in dem hiesigen Fall nicht in den Willen des Gesetzgebers einbezogen werden und damit auch nicht zur Nichtgeltung der Urteilsverkündungsfrist im Revisionsverfahren führen. Es lässt sich feststellen, dass der Gesetzgeber im Zeitalter der Bundesrepublik mit dem Vereinheitlichungsgesetz von 1950 das System der StPO zunächst in einem vor 1933 bestehenden Zustand umfassend rezipiert und erst im Anschluss hinsichtlich der Urteilsverkündungsfrist nach § 268 StPO und vor allem der Unterbrechungsfrist nach § 229 StPO zahlreiche Veränderungen mit der Folge einer Ausdehnung vornimmt. Durch die Rezeption bedient sich der bundesrepublikanische Gesetzgeber auch der damaligen Gesetzessystematik und deren Verständnis – und damit auch die grundsätzliche Geltung der Urteilsverkündungsfrist in Bezug auf die mündliche Revisionshauptverhandlung. Des Weiteren schafft der Gesetzgeber durch die Ausdehnung der Unterbrechungsfristen 1950 erstmals die Möglichkeit (die schon seit 1942 bestehende Möglichkeit außer Acht gelassen), dass die Unterbrechungsfrist kürzer ist als die Urteilsverkündungsfrist. Der zeitweise und erstmalige, grundsätzliche Gleichlauf 788 Vgl. zu diesem Gedanken im umgekehrten Fall Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 333. 789 Siehe dazu oben Zweites Kapitel: A. II. 2.

A. Auslegung der Vorschrift des § 356 StPO

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von Urteilsverkündungsfrist und regelmäßiger Unterbrechungsfrist von zehn Tagen ab 1975 wird mit der Änderung durch das 1. JuMoG von 2004 wieder endgültig beseitigt. Der Wertungswiderspruch, dass die Urteilsverkündungsfrist eine besondere Unterbrechungsfrist darstellt, welche aber kürzer ist als die regelmäßig zulässige, wird dadurch zementiert. Das ermöglicht den vormals nicht zulässigen Wiedereintritt in die Hauptverhandlung, obwohl die Urteilsverkündungsfrist abgelaufen ist. Durch diese letzte Änderung lässt sich sagen, dass die Urteilsverkündungsfrist von der Unterbrechungsfrist abstrahiert, ja geradezu von ihr losgelöst – absolut – wird. Die Gesetzgebung schafft mit § 229 StPO und dem speziellen Pendant des § 268 III 2 StPO nun zwei Normen zu Unterbrechungsfristen, die, jede für sich genommen, schon hochspezialisiert und sehr detailliert sind. § 229 StPO, als allgemeinere Norm, wird im Rahmen von § 268 III StPO, bis auf die durch Satz 3 in § 229 StPO verwiesenen Normen, nicht mehr zur Wesensbestimmung der Urteilsverkündungsfrist gebraucht. Dennoch lässt sich nicht die Aussage treffen, dass es sich hierbei um grundsätzlich wesensverschiedene Institute handele. Dafür ist die Systemverschiebung in diesem Bereich zu schwach, auch wenn der Gesetzgeber der Urteilsverkündungsfrist eine derartige Selbstständigkeit verleiht, dass man ihr ein absolutes Dasein zuschreiben könnte. Das gilt auch im Falle der geplanten Erweiterung der Urteilsverkündungsfrist durch das Gesetz zur Fortentwicklung der StPO und zur Änderung weiterer Vorschriften. Die mündliche Hauptverhandlung wird von ihren systemtragenden Prinzipien her danach eben nicht grundlegend umgestaltet, sondern fortgeschrieben. Die stark unterschiedliche Behandlung der beiden wesensgleichen Fristen führt vielmehr zu einem Wertungswiderspruch. Aber, auch das ist schon angesprochen worden, dieser Wertungswiderspruch mag zwar in den Beweggründen nicht sonderlich gut nachvollziehbar sein, allerdings behandeln Verkündungs- und Unterbrechungsfrist dennoch einen innerlich voneinander abgrenzbaren Regelungsgehalt (Unterbrechung der Hauptverhandlung im Allgemeinen zum Zwecke der Weiterverhandlung versus Unterbrechung der Hauptverhandlung im Speziellen zum Zwecke der Urteilsverkündung), sodass der Widerspruch nicht zu Konflikten an sich führt; er ist, wie der dort zum Ausdruck kommende gesetzgeberische Wille, hinzunehmen.790 Die bereits angesprochenen zu erwartenden Änderungen nach dem aktuellen Regierungsentwurf würden den Wertungswiderspruch durch die Annäherung von Urteilsverkündungsfrist und Regelunterbrechungsfrist sogar noch entschärfen. Einen Konflikt erfährt die unterschiedliche Regelung der Fristen nur in dem Fall, in dem die Urteilsverkündungsfrist in einem Verfahren überschritten ist, die regelmäßige Unterbrechungsfrist hingegen nicht. Dieser Konflikt liegt den Entscheidungen des 5. Strafsenats791 sowie des 4.792 bzw. 2. Strafsenates793 zugrunde. 790 791 792

Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 143. BGHR-StPO § 268 III, Verkündung 3. BGHR-StPO § 268 III, Verkündung 4.

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2. Kap.: Normativer Inhalt der Vorschriften

Und auch hier lässt der 5. Strafsenat, in Tradition der Entscheidung RGSt 27, 116 und BGHSt 9, 302 ff., einen leichtfertigen Hang zur Unverbindlichkeit ausdrücklicher gesetzgeberischer Intention erkennen. Denn vor allem in der letztgenannten Entscheidung lag eine Situation vor, wie sie in der Entscheidung des 5. Strafsenats ebenfalls Gegenstand war; diesmal im Hinblick auf die Behandlung der Dreitagefrist des § 268 II 1 StPO (1950); auch hier hat der Gesetzgeber eine verbindliche Frist gesetzt, die der BGH letztlich als Ordnungsvorschrift deklarierte und der Gesetzgeber nahm dies, wie sich aus der Gesetzesbegründung zu dem 1. StVRG ergibt, schlichtweg hin. Ein Unding hinsichtlich der durch die Verfassung auferlegte Rollenverteilung der Gewaltenteilung! Im Hinblick auf die höchstrichterliche Rechtsprechung ist dies aber durchaus ein Vorgehen mit Tradition. Eine grundsätzliche Systemverschiebung hat die zunehmende Differenzierung der beiden Fristen indes aber gerade nicht zur Folge, wie das Ergebnis der systematischen Auslegung belegt. Die Urteilsverkündungsfrist bleibt eine besondere Unterbrechungsfrist, mit einer nun gänzlich selbständigen und umfassenden spezialnormativen Verortung. Und wenn der 2. und 4. Strafsenat des BGH in den zitierten Entscheidungen bezüglich ihrer Rechtsprechung diesen Wertungswiderspruch hinsichtlich Länge der Unterbrechungs- und Verkündungsfrist für die Gültigkeit der Urteilsverkündungsfrist vor den Tatgerichten jetzt in gefestigter Rechtsprechung letztlich belanglos halten, wird sich diese Argumentation auch auf das Revisionsgericht ohne Weiteres übertragen lassen. c) Ergebnis zur historisch-genetischen Auslegung Die historisch-genetische Interpretation kommt damit zu einem eindeutigen Ergebnis. Der historische Gesetzgeber hat die Verbindlichkeit der Urteilsverkündungsfrist – des ursprünglichen § 267 RStPO – wie sie sich aus dem Systemverständnis einer mündlichen Hauptverhandlung ergibt, vermittelt durch § 396 RStPO, für die Revisionshauptverhandlung förmlich ausdrücklich und systemkohärent in das Gesetz hineingeschrieben. Die Geltung ist logische Folge der systemtragenden Prinzipien, nach denen die mündliche Hauptverhandlung gestaltet wurde. Das RG hat mit seiner Entscheidung, nur etwas mehr als 15 Jahre nach Inkrafttreten der RStPO, diese Verbindlichkeit verneint und das mit einer subjektiv-historisch als auch systematisch nicht vereinbaren Begründung. Die danach vom RG fortgeführte und auch vom BGH übernommene Übung war und ist nicht mit dem Willen des historischen und auch nicht mit dem des aktuellen Gesetzgebers vereinbar. Nach der Rezeption der RStPO durch den bundesrepublikanischen Gesetzgeber hat dieser auch die RStPO in einer vor 1933 bestehenden Fassung größtenteils wiederhergestellt und mit ihrem System umfänglich rezipiert. Trotz der schon gefestigten Rechtsprechung des RG hinsichtlich der Verbindlichkeit der Urteilsverkündungsfrist, umfasst das auch immer noch das System des ursprünglichen Ge793

BGHR-StPO § 268 III, Verkündung 5.

A. Auslegung der Vorschrift des § 356 StPO

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setzgebers der RStPO zum Zeitpunkt der Verkündung von 1877 und folglich eine verbindliche Verkündungsfrist auch für das Revisionsverfahren. Diese ist zwar de facto durch die Rechtsprechung beseitigt worden, ihre normative Geltung hingegen bleibt aus dem Gesetzestext, -system und auch ursprünglichen historischen Gesetzgebungswillen de jure bestehen. Ab der Rezeption der StPO durch das Vereinheitlichungsgesetz 1950 lassen die Änderungen hinsichtlich der Fristen in den §§ 229, 268 StPO nur noch ausdrückliche Bezüge im Hinblick auf Verfahren vor den Tatsacheninstanzen eindeutig identifizieren. Die fortlaufenden Änderungen der beiden Vorschriften abstrahieren diese beiden an sich identischen Regelungsgegenstände (maximal zulässige Unterbrechung zur Sicherung der Einheitlichkeit der Hauptverhandlung) zunehmend voneinander und schaffen zwei wesensgleiche, aber – hinsichtlich ihrer normativen Verortung – voneinander absolute Unterbrechungsfristen. Aus den eindeutig nur hinsichtlich der Tatsacheninstanz zu Tage tretenden Bezügen des Gesetzgebungswillens könnte geschlossen werden, dass der Gesetzgeber der Bundesrepublik den Usus des RG mit in seinen Willen aufgenommen hat und dieses Verhalten gebilligt hätte.794 Indes lässt sich durch die vorgenommenen Änderungen aber ein solcher Wille nicht erkennen. Weder ist § 356 StPO in diesem Bezug als verbindliches und noch gültiges Gesetz verändert worden, noch hat eine Systemverschiebung dergestalt stattgefunden, dass die Hauptverhandlung vor dem Revisionsgericht eine Wesensverschiedene geworden wäre. Vielmehr ist der Einheitstypus der Hauptverhandlung beibehalten worden und die Vorschriften des sechsten Abschnittes des zweiten Buches der StPO bilden auch weiterhin einen allgemeinen Teil an Normen für eine jede strafgerichtliche Hauptverhandlung. Die gesetzeswidrige Praxis der Rechtsprechung kann ohne Veränderung des Gesetzestextes, selbst wenn sie vom Gesetzgebungswillen nunmehr aufgenommen worden sein sollte, keine Berücksichtigung finden. Andernfalls würde hier ein zufällig in Gesetzgebungsmaterialien geäußerter Wille, der im Widerspruch zu dem mit anderem gesetzgeberischen Willen erlassenen und geltenden Gesetz steht, verbindlich. Der Rechtssicherheit dient das nicht und das Formargument795 der objektiven Auslegungstheorie schlägt genau in diese Kerbe. Nach alledem lässt sich auch aus geltungszeitlicher Perspektive, unter Berücksichtigung der in das Gesetz eingegangenen Änderungen, keine Abweichung vom Willen des historischen Gesetzgebers von 1877 identifizieren. Das heute bestehende Regelungswerk ist infolge der Rezeption der RStPO durch den heutigen Gesetzgeber noch immer mit den ursprünglichen Gesetzgebungsintentionen ausgestattet und

794 Vgl. Eb. Schmidt, Lehrkommentar StPO II, § 268 Rn. 16, der wohl eine solche Billigung durch Rechtsprechung und Lehre annimmt: „Dieser Brauch [Anm.: die Urteilsverkündungsfrist des § 268 III 2 StPO nicht in der Revisionsinstanz anzuwenden] ist inzwischen wohl allseitig anerkannt.“ 795 Siehe oben Zweites Kapitel: A. I. 2. a) aa) (4) (b).

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2. Kap.: Normativer Inhalt der Vorschriften

diese wirken mit der Gültigkeit des § 356 StPO fort.796 Damit ist die Elftagefrist des § 268 III 2 StPO aus genetisch-historischen Gesichtspunkten auch im Rahmen der Revisionsverhandlung noch immer bis heute verbindlich. 4. Teleologische Auslegung? Mit Abschluss der historisch-genetischen Interpretation, kehrt die Bearbeitung nun zu einem Gegenstand zurück, der eingangs bei den Grundlagen der Untersuchung ausführlicher behandelt wurde und bei dem insofern eine klare Stellung bezogen worden ist: Der Frage einer Zulässigkeit sogenannter „objektiv-teleologische Kriterien“797. Beim eingangs dargelegten, anzuwendenden Methodenprogramm wurde schon angesprochen, dass zum „klassischen“ Auslegungskanon auch die Auslegung nach teleologischen Kriterien zum Standardrepertoire gehört.798 Hier hatte sich ebenfalls gezeigt, dass sich ein solcher teleologisch-methodologischer Ansatz, obwohl zum weiterentwickelten Canones Savigny zählend, in Savignys System des heutigen Römischen Rechts als Element der Auslegung nicht wiederfindet.799 Die „Entdeckung der Teleologie“ in Deutschland ist vielmehr eine neuere Entwicklung zum Ende des 19. Jahrhunderts und sie ist gerade in ihrer objektiven Ausprägung ein methodisches Vorgehen, welches der Schaffung von Freiräumen für den Rechtsanwender dient und zugleich Einfallstor für weiteres außergesetzliches und gar überpositives Argumentationsmaterial (namentlich „rechtsethische Prinzipien“800) zum Erreichen einer „angemessenen“801 bzw. „sachgemäßen“802 Lösung ist, in dem objektiv-teleologische Erwägungen zugelassen werden.803 Jene Freiheit, die die objektiv-teleologische Auslegung schafft, ist es, die dieses Instrument so beliebt und gefährlich zugleich macht;804 und gerade dieses Mittel ist 796

Vgl. Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 730d; vgl. Möllers, Juristische Methodenlehre, § 4 Rn. 170. 797 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 333. 798 Siehe oben Zweites Kapitel: A. I. 2. b). 799 Savigny, System I, S. 213 ff., der einer Heranziehung des Gesetzesgrundes zur Auslegung ausdrücklich mit Vorbehalten gegenübersteht, Savigny, System I, S. 220; Kramer, Juristische Methodenlehre, S.66; Möllers, Juristische Methodenlehre, § 4 Rn. 20; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 699. 800 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 333. 801 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 333. 802 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 333. 803 Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 141 f.; Fikentscher, Methoden des Rechts III, S. 676 ff.; Möllers, Juristische Methodenlehre, § 5 Rn. 2 f.; Vesting, Rechtstheorie, Rn. 199; Haferkamp, ZfPW 2016, 319, 320 f. Zu dieser Zeitenwende siehe die Darstellungen bei Caroni, Einleitungstitel des Zivilgesetzbuches, S. 92 ff. und Jan Schröder, Recht als Wissenschaft, S. 365 ff. 804 Morlok, in: Subsumtion, 179, 201 ff.; Reimer, Juristische Methodenlehre, Rn. 357 ff.

A. Auslegung der Vorschrift des § 356 StPO

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es, von dem die objektive Auslegungstheorie besonderen Gebrauch macht.805 Die teleologische Auslegung nach objektiv-teleologischen Kriterien macht es möglich, Zwecke in die Rechtsanwendung einfließen zu lassen, die sich nicht positiv aus dem Gesetz selbst ableiten lassen – also außergesetzlich sind – und schreibt dem Rechtsanwender zugleich Ergebnisverantwortung zu.806 Sie gibt dem Auslegenden die Möglichkeit, durch die Festlegung des oder der Zwecke, den Wortlaut des Gesetzes anzupassen und das gefundene Ergebnis als Ergebnis der Gesetzesauslegung auszugeben. Das wesentliche Problem hieran besteht in der (gewillkürten) Fehlbestimmung des Zweckes nach dem vom Auslegenden gewünschten Ergebnis.807 Dies ist es, was Rüthers der objektiven Auslegungstheorie wiederholt vorwirft, nämlich dass sie „subjektive Einlegung“ statt „objektive Auslegung“ betreibe.808 Denn im Falle einer Loslösung vom gesetzgeberisch nachweisbar Gewollten, wie es bei der objektiven Auslegungstheorie proklamiert wird,809 besteht die Gefahr, dass es der Rechtsanwender ist, der seine eigenen Zwecke und Motive zur Inhaltsbestimmung der Normen heranzieht und die Norm mit diesem Inhalt ausfüllt. So entsteht die paradoxe Situation, dass die Auslegung vom Auslegungsziel her gedacht wird, weshalb die teleologische Auslegung folglich überhaupt kein eigentliches Auslegungsmittel zur Ermittlung des Gesetzesinhaltes darstellt, sondern bereits Ergebnis an sich ist, welches sich im Nachgang die passende Methodik sucht, um sich selbst zu bestätigen.810 Die Probleme, die damit einhergehen, sind auch bei den grundlegenden Methodenfragen angesprochen worden und diese Untersuchung hat sich im Grunde für einen subjektiv-teleologischen Ansatz entschieden. In der Konsequenz könnte sie es sich hier einfach machen und auf objektiv-teleologische Erwägungen nun gänzlich verzichten.811 Oder aber den bis hierher erkannten Willen den Vorrang geben und die 805

Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 629; vgl. Morlok, in: Subsumtion, 179, 201 f. Morlok, in: Subsumtion, S. 179, 202; Vesting, Rechtstheorie, Rn. 199. 807 Reimer, Juristische Methodenlehre, Rn. 363 ff.; Herzberg, NJW 1990, 2525, 2529 f. 808 So z. B. Rüthers, Die heimliche Revolution vom Rechtsstaat zum Richterstaat, S. 56 f.; Rüthers, JuS 2011, 865, 868; Rüthers, ZRP 2008, 48, 50; vgl. Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 138. So aber auch schon Heck, Gesetzesauslegung und Interessenjurisprudenz, S. 69. 809 Siehe zur Prämisse der objektiven Auslegungstheorie, dem hermeneutischen Argument, oben Zweites Kapitel: A. I. 2. a) aa) (4) (a). 810 Siehe dazu auch Müller/Christensen, Juristische Methodik I, Rn. 364: „Die teleologische Interpretation ist kein selbstständiges Element der Konkretisierung, da Gesichtspunkte von ,Sinn und Zweck‘ der zu deutenden Vorschrift nur insoweit heranzuziehen sind, als sie mit Hilfe der anderen Elemente belegt werden können. ,Sinn und Zweck‘ ist, anders gesagt, keine Methode, sondern bereits ein Ergebnis. Das Unterstellen einer Ratio, die unter keinem anderen Konkretisierungsgesichtspunkt nachweisbar ist, disqualifiziert sich als normgelöste subjektive ,Wertung‘ oder ,Abwägung‘.“ Hervorhebungen auch im Original. Vgl. Reimer, Juristische Methodenlehre, Rn. 366; ausdrücklich verfährt aber so Radbruch, Einführung in die Rechtswissenschaft, S. 169; Herzberg, NJW 2525, 2530. 811 Vgl. Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 725 ff., bei denen die objektive-teleologische Auslegung als Auslegungsmittel daher auch fehlt, weil die Erforschung des Normziels Gegenstand der Auslegung ist und nicht dessen Anwendung zur Inhaltserforschung. 806

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2. Kap.: Normativer Inhalt der Vorschriften

Verwendung objektiv-teleologischer Kriterien für die Einbeziehung weiterer Zwecke sperren.812 Damit würde aber auch zugleich negiert werden, dass ein Großteil der vertretenden Methodenlehren objektiv-teleologische Ansätze, zumindest in Form der sogenannten Kombinationslösungen, anerkennen und eine konsequente Nichtbehandlung dieser Erwägungen Argumentationsmaterial abschneidet, um das hier gefundene Ergebnis in die Breite zusätzlich abzusichern. Unabhängig von dem generellen Vorbehalt gegen das Auslegungs„mittel“ der teleologischen Auslegung, soll es aber, freilich unter Wechsel des anvisierten Auslegungsziels, an dieser Stelle einmal hypothetische durchgespielt werden, auch um zu klären, ob für die Verwendung objektiv-teleologischer Kriterien überhaupt Raum bestehen kann. a) Reflektionen zum hiesigen Fall Die Frage über die Zulässigkeit der objektiv-teleologischen Erwägungen kann in diesem Fall nur relevant werden, wenn sich solche identifizieren lassen, die zu einem anderen als dem bisher gefundenen Ergebnis führten; wenn sie also die Nichtanwendbarkeit der Elftagefrist auf die Revisionshauptverhandlung nach §§ 356, 268 III 2 StPO bedingten. Dies wäre die erste Voraussetzung. Hierbei soll noch einmal in Erinnerung gerufen werden, dass die Wortlautauslegung zu dem Ergebnis führte, dass sie nach der konkreten Formulierung des § 356 StPO eine Anwendbarkeit auf die verwiesene Vorschrift des § 268 StPO einschließlich seines Abs. 3 S. 2 nicht ausschließt; von dessen Tendenz her liegt die Anwendung der Elftagefrist, wegen der deutlichen Formulierung und der Wahl der Worte „nach Maßgabe“, gerade näher, als dass er Raum für einschränkende Interpretationen zuließe. Letztere Folge wird aber durch den Wortlaut noch nicht gänzlich ausgeschlossen, wobei der Wortlaut ein solches Verständnis nur schwerlich stützt. Die darauffolgende systematische Interpretation der Norm bestätigt die bei der Wortlautauslegung aufgezeigte Tendenz eindeutig und schreibt sie fort. Hier konnte gezeigt werden, dass bei der Betrachtung der die mündliche Hauptverhandlung betreffenden systembildenden Prinzipien die Anwendung der Elftagefrist bei der Urteilsverkündung des revisionsgerichtlichen Urteils denklogische Folge ist. Sie fügt sich so in ein widerspruchsfreies telelogisches System der folgerichtigen Einordnung. Ihre Herausnahme wäre es, welche die in der mündlichen Revisionshauptverhandlung ebenso uneingeschränkt geltenden Prozessmaximen entwerten würde und erst zu einem Systembruch führte. Die Anwendbarkeit der Elftagefrist wird gerade nicht in die Disposition des Revisionsgerichts gestellt, wie es das RG in RGSt 27, 116 andeutet. Das RG begründet die Nichtgeltung durch eine Überbetonung vermeintlicher Unterschiede der Revisionshauptverhandlung zur tatgerichtlichen Hauptverhandlung. 812

Durch die erhöhte Bindung des Auslegenden an den erkannten gesetzgeberischen Willen, werden die Rechtsanwender an diesen verstärkt gebunden, vgl. Reimer, Juristische Methodenlehre, Rn. 361. So gehen z. B. Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 143 f., Reimer, Juristische Methodenlehre, Rn. 362 sowie Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 620 f. vor.

A. Auslegung der Vorschrift des § 356 StPO

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Für das etwaige Eingreifen objektiv-teleologischer Gesichtspunkte bedeutet das also, dass diese die Fähigkeit besitzen müssten, das System der Rechtsordnung zu brechen, um durchzugreifen und schließlich Gegenteiliges – die Nichtanwendbarkeit der Elftagefrist in der Revisionshauptverhandlung – bedingen zu können. Und zuletzt ist ins Feld zu führen, dass die historisch-genetische Auslegung, aufgrund der ungewöhnlich hohen Quellendichte, ein sehr valides Ergebnis produzieren konnte. Sie stellt folglich keine Leerstelle dar, die sich bei einer Gesamtbetrachtung indifferent verhielte. Und an dieser Stelle lässt sich belegen, dass der historische Gesetzgeber von 1877 und auch der seit Bestehen der Bundesrepublik, gestützt durch die übereinstimmenden Ergebnisse der Wortlautinterpretation und der systematischen Auslegung, eindeutig die Gültigkeit der Urteilsverkündungsfrist ausdrücklich intendierte. Das zeigt sich in der gesamten Genese der Urteilsverkündungsfrist im Gestaltungsprozess der Justizkommission. Ihren Usprung findet die Verkündungsfrist zunächst in der allgemeinen Unterbrechungsfrist des § 191 RStPO-E. Die folgende, ausdrückliche Aufnahme einer eigenen Verkündungsfrist gleicher Länge durch Nennung in § 267 RStPO-E und sodann – allen voran – die anschließende Verlängerung zu einer Wochenfrist in der verkündeten Fassung, erfolgten zielgerichtet und im Hinblick eben gerade auf die Revisionshauptverhandlung! Und spätestens hier wird die Brisanz der objektiven Auslegungstheorie für die vorliegende Fallbearbeitung deutlich, ließe man objektiv teleologische Erwägungen bei der Telos-Bestimmung zu. Nachdem die Auslegung nach dem Wortlaut, der Systematik, der Historie sowie der Genese zueinander kohärente Ergebnisse produzierten und eine eindeutige Anwendbarkeit der Elftagefrist implizieren, so wäre es nun die teleologische Auslegung – und nur diese allein –, die all diese Ergebnisse aushebeln und mit ihrem Ergebnis die anderen Methoden – quasi als ein „teleologischer Joker“813 – übertrumpfen könnte. An dieser Stelle braucht es nunmehr schon eines „Kunstgriffs“, um Sinn und Zweck des Gesetzes dahin zu gestalten (nicht bestimmen!), um zu dem Ergebnis zu kommen, dass die Urteilsverkündungsfrist, entgegen der anderen Ergebnisse, nicht anwendbar wäre (z. B. die Behauptung einer Unterschiedlichkeit der Hauptverhandlungen, welche tatsächlich nicht aus dem Gesetz heraus besteht, höchstens aus einer „ungesetzlichen“ Übung der Gerichte). Dies verdeutlicht nochmals, dass die Anwendung der objektiven Auslegungstheorie, trotz oder gerade wegen ihrer geschätzten Vorteile, bei jedem Auslegenden Unbehagen auslösen muss. Die teleologische Auslegung wird zum Mittel des Auslegenden, um sich das Gesetz hörig zu machen und seine Formen zu brechen.814 Zu813

Dieses Bild verwendet auch Reimer, Juristische Methodenlehre, Rn. 362. Vgl. in diesem Sinne das treffende und mahnende Traditionszitat Jherings: „Die Form ist die geschworene Feindin der Willkühr, die Zwillingsschwester der Freiheit. Denn die Form hält dem Versucher, der die Freiheit zur Zügellosigkeit verleiten sucht, das Gegengewicht, sie lenkt die Freiheitssubstanz in feste Bahnen, daß sie sich nicht zersplittern, und kräftigt sie dadurch nach innen und schützt sie nach außen. Feste Formen sind die Schule der Zucht und Ordnung und damit der Freiheit selber und andererseits eine Schutzmauer gegen äußere Angriffe, – sie 814

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2. Kap.: Normativer Inhalt der Vorschriften

gleich würden die im Vorfeld gefundenen Zwecke, vor allem die Rechtsprinzipien der systematischen Auslegung, irrelevant. Die subjektive Auslegungstheorie hat mit dem bis hierhin gefundenen Ergebnis keinerlei Schwierigkeiten, weil sie die Auslegungsmittel zur Erforschung des historischen Gesetzgebungswillens nutzt. Dieser ist insoweit identifiziert. Auch die Kombinationslösungen, die einen Vorrang des subjektiven Willens konstituieren, finden ihr Ergebnis wiederum in diesem Umstand. Einer lückenschließenden objektiven Auslegung bedarf es nicht, weil der subjektiv historische Zweck identifiziert worden ist.815 Lediglich bei denjenigen Ansichten, die an dieser Stelle noch immer objektiv-teleologische Kriterien anlegen wollen, könnten noch zu einem anderen Ergebnis gelangen.816 Sofern man nun objektiv-teleologischen Kriterien überhaupt einen Raum geben mag, ist zu klären, welche Zwecke ins Feld geführt werden könnten, die eine Nichtgeltung der Elftagefrist zur Folge hätten. An diesem Punkt wird dann deutlich, dass für die Begründung der Nichtgeltung keinerlei teleologischen Argumente ins Feld geführt werden. Das RG führt in seiner Entscheidung RGSt 27, 116 zwar Erwägungen des in der Vorschrift manifestierten Rechtsgedanken aus, allerdings stellt es zur Bestimmung, weswegen die Urteilsverkündungsfrist im Revisionsverfahren nicht gelten solle („Schriftlichkeit“ des verwendeten Beweismaterials), keine teleologischen Erwägungen an, sondern systematische. Erstere waren auch in Anbetracht der Entstehungszeit der Teleologie, mit ihrem Beginn erst zum Ende des 19. Jahrhunderts, bei der in Rede stehenden Entscheidung von 1895 zwar grundsätzlich denkbar, aber auch noch nicht zwingend zu erwarten.817 Neuere Entwicklungen in der Rechtswissenschaft finden üblicherweise erst retardierend Eingang in die Rechtsprechung. Dass die Argumentation des RG jedoch weder damals haltbar war, noch heute haltbar ist, konnte die Betrachtung der Systematik schon ausreichend belegen. Auch die übrigen Stellungnahmen in der Literatur, sofern sie vorhanden sind, argumentieren, wenn auch fehlerhaft, systematisch – nicht teleologisch.818 Für die vorgelassen sich nur brechen, nicht biegen – und wo ein Volk sich wirklich auf den Dienst der Freiheit verstanden, da hat es instictiv auch den Werth der Form herausgefühlt und geahnt, daß es seinen Formen nicht etwas rein Aeußerliches besitze und festhalte, sondern das Palladium seiner Freiheit.“, Jhering, Geist des römischen Rechts II.2, S. 32. 815 So schlagen es z. B. Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 620 f. vor. 816 Im vorliegenden Fall dürfte man aber auch nach der Ansicht von Larenz nur schwer zu dem Rückgriff auf objektiv-teleologische Kriterien kommen, vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 344: „Reichen die bisher angeführten Kriterien [Anm.: die weiteren Kriterien der Auslegung nach Wortsinn, Bedeutungszusammenhang und Normvorstellung der Normerschaffer] nicht aus, so hat der Ausleger auf objektiv-teleologische Kriterien zurückzugehen, auch wenn sie dem Gesetzgeber vielleicht nicht voll bewußt gewesen sind.“ 817 Siehe dazu oben Zweites Kapitel: A. II. 2. a). 818 LR/Stuckenberg, § 268 Rn. 15; LR/Franke, § 356 Rn. 1; vgl. Knauer/Kudlich, in: MüKo-StPO § 356 Rn. 1; wohl auch Rissing-van Saan, StraFo 2010, 359, 361.

A. Auslegung der Vorschrift des § 356 StPO

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brachte einwendende Argumentation über einen speziellen Zuschnitt des § 268 III 2 StPO wegen des Verweises auf Vorschriften die das Verfahren vor den Tatrichtern betreffen, gilt uneingeschränkt das zuvor Gesagte. Dieser Einwand greift systematisch nicht durch und ist schlichtweg falsch.819 Bleibt noch die Frage, ob sich nunmehr im Übrigen objektiv-teleologische Kriterien oder sonstige Zwecke finden ließen, die sich gegen die Elftagefrist anführen lassen. Als solche objektiv-teleologischen Kriterien werden aufgezählt zum einen die rechtsethischen Prinzipien und zum anderen tatsächliche Gegebenheiten des zu regelnden Sachbereiches, die der Gesetzgeber selbst nicht ändern kann.820 Der Einbeziehung der rechtsethischen Prinzipien, die als Ableitungsprodukt der Rechtsidee oder ähnlicher oberster Rechtsbegriffe als antipositivistisch gewonnenes Recht Eingang in das geschriebene Recht finden sollen, ist bereits oben bei der Frage der Prinzipiengewinnung eine klare Absage erteilt worden – dies hat konsequenterweise auch hier zu erfolgen. Zur Begründung wird auf die obigen Ausführungen verwiesen. So blieben noch tatsächliche Gegebenheiten übrig, die zu berücksichtigen sein könnten, sofern es solche gäbe, die es dem Gesetzgeber faktisch unmöglich machten, eine mündliche Revisionshauptverhandlung dergestalt zu regeln, dass das Urteil bei Aussetzung der Verkündung innerhalb einer bestimmten Frist zu verkünden ist. Solche Umstände sind nicht ersichtlich, die eine solche Regelungsmöglichkeit verhindern. Die Umsetzung wird de facto durch die Praxis des RG und BGH verhindert. Die Missachtung des Normbefehls durch die Gerichte aus eigener Vollkommenheit stellt jedoch keinen tatsächlichen Umstand dar, der den Gesetzgeber an der gewählten Normierung hindern könnte – wenn auch offensichtlich bisher an der Umsetzung. Sofern dem Gesetz nun letztlich ein irgendwie geartetes Telos oder gar mehrere entnommen werden können sollen, das oder die einer Anwendung der Elftagefrist in der Revisionshauptverhandlung entgegenstehen sollen, so sei hier die zu verlangende Begründungs- und Darlegungspflicht dieser Zwecke erwähnt. Für einen methodenehrlichen Ansatz wird es daher in jedem Falle notwendig sein, dass derjenige, der sich auf teleologische Erwägungen beruft, der Darlegungs- und Begründungslast für die Zwecke nachkommt, auf die er sich beruft, denn diese vorgebrachten Zwecke stellen die Prämisse dieses teleologischen Auslegungsansatzes dar.821 Diese Last wiegt umso stärker, je eindeutiger die Ergebnisse der übrigen Auslegungsmittel ausfallen und den vorgebrachten Zweck des Teleologen negieren und es damit nur die 819 Außerdem ist dieser Einwand einer, der erst seit 1975 vorgebracht werden kann und vor allem modifiziert er die Fristenberechnung; als Zwischenfrist galt § 43 StPO für die Unterbrechungsfrist nicht; dies wurde durch eine dieser entsprechenden Formulierung behoben, vgl. oben Zweites Kapitel: A. II. 2. und zum Begriff der Frist, Erstes Kapitel: D. 820 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 333. 821 Morlok, in: Subsumtion, S. 179, 204; Möllers, Juristische Methodenlehre, § 4 Rn. 38, § 5 Rn. 9; Müller/Christensen, Juristische Methodik I, Rn. 67d (S. 98). Vgl. Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 176.

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2. Kap.: Normativer Inhalt der Vorschriften

teleologische Auslegung ist, die zu einem Konflikt mit den anderen Auslegungsmitteln führt, während sich Wortlaut, Systematik und historisch-genetische Auslegung gegenseitig bestätigen und tragen.822 Gelingt diese gebotene Beweisführung nicht, so kann sich der Auslegende auf diesen Zweck als Telos des Gesetzes nicht berufen und muss von einer objektiv-teleologischen Auslegung Abstand nehmen. Ansonsten drängt sich der Verdacht auf, dass die vorgebliche teleologische Auslegung zur „Korrektur“ eines unerwünschten Ergebnisses der anderen Auslegungsmittel missbraucht wird.823 Es bleibt ggf. nur noch der Weg über eine offenzulegende Rechtsfortbildung, sofern die Voraussetzungen hierfür vorliegen, um sich vom ursprünglichen Gesetzesinhalt zu entfernen. Nur unter solchen Umständen können teleologische Erwägungen überhaupt redlich Berücksichtigung finden. Gelingen dürfte dieses Vorgehen aber wohl nur hinsichtlich solcher Zwecke, die sich mit empirischer Arbeit aus dem Gesetz herleiten lassen und zumeist auf den Willen des Gesetzgebers zurückzuführen sind.824 Gegebenenfalls auch solche, die der Gesetzgeber mit Blick auf eine weitere Entwicklungsfähigkeit des Gesetzes bei dessen Entstehung bereits aufgenommen hat und somit Raum für eine Delegation der Lückenfüllung durch den Rechtsanwender geschaffen hat.825 Aus Sicht dieser Bearbeitung sind derartige Zwecke, schon allein wegen der tatsächlichen und eindeutigen Ausgestaltung des Gesetzes, nicht begründbar – die Zwecke des Gesetzes bedingen gerade die Anwendbarkeit der Elftagefrist auch in der Revisionshauptverhandlung. Anderen Ansichten dürfte es daher unmöglich sein, anders gerichtete Zwecke des Gesetzes an dieser Stelle überhaupt aufzudecken und zu begründen. b) Ergebnis in Bezug auf eine teleologische Auslegung Unter der Bedingung, dass eine teleologische Auslegung überhaupt als zulässiges Auslegungsmittel angesehen wird, lässt sich feststellen, dass sich keine Umstände finden lassen, die sich als Telos des Gesetzes begreifen ließen, welche die Elftagefrist im Rahmen der Revisionshauptverhandlung ausschalten. Vielmehr führen, wie auch schon in den vorherigen Auslegungsschritten festgestellt, alle dem Gesetz zu entnehmenden Zwecke zu der uneingeschränkten Anwendbarkeit dieser Frist nach §§ 356, 268 III 2 StPO. Der Streit hinsichtlich subjektiver und objektiver Auslegungstheorie, der sich vornehmlich im Merkmal der teleologischen Auslegung bemerkbar macht, wirkt sich im hier vorliegenden Fall zumindest im Ergebnis nicht aus. Bedeutungslos wird diese Auseinandersetzung damit allerdings nicht, da sie so

822

Vgl. Müller/Christensen, Juristische Methodik I, Rn. 444. Vgl. Reimer, Juristische Methodenlehre, Rn. 362. 824 Müller/Christensen, Juristische Methodik I, Rn. 67d (S. 98): „Als Ableitungsinstanz kommen dabei die Materialien in Betracht.“ 825 Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 835 ff.; 869. 823

A. Auslegung der Vorschrift des § 356 StPO

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grundlegend im Fundament des methodischen Vorgehens liegt, dass ein Bekenntnis für den einen oder anderen Weg erfolgen musste. Sofern jemand eine teleologische Auslegung zu einem anderen Ergebnis führen möchte, wird es zunächst dessen Aufgabe sein, das anders behauptete Telos aus dem Gesetz herauszuarbeiten sowie mit diesem zu begründen. Zugleich wird er belegen müssen, wie dieser Zweck in der Lage sein soll, die im Wortlaut und Gesetzessystem perpetuierten Zwecke, entgegen der subjektiv-historischen Intention des Gesetzgebers, zu überwinden. Dieses Unterfangen erscheint aussichtslos. Es kann nur durch faktische Machtausübung erreicht werden.

5. Gesamtwürdigung der Auslegungsmittel Die Anwendung der hergebrachten Auslegungsmittel in Bezug auf die §§ 356, 268 III 2 StPO haben zu einer Reihe von Ergebnissen geführt. Diese einzelnen Steinchen sollen nun zu einem ganzen Mosaik zusammengestellt werden und einer abschließenden Gesamtbetrachtung unterworfen werden, um ein vollständiges Bild zu ergeben. Die Betrachtung des Wortlauts konnte zeigen, dass § 356 StPO durch seine Verweisung auf § 268 StPO selbst keine Einschränkung der Verweisung vornimmt, weshalb aus dem Wortlaut nicht geschlossen werden kann, dass die Urteilsverkündungsfrist nicht gelten würde. Im Vergleich der von der StPO verwendeten Wortkombination „nach Maßgabe“ und „entsprechend“ konnte vielmehr noch weitergehend nachgewiesen werden, dass „nach Maßgabe“ für die Anwendungsberufung identischer Sachverhalte herangezogen bzw. als Rechtsfolgenverweis genutzt wird, während „entsprechend“ bei Sachverhalten mit vergleichbarem Wesenskern, aber unterschiedlicher konkreter Ausprägung Erwähnung findet. Dass § 356 StPO die Formulierung „nach Maßgabe“ nutzt, zeugt davon, dass der Inhalt des § 356 StPO mit dem Inhalt des § 268 StPO insgesamt identisch ist. Das zeigt sich schon darin, dass in beiden Fällen die Urteilsverkündung nach einer mündlichen Hauptverhandlung Gegenstand der Normen ist; die wortgleiche amtliche Überschrift ist ein später hinzugefügtes Indiz, das diesen Eindruck nochmals bestätigt. Der Verweisungsnorm des § 356 StPO kommt somit lediglich eine Platzhalterfunktion zu und sie kopiert § 268 StPO vollständig in das strafprozessuale Revisionsrecht des vierten Abschnitts des dritten Buches der StPO. Die systematische Interpretation der Norm konnte den Blick der Wortlautauslegung erweitern und weiter unterstützen. Es zeigte sich, dass die die Hauptverhandlung betreffenden Prozessmaximen der Strafprozessordnung von Öffentlichkeit, Mündlichkeit, Unmittelbarkeit, Konzentration und Beschleunigung die für diese Teilrechtsordnung tragenden Systemprinzipien sind. Ausgehend von der Wandlung zu einem die Mündlichkeit voraussetzenden öffentlichen Prozess, wird der eingebrachte Prozessstoff flüchtig vergänglich und zum Erhalt des frischen, unverfälschten Eindrucks der Hauptverhandlung bedarf es einer zeitnahen Er-

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2. Kap.: Normativer Inhalt der Vorschriften

kenntnis des Urteils. Aus diesem Grunde wirken alle maßgeblichen Systemprinzipien in ihrer Tendenz auf eine Beschleunigung des Verfahrens als Ganzes hin. Die Normierung einer Urteilsverkündungsfrist, sofern das Urteil nicht im Anschluss an die mündliche Verhandlung verkündet wird, ist eine logische, die Prozessmaximen absichernde Folge. Auch konnte gezeigt werden, dass die StPO im Erkenntnisverfahren lediglich einen Typus Hauptverhandlung schafft, unabhängig davon, vor welcher Instanz diese stattfindet. Der sechste Abschnitt des zweiten Buches fungiert hier als allgemeiner Teil, welcher gegebenenfalls, sofern es das Prüfungsprogramm der anderen Gerichtsinstanzen erfordert, durch spezielle Normen modifiziert wird. Gerade aus der letzten Erwägung – dem Verhältnis von allgemeinen und speziellen Normen – stellt sich heraus, dass die Normierung einer eigenen Vorschrift zur Urteilsverkündung im Revisionsrecht aus systematischen Erwägungen überflüssig ist. Vor allem dann, wenn der Gesetzgeber sich einer Formulierung bemüht, die zu einer unmittelbaren und nicht bloß entsprechenden Anwendung der verwiesenen Norm führt. So zeigt sich, dass § 356 StPO unter rein äußerlich systematischen Erwägungen an sich redundant ist. Auch ohne seine Normierung würde die Urteilsverkündungsfrist des § 268 III 2 StPO durch diese dann lückenfüllende, allgemeine Norm im Revisionsrecht gelten. Weil die Systemprinzipien der mündlichen Hauptverhandlung damit völlig uneingeschränkt auch für die Revisionshauptverhandlung gelten, stellt eine Auslegung, die die Urteilsverkündungsfrist für diese Instanz ausnimmt, eine Umgehung, gar ein gänzliches Ausschalten dieser Systemprinzipien dar. Die historisch-genetische Auslegung belegt vor allem in ihrem genetischen Aspekt, dass der Gesetzgeber im Verlaufe der Beratungen von einer Geltung der Urteilsverkündungsfrist stets ausging. Es war gerade die Rücksichtnahme auf die Bedürfnisse des Revisionsgerichts, namentlich der ausreichenden Lektüre von Fachliteratur gerade bei komplexen rechtlichen Fällen, die für die Verlängerung der Urteilsverkündungsfrist, als eine ursprünglich besondere Unterbrechungsfrist, von maximal drei Tagen auf eine Woche im Wortlaut des dann verkündeten § 267 RStPO bedingte. Hier wurde auch nochmals deutlich, dass die Normierung einer Urteilsverkündungsfrist Folge des vom historischen Gesetzgeber unterlegten Vorverständnisses vom System der RStPO im Allgemeinen und dem der mündlichen Hauptverhandlung im Speziellen ist. Bis zu diesem Punkt kommen alle Auslegungsmittel zu einem erfreulich eindeutigen Ergebnis und sie bestätigen sich gegenseitig, bzw. können Unklarheiten beseitigen. Und auch bei Anwendung des letzten „klassischen“ Auslegungsmittels, der teleologischen Auslegung, hier in Form einer „hypothetische Gegenprobe“, konnten keine weiteren als die bisher durch die anderen Auslegungsmittel gefundenen Zwecke entdeckt werden, die eine Nichtanwendung der Elftagefrist nach §§ 356, 268 III 2 StPO in der Revisionshauptverhandlung erfordern würden. Alle Auslegungsmittel liegen auf einer Linie und in keinem Widerspruch zueinander, was wiederum die Folge hat, dass sich essentielle methodologische Streitigkeiten an dieser Stelle in Wohlgefallen auflösen und nicht durch diese Bearbeitung geklärt

A. Auslegung der Vorschrift des § 356 StPO

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werden müssen. Ihre Behandlung bleibt aber dennoch notwendig, um eine methodologisch sensibilisierte Auslegung im Rahmen dieser Bearbeitung zu ermöglichen – vor allem um sich selbst im Hinblick auf die Verantwortung, die mit der Methodenwahl einhergeht, bewusst zu werden und Methodenbeliebigkeit zu unterbinden. Namentlich betrifft das zum einen die Auseinandersetzung mit dem Rangverhältnis der einzelnen Auslegungsmittel zueinander und zum anderen die Frage, ob die Auslegung nach objektiv-teleologischen Kriterien, wie sie die objektive Auslegungstheorie vornimmt, legitim ist. In dem hiesigen Fall sind die Ergebnisse äußerlich identisch, die Elftagefrist der §§ 356, 268 III 2 StPO gilt nach Vornahme der Auslegung zweifelsohne auch für die Revisionshauptverhandlung. Es lässt sich hier bereits aufzeigen, dass es die Entscheidung des RG sein muss, die das System stört, denn sie ist es schließlich erst, die einen Konflikt mit dem normativen Gehalt des § 356 StPO provoziert. Die Wirkung dieses Urteils muss beseitigt werden. Das mehrfach bestätigte Ergebnis der Auslegung lässt sich hingegen mit der vielmehr rhetorischen Frage zusammenfassen: „Gibt es ein anderes Telos des § 356 StPO als die Gültigkeit der Verkündungsfrist nach § 268 III 2 StPO anzuordnen, als der Gesetzgeber die Worte formulierte: ,Die Verkündung des Urteils erfolgt nach Maßgabe des § 268.‘?“ 6. Anwendbarkeit der ursprünglichen gesetzgeberischen Vorstellung Sofern mit der subjektiven Auslegungstheorie als Auslegungsziel die Ermittlung des historischen gesetzgeberischen Willens anvisiert wird, so stellt sich dieser Umstand nur als ein erster Schritt dar. Von daher ist zur Vollständigkeit noch eine weitere Gegenprobe auf der zweiten Ebene – der Rechtsanwendung – vorzunehmen. Um sich nicht einem etwaigen Vorwurf einer „Herrschaft des Toten über den Lebenden“826 auszusetzen, weil der versteinerte Wille eines längst überkommenen Gesetzgebers nach vielen Jahrzenten oder gar Jahrhunderten noch immer unvermindert das Verständnis einer Norm diktieren soll, muss in einem weiteren Schritt die Frage gestellt werden, ob dieser ursprüngliche Wille auch im Zeitpunkt der Rechtsanwendung Gültigkeit besitzen kann.827 In dem langen Zeitraum der Geltung des Gesetzes können Veränderungen verschiedenster Natur eingetreten sein, die die Fortgeltung des ursprünglichen gesetzgeberischen Willens in Frage stellen.828 Ist das der Fall, so ergibt sich infolge einer nachträglichen bzw. sekundären Lückenbildung die Möglichkeit für eine richterliche Rechtsfortbildung jenseits der geschriebenen Norm – dieses Vorgehen ist im Wege der Methodenehrlichkeit jedoch offen zu 826 So Herbert Spencer, dem anschließend und zitiert nach Ehrlich, Die juristische Logik, S. 160. 827 Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, S. 148; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 730d; vgl. Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 117 f. 828 Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 730d, 861 ff.; Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, S. 148; Rüthers, JuS 2011, 865, 868.

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2. Kap.: Normativer Inhalt der Vorschriften

legen.829 Für die objektive Auslegungstheorie stellt sich diese Frage freilich nicht, da sie ja als Auslegungsziel den objektiven Willen des Gesetzes anvisiert und in ihrer überwiegend verbreiteten Variante von vornherein ein geltungszeitliches Verständnis der Norm forciert und dieses mit der Auslegung ermittelt wurde. Bei geltenden Normen wird ein grundsätzlicher Wegfall der ursprünglichen gesetzgeberischen Intention aber in aller Regel nicht gegeben sein, da ihre Fortgeltung schon allein ein starkes Indiz für die kontinuierliche Weitergeltung des ursprünglichen gesetzgeberischen Willens ist.830 Bereits die Historie der §§ 268, 356 StPO zeigt vielmehr, dass der Gesetzgeber mit der Neuverkündung der Strafprozessordnung in der Nachkriegszeit im Zuge des Vereinheitlichungsgesetzes sich den historischen Willen des RStPO-Gesetzgebers zu eigen macht, als er die uneinheitliche Rechtslage auf den Status ex ante der Weimarer Zeit zurückbringt.831 Des Weiteren lassen sich keine (schwerwiegenden) Veränderungen erkennen, die den Willen des Gesetzgebers, dass die Urteilsverkündungsfrist des § 268 III 2 StPO auch für die Revisionshauptverhandlung gilt, entwerten würden. Noch sind veränderte Umstände rechtlicher oder tatsächlicher Art sichtbar, die zu einem Wegfall dieser Grundlage und in der Folge zu einer Lückenbildung geführt hätten.832 Die Übung des BGH, die Urteilsverkündungsfrist nicht anzuwenden, reicht hierbei für eine Lückenbildung keinesfalls aus, weil sonst der Rechtsprechung durch beharrliches Nichtbeachten von Gesetzesvorschriften die Möglichkeit eröffnet würde, Richterrecht wider das geschriebene Recht zu schaffen und dies einen unzulässigen Eingriff in die Gewaltenteilung darstellte.833 Damit kann der ursprüngliche gesetzgeberische Wille auch heute bei der Rechtsanwendung weiterhin uneingeschränkt zur Anwendung kommen.

III. Zwischenergebnis Am Ende der Auslegung stellt sich ein klares Bild dar: Alle angewendeten Auslegungsmittel kommen zu dem sich gegenseitig bestätigenden und darüber hinaus bestärkendem Ergebnis, dass die Urteilsverkündungsfrist des § 268 III 2 StPO in jedem Falle auch für die Revisionshauptverhandlung gilt. Dieses Ergebnis ergibt sich bereits aus Gesichtspunkten des eindeutigen Wortlautes des § 356 StPO, noch deutlicher aber aus den systematischen Erwägungen und letztlich – erhellend klar – aus den historischen Materialien zur Strafprozessordnung. 829 Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, S. 148 f.; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 730d, 861 f. 830 Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, S. 148; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 730d; vgl. Möllers, Juristische Methodenlehre, § 4 Rn. 170. 831 Rieß, in: FS Helmrich, 127, 130. 832 Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, S. 149; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 861 ff. 833 Vgl. Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 826 ff.

B. Zur Möglichkeit einer teleologischen Reduktion des § 356 StPO

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Dabei ist es in diesem Fall im Ergebnis sogar ohne Bedeutung, ob einem geltungszeitlichen Ansatz in Form der objektiven Auslegungstheorie gefolgt wird, oder aber einem hier favorisierten subjektiven Ansatz – auch wenn die Wege, das dürfte deutlich geworden sein, in ihrem Grunde inkompatibel sind. In diesem Fall sind keine teleologischen Erwägungen ersichtlich und unter dem gültigen Gesetzesregime auch nicht denkbar, die einen Ausschluss der Urteilsverkündungsfrist ermöglichen würden. Die Ergebnisse sind damit äußerlich konvergent, wenn sie innerlich auch einen völlig gegensätzlichen Methodenansatz verfolgen.

B. Zur Möglichkeit einer teleologischen Reduktion des § 356 StPO Nach den dargestellten, klaren Ergebnissen der vorherigen Bearbeitungsteile ist dieser Abschnitt letztlich nur noch eine Erörterung zu einem pro forma Zweck mit rein hypothetischem Wert. Nachdem die Auslegung der Vorschrift des § 356 StPO gezeigt hat, dass die Urteilsverkündungsfrist nach § 268 III 2 StPO von der Verweisung umfasst ist, könnte in den Raum geworfen werden, ob die Vorschrift von der Reichweite her hinsichtlich der verfolgten Zwecke zu weit geraten sein könnte und deshalb in Anbetracht ihres Telos reduktionsfähig ist.834 In einem solchen Fall könnte die Norm ansonsten dem eigenen Zweck zuwiderlaufen, wenn sie in ihrem Anwendungsbereich nicht reduziert würde.835 Die teleologische Reduktion stellt insofern in gewisser Weise das Ergebnis einer teleologischen Kontrollüberlegung anhand des ermittelten Normzwecks auf der Ebene der Rechtsanwendung dar, indem die Folgen einer uneingeschränkten Anwendung betrachtet werden.836 Eine teleologische Reduktion würde als Voraussetzung eine sogenannte Ausnahmelücke erfordern, also dass es der Gesetzgeber versäumt hat, bei der Schaffung der Regelung selbst die telosgerechte Ausnahme aus dem Anwendungsbereich der Vorschrift wieder herauszunehmen.837 Es geht bei dieser Form der Rechtsfortbildung also gar nicht um einen „Schluss“ einer Lücke, sondern in gewisser Weise um die 834 Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 250 ff.; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 391; Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 621; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 902 ff. 835 Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 223 f., 251; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 903. 836 Vgl. Reimer, Juristische Methodenlehre, Rn. 371 f. 837 Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 251 f.; Looschelders/Roth, Juristische Methodik im Prozeß der Rechtsanwendung, S. 261 f.; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 848, 902 f. Zur Problematik und Diskussion des Lückenbegriffs an sich, siehe m. w. N. Möllers, Juristische Methodenlehre, § 6 Rn. 97; Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 635 verzichten daher in Anlehnung an Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, Rn. 475 auf den Begriff „Lücke“ und stellen als Voraussetzung für die Rechtsfortbildung auf Ähnlichkeit und Gleichbehandlung ab, um Widersprüchlichkeiten zu beseitigen.

