Die Universität Münster in der Zeit des Nationalsozialismus: Kontinuitäten und Brüche zwischen 1920 und 1960 9783402158845, 3402158841


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Title
Inhalt
Hans-Ulrich Thamer: Zwischen Selbstbehauptung und Selbstgleichschaltung. Universitäten im Nationalsozialismus – eine Einleitung
Teil 1: Die Universität als Institution
Kristina Sievers: Rektor und Kurator der Universität Münster. Führertum zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Timm C. Richter: „In jeder Weise volles Verständnis für die Belange der Wehrmacht“. Das Verhältnis der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster zum Militär
Johannes Schäfer: Eine wirkliche Landesuniversität schaffen. Die Gesellschaft zur Förderung der Westfälischen Wilhelms-Universität
Hans-Ulrich Thamer: Die Universität Münster über sich selbst. Feierkultur und Selbstdarstellung im 20. Jahrhundert
Sabine Happ: Die Aberkennung von Doktorgraden an der Universität Münster in den Jahren 1920 bis 1960
Christoph Weischer: Studierende an der Universität Münster 1920 bis 1960
Rainer Pöppinghege: Studentische Repräsentationsorgane 1920 bis 1960
Peter Respondek: Die Universität Münster nach 1945. Wiedereröffnung und Entnazifi zierung im Kontext britischer Besatzungspolitik
Teil 2: Fakultäten und Institute
Nicola Willenberg: „Der Betroffene war nur Theologe und völlig unpolitisch“. Die Evangelisch-Theologische Fakultät von ihrer Gründung bis in die Nachkriegszeit
Thomas Flammer: Die Katholisch-Theologische Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität im „Dritten Reich“
Sebastian Felz: Im Geiste der Wahrheit? Die Münsterschen Rechtswissenschaftler von der Weimarer Republik bis in die frühe Bundesrepublik
Ursula Ferdinand: Die Medizinische Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster von der Gründung bis 1939
Ioanna Mamali: Psychiatrische und Nervenklinik Münster (1925 bis 1953)
Markus Drüding: Das Philosophische Seminar in Münster
Karsten Wallmann und Kristina Sievers: Prähistorie und Nationalsozialismus an der Westfälischen Wilhelms-Universität
Katja Fausser: „Das Institut zu neuem Leben erweckt“?Entwicklungen am Historischen Seminar 1920 bis 1960
Volker Honemann: Die Germanistik der Westfälischen Wilhelms-Universität vom Ende des Ersten Weltkrieges bis 1960
Manfred Günnigmann: Dem Zeitgeist angepasst. Musikwissenschaft an der Westfälischen Wilhelms-Universität 1922 bis 1962
Daniel Droste: Das Zoologische Institut der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster im 20. Jahrhundert
Daniel Droste: Das Botanische Institut der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster im 20. Jahrhundert
Achim Weiguny: Die Physik an der Universität Münster im Spannungsfeld des Nationalsozialismus
Kathrin Baas: Geographie an der Universität Münster 1918 bis 1950. Akademische Karrieren zwischen Wissenschaft, Politik und Verwaltung
Michael Krüger: Leibesübungen, Sport und Sportwissenschaft an der Universität Münster von den Anfängen bis in die 1960er-Jahre
Teil 3: Personen
Sabine Happ / Veronika Jüttemann: Ein langer Schatten? Der Einfluss des Nationalsozialismus auf die Situation von Frauen an der Universität Münster 1920 bis 1960
Manfred Witt: Karl Wilhelm Jötten und das Hygiene-Institut 1926 bis 1945. Biopolitik im Kontext von Universität, Stadt und Land
Hans-Peter Kröner: „Die Fakultät hat in politisch schwierigen Situationen Charakter bewiesen“. Der „Lehrstuhl für Erbbiologie und Rassenhygiene“ und die Berufung Otmar Freiherr von Verschuers in Münster
Julian Aulke: Zwischen Sozialmedizin und Kriminalbiologie Heinrich Többen und das Institut für gerichtlicheund soziale Medizin in Münster
Daniel Droste: Der Fall Bruno K. Schultz. NS-Täter, ihre wissenschaftliche Reintegration und die Kontinuität nationalsozialistischer Netzwerke an der Universität Münster
Sara-Marie Demiriz: Aus den „Ideen von 1914“. Der Staatswissenschaftler Johann Plenge und seine Institute an der Universität Münster
Nadine Förster: Der Nationalökonom Hans-Jürgen Seraphim zwischen Demokratie und Diktatur (1927 bis 1962)
Anhang
Abkürzungsverzeichnis
Personenregister
Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
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Die Universität Münster in der Zeit des Nationalsozialismus: Kontinuitäten und Brüche zwischen 1920 und 1960
 9783402158845, 3402158841

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Dr. Daniel Droste, Jahrgang 1981, Studium der Neueren und Neuesten Geschichte, Politikwissenschaft und Anglistik in Münster und Williamsburg (USA), 2007 bis 2012 Koordinator der Kommission zur Aufarbeitung der Geschichte der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster im 20. Jahrhundert. Dr. Sabine Happ, Jahrgang 1965, Studium der Geschichte und Germanistik in Bonn, nach der Promotion 2001 verschiedene Archivprojekte in Heidelberg, leitet seit 2005 das Universitätsarchiv der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.

ISBN 978-3-402-15884-5

Die Universität Münster im Nationalsozialismus

Prof. Dr. Hans-Ulrich Thamer, Jahrgang 1943, hatte bis zu seiner Emeritierung 2011 den Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Münster inne. Thamer ist Senior-Professor im Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der Universität Münster, zudem konzipiert er Ausstellungen für historische Museen.

Thamer/ Droste/Happ

Im Juli 2007 rief das Rektorat der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster eine Kommission zur Aufarbeitung ihrer Geschichte unter der Leitung von Prof. Dr. Hans-Ulrich Thamer ins Leben. Der Kommission gehörten Zeithistorikerinnen und Zeithistoriker, aber auch Wissenschaftler anderer Fachrichtungen an. Der vorliegende Band stellt die Ergebnisse ihrer Forschungen vor und ermöglicht erstmals einen umfangreichen und interdisziplinären Blick auf die Geschichte der Universität Münster im 20. Jahrhundert, der über die bislang vorliegenden Einzelstudien weit hinausgeht. Die Beiträge zu Strukturen, Fakultäten und Instituten sowie Personen der Universität zeichnen das Bild einer sich über die Jahrzehnte kontinuierlich ausdifferenzierenden, intensiv mit ihrer westfälischen Umgebung vernetzten Institution. Gleichzeitig wird deutlich, wie eng die Wissenschaft auch in Münster mit dem nationalsozialistischen Regime verknüpft und in seine Verbrechen verstrickt war. Dabei zeigen sich langjährige Kontinuitäten in Forschungsinhalten, Mentalitäten und Personal von der Weimarer Republik über das „Dritte Reich“ bis zur Bundesrepublik. Ebenso wird die Wirkmächtigkeit wissenschaftlicher Netzwerke zur Reintegration belasteter Kollegen nach 1945 deutlich, der gegenüber Ansätze zu einem würdevollen Umgang mit den Opfern der NS-Herrschaft lange Zeit in den Hintergrund traten. Somit stehen die Ergebnisse der Kommissionsarbeit im Einklang mit den Erkenntnissen der modernen Universitätsgeschichtsschreibung, welche nicht nur das Bild eines umfassenden Neuanfangs der deutschen Universitäten nach dem Zweiten Weltkrieg, sondern auch den Mythos einer unpolitischen, „sauberen“ Wissenschaft in der Zeit davor umfassend widerlegen konnte.

5.1

Veröffentlichungen des Universitätsarchivs Münster

Hans-Ulrich Thamer, Daniel Droste und Sabine Happ (Hgg.)

Die Universität Münster im Nationalsozialismus Kontinuitäten und Brüche zwischen 1920 und 1960

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Thamer/Droste/Happ Die Universität Münster im Nationalsozialismus Band 1

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Veröffentlichungen des Universitätsarchivs Münster Herausgegeben von Sabine Happ Band 5

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Die Universität Münster im Nationalsozialismus Kontinuitäten und Brüche zwischen 1920 und 1960

Im Auftrag des Rektorats der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster herausgegeben von Hans-Ulrich Thamer, Daniel Droste und Sabine Happ

Band 1

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Abbildung auf dem Titel: Schlageterfeier und Rektoratsantritt am 28. Mai 1933 in der Stadthalle Münster. Foto: Stadtarchiv Münster, Fotosammlung, Nr. 6573.

Impressum © 2012 Aschendorff Verlag GmbH & Co. KG, Münster Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf fotomechanischem oder ähnlichem Wege und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Die Vergütungsansprüche des § 54 Abs. 2 UrhG werden durch die Verwertungsgesellschaft Wort wahrgenommen. Gesamtherstellung: Aschendorff Druckzentrum GmbH & Co. KG

ISBN 978-3-402-15884-5 (2 Bände)

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Inhalt des ersten Bandes Geleitwort der Rektorin .......................................................................................

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Hans-Ulrich Thamer Zwischen Selbstbehauptung und Selbstgleichschaltung Universitäten im Nationalsozialismus – eine Einleitung ...................................

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Teil 1: Die Universität als Institution Kristina Sievers Rektor und Kurator der Universität Münster Führertum zwischen Anspruch und Wirklichkeit ...............................................

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Timm C. Richter „In jeder Weise volles Verständnis für die Belange der Wehrmacht“ Das Verhältnis der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster zum Militär .............................................................................................

61

Johannes Schäfer Eine wirkliche Landesuniversität schaffen Die Gesellschaft zur Förderung der Westfälischen Wilhelms-Universität ........

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Hans-Ulrich Thamer Die Universität Münster über sich selbst Feierkultur und Selbstdarstellung im 20. Jahrhundert .......................................

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Sabine Happ Die Aberkennung von Doktorgraden an der Universität Münster in den Jahren 1920 bis 1960 ..................................................................................

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Christoph Weischer Studierende an der Universität Münster 1920 bis 1960 .....................................

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Rainer Pöppinghege Studentische Repräsentationsorgane 1920 bis 1960 ...........................................

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Inhalt

Peter Respondek Die Universität Münster nach 1945 Wiedereröffnung und Entnazifizierung im Kontext britischer Besatzungspolitik ..............................................................

225

Teil 2: Fakultäten und Institute Nicola Willenberg „Der Betroffene war nur Theologe und völlig unpolitisch“ Die Evangelisch-Theologische Fakultät von ihrer Begründung bis in die Nachkriegszeit ................................................

251

Thomas Flammer Die Katholisch-Theologische Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität im „Dritten Reich“ ............................

309

Sebastian Felz Im Geiste der Wahrheit? Die Münsterschen Rechtswissenschaftler von der Weimarer Republik bis in die frühe Bundesrepublik ...........................

347

Ursula Ferdinand Die Medizinische Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster von der Gründung bis 1939 ..................................................................

413

Ioanna Mamali Psychiatrische und Nervenklinik Münster 1925 bis 1953 .................................

531

Markus Drüding Das Philosophische Seminar in Münster .............................................................

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Karsten Wallmann und Kristina Sievers Prähistorie und Nationalsozialismus an der Westfälischen Wilhelms-Universität ............................................................................................

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Inhalt

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Inhalt des zweiten Bandes Teil 2: Fakultäten und Institute (Fortsetzung) Katja Fausser „Das Institut zu neuem Leben erweckt“? Entwicklungen am Historischen Seminar 1920 bis 1960 ....................................

647

Volker Honemann Die Germanistik der Westfälischen Wilhelms-Universität vom Ende des Ersten Weltkrieges bis 1960 .........................................................

689

Manfred Günnigmann Dem Zeitgeist angepasst Musikwissenschaft an der Westfälischen Wilhelms-Universität 1922 bis 1962 ..........................................................................................................

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Daniel Droste Das Zoologische Institut der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster im 20. Jahrhundert .................................................................................

787

Daniel Droste Das Botanische Institut der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster im 20. Jahrhundert .................................................................................

819

Achim Weiguny Die Physik an der Universität Münster im Spannungsfeld des Nationalsozialismus ........................................................

847

Kathrin Baas Geographie an der Universität Münster 1918 bis 1950 Akademische Karrieren zwischen Wissenschaft, Politik und Verwaltung .........

871

Michael Krüger Leibesübungen, Sport und Sportwissenschaft an der Universität Münster von den Anfängen bis in die 1960er-Jahre ...........

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Inhalt

Teil 3: Personen Sabine Happ und Veronika Jüttemann Ein langer Schatten? Der Einfluss des Nationalsozialismus auf die Situation von Frauen an der Universität Münster 1920 bis 1960 ...........................................................

929

Manfred Witt Karl Wilhelm Jötten und das Hygiene-Institut 1926 bis 1945 Biopolitik im Kontext von Universität, Stadt und Land ....................................

953

Hans-Peter Kröner „Die Fakultät hat in politisch schwierigen Situationen Charakter bewiesen“ Der „Lehrstuhl für Erbbiologie und Rassenhygiene“ und die Berufung Otmar Freiherr von Verschuers in Münster ........................................................

993

Julian Aulke Zwischen Sozialmedizin und Kriminalbiologie Heinrich Többen und das Institut für gerichtliche und soziale Medizin in Münster ........................................................................... 1029 Daniel Droste Der Fall Bruno K. Schultz NS-Täter, ihre wissenschaftliche Reintegration und die Kontinuität nationalsozialistischer Netzwerke an der Universität Münster ........................ 1055 Sara-Marie Demiriz Aus den „Ideen von 1914“ Der Staatswissenschaftler Johann Plenge und seine Institute ............................ 1083 Nadine Förster Der Nationalökonom Hans-Jürgen Seraphim zwischen Demokratie und Diktatur (1927 bis 1962) ......................................... 1113

Anhang Abkürzungsverzeichnis ........................................................................................ 1155 Personenregister .................................................................................................... 1157 Verzeichnis der Autorinnen und Autoren .......................................................... 1179

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Geleitwort der Rektorin Die Westfälische Wilhelms-Universität Münster hat, wie andere Universitäten auch, in der Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft durch rassisch und politisch motivierte Maßnahmen an ihren Angehörigen und Mitgliedern Schuld auf sich geladen. Diese Tatsache ist seit langem bekannt und im kollektiven Bewusstsein der Universität fest verankert. Der Senat der Universität hat in einer Erklärung vom 12. Juli 2000 das begangene Unrecht benannt, sich zur Verantwortung der Universität bekannt und alle Willkürakte für nichtig erklärt. Den Opfern ist ein Mahnmal der Künstlerin Antonia Low gewidmet, das 2004 im Südflügel des Schlosses, dem Hauptgebäude der Universität, errichtet wurde. Das Interesse der historischen Forschung an den Schicksalen der Opfer ist ungebrochen. Aber auch den Tätern ist die Forschung auf der Spur. Zwar war seit langem bekannt, dass einzelne, schwer belastete Täter nach 1945 in die Reihen der Universität aufgenommen wurden. Als 2007 aber durch weitergehende Forschungen erkannt wurde, dass sich die vermeintlichen Einzelfälle anscheinend zu einem Netzwerk mit Kausalbezügen zusammenfügen lassen, setzte das Rektorat eine Kommission zur Aufarbeitung dieses Kapitels der Universitätsgeschichte unter Leitung von Professor Dr. Hans-Ulrich Thamer ein. Der vorliegende Sammelband ist das Ergebnis der Kommissionsarbeit. Er behandelt den Zeitraum von 1918 bis 1970 und kann damit Entwicklungslinien aufzeigen, die zuvor in der Forschung zur Geschichte der Universität Münster so nicht gezogen wurden. Den Beiträgen des Bandes werden weitere Dissertationen nachfolgen, und im Rahmen eines DFG-Projekts soll im Besonderen die Rolle der Medizinischen Fakultät beleuchtet werden. Das Rektorat dankt allen Autorinnen und Autoren wie auch den übrigen Mitgliedern der Kommission für ihr Engagement, darüber hinaus allen, die unabhängig von der Kommission an der Aufarbeitung der Geschichte der Universität Münster mitgewirkt haben. Münster, im Mai 2012 Ursula Nelles

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Zwischen Selbstbehauptung und Selbstgleichschaltung Universitäten im Nationalsozialismus – eine Einleitung.1 Zur feierlichen Wiedereröffnung der Universität Münster als Volluniversität, am 25. Oktober 1902, wurde eine Festgabe vorgestellt: die Schrift des Kirchenhistorikers Professor Anton Pieper „Die alte Universität Münster 1773–1818. Ein geschichtlicher Überblick“. Zur 200-Jahrfeier der Universität, am 16. April 1980, veröffentlichte Professor Heinz Dollinger im Auftrag des Rektorats einen Jubiläumsband zur Geschichte der Universität von 1780 bis 1980. Die Geschichte der eigenen Korporation, das zeigen die beiden Beispiele, gehört zur Erinnerungskultur einer Universität und ist zugleich Medium der Selbstreflexion, die universitäre Forschung schon immer begleitet hat. Jubiläumsfeiern sind häufig auch Anlass zum historischen Rückblick und zur Standortbestimmung. Im vergangenen Jahrzehnt standen solche Jubiläen an vielen deutschen Universitäten an, und einige von ihnen nutzten die Gelegenheit, um aus der Perspektive einer modernen Wissenschaftsgeschichte nach Kontinuitäten und Brüchen in ihrer mitunter wechselvollen Geschichte zu fragen. Das gilt besonders für Universitäten in den neuen Bundesländern, die im 20. Jahrhundert über eine doppelte Diktaturerfahrung verfügten und vor diesem Hintergrund ihren nach 1990 vollzogenen Strukturwandel, vor allem das Verhältnis der Universität zur Politik, kritisch reflektierten beziehungsweise in die lange Dauer ihrer Institution einordneten. Dies geschieht forschungsgeschichtlich zu einer Zeit, in der die Universitätsgeschichtsschreibung eine Fülle von thematisch-methodischen Perspektiven und Schwerpunkten entwickelt oder von Nachbardisziplinen der Sozial-, Rechts-, Kultur- und Bildungsgeschichte übernommen hat. Universitätsgeschichte wird längst nicht mehr ausschließlich als Geschichte einer Institution und der sie tragenden Personen verstanden. Sie berücksichtigt vielmehr die in ihren Instituten und Seminaren betriebene Erkenntnisarbeit und akademische Lehre sowie die Wechselverhältnisse zwischen Wissenschaft und Politik, zwischen der Sozialgeschichte der Professoren und Studierenden und ihren lebensweltlichen Erfahrungsräumen, zwischen den ökonomischen beziehungsweise organisatorischen Strukturbedingungen und der allgemeinen Forschungsentwicklung, zwischen der Region und ihrer Universität.

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Der Titel dieser Einleitung greift Begriffe von Dieter Langewiesche 1997 auf. Zugleich dankt der Verfasser seinen Mitherausgebern für ihre Hinweise.

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Auffälliger zeitlich-thematischer Schwerpunkt auch der Universitätsgeschichte ist in jüngster Zeit vielfach die Epoche des Nationalsozialismus. Die wissenschaftsund verfassungspolitischen wie auch institutionellen und forschungsimmanenten Entwicklungen und Verwerfungen der Universitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen im „Dritten Reich“ werden dabei zugleich zum Paradigma für grundsätzliche Fragen zum Verhältnis von Wissenschaft und Politik. Der vorliegende Band zur Geschichte der „Universität Münster im Nationalsozialismus. Kontinuitäten und Brüche zwischen 1920 und 1960“ verdankt seine Entstehung keiner Jubiläumsfeier, sondern einer öffentlichen Diskussion um das Verhalten einiger Professoren der Universität im „Dritten Reich“. Das Rektorat hat daraufhin im Sommer 2007 eine Kommission mit der Aufarbeitung der Geschichte der Universität in der NS-Zeit beauftragt. Der vorliegende Sammelband ist aus der Arbeit der Kommission entstanden. Die Konzeption des Bandes folgt einer doppelten Prämisse, die sich in der aktuellen Universitätsgeschichtsschreibung bewährt hat. Erstens wird die Geschichte der Universität nicht auf die Herrschaftszeit des Nationalsozialismus allein beschränkt, sondern wird, um eine „Verinselung“ (Broszat) der NS-Zeit zu vermeiden, auf die Vorgeschichte der 1920er-Jahre sowie auf die Nachgeschichte der frühen Nachkriegszeit bis in die 1950er-Jahre ausgeweitet. Das entspricht den lebensweltlichen Erfahrungen und generationellen Prägungen vieler Hochschullehrer, deren universitäre Karrieren meistens über die Zäsuren der politischen Systembrüche hinausreichen. Auch ihre politischen Einstellungen waren vielfach schon längst ausgeprägt, bevor der Nationalsozialismus die Universitäten zu erobern versuchte. Damit wird auch ein Stück der Universitätsgeschichte der Weimarer Republik dargestellt, die bisher wenig Aufmerksamkeit erfahren hat. Allerdings haben sich die Autoren dieses Bandes bemüht, die Universitätsgeschichte der Weimarer Jahre nicht nur zur bloßen Vorgeschichte des Nationalsozialismus zu verengen, sondern diese in ihrer Pluralität und in ihrem eignen „Recht“ zu behandeln. Dieselbe methodische Verfahrensweise beziehungsweise Vorsicht gilt auch für die Nachkriegszeit der frühen Bundesrepublik, in der die Universität Münster nach ihrer Wiedereröffnung eine bemerkenswerte institutionelle wie disziplinengeschichtliche Aufbau- und Wachstumsphase erlebte. Auch forschungsgeschichtlich vollzog sie nach einer anfänglichen Kontinuität in den Inhalten und Methoden fast überall einen wissenschaftlichen Paradigmenwechsel. Diese Veränderungen können hier nur ansatzweise thematisiert werden. Die zweite Prämisse bezieht sich auf den methodischen Ansatz, auf die Darstellung des Verhältnisses von Wissenschaft und Politik, von Personen und Institutionen zu methodisch-fachlichen Entwicklungen und lebensweltlichen beziehungsweise generationellen Erfahrungen. Auch wenn Personen, das heißt vor allem Ordinarien, das Bild einer Universität in Forschung und Lehre prägen, kann ihr Handeln nicht ohne den staatlich-politischen, den finanziellen und administrativen Handlungsrahmen und ohne die wissenschaftliche Entwicklung der eigenen Disziplin verstanden werden. Aus diesem komplexen Wechselverhältnis von Wis-

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senschaftlern, ihren Institutionen und ihrer Forschung zu Politik und Gesellschaft ergeben sich schließlich Kontinuität und Wandel in der universitären Wissenschaft. Auch wenn Wissenschaft vorrangig als ein sich selbst organisierendes Teilsystem verstanden werden soll, waren Wissenschaft und Politik beziehungsweise Gesellschaft zu keinem Zeitpunkt strikt voneinander getrennt, sondern waren vielfach miteinander vernetzt; sie standen in einem komplexen Verhältnis des Ineinandergreifens. Der Wissenschaftshistoriker Mitchell Ash hat dies als ein Verhältnis der gegenseitigen Ressourcenmobilisierung beschrieben. Ressourcen können in seinem Sinne nicht nur finanzieller, aber auch „kognitiver, apparativer, personeller, institutioneller oder rhetorischer Art sein“.2 Wissenschaftler mobilisieren und erhalten vor allem finanzielle Ressourcen, meistens aus der staatlich-poltischen Sphäre; zu diesen Ressourcen gehören auch außeruniversitäre Institutionen und Funktionsträger in der Region, die die Errichtung und den Ausbau einer Universität unterstützen, die durch vielfältige Formen der personellen Verflechtung den Lehrkörper verstärken. Dieser Faktor wird in der Mehrzahl der neueren Universitätsgeschichte übersehen, war aber gerade für die Aufbau- und Ausbauphase der Westfälischen Wilhelms-Universität, die lange Zeit die Landesuniversität war, von großer Bedeutung. Das Beispiel der Interessen der Region zeigt, welche Rolle Staat und Kommunen, das heißt abgekürzt die Politik, bei der Nutzung von Ressourcen der Wissenschaft spielen. Sie versuchen, völlig legitim, Wissenschaftler und ihre Ressourcen in Gestalt von Entdeckungen, Erkenntnissen und Projekten für ihre Zwecke einzusetzen. Wissenschaftler verstehen sich dabei nicht als bloße Objekte, sondern agieren, auch weil sie sich als intellektuelle Elite definieren, als selbstbewusste Subjekte. Allein darum kommt der Behauptung ihrer wissenschaftlichen Autonomie und ihrer fachlichen Standards große Bedeutung zu. Umgekehrt gehört zur gegenseitigen Mobilisierung von Ressourcen auch die Verschränkung wissenschaftsinterner und der wissenschaftsexterner Faktoren. Die Vernetzung von Wissenschaft und Politik kann dadurch auch inhaltliche Auswirkungen auf die Ausrichtung von Forschung wie auf die Auswahl von förderungsrelevanten Feldern und Methoden haben. Das kann durch gezielte und rationale Förderstrategien umgesetzt werden, aber auch durch massive politisch-staatliche Intervention in den personellen wie in den institutionellen Bereich bis hin zu Zwangsmaßnahmen und der Aufhebung der Wissenschaftsfreiheit. Das Gewicht und die Zusammensetzung der einzelnen Faktoren dieses Ressourcenensembles können sich also mit der Veränderung der politischen Systeme verschieben, und sie geben Auskunft über die Wissenschaftsfreiheit und Wissenschaftspolitik einer politischen Ordnung. Die Wissenschaft selbst kann Bündnisse mit unterschiedlichen politischen Ordnungen und Ideologien eingehen und ist bis zu einem gewissen Grade polyvalent. Aufgabe und Zielrichtung wissenschaftlicher Projekte können durch Selbstanpassung der wissenschaftlichen Akteure wie durch politisch-ideologische Vorgaben einseitig und durch Zwang bestimmt werden. 2

Ash 2002, S. 32.

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Bevorzugtes Mittel der Einflussnahme und des diktatorischen politischen Machtanspruches unter der nationalsozialistischen Diktatur waren (gewaltsame) Veränderungen in den personellen Ressourcen, vor allem durch politische Säuberungen. Sie fanden Anstöße, Unterstützung und Ausführung, wie auch in Münster, durch lokale Parteigänger der Diktatur. Doch gingen die Versuche zur Ideologisierung der Wissenschaft nicht nur von den NS-Machtträgern aus, sondern sie stützten sich auch und ganz wesentlich auf vielfältige Formen der Selbstmobilisierung der Wissenschaft. Darum greift die lange Zeit gängige Erklärung von der „Indienstnahme“ der Wissenschaft durch den Nationalsozialismus zu kurz. Die entsprechenden Vorgänge der Ideologisierung beziehungsweise „Nazifizierung“ vollzogen sich entweder auf der Grundlage einer „inhaltlichen Affinität zwischen Zielen und Methoden von Wissenschaften mit der jeweils vorherrschenden Weltanschauung“3 oder aber auch nur in Form einer Anpassung, weil man nationalsozialistische Ideologeme und Projekte als Chance zur Verwirklichung eigener Forschungsvorhaben nutzen wollte. Sie sind in beiden Fällen Beispiele für eine Selbstmobilisierung beziehungsweise gegenseitige Ressourcenmobilisierung, die am Ende die Abhängigkeit von staatlichen und militärischen Ressourcen so sehr verstärkte, dass die wissenschaftliche Autonomie verloren gehen konnte. Die unterschiedlichen Formen der Verschränkung verdeutlichen darum, dass die Annahme einer einfachen Dichotomie zwischen Wissenschaft und Wahrheit einerseits und Politik, Ideologie und Macht andererseits realitätsfern bleiben muss. Das Modell der Ressourcenmobilisierung geht zwar grundsätzlich von der Eigenlogik und auch der Beharrungskraft der Ressource Wissenschaft aus, wird aber eben auch dem Tatbestand gerecht, dass „wissenschaftliche Ressourcenensembles […] im Prinzip polyvalent“4 sind. Daraus ergibt sich die schwierige Aufgabe, die Übergänge von einem offenen pluralistischen zu einem diktatorischen politischen System durch die Analyse der unterschiedlichen Handlungsfelder und der Verschränkungen der einzelnen Teilsysteme genauer zu erfassen und auch die Handlungsmöglichkeiten der einzelnen Akteure zu bewerten. Verschränkungen und Konflikte im Verhältnis zwischen dem nationalsozialistischen Staat und der Universität, die oft vom einzelnen Wissenschaftler ausgehandelt wurden und auch auszutragen waren, vollzogen sich im Einzelnen auf drei handlungsrelevanten Ebenen, die zu den Grundelementen des Ressourcenensembles gehören:5 auf der „institutionellen Ebene“, auf der Ebene der „Personen- und Statusgruppen“ sowie im Feld der Fachwissenschaften und ihrer Entwicklung. Auf allen drei Ebenen kam es zu mehr oder weniger einschneidenden Veränderungen, die auf politisch-administrativen Druck von außen wie durch Selbstmobilisierung und Selbstanpassung erfolgten. Vergleichbare Handlungsformen und institutionelle Veränderungen lassen sich, in recht unterschiedlicher Ausprägung, an fast allen 3 4 5

Ebd., S. 40. Ebd., S. 35. Diese Systematik folgt dem Konzept von Langewiesche 1997, S. 619f.

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Zwischen Selbstbehauptung und Selbstgleichschaltung

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deutschen Universitäten beobachten, so auch in Münster. Sie sind Gegenstand verschiedener Beiträge in diesem Band und sollen hier nur thesenförmig und zusammenfassend vorgestellt werden. Im Bereich der Institutionen waren die politischen Interventionsmöglichkeiten und totalitären Durchherrschungsabsichten des Nationalsozialismus am größten, aber keineswegs einheitlich ausgerichtet und im Ergebnis nur teilweise veränderungswirksam. Gerade das Neben- und Durcheinander verschiedener nationalsozialistischer Machtapparate sowie die mangelnde Steuerungsfähigkeit nationalsozialistischer Politik, die sich schon bei dem Prozess der Gleichschaltung beobachten ließen, sich aber auch in der Konsolidierungsphase (1935 bis 1938) und der Radikalisierungsphase (1938 bis 1945) in veränderter Form fortsetzten, haben dazu geführt, dass es den NS-Machthabern und ihren Gefolgsleuten vor Ort nur bedingt gelungen ist, die Strukturen und wissenschaftlichen Ziele der Universitäten grundlegend und gleichförmig zu verändern. Es bestand ein Nebeneinander von Beharrung und Veränderung, von politischer Intervention, Verfolgung und Willkür einerseits und von Kontinuität und der Behauptung von Freiräumen andererseits. Auch in Münster wurden die politisch-institutionellen Veränderungen in der Hochschulverfassung in der Phase der „Machtergreifung“ und „Formierung“ (1933/34) durch das Ineinandergreifen von revolutionären Aktivitäten nationalsozialistischer Studenten (dem anfangs wichtigsten Machtfaktor der NSDAP an den Universitäten),6 von Selbstanpassungs- und Machtbedürfnissen einzelner, zuvor bereits politisierter Professoren wie von Erlassen und Dekreten der gleichgeschalteten preußischen Ministerien und von Eingriffen verschiedener, polykratisch gegen- und miteinander agierender NS-Machtträger vom Gauleiter bis zum Dozentenbundführer vorangetrieben.7 Die Bereitschaft zur Hinnahme oder Unterstützung der Akte der Gewalt und der Zustimmung erklärt sich für die Mehrheit der Professoren, ob in Münster oder anderswo, aus ihrer Abneigung gegen die Weimarer Republik und aus ihrer deutsch-nationalen politischen Grundhaltung. Nach den Jahren der nationalen Niederlagen und Krisen ließ man sich vom Pathos des „nationalen Aufbruchs“ vom Frühjahr 1933 hinreißen und bekundete auch öffentlich, durch Kundgebungen, zum Beispiel bei einer „Weihestunde“ der Universität Münster aus Anlass der Eröffnung des Reichtags in Potsdam am 21. März 1933,8 durch Unterschriftenlisten9 und durch Parteieintritte, die Zustimmung zu den Zielen des Nationalsozialismus. Auch an der Universität Münster herrschte im Frühjahr und Sommer 1933, in einem gewissen Unterschied zur katholischen städtischen Gesellschaft, eine nationalistisch beziehungsweise nationalsozialistisch aufgeladene, aggressive

6 7 8 9

Dazu Grüttner 1995. Dazu Grüttner 2003, S. 73ff. Chronik 1933, Weihestunde zum 21. März 1933: „Machtvolles Bekenntnis der Westfälischen Wilhelms-Universität zur Regierung Hitler“. UAMs, Bestand 4, Nr. 1033; zit, bei Heiber 1992, S. 20.

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Stimmung.10 Gerüchte gingen durch die Stadt von „einer geheimen Kommission von Professoren und Studenten auf der Gauleitung, die alle Entscheidungen über Entlassungen zu fällen hätte.“11 Tatsächlich handelte es sich um die vom Gauleiter eingesetzte „Kommission in Fragen der Gleichschaltung an der Universität Münster“, die unter Leitung des Orientalisten Professor Anton Baumstark stand und sichtbarer Ausdruck der Kollaborationsbereitschaft einiger Wissenschaftler, aber auch eines völlig unkoordinierten, von einem Neben- und Durcheinander geprägten Verhältnisses zum Rektor und Kurator der Universität war. Einschneidendes Ergebnis waren schließlich die personalpolitischen Eingriffe, die von der „Baumstark-Kommission“ gefordert und mit dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ legitimiert wurden beziehungsweise ihren ersten Höhepunkt fanden. Damit wurden personelle Ressourcen aufgegeben und Biographien zerstört. Mit ihrer Begründung und ihrer scheinbar rechtsförmigen Durchführung kam das Gesetz dem Selbstverständnis vieler Professoren entgegen und stieß auch darum kaum auf offenen Protest. In Münster wurden insgesamt 28 Professoren entlassen, das waren 11,9 Prozent der insgesamt 218 Angehörigen des Lehrkörpers. Neunzehn waren Opfer der Rassenideologie; andere, meist politische Gründe wurden für sieben Entlassungen angeführt.12 In den Suizid getrieben wurden, ohne dass ein unmittelbarerer Zusammenhang mit den Entlassungen erkennbar ist, in den Jahren 1933/34 zwei weitere Ordinarien aus der Medizinischen Fakultät. Auch die Besetzung der Universitätsleitung war Ergebnis des Machtanspruchs und zugleich eines Kompetenzgerangels von NS-Machtträgern im Bündnis mit einigen nationalsozialistischen Parteigängern und anderen kooperationswilligen Professoren. Mit der vom Gauleiter forcierten „Wahl“ des neuen Rektors, des „Vertrauensmannes der NSDAP für die Provinz Westfalen“, des Juristen Professor Hubert Naendrup, durch einen neu zusammengesetzten Senat im Mai 1933 begannen die institutionelle Selbstauslieferung und die politisch gesteuerte Gleichschaltung, die die universitäre Selbstverwaltung zerstören sollte. Auch wenn der neue Rektor Naendrup seine Rektorats-„Übernahme“ und die übrigen politischen Eingriffe bei der Rektoratsübergabe 1935 als Ende einer „liberalistischen Wissenschaft“ und als Beginn einer „neuen Zeit“ darstellte, sollten hochschul- und wissenschaftspolitischer Anspruch und Wirklichkeit nach der Konsolidierung des NS-Regimes auch in Münster wie anderswo auseinanderklaffen. Die Macht der offiziell zu „Führern“ der Universität avancierten Rektoren blieb durch verschiedene parteiamtliche „Nebenregierungen“ und durch die Beharrungskräfte universitärer Tradition einge10 11 12

Marshall 1972, S. 179. Behnke 1978, S. 120. Dazu die Berechnungen von Grüttner/Kinas 2007, S. 182–184. Diese Aufstellung korrigiert und erweitert Berechnungen der Universität Münster von 2001. Mit der Entlassungsquote von 11,0 Prozent lag die Universität im mittleren Bereich der Entlassungen, an deren Spitze die Universität Frankfurt mit 36,5 Prozent, an deren Ende die Universität Tübingen mit 4 Prozent lag, was freilich nur andeutet, dass man schon vor 1933 in Tübingen kaum jüdische Professoren eingestellt hatte.

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schränkt. Ähnlich intern umkämpft war die Ernennung des neuen (erstmals hauptamtlichen) Kurators Curt Beyer, der bis dahin NS-Gaupersonalamtsleiter war und 1937 als einziger Parteifunktionär in eine solche traditionelle Verwaltungsstelle gelangte, um den Einfluss der NS-Partei auf die Universität zu stärken. Begründet wurde diese Entscheidung mit dem angeblich nach wie vor starken Einfluss des Katholizismus in der Universität Münster, den man einschränken müsse. Auch wenn dieses Argument oft einen instrumentellen Charakter besaß, um eigene Macht- und Personalansprüche durchsetzen zu können, mit der Entscheidung für den in Verwaltungsangelegenheiten unerfahrenen Kurator Beyer verstärkte sich der Einfluss von Gauleitung und NS-Dozentenbund auf die Personalpolitik. Innerhalb der Universität hatten die einzelnen Personen- und Statusgruppen sehr „unterschiedliche Chancen zur persönlichen wie zur institutionellen Selbstbehauptung“.13 Auch ihre Interessen waren verschieden. Mitwirkungsrechte hatten, wie schon in der Weimarer Republik, auch nach 1933 zunächst nur die Ordinarien. Sie waren vor allem um die Erhaltung der überlieferten Institutionen, ihrer korporativen Rechte und Verhaltensnormen bemüht und mussten im NS-Staat eine Bedrohung oder zumindest eine partielle Einschränkung ihrer herkömmlichen Machtpositionen durch die staatlichen und parteiamtlichen Einflussnahmen auf die Hochschulselbstverwaltungen erleben. Darum waren, auch in Münster, unter den neuen NSDAP-Mitgliedern vor allem Assistenten, Privatdozenten und außerordentliche Professoren, die sich durch die Versprechungen nationalsozialistischer Hochschulpolitik angezogen, aber vielfach wohl bald auch enttäuscht fühlten. Die hochschulpolitischen NS-Funktionäre, die sich aus dem wissenschaftlichen Nachwuchs rekrutierten, traten zunächst ganz bewusst als „Interessenvertretung des nichtetablierten Nachwuchses gegen die Ordinarien auf“.14 Seit 1933 wurden alle Karrierestufen innerhalb der Universität zusätzlich zur wissenschaftlichen Qualifikation mit einer politischen Überprüfung verknüpft. Das galt für Berufungen wie für die Einstellung von Assistenten bis hin zur Genehmigung von Auslandsreisen. Primär politische Berufungen oder Versetzungen, für die es auch in Münster einige Beispiele gab, waren jedoch nicht die Regel. Auch wenn die Münsterschen Rektorate in der NS-Zeit die politische Ausrichtung oder Politisierung von Forschung und Lehre im Sinne des Nationalsozialismus unterstützten und auf die Anschlussfähigkeit der Themen von Forschung und Lehre an die nationalsozialistische Ideologie drängten, versuchte man bei Berufungen die wissenschaftlichen Standards zu achten und Dozenten, die nicht zur scientific community gehörten oder sehr umstritten waren, fernzuhalten. Allenfalls bei Lehraufträgen konnte sich der Primat der Politik deutlicher durchsetzen. Eine deutliche Verstärkung der Politisierung begann mit dem Krieg und der allgemeinen Radikalisierung des Regimes. Nun (1941) war man auch in Münster bereit, später als an vielen anderen Universitäten, einen Lehrstuhl für Rassenhygiene und Erbbiolo13 14

Langewiesche 1997, S. 620. Grüttner 2003, S. 76.

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gie einzurichten, weil auch die Universitätsleitung und Gauleitung schließlich von der mangelnden Qualität der dazu bisher, vor allem von dem Mediziner Professor Kurz, angebotenen Vorlesungen zur Rassenkunde überzeugt waren. Unter dem Eindruck, dass „politische Zuverlässigkeit“, demonstriert durch die Mitgliedschaft in der NSDAP und/oder einer ihrer Gliederungen, Voraussetzung waren, um eine dauerhafte Position in dem Wissenschaftsbetrieb der Universitäten zu erwerben, haben die meisten Nachwuchskräfte, aber auch etablierte Professoren, wie das Beispiel des Münsterschen Hygiene-Ordinarius Jötten beweist, sich um die Parteimitgliedschaft bemüht. Umgekehrt sagt aber eine Parteimitgliedschaft allein nichts über die Affinität eines Wissenschaftlers zum Nationalsozialismus aus. Seit Februar 1939 konnte nur noch Beamter werden, wer Mitglied in der Partei oder einer ihrer Gliederungen war. Aber auch für diese Regel gab es unter den Bedingungen der nationalsozialistischen Polykratie und ihrer Nischen Ausnahmen, wie die Berufung des Historikers Tellenbach zeigt. Trotz dieser Ausnahmen hatte die Zahl der Parteimitglieder unter den Professoren und Dozenten, vor allem unter den jüngeren, seit der Wiederöffnung der Parteimitgliedschaft 1937 aus den unterschiedlichsten Gründen, vorwiegend durch Zwang und Anpassung, zugenommen. In der Endphase des Regimes waren insgesamt zwei Drittel der Hochschullehrer Mitglieder der NSDAP.15 In Münster waren nach einer – unvollständigen – Aufstellung, die kurz nach dem Ende des NS-Regimes angefertigt wurde, 88 Professoren „in der Partei“ und 42 nicht; unter den Dozenten waren 30 Parteimitglieder und sieben Nicht-Mitglieder.16 So vielschichtig und widersprüchlich das Bild schon auf der institutionellen und personellen Ebene war, umso komplexer war die Gemengelage der Verhaltensformen im Feld der Fachwissenschaft. Wie man aus fachwissenschaftlicher Perspektive auf den Nationalsozialismus reagierte, lag nicht nur in der Verantwortung jedes einzelnen Professors, sondern war auch eine Antwort auf die Frage, was man überhaupt unter einer nationalsozialistischen Hochschulpolitik17 beziehungsweise Wissenschaftskonzeption verstehen konnte und sollte. Denn diese war abgesehen von einigen ideologischen Kernelementen, wie der Rassenideologie und einer „völkischen“ Geschichts- und Gesellschaftsvorstellung, ausgesprochen diffus und anpassungsfähig. Dementsprechend vielschichtig und widersprüchlich war das Verhalten der Wissenschaftler. Neben Beispielen für eine methodisch-konzeptionelle Anpassung, die nicht ohne Verletzung fachwissenschaftlicher Standards abging, gab es Formen einer Selbstanpassung, die die Forschung und Lehre auf Ziele und Interessen des NS-Regimes ausrichteten, ohne dabei die fachlichen Normen aufzugeben. Das konnte durch mehr oder weniger äußerliche Anpassungen vom Vorwort einer Publikation bis zur rein instrumentellen Mitwirkung an einem Projekt des Regimes 15 16 17

Grüttner 1995, S. 84. Zitiert bei Heiber 1994, S. 701. Heiber weist selbst auf die Unzuverlässigkeit dieser Angaben hin; andere existieren jedoch bisher nicht. Dazu Grüttner 2003, S. 77ff.; Hausmann 2011.

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geschehen. Entscheidend für Ausmaß und Konsequenzen dieser Selbstanpassung war auch der Zeitpunkt, an dem man Wissenschaft in den Dienst des Nationalsozialismus stellte, denn allmählich erkannten auch die NS-Machtträger, dass die Anpassung beziehungsweise Gleichschaltung durch Ideologisierung die fachwissenschaftliche Leistungsfähigkeit und Akzeptanz gefährden konnten. Eng damit verzahnt ist die dritte Ebene, das Verhalten der „Personen- und Statusgruppen“. Sie war und ist besonders spektakulär und relevant, aber auch im Einzelfall oft voller Widersprüche und Ambiguitäten. Personen spielen darum auch in den Beiträgen dieses Bandes eine herausragende Rolle, auch wenn grundsätzlich die Verflechtung mit den beiden anderen Ebenen gilt und in der Regel auch Beachtung findet. In dem Spektrum der verschiedenen Verhaltensformen, die sich zwischen „Selbstgleichschaltung“ und „Selbstbehauptung“ bewegen, hat Dieter Langewiesche für die Universität Tübingen vier idealtypische Formen der „Selbstgleichschaltung“ herausgestellt, die sich auch an den meisten anderen deutschen Universitäten und auch in Münster beobachten lassen. Langewiesche beschreibt – erstens – die „fachwissenschaftliche und institutionelle Selbstbehauptung durch Distanz zur Politik“, zweitens die „illusionäre Selbstgleichschaltung“, drittens eine „nachholende Selbstgleichschaltung“ und schließlich viertens den „Typus identifizierender Selbstgleichschaltung durch fachwissenschaftliche Vorausplanung nationalsozialistischer Programme und Praxis“.18 Zum ersten und vielfach anzutreffenden Verhaltensmuster gehörte die Fortführung eigener Forschungsansätze und Themen der Lehrveranstaltung ohne jede Verbeugung vor den neuen Machthabern. Damit war zugleich jenes mehrheitliches Verhalten markiert, das neben aller Selbstanpassung dazu beigetragen hat, die Universität fachwissenschaftlich und auch institutionell nicht vollständig dem nationalsozialistischen totalen Durchherrschungsanspruch auszuliefern. Das bedeutet nicht, dass die Mehrheit dieser Professoren und Dozenten nicht gleichzeitig eine meist deutsch-nationale und autoritäre Grundeinstellung besaß, die die Diskrepanz zu den vom Regime postulierten Verhaltensnormen nicht allzu groß erschienen ließ. Ebenso kooperationsfördernd wirkte auch die Illusion des „nationalen Aufbruchs“ und der Herstellung der „nationalen Volksgemeinschaft“ durch die NS-Herrschaft, die die Mehrheit von ihnen ebenfalls teilte. Was man sich wünschte, war die Fortsetzung der überkommenen wissenschaftlichen Arbeit in einem veränderten, „nationalen Staat“. Aber auch versteckte Kritik und unzeitgemäße Reden konnten darin einbeschlossen sein, vor allem aber die Verteidigung der akademischen Tradition und der Wissenschaftlichkeit. Sehr viel weiter gingen diejenigen, deren Verhalten sich vor allem in den Jahren 1933/34 unter dem Schlagwort der „illusionären Selbstgleichschaltung“ subsumieren lässt. Ihre Bereitschaft zur institutionellen Selbstgleichschaltung resultierte aus der Illusion, der Nationalsozialismus und sein „neuer“ Staat verkörperten eine Synthese von „nationaler Tradition“ und völkisch-nationalsozialistischem Denken. Sie wollten den Nationalsozialismus als die Vollendung der deutschen National18

Ebd., S. 622–636.

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geschichte beziehungsweise als Revision der bisherigen politisch-ökonomischen Fehlentwicklungen verstehen und sahen in ihrer Anpassung zugleich die Chance, die wissenschaftliche Autonomie zu behaupten. Der dritte Typus der „nachholenden Selbstgleichschaltung“ war durch ähnliche Argumentationsmuster gekennzeichnet wie das Verhalten derer, die ihre Selbstgleichschaltung primär aus illusionären Erwartungen ableiteten; doch ist ihre Bereitschaft, sich und ihre Wissenschaft in den Dienst des neuen Staates zu stellen, sehr viel weitergehender und unbedingter. Sie sehen im Nationalsozialismus den Anbruch einer neuen Zeit und einer neuen Ordnung, die das verwirklichen könnte, was man sich schon immer erhofft und erdacht hatte. Darum stellte man sich in den Dienst der nationalsozialistischen „Rassenhygiene“ und Sterilisationsgesetze, auch um vor allem die eigene Karriere zu fördern. Noch entschiedener war die Unterstützung und Mitwirkung derjenigen, die dem vierten Typus zurechenbar sind und die Einfluss auf die nationalsozialistische Wissenschaftspolitik nehmen wollten beziehungsweise sich der Praxis der NSRassenpolitik bedingungslos andienten. Sie bildeten in Münster wie auch anderswo eine Minderheit, auch wenn sich ihnen unter den Bedingungen von Krieg und Radikalisierung neue Möglichkeiten der Anerkennung und Existenzerweiterung boten. Wenig oder gar nichts wissen wir über verdeckte oder gar offene Widersetzlichkeit, die über das Beharren auf überkommenen Normen und eine entschlossene Selbstbehauptung hinausging. Wenn dies zutraf, dann konnte es sich unter den Bedingungen des NS-Regimes, das auf Konsens und Zwang basierte, nur in dem Verhalten Einzelner erweisen. „Als Institution und als Korporation“ hat die Universität dazu „die Kraft und den Willen nicht aufgebracht“.19 Was aber die Universitäten, und auch die Westfälische Wilhelms-Universität, mit ihrem Anspruch auf Einhaltung wissenschaftlicher Standards wie mit ihrer Beharrungskraft und einem ihnen eigenen Trägheitsmoment, das auf die Beibehaltung des Überkommenen ausgerichtet war, von Fall zu Fall bewirkten, war die Begrenzung des Totalitätsanspruches des Nationalsozialismus in der wissenschaftlichen Praxis. Beispiele für diese unterschiedlichen Verhaltensformen und fachwissenschaftliche Positionierung finden sich in den einzelnen Beiträgen in diesem Band. Sie demonstrieren die Bedeutung sowohl von Untersuchungen zur Entwicklung und Positionierung von einzelnen Fachwissenschaften und Fakultäten wie von Wissenschaftlerbiographien. Wenn für beide Themenfelder und Darstellungsformen hier nur ausgewählte Falluntersuchungen vorgelegt werden, dann hat dies mit dem vorgegebenen Umfang eines solchen Bandes und der Bereitschaft beziehungsweise der Möglichkeit zur Mitarbeit von hinreichend erfahrenen und qualifizierten Autoren zu tun. Als Autoren konnten die Herausgeber ausgewiesene Fachwissenschaftler wie Doktoranden gewinnen. Sie kommen weit überwiegend aus den Geistes- und Sozialwissenschaften, aber auch aus der Naturwissenschaft. Das führt zu unterschiedlichen methodischen Vorgehensweisen und beeinträchtigt gelegentlich die 19

So das zutreffende Urteil von Langewiesche 1997, S. 646.

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konzeptionelle Homogenität des Bandes. Das ist ein Preis, den fast alle Sammelbände vergleichbarer Art entrichten müssen. Wenn bedauerlicherweise nicht alle Fächer in dem Band behandelt werden, so hat das zwei Gründe: einmal ließen sich nicht immer kompetente Autoren finden, andererseits liegen in einzelnen Fällen bereits neuere Einzeluntersuchungen vor.20 Gleichwohl erlaubt die Fülle der Beiträge und Aspekte ein vorsichtiges Urteil über die Rolle der Universität Münster und das Verhalten ihrer Professoren und Studierenden in der NS-Zeit. Sicherlich wird man nicht behaupten können, dass das katholische Umfeld der Universität oder gar ihr „katholischer Charakter“ dazu geführt hätten, dass hier vieles von dem, was man in Großstadtuniversitäten oder in dezidiert „braunen“ Universitäten beobachten konnte, sehr viel moderater oder nur in stark abgeschwächter Form verlaufen wäre. Dazu gab es zu viele Fälle von Selbstanpassung und Selbstgleichschaltung, zu viele Entlassungen, parteipolitische Interventionen und Ideologisierungsversuche. Wenn sie teilweise abgebremst wurden, dann lag das an denselben Beharrungskräften und Trägheitsmomenten, die auch für andere Universitäten und wissenschaftliche Institutionen gelten. Noch weniger trifft das – sehr viel seltener – zu findende Urteil zu, nach dem es sich bei der Universität Münster um eine ausgesprochen nationalsozialistische Universität gehandelt habe. Dazu war man zu zurückhaltend bei der Einführung neuer, ausschließlich politisch-ideologisch ausgerichteter Lehrstühle oder Lehrinhalte. Zwar gibt es vereinzelte Belege für die Mitwirkung an nationalsozialistischer Weltanschauungsund Unrechtsaktionen, aber zu einer ausgeprägten und breiten Beteiligung an der nationalsozialistischen Expansions- und Vernichtungspolitik kam es offenbar nicht. Es gilt vielmehr die begründete Beobachtung, dass sich die Universität Münster in ihrer institutionellen, personellen und fachwissenschaftlichen Entwicklung während der NS-Zeit in dem damals üblichen Rahmen bewegte und dass das Verhalten ihrer Wissenschaftler dem Durchschnittsverhalten entsprach. Man könnte versucht sein, diese Entwicklung und dieses Verhalten als „normal“ zu bezeichnen. Doch haben die Formen der Selbstanpassung und Selbstgleichschaltung zu deutlichen Verlusten an wissenschaftlicher Autonomie und zu einer Selbstgefährdung geführt, die zwar auch anderswo zu beobachten sind, die aber eben doch universitäre Traditionen und ein humanitäres Selbstverständnis infrage gestellt haben. Was für große Teile der deutschen Gesellschaft und für ihre Funktionseliten gilt, gilt auch für die Universitäten. Ihre Verstrickungen in die NS-Herrschaft und in die Praxis der nationalsozialistischen „Volksgemeinschaft“ sollte das Weiterbestehen nach dem Ende des NS-Regimes und den Neubeginn aufs Schwerste und sehr lange belasten. Das war die Folge der von Selbstanpassung und Selbstgleichschaltung beziehungsweise Zustimmung und Mitwirkung getragenen Herrschaftspolitik, unter die man keinen einfachen Schlussstrich ziehen konnte. Das erschwerte eine Auseinandersetzung mit und die Abkehr von einer Vergangenheit, die nicht nur viele Biographien bestimmt und teilweise belastet hatte. Zwar versuchte man den 20

Beispielsweise Pilger 2004; Schmitz/Elstrodt 2008.

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notwendigen Neubeginn, indem man sich von dieser Vergangenheit appellativ-normativ und institutionell distanzierte, aber man konnte und wollte sich davon sozial und individuell kaum trennen, waren doch noch kurz zuvor Konsens und Loyalität zum NS-Regime zu breit ausgeprägt. Bei allem Bedürfnis nach Neubeginn gab es allein aus Gründen des Überlebens ein deutliches Bedürfnis nach Kontinuität und einem kollektiven Beschweigen der gesellschaftlichen und individuellen Belastungen und Verstrickungen. Für die Universitäten – in den Westzonen und in der frühen Bundesrepublik – bedeutete das, dass nach einer kurzen Phase der Entlassungen und der Entnazifizierung das Bedürfnis nach Wiederherstellung einer von allen vermeintlichen „Schlacken“ und Auswüchsen der NS-Zeit gereinigten Tradition übergroß war. Damit ließen sich vor allem Wiedereinstellungen beziehungsweise Rehabilitierungen rechtfertigen, die von wenigen Ausnahmen abgesehen eine Wiederherstellung beziehungsweise Fortführung von Beschäftigungsverhältnissen und personellen Kontinuitäten erlaubten. Das konnte, wie auch in Münster geschehen, zur Aufnahme von Wissenschaftlern führen, die durch ihre bisherige Tätigkeit in für das NSRegime besonders relevanten Forschungseinrichtungen sowie in deutschen Universitäten in besetzten Gebieten in stärkerem Maße politisch belastet waren als die meisten der Professoren, die bislang in Münster gelehrt hatten. So bildete sich in der Medizinischen Fakultät in den 1950er-Jahren ein ganzes Netzwerk von politisch belasteten Professoren aus, die in der Nachkriegszeit nach Münster gekommen waren. Man hat lange und fast bis heute darüber gestritten, ob die Form der „Aufarbeitung“ der NS-Vergangenheit durch ein kollektives Beschweigen oder eine widersprüchliche und allenfalls halbherzige Praxis der Entnazifizierung, die am Ende fast alle zu bloßen „Mitläufern“ machte, ohne Alternative war und den Neubeginn belasten musste. Wie auch immer das Urteil darüber ausfällt, es ist bemerkenswert, wie erfolgreich, wenn auch steinig und teilweise skandalträchtig der anschließende Prozess der Normalisierung und auch der Anpassung an beziehungsweise der Integration in eine demokratische und pluralistische Verfassung verlaufen ist. Für die Universitäten bedeutete der institutionelle Neubeginn zunächst auch eine tendenzielle Restauration. Das war eine konstruierte Kontinuität, die mit der Wirklichkeit der Universitäten in der NS-Zeit wenig gemeinsam hatte. Man versuchte, auch in Münster, in der Wiederaufbauphase von 1945 bis in die 1950er-Jahre hinein dort anzuknüpfen beziehungsweise weiter zu machen wo man meinte, 1933 zur Aufgabe gezwungen worden zu sein. Bei aller Unvollkommenheit und Unzulänglichkeit dieser Abkehr von einer mitunter intensiven Mitwirkung in der nationalsozialistischen Konsensdiktatur hat sich die anfängliche Konzentration auf eine normative und institutionelle Abkehr von der nationalsozialistischen Vergangenheit und der beschriebenen Selbstverstrickung der Vielen als gangbarer, wenn auch mitunter anstößiger und skandalreicher Weg zur Integration der Zeitgenossen und Mitträger des NS-Systems in die „Staatsbürgergesellschaft“21 und auch in die er21

Dazu grundsätzlich Lübbe 1983.

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neuerte Wissenschaftslandschaft der Bundesrepublik erwiesen. Aus der Perspektive der Wissenschaftsgeschichte bedeuteten die institutionellen Neukonstruktionen und rhetorischen Anpassungen der Nachkriegszeit, hinter denen sich zunächst alte Lehr- und Forschungsstrukturen verbargen, eine Veränderung in dem Ressourcenensemble, indem die Autonomie der Teilsysteme wiederhergestellt und auf eine demokratische Legitimationsgrundlage gestellt wurden. Das beförderte auch die Integration und die Anpassung derer, die sich in einem widersprüchlichen Akt der Selbstanpassung und Selbstgleichschaltung der NS-Politik angedient hatten und die beim Wiederaufbau zunächst versucht hatten, alte Seilschaften und Netzwerke wieder aufleben zu lassen und ihre berufliche Kontinuität trotz aller Verstrickungen aufrecht zu erhalten, ohne ein selbstkritisches Wort über die eigene Vergangenheit zu verlieren. Dass dieser fragwürdige Anpassungsprozess im Großen und Ganzen dennoch funktionierte, hatte auch mit den veränderten Rahmenbedingungen für den Neubeginn zu tun. Nicht nur der Wille zum Wiederaufbau dominierte, sondern auch, im Unterschied zur ersten Nachkriegszeit nach 1918, die Bereitschaft zur Akzeptanz der neuen demokratischen politischen und gesellschaftlichen Verfassung. Dazu gehörte auch die Bereitschaft, sich schrittweise auf den internationalen Wandel wissenschaftlicher Paradigmen einzulassen, vor der sich auch die deutsche Wissenschaft, in den Natur- wie in den Geisteswissenschaften nicht mehr verschließen konnte und wollte. Die Herausgeber danken all denen, die den Anstoß zu diesem Band gegeben haben und schließlich zu seinem Gelingen beigetragen haben. Dazu gehört in erster Linie die Rektorin der Westfälischen Wilhelms- Universität, Frau Professor Dr. Ursula Nelles, die die Bildung einer Kommission zur Aufarbeitung der Geschichte der Universität Münster in der NS-Zeit angeregt und für die Finanzierung der Mitarbeiterstellen wie den Druckkostenzuschuss für die Publikation gesorgt hat. Dazu gehören vor allem die Autoren, die sich zur Mitarbeit bereit gefunden haben und die sich teilweise auf neue Themenfelder eingelassen haben. Ferner die übrigen Mitglieder der vom Rektorat eingesetzten Kommission, die die Entstehung des Bandes kritisch begleitet haben. Die Suwelack-Stiftung hat mit ihrer großzügigen finanziellen Förderung vor allem die Archivreisen der Mitarbeiter ermöglicht. Die beiden Mitherausgeber, Dr. Daniel Droste und Dr. Sabine Happ, haben nicht nur eigene Beiträge beigesteuert, sondern auch die redaktionelle Bearbeitung und letzte Kontrolle der Manuskripte übernommen. Ein ebenso großer Dank gilt den Leitern und Mitarbeitern der Münsterschen Archive, dem Universitätsarchiv, dem Landesarchiv NRW und dem Stadtarchiv, für ihre Unterstützung der Materialrecherche und ihre Beratung der Autoren und Mitarbeiter. Für die gute Betreuung durch den Aschendorff Verlag möchten wir uns bei Herrn Dr. Burkhard Beyer bedanken.

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Literatur Ash, Mitchell, Wissenschaft und Politik als Ressourcen für einander, in: vom Bruch, Rüdiger/Kaderas, Brigitte (Hg.), Wissenschaften und Wissenschaftspolitik. Bestandsaufnahmen zu Formationen, Brüchen und Kontinuitäten im Deutschland des 20. Jahrhundert, Stuttgart 2002, S. 32–51. Behnke, Heinrich, Semesterberichte. Ein Leben an deutschen Universitäten im Wandel der Zeit, Göttingen 1978. Chronik der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster 1933. Grüttner, Michael, Studenten im Dritten Reich, Paderborn 1995. Grüttner, Michael, Die deutschen Universitäten unter dem Hakenkreuz, in: Connelly, John/Grüttner, Michael (Hg.), Universitäten in den Diktaturen des 20. Jahrhunderts. Zwischen Autonomie und Anpassung, Paderborn, München, Wien 2003, S. 67–100. Grüttner, Michael/ Kinas, Sven, Die Vertreibung von Wissenschaftlern aus den deutschen Universitäten 1933–1945, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 55 (2007), S.123–186. Hausmann, Frank-Rutger, Die Geisteswissenschaften im „Dritten Reich“, Frankfurt a. M. 2011. Heiber, Helmut, Universitäten unterm Hakenkreuz, Teil 2: Die Kapitulation der hohen Schulen. Das Jahr 1933 und seine Themen, Bd. 1, München 1992, Bd. 2, München 1994. Langewiesche, Dieter, Die Universität Tübingen in der Zeit des Nationalsozialismus: Formen der Selbstgleichschaltung und Selbstbehauptung, in: Geschichte und Gesellschaft 23 (1997), S. 618–646. Lübbe, Hermann, Der Nationalsozialismus im deutschen Nachkriegsbewusstsein, in: Historische Zeitschrift 236 (1983), S. 579–599 Marshall, Barbara, The Political Development of German University Towns, Phil. Diss. (masch.) London 1972. Pilger, Andreas, Germanistik an der Universität Münster. Von den Anfängen um 1800 bis in die Zeit der frühen Bundesrepublik, Heidelberg 2004. Schmitz, Norbert/Elstrodt, Jürgen, Geschichte der Mathematik an der Universität Münster, Teil 1: 1773–1945, Münster 2008.

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Teil 1: Die Universität als Institution

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Rektor und Kurator der Universität Münster Führertum zwischen Anspruch und Wirklichkeit Über die Zusammenarbeit zwischen Rektor und Kurator an deutschen Universitäten gibt es bis jetzt nur wenige Arbeiten. So finden sich zum Beispiel in der Berliner1 und der Kieler2 Universitätsgeschichte zwar Untersuchungen zu den Rektoren der jeweiligen Universitäten im Nationalsozialismus, diesen liegt aber lediglich die Frage nach der Bedeutung des „Führerrektors“ zugrunde, während die Rolle des Kurators weitestgehend ausgespart wird. Auch wenn diese einseitige Fokussierung auf den Rektor für die Beantwortung der Frage nach der Zusammenarbeit der beiden Verwaltungsspitzen nicht ausreichend ist, so bleibt der Ansatz als solcher sicherlich sinnvoll, da mit seiner Hilfe dargestellt werden kann, ob und wie stark der Rektor für maßgebliche Entscheidungen an seiner Universität verantwortlich war. Um aber, nach dem Ansatz von Mitchell G. Ash, zeigen zu können, wie sehr sich eine Universität im Zuge der gegenseitigen „Ressourcenmobilisierung“ den staatlichen Institutionen zur Verfügung gestellt hat,3 muss die Analyse der Rolle der Verantwortlichen an den Preußischen Universitäten um die Person des Kurators erweitert werden. Er verfügte als Leiter der staatlichen Verwaltung über weitreichende Befugnisse, die es ihm ermöglichten, großen Einfluss auf das Geschehen an seiner Universität auszuüben. Die Universitäten Jena4 und Bonn5 haben sich in ihren Untersuchungen zur Universitätsgeschichte zwar mit dem Amt des Kurators auseinandergesetzt, dennoch greifen auch diese Ansätze zu kurz. In Jena endet die Untersuchung mit der Absetzung des dortigen Kurators Carl August Emge im Dezember 1933. Die Arbeit aus Bonn thematisiert schwerpunktmäßig die Schwierigkeiten, einen geeigneten Kurator zusammen mit unterschiedlichen Interessensgruppen wie zum Beispiel verschiedenen Ministerien und lokalen NS-Organisationen zu finden. Die von Helmut Heiber in seinen Werken zur Universität unter dem Hakenkreuz6 getroffenen Aussagen über die Zusammenarbeit der beiden Ämter sind in erster Linie narrativ und bleiben auch in ihrer Analyse eher oberflächlich. Dass dieses Thema aber 1 2 3 4 5 6

Jahr 2005. Mish 2009. Ash 2002. John/Stutz 2009. Höpfner 1999. Heiber 1991 und 1994.

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durchaus einer genaueren Untersuchung bedarf, belegen die kontroversen zeitgenössischen Diskussionen, die um das Amt des Kurators geführt wurden. Bereits seit 1849 hatte es Widerstände gegen das Amt des Kurators, welches als Aufsichtsorgan des Staates an den Hochschulen seinen Anfang genommen hatte, an den preußischen Universitäten gegeben.7 Im Zuge der Reformbemühungen des Hochschulwesens in den 1920er-Jahren kamen dann an den preußischen Universitäten ernsthafte Überlegungen auf, das Amt gänzlich abzuschaffen. Die Universitäten sahen in der Person des Kurators eine „Überwachung der Universitäten im Dienste der politischen Reaktion“8 und wollten sich von dieser „nicht würdigen Bevormundung“9 befreien. Umgesetzt wurden diese Überlegungen jedoch nicht, weil es zu keiner Einigung über mögliche Alternativen kam. Im Nationalsozialismus verschärfte sich diese Debatte erneut durch die „Richtlinien zur Vereinfachung der Hochschulverwaltung“.10 Das Amt des Rektors hatte durch sie eine umfassende Neuausrichtung erfahren. Die Tatsache, dass der Rektor nun der „Führer“ der Universität sein sollte, führte im universitären Alltag zu unklaren Verhältnissen im Bezug auf die Machtbefugnisse und Kompetenzen der Kuratoren im Verhältnis zum „Führerrektor“. Auch auf den Rektoren- und Kuratorenkonferenzen während des Nationalsozialismus wurde dieses Thema regelmäßig thematisiert. Eine Lösung des Problems konnte indes wieder nicht gefunden werden.11 In der Nachkriegszeit schließlich kam es vor dem Hintergrund der Neugestaltung des universitären Lebens erneut zu wiederholten Diskussionen über die Bedeutung und die Relevanz des Kurators, die sich auch in einer Vielzahl von wissenschaftlichen Publikationen widerspiegelte. Das Vorgehen der einzelnen Universitäten unterschied sich dabei stark voneinander. So schafften die Universitäten Bonn und Marburg das Amt des Kurators nach dem Krieg ab.12 In anderen Universitätsstädten wurde es in modifizierter Form beibehalten.13 In Münster fiel die endgültige Entscheidung in dieser Frage erst 1970, als die alte Kuratorialverfassung, die 1960 noch eine Überarbeitung erfahren hatte, abgeschafft wurde und der ehemalige Kurator Oswald Freiherr von Fürstenberg zum Kanzler der Westfälischen Wilhelms-Universität ernannt wurde.14

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Siehe dazu: Pleyer 1955, S. 108. UAMs, Bestand 4, Nr. 175, Stellungnahme der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn zur Beseitigung der Kuratorenstelle, 7.4.1919. Ebd. UAMs, Bestand 4, Nr. 2. BAB, R 4901, 703, 706 und 707. Kluge 1958, S. 102. Dabei orientierte man sich an den Erfahrungen mit den Kuratorien an den Stiftsuniversitäten Frankfurt a. M. und Köln. Dort war der Kurator Vorsitzender eines „Großen Rates“, der gemeinsam für die Beschlussfassung grundsätzlicher Angelegenheiten in der Verwaltung der Universität verantwortlich war. Siehe dazu: Thieme 1956, S. 161. Triebold 1980, S. 97.

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Unter Berücksichtigung der für Münster spezifischen Strukturen soll in diesem Beitrag das Verhältnis zwischen Rektor und Kurator der Westfälischen WilhelmsUniversität von den frühen 1920er- bis in die 1950er-Jahre mit einer Schwerpunktsetzung auf die Zeit des Nationalsozialismus untersucht werden. Dazu sollen zunächst die Rollenverteilung und die Kompetenzen dieser beiden Würdenträger vor dem Hintergrund der lokalen Besonderheiten und der normativen Vorgaben der jeweils gültigen Universitätssatzungen mit den realen Machtverhältnissen abgeglichen werden. Mögliche Kompetenzüberschreitungen können dabei Licht auf die Zusammenarbeit und Konflikte werfen, die zwischen den beiden Stellen bestanden. Damit wird zugleich deutlich, wer für maßgebende Entscheidungen an der Universität verantwortlich war und wie und weshalb derartige Entscheidungen unter Umständen von außeruniversitären Personen oder Einrichtungen beeinflusst werden konnten. An dieser Stelle kann bereits darauf verwiesen werden, dass zwischen der Universität und der NSDAP-Gauleitung Westfalen-Nord eine enge personelle Verzahnung bestand. Aus diesem Grund bildet das Verhältnis zur Gauleitung einen zentralen Aspekt dieser Untersuchung. Eine detaillierte Einbeziehung von Studentenschaft und Dozentenschaft würde jedoch den vorgesehenen Rahmen sprengen und kann deswegen nicht erfolgen. Um die Verhältnisse an der Universität Münster besser einordnen zu können, werden zunächst die strukturellen Verhältnisse im Kuratorium und im Rektorat in jeweils einem Abschnitt vorgestellt. Da Franz Peters das Amt des Kurators von 1922 bis 1936 inne hatte, ist es zur Beurteilung seiner Arbeit notwendig, in einem weiteren Abschnitt auch sein Wirken in der Weimarer Republik zu behandeln. Für die Zeit des Nationalsozialismus wird die Untersuchung in einen Abschnitt über den stellvertretenden Kurator Peters und den Kurator Beyer unterteilt. Innerhalb dieser Abschnitte soll die Problematik chronologisch thematisiert und veranschaulicht werden. Daran knüpft ein kurzes Kapitel über die Nachkriegszeit an. Mit dieser Gliederung können nicht nur Brüche und Kontinuitäten innerhalb des Rektorats und des Kuratoriums aufgezeigt, sondern auch strukturelle Veränderungen im Zusammenwirken der beiden Organe zueinander besser verdeutlicht werden.

Kuratorium Ursprünglich wurde das Amt des Kurators an den preußischen Universitäten als eine staatliche Kontrollinstanz über die Selbstverwaltung der Universitäten eingeführt.15 Der Kurator war der offizielle Vertreter des Wissenschaftsministers vor Ort und erfüllte in dieser Funktion zwei Aufgaben: Zum einen war er für die administrative Verwaltung zuständig, zu der in erster Linie die Haushaltsplanung gehörte, zum anderen beaufsichtigte er aber auch die Universität allgemein und war somit 15

Kluge 1958, siehe dazu besonders S. 56–59.

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in gewisser Weise seine eigene Kontrollinstanz.16 Der Kurator war der Leiter der staatlichen Verwaltung an der Universität und als solcher zugleich Vermittler des gesamten Schriftverkehrs zwischen der Universität (Rektor, Senat, Professoren) und dem Ministerium. Dadurch sollte gewährleistet sein, dass der Kurator über alle wichtigen Ereignisse und Entscheidungen an der Universität informiert war. Faktisch führte diese Regelung aber mitunter zu einer erheblichen Verzögerung der Verwaltungsabläufe, was von den Kritikern des Kuratorialsystems stark bemängelt wurde.17 Zu seinen Aufgaben gehörte zudem die rechtliche Vertretung der Universität vor Gericht und bei allen Rechtsgeschäften.18 Der Kurator war zunächst der jeweilige Landesherr beziehungsweise später der Oberpräsident. In Münster änderte sich dies erst mit dem Abschied des Oberpräsidenten Dr. Bernhard Wuermeling Anfang 1922 und der damit verbundenen Ernennung des nebenamtlichen Kuratorialrates und Leiters des Provinzialschulkollegiums Franz Peters zum stellvertretenden Kurator im Nebenamt.19 Das Kuratorium in Münster war damit in den 1920er-Jahren eines der wenigen, in dem es keinen hauptamtlichen Kurator gab,20 auch wenn Peters sich sehr stark darum bemühte, seine Stelle in eine hauptamtliche umzuwandeln. Dazu schickte er regelmäßig Haushaltsvorschläge an das Preußische Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung.21 Diese betrafen nicht nur die Stelle des Kurators, sondern das gesamte Kuratorium der Universität Münster. Zu diesem Zeitpunkt bestand es neben dem stellvertretenden Kurator im Nebenamt aus einem Amtmann, einem Universitätsinspektor, einem Verwaltungsassistenten und vier Büroangestellten.22 Zu den Aufgaben dieser Mitarbeiter gehörten in erster Linie alle Aspekte, die die wirtschaftlichen Verhältnisse der Universität betrafen, also verschiedene Gebühren und Unterstützungen, die Immobilien und das Inventar der Universität und der verschiedenen Institute, die Haushaltsplanung sowie die Anstellung und Vergütung der Angestellten und Beamten.23 16 17 18 19 20

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Kahl 2004, S. 52. UAMs, Bestand 4, Nr. 175, Schreiben des Rektors und des Senats der Technischen Hochschule Hannover zu einer Reform des Kuratorenamtes, 4.3.1920. Frank 1998, S. 62. UAMs, Bestand 4, Nr. 175, Zeitungsausschnitt aus der Münsterschen Zeitung, 1.10.1936. UAMs, Bestand 9, Nr. 276, Anmeldung der Stelle des hauptamtlichen Kurators für die Universität Münster und der Stellen für das Personal des Kuratorialbüros zum Staatshaushalt für 1931, 25.5.1930. Darin heißt es: „Nachdem schon seit mehreren Jahren für alle preußischen Universitäten die Errichtung der hauptamtlichen Stelle der Universitätskuratoren als notwendig anerkannt und auch durchgeführt worden ist, ist es ein nicht begründeter Ausnahmezustand, dass es einzig und allein bei der hiesigen Universität noch immer bei der bisherigen nebenamtlichen Regelung geblieben ist.“ Ebd. BAB, R 4901, 645, Geschäftsanweisung des Kuratoriums der Universität Münster von 1925. UAMs, Bestand 9, Nr. 276, Geschäftsplan für die Beamten und Angestellten des Universitätskuratoriums aus den 1920er-Jahren.

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Drei der vier genannten Büroangestellten wurden über das Kuratorium und damit über die Universität abgerechnet,24 die anderen Mitarbeiter über das Oberpräsidium. In den Planungen für ein hauptamtliches Kuratorium an der Universität Münster sollte neben der Stelle des Kurators die Anzahl der Mitarbeiter beibehalten und diese alle einheitlich über das Kuratorium abgerechnet werden.25 Damit wäre auch die endgültige Trennung des Kuratoriums vom Oberpräsidium vollzogen worden. Ein Nebeneffekt dieser Trennung wäre eine Beschleunigung der alltäglichen Arbeitsabläufe gewesen, da bis dahin nicht nur der ganze Bürobedarf aus dem Oberpräsidium beschafft werden musste, sondern auch ein Teil der Kanzleiarbeiten dort erledigt wurde. Das Kuratorium befand sich aber etwa zehn Minuten vom Oberpräsidium entfernt,26 da es wie das Rektorat bis 1934 am Domplatz und anschließend am Rosenhof an der Schlaunstraße untergebracht war.27 Diese Pläne zur Umstrukturierung des Kuratoriums wurden jedoch erst 1937 umgesetzt. Für das Kuratorium bildete damit das Jahr 1937 eine wichtige Zäsur. Diese war nur bedingt dem Nationalsozialismus geschuldet, denn die Umwandlung in ein hauptamtliches, vom Oberpräsidium unabhängiges Kuratorium war eine Entwicklung, die auch die übrigen preußischen Universitäten zuvor durchlaufen hatten. Die Tatsache, dass es in Münster erst so spät zu einer vom Oberpräsidium getrennten staatlichen Verwaltung der Universität kam, hängt auf das Engste mit der Person Franz Peters zusammen. Solange er im Amt war, wurde es von Seiten des Ministeriums offensichtlich nicht als nötig befunden, irgendeine Veränderung herbeizuführen. Mit der Suche nach einem Nachfolger musste jedoch eine Aufwertung des Amtes des Kurators der Universität in Münster stattfinden. Als geeignete Kuratoren wurden beispielsweise in den Ruhestand getretene Regierungsund Oberpräsidenten angesehen, da diesen nicht nur ausreichende Erfahrung in Verwaltungsangelegenheiten attestiert wurde, sondern auch das nötige Taktgefühl, sich mit den jeweiligen Rektoren und Professoren auseinandersetzen zu können.28 Um die Universität Münster für solche Männer zu einem attraktiven Arbeitsplatz zu machen, musste mit dem Abschied Peters’ aber endgültig die Anpassung der Verwaltungsstrukturen an die der anderen preußischen Universitäten in Angriff genommen werden. Curt Beyer trat schließlich 1936 die Nachfolge von Franz Peters an und blieb bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges Kurator der Universität. Er war zudem ein wichtiger Mitarbeiter im Gau Westfalen-Nord und zuvor zuständiger Bearbeiter des Gaus für Universitätsfragen,29 wodurch sein Handeln als Kurator stark beein24 25 26 27 28 29

Ebd., Anmeldung der Stelle des hauptamtlichen Kurators für die Universität Münster und der Stellen für das Personal des Kuratorialbüros zum Staatshaushalt für 1931, 25.5.1930. Ebd. UAMs, Bestand 9, Nr. 274, Erneute Anmeldung der Stelle des hauptamtlichen Kurators beim REM, 18.8.1935. Chronik 1935, S. 14. BAB, R 4901, 698, Schreiben des REM an den Stellvertreter des Führers, 11.10.1938. BAB, R 4902, 705, Blatt 222.

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flusst wurde. Strukturelle Veränderungen im Kuratorium gab es unter ihm nicht. Auf ihn folgte 1945 Clemens Steinbicker. Mit der Neubesetzung ging eine Ausweitung des Kuratoriums auf insgesamt vier Beamte und zehn Angestellte einher, wobei die Anzahl der Büroangestellten von vier auf neun erhöht wurde. Die zwischenzeitliche Beteiligung der Militärregierung an der Verwaltung der Universität machte zudem die Einstellung eines Dolmetschers erforderlich.30 Bis zum Amtsantritt des Freiherrn von Fürstenberg im Jahr 1956 führten nach Steinbicker noch Karl Michaelis und August Flesch die Geschäfte der staatlichen Verwaltung an der Universität. Die Einsetzung des Koordinierungsausschusses mit der Satzung von 196031 veränderte die Verhältnisse im Kuratorium zunächst nicht, sie bildete jedoch den ersten Schritt zur Abschaffung des Kuratoriums im Jahr 1970. Der Koordinierungsausschuss war dazu vorgesehen, eine reibungslose Zusammenarbeit zwischen akademischer und staatlicher Verwaltung an der Universität zu gewährleisten.32 Er bestand aus insgesamt sieben Mitgliedern: dem Rektor und dem Prorektor, vier planmäßigen Professoren und dem Kurator.33 Ein großer Kritikpunkt an der Kuratorialverfassung war, dass der Kurator außerhalb der akademischen Verwaltung stand und man von Seiten der Universität keinen Einfluss auf ihn nehmen konnte. Mit dem Koordinierungsausschuss gab es aber jetzt ein Organ an der Universität, in dem staatliche und akademische Verwaltung zusammen beratend tätig waren. Dieser Umstand war damit eine Aufweichung der eigentlichen Kuratorialverfassung. Der letzte Kurator der Westfälischen Wilhelms-Universität, Freiherr von Fürstenberg, wurde mit der Verfassungsänderung 1970 zu ihrem ersten Kanzler. Ab diesem Zeitpunkt wurde die Aufteilung der Verwaltung in eine akademische und eine staatliche aufgehoben und eine einheitliche Gesamtverwaltung ins Leben gerufen, in welcher der Kanzler als Teil der Universität korporiert und dem Rektorat unterstellt wurde. Rektor und Senat waren von nun an nicht mehr nur die Spitze der akademischen Verwaltung, sondern der gesamten Universitätsverwaltung und damit auch die alleinigen Ansprechpartner des Kultusministeriums.

Rektorat Der Rektor der Universität Münster war laut Satzung der Universität von 1929 die „Spitze der akademischen Selbstverwaltung“ und repräsentierte die Universität.34 Er wurde jährlich vom Senat der Universität aus den Reihen der ordentlichen Pro30 31 32 33 34

UAMs, Bestand 9, Nr. 45, Auflistung der Angestellten des Kuratoriums aus dem Jahr 1946. Verfassung 1960, § 86–§ 89. Ebd., § 6.2. Ebd., § 87.1. Satzung 1929, § 44.

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fessoren gewählt. Die Amtszeit des Rektors dauerte ein Jahr vom 15. Oktober an.35 Der vorherige Rektor wurde mit dem Amtsantritt seines Nachfolgers automatisch zum Prorektor.36 Rektor und Prorektor waren qua Amt Mitglieder im Senat.37 Dem Senat oblag die eigentliche akademische Verwaltung der Universität. Der Rektor übernahm dort den Vorsitz, leitete die Wahlen und musste bei allen eigenen Entscheidungen vor dem Senat Rechenschaft ablegen.38 Der Rektor war demnach nicht die Spitze der akademischen Hochschulverwaltung, sondern er repräsentierte sie. Hochschulpolitisch war die Position des Rektors trotz Senat und Sekretariat schwach, weil es ihm die kurze Amtszeit gar nicht erlaubte, sich gleichmäßig umfassend in alle wichtigen Aufgabenbereiche der Verwaltung seiner Universität einzuarbeiten. Dieses Problem erkannte auch Rektor Karl Hugelmann (1935–1937), als er sich für die Einsetzung eines Universitätsamtmannes im Sekretariat einsetzte. Er bemerkte dazu, dass es gerade wegen der mitunter schwankenden Amtsdauer der Rektoren wichtig sei, im Sekretariat einen zuverlässigen Büroleiter zu haben, der für die notwendige Kontinuität in der Verwaltung der akademischen Angelegenheiten die Verantwortung tragen müsse.39 Das von Hugelmann angesprochene Problem der Amtsdauer war besonders für die Rektoren der Weimarer Republik und der frühen Bundesrepublik relevant, denn nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Satzung von 1929 wieder eingeführt und blieb bis zur Annahme der neuen Verfassung von 1960 gültig.40 Damit wurde auch die einjährige Amtszeit der Rektoren wieder festgeschrieben. Durch die fehlende Möglichkeit der kontinuierlichen internen Einflussnahme wurde die Rolle des Rektors in der Außendarstellung der Universität umso wichtiger. Bei einer einjährigen Amtszeit war es nur schwer möglich, hochschulintern dauerhaft neue Lehr- und Forschungsschwerpunkte durchzusetzen, um so beispielsweise auch politisch Stellung zu beziehen. Für die Selbst- und Fremdwahrnehmung der Universität ist damit auch das öffentliche Auftreten der Rektoren von großer Bedeutung. Die Inszenierung von Festen und Feiern durch einen Rektor konnte damit durchaus eine dauerhafte Wirkung erzielen, weshalb derartige Veranstaltungen für die Außen- und Selbstwahrnehmung besonders in der Weimarer Republik und der Nachkriegszeit eine große Bedeutung hatten.41 In der Weimarer 35 36 37

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Ebd., § 48. Ebd., § 50. Eine namentliche Aufzählung aller Rektoren des Untersuchungszeitraumes ist auf Grund der großen Anzahl der Rektoren nicht sinnvoll. Im Anhang findet sich aber eine tabellarische Übersicht zu den Rektoren und Kuratoren von 1922 bis 1973. Satzung 1929, § 53. Siehe dazu: LAV NRW W, Nachlass Hugelmann, Nr. 117, Schaffung einer Amtmannstelle. UAMs, Bestand 4, Nr. 155, Schreiben des Rektors Trier an Rektor Hammer aus Kiel, 6.8.1957. Barbara Greive hat sich in ihrer Examensarbeit intensiv mit Feiern, Festen und der Rektoratsübergabe an der Universität Münster auseinander gesetzt, Greive 2006.

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Republik prägten die Rektoren das Bild der Universität nach außen als rechtskonservativ, da die Universität zum Beispiel den Reichsgründungstag am 18. Januar und nicht den Reichsfeiertag der Republik feierte.42 Zum Rektorat gehörten bis 1927 ein Universitäts-Oberinspektor, ein Verwaltungsinspektor und ab 1927 nur noch zwei planmäßige Sekretariatsangestellte.43 Damit waren die personellen Verhältnisse im Sekretariat im Verhältnis zu denen im Kuratorium insgesamt schwieriger, da es neben einer ursprünglich dritten planmäßigen Schreibkraft44 auch an dem bereits angesprochenen Universitätsamtmann fehlte. Am 28. Oktober 1933 wurde vom Preußischen Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung die „vorläufigen Maßnahmen zur Vereinfachung der Hochschulverwaltung“45 erlassen. Diese Bestimmungen hatten in erster Linie die Entmachtung des Senats zu Gunsten des Rektors zur Folge, der nun allein entscheidungsbevollmächtigt war. Eine weitere wichtige Änderung war, dass der Senat nur noch ein Vorschlagsrecht bei der Wahl des Rektors hatte. Für die rechtsverbindliche Ernennung des Rektors war von nun an allein der Preußische Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung verantwortlich.46 Ebenso bestimmte er die Amtszeit der Rektoren. 1938 wurde entschieden, dass diese am besten zwei bis maximal drei Jahre betragen sollte,47 womit zugleich eine Stärkung des „Führerrektors“ einherging.

Die Hochschulverwaltung der Universität Münster in der Weimarer Republik Eines der zentralen hochschulpolitischen Themen an der Universität Münster in der Weimarer Republik war die geplante Hochschulreform. Basierend auf einem „Entwurf von Grundlinien einer Neuordnung der preußischen Universitätsverfassung“ von 192248 und unter Leitung des Verbandes der deutschen Hochschulen waren die Universitäten darum bemüht, eine Neuregelung im Sinne einer Verfassungsänderung zu treffen. Einer der zentralen Punkte bei dieser Neuregelung war die Rolle des Kurators, der nach einem Gutachten, das im Auftrag des Verbandes 42 43

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UAMs, Bestand 9, Nr. 7, Planungen zu den Abläufen verschiedener Reichsgründungsfeiern. Dazu besonders auch: Greive 2006. UAMs, Bestand 9, Nr. 35, „Übersicht über die Verteilung der Dienstgeschäfte auf die Beamten und Angestellten des Sekretariats der Westfälischen Wilhelms-Universität zu Münster i. W.“. Ebd. UAMs, Bestand 4, Nr. 2. Ebd., § 2. UAMs, Bestand 9, Nr. 293, Schreiben des REM an die Universitäten, 22.3.1938. UAMs, Bestand 9, Nr. 2, Grundlinien einer Neuordnung der preußischen Universitätsverfassung von 1922.

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der Deutschen Hochschulen 1921 entstanden war, abgeschafft werden sollte.49 Der Hauptgrund für diese Meinung des Hochschulverbandes war die bereits angesprochene angebliche staatliche Bevormundung der Universitäten. Ende der 1920er-Jahre gab es aber in vielen preußischen Universitäten neue Satzungen oder deren Entwürfe unter Einbeziehung des Kuratoriums als staatliche Verwaltung, deren Bearbeitung fast abgeschlossen war oder die nur noch vom Minister genehmigt werden mussten.50 Die Einführung einer neuen Satzung hatte demnach Vorrang vor der Einigung in der Frage um das Amt des Kurators. Hier zeigt sich, dass bei den Rektorenkonferenzen und den Tagungen des Deutschen Hochschulverbandes zwar viele Ideen für eine Hochschulreform angeregt wurden, aber nur wenig wirklich erreicht wurde. Dieser Umstand wurde gerade von Seiten der Rektorenkonferenz stark kritisiert. Die Ursache der schleppenden Zusammenarbeit zwischen diesen beiden Organen wurde in der kurzen Amtsdauer der Rektoren gesehen.51 Eine Stellungnahme des Kurators Peters zu einer Abschaffung seines Postens ist nicht nachweisbar. Die Beharrlichkeit, mit der er sich ab 1930 für die Umwandlung seiner Stelle in ein Hauptamt engagierte,52 zeigt jedoch, dass er zumindest zu dieser Zeit nicht mehr von einer unmittelbaren Abschaffung seines Amtes ausging. Vom Ministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung wurde diese Umwandlung des Kuratoriums befürwortet,53 worin sicherlich ein Grund dafür gesehen werden kann, dass die bevorstehenden Reformen Peters nicht allzu sehr beunruhigten. Ein weiteres wichtiges Thema an der Universität Münster der 1920er-Jahre war die Eröffnung der Medizinischen Fakultät, deren Bau in die Zuständigkeit des Kurators Peters fiel. Auch das Amt des Verwaltungsdirektors der Klinischen Anstalten wurde Peters 1924 übertragen. Auf sein Drängen hin wurde jedoch Professor Paul Krause zum Verwaltungsdirektor ernannt, da Peters den Mehraufwand an Arbeit nach eigener Ansicht nicht würde bewältigen können.54 Peters nahm seine Rolle als Mittler zwischen Hochschule und Bildungsministerium sehr ernst. So setzte er sich beispielsweise 1928 stark für die Bewilligung zusätzlicher Mittel für das Institut für Altertumswissenschaften ein. Peters argumen49 50

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UAMs, Bestand 4, Nr. 175, Das Amt des Kurators. Ein Gutachten, April 1921. Die Satzungen von Kiel und Marburg stammten beispielsweise aus dem Jahr 1923. UAMs, Bestand 9, Nr. 1533, Tabellarische Übersicht über die gültigen Satzungen der Universitäten. UAMs, Bestand 4, Nr. 1149, Schreiben des Rektors der Tierärztlichen Hochschule Hannover an den Vorsitzenden des Hochschulverbandes, 18.5.1926. UAMs, Bestand 9, Nr. 276, Anmeldung der Stelle des hauptamtlichen Kurators für die Universität Münster und der Stellen für das Personal des Kuratorialbüros zum Staatshaushalt für 1931, 25.5.1930. BAB, R 4901, 14260, Gutachten des REM an das Finanzministerium zur Bewilligung aus dem Jahr 1930. UAMs, Bestand 9, Nr. 632, Briefwechsel zwischen Ministerium und Peters, August 1924. Sowie BAB, R 4901, 14260, Blatt 23 (RS).

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tierte beim Ministerium, dass er diesen Antrag auf Grund der finanziellen Situation eigentlich nicht würde unterstützen können. Da das Institut für Altertumswissenschaften aber nicht nur im Verhältnis zu anderen Instituten der Universität, sondern gerade auch im Verhältnis zu vergleichbaren Instituten an anderen deutschen Universitäten finanziell sehr schlecht gestellt sei, sehe die Lage anders aus. Aus diesem Grund müsse er sich dem Antrag des Institutsdirektors dringend anschließen, zumal es sich nur um eine zusätzliche Summe von 3.000 Reichsmark handelte, die er als „bescheidene“ Forderung einordnete.55 Er wog in diesem Fall die zusätzlichen Kosten mit den Folgen für das Institut ab und urteilte zu Gunsten eines kleineren Instituts. Die Situation in Münster für die Jahre 1922 bis 1933 zeichnete sich insgesamt dadurch aus, dass es, wie für diese Phase typisch, eine strukturelle Ablehnung gegen das Amt des Kurators gab. Sie zeigt sich zum Beispiel in der Bildung eines Verwaltungsausschusses.56 Eine dezidierte Ablehnung der Arbeit des dortigen stellvertretenden Kurators Peters kann jedoch nicht nachgewiesen werden. Dessen Arbeitsbedingungen waren im preußischen Vergleich als schlecht einzustufen, weil Peters die Menge der Arbeit im Nebenamt und zudem durch die bestehende Vernetzung mit dem Oberpräsidium unter ungünstigen Bedingungen bewältigen musste. Trotzdem fiel das Urteil seiner Zeitgenossen über ihn positiv aus. In einem Zeitungsausschnitt zu seiner Verabschiedung als Kurator vom Oktober 1936 hieß es: „Seine ungewöhnliche Arbeitskraft, seine strenge Sachlichkeit und seine liebenswürdigen Umgangsformen werden die Erinnerung an seine Amtszeit, die die Universität zu ihrem Bedauern jetzt zu Ende gehen sieht, noch lange lebendig halten. Ihr Dank kam im Jahr 1930 beim Jubiläum der Universität zum Ausdruck, als die

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UAMs, Bestand 9, Nr. 403, Antrag des Direktors der Archäologischen Abteilung an das Preußische Ministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, 15.1.1928. Anfang der 1930er-Jahre wurden an einigen Universitäten Verwaltungsausschüsse eingerichtet. Der Verwaltungsausschuss in Münster sollte aus dem Rektor, dem Prorektor, dem Universitätsrat und sechs weiteren Mitgliedern, die vom Senat gewählt werden sollten, bestehen. Neben diversen studentischen Angelegenheiten sollten auch Gutachten über die Vermögensverhältnisse der Universität zu seinem Zuständigkeitsbereich gehören. Die Vermögensverwaltung war jedoch in Münster seit jeher Teil der staatlichen Verwaltung, und somit könnte die Einführung der Verwaltungsausschüsse an den preußischen Universitäten als Maßnahme zur Kontrolle oder sogar zur Schwächung des Kurators verstanden werden. Die Vermögensverwaltung war an den preußischen Universitäten ein sehr umstrittenes Thema. Da die Universitäten in erster Linie von der finanziellen Unterstützung des Staates abhängig waren, oblag diesem durch den Kurator auch die Verwaltung des Vermögens. In Kiel war es bis zur Satzung von 1928 üblich, dass das Vermögen der Universität differenziert wahrgenommen wurde. Die Verwaltung der Mittel, die durch den Staat aufgebracht wurden, war unumstritten Angelegenheit des Kurators. Daneben gab es aber noch das Vermögen, das der Universität als Korporation gehörte; dieses wurde in Kiel von der akademischen Verwaltung im Zuge der Selbstverwaltung der Universität verwaltet. Siehe dazu: UAMs, Bestand 4, Nr. 1149.

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Medizinische Fakultät ihn für seine Verdienste um die Vollendung der Kliniken zum Dr. h. c. ernannt hat.“57 Aber auch unabhängig von diesen lobenden Abschiedsworten kann Peters eine sachgerechte Amtsführung attestiert werden. Die Bedenken der Kritiker der Kuratorialverfassung, dass der Kurator zu leicht seine staatliche Autorität missbrauche, um sich in Hochschulinterna einzumischen, und dass die Universität einer zu großen staatlichen Kontrolle unterliege, waren in Münster während der Amtszeit Peters nicht gerechtfertigt. Trotz aller Einflussmöglichkeiten des Kurators gibt es keine Hinweise, dass Peters durch direkte Anweisungen oder durch Stellungnahmen seinerseits an das Ministerium versucht hätte, Einfluss in inneruniversitäre Angelegenheiten zu nehmen. Die satzungsgemäße Trennung in staatliche und akademische Verwaltung in Münster funktionierte. Diese sollte sich jedoch im Nationalsozialismus nach der Ablösung des alten Kurators ändern.

Peters als Kontinuitätsfaktor während des Nationalsozialismus Während Peters auch nach dem Regimewechsel zunächst im Amt blieb, sah die Situation beim Amt des Rektors anders aus. Am 26. April 1933 fand nach Aufforderung des Preußischen Ministers für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung vom 21. April desselben Jahres58 die Neuwahl des Rektors der Universität Münster statt. Mit 56 von 82 möglichen Stimmen fiel die Entscheidung zu Gunsten des Juristen Hubert Naendrup aus. Hubert Naendrup war nach eigenen Angaben im Herbst 1932 der NSDAP beigetreten und hatte sich bereits vorher sehr stark nationalistisch engagiert.59 Seine Bestätigung durch das Ministerium erfolgte jedoch erst mit Verzögerung am 8. Mai 1933.60 Die entsprechenden Hintergründe können an dieser Stelle nur in aller Kürze geschildert werden. Ihr Ursprung außerhalb der Universität weist bereits auf die Auseinandersetzungen hin, welche die Führungsspitzen der Universität Münster in den nächsten Jahren beschäftigen sollten. Westfalen war in die Gaue Westfalen-Nord61 und Westfalen-Süd unterteilt. Der Gauleiter des Gaus Westfalen-Süd, Josef Wagner, fühlte sich jedoch für ganz Westfalen und damit auch für die Universität verantwortlich, weshalb es zu schweren Konflikten mit Gauleiter Alfred Meyer vom Gau Westfalen-Nord kam.62 Hubert Naendrup war der Vertrauensmann des Südgaus 57 58 59

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UAMs, Bestand 4, Nr. 175, Zeitungsausschnitt aus der Münsterschen Zeitung, 1.10.1936. UAMs, Bestand 4, Nr. 38, Schreiben des REM an den Kurator, 21.4.1933. Siehe zum Beispiel: UAMs, Bestand 31, Nr. 42, Bd. 1, Selbstverfasster Lebenslauf Naendrups zur Aufschiebung seiner Entpflichtung, 1937. Siehe dazu auch den Beitrag von Sebastian Felz in diesem Band. UAMs, Bestand 4, Nr. 38, Schreiben des REM an den Kurator, 8.5.1933. Das Gebiet umfasste die Regionen Münsterland, Ostwestfalen-Lippe und die Region an der Emscher. Zur genaueren territorialen Abgrenzung: Priamus 1996, S. 177. Stelbrink 2007, S. 296.

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für die Universität und geriet damit zwischen die Fronten. Der Vertrauensmann von Meyer, der Ordinarius für Orientalistik Anton Baumstark, wurde am 19. April 1933 zum Leiter einer Kommission zur Gleichschaltung der Universität ernannt.63 Baumstark behauptete, dass er der Kandidat des Gaus Westfalen-Nord gewesen sei und ihm deswegen auch die Rolle des Rektors hätte zufallen müssen.64 Vor diesem Hintergrund kam es zu einer Vielzahl unerfreulicher Zusammenstöße zwischen den beiden Männern, die nicht nur das Rektorat Hubert Naendrups, sondern auch die Arbeit der Gleichschaltungskommission prägten. Deren vordergründige Aufgabe war es, „die personelle Gleichschaltung“65 der Universität voranzutreiben. Baumstark und die anderen Mitglieder der Kommission erstellten dazu Listen von Lehrpersonen, deren Herkunft und auch deren politische Haltung zu überprüfen seien. Als politisch unzuverlässig wurde auch der spätere erste Nachkriegsrektor der Universität Münster, Georg Schreiber, eingestuft.66 Die Einberufung der Kommission erfolgte durch den Gauleiter Meyer, dem Baumstark regelmäßig Rechenschaft über die gemachten Fortschritte ablegte.67 Damit war nicht die Universität selbst, sondern eine vom Gau einberufene Kommission die treibende Kraft für die Durchführung des Gesetzes zur Wiedereinführung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933 und nicht Rektor Naendrup der Vertrauensmann des Gaus. Das zeigte sich auch bei der anstehenden Neuwahl der Rektoren an den Universitäten im Februar 1935. Bei der Wahl Naendrups hatte der Wahlmodus noch den Bestimmungen der Satzung von 1929 entsprochen, da hier der Senat den Rektor wählte und dieser vom Ministerium dann bestätigt werden musste. Die zweite Wahl unter nationalsozialistischer Herrschaft fand jedoch unter einem neuen Wahlmodus statt. Es gab zwar noch eine Abstimmung im Senat, doch diese sollte es dem Ministerium lediglich vereinfachen, einen geeigneten Kandidaten auszuwählen. Das Ministerium konnte die zukünftigen Rektoren jedoch auch völlig unabhängig von der Abstimmung des Senats ernennen.68 Die eigentliche Entscheidung fiel jedoch nicht an der Universität Münster, sondern zwischen dem Wissenschaftsministerium und der Gauleitung Westfalen-Nord. Aus einem internen Schreiben des Ministeriums geht hervor, dass Gauleiter Meyer und das Ministerium sich darüber einig waren, dass Hubert Naendrup von seinem Amt entbunden werden müsse. Um das Ansehen des Rektors als Nationalsozialist zu schonen, unterrichtete der Gauleiter das Ministerium darüber, dass Naendrup eingewilligt habe, kurz nach einer erneuten Ernennung freiwillig sein Amt nieder63 64 65 66 67 68

BAB, BDC, Baumstark, Blatt 2670. Ebd., Blatt 2673. Im Folgenden beziehen sich die Aussagen über den Gau nur auf den Gau Westfalen-Nord. Ebd., Nr. 2683/2684, Schreiben Baumstarks an den Gauleiter, 30.5.1933. Ebd., Nr. 2712/2713. Ebd., Nr. 2683/2684. UAMs, Bestand 4, Nr. 39, vom Ministerium durch den Rektor weitergeleitetes Schreiben, 14.2.1935.

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zulegen.69 Diesbezüglich hatte es bereits eine Absprache zwischen dem Rektor und der Gauleitung gegeben, in der vereinbart worden war, dass die Gauleitung unter diesen Umständen keinen Einfluss auf die Rektorenwahl nehmen würde.70 Das Ministerium spielte bei dieser Regelung jedoch nicht mit, sondern ernannte den erst drei Monate zuvor aus Österreich nach Münster gewechselten Juristen Karl Hugelmann mit Wirkung vom 1. April 1935 zum nächsten Rektor der Westfälischen Wilhelms-Universität.71 Dem scheidenden Rektor Naendrup fehlte seit seiner Ernennung die Unterstützung der Gauleitung Westfalen-Nord, so dass hierin der Grund für seine Absetzung gesehen werden muss. Die Zusammenarbeit zwischen dem ersten „Führerrektor“ in Münster und dem Kurator Peters verlief reibungslos, was ebenfalls durch seine schwache Ausgangslage begründet werden kann. Die Ernennung Hugelmanns zum Rektor war für alle überraschend, nicht zuletzt auch für ihn selbst.72 Der Personalgauamtsleiter Curt Beyer teilte dem Gauleiter die Entscheidung des Ministeriums mit und lieferte Meyer in diesem Schreiben gleichzeitig ein Gutachten über die Person Hugelmanns, das Beyer nach Rückfrage bei den Leitern der Studenten- und Dozentenschaft erstellt hatte. Der Personalgauamtsleiter erklärte darin, dass Hugelmann bisher zwar in jeder Beziehung positiv aufgefallen sei, aber dass es Bedenken wegen seiner „Bindung in konfessioneller Hinsicht“, das heißt zum Katholizismus, gäbe. Insgesamt sei Hugelmann jedoch erst zu kurz in Münster, um ein eingehendes Urteil möglich zu machen. Daneben kritisierte Beyer in dem Schreiben das Verhalten des Ministeriums auf das Schärfste. Das Ministerium habe nicht nur einen Mann an die Spitze der Universität gesetzt, der die Verhältnisse an der Universität noch gar nicht kenne, sondern damit auch zugleich die getroffene Einigung zwischen der Gauleitung und dem Rektor Naendrup torpediert. Vor diesem Hintergrund schloss Beyer sein Schreiben an den Gauleiter mit der Empfehlung, dass „Schritte unternommen werden [müssen], um den Amtsantritt des Prof. H. zum mindestens solange zurück zu stellen, bis einmal eine eingehende Informierung des Prof. H. in enger Verbindung mit der Gauleitung erfolgt ist und zum anderen, bis loyaler Weise der Zeitpunkt für den Ablauf der mit Prof. Naendrup getroffenen Abmachung gekommen ist.“73 Auf den Minister machten die Sorgen des Gaus allerdings keinen Eindruck, und er verfügte die Ernennung Hugelmanns zum Rektor. Staatssekretär Kunisch vom Ministerium versah den entsprechenden Aktenvermerk mit der Notiz: „Ich bitte um Entwurf eines den Gauleiter beruhigenden Schreibens.“74 Von Seiten des Mi69 70 71 72 73 74

BAB, R 4901, 705, Blatt 220. Ebd., Blatt 223. UAMs, Bestand 4, Nr. 39, Benachrichtigung des Ministeriums zur Ernennung von Hugelmann an Kurator, 29.3.1935. LAV NRW W, Nachlass Hugelmann, 129. BAB, R 4901, 705, Blätter 220–222. Ebd., Blatt 218.

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nisteriums war man sich also durchaus bewusst, dass diese Entscheidung ganz im Gegensatz zu den Absichten des Gauleiters stand. Das Ministerium war in dieser Angelegenheit darum bemüht, die eigene Position zu behaupten und sich nicht von den Absprachen zwischen der Gauleitung und dem Rektor beeinflussen zu lassen. Diese Absprache wurde auch ohne das Wissen und ohne Rücksprache mit dem Ministerium getroffen, obwohl das Ministerium die alleinige Entscheidungsbefugnis hatte. Zeitgleich mit der Ernennung Hugelmanns wurden die „Richtlinien zur Vereinfachung der Hochschulverwaltung“ am 1. April 1935 veröffentlicht. Diese bestätigten die vorläufigen Maßnahmen vom 28. Oktober 1933. Der Kern dieser Maßnahmen blieb dabei unverändert: Die Universität wurde in Studentenschaft und Dozentenschaft geteilt, welcher der Rektor unter Einführung des „Führerprinzips“ vorstand.75 Rolle und Funktion des Kurators wurden in beiden Fassungen nicht angesprochen. Damit blieb unklar, ob sich die „Führung“ nur auf die zuvor als „akademische Verwaltung“ bezeichnete Verwaltung beschränkte oder die ganze Universität einschloss. Zur Klärung dieser Frage richtete Hugelmann im Oktober 1935 ein Schreiben an das in der Zwischenzeit neu strukturierte Reichserziehungsministerium. Hugelmann führte darin aus, dass er diese Richtlinien so verstehen würde, dass er der „Führer“ der ganzen Universität sei und damit auch über dem Kurator stehe. Peters fügte seine eigene Stellungnahme dem Schreiben Hugelmanns bei, in der er dahingehend argumentierte, dass die Richtlinien nur die akademische Verwaltung beträfen und die Rolle des Kurators damit unverändert bliebe.76 Das Ministerium stimmte der Interpretation Peters zu und bestätigte damit zugleich Rolle und Funktion des Kurators, wie sie in der Weimarer Zeit verstanden wurde.77 Um ähnliche Unklarheiten zu beseitigen, wurde das Antwortschreiben an Hugelmann und Peters an die übrigen preußischen Universitäten versandt. Damit sah auch das nationalsozialistische REM eine Unterteilung der Verwaltung der Hochschule in akademische und staatliche Verwaltung unter Beibehaltung der alten Zuständigkeitsbereiche vor.78 Hugelmann erhoffte sich aus der Einführung des „Führerprinzips“ eine Stärkung der Rolle des Rektors gegenüber der Funktion des Kurators. Diese Hoffnung wurde zwar enttäuscht, aber anders als Naendrup versuchte Hugelmann seine Position in der Folge gegenüber dem Kurator zu behaupten und zu stärken. Schon vor der Ernennung Hugelmanns hatte der Gau Westfalen-Nord im Herbst 1934 die Absetzung des Kurators Peters gefordert. Die Gründe waren ebenso vielfältig wie die Anzahl der potentiellen Nachfolger.79 Als Hauptgrund muss 75 76 77 78 79

LAV NRW W, Nachlass Hugelmann, 133. BAB, R 4901, 667, Schreiben des Rektors Hugelmann an das REM, 11.10.1936. UAMs, Bestand 9, Nr. 274, Schreiben Peters an Hugelmann, 10.1.1936. UAMs, Bestand 4, Nr. 2, Schreiben des Ministeriums, 7.1.1936. Neben Fleiter und Beyer wurden zum Beispiel auch der Gaugerichtsvorsitzender Hans Erich Ummen, Obersturmführer Dr. Thüsing und Regierungspräsident Klemm als mög-

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jedoch die fehlende Anpassungsfähigkeit Peters an die veränderten politischen Verhältnisse gesehen werden.80 Nachdem der Wunschkandidat des Gaus, Rechtsanwalt Fleiter aus Münster, durch das Ministerium abgelehnt wurde, fiel die Wahl des Gaus auf den bisherigen Gaupersonalamtsleiter Curt Beyer.81 Mit der Neubesetzung der Stelle des Kurators verband sich, wie eingangs erwähnt, auch zugleich die Frage nach der Umwandlung in ein Hauptamt.82 Beyer war jedoch für eine hauptamtliche Besetzung der Stelle vollkommen unqualifiziert. Nachdem er seinen Dienst beim Militär quittiert hatte, hatte er in Berlin eine kaufmännische Tätigkeit übernommen und war 1933 nach Münster gekommen, wo er zum Gaupersonalamtsleiter ernannt worden war.83 Er entsprach damit in keiner Weise den Vorstellungen des Ministeriums von einem qualifizierten Kurator.84

Curt Beyer als neuer Kurator und Verbindungsmann zum Gau Westfalen-Nord Nachdem es über Monate zwischen dem Ministerium und der Gauleitung zu keiner Einigung kam, verschärfte die Ernennung Hugelmanns zum Rektor die Diskussion. Im Juni 1936 schrieb Gauleiter Meyer an das Ministerium, dass Hugelmann sich als Rektor nicht in dem Umfang für die nationalsozialistische Durchdringung der Universität einsetzen würde, wie es für die schwierigen Verhältnisse an der Universität nötig sei. Unter diesen Umständen sei die Universität umso mehr auf einen verlässlichen Kurator angewiesen.85 Mit diesem Schreiben hoffte der Gauleiter, die ausstehende Entscheidung zu beschleunigen. Am 23. Juni 1936 fiel sie dann zu Gunsten Beyers, der zum 1. Oktober 1936 zum kommissarischen Kurator ernannt wurde. Die Ernennung zum Kurator im Hauptamt erfolgte zum 1. November 1937 und verwundert angesichts seiner absolut ungenügenden Ausbildung umso mehr.86 In dem Ernennungsschreiben findet sich ein handschriftlicher Vermerk, dass es sich bei Beyer um den Vetter des Gauleiters Meyers handle.87 Eine familiäre Bindung zwischen den Männern ist aber mehr als zweifelhaft, da dieses Schriftstück der 80

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liche Nachfolger Peters gehandelt. BAB, R 4901, 14260, Blatt 115/116. Beyer schreibt darin an das Ministerium: „ Wenn nun an seiner Seite [Rektor Hugelmann, Anmerkung K. S.] als Kurator, also als Treuhänder des Staates, ein Mann arbeitet, der ähnlich eingestellt ist und auf Grund seines Alters nicht die geringste Initiative erkennen lässt, sondern alles so laufen lässt, wie es ist, so kann man nicht erwarten, dass an dieser Universität eine Besserung eintritt.“ Die langen und umständlichen Verhandlungen zwischen dem Gau und dem Ministerium über Fleiter, Beyer und andere potentielle Kuratoren für die Universität Münster sind bei Heiber 1994 auf den Seiten 696 bis 697 zusammengefasst. BAB, R 4901, 14260, Blätter 57 und 58 mit RS. Siehe dazu die Personalakte Beyers im UAMs, Bestand 10, Nr. 842. BAB, R 4901, 14260, Blatt 57 (RS). Ebd., Blatt 115. UAMs, Bestand 10, Nr. 842, Schreiben des Ministeriums an Beyer, 23.12.1937. Ebd., Schreiben des Ministeriums an Beyer, 23.6.1936.

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einzige Hinweis darauf ist und der allgemeine Umgang der beiden zueinander in Schreiben zwischen der Gauleitung und dem Kuratorium in der Folgezeit immer sehr förmlich war. Auch in der Personalakte Beyers gibt es keine weiteren Hinweise auf eine Verwandtschaft. Mit der Ernennung Beyers sollten sich die Einmischungsversuche des Gaus auf die universitätsinternen Abläufe nochmals verstärken. Hatten der Gau und seine untergeordneten Organisationen zwar auch zuvor schon erfolgreich versucht, Einfluss auf das Geschehen an der Universität auszuüben, machte die neue personelle Verknüpfung von Gau und Universität die Beeinflussung von nun an deutlich einfacher. Beyer hatte als Gaupersonalamtsleiter bereits vor seiner Ernennung zum Kurator bei anstehenden Berufungen die möglichen Kandidaten geprüft und gegebenenfalls eine eigene Stellungnahme dazu abgegeben oder sogar von sich aus Kandidaten vorgeschlagen.88 Einen besonders interessanten Fall in dieser Hinsicht stellte die zweite zu besetzende außerordentliche Professur für Volkswirtschaft an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät im Juli 1934 dar. Dr. Jacobshagen, Syndikus der Industrie- und Handelskammer, hatte von einem Fakultätsmitglied erfahren, dass Professor Wilhelm Kromphardt für diese Stelle im Gespräch war. Daraufhin hatte sich Jacobshagen an die Gauleitung gewandt, damit diese sich für die Berufung Kromphardts einsetzen sollte.89 Auffällig ist an diesen Vorgängen, dass die Industrie- und Handelskammer ganz offensichtlich davon ausging, dass sie über den Gau Einfluss auf das Geschehen an der Universität würde nehmen können und dass die Universität auf diese Einmischung in Interna, die allein die akademische Verwaltung betrafen, nicht reagierte.90 Auch der Direktor der Universitäts-Hautklinik, Professor Alfred Stühmer, hatte, als es darum ging, einen Nachfolger für ihn zu finden, ein Schreiben mit dem Vorschlag eines geeigneten Kandidaten an den Gauleiter geschrieben und ihn in dieser Hinsicht um seine Unterstützung gebeten, und nicht an den Rektor.91 Der Gau stellte damit also auch schon vor der Ernennung Beyers zum Kurator einen wichtiger politischen Faktor an der Universität dar. In einer Jubiläumsschrift des Gaus Westfalen-Nord hieß es über die Zeit vor Beyers Amtsantritt in diesem Zusammenhang: „Unter starker persönlicher Einschaltung des Gauleiters und Oberpräsidenten der Provinz Westfalen, Dr. Alfred Meyer, wurde eine aktive Personalpolitik betrieben, die zum Ziel hatte, die Lehrstühle immer mehr mit wissenschaftlich hervorstehenden, aber auch weltanschaulich gefestigten Dozenten zu besetzen.“92 88 89 90 91 92

Dazu z. B.: UAMs, Bestand 4, Nr. 222, Schreiben Beyers an Naendrup zur Erteilung einer Honorarprofessur für Regierungs- und Schulrat Reimpell, 19.2.1935. UAMs, Bestand 4, Nr. 236, Schreiben Jacobhagens an Franke, 26.7.1934. Ebd. In einem Schreiben des Rektors an die Fakultäten vom 7.8.1934 ermahnte Naendrup lediglich dazu, Außenstehende nicht über Fakultätsinterna zu informieren. Ebd., Schreiben Stühmers an Meyer, 9.5.1934. Schröder 1940, S. 284.

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Seit dem 1. Oktober 1936 hatte der Gau damit also quasi einen doppelten Zugang zu den Ereignissen und Entscheidungen an der Universität: Zum einen über Beyer in seiner Funktion als Kurator, zum anderen ebenfalls über ihn in seiner Funktion als Gaupersonalamtsleiter. Gau- und Universitätsinteressen wurden von diesem Zeitpunkt an noch viel stärker als zuvor miteinander verknüpft, was letztendlich dazu führte, dass Beyer regelmäßig Vorschläge, Stellungnahmen oder Ähnliches in seiner Funktion als Kurator an den Rektor weiterleitete, der dann das weitere Vorgehen veranlassen musste. Dieses Prinzip funktionierte besonders in Berufungsfragen. Hugelmann widersetzte sich diesem Prinzip nicht, weshalb seine Absetzung wahrscheinlich nicht mit so viel Nachdruck gefordert wurde wie die seines Vorgängers. Hugelmann war es letztendlich auch selbst, der bei Minister Rust darum bat, sein Amt niederzulegen, weil er eine zweijährige Amtszeit für ausreichend halte.93 Unmittelbar vor dieser Bitte kam es zu Differenzen zwischen dem Dekan der Evangelisch-Theologischen Fakultät, Friedrich Wilhelm Schmidt, und Hugelmann, in deren Folge Schmidt damit drohte, ein Disziplinarverfahren gegen Hugelmann beim Ministerium einzufordern.94 Ob diese Ereignisse auf das Rücktrittsgesuch Hugelmanns einen direkten Einfluss hatten, kann jedoch nicht mit Sicherheit gesagt werden. Insgesamt war Hugelmann darum bemüht, seine Rolle als „Führerrektor“ stärker in den Vordergrund zu stellen, als Naendrup dies getan hatte. Dabei scheute er keine Konflikte mit dem Kurator Peters. Weder Peters noch er selber waren jedoch die Wunschkandidaten der Gauleitung. Durch den personellen Wechsel im Kuratorium hatte die Gauleitung ihren Machtfaktor an der Universität ausbauen können, wodurch Hugelmann besser in die Absichten der Gauleitung eingebunden und als Rektor der Universität geduldet werden konnte. Seine Nachfolge trat 1937 der Botaniker Walter Mevius an, der von Hugelmann selbst als möglicher Kandidat gehandelt worden war.95 Die Tatsache, dass Mevius im Gegensatz zu den beiden weiteren Kandidaten kein Parteigenosse war, bedeutete nach Hugelmann jedoch nicht, dass an Mevius’ politischer Einstellung gezweifelt werde müsse.96 Mevius selbst glaubte, dass der Hauptgrund für seine Ernennung die Tatsache sei, dass er von 1928 bis 1932 Vorsitzender der Nichtordinarienvereinigung im Senat war und damit über fundierte Kenntnisse auf dem Gebiet der Hochschulverwaltung verfügte. Dieses sei umso wichtiger, weil der neue Kurator Beyer eben nicht die nötige Erfahrung zur Leitung einer Hochschule hatte.97 Mevius zeichnete demnach ein starkes „Führerbewusstsein“ aus.

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BAB, R 4901, 14262, Blätter 97 und 98 mit RS. Ebd., Blatt 100 mit RS. Ebd., Blätter 97 und 98 mit RS. Ebd., Blatt 97 (RS). StAHH, PA Mevius, IV 1368, undatierte Anlage zu Fragebogen, ca. 1945.

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Die Zusammenarbeit zwischen Mevius und Beyer gestaltete sich aus der Perspektive des Gaus als äußerst zufriedenstellend. In der Gaujubiläumsschrift hieß es dazu: „Mit dem Rektor Mevius war ein aktiver Nationalsozialist als Führer der akademischen Verwaltung in die Universität eingezogen. […] Der Kurator konnte in engster Zusammenarbeit mit ihm alle Fragen der staatlichen Verwaltung und einer in nationalsozialistischem Sinne geführten Personalpolitik lösen, während er selbst in der Führung der wissenschaftlichen Weiterentwicklung und des Ausbaus sowie in der Behandlung des akademischen Nachwuchses alle Probleme in dem gleichen Sinne und mit großer Aktivität in Angriff nahm.“98

Bei Durchsicht der Akten zeigt sich jedoch, dass in Berufungsfragen nicht Mevius derjenige war, der die Initiative ergriff, sondern Beyer nach Veranlassung durch den Gau. Damit fand in seiner Amtszeit eine starke Einmischung durch die staatliche Hochschulverwaltung statt, für die es keine rechtliche Grundlage gab. Das Gegenteil war der Fall. Im Jahr 1942 erließ das Ministerium Richtlinien über die Abgrenzung der Zuständigkeitsbereiche der Rektoren und Kuratoren der wissenschaftlichen Hochschulen. In den Punkten II. 2. und II. 3. wurde ausdrücklich genannt, dass der Lehrkörper sowie die Sorge um Lehre und Forschung einzig und allein in die Zuständigkeit des Rektors fielen und ihm damit auch das Recht vorbehalten blieb, Vorschläge für freie Professuren oder Ernennungen von Dozenturen auszusprechen.99 Für den Kurator hieß es in dieser Angelegenheit: „Der Kurator ist mit den in den Bereichen von Lehre und Forschung fallenden Angelegenheiten nur insoweit befasst, als der Schriftverkehr zwischen Hochschule und Ministerium durch seine Hand geht. Seine mögliche Stellungnahme dazu bezieht sich auf die etwaigen Rückwirkungen dieser Angelegenheiten auf den von ihm geführten Bereich der äußeren Hochschulverwaltung.“100

Wie wenig sich die Gauleitung und Beyer jedoch an diese Richtlinien hielten, belegt unter anderem eine Stellungnahme von Mevius, die im Zuge seines Entnazifizierungsverfahrens gemacht wurde. Danach sei der Kurator der Vertrauensmann des Gaus gewesen, und es habe durch ihn viele Einmischungsversuche gerade in Berufungsfragen gegeben.101 Mevius behauptete jedoch, dass er und die Universität dem großen Druck, der von Seiten der Partei ausgeübt worden wäre, immer Stand gehalten haben und dass allein die wissenschaftliche Qualifikation den Ausschlag für oder gegen eine Berufung gegeben hätte.102 Mevius versuchte dadurch offensichtlich, sich als Kämpfer gegen eine Nazifizierung der Universität darzustellen. In Wahrheit hatte aber gerade er sie forciert, wie seine Rede auf der Rektorenkon98 99 100 101 102

Schröder 1940, S. 285. Richtlinien 1942. Ebd. StAHH, PA Mevius, IV 1368, undatierte Anlage zu Fragebogen, ca. 1945. Ebd.

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ferenz 1937 belegt. Hier forderte er eine engere Kooperation der Universitäten mit der NSDAP zur Abwehr externer Einmischungsversuche und äußerte bezüglich der Karrierebestrebungen von Nachwuchswissenschaftlern: „es kommt einzig und allein darauf an, dass ihr an der Universität etwas leistet, dass ihr überzeugte Nationalsozialisten seid, dann braucht ihr nicht über Hintertreppen so etwas versuchen! [Beifall]“103

Es gab tatsächlich einige Fälle, in denen sich Rektor und Kurator oder mindestens einer der beiden gegen eine durch die Parteiinstanzen ins Gespräch gebrachte Berufung ausgesprochen hatten. Beide lehnten beispielsweise die Berufung des außerplanmäßigen Professors Erich Feldmann auf die ehemalige ordentliche Professur von Wilhelm Kabitz ab, die durch den höheren SS- und Polizeiführer-West vorgeschlagen wurde.104 Es war offenbar in der Regel notwendig, dem Gauleiter derartige Entscheidungen zu begründen, wodurch erneut deutlich wird, dass der Gau ein wichtiger politischer Faktor war. Ein ähnlicher Fall betraf die Neubesetzung des Direktors der Hals-Nasen-Ohren-Klinik 1938: In mehreren Schreiben hatten die SA, der Führer eines NS-Fliegerkorps und der Gauwirtschaftsberater gegenüber dem Gauleiter Meyer geäußert, dass Professor Wilhelm Berger aus Königsberg für diese Stelle unbedingt geeignet sei. Meyer leitete den Briefverkehr an Beyer weiter, der seinerseits an den Rektor schrieb, um die Anstellung Bergers zu forcieren. Der Fakultätsausschuss der Medizinischen Fakultät sprach sich allerdings gegen Berger aus, da die Kandidaten der Fakultät bessere wissenschaftliche Leistungen aufzuweisen hatten. Als die Gauleitung erfuhr, dass Berger nicht zu den drei Kandidaten der Fakultät gehörte, erhielt Rektor Mevius ein Schreiben, in dem das Verhalten der Fakultät, die den Wunsch des Gauleiters ignoriert hatte, auf das schärfste kritisiert wurde. Aus diesem Grund solle Mevius das Verhalten der Fakultät im Interesse der sonst so „glücklichen Zusammenarbeit zwischen der Gauleitung und der Universität“105 aufklären. Auf die schriftliche Erklärung Mevius, dass er nach Einsicht der Fakultätsakten zu dem Ergebnis kam, dass die Fakultät die Berufung Bergers geprüft habe, ihn aber nicht für geeignet hielt, ist keine Reaktion der Gauleitung festzustellen.106 An derartigen Vorfällen ist unschwer zu erkennen, dass die Gauleitung durchaus in der Lage war, Druck auf die Universität auszuüben. Erfolgreich waren die Einmischungen durch den Gau aber nicht immer. In der Regel wurden die Vorschläge aus dem Gau in den Fakultätssitzungen besprochen, und erst nach positiver Entscheidung wurde der Vorgeschlagene auf die Dreierliste für das Ministerium gesetzt. In den Fakultätssitzungen musste zwischen der wissenschaftlichen und po103 104 105 106

BAB, R 4901, 13856, Niederschrift der Rektorenkonferenz in Marburg, 15.12.1937. UAMs, Bestand 9, Nr. 323, Stellungnahme des Rektors zur Berufung Feldmanns vom 18.12.1941 und Schreiben des Kurators an den Gauleiter, 22.12.1941. UAMs, Bestand 4, Nr. 239, Schreiben der Gauleitung an den Rektor, 24.3.1938. Ebd., Briefwechsel zwischen Gau und Universität von März bis Mai 1938 wegen Berufung Bergers.

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litischen Eignung der Kandidaten entschieden werden. Wenn es in dieser Situation Widerstand gab, dann nur durch die Beratungen innerhalb der Fakultäten. Die insgesamt gute Zusammenarbeit zwischen der Gauleitung und Mevius wurde in der Folge für den Rektor noch sehr bedeutend, denn sie retteten ihn davor, wegen eines Vergehens gegen die Kriegswirtschaftsgesetze verurteilt zu werden. Die Ereignisse um das Ende des Rektorats Mevius veranlassten Heiber dazu, Mevius als „Schinkenmevius“ in die Literatur eingehen zu lassen.107 Mevius’ Frau hatte nämlich von einem ehemaligen Studenten der Universität, Franz Baxmann, einen Schinken und mehrere Würste angenommen, die aus einer Schwarzschlachtung stammten und damit unter die Kriegswirtschaftverordnung fielen. Baxmann wurde nach Bekanntwerden des Vorfalls zum Tode verurteilt, während Mevius lediglich eine Geldstrafe und eine Versetzung an eine andere Universität zu erwarten hatte.108 Dieses Arrangement kam durch das Zusammenwirken der Gauleitung mit dem Oberlandesgerichtspräsidenten in Hamm im Juli 1943 zustande. Gauintern war nach Bekanntwerden der Verfehlung vereinbart worden, dass Mevius als Rektor nicht mehr tragbar sei. In Anbetracht seiner „langen Verdienste“109 sollte jedoch veranlasst werden, dass die Angelegenheit mit einer Geldstrafe zu erledigen sei.110 Tatsächlich gelang es der Gauleitung, ihre Pläne mit Mevius gegen den Antrag des Generalstaatsanwaltes, der eine dreimonatige Haft forderte, durchzusetzen. Ohne die Intervention der Gauleitung und deren Absprachen mit der Justiz wäre die Haftstrafe für Mevius unausweichlich geworden.111 Stattdessen wurde er zum 18. September 1943 als Rektor entlassen und sollte zum 1. April 1944 den Lehrstuhl für allgemeine Botanik an der Universität Hamburg übernehmen.112 Seine Berufung nach Hamburg verzögerte sich aber kriegsbedingt bis zum 1. März 1945.113 Das unmittelbar bevorstehende Kriegsende hatte für Mevius zur Folge, dass seine Ankunft in Hamburg und seine Rolle in Münster an seiner neuen Arbeitsstelle zunächst nicht weiter beachtet wurden. Erst 1946 wurden Vorwürfe wegen seiner Verfehlungen und Verstrickungen mit der Gauleitung in Münster erhoben, diese wurden vom Rektor der Hamburger Universität und dem Senator der Schulverwaltung jedoch als Gerüchte bagatellisiert und nicht näher untersucht.114 Auch nach dem Kriegsende wurde der dritte Münstersche „Führerrektor“ damit nicht mehr zur Rechenschaft gezogen. Zu verdanken hatte er dies der schützenden Hand der Gauleitung, die auch bei der Installierung von Mevius’ Nachfolger im Rektorat die treibende Kraft war. Wie üblich ging die Intervention des Gaus vom 107 108 109 110 111 112 113 114

Heiber 1994, S. 692. UAMs, Bestand 10, Nr. 10417, Aktennotiz Beyers über Absichten des Gaus im Hinblick auf Mevius, 13.7.1943. Ebd. Ebd. Ebd. StAHH, PA Mevius, IV 1390, REM an Mevius, 25.2.1944. Ebd., Schreiben des Ministeriums an Mevius, 3.3.1945. Ebd., Rektor der Universität Hamburg an Schulverwaltung Hamburg, 3.9.1946.

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Kurator der Universität aus. Beyer richtete ein Schreiben an das REM, in dem er die Stellungnahme des Senats zur Nachfolgefrage beifügte und zugleich unmissverständlich klarstellte, dass einer der vom Senat vorgeschlagenen Kandidaten der Wunschkandidat des Gauleiters sei.115 Es handelte sich dabei um den Pathologen Herbert Siegmund, während „eine Ernennung einer der anderen in dem Schreiben aufgeführten Persönlichkeiten seitens der Gauleitung nicht unterstützt werden würde.“116 Mit Siegmund glaubte die Gauleitung einen aufrechten Nationalsozialisten als Rektor etabliert zu haben, der anders als seine Vorgänger schon früh selbst ins Kriegsgeschehen als beratender Pathologe eingebunden war117 und der sich zudem auch an der für die Nationalsozialisten relevanten medizinischen Forschungen beteiligte. Er selbst gab nach dem Krieg an, dass seine Forschungen auch in den Bereichen der Ernährungsschäden, der ansteckenden Gelbsucht und der Erfrierungsschäden gelegen hatten.118 Das Engagement des Gauleiters Meyer für Siegmund ist vor diesem Hintergrund ein eindeutiger Beleg dafür, dass der Pathologe das Ansehen eines engagierten, überzeugten und vor allem eines zuverlässigen Nationalsozialisten genoss. Das Rektorat Siegmund war in erster Linie durch den Krieg und die Zerstörung der Stadt Münster geprägt.119 Im Sommer 1944 entwickelte Siegmund einen Vorschlag, der den Universitätsbetrieb an die Verhältnisse des „Totalen Krieges“ anpassen sollte.120 Darin beabsichtigte er eine fast komplette Stilllegung des Lehrbetriebes. Lediglich diejenigen Forschungsprojekte, deren Ergebnisse unmittelbar 115 116 117

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BAB, R 4901, 14262, Blatt 148–149. Ebd., Schreiben des Kurators an das Ministerium, 9.10.1943. Siegmund war bereits 1941 als beratender Pathologe mit der 17. Armee in der Ukraine und hat in diesem Zusammenhang auch Fotos über die Verhältnisse in Lemberg nach den Massenmorden im Sommer 1941 an die Medizinische Fakultät in Kiel geschickt. Landesarchiv Schleswig-Holstein, Abt. 47.6, 165, Brief Siegmunds an den Dekan der Medizinische Fakultät in Kiel, Löhr, 8.8.1941. Auch in seiner Zeit in Münster arbeitete er weiterhin als beratener Pathologe an der Front. So wurde er am 7.9.1942 mit einem wehrmedizinischen Sonderauftrag an die Ostfront kommandiert, UAMs, Bestand 10, Nr. 3620, Schreiben Siegmunds an den Kurator, 8.9.1942. UAMs, Bestand 5, Nr. 315, selbstverfasster Lebenslauf kurz nach Kriegsende. In Kiel hatte die Forschung zu Erfrierungs- bzw. Unterkühlungsschäden eine besondere Bedeutung, da die dortigen Physiologen Ernst Holzlöhner und Erich Rascher mit der Erforschung der „Seenotfrage“ durch Versuche in Dachau beauftragt wurden. Siehe dazu: Ebbinghaus/ Roth 2007, S. 138. Im Oktober 1942 fand eine Tagung mit dem Titel „Ärztliche Fragen bei Seenot und Winternot“ unter Mitwirkung von Rascher und Holzlöhner statt, an der Siegmund ebenfalls teilnahm. Siehe dazu: Klee 1997, S. 237. Natürlich hatte der Krieg auch schon unter dem Rektorat von Mevius einen großen Einfluss auf den universitären Alltag, aber die intensiven Luftangriffe begannen im Herbst 1943 und fielen damit in das Rektorat Siegmunds. Zur Situation an der Universität im Krieg siehe zum Beispiel: Behnke 1978, S. 153f., und Respondek 1995, S. 30. UAMs, Bestand 9, Nr. 27, „Vorschlag des Rektors der Westfälischen Wilhelms-Universität über den Einsatz der Universität im totalen Krieg“, 11.8.1944.

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Einfluss auf den Krieg haben könnten, und die Universitäts-Kliniken sollten weitergeführt werden.121 Mitte Oktober 1944 kam es zu schweren Luftangriffen auf die Stadt Münster, die besonders an den Kliniken starke Schäden anrichteten. Siegmund reiste daraufhin nach Berlin, um die Lage in Münster mit dem Ministerium zu besprechen und sich aus Berlin „besondere Vollmachten“ bewilligen zu lassen.122 Das Resultat dieser Verhandlungen war eine Auslagerung der Kliniken nach Bad Salzuflen. Unterstützt wurde die Universität dabei durch den Reichsverteidigungskommissar WestfalenNord,123 hinter dem sich niemand anderes als der Gauleiter von Westfalen-Nord, Alfred Meyer, verbarg. Die personelle Vernetzung der Universität mit der Gauleitung erwies sich als überaus nützlich, da die Universität den Kurierdienst des Gaus Westfalen-Nord für die Verlegung nach Bad Salzuflen nutzen durfte.124 Zudem gab es viele Gespräche zwischen Rektor, Kurator und dem Reichsverteidigungskommissar, in denen die Modalitäten für den Umzug nach Bad Salzuflen unter Einbeziehung der Wehrmacht und italienischer Kriegsgefangener125 geplant wurden.126 Eine Auslagerung in das über 120 Kilometer entfernte Bad Salzuflen mitten im Krieg stellte höchste logistische Anforderungen an die Beteiligten. Aus einem Schreiben Beyers geht hervor, dass ursprünglich nicht Bad Salzuflen, sondern das Stift Tilbeck bei Havixbeck als Ausweichstelle für die Universität Münster geplant gewesen war. Diese Auslagerung wäre aus organisatorischer Sicht sehr viel einfacher gewesen, da dorthin bereits große Teile der Kliniken verlagert worden waren und die Entfernung lediglich etwa 20 Kilometer betrug. Die Entscheidung sei jedoch für Salzuflen ausgefallen, weil dort der klinische Lehrbetrieb fortgeführt werden könne.127 Im Zuge der Umsiedlung der Kliniken hatten auch viele andere universitäre Einrichtungen Münster verlassen, wobei die Verwaltung der Universität nicht nach Salzuflen, sondern nach Göttingen verlagert wurde.128 In Münster sollten nur wenige Mitarbeiter verbleiben, die die Universitätsgebäude vor weiterem Verfall schützen sollten.129 Damit kam es zu einer räumlichen Trennung von staatlicher und wissen121 122 123 124 125

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Ebd. UAMs, Bestand 9, Nr. 16, Schreiben des Kurators an das Ministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, 4.11.1944. Ebd. UAMs, Bestand 9, Nr. 259. Diese Akte enthält auch viele organisatorische Absprachen zum Umzug der Universität zwischen Beyer und dem Prorektor Kratzer. Diese wurden vom Bergwerksdirektor der Zeche Radbod für Räumungsarbeiten in Münster und Bad Salzuflen freigestellt. Siehe dazu: UAMs, Bestand 9, Nr. 17, Briefwechsel zwischen Rektor und Herrn Hook von der Zeche. UAMs, Bestand 9, Nr. 16, Aktenvermerke des Kurators vom 11.11., 13.11., 27.11.1944. Ebd., Schreiben Beyers an Ministerialdirektor Mentzel vom REM, 20.11.1944. Das Kuratorium sollte zum Beispiel nach Göttingen umgelagert werden. Siehe dazu: ebd., Briefwechsel zwischen Beyer und dem Universitätsoberinspektors Hannak, Dezember 1944. Ebd., Schreiben des REM an Rektor und Kurator der Universität Münster, 22.12.1944.

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schaftlicher Verwaltung, die möglicherweise auf den Rektor Siegmund zurückzuführen ist. Die offensichtlichen Bedenken Beyers blieben dabei unberücksichtigt. Herbert Siegmund war im Vergleich zu seinen Vorgängern nicht nur derjenige Rektor, der einem solchen Ideal nach Ansicht des Gauleiters offensichtlich am stärksten entsprach, sondern auch derjenige, der durch sein ausgeprägtes „Führerbewusstsein“ am ehesten in Konflikt mit dem Kurator geriet. Nach Angaben von Zeitzeugen verschlechterte sich das Verhältnis zwischen Rektor und Kurator seit dem Amtsantritt Siegmunds zusehends.130 Dieser Umstand ist offensichtlich weniger auf das Verhalten Beyers zurückzuführen, als auf das des Rektors, der so eng mit dem Gauleiter zusammenarbeitete, dass der Kurator als „Vermittler“ zwischen Staat beziehungsweise Partei und Universität an Bedeutung verlor.

Nachkriegszeit Nachdem Münster am 2. April 1945 von amerikanischen und britischen Soldaten besetzt worden war,131 folgte am 16. Juli 1945 der Rücktritt Siegmunds von seinem Amt.132 Als einer von wenigen Rektoren hatte er noch einige Zeit nach der Besatzung sein Amt fortführen dürfen.133 Ein Grund hierfür mag gewesen sein, dass es in Münster niemanden gab, der seinen Rücktritt mit Nachdruck forderte.134 Dieser erfolgte schließlich in einer Senatssitzung, in der zugleich beschlossen wurde, dass die Neuwahl eines Rektors entsprechend der Satzung von 1929 stattfinden müsse und damit auch diese Satzung wieder vollständig restituiert werden sollte.135 Der Militärregierung war es sehr wichtig, dass die Amtsdauer der Rektoren auf ein Jahr beschränkt blieb.136 Die Neuwahl fand nach altem Modus durch den Senat statt, der damit nicht nur theoretisch sondern auch faktisch seine alte Funktion zurückerhielt und die „Ära der Führerrektoren“ beendete. Nachfolger Siegmunds wurde der Professor der katholischen Theologie Georg Schreiber, der von den Nationalsozialisten 1935 nach Braunsberg zwangsversetzt worden war und deswegen seine Emeritierung beantragt hatte.137 Schreiber war in der Weimarer Republik ein 130 131 132 133 134

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Siehe dazu u. a.: UAMs, Bestand 10, Nr. 3620, Schreiben des Theologen Meinertz an Rektor Schreiber, 27.4.1946. Zur Besetzung und Einrichtung der Militärregierung siehe: Respondek 1995, S. 34ff. UAMs, Bestand 10, Nr. 3620, undatiertes Schreiben Siegmunds an den Oberpräsidenten. Respondek 1995, S. 40. Ebd., S. 58–60. Die Militärregierung hatte zwar Richtlinien erlassen, in denen unter anderem ausgeführt wurde, dass kein Nationalsozialist in einer beamteten Stellung verbleiben sollte, aber diese wurden an der Universität nicht ausgeführt. Siehe dazu: UAMs, Bestand 4, Nr. 35, Richtlinien der Militärregierung, Nr. 4. UAMs, Bestand 4, Nr. 24, Protokoll der Senatssitzung, 16.7.1945. UAMs, Bestand 4, Nr. 755, Schreiben der Militärregierung an die Universität, 22.3.1946. UAMs, Bestand 10, Nr. 4419, Schreiben des Prorektors Kratzer an den Oberpräsidenten, 20.7.1945.

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bedeutender Kulturpolitiker und Zentrumsabgeordneter des Reichstages gewesen.138 Für den Wiederaufbau der Universität war die Wahl des Theologen von großem Nutzen, denn Schreiber verstand es, alle Hebel in Bewegung zu setzen, um die Wiederaufnahme des Lehrbetriebes an der Universität Münster voranzutreiben.139 Bereits Anfang November konnte der Unterricht in einigen Fakultäten wieder aufgenommen werden.140 Die oberste staatliche Verwaltung der Universität lag nunmehr in den Händen des Oberpräsidenten von Westfalen, dem wiederum der Kurator unterstellt wurde. Dieses Amt übernahm Clemens Steinbicker, nachdem Beyer interniert worden war.141 Steinbicker bekleidete zudem auch den Posten des Universitätsreferenten beim Oberpräsidenten.142 Die Bezugsbehörde des Kurators war damit auch faktisch wieder ein staatliches Organ und nicht eine lokale Parteistelle. Die Verbindung der beiden Ämter in der Person Steinbickers wurde wegen der dadurch möglichen „Verwaltungsvereinfachung und Kostenersparnis“ gerechtfertigt.143 Die äußeren Bedingungen für eine satzungsgemäße Trennung zwischen akademischer und staatlicher Hochschulverwaltung waren damit zwar wieder hergestellt, aber aus einem Schreiben des Rektors Schreiber vom 21. Dezember 1945 geht hervor, dass diese Trennung in der Praxis nicht reibungslos umgesetzt wurde. Konkret beschwerte Schreiber sich darüber, dass sich die Militärregierung bei Vertretungsfragen von Dozenten an den Kurator wende und nicht an den Rektor, der für die Lehre an der Universität Münster verantwortlich sei.144 Es ist jedoch im Einzelfall nicht zu bestimmen, ob sich die Militärregierung an Clemens Steinbicker in seiner Funktion als Kurator oder in seiner Funktion als verantwortlicher Referent im Oberpräsidium wandte. Damit war das eigentliche Problem nicht die mögliche Überschreitung von Kompetenzen, sondern die Verquickung der beiden Ämter Steinbickers. Da es während der Amtszeit Beyers ähnliche strukturelle Probleme gegeben hatte, stellt sich die Frage, ob die Problematik im Oberpräsidium nicht bekannt war oder ob es sich bei der Verquickung der Ämter möglicherweise auch um eine bewusste Maßnahme zur Stärkung des staatlichen Einflusses auf die Universität handelte. Neben den von der Satzung vorgesehenen universitären Organen stand die Universität zunächst unter der Kontrolle der Militärregierung, genauer gesagt unter der Oberaufsicht der Education Branch unter Leitung des Kanadiers G. F. Savage.145 Schon früh war sich die britische Besatzungsmacht darüber im Klaren, dass man die deutschen Behörden nicht entmündigen durfte, sondern mit ihnen kooperie138 139 140 141 142 143 144 145

Eine kurze Biografie zu Schreiber findet sich bei Morsey 1975. Amelunxen 1960, S. 154. UAMs, Bestand 4, Nr. 356, Bekanntmachung der Militärregierung. UAMs, Bestand 10, Nr. 842. UAMs, Bestand 10, Nr. 6733, Bd. 1, Schreiben des Oberpräsidenten Amelunxen an Steinbicker, 29.9.1945. UAMs, Bestand 179, Nr. 5, Besetzung des Universitätsreferenten beim Oberpräsidenten. Ebd. Respondek 1995, S. 36.

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ren musste. Im universitären Sektor sahen die Briten einen wichtigen Faktor, um die Demokratisierung in Deutschland durch gegenseitigen Austausch voranzutreiben und zu beeinflussen.146 In diesem Zusammenhang sollten umfangreiche Reformen an den Hochschulen durchgeführt werden. Dieses Thema wurde sowohl von deutscher als auch von britischer Seite forciert.147 Dazu wurden Gutachten erstellt, die den Hochschulen entsprechende Vorschläge unterbreiten sollten.148 Wie schon in der Weimarer Republik wurde die Rolle des Kurators dabei kontrovers diskutiert.149 Die Resonanz der Reformen war an den Hochschulen sehr unterschiedlich, was beispielsweise daran deutlich wird, dass die „Kuratorfrage“ an den deutschen Universitäten, wie bereits erwähnt, zu unterschiedlichen Zeitpunkten geklärt wurde. Die Tatsache, dass an der Universität Münster erst 1960 die Satzung aus der Weimarer Republik reformiert wurde, muss als Scheitern der Demokratisierung hochschulpolitischer Strukturen in Münster gewertet werden. Neben der Hochschulreform war für die Münsterschen Kuratoren besonders der Wiederaufbau beziehungsweise die Schaffung von Räumlichkeiten für den Lehrbetrieb von Bedeutung. Das Raumproblem blieb an der hiesigen Universität bis in die 1950er-Jahre neben der Hochschulreform das zentrale Thema der staatlichen Verwaltung.150 Andere Bemühungen der Besatzungsmächte zur Demokratisierung des universitären Lebens scheiterten jedoch nicht. So kamen wichtige Impulse für eine positive Außendarstellung der Universität von dem seit April 1946 im Amt befindlichen Universitätsoffizier Ray Perraudin.151 Dieser engagierte sich nicht nur für die Bereitstellung der nötigen Räumlichkeiten und Unterrichtsmaterialien, sondern auch für eine internationale Öffnung der Universität, um sie aus ihrer „geistigen Isolation zu befreien“.152 Damit war nicht nur eine Isolation der deutschen Wissenschaft während der nationalsozialistischen Herrschaft gemeint, sondern vielmehr eine innere Unsicherheit der Studenten. Um diese Unsicherheit zu überwinden, sei der internationale Austausch mit anderen Studenten sehr wichtig, da sich die deutschen Studenten so, nach dem Wegfall der nationalsozialistischen Ideologie, für ihre Ideale und ihr Wertesystem Anregungen holen könnten.153 Einen besonders starken 146 147

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Phillips 1983, S. 59. Von deutscher Seite gab es zum Beispiel den „Ausschuss zur Erneuerung der deutschen Hochschule“. Die Briten beriefen Delegationen ins Leben, die anhand der aktuellen Situation Vorschläge zur Neugestaltung des deutschen Hochschulwesens ausarbeiten sollten. Ein bekanntes Beispiel ist das sogenannte „blaue Gutachten“ von 1948. Anstehende Reformen waren auch ein Thema bei der Rektorenkonferenz in Bünde am 17./18.12.1945, UAMs, Bestand 4, Nr. 154, Beschlüsse der Rektorenkonferenz in Bünde. Die Rektorenkonferenz in Bünde sprach sich gegen das Amt des Kurators aus. Im „blauen Gutachten“ wurde hingegen geurteilt, dass das Amt des Kurators wichtig sei, um die Hochschulpolitik von staatlicher Seite konstruktiv beeinflussen zu können. Die Universitäten in der britischen Zone Deutschlands 1948, S. 10. Siehe dazu im Einzelnen: Niemer 2010. Respondek 1995, S. 99. Ebd., S. 105. Siehe dazu: Savage/Perraudin 1946, S. 27–28.

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Einfluss auf den internationalen Austausch hatte auch der zweite Nachkriegsrektor Emil Lehnartz. Er wurde zum 15. Oktober 1946 Nachfolger Schreibers und führte das Amt auch in den beiden darauf folgenden Amtsjahren.154 Lehnartz kam 1939 von der Universität Göttingen nach Münster und übernahm den Lehrstuhl für physiologische Chemie. In den Gutachten der NS-Dozentenschaft aus Göttingen wurde Lehnartz jegliche Eignung für die Professur in Göttingen auf Grund seiner fehlenden politischen Überzeugung abgesprochen.155 In einer Stellungnahme des Kultusministeriums vom August 1948 hieß es, dass vom Rektor „wegen seines repräsenten Charakters als Exponent der Universität zu verlangen ist, dass er sich in der Vergangenheit von Bindungen in der nationalsozialistischen Partei freigehalten hat.“156 Vor diesem Hintergrund sei es notwendig, in Münster einen Rektor einzusetzen, der nicht als glühender Anhänger des Nationalsozialismus bekannt war. Lehnartz verfügte zudem seit seinem Studium über wissenschaftliche Kontakte zum Ausland.157 Diese Auslandserfahrungen waren für seine Zusammenarbeit mit dem Universitätsoffizier sehr hilfreich. Sein Engagement für den internationalen Austausch der Studierenden prägten nicht nur sein Rektorat in besonderem Maße, sondern auch den Rest seines akademischen Lebens.158 Neben der Organisation von Ferienkursen kam es in der unmittelbaren Nachkriegszeit auch zur Gründung der „Brücke“ als internationalem Zentrum der Universität.159 Sie wurde 1947 auf Betreiben Perraudins als britische Kultureinrichtung gegründet und 1956 von der Universitätsleitung übernommen.160 Diese Impulse zum Ausbau der internationalen Beziehungen der Universität warfen dabei nicht nur ein positives Licht auf die Universität, sondern unterstützten und stärkten auch ihre Demokratisierung. Trotz dieser großen Verdienste war Lehnartz als Rektor nicht unumstritten. In einem Schreiben an den Kultusminister vom 1. August 1947 wurden von der Studentenschaft schwere Vorwürfe gegen ihn erhoben. Unter anderem hieß es darin, dass Lehnartz „die persönlich und politisch schwer Belasteten zum Nachteil 154 155

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LAV NRW R, 25, Nr. 94, Bekanntmachung der Wahlergebnisse im Senat der Universität Münster an das Kultusministerium. UAMs, Bestand 8, Nr. 7180, Bd. 1, Abschrift eines Schreibens der Hochschulgruppe Göttingen des NSD-Dozentenbundes an die Reichsleitung des NSD-Dozentenbundes, 18.10.1938. LAV NRW R, 25, Nr. 221, Schreiben des Kultusministeriums an Prof. Micheel, 23.8.1948. Umso erstaunlicher, dass mit Andreas Predöhl 1960 ein Mann Rektor wurde, der von 1941 bis 1945 als „Führerrektor“ an der Christian-Albrechts-Universität in Kiel wirkte. Siehe dazu: Mish 2009, S. 50ff. So ging er zum Beispiel 1925 für ein Jahr als Stipendiat der Rockefeller-Foundation an das University College in London. UAMs, Bestand 207, Nr. 327, Artikel der Unipress zum Tod Lehnartz, 11.1.1979. Lehnartz war von 1960 bis 1968 auch Präsident des Deutschen Akademischen Austauschdienstes und erhielt für seine Verdienste das Bundesverdienstkreuz mit Stern. Zu den Ferienkursen und der Rolle und Funktion der „Brücke“ siehe Respondek 1995, S. 106–114. Sommer 1997, S. 6, S. 10.

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der Minderbelasteten unterstützte und ihre Verfahren niedergeschlagen habe“.161 Tatsächlich war Lehnartz durch seine Mitgliedschaft im Sichtungsausschuss162 durchaus in der Lage, Einfluss auf die Entnazifizierung der Professoren auszuüben. Das abschließende Urteil des Sichtungsausschusses über Herbert Siegmund lautete beispielsweise: „Nach allem kann man Prof. Siegmund noch nicht einmal mehr einen Mitläufer nennen, da er stets mit Erfolg im antinazistischen Sinne tätig war. Er hat sich mit seiner Haltung um die Universität und die deutsche Wissenschaft sehr verdient gemacht.“163

Dieses Urteil mag angesichts der Zusammenarbeit Siegmunds mit Alfred Meyer verwundern, es verdeutlicht aber, dass besonders die wissenschaftliche Reputation und die Beliebtheit im Kollegium einen großen Einfluss auf die Bewertungen des Sichtungsausschusses und damit im Endeffekt auch auf die Entnazifizierung eines Professors hatte. Die Schwächen des Entnazifizierungsverfahrens an der Universität Münster können an dieser Stelle nicht erörtert werden, aber die Entnazifizierung des Lehrkörpers war eines der zentralen Themen der frühen Nachkriegszeit und besonders des Rektorats Lehnartz. Als Franz Beckmann am 1. Oktober 1949 die Nachfolge von Emil Lehnartz antrat, waren nicht nur die Entnazifizierungsverfahren weitestgehend abgeschlossen,164 sondern auch die Bundesrepublik gegründet worden. Das Rektorat Beckmanns stand damit für den Beginn der Rückkehr des „universitären Alltags“.

Fazit Die Frage nach der Zusammenarbeit zwischen Rektor und Kurator an der Westfälischen Wilhelms-Universität muss für die Zeit des Nationalsozialismus unter drei verschiedenen Aspekten beantwortet werden: Der erste Aspekt betrifft das direkte Zusammenwirken der beiden Amtsinhaber an der Universität. Dabei zeigt sich, dass sich unter Naendrup an der Rollenverteilung im Verhältnis zur Weimarer Republik nichts veränderte. Hugelmann hingegen versuchte seine Stellung gegenüber Peters zu stärken, aber zu einer großen Zäsur kam es hierdurch ebenfalls nicht. Wichtig ist, dass die Gauleitung versuchte, Einfluss auf den Rektor auszuüben. Dies tat sie aber zunächst nicht über den Kurator, sondern direkt über den Rektor. Ähnlich wie in Kiel und Bonn war der Kurator Peters in Münster zu diesem Zeitpunkt ein eher unbedeutender Verwaltungsbeamter.165 161 162 163 164 165

LAV NRW R, 15, 94, Schreiben der Studentenschaft an Kultusminister Konen, 1.8.1947. Zur Funktion des Sichtungsausschusses und über die Entnazifizierung an der Universität Münster siehe: Respondek 1995, siehe vor allem: S. 202–244. LAV NRW R, 1039, S 422. Respondek 1995, S. 243. Mish 2009, S. 46, und Höpfner 1999, S. 95.

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Der zweite Aspekt bezieht den Faktor „Gau Westfalen-Nord“ mit ein. Durch die Ernennung Beyers wurde die Zusammenarbeit zwischen Rektor und Kurator an den Gau gebunden. Die Gauleitung war in alle wichtigen Entscheidungen und großen Konflikte der Universität Münster involviert. Grundsätzlich nahmen sich die Mitarbeiter des Gaus Westfalen-Nord das Recht heraus, sich in alle Angelegenheiten der Universität einmischen zu können. Dabei wurden die Vorgaben des Ministeriums einfach ignoriert. Diese Ignoranz hängt mit der besonderen Funktion des Kurators Beyer zusammen, dessen Loyalität in erster Linie Alfred Meyer galt. Durch die Verquickung der verschiedenen Ämter in der Person Curt Beyer erhielt die Gauleitung ein Instrument, um Druck auf die Universität auszuüben. Die Gauleitung konnte zwar nicht immer die eigenen Interessen durchsetzen, aber offenen Widerstand hatte sie nicht zu erwarten. Wurden einzelne Forderungen der Gauleitung in Besetzungsfragen abgelehnt, so wurde dies von den Fakultäten immer sorgfältig begründet, um mögliche Konflikten mit der Gauleitung zu verhindern. Der dritte Aspekt betrifft das Zusammenwirken von Reichserziehungsministerium und Gauleitung. Hier zeigten sich deutliche Spannungen und Uneinigkeiten. Die Rektoren Naendrup und Hugelmann waren nicht als Kandidaten der Gauleitung in Münster ernannt worden. Im Fall Naendrup hatte die Gauleitung dafür großen Anteil an seiner Amtsenthebung. Gegen die Ernennung Hugelmanns gab es von Seiten des Gaus von Anfang an Bedenken, die sich bewahrheiten sollten und dadurch der Gauleitung einen großen Einfluss auf die Ernennung des neuen Kurators ermöglichten. Das Ministerium versuchte zwar, sich in einigen Punkten gegen die Forderungen des Gaus zu behaupten, aber es spricht vieles dafür, dass die Gauleitung, nicht zuletzt auf Grund der genauen Kenntnis der Ereignisse vor Ort, dominanter als das Ministerium war. Auch in Münster waren die Rektoren nicht die „Führer“ ihrer Universität. Dies gelang schon allein deshalb nicht, weil es von Seiten des Ministeriums nie beabsichtigt war, sie zum „Führer“ der ganzen Universität zu machen und ihnen in Preußen mit dem Kurator ein gleichrangiger Vertreter des Ministers an die Seite gestellt wurde. Damit hatte auch der nationalsozialistische „Führerrektor“ eine Kontrollinstanz. In Münster bildete das Amt des Kurators unter Curt Beyer aber nicht nur die Schnittstelle zwischen Universität und Ministerium, sondern auch zwischen Universität, Ministerium und Gau Westfalen-Nord. Der Kurator war hier nicht das Kontrollorgan des Ministeriums, sondern vielmehr das der Gauleitung. Die Rektoren waren somit nicht die unabhängigen und selbstständigen „Führer“ ihrer Universität, sondern kooperierten mit der Gauleitung durch Vermittlung des Kurators. Der entscheidende Machtfaktor an der Universität Münster lag damit in den Händen des Gaus Westfalen-Nord. Zumindest die ersten drei „Führerrektoren“ an der Westfälischen Wilhelms-Universität waren im Vergleich zur Gauleitung und deren Kurator Beyer sehr schwache Amtsträger. Siegmund konnte sich zwar gegenüber

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dem Kurator besser behaupten als seine Vorgänger, aber das gelang ihm nur durch die direkte Zusammenarbeit mit dem Gauleiter. Die strukturellen Verhältnisse in der Weimarer Republik und der Bundesrepublik ähneln sich, da in beiden Phasen weitreichende konstitutionelle Reformen zwar geplant, aber auf Grund von konzeptioneller Uneinigkeit nicht umgesetzt wurden. Die Universitätsleitung war in diesem Punkt sehr zögerlich und reaktionär. Diese Haltung der Universität spielte auch in der Außendarstellung der Universität lange Zeit eine große Rolle und wurde erst in der Nachkriegszeit langsam aufgebrochen, wobei der Aufbau von Auslandsbeziehungen einen großen Stellenwert einnahm. In diesem Punkt zeigte sich die Universität von einer sehr aufgeschlossenen Seite, was bei der Entnazifizierung des Lehrkörpers leider nicht der Fall war. Das damit insgesamt sehr zögerliche Vorgehen an der Universität wird besonders deutlich, wenn man bedenkt, dass die Diskussionen um die Kuratorialverfassung 1970 erst nach über 50 Jahren einen endgültigen Abschluss fanden und damit die schon in den 1920er-Jahren als veraltet geltenden Strukturen reformiert wurden.

Tabellarische Übersicht: Jahr 1922/1923 1923/1924 1924/1925 1925/1926 1926/1927 1927/1928 1928/1929 1929/1930 1930/1931 1931/1932 1932/1933 1933–1934 1935–1937 1937–1943 1943–1945

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Rektor Ernst Rosenfeld (Rechtswissenschaft) Julius Schwering (Germanistik) Georg Grützmacher (Evangelische Theologie) Otto Hoffmann (Vergleichende Sprachwissenschaften) Karl Lux (Katholische Theologie) Hermann Schöne (Klassische Philologie) Rudolf His (Rechtswissenschaften) Rudolf Schenck (Chemie) Paul Krause (Medizin) Johannes Herrmann (Evangelische Theologie) Wolfgang Keller (Anglistik) Hubert Naendrup (Rechtswissenschaften) Karl Hugelmann (Rechtswissenschaften) Walter Mevius (Botanik) Herbert Siegmund (Medizin)

Kurator Franz Peters Franz Peters Franz Peters Franz Peters Franz Peters Franz Peters Franz Peters Franz Peters Franz Peters Franz Peters Franz Peters Franz Peters Franz Peters Ab 1936: Curt Beyer Curt Beyer Curt Beyer

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56 Jahr 1945–1946 1946–1949 1949–1951 1951–1952 1952–1953 1953–1954 1954–1955 1955–1956 1956–1957 1957–1958 1958–1959 1959–1960 1960–1961 1961–1962 1962–1963 1963–1964 1964–1965 1965–1967 1967–1968 1968–1970 1970–1973

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Kristina Sievers Rektor Georg Schreiber (Katholische Theologie) Emil Lehnartz (Medizin) Franz Beckmann (Klassische Philologie) Siegfried Strugger (Botanik) Karl Heinrich Rengstorf (Evangelische Theologie) Harry Westermann (Rechtswissenschaften) Hermann Volk (Katholische Theologie) Hellmut Becher (Medizin) Jost Trier (Deutsche Philologie)

Kurator Clemens Steinbicker Clemens Steinbicker Clemens Steinbicker Ab 1950: Karl Michaelis August Flesch August Flesch August Flesch

August Flesch August Flesch Oswald Freiherr von Fürstenberg Wilhelm Klemm (Chemie) Oswald Freiherr von Fürstenberg Wilhelm Rudolph Oswald Freiherr von (Evangelische Theologie) Fürstenberg Andreas Predöhl Oswald Freiherr von (Rechtswissenschaften) Fürstenberg Bernhard Kötting Oswald Freiherr von (Katholische Theologie) Fürstenberg Hermann Goecke (Medizin) Oswald Freiherr von Fürstenberg Joachim Ritter (Philosophie) Oswald Freiherr von Fürstenberg Heinz Bittel (Physik) Oswald Freiherr von Fürstenberg Heinz-Dietrich Wendland Oswald Freiherr von (Evangelische Theologie) Fürstenberg Friedrich Klein (Rechtswissenschaften) Oswald Freiherr von Fürstenberg Bernhard Kötting Oswald Freiherr von (Katholische Theologie) Fürstenberg Heinz Rollhäuser (Medizin) Oswald Freiherr von Fürstenberg Werner Knopp (Rechtswissenschaften) Kanzler bis 1972: Oswald Freiherr von Fürstenberg

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Literatur Amelunxen, Rudolf, Ehrenmänner und Hexenmeister. Erlebnisse und Betrachtungen, München 1960. Ash, Mitchell G., Wissenschaft und Politik als Ressource für einander, in: vom Bruch, Rüdiger/Kaderas, Brigitte (Hg.), Wissenschaften und Wissenschaftspolitik. Bestandsaufnahmen zu Formationen, Brüchen und Kontinuitäten im Deutschland des 20. Jahrhunderts, Stuttgart 2002, S. 32–51. Behnke, Heinrich, Semesterberichte. Ein Leben an deutschen Universitäten im Wandel der Zeit, Göttingen 1978. Chronik der Westfälischen Wilhelms-Universität zu Münster 1933/35. Ebbinghaus, Angelika/Roth, Karl Heinz, Medizinverbrechen vor Gericht. Die Menschenversuche im Konzentrationslager Dachau, in: Eiber, Ludwig/Sigel, Robert (Hg.), Dachauer Prozesse. NS-Verbrechen vor amerikanischen Militärgerichten in Dachau 1945–1948, 2. Auflage Göttingen 2007, S. 126–159. Frank, Stefan, Die Selbständigkeit der Universitäten in der Weimarer Republik und der Bundesrepublik, jeweils bezogen auf das Gebiet des ehemaligen Landes Preußen, Kiel 1998. Greive, Barbara Alexandra, Rituale in Universitätsfeiern. Das Beispiel der Universität Münster im 20. Jahrhundert, Staatsexamensarbeit, Münster 2006. Grüttner, Michael, Wissenschaftspolitik im Nationalsozialismus, in: Kaufmann, Doris (Hg.), Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus. Bestandsaufnahmen und Perspektiven der Forschung (Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus 1), Band 2, Göttingen 2000, S. 557–585. Heiber, Helmut, Universität unterm Hakenkreuz, Teil I: Der Professor im Dritten Reich. Bilder aus der akademischen Provinz, München 1991, Teil II: Die Kapitulation der hohen Schulen. Das Jahr 1933 und seine Themen, Band 2, München 1994. Höpfner, Hans Paul, Die Universität Bonn im Dritten Reich. Akademische Biographien unter Nationalsozialistischer Herrschaft (Academica Bonnensia 12), Bonn 1999. Jahr, Christoph, „Das Führen ist ein sehr schwieriges Ding“. Anspruch und Wirklichkeit der „Führeruniversität“ in Berlin 1933–1945, in: Ders. (Hg.), Die Berliner Universität in der NS-Zeit, Band 1: Strukturen und Personen, München 2005, S. 17–36. John, Jürgen/Rüdiger Stutz, Die Jenaer Universität 1918–1945, in: Senatskommission zur Aufarbeitung der Jenaer Universitätsgeschichte im 20. Jahrhundert (Hg.), Traditionen – Brüche – Wandlungen. Die Universität Jena 1850–1995, Köln, Weimar, Wien 2009, S. 270–587.

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Kahl, Wolfgang, Hochschule und Staat. Entwicklungsgeschichtliche Betrachtungen eines schwierigen Rechtsverhältnisses unter besonderer Berücksichtigung von Aufsichtsfragen, Tübingen 2004. Klee, Ernst, Auschwitz, die NS-Medizin und ihre Opfer, 2. Auflage Frankfurt a. M. 1997. Kluge, Alexander, Die Universitäts-Selbstverwaltung. Ihre Geschichte und gegenwärtige Rechtsform, Frankfurt a. M. 1958. Mish, Carsten, Führer der Universität. Die Kieler Rektoren in der NS-Zeit, in: Cornelissen, Christoph/Mish, Carsten (Hg.), Wissenschaft an der Grenze. Die Universität Kiel im Nationalsozialismus (Mitteilungen der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte 86), Essen 2009, S. 33–55. Morsey, Rudolf, Georg Schreiber (1863–1963), in: Ders. (Hg.), Zeitgeschichte in Lebensbildern, Band 2, Mainz 1975, S. 177–185. Niemer, Jörg, Vom Domplatz zum Schloss. Die Baugeschichte der Universität Münster von der Gründung bis zum Abschluss des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg (Veröffentlichungen des Universitätsarchivs Münster 3), Münster 2010. Phillips, David, The University Officers of the British Zone, in: Ders. (Hg.), German Universities after the surrender. British occupation policy and the control of higher education, Oxford 1983, S. 51–73. Pleyer, Klemens, Die Vermögens- und Personalverwaltung der deutschen Universitäten. Ein Beitrag zum Problemkreis Universität und Staat, Marburg 1955. Priamus, Heinz-Jürgen, Regionale Aspekte in der Politik des nordwestfälischen Gauleiters Alfred Meyer, in: Möller, Horst/Wirsching, Andreas/Ziegler, Walter (Hg.), Nationalsozialismus in der Region. Beiträge zur regionalen und lokalen Forschung und zum internationalen Vergleich (Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Sondernummer), München 1996, S. 175–195. Respondek, Peter, Besatzung – Entnazifizierung – Wiederaufbau. Die Universität Münster 1945–1952. Ein Beitrag zur Geschichte der deutsch-britischen Beziehungen nach dem Zweiten Weltkrieg auf dem Bildungssektor (Agenda Geschichte 6), Münster 1995. Richtlinien über die Abgrenzung der Zuständigkeitsbereiche, in: Amtsblatt der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster 5 (1942), S. 30–33. Satzung der Universität Münster vom 26.4.1929, abgedruckt in: Zentralblatt für die gesamte Unterrichtsverwaltung in Preußen 71 (1929), S. 228–237. Savage, G. F./Perraudin, F. R. (Hg.), Jugend und Hochschule. ImmatrikulationsReden an der Westfälischen Landesuniversität 1945/1946, Recklinghausen 1946. Schröder, Arno, Mit der Partei vorwärts. Zehn Jahre Gau Westfalen-Nord, Detmold 1940. Sommer, Joachim, Brücke. Internationales Zentrum, Münster 1997.

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Stelbrink, Wolfgang, Provinz oder Gau? Die beiden westfälischen NS-Gaue auf dem beschwerlichen Weg zu regionalen Funktionsinstanzen des NS-Staates, in: John, Jürgen (Hg.), Die NS-Gaue. Regionale Mittelinstanzen im zentralistischen „Führerstaat“ (Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Sondernummer), München 2007, S. 294–317. Thieme, Werner, Deutsches Hochschulrecht. Das Recht der wissenschaftlichen Hochschulen in der Bundesrepublik Deutschland und im Lande Berlin, mit einem Überblick über das Hochschulrecht Österreichs, der Schweiz und der Niederlande sowie mit einem Anhang hochschulrechtlicher Rechtsquellen, Berlin 1956. Triebold, Klaus, Meine Tätigkeit als Kanzler und die Entwicklung des Universitätshaushalts und der Verwaltung seit dem Zweiten Weltkrieg, in: Dollinger, Heinz (Hg.), Die Universität Münster 1780–1980, Münster 1980, S. 97–120. Die Universitäten in der britischen Zone Deutschlands. Bericht der Delegation der britischen Association of University Teachers, in: Beilage zur Monatsschrift „Die Sammlung“ 3 (1948), S. 1–32. Verfassung der Westfälischen Wilhelms-Universität zu Münster, in: Amtsblatt des Kultusministeriums, Land Nordrhein-Westfalen 12 (1960), S. 180–186.

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„In jeder Weise volles Verständnis für die Belange der Wehrmacht“ Das Verhältnis der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster zum Militär Wie auch andere Bereiche der Geschichtswissenschaft oblag die Universitätsgeschichte konjunkturellen Zyklen. So kam es beispielsweise zu einer wahren Flut an Veröffentlichungen zur Geschichte einzelner Hochschulen an der Wende des 19. zum 20. Jahrhundert. Seit den 1990er-Jahren sind verstärkte Anstrengungen zur Institutionalisierung und Professionalisierung zu beobachten, etwa durch Gründung der „Gesellschaft für Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte“ 1995 und die Herausgabe des „Jahrbuchs für Universitätsgeschichte“ seit 1998. Was aber nach wie vor besteht, ist eine auffällige Kluft zwischen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und der Zeit nach 1945, die erst langsam geschlossen wird. Insbesondere der Zeitraum zwischen 1933 und 1945, welcher nicht überraschend lange vernachlässigt wurde,1 rückt nun in den Fokus, wovon auch der vorliegende Band zeugt. Doch auch hier bestehen absolute wissenschaftliche Desiderate, wie etwa das Verhältnis des Militärs zur Universität und das Auftreten der Armee im universitären Raum. Dies ist umso verwunderlicher, da zum einen die Universität ein ideales Umfeld zur Rekrutierung und Indoktrinierung darstellt, zum anderen viele Universitätsstädte zugleich auch Garnisonstädte waren und sind. Münster gehörte bis 1945 zu den bedeutendsten Garnisonstädten in Deutschland.2 Während des Ersten Weltkrieges waren zum Beispiel 1917 in Münster 14.953 Soldaten stationiert.3 Die Westfälische Wilhelm-Universität ist zwar eine verhältnismäßig junge Hochschule, gehörte aber bereits in den 1920er-Jahren zu den größten Universitäten in Deutschland. Hier soll nun nachfolgend untersucht werden, ob und wie diese beiden Akteure bei der Militarisierung der Studierenden kooperiert haben und wie ihr Verhältnis im Nationalsozialismus zu charakterisieren ist.

1 2 3

Als „gutes“ Beispiel dient auch Dollinger 1980. Siehe als Überblick: Sicken 1994. Zahl nach Marshall 1972, S. 20. Zur Zeit der Weimarer Republik umfasste die Garnison Münster etwa 2.000 Soldaten, ebd.

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Netzwerke – Das Beispiel Hubert Naendrup4 Berührungspunkte zwischen dem Militär und der Öffentlichkeit in Münster waren vielfältig. Sie reichten von Platzkonzerten bis zum Wehrdienst. Zu den ersten und engeren Kooperationen zwischen Armee- und Universitätsangehörigen kam es durch die Herausbildung von gesellschaftlichen Netzwerken. Hier sind vor allem die Alldeutschen zu nennen, die zwar in Münster eher schwach waren, ihr Rückgrat aber bei den Multiplikatoren der öffentlichen Meinung hatten: bei Journalisten, Lehrern und eben Professoren und Offizieren.5 Während in Deutschland ab 1912 eine verstärkte Übernahme leitender Funktionen bei den Alldeutschen durch ehemalige Militärs zu beobachten ist,6 taten sich in Münster Dozenten der Universität hervor. Den Vorsitz des Deutschen Flotten-Vereins führte beispielsweise ab 1908 der Mathematikprofessor Reinhold von Lilienthal,7 die Führungsspitze der Deutschen Kolonial-Gesellschaft setzte sich vor allem aus Universitätsprofessoren zusammen,8 und die Vaterlandspartei wurde in Münster durch den Professor für Sprachwissenschaften Otto Hoffmann gegründet,9 der später eine führende Rolle in der Fördergesellschaft der Universität spielen sollte. Diese frühen Netzwerke bildeten die Grundlage für die weitere Zusammenarbeit, die sich im Ersten Weltkrieg verstärkte. Dies ist vor allem vor dem Hintergrund zu sehen, dass 40 von 112 Mitgliedern des Lehrkörpers aktiven Kriegsdienst verrichteten und 46 Prozent der Studenten von 1914/15 Frontsoldaten waren.10 Ein herausragender Exponent des militärisch-akademischen Netzwerkes war der Jurist Professor Hubert Naendrup. Naendrup war seit 1912 stellvertretender Vorsitzender der Kolonialgesellschaft Münster.11 Als Major an der Front kehrte er 1918 als Reserveoffizier nach Münster zurück, wo er Gründer und Führer der Akademischen Wehr Münster wurde. In dieser Funktion pflegte er enge Kontakte zum Generalkommando, insbesondere zum Kommandierenden General Oskar Freiherr von Watter. Die Akademische Wehr wurde in Münster zur Keimzelle der Organisation Escherich („Orgesch“),12 deren Schatzmeister der nun aus dem aktiven Dienst ausgeschiedene von Watter war.13 Nachfolger der 1921 verbotenen „Orgesch“ in Westfalen wurde der „Westfalenbund“, dem Naendrup bis Oktober 1921 als mi4 5 6 7 8 9 10 11 12

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Zu Naendrup siehe auch den Beitrag von Sebastian Felz in diesem Band. Vgl. Halder 2003, S. 89. Chickering 1986, S. 27. Krüger 1992, S. 47. Ebd., S. 49. Ribhegge 1985, S. 146. Zahlen nach Ribhegge 1985, S. 146. Krüger 1992, S. 49. Orgesch war benannt nach Forstrat Georg Escherich, der die Organisation auch leitete und zuvor als Landeshauptmann den Einwohnerwehren Bayerns vorstand. Sie nahm im Zuge des Kapp-Putsches einen rasanten Aufschwung, wurde aber 1921 verboten. Krüger 1992, S. 74f.

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litärischer Abschnittsleiter angehörte. Als Schatzmeister fungierte der Historiker Professor Karl Voigt. Der Westfalenbund war eindeutig reaktionär. So waren von dessen Studienstiftung explizit Juden und „Finken“14 ausgenommen.15 Ende 1921 verließ Naendrup den Westfalenbund bereits wieder und baute den „WestfalenTreubund“ auf, der sein Geschäftszimmer in der Universität bezog.16 Fast alle hohen Führungspositionen waren mit ehemaligen Offizieren besetzt. Naendrup selbst wurde Bundesleiter, der Jurastudent Josef Böger, im Ersten Weltkrieg Adjutant Naendrups und später Mitbegründer der NSDAP Münster, wurde BezirksführerSüd. Die Mitglieder des Westfalen-Treubundes waren überwiegend Studenten und ehemalige Soldaten; zu den Förderern gehörte unter anderem der Chemiker Professor Rudolf Schenck.17 Als Parteimitglied wechselte Naendrup von der frühen NSDAP zur DNVP und dann zum Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund. Dort traf er unter anderem auf Heinz Kölpin, den Leiter des „Büro Kölpin“, einer nur notdürftig getarnten zivilen Nachrichtenstelle des Wehrkreiskommandos.18 Kölpin war zudem 1923 Leiter der „Nachrichtenstelle“ der „Zentrale Nord“, die den Guerillakrieg im Ruhrgebiet vorbereiten sollte. Beim tatsächlichen Widerstand gegen die Ruhrbesetzung sicherte der Westfalen-Treubund einige Unternehmungen militärisch ab und erhielt seinerseits Waffen von der 6. Division.19 Kölpin gilt außerdem als Drahtzieher des Bombenanschlages auf die Druckerei der sozialdemokratischen Zeitung „Volkswille“ in Münster. Ab 1924 war Kölpin dann Vorsitzender des Stahlhelms in Münster.20 In diese Zeit fällt auch der allmähliche Zerfall des Westfalen-Treubundes, die Wehrverbände schlossen sich nun tendenziell dem Stahlhelm an, während Naendrup für einige Jahre aus der rechtsextremen Szene Münsters verschwand.21 Im April 1933 teilte die NSDAP, deren Mitglied Naendrup seit dem 1. Dezember 1932 wieder war,22 der Westfälischen Wilhelms-Universität mit, dass Naendrup ihr Vertrauensmann an der Universität sei. Vor dem Hintergrund der anstehenden Rektorenwahl war der Sinn und Zweck dieser Mitteilung eindeutig.23 Naendrup musste sich allerdings noch gegen einen weiteren Kandidaten der NSDAP, den Orientalisten Professor Anton Baumstark, der von Gauleiter Alfred Meyer unterstützt 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23

Als „Finken“ wurden Studierende bezeichnet, die nicht Mitglied einer Kooperation waren. Krüger 1992, S. 99, S. 107 und S. 117. Hörster-Phillips/Vieten 1980, S. 88. Krüger 1992, S. 113, S. 117 und S. 120. Ebd., S. 145. Ebd., S. 178 und S. 183f. Ebd., S. 179, S. 186 und S. 231. Ebd., S. 241f. Hörster-Philipps/Vieten 1980, S. 88. UAMs, Bestand 9, Nr. 1033, Bl. 80, Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei, Gauleitung Westfalen-Süd. Der Gauleiter, Vertrauensmann, an den Rektor der Westfälischen Wilhelms-Universität, gez. Wagner.

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wurde, durchsetzen.24 Naendrup wurde 1935 als Rektor abgelöst,25 blieb aber bis 1940 Prorektor. Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges reaktiviert, baute er als Kommandant das Stammlager VI a, das spätere „Sterbelager“ Hemer, auf, welches er bis Dezember 1940 leitete.

„Soldatenspielereien“ (1919 bis 1925) Das Beispiel Naendrup zeigt, welche engen und guten Kontakte es zum Generalkommando in den 1920er-Jahren gab. Aber bereits im Ersten Weltkrieg war die Universität Münster ein Zentrum für die Kriegspropaganda.26 Im Rahmen der guten Zusammenarbeit stand auch die Gründung der Gesellschaft zur Förderung der Westfälischen Wilhelms-Universität, die aufgrund einer Initiative des Generalkommandos erfolgte und zunächst die „Auslandskunde“ an der Universität fördern sollte.27 Auch nach dem Ende des Krieges erfuhr die Reichswehr aktive Unterstützung seitens der Universität und deren Angehörigen. Das Generalkommando des VII. Armeekorps organisierte zum Beispiel Rednerkurse für Militärangehörige „für den Kampf gegen den Bolschewismus“ in der Aegidiikaserne. Während einzelne Zentrumspolitiker „wegen allzu links-demokratischer Einstellung“ abgelehnt wurden, bediente man sich gerne der Dienste von Universitätsprofessoren, wie beispielsweise die des Historikers Professor Karl Voigt.28 Auch wandte sich der Rektor im Mai 1919 an alle Dozenten mit der Bitte, „die Werbelisten für den Militärdienst […] den Hörern vor Beginn der Vorlesungen und Übungen mit Nachdruck zu empfehlen“.29 Zudem richtete die Universität eine Werbestelle für Freikorps ein.30 An der Universität selbst wurden zwei Freikorps gebildet, die Akademische Volkswehr Münster durch den Staatswissenschaftler Professor Johann Plenge im Januar 1919 und die bereits erwähnte Akademische Wehr Münster durch Naendrup im Winter 1919. Hatte die Akademische Volkswehr Münster zunächst nur 50 Mitglieder, schnellte deren Zahl, auch durch die aktive Unterstützung von Rektorat und AStA, im März 1919 auf 900 Studenten, was immerhin 20 Prozent aller männlichen Studierenden 24

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Hörster-Phillipps/Vieten 1980, S. 89. Der Zeitzeuge Heinrich Behnke wertete die Kampfabstimmung als Flügelkampf innerhalb der NSDAP, Reaktion (Naendrup) versus Sozialradikale (Baumstark), Behnke 1978, S. 118f. Zeitzeugen und Naendrup selbst vermuteten hierbei entsprechenden Druck aus Berlin, siehe Mattonet 2008, S. 92f. Krüger 1992, S. 53f., Ribhegge 1985, S. 145. Marshall 1972, S. 116f., Ribhegge 1985, S. 148. Vgl. auch Beitrag von Johannes Schäfer in diesem Band. Zitiert nach Krüger 1992, S. 66f. Zitiert nach Elkemann/Götz/Kranz 1980, S. 55. Marshall 1972, S. 114f.

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bedeutete.31 Zu den Anführern der Akademische Volkswehr Münster gehörte unter anderen auch der Vorsitzende des AStA, Josef Kannengießer.32 Unterstellt war die Einheit dem Befehl des Generalkommandos der 25. Infanteriebrigade.33 Die Akademische Volkswehr Münster war sowohl an der Absetzung des Generalsoldatenrates als auch an der militärischen Absicherung der Wahlen zur Nationalversammlung beteiligt. Im Herbst 1919 wurde die Akademische Volkswehr Münster schließlich aufgelöst und in die Stadtwehr überführt.34 Versuchte sie noch den Anschein der Überparteilichkeit zu wahren, war die Akademische Wehr Münster ihrem Wesen nach eindeutig rechtsradikal, auch wenn Naendrup bei der freiwilligen Unterstellung unter das Generalkommando betonte, dass die Akademische Wehr Münster „keine Ziele einseitig politischer Art“ verfolge und auf dem „Boden des Kampfes für die Ruhe der friedliebenden Bürgerschaft“ stünde.35 Eingesetzt wurde die Akademische Wehr Münster 1920 bei der Niederschlagung des Aufstandes der Roten Ruhrarmee. Sie war hierbei als Divisionsreserve der Gruppe C der Division Münster (Verstärkte Reichswehrbrigade 7 Münster) unterstellt.36 Innerhalb dieses Verbandes befand sich ein wahres „who is who“ der Freikorpsszene,37 wie zum Beispiel die Marinebrigade Loewenfeld, Freikorps Epp, Freikorps Schulz und die Sturmabteilung Rossbach. Kaserniert zunächst am Dahlweg wurde die Akademische Wehr Münster zuerst zur Bewachung der Bahnhöfe von Hiltrup und Mecklenbeck und zur Sicherung der Kanalbrücken an der Wolbecker Straße und am Albertsloher Weg herangezogen. Eingesetzt wurde die Einheit schließlich im Gebiet von Selm, Hassel, Werne, Waltrop, Mengede und CastropRauxel.38 Über die Art und Weise des militärischen Vorgehens ließ von Watter bereits im Vorfeld keinen Zweifel aufkommen. Verhandlungen würden nicht stattfinden und die militärischen Operationen dürften nicht durch die „zur Nachgiebigkeit neigenden […] regierungstreuen Zivilisten“ gestört werden. Weit bedenklicher und auch folgenreicher war von Watters Hinweis, dass „Massen von Gefangenen“ nur eine „grosse Belastung der fechtenden Truppe“ darstellen würden.39 Dass es daraufhin bei der Rückeroberung des Ruhrgebietes zu Grausamkeiten kam, überrascht 31

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Elkemann/Götz/Kranz 1980, S. 50. Obwohl eine rein männliche Angelegenheit, befand sich die Geschäftsstelle der Akademischen Volkswehr kurioserweise im Studentinnenzimmer der Universität, ebd., S. 51. Krüger 1992, S. 64. „Im Falle einer Verwendung gelten sämtliche Angehörige der Akademischen Volkswehr Münster hinsichtlich Versorgung pp. als Militärpersonen“, zitiert nach Elkemann/Götz/ Kranz 1980, S. 52. Elkemann/Götz/Kranz 1980, S. 54. BA/MA, RH 53–6/54, fol. 123, Wehrkreiskommando VI, Ia op, Aktennotiz, 15.3.1920. Ebd., fol. 14 a, Kriegsgliederung des Wehrkreiskommandos VI, Stand vom 25.3.1920 mittags. Schulze 1969, S. 309. Elkemann/Götz/Kranz 1980, S. 56, und Pöppinghege 1994, S. 80. BAK, N 1101/38, Wehrkreiskommando VI, Abtlg Ic No 2923, 22.3.1920.

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demzufolge wenig.40 Am 12. April 1920 bemühte sich selbst von Watter die Exzesse der Regierungstruppen zu stoppen, auch wenn er ein gewisses Verständnis durchblicken ließ.41 Ob die Akademische Wehr Münster an Verbrechen beteiligt war, ist nicht bekannt. Die Verluste mit einem Mann waren jedenfalls gering.42 Von Watter selbst war zufrieden mit seiner „erstklassigen Elitetruppe, durchglüht vom vaterländischen Geist“.43 Auch nach dem Abgang von Watters blieb die Universität ein Rekrutierungsfeld für die Reichswehr. Die Universitätsverwaltung stellte etwa einem „Akademischen Wanderklub“ ein Geschäftszimmer an der Universität zur Verfügung. Die führenden Köpfe dieses Wanderklubs, Naendrup, Voigt und Böger, lassen aber darauf schließen, dass es sich hierbei um eine getarnte Rekrutierungsstelle handelte. Tatsächlich war es eines der Ziele des Westfalenbundes, im Kriegsfall der Reichswehr Freiwillige zuzuführen.44 Dieser Ernstfall schien sich mit der Besetzung des Ruhrgebietes durch alliierte Truppen im Januar 1923 abzuzeichnen. Deshalb rief Naendrup erneut die „Burschen heraus zum vaterländischen Hilfswerk“.45 Tatsächlich führten einzelne Studenten Sabotageakte im Ruhrgebiet durch oder beteiligten sich an der – vorsorglichen – Räumung der Militärdepots und des Archivs der Universität in Münster.46 Aber auch in Fragen von „x-Geräten“,47 also illegalen Waffen, konnten Universitätsangehörige wie Hubert Naendrup gute Dienste erweisen. Carl Severing jedenfalls beklagte sich, dass Münster „im Laufe der ersten Jahre nach dem Weltkrieg zu einem Sammelpunkt reaktionärer Organisationen geworden“48 sei. Was die Studierenden betrifft, so kommt Rainer Pöppinghege zu dem Ergebnis, dass diese nur noch in München und Marburg ähnlich militarisiert waren.49 Diese Militarisierung endete auch nicht mit dem Ende der Freikorps, sie ging in anderer, planmäßiger Form weiter. 40

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„Pardon gibt es überhaupt nicht. Selbst die Verwundeten erschießen wir noch. Die Begeisterung ist großartig, fast unglaublich. […] Mit Freuden schossen wir auf diese Schandbilder [Krankenschwestern der Roten Ruhrarmee], und wie sie geweint und gebeten haben, wir sollten ihnen das Leben lassen. Nichts. […] Die Bevölkerung gibt uns alles, bloß, daß wir ihnen nichts tun.“, Max Zeller an das Reservelazarett I, 2.4.1920, gedruckt in: Könnemann/Schulze 2002, Dokument Nr. 676. „Es ist menschlich durchaus verständlich, daß die Truppen seelisch aufs Äußerste erregt sind. […] Der Soldat muß sich unbedingt an Recht und Gesetzmäßigkeit halten. Ich weiß, daß hiermit von dem Einzelnen oft schier unmenschliches verlangt wird.“, BAK, N 1101/38, Wehrkreis-Kommando VI, Abtlg. Ia op/Ic Nr. 943, 12.4.1920. Elkemann/Götz/Kranz 1980, S. 56. BA/MA, RH 53–6/53, fol. 11, Wehrkreiskommando VI, Ic, Nr. 2974 Pers., 2.4.1920. Krüger 1992, S. 81 und S. 109. UAMs, Bestand 4, Nr. 1334, Aufruf! gez. Prof. Dr. Naendrup, o.D. [Januar 1923]. Pöppinghege 1994, S. 82 und S. 86. BA/MA, RH 34/52, Anlagen zu 6. Division. Wehrkreiskommando VI. Ia z.b.V. Nr.3/26.g.Kdos, 13.1.1926, gez. [Chef des Stabes Wachenfeld]. Severing 1950, S. 334. Pöppinghege 1994, S. 75.

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Verdeckte Ausbildung (1926 bis 1932) Mit dem Aufstieg des Generals Kurt von Schleicher im Reichswehrministerium ging auch ein Paradigmenwechsel von statten. Die als notorisch unzuverlässig erachtete Freikorpsszene wurde fallengelassen,50 stattdessen wurde verstärkt und verdeckt mit staatlichen Stellen zusammengearbeitet. Denn an ihrem Ziel, personelle Ressourcen zu gewinnen und die Aufrüstung voranzutreiben, hielt die Reichswehrspitze nicht nur fest, sie baute dies in dieser Zeit noch aus. Das Problem bestand aber darin, dass die Reichswehr für ihre Pläne in absehbarer Zeit nicht mehr über die als nötig erachteten militärisch ausgebildeten Reserven verfügen würde. Der Chef der Heeresleitung, General Wilhelm Heye, hatte im Februar 1927 das Reichskabinett gewarnt, dass die Zahl der Gedienten „1930 bis 1933 völlig erschöpft“51 sei. Es war absehbar, dass ab 1931 die personellen Ressourcen der Reichswehr völlig versiegen würden.52 Vor diesem Hintergrund verloren „Akademische Wandervereine“ an Attraktivität, stattdessen wandte man sich den Möglichkeiten zu, die der Sport als verdeckte militärische Ausbildung bot. Mit Wohlwollen beobachtete die Reichswehrführung deshalb die Entwicklung der Leibesübungen in den 1920er-Jahren. Der spätere Oberbefehlshaber des Ersatzheeres, Erich Fromm, führte zum Beispiel 1925 aus: „Unsere Ausbildungsaufgabe ist also ein[e] Erziehungsaufgabe am ganzen Volk. […]. Glücklicherweise lassen unter dem Begriff des Sportes sich zahlreiche militärische Erfordernisse tarnen.“53 Anschaulich in diesem Zusammenhang ist auch ein Katalog von Vorschlägen eines der einflussreichsten Militärs in der Zwischenkriegszeit, Joachim von Stülpnagel, vom Juni 1926. Hiernach müsse ein Sportgesetz verabschiedet werden, dessen Durchführung nur „scheinbar“54 dem Reichsinnenministerium obliege, genügend staatliche Mittel für die Reichswehr aufgebracht und militärische Anstrengungen unter einem zivilen Deckmantel durchgeführt werden. Der Aufbau des Instituts für Leibesübungen der Universität Münster ist somit auch von dieser Warte aus zu sehen. Auffällig ist auch, dass sich die Fördergesellschaft der Universität besonders auf die Sportförderung konzentrierte, die Sportanlagen am Horstmarer Landweg errichten ließ und den Akademischen Fliegern

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„Fall O.C. [Organisation Consul] zeigt, wie diese Leute betrügen.“, BA/MA, RH 1/47, Besprechung vom 5. März 1928. Ministerbesprechung vom 26. Februar 1927, abgedruckt in: Akten der Reichskanzlei. Kabinette Marx III und IV, Bd. 1, Dok. Nr. 190. BA/MA, RH 53–3/26, fol. 2–74, fol. 14, [Fromm], Entwurf zu einem Vortrag vor den Kommandeuren der 3. Division und den Territorialbefehlshabern des Wehrkreiskommando III am 23.11.1925. Ebd., fol. 43–46. BA/MA, N 5/20, fol. 110f., hier: fol. 110, Stülpnagel an Hasse, 26.6.1925.

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ein Motorflugzeug finanzierte.55 Dass sich dahinter vor allem Wehrertüchtigung verbarg, witterte nicht nur die SPD, sondern auch die DDP und das Zentrum.56 Im Jahr 1931 begann die Reichswehr auch in Münster damit, sich gezielt einen Führernachwuchs auszubilden. In 14 Doppelstunden sollten geeignete Studenten eine infanteristische Ausbildung erhalten, besonders geeignete innerhalb von drei Jahren zum Kampfgruppen- oder Geschützführer ausgebildet werden. Zwar würde für 1931/32 „die Arbeit noch den Charakter des Versuches und des Überganges tragen“, aber ab Herbst 1932 sollte „die Arbeit im vollen Umfange einsetzen“.57 Diese Bestrebungen wurden von Seiten der Universität gefördert. Ausdrücklich berief sich der Festredner bei der universitären Reichsgründungsfeier vom 18. Januar 1931, der Direktor der Hautklinik Alfred Stühmer, auf den Reichswehrminister Wilhelm Groener und warnte: „Wer den Geist des Wehrwillens bekämpft, der rührt an die Grundlagen der Nation“.58 Der Rektor der Universität, Johannes Herrmann, hob in seinem Rechenschaftsbericht 1932 die „intensive Arbeit in den einzelnen Sportarten, unter denen außer den üblichen Wehr- und Geländesport genannt sei“,59 hervor. Nach den ersten – positiven – Erfahrungen ging man im Reichswehrministerium daran, die vormilitärische Erziehung zu institutionalisieren. Im September 1932 erfolgte deshalb die Gründung des Reichskuratoriums zur Jugendertüchtigung, welches allerdings formell vom Innenministerium geführt wurde. Als Aufgabe wurde die „Stählung des Körpers, die Erziehung der Jugend zu Zucht, Ordnungsliebe und Kameradschaft und Opferbereitschaft für die Gesamtheit“ formuliert.60 Für von Schleicher war das Reichskuratorium allerdings nur eine Durchgangsstation. Im Januar 1933 kündigte er für das Frühjahr die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht in Form einer Miliz an.61 Nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten blieben von Schleichers Pläne aber Makulatur. Es sollte die chaotischste Phase in der Wehrhaftmachung der Universität Münster folgen.

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Ribhegge 1985, S.160f. Henning o.J., S. 1. Vgl. auch die Beiträge von Johannes Schäfer und Michael Krüger in diesem Band. Ribhegge 1985, S. 160f. BA/MA, RH 53/6–25, T.B. Westfalen, Ib L/A Nr. 595/31 g.Kdos, Führernachwuchs- und Geländesportausbildung, 15.9.1931, gez. Kühlenthal. Zitiert nach Hörster-Phillips/Vieten 1980, S. 80. Zitiert nach ebd., S. 86. BA/MA, N 720/19, Der Reichspräsident, Ia 1413/13.9, 13.9.1932. „Grosse Begeisterung herrsche in der Wehrmacht über die Möglichkeit, wieder ans Volk heranzukommen, die jetzt die Ertüchtigungskampagne eröffne.“, IfZ, ED 93, fol. 21–24, hier: fol. 21, [Hans Schäffer], Aktennotiz, 13.1.1933; BAB, NS 5 VI/1064, fol. 109, Bredow an Habermann, 6.1.1933.

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„Klamottenzirkus“ (1933 bis 1935) Die „Machtergreifung“ war auch das Scheitern von Schleichers und seiner Militärkonzeption. In das mehrmonatige militärpolitische Vakuum strömte neben der ambitionierten SA auch die alte Freikorpsszene, in Münster in Gestalt des neuen Rektors Naendrup. Es überrascht wenig, dass die „geistige und seelische Erziehung zur Wehrhaftigkeit“62 eine Herzensangelegenheit Naendrups war. Im Juli 1933 wurde die Universität Münster deshalb korporatives Mitglied der „Deutschen Gesellschaft für Wehrpolitik und Wehrwissenschaft“.63 Bei dieser Gesellschaft handelte es sich nicht um eine Tarnorganisation der Reichswehr, sondern um eine Gliederung des Wehrpolitischen Amtes der NSDAP. Leiter des Wehrpolitischen Amts der NSDAP war zwar SA-Obergruppenführer Franz Xaver Ritter von Epp, faktisch wurde dieses aber von seinem Stellvertreter Friedrich Haselmayr, der Konstantin Hierl als Wehrexperte der Partei den Rang abgelaufen hatte, geleitet.64 Einen starken Fürsprecher hatte die Gesellschaft in dem Staatssekretär im Reichsinnenministerium, Hans Pfundtner. Dieser sah in der Gründung der Gesellschaft für Wehrpolitik und Wehrwissenschaft „einen bedeutsamen Schritt zur Zusammenfassung der am Neubau der Landesverteidigung beteiligten Kräfte“ und hielt diese „für geeignet, die frühere Entfremdung zwischen Gelehrtenwelt und Soldatentum endgültig zu beseitigen und der Heranbildung einer wehrpolitisch geschulten zivilen Führerschicht im Sinne der nationalsozialistischen Staatsführung zu dienen“.65 Die Reichswehrführung hingegen stand dem Wehrpolitischen Amt skeptisch gegenüber, und der neue Chef des Ministeramtes im Reichswehrministerium, Oberst Walter von Reichenau, setzte sich für dessen Auflösung ein.66 Er „betonte äußerst scharf“67 gegenüber Vertretern des Wehrpolitischen Amtes, dass der Reichswehrminister die alleinige Führung in der Wehrpolitik innehätte, worauf Haselmayr entgegnete, die Reibungen gehörten zum Wesen der Politik. Da aber sowohl das Reichswehrministerium als auch das Wehrpolitische Amt jeweils ein „Vollzugsorgan des Willens des Führers“68 sei, sollten sich diese Reibungen lösen lassen. Intern 62 63 64 65

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UAMs, Bestand 4, Nr. 1341, Bl. 32, [Rektor], M./V. G. Nr. 924, an Prof. Dr. Eitel, 8.6.1934, gez. Naendrup. Ebd., Bl. 7, [Rektor], M./V. G. Nr. 1140, an die Deutsche Gesellschaft für Wehrpolitik und Wehrwissenschaft, 29.7.1933. Vgl. Sywottek 1976, S. 42. UAMs, Bestand 4, Nr. 1341, Bl. 32, Der Preußische Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, Deutsche Gesellschaft für Wehrpolitik und Wehrwissenschaft, 27.7.1933, gez. Pfundtner. IfZ, ZS 37, fol. 56–64, hier: fol. 61, Unterredung mit General a. D. Foertsch am 15.10.1951 in München. „Parteidienststellen hätten sich hier nicht einzumischen.“ BAB, NS 10/9, fol. 208, Wehrpolitisches Amt der N.S.D.A.P., Di. geh. Nr. 124, [Aktennotiz], 12.1.1935. BAB, NS 10/59, fol. 219–221, hier: fol. 220, Haselmayr an Reichenau, 23.1.1935.

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wurde der Reichswehrspitze aber vom Wehrpolitischen Amt vorgeworfen, ihre nationalsozialistische Betätigung sei nur äußerlich.69 Hitler dagegen beschwichtigte, man solle von Epp und Haselmayr nicht ernst nehmen; die Partei bräuchte auch solch ein Amt.70 Aber auch innerhalb der Partei hatte das Wehrpolitische Amt Feinde. Mehrfach hatte der Chef des Ausbildungswesens der SA, SS-Obergruppenführer Friedrich-Wilhelm Krüger, gefordert, „den Laden aufzulösen“.71 Krüger war – zumindest kurzzeitig – ein mächtiger Gegner, da zwischen Sommer 1933 bis 1935 in seinem Amt die Fäden bezüglich der vormilitärischen Erziehung zusammenliefen. Ob Naendrup, der als Freikorpsveteran eher von Epp und Haselmayr nahe stand, von diesen Konflikten hinter den Kulissen etwas mitbekam, ist unklar. Jedenfalls bemühte er sich darum, dass neben der Universität Münster nun auch die einzelnen Fakultäten und Institute kooperatives Mitglied der „Deutschen Gesellschaft für Wehrpolitik und Wehrwissenschaft“ werden sollten – mit unterschiedlichem Erfolg. Absagen kamen von der Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät,72 der Medizinischen Fakultät,73 der Katholisch-Theologischen Fakultät74 und dem Historischen Seminar,75 die zumeist mit fehlenden Mitteln begründet wurden; eine Zusage kam von der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät.76 Die Evangelisch-Theologische Fakultät wollte hingegen als „Mitarbeiter“ der Gesellschaft beitreten, was einen geringeren Beitragssatz bedeutet hätte. Als Begründung führte die Fakultät an, dass sie „durch ihre Studenten ständig in engster Fühlung auch mit den Fragen und Aufgaben der Wehrerziehung“77 stünde. Um eine Vereinheitlichung der „Wehrwissenschaften“ zu erreichen, wurde auf Anregung der „Deutschen Gesellschaft für Wehrpolitik und Wehrwissenschaft“ der Direktor des Chemischen Instituts, Professor Rudolf Schenck, mit dem Naendrup bereits zur Zeit des Westfalen-Treubundes zusammengearbeitet hatte, zum Refe69 70 71 72 73 74 75

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Vgl. Müller 1969, S. 172, Fußnote 141. IfZ, ZS 37, fol. 56–64, hier: fol. 61, Unterredung mit General a. D. Foertsch am 15.10.51 in München. IfZ, Fa 90/1, fol. 21–23, hier: fol. 22, Krüger, Besprechung mit Oberst von Vietinghoff, Chef der Wehrmachtsabteilung, am Mittwoch, den 5. Juli 1933. UAMs, Bestand 4, Nr. 1341, Bl. 10, Rechts- u. Staatswissenschaftliche Fakultät, Der Dekan, an Rektor der Westfälischen Wilhelmsuniversität Professor Dr. Naendrup, 7.8.1933. Ebd., Bl. 22, Medizinische Fakultät der West. Wilhelms-Universität, an Rektor der Westfälischen Wilhelms-Universität, 21.10.1933. Ebd., Bl. 23, Der Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster, 30.10.1933. Ebd., Bl. 25, West. Wilhelms-Universität. Der Rektor, V.G. Nr. 1140, an das Historische Seminar, zu Händen des Herrn Direktors Prof. Dr. Wätjen, 20.7.1933, gez. Naendrup. Darauf die Notiz: „Aus Mangel an Mitteln leider kein Beitritt möglich. gez. Wätjen“. Ebd., Bl. 30, Der Dekan der Philos. und Naturw. Fakultät, an Rektor der Universität Professor Dr. Naendrup, 15.12.1933. Ebd., Bl. 9, Theologische Fakultät der Westfälischen Wilhelmsuniversität. Der Dekan, an Rektor der Westfälischen Wilhelmsuniversität, 25.7.1933.

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renten für Wehrwissenschaften ernannt.78 Hier ist die Absicht deutlich erkennbar, langfristig einen Lehrstuhl für Wehrwissenschaften zu schaffen. Bereits im Juli 1932 hatte die Hochschulgruppe des Stahlhelms dies im Senat beantragt. Der Senat stand dem Ansinnen zwar aufgeschlossen gegenüber, das Preußische Kultusministerium lehnte einen solchen Lehrstuhl damals aber ab.79 Jetzt schienen die Voraussetzungen hierfür wesentlich günstiger zu sein. Die Reichswehr vor Ort beschränkte sich derweil lediglich auf die Zusendung von Propagandamaterial.80 Auch auf dem Gebiet der vormilitärischen Ausbildung ergaben sich Veränderungen. Anfang Mai 1933 gab die Führung des Reichskuratoriums zu erkennen, dass es bereit sei, sich der Obersten SA-Führung zu unterstellen.81 Es solle „für die Gestaltung des deutschen Wehrwillens“82 nur noch eine Stelle geben dürfen, weshalb man bereit sei, die Forderungen der SA zu unterstützen.83 Diese neue Stelle wurde der „Chef des Ausbildungswesens der SA“ (Chef AW).84 Anfang Juli 1933 stellte sich dessen Leiter Krüger im Reichswehrministerium als die verantwortliche Stelle für die Kontakte zwischen SA, SS und Jungstahlhelm zur Reichswehr vor. Er wurde sofort als Ansprechpartner für „alle Fragen des Wehrsports und der militärischen Ausbildung“ akzeptiert.85 Die offizielle Gründung des Amts Chef AW erfolgte schließlich am 27. Juni 1933.86 Am 7. Juli 1933 wurde der Chef AW zum Rechtsnachfolger des Reichskuratoriums, dessen Einrichtungen er übernahm, er78

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Ebd., Bl. 42, [Rektor], M. IV. G. Nr. 23, an den Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Wehrpolitik und Wehrwissenschaft, Generalleutnant von Cochenhausen, 10.1.1934. Schenck hatte als Rektor der Universität 1929 für Irritationen gesorgt, als er zur Langemarckfeier Hermann Göring als Redner einlud, vgl. Hörster-Philipps/Vieten 1980, S. 85. Pöppinghege 1994, S. 181. UAMs, Bestand 9, Nr. 1033, Bl. 96, 6. Division (Wehrkreiskommando VI), Ic, Prop/33, an Rektorat der Universität Münster, 16.5.1935. Hier handelt es sich um Postkarten, die auch an andere Institutionen, Organisationen und Verbände geschickt wurden, was nicht für eine Sonderstellung der Universität Münster bei der Wehrbetreuung spricht. IfZ, Fa 90/1, fol. 3f., SA der N.S.D.A.P., Der Führer des Gruppenstabes z.b.V. an Gruppenführer Krüger, 5.5.1933. Ebd., fol. 4–7, hier: fol. 5, SA der N.S.D.A.P., Der Führer des Gruppenstabes z.b.V., Bericht Nr. 1, 7.5.1933. EBd., fol. 17–20, hier: fol. 17, Krüger an Reichenau, 19.6.1933. Siehe hierzu ausführlich: Vogelsang 1966. BA/MA, RH 12–5/43, fol. 54, Der Oberste SA-Führer, Der Chef des Ausbildungswesens, Nr. 50/33, an den Chef des Ministeramtes im Reichswehrministerium Herrn Oberst von Reichenau, 5.7.1933; ebd., Minister-Amt, Nr. 4054/33 W. IIa, Zusatz des Reichswehrministeriums, 8.7.1933. Zu Vorbereitung dieses Schrittes hatte Ernst Röhm Krüger am 21.7.1933 zum Chef des Ausbildungswesens der SA ernannt, BAB, NS 23/5, Der Oberste SA-Führer, II Nr. 1390/33, Verfügung, 21.7.1933. Offiziell erfolgte die Ernennungs Krügers zum Chef AW auf einer Führertagung der SA und SS vom 1. bis 3.7.1933 in Bad Reichenhall, vgl. Sauer 1960, S. 887f.; Barrett 1984, S. 201. Der eigentliche Arbeitsbeginn der „Organisation Krüger“ dürfte dagegen nicht vor Mitte Oktober 1933 erfolgt sein, vgl. Schramm 1990, S. 55.

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klärt.87 Nach einer Anordnung Hitlers sollte er die Richtlinienkompetenz für Jugend-, Gelände- und SA-Sport erhalten.88 An der Universität war auch nach der „Machtergreifung“ zunächst noch das Reichskuratorium für die „Wehrertüchtigung“ zuständig. Die Erstsemester des Wintersemesters 1933/34 mussten vor Studienbeginn an einem „Geländesportlager“ auf dem Truppenübungsplatz Ohrdruf teilnehmen, welches von Ausbildern der Reichswehr geleitet wurde.89 Mitte Mai 1933 wurde Albert Ohlendorf, der seine Ausbildung selbst noch beim Reichskuratorium erhalten hatte,90 Wehrsportlehrer der Universität, womit das SA-Hochschulamt den „Wehrsport“ an der Universität übernahm. Voller Stolz konnte Ohlendorf bereits Anfang Juni 1933 berichten, dass nach drei Wochen bereits 1.500 Studenten am Wehrsport teilgenommen hätten.91 Aber während beim Reichskuratorium die Ausbildung noch halbwegs professionell erfolgte, waren die SA-Wehrsportlager durch „Schleiferei“ und einen „Klamottenzirkus“92 gekennzeichnet. Auch aus den Reihen der Dozenten kam vorsichtige Kritik an der Belastung der Studierenden durch das SA-Hochschulamt.93 Um den Studenten dennoch während des Semesters die Möglichkeit zum Wehrsport zu geben, verfügte das Preußische Wissenschaftsministerium, dass der Mittwoch- und Samstagnachmittag frei von Lehrveranstaltungen zu halten sei.94 Im Reichswehrministerium sah man das Treiben der einzelnen Wehrverbände mit gemischten Gefühlen und beharrte darauf, dass die „Ausbildung mit der Waffe und die Erziehung zum Soldaten“ alleinige Aufgabe der Reichswehr sei, während andere Akteure lediglich „auf dem Gebiet der nationalen Erziehung und der körperlich-geistigen Vorschule“ erwünscht seien.95 Während man aber dem Wehrpolitischen Amt der NSDAP höchst reserviert gegenüber stand, unterstützte man zunächst die Aktivitäten der SA und Krügers. Reichenau verfügte im Juli 1933, dass im Rahmen des „S.A.-Sports“ jährlich 250.000 militärtaugliche Mannschaften 87

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BA/MA, RH 15–54, fol. 190–202, hier: fol. 190, [Fromm], Niederschrift über den Chef des Ausbildungswesens, 8./9.1935; BAK, N 1410/25, S. 2f., 7, K[rüger], Stellungnahme zur „Niederschrift“ über den Chef des Ausbildungswesens, Anlage zum Schreiben des Staatssekretärs und Chefs der Reichskanzlei RK/6754 vom 25.9.1935, 10.10.1935. BAB, NS 10/77, fol. 48, Adolf Hitler, Grundsätzliche Anordnungen für die vormilitärische Jugendertüchtigung, 12.7.1933. Ausführlich Mattonet 2008, S. 15–17. UAMs, Bestand 9, Nr. 1186, Lebenslauf des cand. rer. nat. Albert Ohlendorf, 14.6.1933. UAMs, Bestand 173, Nr. 11, Die Studentenschaft der Universität Münster, Hauptamt I/ Wehrarbeit, an Generaldirektor Dr. Ing. E.h. Dr. phil. h.c. Albert Vögler, 6.6.1933, gez. Ohlendorf. So jedenfalls der Zeitzeuge Mattonet 2008, S. 62. Ebd., S. 58–60. UAMs, Bestand 4, Nr. 636, Bl. 142, Der Preußische Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, 28.7.1933. BA/MA, RH 12–5/43, fol. 37, Der Reichswehrminister, Nr. 1549. 33. WIa, 14.3.1933, gez. von Blomberg.

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nach Lernzielen und Ausbildungsplänen der Reichswehr vorzubilden seien, wobei die Reichswehr der SA mit Personal und Material aushelfe. Dieses ehrgeizige Konzept stand aber einzig und allein unter der Prämisse, dass die neue Armee eine „Wehrmacht mit überwiegend kurzfristiger Ausbildung sein“ werde.96 Dies hieß aber, dass in dem Moment, in dem die Einführung der Allgemeinen Wehrpflicht wahrscheinlich wurde, sich auch die Prämissen und somit auch die Einstellung der Reichswehrführung gegenüber der SA ändern würden. Diese Wende zeichnete sich auf einer Konferenz in Berlin am 20. und 21. Dezember 1933 ab, auf der man von der bevorstehenden Einführung der Wehrpflicht ausging.97 Als Konsequenz wurde bereits im Januar 1934 verfügt, dass das Lehrpersonal von der SA abgezogen werden sollte, die Ausbildung von SA-Personal eingestellt werde und dass die Ausbildung zum Führernachwuchs außerhalb der Reichswehr zum 31. März ende.98 Der „Röhmputsch“ leitete dann auch das Ende der Organisation des Chef AW ein. Im August 1934 schied diese aus der SA aus und wurde Hitler mit Verfügung vom 9. August direkt unterstellt. Richtlinienkompetenz und Etat lagen jetzt beim Reichswehrministerium.99 Krüger selbst sah sich zwar noch als „Reichsführer der Wehrjugend“,100 das Ende der Organisation zeichnete sich aber im September 1934 ab, als der Reichswehrminister Werner von Blomberg Krüger aufforderte, über die Abgabe von Waffen mit dem allgemeinen Heeresamt in Verbindung zu treten.101 Anfang November 1934 bereitete Reichenau Krüger vorsichtig auf das Ende von dessen Organisation vor. Angesicht der „Verknappung der Etatmittel“ müsse der „organisatorische Plan der Wehrjugend unter dem Gesichtspunkt der Kostenersparnis“ umgearbeitet werden.102 Im Januar 1935 teilte Hitler dann Krüger mit, dass die Organisation nach Weisungen des Reichswehrministeriums aufzulösen sei.103 96

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BA/MA, RH 12–5/7, Der Reichswehrminister, T A Nr. 533/33 g.Kdos. T 4 III, Richtlinien für die vormilitärische Ausbildung (Jugend-, Gelände- und S.A.-Sport), 27.7.1933, gez. v. Reichenau. Für das Truppenamt sollte die allgemeine Dienstpflicht sogar bereits ab dem 1.10.1934 vorgenommen werden, Truppenamt, T 2 Nr. 1113/33 geh. Kdos., Aufbau des künftigen Friedensheeres, 14.12.1933, in: Müller 1980, Dokument Nr. 9. Für Fromm war den Beschlüssen vom 20./21.12. der „Übergang vom Söldnerheer zum Heer der allgemeinen Dienstpflicht“ vollzogen, zitiert nach Rautenberg 1973, S. 308f. BA/MA, RH 15/49, fol. 271–283, hier: fol. 271 und 274, Der Chef der Heeresleitung, T A Nr. 89/34 g.K.T. 2 III A/T 4 III a, Ausbildung a.d.R.H. im Jahre 1934, 18.1.1934. IfZ, Fa 90/1, fol. 148, Chef des Ausbildungswesens, Nr. 6151/34, an Reichsschatzmeister der N.S.D.A.P. Verhältnis zur Partei und Staat, 29.10.1934. BAK, N 1410/26, Entwurf einer Verordnung über „Reichsführer der Wehrjugend“, o. D. [10.1934?]. IfZ, Fa 90/1, fol. 144, Der Reichsverteidigungsminister. W.A. Nr. 1140/34g. K.L. Ia., an Chef des Ausbildungswesens, Übernahme der Waffen durch das Reichsheer, 14.9.1934. IfZ, Fa 90/2, fol. 118, Der Chef des Wehrmachtsamts im Reichswehrministerium, Nr. 1390/34 g.k.L. IIa, an den Chef des Ausbildungswesen, 7.11.1934. IfZ, Fa 90/1, fol. 153, Der Führer und Reichskanzler, Nr. 279/35 g.k.L. IIa., an Krüger, 24.1.1935. Einen Tag später unterrichtete Reichenau Krüger darüber, dass die Weisungen

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Der „Chef des Ausbildungswesens“ gehörte somit zu den wenigen Organisationen und Ämtern, die im Nationalsozialismus entstanden und wieder vollständig aufgelöst worden sind und nicht als leere Hülse formal im Feld der Polykratie weiter bestanden. In Münster wurde die Krügerorganisation im Mai 1935 abgewickelt, als auf Befehl des Wehrkreiskommandos Waffen, Sportgeräte und Reitausrüstung aus der aufgelösten SA-Sportschule abgeholt und in den Heeresbestand überführt wurden.104 Damit waren auch das SA-Hochschulamt und der Wehrsportlehrer Ohlendorf Geschichte. Die Einführung der Allgemeinen Wehrpflicht wurde schließlich auch zum Anlass genommen, das Wehrpolitische Amt der NSDAP aufzulösen.105 Die „Deutsche Gesellschaft für Wehrpolitik und Wehrwissenschaft“ bestand zwar weiter, betätigte sich aber nur noch auf einem niedrigen Niveau, zumeist durch Vorträge und Tagungen; ein Lehrstuhl für „Wehrwissenschaften“ wurde jedenfalls an der Universität Münster nicht eingerichtet. Dies auch, weil bereits Anfang 1934, also unmittelbar nach der Dezemberkonferenz im Reichswehrministerium, Blomberg mitteilen ließ, dass „von der Aufnahme des Faches ‚Wehrwissenschaft‘ usw, überall Abstand zu nehmen [sei], da Übereinstimmung darüber besteht, daß es ein selbständige Hochschulfach ‚Wehrwissenschaft‘ auf absehbare Zeit nicht geben wird“.106 Versuche des Militärs, selbst auf dem Gebiet der „Wehrwissenschaften“ in Münster tätig zu werden, sind nicht nachweisbar. Überhaupt ist ab Anfang 1935 ein deutlicher Rückzug der Reichswehr vom Gebiet der wehrpolitischen Propaganda zugunsten des Propagandaministeriums beziehungsweise den Gauleitern zu beobachten. Mag der Hintergrund auch die Überlastung durch die Heeresvermehrung und Aufrüstung gewesen sein, war es doch ein sichtbares Zeichen für den beginnenden Niedergang der politisch-autonomen Stellung der Reichswehr.107

Kriegsvorbereitungen Bereits ab 1934 zeichnete sich eine veränderte Bewusstseinslage ab. Der Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, Bernhard Rust, wies darauf hin, dass auch beim Stellen von Aufgaben für Prüfungs- und Diplomarbeiten die

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zur Auflösung durch Oberbefehlshaber des Heeres erfolgen würden, der die „Verwendung der materiellen Werte für den Aufbau der Wehrmacht“ sicherstellen würde, ebd., fol. 154, Der Chef des Wehrmachtsamts im Reichswehrministerium, Nr. 301/35 g.K. L IIa., an Chef des Ausbildungswesen, 25.1.1935. BA/MA, RH 34/70, fol. 94, Kommandantur Münster, St.O./IVa Nr. 4104/35 g.Kdos., an Kraftfahr Abteilung, 17.5.1935. BAB, NS 6/218, Adolf Hitler, Verfügung, 19.3.1935. UAMs, Bestand 4, Nr. 1341, Bl. 47, Der Preußische Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, Preußisches Staatshandbuch 1933/34, Erlaß vom 3. Januar 1934, 23.1.1934. Rautenberg 1973, S. 262.

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Belange der Landesverteidigung berücksichtigt werden müssten. Deshalb sollten bestimmte Aufgaben nicht an ausländische Studierende gestellt werden, „im Zweifelsfall ist Rückfrage bei dem Abwehroffizier des […] betreffenden Wehrkreiskommandos zu halten“.108 Ähnliches galt auch bei Veröffentlichungen zu Rüstungs- und Wirtschaftsfragen, wo ebenfalls vorher das Generalkommando kontaktiert werden musste.109 Später erhielt die Universität ihren eigenen Abwehrbeauftragten. Dies wurde qua Amt der Universitätskurator Curt Beyer.110 Nach Einführung der Allgemeinen Wehrpflicht und dem Beginn der Aufrüstung waren die Wehrmachtsdienststellen in Münster mit Mobilisierungskalendern und Alarmplänen beschäftigt. Aus diesem Grunde wurde Münster akribisch auf sein „Wehrpotential“ hin untersucht, welches vom Pferdebestand bis zu den Treibstofflagern reichte. Die Universität selbst wurde als nicht kriegswichtig erachtet, weshalb sie auch nach Kriegsausbruch kurzzeitig geschlossen wurde. Lediglich in Teilbereichen war sie für die Wehrmacht noch von Interesse: Am Horstmarer Landweg sollte eine Kraftwagen- und Flakeinheit untergebracht werden,111 Wohnheime und die Uniklinik waren als Lazarette vorgesehen112 und die Küchen des Studentenwerkes für die Truppenverpflegung eingeplant.113 Die Universität war in diese Vorbereitungen nicht eingebunden.114 Generell ist zu beobachten, dass die Wehrmacht im Rahmen der Reichsverteidigung den Kontakt zu zivilen Stellen den Reichsverteidigungskommissaren, also den Gauleitern, überließ. Da Kurator Beyer aber nicht nur Abwehrbeauftragter der Universität war, sondern auch Gaupersonalamtsleiter der NSDAP, liefen bei ihm alle Fäden im Zusammenhang mit Mobilmachung und Kriegsvorbereitungen zusammen. Direkter Kontakte zwischen der Universität und der Armee gab es nur noch wenig, so zum Beispiel Anfragen, die

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UAMs, Bestand 9, Nr. 1486, Der Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, RUI-Geheim, 11.10.1934, gez. Rust. Ebd., Der Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, 16.4.1936, gez. Rust. UAMs, Bestand 9, Nr. 1512, Der Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, Abwehrbeauftragte bei Behörden und Dienststellen außerhalb der Wehrmacht, 12.5.1939, gez. Krümmel. BA/MA, RH 34/53, [6. Division, Wehrkreiskommando VI] Unterkunftsübersicht für Standort Münster / Westfalen im A. – Fall, o.D. [1934]; BA/MA, RH 34/68, WehrbezirksKommando Münster, II L, Nr. 238/37 g.Kdos., Mob. Vorarbeiten 1937/38 für die Flakartillerie, an Wehrersatz-Inspektion Ref. L., 1.4.1937. BA/MA, RH 34/68, [6. Division, Wehrkreiskommando VI], Unterkunft der Lazarette im Betreuungsbezirk der Kommandantur Münster, o.D. [1936?]. BA/MA, RH 34/68, Anlage 2 zum Schreiben vom 31. März 1937 – 36 Bbv Bv 11 g/Bm Besch, Nachweisung der für Truppenselbstverpflegung der Eisenbahneinheiten geeigneten Küchen. BA/MA, RH 34/53, [6. Division, Wehrkreiskommando VI] Verzeichnis der Stellen, an die der Mob.-Befehl weitergegeben werden muß, o.D. [1936].

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Einrichtungen der Universität für eigene Ausbildungszwecke zu nutzen,115 oder Auftragsstudien der eher harmloseren Art.116 Insgesamt ging der Wehrmacht in ihren Mobilisierungsvorbereitungen sehr planvoll vor, wenn auch eine volle Einsatzbereitschaft im Herbst 1939 noch nicht annähernd erreicht war. Auch bei der Mobilisierung der „Heimatfront“ zeigten sich Defizite, besonders wenn man die Stimmung mit dem August 1914 vergleicht.

Krieg Ein Augusterlebnis wiederholte sich im September 1939 an der Universität Münster nämlich nicht. Im Gegenteil, da auf Anordnung des Oberkommandos der Wehrmacht Medizinstudenten unter bestimmten Voraussetzungen von der Truppe beurlaubt werden konnten, führte dies nach Meinung der NSDAP-Gauleitung zu „einem absolut ungesunden, ungewöhnlichen Ansteigen der Zahl der Studierenden der Medizin“.117 Bis zum Frühjahr 1941 häuften sich auch die Bitten des Wehrkreiskommandos, bei dienstpflichtigen Studenten „gegebenenfalls energisch einzugreifen“.118 Grundsätzlich wurde „bittere Klage darüber geführt, dass ein erheblicher Teil der Studierenden an den im Wehrkreis VI gelegenen Hochschulen versuche, sich vom Wehrdienst zu drücken“.119 Bei der Universität Münster konnte das Wehrkreiskommando aber „in jeder Weise volles Verständnis für die Belange der Wehrmacht“120 konstatieren. Die Universitätsverwaltung hatte nämlich in Eigeninitiative einen Fragebogen ausgearbeitet, den jeder Student ausfüllen musste und der dann mit den Daten des Wehrkreiskommandos abgeglichen wurde. „Das

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Zum Beispiel fragte das Luftgaukommando an, ob es Schulungen von Chemikern und Apothekern in Laboratorien der Universität durchführen könne, UAMs, Bestand 9, Nr. 1486, Luftgaukommando VI, Gasabwehrdienst, an den Rektor der Universität Prof. Dr. Walter Mevius, 31.7.1938. BA/MA, RW 19/3309, Forschungsstelle für Allgemeine und Textile Marktwirtschaft an der Universität Münster. Welche technischen Möglichkeiten bietet Sisal als Ersatz für sonstige Bastfasern? o.D. „Um vom Heeresdienst beurlaubt zu werden, hat sich zunächst einmal eine Reihe Studierender anderer Fakultäten in die Medizinische Fakultät umschreiben lassen, ja Juristen, die ohne Erfolg mehrere Semester lang studiert hatten und wegen Nichtbelegung von Vorlesungen vor langer Zeit im Verzeichnis der Studenten gestrichen worden waren, tauchen plötzlich als Mediziner wieder auf“, NSDAP-Gauleitung Westfalen-Nord, Lagebericht für November 1939, zitiert nach Kuropka 1992, S. 377. UAMs, Bestand 9, Nr. 956, Besprechung mit dem Wehrbezirkskommandeur Oberst Freiherr von Bibra, 8.2.1941. Ebd., Der Rektor der Universität an Oberregierungsrat Huber, 12.3.1941, gez. Prof. Mevius. Ebd., Nr. 956, Wehrkreiskommando Münster, Wehrüberwachung der Studenten der hiesigen Universität, 8.3.1941, gez. Frhr. von Bibra.

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Ergebnis war unerwartet ungünstig“,121 wie Rektor Walter Mevius einräumen musste. Von 960 überprüften Studenten, waren 111 zu Unrecht vom Wehrdienst zurückgestellt oder zum Abschluss des Studiums beurlaubt worden.122 Während sich Mevius darüber erregte, „wie liederlich die polizeiliche Meldung und die Meldung beim Wehrmeldeamt von zahlreichen Studenten gehandhabt worden“123 sei, nannte es Beyer ein „betrübliches Ergebnis“, dass 75 Prozent der Überführten eine weltanschauliche Schulung durch Organe der Partei durchlaufen hatten.124 Wer auf solche Weise von der Universität überführt wurde, musste zumindest davon ausgehen, dass „er sofort zu seiner Truppe zurückgeschickt wird und daß er während des Krieges nicht mehr die Möglichkeit erhält, zum Abschluß seines Studiums beurlaubt zu werden“.125 Auch wenn das Ergebnis für Rektor Mevius unbefriedigend war, von der Methode der Wehrüberwachung durch die Universitätsverwaltung war er überzeugt. Folgerichtig wurde dieses Verfahren zur Nachahmung durch andere Hochschulen vorgeschlagen,126 welches schließlich bereits im April 1941 verbindlich für alle Universitäten im Reich wurde.127

Nachkriegszeit und Bundeswehr Das massive Heranziehen von Dozenten und Studenten zum Kriegsdienst sowie enorme Bombenschäden führten bereits im Wintersemester 1944/45 zur Einstellung des Lehrbetriebes an der Universität. Doch während die Universität am 3. November 1945 wiedereröffnet wurde, blieb das deutsche Militär bis zur Gründung der Bundeswehr am 12. November 1955 im öffentlichen Raum verschwunden. In diesem Zeitraum sind auch keine indirekten Kontakte nachweisbar; weder gab es spezielle Eingliederungsprogramme für Soldaten noch gar geheime militärische Projekte. 121 122 123 124 125

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Ebd., Der Rektor der Universität an Oberregierungsrat Huber, 12.3.1941, gez. Prof. Mevius. Ebd., Der Kurator der Universität, an Gauleiter Reichsstatthalter Pg Dr. Alfred Meyer, Wehreinsatz der Studenten, 21.4.1941. Ebd., Der Universitätsrektor an den Gauleiter und Reichsstatthalter Herrn Dr. Meyer – Oberpräsident der Provinz Westfalen, 12.3.1941, gez. Prof. Mevius. Ebd., Der Kurator der Universität, an Gauleiter Reichsstatthalter Pg Dr. Alfred Meyer, Wehreinsatz der Studenten, 21.4.1941. Ebd., Der Rektor der Universität, Beurlaubung des cand.med. Ivo Brand […], an das Wehrkreiskommando Münster, z.Hd. Herrn Oberst Frhr. von Bibra, 12.3.1941, gez. Mevius. Ebd., Der Universitätsrektor an den Gauleiter und Reichsstatthalter Herrn Dr. Meyer – Oberpräsident der Provinz Westfalen, 12.3.1941, gez. Prof. Mevius und Der Rektor der Universität an Oberregierungsrat Huber, 12.3.1941, gez. Prof. Mevius. Ebd., Der Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, Wehrdienst der Studenten, 16.4.1941.

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Auch nach der Gründung der Bundeswehr waren die Kontakte zu den Universitäten zuerst spärlich. Die Bundeswehr hielt zunächst über Einzelpersonen Kontakt zu den Hochschulen, zumeist durch ehemalige Offiziere. Erst ab 1961 sind hier verstärkte Aktivitäten zu beobachten.128 Die Grundlagen der „zivil-militärischen“ Zusammenarbeit waren aber anders gelagert als noch zur Zeit der Reichswehr. Durch die Allgemeine Wehrpflicht waren die personellen Ressourcen der Bundeswehr gesichert. Auch die Ausbildung des Offiziersnachwuchses erfolgt komplett in Eigenregie; die rein militärische seit 1957 an den Führungsakademien der Bundeswehr, die akademische Ausbildung seit 1973 an den Hochschulen der Bundeswehr in Hamburg und München. Lediglich die medizinische erfolgt an den allgemeinen Hochschulen. Die strikte Trennung des zivilen und militärischen Raumes erfuhr aber auch Kritik. So beklagte der Heeresinspektor Generalleutnant Albert Schnez Ende 1969 in seiner Studie „Gedanken zur Verbesserung der inneren Ordnung des Heeres“ den „fehlenden Verteidigungswille im Volk“ und eine „unzureichende Integration der Bundeswehr in das Volk“. Er fordert deshalb die politische Führung der Bundesrepublik auf, „der Armee zu geben, was es braucht“.129 Die Stärkung der „Wehrbereitschaft“ wird heute durch die Schule für psychologische Verteidigung, seit 1990 „Akademie der Bundeswehr für Information und Kommunikation“ in Strausberg, durch Jugendoffiziere und Seminare übernommen. Die Zusammenarbeit mit zivilen Hochschulen erfolgt schwerpunktmäßig mit der Universität Potsdam, wo es seit 2006 einen Masterstudiengang „Military Studies“ gibt, also etwas, was die Reichswehr nie erreichte und die Wehrmacht nicht wollte. Ein Konfliktfeld stellt die Drittmittelforschung dar, welche von rüstungstechnologischen Projekten bis zur Konzeption von Fragebögen für Offiziersanwärter reicht. Öffentlichkeitswirksam wurde 1988 das Forschungsprojekt „Glasnost und Perestroijka im sowjetischen Rundfunk“ am Institut für Publizistik der Universität Münster vorgestellt. Erst ein Bericht des Fernsehmagazins „Monitor“ enthüllte, dass dahinter das Referat für Psychologische Verteidigung im Bundesministerium für Verteidigung stand.130

Fazit Die faktische Aussetzung der Wehrpflicht lässt erwarten, dass in Zukunft die Bundeswehr verstärkt im öffentlichen Raum Nachwuchs rekrutieren wird. Zugleich eröffnet die Fixierung der Universitäten auf Drittmittelprojekte dem Militär weitere Kooperationsmöglichkeiten. Es kann also davon ausgegangen werden, dass sich das Militär wieder offensiver im universitären Raum präsentieren wird. Die Diskussion 128 129 130

Drews 2006, S. 130. Wortlaut der „Schnez-Studie“ 1970. Drews 2006, S. 323.

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im Februar 2011 um eine Resolution des Studierendenparlamentes der Universität Münster, welche sich gegen die Anwesenheit der Bundeswehr in Räumlichkeiten der Universität wendet, zeigte jüngst, wie sensibel dieses Feld ist. Wenn auch die Bundeswehr weder mit der Reichswehr noch mit der nationalsozialistischen Wehrmacht verglichen werden kann, stellt sich dennoch die Frage, inwieweit der Raum der Universität, also eines Hortes des Humanismus, militärischen Belangen geöffnet werden darf. Letztlich muss jede Universität diese Frage für sich beantworten, die Westfälische Wilhelms-Universität tat dies in ihrer Vergangenheit eindeutig und früh. Nicht im Zweiten Weltkrieg, sondern in der Frühphase der Weimarer Republik kam es zur engsten Kooperation zwischen der Universität und dem Militär. Bereits hier erreichte die Militarisierung der Studentenschaft einen Höhepunkt. Nach dem Bruch der Reichswehrführung mit der Freikorpsszene, für die der spätere Rektor Hubert Naendrup exemplarisch stand, kam es zu einer planvolleren Nutzung der Institution Universität mit ihrem „Menschenmaterial“, wofür Geländesport und das Reichskuratorium für Jugendertüchtigung stehen. Die „Machtergreifung“ bedeutete dann einen tiefen Einschnitt, da alte Freikorpskämpfer wie Naendrup und die SA eine bis dato nicht gekannte Militarisierung der Universität betrieben. Der Reichswehrführung gelang es schließlich sowohl im Reich als auch in Münster diese Kreise auszuschalten. Den freiwerdenden Raum nahm aber nicht die Reichswehr/ Wehrmacht ein, die mit den Vorbereitungen auf den erwarteten „Totalen Krieg“ mehr als überlastet war, sondern überließ diesen bereitwillig Parteidienststellen. Damit schwächte sich die Wehrmacht nicht nur innenpolitisch selbst, sondern stärkte auch den ohnehin schon großen Einfluss der NSDAP an den Universitäten. Es lag jedenfalls nicht an der Universität Münster, dass die Kontakte zum Militär nicht mehr das Niveau wie am Ende des Ersten Weltkrieges erreichten. Im Zweifelsfalle wurden Humanismus und Bildungsideale hinter „Kriegsnotwendigkeiten“ gestellt, was das Beispiel der selbst initiierten Wehrüberwachung zeigte.