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2. Kap.: Normativer Inhalt der Vorschriften

„Schaffung“ einer solchen, damit der vom Gesetz geregelte Fall, dem erkennbaren Normzweck entsprechend, nicht mehr umfasst wird.838 Bei der Identifikation solcher planwidrigen Gesetzeslücken ist zunächst auf den ursprünglichen Gesetzgebungswillen abzustellen.839 Und hier wird deutlich, dass gerade keine Ausnahmelücke bestehen kann, sondern im Gegenteil: Die historische Auslegung konnte ausdrücklich beweisen, dass der historische Gesetzgeber für die Revisionshauptverhandlung bezüglich der Anwendbarkeit des § 268 III 2 StPO keine Ausnahme schaffen wollte, sondern sie gerade mitumfassen wollte! Ein nachträgliches Entstehen einer solchen Ausnahmelücke ist ebenfalls nicht ersichtlich. Auch hier gilt das bereits zuvor Gesagte. Denn auch das heutige Telos der Norm enthält noch immer die Geltung der Urteilsverkündungsfrist in der Revisionshauptverhandlung zur Verwirklichung der in der Hauptverhandlung geltenden Prozessmaxime. Veränderungen gesellschaftlicher, rechtlicher oder ökonomischer Art, die Gegenteiliges bedingen könnten, sind nicht feststellbar.840 Auch hat sich auf den nachträglichen Wegfall eines Bedürfnisses, die Urteilsverkündungsfrist in der Revisionshauptverhandlung anzuwenden später noch kein Gericht berufen. Vielmehr wurde das bereits nicht tragbare Ergebnis aus RGSt 27, 116 fortgeschrieben, also eine Rechtsprechung, zu deren Zeit bereits keine Lücke im Gesetz bestand. Dass die Frist praktisch nicht eingehalten werden kann, wie der BGH noch in BGHSt 9, 302 monierte, ist auch nicht naheliegend: Der BGH hält die Verkündungsfrist bei tatgerichtlichen Verfahren für verbindlich;841 das gilt (so auch nach den Materialien aus Sicht des Gesetzgebers)842 genauso bei Umfangverfahren. Warum das für den BGH bei weit weniger umfangreichen Verfahren nicht gelten können soll, erscheint nicht nachvollziehbar, vor allem in dem Wissen, dass der BGH sogar in den weit überwiegenden Verfahren aufgrund mündlicher Hauptverhandlung noch am selben Tag entscheidet.843 Somit fehlt es an der notwendigen Bedingung für eine teleologische Reduktion des § 356 StPO durch den Rechtsanwender. Es besteht kein Widerspruch in der Regelung zu ihrem Telos und kein Bedürfnis die beiden identischen Fälle der Urteilsverkündung aufgrund einer mündlichen Hauptverhandlung unterschiedlich zu behandeln.844 Es wäre wieder einmal die Schaffung einer Ausnahme, die zu Wertungswidersprüchen führte. Eine teleologische Reduktion der Vorschrift ist daher ausgeschlossen. 838

Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 252; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 391.; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 903. 839 Rüther/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 870 f. 840 Vgl. Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 730d; Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, S. 148. 841 Siehe dazu oben, Erstes Kapitel: D. 842 BT-Drucks. 7/551, S. 83. 843 Siehe zu den Daten die Untersuchung im Dritten Kapitel. 844 Vgl. Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 223 f.; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 392; Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, Rn. 475, 493 ff.

C. Fazit

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C. Fazit Nun, da alle verschiedenen Argumentationsstränge zusammengeführt wurden, stellt sich ein sehr deutliches Bild in Bezug auf die §§ 356, 268 III 2 StPO dar. Von Anbeginn her war es Wille des Gesetzgebers – um es aus Sicht der subjektiven Auslegungstheorie zu beschreiben – und ist es objektiver Wille des Gesetzes – um es mit dem Blickwinkel der objektiven Auslegungstheorie zu betrachten –, dass die Urteilsverkündungsfrist des § 268 III 2 StPO auch bei mündlichen Hauptverhandlungen vor dem Revisionsgericht gilt. Dieses Ergebnis fügt sich denklogisch in das Verständnis und System der mündlichen Hauptverhandlung als Kernstück der Erkenntnis im Strafprozess ein und die ratio legis kommt folglich ungewöhnlich deutlich zum Ausdruck. Unter diesen Vorzeichen kann man somit ausdrücklich sagen, dass das RG in seiner Entscheidung RGSt 27, 116 unter dem Deckmantel der systematischen Auslegung das Recht fortgebildet hat, ohne im Wege der Methodenehrlichkeit diese für eine Überprüfbarkeit offen zu legen. Es handelt sich damit um verdeckte Rechtsfortbildung. Schlimmer als die unterbliebene Offenlegung der Rechtsfortbildung wiegt aber der Umstand, dass die Voraussetzungen für eine solche, namentlich die (planwidrige) Regelungslücke, überhaupt nicht vorlagen. Der Fall, den das RG hier aus dem Anwendungsbereich des § 268 III 2 StPO ausnimmt, die Geltung der Urteilsverkündungsfrist für das Revisionsgericht, war nämlich gerade einer – das konnte mit den zugänglich gemachten Quellen zweifelsohne belegt werden –, der vom Gesetzgeber ausdrücklich umfasst werden sollte. Damit bewegt sich das RG mit seiner Entscheidung, in der es sich mit wenigen Zeilen der Begründung von der Bindung des Gesetzes entledigte, von der Anordnung des § 356 StPO mutwillig weg. Und das, obwohl die RStPO zu dem Zeitpunkt gerade einmal 18 Jahre zählte und der gesetzgeberische Wille hier noch unverblichen Geltung beanspruchen durfte. Die methodische Auseinandersetzung allerdings zeigt, dass diese Entscheidung keinen Bestand haben kann. Dem RG ist daher weder in der Begründung noch im Ergebnis zu folgen. Zugleich ist aber auch zu bemerken, dass sich das Ergebnis des RG nicht auf eine andere methodisch-dogmatische Begründung stellen lässt. Die vom RG und später vom BGH geübte Praxis kann das geschriebene Recht des § 356 StPO durch Richtergewohnheitsrecht, welches auf richterlichem Ungehorsam einer ständigen Missachtung des geschriebenen Rechts beruht, nicht verdrängen.845 Das Zulassen dieser Konstruktion würde dazu führen, dass die grundgesetzlich vorgeschriebene Bindung der Rechtsprechung an Gesetz und Recht dadurch ausgehöhlt werden 845 Deutlich auch in diese Richtung BVerfGE 122, 248, 284, ähnlich auch schon BVerfGE 78, 20, 25. Anders hingegen wäre die Situation, sofern § 356 StPO einen Auslegungsspielraum zuließe, der hier aber nicht gegeben ist. Dann kann ein Untätigbleiben des Gesetzgebers dazu führen, dass eine sich in diesem Rahmen befindende Auslegung des Gerichts andere mögliche und eigentlich bestimmte Auslegungen verdrängt und der Gesetzgeber diese Rechtsauffassung in gewisser Weise als seine duldet, vgl. BVerfGE, 19, 166, 177.

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2. Kap.: Normativer Inhalt der Vorschriften

könnte, indem sich die Gerichte beharrlich weigern, die gesetzgeberischen Anordnungen umzusetzen. Dies wäre eine Farce und kann ohne Frage nicht zulässig sein, da es die Grundentscheidungen in Art. 20 III, 97 I GG ad absurdum führte und somit „Gewohnheitsunrecht“846 als positivgesetzlich verdrängende Rechtsquelle zuließe. Außerdem müsste umgekehrt dann genauso berücksichtigt werden, dass der Wandel der Revisionsrechtsprechung hin zur modernen Revision, mit einer tiefergreifenden Auseinandersetzung mit Tatsachenfragen und auch Beweiserhebungen die revisionsgerichtliche Hauptverhandlung der des Tatgerichts weiter angenähert hat.847 Dies würde dann sogar vielmehr noch zusätzlich für eine Anwendbarkeit der Urteilsverkündungsfrist im Revisionsverfahren sprechen. Aber: Der Rechtsprechung mag Konkretisierungsbefugnis dort zustehen, wo der Gesetzgeber ihr einen solchen Raum zulässt. Sie scheidet von vornherein dort aus, wo keinerlei Konkretisierungsbedürfnis besteht, wie in dem hier vorliegenden Fall des § 356 StPO. Der Textsinn entspricht dem Normsinn. Zugleich kann aber nicht verkannt werden, dass die Urteilsverkündungsfrist seit der Entscheidung RGSt 27, 116 keinerlei faktische Verbindlichkeit mehr besitzt. Der BGH führt die Rechtsprechung des RG von 1895 seit seiner Errichtung unvermindert fort. Damit gilt die Vorschrift des §§ 356 i. V. m. 268 III 2 StPO bloß de jure, aber nicht de facto. Wenn aber die gerichtliche Übung nicht entscheidend dafür sein darf, ob ein Gesetz Geltungskraft besitzt oder nicht – sondern vielmehr durch die Bagatellisierung dieser Verfahrensvorschrift selbst eine Rechtsverletzung darstellt –848, stellt sich die Frage, inwiefern sich das Vollzugsdefizit der §§ 356, 268 III 2 StPO mit rechtsstaatlichen Mitteln beheben lässt. Die Frage, inwiefern einem Betroffenen ein Rechtsmittel gegen die geübte Praxis des BGH zustehen kann, soll, nachdem im folgenden Kapitel kurz die statistischen Fallzahlen zu dieser Praxis näher beleuchtet werden, Gegenstand des darauffolgenden Kapitels sein.

846

Rüthers, Die heimliche Revolution vom Rechtssaat zum Richterstaat, S. 158. Grundlegend zur erweiterten Revision Fezer, Die erweiterte Revision – Legitimierung der Rechtswirklichkeit? Siehe dazu auch Barton, in: FS Fezer, 333 ff.; Frisch, in: FS Fezer, 353 ff.; LR/Franke, Vor § 333 Rn. 9 ff. 848 Vgl. Reimer, Juristische Methodenlehre, Rn. 375. 847

Drittes Kapitel

Statistische Fallzahlen Die bis hier hin freilich normative Untersuchung der §§ 356, 268 III 2 StPO soll nicht bloß im theoretischen Raum stehen bleiben, sondern mittels empirischer Untermalung mit der Rechtspraxis des BGH verknüpft und an einer praktischen Tatsachengrundlage geerdet werden. Damit wird die Untersuchungsfrage aus dem Bereich der reinen Theorie entrückt und ihre praktische Relevanz beleuchtet – letztlich in gewisser Weise „mit Leben gefüllt“. Im Folgenden steht vor allem eine beschreibende Darstellung der Rechtsprechungspraxis im Vordergrund. Die herausgearbeiteten Ergebnisse werden im Weiteren allenfalls vorsichtig zu den Hintergründen, weswegen sich die konkrete Praxis so oder anders darstellt, interpretiert. Dafür ist die sogleich darzustellende Datengrundlage an sich, ohne Rückgriff auf weitere Quellen, auch nur schwerlich geeignet.

A. Datengrundlage Die Herausforderung liegt in der Erhebung und Aufbereitung von zugänglichen Daten, um ein aussagekräftiges Ergebnis zu erhalten. Es geht dabei vorrangig darum, eine praktische Relevanz der theoretischen Untersuchungsfrage festzustellen. Ziel soll es nicht sein, mittels empirischer Untersuchungen ein vollumfängliches Bild zu der Frage, wie oft der BGH die Urteilsverkündungsfrist überschreitet, zu erstellen. Streng genommen würde es für die Annahme einer praktischen Relevanz bereits genügen, allein ein aktuelles Beispiel zu nennen.1 Dieses Vorgehen wäre aber sehr profan und ist auch nicht geeignet, tendenzielle Aussagen über die Quantität der BGH-Praxis zu treffen und das weitere praktische Umfeld der Untersuchungsfrage abzuklopfen. Eine gute und dazu komfortabel Datengrundlage bildet für das Untersuchungsziel die Entscheidungssammlung des und nach ihm benannten Vorsitzenden Richters am BGH a. D. Armin Nack, „BGH-Nack“.2 Diese Sammlung ist aufbereitet und ermöglicht innerhalb der Datenbank spezifische Recherchen und enthält gemäß der Eigenwerbung: „Alle Entscheidungen der Strafsenate des BGH seit Herbst 1991“. 1

So z. B. nur die Urteile vom 18. 09. 2019, 1 StR 320/18 und 09. 10. 2019, 1 StR 39/19. Diese und alle folgenden Urteile, die in diesem Kapitel genannt werden, sind selbstverständlich solche des BGH. 2 Nack, BGH-Nack – Strafsenate des BGH.

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3. Kap.: Statistische Fallzahlen

Diese Aussage relativiert sich insofern, als dass tatsächlich nur alle begründeten Entscheidungen der Strafsenate enthalten sind. Unbegründete Beschlussverwerfungen sind, obwohl auch Entscheidungen der Strafsenate des BGH, aus nachvollziehbaren Gründen nicht enthalten. Allerdings wurde die Entscheidungssammlung 2016 eingestellt, sodass damit auf dieser Grundlage keine umfassende Auswertung bis zum Abschluss dieser Bearbeitung erfolgen kann. Hinsichtlich des gesetzten Anspruchs, ein grobes Bild über die Praxis des BGH im Hinblick auf die Urteilsverkündungsfrist zu schaffen, tut dies keinen Abbruch. Für die hiesige Auswertung wird auf die Datensammlung mit dem Stand Juni 2016 zurückgegriffen, dem letztmaligen Aktualisierungsstand der Sammlung insgesamt.

B. Vorgehen Die Entscheidungen (Urteile und Beschlüsse) sind in ihrer Niederschrift weitestgehend vollständig mit den Gründen enthalten. Die Näherung an die Frage, wie oft und in welchem Maß der BGH die Urteilsverkündungsfrist nach den §§ 356, 268 III 2 StPO überschreitet, erfolgt über den Urteilskopf, das Rubrum. Die Vorschrift des § 275 III StPO, die auch für das Revisionsurteil gilt, stellt an die Form des Rubrums gewisse dokumentierende Anforderungen.3 Hier sind neben den Beteiligten, die an der Verhandlung teilgenommen haben, auch der oder die Tage der Sitzung in das Urteil aufzunehmen. Über das Rubrum können so also die Sitzungstage erhoben und damit die Frist zwischen dem letzten Verhandlungstag und dem Tag der Verkündung berechnet werden. Problematisch kann hierbei sein, dass zwar im Grundsatz alle Sitzungstage aufzunehmen sind, bei einer großen Anzahl genügt es aber, Beginn der Verhandlung und den letzten Sitzungstag auf dem Urteilskopf zu vermerken.4 Das kann im Einzelfall zu Lücken in der Dokumentation führen, die mit vollständiger Sicherheit nur durch das nicht zugänglichen Protokoll der Verhandlung zu schließen wären. Auch soll nicht verheimlicht werden, dass über das Rubrum nicht immer zweifelsfrei geklärt werden kann, ob es am Tag der Verkündung, unmittelbar vor der Kundgabe des Urteils, noch zu einem materiellen Verhandeln kam. Auch hierzu wäre ein Rückgriff auf das Verhandlungsprotokoll erforderlich. Relevant ist das vor allem in solchen Fällen, in denen die Elftagefrist der §§ 356, 268 III 2 StPO bereits überschritten ist, die Frist des § 229 StPO aber noch eingehalten wird. Nach dem klaren Ergebnis der Untersuchung im vorigen Kapitel hat diese Unterbrechungsfrist im Revisionsverfahren aus den gleichen Erwägungen genauso unvermindert Geltung, wie die Urteilsverkündungsfrist der §§ 356, 268 III 2 StPO.

3

Greger, in: KK-StPO, § 275 Rn. 1; vgl. Schmitt, in: MGS, § 356 Rn. 3; Valerius, in: MüKo-StPO, § 275 Rn. 2. 4 Greger, in: KK-StPO, § 275 Rn. 7; Schmitt, in: MGS, § 275 Rn. 25; LR/Stuckenberg, § 275 Rn. 23; Valerius, in: MüKo-StPO, § 275 Rn. 36.

B. Vorgehen

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Über die Sichtung der weiteren Angaben zu den Beteiligten, insbesondere bezüglich deren Anwesenheit bei Verhandlung und Verkündung, können etwaige weitere Sitzungstage ggf. identifiziert oder ausgeschlossen werden und Rückschlüsse auf die Ereignisse der Verhandlungstage (materielles Verhandeln oder bloße Urteilsverkündung) gemacht werden. Diese Informationen sind aber nicht in BGHNack enthalten, da die dort wiedergegebenen Urteilsköpfe um die Aufzählung der Beteiligten gekürzt sind. Sie lassen sich durch eine ergänzende Erhebung durch Sichtung der Entscheidungsveröffentlichungen beim BGH5 entnehmen, da dort die weiteren Angaben des Rubrums, freilich in anonymisierter Form, enthalten sind. Eine völlige Sicherheit vor Fehlerhebungen gibt dies letztlich jedoch nicht und das wird bei der Bewertung der Ergebnisse auch berücksichtigt werden. Die Ergiebigkeit dieses Vorgehens hängt auch davon ab, wie das Rubrum im Einzelfall oder in der Übung der Strafsenate gestaltet ist. Die zwar nicht zu vermeidende Gefahr von Fehlerhebungen ist aber nicht zu überhöhen. Mehrere Verhandlungstage sind bei Sitzungen des BGH zwar keinesfalls ausgeschlossen, aber tendenziell eher selten. Dass die Hauptverhandlung dann tatsächlich über mehr als einen Verhandlungstag geht, von denen der zweite nicht ein bloßer Verkündungstermin ist, und damit über mehrere Tage materiell verhandelt wird, ist äußerst selten. Insofern darf durchaus erwartet werden, dass die Rubren in den allermeisten Fällen sehr wohl sämtliche Verhandlungstage enthalten und in den anderen Fällen erkennbar wird, dass es noch weitere Verhandlungstage – ob ausdrücklich benannt oder nicht – gab. Das verbleibende Restrisiko für das Auftreten von Fehlerhebungen ist daher als gering einzuschätzen. Gesichtet werden alle Entscheidungen, die ein Rubrum mit den kritischen Daten enthalten. Eine frühe erste Sichtung der Entscheidungssammlung ergab dabei, dass dies erst für Verfahren möglich ist, die im Jahre 1999 verhandelt und entschieden wurden – und hier noch nicht für alle Strafsenate im gleichen Maße. Damit umfasst das Entscheidungsjahr 1999 nicht alle in diesem Jahr durch Urteil entschiedenen Verfahren. Dies ist erst ab dem Erfassungsjahr 2000 der Fall. Aufgrund der Einstellung der Entscheidungssammlung zum Jahr 2016 sind auch die Verfahren im Entscheidungsjahr 2016 unvollständig. Alle durch Urteil entschiedenen Revisionen werden mit dem Aktenzeichen, dem Entscheidungsdatum, den aus dem Rubrum bei BGH-Nack ersichtlichen Verhandlungstagen und der Formulierung zu den Sitzungstagen im Urteilskopf erhoben. Aus diesen Daten wird der Zwischenzeitraum zwischen den Verhandlungstagen errechnet und mit der Frist der §§ 356, 268 III 2 StPO abgeglichen. Besonders relevant wird hierbei die Fristenerweiterung nach § 229 IV 2 StPO, die gemäß § 268 III 3 StPO entsprechende Anwendung findet. Fällt der elfte Tag nach der Verhandlung auf einen Sonntag, einen allgemeinen Feiertag oder einen Sonnabend, so ist das Urteil am nächsten Werktag zu verkünden. Diese Norm hat eine 5 Siehe dazu: https://www.bundesgerichtshof.de/DE/Entscheidungen/entscheidungen_node. html, zuletzt abgerufen am: 08. 06. 2020.

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3. Kap.: Statistische Fallzahlen

durchaus erhebliche Bedeutung, gerade wenn der übliche Sitzungstag des Senats ein Dienstag oder Mittwoch ist. Eine eher theoretische Frage hingegen ist die Berücksichtigung der Fristenhemmung nach § 229 III und V StPO, die gemäß § 268 III 3 StPO ebenfalls entsprechende Anwendung findet.6 Gemäß § 229 III StPO ist der Fristenlauf bis zu zwei Monate gehemmt, wenn der Angeklagte oder eine zur Urteilsfindung berufene Person wegen Krankheit nicht zur Hauptverhandlung erscheinen kann. Seit 2019 – damit außerhalb des Erhebungszeitraums und daher ohne Folge für die Untersuchung – gilt diese Hemmung gemäß § 229 III 1 Nr. 2 StPO auch dann, wenn ein eine zur Urteilsfindung berufene Person wegen Inanspruchnahme des gesetzlichen Mutterschutzes oder Elternzeit nicht zur Hauptverhandlung erscheinen kann.7 Voraussetzung für eine Hemmung ist jedoch nach § 229 III 1 StPO, dass die Hauptverhandlung mindestens an zehn Tagen stattgefunden hat. Unabhängig davon, dass die Datenbank diese Hinweise auf eine Fristenhemmung nicht beinhaltet und eine solche deshalb schon gar nicht berücksichtigt werden könnte,8 konnte darüber hinaus aber auch schon kein Fall gefunden werden, in dem eine Revisionshauptverhandlung an mindestens zehn Verhandlungstagen stattfand. Auch die Fristenhemmung nach § 229 V StPO kann nicht relevant werden, da sie erst nach dem Erhebungszeitraum von BGH-Nack an § 229 StPO angefügt wurde.9 Gleiches gilt für den befristet vorgesehenen Hemmungstatbestand nach § 10 II, I EGStPO, der im Zuge zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie geschaffen wurde.10 Neben der Urteilsverkündungsfrist wird auch die Unterbrechungsfrist des § 229 StPO bei der Bewertung einer Überschreitung eingestellt. Einerseits bei dem Zeitzwischenraum von letztem Verhandlungstag bis zum Tag der Verkündung, andererseits auch in dem eher seltenen Fall, dass es mehr als einen Verhandlungstag vor dem Tag der Urteilsverkündung gab. Wird eine Entscheidung identifiziert, bei der die Urteilsverkündungsfrist, ggf. auch oder nur die Unterbrechungsfrist, überschritten wurde, wird mit der auf der Internetpräsenz des BGH veröffentlichten Entscheidungssammlung ergänzend abgeglichen, ob aus dem dort vollständigen Rubrum, mit 6

Brehmer-Metz, in: DDKR, § 268 StPO Rn. 1. § 229 StPO geändert durch Art. 1 Nr. 13 des Gesetzes zur Modernisierung des Strafverfahrens vom 10. 12. 2019, BGBl. 2019 I, S. 2121; siehe hierzu auch kritisch Thomas Fischer, JoJZG 2019, 66, 67 f. 8 Auch ist nicht zu erwarten, dass der erforderliche Beschluss nach § 229 III 3 StPO erginge, da der BGH, wie schon erwähnt, neben der Unanwendbarkeit von § 268 III 2 StPO ebenfalls nicht von einer Anwendbarkeit der Unterbrechungsfristen auf seine Verfahren ausgeht. 9 Art. 1 Nr. 20 des Gesetzes zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs vom 05. 07. 2017, BGBl. 2017 I, S. 2208. 10 Siehe dazu Art. 3, 4, 6 III, IV des Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht vom 27. 03. 2020, BGBl. 2020 I, S. 569. 7

C. Auswertung

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Aufzählung der weiteren Beteiligten und deren eventuell vermerkter An- oder Abwesenheit an den jeweiligen Sitzungstagen, weitere Schlüsse auf die Inhalte der Verhandlungstage gezogen werden können. Bezüglich der in diesem Rahmen bestehenden Fristenhemmung nach den § 229 III, V StPO gilt aber ebenfalls das schon zuvor Erwähnte. Sowohl bei der Berechnung der Elftagefrist als auch der Unterbrechungsfrist ist zu bedenken, dass es sich bei dem 5. Strafsenat um einen nach § 130 II GVG sogenannten detachierten Senat handelt.11 Dieser sitzt, anders als der 1. bis 4. Strafsenat, nicht nur wegen des allgemeinen Gerichtssitzes gemäß § 123 GVG in Karlsruhe, sondern saß ursprünglich einst in Berlin und hat durch Verwaltungsanordnung12 des Bundesjustizministers seit dem 14. 07. 1997 seinen Sitz in Leipzig.13 Die landesspezifischen Feiertage in Sachsen sind, wie natürlich auch die weiteren gesetzlichen Feiertage sowie Sonnabende und Sonntage, bei der Fristberechnung gemäß §§ 268 III 2, 3, 229 IV 2 StPO zu bedenken. Eine Aufstellung aller in BGH-Nack gefundenen Verfahren, die die Urteilsverkündungsfrist überschreiten, werden nach Senaten und Entscheidungsdaten sortiert als Anhang am Schluss dieser Arbeit zur Verfügung gestellt.14

C. Auswertung Es konnten bei der Erhebung insgesamt 2717 Urteile bei BGH-Nack ausfindig gemacht werden, die ein Rubrum einschließlich der Sitzungsdaten enthalten. Die bereits erste Sichtung des Datenmaterials lässt erkennen, dass die Strafsenate – wenig verwunderlich – sehr ähnliche Formulierungen des Rubrums erkennen lassen; es sind aber auch gewisse Unterschiede und Variationen zwischen den Strafsenaten aber auch innerhalb eines Senats auszumachen. In der Gesamtschau lassen sich im Wesentlichen drei verschiedene Varianten der Rubrumseingangsformel erkennen, aus denen sich Prämissen für die weiteren Schlussfolgerungen herausarbeiten lassen. Diese können syntaktisch nochmals variieren, sind aber im Übrigen inhaltlich identisch, weshalb hier nicht sämtliche Formulierungen dargestellt werden sollen und können. Dennoch lassen sich gewisse Gleichmäßigkeiten erkennen, die im Folgenden veranschaulicht werden sollen: Die erste Variante deutet auf nur einen einzigen Sitzungstag hin, indem nur ein Verhandlungstag erkennbar wird, beispielsweise mit der Formulierung: „Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom […] für Recht er11

Feilcke, in: KK-StPO, § 130 Rn. 5. BAnz. 1997 Nr. 125, S. 8497. 13 Cierniak/Pohlit, in: MüKo-StPO, § 130 GVG Rn. 5; LR/Franke, § 123 GVG Rn. 2 f., § 130 GVG Rn. 3. 14 Siehe dazu den Anhang am Ende der Bearbeitung ab S. 279. 12

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3. Kap.: Statistische Fallzahlen

kannt:“.15 Es lässt sich der Schluss ziehen, dass die Revisionssache an nur einem Tag verhandelt und entschieden wurde. Es kann sich bei solchen Entscheidungen entweder um ein klassisches Stuhlurteil handeln oder eine Verhandlung mit eigenem Verkündungstermin zu einem späteren Zeitpunkt am selben Tage. Demgegenüber gibt es noch eine weitere Variante, die mehrere Verhandlungstage erkennen lässt, nämlich z. B. die Formulierung: „Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom […] in der Sitzung am […] für Recht erkannt:“.16 Diese Formulierung tritt noch in einer weiteren Variation auf, weshalb es hin und wieder heißt „aufgrund der Hauptverhandlung vom […] in der Sitzung am […]“.17 Der Satzbau kann leicht variieren wie bei der Formulierung „in der Sitzung vom […] aufgrund der Verhandlung vom […]“,18 und die Wörter „Hauptverhandlung“, „Verhandlung“ und „Sitzung“ werden in den Rubren synonym gebraucht; auch die Nutzung der Präposition „am“ statt „vom“ oder umgekehrt kann sich unterscheiden. Hierneben tritt eine Untervariante dieser Eingangsformulierung auf, die in dieser Form oder vergleichbarer Formulierung nur selten festgestellt werden konnte, aber auf ein längeres Verhandeln hindeutet, nämlich die Version: „aufgrund der Hauptverhandlungen vom […] und […]“.19 Derartige Einleitungsformeln könnten den Eindruck erwecken, dass es am Tag der Verkündung zu weiterem, materiellem Verhandeln kam. In diesem Fall wäre die Unterbrechungsfrist des § 229 StPO vorrangig zu beachten und es ist gerade nicht die Urteilsverkündungsfrist der §§ 356, 268 III 2 StPO maßgebend. Dass diese Rubrumsformulierung auf weiteres Verhandeln hindeutet, ist aber keinesfalls zwingend, da die Urteilsverkündung für sich genommen, egal ob in einem eigenen Verkündungstermin anberaumt oder direkt im Anschluss an das Verhandeln, gemäß § 260 I 1 StPO ebenfalls zur Hauptverhandlung gehört,20 also ein Hauptverhandlungstag auch ohne materielles Verhandeln vorliegen könnte. Genau genommen verhält sich diese Formulierungsvariante zu den Inhalten der durchgeführten Hauptverhandlung indifferent. 15

So z. B. in den Urteilen vom 11. 05. 2010, 1 StR 40/10; 09. 07. 2014, 2 StR 13/14; 16. 04. 2016, 3 StR 5/15; 05. 11. 2015, 4 StR 183/15; 24. 03. 2015, 5 StR 6/15. 16 Beispielsweise in den Urteilen vom 28. 09. 2011, 1 StR 129/11; 05. 06. 2014, 2 StR 381/13; 26. 05. 2011, 3 StR 492/10; 07. 01. 2010, 4 StR 413/09. 17 So bspw. die Urteile vom 18. 02. 2016, 1 StR 409/15; 14. 10. 2015, 2 StR 10/15; 08. 05. 2014, 3 StR 243/13; 07. 01. 2010, 4 StR 413/09; 28. 11. 2012, 5 StR 412/12. 18 So bspw. in den Urteilen vom 14. 11. 2003, 2 StR 164/03; 21. 05. 2015, 4 StR 577/14; 10. 12. 2014, 5 StR 405/13. 19 So bspw. in den Urteilen vom 11. 08. 2010, 1 StR 199/10; 25. 10. 2006, 2 StR 104/06; ähnlich und nur grammatikalisch variierend, die Urteile vom 26. 06. 2003, 1 StR 269/02 („auf Grund der Verhandlungen vom […] und […]“); 05. 12. 2002, 3 StR 161/02 („aufgrund der Verhandlungen vom […] und […]“); 20. 02. 2003, 3 StR 222/02 („aufgrund der Verhandlungen vom […] und […] und […]“); 23. 11. 2015, 5 StR 352/15 („aufgrund der Hauptverhandlung vom […] und […]“). 20 LR/Stuckenberg, § 268 Rn. 1; Schmitt, in: MGS, § 268 Rn. 14, 16. Siehe auch oben, Erstes Kapitel: D.

C. Auswertung

199

Und schließlich findet sich noch eine letzte Variante der Eingangsformel, die auf eine längere Hauptverhandlung mit mehreren Verhandlungstagen und eigenem Verkündungstag hindeutet: „Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Hauptverhandlungen vom […] und […] in der Sitzung am […] für Recht erkannt:“.21 In diesen Eingangsformeln werden sämtliche Verhandlungstage erwähnt, in Bezug auf die Inhalte der Verhandlung gilt selbiges, wie zur vorhergehend dargestellten Variante. Dieser dritten Formulierung steht noch eine Untervariante zur Seite, die auf mehrere Tage materiellen Verhandelns hinweist, aber vermutlich nicht alle Sitzungstermine separat aufzählt. Diese Formulierung wird erkennbar so nur vom 1. Strafsenat verwendet: „aufgrund der am […] begonnenen Hauptverhandlung in der Sitzung vom […]“.22 Soweit das generelle Spektrum der Eingangsformulierungen im Urteilskopf. Aus dieser Varianz geht die Auswertung für die Einordnung der Urteile im weiteren Verlauf nun von den folgenden Prämissen aus: 1. Wenn das Rubrum nur einen einzigen Sitzungstag ausweist, wird davon ausgegangen, dass Verhandlung und Entscheidung der Revisionssache nur an diesem im Rubrum genannten Tag stattfanden. 2. Wird die zweite Variante der Eingangsformel genutzt, also diejenige mit der Formulierung „aufgrund der Verhandlung/Hauptverhandlung vom […] in der Sitzung am […]“ und ist der letzte Tag verschieden von den anderweitig genannten Verhandlungstagen, so wird davon ausgegangen, dass der Entscheidungstermin ausschließlich ein Verkündungstermin war. 3. Sofern sich aus der Rubrumsformulierung nach den vorstehenden Prämissen nicht eindeutig erkennen lässt, dass es sich bei mehreren Verhandlungstagen bei dem Entscheidungstag um einen reinen Verkündungstermin handelt und wäre die Urteilsverkündungsfrist überschritten, wird mittels der weiteren Angaben des Rubrums bei der Entscheidungsveröffentlichung des BGH versucht, Hinweise auf das Vorliegen eines reinen Verkündungstermins zu finden. Gelingt das nicht oder verbleiben danach noch Zweifel über das Vorliegen etwaiger weiterer Verhandlungstage, geht die fragliche Entscheidung als „nicht zuordbar“ nicht in die weitere Auswertung ein. Für die Auswertungen der einzelnen Strafsenate ergibt sich damit folgendes Bild:

21

Bspw. Urteil vom 21. 07. 2015, 2 StR 75/14. Ähnlich Urteil vom 28. 05. 2014, 2 StR 437/ 13 („aufgrund der Sitzung vom […] und […] in der Verhandlung am […]“). 22 So in den Urteilen vom 15. 02. 2005, 1 StR 91/04; 04. 09. 2014, 1 StR 75/14 und vom 04. 08. 2015, 1 StR 624/14.

200

3. Kap.: Statistische Fallzahlen

I. Daten zum 1. Strafsenat Zur Übersicht die Tabelle zum 1. Strafsenat: Anzahl:

Urteile insgesamt (n):

Mehr als ein Verhandlungstag (n2):

467

70*

12

15 %

2,6 %

Anteil von n:**

Überschreitungen:

Anteil von n2 :** Überschreitung im Ø:***

17,1 % 11,25 Tage

* Zwei Verfahren konnten nicht zugeordnet werden. ** Die Angaben in % sind gerundet. *** Arithmetisches Mittel.

Auf den 1. Strafsenat des BGH entfallen in der Gesamtzahl 467 Urteile. Von diesen Revisionssachen wurden 397 am selben Tag verhandelt und entschieden, das sind in etwa 85 % der Fälle. Lediglich 70 Verfahren hatten mehr als einen Verhandlungstag, sodass die Entscheidung in etwa 15 % der Fälle auf einen anderen Verhandlungstag fiel. Nach den zuvor dargestellten Prämissen konnten für den 1. Strafsenat zwölf Fälle ausgemacht werden, in denen die Urteilsverkündungsfrist überschritten wurde.23 Das macht einen Anteil von etwa 2,6 % an den in den Erhebungszeitraum fallenden Urteilen. Im Verhältnis zu den Verhandlungen mit mehr als einem Verhandlungstag sind es allerdings schon 17,1 % der Urteile, sodass annährend jede fünfte Revisionssache, die über mehrere Verhandlungstage geht, von einer Fristüberschreitung nach den §§ 356, 268 III 2 StPO betroffen ist. Die Fristüberschreitung beträgt im Mittel 11,25 Tage und reicht von einem Tag24 bis hin zu 30 Tagen25. Nicht zugeordnet werden konnten zwei Urteile.26 Bemerkenswert ist, dass für den Erhebungszeitraum von 1999 bis 2009 keine Fristüberschreitungen ausgemacht werden können, sondern alle zwölf Fälle erst im Zeitraum von 2010 bis 2016 auftreten – dort dann, bis auf zwei Fälle im Jahre 2010, alle in den Jahren 2014 (drei Fälle), 2015 (fünf Fälle) und 2016 (zwei Fälle). Für den 1. Strafsenat ist ein Überschreiten der Urteilsverkündungsfrist somit ein Phänomen der jüngeren Zeit innerhalb des betrachteten Erhebungszeitraums.

23 24 25 26

Siehe zu den Verfahren Tabelle 1 im Anhang. So die Urteile vom 02. 02. 2016, 1 StR 435/15 und 1 StR 437/15. Urteil vom 14. 01. 2015, 1 StR 302/13. Urteile vom 15. 02. 2005, 1 StR 91/04 und vom 04. 02. 2010, 1 StR 95/09.

C. Auswertung

201

II. Daten zum 2. Strafsenat Zur Übersicht zunächst die Tabelle zum 2. Strafsenat: Anzahl:

Urteile insgesamt (n):

Mehr als ein Verhandlungstag (n2):

639

109*

51

17,1 %

8%

Anteil von n:**

Anteil von n2 :** Überschreitung im Ø:***

Überschreitungen:

46,8 % 18,9 Tage

* Es konnten alle Verfahren zugeordnet werden. ** Die Angaben in % sind gerundet. *** Arithmetisches Mittel und gerundet.

Der 2. Strafsenat entschied in dem Erhebungszeitraum 639 Revisionssachen durch Urteil und damit von allen fünf Strafsenaten mit Abstand die meisten. Es folgt mit 564 Urteilen der 3. Strafsenat. 530 Urteile (etwa 82,9 %) wurden am selben Tag verhandelt und entschieden, 109 (etwa 17,1 %) wurden über mehrere Tage verhandelt. Hierbei gab es 51 Sachen,27 bei denen die Urteilsverkündungsfrist der §§ 356, 268 III 2 StPO überschritten wurde, was einen Anteil von etwa 8 % aller im Urteil entschiedenen Verfahren ausmacht bzw. 46,8 % der Verfahren, die über mehr als einen Verhandlungstag gehen. Das heißt, dass bei nahezu jedem zweiten Fall, bei dem ein weiterer Hauptverhandlungstag folgt, die gesetzlich vorgeschriebene Frist nicht eingehalten wird. Im Durchschnitt liegt die Fristüberschreitung bei 18,9 Tagen und reicht von einem Tag28 bis 142 Tage29. Dieser Wert ist der größte festgestellte innerhalb des Erhebungszeitraums. Im Unterschied zum ersten Strafsenat kamen Fristüberschreitungen nahezu im gesamten Erhebungszeitraum vor, bis auf die Jahre 1999, 2002 und 2008. Eine deutliche Zunahme erfolgte ab 2013 bis zum Jahr 2015, in dem mit zehn Fristüberschreitungen der Höchstwert im Erhebungszeitraum erreicht wurde.

27

Siehe zu den Verfahren die Tabelle 2 im Anhang. So das Urteil vom 19. 02. 2003, 2 StR 371/02 und die Urteile vom 17. 03. 2015, 2 StR 281/ 14, 2 StR 379/14. 29 Urteil vom 23. 12. 2015, 2 StR 525/13. 28

202

3. Kap.: Statistische Fallzahlen

III. Daten zum 3. Strafsenat Zur Übersicht folgt die Tabelle zum 3. Strafsenat: Anzahl:

Urteile insgesamt (n):

Mehr als ein Verhandlungstag (n2):

564

82*

66

14,5 %

11,7 %

Anteil von n:**

Anteil von n2 :** Überschreitung im Ø:***

Überschreitungen:

80,5 % 32,3 Tage

* Ein Verfahren konnte nicht zugeordnet werden. ** Die Angaben in % sind gerundet. *** Arithmetisches Mittel und gerundet.

Von dem 3. Strafsenat wurden in dem Erhebungszeitraum von 1999 bis 2016 insgesamt 564 Revisionssachen durch Urteil entschieden. Hiervon hatten 82 Verfahren mehr als einen Verhandlungstag (etwa 14,5 % der Fälle). Damit wurden also 482 Verfahren am selben Tag verhandelt und entschieden, was 85,5 % der gesamten im Urteil entschiedenen Verfahren ausmacht. Fristüberschreitungen konnten bei 66 Verfahren entdeckt werden.30 Das entspricht einem Anteil von 11,7 Prozent aller vom 3. Strafsenat durch Urteil entschiedenen Verfahren (also schon mehr als jeder 10. Fall) und sogar einen Anteil von 80,5 % im Verhältnis zu den Verfahren, die nicht am selben Tag verhandelt und entschieden wurden. Hier lässt sich also die Aussage treffen, dass das Überschreiten der Urteilsverkündungsfrist für den 3. Strafsenat schon der Regelfall ist, sofern es mehr als einen Verhandlungstag gibt. Die durchschnittliche Fristüberschreitung liegt bei 32,3 Tagen, sodass die Monatsgrenze allein bei der Überschreitung der Frist im arithmetischen Mittel überschritten wird. Das Spektrum reicht hierbei von zwei31 bis 115 Tagen32. Die Neigung zu Fristüberschreitungen lässt sich den gesamten Erhebungszeitraum über feststellen, mit Ausnahme für die Jahre 1999, 2001, 2011 und das nur in kleinem Anteil erfasste Jahr 2016. Für den 3. Strafsenat gehört ein langer Zeitabstand zwischen Verhandlung und Urteilsverkündung damit schon zum Normalfall. Insgesamt konnte ein Verfahren nicht eindeutig zugeordnet werden.33 Hier kommt die Besonderheit hinzu, dass dabei insgesamt drei Verhandlungstage stattgefunden haben, wobei der letzte Tag wohl ein bloßer Verkündungstermin zu sein scheint. Während die Urteilsverkündungsfrist zwischen den letzten beiden Verhandlungstagen eingehalten würde, so wird aber die Unterbrechungsfrist des § 229 StPO zwischen den ersten beiden Verhandlungstagen (19. 12. 2002 bis 13. 02. 2003) nicht eingehalten, sodass hier ein Fristenbruch erfolgt. Eine Fristüberschreitung liegt somit vor, aber nicht in Gestalt der Urteilsverkündungsfrist, sondern in der der Unterbrechungsfrist. Die grundsätzlichen Folgen sind 30 31 32 33

Siehe zu den Verfahren Tabelle 3 im Anhang. Urteil vom 22. 11. 2000, 3 StR 331/00. Urteil vom 23. 07. 2015, 3 StR 470/14. Urteil vom. 20. 02. 2003, 3 StR 222/02.

C. Auswertung

203

letztlich dieselben. Die Einheit der Hauptverhandlung ist nicht gewahrt. In die Zählung zur Überschreitung der Urteilsverkündungsfrist kann dieses Beispiel aber nicht eingehen.

IV. Daten zum 4. Strafsenat Es folgt die Tabelle zum 4. Strafsenat: Urteile insgesamt (n): Anzahl:

Mehr als ein Verhandlungstag (n2):

475 Anteil von n:**

12*

10

2,5 %

2,1 %

Anteil von n2 :** Überschreitung im Ø:***

Überschreitungen:

83,3 % 27,5 Tage

* Ein Verfahren konnte nicht zugeordnet werden. ** Die Angaben in % sind gerundet. *** Arithmetisches Mittel.

Bei dem 4. Strafsenat wird eine Besonderheit im Vergleich zu den übrigen Strafsenaten offensichtlich. In dem Erhebungszeitraum entschied er 475 Revisionssachen durch Urteil und befindet sich, was die absoluten Zahlen angeht, an vorletzter Stelle. Diese Reihenfolge darf aber nicht überbewertet werden, da, wie eingangs bereits dargelegt, das Jahr 1999 nicht für alle Strafsenate gleichermaßen erfasst werden kann (für den 4. Strafsenat erst ab Juni 1999). Damit ist die Entscheidungszahl für das Jahr 1999 mit Sicherheit reduziert. Die Besonderheit ist, dass nach Durchsicht der Entscheidungen nur zwölf Fälle (etwa 2,5 % aller entschiedenen Fälle) identifiziert werden konnten, bei denen es ersichtlich zu einem weiteren Verhandlungstag kam. Alle 463 verbliebenen, durch Urteil entschiedenen Revisionen (und damit etwa 97,5 % aller Fälle) wurden – jedenfalls nach den Rubren – am selben Tag verhandelt und entschieden. Im Zeitraum von 1999 bis 2010 konnte kein einziger Fall ausgemacht werden, an dem die Verhandlung zwei Tage oder mehr umfasste. Insofern sind vermehrte Fristüberschreitungen auch hier ein Phänomen aus jüngerer Zeit. Die Abweichung im Bezug der Zahl an Verhandlungen an mehreren Tagen ist im Vergleich zu den anderen Strafsenaten so groß, dass die für den 4. Strafsenat ermittelten Zahlen für Irritationen sorgen. Dennoch lassen sie nicht auf eine andere Dokumentation im Rubrum schließen, da beim 4. Strafsenat sehr wohl auch eindeutige Entscheidungen vorhanden sind, die an mehr als einem Verhandlungstag stattfanden und die Verhandlungstage einzeln ausweisen. Und die übrigen Rubren deuten in ihrer Formulierung nicht darauf hin, dass hier durch den 4. Strafsenat eine Dokumentationspraxis dergestalt gepflegt wird, nur den Entscheidungstag im Urteilskopf zu vermerken.

204

3. Kap.: Statistische Fallzahlen

Gegebenenfalls liegt vielmehr eine andere Vorbereitungspraxis im Senat vor, die eine Behandlung und Entscheidung der Sache am selben Tag begünstigt. Dadurch würde der 4. Strafsenat in gewisser Weise – im Hinblick auf die Einhaltung von Verkündungs- und Unterbrechungsfrist – gemeinsam mit dem noch darzustellenden 5. Strafsenat einen der „Musterknaben“ unter den Strafsenaten darstellen. Dies aber nicht gänzlich unfehlbar, da auch hier zehn Fälle34 (etwa 2,1 % aller und 83,3 % der Fälle, die an mehr als einem Verhandlungstag entschieden wurden) von Fristüberschreitungen identifiziert werden konnten. Die festgestellten Fristüberschreitungen betragen im Mittel 27,5 Tage und umfassen eine Spannbreite von zehn35 bis 45 Tagen36. Ein Verfahren konnte nicht zweifelsfrei zugeordnet werden.37 Dieses Verfahren stellt einen Verdachtsfall einer Fristüberschreitung dar, allerdings deuten die weiteren Angaben im Rubrum, die bei den in der Entscheidungssammlung des BGH ersichtlich sind, auf etwaige weitere Verhandlungstage hin, sodass die Frage, ob hier Fristüberschreitungen von § 229 StPO bzw. §§ 356, 268 III 2 StPO vorliegen, nicht mit hinreichender Sicherheit geklärt werden kann.

V. Daten zum 5. Strafsenat Für den 5. Strafsenat ergibt sich folgendes Bild in der Tabelle: Anzahl:

Urteile insgesamt (n):

Mehr als ein Verhandlungstag (n2):

550

82*

2

14,9 %

0,4 %

Anteil von n:**

Überschreitungen:

Anteil von n2 :** Überschreitung im Ø:***

2,4 % 2 Tage

* Acht Verfahren konnten nicht zugeordnet werden. ** Die Angaben in % sind gerundet. *** Arithmetisches Mittel.

Der 5. Strafsenat entschied im Erhebungszeitraum 550 Verfahren durch Urteil. 82 Urteile wurden aufgrund einer mehrtägigen Hauptverhandlung gefällt, was einen Anteil von 14,9 % ausmacht. Demgegenüber wurden folglich 85,1 % der Revisionen am selben Tag verhandelt und entschieden. Damit verhandelt der 5. Strafsenat erheblich mehr Revisionen an mehreren Verhandlungstagen, die die Elftagefrist mühelos einhalten (72 Fälle) als der 4. Strafsenat. Die Anzahl der festgestellten Fristüberschreitungen liegt aber deutlich unter diesem. Es konnten zwei Verfahren (das sind unter 0,4 % aller und etwa 2,4 % der Fälle mit mehr als einem Verhandlungstag) 34 35 36 37

Siehe zu den Verfahren Tabelle 4 im Anhang. Urteil vom 07. 01. 2010, 4 StR 413/09. Urteile vom 19. 11. 2015, 4 StR 115/15 und 14. 01. 2016, 4 StR 72/15. Urteil vom 21. 05. 2015, 4 StR 577/14.

C. Auswertung

205

ausgemacht werden,38 die die Urteilsverkündungsfrist jeweils um zwei Tage, was damit auch dem arithmetischen Mittel entspricht, überschreiten. In beiden Verfahren gibt es dem Rubrum nach keinen Hinweis auf weiteres, materielles Verhandeln am zweiten Tag der Hauptverhandlung. Allerdings wäre die Unterbrechungsfrist des § 229 StPO eingehalten worden. Insgesamt zeigt sich der 5. Strafsenat als relativ fristentreu. Die weiteren acht Verfahren39, die als solche mit mehr als einem Verhandlungstag identifiziert werden konnte, ließen sich nicht abschließend zuordnen. Dem Rubrum nach wurde „aufgrund der Hauptverhandlung(en) vom […] und […] (in der Sitzung) am […]“ entschieden, wobei die letzten beiden Daten denselben Tag bezeichnen. Es ließ sich mit den weiteren Angaben in der Entscheidungssammlung beim BGH keine Klärung erzielen, ob es sich beim weiteren Verhandlungstag um einen reinen Verkündungstermin handelt. Das war aber für die Zuordnung deshalb entscheidend, weil die Dreiwochenfrist des § 229 I StPO in allen acht Fällen gewahrt wäre, nicht aber die Elftagefrist der §§ 356, 268 III 2 StPO. Wäre am Verkündungstag also zuvor auch materiell verhandelt worden, läge kein Fristenbruch vor. Es handelt sich damit also um Verdachtsfälle. Alles in allem ist der 5. Strafsenat innerhalb des Erhebungszeitraums in Bezug auf Fristüberschreitungen am unauffälligsten.

VI. Gesamtbetrachtung In der Gesamtschau aller Strafsenate ergibt sich das folgende Bild: Urteile insgesamt (n): Anzahl:

Mehr als ein Verhandlungstag (n2):

2.717 Anteil von n:**

355*

141

13,1 %

5,3 %

Anteil von n2 :** Überschreitung im Ø:***

Überschreitungen:

39,7 % 24,9 Tage

* Zwölf Verfahren konnten nicht zugeordnet werden. ** Die Angaben in % sind gerundet. *** Arithmetisches Mittel und gerundet.

Von den 2717 durch Urteil entschiedenen Revisionen im Erhebungszeitraum von 1999 bis 2016 wurden 355 Verfahren über mehr als einen Tag verhandelt, was einen Anteil von ungefähr 13,1 % aller Urteilsverfahren ausmacht. Im Umkehrschluss wurden damit über 86,9 % dieser Revisionssachen am selben Tag verhandelt und entschieden. Lediglich in 141 Fällen, was einen Anteil von 5,3 % aller Fälle bzw. 39,7 % der an mehreren Tagen verhandelten Fälle ausmacht, wurde die Elfta38

Siehe zu den beiden Verfahren Tabelle 5 im Anhang. Urteile vom 15. 12. 2006, 5 StR 181/06 und 5 StR 182/06; 11. 07. 2008, 5 StR 74/08; 09. 07. 2009, 5 StR 600/07 und 5 StR 263/08; 06. 03. 2013, 5 StR 597/12; 11. 12. 2013, 5 StR 240/13; 11. 03. 2014, 5 StR 563/13. 39

206

3. Kap.: Statistische Fallzahlen

gefrist der §§ 356, 268 III 2 StPO nicht eingehalten. Die durchschnittliche Überschreitung beträgt 24,9 Tage und nähert sich damit im Mittel einem vollen Monat an. Die Überschreitung weist eine Spannweite von bloß einem Tag bis hin zu 142 Tagen auf.

D. Ergebnisse Nach der kurzen Darstellung zur praktischen Realität des BGH im Zusammenhang mit der Urteilsverkündungsfrist, in Teilen auch zur Unterbrechungsfrist, lässt sich erkennen, dass es nicht „die eine“ Praxis des BGH gibt, sondern vielmehr verschiedene phänotypische Praktiken. Sie variieren horizontal zwischen den Strafsenaten einerseits und andererseits vertikal innerhalb desselben Strafsenats über den Erhebungszeitraum hinweg. Fristüberschreitungen kommen bei dem 1. bis 3. Strafsenat gehäuft vor und dabei auch durchaus mit extremen Überschreitungen von mehreren Monaten. Beim 1. Strafsenat lässt sich mit dem plötzlichen und exzessiven Auftreten an Fristüberschreitungen im Jahr 2010 förmlich ein „Sündenfall“ erkennen, dem er ab 2014 dauerhaft verfällt. Diesen „Lausbuben“ stehen die „Musterknaben“ des 4. und 5. Strafsenats gegenüber. Sie reißen die Elftagefrist der §§ 356, 268 III 2 StPO erheblich seltener. Bemerkenswert ist – und das soll herausgestellt werden –, dass das Gros der durch Urteil entschiedenen Verfahren innerhalb der Verkündungsfrist und mit Werten von über 80 % sogar am selben Tag verhandelt und entschieden wird. In der Gesamtbetrachtung ist die Verhandlung über mehrere Tage also vielmehr die Ausnahme als die Regel. Die Überschreitung der Urteilsverkündungsfrist stellt damit kein Tagesgeschäft des BGH dar; sie ist aber auch keinesfalls eine Seltenheit. Im Gegenteil, auf die Verfahren runtergebrochen, in denen es zu mehreren Verhandlungstagen kommt, erlangt sie, auf alle durch Urteil entschiedenen Verfahren des BGH bezogen, eine beachtliche Regelmäßigkeit. Und in einigen Strafsenaten stellt dieser Fall sogar die Regel – nicht die Ausnahme – dar. Über die Gründe für die unterschiedliche Ausprägung kann an dieser Stelle nur spekuliert werden. Die Arbeit der oder des Vorsitzenden wird mit Sicherheit kausal sein. In ihrer Quintessenz zeigt diese empirische Untersuchung, dass die Überschreitung der Urteilsverkündungsfrist gelebte Praxis ist – ihre konkrete Erscheinung variabel. Eine praktische Relevanz der Untersuchungsfrage kann damit keinesfalls geleugnet werden.

Viertes Kapitel

Rechtsschutz (des Angeklagten) Sofern die staatliche Gewalt, wie im hiesigen Untersuchungsfall der BGH, eine Norm, trotz ihrer Verbindlichkeit, nicht anwendet und sich damit rechtswidrig verhält, stellt sich die Frage, wie dieses Organ im Hinblick auf Art. 20 III GG zur Einhaltung bewegt werden kann. Diese Fragestellung ist Gegenstand des letzten inhaltlichen Kapitels der Abhandlung. Wird durch ein solches rechtswidriges Verhalten eine Person zu ihrem Nachteil betroffen, besteht bei ihr verständlicherweise regelmäßig das Bedürfnis, sich gegen dieses Verhalten zur Wehr zu setzen und diesen Zustand zu beheben. Dieses soll der primäre Ansatzpunkt der folgenden Abschnitte werden. Gegenstand ist damit nicht, welche Möglichkeiten allgemeiner Natur bestehen, ein rechtswidriges Verhalten eines staatlichen Organs zu unterbinden, wie beispielsweise durch gesetzliche oder gar rechtspolitische Einflussnahme, sondern jene Möglichkeiten zu untersuchen, die dem Einzelnen, auf eigene Veranlassung, gegen die Nichteinhaltung der Urteilsverkündungsfrist der §§ 356, 268 III 2 StPO durch das Revisionsgericht aktuell zur Verfügung stehen. Im Folgenden sollen diese Möglichkeiten erörtert werden und im Vergleich zum Zweiten Kapitel der Bearbeitung wird ein Perspektivwechsel stattfinden. Während das Zweite Kapitel fast rein normativ arbeiten konnte, aber in Kenntnis der Rechtsprechung bei der Beurteilung des normativen Inhaltes der Vorschriften letztlich unabhängig war, so sollen hier die denkbaren Rechtsbehelfe aus der Sicht der Rechtspraxis betrachtet werden. Die Rechtsprechung der Gerichte zu gewissen Fragestellungen wird die theoretisch denkbaren, abweichenden und weiterführenden Ansichten überlagern und verdrängen. Des Weiteren wird die Betrachtung eingeengt aus der Perspektive des Angeklagten erfolgen, welchem regelmäßig die intensivste Rechtseinschränkung widerfährt, und nicht aus der der weiteren Prozessbeteiligten wie Staatsanwaltschaft oder Nebenklage. Die Perspektiven der weiteren Prozessbeteiligten werden, trotz andersgearteter Interessen, der untersuchten Perspektive des Angeklagten im Hinblick auf die Beschwer gleichlaufend sein. Hier ist nicht der Raum, alle denkbaren Konstellationen zu durchdenken, in denen Rechtsbehelfe angebracht und vor allem zum Erfolg gebracht werden können. Auf den folgenden Seiten werden lediglich die neuralgischen Punkte der behandelten Rechtsbehelfe erörtert werden; bildlich gesprochen soll der Finger in die Wunden gelegt werden. Es besteht gerade nicht der Anspruch, einen jeden möglichen Rechtsbehelf anhand theoretischer Fallbildungen bis in alle Einzelheiten durch zu deklinieren und zu einem – ggf. bloß theoretischen – Erfolg zu verhelfen. Und es wird eine weitere Eingrenzung vorgenommen. Es werden lediglich die Rechtsschutzmöglichkeiten

208

4. Kap.: Rechtsschutz (des Angeklagten)

untersucht, die eine unmittelbare Rüge der Nichteinhaltung der Urteilsverkündungsfrist auf der Ebene des nationalen (Prozess-)Rechts bieten. Ausgespart bleiben damit Fragen des Sekundärrechtsschutzes. Ebenfalls nicht behandelt werden auf internationaler Ebene verankerte Rechtsschutzmechanismen. Zwar besteht mit der Möglichkeit von Individualbeschwerden für den Angeklagten auch Verletzungen von international gewährleisteten Garantien zu rügen,1 diese werden aber am entsprechenden Konventionsrecht geprüft und richten sich nicht unmittelbar gegen den Einzelrechtsverstoß nach §§ 356, 268 III StPO.

A. Ausgangslage Die §§ 356, 268 III 2 StPO konstatieren für die Hauptverhandlung des Revisionsgerichts verbindlich,2 dass bei Aussetzung der Urteilsverkündung das Urteil spätestens am elften Tage nach dem Schluss der Verhandlung verkündet werden muss. Dies gilt uneingeschränkt auch für das Revisionsgericht, um die mündliche Hauptverhandlung als die Wahrheitsfindung sicherndes Verfahren und dessen frischen Eindruck zu schützen;3 das konnte oben bereits belegt werden. Weil das Gesetz bei Überschreitung dieser Frist das nicht mehr als gewährt ansieht, so ordnet § 268 III 2 a. E. StPO in der Folge an, dass die Hauptverhandlung zu wiederholen ist. Auch dies hat uneingeschränkt für das Revisionsgericht zu gelten, wenn es eine Entscheidung aufgrund mündlicher Hauptverhandlung zu treffen hat. Mit dieser Prämisse im Kopf mag es auf den ersten Blick paradox erscheinen, gegen eine Fristüberschreitung einen Rechtsbehelf einzulegen. Denn sollte er erfolgreich sein, so würde das zur Wiederholung der Hauptverhandlung führen bei einer damit gleichzeitig einhergehenden Verlängerung des Verfahrens.

1 Die bekannteste dürfte hierbei die Menschenrechtsbeschwerde nach Art. 34 EMRK sein, mit der eine hier in Betracht kommende Konventionsverletzung des Rechts aus Art. 6 I 1 EMRK gerügt werden kann, LR/Robert Esser, EGMR Verfahren Rn. 32. Es bleibt aber auch ggf. die Rüge einer Verletzung des im Wesentlichen inhaltsgleichen Art. 47 II EU-GRCh, vgl. Art. 52 III EU-GRCh und die Erläuterungen zur Charta, ABl. der EU 2007 C 303/30, 34; Jarass, Charta der Grundrechte der EU, Art. 47 Rn. 1 f. Eine solche Geltendmachung kann aber, wenn die Verletzung von nationalen Stellen verursacht wird und nach Art. 51 EU-GRCh unionsrechtsbezogen ist, nur im Wege einer Vorabentscheidung nach Art. 267 IV AEUV geltend gemacht werden, zu der der Einzelne selbst nicht in der Lage ist, vgl. Jarass, Charta der Grundrechte der EU, Einleitung Rn. 75 ff. Zuletzt besteht noch die Möglichkeit, mit Mitteilung einer Verletzung des Art. 14 III lit. c) IPbpR gemäß Art. 2 des 1. Fakultativprotokolls zum IPbpR, BGBl. 1994 II, S. 311, ein Verfahren beim UN-Menschenrechtsausschuss einzuleiten, dieses Rechtsmittelsystem ist im Vergleich zu dem der EMRK hingegen schwach ausgeprägt und eher unverbindlich, LR/Robert Esser, HRC Verfahren Rn. 361 ff.; Hofmann/Boldt, Internationaler Bürgerrechtepakt, Einl. Rn. 3 ff. 2 Siehe dazu die Ergebnisse im Zweiten Kapitel. 3 Vgl. nur BGHSt 23, 224, 225 f.; BGH, NJW 1996, 3019; Kudlich, in: MüKo-StPO, Einl. Rn. 150.

A. Ausgangslage

209

„Beschleunigung“ durch Verlängerung also? Im Anblick des vom Beschleunigungsgrundsatz umfassten Schutzgehaltes dürfte ein solches Vorgehen vielmehr kontraproduktiv erscheinen, eben weil es in der Gesamtschau doch zu einer Verfahrensverlängerung führen würde – und möglicherweise nach wiederholter Hauptverhandlung dennoch mit dem vormals gefundenen Ergebnis endet. Aber eben nur möglicherweise. Genauso ist es nicht ausgeschlossen, dass das Gericht in einer ordnungsgemäß durchgeführten Hauptverhandlung zu einem anderen Ergebnis kommt.4 Denn hier ist in Erinnerung zu rufen, dass die Urteilsverkündungsfrist, wie auch die Unterbrechungsfrist, vornehmlich der Absicherung des mündlichen Verfahrens und des flüchtigen Verfahrensstoffs dient und damit der Konzentrationsmaxime. Wenn, wie hier vertreten, der Beschleunigungsgrundsatz mit seiner objektiven und subjektiven Komponente etwas qualitativ Anderes ist, welcher in diesem Verfahrensstand dieselbe Schlagrichtung, eben Beschleunigung des Verfahrens, hat, dann ist dieser von § 268 III 2 StPO lediglich mittelbar umfasst. Wird die Urteilsverkündungsfrist nicht eingehalten, so besteht nicht mehr die Gewähr dafür, dass der frische Eindruck des eingebrachten Prozessstoffs bei der Urteilsfällung zugrunde gelegt wird –5 und stattdessen ein qualitativ minderwertiges, auf einen nicht wahrheitsgemäß festgestellten (Revisions-)Sachverhalt, beruhendes Urteil gefunden wird, indem das Gericht die Revisionshauptverhandlung durch das schriftliche Material rekonstruiert. Dieser Gefahr will die strenge Gestaltung der Unterbrechungs- und Verkündungsfristen mit ggf. notwendiger Wiederholung der Hauptverhandlung entgegenwirken.6 Dass es dabei zu einer Verfahrensverlängerung kommen kann, ist schlichtweg hinzunehmen. Ein in einem schnellen Verfahren gefundenes, aber falsches Urteil ist mindestens genauso belastend,7 wie ein in einem ordnungsgemäß durchgeführten aber aufgrund der Wiederholung verlängerten Verfahren gefundenes Urteil. Außerdem ist erwähnenswert, dass einige der gleich zu erörternden Rechtsbehelfe bereits eingreifen, noch bevor es zu einer Verfahrensverlängerung oder notwendigen -wiederholung kommt, eine solche also noch abwenden könnten.

4 Das ist im Übrigen auch eine Argumentation des Revisionsgerichts bei der Prüfung der Beruhensfrage im Rahmen des § 268 III 2 StPO, siehe z. B. BGHR-StPO § 268 III, Verkündung 1; Haddenhorst hat bereits mit einer Untersuchung im Jahr 1971 dargelegt, dass eine erneute Hauptverhandlung (allerdings im Hinblick auf die Tatgerichte nach Aufhebung durch die Revision) häufig zu anderen Ergebnissen, als in der ersten Hauptverhandlung führt, Haddenhorst, Die Einwirkung der Verfahrensrüge auf die tatsächlichen Feststellungen im Strafverfahren, S. 107 ff. Bei einer Neuverhandlung vor dem Revisionsgericht muss ein solches Ergebnis genauso nicht ausgeschlossen sein. 5 Vgl. die Ausführungen des RG aus RGSt 27, 116, 117 in Bezug auf das Tatgericht. 6 Vgl. Hassemer, Einführung in die Grundlagen des Strafrechts, S. 158. 7 Daher ist die Beschleunigung des Strafprozesses auch kein Wert an sich, den es „um jeden Preis“ zu erreichen gebe, vgl. Thomas Fischer, in: KK-StPO, Einleitung Rn. 30; Laue, GA 2005, 648, 661 f.; Tepperwien, NStZ 2009, 1.

210

4. Kap.: Rechtsschutz (des Angeklagten)

Darüber hinaus sollen die Rechtsschutzmöglichkeiten, auch wenn sie zu einer Verfahrensverlängerung führen, den BGH schließlich auch gerade dazu zwingen, seine rechtswidrige Praxis zu beenden und das verbindliche Gesetz einzuhalten. Dem Betroffenen steht mit dem ausdifferenzierten Rechtsbehelfsrecht des nationalen Strafverfahrensrechts und darüber hinaus außerhalb des Strafverfahrensrechts eine durchaus ansehnliche Zahl an Rechtsbehelfen und Handlungsmöglichkeiten zur Auswahl. Diese beinhalten für den vorliegenden Sachverhalt zumeist aber doch nur eine theoretische Rechtsschutzmöglichkeit. Die aufgezeigte Rechtsverletzung des BGH ist zum Leidwesen des Angeklagten schlichtweg nahezu nicht justiziabel. Das hat damit zu tun, dass mit dem BGH beim Rechtsweg in gewisser Weise das „Ende der Fahnenstange“ erreicht ist; jedenfalls was den üblichen Verfahrensgang angeht. Eine regelgerechte Anfechtung der obergerichtlichen (End-) Entscheidungen gibt es nicht.8 Verfassungsrechtlich soll dieser Umstand grundsätzlich unbedenklich sein, denn der Justizgewährungsanspruch nach Art. 19 IV GG und auch andere verfassungsrechtliche Normen räumten keinen unbegrenzten Instanzenzug ein.9 Art. 19 IV GG erfordere lediglich effektiven Rechtsschutz innerhalb des durch die Verfahrensordnungen ausgestalteten Rechtswegs.10 Aus diesem Grunde gibt es auch nur sehr wenige Rechtsbehelfe, die dem BGH eine Selbstkontrolle eröffnen. Aus Sicht des historischen Gesetzgebers dürfte das schon deswegen nicht nötig gewesen sein, da ein mit ausgezeichneten Richtern besetztes Gericht keine Fehler macht. In Anbetracht des hiesigen Falles dürfte es für den Gesetzgeber auch schlichtweg nicht vorstellbar gewesen sein, dass ein Gericht, das die Einhaltung des Gesetzes überwachen soll (vgl. § 337 StPO), sich selbst gewillkürt nicht an das Gesetz halten würde, wie es das RG in RGSt 27, 116 tat. Bis heute ist eine Anfechtbarkeit revisionsgerichtlicher Entscheidungen, dem Charakter als rechtszugabschließende Instanz, ersichtlich bloß rudimentär ausgeprägt und bewegt sich auf nationaler Ebene daher vornehmlich im Rahmen der außerordentlichen Rechtsbehelfe wie der Verfassungsbeschwerde. Mit Blick auf die Notwendigkeit, diesen Rechtsbehelf dann wegen einer Fristüberschreitung von oftmals nur wenigen Tagen einzulegen, wirkt es etwas so, als würde hier mit Kanonen auf Spatzen geschossen. Bevor nun auf die verschiedenen Rechtsschutz- und Handlungsmöglichkeiten eingegangen wird, die dem Angeklagten zur Verfügung stehen, ist noch folgende Prämisse einzustellen: Notwendige Bedingung für den Erfolg eines jeden erhobenen Behelfs ist – sofern einer besteht –, dass die für die Entscheidung verantwortlichen Stellen Auslegung des RG und Praxis des BGH als eine nicht mehr durch Auslegung 8

Siehe dazu sogleich Viertes Kapitel: B. I. St. Rspr., siehe z. B. BVerfGE 1, 433, 437 f.; 4, 74, 94 f.; 87, 48, 61; 92, 365, 410; 136, 382, 392 f. Rn. 32; Jarass, in: Jarass/Pieroth-GG, Art. 19 Rn. 56; Sachs, in: Sachs-GG, Art. 19 Rn. 120; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig-GG, Art. 19 Rn. 179. 10 St. Rspr., siehe dazu z. B. BVerfGE 74, 228, 234; 77, 275, 284; 112, 185, 207 f.; 138, 33, 41, Rn. 23; Jarass, in: Jarass/Pieroth-GG, Art. 19, Rn. 56; Sachs, in: Sachs-GG, Art. 19 Rn. 143; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig-GG, Art. 19 Rn. 179. 9

B. Zu den einzelnen Möglichkeiten des Rechtsschutzes

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gedeckte Rechtsverletzung begreifen. Die mittlerweile seit mehr als einem Jahrhundert praktizierte Handhabung der §§ 356, 268 III 2 StPO könnte allerdings den Anschein einer vertretbaren oder jedenfalls nicht offensichtlich unvertretbaren Auslegung erwecken. Das ist der neuralgische Punkt, mit dem ein jeder der nachfolgend erörterten Behelfe letztlich stehen oder fallen wird.

B. Zu den einzelnen Möglichkeiten des Rechtsschutzes Bei der folgenden Erörterung wird in der Präsentation der Rechtsbehelfe zwischen den ordentlichen Rechtsbehelfen, also solchen, die vor Eintritt der Rechtskraft geltend gemacht werden, und den außerordentlichen, also den im Wesentlichen rechtskraftdurchbrechenden, Rechtsbehelfen unterschieden, bevor dann im Weiteren etwaige verbliebene Handlungsmöglichkeiten des Betroffenen erörtert werden.11 Diese Unterscheidung dient im Folgenden aber nur einem grundsätzlich ordnenden Verständnis und gerade nicht einer strengen Unterscheidung der Handlungsmöglichkeiten untereinander in einem technischen Verständnis – eine solche Klärung soll hiermit ausdrücklich nicht bezweckt werden. Im Anschluss erfolgt die Erörterung von weiteren Rechtsschutz- und Handlungsmöglichkeiten, die dem Einzelnen darüber hinaus auch noch zustehen.

I. Ordentliche Rechtsbehelfe Das Gesetz sieht in dem fortgeschrittenen Verfahrensstadium, in dem sich die Revision befindet, nur noch wenige Rechtsbehelfe vor, um sich gegen die Missachtung der Urteilsverkündungsfrist nach den §§ 356, 268 III 2 StPO zur Wehr zu setzen. Ordentliche Rechtsmittel bestehen überhaupt nicht, um die Endentscheidung, das Revisionsurteil, anzugreifen.12 Nur aber weil die abschließende Entscheidung, die das Verfahren beendet, nicht mit einem ordentlichen Rechtsbehelf angreifbar ist, soll das nicht verschleiern, dass es sich bei der Missachtung der Urteilsverkündungsfrist um einen Prozess handelt, der an einen Zeitablauf gebunden ist. Die Verletzung der §§ 356, 268 III 2 StPO ist eine Gefahr, die ab der Terminierung des Verkündungstermins oder gar bei dessen Unterbleiben vorhersehbar wird. Ihre Realisierung tritt mit Überschreitung der Frist endgültig ein. Darum ist es nicht bloß ein Ansatz, sich gegen die Verletzung ex post zu wehren, sondern mit Rechtsbehelfen ggf. bereits ex ante einzugreifen und damit zu einem Zeitpunkt, bevor die Rechtsverletzung eintritt.

11

So differenzieren auch Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 53 Rn. 3. Kuckein/Bartel, in: KK-StPO, § 268 Rn. 10; Velten, in: SK-StPO, § 268 Rn. 11; Wohlers, in: SK-StPO, § 356 Rn. 2. Siehe dazu auch gleich unten Viertes Kapitel: B. I. 2. 12

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4. Kap.: Rechtsschutz (des Angeklagten)

1. Zwischenrechtsbehelf des § 238 II StPO Unter diesem Gesichtspunkt stellt sich der Zwischenrechtsbehelf des § 238 II StPO als einer der noch am meisten Erfolg versprechenden Rechtsbehelfe dar, mit dem die Entscheidung des Vorsitzenden, die Urteilsverkündung auf einen nach in §§ 356, 268 III 2 StPO vorgesehenen Zeitpunkt zu terminieren oder zunächst von einer Terminierung abzusehen13, beanstandet werden kann. Für eine erfolgreiche Revision, oder zumindest der Rügefähigkeit einer Rechtsverletzung, hat dieser Zwischenrechtsbehelf im tatgerichtlichen Verfahren regelmäßig einen hohen Stellenwert, da ansonsten Rügepräklusion eintritt.14 Insofern kommt der Beanstandung nach § 238 II StPO eine vorbereitende Wirkung für spätere Entscheidungen in einem folgenden, echten Rechtsbehelfsverfahren zu. Aber auch in der Revisionshauptverhandlung kann er angebracht werden, da die allgemeinen Verfahrensvorschriften für die gerichtliche Hauptverhandlung Anwendung finden.15 Ein entscheidender Vorteil einer Beanstandung der Sachleitung nach § 238 II StPO gegenüber den weiteren Rechtsbehelfen ist jener, dass er das Gericht zu einer inneren Einkehr zwingt und eine Selbstkontrolle des Vorsitzenden und des Gerichts noch vor der abschließenden Revisionsentscheidung und vor Eintritt der Rechtsverletzung ermöglicht.16 Die Beanstandung eröffnet damit also im Grunde eine Fehlerkorrektur innerhalb der laufenden Instanz und zu einem Zeitpunkt, bevor es zu einer Verfahrensverlängerung kommt und vor allem, bevor es zu einer Wiederholung der Hauptverhandlung kommen müsste.17 Unter realistischer Betrachtung dürfte dieser Rechtsbehelf zumindest geeignet sein, das rechtswidrige Verhalten des BGH diesem selbst überhaupt einmal vorzuhalten und bewusst zu machen, auch wenn eine Ent13

Inwiefern ein Unterlassen als „Anordnung“ des Vorsitzenden i. S. d. § 238 II StPO aufgefasst werden kann, ist umstritten. Dazu gibt es verschiedene Abgrenzungsansichten. Auch wenn ein Unterlassen an sich per se nicht als Anordnung aufgefasst können werden sollte, so kann der Angeklagte oder seine Verteidigung ohne große Hürde eine Beanstandungsfähigkeit herstellen, indem eine Terminierung angeregt oder beantragt wird. Wird dem nicht gefolgt, so besteht jedenfalls eine Beanstandungsmöglichkeit. Von daher ist der Angeklagte oder sein Verteidiger auch im Falle der Nichtterminierung eines Verkündungstermins durch den Vorsitzenden jedenfalls in der Lage, eine Beanstandungsfähigkeit herbeizuführen. Siehe dazu vertiefend nur Erker, Das Beanstandungsrecht gemäß § 238 II StPO, S. 68 ff. 14 BGHSt. 1, 322, 325; 3, 368, 369 f.; 51, 144, 146 f.; 55, 65, 67 f., st. Rspr.; So schon auch RGSt 71, 21, 23 m. w. N. Diese Rechtsprechung soll verfassungsgemäß sein, BVerfG, StV 2000, 3; JR 2007, 390; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 44 Rn. 17 f.; Krause, in: MAHStrafverteidigung, § 7 Rn. 195. Siehe auch vertiefend dazu Erker, Das Beanstandungsrecht gemäß § 238 II StPO, S. 147 ff. 15 Vgl. bereits die Ergebnisse oben Zweites Kapitel: A. II. 2. b) aa); Arnoldi, in: MüKoStPO, § 238 Rn. 2; Gericke, in: KK-StPO, § 351 Rn. 1. 16 Das zeigt sich u. a. in der Möglichkeit des Vorsitzenden, Verfahrensanordnungen vor Entscheidung des Gerichts zurückzunehmen oder abzuändern, auch ohne dass es einer formellen Beanstandung bedarf, siehe Arnoldi, in: MüKo-StPO, § 238 Rn. 25; m. w. N. LR/Becker, § 238 Rn. 14. 17 BGHSt 55, 65, 67; BGH, NStZ 2007, 230, 231; Schneider, in: KK-StPO, § 238 Rn. 7; Temming, in: DDKR, § 238 Rn. 7.

B. Zu den einzelnen Möglichkeiten des Rechtsschutzes

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scheidung letztlich mit der geübten Praxis im Einklang stehen würde und der Beschluss das Begehren des Beanstandenden zurückweisen wird. Voraussetzung für die Geltendmachung ist, dass der angegriffene Gegenstand die Sachleitungsbefugnis betrifft und diese unzulässig ist, weil sie gegen Verfahrensvorschriften oder ungeschriebene Verfahrensgrundsätze verstößt.18 Angegriffener Gegenstand wäre also zuvorderst die Entscheidung des Vorsitzenden, die Verkündung des Urteils auszusetzen und die Hauptverhandlung auf einen nach dem gemäß den §§ 356, 268 III 2 StPO maßgeblichen Zeitpunkt zu vertagen. Ebenfalls umfasst wäre es, wenn die Verkündung ausgesetzt würde ohne einen Verkündungstermin zu terminieren und absehbar wäre, dass die Frist der §§ 356, 268 III 2 StPO nicht gehalten werden würde. Dies stellt in der Sache eine Sachentscheidung des Vorsitzenden i. S. d. § 238 II StPO dar.19 Die Abgrenzung zwischen Verhandlungsleitung und Sachleitung des Vorsitzenden ist bis heute nicht abschließend geklärt. Die h. M. nimmt vornehmlich eine funktionale Abgrenzung vor, wonach der Beanstandende vortragen müsse, durch die Anordnung des Vorsitzenden beschwert zu sein, anstatt nach „formellen“ oder „materiellen“ Kriterien oder solchen der „äußeren Ordnung der Sitzung“ oder „Sachgestaltung der Verhandlung“ abzugrenzen.20 Es besteht an sich aber Einigkeit, dass es keine verfahrensbezogene Maßnahme gibt, die dem Anwendungsbereich des § 238 II StPO von vornherein entzogen wäre, da zwischen Verhandlungs- und Sachleitung des Vorsitzenden ein Wechselbezug besteht, sofern man in den unterschiedlichen Bergriffen nicht sogar bloß eine sprachliche Variation zur Vermeidung von Begriffswiederholungen21 sieht.22 Von daher können alle vom Vorsitzenden getroffenen Anordnungen, außer jene der Sitzungspolizei gegen unbeteiligte Dritte, gerügt werden und einer Über18 LR/Becker, § 238 Rn. 30; Krause, in: MAH-Strafverteidigung, § 7 Rn. 194; Schneider, in: KK-StPO, § 238 Rn. 10. Zu den Voraussetzungen der Zulässigkeit einer Beanstandung und dem Prüfungsmaßstab, siehe vertiefend Erker, Das Beanstandungsrecht gemäß § 238 II StPO, S. 80 ff. 19 Vgl. Gorf, in: BeckOK-StPO, § 238 Rn. 5, hier wird die Unterbrechung als eine solche aufgeführt; die Aussetzung der Verkündung stellt ebenfalls eine Unterbrechung der Hauptverhandlung dar, sodass hier gleiches zu gelten hat. 20 Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 44 Rn. 15 f. m. w. N. in Fn. 4; Arnoldi, in: MüKo-StPO, § 238 Rn. 17 f.; LR/Becker, § 238 Rn. 20; Schneider, in: KK-StPO, § 238 Rn. 8 f.; Temming, in: DDKS, § 238 Rn. 8; vertiefend hierzu m. w. N. Erker, Das Beanstandungsrecht gemäß § 238 II StPO, S. 17 ff. Vgl. auch Gorf, in: BeckOK-StPO, § 238 Rn. 2.1, wonach die Verhandlungsleitung mit der Sachleitung nach heutiger sogar h. M. identisch sei; Fuhrmann, GA 1963, 65, 72 f. m. w. N. nimmt eine solche Gleichsetzung von Verhandlungs- und Sachleitung vor, im Übrigen plädierte er auch 1963 schon für eine Neufassung und Klarstellung des § 238 StPO, siehe Fuhrmann, GA 1963, 65, 81 und schließt sich damit einer alten Forderung an, die schon Alsberg erhob und einen entsprechenden Vorschlag samt Begründung machte, Alsberg, ZStW 50 (1930), 73 ff. 21 Fuhrmann, GA 1963, 65, 70 f.; LR/Becker, § 238 Rn. 19. Siehe dazu auch m. w. N. Erker, Das Beanstandungsrecht gemäß § 238 II StPO, S. 43 ff. 22 Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 44 Rn. 16; Schneider, in: KK-StPO, § 238 Rn. 8 ff.

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4. Kap.: Rechtsschutz (des Angeklagten)

prüfung durch das Gericht zugeführt werden.23 Sofern also eine Anordnung des Vorsitzenden auf Aussetzung der Urteilsverkündung auf einen nach §§ 356, 268 III 2 StPO unzulässigen Verkündungstermin im Raum steht, kann diese formlos24 mit der Begründung, dass diese Anordnung gegen eine geschriebene und gültige Verfahrensnorm verstößt, angegriffen und eine Entscheidung nach § 238 II StPO herbeigeführt werden. Gegebenenfalls ist zur Begründung einer möglichen Beschwer des Betroffenen noch substantiierter Sachvortrag erforderlich.25 Dieser dürfte sich aber damit begnügen können, dass mit einem Überschreiten der gesetzlichen Urteilsverkündungsfrist keine ausreichende Gewähr mehr gegeben ist, dass das Urteil auf der wahrheitssichernden Funktion der Konzentrationsmaxime beruht. Dass die Beanstandung nach dem Schluss des Verhandelns erfolgen würde, stellt keinen dem Zwischenrechtsbehelf entgegenstehenden Einwand dar, da dieser keiner Frist unterliegt und bis zum Beginn der Urteilsverkündung ohne Einschränkung erhoben werden kann und erst ab Beginn der Urteilsverkündung eine Bescheidung im Ermessen des Vorsitzenden steht.26 Dass der Vorsitzende auf die Beanstandung hin abhilft oder die Entscheidung nach § 238 II StPO durch das Gericht zu einem Beschluss führt, der die Anordnung des Vorsitzenden aufhebt und einen Verkündungstermin innerhalb der Urteilsverkündungsfrist der §§ 356, 268 III 2 StPO bestimmt, stellt freilich den besten Fall dar;27 vor allem, wenn diese Entscheidung eine Folge der Anerkennung der Verbindlichkeit dieser Frist auch für den BGH sein sollte. Im Bewusstsein der lange geübten BGH-Praxis, stellt eine solche plötzliche Einsicht des Obergerichts aber leider wohl Wunschdenken dar – vor allem im Hinblick auf die Folgen, die eine Anerkennung in Bezug auf die Verhandlungs- und Entscheidungspraxis des BGH hätte. Nicht nur sind die Urteile gemäß §§ 356, 268 IV StPO tunlichst vorher schriftlich abzufassen und die, wenn auch großzügigeren Unterbrechungsfristen des § 229 StPO wären einzuhalten, sondern auch im Falle der Nichteinhaltung dieser Fristen wäre die Revisionshauptverhandlung konsequenterweise zu wiederholen.28 23

Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 44 Rn. 16; LR/Becker, § 238 Rn. 20 f.; Schmitt, in: MGS, § 238 Rn. 13; Schneider, in: KK-StPO, § 238 Rn. 8, 10. 24 Erker, Das Beanstandungsrecht gemäß § 238 II StPO, S. 78; LR/Becker, § 238 Rn. 27; Schneider, in: KK-StPO, § 238 Rn. 17; trotz der „Formlosigkeit“ handelt es sich bei der Beanstandung um eine „wesentliche Förmlichkeit“ nach § 273 I StPO, sodass darauf Wert gelegt werden sollte, dass eine Protokollierung erfolgt, gerade auch um einer etwaigen Verfassungsbeschwerde im Hinblick auf die Subsidiarität zu genügen, vgl. Krause, in: MAH-Strafverteidigung, § 7 Rn. 194. 25 Erker, Das Beanstandungsrecht gemäß § 238 II StPO, S. 78 f.; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 44 Rn. 15; Schneider, in: KK-StPO, § 238 Rn. 9 f., 17. 26 BGHSt, 61, 266, 272; Erker, Das Beanstandungsrecht gemäß § 238 II StPO, S. 79; Arnoldi, in: MüKo-StPO, § 238 Rn. 23; LR/Becker, § 238 Rn. 29. 27 Zu der Abhilfemöglichkeit des Vorsitzenden und zum Ablauf des Verfahrens im Detail nach einer Beanstandung, siehe Erker, Das Beanstandungsrecht gemäß § 238 II StPO, S. 98 ff. 28 Zumindest die erste Folge könnte demnächst wegfallen, wenn § 268 IV StPO gemäß Art. 1 Nr. 34b des Gesetzes zur Fortentwicklung der StPO und zur Änderung weiterer Vor-

B. Zu den einzelnen Möglichkeiten des Rechtsschutzes

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Es erscheint aber nicht gänzlich abwegig zu sein, dass dieser Rechtsbehelf einen Weg darstellt, um behutsam einen Wandel von innen heraus herbeizuführen, indem den Senaten immer wieder der Gesetzeswortlaut vorgeführt wird und die Bedeutung der Verfahrensvorschriften für die Legitimation des Strafverfahrens als Ganzes. Vor diesem Hintergrund stellt die Beanstandung nach § 238 II StPO vielleicht kein scharfes Schwert dar, aber einen steten Tropfen. 2. Die Rechtsmittel der StPO Die Rechtsmittel des dritten Buches der StPO, in Form von Beschwerde (§§ 304 ff. StPO), Berufung (§§ 312 ff. StPO) und Revision (§§ 333 ff. StPO), sind real keine Möglichkeit, um die Überschreitung der Urteilsverkündungsfrist nach §§ 356, 268 III 2 StPO anzufechten. Sie sind für sich schon genommen hinsichtlich ihres wesensmäßigen Devolutiveffekts29 denklogisch ungeeignet, Urteile eines rechtszugabschließenden Revisionsgerichts anzugreifen. Formal betrachtet sind sie in ihrer rechtlichen Ausgestaltung allesamt nicht statthaft. Die Beschwerde ist dabei gleich mehrfach ausgeschlossen. Ihre Untsatthaftigkeit ergibt sich eigentlich bereits aus § 304 I StPO. Denn bei den Beschlüssen und Verfügungen des BGH handelt es sich ersichtlich nicht um solche des ersten Rechtszuges oder in einem Berufungsverfahren oder solche eines beauftragten oder ersuchten Richters im Vorverfahren. Darüber hinaus entzieht § 304 IV 1 StPO unmissverständlich Beschlüsse und Verfügungen des BGH einer Anfechtung durch eine Beschwerde. Das gilt damit auch für inhaltlich falsche Entscheidungen; es sei gerade die Würde und der Rang des BGH und dessen hohe Qualität der Entscheidungen sowie die Notwendigkeit, den BGH von „Zuständigkeiten für Nebenentscheidungen verhältnismäßig untergeordneter Bedeutung“ zugunsten der wesentlichen und bedeutenden Rechtsprechungstätigkeit freizuhalten,30 die den Gesetzgeber dazu bewegt habe, den BGH bei der Beschwerde auszunehmen.31 Die in § 304 V StPO genannte Rückausnahme zum Ausschluss im Grundsatz greift ebenfalls offensichtlich nicht. Und zu guter Letzt, unterläge die Verfügung des Vorsitzenden, das Revisionsurteil an einem nach dem in §§ 356, 268 III 2 StPO genannten Zeitpunkt zu verkünden, als auch ein bestätigender Beschluss infolge der Beanstandung nach schriften aufgehoben werden sollte, siehe dazu oben Zweites Kapitel: A. II. 3. b) aa) (3). Dies dürfte die Geneigtheit, die Konzentrationsmaxime auch in der Revisionshauptverhandlung für verbindlich zu erachten, aber nicht steigern. 29 Carsten Paul, in: KK-StPO, Vor § 296 Rn. 2. 30 BGHSt 26, 250, 253 f. 31 Vgl. in Bezug auf die Herausnahme des RG schon die Motive zu § 290 RStPO-E, der dem § 304 IV 1 StPO entspricht, Hahn, Materialien zur StPO, S. 247; Ellersiek, Die Beschwerde im Strafprozeß, S. 118; Giesler, Der Ausschluß der Beschwerde gegen richterliche Entscheidungen im Strafverfahren, S. 44 ff.; LR/Matt, § 304 Rn. 71 m. w. N. Ob auch in diesem Fall eine außerordentliche Beschwerde wegen greifbarer Gesetzeswidrigkeit, wie im Zivilrecht (vgl. BGHZ 109, 41, 43 f.), überhaupt erörtert werden könnte, muss hier nicht vertieft werden, da der BGH eine solche im Strafverfahren für unzulässig hält, BGHSt 45, 37.

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4. Kap.: Rechtsschutz (des Angeklagten)

§ 238 II StPO, als eine „der Urteilsfällung vorausgehen[de]“ Entscheidung dem Ausschluss des § 305 S. 1 StPO, ohne dass eine Rückausnahme nach S. 2 vorläge.32 Auf eine Statthaftigkeit der Beschwerde gegen verspätet verkündete Revisionsurteile braucht ersichtlich nicht eingegangen werden. Die Beschwerde ist damit ein offensichtlich untaugliches Rechtsmittel. Gleiches ergibt sich auch mit den weiteren von der StPO vorgesehenen ordentlichen Rechtsmitteln von Berufung und Revision. Urteile der Revisionsinstanz sind gemäß § 312 StPO respektive § 333 StPO kein anfechtungsfähiger Gegenstand dieser Rechtsmittel. Die Rechtsmittel der StPO sind für Entscheidungen des obersten Gerichts der ordentlichen Gerichtsbarkeit, insbesondere als Revisionsgericht, schlichtweg nicht geschaffen worden, weshalb gerichtliche Entscheidungen des BGH folgerichtig mit ihnen unantastbar sind.33 3. Ergebnis Von den in der StPO vorgesehenen ordentlichen Rechtsbehelfen ist es lediglich der Zwischenrechtsbehelf des § 238 II StPO, der eine nennenswerte Einflussmöglichkeit des Angeklagten mit gewissem Erfolgspotential darstellt.

II. Außerordentliche Rechtsbehelfe Wie sich im Bereich der ordentlichen Rechtsbehelfe bereits zeigte, gibt es, mit Ausnahme des Zwischenrechtsbehelfs nach § 238 II StPO, keine Rechtsbehelfe innerhalb des strafprozessualen Rechtsweges, um eine (absehbare) Überschreitung der Urteilsverkündungsfrist nach den §§ 356, 268 III 2 StPO ggf. zu verhindern. In diesem Abschnitt geht es nun darum, etwaige weitere Rechtsschutzmechanismen mit nationalem Bezug zu betrachten, die geeignet sind, um der Nichteinhaltung der Urteilsverkündungsfrist zu begegnen.

32 Siehe vertiefend zu diesem Ausschluss Schwentker, Der Ausschluß der Beschwerde nach § 305 StPO. 33 Eingängig hierzu erneut die Motive zu § 290 RStPO-E, die sich auf alle Rechtsmittel übertragen lassen: „Ferner ist die Anfechtung der Beschlüsse und Verfügungen des Reichsgerichts auch insoweit, als dieses in erster Instanz entscheidet [Anm.: solche Fälle waren gemäß § 136 I Nr. 1 RGVG gegeben], ausgeschlossen, weil die Gewährung eines Anfechtungsrechts mit der Stellung dieses Gerichtshofs unvereinbar sein würde.“, Hahn, Materialien zur StPO, S. 247.

B. Zu den einzelnen Möglichkeiten des Rechtsschutzes

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1. Rechtsbehelfe gegen Gehörsverletzungen nach Art. 103 I 2 GG „Rechtliches Gehör ist nicht nur ein ,prozessuales Urrecht‘ des Menschen, sondern auch ein objektivrechtliches Verfahrensprinzip, das für ein rechtsstaatliches Verfahren im Sinne des Grundgesetzes schlechthin konstitutiv ist […].“34 Mit diesen schillernden Worten umschreibt das BVerfG in seiner Plenarentscheidung vom 30. 04. 2003 die herausgehobene Stellung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nach Art. 103 I 2 GG vor den Gerichten. Die infolge der Entscheidung durch das Anhörungsrügengesetz35 normierten Rechtsbehelfe der Gehörsrügen haben in mehreren Bereichen des deutschen Verfahrensrechts Niederschlag gefunden; von den strafverfahrensrechtlichen Rechtsbehelfen gegen Gehörsverletzungen können hier zwei Vorschriften von Bedeutung werden.36 Denn auch im strafrechtlichen Revisionsverfahren gilt der Anspruch auf rechtliches Gehör natürlich ohne Einschränkung.37 Die erste in Betracht kommende Normierung betrifft die allgemeine Regelung zur Gehörsverletzung nach § 33a StPO und die andere die speziellere Norm des § 356a StPO, in Bezug auf Verletzungen des rechtlichen Gehörs im Revisionsverfahren. Die Anhörungsrüge ist zwingende Voraussetzung dafür, dass der Rechtsweg gemäß § 90 II 1 BVerfGG erschöpft wird; ein Unterlassen der Einlegung führt zur Heilung des Verfahrensverstoßes und der damit einhergehenden Grundrechtsverletzungen, da der Beschwerte es im Rahmen der Subsidiarität nicht vermocht hat, durch Erschöpfung des Rechtswegs die drohende Grundrechtsverletzung zu verhindern.38 Schon allein aus diesem Grunde verdienen die Anhörungsrügen einen aufmerksamen Blick – unabhängig von ihren tatsächlichen Erfolgschancen.

34

BVerfGE 107, 395, 408. Siehe hierzu auch Redeker, NJW 2003, 2956 und Voßkuhle, NJW 2003, 2193. 35 Gesetz über die Rechtsbehelfe bei Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Anhörungsrügengesetz) vom 09. 12. 2004, BGBl. 2004 I, S. 3220. Siehe dazu auch im Hinblick auf die Umsetzung von Anhörungsrügen in anderen Verfahrensordnungen Guckelberger, NVwZ 2005, 11; Michael Huber, JuS 2005, 109; Nassall, ZRP 2004, 164; Treber, NJW 2005, 97. 36 Die §§ 33a, 356a StPO wurden entweder in Folge der Plenarentscheidung geschaffen oder weitergehend gefasst; sie werden jedenfalls durch die Entscheidung des BVerfG in der Auslegung berührt, vgl. BT-Drucks. 15/3966, S. 1; siehe auch Maul, in: KK-StPO, § 33a Rn. 1; Gericke, in: KK-StPO, § 356a Rn. 1; vgl. Valerius, in: MüKo-StPO, § 33a Rn. 1 f.; Knauer/ Kudlich, in: MüKo-StPO, § 356a Rn. 1 f. Siehe zur Gesetzgebungsgeschichte und der Eigenschaft der Anhörungsrügen als „Fremdkörper“ im Rechtsmittelrecht Widmaier, in: FS Böttcher, 223, 223 ff. insbes. 225 ff. und 228 ff. sowie kritisch zur Plenarentscheidung des BVerfG und dem Gesetzgebungsprozess Eschelbach/Geipel/Weiler, StV 2010, 325. 37 Siehe vertiefend zu den einzelnen Aspekten der Gehörsgewährung im strafrechtlichen Revisionsverfahren Wohlers, JZ 2011, 78. 38 Maßgebend hierzu BVerfG, NJW 2005, 3059 ff.; vgl. zur Rechtswegerschöpfung nur BVerfGE 123, 148, 172; 138, 261, 271 f.; Lechner/Zuck, BVerfGG, § 90 Rn. 159 f. Allgemein zu den Fragen der Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde im Zusammenhang mit (möglichen) Anhörungsrügen Desens, NJW 2006, 1243, Heinrichsmeier, NVwZ 2010, 228 und Rieble/Vielmeier, JZ 2011, 923.

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4. Kap.: Rechtsschutz (des Angeklagten)

Da die Gerichte angehalten sind, Grundrechtsverletzung zur Vermeidung von Verfassungsbeschwerden bereits auf Ebene der Fachgerichtsbarkeit zu beheben, kommt der Anhörungsrüge in gewisser Weise der Charakter einer „vorgezogene[n] Verfassungsbeschwerde“39 zu.40 Der in Art. 103 I 2 GG verbürgte Anspruch soll sicherstellen, dass der „Einzelne […] nicht bloß Objekt richterlicher Entscheidung“ ist, sondern er soll die Gelegenheit erhalten, „vor einer Entscheidung, die seine Rechte betrifft, zu Wort zu kommen, um als Subjekt Einfluss auf das Verfahren und sein Ergebnis nehmen zu können.“41 Der subjektivrechtliche Gehalt des Anspruchs weist dabei drei verschiedene Dimensionen auf: Die Möglichkeit sich zum Verfahrensstoff zu äußern (1), die Kenntnisnahme- bzw. Berücksichtigungspflicht des Gerichts (2) sowie das Informationsrecht über verfahrensrelevante Vorgänge (3).42 Ersichtlich ist hier vor allem die erstgenannte Dimension diejenige, die im hiesigen Rahmen Bedeutung erlangen könnte. Diese umfasst die Möglichkeit, sich zum Verfahrensstoff äußern zu können, um die genannte Einflussnahmegelegenheit auf das Verfahren, vermittelt über die Pflicht des Gerichts zur Kenntnisnahme und Berücksichtigung, zu erhalten.43 Dieses Äußerungsrecht ist als grundsätzlich vorheriges Gehör44 zu gewähren und nicht nur bei Endentscheidungen, sondern auch bei Zwischenentscheidungen.45 Gerade diesem Wesen als vorher zu gewährendes Gehör tragen die §§ 33a, 356a StPO Rechnung, indem sie im Falle der Begründetheit das Verfahren in jenen Zustand zurückversetzen, in dem das rechtliche Gehör zu gewähren war. Der Anspruch auf rechtliches Gehör setzt als komplementäre Garantie voraus, dass der Anspruchsberechtigte auch gehört wird und sich das Gericht mit den Äußerungen auseinandersetzt, nicht jedoch, dass sich das Gericht den Ausführungen anschließt und der Anspruchsberechtigte mit seinem Anliegen daher „erhört“ wird.46 In der Revision wird es verletzt, wenn von dem Gericht zum Nachteil des Beschwerdeführers zu beachtendes Vorbringen desselben nicht berücksichtigt hat, Tatsachen oder Beweisergebnisse verwertet wurden, zu denen er nicht vorher gehört wurde oder das 39

Eschelbach, ZAP 2012, 655. BVerfGE 73, 322, 326 f.; vgl. auch schon BVerfGE 55, 1, 5; 63, 77, 78. 41 BVerfGE 107, 395, 409; vgl. auch schon BVerfGE 9, 89, 95. 42 Siehe dazu m. w. N. aus der Rechtsprechung Degenhart, in: Sachs-GG, Art. 103 Rn. 11, 16 ff.; Remmert, in: Maunz/Dürig-GG, Art. 103 Abs. 1 Rn. 62 ff. 43 Vgl. BVerfGE 9, 89, 96; Degenhart, in: Sachs-GG, Art. 103 Rn. 20; Knemeyer, in: HStR VIII, § 178 Rn. 30 ff. 44 Siehe in seiner einfachgesetzlichen Ausprägung dazu schon nur die Formulierung von § 33 I StPO. BVerfGE 9, 89, 96; siehe aber auch zu den Ausnahmen vom vorher zu gewährenden rechtlichen Gehör bei entgegenstehenden „gewichtigen Interessen“ bspw. BVerfGE 18, 399, 404; 49, 329, 342; 57, 346, 358 f.; 65, 227, 233 f. 45 BVerfGE 9, 89, 96; 119, 292, 299 f.; Degenhart, in: Sachs-GG, Art. 103 Rn. 20; Pieroth, in: Jarrass/Pieroth-GG, Art. 103 Rn. 6a. 46 BVerfGE 11, 218, 220; 96, 205, 216; BVerfG, NJW 2015, 1166, st. Rspr.; Kloepfer, Verfassungsrecht II, § 75 Rn. 42; Remmert, in: Maunz/Dürig-GG, Art. 103 Abs. 1 Rn. 94 f. 40

B. Zu den einzelnen Möglichkeiten des Rechtsschutzes

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rechtliche Gehör in sonstiger Weise verletzt wurde.47 Dem Anspruch auf rechtliches Gehör ist aber bereits dadurch genüge getan, wenn dem Angeklagten die Gelegenheit zur Anhörung gegeben wird; die Prozessnachteile, die dadurch entstehen, dass er davon schuldhaft keinen Gebrauch macht, hat er zu tragen.48 Es gilt nun zu klären, inwiefern die Rechtsschutzmöglichkeiten der §§ 33a, 356a StPO für das Begehren des Angeklagten fruchtbar gemacht werden können. a) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, § 33a StPO Voraussetzung für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 33a StPO ist es, dass das Gericht den Anspruch auf rechtliches Gehör durch einen nicht anfechtbaren Beschluss in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat. In Abgrenzung zu § 356a StPO stellt § 33a StPO die allgemeinere und daher subsidiäre Norm dar.49 Letztere findet damit für grundsätzlich alle Gehörsverletzungen im Rahmen eines gerichtlichen Beschlussverfahrens Anwendung.50 Das Verhältnis der beiden Vorschriften wird dem Wortlaut nach darüber gelöst, dass § 356a StPO nur für nicht mehr anfechtbare revisionsgerichtliche Endentscheidungen (Beschlüsse und Urteile) gilt.51 Bemerkenswerter Weise ist Voraussetzung für die Anfechtbarkeit einer solchen Entscheidung mittels Anhörungsrüge deren Unanfechtbarkeit;52 wobei eine Unanfechtbarkeit dann gegeben ist, wenn der gegenständliche Beschluss nicht mittels Beschwerde oder weiterer Beschwerde angegriffen werden kann.53 Dennoch steht die Abgrenzung in der Realität der Rechtsprechung vor Schwierigkeiten. Es scheint gleichsam so, als würde der BGH die Anhörungsrüge nach § 33a StPO im Revisionsverfahren durch § 356a StPO als vollständig verdrängt ansehen.54 Die Begründung fußt einerseits darin, dass der Wortlaut des Begriffs „Revisionsentscheidung“ in § 356a StPO nicht den Schluss zwingend naheläge, dass davon nur Urteile sowie Beschlüsse nach § 349 I bis IV StPO umfasst seien, und vor allem auf der Argumentation, dass die Rechtskraft der Revisionsentscheidung durch den Rückgriff auf einen unbefristeten Rechtsbehelf, wie den des § 33a StPO, nicht gefährdet werden 47 BGH NStZ 2005, 462, 463; NStZ-RR 2005, 173, 174; Gericke, in: KK-StPO, § 356a Rn. 3; Wohlers, in: SK-StPO, § 356a Rn. 4. 48 BVerfGE 36, 92, 97 f.; 69, 126, 137; vgl. BGHSt 13, 123, 124 f.; Knemeyer, in: HStRVIII, § 75 Rn. 37. 49 BT-Drucks. 15/3966 S. 5 i. V. m. 15/3706, S. 17; BGH, NStZ 2007, 236; LR/GraalmannScheerer, § 33a Rn. 15, 28; Momsen/Momsen-Pflanz, in: SSW-StPO, § 356a Rn. 1; Eschelbach, ZAP 2012, 655, 660. 50 Valerius, in: MüKo-StPO, § 33a Rn. 4. 51 Siehe dazu auch die Gesetzesbegründung in BT-Drucks. 15/3966, S. 5 i. V. m. 15/3706, S. 17 f. die im Rahmen von § 356a StPO nur Bezug auf Endentscheidungen nimmt; vgl. BGH, NJW 2009, 1092, 1093 und die darin vorgenommenen Erweiterungen. 52 Eschelbach, ZAP 2012, 655, 659. 53 Siehe KG, NJW 1966, 991; Schmitt, in: MGS, § 33a Rn. 4. 54 Vgl. BGH, NJW 2009, 1092, 1093.

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4. Kap.: Rechtsschutz (des Angeklagten)

dürfe.55 Dies ist im Übrigen auch eine leitende Erwägung des BGH in der Behandlung von Gegenvorstellungen gegen Revisionsentscheidungen.56 Die in dem zitierten Fall gegenständliche Entscheidung war eine Anhörungsrüge im Verfahren der Richterablehnung. Dieses solle ein eigenständiges Zwischenverfahren darstellen, gegen das nicht § 33a StPO, sondern die Anhörungsrüge nach § 356a StPO ausschließlich statthaft sein soll.57 Die Folge ist die Pflicht zur Einhaltung der im Vergleich zu § 33a StPO strengeren Formalien von Schriftform, Fristerfordernis sowie Glaubhaftmachung des § 356a StPO.58 Diese Interpretation geht dabei tatsächlich über den Wortlaut des § 356a StPO hinaus und folglich wäre der das Angeklagtenbegehren zurückweisende Gerichtsbeschluss nach § 238 II StPO vielmehr ein Fall des § 33a StPO.59 Damit ist auch innerhalb des Revisionsverfahrens sehr wohl Raum für die Anwendung des Rechtsbehelfs nach § 33a StPO. Gerade auch im Hinblick auf den von der Untersuchung zu erörternden Fall; schon allein, weil eben auch Konstellationen gegeben sein können, in denen eine „Rechtskraftgefährdung“ durch einen Rechtsbehelf nach § 33a StPO gar nicht eintreten kann. Eine Konkurrenz könnte damit erst nach abschließender Revisionsentscheidung entstehen. Es sprechen also gewichtige Gründe dafür, dass eine pauschale Verdrängung des § 33a StPO durch § 356a StPO im Wege der Spezialität das Konkurrenzverhältnis dieser Normen zueinander falsch bestimmt. Einer nähren Klärung dieser Frage bedarf es im Folgenden jedoch nicht. Ersichtlich kann eine nach Überschreitung der Urteilsverkündungsfrist ergangene Entscheidung des Revisionsgerichts nicht mit einem Rechtsbehelf nach § 33a StPO angegriffen werden, da es sich freilich um ein Urteil und nicht einen Beschluss handelt. Der Anwendungsbereich des § 33a StPO ist somit schon gar nicht eröffnet und eine Konkurrenz zu § 356a StPO besteht erst gar nicht. Der Rechtsbehelf nach § 33a StPO hat im Rahmen dieser Untersuchung nicht nach Eintritt einer Verletzung der Elftagefrist Bedeutung, sondern – wenn überhaupt – im Vorfeld. Nämlich nachdem infolge einer Beanstandung der Sachleitung des Vorsitzenden ein Beschluss nach § 238 II StPO durch das Gericht ergeht, der die Anordnung des Vorsitzenden, die Urteilsverkündung zu einem Zeitpunkt nach dem in §§ 356, 268 III 2 StPO Genannten, bestätigt. Ein solcher Beschluss ist selbst mit einem vorrangigen 55

BGH, NJW 2009, 1092, 1093; LR/Graalmann-Scheerer, § 33a Rn. 28; LR/Franke, §356a Rn. 5. 56 Siehe dazu unten Viertes Kapitel: B. II. 3. b). 57 LR/Franke, § 356a Rn. 5 spricht hierbei von einer „rügefreundlichen“ Erweiterung des Anwendungsbereichs des § 356a StPO durch die Rechtsprechung, die tatsächlich auf Kosten des unter vereinfachten Anforderungen stehenden § 33a StPO wirkt; insofern dürften die hier angelegten Anforderungen zu streng sein, vgl. Eschelbach/Giebel/Weiler, StV 2010, 325, 329. Knauer/Kudlich, in: MüKo-StPO, § 356a Rn. 7; Schmitt, in: MGS, § 33a Rn. 1; § 356a Rn. 1a; Wohlers, in: SK-StPO, § 356a Rn. 2; Eschelbach, ZAP 2012, 655, 660. 58 Vgl. Wohlers, in: SK-StPO, § 356a Rn. 2. 59 So im Ergebnis auch Eschelbach, ZAP 2012, 655, 660 und Eschelbach/Geipel/Weiler, StV 2010, 325, 328 f. Anders aber gerade die Rechtsprechung BGH, NJW 2009, 1092, 1093.