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Dollinger, Heinz (Hg.), Die Universität Münster 1780–1980, Münster 1980. Drews, Dirk, Die Psychologische Kampfführung/Psychologische Verteidigung der Bundeswehr – eine erziehungswissenschaftliche und publizistikwissenschaftliche Untersuchung, Phil. Diss., Mainz 2006. Elkemann, Hugo/Götz, Wolfram/Kranz, Brigitte, Die Universität in der Weimarer Republik (1918–1920), in: Kurz 1980, S. 47–63. Halder, Winfried, Innenpolitik im Kaiserreich 1871–1914, Darmstadt 2003. Henning, Franz, Bericht über den Flugsport an der Universität Münster 1929–1974 und die Schaffung eines neuen Flugplatzes, [Münster] o.J. Hörster-Phillips, Ulrike/Vieten, Bernward, Die Westfälische Wilhelms-Universität beim Übergang zum Faschismus, in: Kurz 1980, S. 77–103. Könnemann, Erwin/Schulze, Gerhard (Hg.), Der Kapp-Lüttwitz-LudendorffPutsch, München 2002. Krüger, Gerd, „Treudeutsch allewege!“. Gruppen, Vereine und Verbände der Rechten in Münster (1887–1929/30) (Quellen und Forschungen zur Geschichte der Stadt Münster N.F. 16), Münster 1992. Kuropka, Joachim (Hg.) Meldungen aus Münster 1924–1944. Geheime und vertrauliche Berichte von Polizei, Gestapo, NSDAP und ihren Gliederungen, staatlicher Verwaltung, Gerichtsbarkeit und Wehrmacht über die politische und gesellschaftliche Situation in Münster, Münster 1992. Kurz, Lothar (Hg.), 200 Jahre zwischen Dom und Schloß. Ein Lesebuch zur Vergangenheit und Gegenwart der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, Münster 1980. Marshall, Barbara, The political development of German university towns in the Weimar Republic. Göttingen and Münster 1918–1930, Diss., London 1972. Mattonet, Hubert, Jeder Student ein SA-Mann! Ein Beitrag zur Geschichte der Westfälischen Wilhelms-Universität in den Jahren 1933 bis 1939, Münster 2008. Müller, Klaus-Jürgen, Das Heer und Hitler. Armee und nationalsozialistisches Regime 1933–1940 (Beiträge zur Militär- und Kriegsgeschichte 10), Stuttgart 1969. Müller, Klaus-Jürgen, General Ludwig Beck. Studien und Dokumente zur politisch-militärischen Vorstellungswelt und Tätigkeit des Generalstabschef des deutschen Heeres 1933–1938 (Schriften des Bundesarchivs 30), Boppard a. Rh. 1980. Pöppinghege, Rainer, Absage an die Republik. Das politische Verhalten der Studentenschaft der Westfälischen-Universität Münster 1918–1935 (Agenda Geschichte 4), Münster 1994. Rautenberg, Hans-Jürgen, Deutsche Rüstungspolitik vom Beginn der Genfer Abrüstungspolitik bis zur Wiedereinführung der Allgemeinen Wehrpflicht 1932– 1935, Diss., Bonn 1973. Ribhegge, Wilhelm, Geschichte der Universität Münster. Europa in Westfalen, Münster 1985.

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Schulze, Hagen, Freikorps und Republik 1918–1920, Boppard a. Rh. 1969. Sauer, Wolfgang, Die Mobilmachung der Gewalt, in: Bracher, Karl Dietrich/Sauer, Wolfgang/Schulz, Gerhard (Hg.), Die Nationalsozialistische Machtergreifung. Studien zur Errichtung des totalitären Herrschaftssystems im Deutschland 1933/34, Köln 1960, S. 683–960. Schramm, Michael, Der Gleichschaltungsprozeß der deutschen Armee 1933 bis 1938. Kulminationspunkte und Linien, Phil. Diss., München 1990. Severing, Carl, Mein Lebensweg, Bd. 1: Vom Schlosser zum Minister, Köln 1950. Sicken, Bernhard, Münster als Garnisonsstadt – Allgemeine Wehrpflicht und Kasernierung, in: Jakobi, Franz-Josef (Hg.), Geschichte der Stadt Münster, Bd. 2, 3. Aufl. Münster 1994, S. 727–766. Sywottek, Jutta, Mobilmachung für den totalen Krieg. Die propagandistische Vorbereitung auf den Zweiten Weltkrieg, Opladen 1976. Vogelsang, Thilo, Der Chef des Ausbildungswesens (Chef AW), in: Gutachten des Instituts für Zeitgeschichte, Bd. 2, Stuttgart 1966, S. 145–156. Wortlaut der „Schnez-Studie“, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, H. 3 (1970), S. 301–319, online: http://www.dearchiv.de/php/dok.php?archiv =bla&brett=B70_03&fn=SCHNEZ.370&menu=b1970, Zugriff: 7.4.2011.

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Eine wirkliche Landesuniversität schaffen Die Gesellschaft zur Förderung der Westfälischen Wilhelms-Universität Anlässlich einer öffentlichen Sitzung der Fördergesellschaft dankte Rektor Krause 1931 den außeruniversitären Förderern, „ohne deren tatkräftige Hilfe es der Universität Münster nicht möglich gewesen sei, während der letzten zehn Jahre zu bestehen“.1 Implizit erschien die Fördergesellschaft in Krauses Rede auch als löbliche Ausnahme einer der Universität vorwiegend feindlich gesonnenen Öffentlichkeit. Gegründet worden war die „Gesellschaft zur Förderung der Westfälischen Wilhelms-Universität zu Münster“ nach mehrjährigen Vorbereitungen am 2. Dezember 1919 in Dortmund.2 Die dort gewählten Ersten und Zweiten Vorsitzenden, Generaldirektor Albert Vögler und Professor Otto Hoffmann, behielten diese Ämter bis zu ihrem Tod 1945 respektive 1940.3 Abgesehen von einer knapp zweijährigen Unterbrechung nach dem Zweiten Weltkrieg fungierte die Fördergesellschaft vom Beginn der Weimarer Republik bis in die Gegenwart als Schnittstelle zwischen Wissenschaft und regionaler Wirtschaft. Ursprünglich auch als Organisation der ehemaligen Studierenden gedacht, wurde sie 2001 um einen von ihr unabhängigen „Alumni-Club“ ergänzt. Dieser Artikel wird sich vornehmlich mit den Tätigkeiten der Fördergesellschaft bis zum Ausscheiden Vöglers und Hoffmanns in den 1940erJahren beschäftigen, da mit ihrem Tod auch die personelle Kontinuität zum Gründungsbündnis der Fördergesellschaft im Ersten Weltkrieg abbrach. Obwohl die Fördergesellschaft während der Weimarer Republik und des „Dritten Reiches“ zumindest in der nach außen gerichteten Kommunikation der Hochschulleitung einen festen Platz hatte, ist ihre Geschichte bislang nur wenig erforscht. Neben dem Eckdaten zusammentragenden Beitrag Harry Westermanns zur Universitätsgeschichte von 19804 gibt es nur eine Manuskript gebliebene Arbeit von Wilhelm Ribhegge, in der grundlegend politische Zusammenhänge zwischen Ordinarien und außeruniversitären Mitgliedern herausgearbeitet werden.5 1 2 3 4 5

Generaldirektor Dr. Vögler 1931. UAMs, Bestand 173, Nr. 1, Protokoll der Mitgliederversammlung am 2.12.1919. Biographische Hinweise zu den beiden Vorsitzenden finden sich weiter unten. Westermann 1980, S. 167–174. Ribhegge 1968. Die Veröffentlichung dieses Manuskripts scheiterte im annus mirabilis 1968 vorwiegend „an der Fördergesellschaft selbst wie an dem Widerstand der Historischen Kommission für Westfalen“, Ribhegge 1983, S. 14.

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Auch sind die vom Ersten bis zum Zweiten Weltkrieg von personeller Kontinuität geprägten Kooperationen kein Teil der spärlichen Erinnerungskultur der Universität Münster geworden. So fand eine künstlerische Auseinandersetzung mit dem Zweiten Vorsitzenden der Fördergesellschaft in Form einer „Bronze-Büste […] auf einem Marmorsockel“6 nach dem Zweiten Weltkrieg keinen festen Platz. Bis heute irrt sie durch verschiedene Räumlichkeiten des Instituts für Sportwissenschaft. Die Fördergesellschaft verausgabte von Spendern zweckgebunden an sie übertragene und von ihren Gremien zu verteilende Mittel, um Forschungsvorhaben einzelner Wissenschaftler zu unterstützen. Sie suchte neue Fächer zu etablieren. Um der Raumnot der Universität Münster zu begegnen und die Expansion des Hochschulsports zu ermöglichen, erwarb sie Immobilien. Sie fungierte als Sammel- und Einwerbestelle von Geldern für die studentischen Sozialeinrichtungen. Auch als Herausgeberin einer eigenen Schriftenreihe trat sie in Erscheinung. Nicht zuletzt diente sie als kommunikative Schnittstelle zwischen Ordinarien, westfälischen Industriellen und Politikern verschiedener staatlicher Ebenen. Dieser Vielzahl verschiedener Themenbereiche gegenüberstehend beschränke ich mich auf die Frage, wie sich zwei Spezifika der Fördergesellschaft auf die Gestaltung der Universität durch die Fördergesellschaft bis 1945 auswirkten. Das erste Spezifikum ist der durch ausgesprochen politische Interessen bestimmte Gründungszusammenhang der Fördergesellschaft. Das zweite ist die hohe Zahl von Vertretern schwerindustrieller Firmen des Ruhrgebiets unter den außeruniversitären Gründungsmitgliedern und ihre auch in den folgenden Jahrzehnten spürbare Präsenz und Finanzkraft. Anhand zweier mit der Fördergesellschaft verknüpfter Expansionsbestrebungen der Universität werde ich zeigen, dass sich der politische Gründungszusammenhang und die schwerindustriellen Interessen – so sie sich mit den Interessen wichtiger Ordinarien verbinden ließen – in der Weimarer Republik und zum Teil auch darüber hinaus auswirkten. Wie entscheidend politische Vorstellungen für Förderungsentscheidungen sein konnten, wird anhand der Unterstützung des Hochschulsports nachgewiesen. Als Beispiel für das Zusammenspiel schwerindustrieller Interessen mit Kräften innerhalb der Universität dient die in der Fördergesellschaft erfolgte Kontaktaufnahme des wichtigsten universitären Akteurs im Streben, eine Technischen Fakultät an der Universität Münster einzurichten, mit dem wichtigsten außeruniversitären Befürworter dieses Anliegens. Nach einer Definition des Begriffs der Fördergesellschaft und einer historischen Verortung privater Wissenschaftsförderung bis zur Gründung der ersten Fördergesellschaft in Bonn, werden diese beiden Spezifika der Münsterischen Fördergesellschaft herausgearbeitet. Dazu werden die wichtigsten universitären und außeruniversitären Mitglieder, ihre politische Zusammenarbeit im Ersten Weltkrieg und die ersten konkreten Vorstellungen hinsichtlich der zu fördernden Projekte untersucht. 6

UAMs, Bestand 63, Nr. 21, Brief von Helene Hoffmann an den Dekan der Philosophischen Fakultät vom 22.11.1961.

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Anschließend werden die Reaktionen der Mitglieder der Fördergesellschaft auf die Novemberrevolution untersucht, um so die Kontinuität politischer Gemeinsamkeiten zu belegen. Danach gilt es, die Auswirkungen von politischen Gemeinsamkeiten und schwerindustriellen Interessen anhand von Hochschulsportförderung und dem Bestreben, eine Technische Fakultät einzurichten, sichtbar zu machen.

Definition und Historische Verortung der Fördergesellschaften Universitäre Fördergesellschaften suchten als Organisationen in Vereinsform verschiedene Formationen des regionalen Wirtschafts- und Bildungsbürgertums mit den Ordinarien der jeweiligen Universität gesellschaftlich zusammenzuführen. Aus diesen Treffen sollten Kooperationsverhältnisse entstehen, die sich beispielsweise in Förderungen bestimmter Forschungsvorhaben, in öffentlichen Vorträgen der Professoren oder in der Vergabe von Ehrendoktorwürden niederschlagen konnten. Ihre meist geringe innere Ausdifferenzierung in einander kontrollierende Gremien schuf große Handlungsspielräume für die Vorsitzenden. Die Gremien selbst waren durch eine Parität zwischen universitären und außeruniversitären Mitgliedern gekennzeichnet. Diese Fördergesellschaften können als eine Organisationsform in einem sich seit den 1880er-Jahren verdichtenden Kooperationsprozess zwischen privaten Geldgebern und Teilen des Wissenschaftssystems betrachtet werden. So erscheinen sie als ein Teil der von Szöllösi-Janze auf systemtheoretischer Grundlage konstatierten „institutionellen Veränderungen der deutschen Wissenschaftslandschaft an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert“,7 die in ihrer Deutung den Übergang zu einer „vorrangig informationsbasierten Gesellschaft“8 begleiteten. Für die dazu notwendigen Kooperationen zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Teilsystemen mit „jeweils eigenen Rationalitäten“9 mussten vermittelnde Institutionen geschaffen werden, zu denen auch die Fördergesellschaften gezählt werden können. Besonders die Verbindung von einem privatwirtschaftlichen Interesse an einer steigenden Effizienz des mehr und mehr verwissenschaftlichten Produktionsprozesses einerseits mit dem Wunsch von Naturwissenschaftlern nach Ausdifferenzierung und Expansion ihrer Forschungsgebiete andererseits führte zu neuen, meist außeruniversitären Wissenschaftsorganisationen und einer gegenseitigen Durchdringung.10 Um 1900 hatten führende Industrielle und Manager, wie beispielsweise Carl Duisberg, eine wissenschaftliche Ausbildung, und führende Chemieprofessoren, 7 8 9 10

Szöllösi-Janze 2002, S. 60. Ebd. Ebd. 2000, S. 49. Hinsichtlich der Fördergesellschaften ist die wichtigste Station dieser Entwicklung die in der Weimarer Republik als Vorläufer betrachtete „Göttinger Vereinigung“. Zur „Göttinger Vereinigung“: Manegold 1970, S. 157–248.

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wie Fritz Haber, entwickelten neben fachlichen auch organisatorische Fähigkeiten in Forschungsinstituten, die sich organisatorisch dem Betriebsmodell annäherten.11 Dabei wurde besonders von neuen, auf naturwissenschaftlichen Erkenntnissen gründenden Industrien, Wissenschaftlern, Kommunen und seitens der Ministerialbürokratie versucht, möglichst viele private Zusatzmittel zu gewinnen. Wissenschaft wurde so als „nationale Aufgabe“12 mit dem deutschen Großmachtstreben verbunden. Der Kaiser wurde als Quelle sozialen Kapitals zum Protektor der für die Förderung der Wissenschaft gegründeten Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft gemacht, und es wurde angestrebt, die Wissenschaftsförderung gar als „Bürgertugend“13 in den Kanon großbürgerlicher Verhaltensnormen aufzunehmen. Anregungen für diese vielfältigen Ideen zur Begründung einer Kultur der Wissenschaftsförderung kamen oft aus beeindruckenden Reisen in die amerikanische Union.14 Ein wichtiges Charakteristikum der neuen, außeruniversitären Forschungsinstitute blieb im Kaiserreich stets die Einbindung in staatliche Strukturen und Kontrollmechanismen sowie eine Mischfinanzierung. Diese staatliche Kanalisierung privater Mittel wird besonders in der Ausgestaltung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft sichtbar, in der nach Möglichkeit „in jedem der nach und nach entstehenden Institutskuratorien ein Vertreter der Kultusverwaltung“15 sitzen sollte. Die Universitäten wurden von dieser Integration privatwirtschaftlicher Mittel in das Wissenschaftssystem erst in dem für sie durch Knappheiten geprägten Ersten Weltkrieg systematisch erfasst.16 Um den zunehmenden finanziellen Problemen zu begegnen, erschien es vielen Ordinarien ratsam, die Wirtschaft als einen weiteren „Anlehnungskontext“17 der Universität zu gewinnen. Als institutioneller Ausdruck dieses Strebens wurde 1917 in Bonn eine erste Fördergesellschaft gegründet, deren Satzung zum Vorbild für weitere Fördergesellschaften wurde.18 Allein für die Zeit zwischen Juli 1917 und Dezember 1918 kann die Gründung von vergleichbaren Organisationen „an zwölf Universitäten“19 nachgewiesen werden, und in der Weimarer Republik existierten an fast allen Hochschulen Fördergesellschaften. Im Gegensatz zu früheren Kooperationen zwischen Wissenschaft und Wirtschaft kam es bei der Gründung dieser Fördergesellschaften meist ohne Einbeziehung der staatlichen Verwaltung zu direkten Verhandlungen. Einschränkend gilt es anzumerken, dass sowohl die erste Fördergesellschaft in Bonn als auch die folgenden Gründungen von allen Akteuren nicht als Ersatz, sondern als Ergänzung der weiterhin vom Staat zu 11 12 13 14 15 16 17 18 19

Szöllösi-Janze 1998, S. 263ff. Schulze 1995, S. 41. Ebd. Manegold 1970, S. 117. Burchardt 1990, S. 66. Einen reichsweiten Überblick über die Folgen des Ersten Weltkrieges für die Wissenschaftslandschaft bietet: Marsch 1994, S. 39–43. Stichweh 2009, S. 40. Zu den einzelnen Etappen der Gründung: Herrmann 1990, S. 77–86. Pawelletz 2005.

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garantierenden Grundfinanzierung betrachtet wurden. An der Universität Münster verglich Hoffmann den Staat mit „einem schweren Lastwagen mit Anhängern und dicken Rädern, während unsere Gesellschaft ein flinker Opelwagen in StromlinienForm ist“.20 In der professoralen Deutung kam zu diesen mechanischen Teilen zur Finanzierung noch die frei ihr Ziel ansteuernde „Wissenschaftspersönlichkeit“21 als eigentlicher Kern der Institution Universität.

Die Gründungskonstellation der Münsterischen Fördergesellschaft Nur einige Monate nach der Bonner Gründung verdichteten sich von zwei Seiten Bestrebungen, auch für die Universität Münster eine Förderung durch die regionale Wirtschaft zu etablieren. Im März 1918 berichtete der Fabrikbesitzer August Schulte aus Unna dem Oberpräsidenten der Provinz Westfalen, dass „die rheinische Gesellschaft ihre Vereinstätigkeit auch auf die Nachbarprovinz Westfalen erstrecke“.22 Schulte stimmte mit dem Bonner Ziel einer engeren Verbindung von Wissenschaft und Wirtschaft überein, regte aber die Gründung einer eigenen, westfälischen Fördergesellschaft für die Universität Münster an. Der Oberpräsident nahm die Anregung auf und reichte sie, versehen mit dem Hinweis, dass der Bonner Fördergesellschaft etwas entgegenzusetzen sei, an den Rektor der Universität Münster weiter.23 Von der über das Rheinland bis nach Westfalen reichenden, erfolgreichen Werbung der Bonner Vereinigung war also eine Dynamik ausgegangen, die einen westfälischen Industriellen und die preußische Provinzialverwaltung zur Nachahmung ermunterte. Doch als diese wirtschaftlich begründete Initiative die Universität erreichte, arbeitete schon eine Gruppe an der Formierung einer Fördergesellschaft. Rektor Hermann Ehrenberg antwortete dem Oberpräsidenten, dass im „engeren Kreis […] bereits die Begründung einer akad. Wirtschaftl. Vereinig. zugunsten unserer Universität“24 vorbereitet werde. Zwar erbat Ehrenberg nun höflich die Unterstützung seines Oberpräsidenten, doch zum erwähnten engeren Kreis gehörten bislang ausschließlich Industrielle und Ordinarien. Gestützt auf ein heute verschollenes Manuskript Hoffmanns zur Gründungsgeschichte der Fördergesellschaft von 1939 benennt Ribhegge „Wilhelm Beukenberg (Phoenix-Hörde), Alfred Hugenberg 20

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UAMs, Bestand 173, Nr. 2, Rede Hoffmanns für die Mitgliederversammlung am 26.2.1939. Zitat im Original durchgestrichen. Die Redemanuskripte Hoffmanns weisen im „Dritten Reich“ besonders bei der Behandlung politischer Fragen viele durchgestrichene Stellen auf. Hoffmann entschied sich meist für eine sehr zurückgenommene, wenig polarisierende Fassung seiner ursprünglichen Rede. Schreiber 1954, S. 11. UAMs, Bestand 4, Nr. 1329, Bl. 3, Abschrift eines Schreibens der Messingwerk AktienGesellschaft Unna an den Kurator vom 14.3.1918. Ebd., Bl. 1, Schreiben des Kurators an den Rektor vom 30.3.1918. Ebd., Konzept eines Schreibens des Rektors an den Kurator.

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(Krupp-Essen), Emil Kirdorf (Gelsenkirchener Bergwerks-AG) und Hugo Stinnes (Mülheim a. d. Ruhr)“25 sowie die münsterischen Ordinarien Hoffmann, Krückmann, Keller, Meinardus und Rosenfeld als Mitglieder des engeren Kreises.26 Den Kern dieses engeren Kreises bildeten die Hannoveraner Hugenberg und Hoffmann. Gefunden hatten sich Schwerindustrielle des Ruhrgebiets und münsterische Hochschullehrer über eine gemeinsame Politisierung durch den schon im ersten Kriegsjahr einsetzenden Streit über die von der Reichsleitung zu verfolgenden Kriegsziele.27 Zusammen überbrachten Ordinarien und Wirtschaftsführer 1915 dem Kommandeur des Münsterischen Korpsbezirks eine Denkschrift, die annexionistische Forderungen als Antwort auf die Gefahr gesteigerter Ansprüche der deutschen Arbeiter empfahl.28 Die dem engeren Kreis zuzurechnenden Professoren versuchten aber auch, durch besondere Vorlesungen breite Volksschichten zu erreichen.29 Schon im September 1914 organisierten sich Hochschullehrer der Universität Münster, um an ein breites Publikum gerichtete, öffentliche Vorträge zu tagesund allgemeinpolitischen Themen zu halten.30 Der Historiker Kaiser spricht ihnen in der zunächst von Burgfriedensrhetorik und Zensur geprägten Weltkriegszeit ein auf dem Wissenschaftsbegriff gründendes Monopol als „Multiplikator[en] der öffentlichen Meinung“31 in Münster zu. Wenn Kaiser meint, dass sich die Ordinarien durch ihren Einsatz „den städtischen Honoratioren als gleichberechtigte Partner empfahlen“,32 so beschreibt er damit nur einen der möglichen neuen Bündnispartner. Die professorale Selbstmobilisierung zur Festigung der Heimatfront durch ein breites Vortragswesen wurde von den Industriellen um Hugenberg als willkommene Unterstützung im Kampf um die Meinungshoheit wahrgenommen und auch mit Geldmitteln finanziert.33 Durch das nach außen gerichtete Wirken der Professoren entstanden so Verbindungen, die vielleicht die Voraussetzung bildeten für die Hilfe „industrielle[r] Kreise“34 zugunsten der neu entstandenen sozialen Selbsthilfeorganisationen der Universität oder für die neue Fördergesellschaft. Ziel der Vorträge war aber aus professoraler Perspektive nicht allein eine Betätigung im nationalen Sinne, sondern auch das Bestreben, den Einwohnern der 25 26

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Ribhegge 1968, S. 25. Die Richtigkeit dieser Angaben bezeugt die Einladung zur ersten Mitgliederversammlung der Fördergesellschaft. Darin werden die meisten der obigen Namen als Mitglieder des vorbereitenden Ausschusses genannt, UAMs, Bestand 173, Nr. 1, Einladung des vorbereitenden Ausschusses zur Mitgliederversammlung am 2.12.1919. Zur Kriegszieldiskussion im Ersten Weltkrieg: Wehler 2008, S. 26–38. Ribhegge 1968, S. 26. Hinweise auf die den Professoren zugedachte Rolle finden sich bei: Guratzsch 1974, S. 142. Köster 1941, S. 55. Kaiser 1993, S. 202. Ebd., S. 204. Krüger 1992, S. 55. Köster 1941, S. 50.

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Provinz Westfalen zu zeigen, „daß sie in Münster eine Landesuniversität“35 und ihr „geistiges Zentrum“36 hätten. Stärker als in Friedenszeiten wurde die Universität von den Ordinarien als eigenständig handelnde Organisation begriffen, deren Angehörige durch die Vorträge eine „Erweiterung des […] Einflußgebietes der Universität im Rahmen der Provinz“37 erstrebten.

Die wichtigsten universitären und außeruniversitären Mitglieder Um die Tätigkeiten der Fördergesellschaft verstehen zu können, wird durch die Untersuchung von Interessen und politischer Sozialisation der wichtigsten Mitglieder zunächst ein Bild der Fördergesellschaft und ihrer sozialen Verankerung gezeichnet. Die dem engeren Kreis angehörigen universitären Mitglieder waren bis auf den bald zu ihnen stoßenden Chemiker Rudolf Schenck38 professorale Angehörige eines Kreises um Professor Otto Hoffmann, der sich „zu einer Zentrale für Kriegszielpropaganda unter der Hochschullehrerschaft“39 in Münster entwickelt hatte.40 Der ab 1909 in Münster tätige vergleichende Sprachwissenschaftler Hoffmann hatte sich schon vor dem Krieg in der Breslauer Gemeindeverwaltung und als schlesischer Landesvorsitzender des „Vereins für das Deutschtum im Ausland“ politisch engagiert.41 Während des Ersten Weltkrieges durchlief er als Mitglied des „Unabhängigen Ausschusses für einen deutschen Frieden“ und im Vorstand der Vaterlandspartei verschiedene Stationen der politischen Aktivierung und Radikalisierung, die ihn nach Kriegsende zum Ersten Vorsitzenden der Münsterischen DNVP machten.42 In der Weimarer Republik war Hoffmann nicht nur Mitglied der Münsterischen Stadtverordnetenversammlung, sondern ab 1921 auch des Preu35 36 37 38

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UAMs, Bestand 4, Nr. 1183, Schreiben von Daenell an den Rektor vom Mai 1918. Ebd. UAMs, Bestand 4, Nr. 1182–1188, Schreiben von Daenell an den Rektor von 1917. Der Chemiker Rudolf Schenck wird in der Literatur nicht als Mitglied des „HoffmannKreises“ geführt, trat aber während des Ersten Weltkrieges „mehrfach öffentlich für eine annexionistische Kriegszielpolitik ein“ (Baur 2002, S. 15) und hatte über seine Tätigkeit als Institutsdirektor Kontakt zu Industriellen, denen er geeignete Studierende „zur Beaufsichtigung der neueingestellten Arbeiter“ (Köster 1941, S. 78) in der rapide wachsenden Kriegsindustrie vermittelte. Guratzsch 1974, S. 141. Gerd Krüger nennt als sichere Mitglieder des „Hoffmann-Kreises“ Krückmann, Rosenfeld, Daenell, Seeck, Meinardus und als vermutliche Mitglieder Meister, Ehrenberg und Keller, Krüger 1992, S. 54. Abgesehen von Seeck und Keller sind dies die professoralen Teilnehmer der ersten Sitzung in Dortmund. UAMs, Bestand 10, Nr. 197, Bd. 1, Prof. Otto Hoffmann 75 Jahre alt, Münsterische Zeitung vom 9.2.1940, und ebd., Prof. Dr. Dr. Otto Hoffmann 70 Jahre alt, Münsterische Zeitung vom 8.2.1935. Grevelhörster 1993, S. 40.

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ßischen Landtages. Dort vertrat er die in der deutschnationalen Hochschulpolitik vorherrschenden Interessen der Ordinarien.43 Um seine Ablehnung der Weimarer Verfassung zu begründen, unterschied Hoffmann zwischen Staat und Staatsverfassung und stellte sich als Konsequenz gegen die im Weimarer Kreis organisierten Hochschullehrer.44 Trotzdem genoss er auch über Parteigrenzen hinaus Ansehen, was seine Einreihung unter die von Schreiber in den 1950er-Jahren ausgemachten „namhafte[n] Wissenschaftspolitiker“45 der Republik von Weimar bezeugt. Darüber hinaus gibt es nur wenige Anhaltspunkte für seine konkreten politischen Vorstellungen. Ein Briefwechsel zwischen Hoffmann und dem wichtigsten industriellen Initiator der Fördergesellschaft, Hugenberg, zeigt ihn als Befürworter einer vom Parlament unabhängigen Herrschaftsausübung mittels Zusammenschlüssen der wirtschaftlichen, staatlichen und akademischen Eliten.46 Sein in Schlesien fassbares Interesse am Auslandsdeutschtum scheint er auch später beibehalten zu haben. So hielt Hoffmann 1931 einen öffentlichen Vortrag zum „Recht der Germanen auf Deutschlands Osten“.47 Innerhalb der Universität trat er weniger als klassischer Wissenschaftler, denn als Organisator hervor. Für die im Fächerkanon randständige vergleichende Sprachwissenschaft erreichte er die Aufnahme „als wahlfreies Prüfungsfach in das Examen der Oberlehrer“,48 er half bei der Sammlung und Verwaltung von Geldern der studentischen Selbsthilfeorganisationen und beförderte die Expansion der Universität. Nicht aufgrund wissenschaftlicher Meriten, sondern ob seines immer breiter gefächerten politischen Engagements behauptete Hoffmann seine Stellung als Zweiter Vorsitzender der Fördergesellschaft. Neben dieser Gruppe um Hoffmann wurden aber schon für die Gründung der Fördergesellschaft weitere Ordinarien aus allen Fakultäten eingebunden.49 Trotzdem spielten die oben als universitäre Mitglieder des engeren Kreises Aufgeführten bis zu ihrem Ausscheiden aus Altersgründen in den 1930er-Jahren eine entscheidende Rolle. Dies lässt sich insbesondere an ihren Verbindungen zu den Großprojekten der Fördergesellschaft, wie dem Ausbau der Sportstätten, festmachen. Die vier als Mitglieder des engeren Kreises benannten Konzerne gehörten allesamt zu den größten der unter dem Begriff Schwerindustrie zusammenzufassenden Branchen Bergbau und Metallindustrie. Zusammengekommen waren sie durch das Bestreben Hugenbergs, der die lockere Zusammenarbeit von Ordinarien und Industriellen in der Kriegszielfrage in Form einer Fördergesellschaft verstetigen wollte. 43 44 45 46 47 48 49

Beispielsweise setzte er sich für eine „Heraufsetzung der Altersgrenze für die Emeritierung“ (Sitzungsberichte 1926, Sp. 11529) ein. Ebd., Sp. 11531. Schreiber 1954, S. 14. Guratzsch 1974, S. 143. Universität und Ostlandnot 1931. UAMs, Bestand 62, B II 6, Abschrift eines Schreibens des Dekans der Philosophischen Fakultät an den Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung vom 20.12.1934. Die Mitgliederliste von 1923 weist 57 universitäre Mitglieder nach, Gesellschaft zur Förderung 1923, S. 36–40.

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Zusammen mit den Professoren um Hoffmann bildeten diese Manager und Industriellen zunächst einen von mehreren informellen Kreisen Hugenbergs, in denen er soziale, wirtschaftliche und in steigendem Maße auch politische Kontakte knüpfte und pflegte.50 Dementsprechend trachtete Hugenberg danach, die Mitgliederzahl der Fördergesellschaft möglichst niedrig zu halten. Der von ihm in einem heute verschollenen Briefwechsel mit Hoffmann vorgetragene Gedanke, den Mitgliederkreis der Fördergesellschaft zunächst auf drei große Konzerne der Schwerindustrie zu begrenzen, wurde aber nicht umgesetzt.51 Dafür wirkte sich der in dieselbe Richtung zielende Rat Vöglers, vornehmlich den „Stahlwerksverband, die sog. Industrieklubs und Syndikate“52 zur Gewinnung von Mitgliedern zu nutzen, auf Anzahl und Charakter der außeruniversitären Mitglieder aus. Die beiden erhaltenen Mitgliederlisten der Fördergesellschaft von 1923 und 1932 weisen nur 275,53 respektive 24354 Mitglieder aus, unter denen viele Firmen des Industriereviers und nur wenige Einzelmitglieder waren.55 Daneben wurden aber auch Bürgermeister westfälischer Städte, Landräte und später Städte und Landkreise selbst als Mitglieder geworben, um so die ganze Provinz in eine neue Verbindung mit der Universität zu bringen. Die Zusammensetzung der Mitglieder zeigt deutlich, dass die Fördergesellschaft dem älteren Modell der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft folgte, die sich explizit nicht als einen wissenschaftlichen Flottenverein, sondern als Sammlung der wirtschaftlichen Elite verstanden wissen wollte.56 Über diese, auf einer schwerindustriellen Basis ruhenden Mitgliederstruktur eröffnet sich eine Parallele zur ebenfalls in die zweite Kriegshälfte fallenden Gründung des Industrieklubs in Dortmund. Dieser stützte sich ebenfalls „auf das Beziehungsnetz der Montanindustriellen“.57 Forciert wurde die Dortmunder Gründung maßgeblich von Vögler und Beukenberg,58 den neben Hugenberg wichtigsten Industriellen bei der Etablierung der Fördergesellschaft.59 Die neuen Industrieklubs vereinten nicht nur „Persönlichkeiten, die als Eigentümer-Unternehmer oder Ma50 51 52 53 54 55

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Eine Übersicht über das Hugenbergsche Spinnennetz der Ausschüsse und Freundeskreise zeichnet: Guratzsch 1974, S. 171. Ribhegge 1968, S. 29. UAMs, Bestand 183, Nr. 2, Protokoll der Sitzung des Verwaltungsausschusses vom 23.2.1920. Berechnung nach: Gesellschaft zur Förderung 1923, S. 36–40. Berechnung nach: UAMs, Bestand 183, Nr. 3, Mitgliederliste vom 4.1.1932. Ein gänzlich anderes Mitgliederprofil hatte die Fördergesellschaft der Universität Kiel. Durch institutionalisierte Öffentlichkeitsarbeit, stetige kulturelle Angebote und die Begrenzung auf ein konkret bestimmtes, vaterländisch-völkisches Ziel sprach sie breite Schichten des Bürgertums an und hatte 1932 11.932 Mitglieder, Jessen-Klingenberg 1995, S. 22. Hachtmann 2007, Bd. 1, S. 151. Dascher 2008, S. 15. Eine biographische Skizze zu Beukenberg findet sich bei: Hatzfeld 1974. Dascher 2008, S. 9.

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nager auftraten“,60 sondern suchten die Spitzen von Verwaltung und Militär durch Kartenmitgliedschaften einzubinden, um als „Informationsbörse“61 verschiedener Eliten zu dienen und andere Machtstrukturen zu umgehen. So wurden zu Beginn der Weimarer Republik auch Vertreter der westfälischen Kommunen und Landkreise Mitglieder des Dortmunder Industrieklubs.62 Die Gründung der Fördergesellschaft ist somit nicht als singuläre Entwicklung, sondern als Teil eines größeren, industriellen Netzwerkes aufzufassen. Wie auch in anderen Fördergesellschaften fungierte in Münster ein außeruniversitäres Mitglied als Erster Vorsitzender. Nachdem sich Hugenberg noch während des Ersten Weltkrieges aus der Arbeit in der Fördergesellschaft zurückgezogen hatte und sein Nachfolger Beukenberg schwer erkrankte, wurde der damalige Generaldirektor der Deutsch-Luxemburgischen Bergwerks- und Hütten-AG, Albert Vögler, 1919 zum Vorsitzenden gewählt. Auch Vögler hatte im Ersten Weltkrieg als Annexionist „der Deutschen Vaterlandspartei […] nahegestanden“,63 so dass seine Wahl als klares Zeichen für eine weiterhin wirksame politische Gemeinsamkeit zwischen außeruniversitären Mitgliedern und Professoren zu werten ist. Doch Vögler war nicht nur ein in der Weimarer Republik bekannter „kräftiger Opponent und Zwischenrufer wider Revolutionsgeist und Sozialdemokratie“.64 In leitenden Positionen wirkte er auch in zahlreichen Wissenschaftsorganisationen und unterstützte insbesondere die naturwissenschaftliche Grundlagenforschung.65

Das erste Förderprojekt: Auslandskunde Entsprechend des politischen Entstehungshintergrunds der Fördergesellschaft war das einzige in den noch vor Kriegsende verfassten ersten Erwartungen an die zu gründende Gesellschaft explizit benannte Förderungsgebiet die Auslandskunde. Sowohl die wissenschaftliche Erforschung des Auslands als auch die „Verbreitung und Förderung der Kenntnisse von geistigen und wirtschaftlichen Leistungen unseres Vaterlandes“66 sollten durch die Fördergesellschaft finanziell unterstützt werden.67 An der Universität Münster legte man die besonders von den Neuphilologien getragene Synthese verschiedener Fächer während des Ersten Weltkriegs als Erweiterung der „Hochschulkurse für jedermann“ und Operationalisierung des 60 61 62 63 64 65 66 67

Ebd., S. 12. Ackermann 2006, S. 89. Dascher 2008, S. 18f. Hachtmann 2007, Band 2, S. 850. Pinner 1925, S. 51. Dazu insbesondere: Rasch 2003, S. 313–333. UAMs, Bestand 4, Nr. 1329, Bl. 37, Betr. Gesellschaft zur Förderung der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Die Grundfinanzierung der neu zu etablierenden Auslandsstudien sicherte der preußische Staat, Köster 1941, S. 181.

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Modebegriffs Propaganda aus.68 Es galt die Bevölkerung zu schulen, die bis dahin „nichts von Rohstofferzeugung und Rohstoffverteilung, nichts von britischer Weltherrschaft und britischen Gepflogenheiten“69 gewusst habe. Nach Beendigung des Krieges wurde die Auslandskunde auf die „Beziehungen zum niederländischen Volkstum“70 hin zugespitzt, aber auch als Möglichkeit zur Erschließung neuer Märkte gedeutet und von den Ordinarien als Hintergrund für ein von der Fördergesellschaft zu unterstützendes Zeitungsinstitut angeführt.71

Gleichartige Reaktionen auf den politischen Systemwechsel Entscheidend für die über das Ende des Ersten Weltkrieges hinaus in der Fördergesellschaft wirksame, gemeinsame politische Basis ihrer Kernmitglieder war eine „Gleichartigkeit der Reaktion von Industrie und Wissenschaft auf Niederlage und Revolution“.72 Die von Feldman anhand von Quellen aus dem Umfeld von Schwerindustrie und Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft aufgestellte These kann auch auf die in der Fördergesellschaft aktiven Kreise übertragen werden. Um dem vorwiegend als Bedrohung empfundenen politischen Systemwechsel etwas entgegenzusetzen, suchten viele Professoren die Universität verstärkt als eigenständigen Akteur gegenüber Republik und Parteipolitik zu behaupten und eine stärkere Vernetzung mit anderen gesellschaftlichen Teilsystemen, insbesondere mit der durch den Versailler Vertrag nicht fundamental bedrohten Industrie zu erreichen. Die härteste Version der mit diesem Konzept einhergehenden eigenständigen Sendung äußerte der auch in der Fördergesellschaft aktive Geograph Wilhelm Meinardus in seiner Funktion als Dekan gegenüber einem General. Die Universitäten sollten als Erben der Armee „wie vor 100 Jahren die Führer und Träger des nationalen Gedankens sein“73 und zu dem nun beginnenden „Kampf der Geister“74 die Waffen gegen „den roten und goldenen Internationalismus“75 bereitstellen. In der mehr funktional als politisch bestimmten Variante galt es, „Bewegungsfreiheit und Selbstständigkeit, sowie Erweiterung der Selbstverwaltung“76 der Hochschulen 68 69 70 71 72 73 74 75 76

Zur zeitgenössischen Diskussion um die Auslandskunde: Becker 1919, S. 13. UAMs, Bestand 4, Nr. 108, Bl. 121, Ausschnitt aus der Kölnischen Volkszeitung vom 18.9.1918. UAMs, Bestand 183, Nr. 2, Protokoll der Sitzung des Verwaltungsausschusses vom 23.2.1920. Die Ursprünge des avisierten Zeitungsinstituts erläutert: Maoro 1987, S. 28. Feldman 1990, S. 660. UAMs, Bestand 62, M 2, Abschrift eines Schreibens von Meinardus an General der Artillerie von Gyßling vom 24.12.1918. Ebd. Ebd. UAMs, Bestand 4, Nr. 7, Bl. 7, Protokoll der Vollversammlung der Lehrer an der Universität Münster vom 14.11.1918.

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sicherzustellen. Um diesen Autonomiegedanken durchzusetzen, wurde die an den Universitäten produzierte Wissenschaft als Instrument zur Restitution vergangener Größe angepriesen. Ausdruck dieses Strebens nach Eigenständigkeit war der zur Interessenvertretung aller wissenschaftlicher Hochschulen Deutschlands 1920 gegründete „Verband der Deutschen Hochschulen“, dessen Satzung von den auch in der Fördergesellschaft aktiven Professoren Schenck und Meinardus ausgearbeitet wurde.77 Auf den Tagungen des Verbandes ging es nicht nur darum, Interessen zu organisieren und eigene Beiträge zur Reformdiskussion zu formulieren. Die bewusst für eine Öffentlichkeit inszenierten Zusammenkünfte dienten auch der „Selbstvergewisserung der Hochschulen nach innen und der Repräsentation ihrer korporativen Identität nach außen“.78 Die einzelnen Hochschulen suchten vor allem durch öffentliche Vorträge, ausgeweitete akademische Feiern und eine gezielte Vergabe von akademischen Ehrungen die Vernetzung mit anderen gesellschaftlichen Bereichen zu steigern.79 Dazu kam aber auch eine stärkere Offenheit hin zur Wirtschaft. So durfte 1919 der Syndikus der Handelskammer Bochum im Rahmen einer universitären Veranstaltungsreihe über „Kohle u. Eisen in der Weltwirtschaft mit besonderer Berücksichtigung d. Großindustrie in Rheinland u. Westfalen“80 sprechen. Als kommunikative Schnittstelle zu anderen Teilsystemen flankierte die Fördergesellschaft die veränderte Positionierung der Universität. Durch die Herausgabe einer eigenen Schriftenreihe, in der die Reden zu den Reichsgründungsfeiern veröffentlicht wurden, half die Fördergesellschaft aber auch direkt, die Universität als eigenen Akteur zu inszenieren. Auch die in der Fördergesellschaft vertretenen schwerindustriellen Kreise nahmen den politischen Systemwechsel zum größten Teil als Bedrohung wahr. Wie die Universitäten reagierten sie auf die Unstetigkeit des parlamentarischen Systems durch eine verstärkte Organisation, die sich in der Gründung des „Reichsverbandes der Deutschen Industrie“ niederschlug.81 Der oben geschilderte kompensatorische Bezug der Universitäten auf die zu ersetzende Armee findet sich auch im industriellen Selbstverständnis. Schivelbusch beschreibt dieses Selbstverständnis mit dem Begriff der „Ersatzstreitmacht“.82 Entscheidend für die Zusammenarbeit von Ordinarien und Industriellen war aber die gemeinsame Betonung der Selbstverwaltung 77 78 79

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Baur 2002, S. 15. Ebd., S. 16. Ausgehend von diesem Phänomen spricht Kotowski von der sich einer demokratischen Kultur öffnenden „ ‚öffentliche[n]‘ Universität“ (Kotowski 1999, S. 13) der Weimarer Republik. Da die meisten der von ihm angeführten Termine keine Diskussionsveranstaltungen, sondern politische Kundgebungen, ritualisierte akademische Feiern oder Mischungen dieser beiden Elemente (ebd., S. 5f.) waren, erscheint es mir naheliegender, in ihnen einen Beitrag zur neuen, selbstreferentiellen Darstellung der Universität zu sehen. UAMs, Bestand 4, Nr. 1184, Schreiben von Daenell an den Rektor vom 14.14.1919. Die Gründungsgeschichte des Reichsverbandes der Deutschen Industrie erläutert: WolffRohé 2001, S. 47–74. Schivelbusch 2001, S. 306.

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von Wirtschaft und Wissenschaft zur Abwehr staatlicher Eingriffe. Hugenberg nannte als Charakteristikum der Selbstverwaltung „die volle innere Freiheit ihrer Leiter, nicht nur nach oben, sondern auch nach unten“.83 Aus dieser Perspektive, die wahrscheinlich auch von Ordinarien geteilt wurde, wird verständlich, warum Adolf ten Hompel Beukenberg in einem Brief über die Ziele der Fördergesellschaft mitteilte, dass Industrielle geradezu verpflichtet seien, „die Freiheit der ProfessorenWissenschaft“84 zu erhalten.85 Für Hugenberg und ten Hompel teilten Wirtschaft und Wissenschaft denselben Freiheitsbegriff, den es gegenüber dem Staat zu schützen galt. Noch ein weiterer Grund mag die Industriellen zur Fortsetzung der Kooperation in der Fördergesellschaft bewegt haben. Wirtschaftliche Macht ließ sich im Weimarer Parlamentarismus schwieriger in politische Macht übersetzen. Beispielhaft wird dies an der gescheiterten Parteikarriere des Ersten Vorsitzenden Vögler deutlich.86 Sein anfänglicher Versuch, als Reichstagsabgeordneter für die DVP schwerindustrielle Interessen durchzusetzen, endete 1925 mit seinem Austritt aus der Partei.87 Eine Alternative erblickte Vögler in einer weit gestreuten Förderung von Gruppierungen der politischen Rechten und der Sammlung von Eliten in Organisationen wie dem oben erwähnten Industrieklub oder der Fördergesellschaft.88 Aufbauend auf den oben vorgestellten Gedanken Hoffmanns über eine indirekte Machtausübung kleiner Zirkel könnten über Organisationen wie die Fördergesellschaft Interessen organisiert und gegenüber anderen Akteuren vertreten werden.

Politische Vorstellungen als Grundlage der Förderung: Der Ausbau der sportlichen Infrastruktur Auch in der Weimarer Republik sollte mit der Unterstützung der Fördergesellschaft ein politisches Programm umgesetzt werden. Wurden von den Professoren im Krieg Volksvorlesungen gehalten und mithilfe industrieller Gelder eine Auslandskunde begründet, so wurden politische Ansprüche nun vor allem mit der Förderung des an der Universität betriebenen Sports verbunden. Dabei galt die Unterstützung weniger der universitären Funktion der Wissenschaftsproduktion als der Erziehungs83 84 85

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Hugenberg, Streiflichter, 1927, S. 43. UAMs, Bestand 183, Nr. 10, Abschrift eines Schreibens von A. ten Hompel an Beukenberg vom 2.7.1919. Auch die Gründung anderer universitärer Fördergesellschaften wurde aus Angst vor den neuen, parlamentarisch gestützten Regierungen vorangetrieben. So hofften Professoren in Marburg mit Hilfe von Industriellen einer Schließung ihrer als „reaktionär“ verschrienen Universität entgegenzuwirken, Pawelletz 2005, S. 39. Anhand der DVP beleuchtet Richter dieses Problem: Richter 2002, S. 202ff. Ribhegge nennt Vögler den parlamentarischen „Sprecher der Ruhrindustrie“ (Ribhegge 1985, S. 160), der sich auch ob dieser Zuordnung in seiner Partei nicht durchzusetzen vermochte. Kohl 2002, S. 178.

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und Sozialisierungsfunktion. Die ersten Hinweise auf eine Sorge um die politische Entwicklung der Studierenden stammen noch aus dem Ersten Weltkrieg: In einem 1918 verfassten Werbebrief für die Fördergesellschaft sprach der Rektor zukünftige Veränderungen für die Studierenden an. Private Zusatzmittel wären vonnöten, um die Studierenden vor den „uns drohenden inneren Gefahren“89 zu schützen und um das Studium stärker an den Bedürfnissen von Wirtschaft und Gesellschaft auszurichten. Es galt die Studierenden gegenüber dem Sozialismus zu immunisieren, dessen Wirkung „auch auf Volksschichten, die an sich diesem Geiste fernstehen“,90 wie Hugenberg 1918 befürchtete. Im Rahmen dieser Ausrichtung der Förderungen auf die Studierenden sollte aber auch die universitäre Ausbildung modernisiert werden. Die anhaltende Wirkung dieser Vorstellungen belegt eine 1931 gehaltene Rede Vöglers, in der dieser die nach dem Krieg erweiterte Rolle der Universität beschrieb. Die Jugend wäre durch „Krieg, Revolution, Kampf nach außen und im Innern, Bruder- und Klassenkampf um Kirche und Schule, um Haus und Hof“91 und durch den Kommunismus bedroht. Um dem zu begegnen, „wachse […] der Hochschule die Aufgabe zu, nicht nur Lehrer, sondern mehr noch Führer und Helfer zu sein“.92 Der zentrale Ort zur Umsetzung dieses pädagogischen Programms war der zunehmend akademisierte und institutionalisierte Hochschulsport. Den für den Aufbau eines sportlichen Betriebes einzustellenden Sportlehrer wünschte sich der Zweite Vorsitzende Hoffmann entsprechend seinem pädagogischen Anspruch weniger als klassischen Hochschullehrer, denn als einen „geistige[n] Leiter, der gerade als Akademiker Einfluß auf die akademische Jugend gewinnen kann und muß“.93 Warum Industrielle und Professoren gerade in dem an der Hochschule betriebenen Sport das Instrument zur Erfüllung des neuen nationalpolitischen Erziehungsauftrags sahen, wird aus einer Rede des Dermatologen Alfred Stühmer deutlich. Rektor Paul Krause sorgte für ihre umgehende Veröffentlichung in der Schriftenreihe der Fördergesellschaft und bezeugte, dass die Rede von den studentischen und professoralen Zuhörern als „geradezu programmatisch“94 aufgefasst wurde. Ziel des Sports sei es nach Stühmer, die Studierenden zu „eisernem Pflichtgefühl gegenüber dem Volksganzen, zu werktätigem Dienen an der Gemeinschaft“95 zu erziehen. Vor allem aber sollten sie zu Trägern des „Wehrwillens“96 werden. Stühmer verfolgte in seiner Deutung konsequent das oben erläuterte Konzept der Universität als Erbin der Armee und erweiterte es um die Vorstellung, die Volksgemeinschaft auf 89 90 91 92 93 94 95 96

UAMs, Bestand 4, Nr. 1329, Bl. 16, Konzept eines Schreibens des Rektors an Fleitmann und van Delden vom 3.7.1918. Hugenberg, Neujahr 1918, 1927, S. 194. Generaldirektor Dr. Vögler 1931. Ebd. UAMs, Bestand 9, Nr. 1154, Schreiben von Hoffmann an den Kurator vom 16.5.1922. UAMs, Bestand 4, Nr. 1329, Bl. 143, Abschrift eines Schreibens von Krause an Stühmer vom 20.1.1931. Stühmer 1931, S. 23. Ebd., S. 25.

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dem Sportplatz verwirklichen zu können. Von den Studierenden wurde diese Vorstellung mehrheitlich geteilt.97 Selbst ihre Identität suchten sie mit dem Begriff des „Sportstudententum[s]“98 auszudrücken, und zumindest die Studentenverbindung Sauerlandia richtete eigens das Amt eines „Sportwarts“99 ein. Sport bot sich den Zeitgenossen nicht nur als Wehrdienstersatz, sondern auch als Disziplinierungsmittel an. Als Mitglieder der Fördergesellschaft der Technischen Hochschule Aachen von ihnen geförderte Sportstätten besuchten, bekannten ihnen die Studierenden ihre Hoffnung, dass „die Kampfspiele uns [den Studierenden J. S.] wieder den Weg zur Arbeit führen“100 würden. Viele Industrielle klagten über ein Absinken der Arbeitsmoral in der Weimarer Republik, von dem sie die Studierenden aber oft ausnahmen.101 Neben der Erfüllung des neuen nationalpolitischen Erziehungsauftrags, um sich die Studierenden als Verbündete in den sozialen Kämpfen der Weimarer Republik zu erhalten, gab es weitere Gründe, die eine Förderung rechtfertigen konnten.102 Mithilfe der auch durch die Fördergesellschaft ermöglichten öffentlichen Sportfeste konnten die außeruniversitären Förderer in nähere Beziehungen zur Universität gebracht werden. Beschau und Beurteilung der studentischen Sportveranstaltungen durch Professoren und Industrielle boten sich an, um den Zusammenhalt zwischen den verschiedenen Gruppen zu stärken und die wichtigsten Förderer als Honoratioren in der öffentlichen Inszenierung der Universität zu verankern.103 Diese öffentlichen Sportwettkämpfe ermöglichten es der Universität, sich als schlagkräftige, straff organisierte Einheit zu präsentieren und damit als eigener Akteur hervorzutreten. Dies wird besonders anhand der reichsweiten Wettkämpfe deutlich, auf denen „jede Hochschule ein Corpus academicum für sich“104 bildete und die Hochschulen gleichsam – wie einst die ihre eigenen Traditionen pflegenden Regimenter der Alten Armee – zu „einem großen Heer der deutschen Studenten“105 zusammengefasst erscheinen konnten. 97 98 99 100 101

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Schon auf dem zweiten Studententag wurde in Göttingen 1920 ein Beschluss gefasst, der alle Studierenden zu Leibesübungen verpflichtete, Buss 1975, S. 45f. Spranger 1930, S. 29. Voß 1941, S. 139. Hochschularchiv RWTH Aachen, Akte 364, Bericht über die Siebente Hauptversammlung der Gesellschaft von Freunden der Aachener Hochschule vom 27.6.1927. So konstatierte der Bonner Förderer Duisberg eine „Zeitkrankheit, den Zusammenbruch als eine Gelegenheit zu benutzen, um für sich neue Vorrechte und Vergünstigungen zu erzielen“, Duisberg 1924, S. 5. Bildeten Studierende in den Freikorps des Nachkriegs „geistige Korsettstangen“ (Jarausch 1984, S. 119), so versuchten sie in der Weimarer Republik als Werkstudenten in den Fabriken einen völkisch-geistigen Ausgleich zwischen den verschiedenen Besitzklassen zu erreichen. Die außeruniversitären Förderer hatten Sitze im Ehrenausschuss der regelmäßig stattfindenden Sportfeste, Sportfest der Universität Münster 1925, S. 3. Hedemann 1924, S. 151. Ebd.

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Der ab 1922 belegte massive Ausbau der sportlichen Infrastruktur durch die Fördergesellschaft erfolgte nicht als Unterstützung einer kaum vorhandenen staatlichen Grundfinanzierung, sondern führte zum Bau und Erwerb ganzer Häuser durch die Fördergesellschaft.106 Die umfangreichen Sportanlagen wurden sogar von einer Besonderheit der Fördergesellschaft zu einem Charakteristikum der Universität Münster. In einer schottischen Informationsbroschüre aus den 1920er-Jahren wurde als eines von nur wenigen Merkmalen der Universität benannt: „Sports of all kinds. Very large sporting grounds“.107 Eingebunden wurde die Fördergesellschaft in die Finanzierung des Hochschulsports durch den Zweiten Vorsitzenden Hoffmann. Hoffmann kam schon als junger Dozent in Königsberg und Breslau mit Bestrebungen zur Einrichtung von Sportplätzen in Berührung, die damals noch „hartnäckige Widerstände“108 aus der Professorenschaft hervorriefen. Noch vor dem Ersten Weltkrieg suchte er den Sport an der Universität Münster zu institutionalisieren und nach Kriegsende setzte er sich auch im reichsweiten „Geschäftsführenden Ausschuß der Akademischen Ausschüsse für Leibesübungen“109 sowie in dessen Nachfolgeorganisation für den Hochschulsport ein. Sein anfänglicher Versuch, den Ausbau der münsterischen Sportanlagen vorwiegend über das preußische Kultusministerium zu finanzieren aber scheiterte. Mit der von Studierenden postulierten „Ehrenpflicht des Staates“110 zum Ausbau der Sportstätten war es angesichts einer heftigen Debatte über eine viel grundsätzlichere „Not der deutschen Wissenschaft“111 nicht weit her.112 Dazu sah sich Hoffmann mit heftigen Widerständen aus der münsterischen Stadtverordnetenversammlung konfrontiert. Besonders die sportliche Nutzung landwirtschaftlicher Flächen in Stadtnähe missbilligten die Stadtverordneten.113 Hoffmann machte also zum einen negative Erfahrungen mit den kommunalen Parlamentariern, die seine „Vorlage mit erschreckender Unkenntnis“114 abgetan hätten, und musste zum anderen erkennen, dass das 106

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Zwar finden sich auch für andere Hochschulen Quellen, die eine Finanzierung des wachsenden Hochschulsports durch Fördergesellschaften belegen, doch umfassten diese Förderungen nur wenige hundert Mark, vgl. Hochschularchiv RWTH Aachen, Akte 364, Schreiben des Turn- und Sportlehrers an den Rektor vom 2.6.1927, und Ebel 1968, S. 14. UAMs, Bestand 4, Nr. 1146, Bl. 201, Ausschnitt aus einer Broschüre der National Union of Scottish Students. Hoffmann 1929, S. 2. Akademischer Hauptausschuß für Leibesübungen 1921, S. 134. Stoeckle 1927, S. 24. Schreiber 1923. UAMs, Bestand 4, Nr. 1185, Schreiben des Regierungs- und Baurats Weißgerber an den Rektor vom 1.7.1921. Entgegen späteren Deutungen, die den universitären Wehrsport als Hauptgrund für den Widerstand der „Linksparteien“ (Wagner 1940, S. 120) ausmachten, zeigen zeitgenössische Berichte eine viel allgemeinere, antiakademische Agitation „gegen „Schlägereien“, „Kneipen“, „Faulenzen“, 31. Stadtverordnetensitzung 1920. Ebd.

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Kultusministerium nicht fähig oder gewillt war, moderne Sportanlagen ausreichend zu finanzieren. Die wichtigste Wegmarke hin zum Besitz einer ganzen sportlichen Infrastruktur war eine von Universität, Fördergesellschaft, Landeshauptmann, einigen Oberbürgermeistern und weiteren Bündnispartnern 1924 organisierte Sammlung. Der für die Sammlung verwendete Werbebrief ist mit seiner besonderen Ansprache der „Alten Herren der Korporationen“115 und der „Vertreter von Handel, Industrie und Landwirtschaft“116 ein schöner Beleg für die sozialen Grenzen des zu schaffenden Fördernetzwerks. Die verwendete Argumentation betonte das zu verwirklichende „Erziehungsideal“117 und kokettierte mit der Vorstellung, die Zukunft des Staates, der nach Treitschke „nicht eine Akademie der Künste“118 sondern Macht sei, entscheide sich in der sportlichen Bildung seiner Elite. Zwar wurde die Sammlung vom Oberpräsidenten der Provinz Westfalen, Johannes Gronowski, verboten, ihrem Erfolg tat dies aber keinen Abbruch. In einem 1940 vom universitären Sportlehrer verfassten Rückblick auf die Ereignisse wurde Gronowskis Entscheidung mit seiner „gewerkschaftlich ausgerichteten“119 Politik begründet.120 Hier zeigt sich die feste politische Verortung des von Hoffmann geschaffenen Netzwerkes. Doch endete die Intervention Gronowskis mit seiner Beschwerde über die nicht erfolgte Einladung zur Einweihung neuer Sportanlagen. Das um die Fördergesellschaft entstandene Netzwerk hatte Hoffmann Unabhängigkeit von parlamentarischen Einflüssen verschafft. Entscheidend für die langfristige Verbindung des Hochschulsports mit der Fördergesellschaft war aber der Gewinn von Vögler, Toyka und anderen Industriellen für das Projekt.121 Neben ihrem Beitrag zu den ständigen Zuwendungen der Fördergesellschaft unterstützten Industrielle mit Sonderzahlungen auch gezielt einzelne Vorhaben. So wurden über 60 Prozent der für einen Ausbau des Schießplatzes benötigten Mittel von den Schwerindustriellen Vögler und Borbet122 getragen.123 Expliziter Wehrsport war vor allem in den letzten Jahren der Weimarer Republik ein fester Berichtspunkt des in der Universitätschronik abgedruckten Berichts des universitären Turn- und Sportlehrers.124 Um eine Professionalisierung des Schießens 115 116 117 118 119 120 121 122 123 124

UAMs, Bestand 9, Nr. 2074, Werbeaufruf von 1924. Ebd. Ebd. Ebd. Wagner, 1940, S. 120. Zu den um seine soziale Herkunft kreisenden Konflikten um Gronowski vgl. Grothmann 2005, S. 12f., und Möller 1985, S. 194f. Wagner 1929, S. 15. Zu Borbet: Weber 1999, S. 232. Berechnung nach: UAMs, Bestand 183, Nr. 17, von Hoffmann aufgestellte Rechnung vom 11.8.1933. Die Organisation des Wehrsports an der Universität Münster vor der Machtübertragung an die Nationalsozialisten beschreibt: Köster 1988, S. 81.

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im Sinne der soldatischen Ausbildung zu erreichen, kooperierte die Universität mit Stellen der Reichswehr. Generalmajor a. D. Schlenter versprach Rektor Krause, „einige ehemalige Feldwebel als Schießlehrer“125 zu organisieren, und der universitäre Sportlehrer reiste nach Berlin, um die dortige Versuchsanstalt für Handfeuerwaffen zu besichtigen.126 Anhand der im Umkreis der Fördergesellschaft zu findenden Deutung des Sports als nationalpolitisches Erziehungs- und Disziplinierungsmittel kann man eine fortdauernde Wirksamkeit der politischen Vorstellungen festmachen, die einst Hochschullehrer und Industrielle im Ersten Weltkrieg zusammenführten. Auch ist zu vermuten, dass sich der politische Charakter der Fördergesellschaft durch die Opposition Gronowskis weiter festigte. Die Einbindung weiterer Kreise durch den Werbebrief von 1924 und die Sonderbeiträge Vöglers und Borbets für den Schießplatz zeigen aber auch die finanziellen Grenzen der Fördergesellschaft. Aus den regulären Einnahmen allein war es ihr nicht möglich, den angestrebten Ausbau zu realisieren. Nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten diente das sportliche Engagement der Fördergesellschaft Hoffmann als Beleg für die These, die Fördergesellschaft habe schon lange vor 1933 im Sinne des Nationalsozialismus gehandelt.127 Ohne Bruch wurde der in der Weimarer Republik begonnene Ausbau des Hochschulsports auch im „Dritten Reich“ fortgesetzt. Da die nationalsozialistische Herrschaft in ihren Grundzügen von den um den Hochschulsport bemühten Mitgliedern der Fördergesellschaft begrüßt wurde, entfiel aber die mit der Förderung verbundene eigenständige politische Botschaft. Vielleicht deshalb versuchte die Fördergesellschaft seit dem Beginn der 1940er-Jahre die Sportstätten an den Staat zu verkaufen.128 Aber erst der nächste politische Systemwechsel von 1945 beendete die Verbindung von Fördergesellschaft und Sportstätten. Diese gingen nun endgültig in den Besitz des Staates über.

Die Fördergesellschaft als Kontaktstelle zwischen Schwerindustrie und Naturwissenschaften: Die Errichtung einer Technischen Fakultät Zu welchen Möglichkeiten für die Universitätsentwicklung die schwerindustrielle Präsenz in der Fördergesellschaft beitragen konnte, zeigt sich am deutlichsten in der versuchten Einfügung einer Technischen Fakultät in die Universität Münster. Seit Mitte der 1920er-Jahre trachteten verschiedene Kreise der Universität Münster 125 126 127 128

UAMs, Bestand 183, Nr. 17, Schreiben von Schlenter an Krause vom 5.5.1932. Ebd., Schreiben von Wagner an Hoffmann vom 3.5.1933. UAMs, Bestand 173, Nr. 1, Handschriftliche Notizen Hoffmanns zur Mitgliederversammlung vom 23.5.1935. UAMs, Bestand 9, Nr. 2074, Abschrift eines Schreibens von Mevius an den Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 27.7.1942.

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Die Gesellschaft zur Förderung der Westfälischen Wilhelms-Universität 101 und der rheinisch-westfälischen Schwerindustrie nach einer dahingehenden Erweiterung das Fächerspektrums. Durch eine staatlich-private Mischfinanzierung sollten die geforderten neun ordentlichen Professuren sowie Extraordinariate, Assistenten und Gebäude finanziert werden.129 Gegen diesen Plan arbeiteten Netzwerke um die Technische Hochschule Aachen und einige Dortmunder Industrielle, sodass die versuchte Errichtung einer Technischen Fakultät von einem münsterischen Ordinarius als der „stärkste […] universitätspolitische […] Kampf um […] Geltung in Rheinland und Westfalen“130 empfunden wurde. Letztlich scheiterte die Kooperation von Staat, Provinz, Stadt und mehreren Industrie- und Handelskammern mit der Universität Münster an der Weltwirtschaftskrise. Im Folgenden werde ich nicht Verhandlungsgang und Argumente der Befürworter und Gegner darstellen, sondern nach der Verortung der Fördergesellschaft in dieser Kooperation fragen.131 Nach einer historischen Kontextualisierung der angestrebten Eingliederung technischer Fächer wird der Weg zur Etablierung eines Netzwerkes universitärer und außeruniversitärer Befürworter unter besonderer Berücksichtigung der Fördergesellschaft aufgezeigt. Zwar wurde auch um 1900 noch von Teilen der an den Universitäten arbeitenden Forscher der wissenschaftliche Charakter der aus den Naturwissenschaften entstandenen Technik bestritten, doch mehrten sich gleichzeitig die Zeichen, dass einige Kreise an den Universitäten eine Einfügung der neuen technischen Wissenschaften in die universitas litterarum der Universitäten wünschten.132 Besonders nach den Erfahrungen des Ersten Weltkrieges und der finanziellen Not der Nachkriegszeit kam es zu einer graduellen Veränderung der Einstellung gegenüber der anwendungsorientierten und industrienahen Technik.133 Als im Verband der deutschen Hochschulen 1922 die Frage verhandelt wurde, ob den Technischen Hochschulen eine Umbenennung in Technische Universitäten zugestanden werden sollte, sprach sich die Universität Würzburg für eine Titelangleichung aus, da dies „bei dem hohen Stand der Technik […] als ein […] Gewinn für die Universitäten“134 betrachtet werden müsse. Der Antrag wurde von der Mehrheit der Universitäten abgelehnt, 129 130 131

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UAMs, Bestand 4, Nr. 97, Bl. 24, Denkschrift über die Angliederung einer Fakultät für technische Wissenschaften an die Westfälische Wilhelms-Universität zu Münster i/W. UAMs, Bestand 30, Nr. 14, Bl. 281, Denkschrift von Bruck bezüglich einer Senatsreform vom 1.12.1928. Die umfangreichste, vor allem mit Blick auf die Positionierung des Bergbaus verfasste Untersuchung zur Technischen Fakultät ist: Kroker 1982. Der Verlauf der Verhandlungen wird außerdem geschildert von: Pünder 2006, S. 154–160. Schon 1902 forderte der Rektor der Universität Würzburg, dass eine weitere bayerische Technische Hochschule nur in Verbindung mit seiner Universität zu errichten sei, Schäfer 2001, S. 19. Eine größere gesellschaftliche Akzeptanz der Technischen Wissenschaften und der mit ihr verbundenen Berufsgruppen durch den Ersten Weltkrieg ist die These von: Zigan 2008. UAMs, Bestand 4, Nr. 1146, Bl. 192, Schreiben des Vorsitzenden des Verbandes der Deutschen Hochschulen an den Rektor vom 18.7.1922.

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doch eröffnete sich eine andere Möglichkeit, die Technischen Wissenschaften zu integrieren. Um der zunehmenden Ausdifferenzierung und damit Isolierung der Wissenschaften voneinander entgegenzuwirken, empfahl der preußische Kultusminister Becker hinsichtlich der Technischen Hochschulen den „Wiederanschluß […] an die Universität“.135 Konkreter gefasst wurde diese Konzeption durch den ab 1921 im Ministerium als Bearbeiter tätigen Heinrich Aumund.136 Damit eröffnete die Politik den Universitäten ein Fenster zur Expansion. Der auf dieser Grundlage ab Mitte der 1920er-Jahre verfolgte Plan, eine Technische Fakultät an der Universität Münster einzurichten, geht ursächlich auf die Forschungs- und Expansionsinteressen des Chemikers Rudolf Schenck zurück. Bevor er 1916 Direktor des Chemischen Instituts der Universität Münster wurde, hatte er Professuren und akademische Ämter an den Technischen Hochschulen Aachen und Breslau inne und verfügte somit bereits über hochschulpolitische Erfahrung.137 Wissenschaftlich war er besonders bemüht, „die Denkweise der physikalischen Chemie in das wissenschaftliche Eisenhüttenwesen zu integrieren“.138 Damit vertrat er sowohl die seit den 1890er-Jahren an den Hochschulen expandierende physikalische Chemie,139 als man ihm auch aufgrund des Bezugs seiner Metallforschungen zur eisenverarbeitenden Industrie eine „praxisorientierte Perspektive“140 testieren kann. Schenck selbst betrachtete die „sehr nahen Beziehungen zwischen der Chemischen Großindustrie und der chemischen Wissenschaft an den deutschen Universitäten“141 als für beide Seiten vorteilhaft und war insbesondere seit dem Ersten Weltkrieg in einer Vielzahl von Netzwerken und Kooperationsverhältnissen mit Industrie, Staat und Wissenschaft aktiv.142 Wie oben ausgeführt, gehörte Schenck neben den Professoren um Hoffmann auch zu den universitären Initiatoren der Fördergesellschaft und war mehrere Jahre Vorstandsmitglied.143 Schon sein Kollege Behnke beschrieb Schenck in seinen Erinnerungen als „prominenten Professor“144 und den „in der Fakultät […] einflußreichste[n] Naturwissenschaftler“.145 In der heutigen Forschung wird er als wichtiger Träger neuer Kooperationsverhältnisse

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Becker 1920, S. 8. Aumund 1921, S. 4f. UAMs, Bestand 10, Nr. 3800, Personalbogen Rudolf Schenck. Rasch 2005, S. 668. Szöllösi-Janze 1998, S. 87. Flachowsky 2009, S. 126. Schenck 1930, S. 287. Flachowsky sieht Schenck als „Teil eines weitverzweigten und einflussreichen Netzwerks geheimrätlicher Exzellenzen“ (Flachowsky 2009, S. 122), deren prominenteste Institutionen der Verband der Deutschen Hochschulen und die Notgemeinschaft waren. UAMs, Bestand 4, Nr. 1329, Bl. 76, Schreiben von Landrat Goedecke an Schenck vom 8.12.1921. Behnke 1978, S. 88. Ebd.

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Die Gesellschaft zur Förderung der Westfälischen Wilhelms-Universität 103 zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen ausgemacht.146 In seinem Bemühen um Vernetzung und Austausch mit der Industrie erscheint er als geradezu idealtypischer Vertreter des von Szöllösi-Janze entworfenen Typus des naturwissenschaftlichen „Experten“,147 der bestrebt war, dauerhafte Kooperationsformen zwischen gesellschaftlichen Teilsystemen aufzubauen. Der Plan, eine Technische Fakultät in die Universität Münster einzugliedern, entwickelte sich aus dem Wunsch Schencks nach einer Vergrößerung seines Instituts. Schenck hatte schon in seiner Aachener Zeit ein eigenes Institut aufgebaut und machte auf einer Fakultätssitzung im Mai 1919 den Vorschlag, eine Ausbildungsstätte für Hüttenleute an der Universität Münster zu errichten. Durch die alliierte Besetzung der linken Rheinseite sei die „Techn. Hochschule Aachen für die rechtsrheinischen Studierenden des Hüttenfaches nicht zugänglich“148, und damit decke keine Hochschule im Westen des Reiches den Bedarf des Industriereviers. Allein für ergänzende Vorlesungen über Hüttenkunde und Maschinenbau müssten neue Dozenten eingestellt werden. Diese gedachte Schenck besonders aus den Industrieforschungseinrichtungen der Firma Krupp zu rekrutieren.149 Für Schenck war die Universität Münster die „Universität des westfälischen Industriegebietes“,150 der sich durch eine enge Verzahnung zwischen Fächerangebot und dem Forschungsund Ausbildungsbedarf der regionalen Industrie Chancen eröffneten. Neben diesem Weg über die Fakultät empfahl Schenck diesen Ausbau der „Chemie der Kohle und des Hüttenwesens“151 aber auch der Fördergesellschaft und fand damit die ausdrückliche Zustimmung des Montanindustriellen Vögler. Die Kohlenchemie war nicht nur ein für die in der Fördergesellschaft organisierten Unternehmen nutzbarer Wissenschaftszweig, sondern als Teil einer „breiten technologischen Wende zur Suche nach Ersatzstoffen“152 seit der zweiten Hälfte des Ersten Weltkriegs ein Modefach. Schenck hatte mit Vögler den später wichtigsten industriellen Förderer des Projekts einer Technischen Fakultät an der Universität Münster auf sich und seine Forschungen aufmerksam gemacht.153 Aus Schencks Wunsch, an der Universität Münster eine Ausbildungsstätte für Hüttenleute aufzubauen, und aus dem Bestre146

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Flachowsky wählt Schenck neben zwei anderen Chemikern aus, um „die zwischen 1914 und 1945 intensivierten Formen institutionenübergreifender Gemeinschaftsarbeit und interdisziplinärer Projektforschung“ aufzuzeigen, Flachowsky 2009, S. 110. Szöllösi-Janze 2000, S. 48. UAMs, Bestand 62, B I 2, Schreiben von Schenck an den Dekan der Philosophischen und Naturwissenschaftlichen Fakultät vom 9.5.1919. Ebd. UAMs, Bestand 10, Nr. 3800, Abschrift eines Schreibens von Schenck an den Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 19.12.1934. UAMs, Bestand 183, Nr. 2, Protokoll der Sitzung des Verwaltungsausschusses vom 23.2.1920. Schulze 1995, S. 46. Unter anderem gewann Vögler den zögerlichen Ruhrbergbau für das Projekt, Kroker 1982, S. 237.

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ben schwerindustrieller Kreise, industriell anschlussfähige Wissenschaft zu fördern, entwickelte sich dann durch die Intervention weiterer Akteure ein immer größere Ausmaße annehmender Plan.154 Als eigener Akteur spielte die Fördergesellschaft in der einige Jahre später entbrannten, immer weitere Netzwerke umfassenden Debatte um eine Technische Fakultät an der Universität Münster keine Rolle. Allein die von der Industrie- und Handelskammer Dortmund für die Technische Fakultät aufzubringende Summe von 1.000.000 Reichsmark überstieg die 1928 von der Fördergesellschaft verausgabten Mittel um ein Vielfaches.155 Auch nutzten Befürworter und Gegner des Planes viele weitere Kanäle, die nicht mit den in der Fördergesellschaft erreichbaren Kreisen verbunden waren. Beispielsweise sprach sich der Deutschnationale Hoffmann dafür aus, „die befreundeten Abgeordneten zu interessieren“.156 In Aachen vermutete man wahrscheinlich ein Wirken des münsterischen Theologieprofessors Georg Schreiber, als man konstatierte, dass die Zentrumsabgeordneten „aus den bekannten Gründen mit Hochdruck für Münster“157 arbeiteten. Doch fungierte die Fördergesellschaft als erster Kommunikationsort zwischen universitären Forschern und interessierten Industriellen. Wie wenig selbstverständlich ein solcher Kontaktort war, zeigt, dass ein Treffen von über 300 Vertreter von Regierungen, Hochschulen und bergbaulichen Vereinen zu einer Aussprache über die münsterischen Pläne „neu für die Behandlung bergbaulicher Zeitfragen, zumal als Aussprache zwischen Praxis und Wissenschaft“158 war. Durch die Fördergesellschaft gelang es dem „Netzwerkstratege[n]“159 Schenck, den Kontakt zu wichtigen Industriellen wie Vögler aufzunehmen. Zu einer bescheidenen Wiederbelebung des an der Weltwirtschaftskrise gescheiterten Plans kam es 1938 wiederum über die Fördergesellschaft. Generaldirektor Vögler schlug einen gemeinsam von Privatwirtschaft und Staat zu finanzierenden Ausbau der metallchemischen Abteilung des Chemischen Instituts vor, um „dadurch die Verbindung der Universität Münster mit der westfälischen Wirtschaft wieder enger zu knüpfen“.160 Der Vorstoß Vöglers fand zwar die Unterstützung von Staat und Rektorat, scheiterte letztlich aber am Beginn des Zweiten Weltkriegs. Als letzten Nachklang des in den 1920er-Jahren forcierten Großprojekts versuchte 154 155 156 157 158 159 160

UAMs, Bestand 4, Nr. 98, Bl. 192, Vertrag zur Errichtung einer technischen Fakultät an der Universität Münster. Ebd., Bl. 29, Abschrift eines Schreibens der Industrie- und Handelskammer zu Dortmund an den Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung vom 18.12.1930. Ebd., Bl. 271, Protokoll einer Besprechung über die Einrichtung einer technischen Fakultät vom 23.7.1928. Hochschularchiv RWTH Aachen, Akte 577, Schreiben von Heimann an den Rektor der TH Aachen vom 3.12.1927. Kroker 1982, S. 235. Hachtmann 2007, Bd. I, S. 33. UAMs, Bestand 173, Nr. 2, Protokoll der Sitzung des Verwaltungsausschusses vom 15.1.1938.

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Die Gesellschaft zur Förderung der Westfälischen Wilhelms-Universität 105 Rektor Schreiber nach dem Ende des „Dritten Reiches“, Münster als alternativen Standort zu einer Technischen Hochschule im Ruhrgebiet ins Gespräch zu bringen.161 Die von Schenck über die Fördergesellschaft eingegangene Verbindung zwischen Wissenschaft und den ihr nahe stehenden Industrien äußerte sich aber nicht allein in kontinuierlichen Expansionsbestrebungen. So war beispielsweise das Personalauswahlverfahren für seinen Nachfolger durch eine gewünschte Fortsetzung der Kooperation geprägt. Die Hochschullehrer präferierten wiederum einen Metallchemiker, da dies der „berechtigte Wunsch der Fakultät wie namhafter Vertreter der Industrie, und zwar gerade solcher, die als Mitglieder der Gesellschaft zur Förderung der Westfälischen Wilhelms-Universität zu ihr in näherer Beziehung stehen“162 sei. Eine sanfte Selbstanpassung der fachlichen Ausrichtung der münsterischen Chemie an die Bedürfnisse der rheinisch-westfälischen Schwerindustrie war somit eine Konsequenz des Erfolgs der Fördergesellschaft.

Resümee und Ausblick Während der auf die Gründung 1919 folgenden Jahrzehnte wandelte sich die Fördergesellschaft von einem Teil des von Hugenberg initiierten politischen Projektes einer breiten Sammlung bürgerlicher Kräfte in eine routinierte Sammel- und Verteilstelle relativ geringer Zusatzmittel für verschiedene Projekte der Universitätsangehörigen und für die allgemeine Universitätsentwicklung. Ihre direkt der wissenschaftlichen Forschung geltende Unterstützung galt besonders Naturwissenschaftlern und Medizinern und korrelierte zu einem gewissen Grad mit den wirtschaftlichen Interessen der in der Fördergesellschaft vertretenen Firmenmitglieder. So füllte sich auch der in der Rhetorik der Fördergesellschaft gern benutzte Begriff der „Landesuniversität“163 insoweit mit Bedeutung, als dass einige Wissenschaften nun tatsächlich ihre Probleme aus dem Münster umgebenden Wirtschaftsraum bezogen. Die versuchte Errichtung einer Technischen Fakultät ist als der Höhepunkt dieser Kooperation von Industriellen und Wissenschaftlern zu betrachten. Aber auch die bis in die späten 1930er-Jahre fast unveränderte Besetzung wichtiger Vorstandsposten und der politisch motivierte Ausbau des Hochschulsports belegen das Fortwirken der in der Gründungszeit dominierenden politischen Interessen. Durch das Zusammenspiel von Hochschullehrern und Industriellen kam der Fördergesellschaft bei zentralen Expansionsbestrebungen der Universität in der 161 162 163

UAMs, Bestand 4, Nr. 98, Denkschrift über die Errichtung einer Technischen Hochschule in Westfalen vom 30.9.1945. UAMs, Bestand 9, Nr. 322, Bl. 166, Abschrift eines Schreibens von Kratzer an den Reichsund Preußischen Minister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 24.6.1937. UAMs, Bestand 4, Nr. 1329, Bl. 35, Aufruf vom Oktober 1918.

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Weimarer Republik und im „Dritten Reich“ eine Rolle zu, die über ihre relativ geringen direkten Fördermittel hinaus ging. In mehr oder weniger ausgeprägter Form finden sich in Gestalt und Handeln der Fördergesellschaft alle Merkmale wieder, die Hachtmann als charakteristisch für erfolgreiche Netzwerke definiert.164 Entscheidend war letztlich der gegenseitige Nutzen der Kooperationen. Die Anschlussfähigkeit der Professoren Hoffmann und Schenck an die beiden fortwirkenden Spezifika – sei es durch rechtskonservative politische Vorstellungen oder anwendungsorientierte Forschungen – sicherten für Jahrzehnte ihre Stellung und ihre Projekte in der Fördergesellschaft. Dadurch gelangten sie auch in der Universität zu größerem Einfluss. Explizit aufgrund seines Wirkens in der Fördergesellschaft empfahl sich Hoffmann 1936 als Leiter einer zum Ruhrgebiet arbeitenden „Arbeitsgemeinschaft für Raumforschung“, die keine Anknüpfungspunkte an sein eigentliches Fachgebiet aufwies.165 Dieser Zusammenhang zwischen den Tätigkeitsfeldern einzelner Hochschullehrer und den Aktivitäten der Fördergesellschaft bedeutete aber auch, dass diese zurückgingen, wenn die Hochschullehrer emeritiert wurden oder starben. Die Machtübertragung an die Nationalsozialisten hatte auf all dies nur geringe Auswirkungen. Neben den bisherigen Förderungen und der Weiterführung der begonnenen Großprojekte wurden nun auch spezifisch nationalsozialistische Projekte unterstützt. So finanzierte die Fördergesellschaft die Innenausstattung eines Kameradschaftshauses zum Aufbau einer neuen studentischen Lebenswelt und berücksichtigte in ihrer Bewilligungspraxis für Forschungsgelder nationalsozialistische Fragestellungen.166 Eine den Vorstand stärkende und straffende Satzungsänderung wurde bis 1938 ausgearbeitet, doch schieden die schon in der Gründungszeit wichtigsten Hochschullehrer und Industriellen auf natürliche Weise aus ihren Ämtern. Nach Hoffmanns krankheitsbedingtem Rücktritt als Zweiter Vorsitzender übernahm Rektor Walter Mevius sein Amt, und erst in den 1950er-Jahren endete die Personalunion von Rektorat und Zweitem Vorsitz. Die an den Fördergesellschaften anderer Hochschulen 1936 aufkommende Frage, wie mit nicht-arischen Mitgliedern zu verfahren sei, war für die münsterische „Gesellschaft gegenstandslos“.167 Denn auch im „Dritten Reich“ waren die Mitglieder der Fördergesellschaft überwiegend Firmen, Städte und Landkreise. Die Zahl der Mitglieder und die Einnahmen allerdings stagnierten oder gingen sogar leicht zurück.168 Ein auch in anderen 164 165 166 167 168

Hachtmann 2007, Bd. 1, S. 27. UAMs, Bestand 4, Nr. 1329, Bl. 25, Abschrift eines Schreibens von Hugelmann vom 6.3.1936. UAMs, Bestand 173, Nr. 1, Protokoll der Mitgliederversammlung vom 23.5.1935. UAMs, Bestand 4, Nr. 1329, Bl. 169, Schreiben von Hoffmann an den Rektor vom 4.9.1936. Eine ähnliche Entwicklung stellt Pawelletz für die Marburger Fördergesellschaft fest, vgl. Pawelletz 2005, S. 124. Ob sich hier ein aus der Weltwirtschaftskrise kommender Trend fortsetzte oder ob Fördergesellschaften wegen der Konkurrenz nationalsozialistischer Organisationen als weniger attraktiv erschienen, ist schwer zu entscheiden.

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Die Gesellschaft zur Förderung der Westfälischen Wilhelms-Universität 107 Hochschulen unternommener Versuch, die jeweilige Fördergesellschaft in Parteistrukturen zu integrieren, scheint in Münster erst während des Zweiten Weltkrieges über Kurator Curt Beyer gemacht worden zu sein.169 Beyer scheiterte wahrscheinlich am Desinteresse Vöglers, der inzwischen zum Präsidenten der Kaiser-WilhelmGesellschaft avanciert war und dessen Freitod 1945 erst eine wirkliche personelle Zäsur markiert. Über die Erforschung der Fördergesellschaft eröffnet sich ein anderer Blick auf die Universität. Sie erscheint als eine durch ihre Außenbeziehungen geprägte Institution in der Region.

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Ribhegge 1968, S. 117.

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Doeberl, Michael/Bienengräber, Alfred (Hg.), Das akademische Deutschland, Band 3: Die deutschen Hochschulen in ihren Beziehungen zur Gegenwartskultur, Berlin 1930. Ebel, Wilhelm, Kleine Geschichte des Göttinger Universitätsbundes, in: Georgia Augusta 9 (1968), S. 3–20. Feldman, Gerald, Industrie und Wissenschaft in Deutschland 1918–1933, in: Vierhaus, Rudolf/vom Brocke, Bernhard (Hg.), Forschung im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft. Geschichte und Struktur der Kaiser-Wilhelm/MaxPlanck-Gesellschaft, Stuttgart 1990, S. 647–672. Flachowsky, Sören, „So viel ich kann, bemühe ich mich, der Heeresverwaltung nützlich zu sein.“ Wissenschaftler als Krisenmanager zwischen 1914 und 1945. Emil Fischer – Rudolf Schenck – Adolf Fry, in: Berg, Matthias/Thiel, Jens/Walther, Peter Th. (Hg.), Mit Feder und Schwert. Militär und Wissenschaft – Wissenschaftler und Krieg (Wissenschaft, Politik und Gesellschaft 7), Stuttgart 2009, S. 107–136. Generaldirektor Dr. Vögler spricht …! Oeffentliche Sitzung der Gesellschaft zur Förderung der Westfälischen Wilhelms-Universität, Westfälische Landeszeitung Nr. 194, 14.7.1931. Gesellschaft zur Förderung der Westfälischen Wilhelms-Universität zu Münster (Hg.), Bericht über die erste Mitgliederversammlung zu Münster i. W. am 28. Mai 1922 in der Universität und Verzeichnis der Mitglieder nach dem Stande vom 1. Januar 1923 (Schriften der Gesellschaft zur Förderung der Westfälischen Wilhelms-Universität 1), Münster 1923. Grevelhörster, Ludger, Münster zu Anfang der Weimarer Republik. Gesellschaft, Wirtschaft und kommunalpolitisches Handeln in der westfälischen Provinzialhauptstadt 1918 bis 1924, Schernfeld 1993. Grothmann, Detlef, Johannes Gronowski, in: Westfälische Lebensbilder 17 (2005), S. 7–21. Guratzsch, Dankwart, Macht durch Organisation. Die Grundlegung des Hugenbergschen Presseimperiums, Düsseldorf 1974. Hachtmann, Rüdiger, Wissenschaftsmanagement im „Dritten Reich“. Geschichte der Generalverwaltung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus 15), 2 Bde., Göttingen 2007. Hatzfeld, Lutz, Wilhelm Beukenberg, in: Rheinisch-Westfälische Wirtschaftsbiographien 10 (1974), S. 196–216. Hedemann, Justus Wilhelm, Das Deutsche Akademische Olympia 1924 in Marburg, in: Mitteilungen des Verbandes der Deutschen Hochschulen 4 (1924), S. 149–151. Herrmann, Dieter, Freunde und Förderer. Ein Beitrag zur Geschichte der privaten Hochschul- und Wissenschaftsförderung in Deutschland, Diss. Bonn 1990. Hoffmann, Otto, Rede gehalten anläßlich der Deutschen Hochschulmeisterschaften beim Festakt im Rathaussaal zu Münster am 14.7., in: Hochschulblatt für Leibesübungen 9 (1929), S. 1–3.

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Die Universität Münster über sich selbst Feierkultur und Selbstdarstellung im 20. Jahrhundert Öffentliche Feierlichkeiten gehörten seit jeher zu den zentralen Elementen der Selbstdarstellung und Selbstvergewisserung einer Universität. Das galt besonders für die vormoderne Universität, die ihre Vorrechte und ihren Platz in einer ständisch-korporativen Ordnung sichtbar machen und durch ein Regelwerk ordnen musste. Auch die Universität der Moderne hielt trotz vieler staatlicher Eingriffe und institutionell-rechtlicher Veränderungen an den tradierten Formen ihrer Selbstdarstellung fest, vor allem an den feierlichen akademischen Akten der Rektoratsübergaben und Jubiläumsfeiern wie den Promotionsfeiern. Sie bekundete dies unter anderem durch die Wiedereinführung von Talaren im 19. Jahrhundert, nachdem diese am Ende des Ancien Régime abgeschafft worden waren. Die neuen alten Formen der Inszenierung und Ritualisierung überblendeten freilich den Wandel, der seither in der Verfassung und im politisch-gesellschaftlichen Umfeld der Universitäten mehrfach eingetreten war. Mit der Wiederkehr des Gleichen in ihren akademischen Feiern beanspruchten die Universitäten dagegen die Kontinuität ihrer Autonomie und ihres sozialen beziehungsweise kulturellen Selbstverständnisses. Spätestens in den dynamischen Zeiten der 1960er-Jahre wurde die Traditionsbegründung durch überkommene performative Akte immer brüchiger, und das Tragen der Talare galt zunehmend als Ausdruck verkrusteter Strukturen, als Präsentation eines schönen Scheins, der mit der veränderten Wirklichkeit wenig zu tun hätte. Die Universitäten galten zunehmend als antiquiert, ineffizient und legitimationsschwach. Sie wurden schließlich als „historisch sedimentierte Institutionen“ beschrieben, in denen sich „geschichtliche Konstellationen abgelagert“ und zu einem guten Teil „gegenüber Wandlungen resistent gemacht“1 hätten. Die Kritik entzündete sich vor allem an dem Zeremoniell der Rektoratsübergabe, das sich von allen Universitätsritualen scheinbar unverändert erhalten hatte. Jedenfalls hat sich kaum einer der Slogans der 68er-Bewegung tiefer in das kollektive Gedächtnis eingegraben als das Spruchband, das zwei Studenten am 9. November 1967 bei der Hamburger Rektoratsfeier entrollten: „Unter den Talaren – Muff von 1.000 Jahren.“2 Dass die Hamburger Studenten in ihrem Spruchband ausgerechnet auf tausend Jahre kamen, war nicht einer historischen Unkenntnis geschuldet, son1 2

Prahl/Schmidt-Harbach 1981, S. 10. Kraushaar 1999.

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dern sollte einen Zusammenhang mit dem sogenannten Tausendjährigen Reich des Nationalsozialismus suggerieren. Denn der Vorwurf lautete, dass sich unter den akademischen Traditionsgewändern der Ordinarien der Ungeist des Nationalsozialismus verberge. Das gab der Parole die eigentliche Brisanz und führte dazu, dass innerhalb weniger Monate an vielen bundesrepublikanischen Universitäten, auch in Münster, akademische Feierlichkeiten gestört und vorsorglich von Rektoraten und Senaten abgeschafft wurden. Die Vorstellung freilich, dass das lange Ancien Régime traditioneller akademischer Feierkultur erst 1968 ein Ende gefunden hätte, gehört zu den Selbstüberschätzungen der 68er-Bewegung. Sie übersieht, dass sich die Tradition akademischer Feierkultur bereits seit dem Ende des 18. Jahrhunderts in mehreren antiritualistischen Schüben verändert hatte, so dass trotz oder wegen verschiedener Wiederbegründungen und Verfassungsreformen der Universitäten in der Moderne einige der wesentlichen Elemente vormoderner universitärer Ordnung und Feierkultur schon längst aufgeweicht waren, bevor die 68er-Bewegung die große Veränderung meinte durchgesetzt zu haben. Denn trotz der scheinbar ungebrochenen Kontinuität, wie sie mit den Talaren behauptet wurde, hatten sich in der Zwischenzeit deutlich und mitunter sprunghaft institutionelle, rechtliche und politisch-kulturelle Veränderungen ergeben und diese fanden nicht nur im Verborgenen statt, sondern kamen auch in den Formen symbolischer Repräsentation zum Ausdruck. Ein Blick auf die Geschichte der Feierkultur der Universität Münster in den ersten sechs Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts soll diese Kontinuitäten und Brüche verdeutlichen. Damit soll ein Aspekt der Universitätsgeschichte erschlossen werden, der über den institutionellen und personellen beziehungsweise fachgeschichtlichen Aspekt von Wissenschaftsgeschichte hinaus auch die kulturelle Praxis einer Universität, ihr Selbstverständnis in ihrer „repräsentativen Kultur“3 in den Blick nimmt und dies für einen historischen Zeitpunkt, wo vormoderne Formen universitärer Selbstdarstellung aufgelöst worden waren und sich verschiedentlich neu zu begründen beziehungsweise den Veränderungen anzupassen versuchten. Um den Wandel zu begreifen, sollen zunächst die traditionellen Formen der Universitätsfeiern in ihrer symbolischen Bedeutung dargestellt werden.4 Der actus publicus vel sollemnis, die feierliche, öffentliche, jährlich wiederkehrende Handlung der alten Universitäten, diente ursprünglich der Versinnbildlichung und Bewusstmachung der Verfassungs- und Werteordnung einer Universität. In Selbstbeschreibungen des 17. und 18. Jahrhunderts bezeichnete man das als Theatrum Praecedentiae und verdeutlichte damit den performativen, das heißt den durch eine ritualisierte Handlung zu bezeichnenden Charakter universitärer Inszenierungen und Institutionen. Eines der zentralen Ereignisse in der Selbstdarstellung und Selbstvergewisserung der alten Universität war die Wahl und die Einsetzung des Rektors als höchs3 4

Albrecht 2001. Ich folge dabei den Thesen und Ergebnissen von Füssel 2006.

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tem Repräsentanten der Universität. Der actus publicus der Rektoratseinsetzung war durch ein geregeltes und feierliches Zeremoniell aus dem Alltagsleben der Universität herausgehoben und hatte rechtskonstitutiven Charakter nach außen und erzieherischen Charakter nach innen. Er stellte die Universität als Lebensform dar, beziehungsweise in ihrer dreifachen Ausprägung als Kultgemeinschaft, als Berufsgemeinschaft und auch als Tischgemeinschaft.5 Ihre erste große Herausforderung und Veränderung erlebte die alte Universität mit ihrer Praxis der feierlichen Selbstdarstellung durch die Kritik der Aufklärung und die Reformära im Zeitalter der Französischen Revolution beziehungsweise Napoleons. Bayerische Beamte und Reformer beispielsweise verfügten 1804: „Das veraltete akademische Kostüm und die in dermaligen Zeiten nicht mehr passenden Feierlichkeiten sollten gänzlich abgeschafft werden.“6 Die Talare der Professoren wurden weggehängt. Dafür wurden die Professoren verpflichtet, bei feierlichen Anlässen eine „Dienst-Uniform“ zu tragen. Die alten Universitätssigel wurden durch Behördenstempel ersetzt. Aber dabei sollte es nicht bleiben. Seit den 1830er-Jahren setzte eine breite Renaissance traditioneller symbolischer Formen ein. Die Universitäten Berlin und München, die Modelluniversitäten der neuen Hochschulära, erhielten das Recht zurück, die traditionellen akademischen Akte, besonders die Promotionen und die öffentlichen Feierlichkeiten als Ausdruck ihres Selbstverständnisses wieder zu begehen, aber um den Preis einer deutlichen Funktionsbeschränkung des actus publicus. Aus der einstigen Feier einer Lebensform der universitas magistrorum et scholarium, die eine Lebensgemeinschaft darstellte, wurde ein „akademischer Festakt im engeren Sinne“,7 das akademische Zeremoniell wurde als reine „Privatangelegenheit“ bezeichnet. Was hat sich also von einer akademischen Feiertradition der alten Universität in Münster erhalten, wo die Universität erst 1780 und damit zu einer Zeit gegründet war, als sich die ständisch-korporativen Ordnungen und ihre Rituale gerade in Auflösung befanden? Welche Wiederbelebungen und Veränderungen lassen sich im Laufe des 19. und vor allem des 20. Jahrhunderts beobachten, zu dessen Beginn die Universität Münster 1902 endlich wieder den Status einer Volluniversität erreichte? Drei Feierformen sollen in ihrer Entwicklung und Bedeutung behandelt werden: einmal die jährlich stattfindenden Rektoratsübergaben, bei denen der neue Rektor feierlich in sein Amt eingeführt und auch das neue Studienjahr zum Wintersemester eröffnet wurde. Zweitens der Geburtstag des preußischen Königs und deutschen Kaisers: Der 27. Januar hatte einen festen Platz im Feierkalender der preußischen Universitäten. Diese Feier zu Ehren des Landesherrn bot eine besondere Gelegenheit zu einem politischen Bekenntnis der Universität. Zwar hatten die Universitäten 5 6 7

Dazu Böhm 1972. M. Permaneder, Annales Almae Litterarum Universitatis Ingolstadii, 1859, S. 542; zit. bei Boehm 1972, S. 17. Ebd.

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nach dem Sturz der Monarchie 1918 zunächst einen unmittelbaren Anknüpfungspunkt für eine entsprechende Feier verloren, aber man suchte überall und auch in Münster sehr rasch nach Ersatzlösungen. Daneben waren drittens die Jubiläumsfeiern oder Stiftungsfeste Anlässe, um der Selbstvergewisserung der Universität Ausdruck zu verleihen, weil sie durch ihr Programm einen sehr viel öffentlicheren Charakter erhielten. Die Universität Münster feierte jedoch keine regelmäßigen Stiftungsfeste; es fanden nur zwei Jubiläumsfeiern 1930 und 1952 statt. Alle drei Formen zeichneten sich trotz der unterschiedlichen Anlässe durch dieselben rituellen Grundelemente und Funktionen aus. Die Universität war Trägerin der Veranstaltungen und diese besaßen durch ihren Ablauf und ihre Kleiderordnung ein geregeltes Gepräge. Überdies fanden an diesen Tagen keine Lehrveranstaltungen statt; denn auch die Praxis des „dies academicus“ gehörte zu den charakteristischen Merkmalen akademischer Feiern. Neben diesen regelmäßigen jährlichen Feiern sollen viertens jene Feiern an ausgewählten Beispielen betrachtet werden, die auf außeruniversitäre Anlässe bezogen sind, aber ebenfalls vom Rektorat offiziell veranstaltet werden und möglicherweise mehr über das jeweils aktuelle Selbstverständnis aussagen als Feiern in der langen Dauer einer repräsentativen Universitätskultur. Alle vier Typen werden als Feiern und nicht als Feste bezeichnet, weil sie formal in eine Tradition und offizielle Regelung eingebunden waren, im Unterschied zu den in ihrem Charakter sehr viel spontaneren und im Ablauf ungezwungeneren Festen.8 Auch vor ihrer Wiederbegründung als Volluniversität im Jahre 1902 verzichtete die Münstersche Hochschule, die 1818 auf den Status einer Theologisch-Philosophischen Lehranstalt herabgestuft worden war,9 nicht auf feierliche öffentliche Selbstdarstellungen.10 Sie dienten vor allem dazu, den Anspruch auf Anerkennung und Gleichstellung als Universität symbolisch zu begründen und um das zu zeigen, was man wieder anstrebte. Es bedurfte eines langen Atems, bis dieser Status verfassungsrechtlich und institutionell tatsächlich wieder erreicht war. 1826 durfte man erstmals einen Rektor aus den eigenen Reihen wählen und einen Senat ins Leben rufen. Mit der feierlichen Einführung des neuen Rektors in sein Amt und mit der Wiederaufnahme eines überkommenen Rituals, das von jeher in seinem Kern standardisiert und auf Wiederholung angelegt war,11 konnte nun der Anspruch auf Dauerhaftigkeit verdeutlicht werden. Nach weiteren zehn Jahren erhielt die Akademie 1836 neue Insignien, nämlich Zepter und Amtskette des Rektors, was ihr nun die Möglichkeit gab, ihre Ämterübergabe im Sinne eines tradierten Einsetzungsrituals durchzuführen, auch wenn die Insignien erst kurz vor ihrer feierlichen Übergabe am 13. Juni 1836 durch den Kurator angeschafft worden waren. Das Zepter 8 9 10 11

Dazu Gebhardt 1987, bes. S. 55ff. Hanschmidt 1980, ferner Kohl 1980. Als Einordnung in einer größeren Zusammenhang Duchhardt 1993, bes. S. 149–155. Dazu der systematische Überblick bei Greive 2006, S. 23–31. Zur Struktur und Funktion des Rituals unter anderem Soeffner 2004; Bretschneider/Pasternack, Rituale der Akademiker, 1999.

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stammte von der 1822 aufgelösten Katholisch-Theologischen Fakultät in Erfurt, die Amtskette war eigens angefertigt worden. Erst 1856 erhielt der Rektor das ersehnte Ornat und konnte endlich Talare bei öffentlichen Handlungen zeigen, einstmals das wichtigste „Medium zur Durchsetzung und Legitimierung von gelehrtem Wissen und gelehrter Autorität“.12 Mit der feierlichen Wiederbegründung der Universität als Volluniversität 1902 wurde das Amt des Rektors bestätigt; die Rektoratsübergabe wie das Wahlverfahren wurden wieder satzungsmäßig geregelt. Die Verfassung von 1929 hat das Zeremoniell der Rektoratsübergabe in der ursprünglichen Form wieder aufgenommen und damit den Willen bekundet, sich im eigenen Selbstverständnis von dem politischen Umbruch von 1918/19 nicht weiter berühren zu lassen. Doch hatte sich schon trotz der Wiederbelebung traditioneller symbolischer Formen im 19. Jahrhundert durch eine wachsende Ausdifferenzierung von Staat und Universität ein „Bedeutungswandel von Rang und Talar“13 vollzogen, der sich im Laufe des 20. Jahrhunderts verstärken sollte.

Die Behauptung der Tradition: Rektoratsübergaben und Reichsgründungsfeiern in der Weimarer Republik Die jährlichen feierlichen Rektoratsübergaben waren und blieben Höhepunkte des akademischen Jahres auch in der Weimarer Republik,14 und man wollte, wie immer wieder betont wurde, an den „alten Sitten“ unbedingt festhalten, auch weil man sich mit den neuen Zeiten sehr schwer tat. Wenn die Universität nun auf Tradition und Autonomie beharrte, dann geschah das auch in der mehr oder weniger deutlichen Absicht, damit eine Gegenposition zu der demokratischen Verfassungsordnung von Weimar und zu ihren politischen Repräsentanten sichtbar zu machen. Das wurde bei Einzelfeiern der Universität noch deutlicher erkennbar, weniger bei den in der Satzung geregelten feierlichen öffentlichen Rektoratsübergaben der zwanziger Jahre. Die Rektoratsübergabe, zu der eine große Schar von Ehrengästen aus Stadt, Verwaltung und Region eingeladen wurden, begann mit dem Einzug der Professoren, der durch Kleidung und Rangfolge manifestiert die inneruniversitäre Hierarchie abbildete; ihnen folgten als Vertreter der Studentenschaft die Chargierten, die ihrerseits in einer strikten Rangfolge nach dem Alter der Korporationen aufzogen. Der Einzug der Professoren und Chargierten sollte die Gesamtheit der Universität abbilden, was freilich der Tatsache nicht gerecht wurde, dass immer weniger Studenten – am Ende der Weimarer Republik noch ein Drittel – Mitglied studentischer Korporationen waren und sich ein mitunter schroffer Gegensatz zu den sogenann12 13 14

Füssel 2006, S. 42. Ebd, S. 413. Dazu als wichtige Vorarbeit die Examensarbeit von Greive, 2006, S. 31–63.

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ten Freistudenten entwickelte, die vom Rektorat zum Chargieren nicht zugelassen waren.15 Bis zur Sitzordnung und dem Einzug des neuen Rektors und seiner Investitur hatte die Satzung von 192916 nach dem Vorbild früherer Rektoratsübergaben den Ablauf der Feier geregelt. Nach dem Jahresbericht des scheidenden Rektors, der damit eine Rechenschaft seiner Amtszeit ablegte, folgte der zentrale Akt der Zeremonie, die Übergabe der Amtsinsignien an den neuen Rektor und die Leistung des Amtseides. Mit der Investitur änderte der Rektor seine „Identität“, er war nun nicht mehr „normaler Professor“ und Mitglied einer bestimmten Fakultät, sondern wurde sichtbar nach außen zum Rektor erhoben. Die Eidesformel von 1929 war zwar neu formuliert und in ihrem Wortlaut vom zuständigen Minister genehmigt.17 Mit ihrer lateinischen Formulierung suggerierte sie jedoch eine sehr viel ältere Tradition und eine von allen Zeitumständen unabhängige Autonomie. Neben anderen Verpflichtungen, die der Rektor damit übernahm, betonte die Formel vor allem die Wissenschaftlichkeit und Eigenständigkeit der Universität. Symbolischer Ausdruck dieser Autonomie war die Eidleistung des Rektors, der die Finger zum Schwur auf die gekreuzten Zepter legte. Den Abschluss der Zeremonie bildete die Übergabe des Schlüssels durch den alten Rektor, der sich nun als Prorektor bezeichnete und seinen Nachfolger mit den Worten „Salve, rector magnificus“ grüßte. Es folgte die Rektoratsrede, die die Übergabezeremonie abschloss und den Rektor in seinem neuen Amt präsentierte. Mit der Rektoratsrede, die immer einen wissenschaftlichen Gegenstand aus dem Fachgebiet des neuen Rektors zum Thema hatte, betonten Rektor und Universität ihren Anspruch auf Wissenschaftlichkeit und auf Selbstverwaltung der Universität. Denn es war einer der Ihren, der gewählt wurde, auch wenn allein schon die Genehmigung der Satzung und der Eidesformel andeuteten, wie sehr die Universitäten von der staatlichen Aufsicht und Verwaltung, aber auch von den politischen Umfeldbedingungen abhängig waren. Denn die Themen konnten auch so gewählt sein, dass sie hochschulpolitisch Brisantes oder Programmatisches enthielten.18 Der Rektor des Amtsjahres 1919/20 Gerhard Schmidt verglich die Umwälzungen auf physikalischem Gebiet mit der politisch-sozialen Revolution der Gegenwart und wünschte sich, „dass aus unseren Vaterlande ein starker Führer entstehen möge, der aus dem Tiefstande emporführe zu einem neuen Leben, unter Beibehaltung dessen, was an dem Alten Gutes gewesen sei.“19 Der Chemiker Rudolf Schenck, einer der führenden Naturwissenschaftler der Universität und gleichzeitig Mitglied des Vorstandes der Fördergesellschaft, nutzte seine Rektoratsrede 1929, um die Gründung einer Technischen Fakultät zu fordern.

15 16 17 18 19

Pöppinghege 1994. Satzung der Universität Münster vom 26.4.1929, bes. § 44–52, in: UAMs, Bestand 4, Nr. 2. UAMs, Bestand 4, Nr. 34, Bl. 9. Rusinek 2002. Rektoratsübergabe an der Westfälischen Wilhelms-Universität, in: Münsterischer Anzeiger, 16.9. 1919, Nr. 470, UAMs, Bestand 4, Nr. 108.

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Den Abschluss des Festaktes bildete der Auszug der Dozenten und Chargierten, wobei der neue Rektor nun mit den Pedellen den Zug anführte. Am Abend nach dem Festakt fand ein gemeinsames Essen als Ausdruck der korporativen Gemeinschaft statt, an dem man selbst auf dem Höhepunkt der ökonomischen Krise festhielt. 1923/24 konnte der Rektor nur zu einem einfachen Essen zu 2,50 Mark im Zivilklub einladen: es gab Suppe, ein Fleischgericht, das „zweimal gereicht werden“ konnte und Nachtisch. 1929, als die materiellen Verhältnisse sich vorübergehend gebessert hatten, traf man sich im Hotel „Fürstenhof“. Es gab ein Menu für drei Reichsmark, bestehend aus Kraftbrühe mit Royal-Einlage, danach Tournedos Rossini, Pommes frites mit feinen Erbsen sowie zum Nachtisch eine WestfalenBombe.20 Zu den Höhepunkten des jeweiligen Wintersemesters gehörte seit der Wiederbegründung der Universität 1902 die Feier von Kaisers Geburtstag am 27. Januar. Auch sie folgte stets einer strengen Festordnung mit einem feierlichen Einzug in Talaren und den Insignien des Amtes sowie mit einer Festrede des Rektors und der Verleihung der akademischen Preise. Umrahmt wurde die Feier von Musikdarbietungen, meist von einem „Krönungsmarsch“; am Abend fand ein Festkommers statt. Wichtig war auch hier die Teilnahme einer städtischen Öffentlichkeit, auch wenn die zur Verfügung stehenden Sitzplätze eng bemessen waren und durch die Vergabe von Eintrittskarten geregelt werden musste. Die öffentliche Feier bot Anlass zum politischen Bekenntnis wie zur Verkündung der akademischen Preise und Auszeichnungen. Nicht selten wurde diese Verbindung in den Festreden als Anerkennung der „landesväterlichen Fürsorge“ gepriesen, „deren sich die Wissenschaft und die wissenschaftliche Ausbildung der heranwachsenden Geschlechter allzeit von Preußens Königen erfreuten“. Die akademischen Leistungen, die geehrt wurden, galten zugleich als „Dienst am Vaterland“.21 „Geistige Leistung, Intellektualität und Innovationsfähigkeit zählten nicht als Werte an sich, sondern ausschließlich in ihrer Funktion für Staat und Nation“.22 Auch während des Krieges hielt man bis zum Januar 1918 an der Feier des Kaisergeburtstages fest. Mit dem Sturz der Monarchie im November 1918 und der Proklamation der Republik entfiel zunächst der Anlass für die öffentliche Feier der Universitäten, und für die Mehrheit der Professoren in Münster wie anderswo auch drohte damit der Verlust der politisch-kulturellen Identifikation. Während man vielerorts in den ersten Monaten und Jahren nach dem November 1918 noch an der Tradition der Preisverleihung festhielt, herrschte Unklarheit darüber, an welchem Datum man die Feierlichkeiten durchführen und zu wessen Erinnerung sie stattfinden sollten. In Münster entschied der Rektor sich sehr schnell für den 18. Januar und damit für die feierliche Erinnerung an die Reichsgründung, die nun an die Stelle der Erinnerung 20 21 22

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an die Monarchie trat.23 Die Abfolge der Feier folgte dem Muster der Kaisergeburtstagsfeiern.24 Bald nach Kriegsende wurde die Feier um eine Totenehrung für die gefallenen Angehörigen der Universität erweitert. Nur die Festreden der Rektoren waren den politischen Zeitumständen angepasst, wie etwa bei der Reichsgründungsfeier vom 18. Januar 1923, die mit einem flammenden Protest gegen die Besetzung des Ruhrgebiets verbunden war.25 Am 18. Januar 1927 erinnerte der Rektor zugleich an das 25-jährige Jubiläum der Erhebung zur Universität 1902. Auf eine eigene Feier aus diesem Anlass hatte man „wegen der ernsten Zeiten“ verzichtet.26 Bei der Erfindung dieses geschichtspolitisch mehrdeutigen Erinnerungstages setzte die Universität Münster Maßstäbe. Schon im Januar 1919 beging man eine Feier zur Erinnerung an die Reichsgründung, bis dann auf dem zweiten Deutschen Hochschultag, der Ende Mai 1921 in Halle stattfand, allgemein beschlossen wurde, den Reichsgründungstag an allen Universitäten als dies academicus regelmäßig zu begehen. Was sich als Ausdruck von Kontinuitätswahrung und als symbolische Behauptung der Einheit des Reiches darstellte, war in Wirklichkeit der Versuch der Universitäten, durch die Betonung ihrer Autonomie und durch die Erfindung einer eigenen Jubiläumsfeier ihre Distanz zur ungeliebten Weimarer Republik zu demonstrieren. Dass sie damit nicht allein standen, zeigen die tiefen Gräben in der Feierkultur der Weimarer Republik, die zu keinem Zeitpunkt zu einer Verständigung über einen allgemein akzeptierten Nationalfeiertag fand. Die Distanz zum Verfassungssystem der Republik, die mit der Feier der Reichsgründung in der Universität verbunden war, wurde spätestens dann deutlich, als Reichspräsident Ebert zur symbolischen Präsenz und Akzeptanz der Republik offiziell den Verfassungstag am 11. August als Feiertag27 proklamierte und die Universitäten – auch die Universität Münster – sich weigerten, daran teilzunehmen. Als Ebert 1924 in Münster an der städtischen Verfassungsfeier teilnehmen wollte, ließen Oberbürgermeister und Rektor ihn wissen, dass sie sich zu dieser Zeit im Urlaub befänden und die Studenten Semesterferien hätten.28 Das sollte sich spätestens ändern, als die Universität zur zehnten Wiederkehr der Verfassungsgebung am 26. Juli 1929 eine eigene Verfassungsfeier, zu der Rektor ebenfalls das Anlegen der Amtstracht angeordnet hatte, mit einer Ansprache von Dompropst Prälat Professor Joseph Mausbach veranstaltete. Eine Versöhnung mit der ungeliebten Republik deutete sich mit diesem Kompromiss vermutlich nicht an. Denn die Durchführung der akademischen Verfassungsfeier war vor allem Folge einer Intervention der preußischen Staatsregierung, die den Universitäten mit einem Verbot der Reichsgründungsfeiern gedroht hatte, so dass die Rektoren der preußischen Universitäten nur in der gleichzeitigen 23 24 25 26 27 28

UAMs, Bestand 4, Nr. 108. Ebd. Ebd. UAMs, Bestand 4, Nr. 109. Poscher 1999. Thamer 1993, S. 260.

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Durchführung von Verfassungsfeiern und Reichsgründungsfeiern eine Möglichkeit zur Erhaltung ihrer Reichsgründungsfeiern sahen.29 Die Hoffnung auf einen politischen Gesinnungswandel wurde spätestens am 20. November 1929 zerstört, als der Rektor eine Feier aus einem außeruniversitären und politisch sehr aufgeladenen Anlass, der 15-jährigen Wiederkehr der Schlacht von Langemarck, veranstaltete; denn als Festredner trat auch der Nationalsozialist Hermann Göring auf und nutzte die Gelegenheit zu heftigen Angriffen auf die Verfassungsordnung.30 Auf den Protest des Verbandes katholischer Studierender31 gegen den Auftritt Görings und auf eine scharfe Reaktion des westfälischen Oberpräsidenten Johannes Gronowski (Zentrum)32 reagierte der Rektor abwiegelnd mit der unglaubwürdigen Behauptung, ihm sei Hermann Göring nur als Hauptmann a. D. bekannt gewesen.33 Die emphatische Unterstützung des Auftritts von Göring durch den Hochschulring Deutscher Art deutete an, wie weit die Polarisierung unter den Studenten schon vorangeschritten war. Auch in den Universitäten und ihren Rektoraten wuchs der radikalnationale Widerstand gegen die Republik, deren entschiedenste Verteidigerin die preußische Staatsregierung war. Die Universität Halle verwahrte sich sogar gegen die von der Regierung in der neuen Satzung festgelegte Verpflichtung, regelmäßig eine Verfassungsfeier abzuhalten, und war, wie dann auch der Rektor der Universität Münster, nur zu einer Verfassungsfeier in Verbindung mit einer Befreiungsfeier bereit. Die Bitte an den Juristen Professor Friedrich Grimm, die entsprechende Festrede zu übernehmen, verband der Münstersche Rektor mit der Empfehlung, in der „Befreiungsrede“, die sich auf die Befreiung von Napoleon 1813 bezog, nur „ganz wenig“ auf die Verfassung einzugehen.34 Später verdeutlichte der erste nationalsozialistische Rektor der Universität, Professor Hubert Naendrup, der sich schon vor 1933 in völkisch-nationalistischen Zirkeln engagiert hatte, das antirepublikanische Motiv, das hinter der Gegeninszenierung des Reichsgründungstages gestanden hatte. „In der Systemzeit“, so Naendrup im Rückblick, „war die Reichsgründungsfeier gedacht als eine Art von nationaler Opposition gegen das System.“35 Diese Deutung, die für eine Mehrheit der Professoren und vermutlich auch der Studierenden durchaus zutraf, war vermutlich der Grund dafür, dass nach der nationalsozialistischen Machtübernahme die Reichsgründungsfeier, im Unterschied zu den Verfassungsfeiern, nicht abgeschafft, sondern anfangs noch enthusi29 30 31 32 33 34 35

Dazu Gerber 2002, S. 417. UAMs, Bestand 4, Nr. 109, Bl. 313–316. Ebd, Schreiben des Verbandes katholischer Studierender an Rektor und Senat, 26.11.1929 Teppe 1979, S. 31. UAMs, Bestand 4; Nr. 109. Ebd. UAMs, Bestand 4, Nr. 105, Rektor Naendrup an Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, 30.11.1934. Dass diese dezidierte antirepublikanische Position nicht von allen Hochschullehrern geteilt wurde, zeigt die Festansprache von Rektor Keller bei der Reichsgründungsfeier vom 18. Januar 1933, der den (vermeintlich) überparteilichen Charakter der Feier betonte. Chronik 1932/33.

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astisch gefeiert wurde, bis die Erinnerungsfeier an 1871 schließlich 1935 überall an deutschen Universitäten mit der Feier des 30. Januar, dem Erinnerungstag an Hitlers Regierungsübernahme, zu einer gemeinsamen Veranstaltung verbunden wurde. Rektor Naendrup stellte in seiner Festrede vom 30. Januar 1935 in Anlehnung an eine damals geläufige Geschichtskonstruktion dann auch eine enge Verbindung zwischen der Reichsgründung Bismarcks und der Wiederherstellung des Reiches durch Hitler her.36

Gründungs- und Jubiläumsfeiern Die politischen Einstellungen und Kontroversen, die auch die Universitätsfeiern begleiteten, traten deutlicher bei Gründungs- und Jubiläumsfeiern und vor allem bei den von außeruniversitären Anlässen bestimmten Feiern hervor. Auch Jubiläumsfeiern von Universitäten haben eine lange Tradition. Die performative Inszenierung und Aneignung von Geschichte waren das entscheidende Motiv der oft mehrtägigen Festlichkeiten, die mit Gedenkgottesdiensten, Festansprachen, Empfängen und Festbanketten, aber auch und vor allem mit akademischen Festzügen durch die Stadt der Selbstdarstellung und Legitimation der Universität diente. Jährliche Stiftungsfeste beging die Universität Münster im Unterschied zu anderen Universitäten jedoch nie; Jubiläumsfeiern fanden nur 1930 und 1952 statt. Höhepunkt in der Feierkultur war sicherlich die zweitägige Feier zur Wiederbegründung der Universität 1902. Sie begann mit einem Empfang des Oberpräsidenten am Vorabend, der damit in seinem Amtssitz, dem Schloss, den staatlichen Führungsanspruch zeigte. Anwesend waren neben dem Rektor die gesellschaftlichen Führungsgruppen von Stadt und Provinz, während die Studentenschaft, vertreten vor allem durch die Korporationen, mit einem Fackelzug durch die festlich geschmückten Straßen der Innenstadt zum Neuplatz beziehungsweise zum Schloss zogen. Der eigentliche Festtag begann mit einem katholischen und einem evangelischen Gottesdienst, es folgte ein dreistündiger Festakt in der Aula der Akademie am Domplatz. In Gegenwart einiger preußischer Minister sowie der Rektoren anderer Universitäten und Vertreter der Behörden hielt der Rektor die Festansprache. Als Festgabe wurde die Schrift des Kirchenhistorikers Professor Josef Pieper „Die alte Universität Münster 1773–1818“ als sichtbares Zeichen von Kontinuität und Selbstreflexion der Universität überreicht. Die Feier endete mit der Verleihung von Ehrendoktorwürden sowie Stipendienstiftungen. Die „erhebende und bedeutsame Feier“37 fand ihren musikalischen Abschluss mit dem „Torgauer Marsch“. Das Festmahl im Rathaus am Ende der Veranstaltung sollte noch einmal an Traditionen der Tischgemeinschaft erinnern, auch wenn Ausstattung und Menuplan eher den Eindruck wilhelminischen Pomps vermittelten und die Differenz zur vor36 37

Chronik 1933–1935. Münsterischer Anzeiger, Nr. 596 vom 26. Oktober 1902.

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modernen Feier der Universitäten als Kult- und Tischgemeinschaften nicht verbergen konnten. Es gab Schildkrötensuppe, danach Schinken in Burgunder, als Beilage Sauerkraut, als Fisch folgte Zander mit Butter, danach zwei Geflügelgänge, Krammetsvögelpastete und Fasan mit eingemachten Früchten und Salat, zum Nachtisch gab es Eis, Käse und Butter. Die Getränkekarte führte über dreißig deutsche und französische Weine, Sekt und Champagner auf. An der Stirnseite des Saales – und diese symbolische Element erschien allen Berichterstattern besonders wichtig – „erhob sich aus einem imposanten Lorbeerhain die Büste Sr. Majestät des Kaisers“,38 davor saßen an der Ehrentafel des Oberpräsidenten die Vertreter der Institutionen, die sich um das Zustandekommen der Wiedergründung der Universität besonders verdient gemacht hatten.39 Als der Rektor in seiner Tischrede noch die Hoffnung aussprach, dass die Universität auch bald ihren eigenen Namen erhalten beziehungsweise den Namen ihres königlichen Schirmherren tragen möge, war das nicht nur Ausdruck einer verbreiteten monarchisch-obrigkeitlichen Gesinnung, sondern auch Verdeutlichung der rechtlichen und institutionellen Verhältnisse. Die repraesentatio universitatis hatte sich in die repraesentatio majestatis völlig eingefügt; das zeigte auch die akademische Feier. Die Hoffnungen von Universität und Provinz erfüllten sich fünf Jahre später, als durch Kabinettsordre vom 22. August 1907 der Kaiser (mit schwungvoller eigenhändiger Unterschrift) der Universität in „Anerkennung ihrer bisherigen erfolgreichen Wirksamkeit den Namen Westfälische Wilhelms-Universität zu Münster“, das heißt seinen Namen verlieh.40 Auch die zweitägige Jubiläumsfeier, mit der man 1930 an den 150. Jahrestag der Gründung der alten Universität erinnerte und etwas zeitverschoben zugleich den 200. Geburtstag des Gründervaters der alten Universität, des Freiherrn Franz von Fürstenberg, beging, stand ganz im Bemühen, eine Tradition fortzuführen und gleichzeitig die Aufwärtsentwicklung der Universität in einer Leistungsbilanz zu demonstrieren. Kontinuitätsbrüche mussten dabei überdeckt werden, was die strikte Beachtung traditioneller Feierformen mit einem zweitägigen „dies academicus“, einem Empfang im Schloss, einem Fackelzug der Studentenschaft, mit Konzerten und Gottesdiensten, vor allem einem offiziellen Festakt im Akademiegebäude am Domplatz und einem anschließenden feierlichen Auszug des Rektors und der Professoren in Talaren garantieren sollte.41 Ein historischer Festzug, der der Visualisierung von Geschichte hätte dienen sollen, fiel aus Kostengründen aus. Stattdessen wurde der übliche Fackelzug der Studenten, der jährlich zu den Feierlichkeiten zum Reichsgründungstag am 18. Januar stattfand, zu einer bewussten Inszenierung 38 39

40 41

Ebd. Chronik 1902/03; ausführliche Berichte in „Münsterischer Anzeiger“, 51. Jg, Nr. 595 vom 25.10. 1902, Nr. 598 vom 27.10.1902; „Münstersche Zeitung“, 32. Jg., Nr. 279 vom 26.10. 1902, Nr. 280 vom 28.10.1902. GStA, HA Rep.89 (2.2.1), Nr. 21686, Bl. 180. UAMs, Bestand 4, Nr. 118; ausführliche Berichte in „Münsterischer Anzeiger“, Nr. 664 vom 20.6.1930 beziehungsweise Nr. 669 vom 21.6.1930.

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des Rektorats aufgewertet, und er eröffnete die Feierlichkeiten beziehungsweise den Empfang der geladenen Gäste im Schloss. Das Rektorat hatte die Teilnahme der Studierenden sogar angeordnet und versorgte den Zug, der durch die Innenstadt vorbei an allen Gebäuden der Universität zum Schloss führte, kostenlos mit Fackeln. 42 Höhepunkt des offiziellen Festaktes, der mit einem Festgottesdienst begann, war der Festvortrag des Historikers Anton Eitel. In seiner Festrede zum Thema „Fürstenberg und seine Universität“ gab er der wechselvollen Geschichte der Universität zu ihrem 150. Gründungsjubiläum mit der engen Verbindung des 200. Geburtstags des Gründungsvaters der Universität, Franz von Fürstenberg, Kontinuität und Sinn. Zur Konstruktion von Tradition gehörte es, dass der Geburtstag von Fürstenberg, der eigentlich schon 1929 angestanden hätte, nun in einem gemeinsamen Festakt begangen wurde. Das geschah sicherlich auch aus Gründen der Sparsamkeit, hatte doch das Ministerium die beantragten Gelder nicht bewilligt. Der historische Festzug, der nicht stattfinden konnte, sollte „Münsterländisches Leben von der Fürstenbergzeit bis 1914“ zum Thema haben und der Konstruktion von Geschichte, die Eitel zu seinem Leitmotiv machte, sichtbaren Ausdruck verleihen. Auch die enge Verbindung von Region und Universität, die in der Tat vor allem in der Ausbauphase der Universität in den 1920er- und 1930er-Jahren von einiger Bedeutung war, beschwor der Historiker in seiner Ansprache. Noch deutlicher kamen die politischen Positionen und Radikalisierungen bei den einmaligen Gedenkfeiern zum Ausdruck, dem dritten Feiertypus, der von der Universität in unregelmäßigen Abständen im städtischen Raum veranstaltet wurde. Das wurde vor allem in der politischen Zerrissenheit und Radikalisierung der Weimarer Republik deutlich, wie der schon erwähnte Eklat bei der Feier aus Anlass der 15-jährigen Wiederkehr der Schlacht bei Langemarck43 deutlich machte, als Hermann Göring als Gastredner die Gelegenheit zu einer heftigen Attacke gegen das „Weimarer System“ nutzte. Freilich führte auch in der Feiergestaltung der Universität keine Einbahnstraße in die NS-Herrschaft; denn einerseits hatte man immer wieder auch andere, sehr viel rühmlichere historische Jubiläen wie den 100. Geburtstag von Wilhelm Hittorf und den 200. Geburtstag von Immanuel Kant im Jahre 1924 zum Anlass für Gedenkfeiern des Rektorat genommen.44 Noch bemerkenswerter war die Tatsache, dass die Universität, ähnlich wie die anderen preußischen Universitäten, schließlich auch den bisher ungeliebten Verfassungstag 1929 mit einer eigenen Feier beging.45 Anlass war der zehnte Jahrestag der Verfassungsgebung; auch die Wahl des Festredners und seines Themas ließ die Hoffnung auf eine langsame Anerkennung und Konsolidierung der republikanischen Verfassung aufkommen. Denn der Theologe 42 43 44 45

Ebd. UAMs, Bestand 4, Nr. 111. UAMs, Bestand 4, Nr. 109. UAMs, Bestand 4, Nr. 111.

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und Dompropst Joseph Mausbach sprach über die Grundrechte in der Verfassung. Dass es in ein- und demselben Jahr somit zwei politisch sehr gegensätzliche Feiern gab, deutet die auch die zu diesem Zeitpunkt noch bestehende Offenheit der Entwicklung an, aber auch die Tendenz zur Polarisierung.

Parteiuniformen und Talare: akademische Feiern in der NS-Zeit Die nationalsozialistische Machtübernahme, die auch von vielfachen Formen der Selbstgleichschaltung begleitet war, bedeutete auch für die Feierkultur der Universität einen sichtbaren Einschnitt. Sowohl in der Praxis der feierlichen Rektoratsübergaben wie der Feiern zum Reichsgründungstag und zum Verfassungstag gab es signifikante Änderungen, die den quasi-revolutionären Charakter des Umbruchs verdeutlichen. Die Universität wurde als Institution des NS-Staates in politische Feierlichkeiten auf städtischer oder reichsweiter Ebene einbezogen und musste zugleich zu den unterschiedlichsten Anlässen im nationalsozialistischen Feierjahr – von der Eröffnung des Reichtages über den 1. Mai bis zum Geburtstag des Führers – eigene Feiern organisieren. Durch eine geradezu permanente Feierstimmung46 vor allem im Jahr 1933, aber auch danach, sollte die Universität Teil einer allgemeinen Massenmobilisierung werden und im Fest ihrer korporativen Autonomie beraubt werden. Neben den Talaren bestimmten die Parteiuniformen in einem sich wandelnden Neben- und Gegeneinander die repräsentative Kultur der Universität. Erst mit der Konsolidierung des Regimes und auch seiner Hochschulpolitik im Jahre 1935 kehrte der Feierkalender zu einer gewissen Regelhaftigkeit zurück, ohne dass er sich auf die rituellen Höhepunkte der Selbstdarstellung beschränkte, die zuvor üblich war. Immerhin überdeckten spezifische Formen der Tradition den Systembruch. Die Rektoratsübergabe des Jahres 1933 wurde zunächst als Ausdruck der „nationalsozialistischen Revolution“ aufgehoben und durch Weihestunden und universitäre Feiern der „Volksgemeinschaft“, das heißt durch Feiern im nationalsozialistischen Sinn ersetzt.47 Die Angehörigen der Universität versammelten sich am 21. März 1933, dem „Tag von Potsdam“, zu einem „machtvollen Bekenntnis zur Regierung Hitler“.48 Die Professoren waren wie üblich feierlich eingezogen, begleitet von den chargierten und nun auch den nationalsozialistischen Studenten, die in den folgenden Wochen, etwa bei der Verhöhnung und Verfolgung missliebiger Professoren und schließlich bei der Bücherverbrennung am 10. Mai49 ihre Machtansprüche

46 47 48 49

Die schnelle und teilweise unübersichtliche Abfolge der Feiern verbietet es, in diesem Überblick alle Feiern aufzulisten. UAMs, Bestand 4, Nr. 110–112. UAMs, Bestand 4, Nr. 110. Pöppinghege 1995, S. 199ff.; Thamer 2008.

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demonstrierten.50 Der neue starke Mann der Universität, der Jurist Naendrup, der sich mit Unterstützung der NS-Gauleitung am 8. Mai zum Rektor machte, verlangte von der Wissenschaft eine veränderte Haltung, die auch in den Selbstinszenierungen der Universität zum Ausdruck kommen sollte. Das NS-Regime erwartete von den Universitäten, dass sie die neuen politischen Feiertage des Regimes, beginnend am 1. Mai 1933, der überall auch den NS-Studenten Gelegenheit zur Demonstration ihres neu erworbenen politischen Einflusses gab, auf Universitätsebene mit der ihnen eigenen Feierpraxis begingen. Bei der Schlageter-Feier der Westfälischen Wilhelms-Universität, die als weiterer Schritt der Mobilisierung und Machtdurchsetzung am 31. Mai mit den Professoren in Talaren, flankiert von der SA in Uniform, veranstaltet wurde, hielt Naendrup eine Gedenkrede, die die Funktion einer Rektoratsrede einnehmen sollte.51 Er forderte ein Ende aller „positivistischen und liberalistischen Wissenschaft“. Forschung und Lehrer müssten in eine nationale politische Bahn gelenkt werden, was sich in personellen Säuberungen, aber auch einer neuen Feierpraxis zeigen solle. Die ohnehin relativ ungeliebte Verfassungsfeier der Weimarer Republik wurde im Juni 1933 vom NS-Minister für Erziehung und Wissenschaft Rust mit einem Federstrich abgeschafft;52 anders stellte sich der Umgang mit der Reichsgründungsfeier dar, die in der Weimarer Republik Kristallisationspunkt der „nationalen Opposition“ war. Nun wurde die Erinnerung an die Reichsgründung mit der Erinnerung an die NS-Machtergreifung zu einem neuen Feiertag am 30. Januar verbunden und in der Inszenierung den Reichsgründungsfeiern nachempfunden. Dass der Einmarsch der Professoren in ihren Talaren nicht mehr von Vertretern studentischer Korporationen, sondern von Studentenstürmen der SA und SS flankiert wurde, sollte den Anspruch der Nationalsozialismus auf Tradition und Erneuerung in einem performativen Akt verdeutlichen. Auch der Charakter der Rektoratsübergabe änderte sich: zunächst weil durch die Einführung des „Führerprinzips“ der jährliche Rektoratswechsel entfiel, vor allem aber durch den veränderten, sehr stark parteipolitisch bestimmten Charakter der Rektoratswahl. Von den vier Rektoren in der NS-Zeit wurde nur der erste, Hubert Naendrup, gewählt; dies geschah überdies noch in einer Kampfabstimmung, die ihren Hintergrund in der Rivalität verschiedener NS-Gauleiter und regionaler NS-Größen hatte. Danach wurden die Rektoren vom Minister ernannt. Statt der Rektoratsübergabe, so Naendrup im Rückblick 1935, habe es eine „Rektoratsübernahme“ gegeben und mit der Durchsetzung des „Führerprinzips“ an der Universität hätte sich die Notwendigkeit ergeben, auch den Charakter der Rektoratsfei50

51 52

Das zeigte sich ähnlich, teilweise noch heftiger, an anderen Universitäten, wo studentische nationalsozialistische Vertreter auch als Redner in das Programm integriert wurden. Vgl. Eckardt 1991. UAMs Bestand 4, Nr. 110. UAMs, Bestand 4, Nr. 105, Bl. 121, Schreiben des Preußischen Ministers für Erziehung und Wissenschaft Rust.

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er zu verändern. Diese sei nun nicht mehr ein Fest der Professoren, sondern ein allgemeines Universitätsfest, das in Form eines im „Münsterland volkstümlichen Schützenfestes“ begangen wurde und der nationalsozialistischen Parole von der Volksgemeinschaft Geltung verschaffen sollte.53 Die feierliche Rektoratsübergabe des Jahres 1935 fand zwar im Mai und nicht zu Beginn des Wintersemesters statt, sie erinnerte jedoch äußerlich wieder stärker an frühere Rektoratsfeiern. Doch mischten sich in die Akte der Traditionswahrung auf der Bühne wie dahinter deutliche Zeichen der Veränderung. Alle Formen akademischer Selbstverwaltung waren hinter dem wiederhergestellten Amt des Rektors aufgelöst und neben der Amtstracht oder dem schwarzen Anzug sah die Kleiderordnung in der Einladung ausdrücklich auch die Partei-Uniform vor. Auch war das Übergaberitual seines ursprünglichen Sinnes beraubt: der neue Rektor betrat bereits als Rektor die Stadthalle und hatte sein Amt schon seit einigen Wochen ausgeübt. Auch der Amtseid des Rektors entfiel. Dafür präsentierte er sich der Öffentlichkeit ganz als „Führer“ der Universität. Auch seine Antrittsrede war keine wissenschaftliche Festansprache, sondern eine politische Programmrede und Geschichtskonstruktion, in der, wie damals üblich, eine Linie der Kontinuität vom mittelalterlichen Reich zum nationalsozialistischen „Dritten Reich“ Adolf Hitlers hergestellt und die Wissenschaft ganz auf die Ziele des Regimes eingeschworen wurde. Der neue Rektor Karl Hugelmann beendete seine Rede mit einem dreifachen „Sieg Heil“ auf „Volk, Reich und Führer“. Es folgte der gemeinsame Gesang der ersten Strophe des „Deutschlandliedes“ und des „Horst-Wessel-Liedes“, bevor der Rektor und die übrigen Dozenten, begleitet von Fahnenträgern und Orgelmusik, feierlich auszogen. Die scheinbare Wiederherstellung des akademischen Feierrituals konnte nicht verbergen, dass die NS-Herrschaft die Autonomie der Universitäten zerstört hatte und die akademischen Feiern eigentlich nur noch eine Fassade bildeten, die Anpassung und Gleichschaltung kaschieren sollten.

Die gereinigte Tradition: akademische Feiern nach 1945 Bereits bei der provisorischen Wiedereröffnung des Universität im November 1945 versuchte der neue Rektor, der katholische Theologe Prälat Georg Schreiber, der in der Weimarer Republik zudem prominenter Wissenschaftspolitiker des Zentrums war, eine scheinbar unbeschädigte Tradition und den erforderlichen Neubeginn miteinander zu verbinden. Es sollte, was die Geschichtskonstruktion der Nachkriegszeit insgesamt charakterisierte, der Versuch unternommen werden, die universitäre Tradition von NS-Elementen zu reinigen.54 Schreiber war auf Grund 53

54

UAMs, Bestand 4, Nr. 111, Bl. 69, 147; ferner „Feierliche Einführung des Rektors. Großer Festakt der Westfälischen Wilhelms-Universität in der Stadthalle“, in: Münsterischer Anzeiger vom 12.5.1935. Vgl. Paletschek 2006.

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seiner politischen Biographie sicherlich gut geeignet, diesen schwierigen Weg zu personifizieren.55 Man knüpfte an die „alte bis 1933 gültige Form der Semestereröffnung an, [um so den] geforderten Neubeginn […] nach außen hin sichtbar zu machen“.56 Bald setzte man die alte Universitätsverfassung von 1929 wieder ein. Das Führerprinzip der Nazis wurde abgeschafft, und man vermied jedes Zeichen einer Kontinuität zur NS-Zeit. Darum fand im November 1945 keine Rektoratsübergabe statt, was ein Übergaberitual durch den letzen NS-Rektor Professor Herbert Siegmund an den neuen Rektor Georg Schreiber verlangt hätte. Stattdessen betonte Schreiber in seiner Rektoratsrede die klare Zäsur zwischen dem Gestern und dem Heute. Eine erste feierliche Rektoratsübergabe fand dann 1946, bereits ein Jahr nach Wiedereröffnung statt, und nun meinte man ganz offen an die vermeintlich 1933 nur abgebrochene Tradition anknüpfen zu können. Nichts sollte sich am bewährten Ablauf der vor-nationalsozialistischen Zeit ändern; das Ritual sollte noch einmal die Strukturen der Ordinarienuniversität abbilden. Die Rektoratsübergaben orientierten sich fast vollständig an dem Ritual der Weimarer Zeit. Auch der Eid, den der neue Rektor zu leisten hatte und den man in der NS-Zeit abgeschafft, nahm den lateinischen Wortlaut aus dem Jahr 1929 wieder auf. Im Vergleich zum klassischen Übergangsritus hatte sich jedoch schon seit 1933 eine signifikante Änderung vollzogen, die verdeutlichte, dass der Initiationsritus längst nicht mehr die Funktion hatte, die Autonomie der Universität zu behaupten.57 Der neue Amtsinhaber betrat bereits als Rektor den Saal; seine Inauguration vollzog sich nicht mehr durch einen performativen Akt. Der Wille zur Wiederaufnahme von akademischen Traditionen war 1952 zum festen Programm geworden. Die Universität nutzte den 50. Jahrestag der Wiederbegründung der (Voll-)Universität 1902 dazu, um die Jubiläumsfeiern von 1930 zum Vorbild einer Neuinszenierung einer Universität im Wiederaufbau zu machen. Dazu gehörte einerseits das Bekenntnis zu einer allein der internationalen Wissenschaft verpflichteten unpolitischen Universität, aber auch der Versuch, möglichst viele Elemente akademischer Feierkultur wiederzubeleben beziehungsweise den veränderten politischen Bedingungen anzupassen.58 Der Festtag begann wieder mit zwei Gottesdiensten; der Festakt, der noch im Lindenhof stattfinden musste, wurde mit dem Einzug der Professoren eröffnet, an der Spitze der Rektor magnificus, der Prorektor und die Rektoren westdeutscher Hochschulen. Auf einen Umzug durch die Innenstadt hatte man im Unterschied zu 1930 verzichtet, ebenso auf die Beteili55 56 57

58

Morsey 1981/82. Respondek 1995, S. 75. Ich folge hier der Beobachtung von Greive 2006, S. 62, die darüber hinaus darauf hinweist, dass in den 1950er-Jahren der neue Rektor im Namen des Senats zu der Veranstaltung einlud, die damit nur noch einen äußerlichen nachvollziehenden und keinen rechtskonstituierenden Charakter mehr hatte. UAMs, Bestand 4, Nr. 157 (alt), „50 Jahrfeier der Westfälischen Wilhelms-Universität zu Münster“.

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gung der Chargierten beim Einzug, da der Rektor Wert auf die Einheit der farbentragenden und nichtfarbentragenden Studierenden legte. Auch einen Festkommers gab es man im Gegensatz zu 1930 nicht mehr. Beim Festakt trugen alle Professoren zum ersten Mal wieder Talare und Barette, die Dozenten und Lehrbeauftragten folgten in schwarzen Anzügen. Den Festvortrag hielt, wie schon zur Jubiläumsfeier von 1930, der Historiker Anton Eitel, und auch der Inhalt seines langen Vortrags über die Entwicklung der Universität entsprach, wenn auch nicht vollständig, so doch weitgehend dem, was er 1930 vorgetragen hatte. Die Zeitgeschichte der Universität in der NS-Zeit sparte Eitel aus.59 Zum Abschluss folgte nach altem Brauch ein Fackelzug zum Schloss – angeführt von den studentischen Verbindungen. Der Rektor interpretierte das als Zeugnis des Vertrauens, das die Studenten dadurch ihren akademischen Lehrern entgegenbrächten. Neu im Festprogramm war eine Ausstellung, in der die Universität im Landesmuseum Zeugnisse ihrer Geschichte präsentierte, wie auch das übrige kulturelle Rahmenprogramm sehr viel umfangreicher ausfiel. Mit der Jubiläumsfeier von 1952 war eine Ausrichtung der Universitätsfeiern der folgenden Jahre vorgegeben, die man als gereinigte Traditionspflege bezeichnen könnte und die dem Geschichtsbewusstsein beziehungsweise der Vergangenheitspolitik der 1950er-Jahre weitgehend entsprach. Indem man die Erinnerung an die NS-Zeit – so gut es ging – weitgehend ausklammerte, versuchte man eine Konstruktion neuer Identität und Kontinuität, die freilich auf einem tiefen Bruch beruhte. Man hatte sich zwar an den Mustern öffentlicher akademischer Feiern der 1920er-Jahre und auch des Jahrzehnts zuvor orientiert, doch bei der Nachinszenierung auf einige Elemente verzichtet, die entweder an die NS-Zeit erinnerten oder sich auch nur schwer mit den politisch-kulturellen Normen der Nachkriegszeit in Übereinstimmung bringen ließen. Dieser moderate Wandel, der sich freilich nur bei genauerem Hinsehen erschloss und das vordergründige Bild von den unveränderten Ritualen korrigiert, reichte nicht aus, um in den unruhigen 1960er-Jahre jene Traditionselemente, die in der unmittelbaren nachdiktatorischen Nachkriegszeit vielleicht noch als Bestätigung von Autonomie und wissenschaftlicher Selbstbestimmung verstanden wurden, nun nicht als Zeichen der Restauration zu lesen. Das war die verkürzte Botschaft des Transparents aus Hamburg vom November 1967, die den Anfang eines tiefen Ritualbruchs und die Abkehr von tradierten Lebensformen außerhalb und innerhalb der Universität bedeutete. Bis dahin hatte die Nachkriegszeit in ihren Erscheinungsbildern noch sehr stark an die zwanziger und dreißiger Jahre erinnert. Auch in Münster wuchsen, durch die sozialen und kulturellen Wirkungen des allgemeinen Modernisierungsprozesses der sechziger Jahre vermutlich verstärkt, die Zweifel an der Sinnhaftigkeit überkommener Selbstdarstellungen. Bereits ein harmloser Vorfall weckte die Besorgnis, es könne zu größe59

Bericht und überarbeitete Fassung der Rede in: „Westfälische Nachrichten, Sonderbeilage“ Nr. 147; 1953 veröffentlichte Eitel eine erweiterte Version.

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ren Störungen bei der Münsterschen Rektoratsübergabe, acht Tage nach der spektakulären Gegeninszenierung in Hamburg, kommen. Ein jüngerer Kollege, Professor Joachim Ritter, schrieb an das Rektorat: „Es scheint mir, dass eine Institution, die sich nicht mehr ihrer selbst und der Form ihrer Repräsentation sicher ist, besser daran tut, auf eine Selbstdarstellung im Festakt zu verzichten, als diesen Festakt in einer Weise umzugestalten, deren Gründe nicht mehr aus ihrem Selbstverständnis stammen.“60

Eine anschließende Umfrage ergab, dass eine große Mehrheit der Professoren sich gegen das Tragen der Talare aussprach. Die folgende Rektoratsübergabe stellte einen vorsichtigen Kompromiss dar, der nicht weit führte. Nur der Rektor und die Dekane erschienen in Talaren, ein gemeinsamer Einzug des Lehrkörpers fand nicht statt.61 Auch die Antrittsrede des neuen Rektors bedeutete eine Veränderung, da sie nicht mehr, wie in der Nachkriegszeit üblich, ganz streng nur wissenschaftlichen Themen gewidmet war, sondern ausdrücklich Themen der Universitäts- und Studienreform ansprach. Dem AStA und dem Studentenparlament ging das nicht weit genug, und ab 1969 fanden auch in Münster keine Rektoratsübergaben mehr statt. Ein „Tag der offenen Tür“, der nach 1968 zunächst an die Stelle der Rektoratsfeier trat, war zwar auch für Studierende und städtische Öffentlichkeit bestimmt, aber den Symbolbruch konnte man kaum drastischer zum Ausdruck bringen. Die Destruktion der alten Symbolwelten darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass bald nach dem Sommer 1968 neue Formen symbolischer Kommunikation an den Universitäten entstanden; auffällig waren zunächst die revolutionär-anarchistischen und utopischen Bildwelten, die ihrerseits der Selbstdarstellung und Zugehörigkeitsvergewisserung studentischer Protestgruppen dienten, um sich bald weiterzuentwickeln oder zu verformen. Bald wurde deutlich, dass auch die entstehenden neuen sozialen Bewegungen nicht ohne eine identifizierbare symbolische Praxis auskamen. Die deutschen Universitäten erlebten nach dem Urteil des Soziologen Clemens Albrecht 1968 den Untergang einer „repräsentativen Kultur“ und deren zunehmende Pluralisierung. Repräsentative Kultur meint die gemeinsame Deutung von Wirklichkeit durch ihre Kultur, die dem sozialen Handeln einer Gruppe oder Gesellschaft erst Sinn und Dauer verleiht. Verlieren die Trägerschichten einer solchen Deutung die Grundlagen ihrer Selbstvergewisserung und treten in eine pluralistische Konkurrenz mit anderen Weltsichten und Deutungen, dann werden sich die repräsentativen Bestände und Muster verlagern oder auflösen.62 Der Autoritäts- und Glaubwürdigkeitsverlust der repräsentativen Kultur der Universitäten seit den späten 1960er-Jahren hat zu einer Pluralisierung geführt und 60 61 62

UAMs, Bestand 4, Nr. 242 (alt), Schreiben von Prof. Ritter an den Rektor der Universität Prof. Kötting vom 30.9.1968. Zit. nach Greive 2006, S. 68. UAMs Bestand 4, Nr. 242 (alt), Schreiben des Rektors und Rektor designatus der Universität vom 14.10.1968 an die Mitglieder des Lehrkörpers. Albrecht 2001.

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auch das Bild beziehungsweise die Selbstinszenierung der Universität verändert. Nach einer Phase der Zurückhaltung in der Feierkultur der Universitäten haben sich neue Feier-Formen und auch PR-Veranstaltungen zur Erzeugung einer corporate identity ausgebildet, die in ihrer Vielfalt und Veränderungen nur schwer zu überschauen sind. Nicht die Tradition der akademischen Selbstdarstellung durch öffentliches feierliches Handeln einer geschlossenen Körperschaft prägte länger das Bild, sondern das Nebeneinander unterschiedlicher Leitbilder, unterschiedlicher Bildungsmächte und verschiedenartiger Selbstinszenierungen. Was sich daraus entwickelt, kann der Historiker mit seinen methodischen Verfahren erst im Rückblick beschreiben.

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Die Universität Münster über sich selbst

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Die Aberkennung von Doktorgraden an der Universität Münster in den Jahren 1920 bis 1960 Die Forschung hat den Aberkennungen von Doktortiteln in der Zeit des Nationalsozialismus, abgesehen von wenigen Ausnahmen,1 erst seit Ende 1990er-Jahre größere Aufmerksamkeit gewidmet.2 Wie viele Doktorgrade zwischen 1933 bis 1945 insgesamt aberkannt wurden, lässt sich wahrscheinlich nie mit letzter Gewissheit sagen;3 bislang wurden 2.799 Fälle ermittelt.4 Diese Untersuchung beschäftigt sich mit den Aberkennungen an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und wird dabei nicht nur die Zeit des Nationalsozialismus, sondern auch die Weimarer Republik und die Nachkriegszeit in den Blick nehmen.5 In Anlehnung an das auch in anderen Arbeiten angewandte Verfahren werden diejenigen Personen, bei denen die Aberkennung ihres Doktorgrades schon in der Literatur bekannt ist, die in nationalsozialistischer Zeit eindeutig aus ideologischen Gründen verfolgt oder in der Zeit danach vollständig rehabilitiert wurden, mit vollem Namen genannt. Für alle anderen werden im Interesse des Persönlichkeitsschutzes nur deren Initialen verwendet.6

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5 6

Hübinger 1984, Schupp 1984, S. 9–19. Erforscht wurden neben Freiburg bisher die Universitäten Bonn, Erlangen, Gießen, Göttingen, Heidelberg, Köln, Leipzig Marburg, München, Rostock und Wien beziehungsweise einzelner ihrer Fakultäten. Die bisher erschienene Literatur zu diesem Thema listet Stefanie Harrecker in ihrer Dissertation zur Universität München auf: Harrecker 2007, S. 10–11, insb. Fußnoten 1 und 4. Nicht genannt ist Hartwig 1998. Zu ergänzen sind die Arbeiten der neuesten Zeit: Henne 2007, Wittern-Sterzel/Frewer 2008, Abel 2008, Mertins/ Feketitsch-Weber 2010, Schöck 2010, Wischnath 2010, Universität Würzburg 2011. Weder die von der Verfasserin in ihrem Beitrag von 2004 ermittelte Gesamtzahl von knapp 1.700 Fällen noch die von Stefanie Harrecker geschätzte Zahl von etwa 2.000 Fällen können als zutreffend gelten. Vgl. Happ 2004, S. 283–296, sowie Harrecker 2007, S. 10. Prof. Dr. Werner Moritz, früher Universitätsarchiv Heidelberg, hat durch eine Umfrage bei den einzelnen Universitäten diese Zahl festgestellt, die aber aufgrund der Kriegsverluste für die Technische Universität Berlin ebenfalls noch nicht abschließend ist. Für die Bereitstellung seiner Ergebnisse sei ihm an dieser Stelle herzlich gedankt. Anders als bei Harrecker 2007, S. 153–168, wird die Verhinderung von Promotionen nicht thematisiert. Vgl. Harrecker 2007, S. 15–17, S. 251.

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Die Aberkennung von Doktorgraden in der Zeit bis 1933 Nachdem die erste Universität Münster im Jahr 1818 geschlossen worden war, verfügten ihre beiden verbleibenden Fakultäten, die Philosophische und die Katholisch-Theologische, nicht mehr über ein Promotionsrecht. Zwar wurde es 1844 der Philosophischen Fakultät wieder eingeräumt; doch erst mit der neuerlichen Erhebung der Münsterschen Hochschule zur Universität erlangten die KatholischTheologische und die neu gegründete Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät ebenfalls dieses Recht; 1914 folgten schließlich die Evangelisch-Theologische und 1925 die Medizinische Fakultät. In keiner der zunächst erlassenen Promotionsordnungen wurde die Aberkennung des Doktortitels erwähnt,7 was sich jedoch 1927 durch neue Promotionsordnungen der Rechts- und Staatswissenschaftlichen und der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultäten änderte.8 Aufgrund eines auf Initiative verschiedener Hochschulen zustande gekommenen Ministerialerlasses9 ergänzten beide Fakultäten ihre Promotionsordnungen um die Möglichkeit, den Doktorgrad abzuerkennen, falls er durch Täuschung der Fakultät erschlichen worden war, wozu insbesondere die Fälschung der Reife- oder Studienzeugnisse, die Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung über die selbständige Anfertigung der Dissertation oder das Verschweigen erheblicher Vorstrafen gehörte. Die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät verlangte in ihrer neuen Promotionsordnung beim Antrag auf Promotion ein Sittenzeugnis der Universität und einen Unbescholtenheitsnachweis, der später als „polizeiliches Führungszeugnis“ firmierte. Zwar war nicht explizit von „Würde“ oder „Würdigkeit“ des Kandidaten die Rede; erstmals war jedoch der Gedanke festgehalten, dass neben der wissenschaftlichen Leistung das übrige Verhalten des Promovenden Relevanz erlangte. Die Tendenz, neben der fachlichen eine charakterliche, moralische Eignung der Kandidaten vorauszusetzen, lässt sich auch an anderen Universitäten, zum Teil schon erheblich früher als in Münster, nachweisen.10 Woher diese Entwicklung rührt, kann nur vermutet werden. Sie könnte mit dem starken Anstieg der Studierendenzahlen 7

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9 10

Die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät erließ 1903, 1907 und 1926 neue Promotionsordnungen (UAMs, Bestand 30, Nr. 150, Nr. 151 und Nr. 679), die Katholisch-Theologische 1913 (UAMs, Bestand 9, Nr. 296), die Evangelisch-Theologische 1916 (UAMs, Bestand 9, Nr. 302) und die Medizinische 1925 (UAMs, Bestand 9, Nr. 333). UAMs, Bestand 9, Nr. 319, Promotionsordnung der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, und UAMs, Bestand 9, Nr. 307, Promotionsordnung der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät. UAMs, Bestand 22, Nr. 2, Erlass des Preußischen Ministers für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung vom 27. Januar 1927. Einige frühe Fälle sind am Ende des 19. Jahrhunderts für Leipzig und München belegt, vgl. Blecher 2006, S. 200–208, sowie Harrecker 2007, S. 19–29. Wie in Münster wurde an der Universität Köln in den 1920er-Jahren erstmals ein Doktorgrad aberkannt, hier jedoch mit der Begründung, dass der Promovend ein Plagiat eingereicht hatte; Szöllösi-Janzi/ Freitäger 2005, S. 18.

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zusammenhängen,11 durch die der persönliche Kontakt zwischen Lehrenden und Studierenden sicherlich vermindert wurde, so dass vielleicht nach einer anderen Art der Kontrolle des Nachwuchses gesucht wurde. Als 1927 die Philosophische Fakultät der Aufforderung des Ministers nach Ergänzung der Promotionsordnung nachkam, war dies womöglich darauf zurückzuführen, dass sie kurz zuvor einen Doktortitel aberkannt hatte. Friedrich KochWawra war 1923 promoviert worden. Nachträglich stellte sich heraus, dass er sein Reifezeugnis gefälscht hatte und deshalb die Voraussetzung für die Zulassung zur Promotion nicht erfüllte. Am 6. November 1925 erkannte die Philosophische Fakultät daher den Titel wieder ab.12 Koch-Wawra hat seine Sicht des Verfahrens in einem 1926 erschienenen Heft dargestellt, in dem er die Philosophische Fakultät beschuldigte, ihm den Doktorgrad weniger wegen eines gefälschten Zeugnisses, sondern „wegen schlechten Betragens“ aberkannt zu haben.13

Aberkennungen in der NS-Zeit Bis 1933 war der Fall Koch-Wawra die einzige nachweisbare Doktorgradaberkennung in Münster. Doch auch nach 1933 blieb die Gesamtzahl der Aberkennungen im Vergleich zu anderen Universitäten ausgesprochen gering,14 was insbesondere mit der geringen Zahl der in Münster immatrikulierten jüdischen Studierenden zusammenhing.15 Schon im Laufe des Jahres 1933 gerieten die Doktor- und Ehrendoktorgrade ins Blickfeld, wobei die Initiative dieses Mal nicht von den Hochschulen, sondern von staatlicher Seite ausging. Per Erlass vom 4. Oktober 1933 forderte der Preußische Wissenschaftsminister die Hochschulen auf, bei einer rechtskräftigen Verurteilung wegen einer ehrenrührigen Handlung den Doktortitel zu entziehen. Über die Verurteilung sollten die Hochschulen von der Ortspolizeibehörde informiert werden, die ihrerseits durch die Justizbehörden benachrichtigt wur11

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Die Zahl der Studierenden lag im Münster im Wintersemester 1902/03 bei 1.143, im Wintersemester 1912/13 bei 2.154, im Wintersemester 1923/24 bei 2.995 und im Wintersemester 1932/33 bei 5.171; Statistik der Studierendenzahlen 1902 bis 1964, http://www. uni-muenster.de/Rektorat/Statistik/d2s94ba.html, Zugriff: 19.9.2010. UAMs, Bestand 9, Nr. 1376, Bestand 65, Nr. 1967. Koch-Wawra 1926, S. 30. Koch-Wawra legte dar, dass sein bisheriges Leben Ursache der Aberkennung gewesen sei. So wurde er unter anderem als Jugendlicher mehrfach der Schule verwiesen und war anschließend durch die Welt vagabundiert. Im späteren Studium in Münster hatte er ein uneheliches Verhältnis mit einer Französin unterhalten. Für Münster können 15 Aberkennungen von Doktor- und Ehrendoktorgraden zwischen 1933 und 1945 belegt werden. Für die Universität Bonn sind 79, für Göttingen 80, für Marburg 46 Fälle nachgewiesen. Besonders hoch sind die Zahlen für Berlin (205), Breslau (252) oder Wien (209). Angaben nach Moritz, vgl. Fußnote 4. Der Anteil der Studierenden mit jüdischer Religionszugehörigkeit an der Gesamtzahl der Studierenden an Universitäten lag im Deutschen Reich 1930 bei 4,3 %, in Münster jedoch nur bei 0,5 %; Grüttner 1995, S. 495.

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den. Damit die Ortspolizeibehörden Kenntnis von den verliehenen Doktortiteln erlangten, verfügte der Minister eine Benachrichtigungspflicht der Hochschulen.16 Zeitgleich richtete das bayerische Staatsministerium auf Initiative des bayerischen Kreisleiters der Deutschen Studentenschaft einen Runderlass an die Hochschulen in seinem Land, mit dem es diese aufforderte, den Doktortitel bei Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit, bei Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte und in anderen „kompromittierenden Fällen“ abzuerkennen. Dieser Runderlass wurde etwa einen Monat später vom Preußischen Wissenschaftsminister an die Kuratoren der preußischen Hochschulen mit der Anweisung weitergeleitet, die Promotionsordnungen entsprechend zu ändern.17 Damit waren die zwei häufigsten Gründe für die Aberkennung eines Doktortitels in der Zeit des Nationalsozialismus benannt: die Aberkennung der Staatsangehörigkeit und der Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte beziehungsweise eine strafrechtliche Verurteilung.18 Rechtliche Grundlage für die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit war das „Gesetz über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit“,19 das am 14. Juli 1933 erlassen worden war und auf Emigranten zielte, und zwar insbesondere auf jüdische. Entsprechend der ministeriellen Aufforderung ergänzten mehrere Fakultäten der Universität Münster ihre Promotionsordnungen, so die Medizinische und die Katholisch-Theologische.20 Die Katholisch-Theologische Fakultät meldete jedoch mit ihrer Vollzugsmeldung grundsätzliche Bedenken gegen die Aberkennung der Doktorwürde an, die sich weniger auf die Maßnahme an sich bezogen, sondern mit formalrechtlichen Zweifeln begründet wurden. Die Fakultät führte aus, dass ihr Promotionsrecht auf zwei Bevollmächtigungen beruhe, der staatlichen und der päpstlichen; es sei daher für die Änderung der Promotionsordnung das kirchliche Einverständnis erforderlich.21 Mit ihren Zweifeln stand die Fakultät nicht allein, 16 17

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UAMs, Bestand 9, Nr. 1947. Ebd. Vgl. zu den Verordnungen und Akteuren der Doktorgradentziehungen Harrecker 2005, S. 33–76, sowie Moritz 2007, S. 104. In seiner Untersuchung schließt Moritz die Betrachtung von Aberkennungen aufgrund strafrechtlicher Verurteilungen übrigens bewusst aus. Happ 2005, S. 289. Wenn auch die Gesamtzahlen für die Doktorgradaberkennungen mittlerweile durch neuere Forschungen überholt sind, muss jedoch davon ausgegangen werden, dass das prozentuale Verhältnis der Begründungen in etwa zutrifft. Auf den Entzug des Doktortitels wegen Aberkennung der Staatsangehörigkeit geht ausführlicher ein: Lemberg 2002, S. 39–55, sowie Thieler, 2006, S. 57–60. Zu den Gründen der strafrechtlichen Verurteilungen, die zu einer Aberkennung des Doktorgrades führten, vgl. die entsprechenden Beiträge in: Szöllösi-Janze/Freitäger 2005, S. 49–64, sowie Thieler 2006, S. 40–46. Reichsgesetzblatt 1933 I, S. 488. Der Dekan der Medizinischen Fakultät meldete dem Rektor die Ergänzung der Promotionsordnung am 17.2.1934 (UAMs, Bestand 9, Nr. 333), der Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät am 22.2.1934 (UAMs, Bestand 9, Nr. 296). UAMs, Bestand 22, Nr. 2.

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denn auch die Bonner Katholisch-Theologische Fakultät vertrat diese Ansicht, und ihr Dekan Wilhelm Schwer wandte sich Ende November 1933 an den Kölner Erzbischof, Kardinal Karl Joseph Schulte, wobei er die Vermutung äußerte, dass ein Einvernehmen mit dem Kardinal bislang nicht herbeigeführt worden sei. Trotzdem plädierte die Fakultät dafür, in der Sache nachgiebig zu agieren: „Andererseits darf in Betracht gezogen werden, dass der gewünschte Zusatz die Promotionsordnung und das Promotionsverfahren selbst nicht berührt, sondern nur darauf fusst, dass die theologische Doktorwürde zugleich die Doktorwürde einer deutschen Universität ist. Zudem ist kaum anzunehmen, dass er bei uns jemals zur Anwendung kommen wird. Da die geforderte Änderung der Promotionsordnung gleichzeitig auch an den Hochschulen der übrigen Länder zur Durchführung kommt, und zurzeit mit der ausserordentlichen Empfindlichkeit auch der Studentenschaft, von der sie angeregt wurde, in nationalen Fragen zu rechnen ist, wären bei etwaigen Anständen vielleicht Ungelegenheiten zu befürchten, die kaum im rechten Verhältnis zu der materiell wenig bedeutsamen Änderung ständen, und wir würden es sehr begrüssen, wenn Ew. Eminenz sich dieser Auffassung anzuschliessen vermöchten.“22 Kardinal Schulte sah sich jedoch nicht in der Lage, Stellung zu dem Ministerialerlass zu nehmen, weil er die Zuständigkeit des Apostolischen Stuhls gegeben sah.23 Der Bonner Dekan schlug daher dem Kultusminister vor, sich direkt mit dem Kardinal ins Benehmen zu setzen.24 Über dieses Vorgehen informierte er auch den Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster, Richard Stapper,25 nachdem dieser im Februar 1934 nachgefragt hatte.26 Der weitere Schriftwechsel zwischen der Katholisch-Theologischen Fakultät Münster und dem Minister in dieser Angelegenheit zog sich noch bis Mitte 1935 hin.27 Parallel zu den Promotionen gerieten die Ehrenpromotionen in den Blick des Wissenschaftsministers, der zunächst im November 1933 vom Kurator der Universität eine Auflistung der seit 1918 verliehenen Ehrendoktortitel verlangte und dann im März 1934 eine Stellungnahme anforderte, welche Titel wieder zu entziehen sei22

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Dekanat der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn, Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät Bonn an Erzbischof von Köln, 28.11.1933. Herrn Borengässer vom Dekanat sei herzlich dafür gedankt, dass er die nachfolgend aufgeführten Vorgänge zur Verfügung gestellt hat. Dekanat der Katholisch-Theologischen Fakultät Bonn, Erzbischof von Köln an Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät Bonn, 7.12.1933. Ebd., Dekan Schwer an den Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, 15.12.1933. Richard Stapper (1870–1939), 1919–1923 außerordentlicher, 1923–1935 ordentlicher Professor für Pastoraltheologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster, 1928/29 und vom 26.4.1933–15.10.1934 Dekan; Hegel 1971, S. 89–90 sowie S. 217. Dekanat der Katholisch-Theologischen Fakultät Bonn, Dekan Katholisch-Theologische Fakultät Münster an Dekan Katholisch-Theologische Fakultät Bonn, 17.2.1934, sowie dessen Antwort, 19.2.1934. UAMs, Bestand 9, Nr. 296.

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en. Von der Dozentenschaft waren zu dieser Frage zwei Namen genannt worden: Pfarrer Günther Dehn, Dr. h.c. der Evangelisch-Theologischen Fakultät,28 und Georg Schreiber, Ordinarius an der Katholisch-Theologischen Fakultät und Dr. h.c. der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät.29 Beide Fakultäten wiesen in ihren Stellungnahmen jedoch auf die jeweiligen Verdienste der 1926 beziehungsweise 1925 Geehrten hin und dementierten einen politischen Hintergrund der Verleihungen.30 Eine Aberkennung der beiden Titel erfolgte nicht. Mit einem derart geringen Erfolg der bisher hinsichtlich der Promotionsordnungen angeordneten Maßnahmen war der Minister nicht zufrieden. Im Juli 1934 ordnete er erneut eine Änderung der Ordnungen an, und zwar insbesondere die Aufnahme von zwei Entziehungsgründen: die Täuschung der Fakultät und die Unwürde des Titelinhabers. Unter Täuschung subsumierte er die bereits genannten Fälle, Unwürde war immer beim Verlust der Staatsangehörigkeit gemäß § 2 des Gesetzes vom 14. Juli 1933 gegeben. Die Entscheidung über die Entziehung sollte bei einem Ausschuss aus Rektor und Dekanen liegen, der vor seiner Entscheidung, sofern es tunlich erschien, den Titelinhaber hören konnte. Diesem stand nach der Entziehung innerhalb eines Monats die Möglichkeit einer Beschwerde beim Minister zu.31 Aufgrund des erneuten Erlasses ergänzte nun auch die Philosophische Fakultät ihre Promotionsordnung.32 Trotz dieser Änderungen wurden bis zur Mitte des Jahres 1934 in Münster weder ein Doktortitel aberkannt noch ein Verfahren zur Aberkennung eingeleitet. Dazu ergab sich dann in der Folge Gelegenheit, als der Oberstaatsanwalt in Frankfurt am Main die Universität im September darüber unterrichtete, dass Dr. phil. Adalbert Brauer im Januar des Jahres wegen eines Devisenvergehens und der Beihilfe zu weiteren Devisenvergehen verurteilt worden war, und Rektor Hubert Naendrup33 kurze Zeit später von einer weiteren Verurteilung Brauers wegen gleicher Vergehen im Mai 1932 Kenntnis erlangte. Mit einer ersten Sitzung des zuständigen Ausschusses im Oktober 1934 leitete der Rektor daraufhin das Aberkennungsverfahren ein, in dessen Verlauf überraschend weitere Verurteilungen Brauers in den Jahren 1931 28 29

30 31 32 33

Zum Lebensweg von Günther Dehn vgl. Bautz 1990. Georg Schreiber (1882–1963), 1917–1935 und 1945–1951 ordentlicher Professor für Kirchengeschichte an der Universität Münster, 1945–1946 Rektor; UAMs, Bestand 10, Nr. 4419, Bestand 23, Nr. 32, Bestand 207, Nr. 526. Zum Lebensweg von Georg Schreiber vgl. Morsey 2000, S. 177–185, sowie Grothmann 1995, Sp. 924–926. UAMs, Bestand 4, Nr. 1089. UAMs, Bestand 22, Nr. 71. Die Fakultät meldete diese Änderung am 4.12.1934 dem Universitätskurator; UAMs, Bestand 9, Nr. 319. Hubert Naendrup (1872–1947), 1902–1919 außerordentlicher, 1919–1941 ordentlicher Professor für Deutsche Rechtsgeschichte und Kolonialrecht an der Universität Münster, im Wintersemester 1933/34 und im Wintersemester 1934/35 zudem Rektor; Kürschner 1940/41, Sp. 269, Klee, 2003, S. 427–428, UAMs, Bestand 10, Nr. 303, Bestand 31, Nr. 42, Bestand 5, Nr. 478.

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und 1934 zur Sprache kamen. Eine sofortige Aberkennung erfolgte trotzdem nicht; Brauer erhielt zunächst Gelegenheit zur Stellungnahme, die er auch wahrnahm, allerdings erfolglos: Mit Beschluss vom 13. Juni 1935 wurde ihm der Titel schließlich aberkannt.34 In den Akten sind mehrere Entwürfe für die Benachrichtigung Brauers über die Entziehung des Doktorgrades erhalten, darunter ein nicht versandter Entwurf, der anführt, Brauer sei aufgrund einer gerichtsärztlichen Untersuchung kastriert worden und habe in einer internationalen „Hochstaplerbande“ mitgewirkt.35 Woher diese Erkenntnisse stammten und warum sie letztendlich nicht verwendet wurden, lässt sich den Akten jedoch nicht entnehmen. Nahezu zeitgleich zum Verfahren Brauer erhielt die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät im Januar 1935 Nachricht darüber, dass W. H., der 1926 zum Dr. rer. pol. promoviert worden war, wegen Urkundenfälschung, Betrug und Untreue zu einem Jahr Gefängnisstrafe verurteilt worden war. Zunächst holte Dekan Erhard Neuwiem36 Erkundigungen über die Oberstaatsanwaltschaft und das Polizeipräsidium Köln ein und hatte aufgrund der zusammengetragenen Fakten Zweifel, ob ein Verfahren einzuleiten sei. Um mehr Klarheit zu erhalten, wurde W. H. zunächst gehört. Dieser äußerte, die Motive für seine Taten hätten aus einer wirtschaftlichen Zwangslage hergerührt. Gleichwohl beantragte der Dekan nun die Eröffnung des Aberkennungsverfahrens, und Rektor Karl Hugelmann37 rief den Ausschuss zusammen. In der Sitzung am 2. Oktober 1935 legte Dekan Neuwiem den Fall dar und hob die „nationale Betätigung“ von W. H. hervor. Die Mehrheit des Ausschusses, dem neben Neuwiem und Hugelmann die Dekane der KatholischTheologischen, der Philosophischen und der Medizinischen Fakultät angehörten, stimmte dem Antrag Neuwiems zu, das Entziehungsverfahren bis zum 1. Oktober 1938 auszusetzen. Sollte W. H. bis dahin eine weitere Straftat begehen, müsse ihm umgehend der Doktortitel aberkannt werden. Gegen diesen Antrag stimmten der Rektor und Karl Wilhelm Jötten38 als Dekan der Medizinischen Fakultät. Der Rektor hielt drei Wochen später mit einem Aktenvermerk fest, wie wenig er mit dem Abstimmungsergebnis einverstanden war und dass er überlegt habe, „die Meinung der Mehrheit nach dem Führerprinzip umzustossen.“ W. H. blieb bis zum Oktober 34 35 36

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UAMs, Bestand 4, Nr. 1089. UAMs, Bestand 65, Nr. 2494. Erhard Neuwiem (1889–1943), 1930–1943 ordentlicher Professor für Deutsches Verwaltungsrecht an der Universität Münster, 1934–1937 Dekan der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät; Kürschner 1940/41, Bd. 1, Sp. 269, UAMs, Bestand 31, Nr. 64. Karl Hugelmann (1879–1959), 1934–1947 ordentlicher Professor für Deutsche Rechtsgeschichte, Staatsrecht, Nationalitätenrecht an der Universität Münster, 1935–1937 Rektor; Kürschner 1940/41, Bd. 1, Sp. 791, UAMs, Bestand 10, Nr. 3271, Bestand 52, Nr. 30, Bestand 31, Nr. 69, Bestand 5, Nr. 481. Karl Wilhelm Jötten (1886–1958), 1924–1954 ordentlicher Professor für Bakteriologie und Hygiene an der Universität Münster, 1935–1937 Dekan der Medizinischen Fakultät; Kürschner 1940/41, Bd. 1, Sp. 833–834; Klee 2003, S. 288, UAMs, Bestand 10, Nr. 3271, Bestand 52, Nr. 30, Bestand 5, Nr. 639.

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1938 straffrei und behielt, dem Antrag Neuwiems entsprechend, seinen Doktortitel.39 1928 hatte die Philosophische Fakultät dem Industriellen und ehemaligen Zentrumsabgeordneten Rudolf ten Hompel die Würde eines Ehrendoktors verliehen. Im ersten Quartal des Jahres 1933 musste er einen Offenbarungseid leisten, und im Oktober 1935 verurteilte ihn das Landgericht Münster wegen handelsrechtlicher Untreue und anderer wirtschaftlicher Delikte zu drei Jahren Gefängnis. Der Dekan der Philosophischen Fakultät Jost Trier40 wollte nach dieser Verurteilung zunächst die Rechtskraft des Strafurteils abzuwarten, um anschließend den Antrag auf Einleitung des Aberkennungsverfahrens zu stellen. Er bat jedoch den Landesgerichtspräsidenten, ten Hompel davon in Kenntnis zu setzen, dass dieses Verfahren eröffnet werde. Dieser kam daraufhin der Universität zuvor und legte seine Ehrendoktorwürde nieder. Ungeachtet dessen vertrat die Universität die Auffassung, dass ein förmlicher Aberkennungsbeschluss zu fassen sei, der dann auch am 11. Dezember 1935 erfolgte. Ten Hompels Titelverzicht wurde dabei als Verzicht auf die Möglichkeit gewertet, Beschwerde einzulegen, weshalb umgehend das REM, die Ortspolizeibehörde, seine Rechtsanwälte sowie die Staatsanwaltschaft über den Beschluss informiert wurden.41 Hatte der Fall Rudolf ten Hompel wegen eines gewissen Bekanntheitsgrades des Betroffenen vorübergehend Aufmerksamkeit erregt, so stieß eine weitere Ehrenpromotion, mit der sich der zuständige Ausschuss seit Ende 1936 befasste, demgegenüber in ganz andere, internationale Dimensionen vor. Der Ausschuss war sich dessen bewusst, weshalb im nächsten Verfahren eine Reihe von Sitzungen und Terminen stattfanden, ohne dass zunächst eine Aberkennung erfolgte. Es ging dabei um den Schweizer Theologen Karl Barth, den die Evangelisch-Theologische Fakultät 1922 zum Ehrendoktor ernannt hatte, der 1925 in Münster zum ordentlichen Professor der Fakultät berufen worden war und 1930 eine Professur an der Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn angenommen hatte. Barth verweigerte 1933 den Eid auf Adolf Hitler und kehrte in seine Schweizer Heimat zurück.42 Ende Oktober 1936 beantragte der Dekan der Evangelisch-Theologischen Fakultät, Friedrich Wilhelm Schmidt,43 die Einleitung des Aberkennungsverfahrens, 39 40

41

42 43

UAMs, Bestand 35 Nr. 740, Bestand 4, Nr. 1090. Jost Trier (1894–1970), 1932–1963 ordentlicher Professor für Deutsche Philologie und Volkskunde an der Universität Münster, 1934–1936 Dekan der Philosophischen Fakultät, 1956–1957 Rektor; Kürschner 1940/41, Bd. 2, Sp. 944, UAMs, Bestand 63, Nr. 120, Bestand 207, Nr. 406. UAMs, Bestand 4, Nr. 1090, Bestand 62, L 4, Bd. 2. Die Villa der Familie ten Hompel in Münster, die 1939 in Reichsbesitz überging, fungiert heute als Erinnerungsstätte für die Verbrechen der Münsterschen Polizei und Verwaltung während der NS-Zeit. Zu Rudolf ten Hompel: Fritsch 2002. Zur Aberkennung des Ehrendoktortitels von Karl Barth ausführlicher: Happ 2011. Friedrich Wilhelm Schmidt (1893–1945), 1927–1939 ordentlicher Professor für Systematische Theologie und Rechtsphilosophie an der Universität Münster, 1934–1939 Dekan

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wobei er die „Weltgeltung“ Barths nicht verkannte, jedoch seine politische Betätigung als Gegner des Nationalsozialismus hervorhob. In der für den 9. November 1936 anberaumten Sitzung äußerte Max Kaser als Vertreter des Dekans der Rechtsund Staatswissenschaftlichen Fakultät aufgrund der außenpolitischen Wirkung Bedenken gegen eine Entziehung der Ehrenpromotion; zunächst sollte Bischof Theodor Heckel, der Leiter des Kirchlichen Außenamtes der Deutschen Evangelischen Kirche, um eine Stellungnahme gebeten werden. In der Folge befasste sich der Ausschuss in mehreren Sitzungen mit dem Brief an Heckel und mit der Tatsache, dass Professoren, die nicht Mitglied des Ausschusses waren, Kenntnis von einer möglichen Aberkennung zum Nachteil Barths erlangt hatten, was nicht im Sinne des Rektors und der übrigen Ausschussmitglieder war. Nachdem Anfang Januar 1937 das Schreiben an den Bischof versandt war und dieser eine persönliche Unterredung mit Rektor Hugelmann angeregt hatte, nahm Dekan Schmidt telefonisch Kontakt zum REM auf und besprach die Angelegenheit mit dem Hauptreferenten für die Geisteswissenschaften Eugen Mattiat. Nach diesem Telefonat zog Schmidt seinen Antrag auf Aberkennung der Ehrenpromotion Barths in einem persönlich an den Rektor gerichteten Schreiben vom 25. Februar 1937 zurück.44 Offenbar setzte sich das Verfahren zur Aberkennung von Doktortiteln nicht so problemlos durch, wie vom REM gewünscht. Ende 1936 wiederholte es die Aufforderung gegenüber allen Hochschulen, die Promotionsordnungen zu ändern, und wies noch im Januar 1937 in seinem Amtsblatt darauf hin, dass allein der Widerruf der Einbürgerung aus rassischen Gründen und die Zugehörigkeit zur „jüdischen Rasse“ eine Entziehung von Titeln nicht rechtfertige.45 Der ministerielle Erlass zog wiederum Erneuerungen der Promotionsordnungen mehrerer Fakultäten nach sich, die sich jedoch bis ins Jahr 1938 hinzogen.46 Die Katholisch-Theologische Fakultät legte nunmehr fest, der Text der Promotionsurkunden solle um den Zusatz „kraft staatlicher und apostolischer Vollmacht“ ergänzt werden.47 Die Zeit von Ende 1936 bis etwa zur Mitte des Jahres 1938 war eine Phase, in der die meisten Aberkennungen von Doktorgraden an der Universität Münster innerhalb der Zeit des Nationalsozialismus erfolgten beziehungsweise überprüft wurde, ob ein entsprechendes Verfahren einzuleiten war. Zwei Verurteilungen, zum einen wegen Homosexualität, zum anderen wegen Unzucht mit Minderjährigen, wurden von der Universität miteinander verknüpft: in einem Fall entschied sich die Universität für die Aberkennung des Titels, im anderen Fall wurde die Entscheidung vertagt und letztendlich nie getroffen. R. G. war in den Jahren 1936 und 1937 mehrfach

44 45 46 47

der Evangelisch-Theologischen Fakultät; Kürschner 1940/41, Bd. 2, Sp. 619–620, UAMs, Bestand 10, Nr. 379, Bestand 12, Nr. 282, Bestand 5, Nr. 356. UAMs, Bestand 5, Nr. 8. UAMs, Bestand 9, Nr. 1947. Vgl. Moritz 2007, S. 107. UAMs, Bestand 9, Nr. 1375, Promotionsordnungen der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät und der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, jeweils 1.4.1938. UAMs, Bestand 22, Nr. 3, Promotionsordnung, 28.7.1937.

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zu kurzen Haftstrafen wegen Beleidigung und Vergehen gegen § 175 Strafgesetzbuch (alte Fassung) verurteilt worden. Nachdem eine Vorladung des R. G. zu seiner Anhörung erfolglos blieb, weil entsprechende Anschreiben nicht zugestellt werden konnten, und nachdem seine Berufung im strafrechtlichen Verfahren keinen Erfolg hatte, wurde ihm am 30. September 1937 nicht wegen der Beleidigungsdelikte, sondern aufgrund der Verurteilung wegen Unzucht unter Männern der Doktortitel aberkannt.48 Ebenfalls im Jahr 1936 wurde J. R. wegen Unzucht mit einem Minderjährigen verurteilt. Zunächst wurde J. R. angehört, der sich gegenüber der Universität über seine Anwälte äußerte. Um gegen eine Aberkennung des Doktortitels zu argumentieren, verwiesen diese auf die verhängte, recht geringe Strafe von nur sechs Monaten Haft. Zu berücksichtigen sei ferner, dass der Minderjährige nur knapp unter 14 Jahre war, J. R. nervenleidend sei49 und durch seinen Bruder seine Ersparnisse verloren habe. Zudem sei die Hälfte der Strafe zur Bewährung ausgesetzt worden.50 Nach diesen Äußerungen wurde nicht der zuständige Ausschuss einberufen, sondern die Angelegenheit im Senat besprochen, der sich dafür aussprach, das Verfahren von R. G. abzuwarten und dann zu entscheiden.51 Weitere Unterlagen fehlen in den Akten, so dass zu vermuten ist, dass die Frage nach einer Aberkennung des Doktortitels von J. R. nachfolgend nicht mehr behandelt wurde. Im September und Oktober 1937 wurden in zwei weiteren Verfahren die Doktortitel wegen strafrechtlicher Verurteilung wegen Unzucht mit einem Mann entzogen. In beiden Fällen wurden die Betroffenen nicht von der Universität gehört und legten nach dem Beschluss Beschwerde beim REM ein, die jeweils zurückgewiesen wurde.52 Die Hintergründe, warum in manchen Fällen eine Anhörung vor der Entscheidung über die Aberkennung des Titels durchgeführt wurde, in manchen Fällen nicht, lassen sich anhand der Akten nicht rekonstruieren. Ob die Höhe der Haftstrafe, die Fakultät, an der der Betroffene promoviert worden war, die Person des Doktorvaters, die Tatsache, dass der Betroffene persönlich bekannt war, die Umstände der Verurteilung, seine politische Einstellung oder ähnliches eine Rolle spielten, oder ob die Entscheidung eher Zufall war, bleibt daher vielfach unbeantwortet. Eine gute Woche, nachdem R. G. der Doktortitel aberkannt worden war, tagte der zuständige Ausschuss am 9. Oktober 1937 erneut und entzog Dr. jur. Ernst Cohn den Doktorgrad. Cohn, der 1933 nach Paris emigriert war, wurde 1936 zusammen mit seinen Eltern wegen fortgesetzter Devisenvergehen steckbrieflich ge48 49 50 51 52

UAMs, Bestand 4, Nr. 1090. J. R. hatte bereits sein Studium wegen seines Nervenleidens unterbrechen müssen; UAMs, Bestand 4, Nr. 1090. UAMs, Bestand 33, Nr. 398. UAMs, Bestand 4, Nr. 1090. N. G.: UAMs, Bestand 33, Nr. 670, Bestand 4, Nr. 1090; C. P.: UAMs, Bestand 65, Nr. 3010, Bestand 4, Nr. 1090.

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sucht, wobei die einschlägigen Vorschriften, gegen die er verstoßen hatte, von ihrer Intention her gegen jüdische Emigranten gerichtet waren. Trotz der Auswanderung wurde der Titel nicht wegen § 2 des Gesetzes vom 14. Juli 1933 aberkannt, sondern wegen eines durch die Strafkammer Hamm festgestellten Vergehens, so dass der Ausschuss sich bemüßigt sah, seinen Entziehungsbeschluss ausführlicher zu begründen.53 Wäre die Aberkennung nicht wegen des anhängigen Strafverfahrens erfolgt, wäre sicherlich der Verlust der Staatsangehörigkeit als Begründung herangezogen worden. In den letzten Tagen des Jahres 1937 wurde der Reichserziehungsminister wiederum in Sachen Doktor- und Ehrendoktorgrade aktiv. Zum einen teilte er in einem Runderlass vom 27. Dezember 1937 mit, dass Entziehungsverfahren bei einer strafrechtlichen Verurteilung, die die Entziehung der bürgerlichen Ehrenrechte beinhaltete, nicht notwendig seien, da der Verlust der akademischen Grade gemäß § 33 Strafgesetzbuch kraft Gesetz eintrete. Zum anderen wies er am 31. Dezember 1937 darauf hin, dass die Aberkennung der Ehrendoktorwürde auch in den Fällen möglich sei, in denen die Ehrung vor 1933 nicht aus wissenschaftlichen Gründen erfolgte, sondern weil die Geehrten „massgeblich als Gegner der völkischen und nationalen Erstarkung hervorgetreten waren.“ Er forderte einen Bericht an, der, sofern bei den genannten Personen der Titel noch nicht entzogen war, hierfür eine gesonderte Begründung enthalten sollte.54 Zur an die Dekane weitergeleiteten Anfrage des Ministers meldeten die beiden Theologischen Fakultäten Rektor Walter Mevius55 Fehlanzeige; die PhilosophischNaturwissenschaftliche nannte Rudolf ten Hompel, dem die Ehrenpromotion aber bereits entzogen worden war. Längere Ausführungen machte der Dekan der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät, indem er die Ministerialrätin Helene Weber, den Staatssekretär Adolf Scheidt und den Ministerialdirektor Werner Richter56 anführte, denen die Ehrendoktorwürde im Rahmen der 150-Jahr-Feier der Universität Münster im Jahr 1930 verliehen worden war. Massivste Bedenken gegen ein Fortbestehen der Ehrenpromotion hatte der Dekan bei Werner Richter, der seinerzeit „die Universitätspolitik im Sinne der sozialdemokratischen Partei geleitet“ habe und mittlerweile ins Ausland emigriert sei. Die Bedenken gegen Helene Weber, deren Ehrenpromotion wie in den beiden anderen Fällen auch von Friedrich Werner Bruck57 initiiert worden war, milderte er demgegenüber in einem zweiten 53 54 55

56 57

UAMs, Bestand 4, Nr. 1090. Zu Ernst Cohn siehe Möllenhoff/Schlautmann-Overmeyer 1995, S. 77. UAMs, Bestand 4, Nr. 1089. Walter Mevius (1893–1975), 1935–1944 ordentlicher Professor für Botanik an der Universität Münster, 1937–1944 Rektor; Kürschner 1940/41, Bd. 2, Sp. 180–181, Klee 2003, S. 406, UAMs, Bestand 63, Nr. 181, Bestand 5, Nr. 697. Werner Richter 1962. Bruck wurde als „nichtarischer Beamter“ gemäß § 3 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933 (Reichsgesetzblatt 1933 I, S. 175–177) in den Ruhestand versetzt; UAMs, Bestand 10, Nr. 1074, Bestand 5, Nr. 22, Bestand 31, Nr. 3.

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Bericht an den Rektor ab.58 Der Rektor seinerseits ließ in seinem Bericht an das Ministerium Helene Weber und Adolf Scheidt unerwähnt und konzentrierte sich allein auf Werner Richter.59 Dennoch ist in keiner der im Universitätsarchiv Münster überlieferten Akten nachweisbar, dass Richter die Ehrendoktorwürde tatsächlich aberkannt worden wäre. Im Bundesarchiv findet sich ebenfalls kein Hinweis auf das Verfahren.60 Die weiteren in der ersten Hälfte des Jahres 1938 eingeleiteten Aberkennungsverfahren fielen im Ergebnis unterschiedlich aus, lassen aber, wie im Fall von Karl Barth, wohl hinreichend erkennen, dass politische Überlegungen durchaus eine Rolle bei der Beurteilung gespielt haben. So entschloss sich der zuständige Ausschuss, dem Zahnarzt H.  B., der wegen tätlicher Beleidigung – er hatte sich vor zwei Mädchen entblößt – verurteilt worden war, den Doktortitel zu belassen. Zur Begründung wurde neben dem wirtschaftlichen Ruin, vor dem er nach der Verurteilung stand, insbesondere die geringe Haftstrafe angeführt. In seinem Gnadengesuch, das H. B. der Fakultät zukommen ließ, wies er auf seine Mitgliedschaft in der NSDAP und in der SA hin, was sicherlich nicht ohne Wirkung blieb.61 Demgegenüber urteilte der Ausschuss im Juni 1938 sehr unnachgiebig, als er A. K. seines Doktortitels für verlustig erklärte, der bereits im Jahre 1923 zu einer Zuchthausstrafe von zwei Jahren und einer Geldstrafe, unter anderem wegen Diebstahls, verurteilt worden war. A.  K. legte gegen diese Entscheidung Beschwerde beim Minister ein und hatte Erfolg. Auf dem Gnadenweg genehmigte das Ministerium A. K., den Doktortitel weiterzuführen. Gleichzeitig wies es die Universität zurecht, denn „es ist, sofern nicht besondere Umstände politischer Art oder dergleichen vorliegen, nicht Sinn der neu eingeführten allgemeinen Möglichkeit, Unwürdigen den Doktortitel zu entziehen, um zeitlich derartig weit zurückliegende Vorfälle […] wiederaufzugreifen, jedenfalls dann nicht, wenn der Betreffende sich in der Zwischenzeit bewährt hat.“62 Auf Initiative der Gruppe Südwest der SA entzog die Universität im Juni 1938 den Doktortitel von Otto Weber. Weber war kurz vor der sogenannten Machtergreifung der Totschlag eines SA-Mannes zur Last gelegt worden, woraufhin er zu anderthalb Jahren Haft verurteilt worden war. Wahrscheinlich aufgrund der Erfahrungen, die die Universität im Fall A.  K. gemacht hatte, holte Rektor Mevius zunächst Erkundigungen über Weber bei der Gauleitung Westfalen-Nord ein, denn auch seine Verurteilung lag bereits einige Jahre zurück. Die Gauleitung bezeichnete Weber als „fanatischen“ Zentrumsanhänger, der von den Gegnern des Nationalso-

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UAMs, Bestand 30, Nr. 159. UAMs, Bestand 4, Nr. 1089. Auskunft des Bundesarchivs Berlin, Frau Langner, 25.10.2010. UAMs, Bestand 4, Nr. 1091. Ebd.

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zialismus als Märtyrer gefeiert werde. Den Gesamtvorgang übersandte der Rektor nach dem Aberkennungsbeschluss an den REM.63 Über das Ministerium erhielt der Rektor im Oktober 1938 Nachricht davon, dass Rudolf Quast, einem Absolventen der Philosophischen Fakultät die deutsche Staatsangehörigkeit aberkannt worden war. Das Ministerium forderte die Universität daher auf, ihm den Doktortitel zu entziehen, was diese im Januar 1939 tat und auch umgehend veröffentlichte.64 Im Frühjahr 1939 erinnerte sich die Evangelisch-Theologischen Fakultät wieder ihres Ehrendoktors Karl Barth. Dekan Schmidt stellte erneut einen Antrag auf Entziehung der Ehrenpromotion, die er damit begründete, dass Barth „in der Septemberkrise des vorigen Jahres in einer Weise gegen das deutsche Volk und dessen Führung Stellung genommen [hat], die ihn nicht mehr würdig erscheinen lässt, einen deutschen Ehrendoktortitel zu tragen.“65Außenpolitische Belange schienen keine Rolle mehr zu spielen, denn zügig und ohne Rücksprache mit dem Ministerium entzog der Ausschuss in seiner Sitzung am 5. Juni 1939 den Titel. Eine Beschwerde Barths wurde ausgeschlossen und die Entziehung bereits drei Tage nach der Beschlussfassung im Reichsanzeiger veröffentlicht.66 Ein längerer Entscheidungsprozess folgte im Verfahren zur Doktorgradentziehung im Falle des O. H. Es handelte sich um das einzige Verfahren, das aufgrund einer Anzeige eingeleitet wurde, die beim Dekan der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät im Dezember 1938 einging. In der bewussten Anzeige hieß es, O. H. sei wegen betrügerischen Bankrotts und anderer Betrugsdelikte verurteilt, und es wurde gebeten zu prüfen, ob ihm der Doktortitel entzogen werden könne. Ein Auszug aus dem Strafregister brachte eine Reihe von kleineren Vergehen ans Licht. Zudem ermittelte Rektor Mevius, dass O. H. angeblich das Parteiabzeichen getragen habe, ohne Parteimitglied zu sein – ein Vorwurf, der sich jedoch letztendlich nicht bestätigte. Der Rektor vertrat nach Abwägung aller Fakten schließlich die Auffassung, das Ausmaß der Straftaten reiche für einen Entzug der Doktorwürde nicht aus; der zuständige Ausschuss schloss sich im Juli 1939 seiner Meinung an.67 Wie das Verfahren zeigt, war es in der Öffentlichkeit durchaus bekannt, dass Doktortitel wieder entzogen werden konnten. Am 7. Juni 1939 beschloss die Reichsregierung das „Gesetz über die Führung akademischer Grade“,68 das nun nach den verschiedenen Erlassen des Reichserziehungsministers eine gesetzliche Handhabe für die Verleihung, aber auch für die Entziehung von Promotionen und Ehrenpromotionen bot. § 4 des Gesetzes bestimmte die Gründe für die Aberkennung, nämlich Täuschung, Unwürde bei Verleihung 63 64 65 66 67 68

UAMs, Bestand 9, Nr. 1375. UAMs, Bestand 4, Nr. 1092. Ebd., Dekan an Rektor, 30.3.1939. UAMs, Bestand 4, Nr. 1092. Ebd. Reichsgesetzblatt I 1939, S. 985.

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des Grades sowie Unwürde aufgrund des späteren Verhaltens des Titelinhabers. Die Aberkennung aufgrund § 2 des Gesetzes vom 7. Juli 1933 (Verlust der Staatsangehörigkeit) fand keine Erwähnung, ebenso wenig wie § 33 Strafgesetzbuch. Zuständig für die Aberkennung eines akademischen Grades war die Hochschule, die ihn verliehen hatte. Einige Wochen später, am 21. Juli 1939, erließ der Reichserziehungsminister eine erste Durchführungsverordnung,69 die die Zuständigkeit des Ausschusses aus Rektor und Dekanen für die Entscheidung über die Entziehung bestätigte. Eine zweite Durchführungsverordnung, auf die gleich noch einzugehen sein wird, folgte im März 1943. Zuvor wurden jedoch in Münster zwei weitere Doktortitel aberkannt, in einem dritten Fall erfolgte die Aberkennung per Gesetz. Nachdem Dr. phil. Fritz Hepner Anfang 1940 die deutsche Staatsangehörigkeit aberkannt worden war, entzog der zuständige Ausschuss der Universität Münster Hepner einige Wochen später den Doktortitel.70 Im Juni 1941 beantragte der Dekan der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät Kaser die Einberufung des Ausschusses, da ihm eine zweimalige Verurteilung von Dr. jur. J. S. bekannt geworden war. In beiden Prozessen wurde J.  S. wegen Homosexualität zu mehrmonatigen Gefängnisstrafen verurteilt. Warum der Ausschuss erst ein gutes Jahr nach Kasers Antrag zusammentrat und J. S. erst dann den Doktortitel entzog, lässt sich nicht ermitteln. Seine Beschwerde gegen diesen Beschluss wies der Reichserziehungsminister im September 1942 zurück.71 Die Aberkennung der Doktorwürde von Frau Dr. med. H. K. erfolgte im September 1942 aufgrund einer Verurteilung wegen Meineids, mit der der Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte verbunden war, schließlich aufgrund § 33 Strafgesetzbuch automatisch. In der Aktenüberlieferung der Universität Münster ist dieser Vorgang erst in der Nachkriegszeit dokumentiert.72 Eine erneute Veränderung der Rechtsgrundlagen ergab sich aus der eben schon angesprochenen zweiten Durchführungsverordnung zum Gesetz über die Führung akademischer Grade vom 29. März 1943.73 Diese Verordnung verschärfte die Praxis im Hinblick auf die ausgewanderten Promovenden entscheidend, da sie festlegte, dass gleichzeitig mit der Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit der Verlust eines von einer deutschen staatlichen Hochschule verliehenen akademischen Grades eintrat und dieser Verlust, sofern die Hochschule ihn nicht bereits ausgesprochen hatte, auch bei denjenigen automatisch erfolgte, denen die deutsche Staatsangehörigkeit schon zuvor entzogen worden war. Obwohl schon vor dieser Durchführungsverordnung das Recht der Hochschulen, Titel zu verleihen und zu entziehen, trotz des gegenteiligen Textes des Gesetzes über die Führung akademischer Grade durch die weitgehenden Erlasse des Reichserziehungsministers gerade 69 70 71 72 73

Ebd., S. 1326. UAMs, Bestand 4, Nr. 1092. UAMs, Bestand 33, Nr. 839, BAB, R 4901, Nr. 14897. Für den Hinweis sei Sebastian Felz gedankt. UAMs, Bestand 4, Nr. 176 (alt). Reichsgesetzblatt 1943 I, S. 168.

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im Hinblick auf die Emigranten bereits weitgehend ausgehöhlt worden war, wurden die aus Sicht des Regimes strafwürdigen Tatbestände nun nochmals unterstrichen beziehungsweise erweitert. Glücklicherweise hatten die neuen Regelungen der für die Universität Münster insofern keine Konsequenzen, als bei ihren Absolventen die Aberkennung der Staatsangehörigkeit nur in wenigen Fällen überhaupt vorkam. Nach dem Erlass der Verordnung wurden weitere ausgebürgerte Promovierte jedenfalls nicht aktenkundig. Bis zum Kriegsende traten noch zwei Aberkennungen von Doktortiteln aufgrund des Verlustes der bürgerlichen Ehrenrechte ein, die von der Universität Münster lediglich bestätigt wurden. Am 1. Juli 1947 wurde Dr. rer. pol. K. H. wegen Verstößen gegen die Kriegswirtschaftsverordnung zu einem Jahr und acht Monaten Zuchthaus verurteilt, wovon die Universität im September Nachricht erhielt und im gleichen Monat einen Ausschussbeschluss herbeiführte.74 Dr. jur. A.  S. wurde im August 1944 wegen sogenannter Volksschädlingstaten und Kriegswirtschaftsverbrechen zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt. Zur Behandlung des Falles trat der zuständige Ausschuss aus Rektor und Dekanen jedoch nicht mehr zusammen. Ob dies wirklich damit zusammenhing, wie es Rektor Herbert Siegmund75 in einem Vermerk vom 5. Januar 1945 darstellte, dass aufgrund der Verurteilung eine Zusammenkunft des Ausschusses gar nicht notwendig sei, oder ob ein Zusammenhang zur kriegsbedingten Verlagerung großer Teile der Universität aus Münster in andere Städte bestand und sich daher eine Zusammenkunft als äußerst schwierig erwiesen hätte, sei dahingestellt. Auf jeden Fall befand der Rektor, dass ein Beschluss des sogenannten Dreierausschusses ausreichend für die Feststellung des Doktorgradverlustes sei. Dieser Ausschuss tagte am 15. Januar 1945 und stellte die Aberkennung fest.76 Dem Dreierausschuss gehörten neben dem Rektor der Leiter der Dozentenschaft und der Studentenführer an.77

Die Nachkriegszeit Nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft wurden die in dieser Zeit erfolgten Doktor- beziehungsweise Ehrendoktorgradaberkennungen nicht generell 74 75

76 77

UAMs, Bestand 4, Nr. 178. Herbert Siegmund (1892–1954), 1942–1954 ordentlicher Professor für Allgemeine Pathologie und Pathologische Anatomie an der Universität Münster, 1944–1945 Rektor; Kürschner 1940/41, Bd. 2, Sp. 784, Klee 2003, S. 583, UAMs, Bestand 10, Nr. 3620, Bestand 52, Nr. 263, Bestand 5, Nr. 315. UAMs, Bestand 4, Nr. 178. In den Vorlesungsverzeichnissen des Sommersemesters 1944 und des Wintersemesters 1944/45 wird der Ausschuss nicht genannt, dafür jedoch im Vorlesungsverzeichnis des Wintersemesters 1943/44, S. 15. Leiter der Dozentenschaft war im Wintersemester 1944/45 Prof. Dr. Dörries, Vorlesungsverzeichnis Wintersemester 1944/45, S. 13, Studentenführer stud. rer. pol. Eberhard Schrage-Borbet, ebd., S. 34.

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hinterfragt. Eine Nichtigkeitserklärung für Unrechtsakte, wie sie beispielsweise der Senat der Universität Bonn im Oktober 1946 abgab, erließ die Universität Münster nicht.78 Auch eine Eingabe des Rektors der Universität Göttingen an den Wissenschaftsminister des Landes Niedersachsen auf Aufhebung der zweiten Durchführungsverordnung zum Gesetz vom 14. Juli 1933, der zumindest der Medizinischen Fakultät bekannt war, ging spurlos an der Universität Münster vorbei, vermutlich auch deshalb, weil Anfragen von Emigranten nicht vorlagen.79 Sicherlich gab es drängendere Probleme, als sich mit dem Thema Doktorgradaberkennungen zu befassen: die Wiedereröffnung der Universität, der Umgang mit den neuen Machthabern, die Unterbringung der Institute und Seminare, aber auch der Lehrenden und Lernenden im stark kriegszerstörten Münster sowie die massive wirtschaftliche Not, die sich in Nahrungsmittel-, Papier-, Heizstoff- oder Medikamentenmangel bemerkbar machte.80 Auch aufgrund dessen, dass den Aberkennungen in der Mehrzahl der Fälle eine strafrechtlichen Verurteilung vorausgegangen war, war eine Beschäftigung mit diesem Thema offensichtlich nicht das Gebot der Stunde. Aber auch nach Ablauf von mehreren Jahren wurden keine nennenswerten Initiativen in dieser Hinsicht ergriffen und somit auch keine allgemein gültigen Regelungen der Rehabilitierung getroffen, sondern jeder einzelne Fall begutachtet.81 Lediglich bei Karl Barth handelte die Universität von sich aus. In weiteren fünf Verfahren, die die Universität aufgriff, kam die Initiative von außen, entweder von den Betroffenen selbst oder von deren Angehörigen.82 So versuchte die Universität auch nicht, die emigrierten ehemaligen Universitätsangehörigen Ernst Cohn, Rudolf Quast und Fritz Hepner, denen der Doktortitel aufgrund der nationalsozialistischen Rassetheorie aberkannt worden war, ausfindig zu machen und sie zu rehabilitieren.83 Ein solcher Akt fand durch eine Erklärung der Westfälischen Wilhelms-Universität erst im Jahr 2000 statt.84 78

79 80 81 82

83 84

Forsbach 2003, S. 288. Der Begriff der Nichtigkeit entstammte einer Anweisung des Kultusministers Nordrhein-Westfalen und wurde durch Beschluss des Senats der Universität Bonn am 24.10.1946 übernommen. Diese Anweisung war auch der Universität Münster bekannt, UAMs, Bestand 51, E 19 f, Bd. 1 (Verfahren Weber), führte aber nicht zu einem Beschluss im Senat. UAMs, Bestand 51, E 19 f, Bd. 1, Schreiben des Rektors der Universität Göttingen an den Wissenschaftsminister, 21.11.1946. Zur Geschichte der Universität Münster in der unmittelbaren Nachkriegszeit vgl. Respondek 1995. Dieses Vorgehen deckt sich mit dem der Universität Bonn in der Frühphase nach dem Zweiten Weltkrieg, vgl. Forsbach 2003, S. 287. Auch an anderen Universitäten kam die Initiative zum Aufgreifen der Verfahren nicht von den Universitäten selbst, sondern von außen, so zum Beispiel an der Universität München, Harrecker, S. 183. Die Bemühungen um emigrierte Professoren blieben ebenfalls recht verhalten, vgl. Respondek 1995, S. 189–201. Text der Erklärung: http://www.uni-muenster.de/Rektorat/jb00/JB00G.HTM, Zugriff: 5.10.2010.

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Die erste, die sich nach dem Krieg an die Universität wandte, war die Medizinerin H. K., der schon vor Kriegsende 1944 die Wiederausübung ihres Berufes genehmigt worden war und der man durch Gerichtsurteil auch die bürgerlichen Ehrenrechte wieder zuerkannte. Nachdem sie im September 1945 ein Gesuch auf Wiederverleihung des Doktortitels gestellt hatte, in dem sie die aus dem Verlust des Titels resultierenden beruflichen Schwierigkeiten schilderte und der Dekan der Medizinischen Fakultät Adolf Kratzer85 im Oktober ein persönliches Gespräch mit ihr geführt hatte, erkannte der zuständige Ausschuss aus Rektor und Dekanen ihr den Titel im Januar 1946 mit einstimmigem Beschluss wieder zu.86 Noch zügiger erfolgte die Wiederzuerkennung der Graduierung zum Dr. phil. im Falle von Adalbert Brauer, der dies im November 1945 bei der Universität beantragte und schon einen Monat später eine positiven Bescheid erhielt. Brauer legte in seiner Antragsbegründung dar, dass er in nationalsozialistischer Zeit verfolgt worden sei und sich nur durch Simulation einer psychischen Krankheit habe retten können. Mittlerweile zum Landrat von Griesbach ernannt, fügte er seinem Schreiben verschiedene Empfehlungen und Zeugnisse insbesondere kirchlicher Würdenträger bei. Eine persönliche Befragung des Antragstellers wie im Fall von H. K. fand vor der Entscheidung des Ausschusses nicht statt.87 Zeitlich parallel wurden die ersten Promotionsordnungen der Nachkriegszeit erlassen. Die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät erließ am 1. Januar 1946 zwei Ordnungen, eine rechts- und eine wirtschaftswissenschaftliche, die im Hinblick auf die Entziehung von Titeln textgleich waren. Beide setzten als Zulassung zur Doktorprüfung die Würdigkeit des Kandidaten voraus, die er durch die Vorlage eines polizeilichen Führungszeugnisses nachweisen musste. Eine Entziehung war möglich, wenn dem Titelinhaber Täuschung im Promotionsverfahren nachgewiesen werden konnte oder irrtümlich wesentliche Promotionsvoraussetzungen als gegeben angenommen wurden. Zudem konnte ein Entzug aufgrund nachträglicher Unwürde erfolgen. Insoweit knüpften die Regelungen an die älteren Bestimmungen an. Zuständig für die Entziehung war nun aber nicht mehr der Ausschuss aus Rektor und Dekanen, sondern allein die Fakultät. Für eine Beschwerde, die innerhalb von vier Wochen eingelegt werden konnte, war auch nicht mehr der Minister, sondern der Senat der Universität zuständig.88 Beide Ordnungen hatten Einfluss auf 85

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Adolf Kratzer (1893–1983), 1922–1962 ordentlicher Professor für Theoretische Physik an der Universität Münster, 1935–1942 Dekan der Philosophischen Fakultät; UAMs, Bestand 92, Nr. 90, Bestand 207, Nr. 261. UAMs, Bestand 4, Nr. 176 (alt), Bestand 51, E 19, Bd. 1. UAMs, Bestand 4, Nr. 176 (alt). Von Adalbert Brauer gibt es einen Nachlass im Institut für Personengeschichte in Bensheim. Dieser enthält insbesondere von ihm zusammengetragene Materialien zu historischen Themen. Persönliche Unterlagen finden sich lt. freundlicher Auskunft von Dr. Volkhard Huth kaum darin, vor allem nicht zu seinen Verurteilungen und zu dem Verfahren um Ab- und Wiederzuerkennung des Doktorgrades. UAMs, Bestand 30, Nr. 156.

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die später von den anderen Fakultäten erlassenen Promotionsordnungen, worauf gleich noch zurückzukommen ist. Die Initiative, Karl Barth den Ehrendoktortitel wiederzuerkennen, ging von der Evangelisch-Theologischen Fakultät aus, die auch zuvor das Aberkennungsverfahren forciert hatte. Auf Antrag ihres Dekans tagte der zuständige Ausschuss im Februar 1946 und beschloss einstimmig die Wiederzuerkennung der Ehrendoktorwürde, worüber Barth umgehend informiert wurde.89 Der Brief an Barth ist in seiner Formulierung interessant, da durch sie eine Distanz zwischen den „Nazis“ und den Mitgliedern der Universität Münster aufgebaut wird: „Damit soll die Schuld getilgt werden, die die Nazis an einem hervorragenden Gelehrten, an einem edlen Charakter und an einem mutigen Kämpfer begangen haben.“ Dass die Universität Münster die Entziehung der Ehrenpromotion betrieben hatte und für diese Maßnahme verantwortlich gewesen war, sollte auf diese Weise wohl kaschiert werden. Über die Wiederzuerkennung der Ehrenpromotion wurde auch umgehend die Öffentlichkeit mittels einer Pressemitteilung informiert, nicht ohne das Antwortschreiben Barths zu zitieren, in dem dieser versicherte: „Seien Sie gewiss, dass ich die mir später zuteil gewordene Absage nie ernst genommen und also auch nie aufgehört habe, mich als Doktor von Münster zu betrachten […].“90 Im Rahmen der an verschiedenen Universitäten eingehenden Anträge auf Wiederverleihung von in nationalsozialistischer Zeit entzogenen Titeln gerieten schließlich auch die in dieser Zeit verliehenen Titel in das Blickfeld der Politik. Der Landestag Nordrhein-Westfalen bat den zuständigen Kultusminister durch eine Entschließung vom 4. Dezember 1946 um Überprüfung, welche Dissertationen Thesen und Behauptungen der nationalsozialistischen Weltanschauung in „anstößiger Weise“ zum Inhalt hatten, eine Bitte, die der Kultusminister zur Bearbeitung an die Universitäten weiterreichte. Von Seiten der Universität Münster wurde als einziger Fall die Promotion von Albert Derichsweiler genannt, der von 1934 bis 1936 Reichsführer des NSDStB gewesen war, zuvor (1933) als Führer der Studentenschaft und Hochschulgruppenführer des NSDStB in Münster fungiert hatte91 und am 1. Dezember 1938 von der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät promoviert worden war. Eine Aberkennung seines Titels erfolgte aber offensichtlich nicht, denn noch im Jahr 1966 bestätigte ihm die Universität die Promotion.92 Am 1. Mai 1947 erließ die Medizinische Fakultät eine neue Promotionsordnung, die im Wesentlichen die Regelungen der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät übernahm, vor einer Entziehung des Doktortitels wegen Unwürde jedoch dem Betroffenen die Möglichkeit zur Äußerung einräumte. Verleihung und Entzie89 90

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UAMs, Bestand 18, Nr. 12. UAMs, Bestand 9, Nr. 1375. Diese Presseerklärung scheint wenig Wirkung entfaltet zu haben, denn der Oberpräsident von Westfalen mahnte im Juni 1946 eine Bekanntgabe der Rehabilitierung Barths in der Presse an. Grüttner 2004, S. 38–39, Pöppinghege 1994, S. 209–214, Vieten 1982, S. 330, 340. UAMs, Bestand 33, Nr. 1069.

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hung eines Doktortitels waren nun auch hier reine Fakultätsangelegenheit.93 Bereits kurze Zeit später sollte diese neue Promotionsordnung zur Anwendung kommen. Otto Weber, dem die Universität Münster 1938 aufgrund seiner Verurteilung wegen „Notwehrexzess“ gegen einen SA-Mann den Doktortitel aberkannt hatte, hatte die Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft nicht überlebt. Er war im Konzentrationslager Buchenwald interniert und dort 1940 umgebracht worden. Nach dem Krieg beantragte der Bonner Jurist Dr. Heinrich Kiwit, ein Verwandter Webers, im Namen der Familie im August 1947 seine Rehabilitierung. Rektor Emil Lehnartz94 reichte den Antrag an die Medizinische Fakultät mit dem Hinweis auf ihre Zuständigkeit weiter. Der Dekan bat daraufhin seine Fakultätskollegen um Zustimmung, die Entziehung des Doktortitels von Otto Weber für nichtig zu erklären. Dieser Bitte folgten uneingeschränkt nur die Professoren Karl Wilhelm Jötten und Carl Moncorps,95 während alle anderen Professoren eine Überprüfung der von Kiwit gemachten Aussagen forderten.96 Auf diese Weise scheint das Verfahren im Sande verlaufen zu sein, denn weitere Äußerungen Kiwits sind den Akten nicht zu entnehmen, ebenso wenig wie eine endgültige Entscheidung der Fakultät. Als ausgesprochen langwierig gestaltete sich die Beurteilung eines Antrages von K.  H. bei der Philosophischen Fakultät auf Aufhebung des Aberkennungsbeschlusses, den seine Rechtsanwälte im Januar 1948 in seinem Namen stellten. Hintergrund des Antrages war, dass seine strafrechtliche Verurteilung von 1943, die einen Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte einschloss, 1947 aufgehoben worden war. Die Zuchthaus- war in eine Gefängnisstrafe umgewandelt und der Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte rückgängig gemacht worden. Akten zur Promotion und Depromotion waren an der Universität Münster nicht auffindbar, so dass umfangreiche Erkundigungen bei den Rechtsanwälten, aber auch bei der Universität Erlangen, von der K.  H. ebenfalls promoviert worden war, eingezogen wurden. Schon die Frage, welche Stelle innerhalb der Universität für die Entscheidung über den Antrag zuständig sei, wurde unterschiedlich beurteilt. Hans J. Wolff,97 der von der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät mit einem generellen Gutachten beauftragt worden war, sah immer noch die Zuständigkeit des Ausschusses aus Rektor und Dekanen für die Aberkennung eines Titels und die Zuständigkeit des 93 94

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UAMs, Bestand 9, Nr. 333. Emil Lehnartz (1898–1979), 1939–1946 außerordentlicher, 1946–1966 ordentlicher Professor für Physiologische Chemie an der Universität Münster, 1946–1949 Rektor; Kürschner 1940/41, Bd. 2, S. 37–38, Klee 2003, S. 363, UAMs, Bestand 52, Nr. 273, Bestand 207, Nr. 327. Carl Moncorps (1806–1952), 1938–1952 ordentlicher Professor für Haut- und Geschlechtskrankheiten an der Universität Münster; Kürschner 1940/41, Bd. 2, Sp. 212, Klee 2003, S. 415, UAMs, Bestand 10, Nr. 3582, Bestand 52, Nr. 1, Bestand 5, Nr. 417. UAMs, Bestand 51, E 19 f, Bd. 1. Hans Julius Wolff (1989–1976), 1946–1967 ordentlicher Professor für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie an der Universität Münster; UAMs, Bestand 31, Nr. 172, Bestand 207, Nr. 417.

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Ministers für die Beschwerde des Betroffenen gegeben, wohingegen die Promotionsordnung der Philosophischen Fakultät eine Zuständigkeit eben dieser Fakultät festlegte. Während die Universität Erlangen Mitte 1949 entschied, dass K. H. den dortigen Doktortitel nicht mehr führen dürfe, stellte sich in Münster heraus, dass er nicht von der Philosophischen, sondern von der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät zum Dr. rer. pol. promoviert worden war. Wolff, der ein weiteres Gutachten erstellte, kam nun zu dem Schluss, dass K. H. aufgrund der Aufhebung des Ehrverlustes durch das Landgericht München zwar wieder berechtigt sei, den Doktortitel zu führen, es andererseits wegen der angeordneten Haftstrafe von einem Jahr Gefängnis aber möglich sei, ihm den Titel erneut zu entziehen. Hierfür war nach Auffassung Wolffs immer noch der Ausschuss aus Rektor und Dekanen zuständig, den Rektor Franz Beckmann98 dann auch im Januar 1950 einberief. Über den Ausgang dieser Sitzung sowie einer weiteren, die für den Januar 1952 angesetzt wurde, liegen keinerlei Informationen vor. Erst im Januar 1954 beschäftigte sich der Rektor ein weiteres Mal mit dem Fall und holte Erkundigungen über K.  H. ein, der zwischenzeitlich nicht mehr in Konflikt mit dem Gesetz gekommen war. Zudem ermittelte er, dass der Ehrverlust gemäß § 373 Strafprozessordnung nicht rückgängig gemacht werden konnte, sondern die Strafmilderung 1947 aufgrund des Zweiten Gesetzes zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Strafrechtspflege vom 19. Januar 1946 erfolgt war. Da Karl Peters,99 der vom Dekan der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät um Rat gefragt wurde, ebenfalls wie zuvor schon Wolff zu der Beurteilung kam, dass K. H. berechtigt sei, den Doktortitel zu führen, und darüber hinaus einer erneuten Aberkennung ablehnend gegenüber stand, beantragte der Dekan eine weitere Einberufung des Ausschusses aus Rektor und Dekanen. Der Ausschuss entschied in seiner Sitzung am 10. Mai 1954 endgültig, K. H. wegen der Zeitdauer des Verfahrens und seines inzwischen recht hohen Lebensalters den Titel zu belassen.100 Ein letztes Mal beschäftigte sich die Universität im Fall von R. G. mit der Frage nach einer Wiederzuerkennung eines in nationalsozialistischer Zeit aberkannten Doktortitels, dieses Mal mit negativem Ergebnis. Im Oktober 1952 bat R. G. die Philosophische Fakultät um Ausfertigung eines gültigen Abschrift seines Doktordiploms und führte in seinem Schreiben an den Dekan aus, er sei 1936 aus politischen Gründen ins Ausland geflüchtet und 1940 bis 1945 im Konzentrationslager Dachau interniert gewesen. Nach Einsicht in die Promotionsakte teilte der Dekan R. G. mit, die Universität habe ihm 1937 der Doktortitel zu Recht entzogen.101 1954 98

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Franz Beckmann (1895–1966), 1931–1963 ordentlicher Professor für Klassische Philologie an der Universität Münster, 1946–1947 Dekan der Philosophischen Fakultät, 1949–1951 Rektor; Kürschner 1940/41, Bd. 1, Sp. 83–84, UAMs, Bestand 5, Nr. 852. Karl Peters (1904–1998), 1946–1962 ordentlicher Professor für Strafrecht und Strafprozessrecht an der Universität Münster; UAMs, Bestand 10, Nr. 5468, Bestand 207, Nr. 74. UAMs, Bestand 4, Nr. 178 (alt), Bestand 33, Nr. 104. UAMs, Bestand 62, Nr. 48.

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wurde R. G. erneut wegen Homosexualität verurteilt, wobei sich am Ende dieses Verfahrens herausstellte, dass er den Titel zuvor weitergeführt hatte, weshalb wegen unberechtigten Führens eines akademischen Titels nun ein weiteres Strafverfahren gegen ihn eingeleitet wurde. Daraufhin legte R.  G. gegen die Doktorgradentziehung Beschwerde ein, die die Universität mit dem Hinweis auf die Beschwerdemöglichkeit beim zuständigen Kultusminister zurückwies. Gegenüber dem Minister argumentierte der Rektor, dass R. G. das Strafurteil von 1954 nicht angefochten habe, so dass Zweifel an einer politischen Verfolgung in nationalsozialistischer Zeit bestünden. Der ablehnende Bescheid, den der Minister daraufhin erteilte, konnte R. G. erst knapp zwei Jahre später zugestellt werden, da er mittlerweile unbekannt verzogen war.102 In der Zeit zwischen Oktober 1948 und Juli 1949 erließen mit Ausnahme der Katholisch-Theologischen Fakultät alle Fakultäten neue Promotionsordnungen,103 erneut auch die Medizinische Fakultät, die bereits im Mai 1947 eine neue Ordnung verabschiedet hatte. Diese Ordnungen nahmen die Regelungen, die bereits von der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät bezüglich der Aberkennung von Doktortiteln getroffen worden waren, auf und folgten damit nicht der bereits erwähnten Auffassung von Wolff, wonach für die Entziehung der Ausschuss von Rektor und Dekanen zuständig sei, sondern legten eine Zuständigkeit der jeweiligen Fakultät fest. Völlig außer Acht gelassen wurde ein Gutachten, dass Arthur Wegner104 in einem neuen Aberkennungsverfahren erstellt hatte und dass auch dem Gutachten von Wolff widersprach. Wegner sah keine gesetzliche Grundlage dafür gegeben, dass die Universitäten von sich Doktorgrade aberkennen können, da er das Gesetz über die Führung akademischer Grade vom 7. Juni 1939 für ungültig hielt. Nach seiner Auffassung war eine Aberkennung nur aufgrund einer Verfügung eines Strafgerichts gemäß §§ 32, 33 Strafgesetzbuch möglich.105 Mit seiner sehr detaillierten Begründung, weshalb den Universitäten damit die Möglichkeit der Entziehung eines einmal verliehenen Titels nicht zustehe, konnte sich Wegner aber offensichtlich nicht durchsetzen, denn auch andere Universitäten verfügten die Aberkennung von Doktortiteln, wie im Fall von K. H. zu sehen war. Die einzige Fakultät, die dem allgemeinen Trend, weiterhin Titel zu entziehen, nicht folgte, war die Katholisch-Theologische. Im Hochschulführer des Jahres 1949 wird als maßgebliche Promotionsordnung die von 1913 genannt, die eine Entziehung nicht 102 103

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UAMs, Bestand 4, Nr. 178 (alt). Promotionsordnung der Philosophischen Fakultät vom 15.10.1948, der Medizinischen Fakultät vom 17.3.1949, der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät getrennt nach juristischem und wirtschaftswissenschaftlichem Doktorgrad jeweils vom 17.7.1949, der Evangelisch-Theologischen Fakultät vom 20.7.1949. Alle Ordnungen finden sich zusammen mit den Studienordnungen, teilweise im Auszug oder als Entwurf, in: Knobelsdorff 1949, S. 39–158. Arthur Wegner (1901–1989), 1946–1963 ordentlicher Professor für Strafrecht und Strafprozessrecht an der Universität Münster; UAMs, Bestand 31, Nr. 169, Bestand 5, Nr. 364. UAMs, Bestand 4 Nr. 176 (alt), Gutachten Wegner, 2.3.1949.

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vorsah.106 Damit wurde dem Umstand Rechnung getragen, dass der Doktorgrad dieser Fakultät zugleich auf päpstlicher Bevollmächtigung beruht, wie sie anlässlich der geforderten Änderung der Promotionsordnung im Jahr 1933 ausgeführt hatte. Von der Möglichkeit, Doktortitel zu entziehen, wurde nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges weiterhin Gebrauch gemacht. Für den Zeitraum von 1947 bis 1960 beschäftigte sich die Universität Münster in 23 Fällen mit der Frage, ob die Aberkennung des Titels berechtigt sei. In zwölf Fällen wurde das Aberkennungsverfahren wegen Freispruch beziehungsweise einer Geldstrafe107 oder Geringfügigkeit der verhängten Strafe nicht eingeleitet.108 Die verhängten Strafen variierten dabei zwischen zwei Wochen und drei Monaten Gefängnis, in der Hälfte der Verfahren handelte es sich um Verkehrsdelikte. Lediglich in einem dieser zwölf Verfahren fiel die verhängte Bewährungsstrafe mit neun Monaten wegen fortgesetzter Untreue recht hoch aus. Dem Titelinhaber wurde hier aber die Notlage, in der er sich befand, sowie sein hohes Alter zugutegehalten.109 In zwei weiteren Fällen ist den Akten nicht zu entnehmen, ob das Anerkennungsverfahren eingeleitet wurde oder nicht.110 In den übrigen neun Fällen fiel die Entscheidung nach Einleitung des Aberkennungsverfahrens unterschiedlich aus. Lediglich in drei Verfahren wurde der Titel von der Universität entzogen.111 In einem Fall erfolgte die Entziehung automatisch wegen Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte.112 In vier Verfahren wurde der Titel nicht aberkannt;113 in einem weiteren Fällen ist eine Entscheidung den Akten nicht zu entnehmen,114 vermutlich ist mithin keine Entziehung erfolgt. Den insgesamt acht Aberkennungsverfahren ist gemeinsam, dass sich die Fakultäten oft unter Beteiligung des Rektors intensiv mit den Strafverfahren beschäftigten. Die zugrunde gelegten Beurteilungsmaßstäbe fielen jedoch relativ unterschiedlich aus, wie an zwei Beispielen erläutert werden soll. So wurde H. P., der 1949 wegen Ur106 107

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Knobelsdorff 1949, S. 43–46. In vier Strafverfahren (J. J., H. K., H. W., F. W.) erfolgte eine Freispruch beziehungsweise eine Geldstrafe: UAMs, Bestand 4 Nr. 176 (alt) und Nr. 178 (alt), Bestand 51, E 19 f, Bd. 1. UAMs, Bestand 4, Nr. 177 (alt) sowie Bestand 51, E 19 f, Bd. 1, 2 und 4, Verfahren L. L., H. W., T. F., R. O., H. B., W. N., M. S., G. R., H. S., F. W. UAMs, Bestand 4, Nr. 177 (alt), Verfahren H. B. UAMs, Bestand 4, Nr. 178 (alt), Bestand 65, Nr. 2834, Bestand 51, E 19 f, Bd. 1, Verfahren F. T., H. B. UAMs, Bestand 4, Nr. 177 (alt), Bestand 51, E 19 f, Bd. 2, Bestand 65, Nr. 2274, Verfahren H. P., A. W., O. R. UAMs, Bestand 4, Nr. 178 (alt), Bestand 30, Nr. 543, Verfahren E. P. UAMs, Bestand 4, Nr. 176 (alt) und Nr. 178 (alt), Bestand 51, E 19 f, Bd. 2, Bestand 30, Nr. 543, Bestand 65, Nr. 2274, Verfahren G. S., H. S., W. M. H. S. wurde zweimal strafrechtlich verfolgt, in den Jahren 1954/55 sowie 1962/63, jeweils wegen anderer Delikte. In beiden Fällen entschied sich die Universität, ihm den Doktortitel zu belassen, obwohl die zweite Haftstrafe mit anderthalb Jahren Gefängnis relativ hoch ausfiel. UAMs, Bestand 4, Nr. 177 (alt), Bestand 51, E 19 f, Bd. 1, Bestand 11, Nr. 41, Bd. 2. Verfahren R. U.

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kundenfälschung zu drei Monaten Gefängnis verurteilt worden war, dem aber die Freiheitsstrafe aufgrund des Straffreiheitsgesetzes erlassen wurde, der Doktortitel der Philosophischen Fakultät unter anderem mit der Begründung aberkannt, dass gegen ihn mittlerweile ein weiteres Verfahren laufe, obwohl er in diesem zweiten Verfahren teilweise freigesprochen wurde.115 W. M., der 1955 wegen fortgesetzter Untreue in Tateinheit mit fortgesetztem Betrug zu acht Monaten Gefängnis und einer Geldstrafe verurteilt wurde, beließ die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät den Dr. rer. pol., weil sie ansonsten die Gefahr seiner wirtschaftliche Existenzgefährdung für gegeben hielt.116 Da die Beschlüsse über die Entziehung des Doktorgrades nicht selten anhand der Strafakten begründet wurden, geben diese Begründungen lediglich die Ergebnisse von Beratungen wieder. Ob jedoch diese Begründungen auch die tatsächlichen Gründe wiedergeben, kann anhand der Akten nicht beurteilt werden.

Fazit Während der nationalsozialistischen Herrschaft wurden von der Universität Münster oder durch Gesetz 14 Doktorgrade und zwei Ehrenpromotionen aberkannt, wobei ein Doktortitel durch den Reichserziehungsminister auf dem Gnadenwege wieder zuerkannt wurde. Ein Verfahren wurde nicht eingeleitet, obwohl das zunächst vorgesehen war, in zwei Fällen entschied sich der zuständige Ausschuss aus Rektor und Dekanen wegen Geringfügigkeit der begangenen Straftaten gegen eine Entziehung des Doktortitels. Von den 13 Doktortiteln, die letztendlich entzogen wurden, erfolgte in zwei Fällen die Entziehung wegen Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit, in einem weiteren Fall war die Emigration eines jüdischen Juristen und die damit einhergehenden Verstöße gegen Devisenvorschriften Hintergrund der Aberkennung. Die anderen elf Aberkennungen wurden mit der strafrechtlichen Verurteilung des Promovierten begründet, wobei in mehreren Fällen die Entziehung aufgrund des Verlustes der bürgerlichen Ehrenrechte per Gesetz eintrat und von der Universität lediglich bestätigt werden musste. Häufigste Verurteilungsgründe waren Homosexualität und wirtschaftliche Delikte. In einem Fall war die Tötung eines SA-Mannes und die Gegnerschaft zum nationalsozialistischen Regime Grund der strafrechtlichen Verurteilung. Bei den beiden Aberkennungen einer Ehrenpromotion wurde die von Rudolf ten Hompel mit einer strafrechtlichen Verurteilung begründet, wobei ten Hompel seinen Titel bereits zuvor niedergelegt hatte. Im Falle Karl Barths basierte die Sanktion auf seinen antinationalsozialistischen Äußerungen. Die Vorgaben und Normen, die von Seiten des Reichserziehungsministers und der Reichsregierung erlassen wurden, wurden im Laufe der Zeit immer rigoroser 115 116

UAMs, Bestand 65, Nr. 2274, Bestand 4, Nr. 177 (alt). UAMs, Bestand 30, Nr. 543.

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und einschneidender, so dass der Beurteilungspielraum der einzelnen Universität immer geringer wurde. Noch bis zum Kriegsbeginn hatte die Universität Münster den Spielraum, ein Verfahren zur Doktorgradentziehung nicht einzuleiten, danach war das offenbar nicht mehr möglich. Die geringe Anzahl der Fälle, die an der Universität Münster verhandelt wurden, lässt leider keine so weitreichenden Schlüsse zu, wie sie für die Universität München gezogen werden konnten. Harrecker kommt in ihrer Untersuchung zu dem Fazit, dass die Chancen des Betroffenen, den Titel behalten zu können, stiegen, wenn er eine Gutachten einer externen Stelle vorlegen konnte. Dass es zunächst Handlungsspielräume noch gab, kann aber, wie bereits ausgeführt, bestätigt werden.117 Nach dem Krieg blieb also die Möglichkeit bestehen, Doktortitel wegen strafrechtlicher Verurteilungen zu entziehen. Dabei konnte die Entziehung zum einen automatisch aufgrund der Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte eintreten, zum anderen konnte sie aber auch aufgrund der Regelungen in den jeweiligen Promotionsordnungen durch die einzelnen Fakultäten erfolgen. Der Kultusminister des Landes Nordrhein-Westfalen verfügte mit Erlass vom 11. November 1957 nochmals ausdrücklich, dass der Runderlass des Reichserziehungsministers vom 27. Dezember 1937, wonach der Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte gleichzeitig die Aberkennung des Doktorgrades nach sich zieht, weiterhin in Kraft blieb.118 Erst durch die große Strafrechtsreform im Jahre 1969, die den bürgerlichen Ehrverlust abschaffte, verlor dieser Erlass seine Gültigkeit. Die Möglichkeit der Fakultäten, den Doktortitel aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung zu entziehen, besteht auch heute noch. Mit Ausnahme der Katholisch-Theologischen Fakultät sehen alle derzeit gültigen Promotionsordnungen der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster eine Entziehung vor. Den einschlägigen Akten, die das Universitätsarchiv verwahrt werden, ist jedoch zu entnehmen, dass im Laufe der 1960er-Jahre immer seltener von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht wurde. Eine aktuelle Statistik, wie häufig Doktorgrade nach 1960 wieder entzogen werden, gibt es allerdings nicht. Heute scheint die Maßnahme kaum mehr eine Rolle zu spielen. In der Gesamtschau ist festzustellen, dass die Entziehung von Doktor- und Ehrendoktortiteln keine „Erfindung“ des nationalsozialistischen Regimes war, sondern schon vorher der universitären Rechtsordnung angehörte. In nationalsozialistischer Zeit wurde dieses Instrument jedoch bewusst zur Verfolgung politisch Andersdenkender und „rassisch“ als minderwertig Beurteilter verwendet, wobei zwar nicht in Münster, sehr wohl aber insgesamt in Deutschland ein Fokus auf den Emigranten lag. Darüber hinaus war der Titelentzug ein Instrument zur Maßregelung Straffälliger, deren Verurteilung jedoch ebenfalls einen politischen oder „rassischen“ Hintergrund haben konnte. Hierauf lag in Münster der Schwerpunkt der durchgeführten Aberkennungsverfahren; aufgrund der geringen Anzahl von jüdischen Absolventen spielte die Aberkennung des Titels wegen Verlust der deutschen 117 118

Vgl. Harrecker 2005, S. 137–138. UAMs, Bestand 62, Nr. 48.

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Staatsangehörigkeit eine untergeordnete Rolle. Die Komponente der Würdigkeit und des Ausschlusses strafrechtlich Verurteilter blieb in Münster mit Ausnahme der Katholisch-Theologischen Fakultät bis heute bestehen. Allerdings scheint die praktische Umsetzung dieser Möglichkeit vor allem in der unmittelbaren Nachkriegszeit vorgenommen worden zu sein. Später wurde immer seltener davon Gebrauch gemacht.

Literatur Abel, Christian, Aberkennung von Doktorgraden an der Universität Rostock 1933–1945, Bakkalaureus-Arbeit Rostock 2008. Bautz, Friedrich Wilhelm, Dehn, Günther, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon 1 (1990), Sp. 1242–1248. Blecher, Jens, Vom Promotionsprivileg zum Promotionsrecht. Das Leipziger Promotionsrecht zwischen 1409 und 1945 als konstitutives und prägendes Element der akademischen Selbstverwaltung, Diss. Leipzig 2006, http://nbn-resolving.de/ urn/resolver.pl?urn=nbn%3Ade%Agbv%3A3-000009944, Zugriff: 19.9.2010. Forsbach, Ralf, „Des Tragens eines deutschen akademischen Grades unwürdig“. Der Entzug von Doktorgraden während des Nationalsozialismus und die Rehabilitierung der Opfer am Beispiel der Universität Bonn, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 67 (2003), S. 284–299. Fritsch, Corinna, Rudolf ten Hompel (1878–1948). Aus dem Leben eines westfälischen Industriellen und Reichstagsabgeordneten (Villa ten Hompel. Schriften 2), Münster 2002. Grothmann, Detlev, Schreiber, Georg, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon 9 (1995), Sp. 924–926. Grüttner, Michael, Biographisches Lexikon zur nationalsozialistischen Wissenschaftspolitik (Studien zur Wissenschafts- und Universitätsgeschichte 6), Heidelberg 2004. Grüttner, Michael, Studenten im Dritten Reich, Paderborn 1995. Happ, Sabine, Politisch und nicht politisch motivierte Aberkennung von akademischen Graden. Eine Auswertung der Rundschreiben deutscher Universitäten in der NS-Zeit, in: Dies./Nonn, Ulrich (Hg.), Vielfalt der Geschichte. Lernen, Lehren und Erforschen vergangener Zeiten. Festgabe für Ingrid Heidrich zum 65. Geburtstag, Berlin 2004, S. 283–296. Happ, Sabine, „Streng vertraulich“. Das Verfahren zur Aberkennung des Ehrendoktor von Karl Barth an der Universität Münster (1936–1939), in: Westfälische Forschungen 61 (2011), S. 345–363.