B. Zu den einzelnen Möglichkeiten des Rechtsschutzes

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Rechtsbehelf nicht anfechtbar,60 wobei ein Ausschluss der Anfechtbarkeit mittels Beschwerde sowohl nach § 305 S. 1 StPO als auch grundlegender schon nach § 304 IV StPO gegeben ist.61 Eine Exklusionswirkung des § 356a StPO zum Schutze irgendeiner Rechtskraft einer Revisionsentscheidung ist somit in diesem Zeitpunkt – noch während der Hauptverhandlung – gar nicht notwendig und auch gar nicht denkbar. Ganz gleich aber, ob in diesem Fall ein Ausschluss des § 33a StPO gegeben ist und eine Anhörungsrüge die strengeren Formanforderungen, insbesondere die Frist, des § 356a StPO einzuhalten hat, so ist die Verletzung des rechtlichen Gehörs für die Begründetheit der Anhörungsrüge essentiell. Dass eine solche in dieser Konstellation überhaupt gegeben sein kann, trifft auf Bedenken. Der Beschluss würde infolge eines Antrags des Angeklagten oder der Verteidigung initiiert werden. Dass in einer mündlichen Hauptverhandlung, ordnungsgemäße Ladungsinformation vorausgesetzt, rechtliches Gehör nicht erteilt oder übergangen werden könnte, erscheint schwer vorstellbar.62 Sollte die Beanstandung außerhalb der Hauptverhandlung erfolgen, ist ein Nachweis der Gehörsverletzung, außer in evidenten Pannenfällen fast nicht nachweisbar.63 Bereits aus diesem Grunde wird eine Anhörungsrüge nach § 33a StPO gegen den infolge der Beanstandung der Verhandlungsleitung ergehenden Beschluss in diesem Fall keinen Erfolg haben. Ob eine Verzögerung der Beschlussfassung zu einer Verletzung des rechtlichen Gehörs führen könnte, soll, obwohl hier auch schon von Bedeutung, sogleich im Rahmen der Gehörsrüge nach § 356a StPO erfolgen. b) Anhörungsrüge, § 356a StPO Für die Anhörungsrüge nach § 356a StPO gilt im Grunde genau das Gleiche, wie auch schon zu § 33a StPO ausgeführt wurde. Neuralgischer Punkt ist, dass für einen Erfolg der Rüge das rechtliche Gehör nach Art. 103 I 2 GG in entscheidungserheblicher Weise verletzt werden muss. Im Unterschied zu § 33a StPO ist – sofern man nicht eine ausschließliche Statthaftigkeit des Rechtsbehelfs nach § 356a StPO für sämtliche Gehörsrügen im Revisionsverfahren annimmt –64, dass Gegenstand dieser Rüge die Revisionsentenscheidung ist, also das nach der in §§ 356, 268 III 2 StPO genannten Frist ergehende Urteil. Zwar ist der Gesetzesbegründung für den Gesetzgeber „eine Verletzung des rechtlichen Gehörs kaum vorstellbar, wenn der Angeklagte oder sein Verteidiger in der Hauptverhandlung vor dem Revisionsgericht 60 Ggf. kann der Beschluss aber mit einer Gegenvorstellung angegangen werden, siehe dazu unten Viertes Kapitel: B. II. 3. b). 61 Siehe dazu auch schon oben Viertes Kapitel: B. I. 2. Vgl. LR/Graalmann-Scheerer, § 33a Rn. 15; Claus, in: SSW-StPO, § 33a Rn. 5; Schmitt, in: MGS, § 33a Rn. 4. 62 BT-Drucks. 15/3966, S. 5 i. V. m. 15/3706, S. 17; diese Ansicht aufgreifend BGH, NStZ-RR 2010, 117. 63 Vgl. Knauer/Kudlich, in: MüKo-StPO, § 356a Rn. 6. 64 Siehe dazu die Ausführungen zuvor zu § 33a StPO.

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4. Kap.: Rechtsschutz (des Angeklagten)

anwesend sind“, da hier eine umfassende Anhörung stattfinden kann und der Angeklagte die Gelegenheit bekommt, sich Gehör zu verschaffen.65 An dieser Stelle soll aber nochmals ein Wesenszug der Hauptverhandlung hervorgehoben werden, der zumindest einen überlegenswerten Gedanken aufkommen lässt, weshalb in der Fristüberschreitung selbst eine Verletzung des rechtlichen Gehörs gesehen werden kann. Dieser Gedankengang lässt sich im Grundsatz auch im oben erörterten Verfahren nach § 33a StPO übertragen, wenn die Beschlussfassung nach § 238 II StPO sehr lange dauern sollte. Im Rahmen der Auslegung des § 356 StPO ist deutlich geworden, dass der historische Gesetzgeber sich für eine mündliche Hauptverhandlung entschieden hat, auch im Revisionsverfahren, wenn nicht – eigentlich ausnahmsweise – im Beschlusswege entschieden wird. Die Systemprinzipien von Mündlichkeit und Konzentration des Verfahrens gehen hier Hand in Hand. Mit dem Mündlichkeitsprinzip hat sich der Gesetzgeber nicht für die „Sprache, welche durch die Feder geht“, dem geschriebenen Wort als Transportmittel des Verfahrensstoffs entschieden, sondern für die „tönende Sprache“, also jene, „welche von den Lippen fließt“, wie es Feuerbach ausdrückt.66 „Jenes wird getreu und unverändert in äussern Zeichen bewahrt; von diesem bleibt nichts übrig als der Eindruck im Gemüth des Hörenden, welcher mit dessen eigenen Gedanken leicht vermischt oder in diese sich verwandelt.“67 Die Fristen zwischen den Sitzungstagen und auch die Urteilsverkündungsfrist als eine besondere Unterbrechungsfrist, sollen gewähren, dass das gesprochene Wort der Hauptverhandlung möglichst intensiv nachhallt. Auch das RG selbst machte sich diese Argumentation in RGSt 27, 116 zu eigen, als es zunächst als grundlegenden Gedanken des § 267 RStPO feststellte, dass die Beratung und Entscheidung über das Ergebnis der mündlichen Hauptverhandlung unter dem frischen Eindruck stattzufinden habe.68 Und vor allem als es daraufhin feststellte und formulierte, „daß der Gesetzgeber die Frist von einer Woche als die äußerste Zeitgrenze betrachtet hat, bis zu welcher die Feststellung der Ergebnisse der Hauptverhandlung durch den Thatrichter allenfalls noch mit derjenigen Sicherheit erfolgen kann, welche die nötige Garantie für eine zutreffende Würdigung der Schuldfrage bietet, und daß er bei einem längeren Zwischenraume der Verhandlung und der Verkündung des Urteils diese Garantie nicht mehr als gegeben ansieht.“69 Es muss hier nicht mehr erörtert werden, warum die Einschränkung des RG auf die „Thatrichter“ zu kurz gegriffen ist – dazu sei auf die Ausführungen zur Auslegung des § 356 StPO im Zweiten Kapitel verwiesen. Die Feststellung des RG gilt uneingeschränkt auch für den Revisionsrichter! Auch er hat unter dem frischen Eindruck der Hauptverhandlung zu entscheiden, so 65

BT-Drucks. 15/3966, S. 5 i. V. m. 15/3706 S. 17. Feuerbach, Betrachtungen über die Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Gerechtigkeitspflege I, S. 231 f. 67 Feuerbach, Betrachtungen über die Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Gerechtigkeitspflege I, S. 232. 68 RGSt 27, 116, 117. 69 RGSt 27, 116, 117. 66

B. Zu den einzelnen Möglichkeiten des Rechtsschutzes

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lange die tönende Sprache noch nachhallt. Und in der heutigen Zeit sieht der Gesetzgeber die Zeitgrenze von elf Tagen als die Äußerste an, unter der diese Garantie mit ausreichender Sicherheit gegeben ist. Das Vorbringen des Angeklagten und seiner Verteidigung, wenn sie anwesend sind – vor allem aber das Letzte Wort des Angeklagten gemäß § 351 II 2 StPO –, sind vorgesehene Wege, das rechtliche Gehör zu gewähren und sich letztmalig zu verteidigen.70 Und das Letzte Wort geht als letzter und „frischester Sinneseindruck“71 von allen der Hauptverhandlung „gleichsam ins Beratungszimmer mit“72. Und dieser frische Eindruck soll durch die Urteilsverkündungsfrist nach § 268 III 2 StPO abgesichert werden.73 Der Angeklagte hat, wie bereits erwähnt, vom Anspruchsinhalt des Art. 103 I GG auch ein Recht auf Berücksichtigung seines Vortrags,74 was Teil der zweiten Dimension des oben bezeichneten Inhaltes ist. Eine derartige Berücksichtigung kann umso schlechter erfolgen, je schwächer die Erinnerung an den Vortrag ist. Von daher ist der Gedanke, dass die Überschreitung der Urteilsverkündungsfrist eine Gehörsverletzung darstellt, nicht fernliegend, weil das Vorgetragene dann ebenso nicht berücksichtigt werden kann, als hätten die zur Entscheidung berufenen Richter gar nicht erst zugehört.75 Nach dem Ergebnis dieser Arbeit ist sie jedenfalls ein Verfahrensfehler, der die Folge des § 268 III 2 a. E. StPO auslöst. Dass der BGH sich diesem fast schon romantischen Verständnis des rechtlichen Gehörs – einer Verletzung durch Vergessen – anschließen wird, wenn er sich, wie das RG auch schon, nicht an die Urteilsverkündungsfrist gebunden sieht, erscheint aber mehr als unwahrscheinlich. Zumal der BGH auch schriftliche Aufzeichnungen als Grundlage der Urteilsvorbereitung zulässt. So wird das vergehende, gesprochene Wort in Zeichen fixiert, sodass es überdauert. Sollte überhaupt in dem Verhallen des gesprochenen Wortes eine Gefahr für das rechtliche Gehör gesehen werden, so wird der BGH mit Sicherheit eigene, schriftliche Aufzeichnungen der Richter über den Inhalt des Angeklagtenvortrags ausreichen lassen,76 um es als gewährleistet anzusehen. Eine Anhörungsrüge nach § 356a StPO wird ebenfalls keinen Erfolg versprechen.

70 BVerfGE 54, 140, 141 f.; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 44 Rn. 5; LR/ Stuckenberg, § 258 Rn. 1; Velten, in: SK-StPO, § 258 Rn. 2 ff., 37. Generell zum und zur Bedeutung des Letzten Wortes des Angeklagten, siehe z. B. die Untersuchung von Milhahn, Das letzte Wort des Angeklagten; Dästner, RuP 18 (1982), 180. 71 LR/Stuckenberg, § 258 Rn. 1. 72 Dahs, Handbuch des Strafverteidigers, Rn. 765. 73 So ausdrücklich BGHR-StPO § 268 III, Verkündung 5. 74 BVerfGE 42, 364, 367 f.; 47, 182, 187; 96, 205, 216, st. Rspr.; Milhahn, Das letzte Wort des Angeklagten, S. 49 ff.; Knemeyer, in: HStR VIII, § 178 Rn. 32; Velten, in: SK-StPO, § 258 Rn. 44. 75 Vgl. LR/Stuckenberg, § 258 Rn. 14, 61; Velten, in: SK-StPO, § 258 Rn. 44; Sarstedt, JR 1956, 274; Schmidt, JZ 1970, 337, 340. Diesen argumentativen Ansatz wie hier verfolgen auch Hammerstein, in: Aktuelle Probleme der Strafrechtspflege, 71 und Peters, StV 1982, 5, 6. 76 Vgl. BGHSt 17, 337, 339 f.

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4. Kap.: Rechtsschutz (des Angeklagten)

c) Ergebnis Die in ihrer Erscheinungsform nach den §§ 33a, 356 a StPO auf eine ganz spezielle Rechtsverletzung zugeschnittene Anhörungsrüge weist als „außerordentlicher Rechtsbehelf“77 einen zu engen Anwendungsbereich auf. Es ist zwar nicht ausgeschlossen, dass ihnen in Einzelfällen Erfolg beschert ist. Ein solcher resultiert aber nicht aus der Verletzung der Urteilsverkündungsfrist oder aufgrund einer nicht abhelfenden Beschlussentscheidung im Vorfeld, sondern einer Verletzung des rechtlichen Gehörs, die an anderer Stelle im Verfahren ihre Begründung finden müsste. Der Fehler der Fristüberschreitung würde in diesem Fall allenfalls bei Gelegenheit korrigiert, aber nicht intentionell. Allein auf eine Verletzung der §§ 356, 268 III 2 StPO gestützt wird eine Anhörungsrüge ungehört verhallen. 2. Verfassungsbeschwerde Die Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 I Nr. 4a GG in der Ausgestaltung der §§ 90 ff. BVerfGG stellt den stärksten „außerordentlichen“ Rechtsbehelf78 des Einzelnen dar, innerhalb des deutschen Rechts Individualrechtsschutz auf Grundlage der Grundrechte oder grundrechtsgleichen Rechte zu begehren und zu erlangen.79 Von Bedeutung kann hier nicht bloß die subjektive Komponente Individualschutz zu erlangen werden, sondern zugleich mit Wirkung für die Zukunft die objektive Dimension der Verfassungsbeschwerde, dass die Entscheidungen des BVerfG generelle Wirkung entfaltet (vgl. § 31 BVerfGG).80 Sie ist die verfassungsrechtlich verbürgte, oftmals letzte Möglichkeit, eine konkrete grundrechtswidrige Beschwer zu beseitigen, steht dabei aber außerhalb des regelmäßigen Rechtsschutzes und Instanzenzugs.81 Unwägbarkeiten der Verfassungsbeschwerde ergeben sich durch die zum Teil restriktiven Zulässigkeitsvoraussetzungen, insbesondere durch ihre Subsidiarität und das Dogma, dass das BVerfG im Rahmen der Begründetheit einer Verfassungsbeschwerde nur die Verletzung von „spezifischem Verfassungsrecht“82 prüft und sich keinesfalls als eine „Superrevisionsinstanz“83 über die Rechtsauslegung des einfa77

Vgl. BT-Drucks. 15/3966, S. 5 i. V. m. 15/3706, S. 18. So z. B. BVerfGE 18, 315, 325; 96, 251, 257. 79 BVerfGE 1, 4, 5; 1, 5, 6 f.; Lechner/Zuck, BVerfGG, § 90 Rn. 7 f. 80 BVerfGE 79, 365, 367 f.; 85, 109, 113; 98, 163, 167; Detterbeck, in: Sachs-GG, Art. 93 Rn. 77; Lechner/Zuck, BVerfGG, § 90 Rn. 7 ff. Siehe ausführlich zu der objektiven und subjektiven Funktion der Verfassungsbeschwerde Gusy, in: FS 50 Jahre BVerfG I, 641, 644 ff. sowie Zuck, Das Recht der Verfassungsbeschwerde, Rn. 73 ff. 81 BVerfGE 96, 251, 257; Detterbeck, in: Sachs-GG, Art. 93 Rn. 77 f.; Lechner/Zuck, BVerfGG, § 90 Rn. 19. Siehe zur Geschichte der verfassungsrechtlichen Verbürgung und deren Bestandsschutz nach dem GG m. w. N. Zuck, Das Recht der Verfassungsbeschwerde, Rn. 3 ff. 82 BVerfGE 1, 418, 420; 18, 85, 92 st. Rspr. 83 BVerfGE 7, 198, 207; vgl. BVerfGE 53, 30, 53. 78

B. Zu den einzelnen Möglichkeiten des Rechtsschutzes

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chen Rechts begreift.84 Letzteres ist der Fachgerichtsbarkeit überlassen, wobei eine bloß fehlerhafte Anwendung des geltenden Rechts nicht zugleich auch zwangsläufig einen Grundrechtsverstoß darstellen muss.85 Dadurch wird auch das Wesen der Verfassungsbeschwerde als außerordentlicher Rechtsbehelf und gerade nicht zusätzlicher Rechtsbehelf, der eine umfassende Revision des fachgerichtlichen Urteils beinhaltet, nochmals herausgestellt.86 Damit ist bereits abgesteckt, in welchen Bereichen sich die problematischen Fallgestaltungen ergeben werden. Die Frage ist vorrangig, inwiefern die nach dieser Untersuchung festgestellte Verletzung des einfachen Gesetzesrecht nach den §§ 356, 268 III 2 StPO zugleich auch eine Verletzung eines Grundrechts oder grundrechtsgleichen Rechts darstellt. Da, wie schon oben hervorgehoben, die Begründetheit der untersuchten Rechtsbehelfe im Wesentlichen davon abhängt, dass das entscheidende Gericht ebenfalls zu der Auffassung kommt, dass es sich bei der Praxis des BGH, die Urteilsverkündungsfrist im Revisionsverfahren nicht anzuwenden, um eine unhaltbare Auslegung handelt, kann sich der Fortgang der Untersuchung eigentlich nur darauf beschränken, ob sich die festgestellte Rechtsverletzung überhaupt mit einem Grundrecht in Verbindung bringen lässt. Die Prognoseentscheidung, ob das BVerfG der hier vertretenen Rechtsauffassung in Bezug von §§ 356, 268 III 2 StPO beipflichten wird, kann und soll daher nicht getätigt werden. Auf die zahlreichen Hürden, die die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde dazu mit sich bringt, soll hier, wegen der spezifischen Einzelfallsituation, der jeweiligen Zulässigkeitsfragen, im Folgenden ebenfalls nicht vertieft eingegangen werden. a) Gedanken zur Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde Der Weg, eine zulässige Verfassungsbeschwerde zu erheben, birgt zahlreiche Fallstricke. Mit den hohen Anforderungen im Hinblick auf die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde sei an dieser Stelle stellvertretend nur ein Beispiel genannt.87 Selbstverständlich ergibt sich bei der Erhebung einer Verfassungsbeschwerde eine Vielzahl klärungsbedürftiger Fragen im Hinblick auf deren Zuläs84

Zuck, Das Recht der Verfassungsbeschwerde, Rn. 27; Detterbeck, in: Sachs-GG, Art. 93 Rn. 17; Lechner/Zuck, BVerfGG, § 90 Rn. 97 ff.; Meyer, in: Münch/Kunig-GG, Art. 93 Rn. 60. 85 BVerfGE 18, 85, 92 f.: „Spezifisches Verfassungsrecht ist aber nicht dann schon verletzt, wenn eine Entscheidung, am einfachen Recht gemessen, objektiv fehlerhaft ist; der Fehler muß gerade in der Nichtbeachtung von Grundrechten liegen.“; Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge-BVerfGG, § 90 Rn. 296 f.; Detterbeck, in: Sachs-GG, Art. 93 Rn. 17; Meyer, in: Münch/Kunig-GG, Art. 93 Rn. 60. 86 Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, Rn. 283; Zuck, Das Recht der Verfassungsbeschwerde, Rn. 19. 87 Zu den Fragen und dem Problem der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde, einschließlich ihrer rechtlichen und dogmatischen Verankerung siehe vertiefend nur Posser, Die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde und Warmke, Die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde. Siehe nur allgemein zu den hier nicht weiter vertieften Schwierigkeiten einer einheitlichen Zulässigkeitsdogmatik Zuck, Das Recht der Verfassungsbeschwerde, Rn. 370 ff.

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4. Kap.: Rechtsschutz (des Angeklagten)

sigkeit. Für den hier in Rede stehenden Fall vornehmlich in Bezug auf Beschwerdegegenstand (Beschluss des Gerichts nach § 238 II StPO oder erst Urteil?), als auch Rechtswegerschöpfung und Subsidiarität (Welche Rechtsbehelfe müssen vorher ausgeschöpft werden?) nach § 90 II BVerfGG sowie Frist nach § 93 BVerfGG (Beginn des Laufes ab Bekanntgabe des Beschlusses, Verkündung des Urteils oder dessen Zustellung?) und einer ordnungsgemäßen Begründung. Die Beantwortung dieser Fragen ist aber hochgradig von den Umständen des konkreten Einzelfalls abhängig, insbesondere des vorherigen Verfahrensgangs. Eine abstrakte Beantwortung ohne einen konkreten Fall ist nur schwer möglich. Die Art. 93 I Nr. 4a GG und § 90 GG garantieren aber Individualrechtsschutz gegen alle Akte öffentlicher Gewalt und damit auch gegen Judikativakte, wie sie hier im Raum stehen.88 Als Verletzungshandlung, die Gegenstand einer begründeten Verfassungsbeschwerde sein soll, wird im weiteren Gang der Untersuchung bloß die Nichtbeachtung der §§ 356, 268 III 2 StPO betrachtet werden. In Bezug auf diese alleinige Verletzungshandlung wird es auch in konkreten Einzelfällen – wenn auch mit Hindernissen – möglich sein, eine zulässige Verfassungsbeschwerde zu erheben, was im Folgenden vorausgesetzt wird. b) Begründetheit: Die Verletzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten Schwerwiegender als die Einzelfragen im Rahmen der Zulässigkeit wiegen die Fragen der Begründetheit. Die Verletzung des einfachen Rechts in Form der §§ 356, 268 III 2 StPO, wie sie im Zweiten Kapitel festgestellt wurde, muss zugleich eine Verletzung eines rügefähigen Grundrechts oder grundrechtsgleichen Rechts darstellen. Diese sind nach Art. 93 I Nr. 4 GG – und im Gleichlaut mit § 90 I BVerfGG – die Grundrechte oder die in Art. 20 IV, 33, 38, 101, 104 GG genannten grundrechtsgleichen Rechte.89 Wegen der zum Teil tradierten Rechtsprechung in einigen dieser Bereiche ist es aber durchaus kompliziert, den in Rede stehenden Gesetzessverstoß gegen die §§ 356, 268 III 2 StPO, eben weil eine Verletzung des einfachen Rechts nicht zugleich auch eine Grundrechtsverletzung darstellen muss und die Verfassungsbeschwerde nicht vor Rechtsverletzungen schlechthin schützt, als einen rügefähigen Grundrechtsverstoß zu kategorisieren.90 Im Rahmen der hier nur in Betracht kommenden Verfassungsbeschwerde in Form der Urteilsverfassungsbeschwerde91 birgt die Selbstbeschränkung des BVerfG mit dem Erfordernis der Verletzung spezifischen Verfassungsrechts große Herausforderungen für den Beschwerdeführer. 88

Vgl. Detterbeck, in: Sachs-GG, Art. 93 Rn. 86 f. Walter, in: Maunz/Dürig-GG, Art. 93 Rn. 322; Wieland, in: Dreier-GG, Art. 93 Rn. 94. 90 BVerfGE 18, 85, 92 f.; Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge-BVerfGG, § 90 Rn. 35; Meyer, in: Münch/Kunig-GG, Art. 93 Rn. 60. 91 Siehe zu den Erscheinungsformen der Urteilsverfassungsbeschwerde Gusy, Die Verfassungsbeschwerde, Rn. 38 ff. 89

B. Zu den einzelnen Möglichkeiten des Rechtsschutzes

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Nach der sogenannten Heck’schen92 Formel wird das „spezifische Verfassungsrecht“, welches für eine erfolgreiche Verfassungsbeschwerde verletzt werden muss, dergestalt konkretisiert, indem das BVerfG in ständiger Rechtsprechung ausführt, es könne „nur eingreifen, wenn Fehler erkennbar werden, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung eines Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs, beruhen und auch in ihrer materiellen Bedeutung für den konkreten Rechtsfall von einigem Gewicht sind.“93 Die Abgrenzung zwischen bloß einfachrechtlicher Rechtsverletzung und Verletzung von spezifischem Verfassungsrecht ist nicht immer einfach.94 Eine scharfe Trennung ist im Ergebnis wohl auch nicht möglich.95 Die Heck’sche Formel mit ihrem Erfordernis einer spezifischen Verfassungsrechtsverletzung ist insofern eine „Kurzformel“,96 die einer weiteren Konkretisierung durch Fallgruppen bedarf. Diese sind gegeben, wenn durch das Gericht der angefochtenen Entscheidung die grundrechtliche Relevanz überhaupt nicht oder ungenügend berücksichtigt wurde und die Entscheidung hierauf beruht;97 wenn die Entscheidung erkennen lässt, dass sie auf einer grundlegend falschen Einschätzung der Grundrechtsbedeutung beruht;98 oder wenn die Grenzen der Rechtsfortbildung überschritten wurden.99 Ergänzt wird dies vor allem durch den weiteren Ansatz, dass eine spezifische Verfassungsrechtsverletzung auch dann vorliege, wenn die Entscheidung des Fachgerichts an sich unhaltbar, offensichtlich sachwidrig sowie schließlich offensichtlich unangemessen und damit willkürlich

92 Benannt nach dem Berichterstatter in dem Verfahren BVerfGE 18, 85 Karl Heck, Sohn von Philipp Heck, siehe dazu und zu einer kritischen Auseinandersetzung mit der Heck’schen Formel, Rüthers, Die heimliche Revolution vom Rechtsstaat zum Richterstaat, S. 156 f. 93 BVerfGE 18, 85, 93; 102, 347, 362; ähnlich BVerfGE 111, 366, 373; Schlaich/Korioth, Rn. 281; Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge-BVerfGG, § 90 Rn. 316 ff.; Detterbeck, in: Sachs-GG Art. 93 Rn. 90; Oliver Klein, in: Benda/Klein-Verfassungsprozessrecht, Rn. 478 ff.; Lechner/Zuck, BVerfGG, Einl. Rn. 152 ff.; § 90 Rn. 98; Voßkuhle, in: Mangoldt/Klein/Starck-GG, Art. 93 Rn. 54 ff. 94 Siehe dazu auch bspw. BVerfGE 18, 85, 93; 61, 1, 6, wonach sich die Grenzen für ein Eingreifen des BVerfG „nicht immer allgemein klar abstecken“ oder „nicht starr und gleichbleibend ziehen“ lassen; Manssen, Staatsrecht II, Rn. 841; Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, Rn. 305 ff.; Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, § 90 Rn. 316a: „Mit der Figur des ,spezifischen Verfassungsrechts‘ ist das Problem also nur benannt, aber nicht gelöst.“; Oliver Klein, in: Benda/Klein-Verfassungsprozessrecht, Rn. 477; vgl. Lechner/Zuck, BVerfGG, Einl. 150. 95 So auch Kleine-Cosack, Verfassungsbeschwerden und Menschenrechtsbeschwerde, Rn. 990. 96 Lechner/Zuck, BVerfGG, § 90 Rn. 151. 97 BVerfGE 30, 173, 197; 95, 28, 37; 97, 391, 401; 129, 78, 102. 98 BVerfGE 99, 145, 160; 100, 214, 222; 101, 361, 388; 112, 93, 108. 99 BVerfGE 4, 219, 234; 96, 375, 395 f.; 109, 190, 252; 113, 88, 103 f.; 128, 193, 210; 122, 248, 284 f.; Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, Rn. 292 ff.; Bethge, in: Maunz/ Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge-BVerfGG, § 90 Rn. 316a; Detterbeck, in: Sachs-GG, Art. 93 Rn. 90; Oliver Klein, in: Benda/Klein-Verfassungsprozessrecht, Rn. 478 ff.; Voßkuhle, in: Mangoldt/Klein/Starck-GG, Art. 93 Rn. 61.

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4. Kap.: Rechtsschutz (des Angeklagten)

i. S. d. Art. 3 I GG sei.100 Weitere Indikatoren sind dabei die Eingriffsintensität und Bedeutung der beschwerenden Entscheidung.101 Die mit der Heck’schen Formel verbundene Kasuistik des BVerfG, sich in seinem Prüfungsmaßstab zu beschränken und neben der Verletzung einfachen Rechts zusätzlich eine Verletzung spezifischen Verfassungsrechts zu verlangen, mag zwar misslich für den Beschwerdeführer sein, die Beweggründe sind aber dennoch im Grunde irgendwie auch praktisch verständlich. Insofern ist der verfassungsprozessualen Realität ins Auge zu blicken und bezüglich der §§ 356, 268 III 2 StPO hinzunehmen, dass „[d]as BVerfG […] nicht das oberste Prozessgericht der Republik [ist]“102 und sich die Verletzung des einfachen Prozessrechts in einer gleichzeitigen und eigenen Grundrechtsverletzung niederschlagen muss, damit eine Verfassungsbeschwerde erfolgreich ist. aa) Justizgrundrechte Dem Umstand geschuldet, dass es sich mit den §§ 356, 268 StPO um Vorschriften des Prozessrechts und damit solchen zur Gestaltung eines gerichtlichen Verfahrens handelt, liegt ein Rückgriff auf die sogenannten Justizgrundrechte als ersten Anknüpfungspunkt für eine begründete Verfassungsbeschwerde intuitiv nahe. Die Garantien nach Art. 19 IV, 101, 103, 104 GG stellen besondere verfahrensrechtliche, mit Grundrechtscharakter ausgestattete, Ausprägungen des Rechtsstaatprinzips dar.103 Die Überschreitung der Urteilsverkündungsfrist ist eine vom strafprozessualen Recht nicht vorgesehene Verlängerung des Hauptverfahrens. Insofern drängt sich schnell der Gedanke auf, dass dadurch das Recht auf eine Verfahrenserledigung in angemessener Zeit, also vor allem die subjektive Dimension des allgemeinen Beschleunigungsgrundsatzes, betroffen sein könnte.104 Damit eine Verknüpfung mit einem der genannten Justizgrundrechte erfolgen kann, müsste das allgemeine Beschleunigungsgebot entweder aus diesen allgemein oder jedenfalls in Spezialfällen hergeleitet werden können. Die Justizgrundrechte weisen hierbei durchaus auch beschleunigende Komponenten auf.105 Die Schutz100 BVerfGE 62, 189, 192; 70, 93, 97; 74, 102, 127; 112, 93, 108; Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, Rn. 299; Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/BethgeBVerfGG, § 90 Rn. 316b; Detterbeck, in: Sachs-GG, Art. 93 Rn. 90; Oliver Klein, in: Benda/ Klein-Verfassungsprozessrecht, Rn. 485; Voßkuhle, in: Mangoldt/Klein/Starck-GG, Art. 93 Rn. 64 f. 101 Siehe z. B. BVerfGE 42, 143, 149; Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/BethgeBVerfGG, § 90 Rn. 316c; Detterbeck, in: Sachs-GG, Art. 93 Rn. 90; Voßkuhle, in: Mangoldt/ Klein/Starck-GG, Art. 93 Rn. 62. 102 Manssen, Staatsrecht II, Rn. 841. 103 Kloepfer, Verfassungsrecht II, § 75 Rn. 1; Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, Rn. 321; Hillgruber, in: Maunz/Dürig-GG, Art. 92 Rn. 5; Schroeder, JA 2010, 167. 104 Siehe dazu bereits oben Zweites Kapitel: A. II. 2. c) aa) (3). 105 Siehe dazu m. w. N. Kloepfer, JZ 1979, 209, 212 f.

B. Zu den einzelnen Möglichkeiten des Rechtsschutzes

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bereich eröffnenden Grundrechte der Art. 101 I 2 GG (Recht auf den gesetzlichen Richter) und Art. 103 II, III GG (strafrechtliches Rückwirkungsverbot und Doppelbestrafungsverbot)106 erscheinen jedoch im Falle einer Verletzung der Urteilsverkündungsfrist für eine derartige Anknüpfung ungeeignet. Im Hinblick auf eine Anknüpfung an Art. 103 I GG, der Verletzung des rechtlichen Gehörs, gelten hier die bereits zuvor bei der Anhörungsrüge nach den §§ 33a, 356a StPO diskutierten Erwägungen.107 Es wäre zwar durchaus denkbar, dass eine Verletzung des einfachen Rechts – also in diesem Fall der Urteilsverkündungsfrist – zugleich auch einen Verfassungsverstoß darstellt, da das einfache Gesetz die Modalitäten der Gehörsgewährung notwendig konkretisiert und wegen der Bedeutung des Anspruchs nach Art. 103 I GG die verfassungsgerichtliche Kontrolldichte erhöht ist.108 Eine Verletzung des einfachen Rechts würde dann zugleich in eine Verletzung von spezifischem Verfassungsrecht übergehen. Die Erhebung einer vorherigen, letztlich erfolglosen, Anhörungsrüge wäre obligatorisch, um dem Subsidiaritätserfordernissen und der Rechtswegerschöpfung nach § 90 II 1 BVerfGG zu genügen und die Selbstkontrolle des entscheidenden Gerichts zu eröffnen.109 Das gilt wahrscheinlich auch für eine vorhergehende Beanstandung nach § 238 II StPO. Eine solche potentielle Verknüpfung mit einem rügefähigen Grundrecht läuft aber insofern leer, wenn eine „Verletzung durch Vergessen“ in Bezug auf das rechtliche Gehör nicht angenommen wird. Insofern steht diese Konstruktion, um eine Anknüpfung an Art. 103 I GG zu schaffen, auf tönernen Füßen. So verbleibt ggf. ein Rückgriff auf den Justizgewährungsanspruch nach Art. 19 IV GG, wonach jedermann mit der Behauptung, durch einen Akt der öffentlichen Gewalt in seinen Rechten verletzt zu sein, der Rechtsweg offensteht. Die dort normierte Rechtsweggarantie und dem ebenfalls enthaltenen besonderen Justizgewährungsanspruch ist aber nach der Judikatur des BVerfG nicht umfassend, sondern nur auf einen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt i. S. d. Exekutive beschränkt.110 Spruchrichterliches Handeln ist traditionell nicht vom Schutzbereich

106

Kloepfer, Verfassungsrecht II, § 75 Rn. 3. Siehe zu §§ 33a, 356a StPO oben Viertes Kapitel: B. II. 1. 108 BVerfG, NJW 2004, 3551, 3552; Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, Rn. 323; 325; Degenhart, in: Sachs-GG, Art. 103 Rn. 14; Detterbeck, in: Sachs-GG, Art. 93 Rn. 90. Vertiefend zu dieser Frage im Bereich des Zivilprozessrechts Zuck, NJW 2005, 3753 ff. 109 Vgl. Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, Rn. 325; Lechner/Zuck, BVerfGG, § 90 Rn. 147a ff., 151. 110 BVerfGE 15, 275, 280; 107, 395, 403 ff.; 112, 185, 207; 122, 248, 270 f., st. Rspr.; Kingreen/Poscher, Grundrechte Staatsrecht II, Rn. 1159 ff.; Kloepfer, Verfassungsrecht II, § 74 Rn. 7; Jarass, in: Jarass/Pieroth-GG, Art. 19 Rn. 42 ff.; Sachs, in: Sachs-GG, Art. 19 Rn. 118; Schulze-Fielitz, in: Dreier-GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 48. Siehe aber auch Voßkuhle, NJW 2003, 2193 ff., der sich mit der Ausnahme dieses „Rechtsschutz durch und nicht gegen den Richter“Dogmas im Zusammenhang mit dem Plenarbeschluss vom 30. 04. 2003, BVerfGE 107, 395, 408, in Bezug auf die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch die Fachgerichte auseinandersetzt. 107

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4. Kap.: Rechtsschutz (des Angeklagten)

des Art. 19 IV GG erfasst.111 Insofern gewährt Art. 19 IV GG – wie es das BVerfG plakativ formuliert – nur einen Schutz durch, aber nicht gegen den Richter.112 In der Literatur führte diese einschränkende Auslegung des Art. 19 IV GG mit den daraus resultierenden Folgen immer wieder zu Kritik.113 Auch wenn Art. 19 IV GG ebenfalls Bezüge zu einer Verfahrenserledigung in angemessener Zeit aufweist,114 so ist der Beschleunigungsgrundsatz nicht in Art. 19 IV GG, sondern als Teil des allgemeinen Justizgewährungsanspruchs in dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 III GG verortet,115 sodass letzterer Rechtsschutzlücken – auch solche in Betreff auf gerichtliches Handeln – schließt.116 In der Folge aber kann hier nicht eine Verletzung des Art. 19 IV GG erfolgreich mit der Verfassungsbeschwerde gerügt werden, sondern es ist ein Rückgriff auf das entsprechend betroffene materielle Grundrecht, allen voran Art. 2 I GG, i. V. m. dem Rechtsstaatsprinzip von Nöten. Alles in allem ergibt sich, sofern eine oben angedeutete Verknüpfung mit Art. 103 I GG nicht gelingt, dass eine Verfassungsbeschwerde wegen der Fristüberschreitung nach §§ 356, 268 III 2 StPO auf der Grundlage der Justizgrundrechte insgesamt nicht gelingen wird. Die Suche nach einem anknüpfungsfähigen Grundrecht für die einfachrechtliche Rechtsverletzung geht daher weiter. bb) Freiheit der Person, Art. 2 II 2 i. V. m. Art. 104 GG Bei den §§ 356, 268 III 2 StPO handelt es sich um Normen eines strafrechtlichen Erkenntnisverfahrens. In diesem ist letztlich auch über einen etwaigen Strafausspruch bis hin zu einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe zu entscheiden. Die Freiheitsstrafe stellt eine der stärksten Formen der Freiheitsentziehungen dar und ist ersichtlich ein Eingriff, in die Handlungs- und Bewegungsfreiheit des Individuums. Deshalb ist auch eine Anknüpfung an die Freiheit der Person als materielles Grundrecht nach Art. 2 II 2 GG denkbar, das Bewegungsfreiheit garantiert und welches wegen seines „unlöslichen Zusammenhangs“ mit dem Justizgrundrecht des Art. 104 GG – der kein eigenes Freiheitsrecht darstellt –117 zu betrachten ist, weshalb

111 BVerfGE 11, 263, 265; 49, 329, 340; 76, 93, 98, st. Rspr.; Kloepfer, Verfassungsrecht II, § 74 Rn. 14; Sachs, in: Sachs-GG, Art. 19 Rn. 120; Schulze-Fielitz, in: Dreier-GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 49. 112 So z. B. BVerfGE 76, 93, 98. 113 Siehe zur Kritik m. w. N. Sachs, in: Sachs-GG, Art. 19 Rn. 120 f. 114 Z. B. BVerfGE 55, 349, 369; 93, 1, 13. Dies betrifft aber vornehmlich die Gestaltung des Verfahrens vor den Gerichten durch die Prozessordnungen, die Beschleunigung ermöglichen und mit Rechtsschutzmöglichkeiten absichern müssen, vgl. Jarass, in: Jarass/Pieroth-GG, Art. 19 Rn. 66. 115 Siehe dazu schon oben Zweites Kapitel: A. II. 2. c) aa) (3). 116 BVerfGE 107, 395, 401; Kloepfer, Verfassungsrecht II, § 74 Rn. 51; Sachs, in: SachsGG, Art. 19 Rn. 11; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig-GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 16 ff. 117 Gusy, NJW 1992, 457.

B. Zu den einzelnen Möglichkeiten des Rechtsschutzes

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es auch nicht separat bei den Justizgrundrechten behandelt wurde.118 Das im Grundgesetz in eine materielle und formelle Freiheitsgarantie „zerrissene“ Grundrecht wird durch eine einheitliche Betrachtung wieder vereint.119 Insbesondere die Schranken des Art. 2 II 3 GG werden durch Art. 104 GG überlagert.120 Verfassungsrechtlich hat dieses doppeltgarantierte Grundrecht einen hohen Rang.121 Die Anknüpfung an die Freiheit der Person ist hierbei zweidimensional; sie betrifft nicht nur den Angeklagten, der zu einer Freiheitsstrafe und daraufhin folgenden Freiheitsentziehung verurteilt wird, sondern zusätzlich den nach §§ 112 ff. StPO bereits in Untersuchungshaft befindlichen Angeklagten. Für die erste genannte Fallkonstellation soll Folgendes ins Bewusstsein gerufen werden: Freiheitsbeschränkungen, von denen auch die Freiheitsentziehung z. B. in Form von Strafhaft gehört, dürfen gemäß Art. 104 I GG nur aufgrund eines förmlichen Gesetzes, das die materiellen Voraussetzungen der Freiheitsentziehung regelt, erfolgen und „nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden“.122 Die Freiheitsentziehung steht gemäß Art. 104 II GG zusätzlich unter einem besonderen Richtervorbehalt der zu der Sicherung des Abs. 1 hinzutritt.123 Mit dieser Ausgestaltung findet eine hervorgehobene Grundrechtssicherung durch verfahrensrechtliche Garantien statt.124 In der Literatur wird dabei gebetsmühlenartig immer wieder erwähnt, dass zu den zu beachtenden Formen des einfachen Verfahrensrechts Zuständigkeit, Form i. S. d. formellen Rechtmäßigkeit, Verfahren und eben auch Fristen gehören.125 Im Blick stehen dabei vornehmlich die formellen Vorschriften über Freiheitsentziehungen durch Untersuchungshaft, Unterbringung und Ähnliches mit ihren Anforderungen und Überprüfungsfristen.126 Das Strafver118 BVerfGE 10, 302, 322; im Inhalt genauso, allerdings von „unlösbarem Zusammenhang“ sprechend BVerfGE 58, 208, 220; 109, 190, 252; 149, 293, 323 Rn. 76; ein „untrennbarer Zusammenhang“ besteht nach BVerfGE 14, 174, 186; Kloepfer, Verfassungsrecht II, § 58 Rn. 22; Hillgruber, in: Maunz-Dürig-GG, Art. 92 Rn. 5. 119 Pohlreich, in: BK-GG, Art. 104 Rn. 33. 120 Kloepfer, Verfassungsrecht II, § 58 Rn. 21; Hillgruber, in: Maunz-Dürig-GG, Art. 92 Rn. 5; Schulze-Fielitz, in: Dreier-GG, Art. 2 II Rn. 106; Wittreck, in: HStR VII, § 151 Rn. 27. 121 So ausdrücklich z. B. in BVerfGE 36, 264, 269; 65, 317, 323. 122 Kloepfer, Verfassungsrecht II, § 58 Rn. 24; Wittreck, in: HStR VII, § 151 Rn. 18, 21; Gusy, NJW 1992, 457, 460. Zu der Reichweite des Formbegriffs, siehe Heidebach, Grundrechtsschutz durch Verfahren bei gerichtlicher Freiheitsentziehung, S. 201 f. 123 Gusy, NJW 1992, 457, 461. 124 Siehe zum Konzept des Grundrechtsschutzes durch Verfahren auch BVerfGE 53, 30, 65 ff. und zusammenfassend Heidebach, Grundrechtsschutz durch Verfahren bei gerichtlicher Freiheitsentziehung, S. 90 ff., 212; Gusy, in: Mangoldt/Klein/Starck-GG, Art. 104 Rn. 14; Wittreck, in: HStR VII, § 151 Rn. 12; Niedzwicki, NdsVBl 2005, 257. 125 So z. B. Kingreen/Poscher, Grundrechte Staatsrecht II, Rn. 503; Duttge, in: Berliner Kommentar-GG, Art. 104 Rn. 24; Jarass, in: Jarass/Pieroth-GG, Art. 104 Rn. 5; Mehde, in: Maunz/Dürig-GG, Art. 104 Rn. 53; Müller-Franken, in: Grundrechte-Kommentar, Art. 104 Rn. 62; Pohlreich, in: BK-GG, Art. 104 Rn. 51; Schulze-Fielitz, in: Dreier-GG, Art. 104 Rn. 35. 126 Bspw. §§ 121, 122a StPO oder § 67e StGB.

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4. Kap.: Rechtsschutz (des Angeklagten)

fahren in seiner Gänze scheint nicht im Hauptaugenmerk zu liegen. Das ist insofern interessant, weil das strafgerichtliche Verfahren vor allem in Form der Hauptverhandlung dazu dient, einen Strafausspruch ggf. mit einer Freiheitsentziehung zu legitimieren und an sich der Prototyp schlechthin für eine staatlich angeordnete Freiheitsentziehung ist. Das allgemeine gerichtliche Erkenntnisverfahren ist selbstverständlich auch umfasst, da Art. 104 I 1 GG grundsätzliche alle Formvorschriften die zu einer Freiheitsbeschränkung führen, einbezieht.127 Bei der StPO handelt es sich offensichtlich um ein förmliches Parlamentsgesetz, welches Art. 104 I, II GG als Voraussetzung für Freiheitsentziehungen erfordert.128 Mit der Durchführung des Strafverfahrens ist ein gerichtliches Verfahren vorgesehen, das die materiellen Normen des Strafrechts zur Anwendung bringt und ggf. in einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe münden kann.129 Könnten sich also die Vorschriften über die strafrechtliche Hauptverhandlung insgesamt als die „darin vorgeschriebenen Formen“ i. S. d. Art. 104 I GG darstellen, mit der Folge, dass ein einfacher Gesetzesverstoß zugleich ein Verfassungsverstoß darstellt, ohne dass es auf die materielle Rechtmäßigkeit des gefundenen Ergebnisses ankäme?130 In diesem Fall wäre auch ein Verstoß gegen die Urteilsverkündungsfrist an sich schon ein Verfassungsverstoß, ohne dass es einer Verletzung von „spezifischen Verfassungsrechts“ nach der Heck’schen Formel bedürfte, da die Einhaltung von Fristen innerhalb des Verfahrens auch zu den zu beachtenden Formen gehört.131 Die Förmlichkeit des Strafverfahrens an sich hat darüber hinaus eine herausragende Bedeutung für die Realisierung von Verfassungsprinzipien.132 Warum sollte also für das Kernstück des Strafverfahrens, welches zu einer Freiheitsentziehung führen kann, anderes gelten als für die Anordnung der Untersuchungshaft oder einer Unterbringung?

127 So ausdrücklich BVerfGE 14, 174, 186 in Bezug auf den „Gesamtvorgang“ bestehend aus Verurteilung aufgrund einer strafrechtlichen Norm und anschließender Strafvollstreckung; siehe insoweit m. w. N. auch Heidebach, Grundrechtsschutz durch Verfahren bei gerichtlicher Freiheitsentziehung, S. 200 f. 128 Vgl. Kingreen/Poscher, Grundrechte Staatsrecht II, Rn. 503; Kloepfer, Verfassungsrecht II, § 58 Rn. 23, 27; Degenhart, in: Sachs-GG, Art. 104 Rn. 9; Wittreck, in: HStR VII, § 151 Rn. 27. 129 Da eine Verurteilung zu einer Geldstrafe gemäß § 43 StGB in eine Ersatzfreiheitsstrafe gewandelt werden kann, haben die nachführenden Ausführungen nicht bloß für Verfahren, in denen eine Freiheitsstrafe verwirkt wird zu gelten, Heidebach, Grundrechtsschutz durch Verfahren bei gerichtlicher Freiheitsentziehung, S. 200; Menger/Erichsen, VerwArch 59 (1968), 67, 73. 130 Vgl. BVerfGE 58, 208, 220; 105, 239, 247; BVerfG, NVwZ-RR 2009, 304, 305; Kingreen/Poscher, Grundrechte Staatsrecht II, Rn. 502; Kloepfer, Verfassungsrecht II, § 58 Rn. 24; Degenhart, in: Sachs-GG, Art. 104 Rn. 13; Gusy, in: Mangoldt/Klein/Starck,-GG Art. 104 Rn. 52; Mehde, in: Maunz/Dürig-GG, Art. 104 Rn. 52; Kunig, in: Münch/Kunig-GG, Art. 104 Rn. 11. 131 Jarass, in: Jarass/Pieroth-GG, Art. 104 Rn. 5; Mehde, in: Maunz/Dürig-GG, Art. 104 Rn. 53; Schulze-Fielitz, in: Dreier-GG, Art. 104 Rn. 35. 132 Vgl. Schmitt, in: MGS, Einl. Rn. 3.

B. Zu den einzelnen Möglichkeiten des Rechtsschutzes

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Die These hat einiges für sich, ist aber zugleich gewagt. Letztlich wäre eine jede formfehlerhafte Verurteilung, sei der Fehler auch noch so klein, damit ein Verfassungsverstoß an sich. Für die Revision als solche wäre in dem heutigen Verständnis überhaupt kaum mehr Platz; § 337 I StPO wäre in Bezug auf die Verfahrensrüge obsolet, weil es auf einem Beruhen des Urteils auf der Verfahrensverletzung nicht mehr ankäme. Schon die Verletzung allein wäre nicht bloß rechts-, sondern verfassungswidrig. Ohne eine wirklich überzeugende Abgrenzung dahingehend treffen zu können, warum das strafrechtliche Hauptverfahren, als Wegbereiter für eine strafhaftbedingte Freiheitsentziehung, nicht in der Gänze zwingend zu beachtende Formen beinhaltet,133 so ist die faktische Realität hinzunehmen, dass die bereits über 140-jähirge Konstruktion der StPO bis heute Bestand hält und vom BVerfG nicht kassiert wurde. Es wirkt vielmehr so, als würde das BVerfG einschränkend lediglich „wesentliche Verfahrensgarantien“ unter den Schutz des Art. 104 I GG stellen.134 Es mag nach dessen Ansicht auch Art. 104 I 1 GG genügen, dass das einfache Recht zwar Formvorschriften konstituiert, zugleich aber auch Heilungen zulässt oder, wie § 337 I StPO voraussetzt, Beruhenserfordernisse verlangt.135 Damit würde das Strafverfahrensrecht für die eigentliche Entziehung der Freiheit immer mittelbarer und entzieht diese nicht schon an sich sondern erst die Vollstreckung der Strafe.136 Es ist dennoch in Erinnerung zu behalten, dass den §§ 356, 268 III 2 StPO wahrheitssichernde – und somit auch qualitätssichernde – Funktion im Hinblick auf die richterliche Ermittlung des Sachverhaltes zukommt. Dieser gefundene Sachverhalt wird Grundlage des Urteils und einer Verurteilung. Bei einer Verletzung der 133

Man denke allein an die Zulässigkeit der Verwertung von rechtswidrigen Beweiserhebungen im Strafprozess. 134 Siehe dazu BVerfGE 58, 208, 220 f.: „Das […] angeordnete Gebot, den Kranken grundsätzlich vor Erlaß einer einstweiligen Anordnung mündlichen anzuhören (§§ 18 Abs. 2 und 13 UG), gehört zu den bedeutsamen Verfahrensgarantien, deren Beachtung Art. 104 Abs. 1 GG fordert und mit grundrechtlichem Schutz versieht […].“; ebenso 61, 123, 125; 65, 317, 321 f.; 66, 191, 195; BVerfG, NJW 1987, 3076: „Bei den Formvorschriften, deren Einhaltung Art. 104 Abs. 1 S. 1 GG fordert, handelt es sich um die grundlegenden verfahrensrechtlichen Bestimmungen des betreffenden Gesetzes.“; BVerfG, NJW 1990, 2309, 2310; BVerfG, NStZRR 2007, 379 verwendet sogar die Bezeichnung „bedeutsamsten (Verfahrens-)Garantien“; Heidebach, Grundrechtsschutz durch Verfahren bei gerichtlicher Freiheitsentziehung, S. 214, dieser sieht eine Beschränkung auf nur wesentliche Garantien als nicht zutreffend an, S. 218 ff., sondern fordert die Einhaltung eines strengen Maßstabs, S. 242 f. 135 Wenn das einfache Gesetz Formvorschriften zwingend konstituiert, so sind Heilungsmöglichkeiten nicht gegeben BVerfGE 58, 208, 222 f.; BVerfG, NJW 1990, 2309, 2310; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 104 Rn, 5; Schulze-Fielitz, in: Dreier-GG, Art. 104 Rn. 35; Heidebach, Grundrechtsschutz durch Verfahren bei gerichtlicher Freiheitsentziehung, S. 229 ff., 261 f., fordert aber für die Zulässigkeit von Unbeachtlichkeitsregeln für Verfahrensverstöße erhöhte Anforderungen, ggf. kollidierendes Verfassungsrecht, um Art. 104 I 1 GG in seinem Schutz nicht leerlaufen zu lassen. 136 Vgl. Heidebach, Grundrechtsschutz durch Verfahren bei gerichtlicher Freiheitsentziehung, S. 200 f. Auf die Vollstreckung selbst bezieht sich die Garantie des Art. 104 I GG im Hinblick auf die Formen aber gerade nicht, Gusy, in: Mangoldt/Klein/Starck, Art. 104, Rn. 29. In diesem Verständnis wohl auch BVerfGE 33, 1, 10.