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Aberkennung von Doktorgraden

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Schöck, Thomas A. (Hg.), Aberkennung der Doktorwürde an der Universität Erlangen in der Zeit des Nationalsozialismus. Dokumentation der Gedenkakte der Medizinischen Fakultät und des Fachbereichs Rechtswissenschaft und Aberkennungen an der Theologischen und der Naturwissenschaftlichen Fakultät (Akademische Reden und Kolloquien 29), Erlangen, Nürnberg 2010. Schupp, Volker, Zur Aberkennung der akademischen Grade an der Universität Freiburg. Bericht aus den Akten, in: Freiburger Universitätsblätter 86 (1984), S. 9–19. Szöllösi-Janzi, Margit/Freitäger, Andreas, „Doktorgrad entzogen!“ Aberkennungen akademischer Titel an der Universität Köln 1933 bis 1945, Nümbrecht 2005. Thieler, Katharina, „[…] des Tragens eines akademischen Grades unwürdig.“ Die Entziehung von Doktortiteln an der Georg-August-Universität Göttingen im „Dritten Reich“, 2. erw. Aufl. Göttingen 2006. Universität Würzburg (Hg.), Die geraubte Würde. Die Aberkennung des Doktorgrads an der Universität Würzburg 1933–1945 (Beiträge zur Würzburger Universitätsgeschichte 1), Würzburg 2011. Vieten, Bernward, Medizinstudenten in Münster. Universität, Studentenschaft und Medizin 1905 bis 1945 (Pahl-Rugenstein Hochschulschriften. Gesellschaftsund Naturwissenschaften 87), Köln 1982. Vorlesungsverzeichnisse der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster Wintersemester 1943/44 – Wintersemester 1944/45. Werner Richter, in: Munzinger Archiv online (Internationales Biographisches Archiv 29/1962 vom 9. Juli 1962), http://online.munzinger.de/search/portrait/ werner+richter/0/8023.html, Zugriff: 11.10.2010. Wischnath, Johannes Michael, Die Universität Tübingen und die Entziehung akademischer Grade im Dritten Reich, in: Wiesing, Urban/Brintzinger, KlausRainer/Grün, Bernd/Junginger, Horst/Michl, Susanne (Hg.), Die Universität Tübingen im Nationalsozialismus (Contubernium. Tübinger Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 73), Stuttgart 2010, S. 999–1053. Wittern-Sterzel, Renate/Frewer, Andreas, Aberkennung der Doktorwürde im „Dritten Reich“. Depromotionen an der Medizinischen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen (Erlanger Forschungen. Sonderreihe 12), Erlangen 2008.

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Studierende an der Universität Münster 1920 bis 1960 Dieser Beitrag befasst sich mit der Entwicklung der Studierendenschaft an der Universität Münster und ihrer sozialen Zusammensetzung. So wird zunächst der Frage nachgegangen, wie sich unter wechselnden ökonomischen und politischen Rahmenbedingungen die Zahl der männlichen und weiblichen Studierenden in den verschiedenen akademischen Disziplinen verändert hat. Daran anschließend wird die soziale Herkunft der Studierenden und das Studienverhalten untersucht. Schließlich wird der Mitgliedschaft der Studierenden in NS-Organisationen besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Im Unterschied zu Studien, die sich mit den Veränderungen der institutionellen Struktur der Hochschule befassen, kann mit Hilfe quantifizierender Analysen der Studierendenschaft untersucht werden, wie die so veränderten Strukturen einer Hochschule von den Studierenden ganz unterschiedlicher Provenienz „genutzt“ wurden. So steht die Aufnahme eines Studiums im Kontext von Bildungsentscheidungen, die Jugendliche beziehungsweise junge Erwachsene aber auch deren Eltern treffen. Diese Entscheidungen sind einerseits biographisch eingebettet; sie sind mit spezifischen Schulerfahrungen aber auch mit Vorstellungen und Erwartungen an den weiteren Lebens- und Berufsweg verknüpft. Andererseits sind diese Entscheidungen sozial eingebettet; sie sind im Kontext von kollektiv ausgebildeten Wirklichkeitsdeutungen und Strategien zu begreifen, indem versucht wird, den gesellschaftlichen Status einer sozialen Gruppe zu reproduzieren oder den Aufstieg in eine höhere soziale Gruppe zu erreichen.

Daten zur Studierendenschaft Das Rohmaterial dieser Analysen geht auf Daten der amtlichen Statistik für Preußen beziehungsweise das Deutsche Reich, auf das Datenhandbuch zur deutschen Bildungsgeschichte, auf Daten aus den einschlägigen Studien zur Studierendenschaft im Deutschen Reich1 beziehungsweise in Münster2 und schließlich auf Daten der Westfälischen Wilhelms-Universität zurück. Neben diesen Aggregatdaten, die summarisch über wichtige Strukturen und Trends Auskunft geben, wurde eine Zufallsstichprobe aus der Studierendenkartei gezogen. Diese Mikrodaten bieten jenseits der vorliegenden summarischen Aufbereitungen der amtlichen und 1 2

Grüttner 1995, Huerkamp 1996. Pöppinghege 1994, Respondek 1995.

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universitären Statistik die Möglichkeit, spezifische Zusammenhangshypothesen zu verfolgen. Die im Universitätsarchiv zugängliche Studierendenkartei umfasst verschiedene Typen von Karteikarten, die zwischen 1929 und 1951 für neu immatrikulierte Studierende angelegt und bei Rückmeldungen und Hochschulwechseln verändert beziehungsweise aktualisiert wurden. Die näherungsweise ermittelte Zahl von 17.500 vorhandenen Karteikarten ist recht gut mit einer geschätzten Zahl von cirka 16.500 Studienfällen vereinbar, die sich ergibt, wenn man den Durchschnittswert der jährlich immatrikulierten Studierenden in diesem Zeitraum durch eine angenommene Studiendauer (in Münster) von zehn Semestern dividiert. Vor dem Hintergrund dieser Abschätzung ist davon auszugehen, dass der vorliegende Bestand keine systematischen Lücken aufweist; auch anderweitig gibt es keine Hinweise auf systematische Verzerrungen. Aus diesem Datenmaterial wurde eine Zufallsstichprobe gezogen, die 1.355 Studierende umfasst. Bei der Kodierung wurde versucht, die für die Untersuchung wesentlichen Informationen der sich verändernden Kartentypen auszuschöpfen; somit lassen sich wichtige Eckdaten der Studierenden als Zeitreihe über den gesamten Zeitraum rekonstruieren; einzelne Informationen, wie zum Beispiel die Angaben zur Mitgliedschaft in diversen NS-Organisationen liegen nur für einen bestimmten Zeitraum vor. So wurden unter anderem folgende Angaben kodiert: Alter, Geschlecht, Konfession, Schulbildung, Abiturjahr, Jahr der Immatrikulation in Münster, erstes Studiensemester, Semesteranzahl mit Gebührenerlass, Stipendium beziehungsweise Sonderförderung, Mitgliedschaft in studentischen Verbindungen, Geburtsort, Wohnort der Eltern, Beruf des Vaters, Anzahl der Hochschulsemester, Fakultät, Berufsziel, Studienfach, Studienziel, Jahr des ersten Studiensemesters, Anzahl der auswärtigen Hochschulstandorte, Mitgliedschaft in NS-Organisation (NSDStB, NSDAP, SA, SS, HJ, BDM, NS-Frauenschaft, NSFK, NSKK, sonstige NS-Organisationen, teilweise mit Eintrittsjahr). Die Karten wurden soweit ersichtlich sowohl von Studierenden wie auch von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Hochschulverwaltung ausgefüllt. Es ist davon auszugehen, dass veränderliche Angaben wie zum Beispiel zur Mitgliedschaft in Organisationen in der Regel nur zu Beginn des Studiums gemacht und bei der Rückmeldung nicht aktualisiert wurden.

1. Entwicklung der Studierendenzahlen Zunächst soll untersucht werden, wie sich die Größe und Zusammensetzung der Studierendenschaft in dem zu untersuchenden Zeitraum verändert und wie sich darin sowohl zeitgeschichtliche Einflüsse wie auch sich verändernde Qualifizierungsstrategien widerspiegeln.

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Studierende an der Universität Münster 1920 bis 1960

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Gesamtzahl der Studierenden Die Studierendenzahlen an der Universität Münster schwanken zwischen 1920 und 1950 zwischen 2.000 und 5.000 Studierenden. Die erheblichen Schwankungen der Immatrikulierten korrespondieren mit denen an den Universitäten des Deutschen Reiches beziehungsweise im Nachkriegsdeutschland und der jungen Bundesrepublik. Das legt den Schluss nahe, die Universität Münster als eine im Reichsmaßstab „normale“ Universität zu begreifen, die ganz ähnlichen Einflüssen unterlag wie auch die anderen Hochschulen. Nach ersten Einbrüchen in der ersten Hälfte der 1920er-Jahre kommt es in den 1930er-Jahren zu einem dramatischen Rückgang der Studierendenzahlen. Die besonders hohen Studierendenzahlen zu Beginn der 1920er-Jahre und der damit verbundene Einbruch Mitte der 1920er-Jahre hingen vor allem mit den Kriegsheimkehrern zusammen, die ihr Studium nun begannen beziehungsweise fortsetzten.3 Darüber hinaus trugen auch die wirtschaftliche Krise und die Inflation zum Rückgang der Studierenden bei. Für die rückläufigen Zahlen in den 1930er-Jahren führt Grüttner4 auf Reichsebene insbesondere drei Faktoren an: die Verringerung der Studienbereitschaft, die demographische Entwicklung und die gewachsene Attraktivität anderer Berufsfelder (zum Beispiel in der expandierenden Wirtschaft und in der Wehrmacht). Von geringerer Bedeutung waren nach seiner Einschätzung die Einführung der Arbeitsdienst- und Wehrpflicht, die die Aufnahme des Studiums verzögerten, der in den NS-Medien vorherrschende Antiintellektualismus und die rückläufigen Zahlen von jüdischen und von ausländischen Studierenden. Darüber hinaus ist ein überproportionaler Rückgang der weiblichen Studierenden zu beobachten.

3 4

Titze 1989, S. 210. Grüttner 1995, S. 104ff.

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Abb. 1: Studierendenzahlen im Deutschen Reich und in Münster 200000

10000 Studierende(UniversitätenDR/BRD)

180000

9000 StudierendeMünster

160000

8000

140000

7000

120000

6000

100000

5000

80000

4000

60000

3000

40000

2000

20000

1000

0

0

1905

1910

1915

1920

1925

1930

1935

1939

1950

1955

1960

1965

1970

Quelle: Eigene Berechnung nach Flora 1983 und Daten der Universität Münster. Zu Beginn der 1940er-Jahre setzte dann trotz des wachsenden Einsatzes von Abiturienten in der Wehrmacht eine Trendwende ein; Grüttner verweist auf steigende Abiturientenzahlen und auf die Verbesserung der Arbeitsmarktlage.5 Ende der 1930er-Jahre wurde bereits ein Mangel an technisch-naturwissenschaftlichen Fachkräften deutlich, das Reichserziehungsministerium warb gezielt für akademische Berufe. Andererseits werden wegen der wachsenden Nachfrage und der kriegsbedingten Zerstörung von Universitätseinrichtungen 1944 Zulassungsbeschränkungen an einigen Universitäten, insbesondere im Bereich der Medizin eingerichtet. Angesichts der Ähnlichkeiten im Verlauf der Studierendenzahlen in Münster und im Deutschen Reich ist davon auszugehen, dass für Münster ganz ähnliche Einflüsse wirksam sind. In der Mitte der 1950er-Jahre setzt dann nach zunächst nur leichten Zuwächsen jene Expansionsphase ein, die mit hohen Zuwachsraten bis zum Beginn der 1980erJahre anhielt und die Universitäten fundamental veränderte. Bis 1960 verdoppelt – bis 1980 verachtfacht – sich die Zahl der Studierenden gegenüber dem Beginn der 1950er-Jahre. Die hier dargestellten Entwicklungen gehen summarisch betrachtet auf das Zusammenwirken recht unterschiedlicher Einflussfaktoren zurück: eine wichtige Rolle spielen die rasch wechselnden zeitgeschichtlichen Konstellationen zwischen 5

Ebd., S. 106f.

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Studierende an der Universität Münster 1920 bis 1960

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Krise und Boom, Demokratie und Diktatur, Krieg und Frieden. Darüber hinaus ist ein eher säkularer Trend der Veränderungen von Schüler- und Studierendenzahlen zu beobachten, der wiederum von der demographischen Entwicklung oder von den wechselnden politischen Eingriffen – von Zulassungsbeschränkungen auf der einen bis zur Abordnung zum Studium auf der anderen Seite – des NS-Staates gebrochen wird.6 Schließlich stellt sich die Situation für die spezifischen Fächer beziehungsweise Fakultäten je anders dar; hier spielen auch die von Titze beobachteten Logiken der zyklischen Überproduktion von Akademikern eine Rolle.7 Eine präzise Gewichtung dieser Faktoren oder eine Analyse ihres Zusammenwirkens ist angesichts der verfügbaren Informationen nicht möglich; es spricht jedoch vieles dafür, die zeitgeschichtlichen Faktoren nicht über zu bewerten. Aus der Entwicklung der Gymnasialquote wird ersichtlich, dass die Bestrebungen einen höheren Schulabschluss zu erreichen, ausgehend von einem sehr niedrigen Niveau in den 1920er-Jahren, beständig angestiegen sind. In den 1930er-Jahren kommt es dann zu einem Rückgang von über 10 auf etwa 7,5 Prozent; in den 1940er-Jahren setzt dann eine erneute Trendwende ein. Abb. 2: Quote der Schülerinnen und Schüler an höheren Schulen (Prozent der 11- bis 19-jährigen in Preußen und in der Bundesrepublik Deutschland bis 1990) 30

25

20

inges. männlich ä li h

15

10

5

0 1800

1820

1840

1860

1880

1900

1920

1940

1960

1980

Quelle: Titze 2001, S. 421. 6 7

Siehe ebd., S. 238f. Titze 2001, S. 415–436.

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Dieser Trendverlauf ähnelt in hohem Maße der Entwicklung der Studierendenzahlen. Dieser Befund legt den Schluss nahe, dass die hier zu untersuchende Phase der universitären Entwicklung nicht nur im Lichte der gesellschaftlichen Katastrophen zu begreifen ist, die diese Zeit geprägt haben; sie sollte auch als eine Phase des Normalbetriebs verstanden werden, in der die Studierenden aus der Mittel- und Oberschicht die akademische Ausbildung als eine wichtige Instanz der Reproduktion beziehungsweise der Verbesserung ihrer sozialen Stellung nutzten.

Weibliche Studierende Erst ab 1909 verfügten Frauen an den deutschen Hochschulen und Universitäten über ein uneingeschränktes Immatrikulationsrecht. In der Statistik der Universität Münster sind sie ab dem Wintersemester 1909/10 verzeichnet. Bis 1920 stieg der Frauenanteil in Münster auf etwa zehn Prozent an – im Ersten Weltkrieg lag der Anteilswert angesichts der rückläufigen Zahl von männlichen Studierenden sogar bei zwölf Prozent. Huerkamp macht deutlich, dass die kriegsbedingten Verschiebungen der Geschlechterproportionen noch weitaus stärker ausfielen, da die Beurlaubungen statistisch nicht erfasst wurden; für Münster geht sie davon aus, dass knapp die Hälfte der Studierenden Frauen waren. Als in den 1920er-Jahren auch die formalen Voraussetzungen für die berufliche Verwertung der akademischen Qualifizierung von Frauen verbessert werden konnten, wurde dann ein Anteil von 20 Prozent erreicht.8 Der wachsende Frauenanteil geht mit einem starken Anstieg der absoluten Studierendenzahlen in der Weimarer Zeit einher. Das Frauenstudium stellte nicht nur die dominanten Geschlechterbilder in Frage; Frauen wurden angesichts der hohen Studierendenzahlen zunehmend auch als Konkurrenz am Arbeitsmarkt begriffen, was sich zum Beispiel in dem Gesetz gegen das sogenannte Doppelverdienertum ausdrückte. In den 1930er-Jahren wird die rückläufige Gesamtzahl der Studierenden von einem starken Rückgang des Anteils der Studentinnen begleitet. Huerkamp verweist hierzu auf das ursächliche Zusammenspiel verschiedener Faktoren: mit einem geschlechtsspezifischen Numerus Clausus war zumindest zeitweilig versucht worden, die Immatrikulationszahlen zu reduzieren; der obligatorisch abzuleistende Arbeitsdienst habe für Frauen stärker selektierend gewirkt; darüber hinaus wird auf die zunächst schlechte wirtschaftliche Lage und die schlechten Aussichten in akademischen Berufen verwiesen.9 Hinzu kommt eine bei Frauen höhere Quote von Studienabbrüchen; Huerkamp verweist hier neben dem – in den zeitgenössischen Debatten vorrangig angeführten – Grund der Heirat darauf, dass finanzielle Prob-

8 9

Huerkamp 1996, S. 76. Ebd., S. 86.

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Studierende an der Universität Münster 1920 bis 1960

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leme oder die Pflegebedürftigkeit von Eltern bei Frauen weitaus eher zum Abbruch geführt hätten als bei Männern.10 Abb. 3: Studierendenschaft (Münster) nach Geschlecht 30,00%

16.000 14.000

25,00% 12.000 20,00% 10.000 15,00%

8.000

Stud.zahl 6.000

Frauenanteil 10,00%

4.000 5,00% 2.000 0,00% 1902/03 1905/06 1908/09 1911/12 1914/15 1917/18 1920/21 1923/24 1926/27 1929/30 1932/33 1935/36 1938/39 1941/42 1944/45 1947/48 1950/51 1953/54 1956/57 1959/60 1962/63

0

Quelle: Eigene Berechnungen nach Daten der Universität Münster. Im Gleichlauf mit der Entwicklung auf Reichsebene geht in Münster die Zahl der Studentinnen deutlich zurück, von 21 Prozent zu Beginn auf weniger als 13 Prozent am Ende der 1930er-Jahre – die Quote lag damit noch unter der für das Deutsche Reich, die auf 17 Prozent zurückgegangen war. So fiel absolut betrachtet die Zahl der Studentinnen von dem Maximalwert von 1.184 (Wintersemester 1931/32) auf 243 (Sommersemester 1939) zurück. Der in mehreren Jahrzehnten erreichte soziale Fortschritt wurde in wenigen Jahren zunichte gemacht; das Frauenstudium steht zu Beginn der 1940er-Jahre an einem Neuanfang.

10

Ebd., S. 86f.

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Christoph Weischer

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Abb. 4: Studierendenschaft (Deutsches Reich und Münster) nach Geschlecht 120.000

35,0%

30,0%

100.000

25,0% 80.000 20,0% 60.000 15,0%

Universitäten(l.Skala) Fr.anteil(r.Skala)

40.000 10,0%

MS:Fr.anteil(r.Skala) MS:Fr.anteil(UniͲDaten)

20.000

5,0%

0,0%

3.Tr.1940

W.ͲTr1941.....

l.Tr.1940.....

2.Tr.1940.....

H.ͲTr.l939......

S.ͲS.1939.....

S.ͲS.1938.....

W.ͲS.1938/39..

W.ͲS.1937/38..

S.ͲS.1937.....

Zw.ͲS.1937.....

S.ͲS.1936.....

W.ͲS.1936/37..

S.ͲS.1935.....

W.ͲS.1935/36..

SͲS1934....

W.ͲS.1934/35..

S.ͲS.1933.....

W.ͲS.1933/34..

SͲS1932.....

W.ͲS.1932/33..

0

Quelle: Eigene Berechnungen nach Daten aus: Reichsminister für Erziehung, Wissenschaft und Volksbildung 1943; Daten der Universität Münster. Für die Entwicklung in den 1940er-Jahren liegen widersprüchliche Daten vor, der Statistik der Universität folgend kommt es in der ersten Hälfte der 1940er-Jahre nur zu einem leichten Anstieg der Quote der weiblichen Studierenden; bei einer Verdoppelung der absoluten Zahlen wird 1941/42 eine Quote von 17 Prozent erreicht. Nach den Daten der Reichsstatistik11 wird für Münster eine Frauenquote von 33 Prozent im Wintertrimester 1941 erreicht; diese Entwicklung korrespondiert mit dem dort für die Reichsebene angegebenen Trend. Der Anstieg der Quote der weiblichen Studierenden hing neben den steigenden Abiturientinnenquoten mit der „ideologischen Aufwertung des Frauenstudiums durch die NS-Propaganda“,12 mit einer Verbesserung der Berufsaussichten und mit einer Aufwertung der hauswirtschaftlichen Oberschulen zusammen. Darüber hinaus wird vermutet, dass Frauen mit einem Studium auch anderweitigen Verpflichtungen entgehen und sich dem Vorwurf der Untätigkeit entziehen wollten.13

11 12 13

Lorenz 1944. Huerkamp 1996, S. 90. Zymek 1987, S. 135.

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Studierende an der Universität Münster 1920 bis 1960

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Abb. 5: Fakultätsspezifische Quote der weiblichen Studierenden in Münster 70,0%

60,0%

50,0%

40,0% Medizin RechtsͲ undStaatswiss. 30,0% Geisteswissenschaften KatholischeTheologie 20,0%

Naturwissenschaften EvangelischeTheologie

10,0%

0,0%

Quelle: Eigene Berechnungen nach Daten aus: Reichsminister für Erziehung, Wissenschaft und Volksbildung 1943. Die Quote der weiblichen Studierenden steht in hohem Maße mit der Fakultät in Zusammenhang. Die Extreme werden, von der katholischen Theologie abgesehen, durch die Geisteswissenschaften auf der einen und die Rechts- und Staatswissenschaften auf der anderen Seite gebildet. Diese fachliche Struktur korrespondiert mit den von männlichen und weiblichen Studierenden angegebenen Berufszielen. So wurden 1927/28 die Berufe des Richters, Rechtsanwalts, Pfarrers ausschließlich und die des Verwaltungsbeamten im Reichs, Staats- beziehungsweise Kommunaldienst nahezu ausschließlich von den angehenden männlichen Studierenden angegeben. Anders sieht es beim Berufsziel Arzt beziehungsweise Ärztin und insbesondere Studienrat beziehungsweise Studienrätin aus; diese werden zu 16 Prozent beziehungsweise zu 39 Prozent von den weiblichen Studierenden benannt. In der folgenden Tabelle werden die Berufsziele der männlichen und weiblichen Studierenden für den gesamten Untersuchungszeitraum einander gegenübergestellt.

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Abb. 6: Berufsziele von weiblichen und männlichen Studierenden (Prozent) Berufsziele Frauen Geistliche 1,4 Rechtsanwalt 7,0 sonstige Berufe im Staatsdienst 7,7 sonstige freie Berufe der Rechts-/ Staatswissenschaften 13,0 Studienrat: andere Fächer 18,2 Wirtschaftsberufe 18,5 sonstige freie Berufe: Medizin 23,6 sonstige Berufe 25,0 Arzt/Zahnarzt 28,7 naturwiss./technische Berufe 31,4 Studienrat: Naturwissenschaften 39,7 sonstige freie Berufe: andere Fakultäten 43,8 Studienrat: Geisteswissenschaften 45,1 Kulturberufe 54,5 Insgesamt 25,5 Quelle: Auswertung der Studierendenkartei, UAMs, Bestand 209.

Männer 98,6 93,0 92,3 87,0 81,8 81,5 76,4 75,0 71,3 68,6 60,3 56,3 54,9 45,5 74,5

Hohe Frauenanteile weisen Berufsziele aus dem Bereich der Gymnasialbildung, der Kulturberufe und der klassischen medizinischen Berufe auf. Demgegenüber verbleiben die Berufe im Bereich der Rechts- und Staatswissenschaften und die zunehmend bedeutenderen Wirtschaftsberufe eine ausgesprochene Domäne der männlichen Studierenden. Es stellt sich damit das auch in den folgenden Jahrzehnten typische Phänomen ein, dass es zwar mehr und mehr gelingt, die geschlechtsspezifischen Bildungsdisparitäten im Sinne der Bildungsabschlüsse abzubauen, dass aber die fach- und berufsfeldbezogenen Unterschiede recht stabil bleiben.

Studiendauer Um näherungsweise Informationen über die Studiendauer zu erlangen, kann die durchschnittliche Semesterzahl der zu einem Zeitpunkt immatrikulierten Studierenden erhoben werden. Unter der Annahme konstanter Studierendenzahlen und eines konstanten Studierendenverhaltens (keine Studienabbrüche, keine Wechsel des Studienorte etcetera) würde die Studiendauer dem Doppelten des ermittelten Durchschnitts entsprechen. Insbesondere die Studienabbrüche führen dazu, dass mit diesem Näherungswert die reale Studiendauer unterschätzt wird.

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Studierende an der Universität Münster 1920 bis 1960

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Abb. 7: Entwicklung der durchschnittlichen Semesterzahl (Universitäten im Deutschen Reich) 6,0

5,8

5,6

5,4

5,2

zus.

5,0

m w

4,8

4,6

4,4

4,2

4,0 WS32/33

WS33/34

WS34/35

WS35/36

WS36/37

WS37/38

WS38/39

Quelle: Eigene Berechnung nach Daten aus: Reichsminister für Erziehung, Wissenschaft und Volksbildung 1943. Die durchschnittliche Semesterzahl der Studierenden nimmt in den 1930er-Jahren zunächst leicht zu; ab 1937 setzt dann eine Trendwende ein, die am Ende des Jahrzehnts zu erheblich geringeren Durchschnittszahlen führte. Zudem wird deutlich, dass bei einem recht ähnlichen Trend die durchschnittlichen Semesterzahlen der weiblichen Studierenden unter denen ihrer männlichen Kommilitonen liegen; ein Grund hierfür dürfte in der bereits oben angesprochenen höheren Zahl von Studienabbrüchen liegen. Leider erlauben es die vorliegenden Daten nicht, die verschiedenen möglichen Einflussfaktoren genauer zu differenzieren.

Fachliche Struktur Die fachliche Zusammensetzung der Studierenden variiert angesichts der sich deutlich verändernden Gesamtzahl der Studierenden, aber auch auf Grund fachspezifischer Effekte ausgesprochen stark. Zu starken Veränderungen kommt es im Bereich der Philosophischen Fakultät, wo 1930 im Rahmen der sogenannten „Überfüllungskrise“ mehr als 2.000 Studierende eingeschrieben sind. In der Medizin ist Mitte der 1930er-Jahre ein ähnlicher Boom zu beobachten.

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Abb. 8: Studierendenschaft an der Universität Münster nach Fakultäten (absolute Zahlen) 4000

3500

3000

Ev.Th.

2500

Kath.Th. WiWi 2000

Med. Phil. Jura

1500

Mat.Nat 1000

500

0 1910

1915

1920

1925

1930

1935

1940

1945

1950

1955

1960

1965

Quelle: Eigene Berechnungen nach Daten aus: Pott 1980. Im Kontext der stark rückläufigen Gesamtzahl der Studierenden in den 1930erJahren vollzieht sich eine erhebliche Verschiebung in der Verteilung der Studierenden auf die Fächer. Am ausgeprägtesten ist die Entwicklung im Bereich der Medizin; der Anteil der Studierenden an dieser Fakultät nimmt von 20 Prozent im Jahre 1930 auf mehr als 50 Prozent zu Beginn der 1940er-Jahre zu; dieser Trend findet sich auch auf der Reichsebene wieder. Auch im Bereich der katholischen Theologie kommt es in der zweiten Hälfte der 1930er-Jahre zu erheblichen Zuwächsen. Demgegenüber sind an den übrigen Fakultäten rückläufige Studierendenanteile zu verzeichnen.

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Studierende an der Universität Münster 1920 bis 1960

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Abb. 9: Studierendenschaft an der Universität Münster nach Fakultäten (Angaben in Prozent) 100% Naturwissenschaft Naturwissenschaften eninsgesamt  insgesamt

90% 80% 70%

Katholische Katholische Theologie Theologie

60% 50%

Evangelische Evangelische Theologie Theologie

40% 30% 20%

Kulturwissenschaft Kulturwissenschaften eninsgesamt insgesamt

10%

SommerͲSemester1932 WinterͲ 1932/33 SommerͲ 1933 WinterͲ 1933/34 SommerͲ 1934 WinterͲ 1934/35 SommerͲ 1935 WinterͲ 1935/36 SommerͲ 1936 WinterͲ 1936/37 SommerͲ 1937 WinterͲ 1937/38 SommerͲ 1938 WinterͲ 1938/39 SommerͲ 1939 HerbstͲTrimester21939 11940 21940 3„1940 WinterͲ 1941

0%

RechtsͲ Rechtsund und StaatsStaatswissenschaft wissenschaften eninsgesamt insgesamt Gesundheitskunde Gesundheitskunde insgesamt insgesamt

Quelle: Eigene Berechnungen nach Daten aus: Reichsminister für Erziehung, Wissenschaft und Volksbildung 1943. Nach Grüttner lassen sich generell vier Faktoren identifizieren, die die fachliche Struktur der Studierendenschaft beeinflussen: die Lage am akademischen Arbeitsmarkt, die kriegsbedingten Veränderungen der Studienchancen, die geschlechtsspezifische Differenzen bei der Wahl des Studienfachs und schließlich die fachspezifischen Eingriffe des Staates beziehungsweise der nationalsozialistischen Partei.14 Im Bereich der medizinischen Berufe kommt es durch Berufsverbote beziehungsweise die Vertreibung der jüdischen Mediziner und Medizinerinnen zu einem großen „Ersatzbedarf“. Auch der Ausbau des öffentlichen Gesundheitswesens und dann der Bedarf der Wehrmacht eröffneten neue Arbeitsmärkte für medizinische Berufe. Letztere Entwicklung wird dadurch unterstützt, dass Studierende zum Studium der Medizin von der Wehrmacht freigestellt werden. Im Bereich der Theologie ist insbesondere die evangelische Theologie von einem starken Rückgang der Studierendenzahlen betroffen. Dieser auf Reichsebene zu beobachtende Trend, den Grüttner insbesondere mit den Auswirkungen des Kirchenkampfes in Zusammenhang bringt, zeigt sich in Münster vor allem für die evangelische Theologie; in der katholischen Theologie lässt sich dieser Trend auf lokaler Ebene nicht wiederfinden. 14

Grüttner 1995, S. 126ff.

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2. Soziale Herkunft der Studierenden Im Folgenden soll die soziale Herkunft (im weiteren Sinne) der Studierenden genauer untersucht werden; dies kann näherungsweise über die Berufe der Eltern – in der Regel liegen nur Daten für die Berufe der Väter vor – erfolgen. Angesichts einer zwar rückläufigen aber immer noch recht ausgeprägten Stadt-Land-Differenzierung der Sozialstrukturen ist auch die räumliche Herkunft der Studierenden von Interesse. Schließlich spielt insbesondere bei Fragen der Bildungsbeteiligung auch die konfessionelle Herkunft eine nicht unwichtige Rolle.

Soziale Lage der Eltern Die Analyse der sozialen Herkunft der Studierendenschaft im Deutschen Reich beziehungsweise in der jungen Bundesrepublik offenbart, dass deren Rekrutierung über den gesamten beobachteten Zeitraum ausgesprochen stabil ist. Abb. 10: Soziale Herkunft der Studierendenschaft 100%

90%

80%

70% HöhereBeamte FreieBerufe(akad.) 60%

Offiziere Großgrundbesitzer Unternehmer

50%

Selbst.Handwerker,Kleinhändler,Gastwirte Landwirte

40%

MittlereBeamte MittlereunduntereAngestellte 30%

UntereBeamte Arbeiter

20%

10%

0% 1902/03 1911/13 1924/25 1926/27 1928DR 1931DR 1934/35 1939DR 1941DR 1951/52 1959/60 Preußen DR DR DR DR BRD BRD

Quelle: Eigene Berechnung nach Kaelble 1983, S. 130. Studierende, deren Eltern der oberen Mittelschicht zuzurechnen sind, machen 38 Prozent aller Studierenden aus; Studierende aus der unteren Mittelschicht sind zu 57 Prozent an den Hochschulen vertreten; nur knapp 5 Prozent entstammen der Arbeiterschicht. Die Zuordnung von Studierenden zu sozialen Schichten erfolgte nach dem Beruf der Väter.

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In den oberen Mittel- und Oberschichten sind es insbesondere Söhne und Töchter von höheren Beamten, akademisch qualifizierten Freiberuflern und Unternehmern, die sich ihren Weg an die Hochschulen bahnen. Eine mittlere Gruppe bilden Studierende, deren Väter dem alten Mittelstand oder den mittleren Angestellten und Beamten zuzurechnen sind. Insbesondere die Söhne und Töchter von mittleren und unteren Angestellten sind in stets wachsendem Maß vertreten. Bei der Interpretation dieser Daten ist zu beachten, dass sich in diesen Entwicklungen auch die veränderte Zusammensetzung der Erwerbsbevölkerung widerspiegelt; es war wegen der abweichenden Berufsklassifizierungen leider nicht möglich, berufsspezifische Studienquoten zu berechnen. Abb. 11: Schwellen der sozialen Selektion im Deutschen Reich (1931) 100% 90%

25,3% 31,6%

80%

37,2%

70% 60% ObereMittelschicht

50%

UntereMittelschicht

62,1% 40%

Unterschicht

57,9% 57,4%

30% 20% 10% 12,6%

10,5%

0% Oberschüler

Primaner

5,3% Studenten

Quelle: Eigene Berechnung nach Kaelble 1983. Der Prozess sozialer Selektion, der sich auf dem Weg in die Hochschule einstellt, kann als ein „Bildungstrichter“ dargestellt werden, der sich von Stufe zu Stufe verjüngt. Während die oberen Mittelschichten auf den verschiedenen Etappen zunehmend an Gewicht gewinnen, werden die Angehörigen der Unterschicht nach und nach an den Rand gedrängt. Die soziale Zusammensetzung der Münsterschen Studierendenschaft stellt sich in recht ähnlicher Weise dar wie im übrigen Reich. Im gesamten untersuchten Zeitraum entstammen 48 Prozent der Studierenden der oberen Mittel- und der Oberschicht – auf Grund anderer Abgrenzungen sind die Gruppen nicht direkt vergleichbar. Weitere 40 Prozent sind der (mittleren) Mittelschicht zuzurechnen;

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demgegenüber machen Studierende aus der unteren Mittelschicht und der Unterschicht zusammen nur etwa 12 Prozent aus. Abb. 12: Soziale Herkunft der Münsteraner Studierendenschaft – zeitliche Entwicklung 100% 90%

OberͲ/Obere Mittelschicht

80% 70% 60%

Mittelschicht

50% 40%

Untere Mittelschicht

30% 20%

Unterschicht 10% 0%

1946

1945

1944

1943

1942

1941

1940

1939

1938

1937

1936

1935

1934

1933

1932

1931

1930

1929

1928

Quelle: Auswertung der Studierendenkartei, UAMs, Bestand 209. In der zeitlichen Entwicklung zeigt sich auch in Münster eine ausgesprochene Beständigkeit in der sozialen Rekrutierung von Studierenden. Weder die zeitgeschichtlichen Perturbationen noch die administrativen wie die ideologischen Interventionen des NS-Staates zeigen ihre Wirkungen. Dieser Befund korrespondiert mit der Einschätzung Wehlers, dass es während des „Dritten Reichs“ nicht gelungen sei, „sämtliche sozialen Organisationsprinzipien der Marktgesellschaft“ außer Kraft zu setzen. „Die großen Erwerbs-, Berufs- und Besitzklassen rekrutierten sich daher weiterhin gemäß den tief eingeschliffenen Mechanismen aus ihrem traditionellen Umfeld und behielten zahlreiche charakteristische Eigenarten, ganz gleich ob es sich um die bürgerlichen, proletarischen oder bäuerlichen Sozialformationen handelte.“15 Auch die Größenverhältnisse zwischen diesen Gruppen blieben in den 1920er- und 1930er-Jahren recht stabil. Andererseits verweist Wehler jedoch auf die neuen „Aufstiegswege, welche sich in den Parteiorganisationen, den Sonderexekutiven und der Staatsbürokratie, in der Wehrmacht und in der Wirtschaft öffneten“ und den „starren Charakter der Sozialhierarchie“ veränderten. „Hunderttausende 15

Wehler 2003, S. 715.

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von verblüffenden, auf neuen Auswahlkriterien beruhende Erfolgskarrieren durchbrachen die alten Klassenschranken und stabilen Mobilitätsmuster.“16 Diese Entwicklungen spielten sich jedoch im Wesentlichen außerhalb des Hochschulsystems ab. In der fakultätsspezifischen Analyse lässt sich eine Reihe von gröberen und feineren Unterscheidungen in der sozialen Rekrutierung der Studierenden ausmachen. Abb. 13: Soziale Herkunft der Münsteraner Studierendenschaft – Fakultäten 100% 17,3%

90% 80%

33,0% 45,8%

42,5%

42,6%

37,3%

39,8%

70% 60%

48,0%

50% 51,6%

40% 30%

46,4%

47,5%

47,1%

OberͲ/ObereMittelschicht 47,1%

47,9%

Mittelschicht UntereMittelschicht Unterschicht

20% 10% 0%

Quelle: Auswertung der Studierendenkartei, UAMs, Bestand 209. Auf der einen Seite finden sich die Medizin und die Rechts- und Staatswissenschaften, die sich durch eine relativ hohe soziale Schließung auszeichnen; das heißt der Zugang zu diesen Studiengängen und den damit verbundenen beruflichen Karrieremöglichkeiten steht insbesondere Studierenden aus der mittleren und oberen Mittelschicht und der Oberschicht offen. Auf der anderen Seite steht die katholische Theologie, die sich in Münster wie auch an den übrigen Hochschulstandorten durch relativ hohe Anteile von Studierenden aus der Unter- und der unteren Mittelschicht auszeichnet. Deutlich schwächer ausgeprägt gilt dies auch für die evangelische Theologie und die Geisteswissenschaften.

16

Ebd.

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Abb. 14: Soziale Herkunft und Studienfach (Münster 1927/28) 1,5

EV. THEOL.

Untere Beamte Höhere Beamte Arbeiter PHILOS. (REST) MAT./NATURW. Mittlere Beamte Angest. sonst.

Kleinlandw.

0

RECHTS-UND STAATSW. Angest. ltd.

KATH. THEOL. Großlandwirte

Handel u. Gewerbe MEDIZIN.

Freie Beruf e

VWL

Of f iziere u.a. Ļ(-3,1)

-1,5 -1,5

0

1,5

Quelle: Eigene Berechnung nach: Vierteljahreshefte zur Statistik des Deutschen Reichs. Mit Hilfe einer Korrespondenzanalyse lassen sich die Zusammenhänge zwischen der sozialen Herkunft der Studierenden und dem Studium an verschiedenen Fakultäten genauer darstellen; die Daten gehen auf das Ende der 1920er-Jahre zurück. Die Katholische Theologie weist, wie schon zu ersehen, eine spezifische Affinität sowohl zu Studierenden aus der Arbeiterschaft wie der Kleinlandwirtschaft auf. Demgegenüber ist die evangelische Theologie sozialräumlich gänzlich anders verortet; sie wird eher vom mittleren und vor allem höheren Beamtentum präferiert. Sozial relativ unspezifischer sind die Philosophische, die Mathematische und die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät gelagert. Weitaus deutlicher ist die sozialräumliche Verortung der Medizin und der neu entstehenden Volkswirtschaftslehre ausgeprägt; sie weisen insbesondere zu den freien Berufen eine hohe Affinität auf.

Regionale Herkunft Die regionale Herkunft der Studierenden bleibt in dem hier betrachteten Zeitraum weitgehend konstant. Knapp zwei Drittel der Studierenden stammen aus Westfalen, 13 Prozent aus der Rheinprovinz, 7 Prozent aus der Provinz Hannover; Studierende aus den übrigen Provinzen machen 17 Prozent aus.

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Abb. 15: Regionale Herkunft der Studierenden – Provinzen (alle Angaben in Prozent) Wohnort der Jahr der Immatrikulation Eltern 1925–29 1930–34 1935–39 1940–44 1945–46 Westfalen 60,0 63,0 65,9 63,5 53,2 Rheinprovinz 16,8 13,4 10,8 12,9 5,2 Hannover 6,3 6,2 4,9 7,6 20,8 andere 16,3 17,1 18,4 15,3 19,5 Ausland 0,5 0,2 0,6 1,3 Gesamt 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 Quelle: Auswertung der Studierendenkartei, UAMs, Bestand 209.

Gesamt 62,8 12,8 7,3 16,8 0,4 100,0

Im zeitlichen Verlauf sind bis zum Kriegsende nur geringfügige Änderungen zu beobachten. Die regionale Verteilung der Studierenden entspricht in verblüffender Weise den auch heute zu findenden Herkunftsregionen; so kommen derzeit (Wintersemester 2008/09) etwa 74 Prozent der Studierenden aus Nordrhein-Westfalen. Neben der Verteilung nach Provinzen lässt sich die Herkunft der Studierenden über den Siedlungstyp charakterisieren. Seit dem Mittelalter haben sich im städtischen und ländlichen Bereich deutlich unterscheidbare Sozialstrukturen herausgebildet, die zwar im Prozess der Industrialisierung durch ausgeprägte Wanderungsbewegungen an Bedeutung verloren haben, aber noch immer recht ausgeprägt sind. Beinahe zwei Drittel aller Studierenden an der Universität Münster stammt aus Mittel- und Großstädten; nur 23 Prozent stammen aus kleinen ländlichen Gemeinden und Landstädten. Im Vergleich mit der Bevölkerungsverteilung im Deutschen Reich, aber auch mit den Provinzen, die zum wichtigsten Einzugsbereich zu rechnen sind, ist die Bevölkerung aus dem ländlichen Raum sehr stark unterrepräsentiert. Umgekehrt sind Studierende aus den städtischen Ballungsräumen deutlich überpräsentiert.

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Abb. 16: Regionale Herkunft der Studierenden – Siedlungstyp 100% 90% 80% 70% 60% 50%

Großstädte100.000++

40%

Mittelstädte20Ͳ100.000

30%

Kleinstädte5Ͳ20.000

20%

Landstädte 2 5 000 Landstädte2Ͳ5.000 Ländl.GemeindenͲ2.000

10% 0%

Quelle: Auswertung der Studierendenkartei, UAMs, Bestand 209. In der Differenzierung nach Fakultäten lässt sich eine ähnliche Struktur erkennen, wie sie auch bei der sozialen Rekrutierung zu beobachten war. Angesichts des Zusammenhangs von sozialer Struktur und Siedlungstyp findet sich in der katholischen Theologie eine starke Gruppe von Studierenden aus kleinen und kleinsten ländlichen Gemeinden; mehr als die Hälfte der Studierenden entstammt aus Städten und Gemeinden mit weniger als 20.000 Einwohnern. Demgegenüber machen Studierende aus Großstädten nur 30 Prozent der Studierenden der katholischen Theologie aus. Weitaus weniger ausgeprägt findet sich diese Stadt-Land-Verteilungen auch bei Studierenden der evangelischen Theologie und der Geisteswissenschaften. Demgegenüber machen in den Naturwissenschaften, in den Rechts- und Staatswissenschaften und in der Medizin Studierende aus Großstädten zwischen 40 und 46 Prozent der Studierendenschaft aus.

Konfessionszugehörigkeit In der zweiten Hälfte der 1920er-Jahre sind etwa zwei Drittel der Studierenden an der Universität Münster katholisch;17 knapp ein Drittel ist evangelisch. Die Zahl der Studierenden jüdischer Konfession liegt zwischen 0,5 und 0,7 Prozent; eine letzte Angabe (0,5 Prozent) liegt für das Sommersemester 1930 vor. 17

Pöppinghege 1994, S. 31.

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Auf Reichsebene lag die Zahl der jüdischen Studierenden im Wintersemester 1934/35 – danach wurde keine Zahlen über die konfessionelle Struktur mehr veröffentlicht – bei 0,6 Prozent. Neben dem zunehmenden Antisemitismus hatten das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums,18 das Gesetz gegen die Überfüllung der deutschen Schulen und Hochschulen,19 mit dem unter anderen die Zahl der jüdischen Studierenden und Erstimmatrikulierten begrenzt wurde,20 und der ab 1935 obligatorische Reichsarbeitsdienst,21 der an einen Ariernachweis gebunden war, ihre verheerende Wirkung gezeigt. Die aus den Archivdaten gezogene Stichprobe korrespondiert mit den für Münster zu findenden Daten zur Konfessionszugehörigkeit; die zeitliche Angabe bezieht sich auf die Erstimmatrikulation; leider können angesichts der Stichprobengröße keine verlässlichen Angaben über die Entwicklung der Zahl der jüdischen Studierenden gemacht werden. Abb. 17: Konfession der Studierenden – zeitliche Entwicklung (alle Angaben in Prozent) Studierende in Münster Konfession 1926–30

Studierende in Münster 1931–35

Studierende in Münster 1936–40

Bevölkerung Deutsches Reich 1925

Bevölkerung Preußen 1925

Bevölkerung Westfalen 1925

katholisch

65,0

60,8

74,0

32,4

31,3

49,8

evangelisch

34,7

37,5

26,0

64,1

65,0

47,3

jüdisch

*

*

*

0,9

1,1

0,5

Sonstige

*

*

*

2,6

2,7

2,5

100,0

100,0

100,0

100,0

100,0

100,0

Summe

* unzureichende Zahl von Fällen. Quellen: Auswertung der Studierendenkartei, UAMs, Bestand 209; Statistisches Jahrbuch 1929. In den 1930er-Jahren verändert sich die Konfessionszugehörigkeit der Neu-Immatrikulierten; ab 1934 finden sich nach den Stichprobendaten keine Studierenden jüdischer Konfession an der Universität Münster. Die Zahl der katholischen Studierenden ist zunächst leicht rückläufig, um dann mit den rückläufigen absoluten Studierendenzahlen deutlich anzusteigen.

18 19 20 21

Vgl. Titze 1989, S. 225. Ebd., S. 231. Zymek 1995, S. 208f. Titze 1989, S. 230.

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Abb. 18: Konfession der Studierenden – regionale Herkunft (alle Angaben in Prozent)  

Wohnort der Eltern

Konfession

Westfalen

kath. evang. jüdisch Sonstige  

65,81 33,55 0,64 0,00 100,00

Rhein- Hanprovinz nover 69,78 28,78 1,44 0,00 100,00

60,34 39,66 0,00 0,00 100,00

 

Bevölkerung 1925

Westandere Gesamt falen 62,42 36,36 0,00 1,21 100,00

65,49 33,70 0,61 0,20 100,00

49,82 47,26 0,45 2,47 100,00

Rhein- Hanprovinz nover 66,77 30,14 0,80 2,29 100,00

14,14 83,84 0,45 1,56 99,99

Quellen: Auswertung der Studierendenkartei, UAMs, Bestand 209; Statistisches Jahrbuch 1929 Der Vergleich der konfessionellen Zusammensetzung der Studierenden aus den einzelnen Regionen mit der konfessionellen Zusammensetzung der dortigen Wohnbevölkerung zeigt, dass die Universität Münster insbesondere die katholischen Studierenden aus diesen Regionen anzieht.

Hochschulstudium im Kontext des sozialen Raums Von besonderem Interesse ist nun, wie die hier beschriebenen Ungleichheitsdimensionen zusammenwirken. Mit Hilfe einer Korrespondenzanalyse soll der an einer westfälischen Hochschule repräsentierte soziale Raum der 1930er- und frühen 1940er-Jahre dargestellt werden.

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Abb. 19: Der sozialer Raum einer westfälischen Hochschule 2

Z: nat.Techn.Berufe-f

Z: Kulturberufe Z: Arzt/Zahna.-f E:Freie Berufe (akad.) Z: s. freie Berufe-f weibl. Z: Rechtsanwalt F: Medizin Z: Wirtsch.berufe-f E:Hoehere Beamte E:Große Unternehmungen Mittelstädte 20-100.000 E:Freie Berufe (n.ak.) Z: s. freie Berufe-m E:Kleinhandel u. -gewerbe evangelisch Z: s. Staatsd. F: Rechts- und Staatswiss. Z: sonst. Berufe Kleinstädte 5-20.000 Z: Stud.rat-f F: Naturwissenschaft Stipendium nein E:Mittlere Beamte F: Ev. Theologie E:Angest. sonst. männl. F: Geisteswissenschaft katholisch E:Handwerksmeister Großstädte 100.000++ E:Angest. ltd. Z: Arzt/Zahna.-m

0

E:Offiziere ..

Z: nat.Techn.Berufe-m Z: Stud.rat/Lehrer-m

Stipendium ja

F: Sonstige Fächer

E:Untere Beamte E:Arbeiter Gebührenerlass ja

E:Großlandwirte E:Kleinlandw. Landstädte 2-5.000

Z: Geistliche Ländl. Gemeinden -2.000 Z: Wirtsch.berufe-m

F: Kath. Theologie

-2 -1,7

0

1,7

E: Beruf der Eltern. Z: von männlichen (m) und weiblichen (f) Studierenden angestrebter Beruf. F: Fakultät Quelle: Auswertung der Studierendenkartei, UAMs, Bestand 209. Betrachtet man zunächst die verschiedenen sozialen Herkunftsgruppen, hier über die Berufe der Väter abgebildet, so zeigt sich, dass die Vertikale die Verteilung der Studierenden nach dem sozialen Rang ihrer Eltern widerspiegelt. Im Sinne der von Bourdieu22 eingeführten Begrifflichkeit könnte man auch vom Gesamtvolumen des ökonomischen und kulturellen Kapitals der Herkunftsgruppe sprechen, das in dieser Dimension abgebildet wird. In der Horizontalen findet sich eine Differenzierung, die man im oberen Segment als Differenzierung von „Staatsadel“ und „freier Wirtschaft“ bezeichnen könnte. Im unteren Segment findet sich eine horizontale Differenzierungen nach der Verortung von Berufen im industriellen und im agrarischen Sektor. So weist dieser an einer Hochschule repräsentierte Teilraum durchaus ganz ähnliche Strukturen auf, wie sie in den Bourdieuschen Analysen zum sozialen Raum dargestellt wurden. Untersucht man nun die Situierung der Fakultäten in diesem Raum, fällt die katholische Theologie ins Auge; sie hat mit Abstand den höchsten Studierendenanteil aus den Unterschichten. Umgekehrt finden sich die Rechts- und Staatswissenschaften beziehungsweise die Medizin eher in den oberen Segmenten des sozialen Raums. Das Mittelfeld machen die Geistes- und Naturwissenschaften und die evangelische 22

Bourdieu 1987, S. 196.

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Theologie aus. Das hängt auch mit den Zielberufen der Studierenden zusammen. Im unteren Feld die von den männlichen Studierenden vorrangig gewählten Zielberufe: Studienrat, Wirtschaftsberufe, technische Berufe und Geistliche. Wenn Frauen diese Berufe wählen, kommen sie aus ungleich höheren sozialen Lagen. Im mittleren Feld finden sich die sonstigen Staatsberufe; die mittlere Lage in der Korrespondenzanalyse indiziert, dass diese Zielberufe von Studierenden mit einem eher durchschnittlichen Sozialprofil gewählt werden. Rechts oben finden sich insbesondere die freien Berufe; sie werden, wie an den Berufen der Eltern zu erkennen, insbesondere von Studierenden gewählt, die ihrerseits diesem Berufssegment angehören. In der sozialräumlichen Struktur finden sich aber auch andere Ungleichheitsmomente wieder. So verteilen sich männliche und weibliche Studierende entlang der vertikalen Achse der sozialen Stellung; das heißt die weiblichen Studierenden entstammen überproportional der Ober- und der oberen Mittelschicht. Die männlichen Studierenden weisen verglichen mit dem Durchschnitt kaum soziale Spezifika auf; das hängt damit zusammen, dass sie unter den Studierenden deutlich überwiegen. Die Konfession spielt sozialräumlich betrachtet eine wichtige Rolle; Studierende katholischer Konfession finden sich stärker im unteren sozialen Segment, evangelische Studierende eher im oberen Segment des sozialen Raums. Damit geht eine Stadt-Land-Differenzierung einher, die sich wie auch die Konfessionsachse sowohl in der Vertikalen wie in der Horizontalen erstreckt. Die ähnliche Lagerung der Konfessions- und der Stadt-Land-Achse verweist auf den starken Zusammenhang beider Merkmale. In der Zusammenschau wird eine Ungleichheitskonstellation erkennbar, in der die Achsen der (dominanten) vertikalen und der horizontalen sozialen Differenzierung von den diagonal verlaufenden Achsen der Konfession und der Stadt-LandStruktur überlagert werden. Manches erinnert an die von Dahrendorf beschriebene Ungleichheitskonstellation, die er mit dem „katholischen Arbeitermädchen vom Lande“ pointierte.23

3. Studierendenschaft und Nationalsozialismus Der spezifische Beitrag, den diese Untersuchung zur Rolle der Studierendenschaft im Nationalsozialismus erbringen kann, geht auf die Angaben zur Mitgliedschaft in verschiedenen NS-Organisationen zurück, die sich in der Studierendenkartei finden. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurden nach und nach Karteikarten eingesetzt, die auch die Mitgliedschaft in NS-Organisationen erheben. Es ist anzunehmen, dass diese Informationen bei der Immatrikulation erhoben 23

Dahrendorf 1965.

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wurden; es finden sich keine Hinweise, dass es bei der Rückmeldung beziehungsweise Belegung zu einer Aktualisierung dieser Einträge gekommen ist. Im gesamten Zeitraum zwischen 1933 und 1944 waren mehr als 60 Prozent der Studierenden Mitglied in einer NS-Organisation. Bezieht man die Jugendorganisationen HJ und BDM nicht in die Betrachtung ein, so liegt dieser Anteil immerhin noch bei 38 Prozent. Abb. 20: Mitgliedschaft in NS-Organisation – Fakultäten 90% 80% 70% Mitgliedsch.in NSͲOrg.

60% 50% 40% 30%

Mitgliedsch.in NSͲOrg.(ohne Jug.org.)

20% 10%

Insgesamt

Medizin

GeistesͲ wissenschaft

RechtsͲ und Staatswiss.

Ev.Theo logie

Kath.Theo logie

NaturwisͲ senschaft

0%

nurImmatrikulation1933Ͳ1944

Quelle: Auswertung der Studierendenkartei, UAMs, Bestand 209. In den verschiedenen Bereichen der Hochschule zeigen sich erhebliche Unterschiede zwischen den Studierenden an den beiden theologischen Fakultäten und den Studierenden an allen übrigen Fakultäten. Der höchste Anteil an Studierenden, die in NS-Organisationen verschiedenen Typs Mitglied waren, findet sich in der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät; demgegenüber weisen die Geisteswissenschaften, die Medizin und die Naturwissenschaften einen deutlich geringeren Teil an NS-Organisierten auf. Mit der Fakultätenstruktur korrespondiert die Verteilung der NS-Mitgliedschaft bei den von den Studierenden angestrebten Berufen. So finden sich sehr niedrige Organisationsgrade bei angehenden Pfarrern aber auch Rechtsanwälten.

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Abb. 21: Mitgliedschaft in NS-Organisation – Berufsziele Berufsziel Geistliche

NS-Mitgliedschaft (Prozent) 5,0

NS-Mitgliedschaft ohne Jug. (Prozent) 3,5

Rechtsanwalt

10,5

7,0

sonstige Berufe

16,7

0,0

Studienrat/Lehrer

26,5

12,1

Wirtschaftsberufe

33,3

3,7

Sonstiger Staatsdienst

38,5

20,0

Arzt/Zahnarzt

38,6

25,1

Kulturberufe

54,5

22,7

Sonstige freie Berufe

64,8

46,9

Naturwissenschaftlich/ technische Berufe

68,6

22,9

Insgesamt

34,4

20,1

Quelle: Eigene Berechnung nach Stammkarten. Hohe Organisationsraten finden sich demgegenüber bei naturwissenschaftlichen, bei technischen, bei freien und bei Kulturberufen. Im Mittelfeld rangieren Staatsbedienstete, Wirtschaftsberufe und Ärzte. Hinsichtlich der sozialen Herkunft weisen diejenigen Studierenden, die Mitgliedschaften in NS-Organisationen angeben, keine besonderen Spezifika auf; das heißt, die nationalsozialistisch gesonnenen Studierenden finden sich mit Ausnahme der beiden Theologien in allen Bereichen der Universität. An der folgenden Graphik wird deutlich, dass der Anteil der Studierenden, die Mitglieder in NS-Organisationen waren, zunächst kontinuierlich angestiegen ist; die Einträge vor 1933 gehen darauf zurück, dass bestimmte Kartentypen nachträglich neu angelegt wurden. Der Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Studierenden fällt sehr gering aus. Etwa mit Kriegsbeginn erreichen die Organisationsgrade ihren Höhepunkt; bei Frauen bleiben sie auf konstant hohem Niveau, bei Männern geht sie leicht zurück.

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Abb. 22: Mitgliedschaft in NS-Organisation – zeitliche Entwicklung 90,0%

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Quelle: Auswertung der Studierendenkartei, UAMs, Bestand 209. Anders sieht die Entwicklung aus, wenn man die Mitgliedschaft in HJ und BDM nicht in die Betrachtung einbezieht; dann zeigt sich etwa ab 1938 ein deutlicher Rückgang der Organisationsgrade bei Männern und Frauen. Inwieweit dies einem veränderten Verhalten bei der Angabe dieser Mitgliedschaften oder einem tatsächlich veränderten Organisationsverhalten geschuldet ist, kann an dieser Stelle leider nicht geklärt werden.

Fazit Der zeitgeschichtliche Kontext, der mit dieser Untersuchung zur Entwicklung der Studierendenschaft an der Universität Münster in den Blick gerät, legt es nahe, den Untersuchungsgegenstand im Kontext von Strukturbrüchen zu begreifen: die Weltwirtschaftskrise, die Machtübernahme der Nationalsozialisten, die Verfolgung und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung, der Zweite Weltkrieg und schließlich die Kapitulation und die Nachkriegsphase. Die starken Variationen in den Studierendenzahlen und die erheblichen Verschiebungen zwischen den Fakultäten können als Beleg für eine solche Perspektive fungieren. Umgekehrt finden sich aber nicht wenige Hinweise, dass man es mit einer Phase des „Normalbetriebs“ einer westfälischen Universität zu tun hat. Dies wird insbesondere dann deutlich, wenn man die Hochschule als eine Instanz der akademischen Ausbildung begreift und diese in ihrer sozialstrukturellen Einbindung betrachtet. Dann wird erkennbar, dass man es beinahe über den gesamten Zeitraum mit einer sozial geschlossenen bildungsbürgerlichen Ausbildungseinrichtung zu tun hat, an der sich vornehmlich Studierende

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der Mittel- und Oberschicht für künftige Karrieren qualifizieren. Erst Ende der 1950er-Jahre werden mit den wachsenden Studierendenzahlen die Vorboten der Bildungsexpansion erkennbar, die zumindest partiell24 zu einer sozialen Öffnung der Universität geführt hat.

Literatur Becker, Rolf, Dauerhafte Bildungsungleichheiten als unerwartete Folge der Bildungsexpansion?, in: Hadjar, Andreas/Becker, Rolf (Hg.), Bildungsexpansion – Erwartete und unerwartete Folgen, Wiesbaden 2006, S. 27–62. Bourdieu, Pierre, Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, Frankfurt a. M. 1987. Dahrendorf, Ralf, Bildung ist Bürgerrecht. Plädoyer für eine aktive Bildungspolitik, Bramsche, Osnabrück 1965. Flora, Peter/Kraus, Franz/Pfenning, Winfried (Hg.), State, Economy, and Society in Western Europe 1815–1975. A Data Handbook, Bd. 1: The Growth of Mass Democracies and Welfare States, Frankfurt a. M. 1983. Grüttner, Michael, Studenten im Dritten Reich, Paderborn 1995. Huerkamp, Claudia, Bildungsbürgerinnen. Frauen im Studium und akademischen Berufen 1900–1945 (Bürgertum 10), Göttingen 1996. Kaelble, Hartmut, Soziale Mobilität und Chancengleichheit im 19. und 20. Jahrhundert. Deutschland im internationalen Vergleich, Göttingen 1983. Lorenz, Charlotte, Die Entwicklung des Fachstudiums während des Kriegs. Beilage zur Zehnjahres-Statistik des Hochschulbesuchs und der Abschlussprüfungen, Berlin 1944. Pöppinghege, Rainer, Absage an die Republik. Das politische Verhalten der Studentenschaft der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster 1918–1935, Münster 1994. Pott, Klaus, Universitätsstruktur und Entwicklung der Studentenzahlen, in: Dollinger, Heinz (Hg.): Die Universität Münster 1780–1980, Münster 1980, S. 181–195. Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung (Hg.), ZehnjahresStatistik des Hochschulbesuchs und der Abschlussprüfungen, Bd. 1: Hochschulbesuch, Berlin 1943. Respondek, Peter, Besatzung – Entnazifizierung – Wiederaufbau. Die Universität Münster 1945–1952. Ein Beitrag zur Geschichte der deutsch-britischen Beziehungen nach dem Zweiten Weltkrieg auf dem Bildungssektor (Agenda Geschichte 6), Münster 1995. Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 48 (1929). 24

Becker 2006.

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Titze, Hartmut, Bildungswachstum und Nationalsozialismus, in: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft 4 (2001), S. 415–436. Titze, Hartmut, Hochschulen, in: Langewiesche, Dieter/Tenorth, Heinz-Elmar (Hg.), Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. 5: 1918–1945. Die Weimarer Republik und die nationalsozialistische Diktatur, München 1989, S. 209–240. Vierteljahreshefte zur Statistik des Deutschen Reichs 27 (1928). Wehler, Hans-Ulrich, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 4: Vom Beginn des Ersten Weltkrieges bis zur Gründung der beiden deutschen Staaten 1914– 1949, München 2003. Zymek, Bernd, Die Entwicklung des Schulsystems während der Weimarer Republik und der nationalsozialistischen Herrschaft in Deutschland, in: Ders./Müller, Detlef K. (Hg.), Sozialgeschichte und Statistik des Schulsystems in den Staaten des Deutschen Reiches, 1800–1945, Bd. 2, Göttingen 1987, S. 121–140. Zymek, Bernd, Das „Gesetz gegen die Überfüllung der deutschen Schulen und Hochschulen“ und seine Umsetzung in Westfalen, 1933–1935, in: Drewek, Peter/Horn, Klaus-Peter/Kersting, Christa (Hg.), Ambivalenzen der Pädagogik. Zur Bildungsgeschichte der Aufklärung und des 20. Jahrhunderts. Harald Scholtz zum 65. Geburtstag, Weinheim 1995, S. 205–225.

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Studentische Repräsentationsorgane 1920 bis 1960 Eine tragfähige Strukturanalyse der Studierenden einer Hochschule – noch dazu über einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten – zu liefern, stellt eine erhebliche Herausforderung dar. Nicht nur handelt es sich um eine heterogene Gruppe mit Blick auf beispielsweise die Herkunft, die Fächerwahl oder die Lebensbedingungen. Hinzu kommt, dass insbesondere bei der Untersuchung der verfassten Studentenschaft die Schwierigkeit mangelnder personeller Kontinuität auftritt. Während diese zum Beispiel im Rektorat zumindest einige Semester lang besteht und Lehrstühle über Jahre oder gar Jahrzehnte hinweg von denselben Personen besetzt sind, hat man es in der studentischen Selbstverwaltung mit kurzfristigen Engagements von teilweise nur einem Semester zu tun. Dass die Studentenschaft sich als Teil der Universitas verstand, wurde im 19. Jahrhundert nicht angezweifelt, genoss sie doch gewisse disziplinarrechtliche Privilegien. Der Schritt zu mehr Mitbestimmung in studienrelevanten Fragen stand jedoch erst relativ spät auf der Tagesordnung. Zunächst galt es, die eigene Selbstverwaltung in die Hand zu nehmen, wie unten gezeigt wird. Was heutzutage als Allgemeiner Studierendenausschuss bezeichnet wird, verdiente in der Vergangenheit den Namen oft nicht, da er zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus nur Teile der Studentenschaft repräsentierte. Genau genommen existierte ein Allgemeiner Studierendenausschuss nur zwischen 1918 und 1927 sowie seit 1946. In den übrigen Jahren wäre daher korrekter lediglich von Studentenvertretung oder verfasster Studentenschaft zu reden.1 Studierende sollten nicht als passive Objekte der Universitätsgeschichte, sondern als handelnde Gruppe wahrgenommen werden, die in Wechselbeziehung mit anderen universitären Akteuren das System Universität mitbestimmt hat. In den Blick der Forschung gelangten sie dennoch erst verspätet,2 sieht man einmal von den frühen Arbeiten von Studentenhistorikern aus den Verbindungen ab, denen es jedoch eher um Traditionsbildung denn um historiographische Analyse zu tun war. Auch von offizieller Seite der Universität ist in dieser Richtung bisher wenig getan worden. Die 1980 zum zweihundertjährigen Jubiläum erschienene Festschrift ignorierte die Studierenden vollständig und provozierte damit eine anklagend-moralisierende „Gegenfestschrift“ aus Kreisen der Studentenschaft.3 Während für die 1 2 3

Beziehungsweise „Studierendenvertretung“ und „verfasster Studierendenschaft“, die jedoch keine zeitgenössischen Begriffe sind. Einen Überblick bietet: Jarausch 1984. Den Anfang wissenschaftlicher Erforschung machte Marshall 1972. Das Werk kann inzwischen als weitgehend überholt gelten. Es folgte der offizielle Jubiläumsband von Dol-

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Zeit der Weimarer Republik außerdem eine Dissertation vorliegt,4 ist die Studentenschaft der Universität Münster im Nationalsozialismus lediglich in Einzelaspekten untersucht.5 Die Studentenschaft in den unmittelbaren Nachkriegsjahren ist hinsichtlich des politischen Verhaltens und der Entnazifizierung im Rahmen einer Dissertation genauer erforscht worden.6 Das Ende des Untersuchungszeitraums deckt die vergleichende Arbeit von Boris Spix7 ab, so dass eine Forschungslücke für die Zeit von knapp zehn Jahren besteht, da sich Respondek hinsichtlich des AStA schwerpunktmäßig auf die Jahre 1946 und 1947 bezieht. Inzwischen liegen auch einige Publikationen zum Frauenstudium vor, wobei die Betätigung von Studentinnen in der studentischen Selbstverwaltung mangels geeigneter Quellen kaum erforscht werden kann.8 Lediglich allgemeine Aussagen wie die, dass der Anteil der weiblichen Mandatsträgerinnen im AStA in den 1920erJahren deutlich zurückging, nämlich von 23 Prozent (1920) auf vier Prozent (1926), können getroffen werden. Auch in katholischen Organisationen waren Studentinnen, entgegen ihrem wachsenden Anteil an den Immatrikuliertenzahlen, unterrepräsentiert. Dies gilt in abgeschwächter Form auch für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, in der die Studentinnen erst während der Politisierung der 1960er-Jahre nennenswerte Anteile in den Hochschulgruppen erreichten.9 Seit dem 19. Jahrhundert rekrutierten sich die Studierenden an den Hochschulen des Deutschen Reiches zu fast zwei Dritteln aus dem Mittelstand, das heißt aus dem Beamtentum, aus Handel, Handwerk und Gewerbe, dem landwirtschaftlichen Sektor und aus der Schicht der Angestellten. Ein weiteres Drittel machten das höhere Beamtentum sowie Akademiker in freien Berufen aus. Kinder aus unterbürgerlichen Schichten waren sowohl an der Universität Münster als auch an anderen Universitäten im Untersuchungszeitraum nur selten anzutreffen. An der Universität Münster war in der Weimarer Republik der untere Mittelstand im Vergleich zur Reichsebene überrepräsentiert.10 Ein anderes, hervorstechendes Merkmal der Münsterschen Studierenden war ihre Konfession, da sich die meisten aus dem engeren Umfeld, also dem katholischen Münsterland, rekrutierten. Während sich im Reichsdurchschnitt rund 29 Prozent zum katholischen Glauben bekannten, waren es während der Weimarer Republik in Münster zwischen 66 und 69 Prozent. Damit

4 5 6 7 8 9 10

linger sowie die erwähnte „Gegenfestschrift“: Kurz 1980. Darin: Wolfram/Elkemann/ Kranz, S. 47–63, sowie Hörster-Philipps/Vieten, S. 77–103. Pöppinghege 1994. Vieten 1993, S. 87–99, Pöppinghege 1995, Mattonet 2008. Respondek 1995. Spix 2008. Happ/Jüttemann 2008, Albers/Beuvink-Jenke 1991, Spix 2008, S. 205f. Vgl. auch den Beitrag von Sabine Happ und Veronika Jüttemann in diesem Band. Zu weiteren Aktivitäten außerhalb der studentischen Selbstverwaltung siehe: Neugebauer 2008. Siehe hierzu den Beitrag von Christoph Weischer in diesem Band.

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wies die Universität Münster unter den Volluniversitäten den mit Abstand höchsten Katholikenanteil innerhalb der Studentenschaft auf. Die in Münster vertretenen – mehrheitlich ebenfalls katholischen – studentischen Verbindungen spielten im Untersuchungszeitraum vor allem während der Jahre 1918 bis 1933 eine wichtige Rolle. Sie werden hier jedoch nur dann berücksichtigt, sofern die Belange des AStA berührt werden.11 Dies gilt nicht zuletzt für die Frühzeit des AStA vor dem Ersten Weltkrieg. Ein Jahr nach der Wiederbegründung der Universität bildeten Verbindungsstudenten einen eigenen Ausschuss, der ihre Interessen wahrnehmen sollte.12 Angesichts der traditionell starken Stellung der Korporationen an deutschen Universitäten verwundert es kaum, dass sie sich auch in den Folgejahren entscheidenden Einfluss in der Vertretung der Gesamtstudentenschaft sicherten. Im „Allgemeinen Studentenausschuß“ waren 1908/09 neben 25 Verbindungsstudenten nur fünf „Freistudenten“, die keiner Verbindung angehörten. Gemessen an ihrem Anteil an der Gesamtstudentenschaft waren diese damit deutlich unterrepräsentiert. Bis zum Ende des Weltkriegs trat jedoch keine Kräfteverschiebung ein.13 Im Mai 1918 nahmen die wenigen noch an der Universität verbliebenen Studentinnen und Studenten den Gedanken einer Studentenvertretung wieder auf. In getrennten Versammlungen berieten die Freistudenten und die Korporationen über das weitere Vorgehen.14 Eine Vollversammlung der Studierenden beschloss im Juni 1918 „fast einstimmig die Einsetzung einer Kommission zur Ausarbeitung eines Satzungsentwurfs“. Am 30. Juli 1918 wurde der Entwurf angenommen, auch wenn Studentinnen und Freistudenten erhebliche Bedenken bezüglich ihrer mangelnden Repräsentation äußerten.15 Denn satzungsgemäß sollte der Vorstand nur aus männlichen Studenten bestehen. Zudem sah das Wahlverfahren für Korporierte und Freistudenten getrennte Wahlkreise mit festen Mandatszahlen vor, was die Verbindungen begünstigte. Es ist zu vermuten, dass die Verbindungsstudenten gegenüber den Freistudenten einen höheren Mobilisierungsgrad aufwiesen und dadurch die Versammlung dominierten. Im folgenden Wintersemester nahm der erste gewählte Allgemeine Studentenausschuss der Universität Münster trotz der politischen Unruhen seine Arbeit auf. Sogleich sah er sich Rechtfertigungszwängen gegenüber und wies die Forderung nach einem Rätemodell für die studentische Selbstverwaltung zurück.16 Seinen Aufgabenbereich definierte der AStA mit Selbsthilfezwecken, 11 12 13 14 15 16

Akten und ungedruckte Quellen der Verbindungen standen nur in beschränktem Maße zur Verfügung. UAMs, Bestand 4, Nr. 777. Köster 1941, S. 133, ders. 1947. UAMs, Bestand 4, Nr. 777. Münsterischer Anzeiger vom 1.8.1918. UAMs, Bestand 4, Nr. 777. „Durch das Bestehen des Allgemeinen Studenten-Ausschusses erübrigt sich die Bildung eines Studentenrates an unserer Hochschule. Der Allgemeine Studenten-Ausschuß wird für völlige Wahrung der Rechte der Studentenschaft eintreten. Die Studierenden verschließen sich nicht der Tatsache, daß die Universitätsausbildung

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um die soziale Notlage der Studierenden zu lindern und die Studierbarkeit in der Nachkriegszeit zu gewährleisten. Er bestand aus 15 Unterausschüssen, von denen insbesondere dem studentischen Wohnungsamt eine zentrale Aufgabe zufiel. Auch die übrigen Ausschüsse vermitteln einen Eindruck von den Nöten der Zeit: Es existierten Ausschüsse für Lesehalle, Bücherei, Hochschulbücherei und Archiv, Presse, Kriegsteilnehmer, Leibesübungen, Wohlfahrt, Hochschulreform, Linksrheinische Universitätsangehörige, Studienauskunftsstelle, Studenten-Kriegsküche, Akademische Krankenkasse, Büchervermittlungsamt und Fakultäten. Zudem organisierte der AStA am 13. Mai 1919 zusammen mit dem Rektorat eine Kundgebung.17 Darin wandten sich die Beteiligten gegen die der deutschen Delegation wenige Tage zuvor bekannt gegebenen „schmählichen Friedensbedingungen“ des Versailler Vertrags. Bemerkenswert ist die Reihenfolge der Redner: Als Hauptredner trat zunächst der AStA-Vorsitzende Josef Kannengießer auf, bevor der Rektor das Wort ergriff. Die erste AStA-Satzung bestand nur kurze Zeit, da verschiedene Seiten Bedenken in Bezug auf das zweifelhafte Wahlverfahren äußerten.18 Zudem hatte die Deutsche Studentenschaft als Gesamtvertretung aller Studentenausschüsse auf ihrem ersten allgemeinen Studententag im Juli 1919 beschlossen, nur aus allgemeinen und gleichen Wahlen hervorgegangene Ausschüsse anzuerkennen. Der AStA der Universität gehörte im Sommer 1919 nicht zur gewünschten Gruppe demokratisch legitimierter Vertretungen. Da auch das Preußische Kultusministerium die staatliche Anerkennung von der Einführung des allgemeinen Wahlrechts abhängig machte, änderte der AStA die Statuten, um erstmals die Durchführung allgemeiner Wahlen für das Wintersemester 1919/20 einzuleiten. Am 19. November 1921 erhielt die Studentenschaft die staatliche Anerkennung durch das Ministerium.19

Die Weimarer Republik Das Kriegsende ließ die Studenten in erheblicher Verwirrung zurück. Im August 1914 gehörten sie zu jener bildungsbürgerlichen Schicht, die mit großer Begeisterung in den Krieg gezogen war, um das Kaiserreich zu verteidigen. Vor dem Hintergrund einer weitgehend entindividualisierten Massenkriegführung kehrten sie

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in mancher Hinsicht einer Umgestaltung bedarf. Es ist jedoch erforderlich, daß Neuerungen an den Universitäten nur im Einverständnis der leitenden Stellen mit den Hochschullehrern und den Studierenden geschaffen werden. Wir Studierenden wollen an ein neues Deutsches Reich glauben. Die Grundsteine dazu müssen sein: Ordnung, Freiheit und Recht. Wir alle müssen mitarbeiten in dem Bewußtsein, daß wir mitberufen sind, unserem Volke in Zukunft treue Diener und Führer zu sein. Jetzt ist es unsere Aufgabe, nach Kräften mitzuwirken, daß unser Volk in Ruhe und Ordnung die schwere Übergangszeit besteht.“ Protestkundgebung 1919, S. 7f. Hames 1919, S. 35. Vieten 1982, S. 75.

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desillusioniert in die Hörsäle zurück. Der neu gegründeten Republik brachten sie meistens Misstrauen entgegen, auch wenn sie sich anlässlich der Ruhrgebietsunruhen 1919 und 1920 in die militärische Pflicht nehmen ließen, um in ihren Augen Schlimmeres – eine sozialistische Regierung – zu verhindern. Denn kaum hatten sie ihr Studium wieder aufgenommen, kam es zu ersten Unterbrechungen: die Studenten der Universität Münster bildeten die Akademische Volkswehr beziehungsweise Akademische Wehr, um gegen sozialistische Verbände im benachbarten Ruhrgebiet vorzugehen. Diese hatten im Frühjahr 1919 und erneut im Anschluss an den gescheiterten Kapp-Putsch versucht, die Macht an sich zu reißen.20 Nach diesen beiden Einsätzen ist eine deutliche Radikalisierung der Studentenschaft festzustellen, die sich nicht zuletzt im explosionsartigen Mitgliederzuwachs der Deutschvölkischen Studentengruppe an der Universität Münster im Sommersemester 1920 bemerkbar machte. Weitere Indikatoren waren die Gründung des Hochschulringes Deutscher Art als Dachorganisation der völkisch-antisemitischen Kräfte21 sowie die Zunahme des Antisemitismus in Wort und Tat. Dies alles geschah in Münster unter Beteiligung der katholischen Mehrheit. Insbesondere die katholischen Korporationen der beiden Dachverbände CV22 und KV23 zeigten wenig Neigung, ihre einstigen Bindungen an die Zentrumspartei aufrechtzuerhalten. Im Gegenteil: Auch unter ihnen blühte antiparlamentarisches und antisemitisches Gedankengut, das die Zusammenarbeit mit den nationalistischen, schlagenden Verbindungen ermöglichte. Allen war gemein, dass sie zu keiner Zeit zur Republik standen, sondern ein autokratisches Regime forderten. Der Monarchie trauerten nur die Wenigsten nach, völkische Vorstellungen dagegen erhielten breite Unterstützung, ohne dass davon politische Parteien profitiert hätten. Die ersten demokratischen Wahlen zur Studentenvertretung fanden vom 27. bis 29. Januar 1920 statt. Die Wahlprogramme der angetretenen Listen waren recht diffus, es scheinen konfessionelle Kriterien vorgeherrscht zu haben. Wenn es – wie im Wintersemester 1919/20 – den katholischen Studierenden gelang, sich zu einer Liste zusammenzuschließen, dann war ihnen die Mehrheit gewiss. Doch brachen immer auch einzelne Gruppen aus. Beispielsweise zeigte der CV oft eine schwankende Haltung und tendierte mitunter zur Kooperation mit den schlagenden Verbindungen, die in der Regel politisch als völkisch-nationalistisch einzustufen waren. Die Wahl im Sommersemester 1920 brachte eine solche erste Aufsplitterung der katholischen Kräfte, da sowohl CV- als auch KV-Verbindungen sich den Burschenschaften anschlossen.24 Die gemäßigten Katholiken behielten zwar die einfache Mehrheit im AStA, trotzdem waren die nationalistisch-völkischen Listenzusammenschlüsse eine nicht zu vernachlässigende Größe. Immerhin stellten sie aus ihren Reihen den 20 21 22 23 24

Vgl. Pöppinghege 1994, S. 74–88. Vgl. ebd., S. 93–98. Cartellverband der katholischen deutschen Studentenverbindungen. Kartellverband katholischer deutscher Studentenvereine. Unitas 60 Nr. 10 (August 1920), S. 191.

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stellvertretenden AStA-Vorsitzenden (KV). Nach einer zwischenzeitlichen Vereinigung aller katholischen Kräfte im Wintersemester 1920/21 zeigten sich im Folgejahr deutliche Risse. Inzwischen war der nationalistische Hochschulring Deutscher Art von den schlagenden Verbindungen gegründet worden, der bei der AStA-Wahl die absolute Mehrheit mit 18 von 40 Sitzen knapp verfehlte. Nur noch fünf Listen waren zur Wahl angetreten: neben dem Hochschulring Deutscher Art waren dies die katholischen Theologen (neun Sitze), die katholische Arbeitsgruppe (sechs Sitze), der Verein katholischer deutscher Studentinnen (ein Sitz) sowie der theologisch orientierte Unitas-Verband (sechs Sitze). Fortan war die Haltung des CV und des KV ausschlaggebend für die Mehrheiten im AStA. In der Regel schlugen sich die Verbindungen dieser beiden katholischen Dachverbände auf die Seite des Hochschulrings Deutscher Art und stärkten das antidemokratische Spektrum in der Studentenschaft. In der 1919 gegründeten Deutschen Studentenschaft, dem Zusammenschluss der Studentenschaften aller deutschen Hochschulen unter Einschluss der österreichischen, brandete ein Konflikt um die Zugehörigkeit auf. Das demokratische Staatsbürgerprinzip sprach die Zugehörigkeit allen deutschen Staatsbürgern, also auch den jüdischen, zu. Demgegenüber stand das so genannte völkische Prinzip, das sich auf die Kriterien „Abstammung“ und „Muttersprache“ bezog und beispielsweise die Österreicher einschloss, Juden hingegen die Mitgliedschaft verwehrte. Während die Studentenschaft in Münster bis ins Sommersemester die demokratische Variante unterstützte, ist kurz darauf bereits ein Aufweichen dieser Position zu beobachten, die in ein Nebeneinander von völkischem und Staatsbürgerprinzip mündete.25 Die Mitgliedschaft erstreckte sich auf alle deutschen Staatsbürger und nichtjüdische Auslandsdeutsche.26 Nach zwischenzeitlich schwankenden Positionen verständigte sich der AStA dann im Juni 1923 auf das völkische Prinzip mit der Begründung, die Deutsche Studentenschaft habe „ihre dem gesamten Deutschtum gewidmete Kulturarbeit niemals auf das Gebiet innerhalb der jeweiligen politischen Grenzen des Deutschen Reiches beschränkt“.27 Damit war eine Position festgeschrieben, die vom Preußischen Kultusministerium nicht akzeptiert werden konnte. Denn seine öffentlich-rechtliche Anerkennung konnte es nur einer Organisationsform geben, die auf demokratischen Grundlagen aufgebaut war und beispielsweise jüdischen Deutschen die Mitgliedschaft nicht versagte. Daher versuchte der parteilose Kultusminister Carl Heinrich Becker in den Folgejahren erneut, die Deutsche Studentenschaft in seinem Sinne auf Kurs zu bringen. Die Dachorganisation weigerte sich jedoch hartnäckig und nahm es in Kauf, der staatlichen Anerkennung verlustig zu gehen, was die Studentenschaften wiederum als unzulässigen Eingriff werteten. Am 23. September 1927 veröffentlichte das Kultusministerium die Verordnung über die Bildung von Studentenschaften an den preußischen Hochschulen, die die 25 26 27

Vgl. Pöppinghege 1994, S. 71–74. Bachmann 1920. UAMs, Bestand 4, Nr. 1059.

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Koalitionsfrage im Sinne des Staatsbürgerprinzips regelte und die staatlichen Behörden mit Genehmigungsbefugnissen für die Haushaltspläne der studentischen Vertretungen ausstattete. Bis zum 15. Dezember sollten die Einzelstudentenschaften über die Annahme der Verordnung abstimmen und im Ablehnungsfalle ihre staatliche Anerkennung verlieren.28 In Münster fand diese Abstimmung am 30. November statt. Es ist bezeichnend für die hiesigen Mehrheitsverhältnisse, dass das erforderliche Quorum zur Annahme der Verordnung nicht erreicht wurde. Offenbar hatten die Boykottaufrufe der Radikalen Erfolg gehabt. Dennoch bleibt zu betonen, dass Münster mit diesem Ergebnis noch zu den moderaten Hochschulen gehörte. Andernorts hatten sich deutliche Mehrheiten gefunden, die die Verordnung rundum ablehnten. Überall in Preußen wurde den Allgemeinen Studentenausschüssen daraufhin die staatliche Anerkennung entzogen und die finanzielle Basis beschnitten. Ihre Arbeit wurde zusehends von den Fachschaften übernommen. Der staatliche Eingriff änderte zwar den organisatorischen Status des AStA, nicht jedoch die negative Einstellung der antirepublikanischen Studierenden gegenüber dem Weimarer Staat. Das Ausmaß der antidemokratischen Gesinnung hatte sich in den Jahren seit 1920 nicht wesentlich verändert. Bis in Kreise der katholischen Mehrheit hinein herrschte an der Universität Münster eine gehörige Skepsis beziehungsweise Abneigung gegen die Republik. Nachdem die Kriegsstudentengeneration abgetreten war und die Stabilisierungsphase der Weimarer Republik nach den Unruhen von 1923 eingesetzt hatte, blieb auch unter den Jüngeren eine gegenüber der Republik ablehnende Haltung vorherrschend. Es war dies die Zeit der bündischen Jugendbewegung, die eine kritische Abkehr von der Gesellschaft erstrebte, zugleich jedoch antiparlamentarischautoritäre Politikvorstellungen konservierte.29 Im Antikapitalismus westlicher Prägung erkannten die Studierenden einen Konsensbereich, der nahezu das gesamte Vereinsspektrum der Universität gegen Mitte der 1920er-Jahre umfasste. Gespeist wurde diese Haltung durch zunehmende Perspektivlosigkeit der angehenden Akademiker. Schlechte Berufsaussichten in der Zukunft und eine hinsichtlich des Lebensstandards bescheidene Gegenwart prägten die politische Einstellung mehrerer Studierendengenerationen: Ein Staat, der seinem akademischen Nachwuchs derart wenig zu bieten hatte, konnte demnach keine Unterstützung erwarten, was sich in der relativen Bedeutungslosigkeit staatstragender studentischer Vereine wie den Jugendorganisationen der Zentrumspartei oder den Sozialdemokraten niederschlug. Dies änderte sich erst recht nicht, als die äußeren Belastungen für die Weimarer Republik zunahmen. Unter der Weltwirtschaftskrise hatten die Studierenden wie ihre Eltern zu leiden. Dies schlug sich in einer breiten Unterstützung konservativrevolutionären Gedankenguts nieder. Bis in die Reihen der katholischen Studenten erhielten antirepublikanische Ideen neuen Schwung. Die Probleme der Zeit könne der Parlamentarismus westlicher Prägung nicht lösen. Er sei dem deutschen Wesen 28 29

Pöppinghege 1994, S. 149. Vgl. ebd., S. 119–159.

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abträglich. Nur eine Führerpersönlichkeit, die die geeinte Volksgemeinschaft hinter sich wüsste, könne Erlösung aus der verfahrenen Situation verheißen, so die typischen Argumente jener Zeit. Zugute kam diese Haltung in Münster allerdings nicht den Nationalsozialisten. Eine Ortsgruppe des NSDStB hatte sich an der Universität Münster erst relativ spät im Februar 1929 gebildet.30 Trotz leicht zunehmender Mitgliederzahlen fristete die Gruppe bis 1932 ein Nischendasein, was sicherlich auch an der fehlenden öffentlichen Plattform der AStA-Wahlen lag, die aufgrund der entzogenen staatlichen Anerkennung der verfassten Studentenschaft obsolet waren.31 Erst die Zusammenarbeit mit den örtlichen Verbindungen, beispielsweise bei der Organisation von öffentlichen Kundgebungen, wertete die nationalsozialistischen Studierenden auf und machte sie zumindest ansatzweise salonfähig. Politisch repräsentierten sie nur eine von verschiedenen antidemokratischen Strömungen innerhalb der Gesamtstudentenschaft, die sich aber allesamt auf einen entsprechenden Grundkonsens stützen konnten.

Die NS-Zeit Mit dem Machtantritt Hitlers meinten auch die wenigen nationalsozialistisch gesinnten Studenten an der Universität Münster Rückenwind zu verspüren. Kaum eine Woche nach dem 30. Januar 1933 kam es zu erheblichen Störungen bei einem Gastvortrag des jüdischen Hamburger Professors Eduard Heimann.32 Nach antisemitischen Zwischenrufen entschied sich der Redner die Veranstaltung abzubrechen, was die sich anschließende Schlägerei zwischen Besuchern und Störern aber nicht verhinderte.33 Rektor Wolfgang Keller untersagte der veranstaltenden „Sozialistischen Arbeitsgemeinschaft“ daraufhin, Räume der Hochschule für Vortragszwecke zu nutzen.34 Nähere Informationen über die Gleichschaltung der Studentenschaft sind dann erst wieder vom Beginn des Sommersemesters bekannt. Im April stellte sich Albert Derichsweiler, CV-Student und NSDStB-Mitglied, als neuer „Führer“ der Münsterschen Studentenschaft vor.35 Zugleich wurde formal anstelle des 1927 aufgelösten AStA eine „Bündische Kammer“ eingerichtet, in die vor allem die Verbindungen und katholischen Verbände ihre Vertreter entsandten. Die Kammer 30 31

32 33 34 35

UAMs, Bestand 4 Nr. 771, sowie zur Gründungsgeschichte Pöppinghege 1994, S. 170– 178. Der Einschätzung bei Langenfeld/Prange 2002, S. 287, der NSDStB habe an der Universität Münster „schon lange vor 1933 die Mehrheit“ im AStA gehabt, muss daher sowohl aus formellen als auch inhaltlichen Gründen widersprochen werden. Protokoll der Vorfälle, in: UAMs, Bestand 4, Nr. 773, Bl. 39. Vieten 1982, S. 215f. Ebd., S. 216. Zu biographischen Informationen s. Felz 2009 sowie demnächst ausführlich: Pöppinghege, in: GDS-Archiv (2009), i.D.

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blieb jedoch weitgehend ohne Einfluss und diente lediglich zur „Besänftigung und Kontrolle der Verbände“.36 Anlässlich der Übergabe des neuen Studentenrechts37 am 3. Mai 1933 trat Derichsweiler in der Stadthalle erstmals in der Öffentlichkeit auf – damals noch als Nationalsozialist und CV-Verbindungsstudent: Er trug nicht nur die braune Uniform, sondern auch die Farben seiner Verbindung, der Sauerlandia.38 Die Stadtöffentlichkeit wurde auf das Treiben der nationalsozialistischen Studentenführung anlässlich der Bücherverbrennung aufmerksam, die hier wie andernorts am 10. Mai 1933 stattfand.39 Die Deutsche Studentenschaft griff die vom Reichspropagandaministerium im März angeregte Aktion auf, um den eigenen Anspruch auf die politisch-weltanschauliche Schulung gegenüber dem NSDStB zu behaupten.40 Die Studentenschaften sollten in die überall im Reich durchgeführten antisemitischen Boykott- und Ausgrenzungsmaßnahmen eingegliedert werden und so ihre allgemeine Zustimmung zur neuen Regierung demonstrieren. Die Führung der Deutschen Studentenschaft sandte Rundschreiben an sämtliche Studentenschaften, um durch Bildung von „Kampfausschüssen“ die einheitliche Durchführung der Aktion zu gewährleisten. Anfang Mai erließ der münsterische Kampfausschuss einen Aufruf an die Bevölkerung, in dem er die Verbrennung „undeutschen Schrifttums“ ankündigte und auf die Möglichkeiten der Buchabgabe in öffentlichen Sammelstellen hinwies.41 Den Aufruf zeichnete cand. phil. Herbert Roloff, Mitglied der Hochschulgilde Widukind und Propagandaamtsleiter der Münsterischen Studentenschaft. Am Samstag, dem 6. Mai veranstaltete diese eine große Kundgebung auf dem Domplatz, in deren Verlauf es zur Aufstellung eines sogenannten Schandpfahles kam, was nur in wenigen anderen Städten erfolgte.42 Am Abend des 10. Mai fand die Verbrennung unter reger Beteiligung von Parteiorganisationen, Studierenden, Korporationen und Universitätsbehörden statt. Lediglich die Katholisch-Theologische Fakultät boykottierte die Veranstaltung. Neben Roloff ergriff seitens der Studenten „Pg. cand. jur.“ Derichsweiler das Wort und nannte sie „ein Läuterungsfeuer für die deutsche Seele, den deutschen Geist und die deutsche Kultur“.43 Außer den von den Nationalsozialisten indizierten Büchern brannte an jenem Abend auch ein Exemplar der schwarz-rot-goldenen Flagge als Symbol der für viele Studierende verhassten Weimarer Republik. 36 37 38 39

40 41 42 43

Vieten 1982, S. 227. Gesetz über die Bildung von Studentenschaften an den wissenschaftlichen Hochschulen vom 22. April 1933, Reichsgesetzblatt I 1933, S. 215. Mattonet 2008, S. 18. Zur Bücherverbrennung s. Pöppinghege 1994, S. 199–201, sowie Ostendorf 1993. Ein Teil der Zeitungsartikel und öffentlichen Aufrufe findet sich in der Dokumentation: Gussek/ Schmidt/Spieker 2009; Thamer 2008. Vgl. Strätz 1968, S. 349f. National-Zeitung vom 7.5.1933 (Hervorhebungen im Original, R. P.). National-Zeitung vom 9.5.1933. National-Zeitung vom 12.5.1933.

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Es war dies auch die Zeit der Relegationen unliebsamer Angehöriger der Universität. Dies betraf nicht nur den Lehrkörper, sondern auch einige Studenten, darunter jüdische Studierende, von denen es an der Universität Münster bis 1933 jedoch nur wenige (0,5 Prozent der Immatrikulierten) gegeben hatte. Angehörige des in Münster zahlenmäßig nur schwachen beziehungsweise in einigen Semestern nicht existenten Sozialistischen Studentenbundes44 zählten zu den ersten Opfern der Nationalsozialisten. Im Sommer 1933 verhaftete die Polizei neun Mitglieder der Sozialistischen Arbeitsgemeinschaft, die anschließend der Universität verwiesen und einige in ein Konzentrationslager eingeliefert wurden.45 Hierbei kooperierten Rektorat, Studentenführung und die zuständige Staatspolizeistelle in Recklinghausen aufs Engste. „Mehrere kommunistische Studenten“ seien in Münster festgenommen und in ein Konzentrationslager gebracht worden, berichtete triumphierend die Deutsche Studentenzeitung.46 Es folgte ein Akt der Formalisierung durch den Kultusminister, der einen Ausschuss „aus national zuverlässigen Studierenden“ bilden ließ.47 Der Ausschuss, dem auch der Führer der Studentenschaft angehörte, urteilte über die politische Zuverlässigkeit von Universitätsangehörigen und musste vom Rektor gehört werden, was einer beträchtlichen Aufwertung seiner Kompetenz gleich kam. Zu erklären ist dieser Machtzuwachs der Studentenvertretung durch das weitgehende Fehlen anderer NS-Organisationen an den Universitäten. So konnte sich der NSDStB an der Universität Münster als Speerspitze der Partei etablieren und seinen Einfluss gegenüber der Professorenschaft zumindest kurzfristig beträchtlich ausweiten.48 Erst durch das 1935 kassierte Anhörungsrecht wurde die Stellung der Studentenführung wieder geschwächt. Die Dekane der Fakultäten befürworteten lediglich die Teilnahme studentischer Vertreter an Fakultätsratssitzungen allein in studentischen Angelegenheiten.49 Die Studentenschaftsführung wurde durch die „Richtlinien zur Vereinheitlichung der Hochschulverwaltung“ 1935 dem Rektor unterstellt.50 In einem weiteren Fall trat der Ausschuss zuvor auf den Plan, als der Student Bernhard Rülander relegiert wurde. Dieser hatte sich der am 23. November 1933 vorgesehenen Eingliederung aller männlichen Studenten – mit Ausnahme der katholischen Theologen – in die SA einstweilen aus formaljuristischen Gründen widersetzt und war auf Betreiben der Studentenführung aus der Studentenschaft und letztlich auch vom Studium ausgeschlossen worden. Dabei hatte sich der Rektor offenbar dem Druck der örtlichen Studentenführung gebeugt.51 In einem anderen 44 45 46 47 48 49 50 51

Abendroth 1976, S. 71f. Vgl. Vieten 1982, S. 225; Verhörprotokoll des Studenten Otto Zielke, in: UAMs, Bestand 4, Nr. 1033, Bl. 179f. Studenten der Westmark. Beilage der Deutschen Studentenzeitung Nr. 7 vom 11.11.1933. UAMs, Bestand 4, Nr. 1033, Bl. 151. Grüttner 2003, S. 73. UAMs, Bestand 4, Nr. 1060. Keller 2000, S. 76. Mattonet 2008, S. 76–83.

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Fall hatte der Rektor die zeitweilige Relegation eines Studenten, der angeblich den Deutschen Gruß verweigert hatte, wieder aufgehoben.52 Auf Antrag des münsterschen NSDStB-Kreisführers Kurt Böhlke wurde im Februar 1935 der Sohn des hiesigen Landgerichtspräsidenten, Arnold Münster, von der Universität verwiesen. Er sah sich mit einer Hochverratsbeschuldigung konfrontiert, nach der er im Sommer 1934 kommunistische Flugblätter verteilt haben sollte.53 Ganz wohl war Rektor Naendrup angesichts der Beschneidung seiner Rechte und des provokant-gewalttätigen Auftretens der NS-Studenten freilich nicht, denn die Aktionen der NS-Aktivisten drohten aus dem Ruder zu laufen. Dies galt insbesondere, wenn die akademischen Sitten unterlaufen wurden, wie im Falle von Vorlesungsstörungen oder gar -boykotten. So rief die Studentenführung zum Boykott der Vorlesungen des konservativen Medizinprofessors Paul Krause auf.54 Das Rektorat maßregelte die verantwortlichen Studenten eher halbherzig, da sie in jugendlichem Eifer im nationalsozialistischen Interesse gehandelt hätten. Dadurch fühlten sich die Studenten in ihrem Säuberungseifer anscheinend noch bestärkt und kündigten für das Sommersemester 1934 erneut einen Vorlesungsboykott an. Krause hielt dem psychischen Druck nicht stand und erschoss sich am 7. Mai 1934.55 In einem weiteren Fall verlangte der stellvertretende Studentenschaftsführer Fritz Erfurth im Dezember 1934 die Absetzung des jüdischen Zoologieprofessors Leopold von Ubisch. Dem waren von der Studentenschaftsführung initiierte Störungen der Vorlesungen von Ubischs vorausgegangen. Der Zoologe sah sich schließlich 1935 genötigt, sein Emeritierungsgesuch einreichen. Bespitzelungen und Denunziationen nahmen ebenso zu wie Krawallaktionen. Vor all diesem schreckte der Rektor zurück und sah die „nationale Revolution“ lieber in geordneten Bahnen verlaufen. Scharfe Worte fand er gegen die NS-Führer der örtlichen Studentenschaft, Böhlke, Mund und Erfurth. Deren Handlungsweise sei „für die nationalsozialistische Gewinnung unserer Gesamtstudentenschaft durchaus abträglich. Daraus ergibt sich ohne weiteres daß, solange Amtswalter wie die Herren [Kurt] Böhlke, [Fritz] Erfurth oder [Franz] Mund noch Einfluß auf die Führung der Studentenschaft haben, […] hier eine ständige Gefahr von Unruhen bestehen bleibt […].“56 In seiner Begrüßungsrede für die Erstsemester am 14. November 1934 sprach er seine Vorbehalte auch öffentlich aus. Er wandte sich gegen „Leute, die unter dem Deckmantel des Nationalsozialismus ihre Kommilitonen zu terrorisieren suchen“. Derartige Terrormaßnahmen wirkten seiner Ansicht nach eher abschreckend und trugen nicht zur braunen Imageförderung bei. Dennoch meinte er, dass „die große Mehrzahl der Studenten und auch der Dozenten unse-

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Ebd., S. 84–87. UAMs, Bestand 4, Nr. 792, Bl. 401f.; Kuropka 1992, S. 269. UAMs, Bestand 4, Nr. 216. Vgl. Hörster-Philipps/Vieten 1980, S. 98. UAMs, Bestand 5, Nr. 218.

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rer Hochschule schon ohne dies gesinnungsmäßig auf dem Boden des Nationalsozialismus steht“.57 Studierende konnten natürlich auch außeruniversitär in Konflikt mit der Staatsmacht beziehungsweise Partei geraten. So existierten beispielsweise „Schwarze Listen“ von politisch unliebsamen oder straffällig gewordenen Studierenden, die per Rundschreiben zwischen den Universitätsverwaltungen regelmäßig aktualisiert wurden. So wurde es für relegierte kommunistische Studierende unmöglich, sich an einer anderen Universität zu immatrikulieren. Auch rechtskräftig verurteilte Studierende waren hiervon betroffen. Es handelte sich dabei nicht immer um Straftäter nach heutiger Auffassung, sondern beispielsweise auch um Homosexuelle, die nach § 175 Strafgesetzbuch verurteilt worden waren. Ihnen wurde die Möglichkeit zu studieren genommen. Eine institutionalisierte Form der Relegation war die gesetzlich geplante Senkung der Studierendenzahl58 und insbesondere des Frauenanteils an den Immatrikulierten. Damit sollte nicht zuletzt das geschlechtsspezifische Rollenbild der Nationalsozialisten verwirklicht werden, das den Frauen die Rolle der Mutter zuwies. Tatsächlich sank der Frauenanteil von 20,5 Prozent im Sommersemester 1933 auf 15,4 Prozent im Wintersemester 1935/36. Doch spätestens mit Kriegsbeginn, als die studierenden Männer mehrheitlich eingezogen wurden, nahm der Studentinnenanteil wieder zu. Insgesamt konnten die Pläne für eine Reduzierung der Gesamtstudierendenzahl und des Frauenanteils nur ansatzweise realisiert werden. Der Ist-Zustand lag regelmäßig um mehrere Hundert über dem Plansoll.59 Neben vereinzelter Resistenz kann von weitreichendem Widerstand gegen die Gleichschaltung der Universität nicht gesprochen werden. Ob es sich im Sommersemester 1933 um eine „Woge der Begeisterung“60 unter den Studierenden gehandelt hat, darf wohl bezweifelt werden, auch wenn bis weit in katholische Verbindungskreise hinein zunächst eine positive Aufgeschlossenheit festzustellen war. Trotzdem betrachteten die Nationalsozialisten die studentischen Verbindungen, insbesondere die Altherrenvereinigungen, als institutionelle Gegenspieler. Daneben opponierte der zunächst staatsloyale Bischof von Galen gegen einzelne Maßnahmen, wie beispielsweise die Überführung auch der katholischen Theologiestudenten in die SA.61 Unterhalb einer halböffentlichen Resistenzschwelle regte sich bei fast allen Studierenden erheblicher Unmut angesichts einer enorm steigenden Arbeitsbelastung durch beispielsweise Wehrertüchtigung und politischen Unterricht, die zusätzlich 57 58 59

60 61

Ebd. Gesetz gegen die Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen vom 25. April 1933, Reichsgesetzblatt I 1933, S. 225. Die ministerielle Vorgabe für das Sommersemester 1935 betrug 2.575 Studierende. Demgegenüber studierten real 3.088 Männer und 574 Frauen an der Universität Münster; Geschäftsbericht des Rektors 1936. Langenfeld/Prange 2002, S. 287. Für eine differenzierte Analyse der Reaktion der münsterischen Korporationen s. Pöppinghege 1994, S. 207–217. Mattonet 2008, S. 69.

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zum Studium geleistet werden mussten. Das ganze Ausmaß der Zusatzbelastungen zeichnete sich erst im Wintersemester 1933/34 ab, für das ein deutlicher Stimmungsumschwung zu konstatieren ist. Das Sommersemester hatte die Mehrzahl der katholischen Studierenden in abwartender Haltung verbracht, manche von ihnen mögen den Nationalsozialisten aufgrund antirepublikanischer Gemeinsamkeiten durchaus Wohlwollen entgegen gebracht haben. Doch mit diesem Wohlwollen war es vorbei, als die zeitlichen Beanspruchungen durch verpflichtenden Sport,62 Wehrsport und weltanschauliche Schulungen63 wuchsen, die Indoktrinationen immer dreister und das studentische Leben immer zwanghafter wurde. Dem Pflichtsport entzogen sich im Laufe der Jahre aus fadenscheinigen Gründen immer mehr Teilnehmer, so dass schon ab dem Wintersemester 1933/34 nicht einmal mehr das Niveau des freiwilligen Sports von 1932 erreicht wurde. Da half es dann auch nur wenig, wenn der neue NSDStB-Führer Derichsweiler an seiner alten Heimatuniversität auf einer Kundgebung verkündete: „Das Semester gehört in erster Linie der wissenschaftlichen Arbeit. Die politische Schulung hat in Gemeinschaftslagern während der Semesterferien stattzufinden.“64 Je größer der innere Abstand der Studierenden zu den nationalsozialistischen Erfordernissen des Studiums wurde, desto lauter und intensiver schienen die proklamierten öffentlichen Bekundungen der NS-Funktionäre zu werden.65 Von den zahlreichen Kundgebungen und Appellen sei die Überführung der männlichen Studentenschaft in die SA am 23. November 1933 genannt.66 Etwa 2.500 Studenten hatten auf dem Universitätssportplatz anzutreten, wo sie mit der Nachricht von der geschlossenen SA-Eingliederung konfrontiert wurden. Mattonet vermutet für diese ungewöhnliche Maßnahme eine mündliche Absprache zwischen Rektor und Studentenführung. Möglicherweise war zudem die enge persönliche Bindung von Studentenschaftsführer Dietrich Demmer zur SA ausschlaggebend. Die Eingliederung in die als vulgär und unkultiviert geltende SA dürfte für die münsterischen Studenten eine Absurdität erster Güte gewesen sein, die die Zustimmung zum Regime wohl kaum beförderte. Grundsätzlicher Widerspruch wurde jedoch nicht artikuliert. Das war bei der Gleichschaltung der Korporationen anders. Sie verfügten über eine funktionierende kommunikative Infrastruktur und über den Rückhalt der Al62

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64 65 66

Langenfeld/Prange 2002, S. 288. Diese Tendenz lässt sich auch an den zahlreichen Befreiungsanträgen ablesen, die aus medizinischen oder persönlichen Gründen gestellt wurden. UAMs, Bestand 4, Nr. 643–646. Im Jahre 1935 mietete die Studentenführung eigens das Schloss Heessen bei Hamm für Schulungszwecke an. Wegen der erheblichen finanziellen Belastungen bemühte man sich schon im Folgejahr darum den Pachtvertrag aufzulösen, was vermutlich kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges gelang. UAMs, Bestand 4, Nr. 1060. Deutsche Studentenzeitung Nr. 6 vom 7.3.1935. Die Kundgebung fand am 5. Februar 1935 unter Anwesenheit von Gauleiter Meyer in der Stadthalle statt. Vgl. Mattonet 2008, S. 27–64. Ebd., S. 65–68.

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ten Herren. Obwohl man sich politisch mit den Nationalsozialisten zum Teil bereits 1933 arrangiert hatte, betrachteten die Verbindungen den Geltungsanspruch der Partei berechtigter Weise als Bedrohung für die eigene Existenz. Während die politischen Weichenstellungen zur Auflösung der Verbindungen auf Reichsebene erfolgten, bemühte sich die örtliche Studentenführung um die Umsetzung der Vorgaben. Beispielsweise wurden so genannte Kameradschaftshäuser eingerichtet, in denen die gemeinschaftliche politische Erziehung stattfinden sollte. Auch an der Frage der Führung der Kameradschaftshäuser entzündete sich ein politischer Konflikt zwischen Deutscher Studentenschaft und NSDStB. Beide entwickelten einen Dominanzanspruch, der auf Reichsebene schließlich zugunsten des NSDStB entschieden wurde. So veranstaltete der NSDStB im Sommer 1935 verpflichtende Ferienschulungslager für die künftigen Führer der Wohnkameradschaften als nationalsozialistische Multiplikatoren an den Hochschulen. Auf der lokalen Ebene war hiervon jedoch wenig zu spüren. Ganz anders bei der Auflösung der Korporationen. Diese konnten noch 1933 davon ausgehen, zumindest in eingeschränktem Rahmen ihre Existenz sichern zu können. Doch schon bald zeichnete sich ab, dass der Totalitätsanspruch des Nationalsozialismus keine unabhängigen Organisationen zulassen würde. Einfache Opfer-Täter-Zuschreibungen sind in diesem Punkt jedoch nicht hilfreich, da sich die wichtigsten Entscheidungsträger der nationalsozialistischen Studentenführung der Universität Münster während der Gleichschaltungsphase aus dem Verbindungsmilieu rekrutierten. Das gilt für den ersten Führer Albert Derichsweiler (CV) ebenso wie für dessen Nachfolger Kurt Böhlke und Fritz Erfurth (beide Deutsche Burschenschaft). Auch Hauptamtsleiter Kurt Ruhnau (Deutscher Burschenschaft) sowie Hans Peitz (CV) waren Korporierte.67 Die Gleichschaltung der Korporationen verlief keineswegs zielgerichtet, da Kompetenzstreitigkeiten im polykratischen Herrschaftssystem auftraten.68 Seit dem Frühjahr 1933 versuchte die Partei, das sogenannte Führerprinzip sowohl in den staatlichen studentischen Gremien wie auch in den einzelnen Korporationen zu verankern. Diese erhielten Bestandsgarantien, sofern sie sich bereit erklärten, Erziehungsgemeinschaften im nationalsozialistischen Sinne zu werden. Daher wurden die meisten Verbindungshäuser in Kameradschaftshäuser umgewandelt und ausgewählte Korporierte für Führungsaufgaben politisch geschult. Als nächster Schritt auf dem Wege zur vollständigen Gleichschaltung der katholischen Verbände ist die Aufgabe des konfessionellen Prinzips am 31. Januar 1934 anzusehen. Um nicht außerhalb der „Volksgemeinschaft“ zu stehen, hatten CV und KV bereits das Führerprinzip, den Arierparagraphen und weitere nationalsozialistische Aktionsformen übernommen und mussten sich nunmehr auch für Nichtkatholiken öffnen. Obwohl man somit der im Sommer 1934 beschlossenen Auflösung der konfessionellen Vereinigungen entgehen und den Bestand vorerst sichern konnte, kam es zu 67 68

Pöppinghege 1994, S. 243–245. Vgl. Faust 1973, S. 130ff.

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heftigen Kontroversen innerhalb der einzelnen Verbände. Viele Mitglieder erklärten ihren Austritt, andere versuchten ohne die konfessionelle Bindung weiterzubestehen. An der Universität sahen die katholischen Korporierten die Entscheidung ihrer Verbandsführungen mit Unverständnis. Anfang 1934 kam es zu einer mehr oder minder spontanen Protestkundgebung, die sich nicht nur gegen den Totalitätsanspruch des Staates, sondern darüber hinaus wohl auch gegen das allzu willfährige Verhalten der Verbandsfunktionäre gerichtet haben dürfte. Zahlreiche Alte Herren und Aktive der katholischen Verbindungen trugen öffentlich die Farben ihrer Korporation. Sie gaben mit dieser illegalen Handlung ihrem Willen Ausdruck, die Existenz der Korporationen zu sichern und protestierten gegen die Aufgabe des konfessionellen Prinzips. Die nächste Phase der weltanschaulich-institutionellen Gleichschaltung der Studentenschaft kündigte sich auf Reichsebene mit der Gründung der Gemeinschaft Studentischer Verbände im Januar 1935 an. Die studentischen Korporationsverbände waren faktisch zum Eintritt gezwungen, wollten sie nicht gänzlich von der Bildfläche verschwinden. Aber auch die verbliebenen und in der Gemeinschaft Studentischer Verbände zusammengeschlossenen Verbände verzeichneten einen zunehmenden Bedeutungsverlust ihrer Führungen. Die vollständige Auflösung der Verbindungen war nur noch eine Frage der Zeit, zumal sich die etablierte nationalsozialistische Herrschaft nach Ausschaltung der konsequentesten politischen Opposition endgültig der Eingliederung nationaler Organisationen annehmen konnte. Im Sommer 1935 war es für Hitler beschlossene Sache, die Korporationen in allernächster Zukunft aufzulösen. An der Universität Münster existierten von den nichtnationalsozialistischen Vereinigungen zu jenem Zeitpunkt neben den Korporationen lediglich der nationalistische Verein für das Deutschtum im Ausland sowie die völkische Hochschulgilde Widukind. Am 27. Oktober 1935 löste sich der CV auf, nachdem der münsterische Ortsverband diesen Schritt bereits im Wintersemester 1934/35 vollzogen hatte.69 Im Jahr 1936 sprach die Partei dann ein offizielles Verbot der Doppelmitgliedschaft in NSDStB und Verbindungen aus, das diesen endgültig das Wasser abgrub.70 Im November 1937 wurden durch Erlass des Reichserziehungsministeriums Bestimmungsmensuren verboten.71 An kaum einen anderen Ort in Münster trafen die weltanschaulichen Lager so hart aufeinander wie im Deutschen Studentenheim am Breul.72 An kaum einem anderen Ort wird die Ambivalenz des Mit- und Gegeneinander von katholischen und nationalsozialistischen Studenten deutlicher. Das rund 100 Studenten Platz bietende Wohnheim stand seit seiner Eröffnung im Jahre 1929 unter katholischer Träger-

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Festschrift: Altherrenverband der AV Zollern 1991, S. 116. Deutsche Studentenzeitung Nr. 21 vom 20.5.1936. Runderlass vom 16. November 1937, in: Kasper 1943, S. 352f. Es ist zu vermuten, dass einige Verbindungen geheim weiterbestanden. So berichtet Respondek 1995, S. 119, von der erst 1939 aufgelösten katholischen Verbindung „Monasteria“. Vgl. Pöppinghege 2003.

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schaft und Leitung. Damals hatte Professor Georg Schreiber73 als Reichstagsabgeordneter der Zentrumspartei und als Mitbegründer des Hauses dafür gesorgt, dass die nationale und kulturpolitische Zielrichtung in der Benennung des neuen Hauses deutlich hervortrat. Statt den auserkorenen Namen „Katholisches Studentenheim“ zu wählen, einigten sich das Bistum und der Caritas-Verband als Trägerorganisationen auf die Bezeichnung „Deutsches Studentenheim“, um dank Schreibers Kontakten Finanzmittel aus dem Auswärtigen Amt und dem Reichsinnenministerium zu erhalten. Diese knüpften daran die Auflage, die Heimplätze aus kulturpolitischen Gründen paritätisch an Ausländer, Auslandsdeutsche und Reichsdeutsche zu vergeben.74 Das Haus war für damalige Verhältnisse exquisit ausgestattet – mit fließendem Wasser auf jedem der Einzelzimmer. Selbst auf ausländische Besucher machte „das ganze Heim den Eindruck eines modernen Hotels“.75 Die auslandsdeutschen Bewohner des Deutschen Studentenheims traten im Jahr der Eröffnung mit einer eigenen Vereinsgründung an die Öffentlichkeit. Ansonsten scheinen sie im Deutschen Studentenheim weitgehend isoliert gewesen zu sein, ja es soll zu Konflikten anlässlich ihrer völkischen Haltung mit den katholischen Studenten im Heim gekommen sein. Die beim Rektorat offiziell gemeldete „Vereinigung auslandsdeutscher Studierender“ bestand fast ausschließlich aus Bewohnern des Heims und traf sich in dessen Räumen zu regelmäßigen Vortragsveranstaltungen „über deutsch-völkische Fragen“. Die Mitglieder mussten sich satzungsgemäß „als bewusste Vertreter des Deutschtums bekennen“ und außerdem „deutscher Stammeszugehörigkeit“ sein.76 Die zumeist aus Siebenbürgen, Österreich oder Belgien stammenden Studenten fühlten sich offenbar in besonderer Weise motiviert, während ihrer Studienzeit im Deutschen Reich Volkstumsfragen zu behandeln. Auch einige Österreicher gehörten in den 1930er-Jahren zu dieser Gruppe. Politisch scheint sich die Mehrzahl der auslandsdeutschen Studenten in Münster dem nationalistisch-autoritären Spektrum zuordnen zu lassen, wie Sympathiebekundungen mit dem Austrofaschismus des österreichischen Kanzlers Engelbert Dollfuß vermuten lassen.77 Im November 1933 schrieb ein Student: „In Deutschland 73 74

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Vgl. Morsey 1982. Archiv des Deutschen Studentenheims, Nr. 201, Brief Schreibers vom 2.12.1929 an Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht: „Wir ließen uns von dem Gedanken leiten, daß Deutschland in seiner außenpolitischen Machtlosigkeit nur auf kulturellem Gebiete sich einstweilen eine Weltgeltung beschaffen kann. In erster Linie wollten wir dabei den vielen Millionen Deutscher dienen, die vom Mutterland abgeschnitten sind. Soll bei diesen deutsches Wesen und deutsche Kultur weiter bestehen, so muß unter ihnen eine Führerschicht leben, die mit der Kultur des Mutterlandes enge Fühlung hält. Zur Schaffung dieser Führerschicht am meisten geeignet erscheinen uns die studierenden Söhne der Auslandsdeutschen.“ Bericht des britischen Studenten Gilbert Murray, in: Fritze 2000, S. 199. UAMs, Bestand 4, Nr. 769, §§ 2 und 4 der Satzung. Verschiedene Briefe des Theologiestudenten Hans Ressel an die damalige Schwester Oberin. Der Österreicher Ressel hatte vermutlich das Sommersemester 1933 im Deutschen Studentenheim verbracht und berichtete zwischen August 1933 und März 1934 wieder-

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galten wir [die Österreicher, R.P.] als ‚unzuverlässig‘ und hier werden wir als ‚Nazi‘ oder ‚Halbnazi‘ angesehen.“ Neben den ausländischen Studenten, über deren politische Haltung sich mangels Quellen kaum Aussagen treffen lassen, gab es die große Gruppe der reichsdeutschen Studenten im Deutschen Studentenheim. Unter ihnen waren zahlreiche katholische Verbindungsstudenten anzutreffen, die sich vom Nationalsozialismus fern hielten, andere wiederum zeigten zumindest Aufgeschlossenheit. Schließlich kam es nach der „Machtergreifung“ zu Versuchen, das katholisch dominierte Haus auf NS-Kurs zu bringen und mit politisch „zuverlässigen“ Studenten zu durchsetzen, denn es galt den Nationalsozialisten als oppositionelle Hochburg. Vor allem der damalige Heimleiter Professor Max Bierbaum schien nicht die Gewähr zu bieten, den Geist des neuen Staates unter den Bewohnern zu verbreiten. Bierbaum untersagte das Hissen der Hakenkreuzflagge anlässlich einer nationalen Feier mit dem Hinweis auf den internationalen Charakter des Hauses und war auch sonst widerspenstig, den Einfluss der Partei beziehungsweise des Staates im Deutschen Studentenheim zu fördern. Wiederholte Konflikte bis hin zu tätlichen Auseinandersetzungen unter den studentischen Bewohnern deuten auf eine emotionsgeladene Atmosphäre hin. Anlässlich einer gestörten Radioübertragung der Führerrede am 21. Mai 1935 fertigten zwei Bewohner des Deutschen Studentenheims einen Bericht für die Gestapo an. Einer der Autoren, der NSDStB-Funktionär Helmut Niemann (unter anderem persönlicher Referent des Studentenführers und Geschäftsführer der Studentenschaft 1933), wurde daraufhin nachts von einem halben Dutzend Vermummten verprügelt.78 Die Studentenführung der Universität Münster beriet wiederholt über Möglichkeiten, wie das finanziell nach wie vor vom Auswärtigen Amt abhängige Heim auf nationalsozialistischen Kurs zu bringen sei. Im Verlaufe solcher Sitzungen wurde Bierbaums Einfluss auf die Bewohner hervorgehoben. Dieser habe zu andauernder Kritik am Nationalsozialismus geführt. Ein Gestapo-Bericht vom 4. Januar 1935 konstatiert, im Heim existierten verschiedene miteinander rivalisierende Gruppen. Offenbar waren damit die internen Konflikte zwischen kirchentreuen und nationalsozialistischen Studenten gemeint. Immerhin ging die Polizeibehörde davon aus, dass es im Deutschen Studentenheim „einige zuverlässige Leute“ im Sinne des Nationalsozialismus gäbe. Dieses Verdikt verhinderte nicht das etwas überraschende Fazit, die „nationalsozialistische Revolution [sei] spurlos an diesem Hause vorübergegangen“. An anderer Stelle heißt es, dass „90 Prozent der Burseninsassen zu den Kritikastern und Miesmachern zu rechnen“ seien.79 Der „deutsche Gruß“ werde „weder von den Insassen angewandt noch erwidert“, die Hausgottesdienste

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holt über die Entwicklungen in seiner Heimat. Archiv des Deutschen Studentenheims, Akte Schwestern. UAMs, Bestand 4, Nr. 1300. LAV NRW W, Oberpräsidium Nr. 5314, Bd. 4, Staatspolizeistelle Recklinghausen vom 4.7.1934.

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dienten demnach der Verbreitung von „Hetzpredigten“.80 Schließlich schalteten die Nationalsozialisten die Heimleitung und Geschäftsführung des Deutschen Studentenheims gleich und unterbanden weitere „staatsfeindliche“ Bestrebungen. Konkret bedeutete dies, dass Prälat Georg Schreiber sich im September 1933 aus der Geschäftsleitung zurückziehen musste. Die Leitung des Hauses oblag später dem Parteigenossen Pfarrer Lorenz Pieper, „de[m] verdiente[n] und bekannte[n] Vorkämpfer der Bewegung“.81 Ihm zur Seite standen als weitere Mitglieder des von den Machthabern installierten Kuratoriums Universitätsprofessor Anton Eitel und ein Fabrikant Niehues aus Nordhorn. Außerdem zog 1935 Rektor Hugelmann persönlich in das Heim ein! Zu jenem Zeitpunkt war auch die Verfassung der „Stiftung Deutsche Burse“ als Träger des Hauses geändert worden: Seitdem stand das Deutsche Studentenheim faktisch unter der Kontrolle des Reichsinnenministeriums. So war es möglich, missliebigen Bewohnern zu kündigen, was auch für drei Fälle nachgewiesen ist.82 Die Gleichschaltung des Hauses dürfte Einfluss auf die studentischen Meinungsäußerungen gehabt haben. Allein mit einer entsprechenden Personalpolitik konnten mutmaßliche Oppositionelle ferngehalten werden. Ein nationalsozialistischer Student gab dem stellvertretenden Rektor der Universität 1935 zu Protokoll „er sei mit großen Vorurteilen in die Burse [= Deutsches Studentenheim, R. P.] eingezogen, die ihm als ‚schwarzes Rattennest‘ geschildert worden sei, sei aber im allgemeinen, von einzelnen Fällen abgesehen, eher angenehm enttäuscht worden“.83 Diese Befunde entsprechen den Feststellungen über die katholischen Studierenden an der Universität Münster. Während ein Teil vorbehaltlos für den Nationalsozialismus eintrat und sich aktiv an der Gleichschaltung der münsterschen Studentenschaft beteiligte, konnte sich ein anderer erst allmählich, zum Beispiel aufgrund bestehender Affinitäten oder unter Beachtung der episkopalen Empfehlungen damit arrangieren. Eine sicher nicht unbeträchtliche Zahl verharrte aber auch während der nationalen Euphorie des Jahres 1933 in ablehnender Haltung und bildete die Basis für das nonkonformistische Verhalten vieler Katholiken, als in den folgenden Jahren der Druck des Regimes wuchs. Als sicher kann gelten, dass nach dem Sommersemester 1933 bei den meisten eine deutliche Ernüchterung Einzug gehalten hat.84 Es sollte nicht vergessen werden, dass es sich bei den nationalsozialistischen Studenten in Münster wie im gesamten Deutschen Reich um keine homogene Gruppe handelte. Vielmehr begannen mit Hitlers Machtübernahme die Kompetenzstreitigkeiten verschiedener Institutionen und Ämter von Partei und Staat. So wie Derichsweiler als katholischer Verbindungsstudent und NSDStB-Funktionär die Ambivalenz der Zeit verkörperte, so deutlich traten die Divergenzen des NSDStB 80 81 82 83 84

UAMs, Bestand 4, Nr. 769, Nr. 1300. Münsterischer Anzeiger vom 18.1.1936. UAMs, Bestand 4, Nr. 1300. UAMs, Bestand 4, Nr. 769, Nr. 1300. Vgl. Mattonet 2008.

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zur Führung der Deutschen Studentenschaft auf. Die Deutsche Studentenschaft als öffentlich-rechtliche Körperschaft genoss den Rückhalt des Reichserziehungsministeriums und wurde von der Partei in Form des NS-Studentenbundes kontinuierlich angefeindet. Doch selbst innerhalb des Bundes gab es ein Gerangel um Posten, Machtpositionen und Strategien. Nur in den seltensten Fällen handelte es sich dabei um inhaltliche Differenzen. Von stabileren Strukturen im Bereich der verfassten Studentenschaft ist wohl erst ab 1936 zu sprechen, als auch auf Reichsebene die größten Konflikte ausgetragen waren und die Deutsche Studentenschaft zusammen mit dem NSDStB in Personalunion geführt wurden. Die Konflikte, die sich auf Reichsebene bis dahin zwischen dem Führer der Deutschen Studentenschaft Andreas Feickert und NSDStB-Führer Albert Derichsweiler entsponnen hatten, fanden zu jener Zeit an der Universität Münster nur bedingt Entsprechung. Hier war bereits 1934 nach Derichsweilers Abberufung ins Amt des „Reichsstudentenbundsführers“ nach München die Personalunion durch Fritz Erfurth verwirklicht worden.85 Probleme erwuchsen der Studentenführung eher auf anderer Ebene. Zum einen versuchten Parteiorganisationen Einfluss zu gewinnen, zum anderen schaltete sich der Führer der Deutschen Studentenschaft Andreas Feickert direkt von Berlin aus in münstersche Belange ein. Im Jahr 1935 geriet der seinerzeitige NSDStB-Führer Walter Hoffmann wegen angeblichen Titelmissbrauchs ins Visier der NS-Gaustudentenbundführung. Deren Leiter Wilhelm Lüerßen beabsichtigte einen eigenen Geschäftsführer der Gauleitung in Münster zu installieren. Doch sowohl der Führer der Dozentenschaft Hermann Walter als auch Rektor Karl Hugelmann standen zu Hoffmann, da sie ihn schließlich beim Ministerium vorgeschlagen hatten. Weitere personelle Querelen in der Studentenschaftsführung folgten, als Feickert dem Erziehungsministerium den NSDStB-Hochschulgruppenführer Rudolf Graf von Westphalen als Studentenschaftsführer in Münster vorschlug. Rektor Hugelmann befürwortete diesen Vorstoß, erhoffte er sich doch eine Beendigung der Rivalität zwischen Deutscher Studentenschaft und NSDStB. Nachdem von Westphalen das Amt von Hoffmann im Sommersemester 1936 übernommen hatte, wurde er wegen „parteischädigenden Verhaltens“ von Gaustudentenbundführer Lüerßen seines Amtes enthoben. Damit hatte dieser jedoch seien Kompetenzen überschritten, so dass der inzwischen zum Nachfolger Derichsweilers bestimmte „Reichsstudentenbundsführer“ Dr. Adolf Scheel das Disziplinarverfahren gegen von Westphalen niederschlagen ließ und ihn mit Schreiben vom 12. November 1936 wieder in sein Amt einsetzte. Kurioserweise folgte ihm Gaustudentenbundführer Lüerßen am 1. Januar in dieser Position, wobei er sowohl den NSDStB als auch die örtliche Deutsche Studentenschaft in Personalunion führte. Über die Folgejahre sind kaum Einzelheiten überliefert. Dies gilt erst Recht für die Kriegsjahre, in denen die meisten männlichen Studenten eingezogen waren und vor allem Studentinnen, beurlaubte Offiziere und Medizinstudenten noch am Lehrbetrieb teilnahmen. Nachdem dieser im Jahr 1940/41 auf Trimester umgestellt 85

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worden war,86 um die Studiendauer der Verbliebenen zu verkürzen, wurde 1944 der Lehrbetrieb eingestellt.

Von der „skeptischen“ zur „unbefangenen“ Generation?87 Die verfasste Studentenschaft 1945 bis 1960 Für das erste Nachkriegssemester stellte sich den Verantwortlichen die Frage, welche Studierenden einen der wenigen Studienplätze erhalten sollten. Denn angesichts eines erst schleppend anlaufenden Lehrbetriebs musste eine Auswahl getroffen werden. Im Wintersemester 1945/46 einigten sich die britischen Behörden und das Rektorat zunächst auf drei Kriterien: die Studierenden sollten politisch unbelastet sein und ihre fachliche Eignung durch das Reifezeugnis dokumentieren. Ferner galt der persönliche Eindruck aufgrund ihrer Bewerbung als maßgeblich. Doch bereits im Sommersemester 1946 griffen andere, nämlich soziale Kriterien, da sich die bisherige Praxis offenbar als untauglich erwiesen hatte.88 Am 20. August 1946 berichtete der AStA an Rektor und Senat über die Beschlüsse des Göttinger Studententags, wonach eine Hierarchisierung nach fünf Kriterien empfohlen wurde. Demnach sollten zunächst Studierende im Rahmen der politischen Wiedergutmachung bevorzugt werden. An zweiter Stelle rangierten Kriegsversehrte. Das Alter der Studierenden sollte ebenso eine Rolle spielen wie die Beteiligung am Wiederaufbau.89 Berücksichtigt wurden außerdem die Semesterzahl sowie das persönliche Schicksal beziehungsweise die finanziellen Verhältnisse. Letztlich bedeutete diese Rangfolge eine gewisse Benachteiligung von Frauen gegenüber Kriegsteilnehmern. Wäre es nach der Mehrheit der männlichen Kommilitonen gegangen, dann hätten Frauen generell das Nachsehen gehabt, da sie als Konkurrentinnen auf dem Arbeitsmarkt wahrgenommen wurden.90 Die Entnazifizierung der Studierenden erfolgte mittels eines von der Militärregierung entwickelten Fragebogens. Dessen Prüfung oblag den Fakultäten und dem Rektorat beziehungsweise einem Immatrikulationsausschuss unter starker Beteiligung des Physikprofessors Adolf Kratzer.91 Die unter Aufsicht der Briten durchgeführte Entnazifizierungspraxis rief in Studentenkreisen harsche Kritik hervor, da sie davon ausgingen, die Jugend sei im „Dritten Reich“ verführt worden und damit unschuldig an den politischen Ereignissen. Erst Jahrzehnte später sollte sich eine 86 87 88 89 90 91

Reichserziehungsminister 1939; die letzte Ausgabe des Amtsblatts datiert auf Mai/Juni 1944; Kasper 1943, S. 397. So die Titel zweier soziologischer Untersuchungen: Schelsky 1957 sowie Blücher 1966. Respondek 1995, S. 149–151. Studierende wurden zur Schutträumung herangezogen. Zwischen 1946 und 1949 umfasste die Räumpflicht drei bis sechs Monate. UAMs, Bestand 144, Nr. 227, sowie zum universitären Antifeminismus Respondek 1995, S. 155; für Braunschweig ähnlich Maaß 1998, S. 286. Respondek 1995, S. 142 und 157ff.

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selbstkritische Haltung etablieren, die insbesondere nach der zwiespältigen Rolle der Studentenschaften gegen Ende der Weimarer Republik fragte. Doch in der unmittelbaren Nachkriegszeit umgingen die Studierenden der Universität Münster jeglichen Blick in die Vergangenheit, was sich auf der anderen Seite im Fehlen nationalsozialistischer oder kriegsverherrlichender Aussagen bemerkbar machte. Positiv gedeutet erwiesen sie sich als politisch gemäßigt, viele aufmerksame Zeitgenossen werteten diese Haltung jedoch richtiger als politische Apathie. Im Jahr 1949 übergaben die Briten die Verantwortung an deutsche Stellen. Es kam zu einer Lockerung der Zugangsbedingungen, was auch damit zusammenhängt, dass die größten materiellen und infrastrukturellen Probleme geringer geworden waren und für eine Zulassungsbeschränkung immer weniger sprach.92 Der erste Nachkriegs-AStA in Münster konstituierte sich unter den wohlwollenden Blicken der britischen Militärbehörden am 25. Juni 1946. Programmatisch strebte er danach, die Studierenden staatsbürgerlich zu erziehen und soziale Dienstleistungen zu übernehmen. Neben der studentischen Selbstverwaltung galt das Augenmerk des AStA in den ersten Nachkriegsjahren der Sozialfürsorge, verschiedenen Disziplinarsachen sowie der Ausweitung der Beratungsbefugnis gegenüber Verwaltung und Rektorat.93 Bis zur Verabschiedung des Hochschulrahmengesetzes 1976 mangelte es jedoch an einer gesetzlichen Verankerung der verfassten Studierendenschaft, die bis dahin lediglich auf gewohnheits- und satzungsrechtlicher Grundlage agierte. Den in der Weimarer Republik erlangten Status einer öffentlichrechtlichen Körperschaft besaß sie in den ersten Nachkriegsjahren daher nicht.94 Zur Belastung durch untragbare infrastrukturelle Studienbedingungen hinsichtlich mangelnder Räume und veralteter Lehrbücher95 gesellten sich allgemeine Probleme im Privaten wie die Wohnungsnot und der Mangel an Lebensmitteln sowie Heizmaterial. Viele Studierende waren gezwungen, neben dem Studium zu arbeiten, um sich und gegebenenfalls ihre Familien zu ernähren. Ihre vordringlichen Interessen galten daher neben dem Fach der Organisation des Alltagslebens und der materiellen Absicherung.96 Als „skeptische Generation“ hielten sie sich nach den Erfahrungen der NS-Zeit von politischen Betätigungen weitgehend fern. Man gab sich entpolitisiert, entideologisiert sowie skeptisch gegenüber Autoritäten und idealistischen Konzepten. Diese Generation zeichnete sich durch „unerbittliches Realitätsverlangen“ aus, wie es der 1960 an die Universität berufene Soziologe Helmut Schelsky formulierte.97 Daraus ergab sich ein relativ hoher Grad an Angepasstheit, der sich in den frühen 1950er-Jahren mit einer zunehmenden Konsumorientierung 92 93 94 95 96 97

Ebd., S. 172. UAMs, Bestand 4, Nr. 216. Vgl. Keller 2000, S. 78ff. Zum Publizistikstudium an der Universität Münster s. Schütz 2002, S. 88. Schelsky 1957, S. 74–77. Dieses Selbstverständnis findet sich auch an anderen Hochschulen: vgl. Maaß 1998, S. 288. Zur breiten Rezeption von Schelskys Werk s. Kersting 2002. Schelsky 1957, S. 77.

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ergänzte.98 Der Hochschule war diese Ausrichtung durchaus angenehm, denn offiziell bemühte man sich die Universität von Politik freizuhalten oder zumindest politische Aktivitäten zu kanalisieren. Bis 1960 veranstaltete die Hochschulleitung erfolgreich Vorträge im Rahmen des Studium Generale Politicum, das von einem Senatsbeauftragten organisiert wurde und einen institutionellen Rahmen politischer Bildung darstellte.99 Andere, stärker diskursiv ausgerichtete Foren boten die Katholische und die Evangelische Studentengemeinde als zentrale Orte der politischen Diskussion vor allem gegen Ende der 1950er- beziehungsweise Anfang der 1960er-Jahre.100 Das zeitgenössische Selbstverständnis der Hochschulangehörigen änderte sich innerhalb von nur einem Jahrzehnt fundamental. Im Jahre 1946 galt als Konsens, dass die Universität ein „geschlossener, autonomer Organismus“ oder auch ein „Staat im Staate“ sei.101 Elf Jahre später konstatierte der Bericht eines AStA-Ausschusses über die Wahrnehmung des politischen Mandats durch den Verband Deutscher Studentenschaften, ein solches hätte die fatale Folge, die Studentenschaft zu einem „Staat im Staate“ zu machen, der die Rechte gewählter Parlamente ignoriere.102 Dieser Politisierungsprozess, der die Hochschulen stärker als zuvor als Teil der Gesellschaft definierte, bezog sich zunächst jedoch vorrangig auf hochschulpolitische Aspekte. So verstand es der AStA seine Position im System Universität auszubauen, indem er das Anhörungsrecht in studentischen Angelegenheiten erlangte, das sich zunächst jedoch nicht in ein Mitwirkungsrecht verwandelte. Erstmals erhielt am 4. Februar 1947 ein studentischer Vertreter einen Platz im Senat, wobei er formal jedoch nur Gaststatus bei Tagesordnungspunkten zu studentischen Angelegenheiten besaß – weitere Zugeständnisse machten die professoralen Mitglieder nicht.103 Informell nahm der AStA eine durchaus bemerkenswerte Position ein. Denn alle studentischen Vereine bedurften der Genehmigung durch das Rektorat, das sich regelmäßig mit der Bitte um Begutachtung der Satzungen an den AStA wandte. In der Weimarer Republik hatte der AStA dieses Anhörungsrecht noch nicht besessen. Auch die innerorganisatorische Demokratie wurde ausgebaut, indem ein Studentenparlament den bis 1958 als alleiniges Exekutivorgan mit legislativen Befugnissen ausgestatteten AStA ergänzte. Damit holte die Universität Münster eine Entwicklung nach, die an anderen Hochschulen bereits in der ersten Hälfte der 1950er-Jahre vollzogen worden war.104 Es dauerte einige Zeit, bis das neue Legis98

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Ebd., S. 322f. Allerdings engagierten sich dieselben jungen Menschen vor allem nach ihrem Studium und trugen dadurch als gesellschaftliche Funktionsträger zur pluralistischen Formierung der Bundesrepublik in den 1960er-Jahren bei. Spix 2008, S. 117f. Ebd., S. 166 und 173. Aus einem Aufruf des AStA vom 31.7.1946 sowie aus einem Referat Prof. Hoffmanns am 12.8.1946, UAMs, Bestand 144, Nr. 216. Bericht des AStA-Ausschusses vom 9.1.1957, UAMs, Bestand 144, Nr. 223. Respondek 1995, S. 138. Spix 2008, S. 233 und 259.

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lativorgan arbeitsfähig war, da sich die darin vertretenen politischen Gruppen, die ansonsten wenig Interesse an einer Mitarbeit im AStA zeigten, gegenseitig blockierten. Als drittes Element der Gewaltenteilung wurde am 26. Juni 1955 ein so genannter „Ältestenrat“ zur Entlastung des AStA eingerichtet. Er sollte zum einen die personelle Kontinuität gewährleisten und war zum anderen befugt, Beschlüsse des AStA aufzuheben.105 Die Beteiligung an den AStA-Wahlen schwankte in den 1950er-Jahren zwischen knapp 40 und 55 Prozent, wobei nach einem reinen Persönlichkeitswahlrecht abgestimmt wurde.106 Bis zur Etablierung des Studentenparlaments 1958 durfte jede Fakultät drei Mandate im AStA besetzen. Eine Listenwahl war nicht vorgesehen, um die Interessenvertretung aller Studierenden zu gewährleisten. Daher betrug der Anteil unabhängiger Kandidaten mehr als 80 Prozent.107 Die grundsätzlich unpolitische Haltung der Studierenden ging dennoch einher mit öffentlichen Aktivitäten und Kundgebungen. Es handelte sich jedoch in den Anfangsjahren nach dem Zweiten Weltkrieg fast ausschließlich um Positionen, die sich innerhalb des breiten westdeutschen Konsenses bewegten. Ein solches Konsenselement war das Eintreten für die Wiedervereinigung, das in vielfältiger Weise vom AStA unterstützt wurde. So rief dieser am 29. November 1946 dazu auf, Patenschaften für Universitäten in der sowjetischen Besatzungszone zu übernehmen.108 Im Jahr 1954 organisierte er eine Solidaritätswoche, um die Verbundenheit mit den ostdeutschen Studierenden zu untermauern. Wenn es zu innenpolitischen Konflikten kam, dann waren sie taktischer Natur. Beispielsweise betrachteten einige Studierende im Januar 1949 die Gründung des Verbandes Deutscher Studentenschaften als Bedrohung für eine einheitliche gesamtdeutsche Studentenvertretung. Es handelte sich also um ähnliche Argumentationsmuster wie bei der Gründung der Bundesrepublik und deren Westbindung. Insofern vollzogen die Studierenden auf unterer Ebene nach, was die nationale Politik vormachte. Der AStA der Universität bekannte sich daraufhin mit pathetischen Worten zur deutschen Einheit und betrachtete den Verband Deutscher Studentenschaften lediglich als vorläufigen Zusammenschluss westdeutscher Studentenausschüsse.109 Gleichwohl trat der AStA dem Verband Deutscher Studentenschaften bei und unterstützte 1955 dessen 105

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Der Ältestenrat bestand aus sechs ehemaligen, vom jeweils amtierenden AStA zu wählenden, AStA-Mitgliedern, die mindestens 21 Jahre alt sein mussten. UAMs, Bestand 144, Nr. 222; Spix 2008, S. 228. Wahlbeteiligung 1955: 40,8 Prozent; 1956: 37,2 Prozent; 1957: 55,8 Prozent; 1958: 55,6 Prozent; 1959: 37,5 Prozent; 1960: 42,2 Prozent, Spix 2008, S. 242, sowie UAMs, Bestand 144, Nr. 220, 222 und 223. Spix 2008, S. 250. UAMs, Bestand 144, Nr. 216. Aufruf des AStA vom 8.2.1949: „Wir verwahren uns an dieser Stelle gegen jeden Vorwurf von Nationalismus, aber für die nationalen Belange einzutreten erachten wir als unsere höchste Pflicht gegenüber unserem Volke. Im Geiste der Kommilitonen von 1813 und 1848 wollen wir die Fackel der Freiheit wieder in die Hand nehmen.“ UAMs, Bestand 144, Nr. 217.

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bundesweit mit Rückendeckung der großen politischen und konfessionellen Hochschulverbände durchgeführte Kampagne anlässlich der Vier-Mächte-Konferenz in Genf zur Deutschlandfrage. Dadurch sollten die Verhandlungsteilnehmer an die Verwirklichung der deutschen Einheit gemahnt werden. Der AStA lehnte eine offizielle Kundgebung während der Vorlesungszeit ab, schloss sich aber letztlich mit seinem Aufruf am 12. Juli dem bundesweiten Trend an. Auf der zentralen Kundgebung vor dem Schloss sprachen am 18. Juli Rektor Hermann Volk und der AStAVorsitzende Helmut Elfring – allerdings hatte man die Unterbrechung des Lehrbetriebs vermieden, indem geschickt auf die Mittagszeit um 12 Uhr ausgewichen wurde.110 Mit der Verschärfung des Kalten Krieges wurde Mitte der 1950er-Jahre die Wiedervereinigungsthematik um eine akzentuierte antikommunistische Rhetorik ergänzt. So veranstaltete der AStA 1957 eine antikommunistische Demonstration,111 und es fand sich eine im Vergleich mit Studentenzeitungen anderer Universitäten hohe Zahl von antikommunistisch geprägten Artikeln im Semesterspiegel.112 Dies änderte sich mit dem Mauerbau 1961: Die Einschränkung der Ostkontakte hatte zur Folge, dass die deutsche Frage, ebenso wie eine perspektivische Wiedervereinigung, an Stellenwert verlor und ihre Identität stiftende Wirkung einbüßte. Auch anlässlich eines Skandals in der Innen- und Hochschulpolitik waren sich Rektorat und AStA einig. Es ging um die Ernennung des rechtsextremen Verlegers und Politikers Leonhard Schlüter zum niedersächsischen Kultusminister im Mai 1955, der jedoch bereits im Juni wieder zurücktrat. Das Rektorat und der AStA unterstützten den wachsenden öffentlichen Druck auf Schlüter in Form einer gemeinsamen Protestnote gegen dessen Ernennung.113 Die Protestaktionen beschränkten sich jedoch auf den engeren hochschulpolitischen Bereich. Allgemeinpolitische Äußerungen zur Wiedereingliederung von NS-Belasteten oder gar zur NS-Vergangenheit der Hochschulen und Studentenschaften finden sich dagegen nicht.114 Das Thema der Wiederbewaffnung der jungen Bundesrepublik barg im Vergleich mit der Wiedervereinigungsdebatte ein größeres gesellschaftliches Konfliktpotenzial. Insofern mag es überraschen, dass der AStA eine eindeutig ablehnende Haltung einnahm und am 20. Dezember 1949 einen Aufruf der Stuttgarter Studierendenvertretung gegen die Remilitarisierung der Bundesrepublik einmütig unterstützte.115 Allerdings bewegte er sich damit zu jener Zeit in einer breiten gesellschaftlichen Grundströmung, hatte doch selbst Bundeskanzler Konrad Adenauer zumindest in öffentlichen Verlautbarungen eine Wiederbewaffnung abgelehnt. Als der Verband Deutscher Studentenschaften im Juni 1956 in ähnlicher Weise Stellung bezog, ern110 111 112 113 114 115

UAMs, Bestand 144, Nr. 80. UAMs, Bestand 144, Nr. 223. Spix 2008, S. 377. UAMs, Bestand 144, Nr. 220. Rohwedder 2005, S. 240. UAMs, Bestand 144, Nr. 218. Im Bundestag wurde das Thema erstmals am 24./25.11.1949 diskutiert.

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tete er dagegen Proteste aus den Einzelstudentenschaften, darunter auch aus Münster. Der AStA missbilligte zusammen mit vielen anderen Studentenausschüssen in der Bundesrepublik die Wahrnehmung des politischen Mandats durch den Verband Deutscher Studentenschaften gegen die Wiederbewaffnung – allerdings nicht aufgrund inhaltlicher, sondern formaler Bedenken. Der Verband Deutscher Studentenschaften konterte mit dem Hinweis darauf, dass es sich keineswegs um Parteipolitik handele, sondern um eine Frage von nationalem Interesse, zu der sich zu äußern der Verband Deutscher Studentenschaften durch seine Mitgliederversammlung berufen sehe.116 Als die Studentenschaft im März des Folgejahres kurzzeitig aus dem Verband Deutscher Studentenschaften austrat, beeilte man sich zu versichern, der Schritt erfolge ausschließlich aufgrund einer inakzeptablen Beitragserhöhung, nicht jedoch aufgrund des Vorjahresdisputs. Unter der Bedingung, dass die Beitragsfragen einer Klärung zugeführt wurden, trat der AStA zum 1. April 1957 erneut dem Verband Deutscher Studentenschaften bei.117 Nach den Erfahrungen der Weimarer Republik und der nationalsozialistischen Epoche stellte sich den einzelnen Studierenden die Frage, ob und in welcher Form sie sich organisatorisch zusammenschließen sollten. Konkret ging es um die Neuformierung beziehungsweise Restituierung studentischer Vereine und Verbindungen. Schon im Sommer 1946 hatten die beiden katholischen Verbindungen Sauerlandia und Saxonia bei den britischen Militärbehörden ihre Wiederzulassung beantragt. Diese begrüßten zwar generell die Gründung studentischer Clubs, versagten jedoch ihre Zustimmung für die Wiedereröffnung der Verbindungen unter altem Namen und verboten auch das Farbentragen.118 Doch den Anliegen insbesondere der katholischen Verbindungen konnten sich die Briten nicht lange entgegenstellen, so dass es bis 1950 zu zahlreichen Wiedereröffnungen kam.119 Mit ihren Vorbehalten trafen die Briten bei vielen Professoren der Universität auf Sympathie, da diese die studentischen Traditionen ebenfalls als überkommen betrachteten. Wenn Schelsky in seiner Studie dennoch vom „Wiederaufleben der Korporationen“ sprach, dann bezog er dieses Verdikt auf die Aneignung bürgerlicher Konventionen durch die Jugend und einen allgemeinen, die Korporationen begünstigenden, restaurativbürgerlichen Trend in der gesamten Gesellschaft.120 Auch wenn die Verbindungen wieder die Bühne der Hochschulöffentlichkeit betraten, so erlitten sie in den Folgejahren doch einen faktischen Bedeutungsverlust, da sie sich – nicht zuletzt durch den Druck der Altherrenvereinigungen – lediglich auf eine Wiederbelebung des traditionellen Verbindungslebens kaprizierten.121 Ihre dominierende Position in116 117 118 119 120 121

UAMs, Bestand 144, Nr. 81. Dazu auch: Meinhof 1958. Der Austritt erfolgte mit Schreiben vom 25.3.1957, UAMs, Bestand 144, Nr. 223. Education Branch HQ M1 Westfalen an den Rektor am 9.8.1946, UAMs, Bestand 144, Nr. 229. Respondek 1995, S. 119. Schelsky 1957, S. 327. Kleifeld 2002, S. 467.

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nerhalb der Studentenschaft während des Kaiserreichs und der Weimarer Republik konnten sie nicht wiedererlangen. In hochschulpolitischen Fragen übten sie „keinen nennenswerten Einfluß“122 mehr aus. Für Münster gilt dieser Befund nur eingeschränkt, denn an der Universität konnten die Verbindungen bis zum Ende des Untersuchungszeitraumes eine gewisse Resonanz verbuchen. In seinem Tätigkeitsbericht für das Wintersemester 1955/56 sprach der AStA-Vorsitzende von einem „wirklich gute[n]“ Verhältnis zu den Korporationen und regte die Einbeziehung der Chargen an, um die Beteiligung an den AStA-Wahlen zu steigern. Insbesondere der von den katholischen Verbindungen getragene Katholische Hochschulring engagierte sich stark in der studentischen Selbstverwaltung.123 Gegenüber den nichtkonfessionellen, meist schlagenden Verbindungen bestand jedoch ein distanziertes Verhältnis, wie eine Selbsteinschätzung im Verbandsorgan des Kösener SeniorenConvents-Verbands und des Weinheimer Senioren-Convent 1957 konstatierte. Demnach war das Verhältnis der Corps zum AStA in Münster nicht existent, das Verhältnis zur lokalen Öffentlichkeit schlecht.124 Es war insbesondere die Bestimmungsmensur, die in studentischen und professoralen Kreisen Unbehagen hervorrief. Beide Gruppen verurteilten in getrennten Entschließungen die studentische Mensur als irrational und veraltet.125 Der Anteil der Studierenden, der sich in katholischen Verbänden organisiert hatte, betrug in den 1950er-Jahren zwischen 30 und 40 Prozent und sank seit 1960 kontinuierlich auf unter 20 Prozent im Jahr 1966. Von den münsterschen Studentinnen waren 17 Prozent in katholischen Studentinnengruppen aktiv, was beträchtlich über dem bundesweiten Durchschnittswert von zehn Prozent lag.126 Nach einer Schätzung des AStA-Vorsitzenden gehörte 1958 jeder fünfte Student einer katholischen Verbindung an, allerdings mit deutlich sinkender Tendenz zu Beginn der 1960er-Jahre. Demgegenüber konnten sich die drei an der Universität existierenden politischen Hochschulgruppen Ring Christlich-Demokratischer Studenten, Sozialistischer Deutscher Studentenbund und Liberaler Studentenbund Deutschlands auf insgesamt lediglich 160 bis 180 Mitglieder stützen.127 Für Beobachter aus dem katholischen Milieu war die Welt an der Universität Münster Mitte der 1950er-Jahre noch in Ordnung. Der Frankfurter Studentenseelsorger Otmar Dessauer war 1954 über die hiesigen Verhältnisse gleichermaßen perplex wie erfreut: „Wo gibt es das sonst noch an einem Hochschulort, dass die religiöse Substanz der Studierenden noch so gesunde Züge trägt […] ?“128 Mehr als 2.000 Studierende besuchten regel122 123 124 125

126 127 128

Ebd., S. 473. Spix 2008, S. 163 und 258. Kleifeld 2002, S. 478. AStA-Entschließung vom 21.2.1956, UAMs, Bestand 144, Nr. 221; Ablehnungserklärung zur Bestimmungsmensur durch Rektor und Senat vom 12.7.1956, UAMs, Bestand 144, Nr. 227. Schmidtmann 2006, S. 115. Ebd., S. 499, und Spix 2008, S. 192ff. Zitiert nach Schmidtmann 2006, S. 117.

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mäßig die sonntäglichen Gottesdienste und brachten es damit für bundesdeutsche Verhältnisse auf eine nach Ansicht Dessauers paradiesische Quote. Doch Auflösungserscheinungen machten sich zum Ende des Untersuchungszeitraums allenthalben bemerkbar. Weder war der traditionell starke Einfluss der Konfession kompatibel mit einer sich gegen Ende der 1950er-Jahre formierenden pluralistischen Gesellschaft in der Bundesrepublik.129 Die katholische Kirche verlor für die Jüngeren schrittweise ihre Rolle als moralischer Fluchtpunkt, als der sie noch der älteren Generation gegenüber dem Nationalsozialismus gedient hatte.130 Noch zeigten sich die Hochschulstrukturen den geänderten Anforderungen jener Jahre gewachsen. Auf dem Weg zur Massenuniversität mit ihrem gleichzeitigen Bildungs- und Ausbildungsanspruch verstärkten sich innerhalb der Studentenschaft der Universität Münster Politisierungstendenzen – allerdings in vergleichsweise moderatem Ausmaß. Die Studierendengenerationen seit 1958 unterschieden sich von der „skeptischen Generation“ der unmittelbaren Nachkriegsjahre. Die Jugend hatte einen „gründlichen Prozeß politischen Umdenkens“131 vollzogen und sich dem westlichen Demokratiemodell angenähert. Die Studierenden zeigten sich in stärkerem Maße an allgemeiner Politik interessiert als ihre Kommilitonen ein Jahrzehnt zuvor. Dies lag – so eine Forschungsthese – nicht zuletzt an der relativen Machtlosigkeit auf hochschulpolitischem Gebiet, da die Studentenschaften mit ihren hochschulreformerischen Vorstellungen kaum durchgedrungen waren. Der Entmündigung in hochschulpolitischen Fragen begegneten die Studierendenvertretungen demnach mit einer Hinwendung zu allgemeinpolitischen Fragen.132 Zugleich begann sich die bis dahin allenthalben anzutreffende Autoritätsfixierung aufzulösen und sich in eine zunehmend kritische gesellschaftspolitische Haltung umzubilden. An der Universität Münster scheint diese Entwicklung langsamer und behutsamer vonstatten gegangen zu sein als an großstädtischen Hochschulen. In dieser Hinsicht spielte sicherlich der provinzielle Charakter der lokalen Ebene eine wichtige Rolle – doch die Tendenz war auch hier unübersehbar. Davon zeugt nicht zuletzt die wachsende Unzufriedenheit mit den traditionellen Formen studentischer Geselligkeit, die aufgrund eines Artikels im Semesterspiegel 1959 zur Gründung der ersten Studentenkneipe, der „Cavete“, führte.133 Als der AStA im November 1963 eine Universitätswoche unter dem Motto „Die unbewältigte Gegenwart“ zur „Überfüllungskrise“ der Universitäten veranstaltete, erachtete Kultusminister Paul Mikat dies in seinem Grußwort als begrüßenswertes 129

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Kersting/Reulecke/Thamer 2010, S. 12f. Für den Medienbereich identifiziert Hodenberg 2006, S. 448, eine deutliche Zäsur mit weitreichenden Folgen für die politische Kultur der Bundesrepublik, die mindestens so ausgeprägt waren wie jene der Ereignisse von 1968. Klenke 2008, S. 50. Blücher 1966, S. 311. Rohwedder 2005, S. 241. Zur Gründung der „Cavete“ und den Reaktionen in der Öffentlichkeit s. Klenke 2008, S. 54–59.

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Indiz für den erwachenden Gestaltungswillen und die wachsende Aktivität der angehenden Akademiker.134 Es sollte nur wenige Jahre dauern, bis die nächste Studierendengeneration ihren Eltern die Frage nach der „unbewältigten Vergangenheit“ stellte. Erst dadurch war auch in Münster die Schwelle zu einer neuen Phase studentischen Selbstverständnisses vollends überschritten. Die Jahre zwischen 1920 und 1960 zeichneten sich durch eine zwischenzeitliche Radikalisierung in den zwanziger und dreißiger Jahren aus. Verglichen mit großstädtischen Universitäten verlief die politische Entwicklung in Münster jedoch weniger stürmisch und insgesamt geringfügig moderater, auch wenn die Tendenz jeweils in dieselbe Richtung zeigte. Daher waren die politischen Brüche etwas weniger ausgeprägt als andernorts. Das katholische Milieu besaß zunächst noch eine gewisse Pufferfunktion gegen politische Radikalismen. Im Untersuchungszeitraum ist jedoch eine einsetzende Erosion dieses Milieus in studentischen Kreisen zu beobachten. Vollends bemerkbar machte sich diese Entwicklung jedoch erst in den 1970er- und 1980er-Jahren, als die Studentenschaft der Universität Münster die konfessionellen Bindungen weitgehend kappte und sich in dieser Hinsicht nicht mehr von den größten bundesdeutschen Universitäten unterschied.

Literatur Abendroth, Wolfgang, Ein Leben in der Arbeiterbewegung, Frankfurt a. M. 1976. Albers, Helene/Beuvink-Jenke, Christiane, „Ganz sich zu emancipieren und womöglich zu studiren…“. Die Anfänge des Frauenstudiums an der Universität Münster, in: Arbeitskreis Frauengeschichte (Hg.), Frauenleben in Münster. Ein historisches Lesebuch, Münster 1991, S. 198–212. Altherrenverband der AV Zollern (Hg.), 90 Jahre AV Zollern, Bd. 1: 1901–1935, Greven 1991. Bachmann, Jürgen, Die Verfassung der Münsterischen Studentenschaft, in: Hochschul-Stimmen 2 (1920), S. 114–117. Blücher, Viggo Graf, Die Generation der Unbefangenen. Zur Soziologie der jungen Menschen heute, Düsseldorf, Köln 1966. Chronik der Westfälischen Wilhelms-Universität zu Münster 1935/36. Dollinger, Heinz (Hg.), Die Universität Münster 1780–1980, Münster 1980. Elkemann, Hugo/Götz, Wolfram/Kranz, Brigitte, Die Universität in der Weimarer Republik (1918–1920), in: Kurz 1980, S. 47–63. Faust, Anselm, Der nationalsozialistische deutsche Studentenbund, Bd. 2, Düsseldorf 1973. 134

Die unbewältigte Gegenwart 1963, S. 8.

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Felz, Sebastian, Albert Derichsweiler (1909–1997) – die Karriere eine Brandstifters, in: Gussek/Schmidt/Spieker 2009, S. 21–35. Fritze, Ralf, Beobachtungen zu Universität, Gesellschaft und Politik in Deutschland. Ein englischer Austauschstudent berichtet aus Münster, in: Geschichte im Westen 15 (2000), S. 196–207. Grüttner, Michael, Die deutschen Universitäten unter dem Hakenkreuz, in: Connelly, John/Grüttner, Michael (Hg.), Zwischen Autonomie und Anpassung. Universitäten in den Diktaturen des 20. Jahrhunderts, Paderborn, München, Wien, Zürich 2003, S. 67–100. Gussek, Anja/Schmidt, Daniel/Spieker, Christoph (Hg.) Öffentliche Zensur und Bücherverbrennung in Münster. Eine Dokumentation herausgegeben aus Anlass der Enthüllung einer Gedenktafel am 6. Mai 2009 (Villa ten Hompel Aktuell 12), Münster 2009. Hames, Hermann, Neuwerdung, Neugestaltung, in: Hochschul-Stimmen 1 (1919), S. 35. Happ, Sabine/Jüttemann, Veronika (Hg.), „Laßt sie doch denken!“ 100 Jahre Frauenstudium in Münster (Veröffentlichungen des Universitätsarchivs Münster 2), Münster 2008. Hodenberg, Christina von, Konsens und Krise. Eine Geschichte der westdeutschen Medienöffentlichkeit, Göttingen 2006. Hörster-Philipps, Ulrike/Vieten, Bernward, Die Westfälische Wilhelms-Universität beim Übergang zum Faschismus. Zum Verhältnis von Politik und Wissenschaft 1929–1935, in: Kurz 1980, S. 77–103. Jarausch, Konrad H., Deutsche Studenten 1800–1970, Frankfurt a. M. 1984. Kasper, Gerhard (Hg.), Die deutsche Hochschulverwaltung. Sammlung der das Hochschulwesen betreffenden Gesetze, Verordnungen und Erlasse, Bd. 2, Berlin 1943. Keller, Andreas, Hochschulreform und Hochschulrevolte. Selbstverwaltung und Mitbestimmung in der Ordinarienuniversität, der Gruppenhochschule und der Hochschule des 21. Jahrhunderts, Marburg 2000. Kersting, Franz-Werner, Helmut Schelskys „Skeptische Generation“ von 1957. Zur Publikations- und Wirkungsgeschichte eines Standardwerkes, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 50 (2002), S. 465–495. Kersting, Franz-Werner/Reulecke, Jürgen/Thamer, Hans-Ulrich, Aufbrüche und Umbrüche: Die zweite Gründung der Bundesrepublik 1955–1975. Eine Einführung, in: diess. (Hg.), Die zweite Gründung der Bundesrepublik. Generationswechsel und intellektuelle Wortmeldungen 1955–1975 (Naussauer Gespräche der Freiherr-vom-Stein-Gesellschaft 8), Stuttgart 2010, S. 7–20. Kleifeld, Helge, „Wende zum Geist“? Bildungs- und hochschulpolitische Aktivitäten der überkonfessionellen studentischen Korporationen an westdeutschen Hochschulen 1945–1961, Köln 2002. Klenke, Dietmar, Schwarz – Münster – Paderborn. Ein antikatholisches Klischeebild, Münster 2008.

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Rainer Pöppinghege

Köster, Heinz, Die Westfälische Wilhelms-Universität zu Münster während des [ersten] Weltkrieges und der Novemberrevolution (1914–1919), Phil. Diss. (masch.) Münster 1941. Köster, Heinz, Zur Gründungsgeschichte des Allgemeinen Studenten-Ausschusses an der Universität Münster, in: Aus westfälischer Geschichte. Festgabe für Anton Eitel, Münster 1947, S. 145–153. Kurz, Lothar (Hg.), 200 Jahre zwischen Dom und Schloß. Ein Lesebuch zur Vergangenheit und Gegenwart der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, Münster 1980. Langenfeld, Hans/Prange, Klaus, Münster – die Stadt und ihr Sport. Menschen, Vereine, Ereignisse aus den vergangenen beiden Jahrhunderten, Münster 2002. Marshall, Barbara, The Political Development of German University Towns in the Weimar Republic. Göttingen and Münster, Diss. London 1972. Maaß, Rainer, Die Studentenschaft der Technischen Hochschule Braunschweig in der Nachkriegszeit, Husum 1998. Mattonet, Hubert, Jeder Student ein SA-Mann! Ein Beitrag zur Geschichte der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster in den Jahren 1933 bis 1939. Archivgestützte Erinnerungen eines damaligen Studenten, Münster 2008. Meinhof, Ulrike, Atomare Bewaffnung, in: Semesterspiegel 32 (Juli 1958), S. 12–13. Morsey, Rudolf, Georg Schreiber, der Wissenschaftler, Kulturpolitiker und Wissenschaftsorganisator, in: Westfälische Zeitschrift 131/132 (1982), S. 121–159. Neugebauer, Anne, Politische Aktivitäten studierender Frauen, in: Happ/Jüttemann 2008, S. 103–124. Ostendorf, Bernd, Die „Aktion wider den undeutschen Geist“ in Münster, in: Horstmann, Iris/Junker, Ulrike/Klusmann, Katrin/Ostendorf, Bernd (Hg.): „Wer seine Geschichte nicht kennt …“. Nationalsozialismus und Münster, Münster 1993, S. 87–99. Pöppinghege, Rainer, Absage an die Republik. Das politische Verhalten der Studentenschaft der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster 1918–1935 (Agenda Geschichte 4), Münster 1994. Pöppinghege, Rainer, „Ein herrliches Sommersemester 1933!“ – Die Gleichschaltung der Studentenschaft in Münster, in: Westfälische Zeitschrift 145 (1995), S. 195–217. Pöppinghege, Rainer, Kämpfe und Karrieren: Das Deutsche Studentenheim in den dreißiger Jahren, in: Deutsches Studentenheim GmbH/Verein alter Breulianer e.V. (Hg.), Gemeinschaft und Kommunikation – 75 Jahre Deutsches Studentenheim, Recklinghausen 2003, S. 51–69. Pöppinghege, Rainer, Die Bücherverbrennung als Karrieresprungbrett: „Reichsstudentenbundsführer“ Albert Derichsweiler (1934–1936), in: GDS-Archiv für Hochschul- und Studentengeschichte (2009), im Druck. Protestkundgebung der Studentenschaft gegen den Gewaltfrieden, in: HochschulStimmen 1 (1919), S. 7–8.

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Reichserziehungsminister, Regelung der Studienzeiten in den kommenden Trimestern, in: Amtsblatt der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster 2 (1939), S. 113–114. Respondek, Peter, Besatzung – Entnazifizierung – Wiederaufbau. Die Universität Münster 1945–1952. Ein Beitrag zur Geschichte der deutsch-britischen Beziehungen nach dem Zweiten Weltkrieg auf dem Bildungssektor (Agenda Geschichte 6), Münster 1995. Rohwedder, Uwe, Zwischen Selbsthilfe und „politischem Mandat“. Zur Geschichte der verfassten Studentenschaft in Deutschland, in: Jahrbuch für Universitätsgeschichte 8 (2005), S. 235–243. Schelsky, Helmut, Die skeptische Generation. Eine Soziologie der deutschen Jugend, Düsseldorf 1957. Schmidtmann, Christian, Katholische Studierende 1945–1973. Eine Studie zur Kultur- und Sozialgeschichte der Bundesrepublik Deutschland, Paderborn 2006. Schütz, Walter J., Studienbedingungen nach 1945 – ein Erfahrungsbericht, in: Medien & Zeit 2/3 (2002), S. 85–91. Spix, Boris, Abschied vom Elfenbeinturm? Politisches Verhalten Studierender 1957–1967. Berlin und Nordrhein-Westfalen im Vergleich, Essen 2008. Strätz, Hans Wolfgang, Die studentische „Aktion wider den undeutschen Geist“ im Frühjahr 1933, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 16 (1968), S. 347–368. Die unbewältigte Gegenwart. Zur Situation der Universität heute. Universitätstage der Studentenschaft. Münster 25. bis 29. November 1963, Münster 1963. Thamer, Hans-Ulrich, Schandpfahl und Scheiterhaufen: Bücherverbrennung in Münster am 10. Mai 1933; in: Schoeps, Julius H./Treß, Werner (Hg.), Orte der Bücherverbrennungen in Deutschland 1933, Hildesheim 2008. Vieten, Bernward, Medizinstudenten in Münster. Universität, Studentenschaft und Medizin, Köln 1982.

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Die Universität Münster nach 1945 Wiedereröffnung und Entnazifizierung im Kontext britischer Besatzungspolitik Das Thema „Wiederaufbau und Entnazifizierung“ ist ein in vielerlei Hinsicht schwieriges, aber auch sehr spannendes Kapitel deutscher Nachkriegs- und bundesrepublikanischer Vor- und Frühgeschichte. Was konkret damit gemeint ist, wird im Laufe dieses Beitrages, so jedenfalls die Hoffnung des Autors, deutlich werden. Um den hier vorgegebenen Rahmen nicht zu sprengen, bedarf es einer Eingrenzung beziehungsweise Komprimierung des an Forschungsschwerpunkten nicht armen Themas.1 Konsequenz dieser Notwendigkeit ist, es auf den Prozess der Wiedereröffnung der Universität und die Problematik der Entnazifizierung von Professoren und Studenten zu fokussieren. Ein kurzer Blick auf die Quellenlage sei dennoch erlaubt, ebenso die zeitgeschichtliche Kontextualisierung des Themas und die mit ihm verbundenen forschungsstrategischen Überlegungen und Probleme. Eine der großen Herausforderungen zeitgeschichtlicher Forschung ist die Verarbeitung riesiger Aktenbestände. Das gilt auch für die Hochschulhistoriographie des 20. Jahrhunderts und damit für die Geschichte der Universität Münster nach 1945. Nicht zuletzt deswegen, weil das hier gewählte methodische Vorgehen es nicht bei der Darstellung der Lokalgeschichte der Universität belässt, sondern, unter Heranziehung der Ergebnisse der stark expandierenden Zeitgeschichtsforschung, den Blick auf die Geschichte alliierter, insbesondere britischer Deutschland- und Besatzungspolitik nicht versäumt, und somit auf die Vermittlung zwischen Universitätsund Zeitgeschichte abzielt. In Anbetracht der Tatsache, dass jede historische Epoche, jede Institution, jede Person einen Anspruch darauf hat, dass ihre Wirklichkeit so umfassend und differenziert wie möglich erschlossen wird, ist dieser Ansatz geradezu obligatorisch und eigentlich auch selbstverständlich. Hilft er uns doch der Gefahr egalisierender Interpretationen entgegen zu wirken, pauschale Verurteilungen aber auch Verharmlosungen und Beschönigungen zu vermeiden und Einzelerscheinungen im historischen Kontext vorsichtig zu verorten. 1

So können etwa die britischen Initiativen zur Hochschulreform (AUT-Report und Blaues Gutachten) hier nicht diskutiert werden. Gleiches gilt für eine Reihe anderer Probleme, zum Beispiel Remigration, politisches Verhalten von Professoren und Studenten, internationale Kontakte nach dem Krieg, Zulassungskriterien zum Studium jenseits der Entnazifizierung.

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Ungeachtet der Vielfalt an Möglichkeiten sich mit der Nachkriegsgeschichte der Universität Münster zu befassen, stehen im Mittelpunkt dieses Beitrages insbesondere drei Fragen: Wie gestaltete sich die Wiedereröffnung der Universität? Welche Rolle spielten die britischen Besatzungsbehörden? Und was waren die Aufgaben und Ziele der Entnazifizierung, was ihre Konsequenzen?

Forschungs- und Quellenlage Die Kapitulation und die Besetzung Deutschlands durch die Siegermächte setzten der Herrschaft des Nationalsozialismus ein Ende und damit der Tätigkeit all jener Einrichtungen, die mehr oder weniger intensiv und freiwillig mitgeholfen hatten, das Bildungs- und Erziehungssystem im Sinne des Nationalsozialismus zu vereinnahmen. Hiervon betroffen waren, wenigstens zeitweise, auch die Universitäten und Hochschulen, die gut 20 Jahre später zu Stätten heftigster Auseinandersetzungen, der „Studentenbewegung“, werden sollten. Eine ihrer Ursachen war die unzulängliche Auseinandersetzung mit der Zeit des Nationalsozialismus durch die Generation der Kriegsteilnehmer. Viele der damals Studierenden rebellierten, weil ihrer Ansicht nach dem ökonomischen Aufschwung in Westdeutschland kein demokratischer parallel gelaufen war. Unterstützt von einigen ihrer Hochschullehrer initiierten sie Mitte der 1960er-Jahre an einigen Hochschulen Diskussionen und Vorlesungsreihen zum Thema „Universität und Drittes Reich“. Wissenschaftliche Arbeiten hierzu gibt es inzwischen reichlich.2 Musste dagegen selbst noch Mitte der 1990er-Jahre das Fehlen einschlägiger Studien zur Entwicklung der Universitäten nach 1945 konstatiert werden, so hat sich diese lamentable Forschungslage mittlerweile ein wenig entspannt. Neuere Forschungen wie die von Mitchel G. Ash, Helmut König, Silke Seemann, Corinne Defrance, Jürgen Heß, Stefan Zauner und anderen3 belegen dies. Die Geschichte der Universität Münster, insbesondere die des 20. Jahrhunderts, ist im Vergleich zu anderen deutschen Hochschulen bis heute eher ein Stiefkind historischer Forschung.4 Über die Gründe für dieses Forschungsdefizit lässt sich, wenn auch gut fundiert, bis heute nur spekulieren. Was die Frage der Wiedereröffnung der Universitäten und deren Entnazifizierung betrifft, so herrschte auch in Münster bis weit in die 1980er-Jahre hinein kein Gedränge hinsichtlich ihrer Erforschung. Vor allem die Mehrzahl der Historiker hielt Distanz zu diesem „widrigen Gegenstand“ mit dem lange vorgetragenen Argument, wissenschaftlich sei dieser 2

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Stellvertretend für die jüngere und jüngste Forschung vgl. Elvert/Nielsen-Sikora 2008, Scholtyseck/Studt 2008, Kinas 2007, vom Bruch/Jahr 2005, Lehmann/Oexle 2004, vom Bruch/Kaderas 2002, Nagel 2000. Seemann 2002, Defrance 2000, König/Kuhlmann/Schwabe 1997, Heß/Lehmann/Sellin, Volker 1996, Ash 1995, Zauner 1993. Vgl. hierzu ausführlich: Respondek 1995, S. 16ff.

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Epoche noch nicht beizukommen, dazu sei es noch zu früh.5 Ein mögliches Motiv für diese zögerliche Haltung war wohl das bis heute durch Dankbarkeit, Loyalität und Unterordnung geprägte akademische „Lehrer-Schüler-Verhältnis“ und das nicht nur an Universitäten nach wie vor existente „Nadelöhr der Kooptation“.6 Werfen wir nun einen kurzen Blick auf die Quellen. Um an das umfangreiche und weit gestreute und in seiner Aussagekraft stark variierende Aktenmaterial zu gelangen, mussten die Bestände verschiedener Archive eingesehen werden. Relevantes Quellenmaterial deutscher wie britischer Provenienz boten: das Public Record Office in Kew/Richmond bei London, das Berlin Document Center, das Archiv der Friedrich-Ebert Stiftung in Bonn, das Bundesarchiv Koblenz, das Archiv des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe, das Landesarchiv Nordrhein-Westfalen Abteilungen Rheinland und Westfalen, das Stadtarchiv Münster, das Bistumsarchiv Münster, das Institut für Zeitungsforschung in Dortmund und das Landeskirchenarchiv in Bielefeld und nicht zuletzt das Universitätsarchiv Münster. Dessen Bestände erwiesen sich hinsichtlich der engeren Universitätsgeschichte sachbegründet als die ergiebigsten. Hier fanden sich neben den für das Thema unverzichtbaren Protokollen der Rektorenkonferenzen, Personal- und Vorlesungsverzeichnisse, Rektoratsberichte, Teile der Korrespondenz mit den Militärbehörden, Immatrikulationsreden und Ansprachen zur Wiedereröffnung der Universität, Lage- und Situationsberichte über die Universität nach dem Krieg, die Dienstakten des Rektors und der einzelnen Fakultäten, die Studentenzeitungen „Das Auditorium“ und die „Münsteraner Studentenblätter“, die Senats- und Fakultätsprotokolle und natürlich zahlreiche Personalakten. Ergänzt wurde der hier gesichtete Aktenbestand durch Material aus privater Hand sowie die Befragung von Zeitzeugen.

Universität und Nationalsozialismus Die Versuche des Nationalsozialismus, sich Universität und Wissenschaft verfügbar zu machen, sie ganz für seine Ziele zu instrumentalisieren, schufen auch an der Universität Münster ein Klima der Angst, des Misstrauens und der Unsicherheit. Durch „Säuberungen“, subtile Kontrollmechanismen und administrative Eingriffe, die der personellen, strukturellen und inhaltlichen Gleichschaltung dienten und die Autonomie der Hochschule deutlich beschränkten, entwickelte das NS-Regime auch hier zunehmende Präsens. Denunziationen und Anfeindungen aus den Reihen der 5

6

Vgl. Benz 1992. Zum Umgang der Deutschen mit der nationalsozialistischen Vergangenheit vgl. u.a. Schüring 2002. Vom Ansatz her interessant, in einigen Schlussfolgerungen jedoch problematisch: Lübbe 1983. Zur Problematik „Vergessen, Verdrängen, Erinnern“ im individuellen wie im kollektiven Kontext siehe u.a. Hölscher 2009, Erll 2005, Cornelißen/Klinkhammer/Schwentker 2003, Ricoeur 2004, Sabrow/Jessen/Große Kracht 2003, Jarausch/Sabrow 2002, Weißbrod 2002, Assmann 1999. Vgl. Stolleis 2004. Vgl. auch Nagel 2000, Vorwort S. VIIf.

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Studentenschaft, von Seiten des Professorenkollegiums und mitunter aus dem Kreis der nichtakademischen Universitäts- und Institutsangestellten prägten zunehmend den universitären Alltag. Wie alle anderen Hochschulen auch war die Universität Münster jedoch keineswegs „unpolitisches Opfer“ einer ausschließlich von außen, vom NS-Regime aufgezwungenen, gewaltsamen Disziplinierung und Instrumentalisierung. Der Gleichschaltung von außen kamen Professoren wie Studenten durch freiwillige Anpassung, durch „Selbstgleichschaltung“ zuvor. Ergebenheitserklärungen, Wahlaufrufe zur Unterstützung Hitlers und Rektoratsreden belegen dies, ebenso geschäftliche wie private Korrespondenzen. Mögen Politisierung, Ideologisierung und Gewalt auch den Alltag der Universität Münster im „Dritten Reich“ geprägt haben, eine Hochburg der Nationalsozialisten wurde sie, allem Anschein nach, nicht. Wie sehr sie sich dennoch nach dem 30. Januar 1933 verändert hatte, fasste der Mathematiker Heinrich Behnke im Rückblick auf jene Zeit so zusammen: Die „Würde der Universität ging mit der Machtübernahme verloren“.7

April 1945 – die Situation der Universität und der Beginn der britischen Besatzungszeit Am Palmsonntag, dem 25. März 1945, erlebte Münster seinen letzten großen Bombenangriff. Als wenige Tage später, am 2. April 1945 (Ostermontag), amerikanische und britische Truppen einrückten und den Kampfhandlungen hier ein Ende setzten, fanden sie eine Stadt vor, „in der nunmehr eine ganz geringe, verängstigte, apathische Bevölkerung von rund 25 000 Menschen lebte. Die Straßen waren kniehoch mit Trümmern besät, […] in der man sich zagend fragen konnte, ob überhaupt noch ein Wiederaufbau möglich sein werde“.8 Auch die Zerstörungen an der Universität Münster waren extrem: „Die Stadt machte einen gespenstischen Eindruck. Als ich von der zerstörten Bahnhofshalle durch die Innenstadt, ständig über Trümmerberge turnend bis zum Schlossplatz gelange, sehe ich kein heiles Haus, […] Die Universität und die benachbarten naturwissenschaftlichen Institute sind zertrümmert, vom ausgebrannten Schloß steht nur noch die vordere und hintere Fassade.“9 Den offiziellen Schadenslisten und -berichten zur Folge waren 1945 von ehemals 39 größeren Universitätsgebäuden vier erhalten oder gering beschädigt, 13 völlig vernichtet und 22 so stark in der Bau-

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Behnke 1978, S. 116. LAV NRW W, Akten (Nachlass) Oberstadtdirektor Karl Zuhorn Nr. 3, Schreiben Zuhorns an seine Mitarbeiter vom 20./21. Dezember 1945. Dr. Karl Zuhorn wurde am 15. Juni 1945 zum Oberbürgermeister ernannt, ein Amt, das er bereits vor 1933 bekleidet hatte. Vgl. dazu Janning 1985, S. 86, Kuropka 1987, Heise 1997. Rensch 1979, S. 122.

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substanz angegriffen, dass eine Wiederinstandsetzung Monate, wenn nicht Jahre beanspruchen würde.10 Den kämpfenden Verbänden folgten im zeitlichen Abstand von nur drei Tagen die im Rahmen der alliierten Streitkräfte aufgestellten britischen Military Government Detachments, die in ihrer Zone die eigentlichen, nach der Kapitulation in Deutschland verbleibenden Besatzungstruppen stellten.11 Seit Juni 1945 verfügte die Militärregierung der 21. Armeegruppe12 über einen tief gestaffelten, entsprechend der deutschen Verwaltungsorganisation aufgebauten Militärverwaltungsapparat13 an dessen Spitze die Control Commission for Germany/British Element in Berlin-Wilmersdorf stand. Dem Aufbau der deutschen Verwaltung angeglichen,14 existierten Militärregierungen auf der Ebene der Länder beziehungsweise Regierungsbezirke, der Land- und Stadtkreise sowie der Provinzen. Die eigentliche zonale Exekutive lag angesichts des faktischen Nichtzustandekommens einer Vier-Mächte-Besatzungspolitik bei dem auf mehrere kleinere Orte Ostwestfalens verteilten Zonenhauptquartier, dem „Main Headquarter“. Nachdem Münster am 2. April 1945 von amerikanischen und englischen Militärs besetzt worden war, konstituierte sich schon drei Tage später, am 5. April 1945, das 307/308 (P) Military Government Detachment unter der Leitung von Colonel George A. Ledingham als Militärregierung für die Provinz Westfalen. Chef des Regierungsbezirks 110 (L/R) Military Government Detachment wurde Colonel J. Spotteswoode. Münster selbst wurde dem Kommando des 317 (S/K) Military Government Detachment unter Major H.S. Jackson unterstellt. Institutioneller Träger der britischen Bildungs- und Erziehungspolitik in Deutschland war die „Education Branch“.15 Deren zonales Hauptquartier in Bünde verfügte über neun Fachabteilungen (Sections), von denen sich eine ausschließlich mit hochschulpolitischen Fragen befasste. Zentrale Aufgabe der Education Branch und ihrer Sections war, das deutsche Bildungs- und Erziehungswesen zu kontrollie-

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15

Siehe dazu allgemein: UAMs, Bestand 4, Nr. 158 (alt), UAMs, Bestand 9, Nr. 1430 bis Nr. 1433. Vgl. auch Albsmeier 1963, S. 103. Mit der Aufstellung der „Kernmannschaften“, den sog. „Basic Detachments“ für die späteren Militärregierungen in Deutschland war in England bereits Mitte 1944 begonnen worden. Vgl. Schneider 1985, S. 18. Im August 1945 erfolgte die Umbenennung in „British Army of the Rhine“, vgl. Donnison 1961, S. 274. Zur weiteren personellen und strukturellen Entwicklung der Militärregierungsstäbe der 21. Armeegruppe vgl. zusammenfassend Plumpe 1987, S. 54. Vgl. ausführlich Schneider 1980, S. 26ff. Vgl. Teppe 1983, S. 272ff. Bad Oeynhausen, Bünde, Detmold, Herford, Lübbecke, Minden. Hier war im Gegensatz zu Berlin das Gros der mit der Besatzungsorganisation befassten Fachoffiziere stationiert. Das Main Headquarter wurde Ende Juni 1946 in „Zonal Executive Office“ umbenannt. Vgl. Donnison 1961, S. 207ff. Zur (Vor-)Geschichte, Konzeption und Arbeitsweise der Education Branch vgl. u.a. Jürgensen 1983, S. 231ff., Blättner 1960.

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ren, ihm umfassende Hilfestellung zu geben und ihre eigene Militärregierung über aktuelle Entwicklungen detailliert zu informieren und zu beraten.16

Ungewisse Zukunft: Überlegungen zum Verbleib der Universität in Münster Mitte 1945 war das Schicksal der Universität Münster noch völlig offen. Niemand konnte mit Sicherheit sagen, ob es jemals gelingen würde, sie an ihrem alten Standort wieder aufzubauen, geschweige denn, wann es möglich sein würde, sie wieder zu eröffnen. Alles, was seitens der Universität, der Stadt und der Militärregierung als Voraussetzung für ihr Fortbestehen in Münster angesehen wurde, existierte nicht mehr. Behnke erinnert sich: „Im Sommer 1945 war noch nicht abzusehen, wann die Universität auch nur teilweise wieder funktionsfähig werden sollte. Es fehlten dafür alle Räume, es fehlten aber auch Wohnmöglichkeiten für Professoren und Studenten.“17 Befand sich die Universität im Sommer 1945, wie viele meinten, auch am Tiefpunkt ihrer bisherigen Geschichte,18 so bestand nicht nur hier, sondern auch bei den Vertretern der britischen Militärverwaltung ein vitales Interesse, möglichst bald mit dem Lehrbetrieb fortzufahren. Je schneller die Wiedereröffnung in Angriff genommen werden konnte, desto eher erhielten Hochschullehrer und Dozenten die materielle Basis ihrer professoralen Existenz zurück und die junge Generation die Aussicht auf ein Studium. Als besonders dringlich betrachteten die Militärregierung, die Vertreter des Professorenkollegiums und der Stadt eine baldige Wiedereröffnung der Universität im Hinblick auf die medizinische Versorgung der Münsterschen Bevölkerung, deren Gesundheit durch den Mangel an Wohnraum ebenso gefährdet war, wie durch den Genuss verseuchten Wassers und verdorbener Lebensmittel. Die Angst vor der Entstehung und Verbreitung von Seuchen wuchs täglich. Da fast alle städtischen Krankenhäuser zerstört waren und die Gefahr einer Paratyphusepedemie gegeben war, verfügte die Militärregierung umgehend damit zu beginnen, das Hygienische Institut der Universität als bakteriologische Untersuchungsstelle betriebsfähig zu machen und die Universitätskliniken sowie alle übrigen funktionstüchtigen beziehungsweise leicht reparablen medizinischen Institute für die ärztliche Betreuung der Zivilbevölkerung bereitzustellen.19 An eine Wiedereröffnung der Gesamtuniversität dachte zu diesem Zeitpunkt noch niemand. Die allgemeine politische Entwicklung führte jedoch schon bald dazu, dass die britische Militärregierung ihre besatzungs- und damit auch bildungspolitischen Entscheidungen im Detail revidieren und der aktuellen Situation 16 17 18 19

Siehe hierzu die Aufzeichnungen General Kirkpatricks vom 19.9.1945, PRO, FO 371– 76819. Vgl. Hearnden 1985. Behnke 1978, S. 167. Siehe Behnke 1948. Mitteilung Prof. Fritz Schellong an Rektor Herbert Siegmund vom 10.5.1945, UAMs, Bestand 51, E 34; siehe auch 31.5.1945, UAMs, Bestand 9, Nr. 1142.

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anpassen musste. In zähen Verhandlungen hatten Rektor, Prorektor und Dekane versucht, die Briten von den Möglichkeiten, vor allem aber von der Notwendigkeit einer schnellen Wiederaufnahme des Lehr- und Forschungsbetriebes zu überzeugen. Wiederholt hoben sie dabei die Bedeutung der Wissenschaften für die Reorganisation der Region Westfalen hervor.20 Als erwünschtes und von der Planung her mögliches Datum für eine Wiedereröffnung nannten sie den 1. November 1945. Ob und inwieweit zu diesem Termin eine Wiedereröffnung realisierbar war, galt der britischen Seite dagegen noch immer als offene Frage. Sie zu beantworten, sollte Aufgabe vor allem von James Mark sein.21 Mit dem deutschen Hochschulwesen bestens vertraut, bereiste Mark als Beauftragter der Deutschlandabteilung des Foreign Office im Juli und August 1945 alle Universitäten der Britischen Zone. Sein Auftrag war, seiner Regierung einen ebenso realistischen wie von Ressentiments unbelasteten Bericht über die Situation der Universitäten zu liefern. Erstes Ziel seiner Inspektionsreise war die ihm noch aus seiner Studienzeit gut bekannte Universität Münster.22 Während der knapp zwei Wochen, die er in der Stadt blieb (6. bis 17. Juli), suchte Mark das Gespräch mit allen Universitätsangehörigen, die er zu diesem frühen Zeitpunkt hier antreffen konnte. Die Probleme, welche die Universität zu bewältigen hatte, beurteilte auch er als „kaum überwindbar“; insbesondere das Fehlen von Räumlichkeiten, ohne die ein regulärer Lehrbetrieb nicht denkbar schien. Für den Fall, dass eine ausreichende Lösung des Raumproblems nicht möglich war, beurteilte Mark den Verbleib der Universität in Münster als fraglich. Es müsse, so seine Überlegung, gegebenenfalls geprüft werden, ob nicht eine Verlagerung der Universität in eine weniger zerstörte Stadt für ihren Erhalt günstiger sei als der Versuch, sie um jeden Preis in Münster zu halten.23 Auf Zustimmung stieß Mark, wie er in seinem Bericht betonte, mit seinem Vorschlag nicht, weder bei der Universität noch bei der Stadt und auch nicht beim Bischof von Münster, der, seinem Eindruck nach, alles unternehmen würde, um den

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Prof. Siegmund, Report on the state of the university of Münster and proposals for its reopening, Juli 1945, UAMs, Bestand 197, Nr. 30. „I was for nine months Private Secretary to Lord Pakenham, the Minister responsable (under the Foreign Secretary) for occupation in Germany, […]“, Mark 1983, S. 38. „Mr. Mark once studied in the university as a post graduate student and was the first British Education Officer in 1945 attached to the university.“, Perraudin an Lehnartz vom 10. Februar 1948, UAMs, Bestand 4, Nr. 145 (alt). „[…] Major Mark, […] einen früheren Schüler von Günther Müller und Doktoranden der Universität Münster […]“, Schreiber 1945, S. 2. Vgl. Mark, James, Report on visit to the University of Muenster, 6–17 July 1945, S. 6ff. Dieser Bericht wurde dem Verfasser dieses Beitrages dankenswerterweise von Prof. Manfred Heinemann (Universität Hannover) und Dr. David Phillips (Oxford) zur Verfügung gestellt. Vgl. auch Respondek 1995, S. 56, Anm. 3.

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Verlust seiner Theologischen Fakultät zu verhindern.24 Ein im Oktober 1945 verfasster Bericht des Political Intelligence Department stützte diese Einschätzung.25 Nach Abwägung aller denkbaren Möglichkeiten empfahl Mark dem Foreign Office schließlich doch, der Universität die Wiedereröffnung noch im Herbst 1945 zu ermöglichen.26

Georg Schreiber: die Wahl eines neuen Rektors Ein nicht weniger wichtiges Ereignis als der Besuch James Marks war für die Universität Münster im Juli 1945 die Wahl eines neuen Rektors. Nachdem die wenigen bis dahin nach Münster zurückgekehrten Professoren untereinander Kontakt aufgenommen und sich ein bis zwei Mal zu einem informellen Gespräch getroffen hatten, trat am 16. Juli ein aus „Nichtparteigenossen“27 gebildeter, außerordentlicher „Notsenat“ unter dem Vorsitz des noch amtierenden Rektors Professor Herbert Siegmund zusammen. Wenngleich von den Nationalsozialisten als Rektor der Universität Münster eingesetzt und seit 1933 Mitglied der NSDAP, genoss Siegmund bei seinen Kollegen aller Fakultäten großen Respekt und volles Vertrauen.28 Niemand forderte seinen Rücktritt. Siegmund selbst war es, der gleich zu Beginn der Sitzung sein Amt niederlegte. Nachdem er den Senat über die Lage der Universität einschließlich ihrer Fortexistenz in Münster und seine Tätigkeit während des vergangenen halben Jahres informiert hatte, bat er die Senatoren, entsprechend der nunmehr wieder geltenden Universitätssatzung vom 26. April 1929, um Vorschläge für die Wahl eines neuen Rektors. In der sich anschließenden Besprechung erfuhren sie, dass die Universität ohne Wissen des bis eben amtierenden Rektors und seines Prorektors (Adolf Kratzer) durch Vermittlung von Professor Joseph Pascher29

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29

Vgl. Mark 1945, S. 7. Zur Situation der Stadt Münster vgl. Schwarze 1984, S. 213ff. Das Political Intelligence Department war mit Ausbruch des Krieges vom britischen Außenministerium eingerichtet worden. Es war als politischer Nachrichtendienst für das Sammeln und die Auswertung geheimer Nachrichten zuständig. Vgl. ausführlich Reusch 1980, S. 344ff.; Political Intelligence Department Report, „Reorganization of Education in all zones of Germany“, 6. Oktober 1945, PRO, FO 1050–1292. Vgl. Mark 1945, S. 6ff. Bericht Prof. Paschers über die Vorgänge seit dem Ende des Sommersemesters 1944, undatiert, UAMs, Bestand 22, Nr. 11. Siegmund war am 1. November 1943 auf Vorschlag des Senats der Universität Münster von Reichserziehungsminister Rust zum Rektor ernannt worden, UAMs, Bestand 4, Nr. 31 (alt). Siegmund an Oberpräsident Amelunxen vom 17. Juli 1945. Als stellvertretender Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät gehörte Pascher zu den wenigen in Münster verbliebenen Professoren, die den Kontakt zu den übrigen Hochschullehrern aufrecht zu erhalten versuchten und koordinierten. Vgl. Hegel 1966, S. 555.

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mit dem katholischen Kirchenhistoriker Professor Georg Schreiber Kontakt aufgenommen und ihm das Amt des Rektors angeboten hatte.30 Um Zeit zu gewinnen und der weitgehend unüberschaubaren Lage nicht unvorbereitet zu begegnen, entschloss man sich, vorbehaltlich der Zustimmung des Oberpräsidenten, zur Durchführung der Rektoratswahl noch am selben Tag. Das Ergebnis war eindeutig, Schreiber – sieben Stimmen, Kratzer – eine Stimme. Neuer, und damit erster Rektor der Universität Münster nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der 63-jährige katholische Kirchenhistoriker und päpstliche Hausprälat Georg Schreiber, der, da er bei der Sitzung selbst nicht anwesend war, erst einige Tage später von seiner Wahl erfuhr.31 Offiziell ernannt wurde er am 1. September 1945 durch Oberpräsident Rudolf Amelunxen.32 Professor Kratzer wurde im Amt des Prorektors bestätigt.33 Neubesetzt wurden auch die vakant gewordenen Dekanate: I: Joseph Pascher (Katholisch-Theologische Fakultät), II: Helmuth Schreiner (Evangelisch-Theologische Fakulät), III: Walther G. Hoffmann (Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät), IV: Ferdinand Kehrer (Medizinische Fakultät), V: Gerhard Krüger (Geisteswissenschaftliche Abteilung der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät) und Heinrich Behnke (Naturwissenschaftliche Abtteilung der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät).

Die Wiedereröffnung der Universität: Kritik und Hoffnung Die Verantwortung, wann und in welchem Umfang eine Universität oder Hochschule wiedereröffnet werden konnte, lag bei den Militärregierungen der Universitätsstädte. Sie trugen die Entscheidung über die Quoten der zum Studium zuzulassenden Studenten und den Beginn der Vorlesungen und Seminare. Das bedeutete jedoch nicht, dass sie befehlsunabhängig agieren konnten. Die Signale für die einzuschlagende Richtung innerhalb der britischen Deutschlandpolitik kamen von der Spitze der britischen Militärverwaltung, dem Advanced Headquarter in Berlin-Wilmersdorf. Von ihr erhielt Major Savage von der Erziehungsabteilung in Münster am 30

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Protokoll der Senatssitzung vom 16. Juli 1945, UAMs, Bestand 4, Nr. 24, Bl. 276. „Smooth and round he was in a way a caricature of a roman catholic prelate“, so skizzierte der erste University Education Control Officer Ray F. Perraudin Schreibers äußeres Erscheinungsbild, Brief vom 3.9.1988 an den Verfasser. Vgl. auch Perraudin 1983, S. 129. Zur Beurteilung Schreibers durch seine Zeitgenossen vgl. auch Morsey 1981, S. 136ff. Protokoll der Senatssitzung vom 16. Juli 1945, UAMs, Bestand 4, Nr. 24, Bl. 277. Weitere biographische Daten vgl. Respondek 1995, S. 61ff. Amelunxen an Schreiber vom 1.9.1945, UAMs, Bestand 4, Nr. 31 (alt). Die Militärregierung hatte durch Verfügung vom 25.8.1945 Schreibers Wahl zum Rektor zugestimmt. Siehe auch LAV NRW R, NW 1039–Sch 506 (G. Schreiber). Protokoll der Senatssitzung vom 16. Juli 1945, UAMs, Bestand 4, Nr. 24, Bl. 227. Zur Person Kratzers s. zuletzt: Schmitz 2011.

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11. August 1945 die Anweisung, den Prozess der Wiedereröffnung der Universität Münster zu beschleunigen.34 Im Oktober schließlich bereitete die Militärregierung allen Spekulationen, zu welchem Zeitpunkt und in welchem Umfang man in Münster mit einer Wiedereröffnung rechnen konnte, ein Ende. Als frühest denkbaren Termin nannte sie den 1. November 1945.35 Möglich geworden war die Benennung dieses – gemessen am Zerstörungsgrad von Universität und Stadt – recht frühen Datums durch die zielorientierte Zusammenarbeit von Universität, Oberpräsidium, Stadt und Militärregierung. Maßgeblichen Anteil an dieser zunehmend optimistischer werdenden Zeitplanung hatte Georg Schreiber, der mit großem persönlichem Einsatz den Wiederaufbau der Universität vorantrieb. „Unser Prälat […] fuhr im Ruhrrevier herum, um Zechendirektoren und Bergräte zu bewegen, den Kliniken und damit dem ganzen Universitätsbetrieb Kohlen zu verschaffen. Und er hatte Erfolg.“36 Endgültiger und offizieller Termin für die Wiedereröffnung der Universität Münster, deren Name von 1945 an einige Jahre lang „Westfälische Landesuniversität“ lautete,37 wurde der 3. November 1945.38 Wenige Tage vor ihrer Wiedereröffnung wandte sich Georg Schreiber erstmals als Rektor an die Öffentlichkeit. In einer eigens fürs Radio verfassten, sehr programmatisch gehaltenen Rede umriss er die Aufgaben, denen sich die Universität stellen wollte. Als wichtigstes Ziel nannte Schreiber den „Blick in die Zukunft“. In 34

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„Draft Directive Education, Youth Activities and German Church Affairs“, Major A.L. Bickford-Smith (CGG/BE) an Major Savage 307 CP MilGovDet Münster vom 11.8.1945, PRO, FO 1013–2179. Siehe auch den Artikel: Was wird aus unserer Universität?, in: Münstersche Zeitung, Nr. 24 vom 31.8.1945, LAV NRW W, Amt 10 Nr. 103. Zu den Vorbereitungen der Wiedereröffnung ausführlich: Respondek 1995, S. 64ff. Vgl. Behnke 1978, S. 173. Siehe auch PID-Report: Reorganisation of Education in all Zones of Germany IV. British Zone betr. „Progress in the Re-Opening of the Universities“ (8th of May–15th Sept. 1945) 6. Oktober 1945, PRO, FO 1050–1292. Behnke 1978, S. 177. Bereits zur Zeit der Weimarer Republik war versucht worden, den Namen der Universität zu ändern. „Durch die Satzung vom 1. Mai 1929 ist der Name unserer Universität von „Westfälische Wilhelms-Universität“ geändert worden in „Universität Münster“, weil in der Republik monarchische Reminiszenzen vermieden werden sollten. Diese Absicht des Staatsministeriums hat sich jedoch nicht durchgesetzt. Es bildete sich vielmehr ein Gewohnheitsrecht, die Universität weiterhin „Westfälische Wilhelms-Universität zu Münster“ zu benennen […]“, Mitteilung des Juristen Prof. Hans J. Wolff an seinen Kollegen Prof. Schumann vom 31.3.1950, UAMs, Bestand 4, Nr. 146 (alt). 1945 kam es schließlich doch zur Umbenennung. Obwohl der Senat keinen entsprechenden Änderungsvorschlag beschlossen hatte und der Name „Westfälische Wilhelms-Universität“ offiziell nicht aufgehoben worden war, bürgerte sich die Bezeichnung „Westfälische Landesuniversität“ ein. Erst 1952 kehrte die Universität zu ihrem traditionellen Namen zurück, UAMs, Bestand 9, Nr. 4. Siehe auch die Senatsprotokolle vom 20. Februar 1952 und 14. Mai 1952, UAMs, Bestand 4, Nr. 25, Bl. 20 R und Bl. 27. Zu den Wiedereröffnungsterminen der übrigen Hochschulen im britischen Besatzungsgebiet siehe: PRO, FO 371/55689. Vgl. Respondek 1995, S. 71, Anm. 2.

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den Mittelpunkt der seitens der Universität zu leistenden Arbeit stellte er für die nächsten Jahre ihren zielbewussten Wiederaufbau und ihre Erneuerung. Über den Inhalt dieser Erneuerung ließ Schreiber sich nicht aus. Etwas präziser äußerte er sich in Bezug auf die in Deutschland neu zu errichtende Demokratie und die Haltung, die die Universität ihr gegenüber einnehmen wollte: „Die Hochschule von heute hat ein klare, bewusste und bestimmte Absage an das Naziregime vollzogen.“39 In seiner Rektoratsrede anlässlich der feierlichen Wiedereröffnung einige Tage später wurde Schreiber mit Blick auf die jüngste Vergangenheit der Universität Münster noch deutlicher: „Wir können an den Bitterkeiten der letzten Jahre nicht schweigend vorübergehen, wir müssen darüber sprechen, nicht um eine Selbstverstümmelung vorzunehmen, sondern um uns innerlich zu befreien. Seien wir ganz offen zu einander. Die kulturlose und volksfeindliche Staatsführung des Nazismus hat versucht, auch die Persönlichkeit des Gelehrten und des Forschers unmöglichen Diktaten und vernunftwidrigen Forderungen zu unterwerfen. Niemand kann leugnen, dass auch über unsere Hochschule ein unerträgliches Netz von Zwangsorganisationen geworfen wurde, dass ebenso Unsicherheiten, Abhängigkeiten, Nachgiebigkeiten, Opportunismus sich einfanden, die selbst in Gefälligkeiten bei Berufungen ausmündeten […] Aber ebenso muss in aller Offenheit gesagt werden, dass auch an unserer westfälischen Hochschule Männer und Charaktere vorhanden waren, die wenigstens innerlich und seelisch ihren Widerspruch gegen die äußere Tyrannis darin anmeldeten, dass sie still und unbeirrbar ihren Dienst an der Wissenschaft, an der Forschung und an der akademischen Jugend vollzogen. […] Es war […] ein harter und schwerer Dienst, mit viel Selbstverleugnungen, mit vielen Anfeindungen, mit Bespitzelungen und Beschwernissen.“40 Dass die Zeit der Anfeindungen keineswegs vorbei war und neue Denunziationen den Alltag der Universität noch über Jahre hinweg prägen sollten, wurde schon bald, insbesondere mit Blick auf die Entnazifizierung der Professoren und der Studenten, deutlich.

Die Entnazifizierung der Professoren im Kontext britischer und deutscher Zielsetzungen Als Teil der Reeducation-/Reorientation-Policy gehörte die Entnazifizierung zu den vorbereitenden Maßnahmen des von den Briten geplanten demokratischen Neuaufbau Deutschlands. Ihre Aufgabe war, auf dem Wege einer umfassenden 39

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Schreiber, Georg, Ansprache für das Radio anlässlich der Wiedereröffnung der Universität Münster am 3. November 1945. Manuskript (vermutlich Ende Oktober 1945), LAV NRW W, Zeitungsausschnitte (Sammlung) Nr. 117 und Amt 10 Nr. 85. Schreiber 1945, S. 3ff. Schreiber warnte davor, das Gewesene zu verschweigen oder zu bagatellisieren: „Verschleierungen und Tarnungen können um der Würde und Selbstachtung der Hochschulen willen in keiner Form geduldet werden.“, Schreiber 1945, S. 4.

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Personalsäuberung alle ehemaligen Träger des NS-Regimes aus dem öffentlichen Dienst, aus den Führungspositionen der Wirtschaft und aus dem Bereich der Bildung und Kultur eine Zeit lang oder auf Dauer zu entfernen und politisch wie moralisch zur Verantwortung zu ziehen. Stand die Reeducation-/Reorientation-Policy mehr für die inhaltlichen Aspekte der britischen Besatzungspolitik, indem sie zum Beispiel durch gegenseitigen Kulturtransfer auf die politische Neuorientierung Deutschlands konstruktiv Einfluss zu nehmen versuchte, so beinhalteten die unter dem Begriff der Entnazifizierung subsumierten Maßnahmen mit dem Ziel, die deutsche Gesellschaft personell und organisatorisch-institutionell zu säubern, einen eher destruktiven Kern. Die Auflösung der nationalsozialistischen Organisationen erwies sich dabei, da sie per Gesetz einfach initiiert werden konnte, als die einfachste und gleichzeitig wirksamste Maßnahme der ansonst recht schwierigen politischen Säuberung.41 Was die Entnazifizierung der Universitäten betrifft, so orientierten sich die Briten trotz ihrer Anlehnung an das amerikanische Entnazifizierungsverfahren42 an ihrem eigenen im Februar 1945 verfassten Technical Manual for (on) Education and Religious Affairs. In ihm hatten sie die Vorgehensweise konkretisiert mit der sie an den Universitäten die Überprüfung der Professoren, Dozenten und Studenten durchführen wollten. Das Technical Manual for Education and Religious Affairs unterteilte alle Personen in die drei Kategorien „Black“, „Grey“ und „White“ und legte somit fest, wer in seinem Amt bleiben durfte und wer nicht. Es sah vor, all diejenigen sofort zu entlassen, die unter die Kategorie „Black“ fielen. Zu ihr gehörten im Hochschulbereich: „Aktive oder ehemalige Verwaltungsangestellte im NSD-Dozentenbund und im NSD-Studentenbund, zusammen mit Personen, die […] die Stelle eines Dozentenführers oder Studentenführers an der Universität innegehabt hatten, […] außerdem amtierende Rektoren (Führer) der Universitäten, wenn sie zum ersten Mal unter dem nationalsozialistischen Regime ernannt worden waren.“43 Hochschullehrer, die Grey kategorisiert worden waren, mussten einen Fragebogen44 ausfüllen, in dem sie sich zu ihrer politisch Vergangenheit äußern sollten. Lag die Überprüfung der Entnazifizierung anfangs bei der Militärregierung, vor allem bei der „Public Safety (Special) Branch“,45 so änderte sich dies schon bald. 41

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„All Nazi Party organisations in schools and universities will be abolished and their rewards and property seized“, G.A. Ledingham Col.Com. 307(P) MilGovDet an Dr. Rudolf Amelunxen, 6.7.1945, BAM, GVNA A 101–334. Vgl. auch Schneider 1985, S. 64ff. Die Briten gingen jedoch insgesamt weniger dogmatisch als die Amerikaner vor, vgl. Krüger 1982, S. 14, Fürstenau 1969, S. 30. TMERA, PRO, FO 945–294. Vgl. auch Pakschies 1984, S. 350ff. Dem TMERA fehlte es allerdings an Rechtsverbindlichkeit. Zum Umfang und Inhalt des Fragebogens vgl. Lange 1976, S. 42ff. Siehe auch LAV NRW R, RWN 48–85 (Nachlass W. Hamacher). Die „Public Safety (Special) Branch“ war die Abteilung der britischen Militärregierung, die für die politische Überprüfung der Bevölkerung zuständig war. Vgl. auch Respondek

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Proteste seitens der Hochschulen, der Bevölkerung insgesamt, aber auch aus den eigenen Reihen forderten Modifikationen. Insbesondere die Mitglieder der Education Branch sahen ihre Bemühungen um eine umsichtige Entnazifizierung durch den harten, wenig transparenten und letztlich den Demokratisierungsprozess konterkarrierenden Kurs der Public Safety Officers gefährdet. Eine Lösung des Problems sah man in der Kooperation mit der deutschen Seite. Im Herbst 1945 entschloss sich die Militärregierung, alle Universitäten und Hochschulen, wenn zunächst auch nur in beratender Funktion, am Entnazifizierungsprozess zu beteiligen. Alles, was Auskunft über das politische Verhalten der Hochschullehrer geben konnte, sollte von den Hochschulen gesammelt und den britischen Behörden als Ergänzung zum Fragebogen eingereicht werden. Diese Aufgabe übernahm an der Universität Münster ein eigens zu diesem Zweck eingerichtetes Gremium, der sogenannte Informationsausschuss.46 Dieser nahm am 10. September 1945 unter Leitung des Mathematikers Professor Heinrich Behnke seine Arbeit auf. Persönliche Gespräche, die Befragung Dritter und die stichprobenartig vorgenommene Einsicht in die Publikationslisten halfen ihm bei seiner Tätigkeit. Nicht alle Professoren, Fakultäten und Institute, das zeigte sich schon bald, waren an einer Untersuchung ihrer Vergangenheit interessiert und verweigerten dem Informationsausschuss die Auskunft oder verschwiegen ihm wesentliche Details.47 Auch der im Mai 1946 ins Leben gerufene Sichtungsausschuss der Universität unter der Leitung des katholischen Theologen Max Meinertz stieß keineswegs auf allgemeine Akzeptanz.48 Wie sein Vorläufer verschickte er an alle Fakultäten ein Rundschreiben, in dem er die Dekane um ihre Unterstützung bat. Alle Professoren waren darin aufgefordert, den neuen, erweiterten Fragebogen der Militärregierung auszufüllen und umgehend dem Sichtungsausschuss zur Vorprüfung für den städtischen „EntnazifizierungsHauptausschuss“49 weiter zu leiten. Die Beurteilung der politischen und weltanschaulichen Haltung ihrer Kollegen stellte die Mitglieder dieses Dreiergremiums vor große Probleme. Da diese sich bei ihrer Urteilsbildung in erster Linie auf die im

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1995, S. 204, Anm. 12 und 13. Ihm gehörten an: die Professoren Behnke (Vorsitzender), Kratzer, Kehrer, Schreiner, Sauer, Beckmann, Krüger, Többen, Schreiber und Dr. Mörsdorf, vgl. ausführlich Respondek 1995, S. 208f., Anm. 35 und 36. Schreiben Behnkes an Prälat Schreiber betr. „Tätigkeit des Informationsausschusses“ vom 12. Dezember 1945, UAMs, Bestand 4, Nr. 643 (alt). Ihm zur Seite standen der Althistoriker Prof. Stier und der Jurist Prof. Wegner, die bereits Ende Juni 1946 von Prof. Johns (Jura) abgelöst wurden, siehe Protokoll der Senatssitzung vom 6.5.1946, UAMs, Bestand 4, Nr. 24, Bl. 285ff. Vgl. Meinertz 1956, S. 64. Mit der Instruktion Nr. 28 hatte die Militärregierung Anfang Dezember 1945 eine Anordnung erlassen, welche die Bildung deutscher Entnazifizierungsausschüsse regelte und den Deutschen erstmals ein Mitspracherecht im Entscheidungsprozess der politischen Säuberung einräumte, siehe Instruktion Nr. 28 LAV NRW R, NW 110–190 Bl. 28f. Vgl. auch Lange 1976, S. 15, S. 101ff.

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Fragebogen gemachten Angaben stützen mussten, war es ihnen nur selten möglich, das Ausmaß der politischen Verstrickung ihrer Kollegen zu erfassen. Eigene Nachforschungen waren ihnen ebenso untersagt wie der Einblick in die Personalakten. Erlaubt waren mündliche Verhandlungen. Auch hatte der Sichtungsausschuss das Recht, Dozenten, die er nicht kannte, für eine persönliche Aussprache vorzuladen. Ein Blick in die Unterlagen des Sichtungsausschusses macht deutlich, dass es an der Universität Münster nur wenige Dozenten gab, die auf die Benennung von Entlastungszeugen verzichteten. Die überwiegende Mehrheit fügte ihrem Fragebogen sogenanntes Beweismaterial bei, das ihre politische Unbescholtenheit dokumentieren sollte. „Persilscheine hatte jeder […] So etwas stellte man sich sogar gegenseitig aus“, erinnerte sich Behnke.50 Die Bereitschaft für einander zu bürgen, war in Münster, wie anderswo auch, groß. Der Zoologe Bernhard Rensch kommentierte diese in seiner Autobiographie so: „Um solche ‚Persilscheine‘ werde bald auch ich […] gebeten. Es freut mich, dabei einigen Kollegen […] helfen zu können“.51 Auch ein anderes Mitglied des Professorenkollegiums bekannte offen, „dass ich einigen Münsterischen Kollegen bei ihrer Entnazifizierung gute Dienste leisten konnte“.52 Selbst Hochschullehrer, die in der Vergangenheit als überzeugte Nationalsozialisten aufgetreten waren, wurden von ihren Kollegen nicht einfach fallen gelassen.53 Waren ihre wissenschaftlichen Leistungen anerkannt und hatten sie in ihrem sozialen Umfeld nicht jegliche Sympathie verspielt, war man bereit, auch ihnen ein entlastendes Zeugnis auszustellen. Ein typisches Beispiel hierfür war die Entnazifizierung des Chemikers Hans Paul Kaufmann, der als überzeugter Anhänger Hitlers galt und sich wiederholt für den geschlossenen Eintritt des Lehrkörpers in die Partei ausgesprochen hatte.54 Seine hohe wissenschaftliche Reputation, auch im Ausland, erlaubte ihm bereits zum Wintersemester 1946/47 seine Lehrtätigkeit wieder aufzunehmen.55 Professionalität und Unvoreingenommenheit des Historikers gegenüber den Akteuren vorausgesetzt, bleibt die Beurteilung des Sichtungsausschusses und seiner Arbeit in ihrer Ambivalenz ein schwieriges Unterfangen. Wie alle anderen Hochschullehrer hatten die im Sichtungsausschuss vertretenen Professoren zahlreiche Pflichten zu erfüllen, die der Wiederaufbau ihnen auferlegte und die einen Großteil 50 51 52 53

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Behnke 1978, S. 172. Rensch 1979, S. 123. Stählin 1969, S. 568. Von den 168 Hochschullehrern, die der Universität damals angehörten, waren 119 Mitglied der Partei. Vgl. Kurz/Witte 1980, S. 118; siehe auch die nicht ganz vollständigen Listen „Professoren der Universität, die nicht in der Partei waren“, UAMs, Bestand 9, Nr. 862 und Nr. 798. Schreiben Prof. Kaufmanns an den Dekan der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät betr. „Ernennung Prof. Kratzers zum stellvertretenden Dekan“ vom 9.1.1935, UAMs, Bestand 92, Nr. 85. Schreiben von Schreiber an Savage vom 9.4.1946, UAMs, Bestand 207, Nr. 492. Vgl. hierzu und zum Folgenden: Respondek 1995, S. 183ff.

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ihrer Zeit und Energie absorbierten. Kollegiale Verbundenheit und die personellen Engpässe des Hochschulbetriebes schränkten ihren Entscheidungsspielraum zusätzlich ein. Georg Schreiber wies immer wieder auf diese Problematik hin: „Gewisse Entlassungen führen ein Defizit herauf, das in absehbarer Zeit nicht wieder gefüllt werden kann. Das gilt insbesondere von den Entlassungen in den Medizinischen Fakultäten. Man müsse evt. eine Trennung machen zwischen den Medizinern der Wissenschaft und den Dozenten am Katheder. Die Universität Münster habe in einem besonderen Fall beantragt, einen politisch belasteten Universitäts-Professor in seinem Amt als Klinikdirektor zu belassen, dagegen für seine Lehrtätigkeit einen Vertreter zu bestellen.“56 Jede negative Beurteilung hatte nicht nur Folgen für den jeweiligen Hochschullehrer, sondern sie traf auch immer die Universität und nicht zuletzt dessen Familie. Mag die Sorge um ihre Zukunft tatsächlich in dem einen oder anderen Fall die Mitglieder des Sichtungsausschusses bewogen haben, ihren Kollegen geschönte Zeugnisse auszustellen, bildeten soziale Erwägungen eher nicht das dominante Motiv ihres Handelns. Maßgeblich für ihre Entscheidungen, so jedenfalls der sich aus den Schriftwechseln und Anfragen der Professoren und Dekane aufdrängende nachhaltige Eindruck, waren letztlich fehlende Empathie gegenüber den Opfern der NS-Herrschaft, insbesondere jenen Mitgliedern der Universität gegenüber, die nach 1933 aus ihren Ämtern entfernt worden waren, sowie die Unfähigkeit beziehungsweise Unwilligkeit, sich mit der eigenen Vergangenheit auseinanderzusetzen. Neben der Bereitschaft, sich gegenseitig zu protegieren, existierte unter den Professoren eine ganz andere, destruktive Gefühlslage. Einige der Hochschullehrer nahmen die Entnazifizierung zum Anlass, offene, aus alten Rivalitäten oder neuem Neid herrührende Rechnungen zu begleichen. Dies geschah nicht selten unter Mitwirkung der Ehefrauen. „Man traf […] immer wieder dieselben Leute, darunter zwei Ehefrauen von nicht reüssierten Kollegen. Ich fragte mich, was die wohl hier machen? Dann fiel mir ein: Klar, die denunzieren.“57 Denunziationen und gegenseitige Vorwürfe wurden, wie schon zur Zeit des Nationalsozialismus, Teil der Tagesordnung.

Die politische Überprüfung der Studenten Der Mangel an Vorlesungs- und Wohnräumen und die schleppende Versorgung mit Lebensmitteln schlossen eine Immatrikulation aller an einem Studium Interessierten von vornherein aus. Um einen Kollaps der Universitäten gleich nach deren Wiedereröffnung zu vermeiden und eine den Umständen angemessene Leistungs56

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Protokoll der Rektoren-Konferenz in Göttingen am 26./27.9.1945, UAMs, Bestand 4, Nr. 201 (alt). Vgl. auch Stamm 1981, S. 48. Es handelte sich hierbei um den Direktor der Hautklinik, Prof. Moncorps. Behnke 1978, S. 172.

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fähigkeit der Fakultäten und Institute gewährleisten zu können, entschied sich die Militärregierung (Education Branch) im Einvernehmen mit den Hochschulen, den Zugang zum Studium mittels Einführung eines Numerus Clausus zu begrenzen. Erste, sehr allgemeine Richtlinien hierfür erließ sie bereits am 22. August 1945 mit der „ECI No 12“.58 Diese sah vor, die Überprüfung der Studenten den Universitäten selbst zu überlassen und sich vornehmlich auf die Überwachung der von ihr angeordneten Bestimmungen zu beschränken. Wie bei den Professoren legten die Briten auch beim akademischen Nachwuchs besonderen Wert auf dessen politische Unbescholtenheit. Studienbewerber, die während der NS-Zeit in irgendeiner Form der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen angehört hatten, waren ihnen suspekt. Bemüht „Schwarz-Weiß-Schematismen“ im Kontext ihrer Besatzungspolitik weitmöglichst zu vermeiden, räumten sie ein, dass nicht jeder Student, der einfaches Mitglied der Partei war, von der Universität ferngehalten werden musste, sofern er nicht durch kriminelle und/oder im Sinne der Partei herausragendes Agieren in- und außerhalb der Alma Mater aufgefallen war. Ein weiterer Grund, in der Zulassungsfrage nicht allzu hart zu verfahren, war der zu versuchen, auch junge Parteimitglieder durch eine Universitätsausbildung für den neu zu errichtenden demokratischen Staat zu gewinnen. Zur Vorsicht mahnten sie jedoch im Umgang mit ehemaligen Führern der Hitlerjugend und ähnlicher NS-Organisationen. Parteianwärter und Mitglieder der Hitlerjugend, die keine Führungspositionen bekleidet hatten, sollten an den Universitäten durch einzurichtende Sonderausschüsse, denen ausschließlich politisch einwandfreie Hochschullehrer angehören durften, überprüft werden.59 Die politische Überprüfung dieses Personenkreises übernahm an der Universität Münster ein vom Senat eingesetztes Drei-Männer-Gremium, der sogenannte Immatrikulations-Ausschuss. Ihm gehörten neben Prorektor Adolf Kratzer, der die Leitung übernommen hatte, die Professoren Franz Beckmann und Klaus Mörsdorf an.60 Jeder durch diesen Ausschuss zu beurteilende Bewerber war wie die Professoren verpflichtet, einen Fragebogen auszufüllen, in dem er sämtliche Positionen erklären musste, die er in den verschiedenen NS-Organisationen innegehabt hatte. Geprüft wurden die Fragebögen von den für die Universitäten zuständigen britischen Hochschuloffizieren61 und in Fällen politischer Belastung an die Sicherheitsabteilung der Militärregierung weitergeleitet. Gegen bereits zum Studium zugelassene Studenten, die durch negatives Verhalten Aufsehen erregten, behielt sich 58 59

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Education Control Instruction No 12 „Admission of Students to Universities“ 21 Army Group MilGov (Edn) 22.8.1945, UAMs, Bestand 51, A 10. Siehe auch BAM, GVNA 0–56. Siehe Appendix B der ECI No 12 vom 24.1.1946, LAV NRW R, RWN 46–30 (Nachlass B. Bergmann), Bl. 4 R. Zur Frage, wie man Parteigenosse oder Mitglied einer der vielen nationalsozialistischen Gliederungen wurde, vgl. Benz 2009. Siehe Mitteilung des Rektors an Savage vom 9.9.1945, UAMs, Bestand 9, Nr. 6; seit dem Sommersemester 1947: Prof. Kratzer, Prof. Beckmann und Prof. Hoffmann, siehe Mitteilung Prof. Kratzers an den Rektor vom 14.7.1947 betr. „Entlastung des Prorektors“, UAMs, Bestand 4, Nr. 31 (alt). Zur Rolle und Aufgabe der UECO vgl. ausführlich Respondek 1995, S. 97–127.

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die Militärregierung vor, umgehend ihren Ausschluss zu bewirken. Nicht Strafe, sondern Verständnis und Hilfestellung waren die Intentionen mit der die britische Militärregierung der (akademischen) Jugend zu begegnen versuchte. Ausdruck fand diese Haltung in der ihr gewährten politischen Generalamnestie von 1946. „Bringen wir der Jugend kein Vertrauen entgegen, so verfällt sie dem Frondeurtum. Der demokratische Staat muss der Staat der Jugend werden, sonst kommt es wieder wie zur Zeit der Weimarer Demokratie, wo es zwar eine Demokratie, aber keine Demokraten gab.“62 Auf britischer Seite war man nicht bereit zu akzeptieren, dass, wie auch an der Universität Münster geschehen, die Fakultätsausschüsse die Jugendamnestie dazu missbrauchten, die Entnazifizierungsbestimmungen zu unterlaufen. „Wir haben […] aus verschiedenen Quellen erfahren, dass aufgrund der Jugendamnestie Bewerber von ausgesprochen unzufriedenstellender politischer Haltung und Vergangenheit zur Universität zugelassen wurden. […] es ist notwendig, dass die Fakultätsauswahlkomitees trotz der Jugendamnestie […] die Notwendigkeit im Auge behalten, die politische Eignung aller Bewerber zu prüfen, bevor sie zugelassen werden. Das der Amnestie zugrunde liegende Prinzip ist nicht, die politische Haltung zu ignorieren, sondern denen zu helfen, die sich aufgrund ihrer Jugend im Netzwerk der Nazi-Organisationen gefangen sahen.“63 In den folgenden Semestern wurden die Zulassungsbestimmungen noch mehrfach modifiziert.64 Zu so einschneidenden Veränderungen wie in den drei ersten Nachkriegssemestern kam es bis 1949, dem Jahr, indem die Briten die Verantwortung für die Zulassung zum Studium ganz den deutschen Hochschulen übertrugen, nicht mehr. Ausschlaggebend für die Zulassung an der Universität Münster war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr das politische Verhalten, sondern das Abiturzeugnis, das Empfehlungsschreiben der Schule und der persönliche Eindruck, den der Studienbewerber während seines Immatrikulationsgesprächs an der Fakultät hinterließ.

Das Ende der Entnazifizierung 1949 schließlich war das Jahr, in dem sich die Entnazifizierung insgesamt langsam ihrem Ende näherte. Der größte Teil der Verfahren war abgeschlossen und das Interesse an ihnen war auch bei den Ausschüssen nahezu erloschen. Mit der „Verordnung zum Abschluss der Entnazifizierung im Lande NRW“ vom 24. August 1949 62 63

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Protokoll der Nordwestdeutsche Hochschulkonferenz in Göttingen am 28./29. Mai 1946, S. 19, UAMs, Bestand 4, Nr. 201 (alt). Schreiben (Übersetzung) R. Perraudins an den Rektor der Universität Münster vom 1.10.1947 betr. Zulassung zum Studium, UAMs, Bestand 51, G 4 a; zum (politischen) Verhalten der Studierenden vgl. ausführlich Respondek 1995, S. 128ff. Zu den Themen Frauenstudium, Arbeitseinsatz als Voraussetzung zum Studium, Studentenverbindungen, Internationale Studententreffen etc. vgl. Respondek 1995, S. 106ff.

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nahm die bereits stattfindende Liberalisierung der Entnazifizierung offiziellen Charakter an. Diejenigen Professoren und Dozenten, denen die Rückkehr in ihr Amt bisher verweigert worden war, durften nun hoffen. Zwei Jahre später war ihnen die Rückkehr so gut wie sicher. Am 11. Mai 1951 beschloss der Bundestag das „Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Personen“. Dieses Gesetz bezog sich auf den Artikel des Grundgesetzes, in dem der Bundesgesetzgeber direkt beauftragt worden war, die Rechtsverhältnisse der Personen zu regeln, „die am 8. Mai 1945 im öffentlichen Dienst standen, aus anderen als beamten- oder tarifrechtlichen Gründen ausgeschieden sind und bisher nicht oder nicht ihrer früheren Stellung entsprechend verwendet werden“.65 Wie für die anderen Hochschulen hatte diese Regelung auch für die Universität Münster zur Folge, dass sie bei Neuberufungen zunächst jene Professoren zu berücksichtigen hatte, die unter dieses Gesetz fielen und somit auch wieder Hochschullehrer einstellen musste, die ihrer politischen Belastung wegen nach 1945 eigentlich und ursprünglich nicht mehr hätten lehren sollen. Die Entnazifizierung an der Universität Münster führte zu recht unterschiedlichen Reaktionen und Ergebnissen. Die meisten Professoren und Studenten lehnten sie als Anmaßung und Unrecht seitens der britischen Besatzungsmacht ab und leisteten ihr nur widerwillig Folge.66 Existenzangst, politische Naivität und Desinteresse, Gleichgültigkeit gegenüber dem Gewesenen, aber auch mitunter missverstandene kollegiale Fürsorge und Hilfsbereitschaft und nicht zuletzt die Überzeugung, den Blick nur in die Zukunft richten zu müssen, waren einige Motive für ihre Ablehnung. Hinzu kam, dass sich nicht wenige durch die politischen Säuberungsaktionen ein zweites Mal in ihrer beruflichen Laufbahn behindert fühlten.

Schlussbemerkung Der Mangel an Transparenz und die Unausgegorenheiten des Entnazifizierungsverfahrens, das immer mehr zu einem Akt der Rehabilitierung mutierte, machte die Entnazifizierung als Demokratisierungskonzept gänzlich unbrauchbar. Nicht Selbstbesinnung, sondern Selbstrechtfertigung war das Ergebnis. Nationalsozialist gewesen zu sein, blieb, wie für die meisten Deutschen, auch für viele Professoren und Studenten, „ein verzeihlicher Irrtum“, eine notwendige Voraussetzung der ei65

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Grundgesetz, Art. 131, 1. Satz. Zu den anderen Gründen zählte unter anderem auch die Dienstentfernung als Folge der Entnazifizierung. Zur Problematik des Art. 131 vgl. Krüger 1950, S. 161–164. „[…] das Trauerspiel der sogenannten Entnazifizierung, es war ein uns aufgezwungener Bürgerkrieg“, Stählin 1969, S. 491f. „Die alte Gesinnung ist nicht tot. Sie brodelt überall.“ „Niemals können wir uns mit einer Entnazifizierung innerhalb der deutschen Jugend einverstanden erklären.“ Beide Zitate: Respondek 1995, S. 128, Anm. 1, S. 167, Anm. 140. Vgl. dazu ausführlich: Phillips 1983, S. 34–53.

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genen Existenzerhaltung oder einfach ein selbstverständlich zu nutzendes, opportunes Mittel zur Förderung der beruflichen Karriere. Von ihren Ämtern entfernt wurden im Zuge der von subjektiven Einflüssen nicht freien Entnazifizierung gelegentlich Hochschullehrer, die politisch nicht belasteter waren als andere im Amt verbliebene Professoren, deren fachliches und/oder kollegiales Ansehen aber so gering war, dass die Fakultäten sie gern „zum Abschuss“ freigaben. Nicht selten spielten hierbei auch persönliche Rivalitäten und Aversionen eine Rolle. Obwohl die Entnazifizierung konstitutiver Bestandteil britischer Besatzungspolitik war, führte sie im Hochschulbereich langfristig gesehen weder personell noch strukturell zu einer tief greifenden Veränderung.67 Daran schuld waren die Konstruktionsfehler des Verfahrens, die zeit- und kräftezehrenden Anforderungen des Nachkriegsalltags, aber auch die Entwicklung der politischen Gesamtkonstellation. Der Versuch der Militärregierung, die Universitäten einer gründlichen Säuberung zu unterziehen, musste scheitern, da er von Anfang an mit anderen, den Wiederaufbau Deutschlands betreffenden Zielsetzungen kollidierte. Durch die 1947/48 im Kalten Krieg gipfelnde Ost-West-Konfrontation und die damit verknüpfte Integration Westdeutschlands in den westlichen Machtbereich verlor die Entnazifizierung für die Briten und ihre Verbündeten schon relativ früh an Bedeutung.68 Als sie 1948 langsam zu versanden begann, trauerte niemand ihr nach, nicht die Deutschen, nicht die Briten. Was die Entnazifizierung der Professoren und Studenten in Münster betrifft, so resümierte Heinrich Behnke: „Die Universität Münster ist durch die Wirren der Entnazifizierung wesentlich besser durchgekommen, als viele andere deutsche Universitäten. […] Über die Entnazifizierungskammer an unserer Universität schweige ich. Das ist sicher das beste.“69 Deutlicher noch als Behnke formulierte der Archäologe Ludwig Budde seine Beurteilung der Entnazifizierung: „Konsequent hat sich der Entnazifizierungsausschuss der Universität Münster nicht um eine Säuberung des Lehrkörpers von ehemaligen Nationalsozialisten bemüht. Man versuchte, Ruhe zu bewahren und unnötige Spannungen zu vermeiden. Wichtiger als die politische Vergangenheit war der Universität der standesgemäße Zusammenhalt und die berufliche Qualifikation, die wissenschaftliche Reputation.“70 Wie die Mehrzahl der Deutschen übte man auch an der Universität 67 68 69 70

Ob, wann, inwiefern es zu inhaltlichen Veränderungen kam, müssen disziplingeschichtlich angelegte Untersuchungen klären. Vgl. unter anderem Nolte 1985, Prell 1988, Foschepoth 1985, Königseder 2009. Behnke 1978, S. 172f. Mitteilung Prof. Ludwig Budde vom 3.6.1988 an den Verfasser. Wie die Mehrheit der bundesdeutschen Eliten ging es auch den Professoren in Münster nicht darum, den politischen und moralischen Bankrott des NS-Regimes anzuzweifeln, sondern ihn weitest möglich aus der eigenen Biographie herauszuinterpretieren. Vgl. hierzu: Frei 1997, Stolleis 2004, Oehler-Klein/Roelcke 2007.

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Münster bis in die 1960er-Jahre hinein schnelles Vergessen durch fleißigen Wiederaufbau. Die Bedingungen der Zeit und die überhastete, wenn auch aus funktionalen und ordnungspolitischen Gründen notwendige Wiedereröffnung der Universität hatte zur Folge, dass schnell wirksam werdende Veränderungen im Hochschulbereich nicht realisierbar waren. Obwohl die Universität Münster unter Aufsicht der britischen Militärbehörden stand, blieben ihre Autonomie und ihr Handlungsspielraum praktisch unangetastet. Die seitens der Militärregierung zur Entnazifizierung des Lehrkörpers und der Studentenschaft getroffenen Maßnahmen beeinträchtigten ihren Lehr- und Forschungsbetrieb kaum, zumal die Universitätsoffiziere maßgeblich zu seinem Funktionieren beitrugen. Für einen wirklichen Neuanfang genutzt wurde die den Hochschulen zugestandene Freiheit und Selbständigkeit an der Universität Münster nicht.

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Teil 2: Fakultäten und Institute

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„Der Betroffene war nur Theologe und völlig unpolitisch“ Die Evangelisch-Theologische Fakultät von ihrer Gründung bis in die Nachkriegszeit

„Wer im Willen, aktuell zu sein, Konjunkturritter wird, hat keinen Anspruch auf unser Gehör. Ebensowenig freilich, wer sich nur als Ewig-Gestriger entpuppt, der vor dem, was ist und was kommen soll, feige oder bequem in die Vergangenheit flüchtet“,1

erinnerte sich Helmuth Kittel 1973 an seine 1938 anlässlich der „Münsterischen Hochschultage“ gemachten Ausführungen zum Thema „Theologie der Gegenwart“. Kittel sah seine Aufgabe als Theologe der Gegenwart unter anderem darin, die jungen Menschen und vor allem die Gegner der evangelischen Kirchen für diese zurück zu gewinnen.2 Weite Teile des deutschen Protestantismus verbanden mit dem Nationalsozialismus die Hoffnung, den evangelischen Kirchen wieder zu einer größeren Bedeutung verhelfen zu können.3 Die von Manfred Gailus als „emphatische protestantische Selbsttransformation“ bezeichnete, begeisterte Aufnahme des Nationalsozialismus durch das deutsche protestantische Milieu4 betraf auch die evangelische Theologenschaft. Entgegen der Behauptung im Entnazifizierungsverfahren des Münsterschen Theologieprofessors Ernst Haenchen, der „Betroffene war nur Theologe und völlig unpolitisch“,5 waren auch die Theologieprofessoren keineswegs unpolitisch. Die lange Tradition des Nationalprotestantismus hatte vielmehr zu einer engen Verknüpfung von Protestantismus, Nation und Politik geführt.6 Nach dem Prestigeverlust des Protestantismus in der Weimarer Zeit wurde 1933 mit dem Nationalsozialismus die Hoffnung auf Rechristianisierung und eine erfolgreiche Volksmission verbunden. Diese Hoffnung einte weite Teile der Bekennenden Kirche wie der Deutschen Christen. Der prominenteste westfälische Vertreter der Bekennenden Kirche, der gleichzeitig offen den Nationalsozialismus unterstützte, war der Bielefelder Pastor Wilhelm Niemöller, der Bruder Martin Niemöllers, der ab 1933 aus seiner Gemeinde in Berlin-Dahlem die Bekennende 1 2 3 4 5

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Kittel 1973, S. 309. Ebd., S. 316ff. Vgl. zuletzt Gailus 2011, S. 102ff. Vgl. unter anderem Gailus 2010, S. 28ff. LAV NRW R, NW 1037, B IV 42 10, Entnazifizierungs-Berufungsausschuss bei der Regierung Münster in der Entnazifizierungssache emer. Iniv. Prof. Dr. Ernst Haenchen, 8.7.1949. Gailus/Lehmann 2005, Gailus, Protestantismus, 2006, S. 16f.

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Kirche entscheidend mitlenkte. Wilhelm Niemöllers Arbeiten zu den kirchenpolitischen Auseinandersetzungen wirkten nach 1945 gleichzeitig wesentlich an der Stilisierung des „Kirchenkampfes“ zu einer kirchlichen Widerstandsbewegung mit.7 Die evangelische Kirchengeschichte hat sich mit dem Band „Theologische Fakultäten im Nationalsozialismus“ mit diesem Teil der Geschichte der evangelischtheologischen Fakultäten auseinandergesetzt.8 Wilhelm Neuser hat darin auch die kirchenpolitischen Auseinandersetzungen an der Evangelisch-Theologischen Fakultät Münster beschrieben, die sich hauptsächlich an der Frage entzündeten, welche Professoren, die der Deutschen Christen oder die der Bekennenden Kirche, die Prüfungen abnehmen durften, und an dem Boykott einzelner Lehrveranstaltungen durch die Studenten der Bekennenden Kirche.9 Einen Überblick über die Gesamtentwicklung der Evangelisch-Theologischen Fakultät Münster verschafft zudem die ebenfalls von Neuser herausgegebene Geschichte der Fakultät von 1914 bis 1989.10 Die Entwicklung der einzelnen Fakultäten im Nationalsozialismus und darüber hinaus war abhängig von den personellen Kontinuitäten und Diskontinuitäten. Während des Nationalsozialismus wurden einige Fakultäten – wie beispielsweise die Bonner – gezielt umgebaut und mit Anhängern der Deutschen Christen besetzt.11 Nach einem kurzen Überblick über die Anfangsjahre der Fakultät steht im Fokus der Analyse daher zunächst die Personalpolitik zwischen 1933 und 1945. Inwieweit wurde die Fakultät durch Eingriffe des Ministeriums oder durch fakultätsinterne Politik umgebaut? Welche Karrieremöglichkeiten boten oder verschlossen sich für den wissenschaftlichen Nachwuchs? Insbesondere in Bezug auf den Nationalsozialismus rücken hierbei die Handlungsspielräume der einzelnen Akteure in den Blick.12 Inwieweit wurde der Nationalsozialismus als Karrierechance genutzt oder offen begrüßt? Abgesehen von der Haltung gegenüber dem jeweiligen politischen System wurden Handlungsmöglichkeiten und Karrierechancen aber auch weiterhin und vor allem im Anschluss an den Nationalsozialismus maßgeblich durch die persönlichen Netzwerke bestimmt.13 Neben den individuellen Handlungsmöglichkeiten waren auch die Handlungsmotive der einzelnen Akteure an den Fakultäten sehr heterogen. Zwischen den beiden kirchenpolitischen Gruppen Bekennende Kirche und Deutsche Christen stand eine angepasste Mitte. Zudem zerfallen die Bekennenden Kirche und die Deutschen Christen in zahlreiche radikalere und gemäßigtere Strömungen. Die verschiedenen Protestantismen waren beeinflusst durch verschiedene regionale religiöse und theologische Strömungen sowie kirchenpolitische 7 8 9 10 11 12 13

Schmuhl 2006, S. 93f., Friedrich 2006, S. 273ff., Gailus, Gefangenschaft, 2006, S. 519ff., Ericksen 2005. Siegele-Wenschkewitz/Nicolaisen 1993. Neuser 1993, S. 317–345. Neuser, Fakultät 1914 bis 1989, 1991. Wolgast 1993, S. 64. Ash/Nieß/Pils 2010, S. 23ff. Vgl. unter anderem Eichhorn 2006, S. 60ff.

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Bedingungen, aber auch kulturelle und politische Einflüsse, wie beispielsweise die Jugendbewegung.14 Im Hinblick auf die kirchenpolitischen Auseinandersetzungen, die die Fakultät lange Zeit lähmten, steht im Mittelpunkt die Frage danach, inwieweit die Entwicklung der Fakultät von den landeskirchlichen kirchenpolitischen Entwicklungen dominiert blieb oder sich noch eigene Handlungsspielräume boten. Auch die kirchenpolitischen Auseinandersetzungen weisen eine hohe Abhängigkeit von den regionalen Bedingungen und den Haltungen, aber auch Allianzen der Akteure auf.15 Abschließend folgt ein Ausblick auf die ersten Nachkriegsjahre, die die Fakultät zumindest im Hinblick auf die personellen Ressourcen zunächst zu einem Neuanfang zwangen. Mit Blick auf die längerfristige Entwicklung sowie die Personalströme zwischen den Fakultäten und den Landeskirchen bleibt jedoch zu fragen, inwieweit es sich hierbei insgesamt weniger um einen Neuanfang als vielmehr um eine personelle Umverteilung handelte.

Die Anfangsjahre der Evangelisch-Theologischen Fakultät Die ersten, aufgrund einer vom Ministerium erstellten Berufungsliste an die 1914 begründete Evangelisch-Theologische Fakultät Münster berufenen Professoren vertraten innerhalb der Strömungen des Protestantismus dieser Jahre eine gemäßigte vermittelnde Linie und waren weder konfessionell-orthodox noch liberal.16 Über Münster hinaus bekannt war der erste Dekan der neuen Fakultät und spätere Rektor der Universität Julius Smend (1857–1930), der bis 1925 den Lehrstuhl für Praktische Theologie innehatte. Schulbildend wirkte auch Karl Heim (1874–1958), der bis 1920 Systematische Theologie lehrte.17 In den Weimarer Jahren wurde die Fakultät institutionell verankert, wie sich unter anderem in dem 1922 als Wohn- und geistliche Betreuungsstätte für die Studenten der evangelischen Theologie eröffneten Hamannstift verdeutlicht. Professor Johannes Herrmann (1880–1960),18 der 1922 auf den Lehrstuhl für Altes Testament berufen wurde, erlebte die Eröffnung des von der Westfälischen Provinzialkirche gegründeten Stiftes, dessen Ephorus er später wurde, als „Zeichen eines ungewöhnlich erfreulichen gegenseitigen Vertrauensverhältnisses zwischen Kirche und Fakultät.“19 14 15 16 17 18

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Gailus 2010, S. 19f., ders. 2002, S. 518ff., ders./Nolzen, Einleitung, 2011, S. 9ff. Gailus, Gefangenschaft, 2006, S. 518ff. Vgl. hier und im Folgenden Jacobs 1991, S. 44ff. Jacobs 1991, S. 49. Bautz, Herrmann, 1990, Sp. 771. Herrmann war nicht nur der neben dem Dekan stehende Seminardirektor, sondern 1931/32 auch Rektor der Universität. Vgl. auch Jacobs 1991, S. 50. UAMs, Bestand 12, Nr. 18, Bd. 1, Nachtrag zu Lebenslauf für das Dozentenalbum der Evangelisch-Theologischen Fakultät zu Münster, 25.4.1952. Jacobs 1991, S. 59.

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Allerdings stand die junge Fakultät von Beginn an in Konkurrenz zu der 1905 von dem Leiter der Betheler Heil- und Pflegeanstalten und preußischen Abgeordneten Friedrich von Bodelschwingh (1831–1910) gegründeten Theologischen Schule Bethel. Bodelschwingh hatte sich seit den 1890er-Jahren für eine freie kirchliche theologische Ausbildungsstätte eingesetzt, die zukünftige Theologen im Sinne der positiven Theologie ausbilden und der liberalen Theologie entgegenwirken sollte.20 Das Studium in Bethel war zunächst nur eine Ergänzung zu dem universitären Theologiestudium.21 1919 beantragte die Vereinigung der landeskirchlichen Gemeinschaften jedoch bei der westfälischen Landessynode die Theologenschule als Fakultät anzuerkennen, um „die schriftgemäße Heranbildung der Kirchendiener zu gewährleisten“.22 Bethel verfügte nicht zuletzt aufgrund seines Sprachenunterrichtes über einen steten regen Zulauf. Im Ringen um Studenten war die junge Münstersche Evangelisch-Theologische Fakultät aber weiterhin in der Hinsicht im Vorteil, als dass Bethel eine prüfungsrelevante Anerkennung des Studiums erst 1927 durchsetzen konnte. Von der preußischen Generalsynode wurde zudem auch dann maximal ein Semester anerkannt.23 1925 wurde der sehr renommierte Schweizer Theologe Karl Barth (1886–1968)24 aus Göttingen auf den Lehrstuhl für Systematische Theologie berufen. 1926 trat Wilhelm Stählin (1883–1975), bis dahin Pfarrer in Nürnberg, die Nachfolge Smends auf dem Lehrstuhl für Praktische Theologie an.25 Barth beschrieb das Kollegium als im Gegensatz zu Göttingen sehr kollegial und freundlich.26 Auch der Nachfolger Karl Heims auf dem Lehrstuhl für Systematische Theologie, Georg Wehrung (1880–1959), hob die vertrauensvolle Zusammenarbeit, die in Münster in den 1920er-Jahren geherrscht habe, in seinen Lebenserinnerungen hervor.27 Mitte des Jahrzehnts bestand die Dozentenschaft der Fakultät neben Barth und Stählin aus Johannes Herrmann und Johannes Hänel (1887–1956)28 für Altes Testament, Otto Schmitz (1883–1957), der 1916 von der Basler Predigerschule nach Münster berufen 20 21 22 23 24 25

26 27 28

Kuhlmann 2005, S. 17ff., van der Kooi 1980, S. 22ff. Schlatter 1980, S. 86ff. Jacobs 1991, S. 59f. Kuhlemann 2005, S. 38ff. UAMs, Bestand 9, Nr. 303, Dekan Wehrung an den Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, 6.5.1925. Ebd., Vorschlagsliste der Fakultät, 1.6.1926, Abschrift. Die Liste nannte Stählin an zweiter Stelle hinter Heinrich Rendtorff, Studiendirektor und Klosterprediger in Reets. An vierter Stelle standen, da hierüber keine Einigkeit bestand, zum einen Pfarrer Günther Dehn, Reformationskirche, Berlin, zum anderen Pfarrer Jean Dusse, Essen-Rüttenscheid. In seiner Beschreibung wurde hervorgehoben, dass Dehn auf die Versöhnung von Kirche und Proletariat bedacht sei. Jean Dusse hingegen war Militärpfarrer und Förderer der Volksmission. Heinrich Rendtorff war der Sohn des Leipziger Professors Franz Rendtorff. Vgl. Schwab 1995. Busch 1974, S. 181. Vgl. zu Barth unter anderem auch Faulenbach 1995, S. 273ff. Wolfes, Protestantische Theologie, 1999, S. 202, Fn. 37. Vgl. zu Wehrung auch ders. 2001. Bautz, Hänel, 1990.

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worden war, für Neues Testament29 sowie Georg Grützmacher (1866–1939)30 und Karl Bauer (1874–1939)31 für Kirchengeschichte. Als Georg Wehrung kurze Zeit später Münster verließ, erhielt Barth eine ordentliche Professur und Friedrich Wilhelm Schmidt (1883–1945) wurde aus Halle auf die außerordentliche Professur für Systematische Theologie nach Münster berufen.32 Mit Karl Barth war einer der wichtigsten Vertreter der Dialektischen Theologie, die das Wort Gottes in den Mittelpunkt stellte,33 für die Münstersche Fakultät gewonnen worden. Die zentralen Arbeiten hierzu hatte Barth bereits in Göttingen verfasst,34 in Münster gewann er aber zahlreiche neue Anhänger.35 Eine ähnlich hohe Bedeutung für die Praktische Theologie, wie Barth sie für die Dialektische Theologie hatte, erlangte in dieser Zeit die Berneucher Bewegung. Mit Wilhelm Stählin zählte die Münstersche Fakultät einen der wichtigsten Vertreter der Berneucher zu ihrer Professorenschaft.36 Stählin war von 1922 bis 1932 Bundesleiter des Bundes Deutscher Jugendvereine,37 Religionspsychologe und Mitbegründer des „Berneucher Kreises“, der sich um die Reform der evangelischen Liturgie bemühte.38 Die Berneucher stammten aus verschiedenen Jugendbünden oder der kirchlichen Jugendarbeit und wollten der Nachkriegsjugend mit ihrem „Naturerleben und ihren Gemeinschaftsformen“ neue religiöse Erfahrungen bieten.39 Durch die Kräfte des religiösen Erlebens sollte die „Volksgemeinschaft“ wieder zueinander finden.40 Die Berneucher selbst bezeichnen ihre Anfangsjahre daher auch eher als „sakramentale Erweckungsbewegung“ und weniger als theologische Schule.41 Das 1926 herausgegebene „Berneucher Buch“, das ein „Aufruf zur Rettung des Protestantismus“ sein sollte, stieß allerdings auf umfassende Kritik der Theologenschaft.42 Während Stählin die Fakultät in den folgenden Jahren nachhaltig prägte, wurde Karl Barth 1930 nach Bonn berufen. Als Nachfolger wünschte sich Barth den Mitbegründer der Dialektischen Theologie Friedrich Gogarten (1887–1967),43 der ihm als der geeignetste Kandidat zur Fortsetzung seiner eigenen Arbeit an der Fakultät 29 30 31 32

33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43

Jacobs 1991, S. 52f. Weise/Wolfes, Grützmacher, 2000. Ulrichs 1999. Prof. Werner Elert, Erlangen, hatte den zunächst an ihn gegangen Ruf abgelehnt. UAMs, Bestand 9, Nr. 303, Dekan Grützmacher an den Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, 7.7.1927. Busch 1974, S. 181.Vgl. zu Schmidt Weise/Wolfes, Schmidt, 2000. Lessing 2001, S. 23ff. Busch 1974, S. 151ff. Neuser 1985, S. 62. Lessing 2001, S. 386ff. Boberach 2010, S. 378. Spieker 1976, S. 6. Lupin 1982, S. 11. Stählin 1937, S. 1. Jacobs 1991, S. 65. Planck 1982, S. 9. Stählin 1937, S. 6, vgl. auch S. 5f.; Stählin 1968, S. 313ff. Bautz, Gogarten, 1990.

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erschien, die, so Barth, in seiner Zeit „an Ansehen und Studentenzahl jedenfalls nicht verloren“ habe.44 Sein Nachfolger wurde aber der von der Fakultät bereits 1926 auf einer Berufungsliste genannte Otto Piper (1891–1982),45 der zuvor eine außerordentliche Professur in Göttingen inne gehabt hatte und im März des Jahres, vermutlich als einziger deutscher Professor dieser Zeit, einen französischen Ehrendoktortitel der Pariser „Faculté libre“ erhalten hatte.46 In Bonn trat Barth entschieden gegen den Nationalsozialismus ein.47 Zugleich kritisierte er als einer der wenigen Theologen, dass der Pfarrernotbund und damit die spätere Bekennende Kirche nur innerkirchlich agierte und nicht gegen den Nationalsozialismus eintrat.48 Im November 1934 wurde er aufgrund seiner Weigerung, den Führereid abzulegen, suspendiert und schließlich im Juni 1935 zwangsweise in den Ruhestand versetzt.49

Die Fakultät nach 1933 Weite Teile der deutschen Protestanten begrüßten den Nationalsozialismus und verbanden damit die Hoffnung, die lang angestrebte Volksmission, die „Rückgewinnung“ des Volkes für den evangelischen Glauben, durchführen zu können und den evangelischen Kirchen wieder zu mehr Einfluss in Staat und Gesellschaft zu verhelfen. In diesem Zusammenhang traten einige Theologieprofessoren der NSDAP bei, und auch Vertreter der Bekennenden Kirche begrüßten den Nationalsozialismus.50 Die innerkirchliche Opposition formierte sich in erster Linie gegen die Deutschen Christen,51 die in der neuen evangelischen Reichskirche unter der Führung des Reichsbischofs Ludwig Müller52 und in den einzelnen Landeskirchen versuchten, sich die Macht zu sichern.53 In der westfälischen Provinzialkirche versuchten die Deutschen Christen mit dem neu eingesetzten deutschchristlichen Bischof Bruno Adler (1896–1954), die presbyterial-synodale Verfassung zu zerstören. Mit der Bekenntnissynode mit Präses Karl Koch (1876–1951) an der Spitze formierte sich in Westfalen jedoch ein 44 45 46

47 48 49 50 51 52 53

UAMs, Bestand 9, Nr. 303, Karl Barth an den Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, 28.11.1929. Schreiber 1994. UAMs, Bestand 9, Nr. 303, Wilhelm Thimme an die Fakultät, 2.12.1926; ebd., Fakultät an den Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, 28.11.1929, Abschrift. Vgl. zu Piper Graf 1988, S. 358. Vgl. unter anderem Meier 1996, S. 51ff. Busch 1974, S. 248ff.; Meier 1996, S. 52f. Kinzig 2008. Meier 1996, S. 27. Bergen 1996. Schneider 1993. Scholder 1977 und 1985, Besier 2001, Meier 1984. Vgl. unter anderem auch Vollnhals 1990 und die Beiträge in: Geschichte und Gesellschaft 4 (2003).

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starker Gegner.54 Die Evangelisch-Theologische Fakultät Münster sprach den westfälischen Pfarrern, die in dieser Situation um ein Gutachten gebeten hatten, das Recht zu, ihrem Gewissen und Bekenntnis zu folgen und Einspruch gegen die neue Kirchenregierung zu erheben. Auch bat sie Bischof Adler, mit den „unchristlichen Methoden der Gewalt zu brechen“.55 Kurze Zeit später zerfiel aber auch die Fakultät in verschiedenste kirchenpolitische Strömungen. Die weitere Entwicklung der Fakultät blieb in der Folge weitgehend von der kirchenpolitischen Entwicklung der Landeskirche abhängig, es verblieben aber Handlungsspielräume, die zu Auseinandersetzungen zwischen den kirchlichen und universitären Institutionen, vor allem aber zwischen den einzelnen Mitgliedern der Fakultäten führten.56 Von den Professoren der Münsterschen Fakultät gehörte zunächst nur Friedrich Wilhelm Schmidt, der bis 1927 Mitglied der Deutschen Volkspartei gewesen war, zu den Deutschen Christen, später trat er auch der NSDAP bei. Nachdem die Fakultät noch am 6. Mai 1933 Stählin als Dekan bestätigt hatte, wurde Schmidt von dem neuen Rektor Hubert Naendrup (1872–1947) im März 1934 zum Dekan ernannt.57 Er behielt dieses Amt, bis er 1939 nach Berlin wechselte. Die Fakultät war in der Folgezeit vor allem dadurch geprägt, dass Schmidt seine Politik mit ministerieller Unterstützung gegen eine Mehrheit der Professoren durchzusetzen versuchte.58 Von der Dozentenschaft gehörten Georg Grützmacher, der 1935 verstarb, Karl Bauer, Werner Foerster (1897–1975) und Otto Schmitz zur Bekennenden Kirche. Auch Wilhelm Stählin und Johannes Herrmann schlossen sich ihr an. Sie bildeten aber zunehmend eine dritte kirchenpolitische Kraft zwischen der deutschchristlichen Politik des Dekans und derjenigen der westfälischen Bekennenden Kirche. Stählin betonte später, ein Gegner des Nationalsozialismus gewesen zu sein. 1937 brachte er dies in einem Brief an den Leiter der Dozentenschaft, Professor Hermann Walter (1893–1938), auch insofern zum Ausdruck, als dass er gegenüber dessen öffentlichen antisemitischen Äußerungen auf die Verpflichtungen hinwies, die er „als 54 55 56 57

58

Hey 1974, S. 57ff., Noss 2006, S. 234ff. UAMs, Bestand 11, Nr. 169, Fakultät an Bischof Adler, 24.2.1934, Entwurf. Lippmann 2003, S. 462. UAMs, Bestand 10, Nr. 379, Personalbogen Friedrich Wilhelm Schmidt, UAMs, Bestand 9, Nr. 293, Der stellvertretende Universitätskurator an den Minister für Wissenschaft, Kunst und Volkserziehung, 6.5.1933, ebd., Vermerk in den Akten zu der stellvertretende Universitätskurator an den Minister für Wissenschaft, 19.3.1934, und positive Stellungnahme des Ministers mit beigefügtem Runderlass des Ministers vom 28.10.1933, 20.3.1934. Vgl. Stählin 1968, S. 288, Neuser, Fakultät im Dritten Reich, 1991, S. 74, Erlmann 2004, S. 15. Anders als bei Erlmann ausgeführt, lässt sich in den Akten nicht nachvollziehen, dass Berlin Stählin nicht bestätigte. Vielmehr basierte die Ernennung wohl auf der Verordnung vom 28.10.1933, die den Rektoren die Macht zusprach, die Dekane zu ernennen. Foerster will sich überdies 1968 erinnern, dass Schmidt entgegen der Erinnerungen Stählins von der Fakultät zum Dekan gewählt wurde. UAMs, Bestand 12, Nr. 58, Bd. 2, Foerster an den Dekan der Evangelisch-Theologischen Fakultät Hesse, 18.11.1968. Stählin 1968, S. 288f.; Neuser, Fakultät im Dritten Reich, 1991, S. 72ff.

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Mensch und als Christ gegenüber anderen Menschen habe“.59 In der Flugschrift „Die völkische Bewegung und unsere Verantwortung“ von 1924 hatte Stählin allerdings auch ausgeführt, dass es notwendig sei, „gegen die Aussaugung eines ganzen Volks im Dienst internationaler Geldmächte und […] gegen die geheime Vorherrschaft jüdischer Interessen mit aller Energie zu kämpfen.“60 Lange in Deutschland lebende Juden oder Personen mit jüdischen Vorfahren sollten zwar staatsbürgerlich gleichgestellt werden, Ostjuden aber sollten „entfernt werden“ und der „Anteil der jüdischen Mitbürger in öffentlichen Ämtern, dem ihnen nach ihrem Bevölkerungsanteil entsprechenden Maß reduziert werden“.61 Seine Arbeit sah Stählin rückblickend nicht durch „die nationalsozialistische Regierung, sondern durch die ‚Bekennende Kirche‘ gestört.“62 Die Berneucher seien „1923 aufgebrochen, verzweifelt über den inneren Zustand der Kirche“. Daher seien sie „über die äußere Katastrophe des Jahres 1933 nicht so verwundert und erschüttert wie andere“ gewesen, hätten aber „sehr bald den schmerzlichen Eindruck“ gehabt, „daß der Erneuerungswille der Bekennenden Kirche nicht in der Tiefe ansetzte, in der der eigentliche Schaden wurzelte.“63 1941 trat Stählin schließlich aus der Bekennenden Kirche aus.64 Johannes Herrmann und Stählin standen, wie Stählin es formulierte, „Seite an Seite ebenso gegen die staatliche Vergewaltigung der Kirche, wie gegen den Alleinherrschaftsanspruch der Bekennenden Kirche“.65 Spätestens 1937 schloss sich der größte Teil der Professorenschaft der Evangelisch-Theologischen Fakultät Münsters ihrem Kurs an. Der zunehmend in die Defensive geratende Dekan Friedrich Wilhelm Schmidt klagte gegenüber dem Ministerium, Stählin agiere als „inoffizieller Dekan einer inoffiziellen Fakultät“.66 Auch der Dozentenschaftsleiter Walter bestätigte Schmidts Einschätzung, dass hinter Herrmann und Stählin „trotz der Unterschiedlichkeit der Haltung“ in kirchenpolitischen Fragen „die ganze theologische Fakultät“ stehe.67 Die Position des isolierten Schmidt wurde darüber hinaus auch durch die ministerielle Besetzungspolitik unterwandert.

59 60 61 62 63 64 65 66 67

Stählin 1968, S. 265; UAMs, Bestand 11, Nr. 64 b, Stählin an Walter, 10.12.1937. Vgl. ebd., Walter an Stählin, 21.12.1937. Stählin [1924], S. 44. Ebd., S. 59f. Vgl. zum christlichen Antisemitismus unter anderem Gailus/Nolzen, Einleitung, 2011, S. 11. UAMs, Bestand 5, Nr. 285, Darstellung des Lebenslaufes von Prof. D. Dr. Wilhelm Stählin, August 1950. Stählin 1968, S. 332. Vgl. zu Stählin Kurs zwischen den Fronten auch Danielsmeyer 1982, S. 28. Stählin 1968, S. 308. UAMs, Bestand 12, Nr. 18, Bd. 1, Stählin an den Dekan der Evangelisch-Theologischen Fakultät, 12.2.1960. UAMs, Bestand 9, Nr. 301, Schmidt an den REM, 10.5.1937, Durchschlag. Ebd., Dozentenschaft der Universität Münster an den Kurator, 26.1.1937.

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Das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ Otto Piper war der erste evangelische Theologe, der in Münster aufgrund des sogenannten „Gesetz[es] zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7.  April 193368 im Herbst 1933 entlassen wurde. Piper hatte 1928 beim Evangelisch-Sozialen Kongress mitgearbeitet und war seit 1929 Sprecher der jungevangelischen Bewegung.69 1931 hatte er eine Erklärung Karl Barths und seines Bonner Kollegen Karl Ludwig Schmidt (1891–1956)70 unterzeichnet, die sich mit Günther Dehn (1882–1970)71 solidarisierte, dessen Berufung nach Halle 1931 nationalsozialistische und Stahlhelm-Studenten verhindert hatten, da Dehn den religiösen Sozialisten nahe stand und sich gegen die Errichtung von Gefallenendenkmälern in Kirchen ausgesprochen hatte.72 In seinen Arbeiten hatte Piper, aus der Jugendbewegung kommend,73 ähnlich wie die Berneucher gefordert, dass sich die evangelischen Kirchen auf ihr „eigentliches Wesen“ besinnen sollten.74 Er nahm mit seinem „Lutherischen Neurealismus“ in der Theologie der 1920er-Jahre aber insofern eine Sonderstellung ein, als dass er das politische Luthertum kritisierte.75 Mit der im Protestantismus weitverbreiteten Hoffnung, mit dem Nationalsozialismus wieder mehr Bedeutung zu gewinnen, setzte sich Otto Piper 1933 in seinem Werk „Kirche und Politik“ kritisch auseinander und kam zu dem Schluss ein „einfaches Ja oder Nein“ sei in dieser Frage „nicht möglich, weil die Bewegung, mit der es die Kirche heute zu tun hat, keine eindeutige Bewegung“ sei. „Wenn die führenden Staatsmänner heute davon sprechen, daß es ihnen um die Christlichkeit des ganzen deutschen Volkes gehe“, so habe „man kein Recht, dahinter nur politische Taktik zu sehen. Wer zum Deutschtum Ja sagt, der kann den Anteil nicht übersehen, den das Christentum an der Bildung des deutschen Volkes gehabt hat.“76 Daran schloss er aber seine bereits in vorherigen Schriften formulierte Mahnung vor einer Politisierung der Kirche an: „Der wahre Einfluß der Kirche hängt nicht von ihrer äußeren Macht ab, sondern von der Autorität der Wahrheit, in der sie lebt.“77

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Grüttner/Kinas 2007, Grüttner 2008, S. 28ff., Meier 1996, S. 62ff. Graf 1988. Schwankl 1995. Bautz, Dehn, 1990. Vgl. auch den eigenhändiger Eintrag Günther Dehns im Album Professorum, 3.2.1965, abgedruckt bei Faulenbach 2009, S. 410–417. Jacobs 1991, S. 69; Meier 1996, S. 12ff. Eine weitere Erklärung, die die Vorgänge gegen Dehn verurteilte, hatten auch die Münsterschen Professoren Otto Schmitz und Wilhelm Stählin verfasst. Ebd., S. 41. Graf 1988, S. 357. Meier 1996, S. 42f. Zu Pipers Theologie vgl. Lessing 2001 und 2004, S. 335ff. Graf 1988, S. 357. Vgl. auch Cassé Wright 1977, S. 149f. Piper 1933, S. 6f. Vgl. Meier 1996, S. 43f., Graf 1988, S. 340, Nowak 1993, S. 112. Piper 1933, S. 30, der dort aus seinem bereits 1929 erschienen Werk „Vom Machtwillen der Kirche“ zitiert.

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Die an der Universität zur Durchführung des Gesetzes zur „Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ eingesetzte Kommission78 lastete Piper sein Engagement für die SPD an, zudem wurde er verdächtigt, Verbindungen zu linken Studenten zu unterhalten. Rektor Naendrup widersprach zwar dieser Einschätzung,79 und auch seitens der Studentenschaft sollen Eingaben für Piper erfolgt sein,80 dennoch wurde Piper zum Wintersemester 1933/34 als „politisch unzuverlässig“ entlassen. Seine aus einer jüdischen Familie stammende Ehefrau scheint bei dem Entlassungsverfahren hingegen keine Rolle gespielt zu haben.81 Piper fand 1937, nach Gastaufenthalten in Großbritannien, am Princeton Theological Seminary in den USA eine neue Anstellung, wohin dann auch seine Familie ausreisen konnte.82 Schmidt hielt es indessen „für ein Unding […] daß ein hier als unmöglich empfundener Dozent unbehindert im Ausland wirken kann“. Ähnlich äußerte sich auch Dozentenbundführer Walter auf eine Anfrage der Gauleitung Westfalen-Nord. Zudem regte er bei der Reichsamtsleitung die Überprüfung, ob Stählin arisch sei, sowie die Überwachung des Briefwechsels Stählins und Pipers durch die Gestapo an, da Schmidt wissen wollte, ob Piper und Stählin noch in Kontakt standen.83 Als zweiter Münsterscher evangelischer Theologe wurde im Herbst 1934 Otto Schmitz vom Ministerium in den vorzeitigen Ruhestand versetzt.84 Er hatte 1933 eine gemeinsame Erklärung evangelischer Professoren für Neues Testament gegen die Einführung des kirchlichen Arierparagraphen unterzeichnet.85 Entgegen der weitverbreiteten Haltung der Professoren, nicht gegen die Entlassungen zu protestieren,86 versuchten seine Kollegen zumindest zu erwirken, die Gründe für die Zwangsemeritierung beim Ministerium anzufragen. Rektor Naendrup lehnte 78 79 80

81 82 83

84 85 86

Respondek 1995, S. 25ff. Hörster-Phillips/Vieten 1980, S. 90f., Erlmann 2004, S. 18ff. UAMs, Bestand 11, Nr. 64 b. Stählin, Gutachten Piper, 13.4.1937. Danielsmeyer 1982, S. 23, berichtet, dass ein Vertreter des „Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes“, der zu den Freunden Pipers zählte, nach einer Eingabe für diesen seinen Posten verloren habe. Erlmann 2004, S. 20. Danielsmeyer 1982, S. 37f.; vgl. Meier 1996, S. 77. UAMs, Bestand 10, Nr. 11559, Bd. 1, Dekan Schmidt an Dozentenbundführer Walter, ohne Datum, Abschrift. Darüber hinaus monierte Schmidt, dass Frau Piper nach wie vor das „Damenkränzchen der Fakultät besucht, sodaß meine Frau nicht mehr daran teilnimmt.“ Ebd., Walter an das Gaupersonalamt der NSDAP Münster, 28.1.1938, ebd., Notiz Walter auf Brief Schmidt an Walter, o. D., Abschrift. Vgl. Erlmann 2004, S. 21. Möglicherweise auch um Stählins Haltung gegenüber Piper zu überprüfen, bat Walter Stählin 1937 um ein Gutachten über Piper, das sehr positiv ausfiel. UAMs, Bestand 11, Nr. 64 b, Walter an Stählin, 2.4.1937, ebd., Stählin, Gutachten Piper, 13.4.1937. UAMs, Bestand 10, Nr. 6275, Bd. 1, REM an Otto Schmitz, 12.7.1934, Abschrift an den Kurator. Vgl. auch die Meldung zur Entlassung 1934. Norden/Schoenborn/Wittmütz 1984, S. 165, Kuhlemann 2005, S. 57. Die Entlassung Pipers führt Ash als Beispiel dafür an, dass es gegen Entlassungen in der Regel keine Proteste gab, sondern sich um Ersatz bemüht wurde. Vgl. Ash 2002, S. 39.

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dies als „Disziplinlosigkeit“ ab, nachdem auch Dekan Schmidt bereits betont hatte, dass es nicht zu unzulässigen Diskussionen über die Entscheidung des Ministeriums kommen dürfe. Aber auch er wollte sich in diesem Fall zumindest für eine Versetzung Schmitz’ eingesetzt haben.87 Von westfälischen Hilfspredigern und Vikaren wurde eine Vertrauenskundgebung veröffentlicht.88 Die „Reformierte Kirchenzeitung“ bedauerte in einer Meldung sein erzwungenes Ausscheiden.89 Auf die Anfrage von Hans Schmidt (1877–1953), des Vorsitzenden des Fakultätentages, führte das Reichswissenschaftsministerium schließlich an, dass Schmitz’ Eintreten für die Bekennende Kirche der Grund für seine Entfernung aus der Fakultät gewesen sei. Schmitz leitete anschließend das Ausbildungsseminar der Bekennenden Kirche in Bielefeld, bis dieses 1937 durch die Gestapo geschlossen wurde. 1938 wurde er Direktor des Johanneum in Wuppertal.90

Berufungs- und Versetzungspolitik nach 1933 Nach diesen beiden gezielten Eingriffen des Ministeriums in den Personalbestand der Fakultät war die Personalpolitik der Münsterschen Fakultät in den folgenden Jahren durch die, allerdings erfolglosen, Bemühungen des Dekans Schmidt,91 die Fakultät ohne Mitsprache seiner Kollegen in eine deutschchristliche umzubauen, und die diesen Bemühungen oftmals entgegenstehende ministerielle Besetzungspolitik geprägt. Münster gehörte, abgesehen von den vollständig umbesetzten Fakultäten in Bonn und Kiel, schließlich zu den evangelisch-theologischen Fakultäten, bei denen, wie in Königsberg, Berlin und Breslau, bis 1936 mehr als die Hälfte des Lehrkörpers ausgetauscht wurde.92 Bei der Wiederbesetzung der Professur Pipers bestand der Minister noch auf den üblichen Dreiervorschlag der Fakultät, nachdem die Fakultät zunächst, wie schon bei der Wiederbesetzung der Professur Barths, darum gebeten hatte, Schmidt die ordentliche Professur zu übertragen.93 Die Fakultät nannte, wie bereits bei der Nachfolge Barths, an erster Stelle Adolf Köberle (1898–1990), Basel,94 dessen Ein-

87 88 89 90 91 92 93 94

UAMs, 10, 6275, Bd. 1, Schmidt an den Kurator, 21.7.1934. Zudem bat er darum Otto Schmitz zumindest wirtschaftlich abzusichern. Ebd. Stählin 1968, S. 295f.; Neuser, Fakultät im Dritten Reich, 1991, S. 80f., Erlmann 2004, S. 22. Vertrauenskundgebung Otto Schmitz 1934. Meier 1996, S. 77f., Scherffig 1989, S. 204, Norden 1993, S. 279. Weise 2005, S. 112 und S. 121. Meier 1996, S. 364. UAMs, Bestand 9, Nr. 303, REM an den Kurator, 21.11.1933, ebd., Dekan Stählin an den REM, 27.10.1933. Eber 2005.

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satz für die Volksmission besonders hervorgehoben wurde.95 An zweiter Stelle folgte Walter Künneth (1901–1997), Privatdozent in Berlin, der im Mai 1933 mit Martin Niemöller (1892–1984) und Hanns Lilje (1899–1997) die „Jungreformatorische Bewegung“, den späteren Dahlemer Flügel der Bekennenden Kirche, gegründet hatte.96 Der an dritter Stelle genannte Heinz-Dietrich Wendland (1900–1992) wurde als politischer Berater der Deutschen Christen in Baden ausgewiesen.97 Im Mai 1933 hatte Wendland, wie Stählin, das Gründungsdokument der „Jungreformatorischen Bewegung“ unterzeichnet.98 Seine zu dem Zeitpunkt bestehende Nähe zu den Deutschen Christen schreibt Wendland in seinen Erinnerungen dem Versuch zu, „mit den Deutschen Christen ins Reine zu kommen und zu prüfen, ob diese für eine Mitarbeit meinerseits in Frage kämen.“ 1935 trat er schließlich der Bekennenden Kirche bei.99 Dass die „in voller Einmündigkeit gemachten Vorschläge“ kirchenpolitisch unterschiedlich positionierte Männer angeführt hätten, nannte Stählin, der zu diesem Zeitpunkt noch Dekan war, einen Beweis dafür, dass die Liste „lediglich von der Frage sachlicher und persönlicher Eignung bestimmt“ sei.100 Ausschlaggebend für die Nennung von Wendland und Künneth dürfte allerdings gewesen sein, dass beide dem Berneucher Kreis angehörten und eine enge Verbindung zu Stählin hatten.101 Die Professur wurde schließlich nominell nicht wiederbesetzt. Stattdessen wurde Schmidts Extraordinariat für Altes Testament in ein Ordinariat umgewandelt.102 Der Nachfolger Otto Schmitz’ wurde Hans Wilhelm Schmidt (1903–1991), SA-Mann, Mitglied der NSDAP und der Deutschen Christen, als deren Schulungsleiter er während seiner Zeit in Münster tätig war. An die Münstersche Fakultät wurde er wohl auf Vorschlag des Dekans und des westfälischen deutschchristlichen Bischofs, Bruno Adler, vom Ministerium von der Theologischen Schule in Bethel versetzt.103 95 96 97 98 99 100 101

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UAMs, Bestand 9, Nr. 303, Dekan Stählin an den REM, 22.1.1934, Durchschlag. Vgl. Neuser, Fakultät im Dritten Reich, 1991, S. 86. Eber 2002. Vgl. zu Künneths positiver Haltung zur NS-Rassenideologie Töllner 2007, S. 97, vgl. auch S. 94ff. und Gailus 2010, S. 3. UAMs, Bestand 9, Nr. 303, Der Dekan an den REM, 22.1.1934, Durchschlag. Neuser, Fakultät im Dritten Reich, 1991, S. 86. Zu Wendland vgl. Alwast 1995, S. 117f. Fix 1994, S. 183; Boberach/Nicolaisen/Papst 2010, S. 104. Wendland 1977, S. 140. Vgl. dazu auch Fix 1994, S. 183, vgl. ebd. auch zu Wendlands früher Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, S. 175ff. UAMs, 9, 303, Dekan Stählin an den REM, 22.1.1934, Durchschlag. Weiling 1998, S. 305, Fn. 117. In einem Brief an Redeker vom 14.11.1945 nennt Stählin Wendland ausdrücklich seinen „Freund“. UAMs, Bestand 12, Nr. 58, Bd. 2, Stählin an Redeker, 14.11.1945. Zu Wendlands Anbindung an die Berneucher vgl. auch Fix 1994, S. 170. Neuser, Fakultät im Dritten Reich, 1991, S. 86. UAMs, Bestand 9, Nr. 303, Aktenvermerk, ohne Datum; ebd., Dekan Wilhelm Stählin an den REM, 27.10.1933, UAMs, Bestand 12, Nr. 282, Fakultät an Ministerialdirektor Richter, 15.4.1930. Michaelis 1994, S. 149f. und S. 155. Vgl. Neuser, Fakultät im Dritten Reich, 1991, S. 82. Erlmann 2004, S. 36. Vgl. zu Schmidt auch Berger/Geist 1997.

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Bei der Wiederbesetzung des Lehrstuhls Grützmacher im Februar 1935 nannte die Fakultät auf ihrer Berufungsliste an erster Stelle den Münsterschen Dozenten Karl Bauer.104 Aufgrund des Vetos, das Dekan Schmidt gegen Bauer eingelegt haben soll, wurde aber auch noch eine Gegenliste aufgestellt.105 Die Professur erhielt schließlich Wilhelm Goeters (1878–1953), den das Ministerium von Bonn nach Münster zwangsversetzte.106 Ihm folgte sein Bonner Kollege Hans Emil Weber (1882–1950).107 Die Versetzung Webers hatte die Bonner Fakultät beim Reichswissenschaftsministerium angeregt, um der starken Bekenntnisfront in Bonn entgegen zu wirken.108 Im Austausch hatten sich die Bonner einen der Münsterschen deutschchristlichen Professoren, Hans Wilhelm Schmidt oder Friedrich Wilhelm Schmidt, gewünscht.109 Im Wintersemester 1935/36 wurde Hans Wilhelm Schmidt nach Bonn berufen110 und übernahm dort den Lehrstuhl des entlassenen Karl Barth.111 Der Münstersche Dekan Schmidt sah damit seinen „Versuch einer Reorganisation 104

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UAMs, Bestand 9, Nr. 303, Kurator, 20.2.1935. Ebd., Dekan Wehrung an den Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, 6.5.1925. Vgl. Neuser, Fakultät im Dritten Reich, 1991, S. 86, Erlmann 2004, S. 39. Bauer blieb bis zu seinem frühen Tod 1939 außerordentlicher Professor in Münster. Aussichten auf einen Ruf soll er aufgrund einer 1937 veröffentlichten kirchengeschichtlichen Untersuchung über die Sachsenpolitik Karls des Großen, die ihm einen Tadel des Ministers eingebracht haben soll, nicht mehr gehabt haben. UAMs, Bestand 12, Nr. 2, Bd. 2, Foerster an Dekan Stupperich, 9.7.1960. Ebd., Foerster an Dekan Stupperich, 9.7.1960, Anlage zum Antrag als Geschädigte, Dezember 1952. UAMs, Bestand 8, Nr. 8873, Bd. 2, Goeters an den Rektor, 20.10.1945. Vgl. auch Ulrichs 1999. Ulrichs 2005. Vgl. auch Faulenbach 2009, S. 426. Höpfner 1999, S. 160f. Vgl. auch Faulenbach 1995, S. 231ff. und S. 225ff. Vgl. zur Versetzungspolitik des Ministeriums auch Meier 1993, S. 82. Vgl. zu Weber Wesseling 1998, Faulenbach 1995, S. 530. Meier 1996, S. 369. Die Bergisch-Märkische Zeitung meldete in diesem Zusammenhang, „daß alle Professoren, die Anhänger der Sozialdemokratie waren“, entfernt worden seien. Das Ministerium drängte daraufhin, offenbar auch angeregt durch die betroffenen Professoren – Goeters wie Weber waren während der Weimarer Republik Mitglieder der Deutschnationalen Volkspartei –, auf eine Berichtigung, dass keineswegs alle von der Bonner Fakultät versetzten Professoren Mitglied der SPD gewesen seien. UAMs, Bestand 4, Nr. 96, Bl. 41, REM an die Schriftleitung der Bergisch-Märkischen Zeitung in WuppertalElberfeld, 19.12.1935, Abschrift an den Kurator der Universität Münster, Prof. Wilhelm Goeters, den Rektor und den Dekan der Evangelisch-Theologischen Fakultät. Zu den Parteimitgliedschaften vgl. Höpfner 1999, S. 161f. Meier 1996, S. 369. UAMs, Bestand 9, Nr. 303, Minister an den Kurator, 8.8.1935. Vgl. dazu Meier 1996, S. 372. Das Ministerium hatte ihn zunächst als Nachfolger Webers berufen. Auf den ausdrücklichen Wunsch Schmidts übernahm er dort dann aber die Professur Barths. Höpfner 1999, S. 171, Kinzig 2008, S. 30. 1939 wurde er nach Wien berufen in seiner Zeit dort arbeitete er im „Eisenacher Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das kirchliche Leben“ mit. Berger/Geist 1997, S. 360.

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unsrer Fakultät“ durch die ministeriellen Versetzungen „durchkreuzt“.112 Als der Minister im Juni 1936 erwog, den in der NSDAP sehr engagierten, aber in der Partei wie in der Kirche als sehr schwierig geltenden Karl Bornhausen (1882–1940),113 der aufgrund persönlicher Differenzen seit 1935 in Frankfurt beurlaubt war, nach Münster zu versetzen, äußerte Schmidt daher erhebliche Bedenken. Bornhausen würde es als dritter Systematiker den Bekenntnisstudenten erleichtern, Lehrveranstaltungen zu boykottieren, da das Ministerium Schmidt bereits mit der Beauftragung von Weber mit dem zweiten Lehrstuhl für Systematik eine unmittelbare Konkurrenz verschafft habe. „Schwerer“ wog für ihn aber, dass sich die Versetzung Goeters und Webers „in der schwierigen kirchenpolitischen Situation Westfalens bereits recht unglücklich ausgewirkt“ habe.114 Bornhausen wurde schließlich nicht nach Münster, sondern 1937 in den Ruhestand versetzt. Im Kontext der folgenden kirchenpolitischen Auseinandersetzungen intrigierte Schmidt gegenüber dem Ministerium – vermutlich aufgrund der unmittelbaren fachlichen Konkurrenz – insbesondere gegen Weber und forderte den Entzug seines Lehrauftrages115 ebenso wie seine Zwangsemeritierung.116 Weber führte seine Pensionierung, die er 1937 zwangsweise beantragen musste, daher auch auf Schmidt zurück. Zuvor hatte er allerdings auch angezeigt, dass seine Ehefrau einen Großvater jüdischer Herkunft habe.117 Bei der Regelung seiner Nachfolge traf der Dekan erstmals mit dem Ministerium die Absprache, auf die üblichen Listen zu verzichten und die Professur zunächst vertreten zu lassen. Diese Aushebelung der Mitbestimmung der Fakultät118 erschien dem Dekan „notwendig, weil die Wiederbesetzung dieser Professur politisch wie kirchenpolitisch besonders verantwortlich ist“.119 In Folge dieser Regelung wurde 1937 Helmuth Kittel (1902–1984)120 als Lehrstuhlver112 113 114 115

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UAMs, Bestand 9, Nr. 303, Schmidt an den REM, 21.6.1936, Neuser, Fakultät im Dritten Reich, 1991, S. 87. Wolfes, Bornhausen, 1999. UAMs, Bestand 9, Nr. 303, Schmidt an den REM, 21.6.1936. Ebd., REM an den Kurator in Münster, 21.6.1936. Vgl. Neuser, Fakultät im Dritten Reich, 1991, S. 87. UAMs, Bestand 9, Nr. 301, Schmidt an den REM, 22.10.1936. Der Dozentenschaftsführer Walter notierte zudem, dass die Bekenntnisstudenten monierten, „daß Prof. Weber (ein Bekenner) gehindert werde zu lesen, was ihm zustünde“. Ebd., Walter an den Kurator, 26.1.1937. Ebd., Schmidt an den Minister, 10.5.1937, Durchschlag. UAMs, Bestand 9, Nr. 863, Der Universitätskurator an den Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, 13.5.1937. Die Anweisung des Ministers „jüdisch versippte“ in den Ruhestand zu versetzen, erfolgte erst am 13. August 1937. Ebd., REM an den Universitätskurator Münster, 18.8.1937. UAMs, Bestand 12, Nr. 65, Weber an Dekan Schreiner, Poststempel 7.9.1945. Meier 1996, S. 367 und S. 356f., Höpfner 1999, S. 162, Grüttner/Kinas 2007, S. 183, Erlmann 2004, S. 43. Neuser, Fakultät im Dritten Reich, 1991, S. 88. UAMs, Bestand 8, Nr. 8873, Bd. 2, Schmidt an den Kurator, 17.8.37. Vgl. Neuser, Fakultät im Dritten Reich, 1991, S. 87. Rickers 2002.

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tretung von der Pädagogischen Akademie Danzig nach Münster geholt. Schmidt hegte zunächst Bedenken gegen Kittel, den der Minister vorschlagen hatte.121 Im Wintersemester 1938 wurde er aber nach Münster berufen, nachdem auch Schmidt ihm sein Vertrauen ausgesprochen hatte.122 Als Schmidt im selben Jahr nach Berlin berufen wurde, wollte er seine Nachfolge erneut ohne Befragung der Fakultät arrangieren. Er schlug dem Minister, im Hinblick auf seine sonstige Haltung überraschend, den späteren Bundestagspräsidenten und damaligen Berliner Dozenten Eugen Gerstenmaier (1906–1986) vor.123 Gerstenmaier hatte sich 1937 habilitiert, die staatliche Lehrerlaubnis wurde ihm allerdings verwehrt. 1934 war er in Rostock wegen einer von ihm initiierten Protestnote gegen die Wahl des Reichsbischofs Ludwig Müller (1883–1945) inhaftiert worden. Seit 1936 war er als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter im kirchlichen Außenamt der Deutschen Evangelischen Kirche tätig, worüber er Kontakte zum Kreisauer Kreis knüpfte. Nach dem gescheiterten Attentat des 20. Juli 1944 wurde er vom Volksgerichtshof zu sieben Jahren Zuchthaus verurteilt. Teile der Bekennenden Kirche begegneten ihm allerdings misstrauisch, da er für die Reichskirchenregierung tätig war.124 Auch die von Schmidt und Kittel Anfang 1939 eingereichte Liste nannte Gerstenmaier an erster Stelle und wies nochmals auf die Schwierigkeiten hin, geeigneten Nachwuchs zu finden. Zu Gerstenmaiers kirchenpolitischer Haltung befand Schmidt: „Es kann nicht verhehlt werden, daß sich sein theologischer Standort zwischen den Fronten der gegenwärtigen Kirchenpolitik mit einer gewissen Neigung nach der BK. hin befindet, aber so, daß er der letzteren gegenüber nicht ohne Kritik ist, die sich, wie wir hoffen, gerade in der Münsterischen Situation vertiefen könnte. Politisch wird er verschieden beurteilt, das wiegt auch uns schwer, doch scheinen die auch vorkommenden kritischen Urteile über ihn von einer Seite auszugehen, die Theologen gegenüber überhaupt misstrauisch ist.“125

An zweiter Stelle wurde erneut Adolf Köberle genannt. Politische Überlegungen dominierten dabei deutlich über fachliche Qualifikationen: Er sei von der Auslandsorganisation der NSDAP „politisch empfohlen“. An dritter Stelle folgte Johann Wilhelm Schmidt-Japing (1886–1960) aus Bonn als ein auch in politischer Hinsicht 121

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Auch der Rektor und der Leiter der Dozentenschaft waren mit dem Vorschlag einverstanden. UAMs, Bestand 9, Nr. 303, Schmidt an den Kurator, durch den Rektor, 20.1.1938, und folgende Korrespondenz. UAMs, Bestand 8, Nr. 8873, Bd. 3, Bl. 29, Schmidt durch die Hand des Rektors und des Kurators an den REM, 29.4.1938. UAMs, Bestand 9, Nr. 303, Schmidt an den Kurator, 29.2.1938, ebd., Schmidt an den Kurator, 10.11.1938; vgl. hier und im Folgenden Neuser, Fakultät im Dritten Reich, 1991, S. 90. Stickler 2001. Vgl. zu Gerstenmaiers indifferenter kirchenpolitischer Haltung unter anderem auch Greschat 2002, S. 128ff. UAMs, Bestand 9, Nr. 303, Schmidt an den REM, 23.1.1939, Durchschlag.

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bewährter Dozent.126 Der Minister erklärte schließlich, dass Eugen Gerstenmaier für die Vertretung einer Professur in Münster nicht in Frage komme und bat um eine Stellungnahme zu Ernst Haenchen (1894–1975) aus Gießen.127 Sowohl Kittel als auch Herrmann begrüßten es, Haenchen nach Münster zu holen. Auch das inzwischen eingeholte „parteipolitische Gutachten“ ließe erkennen, dass Haenchen „sich stets im positiven Sinne für den Nationalsozialismus eingesetzt“ habe. Mit Haenchen kam so schließlich nach Kittel ein weiterer, ohne die Zustimmung der Fakultät berufener Professor an die Fakultät. Der Rektor bat den Minister zudem um dringende Besetzung der Professur, da die Fakultät nur noch über vier beamtete Professoren verfüge und so „die grosse Konkurrenz der Theol. Anstalt Bethel, die von der Bekennenden Kirche besonders gefördert wird […] überhaupt nicht zurückgedämmt werden“ könne.128 Die Betheler Dozenten bekannten sich zur Bekennenden Kirche und waren auch bei einer Konferenz der Ausbildungsleiter der Bekennenden Kirche 1938 in Berlin vertreten.129 Pastor Friedrich von Bodelschwingh (1877–1946), der die Leitung der Betheler Anstalten von seinem Vater übernommen hatte und vor Ludwig Müller zum ersten Reichsbischof designiert worden war, stand indes auch der Bekennenden Kirche kritisch gegenüber und schlug, ähnlich wie Stählin, einen eigenen kirchenpolitischen Weg ein. Auch trübte seine Einbindung in die kirchenpolitischen Auseinandersetzungen und seine Gegnerschaft zu den Deutschen Christen nicht seine generelle Begrüßung des Nationalsozialismus und die Bemühungen um eine Zusammenarbeit mit dem nationalsozialistischen Staat.130 Die Theologische Schule Bethel war daher, anders als die Kirchlichen Hochschulen der Bekennenden Kirche in Berlin und Wuppertal-Elberfeld, keine formelle Ausbildungsstätte der Bekennenden Kirche.131 Diese hatte vielmehr 1934 auch in Bielefeld ein eigenes Predigerseminar eröffnet, das im November 1937 von der Gestapo geschlossen wurde.132 Die Theologische Schule Bethel nahm indes, wie Bodelschwingh selbst, eine Stellung zwischen den kirchenpolitischen Parteien ein.133 Dennoch nutzte der westfä126 127

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Ebd. Vgl. zu Schmidt-Japing Kinzig 2008. UAMs, Bestand 9, Nr. 303, Universitätskurator an die Gauleitung Westfalen-Nord NSDAP, 22.3.1939, UAMs, Bestand 10, Nr. 12533, Bd. 1, und Bestand 9, Nr. 303, REM an den Kurator, 18.2.1939. UAMs, Bestand 9, Nr. 303, Dekan Schmidt an den REM, 27.2.1939, Abschrift, ebd., Rektor an den REM, 2.3.1939. Im März 1939 scheint Kittel zudem persönlich im Ministerium vorgesprochen zu haben, UAMs, Bestand 10, Nr. 12533, Bd. 1, Kurator an den Dekan der Evangelisch-Theologischen Fakultät, 22.3.1939, UAMs, Bestand 9, Nr. 303, NSDAP Gauleitung Hessen-Nassau, NSD-Dozentenbund an den Dozentenbundsführer der Universität Münster, 27.2.1939; Ruhbach 1980, S. 114f. Nicht ohne allerdings, dass auch in Bethel die Dozenten wiederum unterschiedliche kirchenpolitische wie politische Strömungen vertraten. Vgl. Kuhlemann 2005, S. 74. Benad 2002, S. 49ff., Ruhbach 1980, S. 114f. Besier 1993, S. 251, Kuhlemann 2005, S. 54. Hey 1974, S. 308f. Kuhlemann 2006, S. 282 und S. 287ff.

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lische Bruderrat wohl auch die Betheler Theologenschule mit der, anders als an der Münsterschen Fakultät eindeutigen, Unterstützung der Bekennenden Kirche durch die gesamte Dozentenschaft zur Ausbildung seines Nachwuchses.134 Hinsichtlich der Studentenzahlen stand Bethel zudem, wie ausgeführt, traditionell in der Konkurrenz zu der Münsterschen Fakultät. Der Anteil der Studenten, die ihre Sprachausbildung, für die Bethel einen besonders guten Ruf besaß, schon abgeschlossen hatten, stieg bis 1938/39 auf 66 Prozent der Bethel-Studenten, wohingegen er 1930 nur 10 Prozent ausgemacht hatte.135 Schmidts Befund, dass die Schule zwar nicht unmittelbar der Bekennenden Kirche unterstehe, sich aber kirchenpolitisch zu dieser bekenne und dadurch der Münsterschen Fakultät schade, teilte auch die Gestapo. Grundsätzlich fand der Nationalsozialismus aber auch unter der Studentenschaft in Bethel rege Unterstützung, und es waren dort durchaus auch Studenten der Deutschen Christen vertreten. 1935 wurden mehrere Studenten wegen für die Gestapo geleisteten Spitzeldiensten von der Schule ausgeschlossen.136

Der wissenschaftliche Nachwuchs in der Zeit des Nationalsozialismus Sowohl Helmuth Kittel als auch Ernst Haenchen gehörten zu der Gruppe der Wissenschaftler, die erst nach 1933 erstmals eine Professur erhielten. Zuvor war der Nachwuchs mit einer sehr unsicheren beruflichen Zukunft konfrontiert gewesen. Teile des akademischen Nachwuchses zählten nicht zuletzt vor diesem Hintergrund zu den Anhängern des Nationalsozialismus und stellten einen hohen Anteil der Hochschulfunktionäre der Partei. Für die Theologen boten sich im Gegensatz zu ihren Kollegen aus anderen Fachrichtungen allerdings wesentlich bessere Aussichten auf einen Lehrstuhl. Zugleich waren parteipolitische Karrieren aufgrund der zunehmend kirchenfeindlichen Haltung der NSDAP für sie nur bedingt möglich. Anders als Wissenschaftler anderer Fachrichtungen, bei denen allgemein spätestens 1936/37 bei den Karrierekriterien wieder fachliche Leistungen überwogen, profitierten die evangelischen Theologen aber auch über diesen Zeitpunkt hinaus von einer Mitgliedschaft bei den Deutschen Christen und/oder der NSDAP.137 Insbesondere durch den zum Teil gezielten Umbau der Fakultäten und sodann die Pläne, die theologischen Fakultäten nach dem Krieg zu schließen, stand nahezu ausschließlich den genannten Personengruppen die Möglichkeit auf eine Neuberufung noch offen. Der wissenschaftliche Nachwuchs, der der Bekennenden Kirche nahe stand, wurde hingegen fast ausschließlich durch die Institutionen der Bekennenden

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Hey 1974, S. 314. Kuhlemann 2005, S. 49. Hey 1974, S. 314, Kuhlemann 2005, S. 62ff. und 74ff., ders. 2006, S. 293ff. Grüttner 2010, S. 150, ders. 2002, S. 341ff., ders./Hachtmann 2010, S. 144, Jessen 1999, S. 35.Vgl. für die Theologen auch Ludwig 2005, S. 95.

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Kirche versorgt, ebenso teils auch die entlassenen Theologen, wie beispielsweise im Falle Otto Schmitz‘.138 An der Münsterschen Fakultät profitierte am deutlichsten Martin Redeker (1900–1970) von seiner Zugehörigkeit zur NSDAP und zu den Deutschen Christen. Redeker war erst 1932 auf Empfehlung Wilhelm Stählins in Münster habilitiert worden.139 Er erhielt am 1. Oktober 1934 auf Betreiben der Gauleitung Westfalen-Nord beim Ministerium ohne Befragung der Fakultät eine außerordentliche Professur für Praktische Theologie, und im August 1935 wurde ihm schließlich ein ordentliches Ordinariat verliehen. Der Minister ernannte Redeker auch zum zweiten Universitätsprediger neben Wilhelm Stählin und zum Direktor des Evangelisch-Theologischen Seminars.140 Sein Einsatz als Universitätsprediger scheiterte allerdings an Pfarrer Friedrich Flemming (1894–1971). Als Vorsitzender des Presbyteriums der Gemeinde, die ihre Kirche für die Universitätsgottesdienste zur Verfügung stellte, konnte er Redeker, der bereits zuvor Strafanzeige gegen Flemming erstattet hatte, dauerhaft verweigern, dort zu predigen.141 Auch Redekers Lehrerfolg war wohl insbesondere durch die unmittelbare fachliche Konkurrenz mit Stählin begrenzt. Darüber hinaus sollen aber auch die deutschchristlichen Studenten nicht damit einverstanden gewesen seien, dass Redeker seine Professur durch seine politischen Beziehungen erlangt hatte.142 Im Januar 1935 erhielt Redeker die Ehrendoktorwürde der Universität Göttingen. 1936 wurde er nach Kiel berufen.143 Dort schloss er sich dem 1939 gegründeten Eisenacher „Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“ an und regte unter anderem an, den jüdischen Einfluss auf die Theologie Karl Barths zu untersuchen.144 Der 1939 nach Münster berufene Ernst Haenchen (1894–1975) war seit 1927 Privatdozent in Tübingen gewesen. Seine erste ordentliche Professur bekam er am 138 139

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Meier 1996, S. 171, Neuser, Fakultät im Dritten Reich, 1991, S. 92, Lippmann 2003, S. 220. UAMs, Bestand 5, Nr. 168, Bl. 1, Stählin an den Generalsuperintendenten Weirich, 21.1.1932, Durchschlag, ebd., Bl. 2, Stählin an Koch, 25.1.1932, Durchschlag. Vgl. auch Stählin 1968, S. 289, Wolfes, Redeker, 1999. UAMs, Bestand 5, Nr. 168, Bl. 4, Gauleitung Westfalen-Nord, Meyer an den Rektor, 8.6.1934, ebd., Bl. 5, Kultusminister an Redeker, 17.9.1934; ebd., Bl. 15, REM an Redeker, 10.8.1935. Stählin 1968, S. 289; vgl. Neuser, Fakultät im Dritten Reich, 1991, S. 83. Vgl. dazu auch die Auseinandersetzungen, die zwischen Redeker und Stählin und anderen bezüglich Redekers Berufung 1945 und 1968 erfolgten, in: UAMs, Bestand 12, Nr. 58, Bd. 2. UAMs, Bestand 5, Nr. 168, Bl. 9ff., vgl. auch Bestand 4, Nr. 96, Bl. 8ff.; Jacobs 1991, S. 65, Fn. 69. UAMs, Bestand 5, Nr. 168, Bl. 13–14, Gutachten des Rektors Hugelmann an den Rektor der Universität Marburg, 24.9.1935, Durchschlag. Das gleiche Gutachten sandte Hugelmann auf Anfrage auch am 5. März 1936 nach Kiel, ebd., Bl. 16. Vgl. auch Alwast 1995, S. 111. UAMs, Bestand 5, Nr. 168, Bl. 17, REM an Redeker, 2.3.1936, Abschrift an den Dekan. Vgl. Meier 1976, 1984, S. 381. Gailus 2011, S. 109, Buss 2009, S. 113f. Vgl. zu dem Eisenacher Institut Heschel 2008, Arnhold 2010.

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1. Mai 1933 in Gießen. Seine Berufung war aber bereits 1932 gegen eine Minderheit der Fakultät erfolgt.145 Haenchen trat 1934 der SA bei und wurde Fördermitglied der SS. 1937 trat er der NSDAP bei.146 Die im Vorfeld seiner Berufung nach Münster angeforderte parteiamtliche Beurteilung vermerkte, dass Haenchen „in den Organisationen außerordentlich tätig“ sei, „insbesondere in der SA“. „Wissenschaftlich werde er sehr gut beurteilt.“147 Haenchens Arbeiten zu Beginn des Nationalsozialismus verdeutlichen, dass er den Nationalsozialismus nicht nur als Karrierechance begriff,148 sondern als eine Möglichkeit betrachtete, dem Protestantismus zu neuer Geltung zu verhelfen. In „Christusglaube oder Deutscher Gottglaube“149 wandte er sich gegen den von Mathilde Ludendorff propagierten „Deutschen Gottglauben“.150 Ganz im Sinne der unter evangelischen Theologen weitverbreiteten Idee, dass mit dem Nationalsozialismus die Volksmission anzustoßen sei, sah Haenchen die „völkische Aufgabe des Theologen“ neben der „Unterordnung“ und „Einordnung in das größere Ganze“ vor allem in der Vermittlung des Evangeliums.151 Aus den Deutschen Christen trat Haenchen nach dem so genannten „Sportpalastskandal“ aus, der die Forderungen des radikalen Flügels der Deutschen Christen, wie beispielsweise die eines „arischen Jesus“, offensichtlich gemacht und eine nachhaltige Krise innerhalb der Glaubensbewegung ausgelöst hatte.152 1934 forderte er als Dekan der Gießener Fakultät den Rücktritt des deutschchristlichen Bischofs der Landeskirche von Hessen-Nassau, Ernst-Ludwig Dietrich (1897–1974).153 Auch sein späterer Münsterscher Kollege Helmuth Kittel, der zuvor an den Pädagogischen Hochschulen in Lauenburg und Danzig gelehrt hatte, gehörte den Deutschen Christen nur von 1933 bis 1934 an.154 Seit 1933 war er Mitglied der SA 145 146

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LAV NRW R, NW 1039, H 4303, Erklärung des Gießener Dekans Wilhelm Rudolph, 27.10.1947. Vgl. auch Greschat 1983, S. 141. UAMs, Bestand 10, Nr. 12533, Bd. 1, Personalbogen Haenchen; LAV NRW R, NW 1039, H 4303, Fragebogen Ernst Haenchen, 10.2.1948; ebd., NW 1037, B IV 42 10. Vgl. Neuser, Fakultät im Dritten Reich, 1991, S. 91. UAMs, Bestand 10, Nr. 12533, Bd. 1, NSDAP Gauleitung Hessen-Nassau, NSD-Dozentenbund an den Dozentenbundsführer der Universität Münster, 27.2.1939, Abschrift. Platt 2007, S. 29. Haenchen 1932. Vgl. UAMs, Bestand 10, Nr. 160, Lebenslauf Prof. Dr. Ernst Haenchen. Ludendorff 1928 und weitere Auflagen. Vgl. dazu Schnoor 2001. Haenchen 1934, S. 168 und S. 175. Vgl. Meier 1996, S. 34f., Neuser, Fakultät im Dritten Reich, 1991, S. 91. Ähnlich formulierte er dies auch in Haenchen 1933. Vgl. auch Nowak 1993, S. 103. Vgl. zu dem Lehrgang auch Greschat 1983, S. 145ff. Meier 1976, Bd. 1, S. 138f. und S. 238; ders. 1996, S. 237f., Meisiek 1993, S. 19. LAV NRW R, NW 1039, H 4303, Erklärungen der Gießener Kollegen Wilhelm Rudolph, Heinrich Bornkamm und Ernst Käsemann sowie Abschriften aus den Gotthardt-Briefen und der Erklärung der Gießener Fakultät. Vgl. Greschat 1983, S. 153. UAMs, Bestand 8, Nr. 8873, Bd. 2, Anlage, Bl. 13c, Fragebogen Military Government, 24.11.1945, ebd., Bl. 1, 2, 3, 13, Personalbogen Helmuth Kittel, Lebenslauf und Fragebogen Military Government of Germany, 24.11.1945. Vgl. hier und im Folgenden auch Neuser, Fakultät im Dritten Reich, 1991, S. 88f., Artikel „Helmuth Kittel“, in: Hesse 1995, S. 421–424; Rickers 2002.

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und seit 1937 der NSDAP. Seine Mitgliedschaft in der SA erklärte Kittel später damit, „dass es im Interesse der Volksgemeinschaft wichtig sei, wenn überzeugte und aktive Christen in der SA seien.“155 Kittel gehörte zu einer Reihe von Schülern des Berliner Theologen Karl Holl (1866–1926), die in den 1920er- und 1930er-Jahren in der Regel sehr jung Lehrstühle erhielten und in ihrem Bemühen, Einfluss auf Kirche und Staat zu gewinnen, den Nationalsozialismus und die Deutschen Christen unterstützten.156 Kittel hatte einen Sitz in der Ersten Deutschen Evangelischen Nationalsynode vom 27. September 1933 und war 1933/34 als pädagogischer Berater für die von Reichsbischof Ludwig Müller beschlossene Neuordnung des evangelisch-theologischen Studiums vorgesehen.157 Aufgrund seines 1938 veröffentlichten und im Jahr darauf bereits in zweiter Auflage erschienenen Werkes „Religion als Geschichtsmacht“ wurde Reichskirchenminister Hanns Kerrl (1887–1941) auf ihn aufmerksam und rief ihn mit Zustimmung des Reichsministers für Wissenschaft mehrmals zur Besprechung kirchenpolitischer Angelegenheiten nach Berlin. Versuche Kerrls, Kittel als hauptamtlichen theologischen Referenten ins Ministerium zu holen, lehnte dieser aber ab. Im November 1938 wurde er nochmals in den „Expertenkreis“ berufen, der die Synode vorbereiten sollte. Eine weitere Zusammenarbeit wurde dann durch Kittels Kriegseinsatz verhindert. 158 Während Kittel, Redeker und Haenchen von ihrer Unterstützung der parteipolitischen Organisationen profitierten, trat Karl Ellinger (1899–1975), der seit 1929 in Münster Privatdozent war, zwar der SA, aber weder den Deutschen Christen noch der Partei bei. Dennoch erhielt er, nachdem er 1934 als Assistent nach Leipzig gewechselt war, eine planmäßige außerordentliche Professur in Tübingen.159 Auch der nichtbeamtete außerordentliche Professor Werner Foerster (1897–1975)160 trat nur der SA bei. Mitglied der Deutschen Christen war er von 1933 bis zum Frühjahr 1934. Im Herbst des Jahres wechselte er zur Bekennenden Kirche, nach eigener Aussage, „ohne allerdings besonders aktiv hervorzutreten“.161 1936 wurde er für die 155

156 157 158 159

160 161

UAMs, Bestand 8, Nr. 8873, Bd. 2, Bl. 13b, Fragebogen Military Government of Germany, 24.11.1946, Anlage Bl. I. Auf seinem zweiten am 17. Mai 1946 ausgefüllten Fragebogen gab er an, dass die Aufnahme in die Partei ohne sein Zutun erfolgt sei ebenso wie seine Beförderung innerhalb der SA. Vgl. ebd. Bl. 13h. Siegele-Wenschkewitz 1993, S. 130f., Greschat 1983, S. 148f., Delius 1972, S. 533, Meier 1996, S. 56f. Kittel 1973, S. 325, Meisiek 1993, S. 207ff. Kittel 1938, 2. Aufl. 1939, Schriftwechsel in UAMs, Bestand 8, Nr. 8873, Bd. 4, Bl. 40ff., Kittel 1973, S. 340f. Vgl. Neuser, Fakultät im Dritten Reich, 1991, S. 88f. Seine Mitgliedschaft in der SA wurde von der Münsterschen Fakultät 1948 als politisch völlig unbedeutend eingestuft, Ellinger sei dort wie „die meisten seiner Altersstufe“ lediglich „infolge des berüchtigten Erlasses des Unterrichtsministers Rust eingetreten“. UAMs, Bestand 9, Nr. 303, Fakultät Stellungnahme zu Prof. Ellinger, 17.12.1948. Seit dem Wintersemester 1933/34 war die SA-Mitgliedschaft für männliche Studenten Pflicht. Wolgast 1993, S. 160, Chroust 1994, S. 262f. Vgl. hier und im Folgenden Neuser, Fakultät im Dritten Reich, 1991, S. 90ff. UAMs, Bestand 12, Nr. 8, Bd. 1.

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neutestamentarische Dozentur der bekenntniskirchlich orientierten Theologischen Schule in Bethel vorgeschlagen, aber nicht berufen.162 Im Januar 1937 traten durch negative Berichte des Dekans Schmidt und vor allem des Dozentenschaftsführers, die Foerster als „dem Dritten Reich gegenüber nicht […] loyal“ dargestellt hatten, Probleme bei der erneuten Weiterbeschäftigung Foersters auf.163 Das Agieren Schmidts164 beruhte allerdings wahrscheinlich weniger auf dessen Bedenken gegenüber Foersters kirchenpolitischer Haltung als viel mehr darauf, dass Schmidt versuchte, für seine Hilfskraft eine Assistentenstelle zu erwirken.165 Nachdem Foerster seine Assistentenstelle bereits verloren hatte, teilte Schmidt auf Anfrage des Ministeriums, wohin der Lehrauftrag Foersters verlegt werden könne, jedenfalls mit, dass dieser dringend benötigt werde und bat sogar um Erhöhung des Lehrauftrages.166 Der Minister bewilligte Foersters Lehrauftrag schließlich noch einmal, „nachdem eine Verlegung […] nach der politischen Beurteilung durch die Gauleitung auf Schwierigkeiten stoßen würde.“ Er solle sich aber um eine andere Stelle bemühen.167 Foersters Lehrauftrag wurde daraufhin auf seinen eigenen Antrag an die Philosophische Fakultät verlegt.168 Schon 1939 erhielt er mit Unterstützung des Rektors und auf Antrag des neuen Dekans Kittel aber auch wieder einen unbesoldeten Lehrauftrag an der theologischen Fakultät.169 Johannes Hänel hingegen, der seit 1925 außerplanmäßiger Professor und Assistent mit einem Lehrauftrag für hebräische Grammatik und Altes Testament in Münster und von 1920 bis 1925 Mitglied der DNVP gewesen war,170 musste seine akademische Laufbahn beenden.171 Er wurde zwar 1936 von der Universität Breslau für eine Professur in Aussicht genommen,172 aber Dozentenschaftsführer Walter 162 163

164 165

166 167 168 169 170 171 172

Lebenslauf Werner Foerster, ohne Datum. UAMs, Bestand 4, 254, Bl. 464, Aktennotiz Hugelmann dem Kurator zur Entscheidung vorgelegt, 29.1.1937, ebd., Bl. 463, Universitäts-Oberinspektor an den Dozentenschaftsleiter Walter, 22.1.[1937], vgl. auch UAMs, Bestand 9, Nr. 301, Walter an den Kurator, 27.1.1937. Ebd., Hermann an den Kultusminister, 15.9.1947. UAMs, Bestand 4, Nr. 255, Schmidt an den REM durch Rektor und Kurator, 23.12.1937. Nach dem Weggang Schmidts bemühte sich Kittel um die Weiterbeschäftigung des Assistenten Schmidts Dr. Müller-Steinfurt. UAMs, Bestand 4, Nr. 95, Bl. 50–51, Bericht über die Aussprache mit Oberregierungsrat Schwarz, Kittel an den Rektor, 14.3.1939. UAMs, Bestand 10, Nr. 4113, Bd. 1, Bl. 58, Schmidt an den REM, 30.11.1937. Ebd., Bl. 60, REM an den Kurator, 9.2.1938. UAMs, Bestand 12, Nr. 8, Bd. 1, Lebenslauf Werner Foerster, ohne Datum. Vgl. hier und im Folgenden auch Neuser, Fakultät im Dritten Reich, 1991, S. 90. UAMs, Bestand 12, Nr. 8, Bd. 1, Lebenslauf Werner Foerster, ohne Datum, und Rektor an den Oberpräsidenten der Provinz Westfalen, 30.7.1946. UAMs, Bestand 9, Nr. 303, Dekan Wehrung an den Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, 6.5.1925. Vgl. auch Bautz, Hänel, 1990. UAMs, Bestand 5, Nr. 73, Bl. 6, Dekan Friedrich Wilhelm Schmidt an den Rektor, 28.9.1937. Ebd., Bl. 2, Rektor der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität Breslau an den Rektor der Universität Münster, 27.6.1935. Rektor Hugelmann leitete die Anfrage an den De-

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stellte offenbar auch Hänel ein schlechtes Gutachten aus. Dekan Schmidt und Rektor Hugelmann versuchten hingegen, wenn auch vergeblich, sich für ihn einzusetzen. Schmidt betonte, Hänel sei „in der Tat ein Deutschnationaler“, das habe in der „Weimarer Republik seine Laufbahn erschwert“. Nach „der Machtergreifung“ habe er sich aber „ehrlich bemüht, in den neuen Staat hineinzuwachsen“. Er gehöre zwar zur gemäßigten Bekenntniskirche, unterstütze aber das Kirchenministerium Kerrl sowie den Reichskirchenausschuss. Zusätzlich verringert wurden Hänels Aussichten auf einen Ruf an eine evangelisch-theologische Fakultät aber auch durch seine Scheidung.173 Hänel trat schließlich in Berlin in den Kirchendienst.174

Die kirchenpolitischen Auseinandersetzungen an der Fakultät Otto Piper hatte bereits 1932 eine politische Radikalisierung der Studentenschaft festgestellt, die er auf den Generationenkonflikt und die materielle Not der Studenten der Weimarer Zeit zurückführte. Die deutsche Jugend habe, unfähig zur Selbstverantwortung, ein Bedürfnis nach Führern entwickelt.175 Vor diesem Hintergrund begrüßte die Mehrheit auch der Münsterschen Theologiestudenten den Nationalsozialismus. Innerhalb des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund (NSDStB) waren die Theologiestudenten sogar überrepräsentiert176 und traten, allerdings auch aufgrund der Gleichschaltung des Vereins deutscher Studenten, in hohen Zahlen der SA bei.177 Anders als an anderen Fakultäten war das Verhältnis der Münsterschen Evangelisch-Theologischen Fakultät zur SA sehr gut. Weder beschwerte sich der Dekan über zu viele Dienste178 noch meldete er 1937 wie andere Fakultäten den Ausschluss von evangelischen Theologiestudenten aus der SA.179 Die Bekenntnisstudenten bildeten in Münster eine eigene kleine Gemeinde, deren Führungsgremium aber keineswegs grundsätzlich den Nationalsozialismus ablehnte. Ihre Zentrale war das Hamannstift.180 Vor diesem Hintergrund regte Dekan

173 174 175 176 177 178

179 180

kan Friedrich Wilhelm Schmidt weiter. Ebd., Bl. 3, Schmidt an den Rektor der Universität Münster, 26.7.36. Vgl. auch ebd., Bl. 4, Rektor Hugelmann an den Rektor der Universität Breslau, 1.8.1936. UAMs, Bestand 5, Nr. 73, Bl. 6, Dekan Friedrich Wilhelm Schmidt an den Rektor, 28.9.1937. Meisik 1993, S. 68ff. Ebd., S. 66f. Danielsmeyer 1982, S. 21f. Schriftwechsel in UAMs, Bestand 4, Nr. 636, Bd. 1; vgl. dazu hier und im Folgenden Meisik 1993, S. 146ff. Vgl. auch Meier 1996, S. 241, Dipper 2010, S. 101, S. 91, Fn. 20, Zinn 2002, S. 329f., S. 369f. UAMs, Bestand 4, Nr. 636, Dekan Schmidt an den Rektor, 5.7.1933. Meisik 1993, S. 316. Danielsmeyer 1983, S. 28ff.

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Schmidt im August 1937, allerdings erfolglos, beim Reichsminister dessen Schließung an.181 Die Studentenzahlen der evangelisch-theologischen Fakultäten waren reichsweit deutlich rückläufig.182 1939 nahmen insgesamt nur noch 250 Studenten ein Theologiestudium auf, während der Nachwuchsbedarf bei etwa 600 lag.183 Hinzu kam, dass seit dem Sommer 1935 die Bekennende Kirche eigene Hochschulen gründete, die zunehmend zur Konkurrenz wurden, da sie ihren Bestand besser sichern konnten.184 Im Wintersemester 1944/45 fand schließlich aufgrund der sehr geringen Studentenzahlen nur noch an den evangelisch-theologischen Fakultäten in Berlin, Greifswald, Leipzig und Tübingen ein Lehrbetrieb statt. Seit 1938 hatte es Pläne des Reichserziehungsministeriums und der Partei gegeben, die theologischen Fakultäten zu schließen oder zumindest zu verringern. Münster wurde vom Reichsdozentenführer Walter Schultze (1894–1974) 1939 als der Bekennenden Kirche nahe stehend eingeschätzt und sollte mit Bonn zusammengelegt werden. 1940 wurden die beabsichtigten Schließungen und/oder Zusammenlegungen allerdings auf das Kriegsende verschoben.185 An der ohnehin kleinen Fakultät in Münster verringerte sich die Studentenzahl von 297 im Wintersemester 1933/34 auf 30 im Wintersemester 1937/38186 und 20 im Herbst 1939. Nach Kriegsbeginn wurde die Fakultät erst Anfang 1940 wieder geöffnet.187 Faktisch verfügte sie aber während der Kriegsjahre, wie beispielsweise auch die Fakultät in Gießen, die seit dem Sommersemester 1943 keine Studenten mehr hatte,188 über so gut wie keine anwesenden Studenten – Stählin hatte im Wintersemester 1942/43 noch zwei Hörer –, sodass die Arbeit an der Fakultät fast vollständig zum Erliegen kam.189 Durch die langwierigen Auseinandersetzungen um die Frage der Abnahme der Examensprüfungen durch die Bekennende Kirche oder die Deutschen Christen und den Boykott der Lehrveranstaltungen durch Studenten der Bekennenden Kirche wurde die Arbeit an der Fakultät zusätzlich gelähmt.190 Mit ihren Lehrveranstaltungen, wie Martin Redekers Antrittsvorlesung zum Thema „nationale und christliche Erziehung“,191 bewies auch die EvangelischTheologische Fakultät Münster, dass sie sich zumindest in Teilen für den Dienst am 181 182 183 184 185 186 187 188 189 190 191

UAMs, Bestand 4, Nr. 96, Bl. 125, Dekan Schmidt an den Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, 24.8.1937. Wolgast 1993, S. 64f. Besier 1993, S. 264f., Meisiek 1993, S. 329. In Leipzig reduzierte sich die Zahl der Studenten beispielsweise seit 1934 von 600 auf 120. Ziemer 2005, S. 293. Besier 1993, S. 251ff. Wolgast 1993, S. 77ff. Kittel 1973, S. 306. Meisiek 1993, S. 341, S. 149. Greschat 1983, S. 158. Stählin 1968, S. 375. Vgl. dazu hier und im Folgenden Neuser 1993. UAMs, Bestand 5, Nr. 168, Bd. 1, Bl. 3, Dekan Schmidt an den Rektor, ohne Datum.

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neuen Staat selbst mobilisierte.192 Die 1933 von der Fakultät gestellte Preisaufgabe „Das Heldische im Alten Testament“ fand allerdings keinen Bearbeiter,193 während Johannes Herrmanns Seminar „Blut und Boden im Alten Testament“ im Sommersemester 1934 50 Teilnehmer verzeichnete.194 Die Mehrzahl der Veranstaltungstitel blieb aber neutral, was allerdings auch darauf zurückzuführen ist, dass die Lehrinhalte der evangelischen Theologie sich nur bedingt195 für bereits in den Titeln offensichtliche politische Projekte eigneten.196 Friedrich Wilhelm Schmidt hielt im Juli 1933 im Rahmen einer Vorlesungsreihe der juristischen Fachschaft einen Vortrag über „Sterilisation und Euthanasie“.197 Eugenik und Zwangssterilisationen waren seit den 1920er-Jahren nicht nur europaweit ein aktuelles Thema. Seit dem 14. Juli 1933 erlaubte das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ Zwangssterilisationen, ab 1939 folgte die systematische Tötung Behinderter und psychisch Kranker.198 „[E]thische oder religiöse Bedenken“ hegte Dekan Schmidt gegen die Zwangssterilisationen nicht. In Bezug auf die Diskussion der „Euthanasie“ mahnte er allerdings, „wenn erst einmal der Weg der Vernichtung von Leben beschritten“ sei, müsse man sich „dessen bewusst“ sein, „daß die Erschütterung letzter Bindungen sich dämonisch auswirken kann und muß“, und kam schließlich zu dem Schluss: „Schwerer als die Vitalität eines Volkes im biologischen Sinn wiegt die ethische Gesundheit seiner Seele.“199 Den 450. Geburtstag Martin Luthers im November 1933 nutzte Schmidt – ganz im Sinne des erstmals mit reichsweiten Feiern geplanten „Deutschen Luthertages 1933“, der die Volksmission anstoßen sollte200 – als Mahnung dafür, dass in „der gegenwärtigen entscheidungsschweren Stunde, in der sich unser nationales Leben neu gestaltet, in der es nicht nur um die Zukunft unseres Volkes geht, sondern ebenso um die Zukunft des Protestantismus“, für die „Herrschaft Gottes“ gekämpft werden müsse.201 Die Münstersche Bekennende Kirche sah indessen insbesondere die Veranstaltungen der Praktischen Theologie durch die völkische Ideologie beeinflusst.202 Reichsweit rief die Bekennende Kirche zum Boykott der Dozenten auf, die ihr nicht angehörten beziehungsweise nicht mit ihrer Politik übereinstimmten, und hielt Er192 193 194 195 196 197 198 199 200 201 202

Ash 2002, S. 40. Vgl. hier und im Folgenden Neuser, Fakultät im Dritten Reich, 1991, S. 75. Meisik 1993, S. 139. Insbesondere eignete sich hierfür allerdings die Kirchengeschichte, vgl. Kaufmann/Oelke 2002. Ash 2002, S. 43. Schmidt 1933, S. 5. Vgl. Neuser, Fakultät im Dritten Reich, 1991, S. 73. Vgl. unter anderem Schwartz 2008, Bock 1986, Schmuhl 1987 sowie zuletzt Schmuhl, Zwangssterilisation, 2011, und Euthanasie, 2011. Schmidt 1933, S. 20 und S. 25. Zitat im Original gesperrt. Vgl. Neuser, Fakultät im Dritten Reich, 1991, S. 73. Vgl. mit weiteren Nachweisen Willenberg 2012 [im Druck], Bräuer 1983. Schmidt 1934, S. 1f. und S. 15. Scherffig 1989, S. 110, Erlmann 2004, S. 83ff.

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satzvorlesungen und -kurse ab.203 Münster galt aber im Gegensatz zu Bonn nicht als „zerstörte Fakultät“, und der Besuch der Veranstaltungen von Goeters, Weber, Bauer und Foerster wurde ausdrücklich empfohlen,204 während Dekan Schmidt im März 1935 klagte, dass sich im vorangegangenen Semester seine Hörerzahlen halbiert hätten.205 Im Dezember 1935 bat er den Minister um Gegenmaßnahmen.206 Stählin hatte im Oktober 1934 noch befürchtet, dass von Seiten der Deutschen Christen Eingriffe bezüglich des Besuchs seiner Veranstaltungen möglich sein könnten.207 Seine und Herrmanns Veranstaltungen wurden aber von den Studenten der Bekennenden Kirche boykottiert,208 da beide Professoren die Prüfungsausschüsse des Konsistoriums anerkannten.209 Stählins Hörerzahl sank von 60 im Wintersemester 1935/36 auf zwölf im Wintersemester 1936/37,210 wobei sich jedoch auch die insgesamt sinkenden Studentenzahlen ausgewirkt haben dürften. An dem Boykott beteiligten sich, nach Bericht des Rektors an den Minister, insgesamt etwa 50 Prozent der Studenten.211 Sich Einfluss auf die Prüfungen zu sichern, galt der Bekennenden Kirche reichsweit als eine ihrer wichtigsten Aufgaben.212 Durch die besondere kirchenpolitische Lage in Westfalen wurde die Frage für die Münstersche Fakultät besonders kompliziert.213 Generell wurden in Westfalen die Prüfungen von den Mitgliedern der Fakultät und des Konsistoriums sowie den Abgeordneten der Provinzialsynode unter Vorsitz des Generalsuperintendenten als Vorsitzendem des Konsistoriums abgehalten. Mit Ernennung des Deutschen Christen Bruno Adler zum Generalsuperintendenten und Bischof im Oktober 1933 hatte dieser mit der Leitung der westfälischen Kirche auch den Vorsitz der Prüfungen inne. Als Abgeordneter der Provinzialsynode, in der die Bekennende Kirche die Mehrheit stellte, hatte aber auch Präses Karl Koch einen Sitz in der Prüfungskommission. Nachdem im Sommer 1934 Kochs Bitte, Fakultätsprüfungen einzurichten, von Dekan Schmidt ablehnt worden war, richtete der Bruderrat in Dortmund eine eigene Prüfungskommission ein und verwies darauf, dass das Thema der Examensarbeiten des Frühjahres 1934 – „Der deutsche Charakter der Reformation Luthers“ – bereits „Gesinnungsschnüffelei“

203 204 205 206 207 208 209 210 211 212 213

Ludwig 1993, S. 303, Meier 1996, S. 297. UAMs, Bestand 9, Nr. 301, Dekan Schmidt aus einem Rundschreiben des Bruderrates der Bekenntnisstudenten in Schmidt an den REM, 22.10.1936. Ebd., Dekan Schmidt an den REM, 13.3.1935. UAMs, Bestand 4, Nr. 96, Bl. 36, Dekan Schmidt an den REM, 5.12.1935. UAMs, Bestand 11, Nr. 170, Wilhelm Stählin an Georg Grützmacher, 5.10.1934. Vgl. hier und im Folgenden Neuser 1993, S. 330ff., Stählin 1968, S. 304ff. Scherffig 1989, S. 112, S. 117. Meisik 1993, S. 261f. Vgl. dazu auch die Untersuchungsunterlagen zum Studentenboykott in UAMs, Bestand 4, Nr. 987. UAMs, Bestand 4, Nr. 987, Bl. 1, Rektor Hugelmann an den REM, 10.6.1936. So zumindest im Rückblick Niemöller 1952, S. 151. Meisiek 1993, S. 299ff.

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erkennen lassen habe.214 In der Folge kam es zu langwierigen Auseinandersetzungen, bei denen je nach landes- und reichskirchlichen Kräfteverschiebungen auch die Prüfungsfrage beständig neu geregelt wurde und teilweise legale, größtenteils aber illegale Prüfungskommissionen der Bekennenden Kirche neben denen der Kirchenkommissionen bestanden. Goeters und Weber nahmen an den Prüfungen der Bekennenden Kirche teil. Wohingegen die Professoren Grützmacher, vor allem aber Herrmann und Stählin, eine Position zwischen den beiden Parteien inne hatten und sowohl dem Konsistorium als auch der Bekennenden Kirche nicht grundsätzlich die Prüfungsabnahme versagten.215 Sie vertraten gegenüber der Bekennenden Kirche den Standpunkt, „daß die Prüfung der Kandidaten nicht ein Akt des geistlichen Kirchenregiments“ sei und „es darum nicht gegen das christliche Gewissen verstößt, sich bei dem derzeitigen Konsistorium zur Prüfung zu melden.“216 Den Kräften der westfälischen Bekennenden Kirche galten eigene Prüfungsausschüsse hingegen als unumgänglich, wenn die „zukünftigen Prediger nicht an die deutschchristliche Behörde“ ausliefert werden sollten.217 Rückblickend erklärte auch Stählin, dass die Prüfer der Deutschen Christen den Kandidaten Erklärungen im Sinne ihrer Glaubensbewegung abverlangt hätten.218 Dennoch wollte er die Teilnahme an den Prüfungen des Konsistoriums nicht als „Anerkennung oder Billigung des derzeitigen Kirchenregiments“ verstanden wissen.219 Gegenüber dem Landeskirchenausschuss der Altpreußischen Union betonte er: „Ich habe nie einen Zweifel darüber gelassen, daß ich als Glied der Bekennenden Kirche die Bekämpfung der Irrlehre für eine entscheidende kirchliche Aufgabe halte. Freilich konnte ich mich nicht davon überzeugen, daß die Veranstaltung eigener Prüfungen der Bekennenden Kirche eine notwendige und in jeder Hinsicht richtige Folgerung aus dieser an Bibel und Bekenntnis der Kirche gebundene Grundhaltung sei; insbesondere habe ich von Anfang neue ernste Bedenken dagegen geltend gemacht, daß nun alle Kandidaten und Studenten genötigt werden sollten, bei ihrer Meldung zum Examen eine überaus schwerwiegende und folgenschwere Entscheidung zu treffen“.220

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UAMs, Bestand 9, Nr. 301, Schmidt an den REM, 13.3.1935, UAMs, Bestand 11, Nr. 170, Ludwig Steil an Wilhelm Stählin, 1.8.1934. Vgl. Danielsmeyer 1982, S. 29, Neuser 1993, S. 322. Vgl. zum Beispiel UAMs, Bestand 11, Nr. 170, Wilhelm Stählin an Georg Grützmacher, 5.10.1934. Weitere Unterlagen zu der Prüfungsfrage finden sich u.a. auch im Nachlass Wilhelm Goeters im rheinischen Landeskirchenarchiv in Düsseldorf, Bestand 7, NL 019, Nr. 100–103. UAMs, Bestand 11, Nr. 170, Memorandum, [Stählin an Grützmacher und Herrmann], o. D. „nicht“ im ersten Zitatteil und „darum“ im zweiten Zitatteil unterstrichen. Niemöller 1952, S. 150. Stählin 1968, S. 303. UAMs, Bestand 11, Nr. 170, Memorandum, [Stählin an Grützmacher und Herrmann], o. D. Ebd., Stählin an den Landeskirchenausschuß für die Evangelische Kirche der Altpreußischen Union, Berlin, 12.11.1936.

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Noch in seinen Lebenserinnerungen kritisierte Stählin den Bruderrat, weil er sich nicht als „augenblicklich fungierende, sondern als die allein kirchlich legitime Form der kirchlichen Leitung absolut“ gesetzt habe und sah in seinem „unduldsamen Anspruch auf alleinige Geltung eine Art Nationalsozialismus mit anderen Vorzeichen“.221 1941 trat Stählin schließlich aus der Bekennenden Kirche aus. Dekan Schmidt nutzte unterdessen die Auseinandersetzung, um missliebige Kollegen, die entgegen des ministeriellen Verbotes222 an den Prüfungen der Bekennenden Kirche teilgenommen hatten, in Berlin zu denunzieren223 und verlangte insbesondere, gegen Weber ein Verfahren einzuleiten; Goeters hingegen sei ein „Mitläufer“. Rektor Hugelmann betonte gegenüber dem Kurator allerdings, er hielte es für möglich, dass insbesondere Goeters sich nicht bewusst gewesen sei, dass die Prüfungen illegal waren. Beide Professoren erhielten schließlich einen Verweis.224 Schmidt war an der Fakultät ziemlich isoliert und fand auch bei Rektor Hugelmann nicht nur in dieser Angelegenheit keine Unterstützung für seine Politik. Er konnte daher nur versuchen, seine Position mit Eingaben an das Ministerium durchzusetzen. Im Frühjahr 1935 forderte er beispielsweise Fakultätsprüfungen, da die Münsterschen Parteigenossen und Deutschen Christen gezwungen seien, sich in Thüringen prüfen zu lassen und die deutschchristlichen Professoren der Fakultät vom Konsistorium zugunsten der Betheler Theologischen Schule benachteiligt würden.225 Die Beteiligung der Dozenten der Theologischen Schule an den Prüfungen der Bekennenden Kirche war vom Provinzialkirchenausschuss genehmigt worden, wie Bethel 1937 auch gegenüber der Gestapo geltend machte, als diese die Schule 1937 auf der Suche nach einem „illegalen Prüfungsamt“ durchsuchte.226 Konkurrenz an der eigenen Fakultät sah Schmidt zudem in Stählin, den er im Februar 1937 bezichtigte, als „inoffizieller Dekan einer inoffiziellen Fakultät zu 221 222 223

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Stählin 1968, S. 309. Vgl. zu Stählins Haltung Scherffig 1989, Bd. 2, S. 111. UAMs, Bestand 9, Nr. 301, und UAMs, Bestand 4, Nr. 96, Bl. 40, Reichsminister an die Kuratoren, 17.12.1935. UAMs, Bestand 4, Nr. 987, Bl. 5, Abschrift Schmidt an den REM, ohne Datum; UAMs, Bestand 9, Nr. 301, REM an den Kurator der Universität Münster, 9.10.1936, und im folgenden Schriftwechsel. Vgl. Meisik 1993, S. 274. Zuvor hatte Schmidt bereits nach Berlin gemeldet, dass Goeters, Weber und Gruetzmacher bei einem theologischen Vortragsabend der Bekennenden Kirche, bei dem zum Boykott deutsch-christlicher Professoren aufgerufen worden war, keinen Einspruch erhoben hatten. Schmidt beantragte in diesem Zusammenhang beim Minister, Weber die Erlaubnis zur Abhaltung systematischer Vorlesungen zu entziehen. UAMs, Bestand 4, Nr. 987, Bl. 4–5, Schmidt an den Minister, 1.6.1936, Abschrift. UAMs, Bestand 9, Nr. 301, Schmidt an den REM, 22.10.1936, ebd., Hugelmann an den Kurator, 11.1.1937, Abschrift, ebd., REM an den Kurator, 31.3.1937. Vgl. auch ebd. die Bescheide des Kurators an Goeters und Weber, 14.4.1937. UAMs, Bestand 9, Nr. 301, Schmidt an den REM, 13.3.1935, Abschrift. Die gleiche Forderung stellte er auch nochmals 1936, vgl. ebd., 7.10.1936, Abschrift. Vgl. Neuser 1993, S. 324. Kuhlemann 2005, S. 59, ders. 2006, S. 290f.

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agieren“. Nachdem seine „frühere Reorganisation der Fakultät zugunsten von Bonn rückgängig gemacht“ worden sei, sei nun eine Versetzung Stählins, „des dauernden Störenfrieds, in eine andere Fakultät, in der er isoliert sein müsste“, ebenso notwendig wie die Entfernung Webers.227 Zurückhaltung, zugunsten des deutschchristlichen Dekans in die Belange der Evangelisch-Theologischen Fakultät einzugreifen, bewies Rektor Hugelmann auch in der Frage des Studentenboykotts. Er wollte „als Katholik“ sich nicht in den „ev. Kirchenstreit“ einschalten.228 Zugleich stand er aber offenbar in engem Austausch mit Stählin, den Schmidt als seinen Gegenspieler betrachtete.229 Entgegen dem Drängen Schmidts, Maßnahmen einzuleiten, warnte Hugelmann die Studenten zunächst nur vor weiteren Boykotten und drohte Disziplinarmaßnahmen an.230 Als das Ministerium, nach weiteren Meldungen Schmidts, im Juli 1936 „dringend“ zu Gegenmaßnahmen aufrief,231 hatte er allerdings weitere Untersuchungen bereits eingeleitet.232 Obwohl im November 1936 ein staatlicher Erlass bei Besuch von Ersatzkursen die Relegation androhte,233 wurden in Münster wie auch in Berlin die Arbeitsgemeinschaften zunächst uneingeschränkt weitergeführt.234 Am 30. November 1936 verurteilte der aus dem Rektor, dem Dozentenschaftsleiter und dem Studentenschaftsleiter bestehende Dreierausschuss den zeitweiligen Leiter des inzwischen von der Bekennenden Kirche eingerichteten Theologiestudienamtes, Fritz Depke, mit Verweisung von der Universität und Nichtanerkennung des letzten Semesters.235 Der Erlass des Ministers fand zwar noch keine Anwendung, als erschwerend wurde für die einzige Relegation von der Universität, die im Rahmen des Boykotts in Münster erfolgte, aber angesehen, dass er als „Anstifter“ des Boykotts galt236 und, wie Dozentenschaftsleiter Walter später betonte, sich weigerte, „offen von weiterer Propaganda gegen Universitätslehrer absehen zu wollen.“237 In den weiteren Verfahren im Januar und Februar 1937 erhielten neun Studenten 227 228 229 230 231 232 233

234 235 236 237

UAMs, Bestand 9, Nr. 301, Schmidt an den REM, 10.5.1937. UAMs, Bestand 4, Nr. 987, Bl. 35, Dekan Schmidt an den Rektor, 8.12.1935; ebd., Bl. 37–38, Bl. 37, Rektor Hugelmann an den REM, 12.12.1935, Durchschlag. Ebd., Bl. 52, August Kemper an den Rektor, 24.3.1936. Ebd., Bl. 53ff. UAMs, Bestand 4, Nr. 96, Bl. 62, REM, 3.7.1936. UAMs, Bestand 4, Nr. 987, Bl. 1, Hugelmann an den Minister, 10.6.1936; UAMs, Bestand 4, Nr. 96, Bl. 60, Hugelmann an den Universitätsrat, 10.6.1936. UAMs, Bestand 9, Nr. 301 und Bestand 4, Nr. 96, Bl. 66, REM an die Kuratoren, Rektoren und Hochschulverwaltungen, 17.11.1936. UAMs, Bestand 11, Nr. 64 b, Rektor Hugelmann an die Studenten der evangelischen Theologie, 24.11. 1936. Vgl. Norden 1993, S. 285. Thierfelder 1993, S. 299. Ebd., S. 293, Neuser 1993, S. 333. UAMs, Bestand 4, Nr. 987, Bl. 71–74, Bl. 71, Erkenntnis vom 30.11.1936; UAMs, Bestand 4, Nr. 1017, Bl. 72, Disziplinarliste. Scherffig 1989, S. 285, S. 117, Stählin 1968, S. 305. UAMs, Bestand 9, Nr. 301, Walter an den Kurator, 26.1.1937.

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Verweise.238 Insgesamt fällte Münster damit relativ milde Urteile. Nach einer Liste der Bekennenden Kirche von 1937 erfolgten reichsweit insgesamt 38 Relegationen239 – wobei 30 Relegationen und drei weitere Verweisungen von der Hochschule auf Berlin entfielen.240 Universitätsrat Hans Seiler (*1899), Rektor Hugelmann und Stählin sei es in dieser Frage, so Stählin später, nicht darum gegangen, „kirchenfeindliche Grundsätze des Nationalsozialismus durchsetzen“ zu wollen, sondern „die akademische Ordnung“ aufrechtzuerhalten.241 Trotz der Verfahren forderte Dekan Schmidt das Ministerium auf, Hugelmann zu disziplinieren, da er nichts gegen die Ersatzkurse der Studenten unternehme. Auch der Kurator habe bisher nicht die notwendigen Schritte unternommen.242 Dozentenschaftsführer Walter forderte am 26. Januar 1937 gegenüber dem Kurator der Universität: „Im Zusammenhang mit dem ganzen Komplex muß insbesondere aber auch die Haltung des Rektors untersucht werden. Er ist selbst überzeugter Katholik nicht nur ausserordentlich vorsichtig und wohlwollend, sondern seiner diplomatischen Veranlagung nach geneigt, beständig Kompromisse zu schliessen, sieht die politischen Gründe nicht und will sie nicht sehen und nimmt grundsätzlich an, daß Religiosität die Triebfeder des Handelns sei. Es ist höchste Zeit, daß auch an dieser verantwortlichen Stelle der Universität ein klarer Kurs einsetzt.“243

Weitere Vorladungen waren allerdings bereits am 28. November 1936 erfolgt. Auch hatte Hugelmann dem Minister bereits das Gespräch mit dem Leiter des Ausbildungsamtes der Bekennenden Kirche, das Schmidt ihm gegenüber dem Minister anlastete, gemeldet.244 Wahrscheinlich versuchten Walter und Dekan Schmidt aufgrund Hugelmanns freundlicher Haltung insbesondere gegenüber Stählin, gegen den Schmidt sich an der Fakultät nicht durchsetzen konnte,245 gegen den Rektor 238

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Neuser 1993, S. 305. Ein weiterer, nach Münster gewechselter Student erhielt schließlich noch eine Verwarnung aus Tübingen, da er mit einer Reihe dortiger Studenten eine Reise zu Karl Barth in die Schweiz unternommen hatte. UAMs, Bestand 4, Nr. 96, Bl. 111ff., Disziplinarliste; UAMs, Bestand 4, Nr. 1097, Bl. 72, Bl. 74, Schriftwechsel Rektor der Universität Tübingen mit dem Rektor der Universität Münster, Juni 1937. Thierfelder 1993, S. 299ff. Besier 1993, S. 262. Stählin 1968, S. 305; Neuser, Teilnahme, S. 305. BAB, R 4901, 14262, Bl. 49, Friedrich Wilhelm Schmidt an Matthiat, Berlin, 15.12.1936. Vgl. dazu den Beitrag von Kristina Sievers in diesem Band. Für den Hinweis danke ich Kristina Sievers herzlich. UAMs, Bestand 9, Nr. 301, Walter an den Kurator, 29.1.1937. UAMs, Bestand 4, Nr. 988, Bl. 23, Rektor an Walter van der Loo, Vorladung für 7.12.1936, 28.11.1936. Ebd., Bl. 75–76, Bl. 75, Hugelmann an den REM, 3.12.1936, Durchschlag. Während Hugelmann dem Minister meldete, Randenborgh habe ihn aufgesucht, erinnerte Stählin sich, dass Hugelmann ihm nach Abschluss der Disziplinarverfahren berichtete, er habe Randenborgh zu sich gebeten. Stählin 1968, S. 306. UAMs, Bestand 9, Nr. 301, Walter an den Kurator, 26.1.1937. Walter bemerkte, dass trotz ihrer unterschiedlichen Haltung in der Prüfungsfrage die gesamte Fakultät – mit Ausnah-

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vorzugehen.246 Hugelmann reichte Anfang 1937 sein Rücktrittsgesuch ein, das er mit Arbeitsüberlastung begründete. Inwieweit dafür auch die Auseinandersetzungen an der Evangelisch-Theologischen Fakultät und die Eingaben Schmidts und Walters maßgeblich waren, muss offen bleiben. Die Haltung, sich nicht als Katholik in die Angelegenheiten der evangelischen Kirche und Fakultät einmischen zu wollen, war für Hugelmann jedoch ein zentrales Anliegen, das er häufig formulierte.247 Die Treffen der Bekenntnisstudenten wurden inzwischen von der Gestapo überwacht,248 die am 14. Dezember 1936 bereits die Theologische Schule in Wuppertal-Elberfeld geschlossen hatte. Im Februar 1937 wurde den Dozenten der Berliner Kirchlichen Hochschule die Arbeit verboten.249 Am 29. August 1937 verbot ein Erlass Heinrich Himmlers jede theologische Ausbildung durch die Bekennende Kirche.250 Im November 1937 forderte Schmidt die Schließung der Theologischen Schule in Bethel. Nicht zuletzt wohl auch, weil diese nach Auskunft der Gestapo mit 47 Studenten mehr als dreimal so viele wie Münster zählte und der Bekennenden Kirche als wichtiges Instrument für ihren Boykott diente.251 Zur gleichen Zeit bemühte sich auch die Staatspolizei um die Schließung der Schule, die nach Hinweis der Gestapo, dass eine Schließung aus „politischen Erwägungen als nicht geeignet erscheint“, allerdings noch bis 1939 aufgeschoben wurde.252 Im Frühjahr 1941 beendeten schließlich reichsweit Verhaftungen und Drohungen mit KZ-Einweisungen die weiteren Gegenveranstaltungen.253 Als Schmidt 1939 die Fakultät verließ,254 gelang es seinem Nachfolger Kittel, die Fakultät wieder geschlossener auftreten zu lassen. Er führte die Fakultätssitzungen wieder ein, und gemeinsame Lager der Fakultät mit allen Professoren und Studen-

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me des Dekans – hinter Weber und Stählin stehe. Stählin erinnerte sich später, dass er sich in langen Gesprächen mit dem Rektor und dem die Untersuchung führenden Universitätsrat Dr. Hans Seiler dafür eingesetzt habe, den Boykott der Studenten als evangelische Christen zustehende, freie Gewissensentscheidung zu respektieren. Erleichtert worden sei die Situation dadurch, dass weder Hugelmann noch Seiler „kirchenfeindliche Grundsätze des Nationalsozialismus durchsetzen“ wollten und Seiler treuer Besucher von Stählins Gottesdienst gewesen sei. Stählin bestätigte Hugelmann in einem „Entnazifizierungsbrief“, wie sehr er bemüht gewesen sei, den Studenten nicht zu schaden. Stählin 1968, S. 305ff.; vgl. Neuser 1993, S. 305. So vermerkt er u.a. auch in dem Gutachten über Redeker, dass er über diesen eigentlich kein Urteil abgeben könne, „da ich es gerade als Katholik selbstverständlich peinlich vermeide, mich in Auseinandersetzungen innerhalb der ev. Kirche einzumischen.“ UAMs, Bestand 5, Nr. 168, Bl. 13, Gutachten des Rektors Hugelmann an den Rektor der Universität Marburg, 24.9.1935, Durchschlag. UAMs, Bestand 9, Nr. 301, Notiz Kurator, 30.4.1937. Ludwig 1993, S. 307ff. Norden 1993, S. 289. UAMs, Bestand 4, Nr. 96, Bl. 131, Dekan Schmidt an den REM, 11.11.1937. Hey 1974, S. 314f., Kuhlemann 2005, S. 72f. Norden 1993, S. 290. UAMs, Bestand 4, Nr. 95, Schmidt an den Rektor, 24.2.1939.

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ten sowie eine kleine nicht-öffentliche Feier zu ihrem 25-jährigen Bestehen waren wieder möglich.255 Seine guten Kontakte nach Berlin nutzte Kittel umgehend zu einer Aussprache mit dem Berliner Referenten für die Theologischen Fakultäten, die aber auch seinen Einsatz für die Aberkennung der Ehrendoktorwürde Karl Barths, die die Evangelisch-Theologische Fakultät ihm 1922 verliehen hatte, zur Folge hatte. Den gleichen Versuch hatte 1936 auch bereits sein Vorgänger Friedrich Wilhelm Schmidt unternommen. Dagegen hatten sich Stählin und insbesondere der Dekan der Philosophischen Fakultät, Jost Trier (1894–1970), mit dem Hinweis auf die Wirkung auf das Ausland ausgesprochen. Schmidt hatte den Antrag schließlich nach einem Telefonat mit dem Ministerium zurückgezogen. Nach dem neuerlichen, unmittelbar mit seinem Amtseintritt erfolgten Betreiben Kittels wurde Barth die Ehrendoktorwürde Juni 1939 entzogen.256 Die kirchenpolitische Lage an der Fakultät hatte sich indes auch insofern beruhigt, als Karl Koch Ende 1938 die Regelung anerkannt hatte, dass es zwei Prüfungskommissionen im Konsistorium geben sollte, eine davon unter seiner Leitung. Die westfälische Bekennende Kirche spaltete sich daraufhin und Koch legte seinen Vorsitz nieder. Die bereits von den illegalen Ausschüssen abgenommenen Prüfungen waren allerdings durch eine außerordentliche Prüfung beziehungsweise Wiederholung zu legalisieren,257 was problematisch blieb, wenngleich Kittel auch hierbei das Bemühen feststellte, „bei aller Meinungsverschiedenheit im einzelnen als Fakultät solidarisch zu handeln.“258 Die Dekanatszeit Kittels endete im September 1939, da er eingezogen wurde. Über die Dekanatszeit seines Nachfolgers Ernst Haenchen ist wenig bekannt,259 durch die geringe Zahl der Studenten kam die Arbeit an der Fakultät aber ohnehin nahezu zum Erliegen.

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Kittel 1973, S. 306, S. 308 und S. 312; UAMs, Bestand 4, Nr. 95, Bl. 54, Einladung zur Fakultätssitzung, 16.4.1939; UAMs, Bestand 4, Nr. 95, Bl. 56, Einladung zum Lager der Fakultät vom 2.–4.6.1939 im Landhaus des Pfarrers Kehrer an der Sorpetalsperre; ebd., Bl. 59, Dekan an den Rektor, 18.7.1939. UAMs, Bestand 4, Nr. 95, Bl. 50–51, Bericht über die Aussprache mit Oberregierungsrat Schwarz, Kittel an den Rektor, 14.3.1939; UAMs, Bestand 5, Nr. 8, Bl. 1ff.; UAMs, Bestand 9, Nr. 303, Artikel „Aus dem Hochschulleben“, Münstersche Zeitung, 21. Juni 1939. Vgl. Happ 2011. Neuser 1993, S. 339ff., Scherffig 1989, Bd. 3, S. 164ff. Ernst Haenchen musste für diese Prüfungen „die gesamten Akten auf die politische Zuverlässigkeit der über 300 Examensteilnehmer überprüfen.“ UAMs, Bestand 10, Nr. 12533, Bd. 1, Bericht über die persönliche Tätigkeit von Professor Dr. Haenchen, gez. Haenchen, 26.7.1944. UAMs, Bestand 9, Nr. 301, Kittel an den REM, 25.7.1939. UAMs, Bestand 10, Nr. 12533, Bd. 1, Bericht über die persönliche Tätigkeit von Professor Dr. Haenchen, gez. Haenchen.

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282 Neuanfang nach 1945?

1945 gab es in Münster zunächst keinen Professor für evangelische Theologie, der die Neuordnung hätte übernehmen können.260 Helmuth Kittel und Werner Foerster waren von ihrem Kriegseinsatz noch nicht zurückgekehrt. Ernst Haenchen war aufgrund seiner Leiden aus dem Ersten Weltkrieg seit 1944 in Davos. Wilhelm Stählin hatte 1944 kommissarisch die bischöfliche Leitung in Oldenburg übernommen.261 Wilhelm Goeters hatte die Altergrenze überschritten und wurde im Dezember 1946 als Emeritus nach Bonn zurückversetzt. Auch Hans Emil Weber wollte an die Fakultät in Bonn zurückkehren. Johannes Herrmann schließlich war seit 1945 in Leipzig.262 Die Militärregierung erwog zudem statt der Wiedereröffnung der EvangelischTheologischen Fakultät die Schaffung einer selbstständigen Hochschule für Evangelische Theologie und die Zusammenlegung mit der Theologischen Schule in Bethel.263 Nachdem im November 1945 zunächst die Theologische Schule selbständig wiederbegründet wurde,264 öffnete im Januar 1946 auch wieder die Münstersche Evangelisch-Theologische Fakultät mit einer personellen Übergangsbesetzung.265 Für die Neuordnung erschien der Universitätsleitung von dem alten Lehrkörper allein Stählin geeignet. Nachdem dieser aber in Oldenburg bleiben wollte, wo er im März 1946 als Bischof eingeführt wurde,266 beauftragte sie Professor Helmuth Schreiner (1893–1962). Schreiner hatte bereits zuvor von Präses Koch die „Vertretung der Interessen der evang. Kirche“267 erhalten und blieb im Austausch mit Stählin, dessen Professur er später auch übernahm.268 Er war eines der Gründungs260 261

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Hauschild 1991, S. 99. Stählins Stellung zwischen den kirchenpolitischen Fronten war ihm für die Übernahme dieses, nach dem Tod des Oldenburger Bischofs vakanten Amtes zu Gute gekommen. Vgl. Schulze 1995, S. 262. Seine Tätigkeit an der Münsterschen Fakultät hatte Stählin bereits 1936 mit einem Antrag auf Emeritierung beenden wollen, um ein von den Berneuchern geplantes Haus für kirchliche Schulungen zu leiten. Der Antrag wurde abgelehnt. UAMs, Bestand 5, Nr. 285, Stählin an den Rektor der Universität, 20.6.1945, Abschrift; UAMs, Bestand 10, Nr. 6686, Bd. 1, Stählin an den Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, 26.5. 1936. UAMs, Bestand 5, Nr. 397, Goeters an den Rektor, 26.10.1945. Goeters war einer möglichen Rückkehr nach Münster offensichtlich aber nicht gänzlich abgeneigt, ebd., Kultusminister an den Rektor, 16.12.1946. UAMs, Bestand 11, Nr. 14, Herrmann an Goeters, 19.8.1946; UAMs, Bestand 5, Nr. 285, Rektor an Stählin, 25.6.1945; Kinzig 2008, S. 35. Respondek 1995, S. 72f., Hauschild 1991, S. 100ff. Kuhlemann 2005, S. 81ff. Zu den weiterhin langwierigen Schwierigkeiten vgl. Hauschild 1991, S. 116f. Schulze 1995, S. 279. Mit der „Treysaer Vereinbarung“ vom 31. August 1945 wurden die preußischen Kirchenprovinzen Rheinland und Westfalen zu selbständigen Kirchen. Vgl. Greschat 2002, S. 83. UAMs, Bestand 5, Nr. 285, Rektor an Stählin, 28.6.1945, ebd. Rektor an Stählin, 25.6.1945, ebd., Kratzer an Stählin, 11.8.1945. UAMs, Bestand 12, Nr. 58, Bd. 1, Schreiner an Stählin,

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mitglieder der „Jungreformatorischen Bewegung“, einem Vorläufer der späteren Bekennenden Kirche, der er später aber auch kritisch gegenüberstand. 1937 wurde er in Rostock als Professor aus dem Amt entfernt, nachdem bereits 1933 ein Amtenthebungsverfahren eingestellt werden musste.269 Seitdem war er Vorsteher der Westfälischen Diakonissenanstalt in Münster. Während des Wiederaufbaus der Fakultät blieb Schreiner auch gegenüber der Militärregierung kritisch. Die von der Militärregierung gemachte Einschränkung, dass seine Ernennung zum Dekan rückgängig gemacht werden könne, sobald sein „Verhalten in irgendeinem Grunde nicht befriedigend sein sollte“, wertete er als Angriff auf die Freiheit der Wissenschaft.270 Auch seinem 1950 geleisteten Amtseid fügte er den Zusatz hinzu: „Ich schwöre diesen Eid in der Voraussetzung, dass mir vom Staate nichts zugemutet wird, was gegen mein an Gottes Wort gebundenes Gewissen geht.“271

Entnazifizierung und Restituierung der Professorenschaft Schreiners Mitgliedschaft bei der Bekennenden Kirche entsprach der Maßgabe der evangelischen Kirche, nicht nur einen politisch unbelasteten Pfarrerstand zu schaffen, sondern auch einen an Bekenntnis und Schrift gebundenen. Der auf westfälischer Ebene aber auch durch die Deutsche Kirchenführerkonferenz im Mai 1946 gefällte Entschluss, aus der evangelischen Theologenschaft nationalsozialistische, bekenntniswidrige und deutschchristliche Vertreter auszusortieren, führte auf der kirchlichen Ebene und an den evangelisch-theologischen Fakultäten zu einer zweiten Entnazifizierung neben der der Alliierten.272 Auf kirchlicher Ebene bezog sich die Entnazifizierung aber in erster Linie auf die Mitgliedschaften bei den Deutschen Christen und weniger auf die Unterstützung des Nationalsozialismus.273 Belastete Universitätsdozenten wurden zudem zahlreich mit Pfarrstellen oder in anderen kirchlichen Institutionen versorgt oder aber eine Weiterbeschäftigung an der alten Fakultät zwar verhindert, ein Ruf an eine andere Universität aber stillschweigend hingenommen. Auch die als belastet geltenden Pfarrer in den Gemeinden wurden in Westfalen und im Rheinland häufig nicht aus dem Kirchendienst entlassen, sondern in andere Gemeinden zwangsversetzt.274 Insgesamt wurden in der westfäli-

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28.9.1945; Stählin 1968, S. 563f. Vgl. hier und im Folgenden Hauschild 1991, S. 99ff., Erlmann 2004, S. 100ff. UAMs, Bestand 5, Nr. 385, Lebenslauf Helmuth Schreiner, 17.9.1947. Artikel „Schreiner, Helmuth Moritz“, in: Buddrus 2007, S. 363–365, Noss, Schreiner, 1995. UAMs, Bestand 11, Nr. 169, Schreiner an den Oberpräsidenten Ameluxen, Abschrift an den Rektor, 15.9.1945. UAMs, Bestand 10, Nr. 6311, Bl. 48, Niederschrift über die Vereidigung des ordentlichen Professors Dr. Dr. Helmuth Schreiner, 8.11.1950. Faulenbach 2009, S. 35, Vollnhals 2005, S. 408ff. Faulenbach 2009, S. 35, Hey 1996, S. 211ff. Hey 1996, S. 212ff.

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schen Kirche in 53 Verfahren nur 18 Versetzungen, sieben Amtsenthebungen und fünf Entlassungen verfügt. Die Forderung der Briten, einzelne Pfarrer gemäß den alliierten Entnazifizierungsverfahren vom Dienst zu suspendieren, lehnte die Kirchenleitung ab.275 Für die Weiterbeschäftigung von alten Dozenten der Evangelisch-Theologischen Fakultät Münster wirkten sich ausschließlich die kirchliche Ebene und/oder persönliche Vorbehalte aus, die auch zu Auseinandersetzungen zwischen dem Präses der westfälische Kirche, Karl Koch, und Schreiner führten.276 In seinem im Juni 1945 zum Wiederaufbau der Evangelisch-Theologischen Fakultät Münster verfassten Memorandum kam Schreiner zu dem Schluss, dass keiner der bisherigen Professoren für die Arbeit der Zukunft in Frage komme, teils ob ihres Alters, teils aber auch wegen ihrer kirchenpolitischen Haltung.277 Prorektor Adolf Kratzer (1893– 1983) hielt hierzu im Juli 1945 fest: „Während bisher von der Seite des Staates aus eine deutschchristliche Orientierung der Ev. Theol. Fakultäten erwünscht u. erstrebt war, wird jetzt in Übereinstimmung mit den Forderungen der Kirche eine bekenntnismässig stärker gebundene Ev. Theol. Fakultät aufgebaut werden.“278

Auch Stählin bemerkte, dass seine personellen Vorschläge sich „wohl auch“ wegen der von der Kirchenregierung verlangten Mitgliedschaft in der Bekennenden Kirche nicht durchsetzen konnten. Er selbst leistete indes seinen ehemaligen Münsterschen Kollegen, wie beispielsweise Haenchen, „bei ihrer Entnazifizierung gute Dienste“.279 Probleme auf der Ebene der alliierten Entnazifizierung hatten nur Ernst Haenchen und der Kirchenmusikdozent Konrad Ameln (1899–1994). Beide wurden zunächst in die Kategorie IV (Mitläufer) eingestuft. Durch ein Berufungsverfahren konnten beide aber dann erwirken, in die Kategorie V (entlastet) eingestuft zu werden. Damit galten alle Dozenten der Evangelisch-Theologischen Fakultät als entlastet. Als mögliche Rückkehrer kamen zunächst vor allem Kittel und Haenchen in Betracht.280 Da Haenchen in Davos bleiben wollte, befürwortete der Dekan seine

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Greschat 2002, S. 233. Hauschild 1991, S. 103. Ebd., S. 101. UAMs, Bestand 8, Nr. 8873, Bd. 4, Prorektor Kratzer an den Kurator, 21.7.1945. Vgl. auch UAMs, Bestand 9, Nr. 301, Rektor an den Oberpräsidenten, 22.11.1945: „Die Zielstellung von Präses Koch ist dadurch gekennzeichnet, dass er eine in sich geschlossene bekenntnistreue Fakultät wünscht.“ Stählin 1968, S. 564 und 568. Vgl. UAMs, Bestand 12, Nr. 16, Stellungnahme Stählin zu Ernst Haenchen, Januar 1948, 17.3.1948, Abschrift. UAMs, Bestand 12, Nr. 286, Rektor an Stählin, 28.6.1945; UAMs, Bestand 5, Nr. 285. Prorektor Kratzer an Koch, 19.9.1945.

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Pensionierung.281 Erst später teilte die Kirchenleitung mit, dass sowohl Haenchen als auch Kittel aufgrund ihrer Lehre, und weil sie ihr Amt ohne die Zustimmung der Kirche erhalten hatten, als nicht tragbar galten.282 Hintergrund der Mitteilung war, dass es im Fall Kittels zu Problemen gekommen war. Schreiner wollte Kittel vor allem wegen seines Werkes „Religion als Geschichtsmacht“ nicht wieder an der Fakultät aufnehmen. Auch Prorektor Kratzer hatte in seinem Bericht an die Militärregierung darauf verwiesen, dass Kittel ein Vertrauter des Reichskirchenministers und der Deutschen Christen gewesen sei und ihn für „nicht mehr verwendbar“ erklärt. Da Kittel offiziell als entnazifiziert galt, versuchte er jedoch seinen Verbleib in Münster zu erwirken und nahm in diesem Zusammenhang offenbar auch erfolglos Kontakt zu alten Kollegen wie Stählin auf. Schließlich beantragte er aber selbst sein Ausscheiden aus der Fakultät und wurde im Januar 1946 an die Pädagogische Hochschule in Celle berufen.283 Als Johannes Herrmann sich im Juni 1945 für den Wiederaufbau zur Verfügung stellte, kamen gegen ihn eher persönliche Bedenken zum Tragen. Der Rektor, der katholische Theologe Georg Schreiber (1882–1963), ließ Schreiner wissen, dass er „allergrößten Wert darauf“ lege, dass dieser den Aufbau der Fakultät „in der Hand behalten“ sollte. In Bezug auf Herrmann bemerkte er: „Seine Vielgeschäftigkeit dürfte Ihnen bekannt sein“. Er hoffe aber, dass sich die Frage dadurch erledigen lassen würde, dass er Herrmann die geforderte Wohnung nicht besorgen könne.284 Zudem erreichte Herrmann im Dezember 1945 aber auch die neue Pensionsgrenze.285 Auch der Philosophieprofessor und vormalige Breslauer Theologieprofessor Heinrich Scholz (1884–1956),286 der, als Schreiner schwer erkrankte, mit den weiteren Verhandlungen betraut wurde, sprach sich gegen Herrmann aus. Er befürchtete in diesem Zusammenhang, dass die Fakultät erneut zugunsten der Theologischen Schule Bethel boykottiert werden könnte.287 Friedrich Baumgärtel (1888–1981), der seit 1941 Professor in Erlangen war, verwandte sich allerdings bei Schreiner für Herrmann und schrieb: „Es täte mir ausserordentlich leid, wenn ihm, der ganz gewiss kein Nazi war – ganz im Gegenteil!! – sein Beruf abgeschnitten würde!“288 Herrmann kehrte schließlich als einziger der ordentlichen Professoren nach Müns281 282

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UAMs, Bestand 10, Nr. 12533, Bd. 1, Dekan an den Oberpräsidenten, 27.5.1946, Durchschlag. UAMs, Bestand 11, Nr. 16, Evangelische Kirche in Westfalen an den Rektor, 29.9.1945, Abschrift an Professor Schreiner; UAMs, Bestand 5, Nr. 285, Kratzer an Stählin, 11.8.1945. Vgl. Hausschild 1991, S. 105. UAMs, Bestand 8, Nr. 8873, Bd. 4, Prorektor Kratzer an den Kurator, 21.7.1945; UAMs, Bestand 12, Nr. 58, Bd. 1, Briefwechsel Stählin/Schreiner, Januar 1946. Vgl. Hauschild 1991, S. 104f. UAMs, Bestand 11, Nr. 80 a, Der Rektor an Schreiner, 27.6.1945; Hauschild 1991, S. 103f. Hauschild 1991, S. 110. Linneweber-Lammerskitten 1995, Stock 1999, Hauschild 1991, S. 109. UAMs, Bestand 11, Nr. 169, Scholz an Adolf Kratzer, 23.11.1945. UAMs, Bestand 11, Nr. 18, Bd. 1, Baumgärtel an Schreiner, 27.10.1945.

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ter zurück und war damit auch der einzige, der „genaue Kenntnis über Personen und Sachfragen der früheren Zeit“ hatte.289 Fürsprecher fanden sich auch für Ernst Haenchen, der sich seit 1949 um eine Rückkehr als Emeritus bemühte. Professor Edmund Schlink (1903–1984), Heidelberg, der sich zu der Zeit, als Haenchen dort lehrte, in Gießen habilitierte, bat Schreiner, „trotz Ihrer früheren Bedenken gegenüber Herrn Kollegen Haenchen“, sich für ihn mit einem Gutachten einzusetzen. Es sei „nicht gerechtfertigt, wenn ihm infolge seiner formalen Zugehörigkeit zur SA. und wohl auch Partei die Existenz-Grundlage genommen würde“, wie er auch schon „1945 bei den gemeinsamen Beratungen der westf. Kirchenleitung mit Ihnen“ ähnlich geäußert habe. Seine Bedenken seien „heute nicht geringer geworden, nachdem sichtbar geworden ist, nach welchen Maßstäben an den Fakultäten, auch z.B. bei der Berufung seines Nachfolgers vorgegangen wurde.“290 Die zweite Münstersche Professur für Systematische Theologie war zwischenzeitlich mit dem kirchenpolitisch umstrittenen Carl Heinz Ratschow besetzt worden. Schlink besaß eine durchaus gewichtige Stimme im westfälischen Kirchengefüge. Er war seit 1935 bis zur Schließung einer der Dozenten der Bekennenden Kirche an der Theologischen Schule in Bethel und seit 1945 bis zu seinem Ruf nach Heidelberg Direktor des Predigerseminars der Evangelischen Kirche von Westfalen in Soest gewesen. Der Münsterschen Fakultät war er insofern verbunden, als er dort 1930 bei Karl Barth promoviert worden war.291 Darüber hinaus hatte sich auch Wilhelm Stählin bereits im alliierten Entnazifizierungsverfahren für Haenchen eingesetzt. Er wollte von Haenchen über einen ihn gefährdenden Akteneintrag des alten Dekans Schmidt sowie ein Hochverratsverfahren gegen zwei Mitglieder der unter Stählins Leitung stehenden Michaelisbruderschaft in Oslo in Kenntnis gesetzt worden sein.292 Haenchen selbst gab an, dass er 1934 förderndes Mitglied der SS „ohne politische Überlegung aus Gefälligkeit“ geworden sei. „Charakter und Ziel der SS“ seien „damals noch fast allgemein und insbesondere dem Betroffenen unbekannt“ gewesen. Mitglied der NSDAP sei er ohne eigenes Zutun „durch Überführung aus der SA“ geworden. Mitglied im NS-Altherrenbund sei er schließlich gewesen, „um Einfluss auf die Studenten zu gewinnen“, was er durch „Halten von Vorträgen verwirklicht“ habe. Der Berufungsausschuss kam zu dem Schluss: „Der Betroffene war nur Theologe und völlig

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UAMs, Bestand 10, Nr. 2669, Bl. 43, Helmuth Schreiner an den Kurator, 7.1.1946. UAMs, Bestand 12, Nr. 16, E. Schlink an den Dekan der Evangelisch-Theologischen Fakultät Münster, 13.10.1947. Eber 1995, Kuhlemann 2005, S. 183. Vgl. zu Schlink auch, allerdings deutlich der älteren „Kirchenkampfgeschichtsschreibung“ verpflichtet, Skibbe 2009. UAMs, Bestand 12, Nr. 16, Entnazifizierungs-Hauptausschuss, Stadtkreis Münster, Bescheinigung, 16.6.1948; UAMs, Bestand 10, Nr. 12533, Bd. 1, Entlastungs-Zeugnis, 30.8.1949; UAMs, Bestand 12, Nr. 16, Stählin zu Ernst Haenchen, Januar 1948, Abschrift, 17.3.1948. Vgl. Hauschild 1991, S. 104.

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unpolitisch.“293 Haenchen kehrte schließlich mit Zustimmung der Fakultät nach Münster zurück. Der gleichfalls zunächst als Mitläufer eingestufte Kirchenmusikdozent Konrad Ameln durfte indessen nicht mehr an der Fakultät unterrichten. Ameln war 1934 aufgrund des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums als Dozent an der Hochschule für Lehrerbildung in Dortmund in den Ruhestand versetzt worden, nachdem er sich gegen die „Angriffe gegen demokratisch gerichtete Mitglieder des Lehrkörpers“ ausgesprochen hatte und von einem SA-Sturm wegen „Begünstigung kommunistischer Studenten“ festgenommen worden war.294 In Münster durfte er allerdings weiter lehren.295 Ameln war 1920 Mitglied eines Freikorps in Tübingen gewesen und am 1. November 1933 der SS beigetreten, in der er als Scharführer und Schulungsleiter des Rasse- und Siedlungsamtes tätig war. 1937 wurde er Mitglied der NSDAP.296 Seine Mitgliedschaft in der SS rechtfertigte auch Ameln damit, dass er von innen heraus „entradikalisierend“ wirken wollte. Darüber hinaus verbürgte sich der renommierte und der Bekennenden Kirche nahe stehende Göttinger Verleger Günther Ruprecht (1898–2001) für Amelns „Anschauungen auf dem Boden der bekennenden Kirche.“297 Obwohl Ameln vom Berufungsausschuss in die Kategorie V eingestuft wurde, wollte sowohl die Fakultät als auch die Kirchenleitung ihn nicht nach Münster zurückkehren lassen. Herrmann, inzwischen Dekan, bemerkte dazu Ende 1948: „Daß Herr Ameln in Kategorie V gekommen ist, ist für meinen Verstand zu hoch.“298 Stattdessen bekam der keineswegs unbelastete Wilhelm Ehmann (1904–1989), der seit 1948 Landeskirchenmusikwart der Evangelischen Kirche von Westfalen war, einen Lehrauftrag für Kirchenmusik. Er war von 1940 bis 1945 planmäßiger außerordentlicher Professor in Innsbruck sowie Gauorchestermeister des Lobedabundes für Baden und Schwaben, einer musikalischen Erneuerungsbewegung gewesen. Sein Bemühen um „musikalische Volkstumsarbeit“ hatte sich bereits in seinen Jahren an der Freiburger Universität in von ihm organisierten Schulungen niedergeschlagen, die ihm die Berufung der Reichsmusikkammer in den Reichsauschuss des Lobedabundes sowie die Beauftragung mit NS-Schulungslagern einbrachte.299 Er stand in enger Verbindung mit der Posaunenbewegung um 293

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LAV NRW R, NW 1037, B IV 42 10, Entnazifizierungs-Berufungsausschuss bei der Regierung Münster in der Entnazifizierungssache emer. Iniv. Prof. Dr. Ernst Haenchen, 8.7.1949. LAV NRW R, NW 1121, 3, Direktor der Pädagogischen Hochschule, Prof. Dr. Koselleck, Bescheinigung, 7.10.1946, ebd., Regierungsdirektor, Prof. Schafft, Bescheinigung, 16.8.1946. Grüttner/Kinas 2007, S. 184. UAMs, Bestand 10, Nr. 610, und UAMs, Bestand 182, Nr. 5, Personalbogen Konrad Ameln. Vgl. auch Artikel „Konrad Ameln“, in: Hesse 1995. LAV NRW R, NW 1037, B VI 4034, Entnazifizierungs-Berufungskammer, Altena, 10.9.1948; ebd., Vandenhoeck & Ruprecht, Günther Ruprecht, 22.2.1946. UAMs, Bestand 12, Nr. 2, Dekan Herrmann an Superintendent Kunst, 26.8.1948. John 1991, S. 174ff.

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Johannes Kuhlo,300 einem engagierten Anhänger des Nationalsozialismus bereits seit der Weimarer Republik, der, wie der Vater Ehmanns, Diakon in Bethel war.301 Auf wissenschaftlicher Ebene hatte Ehmann sich in seiner Freiburger Dissertation bemüht, den „Anfang der deutschen mehrstimmigen Musik“ zu finden und sie von ihrer „völkischen Überfremdung“ an ihren Ursprung zurückzuführen.302 1947 sammelte Ehmann die Anhänger der Jugendmusikbewegung wieder um sich, die sich als Widerständler des Nationalsozialismus verstanden wissen wollten.303 Entsprechend hatten bereits Ehmanns „Persilscheine“ sein Engagement für die Schulungen auf die Bemühungen, „von der Fachorganisation der Musikerzieher eine Fachschulung aufzuziehen, die nicht alles dem Parteieinfluss überließe“, zurückgeführt.304 Von der alten Besetzung las schließlich seit 1946 wieder der zwischenzeitlich an das Philosophische Seminar versetzte Werner Foerster, dem Ende 1949 ein Extraordinariat für Neutestamentliche Theologie und Exegese bewilligt wurde.305 Inwieweit eine Pflicht zur Wiedergutmachung beziehungsweise ein Recht auf Rückkehr der zwangsweise aus der Fakultät entfernten Professoren Piper und Schmitz bestünde, wurde hingegen erst spät diskutiert. Erst als Heinrich Scholz, ein Freund Karl Barths,306 bei diesem Rat zu den Neuberufungen einholen ließ, war Barth derjenige, der im November 1945 erstmals auf die Pflicht zur Wiedergutmachung gegenüber Piper hinwies.307 Engagierte Versuche, diesen zurückzuholen, blieben aber aus.308 Schreiner verwies in seiner Anfrage an Piper vielmehr sogar darauf, dass es sich um eine Auflage der Militärregierung handele, die emigrierten Professoren in ihre Ämter zurückzuholen. Piper lehnte die Rückkehr ab, half der Fakultät in der Folgezeit aber mit Spendensammlungen.309 Im April 1946 erhielt Barth seine Ehrendoktorwürde zurück.310 Eine Wiedergutmachung folgte erst 1953 mit seiner

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UAMs, Bestand 10, Nr. 1596, Personalbogen Wilhelm Ehmann; Bockstiegel 2002. Neumann 2006. John 1991, S. 167. Ebd. S. 179. LAV NRW R, NW 1064–V, 1244, Entnazifizierungsakte Wilhelm Ehmann. UAMs, Bestand 10, Nr. 4113, Bd. 1, Foerster an den Kurator, 5.1.1947. Vgl. Hauschild 1991, S. 120f. Hauschild 1991, S. 109, Stählin 1968, S. 224, S. 567, Linneweber-Lammerskitten 1995. UAMs, Bestand 11, Nr. 169, Zur Konstituierung der Evangelisch-Theologischen Fakultät Münster i. W. Mitteilung von Prof. Wolf, Göttingen, an Prof. Scholz, 13.11.1945. Vgl. Hauschild 1991, S. 109f. Der ehemalige Bonner Professor Ernst Wolf war als Mittler zwischen Scholz und Barth eingeschaltet worden. Vgl. zu Wolf Maaser 1998. Auch Wolfs eigene Rückkehr an die Bonner Fakultät sollte zunächst verhindert werden. Vgl. Faulenbach 2009, S. 74ff. Vgl. zur grundsätzlichen Abwehr gegen die Rückholung vertriebener Wissenschaftler Ash 2010, S. 35. Schriftwechsel UAMs, Bestand 11, Nr. 26, Bd. 1; Erlmann 2004, S. 21, Respondek 1995, S. 192ff., Hauschild 1991, S. 118. UAMs, Bestand 182, Nr. 8, Göttinger Universitätszeitung, 15.4.1946.

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Anerkennung als Emeritus,311 nachdem er 1952 bereits die Ehrenbürgerschaft der Universität erhalten hatte.312 Auch Otto Schmitz, der zunächst im November 1945 bei einer im Konsistorium geführten Besprechung sogar noch für den Lehrstuhl für Neues Testament vorgesehen war,313 wurde erst 1949 als „Wiedergutmachungsfall“ anerkannt.314

Neuberufungen der Nachkriegszeit Das Anwerben auswärtiger Dozenten gestaltete sich schwierig, weil ein Ruf in das zerstörte Münster nicht besonders attraktiv war.315 Die ersten Neuberufungen, die in der zweiten Hälfte der 1940er-Jahre erfolgten, stammten, entsprechend der Vorgaben der westfälischen Kirche überwiegend aus dem Umfeld der Bekennenden Kirche. Ein Teil der Berufenen hatte zudem an den Ausbildungsstätten der Bekennenden Kirche gewirkt. 1946 wurden Robert Stupperich (1904–2003) für Kirchengeschichte und Joachim Konrad (1903–1979) auf die Extraordinariate für Systematische und Praktische Theologie berufen.316 Joachim Konrad war 1935 in Breslau die Venia entzogen worden, nachdem er sich, nach eigener Darstellung, auf der nationalsozialistischen Dozentenakademie Kitzeberg kritisch geäußert hatte und daraufhin erstmals von der Gestapo inhaftiert worden war. Im Anschluss hielt er illegale Vorlesungen in einem Gemeindesaal in Breslau, wurde 1938 erneut inhaftiert und aus Schlesien ausgewiesen. 1938/39 leitete er ein Predigerseminar der Bekennenden Kirche in Ostpreußen. 1939 durfte er nach Schlesien zurückkehren und war dort als Pfarrer und 1945/46 als Stadtdekan tätig. Für seine Verwendung im Hochschuldienst nach Verlust seiner Breslauer Gemeinde setzten sich sowohl die schlesische als auch die westfälische Kirchenleitung ein.317 Von 1950 bis 1954 war Konrad im nordrhein-westfälischen Kultusministerium für den Wiederaufbau der Hochschulen tätig. Seine Arbeit für die Bekennende Kirche nannte er im Rückblick ausdrücklich als Motivation für seine Nachkriegstätigkeit: „Ich glaubte mich dieser personellen Wieder-Aufbau und Ausbau-Aufgabe der Universitäten nach den Zerstörungen durch den Nazismus und den Krieg nicht entziehen zu können, wenn 311 312 313 314 315 316 317

UAMs, Bestand 10, Nr. 11559, Bd. 1, Der Rektor der Westfälischen Wilhelms-Universtät an das Kultusministerium, 12.10.1953. Stupperich 1955, S. 33, Fn. 31, Respondek 1995, S. 194. Hauschild 1991, S. 110f. UAMs, Bestand 10, Nr. 6275, Bd. 2, Kultusminister an den Kurator der Universität Münster, 15.8.1949. UAMs, Bestand 9, Nr. 301, Rektor an den Oberpräsidenten, 22.11.1945. Hauschild 1991, S. 120. UAMs, Bestand 9, Nr. 301, Herrmann an den Oberpräsidenten, 10.8.1946, Abschrift für den Kurator. Schott 2005. Konrad, Joachim, Eigenhändiger Eintrag im Album Professorum, März 1973, mit Ergänzungen aus den von Konrad 1947 und 1949 abgefassten Lebensläufen abgedruckt bei: Faulenbach 1995, S. 446–450.

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man mich nach den Jahren der Opposition gegen das Hitlerregime dazu berief.“318 Der im selben Jahr mit ihm nach Münster berufene Robert Stupperich war von 1931 bis 1933 im Evangelischen Konsistorium in Berlin tätig gewesen. Seit 1934 war er Geschäftsführer des Pfarrernotbundes in Berlin-Dahlem, einem zentralen Vorläufer der späteren Bekennenden Kirche. Aus seiner Berliner Gemeinde wurde er aufgrund seiner Mitgliedschaft im Pfarrernotbund entlassen. Aus Krankheitsgründen beendete er auch sein Amt als dessen Geschäftsführer und war von 1935 bis 1939 Pfarrer in Hohennauen, wo er im März 1935 verhaftet wurde. Nach seiner Zeit als Wehrmachtsbeamter war er von 1942 bis 1945 als Dozent an der Universität Berlin tätig.319 Ein Mitglied der Bekennenden Kirche erster Stunde und enger Freund des mit dem Wiederaufbau der Fakultät betrauten Schreiner war Carl Gunther Schweitzer (1889–1965), der 1947 einen Lehrauftrag für Sozialethik in Münster erhielt. Schweitzer musste als Sohn jüdischer Eltern 1939 nach England fliehen. Nach seiner Rückkehr war er zunächst wieder für den Central-Ausschuss der Inneren Mission tätig, zu dessen Direktoren er bereits zuvor in den 1920er-Jahren in Berlin zählte.320 Sitz des Central-Ausschusses war das Johannisstift in Spandau, dem Helmuth Schreiner vorstand, dem Schweitzer schon aus ihrer gemeinsamen Zeit in der national-christlichen Studentenverbindung „Wingolf“ verbunden war. Wie der kurz vor Schweitzer nach Münster berufene Robert Stupperich war dort auch Walter Künneth, der Mitbegründer der „Jungreformatorischen Bewegung“, seit 1927 Mitarbeiter. Schweitzer trat der im Spandauer Johannisstift begründeten „Jungreformatorischen Bewegung“ ebenso bei, wie er im September 1933 der Gründung des Pfarrernotbundes beiwohnte.321 Zum Wintersemester 1947/48 wurde Karl-Heinrich Rengstorf (1903–1992) auf den Lehrstuhl für Neues Testament berufen. Rengstorf hatte bis zum Sportpalastskandal zunächst den Deutschen Christen nahe gestanden, später wurde er Mitglied der Bekennenden Kirche und trat gegen die Amtsenthebung des württembergischen Landesbischofs Theophil Wurm (1868–1953) ein. Nachdem sein Ruf nach Kiel 1936 vom Ministerium verhindert worden war, war er als Direktor des Predigerseminars in Loccum tätig gewesen.322 Rengstorf war seit 1945 Mitglied des vorläufigen Direktoriums des Evangelisch-Lutherischen Zentralvereins für Mission unter Israel. Das erklärte Ziel der vormaligen Judenmission sollte nunmehr allerdings sein, das Verständnis für die Geschichte und die gegenwärtige Lage des Judentums zu för318 319 320 321

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Konrad im März 1973 im Album Professorum der Universität Bonn, zit. nach Faulenbach 1995, S. 449. LAV NRW R, NW 1039, ST 124, Entnazifizierungsakte Robert Stupperich, Fragebogen, 20.5.1946 Boberach/Nicolaisen/Papst 2010, S. 344f. UAMs, Bestand 182, Nr. 5, Personalbogen Carl Gunther Schweitzer; LAV NRW R, NW 1039, Sch–331, Entnazifizierungsakte Carl Gunther Schweitzer. Vgl. auch Noss, Schweitzer, 1995. Bachmann 2005, Hauschild 1991, S. 117f., Alwast 1995, S. 106, Meier 1996, S. 94, S. 378ff.

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dern und damit eine Form der Wiedergutmachung zu leisten.323 Daran anschließend wurde das ursprünglich aus dem 1886 in Leipzig gegründeten Institut zur Judenmission hervorgegangene Institutum Judaicum Delitzschianum 1948 als Teil der Evangelisch-Theologischen Fakultät wiederbegründet.324 Neben diesen kirchenpolitisch unstrittigen Besetzungen gab es um die Besetzung des Lehrstuhls für Systematische Theologie mit Carl Heinz Ratschow (1911–1999) bis 1947 Auseinandersetzungen. Er war bereits seit Herbst 1945 in die Personalüberlegungen einbezogen, und Schreiner setzte sich sehr für seinen Ruf ein. Der von der Bonner Fakultät zwangsversetzte Ernst Wolf (1902–1971), der Heinrich Scholz in der Frage der Neubesetzungen beriet und im Kontakt zu Karl Barth stand,325 hatte mitgeteilt, dass Ratschow „eine Kreatur von Herrn Hirsch ist“. Auch die Militärregierung hatte ihn bereits im Frühjahr 1946 abgelehnt.326 Emanuel Hirsch (1888–1972) war bis 1945 einer der berüchtigsten Förderer des Nationalsozialismus unter den evangelischen Theologen.327 Ratschow war von 1935 bis 1937 sein Assistent gewesen328 und gehörte von 1934 bis 1935 der Allgemeinen SS an. „Um seine akademische Laufbahn zu ermöglichen“, wie er bei seiner Entnazifizierung angab, trat er anschließend bis 1939 dem NSKK bei. Bevor er eingezogen wurde, hatte er im April 1939 eine Professur in Gießen vertreten.329 Nach dieser umstrittenen Besetzung wurde 1948 mit Paul Jacobs (1908–1968) die Professur für Reformierte Theologie wieder besetzt.330 Jacobs war von Mai 1933 bis März 1935 an der Ausbildungsstätte der Bekennenden Kirche, der Theologischen Schule in Wuppertal-Elberfeld, tätig gewesen.331 1949 folgte Wilhelm Rudolph (1891–1987) auf Johannes Herrmanns Lehrstuhl für Altes Testament. Rudolph hatte weder der Bekennenden Kirche noch den Deutschen Christen angehört. Bei der Auflösung der Gießener Fakultät hatte er seine Professur verloren und war seitdem in Marburg tätig gewesen. Der an zweiter Stelle gelistete vormalige Münstersche Privatdozent Karl Ellinger, der ebenfalls kein Mitglied der Bekennenden Kirche

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Hockenos 2011, S. 295. Rengstorf 1963. Vgl. dazu Anm. 306. UAMs, Bestand 11, Nr. 169, Scholz an Frau Schreiner, 17.11.1946. Hauschild 1991, S. 119. Ericksen 1986, S. 222ff., ders. 1987, S. 61ff. LAV NRW R, NW 1039, R–608, Military Government of Germany, Fragebogen, Ratschow, 24.6.1946. Ebd., Entnazifizierungsakte Carl Heinz Ratschow, Sichtungsausschuss der Universität, Münster, 1.7.1946; Abschrift des stattgegebenen Gesuchs um Entlassung aus den Schutzstaffeln, 22. SS-Standarte an Lic. Dr. C. Rathschow, 13.6.1935, Fragebogen, Anlage II; Carl Heinz Ratschow; Lic. Dr. C. Ratschow, Fragebogen Anlage III, Erklärung zu Frage 114–116, 19.6.1946. Vgl. auch Christophersen 2003, S. 185 [Onlinefassung]. Boberach/Nicolaisen/Papst 2010, S. 491. LAV NRW R, NW 1066–8315, Military Government Fragebogen, 23.10.1946.

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war, aber als politisch unbelastet galt,332 hatte sich nicht gegen ihn durchsetzen können.333

Die 1950er-Jahre: Beginn der Rehabilitierung der als politisch belastet geltenden Professoren Mit Beginn der 1950er-Jahre wurde die deutliche Fokussierung auf die Berufung von Mitgliedern der Bekennenden Kirche zunehmend aufgegeben. Zudem wurden an den Universitäten nun auch wieder Professoren berufen, die an anderen Universitäten aufgrund ihrer politischen Belastung ihr Amt verloren hatten.334 Von den insgesamt im Zuge der Entnazifizierung an den Hochschulen entlassenen Akademikern waren 1950 bereits mehr als ein Drittel wieder rehabilitiert, mit steigender Tendenz. Auch an der Evangelisch-Theologischen Fakultät in Münster erhielten mit Beginn der 1950er-Jahre zunehmend Professoren Lehrstühle, die an anderen Universitäten aufgrund ihrer politischen oder kirchenpolitischen Belastung entlassen worden waren. Aus dem Umfeld der Bekennenden Kirche stammte zunächst noch Karl Janssen (1912–1984), mit dem 1951 das Extraordinariat für Praktische Theologie besetzt wurde. Er war 1935 an der überwiegend der Bekennenden Kirche nahestehenden Evangelisch-Theologischen Fakultät Rostock promoviert worden und seit 1938 Leiter des Brüderhauses des Stephanstiftes in Hannover gewesen.335 Im selben Jahr folgte Ernst Kinder (1910–1970), der zuvor Professor an der 1947 neu begründeten Kirchlichen Hochschule in Neuendettelsau gewesen war, Joachim Konrad auf dem Lehrstuhl für Systematische Theologie. Kinder stammte aus dem Umfeld der Bodelschwinghschen Anstalten, sein Vater war in Bethel Diakon gewesen. Er hatte sein erstes Examen Ostern 1934 in Münster abgelegt und war 1935 in Erlangen promoviert worden. In seinem Lebenslauf gab er an, dass er durch seine Zugehörigkeit zur Bekennenden Kirche die ihm in Münster „zugedachte Stelle als Inspektor am Hamannstift und als Assistent für systematische Theologie“ verloren habe, wo-

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UAMs, Bestand 9, Nr. 303, Fakultät Stellungnahme zu Prof. Ellinger, 17.12.1948. UAMs, Bestand 12, Nr. 48, Beurteilung zu Wilhelm Rudolph in Gießen, o. D.; UAMs, Bestand 11, Nr. 160, Lebenslauf Wilhelm Karl Friedrich Rudolph, Juni 1952. Vgl. auch Hauschild 1991, S. 121, Smend 1989. Ash 2002, S. 36. UAMs, Bestand 12, Nr. 21. Vgl. Hauschild 1991, S. 121. Sein Doktorvater war Johannes von Walter, der zwar zum Dekan ernannt wurde, wie gegenüber den der übrigen Professoren der Rostocker Evangelisch-Theologischen Fakultät, hegten der Leiter der Dozentenschaft und Rektor aber bezüglich seiner politischen Zuverlässigkeit Bedenken. Artikel „Walter, Johannes Wilhelm von“, in: Buddrus/Fritzlar 2007, S. 426–427. Vgl. aber die kritischen Anmerkung zur Stilisierung der Fakultät zu einem Hort des Widerstandes, ebd., S. 49ff.

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durch sich auch eine geplante Habilitation an der Fakultät zerschlagen habe.336 Der Dekan nannte es dem Kultusminister gegenüber daher auch eine „Wiedergutmachung“, wenn Kinder nach Münster berufen würde.337 Ob seine Zugehörigkeit zur Bekennenden Kirche eine akademische Laufbahn in Münster tatsächlich verhindert hat, bleibt offen. Werner Danielsmeyer, der spätere theologische Vizepräsident des westfälischen Landeskirchenamtes,338 der, wie Kinder, 1933 zu den Gründungsmitgliedern der „Jungreformatorischen Bewegung“ und damit dem Vorläufer der Bekennenden Kirche in Münster gehörte hatte, war 1935 auf Betreiben Herrmanns Studieninspektor des Hamannstiftes geworden. Danielsmeyer vermerkte in seinen Erinnerungen zu dem Weggang Kinders aus Münster, dass dieser nach dem Examen einen Weg ging, der „ihn in nahe Verbindung zum Luthertum brachte und aus Münster herausführte“.339 1955 wurde der bereits einmal als Nachfolger Karl Barths gehandelte HeinzDietrich Wendland auf den Lehrstuhl für Sozialethik berufen. Wie die beiden Münsterschen Nachkriegsprofessoren Schreiner und Schweitzer stammte auch er aus dem Umfeld der Berliner Apologetischen Centrale der Inneren Mission im Berliner Johannisstift. Wendland war dort als Assistent tätig, bis er 1929 an die Universität Heidelberg wechselte.340 Wendland, der 1935 der Bekennenden Kirche beigetreten war, hatte 1936 ausgestattet mit Zeugnissen der Universität Heidelberg, die seine Unterstützung des Nationalsozialismus bezeugten, eine Professur in Kiel erhalten. In Münster baute er das „Institut für christliche Gesellschaftswissenschaften“ auf,341 was ihm nach eigener Aussage in Kiel nicht möglich gewesen war, da dem dortigen sozialethischen Institut noch immer der alte Münsteraner Redeker vorstand.342 In Münster avancierte Wendland zu einem der wichtigsten deutschen Vertreter der Sozialethik und Christlichen Gesellschaftswissenschaft.343 Als erster evangelischer Theologe in Münster, der andernorts wegen seiner politischen Belastung entlassen worden war, erhielt 1951 Friedrich Karl Schumann (1886–1960) eine Honorarprofessur. Schumann war seit Frühjahr 1933 NSDAPMitglied und 1936 als Rektor der Universität Halle vorgeschlagen worden.344 Von den Deutschen Christen hatte er sich 1934 distanziert, nachdem er zunächst Berater des Reichsbischofs Ludwig Müller gewesen war. 1945 wurde er wegen seiner Parteimitgliedschaft in Halle entlassen. Nachdem er 1946 als „politisch tragbar“ 336 337 338 339 340 341 342 343 344

UAMs, Bestand 12, Nr. 25, Lebenslauf Ernst Kinder, o. D. Hauschild 1991, S. 121. UAMs, Bestand 12, Nr. 25, Dekan an den Kultusminister, 10.8.1951. Zirlewagen 2005. Danielsmeyer 1982, S. 24, S. 27. Fix 1994, S. 169. UAMs, Bestand 8, Nr. 11695, Bd. 2; Alwast 1995, S. 106f., Buss 2009, S. 115, Moes 1993, Hauschild 1991, S. 122. Wendland 1977, S. 197. Fix 1994, S. 169. Eberle 2002, S. 461.

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eingestuft worden war, hatten der Rektor wie der Dekan der Universität Halle sich erfolglos um seine Wiedereinstellung bemüht.345 Ihm folgte 1959 Werner Schütz (1901–1992). Er war einer von nur zwei von der Bonner Evangelisch-Theologischen Fakultät entlassenen Professoren, denen eine Rückkehr in den Universitätsdienst gelang.346 Schütz, Wehrmachtspfarrer und seit Mai 1933 Mitglied der NSDAP, war kein Mitglied der Deutschen Christen, aber ein Gegner der Bekennenden Kirche. 1936 war er im Zuge des Umbaus der Bonner Fakultät aufgrund seiner politischen Zuverlässigkeit, aber wohl auch, um einen Ruf Martin Redekers zu verhindern, nach Bonn berufen worden.347 Dort bemühte er sich seit 1945 erfolglos um seine Wiedereinsetzung.348 Ihm wurde unter anderem vorgeworfen, dass er die Entlassung Karl Barths sowie die Zwangsversetzung Hans Emil Webers gutgeheißen habe.349 Auch der alliierte Entnazifizierungshauptausschuss schloss sich der Bonner Universitätskommission und dem Gutachten des Bonner Theologen Hermann Schlingensiepen (1896–1980) an und befand, dass Schütz als Hochschullehrer und Theologe den Nationalsozialismus moralisch gefördert habe.350 Im Gegensatz zu der Entnazifizierung Haenchens, die evangelische Theologen als pauschal unpolitisch eingestuft hatte, wurde hier insbesondere für „Dozenten der Theologie“ gefordert, dass „ein strenger Maßstab“ anzulegen sei. Von ihnen sei „eine erhöhte Fähigkeit zur Erkenntnis der Verwerflichkeit des NSGeistes und der Notwendigkeit des größtmöglichen Widerstandes gegen ihn“ zu erwarten, zumal sie, „weit eher als die Angehörigen anderer Berufe in der Lage“ gewesen seien, „dieser Erkenntnis gemäß zu handeln, da Staat und Partei bis zum Schluss auf Theologen entweder überhaupt keinen oder aber einen bei weitem nicht so erheblichen Druck zum Beitritt zu NS-Organisationen wie auf andere Berufstätige ausgeübt haben.“

Die „verderbliche Wirkung“, die der Zugehörigkeit zu Parteiformationen von evangelischen Theologen zugeschrieben wurde, habe sich vor allem dann entfaltet, „wenn sie sich nicht nur auf die ersten Jahre nach der Machtergreifung erstreckte, sondern auch noch nach der zunehmenden Enthüllung des wahren Charakters der NS-Gewaltherrschaft“. Schließlich hätte ein Austritt „maximal die Professur nicht aber das Pfarramt gekostet“.351 Damit war eine Rückkehr Schütz‘ an die Bonner Fakultät verhindert. Bereits seit 1946 war er aber wieder im Dienst der Rheinischen Landeskirche tätig, deren Überprüfungsausschuss ihn 1947 für entlastet erklärte.352 345 346 347 348 349 350 351 352

Stengel 1992, S. 539ff., Zitat S. 540. UAMs, Bestand 12, Nr. 53. Faulenbach 1995, S. 38. Ebd., S. 45ff. UAMs, Bestand 8, Nr. 11213, Bd. 2; Höpfner 1999, S. 175. Kinzig 2008, S. 37, Meier 1996, S. 373. Faulenbach 1995, S. 49. LAV NRW R, NW 1049, 54682; Faulenbach 1995, S. 49. Höpfner 1999, S. 175.

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Die zunehmend liberalere Haltung gegenüber zuvor als belastet aus den Fakultäten entfernten Theologen machte sich auch der alte Münsteraner Helmuth Kittel zu Nutze. Er bemühte sich in den 1950er-Jahren um seine „Rehabilitierung“ bei der Münsterschen Fakultät und der westfälischen Landeskirche und erklärte, dass Helmuth Schreiner sich gegen ihn bei der Kirchenleitung eingesetzt habe.353 Auf seine Professur habe er nur verzichtet, weil er es für kirchenamtlich gehalten habe, dass seine Lehrmeinung in Frage gestellt sei.354 Der Entnazifizierungsausschuss in Celle hatte ihm zudem bestätigt, dass er eine „vom Nationalsozialismus abweichende geistige und politische Haltung aufrechterhalten und dem Nationalsozialismus nach Kräften entgegengearbeitet“ habe.355 Auch Professor Goeters bescheinigte, dass mit Kittel an der Fakultät eine neue Zeit begonnen habe, zwar sei er Parteigenosse gewesen, aber nicht mehr Deutscher Christ. Ihn habe er „wirksam geschützt und verteidigt gegen politische Denunziation einer Vorlesungsäußerung“ und „einen Parteieinflüsse missbrauchenden Studenten auf meinen Hinweis von der Prüfung ausgeschlossen“. 1958 erklärte die Leitung der Evangelischen Kirche von Westfalen schließlich die 1945 und 1947 gegenüber der Universität in Bezug auf Kittel abgegebenen Erklärungen für hinfällig. 1958 wurde Kittel die Ehrendoktorwürde der Evangelisch-Theologischen Fakultät Münster verliehen, und 1963 erhielt er erneut eine Professur. 356

Fazit Die „Mitfahrbereitschaft“, die der deutsche Protestantismus 1933 gegenüber dem Nationalsozialismus entfaltete,357 schlug sich deutlich auch an der Münsterschen Fakultät nieder. Auch wenn sie anders als beispielsweise die Bonner, entgegen den Plänen des Dekans Schmidt, nicht zu einer deutschchristlichen Fakultät umgebaut werden konnte, sagt dies nichts über die grundsätzliche Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus aus. Dass eine christliche und eine nationalsozialistische Haltung sich nicht ausschlossen,358 zeigt die enge Allianz zwischen Stählin und dem zumindest im Kontext der die Evangelisch-Theologische Fakultät betreffenden Politik stets seinen Katholizismus betonenden Rektor Hugelmann. Neben der im Protestantismus weitverbreiteten Hoffnung, dass ihm durch den Nationalsozialismus wieder zu einer größeren Bedeutung verholfen werden könne, 353 354 355 356 357 358

Schriftwechsel in UAMs, Bestand 12, Nr. 286. Ebd., Bericht über die Besprechung des Fakultätsausschusses mit Herrn Professor Kittel am 9.6.1956. UAMs, Bestand 8, Nr. 8873, Bd. 3, Bl. 13p, Entnazifizierungs-Hauptausschuss, CelleStadt, Sonderausschuss, 14.2.1949. UAMs, Bestand 8, Nr. 8873, Bd. 4, Bl. 106, Personalnotiz, Lic. Kittel, Vorschlag zur Ernennung zum Professor auf Lebenszeit, o.D.; Goeters an den Rektor, 30.10.1945. Gailus, Gefangenschaft, 2006, S. 28. Vgl. dazu mit weiten Nachweisen Gailus/Nolzen, Einleitung, 2011, S. 11ff.

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schien zunächst eine Mitgliedschaft in der Partei wie bei den Deutschen Christen insbesondere für den akademischen Nachwuchs für deutlich bessere Karrierechancen nutzbar.359 Redekers Karriere, die auf unmittelbarer Unterstützung der Partei beruhte, ist in diesem Fall mustergültig. Foerster ist hingegen ein Beispiel dafür, wie sich bei vielen Theologen die anfängliche Begeisterung für die Deutschen Christen in die Unterstützung der Bekennenden Kirche wandeln konnte. Das Ende seiner Karriere an der Evangelisch-Theologischen Fakultät und auch das derjenigen Hänels sind zugleich beispielhaft für den hohen Einfluss, den die Dozentenschaftsführer in Bezug auf personalpolitische Entscheidungen entfalten konnten.360 Insgesamt war der Bereich der Personalpolitik derjenige, in den das Ministerium am häufigsten eingriff. Diese Eingriffe waren jedoch keineswegs immer im Sinne des deutschchristlichen Dekans. Die darüber hinausgehenden ministeriellen Anordnungen die Fakultätspolitik betreffend erfolgten wiederum in erster Linie auf die Bitte und die Eingaben des Dekans Schmidt, der an der Fakultät zunehmend isoliert war. Johannes Herrmann und vor allem Wilhelm Stählin gelang es, nicht zuletzt mit der Hilfe des Rektors Hugelmann, in der Zeit seines Dekanats immer wieder als kirchenpolitische Kraft zwischen den Deutschen Christen und den Bekennenden Kirche erfolgreich die Fakultätspolitik mit zu lenken und einen großen Handlungsspielraum zu entfalten. Die dritte kirchenpolitische Strömung um Stählin und Herrmann geriet dabei durchaus auch in Konflikt mit den ausgeprägten westfälischen Kräften der Bekennenden Kirche um Präses Koch.361 Letztlich wirkte diese weitere kirchenpolitische Haltung, neben den ohnehin zahlreichen kirchenpolitischen Strömungen und den auch wiederum in sich gespaltenen Deutschen Christen und der Bekennenden Kirche,362 aber zusätzlich an der „Selbstzerstörung“363 mit und band die kirchlichen Kräfte in einer Selbstlähmung in ihrer innerkirchlichen Auseinandersetzung. Inwieweit die Berneucher dabei generell als eine bisher weitgehend unbeachtete, weitere kirchenpolitische Kraft agierten oder sich dies auf die individuellen besonderen Handlungsmöglichkeiten Stählins in Münster beschränkte, bleibt zu untersuchen. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass die Fakultät weitestgehend durch ihre internen Konflikte gelähmt wurde, konnte der mit dem Wiederaufbau der Fakultät betraute Helmuth Schreiner die Anregung des neuen Rektors der Universität Münster, Prälat Georg Schreiber, „dass die theologischen Fakultäten, wie die Bonner Katholisch-Theologische Fakultät darstellen sollten, was sie gegen den Nationalsozialismus unternommen haben“, allerdings nur als „sachlich abwegig“ ableh-

359 360 361 362 363

Gailus 2010, S. 28ff. Ebd., S. 31ff. Vgl. unter anderem Grüttner 2009, S. 42ff. Hey 1974, S. 61ff. Vgl. mit weiteren Nachweisen als kurzen Überblick zuletzt Gailus/Nolzen, Einleitung, 2011, S. 9ff. Gailus 2010, S. 35.

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nen.364 Die Münstersche Fakultät verfügte zwar über eine breite Anhängerschaft der Bekennenden Kirche, insbesondere auch unter den Studenten, „Widerstand“ gegen den Nationalsozialismus konnte sie aber nicht für sich reklamieren.365 In den Jahren des Wiederaufbaus wirkten sich dann die Zugehörigkeit zur Bekennenden Kirche, der es gelang, sich zu einem Hort des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus zu stilisieren,366 und die zum Teil schon seit der Weimarer Zeit bestehenden Netzwerke und/oder persönlichen Vorbehalte oder auch Präferenzen aus. Die Fakultät wurde daher zunächst nach Maßgabe der westfälischen Landeskirche mit einem Netzwerk sich zum Teil auch persönlich verbundener Angehöriger der Bekennenden Kirche besetzt. Bei der Entfernung der belasteten Dozenten bewies die Fakultät zunächst sowohl Nachsicht – wie im Falle Kittel, dessen Weiterbeschäftigung in Celle toleriert wurde – als auch eine hohe persönliche Verbundenheit, wie im Falle Haenchens, dem durch die „Persilscheine“ seiner alten Kollegen die Rückkehr nach Münster ermöglicht wurde. In anderen Fällen, wie bei der versuchten Verhinderung der Rückkehr Herrmanns nach Münster, konnten sich aber auch offensichtliche persönliche Vorbehalte negativ auswirken. Der Fall Schütz, der nach seiner Entfernung aus der Bonner Fakultät zunächst von der rheinischen Landeskirche zwischenversorgt wurde, um dann schließlich in Münster eine neue Professur zu erhalten, ist ein Beispiel dafür, dass es nach einer zunächst erfolgten personellen Umverteilung dann mit den 1950er-Jahren zu einer Selbstvergesslichkeit kam, die zunehmend auch vorher als belastet geltende Professoren wieder an die Fakultät holte.

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Die Katholisch-Theologische Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität im „Dritten Reich“* „Die Geschichte der Katholischen Fakultät Münster 1773–1964“1 des vor wenigen Jahren in Bonn verstorbenen Kirchenhistorikers Eduard Hegel gilt – nach dem Urteil Bernd Mütters –„zweifellos“ als „ein Standardwerk der Gattung ‚Hochschulgeschichte‘“. Unbestritten markiert sie „den eigentlichen Beginn der münsterschen Hochschulgeschichtsforschung und -geschichtsschreibung“.2 Dies ist vor allem für die erstmalige Darstellung der nationalsozialistischen Zeit hervorzuheben.3 Hegel zeichnete damals ein Bild der Katholischen Fakultät, welches sich wie folgt zusammenfassen lässt: Die Fakultät verlor 1933 ihr Selbstverwaltungsrecht, hatte aber mit dem damaligen Dekan Schneider einen fähigen Mann an der Spitze, der sich gegenüber der Verwaltung und den Ministerien behaupten und letztlich das Überleben der Fakultät im „Dritten Reich“ sichern konnte. Eine Anzahl von Professoren, wie beispielsweise Schreiber, Weber und Schmidlin wurden aufgrund ihrer politischen und weltanschaulichen Haltung aus dem Universitätsbetrieb entfernt. Ferner wurden nicht nur Veröffentlichungen und Forschungsarbeiten erschwert, sondern es musste aufgrund der sich verschärfenden nationalsozialistischen Kirchenpolitik bald um jede Neuberufung und den wissenschaftlichen Nachwuchs gerungen werden. Hinzu kamen ab 1939 die erschwerenden Einwirkungen des Krieges. Im Bezug zum Regime setzte sich nach Hegel der Großteil der Fakultätsangehörigen aber sachlich mit „einzelnen Neigungen und Lehrpunkten des Nationalsozialismus“4 auseinander, während lediglich zwei Professoren – Schmaus und Lortz – im ersten Jahr der aufkommenden Diktatur den Brückenbau durch „eine positive Würdigung des Nationalsozialismus versucht[en].“5 Insgesamt war dies also eine unter dem Strich recht positive Geschichte der Fakultät und ihrer Akteure, die allerdings, wie nun die erneute Sichtung der in Frage kommenden Archivalien zeigt, einiger Präzisierungen und Ergänzungen bedarf. Während Hegel nämlich in seinen Ausführungen Repressionen gegenüber der Fakultät äußerst präzise und teilweise minutiös darstellt, vermisst man einen ebensolchen Umgang mit den bereits damals zugänglich gewesenen Archivalien insbesondere im personenbezogenen Bereich, da greifbare Materialien von Hegel * 1 2 3 4 5

Der vorliegende Beitrag ist die ergänzte und erweiterte Fassung von Flammer 2007. Hegel 1966/71. Mütter 1980, S. 145. Vgl. hierzu auch Hegel 1980. Hegel 1966, S. 502. Ebd., S. 503.

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ausgeblendet wurden, was vielleicht mit dem seinerzeit geringen Abstand zum dargestellten Thema zusammenhängen dürfte. Vor diesem Hintergrund sollen vorliegende Ausführungen der Ergänzung der Hegelschen Darstellung dienen. Hierfür werden zunächst der aktuelle Forschungsstand und die Quellenlage rekapituliert, bevor die staatskirchenrechtliche Stellung der Fakultät kurz umrissen und in einem weiteren Schritt die Auswirkungen der nationalsozialistischen Machtübernahme auf die Fakultät nachgezeichnet werden. Es folgen eine Darstellung der Rolle des Bischofs von Galen für die Fakultät und der Blick auf einige Personen des damaligen Lehrkörpers, deren Einstellung zum Nationalsozialismus ergänzend dargestellt werden kann. Abschließend kommt kurz die Entwicklung der Katholisch-Theologischen Fakultät in der ersten Nachkriegszeit zur Sprache.

Forschungsstand und Quellenlage Neben der genannten Studie von Eduard Hegel kann mittlerweile auf eine Anzahl von Arbeiten verwiesen werden, die sich mit einzelnen Professoren6 der damaligen Fakultät auseinandersetzen, wobei insbesondere über Joseph Lortz7 und Georg Schreiber8 eine Reihe von Forschungsergebnissen vorliegen.9 Zudem wären noch autobiografische Abhandlungen zu nennen, die von den damaligen Professoren Schreiber, Meinertz, Bierbaum und Pascher existieren.10 Eine Gesamtdarstellung 6

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8

9 10

An dieser Stelle sei lediglich auf den jüngst erschienenen Beitrag von Peter Fleck über den Moraltheologen Tischleder und dessen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus verwiesen, Fleck 2011. Zu den übrigen Professoren der Fakultät finden sich Literaturhinweise bei der jeweiligen Erstnennung in diesem Aufsatz. Joseph Adam Lortz (1887–1975), 1907–1913 Studium in Rom und Freiburg, 1913 Priesterweihe, 1920 Promotion, 1923 Habilitation, 1929–1935 Professor für Kirchengeschichte in Braunsberg, 1935–1945 Professor für Kirchengeschichte in Münster, 1950–1975 Direktor der religionsgeschichtlichen Abteilung des Instituts für Europäische Geschichte in Mainz; Lautenschläger 1993. Georg Schreiber (1882–1961), 1901–1904 Studium der Theologie in Münster, 1905 Priesterweihe, 1909 Dr. phil., 1913 Dr. theol. und Habilitation, 1917 Professor für Kirchengeschichte in Münster, 1920–1933 Mitglied des Reichstages, 1935 Zwangsemeritierung, 1945 Reaktivierung und Rektor der Universität Münster, 1951 Emeritierung; Grothmann 1995. Lautenschläger 1987, Ustorf 2000, Morsey 1957, Morsey 1975, Morsey 1981/82, Morsey 1983, Spörl/Hegel 1964, Conzemius 1990, Damberg 1993. Autobiographie Schreiber: Schreiber 1949. Max Meinertz (1880–1965), 1899–1904 Studium der Theologie in Braunsberg, Bonn, Breslau und Straßburg, 1903 Priesterweihe, 1904 Dr. theol., 1907 Habilitation für neutestamentliche Exegese in Braunsberg, 1909–1950 Professor für neutestamentliche Exegese an der Universität Münster, 1920–1921 Rektor der Universität Münster, 1928 Konsistorialrat h.c. des Bistums Temesvar (Rumänien), 1949 Päpstlicher Hausprälat, 1959 Ehrenmitglied der Pontificia Academia Theologica Romana und Großes Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland. Zu Meinertz: Schmitt 1999, Hegel 1966, S. 402–405, Hegel 1971, S. 51f.; Autobiographie: Meinertz

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der Katholischen Theologie im „Dritten Reich“ wird seit 2005 durch das Würzburger Forschungsprojekt „Katholische Theologie im Nationalsozialismus. Strukturen – Disziplinen – Personen“ angestrebt.11 Im Bereich der Quellen sind für die Fakultätsgeschichte insbesondere die Bestände des Universitätsarchivs Münster, hier die Sach- und Personalakten des Rektorats, des Kurators und der Katholisch-Theologischen Fakultät, hervorzuheben. Ferner ist die staatliche Aktenlage als ausgesprochen günstig zu bezeichnen. So finden sich einschlägige Unterlagen in den Beständen des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz,12 des Bundesarchivs in Berlin13 sowie im Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Rheinland, in Düsseldorf.14 Schlechter steht es um die kirchliche Überlieferung des Bistumsarchivs Münster, da hier durch einen Bombenvolltreffer am 10. Oktober 1943 nicht nur die laufende Registratur des Generalvikariates aus den Jahren 1830 bis 1943, sondern auch die bischöflichen Handakten vernichtet wurden. Die einzigen Hinweise auf die Fakultät finden sich somit – bis auf wenige Ausnahmen15 – vor allem aus den Jahren nach 1943 beziehungsweise fragmentarisch in den Nachlässen einiger damaliger Dozenten.16 Dafür lassen sich in den seit 2003 zugänglichen Akten des Vatikans für den Zeitraum bis 1939 einschlägige Materialien zur Fakultätsgeschichte Münsters finden.17

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1956. Max Bierbaum (1883–1975), 1903–1908 Studium der Theologie in Münster und Innsbruck, 1908 Priesterweihe, 1920 Dr. theol., 1922 Dr. jur. can. in Rom, 1925 Habilitation in kirchlicher Rechtsgeschichte, 1930 nichtbeamteter Professor in Münster, 1942 Domkapitular und Offizial in Münster. Zu Bierbaum: Flammer 2006, Lange 2009; Autobiographie: Bierbaum 1961. Joseph Pascher (1893–1979), 1912–1915 Studium der Theologie in Fulda, 1916 Priesterweihe, 1921 Dr. phil., 1923–1927 Studienrat in Wiesbaden, 1928 Dr. theol., 1929 Habilitation für Fundamentaltheologie (Apologetik) in Würzburg, 1929–1936 Privatdozent an der Universität Würzburg, 1936 außerordentliche Professur für Religionspädagogik in München, 1940–1946 außerordentliche Professur für Pastoralund Religionspädagogik in Münster, 1946 ordentliche Professur in Münster und Rückruf an die Maximilians-Universität München (Liturgiewissenschaft und Pastoraltheologie), 1952 päpstlicher Hausprälat, 1960 Emeritierung. Zu Pascher: Schmitt 1999 (zu Pascher entsteht zur Zeit eine Doktorarbeit von Herrn Markus Roth, München); Autobiographie: Pascher 1966. Hierzu Burkard/Weiß 2007, Burkard/Weiß 2012. Vgl. GStA, HA Rep. 76, Va Sekt. 13. Vgl. unter anderem BAB, R 4901, Nr. 14894. Aus den Beständen Ministerialarchivs: LAV NRW R, NW 5, 402, 407, 456, 507. Zu nennen wäre hier die Überlieferung des Collegium Borromäum im Bistumsarchiv Münster. Beispielhaft: BAM, A 02, A 0–56; in wieweit Überlieferungen in den Ordinariaten von Osnabrück und Hildesheim erhalten sind, wäre zu überprüfen, zumal die Bistümer einen Großteil ihrer Theologen nach Münster entsandten. Geheimarchiv des Vatikans, ASV, AA.EE.SS Germania Pos. 631 P.O. Fasc. 147 bis 149; ASV, AA.EE.SS. Germania Pos. 580 P.O. Fasc. 88; ASV, AA.EE.SS. Germania Pos. 598 P.O. Fasc. 107.

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Die staats- und kirchenrechtliche Situation der Katholisch-Theologischen Fakultät im Jahr 1933 Da die Katholische Fakultät damals vornehmlich der Ausbildung von Theologen diente, die das Priestertum anstrebten, erscheint es sinnvoll, kurz die rechtliche Situation der Fakultät zu beschreiben. Obgleich eine staatliche Fakultät, bestanden (und bestehen) für sie eine Reihe von staatskirchenrechtlichen Bestimmungen, die sie von den anderen Fakultäten in Münster unterschied und ihr eine gewisse Sonderstellung verschaffte. In diesem Zusammenhang ist zunächst die Weimarer Reichsverfassung vom 11. August 1919 zu nennen. Hier wird im Abschnitt „Bildung und Schule“ im Artikel 149 Absatz 3 grundsätzlich festgehalten, dass an staatlichen Universitäten die „theologischen Fakultäten erhalten bleiben“.18 Ferner ist für Münster das Preußische Konkordat vom 14. Juni 1929 relevant, welches im Artikel 12 und den dazugehörigen Schlussbestimmungen auf Hochschulfragen eingeht. Auch hier wird die Bestandsgarantie der theologischen Fakultäten in den staatlichen Universitäten nochmals bekräftigt und überdies dem Ortsbischof nicht nur das Recht eingeräumt, vor der Berufung eines Ordinarius das „Nihil obstat“ zu erteilen oder zu verweigern, sondern darüber hinaus bereits berufenen Ordinarien die Lehrerlaubnis zu entziehen, sofern diese in Lehre oder Lebenswandel nicht mehr im Einklang mit der katholischen Lehre stehen. Kurzum: „Niemand kann ohne Erteilung des ‚Nihil obstat‘ des zuständigen Diözesanbischofs berufen werden oder im Fall einer nachträglichen Beanstandung durch den Bischof im Amt bleiben.“19 Als weitere Besonderheit der Katholisch-Theologischen Fakultät ist die Verquickung zwischen staatlicher Professur und kirchlichem Amt zu nennen. Bereits 1821 wurde in der Bulle „De salute animarum“ festgelegt, dass mindestens ein Theologe der Universität eine Domherrenstelle besetzen sollte.20 Diese Regelung bekräftigte Artikel 2 Absatz 8 des Preußenkonkordats, wonach weiterhin ein Vertreter der Fakultät dem Domkapitel angehören sollte.21 In Münster waren dabei „die Pastoraltheologen bevorzugte Inhaber“ dieses Amtes, so im Untersuchungszeitraum Adolf Donders.22 Neben den Bestimmungen der Weimarer Reichsverfassung und des Preußenkonkordats ist das am 10. September 1933 in Kraft getretene Reichskonkordat zu nennen, welches in Bezug auf die Situation in Münster in den Artikeln 2, 14, 19 und 20 das bestehende Preußenkonkordat (also auch die „Nihil obstat“-Bestimmung) bekräftigt und wiederum den Erhalt der Katholisch-Theologischen Fakultät als 18 19 20 21 22

Reichsgesetzblatt Nr. 152 (1919), S. 1383–1418. Haering 2007, S. 29. De salute animarum, in: Preußische Gesetzessammlung 1821, S. 114–152, Hegel 1966, S. 471. Preußenkonkordat vom 14.6.1929, in: Huber/Huber 1988, S. 322–328. Mussinghoff 1979, S. 117. Zu Donders: Leufkens 1949, Srebny 2007.

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staatliche Einrichtung unterstreicht.23 Darüber hinaus wurde das bislang rein kirchliche Hochschulrecht, welches nach den Vorstellungen Roms das theologische Studium an allen kirchlichen Lehranstalten vereinheitlichen sollte, staatlich anerkennt, indem im Schlussprotokoll zum Artikel 19 auf „die relevanten kirchlichen Vorschriften“ verwiesen wird, womit die apostolische Konstitution „Deus scientiarum Dominus“24 vom 24. Mai 1931 und die Instruktion vom 7. Juli 1932 gemeint sind.25 Hiermit waren fortan nicht nur die kirchlichen Vorgaben für die Studieninhalte des Fachs Theologie sanktioniert, sondern „überhaupt das kirchliche Hochschulrecht für nicht in den Konkordaten geregelte Fragen als subsidiäre Rechtsquelle anerkannt“.26 Schließlich legte Artikel 14 die Vorbildung der Geistlichen fest, die eine Lehrtätigkeit ausübten: 1. die deutsche Staatsangehörigkeit, 2. ein zum Studium an einer höheren Lehranstalt berechtigendes Reifezeugnis, 3. ein mindestens dreijähriges philosophisch-theologisches Studium an einer deutschen staatlichen Hochschule, einer deutschen kirchlichen akademischen Lehranstalt oder einer päpstlichen Hochschule in Rom. Im Geheimanhang des Reichkonkordats wurde zudem für die Studenten der Theologie, die sich auf das Priestertum vorbereiteten, bestimmt, dass diese außer im Falle einer allgemeinen Mobilmachung „vom Militärdienst und den darauf vorbereiteten Übungen befreit“ wurden und im Kriegsfall „im Rahmen des Möglichen […] dem Santitätsdienst zuzuteilen“ wären.27 Insgesamt kann man mit Haering festhalten, dass die „Grundlagen, die von Seiten des Staatskirchenrechts unter der nationalsozialistischen Herrschaft für die theologischen Hochschuleinrichtungen gegeben waren, […] aus kirchlicher Perspektive […] als günstig angesehen werden“ konnten, da „die wichtigsten Aspekte der kirchlich erwünschten Rechte im Hinblick auf die Fakultäten, nämlich die Approbation der Studieninhalte und der Studienorganisation und der Einfluss auf die Zusammensetzung des Lehrkörpers, […] verbindlich festgelegt“ wurden.28

Die Auswirkungen der Machtübernahme auf die Katholisch-Theologische Fakultät Die Katholisch-Theologische Fakultät, die seinerzeit noch im Akademiegebäude am Domplatz untergebracht war, galt bereits damals als größte und renommierteste im Deutschen Reich. Selbst der damalige Nuntius Eugenio Pacelli berichtete an den Vatikan kurz vor seiner Abberufung aus Deutschland im Jahre 1929 über die Fakul23 24 25 26 27 28

Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich, 20.7.1933, in: Huber/Huber 1988, S. 505–513. Apostolische Konstitution „Deus scientiarum Dominus“, 24.5.1931, in: Acta Apostolicae Sedis 23 (1932), S. 241–262. Haering 2007, S. 34f., Unterburger 2007, Unterburger 2010. Unterburger 2007, S. 126. Der Geheimanhang des Reichskonkordats, abgedruckt in: Schöppe 1964, S. 35. Haering 2007, S. 36.

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tät, dass sie „die verhältnismäßig Beste in Deutschland“ sei.29 Zu ihrem Lehrkörper zählten hervorragende Persönlichkeiten wie der Kirchenhistoriker und Zentrumspolitiker Georg Schreiber, der weit über Münster hinaus bekannte Homiletiker und Domprediger Adolf Donders oder Joseph Schmidlin,30 der seinerzeit den ersten Religionswissenschaftlichen Lehrstuhl im deutschen Sprachraum aufgebaut hatte. Insgesamt lehrten und forschten 1933 hier 21 Professoren beziehungsweise Privatdozenten an 14 Lehrstühlen für rund 400 eingeschriebene Studenten.31 Gerade vor dem Hintergrund der Tatsache, dass es sich beim damaligen Lehrkörper durchweg um katholische Geistliche handelte, ist es leicht vorstellbar, dass die Fakultät aus weltanschaulicher Perspektive der Nationalsozialisten eine Sonderstellung einnahm. Es verwundert also nicht, wenn seitens des zuständigen Kultusministeriums beziehungsweise des Ministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung in den Jahren ab 1933 gezielte Versetzungen durchgeführt und freiwerdende Lehrstühle umgewidmet, nicht mehr ausgeschrieben oder ganz aufgehoben werden sollten.32 Burkard weist zurecht darauf hin, dass im Grunde „zwei Ziele nationalsozialistischer Kirchenpolitik in der Wissenschaftspolitik zutage treten: Das erste bestand in der strukturellen Zurückdrängung der Theologie überhaupt, das zweite in ihrer inhaltlichen ‚Gleichschaltung‘“.33

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Pacelli 2006, S. 235. Joseph Schmidlin (1876–1944), 1899 Priesterweihe in Straßburg, 1901 Dr. phil., 1904 Dr. theol., 1906 Habilitation, 1910 Professor für Kirchengeschichte, insbesondere Dogmengeschichte und Patrologie sowie Missionskunde in Münster, 1914 Professor für Missionswissenschaft, 1934 emeritiert und pensioniert; Hegel 1971, S. 78–80, Müller 1961, Müller 1989. Wilhelm Engelkemper (Altes Testament, Lehrstuhlinhaber von 1903 bis 1934); Max Meinertz (Neues Testament, 1909–1950); Franz Diekamp (Dogmatik, 1907–1933); Arnold Struker (Apologetik/Fundamental, 1917–1946); Adolf Rücker (Ökumene/Ostkirche, 1922–1935; Alte Kirchengeschichte 1927–1948); Joh. Peter Steffes (Religionsphilosophie und Religionsgeschichte, 1927–1952); Georg Schreiber (Kirchengeschichte 1922–1935), Ludwig Mohler (Kirchengeschichte, 1922–1935); Egon Schneider (Kirchenrecht 1932– 1943); Peter Tischleder (Moraltheologie, 1931–1946); Richard Stapper (Pastoral I, 1919– 1935); Adolf Donders (Pastoral/Homiletik, 1921–1942); Joseph Schmidlin (Missionswissenschaft, 1910–1934); Heinrich Weber (Christliche Sozialwissenschaften, 1922–1935). Zudem bekleideten außerordentliche Professuren bzw. Privatdozenturen: Max Bierbaum (1928–1935 Lehrauftrag für Missionsrecht, ab 1935 zusätzlich für Missionstheorie und Missionskunde); Privatdozent Karl Hölker (Geschichte der christlichen Kunst, 1933– 1937); Privatdozent Johannes Quasten (Geschichte des kirchlichen Altertums, Liturgiegeschichte und religiöse Volkskunde 1931–1937); Privatdozent Klaudius Jüssen (Dogmatik, 1931–1937); Heinrich Kühle (Moraltheologie, 1932–1933); Franz Große-Wietfeld (Kirchenrecht, 1932–1938); Privatdozent Heinrich Kaupel (Altes Testament, 1927–1935; dann ordentlicher Professor für Altes Testament). Burkard 2007, S. 56. Ebd., S. 68.

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So wurde auch in Münster bereits im Frühjahr 1933 hochschulpolitisch mit der Einführung des Führerprinzips34 in die bisherigen Rechte und Freiheiten der Katholisch-Theologischen Fakultät eingegriffen. Man muss jedoch betonen, dass der Fakultät aus dieser Beschneidung der universitären Selbstverwaltung zunächst keine spürbaren Nachteile erwuchsen.35 Mit dem Pastoraltheologen Franz Wilhelm Richard Stapper36 erhielt die Fakultät vom 26. April 193337 bis 15. März 1934 vielmehr einen Dekan, der im Sinne der Gleichschaltungsbestrebungen von nationalsozialistischer Seite nur als „bedingt politisch zuverlässig“ eingestuft wurde.38 Letzteres sollte sich nach Ablauf der damals noch üblichen einjährigen Amtszeit ändern, als 1934 der Kirchenrechtler Franz Egon Schneider39 durch den amtierenden Rektor das Dekansamt übertragen bekam, welches er bis zu seinem Tode am 3. November 1943 bekleidete. In diesem Zusammenhang ist als weitere Schlüsselposition an der Fakultät das neue Amt des Dozentenschaftsführers zu nennen, das 1933 der außerordentliche Professor für Kirchengeschichte Ludwig Mohler40 übernahm. Auf beide Personen wird noch an späterer Stelle näher eingegangen. 34 35 36

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Zur Einführung des Führerprinzips: Carmon 1977. Zur verfassungsrechtlichen Entwicklung von 1933 bis 1945: Achterberg 1980, S. 75f., Wolgast 1993, S. 52. Franz Wilhelm Richard Stapper (1870–1939), 1894 Priesterweihe, 1898 Dr. theol., 1910– 1910 Religionslehrer, 1910 Professor für praktische Theologie in Straßburg, 1919–1935 Professor für Pastoraltheologie in Münster; Hegel 1971, S. 89. In dem Sitzungsprotokoll der Fakultät vom 26.4.1933 ist vermerkt: „Von der Gauleitung der NSDAP des Gaues Westfalen-Nord wurde durch den Vorsitzenden der ‚Universitätskommission‘ fernmündlich dem Prodekan eine ausschließliche Liste für die von der Fakultät heute zu tätigende Wahl des Dekans […] mitgeteilt. Die Fakultät ist einstimmig der Ansicht, dass es unter den gegebenen Verhältnissen nicht angängig erscheint, von dieser Liste abzuweichen.“ UAMs, Zugang zu Bestand 22, Sitzungsprotokollbuch der Katholisch-Theologischen Fakultät 1909–1960. Während die Sitzungsprotokolle der Fakultät bis 1933 und ab 1945 recht ausführlich gehalten sind, beschränken sich die Eintragungen in der Nationalsozialistischen Zeit auf das Nötigste. BAB, R 5101, Nr. 23465, Sitzungsprotokoll über die Ausführung zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 27.4.1933, Bl. 7. Franz Egon Schneider (1880–1943), 1904 Priesterweihe, 1906–1912 Studium in Bonn und Rom, 1911 Dr. theol. und iur. utr., 1912 Habilitation, 1919 Professor für Kirchenrecht in Paderborn, 1920–1922 Auditor Rota Romana, 1932–1943 Professor für Kirchenrecht in Münster; Hegel 1971, S. 81. Die Fakultät hatte neben Schneider noch Stapper und Steffes vorgeschlagen. Schneider berief Stapper zum Prodekan und als weiteren Vertreter Schmaus, der ab 1944 Dekan der Fakultät war. UAMs, Zugang zu Bestand 22, Sitzungsprotokollbuch der Katholisch-Theologischen Fakultät 1909–1960, 26.4.1933. Ludwig Mohler (1883–1943), 1903–1906 Studium in Freiburg i. Br., 1907 Priesterweihe, 1912 Dr. phil, 1918 Dr. theol., 1920 Habilitation, 1920–1935 Professor für Kirchengeschichte in Münster, 1935–1937 Professor für Kirchengeschichte in Würzburg, 1937–1939 Professor für Kirchengeschichte in München, 1939–1943 Professor für Kirchengeschichte in Freiburg i. Br.; Hegel 1971, S. 114.

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Es stellt sich nun die Frage, inwieweit – auch vor dem Hintergrund der eindeutigen antinationalsozialistischen Positionierung der Katholischen Kirche vor 193341 – die Machtübernahme Auswirkungen auf den Lehrbetrieb, das Personal und die Studentenschaft der Fakultät hatte. Für den Bereich der Lehre ist in diesem Zusammenhang zu bemerken, dass die Professoren der Fakultät in ihrem Wirken außerhalb der Fakultät bereits im Jahre 1933 Einschränkungen erfuhren. So mussten die seit einigen Jahren in Temesvar von Teilen des Professoriums angebotenen theologischen und pädagogischen Kurse eingestellt werden, weil die „rumänische Regierung […] dem neuen deutschen Regime misstrauisch gegenüberstand.“42 Nicht zuletzt mussten in Folge des politischen Umbruchs die von Professoren der Fakultät seit Ende der 1920er-Jahre regelmäßig gehaltenen Gastvorlesungen an der Technischen Hochschule Hannover eingestellt werden, weil die Geistlichen „aus politischen Gründen“ nicht mehr eingeladen wurden.43 Bezüglich des Lehrpersonals kam es 1933 auf den ersten Blick hingegen kaum zu außergewöhnlichen Veränderungen. Noch vor der Vereidigung Hitlers begannen im Januar die Berufungsverhandlungen für die Nachfolge des emeritierten Dogmatikers Diekamp, die zum 1. Mai mit der Ernennung des zuvor in Prag dozierenden jungen Theologen Michael Schmaus44 abgeschlossen werden konnten.45 Schmaus sollte bekanntlich schon wenige Wochen nach Dienstaufnahme am 11. Juli mit seinem auf Wunsch der Fachschaft gehaltenen und knapp vier Wochen später im Aschendorff-Verlag publizierten Vortrag „Begegnung zwischen katholischem Christentum und nationalsozialistischer Weltanschauung“,46 den in Folge viel dis-

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Hürten 2011. Zur Situation in Westfalen: Thamer 2007. Meinertz 1956, S. 61. Hegel 1966, S. 467. Michael Schmaus (1897–1993), 1922 Priesterweihe, 1924 Dr. theol., 1928 Habilitation, 1929–1933 außerordentlicher Professor für Dogmatik in Prag, 1933–1946 Professor für Dogmatik in Münster, 1946–1965 Professor für Dogmatik in München; Eder 1995, Heinzmann 1994, Bokel 2006. Ursprünglich sollte die Professur durch Prof. Strucker beziehungsweise Privatdozent Dr. Jüssen besetzt werden, die jedoch ablehnten. Neben Schmaus stand auf dem ersten Listenplatz der in Breslau lehrende Bernhard Poschmann und an dritter Stelle der in Regensburg tätige Albert Lang. Befürwortende Gutachten zu Schmaus gingen von Martin Grabmann (Dogmatiker in München), Karl Adam (Dogmatiker in Tübingen) und Karl Eschweiler (Dogmatiker in Braunsberg/Ostpreußen) ein. GStA, I. HA Rep 76 Va Sekt. 13 Tit. IV Nr. 1 Bd. 8, Steffes an Ministerium, 14.1.1933, Bl. 93–96; UAMs, Bestand 22, Nr. 6. Schmaus 1933. Vgl. auch die Reaktion in der Tagespresse: Artikel „Begegnungen zwischen katholischem Glauben und nationalsozialistischer Weltanschauung. Prof. Dr. Schmaus spricht vor der Fachschaft der kath. Theologen an der Universität Münster“, in: Münsterscher Anzeiger, 12.7.1933. Zur Reaktion/Rehabilitierung Schmaus’ nach 1945 im Zusammenhang mit seiner Berufung nach München: Archiv des Erzbistums München, Nachlass Faulhaber, 8557.

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kutierten Brückenschlag zwischen Katholischer Kirche und Nationalsozialismus in Münster versuchen.47 Auch das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933,48 wirkte sich – anders als vielleicht zu vermuten – während der ersten Sondierungsphase der Universitätsleitung zunächst nicht auf die Fakultät aus; erst in der zweiten Jahreshälfte rückte der Name des renommierten Missionswissenschaftlers Joseph Schmidlin in den Fokus der entscheidenden Kreise.49 Die neue politische Konstellation brachte der Fakultät vielmehr durch die Verdrängung zweier Lehrender aus ihren bisherigen Wirkungsbereichen vorübergehend einen Zuwachs: 1. Der ehemalige Zentrumsabgeordnete und Kirchengeschichtler Georg Schreiber, die „Schlüsselfigur in der Kulturpolitik auf Reichsebene“ und „Arbeitsbiene des Parlaments“,50 kehrte nach der Auflösung der Zentrumspartei wieder nach Münster zurück und kümmerte sich fortan im Rahmen der ihm verbliebenen Möglichkeiten um den weiteren Ausbau seiner 1927 gründeten „Forschungsstelle für Auslandsdeutschtum und Auslandskunde e.V.“ (ab 1930 „Deutsches Institut für Auslandskunde“)51 und seines noch im März 1933 gegründeten „Deutschen Instituts für Volkskunde e.V.“;52 2. musste Heinrich Weber53 am 1. November 1933 aufgrund § 5 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums seine Versetzung als Professor für christliche Gesellschaftslehre an die Katholische Fakultät beantragen,54 wobei ihm „ausdrücklich bescheinigt 47

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Der Vortrag war im Jahr 1933 die erste öffentliche Aktion der Fakultät in Richtung Nationalsozialismus. Die im Mai durchgeführte Bücherverbrennung wurde von der Fakultät boykottiert; Thamer 2008. Vgl. Beitrag von Rainer Pöppinghege in diesem Band. Reichsgesetzblatt 1933 I, S. 175–177. UAMs, Bestand 9, Nr. 863. Morsey 1981/82. Vgl. Morsey 1957, S. 16, Morsey 1981/82, S. 139f. Binnen weniger Jahre publizierte Schreiber hier Dutzende Schriften zur Kulturgeschichte der Deutschen im Ausland, so alleine 65 Bände zwischen 1926 bis 1938 in seiner Reihe „Deutschtum und Ausland. Studien zum Auslandsdeutschtum und zur Kulturpolitik“. Archiv des Instituts für religiöse Volkskunde (Münster), Mitteilungen des Deutschen Instituts für Volkskunde 1.8.1933. Die genannten Institute wurden Anfang 1939 durch die Gestapo Münsters auf Weisung von Reinhard Heydrich und Heinrich Himmler aufgelöst. Nach längeren Streitigkeiten um den Verbleib der Bestände wurde die Bibliothek „des Instituts für Volkskunde der Universität Münster“ und die „des Instituts für Auslandskunde hingegen der Auslandswissenschaftlichen Fakultät der Universität Berlin“ einverleibt; Morsey 2004, S. 73, S. 88, S. 92. Heinrich Weber (1888–1946), 1912 Priesterweihe, 1919 Dr. rer. pol., 1921 Habilitation, 1922 Dr. theol., 1922 Professor für christliche Gesellschaftslehre in Münster, 1922–1933 Lehrauftrag an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät, 1935–1945 Professor für Caritaswissenschaften in Breslau; Hegel 1971, S. 96f. Zur theologischen Auseinandersetzung Webers mit dem Nationalsozialismus: Hermanns 1998. GStA, I. HA Rep. 76 Kultusministerium Va Sekt. 13 Tit. IV Nr. 1 Bd. 8, Dekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät an Weber, 18.7.1933, Bl. 109; Hegel 1966, S. 446–449.

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[wurde, dass] diese Versetzung ‚lediglich und ausschließlich eine Konsequenz der politischen Gleichschaltung‘“ sei.55 Weber, der darauf bedacht war, dass „dieser Übertritt in allen Ehren“56 geschah, gehörte seit 1922 zur Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät, wo er ab 1925 Direktor des Instituts für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften sowie des Seminars für Arbeitsvermittlung und Berufsberatung war. Er zählte seinerzeit zu den bedeutendsten Sozialwissenschaftlern und war neben seinen universitären Tätigkeiten (unter anderem im Förderausschuss des Studentenwerks Münster e.V.) zugleich Vorsitzender der Finanzkommission des Deutschen Caritasverbands und nicht zuletzt Caritasdirektor des Bistums Münster. 1934 kam es zu spürbareren Eingriffen in den Fakultätsbetrieb, nachdem am 30. April die Emeritierung und am 14. Juli die Pensionierung Schmidlins nach § 6 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums erfolgte, um ihm nach Aussage des amtierenden Rektors der Universität „jede Möglichkeit zur Einwirkung auf die Studenten abzuschneiden“.57 Die Entscheidung lag darin begründet, dass sich Schmidlin angeblich vor Publikum über die „Berliner Saubande“ ausgelassen, das „Konkordat als Verbrechen“ bezeichnet und in seinen Lehrveranstaltungen den „Deutschen Gruß“ verweigert haben soll. Ferner wurde ihm vorgeworfen, während des besagten Vortrags seines Kollegen Schmaus „wiederholt ablehnende Gesten“ gemacht und den Vortrag selbst als „ein volles Fiasko“ bezeichnet zu haben.58 Diese Kette von Ereignissen führte zum Einzug seines Reisepasses, mehreren Verhandlungen und zu Befragungen von Kollegen, bis Schmidlin seine vorzeitige Emeritierung anbot.59 Als diese binnen weniger Tage angenommen und wenig später in eine Pensionierung umgewandelt wurde, reagierte der eigenwillige Charakterkopf Schmidlin mit Protest. Entrüstet schrieb er an den damals zuständigen Minister Rust, dass er „parteipolitisch […] nicht auf nationalsozialistischen Boden stehe“, jedoch für ihn in dieser Entscheidung Berlins die „Ironie und Bitterkeit darin liegt, daß ausgerechnet das nationalste Mitglied unserer Fakultät abgesägt werden soll, bloß weil ich eine innere Einstellung, die ich nicht besitze, zu heucheln verschmähe und nicht etwa […] wie andere Kollegen […] es eben verstehen, sich als wahre Amphibien oder Chamäleons ebenso geschickt wie charakterlos umzustellen.“60

Ob sich an dieser Stelle – wie Hegel es festhielt – „psychopathische Wurzeln“ und die ersten „Zweifel an der Geistesverfassung“ Schmidlins zeigten, mag der Ver-

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Hermanns 1998, S. 53. GStA, I HA Rep 76 Kultusministerium Va Sekt. 13 Tit. IV Nr. 1 Bd. 8, Rektor an Ministerium, 8.7.1933, Bl. 108. UAMs, Bestand 10, Nr. 1, Naendrup an Oberstaatsanwaltschaft, 5.8.1934. GStA, Rep. 78, Va 18 Tit. 4, IV Abt. No 1, Staatspolizeiamt Berlin, 3.5.1934, Bl. 21. Ebd., Schmidlin an Ministerium, 22.3.1934, Bl. 18, und Ministerium an Schmidlin, 6.4.1934, Bl. 19. Ebd., Schmidlin an Ministerium.

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fasser nicht zu beurteilen.61 Auch wenn Schmidlin, der sich selbst als „rau-grob oder sanguinisch-temperamentvoll“ bezeichnete,62 vom damaligen Dekan Schneider als „entfant terribile“ und „sans facon“63 charakterisiert wurde, bleibt festzuhalten, dass er wie kaum eine andere Persönlichkeit der Fakultät offen seine Meinung vertrat und deutlichst in seinen Schriften Stellung gegen das so genannte Neuheidentum bezog.64 Seine – aus heutiger Perspektive erstaunlich klare – Einschätzung zur Lage der Katholischen Kirche im „Dritten Reich“ enthielt er im Jahre 1935 selbst Papst Pius XI. nicht, wie aus einem in Rom archivierten Schreiben hervorgeht: „Die geradezu diabolischen und hasstrotzenden antichristlichen Angriffe und Hetzreden, die sich in letzter Zeit von offizieller deutscher Seite häufen, werden Ew. Heiligkeit nicht mehr darüber im Zweifel lassen, das von nationalsozialistischen und neuheidnischen Lager her alles zum Kampf drängt. […] Weiter wird gefragt, warum man nicht statt der bloßen Reden auch einmal zum unzweideutigen Handeln schreitet, z.B. durch Kündigung des Konkordats, das ja ohnehin schon hundert Mal gebrochen ist. Wie viel ist uns schon dadurch verloren gegangen, vorab in der Jugend und Laienwelt, ohne dass wir es je wieder zurückerobern. Welchen Schaden muß uns auch fernerhin diese faule Friedenspolitik zufügen, in dem sie unsere Feinde einschläfert und unsere Feinde ermutigt. […] Das ist es ja, was die Katholiken einschüchtert und was die Kirchenfeinde uns entgegenhalten, dass Rom und der Episkopat mit ihnen immer wieder praktiziert und wir in unserem Ringen ohne Führer sind. Wie kann auch die Kurie den Bischöfen vorwerfen, daß sie zu viel nachgeben und nicht hinreichend die katholischen Interessen verteidigen, wenn sie selbst darin mit dem übelsten Beispiel vorangeht? Als Papsthistoriker darf ich wohl behaupten, daß die Geschichte dereinst über dieses Versagen (um nicht mehr zu sagen) sehr scharf urteilen wird. Ich weiß wohl, daß man im Vatikan diese freimütige Sprache nicht liebt, sie mir niemals verzeihen wird. Aber ich will ja für meine Person nichts erreichen, sondern nur der Wahrheit und der Sache dienen, selbst um den Preis der eigenen Missliebigkeit. Falls nun ohnehin ein tatkräftiger Abwehrkurs einsetzt, soll es mir umso lieber sein; wenn man aber alle Warnungen in den Wind schlägt und sich lieber mit dem Teufel abfinden will, dann habe ich wenigstens alles dagegen versucht und mein Gewissen entlastet.“65

Schmidlin blieb noch bis 1936 in Münster und zog dann nach Neu-Breisach in das Elsass, bis er im Jahre 1941 verhaftet und kurze Zeit später in eine psychiatrische Anstalt eingewiesen wurde. Der Missionswissenschaftler starb Anfang 1944 im elsässischen Konzentrationslager Schirmeck.66 Nach der zwangsweisen Pensionierung Schmidlins zeigte sich für Münster zunehmend die Tendenz des Berliner Ministeriums, die Fakultät auf die so genannten klassischen Lehrstühle zu dezimieren. So sollte der Lehrstuhl für Missionswissen61 62 63 64 65 66

Hegel 1966, S. 480. Josef Schmidlin 1927, Meinertz 1956, S. 41. GStA, Rep. 78, Va 18 Tit. 4, IV Abt. No 1, Protokollaussage Dekan Schneider, 22.9.1934, Bl. 14f. Schmidlin 1934, Schmidlin 1935. Geheimarchiv des Vatikans, ASV, AA.EE.SS., Germania Pos. 686 P.O. Fasc 254, Schmidlin an Papst Pius XI., 5.8.1935, Bl. 65–67. Dörmann 1995.

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schaft unbesetzt bleiben, obgleich der Universitätskurator schon am 28. April 1934, also zwei Tage nach Schmidlins Entlassung, den Dekan Schneider aufforderte, Vorschläge für die Nachfolge Schmidlins einzureichen.67 Die Bemühungen Schneiders, der sich in den folgenden Monaten für eine zügige Neubesetzung aussprach, da ansonsten mit dem Lehrstuhl ein „Hauptmittel der Propaganda für das Deutschtum aus der Hand ge[ge]ben“68 würde, gingen allerdings ins Leere. Auch nachdem sich der damalige Rektor in Berlin für eine Neubesetzung stark machte, da seiner Ansicht nach „nur so […] auch für unseren heutigen Staat die Möglichkeit im Sinne des Nationalsozialismus“ bestand, „auf die Weltanschauung der zukünftigen katholisch deutschen Missionare einwirken zu können“,69 blieb der Lehrstuhl vakant – vielleicht aufgrund des Votums des NSDAP-Mitglieds und Theologen Karl Eschweiler aus Braunsberg, nach dem „diese Wiederbesetzung nicht ratsam sei im Staatsinteresse“.70 Immerhin wurde das Fach in den folgenden Jahren nicht gänzlich aus dem Lehrplan gestrichen, sondern durch Max Bierbaum vertreten, wobei das Ministerium durch diesen Schritt lediglich nach außen „den Eindruck zu verhindern [suchte], als ob bei der Beseitigung für Missionswissenschaft in Münster ‚neuheidnische‘ Gedankengänge mitgespielt hätten“.71 Im Juni 1935 wurde der Lehrauftrag Bierbaums „für Missionsrecht und […] das Recht der europäischen Minderheiten“ um die Bereiche „Missionstheorie und Missionskunde“ ergänzt. Es ist das Verdienst Bierbaums, dass der missionswissenschaftliche Lehrbetrieb, das damals noch existierende Institut für missionswissenschaftliche Forschungen und die Zeitschrift für Missionswissenschaft und Religionswissenschaft vorerst noch weiter bestehen konnten. Umfassendere Veränderungen bescherte der Fakultät das Jahr 1935, da Stellen und Extraordinariate abgegeben werden mussten. So wurde das Extraordinariat für Christliche Orientkunde unter anderer Umschreibung in die Philosophische Fakultät verlegt und dem bisherigen Inhaber Adolf Rücker72 der Lehrstuhl für Alte Kirchengeschichte übertragen, während Johann Peter Steffes im gleichen Jahr die Leitung des 1922 gegründeten „Deutschen Instituts für wissenschaftliche Pädagogik“ abgeben musste.73 Ferner es kam aufgrund der regulären Emeritierungen des 67

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Von der Fakultät wurden für die Wiederbesetzung des Lehrstuhls von Schmidlin folgende Personen vorgeschlagen: Max Bierbaum, Dr. Karl Pieper aus Paderborn und Thomas Ohm OSB aus Salzburg; UAMs, Bestand 22, Nr. 6, Schneider an Ministerium, 27.7.1934. BAB, R 4901, Nr. 14894, Schneider an Ministerium, 9.12.1934, Bl. 3. Ebd., Naendrup an Rust, 12.12.1934, Bl. 1. Ebd., Eschweiler an Ministerium, 15.1.1935, Bl. 14. Ebd., Gutachten ohne Verfasserangabe, Bl. 24–28, hier Bl. 25f. Adolf Rücker (1880–1948), 1902–1906 Studium in Breslau, 1906 Priesterweihe, 1908 Dr. phil., 1910 Dr. theol., 1911 Habilitation, 1923–1948 Professor in Münster; Hegel 1971, S. 72. Hegel 1966, S. 464. Über die Katholische Pädagogik am Deutschen Institut für wissenschaftliche Pädagogik in Münster zwischen 1922 und 1980 entsteht zurzeit eine Doktor-

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Pastoraltheologen Richard Stapper und des Alttestamentlers Wilhelm Engelkemper74 wie auch durch das „Gesetz über die Entpflichtung und Versetzung von Hochschullehrern aus Anlass des Neuaufbaus des deutschen Hochschulwesens“ vom 21. Januar 193575 zu personellen Fluktuationen infolge der Zwangsversetzungen des Kirchengeschichtlers Schreiber am 2. April 1935 nach Braunsberg und der des Sozialwissenschaftlers Weber zum 1. Oktober nach Breslau. Während Schreiber aus gesundheitlichen Gründen in Münster blieb und auf die weitere Lehre durch eine vorzeitige Emeritierung verzichtete, übernahm Weber in Breslau als planmäßiger außerordentlicher Professor das Fach „Caritaswissenschaften“.76 Somit waren aus nationalsozialistischer Sicht zwei weit über die Fakultät bekannte und einflussreiche Persönlichkeiten des Münsterlandes ausgeschaltet. Der Lehrstuhl Webers sollte in den folgenden Jahren unbesetzt bleiben. Für Schreiber kam am 1. April der bis dahin in Braunsberg tätige Joseph Lortz nach Münster, dessen Lehrauftrag für „Missions- und allgemeine Kirchengeschichte“ vor dem Hintergrund des vakanten Schmidlin-Lehrstuhls bereits nach wenigen Wochen in „allgemeine Kirchengeschichte mit Berücksichtigung der Missionsgeschichte“ abgeändert wurde.77 Lortz, der im Jahr 1933 die Schrift „Katholischer Zugang zum Nationalsozialismus“78 verfasst hatte, war somit neben Mohler das zweite nachweisliche und bekennende NSDAP-Mitglied an der Fakultät.79 74 75 76 77

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arbeit von Herrn Markus Müller (Frankfurt a. M.). Wilhelm Engelkemper (1869–1939), 1891 Priesterweihe, 1897 Promotion, 1898 Habilitation, 1908–1934 Professor für Exegese des Alten Testaments in Münster; Tepper 2006. Reichsgesetzblatt 1935 I, S. 23. Gröger 1991, Hermanns 1998, S. 53–83. Damit folgte das Ministerium in Berlin dem Votum des Braunsberger Rektors Eschweiler, der bereits im Januar 1935 schrieb: „Die Schmidlin‘sche Professur kann und soll eingespart werden. Wenn das still gesehen soll, so möge die Erledigung des Herrn Prälaten Schreiber abgewartet werden, um dann dessen Nachfolger als Kirchenhistoriker ausdrücklich mit der Betreuung der Missionsgeschichte zu beauftragen.“; BAB, R 4901, Nr. 14894, Eschweiler an Ministerium, 15.1.1935, Bl. 4. Lortz 1933. So schrieb Lortz wenige Monate vor seinem Wechsel nach Münster am 20.9.1934 an den Reichsminister für Volksbildung: „Wie Ihnen gut bekannt ist, wurde gelegentlich in Braunsberg von gewissen unbelehrbaren Kreisen die böswillige Ansicht herumgetragen, bei den Braunsberger Professoren, die sich aktiv für den neuen Staat einsetzen, komme diese nationalsozialistische Haltung nicht aus innerer Ueberzeugung, sondern sie stamme aus irgendwelchem Strebertum […]. Professor sein heisst Bekenner sein. […] Ich kann für mein Teil nur mit Empörung Notiz nehmen von solcher Unterstellung […] und den törichten Verdacht mit Verachtung zurückweisen. Ich habe das ruhige Bewusstsein, meine nicht immer leichte Pflicht, und mehr als das, mit voller Hingabe und mit Herzblut geleistet zu haben und zu leisten. Und ich weiss, wie vielen ich den Weg zur positiven Mitarbeit am neuen Staat geebnet habe. Aber ich kann es nicht ungehindert zulassen, dass solche Gerüchte möglicherweise zu den mir vorgesetzten Stellen vordringen […]. Nun, meine Arbeit ist da, um für mich zu sprechen. Sie soll aussagen […]. Denn ich bin wohl

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Für den emeritierten Exegeten Wilhelm Engelkemper folgte der seit 1926 der Fakultät zugehörende Privatdozent Heinrich Kaupel80 auf den Lehrstuhl für Altes Testament.81 Im entsprechenden Gutachten des Dekans hieß über Kaupel, dass er „politisch […] nicht hervorgetreten“ war und zu Zeiten der Weimarer Republik „wie die meisten katholischen Geistlichen innerlich dem Zentrum angehörte“, jedoch „dem heutigen Staat gegenüber […] eine durchaus positive Haltung“ einnahm.82 Ähnlich urteilte der Kirchengeschichtler und Nationalsozialist Mohler über Kaupel, wonach dieser sich „im Zusammenhang mit dem nationalen Umschwung […] voll und ganz zur Bejahung des nationalsozialistischen Staates durchgerungen [habe], wenn er auch gemäß der früher geübten Zurückhaltung der NSDAP nicht beigetreten ist.“83 Im Gegensatz zum alttestamentlichen Lehrstuhl konnte für den emeritierten Pastoraltheologen Stapper kein regulärer Nachfolger mehr berufen werden.84 Zwar übernahm ab dem Wintersemester 1936/37 der Paderborner Theologe Joseph Höfer „einstweilen“ den verwaisten Lehrstuhl, Höfer erhielt jedoch nie die ordentliche Professur, da ihm staatlicherseits zunächst seine in Rom erlangte Promotion und dann die fehlende Habilitation vorgehalten wurden. Obgleich sowohl die Nostrifizierung der Promotion85 und die Habilitierung in der Katholisch-Theologischen Fakultät erreicht werden konnten, gelang es bis zur Ende 1939 erfolgten kurzfris-

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mit Recht der Meinung, dass es etwas anderes ist, sich Nationalsozialist zu nennen, und ein anderes in aller Oeffentlichkeit und dauernd und mit vollem Verantwortungsgefühl gegenüber den mannigfaltigen tiefsten Belangen in den riesigen Scheidungsprozess und Aufbaukampf der Gegenwart einzugreifen, ohne Rücksicht darauf, dass einem persönlich daraus von verschiedenen Seiten sehr unbequeme Feinde erwachsen. Ich habe meine Auffassungen nicht nur in Vorträgen, sondern auch, jederzeit nachprüfbar im Druck vertreten, sei es in meiner Broschüre ‚Katholischer Zugang zum Nationalsozialismus‘, die vor einigen Monaten mit einem wichtigen Nachtrag zur heutigen Lage in 3. Auflage erschien, sei es in einer grossen Reihe katholischer Zeitungen oder auch im offiziellen Organ der Partei in Hannover.“; GStA, I HA Rep. 76, Va Sekt. 13, Tit. IV Nr. 1 Bd. 8, Bl. 162f. Heinrich Kaupel (1890–1953), 1914 Priesterweihe, 1916–1924 Lehrer, 1921 Dr. theol., 1926 Habilitation, 1927–1935 Assistent in Münster, 1935–1953 Professor für alttestamentliche Exegese; Hegel 1971, S. 38. Seit 1933 versuchte die Fakultät regelmäßig, den Dozenten Kaupel zum außerordentlichen Professor zu ernennen, was jedoch seitens des Ministeriums stetig abgelehnt wurde. Vgl. beispielsweise UAMs, Zugang zu Bestand 22, Sitzungsprotokollbuch der Katholisch-Theologischen Fakultät 1909–1960, 16.2.1934. Neben Kaupel wurden vom Dekan Schneider an zweiter Stelle Bernhard Walde aus München/Dillingen und Hubert Junker aus Passau vorgeschlagen. BAB, R 4901, Nr. 14894, Schneider an Ministerium, 12.4.1935, Bl. 32ff.; Hegel 1966, S. 490. BAB, R 4901, Nr. 14894, Schneider an Ministerium, 12.4.1935, Bl. 32ff. UAMs, Bestand 23, Nr. 13, Bd. 1, Mohler an Walter, ohne Datum. Vorgeschlagen wurden der Präfekt des Theologenkonviktes in Paderborn Dr. Josef Höfer, Linus Bopp aus Freiburg und Johannes Ballof aus Köln. UAMs, Bestand 22, Nr. 6, Schneider an Ministerium, 17.12.1935. Vgl. zur Habilitationsordnung und den Problemen eines ausländischen Hochschulabschlusses auch Hegel 1966, S. 482–484.

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tigen Abberufung Höfers als theologischer Fachberater für die deutsche Botschaft beim Heiligen Stuhl in Rom nicht, ihn endgültig in Münster zu installieren. Inwieweit hierfür allerdings tatsächlich das Urteil des Reichserziehungsministeriums ausschlaggebend war, wonach es nicht gewährleistet erschien, dass Höfer „sich für den nationalsozialistischen Staat vorbehaltlos einsetzen“ würde, soll an späterer Stelle noch näher hinterfragt werden, nicht zuletzt, weil die Aktenlage ein durchaus doppeldeutiges Bild der Person Höfer zulässt. Nach dem Ausscheiden Höfers folgte Mitte 1940 Professor Joseph Pascher aus München aufgrund der Zwangsschließung der dortigen Fakultät nach Münster.86 Die Einflussnahme des Reichswissenschaftsministeriums beschränkte sich jedoch nicht nur auf die Besetzung und Beschneidung der Lehrstühle; auch dem akademischen Nachwuchs wurde es – wie im Falle Höfer angedeutet – zunehmend schwerer gemacht, die staatliche Lehrbefugnis zu behalten87 beziehungsweise überhaupt erst zu erlangen. So wurde durch die Reichshabilitationsordnung vom 10. Oktober 1934 und deren Neufassung vom 17. Februar 1939 die „verfahrensmäßige Trennung von Habilitation“ und der ihr nachfolgende „Erwerb der Lehrbefugnis“ durchgesetzt, um auf diese Weise den „gesuchten, ebenso fähigen wie linientreuen Hochschullehrernachwuchs“ zu sichern.88 Habilitanden mussten fortan einen an einer deutschen Universität erlangten Doktortitel vorweisen und einem deutschen Bistum zugehören, was dazu führte, dass Ausländer, „Ordensleute und im Ausland, besonders in Rom, promovierte von der Habilitation ausgeschlossen“89 waren. Nach Änderung der Habilitationsordnung habilitierten sich an der Fakultät zwischen 1939 und 1944 insgesamt fünf Theologen,90 von denen lediglich der Kirchenrechtler Klaus Mörsdorf die venia legendi erhielt.

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UAMs, Zugang zu Bestand 22, Sitzungsprotokollbuch der Katholisch-Theologischen Fakultät 1909–1960, 8.5.1940. Zur Schließung der Fakultät in München: Weitlauff 2007. So wurde beispielsweise im Jahr 1937 sowohl dem Dozenten Quasten als auch Hölker die Lehrbefügnis entzogen. Quasten, der die Assistentenstelle am 13.8. und die venia legendi am 14.9.1937 verlor, ging zunächst auf Vermittlung Bischofs von Galen nach Rom. Mit Hilfe der Kardinäle Pacelli und Marcati wechselte Quasten 1938 an die Catholic University of America (Washington D.C.), wo er „zum 1.10.1938 eine (außerordentliche, 1941 ordentliche) Professur für Alte KG, Patrologie u. Christliche Archäologie“ bekam; Borengässer 1999, Hegel 1966, S. 497. Weitzel 2007, S. 51. Mussinghoff 1979, S. 369. Ausnahmen konnte der Reichswissenschaftsminister genehmigen, der über jede Habilitation informiert werden musste; Weitzel 2007, S. 51. Klaus Mörsdorf habilitierte sich am 15. November 1939 mit dem Thema „Die kirchliche Verwaltungsgerichtsbarkeit“, Alfons Hufnagel am 3. Mai 1940 mit dem Thema „Zur Entwicklung des thomistischen Erkenntnisbegriffs im Anschluss an das Correctorium ‚Quaere‘“, Franz Ranft am 10. Juni 1940 mit dem Thema „Das katholisch-protestantische Problem: Stadtpfarrer Ernst Franz August Münzenberger von Frankfurt a. M. (1870– 1890) und die Glaubenseinheit“, Hermann Volk am 20. März 1943 mit dem Thema „Emil Brunners Lehre von der Sünde“ und Joseph Bieker am 1. August 1944 mit dem Thema

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In den Kriegsjahren kamen weitere Veränderungen und Beschränkungen auf die Fakultät zu, die zwar nicht zur ursprünglich bis zum Wintersemester 1939/40 geplanten Zusammenlegung der Münsterschen und Bonner Fakultät91 führten, sich aber nahtlos in die vorangegangenen Beschränkungen einfügten. Als direkte Folge des Kriegsausbruchs musste zunächst im Wintersemester 1939/40 kurzfristig der Lehrbetrieb eingestellt werden.92 Ferner wurde 1941 die „Zeitschrift für Missionswissenschaft und Religionswissenschaft“ verboten; zwei Jahre später folgte die Umfangsbeschränkung der renommierten „Theologischen Revue“, deren Erscheinen infolge der Kriegswirren 1944 letztlich ganz eingestellt werden musste. Zudem zeichnete sich in den Kriegsjahren der bereits eingeschlagene Weg des Wissenschaftsministeriums immer deutlicher ab, nämlich „die Tätigkeit der katholisch-theologischen Fakultät möglichst auf das Gebiet der klassischen theologischen Professuren zu beschränken und in neuerer Zeit hinzugekommene Lehrstühle oder Lehraufträge wieder einzuziehen oder in andere Fakultäten zu verlegen“93 und die Einflussmöglichkeit von Theologen in anderen Fachbereichen endgültig auszuschalten. Konkret wurde der Lehrauftrag für spätrömische Archäologie aus dem Bereich der Alten Kirchengeschichte in die Philosophische Fakultät verlegt, während 1942 die bisher an der Philosophischen Fakultät bestehende und traditionell von einem Theologen besetzte Professur für scholastische Philosophie – die nach dem Tode von Peter Wust94 im Jahr 1940 Hans Pfeil95 übernahm – in die Katholisch-Theologische Fakultät übergeleitet wurde.96 Im Wintersemester 1942/43 wurde ferner der Lehrauftrag von Steffes, der auf „Allgemeine Religionswissenschaft“ lautete, durch den Zusatz „im Rahmen der katholischen Theologie“ eingeengt und das Extraordinariat des 1942 emeritierten Dompredigers Adolf Donders sowie die Stelle des

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„Die theologische Anthropologie Jakob Böhmens“. UAMs, Zugang zu Bestand 22, Sitzungsprotokollbuch der Katholisch-Theologischen Fakultät 1909–1960. Vgl. hierzu Mussinghoff 1979, S. 371f. Zur geplanten Zusammenlegung katholischer Fakultäten: Burkard 2007, S. 72–82. Die Priesteramtskandidaten bis zum 6. Studiensemester wurden in diesen Monaten auf Weisung von Galens an die Bischöflichen Hochschulen Paderborn, Fulda und Eichstätt geschickt, sofern sie nicht eingezogen waren; BAM, Bestand Collegium Borromäum, A 32, Rundbrief Schmäing, 18.9.1939. Hegel 1966. Peter Wust (1884–1940), 1907 Studium der Philosophie, Germanistik und Anglistik, 1910 philologisches Staatsexamen, 1910–1930 Lehrer in Berlin, Neuß, Trier und Köln, 1914 Promotion in Bonn, ab 1930 ordentlicher Professor für Philosophie in Münster; Schüßler 1998. Hans Pfeil (1903–1997), 1922–1927 Studium der Philosophie, Psychologie und Theologie, 1926 Dr. phil, 1929 Priesterweihe, 1932 Habilitation für Philosophie, 1932 Professur in Würzburg, 1936 Dr. theol., 1940 Professur in Münster, 1947 Professur in Bamberg; Hegel 1971, S. 61f. UAMs, Zugang zu Bestand 22, Sitzungsprotokollbuch der Katholisch-Theologischen Fakultät 1909–1960, 19.11.1941; Hegel 1966, S. 492.

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im gleichen Jahr zum Domkapitular und Offizial des Bistums Münster ernannten Max Bierbaum nicht neu besetzt.97 Bierbaum musste sich vielmehr entscheiden, ob er Domkapitular werden oder an der Fakultät bleiben wolle, da das „neue Amt mit den Dienstverpflichtungen eines Professors nicht vereinbar sei“98 und man seitens der Universität befürchtete, dass mit Bierbaum als zweitem Domkapitular an der Fakultät der Einfluss der Diözese auf die Fakultät zu groß werden würde. Bierbaum entschied sich gegen seine Dozentur und wurde im April 1942 aus dem Beamtenstatus entlassen.99 Nicht zuletzt blieb die Stelle des Kirchenrechtlers und Dekans Egon Schneider nach dessen Tod Ende 1943 „mit Rücksicht auf die Neuplanung in den Theologischen Fakultäten nach dem Kriege“ vakant. Immerhin gelang es in diesem Fall, das Ministerium in Berlin dazu zu bewegen, dass das Fach Kirchenrecht durch den Schneider-Schüler Mörsdorf vertreten wurde.100 Nach 1942 wurde der Universitätsbetrieb durch den zunehmenden Luftkrieg erschwert. Insgesamt gingen auf die Stadt bis Ostern 1945 mehr als 100 Fliegerangriffe nieder, die die Altstadt zu fast 90 Prozent zerstörten. Im Herbst 1944 war der universitäre Alltag infolge der Kriegseinwirkungen soweit eingeschränkt, dass der neue Dekan Michael Schmaus auf Weisung des Rektors eine Verlagerung nach Eichstätt sondieren und „persönlich mit der dortigen Leitung in Fühlung treten“ sollte, um „für den gegebenen Fall […] etwas Raum [zu] sichern.“101 In welchem Umfang solche Gespräche stattgefunden haben, ist aufgrund fehlender Überlieferung nicht mehr rekonstruierbar. Letztlich waren in den ausgehenden Kriegsmonaten kaum noch Theologiestudenten vor Ort,102 da die überwiegende Anzahl mittlerweile zum Wehrdienst einberufen war,103 so dass der Fakultätsbetrieb nahezu ruhte und sich 97 98 99

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BAB, R 4901, Nr. 14894, Bl. 139ff.; Hegel 1966, S. 491f. Dekan an Kurator vom 15.11.1948, zitiert nach Lange 2009, S. 88. UAMs, Zugang zu Bestand 22, Sitzungsprotokollbuch der Katholisch-Theologischen Fakultät 1909–1960, 9.6.1942. Zu Bierbaums Ernennung als Domkapitular: Lange 2009, S. 87f. UAMs, Bestand 22, Nr. 7, Ministerium an Kurator, 6.11.1944. Nach dem Tod Schneiders schlug Dekan Schmaus folgende Personen für die Nachfolge vor: Johannes Vincke aus Freiburg, Klaus Mörsdorf aus Münster und Karl Hoffmann aus Bamberg. Ferner gab es noch ein Sondervotum von Lortz, der Josef Klein aus Köln benannte. UAMs, Zugang zu Bestand 22, Sitzungsprotokollbuch der Katholisch-Theologischen Fakultät 1909–1960, 14.2.1944. UAMs, Bestand 10, Nr. 6169, Rektor an Schmaus, 13.10.1944. Bereits am 9.3.1942 schrieb der damalige Direktor des Borromäums, „dass die Zahl der Professoren jetzt ungefähr der Zahl der Studenten gleichkommt. Selbst Herr Prof. Schmaus hat das Aud. Max. nicht mehr nötig, um die Zahl seiner Hörer unterzubringen.“ BAM, Bestand Collegium Borromäum, A 32. Zum Stichtag 15.8.1944 lag die Gesamtzahl der Theologen (Seminaristen und Studenten) der Diözese Münster bei 282, wovon 279 einberufen waren (98,9 %). Gefallen waren bis zu diesem Zeitpunkt insgesamt 50 Studenten der Theologie; BAB, R 5101, Nr. 21840, Commissariat der Fuld. Bischofskonferenz an Reichskirchenministerium, 18.8.1944.

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zwischen dem 1. August 1944 und dem 8. September 1945 auch keine Fakultätssitzungen mehr nachweisen lassen.104 Als Ostern 1945 die Amerikaner in die Stadt einrückten, befand sich seitens des Professoriums lediglich noch Joseph Pascher in Münster, der bis in die letzten Kriegstage als Luftschutzleiter der Universität für „die Bergung und Sicherstellung der Seminarbibliotheken und Einrichtungsgegenstände der Hörsäle“ sorgte, wofür er kurz vor Kriegsende „das Kriegsverdienstkreuz 2. Kl. und eine Ehrenurkunde der Universität“ erhielt.105

Bischof Clemens August von Galen und die Katholische Fakultät Durch die einleitend beschriebene konkordatär festgeschriebene Sonderstellung der Fakultät, stellt sich die Frage, inwieweit sich die Einflussnahme des damaligen Diözesanbischofs Clemens August von Galen auf den Lehrbetrieb und insbesondere auf die Theologiestudenten nachweisen lässt. Wenngleich die Quellenüberlieferung durch die kriegsbedingten Aktenverluste recht dünn ist, können doch einige Aussagen getroffen werden, die einen Eindruck von der Rolle des Bischofs im Zusammenhang mit dem Fachbereich geben. Bereits vier Wochen nach seiner im Oktober 1933 erfolgten Bischofsweihe nahm der zwischenzeitlich zum Ehrendoktor106 der Fakultät ernannte von Galen Stellung zu den von den Nationalsozialisten geforderten zusätzlichen Verpflichtungen der Studenten,107 indem er sich auf die im Konkordat ratifizierten sowie in der päpstlichen Instruktion „Deus scientiarium dominus“ festgelegten Studieninhalte und Studienorganisation berief. Näherhin wurde von ihm zwar die Teilnahme der Theologen an den vom Nationalsozialistischen deutschen Studentenbund und der Deutschen Studentenschaft vorgeschriebenen (Sport-)veranstaltungen – sofern sich diese mit dem Leben im Konvikt Borromäum vereinbaren ließen108 – zunächst auf

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UAMs, Zugang zu Bestand 22, Sitzungsprotokollbuch der Katholisch-Theologischen Fakultät 1909–1960. Entscheidungen wurden in dieser Zeit zwischen Schmaus und dem Senior der Fakultät Meinertz abgestimmt. Vgl. ebd., Niederschrift der Fakultätssitzung vom 27.10.1945. Ebd. Von Galen erhielt die Ehrendoktorwürde der Fakultät am Tage seiner Bischofsweihe am 28.10.1933. Neben von Galen erhielt zwischen 1933 und 1945 lediglich noch Luzian Pfleger 1936 die Ehrendoktorwürde. Im Zeitraum von 1918 bis 1933 wurden hingegen 18 Ehrenpromotionen verliehen; Hegel 1971, S. 211f. Vgl. zu den Auseinandersetzungen zwischen Vatikan und Reich zur Hochschulgesetzgebung und den kirchlichen Rechten und Freiheiten: Mussinghoff 1979, S. 374–388. In den ersten Studiensemestern waren dies bis zu 9 ½ Stunden in der Woche. Vgl. SchulteUmberg 1999, S. 442, und von Galen an SA-Hochschulamt der Universität Münster, in: Löffler 1996, Bd. 1, Nr. 25, S. 49–50, S. 49, Anm. 1.