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4. Kap.: Rechtsschutz (des Angeklagten)

Verkündungsfrist durch das Revisionsgericht sind keine Unbeachtlichkeitsvorschriften in der Strafprozessordnung vorgesehen, sondern die Heilung des Fehlers, und zwar nur durch Wiederholung der Hauptverhandlung gemäß § 268 III 2 a. E. StPO; zugleich erscheint es sich bei dieser Vorschrift gerade doch um eine solche der „bedeutsamsten (Verfahrens-)garantien“137 i. S. d. Art. 104 I 1 GG zu handeln. Vor allem können Unbeachtlichkeitsvorschriften, selbst wenn es sie gäbe bzw. die Rechtsprechung des BGH im Hinblick auf die Tatgerichte,138 wonach das Urteil nicht auf der Fristüberschreitung des § 268 III 2 StPO beruht, sofern eine Beratung und Fixierung des Urteils noch innerhalb der Frist stattgefunden hat, den Fristenbruch, aber vor allem eine eingetretene Verfahrensverzögerung durch die Überschreitung der Frist, gerade nicht „hinwegfingieren“.139 Und das Urteil müsste vielmehr dann nicht auf den Fristenbruch nach § 337 I StPO beruhen, wenn ausgeschlossen werden könnte, dass auch bei Neuverhandlung der Sache das Urteil kein anderes gewesen wäre.140 Nach dem Dafürhalten dieser Untersuchung ist in der Einhaltung der Urteilsverkündungsfrist sehr wohl eine bedeutsame oder wesentliche Verfahrensgarantie zu sehen. Aber wieder einmal bleibt es sodann auch hier dabei, dass es sich um eine auf tönernen Füßen stehende Argumentation handelt, die damit steht und fällt, wenn das BVerfG in dem Vorgehen des BGH eine vertretbare Auslegung der §§ 356, 268 III 2 StPO sehen sollte.141 Es verbleibt noch der zweite Gedanke, mit dem die Freiheit der Person als Anknüpfungspunkt geeignet erscheinen könnte: Der Fallgruppe eines in Untersuchungshaft befindlichen Angeklagten. In dieser Konstellation sind zwei Gegebenheiten von Interesse. Im Falle einer bestehenden Inhaftierung des Angeklagten in der Sache, streitet zum einen das aus Art. 2 II 2 GG abgeleitete besondere Beschleunigungsgebot in Haftsachen dafür,142 dass eine Überschreitung der Urteilsverkündungsfrist zu verhindern ist. Zum anderen lässt sich eine Verzögerung tageweise quantifizieren. Letzteres bleibt bestehen, aber im Hinblick, auf die Rügefähigkeit der §§ 356, 268 III 2 StPO führt dieser Gedanke nicht weiter. Das Beschleunigungsgebot in Haftsachen gilt zwar für das gesamte Strafverfahren, von Ermittlungsverfahren bis hin zum Rechtsmittelverfahren und schützt den noch nicht rechtskräftig verurteilten Träger des Grundrechts.143 Dieser Grundsatz ist 137

BVerfG, NStZ-RR 2007, 379. Siehe z. B. BGHR-StPO, § 268 III Verkündung 3; so auch schon RGSt 57, 422, 423. 139 So auch Heidebach, Grundrechtsschutz durch Verfahren bei gerichtlicher Freiheitsentziehung, S. 230. 140 So sogar ausdrücklich die Begründung in BGHR-StPO § 268 III, Verkündung 1. 141 Vgl. BVerfGE 65, 317, 322 ff.; Degenhart, in: Sachs-GG, Art. 104 Rn. 15; SchulzeFielitz, in: Dreier-GG, Art. 104 Rn. 36. 142 BVerfGE 46, 194, 195; vgl. auch BVerfGE 19, 342, 347 f.; 20, 45, 50; 53, 152, 158 f. Murswiek/Rixen, in: Sachs-GG, Art. 2 Rn. 245. 143 BVerfG, StV 2008, 198; Pieroth/Hartmann, StV 2008, 276 f. 138

B. Zu den einzelnen Möglichkeiten des Rechtsschutzes

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vom BGH eigenständig für das Revisionsverfahren zu beachten.144 Damit ist es zutreffend, dass auch der BGH in der Revisionssache angehalten ist, Verfahrensverzögerungen zu vermeiden. Das Beschleunigungsgebot in Haftsachen hat also mittelbar konkrete Auswirkungen auf die Gestaltung des Hauptverfahrens, wie z. B. eine straffe Terminierung.145 Damit lässt sich – zunächst erfreulich – im Unterschied zu den bereits behandelten Justizgrundrechten in diesem Fall ein Beschleunigungsgebot unmittelbar an ein spezielles Grundrecht anknüpfen. Um eine Verletzung der Urteilsverkündungsfrist als Verfassungsverstoß zu rügen, ist das Beschleunigungsgebot in Haftsachen aber untauglich. Denn es handelt sich hierbei um ein besonderes Beschleunigungsgebot, das in Art. 2 II 2 GG direkt wurzelt und es ist folglich nicht mit dem allgemeinen, rechtsstaatlichen Beschleunigungsgebot aus Art. 20 III GG identisch.146 Selbstverständlich gibt es Parallelen. Die konkrete Rechtsfolge eines Verstoßes ist aber die Unzulässigkeit der Untersuchungshaftfortdauer und infolgedessen die Aufhebung des Haftbefehls.147 Und damit wird offenbar, dass die Freiheit der Person in dieser Konstellation nicht weiterhelfen kann, auch wenn eine erste Assoziation naheliegend ist. Beschwerdegegenstand der Verfassungsbeschwerde wäre nicht das auf einer verzögerten Verkündung beruhende Urteil, sondern die Aufrechterhaltung des Haftbefehls.148 Von daher bleibt im Ergebnis allenfalls der Versuch, die verzögerte Urteilsverkündung als einen einfachgesetzlichen Verstoß gegen die nach Art. 104 I 1 GG mit Verfassungsrang ausgestatteten zu beachtenden Formen zu rügen und so die Fristüberschreitung mit der Freiheit der Person in Verbindung zu bringen. cc) Auffanggrundrechte Sofern es nicht schon unter den erörterten Voraussetzungen gelingen sollte, die Überschreitung der Urteilsverkündungsfrist nach den §§ 356, 268 III 2 StPO mit einem spezielleren Grundrecht zu rügen, so verbleibt ggf. nur noch ein Rückgriff auf die allgemeinen Auffanggrundrechte der Art. 2 I, 3 I GG.149 Um hier die Heck’sche 144

BGHSt 63, 75 (Ls.), 78 f. Vgl. für die tatgerichtliche Hauptverhandlung BVerfG, StV 2008, 198 und m. w. N. aus der Rechtsprechung Pieroth/Hartmann, StV 2008, 276, 279. 146 BVerfGE 46, 194, 195; Böhm/Werner, in: MüKo-StPO, § 112 Rn. 5.; Di Fabio, in: Maunz-Dürig-GG, Art. 2 Abs. 2 Rn. 58; Murswiek/Rixen, in: Sachs-GG, Art. 2 Rn. 245; Liebhart, NStZ 2017, 254; Imme Roxin, StV 2010, 437, 437 f. 147 So z. B. geschehen in BVerfG, BeckRS 2010, 53051; Pieroth/Hartmann, StV 2008, 276, 278; Imme Roxin, StV 2010, 437. 148 Vgl. auch BVerfG, NJW 2006, 677, bei dem ein Verstoß gegen die Urteilsabsetzungsfrist nach § 275 StPO, als nicht von vornherein anzuvisierende Höchstfrist, im Falle der Untersuchungshaft eine Verletzung des besonderen Beschleunigungsgebots in Haftsachen darstellt. Siehe dazu auch Peglau, JR 2007, 146. 149 Insbesondere die allgemeine Handlungsfreiheit wird als „Auffanggrundrecht“ bezeichnet, z. B. Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Art. 2 Abs. 1 Rn. 7, 21; Dreier, in: Dreier-GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 28 m. w. N.; Kloepfer, Verfassungsrecht II, § 51 Rn. 18.; Michael/Morlok, Grund145

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4. Kap.: Rechtsschutz (des Angeklagten)

Formel wieder in Erinnerung zu rufen, so ist zu bedenken, dass das BVerfG sich nicht als Superrevisionsinstanz der Fachgerichtsbarkeit sieht.150 Wegen der weiten Anwendungsbereiche der Auffanggrundrechte legt das BVerfG strenge Maßstäbe an, um nicht jede bloß fehlerhafte Anwendung des einfachen Rechts, welches eine Einschränkung dieser Grundrechte zuließe, in einen Verfassungsverstoß umzudeuten.151 (1) Allgemeine Handlungsfreiheit, Art. 2 I GG Was im Rahmen der Justizgrundrechte nicht gelang, ist nun im Rahmen des Art. 2 I GG und der in ihm verbürgten allgemeinen Handlungsfreiheit möglich. An diesem lässt sich das rechtsstaatliche, allgemeine Beschleunigungsgebot nun an ein materielles Grundrecht anknüpfen und ggf. zur Verwirklichung bringen.152 Auch wenn das Beschleunigungsgebot, welches das BVerfG als Maßstab ansetzt, aus dem deutschen Verfassungsrecht hergeleitet wird, so ist die konkretisierende Rechtsprechung des EGMR in Bezug auf Art. 6 I 1 EMRK und das dort normierte Gebot der Verfahrenserledigung in angemessener Frist von Bedeutung und wird vom BVerfG in die eigene Rechtsprechung integriert.153 Das BVerfG hält in seiner Rechtsprechung ausdrücklich fest, dass das grundgesetzliche Rechtsstaatsgebot eine angemessene Beschleunigung des Strafverfahrens gebietet und „[e]ine von den Justizbehörden zu verantwortende erhebliche Verzögerung des Strafverfahrens […] den Beschuldigten in seinem Recht aus Art. 2 I i. V. mit Art. 20 III GG auf ein rechtstaatliches, faires Verfahren [verletzt]“.154 Ob schließlich eine Verletzung des Beschleunigungsgebots durch eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung vorliegt, ist in einem zweiten Schritt unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu betrachten. Beachtung finden vor allem eben jene von den Justizorganen verursachten Verzögerungen, die Gesamtdauer des Verfahrens, die Schwere des Tatvorwurfs sowie der Umfang und rechte, Rn. 435 ff.; Ulrich J. Schröder, JA 2016, 641, 642, 648. Funktionell lässt sich Art. 3 I GG als allgemeiner Gleichheitssatz im Verhältnis zu den speziellen Gleichheitssätzen des GG ebenso als ein im Anwendungsbereich weiteres Auffanggrundrecht bezeichnen, wenn auch diese Formulierung selten ausdrücklich so, z. B. bei Michael/Morlok, Grundrechte, Rn. 783 (Auffangrecht) oder gerade in Bezug auf das Willkürverbot des Art. 3 I GG bei Paul Kirchhof, in: Maunz/Dürig-GG, Art. 3 Abs. 1 Rn. 266 (Auffangtatbestand), verwendet wird, vgl. dazu Boysen, in: Münch/Kunig-GG, Art. 3 Rn. 202; Heun, in: Dreier-GG, Art. 3 GG Rn. 142; Sachs, in: HStR VIII, § 182 Rn. 16 ff.; Heinrich Wolff, in: Hömig/Wolff-GG, Art. 3 Rn. 1. 150 Siehe dazu oben Viertes Kapitel: B. II. 2. 151 Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge-BVerfGG, § 90 Rn. 278; Detterbeck, in: Sachs-GG, Art. 93 Rn. 90. 152 So z. B. BVerfGE 122, 248, 279; BVerfG, NJW 1984, 967; NJW 2011, 591, 593; Liebhart, NStZ 2017, 254. 153 Vgl. z. B. den ausdrücklichen Bezug auf die Rechtsprechung des EGMR in BVerfGE 122, 248, 279 f.; BVerfG, NJW 1984, 967; NJW 1993, 3254, 3255; NJW 2003, 2225, 2226; Gaede, wistra 2004, 166; Krehl/Eidam, NStZ 2006, 1, 2; Liebhart, NStZ 2017, 254, 257. 154 BVerfG, NJW 1984, 967.

B. Zu den einzelnen Möglichkeiten des Rechtsschutzes

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die Schwierigkeit der Strafsache – Verzögerungen, die in dem Verhalten des Angeklagten oder seiner Verteidigung ihre Ursache finden, werden bei der Beurteilung hingegen nicht berücksichtig.155 Mit den verschiedenen genannten Merkmalen, die zur Beurteilung herangezogen werden, zeigt sich, dass sich keine pauschale Antwort auf die Frage geben lassen kann, ob eine Verletzung des Beschleunigungsgebot im Einzelfall vorliegt. Die Merkmale werden vielmehr einer Abwägung zugeführt. Im Folgenden kann nur der Einzelumstand der durch die Justizorgane verursachten Verzögerung des Strafverfahrens näher betrachtet werden, ohne aber letztlich eine vollständige Antwort darauf zu finden, ob das allein zu einer Bejahung einer rechtsstaatswidrigen Verzögerung führen wird. Für eine solche ist es jedenfalls ein notwendiger Baustein der Gesamtbetrachtung. Die Auswertung von BGH-Nack im Dritten Kapitel hat gezeigt, dass die Senate des BGH die Urteilsverkündungsfrist in Verfahren mit mehr als einem Verhandlungstag regelmäßig überschreiten. Dabei teils nur um wenige Tage, teilweise aber auch um mehrere Monate. In Anbetracht dessen, dass zu diesem Zeitpunkt nur noch über die Fällung des Urteils zu entscheiden ist, also die materielle Verhandlung abgeschlossen ist, lässt sich die Verantwortung für diese Zeit – außer vielleicht noch, wenn Umstände „höherer Gewalt“ vorliegen – nur noch in die Sphäre der Justizorgane einordnen. Eine jede Überschreitung der Urteilsverkündungsfrist ist damit eine von diesen zu verantwortende Verzögerung. Ob sie dann aber auch eine erhebliche Verzögerung darstellt, auf die die bundesverfassungsgerichtliche Rechtsprechung abstellt, ist zunächst eine Frage der Bedeutung, die der Urteilsverkündungsfrist an sich zukommt. Wenn § 268 III 2 StPO eine absolute Zeitgrenze darstellen sollte, dann wäre jede Überschreitung eine erhebliche Verzögerung, ungeachtet der tatsächlichen Dauer. Eine derartige strenge Annahme dürfte aber im Hinblick auf das zeitliche Moment, welches das BVerfG eher großzügig156 anlegt und bis auf krasse Ausnahmen schwer zu bestimmen ist,157 nicht angängig sein. Die einzelne Verfahrensverzögerung innerhalb eines Verfahrensabschnitts erhält damit nicht das entscheidende Gewicht, sondern die Gesamtdauer im Zusammenhang mit den weiteren in die Abwägung einzustellenden Merkmalen.158 Fristüberschreitungen von wenigen Tagen werden sich daher, so wichtig die Frist der §§ 356, 268 III 2 StPO auch tatsächlich sein mag, nicht eine erhebliche Verfahrensverzögerung darstellen und fallen von vornherein außer Betracht.159 Mit dieser Folge wird der rechtswidrige 155

BVerfG, NJW 1984, 967; NJW 1992, 2472, 2473; NJW 1993, 3254, 3255; NJW 2003, 2225; NStZ-RR 2005, 346, 347; Thomas Fischer, in: KK-StPO, Einleitung Rn. 32; Krehl/ Eidam, NStZ 2006, 1, 3. 156 Vgl. z. B. in Bezug auf die Nichtberücksichtigung von Zeiten infolge einer Verlängerung des Verfahrens durch die Einlegung von (erfolgreichen) Rechtsmitteln, welche bloß Folge der „rechtstaatlichen Ausgestaltung des Rechtsmittelsystems“ sei, BVerfG, NJW 2003, 2228; vgl. auch BGH, NStZ 2001, 106 f. 157 Schmidt-Aßmann, in: Maunz-Dürig-GG, Art. 19 IV Rn. 262. 158 Vgl. Lohse/Jakobs, in: KK-StPO, Art. 6 EMRK Rn. 30. 159 Vgl. Thomas Fischer, in: KK-StPO, Einleitung Rn. 31.

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4. Kap.: Rechtsschutz (des Angeklagten)

Fristenbruch durch den BGH vom rechtsstaatlichen Beschleunigungsgebot zugleich entkoppelt. Entscheidend wird damit nur noch, ob erhebliche Verfahrensverzögerungen zu einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung erwachsen. Liegt das verzögernde Moment nur noch im Bereich nach dem Schluss des materiellen Verhandelns, dann beinhaltet diese Verzögerung zugleich auch einen Verstoß gegen die Frist der §§ 356, 268 III 2 StPO. Aber nicht diese, sondern die im Endergebnis nach Abwägung bestehende rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung wäre mit der Verfassungsbeschwerde rügefähig. Denn die „Maßeinheit“, mit der das BVerfG an dieser Stelle rechnet, „sind Jahre und Monate, nicht Wochen und Tage.“160 Die Verletzung der §§ 356, 268 III 2 StPO ist in diesem Fall nur notwendiger Weise mitbeinhaltet (also konsumiert) – auf sie kommt es aber gar nicht an.161 Die bei der Auswertung von BGH-Nack festgestellten Extremfälle von mehrmonatigen Fristüberschreitungen hingegen werden sich als eine einzelne erhebliche Verzögerung qualifizieren lassen können. Ob diese dann aber eine nach Abwägung der weiteren zu berücksichtigenden Umständen auch als rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung zu bewerten ist, hängt von dem konkreten Einzelfall ab, der hier aber nicht untersucht werden kann. Dieses Ergebnis erscheint tatsächlich nicht ausgeschlossen, dürfte aber allenfalls tatsächlich nur sehr wenige Fälle betreffen; was schon dadurch bedingt ist, dass die wenigsten Fälle im Urteil entschieden werden. Aber, und das wird deutlich: Eine erfolgreiche Verfassungsbeschwerde wird nicht dazu führen, dass die spezifische Verletzung der Urteilsverkündungsfrist sanktioniert wird. Die Verletzung des Beschleunigungsgebots führt nur zu einer Kompensation der mit dieser Verletzung verbundenen Einbußen auf der Rechtsfolgenseite.162 Insoweit ist festzustellen, dass die Verfassungsbeschwerde mit dieser Anknüpfung ungeeignet ist, den BGH zur Einhaltung der Urteilsverkündungsfrist zu bewegen, auch wenn sie für den Angeklagten andersgeartete positive Effekte mitbringen kann. Es kommt bei der Begründetheit der Beschwerde nur auf die Verletzung des Verfassungsrechts an, nicht auf die des einfachen Rechts. Sofern eine Verletzung des Beschleunigungsgebots nach Art. 20 III GG i. V. m. Art. 2 I GG nicht zu einer begründeten Verfassungsbeschwerde führt, so bleibt nur noch ein Rückgriff auf die eingangs genannten Kriterien, unter denen eine einfachgesetzliche Rechtsverletzung zugleich auch einen Verfassungsverstoß darstellt. 160

Scheffler, ZIS 2007, 386, 393. Zu einem anderen Ergebnis könnte man hingegen kommen, wenn als eine notwendige Bedingung bei der Beurteilung der Gesamtangemessenheit der Verfahrenslänge die „prozessordnungsgemäße Verfahrensbetreibung“ mit eingestellt wird, diesen Gedanken entwickelt Baumanns, Der Beschleunigungsgrundsatz im Strafverfahren, S. 111 ff. 162 Siehe zu den Fragen der Rechtsfolge einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung im Strafprozess vertiefend Baumanns, Der Beschleunigungsgrundsatz im Strafverfahren, S. 191 ff.; Pest, Das Verzögerungsverbot im Strafverfahren, S. 173 ff.; Krehl/Eidam, NStZ 2006, 1, 8 ff.; Liebhart, NStZ 2017, 254, 260 ff.; Tepperwien, NStZ 2009, 1, 3 ff.; Waßmer, ZStW 118 (2006), 159, 177 ff. 161

B. Zu den einzelnen Möglichkeiten des Rechtsschutzes

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Die allgemeine Handlungsfreiheit gemäß Art. 2 I GG schützt nach der Rechtsprechung des BVerfG und h. M. menschliches Verhalten umfassend.163 Von dem Schutzbereich ist auch umfasst, dass ein in die Rechtssphäre des Einzelnen eingreifendes Strafverfahren nur in der vorgesehenen Weise durchgeführt wird, vor allem wie hier, wenn die Vorschrift sich sogar noch zugunsten des Betroffenen auswirkt, also nicht die Anwendung, sondern die Falschanwendung belastender Natur ist. Nach den Grundsätzen, die das BVerfG in seiner Elfes-Entscheidung zugrunde gelegt hat,164 müsste bereits jede einfachgesetzliche Rechtsverletzung durch ein Gericht eine unzulässige Beschränkung der allgemeinen Handlungsfreiheit und damit verfassungswidrig sein.165 Das BVerfG ist diesen Weg aber nicht weiter gegangen, um so gerade auch nicht in die Rolle einer Superrevisionsinstanz zu geraten; deshalb wird nicht schon jeder einfachrechtliche Verstoß in eine Verletzung eines Auffanggrundrechts „umgepolt“.166 Die objektiv willkürliche Rechtsanwendung stellt einen Fall dar, in dem der einfachgesetzliche Verstoß zu einem Verfassungsverstoß aufgewertet wird.167 An den Maßstäben des Art. 2 I GG gemessen, wonach die allgemeine Handlungsfreiheit ihre Grenzen in der verfassungsmäßigen Ordnung findet, stellt ein willkürlich angewendetes oder nichtangewendetes Gesetz einen unzulässigen Eingriff in dieses Grundrecht dar. Der Gedanke der Verfassungsverletzung durch willkürliche Gesetzesanwendung lässt sich also ohne Weiteres auf Art. 2 I GG anwenden. Dennoch wird die Willkürkontrolle vorrangig an den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 I GG dogmatisch angebunden, weshalb die Fragen des Willkürverbots – obwohl auch an dieser Stelle relevant – sogleich dort behandelt werden. (2) Allgemeiner Gleichheitssatz, Art. 3 I GG Von dem eingangs genannten Dreiklang168 aus Verkennung der grundsätzlichen Bedeutung eines Grundrechts, der Überschreitung der Grenzen der Rechtsfortbildung und der willkürlichen Rechtsanwendung, so erscheint hier die letzte Fallgruppe ggf. einschlägig. Ausgehend von dem im Rechtsstaatsprinzip als auch dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 I GG und dem zu ihnen in Beziehung stehenden 163 BVerfGE 6, 32, 36; 80, 137, 152, st. Rspr.; Kloepfer, Verfassungsrecht II, § 56 Rn. 13; Kingreen/Poscher, Staatsrecht II Grundrecht, Rn. 436; Dreier, in: Dreier-GG, Art. 2 Rn. 26; Di Fabio, in: Maunz/Dürig-GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 12; Starck, in: Mangoldt/Klein/Starck-GG, Art. 2 Rn. 8 ff. 164 BVerfGE 6, 32, 36 ff. 165 Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, Rn. 284; Walter, in: Maunz/DürigGG, Art. 93 Rn. 153. 166 Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge-BVerfGG, § 90 Rn. 278; Detterbeck, in: Sachs-GG, Art. 93 Rn. 90; vgl. Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, Rn. 283 f. 167 Siehe oben Viertes Kapitel: B. II. 2. b). 168 Siehe dazu oben Viertes Kapitel: B. II. 2. b).

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4. Kap.: Rechtsschutz (des Angeklagten)

Gedanken der Gerechtigkeit, stellt eine, an objektiven Kriterien gemessene, willkürliche Gesetzesauslegung einen Verstoß gegen das objektive Willkürverbot dar.169 Dies soll nach der Rechtsprechung des BVerfG dann der Fall sein, wenn die Rechtsanwendung durch das Fachgericht fehlerhaft ist und dazu diese fehlerhafte Rechtsanwendung unter verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist und sich damit der Schluss aufdrängt, dass es sachfremde Erwägungen waren, die die Entscheidung tatsächlich leiteten; einen Schuldvorwurf an den Richter enthält die Feststellung der Willkür aber indes nicht.170 Das Ergebnis der Rechtsanwendung darf also im geltenden Recht keine Stütze finden.171 Als objektiv wirkendes Verbot erschöpft sich das Willkürverbot, obwohl in Art. 3 I GG mitverankert, nicht schon in der Ungleichbehandlung von Normadressaten, sondern es wirkt als „fundamentales Rechtsprinzip“ gerade auch außerhalb konkreter Ungleichbehandlungen und erhält damit eine objektive Geltung.172 Das ist insofern von nicht unwesentlicher Bedeutung, als dass der BGH seine Auslegung zu den §§ 356, 268 III 2 StPO gleichermaßen auf alle Revisionssachen, die durch Urteil entschieden werden, unzutreffend anwendet. Das einfache Recht also gleichsam in allen Fällen falsch angewendet wird. Die in Art. 3 I GG gründende Willkürkontrolle wird unter Anknüpfung an das rechtsstaatliche Prinzip der Gesetzesbindung der Rechtsprechung nach Art. 20 III GG eine Rechtsbindungskontrolle,173 die dem BVerfG das einfache Recht zur Überprüfung (mittelbar) unterwirft.174 Auf die Anknüpfung an Art. 3 I GG kommt es dabei im Ergebnis gar nicht an,175 weshalb ein solcher Fehler folgerichtig dann auch bei anderen Verfassungsnormen, namentlich den weiteren Grundrechten, Relevanz haben muss.176 De facto tritt das BVerfG aber hier in die Kontrolle des einfachen Rechts.177 169 Vgl. Kloepfer, Verfassungsrecht II, § 59 Rn. 1; Heun, in: Dreier-GG, Art 3 Rn. 66; Schulze-Fielitz, in: Dreier-GG, Art. 20 Rn. 47. 170 St. Rspr., siehe z. B. BVerfGE 34, 325, 330 f.; 42, 64, 72 ff.; 62 189, 192; 75, 329, 347; BVerfG, NJW 2014, 3504. 171 So Lechner/Zuck, BVerfGG, § 90 Rn. 101 und Zuck, NJW 2005, 3753, 3756 f. 172 BVerfGE 55, 72, 89 f.; 78, 232, 247 f., st. Rspr.; Heun, in: Dreier-GG, Art. 3 Rn. 21, 66. 173 Siehe hierzu vertiefend Alleweldt, Bundesverfassungsgericht und Fachgerichtsbarkeit, S. 275 ff. 174 Oliver Klein, in: Benda/Klein-Verfassungsprozessrecht, Rn. 475. 175 Bezeichnend so Kleine-Cosack, Verfassungsbeschwerden und Menschenrechtsbeschwerde, Rn. 996: „[…] der Prüfungsmaßstab des Art. 3 Abs. 1 GG ist nur vorgeschoben.“; so auch Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, Rn. 300: „Art. 3 I GG als Prüfungsmaßstab ist vorgeschoben.“ 176 Deshalb wird das allgemeine Willkürverbot bzw. die von der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung hergeleiteten Ergebnisse nach anderen Ansichten auch vielmehr in einer Anknüpfung an das Rechtsstaatsprinzip verortet, vgl. z. B. BayVerfGH, NJW 1986, 1096; Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 312 ff.; Stern, Staatsrecht I, 790; Kirchberg, NJW 1987, 1988, 1996; Rennert, NJW 1991, 12, 16 ff.; Zuck, JZ 1985, 921, 925 oder in den einschlägigen Freiheitsgrundrechten, siehe dazu m. w. N. Höfling, JZ 1991, 955, 957 ff. Das erkennt das BVerfG in diesem Sinne im Grunde auch an, so z. B. BVerfGE 26, 228, 244.

B. Zu den einzelnen Möglichkeiten des Rechtsschutzes

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Die fehlerhafte Rechtsanwendung unterstellt, ist nun zu klären, ob sich nach objektiven Kriterien ein Verstoß gegen das Willkürverbot begründen lässt. Wann das BVerfG die durchaus strengen Anforderungen für ein Eingreifen als gegeben ansieht, ist im Einzelnen fast nicht vorhersehbar. Es handelt sich hierbei letztlich um eine „nur schwer prognostizierbare Evidenz-Rechtsprechung“.178 Daher soll nur auf die hier bereits angesprochenen Erwägungen hingewiesen werden, die es aus der Warte, die diese Bearbeitung eingenommen hat, als nicht tragbar erscheinen lassen, die Urteilsverkündungsfrist des § 268 III 2 StPO im Revisionsverfahren unangewendet zu lassen. Zuvorderst ist hier der eindeutige gesetzgeberische Wille zu benennen, der eine Anwendung des § 268 III 2 StPO auch im Revisionsverfahren vorgesehen hat.179 Das Gesetz sollte in seiner Konzeption die Gerichte zur Einhaltung der Elftagefrist zwingen und der Gesetzgeber fand hierfür einen eindeutigen Wortlaut. Das Verhalten des BGH löst sich aber von seiner in Art. 20 III, 97 I GG normierten Gesetzesbindung. Eine offensichtlich einschlägige, gültige und bindende Norm wird außer Acht gelassen, weil deren Inhalt nach RGSt 27, 116 offensichtlich völlig missdeutet und das gesetzgeberische Anliegen nicht beachtet wird.180 Diese Norm wurde auch gerade dazu vom historischen Gesetzgeber geschaffen – und dieses Willens hat sich der bundesrepublikanische Gesetzgeber bedient, als er die StPO mit dem Vereinheitlichungsgesetz rezipierte – um die Konzentrationsmaxime abzusichern und die Wiederholung der Hauptverhandlung zu erzwingen, falls die Frist überschritten würde. Weder aus systematischen Gründen,181 wie es das RG noch in RGSt 27, 116 argumentierte, noch aus teleologischen Erwägungen,182 lässt sich eine Außerachtlassung der Verkündungsfrist rechtfertigen. Die Überbetonung der Schriftlichkeit im Revisionsverfahren, wie das RG verfährt,183 ist zwar eine in ihrem Grunde nachvollziehbare, aber vom Gesetz gerade nicht vorgesehene – gar gänzlich unzulässige – Erwägung und in diesem Zusammenhang eben ausdrücklich sachfremd und falsch. Des Weiteren besteht der Verdacht, dass das Revisionsgericht mit der Lösung von der Elftagefrist prozessökonomische Erwägungen – vielleicht sogar Bequemlichkeitserwägungen – verfolgt, um eine Wiederholung der Hauptverhandlung bei eigenem Versäumen, zu umgehen. Dieser Ansatz ist genauso sachfremd, da beides, die Wiederholung der Hauptverhandlung wie auch die Einhaltung der Frist, dem Schutz der Wahrheitsfindung durch Erhalt des frischen Eindrucks der Hauptverhandlung 177 Kleine-Cosack, Verfassungsbeschwerden und Menschenrechtsbeschwerde, Rn. 996; Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, Rn. 300. 178 So Voßkuhle, in: Mangoldt/Klein/Starck-GG, Art. 93 Rn. 65. 179 Siehe oben Zweites Kapitel: A. II. 3. 180 Vgl. BVerfGE 87, 273, 279; BVerfG, wistra 2010, 261, 262; vgl. auch BVerfGE 87, 273, 278 f. 181 Siehe oben Zweites Kapitel: A. II. 2. 182 Siehe dazu oben Zweites Kapitel: A. II. 4. 183 Vgl. die entsprechenden Ausführungen in RGSt 27, 116, 117.

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4. Kap.: Rechtsschutz (des Angeklagten)

dient. Auch wenn das RG eine Auseinandersetzung mit der Rechtslage erkennen lässt, führt es aber unzulässige Erwägungen ein. Hinsichtlich des BGHs ist nicht ersichtlich, dass er sich nach seiner Errichtung jemals eigenständig mit der Bedeutung des § 356 StPO in Bezug auf § 268 III 2 StPO Gedanken gemacht hat. Ob also eine willkürausschließende, eingehende Auseinandersetzung mit der Rechtslage stattgefunden hat, die nicht jedes sachlichen Grundes – und das kann nur zulässigen sachlichen Grundes heißen – entbehrt, ist nicht anzunehmen.184 Und letztlich gibt es auch keinen Raum für eine teleologische Reduktion der Vorschrift, als Unterfall der Rechtsfortbildung. Wegen der verbreiteten objektiven Auslegungstheorie sind Auslegung und (verdeckte) Rechtsfortbildung oftmals schwer voneinander zu trennen.185 Die Rechtfortbildungskontrolle lässt sich, neben der Willkürkontrolle, als eigener Unterfall der Rechtsbindungskontrolle auffassen,186 oder als einen von der Willkürkontrolle nur schwer abgrenzbaren Fall.187 In beiden Fällen – ohne dass die Fallgruppen der Rechtsbindungskontrolle weiter vertieft werden sollen – liegt ein nicht haltbarer Grundrechtsverstoß vor. Denn auch wenn in der Nichtanwendung der Urteilsverkündungsfrist eine Rechtsfortbildung anstelle einer Auslegung gesehen wird, so ist diese unzulässig, wenn nicht gar ebenfalls willkürlich, eben weil die Voraussetzungen für eine teleologische Reduktion offensichtlich nicht vorliegen.188 Es gibt damit zahlreiche Gründe, die sich anführen lassen, hier einen willkürlich motivierten Gesetzesanwendungsfehler zu sehen, indem der BGH die Urteilsverkündungsfrist des § 268 III 2 StPO in Revisionsverfahren nicht beachtet. Indes besteht seit 1895 eine über 125-jährige, vom BGH zunächst unreflektiert übernommene und sodann fortgeführte, Tradition. Diese kann zwar nicht in Gewohnheitsrecht erstarken; sie kann aber dennoch einen Anschein einer nicht offensichtlich schlechthin unhaltbaren und unangemessenen Auslegung erwecken, die die Willkürkontrolle an dieser Stelle aber gerade für ein Eingreifen des BVerfG erfordert.189 Daher kann für den Erfolg einer Verfassungsbeschwerde durch Rüge objektiver Willkür, keine sichere Erfolgsprognose getroffen werden, wenn auch von hier vertretener Ansicht aus alle Voraussetzungen dafür erfüllt sind. Wieder einmal ist eine Anknüpfung an ein betroffenes Grundrecht nicht denklogisch ausgeschlossen, aber eine erfolgreiche Rüge fernab einer Garantie.

184

Vgl. z. B. BVerfGE 87, 273, 279. Möllers, Juristische Methodenlehre, § 4 Rn. 37, § 13 Rn. 9; Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, Rn. 301. 186 Siehe dazu Alleweldt, Bundesverfassungsgericht und Fachgerichtsbarkeit, S. 94 ff., 275 ff.; Oliver Klein, in: Benda/Klein-Verfassungsprozessrecht, Rn. 476, 484 ff. 187 Vgl. Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, Rn. 301. 188 Siehe dazu oben Zweites Kapitel: B. Des Weiteren wird nochmals in Erinnerung gerufen, dass das RG nicht teleologisch, sondern bloß systematisch argumentiert, siehe dazu oben Zweites Kapitel: A. II. 4. 189 Vgl. z. B. BVerfGE 58, 163, 167 f.; 64, 389, 394; 80, 48, 51 f. 185

B. Zu den einzelnen Möglichkeiten des Rechtsschutzes

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dd) Zwischenergebnis Es zeigt sich, wie schon zu Beginn der Auseinandersetzung mit den Rechtsbehelfen erwähnt, dass der Erfolg der Verfassungsbeschwerde im Wesentlichen davon abhängt, dass das BVerfG in der Auslegung des BGH in Bezug auf § 356, 268 III 2 StPO eine Verletzung des einfachen Rechts feststellt. Diese notwendige Bedingung bedarf zusätzlich der Verknüpfung mit der hinreichenden, dass die Verletzung des einfachen Rechts in einen Verstoß von spezifischen Verfassungsrechts nach der Heck’schen Formel unvermittelt übergeht. Dafür gibt es mit Art. 103 I GG, dem Anspruch auf rechtliches Gehör, und Art. 2 I, 104 I 1 GG theoretische Ansätze für eine begründete Verfassungsbeschwerde. Diese fußen aber auf Ansätzen, die in der Rechtsprechung so noch nicht eindeutig vertreten wurden. Die Erfolgsaussichten sind daher eher hypothetisch als real greifbar. Mehr Erfolg könnte da ein Ansatz über einen Verstoß gegen das objektive Willkürverbot nach Art. 3 I GG bieten, dessen Ansätze sich auch auf Art. 2 I GG übertragen lassen. Gründe für eine solche Annahme lassen sich zahlreich nennen. Aber auch hier gilt, dass es keinesfalls gesichert ist, dass das BVerfG diesen erörterten Weg auch gehen wird. Im Hinblick auf das „Superrevisionsinstanz“-Mantra des BVerfG, lässt sich hier keine sichere Prognose treffen. c) Ergebnis Die Verfassungsbeschwerde erweist sich als nur sehr eingeschränktes Mittel, die Verletzung der §§ 356, 268 III 2 StPO zu sanktionieren. Dennoch lässt sich die einfachgesetzliche Rechtsverletzung mit einigen Grundrechten in Verbindung bringen, ggf. kann damit die Verfassungsbeschwerde sogar zum Erfolg geführt werden. Die theoretischen Voraussetzungen liegen dafür zwar vor, notwendige Bedingung ist aber, dass auch das BVerfG die hier vertretene Auffassung teilt, dass sich die vom BGH geübte Praxis mit dem Gesetz keinesfalls vereinbaren lässt. 3. Petitionsrechte aus Art. 17 GG Weitere bedenkenswerte Rechtsbehelfe stellen zwei besondere Formen des Petitionsrechts nach Art. 17 GG dar. Hiernach ist jedermann berechtigt, sich einzeln oder gemeinsam mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen oder an die Volksvertretungen zu wenden. Somit steht dem Einzelnen mit dem Petitionsrecht ein außerhalb des förmlichen Rechtsschutzes angesiedelter Rechtsbehelf zur Verfügung.190 Auch wenn deshalb das Petitionsrecht verballhornend als „form-191, frist- und fruchtlos“ bezeichnet wird, stellt es tatsächlich ein nicht zu unterschätzendes Mittel und „prozedurale Garantie des 190 191

Hans Klein, in: Maunz/Dürig-GG, Art. 17 Rn. 138. Man beachte das in Art. 17 GG genannte Schriftformerfordernis.

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4. Kap.: Rechtsschutz (des Angeklagten)

Rechtsstaatsprinzips“ dar.192 Konkreter betrachtet werden sollen hier die beiden Erscheinungsformen des Petitionsrechts von Dienstaufsichtsbeschwerde und Gegenvorstellung aus strafverfahrensrechtlicher Perspektive.193 a) Dienstaufsichtsbeschwerde Mit der Dienstaufsichtsbeschwerde kann bei der dienstaufsichtsführenden Stelle ein bestimmtes Handeln erbeten werden.194 Sie kann sich in ihrem Begehren auf jegliches dienstliches Handeln eines konkreten Amtsträgers (Dienstaufsichtsbeschwerde i. e. S.) oder auf die Behandlung der Sache als Ganzes (sog. Sachbehandlungsbeschwerde) beziehen und von jedermann, nicht notwendigerweise von einem durch das Verhalten Beschwerten, erhoben werden.195 Vorteil dieses Rechtsbehelfes ist, dass dieser, sofern er die Voraussetzungen des Art. 17 GG erfüllt, also schriftlich von einem Grundrechtsträger erhoben wurde, von der dienstaufsichtführenden Stelle zur Kenntnis zu nehmen und zu bescheiden ist.196 Es besteht folglich eine Befassungspflicht. Insofern ergibt die Dienstaufsichtsbeschwerde zumindest die denkbare Möglichkeit, in einem weiteren Kontext als den des gegenständlichen Gerichtsverfahrens, anlässlich einer Überschreitung der Urteilsverkündungsfrist in diesem, die Dienstaufsicht zu einem Einschreiten zu bewegen. Denn eine solche ist auch in Bezug auf Richter gemäß § 26 DRiG grundsätzlich möglich, wenn auch die richterliche Unabhängigkeit zu Einschränkungen führt. Ein Anspruch auf ein konkretes Einschreiten der Dienstaufsicht besteht allerdings nicht.197 Die Richter sind gemäß Art. 97 GG unabhängig und nur dem Gesetze unterworfen. Diese verfassungsrechtliche Garantie findet sich einfachgesetzlich noch einmal in § 25 DRiG – allerdings im Unterschied zu Art. 97 GG in der Singularform („Der Richter […]“) statt „Die Richter […]“).198 Richterliche Unabhängigkeit einerseits und Gesetzesbindung des Richters andererseits gehen Hand in Hand einher

192

Hans Klein, in: Maunz/Dürig-GG, Art. 17 Rn. 139; Bauer, in: Dreier-GG, Art. 17 Rn. 21; vgl. auch Würtenberger, in: BK-GG, Art. 45 c Rn. 24, 29 ff. 193 BVerfGE 9, 89, 107; BVerwG, NJW 1977, 118; LR/Jesse, Vor § 296 Rn. 77, 88; Radtke, in: Radtke/Hohmann, § 296 Rn. 8, 14; Schmitt, in: MGS, Vor § 296 Rn. 21. 194 Allgayer, in: MüKo-StPO, § 296 Rn. 18; Carsten Paul, in: KK-StPO, Vor §§ 296 ff. Rn. 4. 195 Allgayer, in: MüKo-StPO, § 296 Rn. 18 f.; Brenner, in: Mangoldt/Klein/Starck-GG, Art. 17 Rn. 39 ff.; LR/Jesse, Vor § 296 Rn. 88; Carsten Paul, in: KK-StPO, Vor §§ 296 ff. Rn. 4. 196 BVerfGE 2, 225, 230; BVerwG, NJW 1976, 637, 638; BVerwG, NJW 1977, 118; Allgayer, in: MüKo-StPO, § 296 Rn. 21; Brenner, in: Mangoldt/Klein/Starck-GG, Art. 17 Rn. 50; LR/Jesse, Vor § 296 Rn. 88. 197 BVerwG, NJW 1977, 637, 638; Allgayer, in: MüKo-StPO, § 296 Rn. 21. 198 Der Garantieinhalt ist unabhängig von der einfachgesetzlichen Abweichung der Formulierung identisch, allerdings mit der Einschränkung, dass § 25 DRiG nur für Berufsrichter gilt, Staats, DRiG, § 25 Rn. 1.

B. Zu den einzelnen Möglichkeiten des Rechtsschutzes

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und begrenzen sich gegenseitig.199 Hauptanliegen der Unabhängigkeitsgarantie ist es, dem Bürger im Rahmen des Justizgewährungsanspruchs des Art. 19 IV GG und der daraus resultierenden Justizgewährungspflicht eine Entscheidung durch einen unabhängigen Dritten zu eröffnen, der frei von der Einflussnahme der anderen Gewalten – insbesondere durch Weisung der Exekutive – den Fall neutral entscheidet.200 Damit erhält Art. 97 GG vorrangig eine objektive Garantie, die selbst nicht subjektives Recht des einzelnen Richters ist; ungeachtet dessen ist es möglich, eine Verletzung der richterlichen Unabhängigkeit als hergebrachten Grundsatz des Berufsrichterrechts i. S. d. Art. 33 V GG zu als grundrechtsgleiches Recht zu rügen.201 Die unbeeinflusste Entscheidungsfindung durch einen unabhängigen und neutralen Dritten findet ihren Niederschlag auch in der Ausgestaltung des Dienstaufsichtsrechts nach dem bereits angesprochenen § 26 DRiG. Der Richter untersteht gemäß § 26 I DRiG einer Dienstaufsicht nur insoweit, als dass dadurch die Unabhängigkeit des Richters nicht beeinträchtigt wird. Zur Absicherung der richterlichen Unabhängigkeit wiederum sieht das Gesetz mit § 26 III DRiG eine Anfechtbarkeit von dienstaufsichtsrechtlichen Maßnahmen vor der Dienstgerichtsbarkeit der Länder und des Bundes vor (vgl. §§ 61 ff., 77 ff. DRiG), wodurch Maßnahmen der Dienstaufsicht ggf. angegriffen und überprüft werden können. Zu einer solchen Überprüfung sind die Richter darüber hinaus auch angehalten.202 Selbstverständlich besteht hierneben auch noch verwaltungsgerichtlicher und ggf. verfassungsgerichtlicher Rechtsschutz.203 Umgekehrt lässt sich aus der Existenz dienstaufsichtsrechtlicher Regelungen eindeutig schließen, dass trotz der Beschränkung des Dienstaufsichtsrechts in Bezug auf die richterliche Unabhängigkeit, eine Dienstaufsicht gegenüber Richtern im Grunde gerade zulässig ist – und das, die Richter am Bundesverfassungsgericht ausgenommen, bis hin zu den höchsten Richtern und damit auch den Richtern am BGH.204 Das ist auch konsequent, denn Richter sind, neben der rechtsprechenden Tätigkeit, im öffentlichen Dienst in eine Behördenorganisation eingegliedert sowie mit Aufgaben und Befugnissen betraut, deren pflichtgemäße Erfüllung – wie im Übrigen 199 Eb. Schmidt, Lehrkommentar StPO I, Rn. 461, 487 spricht hierbei von „Komplementärelementen“; J. Schmidt-Räntsch, DRiG, § 25 Rn. 5; Heinrich Wolff, in: Hömig/Wolff-GG, Art. 97 Rn. 8. 200 BVerfGE 4, 331, 346; 103, 111, 140; 148, 69, 97 Rn. 71; BGHZ 67, 184, 187; SchulzeFielitz, in: Dreier-GG, Art. 92 Rn. 26, Art. 97 Rn. 14. 201 BVerfGE 12, 81, 88; 55, 372, 391 f.; vgl. BVerfGE 27, 211, 217; Wittreck, Die Verwaltung der Dritten Gewalt, S. 193 f.; Detterbeck, in: Sachs-GG, Art 97, Rn. 7; Hillgruber, in: Maunz/Dürig-GG, Art. 97 Rn. 4; Lecheler, in: HStR V, § 110 Rn. 50. 202 Schultze-Fielitz, in: Dreier-GG, Art. 97 Rn. 20; Meyer, in: Münch/Kunig-GG, Art. 97 Rn. 8, 17. 203 J. Schmidt-Räntsch, DRiG, § 26 Rn. 58 f.; Staats, DRiG, § 26 Rn. 22. 204 Staats, DRiG, § 26 Rn. 1, 4, § 69 Rn. 2.

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auch die Rechtsprechungstätigkeit – sichergestellt werden muss.205 Zum Inhalt der Dienstaufsicht gehört die sogenannte Beobachtungs- und Berichtigungsfunktion.206 Auch wenn sich beide Funktionen nicht scharf trennen lassen, stellt die Erstere das Kontrollmittel dar, die es der Dienstaufsicht überhaupt ermöglicht, berichtigend einzugreifen.207 Danach ist die Dienstaufsicht befugt, den Richter in seiner Tätigkeit zu beobachten und kann dazu beispielsweise Berichte anfordern, um festzustellen, ob Richter ihre Tätigkeit ordnungsgemäß erfüllen.208 Sofern Defizite festgestellt werden, kann die Dienstaufsicht aufsichtsrechtlich mit den Instrumenten des Vorhalts, der Ermahnung sowie milderen Maßnahmen entgegensteuern.209 Ein Tätigwerden der Dienstaufsicht kann aber nicht bloß von Amts wegen erfolgen, sondern – wie im Wege der Dienstaufsichtsbeschwerde – eben gerade auch durch Antrag.210 Hinsichtlich der Zulässigkeit einer Maßnahme der Dienstaufsicht i. S. d. § 26 III DRiG unterscheidet die Dienstgerichtsbarkeit zwischen dem „Kernbereich“ richterlicher Tätigkeit auf der einen Seite und dem „äußeren Ordnungsbereich“ auf der anderen Seite.211 Während dienstaufsichtsrechtliche Maßnahmen, die den Kernbereich betreffen, grundsätzlich unzulässig sein sollen, so ist der äußere Ordnungsbereich einer Dienstaufsicht grundsätzlich zugänglich, sofern der Kernbereich nicht (mittelbar) betroffen wird.212 Diese Unterscheidung wird für die Frage, ob die Dienstaufsichtsbeschwerde im Ergebnis von Erfolg gekrönt sein kann, essentiell. Dem Kernbereich gehören nach der Rechtsprechung des Dienstgerichts des Bundes die Rechtsfindung an sich und diejenigen Sach- und Verfahrensentscheidungen an, die mit ihr mittelbar in Verbindung stehen, also solche die zum Richterspruch hin-

205

J. Schmidt-Räntsch, DRiG, § 26 Rn. 2; Staats, DRiG, § 26 Rn. 1. BGH (Dienstgericht des Bundes), NJW 1995, 731, 732; grundlegend zur Begrifflichkeit und der Unterscheidung von Beobachtungs- und Berichtigungsfunktion Triepel, Die Reichsaufsicht, S. 120; J. Schmidt-Räntsch, DRiG, § 26 Rn. 5; Staats, DRiG, § 26 Rn. 1. 207 Triepel, Die Reichsaufsicht, S. 120 f.; Scheuer, in: FS Wagner, 191, 193; J. SchmidtRäntsch, DRiG, § 26 Rn. 5. 208 BGH (Dienstgericht des Bundes), NJW 1991, 321, 323; J. Schmidt-Räntsch, DRiG, § 26 Rn. 5. 209 BGHZ 47, 275, 285; J. Schmidt-Räntsch, DRiG, § 26 Rn. 5, 35 ff.; Staats, DRiG, § 26 Rn. 19.; unzutreffend insoweit Schmitt, in: MGS, Vor § 296 Rn. 22 mit seiner pauschalen Einordnung, wonach Entscheidungen des Richters einer Dienstaufsicht nicht unterlägen. 210 Staats, DRiG, § 26 Rn. 3. 211 St. Rspr., siehe z. B. BGHZ 47, 275, 286 f.; 93, 238, 244; BGH (Dienstgericht des Bundes), DRiZ 2018, 184; NJW 2018, 158, 160; J. Schmidt-Räntsch, DRiG, § 26 Rn. 22 ff.; Schulze-Fielitz, in: Dreier-GG, Art. 97 Rn. 29; Staats, DRiG, § 26 Rn. 14. Siehe dazu auch Helmut Grimm, Richterliche Unabhängigkeit und Dienstaufsicht in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, S. 62 ff. Zur Kritik an dieser Unterscheidung siehe insbes. m. w. N. J. Schmidt-Räntsch, DRiG, § 26 Rn. 32 ff. sowie Ruth Schmidt-Räntsch, Dienstaufsicht über Richter, insbes. S.61 ff. und Thiele, Der Staat 52 (2013), 415, 419 ff. 212 Staats, DRiG, § 26 Rn. 10. 206

B. Zu den einzelnen Möglichkeiten des Rechtsschutzes

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führen sollen bzw. unmittelbar nachfolgen.213 Zum äußeren Ordnungsbereich hingegen zählen Vorgänge zur Sicherung des ordnungsgemäßen Geschäftsablaufs, die äußere Form des Dienstgeschäfts und solche Fragen, die dem Kernbereich der rechtsprechenden Tätigkeit so weit entrückt sind, dass ein Berufen auf die richterliche Unabhängigkeit vernünftiger Weise nicht mehr erfolgen kann.214 Bei der Bestimmung eines Verkündungstermins nach den §§ 356, 268 III 2 StPO geht es eindeutig um einen Vorgang, der der vorbereitenden richterlichen Tätigkeit und damit dem Kernbereich zuzuordnen ist.215 Eine dienstaufsichtsrechtliche Zugänglichkeit scheint nach den obigen Grundsätzen damit ausgeschlossen. Bei diesem klaren Ausschluss bleibt es jedoch nicht. Hier zeigt sich, dass die scharfe begriffliche Trennung in der Rechtsprechung der Dienstgerichte zwischen äußerem Ordnungsbereich und Kernbereich der Rechtsprechung sowie der klaren Zuweisung von zulässigem und unzulässigem Eingriff der Dienstaufsicht nicht so eindeutig ist, wie sie zunächst scheint.216 In engen Grenzen will das Dienstgericht des Bundes nämlich sehr wohl ein dienstaufsichtliches Einschreiten auch im Kernbereich der rechtsprechenden Tätigkeit als zulässig erachten. Eine solche Ausnahme komme bei der „offensichtlich fehlerhaften Amtsausübung in Betracht“ und ein benannter Fall dieser offensichtlich fehlerhaften Amtsausübung stelle der „dem Zweifel entrückte, offensichtliche Fehlgriff“ der Rechtsanwendung dar, der letztlich objektiv willkürlich ist.217 In diesem Fall wird es dem Dienstvorgesetzen erlaubt, dem Richter vorzuhalten, dass er sich nicht gesetzestreu verhalten habe.218 In seiner grundlegenden Entscheidung219 zum offensichtlichen Fehlgriff, hier hinsichtlich einer sitzungspolizeilichen Maßnahme des Richters, bei dem dieser einen Prozessvertreter gemäß der §§ 177, 179 GVG von der Verhandlung ausschloss 213

BGH (Dienstgericht des Bundes), DRiZ 2018, 184; J. Schmidt-Räntsch, DRiG, § 26 Rn. 28 mit Beispielen; Schulze-Fielitz, in: Dreier-GG, Art. 97 Rn. 30; Staats, DRiG, § 26 Rn. 10. 214 BGHZ 93, 238, 244; J. Schmidt-Räntsch, DRiG, § 26 Rn. 24; Schulze-Fielitz, in: DreierGG, Art. 97 Rn. 29; Staats, DRiG, § 26 Rn. 10. 215 Vgl. in Bezug auf Terminierungen in einer Sache BGH (Dienstgericht des Bundes), NJW 1988, 421, 423; in Bezug auf den Zivilprozess, Scheuer, in: FS Wagner, 191, 198; Detterbeck, in: Sachs-GG, Art. 97 Rn. 13; J. Schmidt-Räntsch, DRiG, § 26 Rn. 28; Schulze-Fielitz, in: Dreier-GG, Art. 97 Rn. 30; Staats, DRiG, § 26 Rn. 10; Heinrich Wolff, in: Hömig/Wolff-GG, Art. 97 Rn. 3. 216 Zu den Widersprüchen, die das Dienstgericht des Bundes mit seiner Handhabung seiner eigenen Begriffe in seiner Rechtsprechung provoziert, siehe Ruth Schmidt-Räntsch, Dienstaufsicht über Richter, S. 73 ff. 217 BGHZ 67, 184, 187 f.; 181, 268, 274, Rn. 16; BGH (Dienstgericht des Bundes), DRiZ 2018, 184; Kiener, Richterliche Unabhängigkeit, S. 301 ff.; Scheuer, in: FS Wagner, 191, 194 f.; Ruth Schmidt-Räntsch, Dienstaufsicht über Richter, S. 64 f. Staats, DRiG, § 26 Rn. 16 unterstellt aber dem Dienstgericht des Bundes, dass dieses den offensichtlichen Fehlgriff, trotz Zuordnung zum Kernbereich richterlicher Tätigkeit, dem äußeren Ordnungsbereich zuordne. 218 BGHZ 67, 184, 188. 219 BGHZ 67, 184.