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Widerruf „geduldet“,109 die Beteiligung am Wehrsport und „an der Schulungsarbeit der nationalsozialistisch gelenkten katholisch-theologischen Fachschaft“ wurden von Bischof von Galen jedoch ab 1934 untersagt.110 Im Rekurs auf die Vereinbarungen des Reichskonkordats hielt von Galen in diesem Zusammenhang fest, dass „eine Verpflichtung der Studenten der katholischen Theologie zur Teilnahme an einer ‚politischen Schulung‘ durch eine Katholisch-Theologische Fachschaft der Deutschen Studentenschaft nicht vorgesehen“ sei.111 Ebenso untersagte von Galen bereits im November 1933 die geplante geschlossene Überführung der Theologiestudenten in die SA, verbot deren Teilnahme an der für den 23. November 1933 angesetzten „Einweisung und Verpflichtung der Studentenschaft“ auf dem Sportplatz der Universität und übernahm hierfür vor der Universität die Verantwortung.112 In einer entsprechenden Begründung an Reichsminister Frick schrieb von Galen, dass er „als Bischof der Diözese Münster es vor Gott nicht verantworten [könne], dass die meiner Obhut und Leitung anvertrauten Theologiestudenten durch 109

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Von Galen an deutsche Bischöfe, 4.9.1934, in: Löffler 1996, Bd. 1, Nr. 67, S. 121–122, S. 121. In einem Rundbrief des damaligen Direktors des Borromäum vom 29.5.1933 heißt es hierzu: „Als neustes Fach ist jetzt für den jüngsten Kursus der Wehrsport hinzugekommen, an dem nach Erlaß des preußischen Kultusministers die ersten und zweiten Semester teilnehmen müssen. […] Man ist uns sehr weit entgegengekommen, war mit der Bildung einer eigenen Abteilung durch die Borromäer des jüngsten Jahrgangs einverstanden und legte die Übungszeiten entsprechend unserem Wunsche auf Montags und Donnerstags Nachmittag, jedesmal 1 ½ Stunden. Daher glaubte die Bischöfliche Behörde, gegen die Heranziehung zum Wehrsport in diesen maßvollen Grenzen keine Einwendungen erheben zu sollen.“; BAM, Bestand Collegium Borromäum, A 29. Schulte-Umberg 1999, S. 442f.; von Galen an Schmäing, 25.6.1934, in: Löffler 1996, Bd. 1, Nr. 51, S. 98. Als Ersatz für den Wehrsport wurde auf Anordnung des Bischofs zum Wintersemester 1934/35 ein verpflichtender Sanitätskurs eingerichtet, der in den Räumen der Chirurgischen Klinik von Dr. Blumesaat gehalten wurde und mit einem „Schlussexamen unter Zuziehung eines Beauftragten des Roten Kreuzes abzulegen“ war. BAM, Bestand Collegium Borromäum, A 57, von Galen an Schmäing, 2.11.1934. Von Galen an Katholisch-Theologische Reichsfachschaft, 7.9.1934, in: Löffler 1996, Bd. 1, Nr. 68, S. 122–123, S. 123. Spätestens ab 1936 genehmigte von Galen die Fachschaftsschulungen für Theologen, die allerdings anhand der Themenauswahl eher an eine Vertiefung des Theologiestudiums erinnern, jedoch vom „sprachlichen Duktus“ des Angebots nicht angreifbar waren. Als Themen der Arbeitsgemeinschaften wurden unter anderem angeboten: Religiöses Brauchtum in der westfälischen Landschaft, Werden und Entwicklung der germanischen Kirchenkunst, Die deutschen Elemente der mittelalterlichen Theologie, Lebensfragen des Studenten, Lebensfragen der Kirche, Praktische sportliche Betätigung, Heimatliches Volkslied, Der deutsche Chorsatz; BAM, Bestand Collegium Borromäum, A 55. Vgl. Bericht von Galen an Bertram, 25.11.1933, in: Löffler 1996, Bd. 1, Nr. 27, S. 53–55. In einem Brief Donders an Kardinal Faulhaber vom 12.12.1933 heißt es hierzu: „Wie erregt sind die Zeiten! Unser Epps hat die Forderung, alle Theol.-Stud. müßten jetzt S.A. werden, abgelehnt, indem er nach dem schriftlichen Ausweis oder Befehls des Obersten Führers fragte: den hatten diese unteren Stellen hier keineswegs“; Archiv des Erzbistums München, Nachlass Faulhaber, 3532.

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den ihnen seitens des SA-Hochschulamtes aufgezwungenen SA-Dienst aus ihrer wissenschaftlichen und vor allem aus ihrer religiösen, sittlichen und aszetischen Ausbildung ständig in untragbarer Weise herausgerissen werden.“113 Mit einer ähnlichen Argumentation konnte von Galen wenige Monate später bis 1936 die Befreiung der Theologiestudenten vom Arbeitsdienst erreichen, dessen halbjährige Ableistung „im Februar 1934 als Immatrikulationsvoraussetzung festgeschrieben“ worden war.114 Selbst in Fragen der Studentenschaft mischte sich von Galen ein, wie ein Beispiel Ende 1934 zeigt. Als durch den Führer der Münsterschen Studentenschaft Walter Hoffmann mit Georg Krüger ein neuer Führer der Katholisch-Theologischen Fachschaft eingesetzt wurde, traf sich der Bischof mit Krüger am 12. Dezember 1934 und riet diesem, von seinem Amt zurückzutreten.115 Nachdem dies nicht geschah, boykottierten die Theologen eine von Krüger angesetzte Vollversammlung der Fachschaft, was dazu führte, dass der Führer der Studentenschaft Hoffmann die katholischen Theologen in mehreren Aushängen als Saboteure und Meuterer bezichtigte, eine Demonstration vor dem Collegium Borromäum organisierte116 und fortan „jede Zusammenarbeit mit der katholisch-theologischen Fachschaft 113

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Von Galen an Frick, 18.12.1933, in: Löffler 1996, Bd. 1, Nr. 30, S. 60–61, S. 60. Die geplante Verpflichtung in die SA war für eine Katholisch-Theologische Fakultät singulär, wie die Nachfrage des Direktors des Borromäums bei den Leitern der Priesterseminaren von Breslau, München, Bonn, Würzburg und Freiburg ergab; BAM, Bestand Collegium Borromäum, A 55, Melcher an alle Seminardirektoren, 27.11.1933. Schulte-Umberg 1999, S. 443. Von Galen an Bertram, 29.1.1936, in: Löffler 1996, Bd. 1, Nr. 149, S. 149f.; 100 Jahre Bischöfliches Collegium Borromaeum 1954, S. 88. Nachdem die Theologen ab 1936 den Arbeitsdienst leisten mußten, wurden sie verpflichtet, Kontakt mit dem jeweiligen Pfarrer am Einsatzort aufzunehmen: „Innerhalb der ersten drei Wochen stellen Sie sich dem Hochw. Herrn Pfarrer am Orte Ihres Arbeitsdienstes als Theologe vor und bahnen so eine Fühlungnahme mit dem Herrn Pfarrer an. Nach Abschluss des Arbeitsdienstes müssen Sie von demselben ein verschlossenes Führungszeugnis beibringen, dass Sie Ihren religiösen Pflichten gewissenhaft nachgekommen sind und sich überhaupt als Theologe geführt haben.“; BAM, Bestand Collegium Borromäum, A  56, Rundbrief des Direktors Schmäing, ohne Datum. Im Gesprächsprotokoll des Bischofs vom 15.12.1934 heißt es: „Gegen ihn, Krüger, als Menschen Stellung zu nehmen, habe er keinen Grund; er wünsche ihm alles Gute. Als Fachschaftsleiter habe er ihn nicht berufen, könne er ihn also auch nicht absetzen, aber er wolle ihm offen sagen, daß er seine Berufung nicht für eine glückliche halten könne. Solange Krüger nicht einen Bischof habe, der ihn zum Studium der Theologie an die hiesige Universität schicke, könne man ihn nicht als Theologen im kirchlichen Sinne anerkennen […]. Man werde auch seine überraschende Berufung trotz mangelnder Vorbildung, kirchlich ungeklärter Stellung, völliger Landfremdheit als eine unbillige Zurücksetzung zahlreicher älterer Semester mit voller Qualifikation empfinden. Er gebe ihm den Rat, möglichst sogleich von der Stellung als Leiter der theologischen Fachschaft zurückzutreten.“; BAM, Bestand Collegium Borromäum, A 55, Gesprächsnotiz von Galens an Schmäing, 15.12.1934. Vgl. 100 Jahre Bischöfliches Collegium Borromaeum 1954, S. 90.

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ab[lehnte], solange sie sich nicht bedingungslos der Forderungen der Studentenschaft unterwirft.“117 Überhaupt nahm von Galen einen entscheidenden Einfluss auf die Größe der Fakultät. Während sich ab Frühjahr 1934 die Beschränkung der Studentenzahlen mit dem Ziel, „politisch missliebige Studenten“ auszuschließen, auf sämtliche Fakultäten der Universität auswirkten und fortan neben dem Reifezeugnis noch „ein Zulassungsschein vom Schuldirektor ausgestellt“ werden musste, blieb „für die Zulassung zur Immatrikulation an der theologischen Fakultät […] allein die Annahme durch den Bischof hinreichend“.118 Nach längeren Auseinandersetzungen zwischen dem Bischof und dem Oberpräsidenten Ferdinand von Lüninck über die Zulassung von Theologiestudenten, konnte sich von Galen letztlich durchsetzen und erreichen, dass Reichsminister Rust am 13. April 1935 dem Universitätskurator mitteilte, dass „die Zahl der katholischen Theologiestudenten in Münster […] keinen Beschränkungen“ unterlag.119 Dies wirkte sich im Vergleich zu den anderen Fakultäten der Universität fortan erheblich auf die Studentenzahlen des Fachbereichs aus. Während im Sommersemester 1933 insgesamt 381 Studenten (bei 4.868 Studierenden an der Universität insgesamt) für das Fach eingeschrieben waren, wuchs die Anzahl der Theologen bis 1935 auf 548 (3.662 insgesamt) und erreichte zum Wintersemester 1937/38 mit 592 immatrikulierten Studierenden den Höchststand, bevor dann zwischen 1939 und 1945 die Zahlen auf 320 bis 400 eingeschriebene Theologen zurück gingen.120 Münster war damit neben Würzburg zu Kriegszeiten die größte Katholisch-Theologische Fakultät im Reich,121 wobei de facto ab 1940 die Mehrzahl der Studenten nicht mehr regulär studieren konnte, sondern im Feld 117

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BAM, Bestand Collegium Borromäum, A 55, Hoffmann an die Theologische Fachschaft, 14.12.1934. Hier auch der weitere Schriftverkehr in der Causa Krüger. Ob Krüger letztlich sein Amt räumen musste, konnte nicht verifiziert werden. Schulte-Umberg 1999, S. 444. Rust an von Galen, 13.4.1935, in: Löffler 1996, Bd. 1, Nr. 86, S. 185–186, S. 186, Anm. 1. Zum diesbezüglichen Schriftverkehr zwischen von Galen, von Lüninck, Schulte, Pacelli: Löffler 1996, Bd. 1, Nr. 73–75, S. 139–145; Nr. 81–82, S. 159–165. In der Stellungnahme des Kardinalstaatssekretärs Pacelli an von Galen zur Auswahl der Theologiestudenten hieß es: „Der Heilige Stuhl […] [empfiehlt], jeden Versuch der nachträglichen Ausweitung der konkordatlichen Bedingungen zurückzuweisen und die Freiheit der Kirche in Auswahl der Priesteramtskandidaten vor jeder Minderung zu schützen.“; Löffler 1996, Bd. 1, Nr. 82, S. 164–165, S. 165. Hegel 1971, S. 223. In der SD-Meldung aus dem Reich Nr. 291 vom 15.6.1942 heißt es zur Entwicklung des Theologiestudiums: „Die Entwicklung des Theologiestudiums an den deutschen Universitäten weist seit mehreren Jahren zahlenmäßig eine ständig rückläufige Bewegung auf […]. Ausnahmen hiervon machen die katholischen Fakultäten in Münster und Würzburg, deren Immatrikulationsziffern seit 1934 in ständigem Anwachsen begriffen waren und erst mit Kriegsbeginn eine Abnahme erfuhren, die aber keineswegs mit dem an den übrigen Universitäten erfolgten Rückgang der Studentenziffern Schritt hält“. Boberach 1971, Nr. 189, S. 681–684, S. 681 .

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stand, so dass von den rund 250 bis 300 Borromäern immer nur etwa 20 bis 50 vor Ort waren.122 In Bezug auf das Professorium hatte von Galen mit der festgeschriebenen „Nihil obstat“-Regelung „bis zu einem gewissen Grad […] auch über die Zusammensetzung des Lehrkörpers zu bestimmen“,123 da ohne die bischöfliche Zustimmung eigentlich keine Neuberufung durchgeführt werden konnte. So entbrannte im Falle der Berufung Heinrich Kaupels auf den Lehrstuhl für Altes Testament hinter den Kulissen ein längerer Streit zwischen dem Bischof und dem zuständigen Ministerium. Letzteres hatte mit der Begründung, dass Kaupel als Privatdozent bereits der Fakultät angehörte, nicht die im Preußenkonkordat vorgesehene Anfrage beim Ortsbischof eingereicht, wie es laut Konkordat eigentlich vorgesehen war.124 Obwohl von Galen gegen Kaupel „an sich Einwendungen nicht zu erheben“ hatte, untersagte er den Theologiestudenten bis zur Klärung der Situation den Besuch der Vorlesungen Kaupels.125 Erst nach langwierigen Verhandlungen zwischen der Nuntiatur und verschiedenen Reichsstellen konnte die Situation 1937 zufriedenstellend geklärt werden.126 Ähnlich verhielt sich von Galen 1940 im Zusammenhang der Versetzung Paschers nach Münster,127 während sich in den einsehbaren Akten keine Stellungsnahmen von Galens zu den Versetzungen Lortz‘, Webers,128 Schreibers und zur Emeritierung Schmidlins finden lassen. In welchem persönlichen Kontakt und Austausch der Bischof mit dem Professorium stand, ob er Einfluss auf die Lehre nahm oder in seiner Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus inhaltlich aus den Reihen der Fakultät unterstützt wurde, ist hingegen schwer rekonstruierbar.129 Grundsätzlich ist anzunehmen, dass 122 123 124

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Insgesamt fielen bis 1945 68 Theologen, 20 galten als vermisst. Vgl. 100 Jahre Bischöfliches Collegium Borromaeum 1954, S. 91, S. 110. Haering 2007, S. 36. Von Galen bezog sich hierbei auf die Bestimmungen des Reichskonkordates vom 20.7.1933, Artikel 19, und des preußischen Konkordates vom 14.6.1929, Artikel 12 nebst Schlussprotokoll; BAB, R 4901, Nr. 14894, von Galen an Rust, 12.11.1935, Bl. 42. Geheimarchiv des Vatikans, ASV, AA.EE.SS., Germania, Pos. 631, Fasc. 148, von Galen an Orsenigo, 12.11.1935, Bl. 39. Vgl. hierzu den entsprechenden Schriftwechsel im vatikanischen Geheimarchiv ASV, AA.EE.SS., Germania, Pos. 631, Fasc. 148 und im BAB, R 4901, Nr. 14894. Pascher 1966, S. 63. Aus Anerkennung der „caritativen, pastoralen und theologischen Verdienste hat sich Bischof von Galen beim Apostolischen Stuhl dafür eingesetzt, dass Weber zum Päpstlichen Hausprälaten ernannt wurde.“ Hermanns 1998, S. 57. In einem Erlebnisbericht des Bonner Prof. Wilhelm Neuß, in dem die Zustimmung von Galen zum Druck der Studien zum Mythus des XX. Jahrhunderts am 15.10.1934 beschrieben wird, findet sich zumindest folgender Hinweis darauf, dass sich von Galen ein größeres Engagement gewünscht hätte: „Mit wenigen Worten erklärte ich ihm den Sinn unseres frühen Besuchs und bat ihn, das Werk […] amtlich zu publizieren. ‚Ja, das ist mal gut […] so rührt sich endlich auch die theologische Fakultät. Ich habe schon tüchtig auf die Professoren geschimpft: warum tun sie nichts und schweigen? Jetzt nehme ich alles zurück.“; Erlebnisbericht Neuß, in: Löffler 1996, Bd. 1, Nr. 70, S. 130–133, S. 133.

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von Galen mit den Fakultätsmitgliedern Bierbaum, Diekamp, Donders, Engelkemper, Quasten, Stapper, Struker und Weber schon aufgrund deren Zugehörigkeit zum Diözesanklerus in einem engeren Kontakt stand. Es finden sich auch Hinweise, dass Schmaus130 und der Moraltheologe Tischleder131 bei der Ausarbeitung von Hirtenworten des Bischofs geholfen haben sollen. Mit Sicherheit darf jedoch ein enger Gedankenaustausch zwischen von Galen und Adolf Donders vermutet werden, zumal neuere Quellenfunde im Geheimarchiv des Vatikans wie auch im Archiv des Erzbistums München-Freising belegen, welche Rolle Donders nicht nur auf Diözesanebene spielte. Er war mehrmals Favorit für das Bischofsamt, sorgte mit seinem Verzicht auf den Bischofsstuhl von Münster letztlich für die Wahl von Galens132 und war als Dompropst, Domprediger und Domkapitular in einer entscheidenden Schlüsselposition zwischen Diözese und Fakultät. Als herausragender Theologe beriet er nicht nur regelmäßig seinen alten Weggefährten Kardinal Michael von Faulhaber in München,133 sondern berei130

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So schrieb der damalige Anwalt von Schmaus im Jahre 1947: „Mit dem Bischof von Münster, Graf von Galen, stand Herr Dr. Schmaus all die Jahre hindurch in einem regen freundschaftlichen Gedanken- und Meinungsaustausch. Im Jahre 1934 hatte er nach einer Besprechung mit dem Bischof dank seiner umfassenden theologischen dogmatischen Kenntnisse den Entwurf für einen Hirtenbrief gegen den nationalsoz. Mythos verfasst, der dann vom Bischof mit geringfügigen Änderungen übernommen wurde. Dieser Hirtenbrief ließ in Bezug auf die Ausdrucksformen, verschiedene Wendungen allen Hörern der Vorlesungen des Herrn Dr. Schmaus ohne weiteres dessen Eigenart und damit seine geistige Urheberschaft an diesem Brief erkennen. Aus der Diktion des heute noch vorhandenen Hirtenbriefes kann unschwer durch einen Vergleich mit den übrigen Schriften des Herrn Dr. Schmaus seine Urheberschaft einwandfrei festgestellt werden. Ebenso hat Herr Dr. Schmaus auf Wunsch des Bischofs dem Kirchenamtsblatt der Diözese laufend Material für eine sachkundige Widerlegung nationalsoz. Irrlehren zur Verfügung gestellt. Auch diese Tatsache lässt sich durch eine Überprüfung des Amtsblattes ohne weiteres nachweisen. Für eine Firmungsreise des Bischofs hat Herr Dr. Schmaus auf dessen Wunsch eine Predigtskizze verfasst, deren Inhalt und Zweck ebenfalls darauf abgestellt war, als Predigt gegen nationalsoz. Irrlehren verwendet zu werden.“ Archiv des Erzbistums München, Nachlass Faulhaber, 8557, Adam an Spruchkammer Rosenheim, 25.3.1947. Peter Tischleder (1891–1947), 1914 Priesterweihe in Mainz, 1919 zum Studium bei Mausbach in Münster beurlaubt, 1920 Dr. theol., 1922 Habilitation für Moraltheologie und Sozialethik in Münster, 1928 nichtbeamteter außerordentlicher Professor und 1931 Professor für Moraltheologie in Münster, 1946 Professor für Sozialethik in Mainz. Zu Tischleder, seiner Theologie und seiner Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus: Fleck 1998, Fleck 2011, Walter 2001. Zu seinem Verhältnis zu von Galen: ebd., S. 339–341, Fleck 2011, S. 118f. Zum Themenfeld Donders als Bischofskandidat: Flammer 2004, Flammer 2006. Donders war nachweislich an der Entstehung der berühmten vier Adventspredigten sowie der Sylvesterpredigt beteiligt, die der Kardinal Ende 1933 in München hielt und in denen klar Stellung zum Alten Testament genommen wurde. Vgl. den Briefwechsel zwischen Donders und Faulhaber, in: Archiv des Erzbistums München, Nachlass Faulhaber, 3532. Die Predigten sind zu finden in: Faulhaber 1934.

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tete auch gemeinsame Hirtenbriefe des deutschen Episkopats vor.134 Bereits im Mai 1934 charakterisierte Donders von Galen als „recht mutig u. kernig“ und stand dem Bischof nach eigenen Aussagen „treu zur Seite!“135 Es gibt Hinweise, dass Donders bis 1943 inhaltlichen Einfluss auf Predigten von Galens genommen hat136 und umgekehrt Anliegen von Galens in seinen Predigten aufnahm.137

Die Professoren und ihre Stellung zum Nationalsozialismus Eduard Hegel beschrieb die Stellung der Katholischen Fakultät zum Nationalsozialismus wie folgt: „Im ersten Jahr der nationalsozialistischen Herrschaft, als die NSDAP noch den Anschein zu erwecken wußte, als sei ihr Programm einer christlichen Deutung fähig, und als auch der deutsche Episkopat und die römische Kurie durch den Abschluß des Reichskonkordats einer solchen Deutung Vorschub leisteten, hatten zwei Mitglieder der katholischtheologischen Fakultät, Schmaus und Lortz, einen katholischen Zugang zum Nationalsozialismus versucht. Dieser Versuch hatte freilich nur solange Sinn, als die nationalsozialistische Führung mit ihren anstößigen Lehren zurückhielt. Sobald dies als Taktik erkannt wurde und die wahren Absichten des Nationalsozialismus nicht mehr zu verschleiern waren, wurde der Versuch aufgegeben. Gerade die Genannten erwiesen sich alsbald als Kräfte des geistigen Widerstandes. Auch Nichttheologen besuchten Vorlesungen der katholischen Fakultät, besonders die von Lortz und Schmaus. Professoren der Fakultät stellten sich der Studentenseelsorge durch Arbeitsgemeinschaften und Vorträge zur Verfügung, so dass die Geheime Staatspolizei geradezu von einer katholischen Bewegung sprach und Medizinern der Studentenkompanie mit der Versetzung ins Feld drohte, wenn sie weiterhin mit den Theologieprofessoren zusammenarbeiteten.“138

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Beispielsweise den am 7.6.1934 verfassten Hirtenbrief der Bischöfe Deutschlands, der Anfang Juli in allen Gemeinden Deutschlands verlesen werden sollte und wofür Donders den Dank Faulhabers übermittelt bekam: „Ebenso herzlichen Dank für die Mithilfe am Hirtenbrief“; Archiv des Erzbistums München, Nachlass Faulhaber, 3532, von Faulhaber an Donders, 31.7.1934. Abdruck des Hirtenbriefs: Stasiewski 1968, S. 704–715. Archiv des Erzbistums München, Nachlass Faulhaber, 3532, Donders an von Faulhaber, 31.5.1934. Hierzu die Aussagen Donders im Briefverkehr mit Faulhaber: Archiv des Erzbistums München, Nachlass Faulhaber, 3532; Walter 2001, S. 339–341, Mückshoff 1985, S. 222, Engemann 2004, S. 7. Donders blieb bis zu seinem Tod im Jahre 1944 Domprediger; nach der Ausbombung seiner Wohnung und dem Verlust fast sämtlicher Bücher und Manuskripte erlitt er im Februar 1944 einen Schlaganfall und verstarb im August 1944. Hierzu Schreiber: „An der Seite von Klemens August Graf von Galen stand der Dompropst Universitätsprofessor Dr. Adolf Donders in Münster. Der gefeierte Redner trat nicht selbst aktivistisch als Träger einer Widerstandszelle hervor. Aber der unerschrockene Prediger übertrug in seiner nicht minder freimütigen Sprache die Gedankenwelt des kämpferischen münsterischen Bischofs auf die Domkanzel.“; Schreiber 1949, S. 34. Hegel 1980, S. 265f.

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Folgt man Hegel, so war spätestens ab 1935 die grundsätzliche Haltung der Fakultät „eine stille, aber starke Gegenwirkung gegen den Nationalsozialismus“.139 In einem Gutachten des damaligen Rektors der Universität Karl Hugelmann an das Ministerium aus dem Jahre 1936 heißt es über die Situation der Fakultät nach der „Entfernung“ Schreibers, Webers und Schmidlins hingegen: „Es sei mir erlaubt, in diesem Zusammenhang zu bemerken, dass die Kath.-Theologische Fakultät in ihrem jetzigen Bestand im ganzen einen erfreulichen Eindruck macht. Prof. Lortz, welcher von Braunsberg zu Beginn des SS hierher berufen wurde, ist Pg. und seine theologische Richtung […] so bekannt, dass ich darüber wohl nichts hinzuzufügen brauche. Aber auch die übrigen Mitglieder des Lehrkörpers bis auf wenige Ausnahmen, bezüglich derer aber auch keinerlei Illoyalität vorliegt, stehen dem neuen Staat positiv gegenüber und wirken auch in diesem Sinne auf die jungen Theologen. Ganz besonders darf ich auf den Herrn Dekan Professor Schneider verweisen. Auch über Prof. Steffes habe ich mich schon geäussert. Besonders hoch schätze ich Prof. Schmaus, über den ich dem Herrn Referenten für die Kath.-Theologischen Fakultäten wiederholt berichtet habe […]. Über Dr. Quasten habe ich mich schon oben geäussert und bezüglich Dr. Jüssens habe ich von Herrn Dekan, der die Führung der Fakultät fest in der Hand hat, günstige Mitteilung erhalten.“140

Während die Stellung der Professoren Schmaus und Lortz zum Nationalsozialismus bereits in den vergangenen Jahren hinlänglich und teilweise kontrovers diskutiert wurde, zeigte die erneute Sichtung der Fakultätsüberlieferung, dass es noch weitere Angehörige des Fachbereichs gab, die sich teilweise offen zum Nationalsozialismus bekannten, ohne von Hegel erwähnt zu werden.141 Allen voran ist zunächst Ludwig Mohler zu nennen, der zwischen 1920 und 1933 den Kirchengeschichtler und Zentrumsabgeordneten Schreiber vertrat.142 Konkret trat Mohler im April 1933 in die NSDAP143 ein, wurde im gleichen Jahr Unterführer der Dozentenschaft der katholischen Fakultät und stand nach Ansicht des Universitätsführers der Dozentenschaft Walter Grävinghoff „voll auf dem Boden des Dritten Reichs“. Ihm sei es gelungen, „in dem schwierigen Milieu der hiesigen katholischen Fakultät die Mitglieder der Dozentenschaft für die Mitarbeit an den Aufgaben der Dozentenschaft zu gewinnen.“144 Auch im Rektorat der Westfälischen Wilhelms-Universität sowie im Wissenschaftsministerium galt Moh139 140

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Hegel 1966, S. 502. BAB, R 4901, Nr. 14894, Hugelmann an Ministerium, 16.1.1936, Bl. 54f. Zu Quasten heißt es hier, er sei „ein deutscher Mann voll heißer Liebe zum deutschen Volk und aufgeschlossenem Verständnisses für den nationalsozialistischen Staat und die Erfordernisse der Zeit. Ich möchte mir erlauben, die Aufmerksamkeit des Ministeriums ganz besonders auf diesen Mann zu lenken, der der grössten Förderung und Beachtung bei Besetzung von Lehrstühlen würdig wäre.“ Zu Schmaus: Gössmann 2004. Beckmann 1949. Mohlers Mitgliedskarte in der NSDAP war auf den 1.5.1933 ausgestellt (Mitgliedskarte 2.484.314); BAB, PK I 119. GStA, I. HA Rep. 76 Va Sekt. 13 Tit. IV Nr. 1, Bd. 8, Grävinghoff an REM, 20.3.1934, Bl. 145.

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ler als „national eingestellte[r] Professor“.145 Nach den vorliegenden Akten soll er „während der ganzen Nachkriegszeit ein erbitterter Gegner des Zentrums gewesen“ sein.146 Mohler pflegte stets einen guten Kontakt zu den Parteigenossen an der Universität und versorgte diese, wie im Falle Schmidlins, mit den notwendigen internen Informationen über die Fakultät. Bereits 1934 sollte sich dies für ihn auszahlen. Als in Würzburg ein Nachfolger für den emeritierten Kirchengeschichtler Sebastian Merkle gesucht wurde, setzte sich der Rektor Münsters nachdrücklich für Mohler ein und empfahl ihn dem Amtskollegen in Würzburg als „Mitglied der N.S.D.A.P. und überzeugter Nationalsozialist“. Mohler erschien als Garant dafür, dass der Nationalsozialismus in Würzburg „gerade auch in den katholisch-theologischen Fakultäten Fuß faßt.“147 Am 1. Juli 1935 wechselte Mohler schließlich nach Würzburg. Erstaunlich ist in diesem Zusammenhang die von Weiß erwähnte Aussage des damaligen Bischofs von Galen, der an seinen Amtsbruder Ehrenfried aus Würzburg auf dessen Erkundigungen im Rahmen des Nihil-obstat-Verfahrens Mohlers „über die vermutete Zugehörigkeit zur NSDAP […] keine Auskunft geben“ konnte.148 Ob dem so gewesen ist, lässt sich nach heutiger Quellenlage nicht rekonstruieren. Aufgrund der guten Kontakte zwischen Fakultät und Bischof von Galen dürfte letzterer jedoch sehr wohl im Bilde und wahrscheinlich froh über den Weggang Mohlers aus Münster gewesen sein. Mohler, der in Würzburg alsbald Dekan wurde, blieb nur zwei Jahr in der Mainstadt, bevor er im Herbst 1937 nach München und nach der Schließung der dortigen Fakultät ab 1939 bis zu seinem Tod im Jahre 1943 in Freiburg lehrte.149 Auch der Kirchenrechtler Egon Schneider, der von 1934 bis zu seinem Tod im November 1943 Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät war, erscheint vor der heutigen Aktenlage in einem neuen Licht. Wie im Falle des Parteimitglieds Mohler ging Hegel nur beiläufig auf den Kirchenrechtler ein. Hiernach verstand es Schneider, „während seiner fast zehnjährigen Amtstätigkeit als Dekan die Fakultät klug und besonnen durch die Fährnisse der nationalsozialistischen Zeit hindurch[zu]steuer[n].“150 Im Gegensatz zu Mohler war Schneider zwar bis Herbst 1931 Zentrumsmitglied, trat dann aus und war laut Personalbogen fortan parteilos.151 Universitätsintern genoss er „das Vertrauen der hiesigen nationalsoz. Amtsstellen […] und die 145 146 147

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UAMs, Bestand 4, Nr. 224, Mevius an Ministerium, 24.8.1937. UAMs, Bestand 10, Nr. 168, Mevius an Ministerium, 17.1.1939. UAMs, Bestand 5, Nr. 149, Naendrup an Rektor der Universität Würzburg Herwart Fischer, 5.8.1934; GStA, I. HA Rep. 76 Va Sekt. 13 Tit. IV Nr. 1, Bd. 8, Naendrup an Ministerium, 4.8.1934, Bl. 153. Weiß 2007, S. 296. Da man in Würzburg wohl keine definitive Gewissheit über die Parteizugehörigkeit Mohlers erhalten konnte, teile letztlich „Nuntius Orsenigo mit, dass der Hl. Stuhl keine Bedenken gegen Mohlers Kandidatur erhebe“. Ebd. Zu Mohlers Werdegang in München und Freiburg: Weitlauff 2007, Arnold 2007. Hegel 1966, S. 457. UAMs, Bestand 10, Nr. 384.

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des Dozentenvertreters“152 und zählte somit ebenfalls zu den „national eingestellten Professoren“. Er galt in Parteikreisen „in allen Fragen der Katholisch-theologischen Fakultät […] als zuverlässigster Berater“.153 Einen entsprechenden Eindruck vermitteln auch seine internen Gutachten über Kollegen. Hier ging Schneider stets deutlich auf deren politische Einstellung ein, und dies in einer Form, die über ein eventuelles politisches Kalkül zur Erleichterung ihrer Berufung hinausging. Als im Jahre 1936 die Übernahme der Professur für Kirchenrecht an der Katholisch-Theologischen Fakultät in München zur Debatte stand, charakterisierte der amtierende Rektor Hugelmann Schneider wir folgt: „Dass Professor Schneider ein tüchtiger Kanonist ist, brauche ich wohl kaum hervorzuheben, da er andernfalls sicher nicht als Nachfolger des bedeutendsten lebenden deutschen Kanonisten für München vorgeschlagen worden wäre. […] Er ist ein guter Lehrer, der in seltener Weise Kameradschaftlichkeit mit Wahrung der Autorität zu verbinden weiß. Als Dekan der Fakultät hat er Führereigenschaften in hohem Maße getätigt. Er geniesst das Vertrauen einerseits seiner Kollegen, anderseits das Vertrauen nicht nur des Rektors, sondern auch des Reichswissenschaftsministeriums in ungewöhnlichem Masse. Professor Schneider ist nicht PG., aber ein Mann von felsenfester nationaler Gesinnung. Er war im Kriege ein hervorragender Militärseelsorger an der Front und hat von dieser Zeit her die allerbesten und vertrauensvollsten Beziehungen zu Kreisen der Wehrmacht. Wenn auch nicht PG., so steht er der grossen deutschen Wende unserer Zeit doch mit Aufgeschlossenheit gegenüber und hat es verstanden, sich auch bei den höchsten Parteistellen des Gaues Westfalen-Nord ein grosses Vertrauen zu erwerben. Die Zusammenarbeit mit ihm ist geradezu ein Vergnügen. Er ist ein Charakter von seltener Festigkeit und dabei doch ein gütiger Mensch. Für unsere Universität würde sein Fortgang einen unersetzbaren Verlust bedeuten, und ich zweifle, ob das Reichswissenschaftsministerium, welches seine Unersetzbarkeit gerade an diesem Orte kennt, seine Berufung an eine andere Universität gerne sehen würde. Das einzige sachliche Bedenken, das ich nicht verschweigen möchte, ist die tiefe Verwurzelung des Prof. Schneider in seiner westfälischen Heimat, welche ihm bei seinem doch vorgerückten Alter eine Einwurzelung in ganz andere Verhältnisse etwas erschweren würde.“154

Nach Weitlauff bat Schneider letztlich erfolgreich in München und im zuständigen Reichsministerium darum, „von seiner Berufung Abstand zu nehmen“.155 Selbst in dem Rücktrittsgesuch des damaligen Rektors Hugelmann vom 4. Januar 1937 wird Schneider als möglicher Kandidat für das Rektorenamt in Erwägung gezogen.156 Nicht zuletzt spricht für den guten Stand Schneiders auch die durch152 153 154

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BAB, R 4901, Nr. 14894, Hugelmann an Rust, 27.5.1935. UAMs, Bestand 10, Nr. 168, Leiter der Dozentenschaft an Mevius, 13.7.1937. Bayerisches Hauptstaatsarchiv München, MK 69259, Hugelmann an Rektor der Universität München, 3.7.1936. Den Hinweis verdanke ich Herrn Prof. Dr. Manfred Weitlauff, München. Weitlauff 2007, S. 174. „Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, möchte ich hervorheben, dass ich bei meiner Ausschau nach geeigneten Nachfolgern […] es bei der jetzigen Lage der Dinge von vornherein nicht für möglich gehalten [habe], dass ein Mitglied der beiden theologischen

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gehende Bestätigung im Amt des Dekans.157 Leider gibt es kaum weitere Anhaltspunkte in der gesichteten universitären Überlieferung, da offenbar Schneiders Personalakten bereinigt worden sind.158 In seinem von Schmaus verfassten Nachruf heißt es: „Als Dekan war er von größter Einsatzbereitschaft. Ausgeprägt war sein nationales Denken. Seine echte und natürliche Menschlichkeit, sein aufgeschlossenes und zugleich bestimmtes Wesen, seine nationale Gesinnung erwarben ihm auch außerhalb der Fakultät, der er angehörte, viele Freunde.“159

In Bezug auf seine Positionierung zum Nationalsozialismus wirft zudem Josef Höfer – der zwischen 1935 und 1939 Pastoraltheologie in Münster lehrte – Fragen auf. Vom späteren Botschaftsrat der Bundesrepublik Deutschland an der Botschaft beim Heiligen Stuhl und Mitherausgeber des renommierten „Lexikons für Theologie und Kirche“ war bisher lediglich bekannt, dass seine Lehrtätigkeit in Münster „durch das damalige Regime beendet wurde“.160 Die Aktenlage lässt jedoch auch ein anderes Bild zu. So hob Dekan Schneider, wie pikanterweise auch Schmaus und Lortz, bereits im Rahmen der Berufungsverhandlungen hervor, dass es Höfer in seiner Kaplanszeit in Nordherringen bei Hamm in Westfalen „in unermüdlicher und angestrengter Tätigkeit die geistige Macht des Kommunismus in seiner Kirchengemeinde zu brechen“ gelang. Zudem betonte Schneider, dass in den Schriften Höfers „immer wieder ein lebendiges Gefühl für die Verbindung von Germanentum und Christentum“ begegne, wobei „diese beiden Wirklichkeiten nicht einfach äußerlich und mechanisch nebeneinander hingestellt und allenfallsige Beziehungsmomente aufgezählt, sondern aus dem innersten Wesen von Germanentum und Christentum […] eine gegenseitige Zuordnung und Verflochtenheit gezeigt“ werde. Ferner galt Höfer auch politisch als „durchaus zuverlässig“, da er „in Rom engste Fühlung mit der Ortsgruppenleitung der NSDAP“ hielt. Und weiter: Er „genießt, wie ich durch Erkundigungen festgestellt habe, auch das Vertrauen der Paderborner Ortsgruppe. Endlich ist besonders wichtig, daß er als Westfale und ehemaliger Seelsorger im Ruhrgebiet mit den vielen pastoralen Schwierigkeiten, die gerade hier bestehen, aus eigener Erfahrung aufs innigste ertraut ist.“161

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Fakultäten zum Amte des Rektors berufen wird. Ich möchte aber hervorheben, dass ich den Dekan der Kath.-Theol. Fakultät Professor Dr. Egon Schneider (Kirchenrecht) u. Prof. Lortz […] an sich unter anderen Verhältnissen für geeignet hielte.“; BAB, R 4901, 14262, Hugelmann an Rust, 4.1.1937, Bl. 97. Beispielhaft die Bestätigung durch den neu ernannten Rektor Mevius am 14.4.1937, in: BAB, R 4901, Nr. 14262, Bl. 114. UAMs, Bestand 10, Nr. 384. Ebd. Nur ein Blatt vom 17.7.1944. In Memoriam Josef Höfer 1976, S. 257. UAMs, Bestand 10, Nr. 168, Schneider an Ministerium, 17.12.1935; auch in: UAMs, Bestand 23, Nr. 9.

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Ebenso hielt der Dozentenschaftsführer der Universität fest, dass „er kein Blender und kein Kriecher“ sei, sondern „dem Nationalsozialismus und dem neuen Deutschland […] völlig positiv gegenüber stehen [soll], wie er es vor allem während seiner 4 jährigen Tätigkeit im Ausland bewiesen hat.“162 Im Rektorat war zudem bekannt, dass „Höfer in seinen Vorlesungen öfters eine gegen den Vatikan gerichtete Einstellung vertrete.“163 In einem anderen Gutachten Schneiders, welches im Vorfeld auch Höfer bekannt gegeben wurde, lautete es ähnlich: „Auch politisch ist Höfer […] durchaus einwandfrei […]. Während seines 4 jährigen Aufenthaltes im Auslande – er war Stipendiat an der Deutschen Nationalstiftung Anima in Rom und 3 Jahre deren Vizerektor – hat er sich für das Deutschtum mit ganzer Kraft eingesetzt und auch mit den Vertretern der NSDAP, an deren Feiern er regelmäßig teilnahm, wärmste Fühlung gehalten […]. Wesentlich mit auf seine Veranlassung wurde es ermöglicht, das erste ‚Fest der Arbeit‘ in Rom (1. Mai 1933) in den Räumen der gen. Deutschen Nationalstiftung zu feiern. Auch der Kreisleiter von Paderborn, wo Höfer später tätig war, hat ein gutes Zeugnis über seine politische Einstellung abgegeben. Gerade weil Höfer 4 Jahre lang in Rom den der NSDAP weltanschaulich nahestehenden italienischen Faschismus kennen und schätzen gelernt hatte, konnte er sich mit dem dritten Reiche umso eher befreunden. Er ist zu ihm durchaus positiv eingestellt, woraus er auch in seinen Vorlesungen und privaten Gesprächen keinen Hehl macht. Es mag auch vermerkt werden, daß er in Paderborn beim Generalvikariat und hier in Münster offen und provat für den Heeresdienst der Theologen sich eingesetzt hat und noch ständig einsetzt“.164

Die politische Einstellung Höfers und die Qualifikation für eine ordentliche Professur hoben 1939 zudem auch der mittlerweile in Freiburg lehrende Ludwig Mohler, Michael Schmaus und Grabmann hervor. Ferner schrieb der ehemalige NSDAP-Leiter in Rom an die Gauleitung, dass er „damals in Rom in Dr. theol. Höfer einen sein Vaterland heiß liebenden Menschen kennen lernte, welcher der Bewegung mit aufrichtiger Sympathie begegnete“ und der „nach der Machtergreifung […] an den Ortsgruppenversammlungen und den sonstigen Veranstaltungen rege teil[nahm].“165 Warum trotz dieser – aus nationalsozialistischer Sicht – positiven Einstellung Höfers Ernennung zum ordentlichen Professor in Münster letztlich scheiterte, ist nach derzeitiger Aktenlage nicht erklärbar. Vordergründig wurde hierfür zunächst seine in Rom abgeschlossene und in Münster nostrifizierte Promotion angegeben. Als Höfer dann, wie gefordert, sich auch noch habilitierte,166 beschied das Wissenschaftsministerium negativ und stellte in Frage, ob sich „der oben Genannte […] für 162 163 164 165 166

Ebd., Gutachten des Leiters der Dozentenschaft an Rektor Mevius, 13.7.1937. Ebd., Aktennotiz über die Besprechung mit Regierungsrat Schwarz in Berlin, ohne Datum. Ebd., Schneider an Mevius, 17.1.1939; UAMs, Bestand 23, Nr. 9. UAMs, Bestand 10, Nr. 168, Mevius an Ministerium, 20.9.1939. UAMs, Zugang zu Bestand 22, Sitzungsprotokollbuch der Katholisch-Theologischen Fakultät 1909–1960, Sitzung der Gesamtfakultät vom 14.1.1938.

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den nationalsozialistischen Staat vorbehaltlos einsetzen wird.“ Hierbei betonte das Ministerium jedoch, dass es sich um eine Entscheidung handele, nach der „grundsätzlich deutsche Theologen, die nicht an deutschen wissenschaftlichen Hochschulen studiert und promoviert haben, nicht endgültig deutsche Hochschullehrer werden“ durften.167 Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass diese Anweisung auf den im Reichskirchenministerium arbeitenden Priester Joseph Roth zurückging, der sich später auch gegen den Dienst Höfers an der Deutschen Botschaft am Vatikan als „Theologischer Fachberater“ aussprach. Wenngleich die Hintergründe für die Position Roths noch geklärt werden müssen, ist an dieser Stelle festzuhalten, dass es die einzige negative Beurteilung war, die sich in den Akten fand und die nach Kriegsende als Beweis für die antinationalsozialistische Haltung Höfers angegeben wurde.168 Unerwähnt blieb in diesem Zusammenhang allerdings, dass Höfer im Wissenschaftsministerium „zur Sicherung meiner politischen Ehre“ erreichen konnte, als Dozent „neuer Ordnung“ zu gelten.169 Leider findet man keine Hinweise über die genauen Tätigkeiten des Theologen nach Kriegsausbruch in Rom, wo Höfer im Auftrage des Rektors der Anima Hudal nicht nur seelsorglich tätig wurde, sondern zudem Vorträge im dortigen deutschen Leseverein hielt, um „auch in politischer Hinsicht auf Nichtangehörige des Deutschen Reiches, die sich aber dem ganzen deutschen Kulturgebiet mehr oder weniger zurechnen, ein[zu]wirken“.170 Folgt man dem Dekan Schneider, so war Höfer in Rom aufgrund seiner Kontakte „die geeignete Person, in vatikanischen Kreisen aufklärend zu wirken. Seine vaterländische Gesinnung und seine ganze Persönlichkeit bürgen dafür, daß er diese Aufgabe im deutschen Sinne erfüllen würde.“171 Fest steht, dass Höfer spätestens 1941 in das Bistum Paderborn zurückkehrte und dort als Dompfarrer tätig wurde.172 Fragwürdig bleibt nicht zuletzt die Position des jungen Kirchenrechtlers Klaus Mörsdorf, der als akademischer Schüler des Dekans Schneider seit dem 1. September 1938 die Oberassistentenstelle der Fakultät bekleidete. Als der Krieg ausbrach, bot er sich gemeinsam mit Höfer (als einzige Mitglieder der Fakultät) an, freiwillig als Feldgeistliche an die Front zu gehen. Er habilitierte sich dann im Jahr 1940, 167

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UAMs, Bestand 10, Nr. 168, Ministerium an Mevius, 29.7.1938. Vgl. auch den Aktenvermerk vom 30.4.1938, in dem es hieß, dass es „weniger gegen Höfer“ ging als um die Statuierung eines „Exempels“. BAB, R 4901, Nr. 14894, Bl. 74. So beschied beispielsweise auch der Stab des Stellvertreters des Führers noch am 30.6.1938 dem REM, dass gegen Höfer „bisher politisch Nachteiliges nicht bekannt geworden“ war. BAB, R 4901, Nr. 14894, Bl. 123. UAMs, Bestand 10, Nr. 168, Höfer an Ministerialrat Frey, 30.6.1940; die entsprechende Bestätigung Freys erfolgte am 29.7.1940; ebd. Ebd., Mevius an REM, 20.9.1939. Ebd., Schneider an Mevius, 2.12.1939; hierzu auch Höfer: UAMs, Bestand 23, Nr. 9, Höfer an Schneider, 29.4.1940. Ernesti 2005.

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wobei seine Lehrproben, die er zwischen dem 19. und 22. Februar über „Die Organisation der bischöflichen Kurie mit Berücksichtigung der deutschen Verhältnisse“ hielt, auf den Universitätsrektor „einen sehr guten Eindruck“ machten, weil „diese drei Vorlesungsstunden [zeigten], daß Dr. Mörsdorf sich nicht bloß im kanonischen Recht gut auskennt, sondern daß er darüber hinaus auch ein wirklicher Kenner des staatlichen Rechts und der nationalsozialistischen Weltanschauung ist“.173 Es ist festzuhalten, dass Mörsdorf als einziger der im Krieg habilitierten Theologen Münsters auf Weisung des Universitätsrektors Walter Mevius zunächst im Mai 1942 mit missionswissenschaftlichen Vorlesungen betraut und 1944 aufgrund der „positiven politischen Gesinnung“ mit der Vertretung des vakanten Lehrstuhls für Kirchenrecht beauftragt wurde.

Ausblick: Die Fakultät in der ersten Nachkriegszeit Bis Mitte November 1945 konnte der Lehrbetrieb zunächst „im Pathologischen Institut der Medizinischen Klinik, später auch in weiteren Hörsälen der medizinischen Fakultät und im Collegium Borromaeum“174 wieder aufgenommen werden. Zu diesem Zeitpunkt waren neben dem neugewählten Dekan Pascher,175 Schmaus und Schreiber auch Meinertz, Steffes, Kaupel, Pfeil, Mörsdorf, Weber und Lortz in das ausgebombte Münster zurückgekehrt, so dass mit Ausnahme von Moraltheologie und Alter Kirchengeschichte wieder alle wichtigen theologischen Disziplinen vertreten waren. Während Weber und Schreiber – der zwischenzeitlich vom Notsenat zum ersten Nachkriegsrektor der Universität gewählt war176 – ihre ursprünglichen Lehrstühle zurückerhielten, war es für Joseph Lortz in der Folgezeit nicht mehr möglich, in Münster zu lehren. Hierfür war, wie Wilhelm Damberg herausarbeitete, maßgeblich Schreiber verantwortlich.177 So erteilte zwar die Militärregierung Lortz am 20. Oktober 1945 eine vorläufige Lehrerlaubnis,178 doch wurde diese aufgrund eines zwischenzeitlich von Schreiber verfassten Gutachtens179 bereits zum 30. Oktober 1945 zurückgezogen und Lortz entlassen.180 173 174 175 176 177 178 179 180

UAMs, Bestand 4, Nr. 224, Mevius an Ministerium, 15.3.1940. Hegel 1966, S. 559. UAMs, Zugang zu Bestand 22, Sitzungsprotokollbuch der Katholisch-Theologischen Fakultät 1909–1960, 27.10.1945. Zum Rektorat Schreibers vgl. den Beitrag von Kristina Sievers in diesem Band. Vgl. Damberg 1993, S. 158–164. Vgl. UAMs, Bestand 23, Nr. 16, o. Bl.; UAMs, Bestand 10, Nr. 4470, Bd. 1, Entwurf eines Schreibens an die Militärregierung, 20. Oktober. Vgl. ebd., o. Bl., Schreiber an Amelunxen, 22.9.1945. Vgl. ebd., o. Bl., Amelunxen an Militärregierung, 7.11.1945. Nach mehreren Versuchen von Lortz, wieder in den Dienst zu gelangen, wurde er am 21.9.1949 vom Kultusministerium wieder in sein Amt vom 31.1.1933 eingesetzt, zugleich aber rückwirkend zum 1.4.1949 in den Ruhestand versetzt. Im Sommersemester 1950 wechselte Lortz schließlich

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Insgesamt ist mit Blick auf das Professorium festzuhalten, dass die Fakultät in den ersten Nachkriegsjahren im Zeichen größter personeller Umbrüche stand. Da ein Großteil des Lehrkörpers durch Universitätswechsel,181 Krankheit oder aus Altersgründen ausschied, standen bis 1948 mit Schreiber, Kaupel, Meinertz, Steffes und Rücker lediglich noch fünf der im „Dritten Reich“ am Fachbereich tätigen Professoren im Lehrbetrieb; 1953 ging mit dem Alttestamentler Kaupel der letzte Lehrstuhlinhaber in den Ruhestand, der in nationalsozialistischer Zeit gewirkt hatte, so dass es an der Katholisch-Theologischen Fakultät Mitte der 1950er-Jahre im Vergleich mit den anderen Fakultäten Münsters keine personellen Kontinuitäten mehr gab, die in die Zeit vor 1945 zurück reichten.182

Fazit Die vorliegende Darstellung hat gezeigt, dass zu den Ergebnissen der Hegelschen Fakultätsgeschichte durchaus noch Zusätze zu machen sind. Insbesondere die nochmalige Auswertung der greifbaren Personalakten machte deutlich, dass neben den bisher bekannten „Brückenbauern zum Nationalsozialismus“, Lortz und Schmaus, noch weitere Mitglieder der Fakultät, wie beispielsweise der Kirchengeschichtler Mohler, deutliche Sympathie oder zumindest eine gewisse Affinität zum Nationalsozialismus zeigten. Erhellend ist zudem die Rolle des damaligen Ortsbischofs von Galen, der im Rahmen seiner durch die Konkordate vorgegebenen Möglichkeiten Einfluss auf die Belange der Fakultät nahm. Im Vergleich zu den übrigen Fakultäten Münsters ist auffallend, wie stark seitens des Ministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung in den Lehrbetrieb eingegriffen wurde, so dass bis Kriegsende mehrere Lehrstühle (Kirchengeschichte, Missionswissenschaft, Pastoral, Kirchenrecht, Homiletik, Christliche Philosophie)183 nicht mehr regulär besetzt waren beziehungsweise auch nicht mehr neubesetzt werden sollten. Somit kann man auch für die Katholisch-Theologische

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als Professor für abendländische Religionsgeschichte und Direktor des Instituts für Europäische Geschichte nach Mainz. Damberg 1993, S. 158–164. Bereits im Oktober 1945 wechselte Schmaus nach München, um dort den Wiederaufbau der 1940 geschlossenen Fakultät voranzutreiben und verzichtete am 1. Januar 1946 offiziell auf den Lehrstuhl in Münster. Wenige Monate später folgten ihm Mörsdorf und Pascher an die Isar. Tischleder blieb nach Kriegsende in Mainz zu bleiben, wo er an der neugegründeten Universität die Professur für Sozialethik annahm. Hegel 1966, S. 557– 559; Schmaus musste sich in München 1946/47 für seine Schrift „Begegnungen zwischen katholischem Christentum und nationalsozialistischer Weltanschauung“ vor Gericht verantworten und wurde im Juni 1947 freigesprochen. Zum Prozess: Archiv des Erzbistums München, Nachlass Faulhaber, 8557. Zu den Lehrstuhlbesetzungen zwischen 1945 bis 1960 in Ergänzung zu Hegel: UAMs, Zugang zu Bestand 22, Sitzungsprotokollbuch der Katholisch-Theologischen Fakultät 1909–1960. BAB, R 5101, Nr. 22526, Bl. 59f.

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Fakultät in Münster – wie es Dominik Burkard bereits treffend für Tübingen festhielt – „deutlich die einzelnen Komponenten der nationalsozialistischen Strategie gegenüber theologischen Fakultäten ablesen: 1. Die schleichende Austrocknung der theologischen Fakultäten in ihrer ‚Kernsubstanz‘; 2. die immer weitere Verzögerung der Besetzung von Lehrstühlen […]; 3. die provisorische Versorgung der Lehraufträge durch politisch genehme, jederzeit kündbare Vertreter; 4. […] die Aufhebung von Lehrstühlen“.184

Literatur 100 Jahre Bischöfliches Collegium Borromaeum zu Münster 1854–1954, Münster 1954. Achterberg, Norbert, Die verfassungsrechtliche Entwicklung der Westfälischen Wilhelms-Universität von 1918 bis zur Gegenwart, in: Dollinger 1980, S. 69– 87. Apostolische Konstitution „Deus scientiarum Dominus“, 24.5.1931, in: Acta Apostolicae Sedis 23 (1932), S. 241–262. Arnold, Claus, Die Katholisch-Theologische Fakultät Freiburg, in: Burkard/Weiß 2007, S. 147–166. Beckmann, Josef Hermann, Nachruf auf Ludwig Mohler, in: Historisches Jahrbuch 62/69 (1949), S. 959–961. Bierbaum, Max, Im Dienste der Missionswissenschaft 1925–1952, in: Glazik 1961, S. 43–50. Boberach, Heinz (Bearb.), Berichte des SD und der Gestapo über Kirchen und Kirchenvolk in Deutschland 1934–1944 (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte bei der Katholischen Akademie in Bayern. A,12), Mainz 1971. Bokel, Lisa, Nationalsozialismus als System zur Aufrechterhaltung der gottgewollten Ordnung? Der katholische Professor und Priester Michael Schmaus in den Jahren 1930–1946, Staatsexamensarbeit, Münster 2006. Borengässer, Norbert, Art. Quasten, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon 15 (1999), Sp. 1187–1192. Burkard, Dominik, Die Katholisch-Theologische Fakultät Tübingen, in: Burkard/ Weiß 2007, S. 217–275. Burkard, Dominik, Kirchenpolitik in der Wissenschaftspolitik? Akteure und Faktoren, in: Burkard/Weiß 2007, S. 55–104. Burkard, Dominik/Weiß, Wolfgang (Hg.), Katholische Theologie im Nationalsozialismus, Bd. 1: Institutionen und Strukturen 1, Würzburg 2007. Burkard, Dominik/Weiß, Wolfgang (Hg.), Katholische Theologie im Nationalsozialismus, Bd. 2: Moraltheologie und Sozialethik, Würzburg 2012 (im Druck). 184

Burkard 2007, S. 274.

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Carmon, Arye, Die Einführung des Führerprinzips in die deutsche Universität. Das Ende der akademischen Freiheit, in: Neue Sammlung 17 (1977), S. 553–574. Conzemius, Victor, Joseph Lortz – Ein Kirchenhistoriker als Brückenbauer, in: Geschichte und Gegenwart 9 (1990), S. 247–278. Damberg, Wilhelm, Kirchengeschichte zwischen Demokratie und Diktatur. Georg Schreiber und Joseph Lortz in Münster 1933–1950, in: Siegele-Wenschkewitz, Leonore/Nicolaisen, Carsten (Hg.), Theologische Fakultäten im Nationalsozialismus (Arbeiten zur kirchlichen Zeitgeschichte. B, 18), Göttingen 1993, S. 145–164. Dollinger, Heinz (Hg.), Die Universität Münster 1780–1980, Münster 1980. Dörmann, Johannes, Art. Schmidlin, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon 9 (1995), Sp. 436–443. Eder, Manfred, Art. Schmaus, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon 9 (1995), Sp. 322–327. Engemann, Karl-Heinz (Bearb.), Chronik der Pfarrgemeinde St. Clemens Telgte 1937–1968 von Propst Clemens Bringemeier, Telgte 2004. Ernesti, Jörg, Art. Höfer, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon 25 (2005), Sp. 634–636. Faulhaber, Michael von, Judentum – Christentum – Germanentum. Adventspredigten, gehalten in St. Michael zu München 1933, München 1934. Flammer, Thomas, „… mit geistig unbedeutenden Personen ist wenig gedient“ – Die Bischofswahlen von Nikolaus Bares und Joseph Godehard Machens im Spiegel der neuzugänglichen vatikanischen Akten, in: Die Diözese Hildesheim in Vergangenheit und Gegenwart. Jahrbuch des Vereins für Geschichte und Kunst im Bistum Hildesheim 72 (2004), S. 217–257. Flammer, Thomas, Die Katholisch-Theologische Fakultät Münster, in: Burkard/ Weiß 2007, S. 199–216. Flammer, Thomas, Clemens von Galen als Stadtpfarrer und Bischofskandidat von Münster in den Jahren 1929 bis 1933, in: Wolf/Flammer/Schüler 2007, S. 92– 106. Fleck, Peter, „Der Gemeinde größter Sohn“. Peter Tischleders Lebensweg vom rheinhessischen Bauernjungen zum Moraltheologen und Begutachter der hessischen und rheinland-pfälzischen Verfassung (1891–1947), in: Archiv für hessische Geschichte und Altertumskunde 56 (1998), S. 205–254. Fleck, Peter, Wider den totalen Staat. Der Münsteraner Professor Peter Tischleder als moraltheologisch-sozialethischer Kritiker des NS-Staates, in: Westfälische Zeitschrift 161 (2011), S. 115–138. Glazik, Josef (Hg.), 50 Jahre katholische Missionswissenschaft in Münster 1911– 1961. Festschrift (Missionswissenschaftliche Abhandlungen und Texte 56), Münster 1961. Gössmann, Elisabeth, Katholische Theologie unter der Anklage des Nationalsozialismus: zum zehnten Todestag von Michael Schmaus – aus Anlass einige jün-

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Die Katholisch-Theologische Fakultät

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Schmitt, Christoph, Art. Pascher, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon 16 (1999), Sp. 1196–1202. Schöppe, Lothar (Bearb.), Konkordate seit 1800. Originaltext und deutsche Übersetzung der geltenden Konkordate (Forschungsstelle für Völkerrecht und Ausländisches Öffentliches Recht der Universität Hamburg. Dokumente 35), Frankfurt a. M., Berlin 1964. Schreiber, Georg, Zwischen Demokratie und Diktatur. Persönliche Erinnerungen an die Politik und Kultur des Reiches von 1919–1944, Münster 1949. Schulte-Umberg, Thomas, Profession und Charisma, Herkunft und Ausbildung des Klerus im Bistum Münster 1776–1940 (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte. B, 85), Paderborn 1999. Schüßler, Werner, Art. Wust, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon 14 (1998), Sp. 193–200. Spörl, Johannes/Hegel, Eduard, Georg Schreiber (1882–1963). Gedenkansprachen in Trient 1963, in: Historisches Jahrbuch 83 (1964), S. 264–270. Srebny, Julia Alexandra, Adolf Donders (1877–1944) – Bausteine einer Biographie, Staatsexamensarbeit Münster 2007. Stasiewski, Bernhard (Hg.), Akten deutscher Bischöfe über die Lage der Kirche 1933–1945 (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte. A, 5), Bd. I: 1933–1934. Mainz 1968. Tepper, Kirsten, Art. Engelkemper, in: Biographisches-Bibliographisches Kirchenlexikon 27 (2006), Sp. 377–378. Thamer, Hans-Ulrich, Nationalsozialismus und katholische Kirche in Westfalen, in: Wolf/Thomas/Schüler 2007, S. 107–121. Thamer, Hans-Ulrich, Schandpfahl und Scheiterhaufen. Bücherverbrennung in Münster am 10. Mai 1933; in: Schoeps, Julius/Treß, Werner (Hg.), Orte der Bücherverbrennungen in Deutschland 1933, Hildesheim 2008, S. 659–664. Unterburger, Klaus, Die deutschen theologischen Fakultäten aus römischer Sicht, in: Burkard/Weiß 2007, S. 105–131. Unterburger, Klaus, Vom Lehramt der Theologen zum Lehramt der Päpste? Pius XI., die Apostolische Konstitution „Deus scientiarum Dominus“ und die Reform der Universitätstheologie, Freiburg i. Br. 2010. Ustorf, Werner, Sailing on the next Tide – Missions, Missiology and the Third Reich (Studien zur interkulturellen Geschichte des Christentums 125), Frankfurt a. M. 2000. Walter, Peter, Ein Mainzer Theologe über das Verhältnis von Kirche und Staat in schwieriger Zeit. Peter Tischleder (1891–1947), in: Raffelt, Albert (Hg.), Weg und Weite. Festschrift für Karl Lehmann, Freiburg i. Br. 2001, S. 327–341. Weiß, Wolfgang, Die Katholisch-Theologische Fakultät Würzburg, in: Burkard/ Weiß 2007, S. 277–326. Weitlauff, Manfred, Die Katholisch-Theologische Fakultät München, in: Burkard/ Weiß 2007, S. 167–197.

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Thomas Flammer

Weitzel, Jürgen, Rechtsstrukturen und Zielsetzungen der nationalsozialistischen Hochschul- und Wissenschaftsverwaltung, in: Burkard/Weiß 2007, S. 39–54. Wolf, Hubert/Flammer, Thomas/Schüler, Barbara (Hg.), Clemens August von Galen. Ein Kirchenfürst im Nationalsozialismus, Darmstadt 2007. Wolgast, Eike, Nationalsozialistische Hochschulpolitik und die evangelisch-theologischen Fakultäten, in: Siegele-Wenschkewitz, Leonore/Nicolaissen, Carsten (Hg.), Theologische Fakultäten im Nationalsozialismus (Arbeiten zur kirchlichen Zeitgeschichte. B, 18), Göttingen 1993, S. 45–87.

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Im Geiste der Wahrheit? Die Münsterschen Rechtswissenschaftler von der Weimarer Republik bis in die frühe Bundesrepublik* Die Universität Münster habe die Aufgabe, so heißt es im ersten Paragraphen der Universitätssatzung vom 26. April 1929, „in innerer Verbundenheit mit den lebendigen Kräften der westfälischen Heimat die Wissenschaft durch Forschung und Lehre zu fördern. […] Als Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden, die im Geiste der Wahrheit verbunden sind, sucht sie den sittlichen Charakter der akademischen Jugend zu entfalten und sie zur verantwortungsvollen Mitarbeit an Staat und Kultur zum Wohle des Volksganzen heranzubilden.“1 Diese präambelhafte Norm beleuchtet den Code der Wissenschaft („Wahrheit“), ihre regionale Verwurzelung trotz universeller Gültigkeit der Wissenschaft („lebendige Kräfte der westfälischen Heimat“) sowie ihren politischen Auftrag, die akademische Bildung der deutschen Jugend bei gleichzeitiger Ausbildung von Sitte und Verantwortungsbewusstsein für Staat und Kultur. In Bezug auf dieses normative Selbstbild ist die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität bisher in kleineren Aufsätzen beschrieben sowie in einer sehr umfassenden soziologischen Dissertation von Lieselotte Steveling behandelt worden.2 Im Vordergrund stand vor allem die institutionelle und personengeschichtliche Entwicklung. Dieser Aufsatz möchte neben Personen und Institutionen vor allem die zahlreichen Interaktionsverhältnisse zwischen Wissenschaft und Politik in den Blick nehmen, die Mitchell G. Ash als gegenseitig mobilisierbare Ressourcen beschreibt.3 Entgegen früheren Auffassungen4 vollzieht sich auch im Nationalsozialismus die „Verwissenschaftlichung des Sozialen“5 als Strukturmerkmal *

1 2 3 4 5

Für Hinweise und Kritik bedanke ich mich bei den Professoren Friedrich Dencker, Thomas Hoeren und Fabian Wittreck sowie bei Dr. Thomas Kleinknecht (alle Münster). Dieser Artikel ist in Dankbarkeit meiner Tante Maria Götte (1946–2011) gewidmet. Satzung der Universität Münster [26. April 1929] In: Zentralblatt für die gesamte Unterrichts-Verwaltung in Preußen 71 (1929) S. 228–237. Menger 1980, ders. 1983, Heiber 1991–1994, Holzhauer/Orths 2005, Steveling 1999, dies. 2000; vgl. auch Stolleis 1999, besonders über Münster S. 289f. Ash 2002, ders., Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, 2010, ders., Wissenschaft und Politik, 2010. Zur überkommenen Lesart der Wissenschaftsentwicklung im „Dritten Reich“ in acht Thesen: Hachtmann 2008, S. 205f.; als Beispiel der älteren Auffassung: Craig 1991. Raphael 1996.

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der janusköpfigen Moderne.6 Der preußisch-deutsche Professor wandelte sich vom Mandarinen7 zum Experten.8 Die Suche nach Wahrheit entwickelte sich zum anwendungsorientierten, bisweilen „radikalen“ „Ordnungsdenken“.9 Im Nationalsozialismus wurde die Wissenschaft nicht nur durch Indienstnahme missbraucht, sondern gerade Wissenschaftler boten Programmatiken zur intendierten politischen Umsetzung an, an deren Realisation sie interessiert waren und gegebenenfalls auch beteiligt wurden. Die „rechtszeitgeschichtliche“10 Erforschung juristischer Fakultäten im „Zeitalter der Extreme“11 (Eric Hobsbawn) boomt. Allein in den letzten zwei Jahren sind Arbeiten in Form von Aufsätzen und Monographien über Göttingen, Kiel, Tübingen, Berlin und Breslau erschienen.12 Thilo Ramm konstatierte kürzlich in einer Rezension zu Recht: „Die Zeit der geschönten und unterdrückten Lebensläufe […] oder des Verschweigens des ‚dritten Reiches‘ in den Jubiläumsfestschriften ist endgültig abgelaufen“.13 In dem begrenzten Rahmen eines Aufsatzes die wissenschaftliche und institutionelle Entwicklung der Rechtswissenschaften in Münster von der Weimarer bis in die frühe Bundesrepublik nachzuzeichnen und damit über 30 Jahre und drei politische Systeme durchzugehen, ist eine Herausforderung. Die Fakultät14 fasste eine Vielzahl höchst individueller Forscher und Wissenschaftler zusammen, die sich größtenteils einer Systematisierung entziehen. Versucht werden soll im Folgenden in einer chronologischen Gliederung, die Akteure vorzustellen und sie im Spannungsfeld von Wissenschaft und Politik in ihren Aktionen und Interaktionen darzustellen. Trotzdem sind zeitliche Sprünge und Brüche der Darstellung nicht zu vermeiden. Die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät steht im Folgenden exemplarisch als eine preußische Hochschule am Rande des „rheinisch-westfälischen Industriebezirkes“, in einer Stadt mit einem starken katholischen Milieu und einer für Preußen überdurchschnittlichen katholischen Professorenschaft.15 Zu6 7 8 9 10 11 12

13 14 15

Peukert 1988. Ringer 1983. Raphael 1998. Ders. 2001, Günther 2011. Ramm 1998, Stolleis 1993; zur Universitätsgeschichte jetzt: Grüttner/Hachtmann/Jarausch/John/Midell 2010 und Fahlbusch/Haar 2010. Vgl. dazu jetzt: Thamer 2010. Schumann 2008, Meyer-Pritzl 2009, Günther 2010, Klopsch 2009, Grundmann/Kloepfer/ Paulus/Schröder/Werle 2010; jetzt die Beiträge von Werle, Vormbaum, Neumann und Schröder, in: Tenorth/Hess/Hofmann 2010; Ditt 2011. Ramm 2010, S. 111. Vgl. zur Frage nach der (Un-)Möglichkeit einer Fakultätsgeschichte: Schmoeckel 2008, S. 79ff., Schröder 2010, S. 151ff., Klopsch 2009, S. 22. Im Sommer 1930 lag der Anteil katholischer Gelehrter (nicht mitgerechnet die Theologischen Fakultäten) bei 13,6 Prozent, vgl. dazu: Morsey/Onnau 2002, S. 15, in Münster gab es teilweise ein paritätische Besetzung in der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät, vgl. dazu: Steveling 1999, S. 125.

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Die Münsterschen Rechtswissenschaftler

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nächst gebe ich einen kurzen Rückblick auf die Gründung der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät im Jahre 1902 und ihre Entwicklung bis zum Ende des Ersten Weltkrieges. Dann untersuche ich die über politische Umbrüche verfolgten Projekte der „Bodenreform“ sowie der „Kriminalbiologie“. Schließlich stelle ich die Diskussion um die „Staatsnothilfe“, die Reichs- und Verfassungsreform sowie das Nationalitäten- und Arbeitsrecht dar. Die ausgewählten Aktionsfelder zeigen die Versuche politischer Einflussnahme der Münsterschen Professoren, welche meist nicht in Parteien oder Parlamenten, sondern in „Bünden“ oder in Gremien beziehungsweise wissenschaftlichen Artikeln artikuliert wurden. Das Bodenrecht der Weimarer Republik wie auch das Arbeitsrecht des Nationalsozialismus wurden durch Münstersche Rechtswissenschaftler stark beeinflusst. In den Femeprozessen, die von den Beteiligten selbst als „politisch“ eingestuft wurden, wurde die dogmatische Figur der „Staatsnothilfe“ geprägt. Die Reichsreformdiskussion führte in Münster, initiiert durch den Provinzialverband, zum „Raumwerk Westfalen“, das den Fortbestand der Provinz Westfalen in seiner damaligen Form legitimieren sollte. Die Ideologie des „Nationalitätenrechts“ wurde zum Instrument für die „ethnokratische Neuordnung“ Osteuropas, welche im Rahmen der „Akademie für Deutsches Recht“ konzipiert wurde. Die „nationale Revolution“ vom 30. Januar 1933 zeitigte tiefgreifende personelle Änderungen. Das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933, das „Reichsbürgergesetz“ vom 15. September 1935 sowie die Verordnung des Reichsministers des Inneren vom 2. September 193616 führten zu Entlassungen von Münsterschen Dozenten. Das Reichserziehungsministerium achtete in der Folgezeit auf eine antikatholische Ernennungspolitik. Die sowohl konfessionell wie auch politisch unauffälligen Katholiken Erhard Neuwiem und Max Kaser waren 1931 beziehungsweise 1933 berufen worden; es folgten die Protestanten Hans Schumann 1936, George Anton Löning 1941 sowie Johannes Martin Ritter 1942. Nicht genehm waren Hermann Conrad (Nachfolge Naendrup),17 Ernst Friesenhahn (Nachfolge Bühler),18 Karl Peters (Nachfolge

16 17

18

Zugehörigkeit von Beamten 1936. Den Drittlozierten, Hermann Conrad, sah Rektor Mevius in Münster nicht „am rechten Platz“, da „er früher in einem konfessionell gebundenen Studentenverband eine maßgebende Rolle gespielt“ habe, UAMs, Bestand 4, Nr. 240, Rektor Mevius an REM, 10.7.1939. Der Gaudozentenführer habe Dekan Kaser mitgeteilt, dass „konfessionelle Bindungen“ bei Friesenhahn bestehen und deshalb „ernsthafte Bedenken“ vom „fakultätspolitischen Standpunkt“ beständen, „zumal in Münster mit Rücksicht auf das konfessionell gebundene Hinterland der Universität“ besondere Rücksicht geboten erscheint. Auch Rektor Mevius bereitete dieser Vorschlag Bauchschmerzen, denn ihm war bekannt, dass „Prof. Friesenhahn wegen religiöser Bedenken sich seiner Zeit geweigert hat, in die NSDAP einzutreten. Bei dieser Sachlage kann er selbstverständlich nicht an eine Universität berufen werden, die in einem so stark konfessionell gebundenen Hinterland liegt.“, UAMs, Bestand 9, Nr. 310, Dekan Kaser an REM, 24.3.1943.

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Drost)19 oder Franz W. Jerusalem20 (Nachfolge Neuwiem). Allerdings wurde Friedrich Klein (katholisch, aber keine konfessionelle Bindungen) zum Nachfolger Ottmar Bühlers 1944 ernannt. Eine Ausnahme stellte aufgrund seiner klar nationalsozialistischen Haltung Karl Gottfried Hugelmann dar.21 Diese Entlassungen sowie Emeritierungen und Todesfälle durch Bombenkrieg oder Kriegsgefangenschaft veränderten das Gesicht der Fakultät 1945 völlig. Nach der Entnazifizierung stand der Wiederaufbau sowohl der Fakultät als auch des deutschen Rechtssystems auf dem Programm. Eine solche gedrängte Gesamtdarstellung kann nur eine grobe Skizze darstellen. Sie darf auf vorherige Forschungen22 hin- und muss auf künftige und umfassendere Arbeiten verweisen.23

Anfänge und Erster Weltkrieg Mit „Allerhöchstem Erlaß“ vom 1. Juli 1902 wurde die Akademie Münster mit der neubegründeten Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät zur Universität erhoben. Für Staats- und Verwaltungs-, Kirchen- und Völkerrecht wurden Leo von Savigny (1863–1910) aus Marburg, für deutsche Rechtsgeschichte, deutsches bürgerliches Recht, Handels-, Zivil- und Konkursrecht Ernst Jacobi (1867–1946) aus Breslau sowie für römisches und bürgerliches Recht Heinrich Erman (1857–1940) aus Lausanne nach Münster berufen, des Weiteren Paul Krückmann (1866–1943) aus Greifswald für römisches und deutsches bürgerliches Recht, zusätzlich Hans Schreuer (1866–1931) aus Prag als ordentlicher Professor für deutsche Rechtsgeschichte, deutsches bürgerliches Recht und Privatrecht sowie Staats- und Handelsrecht. In einer zweiten Runde wurden Ernst Heinrich Rosenfeld (1869–1952) aus Königsberg zum Extraordinarius für Straf-, Prozess- und Kirchenrecht sowie zu außerordentlichen Professoren Hubert Naendrup24 (1872–1947) aus Breslau (deutsche Rechtsgeschichte und bürgerliches Recht sowie deutsches Privatrecht), Andreas Thomsen (1863–1948) aus Kiel (Strafprozess und Kirchenrecht) und Hugo 19 20 21

22 23 24

Karl Peters komme aus „hochschulpolitischen Gründen“ nicht in Betracht, UAMs, Bestand 30, Nr. 333, Karl Peters an Dekan Molitor, 13.3.1946. UAMs, Bestand 9, Nr. 310, Gauleitung Thüringen an Gauleitung Westfalen Nord am 18.7.1944. „Politisch [scheint Hugelmann, Anm. S. F.] ausgezeichnet nach Münster zu passen, da er, obwohl katholisch, politisch einwandfrei ist und deshalb an dieser gefährdeten Stelle besonders gut Verwendung finden kann“ (Karl August Eckhardt), GStA, Rep 76, Va Sekt 13, Tit 4 IV, Abt. Nr. 2, Bd. 5, Hauptreferent der Hochschulabteilung des REM Eckhardt an Dekan Neuwiem, 13.10.1934. Vgl. dazu Fußnote 1. Meine im Entstehen befindliche Dissertation über die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät der Universität Münster. Naendrup trat mehr politisch, denn wissenschaftlich in Erscheinung; zu nennen ist hier aber sein Versuch eines teilweise katholisch grundierten Kolonialrechts, dazu: Grohmann 2001, S. 261.

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Krüger (1861–1942)25 aus Halle (Quellen des römischen Rechts) ernannt.26 Die Katholiken Leo von Savigny und Hans Schreuer waren Vertreter eines stramm deutschnationalen Rechtskatholizismus.27 Nachfolger des 1910 verstorbenen von Savigny wurde der österreichische Staatsrechtslehrer Josef Lukas (1875–1929) aus Königsberg. Nach dem Wechsel von Hans Schreuer 1908 nach Bonn wurde Rudolf His (1870–1938) aus Königsberg nach Münster berufen, um hier deutsche Rechtsgeschichte zu lehren.28 Im gleichen Jahr wurde Godehard Josef Ebers (1880–1958) aus Breslau zum Extraordinarius für Verwaltungs- und Völkerrecht ernannt. Er vertrat auch das katholische, Rosenfeld das protestantische Kirchenrecht.29 Ottmar Bühler (1884–1965) aus Breslau folgte ab 1920 Ebers im Öffentlichen Recht nach.30 Im Ersten Weltkrieg kämpften die Münsterschen Rechtswissenschaftler mit der Feder oder der Waffe in der Hand für das Deutsche Reich. Godehard Josef Ebers31 sowie Ernst Heinrich Rosenfeld und Andreas Thomsen munitionierten in Kriegsvorlesungen den studentischen Geist,32 und der Soziologe Johann Plenge prägte mit den „Ideen von 1914“ ein folgenreiches Schlagwort.33 Hubert Naendrup,34 Rudolf His und Josef Lukas leisteten an verschiedenen Stellen Kriegsdienst.35 Der bekennende Freikonservative und aktive Werber für den Alldeutschen Verband, Paul Krückmann, gehörte als führendes Mitglied dem Professorenkreis um Otto Hoffmann36 an, einem Freund Alfred Hugenbergs.37 Die Professorengruppe in Münster umfasste neun Professoren (als weiteren Juristen auch Ernst Heinrich Rosenfeld) und diente als Verteilerstelle für die Kriegszieldenkschriften der Wirtschaftsverbände im Hochschulbereich. Zu den „Annexionisten“ gehörten daneben die Professoren Heinrich Erman38 und Hugo Krüger, Ernst Jacobi und Andreas Thomsen. Noch im Oktober 1917 hatten sich diese Professoren gegen die Friedens25 26 27 28

29 30 31 32 33 34 35 36 37 38

Krückmann 1943. „Vermischtes“, in: Deutsche Juristen-Zeitung 7 (1902), S. 216 und S. 360; Steveling 2000, S. 527; Menger 1980, S. 270ff. Gründer 1984. Sein Lehrauftrag umfasste weiterhin: Deutsche Rechtsgeschichte, deutsches Privatrecht, deutsches bürgerliches Recht, Handelsrecht, Staatsrecht, Völkerrecht, Preußische Rechtsentwicklung. In Münster schrieb His sein rechtshistorisches Standardwerk „Das Strafrecht des deutschen Mittelalters“ (Leipzig 1920/1935, wieder gedruckt: Aachen 1964) in zwei Bänden; zu His: Naendrup 1941, Schmidt 1941, S. XXf., Schroeder 2010, S. 344ff. Hollerbach 2004. UAMs, Bestand 31, Nr. 20, Bd. 1. Ebers 1915. Steveling 1999, S. 154–160. Plenge 1916. Dazu der Beitrag von Sara-Marie Demiriz in diesem Band. Goes 1930, S. 83f., S. 116f., S. 136–147; Chef d´escadron Dupuy 1932, S. 127. Steveling 1999, S. 160–168. Dazu der Beitrag von Michael Krüger in diesem Band. Guratzsch 1974, S. 141ff. Schermaier 2005.

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resolution des Reichstages vom 19. Juli 1917 und für einen Siegfrieden ausgesprochen.39 Krückmann setzte sich für eine Umsiedlung der polnischen Minderheit in den preußischen Ostseeprovinzen nach Kongreßpolen ein: eine Verschmelzung der Polen mit dem Deutschtum sei unmöglich. Rosenfeld propagierte die Auflösung Belgiens in zwei Verwaltungseinheiten unter deutscher Führung.40

Revolution und politische Gewalt Im November 1918 kam die Revolution auch nach Münster. Am 7. November rief Oberbürgermeister Franz Dieckmann (Zentrum) „Ruhe und die öffentliche Ordnung“ als erste Bürgerpflicht aus. Am 8. November empfingen Soldaten der Aegidiikaserne eine Delegation des Kieler Arbeiter- und Soldatenrates, am 9. November gründeten Sozialdemokraten, christliche Gewerkschaften und Soldaten einen „vorläufigen Vollzugsausschuss“ des Arbeiter- und Soldatenrates.41 Am selben Tag schrieb der spätere AStA-Vorsitzende Josef Kannengießer, nachdem er mit einigen Kommilitonen die Ankunft revolutionärer Matrosen in Münster beobachtet hatte: „Wir verstehen nicht, wie das alles möglich ist, in ohnmächtiger Erbitterung finden wir heim“.42 Zogen die „Sturmvögel der Revolution nach Münster“?43 Die Professoren reagierten unterschiedlich auf die Novemberereignisse. Ernst Jacobi beteiligte sich an den Diskussionen um eine von Preußen, nicht vom Reich losgelöste Westdeutsche Republik.44 Josef Lukas dachte wohlwollend über den Völkerbund und die Weimarer Reichsverfassung nach.45 Paul Krückmann graute es vor der Republik.46 Er und Ernst Rosenfeld wurden Mitglieder der „Deutschen Vaterlandspartei“.47 Hubert Naendrup trat dem antisemitischen Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund48 sowie einem „Vorläufigen Ausschuß zur Bekämpfung der Feindbundwaren“ bei, dem auch Ernst Rosenfeld angehörte. Diese Vereinigung propagierte einen völligen Kaufboykott von Waren der ehemaligen Kriegsgegner

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Steveling 1999, S. 159. Krückmann und Rosenfeld zitiert nach Steveling 1999, S. 159; vgl. auch Schwabe 1961; vgl. zu den Kontinuitäten dieser Denkfiguren: Wehler 2003, S. 26–38. Thamer 1993, S. 220. Zitiert nach Pöppinghege 1994, S. 75. Zitiert nach Thamer 1993, S. 220. Schulte 1939, S. 225, S. 248. Lukas 1920, ders. 1921 (jeweils aus Vorlesungen entstanden); vgl. dazu auch bei Josef Lukas geschriebene Dissertation von Scheuner 1927. LAV NRW W, NL ten Hompel, Nr. 184 (Zeitungsausschnittssammlung). Krüger 1992, S. 57. Ebd., S. 144f.

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des Deutschen Reiches.49 Plenge und Naendrup organisierten mit den Studenten eine „Akademische Wehr“.50 Die Zeit der Weimarer Republik war geprägt durch politische Gewalt,51 die auch von Professoren und Studenten ausgeübt wurde. „Akademische Wehr“, „Organisation Escherich“ und „Westfalentreubund“ waren die Namen der bewaffneten Rechtsverbände unter Leitung Hubert Naendrups; der Professor als Pistolero. Die „Akademische Wehr“ sei, so Naendrup 1946 in seinem Entnazifizierungsbogen, dem „Rufe der Studentenschaft und Dozentenschaft folgend“ von ihm organisiert und unter dem Oberkommando des General Oskar Freiherr von Watter „zum Schutze Münsters gegen die aus dem Ruhrgebiet heran marschierenden kommunistischen Armee“ eingesetzt worden.52 Mit einer Stärke von 700 Mann schlug diese bewaffnete Studentenformation im April 1920 im nördlichen Ruhrgebiet die „Spartakisten“.53 Ostern 1921 wurde Naendrups Truppe noch einmal zur „Unterdrückung des Kommunistenputsches in Haltern“ aktiv.54 Die Universität war das wichtigste Rekrutierungsfeld für die Organisation Escherich und ihre Nachfolgeorganisationen. Dort hatte sie auch jahrelang ein Geschäftszimmer, das ihr der Universitätskurator eingeräumt hatte und als Büro eines „Akademischen Wanderklubs“ getarnt war.55 Der aktive Ruhrkampf nach der Ruhrgebietsbesetzung vom 11. Januar 1923 begann Mitte März von Münster aus und erfreute sich anfangs der Duldung und Unterstützung durch das Wehrkreiskommando. Organisation und Durchführung der Sabotagetätigkeit lagen in den Händen einer geheimen Planstelle, der sogenannten Zentrale Nord, die der spätere SA-Chef Franz Pfeffer von Salomon leitete. Besonderes Aufsehen erregten die Sprengung einer Überführung des Rhein-Herne-Kanals bei Henrichenburg und die Entführung von acht mit Kohle und Edelstahl beladenen Eisenbahnzügen im Werte von vielen Millionen Goldmark, die in der Nacht zum 1. April 1923 bei Friedrichsfeld an der Bahnstrecke Oberhausen–Wesel die Zollgrenze zum unbesetzten Gebiet durchbrachen.56 Dies alles geschah unter Mithilfe von Naendrups „Westfalen-Treubund“, in dem sich unter anderem der spätere Speer-Mitarbeiter und Bonner Staatssekretär Karl Maria

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56

Grevelhörster 1993, S. 73. Steveling 1999, S. 194ff. Dazu auch der Beitrag von Timm Richter in diesem Band. Weisbrod 1992, Schumann 2000. UAMs, Bestand 31, Nr. 42, Bd. 2, Ergänzung zur Einspruchsschrift vom 31.5.1946, 15.8.1946. Pöppinghege 1994, S. 82. UAMs, Bestand 31, Nr. 42, Bd. 1, Lebenslauf, 22.5.1937. Bericht der Nationalzeitung über die Weihestunde vom 21. März 1933. „Das Volk geeint […] Machtvolles Bekenntnis der Westfälischen Wilhelms-Universität zur Regierung Adolf Hitler“, in: Chronik 1932/33, S. 23. Krüger 2000.

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Hettlage57 und der nachmalige NS-Gauleiter von Düsseldorf Friedrich Karl Florian58 engagierten. Naendrup stand am 9. November 1923 bereit, „um sofort in Westfalen einzugreifen, wenn die Aktion des Führers in München […] gelungen wäre.“59 So blieb aber nur die Möglichkeit, einige Tage später in einem Leserbrief Ludendorff als den „modernen Siegfried“ zu feiern.60 Ein erster propagandistischer Erfolg der politischen Rechten in Westfalen war der „Deutsche Tag“ vom 14. September 1924, welcher mit 2.000 Besuchern ein Höhepunkt in der Frühgeschichte der nationalsozialistischen Bewegung wurde. 61 Außer dem Weltkriegsgeneral und „Reichsführer“ der „Nationalsozialistischen Freiheitsbewegung“ Erich Ludendorff kamen der SA-Chef Ernst Röhm oder der nachmalige Reichsorganisationsleiter der NSDAP Gregor Strasser in die westfälische Provinzialhauptstadt.62 Auch Naendrups „Westfalentreubund“ marschierte mit.

Zivilrecht in der Weimarer Republik – Heinrich Erman als Bodenreformer Während Naendrups Kampfformationen gegen den politischen Gegner oder die alliierten Besatzer kämpfte, versuchte der Professor für bürgerliches und römisches Recht, Heinrich Erman,63 seit 1906 die Wohnungsnot mit dem „Bund deutscher Bodenreformer“ zu bekämpfen.64 Die Bodenreformbewegung sah das Grundübel der wirtschaftlichen Entwicklung in der privaten Verfügung über das knappe und unvermehrbare Gut Boden, zugespitzt in der „unverdienten“ Erhöhung der Bodenrente und der daraus folgenden Bodenspekulation.65 Stattdessen wollte sie ein öffentliches „Obereigentum“ an Grund und Boden sowie eine Reform des Hypothekenrechts und eine Wertzuwachssteuer beim Verkauf von Boden oder ein staatliches Vorkaufsrecht.66 Zahlreiche Kommunen führten um 1900 Wertzuwachsabgaben ein; das Erbbaurecht wurde reformiert und es kam zu einer Ausweitung der Ausweisung des kommunalen und staatlichen Grundbesitzes zu Bau- und Siedlungszwecken.67 Während des Ersten Weltkrieges intensivierte sich die Zusammenarbeit zwischen der Obersten Heeresleitung und den Bodenreformern, wobei sich 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67

Schrafstetter 2008. Schirach 1933, S. 65f. UAMs, Bestand 31, Nr. 42, Bd. 1, Lebenslauf Naendrup, 22.5.1937. Krüger 1992, S. 196. Kuropka 1984, S. 160, behauptet, dass nur 500 Besucher am „Deutschen Tag“ teilgenommen hätten; mit scharfer Kritik aber: Krüger 1992, S. 220, Fußnote 627. UAMs, Bestand 31, Nr. 42, Bd. 1, Lebenslauf Naendrup, 22.5.1937. Vgl. auch Heinrich Ermans biographische Skizze 1917. Wischermann 1997, Berger-Thimme 1976. Meyer-Renschhausen 1998, Seemann 1968. Erman 1915. Nipperdey 1995, S. 152.

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die Förderung von so genannten „Kriegerheimstätten“ in der nationalen Kriegspropaganda erschöpfte.68 In der Weimarer Reichsverfassung wurde der Artikel 155 als „Bodenreformartikel“69 verankert, das Reichsheimstättengesetz wurde am 10. Mai 1920 verabschiedet.70 Der Vorsitzende des „Bundes deutscher Bodenreformer“ Adolf Damaschke erhielt auf Vorschlag Ermans die Ehrendoktorwürde der Fakultät.71 Allerdings blieb der Erfolg der Reichsheimstätte bescheiden: 18.630 Reichsheimstätten waren bis 1929 in Deutschland entstanden. Ungefähr genauso viele wurden bis 1936 errichtet, wohl insgesamt 80.000 Reichsheimstätten wurden bis 1945 ausgegeben.72 Dennoch gelang es den Bodenreformern, weitere Regelungen im Sinne der Bodenreform durch die Gesetzgebung zu bringen. Dazu gehörten das Beamtensiedlungsgesetz (1924), das Beamtenheimstättengesetz (1927) sowie das Gesetz über die Aufschließung von Wohnsiedlungsgebieten (1933).73 Das nationalsozialistische Regime rüstete allerdings lieber auf, als Wohnungen zu bauen.74 Auch die Mitarbeit Heinrich Ermans seit 1920 im „Ständigen Beirat für Heimstätten des Reichsarbeitsministeriums“ änderte nichts an der zögerlichen Durchsetzung des Heimstättenwesens. Der „Ständige Beirat“ wurde im Frühjahr 1934 aufgelöst.75 Erman und Damaschke legten der „Akademie für Deutsches Recht“ einen ausführlichen Maßnahmenkatalog vor.76 Aber weder der Bodenrechtsausschuss der Akademie noch die politische Führung schenkten den Bodenreformern große Aufmerksamkeit.77

Strafrecht in der Weimarer Republik: Andreas Thomsen und Ernst Rosenfeld als Vertreter der Kriminalbiologie und Bevölkerungspolitik Während Erman die soziale Frage durch die Bodenrechtsreform lösen wollte, steuerten die Strafrechtler (kriminal-)biologische Lösungen an. Als paradigmatisch für die Hinwendung vom Strafrecht zur Bevölkerungspolitik kann die Beschreibung von Andreas Thomsen gelten, die er im Vorwort zu seinem 1925 erschienenen Buch „Der Völker Vergehen und Werden“ gegeben hat.78 Der Münstersche Strafrecht-

68 69 70 71 72 73 74 75 76 77 78

Koinzer 2002, S. 108ff., Erman 1916. Erman 1930. Wormit/Ehrenforth 1941. UAMs, Bestand 30, Nr. 159. Koinzer 2002, S. 301. Ebd., S. 295. Führer 2002. Koinzer 2002, S. 294. Erman 1934. Schubert 1995, S. XVIf. Thomsen 1925. Dazu auch die Beiträge von Julian Aulke und Manfred Witt in diesem Band.

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ler propagierte, ausgehend vom materiellen Strafrecht,79 die Weiterentwicklung der Strafrechtswissenschaft zur „Verbrechensbekämpfungswissenschaft“ durch die Dezimierung von „Verbrechervölkern“ und die „Heranzüchtung von Edelvölkern“.80 Diese „Grundlage einer allgemeinen Bevölkerungspolitik“ ist durch die politische Rechte rezipiert worden.81 Seit 1911 fragte auch Ernst Heinrich Rosenfeld nach dem Zusammenhang von „Rasse und Verbrechen“.82 Ist Verbrechen erblich und könnte in der Kriminalpolitik eine Eugenik im negativen Sinne betrieben werden? Zweifelte er zunächst noch an der Möglichkeit der „rassenhygienischen Ausrottung“,83 hielt er ein Jahr später zwar einen „gewaltsamen Eingriff in den Fortpflanzungsprozess“ für diskutierbar,84 aber er äußerte sich skeptisch über die strafrechtliche Anwendung der Sterilisation: „Die Sterilisation als ein spezifisches Mittel der Verbrechensbekämpfung ist eine Utopie, sie kann nur als Mittel dienen, eine allgemeine Keimverderbnis einzudämmen, als deren Symptom im Einzelfall auch eine verbrecherische Lebensführung erscheinen kann.“85

Zwanzig Jahre später, unmittelbar vor Erlass des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses, im Frühjahr 1933, fasste Rosenfeld seine Vorstellungen im Referat „Verhütung unwerten Lebens und Rechtsordnung“ zusammen: „Somit sehe ich als Leitgedanken für die kommende rechtliche Regelung lediglich die eugenische, bevölkerungspolitische Erwägung, die Idee des Rassedienstes an; hier genügt jedenfalls die Sterilisation, die daher allein der rechtlichen Regelung das Gepräge geben wird.“86

Auch Eheberatung beziehungsweise Eheverbote sah Rosenfeld als Mittel der Zukunft. Besonders hervorgehoben wurde in diesem Zusammenhang ein „Versuch der rassenhygienischen Lenkung der Ehewahl, der in Gestalt eines SS.-Befehls am 31. Dezember 1931 von der Schutzstaffel der NSDAP“ Rosenfelds Zustimmung fand.87

79 80 81 82 83 84 85 86 87

Thomsen 1902. Gekürzte Version: Thomson 1927, Vortrag vor der „Deutschen Adelsgenossenschaft“, vgl. zu letzterer: Malinowski 2004, S. 144ff. Jung 1930, S. 533, sowie bei Burgdörfer 1934, S. 108, Kloß 1927/28, S. 125. Rosenfeld, Zusammenhang, 1912. Ebd., S. 90. Rosenfeld, Verbrechensbekämpfung und Rassenhygiene, 1912. Rosenfeld 1913. Rosenfeld 1933. Ebd., S. 113.

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Strafrecht in der Weimarer Republik: die Politische Justiz – Friedrich Grimm als Praktiker und Professor Die Weimarer Republik war auch die Epoche der politischen Justiz.88 Während Naendrup sich im Jahr 1923 an paramilitärischen Aktionen im Ruhrgebiet beteiligte, ereigneten sich in den Verbänden der „Schwarzen Reichswehr“,89 die als stille Reserve der offiziellen Reichswehr aufgestellt worden war, so genannte „Fememorde“ an vermeintlichen „kommunistischen Verrätern“ und „Spitzeln der Entente“.90 Der außerordentliche und nichtbeamtete Professor für Internationales und vergleichendes Privat- und Prozessrecht, Friedrich Grimm (1888–1959),91 übernahm ab 1928 die Mandate der „Fememörder“ und späteren SA-Funktionäre Edmund Heines und Paul Schulz und versuchte, die oft brutalen Rachetötungen als präventive Gefahrenabwehr im Dienst des Vaterlandes darzustellen. Otto Kirchheimer sah in Grimm deshalb „den Typ des Anwalts, der sich mit Ausschließlichkeit an einer Sache festbeißt. In seinem Fall war es der extreme deutsche Nationalismus in allen Gestalten, in denen er sich im Verlauf von über zwei Jahrzehnten darbot; er begleitete ihn in all seinen Manifestationen und Wandlungen und versorgte ihn getreulich mit den juristischen Argumenten, die jeweils eine nützliche Wirkung zu verbürgen schienen“.92

Die Femeprozesse, die mit der Anerkennung der „Staatsnotwehr“ durch das Reichsgericht93 endeten, zeigten besonders in der Auseinandersetzung zwischen Grimm, der von Paul Krückmann unterstützt wurde,94 und Hugo Sinzheimer sowie Gustav Radbruch in der Zeitschrift „Die Justiz“ die Zerrissenheit von Gegnern und Befürwortern der Republik.95 Als außerplanmäßiger Professor beschäftigte sich Grimm in seiner Münsterschen Lehrtätigkeit vor allem mit der „Revision von Versailles“,96 was ihn nach den erfolgreichen Femeprozessen sowie den anschließenden Amnestiekampagnen97 auch mit Hitler zusammenbrachte, den er in seiner 88 89 90 91 92 93 94

95 96 97

Kirchheimer 1965. Sauer 2004, S. 23–51. Gumbel 1929, Grimm, „Femeprozesse“, 1931. UAMs, Bestand 10, Nr. 120, Preußisches Ministerium für Wissenschaft, Kultur und Volksbildung an F. Grimm, 11.8.1927. Kirchheimer 1965, S. 369. RGSt (Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen) 63, 215. Rechtsgutachten von Herrn Professor Dr. Krückmann, Münster i. W. (Anlage 17), in: Antrag des Rechtsanwalts Professor Dr. Grimm, Essen, vom 24. Januar 1929 auf Begnadigung und Strafurlaub des Oberleutnants a. D. Paul Schulz gerichtet an den Rechtsausschuß des Preußischen Landtags, Essen [1929], S. 29–32, vgl. dazu Gumbel 1928/29, S. 541ff. Grimm o. J. (1928), Sinzheimer 1929, Radbruch 1929, Rasehorn 1985. Grimm, Zur Rheinlandräumung, 1930, ders., Vom Ruhrkrieg zur Rheinlandräumung, 1930, ders., Frankreich am Rhein, 1931, ders. 1934. Grimm, Eingabe, 1930; Vortrag dazu in Münster von Grimm am 4.5.1930, UAMs, Bestand 4, Nr. 1318.

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Essener Kanzlei empfing und ihm Vorschläge zur Revision der Versailler Verträge unterbreitete.98 Damit begann Friedrich Grimms Aufstieg als „nationalsozialistischer Kronjurist“ (Hans Kilian).99 Nach der „Machtübernahme“ gehörte Grimm dem Reichstag an100 und setzte sich auch mit der antisemitischen Regelung des Anwaltsberufs durch das „Gesetz über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft“ auseinander.101 Zwar regte er einige Präzisierungen an, hielt aber die Stoßrichtung des Gesetzes für richtig.102 Grimm führte oder begleitete für das Regime verschiedene Prozesse: 1933 den Reichstagsbrandprozess,103 1933/34 den sogenannten Kairoer „Judenprozess“ und 1936 den Frankfurter-Prozess in Chur.104 In Ägypten wehrte sich der Geschäftsmann Umberto Jabès gegen die Verbreitung der Broschüre „Zur Judenfrage in Deutschland“ durch den Vorsitzenden des Deutschen Vereins in Kairo, Wilhelm van Meeteren. Das Gericht schloss sich der Argumentation Grimms an, dass ein einzelner Jude sich nicht gegen Kollektivbeleidigung wehren könne.105 Ab 1938/39 bereitete Grimm einen Prozess gegen Herschel Grynszpan vor.106 Die Vorbereitungen dazu wurden im Sommer 1942 eingestellt.107 Besonders der Prozess108 gegen David Frankfurter 1936 in Chur wurde von Grimm und seinem Mitstreiter aus dem Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda, Wolfgang Diewerge, zur antisemitischen Propaganda genutzt.109 Grimms Prozessbeteiligung war unter höchstem diplomatischen Druck durch Ernst von Weizsäcker, den deutschen Gesandten in Bern, durchgesetzt worden.110 In seinem – Hitler vorab persönlich vorgetragenen – Plädoyer als Vertreter der Witwe Wilhelm Gustloffs geiferte Grimm über die jüdische Weltverschwörung, die hier zum Mord 98 99 100 101 102

103 104 105 106 107 108 109 110

Grimm 1961, S. 116–123. Kilian 1936, S. 25. Hubert 1992, S. 73. Reichsgesetzblatt I 1933, S. 188 (7.4.1933); Grimm 1933; vgl. dazu Krach 1991, S. 282f. Grimm 1961, S. 124ff., mit eindeutig antisemitischer Stoßrichtung: „Ich fühlte instinktiv, mehr als ich wahrhaben wollte, daß es doch ein Judenproblem gab, und daß das deutsche Volk sich irgendwie damit auseinandersetzen mußte“; vgl. auch den Vortrag vor der „Arbeitsgemeinschaft für Strafrechtspflege“ des Nationalsozialistischen Rechtswahrerbundes im September 1941: „Der jüdische Verteidiger, der der Meister der Rabulistik und der Kunst des Verdrehens war, der sich bemühte, aus schwarz weiß zu machen, hat dem Anwaltsstande schwer geschadet“, zitiert nach: Königseder 2001, S. 153. Sack 1934. Ludwig 1986. Gebert 2011. Heiber 1957, Schwab 1990. Steinweis 2009, S. 146. Middendorff 1977, Bollier 1999. Diewerge 1936, ders. 1937. BAB, R 55, Nr. 20999, Bl. 99, Brief von Diewerge an Grimm, 18.8.1936: „Ihre Ausführungen über Ihre Teilnahme an dem Prozess waren natürlich von allergrößtem Interesse. Die Schaffung einer solchen Möglichkeit wird die Kernfrage der Prozessvorbereitung bleiben“; Bollier 1999, S. 64f.

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an „einer makellosen Persönlichkeit“ geführt habe, die nur für „eine Idee, für den Führer, für Deutschland“ lebte.111 Joseph Goebbels zeigte sich entsprechend begeistert über Grimms Prozessführung: „Prof. Grimm erstattet Bericht vom Gustloff-Prozeß. Die Juden haben alles auf die Beine gestellt, um uns bloß zu stellen. Aber unsere Prozeßführung war überlegen. Die Juden sind doch dumme Teufel. Vor allem Grimm hat seine Sache ausgezeichnet gemacht“.112

Obwohl Grimm aufgrund seiner vielfältigen Prozesstätigkeiten sein Lehrdeputat als außerordentlicher Professor in Münster vernachlässigt hatte, wurde er im Frühjahr 1938 – entgegen der Bestimmungen der Fakultätssatzung – zum Honorarprofessor ernannt.113

Öffentliches Recht in der Weimarer Republik: der Steuerrechtler Ottmar Bühler und die Verfassungsreform im Reich und in Westfalen Ebenso wie Friedrich Grimm beobachtete auch der Steuerrechtler Ottmar Bühler114 die europäische Nachkriegsordnung skeptisch.115 Neben der Revision der außenpolitischen Beziehungen beschäftigte sich Bühler auch mit der Reichsreform, jenem gescheiterten Reformprojekt der Weimarer Republik, das das Verhältnis zwischen Preußen und Reich neu austarieren sollte.116 Bühler sprach sich innerhalb der Länder für eine Vergrößerung der Mittelinstanzen (Oberpräsidien beziehungsweise Regierungen) aus und vertrat auf Reichs-Länder-Ebene einen Mittelweg zwischen Einheits- und Bundesstaat. Preußen sollte mit den norddeutschen Ländern einen „Hauptblock des Reiches“ bilden. Die Preußische Regierung sollte mit der Reichsleitung fusionieren, ebenso Land- und Reichstag sowie die Reichs- und Länderverwaltungen. Dagegen sollten Sachsen und die drei süddeutschen Länder (Bayern, Württemberg und Baden) unabhängig bleiben.117 Bühlers Blick ging aber auch auf die generelle Verfassungssituation. Dass der Parlamentarismus eine nicht mehr „brauchbare Staatsform“ ist, gelte – nach Bühler – für einen „sehr großen Teil des Volkes“, ebenso für die „große Mehrzahl aller Intellektuellen“.118 Gründe dafür 111

112 113 114 115 116 117 118

BAB, ehem. BDC / RK, I 0203 (Grimm, Friedrich), Broschüre: Prof. Dr. Grimm – Essen: Der Fall Gustloff vor dem Kantonsgericht zu Chur. Schlußwort der deutschen Prozeßvertretung gesprochen am 12. Dezember 1936 im Namen der Zivilklägerin, Frau Wilhelm Gustloff: Widmung von Grimm: „Dem Führer und Reichskanzler Adolf Hitler ergebenst zugeeignet, Essen, d. 17. November 1936. F. Grimm“; auch eigenständig veröffentlicht. Fröhlich 1987, S. 17. UAMs, Bestand 30, Nr. 165, Umlauf April 1938. Zu Bühler: Pausch 1992, S. 120–133, Stolleis 1999, S. 224f., ders. 1992, S. 376 und passim, Tappe 2009. Bühler 1932. Bühler, Der heutige Stand, 1931; zur Reichsreform: John 2001. Bühler, Der heutige Stand, 1931, S. 38. Ebd., S. 40.

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seien: „Fehlen eines Gefühls für Gesamtverantwortung, Interessenpolitik, Parteiegoismus“, also „das Beutesystem bei der Ämterbesetzung“. Zwar sei „die Diktatur im Sinne der faschistischen Verwirklichung dieser Idee […] unstreitig heute für Millionen das erstrebte Ideal, und ich weiß natürlich, wie ein großer Teil der akademischen Jugend für diesen Gedanken geradezu glüht.“ Aber Bühler ist skeptisch: „[…] ich stimme jenen bei, die die Aussichten einer Durchführung der Diktatur bei uns für sehr gering ansehen. Auch wenn wir einen Mann vom Format Mussolinis hätten, würde er sich wahrscheinlich bei uns nicht so durchsetzen können wie in Italien, und überdies haben wir einen solchen Mann nun einmal nicht“.119

Zwar hätte keine andere Partei als die der Nationalsozialisten „unseren Parlamentarismus schärfer kritisiert […] – vor den Wahlen 1930. Als ihrer nach dem 14. September 1930 107 in den Reichstag einzogen, wurde es mit ihrer Kritik sofort stiller. In den ersten Wochen zeichneten sich die Sitze der nationalsozialistischen Fraktion noch durch bessere Besetzung aus, dann begannen auch da die starken Lücken zur Regel zu werden. Im Verlangen nach der von ihr theoretisch bekämpften Bindung der Exekutive an das Parlament geht praktisch niemand weiter als sie. Auch die persönlichen Vorrechte und Annehmlichkeiten der Abgeordnetenstellung machen sie sich mindestens so gut zunutze wie irgendeine andere Partei, und auch die Hoffnung, daß sie mit der etwas merkwürdigen Handhabung der Diätenbestimmungen aufräumen würden, ist bis jetzt enttäuscht worden“.120

Wahrscheinlicher als die faschistische Diktatur ist deshalb für Bühler die „legale Verstärkung der Exekutive“ nach dem Vorbild des „Präsidentschaftstyps der Vereinigten Staaten“: „Wäre diese amerikanische Staatsform nicht auch für uns das Richtige? Würde sie nicht den besten Teil der monarchischen Tradition und zugleich die Idee, die dem Ruf nach Diktatur am meisten zugrunde liegt, nämlich die Idee einer starken beständigen Staatsgewalt, sich zunutze machen und mit den Elementen einer ganz echten Demokratie vereinigen? Würde sie uns nicht aus dem Jammer der Sechs-Monate-Regierungen herausführen zu einer Festlegung des Staatskurses wenigstens auf einige Jahre?“121

Kleinere Mittel zur Stärkung der Exekutive wären nach Bühler die größere Initiative des Reichspräsidenten bei der Regierungsbildung, die Erschwerung des Misstrauensvotums des Reichstags gegenüber der Regierung, die Ausgestaltung der gesetzgebenden Körperschaften nach dem berufsständischen Prinzip sowie die Umgestaltung des Parteienwesens, vor allem die Verringerung der Parteien. Die Wahl vom 14. September 1930 brachte einen großen Zugewinn für die NSDAP. Dazu noch einmal Bühler: „Ob die nationalsozialistische Bewegung zu einer dauernden Umgestaltung unseres Parteiwesens und vielleicht unseres ganzen Regierungssystems führt, kann heute noch nicht 119 120 121

Ebd., S. 44. Ebd., S. 43. Ebd., S. 46.

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beurteilt werden. Bei der Unklarheit ihres Programms in den entscheidenden Punkten ist es nicht sehr wahrscheinlich, daß sie dauernden Erfolg hat“.122

Die Reichsreform tangierte auch Westfalen in Bezug auf eine Neuzuschneidung der Preußischen Provinzen. Im Rahmen dieser Reformbestrebungen kam es zwischen der Provinz Hannover und der Provinz Westfalen zu niedersächsischen Gebietsansprüchen auf „ostwestfälische Territorien“. Des Weiteren wurde die Schaffung einer „Ruhrprovinz“ diskutiert. Der westfälische Provinzialverband beauftragte daraufhin den Breslauer Historiker Hermann Aubin mit der Konzeption des „Raumwerks Westfalen“, welches die territorialen Änderungsvorhaben durch die Erforschung des „Kulturraumes Westfalen“ abwehren sollte. In diesem wissenschaftlichen Großprojekt, das erst 1996 fertiggestellt wurde, zeichnete Ottmar Bühler für den ersten Band als Mitherausgeber verantwortlich und schrieb einen Beitrag über „Raum und Verwaltung“, der den effektiven und organischen Verwaltungsaufbau in Westfalen nachzuweisen versuchte.123 Neben seinen Überlegungen zur Verfassungs- und Verwaltungsreform baute Ottmar Bühler in Münster aber vor allem die Steuerrechtslehre seit seiner Berufung 1919124 aus und trug maßgeblich zur Gründung des Seminars für Steuerrecht 1934 bei.125 Nach 1933 arrangierte sich auch Bühler mit dem neuen Regime. Er bedachte Hitler mit Vorschlägen für die Revision des Versailler Vertrages,126 verfasste Tagungsberichte mit antisemitisch gefärbtem Unterton127 und referierte in Truppenvorträgen über den U-Bootkrieg.128 Schon 1932 hatte er einen Vortrag über „Faschismus und Nationalsozialismus“ gehalten, der so zustimmend war, dass er auf seine vermeintliche Mitgliedschaft in der NSDAP angesprochen wurde, aber auch wieder so kritisch, dass er sich mit der nationalsozialistischen Studentenschaft zur Aussprache traf und im Frühjahr 1933 auf einer Säuberungsliste stand.129 Bühler wechselte 1942 nach Köln.

122 123

124 125 126 127 128 129

Ebd., S. 48. Bühler, Raum und Verwaltung, 1931; zum Gesamtprojekt: Wallthor 1996; positive Rezensionen über das Gesamtwerk von Carl Schmitt und Bill Drews, vgl. dazu LWL-Archivamt, Bestand 908, Nr. 159, NL Ernst Kühl: Zeitschriften 1931, und Bußmann 2004, S. 55f. UAMs, Bestand 31, Nr. 20, sowie Bühler 1927. UAMs, Bestand 142, Nr. 1–8. Jacobsen 1968, S. 351; BAB, Bestand R 43 II, Nr. 1404c (Gutachten: Wolgast und Bühler); Hartmannsgruber 2002, S. 840, Nr. 197: Vorträge Lammers bei Hitler, 17.4.1936. BAB, Bestand R 4901, Nr. 3001, Tagungen und Kongresse / Kongress der Internationalen Vereinigung für Finanz- und Steuerecht 13. bis 15. Juli 1939 in Den Haag. Bühler 1940. LAV NRW W, Nachlass Hugelmann, Nr. 126 (Ottmar Bühler: Meine Stellung zum Nationalsozialismus); BAB, ehem. BDC, Anton Baumstark, DS 800, A 004.

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Personalien und Organisation der 1930er-Jahre Bevor auf die personalpolitischen Maßnahmen der Nationalsozialisten eingegangen wird, soll kurz die personelle Entwicklung bis 1933 dargestellt werden. In der Weimarer Republik war 1925 Heinrich Erman emeritiert worden; auch Privatdozent Alfred Hueck (1889–1975)130 hatte Münster verlassen. Seit 1918 hatte er in Münster gelehrt, nahm 1925 einen Lehrstuhl in Jena an und wurde einer der wichtigsten Arbeitsrechtler der deutschen Jurisprudenz.131 Nachfolger von Erman wurde für fünf Jahre von 1926 bis 1931 Hans Kreller, der sowohl römisches als auch Arbeits- und Wirtschaftsrecht las. Nach seinem Wechsel an die Universität Tübingen im Oktober 1931 vertrat erst Max Kaser (1906–1997)132 seine Professur, der schließlich im Dezember 1933 als Extraordinarius (mit 27 Jahren) berufen wurde. Durch den Tod von Josef Lukas 1929 folgte zum 1. November 1930 der Greifswalder Verwaltungsrechtler Erhard Neuwiem (1889–1943)133 auf diesen öffentlich-rechtlichen Lehrstuhl nach. Für Neuwiem sprach vor allem seine Lehrtätigkeit im katholischen Kirchenrecht. 1928 war Andreas Thomsen emeritiert worden, der aber noch bis 1936 lehrte; zum 1. Oktober 1931 wurde dafür neben Ernst Rosenfeld Heinrich Drost (1889–1958)134 aus Bonn als Strafrechtler berufen. Die Nachfolge des 1935 emeritierten Paul Krückmann trat 1936 Hans Schumann (1899–1959) aus Marburg an, der 1938 Ordinarius für Handels- und Wechselrecht wurde.135 Auch die institutionelle Ausdifferenzierung der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät schritt zunächst voran, die aber, spätestens seit Kriegsbeginn, in einer Auszehrung der Fakultät endete. 1934 wurde das Institut für Steuerrecht136 und 1938 das Kommunalwissenschaftliche Institut unter dem Dortmunder Bürgermeister und Stadtkämmerer Hans Pagenkopf (1901–1983)137 gegründet sowie für Karl Gottfried Hugelmann (1879–1959) eine „Nationalitätenrechtliche Abteilung“ (1938) aufgebaut.138 Der Antrag auf Errichtung eines Lehrstuhls für Arbeitsrecht 130 131

132 133 134 135

136 137

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Zöllner 2007, Weißkuhn 2009. Hueck wurde 1914 von Ernst Jacobi promoviert mit der Arbeit „Unkörperliche Geschäftswerte“ und schrieb eine Abhandlung über den Sukzessivlieferungsvertrag, mit der er sich in Münster habilitierte; Weißhuhn 2009, S. 22ff. Knütel 1998, Simon 1989. Zu Neuwiem: Stolleis 1999, S. 270f., S. 289f., Steveling 1999, S. 264. Steveling 1999, S. 284. UAMs, Bestand 4, Nr. 236, Bl. 196, Dekan (Neuwiem) an REM, 17.4.1935 (Nachfolge Krückmann/Vorschlag Privatdozent Dr. Hans Schumann); Habilitation 1929 in Marburg: Schumann 1930. Steveling 1999, S. 486f. Stolleis 1999, S. 290, Hilberath 1939; zu Pagenkopfs Funktionen im kommunalpolitischen Apparat der NSDAP: Matzerath 1970; zu Pagenkopfs federführendem Verhalten als Bürgermeister und SA-Obersturmbannführer beim Abriss der Dortmunder Synagoge: Klotzbach 1969, S. 148f. Vorlesungsverzeichnis Sommersemester 1938, S. 35; UAMs, Bestand 30, Nr. 66; Steveling 1999, S. 429ff.

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scheiterte,139 die Neubesetzung des Lehrstuhls des 1936 emeritierten Rudolf His erfolgte nicht140 und auch der strafrechtliche Lehrstuhl des 1937 zwangsemeritierten Heinrich Drost wurde faktisch bis Kriegsende nicht wiederbesetzt. Von 1933/34 mit 663 Studenten der Rechts- und Staatswissenschaften ging die Zahl auf 255 Studenten 1939/40 zurück. Noch 1922 hatten 1.100 Studenten sich für Rechts- und Staatswissenschaften eingeschrieben; 1941/42 stieg die Zahl wieder auf 498.141 Wichtigste Neubesetzung im Sommer 1933 war die des Rektorats.142 Hubert Naendrup setzte sich als Kandidat des Gaus Westfalen-Süd (Gauleiter Josef Wagner) gegen den Orientalisten Anton Baumstark, unterstützt von Gauleiter Alfred Meyer (Westfalen-Nord), durch.143 Damit sollte die Universität einen FührerRektor bekommen.144 Naendrup, der sich im Oktober 1933 noch einmal durch das Erziehungsministerium bestätigen lassen musste, übte dieses Amt bis zum 1. April 1935 aus.145 Ausschlaggebend waren für diese Einsetzung nicht Naendrups wissenschaftliche Leistungen, sondern seine Verdienste im Ersten Weltkrieg sowie sein paramilitärisches Engagements in und gegen die Weimarer Republik. Erst in der Endphase der Republik – Naendrup trat nach eigenen Angaben im September 1932 in die NSDAP ein – wurde er wieder politisch aktiv und gründete die nationalsozialistische Theaterbesucher-Organisation „Kampfbühne Münster i. W.“. Im April 1933 wurde er Vertrauensmann der NSDAP an der Universität Münster und schließlich im Sommersemester Rektor.146 Seine Emeritierung wurde bis März 1940 herausgezögert. Ab Oktober 1939 war Naendrup, Major der Reserve, Kommandant des Stammgefangenlagers VI A in Hemer und baute das Kriegsgefangenenlager aus sowie die Logistik für die Verteilung der Kriegsgefangenen für den Arbeitseinsatz auf.147 Er übte dieses Amt bis zum 5. Dezember 1940 aus. Die Konfliktlinie zwischen Naendrup und Baumstark setzte sich auch in der „Kommission zur politischen Gleichschaltung an der Universität Münster“ fort.148 In einem am 18. Juli 1933 erstellten Protokoll der „Kommission in Fragen der Gleichschaltung an der Westfälischen Wilhelms-Universität“ wurden 18 Namen von Universitätsangehörigen genannt, die entlassen oder überprüft werden sollten.149

139 140 141 142 143 144 145 146 147 148 149

Steveling 1999, S. 487ff. Ebd., S. 456ff. Menger 1980, S. 272. Dazu der Beitrag von Kristina Sievers in diesem Band. BAB, ehem. BDC, Anton Baumstark, DS 800, A 004, UAMs, Bestand 4, Nr. 38. Seier 1964. UAMs, Bestand 31, Nr. 42, Bd. 2. UAMs, Bestand 4, Nr. 1048, Bl. 80ff. Reininghaus 2000, S. 115. Zur alternativen Terminologie „NS-Vorbereitender Ausschuß an der Universität“, vgl. Steveling 1999, S. 375ff. BAB, ehem. BDC, Anton Baumstark, DS 800, A 004, S. 2711–2721.

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Karriereabbrüche und zerstörte Leben ab 1933 Diese Entlassungsvorschläge stützten sich legaliter auf die gravierendste wissenschaftspolitische Maßnahme der Nationalsozialisten, nämlich auf das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933, welches die personelle Umstrukturierung der Hochschulen nach rassischen und politischen Aspekten ermöglichte.150 Als „Rasse- und Religionsjude“ wurde Ernst Isay (1880–1943) entlassen.151 Isay war seit 1928 Oberverwaltungsgerichtsrat am Preußischen Oberverwaltungsgericht in Berlin und seit 1924 Privatdozent an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät Münster sowie Mitglied der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer.152 Besonders das Völkerrecht153 und das Internationale Verwaltungs-154 und Finanzrecht hatten Isay beschäftigt.155 Isay versuchte noch vergeblich, durch eine Auskunft beim Reichsarchiv im Juni 1933 seinen Fronteinsatz im Ersten Weltkrieg nachzuweisen, aber im Oktober 1933 „empfahl“ der Dekan Rudolf His ihm, keine Vorlesungen mehr abzuhalten.156 In einem Brief vom 3. Mai 1964 an den Dekan Wolfgang Fikentscher beschrieb die Witwe Luise Isay die Flucht sowie die schwierigen Lebensumstände in Brasilien und schließlich nach „Jahren der Bitternis und der Hoffnungslosigkeit“ den Tod ihres Ehemannes 1942. Ein Manuskript über „Internationales Privatrecht“ sei aufgrund des Rücktritts des Verlages unveröffentlicht geblieben.157 Ebenfalls „als Mischling ersten Grades“ im Sinne der nationalsozialistischen Gesetze“ musste Ernst Jacobi zunächst seinen Posten als Dekan räumen und beantragte im September 1934 auf Druck die Entbindung von seinen Pflichten.158 Auch der Vertrag des Fakultätsassistenten Ernst Goose (geboren 1908) wurde im März 1933 aufgrund seiner jüdischen Abstammung nicht verlängert.159 Heinrich Drost (1898–1956) musste aufgrund früherer Logenzugehörigkeit 1937 seine Entpflichtung beantragen.160 Walter Erman (1904–1982), der Sohn Heinrich Ermans, wurde aufgrund einer „Habilitationssperre“ die wissenschaftliche Karriere unmöglich gemacht.161 Zu seinen Vorfahren zählte der russische Philosoph Alexan150 151

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157 158 159 160 161

Reichsgesetzblatt 1933 I, S. 175; Grüttner/Kinas 2007, Herlemann 2009, Höpel 1993. GStA, I. HA, Rep 76 Va Sekt. 13 Tit IV. Nr. 22, Über die Anwendung des Berufsbeamtengesetzes auf die Dozentenschaft der Universität Münster 1933 bis 1934, S. 71–81; vgl. auch das Pamphlet von Gürke 1936, S. 21 und S. 32 (zu Ernst Isay). Göppinger 1990, S. 133. Isay 1924, ders. 1928/29. Vgl. dazu: Vec 2006, S. 150 und S. 161. UAMs, Bestand 10, Nr. 185; Isay 1934. UAMs, Bestand 31, Nr. 28, Bd. 1, 26.10.1933: „Indem ich Ihnen dieses Schreiben ergebenst zur Kenntnis bringe, empfehle ich Ihnen, entsprechend der ministeriellen Verfügung im kommenden Semester keine Vorlesungen zu halten.“ UAMs, Bestand 31, Nr. 28, Bd. 1; Möllenhoff/Schlaumann-Overmeyer 1995, S. 221. UAMs, Bestand 31, Nr. 29; Möllenhoff/Schlaumann-Overmeyer 1998, S. 248. UAMs, Bestand 9, Nr. 313. BAB, ehem. BDC / DS, A 0017 (Heinrich Drost). Holzhauer 2004, S. 18f.

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der Herzen162 sowie der erste preußische Bürger jüdischen Glaubens, Daniel Itzig, dem dieser Rechtsstatus vom preußischen König Friedrich Wilhelm 1791 durch „Naturalisationspatent“ verliehen worden war,163 so dass Walter Erman für eine wissenschaftliche Laufbahn im neuen „Reich“ nicht zugelassen wurde.164 Dieser Entrechtlichung fielen auch der katholische Priester und Staatsrechtler Heinrich Weber (1888–1946), der jüdische Ökonom Werner Friedrich Bruck (1880–1945) sowie der sozialdemokratische Gewerkschaftler und Honorarprofessor Richard Woldt (1878–1952) zum Opfer. Wenigstens im Fall Werner Friedrich Bruck wurde kein „Bürgerverrat“165 begangen und versucht, im Ministerium zu erreichen, dass die Beurlaubung rückgängig gemacht wurde. Ohne Erfolg.166

Karrieren im Stile der „kämpfenden“ Wissenschaft – Selbstmobilisierung durch Antisemitismus Antisemitisch betätigten sich aber nicht nur der Berliner Gesetzgeber, sondern auch die Münsterschen Rechtswissenschaftler. Während die akademischen Karrieren von Fakultätskollegen endeten, verschärften einige Professoren die Verfolgung noch. Hubert Naendrup giftete beispielsweise nach dem Abschluss des Münsterschen Abkommens,167 dass „noch ein offenes Wort“ gesprochen werden müsse. „Die Aufblähung der Zeitschriften, der das Abkommen von Münster begegnen soll, ist zu einem gewissen Teile auch mit hervorgerufen durch das Eindringen eines undeutschen, nicht-arischen Geschäftsgeistes, vor dem sich in Deutschland kein Gebiet des öffentlichen Lebens […] hat retten können. Es ist daher wohl kein Zufall, daß jene Aufblähung ihre eigentlichen schlimmen Formen annahm in den Jahren, in denen das jetzt vom Nationalsozialismus gestürzte jüdische Machtsystem Deutschland völlig beherrschte.“

Deshalb möge das Ausland Verständnis dafür haben, „wie notwendig es für den neuen Staat war, das deutsche Haus mit eisernem Besen von allen Auswirkungen der jüdischen Herrschaft reinzufegen“.168 Naendrups Fakultätskollege Paul Krückmann korrespondierte mit dem Chef der Reichskanzlei, Heinrich Lammers, mit ähnlichem Anliegen und bat diesen am 2. August 1933, ob er nicht „etwas tun [kann], 162 163 164 165 166 167

168

UAMs, Bestand 31, Nr. 25, Gutachten des Tübinger Historikers Johannes Haller über die Frage, ob Alexander Herzen Jude war, 23.4.1933. Schnee 1974. UAMs, Bestand 10, 164, Personalbogen Erman. Böckenförde 1999. Möllenhoff/Schlautmann-Overmeyer 1998, S. 244. Die Veröffentlichung von Dissertationen in Zeitschriften hatten diese so verteuert, dass ausländische Bibliotheken deutsche Publikationen nicht mehr einkaufen wollten. Im „Abkommen von Münster“ wurde festgelegt, dass Dissertationen nicht mehr in Fachzeitschriften veröffentlicht werden durften. Vgl. dazu: Schnieders 1972. Zur Diskussion im Verband der Hochschulen: BAB, R 8088, Nr. 51, Vorstand, Band 16, 1933; Naendrup 1933, S. 135.

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dass die Zeitschrift für Zivilprozess aus dem jüdischen Einfluss“ herauskomme.169 Im Sommer 1938 sprach er sich für eine „jüdische“ Kopfsteuer aus, nachdem es Juden nicht mehr erlaubt war, in die Wehrmacht einzutreten.170 Trauriger Höhepunkt des akademischen Antisemitismus mit Unterstützung aus Münster war die von Carl Schmitt initiierte Tagung „Das Judentum in der Rechtswissenschaft“ am 3. und 4. Oktober 1936 in Berlin. 171 Hubert Naendrup schlug am Ende der Referate ein Gelöbnis vor, das „Reichsrechtsführer“ Hans Frank zugesandt wurde. In ihm versprachen die Teilnehmer, jüdische Rechtswissenschaftler nur noch in Ausnahmefällen zu zitieren, an einer lückenlosen Bibliographie jüdischer Juristen zu arbeiten, die Bibliotheken zu „säubern“ und an der „Erforschung der Geschichte des Judentums und seiner Kriminalität sowie dem Eindringen des Judentums in das deutsche Volksleben“ mitzuwirken.172 Dies war die Forderung nach einem „literarischen Judenstern“.173 Der ehemalige Münstersche Strafrechtler Karl Siegert (1901–1988), nun in Göttingen,174 verbreitete sich über das „Judentum im Strafverfahrensrecht“ (Heft 4),175 die Referenten Johann von Leers („Die Kriminalität des Judentums“) sowie Max Mikorey („Das Judentum in der Kriminalpsychologie“) (beide Heft 3) wurden von Naendrup nach Münster zu Vorträgen 1936 und 1937 an der Verwaltungsakademie eingeladen.176

Aufstiege im Zeichen des neuen Arbeitsrechts: Werner Mansfeld und Heinz Rhode Während Karrieren und Lebenswege aus politischen oder rassistischen Gründen zerstört wurden, eröffneten sich anderen Münsterschen Juristen Chancen und Möglichkeiten. Im Bereich des Arbeitsrechts zeigt sich aber auch die Auszehrung der Fakultät. Denn es gelang 1939 nicht, einen Lehrstuhl für Arbeitsrecht in Münster zu errichten. Hubert Naendrup, der publizistisch nicht hervorgetreten war, übernahm dieses Fachgebiet. Der Nachwuchs verließ Münster. Die steilste Karriere machte ab 1933 Werner Mansfeld (1893–1953), der als Ministerialdirigent am 8. Mai 1933 ins Reichsarbeitsministerium zum Leiter der Abteilung III für Tarifrecht, Arbeitsrecht und Arbeitsschutz berufen wurde. Franz 169 170 171 172 173 174 175

176

BAB, R 43, Nr. 4085, S. 1, Krückmann an Lammers, 2.8.1933. Ebd., S. 38f., Krückmann an Lammers, 25.6.1938. Weinreich 1999, S. 39f., Mehring 2009, Jung 2006, Hofmann 1986, Busse 2000. Das Judentum in der Rechtswissenschaft o. J. (1936), S. 35. Rüthers 1990, S. 101. Halfmann 1998. Siegert 1937. Der Schlusssatz (S. 38) lautet: „Es ist aber unsere Aufgabe, die jüdische Machtstellung durch Ausrottung jeglichen jüdischen Geistes aus unserer Strafrechtspflege zu vernichten. Diesem jüdischen Geiste wollen wir ein artgebundenes deutsches Gemeinschaftsdenken entgegensetzen“. LWL-Archivamt, Bestand 804, Nr. 222, Einzelvorträge und Vortragsreihen in Münster; zu Leers: Heiber 1991, S. 403f.; zu Mikorey: Weidmann 2007.

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Neumann urteilte schon 1942 über ihn „als perfektes Exemplar der nihilistischen Nachkriegsordnung. […] er [hat] seine industriellen Herren nie verraten“.177 Mansfeld war Mitglied des Stahlhelms und ab 1924 Justitiar in der Geschäftsführung des Vereins für bergbauliche Interessen in Essen. Er trat im April 1933, zusammen mit seinem späteren Vorgesetzten, Reichsarbeitsminister Seldte, in die NSDAP ein. Trotz eines jüdischen Großvaters konnte er aufgrund eines Oktrois Hitlers in der Partei bleiben.178 Mansfeld habilitierte sich mit einem Kommentar des Betriebsrätegesetzes in Münster und erhielt im Sommer 1930 die Lehrbefugnis für Arbeitsrecht, Sozialversicherungsrecht und Wirtschaftsrecht.179 1936 übernahm er zusätzlich die Geschäftsgruppe Arbeitseinsatz beim Beauftragten für den Vierjahresplan.180 Von 1933 bis 1935 gehörte Mansfeld noch formell der Universität Münster an und konzipierte in dieser Zeit das „Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit“, welches Carl Schmitt als „klarsten […] Ausdruck“ des „neuen Ordnungsdenkens“ feierte.181 Mansfeld wurde einer der einflussreichsten Gestalter der nationalsozialistischen Arbeits- und Sozialpolitik,182 Herausgeber wichtiger Kommentare und Zeitschriften,183 Mitglied der „Akademie für Deutsches Recht“184 und schließlich für einige Wochen im Winter 1942 „Generalbevollmächtigter des Arbeitseinsatzes“.185 Ebenfalls im Sektor der nationalsozialistischen Arbeits- und Sozialpolitik machte Heinz Rhode (1901–1945) Karriere.186 Rhode wurde promoviert187 und habilitierte188 sich jeweils an der Münsterschen Fakultät. Er war stellvertretender Vorsitzender des Arbeitsgerichts in Hamm, Fakultätsassistent und 1938 wurde er außerordentlicher nichtbeamteter Professor, obwohl Naendrup in seinem Gutachten schwere Bedenken gegen ihn vorgebracht hatte. Rhode sei Schüler von Ernst 177 178

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Neumann 2004, S. 433. NSDAP-Gauleitung Groß-Berlin, Kreisgericht II an Pg. Dr. Mansfeld, 23.10.1936: „Auf eine Mitteilung des Gau-Personalamtes, daß Ihr Großvater Maximilian Friedrich Mansfeld Volljude gewesen sei, habe ich beim Reichsarbeitsminister angefragt, ob Sie Ihre arische Abstammung nachgewiesen haben und die Antwort erhalten, daß Ihnen durch Entscheidung des Führers vom 5.12.1936 trotz nicht rein arischer Abstammung ein Verbleiben in der Partei gestattet worden sei. Ich bitte, mir diese Entscheidung vorzulegen oder in beglaubigter Abschrift einzusenden.“ (Abbildung des Dokuments im Besitz des Verfassers). UAMs, Bestand 4, Nr. 136; Mansfeld 1930. BAB, R 3901, 20.400–20.402. Schmitt 1934, S. 64; vgl. auch Stolleis 1973, S. 127–146; eine „katholische“ Eloge aus Münster kam von Pieper 1934. Mason 1975, Schneider 1999. Mansfeld/Pohl/Steinmann/Krause 1934; Mansfeld war Gründer und Herausgeber der Zeitschrift „Deutsches Arbeitsrecht“. LeRoy Anderson 1987, S. 225, S. 558 und S. 573. Eichholtz 1985, S. 75–76, S. 198–202. UAMs, Bestand 10, Nr. 354; Biographie bei Roth 1993, S. 218f. Rhode 1925; Gutachten von Jacobi und Erman siehe UAMs, Bestand 33, Nr. 492. Rhode 1932, dazu die Rezension von Schönfeld 1932; Gutachten von Krückmann und Jacobi siehe UAMs, Bestand 31, Nr. 44.

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Jacobi („Mischling 1. Grades“) und „wissenschaftlich als oberflächlich“ zu bezeichnen. Eine Ernennung kam für Naendrup nur unter der Prämisse in Betracht, dass er eine außerordentliche Professur an einer kleineren Universität („Greifswald“) zur Beobachtung erhalte. Danach dürfe es zu keiner weiteren Beförderung kommen.189 Dennoch wurde Rhode 1940 zum außerplanmäßigen Professor an der Wirtschaftshochschule Berlin berufen und arbeitete nebenamtlich als Leiter der Rechtsabteilung im Arbeitswissenschaftlichen Institut der „Deutschen Arbeitsfront“.190 Das Institut funktionierte als nationalsozialistischer „think tank“, welcher die Steuerung der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik im „Dritten Reich“ untersuchend unterstützen sollte. Gegründet 1935/36 arbeiteten hier 1940 über 400 Statistiker, Juristen, Ökonomen und andere Humanwissenschaftler als politikberatende Institution für das Regime.191 Im Arbeitswissenschaftlichen Institut wurden durch statistische Erhebungen Individualhaushalte, Betriebe, Städte und Regionen durchleuchtet. Analysen des Konsums sollten helfen, Rüstungspolitik und Sozialpolitik auf einander abzustimmen und das Fernziel, den radikalen Umbau der deutschen Gesellschaft in die nationalsozialistische Volks- und völkische Leistungsgesellschaft durch Nivellierung der Klassengegensätze und Rationalisierung der Sozialsphären, zu erreichen.192 Rhodes Arbeiten und Veröffentlichungen beschäftigten sich vor allem mit der Weiterentwicklung des von Mansfeld konzipierten Gesetzes zur Ordnung der nationalen Arbeit.193 Mit einem elaborierten Gegenkonzept zum offiziellen Entwurf eines Gesetzes über das Arbeitsverhältnis194 profilierte er sich.195 Im Mai 1942 wurde er schließlich aufgrund seiner arbeitsrechtlichen Expertisen Mitglied der Akademie für Deutsches Recht im Ausschuss für Arbeitsrecht. Rhode resümierte, dass das Gesetz durch eine Vielzahl von Normen überlagert worden sei, ganze Bereiche seien ohne jeden Zusammenhang zu diesem Gesetz geregelt worden; es sei keine „praktische Rechtsquelle mehr“.196 Er warf Mansfeld vor, dass er zu arbeitsvertraglichen Regelungen einer vergangenen Epoche nach einem siegreichen Krieg zurück möchte, übersehen werde aber, dass die „soziale Wirklichkeit“ sich geändert habe.197 Rhode dagegen wollte von „einem durch staatlich beeinflußte Schuldverhältnisse gebildeten Arbeitnehmerschutzrecht“ zu einem „gemeinschaftrechtlich gestalteten Sozialrecht“ gelangen. Das partikuläre Arbeitsrecht werde von einem „verfassungsrechtliches Neuland darstellenden“ Sozialverfassungsrecht abgelöst, in dem „der 189 190 191 192 193 194 195 196 197

UAMs, Bestand 10, Nr. 353. Vgl. dazu Roth 1993. Roth 1993, S. 133f., und Raphael 2001, S. 13f. Raphael 2001, S. 18. Vgl. dazu Rüthers 2005, S. 380ff. Arbeitsrechtsausschuß der Akademie für Deutsches Recht 1938. Rhode, Zum Akademie-Entwurf, 1938, ausführlich: ders. 1944, LeRoy Anderson 1987, S. 224, Iannone 2009, S. 156ff. Rhode 1944, S. 6. Ebd., S. 11.

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nationale Sozialismus in seiner ganz umfassenden, jeden Volksgenossen bindenden […], Wesenheit verankert“ werden solle.198 In dieser „Volksgemeinschaft“ sollte derjenige allerdings, der „mit dem Juden handelt […] nicht davon ausgehen, daß dessen Willenserklärungen in dem gleichen Geiste abgegeben seien, in dem er selbst rechtlich denkt […].“ Ein Geist, der „der arischen Rasse im allgemeinen und dem deutschen Volksgenossen im besonderen naturgegeben ist.“ Hier gelte in neuer Bedeutung das Rechtssprichwort: „Trau, schau, wem!“199

Vom Völker- zum Nationalitätenrecht: Karl Gottfried Hugelmann Während es im Arbeitsrecht um die Rechtsordnung der „Betriebsgemeinschaft“ als Teil der „Volksgemeinschaft“ ging, verschob sich im Öffentlichen Recht der Blick immer mehr nach außen auf völkerrechtliche beziehungsweise „nationalitätenrechtliche“ Fragestellungen. Ebenso wie im innerstaatlichen Recht der Bezugspunkt des Rechtsdenkens vom „Staat“ auf das „Volk“ wechselte,200 entwickelte sich das Völkerrecht teilweise zum Nationalitätenrecht. Während fremde Volksgruppen auf dem Gebiet des Deutschen Reiches entrechtet und verfolgt wurden, erwiesen sich die Sorgen um die deutschen Minderheiten in den europäischen Nachbarstaaten als machtpolitisches Instrumentarium zur Destabilisierung und schließlich als Legitimation zur militärischen Intervention.201 Noch 1936 konnte das Lehrbuch über das Völkerrecht von Heinrich Drost202 erscheinen, das nach John Herz, der als Emigrant eine erste Gesamtdarstellung der nationalsozialistischen Völkerrechtslehre 1938 vorlegte, „von nationalsozialistischer Seite“ den Versuch machte, „Probleme unter Absehen von politischen Konsequenzen sachlich zu erörtern“.203 Dennoch ist das Werk aufgrund seiner völkerrechtsfreundlichen Interpretation durch Fachkollegen scharf angegriffen worden, da es damit die „rassengesetzliche“ Souveränität des „Dritten Reiches“ zu sehr zu relativieren drohte.204 Ein wichtiger Exponent dieses nationalitätenrechtlichen Diskurses war der vormalige Wiener Juraprofessor und Vizepräsident des österreichischen Bundesrates und spätere Rektor der Universität Münster (1935–1937), Karl Gottfried Hugelmann.205 Er ist der einzige Münstersche Rechtswissenschaftlter, der in den historischen Meistererzählungen der letzten Jahre – Winklers „Weg nach Westen“ so198 199 200 201 202 203 204 205

Ebd., S. 151. Rhode, Die Willenserklärung, 1938, S. 92f. Dreier/Pauly 2001, S. 33–40; Stolleis, Geschichte, S. 380ff. Jaguttis/Oeter 2000, S. 216. Drost 1936. Bristler 1938, S. 93f. Giese 1936 sowie die schon 1938 geschriebene Rezensionsabhandlungen von Kelsen 1948, Steck 2003, S. 68ff. Steveling 1999, S. 425ff., Heiber 1994, S. 682ff., Wegner 1959, ders. 1960.

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wie Wehlers „Gesellschaftsgeschichte“ – Erwähnung findet, sei es als Repräsentant katholischer Intellektueller, welcher den Brückenschlag zum Nationalsozialismus herzustellen versuchte, oder als großdeutscher Nationalsozialist, dessen rechtsgeschichtliche Forschungen sich immer mehr zur reichstheologischen Legitimierung der nationalsozialistischen Expansionspolitik wandelten.206 Schon in einer Abhandlung aus dem Jahr 1927 über das Judenrecht der spätmittelalterlichen Rechtsbücher behauptete Hugelmann die „völkische Verschiedenheit“ zwischen Deutschen und Juden.207 In eine neue Phase trat seine wissenschaftliche Aktivität am 23. August 1935, als sich der „Ausschuss für Nationalitätenrecht“ der „Akademie für Deutsches Recht“ konstituierte, welcher die nationalsozialistische Rechtserneuerung auf diesem Feld wissenschaftlich begleiten sollte. Überblickt man die Sitzungsteilnehmer der einzelnen Treffen, so liest sich die Namenliste wie das „Who‘s who“ der nationalsozialistischen Volkstumspolitik: hochrangige Vertreter aus der Ministerialbürokratie und der Volkstumskunde sowie Repräsentanten der SS wie Werner Lorenz und Hermann Behrends, der ab Juni 1938 Vorsitzender des Nationalitätenrechtsausschusses wurde.208 Der Ausschuss erarbeitete bis 1938 eine terminologische Vereinheitlichung der Rechtsbegriffe der „Nürnberger Gesetze“209 und skizzierte in einer Denkschrift über die zukünftige „Polenpolitik“ am 14. Juni 1940 ein Unrechtsprogramm von Vertreibungen und Diskriminierungen.210 In der Debatte über die so genannten „Schutzangehörigen“ des Reiches, also die 7 Millionen Polen, die aufgrund ihrer „rassischen Eingruppierung“ gemäß der „Deutschen Volksliste“ nicht Deutsche wurden, sprach sich Hugelmann dafür aus, dass die Rechtsverhältnisse der „Artfremden“ gesondert geregelt werden müssen.211 In der am 25. April 1943 in Kraft getretenen Zwölften Verordnung zum „Reichsbürgergesetz“ wurden Ergebnisse dieser Aussprache dann teilweise Gesetz.212 Hugelmann beteiligte sich auch an der „Aktion Ritterbusch“, in der über 500 Professoren nach der „neuen geistigen Ordnung“ in Europa suchten.213 Nationalsozialistische Kernbegriffe wie „Volk“ oder „Raum“ sollten sowohl interdisziplinär als auch in ihrer „konkreten Wirklichkeit“ erfasst werden. Hugelmann steuerte einen Beitrag über den „Reichsgedanken bei Nikolaus von Kues“ bei.214 Des Weiteren untersuchte er die „Eingliederung des Sudetenlandes“.215 Ebenso beteiligten sich der 206 207 208 209 210 211 212 213 214 215

Winkler 2000, Bd. 2, S. 65, Wehler 2003, S. 814. Hugelmann 1927, Ehlers 1998, S. 65, Kisch 1949, S. 77. Schubert 2002, S. XIXff., Klingemann 2009, S. 152ff., Haar 2002, S. 317ff. Schubert 2002, S. 388ff. Ebd., S. 477–504, „Rechtsgestaltung deutscher Polenpolitik nach volkspolitischen Gesichtspunkten“, in: Lawrence/Joosten 1947, S. 207–242 (661-PS), Rebentisch 1989, S. 164. Schubert 2002, S. 610. Münch 2007, S. 73ff., Majer 1981, S. 215–221. Hausmann 2007. Hugelmann 1943. Hugelmann 1941.

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seit 1941 in Münster lehrende Rechtshistoriker George A. Löning (1900–1946)216 sowie der ab 1951 lehrende Zivilrechtler Karl Michaelis (1900–2001) an Tagungen dieses „Kriegseinsatzes“ der deutschen Geisteswissenschaft.217 Löning, der 1946 in russischer Kriegsgefangenschaft starb,218 war wie Michaelis an den Beratungen der Akademie für Deutsches Recht für ein „Volksgesetzbuch“ beteiligt.219

Strafrecht und Kriminalbiologie – zum Schutz der „Volksgemeinschaft“ Auch Rosenfelds Nachfolger (ab 1935) Wilhelm Sauer (1879–1962) widmete sich der biologisierenden „Kriminalsoziologie“.220 Sauer, der in einer Vielzahl von Artikeln die „nationale Revolution“ gefeiert hatte,221 war den Königsberger Studenten nicht revolutionär genug und musste nach Münster wechseln.222 Für ihn bestimmten Anlageeinflüsse, die Umwelt sowie der „freie Willen“ den Menschen zum Verbrecher.223 Letzterem maß Sauer überragenden Einfluss bei.224 Ab 1933 kam der „Kriminalitätserreger“ hinzu, verstanden als „das freie Willensstreben des Täters (sein Kraft- und Wertstreben)“.225 Die nationalsozialistische Strafrechtsreform stelle ebenfalls, so Sauer, die als Elemente des Kriminalitätserregers erkannten „Laster“ als auch strafrechtlich besonders „belastend“ hin. Denn: „Das Verbrechen sei an seinem Keime anzupacken; das Grundübel sei aber nicht die vollendete Tat, sondern der verbrecherische Wille“.226 Sauer transformierte mit dem „Kriminalitätserreger“ das Tat- zum Täterstrafrecht.227 Heinrich Drost, seit 1931 Extraordinarius

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217 218 219 220 221 222 223 224 225 226 227

Sellert 2005; Artikel „George Löning“, in: Buddrus/Fritzlar 2007, S. 257; George A. Löning kam in seinem Aufsatz „Juden im mittelalterlichen Bremen und Oldenburg“, Löning 1938, S. 270f., zu folgender rückblickender Bilanz: „In Wahrheit findet sich für die Judenverfolgungen weit mehr, als man früher annahm, ‚von Anfang an kein andrer Grund als der Rassengegensatz […]‘, den das Verhalten der Juden immer wieder fühlbar machte. Man erkennt heute mehr und mehr, daß die Geschichtsforschung gerade in diesem Punkte häufig fehlgegangen ist“. Hausmann 2007, S. 239ff. und S. 333ff. Schultze-von Lasaulx 1948; UAMs, Bestand 31, Nr. 34, Bd. 1. Schubert 1988; vgl. dazu auch Löning 1987. Sauer, Kriminalsoziologie, 1933. Sauer, Die nationale Revolution, 1932/33, ders., Rezension, 1932/33, ders. 1933/34, ders., Wendung zum nationalen Strafrecht, 1933; vgl. zu Sauer auch: Stolleis 1973, S. 46–50. GStA, I. HA, Rep 76 Va, Sekt 11, Tit IV, Nr. 19, Bd. 9. Baumann 2006, S. 154–159. Sauer, Kriminalsoziologie, 1933, S. 38. Sauer 1935. Ebd., S. 532f. Marxen 1975; trotz seiner Zustimmung zum Regime wurden zwei (rechtsphilosophische) Bücher von Wilhelm Sauer 1936 verboten, dazu: Steveling 1999, S. 337–341, ScheurenBrandes 2006, S. 49–71, Wittreck 2008, S. 23.

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für Strafrecht und Rechtsphilosophie,228 begrüßte ebenfalls die Abkehr vom liberalen Strafverständnis, das einer ethischen Beurteilung der Straftat im Wege gestanden habe. Nun sei die Möglichkeit gegeben, dass das Strafrecht die Integration in die „Volksgemeinschaft“ zum Ziel strafrechtlicher Maßnahme mache.229 Ein wissenschaftlicher Höhepunkt dieser Forschungsbemühungen war der von über 1.350 Wissenschaftlern besuchte „Römische Kongreß für Kriminologie“ 1938 in Italien. Aus Münster reisten Wilhelm Sauer, Ernst Heinrich Rosenfeld, der damalige Habilitand und spätere Strafrechtskommentator Horst Schröder (1913–1973)230 sowie der Münstersche Gerichtsmediziner Heinrich Többen an.231 Sauer beschrieb in einem Gutachten, welches sich in einem „als Kameradschaftsarbeit von Teilnehmern und Mitarbeitern“ veröffentlichtem Tagungsband findet, seine Ansichten über die richterliche Strafzumessung im nationalsozialistischen Staat.232 „Nach der neuen deutschen Auffassung“ werde der Schuldbegriff nicht mehr „formal als Pflichtwidrigkeit“ verstanden, sondern „material als subjektive Sozialgefährlichkeit“. Deshalb habe der Richter nicht mehr „wie nach formalistischer Auffassung“ die abstrakte Norm „logisch-korrekt“ auf den Sachverhalt anzuwenden, sondern „er hat vielmehr die Norm sinngemäß mit verwandten Entscheidungen als Anhalt zu nutzen, um den vorliegenden Fall in seiner individuellen, einmaligen Eigenart einer endgültigen Regelung zuzuführen, die den Anforderungen des Gemeinwohls und der konkreten Gerechtigkeit möglichst umfassend genügt“.233

Zwar habe der Richter zunächst zu „individualisieren“, „weil Tat und Täter in jedem konkreten Fall verschieden […] sind. Gleichwohl kann der Richter nur mit ‚Typen‘ arbeiten, sei es [mit] gesetzlich-dogmatischen, sei es [mit] psychologisch-soziologischen Typen“.234 Innerhalb dieser Typenlehre durchlaufe der „Kriminalitätserreger“ nach dem „kriminalbiogenetischen“ Gesetz die Stadien „akut“, „subakut“ und „chronisch“. Letzteres Stadium sei in der Form „tertiärer Kriminalität“ der „schwerste, durchaus chronische Fall der Gewohnheits-, Gewerbsund Berufsmäßigkeit“.235 Zwar werde die „Bekämpfung und Ausrottung“ dieser Kriminalität immer schwieriger und Sauer warnte, dass „Stärke und Zähigkeit des Kriminalitätserregers […] größte Gefahren für ein Volk“ bedeuten: „Ein Kulturstaat hat nichts so sehr zu fürchten und zu verhindern wie einen tiefen moralischen Stand des Volkes, nichts so sehr zu pflegen wie Erhaltung und Steigerung gesunder 228 229 230 231 232 233 234 235

UAMs, Bestand 31, Nr. 83, Bd. 2, Preußischer Minister für Wissenschaft, Kultur und Volksbildung an Kurator, 7.10.1931. Drost 1933, ders. 1933/34. BAB, R 22, Nr. 75331; Cramer 1988. BAB, R 4901, Nr. 2884; Simon 2001, S. 9ff. Sauer 1939. Ebd., S. 324. Ebd., S. 326. Ebd., S. 332f.

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Volksmoral“.236 Wie die „bestmögliche Methode“ der Verbrechensbekämpfung aussehen soll, ließ Sauer im Dunkeln: „Die Methode soll möglichst umfassend sein; sie soll den Verbrecher nicht nur als Einzelpersönlichkeit, sondern zugleich als Glied von Volk und Gesellschaft erfassen“.237

Zerstörung und Niederlage Einberufungen und Kriegsdienst, vakante Lehrstühle und Trimester führten seit 1939 zur Verlangsamung und schließlich zum fast völligen Stillstand des Fakultätslebens als Folge der Schäden durch den Luftkrieg. Münsters Innenstadt war dadurch zu über 90 Prozent zerstört worden.238 Die Zerstörung der Universitätsgebäude führte dazu, dass der Forschungs- und Lehrbetrieb so stark beeinträchtigt wurde, dass im letzten Kriegswinter 1944/45 kaum mehr Veranstaltungen angeboten werden konnten. Am 12. September 1944 wurde die Universität durch einen Bombenteppich derart in Mitleidenschaft gezogen, dass eine Nutzung ihrer Hauptgebäude für Lehre und Verwaltung nicht mehr möglich war. Zum „totalen Krieg“ gehörte auch das Verbleiben an solchen von Bomben und Zerstörung betroffenen Orten wie Münster. Eine Evakuierung der Universität in kleinere umliegende Orte und in die zentral gelegene und von Bombardements unbehelligte Universitätsstadt Göttingen kam nur langsam in Gang. Eine völlige Übersiedlung in die niedersächsische Universitätsstadt an der Leine verhinderte die Befürchtung, dadurch der vollständigen Auflösung der Universität Münster und ihrer Angliederung an die Universität Göttingen Vorschub zu leisten. Außerdem trug der aufrechterhaltene Universitätsbetrieb zur Normalitätsfassade bei, welche das Regime aufzubauen versuchte. Erst Mitte Oktober 1944 verlagerte aber der Rektor die Reste der Universität in das Lippische Staatsbad Salzuflen.239 Durch die Zerstörungen gezwungen führte der Dekan Schumann die Amtsgeschäfte seit November 1944 von seiner Privatwohnung aus. Gleichzeitig stellte er den Lehrbetrieb ein: „Die Kollegen sind zur Verfügung des Reichserziehungsministeriums gestellt“.240 Am 26. November 1944 berichtete Max Kaser an Hans Schumann: „Münster wird immer trostloser. Es gibt nun kein Haus mehr, dass nicht irgendwelche Mängel aufwiese […]. Das Seminar ist unbetretbar, weil sich nach den letzten Regengüssen ein gewaltiger See darum gebildet hat, der jeden Zugang verwehrt.“241

In einem Rundbrief berichtete Schumann vom 5. Februar 1945 über die Veranstaltungen zum 30. Januar. Nur er selbst sowie die Kollegen Hugelmann und Sauer 236 237 238 239 240 241

Ebd., S. 333. Ebd. Riegert 2003, Friedrich 2002, S. 227, Niemer 2010, S. 173–187, Kuropka 1993, S. 324ff. UAMs, Bestand 4, Nr. 145 (alt), Rektor an REM, 14.2.1945. UAMs, Bestand 30, Nr. 589, Dekan Schumann an Rosenfeld, 11.11.1944. UAMs, Bestand 30, Nr. 589.

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lauschten den Ausführungen des Historikers Kurt von Raumers über „Bismarcks Reich – Idee und Gestaltung“ sowie der Rede des Rektors über Wissenschaft im nationalsozialistischen Staat.242 Am 25. März 1945 brannte das Hauptgebäude der Universität bis auf die Grundmauern nieder, nachdem der letzte große Bombenangriff auf Münster niedergegangen war. Die amerikanischen und britischen Truppen rückten am 2. April 1945 in eine Stadt mit einer Bevölkerung von 25.000 (vormals 66.000) Einwohner ein. Münster hatte sich geweigert zu kapitulieren, so dass die Stadt völlig eingeebnet wurde.243 Die Zerstörungsbilanz war verheerend: 1945 waren fast 40 Universitätsgebäude betroffen: 13 waren total zerbombt, 22 so stark in Mitleidenschaft gezogen worden, dass eine Wiederherstellung – unter den Bedingungen der Trümmergesellschaft der unmittelbaren Nachkriegszeit – Monate oder Jahre dauern werden würde.244 Da Münster seine universitären Bücherbestände zu spät evakuierte, gingen zwei Drittel, ungefähr 360.000 Titel, verloren.245 Schließlich wurde schon am 3. November 1945 die „Westfälische Landesuniversität“ eröffnet, am darauffolgenden Montag, dem 5. November 1945, begannen die Vorlesungen. Für die Studien der Rechts- und Staatswissenschaften schrieben sich 300 Studenten ein.246 Es begann ein Lehren und Studieren unter widrigsten Bedingungen. Die Professoren waren teilweise in Kriegsgefangenschaft (Kaser, Schumann, Löning) oder als ehemalige Parteimitglieder ihrer Ämter enthoben worden. Es herrschte Unsicherheit, ob die amtsentlassenen Professoren nach ihrer Überprüfung wieder an die Universität zurückkehren konnten oder ob der Posten durch vorzeitige Einsetzung eines Nachfolgers blockiert war. Daneben mangelte es an Wohnraum in der zerstörten Stadt, so dass einige Professoren im Umland eine neue Unterkunft gefunden hatten.247

Formelle Entnazifizierung Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges ging auch eine personelle Erneuerung der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät einher.248 Der Rechtshistoriker Max Kaser249 und der Zivilrechtler Hans Schumann lehrten seit 1933 beziehungsweise seit 1935 politisch unauffällig in Münster. Erhard Neuwiem war im November 1943 bei einem Luftangriff ums Leben gekommen, ebenso wie Paul Krückmann und

242 243 244 245 246 247 248 249

Ebd. Friedrich 2002, S. 160. Respondek 1995, S. 33, sowie der Beitrag von Peter Respondek in diesem Band. Friedrich 2002, S. 539. Respondek 1995, S. 72. Steveling 1999, S. 552f. Vgl. generell Rückert 1995; vgl. auch Gmür 1994. Giaro 1997.

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Heinz Rhode, der 1945 in Berlin bei einem Angriff starb.250 Johannes Martin Ritter war im Krieg „gefallen“. August Löning war in Kriegsgefangenschaft gestorben. Hubert Naendrup, Karl Gottfried Hugelmann (jetzt Göttingen), Ernst Heinrich Rosenfeld,251 Andreas Thomsen und Wilhelm Sauer waren oder wurden emeritiert. Werner Mansfeld lebte als Anwalt in Berlin. Friedrich Grimm saß in Nürnberg im Gefängnis der Alliierten und ließ sich später in Essen als Anwalt nieder.252 Walter Erman wurde Richter am Oberlandesgericht Köln.253 Ernst Isay war im Exil gestorben. Heinrich Drost wurde 1948 Professor in Frankfurt a. M., nachdem er in Münster noch als Honorarprofessor gelesen hatte.254 Nach dem Zweiten Weltkrieg bildeten das neue Personaltableau ab 1948 Hermann Arnold Schultze-von Lasaulx (1901–1999)255 und ab 1949 Harry Westermann (1909–1986).256 1950 wurde Rolf Dietz (1902–1971) auf einen neuen arbeitsrechtlichen Lehrstuhl berufen, 1951 folgte schließlich Karl Michaelis. Das Strafrecht vertraten ab 1946 Karl Peters (1904–1998) und Arthur Wegner (1900–1989), im Öffentlichen Recht kamen ab 1948 Hans Julius Wolff (1898–1976) sowie ab 1950 Friedrich Klein (1908–1974)257 und ab 1952 Hans Ulrich Scupin (1903–1990) auf einem neuen Lehrstuhl für Öffentliches Recht mit Berücksichtigung der Politischen Wissenschaften hinzu. Karl August Bettermann (1913–2005), später Richter am Bundesverwaltungsgericht, Professor an der Freien Universität Berlin und Grundrechtskommentator,258 wirkte ab 1948 als Privatdozent in Münster, nachdem er sich mit einer Arbeit über „Die Vollstreckung des Zivilurteils in den Grenzen seiner Rechtskraft“ bei Max Kaser habilitiert hatte.259 Wichtigste Voraussetzung zur Aufnahme der Lehrtätigkeit war das Durchlaufen des Entnazifizierungsprozesses. Die britische Besatzungsmacht hielt am längsten am Prinzip der autonomen Säuberungspolitik ohne deutsche Beteiligung fest. Erst ein Jahr nach der britischen Besatzung ging die Militäradministration im Frühjahr/Sommer 1946 dazu über auf Ebene der Kommunen sowie der Regierungsbezirke Entnazifizierungsausschüsse („panels“) und Berufungsausschüsse („review boards“) einzusetzen.260 Im September 1945 wurde ein Informationsausschuss aufgestellt, dem – unter Leitung des Mathematikers Heinrich Behnke – auch der Straf250

251 252 253 254 255 256 257 258 259 260

UAMs, Bestand 9, Nr. 310, LWL-Archivamt, Bestand 984, Nr. 88, Verwaltungsakademie: Briefwechsel Naendrup und Bergmann, 1938–1944; Kaser 1944; UAMs, Bestand 30, Nr. 589. Wegner 1952. Frei 2003, S. 35, S. 361ff, Tauber 1967, S. 524ff. Westermann 2005, S. 38. Steveling 1999, S. 604f. Artikel „Hermann Schultze-von Lasaulx“, in: Buddrus/Fritzlar 2007, S. 370f. Schulte 2007. Wilke 1977 (Bibliographie: S. 613–630), Wilke 1974, S. 647–650. Neumann/Nipperdey/Scheuner/Bettermann 1958–1962. Rüthers 2006, S. 189–190. Rauh-Kühne 1995, S. 58.

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rechtler Wilhelm Sauer angehörte. In der Instruktion Nr. 28 vom Dezember 1945261 wurde die Bildung deutscher Entnazifizierungsausschüsse und deren Mitspracherecht im Entscheidungsprozess dekretiert. Am 10. April 1946 wies der Oberbürgermeister der Stadt Münster, Karl Zuhorn, Rektor Georg Schreiber an, einen solchen „Sichtungsausschuss“ einzusetzen. Die Kontrollratsverordnung Nr. 38 vom 12. Oktober 1946 und die Zonenexekutivanweisung Nr. 54 vom 30. November 1946 sollten eine Individualisierung der Verfahren ermöglichen. Dadurch übernahmen die Briten das amerikanische Kategorisierungssystem von I. Hauptbeschuldigte bis V. Entlastete. Schließlich wurde am 1. Oktober 1947 die Entnazifizierung ganz in die Verantwortung der deutschen Ausschüsse gelegt (Verordnung Nr. 110). Insgesamt wurde im Entnazifizierungsverfahren dem Wiederaufbau vor der politischen Säuberung Priorität eingeräumt. Nach dieser Prämisse verliefen auch die Verfahren für die Münsterschen Professoren. Hans Schumann, der unbelastet war, wurde im Dezember 1945 entlassen. Dies geschah wohl nur aufgrund seiner erst nach 1933 erfolgten Berufung. Er durfte aber nach Empfehlung des deutschen Ausschusses im Mai 1946, genauso wie Max Kaser ab August 1946, als „unbedenklich“ wieder lehren.262 Karl Peters wurde im November 1946 als „genehm“ eingestuft und durfte damit lehren; im Juni 1947 wurde er erneut bestätigt. Ebenso schnell verlief das Verfahren des wegen seiner jüdischen Ehefrau verfolgten Arthur Wegners, der in Hamburg als unbedenklich eingestuft, schnell im Mai 1946 bestätigt werden sollte, um im Sichtungsausschuss mitarbeiten zu können.263 Im Vorgängergremium, dem Informationsausschuss, hatte schon Wilhelm Sauer mitgewirkt, der trotz seiner pro-nationalsozialistischen Schriften aus der Anfangszeit des Regimes seine Bücherverbote als Argument für seine Regimegegnerschaft mobilisieren konnte.264 Harry Westermann war im Dezember 1945 durch die Militärregierung bestätigt worden, musste aber im September 1946 noch auf die Bestätigung durch den deutschen Sichtungsausschuss warten, was im November geschah. Es stand aber noch die Emeritierung Hugelmanns aus.265 Im März 1948 legte Westermann schließlich Berufung gegen seine Einreihung in Kategorie IV ein. Dies tat auch Hans Julius Wolff, für den sich im April 1946 der Dekan bei der Militärregierung stark gemacht hatte und einen Monat später die schnelle Überprüfung durch den Sichtungsausschuss angemahnt hatte.266 Im August 1946 äußerte aber das Düsseldorfer Kabinett Bedenken gegen die Berufung von Wolff wegen seiner Parteimitgliedschaft. Nach seiner Berufung im März 1948 wurde Wolff im August in Stufe V eingruppiert, genauso wie Westermann.

261 262 263 264 265 266

Respondek 1995, S. 209. UAMs, Bestand 30, Nr. 58, Kurator Steinbicker an Dekan Schumann, 27.8.1946. Ebd., Dekan Hoffmann an Sichtungsausschuss, 13.5.1946. Vgl. dazu Fußnote 225. UAMs, Bestand 9, Nr. 912. UAMs, Bestand 30, Nr. 57, Dekan Johns an Meinertz, 16.3.1948.

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Am schwierigsten gestaltete sich die Entnazifizierung von Friedrich Klein.267 Er wurde zum 1. April 1944 nach Münster berufen, konnte aber erst nach dem Krieg seine Stelle annehmen, da er Militärdienst ableistete. Das erste Mal wurde er im Januar 1946 entlassen, im März 1946 wurde sein Lehrauftrag unter Auflage verlängert; im November 1946 war Klein wiederum „genehm“ und durfte lehren; dann wurde er aber jedoch im Januar 1947 durch den städtischen Sichtungsausschuss entlassen, im Dezember 1947 wurde er in die Kategorie IV ohne Vermögenssperre eingeordnet und schließlich im März 1950 zum Professor ernannt. Schon im Spätsommer 1949 war er in Kategorie V eingereiht worden.268 Im April 1946 war Hubert Naendrup zunächst nicht „genehm“ und wurde entlassen.269 Er wurde schließlich allerdings, ebenso wie Karl Gottfried Hugelmann, als entlastet in Kategorie V eingestuft.270

Neuaufbau der Institutionen und Personen – Strafrecht Nach dem erzwungenen Rückzug von Heinrich Drost 1937 war der zweite strafrechtliche Lehrstuhl zunächst an die Betriebswirtschaft verloren gegangen,271 im September 1941 hatte Dekan Kaser vorgeschlagen, den Lehrstuhl mit Johannes Martin Ritter (1910–1942) beziehungsweise mit Horst Schröder (1913–1973)272 zu besetzen. Ein Dreiervorschlag sei wegen des mangelnden Nachwuchses nicht möglich.273 Zum Wintersemester 1941/42 wurde die außerordentliche Professur für Strafrecht und Strafprozessrecht mit Johannes Martin Ritter aus Breslau besetzt, der dann am 4. Juli 1942 an der Ostfront fiel.274 Versuche, Horst Schröder auf die nun wieder unbesetzte Professur zu setzen, scheiterten an der Berufung Schröders nach Graz.275 Schließlich erhielt Karl Peters276 diesen Lehrstuhl und wurde einer der wichtigsten Strafrechtler der Bundesrepublik. Er wird im 1965 in der DDR erschienenen „Braunbuch“ über „Kriegs- und Naziverbrecher in der Bundesrepublik und Westberlin“ genannt und beschuldigt, „in der Nazizeit Erster Staatsanwalt, Sonderreferent für politische Strafsachen beim Generalstaatsanwalt in Köln“ gewesen 267 268 269 270 271 272 273 274 275 276

Zwei Aufsätze belasteten ihn: Klein 1940, ders. 1941. UAMs, Bestand 37, Nr. 22, und Bestand 9, Nr. 911. UAMs, Bestand 9, Nr. 912. Steveling 1999, S. 569–574. Ebd., S. 524. Stree 1978, Biographie von Walter Stree: S. 1–15, Bibliographie: S. 565–567. UAMs, Bestand 30, Nr. 336, Dekan Kaser an REM, 8.9.1941. Nachruf Johannes Martin Ritter 1942, Ditt 2011, S. 244. BAB, R 22, Nr. 75331; Habilitation: Schröder 1939. Nachruf Karl Peters 1998; über die Frage „Katholizismus und Jurisprudenz“ vgl. seinen Brief, in: Hollerbach 2004, S. 69–71; zum Werk Tiedemann 2000.

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zu sein.277 Das lässt sich aus den Akten im Bundesarchiv sowie im Landesarchiv in Düsseldorf nicht erhärten.278 Peters hatte sich in Köln 1931 habilitiert279 und dann dort bei der Staatsanwaltschaft begonnen. 1938 war er auch zum außerordentlichen Professor ernannt worden. Eine Berufung nach Jena wurde abgelehnt: „Wenn auch Peters seit 1933 Parteigenosse ist, so ist er als überzeugungstreuer Katholik weltanschaulich gebunden“.280 Im Februar 1942 wurde Peters zum Ersten Staatsanwalt in Köln ernannt, im Oktober des gleichen Jahres wurde er zum ordentlichen Professor in Greifswald berufen.281 Peters hatte die strafrechtliche „Erneuerung“ durch den Nationalsozialismus begrüßt,282 besonders im Jugendstrafrecht.283 Nach 1945 wurde Peters einer der wichtigsten liberalen Strafrechtler der Bundesrepublik284 und Repräsentant der Görres-Gesellschaft.285 Die Stelle der zweiten Strafrechtsprofessur wurde nach dem Zweiten Weltkrieg mit Arthur Wegner besetzt. Dieser hatte ein bewegtes Leben hinter, aber auch noch einige Umbrüche vor sich. 1926 hatte er eine ordentliche Professur an der Universität Breslau für Straf- und Strafprozessrecht erhalten, nachdem er sich in Hamburg habilitiert hatte.286 In der Weimarer Republik wurde er vom Pazifisten zum Stahlhelmer.287 Publizierte er zu Beginn des Regimes noch in Hans Franks „Nationalsozialistischem Handbuch für Recht und Gesetzgebung“,288 wurde er 1934 nach Halle strafversetzt sowie schließlich am 11. Juni 1937 wegen seiner jüdischen Ehefrau auf Grund des Paragrafen 6 des Berufsbeamtengesetzes in den Ruhestand geschickt. Nach Denunziationen verhaftete ihn die Gestapo; angeklagt wurde Wegner wegen „Heimtücke“ vor einem Sondergericht, vor dem ihn sein Lehrer Eduard Kohlrausch und sein Schüler Graf Helmuth James von Moltke verteidigten.289 Nach Einstellung des Verfahrens im Herbst 1938 emigrierte Wegner Ende 1938 nach England. Seit den 1920er-Jahren betrieb Wegner theologische Studien mit dem Ziel, 277 278

279 280 281 282

283 284 285 286 287 288 289

Nationalrat der nationalen Front des demokratischen Deutschland 1965, S. 124. LAV NRW R, BR – PE, Nr. 7581, PA Karl Peters, BAB, R 3001, Nr. 70561, PA Karl Peters, BAB, R 4901, Nr. 23943; vgl. auch Roth 2010, S. 230–256 (zur Sondergerichtsbarkeit in Köln), dort auch zu der von Peters betreuten Dissertation von Rumberg 1937; ich danke Herrn Dr. Thomas Roth (Köln) für weitere Hinweise zu Karl Peters. Peters 1932. BAB, R 4901, Nr. 23943, PA Karl Peters, NSD-Dozentenbund (Der Reichsdozentenbundführer) an REM, 1.7.1938. Knothe 2009, S. 51f. Vgl. beispielsweise Peters 1933, ders. 1938; vgl. auch das Gespräch mit dem Schüler von Karl Peters, Jürgen Baumann, in: Horstmann/Litzinger 2006, S. 133–135; Werle 1989, S. 142, Peters 1965. Peters 1936/37; vgl. dazu auch Wagner 1992, S. 172, Hubert 1986. Tiedemann 2001. Hollerbach 2004, S. 31ff. Wegner 1925. Ditt 2011, S. 26–29. Wegner 1934. Wegner 1948, S. 3.

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Missionar zu werden. 1939 setzte er seine Studien in England (Chichester) fort. Von 1940 bis 1945 war Wegner in England beziehungsweise Kanada interniert.290 Nach der Rückkehr nach Deutschland arbeitete er in einer Rechtsanwaltskanzlei in Hamburg, er verteidigte im Kriegsverbrecherprozess gegen Hans-Wilhelm Eck291 und lehrte in Hamburg sowie in Kiel. 1946 wurde er Ordinarius für Kirchenrecht, Strafrecht, Völkerrecht und Rechtsphilosophie in Münster, 1948 Direktor des Instituts für Kirchenrecht. 1959 nahm Wegner an einer Tagung des Nationalrates in Ostberlin teil, wo er die Sozial- und Friedenspolitik der DDR lobte.292 Nach Einleitung eines Dienststrafverfahrens und der Ankündigung, Wegner auf seine geistige Gesundheit untersuchen zu lassen, emigrierte Wegner in die DDR, wo er 1963 ein persönliches Ordinariat an der Universität Halle erhielt.293

Neuaufbau der Institutionen und Personen – Öffentliches Recht Im Öffentlichen Recht wurde zuerst Friedrich Klein berufen, nachdem Ottmar Bühler 1942 nach Köln gewechselt war.294 Klein hatte sich in Frankfurt a. M. habilitiert295 und war zunächst in der Reichsfinanzverwaltung in Leipzig und Frankfurt a. M. tätig gewesen.296 Seit 1942 Soldat, wurde er mit Wirkung zum 1. April 1944 nach Münster berufen, ohne aber bis zum Kriegsende Veranstaltungen abhalten zu können.297 Im März 1950 wurde er zum persönlichen Ordinarius, mit Wirkung zum 1. September 1951 zum ordentlichen Professor ernannt.298 Als „Akzelerator juris publici germanici“ (Hans Julius Wolff) betätigte sich Klein vor allem im Steuer-, Völker- und Staatsrecht und beriet sein 1950 als Mitglied des wissenschaftlichen Beirates den Bundesfinanzminister.299 Klein, der im Zweiten Weltkrieg über die Stellung des „Protektorats Böhmen und Mähren“ sowie des „Generalgouvernements“ in der „völkischen Großraumordnung“ des Deutschen Reiches nachgedacht hatte,300 lieferte mit der Konstruktion der „objektiven Wertordnung“301 der Grundrechte des Grundgesetzes den Topos des bundesdeutschen Verfassungsrechts,302 290 291 292 293 294 295 296 297 298 299 300 301 302

Eberle 2002, S. 92–96. United Nations War Crimes Commission 1947, Case No. 1: The Peleus Trial, S. 1–21, Turns 2009. Stöver 2009, S. 135ff. UAMs, Bestand 10, Nr. 7344; Horstmann/Litzinger 2006, S. 134ff. UAMs, Bestand 31, Nr. 20, Bd. 2. Klein 1941. UAMs, Bestand 8, Nr. 8872, Bd. 3, BAB, R 3012, Nr. 40. UAMs, Bestand 8, Nr. 8872, Bd. 3. Steveling 1999, S. 635. Wilke 1974, Feldkamp/Müller 1999, S. 38ff. Klein 1940, ders. 1941. Mangoldt/Klein 1957, Vorbemerkung B III 4 vor Artikel 1. Rensmann 2007, S. 99.

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den das Bundesverfassungsgericht303 in der berühmten „Lüth-Entscheidung“304 zur Konstitutionalisierung des deutschen Rechts nutzte. Zum 1. November 1945 wurde Helmut Ridder (1919–2007) erster Assistent der Fakultät nach dem Krieg im Steuerrechtlichen Institut.305 Neben Klein wirkte Hans Julius Wolff,306 der im „Dritten Reich“ eine keineswegs glatte Karriere gemacht hatte. Er war aufgrund einer politischen Intervention der Frankfurter NS-Studentenschaft nicht auf den Lehrstuhl von Hermann Heller berufen worden,307 nachdem er sich ebenfalls in Frankfurt a. M. habilitiert hatte.308 Er versuchte, mit einer (zurückhaltenden) Legitimationsschrift für das neue Regime erfolglos gegenzusteuern309 und wurde zunächst beurlaubt. Dann folgte eine „Abschiebung“ an das Herder-Institut in Riga,310 wo Wolff 1939/40 an Verhandlungen über die Mitnahme baltendeutscher Kulturgüter für die „Umsiedlungs-TreuhandGesellschaft“311 im Rahmen der Umsiedlung der Baltendeutschen beteiligt war.312 Schließlich kam er nach Prag, wo seit 1940 auch Harry Westermann313 lehrte, der sich in Göttingen habilitiert hatte.314 Beide galten dem Sicherheitsdienst der SS als wenig zuverlässig. Dekan Wolff hatte einige Gleichgesinnte um sich versammelt, die mit dem kirchlichen Milieu sowie der Brentano-Gesellschaft verbunden waren. Zu diesem Kreis gehörte auch der spätere „Münsteraner“ Harry Westermann. Gegen ihn protestierte die Prager SD-Dienststelle noch einmal im November 1944. Nicht nur Zugehörigkeit zum Freundeskreis von Wolff und Klausing315 wurde ihm vorgeworfen, sondern auch die Tatsache, dass seine Ehefrau holländischer Herkunft war. Negativ bewertete der SD zugleich, dass seine Kinder gleich gut Deutsch, Holländisch und Tschechisch sprachen.316

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310 311 312 313 314 315 316

Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts 1958, S. 205. Henne/Riedlinger 2005. UAMs, Bestand 9, Nr. 314, 1957; Ridder 2005, S. 370f., Koch 2010, Deiseroth/Derleder/ Koch/Steinmeier 2010. Kriele 1988, Menger 1973, Bibliographie: S. 504–515. BAB, R 31, Nr. 703, Bl. 5–6, Führer der Frankfurter Studentenschaft, Marder, an Kurator, 14.9.1933; torpediert wurde die Berufung auch von Carl Schmitt, vgl. Giesler/Mussgnug 2007, S. 409. Wolff 1934. Wolff 1933; vgl. dazu Kohl/Stolleis 1988; dezidiert für Wolff: Battis 1989, S. 884; zur Ablehnung der Wolff-Schrift durch Ernst Rudolf Huber aber auch schon: Stolleis 1976, S. 214f. Hehn 1981. Bang 1941. Loeber 1974, Nr. 108, 220, 276; vgl. dazu die Rezension von Wolff 1974; Hehn 1982, S. 144ff., Wolff 1941. Rückert/Vortmann 2003, S. 434, Großfeld 2000. Westermann 1942. Vgl. zu Klausing und Westermann: Rüthers 2008; Später 2009, S. 46ff. Míšková 2007, S. 198ff.

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Der dritte öffentlich-rechtliche Lehrstuhl wurde 1952 aus politischen Gründen nicht mit Herbert Krüger (1905–1989),317 sondern mit Hans Ulrich Scupin318 besetzt, der sich 1938 in Breslau habilitiert hatte,319 1940 eine Vertretung in Greifswald übernahm und 1944 zum Professor in Posen ernannt wurde.320 Ab 1943 leistete er Kriegsdienst in Norditalien (Artilleriemeßversuchskommando beim Oberkommando des Heeres) und beteiligte sich nach seiner Gefangennahme 1945 bis 1947 in einem Kriegsgefangenenlager in Ägypten an einer „Lageruniversität“.321 Er war Mitherausgeber der Dokumente des Internationalen Militärgerichtshofes und Verteidiger in Nürnberg (Admiral Otto Schniewind).322

Neuaufbau der Institutionen und Personen – Zivilrecht Neben Harry Westermann lehrten Karl Michaelis und Rolf Dietz Zivilrecht. Karl Michaelis323 war zunächst 1933 nach Kiel berufen worden (nach einer Habilitation324 in Göttingen) und hatte als Vertreter der Kieler Schule gewirkt.325 Michaelis wechselte 1938 dann nach Leipzig, wo er bis 1945 blieb.326 Im Herbst 1947 trat Karl Michaelis in den nordrhein-westfälischen Staatsdienst ein, im Frühjahr 1949 wurde er mit der Lehre der Privatrechtsgeschichte beauftragt und gleichzeitig Universitätskurator.327 Als Hermann Schultze-von Lasaulx nach Hamburg wechselte,328 wurde er mit Wirkung zum Wintersemester 1951/52 zum ordentlichen Professor ernannt.329 Rolf Dietz hatte sich 1932 (in Köln) habilitiert,330 war 1937 Professor in Gießen geworden, wechselte 1940 nach Breslau und ging 1947 schließlich nach Kiel. Er wurde mit Wirkung für das Sommersemester 1950 zum ordentlichen Professor in Münster berufen.331 Dietz war einer der wichtigsten Arbeitsrechtler sowohl im Nationalsozialismus als auch in der Bundesrepublik.332 1950 war er einer der Mit317 318 319 320 321 322 323 324 325 326 327 328 329 330 331 332

UAMs, Bestand 30, Nr. 332; zu H. Krüger: Mussgnug 2006, S. 287f. Achterberg/Krawietz/Wyduckel 1983, Bibliographie: S. 937–946. Scupin 1939. Stolleis 1999, S. 263, Wróblewska 2003, S. 229. Horstmann/Litzinger 2006, S. 106. UAMs, Bestand 8, Nr. 10797, Bd. 1. Jakobs 2001, Pawlowski/Wieacker 1972 (ohne jede bio- oder bibliographische Angabe), Pawlowski 2001. Michaelis 1931. Michaelis 1935, ders. 1937, Eckert 1992, Frassek 2008, S. 358, Stolleis 1989, S. 192. Stolleis 2009, S. 110, Welsh 1985, S. 360f. Steveling 1999, S. 662, Michaelis 1988. Landwehr 2010. UAMs, Bestand 31, Nr. 166. Dietz 1934. UAMs, Bestand 5, Nr. 519; Hueck/Richardi 1973, Richardi 1988. Nipperdey/Hueck/Dietz 1943, Wahsner 1974, Richardi/Thiel 2001, S. 196, Dietz 1954ff.

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begründer der „Deutschen Zivilrechtslehrervereinigung“,333 deren Mitvorsitz er bis 1969 ausübte.334 Auch die Institutionalisierung und Spezialisierung der Rechtswissenschaften setzte sich in der Nachkriegszeit fort: Zuerst wurde 1947 das Institut für Genossenschaftswesen gegründet. Die Institutsgründungen setzten sich bis 1958 fort, als das „Institut für Kirchenrecht“ sowie des „Institut für Ausländisches und Internationales Privat- und Wirtschaftsrecht“ etabliert wurden.335

Konsolidierung der Rechtswissenschaft: Fachliche Standardwerke und personelle Netzwerke Die Münsterschen Rechtswissenschaftler konzipierten in den 1950er-Jahren grundlegende juristische Werke. 1952 erschien die erste Auflage des Kommentars zum Bürgerlichen Gesetzbuch von Walter Erman,336 einige Jahre später folgte der Kommentar zum Grundgesetz von Friedrich Klein,337 welchen er vom verstorbenen Hermann von Mangoldt übernahm. Klein hatte schon zum „4. Jahrestag der Kapitulation“ die verfassungsrechtliche Situation des besiegten Deutschland monographisch behandelt.338 Harry Westermann339 sowie die Brüder Dietrich (1912–2004) und Gerhard Reinicke (1910–1997) deuteten die Interessenjurisprudenz Philipp Hecks zur Wertungsjurisprudenz aus.340 Max Kaser schrieb seine großen Abhandlungen über das römische Recht.341 Christian-Friedrich Menger (1915–2007) systematisierte den verwaltungsrechtlichen Rechtsschutz342 und beschrieb den sozialen Rechtsstaat.343 Zu den „Aufgaben Deutscher Forschungen“ in der jungen Demokratie äußerten sich Hans Julius Wolff, Karl Peters, Rolf Dietz und Harry Westermann in einem vom nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten in Auftrag gegebenen Sammelband.344 Die Münsterschen Professoren oder Habilitanden Friedrich Klein,345 Hans 333 334 335

336 337 338 339 340 341 342 343 344 345

Schwarz 1950/51. Richardi 1988, S. 258. 1951 das „Institut für Deutsche Rechtsgeschichte“, 1952 das „Institut für Römisches Recht“, 1953 das „Institut für Arbeits- und Wirtschaftsrecht“, 1956 das „Institut für Bergund Montanunionsrecht“, 1957 das „Institut für Strafprozessrecht und Strafvollzug“; vgl. Menger 1980, S. 273f. Erman 1952. Mangoldt/Klein 1957; vgl. dazu auch Schmidt 1994. Klein 1949. Westermann 1955. Schoppmeyer 2001, S. 221–237, Rüthers/Fischer 2010, Rn. 532 und 796. Kaser 1955. Menger 1954. Menger 1953. Brandt 1956. Allgemein: Stolleis 1997, Klein 1950.

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Julius Wolff,346 Helmut Ridder (schon Frankfurt a.M.)347 und Christian-Friedrich Menger (damals Speyer)348 referierten jeweils auf den Staatsrechtslehrertagungen ab 1949. Hans Julius Wolff war auch der erste Vorsitzende der Vereinigung von 1952 bis 1954. Harry Westermann und Karl Michaelis vertraten Münster auf den Zivilrechtslehrertagungen.349 1956 legte Hans Julius Wolff die erste Auflage seines grundlegenden Lehrbuchs zum Verwaltungsrecht vor.350 An diesem Buch wirkte als Assistent Ernst-Wolfgang Böckenförde (geboren 1930) mit eigener Akzentsetzung mit,351 der einer der bedeutendsten Verfassungsjuristen der Bonner Republik wurde. Wolff wurde in den „Beratenden Ausschuß für Verwaltungs- und öffentliches Recht der britischen Zone“ berufen und arbeitete an der Konzeption der Militärregierungsverordnung Nr. 165 mit, welche als Fundament der Verwaltungsgerichtsbarkeit gilt.352 Wolffs Schüler353 prägten das Öffentliche Recht in der Bundesrepublik.354 Wolff und Klein gutachteten in der Frage der Fortexistenz der Provinzialverbände für deren Fortbestand.355 Klein sprach sich im Auftrage der Niedersächsischen Landesregierung im ersten großen Verfassungsstreit der Bundesrepublik auch dafür aus, eine Wehrverfassung in das Grundgesetz aufzunehmen.356 Mit Hans Julius Wolff, Carl Schmitt und Ernst-Wolfgang Böckenförde sind auch drei Teilnehmer der „Gespräche in der Sicherheit des Schweigens“357 benannt, die im Umfeld des „Ritter-Kreises“ in Münster sehr intensiv geführt wurden.358 Neben den Juristen Böckenförde, Martin Kriele (geboren 1930) und Jürgen Seifert (1928–2005) gehörten beispielsweise die Philosophen Hermann Lübbe, Robert Spaemann und Odo Marquard zum Kreis des „Collegium philosophicum“.359 Sowohl die informelle Reintegration Carl Schmitts in den Universitätsbereich als auch

346 347 348 349 350 351

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Wolff 1950. Ridder 1951. Menger 1955. Zu Westermann: Schwarz 1952/53. Wolff 1956–1966. Böckenförde ließ Gedanken von Carl Schmitt in die Konzeption mit einfließen, wie Wolff in einem Brief an Schmitt bemerkte: LAV NRW R, Nachlass Carl Schmitt (RW 265), Nr. 18389, Hans J. Wolff an Carl Schmitt, 16.10.1956. Kriele 1988, S. 696. Neben Ernst-Wolfgang Böckenförde, Martin Kriele und Christian-Friedrich Menger sind dies unter anderem Ralf Dreier (geb. 1931), Albert von Mutius (geb. 1942), Werner Hoppe (1930–2009) oder Hans-Uwe Erichsen (geb. 1934). Menger 1989. Weißer 2003, S. 40. Der Kampf um den Wehrbeitrag 1953, Wild 2000. Laak, 1993; vgl. dazu die Rezension von Rüthers 1994. Hacke 2006, Schweda 2010. Seifert 2000, ders. 1996.

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seine wissenschaftliche Neuaneignung360 („Linksschmittianismus“)361 wie auch die Konzeption und Gründung der Zeitschrift „Der Staat“ 1962 gingen von diesem Zirkel aus. 362 Auch der Soziologe und ehemals „konservative Revolutionär“ Hans Freyer gehörte in diesen geistigen Orbit. Er lehrte als Emeritus ab 1953 in Münster und bedachte nun die „Theorie des gegenwärtigen Zeitalters“.363 Ab 1957 leitete Wolff die westfälische Sektion der „Internationalen Vereinigung für Rechts- und Sozialphilosophie“. Statt in einer „Akademischen Wehr“ organisierten sich etliche Studenten im Münsterschen „Arbeitskreis für ein kernwaffenfreies Deutschland“.364 Jürgen Seifert und Ulrike Meinhof entwarfen Flugblätter und am 20. Mai 1958 demonstrierten mehr als 1.000 Teilnehmer gegen die atomare Bedrohung. Im Folgejahr beschäftigten sich Ernst-Wolfgang Böckenförde (mit Robert Spaemann), Martin Kriele und Karl Peters in der katholischen Monatszeitschrift „Hochland“ mit dem Problem, ob „der atomare Verteidigungskrieg ein gerechter Krieg“ sein könne.365

Fazit Die Errichtung der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät Münsters erhob die Akademie wieder zur Volluniversität und war im „System Althoff“ Mittel zur Integration der Katholiken in die mehrheitlich protestantische Gesellschaft des Kaiserreichs sowie Ausdruck verstärkter Anstrengungen in der Bildungspolitik und deren regionaler Diversifizierung. Statt katholischer „Inferiorität“ und „Imparität“ wurde in Münster versucht, Lehrstühle konfessionell ausgewogen zu besetzen, was aber nicht zur Konfessionalisierung der Lehre oder zu einer Agitation zugunsten des Zentrums führte („Rechtskatholizismus“). Die Beantwortung der „sozialen Fragen“ durch eine „Bodenreform“ und die damit verbundene öffentlich-rechtliche Überformung des Privateigentums an Grund und Boden sowie die Biologisierung des Strafrechts waren wissenschaftliche Entwicklungen, die seit der Jahrhundertwende verfolgt wurden und über die Systembrüche gültig blieben. Während des Ersten Weltkrieges leisteten die Professoren Kriegsdienst sowohl an der militärischen als auch an der „geistigen“ Front. Die Niederlage sowie das „Diktat von Versailles“ provozierten einen Politisierungsschub. Die Errichtungen einer „Akademischen Wehr“, welche die Angriffe der Arbeiter aus dem „rheinisch-westfälischen Industriebezirk“ abwehren sollte 360 361 362 363 364 365

Vgl. beispielsweise Böckenförde 1984, S. 893–895 und S. 1312–1315. Vgl. beispielsweise Lübbe 1965. Günther 2004, S. 225ff., Roellecke 2000 (Für diesen Hinweis danke ich Herrn Dr. Th. Kleinknecht). Freyer 1959, Muller 1987. Seifert 2006, S. 354; vgl. zu diesem Zeitraum jüngst Kersting/Reulecke/Thamer 2010. Spaemann 1958/59, Peters 1958/59; vgl. auch Böckenförde 1960, Schwarte 1975.

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und gegen die französisch-belgische Besatzung des Ruhrgebietes kämpfte, ist ein außergewöhnliches Beispiel für „politische Gewalt“. Gewöhnlich wurden politische Alternativprogramme verbalisiert. Der Rechtshistoriker Rudolf His, der zwei Jahre zuvor die „schwarz-roten-gelben“ Reichsfarben geschmäht hatte,366 sprach 1928 in seiner Rektoratsrede367 über den „Totenglauben in der Geschichte des germanischen Strafrechts“. „Eine weite Kluft“ trenne den Gebildeten der Gegenwart von Todesanschauungen der Vergangenheit. Goethe zitierend belehrte His, dass – auf einer höheren Stufe der Gesittung – an die Stelle der Furcht vor den Verstorbenen die „Ehrfurcht“ trete und schwenkte nun ins Nationale um: „Ehrfurcht vor den Toten, daran mahnen uns die Gedenktafeln, die das Treppenhaus unserer Hochschule schmücken. So wollen wir auch am heutigen Festtage der Hochschule unserer Toten, der Helden des Weltkrieges, gedenken und geloben, ihnen nachzueifern in Liebe zum Vaterland und in treuer Erfüllung unserer Pflicht“.368

Die hier nur angedeutete Unterscheidung von „Vaterland“ und „dem System von Weimar“ zeigte sich auch in der Debatte um die „Fememorde“ und die „Staatsnotwehr“, welche Justiz und Rechtswissenschaft politisierte. Die Forderung nach der Revision des Friedensvertrages von Versailles sowie die Überlegungen zur Reichsreform führten zur grundlegenden Infragestellung des politischen Systems des Parlamentarismus. Neben einzelnen Befürwortern der Republik (beispielsweise Josef Lukas) blieben doch die meisten Professoren in einer kritischen Distanz zum neuen Staatswesen. Vereinzelt zeigte sich frühe und radikale Ablehnung der Demokratie wie bei Hubert Naendrup, der dann durch seine frühzeitige NSDAP-Mitgliedschaft zum späten planmäßigen Ordinariat und der Würde des Rektorats kam. Am 21. März 1933 definierte Naendrup dann in seiner vorgezogenen Rektoratsrede die Geschichte der Weimarer Republik als Schreckenszeit im Gegensatz zum nun anbrechenden „Dritten Reich“ um und betätigte sich als Chronist in eigener Sache, nämlich der des nationalsozialistischen Vorkämpfers in Westfalen.369 Die nationalsozialistische Wissenschaftspolitik war in erster Linie Personalpolitik und führte auch in Münster zu gravierenden Änderungen. Im Rahmen der personellen Neuausrichtung durch den Hauptreferenten der Hochschulabteilung des Reichswissenschaftsministeriums, Karl August Eckardt, erhielten die Westfalen mit dem Strafrechtler Wilhelm Sauer aus Königsberg einen pro-nationalsozialistischen, aber eher autoritär-konservativen Ordinarius. Er war der Umstrukturierung der Albertina in Königsberg zur „Stoßtruppfakultät“ zum Opfer gefallen, ebenso wie die Ökonomen Dietrich Preyer und Paul Berkenkopf, die nach Münster kamen. Münster war nur Nebenschauplatz der „nationalsozialistischen Rechtserneuerung“. Der Wiener Rechtshistoriker und „Nationalitätenrechtler“ Karl Gottfried Hugelmann war ein ebenso dezidierter Katholik wie auch 366 367 368 369

Steveling 1999, S. 209. Vgl. zu dieser Quellengattung: Langewiesche 2010. His 1929, S. 19. Vgl. Ebd., S. 11ff.

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Nationalsozialist, der sich während des „Dritten Reiches“ an der Neuordnung Osteuropas nach „ethnokratischen Prinzipen“ in Kommissionen und Publikationen beteiligte. Auch Hugelmann kam durch Eckhardt nach Münster. Hugelmann referierte in seiner Rektoratsrede 1935 über „Nationalstaat und Reich im deutschen Mittelalter“.370 In der Vergangenheit fand er die Zukunft: „Im Bewußtsein ihrer von Gott gegebenen Sendung haben die Deutschen den mitteleuropäischen, ihren geschichtlichen Raum gestaltet, oft im Kampf, aber noch viel mehr in der Arbeit, sei es Arbeit an der Scholle, sei es Arbeit des Geistes, indem sie Ordnung, Maß und Zucht, deutschen Geist weit über die Grenzen ihres Staates nach dem Osten trugen. Und wenn wir heute noch Mitteleuropa abgrenzen wollen, so können wir nur trotz Tschechen, Magyaren, Polen und anderen Völkern, deren Lebensrecht dabei gewahrt wurde, sagen: Mitteleuropa reicht, soweit der Erde die Spuren deutschen Geistes aufgeprägt sind“.

Er nahm damit sowohl die nähere Zukunft der deutschen Expansion wie auch seine eigenen begleitenden Legitimationsarbeiten vorweg. Zwar wurden Institute für Steuerrecht und Kommunalwissenschaften errichtet, gleichzeitig wurden Lehrstühle anderen Fakultäten zugeschlagen beziehungsweise nach Kriegsbeginn nicht wiederbesetzt. Ludwig Siegert, Werner Mansfeld, Friedrich Grimm oder Heinz Rhode setzten ihre Karrieren außerhalb Münsters fort. Aus unterschiedlichen Gründen mussten Ernst Isay, Ernst Jacobi und Heinrich Drost ebenso wie die Staatswissenschaftler Heinrich Weber, Werner Friedrich Bruck und Richard Woldt ihre Posten verlassen, wobei sich die Schicksale nach der Entlassung sehr unterschieden. Flucht nach Nord- beziehungsweise Südamerika oder Zwangsemeritierung und Verbleib in Deutschland sowie manchmal die Fortsetzung der Karriere in Justiz oder Verwaltung waren die ganz unterschiedlichen Konsequenzen dieser Entlassungen. Da der wissenschaftliche Nachwuchs fehlte, konnten all diese personellen Verluste nicht kompensiert werden. Der NS-Dozentenbund sprach sich mehrfach gegen die Berufung katholischer Professoren wegen angeblicher „konfessioneller Bindungen“ aus. 1945 war das Gesicht der Fakultät durch Emeritierungen sowie Verluste durch Bombenopfer und Kriegsgefallene völlig verändert worden. Hans Julius Wolff und Harry Westermann (beide Prag), Karl Peters (Greifswald) und Arthur Wegner (zuletzt Halle, später England), Hans-Ulrich Scupin (Posen), Karl Michaelis (Leipzig) und Rolf Dietz (Breslau) stehen für die Integration der „131-er“. Friedrich Klein, der schon im Krieg aus Frankfurt a. M. berufen worden war, konnte jetzt erst in Münster lehren. Max Kaser und Hans Schumann nahmen nach Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft Forschung und Lehre wieder auf. Nach der „Entnazifizierung“ stand der Wiederaufbau der Fakultät sowie des demokratischen Verfassungsstaates, Reorganisation und Neugründungen wissenschaftlicher Vereinigungen auf dem Programm. Aber auf welcher Grundlage konnte nun Rechtswissenschaft betrieben werden? 370

Hugelmann, Nationalstaat und Reichsgedanke, 1935, ders., Nationalstaat und Reichsgedanke im deutschen Mittelalter, 1935, Chronik 1935/36, S. 26–37.

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1953 beschrieb Harry Westermann, nach den „erschütternden Untaten des NSStaates“, „Wesen und Grenzen der richterlichen Streitentscheidung im Zivilrecht“. Dazu bedarf es der „Gründung auf eine tiefere Schicht, die die Norm vom nackten Machtanspruch abhebt; das ist die Bezugnahme auf die Gerechtigkeitsidee,371 die – so sehr sie sich auch einer nur formellen Begriffsbestimmung und einer materiellen Beschreibung entzieht – als eine der höchsten Werte menschlichen Seins seit je gegolten hat“.372

Dem Richter obliege es nach Westermann mit Bezug auf die Gerechtigkeit und in Achtung vor der Wertentscheidung des Gesetzgebers, den Einzelfall nicht nach Zweckmäßigkeitserwägungen zu entscheiden. Die Grundentscheidung über die Wertungen sei Aufgabe des Gesetzgebers: „Sie ist damit in die Hände des Gesamtvolkes gelegt und so letztlich uns allen zum Recht und zur Pflicht gemacht. Das belastete jeden von uns mit einer ernstlichen Verantwortlichkeit gegenüber der Jetztzeit und der Zukunft. Am geistigen Kampf um diese Wertungen klärend und gestaltend mitzuwirken, ist aber auch und gerade Aufgabe der Wissenschaft: die besondere Verpflichtung und die Möglichkeit zu dieser Hilfe gibt der Rechtswissenschaft besondere Würde, ist aber letztlich Aufgabe aller Arten der Wissenschaft, die auf diese Weise dem Gesamtvolk, das die Wissenschaft materiell und ideell trägt, einen Teil der Dankesschuld abzustatten vermag“.373

Die „Wertungsjurisprudenz“ (H. Westermann) sowie die Grundrechte als „objektive Wertordnung“ (F. Klein) sollten nun die demokratische Auslegung der Rechtsordnung garantieren. Eine politische Abstinenz der Professoren ist zu keiner Zeit zu verzeichnen. Kanäle politischer Beeinflussung waren außerparlamentarische „Bünde“ und „Vereinigungen“. Aber die Professoren fungierten auch als Experten in Ausschüssen und Akademien. Der seit 1902 langsam fortschreitende Ausbau der Fakultät wurde durch die Wissenschaftspolitik der Nationalsozialisten gestoppt, setzte sich aber in der der Nachkriegszeit fort. Wissenschaftliche Höchstleistungen, politische Reformprogramme, aber auch Komplizenschaft als Experten und Berater sowie Vertreibung und Verfolgung prägten die Entwicklung der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät Münsters in der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert. Rechtswissenschaft nicht nur im „Geiste der Wahrheit“, sondern auch im Dienst der Macht.

371 372 373

„Bezugnahme auf die Gerechtigkeitsidee“ im Original kursiv. Westermann 1955, S. 18; vgl. Rückert 2008, S. 231ff. Westermann 1955, S. 40.

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Literatur Achterberg, Norbert/Krawietz, Werner/Wyduckel, Dieter (Hg.), Recht und Staat im sozialen Wandel. Festschrift für Hans-Ulrich Scupin zum 80. Geburtstag, Berlin 1983. Arbeitsrechtsausschuß der Akademie für Deutsches Recht (Hg.), Entwurf eines Gesetzes über das Arbeitsverhältnis (Arbeitsberichte der Akademie für Deutsches Recht 8), Hamburg 1938. Ash, Mitchell G., Wissenschaft und Politik als Ressourcen für einander, in: vom Bruch, Rüdiger/Kaderas, Brigitte (Hg.), Wissenschaften und Wissenschaftspolitik. Bestandsaufnahmen zu Formationen, Brüchen und Kontinuitäten im Deutschland des 20. Jahrhunderts, Stuttgart 2002, S. 32–51. Ash, Mitchell G., Die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus, in: N.T.M. Zeitschrift für Geschichte der Wissenschaften, Technik und Medizin 18 (2010), S. 79–118. Ash, Mitchell G., Wissenschaft und Politik. Eine Beziehungsgeschichte im 20. Jahrhundert, in: Archiv für Sozialgeschichte 50 (2010), S. 11–46. Bang, Ferdinand, Die Deutsche Umsiedlungs-Treuhand-Gesellschaft, in: Reichsverwaltungsblatt 62 (1941), S. 177–180. Battis, Ulrich, Ein deutscher Staatsrechtslehrer in der NS-Zeit, in: Neue Juristische Wochenschrift 42 (1989), S. 884. Baumann, Immanuel, Dem Verbrechen auf der Spur. Eine Geschichte der Kriminologie und Kriminalpolitik in Deutschland 1880–1980, Göttingen 2006. Berger-Thimme, Dorothea, Boden- und Wohnungsreform in Deutschland 1873– 1918. Zur Genese staatlicher Intervention im Bereich von Wohnungs- und Siedlungswesen, Frankfurt a. M., Bern 1976. Bollier, Peter, 4. Februar 1936. Das Attentat auf Wilhelm Gustloff, in: Aegerter, Roland (Hg.), Politische Attentate des 20. Jahrhundert, Zürich 1999, S. 42–75. Böckenförde, Ernst-Wolfgang/Spaemann, Robert, Die Zerstörung der naturrechtlichen Kriegslehre. Erwiderung an P. Gustav Gundlach S. J., in: Atomare Kampfmittel und christliche Ethik. Diskussionsbeiträge deutscher Katholiken, München 1960, S. 161–196. Böckenförde, Ernst-Wolfgang, „Ordnungsdenken, konkretes“, in: Ritter, Joachim (Hg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 6, Basel, Stuttgart 1984, S. 893–895. Böckenförde, Ernst-Wolfgang, Die Verfolgung der deutschen Juden als Bürgerverrat, in: Ders., Staat, Nation, Europa. Studien zur Staatslehre, Verfassungstheorie und Rechtsphilosophie, Frankfurt a. M. 1999, S. 276–286. Böckenförde, Ernst-Wolfgang, Kirche und christlicher Glaube in den Herausforderungen der Zeit. Beiträge zur politisch-theologischen Verfassungsgeschichte 1957–2002 (Wissenschaftliche Paperback. Rechtswissenschaft 25), 2. erw. Aufl. Münster 2007.

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Schwarz, Fritz, Bericht über die Tagung deutscher Zivilrechtslehrer in Bad Kreuznach am 15. und 16. Oktober 1951, in: Archiv für die civilistische Praxis 151 (1950/51), S. 549–554. Schwarz, Fritz, Bericht über die Tagung deutscher Zivilrechtslehrer in Bad Bertrich vom 17. bis 19. Oktober 1952, in: Archiv für die civilistische Praxis 152 (1952/53), S. 445–457. Schweda, Mark, Joachim Ritters Begriff des Politischen. Carl Schmitt und das Münsteraner Collegium Philosophicum, in: Zeitschrift für Ideengeschichte IV (2010), S. 91–111. Scupin, Hans-Ulrich, Volk und Reich bei Justus Möser, in: Zeitschrift für öffentliches Recht 19 (1939), S. 560–639. Seemann, Josef, „Bund deutscher Bodenreformer“, in: Fricke, Dieter (Hg.), Die bürgerlichen Parteien in Deutschland. Handbuch der Geschichte der bürgerlichen Parteien und anderer bürgerlichen Interessenorganisationen vom Vormärz bis zum Jahre 1945, Leipzig 1968, S. 150–155. Seier, Hellmut, Der Rektor als Führer. Zur Hochschulpolitik des Reichserziehungsministeriums 1934–1945, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 12 (1964), S. 105–146. Seifert, Jürgen, Unterwegs zur Ebene über dem Gegensatz. Anmerkungen zu Dirk van Laak: Gespräche in der Sicherheit des Schweigens, 1993, S. 288–293, in: Tommissen, Piet (Hg.), Schmittiana. Beiträge zu Leben und Werk Carl Schmitts 5 (1996), S. 109–150. Seifert, Jürgen, Joachim Ritters „Collegium philosophicum“, in: Faber, Richard/ Holste, Christiane (Hg.), Kreise – Gruppen – Bünde. Zur Soziologie moderner Intellektuellenassoziation, Würzburg 2000, S. 189–198. Seifert, Jürgen, Ulrike Meinhof, in: Kraushaar, Wolfgang (Hg.), Die RAF und der linke Terrorismus, Bd. 1, Hamburg 2006, S. 350–371. Sellert, Wolfgang, George Anton Löning – ein Jurist im Spannungsfeld freiheitlicher Wissenschaft und nationalsozialistischer Ideologie, in: Saar, Stefan Chr./ Roth, Andreas/Hattenhauer, Christian (Hg.), Recht als Erbe und Aufgabe. Heinz Holzhauer zum 21. April 2005, Berlin 2005, S. 319–331. Siegert, Karl, Das Judentum im Strafverfahrensrecht (Judentum und Strafrecht 4), Berlin 1937. Simon, Dieter, Die deutsche Wissenschaft vom römischen Recht nach 1933, in: Stolleis, Michael/ Simon, Dieter (Hg.), Rechtsgeschichte im Nationalsozialismus. Beiträge zur Geschichte einer Disziplin, Tübingen 1989, S. 161–176. Simon, Jürgen, Kriminalbiologie und Zwangssterilisation. Eugenischer Rassismus 1920–1945, Münster 2001. Sinzheimer, Hugo, Die Legalisierung des politischen Mordes. Eine Glosse zum Urteil des Schweriner Schwurgerichts, in: Die Justiz 5 (1929), S. 65–68. Spaemann, Robert, Zur philosophisch-theologischen Diskussion um die Atombombe. Ein kritischer Bericht, in: Hochland 51 (1958/59), S. 201–216.

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Später, Erich, Villa Waigner. Hanns Martin Schleyer und die deutsche Vernichtungselite in Prag 1939–45, Hamburg 2009. Steck, Peter K., Zwischen Volk und Staat. Das Völkerrechtssubjekt in der deutschen Völkerrechtslehre (1933–1941) (Studien zur Geschichte des Völkerrechts 6), Baden-Baden 2003. Steinweis, Alan E. Kristallnacht 1938, Cambridge (Massachusetts) 2009. Steveling, Liselotte, Juristen in Münster. Ein Beitrag zur Geschichte der Rechtsund Staatswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität/Westf. (Beiträge zur Geschichte der Soziologie 10), Münster 1999. Steveling, Liselotte, Aus der Geschichte der Juristischen Fakultät Münster, in: Großfeld/Pottmeyer/Michel/Beckmann 2000, S. 521–554. Stree, Walter/Lenckner, Theodor/Cramer, Peter (Hg.), Gedächtnisschrift für Horst Schröder, München 1978. Stöver, Bernd, Zuflucht DDR: Spione und andere Übersiedler, München 2009. Stolleis, Michael, Gemeinwohlformeln im nationalsozialistischen Recht (Abhandlungen zur rechtswissenschaftlichen Grundlagenforschung 15), München 1973. Stolleis, Michael, „Fortschritte der Rechtsgeschichte“ in der Zeit des Nationalsozialismus?, in: Ders./Simon, Dieter (Hg.), Rechtsgeschichte im Nationalsozialismus. Beiträge zur Geschichte einer Disziplin, Tübingen 1989, S. 177–196. Stolleis, Michael (Hg.), Juristische Zeitgeschichte – Ein neues Fach?, Baden-Baden 1993. Stolleis, Michael, Die Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer. Bemerkungen zu ihrer Geschichte, in: Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft 80 (1997), S. 339–358. Stolleis, Michael, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. 2: Staatsrechtslehre und Verwaltungswissenschaft 1800–1914, München 1992, Bd. 3: Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft in Republik und Diktatur, München 1999. Stolleis, Michael, Sozialistische Gerechtigkeit. Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft in der DDR, München 2009. Tappe, Henning/Kempny, Simon/Ottmar Bühler, „Meine Stellung zum Nationalsozialismus“. Historische Betrachtung aus Anlass des 125. Geburtstags von Ottmar Bühler und des 75jährigen Jubiläums des Instituts für Steuerrecht in Münster, in: Steuer und Wirtschaft 86 (2009), S. 376–379. Tauber, Kurt P., Beyond Eagle and Swastika. German Nationalism since 1945, 2 Bde., Middletown 1967. Tenorth, Heinz-Elmar/Hess, Volker/Hoffmann, Dieter (Hg.), Geschichte der Universität unter den Linden 1810–2010, Bd. 5: Transformation der Wissensordnung, Berlin 2010. Thamer, Hans-Ulrich, Stadtentwicklung und politische Kultur während der Weimarer Republik, in: Jakobi, Franz-Josef (Hg.), Geschichte der Stadt Münster, Bd. 2, Münster 1993, S. 219–284.

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Thamer, Hans-Ulrich, Politische Ordnungssysteme und soziale Bewegungen, in: Ders. (Hg.), WBG Weltgeschichte. Eine globale Geschichte von den Anfängen bis ins 21. Jahrhundert, Bd. 6: Globalisierung 1880 bis heute, Darmstadt 2010, S. 9–130. Thomsen, Andreas, Untersuchungen über den Begriff des Verbrechensmotivs, München 1902. Thomsen, Andreas, Der Völker Vergehen und Werden. Grundlage einer allgemeinen Völkerpolitik, Leipzig 1925. Thomsen, Andreas, Die deutschen Familien-Verbände als Völkerkeime, als Retter des schwindenden deutschen Volkes, Berlin 1927. Tiedemann, Klaus, Der Strafprozeß im Denken von Karl Peters, in: Juristenzeitung 55 (2000), S. 139–145. Tiedemann, Klaus, Art. „Karl Peters“, in: Neue Deutsche Biographie 20 (2001), S. 241–242. Turns, David, Eck and Others (Peleus trial), in: Cassese, Antonio (Hg.), The Oxford Companion to International Criminal Justice, Oxford 2009, S. 651–652. The United Nations War Crimes Commission (Hg.), Law Reports of Trials of War Criminals, Volumes I–V, Buffalo (New York) 1947. Vec, Miloš, Recht und Normierung in der Industriellen Revolution. Neue Strukturen der Normsetzung im Völkerrecht, staatlicher Gesetzgebung und gesellschaftlicher Selbstnormierung (Recht in der industriellen Revolution 1), Frankfurt a. M. 2006. Vorlesungsverzeichnis der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster Sommersemester 1938. Wagner, Heinz, Das Strafrecht im Nationalsozialismus, in: Säcker, Franz Jürgen (Hg.), Recht und Rechtslehre im Nationalsozialismus. Ringvorlesung der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Baden-Baden 1992, S. 141–184. Wahsner, Roderich, Das Arbeitsrechtskartell – Die Restauration des kapitalistischen Arbeitsrechts in Westdeutschland nach 1945, in: Kritische Justiz 7 (1974), S. 367–386. Wallthor, Alfred Hartlieb von, Entstehung, Entwicklung und Inhalt des Werkes „Der Raum Westfalen“, in: Petri, Franz/Ders. (Hg.), Der Raum Westfalen, Bd. 6: Fortschritte der Forschung und Schlußbilanz, Münster 1996, S. 327–380. Wegner, Arthur, Kriminelles Unrecht, Staatsunrecht und Völkerrecht (Hamburgische Schriften zur gesamten Strafrechtswissenschaft 7), Hamburg 1925. Wegner, Arthur, Das Reich in der Rechtsgemeinschaft der Völker und unter dem rechtswidrigen Zwang von Versailles, in: Frank, Hans (Hg.), Nationalsozialistisches Handbuch für Recht und Gesetzgebung, München 1934, S. 129–158. Wegner, Arthur, Einführung in die Rechtswissenschaft, 2. Aufl. Berlin 1948. Wegner, Arthur, Nachruf für Ernst Heinrich Rosenfeld, in: Juristische Rundschau 1952, S. 198.

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Wegner, Wilhelm (Hg.), Festschrift für Karl Gottfried Hugelmann zum 80. Geburtstag am 26. September 1959, Aalen 1959. Wegner, Wilhelm, Nachruf Karl Gottfried Hugelmann, in: Zeitschrift der SavignyStiftung für Rechtsgeschichte (Germanistische Abteilung) 77 (1960), S. 524– 534. Wehler, Hans-Ulrich, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 4: Vom Beginn des Ersten Weltkrieges bis zur Gründung der beiden deutschen Staaten 1914–1949, 2. Aufl. München 2003. Weidmann, Andreas Michael, Professor Dr. med. Max Mikorey (1899–1977). Leben und Werk eines Psychiaters an der Psychiatrischen und Nervenklinik der Ludwig-Maximilians-Universität München, Diss. med., München 2007. Weinreich, Max, Hitler’s Professors. The Part of Scholarship in Germany´s Crimes Against the Jewish People, 2. Aufl. New Haven, London 1999 (zuerst 1946). Weisbrod, Bernd, Gewalt in der Politik. Zur politischen Kultur in Deutschland zwischen den beiden Weltkriegen, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 43 (1992), S. 391–404. Weißer, Ansger (Hg.), Staat und Selbstverwaltung. Quellen zur Entstehung der nordrhein-westfälischen Landschaftsverbandordnung von 1953 (Forschungen zur Regionalgeschichte 45), Paderborn 2003. Weißhuhn, Christian, Alfred Hueck 1889–1975. Sein Leben, sein Wirken, seine Zeit (Rechtshistorische Reihe 383), München 2009. Welsh, Helga A., Entnazifizierung und Wiedereröffnung der Universität Leipzig 1945–1946. Ein Bericht des damaligen Rektors Bernhard Schweitzer, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 33 (1985), S. 339–372. Werle, Gerhard, Justiz-Strafrecht und polizeiliche Verbrechensbekämpfung im Dritten Reich, Berlin 1989. Westermann, Harm Peter, Zum Gedenken an Walter Erman, in: Pieroth 2005, S. 37–52. Westermann, Harry, Die Forstnutzungsrechte, Göttingen 1942. Westermann, Harry, Wesen und Grenzen der richterlichen Streitentscheidung im Zivilrecht (Schriften der Gesellschaft zur Förderung der Westfälischen Wilhelms-Universität zu Münster 32), Münster 1955. Wild, Michael, BVerfGE 2, 79 – Wiederbewaffnung III. BVerfG und „Hohe Politik“ – Streit um das „letzte Wort“ im politischen System der Bundesrepublik, in: Menzel, Jörg (Hg.), Verfassungsrechtsprechung. Hundert Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts in Retrospektive, Tübingen 2000, S. 65–69. Wilke, Dieter G./Weber, Harald, Gedächtnisschrift für Friedrich Klein, München 1977. Wilke, Dieter G., Nachruf auf Friedrich Klein, in: Archiv des öffentlichen Rechts 99 (1974), S. 647–650. Winkler, Heinrich August, Der lange Weg nach Westen. Deutsche Geschichte vom „Dritten Reich“ bis zur Wiedervereinigung, 1933–1990, Bd. 2, München 2000.

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Wischermann, Clemens, Mythen, Macht und Mängel. Der deutsche Wohnungsmarkt im Urbanisierungsprozeß, in: Jürgen Reulecke (Hg.), Geschichte des Wohnens, Bd. 3: 1800–1918. Das bürgerliche Zeitalter, Stuttgart 1997, S. 335– 502. Wittreck, Fabian, Nationalsozialistische Rechtslehre und Naturrecht. Affinität und Aversion, Tübingen 2008. Wolff, Hans Julius, Die neue Regierungsform des deutschen Reiches, Tübingen 1933. Wolff, Hans Julius, Organschaft und Juristische Person, Bd. 1: Juristische Person und Staatsperson, Berlin 1933, Bd. 2: Theorie der Vertretung, Berlin 1934 (Neudruck: Aalen 1968). Wolff, Hans Julius, Die Rechtsbrüche zum Nachteil der deutschen Volksgruppe in Lettland, Berlin 1941. Wolff, Hans Julius, Die Gestaltung des Polizei- und Ordnungsrechts insbesondere in der britischen Besatzungszone, in: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, Die Grenzen der Verfassungsgerichtsbarkeit/Die Gestaltung des Polizei- und Ordnungsrechts in den einzelnen Besatzungszonen. Mit Berichten von Kaufmann, Erich, Drath, Martin, Wolff, Hans Julius, Gönnewein, Otto, Verhandlungen der Tagung der Deutschen Staatsrechtslehrer zu München am 20. und 21. Oktober 1950, S. 134–180 (Heft 9). Wolff, Hans Julius, Verwaltungsrecht, 3 Bde., München 1956–1966. Wolff, Hans Julius, Rezension zu: Loeber, Dietrich A. (Hg.), Diktierte Option. Die Umsiedlung der Deutsch-Balten aus Estland und Lettland 1939–1941. Dokumentation, 2. Aufl. Neumünster 1974, in: Der Staat 13 (1974), S. 136–138. Wormit, Heinz/Ehrenforth, Werner, Das Reichsheimstättengesetz in der Fassung vom 25.11.1937. Kommentar, Berlin 1941. Wróblewska, Teresa, Die Reichsuniversitäten Posen, Prag und Straßburg als Modelle nationalsozialistischer Hochschulen in den von Deutschland besetzten Gebieten, Torun´ 2003. Zöllner, Wolfgang, Alfred Hueck. Rechtslehrer in Weimarer Republik, Nazidiktatur und Bundesrepublik, in: Grundmann/Riesenhuber 2007, S. 130–147. Zugehörigkeit von Beamten zu Freimaurerlogen, anderen Logen oder logenähnlichen Organisationen. Runderlass des Reichs- und Preußischen Ministers des Inneren, in: Reichsministerialblatt der inneren Verwaltung 1936, S. 1186.

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Die Medizinische Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster von der Gründung bis 1939 Im Jahr der politischen Zäsur in Deutschland war die Medizinische Fakultät in Münster gerade acht Jahre alt. Mit dem Jahr 1933 bestimmten (Selbst-)Gleichschaltungs- und Nazifizierungsprozesse die weiteren Entwicklungen dieser jungen Fakultät. Wie anderswo wurden auch hier durch Verdrängungen und Vertreibungen personelle, institutionelle und (Forschungs-)Entwicklungen unterbrochen beziehungsweise je abgebrochen. Neubesetzungen forcierten ebenso wie veränderte Rahmenbedingungen der Hochschul- und Forschungspolitik die Nazifizierung der Fakultät. Sie gaben ihr ein neues Profil. Ergänzend zu den Beiträgen von Ioanna Mamali und Hans-Peter Kröner in diesem Band wird das im Folgenden beispielhaft nachgezeichnet. Gestützt auf bisherige Erkenntnisse aus dem laufenden DFG-Forschungsprojekt „Geschichte der Medizinischen Fakultät der Universität Münster 1925–1960“ werden die Aufbau- und die Konsolidierungsphase von 1925 bis 1933, dann am Beispiel einzelner Kliniken und Institute die Nazifizierungsprozesse von 1933 bis etwa 1939 dargestellt. Dem schließt sich ein Fazit und Ausblick auf die nachfolgenden Entwicklungen bis zum Kriegsende an.

Die Gründungs- und Konsolidierungsphase bis 1933 „Nachdem die zur Errichtung einer Medizinischen Fakultät erforderlichen Lehrstühle an der Universität Münster begründet worden sind, errichte ich in Verfolg der Königlichen Verordnung vom 8. Dezember 1913 namens des Staatsministeriums die Medizinische Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster. […] Die feierliche Eröffnung der Fakultät werde ich am 16. Mai d. Js. vornehmen“1

Feierlich wurde im Mai 1925 von der Universität, Stadt, Provinz und von Vertretern des Preußischen Kultusministeriums die Medizinische Fakultät eröffnet. Zuvor waren die Professoren berufen, die großen Kliniken am 1. Oktober 1924 übergeben und Lehrpläne, Promotions- und Habilitationsordnung erarbeitet worden.2 Man konnte nun an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster ein 1 2

UAMs, Bestand 9, Nr. 332: Schreiben Wissenschaftsminister vom 28.4.1925. Siehe unter anderem UAMs, Bestand 9, Nr. 332; ebd., Bestand 9, Nr. 335; ebd., Bestand 9, Nr. 812.

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Vollstudium der Medizin und Zahnmedizin ablegen.3 In den darauf folgenden acht Jahren gab es vonseiten des Lehrkörpers vielfältige Bemühungen, finanzielle, personelle und bauliche Probleme zu lösen, Lehre und Forschung zu konsolidieren, die Medizinische Fakultät für Studierende und Wissenschaftler attraktiv zu machen und in der Region zu verankern. In den Lehrkörper der Medizinischen Fakultät waren zum Sommersemester 1925 von den „alteingesessenen“ Professoren als ordentliche Professoren der Anatom und Zoologe Emil Ballowitz4 (1859–1936) und die Physiologen Rudolf Rosemann5 (1870–1943) und Otto Krummacher6 (1864–1938), als beamteter außerordentliche Professor der Zahnmediziner Max (Franz) Apffelstaedt7 (1863–1950), als Honorarprofessor der Internist Joseph Arneth8 (1873–1955) und als nichtbeamteter 3

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Zur Geschichte seit der Einrichtung der propädeutischen Abteilung (1906) bis zur Errichtung der Medizinische Fakultät 1925 siehe Festschrift 1912; Rothschuh 1957; Toellner 1980; Titze 1995, S. 471ff. Zur Zahnheilkunde siehe Gerritz 1970. Ballowitz, geb. am 20.11.1859 in Greifswald, evangelisch, war nach seiner Promotion 1884 in Greifswald Prosektor am Anatomischen Institut der Universität Rostock. Nach seiner Rückkehr nach Greifswald 1885 wurde er 1886 Prosektor am Anatomischen Institut. Zwei Jahre später habilitierte sich Ballowitz, 1894 wurde er zum ao. Professor ernannt. 1904 folgte er den Ruf an die Philosophische Fakultät in Münster. Hier wurde Ballowitz 1905 o. Professor, 1906 Direktor des neu gegründeten Anatomischen und Zoologischen Instituts. Pátek 2010, S. 33ff.; Barbian 2010, S. 10ff. Rosemann, geb. am 17.10.1870 in Berlin, evangelisch, wurde 1893 an der Universität Greifswald promoviert. Dort habilitierte er sich drei Jahre später. 1902 erhielt er das Prädikat „Professor“. 1903 ging er als Privatdozent an das Physiologische Institut der Universität Bonn, 1904 nach Münster, wo er 1906 ein etatmäßiges Extraordinariat für Physiologie erhielt und zugleich Direktor des Physiologischen Instituts wurde. 1921 war Rosemann Rektor der Universität Münster. UAMs, Bestand 10, Nr. 5840. Krummacher, geb. am 7.11.1864 in Elberfeld, reformiert, war Assistent am Physiologischen Institut der Tierärztlichen Hochschule München, wo er sich 1897 habilitierte. 1908 wurde er ao. Professor und kam 1910 ans Physiologische Institut Münster. Dort war er seit 1914 Abteilungsvorsteher und seit 1921 o. Professor. Er wurde am 1.4.1933 emeritiert. UAMs, Bestand 5, Nr. 274; ebd., Bestand 10, Nr. 4158; Rothschuh 1957, S. 51. Apffelstaedt, geb. am 4.3.1863 in Münster, studierte von 1884 bis 1890 in München, Berlin und Göttingen Sprachen und Kunstgeschichte, dann in München, Berlin und Chicago Zahnheilkunde. 1893 legte er in Berlin sein Staatsexamen in Zahnheilkunde ab und ließ sich in Münster als Zahnarzt nieder. 1907 erhielt er einen Lehrauftrag an der Universität Münster und gründete das Zahnärztliche Universitätsinstitut (eröffnet am 20.6.1908), dessen erster Direktor er wurde. 1922 wurde er zum ao. Prof., am 11.11.1926 zum o. Professor ernannt. Er trat 1933 in die NSDAP ein. Engelhardt 2002, S. 18; Gerritz 1970; Fischer 1969. Arneth, geb. am 13.10.1873 in Burgkundstadt (Oberfranken), katholisch, galt als ein bedeutender Blutforscher. Er war nach dem Medizinstudium ein Jahr Sanitätsoffizier in Metz beim Königlichen Bayerischen 4. Infanterie-Regiment, 1899 2. Assistent an der Medizinischen Klinik in Würzburg, dann Assistent am Juliushospital. Nach der Habilitation 1903 war er seit 1907 leitender Arzt der inneren Abteilung des städtischen Klemenshospitals in Münster und ao. Honorarprofessor für Propädeutische Medizin. Er las bis zur Eröffnung der Medizinischen Fakultät auch zur Geschichte der Medizin, allgemeinen

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Die Medizinische Fakultät

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außerordentlicher Professor der Anatom Eugen Kurz9 (1881–1968), im Wintersemester 1925/26 die Privatdozenten – der Anatom Hellmut Becher10 (1896–1976), die Zahnärzte Emil Herbst11 (1872–1940) und Rudolf Müller12 (1886–1957) – sowie

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ärztlichen Technik und Krankenpflege, zu Tropenkrankheiten, Haut- und Geschlechtskrankheiten und zur Arzneilehre. Arneth schied im Wintersemester 1938/39 altersbedingt aus der Medizinischen Fakultät aus, 1953 ernannte ihn die Fakultät zum Dr. med. honoris causa. UAMs, Bestand 10, Nr. 410; ebd., Bestand 5, Nr. 671: Arneth, Dreißig Jahre Tätigkeitsbericht als Krankenhausarzt der inneren Abteilung des Städtischen Krankenhauses und als Universitätsprofessor; Engelhardt 2002, S. 19. Nach dem medizinischen Staatsexamen in München 1906 und der Approbation 1907 war Kurz, geb. am 2.8.1881 in Straubing (Bayern), chirurgischer Assistent in München, wo er 1908 promoviert wurde. Danach ging er für drei Jahre an das Deutsche Krankenhaus in Konstantinopel. 1910 wurde er 2. Prosektor am Anatomischen Institut der Universität Münster. Von 1911 bis 1919 leitete er die Anatomische Abteilung der Deutschen Medizinschule in Shanghai. Nach der Rückkehr habilitierte er sich 1920 für Anatomie und Anthropologie in Münster, wurde 1926 zum beamteten ao., 1934 zum o. Professor ernannt. Er war Mitglied des „Alldeutschen Verbandes“, des Stahlhelms und der DNVP, ab 1933 Mitglied der NSDAP. Von 1934 bis 1938 betätigte er sich ehrenamtlich als Gauschulungsleiter (Rassenhygiene, Erbbiologie und Judenfrage) in Nordkirchen. Nach 1945 wurde er pensioniert, 1956 unter Verzicht auf die damit verbundenen Rechte emeritiert. Pátek 2010, S. 54ff.; Vieten 1982, S. 263. Nach dem Studium der Zoologie und Medizin und den Promotionen zum Dr. phil. (1917) und Dr. med. (1921) war Becher, geb. am 3.4.1896 in Remscheid, evangelisch, Assistent und 2. Prosektor am Anatomischen Institut in Münster. Nach der Habilitation 1922 wurde Becher 1927 beamteter ao. Professor, 1933 o. Professor und Direktor des Anatomischen Institutes in Gießen, 1936 o. Professor in Marburg und 1941 in Münster. In Münster figurierte er von 1941 bis 1945 als Dekan der Medizinischen Fakultät und als Gaudozentenführer Westfalen-Nord. Er war Mitglied der SA (1933), der NSDAP (1937) und der Waffen-SS. 1949 übernahm er wieder seinen Lehrstuhl in Münster, war 1955/56 Rektor der Universität Münster. 1964 wurde Becher emeritiert. Grüttner 2004, S. 19f.; Nagel 2000; Grundmann, Berufungsverfahren, 2001, S. 260f.; Oehler-Klein 2007. Herbst, der in Leipzig, Buffalo und Philadelphia studierte, wurde 1921 in Hamburg promoviert. Er, geb. am 6.10.1872 in Bremen, war seit 1921 Abteilungsvorsteher der Orthodontischen Abteilung der Zahnklinik Münster. Mit seiner Ernennung besaß das zahnärztliche Institut die erste Abteilung für Orthodontie unter Leitung eines Fachdozenten in Deutschland. Er rief mit Herber die „Zeitschrift für zahnärztliche Orthodontie“ ins Leben, habilitierte sich 1923 und wurde 1930 zum ao. Professor ernannt. Er verblieb in dieser Position bis 1938. Gerritz 1970, S. 83ff. Rudolf Müller, geb. am 23.9.1886 in Sien, studierte von 1908 bis 1910 Rechts- und Staatswissenschaften und von 1910 bis 1914 Zahnmedizin. Nach der Approbation 1914 war er Assistent an der Münchener Zahnklinik und nach Kriegsteilnahme 1919 erster Assistent bei Otto Walkhoff (1860–1934). Nach der Promotion 1921 in Erlangen habilitierte sich Müller in Münster 1923. Hier hielt er im Wintersemester 1922/23 seine ersten Vorlesungen. 1929 wurde er o. Professor und Direktor der Zahnklinik Münster. Er war Mitglied der NSDAP (1933) und der SS (1935). 1945 erfolgte seine Amtsenthebung als Direktor der Zahnklinik, 1947 seine Entlassung, 1949 die Wiedereinsetzung in die o. Professur. 1954 wurde Müller emeritiert. Gerritz 1970, S. 87ff.; Huhn/Kilian 2011, S. 237; UAMs, Bestand 9, Nr. 335, Bl. a/140, a/146.

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als beauftragter Dozent der Augenarzt Hermann Davids13 (geboren 1878) – integriert worden. Hinzu kamen zwölf Professoren für die neuerbauten Kliniken und Institute: Hermann Coenen (1875–1956) als Leiter der Chirurgischen Klinik, Paul Krause (1871–1934) als Leiter der Medizinischen Klinik, Peter Esch (1874–1952) als Leiter der Frauenklinik nach Münster, Hermann Freund (1892–1944) für die Pharmakologie, Hermann Marx (1877–1953) für die Ohrenheilkunde, Walter Gross (1878–1933) für Pathologie, Aurel von Szily (1880–1945) für die Augenheilkunde, Hans Vogt (1874–1963) für die Pädiatrie, Martin Reichardt (1874–1966) für Psychiatrie, Heinrich Többen (1880–1951) für Gerichtsmedizin, Karl Wilhelm Jötten (1886–1958) für die Hygiene und Alfred Stühmer (1885–1957) für die Dermatologie. (Tabelle 1) Tabelle 1: Ordentliche Professoren von 1925 bis zum Wintersemester 1933/3414 Name Emil Ballowitz

aus Greifswald

Friedrich Heiderich Rudolf Rosemann Paul Krause Walter Gross

Bonn/ Düsseldorf Bonn

Otto Krummacher Hermann Marx

München

Heinrich Herzog

Innsbruck

Bonn Greifswald

Heidelberg

Hermann Coenen Breslau

13

14

Fachvertreter Anatomie und Zoologie Anatomie

Tätigkeitsdauer in Münster 1904–1926 (emeritiert)

Physiologie

1904–1937 (1936 emeritiert)

Innere Medizin Allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie Physiologische Chemie Ohrenheilkunde

1924–1934 (Suizid) 1924–1933 (Suizid)

Otologie u. RhinoLaryngologie Chirurgie

1926–1940 (gestorben)

1910–1933 (emeritiert) 1924–1928 (Ruf nach Würzburg) 1928–1937 (Zwangsruhestand) 1923–1945 (emeritiert)

Davids, geb. am 23.6.1878 in Emden, luth., war nach dem Studium 1903 bis 1905 Assistent an der Augenklinik Gießen, dann in Göttingen. Nach seiner Heirat mit Käthe Hausmann 1907 ließ er sich in Münster als Augenarzt nieder. Er erhielt am 1. Juli 1920 den Lehrauftrag für „Hygiene des Auges“ (propädeutische Vorlesung). Ab 1923 war er als leitender Arzt der am Städtischen Klemenshospital neu eingerichteten Augenabteilung tätig. An der Medizinischen Fakultät Münster wurde er am 20.4.1936 zum Honorarprofessor ernannt. Davids war 1919 Mitglied der Einwohnerwehr, dann der DNP. 1932 trat er in den Freundeskreis für den Stahlhelm ein und unterstützte, obwohl kein Parteimitglied, die NSDAP. UAMs, Bestand 10, Nr. 75. Quelle: Vorlesungsverzeichnisse 1925ff.

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Tabelle 1 (Fortsetzung) Peter Esch

Marburg

Hans Vogt Aurel von Szily

Magdeburg Freiburg i.Br. Münster

Heinrich Többen Hermann Freund Karl Jötten Martin Reichardt Ferdinand Kehrer Alfred Stühmer Max Apffelstaedt Rudolf Müller

Geburtshilfe und Gynäkologie Kinderheilkunde Augenheilkunde

Freiburg

Gerichtliche und soziale Medizin Pharmakologie Hygiene Psychiatrie und Neurologie Psychiatrie und Neurologie Dermatologie

Münster

Zahnheilkunde

Münster

Zahnheilkunde

Heidelberg Leipzig Würzburg Breslau

1923–1944 (emeritiert) 1924–1944 (emeritiert) 1924–1935 (Zwangsruhestand) 1923–1946 (emeritiert) 1924–1935 (Zwangsruhestand) 1924–1954 (emeritiert) 1924–1925 (Ruf nach Würzburg) 1925–1953 (emeritiert) 1925–1934 (Ruf nach Freiburg i. Br.) 1907–1929 (emeritiert) 1922–1945, 1949–1954 (emeritiert)

Die Neuberufungen, bei denen man neben den fachlichen Qualifikationen – auf konfessionelle Präferenzen verweisen die Berufungsakten nicht15 – Wert auf Erfahrungen „in Einrichtung und Verwaltung von Universitätsinstituten und Universitätskliniken“ gelegt hatte, waren weitgehend reibungslos verlaufen.16 Für den Pharmakologen Hermann Freund, der die Venia Legendi für Innere Medizin und Pharmakologie besaß, sprachen zum Beispiel seine „Arbeiten über Zellzerfallsprodukte und über die Wirkung unspezifischer Reize“, die „zu den besten pharmakologischen Leistungen“ zählten, sowie seine „außergewöhnlich vertiefte Durchbildung“ in Innerer Medizin und Pathologischer Physiologie.17 Mit dem Pathologen Walter Gross holte man einen „ausgezeichnete[n]“ Pathologen und Lehrer nach Münster, dessen Forschungen durch eine „sehr gute naturwissenschaftliche und medizinische Ausbildung“ und originelle Gedanken geprägt waren.18 Den Hygieniker 15 16 17

18

Die Berufenen waren mit einer Ausnahme – Hermann Freund (mosaisch) – katholischen und protestantischen Glaubens. UAMs, Bestand 9, Nr. 335, Bl. a/76: Schreiben der Philosophischen und Naturwissenschaftlichen Fakultät an das Kultusministerium vom 11.12.1922. Ebd., Bl. a/79: Anlage 3 zum Schreiben der Philosophischen und Naturwissenschaftlichen Fakultät an das Kultusministerium vom 11.12.1922. Auf der Berufungsliste stand er an zweiter Stelle hinter Hermann Wieland (1885–1829) aus Königsberg, der 1925 nach Heidelberg berufen wurde. Ebd., Bl. a/77: Anlage 1 (Pathologie).

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Karl Wilhelm Jötten berief man aufgrund „guter wissenschaftlicher Arbeiten über Seuchenbekämpfung (Tuberkulose, Typhus, Ruhr u. a.)“, mit denen sich der junge Wissenschaftler als „selbständiger, tüchtiger Forscher mit praktischem Durchblick“ und Organisationstalent präsentiert hatte.19 Für den Dermatologen Alfred Stühmer sprachen neben guten dermatologischen und urologischen Kenntnissen seine Erfahrungen, die er beim „Neubau und der Neuorganisation der Hautklinik in Freiburg“ gesammelt hatte.20 Demgegenüber zeichnete der Ophthalmologe Aurel von Szily (1880–1945) zwar eine „ausgedehnte wissenschaftliche Produktivität“ aus, doch gab es Zweifel, ob er „als geborener Ungar und als vorwiegender Laboratoriums-Gelehrter gerade für Münster, wo doch eine grosse Klinik neu einzurichten ist und der gesamte augenärztliche Unterricht organisiert werden soll, besondere Eignung besitzt.“21

Diesen Zweifel und die Streitigkeiten mit dem Preußischen Kultusministerium um die Besetzungen der Ordinarien für gerichtliche Medizin22 und für die Psychiatrie23 waren jedoch bis zur Eröffnung der Medizinischen Fakultät ausgeräumt beziehungsweise beigelegt. 1925 war der engere Lehrkörper der Medizinischen Fakultät etabliert. Die Professoren, 1926 unterstützt von den Honorarprofessoren Joseph Arneth und Alwin Besserer24 (1876–1939), dem (beauftragten) Dozenten Hermann Davids und den Privatdozenten Hellmut Becher (Anatomie), Emil Herbst (Orthodontie),

19 20

21 22

23 24

Ebd., Bl. a/91: Professur für Hygiene (ohne Datum). Ebd., Bl. a/117; Schreiben Krause an Minister vom 24.1.1925. Stühmer hatte zunächst die Stelle vertretungsweise inne, zum 4.1.1925 wurde er als o. Professor und Direktor der Hautklinik berufen. Ebd., Bl. a/78: Anlage 2 (Augenheilkunde). Hier stritt man um die Besetzung mit Alwin Besserer oder mit Heinrich Többen. „Bei der Besetzung der Professur für gerichtsärztliche Medizin in Münster ist an der Tatsache nicht vorüberzugehen, dass die gerichtsärztliche Psychiatrie für die Professur wegfällt, weil sie gebunden ist an das Material der Irrenabteilung der Strafanstalt, das schon seit vielen Jahren von dem Psychiater der Strafanstalt Prof. Többen für seine Unterrichtszwecke verwendet wird,“ ebd., Bl. a/85. Zum 29.10.1924 wurde Heinrich Többen berufen. Siehe auch Aulke 2008; Dicke 2004 und den Beitrag von Julian Aulke in diesem Band. Siehe hierzu den Aufsatz von Ioanna Mamali in diesem Band sowie dies. 2011. Besserer, geb. am 28.5.1876 in Duisburg, evangelisch, wurde 1899 in Freiburg promoviert. Dort war er als Medizinalassistent an der Medizinischen Poliklinik, von 1899 bis 1903 am Krankenhaus Moabit und von 1903 bis 1904 am Robert-Koch-Institut in Berlin tätig. Nach dem Kreisarztexamen wurde er 1905 Leiter des Medizinaluntersuchungsamtes in Münster. Hier erhielt er 1907 einen Lehrauftrag für gerichtliche Medizin an der Rechtsund Staatswissenschaftlichen Fakultät, am 23.4.1918 das Prädikat „Professor“. Besserer wurde am 14.5.1925 zum Honorarprofessor für Soziale Medizin an der Medizinischen Fakultät ernannt. 1938 figurierte er als Direktor des Staatlichen Medizinaluntersuchungsamtes Münster. UAMs, Bestand 10, Nr. 36; ebd., Bestand 52, Nr. 275; ebd., Bestand 18, Nr. 18; Krüger 1992, S. 269; Dicke 2004, S. 117ff.

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Rudolf Müller (Zahnmedizin), Erich Eichhoff25 (1892–1957, Chirurgie), Gerhard Domagk26 (1895–1964, Pathologie) und Franz Krömeke27 (1892–1926, Innere Medizin), begannen den Lehr- und Forschungsbetrieb aufzunehmen und personell wie institutionell ihre Kliniken und Institute auszugestalten. Sie kämpften in den wirtschaftlichen Krisenjahren der Weimarer Republik um wachsende personelle Ausstattungen und rangen um Lösungen der finanziellen und baulichen Kalamitäten sowie der Planungsdesiderate. Die Lehrstuhlinhaber der Dermatologie, der Pädiatrie, der Hals-Nasen-Ohren und der Psychiatrie mussten, da sie bei der Eröffnung keine eigenen Kliniken besaßen, mit provisorischen Lösungen Vorlieb nehmen, um den Klinikbetrieb aufnehmen und Lehre wie Forschung gestalten zu können. Die provisorische Unterbringung ihrer Patient(inn)en28 wie der Umstand, dass die klinischen Anstalten von den Krankenkassen der Stadt Münster für Kassenangehörige gesperrt waren, bedingte Defizite in der Ausbildung, wie Hans Vogt, Lehrstuhlinhaber der Pädiatrie, beklagte: „Die Zusammensetzung des Krankenbestandes bringt es mit sich, dass überwiegend schwierig zu erkennende und zu behandelnde Fälle zur Aufnahme kommen, während es so gut wie ganz an den mehr alltäglichen Krankheitsfällen, wie sie nur die Stadt selbst und die nähere Umgebung liefern können, mangelt. Grade die letzteren aber sind es doch, mit denen der Arzt in seiner Praxis tagtäglich zu tun hat und deren gründliche Kenntnis daher für ihn am dringlichsten ist.“29 25

26

27

28 29

Eichhoff, geb. am 25.2.1892 in Elberfeld, katholisch, wurde 1919 in Gießen promoviert. 1924 habilitierte er sich in Breslau und ging von dort mit Coenen nach Münster, wo er als Oberarzt an der Chirurgischen Klinik tätig war. 1929 wurde er nbao. Professor, 1932 leitender Arzt im St. Elisabeth-Krankenhaus Köln-Hohenlinden. 1934 schied er aus dem Lehrkörper der Medizinischen Fakultät aus. UAMs, Bestand 5, Nr. 49; ebd., Bestand 10, Nr. 85. Domagk, geb. am 30.10.1895 in Lagow (Brandenburg), evangelisch-lutherisch, wurde 1921 in Kiel promoviert. Er habilitierte sich 1924 in Greifswald. 1925 bis 1927 war er Assistent in Münster, ab 1927 Leiter des Laboratoriums für experimentelle Pathologie im Elberfelder Werk der IG-Farben Wuppertal. Domagk erhielt 1939 für die Entdeckung der antibakteriellen Wirkung des Sulfonamids Prontosil den Nobelpreis für Medizin. Er wurde an der Universität Münster 1939 zum apl. Professor, 1958 zum o. Professor berufen. Er starb am 24.4.1964 in Königsfeld. UAMs, Bestand 10, Nr. 1454; Universitätsarchiv Greifswald: Eintragung Gerhard Domagks in das Album der Ehrensenatoren. Ich danke Frau Peters vom Universitätsarchiv Greifswald für die Überlassung der Abschrift dieser Eintragung. Zu Leben und Werk Domagks siehe E. Grundmann 2001. Krömeke, geboren am 16.7.1892 in Paderborn, katholisch, war nach der Promotion 1920 in Bonn Assistenzarzt der Inneren Abteilung des Klemenshospitals Münster, dann Assistent an der Bonner Medizinischen Klinik. Er folgte Krause nach Münster, wo er sich 1925 habilitierte. Er starb bei einem Fahrradunfall 1926. UAMs, Bestand 5, Nr. 116; ebd., Bestand 10, Nr. 247. Ständer/Ständer 2006, S. 11. Toellner 1980, S. 296f. Zur Psychiatrie siehe Mamali 2011. UAMs, Bestand 9, Nr. 736: Brief Vogt an Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung vom 16.12.1926.

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Vogt kämpfte weiterhin um den Neubau seiner Klinik,30 der Dermatologe Alfred Stühmer eröffnete am 1. Februar 1926 den Klinikbetrieb in einem provisorisch eingerichteten Gebäude, dem Clara-Stift.31 Demgegenüber bedingten die baulichen Unzulänglichkeiten und der sich andeutende zähe Kampf um ihre Behebung den Fortgang Neuberufener aus Münster. Der Psychiater Martin Reichardt folgte 1925 dem Ruf nach Würzburg. Der Hals-Nasen-Ohren-Professor Hermann Marx ging 1928 nach Würzburg, wo ihn ein bedeutend größeres Arbeitsfeld in einer „der best eingerichteten und eine der größten Kliniken Deutschlands“ erwartete.32 Für Reichardt kam Ferdinand A. Kehrer33 (1883–1966) aus Breslau nach Münster, für Marx der Rhino-Laryngologe Heinrich Herzog34 (1875–1938) aus Innsbruck. Ergänzt wurden diese frühen personellen Veränderungen durch altersbedingte unter den „alteingesessenen“ Professoren: Der Anatom Emil Ballowitz wurde 1926, der Zahnmediziner Max Apffelstaedt 1929 emeritiert. Für ersteren berief man Friedrich Heiderich35 (1878–1940) aus Bonn. Er gehörte zu den Anatomen, „die gemeinsam mit Klinikern wichtige Probleme aufgreifen“ und besaß ein außerordentliches Organisationstalent.36 Für Apffelstaedt wurde aus der Münsterschen Klinik Rudolf Müller, Leiter der konservierenden Abteilung der Schulzahnklinik, berufen. Aus dem in Tabelle 1 erfassten engeren Lehrkörper wurden bis zum Wintersemester 1933/34 im zweisemestrigen Rhythmus die Dekane der Fakultät gestellt. Sie kamen – bis auf Rosemann – wie der Gründungsdekan der Medizinischen Fakultät, Paul Krause, der 1930/31 auch als Rektor der Universität figurierte, aus der Reihe der Neuberufenen (Tabelle 2). Ihnen, geboren zwischen 1870 und 1880, war die akademische Sozialisation im Kaiserreich einschließlich der Erfahrungen des 30 31

32 33 34

35

36

Krause 1932, S. 9. Ausführlich Thie-Mummenthes 1980. GStA, I. HA Rep. 76, Va, Nr. 10744, Bl. 146ff. Nach Krutmann 1987, S. 34, begann die poliklinische Tätigkeit im November 1925. Die Inbetriebnahme der Stationen erfolgte am 1.2.1926, die serodiagnostische Abteilung wurde zwei Monate später eröffnet. UAMs, Bestand 5, Nr. 137. 1927 hatte Marx bereits einen Ruf nach Köln erhalten, den er aber ablehnte. Ebd. Bestand 10, Nr. 285. Zu Kehrer siehe Mamali 2011 und den Beitrag derselben in diesem Band. Herzog, geb. am 1.11.1875 in Pfaffenberg (Niederbayern), katholisch, wurde 1906 in München promoviert. Dort habilitierte er sich 1907. Er war von 1910 bis 1916 erster Assistent an der Hals-Nasen-Ohren-Klinik München und wurde 1915 zum ao. Professor ernannt. 1916 erreichte ihn der Ruf nach Innsbruck, 1928 nach Münster. UAMs, Bestand 10, Nr. 177, Bd. 1: Personalbogen (ohne Datum). Skopcek/Majer 1998, S. 48. Heiderich, geb. am 12.7.1878 in Hanau am Main, wurde nach dem Studium in Göttingen und München in Göttingen 1903 promoviert. Dort habilitierte er sich 1906 und wurde 1908 zum ao. Professor ernannt. 1911 war er ao. Professor, 1917 Honorarprofessor, 1922 o. Professor an der Universität Bonn. Ab 1923 hatte er an der Medizinischen Akademie Düsseldorf einen Lehrauftrag für topographische Anatomie. 1926 wurde er o. Professor in Münster. Er war 1932 Mitglied im Freundeskreis Stahlhelm, ab 1933 der NSDAP. Heiderich starb am 31.3.1940 in Münster. Engelhardt 2002, S. 260; Pátek 2010, S. 47ff. Zur Geschichte des Instituts für Anatomie erstellt zur Zeit Beatrix Kaiser eine Dissertation. Pátek 2010, S. 52.

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Ersten Weltkrieges gemeinsam. Das prägte sie weitgehend in ihrem politisch nationalen und gegenüber der Weimarer Republik kritischem Denken. Sie sprachen sich wie ein Großteil der Münsterschen Professorenschaft „um 1930“ gegen das „Diktat von Versailles“ aus.37 Mancher – wie Paul Krause – stand auch gewerkschaftlichen Aktivitäten an den Universitätskliniken Münster äußerst unwillig gegenüber. Strikt lehnte er Streiks an den Kliniken ebenso wie die Anwendung von Tarifverträgen ab: Die Universitätskliniken wären keine Fabrikbetriebe, sondern „Zuschussbetriebe und haben als höchstes Ziel die Pflege und Heilung der Kranken. Tarifverträge sollten in ihnen keine Anwendung finden.“38 Tabelle 2 Dekane der Medizinischen Fakultät (Sommersemester 1925 bis Wintersemester 1933/34) SS 1925

WS 1925/26–SS 1926 WS 1926/27–SS 1927 WS 1927/28–SS 1928 WS 1928/29–SS 1929 WS 1929/30–SS 1930 WS 1930/31–SS 1931 WS 1931/32–SS 1932 WS 1932/33–SS 1933

SS 1933–WS 1933/34

Prof. Dr. Paul Krause (Gründungsdekan) (Direktor der Medizinischen Klinik und Verwaltungsdirektor der Kliniken) Prof. Dr. Rudolf Rosemann (Direktor des Physiologischen Instituts) Prof. Dr. Walter Gross (Direktor des Pathologischen Instituts) Prof. Dr. Hermann Coenen (Direktor der Chirurgischen Klinik) Prof. Dr. Friedrich Heiderich (Direktor des Anatomischen Instituts) Prof. Dr. Peter Esch (Direktor der Frauenklinik) Prof. Dr. Hans Vogt (Direktor der Kinderklinik) Prof. Dr. Heinrich Herzog (Direktor der Hals-Nasen-Ohren-Klinik) Prof. Dr. Prof. Dr. Aurel von Szily (bis Ende April 1933) (Direktor der Augenklinik) Prof. Dr. Peter Esch Prof. Dr. Peter Esch

SS = Sommersemester, WS = Wintersemester

37 38

Vieten 1982, S. 163ff. BAB, R/4901/2124: Brief Krause an Ministerialdirektor Dr. Richter, Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, vom 4.3.1932. Siehe auch seine Begründung für die Anstellung einer Clemensschwester als Diätköchin. GStA, I. HA Rep. 76, Va, Nr. 10699, Bl. 19: Brief Krause an stellv. Kurator der Universität Münster vom 18.12.1924.

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Die Ordinarien und die (anfangs wenigen) Privatdozenten erfüllten ihre Lehraufgaben, wobei im Lehrangebot der Anatomie auch Rassenkunde und Vererbungslehre, der Hygiene Rassen- und Fortpflanzungshygiene (für Hörer aller Fakultäten) stand.39 Neben verwaltungstechnischen Aufgaben, der Organisation des Klinikalltags, unternahmen sie vielfältige Anstrengungen, ihre Fakultät in der regionalen Medizinerschaft zu verankern. Auch suchten sie den neuen Hochschulort Münster für Studierende der Medizin attraktiv auszugestalten.40 Bis 1933 erhöhten sich durch die wachsenden Studierendenzahlen in Zeiten der Staatsexamina und durch die regelmäßige Betreuung einer (hohen) Zahl von Doktorarbeiten die Arbeitsbelastungen für die Professoren und Privatdozenten enorm. So hatte im Wintersemester 1932/33 der Internist Paul Krause 70 Mediziner und 60 Zahnmediziner für das Staatsexamen zu prüfen. Der Pharmakologe Hermann Freund betreute 1930 etwa 30 Doktoranten.41 Im Pathologischen Institut war die Zahl der Promotionen seit 1927 „dauernd in Zunahme begriffen“. Zudem ging hier die wachsende Zahl der Studierenden wie auch in der Inneren Medizin mit Platzund Betreuungsproblemen in den Kursen und Übungen einher.42 Tabelle 3a: Wissenschaftliches Personal, Theoretische Anstalten (ohne Direktoren)

Anatomisches Institut Physiologisches Institut Pathologisches Institut Pharmakologisches Institut Hygienisches Institut Staatliche Forschungsabteilung für Gewerbehygiene Institut für gerichtliche und soziale Medizin 39

40 41 42

Wintersemester 1926/27 2 Prosektoren, 1 pl. Ass. 1 Abteilungsvorsteher, 1 pl. Ass. 2 pl. Ass., 1 apl. Ass. 1 pl. Ass., 1 apl. Ass. 2 pl. Ass.



Sommersemester 1933



3

2 Prosektoren, 1 pl. Ass. 1 Abteilungsvorsteher, 1 pl. Ass., 1 apl. Ass. 1 Oberassistent, 1 pl. Ass., 1 apl. Ass. 2 pl. Ass. 2 pl. Ass., 1 apl. Ass. 1 pl. Ass.

3

3

2 2

1 apl. Ass.

1

2 apl. Ass.

2

2 3

3

2 3 1

Rassenkunde ab Sommersemester 1921 von Eugen Kurz; Vererbungslehre im Wintersemester 1925/26 von Hellmut Becher; Rassen- und Fortpflanzungshygiene ab Wintersemester 1927/28 zunächst von Jötten, dann von seinem Assistenten Wilhelm Pfannenstiel. Vorlesungsverzeichnisse Sommersemester 1921ff. Siehe den Beitrag von H.-P. Kröner in diesem Band. Unter anderem das Engagement Paul Krauses für die Einrichtung einer Mediziner-Burse (mensa academica). BAB, R/4901/14343, Bl. 1–4. GStA, I. HA Rep. 76, Va, Nr. 10699, Bl. 216: Brief Krause an Minister für Wissenschaft vom 26.11.1932. Huhn/Kilian 2011, S. 143. Chronik 1926– 1930.

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Die Medizinische Fakultät

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Tabelle 3b: Wissenschaftliches Personal, Universitätskliniken (ohne Direktoren)

Medizinische Klinik Kinderklinik Chirurgische Klinik Frauenklinik Augenklinik Ohrenklinik Poliklinik für psychiatrische und Nervenkrankheiten/Psychiatrische und Nervenklinik Hautklinik Zahnärztliches Institut (einschließlich Schulzahnklinik)

Wintersemester 1926/27 1 OA, 5 pl. Ass., 2 apl. Ass. 1 OA, 1 pl. Ass., 1 apl. Ass. 1 OA, 4 pl. Ass., 4 apl. Ass. 1 OA, 3 pl. Ass., 1 apl. Ass. 1 OA, 2 pl. Ass. 1 OA, 1 pl. Ass., 2 apl. Ass. 2 pl. Ass.

1 OA, 1 pl. Ass., 2 apl. Ass. 2 PD, 1 pl. Ass., 5 apl. Ass.

∑ 8 3 9 5 3 4 2

4 8

Sommersemester 1933 1 OA, 5 pl. Ass., 3 apl. Ass. 1 OA, 2 pl. Ass., 1 apl. Ass. 1 OA, 3 pl. Ass., 5 apl. Ass. 1 OA, 3 pl. Ass., 1 apl. Ass., 1 StA 1 OA, 2 pl. Ass., 1 apl. Ass. 1 OA, 1 pl. Ass., 3 apl. Ass. 1 OA, 3 pl. Ass., 1 apl. Ass. 1 OA, 4 pl., Ass. 1 apl. Ass. 1 Vorsteher, 1 pl. Hilfslehrer, 3 pl. Ass., 5 apl. Ass.

∑ 9 4 9 6 4 5 5

6 10

OA = Oberarzt; pl. Ass. = planmäßiger Assistent; apl. Ass.= außerplanmäßiger Assistent; PD = Privatdozent; StA = Stabsarzt43; ∑ = Summe Um eigene Forschungsfelder an der Medizinischen Fakultät zu konsolidieren, blieb neben der Schaffung neuer Einrichtungen44 oder entsprechender apparativer Ausstattungen ein vorrangiges Anliegen der Ordinarien an ihren Kliniken und Instituten das wissenschaftliche Personal auszubauen. Zwar gelang es ihnen bis 1933, die Zahl der wissenschaftlichen Assistent(inn)en45 und Oberärzte zu stabilisieren 43

44

45

Der Direktor der Frauenklinik ließ regelmäßig Stabsärzte im Rahmen der Facharztausbildung an seine Klinik abkommandieren, die für die Klinik dann kostenneutral arbeiteten. Eine Dissertation zur Geschichte der Frauenklinik erstellt Birthe Heitkötter, in der auch dieser Aspekt abgehandelt wird. Als Beispiel sei hier die Einrichtung einer Tuberkulosebaracke an der Medizinischen Klinik erwähnt. BAB, R/4901/14905, Bl. 1–7, 25, 37f., 49. Zugleich konsolidierte Paul Krause in seiner Klinik die Typhusforschung, mit der er im Ersten Weltkrieg begonnen hatte. In diesem Beitrag wird nicht auf die in diesen und späteren Jahren an der Medizinischen Fakultät Münster quantitative Diskrepanz bei der Anstellung von weiblichen und männlichen Assistenten eingegangen. Erwähnt sei an dieser Stelle nur, dass unter den Oberärzten sich keine Frau, unter den Assistenzärzten nur wenige Frauen finden.

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(Tabelle 3), doch wurde der (wissenschaftliche) Personalbestand neben der finanziellen Ausstattung der Medizinischen Fakultät zu einem Dauerkonflikt zwischen der Fakultät und dem Preußischen Kultusministerium.46 Eine erfolgreiche Bilanz verzeichnete die Fakultät bei den Promotionen und Habilitationen: 398 Mediziner(innen) waren bis zum Sommersemester 1933 promoviert worden, davon 297 zum Dr. med. und 101 zum Dr. med. dent. Im Zeitraum von 1922 bis Januar 1933 hatten sich 31 Mediziner in den theoretischen und klinischen Fächern habilitiert beziehungsweise umhabilitiert.47 (Tabelle 4 und 5) Tabelle 4: Gesamtzahl der Habilitationen zwischen 1922 bis Januar 1933 Theoretische Fächer Anatomie Physiologie Pathologie Pharmakologie Hygiene Gerichtsmedizin

∑ 2 3 (1 UH) 2 (1 UH) 2 2 1

Klinische Fächer Innere Medizin Pädiatrie Chirurgie Gynäkologie Augenheilkunde Hals-Nasen-Ohren Psychiatrie Dermatologie Zahnmedizin

∑ 3 (1 UH) 2 3 (1 UH) 2 1 2 1 2 3

Tabelle 5: Habilitanden im Zeitraum von 1922 bis Januar 1933 Name

Fach

Hellmut Becher Emil Herbst Rudolf Müller Erich Eichhoff

Anatomie Zahnmedizin Zahnmedizin Chirurgie

Gerhard Domagk Franz Krömeke Karl Hellmann

Pathologie

Karl Zipf 46 47

Habilitation 8/1922 1/1923 3/1923 11/1924 (UH) 5/1925 (UH) 11/1925

Innere Medizin Hals-Nasen6/1926 Ohren Pharmakologie 7/1926

ao. Prof.

Bemerkungen 1927 ao. Prof. Univ. Gießen

11/1930 7/1929 8/1928

1929 o. Prof. Univ. Münster 1932 St.-Elisabeth Krankenhaus, Köln 1927 Elberfeld IG-Farben 1926 verstorben 1928 Universität Würzburg

3/1931

1934 o. Prof. Königsberg

Personelle Engpässe zeigten sich z.B. in Krankheitsfällen der Assistenzärzte. Siehe u.a. GStA, I. HA Rep. 76, Va, Nr. 10699, Bl. 38, 128, 137. Da unsere Recherchen noch nicht abgeschlossen sind, entspricht die Zahl 31 dem Forschungsstand Juli 2011. Vgl. UAMs, Bestand 9, Nr. 814.

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Tabelle 5 (Fortsetzung) Kurt Käding Fritz Poos Friedrich K. Hilgenberg Friedrich Sartorius (geb. 1896) Hermann Walter (1893–1938) Walter Grävinghoff (1891– 1975) Hans H. Weber Wilhelm Pfannenstiel Robert Gantenberg (1891–1946) Karl (Carl )Neuhaus (geb. 1893) Paul W. Schmidt (1896–1950) Karl Adler (1894–1966) Johann Kremer (1883–1965) Heinrich Korbsch (1893–1984) Engelhard Hertel (geb. 1894) Erich A. Müller (1898–1977) Vinzenz Wucherpfennig (1898–1951) Augustin Foerster (1895–1963) Gunther Lehmann (1897–1974) Wilhelm Berger (1895–1938)

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Innere Medizin Augenheilkunde Gynäkologie Hygiene und Bakteriologie Chirurgie

10/1926 1928 Städtisches Kranken(UH) haus Delmenhorst 12/1926 11/1931 1939 Med. Akademie Düsseldorf 2/1927 6/1936 1932 Städtische Frauenklinik Essen 2/1927 1/1935 1938 Universität Berlin 2/1927

1934

1938 verstorben

Pädiatrie

6/1927

1934

Physiologie

11/1927 5/1931 (UH) 11/1927

1936 Niederlassung, 1937 Dozent Universität Halle/Saale 1939 Ordinariat in Königsberg 1931 Ordinariat Marburg

2/1929

1937 Universität Berlin

Hygiene und Bakteriologie Innere Medizin Pathologie

4/1935

2/1929

1933 Pathologisches Institut Oldenburg 1934 Universität Freiburg i.Br. 1934 Privatpraxis Emden

Dermatologie

11/1929 8/1933

Gynäkologie

7/1929

Anatomie

7/1929

1936

1945 entlassen

Psychiatrie

7/1929

1939

Chirurgie

2/1930

1934 Heil- und Pflegeanstalt Münster 1938 Krankenhaus Fulda

Physiologie

7/1930

Dermatologie Gerichtsmedizin Physiologie Hals-NasenOhren

11/1936 Kaiser-Wilhelm-Institut für Arbeitsphysiologie 11/1930 4/1936 1945, 1947 Privatpraxis 7/1930

1936

11/1930 9/1934 (UH) 7/1931

1936 München, 1937 Ordinarius Marburg Kaiser-Wilhelm-Institut für Arbeitsphysiologie 1934 Ordinarius Königsberg

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426 Tabelle 5 (Fortsetzung) Georg Meyer zu Hörste (geb. 1901) Walter Haarmann Aloys Immenkamp (geb. 1906)

Kinder7/1931 heilkunde Pharmakologie 2/1932

6/1944

Zahnmedizin

1944

1/1933

1939

1933 Direktor der Kinderklinik Dortmund 1945 Landes-Polizeischule Münster

UH = Umhabilitation Die Habilitanden unterstützten in Lehre, Forschung und Klinikalltag die Ordinarien. Ihre Lehrer halfen ihnen in Weiterbildungsanliegen wie in ihren Forschungen.48 Sie suchten für ihre Habilitanden Karrierewege zu ebnen, sie „berufungsfähig“, für andere Universitäten beziehungsweise für Chefposten in großen Kliniken „attraktiv“ zu machen. Trotz der allgemeinen bildungspolitischen Diskussionen über die „akademische Bildungsnot“ in der Weimarer Republik,49 hoffte mancher wie der Pharmakologe Karl Zipf50 (1895–1990) auf eine auswärtige Berufung. Der Wunsch des 1926 habilitierten Zipf ging vor 1933 nicht in Erfüllung, obwohl sein Lehrer Hermann Freund ihn auf Berufungslisten setzen ließ und ihn soweit geführt hatte, „dass er vor dem besten ‚Willstaetter-Schüler‘ Kraut und vor den ‚Elbernfeldern‘ das Kallikrein chemisch definiert!“51

48

49 50

51

Als Beispiele seien hier genannt: 1927 schickte Marx seinen Assistenten Wilhelm Berger zur stimmärztlichen Ausbildung an die Universitätsohrenklinik München. Gross unterstützte K(C)arl Neuhaus bei einem Forschungsaufenthalt in Spanien 1931, Stühmer schickte seinen Assistenten Friedrich Sartorius 1928 als Referenten zu dem in Königsberg stattfindenden Deutsch-Russischen Scharlachkongress. BAB, R/4901/ 2124, Bl. 212f.; GStA, I. HA Rep. 76, Va, Nr. 10688, Bl. 152; Meckmann 1995, S. 52. Grüttner 2002, S. 342. Zur Situation der Privatdozenten in der Weimarer Republik siehe Paletschek 2004, S. 1382ff. Zipf, geb. am 1.1.1895 in Oberkirch (Baden), war Kriegsfreiwilliger im Ersten Weltkrieg und begann nach seiner Verwundung während des Krieges mit dem Studium der Medizin in Hamburg, Würzburg und Heidelberg, wo er 1921 promoviert wurde. Danach war Zipf Volontärassistent am Heidelberger Pathologischen Institut, 1921 bis 1924 Assistenzarzt am Städtischen Krankenhaus Mannheim, dann Hilfsassistent am Pharmakologischen Institut in Heidelberg. Er kam mit Hermann Freund nach Münster. Zipf war Mitglied der NSDAP und der SS. 1953 war er Honorarprofessor an der Medizinischen Fakultät München, ab 1954 o. Professor an der dortigen tierärztlichen Fakultät. Huhn/Kilian 2011, S. 240; UAMs, Bestand 9, Nr. 605; Kürschner 1976, S. 3626. Huhn/Kilian 2011, S. 120. Gemeint sind hier Konkurrenzen a) mit Heinrich Kraut (1893– 1992), Leiter der Chemischen Abteilung des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Arbeitsphysiologie, der Schüler des Münchener Chemikers und Nobelpreisträgers Richard Willstätter (1872–1942) war, und b) mit Kollegen der Bayern AG/IG Farben. Zu Kraut und seinen Forschungen siehe Heim 2003, S. 102ff.; Thoms 2006, S. 120ff.

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Auch für die Habilitanden an der neueingerichteten Fakultät Münsters galt die hochschulpolitische Praxis einer sechsjährigen Wartezeit nach Erhalt der Venia Legendi bis zur Ernennung zum nichtbeamteten außerordentlichen Professor.52 Eine frühere Ernennung wegen Kriegsteilnahme, wie zunächst nach Ende des Ersten Weltkrieges üblich, war „um 1930“ nicht mehr en vogue, denn nach mehr als zehn Jahren seit Kriegsende „wird die Teilnahme am Krieg keine derartige Verzögerung der Habilitation bewirkt haben, […] Wenn sie trotzdem erst so spät erfolgte, dass die Frist von 6 Jahren heute noch nicht erreicht ist, so werden in der Regel andere Gründe als die Kriegsteilnahme dafür maßgebend sein. Damit entfällt aber die Voraussetzung für die bisher gewährte Kürzung der Frist.“53

Den Fakultäten blieb es bei herausragenden Leistungen jedoch unbenommen, die Frist zu verkürzen. Das sollte nach Auffassung des Preußischen Wissenschaftsministers jedoch keine „epidemischen“ Ausmaße annehmen, eine – aus der Sicht des Ministers – allgemeine Praxis der Medizinischen Fakultäten. Denn ihren Ernennungsvorschlägen mit der Begründung, dass „dem Durchschnitt erheblich überragende Leistungen vorlägen“, widersprachen allzu oft die Gutachten der zuständigen „Fachgenossen“. Da „seitens der außerhalb der Universität stehenden medizinischen Kreise […] die Verleihung der Amtsbezeichnung Professor an Privatdozenten mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgt“ werde, richtete der Minister „an die Medizinischen Fakultäten die ernste Bitte […], bei der Stellung ihrer Anträge größte Zurückhaltung walten zu lassen.“54 Diese Bitte richtete sich auch an die Ordinarien in Münster. Hier hatte Paul Krause beim Preußischen Minister für Wissenschaft die frühzeitige Ernennung von 15 Privatdozenten zum nichtbeamteten außerordentlichen Professor aufgrund ihrer Teilnahme am Ersten Weltkrieg beantragt – jedoch ohne Erfolg.55 Ebenso abschlägig entschieden wurden seine wiederholten Bemühungen um die Ernennung seines Oberarzt Kurt Käding56 52

53 54 55 56

Dies war mit dem Erlass vom 21.4.1921 festgelegt worden. Ausnahmen konnten bei Kriegsteilnehmern gestattet werden. Zum 1.10.1927 wurde ein Druckzwang bei Habilitationsschriften eingeführt. Siehe UAMs, Bestand 9, Nr. 812. UAMs, Bestand 4, Nr. 223, Bl. 75: 31.10.1930, Preußischer Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung (Abschrift). Ebd., Bl. 71: 4. Juni 1932, Preußischer Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung. UAMs, Bestand 4, Nr. 223. Nach zweisemestrigen Studium der Mathematik, Chemie und Physik in Göttingen begann Käding, geb. am 17.8.1892 in Prerow, evangelisch-lutherisch, in Greifswald 1912 mit dem Medizinstudium. Nach dem Physikum 1914 war er Kriegsfreiwilliger und legte nach schwerer Verwundung 1917 sein Staatsexamen ab. Nach der Promotion 1919 in Greifswald war er von 1918 bis 1921 als Assistenzarzt in Barmbeck, von 1921 bis 1926 als Assistent und Oberarzt an der Medizinischen Klinik Bonn tätig. Dort habilitierte er sich 1923. Käding war von 1926 bis 1928 Oberarzt in der Medizinischen Klinik Münster, ab 1928 Chefarzt am Städtischen Krankenhause in Delmenhorst. Er trat 1933 in die NSDAP und in die NSKK ein und war auch am Erbgesundheitsgericht Oldenburg tätig. Er gehörte – so Ingo Harms 2002, der Käding allerdings als Chirurgen sieht, – zu den Ärzten, die Zwangssterilisationen mit Röntgenstrahlen und Radium durchführen durften. 1945

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(1892–1961).57 Für Krause – so schrieb er Käding, der 1928 Chefarzt der Inneren und Röntgenabteilung am neu errichteten Krankenhaus Delmenhorst war, – zeigten die Ablehnungen, „die geradezu feindselige Einstellung des parteipolitischen Ministers vor allem des Preuss. Kultusministers […], welcher über jeden Dozenten sich in der entsprechenden Weise durch einen der sozialdemokratischen Partei angehörenden Referenten unterrichten lässt. Ich weise nochmals darauf hin, dass ich seinerzeit mit warmer Befürwortung Sie in der Fakultät mit den Ihnen bekannten übrigen Herren58 genannt habe. Wir bekamen zweimal die Liste zurück. Aus diesen Ausführungen ersehen Sie die grossen Schwierigkeiten. Ich hoffe, dass Sie dafür volles Verständnis haben. Da mir infolge meiner grossen Arbeitsleistungen für den preussischen Staat immerhin das Ministerium zu Dank verpflichtet ist, will ich meinen Einfluss nochmals versuchen geltend zu machen. Ich rate Ihnen dringend in Ihrem jetzigen Arbeitskreis zu bleiben, wenn Sie nicht etwas Sicheres und Besseres in Aussicht haben. Die Lage für sämtliche Krankenhausärzte wird von Monat zu Monat schlechter, überall erfolgt Abbau. Die Preuss. Universitäten selbst sind in großer Gefahr, 15% der Assistenten sollen abgebaut werden. Institute, ja ganze Kliniken sollen geschlossen werden.“59

Wie Krause beantragten auch andere Ordinarien der Medizinischen Fakultät für ihre Habilitanden – darunter der Gynäkologe Friedrich K. Hilgenberg60 (1888– 1947), der Zahnmediziner Emil Herbst, der Pharmakologe Zipf, der Physiologe Hans H. Weber – die Ernennung zu nichtbeamteten außerordentlichen Professoren. Auch sie erhielten vielfach abschlägige Bescheide. Insgesamt aber war die Medizinischen Fakultät Münster relativ erfolgreich bei der beruflichen Wegbahnung des akademischen Nachwuchses. Vor 1933 übernahmen der Chirurg Erich Eichhoff, der Gynäkologe Friedrich K. Hilgenberg und der Pathologe Gerhard Domagk Chefposten in großen Klini-

57

58

59 60

wurde er in Delmenhorster Krankenhaus entlassen, 1952 dort wieder angestellt. An der Medizinischen Fakultät Münster war Käding seit 1950 wieder Privatdozent. Er schied hier am 7.12.1961 aus. UAMs, Bestand 52, Nr. 10; ebd., Bestand 10, Nr. 3322; Bestand 5, Nr. 92; ebd., Bestand 9, Nr. 815. UAMs, Bestand 52, Nr. 10: Brief Käding an Dekan der Medizinischen Fakultät durch die Hand des Fachvertreters Prof. Schellong vom 10.7.1949. Universitäts- und Landesbibliothek Münster: Nachlass Paul Krause, Kps. 2, Nr. 38: Brief Krause an Ministerialdirektor Dr. Richter, Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, vom 4.3.1932. Gemeint sind Eichhoff, Domagk und Zipf. UAMs, Bestand 52, Nr. 10: Brief Krause an Dekan der Medizinischen Fakultät vom 19.1.1928; ebd., Bestand 10, Nr. 3322: Vermerk des stellv. Kurators vom 10.6.1928. Universitäts- und Landesbibliothek Münster: Nachlass Paul Krause, Kps. 2, Nr. 37: Brief Krauses an Käding vom 20.1.1932. Hilgenberg, geb. am 16.11.1888 in Essen, katholisch, wurde 1916 in Marburg promoviert. 1919 war er am Anatomischen Institut, bis 1923 an der Chirurgischen Klinik in Marburg tätig. Er ging mit Esch nach Münster, wo er zunächst als Volontärassistent am Physiologischen Institut tätig war, ab 1924 Assistenzarzt, 1925 Oberarzt der Frauenklinik Münster. Hier habilitierte er sich 1927 und wurde 1932 Chefarzt der städtischen Frauenklinik in Essen. 1936 wurde Hilgenberg zum nbao. Professor ernannt. Er war seit 1933 Mitglied der NSDAP. Er starb am 15.2.1947 in Essen. UAMs, Bestand 10, Nr. 167; Louwen 1990.

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ken beziehungsweise den Aufbau und die Leitung eines Forschungslabors in der Industrie. Sie lehrten als nichtbeamtete außerordentliche Professoren – Domagk und Eichhoff, denen man vier beziehungsweise fünf Jahre nach Erhalt der Venia Legendi die nichtbeamtete außerordentliche Professur verlieh, – beziehungsweise als Privatdozent (Hilgenberg) weiter an der Medizinischen Fakultät. Der Anatom Hellmut Becher, der sich 1922 habilitierte, wurde 1927 als außerordentlicher Professor nach Gießen berufen. Der Hygieniker Wilhelm Pfannenstiel61 (1890–1982) erhielt vier Jahre nach seiner Habilitation eine ordentliche Professur in Marburg. Auch wurden 1930 der Zahnmediziner Emil Herbst, 1931 der Augenheilkundler Fritz Poos62 (1894–1958), der Physiologe Hans H. Weber63 (1896–1974) und der Pharmakologe Zipf zu nichtbeamteten außerordentlichen Professoren ernannt.64 61

62

63

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Pfannenstiel, geb. am 12.2.1890 in Breslau, studierte in Oxford, Heidelberg und München, wo er 1914 promoviert wurde. Er nahm als Fliegeroffizier am Ersten Weltkrieg teil. Nach dem Krieg war er Assistent in Frankfurt a. M., Heidelberg und Münster. Nach seiner Habilitation in Münster übernahm er die Vorlesungen für Hygiene in Marburg kommissarisch, 1931 erfolgte sein Ruf nach Marburg. 1933 wurde er Mitglied der NSDAP und 1934 der SS (zuletzt Standartenführer). Er war Kreisbeauftragter für Rassenpolitik, Schulungsleiter beim Rasse- und Siedlungshauptamt der SS, beratender Hygieniker der Waffen-SS. Im Jahr 1940 wurde Pfannenstiel in Marburg beurlaubt und als Sanitätsinspekteur in Berlin eingesetzt. Hier gehörte zu seinen Aufgaben die Inspektion der Konzentrationslager im Generalgouvernement. Er besuchte 1942 und 1943 das Vernichtungslager Belzec, war dort persönlich bei der Vergasung von Juden anwesend. 1945 bis 1950 war er interniert, 1954 bis 1959 Leiter der experimental-therapeutischen Abteilung des Pharmaunternehmens Schaper/Brümmer, Salzgitter-Ringelheim. Grundmann, Einfluss, 2001; Weindling 2004, S. 179; Wikipedia, Zugriff: 30.7.2011. Nach dem Studium – unterbrochen durch Kriegsteilnahme – in Göttingen, Königsberg und Freiburg, wo er 1920 promoviert wurde, kam Poos mit Aurel von Szily nach Münster. Poos, geb. am 31.12.1894 in Minden, evangelisch, trat 1933 in die NSDAP und in die SS ein. 1935 hatte er die provisorische Leitung der Augenklinik inne, 1939 erhielt er eine o. Professur an der Medizinischen Akademie Düsseldorf. 1940 bis 1945 war er Oberstabsarzt der Wehrmacht. Im Mai 1945 wurde er in Düsseldorf fristlos entlassen, vier Jahre später per Gerichtsbeschluss wieder eingestellt und emeritiert. UAMs, Bestand 10, Nr. 339; Rohrbach 2007, S. 92. Weber, geb. am 17.6.1896 in Berlin Charlottenburg, evangelisch, studierte nach dem Abitur – mit Unterbrechung durch Kriegsteilnahme – in Berlin, Greifswald, Heidelberg und Rostock. Nach der Promotion 1924 in Rostock habilitierte er sich 1925 dort. Er nahm am Kapp-Putsch teil und war seit 1925 Mitglied des Stahlhelms. Nach der Umhabilitation und der Ernennung zum nb.ao. Prof. in Münster wurde er dort 1933 kommissarischer Leiter des Lehrstuhls für physiologische Chemie. 1939 wurde Weber nach Königsberg berufen. 1945 ging er nach Tübingen. 1954 wurde Weber Leiter des Max-Planck-Instituts für medizinische Forschung in Heidelberg. UAMs, Bestand 10, Nr. 463. Nach Deichmann 2001, S. 462, gehörte Weber im Unterschied zu den meisten seiner Kollegen zu denjenigen, die nach dem Krieg die Verbrechen in der NS-Zeit nicht verdrängen und vergessen wollten. Bei dieser Nennung bleibt Karl Hellmann, der nach kurzer kommissarischer Leitung der Ohrenklinik, Marx 1928 nach Würzburg gefolgt war, unberücksichtigt. Hellmann, geb. am 8.9.1892 in Würzburg, mosaisch, wurde 1920 in Würzburg promoviert. Dort war er bis 1924 Assistent der Ohrenklinik, dann Oberarzt in Münster. UAMs, Bestand 5, Nr. 79.

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Bis zum Wintersemester 1933/34 war der (weitere) Lehrkörper der Medizinischen Fakultät auf 51 Professoren und Dozenten gewachsen: Neben 18 Professoren, darunter drei Emeriti, lehrten vier Honorarprofessoren – neben Arneth (Innere Medizin) und Besserer (Soziale Medizin) seit 1928 der Chefarzt der Ruhrknappschaft Bochum, Walter Schürmann (geboren 1880, Hygiene und Statistik) und Erich Meinicke65 (1878–1945, Serologie und Bakteriologie), seit 1932 der Direktor des Serologischen Instituts und der Lungenheilstätte in Amsbrock bei Hagen –, ein beamteter außerordentlicher Professor (Eugen Kurz), sechs nichtbeamtete außerordentliche Professoren (Domagk, Eichhoff, Herbst, Zipf, Weber, Poos), 20 Privatdozenten sowie zwei beauftragte Dozenten – neben Davids seit 1932 der Gewerbemedizinalrat Erich Beintker66 (geboren 1882, Hygiene in Arbeits- und Gewerbemedizin).

Aufbau und Konsolidierung der Arbeitsfelder an der Medizinischen Fakultät Aus der Retrospektive verglich der Gynäkologe Peter Esch 1951 die ersten Jahrzehnte der Medizinischen Fakultät mit einem „Stapellauf“ der „Indienstnahme eines fertiggestellten, bemannten Schiffsverbandes. Die Kapitäne der einzelnen Schiffe sollten nach eigenem Ermessen einem gemeinsamen Ziele zusteuern, das durch Lehre und Forschung gegeben war. Es war ein herrliches Zusammenarbeiten und Zusammenleben von Bord zu Bord, ohne an Traditionen gebunden zu sein, die ja manchmal hemmend wirken können.“67

In dieses positive Resümee lässt sich für die ersten acht Jahre der Medizinischen Fakultät einreihen, dass an der jungen Fakultät parallel zur Erweiterung des Lehrkörpers neue Aufgabenfelder durch die Gründung des „Westfälischen Vereins für Krebs- und Lupusbekämpfung“ (1927), die Entstehung der Lupusheilstätte „Haus Hornheide“ (1930–1932), die Gründung der staatlichen Forschungsabteilung für Gewerbehygiene am Hygienischen Institut (1928) entstanden. Auch hatten sich

65 66

67

Hellmann musste als Jude 1936 Deutschland verlassen. Er lehrte ab 1936 an der Universität Istanbul. 1943 ging er mit seiner Familie nach Palästina. Namal 2003, S. 435; dies. 2005, S. 188. UAMs, Bestand 9, Nr. 335: Brief Reichsminister für Wissenschaft an Meinicke vom 27.1.1941. Beintker, geb. am 6.8.1882 in Anklam, evangelisch, war nach dem Studium in Freiburg und Leipzig 1907 bis 1908 als Assistent am bakteriologischen Labor der Stadt Köln tätig. Nach der Kreisarztprüfung in Berlin 1908 wurde er Kreisassistenzarzt des Medizinaluntersuchungsamtes Hannover, 1913 dort als Kreisarzt mit der Leitung dieses Amtes betraut. Nach Kriegsteilnahme als Assistenzarzt beim Hygieniker der 1. Armee wurde er Kreisarzt in Pommern, ab 1922 Gewerbemedizinalrat bei der Regierung Arnsberg, sein Amtssitz 1929 nach Münster verlegt. Seitdem arbeitete er in der Gewerbehygienischen Forschungsabteilung des Hygienischen Instituts der Universität Münster. BAB, R/4901/2124, Bl. 268f.: Lebenslauf (ohne Datum). Zit. in Louwen 1990 (ohne Seitenangabe).

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die Kontakte zur regionalen Ärzteschaft durch eigene Fortbildungskurse, die ab 1930 die Arbeitsgemeinschaft „Institut für Soziale Hygiene und Soziale Fürsorge“ wahrnahm,68 durch Arbeit in der „Vereinigung für ärztliche Fortbildung in Münster“ und in Zusammenarbeit mit der Universität Bonn, Köln und der Akademie Düsseldorf im „Haus für ärztliche Fortbildung“ in Essen vertieft.69 Többen, Kehrer, Krause, Coenen, Esch, Freund und Jötten betätigten sich als ärztliche Sachverständige im gerichtlichen Ausschuss der Provinz Westfalen. Paul Krause war in der „Westfälischen Ärztekammer“ sowie als korrespondierendes Mitglied der Röntgenologischen Abteilung der „Niederrheinischen Gesellschaft für Natur- und Heilkunde“, Aurel von Szily im „Verein der Rheinisch-Westfälischen Augenärzte“ aktiv.70 Alfred Stühmer war maßgeblicher Mitbegründer des „Westfälischen Vereins für Lupusbekämpfung“, der auf Drängen des Gynäkologen Peter Esch sich auch der Krebsbekämpfung zuwandte und seit Ende 1932 als „Westfälischer Verein für Krebs- und Lupusbekämpfung“ firmierte.71 Ordinarien und Privatdozenten hielten regelmäßig Vorträge in der „Medizinisch-Naturwissenschaftlichen Gesellschaft“ in Münster.72 Auch hatten sich an der Medizinischen Fakultät vielfältige Formen der Zusammenarbeit herauskristallisiert. Die Frauenklinik kooperierte mit dem Physiologischen Institut seit 1924.73 Eine persönliche Zusammenarbeit über beide interessierende Forschungsfragen führten Freund und von Szily zu einer gemeinsamen Veröffentlichung.74 Mit der Eröffnung der Lupusheilstätte „Haus Hornheide“ wurden hier Ärzte der Hals-Nasen-Ohren-Klinik in die Untersuchungen und Behandlung der Patient(inn)en integriert.75 Die Kooperation zwischen der Medizinischen Akademie Düsseldorf und dem Münsterschen Anatomischen Institut, die seit 1911 bestand, blieb nach der Übernahme des Instituts durch Heiderich bestehen.76 68

69 70

71 72 73 74

75 76

In der Arbeitsgemeinschaft kooperierten das Hygienische Institut, das Institut für Gerichtliche und Soziale Medizin und das Institut für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Meckmann 1995, S. 42. Siehe auch den Aufsatz von Manfred Witt in diesem Band. Toellner 1980, S. 297. Zu „Haus Hornheide“ siehe Krutmann 1987, S. 138ff.; Macher 2006, S. 7ff. Vorlesungsverzeichnisse 1928ff. Siehe auch UAMs, Bestand 10, Nr. 218, Bd. 1: Brief Oberpräsident der Provinz Westfalen an Krause vom 24.8.1926 und Brief von Krause an den stellv. Kurator der Universität Münster vom 9.2.1928; ebd., Bestand 52, Nr. 358. Krutmann 1987, S. 49, S. 135ff. Davon zeugen vielfache Veröffentlichungen in verschiedenen medizinischen Fachzeitschriften. Als Beispiel sei hier genannt Foerster 1928. Louwen 1990. Huhn/Kilian 2011, S. 109. Erwähnt sei hier, dass auch fächerübergreifende Dissertationen erstellt wurden – so die von Freund und Stühmer betreute Promotion „Über Hautreaktionen mit defibriniertem Blut“ von Rudolf Schmitt im Jahr 1932. Krutmann 1987, S. 215. GStA, I. HA 76 Rep. – Kultusministerium – Va, Nr. 10703, Bl. 174f. Pátek 2010, S. 25ff. In Düsseldorf lehrte zunächst Ballowitz Topographische Anatomie, dann Heiderich. Nach dessen Übernahme des Anatomischen Instituts der Medizinischen Fakultät Münster erhielt Eugen Kurz diesen Lehrauftrag.

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Die Angliederung der Medizinaluntersuchungsabteilung für den Regierungsbezirk Aurich an das Hygiene-Institut ermöglichte die Behebung des anfänglichen Mangels an Untersuchungsmaterial.77 Durch die Verbindung zwischen Hautklinik und „Haus Hornheide“ wurde die Lupusanstalt praktisch zu einem neuen Universitätsinstitut, was dem dermatologischen Lehrstuhl Geltungszuwachs brachte und der Klinik ein reiches wissenschaftliches Forschungsfeld.78 Doch der „Stapellauf“ und die darauffolgenden acht Jahre des Aufbaus und der Konsolidierung der Arbeitsfelder in den Kliniken, der Lehre und Forschung verliefen nicht ohne Reibungen, Probleme und Konflikte. Weithin hatte man mit der Behebung von Planungsdesideraten zu kämpfen. Die Frauenklinik rang um die Genehmigung eines Anschlusses an die elektrische Zuleitung und um den Kauf eines den Sicherheitsstandards entsprechenden Röntgen-Tiefentherapiebestrahlungsgerätes, das Hygiene-Institut um ausreichende Mittel für die Durchführung bakteriologischer Diagnostikuntersuchungen.79 Auch mussten so profane Dinge wie das Abstellen von Privatfahrzeugen der Professoren auf dem Klinikgelände geklärt werden.80 Zudem gab es innerhalb des Lehrkörpers Animositäten wie auch mit Blick auf die Gehälter der Kollegen das Empfinden von Unangemessenheit der eigenen Bezahlung. Esch zum Beispiel sah angesichts des Anfangsgehaltes (9.000 RM) des gerade berufenen Direktors der Zahnklinik im Vergleich zu seinem Diensteinkommen eine Zurücksetzung seiner Leistungen und seiner Person als Ordinarius: „Ich beziehe im 7. Jahre, in dem ich ordentlicher Professor für ein Hauptfach der Medizin und Direktor einer großen Klinik bin, deren Aufgabe eine besonders hohe Verantwortung mit sich bringt, nur 9300,– RM. Ich war bereits 10 Jahre a.o. Professor, bevor ich zum o. Professor ernannt wurde. Die Ernennung von Herrn Müller zum a.o. Professor wurde vor etwa ½ Jahr durch das Ministerium abgelehnt und jetzt ist er nur persönlicher o. Professor. Wenn ich diese Verhältnisse zu Grunde lege, so ist mein Diensteinkommen entschieden zu gering, und ich muß dies als eine schwere Zurücksetzung empfinden. […] Es ist meine Pflicht, mich in dieser Angelegenheit an das Ministerium zu wenden […]“81

Probleme zeigten sich auch in Beschwerden der verschiedenen Ämter über zu spät gelieferte Gutachten oder durch Entschädigungsklagen.82 Es gab Klagen und (polizeiliche) Untersuchungen in Folge von Todesfällen in den Kliniken.83 Ein 77 78 79 80 81 82

83

Louwen 1990; Meckmann 1995, S. 39f. So die Einschätzung Stühmers. Krutmann 1987, S. 182. Louwen 1990. Z.B. kam es zu einer Beschwerde, weil Esch seinen Privatwagen im Tierstall der Frauenklinik unterstellte. GStA, I. HA Rep. 76, Va, Nr. 10740, Bl. 317, 320; Louwen 1990. UAMs, Bestand 10, Nr. 1716, Bl. 26: Brief Esch an stellv. Kurator der Universität Münster vom 3.11.1929. Mit Müller ist der Zahnmediziner Rudolf Müller gemeint. U.a. gab es Entschädigungsanforderungen der Pflegerin Fräulein Nattermann gegenüber der Frauenklinik. Sie hatte sich in der Klinik mit Gonorrhöe angesteckt und verlor daraufhin ein Auge. GStA, I. HA Rep. 76, Va., Nr. 10698, Bl. 34–61. Aktenkundig sind die Todesfälle des Drahtziehers Fritz Duesberg aus Werdohl, der nach einer Radiumbehandlung in der Hals-Nasen-Ohren-Klinik starb, sowie des Polster-

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öffentlicher Skandal über die Praxis der Leichenbeseitigung des Pathologischen Instituts, der nicht nur Probleme im Institut zeigte, gab dem Ansehen der Medizinischen Fakultät einen Knacks.84 Anstoß war ein Artikel in der „Münsterschen Zeitung“ über einen Fall „der unwürdigen Beerdigung“, „der Missachtung von einfachen menschlichen Gefühlen bei der Bestattung von Toten“, über den die Redaktion auch Polizei und das Preußische Kultusministerium informiert hatte.85 Dargestellt war ein Vorfall auf der Beerdigung eines acht Monate alten Kindes einer unverheirateten Frau, die ihr Kind bei der Bestattungszeremonie noch einmal sehen wollte. Nach Öffnen des Sarges durch den Friedhofswärter blickte die Mutter nicht nur auf ihr Baby, sondern auf mehrere Kinderleichen. Da der Sarg vom Pathologischen Institut auf den Zentralfriedhof gebracht worden war, standen das Institut und damit sein Direktor Gross in der Kritik. Gross offenbarte in seinem darauf folgenden Bericht die durchaus an seinem Institut gängige Praxis der Bestattung mehrerer Leichen oder Leichenteile in einem Sarg. Um die Beerdigung dieser Leichen – oft Totgeburten aus der Frauenklinik – beziehungsweise der Leichen von Tot- oder Frühgeburten, die dem Institut von auswärts „überlassen“ wurden, kümmerte sich entweder niemand, oder Angehörige, meist ledige Mütter, konnten die Kosten für die Bestattung nicht aufbringen. Deshalb hatte das Institut im Einvernehmen mit Polizei und der Geistlichkeit als Lösung gefunden, mehrere Leichen beziehungsweise Leichenteile beizusetzen.86 Mit dieser Erklärung und dem Statement des Preußischen Kultusministers, dass er in den genannten Fällen gegen die „Verwendung von Sammelsärgen […] keine grundsätzlichen Bedenken“ habe, war das „angeknackste“ Ansehen der Medizinischen Fakultät wieder ins Lot gebracht.87 Auch Kooperationen der Medizinischen Fakultät, die durch staatlich finanzielle Engpässe in der krisengeschüttelten Weimarer Republik geprägt waren, hatten mit Schwierigkeiten oder Interessenkonflikten zu kämpfen. Das zeigte sich in der Zusammenarbeit zwischen Kinderklinik und der katholischen Fürsorgeheim GmbH Münster, mit der allerdings auch Probleme in Ausbildung und klinischem Alltag der Kinderklinik entschärft werden konnten. 1926 suchte die GmbH zunächst die Zusammenarbeit mit der Frauenklinik. Sie plante die Erweiterung des von ihr verwalteten Säuglingsheims, in dem insbesondere ledige Mütter mit ihren Kindern Aufnahme fanden, durch einen Neubau. Durch die Erweiterung sollte der Frauenklinik Lehrmaterial zur Verfügung gestellt werden. Mit diesem Plan war die GmbH an das Kultusministerium mit der Bitte um

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meisters J. Sandkuhl, der nach einer Bandwurmkur in der Medizinischen Klinik an einer Vergiftung starb. GStA, I. HA Rep. 76, Va., Nr. 10703, Bl. 95–104; ebd., Nr. 10699, B. 207–213. GStA, I. HA Rep. 76, Va., Nr. 10688, Bl. 105–111. Ebd., Bl. 105: „Wer ist der Verantwortliche?“ – Artikel der Münsterschen Zeitung vom 6.5.1928. Ebd, Bl. 109f.: Bericht Gross vom 7.5.1928; ebd., Bl. 111: Ergänzung Gross vom 8.5.1928. Ebd., Bl. 117: Brief Preußischer Minister für Wissenschaft an stellv. Kurator der Universität Münster vom 1.6.1928.

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finanzielle Unterstützung herangetreten.88 Dort beschied man den Antrag abschlägig, trotz der wohlwollenden Unterstützung durch den Direktor der Frauenklinik. Nach Ansicht Eschs, der Interesse an dem Lehrmaterial und der Einrichtung einer geburtshilflich-gynäkologischen Abteilung in dem Heim hatte, „suchen eine grosse Anzahl der werdenden, nicht verehelichten Mütter die Klinik auf, weil sie wissen, dass nach der Entlassung aus der Klinik für sie und ihre Kinder gesorgt wird […] Dazu kommt, dass die beiden Landesfrauenkliniken und Hebammenlehranstalten Westfalens sehr viel Lehrmaterial von der Klinik abziehen, und zwar hauptsächlich aus dem Grund, weil an die Landesfrauenkliniken je ein Säuglingsheim angeschlossen ist. Diese Konkurrenz kann nur dadurch halbwegs wettgemacht werden, dass der Universitäts-Frauenklinik […] ein Säuglingsheim zur Verfügung steht.“89

Für den Direktor der Kinderklinik, Vogt, stellte sich das anders dar, nämlich als Konkurrenz zur Universitätskinderklinik, die ohne eigenes Gebäude war. Seine Klinik würde Schaden nehmen, da im baulich erweiterten Säuglingsheim nicht nur fürsorgebedürftige, sondern auch kranke Kinder und ihre Mütter Aufnahme fänden. Entsprechend bat Vogt 1927, „die dem Kultusministerium [für den Neubau des Säuglingsheim] zur Verfügung stehenden Mittel der Universitätskinderklinik zuzuwenden, die durch die Knappheit der ihr zugewiesenen Mittel stark gehemmt ist.“ 90

Etwa ein Jahr später trat die Säuglingsheim GmbH mit dem Vorschlag, das Säuglingsheim mit der Universitätskinderklinik zu verbinden, an die Medizinische Fakultät heran und stieß damit auf Wohlwollen. Im Einvernehmen mit Vogt begrüßte der Dekan der Fakultät diese Verbindung, „weil sie [die Fakultät] dadurch schneller in den Besitz einer endgültigen wohlausgestalteten Kinderklinik zu kommen hofft und das große Krankenmaterial des hier gut eingeführten Säuglingsheims für die Universität nutzbar machen kann.“91

Ein Marathon von Verhandlungen unter Beteiligung des Wissenschafts- und Finanzministeriums folgte. Letzteres gab 1929 seine grundsätzliche Zustimmung, „eine neue staatliche Kinderklinik in Gemeinschaft mit der ‚Fürsorgeheim GmbH‘ in Münster zu errichten“, kund, allerdings mit der Einschränkung, dass „nach der finanziellen Lage des Staates zumal angesichts der Fülle baulicher Anforderungen für die Hochschulen der Zeitpunkt noch nicht absehbar ist, zu dem die Ausführungen dieses Planes möglich sein wird.“92 88 89 90 91 92

GStA, I. HA Rep. 76, Va, Nr. 10698, Bl. 43f.: Brief Kath. Fürsorgeheim GmbH Münster an Kultusministerium vom 29.9.1926. Ebd., Bl. 46: Bericht von Peter Esch vom 18.11.1926. Ebd., Bl. 65: Brief Vogt an Minister für Wissenschaft vom 23.9.1927. GStA, I. HA Rep. 76, Va, Nr. 10700, Bl. 7–11: Denkschrift betr. Vereinigung des Säuglingsheimes mit der Universitäts-Kinderklinik vom 19.5.1928. Ebd., Bl. 114f.: Brief Finanzminister an Preußischen Minister für Wissenschaft vom 27.7.1929.

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Im Sommersemester 1930 konnte die Kinderklinik wenigstens mit einer Abteilung in das Säuglingsheim einziehen. Die Belegung dieser Abteilung beschränkten jedoch wiederum finanzielle Engpässe: Die Aufnahme von Kindern auf Freibettschein war hier nicht möglich, da Mittel für ihre Verköstigung im Säuglingsheim nicht zur Verfügung standen.93 Neben dem beständigen Ringen um finanzielle Ressourcen bestimmten auch Ressentiments der universitären Professorenschaft gegenüber außeruniversitären Forschungsinstitutionen und die politisch kritische Haltungen der Ordinarien gegenüber der Wissenschafts- und Hochschulpolitik der Weimarer Republik ihre Bereitschaft, bei Initiativen mitzuwirken oder auf Kooperationen einzugehen. So sprach sich die Medizinische Fakultät gegen die im November 1927 vom Vorstand des „Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes“ an die Fraktionen der Landesparlamente gestellten Forderung für die Schaffung von Lehrstühlen für soziale Hygiene aus. Aus Sicht der Fakultät war in Münster diesem „bereits hinreichend entsprochen [worden].“94 Auch der politisch erwünschten Kooperation der Fakultät mit dem Kaiser-Wilhelm-Institut für Arbeitsphysiologie stand sie skeptisch gegenüber. Die Verbindung zwischen Medizinischer Fakultät und dem Kaiser-Wilhelm-Institut wurde nicht als Aufwertung der Fakultät, sondern – und dies nicht zu Unrecht – als unerwünschte Konkurrenz gesehen. Hintergrund der geplanten Kooperation bildeten im Rahmen der seit 1918 initiierten Hochschulreformbestrebungen Versuche, die Universitäten unter Einschluss technologischer Disziplinen umzugestalten.95 In diesem Kontext war an der Universität Münster der Aufbau einer Technischen Fakultät ins Auge gefasst. Als Teil dieses Projektes war die fakultätsübergreifende Anbindung des 1913 gegründeten Kaiser-Wilhelm-Institut für Arbeitsphysiologie nach ihrem Umzug 1928/29 von Berlin nach Dortmund und der Einrichtung der Zweigstelle Münster an die Universität Münster beschlossen worden.96 „Gelegentlich der Verhandlungen über die Errichtung einer technischen Fakultät in Westfalen war die Vereinbarung getroffen worden, dass die Westfälische Landesuniversität in Münster diese Fakultät erhalten solle, in Dortmund dagegen als Entgelt ein Forschungsinstitut für Arbeitsphysiologie errichtet werde. Dieses Institut soll in Münster eine Zweigstelle

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Ebd., Bl. 271: Brief Vogt an Minister für Wissenschaft vom 18.12.1931. UAMs, Bestand 9, Nr. 335, Bl. a/125: Bericht des stellv. Kurators der Universität (Betr. Schaffung von Lehrstühlen für soziale Hygiene) vom 24.1.1928. Diese Bestrebungen hatten 1923 durch den Wideranschluss der Technischen Hochschulen einen gewissen Erfolg zu verbuchen. Im Entwurf eines Gesamtuniversitätsprojekt von Heinrich Aumund (1873–1859), den Carl Heinrich Becker (1876–1933) im Oktober 1920 zur „Beratung in technischen Fragen als Hilfsarbeiter“ ins Kultusministerium berief, war Münster für die Ausgestaltung der Universitäten unter Einschluss der technologischen Fächer vorgesehen. Kändler 2009, S. 133ff.; Düwell 1971. Vgl. den Aufsatz von Johannes Schäfer in diesem Band. Siehe detailliert Hachtmann 2010, S. 93ff.; Pünder 2005; Schmaltz 2005, S. 203ff.

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erhalten und durch die Zusammenarbeit der Professoren der technischen Fakultät mit diesem Institut engste Verbindungen beider Institute gesichert werden, […]“97

Obwohl in dieser Angelegenheit der damalige Oberbürgermeister Münsters, Georg Sperlich98 (1877–1941), sich besonders engagierte, stieß das Projekt innerhalb der Universität wie in der Medizinischen Fakultät auf Widerstand. Das KaiserWilhelm-Institut für Arbeitsphysiologie Dortmund mit einer Zweigstelle Münster versprach sich von der Anbindung an die Universität neben der Qualifizierung (Habilitation) seiner Assistenten eine Rekrutierung des wissenschaftlichen Nachwuchses für die neue Wissenschaftsdisziplin Arbeitsphysiologie. Zudem hoffte das Kaiser-Wilhelm-Institut mit dem Standort der Garnisonsstadt Münster, seine wehrphysiologischen Forschungsprojekte ausbauen zu können.99 Insgesamt sollte die Arbeitsphysiologie, deren Auftrieb das nach dem Ersten Weltkrieg verbreitete Narrativ von der Wissenschaft als „Ersatzmacht“ beförderte,100 als Wissenschaftsund Forschungszweig gestärkt werden. Demgegenüber fürchtete die Münstersche Professorenschaft um ihre Besitzstände und mochte „mit gewissem Recht, die Arbeits- und Ernährungsphysiologie sowie die Psychotechnik nicht als gleichrangige Wissenschaftsdisziplinen akzeptieren.“101 In einer Denkschrift, die dem Landeshauptmann der Provinz Westfalen, Franz (Wilhelm) Dieckmann102 (1874–1944), zur „persönlichen Orientierung“ vorgelegt wurde,103 führten die Direktoren des Hygienischen und Pharmakologischen Instituts, Karl Jötten und Hermann Freund, ihre Bedenken gegenüber der „Einrichtung des arbeitsphysiologischen Forschungsinstituts“ aus.104 Neben der möglichen Reduktion der Universitätsinstitute auf reine Lehrinstitute befürchteten sie durch die großzügige materielle Ausstattung des Forschungsinstituts im Vergleich zu den kleinen Etats der Universitätsinstitute eine „weitere Hemmung der Entwicklung“ der noch sehr jungen Medizinischen Fakul97 98 99 100 101 102

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Stadtarchiv Münster, Nachlass Georg Sperlich, 18d: Artikel „Eine Arbeitsinstitut für Arbeitsphysiologie“ vom 22.2.28. Pünder 2006. Zur Rüstungsforschung der Institute der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft siehe Maier 2007. Hachtmann 2010, S. 82. Zum Narrativ Wissenschaft als Ersatzmacht siehe John 2010, S. 109f. Hachtmann 2010, S. 94. Der Politiker der Zentrumspartei Dieckmann, 1916 bis 1920 Oberbürgermeister Münsters, war 1919 in die Landespolitik gewechselt. Neben dem Amt als Landeshauptmann der Provinz Westfalen war er Vorstandesvorsitzender der Landesversicherungsanstalt. Beide Ämter musste er 1933 aufgeben. Sein Nachfolger wurde Karl Friedrich Kolbow (1899–1945), der seit 1921 Mitglied der NSDAP war. Dieckmann war förderndes Mitglied der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft. Ebd., S. 98 (Fn. 103). „Beigeschlossen überreiche ich Ihnen […] die Abschrift der Denkschrift betr. Arbeitsphysiologisches Forschungsinstitut, die Herr Kollege Freund und ich an den Landeshauptmann […] zur persönlichen Orientierung überreicht haben.“ Stadtarchiv Münster, Nachlass Georg Sperlich, 18d: Brief Jötten an Oberbürgermeister Sperlich vom 13.2.1928. Ebd.: Brief („Denkschrift“) von Jötten und Freund an Dieckmann vom 24.11.1927.

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tät.105 Zudem sahen Jötten und Freund in der Arbeitsphysiologie keine gleichrangige Wissenschaft.106 Sie habe zwar bei der sozialpolitischen Einstellung eine „werbende Kraft“, bliebe aber doch nur ein „Schlagwort“. „Eine weitere Gefahr liegt darin, dass die Arbeitsphysiologie tatsächlich ein unangrenzbares Arbeitsgebiet darstellt, […] Das ist umso gefährlicher, weil […] dem neuen Institut reichere Mittel für die Arbeit selbst und die Bezahlung von Arbeitskräften zur Verfügung stehen. Wenn wir auch die ideelle Konkurrenz nicht zu scheuen brauchen, so müssen wir befürchten, dieser materiellen Konkurrenz nicht gewachsen zu sein. […] Es sei nebenbei noch darauf hingewiesen, dass infolgedessen in unserer Fakultät die Physiologie durch 3 Ordinarien und 2 Privatdozenten […] vertreten sein wird, wozu Herr Prof. Atzler noch einige weitere Privatdozenten bereits in Aussicht gestellt hat. Es ist nicht abzusehen, wie sich unter diesen Umständen der Lehrbetrieb reibungslos gestalten wird.“ 107

Letztlich aber konnte „[dank] der Unterstützung durch die preußische Unterrichtsverwaltung […] eine enge Vernetzung mit der Münsteraner Universität gegen den Widerstände der Professoren der Medizinischen Fakultät sichergestellt werden.“108 „Die Universität Münster schien vor allen Deutschen Hochschulen berufen, die neue Disziplin in ihren Lehrplan aufzunehmen, weil sie nach der bevorstehenden Angliederung einer technischen Fakultät der richtige Platz für die Pflege einer solchen, zwischen Medizin, Technik und Wirtschaftswissenschaften gelegenen Spezialgebietes sein wird.“109

1929 wurde das Kaiser-Wilhelm-Institut für Arbeitsphysiologie in Dortmund eröffnet und seine Zweigstelle in Münster eingeweiht. Sie nahm im März 1930 „mit einer physiologischen und einer chemischen Abteilung ihre Arbeit auf […] und stellt damit auch ein wichtiges Verbindungsglied mit der Universität Münster dar. Hier soll der angehende Arzt die Möglichkeit haben, auf wichtige Fragestellungen und Beziehungen aufmerksam gemacht zu werden, die ihm für seine spätere Tätigkeit besonders als Gewerbearzt aber auch als praktizierender Arzt dienlich sind. Wir glauben, dass die Arbeit unseres

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Diese Befürchtung bestand zu Recht: Dem Kaiser-Wilhelm-Institut für Arbeitsphysiologie blieben nach Abzug der Personalkosten 100.000 Mark „für die Bestreitung der Arbeit übrig“; „die Sachetats der Universitäts-Institute“ bestanden aus je 12.000 Mark, von denen zudem zum Teil die „großen Kosten bestritten werden müssen.“ Ebd. Jötten kämpfte 1927 darum, dass in der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft die Hygiene, die hier durch den Vertreter der Pharmazie vertreten wurde, einen eigenständigen Vertreter erhielt. Ähnlich war die Situation bei der Kinderheilkunde, die vom Vertreter der Inneren Medizin mit vertreten wurde. UAMs, Nr. 1335, Bl. 28: Schreiben Jötten an Rektor der Universität Münster vom 26.11.1927. Ebd., Bl. 29: Schreiben Vogt an Rektor der Universität Münster vom 2.12.1927. Stadtarchiv Münster, Nachlass Georg Sperlich, 18d: Brief („Denkschrift“) von Jötten und Freund an Dieckmann vom 24.11.1927. Hachtmann 2010, S. 94. BAB, R/1501/126786/b, Bl. 11–15: Unterlage über das Kaiser-Wilhelm-Institut für Arbeitsphysiologie (Abschrift ohne Datum und nicht unterzeichnet).

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in seiner Art wohl einzig dastehenden Institutes sich immer mehr durchsetzen wird zum besten unserer Wirtschaft aber namentlich auch zum besten des arbeitenden Menschen.“110

Die Medizinische Fakultät war in dieser Form der Zusammenarbeit durch zwei Vertreter – bis 1933 der Internist Paul Krause und der Pharmakologe Hermann Freund – im Aufsichtsorgan des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Arbeitsphysiologie integriert.111 Den Lehrkörper der Medizinischen Fakultät erweiterten vom KaiserWilhelm-Institut Gunther Lehmann und Erich A. Müller.112 Müller113 habilitierte sich 1930 an der Medizinischen Fakultät. Seine Habilitationsarbeit befand der Physiologe Rosemann durch die Form der Darstellung als schwer lesbar, da der Autor beim Leser die Kenntnis von Untersuchungen am und frühere Publikationen aus dem Kaiser-Wilhelm-Institut für Arbeitsphysiologie voraussetzte und es unterließ, deren Ergebnisse kurz darzustellen. Zudem argumentierte Müller mit Abbildungen, ohne diese zu zeigen.114 Müller selbst lehrte ab dem Sommersemester 1930 über „Pathologische Physiologie des Kreislaufs“ und „Medizinische Grundlagen der Leibesübungen, Teil: Physiologie“, gab ein „Sportphysiologisches Praktikum“ sowie einen Kurs im „Wissenschaftlichen Arbeit im Arbeitsphysiologischen Institut“ und las ab Wintersemester 1936/37 110 111

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Ebd., Bl. 90–96: Niederschrift über die Sitzung des Verwaltungsrates des Kaiser-WilhelmInstituts für Arbeitsphysiologie vom 20.11.1930. Hachtmann 2010, S. 97 (Fn. 99). Nach 1933 waren als Vertreter der Medizinischen Fakultät im Aufsichtsrat Karl Jötten und Rudolf Rosemann, Ende der 1930er-Jahre der Physiologe Erich Schütz (1902–1988). Ebd. Der Chef des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Arbeitsphysiologie Edgar Atzler (1887–1938) behielt seine ao. Professur bis 1937 in Berlin, wechselte dann nach Düsseldorf. Hachtmann 2010, S. 87 (Fn. 55). An der Universität Münster wurden Otto Graf (1893–1962), der später über „Rasse und Arbeit“ las, in die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät und Heinrich Kraut in die Philosophische und Naturwissenschaftliche Fakultät integriert. Pünder 2005, S. 172. Müller, geb. am 3.3.1898 in Seidenberg (Niederschlesien), evangelisch – Austritt aus der Kirche –, studierte nach Kriegsteilnahme in Dresden und Würzburg Chemie. Seit 1923 war er apl. Assistent am Kaiser-Wilhelm-Institut für Arbeitsphysiologie in Berlin und studierte gleichzeitig Medizin. 1924 wurde er in Berlin zum Dr. med. promoviert. 1926 bis 1927 war er am University College in London bei Ernest Henry Starling (1866–1927). 1930 übernahm er die Leitung der Zweigstelle Münster des Kaiser-Wilhelm-Instituts und habilitierte sich in Münster. 1936 wurde Müller hier zum nbao. Professor und zum Lehrbeauftragten der Luftfahrtmedizin ernannt. Er nahm 1938 am Einmarsch im Sudetenland teil. Nach Schließung der Zweigstelle Münster 1941 war er bis zu seiner Pensionierung 1966 Abteilungsleiter im Dortmunder Kaiser-Wilhelm-Institut. Zudem leitete er als Oberstabsarzt 1941–1944 die Höhenflugstelle Köln innerhalb der Sanitätsabteilung der Luftwaffe beim Reservelazarett Köln. 1947 wurde er wissenschaftliches Mitglied der Max-Planck-Gesellschaft. Müller war kein NSDAP-Mitglied. UAMs, Bestand 10, Nr. 12556; ebd., Bestand 52, Nr. 246; Schmaltz 2005, S. 207f.; Hachtmann 2010, S. 126 (Fn. 232). Archiv zur Geschichte der Max-Planck, II. Abt., REP 0001, A Personalia, Müller, Erich, Bd. 1–2. UAMs, Bestand 10, Nr. 12556: Gutachten Rosemanns vom 7.7.1930.

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„Luftfahrtmedizin“.115 Lehmann,116 der sich an die Medizinische Fakultät 1930 umhabilitierte und 1934 zum nichtbeamteten außerordentlichen Professor berufen wurde, lehrte ab dem Sommersemester 1930 über „Das Ermüdungsproblem“, „Angewandte Physiologie“ und fakultätsübergreifend über „Ausgewählte Kapitel aus dem Gebiet der Arbeitsphysiologie“.117 Inwieweit die beiden aus dem KaiserWilhelm-Institut kommenden Lehrkräfte darüber hinaus die Ausbildung des akademischen Nachwuchses förderten oder wie sich die Beziehungen zu den Kollegen im Physiologischen Institut der Medizinischen Fakultät gestalteten, ist aus der bisherigen Aktenlage nicht ersichtlich.118 Insgesamt aber war, trotz der skizzierten vielfältigen Probleme und Konflikte bis zum Umbruchjahr 1933 die Aufbau- und Konsolidierungsphase der Medizinischen Fakultät erfolgreich verlaufen. Der Fakultät gelang es aus eigener Kraft, sich ein Profil und (inter)nationale Reputation zu verschaffen. Bei den Studierenden schienen die Ordinarien weitgehend „beliebt“ zu sein. Mit einem Fackelzug ehrten sie unter anderem 1929 Aurel von Szilys Ablehnung des Rufes nach Köln, obwohl ihm der damalige Oberbürgermeister Kölns, Konrad Adenauer (1876–1967) versprochen hatte, alle seine Wünsche zu erfüllen.119 Auch zwei Jahre später entschied sich Szily für Münster, lehnte den ehrenvollen Ruf auf den Lehrstuhl seines hoch115

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Vorlesungsverzeichnisse 1930ff. Müller wurde 1936 Lehrbeauftragter für Luftfahrtmedizin. UAMs, Bestand 10, Nr. 12556: Brief Wissenschaftsministeriums an Müller vom 28.5.1936. Nach der Promotion 1923 in Berlin war Lehmann, geb. am 30.1.1897 in Wernicke (Unterfranken), evangelisch – Austritt aus der Kirche 1935 –, wissenschaftlicher Assistent am Kaiser-Wilhelm-Institut für Arbeitsphysiologie. Dort wurde er nach der Habilitation 1927 Abteilungsleiter. Nach der Umhabilitation 1930 in Münster wurde er 1934 nb.ao. Professor. Er übernahm nach dem Tod Atzlers 1938 die kommissarische Leitung des Kaiser-Wilhelm-Instituts in Dortmund. Ab 1941 war er Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts – ab 1948 Max-Planck-Institut für Arbeitsphysiologie – bis zu seiner Pensionierung. 1950 wurde Lehmann zum Honorarprofessor in Münster, 1955 an der Technischen Hochschule Hannover und 1965 an der Facultad Libre de Psicología der Universidad Católica Argentina ernannt. Vor 1933 fühlte er sich politisch der DVP verbunden, trat 1934 in die SA und 1937 in die NSDAP ein. UAMs, Bestand 52, Nr. 270; ebd., Bestand 8, Nr. 13757; Archiv der Max-Planck-Gesellschaft, II. Abt., REP 0001, A Personalia, Lehmann, Günther Bd. 1–6; Hachtmann 2010, S. 89 (Fn. 62). Vorlesungsverzeichnis 1930ff. In einer Liste über Doktorarbeiten am Kaiser-Wilhelm-Institut für Arbeitsphysiologie, die Theo Plesser uns überließ, sind bis 1945 nur fünf Arbeiten verzeichnet. Huhn/Kilian 2011, S. 86: „Vorgestern nachts pfiff Szily um ½ 12 Uhr unten, kam gerade aus Köln von Adenauer und erzählte, […], [e]r könnte alles kriegen, was er will.“ So berichtet Freund in dem Brief vom 5.7.1928 Willy König (1903–1963). UAMs, Bestand 5, Nr. 209, Bl. 92: Brief Rektor der Universität an Szily vom 18.6.1929. Nach Rohrbach 2007, S. 105, lehnte Szily den Ruf ab, weil er sich in der „Schwesternfrage“ mit Adenauer nicht einigen konnte. Dieser präferierte katholische Ordensschwestern, jener Schwestern vom Roten Kreuz. Erwähnt sei an dieser Stelle, dass auch Stühmer, Jötten und Freund auswärtige Rufe ablehnten.

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verehrten Lehrers, Theodor Axelfeld (1867–1930), nach Freiburg im Breisgau ab.120 Für Szily verband sich mit seinem Entschluss die Verpflichtung, „seine Kraft voll und ganz in den Dienst der [Münsterschen] vielversprechenden Kliniken zu setzen, die in den sechs Jahren fast dasselbe erreicht h[ab]en, was an anderen Orten in Jahrhunderten geschaffen worden [ist].“121

Die Fakultät hatte nicht nur in diesem Aspekt Ansehen gewonnen. Rosemann verlieh die Philosophische und Naturwissenschaftliche Fakultät der Universität 1925 den Ehrendoktor für seine Verdienste als Forscher und Lehrer sowie Leiter des Physiologischen Instituts.122 Durch die Einrichtung der Abteilung für Orthodontie (heute Kiefernorthopädie) unter der Leitung von Emil Herbst hatte das Zahnärztliche Institut an Attraktivität gewonnen. Herzog zählte zu den bedeutendsten endonasalen Operateuren Deutschlands.123 Stühmer hatten seine therapeutischen und organisatorischen Erfolge in der Bekämpfung der Hauttuberkulose international bekannt gemacht.124 Freund holte 1929 die Deutsche Pharmakologentagung an sein Institut.125 Gross veranstaltete im Oktober 1929 die Tagung der am 16. Oktober 1920 gegründeten „Vereinigung Westdeutscher Pathologen“. Szily fungierte als Mitherausgeber, 1930 als Schriftleiter der „Klinischen Monatsblätter für Augenheilkunde“. Er hatte in seiner Augenklinik aus eigenen Mitteln Sammlungen, Modelle, Moulagen und Zeichnungen geschaffen, die als einzigartiges Lehr- und Unterrichtsmaterial galten.126 Seine Klinik avancierte zu einer international hoch angesehenen Top-Adresse und zog zahlreiche ausländische Assistenten, Studierende und Augenärzte an. Über das „mustergültige Klinikum“ des Internisten Paul Krauses – einer der profiliertesten Köpfe der jungen radiologischen Wissenschaft – berichtete mehrfach die US-amerikanische Zeitschrift „The Baltimore Sun“.127 Auch international waren die Ordinarien aktiv. Stühmer reiste als Fachvertreter der Fakultät mit einer Expedition der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft

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UAMs, Bestand 5, Nr. 209, Bl. 21: Brief Szily an Präsidenten vom 4.12.1930; ebd., Bl. 23: Brief Preußischer Minister für Wissenschaft an Szily vom 27.5.1932. Bericht aus der Tagespresse anlässlich der Berufung Szilys nach Freiburg. Zit. in Hafemann 1982, S. 92. UAMs, Bestand 72, Nr. 56. UAMs, Bestand 10, Nr. 177, Bd. 1: Brief Rektor der Universität Münster an Minister für Wissenschaft vom 28.7. 1937. Seidler/Leven 2007, S. 503. Huhn/Kilian 2011, S. 93. Er bezahlte u.a. aus eigener Tasche den von ihm aus Freiburg mitgebrachten Zeichner und seine Laborantin. Zudem stellte er seine Privatbibliothek seiner Klinik zur Verfügung. Siehe Nachlass Szilys in der Münsterschen Augenklinik. Wir danken Prof. Dr. Solon Thanos für die Möglichkeit der Einsichtnahme in diesen Nachlass. Siehe auch Hafemann 1982. Vom Newspaper-Korrespondenten Stephen Miles Bonton (geb. 1876), Berlin.

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zwecks Syphilisforschung 1926 nach Sibirien und Moskau.128 Jötten wurde 1932 in die Internationale Union zur Tuberkulose-Bekämpfung berufen.129 Szily fungierte ab 1927 als deutscher Vertreter im „International Ophthalmological Council“ und als Vorstandmitglied der „International Association for the Prevention of Blindness“. Politisch blieb der Lehrkörper mehrheitlich national ausgerichtet und stand der Weimarer Republik kritisch gegenüber. Sympathisanten für die Nationalsozialisten ließen sich „um 1930“ kaum finden.130 Zu den Parteimitgliedern zählten – nach unserem bisherigen Datenbestand – der Privatdozent an der Hals-Nasen-OhrenKlinik Wilhelm Berger, geboren am 11. Oktober 1895 in Herford, evangelisch, der 1932 in die NSDAP eintrat und SA-Mitglied wurde, und der Anatom Privatdozent Paul Kremer, Mitglied der SS und der NSDAP seit 1932, der 1942 in Auschwitz Menschen selektierte. Zu den Sympathisanten in den Jahren der Weimarer Republik ist der Anatom, der beamtete außerordentliche Professor Eugen Kurz zu zählen. Ihn, der 1938 Parteimitglied wurde, führte die NSDAP-Gauleitung Westfalen-Nord in ihrer offiziellen Liste 1925 als „guter Redner“ auf dem Gebiet der „Rassenmerkmale“.131 Ebenso teilte der Honorarprofessor für Gerichtliche Medizin Alwin Besserer nationalsozialistisches Ideengut. Er, der seit Gründung (1926) die Leitung der Ortsgruppe Münster der „Deutschen Gesellschaft für Rassenhygiene“ inne hatte, war bis Ende 1932 Mitglied der DVP, seine besonderen Forschungsinteressen lagen neben der Sozialhygiene und Bakteriologie auf dem Gebiet der Rassen- und Erbpflege.132 128 129 130

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GStA, I. HA Rep. 76, Va., Nr. 10631, Bl. 123f.: Schreiben Stühmer an stellv. Kurator der Universität Münster vom 30.4.1926. Meckmann 1995, S. 51. Andere, die vor 1933 in die NSDAP eintraten, sind nach 1933 an die Medizinische Fakultät gekommen: Reinhard Hütteroth (1912–1945), Assistent an der Hals-Nasen-OhrenKlinik 1938 bis 1945, trat 1932 in die Partei ein, der Lehrbeauftragte für Medizingeschichte seit 1934 Paul Fraatz (1882–1945) 1931. Ulrich Rotschek (geb. 1906), Assistent an der Kinderklinik 1935 bis 1938, trat 1931 in die Partei und war SS-Mitglied. Kurt Klare (geb. 1885), seit 1940 Honorarprofessor an der Medizinischen Fakultät, trat 1927 in die Partei ein, Helmut Lenze (geb. 1908), seit 1939 Assistent an der Hautklinik, 1931, Eduard Westhoff (geb. 1904), von 1937 bis 1944 Assistent an der Orthopädie, 1931 und Anton Mettler (geb. 1910), der als Auslandsdeutscher kurzfristig (1.1.1936–30.6.1936) am Pharmakologischen Institut tätig war, gab als NSDAP-Mitgliedsnummer 66.477 an. Nach 1945 wird in unserer Datenbank als frühes Mitglied der NSDAP (1932) der im 1. Nürnberger Ärzteprozess 1946/47 zu zehn Jahren Haft verurteilte Helmut(h) Poppendick/Poppendiek (1902–1994) aufgeführt, der nach seiner Haftentlassung bei Otmar von Verschuer (1896–1969) am Humangenetikinstitut 1953 promovierte. Zu Poppendick/Poppendiek siehe den Beitrag von Hans-Peter Kröner in diesem Band sowie Weindling 2004, S. 241ff. Ich danke Paul Weindling für diesen Hinweis. Krüger 1992, S. 269. UAMs, Bestand 10, Nr. 36; ebd., Bestand 52, Nr. 275; ebd., Bestand 31, Nr. 18; Dicke 2004, S. 119ff. Siehe auch den Aufsatz von Manfred Witt in diesem Band.

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Folgen der „Machtergreifung“ für die Fakultät „Der jungen Fakultät waren nur wenige Jahre ruhiger stetiger Entwicklung vergönnt, denn in den Jahren des Nationalsozialismus kam es im Zusammenhang mit der Verfolgung politisch Andersdenkender und der Judenverfolgung zu den ersten Erschütterungen innerhalb des Lehrkörpers.“133

Die mit der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten 1933 einhergehenden Veränderungen an der Medizinischen Fakultät waren mehr als „Erschütterungen innerhalb des Lehrkörpers“ wie 1957 Karl Rothschuh (1908–1984) meinte. Die NSGewaltherrschaft prägten Terror, Willkür und Leid. Die Exklusion der dem System politisch und „rassisch“ Unliebsamen war an der Tagesordnung. Die nationalsozialistische Hochschul- und Wissenschaftspolitik charakterisierte in der Zeit zwischen 1933 und 1936 Zwangsentlassungen sowie Einschränkungen der Autonomie der Hochschulen. Beabsichtigt war auch die Einschränkung der traditionellen Macht der Ordinarien zugunsten der Staats- und Parteibürokratie sowie der Dozentenund Studierendenschaft. „Der Rektor der Universität führt diese nach eigener Verantwortung, er wird vom Minister ernannt, und der ernennt die Dekane. Die Dekane führen die Fakultäten […] in eigener Verantwortlichkeit nach dem Rat der Dozentenschaft, der engeren Fakultät und der Studentenschaft. Neben den Kreis der ordentlichen Professoren, […], sind die beiden neuen Säulen getreten, die das Geistesgut der Universität zu tragen gewillt und berufen sind, die Dozentenschaft und die Studentenschaft. Dieses neue Recht hat die scheinbar unantastbare Vormachtstellung der ordentlichen Professoren beseitigt.“ 134

1937 bis 1939 folgte ein Kurswechsel in der Hochschulpolitik. Die Nachwuchsknappheit in vielen Disziplinen zeigte, dass der Hochschullehrerberuf erheblich an Attraktivität verloren hatte. Führende Hochschulpolitiker hielten „eine geistige Befriedung“ der Hochschullehrer für erforderlich, da „weite Kreise der im Augenblick noch nicht entbehrlichen, weil nicht ersetzbaren wissenschaftlichen Arbeiter in Deutschland sich getreten und bedrückt fühlen.“135 Tatsächlich wurde den Hochschullehrern wieder ein größerer Freiraum eingeräumt. Der Kriegsbeginn 1939 beeinträchtigte durch die Einberufung eines großen Teils der jüngeren Wissenschaftler Lehre und Forschung wie auch die Zusammensetzung der Studierendenschaft. In den besetzten Territorien kam es zu Neugründungen oder Übernahme bestehender Universitäten (Straßburg, Prag, Posen, Graz) durch das nationalsozialistische Regime.136 Ab 1942 charakterisierte die Hochschul- und Wissenschaftspolitik das 133 134

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Rothschuh 1957, S. 55. So der Radiologe Hans Holfelder (1891–1944) in seiner Ansprache bei der Übernahme des Dekanats der Medizinischen Fakultät der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt a. M. am 7.12.1933. Holfelder 1934, S. 71. Zit. in Grüttner 2003, S. 82. Diese vom Reich finanzierten „Reichsuniversitäten“ waren als Musterhochschulen gegründet und viel stärker nazifiziert als die im etablierten im „Deutschen Reich“. Vossen 2009, S. 26f. Dies bedeutete – wie eindrücklich die Deutsche Medizinische Fakultät in

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verstärkte Streben der Nutzbarmachung der Wissenschaften für die Zwecke des Krieges. Mit zunehmenden Bombenangriffen musste sich die Hochschulpolitik bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges dann mehr und mehr darauf beschränken, die Funktionsfähigkeit der Universitäten aufrecht zu erhalten.137 Von Anfang an war eine wichtige Leitlinie der Hochschulpolitik die Verdrängung unerwünschter Professoren, Assistenten, Dozenten und Studierender aus „rassischen“ oder politischen Gründen.138 Die strukturellen und personellen (Selbst-)Gleichschaltungsmaßnahmen an den Universitäten und Hochschulen verfolgten mit ihrer pragmatischen Doppelstrategie von Zerschlagung, „Säuberung“, Repression und Verfolgung bei gleichzeitiger Integration der Ideologietreuen zur Schaffung eines neuen Professorentypus. Ziel war der Neuaufbau des Lehrkörpers im nationalsozialistischen Sinne.139 Die rechtliche Grundlage für die Entlassungen aus Universitäten und Hochschulen bildete das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933.140 Dem folgte das „Reichsbürgergesetz“ vom 15. September 1935, mit dem sich die Beschäftigungsbedingungen von Juden und „Nichtariern“ änderten. Volle politische Rechte, einschließlich der Fähigkeit, ein öffentliches Amt zu bekleiden, war nur „Reichsbürgern“ vorbehalten.141 Für Juden, die von Staatsbürgern zum Staatsangehörigen degradiert wurden, entfielen die Schutzbestimmungen, die das

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Prag zeigt – eine fast vollständige Verdrängung des Lehrkörpers. Hlavácˇková/Svobodny 1998. Grüttner 2003, S. 82f. Auf letztere Gruppe wird in diesem Aufsatz nicht weiter eingegangen. Siehe hierzu Grüttner 1995. Zu den Studierenden der Medizin in Münster siehe Vieten 1982 und zu jüdischen Studierenden an der Universität Münster Möllenhoff/Schlautmann-Overmeyer 1998, S. 191ff. John/Stutz 2009, S. 426f.; Vossen 2009, S. 23f. Zu den quantitativen Entwicklungen siehe Grüttner/Kinas 2007. Dazu dienten auch Maßnahmen zur Beschleunigung des Generationswechsels wie die Festlegung der Altersgrenze für Emeritierung sowie das Ersetzen der entlassen Hochschullehrer aus „rassischen“ und politischen Gründen. Grüttner 2003, S. 135f. Der erste Entwurf dieses Gesetzes wurde im Reichsinnenministerium vorbereitet und enthielt keinen „Arierparagraphen“. Bis 1935 wurden nicht weniger als sieben Durchführungsverordnungen und sechs Änderungsgesetze erlassen sowie fünf Änderungsverordnungen verkündet. Die 1. Durchführungsverordnung (11. April 1933) legte fest, wer künftig als „nicht-arisch“ zu gelten hatte, die 2. (4.5.1933) regelte die Entlassung der im öffentlichen Dienst tätigen jüdischen Arbeiter und die 3. (6.5.1933) betraf nun auch Honorarprofessoren beziehungsweise apl. Professoren, Privatdozenten und Lehrbeauftragte. Rürup 2008, S. 50ff.; Grüttner/Kinas 2007, S. 133ff. Reichsbürger war nach § 2 Abs. 1 „nur der Staatsbürger deutschen und artverwandten Blutes“, der darüber hinaus „durch sein Verhalten beweist, dass er gewillt und geeignet ist, in Treue dem deutschen Volk und Reich zu dienen.“ Zit. in Rürup 2008, S. 55; Labisch 1992, S. 230.

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„Berufsbeamtengesetz“ festgelegt hatte.142 Mit dem Runderlass vom 12. Dezember 1935 wies dann der Reichs- und Preußische Minister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung darauf hin, dass alle Juden (im Sinne der Gesetzesdefinition) zum 31. Dezember 1935 aus ihren Ämtern auszuscheiden hatten. Im Zuge der Umsetzung der NS-Gesetze verloren viele Wissenschaftler(innen) ihre Arbeitsplätze in außeruniversitären Instituten, Universitäten und Hochschulen.143 Der Verlust renommierter Wissenschaftler beseitigte ganze Forschungszweige und schnitt Kontinuitätslinien ab. Für jeden Einzelnen bedeutete die Verdrängung aus der akademischen Position eine tiefgreifende Zäsur innerhalb der eigenen Biographie – die Zerstörung einer Welt. Zu Beginn des akademischen Jahres 1933/34 waren 1.145 (davon 313 ordentliche Professoren) von 7.758 festangestellten Hochschullehrern entlassen worden. Das waren 15 Prozent, in Berlin und Frankfurt a. M. betrug ihr Anteil 30 Prozent.144 An der Universität Münster wurden vom Lehrkörper (218) 11,9 Prozent (26)145 aus „rassischen“ beziehungsweise politischen Gründen entlassen. An der Medizinischen Fakultät betraf das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ drei Ordinarien „aus rassischen Gründen“ – den Pharmakologen Hermann Freund, den Ophthalmologen Aurel von Szily und den Rhino-Laryngologen Heinrich Herzog, dessen Ehefrau, Anna Hellmann,146 jüdischer Abstammung war. Unter den Dozenten beziehungsweise Assistenten waren von den rassischen Inhalten dieses Gesetzes, der NS-Habilitations- beziehungsweise Promotionsordnungen – so der derzeitige Stand unserer Recherchen – zwei Gynäkologen, der Privatdozent Karl Adler und der nicht habilitierte Karl Ferdinand Heinz Hartmann (geboren 1900), 142

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Auch dieses Gesetz wurde durch vielfältige Durchführungs- und Ergänzungsordnungen ergänzt und verschärft. So legte die 11. Verordnung vom 25.11.1941 fest, dass den deutschen Juden, die ihren „gewöhnlichen Aufenthaltsort“ außerhalb der Grenzen des Deutschen Reiches hatten, d.h. Deportierten ebenso wie Emigrant(inn)en, die Staatsangehörigkeit aberkannt und ihr Vermögen vom Reich einbezogen wurde. In der Durchführungsbestimmung vom 1.7.1943 wurde unter anderem festgelegt, dass strafbare Handlungen von Juden nicht mehr durch die Justiz, sondern durch die Polizei zu ahnden war. Rürup 2008, S. 56; Grüttner/Kinas 2007, S. 136; Adam 1972, S. 292ff. Grüttner/Kinas 2007. Für die Kaiser-Wilhelm-Institute siehe Rürup 2008. Evans 2004, S. 545. An der Universität Göttingen wanderten so viele Physiker und Mathematiker aus, dass der Lehrbetrieb nicht mehr aufrechterhalten werden konnte. Ebd. Grüttner/Kinas 2007, S. 140. In der Analyse über die Vertreibungen untersuchten Grüttner und Kinas den Lehrkörper der Universitäten – alle Statusgruppen vom Ordinarius bis zu den Lehrbeauftragten und den Lektoren. Sie haben auch auf den Frauenanteil unter den Vertriebenen geschaut. An der Universität Münster befand sich keine Frau darunter. Ebd., S. 142. Anna Hellmann, geb. am 14.10.1879, war seit Oktober 1904 mit Herzog verheiratet. Ihr Vater war der 1916 verstorbene Jurist, Prof. Josef Hellmann, katholischer Konfession. Die Eltern ihrer Mutter Emma (1851–1918), die evangelischen Glaubens war, Viktor und Fanny Kaufmann, waren jüdischen Glaubens. UAMs, Bestand 10, Nr. 177, Bd. 1: Personalbogen (ohne Datum); Anzeige über Verheiratung (Formblatt) vom 10.10.1936.

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sowie der Ophthalmologe Helmut Machemer (1903–1942), dessen Ehefrau, Erna Schwalbe, jüdischer Abstammung war, betroffen. Unter den Doktorand(inn)en wurde Rosemarie Klein, geborene Mankiewicz (geboren 1912),147 Opfer der NSRassenpolitik. Das Reichsinnenministerium verweigerte ihr aufgrund ihrer „halbjüdischen Abstammung“ nach der Promotion 1938 an der Augenklinik bei Fritz Poos die Approbation. Damit erhielt sie auch keine Promotionsurkunde.148

Folgen der Radikalisierungen an der Medizinischen Fakultät (1933/1934) Im Januar 1933 war die Medizinische Fakultät noch keineswegs „braun“ eingefärbt, auch galt das Tragen der Uniform unter der Professorenschaft als verpönt.149 Doch in kürzester Zeit breitete sich der „revolutionäre Geist“ der neuen Bewegung auch an der Medizinischen Fakultät Münster aus. Hermann Freund, der einzige Ordinarius der Medizinischen Fakultät jüdischen Glaubens, sah Anfang März 1933 sein Institut als „wohl annähernd 100%ig Nazi! Und dabei grösste Zufriedenheit und Anhänglichkeit und unbedingte Hochachtung.“150 Zunächst waren es vor allem die Studierenden und ein Teil der Nachwuchswissenschaftler(innen), die den vermeintlich „revolutionären“ Umbruch in spektakulären Aktionen zu gestalten meinten.151 Sie beförderten mit ihren Aktionen die Ideologisierung (Nazifizierung) und zugleich die Militarisierung (Wehrsport)152 und Brutalisierung des universitären Alltags. Auch Hochschullehrer zollten dem NS-System ihre Sympathie. Unter den 300 Unterzeichnern des Aufrufs „Die deutsche Geisteswelt für Liste I“, die am 3. März 1933 im „Völkischen Beobachter“ erschien, befanden sich zwölf Hochschullehrer der Universität, darunter sieben aus der Medizinischen Fakultät – der Emeritus Max Apffelstaedt, die Professoren Eugen Kurz (Anatomie) und Fritz Poos (Augenheilkunde) sowie die Privatdozenten 147

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Unberücksichtigt bleiben hier die „Fälle“ des Privatdozenten Friedrich Sartorius (geb. 1896) und des o. Professors Ferdinand Kehrer. Sartorius, der seit 1925 am Hygiene-Institut war und 1935 zum nbao. Professor ernannt wurde, hatte mit dem Entzug seiner Lehrbefugnis zu rechnen, da seine Frau jüdischer Abstammung war. Wegen der „NichtigkeitsErklärung“ der Ehe 1937 kam es nicht dazu. Grüttner/Kinas 2007, S. 184. Zu Kehrer siehe den Aufsatz von Ioanna Mamali in diesem Band. UAMs, Bestand 54, Nr. 1333. Sie erhielt aufgrund der Nürnberger Gesetze auch keine Heiratserlaubnis. Ebd.: Lebenslauf vom 4.6.1948. Zu den entsprechenden Richtlinien und Gesetzen, die die Promotion und Approbation von „Nicht-Ariern“ begrenzten beziehungsweise verboten, siehe Schwoch 2001, S. 294ff. Zur Aberkennung der Promotion an der Universität Münster siehe BAB, R/4901/14897 sowie den Beitrag von Sabine Happ in diesem Band. Real 1987, S. 83ff. Huhn/Kilian 2011, S. 153 (Brief Freund an Willy König ohne Datum). Siehe u.a. zur Bücherbrennung in Münster Gussek et al. 2009; Droste 2010, S. 197f. Siehe Mattonet 2008. Zum Verhältnis der Universität Münster zum Militär siehe den Beitrag von Timm C. Richter in diesem Band.

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Johann Kremer (Anatomie), Wilhelm Berger (Hals-Nasen-Ohren), Robert Gantenberg (Innere Medizin) und Heinrich Georg Korbsch (Psychiatrie).153 Andere – darunter Karl Adler, Hermann Freund, Heinrich Herzog, Ferdinand Kehrer, Friedrich Sartorius und Aurel von Szily – unterzeichneten nach Aufforderung des Universitätsrektors den Appell „zur Sammlung aufbauwilliger Kräfte“ des Jenenser Physikers Abraham Esau (1884–1955), den dieser am Tag des Reichstagsbrand (27. Februar 1933) verfasst hatte.154 Mit einem Aufruf vom 5. März 1933 stellten sich der Rektor und die Dekane der Universität Münster hinter die nationalsozialistischen Maßnahmen nach dem Reichstagsbrand: „Das brennende Reichstagsgebäude sollte das Zeichen sein zum furchtbaren Bürgerkrieg. Dem Wahnsinn des Kommunismus ist die Mordwaffe aus der schon zum Stoße erhobenen Hand geschlagen worden. In diesem Augenblick fordern wir, Rektor, Prorektor und Dekane der Westfälischen Wilhelms-Universität, alle unsere Kollegen und unsere Studenten auf, die Reihen fest zusammenzuschließen, alles Trennende von Konfession oder Partei zurückzustellen, und nur mit unbesiegbarem Willen am nationalen Wiederaufstieg unseres Vaterlandes zu arbeiten.“155

Der erste Übergriff auf einen Ordinarius der Medizinischen Fakultät fand Ende März statt. Gustav Deinast, SA-Sturmführer und Adjutant der Standarte 13, teilte dem Pharmakologen Hermann Freund mit: „Im Rahmen der Abwehrmaßnahmen gegen die im Ausland verbreiteten Greuelnachrichten habe ich heute um 11 Uhr 15 Min. den Direktor des pharm. Inst. d. Univ. Münster, Herrn Prof. Dr. Freund die weitere Ausübung seiner dienstlichen Tätigkeit u. den Aufenthalt in den Diensträumen untersagt. Herr Prof. Dr. Freund hat sich bis auf weiteres als beurlaubt zu betrachten.“ 156

Freund bat den stellvertretenden Kurator für den Fall der amtlichen Bestätigung des Verbotes durch „Ernennung eines Vertreters […] für die weitere Fortsetzung der Institutsarbeiten Sorge tragen zu wollen.“157 Am 1. April 1933 erbat der Dekan der Medizinischen Fakultät, Aurel von Szily, Urlaub „zur amtlichen Betätigung zur Abwehr der Auslandspropaganda“. In dieser Angelegenheit sprach er gegenüber Kollegen in New York, Budapest, Baltimore und Leyden den Wunsch aus, „dafür einzutreten, dass die mit durchsichtiger Absicht in die Welt gesetzten Greuelnach153

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Nach Heiber 1992, S. 570, gehörten zu den Unterzeichnern aus der Universität außerdem die Professoren Baumstark, Hielscher, Mevius, Naendrup und Schmidt. Die Zahl der Unterzeichner aus der Medizinischen Fakultät Münster erscheint im Vergleich zur Zahl 22 (darunter sechs Ordinarien) der Unterzeichner von der Medizinischen Fakultät Kiel relativ gering, Lohoff 2010, S. 121. Zit. in Möllenhoff/Schlautmann-Overmeyer 1998, S. 254 (Fn. 26). Der Wortlaut des Appells befindet sich in ebd., S. 253 (Fn. 15). Zu Abraham Esau siehe Hoffmann/Stutz 2003. Chronik 1934, 7f.; Möllenhoff/Schlautmann-Overmeyer 1998, S. 227; Hörster-Philipps/ Vieten 1980, S. 87. Zit. in Huhn/Kilian 2011, S. 155 (Brief Freund an Willy König vom 30.3.1933); Vieten 1982, S. 254. Möllenhoff/Schlautmann-Overmeyer 1998, S. 227. Möllenhoff 2002, S. 352f.

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richten über Deutschland als tendenziöse Lügen gebrandmarkt werden.“158 Dem Vorstand des XIV. Internationalen Ophthalmologenkongesses in Madrid teilte von Szily im April 1933 mit: „Das ganze deutsche Volk steht einmütig hinter ihrer nationalen Regierung und ihren Maßnahmen im Abwehrkampf gegen die aufs tiefste empörende Hetze. […] Wir erwarten daher vom Gerechtigkeitssinn und der hohen sachlichen Einstellung der sich aus allen zivilisierten Ländern der Welt dieser Tage in Madrid versammelten Ophthalmologen […], dass sie alles tun werden, um dem Lügenfeldzug überall sofort Einhalt zu gebieten.“159

Kaum Aufmerksamkeit erregte wohl Ende März 1933 der Weggang des seit dem 1. März 1932 an der Frauenklinik tätigen planmäßigen Assistenten Heinz Karl Ferdinand Hartmann (geboren 1900) aus Münster. Doch verließ Hartmann die Fakultät, so die Aussagen einstiger Kollegen Anfang der 1950er-Jahre, unter „keinen Umständen freiwillig“.160 „Herr Dr. Hartmann musste am 31.3.1933 aus der Klinik ausscheiden, weil er auf Grund der damaligen Bestimmungen als Jude nicht bleiben konnte, geschweige denn sich hätte habilitieren können.“ 161

Hartmann, geboren am 15. Mai 1900 in Berlin, war von der Kieler Universitätsfrauenklinik nach Münster gekommen, weil er an Eschs Klinik die Möglichkeit zur Habilitation erhielt.162 Zielstrebig arbeitete er hier neben seiner klinischen Tätigkeit als Stationsarzt der septischen und geburtshilflichen Abteilung an seiner Habilitationsschrift „Über den Stickstoffwechsel der Placenta und des Fötus“. Sie stellte er Anfang 1933 in den experimentellen und wissenschaftlichen Grundzügen

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Zit. in Vieten 1982, S. 254. Möllenhoff/Schlautmann-Overmeyer 1998, S. 228f. In der schwedischen Zeitung „Lunds Dagblad“ erschien mit der Überschrift „Ein berühmter Gelehrter äußert sich über die Lage in Deutschland“ ein Artikel, in dem der Wortlaut des Telegramms Szilys an seinen schwedischen Kollegen wiedergegeben wurde. Dieser Artikel erschien am 12.4.1933 im „Münsterschen Anzeiger“. Ebd., S. 229. UAMs, Bestand 10, Nr. 3621, Bl. 21: (Abschrift) Brief Szily an Vorstand des Internationalen Ophthalmologenkongresses in Madrid, Generalsekretär Dr. Francisco Poyales, vom 1.4.1933. Auch in Möllenhoff/Schlautmann-Overmeyer 1998, S. 229. UAMs, Bestand 52, Nr. 19: Schreiben Prof. Dr. Robert Kessler, Kiel, an Kultusminister NRW vom 13.10.1956. Ebd.: Schreiben Dekan der Medizinischen Fakultät (Goecke) an Kurator der Universität Münster vom 14.10.1955. An der Kieler Universitätsfrauenklinik unter Leitung Robert Schröders (1884–1952) gab es für Hartmann nicht die Möglichkeit zur möglichst baldigen Habilitation, da „schon eine Anzahl Herren vor ihm habilitiert waren und sich habilitieren sollten.“ Dazu zählten u.a. Robert Kessler (Habilitation 1928), Harald Siebke (Habilitation 1931), Carl Clauberg (1989–1957), dessen Habilitation 1933 in Königsberg erfolgte. Ebd.: Schreiben Robert Schröder, Leipzig, an Kurator der Universität Münster vom 20.10.1955; Schreiben Harald Siebke, Bonn, an Kultusminister NRW vom 5.10.1956.

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fertig. Hartmann, Sohn jüdischer Eltern,163 sah offensichtlich angesichts des brachialen, staatlich forcierten Antisemitismus, dass für ihn die Hochschullehrerlaufbahn im nationalsozialistischen Deutschland versperrt blieb. Inwieweit Esch, der Hartmanns Beherrschung der Röntgen-Radium-Bestrahlung und der histologischen Diagnostik schätzte,164 die mit der Nazifizierung einhergehende radikale Verdrängung von Juden aus den Hochschulen und die damit verbundene Demütigung dem jungen Dozenten „ersparen“ wollte, ist aus den Akten nicht zu ersehen. Er informierte Hartmann jedoch im März 1933, „dass ein Gesetz in Vorbereitung sei, welche Juden eine Habilitierung unmöglich mache“ und empfahl ihm, „auf eigenen Antrag die Klinik zu verlassen.“ Dem folgend ging Hartmann in seine Geburtsstadt Berlin, wo seine Schwester bereits aus ihrer Tätigkeit im Städtischen Gesundheitsamt entlassen worden war. Im Oktober 1933 emigrierte der Gynäkologe nach Frankreich. Hier studierte er, um seine ärztliche Tätigkeit ausüben zu können, und wurde 1936 korrespondierendes ausländisches Mitglied der „Societé de Sexologie“. Weiterhin war Hartmann wissenschaftlich tätig, verlor aber 1944 „bei einer Plünderung durch die ‚Gestapo‘“ den fertigen Entwurf seiner Habilitationsschrift.165 An der Münsteraner Fakultät war Hermann Freunds „eigenmächtig“ durch den SA-Sturmführer ausgesprochene Zwangsbeurlaubung wenige Tage später wieder aufgehoben worden. Mit dem „Erlaß vom 30. April 1933 […] auf Grund des Beamtengesetzes“ erfolgte seine erneute Beurlaubung.166 Nach ihrer Rückgängigmachung im Oktober 1933 kehrte Freund in sein Institut zurück. „Die erste Woche der Wiedereinsetzung ist ohne Reibung vergangen. Es geht alles viel glatter, als ich dachte; selbst der Zahn-Müller hat mir telefonisch seine ‚Freude‘ ausgesprochen u. zugleich mich seiner ‚Protektion‘ versichert, wenn ich irgendwelche Störungen hätte. […] Natürlich sind auch Gegner da.“ 167

Aurel von Szily wurde als Dekan – vor dem Ende seiner Amtszeit – durch Peter Esch Ende April abgelöst. Das beruhte auf einem Beschluss der „BaumstarkKommission“, die Dekane „jüdischer Abstammung“ zu ersetzen. Der Versuch dieser Kommission, die am 24. April 1933 durch den politisch „mächtigsten“ Mann Münsters, den Gauleiter Westfalen-Nord Dr. Alfred Meyer168 (1891–1945), einge163 164 165 166

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Seine Eltern waren Hugo und Gertrud, geb. Zippert, Hartmann, sein Vater in Berlin Fabrikbesitzer. UAMs, Bestand 10, Nr. 9658: Lebenslauf Hartmanns (ohne Datum). UAMs, Bestand 53, Nr. 19: Zeugnis von Peter Esch vom 31.3.1933. UAMs, Bestand 52, Nr. 19: Wiedergutmachungsbescheid des Kultusministers des Landes Nordrhein-Westfalen vom 31.7.1957. Chronik 1934, S. 7. Sie wurde dank der Intervention des Medizinstudenten Günther vom Bruck (1908–1983) und Willy König sowie von Hermann Coenen in Berlin bei Johann Daniel Achelis (1898–1963). Huhn/Kilian 2011, S. 42. Huhn/Kilian 2011, S. 172f. (Brief Freund an Willy König vom 19.10.1933). Meyer studierte nach Kriegsteilnahme und Tätigkeit als Kaufmännischer Angestellter Rechts- und Staatswissenschaften sowie Nationalökonomie in Würzburg. Nach der Promotion 1922 war er 1923 bis 1930 als Zechenbeamter auf der Zeche Graf Bismarck in Gelsenkirchen tätig. Mit seinem Eintritt in die NSDAP am 1. April 1928 avancierte er

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setzt wurde, die Universität radikal durch Diffamierung zu nazifizieren,169 war nicht konfliktfrei, doch erfolgte die Besetzung der Dekane der Medizinischen Fakultät von nun an nach dem „Führerprinzip“. Die in Tabelle 6 nach Szilys Ablösung erfassten Dekane bis zum Wintersemester 1944/45 waren alle Mitglieder der NSDAP. Ab dem Sommersemester 1933 liefen wie anderswo in Münsters akademischen Hallen die Prozesse der „Gleichschaltung“ und „Selbstgleichschaltung“ auf vollen Touren. Um den Zug der Zeit nicht zu verpassen, traten viele Dozenten in NSDAP und SA ein.170 Aus den Reihen der 15 amtierenden Direktoren der Kliniken und Institute der Medizinischen Fakultät wurden – so der bisherige Forschungsstand – 1933 sechs Parteimitglied: neben Esch, Heiderich und Jötten waren es Hans Vogt, Hermann Coenen und Rudolf Müller.

169

170

sogleich dort zum Ortgruppenleiter, 1929/30 stieg er zum Leiter des Bezirks EmscherLippe auf. 1929 war er das einzig gewählte NSDAP-Mitglied im Stadtrat Gelsenkirchen, 1930 Abgeordneter im Reichstag für den Wahlbezirk Westfalen-Nord. Sein Mandat legte er am 31.12.1932 nieder, kehrte aber 1933 in den nationalsozialistischen Reichstag zurück und blieb Reichstagsabgeordneter bis 1945. 1931 wurde Meyer Gauleiter von WestfalenNord, am 16.4.1933 Präsident des Provinziallandtages und Reichsstatthalter von Lippe und Schaumburg-Lippe, 1938 Oberpräsident in Westfalen, 1941 Staatssekretär im Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete, 1942 Reichsverteidigungskommissar. Er war Teilnehmer der berüchtigten Wannsee-Konferenz. Meyer beging am 11.4.1945 Selbstmord. Gedenk- und Bildungsstätte der Wannsee-Konferenz 2006, S. 106; Hey 1983, S. 213; Pätzold/Schwarz 1998, S. 232. Die Kommission unter Leitung des Orientalisten Anton Baumstark (1872–1948) sollte „neben der Überprüfung der sich häufenden Partei-Anmeldungen von Professoren und Dozenten die ‚gründliche personale Reinigung des Lehrkörpers‘ obliegen.“ In dem von Baumstark erfassten Kommissionsprotokoll vom 17.7.1933 waren die Dozenten und Assistenten aufgeführt, gegen die Maßnahmen zu ergreifen waren beziehungsweise deren „rassische“ Abstammung überprüft werden sollte. Heiber 1992, S. 95; Hörster-Philipp/ Vieten 1980, S. 90f. Zur Kommission und zum Hintergrund der Querelen siehe Heiber 1991, S. 467ff.; Steveling 1999, S. 375ff. sowie den Beitrag von Kristina Sievers in diesem Band. Vgl. Möllenhoff/Schlautmann-Overmeyer 1998, S. 230ff. Vieten 1982, S. 229.

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Tabelle 6: Dekane der Medizinischen Fakultät Sommersemester 1933–Wintersemester 1944/1945 Dekan

SS 1933–WS 1933/34 SS 1934–WS 1934/35

SS 1935–WS 1935/36 SS 1936–WS 1936/37 SS 1937–WS 1937/38

SS 1938–2. TM 1940

3. TM 1940–SS 1941

WS 1941/42–WS 1944/45

Prof. Dr. Peter Esch (Direktor der Frauenklinik) Prof. Dr. Friedrich Klinge (1892–1974, Direktor des Pathologischen Instituts) Prof. Dr. Karl Jötten (Direktor des Hygiene–Instituts) Prof. Dr. Julius Mayr (1888–1965, Direktor der Hautklinik) Prof. Dr. Friedrich Heiderich (Direktor des Anatomischen Instituts) Prof. Dr. Helmut Loebell (1894–1964, Direktor der HalsNasen-Ohren-Klinik) Prof. Dr. med. et phil. Hellmut Becher (Direktor des Anatomischen Instituts)

NSDAPMitglied seit 5/1933

Tätigkeit an der Medizinischen Fakultät 1923–1944

1936

1934–1940

5/1933

1924–1954

1933

1934–1937

1933

1926–1940

8/1937

1938–1962

5/1937

1941–1964

SS = Sommersemester; WS = Wintersemester ; TM = Trimester Auch Nicht-Parteimitglieder unter den Ordinarien zollten dem neuen System zu dieser Zeit ihre Solidarität und Sympathie, worauf mit der Unterzeichnung des Esau-Appells oder dem Einsatz Aurel von Szilys gegen die Verbreitung von „Greuelnachrichten“ im Ausland bereits verwiesen wurde. Paul Krause erhoffte, dass im neuen System seine „um 1930“ erlebte „Schlappe“ bezüglich der Bemühungen um eine vorzeitige Ernennung der Privatdozenten zu nichtbeamteten außerordentlichen Professoren wettgemacht werde. Dem Rektor erklärte er, dass er den ministeriellen Erlass vom Oktober 1930 für „bitteres Unrecht“ gegenüber diesen Akademikern hielt und bat darum, „beim zuständigen Minister vorstellig zu werden, dass diese Verfügung zurückgenommen wird. Meiner Ansicht nach sind wir alle verpflichtet, für die trefflichen Männer unter unseren Dozenten, welche den Krieg mitgemacht haben, in tatkräftiger Weise einzutreten, sei es bei Verteilung von Professorentitel, sei es zur Erlangung einer Lebensstellung. Diese Männer sind heute fast alle Ende des 4. Lebensjahrzehnt, oder sogar noch älter. Sie verdienen es, dass unsere jetzige Regierung besonders für sie eintritt.“ 171 171

UAMs, Bestand 4, Nr. 223, Bl. 74, Schreiben Krause an Rektor der Universität vom 19.5.1933.

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Seine Vorschlagsliste von 15 Dozenten (Tabelle 7) war beigelegt. Für diese ehemaligen Soldaten sollte die Universität beim Ministerium beantragen, sie vier Jahre nach der Habilitation zu nichtbeamteten außerordentlichen Professoren zu ernennen. Auf der Senatssitzung am 23. Mai 1933 entschied man, einen solchen Schritt nicht im Alleingang – als einzige Hochschule – zu gehen. Der Vorschlag Krauses sollte jedoch der „Vereinigung der Nichtordinarien“ auf dem Hochschultag in Erfurt vorgelegt werden. Seitens des Ministeriums erfolgte 1933 – mit Ausnahme der des Dermatologen Paul Wilhelm Schmidt172 – keine Ernennung der auf der Liste aufgeführten Kandidaten, die mehrheitlich 1933 zu Parteigenossen avanciert waren. Die meisten von ihnen wurden 1934 beziehungsweise 1935 zu nichtbeamteten außerordentlichen Professoren ernannt (siehe Tabelle 5). Wilhelm Berger, seit 1932 Parteigenosse, erhielt 1934 ein Ordinariat in Königsberg. Augustin Foerster173 wurde nach seiner Ernennung zum nichtbeamteten außerordentlichen Professor 1936 als außerplanmäßiger Professor nach München, ein Jahr später als Ordinarius nach Marburg berufen. Auch den vom Dekan Mitte 1933 gestellten Antrag auf Ernennung des beauftragten Dozenten Hermann Davids entschied der Preußische Kultus- und spätere Reichserziehungsminister Bernhard Rust174 (1883–1945) abschlägig. Davids, der 1928 seine Habilitationsschrift, die als unzureichend begutachtet worden war, zurückgezogen hatte, wollte die Fakultät für seine 13-jährige Beteiligung am Unterricht, vor allem für seine „aufklärenden Vorlesungen, die er aus dem Bereiche der ‚Hygiene des Auges‘ für Hörer aller Fakultäten gehalten hat,“ ehren.175 Der 55-jäh172

173

174 175

P. W. Schmidt, geb. am 13.1.1896 in Dülmen (Westfalen), kam mit Stühmer aus Freiburg nach Münster. Er, seit 1933 Mitglied der NSDAP, übernahm nach dessen Weggang bis zum 1.10.1934 die kommissarische Leitung der Münsterschen Hautklinik. Dann folgte er wiederum Stühmer nach Freiburg. Hier figurierte er als Oberarzt. Schmidt wurde 1934 und 1937 – protegiert vom Gauleiter Westfalen-Nord – für den Münsterschen Dermatologie-Lehrstuhl „gehandelt“. Seine Berufung erfolgte jedoch nicht. 1943 erreichte ihn ein Ruf nach Kiel, wo er bis zu seinem Tod 1950 lehrte. Klee 2003, S. 546; Seidler/Leven 2007, S. 524; Scholz 1999, S. 118. UAMs, Bestand 9, Nr. 335, Bl. a/175ff., a/256ff.; Förster, geb. am 3.12.1895 in Adlum bei Hildesheim, katholisch, wurde nach Kriegsteilnahme und Studium 1926 Assistent am Pathologischen Institut in Köln, ab 1927 am gerichtsärztlichen Institut Münster. 1928 legte er das Kreisarztexamen ab, 1930 habilitierte er sich. Von April bis Juli 1933 war er an die Universität Frankfurt/Main abgeordnet worden. 1936 erfolgte seine Ernennung zum nbao. Professor in Münster. Nach seiner Berufung nach Marburg war er Mitglied des Erbgesundheitsobergerichts Kassel und als Gutachter nach den Massenerschießungen in Winnizia (Ukraine) tätig. 1945 wurde er entlassen, 1949 als ao. Professor wieder in die Universität Marburg integriert. Er starb am 28.2.1963 in Marburg. GStA, I. HA Rep. 76, Va, Nr. 10704; Tagesgeschichte 1936, S. 664; Herber 2002, S. 315, 479; Grundmann, Berufungsverfahren, 2001, S. 262ff.; Krähwinkel 2001, S. 473ff. Zu den biographischen Daten siehe Grüttner 2004, S. 143. BAB, R/4901/2124, Bl. 325–328, hier 327f.: Brief Dekan der Medizinischen Fakultät an Preußischen Wissenschaftsminister vom 8.8.1933; auch in UAMs, Bestand 10, Nr. 75.

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rige Dozent, der sich selbst als „Mitbegründer d[er] Geschäftsstelle der NSDAP in Münster“ sah, wurde am 20. April 1936 zum Honorarprofessor ernannt.176 Tabelle 7: Liste Krauses zur vorzeitigen Ernennung zum nichtbeamteten außerordentlichen Professor vom Mai 1933177 Name, Konfession Karl Adler, ev. Wilhelm Berger, ev.

Habilitation 7/1929 7/1931

Robert Gantenberg, ev. Walter Grävinghoff, ev.

2/1929 7/1927

Fach Gynäkologie Hals-NasenOhren Innere Medizin Kinderheilkunde

NSDAP nein 1932

Engelhard Hertel (siehe Anm. 177) Carl (Karl) Neuhaus, ev. Friedrich Sartorius, kath. Hermann Walter, kath. Paul Wilhelm Schmidt Gunther Lehmann, ev. (Austritt aus der Kirche 1935) Augustin Förster, kath.

2/1930 2/1929 2/1927 2/1927 11/1929 6/1927

Chirurgie Pathologie Hygiene Chirurgie Dermatologie Physiologie

7/1930

Heinrich Korbsch, kath. E.A. Müller, ev. (Austritt aus der Kirche) Vinzenz Wucherpfennig, kath. Friedrich K. Hilgenberg, kath.

7/1929 7/1930

Gerichts medizin Psychiatrie Physiologie

1.4.1933 nein

6/1930 2/1927

Dermatologie Gynäkologie

1.6.1934 1.4.1933

1933 1.5.1933– 1934

1.5.1933 28.4.1933 1.5.1937 1.4.1933

Anfang 1934 verweigerte das Ministerium ebenfalls die Ernennung Karl Adlers zum nichtbeamteten außerordentlichen Professur, die Esch im August 1933 beantragt hatte.178 Adler, geboren am 14. Dezember 1894 in Burg bei Magdeburg und evangelischer Konfession, war aus Greifswald, wo er seit 1922 am Pathologischen Institut von Walter Gross gearbeitet hatte, zum 1. September 1924 an die Frau176 177

178

Ebd.: Fragebogen (ohne Datum). Davids war nach dieser Akte kein Mitglied der NSDAP. Quelle: UAMs, Bestand 4, Nr. 223, Bl. 77. UAMs, Bestand 10, Nr. 2733. Engelhard Hertel wurde 1936 nbao. Professor; 1938 verließ er Münster und ging nach Fulda, nahm aber bis einschließlich dem Wintersemester 1940/41 seine Lehrtätigkeit in Münster wahr. Über Hertel liegen keine weiteren Informationen vor. Ähnlich erging es dem Antrag zur Ernennung des Pathologen Karl (Carl) Neuhaus. Ihm wurde 1939 die Lehrbefugnis entzogen. Er, der seit 1935 Leiter des Pathologischen Instituts des Landes Oldenburg war, hätte – so befanden Rektor, Leiter der Dozentenschaft und der Fachvertreter (Klinge) wie auch der Minister – seit 1933 keine Forschungstätigkeit mehr betrieben. UAMs, Bestand 10, Nr. 306.

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enklinik in Münster gekommen. Hier übernahm er nach seiner Habilitation 1932 die Oberarztstelle. Der Mitunterzeichner des Esau-Appells, der die Lehrbefugnis für Gynäkologie, Geburtshilfe und Röntgenologie besaß, wurde im vollzogenen „(Selbst-)Gleichschaltungsprozess“ nun Opfer der rassistischen Bestimmungen des „Berufsbeamtengesetzes“. Dieses klassifizierte Adler, der seit 1932 Mitglied des „Stahlhelms“ war, zu einem „Vierteljuden“. Sein einziges Vergehen war es, im Stammbaum einen Großvater (väterlicherseits) zu haben, der vom jüdischen zum evangelischen Glauben konvertiert war. Die vielfachen Bemühungen Peter Eschs – ein ausführliches Gutachten, Beibringung der Leistungen Adlers während des Ersten Weltkrieges und mehrmalige persönliche Bemühungen im Ministerium –, seinem Oberarzt den wichtigen akademischen Karriereschritt zu ermöglichen, scheiterten. Adler musste wie fast ein Jahr zuvor Hartmann die „gleichgeschaltete“ Klinik zum 30. Juni 1934 verlassen. Er eröffnete mit seiner Frau, der Gynäkologin Margarete Adler, geborene Teutschbein (geboren am 9. März 1905), in Emden eine Privatpraxis.179 Fast ein Jahr nach seinem Weggang aus Münster erbat die NSDAPKreisleitung der Deutschen Arbeitsfront (DAF) vom stellvertretenden Kurator der Universität die Auskunft, ob Adler „nichtarischer Abkunft [ist] und ob [er] wegen seiner politischen Einstellung seinen Wohnsitz gewechselt hat.“180 Der Angefragte bestätigte Adlers „nichtarische Abstammung“ und teilte mit, dass der Dozent auf „eigenen Wusch ausgeschieden“ wäre. Selbstredend hatte ihn die Fakultät für das Sommersemester 1935 beurlaubt,181 ab Wintersemester 1936/37 wurde er nicht mehr als Privatdozent der Medizinischen Fakultät geführt. Lapidar hielt Adlers Personalakte fest: „1934–1946 aus dem Staatsdienst ausgeschieden.“ 182

179

180 181 182

Nach der Niederlassung erwarb sich Adler einen ausgezeichneten Ruf als Arzt in Emden, war aber weiterhin Diffamierungen durch Nationalsozialisten ausgesetzt. Als er 1942 für die Leitung des neu erbauten Krankenhaus-Sonderbaus in Neusandhorst vorgeschlagen wurde, wurde ihm politische Unzuverlässigkeit unterstellt. Zudem lehnte die Oberschwester im Krankenhaus die Zusammenarbeit mit einem „Mischling zweiten Grades“ ab. Das Ehepaar Adler wurde vermutlich im Mai 1943 zum Dienst im Krankenhaus Neusandhorst notverpflichtet. Janssen 2010, S. 207ff. Zur Biographie Adlers Möllenhoff/ Schlautmann-Overmeyer 2001, S. 46f. Ich danke Dr. Rolf Uphoff, Leiter des Stadtarchivs Emden, für die Informationen über die Familie Adler. Siehe auch UAMs, Bestand 5, Nr. 1; ebd., Bestand 10, Nr. 512; ebd., Bestand 52, Nr. 45; ebd., Bestand 4, Nr. 141 („Weißbuch“): Eschs Ausführungen zum „Weißbuch“ vom 31.1.1948; Universitätsarchiv Greifswald, Nr. 328 (Assistenten am Pathologischen Institut, 1910–1932), Heft 2: Lebenslauf K. Adlers vom 30.10.1932. Ich danke Sebastian Felz für den Hinweis auf das „Weißbuch“. UAMs, Bestand 10, Nr. 512: Schreiben NSDAP-Kreisverwaltung Münster der DAF an stellv. Kurator der Universität vom 25.5.1935. Ebd.: Schreiben stellv. Kurator an NSDAP-Kreisverwaltung Münster der DAF vom 27.5.1935. UAMs, Bestand 5, Nr. 1: Personalbogen (ohne Datum).

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Neuer Oberarzt der Frauenklinik wurde Hermann Goecke183 (1900–1994), dort seit April 1933 Assistent. Er war seit der 1. Mai 1933 Mitglied der NSDAP und agierte als Parteimitglied bis 1936 als Blockleiter, dann als Zellenleiter der Zelle Kliniken.184 Zwischenzeitlich schlug sich Peter Esch als Dekan in Fragen der laufenden Habilitationen mit dem Wissenschaftsministerium,185 in dem noch um die neuen Habilitationsregelungen gerungen wurde, herum. Kultusminister Rust hatte beanstandet, dass in Münster das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ bei Habilitationen zu wenig Beachtung gefunden hätte, weshalb die von den Fakultäten erteilten Lehrbefugnisse teilweise wieder entzogen werden mussten. Er bestimmte mit Erlass vom Juli 1933, die laufenden Habilitationsverfahren nicht weiterzuführen.186 Im Oktober 1933 kam es zur Abänderung der Universitätssatzung, mit der die Trennung von Habilitation und Verleihung der venia legendi, die dem Minister unterlag, festgeschrieben wurde. Die Vorschläge waren selbstredend entsprechend dem „Berufsbeamtengesetz“ zu handhaben: Antragstellern, die „nichtarischer“ Abstammung oder mit „nichtarischen Personen“ verheiratet waren, blieb die Habilitation versagt. Von nun an war zudem für die Habilitation die Teilnahme an einem Wehrsport- oder Arbeitslager bindende Voraussetzung.187 „Alle seit dem 30. Januar habilitierten Privatdozenten haben bis zum 1. April 1934 zunächst den Wehrsport oder den Dienst in Arbeitslager nachzuholen. Die Dienstzeugnisse sind mir einzureichen. Die Einberufung in die Dozentenakademie erfolgt von Fall zu Fall. Es sind hierzu Listen mit den infrage kommenden Privatdozenten umgehend einzureichen, in denen Namen, Lebensalter, Habilitation und Fach anzugeben sind.“188

183

184 185

186 187 188

Goecke, geb. am 12.11.1900 in Köln, evangelisch, war nach der Promotion 1924 am Hygienischen Institut Düsseldorf, am Pathologischen Institut und an der Frauenklinik der Universität Köln tätig gewesen. In Münster habilitierte er sich 1935, die Venia Legendi erhielt er 1936. 1942 wurde er zum apl. Professor ernannt. 1951 wurde er Ordinarius und Direktor der Frauenklinik Münster. Goecke wurde am 31.3.1969 emeritiert. UAMs, Bestand 52, Nr. 320; ebd., Bestand 207, Nr. 176. Ebd.: Auszug aus dem Fragebogen Goeckes vom 3.9.1945. Zur neuen Habilitationsordnung im Nationalsozialismus siehe Paletschek 2004, S. 1386ff. Das Reichs- und Preußische Ministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung (mit der Annexion Österreichs 1938 verschwand der „preußische“ Zusatz) wurde per Erlass am 1.5.1934 (neu)gegründet, Minister war Bernhard Rust. Das Ministerium ging personell aus dem Kultusministerium (seit 1918 Preußische Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung) hervor. Forsbach 2006, S. 24ff. Vielfach wird dieses Ministerium als Reichswissenschafts- beziehungsweise Reichserziehungsministerium bezeichnet. Im Text werde ich dieses Ministerium als „Wissenschaftsministerium“ bezeichnen. UAMs, Bestand 4, Nr. 233, Bl. 73: Schreiben Preußischer Wissenschaftsminister an stellv. Universitätskurator der Universität Münster vom 7.7.1933. Ebd., Bl. 79–81: (Abschrift) Schreiben Preußischer Wissenschaftsminister an den stellv. Universitätskurator der Universität Münster vom 18.10.1933. Ebd.

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Für die anliegenden Verfahren galten Übergangsbestimmungen. Sie brachten nun den Dekan Esch in Verlegenheit. Er hatte ordnungsgemäß die im Juli bereits angelaufenen Habilitationen des Internisten Willi Wohlenberg (1899–1953) und des Psychiaters Wilhelm Klimke (1898–1961), seit Mai 1933 Mitglied der NSDAP, abbrechen lassen. Doch nach dem Erlass von September ließ er „im guten Glauben“, „daß der Herr Minister die Lehrbefugnis erteilen werde, nachdem die wissenschaftliche Leistung der Habilitanden durch die Fakultät beurteilt worden sei“, die Habilitationsarbeiten bei den Fakultätsmitarbeitern umlaufen. So hatte Wohlenberg seine Probevorlesung Ende der Sommerferien gehalten; Klimkes Vorlesung stand an. Da aber nach dem Erlass vom November die Habilitationsverfahren erst im November wieder aufgenommen hätten werden dürfen, bat Esch „das Versehen“ zu entschuldigen.189 Auch die außerwissenschaftlichen Kriterien die Teilnahme am Wehrsport oder Arbeitslager betreffend, nicht die rassischen Ausschlusskriterien der neuen Habilitationsregelung, stießen in der Universität und bei manchem Klinikdirektor aus nahe liegenden Gründen (dadurch forcierte Engpässe beim qualifizierten Personal in den Kliniken) nicht auf Wohlwollen. Dem Antrag des Rektors auf Befreiung von der Teilnahme am Wehrsport beziehungsweise Arbeitslager von Wohlenberg, Goecke und Klimke antwortete der Minister erbost, dass er diesem „aus grundsätzlichen Erwägungen“ nicht zuzustimmen gewillt sei.190 Ebenso erging es dem Antrag Paul Krauses, die Einberufung durch das Amt für Geländesport der Preußischen Dozentenschaft zum 7. Januar 1934 drei seiner Assistenten zu einem zehnwöchigen Kurs nach Zossen rückgängig zu machen. Seiner Begründung der Gefährdung des ordnungsgemäßen Ablaufs des Klinikalltags im Falle der Einberufung mochte der Minister nicht folgen.191 Längst hatte sich das politische Klima 1933/34 an der Medizinischen Fakultät gewandelt. Dozenten in SA- oder SS-Uniform gehörten nun zum Alltag der Kliniken und Institute.192 Die mit der Nazifizierung einhergehende Radikalisierung erwies sich als guter Nährboden für Diffamierungen, Boykottaktionen, Denunziationen wie Übergriffe auf die „rassisch“ oder politisch unerwünschten Professoren und für Angriffe gegen einen vermeintlich alten, überholten und reaktionären, der „neuen Zeit“ nicht mehr gerechten Typus des Professors.193 189 190 191

192 193

UAMs, Bestand 9, Nr. 814, Bl. 307: Schreiben Dekan der Medizinischen Fakultät an Wissenschaftsminister vom 25.11.1933. Ebd.: Schreiben Wissenschaftsminister an stellvertretenden Kurator der Universität vom 1.1.1934. GStA, I. HA Rep. 76, Va, Nr. 10699, Bl. 283: Schreiben stellv. Kurator der Universität an Preußischen Wissenschaftsminister vom 21.12. 1933. Der Besuch von Dozenten- beziehungsweise Gemeinschaftslagern wurde mit der Habilitationsordnung vom 13.12.1934 obligatorisch. 1939 wurde diese Verpflichtung aufgehoben. So z.B. Zipf im Pharmakologischen Institut. „Er [Zipf] strahlt meistens in SS-Uniform.“ Huhn/Kilian 2011, S. 166 (Brief Freund an Willy König vom 5.9.1933). Kampfansage an Liberalismus … 1934, S. 61; F. Wirz 1934.

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456 Die „Revolution“ fordert Opfer

In Münster machte sich der Eindruck breit, dass sich „wohl mancherlei auch gegen Nichtjuden“ ereignen werde.194 Denunziationen vergifteten das Klima in der Stadt und in ihrer Alma Mater respektive in der Medizinischen Fakultät. Viele Dozenten und Assistenten fühlten sich im Aufwind, machten Stimmung gegen ihre (jüdischen) Kollegen oder Professoren, denunzierten sie mit unhaltbaren Gerüchten. So behauptete der Anatom Eugen Kurz, der sich als Experte in der Rassenlehre und als „ältester Vorkämpfer des Nationalsozialismus an der Universität Münster“195 verstand, dass der Emeritus Karl Ballowitz, sein einstiger Chef, jüdischer Abstammung wäre.196 Der Oberarzt der Medizinischen Klinik, Robert Gantenberg,197 und seine Ehefrau Cläre, geb. Schülbe, seit 1931 in der NSDAP und in Münster zur stellvertretenden NS-Frauenschaftsleiterin avanciert, machten gegen Paul Krause als Mensch und Arzt Stimmung. Frau Gantenberg beschuldigte in ihrer hemmungslosen Klatscherei zudem unverheiratete Professoren der Homosexualität, verheiratete Dozenten und Professoren des Ehebruchs.198 Diffamierungen bezogen sich auch auf den akademischen Werdegang von Dozenten. So verwies zum Beispiel der Dozentenschaftsführer (seit 1934) an der Universität Münster, der Orthopäde Hermann Walter,199 den Pharmakologen Walter Haarmann (1901–1971), seit 1930 Assistent beziehungsweise Oberassistent Freunds, auf die Gefahren hin, „die er als Schüler eines ‚Nichtariers‘ liefe.“ In Zukunft – so Walter – „würden Assistenten von ‚Nichtariern‘ grundsätzlich nicht zur Habilitation kommen, und es schadete überhaupt, eine solche Stelle anzunehmen!“200 Die mit der politischen Zäsur und den Gleichschaltungsmaßnahmen einhergehenden Wertewandel – ein kompletter Umbruch von Normen und Werten – erleb194 195

196 197

198 199

200

So berichtete H. Freund in einem Brief vom 18.6.1933 an Willy König. Huhn/Kilian 2011, S. 157. UAMs, Bestand 9, Nr. 1447, Bl. 21f.: Aussage von Henny Bastgen, Düsseldorf, und Herrn und Frau Keller vom 13.3.1934. In dieser Akte ist eine Vielzahl solcher Gerüchte dokumentiert. Vieten 1980, S. 106; Dicke 2004, S. 35 (Fn. 128). Gantenberg, geb. am 19.2.1894 in Velbert, evangelisch, war nach seiner Promotion 1920 in Bonn am Evangelischen Krankenhaus in Düsseldorf als Assistenzarzt (1922–1924) tätig. Ab 1924 war er zunächst Assistenzarzt, dann Oberarzt in der Medizinischen Klinik der Universität Münster. Hier habilitierte er sich 1929. Er, der 1933 in NSDAP und SA eintrat, avancierte zum Vertrauensmann der NSDAP an der Medizinischen Fakultät Münster und wurde 1935 zum nbao. Professor ernannt. 1937 wurde er an die Berliner Universität berufen. Seit Mai 1940 war er Arzt bei der Wehrmacht, 1945/46 kam er in russische Gefangenschaft. Er starb im Lazarett Brschitza (SU) am 29.7.1946. Grüttner 2004, S. 55f. Vieten 1980, S. 106. Walter, geb. am 5.8.1893 in Gerolzhofen (Unterfranken), katholisch, kam 1926 als Leiter der orthopädischen Abteilung in die Chirurgische Klinik der Universität. Khalesi 2006, S. 41 (Fn. 51). Huhn/Kilian 2011, S. 197 (Brief Freund an Willy König vom 11.12.1934).

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ten viele Betroffene als „Zerstörung der eigenen Welt“. Nicht wenige führte diese in den Suizid so etwa den Berliner Pädiater Leopold Langstein (1876–1933) und den Greifswalder Psychiater Edmund Forster (1878–1933). Die Medizinische Fakultät Münster erlebte „ihren“ ersten Selbstmord in den Reihen der Ordinarien im September 1933. Wie im Fall des Psychiaters Edmund Forster201 hatten auch hier Denunziationen seitens der Studentenschaft und junger Assistenten den Pathologen in eine auswegslose Situation gedrängt – „der arme Gross [hat sich] vergiftet!“202 Den Aktivisten der „neuen Zeit“, die Gross in den Selbstmord trieben, war jedes Mittel recht, die „Revolution“ voranzutreiben. Eine „Revolution“ erforderte eben auch ihre Opfer. In der Medizinischen Fakultät schienen für den Pharmakologen Hermann Freund im November 1933 „[d]ie Quertreiber […] die Dozenten der Altersklasse Zipf“ zu sein. Noch immer – so konstatierte Freund – war die „Affaire Gross der Anstoss zu viel Ärger und Bedrohung.“203 Diese hatte etwa zwei Monate zuvor ihren Ausgang mit dem Suizid des Pathologen und Klinikdirektors an der Medizinischen Fakultät. „Eine fürchterliche Tragödie, verschuldet von seinen beiden Nazi-Assistenten, die – gleichzeitig Ankläger u. Richter! – entschieden hatten, dass seine Stellung unhaltbar sei, er solle selber seinen Abschied nehmen! Dies, weil er eine langjährige Angestellte, die etwas unterschlagen hatte, zunächst schonen wollte. Sie war eine sehr üble Person, und sicher wusste Gross mehr davon, als für ein Eintreten für sie zulässig war. Aber nicht diese jungen Dächse hatten zu entscheiden, und natürlich spielte wieder das übrige ‚Material‘, das gegen ihn gesammelt worden sei, die heute gewöhnliche Rolle.“204

Acht Monate später ereignete sich ein zweiter Suizid. Am 7. Mai 1934 erschoss sich der Gründungsdekan der Medizinischen Fakultät, der Internist und Pionier der Röntgenologie Paul Krause. Die „Affäre Gross“ wie der „Fall Krause“ erschütterten das Ansehen der Fakultät, brachten Unruhe in die Medizinische Fakultät und das Augenmerk Berlins auf die preußische Provinzuniversität.

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Forster, der 1925 auf den Lehrstuhl für Psychiatrie und Neurologie der Universität Greifswald berufen worden war, wurde vom Studenten Eugen Oklitz denunziert. Oklitz beschuldigte Forster u.a. der Verschwendung von Staatsgeldern, sowie der an seiner Klinik herrschenden Unsittlichkeit. Forster erschoss sich zu Hause am 11.9.1933. Viehberg 2004, S. 293ff.; Schneck 1993, S. 54ff. Huhn/Kilian 2011, S. 166f. (Brief Freund an Willy König vom 18.9.1933). Ebd., S. 181f. (Brief Freund an Willy König vom 23.11.1933). Ebd., S. 167 (Brief Freund an Willy König vom 18.9.1933).

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Der Suizid von Walter Gross und seine Folgen „Es ist ja eigentlich Unsinn, aber der Kinder wegen muss es sein. Ich sehe keinen Ausweg gegenüber dem unerbittlichen Fanatismus dieser jungen Leute; und ich kann nicht leben von der Gnade solcher Menschen. Ich glaube, dass ich so die Sache für Euch am wenigsten schwer mache.“205

Diese Zeilen hinterließ Walter Gross, der sich am Abend des 14. September 1933 in seinem Institut mit Zyankali das Leben nahm, seiner Ehefrau und ihren beiden Kindern. Der Pathologe Walter Gross, geboren am 21.1.1878 in Waldkirch (Baden) und evangelischer Konfession, hatte, bevor er 1924 nach Münster kam, bereits erfolgreich den Pathologischen Instituten der Universitäten Dorpat und Greifswald vorgestanden.206 Sein Fachgebiet umfasste neben der pathologischen Anatomie auch die allgemeine und experimentelle Pathologie, was ihn zu einem der wichtigsten Förderer des an dem letzteren Gebiet interessierten jungen Gerhard Domagk machte.207 Gross hatte den zukünftigen Nobelpreisträger, den er wegen seiner „bemerkenswerte[n] Unabhängigkeit des Denkens“ schätzte,208 mit nach Münster gebracht. Hier hatte er ihm als seinen ersten planmäßigen beziehungsweise Oberassistenten eine eigene Abteilung für experimentelle Pathologie eingerichtet. Die zweite planmäßige Assistentenstelle besetzte Gross mit K(C)arl Neuhaus,209 einen bereits berufserfahrenen und ebenfalls von Greifswald kommenden Mediziner. Die 205

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GStA, I. HA Rep. 76, Va, Nr. 10689, Bl. 183: Bericht der von Seiner Magnifizenz dem Herrn Rektor im Einverständnis mit dem Herrn Kurtor eingesetzten Kommission zur Klärung der Vorgänge bei dem Selbstmord Gross (im Folgenden: Bericht der Kommission). Vieten 1982, S. 260. Gross war nach der Promotion (1904) und Habilitation (1911) in Heidelberg dort 1917 zum pl. Professor berufen worden, 1918 an die Universität Dorpat. 1921 ereilte ihn der Ruf als Nachfolger von Paul Grawitz (1850–1932) nach Greifswald. Domagk begann im April 1923 am Greifswalder Institut von Gross als Assistent zu arbeiten. In dieser Zeit hatte Gross großzügig darüber hinweg gesehen, dass sein Assistent die Hausordnung nach eigenem Nutzen auslegte, und ihn vor Beschwerden geschützt, etwa der, dass Domagk, der bakteriell verursachte Infektionen untersuchte, nachts zu viel Strom verbrauchte oder seine Mäuse an unpassenden Stellen herumlaufen ließ. 1924 habilitierte Domagk in Greifswald bei Gross. E. Grundmann 2001, S. 22. Ebd. Neuhaus, geb. am 20.11.1893 in Garfeld (Hörde i.W.), evangelisch, beendete nach seiner Teilnahme am Ersten Weltkrieg im Sommersemester 1920 in Greifswald sein Studium. Nach der Promotion am dortigen Pathologischen Institut und der Approbation 1920 war er dort von 1921 bis 1923 pl. Assistent. Danach arbeitete Neuhaus eineinhalb Jahre im dortigen Hygiene-Institut, anschließend klinisch. Im Frühjahr 1925 wurde er pl. Assistent am Pathologischen Institut bei Gross. Nach der Habilitation ging er zu einem Studienaufenthalt 1930/1931 nach Madrid. Nach seiner Rückkehr ans Institut 1931 ließ er sich im Mai 1933 zwecks Studiums der Geschichte der Medizin beurlauben. Ab Mai 1935 war er Assistent am gerichtsärztlichen Institut Münster. Im selben Jahr wurde er Leiter des Pathologischen Instituts des Landes Oldenburg. BAB, R/4901/2124, Bl. 91, Bl. 377f.; UAMs, Bestand 10, Nr. 306.

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außerplanmäßige Assistentenstelle nahmen noch in der Fachausbildung sich befindende junge Mediziner ein. Entsprechend war hier die Fluktuation groß.210 Ab dem Sommersemester 1931 waren als außerplanmäßige Assistenten in der Pathologie Josef Beaufays (geboren 1904) bis zum Wintersemester 1932/33, danach Christian Hackmann (1899–1981) und Wilhelm Klostermeyer (geboren 1908). Als Laborant des Instituts figurierte Josef Hünnebeck (geboren 1899). 1927 verließ Domagk das Institut und folgte dem Angebot der I.G.-Farbenindustrie, Werk Elberfeld, dort ein Institut für Experimentelle Pathologie einzurichten und zu leiten, „um in erster Linie die hier gerade anlaufenden Untersuchungen auf dem Gebiet der Vitamin- und Hormon-Forschungen pathologisch anatomisch beurteilen zu können.“211 Der Medizinischen Fakultät blieb er durch seine Lehre verbunden. 1935 bekundete er, dass er grundsätzlich auf eine Hochschullaufbahn nicht verzichten wollte. „Ich habe die Universität hauptsächlich deshalb verlassen, weil ich keine genügende Auswirkungsmöglichkeit meiner Arbeitskraft fand. Meine Entschlüsse sind stets nur von dem einen Gesichtspunkt entscheidend beeinflusst worden: Wo kann ich meinem Volk als Arzt und Forscher am besten dienen? Andere Gesichtspunkte haben für mich bisher nicht gegolten und werden auch in Zukunft nicht gelten.“212

Mit Domagks Weggang stieg Neuhaus zum Oberassistenten auf. Bei den Besetzungen der planmäpigen Assistentenstelle zeigte sich nun eine relativ hohe Fluktuation.213 Mit der Beurlaubung Neuhaus’ 1933 entschied sich Gross, zum 1. Mai 1933 die Oberassistentenstelle mit Erich-Emil Benecke214 (1907–1961) gegen die Einwände des stellvertretenden Kurators, das Benecke erst sieben Monate zuvor seine Ausbildung abgeschlossen hatte, die planmäßige Assistentenstelle mit dem Chemiker und Mediziner Dr.-Ing. Christian Hackmann215 und die außerplanmä210 211 212 213 214

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Insgesamt waren es fünf Mediziner: G. Lentze, Wilhelm Rohden, Hans Hanke, Hans Hohbach und Anton Schlüter. Zu ihnen befinden sich keine Personalakten im UAMs. Universitätsarchiv Greifswald, Eintragung Domagks in das Album der Ehrensenatoren (1943), S. 4. UAMs, Bestand 10, Nr. 1454: Schreiben Domagk an stellv. Kurator der Universität Münster vom 8.4.1935. Über diese Assistenten (Karl Engelmann, Klaus Merkel, Anton Schlüter und Henry Never) befinden sich keine Personalakten im UAMs. Benecke, geb. am 12.5.1907 in Kiel, evangelisch. UAMs, Bestand 10, Nr. 771. Die Akte enthält die Korrespondenz über Zahlungsansprüche seiner Witwe vom April 1961 mit dem Kurator. UAMs, Bestand 54, Nr. 213. Biographische Angaben in Buddrus/Fritzlar 2007, S. 67f. Über Hackmann gibt es im UAMs keine Personalakte. Hackmann hatte nach dem Ersten Weltkrieg in München Chemie studiert und 1922 das Studium mit dem Diplom und der Promotion abgeschlossen. Durch Arbeiten in der „Süddeutschen Versuchs- und Forschungsanstalt“ in Weihenstephan kam er mit medizinischen Fragen in Berührung. Ab dem Wintersemester 1925/26 studierte er in Münster, Berlin und Göttingen Medizin. 1931 legte er in Göttingen das medizinische Staatsexamen ab und promovierte dort. Seine Dok-

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ßige mit Dr. Wilhelm Klostermeyer216 zu besetzen.217 Benecke, der im September 1932 in Münster promoviert wurde, und Klostermeyer, der 1932 sein medizinisches Staatsexamen in seiner Geburtsstadt Münster abgelegt hatte, waren seit 1933 Mitglieder der NSDAP, letzterer auch SS-Sturmbannführer. Im September 1933, knapp zwei Monate nach der Einstellung des neuen Teams, drängten dessen Aktivitäten den Institutsdirektor in einen drohenden öffentlichen Skandal. Vor allem die beiden Mitte 20-jährigen Adepten der nationalsozialistischen „Revolution“ suchten ihrem Chef Führungsqualitäten abzusprechen, ihn in den Ruhestand zu zwingen. Dazu machten sie auf (vorgebliche) Missstände im Pathologischen Institut aufmerksam, die sie vor allem Gross’ Sekretärin, Christine Weber (geboren 1905), anlasteten: Sie habe Geld unterschlagen, sei unzuverlässig und lege im Institut „ein gegen Anstand und Sitte hohnsprechendes Benehmen an den Tag.“218 Zudem habe sie im Institut Abtreibungen vorgenommen. Entsprechend verlangte das Team am 11. September 1933 ihre fristlose Kündigung und drohte, wenn Gross dem nicht nachkäme, die Angelegenheiten anderen zuständigen Stellen vorzutragen. Der Pathologe befolgte den Wunsch seiner Assistenten – er entließ Christine Weber. Diese aber spionierten weiter und gaben mit immer neuen Vorwürfen und Drohungen Gross das Gefühl, dass diese Fanatiker die Macht hätten, ihn als Direktor abzusetzen, er „womöglich in ein Konzentrationslager komm[e], […], wenn alle diese Vorwürfe gegen [ihn] in die Öffentlichkeit kommen.“219 Benecke und Klostermeyer – Hackmann distanzierte sich bald von ihnen – störten solche Ängste nicht. Ihr Ziel war es, den 55-jährigen Pathologen in den Ruhestand zu zwingen. Dazu suchten sie die Unterstützung des Direktors der Chirurgischen Klinik Hermann Coenen.220 Der Chirurg aber tat ihre Vorwürfe und haltlosen Gerüchte als „hochgezüchtetes Denunziantentum“ ab. Stattdessen informierte er Gross über die Absichten seiner Assistenten und bat Beneckes Vater, Professor an der Universität, persönlich darum, den Eifer und Wahn seines Sohnes zu stoppen.221

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torarbeit wurde mit einem Preis von der Medizinischen Fakultät Göttingen ausgezeichnet. E. Grundmann 2001, S. 164. Er war vorher am Institut als Medizinalpraktikant beschäftigt (15.12.1932–1.2.1933), dann am Städtischen Krankenhaus in Gera tätig. Zu seinem Lebenslauf siehe Kühl 2011, S. 104ff. GStA, I. HA Rep. 76, Va, Nr. 1688, Bl. 160ff. Der Vorwurf der Unterschlagung war korrekt, doch hatte Gross die Angelegenheit „auf seine Weise“ geklärt. Auch wurde Christine Weber in einem Zivilprozess wegen Abtreibung und Beihilfe zur Abtreibung verurteilt. Das hatte aber mit dem Institut nichts zu tun. Siehe GStA, I. Ha Rep. 76, Va, Nr. 10689, Bl. 41ff.: Zivilprozess wegen Abtreibung und Beihilfe zur Abtreibung (14.11.1933). Ebd., Bl. 182: Bericht der Kommission. Ebd., Bl. 59–62: Bericht Dr. Benecke an den stellv. Kurator vom 21.9.1933. Für ihn war die Sache erledigt, da Gross seine Sekretärin entlassen hatte. Ebd., Bl. 178: Bericht der Kommission.

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Wenige Stunden später hatte Gross seinem Leben ein Ende gesetzt. Coenen blieb nur noch, den Rektor zu informieren. „Euerer Magnifizenz teile ich mit, daß am 14.9.1933 um etwa 20 Uhr der Direktor des Pathologischen Instituts, Herr Professor Walter Gross, seinem Leben durch Zyankali ein Ziel gesetzt hat. Differenzen im Institut sind der Grund hierzu gewesen. Seine Assistenten waren der Ansicht, daß die im Institut angestellte Laborantin [sic], Fräulein Weber, wegen ihres Lebenswandels und wegen Unterschlagung von Institutsgeldern sofort entfernt werden musste. Professor Gross hat Fräulein Weber verspätet, und zwar am 12. September 1933, gehen lassen und der Ansicht Ausdruck gegeben, daß die Unterschlagungen Privatgelder, die ihm zukamen, waren. Ich habe seit dem 14.9.1933 mittags, wo ich von den Differenzen erfuhr, mich in verschiedener Richtung bemüht, die Gegensätze zu überbrücken, kam aber nicht mehr dazu, dieses Herrn Professor Gross mitzuteilen, weil er inzwischen sein Leben beendete. Offenbar hat er zum Schluß die Nerven und die klare Überlegung verloren.“222

Auf der Beerdigung, bei der auf Wunsch von Frau Gross die Assistenten ihres Mannes fernzubleiben hatten, gedachte Domagk seines Lehrers: „Tief erschüttert stehen wir, seine Schüler, die ihn liebten und verehrten, an der Bahre. Er war uns nicht nur ein guter Lehrer, er hat in uns gelegt das Samenkorn der Liebe zur Forschung […] Er war nicht leicht zu gewinnen, unser Chef, aber hatte man einmal sein Vertrauen, so war man fest verkettet mit ihm. […] Dankerfüllt denken wir an ihn als Lehrer, als Forscher, als Freund, der er uns Jungen war. Wer mag ihn richten? Gott wird ihn richten.“223

Nach dem Suizid Gross’ hörten jedoch die Intrigen und Denunziationen keineswegs auf. Benecke, der durch den stellvertretenden Kurator mit der kommissarischen Leitung des Instituts betraut worden war, nutzte seine Position, weiterhin belastendes Material gegen seinen verstorbenen Chef zu suchen.224 Um den virulenten Gerüchten im Klinikviertel, dass Professor Gross von seinen eigenen Assistenten in den Tod getrieben worden sei, zu begegnen, richteten Benecke und Klostermeyer an die Studentenschaft der Universität Münster und an das Pressereferat bei der Gauleitung der NSDAP eine schriftliche Darstellung der Zustände im Institut und einen Bericht über ihre Unterredung mit Coenen. Auf diese Öffentlichmachung reagierte man innerhalb der universitären Verwaltungsstrukturen entsetzt. Für den Dekan der Medizinischen Fakultät hatten die Assistenten „das Andenken eines Fakultätsmitgliedes in schwerster Weise herabgesetzt und damit das Ansehen der Fakultät geschädigt.“ Das Dreier-Team wurde bei Fortzahlung der Bezüge vom Dienst suspendiert und zum 31. Dezember 1933 gekündigt.225 Der stellvertretende Kurator stand hinter der Entscheidung des Dekans. 222 223 224 225

UAMs, Personalakte Gross, Nr. 72, Bl. 188: Brief Coenen an Rektor der Universität Münster vom 15.9. 1933. Zit. in E. Grundmann 2001, S. 162. Dabei wurde er tatkräftig vom Laboranten Hünnebeck unterstützt. GStA, I. HA Rep. 76, Va, Nr. 10689, Bl. 73: Schreiben Kurator an Klostermeyer vom 11.11.1933.

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Er, besorgt über die Aufstachelung der Studierendenschaft, wandte sich an Rektor Hubert Naendrup (1872–1947). Der Jurist Naendrup seinerseits betrieb nun Schadensbegrenzung. Er richtete eine „Kommission zur Klärung der Vorgänge beim Selbstmord Gross“ ein.226 Ihre Mitglieder – Professor Erhard Neuwiem (1889–1943) und Professor Heinrich Drost (1889–1958), beide Rechtswissenschaftler an der Universität,227 sowie der Staatsanwaltschaftsrat Tophof – vernahmen in der „Sache Gross“ Benecke, Hackmann, Klostermeyer und den Laboranten des Pathologischen Instituts, Hünnebeck, sowie Coenen, Frau Gross, den Universitätsrat Wentrup, Christine Weber und den Privatdozenten Neuhaus. Nach den Vernehmungen ergab sich für die Kommission das Gesamtbild: „Prof. Gross hat sich getötet, weil er Absetzung und eventuell Konzentrationslager, jedenfalls Verlust jeder Existenzmöglichkeit für ihn und seine Familie vor sich sah.“228 Sie verurteilte auch das Verhalten Beneckes, der seine „ungewöhnlich frühe Beförderung zum Oberassistenten“ Gross zu verdanken hatte.229 Doch für die „Säuberungsakteure“ waren die Kommission und ihr Urteil keineswegs rechtsgültig. Das Urteil ging erst recht nicht konform mit dem nationalsozialistischen Zeitgeist. Einen Bündnisgenossen fanden sie im Reichfachschaftsleiter der Medizin cand. med. Klein. Der wandte sich in der Angelegenheit an den Minister Rust.230 In seinem Schreiben führte er detailliert das politische Fehlverhalten – Beleidigung der Regierung, Sabotage gegen die nationale Arbeit – des verstorbenen Gross auf. Zudem verunglimpfte er das Verhalten Coenens und des Dekans Peter Esch gegenüber Benecke und Klostermeyer und warf der Kommission unzureichende und parteiische, gegen die beiden Assistenten gerichtete Arbeit vor. Statt dieser Parteigenossen – so klagte er – arbeiteten im Pathologischen Institut nun Assistenten der Chirurgischen, der Medizinischen und der Frauenklinik, darunter Dr. Josef Beaufays, der an den Verfehlungen gegen § 218 der Sekretärin, die Stein des Anstoßes für das Vorgehen gegen Gross war, beteiligt gewesen wäre und selbst intime Beziehungen zu ihr gehabt hätte. Auch er drohte, sich an die Öffentlichkeit zu wenden. Berlin war nun eingeschaltet, ließ aber zunächst Kleins Schreiben unbeantwortet. Stattdessen wandte man sich an Kurator und Rektor und erbat die Zusendung der entsprechenden Unterlagen. Nach einer Mahnung des Reichsfachschaftsleiters Klein wies der Minister ihn in die Schranken – beanstandete „Form und Inhalt“ seines Schreibens und missbilligte die Drohung, an die Öffentlichkeit zu gehen. Es bedurfte des Eingreifens der NSDAP, der 19. SS-Standarte und weiterer Eingaben der entlassenen Assistenten, bis eine Sonderkommission aus Berlin nach Münster gesandt wurde. Unter Leitung von Ministerialrat Karl Schnoering (1886– 226 227 228 229 230

Ebd., Bl. 172–200: Bericht der Kommission. Zu Naendrup, Neuwiem und Drost siehe den Aufsatz von Sebastian Felz in diesem Band. GStA, I. HA Rep. 76, Va, Nr. 10689, Bl. 172. Ebd., Bl. 196. Ebd., Bl. 71–74: Schreiben vom 14.11.1944. Siehe auch Vieten 1982, S. 256ff.

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1966) fanden Anfang 1934 erneut Vernehmungen zur Klärung der vielfältigen Vorwürfe statt. Die eigentliche Mission des Berliner Ministerialrats aber war die Befriedung der Fachschaft. Ihm gelang es dann auch, sie zu disziplinieren, eine Rebellion der Studierenden zu verhindern.231 In der „Affäre Gross“ wurde auch den Denunziationen von Benecke und Klostermeyer anderen Assistenten gegenüber nachgegangen. Dr. med. Hans-Ulrich Kallius (geboren 1900), Assistent Coenens und Mitglied der NSDAP seit dem 1. April 1933, hatten die beiden Aktivisten unterstellt, dass er mit der Sekretärin von Gross in einem Krankenbett auf seiner Station sexuell verkehrt hätte. Infolge dieser Beschuldigung zog Coenen die gerade eingereichte Habilitation Kallius’ zurück und entließ ihn. Während der Anhörungen stellte sich heraus, dass dieses Gerücht nicht haltbar war. Kallius wurde, so wünschte es auch die „nationalsozialistische Gauleitung“, zum 10. November 1933 wieder eingestellt. Danach war er noch „bis zu seiner Anfang des Jahres 1934 erfolgten Einberufung zum Arbeitslager“ an der Chirurgischen Klinik tätig.232 Zudem wurde gegen Josef Beaufays, Assistent in der Frauenklinik und ebenfalls NSDAP-Mitglied (1. Mai 1933), am 6. Februar 1934 ein Ermittlungsverfahren auf Antrag des Wissenschaftsministers eingeleitet. Benecke und Klostermeyer beschuldigten ihn, Christine Weber ein Abtreibungsmittel gespritzt zu haben. Obgleich er dies bestritt und keinerlei Beweise gegen ihn vorlagen, legte der Berliner Ministerialrat ihm nahe, seine Stelle an der Universitätsklinik aufzugeben. Dem widersetzte sich Esch. Im „Interesse der Klinik“ wäre es sehr bedauerlich, „wenn er [Beaufays] gehen müsste, zumal die Klinik in nächster Zeit einen sehr starken Assistentenwechsel hat, den ich nicht verhüten kann. Der Oberarzt, 4-jähriger Frontkämpfer, kann infolge des Arier-Paragraphen nicht verlängert werden; der kommandierte Stabsarzt verlässt am 1. Oktober nach vollendeter Fachausbildung die Klinik und der 1. Assistent (Dr. Gymnich) sucht nach einer Niederlassungsmöglichkeit. Es bleibt dann nur der neu ernannte Oberarzt als völlig ausgebildeter Facharzt übrig.“233

Beaufays durfte bleiben. Er habilitierte sich im November 1937. Ein knappes Jahr später verließ er die Medizinische Fakultät und übernahm in Arnsberg die Leitung der Städtischen Frauenklinik. Ihm war – so Peter Esch in einem Leumundzeugnis – wegen fehlender Teilnahme an einem NS-Schulungslager eine Dozentur nicht zugesprochen worden.234 231 232 233 234

GStA, I. HA Rep. 76, Va, Nr. 10689, Bl. 201–202: Brief Esch an Schnoering vom 6.12.1933. Ebd., Bl. 14–18: Vernehmungsprotokoll von Coenen vom 26.2.1934. Ebd., Bl. 176. LAV NRW R, Bestand NW 1093/4097: Leumundszeugnis von P. Esch vom 29.10.1948. Beaufays, geb. am 28.10.1904 in Werne an der Lippe, katholisch, wurde als „entlastet“ (Kategorie V) im Entnazifizierungsverfahren eingestuft, weil er „gegen Ende des Krieges unter eigener Lebensgefahr durch die Kampflinie zum amerikanischen Abschnittskommandanten gegangen ist, um die Stadt Arnsberg vor der drohenden Beschießung zu bewahren. Seine Bemühungen haben wesentlich dazu beigetragen, weitere Kriegseinwirkungen von der Stadt Arnsberg fernzuhalten.“ Ebd.: Entnazifizierungs-Hauptausschuss

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Die „Quertreiber“, jene selbsternannten „Saubermänner“, die Gross in den Tod getrieben hatten, waren entlassen worden. Sie hatten Münster verlassen, Klostermeyer wurde 1934 an der Medizinischen Fakultät noch promoviert.235 Die „Affäre Gross“ war für keinen der drei ein Stolperstein auf ihren weiteren Karrierewegen. Aus der Sicht Beneckes waren sie entsprechend Schnoerings Untersuchungsergebnis, „dass gewisse Vorwürfe, die in bestimmten Universitätskreisen Münsters gegen die drei Institutsassistenten im Zusammenhang mit der Aufklärung der Missstände erhoben worden waren, hinfällig seien,“ rehabilitiert.236 Den Mediziner und Chemiker Hackmann, der sich von den beiden Aktivisten nach der Entlassung von Christine Weber distanziert hatte, holte Domagk als akademischen Mitarbeiter nach Wuppertal. Dort war er ausschließlich in der Krebsforschung bis zu seiner Ruhestandsversetzung 1964 tätig. Wilhelm Klostermeyer ging 1935 als Assistent an die 1. Medizinische, 1936 an die Chirurgische Klinik der Universität Hamburg. 1941 erhielt er die Dozentur für Chirurgie. Karriere machte er auch in der SS. Hier avancierte er 1936 zum Oberscharführer. Nach seiner Entnazifizierung, bei der er über seine SS-Mitgliedschaft falsche Angaben machte, führte er die chirurgische Abteilung der Städtischen Krankenanstalten Aachen bis zur Gründung der Universitätsklinik. Dort wurde er als Abteilungsleiter übernommen, 1970 wissenschaftlicher Rat und Professor.237 Erich-Emil Benecke kam im Januar 1934 am Pathologischen Institut der Universitätsfrauenklinik Berlin unter, um eine Sonderausbildung in gynäkologischer Pathologie zu absolvieren. Ab Mai 1934 war er wissenschaftlicher Assistent am Pathologischen Institut der Universität Greifswald,238 ab Dezember 1937 am Pathologischen Universitätsinstitut Rostock. Dort habilitierte er Ende 1937 und wurde zwei Jahre später Dozent. Im Zweiten Weltkrieg war Benecke als Beratender Pathologe in Südosteuropa tätig und avancierte zu einem „der erfolgreichsten Kriegspathologen.“239 Nach seiner Entlassung 1944 kehrte er nach Rostock zurück und übernahm die Leitung des Amtes Personal und Nachwuchs beim NS-Dozentenbund. Zugleich wurde Benecke zum außerplanmäßigen Professor für Pathologie

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des Kreises Arnsberg 19.11.1948. Wir danken Gesa Sebbel und Maja Dattinger für ihre Unterstützung bei der Recherche der Entnazifizierungsunterlagen sowie Dr. Jens Niederhut vom Landesarchiv Nordrhein-Westfalen für seine Unterstützung. UAMs, Bestand 54, Nr. 350. GStA, I. HA Rep. 76, Va, Nr. 10688 (Pathologisches Institut der Universität Münster, 1915–1940), Bl. 258: Brief Benecke, Rostock, an Oberregierungsrat Casper, Berlin, vom 16.5.1935. Ähnlich sah das auch der Reichsfachschaftsleiter Klein. Er – so Vieten 1982, S. 261 – verwies darauf, dass nach Schnoering die drei Assistenten keinesfalls durch die „ungerechtfertigte fristlose Entlassung“ Schaden nehmen sollten. Kühl 2011, S. 104ff. 1973 wurde Klostermeyer in den Ruhestand versetzt. Diese Stelle wurde von der „Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft“ finanziert. Buddrus/Fritzlar 2007, S. 67. So 1944 die Einschätzung von Max de Crinis (1889–1945) als Mitglied des wissenschaftliches Beirats des Bevollmächtigten für das Gesundheitswesen. Zit. in: Buddrus/Fritzlar 2007, S. 68 (Fn. 6).

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ernannt.240 In seiner Erklärung im Zuge der Entnazifizierung nahm er keinerlei Bezug auf seine Rolle in der „Affäre Gross“, betonte jedoch: „[Ich bemühte mich] während der ganzen Zeit meiner Zugehörigkeit zur ehemaligen NS-Partei, alle ungünstigen parteipolitischen Einflüsse von meinem Wirkungskreis fernzuhalten.“241

Das Pathologische Institut in Münster verwaiste inzwischen nicht. Aus Leipzig kam der nichtbeamtete außerordentliche Professor Fritz (Friedrich) Klinge242 und übernahm am 6. November 1933 die kommissarische Leitung des Instituts.

Der Suizid von Paul Krause Doch die an die Medizinische Fakultät zurückgekehrte Ruhe täuschte. Keine fünf Monate nach dem Suizid Gross’ riefen die Studierenden zu Boykottaktionen gegen den Internisten Paul Krause auf. Diese vom Reichsärzteführer und seinem Münsterschen Adlaten, Oberarzt an der Medizinischen Klinik Krauses, (mit)initiierten Aktionen einer „Revolution von oben“ wurden vom Führer der Dozentenschaft und der Gauärzteschaft Westfalens unterstützt. Eine wahrhafte Rufmordkampagne führte dazu, dass sich Krause am 7. Mai 1934 im Wald von Frücht bei Bad Ems vor der Gruft des von ihm verehrten Freiherrn vom Stein (1757–1831) erschoss. Paul Krause, Direktor der Medizinischen Klinik und Pionier der Röntgenologie, geriet 1933 in Konflikt mit dem NS-Staat. Als ein leidenschaftlicher Gegner einer Rückkehr der um die Mitte des 19. Jahrhunderts verbannten „Feldschere“ und „Wundärzte“ führte er den Kampf gegen die „Kurpfuscherei“ seit über 30 Jahren. Obgleich Krause 1933 mit dieser Position keineswegs allein stand, geriet er auf Kollisionskurs zum neuen Staat.243 Als ein deutsch-national eingestellter Mediziner sah er sich verpflichtet, den Entwurf für ein Heilpraktikergesetz und damit „ein 240 241

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Ebd., S. 67f. Landesarchiv NRW, Abteilung Rheinland, Bestand NW 1015/9464: Erklärung Beneckes vom 14.10.1946. Benecke, wohnhaft in Oberhausen, wurde mit der Kategorie IV entnazifiziert. Danach verlieren sich seine Spuren. Seine Frau schrieb nach seinem Tod aus Köln an die Universität. UAMs, Bestand 10, Nr. 771: Brief Frau Benecke an Universitätskasse vom 8.4.1961. Klinge, geb. am 8.11.1892 in Peine/Hannover, wurde 1919 in München promoviert. Nach der Habilitation 1927 in Leipzig wurde er dort 1932 zum nbao. Professor ernannt. Von Münster ging er 1941 an die Universität Straßburg. Ab 1946 war er o. Professor an der Universität Mainz. Er starb am 21.6.1974 in Budenheim. Klee 2003, S. 316; Wechsler 2005, S. 138f. Van den Bussche 1989, S. 193ff.; Sievert 1996, S. 136ff. Im Juli 1933 war bereits ein Rundschreiben an alle Medizinischen Fakultäten ergangen, in dem die dringende Bitte geäußert wurde, von jeder Stellungnahme zum Heilpraktikergesetzesentwurf Abstand zu nehmen. Das stieß z.B. an der Medizinischen Fakultät der Universität Bonn auf große Empörung. Forsbach 2006, S. 477f.

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nationales Unglück“ abzuwenden. Damit geriet er ins Visier des Reichsärzteführers Gerhard Wagner (1888–1939).244 Der Führer des „Nationalsozialistischen Deutschen Ärztebundes“ (NSDÄB) und ab Mai 1934 bis zu seinem Tod 1939 „Vertrauensmann der NSDAP für alle Fragen der Volksgesundheit“ im Stab Rudolf Heß (1894–1987) begegnete Krauses Kritik mit einem Frontalangriff. Im Oktober 1933 sah Krause die Notwendigkeit innerhalb der westfälischen Ärzteschaft auf den Aufruf der Reichsärzteführers, „biologische Heilverfahren“ für „Ausbildung und Fortbildung der Ärzte dienstbar“ zu machen,245 zu reagieren. Krauses Initiative fand Sympathie beim Vorsitzenden der „Ärztekammer der Provinz Westfalen“, Geheimer Sanitätsrat Dr. Wilhelm Hansberg (geboren 1853): „Über die mir heute zugegangene Mitteilung betr. beabsichtigte Gleichschaltung der Ärzte mit den Heilpraktikern bin auch ich sehr betrübt. Ich werde heute Abend, wo eine Sitzung des engeren Kammervorstandes stattfindet, den Herren von Ihrem Schreiben in Kenntnis geben. Vorläufig wird sich allerdings wohl wenig machen lassen, aber Gottes Mühlen mahlen langsam.“246

Einem anderen Gleichgesinnten, Sanitätsrat Baumeister, schrieb Krause Anfang Dezember 1933 privat, dass er sich dafür ausspreche, dass die deutschen Ärzte dem „Führer Dr. Wagner ihr Misstrauen aussprechen.“ Er selbst habe bereits an der Medizinischen Fakultät „mobil gemacht“ und persönlich an „Herrn Löhr, Bielefeld, den obersten SA-Gruppenführer geschrieben […] Es besteht die Absicht, eine Ärzteversammlung der SA-Ärzte nach Bielefeld einzuberufen. Herr Dr. Löhr hat die Möglichkeit einer direkten Fühlungsnahme mit Herrn Reichskanzler Hitler. Ich würde es sehr begrüßen, wenn auch die Ärzte des Landkreises Münster einen geharnischten Protest senden würden und zwar 1. an die Ärztekammer, 2. an den Hartmannbund und Ärztevereinsverband, 3. an den Führer der Ärzteschaft, Herrn Dr. Wagner, Berlin, Reichsministerium des Innern bezw. München.“247

244

245 246 247

Zur Synthese von Schulmedizin und Naturheilkunde Wagners siehe Kater 2000; Sievert 1996; van den Bussche 1989. S. 193ff.; Haug 1985; ders. 1989. Unterstützt von Heinrich Himmler (1900–1945), Reichsführer-SS, und Rudolf Heß gründete Wagner die „Akademie für Gesundheitsbeamte“ (1933), eine bayerische Fortbildungsakademie in München (1934), das „Rudolf-Hess-Krankenhaus“ (Juni 1934, später „Gerhard-Wagner-Krankenhaus“) in Dresden und die „Reichsarbeitsgemeinschaft für Neue Deutsche Heilkunde“ (1935, aufgelöst 1937). Haug 1989, S. 124ff.; Maibaum 2007, S. 40; Sievert 1996, S. 151. Zit. in Haug 1989, S.124f. Der Aufruf Wagners erschien im „Deutschen Ärzteblatt“ 63 (1933). Universitäts- und Landesbibliothek Münster: Nachlass Paul Krause, Kps. 3, Nr. 118: Brief Hansberg an Krause vom 6.10.1933. GStA, I. HA Rep. 76, Va Sekt. 1 Tit. IV 17 Beiheft, Bl. 3: (Abschrift) Brief Krause an Baumeister vom 1.12.1933. Siehe auch Vieten 1982, S. 265f.

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Dieser Brief geriet – keineswegs absichtlich248 – in die Hände des Gau-Obmanns des NSDÄB Westfalen-Nord, Fritz Vonnegut249 (1869–1941). Er leitete ihn unverzüglich an das Wissenschaftsministerium mit der Bitte um „schärfstes Einschreiten“ gegen den Hochschullehrer Krause sowie an den Reichsärzteführer Wagner weiter.250 Zuvor hatte Wagner im „Deutschen Ärzteblatt“ (5. Dezember 1933) eine Erklärung – seine Reaktion auf ein Protestschreiben gegen den Gesetzesentwurf der Medizinischen Fakultäten unter Federführung der Berliner Fakultät – veröffentlicht, in der er sich „als der allein verantwortliche Führer der Deutschen Ärzteschaft jegliche Einmischung oder gar Kritik“ an dem Entwurf des Heilpraktikergesetzes „von Leuten verb[at], die durch ihre Haltung klar beweisen, daß sie […] keine Nationalsozialisten sind.“ Er drohte gegen derartige Störungsversuche „mit aller Schärfe nach staatspolitischen Grundsätzen und Übungen vor[zu]gehen […]. Insonderheit sei dies gewissen Hochschulkreisen gesagt, die es für nötig erachten, sogar die junge Medizinerschaft für ihre reaktionären und damit staatsfeindlichen Pläne vor ihren Wagen spannen zu wollen.“251

Den Privatbrief Krauses an Baumeister in der Hand schrieb Wagner am 7. Dezember 1933 an den Kritiker und ersuchte ihn, „[a]bgesehen davon, dass es mir herzlich gleichgültig ist, ob Sie oder Gesinnungsgenossen von Ihnen mir Ihr Misstrauen aussprechen, ich vielmehr als Nationalsozialist dies letzten Endes nur als Beweis der Richtigkeit meines Vorgehens werten kann“,

jede Sabotage zu unterlassen. Zugleich verlangte er wegen Hetze „in übelster Weise“ Krauses Absetzung. 252 Krause, der darin eine „tödliche Beleidigung“ sah, beantragte ein Disziplinarverfahren gegen sich selbst. 248

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250 251

252

UAMs, Bestand 10, Nr. 218, Bd.1: (Abschrift) Brief Baumeister an Krause vom 7.12.1933. Hier berichtet Baumeister von „einer unverzeihlichen Unvorsichtigkeit“. Er hatte Vonnegut u.a. Krauses Brief auf einer Versammlung gezeigt. Den hatte Vonnegut an sich genommen und dann beim vorzeitigen Verlassen der Versammlung nicht zurückzugeben. „Ich hatte geglaubt, als College zum Collegen zu sprechen, sehe aber, dass das heute veraltet ist. Es ist mir ausserordentlich peinlich, dass ich unabsichtlich und unerwartet durch eine Ungeschicklichkeit, die ich in bester Absicht beging, Ihnen wahrscheinlich grosse Ungelegenheiten bereitet habe.“ Ebd. Vonnegut, geb. am 20.9.1869 in Münster, war Sanitätsrat und Allgemeinmediziner. Er, seit 1931 NSDAP-Mitglied, war Mitbegründer und Vorsitzender des NS-Ärztebundes Münster. 1936 figurierte er als Leiter des Gauamtes für Volksgesundheit, 1937 der DAFAbteilung Gesundheit. Er starb am 25.7.1941. Süß 2003, S. 478; Klee 2003, S. 645. Vieten 1982, S. 266. UAMs, Bestand 10, Nr. 218, Bd. 1; Schreiben Krause an stellv. Kurator der Universität Münster vom 11.12.1933 – Abschrift aus „Deutsches Ärzteblatt“, 63. Jg., Nr. 24, 9.12.1933; van den Bussche 1989, S. 194. UAMs, Bestand 10, Nr. 218, Bd. 1: (Abschrift) Brief aus dem Büro des Stellvertreters des Führers (gez. Wagner) an Krause vom 7.12.1933.

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„Ich fühle mich in meiner Ehre als deutscher Volksgenosse, als alter Sanitätsoffizier, als alter Student, als Hochschullehrer auf das tiefste verletzt. Ich beteilige mich seit mehr als 30 Jahren an dem Kampf gegen die Kurpfuscherei.“253

Dabei wies er als nicht tragbar den „Angriff des Herrn Dr. Wagner auf die Hochschullehrerschaft und auf die Studentenschaft […] mit grösster Entrüstung“ zurück.254 Der stellvertretende Kurator der Universität sah in dem öffentlichen Bekenntnis des Professors gegen den Heilpraktikergesetzesentwurf keine dienstliche Verfehlung. Er empfahl dem Minister, auch im Hinblick auf eine Beruhigung an der Medizinischen Fakultät, in diesem Sinne Krauses Antrag auf ein Disziplinarverfahren gegen sich selbst abzuweisen.255 Eine Antwort des Ministeriums erhielt Krause vorerst jedoch nicht, geschweige denn Unterstützung. Unterstützt wurde Krause hingegen von Wilhelm Hansberg. Der sprach in Berlin zu Gunsten des Internisten vor und war überzeugt davon, „dass unangenehme Folgen“ für ihn nicht entstehen.256 Anders war die Einstellung von Partei und SA in Westfalen und in der Gauärzteschaft sowieso. Sie forderten von Rust die Absetzung Krauses – ein „unliebsamer Zentrumsmann und ausserdem untüchtig“257 – als Hochschullehrer. Auch wussten sie einen Nachfolger – Hanns Löhr258 (1891–1941), Alt-Parteigenosse und SA-Gruppenarzt – für den Lehrstuhl zu benennen. Dem Vorschlag folgte auch der sich Mitte Januar 1934 mit der „Sache Krause“ befassende „NS-Vorbereitende Ausschuss für die Angelegenheit der Universität Münster“. Löhr, der zwar seit seiner Zeit als „Kämpfer“ nicht mehr wissenschaftlich gearbeitet hatte, drängte es nach Veränderung, er wäre eo ipso ein geeigneter Nachfolger Krauses.259 Krause selbst bekam längst die ihm parteiamtlich angedrohten Folgen zu spüren. Sein Oberarzt Robert Gantenberg, der von Wagner zum Vertrauensmann der Reichsleitung der NSDAP bei der Medizinischen Fakultät ernannt worden war, machte zusammen mit der Studentenschaft Stimmung gegen seinen Chef. 253 254 255 256 257 258

259

GStA, I. HA Rep. 76, Va Sekt. 1 Tit. IV 17 Beiheft, Bl. 6: Brief Krause an stellv. Kurator vom 13.12.1933. Ebd., Bl. 12: Brief Krause an stellv. Kurator vom 11.12.1933. Ebd., Bl. 10: Brief stellv. Kurator an Kultusminister vom 12.12.1933. Universitäts- und Landesbibliothek Münster, Nachlass Paul Krause, Kps. 2, Nr. 29a: Brief Hansberg an Krause vom 22.12.1933. GStA, I. HA Rep. 76, Va Sekt. 1 Tit. IV 17 Beiheft, Bl. 123: Schreiben SA der NSDAP. Der Führer der Gruppe Westfalen, Dortmund, an Wissenschaftsminister Rust vom 2.1.1934. Löhr legte nach Kriegseinsatz sein medizinisches Staatsexamen 1919 in Kiel ab. Nach der Promotion (1920) und Habilitation (1925) wurde er Klinikchef in Bethel (Krankenhaus Sarepta). Löhr, der am 1.3.1931 in die NSDAP eintrat, war vor 1933 Kreisleiter der NSDAP in Bielefeld. Er wurde nach Kiel berufen, wo er 1935 als Dekan der Medizinischen Fakultät figurierte. Löhr war SD-Mitglied und hatte den SS-Rang eines Oberführers, später war er Brigadeführer. http://www.aleph99.org/etusci/ks/t2a7.htm, Zugriff: 2.1.2011; Schmuhl 1998, S. 29ff. Siehe auch Ratschko 2010, S. 142f. GStA, I. HA Rep. 76, Va Sekt. 1 Tit. IV 17 Beiheft, Bl. 123: Brief SA der NSDAP, Führer der Gruppe Westfalen an den Wissenschaftsminister vom 2.1.1934; Vieten 1982, S. 268.

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Die Medizinische Fachschaft und die Klinikerschaft unter Leitung von HannsDieter Sinn boykottierten erfolgreich die Vorlesungen Krauses. Zum Boykott hatte Sinn, ein Neffe Löhrs, mit einem Aushang ausgerufen, in dem er die gesamte Klinikerschaft aufforderte, „wie eine einzige geschlossene Front da[zu]stehen! Überläufer und Verräter gibt es nicht.“260 Es kursierte das Gerücht, dass Krause seinen Ruf nach Münster nur erhalten habe, weil er Katholik sei. Ihm wurde vorgeworfen, dass er die unentgeltliche Abgabe von überflüssigem Klinikessen an SA-Männer verhinderte, die Einrichtung des SA-Sanitätssturms nicht förderte und den SA-Dienst seiner Assistenten und Wärter erschwerte. Die Studentenschaft monierte Krauses Unterricht aufgrund vorgeblich „ewiger Wiederholungen“ und „überflüssiger Nebensächlichkeiten“.261 Krause sprach vergeblich bei Rust vor und suchte gegen die studentische Mobilmachung Unterstützung beim Reichsinnenminister Wilhelm Frick (1877–1946). Der bedauerte lapidar, in der Angelegenheit nichts tun zu können.262 Die Befriedungsversuche des Rektors scheiterten, auch eine Erklärung zugunsten Krauses seitens der Ordinarien263 nutzte nichts. Die Klinikerschaft boykottierte weiter, disziplinarische Maßnahmen gegen die Anführer der Boykottmaßnahmen halfen nicht. Reichsärzteführer, der NSDÄB Münster, die SA Münster wie die Dozentenschaft unterstützten „die Forderungen der Studentenschaft bezüglich Ausschaltung Herrn Geheimrats Dr. Krause als Lehrer der Münsterschen Universität.“264 Der Dozentenschaftsleiter Walter Grävinghoff, seit 1925 Oberarzt an der Kinderklinik und frisch ernannter nichtbeamteter außerordentlicher Professor, rechtfertigte den gewaltsamen Boykott, da das Urteil über Krauses „wissenschaftliche und Lehrbefähigung […] ein […] eindeutig negatives war. Wenn daher, […], eine Reihe Ordinarien der Med. Fakultät unter Führung von Prof. Rosemann in einer Entlastungsschrift für Geh.[Rat] Krause versucht haben, diese Mängel des Unterrichts auf eine berufliche Überlastung zurückzuführen und überhaupt die Beschwerden der Medizinerschaft zu verharmlosen, so muss mit allem Nachdruck darauf hingewiesen werden, dass dieser Versuch im krassen Gegensatz zu dem von den einzelnen Herren bekanntgewordenen abfälligen Äusserungen über die Person von Geh.[Rat] Krause als Wissenschaftler und Lehrer steht. So ist es z.B. eine von Ordinarien gern weitergetragene, unter den Studenten übliche Äusserung, dass sie ‚innere Medizin‘ nicht bei Krause sondern bei dem Kinderpolikliniker Prof. Vogt lernen.“265

260 261 262

263 264 265

Zit. in Vieten 1982, S. 270. Heiber 1991, S. 177. Alle diese Vorwürfe entsprachen mitnichten der Wahrheit. GStA, I. HA Rep. 76, Va Sekt. 1 Tit. IV 17 Beiheft, Bl. 126: Brief Krause an Frick vom 10.2.1934; ebd., Bl. 125: Mitteilung des persönlichen Referenten des Innenministers an das Wissenschaftsministerium vom 14.2.1934. Heiber 1991, S. 177. Siehe Hörster-Philipps/Vieten 1980, S. 97. GStA, I. HA Rep. 76, Va Sekt. 1 Tit. IV 17. Beiheft, Bl. 137: Mitteilung Leiter der Studentenschaft an stellv. Kurator der Universität vom 21.2.1934. Ebd., Bl. 134ff. (Anlage zu Bl. 133: Schreiben Grävinghoff an Rust vom 21.4.1934).

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Robert Gantenberg warf Krause vor, sich nicht „rückhaltlos auf den Boden des nationalsozialistischen Staates“ zu stellen, sich formal-bürokratisch den Wünschen der Bewegung zu widersetzen. Krause hätte Maßnahmen der NSDAP, des Ärztebundes, der SA-Führung, zuletzt auch der Dozentenschaft und des Reichs-SAHochschulamtes „passiven Widerstand entgegengesetzt.“266 Krause erwehrte sich mit ausführlichen Stellungnahmen gegen die Vorwürfe.267 In dieser hochemotionalen Aufruhrsituation, bei der im Unterschied zur „Affäre Gross“ aus Berlin niemand zum Zwecke der „Befriedung“ der Studierendenschaft nach Münster gesandt wurde, riet Rektor Naendrup Krause Ende des Wintersemesters 1933/34 freiwillig Urlaub zu nehmen. So hoffte er, vor Beginn des Sommersemesters Ruhe innerhalb der Medizinischen Klinik wie der Fakultät wieder herzustellen. Im April 1934 erreichte Krause dann die abschlägige Antwort des Ministers auf sein Gesuch der Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen sich selbst. Der Minister missbilligte jedoch Krauses vermeintliche Polemik und „offene Kritik an Äußerungen von Regierungsmitgliedern“ und erwartete zukünftig eine diesbezügliche Zurückhaltung.268 Krause reichte am 3. Mai 1934 sein Emeritierungsgesuch ein. Vier Tage später erschoss er sich im Wald von Frücht. In seinem Testament hinterließ er die handschriftlichen Zeilen „Mein letzter Gedanke gilt meinem Vaterlande, dem heißgeliebten; ich habe treue Arbeit und Dienste ihm geleistet. Gott schütze es in seiner Not. Gott schütze die deutschen Universitäten und ihre Lehrer, möge der furchtbare terroristische Druck, die Verfolgung, welche ungerecht und überflüssig ist, aufhören. Einem ehrerbietigen Gruss dem Vater des Vaterlandes, dem großen Feldherrn von Hindenburg und seinem Kanzler, möchten sie bald die irrsinnige Verfolgung der Hochschullehrer abblasen.“269

Wie an der Universität respektive Medizinischen Fakultät führte die „Verzweiflungstat Krauses […] zu erheblichen Verwerfungen im Münsterland. Man war erschüttert und verlegen.“270 Anfragen der Presse an die Universität wurden mit der Bitte abgewehrt, dass man auf die Entscheidung des Rektors warten möge.271 Der Nachruf des Rektors hob dann die Verdienste Krauses um die Wissenschaft und die Medizinische Fakultät hervor:

266 267 268 269 270 271

UAMs, Bestand 4, Nr. 216, Bl. 16f.: Erklärung Gantenbergs vom 21.2.1934. Luther 1967. Ebd., Bl. 18–20: Erklärung Krauses vom 22.2.1934. Heiber 1991, S. 177; Luther 1967; Vieten 1982, S. 271f. UAMs, Bestand 10, Nr. 218, Bd. 1: Mitteilung des Kultusministeriums an Krause vom 6.4.1934. GStA, I. HA Rep. 76, Va Sekt. 1 Tit. IV 17 Beiheft, Bl. 193: 20.2.1934. Heiber 1991, S. 178. UAMs, Bestand 207, Nr. 5, Bl. 209: Schreiben Nachrichtenstelle der Universität Münster an Rektor vom 12.5.1934.

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„Er war ein hervorragender Gelehrter, ein edler und gütiger Mensch, ein Mann von treudeutscher Gesinnung. Bahnbrechend war seine Forschertätigkeit bezüglich der medizinischen Verwendung von Röntgenstrahlen.“272

Der Schock war groß, doch keiner wollte es gewesen sein. Baumstark zeigte sich erschüttert, Gauamtsleiter Meyer suchte anderswo die Verantwortlichen und lehnte nun als Nachfolger Krauses sowohl Löhr als auch Gantenberg ab.273 Zwischenzeitlich war Schnoering nach Münster geschickt worden. Gegen seine jetzt hier vollzogene Suspendierung des Dozentenschaftsführers Grävinghoff protestierte Wagners Adlatus, der Dermatologe und Hochschulreferent Franz Wirz (1889–1962).274 Dem begegnete man aus dem REM: „Das Verhalten des Prof. Grävinghoff, der Nichtnationalsozialist, dagegen Stahlhelmer und bis vor ca. einem Jahr Freimaurer war, und der offensichtlich das Bestreben hat, 150%ig zu erweisen, daß er auf dem Boden des Nationalsozialismus steht, erscheint nach den bisherigen Ermittlungen nicht einwandfrei, sodaß es im Interesse einer ordnungsgemäßen Verwaltung angezeigt erschien, ihn vorläufig seines Dienstes als Assistent zu entheben. Nach dieser Auffassung ist Grävinghoff als Dozentenführer in keiner Weise mehr tragbar […]“275

Im Wissenschaftsministerium wurde der „tragische Ausgang“ der „Sache Krause“ als ein schwerer Schlag für die nationalsozialistische Bewegung auf dem politisch schwierigen westfälischen Boden beurteilt.276 Demgegenüber hatten die Münchener „Parteimediziner“ beim Opfer der Rufmordkampagne Paul Krause durch ein graphologisches Gutachten „gehirnarteriosklerotische Veränderungen, Altersdemenz oder dgl. Abbauerscheinungen“ diagnostizieren lassen.277 Den beiden Oberärzten – ähnlich wie in der „Affäre Gross“ – schadete ihr Aktivismus gegen Krause nicht. Grävinghoff war zwar seiner Parteimitgliedschaft278 und seiner „Führerposition“ in der Dozentenschaft verlustig geworden, wurde jedoch drei Monate nach seiner Suspendierung wieder eingestellt.279 Er wechselte im April 1937 zur Universität Halle/Saale. Robert Gantenberg, der sich 1934 in der

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276 277 278 279

Ebd.: Nachruf vom 11.5.1934 im Münsterschen Anzeiger. Siehe auch Wohlenberg 1934. GStA, I. HA Rep. 76, Va Sekt. 1 Tit. IV 17 Beiheft, Bl. 194f.: Schreiben Gauleiter Westfalen-Nord an den Staatssekretär Stuckart vom 15.5.1934. Ebd., Bl. 203: Telegramm Wirz an Wissenschaftsministerium vom 18.5.1934. Ebd., Bl. 204f.: Schreiben Vahlen an Wirz vom 19.5.1934. Siehe auch UAMs, Bestand 4, Nr. 216, Bl. 21: Schreiben stellv. Kurator an Direktor der Universitätskinderklinik vom 16.4.1934. Heiber 1991, S. 179. UAMs, Bestand 10, Nr. 218, Bd. 1: (Abschrift) Gutachten aus Bonn vom 19.6.1934. Heiber 1992, S. 179. Seine Parteimitgliedschaft wurde wegen Zugehörigkeit zu einer Freimaurerloge im April 1934 rückgängig gemacht. Eberle 2002, S. 323. UAMs, Bestand 9, Nr. 1447 (Ehrenangelegenheit: Gantenberg-Keller), Bl.7: Schreiben Schnoering an stellv. Kurator der Universität vom 10.7.1934; ebd., Bestand 5, Nr. 70, Bd. 1 (Grävinghoff): Schreiben Kurator an Dekan der Medizinischen Fakultät vom 15.4.1937.

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„Ehrenangelegenheit Gantenberg-Keller“280 verfangen hatte, ernannte der Minister im April 1935 zum nichtbeamteten außerordentlichen Professor. Zwei Jahre später ging er ans Berliner Rudolf-Virchow-Krankenhaus als leitender Arzt der 2. Inneren Abteilung. An der Berliner Universität wurde er nach der Umhabilitation 1939 zum außerplanmäßigen Professor ernannt.281 Als Führer der Dozentenschaft in Münster fungierte nun bis zu seinem Tod 1938 der Orthopäde Hermann Walter, seit 1933 Mitglied der NSDAP. Der Entwurf zum Heilpraktikergesetz wurde 1934 zurückgezogen, ein Heilpraktikergesetz erst im Februar 1939 erlassen.282 Anders als Krause befürchtet hatte, stärkte es jedoch keineswegs den Berufsstand der Heilpraktiker. Doch wurden durch die neue Studienordnung (April 1939) und die neue Bestallungsordnung (Juli 1939) Heilkräuterexkursionen und „natürliche“ Heilmethoden zu Pflichtveranstalten und zum Prüfungsfach für Mediziner(innen).283 Im „Fall Krause“ zeigte Wagner seinen Einfluss, innerhalb einer Medizinischen Fakultät – weitab von München – eine Rebellion zu mobilisieren. Hatten doch die Vertrauensdozenten der NSDAP an den Medizinischen Fakultäten im Januar 1934 ihre Vorbehalte gegenüber der älteren Generation der Hochschullehrer deutlich gemacht, der „Professorenschaft das Recht und den Anspruch auf die politische und weltanschauliche Führung“ abgesprochen.284 Die „Muskelspiele“ Wagners und Wirz’ etwa bei der Suspendierung Grävinghoffs unterstrichen gegenüber dem Wissenschaftsministerium ihre Macht als die „wahren“ Lenker der Geschicke der Medizinischen Fakultäten. Diese Fakultäten waren nach der Verfügung vom 6. September 1933 des Stellvertreters des Führers angewiesen, in Fragen der Studienreform und Lehrstuhlbesetzungen den Führer des NSDÄB zu konsultieren. Durch die Einrichtung der „Hochschulkommission der NSDAP“ (Juli 1934), als deren Geschäftsführer Wirz avancierte, gelang es dann 1934/35, maßgeblichen Einfluss auf die Lehrstuhlbesetzungen an den Medizinischen Fakultäten auszuüben.285 An der Medizinischen Fakultät Münster reichte dieser zur Berufung Viktor Schillings (1883–1960) als Nachfolger Krauses. 280 281 282

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UAMs, Bestand 9, Nr. 1447 (Ehrenangelegenheit Gantenberg-Keller). Wolfgang Keller war an der Universität Professor für Anglistik. Heiber 1991, S. 430. UAMs, Bestand 5, Nr. 63: Schreiben REM an Gantenberg vom 20.4.1935; ebd.: Schreiben Dekan der Medizinischen Fakultät an Rektor der Universität vom 18.3.1937. Das Gesetz wurde „Wiege und Grab“ für den Heilpraktikerstand zugleich. Es erlaubte nur 5.000 Heilpraktikern die Weiterausübung ihrer Tätigkeit und schloss die Ausbildung von Nachwuchs in diesem Beruf aus. Bereits 1936 waren im Rahmen des Vierjahresplans die Naturwissenschaften in der Medizin gestärkt worden. Wagners Tod 1939 brachte dann auch den Endpunkt der Synthesebestrebungen. Van den Bussche 1989, S. 196; Haug 1989, S. 129. Van den Bussche 1989, S. 194f.; Haug 1989, S. 129. Zit. in Thom 1993, S. 4. Dies suchte Rust abzuwehren. Er verkündete im Februar 1935 den Ländern, dass die gesamte Personalpolitik in seinen Händen liegt. Forsbach 2006, S. 29ff.; van den Bussche 1993, S. 26ff.

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Zunächst aber war man an der Medizinischen Fakultät Münster zu den Alltagsgeschäften zurückgekehrt. Gross’ Lehrstuhlnachfolge war geklärt. Die Besetzung des Lehrstuhls Krauses stand dringend an. Zudem musste die Verwaltung der Kliniken, die seit 1924 in den Händen Krauses gelegen hatte, neu geregelt werden. Eine diesbezügliche Reorganisation fand nicht statt,286 die Verwaltung übernahm der Ordinarius der Kinderheilkunde Hans Vogt.287

Personelle „Erneuerungen“ 1933 bis 1939 Den Neubesetzungen der beiden durch die Suizide vakanten Lehrstühle 1933/34 folgten 1936 beziehungsweise 1937/38 nach dem Reichsbürgergesetz drei weitere Neubesetzungen aufgrund der Zwangsruhestandsversetzung der Ordinarien für Pharmakologie, Ophthalmologie und Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde. Darüber hinaus waren 1934 und 1937 durch Weggang beziehungsweise altersbedingte Emeritierung die Lehrstühle für Dermatologie und Physiologie neu zu besetzen. Seit 1933 bis Anfang 1939 erhielten damit sieben der 15 Kliniken und Institute der Medizinischen Fakultät einen neuen Direktor (Tabelle 8). Dies „beschleunigte“ eine Verjüngung des (engeren) Lehrkörpers: Der Altersdurchschnitt der Direktoren der sieben Einrichtungen sank von 56 auf knapp 42 Jahre. Die Neuberufenen gehörten in der Mehrzahl der sogenannte Kriegsgeneration an, die – Ironie des Schicksals – Krause einst auf ihrem akademischen Karriereweg besonders gefördert wissen wollte. Auch die Nazifizierung der Medizinischen Fakultät wurde mit den Erneuerungen konsolidiert. Unter den Neuberufenen blieben der Ophthalmologe Oswald Marchesani und der Pharmakologe Ludwig Lendle ohne Mitgliedschaft in der NSDAP. Von den insgesamt 15 Ordinarien, zu denen der Anatom Eugen Kurz im November 1934 aufgestiegen war, und dem Direktor der Ohrenklinik, dem beamteten außerordentlichen Professor Loebell, waren 1939 vier Ordinarien, neben Marchesani und Lendle, der Gerichtsmediziner Többen und der Psychiater Kehrer,288 ohne NSDAP-Parteibuch. 286

287

288

In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass der stellvertretende Kurator, der parteilose Dr. Franz Peters (geb. 1867), eine Besetzung der Klinikverwaltung – wie an anderen Universitätskliniken üblich – mit einem Verwaltungsfachmann anstrebte. Dazu kam es nicht. Peters wurde (aus Altersgründen) durch Rittmeister a.D. Curt Beyer nach einem Ringen des Gauleiters Westfalen-Nord Alfred Meyer mit dem Wissenschaftsministerium ersetzt. Siehe BAB, R 4901/14260; Heiber 1992, S. 378ff. Zur Kuratorbesetzung siehe den Aufsatz von Kristina Sievers in diesem Band. Die Klinikverwaltung oblag Vogt bis zum Sommersemester 1944, dann übernahm sie bis Kriegsende der Orthopäde Peter Pitzen (1886–1977), seit 1941 Mitglied der NSDAP und förderndes Mitglied der SS von 1934 bis 1937. Zu Pitzen siehe Khalesi 2006; Oehler-Klein 2007, S. 618. Zu Többen siehe den Aufsatz von Julian Aulke und zu Kehrer den Aufsatz von Ioanna Mamali in diesem Band.

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Tabelle 8: Wechsel der Direktoren zwischen 1933 und Anfang 1939 Institut/Klinik Direktor Physiologisches Institut

Geb. jahr Rudolf Rosemann (ev.) 1870

Erich Schütz (ev.) Pathologisches Walter Gross (ev.) Institut Fritz Klinge PharmakoHermann Freund logisches (mosaisch) Institut Ludwig Lendle (ev.) Medizinische Paul Krause (kath.) Klinik Viktor Schilling (ev.) Augenklinik Aurel von Szily (kath.) Oswald Marchesani (kath.) Ohrenklinik Heinrich Herzog (kath.) Helmut Loebell (ev.) Hautklinik Alfred Stühmer (ev.) Julius Karl Mayr (kath.) Carl Moncorps (ev.)

NSDAP seit –

1902 1878 1892 1892

Tätigkeit an der Medizinischen Fakultät 1904–1937 Emeritierung (1936) 1937–1970 1933 Suizid 1934–1941 Ruf Straßburg 1935 Zwangsruhestand

1899 1871 1883 1880 1900

1936–1943 Ruf Leipzig 1934 Suizid 1934–1941 Ruf Rostock 1935 Zwangsruhestand 1936–1945 Ruf Hamburg

nein – 1933 – nein

1875

1937 Zwangsruhestand



1894 1885 1888

1938–1962 1934 Ruf Freiburg i. Br. 1934–1937 Ruf München

1937 1933 1933

1896

1937–1952

1937

1933 (u. SS) – 1936 –

Unter den neu berufenen parteitreuen Ordinarien befanden sich überzeugte nationalsozialistische Wissenschaftler wie der Physiologe Erich Schütz289 (1902–1988), der auch Mitglied der SS und des Hauptamtes für Volksgesundheit der NSDAP war, ebenso wie Opportunisten wie der von höchster Parteiebene protegierte Internist Viktor Schilling. Antisemitismus war unter den neuen Professoren tief verwurzelt. Schilling zum Beispiel profitierte von der radikalen Verdrängung jüdischer Kollegen aus den Berliner Universitätskliniken, Klinge profilierte sich mit antisemitischen Statements auf einem internationalen Kongress in Prag, wo er als Experte in Allergiefragen geladen war. Für den Pathologen war der Kongress „voll von unauslöschlichen erhebenden Eindrücken“ geprägt, die „ebenso in die Tiefen völkischnationalen Gefühlslebens vor[drangen], wie sie – in untrennbarem Zusammenklang damit – Höhepunkt wissenschaftlich-geistigen Lebens darstellten.“ Bei den abend289

Schütz, geb. am 6.9.1902 in Wesel, evangelisch, war nach der Promotion 1927 in Kiel Assistent beziehungsweise Oberassistent an den Physiologischen Universitätsinstituten unter Wilhelm Trendelenburg (1877–1946) in Tübingen und Berlin. Nach der Habilitation 1930 in Berlin erfolgte seine Ernennung zum nbao. Professor 1935. 1939 bis 1945 wurde er zum Luftfahrtmedizinischen Forschungsinstitut Berlin einberufen. Engelhardt 2002, S. 565. UAMs, Bestand 52, Nr. 352: Lebenslauf (ohne Datum). Über das Physiologische Institut behalten wir uns eine eigenständige Publikation vor.

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lichen Veranstaltungen etwa im „Deutschen Haus“ war für Klinge der Abend durch das Erscheinen „eine[r] beträchtliche[n] Zahl deutsch-völkischer Kollegen (d.h. keine Juden) […] erfrischend nach dem Eindruck der vorhergehenden Sitzung des ‚Deutschen Ärztevereins‘; denn von den 250 ‚deutschen‘ Ärzten sollen 240 Juden sein.“ Zutiefst erschütterte ihn der Bericht deutsch-völkischer Kollegen über die Berufungspolitik der tschechischen Regierung, die „alles dran setzt, bei freiwerdenden Lehrstühlen der Deutschen Fakultät Juden hineinzubringen, während die Tschechische Fakultät fast rein davon ist. Trotz dieser Widerstände ist es den Deutschen in der Fakultät gelungen, die Assistenten ihrer Kliniken allmählich aus den deutsch-völkischen Elementen zu ergänzen […].“

Selbstredend besuchte er seinen Fachkollegen an der deutschen Medizinischen Fakultät nicht, denn dieser war Jude, der „gegen den Willen der deutschen Fakultät der Nachfolger des vor 2 Jahren verstorbenen Prof. Ghon290 (Pathologische Anatomie) werden [soll].“291 In Münster hatte Klinge das Pathologische Institut, das nach der „Affäre Gross“ ohne angestelltes wissenschaftliches Personal war, zunächst kommissarisch geleitet. Als einziger Kandidat der Fakultät wurde er dann zum 1. März 1934 endgültig auf den Lehrstuhl berufen.292 Er führte Neuerungen im Unterricht ein und verschob die Forschungsausrichtung des Instituts entsprechend seinen Interessen auf die pathologische Anatomie und die allgemeine Pathologie des Rheumatismus sowie das Allergie-Problem.293 Klinge verließ 1941 Münster, um an die Reichsuniversität Straßburg zu gehen. Zunächst aber hatte Klinge das Münstersche Institut wieder arbeitsfähig gemacht, die vakanten Assistentenstellen besetzt.294 In den sieben Jahren seiner hiesigen Tätigkeit führte er die am Pathologischen Institut beschäftigten planmäßigen Assistenten – Reinhold Knepper295 (geboren 1907), Helmut Kaiserling296 (1906– 290 291 292 293 294

295 296

Anton Ghon (1866–1936), Pathologe. BAB, R/4901/2901, Bl. 184f.: Bericht Klinge an Reichsminister des Innern vom 3.3.1938. UAMs, Bestand 9, Nr. 335, Bl. a/163–a/167: Schreiben Dekan (Esch) der Medizinischen Fakultät an den Wissenschaftsminister vom 21.12.1933. Zu den wissenschaftlichen Leistungen Klinges siehe Keitel 2008. Über die unter Klinge arbeitenden apl. Assistenten liegen zumeist keine Personalakten vor. Zu erwähnen ist hier aber Erich Baumeister, geb. am 12.5.1906 in Hamborn am Rhein, der 1938 acht Monate als apl. Assistent bei Klinge arbeitete, zuvor bereits ein Jahr als Volontärassistent. Er promovierte am 4.1.1938 mit der Note „genügend“. Baumeister war vom 1.11.1936 bis zum 30.6.1937 Teilnehmer des vom Innenministerium und dem Rassenpolitischen Amt veranstalteten rassenhygienischen und erbbiologischen Ärzte-Kurs in Berlin-Dahlem. Er verließ Klinges Institut, weil er eine Anstellung an der Provinzial Heil- und Pflegeanstalt Marienthal erhalten hatte. UAMs, Bestand 10, Nr. 713: (Abschrift) Zeugnis von Klinge vom 1.8.1938. Knepper, geb. am 1.5.1907 in Münster, katholisch, wurde 1932 an der Universität Leipzig promoviert. Kaiserling, geb. am 6.4.1906 in Berlin, wurde 1934 in Königsberg promoviert. In Straßburg wurde er 1943 Extraordinarius. Er verstarb am 13.3.1989 in Tübingen. Wechsler

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1989) und Wilhelm (Karl) Eickhoff297 (1909–2002) – zur Habilitation (Tabelle 9). Während die beiden zuletzt Genannten Klinge nach Straßburg folgten, verließ Knepper 1937 Münster. Ihn hatte nach der Habilitation und der Probevorlesung 1936 das „Aus“ seines akademischen Karriereweges ereilt. Knepper, der „alles, was mit der Partei zusammenhing“ ablehnte,298 erhielt keine Dozentur. Er verweigerte die Teilnahme an ein Dozentenlager.299 Tabelle 9: Planmäßige Assistenten am Pathologischen Institut unter Fritz Klinge Reinhold Knepper (geboren 1907), kath. Helmut Kaiserling (1906–1989), keine Information zur Konfession Wilhelm (Karl) Eickhoff (1909–2002), kath.

Habilitation 1936 1937

NSDAP Nein 1.5.1937

Tätigkeitszeit 1934–1937 1934–1941

1939

1.5.1933

1935–1941

In der Münsterschen Zeit war Klinge kurz nach seiner endgültigen Berufung zudem als Dekan der Medizinischen Fakultät aktiv. In dieser Funktion hatte er die anstehende Nachfolge von Paul Krause und des Dermatologen Alfred Stühmer mitzuregeln. Die Regelung der Nachfolge des Dermatologen erwies sich als relativ einfach. Trotz kleinerer Unstimmigkeiten300 wurde zum 1. Oktober 1934 Julius Karl Mayr,301 ein ausgezeichneter Dermatologe, der zudem „vollständig auf dem Boden des na-

297

298 299 300

301

2005, S. 136f. Eickhoff, geb. am 26.4.1909 in Balve/Westf., katholisch, gilt als Schüler Klinges. Er errichtete nach Entlassung aus der Gefangenschaft im Mathias-Hospital in Rheine ein Privatlaboratorium für histologische Untersuchungen ein. 1949 erhielt er an der Medizinischen Fakultät eine apl. Professur. UAMs, Bestand 242, Nr. 94; ebd., Bestand 52, Nr. 257. UAMs, Bestand 4, Nr. 265a: (Abschrift) Brief Klinge an Siegmund vom 2.7.1946; ebd., Bestand 52, Nr. 257 (Wilhelm Eickhoff): Brief Eickhoff an Grundmann vom 5.2.1972. UAMs, Bestand 5, Nr. 101: (Abschrift) Schreiben Ministerium für Wissenschaft an Kurator der Universität Münster vom 29.8.1936. UAMs, Bestand 9, Nr. 335, Bl. a/175: Schreiben Naendrup an Gauleitung Westfalen-Nord der NSDAP vom 11.6.1935; ebd., Bl. a/178f.: Schreiben Stühmer an Reichsstattleiter Gauleiter Dr. Meyer vom 9.5.1934. Mayr, geb. am 21.8.1888 in Ansbach, habilitierte sich 1923 in München und wurde dort ao. Professor. 1933/34 vertrat nach der Entlassung Georg Alexander Rosts (1877–1970) im Frühjahr 1933 dessen Lehrstuhl in Freiburg i.Br., bis Stühmer ihn übernahm. Nach Krutmann 1987, S. 65f., eilte Mayr der Ruf, „ein unheimlicher Nazi“ zu sein, in Westfalen voraus. 1937 folgte er dem Ruf nach München, wo er bis 1946 als Direktor der Dermatologischen Universitätsklinik tätig war. Er starb am 3.11.1956 in München. Engelhardt 2002, S. 402. Zu seiner Entnazifizierung siehe Wiecki 2008, S. 523f.

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tionalsozialistischen Staates“ stand, berufen.302 Anders gestaltete sich die Berufung Viktor Schillings, ein „Eiertanz“, wie Hermann Freund festhielt: „Dann eine schlimme Fakultätssitzung, in der eine sehr ordentliche Internisten-Liste ‚beraten‘ wurde, die aber für die Katz ist, weil der NS. Ärztebund seinen Kandidaten empfohlen hatte, der zwar allen unerwünscht ist, bei dessen Beurteilung aber nunmehr ein beschämender Eiertanz aufgeführt wurde.“303

Die Berufung Viktor Schillings Gegenüber den Berufungen Klinges und Mayrs war die Nachfolgeregelung des Lehrstuhls Paul Krauses von Problemen begleitet. Die für die Einreichung im Juni 1934 vorgesehene Dreierliste der Medizinischen Fakultät schob der Dekan Klinge aufgrund der Intervention des Vertrauensmanns der NSDAP an der Medizinischen Fakultät, Robert Gantenberg, zunächst einmal auf. Gantenberg hatte ihn darauf verwiesen, dass der Wunschkandidat des Leiters des Amtes für Volksgesundheit (Wagner) Viktor Schilling war. Doch der Protegé Wagners, zu dieser Zeit gerade Leiter der IV. Medizinischen Klinik Berlin (Krankenhaus Moabit) geworden,304 war für Klinge ebenso für die verschiedenen Fachgutachter weitgehend ein Unbekannter. Dieser Umstand veranlasste Klinge, der sich als Dekan bei Wagner in der Pflicht sah, nochmals Gutachten einzufordern und dann selbst Stellung zu nehmen. Für Schilling – fasste der Dekan die sich widersprechenden Gutachten zusammen – sprachen seine „leidenschaftlich kämpfende Natur“ wie seine großen Erfahrungen nicht zuletzt bei „Reorganisation“ des (als „rot“ und „jüdisch“ gebrandmarkten)305 Moabiter Krankenhauses wie seine wissenschaftlichen Leistungen. Schillings Namen hatten „seine Untersuchungen auf dem Gebiet der Blutforschungen […] in der ganzen Welt bekannt gemacht.“ Das gebührte ihm zur Ehre, war aber leider sein einziges Arbeitsgebiet – zu wenig für eine Professur der Inneren Medizin. Zudem besaß Münster mit dem Leiter des Städtischen Clemens-Hospitals und Ho302

303 304

305

Hintergrund hierfür war, dass Rektor Naendrup und der Gauleiter Meyer versuchten, Stühmers Nachfolgewunschkandidaten – seinen Oberassistenten Paul Wilhelm Schmidt – zu lancieren. UAMs, Bestand 9, Nr. 335, Bl. a/170–a/174: Schreiben Dekan (Klinge) der Medizinischen Fakultät an Wissenschaftsminister vom 17.5.1934. Zur Hautklinik behalten wir uns vor, später einen eigenen Beitrag zu publizieren. Ähnlich war dies dann auch bei der Berufung Carl Moncorps (1896–1952) auf diesen Lehrstuhl 1937. Huhn/Kilian 2011, S. 190 (Brief Freund an Willy König vom 15.7.1934). Davor hatte Schilling nach der Emeritierung seines Chefs Wilhelm His (1863–1934) 1932 kommissarisch die I. Medizinische Klinik der Charité geleitet. Nach dem Sturm der SA auf die IV. Medizinischen Klinik (Moabiter Krankenhaus) am 1.4.1933 und der Entlassung Georg Klemperers (1865–1946) aufgrund seiner jüdischen Abstammung übernahm er im April 1934 dessen Lehrstuhl. Meisel 1999, S. 37ff.; Buddrus/Fritzlar 2007, S. 351ff. Zum Moabiter Krankenhaus, dem die Nationalsozialisten den Namen „Robert-KochKrankenhaus“ gaben siehe Pross/Winau 1984; Pross 1993; Wenske 2008, S. 98f.

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norarprofessor an der Medizinischen Fakultät, Josef Arneth, auf dem Gebiet der Blutforschung bereits jemand mit einem großen Namen. Um einer Einseitigkeit in Forschung und Lehre, die die Medizinerschaft vor kurzem noch gegen Krause rebellieren ließ, zu begegnen, bot Klinge als Kompromiss eine Berufung Schillings bei gleichzeitiger Einrichtung einer Poliklinik für Innere Medizin mit eigenem Lehrstuhl an. Mit einem solchem taktischen „Jein“ übersandte er die alte Vorschlagsliste (Bürger, Bonn – Erwin Becher (1890–1944), Frankfurt/Main – H.W. Knipping, Hamburg) dem Wissenschaftsministerium.306 Rektor Naendrup war dagegen direkter. Auch er verwies darauf, dass auf dem Arbeitsgebiet Schillings Münster bereits einen herausragenden Fachmann hatte. Doch warnte Naendrup „dringend“ vor einer Berufung Schillings. Er kannte den „stark die politischen Konjunkturritter“ huldigenden Internisten aus dem früheren Vorstand des Hochschulverbandes, wo er aufgrund seines Charakters recht unbeliebt gewesen wäre. Naendrup hielt es aufgrund seiner eigenen diesbezüglichen Erfahrungen für seine Pflicht, „vor seiner Berufung hierher im Interesse unserer Medizinischen Fakultät und auch der Universität zu warnen. Die Medizinische Fakultät bedarf jetzt nach den Erschütterungen, denen sie ausgesetzt war, dringend einer ruhigen Entwicklung. Für diese würde m. E. die Berufung Schillings eine Gefahr sein, die unbedingt zu vermeiden ist.“307

Der stellvertretende Kurator folgte dem Urteil des Rektors. Auch er bat, von der Berufung Schillings abzusehen. „Es trifft leider zu, dass die durch die Vorkommnisse im letzten Jahre stark erschütterte Fakultät vor weiteren Beunruhigungen in jeder Weise geschützt werden muß.“308 Aus dem Wissenschaftsministerium wurde nun Werner W. Siebert aus der I. Medizinischen Klinik der Charité mit Vertretung des Lehrstuhls betraut.309 Doch die Protektoren Schillings obsiegten. Er erhielt zum 1. Oktober 1934 den Ruf als ordentlicher Professor nach Münster. Damit kam ein Mann an die Medizinische Fakultät, der nach seinem Medizinstudium an der militärärztlichen Kaiser-Wilhelm-Akademie (Berlin), der Promotion 1909 und der Ausbildung am Hamburger Institut für Schiffs- und Tropenkrankheiten sich zum Korps-Hygieniker ausbilden ließ und im Ersten Weltkrieg als Beratender Hygieniker im türkischen Generalstab tätig war. Nach dem Ausscheiden aus dem Heer 1919 wurde er Assistent an der I. Medizinischen Klinik der Charité Berlin. Mit der Habilitation 1921 begann dort seine universitäre Laufbahn.310 In dieser Zeit besuchte der Internist die junge Sowjetunion, wo er 1927 zusammen mit 306 307 308 309 310

Heiber 1991, S. 430ff. UAMs, Bestand 9, Nr. 335, Bl. a/182–a/190: Schreiben Dekan an Wissenschaftsminister vom 12.7.1934. Ebd., Bl. a/191–a/192: Schreiben Naendrup an Wissenschaftsminister vom 20.7.1934. Ebd., Bl. a/191–a/192: Bericht des stellv. Kurators vom 23.7.1934. Ebd., Bl. a/193: Schreiben Wissenschaftsminister an Dr. Siebert. Schilling, geb. am 28.8.1883 in Torgau, evangelisch, habilitierte sich 1921 an der Charité. Er wurde 1922 zum ao. Professor ernannt, 1927 Oberarzt an dieser Klinik. Buddrus/ Fritzlar 2007, S. 351; Meisel 1999, 31ff.; Dicke 2004, S. 39ff. Universitätsarchiv Rostock,

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Kollegen – darunter der Hirnforscher Oskar Vogt (1870–1959) und der Geomediziner Heinz Zeiss (1888–1949)311 – die Gelegenheit bekam, den Leichnam Lenins zu untersuchen.312 Zugleich stand er – so der Balneologe von der Wath 1938 – in der Charité „im Kampf gegen den grossen jüdischen Einfluss unter den Assistenten.“313 1932 sah Schilling auf Anraten Leonardo Contis (1900–1945) von einem Eintritt in die NSDAP ab, um nicht aus dem Vorstand der Berliner Ärztekammer ausscheiden zu müssen, „was wegen der großen Zahl jüdischer Mitglieder unerwünscht gewesen wäre.“314 Den Parteieintritt holte der Reichsführer des „Deutschen Nichtordinarienverbandes“ 1933 nach. Zudem hatte er für die „Bewegung“ mit „mühselige[r] Arbeit das vollkommen verjudete und wissenschaftlich verwahrloste Krankenhaus Moabit […] reorganisiert und wissenschaftlich eingerichtet.“315 Seine dortige Einführung einer neuen „intermedizinischen“ Unterrichtsform316 stieß allerdings auf Kritik, der er ebenso wie dem Vorwurf seiner unzureichenden Lehrtätigkeit begegnete. In dieser Angelegenheit stritt Schilling mit dem Dekan der Berliner Medizinischen Fakultät, Hermann Gocht (1869–1938). Ihm warf er zudem vor, mit der Beauftragung des Pharmakologen Wolfgang Heubner (1877–1957) als Gutachter die Habilitation des Wehrkreishygienikers und Oberstabsarztes Otto Muntsch (1890–1945) – Wunschkandidat des Chefs der Sanitätsinspektion der Reichswehr – zu gefährden.317 Den Streit beendete schließlich Schillings Weggang nach Münster. Als er zum Wintersemester 1934/35 sein Ordinariat hier antrat, hatte Schilling für die „Bewegung“ drei Aufträge im Gepäck – er sollte Gantenberg, der in einem Beleidigungsverfahren gegen Professor Keller und dessen Frau (Ehrenangelegenheit: Gantenberg-Keller) verstrickt war, zur Entlastung verhelfen, Naendrup als Rektor ersetzen und die Nazifizierung der Medizinischen Klinik konsolidieren. Eine von Schilling eingeforderte Untersuchung des Falles Gantenberg-Keller durch

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312

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314 315 316 317

Personalakte Viktor Schilling, Bd. VI., Bl. 20: Festschrift zum 70. Geburtstag von Professor Dr. Viktor Schilling, Direktor der Medizinischen Universitätsklinik Rostock. Zeiss arbeitete 1921 bis 1931 in der Sowjetunion. Nach der Vertreibung aus der Sowjetunion wurde er als NSDAP-Mitglied hochrangiger Wehrmachtsarzt. Bei Kriegsende brachten ihn die Russen in die Sowjetunion, wo er wegen Spionage angeklagt wurde. Solomon 2006; Schleiermacher 2005; Weindling 2004. Schilling, Leiche Lenins, 1927; ders., Reiseeindrücke, 1927; Universitätsarchiv Rostock, Personalakte Viktor Schilling, Bd. IX, Bl. 20–35: Bericht über eine Reise nach Moskau, Leningrad und Riga zur Anbahnung wissenschaftlicher Beziehungen und Abhaltung wissenschaftlicher Vorträge. Meisel 1999, S. 36f. UAMs, Bestand 5, Nr. 361, Bd. 4, Bl. 7: Schreiben Dr. von der Wath (Bad Salzuflen) an Schilling vom 24.3.1938. Von der Wath war 1923 bis 1928 Assistent an der Charité Berlin. Voswinckel 1994, S. 562. Zit. in Meisel 1999, S. 39; Buddrus/Fritzlar 2007, S. 351. Zit. in Meisel 1999, S. 40. Schilling 1933. Archiv der Humboldt-Universität zu Berlin, Bestand UK, PA Schilling 80, Bl. 12–17: Schreiben Schilling an Gocht vom 1.7.1934. Zur Habilitation von Muntsch, die Heubner ablehnte, siehe Schagen 2008, S. 223f.

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eine Kommission aus Universitäts- und Parteivertretern, bei der er selbst als Hauptreferent auftrat, entschied Gantenbergs Unschuld. Doch Rektor wurde Schilling nicht. Bereits 1935 sprach sich die Führung der Dozentenschaft gegen seine Nominierung aus.318 „[U]m Münster endlich für die neue Zeit aufzuschließen“ – so Schillings Auftrag aus München/Berlin – gereichte es trotz demonstrativer Zurschaustellung seiner NS-Sympathie nicht.319 Bald hatte Schilling mehr als ein Problem. Naendrups Einschätzung sollte sich bewahrheiten. Der Aufruhr der Studierenden 1937, angeführt vom Leiter der Fachgruppe Medizin cand. med. Krüner und unterstützt vom Gauamtsleiter Alfred Meyer, richtete sich nun gegen Schilling. Ihm wurde unsachliche und unwürdige Behandlung von Assistenten und Personal vorgeworfen, die Studierenden lehnten ihn als Prüfer im Staatsexamen ab. Im Februar 1938 leitete die Universität ein Dienststrafverfahren gegen ihn ein, in dessen Folge Schilling von seinen Pflichten als Klinikdirektor entbunden wurde. Der 91-seitige Untersuchungsbericht zeigt Schilling als „Querulanten“ und hält „die Anfertigung einer Anschuldigungsschrift für geboten.“320 Das Wissenschaftsministerium jedoch stellte im Juli 1939 das Verfahren ein. Es ließ Schilling eine Dienststrafverfügung zugehen, bestrafte ihn lediglich mit einem Verweis. Vor seinem Disziplinarverfahren hatte Schilling an der Münsterschen Klinik durch (Neu-)Besetzungen der Assistentenstellen versucht, die Medizinische Fakultät parteipolitisch „aufzuwerten“. Seine Bemühungen, die wissenschaftliche Arbeit unter seinem strengen Regime „neu“ zu beleben, führten wie sein Leitungsstil und insgesamt sein Charakter zu Spannungen und reichlich Konflikten zwischen ihm und seinen Assistenten. Noch Anfang 1936 sah Schilling seine Klinik „durch den Tod des Geheimrat Krause und einem Interregnum in ihrer Gesamtarbeit sehr geschädigt […] Von den vorhandenen 8 Assistenten mussten 2 ausscheiden, da sie für wissenschaftliche Untersuchungen an der Universitätsklinik ungeeignet waren und Dr. Röhr wird ebenfalls nach den neuen Richtlinien des Ministeriums ausscheiden müssen. Die beiden ausgefallenen Assistenten sind nur kommissarisch ersetzt durch eine Aerztin und einen jungen Arzt, denen die Untersuchungen nicht anvertraut werden können. Der Oberarzt ist völlig überlastet, 2 Assistenten (Dozenten) sind bereits beim Staatsexamen täglich mehrstündig in Anspruch genommen […] Herr Dr. Röhr hat eigentlich die Poliklinik allein […].“321

Über die Gründe, warum zwei – Karl Damblé und Wolfgang Winterseel – der fünf planmäßige Assistenten die Medizinische Klinik verließen, liegen uns keine Informationen vor. Die Verlängerung des Anstellung Hans Röhrs wäre – so der stellvertretende Kurator – „aus dem Gesichtspunkte der Sorge um den akademi318 319 320

321

Heiber 1991, S. 431f. Zit. in Vieten 1982, S. 284; Meisel 1999, 42f.; Heiber 1991, S. 431f. UAMs, Bestand 5, Nr. 361, Bd. 5: Bericht über das Ergebnis in dem Dienststrafverfahren gegen den ordentlichen Professor in der Medizinischen Fakultät der Universität in Münster Dr. Victor Schilling (im Weiteren „Bericht Dienststrafverfahren Schilling“), S. 91. BAB, R/4091/14289, Bl. 62–63: Schreiben Schilling an Luftkreisarzt IV, Oberstabsarzt Dr. Knörr vom 3.1.1936.

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schen Nachwuchs nicht befürwortet“ worden. Hintergrund hierfür waren aber auch Zwistigkeiten mit Schilling.322 Insgesamt schwankte quantitativ die personelle Ausstattung der Medizinischen Klinik in der Amtszeit Schillings relativ wenig, der Tiefpunkt lag im Sommersemester 1935 (Tabelle 10). Tabelle 10: Personelle Ausstattung der Medizinischen Klinik Sommersemester 1933–Wintersemester 1938/39323 SS 1933 WS 1934/1935 SS 1935 WS 1935/1936

SS 1937 WS 1937/38 SS 1938 WS 1938/39

Leitung Paul Krause Werner W. Siebert

Klinikbesetzung 1 OA, 5 pl., 3 apl. Ass. 1 OA, 5 pl. 3 apl. Ass. 1 OA, 3 pl., 2 apl. Ass. 1 OA, 4 pl. 3 apl. Ass.

Ära Viktor Schilling

(eine Stelle apl. Ass. nicht besetzt)

H. Regelsberger

1 OA, 5 pl., 3 apl. Ass. 1 OA, 3 pl., 4 apl. Ass. 1OA, 5 pl., 5 apl. Ass. 1 OA, 5 pl., 5 apl. Ass.

Summe 9 9 6 8

9 8 11 11

SS = Sommersemester; WS = Wintersemester; OA = Oberarzt; pl. = planmäßiger; apl. Ass.= außerplanmäßiger Assistent; PD = Privatdozent; Wesentlicher für den Klinikalltag, Lehre und Forschung jedoch war die mit den Querelen, Verleumdungen und Streitigkeiten in der Klinik einhergehende Fluktuation in den Besetzungen der planmäßigen Assistenten. (Tabelle 11) An der Medizinischen Fakultät war durch Schilling keineswegs Ruhe eingekehrt,324 obgleich Gantenberg Schilling bis zu seinem Weggang und darüber hinaus unterstützte. Sein Nachfolger wurde Robert Mark325 (1898–1981), der kein NSDAP-Mitglied war. Er blieb als Oberarzt an der Medizinischen Klinik, bis er 1948 einem Ruf an die Universität Rostock folgte.