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4. Kap.: Rechtsschutz (des Angeklagten)

und aus dem Sitzungssaal entfernen ließ, nahm das Dienstgericht des Bundes einen solchen offensichtlichen Verstoß an. Die Begrifflichkeiten werden in dem Urteil ausdrücklich nicht abschließend geklärt, weil das Vorliegen eines solchen Fehlgriffs in diesem Falle unbedenklich gegeben sei; in Zweifelsfällen jedoch sei die richterliche Unabhängigkeit zu respektieren und dienstaufsichtsrechtliche Maßnahmen schieden aus.220 Für den hiesigen Fall soll die Begründung des Dienstgerichts des Bundes betrachtet werden, da sie für eine etwaige in Betracht kommende Dienstaufsichtsbeschwerde aufgrund von Fristüberschreitung nach §§ 356, 268 III 2 StPO übertragen werden könnte: Das Dienstgericht des Bundes begründet den angenommenen offensichtlichen Fehlgriff im konkreten Fall damit, dass der Ausschluss eines Prozessvertreters nach den Vorschriften der Sitzungspolizei der §§ 176 ff. GVG diese dem Wortlaut nach nicht erfassen: „Nach dem eindeutigen Wortlaut der §§ 177, 178 GVG unterliegen Rechtsanwälte in der Rolle des Prozeßvertretes oder des Verteidigers nicht einer gerichtlichen Sitzungspolizei oder Ordnungsstrafgewalt […].“221

Weiter heißt es sodann: „Der unzweideutige Wortlaut der §§ 177, 178 GVG läßt es nicht zu, die zwangsweise Entfernung eines Anwalts in Situationen anzuordnen und vollziehen zu lassen, die nicht so außergewöhnlich sind, daß angenommen werden könnte, der Gesetzgeber habe sie nicht in seine Überlegungen einbezogen.“222

Mit anderen Worten, die Voraussetzungen für eine Rechtsfortbildung, die einen „Extremfall“ aus Sicht des Dienstgerichts des Bundes erforderten, damit diese angedacht werden könnte, lägen im vorliegenden Fall (lautstarker Disput zwischen Richter und Prozessvertreter) offensichtlich nicht vor.223 Diese klare Stellungnahme des Dienstgerichts des Bundes, wirft die Frage auf, wie der hiesige Fall der §§ 356, 268 III 2 StPO zu beurteilen ist. Hier werden Parallelen sichtbar: Für § 356 StPO gelten die Attribute „eindeutiger“ bzw. „unzweideutiger Wortlaut“ im Hinblick auf die Anwendbarkeit der Urteilsverkündungsfrist des § 268 III 2 StPO genauso wie für die §§ 177, 178 GVG in Bezug auf die Unanwendbarkeit der Sitzungspolizei auf Prozessvertreter oder Verteidiger. Nach dem eindeutigen Ergebnis der vorliegenden Untersuchung im Zweiten Kapitel konnte auch zweifelsfrei belegt werden, dass sich nach der Auslegung des § 356 StPO diese Unzweideutigkeit des Wortlautes eindeutig belegen lässt und dass hier ebenfalls kein Raum für eine Rechtsfortbildung in Form einer teleologischen Reduktion besteht. Nicht nur kann hier nicht angenommen werden, dass der Gesetzgeber extreme Umstände in seine Überlegungen nicht einbezogen habe, die 220 221 222 223

BGHZ 67, 184, 188 BGHZ 67, 184, 189. BGHZ 67, 184, 189. BGHZ 67, 184, 189.

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eine Anwendbarkeit der Urteilsverkündungsfrist ausschlösse,224 sondern im Gegenteil: Der Gesetzgeber hat ihre verbindliche Anwendung in jedem Falle bezweckt! Die Verwirrungen um die Anwendbarkeit der Urteilsverkündungsfrist entstehen ausschließlich und nur durch das nicht nachvollziehbare sowie in seiner Begründung nicht haltbare Urteil RGSt 27, 116. Dass § 356 StPO diese Interpretation nicht zulässt, ist eigentlich genauso „offensichtlich“225. Offensichtlicher Fehlgriff in dem einen Fall, aber zu respektierende Auslegung als Ausfluss richterlicher Unabhängigkeit des Art. 97 GG im anderen Fall? Nach dem Ergebnis dieser Bearbeitung lässt sich valide und substantiiert belegen, dass die Rechtsprechung des RG in RGSt 27, 116 und deren Fortführung durch den BGH eine offensichtlich gesetzeswidrige Interpretation sind und einen eben solchen offensichtlichen Fehlgriff der Rechtsanwendung darstellen. Auch hier sind keine Anhaltspunkte erkennbar, die eine irgendwie geartete andere Interpretation redlich zulassen – und das, ohne dass es einer tiefgreifenden Erörterung bedürfte. Der Fall gleicht dem der fehlerhaften Rechtsanwendung der §§ 176 ff. GVG nach der Auffassung des Dienstgerichts des Bundes. Von daher liegen hier die Voraussetzungen für ein Eingreifen der Dienstaufsicht gemäß § 26 DRiG auch im Kernbereich richterlicher Tätigkeit vor. Die Dienstaufsicht über die Richter des BGH liegt beim Präsidenten, aktuell der Präsidentin des BGH Bettina Limperg, und übergeordnet wiederum beim Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz.226 Mittels einer schriftlichen Dienstaufsichtsbeschwerde durch den Angeklagten könnte ein entsprechendes Verfahren eingeleitet werden, das letztlich in einer Maßnahme der Dienstaufsicht mündet, die die betroffenen Richter zur ordnungsgemäßen Amtsausführung ermahnt. Entscheidend ist hierfür, dass die Dienstaufsicht auch zu dem Ergebnis kommt, dass die Nichtbeachtung der §§ 356, 268 III 2 StPO durch die Revisionsgerichte ein „dem Zweifel entrückter, offensichtlicher Fehlgriff“ darstellt. In Ansehung der schon fast tradierten Rechtsprechung des BGH in Strafsachen steht zu befürchten, dass die Dienstaufsicht in diesem Fall Zweifel hegen könnte und deshalb die Unabhängigkeit der Gerichte vorgehen lässt. Generell ist auch nicht zu erwarten, dass gegen Richter des BGH mit der gleichen Rigorosität vorgegangen wird, wie der BGH als Dienstgericht des Bundes es zuweilen im Umgang mit Richtern unterer 224

Vgl. BGHZ 67, 184, 189. So die verwendete Formatierung im Urteil des Dienstgerichts des Bundes in BGHZ 67, 184, 189. 226 Die Zuständigkeit der Dienstaufsicht ist seit Wegfall der Verordnung vom 20. 03. 1935 (RGBl 1935 I, S. 403) mit Wirkung zum 24. 04. 2008 nur noch rudimentär gesetzlich und unklar geregelt, was praktisch aber zu keiner Veränderung des status quo geführt haben soll. Somit wäre gemäß §§ 46 DRiG i. V. m. § 3 BBG der Dienstvorgesetzte für die Dienstaufsicht zuständig, also der Präsident des BGH. Ob darüber hinaus auch die oberste Bundesbehörde dienstaufsichtsrechtliche Zuständigkeiten besitzt, ist wohl beabsichtigt, aber nach dem Behördenorganisationsrecht nicht mit Klarheit zu beantworten, siehe dazu J. Schmidt-Räntsch, DRiG, § 26 Rn. 11. 225

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4. Kap.: Rechtsschutz (des Angeklagten)

Gerichte pflegt.227 Wegen der oben erwähnten Bescheidungspflicht der Dienstaufsichtsbeschwerde stellt sie dennoch ein Mittel dar, dass sich die Richterschaft im BGH mit der Frage über die Anwendbarkeit der Urteilsverkündungsfrist in Revisionssachen nach §§ 356, 268 III 2 StPO und ihrer eigenen Rechtsprechungspraxis kritisch befasst. Hier besteht auch nicht eine bloß theoretische Aussicht darüber, dass die Dienstaufsicht einschreitet. Sofern die Maßnahmen von den betroffenen Richtern dienstgerichtlich angefochten werden, wird es schließlich das Dienstgericht des Bundes sein – welches gemäß § 61 IV DRiG als Zivilsenat gilt –, das über die Frage der Anwendbarkeit der Urteilsverkündungsfrist im strafrechtlichen Revisionsverfahren entscheidet. Die Dienstaufsichtsbeschwerde mag zwar letztlich nicht in einer Maßnahme der Dienstaufsicht übergehen, allerdings ist sie eine Möglichkeit, dass sich Verantwortliche kritisch mit der Rechtsprechung, die aus RGSt 27, 116 folgt, auseinandersetzen. Im Versuch Rechtsschutz zu erlangen, stellt sie damit einen weiteren, nicht gänzlich aussichtslosen Pfeil im Köcher dar. Seine Wirkung wird sich aber vorrangig im Nachgang des Strafverfahrens zeigen können und nicht zu einer Verhinderung der Fristverletzung im Vorfeld führen. b) Gegenvorstellung Neben der Dienstaufsichtsbeschwerde besteht im Grundsatz ebenfalls die Möglichkeit des Angeklagten und der Verteidigung, eine Gegenvorstellung anzubringen. Die Gegenvorstellung im Strafverfahren ist trotz fehlender ausdrücklicher einfachgesetzlicher Regelung weitgehend anerkannt.228 Hierbei handelt es sich 227 Siehe dazu erneut BGHZ 67, 184, 189 mit den vorgebrachten Formulierungen und Hervorhebungen. 228 Vgl. BVerfGE 9, 89, 107; 63, 77, 78 f.; 73, 322, 327; vgl. Hohmann, JR 1991, 10 f.; Matt, MDR 1992, 820; Weis, NJW 1987, 1314; Woesner, NJW 1960, 2129 f., 2131.; Wölfl, StraFo 2003, 222, 223; kritisch hingegen Werner, NJW 1991, 19. Neben der petitorischen Gegenvorstellung wird noch ein außerordentlicher, richterrechtlicher Rechtsbehelf diskutiert, der ebenfalls „Gegenvorstellung“ genannt wird, aber vornehmlich geschaffen wurde, um Verletzungen verfassungsrechtlich garantierter Verfahrensrechte abzuhelfen und die Verfassungsgerichtsbarkeit zu entlasten, vgl. Schenke, NVwZ 2005, 729, 732 ff., mit Verweis auf Kummer, in: FS Krasney, 277. Kummer ordnet diese aber auch als letztlich petitorischen Rechtsbehelf ein, 287, von daher ist vielmehr von einer richterrechtlichen Ausgestaltung dieses Rechtsbehelfs zu sprechen. Seit den Regelungen zur Anhörungsrüge dürfte für diese Form der Gegenvorstellung jedenfalls bei Gehörsverletzungen kein Raum mehr bestehen, vgl. dazu auch den Beschluss zur Vorlagefrage des BFH an den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe BFHE 219, 27 (allerdings nach Vorlagefrage ausdrücklich nur Gegenvorstellungen bei PKHVerfahren betreffend); Rüsken, NJW 2008, 481; Schenke, NVwZ 2005, 729, 734 f.; Schnabl, NVwZ 2008, 638; Zuck, ZRP 2008, 44. Dieser Beschluss wurde allerdings von dem vorlegenden Senat des BFH infolge einer Entscheidung des BVerfG, BVerfGE 122, 190, zurückgenommen, BFHE 225, 310, sodass eine Klärung durch den Gemeinsamen Senat ausblieb und das Verhältnis der „Gegenvorstellungen“ zueinander unklar bleibt, was vielleicht auch ihre schwere Handhabung erklärt. Ob die Vorschriften der Anhörungsrügen, insbes. § 356a StPO, darüber hinaus analog auf andere grundlegende Verfahrensverletzungen, die nicht Gehörs-

B. Zu den einzelnen Möglichkeiten des Rechtsschutzes

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gleichfalls um einen nicht förmlichen Rechtsbehelf, der wie die Dienstaufsichtsbeschwerde seine Grundlage im Petitionsrecht des Art. 17 GG findet. Anders als die Dienstaufsichtsbeschwerde jedoch, richtet sich die Gegenvorstellung nicht an den Dienstvorgesetzten, sondern an die erlassende Stelle, um eine Selbstkorrektur der getroffenen Entscheidung zu eröffnen.229 Sie hat damit keinen Devolutiveffekt. In Bezug auf das gerichtliche Strafverfahren richtet sich dieser Rechtsbehelf also an den iudex a quo. Gegenvorstellungen sollen somit die herangetretene Stelle dazu bewegen, sich mit den vorgebrachten Erwägungen und Einwänden auseinanderzusetzen und die eigene Entscheidung im Hinblick auf die eigene Verpflichtung nach rechtmäßigem Handeln kritisch zu überdenken und ggf., durch die Gegenvorstellung veranlasst, von Amts wegen abzuändern.230 Mit ihr lassen sich aber nicht ausschließlich rechtswidrige Akte angreifen, sondern darüber hinaus können auch rechtmäßige Ermessensentscheidungen einer erneuten Kontrolle unterzogen werden, mit dem Ziel, dass die Behörde ihr bestehendes Ermessen nunmehr anders gerichtet ausübt.231 Für die Form der Gegenvorstellung gelten die bereits bei der Dienstaufsichtsbeschwerde genannten Anforderungen. Damit eine Bescheidungspflicht begründet wird, bedarf es einer schriftlichen Petition durch einen nach Art. 17 GG Grundrechtsberechtigten. Sind die Voraussetzungen gegeben, besteht Kenntnisnahme- und Bescheidungspflicht.232 Die rechtliche und praktische Handhabung der Gegenvorstellung erscheint nicht einfach. Sie ist offensichtlich durchaus gegebene Praxis im Strafverfahren und auch in den Verfahren nach anderen Verfahrensordnungen, ihre Behandlung allerdings unsicher. Die nur unzureichende Befassung der Rechtswissenschaft und Rechtsprechung mit der Gegenvorstellung führt dazu, dass sie in gewisser Weise in weiten Teilen einen weißen Flecken auf der Landkarte des Rechtsbehelfssystems darstellt.233 Die Gegenvorstellung scheint ein, wegen ihrer petitorischen Natur, in Voraussetzungen und Reichweite nicht besonders greifbarer Rechtsbehelf zu sein und bringt die Gerichte immer wieder in Abgrenzungsschwierigkeiten mit anderen bestehen-

verletzungen sind, übertragbar sind, bleibt in der Rechtsprechung des BGH weitgehend offen und uneinheitlich, vgl. dazu m. w. N. aus der Rechtsprechung Wiedner, in: BeckOK-StPO, § 356a Rn. 6. 229 LR/Jesse, Vor § 296 Rn. 77; Carsten Paul, in: KK-StPO, Vor §§ 296 ff. Rn. 4; Hohmann, JR 1991, 10, 11; Woesner, NJW 1960, 2129, 2130; Wölfl, StraFo 2003, 222. 230 Schmitt, in: MGS, Vor § 296 Rn. 23; Hohmann, JR 1991, 10, 11; Woesner, NJW 1960, 2129, 2130. 231 Wölfl, StraFo 2003, 222. 232 Siehe dazu oben Viertes Kapitel: B. II. 3. a). 233 Woesner, NJW 1960, 2129 bezeichnet die Gegenvorstellung als „Stiefkind“, so auch Hohmann, JR 1991, 10 im Titel, bzw. als „terra incognita“ im weiteren Verlauf des Beitrags. Meyer, in: FS Kleinknecht, 267, 282 identifiziert diesbezüglich schon 1985 eine „auffällige[…] Lücke im strafprozessualen Schrifttum“, das dürfte auch heute noch so gelten.

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4. Kap.: Rechtsschutz (des Angeklagten)

den, förmlichen und vor allem fristgebunden Rechtsbehelfen und -mitteln.234 Viele der Begehren des Petenten kann dieser nämlich auch mit anderen, differenziert geregelten, Rechtsbehelfen oder -mitteln geltend machen. Dadurch, dass die Bezeichnung des Rechtsbehelfs für dessen tatsächliche Einordnung nachrangig ist,235 kann die wohlwollende Auslegung zur Verwirklichung des effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 IV GG dazu führen, dass ein als Gegenvorstellung bezeichneter Rechtsbehelf ggf. als ein förmlicher, „effektiverer“ Rechtsbehelf ausgelegt wird.236 Tatsächlich wird die Gegenvorstellung regelmäßig in Zusammenhang mit Art. 103 I GG, dem Anspruch auf rechtliches Gehör, genannt und verortet, als ein Rechtsbehelf, der diesem zur Verwirklichung verhelfen soll;237 sogar mit der Wirkung, dass zur Vermeidung der Erhebung von Verfassungsbeschwerden und zur Behebung von anderweitig sonst nicht behebbaren prozessualen Unrechts, die Gerichte im Wege der Selbstkontrolle auch unanfechtbare Entscheidungen selbstständig abändern sollen.238 Gerade letzteres ist nachvollziehbar, denn die Entscheidung des BVerfG über den „Umweg“ einer Verfassungsbeschwerde würde sich sodann nur in der Feststellung einer Grundrechtsverletzung erschöpfen, die das Fachgericht schon im Rahmen seiner Selbstkontrolle selbst hätte treffen und korrigieren können.239 Mit seiner Entscheidung vom 30. 04. 2003,240 mit der das BVerfG den Gesetzgeber zur Schaffung und dem Ausbau der förmlichen Rechtsbehelfe in Gestalt der Gehörsrüge in den Prozessordnungen zwang, unter anderem § 356a StPO,241 wurde der Gegenvorstellung in diesem Bereich eine Konkurrenz durch einen förmlichen und fristgebundenen Rechtsbehelf zur Seite gestellt, der in der Abgrenzung nun Fragen aufwirft, aber auch ein Nebeneinander der beiden Rechtsbehelfe zulässt.242 Dieser Vielzahl an bestehenden, hochinteressanten und auch un-

234 Hohmann, JR 1991, 10. Eine ähnliche Abgrenzungsproblematik mit einem allgemeinen nicht fristgebundenen und fristgebundenen speziellen Rechtsbehelf ergibt sich auch bei den Anhörungsrügen nach §§ 33a, 356a StPO, wonach die besondere Befristung des § 356a StPO die Anhörungsrüge nach § 33a StPO in der Rechtsprechung des BGH verdrängt, BGH, NJW 2009, 1092, 1093. Siehe dazu auch Buhmann, Die verfassungsrechtlichen und verfassungsprozessualen Auswirkungen der Plenarentscheidung, S. 70 f. 235 Vgl. z. B. im Falle der Rechtsmittel § 300 StPO; Carsten Paul, in: KK-StPO, § 300 Rn. 1 ff. 236 BVerfG, NJW 2014, 991, 992; Guckelberger, in: Sodan/Ziekow-VwGO, § 150 Rn. 10. 237 BVerfGE 9, 89, 107; 73, 322, 329; Hohmann, JR 1991, 10, 11; Matt, MDR 1991, 820, 824; Weis, NJW 1987, 1314; Woesner, NJW 1960, 2129, 2130; Wölfl, StraFo 2003, 222, 223; Zuck, JZ 1985, 921, 923 ff. 238 BVerfGE 55, 1, 5; 63, 77, 78; 73, 322, 326 f.; BVerwG, NVwZ 1984, 450; Schmitt, in: MGS, Vor § 296 Rn. 25. Eine Gegenvorstellung soll sogar gegen Entscheidungen des BVerfG in Betracht kommen, BVerfGE 72, 84, 88. 239 Kummer, in: FS Krasney, 277, 286; Meyer, in: FS Kleinknecht, 267, 272 f. 240 BVerfGE 107, 395. 241 Knauer/Kudlich, in: MüKo-StPO, § 356a Rn. 2. 242 Allgayer, in: MüKo-StPO, § 296 Rn. 7.

B. Zu den einzelnen Möglichkeiten des Rechtsschutzes

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tersuchungswerten Detailfragen soll aber hier nicht nachgegangen werden, sondern es sollen nur die für die Untersuchung relevanten Punkte beleuchtet werden. Nach einhelliger Auffassung ist es für eine erfolgreiche Gegenvorstellung notwendig – Ausnahmen vorbehalten –,243 dass für die angegangene Stelle eine Abänderungsbefugnis hinsichtlich ihrer getroffenen Entscheidung besteht.244 Nicht gegeben sein soll sie grundsätzlich bei der Rechtskraft fähigen Entscheidungen und Beschlüssen oder solchen gerichtlichen Entscheidungen, bei denen die Abänderungsbefugnis durch die zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfe auf eine andere Stelle übergehen, bzw. wenn die in Rede stehende Entscheidung prozessual überholt ist.245 In dem hier gegebenen Fall ist zu differenzieren, zu welchem Verfahrenszeitpunkt eine Gegenvorstellung vorgebracht werden soll. Denkbar sind zunächst drei Konstellationen: Nachdem der Vorsitzende seine Entscheidung im Rahmen seiner Verhandlungsleitung angeordnet hat, einen Verkündungstermin nach dem in §§ 356, 268 III 2 StPO genannten Zeitpunkt zu terminieren oder von einer rechtzeitigen Terminierung absieht (1). Des Weiteren, nachdem das Gericht infolge eines gemäß § 238 II StPO erwirkten Beschluss eine solche Anordnung des Vorsitzenden bestätigt hat (2) sowie schließlich, nachdem das Urteil nach Ablauf der in §§ 356, 268 III 2 StPO genannten Verkündungsfrist verkündet wurde (3). Die ersten beiden Konstellationen sind ohne Bedenken mit einer Gegenvorstellung anfechtbar. Hierbei handelt es sich um Zwischenentscheidungen, i. S. d. § 305 S. 1 StPO. Diese sind der Rechtskraft nicht fähig und einer Anfechtbarkeit mit der Beschwerde vor den Tatgerichten deshalb entzogen, um eine Verzögerung des Verfahrens durch ein Beschwerdeverfahren entgegenzuwirken, nicht aber um eine Überprüfbarkeit zu verhindern oder damit die Abänderungsbefugnis zu entziehen.246 Die Überprüfung soll im Nachgang mit dem Rechtsmittelverfahren erfolgen;247 ein solches besteht im Anschluss an die Revision aber nicht. Derartige Zwischenentscheidungen des Revisionsgerichts gleichen ihrem Wesen selbstverständlich denen vor den Tatgerichten, weshalb es nicht von Bedeutung ist, dass Entscheidungen und Beschlüsse im Verfahren vor dem BGH auch nach § 304 IV 1 StPO einer Anfechtung

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Zum Beispiel im Falle von ausschlaggebenden Tatsachenirrtümern, Verstößen gegen Verfahrensgrundrechte oder nicht anders zu beseitigendem, groben prozessualen Unrecht, siehe dazu m. w. N. Allgayer, in: MüKo-StPO, § 296 Rn. 13 ff. 244 Allgayer, in: MüKo-StPO, § 296 Rn. 12; Hohmann, JR 1991, 10, 11; Matt, MDR 1991, 820, 824; Woesner, NJW 1960, 2129, 2131; Wölfl, StraFo 2003, 222, 225. 245 Allgayer, in: MüKo-StPO, § 296 Rn. 12; Hohmann, JR 1991, 10, 11; Wölfl, StraFo 2003, 222, 225 f.; Woesner, NJW 1960, 2129, 2131. 246 Allgayer, in: MüKo-StPO, § 296 Rn. 12; Hohmann, JR 1991, 10, 12; Woesner, NJW 1960, 2129, 2131. Der Entzug der Abänderungsbefugnis ist im Gegensatz zur einfachen Beschwerde gerade bei der sofortigen Beschwerde grundsätzlich der Fall (vgl. § 311 III StPO), Wölfl, StraFo 2003, 222, 225. 247 Vgl. die Motive zu § 291 RStPO-E bei Hahn, Materialien zur StPO, S. 247 f.

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4. Kap.: Rechtsschutz (des Angeklagten)

mittels Beschwerde entzogen sind;248 sie sind danach zwar nicht anfechtbar, aber nicht unabänderbar und sie unterliegen immer noch der Abänderungsbefugnis des Gerichts.249 Im ersteren Fall ergibt sich die Abänderungsbefugnis schon allein aus der Möglichkeit, die Verhandlungsleitung des Vorsitzenden mit dem Zwischenrechtsbehelf nach § 238 II StPO zu beanstanden.250 Trotz ihrer offensichtlich ähnlichen Schlagrichtung sind die beiden Institute von Gegenvorstellung und Beanstandung aber an unterschiedliche Voraussetzungen geknüpft. Die Gegenvorstellung, als besondere Erscheinungsform des Petitionsrechts, richtet sich wie bereits erwähnt an die erlassende Stelle, die getroffene Entscheidung kritisch zu überdenken. Die Beanstandung hingegen will gemäß § 238 II StPO eine Entscheidung des Gerichts als gesamten Spruchkörper herbeiführen, wobei mit Beanstandung die Abänderungsbefugnis des Vorsitzenden nicht genommen wird.251 Insofern fallen die Zuständigkeiten der Behandlung auseinander. Und damit die Gegenvorstellung in eine Bescheidungspflicht mündet, bedürfte es der Art. 17 GG genügenden Schriftform;252 eine Beanstandung nach § 238 II StPO kann hingegen formfrei erfolgen.253 Sollte der Vorsitzende der Gegenvorstellung nicht entsprechen, so kann daneben noch von der Beanstandungsmöglichkeit des § 238 II StPO Gebrauch gemacht werden, die dann einen Gerichtsbeschluss herbeiführt, bei dessen Entscheidung der gesamte Spruchkörper – und nicht bloß der Vorsitzende – über das Begehren entscheidet. Gegebenenfalls ließe sich die Beanstandung innerprozessual verbinden, dass die Verhandlungsleitung des Vorsitzenden unter der Bedingung beanstandet werde, dass dieser auf das Gegenvorstellungsersuchen hin seine Entscheidung nicht i. S. d. Antragsstellers abändere. Der Beanstandung selbst wohnt in gewisser Weise schon ein gegenvorstellender Charakter inne, da der Vorsitzende sie zum Anlass nehmen sollte, seine Entscheidung selbst noch einmal kritisch zu prüfen.254 Der auf die Beanstandung hin ergehende Gerichtsbeschluss ist dann selbst wiederum erneut mit einer

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Erker, Das Beanstandungsrecht gemäß § 238 II StPO, S. 63; vgl. Giesler, Der Ausschluß der Beschwerde gegen richterliche Entscheidungen im Strafverfahren, S. 287. 249 Vgl. Hohmann, JR 1991, 10, 12; Woesner, NJW 1960, 2129, 2131. 250 Siehe oben Viertes Kapitel: B. I. 1. 251 Arnoldi, in: MüKo-StPO, § 238 Rn. 25; vgl. Julius, in: HK-StPO, § 238 Rn. 1, 13. 252 Siehe dazu bereits im Abschnitt davor zur Dienstaufsichtsbeschwerde. 253 Erker, Das Beanstandungsrecht gemäß § 238 II StPO, S. 78 f.; Arnoldi, in: MüKo-StPO, § 238 Rn. 24; Schmitt, in: MGS, § 238 Rn. 16. 254 So Arnoldi, in: MüKo-StPO, § 238 Rn. 25: „Ungeachtet dessen sollte er [Anm.: der Vorsitzende] jedwede Beanstandung zum Anlass nehmen, die von ihm getroffene Anordnung erneut zu überdenken.“ Vgl. auch Erker, Das Beanstandungsrecht gemäß § 238 II StPO, S. 98, siehe aber auch S. 53, wonach das Beanstandungsrecht eine Sonderform der Beschwerde sein soll; ähnlich auch Fuhrmann, GA 1963, 65, 73, der diesbezüglich von dem „Charakter einer Rechtsbeschwerde“ spricht. Einer abschließenden Einordnung dieser Institute von Gegenvorstellung, Beanstandung und Beschwerde bedarf es an dieser Stelle aber nicht.

B. Zu den einzelnen Möglichkeiten des Rechtsschutzes

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Gegenvorstellung angreifbar, denn auch nach Erlass des Gerichtsbeschlusses, besteht für das Gericht die Möglichkeit, seine Entscheidung abzuändern.255 Schwieriger hingegen ist es im Falle in der dritten Konstellation, der eines verkündeten Urteils. Hier wäre nicht die für sich genommen schon fehlerhafte Zwischenentscheidung über die Terminierung der Gegenstand der Gegenvorstellung, sondern das auf dieser Zwischenentscheidung beruhende Urteil. Dieses hätte so nicht ergehen dürfen, sondern es hätte nach §§ 356, 268 III 2 a. E. StPO neu verhandelt werden müssen. In Verfahren, bei denen ein solcher Fehler den Tatgerichten unterlaufen ist, wäre dieser in den Rechtmittelinstanzen, wie auch durch § 305 S. 1 StPO vorgesehen, anfechtbar. Wegen Erschöpfung des Rechtswegs aber nicht bei Verfahren vor dem BGH. Sowohl bei Urteilen als auch bei urteilsvertretenden Beschlüssen nach § 349 StPO des BGH hingegen verneint dieser eine Abänderungsbefugnis.256 Sofern nicht der Sonderfall einer Anhörungsrüge in dem Begehr des Petenten enthalten ist, so scheidet eine Abänderung mittels der Gegenvorstellung nach der Rechtsprechung des BGH jedenfalls aus. Eine Gegenvorstellung nach Urteilsverkündung wird somit nicht erfolgreich sein können. Eine Gegenvorstellung mit Erfolgsaussicht kann daher nur in den ersten beiden Konstellationen realistisch in Betracht gezogen werden. Dabei erscheint die Erhebung einer Gegenvorstellung in den verschiedenen Eskalationsstufen insgesamt als ausreichend, um dauernde Wiederholungen des Vortrags von Rechtsansichten und einen querulantischen Eindruck zu vermeiden. Also entweder infolge der Anordnung durch den Vorsitzenden oder im Anschluss an den nach § 238 II StPO erwirkten Gerichtsbeschluss. Aber: Ihr Erfolg hängt leider, wie auch schon bei den behandelten Rechtsbehelfen zuvor, davon ab, dass die Entscheidungsträger zu der Überzeugung gelangen, dass die Urteilsverkündungsfrist der §§ 356, 268 III 2 StPO, entgegen der geübten Praxis und entgegen der Entscheidung RGSt 27, 116, auch für das Revisionsgericht bindend ist. Andernfalls handelt es sich um verhallende Appelle des Angeklagten an das Gericht. Und dennoch erscheint die Gegenvorstellung in Anbetracht der limitierten Rechtsbehelfe, die überhaupt zur Verfügung stehen, ein gangbarer Weg, um sich zumindest Gehör zu verschaffen. c) Ergebnis Die Petitionsrechte in Form der Dienstaufsichtsbeschwerde und der Gegenvorstellung sind, wegen ihrer Abhängigkeit von einer zunächst erforderlichen Abkehr von der gängigen Rechtsprechungspraxis durch die Entscheidungsträger, ersichtlich nur mit geringen Erfolgsaussichten ausgestattet. Aber dennoch stellen sie eine 255

Siehe dazu m. w. N. Erker, Das Beanstandungsrecht gemäß § 238 II StPO, S. 111 f. Deutlich in BGHSt 17, 94, 95, mit Verweis auf Beschluss vom 07. 12. 1954, 5 StR 514/54 (nicht veröffentlicht); BGHR-StPO § 349 II, Beschluss 2; Beispiele aus neuerer Zeit: BGH, Beschlüsse vom 25. 06. 2013, 1 StR 137/13; 30. 04. 2014, 2 StR 391/13; 19. 12. 2018, 1 StR 385/ 18; 30. 10. 2019, 3 StR 318/19 – alle juris; anders hingegen noch RGSt 59, 419. 256

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4. Kap.: Rechtsschutz (des Angeklagten)

Handlungsmöglichkeit dar, und wie auch schon im Rahmen von § 238 II StPO erörtert, bieten sie die Möglichkeit, für die eigenen Rechtsansichten zu werben und die Richter beim BGH zu einer kritischen Selbstüberprüfung zu bewegen. Teilweise sind diese Rechtsbehelfe sogar geeignet, Wirkung zu entfalten noch bevor es zu einer Verletzung der Urteilsverkündungsfrist kommt.

III. Sonstige Handlungsmöglichkeiten Neben den bereits behandelten Rechtsmitteln und weiteren außerordentlichen Rechtsbehelfen, sollen zuletzt noch ausgewählte weitere Handlungsmöglichkeiten erörtert werden, die der Betroffene ggf. nutzen kann, um seine Rechtsposition zu verbessern. 1. Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit, § 24 ff. StPO Mit der Betreibung des Ablehnungsverfahrens nach den §§ 24 ff. StPO besteht, neben der Anrufung des Gerichts nach § 238 II StPO, für den Angeklagten seinerseits eine weitere Möglichkeit vor Überschreitung der Urteilsverkündungsfrist der §§ 356, 268 III 2 StPO noch einmal gestaltend innerhalb der laufenden Revisionsinstanz einzugreifen und den Senat als Ganzes mit der im Raum stehenden Rechtsfrage zu befassen. Zumindest dann, sofern die verfahrensleitende Anordnung des Vorsitzenden bzw. eine nach § 238 II StPO betriebene Beschlussfassung die Urteilsverkündung für länger als zehn Tage auszusetzen, den Ablehnungsgrund der „Besorgnis der Befangenheit“ gemäß § 24 I, II StPO begründet. Aber wie schon zuvor sind auch hier einige Fallstricke gegeben, die das Ablehnungsverfahren schließlich nicht wirklich als den Interessen des Angeklagten genügendes Instrument in Betracht kommen lassen. Die Institution der Ablehnung sichert den Anspruch des Bürgers auf ein unparteiliches und unabhängiges Gericht, welches einerseits verfassungsrechtlich vor allem in Art. 97, 101 I 2 GG garantiert, aber auch in internationalen Verträgen zugesichert ist (Art. 6 I 1 EMRK, Art. 14 I IPbpR).257 „Besorgnis der Befangenheit“ liegt nach § 24 II StPO vor, „wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen“. In der obergerichtlichen Rechtsprechung wird dieser Anforderungsrahmen in der Form konkretisiert, dass eine „Besorgnis der Befangenheit“ vorliegt, wenn Tatsachen aus Sicht des Ablehnenden die Annahme rechtfertigen, dass der abgelehnte Richter im konkreten Verfahren eine innere Haltung eingenommen hat, die sich auf dessen Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit störend auswirken kann;258 die Beurteilung erfolgt 257 BVerfGE 21, 139, 145 f.; BVerfG, NJW 2007, 1670, 1671; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 8 Rn. 1; Conen/Tsambikakis, in: MüKo-StPO, Vor § 22 Rn. 1 f. 258 BGHSt 1, 34, 36; BGH, NStZ 2016, 218; RGSt 61, 67, 69; vgl. BVerfGE 21, 139, 146.

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über einen objektivierten Maßstab aus der Sicht des Ablehnenden – hier einem vernünftig bzw. verständig urteilenden Angeklagten.259 Auf eine tatsächliche Befangenheit des Abgelehnten kommt es hingegen nicht an, wie § 24 II StPO klarstellt.260 Zu den in der Rechtsprechungskasuistik entwickelten Fallgruppen über die Richterablehnung zählt auch die Verletzung von Verfahrensnormen, um die Besorgnis der Befangenheit auszulösen; allerdings soll im Grundsatz in der Verletzung allein kein die Besorgnis der Befangenheit auslösendes Moment gegeben sein, sondern die Verfahrensverletzungen seien vielmehr hinzunehmen, wenn sie auf einen tatsächlichen Irrtum oder einer fehlerhaften Rechtsansicht beruhen.261 Anderes wiederum soll nur gelten, wenn die Entscheidung den Eindruck von Willkür vermittelt oder die Rechtsansicht in Anbetracht der verletzten Norm fernliegend ist.262 Auch wenn sich die Auslegung des BGH zu den §§ 356, 268 III 2 StPO nach der in dieser Bearbeitung vertretenen Auffassung als fernliegend, vielmehr sogar offensichtlich verfehlt und nach objektiven Maßstäben sogar willkürlich klassifizieren lässt, womit die Voraussetzungen im Grunde nach erfüllt wären, so dürfte es, wie auch schon bei der Erörterungen über die Dienstaufsichtsbeschwerde,263 fraglich sein, dass der entscheidende Senat in einem tatsächlich durchgeführten Ablehnungsverfahren dieser Ansicht ohne weiteres folgen würde. Unabhängig davon steht das Betreiben des Ablehnungsverfahrens jedoch vor einem viel schwerwiegenderen Problem: Dem Ablehnungszeitpunkt. Die Schranke des § 25 I 1 StPO greift zwar nicht, weil die Tatsachen, die das Misstrauen begründen (verfahrensfehlerhafte Aussetzung der Urteilsverkündung) gemäß § 25 II 1 StPO zu einem späteren Zeitpunkt als dem Beginn des Berichterstattervortrags bekannt würden und unverzüglich angebracht werden könnten;264 jedoch liegt das eigentliche Hindernis in dem Ausschluss nach § 25 II 2 StPO. Nach dem Letzten Wort des Angeklagten ist eine Ablehnung nicht mehr zulässig. Dieser, vom BVerfG als verfassungsrechtlich unbedenkliche eingestufte, Ausschluss des Ablehnungsrechts 259

BGH, NStZ 2016, 218; Beulke/Swoboda, Strafprozessrecht, Rn. 69; Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 732; Zwiehoff, Der Befangenheitsantrag im Strafverfahren, Rn. 104; Scheuten, in: KK-StPO, § 24 Rn. 3 f. Zu den Problemen dieses Vorgehens, siehe Zwiehoff, Der Befangenheitsantrag im Strafverfahren, Rn. 105 f. und Conen/Tsambikakis, in: MüKo-StPO, Vor § 22 Rn. 5. 260 Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 8 Rn. 7; Zwiehoff, Der Befangenheitsantrag im Strafverfahren, Rn. 102; Conen/Tsambikakis, in: MüKo-StPO, § 24 Rn. 16; Scheuten, in: KK-StPO, § 24 Rn. 4. 261 BGHSt 48, 4, 8; Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 733.2; Zwiehoff, Der Befangenheitsantrag im Strafverfahren, Rn. 161; Scheuten, in: KK-StPO, § 24 Rn. 14 ff.; LR/Siolek, § 24 Rn. 41, 53. 262 BGHSt 48, 4, 8; Roxin/Schünemann, § 8 Rn. 9; Zwiehoff, Der Befangenheitsantrag im Strafverfahren, Rn. 161; Scheuten, in: KK-StPO, § 24 Rn. 16. 263 Siehe dazu oben Viertes Kapitel: B. II. 3. a). 264 Hinsichtlich der Unverzüglichkeit wäre der strenge Maßstab zu beachten, der hierbei vom BGH angelegt wird, siehe dazu BGHSt 21, 334, 338 f.; BGH, NStZ 2008, 578.

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4. Kap.: Rechtsschutz (des Angeklagten)

hindert den Angeklagten daran, ein Ablehnungsgesuch nach Erreichen dieses absoluten Ausschlusszeitpunkts anzubringen.265 Die Aussetzung der Urteilsverkündung und Terminierung des Verkündungstermins findet nach dem Schluss der Verhandlung i. S. d. § 268 I StPO statt und damit nach den Schlussvorträgen und dem Letzten Wort (oder der Gelegenheit dazu). Die Präklusionswirkung könnte nur in dem Falle wieder entfallen, wenn das Revisionsgericht erneut in die Verhandlung eintritt.266 Ein solcher Wiedereintritt267 kann ggf. durch ein entsprechendes Prozessverhalten der Beteiligten noch erzwungen werden, sofern so die Voraussetzungen geschaffen werden, dass das Letzte Wort erneut erteilt werden muss.268 Dass sich ein Wiedereintritt in eine revisionsrechtliche Hauptverhandlung bereits ereignet hat ist zwar nicht ausgeschlossen, ein dokumentierter Fall konnte im Rahmen der Untersuchung aber nicht gefunden werden. Da das Gros der Verfahren vor dem BGH aber im Beschlussverfahren nach § 349 II StPO erledigt wird, ist die Wahrscheinlichkeit eines solchen Falles bei der geringen verbliebenen Zahl an Urteilsverfahren als niedrig einzuschätzen. In diesem, wenn auch unwahrscheinlichen Fall, könnte tatsächlich das Ablehnungsverfahren betrieben werden, sofern dann die Grenzen des § 25 II 1 Nr. 1 und vor allem Nr. 2 StPO eingehalten werden. Ein vorheriges Unterbleiben eines Ablehnungsantrages aufgrund der angenommenen Ausschlusswirkung des § 25 II 2 StPO wird hier nicht zum Nachteil des Angeklagten entgegengehalten werden können. Ein Anbringen des Gesuchs vor dem Letzten Wort war 265 BVerfG, NJW 1988, 477; BVerfG, NStZ-RR 2006, 379, 380; kritisch Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 8 Rn. 12; LR/Siolek, § 25 Rn. 34; Wassermann, in: AK, § 25 Rn. 8; Meyer-Mews, NJW 2004, 716, 718. Selbst der BGH hält eine Einschränkung des strengen Maßstabs zur Vermeidung von unerträglichen Ergebnissen zumindest für nicht ausgeschlossen, BGH, NStZ-RR 2009, 1, 2, mitgeteilt von Cierniak. 266 Vgl. in Bezug auf Verfahren vor den Tatgerichten BGH, NStZ 2006, 644, 645; LR/Siolek, § 25 Rn. 32. 267 Bei diesem Begriff „Wiedereintritt in die Hauptverhandlung“ handelt es sich vielmehr um ein „Schlagwort“, Bock, ZStW 129 (2017), 745, 748, ähnlich auch Rübenstahl, GA 2004, 33, 34 („Hilfsbegriff“); entscheidender ist nicht, dass wieder in das Verhandeln eingetreten wird, sondern Umstände vorliegen, die die Wirkung des Letzten Wortes entwerten, Bock, ZStW 129 (2017), 745, 748 ff. 268 Wann das der Fall ist, ist nicht einfach zu bestimmen. Ausgehend von dem Gedanken, dass Ereignisse eintreten müssten, die das Letzte Wort des Angeklagten nach § 351 II 2 StPO entwerten müssten, vgl. m. w. N. Bock, ZStW 129 (2017), 745, 748 ff. Einen anderen Ansatz vertritt Rübenstahl, GA 2004, 33, 48; siehe zu diesem Problem des Wiedereintritts in die Hauptverhandlung auch Milhahn, Das letzte Wort des Angeklagten, S. 91 f. und Schlothauer, StV 1984, 134. Die Initiierung eines unzulässigen Befangenheitsantrages und dessen Bescheidung dürften nicht ausreichen, um eine Umgehung von § 25 II 2 StPO zu verhindern, Bock, ZStW 129 (2017), 745, 762; so auch Rübenstahl, GA 2004, 33, 46 f. Allerdings könnte die immer noch zulässige Beanstandung nach § 238 II StPO der Terminierung (siehe dazu oben Viertes Kapitel: B. I. 1.) und die dann folgende gerichtliche Beschlussfassung eine ausreichende „Zäsur“ dafür bieten, vgl. m. w. N. Bock, ZStW 219 (2017), 745, 750. Die Bescheidung von Vertagungsanträgen bspw. soll ein Grund sein können, der es erforderlich macht, das Letzte Wort erneut erteilen zu müssen, vgl. BGH, StV 1993, 344. Ob das von Erfolg gekrönt sein kann, kann hier nicht abschließend erörtert werden, es empfiehlt sich dazu aber als Verteidigung darauf hinzuwirken, dass der Angeklagte in der Revisionshauptverhandlung anwesend ist.

B. Zu den einzelnen Möglichkeiten des Rechtsschutzes

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nicht möglich und ein Unterlassen danach – eben in Anbetracht des § 25 II 2 StPO – stellt sich wertungsmäßig nicht als ein schuldhaftes Zögern des Angeklagten dar.269 Das Ablehnungsgesuch ist folglich unverzüglich i. S. d. § 25 II 1 StPO durch den Angeklagten anzubringen, sobald sich der Wiedereintritt in die Hauptverhandlung abzeichnet. In Anbetracht der vielen Hemmnisse, einerseits den Zeitpunkt der Ablehnung betreffend, als auch andererseits die gefestigte Rechtsprechung des BGH zu §§ 356, 268 III 2 StPO, die einer Begründetheit des Begehrens wahrscheinlich entgegenstehen werden wird sowie einer generell strikten Handhabung des Instituts aus einer „Besorgnis des Missbrauchs“ des Ablehnungsrechts,270 erscheint die Richterablehnung als letztlich ungeeignetes Werkzeug, der Gültigkeit der Urteilsverkündungsfrist im Revisionsverfahren Verbindlichkeit zu bescheren. 2. Verzögerungsrüge, § 198 III GVG Mit der Verzögerungsrüge nach § 198 III GVG besteht eine weitere Möglichkeit, die Verfahrensdauer zu beanstanden. Es handelt sich hierbei aber nicht um einen eigenen Rechtsbehelf.271 Die Erhebung der Rüge ist vielmehr eine zwingende, anspruchsbegründende Voraussetzung für einen auf letztlich Kompensation ausgerichteten Sekundäranspruch des § 198 I GVG.272 Ihr wohnt insofern eine präventive Komponente inne, als dass das Ausgangsgericht dazu bewegt werden soll, mögliche Verfahrensbeschleunigungen zu prüfen und zu veranlassen.273 Mehr als eine derartige Appellfunktion kommt der Rüge jedoch nicht zu; eine Bescheidungspflicht des Ausgangsgerichts gibt es nicht.274 Damit sind Rechtsbehelfe, wie die Beanstandung nach § 238 II StPO, ohne Weiteres gleichwertig und sogar weitergehender. In der Erhebung einer Verzögerungsrüge, die vielmehr auf Vermeidung rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerungen in der Gesamtlänge abzielt, als auf die Verhinderung

269 Vgl. BVerfG, NStZ-RR 2006, 379, 380; BGHSt 21, 334, 338 f.; BGH, NStZ 2006, 644, 645; Scheuten, in: KK-StPO, § 25 Rn. 8; LR/Siolek, § 25 Rn. 32. 270 Vgl. Conen/Tsambikakis, in: MüKo-StPO, Vor § 22 Rn. 3 ff. 271 BT-Drucks. 17/3802, S. 16, 21; Kreicker, in: MüKo-StPO, § 198 GVG Rn. 63. 272 BT-Drucks. 17/3802, S. 21; Eckhardt, Überlange Verfahrensdauer und Verhältnismäßigkeit, S. 68; Johanna Schmidt, Überlange Strafverfahren im Lichte der §§ 198 ff. GVG, S. 99; Kreicker, in: MüKo-StPO, § 198 GVG Rn. 1 ff., 6 ff., 62 f.; Gercke/Heinisch, NStZ 2012, 300, 301. 273 Eckhardt, Überlange Verfahrensdauer und Verhältnismäßigkeit, S. 68; Johanna Schmidt, Überlange Strafverfahren im Lichte der §§ 198 ff. GVG, S. 100 mit Würdigung der Effektivität dieser Komponente auf S. 100 ff.; Kreicker, in: MüKo-StPO, § 198 GVG Rn. 63; Schmitt, in: MGS, § 198 GVG Rn. 6. 274 Eckhardt, Überlange Verfahrensdauer und Verhältnismäßigkeit, S. 68; Kreicker, in: MüKo-StPO, § 198 GVG Rn. 76; Schmitt, in: MGS, § 198 GVG Rn. 6; Althammer, JZ 2011, 446, 452; Sommer, StV 2012, 107, 109.

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4. Kap.: Rechtsschutz (des Angeklagten)

einzelner Verzögerungen im Verlaufe des Prozesses,275 besteht kein Mehrwert, um eine einzelne Fristüberschreitung zu verhindern.276 Allerdings kann ihre Erhebung in Betracht gezogen werden, um ggf. kompensatorische Sekundäransprüche nach § 198 I GVG offen zu halten. 3. Strafanzeige wegen Rechtsbeugung, § 339 StGB Wegen ihrer Zweischneidigkeit eher Gedankenspiel denn tatsächliche Option, stellt sich die folgende Handlungsmöglichkeit des Angeklagten dar: Eine Strafanzeige gemäß § 158 I StPO wegen Rechtsbeugung nach § 339 StGB277.278 Danach gilt: „Ein Richter, ein anderer Amtsträger oder ein Schiedsrichter, welcher sich bei der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache zugunsten oder zum Nachteil einer Partei einer Beugung des Rechts schuldig macht, wird mit Freiheitsstrafe von einem bis zu fünf Jahren bestraft.“

Die Tat ist mit einer angedrohten Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr bereits ein Verbrechen i. S. d. § 12 I StGB und führt bei Verurteilung zu dem Verlust des Richteramts nach § 45 I, III StGB. Die erkennenden Richter des BGH wegen der, je nach Verfahrensstand beabsichtigten, Überschreitung der Urteilsverkündungsfrist einer Rechtsbeugung zu bezichtigen, stellt daher an sich bereits einen schweren Vorwurf dar. Eine Anzeige durch den Angeklagten noch vor Verkündung der abschließenden Entscheidung in der anhängigen Sache dürfte von daher jedenfalls für „schlechte Stimmung“ sorgen, wenn nicht gar als Nötigungsversuch nach §§ 240 I, III, 23 I StGB aufgefasst werden, und ist daher zu diesem Zeitpunkt jedenfalls aus taktischen Gründen nicht anzuraten.279 Insbesondere ist nicht davon auszugehen, dass eine Strafanzeige wegen Rechtsbeugung direkt beschleunigende Effekte auf dasjenige Verfahren haben wird, 275 Vgl. Kreicker, in: MüKo-StPO, § 198 GVG Rn. 1 ff.; Schmitt, in: MGS, § 198 GVG Rn. 1 f. 276 Kritisch zum Mehrwert der Verzögerungsrüge, insbes. im Hinblick auf eine Verfahrensbeschleunigung, Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 276.2, Althammer, JZ 2011, 446, 452, Gercke/Heinisch, NStZ 2012, 300, 304 f. sowie, auch im Hinblick auf das vordergründig beabsichtigte Ziel einer Verfahrensbeschleunigung, Sommer, StV 2012, 107, 109. 277 Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. 11. 1998, BGBl. 1998 I, S. 3322, zuletzt geändert durch Art. 1 des siebenundfünfzigsten Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Versuchsstrafbarkeit des Cybergroomings vom 03. 03. 2020, BGBl 2020 I, S. 431. 278 Zu den verfassungsrechtlichen Fragen und der Daseinsberechtigung dieses Straftatbestands, siehe Hoenigs, KritV 2009, 304 ff. und vertiefend deren Abhandlung Hoenigs, Die Existenzberechtigung des Straftatbestands der Rechtsbeugung. 279 Auch Dahs spricht sich generell für einen sehr zurückhaltenden Gebrauch aus, und zwar im Eigeninteresse des Verteidigers und des Mandanten. Sie komme lediglich als „ultima ratio“ in Betracht, wenn nach sorgfältiger Prüfung innere und äußere Tatseite des Tatbestandes bejaht werden könnten, Dahs, Handbuch des Strafverteidigers, Rn. 188, 209.

B. Zu den einzelnen Möglichkeiten des Rechtsschutzes

261

das den Angeklagten schließlich belastet;280 schon nicht vor dem Zeitpunkt, in dem die Verkündungsfrist überschritten wird, und erst recht nicht mehr nach Eintritt dieses Zeitpunkts. Die Vorschrift des § 339 StGB hat die innerstaatliche Rechtspflege, insbesondere die Geltung der Rechtsordnung, zum Schutzgut und verfolgt damit die „Achtung von Gesetz und Recht auch durch den Richter selbst“281 als Schutzziel.282 Unter diesem Gesichtspunkt kommt ihr also auch eine Mahn- und Erinnerungsfunktion zu. Die Rechtsprechung aber, und das wird auch hier von Bedeutung sein, hat den Anwendungsbereich, trotz eines relativ weitgehenden Wortlauts, stark eingeengt.283 Dies erfolgt dadurch, dass das Merkmal der Rechtsbeugung als ein bewusster Verstoß gegen elementare Rechtsgrundsätze verstanden wird.284 Das Beugen des Rechts wird bejaht, wenn der Täter „sich bewusst und in schwerwiegender Weise von Recht und Gesetz entfernt“285 und dadurch die Rechtsnorm objektiv zum Nachteil oder Vorteil einer Partei verletzt.286 Auf die objektive Unvertretbarkeit der Entscheidung allein kommt es für die Bejahung des Tatbestandsmerkmals nicht an.287 Mit der Ansicht des BGH, welcher im Grundsatz der objektiven Theorie (objektive Falschanwendung von materiellen oder prozessualen Rechtsregeln) der Rechtsbeugung mit Elementen der subjektiven Theorie (subjektive Überzeugung des Täters, im Widerspruch zum geltenden Recht zu handeln) kombiniert,288 schlagen subjektive Elemente auf die Ebene des objektiven Tatbestands durch, sodass de facto Wissentlichkeit auf der subjektiven Tatseite erforderlich ist, obwohl der Wortlaut des § 339 StGB bedingten 280 Pest, Das Verzögerungsverbot im Strafverfahren, S. 462 f.; Steger, Überlange Verfahrensdauer bei öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten vor deutschen und europäischen Gerichten, S. 268; Peukert, EuGRZ 1979, 361, 263. 281 Uebele, in: MüKo-StGB, § 339 Rn. 1; so formuliert es auch das BVerfG, NJW 2016, 3711, 3713. 282 BGHSt 40, 272, 275; 43, 183, 189 f.; Thomas Fischer, StGB, § 339 Rn. 2; Heger, in: Lackner/Kühl, § 339, Rn. 1; LK/Hilgendorfer, § 339 Rn. 8; Uebele, in: MüKo-StGB, § 339 Rn. 1; Hoeings, KritV 2009, 303; Lehmann, NStZ 2006, 127. 283 Thomas Fischer, StGB, § 339 Rn. 4, 26 ff.; Schmedding, in: DDKR, § 339 StGB Rn. 2; Lehmann, NStZ 2006, 127, 128 f. 284 Vgl. dazu BGHSt 32, 357, 363 f.; 38, 381, 383; 40, 30, 40; 41, 247, 250 f.; 47, 105, 108 f.; Thomas Fischer, StGB, § 339 Rn. 4, 15; Hunsmann, StRR 2013, 204, 205; Lehmann, NStZ 2006, 127, 128 f. 285 So z. B. BGHSt 38, 381, 383; 47, 105, 109. 286 Heger, in: Lackner/Kühl, § 339 Rn. 5; Thomas Fischer, StGB, § 339 Rn. 27 f.; Schmedding, in: DDKR, § 339 StGB Rn. 5 f. 287 BGHSt 47, 105, 109; Heine/Hecker, in: Schönke/Schröder, § 339 Rn. 10; Thomas Fischer, StGB, § 339 Rn. 28. Kritisch zu dieser durchaus zweifelhaften Abgrenzung zwischen nicht rechtsbeugender „bloßen Unvertretbarkeit“ und rechtsbeugender „völligen Unvertretbarkeit“ Gerhard Herdegen, NStZ 1999, 465, 457. 288 Thomas Fischer, StGB, § 339 Rn. 15; Hunsmann, StRR 2013, 204, 205. Siehe vertiefend zu den Theorien, auch der hier nicht erwähnten sog. Pflichtverletzungstheorie, m. w. N. Roland Kern, Die Rechtsbeugung durch Verletzung formellen Rechts, S. 68 ff. sowie LK/Hilgendorf, § 339 Rn. 43 ff.