322 323 324 325

UAMs, Personalakte 143: Rektor an den Reichswissenschaftsminister vom 7.2.1941. UAMs, Bestand 5, Nr. 361, Bd. 5: „Bericht Dienststrafverfahren Schilling“, S. 19. Quelle: Vorlesungsverzeichnisse Sommersemester 1933 bis Wintersemester 1938/1030 Dies wird eindrücklich geschildert in UAMs, Bestand 5, Nr. 361, Bd. 5: „Bericht Dienststrafverfahren Schilling“. Mark, geboren am 27.9.1898 in Hütteldorf-Wien, evangelisch, kam nach der Promotion 1922 in Wien und der Habilitation 1931 in Köln sowie der Assistententätigkeit in Breslau 1937 nach Münster. Hier wurde er 1937 apl. Professor. Von der Universität Rostock ging er 1957 an die Universität Halle/Saale. Von dort kehrte er 1962 an die Universität Münster zurück. UAMs, Kurator Personalakte, Nr. 12557, Bd. 1–2; ebd., Bestand 52, Nr. 47.

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Von den Assistenten aus der Zeit Krauses verließen neben Röhr auch Konrad Müller (geboren 1905) und Hermann Vogt 1939 die Klinik,326 nur Willi Wohlenberg327 „überlebte“ die „Ära Schilling“. Von den in dieser Zeit angestellten planmäßigen Assistenzärzten schieden wenigstens zwei – Robert Duesberg328 (1903–1968), Fritz Kuhlmann329 (geboren 1902) – im Streit mit Schilling aus der Klinik aus.330 Kuhlmann, Mitglied der SS seit 1934, hatte die vakante Assistentenstelle als Röntgenologe in der Klinik erhalten. Duesberg war aus München gekommen, wo der Katholik Schwierigkeiten mit der NS-Dozentenschaft hatte. Nach Einholen eines Empfehlungsschreibens von Wirz – „Sie wissen, dass wir hier ganz bestimmt zuverlässigen nationalsozialistischen Zuzug brauchen, der Gantenberg und mich unterstützt“331 – gab Schilling ihm die planmäßige Assistentenstelle: Diese hatte er zwar, für seinen „alten, sehr zuverlässigen Oberarzt Dr. Teitge offen gehalten,“ doch konnte dieser „aus Gründen seiner hohen SS-Stellung nicht kommen.“332 Fritz Roth333 (geboren 1902) schied aus wirtschaftlichen Gründen 1939 aus. Demgegenüber folgte Ferdinand Frimberger334 (geboren 1907), der als engster Schüler Schil326

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334

Hermann Vogt war 1933 bis 1936 apl. Assistent, dann bis zu seinem Weggang 1939 pl. Assistent. Krause assistierte er bei seinen Vorlesungen zur Diätentherapie. UAMs, Bestand 10, Nr. 218, Bd. 2. Über Müller, Vogt und Röhr liegen uns weiter keine weiteren Informationen vor. Wohlenberg, geb. am 25.6.1899 in Gadenstedt bei Peine, evangelisch-lutherisch, kam nach der Promotion 1926 in Göttingen 1931 nach Münster. Er war an der Medizinischen Fakultät bis 1946 tätig, dann Chef der Inneren Abteilung der Raphaelsklinik Münster. Er starb bei einem Autounfall am 6.8.1953. UAMs, Bestand 10, Nr. 3642. Duesberg, geb. am 19.7.1907 in Bad Kreuzbach, katholisch, promovierte 1930 in Berlin und habilitierte sich 1935 in München. Von Münster ging er 1937 an die Universität Frankfurt/Main, wo er 1942 apl. Professor wurde. 1946 wurde er o. Professor an der Universität Mainz und leitete dort die I. Medizinische Universitätsklinik. Er starb am 31.5.1968 in Finthen. UAMs, Bestand 10, Nr. 98. Kuhlmann, geb. am 23.6.1902 in Dortmund, evangelisch, arbeitete nach der Promotion 1929 in Bonn 1933 bis 1935 als Röntgenologe bei der AOK Berlin. Nach seinem Weggang aus Münster, wo er 1936 habilitierte, war er 1937 Assistent und Dozent an der Medizinischen Fakultät der Universität Halle/Saale. 1940 war er Oberarzt an der Universität Breslau, wo er 1944 zum apl. Professor ernannt wurde. Nach 1945 war er Chefarzt des Evangelischen Krankenhauses Essen-Werder. Eberle 2002, S. 339. UAMs, Bestand 10, Nr. 3508. Ein weiteres Zerwürfnis gab es zwischen Schilling und Hellfried Rosegger (1904–1940), dem Schilling Diebstahl vorwarf. Der Österreicher evangelischer Konfession kam 1936 als apl. Assistent an die Medizinische Klinik. Er war seit 1933 Mitglied der NSDAP. UAMs, Bestand 10, Nr. 5842; Klinische Wochenschrift 34 (4.8.1939), S. 1172. UAMs, Bestand 10, Nr. 98: Schreiben Schilling an Wirz vom 18.3.1935. Ebd.: Schreiben Schilling an Duesberg vom 11.3.1935. Roth, geb. am 17.5.1902 in Schäßburg (Rumänien), evangelisch, wurde nach der veterinärmedizinischen Promotion (1927) 1934 zum Dr. med. promoviert. UAMs, Bestand 10, Nr. 367. Frimberger, geb. am 20.4.1907 in Aichach (Oberbayern), war von 1933–1936 am St. Hedwigskrankenhaus Berlin, dann an der Medizinischen Universitätsklinik in Bonn tätig.

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lings galt, Schilling 1941 an die Universität Rostock. Dieser Schritt entsprach auch dem Interesse der Medizinischen Fakultät, die nach der Habilitation Frimbergers darum bat, ihn als Dozenten nicht nach Münster zu berufen.335 Nur Rudolf Töppner336 (1906–1963) blieb bis 1955 an der Klinik. Tabelle 11: Planmäßige Assistenzärzte in der „Ära Schilling“ an der Medizinischen Klinik Habilitation Hans Röhr Willi Wohlenberg Konrad Müller Fritz Kuhlmann Robert Duesberg Hermann Vogt Fritz Roth Rudolf Töppner Ferdinand Frimberger

Venia/Dozent NSDAP

1933 (Krause) 1934

1937

1936 1935

1937 (Halle)

1937 (1934 SS)

1942

1937 1937

1940 1941

Tätigkeitszeit 1930–1936 1931– 1946 1932–1938 1935– 1937 1935– 1937 1933–1939 1937–1939 1937– 1955 1938–1941

Nach den vielen Querelen mit dem anschließenden Disziplinarverfahren wollte die Medizinische Fakultät Schilling nicht mehr.337 Nach Interimsbesetzungen – Hermann Regelsberger (geboren 1901) und Fritz Brauch (geboren 1904) – berief die Fakultät zum 1. September 1940 Fritz Schellong (1891–1953) aus Prag zum Ordinarius der Inneren Medizin. Schilling, der noch bis 1941 an der Medizinischen Fakultät verblieb, war davon überzeugt, dass er erst die Universität Münster im Ausland bekannt gemacht hätte. Verbunden war damit der systematische Ausbau seines Führungsanspruchs innerhalb der Hämatologie, mit dem er den in den 1920er-Jahren wohl profiliertesten Hämatologen Deutschlands, Hans Hirschfeld338 (1873–1944), isolierte und verdrängte. Der Leiter des hämatologischen Laboratoriums des Krebsinstitutes der

335 336

337 338

UAMs, Bestand 53, Nr. 4. BAB, R/4901/14289: Bl. 30: Schreiben stellv. Kurator an Wissenschaftsminister vom 29.8.1935. Töppner, geb. am 17.8.1906 in Dresden, evangelisch-lutherisch, promovierte 1931 in Leipzig. Nach Tätigkeiten an den Universitäten Würzburg und Frankfurt kam er 1937 nach Münster. Hier wurde er 1942 Dozent für Medizinische Strahlenkunde und 1948 zum apl. Professor ernannt. 1955 ging er an das Knappschaftskrankenhaus in Recklinghausen. UAMs, Bestand 10, Nr. 3650. Heiber 1991, S. 430ff.; Meisel 1999, S. 44ff. Hirschfeld verblieb in Berlin. Nach einer vorübergehenden Tätigkeit im Berliner Jüdischen Krankenhaus wurde Hirschfeld nach Theresienstadt deportiert, wo er am 26.8.1944 starb. Voswinckel 1987.

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Charité war als Jude 1933 zwangsentlassen worden und redigierte, obgleich 1936 mit Schreibverbot belegt, bis zur Verdrängung durch Schilling 1938 die „Folia haematologica“. Zuvor hatte Schilling 1937 unter seinem Vorsitz die „Deutsche Hämatologische Gesellschaft“ gegründet, deren Sprachrohr zunächst die unter Schillings Schriftleitung herausgegebene „Medizinische Welt“339 war.340 Im Mai 1937 inszenierte er dann „mit großem Aplomb“ die vom Reichsgesundheitsministerium und Industrie unterstützte „I. Internationale Blutforschertagung“ in Münster. Auf dieser Tagung war selbstredend Hirschfeld als Jude unerwünscht.341 Ihn erwähnte Schilling in seiner Eröffnungsrede auch nur beiläufig, beschwor jedoch den „großen staatsmännischen Gedanken von dem unentrinnbaren Schicksal im eigenen Blute, auf dem Adolf Hitler einen der Grundpfeiler des Nationalsozialismus vorausschauend für Jahrhunderte errichtet hat.“342 Mit der Tagung profilierte sich Schilling nun international als der Repräsentant der Hämatologie Deutschlands: Als Leiter der deutschen Delegation reiste er dann auch zu dem II. Internationalen Bluttransfusionskongress nach Paris im Oktober 1937.343 Im Jahr darauf – mitten in seinem Disziplinarverfahren – bereitete Schilling unterstützt von Wirz und dem Reichsinnenministerium weitere Kongresse vor. Das Wissenschaftsministerium beauftragte ihn „mit der Führung der Verhandlungen bezgl. des Intern. Haematologen-Kongresses und des Intern. Bluttransfusionskongresses.“ 344 Es verwundert kaum, dass Schilling kurz nach Kriegsausbruch auf Anordnung des Heeressanitätsinspektors Professor Dr. Waldmann (1878–1941) sowie auf Anregung des Präsidenten des Reichsgesundheitsamtes Professor Dr. Hans Reiter (1881–1969) an die Militärärztliche Akademie Berlin berufen wurde. Dort erhielt er den Auftrag, ein „Laboratorium für Blutkonservierung“ in den Räumlichkeiten des Instituts für Infektionskrankheiten Robert Koch zu gründen und zu leiten. Die Aufgabe bestand in der Entwicklung einer möglichst einfachen, unter Frontbedingungen einsetzbare Blutkonserve.345 Noch immer war er in Münster. 1941 erfolgte dann nach einigem Hin und Her – wiederum gegen den Wunsch der Fakultät – Schillings Berufung nach Rostock. 339

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Die „Medizinische Welt“ war erst 1927 gegründet worden. Im Zuge „Arisierung“ der Schriftleitung dieser Zeitschrift kam 1934 Schilling in die Redaktion. Hubenstorf/Walter 1994, S. 44. Nachdem Schilling die Herausgabe der „Folia Haematogica“ 1938 übernommen hatte, erschienen die Sitzungsberichte der haematologischen Gesellschaft in dieser Zeitschrift. Meisel 1999, S. 89f. Voswinckel 1994, S. 552, 562ff.; Meisel 1999, S. 52ff. Zit. in ebd., S. 53; auch in Voswinckel 1994, S. 563. BAB, R/4901/2765, Bl. 35f.: Schreiben Wissenschaftsminister an Schilling vom 19.7.1937. Ebd.: Schreiben Wissenschaftsminister an Reichsinnenminister vom 5.7.1938. Zu diesem Auftrag siehe ausführlich Meisel 1999, S. 59ff.; Hubenstorff 1994, S. 428f. Schilling wurde hierbei durch seinen Assistenten Frimberger unterstützt, der nach dem Überfall auf die Sowjetunion mit dem Praxistests der Entwicklungen beauftragt wurde. Meisel 1999, S. 63.

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Um Zweifel an seiner Berufung auszuräumen, wurde nicht nur die uneingeschränkte Unterstützung Schillings seitens der Partei und insbesondere des Stellvertreter des Führers und von Wirz, sondern auch die „große wissenschaftliche Autorität“ Schillings im Ausland betont. Sein vorgeblich großer internationaler Ruf hätte es unmöglich gemacht, gegen ihn „eine Strafmaßnahme zu verhängen.“346 Während die durch Schilling verursachten Probleme die Medizinische Fakultät beschäftigten, wurden in der Fakultät Parteigenossen durch die Umwandlung von persönlichen Ordinariaten in planmäßige belohnt. Profiteure waren der Zahnmediziner Rudolf Müller, der Pädiater Hans Vogt347 sowie der Orthopäde Walter, der zum 1. April 1937 ein Ordinariat erhielt.348 Zugleich vollzog sich auch an der Münsterschen Fakultät die endgültige „Reinigung“ unter rassischen Aspekten der Ordinarien. „Ich bin gerade richtig zurückgekommen, um hier noch das nötigste zu erledigen und – um am Mittwoch wieder ‚Urlaub‘ zu bekommen! (bis zum Erlass der Ausführungsbestimmungen des R.-Bürgergesetzes) […] Aurel [von Szily] hat auch einen Brief vom Kurator bekommen […]“349

– so Freund in einem Brief an seinen ehemaligen Assistenten König. Für die von der „Reinigung“ betroffenen Professoren – Hermann Freund, Aurel von Szily und Heinrich Herzog – bedeutete dies die Zerstörung ihrer zehnjährigen Aufbauund Konsolidierungsarbeit, mit der sie ihre Institute beziehungsweise Kliniken und damit auch die Medizinische Fakultät Münster zu (inter-)nationalen Ansehen verholfen hatten. Für sie persönlich folgte der Zwangsruhestandversetzung die erzwungene Emigration (Freund und Szily) beziehungsweise der Tod (Herzog). Ihre Namen verschwanden aus der jungen Fakultätsgeschichte. Es reichte wie beim Tod Herzogs (23. Juni 1938) nicht einmal zur Kondolierung. „Der mit Erlass vom 8. September 1937 […] in den Ruhestand versetzte frühere ordentliche Professor in der Medizinischen Fakultät der hiesigen Universität Dr. Heinrich Herzog ist am 23. Juni ds. Js. in früher Morgenstunde […] verstorben. […] Die Ehefrau des verstorbenen Professors Herzog ist der jüdischen Rasse zuzuzählen, weil sie von drei jüdischen Grosseltern abstammt. […] Bei dieser Sachlage muss ich es mir versagen, als Leiter einer Staatsbehörde und örtlicher Vertreter des Ministers, ihr mein Beileid auszusprechen.“350

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UAMs, Bestand 9, Nr. 335, Bl. a/460–a/462: Schreiben Gauleitung Westfalen-Nord an Gauleitung Mecklenburg der NSDAP vom 8.3.1941. UAMs, Bestand 4, Nr. 214: Schreiben Rektor (Naendrup) an stellv. Kurator der Universität Münster vom 22.5.1935. Ebd.: Schreiben kommissarischer Kurator an Rektor der Universität vom 4.12.1936. Huhn/Kilian 2011, S. 212 (Brief Freund an Willy König vom 20.10.1935). UAMs, Bestand 10, Nr. 177, Bd. 2: Schreiben Kurator der Universität Münster an Wissenschaftsminister vom 23.6.1938.

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Zwangsruhestandsversetzungen und Neubesetzungen deren Lehrstühle Die Zwangsruhestandsversetzungen trafen zunächst den Pharmakologen Hermann Freund, der am 20. Oktober 1935 zum dritten Mal beurlaubt wurde, und den Opthtalmologen Aurel von Szily. Er hatte 1934 offen gelegt, dass seine vier Großeltern im Sinne des Gesetzes nicht „arisch“ waren.351 Beide wurden zum 1. Januar 1936 in den Ruhestand (zwangs-)versetzt, zuvor beurlaubt. Im pharmakologischen Institut übernahm zunächst Freunds Assistent Walter Haarmann352 die kommissarische Leitung. Da die Medizinische Fakultät nicht daran interessiert war, die Forschungstradition Freunds fortzusetzen, verzichtete sie darauf, den Schüler Freunds Karl Zipf aus Königsberg nach Münster zurückzuholen.353 Stattdessen wurde Ludwig Lendle354 (1899–1969), Berlin, im Juni 1936 mit der Vertretung des Lehrstuhls beauftragt. Von Szily hielt sechs Tage nach der (Zwangs-)Beurlaubung vom 22. Oktober 1935 eine kurze Abschiedsrede in seiner Klinik. Ein Jahr zuvor hatte er noch Bestrebungen zur Aberkennung seiner deutschen Staatsbürgerschaft abgewehrt355 und sich für die Verlängerung des Arbeitsvertrages seines Assistenten Helmut Mache-

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355

UAMs, Bestand 10, Nr. 3621, Bl. 44: Beglaubigte Abschrift Szily über sich selbst vom 19.4.1934. Haarmann, geb. am 5.4.1901 in Westerberg (Hannover), evangelisch, studierte Naturwissenschaften (bes. Chemie) und Medizin. 1927 wurde er zum Dr. med., zwei Jahre später zum Dr. phil. in München promoviert. 1930 kam er zu Freund nach Münster und habilitierte sich 1932. Nach 1933 forschte er im Rahmen des Vierjahresplans über Mittel zur Tierseuchenbekämpfung. Er erhielt nach Schwierigkeiten mit Lendle 1938 eine Diätendozentur. 1944 wurde er zum apl. Professor ernannt. Haarmann war kein Mitglied der NSDAP. 1945 war er als ärztlicher Betreuer der Polizeidirektion und an der LandesPolizeischule Münster tätig. Bis 1967 lehrte er an der Medizinischen Fakultät. Er hat 224 medizinische Doktorarbeiten angeregt und betreut. UAMs, Bestand 10, Nr. 3578; ebd., Bestand 52, Nr. 34; Huhn/Kilian 2011, S. 234. UAMs, Bestand 9, Nr. 335 Bd. 1, Bl. a/211–a/214: Schreiben Dekan der Medizinischen Fakultät der Universität Münster an den Wissenschaftsminister vom 17.1.1936. Lendle, geb. am 6.2.1899 in Wiesbaden, evangelisch, promovierte 1923 in Gießen und habilitierte sich 1928 in Leipzig. Dort wurde er 1934 zum nbao. Professor ernannt. Im April 1935 wurde Lendle zur vertretungsweisen Übernahme einer Oberassistentenstelle ans Pharmakologische Institut, Berlin, versetzt, 1936 nach Münster berufen. 1939 wurde er an die Militärärztliche Akademie (Berlin) abkommandiert. 1943 verließ Lendle Münster und folgte einem Ruf nach Leipzig, wo er 1945/46 als Prorektor figurierte. 1949 folgte Lendle den bereits 1947 erfolgten Ruf nach Göttingen, wo er am 19.8.1969 starb. UAL, Personalakte 189 (Ludwig Lendle); Schmaltz 2005, S. 468ff.; Engelhardt 2002, S. 369. Ausführlich mit Lendle als Hochschullehrer und Wissenschaftler beschäftigt sich Miriam Hanse in ihrer Doktorarbeit zur Geschichte des Pharmakologischen Instituts der Universität Münster. UAMs, Bestand 10, Nr. 3621, Bl. 48: Schreiben Oberbürgermeister Münsters an stellv. Kurator der Universität Münster vom 18.10.1934.

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mer356 eingesetzt. Dessen Verbleiben an der Klinik war durch die Rassengesetze, die seiner Ehefrau Erna (geborene Schwalbe)357 eine jüdische Abstammung zuschrieben, nun unerwünscht. Mit Unterstützung des stellvertretenden Kurators und des Führers der Dozentenschaft erreichte Szily seine Weiterbeschäftigung bis zum 30. Juni 1936 – „Ein[em] Antrag auf weitere Beschäftigung über diesen Zeitpunkt hinaus wird nicht entsprochen werden können.“358 Damit war das akademische „Aus“ Machemers, mit dem Szily zusammen eine neue Methode der zweipoligen Elektrolyse zur Behandlung der Netzhautablösung entwickelt hatte, festgeschrieben. Machemer ließ sich als Augenarzt in Stadtlohn in Westfalen nieder. Am 15. Mai 1942 fiel er bei Charkov.359 In eigener Sache protestierte von Szily gegen seine Beurlaubung und erbat vom Wissenschaftsminister „mit sofortiger Wirkung“ um seine Entlassung aus dem Staatsdienst.360 Seitens der Universität Münster war man über die Entlassung des Ophthalmologen keineswegs glücklich. Rektor Karl Gottfried Hugelmann (1879– 1959), von den Nationalsozialisten gerade in dieses Amt beordert, berichtete Ende November 1935 nach Berlin, dass die Zwangsruhestandsversetzung von Szilys in weiten Kreisen Westfalens Missfallen erregt hatte und zudem für die Medizinische Fakultät einen „schweren Verlust“ bedeutete. Durch das hohe Ansehen, dass von Szily unter den Kollegen, den Studierenden und seinen Patient(inn)en genoss, hatte seine Entlassung aus rassischen Gründen dem Ansehen der Nationalsozialisten in Münster – so Hugelmann – sehr geschadet.361 Ebenso kamen aufgrund der internationalen Reputation des Ophthalmologen aus dem Ausland Proteste. Der internationale Rat für Augenheilkunde erhob „aller größte Bedenken“ gegen die (bevorstehende) Entlassung von Szilys. Er betonte, dass Szily als einer der „hervorragendsten Ärzte der Welt“ international die Ophthalmologie durch seine wissenschaftlichen Arbeiten, organisatorischen Leistungen etwa bei der Bekämpfung des Trachoms und als Herausgeber der „Klinischen Monatsblätter für Augenheilkunde“ vielfältig bereichert hat.

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Dr. phil. et Dr. med. Machemer war seit dem 1.3.1932 als Assistent in der Augenklinik Szilys tätig. Er hatte Zoologie und Medizin in Freiburg studiert. GStA, I. HA Rep. 76, Va, Nr. 10702, Bl. 129. Er war Mitglied der SA. Ebd., Bl. 133 (RS): Brief Machemer an stellv. Kurator der Universität Münster vom 18.6.1934. Busse 2000, S. 602f. Im UAMs befindet sich keine Personalakte von Machemer. Erna Machemer war evangelischer Konfession; ihr Großvater mütterlicherseits, der Zigarrenfabrikbesitzer Rudolf Nauen, jüdischer. Ebd., Bl. 131: Heiratsanzeige vom 3.5.1934. Ebd., Bl. 140: Brief Wissenschaftsminister an stellv. Kurator der Universität Münster vom 24.5.1935. Ebd., Bl. 141f. Rohrbach 2007, S. 118; Schmidt 1997. UAMs, Bestand 10, Nr. 3621, Bl. 60: Brief Szily an Wissenschaftsminister vom 26.10.1935. Auch in Universitätsaugenklinik Münster, Nachlass Aurel von Szily. UAMs, Bestand 10, Nr. 3621, Bl. 52f.: Brief Hugelmann an Wissenschaftsminister vom 27.11.1935.

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„Es wäre zum grossen Schaden für die Wissenschaft, falls einem solchen Forscher, von dem noch so viele Leistungen zu erwarten sind, seine Arbeitsmöglichkeiten genommen würden. Der Rat ersucht daher ergebenst, […], Prof. v. Szily in seiner Stellung zu belassen.“362

Die Intervention des Rates bei Adolf Hitler verunsicherte das Reichsinnenministerium. Hier verhandelte man Ende 1936 „über die Anwendbarkeit des Reichsbürgergesetzes auf Professor von Szily.“363 Die Entscheidung fiel dann durch Hitlers verordnete Umwandlung der Zwangsruhestandsversetzung Szilys in den Emeritusstand am 13. August 1937. „Der Führer und Reichskanzler hat Sie durch beiliegende Urkunde von den amtlichen Verpflichtungen im preußischen Landesdienst entbunden. Die Entpflichtung tritt rückwirkend mit Ablauf des Monats Dezember 1935 in Kraft.“364

An der Medizinischen Fakultät in Münster wurde einen knappen Monat später der Rhino-Laryngologe Heinrich Herzog auf Grund des § 6 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums zum 1. Januar 1938 in den Ruhestand (zwangs-)versetzt.365 Einen Monat zuvor hatte er Mitteilung darüber gemacht, dass seine Frau jüdischer Abstammung war.366 Im Falle Herzog versuchten der Führer der Dozentenschaft und der Rektor, die Umwandlung der Ruhestandsversetzung in eine Emeritierung zu erreichen. Rektor Walter Mevius (1893–1975) verwies darauf, dass von Szily als „Volljude“ nachträglich aufgrund „seiner Verdienste um die deutsche Wissenschaft“ entpflichtet worden war, der „Halbjude“ Professor Leopold von Ubisch (1886–1965) emeritiert wurde. Als einen „Akt der Gerechtigkeit“ bat er darum, Herzog nicht schlechter als die genannten Professoren zu behandeln.367 Für Hermann Walter, Leiter der Dozentenschaft, gehörte Herzog – „einer der besten endonasalen Operateure“ – nicht zu den Professoren, „die sich ins Laboratorium und hinter ihre wissenschaftliche Arbeit verkrochen oder ‚Geld verdient‘ haben.“ Als national gesinnter Mann habe er zudem „dem politischen Katholizismus […] immer in schärfster Ablehnung gegenüber[gestanden].“368 Auch Herzog wand362 363

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Universitätsaugenklinik Münster, Nachlass Aurel von Szily: „An die deutsche Regierung“ vom 31.10.1935. UAMs, Bestand 10, Nr. 3621, Bl. 73: Schreiben Wissenschaftsminister an Kurator der Universität Münster vom 21.2.1936. Universitätsaugenklinik Münster, Nachlass Aurel von Szily: Schreiben Szily an Reichsinnenminister vom 24.3.1937. UAMs, Bestand 10, Nr. 3621, Bl. 89: Schreiben Wissenschaftsminister an Kurator vom 23.8.1937; Anmerkung Rust an Szily. UAMs, Bestand 10, Nr. 117, Bd. 1: Schreiben Wissenschaftsminister an Kurator der Universität Münster vom 3.9.1937. „Nach Mitteilung der Israel. Kultusgemeinde Bamberg (erhalten am 19.8.1937) hat der Grossvater meiner Ehefrau Josef Maria Hellmann, geb. am 25. VII. 1808, der jüdischen Konfession angehört.“ Ebd., Bd. 2: Schreiben Herzog an Kurator der Universität Münster vom 24.8.1937. Ebd., Bd. 1: Schreiben Rektor der Universität an Wissenschaftsminister vom 28.9.1937. Ebd.: Schreiben Leiter der Dozentenschaft (Walter) an Gaupersonalamt vom 2.10.1937.

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te sich in eigener Sache an den Wissenschaftsminister. Dieser aber entschied „aus grundsätzlichen Erwägungen“ abschlägig.369 Zwischenzeitlich war zum 1. April 1937 Ludwig Lendle, einer der besten Kenner des damals neuentwickelten Giftgases Tabun, endgültig an das Pharmakologische Institut berufen worden.370 Kaum an diesem – einem der größten Institute dieser Art in Preußen mit räumlich sehr günstigen Arbeitsbedingungen – angekommen, monierte er, dass aufgrund des viel zu kleinen Institutsetats seine Auslastung nicht möglich sei. Zugleich machte Lendle deutlich, dass er anders als Hermann Freund nicht gewillt sei, eine „grosse Anzahl von Doktoranden einzustellen […]. Es würde mir daher nicht möglich sein mit dem bestehenden Etat, eine gleich wissenschaftliche Produktivität zu beweisen wie mein Amtsvorgänger. Im übrigen würde ich – abgesehen von einer solchen Vergleichung – in der Verwirklichung meiner persönlichen Arbeitspläne äusserst beschränkt bleiben.“371

Entsprechend seiner Interessen und Kontakte machte er im Mainstream der NS-Hochschul- und Forschungspolitik das Pharmakologische Institut ab 1937 zur „Aussenstelle des Heeres-Waffenamtes“. Sein Institut übernahm nun Forschungsaufgaben für die Wehrmacht.372 Sein Vorgänger Freund blieb zunächst in Münster. Er musste seine Dienstwohnung im Institut räumen, konnte aber für seine wissenschaftlichen Arbeiten die Bibliothek der Firma IG-Farben in Elberfeld nutzen. Im Oktober 1939 emigrierte der 57-jährige nach Zahlung der „Judenvermögensabgabe“ in die Niederlande. In Amsterdam wurde er am 26. November 1942 von der Gestapo verhaftet und in das „Judenlager Westerborg“ gebracht. Von dort kam Freund ins Ghetto Theresienstadt und im Oktober 1944 mit einem der letzten Transporte nach Auschwitz, wo er am 14. Oktober 1944 in der Gaskammer umgebracht wurde.373 Nach einer vorübergehenden Interimsbesetzung mit Fritz Unterberger374 (1893–1978) kam als Nachfolger Herzogs an die Medizinische Fakultät in Münster 369 370

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Ebd.: Schreiben Herzog an den Wissenschaftsminister vom 20.1.1938; ebd.: Schreiben Wissenschaftsminister an Kurator der Universität Münster vom 24.3.1938. Zur Zeit arbeitet Miriam Hanse an einer Dissertation zur Geschichte des Pharmakologischen Instituts der Universität Münster 1925–1955, die auch ausführlich auf den personellen Direktorenwechsel eingehen wird. UAMs, Bestand 9, Nr. 602: Schreiben Lendle an Kurator der Universität Münster vom 1.4.1936. Lendle behauptete, dass Freund von seinen Doktoranden eine Gebühr von 25 RM eingezogen und von den IG Farben finanzielle Unterstützung seines Instituts bekommen hätte. Schmaltz 2005, S. 468ff. Zur Tabunforschung siehe Oehler-Klein/Neumann 2004, S.170ff. Huhn/Kilian 2011, S. 56ff.; Trendelenburg 2006, S. 40f.; Möllenhoff/Schlautmann-Overmeyer 2001, S.130. Unterberger kam von der Universität Jena, wo er im Sommersemester 1931 den Lehrstuhl für Ohrenheilkunde vertretungsweise geleitet hatte. Er wurde in Münster eingesetzt, weil es an der Klinik keinen habilitierten Assistenten gab. Er war bis 1931 österreichischer Staatsbürger und seit 1937 Mitglied der NSDAP. UAMs, Bestand 10, Nr. 445; ebd., Be-

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Helmut Loebell375 aus Marburg. Dieser stand auf der Berufungsliste der Fakultät, der auch Rektor und Dozentenschaftsleiter folgten, primo loco. Demgegenüber suchten westfälische Parteistellen, darunter der Gauamtsleiter und Reichsstatthalter Alfred Meyer, die Führer der SA-Gruppe Westfalen und der Gruppe 10 Westfalen des nationalsozialistischen Fliegerkorps sowie SS-Formationen, Einfluss auf die Fakultät zu nehmen. Sie, unterstützt vom Oberregierungsrat im Wissenschaftsministerium, Hans-Albrecht Grüninger376 (geboren 1906), forcierten die Berufung des ehemaligen Oberarztes Herzogs, Wilhelm Berger (1895–1938), seit 1934 Professor in Königsberg, auf den vakanten Lehrstuhl. Als „einer der wenigen Ärzte, der als Nationalsozialist ebenfalls sein[en] Mann steht,“ wäre Berger, seit 1932 Mitglied der NSDAP, „der geeignetste Mann als Nachfolger von Prof. Herzog.“377 In Abgrenzung zu den im Hintergrund laufenden Mauscheleien zugunsten Bergers wehrten der Rektor und die Medizinische Fakultät seine Berufung erfolgreich ab.378 Zum 1. April 1938 berief man Loebell, seit 1937 Mitglied der NSDAP, als Direktor der Ohrenklinik. Er wurde im Oktober 1941 zum ordentlichen Professor ernannt.379 Zuvor hatte er die systematische Erfassung der Sprach- und Stimmkranken – Stammler, Polterer und Stotterer – an Münsterschen Schulen und deren Behandlung gefördert.380 In seiner Klinik übernahm er aus der „Ära Herzog“ den Oberarzt Erich Knapp381 (geboren 1902), der seit 1936, obgleich damals noch nicht habilitiert,

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stand 4, Nr. 239, Bl. 102: Schreiben Rektor der Universität Jena an Rektor der Universität Münster vom 5.1.1938. Loebell, geb. am 26.3.1894 in Lyck (Ostpreußen), wurde nach der Promotion 1922 in Kiel und der Habilitation 1926 in Marburg 1930 zum ao. Professor, 1937 zum apl. Professor ernannt. Er amtierte 1940/41 als Dekan, 1941/42 als Prodekan der Medizinischen Fakultät Münster und wurde hier 1962 emeritiert. Loebell starb am 6.12.1964 in Münster. UAMs, Bestand 52, Nr. 48; ebd., Bestand 10, Nr. 3513. Grüninger, geb. am 19.2.1906 in Offenburg, war Jurist. Er war Referent im Wissenschaftsministerium, wechselte von dort in die Reichskanzlei. 1942 bis 1945 fungierte er als Kontaktmann der deutschen Gesandtschaft in Pressburg zum slowakischen Staatspräsidenten. Gleichzeitig war er hauptamtlicher SS-Führer im Sicherheitsdienst. Nach 1945 amtierte er als Regierungspräsident in Niederbayern. Hachtmann 2007, S. 972 (Fn. 82); Klee 2003, S. 263. UAMs, Bestand 4, Nr. 236, Bl. 142: Schreiben (Abschrift) SS der NSDAP Dortmund an Gauleiter und Reichsstatthalter Dr. Meyer vom 6.11.1937; ebd., Bl. 144: Schreiben (Abschrift) NSDAP-Gauleitung an Gauleiter und Reichsstatthalter Dr. Meyer vom 8.11.1937. Ebd., Bl. 149: Stellungnahme des Dekans der Medizinischen Fakultät an Rektor vom 12.4.1938; ebd., Bl. 150f.: Schreiben (Abschrift) Rektor an den stellv. Gauleiter des Gaues Westfalen-Nord vom 2.5.1938. UAMs, Bestand 10, Nr. 3513: Schreiben Wissenschaftsminister an Loebell vom 17.3.1938; ebd.: Schreiben Wissenschaftsminister an Loebell vom 10.12.1941. Zu diesem Zwecke schloss Loebell mit dem damaligen Oberbürgermeister Münsters einen diesbezüglichen Vertrag ab. GStA, I. HA Rep. 76, Va, Nr. 10703: Bl. 269: Schreiben Kurator der Universität Münster an Wissenschaftsminister vom 31.5.1939. Knapp, geb. am 1.10.1902 in Nürnberg, war evangelischer Konfession, später „gottgläubig“. Er wurde 1928 promoviert und war von 1931 bis 1945 in der Ohrenklinik der Medi-

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Kurse zur Arbeitsentlastung Herzogs hielt,382 sowie Anton Kössendrup383 als planmäßigen Assistenten. Aus Frankfurt/Main holte Loebell seinen einstigen besten Doktoranden, Dr. Heinrich Hütteroth384 (1912–1945). Knapp und Hütteroth, seit 1933 beziehungsweise 1932 in der NSDAP und seit 1934 beziehungsweise 1940 in der SS, habilitierten sich bei Loebell 1938 beziehungsweise 1942.385 Sein Vorgänger Heinrich Herzog war Anfang 1938 nach München gezogen. Dort starb er kurze Zeit später, am 23. Juni 1938.386 An der Medizinischen Fakultät war inzwischen auch die Nachfolge Aurel von Szilys geklärt. Sein Oberarzt Fritz Poos hatte die Klinik zunächst kommissarisch geleitet. Er, der mit Szily aus Freiburg gekommen war, demonstrierte durch Erscheinen in SS-Uniform in der Augenklinik offensiv die Zeichen der „neuen Zeit“. Selbstverständlich auch seit 1933 NSDAP-Mitglied unterstrich Poos seine nationalsozialistische Gesinnung durch Erklärungen wie „Nach dem Feldzug bis 1931 politisch rechtsstehend. Einer der früheren Parteien als eingeschriebenes Mitglied nicht angehört. Ab 1931 Nationalsozialist und aktiv für die NSDAP tätig. Mitgliedsnummer (auf den Namen meiner Frau 817.300); eigene Nummer 2.170.487.“387

Doch die „Tarnmitgliedschaft“ auf den Namen seiner Frau reichte offensichtlich nicht dazu, seinen einstigen Chef zu „beerben“. Als Nachfolger von Szilys wurde aus München Oswald Marchesani388 (1900–1952) geholt. Der Tiroler, der sich an der

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zinischen Fakultät tätig. Knapp wurde nach 1945 nicht wieder eingestellt. UAMs, Bestand 52, Nr. 16; ebd., Bestand 10, Nr. 240. GStA, I. HA Rep. 76, Va, Nr. 10703: Bl. 201: Schreiben Dekan der Medizinischen Fakultät an Kurator der Universität Münster vom 31.3.1936. Zu Kössendrup gibt es keine Personalakte im UAMs. Hütteroth, geb. am 20.5.1912 in Holzhausen (Kreis Hofgeismar), evangelisch, hatte 1937 in Marburg promoviert und war 1937 bis 1938 Volontärassistent an der Medizinischen Universitätsklinik in Frankfurt/Main. Von dort holte ihn Loebell nach Münster. Er hat in Münster Loebell, der 1939 bis 1945 zur Wehrmacht eingezogen war, weitgehend vertreten. Hütteroth kam bei einem Fliegerangriff am 16.1.1945 ums Leben. UAMs, Bestand 10, Nr. 3571. Neben den drei genannten Assistenten waren bis 1939 in der Klinik zudem als apl. Assistenten Willy Behre und Wilhelm Huismans tätig. Über sie gibt es im UAMs keine Personalakten. UAMs, Bestand 10, Nr. 177, Bd. 1; ebd., Bestand 5, Nr. 311. UAMs, Bestand 10, Nr. 339: Personalfragebogen (ohne Datum). Laut diesen Unterlagen trat Poos am 10.4.1933 in die NSDAP ein und war seit 1.6.1933 Mitglied der SS, wo er das Amt eines SS-Reiterschaftsführer innehatte. Nach Rohrbach 2007, S. 71, war Poos seit 1931 Mitglied der NSDAP. Vgl. Grüttner 2004, S. 133. Marchesani, geb. am 1.5.1900 in Schwaz/Tirol, katholisch, war nach der Promotion 1923 in Innsbruck Assistent der dortigen Universitäts-Augenklinik. Ab 1927 war er in München, wo er sich 1928 habilitierte und 1934 zum ao. Professor ernannt wurde. Zum 1.4.1945 folgte Marchesani dem Ruf an die Universität Hamburg. Er starb am 6.3.1952 in Kiel. Hafemann 1982, S. 29; Wessely 1952.

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Augenklinik der Universität München habilitieren konnte, obwohl er keine deutsche Approbation besaß,389 übernahm im November 1936 die Vertretung des Lehrstuhls. Noch während der laufenden Verhandlungen im Innenministerium über die Anwendung des Reichsbürgergesetzes auf von Szily wurde er zum 1. Januar 1937 zum persönlichen ordentlichen Professor und Direktor der Universitäts-Augenklinik Münster ernannt, zwei Jahre später erhielt er eine planmäßige ordentliche Professur. Marchesani, der kein NSDAP-Mitglied war, verdankte seine Berufung den sehr wohlwollenden Gutachten zweier prominenter Münchener Kollegen – dem Psychiater Ernst Rüdin (1874–1952) und Wagners Adlatus Franz Wirz. Er hatte Rüdin bei der Abfassung seines „Kommentars über die sterilisationspflichtigen Augenleiden in Gütt, Rüdin, Ruttke“ als Sachverständiger zur Seite gestanden.390 Zudem war er für ihn als Dozent in Schulungskursen bei Erbgesundheits- und Oberrichtern tätig. Der Psychiater bescheinigte dem Ophthalmologen, dass er „die Neurologie und Psychiatrie, insoweit sie Grenzland zu den Augenerkrankungen darstellen“, beherrsche. Entsprechend gebühre ihm ein „einflussreiches Ordinariat im Dritten Reich, weil er, wie […] verhältnismässig wenige unter den vielen Ophthalmologen, ganz von der Notwendigkeit durchdrungen ist, endlich auch in der Ophthalmologie der Individualtherapie die liebevolle Pflege der Rassenhygiene in Forschung, Unterricht und eugenischen Massnahmen hinzufügen.“391

Wirz sah sich als Freund Marchesanis und so oder so durch seine „Tätigkeit in der Hochschulkommission der NSDAP“ zu einer wissenschaftlichen und politischen Einschätzung befugt. Für den Dermatologen war Marchesani „unter dem gesamten Nachwuchs der Ophthalmologen mit Abstand der schöpferischste“. Hatte er sich auch „nicht aktiv“ für die „Bewegung“ eingesetzt, entsprach Marchesani doch dem Wissenschaftlertypus, mit dem Wirz hoffte, die Hochschule des „Dritten Reichs“, in der die Wissenschaft „bewusst herauswachsen muss aus den Tiefen der Schätze unseres Volkscharakters und Blutes“, zu gestalten.392

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UAMs, Bestand 10, Nr. 282, Bd. 2: Schreiben Bayer. Staatsministerium für Unterricht und Kultur an Rektor der Universität München vom 9.3.1928. Dafür musste er sich verpflichten, dass er sich der Ausübung der Privatpraxis und der Bezeichnung Arzt in Deutschland enthält. Ebd. Gütt/Rüdin/Ruttke 1934, S. 107ff. In der in diesem Werk aufgeführten Literatur zu den „Augenleiden“ findet sich keine Publikation von Marchesani, allerdings eine Arbeit von Aurel von Szily aus dem Jahre 1924. Ebd., S. 255ff. Marchesani schrieb jedoch in dem von Arthur Gütt 1938 herausgegebenen „Handbuch der Erbkrankheiten“ im Band „Erbleiden des Auges“ über Albinismus und totale Farbenblindheit. Rohrbach 2007, S. 136ff. UAMs, Bestand 10, Nr. 282, Bd. 2: Schreiben Rüdin an Dekan der Medizinischen Fakultät der Universität Münster vom 2.7.1936. Ebd.: Schreiben Wirz an Dekan der Medizinischen Fakultät der Universität Münster vom 7.7.1936.

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In Münster wurde bis auf den Oberarzt das letzte Team von Szilys393 ausgetauscht. Dabei änderte sich an der quantitativen personellen Ausstattung – ein Oberarzt, zwei planmäßige und ein außerplanmäßiger Assistent (siehe Tabelle 3) – grundsätzlich nichts. Hans Bieling (geboren 1909), Sanitäts-Rottenführer in der SA und Mitglied der NSDAP, löste zunächst Rudolf Gaus, dann Machemer ab. Er hatte an der Medizinischen Fakultät 1935 zum Thema „Erbhygienische Untersuchungen an Hilfsschulkindern in Gelsenkirchen“ promoviert und blieb bis zu seiner Entlassung 1946 an der Universitätsaugenklinik.394 Zudem kam 1936 in die Klinik Hildegard Große-Schönepauck (geboren 1908), ebenfalls an der Medizinischen Fakultät gerade promoviert, die 1937 NSDAP-Mitglied wurde.395 Auch Karl-Theo Bodewees396 (1909–1941), dessen Einstellung (als Volontärassistent) von Szily noch in Gang gesetzt hatte, promovierte im Februar 1936 an der Medizinischen Fakultät. Für Poos, der 1939 nach Düsseldorf ging,397 kam 1939 Erich Zeiss (1894–1975). Der Sohn des Mitinhabers der Firma Carl Zeiss Jena war an der Medizinischen Fakultät als Oberarzt tätig. Sein besonderes Forschungsinteresse galt dem Bergarbeiternystagmus. Hierüber führte er Spezialuntersuchungen im Auftrag des Reichsarbeitsministers sowohl in der Weimarer Republik (1930–1932) als auch im „Dritten Reich“ (1938–1939) durch.398 In der Wahrnehmung der Lehraufgaben wurden wie zuvor von Szily auch Marchesani, Poos beziehungsweise Zeiss vom Honorarprofessor Hermann Davids un393

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Es handelt sich hier um den bereits erwähnten Helmut Machemer, um Walter Tilman, die beide seit 1932 bei Szily arbeiteten, und um Rudolf Gaus, der seit 1933 in der Klinik tätig war. Über diese drei Assistenten gibt es keine Personalakten im UAMs. Bieling, geb. am 26.7.1909 in Gelsenkirchen, hatte sein medizinisches Staatsexamen an der Medizinischen Fakultät in Münster gemacht. Nach seiner Entlassung war er Arzt der Augenabteilung des St. Franziskuskrankenhauses in Ahlen/Westf. UAMs, Bestand 10, Nr. 41; ebd., Bestand 54, Nr. 847; GStA, I. HA Rep. 76, Va, Nr. 10702, Bl. 168–170, 208–211. Große-Schönepauk, geb. am 7.3.1908 in Wellingholzhausen, wurde im April 1936 an der Medizinischen Fakultät promoviert. Ihre Doktorarbeit schrieb sie über „Eine neue Methode zur quantitativen und zuverlässigen Auswertung pharmakologischer und anderer Reaktionen an der Pupille.“ UAMs, Bestand 10, Nr. 127 (Personalakte); ebd., Bestand 54, Nr. 895. Bodewees, geb. am 16.9.1909 in Dortmund, schrieb seine Doktorarbeit „Über die Kombinationswirkung von Purinen mit digitalisartigen Glykosiden.“ Er starb bei einem Autounfall am 4.6.1941. UAMs, Bestand 10, Nr. 45. Nach Rohrbach 2007, S. 92, verdankte Poos diesen Ruf neben seinen wissenschaftlichen Arbeiten wohl auch seiner „unrühmlichen Rolle“ bei der Entlassung seines Lehrers (Szily). Zeiss, geb. am 6.1.1894 in Dresden-Loschwitz, war nach der Promotion 1925 in Halle/ Saale dort Assistent an der Universitäts-Augenklinik, dann in Leipzig, wo er sich 1934 habilitierte. Von Leipzig wechselte er nach Würzburg, von dort nach Münster. Zeiss war seit Gründung Mitglied des NS-Fliegerkorps. Im Entnazifizierungsverfahren in Münster wurde er in der Kategorie IV mit Vermögenssperre eingestuft, in Dortmund dann „entlastet“. 1947 wurde er Chefarzt der Augenklinik der Städtischen Krankenanstalten Dortmund. UAMs, Bestand 10, Nr. 3644. Die Berichte zu seinen Spezialuntersuchungen 1938 bis 1939 waren nicht öffentlich. Ebd.

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terstützt. Er, der seit 1920 einen Lehrauftrag hatte und 1936 Honorarprofessor wurde, las bis zum 2. Trimester 1940 unter anderem zur „Verhütung der Blindheit“.399 Tabelle 12: Assistent(inn)en an der Augenklinik unter der Leitung Marchesani bis 1939 Fritz Poos, kath. Erich Zeiss, ev. Hans Bieling, ev. Karl-Theo Bodewees Hildegard GroßeSchönepauck

Stellung Oberarzt Oberarzt pl. Assistent pl. Assistent

NSDAP 1933, SS 1933 1937 1933 1938 (Anwärter)

apl. Assistent

1937

Tätigkeit in der Klinik 1925–1939 1939–1947 1935–1946 1935–1939 (zunächst als Volontärassistent an der Klinik tätig) 1936–1944

Die Isolierung Aurel von Szilys Marchesani stand seinem Vorgänger nicht wohlwollend gegenüber. Er verwehrte von Szily den Zugang zu Krankenakten, Bibliothek und Lehrmaterialien. Von Szily gedachte aber, seinen vor der Zwangsruhestandsversetzung eingegangenen internationalen Verpflichtungen weiterhin nachzukommen. Er fragte Ende Februar 1936 im Ministerium an, ob er zur Fertigstellung seines Referates für den XV. Internationalen Ophthalmologischen Kongress in Kairo (8. bis 14. Dezember 1937) in der Augenklinik arbeiten könne. Auch ersuchte er um die Genehmigung der Teilnahme an der Jahresversammlung der „Internationalen Vereinigung für Blindheitsverhütung“ in Paris im Mai 1936. Dazu hatte ihn der Präsident dieser Vereinigung eingeladen, da die Präsenz von Szilys, „dessen hohe wissenschaftliche Kompetenz in der gesamten medizinischen Welt anerkannt ist,“ unerlässlich sei.400 Zugleich bat von Szily um Richtlinien, „wie ich mich jenen Herren aus dem Auslande gegenüber zu verhalten habe, die sich bei mir angemeldet haben, um ein von mir kürzlich ausgearbeitetes neues operatives Verfahren der Netzhautablösung mittels Elektrolyse und einige andere wissenschaftliche Fragen unter meiner Leitung zu studieren.“401 399 400

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UAMs, Bestand 10, Nr. 75. Außer der schon erwähnten Sympathie zur NSDAP Davids lässt sich aus den Unterlagen seine Haltung zur Entlassung von Szily nicht ersehen. BAB, R/4901/2927, Bl. 343f.: Schreiben Prof. F. de Lapersonne (Präsident der „Association Internationale de Prophylaxie de la Cécité“) an Minister Dr. Rust vom 5.3.1936. Aufgrund seiner ungewissen beruflichen Situation mit der Zwangsruhestandsversetzung sowie der Verzögerung der Genehmigung im Ministerium hatte Szily jedoch seine Teilnahme abgesagt. Ebd., Bl. 8: Schreiben von Szily an Kurator der Universität Münster vom 23.2.1936.

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Von Szilys Anliegen unterstützten der Dekan der Medizinischen Fakultät sowie der Rektor der Universität.402 Das Wissenschaftsministerium hatte ebenfalls weder gegen die Arbeitsreise nach Paris 1936, noch gegen seine Arbeit „im notwendigen Maß“ in der Klinik und seine Teilnahme an der Kairoer Konferenz etwas einzuwenden.403 Mitte 1937 war nun von Szily mit „Führererlass“ in den Emeritusstand versetzt worden. Der Wissenschaftsminister blieb weiterhin sein Vorgesetzter. Als neben dem Innenministerium auch Verantwortlicher für die Beschickung internationaler Kongresse404 erlaubte er von Szily, als Privatgelehrter nach Kairo zu reisen. Zugleich war Anfang März 1937405 entschieden worden, eine deutsche Delegation für den Kongress aufzustellen. Zum Führer der Delegation wurde vom Innenministerium der Berliner Ophthalmologe Walther Löhlein406 (1882–1954) ernannt, dem damit die Auswahl der Delegationsmitglieder oblag. Dabei war Löhlein sichtlich bemüht, die „deutsche“ Ophthalmologie mit Vorträgen herausragend auf dem Kongress zu präsentieren. Hierbei stieß er jedoch auf klare Grenzen durch die langfristige Planung des internationalen Ophtalmologenrates. Der Kongressort Kairo war in Madrid 1933 auf dem IV. Internationalen Ophthalmologischen Kongress, auf dem von Szily – wie erwähnt – um Solidarität für das „neue“ Deutschland gebeten hatte, festgelegt und zwei Jahre später auf der Londoner Jahresversammlung des Rates bestätig worden.407 Unter den bereits 1934 festgelegten Hauptreferenten befand sich von Szily, damals noch Münsterscher Ordinarius, dem der Wissenschaftsminister die Teilnahme 1935 dann auch erlaubte. Selbstredend vertrat von Szily als Jude für Löhlein mit seinem Referat nicht die „Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft“, 402 403 404

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407

Ebd., Bl. 9: Schreiben (Abschrift) Rektor der Universität Münster an Wissenschaftsminister vom 27.2.1936. Ebd., Bl. 10f.: Schreiben Wissenschaftsminister an Kurator der Universität Münster vom 28.3.1936. Zur Beschickungspolitik internationaler Kongresse am Beispiel der internationalen bevölkerungswissenschaftlichen Kongresse im „Dritten Reich“ siehe Weiss 2005; Ferdinand 2007, S. 269ff. Dies geschah, nachdem das Auswärtige Amt im Juli 1936 Wissenschaftsministerium anfragte, ob eine deutsche Delegation an der Konferenz teilnehmen wird. BAB, R/4901/2927, Bl. 12: Schreiben Auswärtige Amt an Wissenschafts- und Innenministerium vom 6.7.1936; ebd., Bl. 14: Schreiben Wissenschaftsminister an Auswärtiges Amt vom 31.7.1936. Die Kongresszentrale bat dann im Februar 1937 im Auftrag des Stellv. des Führers, eine Delegation zu erstellen. Ebd., Bl. 19: Schreiben Deutsche Kongress-Zentrale an Wissenschaftsminister vom 4.2.1937. Löhlein gilt als der mit Abstand einflussreichste Ophthalmologe während der NS-Zeit: Er war in Berlin seit 1934 Ordinarius, Augenarzt Hitlers, beratender Ophthalmologe beim Heeres-Sanitäts-Inspektor, 1928 bis 1954 Mitherausgeber von „Graefes Archiv für Ophthalmologie“ und ab 1937 Vertreter der deutschen Augenheilkunde im Internationalen Ophthalmologischen Rat. Rohrbach 2007, S. 63. Zur Biographie Löhleins siehe ebd., S. 63ff. BAB, R/4901/2927, Bl. 12: Auswärtiges Amt an Wissenschaftsminister vom 6.7.1936; ebd., Bl. 14: Wissenschaftsminister an Auswärtiges Amt vom 31.7.1936.

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sondern war „persönlich“ mit diesem vom Internationalen Rat betraut worden. Ihm blieb als Führer der deutschen Delegation nur die Aufgabe, „Einzelvorträge, die mit einem dieser Hauptthemen in Zusammenhang stehen, zu sammeln.“408 Das Wissenschaftsministerium bestätigte das und verwies zugleich auf die Brisanz, dass „die bereits erteilte Genehmigung für v. Szily im politischen Interesse aufrecht erhalten bleiben [muss]. Da er nicht in der deutschen Delegation ist, würden wir mit einer Entziehung der Genehmigung sehr unnötigen Staub aufwirbeln.“409

Zum Kongress nach Kairo fuhren dann eine deutsche Delegation (18 Männer und zwei Frauen) und von Szily als Privatgelehrter. Zuvor hatte von Szily – im Status des Emeritus – offensiv um ein neues Betätigungsfeld in Deutschland zu kämpfen begonnen. Er war auf eine neue Berufung angewiesen, da er sein Privatvermögen in die Forschung und Arbeit seiner einstigen Klinik investiert hatte und nicht solvent war, aber auch nicht gewillt (was bald dann per Gesetz auch nicht mehr möglich war), eine Privatklinik zu eröffnen. In seinen Bemühungen wurde von Szily von seiner zweiten Ehefrau410 und dem Oberpräsidenten der Provinz Westfalen, Freiherrn von Lüninck,411 sowie von ausländischen Kollegen unterstützt. Von Szily wandte sich mit dem Anliegen nach Arbeitsmöglichkeiten an den Staatssekretär Wilhelm Stuckart412 (1902–1953) im Reichsinnenministerium. Ihm teilte er mit, nach dem „Führerentscheid“ „wieder im Dienste der Allgemeinheit und der deutschen Volksgenossen wirken zu dürfen“ und erbat Richtlinien, 408 409 410

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Ebd., Bl. 40f.: Schreiben Löhlein an Reichs-Unterrichtsministerium vom 18.2.1937. Ebd., Bl. 46: Vermerk i.V. Fricke – Dr. Dahnke vom 12.3.1937. Szilys erste Frau Margarethe, geb. Eissler, starb 1929. Sie hatten zwei Kinder. 1932 heiratete Szily Walburga Freiin von Spiegel von und zu Peckelsheim, geb. 18.4.1888 in Dortmund. Möllenhoff/Schlautmann-Overmeyer 2001, S.467f.; Möllenhoff 2002, S. 347. Universitätsaugenklinik Münster, Nachlass Aurel von Szily: Brief Frau von Szily an Baron Lüninck vom 22.VII.1938. Möllenhof 2002, S. 356f. Wilhelm Stuckart (16.11.1902–15.11.1953), seit 1932 Mitglied der NSDAP, war nach dem Studium der Rechtswissenschaft und der Volkswirtschaftslehre in München und Frankfurt/Main 1930/31 Richter am Amtsgericht Rüdesheim. Er wurde 1931 aus politischen Gründen aus dem preußischen Justizdienst entlassen. 1932/33 war er Rechtsanwalt in Stettin, von April bis Mai 1933 kommissarischer Bürgermeister von Stettin. Seit Mai 1933 im Wissenschaftsministerium tätig, dort seit Juni 1933 Staatssekretär. Nach Konflikten mit Rust wurde er im November 1934 in den einstweiligen Ruhestand versetzt. Seit 1935 war er Staatssekretär und Leiter Verfassung und Gesetzgebung im Reichsinnenministerium. Mit Hans J. Globke (1898–1973) veröffentlichte Stuckart den maßgeblichen Kommentar zu den Nürnberger Gesetzen. Seit 1936 war er Mitglied der SS, im Januar 1942 Teilnehmer an der Wannseekonferenz. 1945 wurde Stuckart verhaftet, 1949 vom Nürnberger Gerichtshof zu vier Jahren Gefängnis verurteilt, die durch die Internierungshaft bereits verbüßt waren. Danach war er Geschäftsführer des Instituts zur Förderung der niedersächsischen Wirtschaft. Stuckart starb bei einem Autounfall in der Nähe Hannovers. Grüttner 2004, S. 171.

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„innerhalb von welchen ich mein Können auf praktischem und theoretischem Gebiet in der Zukunft der Oeffentlichkeit wieder dienstbar machen kann. Die erste Voraussetzung dazu ist […] die Zuweisung oder Erlaubnis zur Uebernahme einer Klinik beziehungsweise Abteilung für Augenkranke, mit der Möglichkeit der Fortsetzung der wissenschaftlichen Arbeiten und der Ausbildung von Schülern.“ 413

Stuckart leitete einen befürwortenden Antrag an das Wissenschaftsministerium weiter. Dort wurde der Antrag nach Zusage der finanziellen Unterstützung durch Generaloberstabsarzt Anton Waldmann vorbereitet. Beabsichtigt war die Einrichtung eines „Klinischen Forschungsinstituts für Blindheitsverhütung“ mit einer klinischen Abteilung (etwa 30 Betten) in Verbindung mit einer Forschungsstelle, nach Möglichkeit im Anschluss an die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft. Anfang 1938 stockte das Vorhaben. Obwohl eine weitere finanzielle Beihilfe von Seiten der Rockefeller-Foundation durch den Vorsitzenden des internationalen Ophthalmologenrates Professor Dr. Nordenson (Stockholm) dem Wissenschaftsministerium offiziell mitgeteilt wurde, entschied man dort „im Einvernehmen mit dem Stellvertreter des Führers“ ablehnend. Auch das Reichsinnenministerium sah sich nun außerstande, die Angelegenheit weiter zu verfolgen. „Wenn das Ressortministerium es ablehnt, für den ihm unterstellten emerit. Hochschullehrer eine Arbeitsmöglichkeit zu schaffen, so kann ich vom Innenministerium aus, der ich in Prof. v. Szily nur den Nichtarier sehe, nichts tuen.“414

Vor dieser Intervention hatte der Stellvertreter des Führers, Rudolf Heß, drei Tage nach Beendigung des Kairoer Kongresses beim Innenminister moniert: „In Anbetracht dessen, dass v. Szily Volljude ist und nachdem er ursprünglich auf Grund des Berufsbeamtengesetzes in den Ruhestand versetzt wurde, als Jude entpflichtet worden ist, wäre ich für eine Mitteilung dankbar, welche Gründe Sie bewogen haben, sich mit seiner Teilnahme am Ophthalmologenkongress in Kairo, wenn auch nur als Privatgelehrter, einverstanden zu erklären.“415

Der Wissenschaftsminister verwies den Innenminister mit der Bitte um Weiterleitung an den Stellvertreter des Führers darauf, dass von Szily nicht als Mitglied der deutschen Delegation nach Kairo gereist war. Ihn hatte das außerordentliche internationale wissenschaftliche Ansehen von Szilys 1935, als dieser noch Ordinarius war, bewogen, die Genehmigung zu erteilen. „Aus demselben Grunde, […], ist, übrigens auch auf die von dem internationalen Ophthalmologenrat beim Führer und Reichskanzler erhobenen Vorstellungen, die Wiederein413 414

415

Universitätsaugenklinik Münster, Nachlass Aurel von Szily: Schreiben Szily an Staatssekretär Stuckart, Reichsinnenministerium, vom 18.10.1937. Ebd.: Bericht Oberpräsident über die erste Unterredung mit dem Staatssekretär Stuckart am 25.5.38 vormittags 11 Uhr. Szily wandte sich dann direkt an Rudolf Heß, doch auch dies erfolglos. Ebd.: Brief Szily an den Stellvertreter des Führers vom 25.5.1938. BAB, R/4901/2927, Bl. 200: Schreiben NSDAP – Der Stellvertreter des Führers, München – an Innenminister vom 17.12.1937.

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setzung des inzwischen nach der Ariergesetzgebung in den Ruhestand versetzten Prof. von Szily in sein Amt zwar abgelehnt, die Versetzung in den Ruhestand dagegen in eine Emeritierung umgewandelt worden. Die Teilnahme von Nichtariern an internationalen wissenschaftlichen Kongressen wird von mir grundsätzlich nicht zugelassen. Im vorliegenden Falle habe ich es jedoch aus den vorstehenden Gründen nicht für richtig gehalten, Prof. von Szily an der Durchführung seines in mehrjähriger Arbeit vorbereiteten Hauptreferats und demzufolge an der Kongreßteilnahme als Privatmann zu hindern. Ich habe mich hierbei insbesondere auch von der Rücksicht auf die Situation leiten lassen, die für die deutsche Delegation entstehen müsste, wenn Prof. von Szily an der Teilnahme als Privatmann gehindert worden wäre […] und glaube, durch diese Entscheidung den deutschen Interessen im Auslande in diesem Sonderfalle besser gedient zu haben, als durch Anwendung des dem Auslande bekannten Grundsatzes, daß Deutschland Nichtarier deutscher Staatsangehörigkeit zu internationalen Kongressen nicht zulässt.“416

Dass diese Strategie des Wissenschaftsministers aufgegangen war, bestätigte nicht zuletzt auch die Kairoer Konferenz, auf der als neuer deutscher Vertreter Walter Löhlein in den internationalen Ophthalmologenrat gewählt worden war. Auch Löhlein, der so an internationalen Renommee und Einfluss gewann, bestätigte den Erfolg dieser Strategie. Sie hatte nicht nur eine reibungslose Teilnahme der deutschen Delegation garantiert, sondern zudem das Gespräch mit Nordenson über seine Aktion zugunsten von Szilys ermöglicht. Dieser „legte sichtlich den grössten Wert darauf, dass dadurch seine Stellung zur deutschen Ophthalmologie nicht getrübt werden möchte. […] Ich sah [daraus], dass der Entschluss des Führers, Herrn v. Szily die Emeritierung zuzubilligen, einen ganz ausgezeichneten Eindruck im Ausland gemacht hat. Umsomehr wäre es sicher ein grober Fehler gewesen, nachdem dies gerade bekannt geworden war, etwa Herrn v. Szily die Reise nach Kairo zur Abhaltung des ihm vor 3 Jahren übertragenden Referates zu verbieten. Man hätte mit recht darin eine Zwiespältigkeit der Stellungnahme gesehen, die als Unehrlichkeit empfunden worden wäre.“417

Löhlein vergaß auch nicht darauf zu verweisen, dass der „Vortrag v. Szilys in keiner Weise demonstrativ beklatscht worden“ sei, er „im Gegenteil […] etwas enttäuscht habe.“ Doch habe sich von Szily während seines ganzen Aufenthaltes sehr korrekt verhalten und „alles vermieden, was ihn in ein schiefes Licht bringen konnte.“ Ähnlich zeigte sich das Verhalten der „ziemlich zahlreich anwesenden jüdischen Augenärzte, die aus Deutschland nach dem Orient ausgewandert waren,“ die zudem ihre Referate „in deutscher Sprache“ vortrugen. Demgegenüber trug der österreichische Vertreter, Professor Lindner,418 seine offizielle Dankrede in französischer Sprache vor. Solch skandalöses Verhalten – so Löhlein – musste man, da in Kairo als nächster Kongressort Wien festgelegt worden war, „rechtzeitig vorbeugen“, damit dort etwa „ähnliche Entgleisungen“ nicht vorkommen.419 416 417 418 419

Ebd., Bl. 203f.: Schreiben Wissenschaftsminister an Innenminister vom 22.1.1938. Ebd., Bl. 216–238: Kongressbericht Löhleins vom 25.1.1938. Karl David Lindner (1883–1961) Ophthalmologe, tätig in Wien. BAB, R/4901/2927, Bl. 216–238: Kongressbericht Löhleins vom 25.1.1938. Die Entscheidung in Wien 1941 die nächste internationale Konferenz der Ophthalmologen abzuhalten

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An der Medizinischen Fakultät in Münster gestalteten sich zwischenzeitlich die Beziehungen zwischen von Szily und seinem Nachfolger denkbar schlecht. Marchesani tat die internationale Reputation von Szilys mit „typisch jüdisch“ oder „internationale jüdische Beziehungen“ ab. Zudem hatte er sich die Zeichnungen von Szilys angeeignet, um unter seiner Autorenschaft einen „Atlas der Augenheilkunde“ zu erstellen. Unterstützt wurde er in seinem Tun vom Zeichner Ludwig Saumer (geboren 1881), mit dem von Szily fast 30 Jahre zusammen gearbeitet hatte, sowie vom Oberarzt Fritz Poos.420 1938 drängten Marchesani und das Wissenschaftsministerium dann auch darauf, dass von Szily seine in der Augenklinik belassenen Sachen (Geräte, Bücher und ähnliches) anderswo unterbringen sowie den Nachweis seines Eigentumsrechtes bringen sollte.421 Auch die Universität hatte inzwischen eine Kehrtwende gemacht. Hier wollte man nun Marchesani halten. Als 1938 eine Anfrage des Wissenschaftsministeriums kam, ob Marchesani Interesse habe, nach Ankara zu gehen, erklangen bei Rektor und Kurator der Universität Alarmglocken. Anders als noch drei Jahre zuvor befürchteten sie, dass der mit Erlass vom 13. August 1937 entpflichtete von Szily einen Weggang Marchesanis nutzen würde, „um die Aufrechterhaltung seiner Verbindungen zur Klinik zu verstärken.“422 Von Szilys eigene Berufungsmöglichkeit nach Ankara wurde wiederum vom Stellvertreter des Führers vehement abgewiesen. Sein Wunschkandidat war von Szilys ehemaliger Oberarzt Poos. Heß erschien es unerwünscht, die Zahl der bereits in Ankara tätigen deutschen Emigranten „durch einen weiteren jüdischen Wissenschaftler deutscher Staatsangehörigkeit [zu] bereicher[n.] Gegen eine Berufung des Professors von Szily nach Ankara habe ich insbesondere deshalb Bedenken, weil […] sein Verhalten in letzter Zeit nicht einwandfrei war und dem Ansehen des Reiches geschadet hat.“423

An der Medizinischen Fakultät stand von Szily nun ziemlich allein. Zu Recht war er darüber verärgert, dass der Stellvertreter des Führers respektive der Adlatus Wagners nicht nur Einspruch in der Angelegenheit seiner im Innenministerium verhandelten Arbeitsmöglichkeit erhoben, sondern ebenso Beschwerde beim Ver-

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wurde nach der Annexion Österreichs im internationalen Rat hart diskutiert. Es wurde überlegt, die Konferenz nach Washington zu verlegen. Universitätsaugenklinik Münster, Nachlass Aurel von Szily: u.a. Schreiben Szily an Saumer (nicht abgeschickt); ebd.: Schreiben Szily an Kurator der Universität Münster vom 8.12.1938. Ebd.: Schreiben Szily an Ministerialrat Klingelhöfer vom 20.5.1938; Schreiben Reichswissenschaftsminister an Szily vom 26.7.1938; Schreiben Kurator der Universität Münster an Szily vom 2.12.1938. UAMs, Bestand 10, Nr. 282 Bd. 1: Schreiben Universitätskurator an Wissenschaftsminister vom 9.3.1938. BAB, R/4901/2927, Bl. 424: Schreiben NSDAP – Stellvertreter des Führers – an Wissenschaftsminister vom 26.10.1938.

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lag der „Klinischen Monatsblätter“424 wie im Wissenschaftsministerium eingereicht hatte. Da, so wurde in Münster kolportiert, Wirz „Marchesani nach Münster gebracht hat“, sah er als Drahtzieher hinter dem Scheitern seiner Arbeitspläne neben Wirz auch Marchesani. Dem – so zeigte sein Verhalten – es vor allem darum ging, „über alles uneingeschränkt verfügen“ zu können.425 Allein gelassen war er auch von seiner einstigen Fachgesellschaft, der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft, die ihn 1924 mit dem von Graefe-Preis ausgezeichnet hatte. Sie unterstellte sich 1934 dem Reichsinnenministerium und protestierte keineswegs gegen die Entlassungen aus „rassischen“ Gründen ihrer prominenten Mitglieder.426 Auch ihre Fachzeitschriften hatten sie entsprechend dem Schriftleiter-Gesetz (4. Oktober 1933) „judenfrei“ gemacht. Von Szily wurde als Schriftleiter relegiert, sein Name verschwand 1937 aus den „Klinischen Monatsblättern für Augenheilkunde“.427 Gleichwohl blieb von Szily weiterhin international hoch anerkannt. Er wurde zum Mitglied des Ehrenausschuss des 2. Brasilianischen Ophthalmologenkongresses gewählt. 1937 war ihm zudem die Ehrung „Doyne Memorial Lecture“ von der Ophthalmologischen Gesellschaft Großbritanniens angetragen worden, die er 1938 vortragen sollte. Von Szily empfand diese Ehrung – so bekundete er dem Wissenschaftsministerium – als eine „für die gesamte deutsche Ophthalmologie.“ Er teilte mit, dass er – vorbehaltlich einer offiziellen Zusage – seine Bereitschaft zu ihrer Annahme und zur Teilnahme am Oxforder Ophthalmologischen Kongress 1938 signalisiert hatte.428 Diese Haltung von Szilys empörte den Kurator und den Leiter der Dozentenschaft seiner einstigen Universität. Sie signalisierten, das die Ehrung von Szilys keine „Anerkennung der deutschen Ophthalmologie“ bedeutete, und betonten, dass 424

425 426

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Dieser Beschwerdebrief Wirz an den Ehmke-Verlag ist abgedruckt in Rohrbach 2007, S. 107. Hier heißt es u.a. „Es waren in der Nachkriegszeit drei Juden (ausser von Szily, Wessely, früher München, und Igersheim, früher Frankfurt, jetzt Istanbul), welche es dank ihrer jüdischen internationalen Verbindungen verstanden hatten, sich auch in Deutschland an die Spitze der betreffenden Organisationen und damit auch als Herausgeber in die Zeitschriften zu setzen. Diese Machtstellung entsprach keineswegs ihren wissenschaftlichen Verdiensten.“ Ebd. Universitätsaugenklinik Münster, Nachlass Aurel von Szily: Schreiben Szily an Kurator der Universität Münster vom 8.12.1938. Das betraf neben Szily Alfred Bielschowski, (1871–1940), Karl Wessely (1874–1953), Josef Igersheim (1879–1965), Karl W. Ascher (1887–1971), Oskar Fehr (1871–1959) u.a. Rohrbach 2007, S. 99ff.; ders. 2011. Zur Akzeptanz der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ siehe Held 1997, S. 45f.; Rohrbach 2006, S. 872; ders. 2007, S. 120f. Hafemann 1982, S. 101. „Aufgrund des Schreibens des Beauftragten für die Medizinische Fachpresse, Prof. Klare, an den Ferdinand Enke Verlag Stuttgart, vom 24.11.1936 erscheint der Name von Szily im 98. Band, Jahrgang 1937, nicht mehr.“ Ebd., S. 104. BAB, R/4901/2927, Bl. 400f.: Schreiben Szily an Wissenschaftsminister vom 25.6.1937.

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sie weder Wert darauf legten, von Szily als Vertreter der deutschen Ophthalmologie auf internationalen Kongressen noch dort als Hauptredner zu sehen.429 Auch das Auswärtige Amt bat das Wissenschaftsministerium um eine diesbezügliche Stellungnahme. Desgleichen tat die Britische Botschaft und der Stellvertreter des Führers Heß, selbstredend mit gegensätzlichen Intentionen. Letztendlich hielt von Szily auf dem Kongress in England seine Doyne Memorial Lecture. Dort erhielt er auch ein Arbeitsangebot des Moorfield Eye Hospital in London. Das lehnte er ab, vielleicht aus Angst um seine Familie – seine Kinder hatte er nach Budapest geschickt, seine Ehefrau war in Münster. Für ihn bot Deutschland mit seinen immer restriktiveren Rassengesetzen keine Perspektive mehr. Er emigrierte 1939 mit seiner Frau nach Budapest, wo er eine kleine Privatpraxis betrieb. 1941 strich das Deutsche Reich seine Emeritusbezüge und entzog von Szily die deutsche Staatsbürgerschaft. Kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges berief ihn die Universität Budapest auf den Lehrstuhl Josef Imres (1884–1944). Den nahm von Szily an, doch verstarb er am 13. September 1945 nach einer Operation.430

Fazit und Ausblick – Entwicklungen bis 1945 Wie an allen deutschen Universitäten und Hochschulen hatte auch an der Medizinischen Fakultät der Universität Münster nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahre 1933 deren Nazifizierung begonnen. Diffamierungen gehörten ebenso wie Zwangsentlassungen nun zum universitären Alltag. Im Zuge der Radikalisierung des Hochschulalltags und der (Selbst-)Gleichschaltungsprozesse war bis 1939 fast die Hälfte der Kliniken und Institute der Medizinischen Fakultät Münster unter eine neue Direktorenschaft gestellt. Durch die Suizide Gross’ und Krauses 1933/34 und die nachfolgenden Verdrängungen der Ordinarien Freund, Szily und Herzog aufgrund der Rassengesetze wurde an der jungen Fakultät die Aufbau- und Konsolidierungsphase des Pathologischen und Pharmakologischen Instituts sowie der Medizinischen, der Ohren- und Augenklinik abrupt beendet. Die Augenklinik verlor ihren internationalen Ruf als herausragende Ausbildungs- und Forschungsstätte. Am Pathologischen und Pharmakologischen Institut brach man mit einstigen Forschungsausrichtungen, letzteres übernahm „ab 1937 Forschungsaufgaben für die Wehrmacht“.431 Auf die Besetzungen der vakanten Lehrstühle an der Medizinischen Fakultät suchten in den ersten sechs Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft (über-) regionale Parteigliederungen Einfluss zu nehmen. Dabei blieb der personalpoliti429 430 431

Ebd., Bl. 402: Schreiben Ophthalmological Congress (Frederick A. Anderson) an Szily vom 9.11.1937. Rohrbach 2007, S. 105f.; Möllenhoff 2002, S. 362f. Schmaltz 2005, S. 469.

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schen Einflussnahme der NSDAP-Gauleitung Westfalen-Nord bei den Berufungen auf die Lehrstühle für Dermatologie und für Hals-Nasen-Ohren ein Erfolg versagt. Demgegenüber gelang es der Reichsärzteschaft/Hochschulkommission der NSDAP mit ihren Verbündeten in der Fakultät, in Münster und in der Region zunächst im „Fall Krause“, dann bei der Berufung Viktor Schillings das „Klima“ in der Fakultät zu radikalisieren. Die Gruppe um den Stellvertreter des Führers, Rudolf Heß, lenkte über die Dozenten- und Studierendenschaft, die Partei und ihre Gliederungen wie den Ärztebund in der Region die Rufmordkampagne gegen den Gründungsdekan der Fakultät, Paul Krause. Nach dessen Selbstmord forcierte sie die Berufung Viktor Schillings nach Münster. Er sollte die Nazifizierungsprozesse an der Universität beschleunigen. Auch wenn ihm dies nur partiell gelang, bewahrte die „Clique“ um Heß „ihren“ Mann vor Konsequenzen eines Dienststrafverfahrens an der Medizinischen Fakultät. Zugleich protegierte sie Schillings Engagement beim Ausbau einer „deutschen“ Hämatologie mit ihm als internationalen Experten an der Spitze durch die Isolierung und Verdrängung jüdischer Kollegen. Auf dieses erfolgreiche Kalkül verwies der Gauleiter Westfalen-Nord, Alfred Meyer, um den Widerstand der Rostocker Medizinischen Fakultät gegen die Berufung Schillings 1941 brechen zu helfen: „Wenn Schilling auch nicht der Begründer der Blutlehre ist, so verdankt ihm diese doch in sehr großem Maße ihren Ausbau und vor allen Dingen ihre Anwendung in der praktischen Medizin. Diese ist der Grund, warum Schilling im Ausland als der deutsche Blutforscher schlechthin gilt. […] Die Leistungen des Prof. Schilling als Blutforscher haben schon vor Jahren dazu geführt, dass die Partei auf ihn aufmerksam wurde. Als daher 1934 das hiesige Ordinariat für Innere Medizin neu zu besetzen war, hat die Hochschulkommission beim Stellvertreter des Führers, an deren Spitze der verstorbene Reichsärzteführer Wagner stand, es durchgesetzt, dass Schilling nach Münster berufen wurde, obwohl von Seiten der hiesigen Universität andere Persönlichkeiten vorgeschlagen waren. Diese Förderung durch den Pg. Wagner und durch seinen Mitarbeiter Pg. Prof. Wirz in München ist auch in der Folgezeit dieselbe geblieben. Auch ist mir kurz vor dem Kriege vom Stellvertreter des Führers mitgeteilt worden, daß es unmöglich sei, gegen Prof. Schilling eine Strafmaßnahme zu verhängen, solange er als grosse wissenschaftliche Autorität im Ausland herausgestellt würde.“432

Zwar stellte die Hochschulkommission der NSDAP 1936 ihre Tätigkeit ein, an ihre Stelle trat der Nationalsozialistische Deutsche Dozentenbund (NSDDB),433 doch nahm die „Clique“ um Heß weiterhin Einfluss auf hochschul- und wissenschaftspolitische Belange. So wurde der Ophthalmologe Oswald Marchesani als Nachfolger des in Zwangsruhestand versetzten Aurel von Szilys von Franz Wirz, dem Adlaten des Reichsärzteführers Wagner, protegiert. Als von Szily durch einen „Führererlass“ rückwirkend emeritiert wurde, galt das Bestreben dieser „Clique“, den international hoch anerkannten Ophthalmologen zu isolieren und aus allen (in432 433

UAMs, Bestand 9, Nr. 335, Bl. a/460–a/462: Schreiben der Gauleitung Westfalen-Nord (Meyer) an Gauleiter des Gaues Mecklenburg der NSDAP vom 8.3.1941. Siehe hierzu Grüttner 2003, S. 77ff.

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ternationalen) Wirkungskreisen systematisch zu verdrängen. Bei gleichzeitiger Protegierung systemtreuer Wissenschaftler (zum Beispiel von Viktor Schilling) half sie so, die internationalen Wissenschaftsbeziehungen zu nazifizieren beziehungsweise deren Nazifizierung zu festigen.434 Für die Opfer bedeutete der Verlust ihrer einstigen Arbeitsstätte und die systematische Isolierung und planmäßige Verdrängung aus den (inter-)nationalen Wissenschaftskreisen weit mehr als Giambattista Bietti 1973 im ehrenvollen Gedenken an seinen Lehrer Aurel von Szily für die ophthalmologische Wissenschaft aussprach: „Man wird es nie verwinden können, dass eine Persönlichkeit wie Aurel von Szily […] durch politische Ereignisse in die Unmöglichkeit versetzt wurde, seinen wertvollen und unvergleichlichen Beitrag zur Wissenschaft und Humanität weiter zu leisten.“435

Die exkludierten Professoren erlebten den mit ihrer Verdrängung und Vertreibung einhergehenden radikalen Umbruch von Werten und Normen als „Zerstörung der eigenen Welt“. Allen Arbeitsmöglichkeiten und zivilen Rechten in Deutschland beraubt, suchten viele wenigstens ihr Leben durch das Exil zu retten.436 Mit den expansionistischen Bestrebungen des Deutschen Reiches, die die Landkarte Europas durch Okkupation und Krieg veränderten, gelangten aber nicht wenige Exilanten in die Hände der nun auch in den okkupierten Ländern operierenden Gestapo. Unter ihnen auch Hermann Freund, der in seinem Exilland Holland verhaftet und deportiert, schließlich in Auschwitz ermordet wurde. Auch manche der von den Rassengesetzen betroffenen jungen Nachwuchswissenschaftler der Medizinischen Fakultät führte das abrupte Ende ihres akademische Karriereweges ins Exil (Heinz Karl Ferdinand Hartmann), andere suchten mit einer Praxis in Deutschland zu überleben (Karl Adler, Helmut Machemer). Demgegenüber standen den (jungen) Aktivisten der „neuen Zeit“, die Gross und Krause in den Selbstmord getrieben hatten, akademische Karrierewege, wenn auch nicht in Münster, offen. Die Medizinische Fakultät hatte den Nazifizierungsprozessen, mit denen das Aus von autonomen Entscheidungsstrukturen einherging, kaum etwas entgegengesetzt. Mit der neuen Habilitationsordnung (17. Februar 1939) wurden dann letztmalig alle Privatdozenten und nichtbeamteten außerordentlichen Professoren einer fachlichen und politischen Überprüfung unterzogen. Es kam erneut zu (wenn auch wenigen) politisch motivierten Entlassungen.437 An der Medizinischen Fakultät Münster verlor 1939 – so der Stand unserer Forschung – der Pathologe K(C)arl Neuhaus seine Dozentur. Inwieweit dies politisch motiviert war, lässt sich aus den 434 435 436 437

Zu den internationalen Beziehungen deutscher Wissenschaftler im nationalsozialistischen Deutschland siehe allgemein Hachtmann 2008, S. 214f. Zit. in Rohrbach 2010, S. 661. Zur Emigration von Mediziner im „Dritten Reich“ siehe Kröner 1989. Zur Anerkennung ihrer Ausbildung in den Gastländern Kümmel 1989, S. 35f. Grüttner/Kinas 2007, S. 138.

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Akten nicht ersehen.438 Allgemein kam damit die „Säuberung“ der Hochschulen kurz vor Beginn des Zweiten Weltkrieges zu einem gewissen Stillstand.439 In den ersten sechs Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft passte die Fakultät auch ihr Profil in Forschung, Lehre und Klinikalltag der „neuen Zeit“ an. Neue Forschungsausrichtungen entsprechend den wirtschaftlichen und (bald) militärischen Erfordernissen im „Dritten Reich“ prägten ebenso wie Zwangssterilisationen – legitimiert durch das „Gesetz zur Verhütung des erbkranken Nachwuchses“ – in der Chirurgischen und in der Frauenklinik440 und breite Gutachtertätigkeiten im Fahrwasser der nationalsozialistischen Gesundheitspolitik etwa von Ferdinand Kehrer und seinen Mitarbeitern den Forschungs- und Klinikalltag.441 Auch wenn es keinen Lehrstuhl beziehungsweise kein Institut für Rassenhygiene442 gab, im Lehrangebot fanden sich – entsprechend der neuen Prüfungsordnung (1936) und per Erlass festgelegte Pflichtveranstaltungen – verpflichtende Übungen und Vorlesungen zur Rassenhygiene, die 1939 endgültig als Pflichtfach des medizinischen Staatsexamens festgelegt wurde, zur Rassenkunde, Rassenhygiene und Bevölkerungspolitik, Luftfahrtmedizin, zu chemischen Kampfstoffen etc.443 Mit der am 1. April 1939 in Kraft getretenen neuen Studienordnung für Humanmedizin, deren gesetzliche Grundlage die vom Reichsinnenministerium am 17. Juli 1939 veröffentlichte Bestallungsordnung für Ärzte bildete, wurde unter anderem das Studium verkürzt, eine stärkere praxisbezogene Ausbildung festgelegt und die klassischen Fächer (Physiologische Chemie, Pathologie, Hygiene, Toxikologie, Psychiatrie und Innere Medizin) mit kriegsmedizinischen Bezügen durch den Zusatz „Wehr“ ergänzt.444 438

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UAMs, Bestand 10, Nr. 306: Schreiben Wissenschaftsminister an Kurator der Universität vom 21.9.1939. Mit diesem Schreiben erlosch seine Dozentur vom 19.2.1929 zum Ende September 1939. Grüttner/Kinas 2007, S. 138. Coenen protestierte gegen den Entzug der Sterilisationsermächtigung seiner Klinik zur (Erlass vom Januar 1936). Dies führe zu Einbußen der Klinikeinnahmen, zum Mangel an leichten Operationsmethoden wie der Sterilisation. Sie würde zudem seinen Assistenten die Möglichkeit verwehren, ihre diesbezüglichen Techniken zu erweitern und zu verbessern. Coenen führte an, dass 1934 in seiner Klinik 35 und ein Jahr später 62 Sterilisationen durchgeführt wurden. Seine Eingabe hatte Erfolg, an seiner Klinik durften die Sterilisationen im April 1936 wieder aufgenommen werden. UAMs, Bestand 9, Nr. 343: Schreiben Coenen an Kurator der Universität vom 7.2.1936; ebd.: Schreiben Kurator an den Wissenschaftsminister vom 17.2.1936; ebd.: Schreiben Wissenschaftsminister an Kurator vom 27.4.1936. Zur Sterilisationspraxis an der Frauenklinik der Universität Münster siehe die Dissertation von Birthe Heitkötter. Siehe den Beitrag von Ioanna Mamali in diesem Band. Siehe hierzu den Beitrag von Hans-Peter Kröner in diesem Band. Siehe Vorlesungsverzeichnisse Sommersemester 1939ff. Diese Veranstaltungen richteten sich zum Teil auch an Juristen beziehungsweise an Hörer(innen) aller Fakultäten. Van den Bussche 1989, S. 133ff. Zum Angebot der Veranstaltungen zur Wehrmedizin, -physiologie, -pathologie, zur Erbpflege und Rassenschutzgesetzgebung etc. an der Medizinischen Fakultät siehe Vorlesungsverzeichnisse Sommersemester 1939ff.

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Mit Ausbruch des Krieges veränderte sich der Alltag an der Universität. Als eine neue Kraft wirkte auf Studien-, Forschungs- und Klinikalltag die Wehrmacht an den Medizinischen Fakultäten.445 Vor allem Ordinarien figurierten als beratende Experten der Wehrmacht oder nutzten Forschungsmöglichkeiten unter Kriegsbedingungen.446 Das wie die personellen Veränderungen im engeren Lehrkörper an der Medizinischen Fakultät verhalf in den folgenden sechs Jahren – 1939 bis 1945 – das nazifizierte Profil der Münsterschen Fakultät zu konsolidieren. Im Zuge der Mobilmachung wurden bei Kriegsbeginn viele Hochschullehrer und Assistenten einberufen und die Universitäten geschlossen.447 Vor der Wiedereröffnung der Universität Münster zum 8. Januar 1940 bat Rektor Mevius das Reichspropaganda-Amt Westfalen-Nord, die wieder mögliche Immatrikulation für die (potentiellen) Studierenden öffentlich zu machen.448 Auch im Klinikalltag machten sich die Eingriffe der „neuen“ Macht (Wehrmacht) bemerkbar. Die Wehrdienstverpflichtungen führten zu Mangel an Assistenzärzten, die „Abtretung von Betten an das in den Kliniken errichtete Reserve-Lazarett“449 zu finanziellen Einbußen der Kliniken,450 die zudem aufgrund der verminderten Bettenzahl Patient(inn)en abweisen mussten. Letzteren Änderungen standen die Klinikdirektoren der Medizinischen Fakultät abwehrend gegenüber. Sie sahen in solchen Eingriffen eine nachhaltige „Störung in der Entwicklung“ der Fakultät. Er verhelfe nicht nur jenen Kräften „Oberwasser“ zu gewinnen, „die schon immer die Universitätskliniken als eine unangenehme Konkurrenz empfunden haben,“451 sondern verursache auch Ausbildungsprobleme: 445 446 447

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Zu den Beziehungen zwischen der Universität Münster und dem Militär siehe den Beitrag von Timm C. Richter in diesem Band. Am Beispiel der Freiburger Medizinische Fakultät zeigt dies Neumann 2002. Dies betraf zunächst alle Universitäten. Per Erlass vom 5.9.1939 wurde dann einigen Hochschulen erlaubt, ihre Pforten zum 11. September wieder zu eröffnen. Die Universität Münster zählte nicht dazu. John/Stutz 2009, S. 551f.; van den Bussche 1989, S. 145. UAMs, Bestand 4, Nr. 92: Schreiben stellv. Dekan der Medizinischen Fakultät an Rektor der Universität Münster. UAMs, Bestand 4, Nr. 530: Schreiben Rektor an Gauamtsleiter, Reichspropaganda-Amt Westfalen-Nord vom 11.12.1939. Mevius ging davon aus, dass über 95% der an der Universität Studierenden aus den Gauen Westfalen-Nord, Westfalen-Süd, Weser-Ems, Essen und Düsseldorf stammten. Ebd. Ebd.: Tätigkeitsbericht der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster für das Jahr 1940 vom 5.2.1941. Hintergrund für die Abtretung von Klinikbetten bildete ein Runderlass des Generalbevollmächtigten für Reichsverwaltung von Oktober 1939, der die Inanspruchnahme von Krankenhäusern etc. zum Zwecke der Einrichtung von Reservelazaretten durch die Wehrmacht regelte. In Münster betraf das neben der damals noch städtischen Hüfferstiftung die Universitätskliniken, die 325 Krankenbetten für die Einrichtung des „Reservelazaretts III“ stellen sollten. Zu den finanziellen Modalitäten Kuzaj 1989, S. 62f. Anlass der Kritik war eine im November 1939 verfügte Aufstockung der abzugebenden Bettenzahlen an das „Reservelazarett III“. UAMs, Bestand 4, Nr. 92: Schreiben Rektor

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„Das Patientenmaterial des Reservelazaretts bildet wohl einen guten Ausschnitt aus den kriegswichtigen medizinischen Gebieten; die Ausbildung der Studierenden der Medizin verlangt jedoch ein Patientenmaterial, bei dem Allgemeinerkrankungen der verschiedensten Art vorgestellt werden können. […] Dazu kommt, daß im Reservelazarett nur männliche Patienten zur Verfügung stehen.“ 452

Allgemein nahm die Wehrmacht so oder so auf die Ausbildung der Mediziner Einfluss. Sie drängte aufgrund ihres wachsenden Bedarfs an Absolventen der Medizin auf Verkürzung der Studienzeit (Einführung von Trimestern).453 Ihrem Versuch, die „medizinischen Ausbildungsstätten in ‚Durchlauferhitzer‘ für die Front“ zu verwandeln, standen die Medizinischen Fakultäten jedoch kritisch gegenüber. Sie befürchteten zu Recht eine mit der Verkürzung der Studienzeit einhergehende sinkende Ausbildungsqualität.454 Der Wehrmacht ging es jedoch um Quantität, nicht um Qualität. Dem beugte sich dann das Wissenschaftsministerium – „eine erhebliche Minderleistung in den Prüfungen muss in Kauf genommen werden, weil der Abschluss der Ausbildung befohlen ist.“455 Auch in Münster kritisierte man die Trimester-Regelung und konstatierte mit der Regelung sinkende „Leistungen der meisten Studierenden.“ Bei Prüfungen von 185 Physikumskandidaten wären die Leistungen „zu einem großen Teil geradezu erschütternd [gewesen]. Ferner erlitten über 20 Kandidaten während des Examens einen ‚seelischen Zusammenbruch‘, sodaß sie auf Grund eines ärztlichen Zeugnisses von der Fortsetzung der Prüfung befreit werden mussten.“456

Ein kleiner Sieg wurde dann errungen: Mit dem Sommersemester 1941 endete überall der Trimesterbetrieb. An der Medizinischen Fakultät frohlockte man nun über eine vermeintliche Rückkehr des normalen Forschungs- und Lehrbetriebs. Die Zahl der Studierenden stieg, die Medizinischen Fakultät bemühte sich, die spezifischen Verpflichtungen gegenüber den sogenannten Studentenkompanien, in denen von der Wehrmacht beurlaubte Medizinstudenten zusammengefasst waren, einzuhalten. Zudem wurde der Forschungsbetrieb durch Zuweisung kriegswichtiger Aufgaben verstärkt. Durch vielfache Abberufungen der Instituts- und Klinikleiter zur Durchführung von Forschungs- und Sonderaufgaben beziehungsweise ihrer Indienstnahme

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(Mevius) an Kurator der Universität Münster vom 23.11.1939; Protokoll der Sitzung der Klinikdirektoren 22.11.1939 in: ebd., Siehe auch Kuzaj 1989, S. 63f. UAMs, Bestand 4, Nr. 92: Schreiben Dekan der Medizinischen Fakultät an Rektor der Universität Münster vom 22.11.1939. Die Verkürzung des Studiums wurde durch die Einführung des Trimesters zunächst erreicht. Van den Bussche 1989, S. 145ff. Ebd., S. 148. So Ministerialdirektor Rudolf Mentzel (1900–1987) auf der Rektorenkonferenz 1940. Zit in ebd. UAMs, Bestand 4, Nr. 530: Schreiben Rektor der Universität (Mevius) an Ministerialrat Becker vom 25.1.1941.

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als beratende Experten für die Wehrmacht457 oder der Indienstnahme der Münsterschen Physiologie für die militärische Forschung vollzog sich auch in Münster die Militarisierung der Medizinischen Fakultät.458 Der Anatom Hellmut Becher, der nach dem Tod Heiderichs (21. März 1940) die Leitung des Anatomischen Instituts in Münster übernahm, hatte bereits 1936 eine Militarisierung der universitären Forschung begrüßt: „Nachdem der Führer unserem Vaterlande zur Verteidigung die Luftwaffe geschenkt habe, sei es jetzt auch Pflicht des Mediziners, sich mit der Luftfahrt zu befassen.“459 Diesem Credo folgte der Direktor des Kaiser-Wilhelm-Institut für Arbeitsphysiologie und Professor an der Medizinischen Fakultät, Gunther Lehmann, der zu Fragen der Ermüdung forschte, ebenso wie sein Kollege Erich Müller. Letzterer, Lehrbeauftragter der Luftfahrtmedizin an der Medizinischen Fakultät, wurde Mitte 1941 für kriegswichtige Forschungen am Kaiser-Wilhelm-Institut für Arbeitsphysiologie freigestellt.460 In der Kampfstoff-Forschung war der Pharmakologe Ludwig Lendle aktiv in Münster und nach seiner Abkommandierung 1939 an das Institut für Pharmakologie und Wehrtoxikologie der Militärärztlichen Akademie in Berlin tätig.461 Der Direktor des Physiologischen Instituts Erich Schütz war seit Beginn des Krieges durch seine Tätigkeit am Luftfahrtmedizinischen Forschungsinstitut des Reichsluftfahrtministeriums462 ebenfalls in Berlin tätig.463 457

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Eine Liste der beratenden Experten aus der Medizinischen Fakultät Münster hat sich bisher nicht finden lassen. Aus der bisherigen Aktensicht waren von der Medizinischen Fakultät Arnold Loeser (1902–1986) als beratender Pharmakologe des Heeresdienstes, Horst Gärtner (1911–2011) als beratender Hygieniker der Luftwaffe, Hans Hellner (1900–1976) als beratender Chirurg der Wehrmacht, Herbert Siegmund (1892–1954) als beratender Pathologe und Helmut Loebell (1894–1964) als beratender Otologe des Wehrkreises VI tätig. Zudem lag in den Händen des Physiologen G. Lehmann bereits vor Kriegsbeginn die Fortbildung in flugphysiologischen Fragen der Sanitätsoffiziere. Eckart 2011, S. 109f. Vgl. Rothschuh 1957, S. 56. An dieser Stelle soll der Anatom Johann Paul Kremer erwähnt werden. Er tat im August 1942 in Auschwitz als Lagerarzt Dienst. Hier selektierte er Häftlinge und „sammelte“ „lebensfrisches“ Material (Leber, Milz, Pankreas etc.) von den auf dem Seziertisch Getöteten für seine Forschungen über die Folgen des Hungers. Kudlien 1985, S. 206f.; Lifton 1988, S. 337f.; Klee 1997, S. 407ff. Zit. in Oehler-Klein/Neumann 2004, S. 117. Schmaltz 2005, S. 208. Erwähnt sei hier, dass die Zweigstelle Münster des Kaiser-WilhelmInstituts im Januar 1941 geschlossen wurde. Ebd., S. 470f. Dieses 1935 gegründete Forschungsinstitut stand unter der Leitung Hubertus Strughold (1898–1986), der Schütz auch als „Sonderführer“ an das Institut berief. UAMs, Bestand 61, Nr. 31805, Bd. 1: Schreiben Strughold an Universitätskasse der Universität Münster vom 24.10.1939. Siehe auch Klee 2001, S. 188. Es verwundert nicht, dass Strughold am 11.3.1940 in Münster zum Thema „Luftfahrtmedizin und medizinische Forschung“ einen Vortrag an der Medizinischen Fakultät hielt. UAMs, Bestand 4, Nr. 530: Mitteilung der Universität (ohne Datum). Bereits vor Kriegsbeginn wurden seine Forschungen zu Fragen der Nervenbeteiligung bei Kampfgasvergiftungen durch den Reichsforschungsrat unterstützt. BAK, R 73/14563, Bl.

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Es verwundert nicht, dass die wachsenden und mehrheitlich von den Professoren als wichtiger eingestuften außeruniversitären Verpflichtungen mit ihren Verpflichtungen an der Medizinischen Fakultät kollidierten. Manche, wie der Direktor der Hals-Nasen-Ohren-Klinik Helmut Loebell, fühlten sich durch die zusätzlichen Verpflichtungen – Leitung der Hals-Nasen-Ohren-Station des Standortlazaretts Münster und Führerschaft der Studentenkompanie der Sanitätsabteilung Münster – zu sehr belastet.464 Der Pharmakologe Lendle kam aufgrund seiner Arbeiten an der Militärärztlichen Akademie den Lehr- und Forschungsaufträgen in Münster nur noch unzureichend nach. Der Physiologe Erich Schütz verbrachte mehr Zeit in Berlin als in Münster. Das veranlasste 1942 den Rektor, Schütz eine Vortragsreise nach Ungarn während des Semesters nicht zu genehmigen.465 Er bat im Interesse „einer geordneten Ausbildung der Vorkliniker, besonders der Angehörigen der Luftwaffenschülerkompanie und der Studentenkompanie der Sanitätsabteilung des Heeres, den Professor Schütz nicht während des Sommersemesters 1942 zu beurlauben, um seine Vortragsreise in Ungarn durchzuführen, ihm vielmehr anheim zu geben, diese Reise auf die vorlesungsfreie Zeit zu verschieben.“466

Schütz ließ sich durch seinen Assistenten Karl Eduard Rothschuh467 in Münster vertreten. Rothschuh, der 1940 in die NSDAP eintrat, übernahm schon vor der Habilitation 1941 und seiner Ernennung 1942 zum Dozenten weitgehend die Lehrverpflichtungen seines Vorgesetzten.468 Ähnlich verhielt sich der Direktor des Instituts für Physiologische Chemie, Emil Lehnartz469 (1898–1979). Nach seiner Einberu-

464 465 466 467

468 469

5: Schreiben Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft (Mentzel) an Schütz vom 28.4.1938; ebd.: Schreiben Militärärztliche Akademie, Gastherapeutische Abt. an Deutsche Forschungsgemeinschaft vom 17.4.1937. Siehe auch UAMs, Bestand 61, Nr. 31805, Bd. 1. UAMs, Bestand 9, Nr. 335, Bl. a/470a/471A: Schreiben Rektor der Universität (Mevius) an Wissenschaftsministerium vom 28.5.1941. UAMs, Bestand 8, Nr. 31805, Bd 3: Schreiben Rektor der Universität Münster (Mevius) an Wissenschaftsminister vom 27.1.1942. Ebd. Karl Eduard Rothschuh, geb. am 8.7.1908 in Aachen, katholisch, studierte nach dem Studium der Landwirtschaft Medizin in Hamburg, Frankfurt, München, Wien und Berlin. Dort wurde er am 3.5.1937 promoviert. Zuvor nahm er an einem Lehrgang an der „Führerschule der Deutschen Ärzteschaft“ in Alt-Rehse teil. Er kam Anfang November 1937 an die Medizinische Fakultät Münster, wo er sich am 11.6.1941 habilitierte. 1940 wurde er Mitglied der NSDAP. Im Entnazifizierungsverfahren wurde Rothschuh 1947 in die Kategorie IV, ein Jahr später in V eingestuft. 1948 wurde er apl. Prof. am Physiologischen Institut, 1962 o. Professor und Direktor des neu gegründeten Instituts für Geschichte und Theorie der Medizin an der Medizinischen Fakultät Münster. Er starb am 3.9.1984 in Münster. UAMs, Bestand 9, Nr. 337; Bestand 8, Nr. 8721, Bd. 1–3; Bestand 207, Nr. 277; Bestand 52, Nr. 368; LAV NRW R, Bestand NW 1039 R, Nr. 1758. Siehe auch Toellner 1985. UAMs, Bestand 9, Nr. 337: Schütz – Gutachten über Karl Rothschuh vom 9.5.1947. Emil Lehnartz, geb. am 29.6.1898 in Remscheid/Rheinland, evangelisch, studierte nach dem Studium an der Handelshochschule Köln Medizin in Freiburg und Frankfurt, wo

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fung an die Militärärztliche Akademie in Berlin wurde sein Assistent, Fritz Menne470 (1910–1979), uk (unabkömmlich) gestellt. Als Lehnartz zu Kriegsende wegen besonderer Forschungsaufträge471 seinen Unterrichtsverpflichtungen gar nicht mehr nachkommen konnte, hatte diese Menne zu übernehmen.472 Schütz und Lehnartz, die 1937 beziehungsweise 1939 an die Medizinischen Fakultät gekommen waren, beförderten so die akademischen Karrieren ihrer Assistenten. Sie sicherten somit auch die Ausbildung einer neuen Medizinergeneration für die Zeit nach dem propagierten „Endsieg“. Menne und Rothschuh gehörten zu den 16 zwischen 1939 und 1945 habilitierten und zu Dozenten ernannten Nachwuchswissenschaftlern der Medizinischen Fakultät (Tabelle 13). Als Wissenschaftler und Ärzte schrieben sie dann auch nach 1945 die Geschichte an der Medizinischen Fakultät mit.473

470

471

472 473

er 1923 promoviert wurde. Von 1925 bis 1935 war er Assistent am Frankfurter Physiologisch-Chemischen Institut, wo er sich 1929 habilitierte und 1935 zum apl. Professor ernannt wurde. 1925/26 und 1935 war er als Rockefeller-Stipendiat am University College beziehungsweise am Institute for Medical Research in London tätig. 1936 bis 1939 war er Oberassistent in Göttingen, 1939 erhielt er den Ruf nach Münster. Dort war er zunächst als ao. Prof., 1946 als o. Prof. bis zu seiner Emeritierung 1968 tätig. 1933/34 war er Mitglied des Stahlhelms. 1946 bis 1949 war Lehnartz Rektor der Universität Münster und von 1950 bis 1968 Präsident des Deutschen Akademischen Austauschdienstes. UAMs, Bestand 8, Nr. 7180, Bd. 1–3; Bestand 207, Nr. 327; Bestand 52, Nr. 273. Fritz Adolf Menne, geb. am 5.11.1910 in Allenstein (Ostpreußen), evangelisch, dann gottgläubig, wurde nach dem Studium in München, Münster, Innsbruck, Freiburg i.Br. und Göttingen am 15.1.1938 promoviert. Er, seit 1933 Mitglied der NSDAP, war Kursteilnehmer an der „Führerschule der Deutschen Ärzteschaft“ in Alt-Rehse und kam mit Lehnartz zum 1.5.1939 nach Münster. Hier habilitierte er sich 1943 und wurde am 2.3.1944 zum Dozenten ernannt. 1947 wurde Menne im Entnazifzierungsverfahren zunächst in Kategorie IV mit Vermögenssperre eingestuft, 1949 in Kategorie V. 1960 wurde er an der Medizinischen Fakultät zum Kustos ernannt, 1962 wissenschaftlicher Rat. Im Auftrag des „Vereins Deutscher Wissenschaftler“ leitete er die Kommission zur Beratung erblich bedingter Stoffwechselerkrankungen und eugenische Eheberatung. Zum 31.7.1975 wurde Menne auf eigenen Wunsch emeritiert. UAMs, Bestand 8, Nr. 7185, Bd. 1–3; LAV NRW R, Bestand NW 1039 M, Nr. 1849. Lehnartz führte seit 1941 im Auftrag der Heeressanitätsinspektion Untersuchungen über Benzolvergiftungen und die Bestimmung von Benzol in Organen und im Blut aus. 1944 erhielt er einen vom Reichsforschungsrat finanzierten Forschungsauftrag des Instituts für Physiologische und Wehrchemie der Militärärztlichen Akademie zum Thema „Untersuchung über den Stoffwechsel in durch Trauma geschädigten Gewebe, vor allem Muskel“. Deichmann 2001, S. 315f. UAMs, Bestand 8, Nr. 7185, Bd. 1 (Fritz Adolf Menne): Lebenslauf Menne vom 29.3.1943; ebd.: Schreiben Rektor (Siegmund) an Kurator der Universität Münster vom 17.1.1944. Wie bereits erwähnt, behalten wir uns vor einen eigenen Beitrag über die Physiologie/ Physiologische Chemie an der Medizinischen Fakultät zu schreiben, der auch die Entwicklungen der (frühen) Nachkriegszeit einbezieht.

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Tabelle 13: 1939 bis 1945 ernannte Dozenten Paul Issel Erich Knapp (geboren 1902) Paul Sunder-Plaßmann (1904–1984) Paul Fraatz (1882–1948) Ullrich Köttgen (1906–1980) Erich Fischer-Brügge (1904–51) Heinrich Genuit (geboren 1910) Joachim Wüstenberg (1908–1993) Rudolf Koch (geboren 1909) Horst Gärtner (1911–2001) Karl Rothschuh (1908–1984) Reinhard Hütteroth (1912–1945) Rudolph Töppner (1906–1963) Gerhard von der Weth (geboren 1891) Fritz Menne (1810–1979) Wilhelm Kalkhoff (1909–1981)

Fach Zahnmedizin

Dozent NSDAP Bemerkungen 1939 unbekannt Ohrenheilkunde 1939 1933 Mitglied der SS (1934) Chirurgie 1939 1933 Anwärter der Reiter-SA Medizingeschichte 1939 1931 Pädiatrie 1939 Nein Chirurgie

1939

Ja

Pharmakologie

1941

1937

Hygiene

1941

ja

Gerichtsmedizin

1942

nein

Hygiene

1942

1937

Physiologie

1942

1940

Hals-NasenOhren Innere Medizin

1942

1932

1942

1937

1944 1944

unbekannt 1933

1944

1941

Mitglied der SS (1933)

Tätig am Hygiene-Institut Gelsenkirchen

Mitglied der SS (1940/41)

(Medizinische Strahlenkunde) Naturgemäße Heilmethoden Physiologische Chemie Dermatologie

Tätig in Bad Salzuflen

Das taten auch ihre beiden Lehrer: Als Direktoren hatten sie die Geschicke ihrer Institute weit über das „Tausendjährige Reich“ hinaus – 33 (Schütz) beziehungsweise 26 Jahre (Lehnartz) – gelenkt: Schütz wurde 1970 emeritiert, Lehnartz 1966. Letzterer prägte auch als amtierender Rektor (1946–1949) die Entwicklung der Universität Münster in den frühen Nachkriegsjahren. 474 474

Siehe den Beitrag von Kristine Sievers in diesem Band.

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Die Medizinische Fakultät

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Lehnartz gehörte zu den acht zwischen 1939 und 1944 neu berufenen Professoren475 (Tabelle 14). Mit der Gründung 1938 des Instituts für Physiologische Chemie476 sollte zunächst ihr erster Direktor Hans Hermann Weber, der seit 1933 amtierende kommissarische Leiter des Lehrstuhls, werden. Als dieser zum 1. April 1939 auf den Lehrstuhl nach Königsberg berufen wurde,477 erbat das Wissenschaftsministerium Ersatzvorschläge sowie eine Stellungnahme zur Berufung des Physiologen Fritz Wrede (geboren 1891). Die Medizinische Fakultät, noch ganz mit der „Angelegenheit Schillings“ befasst, lehnte im Einvernehmen mit dem Münsterschen NS-Dozentenführer dessen Berufung aus „charakterlichen“ und „sittlichen“ Gründen ab.478 Von ihrer eingereichten Vorschlagsliste479 erhielt dann Emil Lehnartz den Ruf, obwohl sich die Göttinger NS-Dozentenschaft dagegen mit aller Schärfe ausgesprochen hatte.480 Die anderen sieben Neubesetzungen an der Medizinischen Fakultät im Krieg, die mit Ausnahme der Berufung Schellongs, mit der das Klima an der Medizinischen Klinik befriedet werden sollte, welche aufgrund des Todes der amtierenden 475

476

477 478

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480

Allgemein hatte sich quantitativ der weitere Lehrkörper – 56 Hochschullehrer – seit 1933 wenig geändert. Im Wintersemester 1939/40 zählten zu ihm: 18 o. Professoren, unter ihnen zwei Emeriti, ein pl. ao., einer mit der Vertretung beauftragter Professor, 13 nbao. Professoren, fünf Honorarprofessoren, 15 Dozenten und drei Lehrbeauftragter. Zwischen 1933 und 1944 verdreifachte sich die Zahl der unabhängigen Institute der Physiologischen Chemie. Von ihnen gab es 1933 sechs (Berlin, Freiburg, Frankfurt, Gießen, Leipzig und Tübingen), bis 1944 wurden weitere 14 gegründet. Deichmann 2001, S. 283 UAMs, Bestand 9, Nr. 335, Bl. a/291: Schreiben Wissenschaftsministerium an Medizinische Fakultät Münster vom 31.10.1938. Hier führte man gegen Wrede an, dass gegen ihn in Greifswald Beschwerden sittlicher Art – „reichlich burschikoses Verhalten und Taktlosigkeit im Verkehr mit Mitarbeitern, Studenten, Dozenten und auch Damen“ – erhoben worden wären. Deshalb habe man ihn nach Berlin, später nach Kiel versetzt. UAMs, Bestand 9, Nr. 335, Bl. a/306: Schreiben Leiter des Dozentenschaft der Universität Münster (Hofmann) an Rektor der Universität vom 12.1.1939; ebd., Bl. a/293: Schreiben Rektor der Universität an Wissenschaftsminister vom 12.1.1939. Nach Viehberg 2004, S. 293 (Fn. 153), erfolgten gegen Wrede in Greifswald Restriktionen aufgrund von Denunziationen von Studenten. Auf der Liste der Medizinischen Fakultät stand an erster Stelle der Chemiker und Mediziner Hans Joachim Deuticke (1898–1976), Bonn, der 1939 nach Göttingen berufen wurde, an zweiter Stelle der Mediziner und Biochemiker Bonifaz Flaschenträger (1894–1957), Zürich, sowie Emil Lehnartz, Göttingen. UAMs, Bestand 9, Nr. 335, Bl. a/293: Schreiben Dekan der Medizinischen Fakultät an Wissenschaftsminister vom 4.1.1939. Dabei ging es zunächst um die Berufung Lehnartz auf den neueingerichteten Lehrstuhl für Physiologische Chemie in Göttingen. Ihm wurde vorgeworfen, dass er 1934 mit einem Juden und „Salonbolschewisten“ ein Lehrbuch herausgegeben hatte, nur kurzzeitig in der SA war und zudem Schüler des „Juden“ Gustav Embden (1874–1933) war. UAMs, Bestand 8, Nr. 7801, Bd. 1, Bl. 8–9: Schreiben NSD-Dozentenbund Göttingen an Reichsamtsleitung NSD-Dozentenbund München vom 18.10.1937; Bl. 17: Schreiben NSD-Dozentenbund Münster an Kurator der Universität Münster vom 20.3.1939. Siehe Beushausen/Dahms/Koch/Massig/Overmann 1998, S. 195.

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Direktoren (Anatomie und Orthopädie),481 aus Altersgründen (Pädiatrie und Gynäkologie) beziehungsweise Wegberufungen (Pathologie und Pharmakologie) erfolgten (Tabelle 14), verliefen nicht immer problemlos. Zudem blieben Neuberufene wie Arnold Loeser als Nachfolger des nach Leipzig berufenen Lendle durch ihre militärischen Verpflichtungen der Medizinischen Fakultät fern. Er, der auf der Vorschlagsliste der Medizinischen Fakultät an zweiter Stelle gestanden hatte, aber nach Verhandlungen mit dem Wissenschaftsministerium 1944 berufen wurde,482 befand sich zu diesem Zeitpunkt als beratender Pharmakologe beim leitenden Sanitätsoffizier für die besetzten Westgebiete. Der Stabsarzt, der „in einem wesentlichen Abschnitt die Abwehr der chemischen Kampfführung“ unter sich hatte, wurde nicht freigestellt. Loeser bestimmte, den seit 1930 am Pharmakologischen Institut tätigen Walter Haarmann mit seiner Vertretung in Münster zu beauftragen.483 Unproblematisch gestaltete sich die Berufung des Anatomen Hellmut Becher. Ihn wollte die Fakultät, was Unterstützung bei Max de Crinis, Ordinarius der Psychiatrie in Berlin und Referent für Medizin im Wissenschaftsministerium, fand.484 Becher, der nach dem Tod Heiderichs an seine frühere Wirkungsstätte zurückkehrte, figurierte als Gaudozentenführer Westfalen-Nord und lenkte als Dekan 1941 bis 1945 die Geschicke der Medizinischen Fakultät (Tabelle 6).485 Demgegenüber erwiesen sich die Besetzungen der aus Altersgründen ausscheidenden Professoren als problematisch. Bereits 1941 hatte Rektor Mevius auf Wunsch von de Crinis sich mit der Nachfolge von Vogt, Coenen und Esch, die zu diesem Zeitpunkt über 65 Jahre alt waren, zu befassen. Obgleich während des Krieges die Altersgrenze aufgehoben wurde, war er dem Wunsch des Referenten im Wissenschaftsministerium nachgekommen. „Die 3 Vorschlagslisten habe ich in Prag seiner Zeit Herrn Prof. de Crinis gezeigt. Er hat gegen keinen der 9 vorgeschlagenen Her-

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Zur Chirurgie/Orthopädie arbeitet zur Zeit unsere Projektmitarbeiterin Ioanna Mamali. Deshalb wird hier auf die Besetzung des Lehrstuhls für Orthopädie nicht weiter eingegangen. Präferenz der Medizinischen Fakultät war zunächst Prof. Dr. med. et phil. Werner Koll (1902–1968), Direktor des Pharmakologischen Instituts der Universität Danzig, der aber nach Verhandlungen mit Max de Crinis in Danzig blieb. Das Wissenschaftsministerium beabsichtigte dann die Berufung des Pharmakologen Otto Girndt (1895–1948), Medizinische Akademie Düsseldorf, nach Münster. Von Seiten der Medizinischen Fakultät bat Dekan Hellmut Becher darum, Loeser zu berufen. BAB, R/4901/14892, Bl. 3–10. Ebd., Bl. 28: Geheimes Schreiben Heeres-Sanitätsinspekteurs, Berlin, an Reichswissenschaftsminister vom 26.1.1944, ebd., Bl. 30: Schreiben Reichswissenschaftsminister an Leiter der Partei-Kanzlei vom 2.5.1944. Siehe UAMs, Bestand 207, Nr. 293. UAMs, Bestand 9, Nr. 335 Bd. 1, Bl. a/333: Aktennotiz über Berlin-Reise Januar bis Februar 1940 – Besprechung mit Professor de Crinis – vom 4.7.1940. Zu de Crinis siehe Klee 2003, S. 97. Zuvor war er bereits Dekan an der Medizinischen Fakultät in Gießen und Marburg gewesen.

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Tabelle 14: Berufungen ordentlicher Professoren 1939–1944 Fach

Direktor

NSDAP

Anatomie

Friedrich Heiderich (1878–1940) Hellmut Becher (1896–1976) Peter Esch (1874–1952) Karl Werner Bickenbach (1900–1974) Hans Vogt (1874–1963) Hermann Mai (1902–2001) Friedrich Klinge (1892–1974) [Interimsbesetzung als stellv. Direktor: Hermann Guillery (1898–1961), Institut für Pathologie der Universität Köln] Herbert Siegmund (1892–1954) Viktor Schilling (1883–1960) Fritz Schellong (1891–1953) Hermann Walter (1893–1938) Peter Pitzen (1886–1977) Ludwig Lendle (1899–1969) Arnold Loeser (1902–1986)

1933

Gynäkologie

Pädiatrie

Pathologie

Innere Medizin

Orthopädie

Pharmakologie

Physiologische Chemie

Hans Hermann Weber (1896–1974) Emil Lehnartz (1898–1979)

Tätigkeit an der Medizinischen Fakultät 1927–1940 (Tod)

1937, Waffen-SS 1941– 1964 (emeritiert) 1933

1923–1944 (emeritiert)

1933

1944–1950 (Ruf Tübingen)

1933 1937, SS, SD-MA 1936

1924–1944 (1942 emeritiert) 1943 Beruf., 1950–1970 (emeritiert) 1934–1941 (Ruf Straßburg)

1933

1942–1954 (Tod)

1933

1934–1941 (Ruf Rostock)

1933

1940–1953 (Tod)

1933

1926–1938 (Tod)

1941, FM SS* (1934–37) nein

1939–1977 (emeritiert)

ja

1944 (beauftragt mit der Vertretung Professur)–1970 (emeritiert) 1927–1939 (Ruf Königsberg) 1939–1966 (o. Prof. 1946)

nein nein

1937–1943 (Ruf Leipzig)

* FM SS = förderndes Mitglied der SS

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ren Einwendungen erhoben.“486 Unter den drei herausragenden Begründern der Medizinischen Fakultät wurde nur Coenen nach dem Krieg, Vogt und Esch hingegen 1942 beziehungsweise 1944 emeritiert. Als Hans Vogts Nachfolger wurde der an der Deutschen Medizinischen Fakultät der Deutschen Karls-Universität Prag amtierende Pädiater Hermann Mai487 (1902–2001) berufen. Mai trat aber wegen militärischer Verpflichtungen seinen Dienst in Münster nicht an, so dass Vogt bis 1944 die Klinik leitete.488 Problematisch erwies sich die Emeritierung des Gynäkologen Peter Esch.489 Er wehrte sich gegen die Infragestellung seiner Fähigkeiten seitens des Rektors Mevius, den Anforderungen eines Hochschullehrers und Klinikdirektors aufgrund seines Alters nicht mehr gerecht werden zu können.490 Auch empfand Esch seine Emeritierung, zudem als einziger Gynäkologe in Deutschland, als Kränkung.491 Seine Nachfolgebesetzung erwies sich dann als Gerangel. Es begann mit einer ersten Berufungsliste 1941492 und endete erst mit der endgültigen Berufung Werner Bickenbachs493 (1900–1974) zum Oktober 1944 nach Münster. 486 487

488

489 490 491 492

493

UAMs, Bestand 4, Nr. 220: Schreiben Rektor der Universität (Mevius) an Wissenschaftsministerium (Scheer) vom 8.3.1941. Hermann Mai, geb. am 2.1.1902 in München, evangelisch, nahm nach Studium der Chemie und Promotion zum Dr. phil. in Würzburg das Studium der Medizin auf. Nach Promotion 1925 in Würzburg ging er an das Kinderspital in München, wo er sich 1926 habilitierte. Im Dezember wurde er als Truppenarzt nach Prag berufen und an der dortigen Medizinischen Fakultät der Deutschen Karls-Universität o. Professor und Direktor der I. und II. Kinderklinik. 1943 wurde er nach Münster berufen, hier 1970 emeritiert. Nach seiner Emeritierung war er als Kinderarzt in Gabun tätig. Mai war Mitglied der NSDAP und der SS sowie Mitarbeiter des SD. Im Entnazifizierungsprozess hatte er anfänglich wegen Fehlangaben Probleme, wurde dann aber 1949 in die Kategorie V eingestuft. Über die Berufung von Hermann Mai und seine Tätigkeit an der Medizinischen Fakultät behalten wir uns vor, in einem eigenständigen Beitrag zur „Prag Connection“ an der Medizinischen Fakultät ausführlich einzugehen. UAMs, Bestand 10, Nr. 1716, Bl. 55: Schreiben Reichswissenschaftsminister an Esch vom 23.8.1943. Ebd., Bl. 52: Schreiben Rektor der Universität Münster an den Reichswissenschaftsminister vom 7.6.1943. Ebd., Bl. 62: Schreiben Esch an den Reichswissenschaftsminister vom 23.11.1943. Ausführlicher hierzu siehe die Dissertation von Birthe Heitkötter. Auf dieser Liste war der Wunschkandidat der Medizinischen Fakultät der Greifswalder Gynäkologe Günther K. F. Schultze (1896–1946), gefolgt von Bickenbach und dem Leipziger Gynäkologen Konrad Tietze (1899–1990). Dem folgte 1943 eine 2. Liste, wobei das Wissenschaftsministerium den Königsberger Gynäkologen Felix von Mikulicz-Radecki (1892–1966) berufen wollte. Den aber wollte Becher nicht. Die dritte Berufungsliste wurde im März 1944 eingereicht mit der Reihefolge Bickenbach, Tietze und Walter Rech (1896–1975), München. Siehe ausführlich die Dissertation von Birthe Heitkötter. Werner Bickenbach, geb. am 14.4.1900 in Solingen, evangelisch, begann zunächst Jura in Würzburg zu studieren, wechselte dann zur Medizinstudium in Würzburg, München und Bonn. 1925 wurde er in Bonn promoviert, 1929 habilitierte er sich. 1933 wechselte er an die Universitätsfrauenklinik Göttingen, wo er 1935 zum nbao., 1939 zum apl. Professor ernannt wurde. Sein Ruf nach Münster erfolgte 1944, sechs Jahre später ging er nach Tü-

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Das Pathologische Institut verwaiste mit dem Fortgang Klinges an die Reichsuniversität Straßburg zum zweiten Mal. Das brachte mit sich, dass die Medizinische Fakultät auf eine schnelle Nachfolge drängte, um ihren Vorlesungsverpflichtungen in der Pathologie gegenüber den Studierenden und insbesondere gegenüber den „etwa 200 Medizinern der Luftwaffe“ (zusammengefasst in einer Schülerkompanie) nachzukommen.494 Ihre (frühe) Dreier-Liste führte Gerhard Domagk an, der wohl bekannteste Schüler des ersten Direktors des Pathologischen Instituts, Walter Gross, obwohl man sich sicher war, dass dieser die Berufung nicht annehmen werde. Auf Platz zwei stand der Oberfeldarzt, ordentlicher Professor an der Berliner Universität und Direktor des Pathologischen Instituts der Militärärztlichen Akademie Berlin, Dr. Paul Schürmann (1895–1941). Er, der „auf die Entwicklung der Wehrmedizin seit 1933 entscheidend eingewirkt“ hatte, war an der Ostfront gefallen.495 Der Dritte auf der Liste, der Greifswalder Pathologe August Terbrüggen (1902–1966), wurde während des Prozedere nach Danzig berufen.496 Nun entschied man sich nach einigem Hin und Her für Herbert Siegmund,497 Direktor des Pathologischen Instituts der Universität Kiel.498 Er, seit 1933 NSDAP-Mitglied und seit Kriegsbeginn beratender Pathologe der 17. Armee, war noch wegen „der Durchführung besonderer Untersuchungen bestimmter neuer Kampfmittel“ – ein Sonderauftrag des Oberkommando des Heeres für die Ostfront – unterwegs, versprach aber sein rechtzeitiges Kommen an die Medizinische Fakultät zum Wintersemester

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bingen. Bickenbach war seit 1933 Mitglied der NSDAP. In Göttingen führte er Zwangsterilisationen durch. Siehe die Doktorarbeit von B. Heitkötter. UAMs, Bestand 4, Nr. 220: Schreiben Rektor der Universität (Mevius) an Wissenschaftsministerium (Scheer) vom 8.3.1941. UAMs, Bestand 4, Nr. 240: Gutachten 15.3.1941. Er war seit 1933 Mitglied der NSDAP. UAMs, Bestand 9, Nr. 336; ebd., Bestand 4, Nr. 240. Herbert Siegmund, geb. am 4.4.1892 in Rybnick, katholisch, studierte Medizin und Chemie in Breslau und München. Nach der Promotion 1918 in München habilitierte er sich 1921 in Köln und wurde dort ao. Prof. Nach Tätigkeit als Lehrbeauftragter in Tübingen wurde er 1935 an das Pathologische Institut nach Kiel berufen. Zum Wintersemester 1942/43 kam er nach Münster, wo er bis zu seinem Tod am 22.2.1954 dem Pathologischen Institut vorstand. Er war Oberstabsarzt und 1942 Teilnehmer an der Tagung „Seenot“, auf der Menschenversuche im KZ Dachau abgehandelt wurden. 1944 wurde er in den wissenschaftlichen Beirat des Generalkommissars für Sanitäts- und Gesundheitswesen Karl Brandt (1904–1947) berufen. 1945 war er zunächst mit einer Vermögenssperre belegt, dann wurde er mit der Kategorie V entnazifiziert. Er gehörte zu den Mitunterzeichnern der Petition von 26 Medizinern, die sich gegen das Todesurteil Brandts aussprach. Aus Münster waren außer Siegmund darunter Jötten, Coenen und Domagk. Schmidt 2009, S. 602, 698 (Fn. 24); Klee 2003, 583. UAMs, Bestand 9, Nr. 337; Bestand 5, Nr. 315; Bestand 10, Nr. 3620; Bestand 52, Nr. 263; BAB, R/4901/14889, Bl. 7f.; R/4901/14286, Bl. 11ff. UAMs, Bestand 4, Nr. 230: Schreiben Dekan der Medizinischen Fakultät Universität Münster an Wissenschaftsminister vom 4.12.1941.

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1942/43. Bis dahin bat er um seine Vertretung durch den Gerichtsmediziner Többen.499 Unterstützt in der Lehre500 wurden die „alten“ und „neuen“ Professoren zudem durch die nichtbeamteten außerordentlichen Professoren, darunter neun nach 1939 ernannte (Tabelle 15). Tabelle 15: Ernannte nichtbeamtete außerplanmäßige Professoren 1939–1944 Georg Meyer zu Hörste (geboren 1901) Erich Zeiss (1874–19745) Hans Hellner (1900–1976) Wilhelm Klimke (1898–1961) Hermann Goecke (1900–1934) Hans Häusler (1896–1970)

Fach Pädiatrie

apl. Prof. 1939

NSDAP nein

Augenheilkunde

1939

1937

Chirurgie

1939

1933

Psychiatrie, Neurologie Gynäkologie

1941

1933

1942

1933

Pharmakologie und experimentelle Toxikologie Hygiene

1942

?

1942

1933

1942

1937

1944

nein

Heinrich Reploh (1906–1976) Willy Wohlenberg Innere Medizin (1899–1953) Walter Haarmann Pharmakologie, (1901–1971) Toxikologie

499 500

Bemerkungen Direktor der Dortmunder Kinderklinik

1943 zum planmäßigen außerordentlichen Professor ernannt

Asta-Werke Brackwede bei Bielefeld

Ebd.; UAMs, Bestand 10, Nr. 3620: Schreiben Siegmund an Kurator der Universität Münster vom 4.9.1942. Erwähnt sei hier nur, dass zudem u.a. der Dermatologe Wucherpfennig ab 1940 Medizinische Strahlenkunde lehrte und der Anatom Johann Kremer bis ins letzte Kriegssemester sein Seminar für menschliche Vererbungslehre hielt. Neben Erich Beintker wirkte als Lehrbeauftragte Paul Fraatz, der 1939 zum Dozenten ernannt wurde und Medizingeschichte las. Cuno Peter, seit 1931 in der NSDAP und seit 1932 in der SS, bot seminaristische Übungen zur „Rassengesetzgebung des Dritten Reiches und ihre biologische Grundlagen“ an. Wolfgang Bauermeister (1907–1975) von der Universität Köln übernahm die Vorlesungen zur Rassenanthropologie des Anatomen Kurz. Siehe den Beitrag von HansPeter Kröner in diesem Band.

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Darüber hinaus wirkten seit 1939 bis Kriegsende insgesamt neun Honorarprofessoren. Unter den „alteingessenen“ waren Anfang 1940 Joseph Arneth (Innere Medizin) und Hermann Davids (Augenheilkunde) von ihren Pflichten entbunden worden; Alwin Besserer (Soziale Medizin) starb am 6. November 1939 und Erich Meinicke (Serologie und Bakteriologie) ging zum 1. April 1941 als Honorarprofessor an die Medizinische Fakultät der Berliner Universität.501 Walter Schürmann (Hygiene und Statistik) wirkte bis Kriegsende weiter, kurzfristig las der Chefarzt der Lungenheilanstalt Brilon-Wald, Friedrich Koester. 1944/45 wurde der einstige Lehrbeauftragte für „Hygiene in der Arbeits- und Gewerbemedizin“ Erich Beintker zum Honorarprofessor ernannt. Diese Professorenschaft ergänzten seit dem Trimester 1941 Kurt Klare502 (1884–1954) und seit 1940 Friedrich Lönne (1891– 1958), beide ausgewiesene Nationalsozialisten: Klare, der bis 1945 über „Rasse, Konstitution und Tuberkulose“ las, betrieb zuvor als Beauftragter des Reichsärzteführers aktiv die Gleichschaltung der medizinischen Fachpresse (erfolgreich). Lönne, Chefarzt des Theresienhospitals und der Geburtshilflich-Gynäkologischen Klinik in Düsseldorf, hatte sich durch sein Engagement für die Einführung eines Krebsgesetzes zur Krebsfrüherkennung und -bekämpfung („Lex Lönne“) einen Namen gemacht.503 Er, der die Gunst des Kurators der Universität und des Reichsstatthalters Alfred Meyer genoss, hatte auch enge Beziehungen zur DAF.504 Durch alle diese Neubesetzungen festigte sich trotz vielfältiger und durch die Bombardierungen Münsters immer dringlicher werdender Probleme505 in der Fakultät im Krieg neben der Militarisierung auch die Nazifizierung der Medizinischen Fakultät. Sie verhalfen ihr und der Universität zu einem unerschütterlichen NS-Profil. Die Universität wurde – so ihr amtierender Rektor Siegmund 1944 – in 501 502

503 504

505

UAMs, Bestand 9, Nr. 335, Bl. a/450: Schreiben des Wissenschaftsministeriums an Honorarprofessor Meinicke vom 27.3.1941. Klare, geb. am 10.10.1885, erhielt seine Approbation 1912. Er war Tuberkulose-Facharzt und 1918 Chefarzt der Heilstätte Scheidegg. Er war Beauftragter der Reichsärztekammer für die medizinische Fachpresse und im Vorstand des Reichstuberkuloseausschusses. Er wurde 1935 Honorarprofessor für Tuberkulose und Konstitution an der Universität München, 1940 an der der Universität Münster. Klare war von 1920 bis 1922 Mitglied der DNVP, seit März 1927 Mitglied der NSDAP. Er war Gründungsmitglied des NSDÄB. Süß 2003, S. 459; Hubenstorf/Walter 1994, S. 44. UAMs, Bestand 9, Nr. 335, Bl. a/316: Schreiben Dekan der Medizinischen Fakultät an Wissenschaftsminister vom 11.8.1939. Ausführlich dazu die Dissertation von Birthe Heitkötter. Zur nationalsozialistischen Krebsforschung und -bekämpfung siehe Proctor 2002; Moser 2011. In der vom Reichsorganisationsleiter der DAF beabsichtigten Gründung einer Reichsarbeitsgemeinschaft, die sich mit der Betreuung der Bergarbeiter, insbesondere mit ihrer Lebensführung und Ernährung beschäftigen sollte. Hier war Lönne für den Vorsitz und eine Anbindung an Universität war vorgesehen. UAMs, Bestand 4, Nr. 82 (alt), Bl. 19: Aktenvermerk Kurator Beyer vom 10.2.1939. Es muss nicht ausdrücklich betont werden, dass sich mit den Bombardierungen die Krankenversorgung von zivilen Personen zuspitzte. Ausführlich hierzu Kuzaj 1989, S. 67ff. Auch die Arbeitsbedingungen an den Instituten und Kliniken wurden immer schlechter.

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Münster zu einer „der stärksten Bollwerke der nationalsozialistischen Idee und des unerschütterlichen Willens zum Durchhalten bis zum Letzten“ in Zeiten des totalen Krieges.506 Für die Geschicke der Fakultät in den letzten Kriegsjahren zeichnete nicht nur Becher als Dekan verantwortlich, sondern auch Herbert Siegmund, der 1943 bis 1945 als Rektor amtierte.507 Er wurde ins Amt berufen, nachdem mit Wirkung vom 1. Oktober 1943 Rektor Mevius seines Amtes enthoben wurde. Siegmund, wenn auch erst seit kurzem in Münster, hatte bereits außerordentliche Verwaltungsfähigkeiten als Vorsitzender des ärztlichen Prüfungsausschusses bewiesen. Der Oberfeldarzt, der als Armeepathologe am Ostfeldzug (Kaukasus) teilgenommen hatte, erschien als geeigneter Kandidat. „Die Universität hält es für dringend erwünscht, an ihrer Spitze einen Mann zu sehen, der nicht nur durch seine wissenschaftliche Gesamtpersönlichkeit, sondern auch durch seine Leistungen an der Front dazu in der Lage ist, die Hochschule in wirksamster Weise zu vertreten. Aus den vorstehenden Gründen bittet der Senat in erster Linie Prof. Siegmund für das Rektorat der Universität Münster in Aussicht zu nehmen und seine Ernennung tunlichst zu beschleunigen.“508

So trat er mit Wirkung vom 21. Oktober 1943 sein Amt an.509 Seine militärische Verbundenheit und sein Glauben an den „Endsieg“ tat er ein knappes Jahr später mit seinem Vorschlag „über den Einsatz der Universität im totalen Krieg“ kund.510 Mit diesem plante er, „alle Kräfte an Menschen und Material restlos, rücksichtslos und unverzüglich der Wehrmacht, der Rüstung oder der Kriegswirtschaft zur Verfügung“ zu stellen. Das umfasste den Verzicht auf „die Heranbildung von Jungakademikern der verschiedenen Richtungen“ für ein Jahr und die strenge Evaluation von kriegswichtigen Forschungsaufgaben sowie der dazu notwendigen Professoren und Assistenten. Das betraf auch jene Institute, die durch den Reichsforschungsrat für kriegswichtige Forschungsaufgaben beauftragt waren. Auch hier erschien ihm die Notwendigkeit und Dringlichkeit gegeben, die „erteilten Forschungsaufträge und die Notwendigkeit des Bedarfs an wissenschaftlichen und technischen Hilfskräften einer besonders strengen Prüfung zu unterziehen. Als kriegswichtig sollten dabei nur solche bezeichnet werden, deren Ergebnisse unmittelbar und noch während des Krieges zum Kriege nutzbar gemacht werden können. Alle Forschungsauf-

506 507 508 509 510

BAB, R/4901/14889, Bl. 13–15: Schreiben Rektor der Universität Münster (Siegmund) an Reichserziehungsministerium Abt. Wissenschaft vom 15.10.1944. Siehe den Beitrag von Kristine Sievers in diesem Band. BAB, R/4901/14262, Bl. 146–147: Schreiben Prorektor Loebell an den Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 4.10.1943. Ebd., Bl. 154f.: Schreiben Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung an Siegmund vom 26.10.1943. BAB, R/4901/14889, Bl. 7–11: Vorschlag des Rektors der Universität über den Einsatz der Universität im totalen Krieg vom 11.8.1944.

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träge, die sich mit Raumplanung, Konjunkturforschung, Heilpflanzen oder Bodenkultur beschäftigen, sind nicht kriegswichtig und können aufgegeben werden.“511

Ausgeschlossen davon waren selbstredend „die Universitäts-Kliniken und eine Reihe medizinisch-wissenschaftlicher […], insbesondere die Pathologischen und Bakteriologischen Institute,“ da diese auch der Krankenversorgung und der öffentlichen Gesundheitspflege dienten. Für den Fall der Stilllegung des Unterrichts konnten „lediglich die anatomischen, anthropologischen und medizinhistorischen Institute […] bedenkenlos geschlossen werden.“ Im letzteren Fall – die Sperrung des Hochschulstudiums für maximal drei Semester – forderte er ganz wie die Wehrmacht zu Beginn des Krieges verkürzte Abschlussprüfungen für Studierende im letzten oder vorletzten Semester, insbesondere der Medizin, Pharmazie, Physik und Chemie. Die anderen waren im gelenkten Arbeits- beziehungsweise Kriegseinsatz eigentlich nur „Kanonenfutter“. Die Konsequenz seiner Idee, „dem Luxusstudium und einer durch Wissenschaftlichkeit getarnten Geschäftigkeit und Selbstgefälligkeit Einhalt zu gebieten“, um ausreichend Soldaten beziehungsweise Arbeiterinnen für die kriegswichtige Produktion für den „Endsieg“ zu haben, schloss ein die „rücksichtslose Ausmerzung von Examenskandidaten, die ihr Examen hinauszögern, oder durch eigenes Verschulden sich nicht rechtzeitig zum Examen melden.“ Das über allen schwebende Ziel eines „sicheren Siegs“ verlangte absolute Kontrolle über schwer zu beschaffende Chemikalien, die „gerade durch oft dilettantenhaft und wissenschaftlich bedeutungslose Arbeiten auf dem Gebiete der Medizin“ verschwendet würden. Überflüssig erschien ihm für die Zeit des „totalen Krieges“ „die Pflege von Gewebekulturen, das Sammeln von Insekten und Pflanzen.“ Zudem sollte „jede Zersplitterung von Arbeit durch Einrichtung und Unterhaltung von Sonderlaboratorien“ vermieden, die Möglichkeiten „zur Stillegung von Röntgeneinrichtungen an den […] Kliniken“ geprüft werden, um Einrichtungen und Personal an einem Zentralröntgeninstitut zusammenzufassen. Auch war „auf eigene bakteriologische, histologische und serologische Untersuchungen zu diagnostischen Zwecken“ zu verzichten. 512 Seinen Vorschlag auf „Angleichung der Universität“ an die Erfordernisse des „Totalen Kriegs“ fand Zustimmung seitens des Kurators der Universität wie seitens des Reichsverteidigungskommissars für den Gau-Westfalen-Nord. Insbesondere war Siegmund darauf stolz, dass anders als der Berliner Plan, mit dem sich kaum 500 Studenten freistellen ließen, sein Plan ermöglichte, „1.500 Studenten sofort und 50 bis spätestens zum 1.1.1945“ für die Wehrmacht freizusetzen. 513 Der Plan wurde nicht umgesetzt, die Bombardierungen der Stadt und der Kliniken setzte andere Prioritäten, doch die Kategorie „Kriegswichtigkeit“ blieb erhalten. 511 512 513

Ebd. Die folgenden Zitate stammen aus dem Vorschlag des Rektors. Ebd. BAB, R/4901/14889, Bl. 6: Schreiben Rektor (Siegmund) an Reichsverteidigungskommissar für den Gau-Westfalen-Nord vom 11.8.1944.

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Entsprechend veranlasste Siegmund die Verlagerung der kriegswichtigen Forschungen nach Göttingen beziehungsweise Holzminden.514 Schließlich beschloss die Medizinische Fakultät unter Siegmund und Dekan Becher, nach Bad Salzuflen umzuziehen, um dort Lehre und klinische Tätigkeiten fortzuführen.515 Der Umzug erfolgte dann im November 1944. Dort arbeitet man bis Kriegsende. Nach dem Ende des Krieges trat Siegmund als Rektor der Universität zurück. Er blieb an der Medizinischen Fakultät bis zu seinem Tod 1954. Mit der Wiedereröffnung der Universität Münster am 3. November 1945 wurde er wie die anderen nach 1939 berufenen Professoren in der frühen Nachkriegszeit zu einem wichtigen Gestalter der Geschicke der Medizinischen Fakultät.516 Ein kritisches Zurückblicken gab es kaum. Im „Weissbuch“ erinnerten nur Coenen und Esch an die Schicksale ihrer einstigen Kollegen Hermann Freund und Aurel von Szily; Esch auch an seinen Oberarzt Karl Adler.517

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Ebd., Bl. 13–15: Rektor der Universität an Reichserziehungsministerium, Abt. Wissenschaft, vom 15.10.1944; Bl. 25–30: Kurator der Universität – Bericht vom 25.1.1945. Rothschuh 1957, S. 56f. Über die frühe Nachkriegszeit ist eine eigenständige Publikation im Werden. UAMs, Bestand 4, Nr. 145: Weissbuch. Gesagt sei hier, dass Adler wieder in die Reihen der Privatdozenten der Medizinischen Fakultät aufgenommen und 1946 zum apl. Professor ernannt wurde.

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Psychiatrische und Nervenklinik Münster (1925 bis 1953) Bereits bei der Errichtung der ersten Universität in Münster im Jahr 1780 war die Psychiatrie mit drei Dozenten vertreten.1 1818 musste diese „alte“ Fürstenbergische Universität zugunsten der neugegründeten Rheinischen Universität in Bonn schließen. Erst 1925, mit der Eröffnung der Medizinischen Fakultät und der damit erfolgten Gründung der „neuen“ Volluniversität Münster als einziger Universität in Westfalen, konnte der psychiatrische Unterricht in Münster wieder aufgenommen werden. Daher fielen die Anfänge der Universitätspsychiatrie in Münster, einer ohnehin jungen akademischen Disziplin, zeitlich zusammen mit der Endphase der Weimarer Republik und den Anfängen des Nationalsozialismus. Die Entwicklungen innerhalb des psychiatrischen Wissenschaftsbetriebs im frühen 20. Jahrhundert stießen somit auf besondere gesellschaftliche Rahmenbedingungen. Den damaligen Zeitgeist kennzeichnete eine große Frustration, Folge einer politischen und sozialen Instabilität. Diese Tendenz traf sich mit einer in den westeuropäischen Industrieländern aufkommenden Rassenideologie, die im nationalsozialistischen Deutschland ihren fruchtbarsten Boden finden sollte. In diesem Zusammenhang wurde der Blick auf die Anstaltsinsassen gerichtet, auf die „unbrauchbaren“, die angeblich eine Last für Staat und Volk bedeuteten. Die Eugenik beziehungsweise Rassenhygiene postulierte hingegen ein gesundes und leistungsfähiges Volk durch Ausmerzung von „Ballastexistenzen“, die keine Leistung erbringen können und dem staatlichen Gesundheitssystem nur Kosten verursachten.2 Im Mittelpunkt stand nun die Erforschung von Erbkrankheiten und deren Vermeidung durch Verhütung der Fortpflanzung erbkranker Menschen. Die Psychiater, noch im Prozess der Gewinnung einer Standesidentität, sahen ihrer Wissenschaft eine wichtige Rolle zugeschrieben – gar im Sinne einer nationalen Mission. Die Universitätspsychiatrie versprach durch ihre wissenschaftliche Forschung theoretische Modelle zugunsten einer Entlastung der psychiatrischen Praxis zu liefern.

Entstehungsmodell Eine Klinik für Psychiatrie und Nervenheilkunde wurde anfangs bei der Planung des Universitätsklinikums Münster am Westring der Stadt gar nicht berücksichtigt.3 1 2 3

Vgl. Quante 1943. Vgl. Kröner 1980. Gestellt wurden die Chirurgische, die Frauen- und Augenklinik und die Klinik für Innere Medizin, das Pathologische, das Hygienische und das Pharmakologische Institut sowie

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In den langwierigen Verhandlungen über die Gründung einer solchen Klinik bemühte man sich um eine einheitliche und ordnungsmäßige Gestaltung des universitären medizinischen Unterrichts in Münster sowie um die Unterstützung der Provinz Westfalen und des Universitätskuratoriums. Denn es war allen Beteiligten klar, dass eine eventuelle Universitätsklinik für Psychiatrie und die westfälischen Heil- und Pflegeanstalten in einem gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis zueinander standen. Die westfälischen Heil- und Pflegeanstalten, die dem westfälischen Provinzialverband unterstanden, stellten bis dahin die ausschließlich bestehende institutionalisierte Form der Versorgung psychisch Kranker dar.4 Die Provinz Westfalen, die auch schon in der Vergangenheit, sicherlich nicht uneigennützig, hinter den akademischen Interessen der Stadt Münster gestanden hatte, begrüßte die Einführung des Medizinstudiums beziehungsweise der Psychiatrischen und Nervenklinik in Münster in besonderem Maße.5 Für den Bau eines mit der psychiatrischen Universitätsklinik verbundenen Forschungsinstituts wurden beispielsweise am 12. Mai 1925 150.000 RM zur Verfügung gestellt. Explizite Voraussetzung war, dass „der Preussische Landtag die Einrichtung einer psychiatrischen Klinik an der hiesigen Universität beschließt“,6 in deren Räume das Forschungsinstitut untergebracht werden sollte.7

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verschiedene Wirtschafts- und Verwaltungsgebäude. Unberücksichtigt vom Universitätsbauamt blieben zu diesem Zeitpunkt noch die Kinder-, die Hals-, Nasen-, Ohren- und die Hautklinik. Toellner 1980, S. 291. Die Provinz Westfalen mit ihrem Provinzialverband (1883–1953), ähnlich wie in anderen preußischen Provinzen, war eine kommunale und regionale Selbstverwaltungsorganisation, die sich mit Fragen der Sozialverwaltung, Gesundheitsfürsorge, Kulturpolitik und Landespflege sowie des Straßenbaus oder der Kommunalwirtschaft befasste. Dem westfälischen Provinzialverband beziehungsweise seiner Abteilung für Gesundheitsfürsorge unterstanden die Heil- und Pflegeanstalten in der Provinz. Dies waren die Anstalten in Marsberg, Lengerich, Münster, Eickelborn, Dortmund-Aplerbeck, Warstein und Gütersloh. Kersting 1996, S. 200. Schon bei der Ausgestaltung der Akademie in Münster zu einer Universität durch Hinzufügung der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät war es ähnlich.1903 wurde eine Stiftung durch die einmalige Einzahlung von 50.000 RM seitens der Provinz gegründet, die „Stiftung der Provinz Westfalen zur Förderung wissenschaftlicher Arbeiten und Bestrebungen“. LWL-Archivamt, Bestand 702, Nr. 536. 1927 förderte der Provinzialverband mit einer finanziellen Zuwendung auch die Errichtung einer Forschungsstelle für Gewerbehygiene beim Hygiene-Institut der Universität Münster. Neben der Medizinischen Fakultät wurden das Geologische Institut und das Geologische Museum, das Zoologische Institut, die Universitätsbibliothek oder auch Studentenheime von der Provinz bezuschusst. LWL-Archivamt, Bestand 701, Nr. 55, 22.3.1933, Leistungen des Provinzialverbandes der Provinz Westfalen für die Universität Münster. Der Zuschuss seitens der Provinz für das Forschungsinstitut wurde zumindest teilweise als Bauraten für das gesamte Klinikgebäude eingesetzt, für das die Grundsteinlegung am 27.2.1927 stattfand. GStA, Bestand I, HA Rep. 76 Va, Nr.10747, Bl. 51, 30.7.1925, Lan-

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In welcher Art und Weise die Interessen der Provinzialverwaltung und der Universität in Sachen Psychiatrie genau zusammenhingen, verdeutlichte der Antrag des Provinzialausschusses an den Provinziallandtag am 1. Mai 1925, einige Tage vor der feierlichen Eröffnung der neuen Medizinischen Fakultät, auf den Zuschuss von 150.000 RM für den Bau des Forschungsinstituts: „Die Zahl der von der Provinz auf Grund gesetzlicher Verpflichtung in Anstalten unterzubringenden Geisteskranken hat in den beiden letzten Jahren eine solche Zunahme erfahren, dass nahezu alle Anstalten überbelegt und große bauliche Maßnahmen erforderlich sind. […] Da erwächst der psychiatrischen Wissenschaft in vermehrtem Maße die Aufgabe, nicht nur die krankhaften Erscheinungen zu studieren und zu heilen, sondern vor allem das Wesen der Geisteskrankheiten und ihrer Anlagen zu erforschen. Denn wenn man das Wesen der Krankheiten kennt, besteht berechtigte Aussicht, die Anlagekrankheiten nicht nur zu heilen, sondern auch zu verhüten.“8

Die Finanzierung des Forschungsinstituts könne in solch schweren Zeiten nur „eine gute finanzielle Anlage bedeuten, wenn auch die Auswirkung vielleicht erst nach Jahren durch Verhinderung der Geisteskrankheiten“ hervortreten sollte.9 Die anfangs unberücksichtigte und später als unabdingbar bezeichnete Klinik für Psychiatrie brachte alle Beteiligten in die Situation einer erzwungenen Zusammenarbeit zugunsten einer provisorischen Lösung. Während die Frage des Klinikgebäudes noch nicht endgültig geklärt war, machte man sich schon Gedanken um den geeigneten Fachvertreter. 1923 überreichte der Dekan der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät dem Preußischen Wissenschaftsminister seine Vorschläge für die Besetzung der Professuren, unter anderem für die Psychiatrie. Hier wurde als einziger Heinrich Többen10 genannt, eine Wahl, die primär auf Vertrauen beruhte. Die Tatsache, dass Többen die Münsterschen Verhältnisse sehr gut kannte, war das Argument schlechthin für seine Nominierung. Da keine „besondere“ psychiatrische Klinik in Aussicht war, sondern nur die Kompromisslösung einer Zusammenarbeit mit der Heil- und Pflegeanstalten in Münster, auch Marienthal

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desobmann an den Kurator der Universität Münster, Bl. 143, 5.3.1927, stellvertretender Kurator der Universität Münster an den Minister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, 12.3.1929, Preußischer Landtag, Sitzung. LWL-Archivamt, Bestand 701, Nr. 62, 1.5.1925, Abschrift, Provinzialausschuss an 69. Westfälischen Provinziallandtag. Ebd. Heinrich Többen (1880–1951) war schon von 1905 bis 1907 Abteilungsarzt in der Heilund Pflegeanstalt in Münster. Nach Bestehen des Kreisärztlichen Examens arbeitete er als Facharzt und übernahm die Leitung der „Irrenabteilung“ der Strafanstalt in Münster. Seit 1908 unterrichtete er gerichtliche Psychiatrie und ab 1918 zusätzlich soziale Psychopathologie. 1924 wurde er als erster ordentlicher Professor für Gerichtliche und Soziale Medizin berufen und Leiter des entsprechenden Instituts an der Universität Münster. Zu Heinrich Többen siehe: Aulke 2008.

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genannt,11 „[…] dürfte die Tätigkeit eines von auswärts berufenen Psychiaters auf große Schwierigkeiten stoßen“. Gleichzeitig schien Többen eine Garantie für die Mitgestaltung der jungen Fakultät im Sinne der Provinz- und Universitätsverwaltung zu sein.12 Das Wissenschaftsministerium lehnte jedoch den Vorschlag der Fakultät ab13 und ernannte am 29. Oktober 1924 Martin Reichardt14 zum ersten Ordinarius für Psychiatrie und Neurologie in Münster.15 Vor dem Hintergrund des Versprechens des Ministers bezüglich eines Neubaus für die Psychiatrische Klinik und jenes des Landeshauptmannes, für „die Bereitstellung der Einrichtungskosten einer psychiatrischen Forschungsanstalt durch die Provinz einzutreten“,16 schlug Reichardt die provisorische Lösung vor, die Vorlesungen sowie die Prüfungen in Marienthal und den klinischen Unterricht in der Nachmittagszeit in der Poliklinik der Augenklinik stattfinden zu lassen. Denn trotz der Begeisterung in der Provinz aufgrund der Eröffnung einer vollständigen Medizinischen Fakultät und der Regelung, für die Psychiatrische und Nervenklinik Krankenbestand zur Verfügung zu stellen, blieben die engen Räumlichkeiten in Marienthal für die Abhaltung des klinischen Unterrichts ein reales Hindernis.17 Ferner hatte Reichardt ganz konkrete Vorstellungen von dem versprochenen Forschungsinstitut, das eine pathologisch-anatomische beziehungsweise histologische, eine physikalisch-chemische, eine physiologische und später eine genealogische Abteilung haben sollte. Sogar eine eventuelle Angliederung an ein Kaiser-WilhelmInstitut – wahrscheinlich an die frühere Deutsche Forschungsanstalt für Psychiatrie

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Die Heil- und Pflegeanstalt Münster entstand in einer katholischen Klosteranlage namens „Marienthal“, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vom westfälischen Provinzialverband zum Zwecke der Einrichtung einer psychiatrischen Anstalt gekauft worden war. Den Namen Marienthal behielt die Provinzialanstalt weiterhin. Kuzaj 1989, S. 37ff. UAMs, Bestand 9, Nr. 335, Bl. a/86–88, 15.1.1923, Dekan der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät Schöne an das Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung. Ebd., Bl. a/108, 13.8.1923, Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung an den Kurator der Universität Münster. Martin Reichardt (1874–1966), geboren in Ronneburg in Thüringen, studierte Medizin in Halle, Heidelberg und München. 1898 war er Hilfsarzt am Landeskrankenhaus in Detmold. 1899 wurde er promoviert und ging anschließend ans Städtische Krankenhaus in Chemnitz. 1903 bekam er eine Volontärassistenzstelle an der Nervenklinik in Würzburg. 1906 habilitierte er sich in der Psychiatrie und von 1911 bis zu seinem Ruf nach Münster war er außerordentlicher Professor an der Würzbürger Universität. Dorthin kehrte er 1925 als ordentlicher Professor für Psychiatrie und Nachfolger seines Schwiegervaters Conrad Rieger zurück. Peiffer 2004, S. 1107. UAMs, Bestand 5, Nr. 169, 20.10.1924, Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung an Reichardt. UAMs, Bestand 9, Nr. 774, Bl. 16, 18.12.1924, Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung an den Kurator der Universität Münster. Ebd., Bl. 10, 7.7.1924, Landeshauptmann der Provinz Westfalen an den Kurator.

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in München, die 1924 gerade an die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft angegliedert worden war – war im Gespräch.18 Trotz der auf den ersten Blick bestmöglichen, hauptsächlich von ihm und für ihn geschaffenen Bedingungen sowie der vielversprechenden Perspektiven, verließ Martin Reichardt Münster schon Mitte September 1925 mit der Begründung: „Die Verhältnisse des Lehr- und Forschungsbetriebs für Psychiatrie sind an der Universität Münster gegenwärtig und für die nächsten Jahre derart ungünstig, daß ich zu meinem größten Bedauern nicht in der Lage bin, die hiesige Professur weiter zu behalten.“19

Am 12. September 1925 übergab Reichardt seinem Assistenten Ernst Grünthal20 „das poliklinische Institut für Nervenkrankheiten im Gebäude der Augenklinik, bestehend aus fünf Zimmern und dem dazu gehörigen gesamten Inventar“, sowie „ein versiegeltes Aktenpaket“ für den neuen Professor für Psychiatrie. Als Vertreter des Direktors der Psychiatrischen und Nervenklinik blieb Grünthal bis zum 15. Oktober 1925 in Münster.21 Reichardt sollte am 15. August 1964, 39 Jahre später, auf Anregung seines Nachfolgers auf dem Münsterschen Lehrstuhl, Ferdinand Kehrer, von der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Münster den Ehrendoktor erhalten.22 Als Nachfolger seines „lieben älteren Freundes“23 verblieb Kehrer bis in die 18

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Ebd., Bl. 20, 5.1.1925, Reichardt an den Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung. Mittlerweile stand schon fest, dass der Provinzialverband eine Summe von 200.000 RM in die geplante Forschungsanstalt investieren sollte. Die erste Einzahlung seitens des Westfälischen Provinziallandtags bestätigte der Kurator der Universität am 26.1.1927, während er den Beginn des Baus der Psychiatrischen Klinik zum kommenden Februar ankündigte. UAMs, Bestand 9, Nr. 779, 26.1.1927, Kurator an den Landeshauptmann der Provinz Westfalen. UAMs, Bestand 10, Nr. 3629, 20.7.1925, Reichardt an den stellvertretenden Kurator der Universität Münster. Ernst Grünthal (1894–1972), geboren in Beuthen in Oberschlesien, jüdischer Herkunft, studierte Medizin in Lausanne, Heidelberg, Breslau und München. Er war wissenschaftlicher Assistent von Emil Kraepelin, bei dem er auch 1922 „Über den Einfluss der Willensspannung auf das fortlaufende Addieren“ promovierte, und anschließend von Oswald Bumke an der Universitätsklinik in München. 1924 war Grünthal im Histopathologischen Labor Walter Spielmeyers an der Deutschen Forschungsanstalt für Psychiatrie tätig. 1925 kam er zu Martin Reichardt nach Münster und half bei der Errichtung der provisorischen Poliklinik und des Forschungslabors. Noch im gleichen Jahr folgte er Reichardt nach Würzburg, wo er eine Oberarztstelle und die Gründung und Leitung des neuropathologischen Forschungslabors übernahm. 1934 emigrierte er in die Schweiz und wurde an die Psychiatrische Universitätsklinik in Bern unter Leitung von Jakob Klaesi (1883–1930) berufen. Dort errichtete Grünthal ein Hirnanatomisches Institut, finanziert von der Rockefeller Stiftung, und ein pharmakopsychologisches Labor. 1944 habilitierte er sich. Er blieb bis zu seiner Pensionierung 1965 in Bern, wo er auch 1972 starb. Kalus/Bondzio/Strik 2003. UAMs, Bestand 9, Nr. 774, Bl. 47, 12.9.1925, Übergabeprotokoll. UAMs, Bestand 35, Nr. 41, 20.7.1964, Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät an den Kurator der Universität Münster. Kehrer 1964, S. 20.

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Nachkriegszeit hinein mit Reichardt in einem engen wissenschaftlichen Austausch, vor allem in gutachterlichen Angelegenheiten.24

Ferdinand Adalbert Kehrer (1883–1966) Kehrers Biografie und wissenschaftliche Laufbahn fielen mit einer für die Psychiatriegeschichte bahnbrechende Epoche zusammen. Er wird zu den ersten Schülern dieser neuen psychiatrischen Schule gezählt, die die Mehrdimensionalität, also die gleichzeitige Berücksichtigung von psychischen und körperlichen Parametern bei Diagnose und Therapie, forderte. Zugleich ist sein Name mit einer ganzen Epoche der Münsterschen Klinik verbunden, die sich von seiner Berufung 1925 bis zu seiner Emeritierung 1953 ausdehnt. „Er legte das Fundament für die Arbeit der Klinik über Jahrzehnte hinaus“, so einer seiner Schüler.25 Die Entscheidung, sich der Medizin beziehungsweise der Psychiatrie und Nervenheilkunde zu widmen, führte der Sohn des Universitätsprofessors, Geheimrats und Direktors der gynäkologischen Klinik in Heidelberg Ferdinand Adolf Kehrer (1837–1914)26 auf seinen begabten Lehrer, Gründer der Gesellschaft Deutscher Nervenärzte und der Deutschen Zeitschrift für Nervenheilkunde, Wilhelm Erb (1840–1921), zurück, zu dem er eine enge Beziehung entwickelte. Seinen nächsten „richtunggebenden Eindruck vom Umgehen mit seelischen Krankheiten“27 schreibt Kehrer Karl Bonhoeffer (1868–1948) zu, der Emil Kraepelin (1856–1926) in der Direktion der Heidelberger Psychiatrischen Klinik folgte und kurze Zeit später nach Breslau ging. Kehrer war Kraepelin, Gründer der Deutschen Forschungsanstalt für Psychiatrie 1917 in München, nur kurz begegnet, bezeichnete ihn aber als den „bahnbrechenden Meister“. Franz Nissl (1860–1919), Nachfolger von Kraepelin 1904 in Heidelberg und Mitarbeiter desselben 1918 in der Deutsche Forschungsanstalt für Psychiatrie in München, prägte durch seinen „Drang nach histologischer Erforschung des Gehirns“ und seine Arbeit mit Alois Alzheimer (1864–1915) über die progressive Paralyse Kehrers wissenschaftliche Ausrichtung in der Neuropsychopathologie. 24 25 26

27

Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin Münster, Briefwechsel Kehrers mit Reichardt. Tölle 2000, S. 298. Ferdinand Adolf Kehrer entwickelte den konservativen Kaiserschnitt in der Gynäkologie sowie die tubare Sterilisation, die Methode, die bei den Zwangssterilisationen der nationalsozialistischen Gesundheitspolitik intensive Anwendung fand, Kehrer 1897. Diese gilt als die erste Publikation zur Sterilisationstechnik. Ritter 2009, S. 204. Ferdinand Adalberts Bruder Erwin (1874–1959) war wie sein Vater Gynäkologe. Alle folgenden Angaben zur Lebens- und Karriereentwicklung von Ferdinand Kehrer sowie die Zitate stammen, wenn nichts anderes angegeben wurde, aus: Kehrer 1964, Tölle, 2000, Tölle 2006.

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Als sich 1907 nach Abschluss des Studiums die Frage des praktischen Jahres für den jungen Mediziner stellte, entschied sich Kehrer für den Hausfreund seiner Familie und Schüler von Wilhelm Erb in Heidelberg, Alfred Hoche (1865–1943), und ging zu ihm nach Freiburg. Für die zweite Hälfte seiner Medizinalpraktikantenzeit zog er nach Kiel, ehe er im Oktober 1908 nach Freiburg zurückkehrte und dort seine Assistenzzeit bei Hoche, der die Stelle für seinen früheren Medizinalpraktikanten reserviert hatte, begann. Kehrer vermerkte später: „Für meine ganze weitere Entwicklung im Leben, vor allem im Beruf, richtunggebend wurde mir Hoches einzigartige, fast magische Persönlichkeit.“ Hoche publizierte 1920 zusammen mit dem Juristen Karl Binding das Werk, das den Weg zur späteren „Euthanasie“ ebnete: „Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens. Ihr Maß und ihre Form“. Dort wurde zum ersten Mal in der breiten Öffentlichkeit die Frage besprochen, ob es vielleicht doch aus rechtlicher und medizinisch-ethischer Perspektive vertretbar ist, das Leben nicht therapierbarer Patienten zu beenden. 1908 promovierte Kehrer bei Hoches Oberarzt, Oswald Bumke (1877–1950), später förderndes SS-Mitglied, seit 1940 beratender Psychiater des Wehrkreiskommandos in München und seit 1944 im Wissenschaftlichen Beirat des Bevollmächtigten für das Gesundheitswesen Karl Brand.28 Bumke erteilte Kehrer ein Promotionsthema zur Erblichkeit des Muskelschwunds. Auf den Arbeiten von Erb fußend untersuchte Kehrer in einem benachbarten Dorf die Familie eines an Muskelschwund Erkrankten. Er stellte einen Stammbaum auf, um nachweisen zu können, „daß diese Erkrankung nach den Mendelschen Regeln vererbt wird. Dieser Erfolg begründete für immer mein Interesse für hereditäre Nervenleiden“, so Kehrer. Anschließend zog er zum zweiten Mal nach Kiel zu Ernst Siemerling (1857–1931) und habilitierte sich 1913 zum Thema Wortamnesie. Kehrer verließ Kiel drei Jahre später und kehrte im Frühjahr 1914 wieder nach Freiburg als Privatdozent zurück. Nach Empfehlung seines Doktorvaters und Förderers, der in der Zwischenzeit nach Rostock berufen wurde, übernahm Kehrer Bumkes Oberarztstelle bei Hoche. Der Erste Weltkrieg unterbrach zunächst die weitere rein medizinische Karriere. Kehrer verfügte, wie allgemein in seiner Generation üblich, bereits über Erfahrungen mit dem Militär, die er als Freiwilliger zwischen Oktober 1904 und März 1905 sammeln konnte. Von April bis September 1909 war er außerdem als Unterarzt, von September bis Oktober 1910 als Assistenzarzt und ab März 1913 als Oberarzt der Reserve tätig.29 1915, nach kurzer Zeit im Feld, wurde er aufgrund einer Verwundung von der Front abgezogen. Als Psychiater konnte er die Zeit im Militärdienst „sinnvoll“ nutzen, um sich mit dem Gebiet der Kriegsneurosen auseinanderzusetzen. Er wurde beauftragt, im Schwarzwald ein Reservelazarett für an Kriegsneurosen erkrankte Soldaten einzurichten. Dort entwickelte er die Methode des „Zwangsexerzierens“, wie er sie selbst nannte: 28 29

Grüttner 2004, S. 32. Vgl. Klee 2003, S. 84–85. UAMs, Bestand 10, Nr. 3456, Personalbogen Kehrer.

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„[Es] wurden an den betreffenden Orten (Hornberg und Triberg) die bestehenden Fabriken auf die Herstellung von Munition umgestellt und die ‚geheilten‘ Neurotiker als Arbeiter eingesetzt.“

Nach Kriegsende 1918 zog Kehrer nach Breslau30 und erhielt die Oberarztstelle der Psychiatrischen und Nervenklinik. Dort begann auch seine Lehrtätigkeit: am 22. Dezember 1918 wurde er Prädikatsprofessor, 1919 bekam er einen Lehrauftrag für gerichtliche Psychiatrie und 1921 wurde er zum außerordentlichen Professor ernannt. Kehrer war durchaus ein „Kind seiner Zeit“, geprägt von den Strömungen der damaligen psychiatrischen Fachgesellschaft. Die Neurologie bedeutete für ihn die Basis für jegliche weitere Entwicklungen in der Psychiatrie, wobei die Untersuchung von Anlagefaktoren der psychischen Krankheiten im Mittelpunkt seines Interesses stand. 1924 veröffentlichte er zusammen mit Ernst Kretschmer (1888– 1964), dem großen Konstitutionsforscher,31 die „Veranlagung zu seelischen Störungen“. Mit Kretschmer fand Kehrer – beide exponierte Vertreter einer somatischen Behandlung in der Psychiatrie – auch in der Psychoanalyse einen „Verbündeten“, mit dem er regelmäßig korrespondierte.32 Zu Robert Gaupp (1870–1953), schon 1910 Vorstandsmitglied der Gesellschaft für Rassenhygiene,33 Schüler von Emil Kraepelin und Lehrer von Ernst Kretschmer, pflegte Kehrer ebenfalls eine enge kollegiale Beziehung. Mit Gaupp, der sich sehr früh für eine rassenhygienische Psychiatrie einsetzte, tauschte sich Kehrer bezüglich des Paranoia-Problems und der Psychotherapie sowie der Alterspsychiatrie, dem späten Arbeitsgebiet von Kehrer, sehr intensiv aus. Ein gemeinsamer Freund von Gaupp und Kehrer war der langjährige Ordinarius für Psychiatrie an der Berliner Charité, Karl Bonhoeffer. Für Kehrer war Bonhoeffer mit seinen „exogenen Reaktionstypen“ derjenige, der in der aktuellen Debatte in der psychiatrischen Wissenschaftstheorie „obsiegte“.34 Das durch den Weggang von Martin Reichardt freigewordene Ordinariat in Münster wurde Ferdinand Kehrer mit Rückwirkung zum 1. Oktober 1925 am 2. November 1925 vom Preußischen Wissenschaftsminister übertragen. Die Beaufsichtigung und Weiterführung des Projekts Klinikbau, mit dem man mittlerweile begonnen hatte, wurde dem neuen Ordinarius als gesonderte Aufgabe überant30

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Am 7. Juli 1917 heiratete Kehrer Josefine de Lemos aus Hamburg, geboren am 31. Dezember 1883, ebenfalls evangelisch und jüdisch-portugiesischer Herkunft. Sie hatten zwei Kinder, Hans (geb. 1917) und Magret (geb. 1919). UAMs, Bestand 10, Nr. 3456, Bl. 24, 12.11.1936, Anzeige über Verheiratung Kehrers. Die Familie de Lemos gehörte zu den sephardischen Ärztedynastien in Hamburg, deren Ursprünge in der Vertreibung der jüdischen Ärzte aus Spanien und Portugal im 16. Jahrhundert liegen. Villiez 2009, S. 32ff. Peiffer 2004, S. 1090. Vgl. Klee 2003, S. 339. Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin Münster, Briefwechsel Ferdinand Kehrers mit Kretschmer. Peiffer 2004, S. 1073. Vgl. Klee 2003, S.175. Kehrer 1964, S. 12.

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wortet. Er agierte gemäß einer detaillierten Planung, die, von der provisorischen Situation ausgehend, die Bedürfnisse der Lehre und Patientenversorgung der bald fertiggestellten Klinik bestmöglich zu antizipieren versuchte.35 Kehrers vehementes Engagement zugunsten seiner Ziele war aber in den lokalen Strukturen nicht immer erfolgreich. Seiner Wahrnehmung nach behinderte eine unbewegliche soziale Umgebung jeglichen innovativen Schritt. Seine Frustration, die in seiner Korrespondenz immer wieder zum Vorschein kommt, führte in den ersten Jahren seiner ordentlichen Professur in Münster zu mehrfachen Bemühungen um eine Wegberufung. Jede Alternative schien ihm in dieser Zeit einen Versuch wert zu sein, Münster zu verlassen. Denn: „[…] ein Mißstand wird immer hier bestehen bleiben: das Vorhandensein einer Provinzialanstalt für Katholiken mit 800 Betten in dem ausschliesslich katholischen Münsterland. Wenn auch die Beziehungen meiner Klinik zu dieser denkbar bestens sind, so kann ich doch nur ganz langsam und auch nur teilweise den Aufnahmebezirk derselben nach meiner Klinik umstellen. Ein anderer Mißstand wird sich erst in mehreren Jahren ausgleichen: der Widerstand der Jahrzehnte ohne Klinikum im wissenschaftlichen Dornröschenschlaf sich wohlfühlenden eingesessenen Ärzteschaft der stockkonservativen Stadt.“

Er visierte beispielsweise einen Lehrstuhl in Halle an der Saale, in Bonn, in Kiel an. Seine Erklärung, warum er die Berufung nach einer dieser Städte nicht erhielt, war folgende: „wegen Bau und Einrichtung der hiesigen Klinik, die ja nach meinen Intentionen erfolgt sind.“36 Parallel bemühte sich Kehrer, die vorerst nur „virtuell“ – aus der Poliklinik in der Augenklinik und dem Unterrichtsbetrieb in Marienthal – bestehende Nervenklinik nach allen modernen Erkenntnissen bezüglich einer wohlorganisierten Forschung und Lehre zu gestalten und kümmerte sich unermüdlich um die Erhöhung der Finanzmittel.37 Ferner erkämpfte er die Versorgung der Klinik mit geeignetem „Krankenmaterial“, also Patienten, die nicht aus Marienthal stammten und chronisch krank waren, sondern an einer akuten psychischen oder neurologischen Störung litten. Im September 1933 einigten sich Universitätsklinik und Provinzialverband darauf, dass Aufnahmeverträge bezüglich solcher Patienten direkt an die Klinik weitergeleitet werden konnten. Die Patienten sollten 14 Tage in der Klinik bleiben und anschließend in die Heil- und Pflegeanstalten Münster überwiesen werden.38 35 36 37 38

UAMs, Bestand 9, Nr. 774, Bl. 53, 10.11.1925, Kehrer an den stellvertretenden Kurator der Universität Münster. Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin Münster, Briefwechsel Ferdinand Kehrers, 22.12.1931, Kehrer an Gabriel Anton. UAMs, Bestand 9, Nr. 774, Bl. 76, 6.7.1927, Kehrer an den Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, und Bl. 70, 14.3.1927, Kehrer an den Kurator. LWL-Archivamt, Bestand 601, Nr. 240, 26.9.1933, Landesinspektor Petermann, Bericht. Heinrich Petermann (1894–1969), Psychiater, war zuständig für die Auswahl dieser so genannten „14-Tage“-Patienten. Die nächste Abänderung der alten Abmachung fand im

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Die Vollendung der Klinik – die Schritt für Schritt vom Universitätsbauamt vom Oktober 1928 bis zum Januar 1932 erfolgte39 – fiel zeitlich mit der nationalsozialistischen Machtergreifung fast zusammen. Der Regimewechsel und die Säuberungsmaßnahmen ließen allerdings die neue universitäre Institution praktisch unberührt. Wenn überhaupt brachte die Konzentrierung der neuen Gesundheitspolitik auf die psychiatrischen Versorgungseinrichtungen einen weiteren Anstoß zum Klinikwachstum.40

Psychiatrie und Nationalsozialismus Die gesetzlich geregelte „Volkspflege“ des nationalsozialistischen Staates richtete ihren völkischen Appell auch, wenn nicht sogar in erster Linie, an die Psychiater. Am 14. Juli 1933 wurde das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses41 veröffentlicht, welches am 1. Januar 1934 in Kraft trat: „Wer erbkrank ist, kann durch chirurgischen Eingriff unfruchtbar gemacht (sterilisiert) werden, wenn nach den Erfahrungen der ärztlichen Wissenschaft mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, daß seine Nachkommen an schweren körperlichen oder geistigen Erbschäden leiden werden.“

Als Erbkrankheiten definiert wurden der „angeborene Schwachsinn“, die Schizophrenie, das „zirkuläre (manisch-depressive) Irresein“, die erbliche Fallsucht (Epilepsie), der erbliche Veitstanz (Chorea Huntington), die erbliche Blindheit, die erbliche Taubheit und die schweren körperlichen „Missbildungen“. Zudem wurde vom Sterilisationsgesetz betroffen, „wer an schwerem Alkoholismus leidet.“42 Menschen, die als Träger erblicher Krankheiten galten, sollten erfasst und ausgesondert werden, um negative Erbanlagen möglichst weitgehend auszuschalten. Die meisten dieser Krankheiten fielen hauptsächlich in das Diagnose- und Therapiespektrum der Psychiatrie. Die Psychiater wiederum sahen in den ihnen gestellten Aufgaben ein erwünschtes Tätigkeitsfeld der Erforschung von Erblichkeitsfragen, die ohnehin den zeitgenössischen Wissenschaftsbetrieb dominierten. Die politischen Umstände boten eine perfekte Gelegenheit für junge Psychiater, ihre Existenz zu legitimieren und sich eine staatlich geförderte und protegierte Herrschaftsposition zu verschaffen.

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Oktober 1936 statt und verlängerte die Aufenthaltsfrist der Patienten bis zu sechs Wochen. Zur Rolle von Petermann beim NS-Patientenmord siehe: Kersting 1996, S. 305ff. Kehrer 1962, S. 27. Für eine detaillierte Beschreibung des Klinikgebäudes siehe: Hosse 1986. Zur weiteren Klinikentwicklung sowie zu ihrem ärztlichen Personal unter der Leitung Kehrers siehe: Mamali 2011. Reichsgesetzblatt I 1933, S. 529–531. Ebd.

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Ein weiteres schwarzes Kapitel der Psychiatrie bei der Umsetzung der nationalsozialistischen Gesundheitspolitik war ihre Beteiligung an der „Euthanasie“, der systematisch betriebenen Ermordung von Patienten durch Mediziner. Es waren wieder die gleichen „Unheilbaren“ wie die im Sterilisationsgesetz benannten – bei einem etwas erweiterten Krankheitsspektrum –, die dem übergeordneten Ziel der Heilung des „Volkskörpers“ zum Opfer fielen. Ebenso war derselbe „therapeutische Idealismus“ am Werk, der vermeintlich innovative Wissenschaftler glauben ließ, durch den Tod „Lebensunwerter“ die Allgemeinheit therapieren und zukünftigen Individuen helfen zu können.43

Kehrers eugenisches Paradigma Die „Euthanasie“-Aktion habe der damalige Münsterschen Universitätsklinikleiter abgelehnt und sich diesbezüglich vor seinen eigenen Klinikmitarbeitern kritisch geäußert – so die mündlich überlieferte Information über Kehrer. Es bestehen jedoch unterschiedliche Standpunkte bezüglich der Verwicklung der Universitätskliniken in diese Aktion. Die „Euthanasie“-Aktion betraf die Patienten der Universitätskliniken sicherlich nur mittelbar, denn getötet werden sollten „unheilbare“ Langzeitpatienten – und diese befanden sich hauptsächlich in Anstalten, Krankenhäusern oder Heimen. Eine Universitätsklinik überwies solche Patienten nach der Diagnose in der Regel an solche Institutionen. Sie setzte sich primär mit akuten Krankheiten auseinander, die ihren Forschungs- und Lehrzwecken dienten. Ähnlich funktionierte die Münstersche Klinik, deren Direktor sich immer wieder um geeignetes „Krankenmaterial“ bemühte.44 Die Klinikpatienten wurden nach der ersten Diagnosestellung und einer ersten Behandlung entweder nach Hause entlassen oder weiterverlegt. Allerdings verdient die sonst routinemäßige Verlegung der Patienten in der fraglichen Zeit von 1939 bis 1944 eine andere Beachtung. Besonders zu untersuchen wäre deswegen der Patientenaustausch zwischen westfälischen Heil- und Pflegeanstalten beziehungsweise Marienthal und Universitätsklinik in Münster. Kehrer war nie Mitglied der NSDAP, gehörte lediglich dem NS-Lehrerbund und sonst keiner anderen parteilichen Gliederung an.45 Er verkörperte jenen Professorentypus, der zwar von den Leitideen der neuen Gesundheitspolitik überzeugt war, dem diktatorischen Staat und der Partei aber fern stand. Die Frage, ob das auch seinem Wunsch entsprach oder ob er von den Machthabern ausgeschlossen 43 44 45

Schmuhl 1987, S. 261. Vgl. Oehler-Klein 2007, S. 280f., Rotzoll 2006, S. 925ff., Seidler/Leven 2007, S. 540. Zitiert in: Dicke 2004, S. 60. Vgl. UAMs, Bestand 5, Nr. 637, 2.10.1945, 17.11.1947, Lebensläufe Kehrers. In seinen Briefen, Notizen und so weiter der Nachkriegszeit erwähnte Kehrer auf die eine oder andere Art fast immer seine Nicht-Mitgliedschaft in der NSDAP, die seine „Beeinträchtigungen im 3. Reich wegen bekannter demokratischer Einstellung“ zu verantworten hätte.

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wurde, weil er gewisse Kriterien nicht erfüllte – zum Beispiel weil seine Frau jüdisch-portugiesischer Abstammung war oder weil er in andere Konflikte mit den Nationalsozialisten geriet46 –, ist nicht mit Sicherheit zu beantworten. Kehrer sah sich jedenfalls im Laufe der Zeit immer mehr als einen „Außenstehenden“, der sich gegenüber dem NS-Regime zunehmend enttäuscht und verbittert zeigte, dessen rassenhygienischem Programm er jedoch, und mehr als er glauben wollte, de facto diente. Kehrer sprach von sich selbst als „erbbedingt […] streng wissenschaftlich eingestellt“.47 Die Herrschaft seiner Wissenschaft war die einzige, die er explizit anerkannte und die er nach den strengsten Regeln exekutieren wollte. Erbfaktoren als dominante Erklärungsfaktoren der psychiatrischen Krankheitslehre spielten in seiner wissenschaftlichen Arbeit schon sehr früh eine wichtige Rolle. Konsequenterweise war er auch ein exponierter Befürworter der Sterilisation als Vorsorgemaßnahme für die Ausmerzung von erblichen psychischen und vor allem neurologischen Krankheiten. Kehrer las ab 1933 für Hörer aller Fakultäten über „Die erblichen Krankheiten insbesondere die Geistes- und Nervenleiden und ihre Bedeutung für die Volksgesundheit“.48 Die Veröffentlichung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses im Juli 1933 stieß allgemein unter den Psychiatern auf große Resonanz. Es wurde nicht nur enthusiastisch begrüßt, sondern gleich als Ansatz für noch weiter gehende Vorgehensweisen gesehen. Im August 1933, vor Inkrafttreten des Gesetzes, richtete Kehrer einen Brief an den Ministerialrat Arthur Gütt (1891–1949), den „Vater des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“.49 Kehrer, der sich „seit Jahrzehnten mit den Fragen der genealogischen Neurologie“ befasse und die Entstehung des neuen Gesetzes genau verfolgt habe, erlaube sich darauf hinzuweisen, „dass m. E. ausser den in dem Gesetz genannten vorwiegend psychischen Krankheiten auch eine Reihe von vorwiegend somatischen Nervenerkrankungen verdienten, weiterhin durch das Gesetz berücksichtigt zu werden.“

Er schickte als Anlage zum Brief seine neuerliche „Vorläufige Einteilung der erblichen Erkrankungen des Nervensystems“, die demnächst in der Einleitung des Handbuchs der Neurologie von Oswald Bumke und Otfried Foerster (1873–1941) 46

47 48 49

Neben der Anzweiflung der arischen Abstammung Kehrers und seiner Frau 1935 war der Vorwurf seitens der Kassenärztlichen Vereins in Münster, „dass die Kliniken das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses durchlöcherten“, ebenfalls 1935, oder Kehrers Publikation beim jüdischen Verlag Karger 1939 einige der Fälle, in denen der Münstersche Ordinarius wegen seiner vermeintlich nicht ausreichend nationalsozialistischen Gesinnung mit dem diktatorischen Machtapparat in Konflikt geriet. UAMs, Bestand 10, Nr. 3456, Bd. 1, Bl. 17–30, und Bestand 9, Nr. 774, Bl. 220–228. Vgl. Hosse 1986. UAMs, Bestand 10, Nr. 3456, Bd. 1, Bl. 41–46. Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin Münster, Briefwechsel Ferdinand Kehrers, 21.2.1951, Kehrer an Helmut Selbach. Vorlesungsverzeichnisse Wintersemester 1933/34 bis Wintersemester 1940/41. Klee 2003, S. 210.

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erscheinen solle. Er schloss seinen Brief, indem er dem nationalsozialistischen Gesetzgeber seine Mitarbeit anbot: „Da die Zahl der Forscher, welche sich in Deutschland gerade mit den somatisch-neurologischen Erbkrankheiten befasst haben, ausserordentlich gering ist und die Mehrzahl von diesen sich nur mit einer bestimmten Krankheit beschäftigt haben, erlaube ich mir, meine Mitarbeit in bezug auf die gesetzliche Erfassung der genannten Krankheiten anzubieten.“50

Kehrer habe über diese Krankheiten schon 1924 für eine Monographie51 eine „Sammlung von einigen Tausend Stammbäumen“ entwickelt, die seine Thesen über deren Erblichkeit wissenschaftlich stütze. Er sei jetzt „selbstverständlich gern bereit, diese Sammlung zu dem grossen vaterländischen Zwecke der Verhütung erbkranken Nachwuchses zur Verfügung zu stellen.“52 Am 28. Dezember 1933 erhielt er einen informellen handschriftlichen Brief von Ernst Rüdin (1874–1952),53 der von dem Austausch Kehrers mit dem Innenministerium erfahren hatte: „Es wäre freilich schön, wenn man die vielen erblichen Nervenkrankheiten unter das Sterilisationsgesetz bringen könnte.“ Es stelle sich aber die Frage: „Können die erblichen Nervenkrankheiten als ‚erbliche körperliche Missbildungen‘ im Sinne § 1, Ziff. 8 des Gesetzes angesehen werden“ oder wäre „eine Novelle notwendig? […] Ich möchte nicht gerne den Anschein erwecken, als ob ich, weil ich auch die Sterilisation der neurologischen Leiden gerne jetzt schon bei dem ers-

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Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin Münster, Briefwechsel Ferdinand Kehrers, 1.8.1933, Kehrer an Gütt, und ohne Datum, Notiz Kehrers. Hier ist wahrscheinlich die mit Ernst Kretschmer zusammen publizierte Monographie über „Die Veranlagung zu seelischen Störungen“ aus dem Jahr 1924 gemeint. Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin Münster, Briefwechsel Ferdinand Kehrers, 7.10.1933, Kehrer an den Innenminister. Die Korrespondenz zwischen Kehrer und Rüdin, Vorreiter in erbbiologischen Sachen, wurde im Hinblick auf die Nachzeichnung der Geschichte der Münsterschen Klinik beziehungsweise der Person Kehrers bisher sehr betont. Kehrer selbst führte sogar seine Anstellung im Erbgesundheitsobergerichts darauf zurück, Kehrer 1964, S. 31. Dicke spricht von einem „intensiven Briefkontakt“, Dicke 2004, S. 65. Neben dem oben genannten handschriftlichen Brief von Rüdin vom 28.12.1933 liegt aber kein anderer vor. Kehrer schrieb nochmals an Rüdin zwei Jahre später. Er wollte auf eine irreführende Ausführungserklärung bezüglich der Unfruchtbarmachung bei schwerem Alkoholismus, die in der Zeitschrift „Der Praktische Arzt“ veröffentlicht wurde, hinweisen. Der Brief beginnt damit, dass Kehrer seine Freude darüber zum Ausdruck bringt, dass sein „Artikel über den Erbveitstanz sich entsprechend praktisch auswerten lässt“. Daraus lässt sich schließen, dass sich Kehrer und Rüdin öfter austauschten. Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin Münster, Briefwechsel Ferdinand Kehrers, 11.12.1935, Kehrer an Rüdin. Kehrers Kontakt zu Rüdin, damalige wissenschaftliche Leitfigur in Sachen erbbiologischer Psychiatrie, war aber kein Einzelphänomen. Auch andere, damals renommierte Wissenschaftler korrespondierten mit Rüdin im Rahmen eines wissenschaftlichen Austausches, wie beispielsweise Kurt Pohlisch aus Bonn oder Carl Schneider aus Heidelberg. Forsbach 2006, S. 205, Rotzoll 2006, S. 920f.

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ten Aufwasch sähe, ihrer Deutung als Missbildungen einen Zwang antun wolle. Es muss ordentlich zu begründen sein. Sonst lieber noch ein Bisschen warten.“

Rüdin bat um nähere Begründung des Vorschlags auf Erweiterung des Indikationskatalogs. Kehrers Ansicht sei, neben derjenigen anderer Wissenschaftler, insbesondere im Hinblick auf den Kommentar, den er schreiben sollte, sehr wertvoll.54 Die Pläne für die Erweiterung der Krankheitsgruppen wurden letztendlich nicht realisiert. Möglicherweise war die Überzeugungskraft der Argumente Kehrers nicht groß genug, um kurz vor Inkrafttreten des Gesetzes solche Verfeinerungen vorzunehmen. Vielmehr stand die institutionelle Organisation im Vordergrund, die die erfolgreiche Umsetzung des Gesetzes in seiner gegebenen Form gewährleisten sollte. Über die Krankheiten, die vom Gesetz bereits erfasst worden waren, herrschte hingegen absolute Sicherheit: „Sind diese […] gegeben, so muss die Unfruchtbarmachung erfolgen. Der Sinn des Gesetzes ist klar.“ Kehrer plädierte somit 1934 in einem Artikel in der Fachzeitschrift „Psychiatrisch-Neurologische Wochenschrift“ öffentlich für die strengere Anwendung des Sterilisationsgesetzes. Er bezog sich damit auf § 1 des Gesetzes: „Wer erbkrank ist, kann unfruchtbar gemacht werden.“ Es sei fehlerhaft, diese Kann-Vorschrift als „Schutz gegen eine zu weitgehende Anwendung des Gesetzes“ zu interpretieren. Dem „logisch-juristischen Sachverhalt“ zu Folge sei die Sache eindeutig: Jede Unfruchtbarmachung müsse vom Gericht angeordnet werden, „sofern es eben in freier Beweiswürdigung zu der Überzeugung gekommen ist, dass infolge einer der im Gesetz genannten Krankheit ‚mit grosser Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Nachkommen des Kranken an schweren körperlichen oder geistigen Erbschäden leiden werden.‘“

Kehrer hielt weitere Interpretationsspielräume für unnötig und verwirrend sowie gegen den Sinn des Gesetzes.55 Dass Kehrer die Sterilisationspolitik des Nationalsozialismus nicht nur vehement befürwortete, sondern auch konsequent durchführte, weisen seine intensive Gutachtertätigkeit und vor allem seine Tätigkeit als Klinikdirektor und somit als Schlüsselfigur bei der Sterilisierungsantragstellung nach. Neben der direkten Teilnahme an der Durchführung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses durch die Initiierung der Sterilisation von „erbkranken“ Patienten trug die Klinik mittelbar durch ihre Gutachtertätigkeit zur Umsetzung der rassenhygienischen Politik bei. Die Ärzteschaft der Klinik entwickelte, wie es für diese Zeit üblich war, eine intensive Gutachtertätigkeit im Dienst der rassenhygienischen Erbgesundheitsgerichtsbarkeit.56 In der Zeit von 1934 bis 1945, solange das Gesetz zur 54 55 56

Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin Münster, Briefwechsel Ferdinand Kehrers, 28.12.1933, Rüdin an Kehrer. Kehrer 1934. Die Klinik genoss schon in ihrer Anfangszeit den Ruf einer auf die Neurologie spezialisierten Kranken- und Ausbildungsanstalt. Neben den erbgesundheitlichen Gutachten handelte es sich oft um forensische Gutachten für Amts- und Landgerichte oder Oberlan-

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Verhütung erbkranken Nachwuchses galt, erstellten die Ärzte der Klinik insgesamt 483 Gutachten für das Erbgesundheitsgericht und das Erbgesundheitsobergericht. Als Gutachter waren Kehrer als Klinikdirektor sowie seine Oberärzte Heinrich Korbsch57 und Wilhelm Klimke58 tätig. Kehrer stellte von 1934 bis 1945 insgesamt 714 Sterilisationsanträge beziehungsweise -anzeigen, davon betrafen 322 männliche

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desgerichte oder um Gutachten in Bezug auf Dienstfähigkeit und Verrentungsanspüche, zum Beispiel für Versicherungen, Krankenkassen, Wohlfahrts- und Gesundheitsämter oder andere Behörden des öffentlichen Dienstes. Kehrer selbst war seit dem 2.11.1928 ärztlicher Sachverständiger des Gerichtsärztlichen Ausschusses der Provinz Westfalen. UAMs, Bestand 5, Nr. 637, 2.10.1945, 17.11.1947, Lebensläufe Kehrers. Heinrich Korbsch (1893–1984) nahm das Medizinstudium 1914 in Breslau auf, das er nach dem Krieg beendete. 1921 legte er sein Medizinisches Staatsexamen ab. Sein praktisches Jahr begann er in der Abteilung Innere Medizin des Breslauer Städtischen Krankenhauses Allerheiligen und setzte es an der Breslauer Universität bei Robert Wollenberg fort. Er wurde 1922 in Kiel promoviert und war dort Assistenzarzt bei Ernst Siemerling bis 1925, als er eine Assistenzarztstelle an der Psychiatrischen und Nervenklinik in Münster bekam. 1929 habilitierte er sich und wurde zum Privatdozent für Psychiatrie und Neurologie der Universität Münster. 1930 erhielt er eine Oberarztstelle. 1933 bewarb sich Korbsch auf die Direktorenstelle der Heil- und Pflegeanstalt Münster. Er trat am 1.4.1933 der NSDAP bei und gehörte zu den 300 Universitätslehrenden, die die Loyalitätserklärung für die neue Regierung am 4.3.1933 unterschrieben. Er war von 1933 bis 1934 Zellenleiter beziehungsweise Blockwart in der Ortsgruppe der NSDAP Münster Nord-West, seit 1934 SS-Mitglied und von 1935 bis 1941 Mitarbeiter des Rassenpolitischen Amtes Gau Westfalen-Nord in Erbgesundheitssachen. Korbsch wechselte 1934 in die Heil- und Pflegeanstalt Münster als Oberarzt. 1939 wurde er zum außerplanmäßigen Professor ernannt und gehörte zur deutschen Delegation im Internationalen Neurologenkongress in Kopenhagen. 1945 wurde er suspendiert, 1948 aber in die Kategorie V, also der „Entlasteten“, eingereiht, woraufhin er seinen Dienst in die Provinzialverwaltung – Heil- und Pflegeanstalt Gütersloh – antreten durfte. Er übernahm dort die neurologische Abteilung und leitete die neurologische Ausbildung der jungen Ärzte aller westfälischen Heil- und Pflegeanstalten. 1949 wurde Korbsch „auf Grund seiner mutigen Haltung, die er laut Zeugnis zahlreicher Gutachten gegen die Sterilisations- und Euthanasievorschriften der nationalsozialistischen Regierung gezeigt hat“ (LWL-Archivamt, Bestand 132, Nr. 802, Bl. 179, 31.3.1949, Kultusminister Nordrhein-Westfalen an den Rektor und Kurator der Universität Münster), vom Kultusministerium wieder zur akademischen Lehre zugelassen. Seine Lehrtätigkeit übte er bis zur Emeritierung 1961 aus. LWL-Archivamt, Bestand 132, Nr. 291 und Nr. 802, UAMs, Bestand 8, Nr. 18211, und Bestand 207, Nr. 258, BAB, R 4901, Nr. 2921, Bl. 272–281, Ministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung an Heinrich Pette. Wilhelm Klimke (1898–1961) begann 1918 in Münster ein Studium der Mathematik, Physik und Chemie. Nach Kriegsende 1919 wechselte er zu einem Medizinstudium in Marburg, das er 1925 abschloss. Seine erste Assistentenstelle bekam er am Pathologischen Institut und Forschungsinstitut für Gewerbe- und Unfallkrankheiten der städtischen Krankenanstalten in Dortmund bei Hermann Schridde. 1929 kam er nach Münster und war anfangs als Volontär, ab 1930 als außerplanmäßiger und ab 1931 als planmäßiger Assistent an der Psychiatrischen und Nervenklinik. Klimke war Kehrers „rechte Hand“, der wiederum seinen Mitarbeiter, im Gegensatz zu seinem Vorgänger Heinrich Korbsch sehr schätzte. BAB, R 4901, Nr. 2124, Bl. 418–419, 11.7.1933, Klimke, Lebenslauf. UAMs,

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und 392 weibliche Patienten. Diese Patientenanzahl entsprach im genannten Zeitraum 3,47 Prozent der Gesamtzahl der Patienten.59 In Zusammenarbeit mit der Psychiatrischen und Nervenklinik in Münster stand ebenfalls das Erbgesundheitsobergericht in Hamm, die Revisionsinstanz für die Erbgesundheitsgericht in Münster, Arnsberg, Bielefeld, Bochum, Dortmund, Essen, Hagen, Paderborn und Siegen. Im Erbgesundheitsobergericht in Hamm war Kehrer selbst vom Reichsjustizministerium und nach Vorschlag der Fakultät als ärztlicher Beisitzer von 1934 bis 1938 eingesetzt. Die Bestellung eines Universitätsprofessors zum ärztlichen Beisitzer war die absolute Ausnahme, denn die Erbgesundheitsund Erbgesundheitsobergerichte waren „fast ausschließlich“ mit Kreisärzten oder Medizinalräten besetzt. Allerdings darf man sich nicht über Kehrers Bestellung trotz fehlender Parteimitgliedschaft wundern. In dieser ersten Organisations- und Aufbauphase der Erbgesundheits- und Erbgesundheitsobergerichte spielte das Bekenntnis zur NSDAP keine entscheidende Rolle. Erst später wurde die Zahl der Nicht-Parteimitglieder eingeschränkt. Die Verschärfung der Bestellungskriterien der ärztlichen Beisitzer hinsichtlich parteipolitischen Engagements trat an die Stelle des früheren Wunsches, sich mit renommierten Universitätsangehörigen zu schmücken und eine wissenschaftliche Fundierung der Entscheidungen zu demonstrieren. Kehrer genoss sicherlich ein solches Renommee als Fachpsychiater und einziger Lehrstuhlinhaber in Westfalen. Zudem war er an Erblichkeitsfragen schon immer besonders interessiert und auch noch evangelisch, was den Verdacht, er könne religiös basierte Hemmungen bei der Durchführung der Sterilisationspolitik haben, ausräumte.60 Im Bestellungsverfahren stärkte möglicherweise der Kontakt zur damaligen „Nummer Eins“ der Fachvertreter in erbbiologischen Sachen, Ernst Rü-

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Bestand 5, Nr. 636, und Bestand 10, Nr. 3579. Zur Klimkes Habilitationsverfahren siehe UAMs, Bestand 9, Nr. 814. Zu seiner Nachkriegszeit siehe: UAMs, Bestand 52, Nr. 9. Die Ermittlung der Daten zu den beantragten Unfruchtbarmachungen seitens der Klinik basiert auf den Klinikaufnahmebüchern. Bei jeder Eintragung wurden die persönlichen Daten der Patienten (Name, Geburtsdatum, Beruf, Religion, Wohn- und Geburtsort), Aufnahme- und Entlassungsort und -datum, Diagnose und, unter „Bemerkung“, der Zahlungsmodus oder das Unterbringungsziel (zum Beispiel „zur Beobachtung“ oder „zur Behandlung“) dokumentiert. Ab 1934 wurden die Spalten „Sterilisation“, „Einweisender Arzt“ und „Kostenträger“ eingeführt, die bis 1945 den Sterilisationsanzeigen entsprechend ausgefüllt wurden. Die Klinikdirektoren waren neben den Amtsärzten antragsberechtigt, das heißt der Unfruchtbarmachungsantrag wurde direkt beim Erbgesundheitsgericht gestellt, ohne die Vermittlung des Amtsarztes. Im Fall der Münsterschen Klinik wird diese Praxis durch die Dokumentation in den Hauptbüchern bestätigt. Die Dokumentationsart änderte sich aber 1936, als der jeweilige, den Wohnort des Patienten entsprechende Amtsarzt und nicht das Erbgesundheitsgericht genannt wird. Die Vermutung, dass die Antragsberechtigung der Klinik entzogen wurde, weil ihr Direktor nicht nazikonform war, liegt nahe, ist aber in den Akten nicht nachzuweisen. Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Münster, Archiv, Klinikhauptbücher, 1928–1953. Walter 1996, S. 513ff.

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din, in der Tat sein Profil, wie Kehrer auch selbst erwähnte.61 1937 schließlich war die Parteimitgliedschaft für die beamteten ärztlichen Beisitzer Voraussetzung ihrer Bestellung. Für die nicht beamteten waren sogar weitere Mitgliedschaften in NSOrganisationen sowie die Zustimmung des Gauleiters erforderlich. Diese Entwicklung könnte das Ende der Amtszeit von Kehrer in Hamm im Jahre 1938 erklären. Kehrers konsequenter Einsatz bei der Durchführung des Gesetzes führte häufig zu Konflikten mit anderen Ärzten und mit den Gerichten, da er „eine sachliche Stellung in der Rechtsprechung bezüglich des Erbgesundheitsgesetzes einnahm.“62 Denn es war in Münster und Umgebung doch schwieriger als anderswo, die rassenhygienischen Primate durchzusetzen. Das Erbgesundheitsgericht Münster fiel wegen seiner Anfrage über die Berechtigung, Sterilisationsbeschlüsse aufzuheben, sowie seiner vielfachen Aussetzungsbeschlüsse dem Innenministerium auf.63 Zudem erstellte der Oberlandesgerichtspräsident in Hamm im Januar 1935 aufgrund einer entsprechenden Verfügung einen Bericht über die Durchführung des Gesetzes im vergangenen Jahr. Insgesamt ließe sich feststellen: Während die Einführung des Gesetzes auf keine großen Schwierigkeiten gestoßen sei, sei die Einstellung der Bevölkerung dazu nicht einheitlich. „Im Gegensatz zur Bevölkerung der Großstädte und des Industriegebiets, wo man dem Gesetze weithin Verständnis entgegenbringt, verhält sich die Bevölkerung der kleineren Ortschaften und des flachen Landes, hier besonders die katholische Bevölkerung, dem Gesetz gegenüber vielfach noch ablehnend.“

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Kehrer 1962, S. 31. UAMs, Bestand 5, Nr. 637, 10.9.1945, Notiz von Kehrer. LAV NRW W, Bestand Q 101, Nr. 757, Bl. 182, 25.4.1935, Justizminister an den Präsidenten des Oberlandesgerichts Hamm. Im Erbgesundheitsgericht Münster waren zur Zeit der pensionierte Leiter der Heil- und Pflegeanstalt Münster Eberhard Kleffner als beamtetes Mitglied sowie Alwin Besserer, Cuno Peter und der Oberarzt einer Universitätsklinik – dessen Namen in der Akte nicht bekannt gegeben wird – als nicht beamtete Mitglieder tätig. Cuno Peter, praktischer Nervenarzt, war Leiter des Ausbildungsstabes der SS-Sanitätsabteilung XVII. Peter war 1934 bis 1935 im Erbgesundheitsgericht Münster und ab 1935 im Erbgesundheitsobergericht Hamm ärztlicher nicht beamteter Beisitzer. Von 1938 bis 1940 war er als Lehrbeauftragter an der Universität Münster tätig. Peter las im Rahmen der „Medizinischen Vorlesungen allgemeinen Inhalts und solche für Hörer aller Fakultäten“, über „Seminaristische Übungen und Begutachtungen aus dem Gebiet der Erbpflege- und Rassenschutz-Gesetzgebung für Mediziner und Juristen der höheren Semester“ sowie über „Die Erbpflege- und Rassenschutz-Gesetzgebung des Dritten Reiches“. Vorlesungsverzeichnisse der Universität Münster Sommersemester 1938 bis Wintersemester 1940/41. LAV NRW W, Bestand Q 101, Nr. 757, Bl. 158, 3.5.1935, Erbgesundheitsgericht Münster an Oberlandesgerichtspräsidenten Hamm, Bl. 212, 18.6.1935, Landesgerichtspräsident Münster an Oberlandesgerichtspräsident Hamm, und Bl. 213, 19.6.1935, Oberlandesgerichts-Präsident Hamm an Peter.

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Der Grund dafür sei „in religiösen und weltanschaulichen Vorstellungen“ zu suchen. Jedenfalls würde die Arbeit der Erbgesundheitsgerichte in solchen Bezirken „schwieriger“.64 Der Münstersche Ordinarius stand nicht auf der offiziellen Liste der für das Jahr 1935 zu bestellenden beamteten ärztlichen Beisitzer, die im Februar 1935 vom Regierungspräsidenten an den Innenminister eingereicht wurde.65 Der erneut festgestellte Ärztemangel machte aber seinen Dienst weiterhin notwendig, wie die Verlängerung seiner Amtszeit in Hamm bis 1938 zeigt. Im Dezember 1935 richtete der Regierungspräsident in Arnsberg dem Präsidenten des Oberlandesgerichts in Hamm in einem „Schnellbrief“ folgendes aus: Der Innenminister habe sich zwar mit der Auswahl der ärztlichen Beisitzer für die Sitzungsperiode 1936/37 – unter denen auch Kehrer aufgeführt war – einverstanden erklärt. Gleichzeitig teilte der Regierungspräsident aber mit: „Hinsichtlich des Herrn Professors Dr. Kehrer schweben noch Ermittlungen, ob seine Bestellung als beamteter Arzt in Frage kommt.“ Der Minister habe festgestellt, dass Kehrer nicht als beamteter Beisitzer gelten könne.66 Trotzdem stand Kehrer als stellvertretendes beamtetes Mitglied wieder auf der Vorschlagsliste des Oberlandesgerichtspräsidenten Schwegmann vom Januar 1936. Die Fülle der vorliegenden Beschwerdesachen forderte die umgehende Zustimmung des Innenministers bezüglich der Bestellung der ärztlichen Beisitzer: „Soweit Professor Dr. Kehrer in Frage kommt, bitte ich, ihn für die Bestellung als beamtetes ärztliches Mitglied vorzuschlagen. […] Er hat sich in dieser Eigenschaft auf’s beste bewährt, sodaß es sich nicht empfehlen dürfte, eine Änderung vorzunehmen.“ 67

Schwegmann stand unter dem Druck der ständig wachsenden „Geschäftslast“ des Erbgesundheitsobergerichts und sah eine derartige Arbeitsverdichtung auf das Gericht zukommen, dass nicht eine Reduzierung, sondern eine weitere Erhöhung der Zahl ärztlicher Beisitzer notwendig sein würde.68 Schwegmann musste die Konsequenzen aus seinem Handeln ziehen und wurde vom Regierungspräsidenten „um baldgefällige schriftliche Mitteilung“ der Gründe seines Entschlusses „bezüglich der weiteren Verwendung“ von Kehrer gebeten. Die örtlichen Gliederungen der NSDAP erklärten sich mit der Bestellung aller anderen

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LAV NRW W, Bestand Q 101, Nr. 757, Bl. 1g–1i, 12.1.1935, Oberlandesgerichtspräsident Hamm an den Justizminister. Ebd., Bl. 114, 6.2.1935, Regierungspräsident an den Innenminister. LAV NRW W, Bestand Q 101, Nr. 756, Bl. 12, 28.12.1935, Regierungspräsident Arnsberg an den Oberlandesgerichts-Präsidenten Hamm. Insgesamt wurden drei Ärzte als ordentliche beamtete, einer als stellvertretender beamteter, zwei als ordentliche nicht beamtete und einer als stellvertretender nicht beamteter Beisitzer vorgeschlagen, LAV NRW W, Bestand Q 101, Nr. 756, Bl. 13–15, 3.1.1936, Oberlandesgerichtspräsident Hamm, Verfügung. Ebd.

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Ärzte einverstanden, nicht aber mit der Kehrers.69 An dieser Stelle schaltete sich Arthur Gütt ein und entmachtete in dieser Frage die Regierung in Arnsberg: „Da Professor Kehrer als beamteter Beisitzer im Sinne des § 10 des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses nicht gelten kann, ermächtige ich ihn hiermit mit der Wahrnehmung der Tätigkeit eines beamteten Arztes im Sinne des § 10 des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses als beamteten Beisitzer des Erbgesundheitsobergerichts Hamm.“70

Der § 10 des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses bezog sich auf die Organisation und den Betrieb der Erbgesundheitsobergerichte und bestimmte unter anderem die Bestellung eines beamteten Arztes. Im Kommentar des Gesetzes, dem Standardwerk für die praktische Durchführung der Erbgesundheitsgerichtsbarkeit, herausgegeben von Arthur Gütt, Ernst Rüdin und dem Juristen Falk Ruttke, wird genauer erläutert, wer im Sinne des Gesetzes als beamteter Arzt gelten kann: „Der für den Wohnort oder Aufenthaltsort des Unfruchtbarzumachenden zuständige Amtsarzt (Kreisarzt, Bezirksarzt usw.), außerdem der Sanitätsoffizier der Reichswehr und der an seiner Stelle vertraglich verpflichtete Zivilarzt.“71

Kehrer fiel unter keine der obengenannten Kategorien. Er konnte nur durch einen speziellen Erlass des Innenministeriums ermächtigt werden, für den Zeitraum von 1936 bis 1937 sogar „die Tätigkeit eines [ordentlichen] beamteten Arztes im Sinne des § 10 des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses als beamteter Beisitzer des Erbgesundheitsobergerichts wahrzunehmen.“72

Es war aber auch das letzte Mal, dass er seine Tätigkeit am Erbgesundheitsobergericht Hamm ausüben durfte. Der Regierungspräsident ließ seine Wiederbestellung für die Amtsperiode 1938/1939 nicht zu, weil sich „infolge seiner eigenartigen Einstellung wiederholt Schwierigkeiten ergeben“ hätten.73

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Ebd., Bl. 24, 6.1.1936, Regierungspräsident Arnsberg an den Oberlandesgerichtspräsidenten Hamm. Ebd., Bl. 40, 23.1.1936, Regierungspräsident Arnsberg an den Oberlandesgerichtspräsidenten Hamm, Abschrift, 11.1.1936, Innenministerium, Arthur Gütt an den Regierungspräsidenten Arnsberg. Gütt/Rüdin/Ruttke 1934, S. 158–159, 131, 137. LAV NRW W, Bestand Q 101, Nr. 756, Bl. 41–42, 23.1.1936, Oberlandesgerichtspräsident, Aktenvermerk. Walter 1996, S. 517.

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550 Gescheiterte Forschungsvorhaben

„Bei keiner anderen Gruppe von Krankheiten steht die Erblichkeit so im Vordergrund wie bei den Seelenstörungen.“ Die Notwendigkeit der psychiatrischen Erblichkeitsforschung wurde 1921 im „Grundriss der menschlichen Erblichkeitslehre und Rassenhygiene“, dem „Standardwerk der Rassenhygiene“ von Eugen Fischer (1874–1967),74 Erwin Baur (1875–1933) und Fritz Lenz (1887–1976) besonders betont.75 Der Leiter des Kaiser-Wilhelm-Instituts, Eugen Fischer, erklärte bereits 1928 sein Interesse an anthropologischer Forschung in Westfalen: „Eine Erhebung der anthropologischen Verhältnisse der gesamten deutschen Bevölkerung ist ein Erfordernis, das schon seit Jahrzehnten gestellt und von den bedeutendsten Gelehrten immer wieder verfochten wurde. […] Man studiert nicht mehr nur das Individuum, sondern die Familie und die Erblinien. Das kann man aber nicht an der freizügigen und heute geradezu ein Mischung-Chaos bildenden Grosstadt-Bevölkerung, sondern nur an bodenständiger Landbevölkerung […] Es sollen an geeigneten Stellen ganze Dorfschaften unter Berücksichtigung der Verwandtschafts- und Abstammungsverhältnisse durchuntersucht werden. Westfalen ist dafür eine der geeignetsten Gaue unserer Heimat, und es wäre ein ganz besonderes Verdienst, wenn es in dieser Sache führend voran ginge.“76

Fischer hatte vor, die Planung und Durchführung der Forschungsarbeit in Westfalen selbst in die Hand zu nehmen. Trotz des Entgegenkommens der Provinzialverwaltung, die einen Teil der Finanzierung übernehmen wollte, scheiterten damals die Pläne über den weiteren Ausbau der westfälischen Landes- und Volkskunde im Bereich anthropologischer Forschung an Geldmangel. 1933 sah die Situation aber anders aus, da „auch die Provinz sich […] unter dem Zeichen der neuen Zeit wohl leichter zu der Unterstützung solcher Forschungen bereitfinden wird, als es früher möglich war.“77 Das „Zeichen der neuen Zeiten“ verlieh der rassenhygienischen Forschung einen ganz anderen Status, denn das neue Regime akzeptierte nicht nur die Relevanz solcher Forschungsvorhaben, sondern stellte sie sogar in den Mittelpunkt einer Programmatik, die auf seiner „Blut und Boden“-Ideologie beruhte. „Mir liegt die Organisation aller dieser Dinge sehr am Herzen, ich habe darüber im Reichsinnenministerium in letzter Zeit viel verhandelt. Man wünscht dort intensivste Arbeit auf diesem Gebiet“,78

berichtete Fischer euphorisch. Politik und Wissenschaft mobilisierten sich gegenseitig. 74 75 76 77 78

Zu Eugen Fischer siehe: Lösch 1997. Zitiert in: Fangerau/Müller 2002, S. 1039–1046. LWL-Archivamt, Bestand 702, Nr. 154, Bl. 2–4, 23.2.1928, Fischer an den Landeshauptmann der Provinz Westfalen. Ebd., Bl. 19, 25.7.1933, Landesrat Kühl an Fischer. Ebd.

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Kehrer war von Anfang an in dieses Wechselverhältnis miteinbezogen. Fischer ergriff 1933 die Chance, das schon früh Angedachte jetzt umzusetzen: „Ich hatte vor, einen hier bei mir in menschlicher Erblehre und Eugenik gut ausgebildeten Herrn in Münster zur Habilitierung an die Universität zu bringen. Herr Professor Kehrer war bereit (und ist heute auch noch), den Herrn diesbezüglich zu patronieren. Er würde ihm die Abteilung für Genealogie an der Psychiatrischen Klinik, die bisher mehr oder weniger nur auf dem Papier steht, übertragen […] Der Kandidat, den ich vorschlagen würde, ist Herr Dr. Kranz, Rheinländer, katholisch, ein wissenschaftlich vorzüglicher junger Forscher. Er ist z. Zt. mit einer ganz gross angelegten Arbeit über die Vererbung krimineller Anlagen beschäftigt, die zum Spätjahr fertig wird. Er wäre sicher in der Lage, Erblehre, Rassenkunde und Erbpflege nicht nur als Dozent an der Universität, sondern in sehr geschickter Weise auch für die gesamte Lehrerschaft zu unterrichten und wissenschaftliche Forschung in der Provinz zu leiten.“79

Fischer verwies auf den Institutsabteilungsleiter für menschliche Erblehre Otmar Freiherr von Verschuer.80 „Er ist in alles eingeweiht und vertritt mich in jeder Weise.“81 Kranz sollte in seiner Forschung von Kehrer betreut werden, der stark an kriminalbiologischen Fragen interessiert sei. Gleichzeitig würde Kranz seine Verbindung zum Kaiser-Wilhelm-Institut nicht verlieren, da es geplant war, die Genealogische Abteilung der Klinik in Münster als „Tochterinstitut“ des Instituts in Berlin zu gestalten.82 79 80

81 82

LWL-Archivamt, Best. 702, Nr. 154, Bl. 20, 27.7.1933, Fischer an Kühl. Otmar Freiherr von Verschuer (1896–1969), evangelisch, studierte nach dem Militärdienst von 1914 bis 1919 Medizin in Marburg, Hamburg, Freiburg und München, wo er 1923 promovierte. Von 1923 bis 1927 war er Assistent an der Medizinischen Poliklinik Tübingen, wo er sich 1927 für menschliche Erblehre habilitierte. Ab 1927 war er Leiter der Abteilung menschliche Erblehre am Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik. 1933 wurde er außerordentlicher Professor in Berlin und 1934/35 Leiter der Poliklinik für Erb- und Rassenpflege am Auguste-Viktoria-Krankenhaus in Berlin-Charlottenburg. Er gehörte seit 1940 der NSDAP an. 1942 wurde er Honorarprofessor in Berlin, übernahm die Leitung des Kaiser-Wilhelm-Instituts, war ärztlicher Beisitzer beim Erbgesundheitsobergericht und Gutachter für das Reichssippenamt. Zwischen 1935 und 1942 war er außerdem ordentlicher Professor für Erbbiologie und Rassenhygiene in Frankfurt am Main. 1945 ging er nach Solz bei Bebra, wo er bis 1951 blieb, als er einen Ruf nach Münster erhielt. Dort übernahm er den ersten deutschen Lehrstuhl für Humangenetik und gründete das entsprechende Institut, das er bis 1965 leitete. Grüttner 2004, S. 177. Vgl. Klee 2003, S. 639–640, Schmuhl 2005. Zu Verschuer siehe auch Kapitel „Verschuer und die Humangenetisch-Psycho-Neurologische Forschungsstelle“ in diesem Beitrag sowie den Beitrag von Kröner in diesem Band. LWL-Archivamt, Bestand 702, Nr. 154, Bl. 20, 27.7.1933, Fischer an den Landesrat Kühl. Heinrich Kranz (1901–1979) war seit 1930 am Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik tätig. Dort setzte er den Schwerpunkt seiner Arbeiten auf die kriminalbiologische Zwillingsforschung, die aber für den Führungskreis des Instituts eine relativ geringe Bedeutung hatte. Zudem wurde Kranz zu dieser Zeit von Arthur Gütt, Kuratoriumsmitglied dieses Instituts, als ein „politisch unzuverlässiger“, „nicht restlos – auch innerlich – auf dem Boden des Nationalsozialismus“ stehender

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Von Verschuer schickte den „Entwurf der rassenkundlich-erbgesundheitlichen Kommission […] als eine Ergänzung und einen besonderen Ausbau des Planes über die Errichtung rassenkundlich-erbbiologischer Institute“, den er schon überreicht hatte, der Provinzialverwaltung zu. Natürlich würde man den Institutsplan „den gegebenen realen Verhältnissen“ anpassen müssen: „Wichtig ist die Auswahl einer geeigneten Persönlichkeit als Leiter des ganzen Planes, wobei ich Ihnen im Einvernehmen mit Herrn Professor Fischer Herrn Dr. Kranz vorschlage.“ Kranz sollte die Stelle „eines gehobenen Assistenten“ bekommen und sich mit einer bereits abgeschlossenen Arbeit „über die erbliche Bedingtheit der Kriminalität“ habilitieren.83 Das gemeinsame Projekt zwischen Kehrer und von Verschuer kam jedoch aus unbekannten Gründen nicht zu Stande, und der alte Plan einer Zusammenarbeit mit der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, den Reichardt schon 1925 angedacht hatte, wurde 1933 ebenfalls nicht realisiert.84 Die Universitätsklinik Münster wurde ein weiteres Mal aus dem Spiel gelassen. Dabei sollte es bis nach 1945 bleiben.85 Kehrers Wunsch nach histopathologischer Forschung auch in seiner Klinik sollte erst nach dem Krieg in Erfüllung gehen. Er bemühte sich vor allem, die dafür richtige Person zu finden. 1947 schrieb er Hugo Spatz (1888–1969), dem früheren Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Hirnforschung in Berlin: „Wie schön wäre es, wenn Sie in den Kreis Ihrer künftigen Wirkungsstätte auch Münster ein-

83 84

85

Wissenschaftler bezeichnet. Eine mögliche Ablehnung seitens der Politik wollte Fischer nicht weiter provozieren. So sahen sich er und sein Mitarbeiter nach einer anderen Stellung um. Das Angebot aus Münster, wo Interesse an der Arbeit von Kranz gezeigt wurde und das weiter weg von direkter politischer Kontrolle durch das politische Machtzentrum lag, schien eine Möglichkeit zu sein. Schmuhl 2005, S. 174. LWL-Archivamt, Bestand 702, Nr. 154, Bl. 21, 1.8.1933, von Verschuer an den Landesrat Kühl. Kranz verließ Berlin und ging 1933 nach Breslau zu Johannes Lange (1891–1919), den früheren Leiter der Klinischen Abteilung des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Psychiatrie in München und seit 1930 Klinikdirektor in Breslau. Dort verfasste er 1936 eine Habilitationsschrift über die „Lebensschicksale krimineller Zwillinge“. Kranz, SA- und NS-Ärztebund-Mitglied, wurde 1947 Oberarzt der Universitätsklinik in Heidelberg und 1948 außerplanmäßiger Professor und Leiter der Anstalt Wiesloch. 1951 erhielt er das Ordinariat für Psychiatrie in Mainz. Klee 2003, S. 335, 356. Eine Genehmigung des Wissenschaftsministers aus dem Jahre 1938 für Fliegertauglichkeitsuntersuchungen durch Kehrer und andere Fakultätsangehörige weist auf eine eventuelle Durchführung kriegswichtiger Forschung in Münster hin, enthält allerdings keine näheren Angaben. Zum selben Zeitpunkt sollte die lokale Zeitung „Münsterischer Anzeiger“ einen Aufsatz über die in der Psychiatrischen und Nervenklinik betriebene Forschungsarbeit veröffentlichen und kurz darauf über ähnliche Arbeiten in allen übrigen Kliniken. Die Sichtung des Zeitungsarchivs ergab aber keine diesbezüglichen Informationen. UAMs, Bestand 10, Nr. 3456, Bl. 35, 5.7.1938, Minister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung an den Kurator der Universität Münster, und Bestand 9, Nr. 774, Bl. 279, 3.8.1938, Münsterischer Anzeiger an den Kurator, 6.8.1938, Kurator, Vermerk. StAM, Zeitungen, Münsterischer Anzeiger, August bis Oktober 1938.

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beziehen würden.“ Dafür habe Kehrer konkrete Pläne entwickelt: „[S]ie wären in absehbarer Zeit durchführbar.“86 Der Kontakt zu Spatz brachte diesbezüglich aber kein Ergebnis. Kehrers Idee einer „kleine[n] Forschungsabteilung“ wurde erst 1949 von einem früheren Münsterschen Medizinstudenten, August Dohmen,87 wiederbelebt. 1949 zog Dohmen nach Münster, wo er eine Oberarztstelle in Marienthal erhielt. Sein besonderes wissenschaftliches Interesse lag auf dem Gebiet der pathologischen Anatomie des Zentralnervensystems. In Zusammenarbeit mit der Münsterschen Nervenklinik forschte er, so Kehrer, „am Hirn und Rückenmark von Patienten […], welche ursprünglich in meiner Klinik gelegen haben und dann nach Marienthal verlegt wurden, wo sie, was bei ihrem Leiden zu erwarten war, später gestorben sind.“88

Kehrer habe schon 1937 ein ähnliches Projekt initiiert und dem damaligen Oberarzt in Marienthal, Heinrich Korbsch, vorgeschlagen. Kehrer sei aber davon abgeraten worden. Korbsch wäre nie in der Lage gewesen, so etwas zustande zu bringen. Trotz seiner äußerst großen Zufriedenheit mit Dohmens Arbeit konnte Kehrer seine Enttäuschung nicht verbergen – es war einfach zu spät, um etwas Neues aufzubauen: „Und so ‚fällt‘ hier die Hirnhistopathologie ‚flach‘, da der liebe Herr Dohmen nur wenige Jahre (auf meine Veranlassung hin) uns bemerkenswerte Demonstrationen von ihm in Marienthal sezierten Kranken bringen konnte.“89

Die ursprüngliche Idee einer selbständigen psychiatrischen Forschungsanstalt in Verbindung mit der Universitätsklinik, die Mitte der 1920er-Jahre von Provinz und Universität stark gefördert worden war, konnte in Münster also nicht realisiert werden. 86 87

88 89

Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin Münster, Briefwechsel Ferdinand Kehrers, 7.5.1947, Kehrer an Spatz. August Friedrich Ignatz Dohmen (1907–1958) aus Essen, katholisch, studierte Medizin in München und Münster, wo er 1937 sein medizinisches Staatsexamen ablegte und mit einer Arbeit über „Die Hondrodystrophie“ promovierte. Er war als Medizinalpraktikant 1936 in der Heil- und Pflegeanstalt Münster, um später in die innere Abteilung des Stadtkrankenhauses in Plauen zu wechseln. 1937 war er als Volontärarzt an der Psychiatrischen und Nervenklinik der Städtischen Krankenanstalten Essen, 1938 bis 1947 als Assistenzarzt der Universitätsnervenklinik in Würzburg tätig. 1947 bewarb er sich auf eine Stelle bei der Verwaltung der Provinz Westfalen. Er arbeitete in der Heil- und Pflegeanstalt Warstein als Arzt und wechselte 1949 nach Münster auf die Stelle eines Oberarztes. 1953 bekam er den Titel des Provinzialobermedizinalrates. An der Heil- und Pflegeanstalt Marienthal übernahm er das histopathologische Laboratorium, das er selbst aufgebaut hatte, sowie die Ausbildung der Volontärärzte. LWL-Archivamt, Bestand 132, Nr. 1165. Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin Münster, Briefwechsel Ferdinand Kehrers, 21.11.1952, Kehrer an Salzmann. Ebd., 8.6.1960, Kehrer an Reichardt.

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554 Die Nachkriegszeit

Nach den wiederholten Bombenangriffen auf die Stadt Münster im Oktober 1944 zog die gesamte Medizinische Fakultät nach Bad Salzuflen, wo sie als einzige Fakultät ihre Lehrveranstaltungen fortsetzen konnte. Die hohe Zahl der durch den Krieg körperlich und psychisch Verletzten sowie die Gefahr des Ausbruchs von Seuchen einerseits und die zerstörten Krankenhäuser sowie die fehlenden Arzneimittel anderseits machten die Notlage der medizinischen Versorgung in der Nachkriegszeit sehr akut. Die alliierte Militärregierung in Münster betrachtete deswegen die Wiederaufnahme des klinischen Betriebs der Universität als sehr dringend, zumal das Klinikum vergleichsweise wenig beschädigt war.90 Der schrittweise Rücktransport aus Bad Salzuflen nach Münster begann mit Schwierigkeiten und Verzögerungen im Oktober 1945.91 Am 3. November 1945 fand die offizielle Wiedereröffnung der Universität statt, die seitdem bis 1952 Westfälische Landesuniversität hieß.92 Neben den schlechten finanziellen, materiellen und personellen Bedingungen hatte die Psychiatrische und Nervenklinik auch gegen ihre bevorstehende und letztendlich erfolgte teilweise Beschlagnahme für britische geschlechtskranke Soldaten zu kämpfen. Der erste Nachkriegsrektor Georg Schreiber (1882–1963) sowie der neue Landeshauptmann in Westfalen Bernhard Salzmann (1886–1959) stellten sich in diesem Zusammenhang an die Seite ihres gut befreundeten Klinikdirektors. Salzmann, eine einflussreiche Figur der lokalen Politik in der Nachkriegszeit, bemühte sich um die Freistellung der Klinik, da sie etwa auch Patienten aus Marienthal übernahm.93 Allerdings sorgte die sofortige „Bestätigung“ Kehrers seitens der Militärregierung für einen reibungslosen Übergang der Klinik von der Kriegs- in die Nachkriegszeit, ähnlich wie es 1933 abgelaufen war. Im September 1945 schrieb Kehrer aus Bad Salzuflen anlässlich seiner Entnazifizierung: „Ich war niemals Mitglied der NSDAP und gehörte keiner ihrer Organisationen an, ausser – automatisch – der NSV, dem NS Altherrenbund und der Reichsdozentenschaft. Aus rassischen Gründen – einer der Grossväter meiner Ehefrau war ein adliger portugiesischer Jude – und aus politischen Gründen – Denunzierung als Demokrat und (zu Unrecht) als Judenstämmling – wurde ich bei Besetzung akademischer Ehrenämter zurückgesetzt (beim sog. Umbruch Ausschluss aus dem Senat der Universität Münster, in den ich als Kandidat für das Dekanat 1932 gewählt war, Übergehung bei der Dekanatsbesetzung (Zeugnis: Akten der Universität), Versuch mich aus meinem Amte herauszudrängen, noch später Ausschluss aus dem Erbobergericht Hamm i. Westf., dem ich ursprünglich als Beisitzer angehörte, weil ich eine sachliche Stellung in der Rechtsprechung bezüglich des Erbgesundheitsgesetzes einnahm, und schließlich 1937 von den Übungen zwecks Beförderung im Reserve-Sanitätskorps, obwohl ich während des ganzen 1. Weltkrieges und bis Anfang 1919 als Sanitätsof90 91 92 93

Respondek 1995, S. 32–45. UAMs, Bestand 9, Nr. 775, Bl. 29, 12.10.1945, Umzugsfirma an Kehrer. Respondek 1995, S. 71. Zu Salzmann siehe: Kersting 1996, S. 343ff.

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fizier tätig war und u. a. im September 1914 an Hand und Oberschenkel schwer verwundet war.“94

Kehrer gelang es so, sich erfolgreich als anerkannten Wissenschaftler und Opfer der Nationalsozialisten darzustellen. Dieses Bild wurde auch von seinen Zeitgenossen akzeptiert und weiterverbreitet: „Leider wurde ihm, dem aufrechten Demokraten und Gegner jeglichen Totalitarismus, im 3. Reich nicht die Ehrung zuteil, die ihm gebührt, er wurde von den damaligen Machthabern nur notgedrungen geduldet“,95

berichtete sein Schüler Professor Wilhelm Klimke in einem Zeitungsartikel aus Anlass des 25-jährigen Klinikjubiläums von Kehrer im Jahr 1950.96 Nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus erhielt Kehrer endlich den Stellenwert, den er sich immer gewünscht hatte und bis dahin nie genießen konnte. Seine sofortige Entnazifizierung in Kombination mit dem Bild eines Unbeliebten, ja Verfolgten des Nazi-Regimes, das er unermüdlich gegenüber der Öffentlichkeit zeichnete, garantierte ihm endlich die Einnahme von bislang unerreichten Machtpositionen auf hochschulpolitischer Ebene. Zusammen mit anderen „Nichtparteigenossen“ unter den Professoren gehörte er 1945 dem „Notsenat“ der Universität an,97 einem vorläufigen Entscheidungsorgan zur Klärung dringender Fragen des akademischen Geschehens in dieser kritischen Zeit des Wiederaufbaus der Universität. Kehrer wurde zum ersten Nachkriegsdekan der Medizinischen Fakultät ernannt und behielt diesen Posten bis einschließlich des Wintersemesters 1946/47.98

Rückberufungen „zum Wohle der Wissenschaft“ Die Universität Münster genoss in der Nachkriegszeit den Ruf einer politisch unbelasteten Hochschule. Dieser baute auf dem Mythos einer randständigen katholischen Bildungsstätte auf, die der Einvernehmung der Nationalsozialisten widerstanden hätte.99 Kehrer, wenn auch nicht katholisch, verkörperte mit dem Image eines vom Nationalsozialismus Verfolgten genau dieses Profil der Münsterschen Universität beziehungsweise Fakultät und gehörte deswegen nach dem Zusammenbruch des Naziregimes zu den einflussreichen Wissenschaftlern. Dies mach94 95 96 97

98 99

UAMs, Bestand 5, Nr. 637, 10.9.1945, Kehrer, Notiz. Ebd. UAMs, Bestand 10, Nr. 3456, Bl. 51, ohne Datum, Klimke, Zeitungsartikel (ohne Zitierangaben). Vorsitzender des Senats war der noch amtierende Rektor und Pathologe Herbert Siegmund (1892–1954), der eine ziemlich „braune“ Vergangenheit aufzuweisen hatte. Mitglieder waren unter anderen die Fakultätsmitglieder Heinrich Többen und der Physiologe Emil Lehnartz (1898–1979). Respondek 1995, S. 58. Vorlesungsverzeichnisse Sommersemester 1945 bis Wintersemester 1946/47. Vgl. Toellner 1980, S. 298.

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te ihn für viele seiner Kollegen, die sich wegen einer Rückberufung auf eine Universitätsstelle umorientieren mussten, zum geeigneten Ansprechpartner. Er erhielt zahlreiche Briefe von Kollegen, die ihn darum baten, wenn möglich eine Stelle für sie in Münster zu sichern. Kehrer signalisierte wiederum sein Verständnis für die „Schicksale“ seiner Kollegen. Er setzte sich jedoch nur für diejenigen ein, von denen er wirklich überzeugt war – entweder wegen ihrer wissenschaftlichen Leistung oder wegen ihrer Person. Sein Ratschlag: „Retten Sie sich in die Wissenschaft!“100 Als es um die Frage seiner eigenen Nachfolge ging, bemühte sich Kehrer so weit wie möglich mitzubestimmen. Es war ihm wichtig, sein Lebenswerk einem Kollegen zu überlassen, der Lehre und Forschung in seinem Sinne weiterentwickeln würde. Berthold Kihn (1895–1964),101 der berüchtigte T4-Gutachter aus Jena, wandte sich 1952, sieben Jahre nach seiner Entlassung, an Kehrer und sprach die Bitte aus, „bei der Neubesetzung des Münsteraners psychiatrischen Lehrstuhles auch mich nicht zu vergessen.“102 Kehrer zeigte sich in diesem Fall zurückhaltend; er sei nur „Konsultativberater“ bei der Vorbereitung der Vorschlagsliste und könne nicht so vieles bewirken.103 Georg Stertz (1878–1959) aus Kiel, der ebenfalls als vom NS-Regime vertrieben galt, trat nach 1945 in intensiven Briefkontakt mit Kehrer. Die beiden, die sich seit 1918 aufgrund ihrer gemeinsamen Zeit in Breslau kannten, fühlten sich jetzt mehr als je zuvor verbunden. Im Bewusstsein der Anerkennung, die sein Kollege in München jetzt genoss, versuchte Kehrer, über Stertz Einfluss auf die Neubesetzung seines Lehrstuhls in Münster zu gewinnen: „Mein Dekan Schellong104 sieht der Aufstellung Ihrer Liste meiner Nachfolgekandidaten entgegen. Nominieren Sie solche, die auch die Neurologie genügend beherrschen, was leichter zu sagen, wie zu tun ist“,

100 101

102 103 104

Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin Münster, Briefwechsel Ferdinand Kehrers, 7.6.1950, Kehrer an Fleck. Bertold Kihn (1895–1964) studierte Medizin in Würzburg und München. 1922 bis 1926 war er Assistent an der Nervenklinik in München und Erlangen, wo er sich 1927 habilitierte. Nach Wien, Hamburg und Breslau war er wieder in Erlangen und wurde 1934 außerordentlicher Professor. 1936 war er Direktor der Anstalt Stadtroda und 1938 Ordinarius und Leiter der Universitätsnervenklinik in Jena. Er war SA- und SS-Obertruppführer, ärztlicher Beisitzer des Erbgesundheitsgerichts Jena und Gutachter der Euthanasie-Aktion T4. Nach seiner Entlassung 1945 ließ er sich in Erlangen nieder und war dort Honorarprofessor. Peiffer 2004, S. 1087. Vgl. Klee 2003, S. 308. Zu Kihn siehe auch: Hoßfeld/ John/Lemuth/Stutz 2003. Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin Münster, Briefwechsel Ferdinand Kehrers, 2.3.1952, Kihn an Kehrer. Ebd., 14.5.1952, Kehrer an Kihn. Fritz Louis-August Schellong (1891–1953) war der Leiter der Medizinischen Klinik in Münster seit 1940.