262

4. Kap.: Rechtsschutz (des Angeklagten)

Vorsatz genügen lässt.289 Ein Großteil der objektiven Rechtsverletzungen fällt somit aus dem Anwendungsbereich des § 339 StGB von vornherein heraus. In den allermeisten Fällen werden die Verfahrensnormen der §§ 356, 268 III 2 StPO – deren Verletzung auch vom Tatbestand der Rechtsbeugung umfasst wird, sofern eine konkrete Gefahr einer falschen Entscheidung besteht –290 in den Revisionsverfahren durch die Revisionsrichter wohl eher beiläufig denn bewusst verletzt. Bei der Nichtbeachtung handelt es sich in gewisser Weise um eine „althergebrachte Tradition“. Dass sich die Richter in diesem Sinne tatsächlich „bewusst“ oder überhaupt darüber Gedanken machen, dass die Anwendung unzutreffend sein könnte, ist nicht anzunehmen. Im Regelfall fehlt es also schon an der subjektiven Komponente, die das Tatbestandsmerkmal der Rechtsbeugung nach der Ansicht der Rechtsprechung besitzt. Und auch wenn eine Erinnerung im Rahmen des § 238 II StPO erfolgt, kann deshalb nicht zwangsläuft davon ausgegangen werden, dass den Richtern nunmehr die Unrichtigkeit ihrer Rechtsansicht als ein schwerwiegender Verstoß gegen das Recht bewusst wird. Kritisch ist hierbei, dass die Richter am BGH im Endeffekt Richter in eigener Sache sind. Nicht bloß was die letztliche Anwendbarkeit des § 339 StGB betrifft,291 sondern vor allem hat dieser Sachverhalt einen weiteren kuriosen Nebeneffekt: Der BGH kreiert durch seine Praxis als Fortführung der Rechtsprechung des RG, einer bis heute nicht revidierten obergerichtlichen Rechtsprechung, eigentlich seinen eigenen und unvermeidbaren Verbotsirrtum nach § 17 StGB.292 Da allerdings ein „bewusster Rechtsbruch“ Voraussetzung ist, um das objektive Tatbestandsmerkmal der Rechtsbeugung zu erfüllen und damit auch das Unrechtsbewusstsein zu bejahen, wirkt sich dieser eigentliche (wohl an sich auch vermeidbare) Verbotsirrtum als umgedeuteter, vorsatzausschließender Tatbestandsirrtum aus.293 Die allgemeine Straftatbestandslehre stellt das etwas auf den Kopf, was dadurch bedingt wird, dass die Kenntnis der Rechts-

289 Thomas Fischer, StGB, § 339 Rn. 41; LK/Hilgendorfer, § 339 Rn. 86 ff.; Hunsmann, StRR 2013, 204, 207; Lehmann, NStZ 2006, 127, 129, 130 f. 290 BGHSt 42, 343, 346, 351; Thomas Fischer, StGB, § 339 Rn. 17, 23; LK/Hilgendorfer, § 339 Rn. 55. Vertiefend anhand der Grundsatzentscheidung zur Eignung formellen Rechts als Gegenstand der Rechtsbeugung BGHSt 42, 343 siehe Roland Kern, Die Rechtsbeugung durch Verletzung formellen Rechts, S. 88 ff. Ohne das Erfordernis eine konkrete Gefahr einer falschen Entscheidung bei der Verletzung von Verfahrensnormen zu betonen BGHSt 38, 381, 383; BGH, MDR 1952, 639, 695. 291 Die Rechtsprechung des BGH erscheint uneinheitlich, weswegen Entscheidungen schwer prognostizierbar sind, letztlich weiß nur der BGH selbst, was Rechtsbeugung ist, vgl. dazu Giehring, in: FS Wolter, S. 699, 711 f. 292 Vgl. Joecks, in: MüKo-StGB, § 17 Rn. 55 ff.; Thomas Fischer, StGB, § 17 Rn. 13; Sternberg-Lieben/Schuster, in: Schönke/Schröder, § 339 Rn. 20; LK/Vogel/Bülte, § 17 Rn. 58 ff. 293 Thomas Fischer, StGB, § 339 Rn. 41; LK/Hilgendorfer, § 339 Rn. 109; Maiwald, NJW 1993, 1881, 1889; Seebode, Jura 1997, 418, 422; Seebode, JR 1997, 474, 478.

B. Zu den einzelnen Möglichkeiten des Rechtsschutzes

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verletzung – und damit subjektive Komponenten und auch letztlich das Unrechtsbewusstsein – zur Erfüllung des objektiven Tatbestands gehört.294 In einem angestrengten Verfahren gegen die Richter wird es wohl kaum zu erwarten sein, dass der Nachweis der Rechtsbeugung gelingen kann. Das mit der Anzeige durch den Angeklagten eingeleiteten Strafverfahren gegen die Revisionsrichter wird den Status des Ermittlungsverfahrens aller Voraussicht nie überschreiten.295 Mit Blick auf die bestehende Hoffnung, den BGH von einer Abkehr seiner Praxis bezüglich der §§ 356, 268 III 2 StPO zu bewegen, stellt eine Strafanzeige wegen Rechtsbeugung eine vergleichsweise schmutzige und zugleich riskante Waffe dar.296 Riskant deshalb, weil dieses Vorgehen einerseits eine Trotzreaktion hervorrufen könnte, in der Gestalt, dass die Praxis weiterhin verfestigt wird; riskant andererseits, da nicht ausgeschlossen ist, dass sich ein solches Vorgehen als Bumerang erweisen könnte, wenn der Angeklagte in Retour mit einem Strafverfahren wegen falscher Verdächtigung nach § 164 StGB überzogen wird. Eine Verfahrensbeschleunigung und Einhaltung der Urteilsverkündungsfrist gehen damit nicht zwangsläufig einher. Diese Handlungsoption darf keineswegs leichtfertig gewählt und von ihr sollte – wenn überhaupt – nur zurückhaltend Gebrauch gemacht werden.297 4. Ergebnis Auch von den sonstigen Handlungsmöglichkeiten, die außerhalb der ordentlichen und außerordentlichen Rechtsbehelfe verbleiben, besteht keine, die mit durchschlagendem Erfolg die Verbindlichkeit der Urteilsverkündungsfrist für den BGH nach §§ 356, 268 III 2 StPO herstellen könnte.

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Vgl. auch Thomas Fischer, StGB, § 399 Rn. 35, der von einer „dogmatisch unvertretbaren Vermischung von objektivem und subjektivem Tatbestand“ spricht. 295 Hoeings, KritV 2009, 303, 305, 307 macht auch darauf aufmerksam, dass die Strafverfolgung wegen Rechtsbeugung vielmehr auch von dem (politischen) Willen der Verfolgungsbehörden abhängig ist und die Verfolgung eine gewisse Beliebigkeit aufweist und die Handhabung eine Gefahr der Disziplinierung der (unteren) Rechtsprechung durch die Exekutive beinhaltet. Ähnlich mutmaßt Marsch, DRiZ 2009, 209 f., wenn er feststellt: „[…], andererseits ist verwunderlich, dass gravierende Fälle nicht immer zu Anklagen führen oder nicht eröffnet werden“ und in einigen Fällen die Anklage genutzt werden soll, damit Richter „im Sinne der Rechtsprechung ihrer Obergerichte diszipliniert werden.“ Für einen Überblick zur Statistik und zum Verhältnis von eingeleiteten Ermittlungsverfahren und Hauptverfahren siehe Giehring, in: FS Wolter, 699, 701 f., der sich im Übrigen vergleichbar äußert, Giehring, in: FS Wolter, 699, 725 ff. 296 Dahs, Handbuch des Strafverteidigers, Rn. 209 bezeichnet die Strafanzeige wegen Rechtsbeugung als „schweres Geschütz“. 297 So auch Dahs, Handbuch des Strafverteidigers, Rn. 209.

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4. Kap.: Rechtsschutz (des Angeklagten)

IV. Ergebnis zu den Rechtsbehelfen Es stehen dem Angeklagten, bzw. der Verteidigung eine Mehrzahl an Rechtsschutzmöglichkeiten zur Verfügung. Sie sind in ihrer Wirkung aber nur sehr beschränkt. Die notwendige Bedingung unterstellt, dass die über die Rechtsschutzmöglichkeit entscheidende Stelle die Handhabung des BGH als rechtswidrig einordnet, gibt es schließlich nur eine Hand voll an Rechtsschutzmöglichkeiten, die zum Erfolg führen könnten. Sie wirken dabei mahnend im Vorfeld des Eintritts des Fristenbruchs nach den §§ 356, 268 III 2 StPO. So ist das der Fall bei der Beanstandung der Verhandlungsleitung nach § 238 II StPO, in Teilen auch bei den Petitionsrechten und der Verzögerungsrüge. Ihnen kommt dabei aber nur eine appellierende, werbende Bedeutung zu, es lässt sich eine Umkehr des BGH nicht erzwingen. Unmittelbar angreifen lässt sich die Praxis des BGH im Nachgang damit nur mit der Verfassungsbeschwerde. Diese lässt sich dabei auf das Willkürverbot nach Art. 3 I GG stützen, ggf. auch auf das Grundrecht der Freiheit der Person gemäß der Art. 2 II 2, 104 I GG, sofern in den Fristen die vorgeschriebenen Formen nach Art. 104 I 1 GG gesehen werden. Allerdings ändert dies nichts daran, dass es sich um eine Begründung handelt, die auf tönernen Füßen steht und keinen Erfolg garantiert.

C. Fazit Es ist nicht überraschend, dass das Ergebnis im Endeffekt ernüchternd ist. Es gibt tatsächlich keine sichere Handlungsmöglichkeit des Angeklagten, um den BGH zur Einhaltung der Urteilsverkündungsfrist zu zwingen. Ordentliche Rechtsbehelfe, insbesondere spezifische Rechtsmittel innerhalb der StPO, fehlen. Den weiteren Rechtsbehelfen fehlt die notwendige Schärfe und die Verfassungsbeschwerde, die als einziger Rechtsbehelf tatsächlich zu einer verpflichtenden Einhaltung der Urteilsverkündungsfrist führen kann, ist mit ihrem Maßstab der „spezifischen Verfassungsrechtsverletzung“ derart unpräzise, dass die einzelne, einfachgesetzliche Rechtsverletzung nicht greifbar wird. Kurz gesagt, das Problem ist nicht hinreichend justiziabel. Aber, auch das konnte deutlich gemacht werden: Es bestehen sehr wohl Möglichkeiten auf das Gericht einzuwirken und für die Überzeugungen zu werben. Vor allem die Beanstandung nach § 238 II StPO und die petitorische Gegenvorstellung bieten sich an, die eigene Rechtsansicht an verschiedenen Stellen des Prozesses immer wieder ins Bewusstsein des Gerichts zu bringen. Das mag vielleicht nicht in einem einzelnen Fall akut helfen, aber es sollte geeignet sein, einen längeren Diskurs zu prägen und die Argumente immer wieder in den Prozess hineinzutragen, um so in einem steten „Kampf um‘s Recht“298 dem Gesetz zur wahren Geltung zu verhelfen. 298

So Titel und Gegenstand der Abhandlung von Jhering, Der Kampf um’s Recht.

C. Fazit

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Insofern ist es vielleicht ernüchternd, dass es kein schneidiges Mittel zur Rechtsdurchsetzung gibt; aber es mag Hoffnung machen, dass ein steter Tropfen existiert, der es mit der entsprechenden Ausdauer – gerade auch der Verteidigerriege – vermag, den Stein zu höhlen.

Fünftes Kapitel

Konklusionen „[…] und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.“

An dieser Stelle schließt sich der Kreis. Die zu Anfang der Bearbeitung aufgeworfenen Fragen können nunmehr kumulativ beantwortet werden: Zur ersten Frage, die Gültigkeit der Urteilsverkündungsfrist im Revisionsverfahren betreffend, konnte im Zweiten Kapitel gezeigt werden, dass die Verkündungsfrist für Urteile nach den §§ 356, 268 III 2 StPO genauso uneingeschränkt für die Revisionsgerichte gilt, wie sie auch Geltung für die Tatgerichte nach § 268 III 2 StPO beansprucht. Im Verlauf der Untersuchung wurde deutlich, dass die Rechtsprechung des BGH auf einer unzulässigen und methodisch unhaltbaren, rechtsfortbildenden Praxis beruht, deren Grundlage durch das RG in RGSt 27, 116 gelegt worden ist, und sich dieser mit der Fortführung der reichsgerichtlichen Praxis von der Gesetzesbindung unter Verstoß gegen den Gewaltenteilungsgrundsatz entsagt hat. Das in RGSt 27, 116 gefundene Ergebnis hält weder in Methodik, Begründung noch im Ergebnis einer kritischen Überprüfung stand. Das Ergebnis speziell in Bezug auf die Urteilsverkündungsfrist geht aber noch weiter und überträgt sich auf alle auf dem Gedanken der Konzentrationsmaxime fußenden Fristen. Damit gelten auch für das Revisionsgericht beispielsweise die Unterbrechungsfrist des § 229 StPO als auch die Urteilsabsetzungsfrist des § 275 I StPO. Und in dieser Interpretation ergibt sich ein schlüssiges Gesamtgefüge der mündlichen Hauptverhandlung innerhalb der StPO. Hinsichtlich der zweiten Untersuchungsfrage, der praktischen Relevanz nach statistischen Zahlen, konnte im Dritten Kapitel belegt werden, dass es durchaus gängige Praxis der BGH-Senate ist, die Verkündungsfrist zu überschreiten. Dabei lässt sich nicht die eine Praxis erkennen, sondern es bestehen von Senat zu Senat zum Teil erhebliche Unterschiede. Auch handelt es sich nicht um Tagesgeschäft – eine Seltenheit aber genauso nicht. Besonders in Fällen, in denen die Revisionsverhandlung über mehrere Sitzungstage geht, erlangt die Nichteinhaltung der Urteilsverkündungsfrist durchaus eine erkennbare Regelmäßigkeit und stellt vielmehr die Regel als die Ausnahme dar. Die Überschreitung der Frist nach den §§ 356, 268 III 2 StPO ist damit gelebte Rechtspraxis – egal ob bewusst von den Verantwortlichen getragen oder nicht. Und drittens schließlich, musste im Rahmen der letzten Untersuchungsfrage im Vierten Kapitel erkannt werden, dass es gegen diese höchstrichterliche Rechtspraxis keine wirkliche Handhabe gibt, als den steten Diskurs im Prozess zu führen. Eine

5. Kap.: Konklusionen

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zwangsweise Durchsetzung des Rechts ist an dieser Stelle nur schwer möglich. Zur Geltung des positiv gesetzlichen Rechts kann es nur kommen, wenn sich das BVerfG auf die Seite des Betroffenen schlägt. Das ist aber vielmehr eine theoretische als tatsächliche Möglichkeit, um den BGH an seine Gesetzesbindung zu erinnern. Es mag vielleicht redundant wirken, eine ganze Arbeit einem derart kleinen Problem zu widmen, die zugleich zeigt, dass der BGH in fast 95 Prozent der durch Urteil entschiedenen Fälle die Frist ohne Weiteres einhält, in der weit überwiegenden Zahl sogar an nur einem Tag verhandelt und das Urteil verkündet. Es muss aber deutlich werden, dass es sich hierbei um einen Bruch des Gesetzes und der das Verfahren schützenden Formen1 handelt. Dem der Strafverteidigung angehörende Leser wird sicher bemerkt haben, dass es sich hierbei um ein kleines Puzzleteil eines Großen und Ganzen handelt: Die Fristenüberschreitung stellt sich nur als ein Symptom einer ungesetzlichen Praxis dar, die die Rechtsprechung des BGH durchsetzt – eine Handhabung des Verfahrensrechts am Gesetz vorbei. Bezeichnet wird dies alles als „Auslegung“, tatsächlich ist es eine verdeckte Fortbildung des Rechts bei der der BGH als Ersatzgesetzgeber sein eigenes Verfahrensrecht schafft. Der BGH setzt sich seine eigenen „revisionsgerichtlichen Betriebsregeln“2 selbst. Ein solcher Umgang mit dem strafprozessualen Recht durch die Gerichte mag auch darin seinen Ausgang finden, dass die Richter selbst unmittelbare Adressaten des Rechts sind, und diese „subjektive Betroffenheit“ seine Handhabung bestimmt und als Interesse leitet.3 Für ein Gericht, dessen Hauptaufgabe im Rahmen der Revision es ist, die Einhaltung des Rechts zu überwachen (vgl. § 337 StPO),4 ist das in jedem Fall bemerkenswert. In dem einen Fall werden die Untergerichte gezwungen, das Gesetzesrecht verbindlich nach Auffassung des Revisionsgerichts anzuwenden, auch das Verfahrensrecht; in dem anderen Fall hingegen, wenn die Stufe des Revisionsgerichts erreicht ist, sollen andere und zum Teil selbst gemachte bzw. nach dem eigenen Dünken modifizierte Regeln gelten. Dieses Selbstverständnis geht sogar so weit, dass schließlich auch als verbindlich bezweckte Gesetze auf diese Art beseitigt werden, wie in Bezug auf die Frist der §§ 356, 268 III 2 StPO. Tritt man nun vom Detailblick eines spezifischen Problems durch die Lupe zurück, wird offenbar, dass sich an dieser Untersuchungsfrage ein Verhalten ausmachen lässt, dass das Revisionsrecht insgesamt durchzieht. Es manifestiert sich an einer Vielzahl von Stellen und die Nichtbeachtung der Urteilsverkündungsfrist ist nur Symptom eines tieferliegenden Problems, das deutlich intensiver an anderen Stellen diskutiert wird und deshalb in der wissenschaftlichen Diskussion viel bewusster wahrgenommen wird, als am Beispiel der Urteilsverkündungsfrist. Die Missachtung 1 Siehe zu dem Begriff der „schützenden Förmlichkeiten“ des Strafverfahrens m. w. N. Wohlers, in: SK-StPO, Einleitung Rn. 3 als auch Eb. Schmidt, Lehrkommentar StPO I, Rn. 22 ff. 2 So verwendet von Barton, in: GS Weßlau, 33, 36. 3 Norouzi, in: FS Fischer, 765, 768 f. 4 Peters, Strafprozeß, S. 634.

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der Urteilsverkündungsfrist 1895 war allerdings das erste oder jedenfalls das erste Auftreten eines Symptoms dieses grundlegenden Problems – in gewisser Weise die „Ursünde“. Heute zeigt es sich an anderer Stelle und dort wesentlich virulenter: Beispielsweise bei der Verfahrensrüge nach § 344 II S. 2 StPO. Die Darlegungsanforderungen an den Tatsachenvortrag für das Merkmal „die den Mangel enthaltenden Tatsachen“ zum Beleg des Verfahrensfehlers nach § 344 II 2 StPO wurden zunehmend erhöht.5 Die Handhabung dieses Erfordernisses mit seiner „kaum mehr überschaubaren Einzelfallkasuistik“ gestaltet sich in der Praxis derart schwierig, dass eine zulässige, schlüssige und schließlich überzeugende Verfahrensrüge zuweilen in der Literatur als „Meisterwerk“ bezeichnet wird.6 Der BGH verlangt an dieser Stelle z. B. neben dem positiven Vortrag der den Verfahrensmangel belegenden Tatsachen ggf. auch den Vortrag von Negativtatsachen, also nicht geschehener Umstände, die, lägen sie doch vor, die Rüge ins Leere gehen ließen.7 Der Wortlaut des § 344 II 2 StPO verlangt das ersichtlich nicht.8 Vermag der Vortrag diesen Anforderungen schon im Kleinsten nicht zu genügen, wird die Verfahrensrüge schon in der Zulässigkeit abgeschnitten.9 Die Kritik im Schrifttum an diesem Vorgehen ist nachhaltig.10 Eine dogmatische Begründung für dieses Vorgehen findet sich nicht, sie ist anders motiviert.11 Denn de facto führt die vom BGH gehandhabte Auslegung und Anwendung der Norm zu einem merklichen Bedeutungsverlust der Verfahrensrüge.12 Vor dem Hintergrund, dass das BVerfG mahnend ausgeführt hat, 5

Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 55 Rn. 47; Weiler, in: FS Meyer-Goßner, 571, 572 f.; Knauer/Kudlich, in: MüKo-StPO, § 344 Rn. 93; Knauer, NStZ 2016, 1, 4; Neuhaus, StV 2019, 843, 847. Näher zu dieser Entwicklung Ritter, Die Begründungsanforderungen bei der Erhebung der Verfahrensrüge gemäß § 344 Abs. 2 S. 2 StPO, S. 103 ff. 6 So Knauer/Kudlich, in: MüKo-StPO, § 344 Rn. 88, 93. 7 Z. B. BGHSt 37, 245, 248; BGHR-StPO, § 344 II 2, Aufklärungsrüge 8; BGH, NStZ-RR, 1999, 107 f.; NStZ-RR 1997, 71, 72; BGH, NStZ 2000, 49, 50; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 55 Rn. 47; Frisch, in: SK-StPO, § 344 Rn. 57 ff.; Knauer/Kudlich, in: MüKo-StPO, § 344 Rn. 95. Beispiele hierzu bei Weiler, in: FS Meyer-Goßner, 571, 582 ff. Zur Kritik an diesem Vorgehen Ritter, Die Begründungsanforderungen bei der Erhebung der Verfahrensrüge gemäß § 344 Abs. 2 S. 2 StPO, S. 151 ff. sowie an den Anforderungen zur Begründung generell, S. 151 ff., 210 ff. Siehe auch weitergehend zu diesem Problemfeld, Kukuk, Das Erfordernis des Vortrags von „Negativtatsachen“ nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO, insbes. S. 33 ff. 8 So auch Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 55 Rn. 47; Neuhaus, StV 2019, 843, 847. Ähnlich auch Weiler, in: FS Meyer-Goßner, 571, 581. 9 Neuhaus, StV 2019, 843, 847, verwendet den plastischen Begriff „Rüge-Guillotine“, von der „[h]inter vorgehaltener Hand“ gesprochen werde. 10 So z. B. Fezer, in: FS Hanack, 1999, 331, 341 ff.; Rieß, in: FS Hanack, 397, 408 f.; Roxin/ Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 55, Rn. 47; Frisch, in: SK-StPO, § 344 Rn. 62 ff.; Barton, JuS 2007, 977, 977; Knauer, NStZ 2016, 1, 5; Schlothauer, StraFo 2000, 289, 293; Ventzke, StV 1992, 338. Allerdings für sprechend Güntge, JR 2005, 496, 497 f.; die Rechtsprechung nachvollziehend, Nack, in: FS Rieß, 361, 367; Kuckein, NStZ 2005, 697 f. 11 Siehe dazu m. w. N. Weiler, in: FS Meyer-Goßner, 571, 588 ff. 12 Rieß, in: FS Fezer, 455, 473; vgl. Rosenau, in: FS Fischer, 791, 803 f.; Frisch, in: SKStPO, Vor § 333 Rn. 11; Knauer/Kudlich, in: MüKo-StPO, Vor § 333 Rn. 30 ff.; Ventzke, NStZ

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dass verfahrensordnungsgemäß vorgesehene Rechtsbehelfe nicht durch die Auslegung und Anwendung der Gerichte derart von Anforderungen abhängig gemacht werden dürfen, wodurch sie schließlich leer laufen, ist diese Praxis bedenklich.13 In Bezug speziell auf den erforderlichen Vortrag von Negativtatsachen hat es dieses Vorgehen aber gebilligt.14 Einer einschränkenden Wirkung kommt dieser Mahnung insoweit dann letztlich nur stark relativiert zu. Ein weiteres Beispiel ist die Handhabung der absoluten Revisionsgründe nach § 338 StPO. Die Auslegungsgeschichte hierzu wird zuweilen als eine „Geschichte ihrer Relativierung“ gesehen.15 Das beginnt mit der Relativierung, dass ein absoluter Revisionsgrund schon dann nicht mehr vorliegt, wenn ein Beruhen „denkgesetzlich ausgeschlossen“16 ist.17 Auch wenn man dieses Vorgehen in gewisser Weise nachvollziehen mag, so ist es mit dem Wortlaut des § 338 StPO: „Ein Urteil ist stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen, […]“ nicht vereinbar. Das prominenteste Beispiel für die Schaffung eigener Betriebsregeln aber ist letztlich die Handhabung des § 349 StPO insgesamt, aber im Speziellen die des § 349 II StPO. Die Rechtsprechungspraxis hat sich vom Wortlaut des Gesetzes derart weit entfernt, dass ein Wiedererkennen in diesem nicht im Ansatz möglich ist.18 Sie hat schließlich zum heutigen Bedeutungsverlust der Revisionshauptverhandlung geführt.19 Sie findet dabei weder im Wortlaut, in der Systematik des § 349 StPO und vor allem auch nicht in der Entstehungsgeschichte und weiteren Genese20 eine Grundlage.21 Und das wird in der Literatur kritisch aufgefasst.22 2017, 421. Das ist so weitgehend, dass sogar schon Bundesrichter für eine Lockerung der Anforderungen plädieren, Kutzer, StraFo 2000, 325, 328, wie Neuhaus aufmerksam macht, Neuhaus, StV 2019, 843, 847 dort in Fn. 70. 13 BVerfGE 96, 27, 39; 112, 185, 208. 14 BVerfGE 112, 185, 208; vgl. BVerfGE 63, 45, 70. 15 Momsen/Momsen-Pflanz, in: SSW-StPO, § 338 Rn. 2. Ähnliche Formulierungen nutzen auch Kudlich, in: FS Fezer, 435 f.; siehe auch Kudlich, StV 2011, 212, 213 f.; Kuckein, StraFo 2000, 397 ff. Grundlegend zu dieser Relativierung, Dahs, GA 1976, 353 sowie Mehle, Einschränkende Tendenzen im Bereich der absoluten Revisionsgründe. 16 So z. B. BGHR-StPO § 338, Beruhen 1; BGH, StV 1996, 133, 134; StV 2007, 20, 21; StV 2011, 211, 212. 17 Bezüglich einer detaillierteren Darstellung der „Relativierung“ der absoluten Revisionsgründe siehe Dahs, GA 1976, 353, 353 ff.; Kudlich, in: FS Fezer, 435, 444 ff. und zum Vorgehen der Praxis Mehle, in: FS Dahs, 381, 386 ff. 18 Vgl. Fezer, StV 2007, 40, 40, 45; Fürstenau, StraFo 2004, 38, 40; Rosenau, ZIS 2012, 195, 198 ff. In einer Stellungnahme des Deutschen Anwaltsvereins sah sich dieser veranlasst, einen Appell an die verantwortlichen Gerichte zu richten, um die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben zu erwirken, DAV Stellungnahme 16/13 vom 08.032013, abrufbar unter: https://an waltverein.de/de/newsroom?newscategories=3, zuletzt abgerufen am 08. 06. 2020. 19 Knauer, NStZ 2016, 1, 6. 20 Siehe ausführlich dazu Fezer, StV 2007, 40, 41 ff. 21 Vgl. Fürstenau, StraFo 2004, 38, 39 f. Rosenau deutet die Bezeichnung „ou“ im Hinblick der Rechtsprechungspraxis bei Beschlussverwerfungen nach § 349 II StPO in der Überschrift

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Der gesetzessystematische Regelfall ist nach der Struktur des § 349 StPO bis heute die Durchführung der Hauptverhandlung, auch wenn dies mittlerweile in der Praxis die Ausnahme darstellt.23 War eine Beschlussverwerfung zu den Anfängen der StPO nur nach dem, den § 349 I StPO entsprechenden, § 389 I RStPO möglich, also dann, wenn die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die Anbringung der Revisionsanträge nicht beachtet wurden, so fand erst 1922 durch die bereits angesprochene Lex Lobe eine Ausweitung statt. Erstmals wurde es möglich, Revisionen in der Sache und ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu verwerfen, und zwar in Fällen der offensichtlichen Unbegründetheit. Schon vor Änderung des Verfahrensgesetzes hatte das RG sich einer Behelfskonstruktion bedient, in der eine Verwerfung nach Absatz 1 vorgenommen wurde, wenn erkennbar wurde, dass die Sachrüge nur äußerlich erhoben wurde, letztlich die Revision aber nur zur Verschleppung der Rechtskraft dienen konnte und nicht der Wahrnehmung berechtigter Interessen.24 Zu Zeiten des historischen Gesetzgebers war das ein Ding der Unmöglichkeit, zumal schon die Verwerfung nach Absatz 1 in Teilen kritisch gesehen wurde.25 Nach den Vorstellungen des Initiators Karl Adolf Lobe sollte offensichtliche Unbegründetheit gegeben sein, „wenn sich die Unbegründetheit dem Blick eines sachkundigen Beurteilers sofort aufdränge“.26 Diese entspricht bis heute der wohl h. M. im Schrifttum und ist mit dem Sinn der Norm, wie er sich nach den klassischen Auslegungsmitteln ergründen lässt, ohne weiteres vereinbar.27 Ziel war es, der Mengen an Angeklagtenrevisionen Herr zu werden, die allein aus dem Grund eingelegt wurden, um den Eintritt der Rechtskraft zu verzögern und unter keinem denkbaren rechtlichen wie auch tatsächlichen Gesichtspunkt Erfolg haben konnten.28 Die StPO sah für diese Fälle aber keine Ausnahme vor, sondern es war in diesen Fällen genauso erforderlich, die Hauptverhandlung zu terminieren, sofern sich nicht das RG seiner seines Beitrags von „offensichtlich unbegründet“ in „offensichtlich ungesetzlich“ um, Rosenau, ZIS 2012, 195. 22 Aktuelle Beispiele z. B. Barton, StRR 2014, 404, 404 ff.; Fürstenau StraFo 2004, 38, 42; Fezer, StV 2007, 40, 43 ff.; Knauer, NStZ 2016, 1, 5 f.; Neuhaus, StV 2001, 152, 153; Neuhaus, StV 2019, 843, 849 ff.; Norouzi, in: FS Fischer, 765, 772; Rosenau, ZIS 2012, 195, 200 ff.; Wohlers, HRRS 2015, 271, 272 ff.; wohl auch Paeffgen/Wasserburg, GA 2012, 535, 543, allerdings ausdrücklich in Bezug auf das fehlende Begründungserfordernis nach § 349 II StPO. 23 Fezer, StV 2007, 40, 40; Norouzi, StV 2015, 773, 774 f.; Rosenau, ZIS 2012, 195, 196; vgl. Momsen/Momsen-Pflanz, in: SSW-StPO, § 349 Rn. 1. 24 RGSt 40, 99, 100; Fezer, StV 2007, 40, 41 f.; Rosenau, ZIS 2012, 195. 25 Siehe dazu schon nur die Beratungen über die Streichung der Möglichkeit zur Beschlussverwerfung bei Hahn, Materialien zur StPO, S. 1044, 1401 f. 26 Lobe, JW 1925, 1612, der im Übrigen trotz seiner „Vatergefühle“ für die Vorschrift eine Ausweitung der Vorschrift, wie von Kahl befürchtet, für „beklagenswert“ und eine Zurückweisung der Revision in solchen Fällen für „bedenklich“ hält. 27 LR/Franke, § 349 Rn. 8; Fürstenau, StraFo 2004, 38, 39 f.; m. w. N. Rosenau, ZIS 2012, 195, 197. 28 Wohlers, in: SK-StPO, § 349, Rn. 11; Fezer, StV 2007, 40, 42; Rosenau, ZIS 2012, 195.

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später entwickelten Behelfskonstruktion bedienen konnte. Heute allerdings behauptet der BGH, dass sich das Verständnis der Norm und des Merkmals „offensichtlich“ gewandelt habe.29 Das Merkmal werde nunmehr funktionell verstanden, nämlich in der Bedeutung, dass eine offensichtliche Unbegründetheit dann vorliege, „wenn der jeweilige Spruchkörper einhellig die Auffassung vertritt, dass die von der Revision aufgeworfenen Rechtsfragen zweifelsfrei zu beantworten sind und dass auch die Durchführung der Hauptverhandlung keine neuen Erkenntnisse tatsächlicher oder rechtlicher Art erwarten lässt, die das gefundene Ergebnis in Zweifel ziehen könnten.“30 Die ursprünglichen Beweggründe, die zur Schaffung der Norm nach dem Verständnis des Initiators Lobe geführt haben, sind demnach nicht mehr von Bedeutung. Dennoch solle sich dieses Verständnis laut BGH eng an den zugrundeliegenden Sinn und Zweck des § 349 II StPO: Nämlich dem Revisionsgericht den Aufwand einer Hauptverhandlung zu ersparen, sofern schützende, rechtsstaatliche Garantien des Revisionsführers nicht gefährdet werden.31 Ursprünglicher Gedanke des Gesetzgebers ohne Bedeutung, aber der innewohnende und auch ursprüngliche Zweck der Norm noch bis heute relevant? Ein Widerspruch? Hierbei handelt es sich um ein Paradebeispiel von – wahrscheinlich bewusster – verdeckter Rechtsfortbildung unter dem Tarnnamen einer „teleologischen Auslegung“, bei der ein Sinn und Zweck einer Norm behauptet und die Norm von den ursprünglichen Motivationen des historischen Gesetzgebers emanzipiert werden;32 von tatsächlichen Umständen, die eine Revision als offensichtlich unbegründet erscheinen lassen, hin zu der Prognoseeinschätzung, eine Hauptverhandlung sei entbehrlich.33 Es geht dabei um die richterrechtliche Etablierung eines grundsätzlich schriftlichen Verfahrens zur Umgehung der mündlichen Hauptverhandlung bei unbegründeten Revisionen und nicht um die Frage einer „offensichtlichen Unbegründetheit“.34 Und auch das Merkmal „einstimmig“ zeigt eine sehr relative Be29 BGH, NJW 2001, 85; Thomas Fischer, in: „Vom hochgemuten, voreiligen Griff nach der Wahrheit“, 253, 267 bringt diese Wandlung pointiert auf den Punkt: „Die normative Anforderung der Offensichtlichkeit ist schon vor Jahrzehnten contra legem faktisch abgeschafft worden und wird heute behandelt, als sei sie nicht geschrieben“. So auch schon Thomas Fischer, in: FS Schlothauer, 471, 474. 30 BGH NJW 2001, 85; Rosenau, ZIS 2012, 195, 198. 31 BGH, NJW 2001, 85. Hierbei ist es tatsächlich aber die beiläufige Rechtsfolge einer offensichtlich unbegründeten Revision, der Wegfall der Revisionshauptverhandlung, die in zirkelschlüssiger Argumentation zum Sinn und Zweck der Vorschrift erhoben wird, siehe dazu Rosenau, ZIS 2012, 195, 199. 32 Norouzi spricht im Zusammenhang der Praxis zu § 349 II StPO von einer „institutionalisierten Gesetzesumgehung“, Norouzi, StV 2015, 773, 775. Die verdeckte Rechtsfortbildung dürfte damit den Verantwortlichen durchaus bewusst sein. 33 Vgl. BGH NJW 2001, 85; LR/Franke, § 349 Rn. 9. 34 Dahs, NStZ 2001, 298 f.; Ventzke, NStZ 2003, 104 f.; so auch Norouzi, StV 2015, 773, 775. Dieser gedankliche Ansatz, eines im Wesen schriftlichen Verfahrens, lag auch schon in RGSt 27, 116, 117 f. zugrunde. Aber die Revision, das dürfte deutlich geworden sein, ist an sich kein im Wesentlichen schriftliches Verfahren, sondern die Entscheidung soll vielmehr auf dem

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deutung. Es ist dabei nahezu erschreckend, wenn (einstige) Bundesrichter unverblümt offen in Bezug auf die Handhabung dieses Merkmals beschreiben: „Was ,einstimmig‘ ist, ist über die Jahrzehnte recht flexibel geworden. Eine informelle Regel: ,Vier zu Eins ist einstimmig‘ wird behauptet (mit gelegentlichen Tendenzen zum ,Drei zu Zwei‘) und hat als Einsicht (informelles) Gewicht, dass bei Bestehen einer eindeutigen Mehrheit für eine nach Ansicht aller jedenfalls ,vertretbare‘ Ansicht es wenig Sinn hat, diese Abstimmung nach Durchführung einer Hauptverhandlung zu wiederholen. Bei unsensibler Handhabung kann ein hoher Druck auf Minderheitsvertreter entstehen, den Senat nicht zu oft oder nicht aus der von der Mehrheit für unwichtig gehaltenen Anlass ,in die Hauptverhandlung zu treiben‘.“35

Es sind damit ersichtlich Hauptverhandlungsvermeidungstendenzen treibende Kraft. Vielleicht weil sie als lästig angesehen wird oder aus Sicht der Minderheit (und wahrscheinlich erst recht aus Sicht der Mehrheit) als sinnlos, wenn sie im Anschluss an die Durchführung dann doch in der Schlussabstimmung überstimmt wird. Die angelegten Sicherheitsmechanismen, zu denen auch die einstimmige Entscheidung gehört, versagen damit.36 Das Gesetz durch Ignorieren und Umdeuten von Tatbestandsmerkmalen in einer solchen Form anzupassen, ist nicht zulässig und nicht Aufgabe der dem Gesetz dienenden Gerichte.37 Darüber hinaus ist es auch im Falle des Vorliegens der Voraussetzungen nach § 349 II StPO sehr wohl möglich, im Urteilsverfahren zu entscheiden, denn die Vorschrift ist als Kann-Vorschrift ausgestaltet – ein Zwang zur Verwerfung durch Beschluss besteht also keinesfalls.38 Die zur Entlastung der Senate fehlende Notwendigkeit einer Begründung bei Beschlussverwerfungen nach § 349 II StPO, wird den Senaten aber wohl vielmehr aus praktischen Erwägungen ein großzügiges Gebrauchmachen von der Vorschrift tendenziell aufdrängen.39 In der Folge wird eine als systemische Ausnahme geschaffene Vorschrift zum Regelfall in der Anwendung. Waren also früher Revisionen fast ausschließlich durch Urteil aufgrund einer mündlichen Hauptverhandlung zu entscheiden, so werden mündlich eingebrachten Prozessstoff beruhen. Die Anbringung der Rügen im vorbereitenden Verfahren erfolgt schriftlich, vgl. auch die Ausführungen bei Rosenau, ZIS 2012, 195, 198 f. 35 Fischer/Krehl, StV 2012, 550, 556 in Fn. 64. Weiteres Gewicht bekommt die „Relativierung der Einstimmigkeit“ mit der weiteren Aussage von Thomas Fischer, in: „Vom hochgemuten, voreiligen Griff nach der Wahrheit“, 253, 267: „Offensichtlich ist, was einstimmig ist; egal, wie lange und kontrovers darüber beraten wurde.“ 36 Fezer, StV 2007, 40, 43; Norouzi, StV 2015, 773, 775 in Bezug auf den erforderlichen Antrag der Generalbundesanwaltschaft; Neuhaus, StV 2019, 843, 850; Rosenau, ZIS 2012; 195, 201 f.; Wohlers, HRRS 2015, 271, 272: „Abgesehen davon, dass man sich von diesen Schranken [Anm.: gemeint sind Verwerfungsantrag des Generalbundesanwalts und Einstimmigkeit der Beschlussfassung] für den Anwendungsbereich des Beschlussverwerfungsverfahrens nicht zu viel erwarten sollte“; vgl. auch Wohlers, in: SK-StPO, § 349 Rn. 26. 37 So auch Fürstenau, StraFo 2004, 38, 42. 38 BGHSt 38, 177, 178; LR/Franke, § 349 Rn. 7; Momsen/Momsen-Pflanz, in: SSW-StPO, § 349 Rn. 47. 39 Vgl. LR/Franke, § 349 Rn. 5.

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Revisionen heute überwiegend im Beschlussverfahren erledigt.40 Das gesetzlich vorgesehene Standardverfahren – und damit die Hauptverhandlung in der Revision – ist praktisch abgeschafft. Und damit werden diese eben benannten schützenden Formen des gerichtlichen Verfahrens zunächst gebrochen41 sowie durch die anschließende Schaffung eben besagter, eigener „Betriebsregeln“ den notwendig erachteten Bedürfnissen angepasst. Salopp formuliert: Was nicht passt, wird passend gemacht. Es wäre zu einseitig formuliert, als Ursache dieses Verhaltens ausschließlich bundesrichterlichen Standesdünkel verantwortlich zu machen, bei dem nur eine eigene richterliche Auffassung den pragmatischen und Ressourcen schonenden Umgang mit den Vorschriften des Revisionsverfahrens diktiert.42 Der Fingerzeig kann nicht nur in Richtung BGH gehen, denn dieses Verhalten hat mit Gewissheit auch weitere Ursachen, wie äußere Sachzwänge, vor allem den hohen Erledigungsdruck der Senate bei zu geringer Ausstattung,43 dem die Verantwortlichen in Exekutive und Legislative einerseits nicht abhelfen, vor allem aber andererseits, ihrer Kontroll- und Überwachungsfunktion nicht gerecht werden. Auf Grund der Vielzahl an Eingängen und der stetig hohen Belastung verlange es in gewisser Weise der „Selbsterhaltungstrieb“ des Menschen, sich nicht zu vertieft mit Verfahren in einer Hauptverhandlung auseinanderzusetzen, wenn das Ergebnis letztlich vertretbar erscheint und die Beschlussverwerfung als „ou“ letztlich ressourcensparender ist.44 Das unterstreicht den schon bestehenden Eindruck, dass es dem BGH vorrangig auf ein materiell-rechtlich tragbares Ergebnis ankommt – dass es „unter dem Strich“ richtig ist – und weniger darauf, ob es sich dazu noch um ein verfahrensmäßig korrekt gefundenes Ergebnis handelt.45 Das gilt damit dann nicht nur in Bezug auf die tatgerichtliche Entscheidungsfindung, sondern auch in Bezug auf die eigene Entscheidungsfindung des Revisionsgerichts. Im Bereich der Ausfinanzierung der Rechtsprechung blieb der Gesetzgeber lange untätig, vielleicht auch deshalb, weil 40 Laut BGH-Statistik für 2018 wurden 2668 Revisionsverfahren durch Beschluss entschieden (93,29 % aller Revisionen). Davon 2072 nur durch Beschlussverwerfung nach § 349 II StPO. Lediglich 192 Revisionsverfahren wurden durch Urteil entschieden. Für 2019 waren es 2891 Revisionen (94,94 % aller Revisionen), die durch Beschluss entschieden wurden, davon 2115 nur nach § 349 II StPO und lediglich 154 Revisionen wurden durch Urteil entschieden, abrufbar unter: https://www.bundesgerichtshof.de/DE/Service/Statistik/StatistikStraf/statistik Straf_node.html, zuletzt abgerufen am 08. 06. 2020. 41 Vgl. erneut Jhering, Geist des römischen Rechts II.2, S. 32. 42 Vgl. Neuhaus, StV 2019, 843, 850. 43 Vgl. Schmitt, in: MGS, § 349 Rn. 7. 44 So ähnlich äußerten sich jedenfalls zwei Richter am BGH auf der Revisionsrechtstagung der Strafverteidigervereinigung NRW am 11.01. und. 12. 01. 2019 in Bielefeld. Ob der praktische Sachzwang aber überhaupt empirisch nachgewiesen ist, dazu kritisch Wohlers, HRRS 2015, 271, 276 f.; s.a. Fezer, StV 2007, 40 41. Dieses Bedürfnis nicht in Abrede stellend Norouzi, StV 2015, 773, 775; Momsen/Momsen-Pflanz, in: SSW-StPO, § 349 Rn. 4 sprechen diesbezüglich von solch bestehenden, „unabweisbar empfundenen Bedürfnissen der Praxis“. 45 Barton, Die Revisionsrechtsprechung des BGH in Strafsachen, S. 8; Neuhaus, StV 2019, 843, 844; Ventzke, StV 2012, 74, 76 f.; vgl. Knauer, NStZ 2016, 1, 6.

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kein Handlungsbedarf gesehen wurde und wird, eben weil es ja im Endergebnis irgendwie funktioniert. Dass eine vernünftige Ausfinanzierung der Justiz eine Wohltat an dem Rechtsstaat ist, dürfte jedoch unbestritten sein. Mit der Einrichtung eines 6. Strafsenats in Leipzig ist erstmals wieder eine personelle Aufstockung in Strafsachen vorgenommen worden. Dass dieser Umfang ausreichen wird, um eine geänderte Rechtsprechungspraxis im Umgang mit dem Revisionsverfahrensrecht herbeizuführen, darf bezweifelt werden. Es steht vielmehr zu befürchten, dass die bereits tradierten Übungen in der Erledigungspraxis fortgeführt und an den neuen Strafsenat „vererbt“ werden, sich der Erledigungsdruck aber nicht derart vermindert, dass eine – verfahrensmäßig betrachtet – gesetzmäßige Revisionsrechtsprechung einsetzt. Der geminderte Legitimationswert dieses Ergebnisses, der durch die Marginalisierung, gar „Bagatellisierung des Verfahrensrechts“46 und des Verfahrens insgesamt einhergeht,47 wird als hinnehmbar, als lässliche Sünde, angesehen. Das Problem liegt damit in einer gefestigten und nicht revisibelen Übung der BGH-Senate. Allenfalls das BVerfG könnte verbindlichen Rechtsschutz bieten und aufgrund der verfassungsrechtlichen Rangordnung Einhalt gebieten (vgl. § 31 I BVerfGG); wegen seines selbstbeschränkenden Prüfungsprogramms allerdings auch nur punktuell. Insoweit kann der oberste Gerichtshof des Bundes für die ordentliche Gerichtsbarkeit an dieser Stelle schalten und walten, wie er es für richtig, ja für Recht hält. Die Fristenüberschreitung stellt einen typischen Fall des Umgangs mit den Verfahrensnormen dar. Normen, die stören, werden aus dem Weg geräumt (so schon das RG mit RGSt 27, 116). Andere Normen werden gebogen48 und neuinterpretiert, wie im Falle des § 349 StPO (Merkmal „offensichtlich“) oder § 344 II 2 StPO (Erhöhung der Anforderungen an den Beleg der Verfahrensrüge). Das Verfahrensrecht wird so gestaltet, wie es aus sachdienlicher Sicht erfordert wird. Es ändert aber nichts daran, dass auf diese Weise eine richterliche Rechtslage entsteht, die neben die positiv geltenden Gesetzeslage tritt, letztere überlagert und allenfalls ein fragmentarisches Abbild ihrer ist – Lücken im Abbild werden durch sachdienliche Übungen ausgefüllt.49 Das ist ein Rechtsbruch.50 Und zwar nicht der nur stellvertretende gebrochenen Normen des einfachen Verfahrensrechts; es ist ein Rechtsbruch von Art. 20 III, 97 I GG – also ein Verfassungsbruch. Denn die Gesetzes- und Rechtsbindung der Rechtsprechung gehört zur Identität des Grundgesetzes. Um das Bild der StPO als

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Vgl. Reimer, Juristische Methodenlehre, Rn. 375. Zu der legitimierenden Bedeutung von Verfahren und Verfahrensrecht, siehe nur die Abhandlung von Luhmann, Legitimation durch Verfahren, insbes. S. 56 ff. 48 Der Unterschied zu einer Beugung des Rechts erscheint tatsächlich nicht mehr groß. 49 Vgl. Barton, in: GS Weßlau, 33, 36 ff.; Fezer, StV 2007, 40. 50 Rosenau bezeichnet das ähnlich scharf gemeint als „Rechtsmissbrauch“, Rosenau, ZIS 2012, 195, 202. 47

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„Seismograph der Staatsverfassung“51 zu bemühen: RGSt 27, 116 scheint nur eine kleine Detailfrage des Strafverfahrensrechts beiläufig zu klären; aber es war ein enormes Beben, dass seinerzeit nicht wahrgenommen wurde, dessen starke Nachbeben wir allerdings bis heute spüren. Es war die „Ursünde“, förmlich ein Testballon des RG und man ließ es gewähren, so wie man heute den BGH in weit größerem und schlimmerem Ausmaß gewähren lässt. Was kann nun getan werden? Dem Einzelnen und seiner Verteidigung sind die Hände gebunden. Beim BGH wird sich ein Sinneswandel, trotz mahnender Appelle, sehr wahrscheinlich nicht einstellen.52 Hilfe von anderer Seite, wie dem BVerfG, ist nicht zu erwarten.53 Möglicherweise muss an einem größeren Hebel angesetzt werden. Das Strafverfahren erscheint insgesamt reformbedürftig. Aus einem einheitlichen Konzept haben über 140 Jahre an größeren und kleineren Reformen einen Flickenteppich gemacht. Mal waren die einen Interessen Triebfeder der Veränderung, mal völlig entgegengesetzte. Und vielleicht muss man anerkennen, dass die verfahrensprägenden Prinzipien zum Zeitpunkt der Schaffung der RStPO Maßstäbe setzend für ein modernes Strafverfahrensrecht waren; ob das heute noch so uneingeschränkt gilt, ist eine andere Frage. Die Konzentrationsmaxime, als einer der prägenden Grundsätze der mündlichen Hauptverhandlung, wirkt heute nicht mehr in dem Maße, wie sie vom historischen Gesetzgeber vorgesehen war. Bei „Monsterprozessen“ wie dem NSUProzess54 mit über 400 Verhandlungstagen innerhalb von fünf Jahren kann nicht mehr von einer konzentrierten und einheitlichen Hauptverhandlung gesprochen werden. Die Mündlichkeit, aus der die Konzentrationsmaxime erwächst, ist vor allem nur noch Verhandlungsmedium. Die gesetzlichen Änderungen derjenigen Vorschriften, in denen die Konzentrationsmaxime ihren Ausdruck fand, insbesondere §§ 229, 268 III und 275 I StPO, sind zusehends zugunsten des Fruchterhalts ausgehöhlt worden. Dies findet sich in der jüngsten Gesetzesänderung55 des § 229 III Nr. 2 StPO und kommt noch verstärkt zum Ausdruck in der vorübergehenden Änderung des § 10 I EGStPO, wonach Unterbrechungen Infolge der Bekämpfung der COVID-19-Pandemie unabhängig von den weiteren Voraussetzungen nach § 229 I, II StPO bis zu zwei Monate gehemmt werden können. Diese Hemmung gilt gemäß § 10 II EGStPO entsprechend für die Urteilsverkündungsfrist. In der Gesetzesbegründung wird dieser Tatbestand bewusst weit verstanden und es kommt ersichtlich nur auf die 51

Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 2 Rn. 1. So auch Fezer, StV 2007, 40, 40, 45. 53 Barton, in: GS Weßlau, 33, 48 m. w. N., der deutlich macht, dass das BVerfG, als ein selbst in seiner Rechtsprechung „entgrenztes Gericht“ die Praxis des BGH in vielen kritischen Punkten verfassungsrechtlich billigt. 54 Ein einzigartiger Prozess, zu dem es eine umfassende Website mit ausführlicher Dokumentation, betrieben durch den antifaschistisches pressearchiv und bildungszentrum berlin e.V. (apabiz), gibt: https://www.nsu-watch.info, letzter Abruf am 08. 06. 2020. 55 Art. 1 Nr. 13 des Gesetzes zur Modernisierung des Strafverfahrens vom 10. 12. 2019, BGBl. 2019 I, S. 2121. 52

276

5. Kap.: Konklusionen

Vermeidung von Wiederholungen der Hauptverhandlungen an; ein Bezug zu der Konzentrationsmaxime findet sich nicht.56 Eine Aufgabe dieser ist es dennoch nicht, da die Hemmung auf zwei Monate begrenzt ist und § 10 EGStPO nur begrenzt für zunächst ein Jahr lang gelten soll.57 Fristenhemmungen sind allerdings mit dem Konzentrationsgrundsatz per se unvereinbar. Die Flüchtigkeit des mündlich eingebrachten Prozessstoffes, die in dem psychologischen Verblassen der Erinnerung gründet, kann nicht durch gesetzliche Fristenhemmungen hinwegfingiert werden. Die Konzentrationsmaxime soll nach den Begründungen der vielen Gesetzesänderungen immer noch gelten – das kann aber nicht mehr als ein Feigenblatt gesehen werden, eine bloße Floskel –, ihre Bedeutung ist erheblich zugunsten anderer Prinzipien zurückgedrängt worden. Tot ist sie deshalb aber nicht.58 Ihre als störend angesehenen Reste – die bezweckte Dysfunktionalität – werden nun aber durch gesetzliche Anpassungen und praktische Handhabung weggeschliffen. Die äußere Grenze wird dabei im Wesentlichen nun vom Verzögerungsgebot nach Art. 6 I 1 EMRK gesetzt.59 Es wird also nach den vielen Einzelreformen der letzten anderthalb Jahrhunderte Zeit für eine Gesamtrevision des Strafprozessrechts aus einem Guss, sodass es wieder auf einem Fundament mit klarer Kontur ruht. Dabei ist auch die Frage zu stellen, wie das Kernstück, die mündliche Hauptverhandlung, in Zukunft ausgestaltet werden kann und soll. Für den historischen Gesetzgeber waren die Errungenschaften des reformierten Strafprozesses derart leitend und beeindruckend, dass er die Hauptverhandlung streng nach den Grundsätzen von Mündlichkeit, Unmittelbarkeit und Öffentlichkeit ausgestaltet hat – so auch konsequent die Revisionshauptverhandlung.60 Ob das in dieser Form heute noch uneingeschränkt so gilt oder ob der historische Gesetzgeber mit dieser weitreichenden Normierung eines an sich öffentlich verhandelten Verfahrens auch vor dem Revisionsgericht über „das Ziel hinausgeschossen“ sein könnte,61 ist eine Frage anderer Erörterungen.62 Hierbei sollte aber ggf. auch die Einbindung von technischen Neuerungen unserer heutigen Zeit in 56

Siehe BT-Drucks. 19/18110, S. 3, 17 f., 32 f. Ob dem schließlich so sein wird, bleibt abzuwarten. Mit der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses des Bundestags ist allerdings schon eine Verlängerung der Übergangszeit um ein weiteres Jahr bis zum 27. 03. 2022 geplant, BT-Drucks. 19/24740, S. 66, 79. 58 Hier sei nochmals das Zitat von Kühne in Erinnerung gerufen, Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 713; siehe auch oben Zweites Kapitel: A. II. 2. c) aa) (3). 59 Vgl. Kudlich, in: MüKo-StPO, Einl. Rn. 154. 60 Fezer, StV 2007, 40, 41. 61 So äußert sich z. B. Fezer, StV 2007, 40, 41 ff., indem er formuliert, dass der historische Gesetzgeber in gewisser Weise einer „Mündlichkeitsideologie“ erlegen sei; den Begriff der „Mündlichkeitsideologie“ benutzt auch Rieß, in: FS Hanack, 397, 413; ähnlich auch Norouzi, StV 2015, 773, 774, der von einer „falschen Weichenstellung“ des Gesetzgebers spricht. 62 Die Sinnhaftigkeit der mündlichen Hauptverhandlung wird schon lange in Frage gestellt und unterschiedlich diskutiert Siehe zu der Diskussion über die Nützlichkeit der Hauptverhandlung die Nachweise bei LR/Franke, § 351 in Fn. 1; kritisch auch schon Less, SJZ 1950, 68 ff. 57

5. Kap.: Konklusionen

277

Betracht gezogen werden, die zur Entstehungszeit der RStPO verständlicherweise nicht zur Verfügung standen.63 In den Zeiten einer Krise, wie der COVID-19-Pandemie, werden die Möglichkeiten, Chancen und Notwendigkeiten der Digitalisierung noch einmal umso deutlicher. Eine bloß mündliche Hauptverhandlung ohne umfassende Dokumentation z. B. wirkt aus vielfältigen Gründen anachronistisch. Es gibt heute auch andere Möglichkeiten, einen frischen Eindruck einer Hauptverhandlung zu erhalten – die audiovisuelle Aufzeichnung ist dabei eine der denkbaren Möglichkeiten. Man sollte sich den neuen Möglichkeiten nicht grundsätzlich verschließen, auch wenn sie kein umfassendes Allheilmittel darstellen. Aber auch das muss man sich bewusst machen: Ein solcher Weg ist eine fundamentale Veränderung des Strafprozesses, wie wir ihn heute kennen und könnte in die Entwicklung eines „Rereformierten Strafprozesses der Moderne“ führen. Eine derartige Veränderung birgt neben den Chancen auch Risiken. Eine einfache Diskussion wird das nicht, weil hier auch mit Traditionen und vielem Bekannten gebrochen werden wird – aber es ist eine notwendige Diskussion. Ob das Revisionsrecht in Zukunft dann noch einer (regelmäßigen) mündlichen Hauptverhandlung bedarf oder ob sie sich in der Revision nicht vielmehr als unzweckmäßig erwiesen hat und eine „Ausweitung“ eines schriftlichen Revisionsverfahrens sinnvoll ist, wird auch hier zu diskutieren sein.64 Möglicherweise ist sie auch als Anachronismus zu sehen. Es ändert aber nichts daran – und allein das ist maßgebend –, dass das Gesetz bis heute eine andere Entscheidung trifft und die mündliche Hauptverhandlung als Regelfall (!) vorsieht. Auch wenn es die Richter des BGH für noch so zweckmäßig halten, die mündliche Hauptverhandlung in der Revision nach Möglichkeit zu vermeiden, so ist es nicht ihre Kompetenz, durch gewillkürte Auslegung der entsprechenden Normen dieses Ziel zu erreichen.65 Akut könnte überlegt werden, ob der Wertungswiderspruch zwischen Länge der Unterbrechungsfrist nach § 229 I StPO und der besonderen Unterbrechungsfrist der Urteilsverkündungsfrist nach § 268 III 2 StPO nicht aufgehoben werden sollte, denn diese Friktion hat bereits in der Rechtsprechung zu Irritationen geführt.66 Das kann 63 Dazu u. a. Abschlussbericht Expertenkommission, S. 128 ff.; Bartel, StV 2018, 678; Mosbacher, ZRP 2019, 158; Schmitt, NStZ 2019, 1; sowie zu den Auswirkungen technischer Aufzeichnungen der Hauptverhandlung speziell mit Bezug auf das Revisionsverfahren, Wehowsky, NStZ 2018, 177. 64 Ob die Darstellung wie z. B. von Fezer behauptet zutrifft, ist allerdings einer kritischen Würdigung zu unterziehen, StV 2007, 40, insbes. 47 f.; resignierend und für eine Umkehrung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses von Beschlussverfahren und Durchführung der Revisionshauptverhandlung und damit eine Anpassung der Gesetzeslage an die praktische Realität Norouzi, StV 2015, 773, 775 ff.; so auch schon Dahs, NStZ 2001, 298, 299. Gegen eine Ausweitung allerdings die Empfehlung der Expertenkommission, Abschlussbericht Expertenkommission, S. 162 f. 65 Vgl. BVerfGE 122, 248, 284 ff. 66 Siehe dazu die schon unter Erstes Kapitel: D angesprochenen, unterschiedlichen Ansätze der Strafsenate im Hinblick auf die Verbindlichkeit der Frist nach § 268 III 2 StPO zwischen dem 5. Strafsenat, BGHR-StPO § 268 III, Verkündung 3 und dem 2. und 4. Strafsenat, BGHR-

278

5. Kap.: Konklusionen

entweder durch Verkürzung der einen oder Ausweitung der anderen geschehen. Jedenfalls sollte die Urteilsverkündungsfrist letztlich nicht kürzer sein als die Unterbrechungsfrist. Auch wenn Widerstand zu erwarten ist, so wäre eine Verkürzung der Unterbrechungsfrist auf zehn Tage, auch zur Aufwertung der Konzentrationsmaxime, vorzugswürdig. Im anderen Fall jedenfalls, wäre die Einhaltung der Urteilsverkündungsfrist für das Revisionsgericht noch einfacher. Der schon angesprochene Regierungsentwurf für ein Gesetz zur Fortentwicklung der StPO und zur Änderung weiterer Vorschriften geht mit der geplanten Erweiterung der Urteilsverkündungsfrist auf zwei Wochen diesen Weg der Ausweitung. Den Wertungswiderspruch zwischen den Fristen geht auch diese Gesetzesnovelle nicht an, sondern sie schreibt ihn vielmehr weiter fest. Im Übrigen bleibt nur die Erinnerung an diejenigen, die Rechtsprechungsverantwortung übernehmen. Art. 92 HS 1 GG weist die Rechtsprechung den Richtern als eigene Aufgabe nicht bloß zu, sondern ihnen wird die Rechtsprechung anvertraut. Das Vertrauen auf der einen Seite erfordert auf der anderen Seite Demut vor der Verantwortung, die diese Aufgabe mit sich bringt. Und weiter noch, diese Demut findet auch Ausdruck in der Verfassung: Art. 97 I GG präzisiert die Gesetzesbindung der Rechtsprechung nach Art. 20 III GG mit der Formulierung, dass die Richter dem Gesetz unterworfen sind. Diese Unterwerfung ist das korrespondierende Element zur richterlichen Unabhängigkeit, die ebenfalls in Art. 97 GG normiert ist.67 Wer dem Gesetz unterworfen ist, muss ihm folgen und darf nicht umgekehrt das Gesetz mit zweifelhaften Methodiken zu seinem Diener machen.68 Denn so entziehen sich die Richter ihrer „vornehmsten Pflicht“69 – der Gesetzesbindung –, indem sie die Rolle des Normanwenders unzulässiger Weise verlassen und sich in die Rolle des Normsetzers hieven.70 Das Gesetz zu ändern und als steuerndes Mittel einzusetzen ist die Aufgabe des Herren, der Legislative und damit nur die des Volkes.71 Es bedarf daher eines ständigen Bewusstmachens der Verantwortung, die mit dem Anvertrauen der Rechtsprechung an die Richter als Staatsgewalt einhergeht.72

StPO § 268 III, Verkündung 4 und 5, als auch schon das Vorgehen des BGH mit der Interpretation der Urteilsverkündungsfrist in BGHSt 9, 302. Eine derartige Harmonisierung schlägt als „kleine Lösung“, allerdings mit vorrangigem Fokus auf § 229 StPO, auch Mandla, NStZ 2011, 1, 10 vor. 67 Heinrich Wolff, in: Hömig/Wolff-GG, Art. 97 Rn. 8; vgl. Eb. Schmidt, Lehrkommentar StPO I, Rn. 461, 487. 68 Vgl. Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 631. 69 Thiele, Der Staat 52 (2013), 415, 418. 70 BVerfGE 87, 273, 280; 96, 375, 394. 71 Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 708. 72 Siehe hierzu auch Eb. Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, S. 137 ff. und Eb. Schmidt, JZ 1953, 321 ff., wonach sich die hier bezeichnete „Demut vor der Verantwortung“ mit Richtertugenden „mâze“ und „bescheidenheit“ nach dem rezeptionsrechtlichen Verständnis begreifen lässt.

Anhang Es folgen die mit BGH-Nack ermittelten Verfahren, bei denen für den Erhebungszeitraum von 1999 bis 2016 eine Fristüberschreitung festgestellt werden konnte. Die Darstellung erfolgt in Tabellen, aufgeteilt nach den Senaten und nach Entscheidungsdaten sortiert. Tabelle 1 Fristüberschreitungen 1. Strafsenat Nr. Urteil vom

Aktenzeichen

11. Tag nach ÜberVerhandlungs- Tage bis Verhandlungs- schreitung tag(e) Verkündung schluss (Tage)

1

13. 01. 2010 1 StR 247/09 16. 12. 2009

28

27. 12. 2009 (So.)

16

2

13. 01. 2010 1 StR 372/09 16. 12. 2009

28

27. 12. 2009 (So.)

16

3

04. 09. 2014 1 StR 75/14

05.08. und 21. 08. 2014

14

01. 09. 2014 (Mo.)

3

4

08. 10. 2014 1 StR 359/13 16. 09. 2014

22

27. 09. 2014 (Sa.)

9

5

08. 10. 2014 1 StR 114/14 02. 09. 2014

36

13. 09. 2014 (Sa.)

23

6

14. 01. 2015 1 StR 302/13 03. 12. 2014

42

14. 12. 2014 (So.)

30

7

14. 01. 2015 1 StR 93/14

16. 12. 2014

29

27. 12. 2014 (Sa.)

16

8

12. 02. 2015 1 StR 444/14 28. 01. 2015

15

08. 02. 2025 (So.)

3

9

22. 07. 2015 1 StR 447/14 08. 07. 2015

14

19. 07. 2015 (So.)

2

10

04. 08. 2015 1 StR 624/14

07.07. und 08. 07. 2015

27

19. 07. 2015 (So.)

15

11

02. 02. 2016 1 StR 435/15 19. 01. 2016

14

30. 01. 2016 (Sa.)

1

12

02. 02. 2016 1 StR 437/15 19. 01. 2016

14

30. 01. 2016 (Sa.)

1

280

Anhang Tabelle 2 Fristüberschreitungen 2. Strafsenat

Nr. Urteil vom

Aktenzeichen

11. Tag nach ÜberVerhandlungs- Tage bis Verhandlungs- schreitung tag(e) Verkündung schluss (Tage)

1

25. 10. 2000 2 StR 232/00 04. 10. 2000

21

15. 10. 2000 (So.)

9

2

25. 10. 2000 2 StR 242/00 04. 10. 2000

21

15. 10. 2000 (So.)

9

3

04. 07. 2001 2 StR 513/00 20. 06. 2001

14

01. 07. 2001 (So.)

2

4

08. 08. 2001 2 StR 504/00 18. 07. 2001

21

29. 07. 2001 (So.)

9

5

08. 08. 2001 2 StR 124/01 18. 07. 2001

21

29. 07. 2001 (So.)

9

6

08. 08. 2001 2 StR 166/01 18. 07. 2001

21

29. 07. 2001 (So.)

9

7

08. 08. 2001 2 StR 215/01 18. 07. 2001

21

29. 07. 2001 (So.)

9

8

19. 02. 2003 2 StR 371/02 07. 02. 2003

12

18. 02. 2003 (Di.)

1

9

14. 11. 2003 2 StR 164/03 01. 10. 2003

44

12. 10. 2003 (So.)

32

10

03. 03. 2004 2 StR 109/03 11. 02. 2004

21

22. 02. 2004 (So.)

9

11

27. 04. 2005 2 StR 457/04 02. 02. 2005

84

13. 02. 2005 (So.)

72

12

21. 12. 2005 2 StR 245/05 07. 12. 2005

14

18. 12. 2005 (So.)

2

13

25. 01. 2006 2 StR 345/05 11. 01. 2006

14

22. 01. 2006 (So.)

2

14

10. 03. 2006 2 StR 561/05 22. 02. 2006

16

05. 03. 2006 (So.)

4

15

28. 04. 2006 2 StR 174/05 12. 04. 2006

16

23. 04. 2006 (So.)

4

16

03. 05. 2006 2 StR 279/05 05. 04. 2006

28

16. 04. 2006 (Oster-So.)

15

17

18. 10. 2006 2 StR 499/05 06. 09. 2006

42

17. 09. 2006 (So.)

30

18

28. 02. 2007 2 StR 516/06 31. 01. 2007

28

11. 02. 2007 (So.)

16

19

20. 06. 2007 2 StR 84/07

14

17. 06. 2007 (So.)

2

06. 06. 2007

Anhang

281

Tabelle 2 (Fortsetzung) Nr. Urteil vom

Aktenzeichen

11. Tag nach ÜberVerhandlungs- Tage bis Verhandlungs- schreitung tag(e) Verkündung (Tage) schluss

20

27. 11. 2009 2 StR 104/09 28. 10. 2009

30

08. 11. 2009 (So.)

18

21

25. 06. 2010 2 StR 454/09 02. 06. 2010

23

13. 06. 2010 (So.)

11

22

02. 03. 2011 2 StR 524/10 02. 02. 2011

28

13. 02. 2011 (So.)

16

23

25. 05. 2011 2 StR 605/10 13. 04. 2011

42

24. 04. 2011 (Oster-So.)

29

24

02. 11. 2011 2 StR 332/11 12. 10. 2011

21

23. 10. 2011 (So.)

9

25

10. 10. 2012 2 StR 591/11 26. 09. 2012

14

07. 10. 2012 (So.)

2

26

15. 11. 2012 2 StR 190/12 24. 10. 2012

22

04. 11. 2012 (So.)

10

27

15. 11. 2012 2 StR 388/12 10. 10. 2012

36

21. 10. 2012 (So.)

24

28

20. 06. 2013 2 StR 113/13 08. 05. 2013

43

19. 05. 2012 (So.)

31

29

18. 09. 2013 2 StR 365/12 28. 08. 2013

21

08. 09. 2013 (So.)

9

30

18. 09. 2013 2 StR 535/12 28. 08. 2013

21

08. 09. 2013 (So.)

9

31

09. 10. 2013 2 StR 297/13 25. 09. 2013

14

06. 10. 2013 (So.)

2

32

03. 12. 2013 2 StR 160/12 23. 10. 2013

41

03. 11. 2013 (So.)

29

33

05. 03. 2014 2 StR 616/12 05. 02. 2014

28

16. 02. 2014 (So.)

16

34

28. 05. 2014 2 StR 437/13

30.04. und 14. 05. 2014

14

25. 05. 2014 (So.)

2

35

23. 07. 2014 2 StR 20/14

09. 07. 2014

14

20. 07. 2014 (So.)

2

36

13. 08. 2014 2 StR 573/13 23. 07. 2014

21

03. 08. 2014 (So.)

9

37

30. 12. 2014 2 StR 439/13 01. 10. 2014

90

12. 10. 2014 (So.)

78

38

17. 03. 2015 2 StR 281/14 04. 03. 2015

13

15. 03. 2015 (So.)

1

282

Anhang

Tabelle 2 (Fortsetzung) Nr. Urteil vom

Aktenzeichen

11. Tag nach ÜberVerhandlungs- Tage bis Verhandlungs- schreitung tag(e) Verkündung (Tage) schluss

39

17. 03. 2015 2 StR 379/14 04. 03. 2015

13

15. 03. 2015 (So.)

1

40

10. 06. 2015 2 StR 97/14

06. 05. 2015

35

17. 05. 2015 (So.)

23

41

21. 07. 2015 2 StR 75/14

10.06. und 24. 06. 2015

27

05. 07. 2015 (So.)

15

42

21. 07. 2015 2 StR 441/14 24. 06. 2015

27

05. 07. 2015 (So.)

15

43

22. 07. 2015 2 StR 389/13 08. 07. 2015

14

19. 07. 2015 (So.)

2

44

22. 07. 2015 2 StR 318/14 08. 07. 2015

14

19. 07. 2015 (So.)

2

45

14. 10. 2015 2 StR 10/15

21

04. 10. 2015 (So.)

9

46

23. 12. 2015 2 StR 525/13 22. 07. 2015

154

02. 08. 2015 (So.)

142

47

23. 12. 2015 2 StR 457/14 25. 11. 2015

28

06. 12. 2015 (So.)

16

48

07. 01. 2016 2 StR 100/15 07. 10. 2015

92

18. 10. 2015 (So.)

80

49

07. 01. 2016 2 StR 202/15 07. 10. 2015

92

18. 10. 2015 (So.)

80

50

20. 01. 2016 2 StR 378/15 23. 12. 2015

28

03. 01. 2016 (So.)

16

51

24. 02. 2016 2 StR 319/15 03. 02. 2016

21

14. 02. 2016 (So.)

9

23. 09. 2015

Tabelle 3 Fristüberschreitungen 3. Strafsenat Nr. Urteil vom

Aktenzeichen

11. Tag nach ÜberVerhandlungs- Tage bis Verhandlungs- schreitung tag(e) Verkündung schluss (Tage)

1

11. 02. 2000 3 StR 308/99 26. 01. 2000

16

06. 02. 2000 (So.)

4

2

22. 11. 2000 3 StR 331/00 08. 11. 2000

14

19. 11. 2000 (So.)

2

3

05. 12. 2002 3 StR 161/02 17. 10. 2002

49

28. 10. 2002 (Mo.)

38

Anhang

283

Tabelle 3 (Fortsetzung) Nr. Urteil vom

Aktenzeichen

11. Tag nach ÜberVerhandlungs- Tage bis Verhandlungs- schreitung tag(e) Verkündung (Tage) schluss

4

30. 04. 2003 3 StR 386/02 10. 04. 2003

20

21. 04. 2003 (Oster-Mo.)

8

5

24. 07. 2003 3 StR 212/02 10. 07. 2003

14

21. 07. 2003 (Mo.)

3

6

11. 12. 2003 3 StR 120/03 16. 10. 2003

56

27. 10. 2003 (Mo.)

45

7

12. 02. 2004 3 StR 185/03 15. 01. 2004

28

26. 01. 2004 (Mo.)

17

8

04. 03. 2004 3 StR 218/03 29. 01. 2004

35

09. 02. 2004 (Mo.)

24

9

19. 08. 2004 3 StR 380/03 29. 07. 2004

21

09. 08. 2004 (Mo.)

10

10

21. 10. 2004 3 StR 94/04

19. 08. 2004

63

30. 08. 2004 (Mo.)

52

11

28. 10. 2004 3 StR 301/03 12. 08. 2004

77

23. 08. 2004 (Mo.)

66

12

28. 10. 2004 3 StR 460/03 23. 09. 2004

35

04. 10. 2004 (Mo.)

24

13

16. 12. 2004 3 StR 157/04 19. 08. 2004

119

30. 08. 2004 (Mo.)

108

14

10. 05. 2005 3 StR 425/04 24. 03. 2005

47

04. 04. 2005 (Mo.)

36

15

09. 06. 2005 3 StR 269/04 12. 05. 2005

28

23. 05. 2005 (Mo.)

17

16

13. 10. 2005 3 StR 385/04 11. 08. 2005

63

22. 08. 2005 (Mo.)

52

17

15. 12. 2005 3 StR 281/04 17. 11. 2005

28

28. 11. 2005 (Mo.)

17

18

21. 12. 2005 3 StR 470/04

20.10. und 21. 10. 2005

61

01. 11. 2005 (Di, Allerh.)

49

19

07. 02. 2006 3 StR 460/98 12. 01. 2006

26

23. 01. 2006 (Mo.)

15

20

11. 05. 2006 3 StR 389/05 09. 03. 2006

63

20. 03. 2006 (Mo.)

52

21

11. 08. 2006 3 StR 284/05 29. 06. 2006

43

10. 07. 2006 (Mo.)

32

22

16. 11. 2006 3 StR 139/06 12. 10. 2006

35

23. 10. 2006 (Mo.)

24

284

Anhang

Tabelle 3 (Fortsetzung) Nr. Urteil vom

Aktenzeichen

11. Tag nach ÜberVerhandlungs- Tage bis Verhandlungs- schreitung tag(e) Verkündung (Tage) schluss

23

16. 11. 2006 3 StR 204/06 26. 10. 2006

21

06. 11. 2006 (Mo.)

10

24

16. 11. 2006 3 StR 294/06 26. 10. 2006

21

06. 11. 2006 (Mo.)

10

25

14. 12. 2006 3 StR 269/06 09. 11. 2006

35

20. 11. 2006 (Mo.)

24

26

28. 06. 2007 3 StR 54/07

24. 05. 2007

35

04. 06. 2007 (Mo.)

24

27

26. 07. 2007 3 StR 104/07 28. 06. 2007

28

09. 07. 2007 (Mo.)

17

28

28. 08. 2007 3 StR 212/07 09. 08. 2007

19

20. 08. 2007 (Mo.)

8

29

13. 11. 2007 3 StR 462/06 26. 07. 2007

110

06. 08. 2007 (Mo.)

99

30

12. 03. 2008 3 StR 433/07 21. 02. 2008

20

03. 03. 2008 (Mo.)

9

31

03. 04. 2008 3 StR 394/07 21. 02. 2008

42

03. 03. 2008 (Mo.)

31

32

19. 06. 2008 3 StR 490/07 29. 05. 2008

21

09. 06. 2008 (Mo.)

10

33

14. 08. 2008 3 StR 181/08 10. 07. 2008

35

21. 07. 2008 (Mo.)

24

34

09. 04. 2009 3 StR 376/08 12. 03. 2009

28

23. 03. 2009 (Mo.)

17

35

18. 06. 2009 3 StR 89/09

07. 05. 2009

42

18. 05. 2009 (Mo.)

31

36

13. 08. 2009 3 StR 576/08 09. 07. 2009

35

20. 07. 2009 (Mo.)

24

37

13. 08. 2009 3 StR 228/09 30. 07. 2009

14

10. 08. 2009 (Mo.)

3

38

14. 08. 2009 3 StR 552/08 28. 05. 2009

78

08. 06. 2009 (Mo.)

67

39

24. 09. 2009 3 StR 188/09 13. 08. 2009

42

24. 08. 2009 (Mo.)

31

40

19. 11. 2009 3 StR 87/09

24. 09. 2009

56

05. 10. 2009 (Mo.)

45

41

03. 12. 2009 3 StR 277/09 08. 10. 2009

56

19. 10. 2009 (Mo.)

45

Anhang

285

Tabelle 3 (Fortsetzung) Nr. Urteil vom

Aktenzeichen

11. Tag nach ÜberVerhandlungs- Tage bis Verhandlungs- schreitung tag(e) Verkündung (Tage) schluss

42

29. 04. 2010 3 StR 314/09 15. 04. 2010

14

26. 04. 2010 (Mo.)

3

43

19. 05. 2010 3 StR 56/10

29. 04. 2010

20

10. 05. 2010 (Mo.)

9

44

22. 12. 2010 3 StR 239/10 11. 11. 2010

41

22. 11. 2010 (Mo.)

30

45

19. 01. 2012 3 StR 343/11 15. 12. 2011

35

26. 12. 2011 (Mo, 2. WT)

23

46

02. 02. 2012 3 StR 321/11 19. 01. 2012

14

30. 01. 2011 (Mo.)

3

47

20. 12. 2012 3 StR 117/12 18. 10. 2012

63

29. 10. 2011 (Mo.)

52

48

27. 06. 2013 3 StR 435/12 28. 05. 2013

30

08. 06. 2013 (Sa.)

17

49

22. 11. 2013 3 StR 162/13 22. 08. 2013

92

02. 09. 2013 (Mo.)

81

50

27. 11. 2013 3 StR 5/13

125

05. 08. 2013 (Mo.)

114

51

12. 12. 2013 3 StR 146/13 17. 10. 2013

56

28. 10. 2013 (Mo.)

45

52

20. 03. 2014 3 StR 304/13 09. 01. 2014

70

20. 01. 2014 (Mo.)

59

53

27. 03. 2014 3 StR 342/13 06. 02. 2014

49

17. 02. 2014 (Mo.)

38

54

08. 05. 2014 3 StR 243/13 27. 03. 2014

42

07. 04. 2014 (Mo.)

31

55

24. 07. 2014 3 StR 314/13 26. 06. 2014

28

07. 07. 2014 (Mo.)

17

56

11. 12. 2014 3 StR 265/14 27. 11. 2014

14

08. 12. 2014 (Mo.)

3

57

22. 01. 2015 3 StR 233/14 13. 11. 2014

70

24. 11. 2014 (Mo.)

59

58

22. 01. 2015 3 StR 410/14 11. 12. 2014

42

22. 12. 2014 (Mo.)

31

59

13. 05. 2015 3 StR 460/14 19. 03. 2015

55

30. 03. 2015 (Mo.)

44

60

13. 05. 2015 3 StR 498/14 05. 03. 2015

69

16. 03. 2014 (Mo.)

58

25. 07. 2013

286

Anhang

Tabelle 3 (Fortsetzung) Nr. Urteil vom

Aktenzeichen

11. Tag nach ÜberVerhandlungs- Tage bis Verhandlungs- schreitung tag(e) Verkündung (Tage) schluss

61

21. 05. 2015 3 StR 575/14 30. 04. 2015

21

11. 05. 2015 (Mo.)

10

62

09. 07. 2015 3 StR 33/15

28

22. 06. 2015 (Mo.)

17

63

23. 07. 2015 3 StR 470/14 19. 03. 2015

126

30. 03. 2015 (Mo.)

115

64

27. 10. 2015 3 StR 199/15 17. 09. 2015

40

28. 09. 2015 (Mo.)

29

65

27. 10. 2015 3 StR 218/15 01. 10. 2015

26

12. 10. 2015 (Mo.)

15

66

26. 11. 2015 3 StR 247/15 12. 11. 2015

14

23. 11. 2015 (Mo.)

3

11. 06. 2015

Tabelle 4 Fristüberschreitungen 4. Strafsenat Nr. Urteil vom

Aktenzeichen

11. Tag nach ÜberVerhandlungs- Tage bis Verhandlungs- schreitung tag(e) Verkündung schluss (Tage)

1

07. 01. 2010 4 StR 413/09 17. 12. 2009

21

28. 12. 2010 (Mo.)

10

2

20. 12. 2012 4 StR 55/12

15. 11. 2012

35

26. 11. 2012 (Mo.)

24

3

20. 12. 2012 4 StR 125/12 15. 11. 2012

35

26. 11. 2012 (Mo.)

24

4

22. 05. 2014 4 StR 430/13 24. 04. 2014

28

05. 05. 2014 (Mo.)

17

5

05. 06. 2014 4 StR 439/13 08. 05. 2014

28

19. 05. 2014 (Mo.)

17

6

26. 02. 2015 4 StR 178/14 15. 01. 2015

42

26. 01. 2015 (Mo.)

31

7

26. 02. 2015 4 StR 233/14 15. 01. 2015

42

26. 01. 2015 (Mo.)

31

8

09. 04. 2015 4 StR 401/14 26. 02. 2015

42

09. 03. 2015 (Mo.)

31

9

19. 11. 2015 4 StR 115/15 24. 09. 2015

56

05. 10. 2015 (Mo.)

45

10

14. 01. 2016 4 StR 72/15

56

30. 11. 2015 (Mo.)

45

19. 11. 2015

Anhang

287

Tabelle 5 Fristüberschreitungen 5. Strafsenat Nr. Urteil vom

Aktenzeichen

11. Tag nach ÜberVerhandlungs- Tage bis Verhandlungs- schreitung tag(e) Verkündung schluss (Tage)

1

10.12.2014 5 StR 405/13 26. 11. 2014

14

07. 12. 2014 (So.)

2

2

10.12.2014 5 StR 136/14 26. 11. 2014

14

07. 12. 2014 (So.)

2

Literaturverzeichnis Adomeit, Klaus/Hähnchen, Susanne: Rechtstheorie mit Juristischer Methodenlehre, 7. Auflage 2018, Heidelberg. Alexy, Robert: Elemente einer juristischen Begründungslehre, 2003, Baden-Baden. Alexy, Robert: Theorie der juristischen Argumentation, 3. Auflage 1996, Frankfurt am Main. Alexy, Robert: Theorie der Grundrechte, 1985, Baden-Baden. Alleweldt, Ralf: Bundesverfassungsgericht und Fachgerichtsbarkeit, 2006, Tübingen. Alsberg, Max: Vorschläge zur Reform der Strafprozeßordnung nebst Begründung, ZStW 50 (1930), S. 73 – 103. Althammer, Christoph: Schmerzensgeld wegen überlanger Dauer von Zivilverfahren – Bemerkungen zum zukünftigen deutschen Entschädigungsmodell, JZ 2011, S. 446 – 453. Altmann, Hans/Hahnemann, Suzan: Syntax fürs Examen: Studien- und Arbeitsbuch, 3. Auflage 2007, Göttingen. Ballerstedt, Kurt: Über Zivilrechtsdogmatik, in: Jakobs, Horst Heinrich/Knobbe-Keuk, Brigitte u. a. (Hrsg.): Festschrift für Werner Flume zum 70. Geburtstag, Band 1, 1978, Köln, S. 257 – 282. Barton, Stephan: Professionsfakultät ohne Praxisbezüge?, in: Barton, Stephan (Hrsg.): Strafverteidigung 2020 – Aktuelle Probleme, grundsätzliche Fragen – und ein Blick in die Zukunft, 2020, Hamburg, S. 147 – 172. Barton, Stephan: Entgrenzte Revisionsrechtsprechung, in: Herzog, Felix/Schlothauer, Reinhold u. a. (Hrsg.): Rechtsstaatlicher Strafprozess und Bürgerrechte: Gedächtnisschrift für Edda Weßlau, 2016, München, S. 33 – 49. Barton, Stephan: Schonung der Ressourcen der Justiz oder effektiver Rechtsschutz?, StRR 2014, S. 404 – 410. Barton, Stephan: Die Reform der Nebenklage: Opferschutz als Herausforderung für das Strafverfahren, JA 2009, S. 753 – 759. Barton, Stephan: Die erweiterte Revision in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs – Rechtstatsächliche Befunde 1970 und 2005, in: Weßlau, Edda/Wohlers, Wolfgang: Festschrift für Gerhard Fezer zum 70. Geburtstag am 29. Oktober 2008, 2008, Berlin, S. 333 – 352. Barton, Stephan: Die Abgrenzung der Sach- von der Verfahrensrüge bei der klassischen und der erweiterten Revision in Strafsachen, JuS 2007, S. 977 – 983. Barton, Stephan: Die Revisionsrechtsprechung des BGH in Strafsachen – Eine empirische Untersuchung der Rechtspraxis, 1999, Neuwied.

Literaturverzeichnis

289

Baumanns, Silke: Der Beschleunigungsgrundsatz im Strafverfahren – Die Verfahrensüberlänge und ihre Rechtsfolgen, 2011, Baden-Baden. Beling, Ernst: Vom Positivismus zum Naturrecht und zurück, in: Stoll, Heinrich (Hrsg.): Festgabe für Philipp Heck, Max Rümelin und Arthur Benno Schmidt, 1931, Tübingen, S. 1 – 18. Benda, Ernst/Klein, Eckhart/Klein, Oliver: Verfassungsprozessrecht, 3. Auflage 2012, Heidelberg, zitiert: Bearbeiter, in: Benda/Klein-Verfassungsprozessrecht. Beulke, Werner/Swoboda, Sabine: Strafprozessrecht, 14. Auflage 2018, Heidelberg. Binding, Karl: Handbuch des Strafrechts, Erster Band, 1885, Leipzig. Bittmann, Folker: Referentenentwurf für ein Gesetz zur Stärkung der Rechte von Opfern sexuellen Missbrauchs (StORMG), ZRP 2011, S. 72 – 74. Bleckmann, Albert: Zu den Methoden der Gesetzesauslegung in der Rechtsprechung des BVerfG, JuS 2002, S. 942 – 947. Bleich, Susanne: Die literarische und die juristische Hermeneutik – Ein Vergleich, NJW 1989, S. 3197 – 3202. Bock, Dennis: Die Entwertung des letzten Wortes – Wann muss einem Angeklagten erneut das letzte Wort (§ 258 Abs. 2, 3 StPO) erteilt werden?, ZStW 129 (2017), S. 745 – 767. Böhm, Alexander: Aus der neueren Rechtsprechung zum Jugendstrafrecht, NStZ-RR 2005, S. 289 – 297. Borowski, Martin: Grundrechte als Rechtsprinzipien, 3. Auflage 2018, Baden-Baden. Böttcher, Reinhard: Anmerkung zu BGH, Urt. v. 27. 08. 1986 – 3 StR 223/86 (BGHSt 34, 154), JR 1988, S. 37 – 38. Breckwoldt, Maike/Kleiber, Michael: Grundrechtskombinationen – Zur Struktur und Rationalität der Abwägung bei Prinzipienmehrheiten, in: Klatt, Matthias (Hrsg.): Prinzipientheorie und Theorie der Abwägung, 2013, Tübingen, S. 1 – 33. Bryde, Brun-Otto: Verfassungsentwicklung, 1982, Baden-Baden. Buhmann, Robert: Die verfassungsrechtlichen und verfassungsprozessualen Auswirkungen der Plenarentscheidung des BVerfG vom 30. 4. 2003 zur Rüge einer Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG auf die Fachgerichtsbarkeit, 2010, Marburg. Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde: R 1402/585 – Die Anträge und Beschlüsse der Redaktionskommission zu dem Entwurf einer Strafprozessordnung und eines Einführungsgesetzes bei deren Vorberatung in der Reichstagskommission (unveröffentlicht), zitiert: BA R 1402/ 585. Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz: Bericht der Expertenkommission zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des allgemeinen Strafverfahrens und des jugendgerichtlichen Verfahrens, 2015, Berlin, zitiert: Abschlussbericht Expertenkommission. Bydlinski, Franz: Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 2. Auflage 1991, Wien. Canaris, Claus-Wilhelm: Die Feststellung von Lücken im Gesetz, 2. Auflage 1983, Berlin.

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Sachwortverzeichnis Ablehnung siehe auch Ablehnungsverfahren 27, 76, 220, 256 Ablehnungsantrag siehe Ablehnungsgesuch Ablehnungsgesuch 258 f. Ablehnungsgrund 256 Ablehnungsverfahren 256 ff. Ablehnungszeitpunkt 27, 257, 259 Absetzungsfrist 121, 146 f. AEMR 105 ff. Allgemeine Handlungsfreiheit 253 Fn. 149, 236 ff. Allgemeines Persönlichkeitsrecht 124 Anhörungsrüge 217 ff., 229, 250 Fn. 228, 252 Fn. 234, 255 Anhörungsrügengesetz 217 Argument – Ergänzungsargument/Rechtsfortbildungsargument 55 ff. – Formargument 52 ff., 173, 177 – hermeneutisches 48, 50 ff. – Vertrauensargument 54 f. – Willensargument 52 ff. Argumentationstheorie 68 Fn. 216 audiovisuelle Aufzeichnung der Hauptverhandlung 277 Auffanggrundrecht 235 ff. Auslegung siehe Auslegungskanon, Auslegungsmethoden, Auslegungstheorie und Auslegungsziel Auslegungselemente 39, 62 ff. Auslegungskanon 39, 59 ff., 65 ff., 80, 178 Auslegungsmethoden 25, 31, 39 f., 59, 64, 68 – historisch-genetische 59 f., 66, 68, 136 ff., 186, 190 – systematische 59 f., 66, 68, 80 ff., 162, 174, 185 f. – teleologische 46, 49, 59, 66, 68, 178 ff. – Wortlaut 55, 59 f., 66, 68, 70 ff., 181, 185 Auslegungsmittel siehe Auslegungsmethoden

Auslegungstheorie – Kombinationslösungen 46 f., 50, 56, 58 Fn. 155, 180, 182 – objektive 43 ff., 47 ff., 179, 187 f. – subjektive 43 ff., 49 ff., 182 Auslegungsziel siehe auch Auslegungstheorie 42 f., 43 ff., 69, 179 f., 187 f. Ausschluss der Öffentlichkeit 113, 119, 123 Aussetzung – der Hauptverhandlung 97, 126, 132, 145, 151, 158 – der Urteilsverkündung 32 f., 134, 146, 150 ff., 158, 108, 214, 257 f. Aussetzungsfrist 32, 155 f., 161 axiologisch 82, 84, 88 Beanstandung 212 ff., 215 f., 220 f., 229, 254, 259, 264 Befangenheit 256 ff. Befangenheitsantrag siehe Ablehnungsgesuch Begriffsjurisprudenz 82 Berichterstatter 125, 129, 156, 168, 257 Berufung 141, 215 f. Beschleunigung siehe auch Beschleunigungsgrundsatz 33, 117 Fn. 482, 118 ff., 131, 134, 147 Fn. 654, 168, 172, 186, 209, 236 Beschleunigungsgebot siehe Beschleunigungsgrundsatz Beschleunigungsgrundsatz 117 ff. – allgemeiner 119 f. – in Haftsachen 234 f. Beschlussverwerfung 126, 149, 270, 272 f. Beschwerde – außerordentliche 215 Fn. 31 – einfache 215 f., 219, 221, 253 f. – sofortige 253 Fn. 246 Beweisaufnahme 35, 129 Fn. 547, 192 Beweiserhebung siehe Beweisaufnahme Beweisverbot 117 BGH-Nack 26, 193, 195 ff., 237 f., 279

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Sachwortverzeichnis

Bundesrat 33 f., 138 ff., 143, 145, 152, 156 Bundestag – Rechtsausschuss 29 Fn. 42, 167 f., 276 Fn. 57 Canones siehe Auslegungskanon Canones Savigny siehe Savigny’sche Canones COVID-19-Pandemie 29 Fn. 42, 196, 275, 277 deontologisch 88 f. Deutsches Reich 19, 138 ff. Dienstaufsicht 245 ff. Dienstaufsichtsbeschwerde 244 ff., 255, 257 Dienstgericht des Bundes 247 ff. Dienstgerichtsbarkeit 245 f. Dimensionen des Beschleunigungsgrundsatzes siehe auch Beschleunigungsgrundsatz 118, 122 Fn. 510, 133 – objektive 120 – prozessuale siehe auch Konzentrationsmaxime 120 f., 145, 147, 162 – subjektive 120, 228 Dokumentation der Hauptverhandlung 277 Einheit – der Hauptverhandlung siehe auch Konzentrationsmaxime 110, 117 Fn. 482, 118 Fn. 486, 121 ff., 203, 275 – der Rechtsordnung 82, 85, 87, 93, 130, 135 Einziehungsverfahren 76 f., 116 Elemente der Auslegung 39, 61 ff. Elfes-Entscheidung 239 Elftagefrist siehe auch Urteilsverkündungsfrist 26, 28, 173, 178, 180 ff., 186 f., 194, 197, 204 ff., 220 EMRK 103 ff. Ermittlungsverfahren 111, 234 EU-GRCh 103 ff. Europarecht 103 Fair Trial siehe faires Verfahren faires Verfahren 104, 133, 236 Fehlgriff 247 ff. Freibeweis 37, 129

Freiheit der Person 230 ff., 264 Freirechtsbewegung 82 Frist 27 ff. Fristenhemmung 27, 29, 121, 147, 166, 172, 196 f., 276 Fristverkürzung 121, 135 Fn. 573, 166 ff. Fristverlängerung 28 f., 121, 135, 155, 159, 166, 169 ff., 181, 186 Gegenvorstellung 244, 250 ff., 264 Gerichtsschreiber 76 Gerichtssprache siehe auch Sprache 100 Gesetzesauslegung siehe Auslegung Gesetzesbindung 22, 24, 32, 55, 94, 240, 241, 244, 266 ff. Gesetzesmaterialien 140, 149, 161, 174, 177 Gesetzeswille siehe Wille des Gesetzes Gesetzgeberwille siehe Wille des Gesetzgebers Gesetzgebungsmaterialien siehe Gesetzesmaterialien Gesetzgebungswille siehe Wille des Gesetzgebers Gewaltenteilung 22, 24, 42, 55, 92, 94, 176, 188, 266 Gewaltenteilungsgrundsatz siehe Gewaltenteilung Gewohnheitsrecht 191, 242 Gewohnheitsunrecht 192 Grundrechte 86, 103 ff., 119, 124, 224 ff., 243 ff. Grundrechtsverletzung 217, 225 f., 228, 242, 252 Grundrechtsverstoß siehe Grundrechtsverletzung Haftbefehl 76, 235 Hauptverhandlung – Inbegriff 115, 128 – Prinzipien 111 ff. – Protokoll 20, 34 f., 37, 124, 128 f., 194 – universeller Typ, 98, 107, 125, 132, 136, 147 f., 162, 177, 186 Heilung 217, 233 f. Heilungsvorschriften siehe Unbeachtlichkeitsvorschriften Historische Rechtsschule 62

Sachwortverzeichnis Inbegriff der Hauptverhandlung siehe Hauptverhandlung Inquisitionsprozess 109, 112, 113, 127, 141 Inquisitionsverfahren siehe Inquisitionsprozess Interessenjurisprudenz 82 Jugendstrafrecht siehe Jugendstrafverfahren Jugendstrafverfahren 100 f., 107, 113, 116 JuMoG 165, 172, 175 Justizförmigkeit 102, 104, 106 Justizgewährungsanspruch 210, 229 f., 245 Justizgewährungspflicht siehe auch Justizgewährungsanspruch 245 Justizgrundrechte 228 ff., 236 Justizkommission – des Bundesrats 143 Fn. 622 – des Reichstags 138 f., 144 Fn. 630, 152, 156 f., 159 f. Kodifikationsstreit 64 Kommissionsprotokolle 138, 140, 150 ff. Konfrontationsrecht 104, 107 Konzentration siehe Konzentrationsmaxime Konzentrationsgrundsatz siehe Konzentrationsmaxime Konzentrationsmaxime siehe auch Beschleunigungsgrundsatz, Dimensionen des Beschleunigungsgrundsatzes und Einheit der Hauptverhandlung 110, 117 ff., 122, 125 f., 131, 133, 136, 142, 145 ff., 152, 155, 157, 162, 185, 209, 214, 222, 241, 266, 275 f., 278 Konzentrationsprinzip siehe Konzentrationsmaxime Laienrichter siehe auch Schöffen 71, 76, 144, 171 Letztes Wort 28, 98 Fn. 372, 171, 223, 257 f., 258 Fn. 268 Lex Emminger 158 Lex Lobe 37, 149, 270 Maßnahme der Dienstaufsicht 246 f., 249 f. – Ermahnung 246 – Vorhalt 246 Medien 112 Menschenwürde 18

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Metaebene 86 Fn. 295, 110 Metaregeln 41 Methoden siehe Auslegungsmethoden und Auslegungstheorie Methodenehrlichkeit 50, 67, 132, 183, 187, 191 Methodenstreit 43 ff., 57, 63, 137, 184 Methodologie 39, 62, 65, 67 Mündlichkeit 110, 114 ff., 125, 130 ff., 136, 141, 145 f., 148, 162, 169, 185, 222, 275 f. Mündlichkeitsgrundsatz siehe Mündlichkeit Mündlichkeitsideologie 130 Fn. 551, 136 Fn. 578, 276 Fn. 61 Mündlichkeitsprinzip siehe Mündlichkeit Naturrecht 91 Negativtatsachen 268 f. Nemo-Tenetur-Grundsatz 107 Nichtigkeitsbeschwerde 142 f. Nichtöffentlichkeit 101, 113 f., 116, 126 Norddeutscher Bund 19, 138 ff., 141 f. Normen – nach Alexy 88 Normkollision 134 Normwiderspruch 134 NSU-Prozess 121, 275 offensichtlich unbegründet 149, 269 Fn. 21, 271 Öffentlichkeit 100 f., 104, 107 ff., 111 ff., 116 ff., 123 f., 129 ff., 133, 141, 148, 162, 185, 276 – Ausschluss 101, 104, 107, 113, 119, 123 f. – Einschränkung 113, 131 – mittelbare 112 Öffentlichkeitsgrundsatz siehe Öffentlichkeit Öffentlichkeitsprinzip siehe Öffentlichkeit Opferschutzgesetzgebung 113 Optimierungsgebote 89, 93, 131 Personalbeweis 76 Persönlichkeitsschutz 113, 123 f., 130 Petitionsrecht 243 ff., 251, 254 f., 264 Plenarentscheidung 217 Prima-Facie-Gebote 89 Prinzip – nach Alexy 88 ff.

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Sachwortverzeichnis

– nach Canaris/Larenz 86 ff. Prinzipien der Hauptverhandlung 111 ff. Prinzipiengewinnung 90 ff., 183 Prinzipienkollision 120 Prinzipientheorie 86, 88 ff., 123 Protokoll siehe Kommissionsprotokolle und Sitzungsprotokoll Rangfolge – der Auslegungsmethoden 59 ff. Rangfolgenproblem 62, 64 rechtliches Gehör 217 ff., 229, 243, 252 Rechtsbehelfe 207 ff. – außerordentliche 216 ff. – ordentliche 211 ff. Rechtsbeugung 260 ff. Rechtsfortbildung 31, 42, 50, 55 f., 69, 187, 189 ff., 191, 227, 239, 242, 248 – verdeckte 56, 92, 132, 191, 242, 267, 271 Rechtsidee 87 f., 183 Rechtskraft 211, 219 ff., 234, 253, 270 Rechtsmittel 96 f., 128, 141 f., 215 f., 264 Rechtsprinzip siehe Prinzip Rechtsstaatsgebot siehe Rechtsstaatsprinzip Rechtsstaatsprinzip 110, 230, 236, 239 rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung 236 ff., 259 Rechtsverständnis 44, 62, 64 f., 82, 94 Redaktionskommission 160 f. Reform der Hauptverhandlung 276 ff. reformierter Strafprozess 109, 112, 114, 127, 136, 141, 149, 276 Regeln 87 f. Regelunterbrechung 121, 134, 170 f., 175 Reichstag 19, 98, 138 ff., 152, 154, 156 f., 159 Revision 20 f., 23, 25, 29, 33, 35 f., 37, 78, 96 f., 99, 101, 107, 115, 126 ff., 142, 148 ff., 162, 212, 216, 218, 233, 253, 267, 270 f., 273, 277 – erweiterte 192 revisionsgerichtliche Betriebsregeln 267, 269, 273 Revisionsgrund – absoluter 269 – relativer 29, 33 Revisionshauptverhandlung 36 f., 79, 94, 97, 124 ff., 132, 135, 147 ff., 158, 162, 171,

173 f., 176, 180 f., 183 f., 186 ff., 190, 196, 209, 212, 214, 269, 276 RGSt 27, 116 19 ff., 32 ff., 69, 73, 124, 128, 136 f., 150, 163, 176, 180, 182, 187, 190 ff., 210, 222, 241, 249 f., 255, 266, 274 f. richterliche Unabhängigkeit 57, 104, 106, 244 f., 247 ff., 256 – äußerer Ordnungsbereich 246 f. – Kernbereich 246 f., 249 Richterrecht 95 Fn. 360, 130 Fn. 549, 188, 250 Fn. 228, 271 Rubrum 194 ff., 197 ff., 203 ff. Sachleitung 212 f., 220 Savigny’sche Canones 39, 59, 61 f., 65, 178 Schöffen siehe auch Laienrichter 76 Schriftlichkeitsgrundsatz siehe Schriftlichkeitsprinzip Schriftlichkeitsprinzip 124 ff., 136 Schuldinterlokut 157 schützende Formen des Strafverfahrens 267, 273 Schwurgerichte 98 Fn. 369, 157 f. Selbstleseverfahren 115 Sitzungspolizei 213, 247 ff. Sitzungsprotokoll siehe Hauptverhandlung Sprache 100, 115, 131, 222 f. Staatsanwaltschaft 125 Strafanzeige 260 ff. Strafbefehl siehe Strafbefehlsverfahren Strafbefehlsverfahren 113 ff. Strafvollstreckungsverfahren 111 StPÄG 149 StVÄG 165, 172 StVRG 121 f., 165 ff., 168 ff., 176 System – äußeres 80 f., 96 ff., 100 ff., 107, 132 – axiologisches 82, 85 Fn. 289 – bewegliches 91 f. – deduktives 82 – formal-logisches 82 – induktives 95 – inneres 80 f., 93, 95 f., 107 f., 110 ff., 135 – offenes 91 f. Systembegriff 81 ff. Systembeziehung 84 f. Systembildung 88, 93 f., 96, 102, 110 ff., 130 ff., 147

Sachwortverzeichnis Systemeigenschaften 91 f. Systemkonstitutivum 82, 85, 87, 130 Teilrechtsordnung 84, 96, 107, 122, 136, 185 Teilrechtssystem siehe Teilrechtsordnung teleologische Reduktion 189 ff., 242, 248 Telos 49, 59 Fn. 160, 65 Fn. 204, 181, 183 ff., 187, 189 f. Tenor siehe auch Urteilsformel 154 f. Traditionszitat 62, 181 Fn. 814 Trennungsthese 89 überlange Verfahrensdauer siehe auch rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung 259, 172 überpositives Recht 46, 91, 94 f., 178 Unbeachtlichkeitsregeln siehe Unbeachtlichkeitsvorschriften Unbeachtlichkeitsvorschriften 233 Fn. 135, 234 Unmittelbarkeit siehe auch Unmittelbarkeitsgrundsatz Unmittelbarkeitsgrundsatz 110, 116 f., 130, 141 f., 146, 162, 185, 276 Unmittelbarkeitsprinzip siehe Unmittelbarkeitsgrundsatz Unschuldsvermutung 104, 106 f., 113 Unterbrechungsfrist 27, 121, 125, 132, 134 f., 151, 155, 158, 162, 164 f., 167, 169 ff., 174 ff., 181, 186, 194, 169 ff., 202, 204 ff., 209, 214, 222, 266, 277 f. Unterbringung 231 f. Untersuchungshaft 231 f., 234 Urkunden siehe Urkundenbeweis Urkundenbeweis 129 Urteilsformel siehe auch Tenor 115, 152, 154 Urteilskopf siehe Rubrum Urteilsverkündung siehe Verkündung des Urteils Urteilsverkündungsfrist 27 ff., 165 Verbrechensbekämpfungsgesetz 115 Vereinheitlichungsgesetz 135 Fn. 573, 165, 166 ff., 168 Verfahrensrüge 33, 127, 233, 268, 274

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Verfassungsbeschwerde 210, 218, 224 ff., 252, 264 Verhandlungsleitung 97, 213, 221, 253 f., 264 Verhandlungsprotokoll siehe Hauptverhandlung Verkündung des Urteils 72 Verlesung – Urkunden 129 Fn. 547 – Urteilsformel 115, 152, 154 – Urteilsgründe 115, 124, 152 Verteidiger siehe Verteidigung Verteidigung 104, 107, 116, 125, 128, 129 Fn. 546, 212 Fn. 13, 221, 223, 237, 248, 250, 258 Fn. 268, 260 Fn. 279, 264 f., 267, 275 Verwerfung durch Beschluss siehe Beschlussverwerfung Verzögerungsrüge 259 f., 264 Verzögerungsverbot siehe auch Beschleunigungsgrundsatz und Dimensionen des Beschleunigungsgrundsatzes 120, 133 f., 168 Volksgeist 62 ff. Wert 87 Wertungswiderspruch 93, 134 f., 175 f., 190, 277 f. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand 219 ff. Wiedereintritt in die Hauptverhandlung 134, 162, 174, 258 f. Wiederholung der Hauptverhandlung 167, 172 f., 208 f., 212, 214, 234, 241, 276 Wille des Gesetzes 43, 47, 53, 64, 137, 188, 191 Wille des Gesetzgebers 34, 49 f., 52, 60, 58 f., 137, 164, 171, 173 f., 177, 182, 184, 188, 190 f. Willkürkontrolle siehe Willkürverbot Willkürverbot 239 ff., 264 Wortlautgrenze 60 Zweckjurisprudenz 82 Zwischenfrist 27 f., 132, 183 Fn. 819 Zwischenrechtsbehelf siehe auch Beanstandung 212 ff., 216, 254