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so Kehrer im Februar 1952.105 Nachdem Setzers Vorschlag über Robert Gaupp junior, Sohn des alten Kollegen aus Tübingen, von der Münsterschen Fakultät wegen seines jungen Alters abgelehnt worden war, schlug Kehrer einen anderen, tief in nationalsozialistische Verbrechen verstrickten Kollegen vor: „Hoffentlich haben Sie auch Herrn Pohlisch106 genannt, dem man sehr ungerechtfertigte Schwierigkeiten bezüglich seiner Wiedereinsetzung in Bonn macht und doch vielen von uns als der geeignetste erscheint.“107

So verschwammen die Grenzen zwischen Naziverfolgten und Naziunterstützern. Die vorhandenen personellen Netzwerke wurden im Namen der Wissenschaft zur gegenseitigen Hilfeleistung mobilisiert. Stertz habe Pohlisch nicht für Münster vorgeschlagen, weil er ihn nicht so gut kenne. Darauf Kehrer: „Schade, dass Sie Herrn Pohlisch nicht genannt haben, der bei der ganzen Anlage der hiesigen Klinik m. E. der geeignetste wäre und auch käme, da man ihm in Bonn Schwierigkeiten bereitet.“108

Von Verschuer und die Humangenetisch-Psycho-Neurologische Forschungsstelle Der Wunsch von Reichardt, Kehrer und der Provinz, mit der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zusammenzuarbeiten, ging, wie gezeigt, vor und in der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft nicht in Erfüllung. Die Verbindung in Münster zum Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik trug in der Nachkriegszeit erste Früchte. Zu Kehrers und Pohlischs kollegialem 105 106

107 108

Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin Münster, Briefwechsel Ferdinand Kehrers, 12.2.1952, Kehrer an Stertz. Kurt Pohlisch (1893–1955) war seit 1934 ordentlicher Professor für Psychiatrie in Bonn, Chefarzt der dortigen Universitätsnervenklinik und Direktor der Landesheilanstalt Bonn sowie der Rheinischen Kinderanstalt für seelisch Abnorme. Er betrieb Zwillings- und Erbforschung und leitete ab 1936 das Provinzialinstitut für psychiatrisch-neurologische Erbforschung in Bonn, das die komplette rheinische Bevölkerung erfasste. Peiffer 2004, S. 1105. Vgl. Klee 2003, S. 467–468. Pohlisch, der als Beratender Psychiater des Wehrkreises VI in Münster tätig gewesen war, entsprach mit seinen Forschungsinteressen Kehrers Forschungsrichtung in der Kriegsneurosenbehandlung. Kehrer bewunderte ihn aber vor allem wegen des vorbildlichen Modells der unmittelbaren Verbindung zwischen Universität und Landesheilanstalt in Bonn, das Pohlisch für ihn verkörperte. Das Gleiche hatte er sich für Münster immer gewünscht, konnte es aber nie verwirklichen. Als Pohlisch zusammen mit seinem Vorgesetzten am Provinzialinstitut für psychiatrisch-neurologische Erbforschung in Bonn Friedrich Panse (1899–1973) das „Euthanasie“-Gerichtsverfahren zu bestehen hatte, versuchte Kehrer, Pohlischs Frau Mut zu machen, die unter dem „bedauerlichen Schicksal Ihres Gatten“ so leide. Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin Münster, Briefwechsel Ferdinand Kehrers, 28.10.1948, Kehrer an Frau Pohlisch. Ebd., 13.3.1952, Kehrer an Stertz. Ebd., 1.4.1952, Kehrer an Stertz.

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Bekanntenkreis der an erbbiologischen Fragen Interessierten gehörte auch Otmar Freiherr von Verschuer. Von Verschuer bekam 1951 von Pohlisch aus dem Erbinstitut in Bonn Material über eine an Chorea Huntington erkrankte Familie. Die beiden schmiedeten nach wie vor Pläne „einer erbbiologischen Bestandsaufnahme der Bevölkerung“.109 Während Kehrer es nicht geschafft hatte, Pohlisch nach Münster zu holen, bemühte er sich 1951 – mit Unterstützung des Prälats Georg Schreiber – um die Berufung von Verschuer nach Münster. Schon 1949 hatte er von Verschuer persönlich mitgeteilt: „Ich darf Sie [sic!] vertraulich versichern, dass Sie im ‚Vordergrund‘ unserer Betrachtungen stehen, und ich persönlich kann hinzufügen, dass ich es sehr begrüssen werde, wenn Sie hier Ihre Tätigkeit aufnehmen könnten.“110

1951 bedankte sich von Verschuer für die „Freundlichkeit“ und das „Vertrauen“ des Münsterschen Kollegen und brachte seine Freude über die zukünftige Zusammenarbeit zum Ausdruck, die durch die Verlängerung der Amtszeit von Kehrer möglich wurde.111 Konkret sollte diese Zusammenarbeit auf den gemeinsamen Aufbau einer Forschungsstelle für Erbpathologie hinauslaufen, denn es sei zum Glück nur ein „‚Scheintod‘ der Erbbiologie in Deutschland während der letzten Jahren“ zu diagnostizieren. Verschuer hoffe, „daß das neue Leben, das meine Wissenschaft hier in Münster gefunden hat, auch an anderer Stelle zur Wiederbelebung führen wird.“112 Auf den Leitungsposten der von Kehrer und von Verschuer geplanten Forschungsstelle sollte Gerhard Koch (1913–1999) gesetzt werden. Der Bericht des früheren Mitarbeiters des Kaiser-Wilhelms-Instituts in Berlin aus dem Jahr 1992 ist besonders aufschlussreich in Bezug auf den Entstehungshintergrund des Münsterschen Lehrstuhls für Humangenetik: „Aus humangenetischer Sicht war von Kehrer bekannt, daß er sich bereits in den dreißiger Jahren mit anderen Ordinarien darum bemüht hatte, in der Medizinischen Fakultät in Münster einen Lehrstuhl für menschliche Vererbungslehre einzurichten. Für diesen Lehrstuhl hatte man nach seiner eigenen Erzählung Fritz Lenz aus Berlin vorgesehen. Der Plan war jedoch nicht realisiert worden. Da Kehrer in den Jahren des Dritten Reiches weder der Partei noch einer ihrer Gliederungen angehört hatte, war er nach Kriegsende Dekan der 109 110 111 112

Ebd., 25.10.1951, Pohlisch an Verschuer. Ebd., 16.7.1949, Kehrer an Verschuer. Ebd., 26.2.1951, Verschuer an Kehrer. Ebd., 14.9.1951, Verschuer an Kehrer. Von den Ansprechpartnern Kehrers in den Kreisen des Kaiser-Wilhelm-Instituts sollte neben Verschuer und Spatz noch der Anthropologe und Humangenetiker Fritz Lenz (1887–1976) erwähnt werden. Lenz, seit 1933 Direktor der Abteilung Eugenik am Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, hatte nach Auflösung des Instituts den in Münster geplanten Lehrstuhl für Rassenhygiene im Auge. Er hielt im März 1945 eine Vorlesung über Rassenhygiene im Rahmen einer Hauptvorlesung Kehrers in Bad Salzuflen und ließ sich in dieser Zeit auch von Kehrer psychisch behandeln. Hierzu und allgemein zur Berufung von Verschuer nach Münster siehe: Kröner 1998 sowie Kröners Beitrag in diesem Band.

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Medizinischen Fakultät. Rektor der Westfälischen Wilhelms-Universität war der im Dritten Reich aus dem Hochschuldienst entlassene Prälat Professor D. Dr. theol. Georg Schreiben [sic!]. Als politisch völlig unbelastete Persönlichkeit konnte Kehrer daher schon in den ersten Nachkriegsjahren mit Unterstützung weiterer humangenetisch interessierter Vertreter der Medizinischen Fakultät und mit voller Zustimmung des Rektors Schreiber seinen alten Plan, einen Lehrstuhl für Humangenetik zu schaffen, wieder aufnehmen. Mit der Berufung von Otmar von Verschuer im Jahre 1951 wurde der alte Plan dann realisiert.“113

Besonders Georg Schreiber freute sich über den Wechsel von Verschuers und Kochs nach Münster: „Wir konnten einen so bedeutenden Wissenschaftler wie von Verschuer nicht weiterhin im Abseits stehen lassen.“114 Am 1. Mai 1952 trat Koch seine Stelle als Leiter der Humangenetischen Psychoneurologischen Forschungsstelle im Hauptgebäude der Psychiatrischen und Nervenklinik in Münster an. Erstfinanziert wurde sie von der Universität, während die laufenden Mittel aus dem Etat des Humangenetischen Instituts beglichen wurden. Für die Forschungsarbeit „wurde aus den Aufnahmebüchern der Klinik eine Kartei aller erblichen Nervenkrankheiten, die in den Jahren 1928–1950 in der Klinik behandelt wurden, aufgestellt.“115 Von Verschuer konnte somit seine Zwillingsforschungen durch die Zusammenarbeit mit Koch weiterführen: „Durch Rückfragen bei den Standesämtern wurde sodann festgestellt, ob es sich bei den Kranken um Zwillinge handelte. Diese so ermittelten Zwillinge wurden dann zur neurologisch-psychiatrischen Nachuntersuchung in die Klinik einbestellt. […] Soweit erforderlich wurden auch zusätzliche Untersuchungen in den Zwillingsfamilien durchgeführt.“116

Der Schwerpunkt lag bei Patienten, die an Epilepsie, Hirntumoren oder Multipler Sklerose litten. Die serologischen Untersuchungen wurden im Hygieneinstitut durchgeführt.117

113 114 115 116 117

Koch 1993, S. 273. Ebd. Ebd. Ebd. 1954, nach der Emeritierung von Kehrer, beendete Koch seine Tätigkeit in der Klinik und siedelte als planmäßiger Assistent mit seiner Forschungsstelle in das Humangenetische Institut über. Vereinbart wurde, dass das „Krankenmaterial“ der Klinik weiterhin zu seiner Verfügung stehen sollte. Im selben Jahr habilitierte er sich mit einer Arbeit über „Die genetischen Grundlagen der Krampfbereitschaft“ und wurde zum Privatdozenten ernannt. Im Wintersemester 1954/55 hielt er gemeinsam mit Verschuer ein „Kolloquium über Erbkrankheiten“ ab. Er blieb in Münster bis zur Emeritierung von Verschuers 1965, als er zeitgleich einen Ruf nach Erlangen erhielt. Dort war Koch als ordentlicher Professor und Leiter des Instituts für Humangenetik und Anthropologie bis 1978 tätig. Koch 1993. Vgl. Klee 2003, S. 323.

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560 Die Nachfolge Kehrers

Der Schwiegervater des Sohns von Verschuers aus Rostock, Franz Günther Ritter von Stockert (1899–1967), war, neben dem Klinikoberarzt Wilhelm Klimke, ein weiterer Kandidat, den Kehrer auf die Vorschlagsliste für seine Nachfolge bringen wollte. Stockert schrieb im Rahmen seiner Bemühungen, sich aus Rostock wegberufen zu lassen, Kehrer die Rolle eines Patrons zu, denn Kehrer kenne seine Fähigkeiten und wisse, dass diese im Osten nicht zum Zuge kommen könnten. Auf der Liste der Fakultät stand schließlich an dritter Stelle Heinrich Kranz, der schon 1933 als Habilitand nach Münster kommen sollte, an zweiter Stelle der frühere österreichischer Mitarbeiter am Kaiser-Wilhelm-Institut für Psychiatrie in München Klaus Conrad (1905–1961) und an erster Stelle Friedrich Mauz (1900–1979). Mauz, ab 1922 wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Gaupp in Tübingen, wechselte 1928 als Privatdozent nach Marburg. 1934 war er außerordentlicher Professor und Oberarzt bei Kretschmer. Mauz gehörte zu den Professoren, die am 11. November 1933 ihre Solidarität mit Hitler erklärten. Er gehörte seit 1937 der NSDAP an und war Mitglied im NS-Lehrerbund, NSDÄB und NS-Kulturbund. 1939 übernahm er das Ordinariat und die Leitung der Universitätsnervenklinik in Königsberg. Ab dem 2. September 1940 fungierte er als „Euthanasie“-Gutachter. Mauz war in Königsberg auch als Oberfeldarzt und Beratender Militärpsychiater tätig. Nach seiner Entlassung in Königsberg 1945 leitete er das Psychiatrische Krankenhaus Ochsenzoll in Hamburg-Langenhorn.118 Schon 1946 kontaktierte der vom Amt entlassene Mauz den Klinikleiter und Fakultätsdekan in Münster und fragte, ob Kehrer ihm eine Stelle zuweisen könne. Kehrer schrieb diesbezüglich Reichardt: „Jede paar Tage kommt so eine Anfrage. […] Wenn ich auch von […] Herrn Mauz wissenschaftlicher Methodik nicht besonders begeistert bin, so will ich doch gern etwas für ihn tun, da er Ostflüchtling ist und an ordinariusreifem Nachwuchs ein erschreckender Mangel herrscht.“119

Kehrers Antwort an Mauz war, dass alle Stellen in der Provinz Westfalen besetzt seien. Daraufhin versuchte er Mauz erst in Würzburg über Martin Reichardt, später in Köln über Franz Külbs unterzubringen: „Ich rede dabei nicht pro domo, da er nicht mein Schüler ist, sondern nur aus Gerechtigkeitssinn und zum Wohle der Wissenschaft: Herr Mauz hatte ja mehrere Jahre das Or-

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Mauz wurde 1956 Mitglied des Ärztlichen Sachverständigenbeirats des Bundesarbeitsministeriums für Fragen der Kriegsopferversorgung sowie Präsident und Ehrenmitglied der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde. Klee 2003, S. 396, und Schneider 2010. Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin Münster, Briefwechsel Ferdinand Kehrers, 26.8.1946, Kehrer an Reichardt.

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dinariat in Königsberg inne, ist also Vertriebener […] Auch politisch ist er einwandfrei. Er verdiente also hors concours ein Ordinariat.“120

Der Nominierung von Friedrich Mauz – was seine eigene Nachfolge betraf – stand Kehrer skeptisch gegenüber, wobei er allgemein als problematisch einschätzte, dass „nur wenige Psychiatrie und121 Neurologie einigermaßen betreiben. […] Mauz […] ist doch fast rein psychoanalytischer Psychiater […]; im Falle seiner Ernennung müsste also ein ‚reiner‘ Neurologe mit ernannt werden, was ja die schwere Gefahr in sich schliessen würde, dass künftighin Psychiatrie und Neurologie verselbständigt werden, also gerade das begünstigten würde, wogegen wir jahrzehntelang gekämpft haben!“122

Ein paar Monate später schien er sich mit den vollendeten Tatsachen jedoch angefreundet zu haben: „Hoffen wir, dass der neue Besen den Kehrer noch übertrifft. […] Er ist ein sehr lieber Mensch und mir würde er sehr recht sein.“123 Parallel zu den Verhandlungen über seine Nachfolge wurde Kehrer mit einem schweren Vorwurf seitens des Kultusministeriums konfrontiert. Der Anlass war, dass der 68-jährige Professor laut Gesetzeslage zum 1. Oktober 1951 in den Ruhestand gehen musste. Er selbst konnte es nicht akzeptieren, während die Fakultät und jener Kreis alter Professoren, die sich wie Kehrer als ihre Gründungsmitglieder betrachteten, sich bemühten, eine Verlängerung seiner Amtszeit zu erreichen. Man wollte Veränderungen in den gerade geschaffenen Strukturen möglichst vermeiden. In einer Zeit, in der sich die äußeren Verhältnisse in stetem Wandel befanden, freute man sich über jedes Stück Kontinuität. Demzufolge bat der Dekan Carl Moncorps (1896–1952) um „eine eingehende Prüfung der Verhältnisse“ und argumentierte mit Kehrers fachlicher Kompetenz sowie seiner „geistige[n] und körperliche[n] Vitalität und Frische“. Der „Leiter einer der größten Fachkliniken in Nordrhein-Westfalen“ würde hohes Ansehen unter Kollegen, Studenten und Patienten im Inland wie im Ausland genießen. Kehrer sei dabei, „die Früchte seiner langjährigen klinischen Erfahrungen wissenschaftlich auszuwerten“. Er sei deswegen auf das Material der Klinik angewiesen. Zudem wies Moncorps auf die „besonderen Verhältnisse“ in der Universität Münster hin, aufgrund deren die Wiederbesetzung des Lehrstuhls für Psychiatrie und Neurologie hinsichtlich dieser Fächerkombination „eine besonders schwierige und verantwortungsvolle Aufgabe“ sei. Als Nachfolger würden nur ganz wenige Fachkollegen infrage kommen, über die man sich auch noch keine Gedanken gemacht habe.124 Im August 1951 teilte die Kultusministerin dem Dekan trotzdem mit, sie könne die Emeritierung Kehrers „aus grundsätzlichen Erwägungen“ nicht hinausschieben 120 121 122 123 124

Ebd., 19.10.1948, Kehrer an Külbs. Im Original „und“ unterstrichen. Ebd., 1.4.1952, Kehrer an Reichardt. Ebd., 30.12.1952, Kehrer an Reichardt. Für alle Zitate: UAMs, Bestand 10, Nr. 3456, Bd. 1, Bl. 54, 21.7.1951, Dekan der Medizinischen Fakultät der Universität Münster an das Kultusministerium Nordrhein-Westfalen.

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und bat um einen Berufungsvorschlag, wobei sie sich dazu bereit erklärte, im Falle einer nicht rechtzeitigen Neubesetzung Kehrer auch „nach seiner Emeritierung mit der Wahrnehmung des Lehrstuhls zu beauftragen.“125 Der erhöhte Druck der Fakultät einerseits und die Strenge der ministeriellen Entscheidung anderseits verliehen dem Ganzen die Qualität eines „Sonderfalles“ und vermeintlich ungerechter Behandlung, zumal vier Universitätsprofessoren in Nordrhein-Westfalen über das Emeritierungsalter hinaus weiterbeschäftigt würden. Eine mögliche Erklärung für die „Sonderbehandlung“ Kehrers hatte Kehrer selbst der Medizinischen Fakultät in seinem Brief vom 5. November 1951 geliefert. Nun wurde seitens der Fakultät vermutet, „dass möglicherweise der Grund für die besondere Behandlung [Kehrers] Emeritierung in falschen Beschuldigungen über seine weltanschauliche Einstellung liegen könne. Die Fakultät ist in höchstem Masse überrascht, dass Herrn Prof. Kehrer eine gegen die katholische Kirche gerichtete Gesinnung unterstellt worden ist und dass dieser Vorwurf, der nach den Darlegungen des Herrn Prof. Kehrer und nach eigener Kenntnis der Fakultätsmitglieder unberechtigt ist, von der Frau Kultusminister persönlich ausgesprochen wurde.“126

Kehrer wiederum, mit Blick auf ein Treffen des Universitätsrektors mit der Kultusministerin diesbezüglich, erwähnte einige seine Emeritierung betreffende „historisch einwandfreie Promemorien“ hinzu. Er wolle zunächst seinen Widerstand gegen die Nationalsozialisten betonen. Kehrer habe vor einigen Jahren erfahren, dass die gleiche Kultusministerin ihm Kirchenfeindlichkeit zugeschrieben habe. Dieser Behauptung würde seine langjährige Zusammenarbeit mit katholischen Ordensschwestern – trotz seiner protestantischen Konfession – ebenso widersprechen wie die Tatsache, dass er in der neuen Klinik eine Kapelle habe einbauen lassen, wie sie „an keiner anderen Klinik besteht!“ Auch seine gute Beziehung zu Bischof Clemens August Graf von Galen (1878–1946), dem katholischen Bischof von Münster, der wegen seines öffentlichen Auftretens gegen die Euthanasie-Aktionen im Sommer 1941 bekannt sei, würde die „Irrigkeit“ einer solchen Vermutung offenbaren. Kehrer habe sich sogar erfolgreich gegen den Versuch der Nationalsozialisten gewandt, die seelsorgerische Betreuung der Klinikpatienten nur bedingt zu erlauben. Schließlich könne Prälat Georg Schreiber, der auch ein „politisch Verfolgter“ sei, Kehrers positive Einstellung zur katholischen Kirche bestätigen.127 Kehrer nahm letztendlich die endgültige Entscheidung des Ministeriums hin, denn „[…] wenn sich Frauen, die wie unsere Kultusministerin von der Volksschullehrerin über die Zentrums-Reichstagsabgeordnete zur Kultusministerin aufgerückt sind, etwas in 125 126 127

Ebd., Bl. 56, 11.8.1951, Kultusministerin Nordrhein-Westfalen an den Dekan der Medizinischen Fakultät der Universität Müsnter. UAMs, Bestand 5, Nr. 637, 3.12.1951, Dekan der Medizinischen Fakultät an den Rektor der Universität Münster. UAMs, Bestand 52, Nr. 42, 5.11.1951, Kehrer an den Rektor der Universität Münster.

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den Kopf gesetzt haben, sind sie schwerer als ein Mann von ihren überwertigen Ideen abzubringen.“ 128

Er wurde zwar emeritiert, behielt aber seinen Posten bis zum Sommersemester 1953, als Mauz übernahm.

Zusammenfassung Die Geschichte der Psychiatrischen und Nervenklinik der Universität Münster weist ihre eigenen zeitlichen und regionalen Besonderheiten auf. Ihre Entstehung ist unmittelbar mit der zeitgleichen Entwicklung einer Psychiatrie verbunden, die das Ziel einer psychischen Hygiene des „Volkskörpers“ in den Mittelpunkt stellte und die Erreichung dieses Ziels als zentrale Aufgabe der sich gerade etablierenden Universitätspsychiatrie propagierte. Aufgrund dessen versuchte die westfälische Anstaltspsychiatrie, die bis dahin ausschließlich bestehende institutionalisierte Form der Versorgung psychisch Kranker, sich eng an die neu entstehende Universitätsnervenklinik anzulehnen. Die regionale Politik förderte das Projekt der Neugründung, das sich hinsichtlich materieller Infrastruktur und Patienten anfangs auf die gegebenen Strukturen stützte. Der steigende Stellenwert der universitären Ausbildung für das Professionalisierungsprofil der jungen Psychiater sowie die nationalsozialistische Gesundheitspolitik, die ihren Fokus vor allem auf psychisch Kranke warf, führten dazu, dass viele der in der Psychiatrischen und Nervenklinik ausgebildeten Fachvertreter in den westfälischen Heil- und Pflegeanstalten Beschäftigung finden und Karriere machen konnten. Ein enges Kooperationsverhältnis zwischen der Münsterschen Klinik und den westfälischen Heil- und Pflegeanstalten setzte sich zwar bis in die ersten Nachkriegsjahre fort, es war aber nie frei von Konkurrenzdenken und Konkurrenzverhalten. In der Gründungsplanung der neuen Medizinischen Fakultät Münster blieb die Psychiatrie anfangs unberücksichtigt. Die provisorischen Lösungen, die viele praktische Schwierigkeiten nach sich zogen, schreckten karrierebewusste Fachvertreter von Münster ab. Nachdem der erstberufene Martin Reichardt wegen der ungünstigen Bedingungen Münster schnell wieder verließ, begann 1925 die „Ära Kehrer“, die sich bis 1953 ununterbrochen fortsetzte. Seinen anfänglichen, reihum gescheiterten Versuchen, sich aus Münster wegberufen zu lassen, folgte Kehrers 28-jähriges Engagement an der Münsterschen Klinik, das in starkem Maße auf die wissenschaftliche Forschung fixiert und von einem starken wissenschaftlichen Elitebewusstsein geprägt war.129 Als früher Vertreter einer „somatischen“ Herangehensweise bei der Diagnose und Therapie psychischer Krankheiten stellte Kehrer die Neurologie und hereditäre Parameter in den Mittelpunkt seiner Wissenschaft und prägte damit den 128 129

Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin Münster, Briefwechsel Ferdinand Kehrers, 25.1.1952, Kehrer an Georgi. Vgl. Seier 1988, S. 282.

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psychiatrischen Universitätsbetrieb in Münster über Jahrzehnte. Kehrer bewältigte die Aufgabe des Auf- und Ausbaus einer modernen Nervenklinik sehr erfolgreich und erreichte ihre Etablierung in kurzer Zeit. Die Nazifizierung der Psychiatrischen und Nervenklinik Münster vollzog sich ähnlich wie in anderen deutschen universitären Institutionen. Der katholische Glaube beziehungsweise der Bezug zur Kirche wurde sowohl in der nationalsozialistischen Zeit als auch nach 1945 in der zutiefst katholisch geprägten Region zwar immer wieder instrumentalisiert und je nach Bedarf hervorgehoben oder relativiert, um zugunsten oder gegen Personen zu argumentieren. Letztendlich aber spielten religiöse Weltanschauungen in der elitären Selbstdefinition der Hochschullehrer selten keine Rolle. Ein Blick auf individuelle Wünsche und Vorstellungen, Karriere- und Lebenspläne sowie persönliche Sympathien und Antipathien innerhalb eines widersprüchlichen politischen Systems wird den geschichtlichen Entwicklungen und ihren Protagonisten weit eher gerecht. So traf die von den nationalsozialistischen Machthabern erzwungene politische und fachwissenschaftliche Gleichschaltung in Münster, wie anderswo, häufig auf die Bereitschaft zur Selbstgleichschaltung – meistens aus fachwissenschaftlicher Überzeugung. Ein solches Beispiel „vorauseilenden Gehorsams“ stellte vor allem das Verhalten des Klinikdirektors dar. Ferdinand Kehrer setzte die Tradition seiner Lehrer fort und untermauerte mit seinen Thesen zur Eugenik nicht nur analoge nationalsozialistische Ideologeme, sondern drängte die Politik und die Ärzteschaft sogar zu deren Radikalisierung. Durch seine Gutachtertätigkeit und Sterilisationsantragstellung trug Kehrer als Klinikdirektor zur praktischen Umsetzung der nationalsozialistischen Eugenikpolitik ganz wesentlich bei. Auch wenn er sich der Handlungsspielräume, die der Nationalsozialismus für rassenhygienische Forschung bereitstellte, nicht in dem von ihm gewünschten Maße bedienen konnte, so war dies materiellen und finanziellen Restriktionen geschuldet, nicht aber mangelnder Bereitschaft. Sein auf den ersten Blick nicht konformes Verhalten gegenüber dem nationalsozialistischen Regime lag nicht in seiner vermeintlichen demokratischen Gesinnung begründet. Seine Selbstwahrnehmung als herausragender Wissenschaftler, die immer wieder in und vor allem zwischen den Zeilen seiner Briefe zum Ausdruck kommt, und seine kämpferische Zielstrebigkeit zugunsten seiner Klinik und seiner Karriere provozierten häufig Konflikte mit nationalsozialistischen Amts- und Funktionsträgern. Kehrer gelang es so nicht, die lokalen Parteiführungsinstanzen von seinem nationalsozialistischen Glauben zu überzeugen. Seine wissenschaftliche und politische Vernetzung erwies sich damit als ungenügend, um eine wirklich glänzende, durchaus gewünschte Karriere realisieren zu können. Während seine fachliche Kompetenz in Wissenschaftskreisen schon immer Anerkennung genoss, erlebte Kehrer erst nach 1945 eine erhebliche Aufwertung seiner Funktionen auf hochschulpolitischer Ebene. Er war als politisch sofort entlasteter Ordinarius und erster Nachkriegsdekan eine der Schlüsselfiguren in der Berufungspolitik der Medizinischen Fakultät Münster, aber auch anderer Universi-

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täten. Das übergeordnete Ziel, die Wissenschaft, verband nun sehr viel mehr, als die politische Vergangenheit trennte. Dies führte zur Wiederbelebung alter oder auch zur Zusammenstellung neuer personeller Netzwerke.130 Kehrers Verbindung zur Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft und seine Haltung bei der Berufung von von Verschuer nach Münster illustrieren dies beispielhaft. Die tiefgehende Affinität vieler Mediziner zum nationalsozialistischen Elitismus und Rassismus, die vielen ideologischen Übereinstimmungen, die, versteckt hinter dem Deckmantel der Wissenschaft im Allgemeinen und einer „wissenschaftlichen“ Eugenik im Besonderen, zwischen medizinischen und politischen Eliten herrschten sowie die vielen inhaltlichen, institutionellen und personellen Kontinuitäten vor und nach 1945 waren die Gründe, warum es, trotz des politischen Umbruchs nach 1945, lange Zeit dauerte, bis sich die Medizingeschichte mit ihrem dunkelsten Kapitel überhaupt befasste. Die auch in der Nachkriegszeit zunächst abwehrende Haltung staatlicher Stellen gegenüber Zwangssterilisierten und die erst 1974 erfolgte Aufhebung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses zeigen auf, dass 1945 keine „Stunde-Null“ war.131 Die Fortsetzung bestimmter Entwicklungslinien, getragen zum größten Teil von denselben Personen, die dafür auch vor 1945 verantwortlich waren, ging einher mit einer Mentalität des Verdrängens und Vergessens. Nicht nur in Münster war das die vorherrschende Strategie des Umgangs mit einer eben erst vergangenen schrecklichen Vergangenheit.

Literatur Aulke, Julian, Das Institut für gerichtliche und soziale Medizin an der Universität Münster in der Zeit des Nationalsozialismus, Magisterarbeit, Münster 2008. Blasius, Dirk, „Einfache Seelenstörung“, Geschichte der deutschen Psychiatrie 1800–1945, Frankfurt a. M. 1994. Dicke, Jan Nikolas, Eugenik und Rassenhygiene in Münster zwischen 1918 und 1939 (Berliner Beiträge zur Zeitgeschichte 3), Berlin 2004. Dörner, Klaus, Bürger und Irre. Zur Sozialgeschichte und Wissenschaftssoziologie der Psychiatrie, Frankfurt a. M. 1969. Eulner, Hans-Heinz, Die Entwicklung der medizinischen Spezialfächer an den Universitäten des deutschen Sprachgebiets (Studien zur Medizingeschichte des neunzehnten Jahrhunderts 4), Stuttgart 1970. Fangerau, Heiner/Müller, Irmgard, Das Standardwerk der Rassenhygiene von Erwin Bauer, Eugen Fischer und Fritz Lenz im Urteil der Psychiatrie, in: Nervenarzt 73 (2002), S. 1039–1046. 130 131

Zur universitären Nachkriegsmedizin siehe: Oehler-Klein/Roelcke 2007. Hier zu siehe: Westermann 2010.

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Das Philosophische Seminar in Münster Im Jahre 1938 schrieb der Philosophieprofessor Heinrich Scholz1 vor dem Hintergrund von Entlassungen, zurückgehenden Promotionen und Habilitationen am Philosophischen Seminar in Münster: „Es [das Philosophiestudium] muss verschwinden, weil es nur noch ins Vakuum führen kann. Selbst der Astronom oder Sanskritist oder der Ägyptologe hat heute noch Aufstiegsmöglichkeiten, die für den Philosophie Studierenden […] nicht existieren. Er steht grundeigentlich vis-à-vis du rien.“2 Dagegen urteilt Raulff über das Seminar der 1950er-Jahre: „Eines Tages wird die Ideengeschichte der alten Bundesrepublik zu schreiben sein, und sie wird sich nicht mehr auf die Geschichte der Frankfurter Schule beschränken können. […] Ein besonderes Gewicht wird dabei der ‚Schule von Münster‘ zukommen […].“3 Beide Äußerungen – die eine als zeitgenössischer Kommentar zu den nationalsozialistischen Hochschulgesetzen, die andere als retrospektives Urteil über die Wirkung des Philosophieordinarius Joachim Ritter4 – illustrieren wichtige Zäsuren in der Entwicklung des Philosophischen Seminars in Münster. Von einem „infrastrukturell bescheidene[n] Fach am Rande“,5 dies stellt Hermann Lübbe in seinen Erinnerungen fest, konnte zumindest in der frühen Bundesrepublik nicht mehr die Rede sein. Vielmehr machte sich in dieser Zeit das „Collegium Philosophicum“ in Münster nach Meinung seiner Mitglieder daran, „richtungsweisend“6 für die junge Demokratie zu wirken.7 Diese Äußerungen und die darin kolportierte Entwicklung müssen erstaunen, bedenkt man die allgemeine wirtschaftliche Notlage in der

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Vgl. UAMs, Bestand 10, Nr. 2656. Heinrich Scholz (1884–1956), evangelisch, 1909 zum Lic. theol. promoviert, 1910 Habilitation in Religionsphilosophie und systematischer Theologie, 1913 Promotion zum Dr. phil. in Erlangen, 1917 Dr. theol. h.c., 1917 Ordinarius für Religionsphilosophie in Breslau, 1919 Ordinarius für Philosophie in Kiel, 1928 Ordinarius in Münster, 1936 Lehrauftrag für Logistische Logik und Grundlagenforschung, 1943 Umwandlung seines Lehrstuhls in ein Ordinariat für mathematische Logik und Grundlagenforschung, 1953 Emeritierung. UAMs, Bestand 10, Nr. 2656, Sonderdruck der Kölnischen Volkszeitung, Nr. 27, Nr. 238. Raulff 2003. Vgl. UAMs, Bestand 63, Nr. 100. Joachim Ritter (1903–1974), evangelisch, 1925 Promotion in Hamburg, 1932 Habilitation in Hamburg, 1940–1946 Kriegsdienst und Kriegsgefangenschaft, 1943 o. Prof. in Kiel, 1946 Ruf nach Münster, seit 1948 o. Prof. in Münster (1962/63 Rektor, zwischenzeitlich 1953–1955 o. Prof. in Istanbul), 1968 Emeritierung. Lübbe 2004, S. 89. Marquard 2004, S. 164. Vgl. Hacke 2006, S. 13.

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Weimarer Republik, die Repressionen und Entlassungen in der NS-Zeit und die Zerstörungen im Krieg. Im Kontext der politischen Ereignisse soll im Folgenden die Entwicklung des Philosophischen Seminars in Münster dargestellt werden. Das ausschließliche Interesse gilt dabei weder den „Mandarinen“, 8 wie es vor allem in den frühen Überblicksdarstellungen der Fall war, noch soll hier eine zeitliche Verengung auf die Zeit von 1933 bis 1945 erfolgen. Vielmehr geht es bei dem hier gewählten institutionengeschichtlichen Ansatz um die Genese des Seminars von 1918 bis 1950 im Kontext der Universität und im Verhältnis zu ihren Nachbardisziplinen Pädagogik und Psychologie. Dies schließt Fragen nach den Bedingungen der Nicht-Ordinarien, die Entwicklung von Promotions- und Studentenzahlen ebenso mit ein wie die Verbindungen von Philosophen zu Politik und Wissenschaft. Anders als in der bisherigen Forschungsliteratur werden aufgrund der Organisationsstruktur des Seminars alle Dozenten erfasst, die hier im Untersuchungszeitraum gelehrt haben.9 Die Geschichte der Philosophie ist in Bezug auf die NS-Zeit bis in die späten 1980er-Jahre hinein zu Recht als „terra incognita“10 bezeichnet worden. Anstelle von empirischen Arbeiten traten Abhandlungen mit zum Teil problematischen Thesen, die eine Erforschung als nicht notwendig erscheinen ließen.11 Mittlerweile ist dieses Forschungsdefizit, nicht zuletzt durch die umfassende Dissertation Tilitzkis,12 sowie durch zahlreiche Beiträge korrigiert worden. Dies gilt sowohl für die Forschung zu einzelnen Philosophen, zu einzelnen Philosophischen Seminaren13 als auch zu fachwissenschaftlichen Auseinandersetzungen in dieser Zeit.14 Insbesondere die Frage nach einer spezifischen NS-Philosophie wurde dabei immer wieder kontrovers diskutiert.15 Zwar hat es eine „offizielle Philosophie“ im Natio-

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Ringer 1987, Leske 1990, Laugstien 1990, Leaman 1993, Sluga 2003. Leske beschränkt sich bei den „Philosophen im Dritten Reich“, ähnlich wie auch Sluga, hauptsächlich auf Heidegger, Baeumler, Krieck, Litt und Spranger. Kritisch zum Begriff der Mandarine siehe Hoeres 2004, S.17. Vgl. Dahms 2002, S. 197. Die Arbeiten von Laugstien und Leske nehmen das Kriterium der Habilitation, um einen Dozenten der Philosophie zuzuordnen. Tilitzki bezieht auch Habilitanden wie Albrecht Becker-Freyseng mit ein. Wie schwierig dieses Eingrenzungskriterium mitunter sein kann, zeigt sich auch an Biographien, wie der von Heinrich Scholz. Haug 1989, S. 9. Vgl. Lukács 1962, S. 6, 565f. In den 1950er-Jahren stellte Lukács die These auf, dass es eine „wahre“ Philosophie im Nationalsozialismus nicht gegeben haben könne, da Philosophie grundsätzlich etwas mit Rationalität zu tun habe. Vgl. Tilitzki 2002. Vgl. Dahms 1998, Kaegi 2006, Kapferer 2001, Meran 1991, Schorcht 1990, Dahms 2003, Mehring 2005, Höpfner 1999, Haupts 2007, Hammerstein 1989, Eichler 2009. Vgl. Dahms 2008, S. 20. Einen ausführlichen Überblick auf die bisherige Forschungsliteratur zu einzelnen Philosophen und philosophischen Schulen bietet Dahms. Vgl. Leske 1990, S. 117, Sluga 2003, S. 239.

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Das Philosophische Seminar in Münster

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nalsozialismus nicht gegeben.16 Versuche, eine solche zu entwickeln, sind dennoch zahlreich belegt. Ob sich die Philosophiedozenten aus Münster in ihren Publikationen an solchen Versuchen beteiligten, kann hier aufgrund des begrenzten Rahmens nicht abschließend beantwortet werden. Dennoch soll im Folgenden auch die Frage thematisiert werden, ob sich Forschungsschwerpunkte der Philosophen im Kontext der politischen Umbrüche verändert haben und es Beteiligungen an nationalsozialistischen Projekten, wie der Aktion „Ritterbusch“, gegeben hat.17 Der Aufbau dieses Beitrages folgt den politischen Zäsuren in Deutschland, obwohl, dies sei an dieser Stelle bereits vorweg gesagt, die entscheidenden Einschnitte am Seminar nicht mit diesen übereinstimmen.18 In den einzelnen Kapiteln wird jeweils gesondert auf die institutionelle und mit Einschränkungen auf die fachwissenschaftliche Entwicklung eingegangen. Zur besseren Einordnung wird dabei auch die Zeit vor 1918 berücksichtigt werden.

Die Anfänge des Philosophischen Seminar in Münster Philosophie wurde in Münster seit der Gründung der Universität im Jahre 1780 und der Umwandlung in eine Akademie im Jahre 1818 durchgängig gelehrt. Die Gründung einer eigenständigen Abteilung erfolgte allerdings erst 1896, die Bezeichnung „Philosophisches Seminar“ erst im Jahre 1910, nach der Wiederrichtung der Universität.19 Trotz dieser vergleichsweise langen Tradition in Münster blieb das Seminar bis in die Weimarer Republik „philosophische Provinz“. Fachvertreter wie Adickes, der sich vor allem als Kant-Forscher einen Ruf erwarb, lehrten nur kurzfristig an der Universität, während die Ordinarien Becher im Jahre 1916 und Geyser 1917,20 also noch während des Krieges, einen Ruf an andere Universitäten annahmen.21 Die an ihre Stelle berufenen Dozenten Brunswig22 16 17 18 19 20

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Vgl. Sandkühler 2006, S. 155, Dahms 2008, S. 32f. Für diese und weitere Literaturhinweise danke ich Herrn Prof. Dr. Ludwig Siep. Vgl. Hausmann 2002, S. 131. Vgl. Dahms 2003, S. 723. Ähnliches stellt Dahms auch für das Philosophische Seminar in Jena fest. Vgl. Chronik 1896/97–1899/1900, S. 13, 22, 23. Vgl. Wenzl 1953, Rintelen, 1964. Ausführliche Informationen zu den Lebensläufen dieser Dozenten können hier nicht aufgeführt werden. Zu ergänzen ist, dass Joseph Geyser von 1904 bis 1911 in Münster als ao. Prof. und ab 1911 als o. Prof. in Münster lehrte. Erich Becher lehrte von 1909 bis 1916 in Münster. Vgl. Goerdt/Haardt 1980, S. 309, 312. Ihre These, dass die Nationalsozialisten die „KantTradition“ in Münster beendeten, kann nicht geteilt werden, nicht zuletzt weil Adickes und Vorländer, die Goerdt und Haardt als Beispiele für diese Tradition anführen, die Universität bereits vor 1933 verließen. Adickes lehrte von 1902 bis 1904, Vorländer von 1920 bis 1928 am Seminar. Vgl. UAMs, Bestand 62, B II 1b. Alfred Brunswig (1877–1927), evangelisch, 1904 Promotion zum Dr. phil. in München, 1910 Habilitation in München, 1914–1918 Kriegsfreiwil-

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und Ettlinger23 konnten aufgrund ihres Kriegsdienstes nur noch bedingt Lehre und Forschung aufrecht erhalten. In Münster büßte die Philosophie in dieser Zeit, ähnlich wie die gesamte Fachdisziplin,24 „ihren programmatischen Anspruch auf eine Führungsrolle im Verbund der Wissenschaften ein“.25 Die Fachvertreter sahen sich nun in der direkten Konkurrenz mit den Naturwissenschaften26 und den Nachbardisziplinen Psychologie und Pädagogik, so dass es auch in Münster zu Konflikten über die künftige Ausrichtung des Seminars gekommen ist. Dieser Streit zwischen „Positivisten und Idealisten“27 zeichnete sich am Seminar bereits bei einer Habilitation im Jahre 1905 ab und wirkte sich bis in die Berufungsvorgänge der Weimarer Republik aus.28 Nicht zuletzt wegen dieser Richtungsstreitigkeiten und der Fluktuation der Lehrenden lässt sich in Münster weder eine besondere Forschungstradition im Sinne einer „Schulbildung“ nachweisen, noch gab es überhaupt eine nennenswerte Ausstattung des Seminars.29 Insofern hießen die Zentren der Philosophie in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg vor allem Heidelberg, Hamburg und Freiburg – nicht jedoch Münster.30

Die institutionelle Entwicklung bis 1933 Zu Beginn der Weimarer Republik erfolgte die erste strukturelle Veränderung des Philosophischen Seminars. Während die Philosophie mit zwei Ordinariaten beziehungsweise zwei Abteilungen vertreten blieb, die die bereits genannten Dozenten Brunswig und Ettlinger besetzten, wurden 1921 jeweils eine Abteilung für expe-

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24 25 26 27 28

29 30

liger, 1916 o. Prof. in Münster. Vgl. UAMs, Bestand 10, Nr. 94. Max Ettlinger (1877–1929), katholisch konvertiert (jüdisch), 1899 Promotion zum Dr. phil. in München, 1903–1907 Redakteur der Zeitschrift Hochland, 1913 Habilitation in München, 1914–1918 Kriegsdienst, seit 1916 im Nachrichtendienst, 1917 o. Prof. in Münster, 1922 Mitbegründer des Deutschen Instituts für wissenschaftliche Pädagogik. Vgl. Doyé 2006, S. 214. Eichler 2009, S. 809. Vgl. Hänel 2007, S. 296. Ringer 1987, S. 274, 279, Dahms 2008, S. 23. Innerhalb dieser beiden Lager konnte es laut Dahms aber wiederum einzelne Gruppierungen geben. Vgl. UAMs, Bestand 64, Nr. 131, 10.7.1905, 7.12.1905. Bei der Beurteilung der Habilitation von Koppelmann in Münster kam es zu einem Grundlagenstreit über die künftige Ausrichtung des Philosophischen Seminars. Mit Hinweis auf die Naturwissenschaften sollten vor allem Fachvertreter dieser Richtung gefördert werden, so dass sich um diese Habilitation ein langwieriger Streit zwischen Annahme und Ablehnung entfaltete. Vgl. UAMs, Bestand 9, Nr. 380, 9.2.1928. Eine Bibliothek, so Scholz im Jahre 1928, musste „fast aus dem Nichts“ aufgebaut werden. Vgl. Dahms 2002, S. 200.

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rimentelle Psychologie und eine für Pädagogik eingerichtet.31 Beide Abteilungen umfassten jeweils ein Extraordinariat.32 Durch diese Umstrukturierung verlor die Philosophie in Münster zwar keine Lehrstühle, musste sich ihren Etat aber mit den neuen Fachbereichen teilen.33 Diese finanzielle Schwächung und die generellen Wirtschaftsprobleme der frühen Weimarer Republik verhinderten daher nicht nur den notwendigen Aus- und Aufbau der Philosophischen Abteilungen, sondern auch ein geplantes Ordinariat für Pädagogik.34 Der Lehrbetrieb wurde an der Universität Münster und dem Philosophischen Seminar nach dem Ersten Weltkrieg unter veränderten Bedingungen fortgesetzt. Als Garnisonsstadt kam es in Münster zu einem vergleichsweise großen Anstieg der Studentenzahlen, von 3.923 im Wintersemester 1918/19 auf 4.638 im Sommersemester 1919,35 so dass alsbald von Raumnot36 und einer Überfüllungskrise die Rede war.37 Bis zum Wintersemester 1930/31 erhöhte sich diese Zahl nochmals auf 5.149.38 Entgegen diesem Trend stieg die Anzahl der Philosophiestudenten zwischen 1925 und 1931 von 105 auf lediglich 110, wobei es zwischenzeitlich zu Einbrüchen auf bis zu 56 Studierende gekommen ist.39 Gemessen an den Studentenzahlen war die Philosophie an der Universität Münster daher eine „Randdisziplin“.40

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Vgl. UAMs, Bestand 9, Nr. 380, 5.1.1920, 20.1.1921. Die Gründung einer besonderen pädagogischen Abteilung unter der Leitung von Willy Kabitz und Otto Braun wurde 1920 genehmigt, die Einrichtung einer psychologischen Abteilung unter Richard Hellmuth Goldschmidt bereits 1919. Die offizielle Festlegung erfolgte aber erst 1920/21. Die Lehrstuhlinhaber waren Prof. Dr. phil. et. med. Richard-Hellmuth Goldschmidt (Psychologie) und Willy Kabitz (Pädagogik). Vgl. UAMs, Bestand 9, Nr. 380, 3.2.1920. Vgl. UAMs, Bestand 4, Nr. 240, 18.12.1941, UAMs, Bestand 62, B II 1f, 30.7.1923. Die Pläne zur Einrichtung eines pädagogischen Ordinariats gab es allerdings schon 1923. Die Fakultät reichte sogar Berufungsvorschläge für diesen neuen Lehrstuhl ein, mit Kabitz als Erstgenanntem. Nachdem die Fakultät über ein Jahr auf eine Nachricht des Kultusministeriums gewartet hatte, wurde die Einrichtung des Ordinariats im Jahre 1924 aufgrund von Sparplänen abgesagt. Vgl. Titze 1995, S. 471. Vgl. Chronik 1928/29, S. 15. Vgl. Grüttner 2003, S. 72. Kritisch zum Begriff der Überfüllungskrise siehe Schelsky 1971, S. 21. Vgl. Münsterischer Anzeiger, 21.5.1933; Chronik 1925/26, S. 13, Chronik 1930/31, S. 8, Titze, Wachstum, S. 477. Die Zahlenangaben variieren sowohl in den Quellen als auch in der Sekundärliteratur. Sie schwanken für das Wintersemester 1930/31 zwischen 4.149 (Titze), 4.886 (Münsterischer Anzeiger) und 5.149 (Chronik). Die hier verwendeten Zahlenangaben stammen aus der Chronik der Westfälischen Wilhelms-Universität. Vgl. Chronik 1925/26, S. 37f., Chronik 1930/31, S. 57f. Die Zahlen beziehen sich auf die Abteilungen A und B. Für die Abteilungen C und D, für Psychologie und Pädagogik, liegen keine verlässlichen Zahlen vor. Vgl. Chronik 1930/31. In den Fachbereichen Jura und Medizin waren zu diesem Zeitpunkt bereits jeweils über 1.000 Studenten eingeschrieben.

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Dennoch ergibt sich in der Zeit der Weimarer Republik das Bild einer vergleichsweise großen Nachwuchsausbildung von Philosophen.41 Insgesamt wurden in diesem Zeitraum 89 Promotionen am Seminar eingereicht, darunter 47 im Fach Philosophie.42 Zusammen mit denen in dieser Zeit erfolgreich durchgeführten Habilitationen von Rosenmöller (1923),43 Clostermann (1925)44 und Schwarz (1931)45 verfügte das Seminar über eine hohe Anzahl an wissenschaftlichen Nachwuchskräften. Zum Vergleich: In Jena konnten bei ähnlichen Studentenzahlen nur 19 Promotionen durchgeführt werden,46 während Seminare wie das in Köln ohnehin einen Habilitationsstop einführten.47 Aufgrund der hohen Nachwuchsausbildung konnte das Seminar in Münster zwar die bis in die 1960er-Jahre größte personelle Ausdehnung mit bis zu zehn Dozenten erreichen.48 Gleichzeitig blieb die Situation der Nachwuchswissenschaftler aber problematisch, da Lehraufträge zwischenzeitlich nicht mehr vergütet wurden, die Nicht-Ordinarien teilweise auf Lebensmittelspenden angewiesen waren und sämtliche habilitierte Nachwuchswissenschaftler 41 42

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Vgl. UAMs, Bestand 4, Nr. 34, UAMs, Bestand 63, Nr. 101, 174, UAMs, Bestand 63, Nr. 111. Ettlinger betreute 30, Brunswig 12, Koppelmann zwei, Hielscher, Scholz und Rosenmöller jeweils eine Promotion. Zu beachten ist jedoch, dass Ettlinger aufgrund der Erkrankung von Brunswig einige Promotionen übernommen hat, während ab 1929 aus demselben Grund Promotionen von Ettlinger von anderen Prüfern übernommen wurden. Insofern sind diese Angaben nur Annäherungswerte. Für die Zusammenstellung der Promotionslisten gilt der Dank den Mitarbeitern des Universitätsarchivs Münster. Vgl. UAMs, Bestand 207, Nr. 83. Bernhard Rosenmöller (1883–1974), katholisch, 1906 Verweigerung der Priesterweihe, 1913 Promotion in Münster, 1915 Kriegsdienst, 1916– 1923 Lehrer in Münster, 1923 Habilitation in Münster, 1930 nbao. Prof., 1931 Direktor am Deutschen Institut für wissenschaftliche Pädagogik, 1934 o. Prof. in Braunsberg, 1937 o. Prof. in Breslau, 1945–1949 Gründungsdirektor der Pädagogischen Akademie Paderborn, 1947 Honorarprofessor in Münster, 1952 Emeritierung. Vgl. UAMs, Bestand 4, Nr. 34. Gerhard Clostermann (1892–1982), katholisch, 1914–1918 Kriegsdienst und Studium, 1921 Promotion in Münster, 1925 Habilitation in Münster, 1930 Rückgabe der venia legendi wegen eines Disziplinarverfahrens. Vgl. UAMs, Bestand 63, Nr. 111, UAMs, Bestand 5, Nr. 193. Balduin Schwarz (1902– 1993), katholisch, 1927 Promotion in München, 1931 Habilitation in Münster, 1933 Entlassung aufgrund des § 4 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums, Emigration in die Schweiz, 1934–1938 Dozent an der Universität Fribourg (Schweiz), 1934–1935 Gastprofessur in Innsbruck, 1938 Emigration nach Frankreich, Lehrer in Limoges, 1939–1940 Dienst in der frz. Armee, 1941 Emigration in die USA, 1941–1945 assocociate Prof. am Manhattan College New York, 1951–1964 Prof. an der Fordham University, 1954 Ernennung zum o. Prof. emeritus der Universität Münster (als Wiedergutmachung), 1964 Honorarprofessor in Salzburg, 1966 o. Prof. in Salzburg, 1972 Emeritierung. Vgl. Dahms 2003, S. 738. Vgl. Grüttner 2002, S. 342. Vgl. Vorlesungsverzeichnisse Wintersemester 1927/28 – Sommersemester 1933. Am Seminar lehrten 1927 kurzzeitig zehn Dozenten, gegen Ende der Weimarer Republik sank die Anzahl wieder auf neun.

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in Münster vergeblich auf einen Lehrstuhl warten mussten.49 Bei den anstehenden Berufungsverhandlungen am Seminar wurden diese Wissenschaftler nicht berücksichtigt.

Berufungen bis 1933 Die ersten entscheidenden Entwicklungen am Seminar waren mit den beiden Berufungsverhandlungen der Jahre 1927 und 1929 verbunden, als Nachfolger für die verstorbenen Ordinarien Brunswig und Ettlinger gefunden werden mussten. Dabei zeichnete sich bereits bei den Berufungsverhandlungen im Jahr 1927 eine doppelte Schwierigkeit ab: Zum einen musste aufgrund der Universitätssatzung, die eine konfessionell paritätische Besetzung der Philosophischen Lehrstühle vorschrieb, ein Dozent mit evangelischer Konfession berufen werden.50 Zum anderen waren laut Satzung des Philosophischen Seminars vom 20. Januar 1920 die beiden Philosophischen Lehrstühle auch inhaltlich getrennt, so dass ein Kandidat mit Forschungsschwerpunkten unter anderem in Natur- und Religionsphilosophie, Ethik und Psychologie gesucht wurde. Letzteres wurde allerdings durch das bereits erwähnte Extraordinariat für Psychologie seit 1921 abgedeckt.51 Trotz dieser Vorgaben fanden sich auf der Vorschlagsliste, die die Fakultät im August 1927 für den Lehrstuhl von Brunswig einreichte, fast ausschließlich psychologisch orientierte Dozenten. Neben dem an primo loco genannten Experimentalpsychologen Wilhelm Wirth folgten an zweiter und dritter Stelle mit Theodor Lorenz Häring und Paul Luchtenberg zwei zumindest teilweise psychologisch arbeitende Wissenschaftler.52 Dementsprechend schien man gerade von Seiten der Fakultät an einem philosophisch orientierten Fachvertreter nicht interessiert zu sein, sondern vor allem die Psychologie als Nachbardisziplin stärken zu wollen.53 In der ministeriellen Reaktion auf die Vorschlagsliste zeigte sich daher auch eine gewisse Skepsis hinsichtlich dieser Ausrichtung. Mit dem Hinweis, dass noch nicht geklärt sei, ob die Professur mit einem experimentellen Psychologen besetzt werden könne, wurde das weitere Berufungsverfahren ausgesetzt.54 Zur Eskalation zwischen dem Ministerium und der Fakultät kam es schließlich im Dezember 1927, als der Minister seine endgültige Ablehnung der Vorschlagsliste bekannt gab und gleichzeitig eigene Personalvorschläge vorlegte. Als Affront wurde dabei nicht nur der ministerielle Eingriff in die Personalpolitik empfunden. Viel49 50 51 52 53 54

Vgl. Kess 1993, S. 94f., UAMs, Bestand 62, B I 2, 12.4.1932. Lediglich Rosenmöller erhielt nach elf Jahren ein Ordinariat. Vgl. UAMs, Bestand 4, Nr. 6, Nr. 132. Vgl. UAMs, Bestand 9, Nr. 380, Nr. 100. Vgl. UAMs, Bestand 9, Nr. 321, 2.8.1927. Vgl. Tilitzki 2002, S. 249f., Heimbüschel 1988, S. 470–473. Vgl. UAMs, Bestand 62, B II 1b, 21.10.1927.

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mehr wies die ministerielle Vorschlagsliste mit den Dozenten Richard Hönigswald, Günther Jacoby und Erich Rothacker55 fast ausschließlich philosophisch ausgerichtete Fachvertreter auf und widersetzte sich damit eindeutig den Fakultätswünschen. Entsprechend beantwortete die Fakultät die Vorschläge des Ministeriums ihrerseits mit einer Unterschriftenliste und prüfte Möglichkeiten eines öffentlichen Protests.56 Der Konflikt um die Wiederbesetzung des Philosophischen Lehrstuhls vertiefte sich spätestens ab diesem Zeitpunkt zu einem Grundlagenstreit über die Einflusssphäre von Universität und Staat. Trotz „entmutigender Stimmen“57 aus der Fachwissenschaft, die die Vorschlagsliste negativ kommentierten, hoffte die Fakultät auf eine Berufung Härings, dessen Qualitäten man in einer neuen Vorschlagsliste abermals hervorhob. Heinrich Scholz wurde dagegen lediglich als „Ergänzungsvorschlag“58 erwähnt. Obwohl Scholz als Theologe, Religionsphilosoph und Logiker die Voraussetzungen für diesen Lehrstuhl mehr als erfüllte, dauerte es noch mehrere Monate, bis er mit knapper Mehrheit am 26. April 1928 als Nachfolger für Brunswig gewählt wurde.59 Der Grund für die kontroversen Verhandlungen dürfte gewesen sein, dass Scholz nicht einmal ansatzweise im Bereich der Psychologie arbeitete und seine Berufung eine klare Niederlage der Fakultät bedeutete, die ihren Wunschkandidaten Häring nicht durchsetzen konnte.60 Insgesamt verursachte der Konflikt um die Wiederbesetzung des Lehrstuhls eine einjährige Vakanz und führte zu tiefen Zerwürfnissen mit dem Ministerium. Diese Konfliktlinie setzte sich auch bei den Berufungsverhandlungen für die katholisch gebundene Philosophieprofessur von Ettlinger im Jahre 1929 fort, bei denen auch die Wünsche der Katholisch-Theologischen Fakultät berücksichtigt werden mussten. Für erneuten Zündstoff zwischen dem Ministerium und der Fakultät sorgte bereits im Vorfeld ein Einmischungsversuch des Ministers. Noch bevor die Fakultät eine eigene Vorschlagsliste präsentieren konnte, bat Minister Carl Heinrich Becker, den nicht-habilitierten Studienrat Peter Wust61 zu berücksichtigen.62 Problematisch an diesem Personalvorschlag waren dabei nicht nur Wusts fehlen55 56 57

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Vgl. Tilitzki 2002, S. 263f., 272–279. Vgl. UAMs, Bestand 62, B II 1b, 19.12.1927. Tilitzki 2002, S. 249f., UAMs, Bestand 9, Nr. 321, 22.12.1927. Zuvor hatten sich in einer von der Fakultät eingeholten Unterschriftenliste unter anderem die Dozenten Bauch, Kafka, Becker, Stumpf, Wundt für die Vorschlagsliste ausgesprochen. UAMs, Bestand 9, Nr. 321, 22.12.1927. Vgl. UAMs, Bestand 10, Nr. 2656. Vgl. UAMs, Bestand 9, Nr. 321, 22.12.1927. Zudem favorisierte die Fakultät einen Kandidaten, der empirisch und nicht logisch-theoretisch arbeitete. Scholz‘ Hinwendung zur mathematischen Logik dürfte der Fakultät daher entgegengekommen sein. Vgl. UAMs, Bestand 10, Nr. 487. Peter Wust (1884–1940), katholisch, 1907–1910 Studium der Philosophie und Philologie in Berlin und Straßburg, 1914 Promotion in Philosophie in Bonn, ab 1914 Lehrer, 1930 o. Prof. in Münster. Vgl. UAMs, Bestand 9, Nr. 321.

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de akademische Voraussetzung für das Ordinariat, sondern offenbar auch die divergierenden Vorstellungen der Fakultät hinsichtlich der inhaltlichen Ausrichtung des künftigen Ordinarius der Philosophie.63 Die Fakultätsliste, die dem Minister schließlich nach vier Monaten präsentiert wurde, nannte mit den Dozenten Georg Stieler, Hans Eibl sowie, pari passu, Bernhard Rosenmöller und Fritz-Joachim von Rintelen64 ausschließlich Wissenschaftler, deren Schwerpunkt auf dem Gebiet der Geschichte der Philosophie lag.65 Allerdings waren selbst diese Vorschläge nicht unumstritten, da sich das Kommissionsmitglied Anton Eitel in einem angefügten Privatgutachten kritisch zu den genannten Dozenten äußerte und auch die Katholisch-Theologische Fakultät Bedenken anmeldete. Beide Seiten machten eigene Personalvorschläge. Von einer vorbehaltlosen, überzeugenden Vorschlagsliste konnte daher nicht die Rede sein. Einigkeit herrschte lediglich in der Ablehnung des ministeriellen Vorschlags.66 Trotz der Vorbehalte gegen Wust seitens der Universität ernannte Minister Adolf Grimme ihn schließlich gegen den erklärten Willen der Fakultät zum Wintersemester 1930/31 zum ordentlichen Professor. Die Gründe dafür dürften aber nicht nur, wie Tilitzki vermutet, bei den prominenten Fürsprechern Wusts zu suchen sein.67 Letztendlich war es auch die Unfähigkeit der Fakultät, nachdem der erstgenannte Stieler die katholische Philosophieprofessur abgelehnt hatte, geschlossen einen adäquaten Kandidaten zu präsentieren. Der an secundo loco genannte Hans Eibl wurde bereits von der Fakultät mit dem Hinweis versehen, dass sein Arbeitsgebiet sehr begrenzt sei, während Rosenmöller als Hausberufung und von Rintelen aufgrund seiner geringen Lehrerfahrung ohnehin nur eine geringe Aussicht auf eine Berufung hatten. Ergänzungs- oder Ersatzvorschläge wie beim „Fall Scholz“ sind nicht bekannt.68 Die zweite Niederlage der Fakultät bei der Besetzung eines Lehrstuhls innerhalb kürzester Zeit bekam in der Folgezeit vor allem der neue Ordinarius zu spüren. Von seinen Kollegen als „Studienrat“ tituliert, schildert Wust diese Zeit als „Hölle von Einsamkeit“.69 63 64 65

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69

Vgl. Behnke 1978, S. 104. Vgl. UAMs, Bestand 62, Nr. 26. Vgl. Tilitzki 2002, S. 252, 631f. Eibl hatte sich vor allem mit Arbeiten über Augustinus und die Philosophie des Altertums ausgewiesen. Rosenmöller befasste sich in den 1920erJahren mit seiner Arbeit über Bonaventura, ähnlich wie von Rintelen, vor allem mit der Geschichte der Philosophie des Mittelalters. Stieler legte in den 1920er-Jahren zwei Arbeiten über Leibniz und Malebranche vor und arbeitete vor allem zur Geschichte des Rationalismus. Vgl. UAMs, Bestand 9, Nr. 321, 10.2.1930; Cleve 1951, S. 207. Vgl. Tilitzki 2002, S. 250 f, 627. Tilitzki gibt an, dass sich zumindest Husserl für Wust eingesetzt hat. Vgl. UAMs, Bestand 62, Nr. 26. Die Kandidatenliste der Kommission umfasste ohnehin nur 13 Dozenten. Alle Geistlichen und alle Ordinarien wurden im Vorfeld ausgeschlossen. Cleve 1951, S. 222.

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Die Berufung der Dozenten Scholz und Wust bedeutete für das Seminar erste umfassende Veränderungen. Mit Heinrich Scholz wurde nicht nur ein renommierter Theologe und Religionsphilosoph berufen, dem „ein Hauch der Welt großer Gelehrter“70 umgab, sondern auch ein erstklassiger Organisator. Durch eine Vielzahl von Anträgen, die heute über drei Akten füllen, sorgte er bereits ab 1928 für den Ausbau des Seminars, zumal bereits seine Berufung mit insgesamt 4.000 Reichsmark vom Ministerium gefördert wurde und er seine Seminarbibliothek aus Kiel mitnehmen durfte.71 Wust gelang es dagegen, neben einer ministeriellen Förderung72 vor allem eine große Hörerschaft zu gewinnen. Ein Jahr nach seiner Berufung schrieb er an einen Freund: „Wie immer aber in solchen Fällen: der Erfolg entscheidet. Mein Hörsaal (Auditorium Maximum) war nun von Anfang an gefüllt. Aber man sagte sich im ersten Semester: das ist Sensation, wird also bald abflauen. Im zweiten Semester aber wurde der Andrang noch größer. Und jetzt im dritten Semester ist der Zudrang in allen drei Vorlesungen wirklich zuviel. Jeden Morgen und Nachmittag 500 Menschen. […] Dieser Erfolg hat hier in Münster alle Opposition einfach weggefegt. Das hatte kein Mensch erwartet.“73

Mit der Berufung dieser beiden Dozenten begann der Ausbau des Seminars beziehungsweise der beiden philosophischen Abteilungen. Die „mit Philosophie nicht allzu sehr gesegnete gute Universität Münster“, von der Nicolai Hartmann rückblickend im Jahre 1930 spricht, erhielt damit ein Seminar, das erstmals auch inhaltlich eine deutliche Fokussierung aufwies.74

Die inhaltliche Ausrichtung des Seminars Die wissenschaftliche Karriere von Heinrich Scholz war bereits vor seiner Berufung nach Münster außergewöhnlich,75 zumal er mit seiner Promotion und Habilitation in evangelischer Theologie und einer weiteren Promotion in Philosophie sich gleich in zwei Fachgebieten ausgezeichnet und einen Ruf erworben hatte.76 Als Ordinarius für Philosophie in Kiel begann Scholz zusätzlich mit einem Studium der Mathematik und theoretischen Physik, die Grundlage für seine spätere Ausrichtung auf die mathematische Logik.77 Dieser Weg von der Theologie zur Philosophie und schließlich zur mathematischen Logik ist dabei weniger als ein Bruch 70 71 72 73 74 75 76 77

Behnke 1978, S. 107. UAMs, Bestand 9, Nr. 380, 9.2.1928, 12.3.1929; vgl. UAMs, Bestand 9, Nr. 381, 10.12.1936. Vgl. Vernekohl 1966, S. 71f., 375f. Vernekohl 1956, S. 33f. Heimbüschel 1988, S. 475. Heimbüschel spricht bei solchen Vorgängen auch von der „Tendenz zur fachlichen Verengung.“ Vgl. Stock 1987, S. 16. Vgl. Molendijk 1991, S. 22, 34. Dennoch musste auch Scholz sieben Jahre auf ein Ordinariat warten und lebte in dieser Zeit in ungesicherten ökonomischen Verhältnissen. Vgl. ebd., S. 55.

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zu verstehen,78 zumal Scholz zeitlebens in allen Fachgebieten publiziert hat.79 Es ist, so Pfleiderer, vielmehr der Versuch einer Überwindung des „Duals von Wissenschaft und Christentum“,80 die Scholz‘ wissenschaftlich-literarisches Gesamtwerk durchzieht. Die Etablierung einer „mathematischen Philosophie“ nach Leibniz, in dessen Tradition sich Scholz Anfang der 1930er-Jahre sieht, muss daher als ein Teil dieser äußerst komplexen wissenschaftlichen Entwicklung gesehen werden.81 Mit seiner Berufung nach Münster entwickelte Scholz diese Ausrichtung konsequent fort, zunächst durch Vorlesungen zur Geschichte der Logik und Gemeinschaftsübungen mit dem Physiker Adolf Kratzer, später durch eine Umwidmung seines Lehrstuhls. Insbesondere seine Vortragsreise im Jahre 1932 nach Polen, bei der ihm der Anschluss an die ausländische Fachwissenschaft und Kontakte zu den Logikern Jan Łukasiewicz und Alfred Tarski gelangen, hatte eine langfristige Wirkung für das Seminar.82 Im Gegensatz zu Heinrich Scholz konnte von einer wissenschaftlichen Karriere Peter Wusts bis zu seiner Berufung nach Münster eigentlich kaum die Rede sein. Vielmehr erwarb sich Wust, neben seiner Tätigkeit als Lehrer an verschiedenen Schulen, vor allem durch Publikationen einen Ruf und wirkte als Beiträger für das Zentrumsorgan „Kölner Volkszeitung“.83 Über seine philosophische Ausrichtung schrieb er 1929 in einem Brief: „Wir sind von der Religion zuerst abgesunken zur Kultur und von der Kultur zur Zivilisation. Wenn es uns gelänge, eine neue religiöse Kultur, einen neuen religiösen objektiven Geist an die Stelle der entweihten heutigen Kultur zu setzen, nun, dann erschaffen wir damit eine neue Umwelt für die Vielen […]. Dies ist kein Kulturkatholizismus. Aber ohne Kultur werden wir nie die atmosphärischen Umweltbedingungen erhalten, in denen auch das Christentum wieder wachsen kann. Es ist eine heilige Pflicht für uns alle, zu philosophieren […], aber eben zu dem Zweck, um den modernen Menschen christlich zu unterbauen.“84

Wust forderte eine aktive Neugestaltung der Philosophie, um der säkularisierten Welt ein neues christliches Fundament zu geben. Aus diesem Grund lehnte er auch den katholischen Historismus, den er für „Ohnmacht“ hielt, und die skeptische Philosophie ab. Vor allem aber vertrat Wust als christlicher Existenzphilosoph, der auch im politischen Katholizismus aktiv war, eine Richtung, die der von Scholz und 78 79

80 81 82 83 84

Vgl. Stock 1987, S. 18. Stock gibt einen kritischen Überblick über die Forschungsliteratur. Vgl. ebd., S. 20, Molendijk 1991, S. 56, 313. Beide Autoren betonen die Kontinuitäten in dieser Entwicklung von Scholz. Molendijk weist dann aber auf die „Umbrüche“ bei Scholz wissenschaftstheoretischen Ideen hin. Insofern war „Kontinuität“ auch hier auf die „Denkmotive“ und nicht auf die „Denkinhalte“ bezogen. Pfleiderer 1995, S. 18. Vgl. Molendijk 1991, S. 52, Hermes 1986, S. 44. Die mathematische Logik, so Hermes, war damals noch nicht eine Domäne der Mathematiker. Vgl. Schmitz/Elstrodt 2008, S. 62; UAMs, Bestand 63, Nr. 173. UAMs, Bestand 10, Nr. 487, UAMs, Bestand 62, Nr. 26. Vernekohl 1956, S. 377.

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seiner Hinwendung zur mathematischen Logik diametral gegenüberstand. Dispute zwischen Wust und Scholz, dem „rar gewordenen Exemplar(e) eines praktizierten intellektuellen Kulturprotestantismus“,85 sind bis in die 1930er-Jahre hinein überliefert, so dass sich hier die beiden „weltanschaulichen“ Lager86 der Philosophie an einem Seminar gegenüberstanden.87 Dennoch lässt sich festhalten, dass sich das Seminar gerade wegen dieser Berufungen im Hinblick auf die Ausstattung, die Studentenzahlen sowie der wissenschaftlichen Vernetzung gegen Ende der Weimarer Republik auf einem vorläufigen Höhepunkt befunden hat.

Das Philosophische Seminar nach 1933 Die Machtübernahme der Nationalsozialisten gestaltete sich in Münster – so eine häufig vertretene These – aufgrund des katholisch-konservativen Spektrums als schwierig.88 Zwar zählte Münster nicht zu den nationalsozialistischen Hochburgen, zumal die NSDAP im Frühjahr 1933 die zweitstärkste Kraft hinter dem Zentrum blieb;89 noch stimmten hier katholische Organisationen vorbehaltlos ihrer Selbstauflösung zu.90 Dennoch zeigte sich auch in Münster in einer Mischung aus Repression und „nationaler Aufbruchstimmung“ eine geringe Bereitschaft, die demokratische Grundordnung zu verteidigen.91 Dies galt insbesondere für die Universität, die sich nicht nur durch antirepublikanische Feiern und Kundgebungen politisch positionierte,92 sondern auch im Hinblick auf Parteibeitritte ihrer Professoren.93 Die parteipolitische Ausrichtung der Philosophiedozenten zeigt vor allem eine deutliche Nähe zum Zentrum, dem die Dozenten Rosenmöller, Schwarz und Wust beitraten beziehungsweise nahestanden.94 Willy Kabitz, Extraordinarius für Pädagogik, war, wie die Mehrzahl der politisch aktiven Dozenten in Münster, Mitglied

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Pfleiderer 1995, S.20. Dahms 2008, S. 23. Vgl. Vernekohl 1950, S. 41, Hermes 1986, S. 42. Vgl. Hörster-Phillips/Vieten 1980, S. 77, 98. Bereits Vieten und Hörster-Phillips nehmen zu dieser These kritisch Stellung. Vgl. Pöppinghege 1994, S. 207f. Vgl. Kaufmann 1984, S. 166–168. Vgl. Thamer 1986, S. 176f., Kaufmann 1984, S. 174. Vgl. Greive 2006, S. 33–35, Ribhegge 1985, S. 185f. 1929 standen mit einer Kundgebung gegen den Youngplan, dem Versailler Vertrag sowie der Langenmarck-Feier, zu der auch Hermann Göring geladen war, gleich drei antirepublikanische Feiern auf dem Plan. Vgl. Kess 1993, S. 97f. Zwar traten nur ca. 24 Prozent der Professoren einer Partei bei, davon waren allerdings fast 40 Prozent Mitglied der DNVP, gefolgt von der Zentrumspartei mit fast 24 Prozent. DVP, DDP und SPD kamen zusammen auf 27 Prozent, der NSDAP traten vor 1933 neun Prozent bei. Vgl. Anm. 44, 46. Eine Parteimitgliedschaft von Wust lässt sich dagegen nicht belegen.

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der rechts-konservativen DNVP.95 Insgesamt überwiegte, selbst bei den politisch nicht aktiven Philosophiedozenten wie Heinrich Scholz, eine ablehnende Haltung gegenüber der Weimarer Republik, die sich vor allem in Unterschriftenlisten gegen Vorhaben der Regierung,96 Zeitungsartikeln97 und vereinzelt in Aufrufen für die NSDAP artikulierte.98 Zu den Gründen schrieb Scholz noch 1956: „Es wird niemanden überraschen, daß der Zusammenbruch von 1918 uns beide [ihn und Spranger] tief getroffen hat. […] Ich habe nie daran gezweifelt, daß diese Katastrophe als erstes die Selbstbestimmung hätte hervorrufen müssen, zu der wir uns nicht haben aufraffen können; aber diffamiert worden sind wir auf eine Art, zu der ich noch heute muß sagen dürfen: Das hatten wir nicht verdient.“99

Bedingt durch die Krisen der Weimarer Republik und die Niederlage nach dem Ersten Weltkrieg kam es in Münster zwar zu keinem aktiven Widerstand oder Protest bei der anstehenden nationalsozialistischen Machtübernahme. Völkischantisemitisches Denken oder besondere Sympathien für die neue Regierung wird man den Philosophen allerdings auch nicht unterstellen können. Lediglich Johannes Hielscher100 trat als einziger von neun Lehrenden am Seminar – nachdem er bei Berufungen in der Weimarer Republik mehrfach „übergangen“ wurde – am 1. Mai 1933 der NSDAP bei.101 Obwohl also bereits die politische Einstellung der Dozenten nicht zu einem aktiven Widerstand gegen das NS-Regime motivierte, bewirkten die Gewaltakte der Studenten ein Übriges. Die Störung von Veranstaltungen und die Schandpfahlaktion im Zuge der Bücherverbrennung waren dabei nur einige von zahlreichen Aktionen.102 Es war dieses Zusammentreffen von gefürchteten Repressionen und der Aussicht, die bisherigen Krisen zu beenden, das für die Nationalsozialisten eine günstige Ausgangsposition für die Konsolidierung ihrer Macht in Münster schuf. 95

96 97 98 99 100

101 102

Vgl. UAMs, Bestand 10, Nr. 2566, Bd. 1–3. Willy Kabitz (1876–1942), evangelisch, 1901 Promotion in Berlin, 1905 Habilitation an der Technischen Hochschule Hannover, 1908 Habilitation in Breslau, 1914–1917 Kriegsdienst, 1915 Extraordinarius in Münster, 1921 Umwandlung in ein planmäßiges Extraordinariat, 1935 o. Prof. in Münster, 1941 Emeritierung. Vgl. UAMs, Bestand 62, Z 9. Vgl. Münsterischer Anzeiger, 4.6.1933. Vgl. UAMs, Bestand 4, Nr. 1033, 4.3.1933. Neben Janssen, Kabitz und Scholz unterzeichneten am 4.3.1933 noch über 100 weitere Dozenten der Universität diesen Aufruf. Scholz 1957, S. 448. Vgl. UAMs, Bestand 62, B II 1e. Johannes Hielscher (1871–1945), evangelisch, 1901 Promotion in Zürich, 1902 Habilitation in Zürich, 1902–1908 Privatdozent in Zürich, 1908 Umhabilitation nach Münster, 1914 Kriegsdienst, 1921 nbao. Prof. in Münster, 1934 o. Prof. in Münster, 1937 Emeritierung. Vgl. Wolters 1999, S. 232f. Laut Wolters sollen insgesamt 77 Philosophieprofessoren der NSDAP beigetreten sein. Vgl. Hörster-Phillips/Vieten 1980, S. 88. Siehe hierzu auch Pöppinghege 1994, S. 236f.; Klemperer 1999, S. 12.

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Entlassungen und personelle Entwicklungen Die institutionelle Entwicklung des Philosophischen Seminars in Münster wurde ab 1933 vor allem durch die nationalsozialistischen Hochschulgesetze geprägt, an dessen Umsetzung der Universitätsrektor Hubert Naendrup und der Vorsitzende der „Entlassungskommission“ Anton Baumstark mitwirkten.103 Insbesondere das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums,104 mit dem vor allem politisch „unzuverlässige“ und rassisch „mißliebige“ Dozenten entfernt werden sollten, bedeutete einen deutlichen Einschnitt.105 In der Philosophie mussten, so Tilitzki, bis 1935 60 Prozent der Ordinariate neu besetzt werden, cirka 27 Prozent der NichtOrdinarien verloren ihre venia legendi.106 Die Philosophieordinarien in Münster blieben entgegen dieser Entwicklung von den Entlassungen verschont. Anders als in Jena, wo ein völkisch-nationalistisches Umfeld die Berufung von jüdischen Philosophieordinarien in der Weimarer Republik verhinderte und das Jahr 1933, so Dahms, zum „non-event“ werden ließ, war es in Münster die Universitätssatzung, die eine Berufung von jüdischen Ordinarien zuvor ausschloss.107 So waren es ausschließlich die Nicht-Ordinarien, die von den Entlassungen in Münster betroffen waren. Insgesamt verloren die drei Wissenschaftler Goldschmidt,108 Janssen109 und Schwarz aufgrund des sogenannten „Arierparagraphen“ des Berufsbeamtengesetzes ihre Stellung. Gemessen an der Gesamtzahl der Lehrenden am Seminar entsprach dies einer Entlassungsquote von cirka 103 104 105

106 107 108

109

Vgl. UAMs, Bestand 5, Nr. 520. Vgl. Seel 1933, S. 21. Vgl. Reichsgesetzblatt I 1933, S. 226, Reichsgesetzblatt I 1935, S. 23. Die weiteren Gesetze waren das „Gesetz gegen die Überfüllung der Hochschule“, das „Gesetz gegen die Versetzung von Hochschullehrern“ sowie das Reichsbürgergesetz und das Deutsche Beamtengesetz, die für weitere Entlassungen sorgten. Vgl. Tilitzki 2002, S. 604, 664. Allerdings resultierten, so Tilitzki, nur 50 Prozent der Lehrstuhlvakanzen aus Entlassungen. Vgl. Dahms 2003, S. 723f.; UAMs, Bestand 4, Nr. 6. Vgl. UAMs, Bestand 5, Nr. 68, Bd. 1, Bd. 2. Richard-Hellmuth Goldschmidt (1883–1968), evangelisch, 1910 Promotion in Leipzig, 1910–1913 Assistent am Institut für psychologische Pädagogik in Hamburg, 1912 Promotion Dr. med., 1913 Habilitation in Münster, 1914–1919 Kriegsdienst, 1919 apl. Prof. in Münster, 1921 nbao. Prof. in Münster, Leiter der psychologischen Abteilung, 1933 Entlassung aufgrund § 3 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums, Emigration nach Holland, 1939 Emigration nach England, Dozent in Oxford, 1949 Dozent in Münster, 1951 ao. Prof. (als Wiedergutmachung), 1952 Emeritierung. Vgl. UAMs, Bestand 63, Nr. 88. Otto Janssen (1883–1967), evangelisch, 1908 Promotion in Bonn, 1913 Habilitation in Straßburg, 1913–1916 Privatdozent in Straßburg, 1916–1918 Kriegsdienst, 1919 Umhabilitation nach Münster, 1921 nbao. Prof. in Münster, 1929–1932 Prof. für Philosophie/Pädagogik an der Pädagogischen Akademie Dortmund, 1933 Lehrauftrag in Münster, Entlassung aufgrund des § 3 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums, 1946 Lehrauftrag in Münster, 1958 Emeritierung.

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33 Prozent, eine auch im Vergleich zur Universität Münster hohe Zahl.110 In der Konsequenz war die psychologische Abteilung bis 1936, nach der Entlassung von Goldschmidt, de facto nicht vorhanden111 und die Anzahl der Lehrenden ging auf vier Dozenten zurück, nachdem der bereits erwähnte Bernhard Rosenmöller einen Ruf nach Braunsberg annahm und der Honorarprofessor Wilhelm Koppelmann 1934 starb.112 Im Gegenzug gelangten in der Folgezeit – wenn auch ausschließlich in den Abteilungen für Psychologie und Pädagogik – Dozenten an das Seminar, die sowohl in der Partei als auch in verschiedenen Parteigliederungen aktiv waren.113 Auch die Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses in Münster spitzte sich aufgrund der neuen Reichshabilitationsordnung und spezifischer Regelungen für Philosophie im Vergleich zur Weimarer Republik weiter zu.114 Bereits 1936 klagt Heinrich Scholz über mangelnde Studentenzahlen, ohne allerdings konkrete Angaben zu machen. Von den zwischen 1933 und 1945 insgesamt 51 eingereichten Promotionen am Seminar stammten nur noch 24 aus dem Bereich Philosophie, ein Rückgang von fast 50 Prozent.115 Eine erfolgreiche Habilitation ist in diesem Zeitraum nicht nachzuweisen.116 Der einzige Habilitand, Albrecht Becker-Freyseng, wechselte 1938 in den meteorologischen Wetterdienst, nachdem er in einem Dozentenbundlager die Beurteilung „demokratisch-pessimistisch“ erhielt.117 110 111

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Vgl. Grüttner 2007, S. 140, 182f. In Münster wurden 26 Dozenten, respektive 11,9 Prozent der Lehrenden entlassen. Vgl. UAMs, Bestand 10, Nr. 207, 27.1.1942. Ab 1936 leitete Studienrat Dr. Benno Kern diese Abteilung, der bereits seit 1932 Mitglied der NSDAP war. 1938 wurde die psychologische Abteilung aufgelöst und der Pädagogischen Abteilung untergeordnet. Vgl. UAMs, Bestand 64, Nr. 131. Wilhelm Koppelmann (1860–1934), evangelisch, 1884 Promotion zum Lic. theol. in Göttingen, 1885 Promotion zum Dr. phil. in Tübingen, 1887–1905 Lehrer, 1906 Habilitation in Münster, Privatdozent in Münster, 1914/15 Kriegsdienst, 1916 Honorarprofessor in Münster, Mitglied der DDP und der Stadtverordnetenversammlung in Münster. Vgl. UAMs, Bestand 10, Nr. 112, UAMs, Bestand 63, Nr. 40, UAMs, Bestand 5, Nr. 3777, Bd. 1–2, UAMs, Bestand 5, Nr. 8915, Bd. 1. Gemeint ist hier der Psychologe Benno Kern, der von 1936 bis 1945 in Münster lehrte, und der Psychologe Gert Heinz Fischer, der von 1937 bis 1940 in Münster tätig war. Ferner muss auch der Pädagoge Heinrich Döpp-Vorwald und der spätere Ordinarius für Psychologie Wolfgang Metzger dazu gezählt werden. Alle vier Dozenten waren in der NSDAP und mit Ausnahme von Kern auch in der SA und weiteren Gliederungen aktiv. Vgl. Tilitzki 2002, S. 919. Ab 1937 konnte die Philosophie nicht mehr als Grundfach im Lehramtsstudium, sondern nur noch als Promotionsstudiengang belegt werden, so dass die Berufsperspektiven weiter abnahmen. Wust betreute 15 und Scholz neun Promotionen. Die Dozenten Krüger und Pfeil betreuten drei beziehungsweise eine Arbeit, die aber erst nach dem Krieg abgeschlossen werden konnten und daher nicht zu den 51 Promotionen dazu gezählt werden. Nach Tilitzki fanden zwischen 1933 bis 1945 insgesamt 52 Habilitationen – die Zahl ergibt sich aus der Addition der von Tilitzki aufgeführten Habilitationsverfahren – in der Philosophie statt. Ein im Vergleich mit der Zeit von 1918 bis 1933 Rückgang von ca. 50 Prozent. UAMs, Bestand 64, Nr. 2, 11.12.1938; vgl. auch ebd., 11.11.1938; Tilitzki 2002, S. 739–741.

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Es war lediglich Johannes Hielscher, der von der Machtübernahme der Nationalsozialisten profitieren konnte und noch 1934 im Alter von 63 Jahren ein Extraordinariat für Philosophie erhielt.118 Allerdings wurde Hielscher bereits im Jahr 1936, wohl auch wegen einer Affäre an der Universität, emeritiert, sein Lehrstuhl wurde der Astrologie übertragen.119 Nach 1933 kam es zwar zu keinen weiteren „Säuberungen“ am Seminar, doch konnten die personellen Verluste in der gesamten Zeit des Nationalsozialismus nicht mehr ausgeglichen werden.

Die institutionelle Entwicklung nach 1933 Einhergehend mit den personellen Veränderungen erfolgten am Seminar ab dem Jahr 1933 ebenfalls tiefgreifende organisatorische Eingriffe. Zunächst wurde die Psychologie als eigenständige Abteilung des Seminars aufgelöst und der Pädagogik untergeordnet, die nun ein eigenes Ordinariat erhielt.120 Damit bestand das Philosophische Seminar nur noch aus drei Abteilungen, die nun allerdings jeweils mit einem Ordinariat ausgestattet waren. Eine Schwächung der Philosophie zugunsten dieser Nachbardisziplinen oder die Umwandlung von Lehrstühlen in „Modefächer“ wie Rassenkunde fand demnach nicht statt. Dennoch erlebten die beiden Philosophischen Abteilungen die bislang umfassendsten Veränderungen. Bereits im Sommersemester 1936 setzte Scholz die Erweiterung seines Lehrauftrages auf die „logistische Logik und Grundlagenforschung“ und im Sommersemester 1938 die Umwandlung seines Lehrstuhls in einen für „Philosophie der Mathematik und Naturwissenschaften“ durch.121 Aus den Richtungsstreitigkeiten am Seminar, die sich seit der Universitätsgründung verfolgen lassen, entwickelte sich somit eine institutionelle Spaltung. Eine Ausrichtung auf den Nationalsozialismus, wie Leaman meint, bedeuten diese Umstrukturierungen nicht.122 Ab 1939/40 wurde die Abteilung von Scholz als „Logistisches Seminar“ eingerichtet und „effektiv aus dem Verbande“123 des Philosophischen Seminars herausgenommen. Es verfügte künftig über ein eigenes Direktorium und einen eigenen Etat.124 In Folge dieser Veränderungen wurde auch das reduzierte Philosophische Seminar umgebaut, da es laut Satzung auch 118 119 120

121 122 123 124

Vgl. UAMs, Bestand 63, Nr. 12, 19.10.1934, UAMs, Bestand 63, Nr. 173, 3.4.1934. Vgl. ebd. Bei der Affäre soll Hielscher angeblich Absprachen einer Senatssitzung an Außenstehende weitergegeben haben. Vgl. UAMs, Bestand 4, Nr. 240, 18.12.1941. Die Psychologische Abteilung wurde zum Wintersemester 1938/39 als Unterabteilung der Pädagogik eingerichtet. Die Pädagogik erhielt 1935 ein eigenes Ordinariat. Erst im Sommersemester 1943 wurden aus den Abteilungen des Philosophischen Seminars getrennte Institute gebildet, das Philosophische Seminar sowie das Institut für Psychologie und Pädagogik. Vgl. UAMs, Bestand 9, Nr. 383, 21.5.1938. Vgl. Leaman 1993, S. 243. UAMs, Bestand 9, Nr. 383, 24.5.1938. Vgl. UAMs, Bestand 9, Nr. 325, 8.7.1943.

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weiterhin über zwei philosophische Lehrstühle verfügen musste. Das Ordinariat von Wust wurde 1940 in eines für „Philosophie und Geisteswissenschaften mit besonderer Berücksichtigung der theoretischen Philosophie“ umgewandelt,125 während Kabitz ein entsprechendes Ordinariat „mit besonderer Berücksichtigung der praktischen Philosophie“ erhielt, ohne allerdings seine Ausrichtung auf Pädagogik aufzugeben.126 Schließlich erfolgten im Sommersemester 1943 die bis in die 1950erJahre letzte Umstrukturierung. Die pädagogische Abteilung wurde als „Institut für Psychologie und Pädagogik“ verselbstständigt, so dass sich aus dem Philosophischen Seminar mit den ursprünglich vier Abteilungen drei eigenständige Institutionen bildeten.127 Insgesamt verlief die institutionelle Entwicklung vor allem für die Philosophieordinarien Wust und Scholz sehr unterschiedlich. Peter Wust sah sich bereits im Frühjahr 1933 einer verstärkten Kontrolle ausgesetzt, seine Veranstaltungen wurden unter dem späteren NS-Studentenbundführer Alfred Derichsweiler mehrfach gestört und Schriften wie sein Abschiedsgruß in vierter Auflage 1942 von der Gestapo beschlagnahmt.128 Obwohl sich Wust auch öffentlich in Zeitungsartikeln kritisch gegenüber der neuen Regierung äußerte, konnte er Forschung und Lehre bis zu seinem Tod im Jahre 1940 fortsetzen.129 Es war vor allem sein katholisch gebundener Konkordatslehrstuhl, der die politische Führung von einer Entlassung absehen ließ, nicht zuletzt, um Zusammenstöße mit der als zutiefst religiös eingeschätzten Bevölkerung in Münster zu vermeiden.130 Heinrich Scholz konnte dagegen seine Abteilung weiter ausbauen. Dabei war es, wie er noch in den 1950er-Jahren vermutet, seine bereits vor 1933 vorgenommene Ausrichtung auf das Spezialgebiet der mathematischen Logik, die ihn vor Repressionen schützte und die den Nationalsozialisten offenbar als unverdächtig erschien.131 Scholz wirkte bereits ab 1934 an der Gründung einer eigenen „Arbeitsund Forschungsgemeinschaft“, die sich ab 1935 als „Gruppe von Münster“ etablierte. Neben zahlreichen Förderungen, unter anderem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und privaten Zuwendungen, gelang es Scholz, auch Zugang zu ausländischer Fachliteratur aus Polen und den USA zu erhalten, die aufgrund des Devisenproblems nur schwer zugänglich war.132 Ab 1938 zählten auch Studen125

126 127 128 129 130 131 132

UAMs, Bestand 9, Nr. 322, 8.3.1938. Der Antrag zur Umwandlung des Ordinariats stammte vom 8.3.1938 und wurde am 21.5.1938 vom Minister genehmigt. Die etatrechtliche Verselbstständigung erfolgte am 5.1.1939. Vgl. Laugstien 1990, S. 106. Grundsätzlich setzten sich diese Bezeichnungen reichsweit ab1936 durch. Vgl. UAMs, Bestand 9, Nr. 381, 16.2.1942. Vgl. Vernekohl 1956, S. 75f., Behnke 1978, S. 104. Vgl. Münsterischer Anzeiger, 4.6.1933, 20.5.1934. Vgl. LAV NRW W, Bestand C 31, Nr. 15. Vgl. Scholz 1957, S. 452. Vgl. UAMs, Bestand 10, Nr. 2656, 24.3.1937; Scholz wurde 1937 Mitglied der „Association for Symbolic Logic.“

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ten aus Peking, Helsinki, Stockholm und Ancona zu den Mitgliedern seiner Abteilung, die 1938 zur mitteleuropäischen Zentralstelle für die mathematische Logik und Grundlagenwissenschaft ernannt wurde. Wesentlichen Anteil an diesem Aufschwung hatte vor allem die Teilnahme an den internationalen Philosophenkongressen in Paris und Cambridge, für die Scholz auch finanzielle Förderungen vom Reichserziehungsministerium erhielt. Zwar merkt Laugstien dazu an, dass die „erste Garnitur der deutschen Philosophie“133 in Paris nicht aufgetreten sei. Doch gelang es der „zweiten Garnitur“ respektive Scholz, internationale Anerkennung zu gewinnen. Höhepunkt dieser internationalen Beziehungen war die Verleihung der Ehrendoktorwürde der Universität Münster an den polnischen Gelehrten Jan Łukasiewicz im Jahre 1938, die Scholz zusammen mit dem Botschafter Hans-Adolf von Moltke in Warschau vornahm.134 Ab den Jahren 1938/39, beginnend mit der gescheiterten Habilitation von Becker-Freyseng und dem Kriegsausbruch, verschärfte sich die Situation für das Philosophische Seminar und auch für Scholz persönlich, verursacht vor allem durch seinen Einsatz für den polnischen Theologen Jan Salamucha, der sich 1939 in deutscher „Schutzhaft“ befand.135 Erst durch die Fürsprache von Scholz, der auch den Staatssekretär des Auswärtigen Amtes, Ernst von Weizsäcker, einschaltete, konnte Salamucha aus dem Konzentrationslager Oranienburg befreit werden.136 Wegen dieses Engagements erhielt Scholz, neben einem Verweis, ab 1941 auch ein Kommunikationsverbot mit seinen polnischen Kollegen, über das er sich allerdings mehrfach hinwegsetzte. In der Folgezeit unterstützte er Freunde wie Łukasiewicz mit geheimen Geldüberweisungen und ermöglichte 1944 auch dessen Flucht aus dem umkämpften Warschau nach Münster.137 Förderungen für Scholz sind ab 1941 dagegen nicht mehr belegt, so dass vermutlich auch seine Abteilung in den allgemeinen Abwärtstrend hineingeriet.138 Gerade in dieser Zeit standen aber, bedingt durch den Tod von Peter Wust, die wichtigsten Berufungsverhandlungen seit der Weimarer Republik an.

Berufungen Das Philosophische Seminar erlebte ab 1939 zahlreiche personelle Veränderungen. Nach der Ausgliederung des Fachbereichs von Heinrich Scholz lehrten zwischenzeitlich nur noch die drei Dozenten Wust, Kabitz und der Psychologe Benno

133 134 135 136 137 138

UAMs, Bestand 9, Nr. 380, 10.1.1936; Laugstien 1990, S. 169. Vgl. UAMs, Bestand 63, Nr. 173, 28.12.1938. Vgl. UAMs, Bestand 10, Nr. 2656, 2.10.1940; Kleßmann/Długoborski 1997, S. 538, 541. Vgl. Schmidt am Busch/Wehmeier 2005, S. 119f. Vgl. ebd., S. 123f., 130. Vgl. UAMs, Bestand 9, Nr. 381.

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Kern139 am Seminar, wobei erstere ab 1939 krankheitsbedingt ausfielen.140 Die Lehrstuhlvertretungen und potentielle Nachfolger der beiden Ordinarien wurden zum Kriegsdienst einberufen.141 Während der Lehrstuhl des verstorbenen Dozenten Willy Kabitz 1942 mit dem Psychologen Wolfgang Metzger142 besetzt werden konnte143 – und somit erstmals seit der Weimarer Republik die Psychologie in Münster gestärkt wurde –,144 gestaltete sich vor allem die Besetzung des Ordinariats von Peter Wust, der 1940 starb, als schwierig. Problematisch waren dabei nicht nur der durch die nationalsozialistischen Hochschulgesetze entstandene Mangel an Nachwuchswissenschaftlern, sondern auch die bisherigen organisatorischen Veränderungen. So schrieb der Universitätsrektor Walter Mevius an das REM: „Da der Prof. Scholz erreicht hat, daß er seinen Lehrauftrag beschränken kann (auf Logik und Mathematik), der Prof. Kabitz in erster Linie die Pädagogik vertritt, muß der Nachfolger Prof. Wust’s die Philosophie der Geisteswissenschaften […] vertreten, er muß schlechthin Philosoph der Universität Münster sein, d. h. dieser Fachvertreter hat hauptsächlich die Ausbildung der zukünftigen Lehrer und Lehrerinnen an höheren Schulen in der Philosophie und Weltanschauung durchzuführen.“145

Als Folge der bisherigen organisatorischen Veränderungen existierte in Münster, entgegen der Meinung Tilitzkis, de facto nur noch ein Lehrstuhl für Philosophie. Die Lehrstühle von Scholz und Kabitz dienten vor allem der „Pflege“ der mathematischen Logik sowie der Pädagogik.146 Da die verbliebene Philosophieprofessur für die Lehramtsausbildung zuständig war, rückte diese nun verstärkt in die Inter139

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142

143 144 145 146

Vgl. UAMs, Bestand 63, Nr. 40. Benno Kern (1888–1945), evangelisch, 1914–1918 Kriegsdienst, 1921 Promotion in Münster, Lehrer in Münster, 1936 Lehrauftrag an der Universität Münster, 1942 Honorarprofessor, 1943–1945 mit der Kinderlandverschickung in Bayern. Vgl. UAMs, Bestand 10, Nr. 112. Vgl. UAMs, Bestand 10, Nr. 460, 13.5.1939, UAMs, Bestand 63, Nr. 78, 31.7.1939, 26.11.1939. Bei den Lehrstuhlvertretungen handelt es sich um Bodo Sartorius Freiherr von Waltershausen und Heinrich Döpp-Vorwald. Letzterer war nicht nur von Kabitz der Wunschkandidat für seine Nachfolge. Vgl. BAB, R 4901/13271, UAMs, Bestand 63, Nr. 95. Wolfgang Metzger (1899–1979), evangelisch, 1917 Kriegsdienst, 1926 Promotion, 1927–1931 Assistent in Berlin, 1931 Assistent in Frankfurt a. M., 1932 Habilitation, 1933 Diätendozentur in Frankfurt a. M., 1935 venia legendi für Philosophie, 1937–1938 Lehrstuhlvertretung in Halle, 1939 apl. Prof. in Frankfurt a. M., 1942 o. Prof. für Psychologie in Münster, 1945 Volkssturm, 1962–1964 Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Psychologie, 1965 Dr. h.c. der Universität Padua, 1967 Emeritierung. Metzger löste bereits 1944 kurz nach seiner Berufung ein offizielles Verfahren wegen Beleidigung aus und sah sich nach dem Krieg mit verschiedenen Vorwürfen konfrontiert, die die Schädigung der katholischen Seite in Münster und die Beschäftigung einer kriegsgefangenen Haushaltshilfe umfassten. Als Mitglied der NSDAP musste Metzger bis 1949 auf seinen Entnazifizierungsbescheid warten. Vgl. UAMs, Bestand 4, Nr. 240, 18.12.1941. Vgl. ebd., 14.10.1941. Ebd., 6.5.1940. Vgl. Tilitzki 2002, S. 849; LAV NRW W, C 1, Nr. 19.

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essensphäre der Nationalsozialisten, die einen Fachvertreter wie Peter Wust um jeden Preis verhindern wollten. Auf der anderen Seite aber hatte auch die KatholischTheologische Fakultät, angesichts der steigenden Studentenzahlen in der Theologie in Münster und der Bedeutung dieser Professur für die Priesterausbildung, ein entscheidendes Interesse an diesem Ordinariat.147 In die anstehenden Berufungsverhandlungen schalteten sich neben Universitätsrektor Mevius und Bischof von Galen auch der Leiter der Reichskanzlei, Martin Bormann, sowie die Gauleitung Westfalen-Nord mit ein.148 Im Fokus dieser Auseinandersetzungen standen zunächst die Bestimmungen der Universitätssatzung, die eine katholisch gebundene Professur garantierten. Dazu hieß es in einem Schreiben von Rektor Mevius an das REM im Jahr 1940: „Es ist aber ganz ausgeschlossen, daß ein und derselbe Mensch als Hochschullehrer diese beiden Aufgaben (Ausbildung der zukünftigen Studienräte und Unterweisung der katholischen Theologen in der Philosophie) nebeneinander durchführen kann.“149

Der künftige Ordinarius, so Mevius weiter, müsse feststellen können, ob seine Prüflinge die nationalsozialistische Weltanschauung verstanden haben. Dementsprechend sollte der neue Lehrstuhlinhaber nach Möglichkeit nicht katholischer Konfession und Mitglied der NSDAP sein. Der Lösungsvorschlag von Mevius sah somit vor, dass zwei Philosophen berufen würden, einer, der die Ausbildung der Theologiestudenten übernahm, und einer, der das Ordinariat im Philosophischen Seminar erhielt und für die Lehre der nationalsozialistischen Weltanschauung zuständig sein sollte.150 Mit diesem Vorschlag zeigte sich das REM, das die Lösung von Mevius mit „ausgezeichnet“151 quittierte, einverstanden.152 Damit wurde seit 1933 erstmals ein ernsthafter Versuch unternommen, einem nationalsozialistischen Dozenten ein Ordinariat am Philosophischen Seminar zu verschaffen.153 Schwierigkeiten bereitete allerdings die Suche nach geeigneten Kandidaten. Wegen des Mangels an Nachwuchswissenschaftlern sah sich die Fakultät nicht in der Lage, den Wünschen des Rektors beziehungsweise des REM zu entsprechen.154 Gegen den an primo loco genannten Hermann Glockner, der als nationalsozialistischer Kandidat präsentiert werden sollte, sprach sich mit Jost Trier, Heinrich Behnke, Adolf Kratzer und Heinrich Scholz nahezu die gesamte Berufungskommission

147 148 149 150 151 152 153

154

Vgl. UAMs, Bestand 10, Nr. 329, 9.4.1941. Vgl. LAV NRW W, Bestand 120/4, Nr. 8320. UAMs, Bestand 4, Nr. 240, 6.5.1940. Vgl. LAV NRW W, C 1, Nr. 19. UAMs, Bestand 63, Nr. 104, 6.5.1940. Vgl. UAMs, Bestand 10, Nr. 245. Insgesamt lassen sich nur zwei Versuche nachweisen, bei denen NS-Parteistellen versucht haben, eigene Kandidaten an das Seminar zu holen, einmal 1933 für Pädagogik und einmal 1942 für Psychologie. Vgl. UAMs, Bestand 10, Nr. 245, 26.7.1940.

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aus.155 Da die Fakultät ansonsten noch Georg Stieler nannte, der diese Professur bereits 1930 abgelehnt hatte, blieb lediglich der an zweiter Stelle genannte Gerhard Krüger156 als Dozent mit evangelischer Konfession für den katholisch gebundenen Konkordatslehrstuhl übrig.157 Krüger wurde zunächst als Vertretung für Wust nach Münster berufen und am 14. Dezember 1940 als Ordinarius bestätigt.158 Nahezu zeitgleich mit der Berufung von Gerhard Krüger erfolgte die Versetzung des außerplanmäßigen Professors Hans Pfeil159 in einem Eilverfahren nach Münster. Während Krüger nun für die weltanschauliche Schulung der Lehramtsstudenten zuständig war, sollte Pfeil, der 1929 zum Priester geweiht wurde, die Ausbildung der Theologiestudenten am Seminar übernehmen.160 Die Folge der Doppelberufung „Krüger-Pfeil“ war allerdings, dass die Studenten mit jenen katholischen Philosophiedozenten in Kontakt kamen, von denen sie aus Sicht der Nationalsozialisten hätten getrennt werden sollen. Erst im Juli 1942 wurde Pfeil, nach Protesten verschiedener Staats- und Parteistellen, an die Katholisch-Theologische Fakultät versetzt, ohne allerdings den dort frei gewordenen Lehrstuhl von Adolf Donders zu erhalten.161 Stattdessen erhielt er lediglich eine Diätendozentur, so dass dieses Vorgehen vor allem einen Stellenabbau bedeutete.162 Zudem musste die Gruppe um Bischof von Galen einen Rückschlag hinnehmen, da ein Dozent aus dem engeren Mitarbeiterkreis des Bischofs, wie Mevius gefordert hatte, verhindert wurde.163 Erst nach Protesten des Bischofs beim Rektor und dem REM, dem großen „Aufsehen“,164 den dieser Entscheid in den Regierungsbezirken Osnabrück, Düsseldorf und der Provinz Westfalen erregt hatte, wurden Pfeil die entsprechenden Mittel des Ordinariats von Donders im Juli 1944 übertragen.165 Eine Wieder155 156

157 158 159

160 161 162 163 164 165

Vgl. UAMs, Bestand 4, Nr. 240, 26.7.1940. Vgl. BAB, R 4901/13269, Personalbogen Krüger, UAMs, Bestand 5, Nr. 708. Gerhard Krüger (1902–1972), evangelisch, 1950 katholisch konvertiert, 1925 Promotion in Marburg, 1929 Habilitation in Marburg, 1933 nbao. Prof. in Marburg, 1934–1936 Vertretungen in Frankfurt a. M., Göttingen und Marburg, 1938 apl. Prof. in Marburg, 1940 o. Prof in Münster, 1943 Kriegsdienst, 1946 o. Prof. in Tübingen, 1952 o. Prof. in Frankfurt a. M., 1956 Emeritierung. Vgl. UAMs, Bestand 62, Nr. 26. Die Reihenfolge der geeigneten Kandidaten ist in den Akten widersprüchlich und wurde offenbar mehrmals geändert. Vgl. UAMs, Bestand 10, Nr. 245, 14.12.1940. Vgl. UAMs, Bestand 10, Nr. 239, UAMs, Bestand 63, Nr. 104. Hans Pfeil (1903–1997) katholisch, 1926 Promotion zum Dr. phil. in München, 1929 Priesterweihe, 1932 Habilitation in Würzburg, 1938 Promotion zum Dr. theol. in Würzburg, 1939 ao. Prof. in Würzburg, 1940–1945 apl. Prof. in Münster, 1946 o. Prof. in Münster, 1947 o. Prof. in Bamberg, 1968 Emeritierung. Vgl. Schorcht 1990, S. 283; UAMs, Bestand 10, Nr. 329, 21.4.1941. Vgl. UAMs, Bestand 10, Nr. 329, 27.7.1942. Vgl. ebd., 8.5.1941. Vgl. UAMs, Bestand 4, Nr. 240, 19.1.1942. UAMs, Bestand 10, Nr. 329, 27.7.1942. Vgl. LAV NRW W, Bestand 120/4, Nr. 8320.

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einrichtung des Lehrstuhls erfolgte allerdings nicht. Insgesamt verdeutlichen die Berufungsvorgänge um die Nachfolge Wusts, dass, wie an vielen Universitäten im Reich, vor allem die katholische Seite in Münster benachteiligt werden sollte.166

Inhaltliche Ausrichtung und Kriegsende Mit der Berufung der Dozenten Krüger und Pfeil erhielt die Philosophie in Münster nach sieben Jahren nationalsozialistischer Hochschulpolitik zwei Dozenten, die alles andere als Wunschkandidaten der NSDAP waren. Während Pfeil bereits in Würzburg mit Veranstaltungs- und Publikationsverboten belegt wurde und acht Jahre auf einen Lehrstuhl warten musste167 – den er schließlich auch in Münster nicht erhielt –, brauchte es bis zur Berufung Gerhard Krügers insgesamt zehn Jahre.168 Krüger konnte bis zu diesem Zeitpunkt weder eine Mitgliedschaft in einer nennenswerten Parteigliederung vorweisen noch war er politisch in Erscheinung getreten. Zwar beteiligte sich Krüger 1941 mit einem Beitrag über Leibniz an der Aktion Ritterbusch.169 Allerdings ist in diesem Aufsatz, in dem stereotyp das „Deutsche“ an Leibniz und seiner Philosophie betont wird, sowohl sprachlich als auch inhaltlich eher nationalistisch und nicht nationalsozialistisch.170 Insofern war mit der Berufung des Kant-Forschers Krüger keine „Nazifizierung“ des Seminars verbunden,171 wohl aber eine inhaltliche Umorientierung. Anders als Wust konnte Krüger einen deutlichen Schwerpunkt im Bereich der Geschichte der Philosophie vorweisen.172 Einen nennenswerten Einfluss auf die weitere Entwicklung des Seminars hatte er allerdings nicht. Zwar umfasste das verbliebene Philosophische Seminar ab 1942 nur noch den Lehrstuhl von Krüger,173 der somit zum Philosoph von Münster wurde. Allerdings wurde er bereits im August 1943 zum Kriegsdienst einberufen und konnte somit keine Promotionen am Seminar betreuen oder Lehrveranstaltungen anbieten.174 Zusammen mit den Zerstörungen des Seminars durch 166 167 168 169

170 171 172 173 174

Vgl. ebd., C1, Nr. 19. Vgl. UAMs, Bestand 63, Nr. 104, 6.8.1966. Vgl. UAMs, Bestand 10, Nr. 245, 23.1.1935; Tilitzki 2002, S. 819f. Vgl. Hausmann 2002, S. 131, 133, Klee 2008, S. 343. Entgegen der Darstellung Hausmanns liefert Gerhard Krüger nur einen Beitrag zur Aktion Ritterbusch. Der andere Beitrag stammt vom gleichnamigen Historiker und NS-Funktionär. Vgl. Krüger 1942, S. 209–227. UAMs, Bestand 5, Nr. 708. Seine Promotion trägt den Titel „Kants Lehre von der Sinnesaffektion“, seine Habilitation den Titel „Philosophie und Moral in der Kantischen Ethik.“ Vgl. Oehler 1962, S. 395–398. Vgl. UAMs, Bestand 63, Nr. 36, 7.8.1943. Vgl. Dahms 2008, S. 30. Eine UK-Stellung konnte für Krüger nicht erreicht werden. Insgesamt wurden während des Krieges nur für elf Philosophen eine Unabkömmlichstellung erreicht. Erst nach dem Krieg werden drei Promotionen eingereicht, bei denen Krüger der Betreuer war. Es blieben die einzigen am Seminar.

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Bombenangriffe175 war ab 1943 ein Studium der Geisteswissenschaften in Münster nahezu unmöglich.176 Nachdem sich Scholz im Wintersemester 1943 „ausnahmsweise“ bereit gefunden hatte, eine Lesung in Philosophie zu halten, übernahm für das Sommersemester 1944 der außerplanmäßige Professor Johannes Thyssen aus Bonn die Vertretung.177 Ab dem Wintersemester 1944/45 kam der Lehrbetrieb, auch bedingt durch die Auslagerung der Universität ins Umland, ganz zum Erliegen.

Das Philosophische Seminar in Münster nach 1945 – Entnazifizierung und Wiederaufbau Der Lehrbetrieb an der Westfälischen Wilhelms-Universität wurde bereits zum Wintersemester 1945/46 unter der englischen Militärregierung wieder aufgenommen. Die Anzahl der Studenten stieg ab diesem Zeitpunkt kontinuierlich an, von 2.880 im Sommersemester 1946 auf 5.071 im Wintersemester 1949/50.178 Das Vorkriegsniveau wurde bereits im darauffolgenden Semester überschritten. Einhergehend mit diesem Anstieg erfolgte auch die Rückkehr der meisten Hochschullehrer, die von der eingerichteten Entnazifizierungskommission einen positiven Entscheid erhielten. Obwohl Respondek insgesamt eine negative Bilanz bei der Entnazifizierung an der Universität Münster zieht,179 war den Mitgliedern des Philosophischen Seminars, abgesehen von der Mitgliedschaft im NSV und NSLB, von Seiten der Kommission nichts vorzuwerfen.180 Die Dozenten Krüger, Pfeil und Scholz erhielten bereits 1946 ihren Entlastungsbescheid. Im Gegensatz zu dieser zügigen „Entnazifizierung“ erfolgte eine Wiedergutmachung für benachteiligte und geschädigte Dozenten nur schleppend. Eine finanzielle Entschädigung wurde für den entlassenen Dozenten Schwarz 1954 und für Pfeil erst in den 1960er-Jahren – aufgrund seiner finanziellen Benachteiligung bei der Berufung nach Münster – vorgenommen.181 Zuvor bedachte jedoch die Universität geschädigte Dozenten wie Janssen und Rosenmöller182 mit Honorarprofessuren.183 175 176 177 178 179

180 181 182

183

Vgl. UAMs, Bestand 63, Nr. 36, 16.10.1943. Vgl. LAV NRW W, Bestand 120/4, Nr. 5327. Vgl. Vorlesungsverzeichnisse. Obwohl Thyssen in Münster lehrte, hielt es Senftleben für angebracht, im Vorlesungsverzeichnis weiterhin den Namen Krügers stehen zu lassen. Vgl. ebd. Vgl. Respondek 1995, S. 243. Abgesehen von drei entlassenen Hochschullehrern, die aufgrund ihres Alters in den Ruhestand traten, konnten bis 1951 alle zuvor entlassenen Dozenten wieder an Universitäten lehren. Vgl. UAMs, Bestand 5, Nr. 841, BAB, R 4901/13276, Personalbogen Gerhard Krüger, BAB, R 4901/13269, Personalbogen Heinrich Scholz. Vgl. UAMs, Bestand 63, Nr. 111. Vgl. UAMs, Bestand 63, Nr. 101, 26.8.1945. Rosenmöller nahm anscheinend Familienangehörige des Grafen Matuschka nach dem Hitler-Attentat am 20. Juli 1944 bei sich auf. In Breslau wurden seine Veranstaltungen vom AStA gestört. Vgl. UAMs, Bestand 63, Nr. 104, 25.4.1966, UAMs, Bestand 5, Nr. 3202, Bd. 2, 9.8.1945.

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Beide wurden 1952 als eine Art Wiedergutmachung zeitgleich als ordentliche Professoren emeritiert. Gegen eine Entschädigung und Wiedereinstellung des entlassenen Philosophen und Psychologen Richard-Hellmuth Goldschmidt konnte sich die Fakultät aber bis 1949, mit zum Teil polemischen Kommentaren, erfolgreich zur Wehr setzen.184 Nachdem Goldschmidt 1949 an das Institut für Psychologie und Pädagogik berufen wurde, erhielt er 1951 als Wiedergutmachung den Titel eines außerordentlichen Professors und wurde 1952 emeritiert. Insgesamt konnte aufgrund der abgeschlossenen Entnazifizierungsverfahren und der Wiedereinstellung von entlassenen Dozenten der Lehrbetrieb am Seminar aufrechterhalten werden. Diese personelle Kontinuität wurde aber bereits ab 1946 durch zwei Berufungen unterbrochen.

Die institutionelle Entwicklung nach 1945 Zum Sommersemester 1946 erfolgte zunächst die Rückversetzung von Hans Pfeil auf den katholischen Konkordatslehrstuhl des Philosophischen Seminars, das somit wieder über zwei konfessionell getrennte Ordinariate verfügte. Da Gerhard Krüger auf den evangelisch gebundenen Lehrstuhl versetzt wurde, bedeuteten diese Vorgänge eine vollständige Revision der Maßnahmen, die bei den Berufungsvorgängen im Jahre 1940 von Seiten der Nationalsozialisten ergriffen wurden.185 Zum Wintersemester 1946/47 erhielt Krüger einen Ruf nach Tübingen und wurde auf eigenen Wunsch von seinen Pflichten in Münster entbunden.186 Auf seinen Lehrstuhl wurde der Kieler Philosophieordinarius Joachim Ritter187 berufen, der als Drittplazierter der Berufungsliste, im Gegensatz zu den Wunschkandidaten HansGeorg Gadamer und Otto Friedrich Bollnow, das Ordinariat in Münster annahm. Zu den Berufungsvorgängen hieß es vom Rektor Schreiber: „Die Universität leidet darunter, dass erste Kräfte, um die sie ersucht, gerade jetzt nicht zu ihr kommen, weil Münster Ruinen-Stadt ist.“188 Die schweren Zerstörungen in Münster dürften ein Grund dafür gewesen sein, weshalb die Wunschkandidaten der Fakultät nicht für das Seminar gewonnen werden konnten. Für notwendige Forschungsarbeiten musste Ritter noch in der Folgezeit nach Heidelberg fahren, während erste Philo184

185 186 187 188

Vgl. UAMs, Bestand 63, Nr. 35, 28.12.1946; Dekan Beckmann schrieb 1946: „Seine [Goldschmidts] wissenschaftlichen Leistungen sind gering. Lange Zeit wandte er seine Aufmerksamkeit Farbspielen zu, konstruierte Apparate und meldete auf diesem Gebiet auch Patente an. Das alles erschien recht närrisch. […] Unglücklicherweise sieht er mit seinem rotbraunen Barte auch gar nicht einnehmend aus.“ Vgl. UAMs, Bestand 62, Nr. 86. Vgl. UAMs, Bestand 5, Nr. 708, 10.7.1946, 5.10.1946. Vgl. Marquard 2003, S. 663–664. Ritter konnte dieses Ordinariat kriegsdiensthalber nicht antreten. UAMs, Bestand 62, Nr. 86, 3.8.1946.

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sophische Veranstaltungen in seiner Privatwohnung stattfanden.189 Obwohl Ritter bereits 1946 nach Münster berufen wurde, erfolgte seine endgültige Bestätigung als Ordinarius erst am 21. Juni 1948.190 Die Gründe dafür lagen aber weniger in einem ausstehenden Entnazifizierungsverfahren, das bereits am 8. Oktober 1946 mit der Einstufung in die Kategorie IV abgeschlossen wurde, als vielmehr in bürokratischen Schwierigkeiten.191 Zwar war Ritter seit 1937 Mitglied der NSDAP192 sowie in verschiedenen Parteigliederungen aktiv,193 sah sich aber wie viele Nachwuchswissenschaftler einem erheblichen Anpassungsdruck ausgesetzt. Da Ritter zudem mit Ernst Cassirer einen jüdischen Doktorvater hatte, in einer ersten Ehe mit einer sogenannten „Halbjüdin“ verheiratet war und die Gestapo bei einer Razzia in seiner Wohnung Schriften von Karl Marx beschlagnahmte,194 musste er ohne Devotionalien gegenüber der Partei mit dem Ende seiner akademischen Laufbahn rechnen.195 Ähnlich wie Gerhard Krüger beteiligte sich auch Joachim Ritter mit einem Beitrag an der Aktion „Ritterbusch“, in der er die Bedeutung Nicolaus von Cues für die abendländische Philosophie herausarbeitete.196 Eine Ausrichtung auf die Rassenideologie beziehungsweise auf andere NS-spezifische Themen lässt sich aber ebenso wenig nachweisen wie eine Beteiligung an Konkurrenzkämpfen oder gar Denunziationen.197 Ähnliches gilt auch für Otto Most,198 der zum Wintersemester 1947/48 – nachdem Pfeil einen Ruf nach Bamberg annahm – an das Seminar berufen wurde.199 Da 189 190

191

192 193 194

195 196 197 198

199

Vgl. Lübbe 1978, S. 14. Vgl. ebd. Ritter war seit dem 1.5.1937 Mitglied der NSDAP, Politischer Leiter (Blockhelfer, Blockleiter), Mitglied im NSV, NSLB, RSV, NS Deutscher Reichskriegerbund, NSStudentenkampfhilfe. Vgl. ebd.; UAMs, Bestand 207, Nr. 203, 16.2.1948. Der Grund für die verzögerte Ernennung liegt in dem Kategorisierungsbescheid, der dem Ministerium nicht zugestellt wurde, aber bereits 1947 vorhanden war. Vgl. Sandkühler 2006, S. 154. Einen Aufnahmeantrag Ritters im Jahr 1933 lehnte man wegen seiner ersten „nicht-arischen“ Ehe ab. Vgl. UAMs, Bestand 10, Nr. 5829, Bd. 1; Sandkühler 2006, S. 23. Vgl. ebd., S. 22. Zudem war Ritter in der Weimarer Republik offenbar Mitglied in Organisationen wie dem Republikanischen Lehrerbund, der Arbeitsgemeinschaft sozialistischer Lehrer und dem Internationalen sozialistischen Kampfbund. Seine erste Ehefrau starb 1928 an den Folgen eines Unfalls. Vgl. UAMs, Bestand 63, Nr. 100, 29.2.1948. Ritter hat 1939 zudem als Blockhelfer und Blockleiter gearbeitet sowie in einer Gauführerschule im Jahre 1934 mitgewirkt. Vgl. Ritter 1942. Der Aufsatz ist ein Auszug aus seiner 1925 vorgelegten Dissertation. Vgl. Sandkühler 2006, S. 8, Hacke 2006, S. 38. Vgl. UAMs, Bestand 63, Nr. 96. Otto Most (1904–1968), katholisch, 1931 Promotion in Breslau, 1932 Habilitation in Breslau, 1939 Entzug seiner Dozentur, 1939–1943 Kriegsdienst (Heerespsychologe), ab 1943 Kriegsdienst in Griechenland und Italien, 1944 Ernennung zum Regierungsrat, 1947 Vertretung in Münster, 1948 o. Prof. in Münster, 1957– 1958 Dekan der Philosophischen Fakultät. Vgl. UAMs, Bestand 62, Nr. 26, 16.2.1946, 10.10.1947. Für diesen Lehrstuhl wurden an erster Stelle Rosenmöller und Wilpert, an zweiter Josef Pieper und an dritter Balduin

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zuvor jedoch alle Dozenten der Vorschlagsliste den Lehrstuhl in Münster abgelehnt hatten, sollte er zunächst die Vertretung übernehmen. Most war Mitglied des NSV, des NSKK und stellte Ende 1942 einen Antrag auf Aufnahme in die NSDAP, nachdem ihm 1939 die Dozentur in Breslau entzogen und seine Stelle bei der Heerespsychologie 1942 stillgelegt wurde.200 In einem Gutachten über Most Ende 1945 heißt es: „Deutschland hat einen ganz geringen Nachwuchs an philosophischen Köpfen, und zu ihnen gehört ohne Zweifel Herr Otto Most. Man sollte diesen Nachwuchs in jeder Weise fördern. Denn wenn das deutsche Volk jetzt lernen soll, umzudenken, dann hat es tüchtige Philosophen ganz dringend nötig.“201

Dieser Einschätzung folgte vermutlich auch die Entnazifizierungskommission, die Most in die Kategorie V einstufte. Rückwirkend zum 1. November 1948 wurde er schließlich als Ordinarius bestätigt und lehrte bis zu seinem Tod 1968 in Münster.202 Die Berufungen von Most und vor allem von Ritter hatten für das Seminar tiefgreifende und langfristige Konsequenzen. Mit Ritter gelangte ein gerade in dieser Zeit wichtiger „Organisator von Format“203 an das Seminar, der, ähnlich wie Scholz 20 Jahre zuvor, unter noch größeren Schwierigkeiten für den Aufbau des Seminars sorgte. Es waren vermutlich auch gerade diese Qualitäten, die zu seiner Wahl als Dekan (1951/52) und – als bislang einziger aus dem Fachbereich Philosophie – als Rektor (1962/63) führten.204 Durch seine Mitgliedschaft in Universitätsgründungskommissionen, der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften, der Akademie der Wissenschaften und Literatur in Mainz sowie des Wissenschaftsrats war Ritter in den 1950er-Jahren sowohl in der Philosophie als auch wissenschaftspolitisch eine der einflussreichsten Persönlichkeiten.205 Für seinen Verbleib in Münster konnte Ritter – Rufe nach Tübingen und Konstanz lehnte er 1954 beziehungsweise 1965 ab – mehrere Assistenten- und Schreibkraftstellen, Forschungsbeihilfen sowie eine Bibliotheksförderung in Höhe von 10.000 DM erreichen.206 Daher bedeutete diese Berufung für das Seminar nicht nur einen institutionellen und personellen Ausbau, zumal mit Ritter, Most, Rosenmöller, Janssen und Pieper207 wieder fünf 200

201 202 203 204 205 206 207

Schwarz vorgeschlagen. Vgl. UAMs, Bestand 63, Nr. 96. Most galt in der Folgezeit aber nach eigener Aussage als Parteianwärter, nicht als Mitglied. Seine Dozentur in Breslau verlor er, da auch hier vor allem die katholischen Gelehrten geschädigt werden sollten. UAMs, Bestand 63, Nr. 96. Vgl. ebd., 18.2.1949, UAMs, Bestand 5, Nr. 865. UAMs, Bestand 10, Nr. 5829, Bd. 3, 5.2.1976. Vgl. UAMs, Bestand 63, Nr. 100, 29.5.1962. Vgl. Sandkühler 2006, S. 4. Vgl. UAMs, Bestand 10, Nr. 5829, Bd. 2, 26.6.1954. Vgl. UAMs, Bestand 8, Nr. 34997, Bd. 1, UAMs, Bestand 63 Nr. 9. Josef Pieper (1904– 1997), katholisch, 1928 Promotion in Münster, 1928–1932 Assistent am Institut für Organisationslehre und Soziologie in Münster, ab 1932 freier Schriftsteller, 1935 Mitarbei-

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Dozenten im Bereich Philosophie lehrten. Durch Ritters zweijährige Gastprofessur in Istanbul von 1953 bis 1955 war das Seminar auch international gut vernetzt.208 Zwar gehört Ritter heute vermutlich, so resümiert Hacke, zu den „fast vergessenen Philosophen.“209 Seine inhaltliche Ausrichtung und die Gründung seines „Collegium Philosophicum“ wirkten allerdings weit über die Grenzen des Seminars und seiner Fachdisziplin hinaus.

Die inhaltliche Ausrichtung des Seminars in der Nachkriegszeit Die wesentlichen Veränderungen, die sich mit der Berufung Joachim Ritters ergaben, treten vor allem im 1947 gegründeten Collegium Philosophicum zutage. Ritter begann bereits kurz nach seiner Berufung in Münster einen Kreis von Lehrenden und Lernenden aus allen Fachdisziplinen um sich zu versammeln, um hier über philosophisch-politische Fragen zu diskutieren.210 Zwar wäre es nicht richtig, so Lübbe, von einer Ritter-Schule zu sprechen, die man durch einen disziplinären Positionsnamen charakterisieren könne.211 Ritter-Schüler wie Lübbe, Spaemann, Marquard, Kriele und Böckenförde, die sich zudem als solche verstanden, gab und gibt es jedoch bis heute.212 Das verbindende Moment muss dabei vor allem in der Philosophie Ritters zu suchen sein, über die Lübbe schreibt: „Als Historiker und Theoretiker der philosophischen Voraussetzungen und Grundlagen der modernen Welt war Joachim Ritters Hauptinteresse auf die Analyse der Prozesse konzentriert, die in der Geschichte dieser Welt die Subjektivität freigesetzt haben, das Individuum und seine Rechte, seine Privatheit und seine Innerlichkeit. Es sind das Prozesse, die in ihren sozialen, politischen und intellektuellen Rückwirkungen und Nebenwirkungen diese

208

209 210

211 212

ter am Institut für neuzeitliche Volksbildungsarbeit“ in Dortmund, 1946 Habilitation in Münster, 1946 Prof. an der Pädagogischen Akademie in Essen, Privatdozent in Münster, 1950 apl. Prof. in Münster, 1946 Ablehnung eines Rufes an die Katholisch-Theologische Fakultät Münster (Nachfolge Pfeil), 1956 Ablehnung eines Rufes nach Mainz, 1959 Ablehnung eines Rufes nach München (Nachfolge Dempf), 1959 Verlegung der Planstelle von der Pädagogischen Akademie Essen an die Katholisch-Theologische Fakultät Münster, Ordinariat für Philosophische Anthropologie, Fortführung von Lehrveranstaltungen am Philosophischen Seminar, 1972 Emeritierung. Vgl. Rohrmoser 2006, S. 87. Vor allem aber hatte der Aufenthalt in der Türkei auch eine tiefgreifende inhaltliche Veränderung bei Ritter zur Folge. Vom „Verfallstheoretiker reinsten Wassers“, so Rohrmoser, entwickelte er sich zum Modernitätstraditionalisten. Hacke 2006, S. 11. Vgl. ebd., S. 37, UAMs, Bestand 63, Nr. 100. Die Veranstaltungstitel lauteten unter anderem „Heideggers Kritik der Metaphysik“, „Hegels Logik“, „Das Problem der Dialektik“, „Der Philosophische Positivismus und Sören Kierkegaard“. Vgl. Lübbe 1978, S. 20, Sandkühler 2006, S. 5. Vgl. Hacke 2006, S. 14.

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freigesetzte Subjektivität zugleich gefährden, so daß diese des Schutzes der Institutionen und der Kompensationen bedarf, um sich halten zu können.“213

Ritter und seine Schüler strebten danach, „die Fortschrittsdynamik der wissenschaftlich-technischen Zivilisation zu begreifen und zugleich deren gesellschaftliche und individuelle Folgen durch skeptischen Modernitätstraditionalismus abzufedern.“214 Im Rückgriff auf Aristoteles und Hegel entwickelte Ritter dabei eine „Entzweiungsphilosophie“, die vor allem „beinhaltete, Gegensätze und Brüche der Moderne auszuhalten und niemals einen Denkweg als absolut zu optieren.“215 Gegen die Frankfurter Schule konnten die Ritter-Schüler so die Bedeutung der bestehenden Institutionen als stabilisierende Faktoren der gesellschaftlichen Ordnung hervorheben und mit einer „Philosophie der Bürgerlichkeit“ eine Legitimation der frühen Bundesrepublik vornehmen.216 Das politische Moment in der Philosophie Ritters und seiner Schüler lag demnach vor allem in einem „Liberalkonservatismus“217 beziehungsweise „Neokonservatismus“,218 der an der Marktwirtschaft ebenso festhielt wie am liberalen Prinzip der Gewaltenteilung. „Sucht man also für die frühe Bundesrepublik nach einer vergleichbaren intellektuellen Assoziation im wissenschaftlich-politischen Bereich“, so Hacke im Hinblick auf die erst später entwickelte Kritische Theorie, „wird klar, welche langfristige Ausnahmeerscheinung die Verbindung des Collegium Philosophicum in Münster darstellte.“219 Fachwissenschaftlich gesehen lag Ritters Vermächtnis nicht nur in der Initiierung des Historischen Wörterbuchs der Philosophie, dessen erste drei Bände er noch persönlich herausgeben konnte. Der Kreis um Joachim Ritter hatte vor allem einen wesentlichen Anteil an der Rehabilitierung der praktischen Philosophie,220 die insbesondere, mit Kritik an der Geschichtsphilosophie, eine funktionale Theorie des Umgangs mit der Geschichte in der modernen Zivilisation beinhaltete.221 Auch wenn die Philosophie Joachim Ritters damit nur grob skizziert und nur ein kleines Spektrum an Themen angesprochen ist, wird dennoch die enge Verbindung 213 214 215 216 217

218

219 220 221

Lübbe 1978, S.19 Hacke 2006, S. 31. Ebd., S. 39. Vgl. Gamm 2009, S. 281. Hacke 2006, S. 34. Der Begriff Liberalkonservatismus wird von Hacke selbst kritisch analysiert. Zu beachten ist, dass der Begriff Liberalkonservatismus zum einen eine Wertung enthält. Zum anderen haben sich Ritter-Schüler zu Beginn vermutlich selbst nicht als liberalkonservativ verstanden. Rohrmoser 2006, S. 83. Rohrmoser legt dar, dass Ritter und seine Schüler eine ganz andere Art des Konservatismus vertraten, der die Moderne nicht mehr ablehnte, sondern akzeptierte und zur Voraussetzung seiner Philosophie machte. Hacke 2006, S. 36. Die Kritische Theorie entstand laut Hacke erst in den 1950er- und 1960er-Jahren. Vgl. Gamm 2009, S. 277f., Hacke 2006, S. 48f. Vgl. Rohrmoser 2006, S. 84.

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von philosophischen und politischen Ideen deutlich. Das Philosophische Seminar in Münster erhielt damit bereits kurz nach dem Krieg eine bis dahin ungekannte politische und fachwissenschaftliche Wirkung, die über die Zeit der frühen Bundesrepublik hinausreichte.

Fazit Die Geschichte des Philosophischen Seminars von 1918 bis 1950 soll trotz der Nachkriegsereignisse nicht als eine teleologische Erfolgsgeschichte erscheinen. Vielmehr ging es darum die entscheidenden Einschnitte am Seminar zu beschreiben und deren Ursachen und Auswirkungen zu erklären, so dass größere Zeiträume berücksichtigt werden mussten. Dabei konnte nicht zuletzt anhand der Berufungspolitik und den daraus resultierenden Entwicklungen gezeigt werden, dass die Umbrüche nicht zwangsläufig mit den politischen Zäsuren zusammenfallen mussten. Die entscheidenden Einschnitte am Seminar waren vor allem mit den Berufungen in der späten Weimarer Republik und der unmittelbaren Nachkriegszeit verbunden. Zunächst waren es Scholz und Wust, die das Seminar ab 1928 durch Förderungen ausbauten und inhaltlich stärker positionierten. Obwohl beide über die politischen Umbrüche 1933 hinweg ihre Tätigkeit fortsetzen konnten, erlebte lediglich der Fachbereich von Scholz Mitte der 1930er-Jahre seinen vorläufigen Höhepunkt. Die Gründe für die unterschiedliche Entwicklung der beiden Philosophischen Abteilungen lagen dabei nicht zuletzt auch in den inhaltlichen Divergenzen der beiden Ordinarien: auf der einen Seite der christliche Existenzphilosoph mit Wurzeln im politischen Katholizismus Wust, der erheblichen Repressionen ausgesetzt war, und auf der anderen Seite der Logiker und „Kulturprotestant“ Scholz, der mit seiner neuen Ausrichtung nach eigener Ansicht wenig zu befürchten hatte. Dass seine Ausrichtung aber nicht aufgrund der politischen Umbrüche erfolgte und er auch sonst wenig Zugeständnisse an die neuen Machthaber machte, wurde nicht zuletzt durch seinen Einsatz für die polnischen Kollegen deutlich. Mit der Abspaltung seiner Abteilung und der Einrichtung als Logistisches Seminar erlebte Scholz in der Folgezeit allerdings eine ganz eigenständige Entwicklung, die hier nur am Rande thematisiert werden konnte. Festzuhalten bleibt für die Zeit von 1933 bis 1945, dass es auf der einen Seite kaum Versuche gegeben hat, sich den Nationalsozialisten durch Parteibeitritte oder Beteiligung an Projekten anzunähern. Auf der anderen Seite hatten aber auch die Nationalsozialisten, abgesehen von den Berufungsvorgängen im Jahre 1940, offenbar ein geringes Interesse, das Seminar nach eigenen Plänen zu gestalten. In der unmittelbaren Nachkriegszeit war schließlich vor allem die Berufung Joachim Ritters entscheidend, der als „Organisator“ den Aufbau vornahm. Auf der Grundlage seiner philosophischen Ausrichtung übten er und seine Schüler in der Folgezeit erheblichen Einfluss auf die Fachwissenschaft und die Politik der frühen

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Bundesrepublik Deutschland aus. Dass dieser Einfluss mehr als ein konstruierter Mythos ist, konnte dabei nicht zuletzt durch die Studie von Hacke hinreichend belegt werden. Insgesamt ist die Zeit von 1918 bis 1950 für das Seminar mit tiefgreifenden institutionellen und personellen Veränderungen verbunden. Insbesondere für die Nachwuchswissenschaftler waren viele dieser Veränderungen mit negativen Folgen verbunden. In der Zeit von 1933 bis 1945 gehörten sie wie Goldschmidt, Janssen und Schwarz zu denjenigen, die entlassen wurden, oder wie Becker-Freyseng und Pfeil erheblichen Repressionen ausgesetzt waren. Erst in diesem Kontext wird deutlich, weshalb sich einige Wissenschaftler wie Ritter genötigt sahen, der Partei beizutreten. Dass sich andere wie Krüger erfolgreich wehrten und dennoch einen Lehrstuhl erhielten, erlaubt im Umkehrschluss aber kein moralisches Urteil, sondern fordert zur genauen Recherche des Einzelfalls auf. In diesem Sinne ging es auch hier darum, Gründe zu benennen und Kontexte zu erschließen, die Urteile ermöglichen können.222

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222

Vgl. Sandkühler 2006, S.146.

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Prähistorie und Nationalsozialismus an der Westfälischen Wilhelms-Universität Die Prähistorische Archäologie1 – nach 1933 wie kaum ein anderes Fach „von den Nazis hofiert“2 – fand verstärkt im Verlauf der 1930er-Jahre Eingang in den akademischen Fächerkanon der Mehrzahl der deutschen Universitäten, nachdem sich die Disziplin zunächst vor allem außeruniversitär entwickelt hatte. Auch an der Universität Münster wurde erst während der NS-Zeit ein Lehrstuhl für Vorgeschichte geschaffen, dessen Einrichtung von langwierigen Auseinandersetzungen gekennzeichnet war. Um das Ordinariat für Prähistorie konkurrierten in Münster zwei Wissenschaftler: Julius Andree, der seit 1932 der NSDAP angehörte, und August Stieren, der kein Parteimitglied war. In dem langjährigen und zunehmend intensivierten Konflikt zwischen den beiden Prähistorikern konnte sich Andree letztlich nicht gegen Stieren durchsetzen. Daher schien nach 1945 eine eindeutige Bewertung der NS-Geschichte des Faches an der Universität Münster möglich, die unter anderem der sogenannten „Bollwerkthese“3 entsprach und der Annahme folgte, die Vorgeschichtsforschung habe sich in Münster dem Nationalsozialismus weitgehend entzogen. Konzentriert auf den Konflikt zwischen Stieren und Andree traten dabei Fragen nach den Verbindungen zwischen Prähistorie und Nationalsozialismus in den Hintergrund. Diesbezüglich zu nennen ist insbesondere ein Beitrag, der 1980 in der Festschrift zum 200-jährigen Jubiläum der Universität Münster erschien.4 In diesem Artikel lieferte Narr eine kurze Darstellung der Entwicklung der Ur- und Frühgeschichte in Münster und attestierte unter Verweis auf den Konflikt zwischen Stieren und Andree eine „Abwehr der nationalsozialistischen Tendenz“.5 In den wenigen bislang vorliegenden Publikationen, in denen die NS-Geschichte des Faches in Münster Erwähnung fand, wurde dieses pauschale Urteil im Kern bestätigt und zudem teils für die außeruniversitäre Vorgeschichtsforschung übernommen, da Stieren auch in diesem Bereich in der NS-Zeit zentrale Positionen in1

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Verbreitet wird die Prähistorische Archäologie auch als Vorgeschichte oder Ur- und Frühgeschichte bezeichnet. In der vorliegenden Arbeit werden diese Begriffe daher synonym verwendet. Den Forschungsgegenstand dieser Disziplin bildet jener Zeitraum der Geschichte des Menschen, aus dem entweder keine oder nur wenige Schriftzeugnisse vorliegen. Siehe zum Beispiel Eggert/Samida 2009, S. 13–14. Hausmann 2002, S. XXII. Siehe dazu zum Beispiel Droste 2010, S. 194. Narr 1980. Ebd., S. 422.

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nehatte. An dieser Stelle ist die Untersuchung von Fausser anzuführen, die sich in einem Kapitel ihrer im Jahr 2000 veröffentlichten Magisterarbeit mit dem Konflikt um den Lehrstuhl für „Deutsche Vorgeschichte“ befasste.6 Die außeruniversitäre Entwicklung des Faches in Münster streifte Ditt, der sich 1988 in seiner Habilitationsschrift der Kulturpolitik des Provinzialverbandes Westfalen von 1923 bis 1945 widmete.7 Daneben lieferten schließlich Trier und Sicherl in einer Festschrift aus dem Jahr 2006 einen zwar relativ informationsreichen, aber wenig kritischen Beitrag zur Geschichte der westfälischen Altertumskommission.8 Die vorhandene Literatur, in der die lokale Entwicklung des Faches in der NS-Zeit thematisiert wurde, stellt sich somit übersichtlich dar. Ferner basierten die genannten Veröffentlichungen, die sämtlich der These von der „Abwehr des Nationalsozialismus“ folgten, auf dem Forschungsstand der 1980er- beziehungsweise 1990er-Jahre. Eine kritische Aufarbeitung der allgemeinen Fachgeschichte ist allerdings erst seit zehn bis 15 Jahren auszumachen.9 Das zuvor dominierende Bild von der Geschichte des Faches der Ur- und Frühgeschichte im Nationalsozialismus implizierte vor allem eine einfache Teilung: auf der einen Seite eine ideologiegeleitete, völkische Vorgeschichtswissenschaft im Amt Rosenberg, deren prominentester Vertreter, Hans Reinerth, nach Kriegsende aus der Wissenschaft ausgeschlossen wurde, sowie auf der anderen Seite eine „wertfreie“ und „sachliche“ Forschung, die, meist unter dem Schutzschirm des SS-Ahnenerbes, von der Mehrheit „unpolitischer“ Fachleute betrieben worden sei.10 An der Etablierung dieser „beunruhigenden Forschungslegenden“,11 die prinzipiell den aus der archäologischen „scientific community“ exkommunizierten Reinerth zum „Alleinschuldigen“ erklärten,12 während der Großteil der Wissenschaftler „die Auslieferung des Faches an die Nazis“13 verhindert hätte, änderten auch die Ende der 1960er-Jahre erarbeiteten Dissertationen von Kater zum SS-Ahnenerbe14 und von Bollmus zum Amt Rosenberg15 nichts. Beide Arbeiten, die neben den Archivalien des Amtes Rosenberg und des SS-Ahnenerbes auch Zeitzeugeninterviews mit Wissenschaftlern, die ihre Karrieren nach 1945 fortgesetzt hatten, heranzogen,

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9 10 11 12 13 14 15

Fausser 2000, S. 21–43. Ditt 1988. Sicherl 2006, Trier 2006; eine inhaltlich in wesentlichen Punkten fast identische, allerdings weniger umfangreiche Fassung dieser Publikation erschien bereits in den 1990er-Jahren, Trier 1997. Halle/Schmidt 1999, S. 41. Strobel/Widera 2009, S. 11–12. Halle 2009, S. 243. Jagust 2009, S. 285. Halle/Schmidt 1999, S. 42. Kater 1974. Bollmus 1970.

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verifizierten vielmehr die „forschungsgeschichtlichen Mythen, die sich in der oralen Tradition des Faches gebildet hatten“.16 Neuere Forschungen belegen hingegen zunehmend deutlich, dass sich eine Vielzahl der Prähistoriker „weitaus mehr als bisher dargestellt mit dem Nationalsozialismus eingelassen“17 hat, „wobei nicht eine hundertprozentige Übereinstimmung, sondern schon Teilübereinstimmungen prägend und systemstabilisierend wirkten“.18 Das von Bollmus und Kater geprägte Modell von zwei rivalisierenden Machtblöcken, das lange reduziert auf einen simplifizierten Dualismus – dilettantische beziehungsweise ideologieverzerrte Wissenschaft im Amt Rosenberg und „saubere“ Wissenschaft im SS-Ahnenerbe – interpretiert wurde, hat somit in den letzten Jahren eine Ausdifferenzierung erfahren. Zwar ist zu konstatieren, dass dieses Modell damit „seine erklärende Kraft bis heute nicht völlig verloren hat“,19 aber wie Strobel und Widera 2009 weitergehend feststellten, offenbart es Schwächen „gerade dort, wo Akteure ihr Verhalten auf regionale und lokale Bedingungen ausrichten mussten“.20 Da neuere Forschungen zur Geschichte der Disziplin auf äußerst enge und vielfältige Verbindungen zwischen Prähistorie und Nationalsozialismus hinweisen, verstärken sich auch die Zweifel an der lokalen „Abwehrthese“ beziehungsweise „Bollwerkthese“. Das Ziel des vorliegenden Aufsatzes ist es daher, die pauschale Feststellung einer „Abwehr der nationalsozialistischen Tendenz“ im Hinblick auf die Vorgeschichtsforschung in Münster zu überprüfen.

Zur Entwicklung des Faches Ur- und Frühgeschichte Im Zusammenhang mit wachsendem Nationalismus in weiten Teilen Europas im 19. Jahrhundert ist auch eine Hinwendung vor allem der bürgerlichen Eliten zu der jeweils heimischen Urgeschichte zu konstatieren.21 Im Zuge einer zunehmenden Professionalisierung des Faches kam es unter anderem 1902 zur Gründung der Römisch-Germanischen Kommission. Bereits zu diesem Zeitpunkt zeigte sich, dass das Fach von einem grundlegenden Gegensatz geprägt war, denn die „geschichtsbedingten Unterschiede im archäologischen Quellenmaterial – im Süden und Westen Deutschlands mit der antiken römischen Hinterlassenschaft, im Norden und Osten mit eher unscheinbaren archäologischen Quellen einer eigenen Vergangenheit – erzeugten Neid und regionale Befindlichkeiten“.22 16 17 18 19 20 21 22

Halle/Schmidt 1999, S. 42. Ebd. Kaiser 2004. Strobel/Widera 2009, S. 13. Ebd. Siehe dazu zum Beispiel Halle 2009, S. 243–244. Halle 2008, S. 102.

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Dieser Gegensatz entwickelte sich zu einer Auseinandersetzung um Forschungsmethoden und -ergebnisse, die die entstehende Wissenschaft in zwei Lager spaltete.23 Auf der einen Seite ist die von Gustaf Kossina, dem ersten Inhaber des außerordentlichen Lehrstuhls in Berlin, beschriebene hypothetische „siedlungsarchäologische Methode“ zu verorten, die weite Teile Mitteleuropas zu germanischem Siedlungsgebiet erklärte und aus der Annahme einer „altgermanischen Kulturhöhe“ eine kulturelle Sendung aus dem Norden ableitete.24 Auf der anderen Seite finden sich die Arbeiten der Römisch-Germanischen Kommission, die eine kulturelle Abhängigkeit des Nordens vom Süden annahmen und Kossinnas Methoden bestritten. Dieser Konflikt war damit zunächst eine rein fachliche Auseinandersetzung einer im Aufschwung begriffenen Wissenschaft. Der enorme Ausbau der Ur- und Frühgeschichte in den 1930er-Jahren ist ein viel zitiertes Beispiel für eine bereits zeitgenössisch so bezeichnete „Weltanschauungswissenschaft“.25 Auch wenn es im Nationalsozialismus kein einheitliches Vorgeschichtsbild gab,26 besaß die Ur- und Frühgeschichte für die Nationalsozialisten einen hohen ideologischen und propagandistischen Stellenwert. Der fachgeschichtlichen Forschungsliteratur sind im Wesentlichen drei Merkmale zu entnehmen, die die Urund Frühgeschichte nach nationalsozialistischer Weltanschauung förderungswürdig machten. Erstens wurde die Möglichkeit gesehen, aus archäologischen Quellen das Expansionsstreben des NS-Reiches abzuleiten. Besonders geeignet erschien dabei zum Beispiel ein Rückgriff auf Kossinnas Theorien, sodass der Ausgangspunkt der geschichtlichen Entwicklung Europas in ein germanisches Mitteleuropa verlegt wurde.27 Damit zusammenhängend konnte zweitens ein bestimmtes Germanenbild vermittelt werden, das unter anderem an Thesen von einer „Kulturhöhe der Germanen“ anknüpfte. Zugleich war das Fach drittens „ein ideales ‚Transportmittel‘ für ideologische Botschaften“,28 die Hassmann mit Stichworten wie Kameradschaft, Ordnung, Volk, Führer und Gefolgschaft, Ehre, Treue, Mutterkult, Heimat, Opferbereitschaft, Heldentum und -tod umschreibt.29 23

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In der Literatur und so auch in dieser Arbeit wird diese Konfliktlinie zwecks einer sprachlichen Vereinfachung häufig als Gegensatz beziehungsweise Auseinandersetzung zwischen „ostdeutschen“ und „westdeutschen“ Prähistorikern bezeichnet. Dabei ist zu beachten, wie Bollmus schon in seiner Dissertation anmerkte, dass „die ‚Schulen‘ […] in dieser Klarheit natürlich nie geschieden“ waren. Bollmus 1970, S. 163. Siehe zu Kossinna die umfangreiche Biographie von Grünert 2002; speziell zur „siedlungsarchäologischen Methode“, S. 71–75, sowie zur „altgermanischen Kulturhöhe“, S. 271–274. Hassmann 2002, S. 108. Siehe dazu Pape 2002, S. 358. Führende Nationalsozialisten entwickelten zudem ihre jeweils spezifischen Vorstellungen über die Bedeutung dieses Faches. Siehe dazu zum Beispiel Halle 2002, S. 57–65. Ebd., S. 66. Hassmann 2002, S. 110. Ebd.

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Versehen mit dem Status einer „weltanschauliche[n] Grundwissenschaft“30 und bedingt durch steigende finanzielle und personelle Ausstattung, vollzog sich ein rasanter Aufschwung des Faches, der sich unter anderem in der Bodendenkmalpflege und an den Universitäten feststellen und quantifizieren lässt.31 Folglich stieg die Zahl vorgeschichtlicher Lehrveranstaltungen,32 und ebenso verdeutlicht der enorme Anstieg an Promotionen die verbesserten Studienbedingungen.33 Schon zu Beginn der 1930er-Jahre hatten sich Fachwissenschaftler beider Lager der NSDAP angeschlossen,34 doch Anfang 1933 begann ein „Wettkampf zwischen den verschiedenen fachwissenschaftlichen Gruppierungen, um die Gunst und Aufmerksamkeit der neuen Machthaber“.35 Prähistoriker traten in großer Zahl in die NSDAP ein, und auch der 1929 von Alfred Rosenberg gegündete „Kampfbund für deutsche Kultur“36 – beziehungsweise die dort 1932 unter Hans Reinerth ins Leben gerufene „Fachgruppe für Vorgeschichte“, in der sich vorwiegend Anhänger Kossinnas organisierten – erfuhr eine Beitrittswelle.37 In den ersten Monaten des Jahres 1933 bot der Kampfbund Reinerth, der von Rosenberg beständig protegiert wurde, eine Plattform für verstärkte Angriffe auf die westdeutschen Forscher und speziell auf die Römisch-Germanischen Kommission. Am 16. Mai 1933 eröffnete Reinerth in Tübingen mit dem Vortrag „Der Kampf um die deutsche Vorgeschichte“ eine Reihe von reichsweiten Kundgebungen.38 Reinerth betonte nicht nur, dass „die Rassenkunde […] als Grundlage aller Wissenschaft anerkannt werden [müsse]“, sondern formulierte drastische Anschuldigungen speziell gegenüber der Kommission. Diese habe sich lediglich auf die „bis zum Überdruß durchforschte provinzialrömische Fremdkultur“ beschränkt.39 30 31

32 33 34 35 36

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39

Halle 2009, S. 248. Pape liefert dazu statistische Auswertungen, die unter anderem belegen, dass die Anzahl der ordentlichen und außerordentlichen Lehrstühle von sechs im Jahr 1933 bis 1943 auf 15 anstieg. Pape, Ur- und Frühgeschichte, 2002, sowie Pape, Zur Entwicklung, 2002. Pape, Zur Entwicklung, 2002, S. 174. Ebd., S. 170. Siehe zum Beispiel Halle 2002, S. 506, sowie graphisch aufbereitet Pape, Ur- und Frühgeschichte, 2002, S. 346–347. Halle 2008, S. 123. Detaillierte Darstellungen des Verlaufs der Konfrontation von 1933 bis 1945 finden sich bei Bollmus 1970, S. 153–235, sowie bei Halle 2002, S. 139–503. Der Kampfbund, der offiziell nicht zu den Parteigliederungen der NSDAP gehörte, lässt sich charakterisieren als „rassistisch, extrem nationalistisch, antisemistisch und gegen die Moderne“. Pape, Zur Entwicklung, 2002, S. 176. Siehe Pape, Ur- und Frühgeschichte, 2002, S. 342–347. Bollmus 1970, S. 154–157, der Auszüge aus dem Vortrag nach einem Rundschreiben Reinerths vom 22.5.1933 zitierte. Dieses ist auf Mikrofilm in den National Archives Washington überliefert: National Archives Washington, EAP/328. Soweit nicht anders angegeben, sind die folgenden Zitate ebd. entnommen. Der Vorwurf, die Arbeit der Römisch-Germanischen Kommission hätte sich allein auf die provinzialrömische Epoche begrenzt, war offensichtlich unzutreffend. So veröffentlichte die Kommission unter anderem seit 1923 die Publikationsreihe „Germanische Denkmäler der Frühzeit“. Siehe Bollmus 1970, S. 156.

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Ferner habe die Kommissions-Gruppe, statt die „Zeugnisse der Kulturhöhe“ anzuerkennen, die „Lüge“ vom „Barbarentum“ der Vorfahren verbreitet. Ohne den verstorbenen Prähistoriker Kossinna direkt zu nennen, zielten Reinerths Ausführungen darauf, die Thesen Kossinnas „zur parteiamtlichen Doktrin [zu] erheben“.40 Reinerth beanspruchte für sich eine Art „Monopol auf die richtige nationalsozialistische Gesinnung“, wie besonders in seiner Replik auf die Erwiderungen der angegriffenen westdeutschen Forscher deutlich wird: „Die gegen mich vorgebrachten Anschuldigungen sind letzten Endes Anschuldigungen gegen die nationalsozialistische Weltanschauung“.41 Die Auseinandersetzungen zwischen den beiden Lagern kulminierten in dem Konflikt um ein „Reichsinstitut für deutsche Vorgeschichte“, für dessen Aufbau Reinerth umfangreiche Pläne vorlegte, welche drei zentrale Grundforderungen enthielten.42 Ein zu schaffendes Reichsinstitut unter seiner Leitung sollte erstens die Befugnis zur Überwachung des Lehr- und Forschungsbetriebs erhalten und somit beispielsweise die Einrichtung und Besetzung von Lehrstühlen kontrollieren. Zudem wurde zweitens das alleinige Recht zur Ausübung des Denkmalschutzes gefordert sowie ein Weisungsrecht für die Arbeit der Museen und Denkmalämter. Drittens war die Auflösung der Römisch-Germanischen Kommission vorgesehen und die Entlassung ihres „nicht-arischen“ Direktors Gerhard Bersu. Rosenberg, dem diese Pläne nach Heuss „die totale Steuerung des Faches Vorgeschichte garantieren“43 sollten, begann bereits im Frühjahr 1933 Verhandlungen mit dem Preußischen Kultusminister Bernhard Rust, die er ab 1934 mit dem neu eingerichteten Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung fortführte. Mit den Forderungen Reinerths, die unter anderem eine Forschungsausrichtung allein auf eine „germanische Vorgeschichte“ vorsahen, konnten sich zahlreiche Prähistoriker identifizieren. Ablehnung herrschte erwartungsgemäß in den Reihen der Kommission, die Gegenentwürfe erarbeitete und diese bereits im Mai 1933 dem Preußischen Kultusministerium, dem Reichsinnenministerium und dem Auswärtigen Amt vorlegte.44 Bis etwa 1935 versuchten beide Lager mit lediglich bedingtem Erfolg, ihre jeweilige Position zu stärken.45 Die „polarisierende Persönlichkeit Reinerths“46 bot den Wissenschaftlern aus dem Umfeld der Römisch-Germanischen Kommission wiederholt die Möglichkeit, Angriffe gegen den Schützling Rosenbergs auf dem Wege der persönlichen Verunglimpfung zu lancieren. Zugleich waren die westdeutschen 40 41 42 43 44 45 46

Ebd., S. 157. National Archives Washington, EAP/328, Entgegnung Reinerths, 29.10.1933, hier zitiert nach Bollmus 1970, S. 158. Siehe zum Beispiel Bollmus 1970, S. 162–164. Heuss 2000, S. 138. Siehe Halle 2002, S. 158–160. Die verschiedenen Maßnahmen, Aktionen und Reaktionen der beiden Lager sind unter anderem ausführlich dargestellt bei Halle 2002, S. 139–189. Bollmus 2002, hier S. 26.

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Prähistoriker bemüht, verschiedene Staats- und Parteistellen für ihre Belange zu interessieren.47 Auf der anderen Seite versuchte Reinerth vor allem über den Weg der Gleichschaltung der Altertumsverbände seine Machtposition weiter auszubauen.48 Der zu diesem Zweck 1933/34 gegründete „Reichsbund für Deutsche Vorgeschichte“, dessen Leitung Reinerth übernahm,49 war allerdings nur begrenzt erfolgreich und blieb laut Pape „nominell ein privatrechtlicher Verein“,50 der lediglich durch die Verbindung zu Rosenberg „halboffiziellen Charakter“51 erhielt. Nachdem Rosenberg im Januar 1934 von Hitler zum „Beauftragten des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP“ ernannt worden war, wurde im Juni innerhalb der neugeschaffenen Dienststelle, dem so genannten Amt Rosenberg, eine Abteilung für Vorgeschichte eingerichtet, deren Leitung Reinerth übernahm. Durch Personalunion war der Reichsbund praktisch ein Teil des Amtes Rosenberg und erhielt von diesem den Auftrag zur Gleichschaltung der Vorgeschichtswissenschaft.52 Die Befugnisse der neuen Dienststelle waren hingegen nicht verbindlich festgelegt, und den Status der Abteilung Reinerths als „einzige parteiamtliche Stelle für deutsche Vorgeschichte“ hatte sich Rosenberg selbst zugelegt.53 Zur gleichen Zeit, etwa 1934/35, ergaben sich verstärkte Beziehungen der Gruppe der Römisch-Germanischen Kommission zur SS.54 Nach Halle kam dabei dem anerkannten Fachwissenschaftler und ehemaligen Reisestipendiaten der Kommission Alexander Langsdorff, seit Oktober 1933 Mitglied der SS, eine bedeutende Rolle zu.55 Dieser arbeitete seit Frühjahr 1935 eng mit Hans Joachim Apffelstaedt,56 dem Kulturreferenten der Provinzialverwaltung des Rheinlandes, zusammen und regte die Kooperation von Provinzialverband und SS an. Als Himmler am 1. Juni 1935 47 48 49

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Halle 2002, S. 188. Siehe zum Beispiel Halle 2008, S. 125, sowie die detaillierten Ausführungen bei Bollmus 1970, S. 172–178. Der Reichsbund entstand durch Zusammenschluss der Kampfbund-Fachgruppe für Vorgeschichte mit der „Gesellschaft für deutsche Vorgeschichte“. Letztere war bereits 1909 von Kossinna gegründet worden und zählte neben einer größeren Zahl wissenschaftlicher Laien vorwiegend Fachleute aus Nord-, Mittel- und Ostdeutschland zu ihren Mitgliedern. Siehe Bollmus 1970, S. 173. Pape, Ur- und Frühgeschichte, 2002, S. 348. Ebd. Siehe ebd. Bollmus 1970, S. 161–162. Halle 2008, S. 126–127. Laut Halle kann bislang nicht näher bestimmt werden, wie die Verbindung konkret zustande kam. Bisher noch nicht untersucht ist unter anderem die Rolle, die dabei das Rasse- und Siedlungshauptamt mit der Abteilung „Vorgeschichte“ übernahm. Halle 2002, S. 345–346, sowie zu Langsdorff auch Bollmus 1970, S. 167–168, und Kater 1974, S. 20–24. Zu Apffelstaedt, der seit 1927 Mitglied der NSDAP war, siehe zum Beispiel Bollmus 1970, S. 190.

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Langsdorff in den „Persönlichen Stab Reichsführer-SS“ zur Leitung der „Abteilung Ausgrabungen“ berief, war damit laut Halle die Verbindung zwischen den westdeutschen Prähistorikern und der SS hergestellt.57 Im Sommer 1935 hatten somit Wissenschaftler beider Seiten den Konflikt in die oberste Parteihierarchie ausgedehnt. Nach dem Ende einer „Orientierungsphase“58 wurde dieser nun verstärkt als Auseinandersetzung zwischen dem Amt Rosenberg und der SS geführt. Aus einem fachwissenschaftlichen Konflikt wurde damit eine brisante politische Auseinandersetzung, deren Auswirkungen sich in Münster in dem Streit um die Einführung eines Ordinariats für Prähistorische Archäologie niederschlugen.

Zur Entwicklung des Faches in Münster bis 1933 Die Anfänge der wissenschaftlichen Vorgeschichtsforschung in Münster beziehungsweise in Westfalen haben, der allgemeinen Fachentwicklung entsprechend, außeruniversitäre Wurzeln, die bis in das 19. Jahrhundert zurückreichen.59 Besonders bedeutsam war die Gründung der „Altertumskommission für Westfalen“ im Jahre 1896, deren Mitglieder Fachwissenschaftler und aktive Laien waren. Diese übernahmen, obwohl ehrenamtlich tätig, im Bereich der Denkmalpflege Aufgaben des 1886 gegründeten Provinzialverbandes,60 der die Ausgrabungen, Inventarisierungsarbeiten und Publikationen der Kommission finanziell unterstützte, sodass diese Arbeiten laut Trier „zumindest halbamtlichen Charakter“61 erhielten. Allgemein der Landesgeschichte verpflichtet konzentrierten sich die Forschungen der Altertumskommission auf die „aus älteren Zeiten“62 vorhandenen Befestigungsanlagen. Einen Schwerpunkt bildete die Beschäftigung mit vor- und frühgeschichtlichen Wallburgen und Ringwällen, doch richtete sich der Fokus gemäß des Auftretens in beziehungsweise der Bedeutung für Westfalen vor allem auf römische

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Halle 2008, S. 127. Ebd. 1824/25 wurde der „Verein für Geschichte und Altertumskunde Westfalens“ gegründet, der mit dem Aufbau einer Sammlung archäologischer Funde aus der Region begann. Mit den so genannten „Dotationsgesetzen“ von 1873/75 hatte der Preußische Staat einen Teil seiner Kompetenzen und entsprechende finanzielle Mittel an die entstehenden Provinzialverbände delegiert, deren Aufgabenspektrum die Förderung der Wirtschaft, des Gesundheitswesens, der Fürsorge und des Kulturlebens der jeweiligen Provinz umfasste. Im Bereich der Kultur konzentrierte sich die Unterstützung auf Kunst und Wissenschaft mit regionalem Bezug und zielte vor allem auf „die Sicherung der kulturellen Überlieferung in den Provinzen“. Ditt 1988, S. 41. Zur Geschichte des Provinzialverbandes Westfalens zum Beispiel Weißer 2007. Trier 1997, S. 16. Stieren 1930, S. 229.

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Hinterlassenschaften.63 Die wissenschaftliche Tätigkeit in Westfalen war nach Halle zu Beginn des 20. Jahrhunderts vor allem durch die praktische Ausgrabungsarbeit gekennzeichnet, sodass sich in den Archivalien und Publikationen kaum Hinweise auf die Kontroverse um die Methode der „ethnischen Deutung“ und die Auseinandersetzungen zwischen ost- und mitteldeutschen Prähistorikern mit der RömischGermanischen Kommission finden.64 Doch auch in Westfalen zeigte sich eine allgemeine Unzufriedenheit über Missstände im Bereich der Bodendenkmalpflege, da angesichts steigender Baumaßnahmen zunehmend archäologische Quellen verloren gingen.65 Nachdem das Preußische Ausgrabungsgesetz von 1914 schließlich 1920 mit Ausführungsbestimmungen versehen wurde, konnten zwar 1922 in Westfalen sechs „Vertrauensleute für kulturgeschichtliche Bodenaltertümer“ aus den Reihen der Altertumskommission ernannt werden, jedoch blieben die bemängelten Probleme und strukturellen Defizite bestehen.66 Um diese Missstände zu beheben, wurden 1925 eine Assistentenstelle und eine Abteilung für Vor- und Frühgeschichte am Landesmuseum für Kunst nach Drängen der Altertumskommission vom Provinzialverband eingerichtet.67 Neben der Sammlung archäologischer Funde sollten dort zugleich Aufgaben im Bereich der Bodendenkmalpflege übernommen werden. Auf Vorschlag der Altertumskommission wurde die Stelle mit einem ihrer Mitglieder, August Stieren,68 besetzt. Die Ur- und Frühgeschichtsforschung in Westfalen beziehungsweise Münster hatte sich somit in den ersten drei Dekaden des 20. Jahrhunderts im außeruniver63

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In Haltern, wo bereits 1838 ein römisches Lager entdeckt worden war, begann 1899 die erste Grabung der Kommission. In den folgenden Jahrzehnten bildeten die Arbeiten in Haltern eine der Hauptaufgaben der Altertumskommission und lieferten mit finanzieller und personeller Unterstützung des Deutschen Archäologischen Instituts und der Römisch-Germanischen Kommission wichtige Beiträge für die provinzialrömische Forschung. Sicherl 2006, S. 21. Halle 2002, S. 102. Beispielsweise konnten auch die Not- und Rettungsgrabungen der Altertumskommission nicht mit dem Wachstum der Stadt Haltern Schritt halten, sodass Teile des römischen Militärlagers überbaut wurden. Trier 1997, S. 17. Sicherl 2006, S. 32–33. Die ehrenamtliche Tätigkeit der „Vertrauensleute“ in ihren jeweiligen Gebieten blieb weitestgehend unkoordiniert und unwirksam. Zudem erschwerte neben finanziellen Schwierigkeiten vor allem die Zersplitterung der westfälischen Museumslandschaft den Zugang der Forschung zu bereits geborgenen Funden. Ebd., S. 34. August Stieren, geb. 1885, studierte in Freiburg und Münster Germanistik, Geschichte und Altertumskunde. 1911 beendete er seine Dissertation an der Universität Münster. Seit den frühen 1920er-Jahren war er Mitglied der Altertumskommission, leitete dort einen Großteil ihrer Grabungen und baute seit 1925 eine vorgeschichtliche Schausammlung für den Provizinalverband auf. Als kompetentester und einziger hauptamtlicher prähistorischer Archäologe der Provinz bildete er die zentrale Anlaufstelle im Bereich der Bodendenkmalpflege, zudem wurde er 1930 zum neuen Vorsitzenden der Altertumskommission gewählt.

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sitären Bereich intensiviert und konzentriert. In dem offiziellen Lehrangebot der Universität Münster war die Prähistorie hingegen noch nicht zu finden. Der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät erschien jedoch im Januar 1930 eine „Vertretung dieses Gebietes im Lehrplan der Universität […] dringend erwünscht angesichts der wachsenden Bedeutung der prähistorischen Wissenschaft“.69 Daher richtete Dekan Hermann Wätjen die Bitte an den Preußischen Kultusminister, Stieren „mit der Abhaltung von Vorlesungen und Übungen aus dem Gebiete der prähistorischen Archäologie als beauftragten Dozenten […] zu betrauen“.70 Das Schreiben zielte auf eine Partizipation an der außeruniversitären Vorgeschichtsforschung, denn ein „besonderer Gewinn […] würde für die Forschung und Lehre der Universität gerade in der Verbindung mit der praktischen Bodenforschung der Provinzialverwaltung liegen“.71 Der Dekan, dessen Argumentation konsequent auf Stieren ausgerichtet war,72 betonte Nutzen und Effektivität dieser Verbindung, da die Universität nicht in der Lage sei, beispielsweise eine eigene Seminarbibliothek aufzubauen.73 Der angestrebte Lehrauftrag wurde im Mai 1930 erteilt,74 und damit hatte Stieren „die Schlüsselpositionen für das Fach Vor- und Frühgeschichte in Westfalen besetzt“.75 Zwar war die Fakultät 1930 der Meinung, dass „die an sich wünschenswerte Errichtung einer eigenen Professur […] noch nicht in naher Aussicht stehen [dürfte]“,76 doch gaben die zuständigen Universitätsstellen diese Zurückhaltung 1933 auf, und auch im außeruniversitären Bereich erfolgten vielfältige Veränderungen.

Auswirkungen des politischen Systemwechsels von 1933 auf die Altertumskommission und das Landesmuseum Da das Fach Ur- und Frühgeschichte in Münster in außeruniversitären Einrichtungen konzentriert war, ist hinsichtlich der Frage nach den Auswirkungen des politi69 70 71 72

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UAMs, Bestand 9, Nr. 1390, Dekan an Minister, 22.1.1930. Ebd. Ebd. Ebd. Nach Wätjen galt Stieren als „vorzügliche wissenschaftliche Kraft“ und „als ein ausgezeichneter methodischer Ausgräber“, der über „umfassende wissenschaftliche Kenntnis“ verfüge und zudem ein „ausgezeichnete[r] Kenner der westfälischen Vor- und Frühgeschichte“ sei. Ebd., „Die Heranziehung von Studierenden und ihre Schulung bei Ausgrabungen, die Möglichkeit, ihnen Sammlungen und vor allem auch die mit erheblichen Mitteln im Aufbau befindliche Lehrmittelsammlung, der Stieren vorsteht, zugänglich zu machen, wäre ein außerordentlicher Gewinn.“ Ebd., Minister an Stieren, 19.5.1930. Trier 1997, S. 21. Trier nahm allerdings fälschlich an, Stieren sei bereits 1930 zum außerordentlichen Professor ernannt worden. UAMs, Bestand 9, Nr. 1390, Dekan an Minister, 22.1.1930.

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schen Systemwechsels von 1933 der Blick zunächst auf die Altertumskommission und die vorgeschichtliche Abteilung des Landesmuseums zu richten. Bereits Ende der 1920er-Jahre war die Altertumskommission dem neu gegründeten „Provinzialinstitut für Westfälische Landes- und Volkskunde“ beigetreten, das in Trägerschaft der Provinzialverwaltung auch eine „Historische Kommission“ sowie eine „Volkskundliche Kommission“ unter seinem Dach vereinte.77 Um den veränderten politischen Bedingungen Rechnung zu tragen, erhielt das Provinzialinstitut auf Veranlassung des Provinzialausschusses im Juli 1933 eine neue Satzung, die eine modifizierte Zusammensetzung des Verwaltungsrates vorsah, dem nun unter Leitung des Landeshauptmanns neben den Kommissionsvorsitzenden und weiteren Mitgliedern auch die Gaukulturwarte Westfalen-Nord und Westfalen-Süd angehörten.78 Ferner wurden in der Folge sowohl die Vorsitzenden als auch die Mitglieder der Kommissionen nicht mehr durch Wahl bestimmt, sondern durch den Landeshauptmann Karl Friedrich Kolbow beziehungsweise den Verwaltungsrat ernannt. Stieren, den Kolbow im Oktober 1933 an der Spitze der Altertumskommission bestätigte,79 behielt den Posten des Vorsitzenden auch nach der Neukonstituierung der Kommission 1934, die eine „Säuberung“ des Mitgliederbestandes bedeutete. Ausgeschlossen wurden 13 von zuvor 31 Mitgliedern,80 deren Gesamtzahl allerdings aufgrund von 15 Neuernennungen auf 33 Personen anstieg.81 Im Mai 1934 trat der neu gebildete Verwaltungsrat des Provinzialinstituts erstmals zusammen, und Kolbow formulierte die allgemeine Zielsetzung der künftigen Arbeit: „Gerade die wissenschaftliche Landes- und Volkskunde hat die Aufgabe den nationalsozialistischen Staat zu unterbauen. Eine besondere Aufgabe ist es, die Ergebnisse der ganzen Bevölkerung zu vermitteln.“82 77 78 79

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Siehe zu der Gründung des Provinzialinstituts und der Integration der Kommissionen Ditt 1988, S. 85–95. Zu der Umbildung des Provinzialinstituts Trier 1997, S. 22–23, sowie Sicherl 2006, S. 44– 48, und Ditt 1988, S. 241–249. Ditt 1988, S. 244. Laut Ditt trat der Vorsitzende der Historischen Kommission hingegen aus Protest zurück, da er bei der Neuformulierung der Satzung des Provinzialinstituts übergangen worden war. Eine Mitgliederliste, auf der die Namen der 13 Ausgeschlossenen per Durchstreichung gekennzeichnet wurden, ist enthalten in LWL-Archivamt, Bestand 702, Nr. 123. Betroffen waren unter anderem Gerhard Bersu, die katholischen Theologen Alois Fuchs und Hermann Joseph Wurm sowie der Zentrumspolitiker und abgesetzte Oberbürgermeister Karl Zuhorn. Der jüdische Professor für Klassische Archäologie Karl Lehmann-Hartleben kam seinem Ausschluss durch Emigration zuvor. Nähere schriftliche Begründungen für die jeweilige Entfernung sind nicht überliefert. Den Betroffenen wurde in einem kurzen Schreiben lediglich die „Neuausrichtung der vorgeschichtlichen Arbeit innerhalb des Provinzialinstituts“ mitgeteilt. LWL-Archivamt, Bestand 702, Nr. 123, Schreiben Kolbows, 27.7.1934. Sicherl 2006, S. 46–47. LWL-Archivamt, Bestand 702, Nr. 122, Protokoll der Verwaltungsratssitzung, 30.5.1934.

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Neben der Tätigkeit der Altertumskommission war damit vor allem die vorgeschichtliche Abteilung des Landesmuseums angesprochen. Diese erfuhr in den folgenden Jahren entsprechend dem allgemeinen Aufschwung des Faches sowie seiner Popularisierung und Bedeutung als „Weltanschauungswissenschaft“ einen intensiven institutionellen wie personellen Ausbau. Am 1. Oktober 1934 wurde die vorgeschichtliche Abteilung zu einem eigenen Landesmuseum für Vor- und Frühgeschichte verselbständigt und Stieren vom Direktorialassistenten zum Museumsdirektor befördert.83 Da Stieren zudem wenige Tage später zum „alleinigen Vertrauensmann für den gesamten Bereich der Provinz“84 ernannt wurde, erfolgte eine weitere Stärkung der engen Verzahnung von Bodendenkmalpflege, Museum und Altertumskommission, deren Arbeitsbereiche sich vielfach überschnitten.85 In der Folgezeit kam es nicht nur zu einem enormen Ausbau der westfälischen Vorgeschichtsforschung, sondern insgesamt auch zu einer Umorientierung der Forschungsinhalte zu Gunsten einer Beschäftigung mit germanischen Hinterlassenschaften. In Haltern unterblieben weitestgehend Ausgrabungen, und die Publikation der bisherigen Ergebnisse wurde 1935 „aus politischen Gründen absichtlich zurückgestellt“.86 Stattdessen erfolgten unter anderem umfangreiche Grabungen bei Kamen, wo eine germanische Siedlung entdeckt worden war, sowie die Veröffentlichung dieser Ergebnisse.87 Eine Annäherung der Forschungsschwerpunkte im Sinne der nationalsozialistischen Interessen hat damit stattgefunden.

Die Aufwertung der Ur- und Frühgeschichte an der Westfälischen Wilhelms-Universität Im Zusammenhang mit der allgemeinen Aufwertung und dem Ausbau des Faches Ur- und Frühgeschichte nach 1933 richtete sich der Preußische Kultusminister an die Philosophisch-Naturwissenschaftliche Fakultät der Universität: „Zu den Disziplinen, welche z. Zt. die stärkste Förderung verdienen, gehört die Vorgeschichte, die bei der kommenden Schulreform einen breiten Raum einnehmen wird. Es ist deshalb beabsichtigt, die Vorgeschichte in die Ordnung der Prüfung für das Lehramt 83 84

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Ditt 1988, S. 273, der zudem Angaben über Aufbau und Gliederung des Museums liefert. Stieren 1935, S. 3: „Berichterstatter ist laut Erlaß des Herrn Preußischen Ministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung K.Nr. 7097 vom 17. X.1934 zum alleinigen Vertrauensmann für den gesamten Bereich der Provinz ernannt worden. Die fünf bisher mitarbeitenden Vertrauensleute sind gleichzeitig zu seinen Stellvertretern in ihren bisherigen Bezirken ernannt worden.“ Trier 1997, S. 21. Archiv der Altertumskommission, Ordner: Jahreshauptversammlungen Berichte 1909– 1938, Bericht über die Hauptversammlung der Altertumskommission vom 15.6.1935, hier zitiert nach Sicherl 2006, S. 54. Bänfer/Stieren 1936.

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an den höheren Schulen aufzunehmen. Ich halte es für erwünscht, daß sich die Studenten der Philologie schon jetzt auf die künftige Regelung einstellen und Vorlesungen dieser Art belegen. Solange Vorgeschichte bei der wissenschaftlichen Prüfung als Prüfungsfach nicht vorgesehen ist, wird im Rahmen der Prüfungen in Geschichte und Erdkunde (Geologie) auf die Vorgeschichte eingegangen werden.“88

Neben dem Aspekt der (bildungs-)politisch motivierten Aufwertung der Vorgeschichte enthielt das Schreiben den Hinweis, dass vorgeschichtliche Lehrveranstaltungen an vielen Universitäten in verschiedenen Fachbereichen angesiedelt waren.89 Diese Konstellation fand sich seit etwa 1930 auch an der Universität Münster, wie unter anderem ein Blick in die entsprechenden Vorlesungsverzeichnisse zeigt.90 Das Lehrangebot Stierens war innerhalb der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät im Bereich der „philosophisch-philologisch-historischen Abteilung“ bis 1933/34 der Unterabteilung „Vergleichende Sprachwissenschaft, Klassische Philologie, Archäologie, Prähistorie“ zugeordnet. Daneben fanden sich zugleich Veranstaltungen zur Urgeschichte in der „mathematisch-naturwissenschaftlichen Abteilung“ beziehungsweise der Unterabteilung „Mineralogie und Geologie“, die der als Assistent am Geologisch-Paläontologischen Institut beschäftigte Andree anbot.91 Dem Anliegen des Ministers, die Vorgeschichtswissenschaft zu fördern, wurde an der Universität im Folgenden in gewisser Weise „zweigleisig“ entsprochen, und so zeigte sich unter anderem in den Vorlesungsverzeichnissen eine strukturelle Aufwertung sowohl des Lehrangebots von Stieren als auch der Veranstaltungen von Andree. Die Vorlesungen Stierens wurden seit dem Sommersemester 1934 dem Historischen Seminar zugeordnet und bildeten fortan neben den bestehenden Abteilungen für Alte, Mittelalterliche und Neuere Geschichte die neu eingerichtete, eigenständige „Abteilung für Vorgeschichte“. In den Ankündigungen des Vorlesungsverzeichnisses führte die Prähistorie damit nicht mehr ein „Randdasein“, sondern wurde innerhalb des Historischen Seminars zu einer formal gleichberechtigten Epoche erhoben. Durch die Verknüpfung mit der Altertumskommission entsprach das Lehrangebot Stierens thematisch weitestgehend auch dem Arbeitsbereich der

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UAMs, Bestand 9, Nr. 1390, Minister an Fakultät, 8.5.1934. Diese Situation ergab sich aus dem Umstand, dass die Mehrzahl derer, die das sich entwickelnde Fach an den Universitäten vertraten, aus anderen wissenschaftlichen Disziplinen stammten, und sich der Vorgeschichte teils eher aus geisteswissenschaftlicher, teils eher aus naturwissenschaftlicher Perspektive näherten. Siehe zum Beispiel zu der Konstellation in Freiburg Fehr 2006, S. 532–537. Zu den folgenden Ausführungen, soweit nicht anders angegeben, die Vorlesungsverzeichnisse von 1930 bis 1939. Zu Andree unter anderem dessen Personalakte UAMs, Bestand 10, Nr. 615.

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Kommission, sodass, neben einem starken regionalen Bezug,92 nach 1933 eine inhaltliche Schwerpunktverlagerung auf „Frühgermanische Kultur“93 feststellbar war. Parallel erfuhr das Lehrangebot von Andree, der 1933 einen Lehrauftrag für Urgeschichte erhalten hatte,94 eine Aufwertung. Die Veranstaltungen Andrees wurden innerhalb der „mathematisch-naturwissenschaftlichen Abteilung“ seit 1934 nicht mehr unter der Geologie subsumiert, sondern als eigenständiges „Urgeschichtliches Seminar“ geführt.95 Dem Fach Ur- und Frühgeschichte wurde sich an der Universität Münster somit in den 1930er-Jahren von zwei Seiten aus gewidmet, wodurch sich die Schwierigkeit ergab, die jeweiligen Forschungs- und Lehrbereiche voneinander abzugrenzen. Auf Anfrage des REM nahm die Fakultät dabei eine durchaus problematische Differenzierung vor, wonach im Unterschied zu dem „wesenhaft naturwissenschaftliche[n] Fach ‚Urgeschichte‘ […] mit dem Namen ‚Vorgeschichte‘ […] [ein] ebenso entschieden geisteswissenschaftliches Fachgebiet zu bezeichnen sei“.96 Eine solche Abgrenzung der Arbeitsbereiche von Stieren und Andree war für Spannungen prädestiniert. Nach 1933 ergab sich zwischen den beiden Wissenschaftlern jedoch eine Auseinandersetzung, die vor allem den Konflikt widerspiegelte, der das gesamte Fach in Deutschland in zwei Lager spaltete. Stieren, der als Ausgräber in Haltern und als Vorsitzender der Altertumskommission bereits eine langjährige Verbindung zur provinzialrömischen Forschung Westdeutschlands und zur Römisch-Germanischen Kommission pflegte, wurde im März 1933 zum Mitglied der Kommission berufen.97 Sein Kontrahent Andree hingegen hatte sich nicht nur aus einer anderen wissenschaftlichen Disziplin heraus der Ur- und Frühgeschichte genähert, sondern stand in der Auseinandersetzung, die die Fachentwicklung maßgeblich prägte, auf der Seite der ostdeutschen Wissenschaftler.98 Der 1899 in Berlin geborene Andree hatte 1919/20 kurzzeitig bei Kossinna studiert, bevor er sich 1924 in Münster als Geologe habilitierte. In der zweiten Hälfte der 1920er-Jahre führte er unter anderem im Auftrag der Altertumskommission Ausgrabungen in verschiedenen Höhlen im Sauerland durch und wurde 1930 zum Kommissionsmitglied gewählt.99 Nachdem Andree bereits im Mai 1932 in die

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Stieren bot vor und nach 1933 wiederholt Veranstaltungen zur „Vorgeschichte Westfalens“ an. So ein Veranstaltungstitel aus dem Sommersemester 1935; Vorlesungsverzeichnis Sommersemester 1935, S. 68. Siehe zum Beispiel Chronik 1932/33, S. 30 und S. 110. Siehe zum Beispiel Chronik 1933/35, S. 111. UAMs, Bestand 62, Nr. 149, Dekan an REM, 28.8.1934. Zudem wurde Stieren 1934 Mitglied des Deutschen Archäologischen Instituts. Siehe zum Beispiel Ditt 1988, S. 85. Siehe zu den folgenden Angaben zur Biographie Andrees unter anderem Halle 2002, S. 85–86. Sicherl 2006, S. 44.

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NSDAP eingetreten war, gehörte er seit Februar 1933 dem „Kampfbund für deutsche Kultur“ und später dem Reichsbund unter Reinerth an. Andrees „unverhohlene […] Affinität zu den rassistischen Vorstellungen der NSDAP“100 zeigten bereits die Titel seiner Lehrveranstaltungen, die beispielsweise „Menschenrassen der Urzeit“ zum Thema hatten.101 Eine der Vorlesungen, die Andree 1933 plante, sollte die „Urgeschichte der Germanen“102 behandeln, wurde aber von der Fakultät mit dem Hinweis abgelehnt, diese bedeute einen „Übergriff […] in das Gebiet des geisteswissenschaftlichen Faches ‚Deutsche Vorgeschichte‘“.103 Narr interpretierte konkret diese Einschränkung der Tätigkeit Andrees, rekurrierend auf dessen Reichsbundzugehörigkeit und den Umstand, dass Stieren nicht Mitglied der NSDAP war, als das Bemühen um die „Abwehr der nationalsozialistischen Tendenz“.104 Laut Narr ergab sich der Konflikt zwischen Stieren und Andree aus dem Umstand, „daß hier ‚Urgeschichte‘ für die nationalsozialistischen Bestrebungen stand, ‚Vorgeschichte‘ hingegen für die solchen Tendenzen abgeneigte und ihnen widerstehende Richtung“.105 Diese Behauptung, die dem simplifizierenden Geschichtsbild der älteren Fachgeschichtsschreibung folgte, ist fragwürdig. Die Konfliktlinie, die das gesamte Fach kennzeichnete, wurde an der Universität Münster in gewisser Weise durch die nach 1933 eskalierende Auseinandersetzung zwischen Stieren und Andree repräsentiert und schlug sich insbesondere in dem langwierigen und konfliktreichen Bemühen nieder, an der Universität einen Lehrstuhl für Vorgeschichte einzurichten.

Der Konflikt um die Gründung eines Lehrstuhls für Vorgeschichte – der Antrag auf Lehrstuhlgründung (1933) Bereits bei der Senatssitzung am 23. Mai 1933 stand die „Errichtung einer Professur für deutsche Vorgeschichte“106 auf der Tagesordnung. Die Philosophisch-Naturwissenschaftliche Fakultät wandte sich schließlich am 8. Juli 1933 an das Preußische Kultusministerium und beantragte, an der Universität Münster „einen ordentlichen 100 101

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Halle 2002, S. 86. Andree las zum Beispiel im Wintersemester 1933/34 über „Menschenrassen der Urzeit“ oder im Sommersemester 1935 leicht variiert über „Menschenrassen der Eiszeit und frühen Nacheiszeit“. Vorlesungsverzeichnis Wintersemester 1933/34, S. 66, und Vorlesungsverzeichnis Sommersemester 1935, S. 74. UAMs, Bestand 9, Nr. 323, Andree an Kurator, 3.5.1937. In diesem Schreiben nahm Andree Bezug auf einen Brief von 1933, der nicht überliefert ist. UAMs, Bestand 62, Nr. 149, Dekan an Kurator, 28.8.1934. Stieren las im Wintersemester 1933/34 über „Altgermanische Kultur, für Hörer aller Fakultäten“. Vorlesungsverzeichnis Wintersemester 1933/34, S. 66. Narr 1980, S. 422. Ebd. UAMs, Bestand 62, Nr. 149, Tagesordnung der Senatssitzung, 23.5.1933.

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Lehrstuhl für deutsche Vorgeschichte zu errichten“.107 Dekan Anton Eitel stellte in dem entsprechenden Schreiben einleitend fest: „Bei der Wertschätzung, die das deutsche Volk der neuen Zeit seiner eignen [sic!] Vorgeschichte entgegen bringt, bedarf es keiner besonderen Begründung mehr, nunmehr auf die lang erhobenen Forderungen der Vorgeschichtsforschung einzugehen.“108

Diesem formelhaften Vorspann folgten Erläuterungen, wonach „gerade in Westfalen ein solcher Lehrstuhl eine dringende Notwendigkeit“109 darstelle. Zudem sei die Besetzung gerade dieses Lehrstuhls mit Stieren so wichtig, weil die enge Verbindung mit der außeruniversitären Vorgeschichtsforschung unerlässlich sei. Allein die Vernetzung mit dem Landesmuseum und der Altertumskommission ermögliche die Nutzung der dortigen „Schau- und Lehrsammlungen“,110 gewährleiste die „praktische Einführung der Studierenden in die Prähistorie“111 und reduziere die Kosten erheblich, „da bei der Besetzung mit einer anderen Kraft die Mittel für Sammlungen, Bibliothek, Angestellte und ein Institutsgebäude zur Verfügung gestellt werden müssten“.112 Der Provinzialverband als Träger der außeruniversitären Vorgeschichtsforschung hegte gleichfalls großes Interesse an dem Ausbau des Faches an der Universität Münster und an einer Stärkung der engen Verzahnung von Universität und Provinz auf dem Gebiet der Ur- und Frühgeschichte. Die Einrichtung eines Lehrstuhls und dessen Besetzung mit Stieren sollten die Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses für die westfälische Vorgeschichtsforschung vor Ort und auf breiter Basis gewährleisten.113 Zudem stellte die Beteiligung eines Ordinariats an der wissenschaftlichen Tätigkeit des Provinzialverbandes nicht nur einen Prestigegewinn dar, sondern bot auch die Möglichkeit, diese weiter auszubauen.114 Aufgrund der Interessenkongruenz stimmten die zuständigen Stellen der Universität und der Provinzialverwaltung ihr Vorgehen bei dem Bemühen um die Lehrstuhlgründung in enger Zusammenarbeit aufeinander ab. Als entschiedener Befürworter Stierens tat sich dabei vor allem der Landeshauptmann Kolbow hervor. Im Rahmen detaillierter Absprachen zwischen Provinz und Universität organisierte dieser im Zusammenwirken mit dem Kulturdezernenten des Provinzialverbandes Ernst Kühl die Unterstützung der regionalen Parteistellen für Stieren.115 Schließlich 107 108 109 110 111 112 113 114 115

Ebd., Dekan an Minister, 8.7.1933. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ditt 1988, S. 270. Fausser 2000, S. 27–28. Siehe zum Beispiel LWL-Archivamt, Bestand 702, Nr. 84, Kühl an Kolbow, 13.11.1933. Der Antrag der Fakultät wurde durch eine Eingabe der Studentenschaft unterstützt. Zudem besprach Kühl entsprechende Stellungnahmen mit dem Gaukulturwart WestfalenSüd, Erich Schwarzschulz, und dem Gaukulturwart Westfalen-Nord, Hermann Bartels.

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richtete sich Kolbow selbst im Dezember 1933 an das Preußische Kultusministerium, um den Antrag der Fakultät „nachdrücklichst“116 zu befürworten. Der Landeshauptmann betonte die fachliche Qualifikation Stierens und dessen Leistungen für die westfälische Vorgeschichtsforschung. Zum Abschluss seiner Ausführungen, die im Wesentlichen wissenschaftlichen Kriterien folgten und weder ideologisches Ornament noch politische Phrasen bemühten, legte Kolbow als Termin für die Lehrstuhleinrichtung den 1. April 1934 nahe. Doch selbst der Einsatz des Landeshauptmanns und die betonte Einmütigkeit von Universität und Provinz führten nicht zu dem erhofften Erfolg. Die Bemühungen gerieten vielmehr erheblich ins Stocken, da sich Stieren nach der Antragsstellung einer Denunziation ausgesetzt sah.

Eine „üble Denunziation politischer Art“ – der Streit um den Lehrstuhl 1933 und 1934 Im Oktober 1933 richtete der Bildhauer Franz Breitholz, ein enger Mitarbeiter Andrees, ein Schreiben an das Preußische Kultusministerium, das er in Abschrift unter anderem den westfälischen Gaukulturabteilungen zukommen ließ.117 Breitholz gab an, er hätte „auf Grund langjähriger Tätigkeit für die vorgeschichtliche Abteilung des Landesmuseums Einblick in die dortigen Arbeitsmethoden bekommen“118 und erhob diverse Anschuldigungen gegenüber Stieren, die vor allem dessen „politische Zuverlässigkeit“ bestritten. Breitholz beklagte, dass Stieren die Leitung der vorgeschichtlichen Abteilung vernachlässige. Dort sei die Behandlung der Funde „so haarsträubend […] wie wohl in keinem anderen Museum Deutschlands“.119 Die weiteren Anschuldigungen betrafen allerdings nicht wissenschaftliche Belange, sondern waren politischer Art. So habe Stieren zum Beispiel „stets nur ein hämisches Lächeln dafür, dass man das Hakenkreuz so wichtig nähme“.120 Die Tätigkeit als Dozent an der Universität Münster verdanke Stieren dem „Vorschlag des Juden Prof. Lehmann-Hartleben“.121 Die Denunziation hatte Folgen – allerdings dürfte Breitholz die Auswirkungen seines Schreibens anders geplant haben. Eine unmittelbare Reaktion der angeschriebenen Stellen ist nicht überliefert. Diese nahmen offenbar eine abwartende Haltung ein, da Kolbow sie bereits im November informierte, dass er den Oberstaatsanwalt in Münster veranlasst hatte, „gegen Breitholz die Strafverfolgung wegen wis-

116 117 118 119 120 121

UAMs, Bestand 9, Nr. 1390, Kolbow an Ministerium, 13.12.1933. Siehe zu dem Schreiben von Breitholz auch Fausser 2000, S. 31. UAMs, Bestand 62, Nr. 149, Breitholz an Ministerium, 25.10.1933. Ebd. Ebd. Laut Breitholz habe Stieren geäußert: „Die Bande ist verrückt mit ihrem Hakenkreuz.“ Ebd.

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sentlich falscher Anschuldigung einzuleiten“.122 Daneben war dem Schreiben des Landeshauptmanns an das Kultusministerium eine elfseitige Entgegnung beigefügt, die Stieren verfasst hatte, um die Vorwürfe zu entkräften und seine „positive […] Einstellung zur N.S.D.A.P.“123 zu belegen. Der Staatsanwalt wurde gebeten, die Angelegenheit „mit grösster Beschleunigung durchzuführen“,124 und im Juni 1934 erfolgte die Hauptverhandlung gegen Breitholz, deren Verlauf und Ergebnis der Gerichtsassessor Helmut Naunin in einem Aktenvermerk zusammenfasste.125 Das Gericht sah in dem Brief von Breitholz eine „üble Denunziation politischer Art“126 und verurteilte den Angeklagten zu drei Monaten Gefängnis. Für Andree, der in dem Prozess als Zeuge vernommen wurde, fiel der „Verlauf der Verhandlung […] sehr ungünstig aus“.127 Andree gab an, dass er „den Brief vor der Absendung gelesen und über seine Wirkung mit Breitholz gesprochen hatte“.128 Der Verdacht, dass Andree der Initiator der Denunziation gewesen war, um das Bemühen der Lehrstuhlgründung und dessen Besetzung „ungünstig [zu] beeinflussen“,129 erhärtete sich zwar im Verlauf des Verfahrens, wurde aber letztlich nicht bewiesen. Der Bericht des Gerichtsassessors zeichnete dennoch ein äußerst negatives Bild von Andree und endete mit folgender Schlussbemerkung: „Einen ungünstigen Eindruck auf alle Anwesenden machte, daß Prof. Andree in der Uniform der P. O. [Parteiorganisation, Anm. d. V.] erschienen war, obwohl nach den Umständen keine Veranlassung hierzu vorlag. Außerdem hat der Justizminister es bekanntlich für unerwünscht bezeichnet, daß Zeugen vor Gericht in Parteiuniform erscheinen. Hier kam hinzu, daß der Träger der Uniform eine merkwürdige Rolle spielte.“130

Trotz des für Andree ungünstigen Prozessverlaufs übernahm der Kontrahent Stierens auch weiterhin die Leitung der Grabungen, die 1934 und 1935 an den Externsteinen durchgeführt wurden.131 Die Aufsicht über diese Arbeiten hatte Andree auf Betreiben des „Phantasten“ Teudt erhalten, der in dieser Felsformation im Teutoburger Wald ein „germanisches Heiligtum“ erblickte, das Karl der Große während der Christianisierung der Sachsen zerstört habe. Obwohl Andree damit von der offiziellen Linie des „Kampfbundes für deutsche Kultur“ beziehungsweise des Reichsbundes abwich, vollzog er zusehends eine Annäherung an die Teudtschen 122 123 124 125 126 127 128 129 130 131

LWL-Archivamt, Bestand 132, Nr. 786, Bd. 1, Kolbow an Ministerium, 28.11.1933. Vgl. zudem ebd., Kolbow an die Gauleitungen Westfalen-Nord und Westfalen-Süd, 21.11.1933. Ebd., Stieren an Kolbow, 13.11.1933. Ebd., Bestand 702, Nr. 84, Kühl an Kolbow, 13.11.1933. Ebd., Bestand 132, Nr. 786 Bd. 1, Aktenvermerk Naunin, 26.6.1934. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Fausser nahm fälschlicherweise an, dass Andree die Grabungsleitung in der Folge des Prozesses entzogen wurde. Fausser 2000, S. 34. Zu den Grabungen Andrees an den Externsteinen 1934 und 1935 siehe die detaillierten Ausführungen von Halle 2002, S. 191–343.

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Theorien, die wissenschaftlich gänzlich unhaltbar, aber in Kreisen der völkisch-germanophilen „Schwärmer-Bewegung“132 durchaus populär waren.133 Laut Kolbow hatte das Verfahren gegen Breitholz zu einer „restlosen Ehrenerklärung für Dr. Stieren“134 geführt, und so wurde der Landeshauptmann bereits wenige Tage nach der Verhandlung wieder in dessen Sinne aktiv. Er informierte die westfälischen Gauleitungen über den Abschluss des Strafverfahrens, betonte die „Notwendigkeit und Dringlichkeit“135 der Angelegenheit und bat darum, die „vorliegenden Anträge […] auch von Seiten des Gaues unmittelbar im Preussischen Ministerium dringend zu unterstützen“.136 Der Aufforderung Kolbows entsprechend wurden im Folgenden sowohl der Gauleiter Westfalen-Süd137 als auch der Gauleiter Westfalen-Nord tätig.138 Der neue Dekan der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, Anton Baumstark, wandte sich ebenfalls an das Ministerium. Die „unbedingte Notwendigkeit“139 der Lehrstuhlgründung bedurfte nach Baumstark „auf dem Boden nationalsozialistischer Weltanschauung“140 keiner weiteren Begründung. Daher konzentrierten sich seine Ausführungen auf die Frage der Lehrstuhlbesetzung, für die allein Stieren in Betracht käme. Auch Baumstark betonte die fachliche Qualifikation Stierens, der eine „allseitig in höchstem Grade anerkannte akademische Lehrtätigkeit mit seiner vorbildlichen Tätigkeit als Forscher und Ausgräber“141 verbinde. Einen zentralen Aspekt der Ausführungen Baumstarks bildete schließlich erneut der Hinweis auf den Nutzen beziehungsweise die Notwendigkeit der Verbindung des Lehrstuhls mit dem Landesmuseum für Vorgeschichte.142 132 133

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135 136 137

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139 140 141 142

Bollmus 1970, S. 177. Halle 2002, S. 228, die vermutete, dass Andree „etwas an dem Teudtschen Erfolg zu partizipieren“ suchte, da sich seine akademische Karriere trotz Parteizugehörigkeit nur unbefriedigend entwickelte. LWL-Archivamt, Bestand 702, Nr. 84, Kolbow an die Gauleitungen von Westfalen-Nord und Westfalen-Süd, 30.6.1934. Abschriften erhielten zugleich unter anderem der Dekan Baumstark und Stieren. Ebd. Ebd. Ebd., Gauleiter Westfalen-Süd an Kolbow, 10.7.1934: „Ihrem Wunsche entsprechend bin ich schriftlich beim Preussischen Kultusministerium in Berlin in dieser Richtung vorstellig geworden.“ Ebd., Gauleiter Westfalen-Nord an Kolbow, 1.8.1934: „Die Gauleitung erhebt keinerlei Bedenken gegen die Betrauung von Direktorialassistent Dr. Stieren mit einer Professur für Vor- und Frühgeschichte an der hiesigen Universität und hat in diesem Sinne Ihren Antrag bei dem Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung unterstützt.“ UAMs, Bestand 9, Nr. 1390, Dekan an REM, 14.7.1934. Ebd. Ebd. Ebd. „Eine zweckmäßige Durchführung des vorgeschichtlichen Lehrbetriebs an der Universität ist von vornherein naturgemäß nur in engster Verbindung mit dem maßgeblichen Lehrmittelschatze denkbar, welchen das bereits bestehende provinzielle Museum darstellt“.

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Die Argumentation Baumstarks knüpfte damit im Kern an die Begründungen früherer Schreiben an. Nach dem Denunziationsprozess hatte sich Stierens Position gefestigt. Er blieb der alleinige Wunschkandidat von Fakultät und Provinzialverwaltung, der zudem durch die regionalen Parteistellen unterstützt wurde. Die regionalen Absprachen in dem Bemühen, an der Universität einen Lehrstuhl für Vorgeschichte zu errichten und mit Stieren zu besetzen, schienen Ende 1934 Wirkung zu zeigen. Im Dezember notierte Kühl nach einer Besprechung im REM: „Ministerialdirektor Vahlen erklärte mir gleich eingangs, dass er Auftrag gegeben habe, die Personalangelegenheit Stieren positiv zu bearbeiten. Auf meine Rückfrage, ob durch den Reichsbund für Vor- und Frühgeschichte irgendwelche Schwierigkeiten zu befürchten seien, erwiderte er, dass solche nicht vorlägen und vom Ministerium auch ausgeräumt werden würden.“143

Doch nach der Verstrickung des Reichsbundmitglieds Andree in dem zurückliegenden Denunziationsverfahren schienen die Befürchtungen Kühls nicht unbegründet, und die Feststellung Vahlens im Hinblick auf den Reichsbund sollte sich bereits einen Monat später als Irrtum erweisen.

Der Streit um den Lehrstuhl 1935 und 1936 – Verhandlungen und „eine vorübergehende Lösung“ Hatte die Denunziation für das Bemühen, Stieren ein Ordinariat zu verschaffen, 1933/34 ein Hemmnis dargestellt, das in gewisser Weise lokalen Ursprungs war und das vor Ort beseitigt werden konnte, so ergaben sich ab 1935 Hindernisse auf Reichsebene. In dem Bestreben, einen Lehrstuhl für Vorgeschichte einzurichten und mit Stieren zu besetzen, sahen sich Fakultät und Provinzialverwaltung zunehmend sowohl in den Konflikt verwickelt, der das gesamte Fach kennzeichnete, als auch in die Streitigkeiten, die das REM mit Parteiorganisationen über die jeweiligen Kompetenzbereiche bei Berufungsverfahren führte. Nachdem Kühl und Vahlen im Dezember 1934 vereinbart hatten, dass der gewünschte Lehrstuhl für Vorgeschichte durch eine Umwidmung an der Universität Münster eingerichtet werden sollte, da bei einer Neugründung „Schwierigkeiten beim Finanzminister entstehen könnten“,144 musste der Kulturdezernent nach Rücksprache mit den zuständigen Stellen der Universität erfahren, „dass mit der Übertragung frei gewordener Lehrstellen […] ziemliches Durcheinander“145 herrschte. In der Annahme, diese verbliebene „einzige Schwierigkeit“146 ausräumen zu können, wurde Kühl daher im Januar 1935 erneut im REM vorstellig. Aber statt eine Lösung dieses Problems zu erwirken, musste Kühl in der Besprechung mit 143 144 145 146

LWL-Archivamt, Bestand 702, Nr. 84, Aktenvermerk Kühl, 9.12.1934. Ebd. Ebd. UAMs, Bestand 62, Nr. 149, Aktennotiz Kühl, 25.1.1935.

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einem Mitarbeiter Vahlens, Eugen Mattiat,147 erkennen, dass sich neue Hürden ergeben hatten. Reinerth, der Leiter des Reichsbundes für Vorgeschichte, hatte „Bedenken“148 gegen Stieren ausgesprochen. Daher sah sich Kühl veranlasst, dem Referenten des REM „die Schwierigkeiten, die sich durch Professor André [sic!]“149 ergaben, zu erläutern und zu betonen, „dass die Zustände nicht eher Beruhigung finden würden, ehe nicht André außerhalb der Provinz einen anderen Aufgabenkreis erhalten hätte“.150 Für die gewünschte Professur kam laut Kühl nur Stieren in Betracht, da sonst „die Einheit von Grabung, Landesforschung und Lehre, die so fruchtbar sei, verloren ginge“.151 Damit hielt der Kulturdezernent kontinuierlich an dem bekannten Begründungsmuster von Fakultät und Provinzialverwaltung fest. Daneben führte er allerdings ein weiteres Argument an, um zugleich die „weltanschauliche“ Eignung Stierens zu unterstreichen. Kühl verwies darauf, dass Stieren, „von der Gauleitung Westfalen-Süd nicht nur zu Vorträgen im N.S.L.B. sondern auch an der Hochschule für Politik berufen sei, obwohl er kein Parteigenosse sei“.152 Schließlich versicherte Mattiat dem Kulturdezernenten, „dass Professor Reinerth als Mitglied der Hochschulkommission der N.S.D.A.P. zwar gehört werden solle, die Entscheidung jedoch gegebenenfalls auch gegen das Votum von Reinerth durchaus beim Ministerium läge“.153 Allerdings wurde trotz dieser Behauptung Mattiats vereinbart, dass „eine Besprechung zwischen Herrn Landeshauptmann Kolbow und Professor Reinerth notwendig sei“.154 Unmittelbar nachdem Kühl im Ministerium von dem Einwand Reinerths erfahren hatte, wandte er sich an den neuen Dekan der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, Jost Trier,155 um das weitere Vorgehen zu besprechen. Dieser berichtete dem Kulturdezernenten, dass die Fakultät inzwischen eine Anfrage aus dem REM erhalten hatte, ob sie „damit einverstanden sei, dass Dr. Stieren zum ‚Honorarprofessor‘ gemacht würde“.156 Doch wie Kühl dem Landeshauptmann Kolbow mitteilte, war er ebenso wie der Dekan der Auffassung, dass eine Honorarprofessur einen inakzeptablen Kompromiss darstelle.157 147

148 149 150 151 152 153 154 155 156 157

Eugen Mattiat, NSDAP-Mitglied seit 1931, war von 1934 bis 1937 Referent für Geisteswissenschaften im REM und als Ko-Referent im Amt Wissenschaft des REM zuständig für die fachspezifischen Beurteilungen bei Lehrstuhlbesetzungen in den Bereichen Geschichte und Klassische Philologie. Siehe zu Mattiat Grüttner 2004, S. 115. UAMs, Bestand 62, Nr. 149, Aktennotiz Kühl, 25.1.1935. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Der Germanist Trier war von Januar 1935 bis Oktober 1936 Dekan der PhilosophischNaturwissenschaftlichen Fakultät. Siehe zum Beispiel Pilger 2004, S. 279–280. LWL-Archivamt, Bestand 702, Nr. 84, Kühl an Kolbow, 25.1.1935. Ebd.

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Daher intensivierten Fakultät und Provinzialverwaltung im Folgenden in unverändert einmütiger Kooperation ihre Aktivitäten und warben auf Reichsebene bei verschiedenen Stellen für Stieren. In dem Einspruch Reinerths wurde ein Problem erkannt und Kühl berichtete dem Landeshauptmann diesbezüglich: „vor allen anderen Schritten ist eine Klarstellung bei Professor Reinerth notwendig. Über das Verhältnis Stieren – Reinerth kann ich mitteilen, dass Stieren inzwischen in Korrespondenz mit ihm steht […]. Es wird vor allem notwendig sein, Reinerth davon zu überzeugen, dass Stieren kein ‚Römling‘ ist, wie es bei den Kossinnaschülern heisst, sondern dass er bisher als Denkmalpfleger verpflichtet war das zu graben, was anfiel. Der Vorstand der Altertumskommission hat mit beiden Gaukulturwarten einstimmig beschlossen, dass Stieren aus der Vergangenheit in dieser Beziehung nicht der geringste Vorwurf gemacht […] werden [kann]“.158

Kolbow reiste daraufhin zwar nach Berlin, um Reinerth von seinen Einwänden gegenüber Stieren abzubringen. Zu einem klärenden Gespräch zwischen den beiden kam es jedoch nicht,159 und die Fürsprache Kolbows beim Amt Rosenberg blieb erfolglos. Im Februar verhandelte Trier im REM über das Angebot des Ministeriums, Stieren zum Honorarprofessor zu ernennen. Trier artikulierte jedoch die Sorge, „ob nicht, wenn Stieren jetzt mit einer Honorarprofessur abgefunden würde, […] die Gegenpartei (Andree) in eine vielleicht später geschaffene ordentliche Professur einrücken könne“.160 Vahlen bestritt diese Befürchtung und lehnte zudem das Vorhaben des Dekans Reinerth zu kontaktieren, um dessen Einwände gegen Stieren auszuräumen, entschieden ab. Hierzu notierte Trier: „Als ich Vahlen fragte, ob er es für zweckmässig halte, wenn ich Prof. Reinerth aufsuchte, um diesem ein Bild von der wissenschaftlichen Persönlichkeit Stierens zu geben, war er ablehnend. Die Entscheidung liege allein beim Ministerium und es sei nicht erwünscht, dass die Hochschulkommission der NSDAP sich zu einer Art Überministerium ausbilde und den Eindruck erhalte, dass die Fakultäten sich mit ihren Wünschen zunächst an sie wendeten. Die Fakultät habe nichts mit der Hochschulkommission zu tun, die Dinge würden vom Ministerium allein durchgefochten.“161

Trier, der Reinerth nicht aufsuchte, musste erkennen, dass die Bemühungen von Fakultät und Provinzialverwaltung durch die sich verschärfenden Kompetenzstreitigkeiten zwischen REM und Hochschulkommission erneut erheblich ins Stocken geraten waren. In dem Konflikt zwischen der staatlichen Hochschulverwaltung und der Partei, der auf verschiedenen Ebenen um die jeweiligen Zuständigkeiten geführt wurde, forderte das Ministerium die alleinige Entscheidungskompetenz in Berufungsangelegenheiten. Zwar hatte das REM keine Einwände erhoben, als sich 158 159 160 161

Ebd. Die von Kühl erwähnte Korrespondenz zwischen Stieren und Reinerth ist in den gesichteten Akten nicht überliefert. Ebd., Aktennotiz Kolbow, 29.1.1935. LWL-Archivamt, Bestand 702, Nr. 84. Ebd.

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der Provinzialbeamte Kolbow in diese Auseinandersetzungen einzuschalten versucht hatte, doch solche Schritte des Dekans, das heißt eines Universitätsangehörigen, lehnte das Ministerium ab. Die Verhandlungen Triers im REM waren jedoch nicht gänzlich erfolglos. Das Angebot, Stieren zum Honorarprofessor zu ernennen, erfuhr eine Aufwertung, da Vahlen in Aussicht stellte, die Vorgeschichte an der Universität zu einem Promotionsfach zu erheben und Stieren die entsprechende Prüfungsberechtigung zu erteilen. Unter diesen Voraussetzungen formulierte Trier die offizielle Stellungnahme der Fakultät, die zwar dem unveränderten Wunsch nach einer Lehrstuhlgründung Ausdruck verlieh, aber eine Honorarprofessur als „Übergangslösung“ begrüßte.162 Diese Regelung, mit der das Ministerium die Einwände Reinerths umgehen konnte, fand im Mai 1935 bei einer Besprechung im REM auch die Zustimmung Stierens, der „das Promotionsrecht mit Vorgeschichte als Hauptfach, klassischer Archäologie, Germanistik bezw. Geschichte als Nebenfach“163 erhalten sollte. Letztlich übernahm Kühl als Vertreter der Provinz, bei der Stieren hauptamtlich beschäftigt blieb, im Juni 1935 die weiteren Verhandlungen mit dem REM. Der Kulturdezernent konnte unter stetiger Betonung, dass es sich „um eine vorübergehende Lösung handle“,164 eine Vergütung der Honorarprofessur erwirken, die die Finanzierung eines weiteren Assistenten am Landesmuseum ermöglichte. Auf dieser Grundlage stimmte auch Kolbow dem ausgehandelten Kompromiss zu. Der Landeshauptmann erklärte im Juli gegenüber dem REM offiziell sein Einverständnis,165 und im August erhielt Stieren die Ernennungsurkunde zum Honorarprofessor.166 Im Juli 1936 stellte das REM der Fakultät in Aussicht, eine „freie Stelle in der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät […] für einen ordentlichen Lehrstuhl für Vorgeschichte zu verwenden“.167 Die Fakultät begrüßte diese Absicht des Ministeriums und bat abermals, den Lehrstuhl mit Stieren zu besetzen.168 Obwohl die langjährigen Bemühungen von Fakultät und Provinz in der Frage eines Ordinariats somit Fortschritte zeigten, wurde die angestrebte Lehrstuhlgründung jedoch erneut verzögert. Im November 1936 unternahm Andree einen Versuch, seine Position gegenüber Stieren zu stärken. Die Grundlage bot ihm die universitätsintern institutionalisierte, wissenschaftlich strittige Trennung der Ur- und Frühgeschichte in eine natur- und eine geisteswissenschaftliche Richtung. Andree forderte die Fakultät auf, die von ihm vertretene Urgeschichte ebenfalls als Hauptfach in die Promotionsordnung 162 163 164 165 166 167 168

UAMs, Bestand 62, Nr. 149, Trier an REM, 12.2.1935. LWL-Archivamt, Bestand 702, Nr. 84, Aktennotiz Stieren, 10.5.1935. Ebd., Aktennotiz Kühl über Besprechung im REM, 21.6.1935. UAMs, Bestand 62, Nr. 149, Kolbow an REM, 12.7.1935. Ebd., REM an Stieren, 13.8.1935. Ebd., Dekan an REM, 12.9.1936. Der Dekan nahm Bezug auf ein Schreiben des Ministeriums vom 29.7.1936, das in der Akte nicht überliefert ist. Ebd.

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aufzunehmen.169 Unterstützung fand der Vorstoß Andrees durch den Direktor des Geologisch-Paläontologischen Instituts, Friedrich Schuh, der im Vorfeld einer Fakultätssitzung mitteilte: „Es ist unmöglich der ‚Urgeschichte‘ das zu verweigern, was man der ‚Vorgeschichte‘ gewährte“.170 Die Aktion Andrees hatte allerdings nur bedingten Erfolg. Vereinbart wurde eine Regelung, wonach Kandidaten mit der Absicht, an der Universität bei Stieren zu promovieren, lediglich nachweisen mussten, dass sie auch Lehrveranstaltungen bei Andree besucht hatten.171 Die Lehrstuhlgründung erfolgte schließlich im Frühjahr 1937, doch die Auseinandersetzungen um die Frage der Besetzung wurden in der Folge keineswegs beigelegt, sondern intensiviert.

Gründung des Lehrstuhls und Konflikte um die Besetzung 1937 und 1938 Am 1. April 1937 wurde durch eine Umwidmung innerhalb der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Münster der angestrebte Lehrstuhl für Vor- und Frühgeschichte geschaffen.172 Die Ernennung Stierens zum Ordinarius, der weiterhin nebenamtlich die Leitung des Museums und der Altertumskommission übernehmen sollte, war ebenfalls für April vorgesehen. An den Einwänden Reinerths gegen die geplante Berufung hatte sich jedoch nichts geändert, sodass Stieren am 9. April 1937 lediglich mit der „vertretungsweisen Wahrnehmung des neugegründeten Lehrstuhles“173 beauftragt wurde. Das REM vermochte das Veto Reinerths offenbar nicht zu ignorieren, und der Konflikt um die Besetzung des Lehrstuhls mit dem Amt Rosenberg spitzte sich in der Folge weiter zu. Ebenfalls am 9. April 1937 kam es in Berlin in der Dienststelle Rosenbergs zu einem Treffen,174 zu dem der „Beauftragte des Führers“ verschiedene Prähistoriker geladen hatte, unter denen sich einige Gegner Reinerths und auch Stieren befanden.175 Laut dem entsprechenden Einladungsschreiben sollten in einer „Aussprache“176 die „Neuausrichtung der deutschen Vorgeschichtswissenschaft“, „evtl. bestehen169 170 171 172 173 174 175

176

UAMs, Bestand 62, Nr. 149, Andree an Fakultät, 9.11.1936. Ebd., Schuh an Fakultät, 18.11.1936. UAMs, Bestand 9, Nr. 323, Rektor an Kurator, 15.6.1937. Aus diesem Schreiben lässt sich die bereits im Dezember 1936 festgelegte Regelung erschließen. Siehe ebd. UAMs, Bestand 10, Nr. 6754, Personalbogen Stieren. Siehe zu dem Treffen die Ausführungen von Halle 2002, S. 412–417. Dazu auch Sicherl 2006, S. 58–60. Eine Auflistung der Teilnehmer, die Rosenberg nach Vorgabe von Reinerth eingeladen hatte, findet sich bei Schöbel 2002, S. 348. Die Frage, ob Stieren lediglich zufällig an dem Tag des Treffens, dem 9. April, mit der Lehrstuhlvertretung beauftragt wurde, lässt sich nicht klären. Siehe dazu Halle 2002, S. 414. Das Einladungsschreiben an Stieren, das vom 2.4.1937 datiert, ist abgedruckt bei Sicherl 2006, S. 58.

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de Missverständnisse“ und die „Ausarbeitung des Planes für ein Reichsinstitut“ thematisiert werden.177 Mit der Rückendeckung Apffelstaedts und von diesem genauestens instruiert, sprach sich Stieren im Verlauf des Treffens gegen Reinerth als vorgesehenen Leiter des Reichsinstituts aus.178 Rosenberg, der trotz der Abneigung der Mehrheit der Prähistoriker gegen Reinerth unbeirrt an seinem Schützling festhielt, erkannte in Stieren sowohl einen Gegner Reinerths als auch einen „Römling“. Etwa einen Monat nach der „Aussprache“ in seiner Dienststelle schaltete sich Rosenberg schließlich direkt in den Konflikt um die Besetzung des Lehrstuhls an der Universität ein und versuchte, das Reichsbundmitglied Andree zu protegieren. Bereits am 3. Mai 1937 hatte sich Andree an den Kurator Curt Beyer gewandt, um gegen die Einrichtung des Lehrstuhls für Vorgeschichte unter Stieren zu protestieren. Da dieses Ordinariat alle Zweige des Faches umfasse, würde sein „Lehrauftrag für Urgeschichte so gut wie hinfällig sein“.179 Andree betonte zum einen, dass er „mit Frau und zwei Jungen […] von der Lehrauftragsvergütung lebe“,180 zum anderen, dass er verschiedene Ämter im Reichsbund bekleide und einer „der drei Parteigenossen an der Universität vor der Machtübernahme“181 gewesen sei. Weitere Argumente, zum Beispiel wissenschaftlicher Art, führte er hingegen nicht an. Unterstützung erhielt Andree wenige Tage später durch ein Schreiben aus dem Amt Rosenberg an den Gauleiter Westfalen-Nord, Alfred Meyer.182 Der Gauleiter wurde gebeten, sich gegenüber der Universität für Andree einzusetzen, um diesem den Lehrstuhl für Vorgeschichte zu verschaffen. In dem Schreiben wurde nicht Andrees wissenschaftliche Qualifikation thematisiert, sondern dessen Parteieintritt vor 1933 betont und „besonders hervorgehoben, dass sich Prof. Dr. Andree stets mit ganzer Kraft und rückhaltlos für die weltanschauliche Neuausrichtung der Deutschen Vorgeschichtsforschung und für die Schulungsarbeit der NSDAP eingesetzt“183 habe. Die Gauleitung wurde noch im Mai in der Angelegenheit tätig und wandte sich an den Universitätskurator und Gaupersonalamtsleiter Beyer, um dessen „Ansicht 177

178 179 180 181 182 183

Die „Aussprache“ fand wenige Monate nach dem „Leipziger Treffen“ statt, in dessen Folge sich vermehrt Prähistoriker von Reinerth beziehungsweise dem Reichsbund abwandten. Zugleich verlor der Reichsbund in dieser Phase gegenüber dem Ahnenerbe zunehmend an Einfluss auf die Vorgeschichtswissenschaft. Nach Sicherl versuchten Rosenberg und Reinerth daher im Verlauf der „Aussprache“, unter anderem durch vordergründige Zugeständnisse an die provinzialrömische Forschung, das wachsende Lager der ReinerthGegner zu spalten – allerdings vergeblich. Siehe Sicherl 2006, S. 59–60. Halle 2002, S. 412–417. Apffelstaedt hatte mit den eingeladenen Gegnern Reinerths das Vorgehen und sogar die jeweiligen Redebeiträge detailliert abgestimmt. UAMs, Bestand 9, Nr. 323, Andree an Kurator, 3.5.1937. Ebd. Ebd. LAV NRW OWL, Bestand L 76, Gr. C., Nr. 20 b, Urban an Meyer, 7.5.1937. Das Schreiben ist in Auszügen zitiert bei Halle 2002, S. 418. UAMs, Bestand 9, Nr. 323, Kurator an Rektor, 1.6.1937.

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in der Sache“184 zu erfahren. Der Kurator bat daraufhin im Juni 1937 um Stellungnahmen des Rektors und des Leiters der Dozentenschaft, Hermann Walter.185 Diese holten ihrerseits Erkundigungen ein, und in der Folge wurden von verschiedenen Stellen Gutachten sowohl über Andree als auch über Stieren erstellt, die deutlich das unkoordinierte Durcheinander des nationalsozialistischen Beurteilungswesens veranschaulichen. Die Beurteilungen über Andree beziehungsweise dessen Tätigkeit an der Universität fielen dabei ausgesprochen negativ aus. Der Leiter der Dozentenschaft hatte die Anfrage des Kurators an Institutsdirektor Schuh weitergeleitet, der zwar nicht Parteimitglied, aber laut Walter „zuverlässiger Nationalsozialist“186 und daher Mitglied im Dozentenbund war. Der Institutsdirektor sah sich zu einer Förderung Andrees auf Grund von dessen politischen Engagements allerdings mittlerweile nicht mehr in der Lage, sondern stellte vielmehr fest: „Charakterlich […] scheint mir Prof. Andree zur Übernahme eines Ordinariats nicht geeignet“.187 Zur Begründung dieses Urteils führte Schuh an, „daß Herrn Andree nicht das nötige Pflichtbewusstsein beseele und daß er unzuverlässig sei“.188 Andree habe beispielsweise verschiedene Verabredungen sowie mehrfach seine eigenen Lehrveranstaltungen versäumt und es nicht vermocht, „einen regen Vorlesungsbetrieb in Gang“189 zu bringen. Schuh empfahl, lediglich einen Posten mit Andree zu besetzen, der „keine grosse Verantwortung“190 erfordere. Die Ausführungen Schuhs wurden von der Dozentenschaft im Wesentlichen bestätigt. Auch Walter betonte die Unzuverlässigkeit Andrees und formulierte weitergehend, dass „Andree derartige Mängel aufweist, daß er als Lehrer nicht mehr empfohlen werden kann“.191 Dessen Berufung auf einen Lehrstuhl würde gar „das Ansehen der Hochschule […] schädigen“.192 Letztlich konnte Andree also weder durch Parteizugehörigkeit noch durch Reichsbundmitgliedschaft seine Unzulänglichkeiten als Wissenschaftler kompensieren. Die Gutachten über Stieren ergaben hingegen ein widersprüchliches Bild. Die Stellungnahme Walters in seiner Funktion als Dozentenbundsleiter war insgesamt wenig konkret. Indirekt und in denunzierender Weise wurden Stieren vermeintliche „Judenfreundschaft“ und katholische Religionszugehörigkeit angelastet, ohne dass die ablehnende Haltung der Dozentenschaft in der Frage der Lehrstuhlbesetzung näher begründet wurde.193 184 185 186 187 188 189 190 191 192 193

Ebd., Gauleitung an Beyer, 19.5.1937. Ebd., Kurator an Rektor, 1.6.1937, und ebd., Kurator an Walter, 1.6.1937. UAMs, Bestand 9, Nr. 324, Walter an Rektor und Kurator, 15.6.1937. Ebd., Stellungnahme Schuh, 11.6.1937. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd., Walter an Rektor und Kurator, 15.6.1937. Ebd. UAMs, Bestand 10, Nr. 6754, Walter an Gauleitung, 15.7.1937.

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Im Gegensatz dazu stand die Einschätzung Stierens durch den Gauschulungsleiter des Gaues Westfalen-Süd, Erich Schwarzschulz, der angab, Stieren seit 1933 zu kennen und in häufiger Zusammenarbeit „bei ihm in jeder Beziehung größtes Entgegenkommen gefunden zu haben“.194 In seinem Schreiben erläuterte Schwarzschulz, dass Stieren „niemals eine gegensätzliche Einstellung zur NSDAP und ihren Bestrebungen“195 gezeigt habe. Im Weiteren thematisierte der Gauschulungsleiter die Auseinandersetzungen innerhalb des Faches. Stieren würde teils „skeptisch beurteilt“,196 da er aus der „römisch-germanischen Schule“197 stamme, doch sei seine fachliche Qualifikation allgemein anerkannt. Zudem würde mitunter bemängelt, dass Stieren in seiner Arbeit die „rassenkundlichen Kenntnisse“198 nicht ausreichend berücksichtige. Jedoch teilte Schwarzschulz „diese Skepsis“199 nicht. Der Gauschulungsleiter, der in seinem Gutachten im Wesentlichen subjektive Eindrücke schilderte, nahm insgesamt somit eine Stieren unterstützende Position ein. Rektor Walter Mevius fertigte ebenfalls eine Stellungnahme an, in der er darlegte, dass für die Besetzung des Lehrstuhls allein Stieren in Frage komme.200 Den Kern seiner Ausführungen bildete allerdings nicht die politische Beurteilung der Kontrahenten, sondern erneut das Argumentationsmuster, das die Notwendigkeit der Verbindung des Lehrbetriebs mit der außeruniversitären Vorgeschichtsforschung betonte. Die verschiedenen Gutachten und Stellungnahmen, die sich teilweise widersprachen, ergaben also ein diffuses Gesamtbild. Deutlich erkennbar ist, dass weder Universitäts- noch Parteistellen auf eine einheitliche, systematische Bewertungsgrundlage zurückgriffen. Den Gutachten lag keinerlei fest definierter Kriterienkatalog oder Vergleichbares zugrunde, sondern sie basierten vor allem auf subjektiven Eindrücken und Meinungen. Die Schilderungen wurden mitunter um Auskünfte vom „Hörensagen“ ergänzt und erhielten teils denunziatorischen Charakter. In der Frage der Besetzung des Lehrstuhls für Vorgeschichte an der Universität Münster führten die unterschiedlichen Beurteilungen über Stieren und die Einwände Reinerths beziehungsweise Rosenbergs daher schließlich zu einem Zustand der Blockade. Dennoch hielten Fakultät und Provinz alternativlos an ihrem einzigen Kandidaten, Stieren, fest, und erneut wurde Kolbow aktiv. Der Landeshauptmann wandte sich im Oktober 1937 direkt an das so genannte „Braune Haus“ in München, um sich beim Stab Heß für Stieren einzusetzen. In seinem Schreiben an den dort beschäftigten Regierungsrat Heinz Claaßen betonte Kolbow, dass Stieren nicht nur 194 195 196 197 198 199 200

LWL-Archivamt, Bestand 702, Nr. 84, Schwarzschulz an Rektor, 5.8.1939. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. UAMs, Bestand 9, Nr. 323, Rektor an Kurator, 15.6.1937.

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aufgrund seiner wissenschaftlichen Verdienste, sondern auch „weltanschaulich und persönlich“201 als Lehrstuhlinhaber geeignet sei. Zum Beleg führte der Landeshauptmann an: „[Stieren] verbinden mit dem Gauschulungsleiter des Gaues Westfalen-Süd, Pg. Dr. Schwarzschulz, und mit der Reichsführerschule der SS der Wewelsburg […] seit Jahren engere Arbeitsbeziehungen“.202 Aber auch dieser Einsatz Kolbows blieb erfolglos und somit die Patt-Situation in der Auseinandersetzung um den Lehrstuhl an der Universität Münster bestehen. Daher ergriff das REM die Initiative und versuchte die Möglichkeit auszuloten, auf den Lehrstuhl in Münster einen auswärtigen Kandidaten zu berufen. Für Dekan, Rektor und Kolbow203 blieb die Ernennung Stierens aber „die einzig in Frage kommende Besetzung“.204 Stieren sei „auf dem Gebiete der nord-westdeutschen Vorgeschichte eine der führenden Persönlichkeiten“205 und zudem besonders vertraut mit „den westfälischen Verhältnissen“206. Neben der fachlichen Qualifikation Stierens betonte der Dekan schließlich, dass das neu geschaffene Ordinariat auf das unter „Stierens Leitung stehende Landesmuseum für Vor- und Frühgeschichte angewiesen“207 sei. Die Verbindung mit dem Museum habe eine „elementare Bedeutung“.208 Falls der Lehrstuhl nicht mit Stieren besetzt würde, sei „die Tätigkeit des Inhabers dieser Professur von vornherein zu völliger Unfruchtbarkeit verdammt“.209 Diesen Standpunkt vertrat auch der Rektor, der dem REM zudem mitteilte, dass für Januar 1938 eine Besprechung von Kolbow mit Rosenberg geplant war, um dessen Einwände gegen die Berufung Stierens zu beseitigen.210 Im Februar berichtete der Landeshauptmann in einem Schreiben an den Kurator von dem Treffen mit Rosenberg:

201

202 203

204 205 206 207 208 209 210

LWL-Archivamt, Bestand 72, Nr. 84, Kolbow an Claaßen, 12.10.1937. Kolbow schilderte zudem abermals, dass das Bemühen um eine Lehrstuhlgründung seit 1933 stets an die Besetzung mit Stieren geknüpft worden war. Mit der Zustimmung der westfälischen Gauleitungen hätten „auch in der Personalfrage […] alle beteiligten Verwaltungsstellen der Universität, der Provinz und des Kultusministeriums stets in vollem Einvernehmen gehandelt.“ Ebd. UAMs, Bestand 9, Nr. 322, Kolbow an Rektor, 18.11.1937, und Dekan an REM, 29.11.1937, sowie Rektor an REM, 2.12.1937. Zudem LWL-Archivamt, Bestand 702, Nr. 84, Kühl an Buttler, 25.11.1937. UAMs, Bestand 9, Nr. 322, Dekan an REM, 29.11.1937. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. UAMs, Bestand 9, Nr. 322, Rektor an REM, 2.12.1937.

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„Als Haupthindernisgrund für die Benennung von Herrn Dr. Stieren als Kandidat für den Lehrstuhl für Vorgeschichte in Münster sei lediglich die Tatsache verblieben, daß Stieren nicht Mitglied des Reichsbundes sei.“211

Zudem erhob Rosenberg den Vorwurf, dass Stieren „hinter verschlossenen Türen gegen den Leiter des Reichsbundes für Vorgeschichte, Herrn Prof. Reinerth, konspiriere“.212 Rosenbergs Ablehnung ergab sich also allgemein aus der Zugehörigkeit Stierens zum Lager der Reinerth-Gegner und speziell aus dessen Auftreten bei der „Aussprache“ im April 1937. Dennoch trat Kolbow vehement für Stieren ein: „Ich habe dem Reichsleiter erklärt, daß es für mich als alten Nationalsozialisten unerträglich sei, daß einer meiner treuen Beamten (Dr. Stieren), […] von Parteigenossen der Dienststelle Rosenbergs als nationalsozialistisch unbrauchbar angesehen würde.“213

Der Landeshauptmann versicherte, dass sich jeder seiner Beamten „der nationalsozialistischen Bewegung gegenüber absolut positiv und korrekt verhalte“,214 aber Rosenberg zeigte sich unbeeindruckt und hielt an seiner ablehnenden Haltung fest. Damit blieb das Veto gegen Stieren bestehen. Da auch das REM mit einem eigenen Vorschlag nicht durchgedrungen war, stellte das Ministerium im Januar 1938 die Angelegenheit vorläufig zurück.215 Der Zustand der Blockade hatte sich zementiert, und diese Situation sollte sich nur unwesentlich ändern, als Andree Ende des Jahres die Universität Münster verließ, um in Halle-Wittenberg einem Lehrauftrag für Urgeschichte nachzukommen.216

„Der einzig in Frage kommende Anwärter“ – der Lehrstuhl in der Kriegs- und Nachkriegszeit (1939 bis 1946) Auch nach der Versetzung Andrees wirkte das Amt Rosenberg weiterhin destruktiv auf die Bestrebungen, den Lehrstuhl mit Stieren zu besetzen. Im Sommer 1939 wandte sich das REM mit der Absicht, „in der Angelegenheit der Besetzung des Ordinariats für Vor- und Frühgeschichte eine endgültige Regelung zu treffen“,217 erneut an die Fakultät. Diese vertrat nach wie vor den Standpunkt, dass Stieren der „einzig in Frage kommende Anwärter für das Ordinariat“218 sei. Aber Rosenberg 211 212 213 214 215 216 217 218

LWL-Archivamt, Bestand 702, Nr. 84, Kolbow an Kurator, 10.2.1938. Ebd. Ebd. Ebd. UAMs, Bestand 9, Nr. 322, REM an Kurator, 27.1.1938. Ebd., Bestand 10, Nr. 615, Erlass des REM, 30.11.1938. Andree blieb auch in Halle ohne Aussicht auf einen eigenen Lehrstuhl. Eberle 2002, Halle 2002, S. 151. UAMs, Bestand 62, Nr. 149, Dekan an Kolbow, 27.7.1939. Ebd.

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hielt ebenso stetig an seinem Einwand fest, und der Stab Heß verweigerte beharrlich eine Ernennung Stierens. Daher besprachen Kolbow und Mevius im August abermals das weitere gemeinsame Vorgehen, um auf den „Stellvertreter des Führers“ einzuwirken.219 Jedoch begann zwei Wochen später der Zweite Weltkrieg, und es ist unbekannt, ob Universität und Provinzialverband noch Aktivitäten in dieser Richtung entfalteten. Der Konflikt um das Ordinariat kam zum Erliegen und sollte letztlich erst nach 1945 entschieden werden. Stieren wurde im Mai 1941 einberufen, nachdem sich die am Landesmuseum beschäftigten Assistenten bereits seit 1940 im Dienst der Wehrmacht befanden. Im Herbst 1944 kehrte er nach Münster zurück und übernahm erneut die Leitung des Museums, dessen Räumlichkeiten allerdings Anfang 1945 vollständig zerstört wurden.220 Das Kriegsende und der Zusammenbruch des NS-Staates bedeuteten schließlich auch das endgültige Ende des Konflikts um die Besetzung des Lehrstuhls. Im August 1946 erfolgte die langjährig erstrebte Berufung Stierens zum Ordinarius für „Prähistorische Archäologie, Deutsche Vor- und Frühgeschichte“.221 Damit war das vehement verfolgte Ziel erreicht, die enge Verzahnung der universitären und außeruniversitären Vorgeschichtsforschung in Westfalen durch die Personalunion von Lehrstuhlinhaber und Museumsleitung zu manifestieren. Diese enge Verbindung, die in der Auseinandersetzung um das Ordinariat in den 1930er-Jahren von entscheidender Bedeutung gewesen war, blieb bis in die 1950er-Jahre bestehen. Erst als Stieren, der als Museumsdirektor bis 1960 und als Vorsitzender der 1947 neu konstituierten Altertumskommission gar bis 1969 fungieren sollte,222 1954 emeritiert wurde,223 ergab sich eine Lockerung dieser Verflechtung. Sein Nachfolger auf dem Lehrstuhl, Kurt Tackenberg, war nicht mehr für das Museum tätig.224

Fazit Für den Zeitraum von 1930 bis 1954 lässt sich somit über zwei politische Systemwechsel hinweg eine bemerkenswerte personelle Kontinuität an der Spitze der westfälischen Vorgeschichtsforschung konstatieren. In dieser Zeit vertrat Stieren das Fach an der Universität, als Leiter des Museums beziehungsweise der Museumsabteilung und als Vorsitzender der Altertumskommission. 219 220

221 222 223 224

LWL-Archivamt, Bestand 702, Nr. 84, Aktenvermerk Frielinghaus, 17.8.1939. Siehe zum Beispiel Ditt 1988, S. 276–277. Bereits 1943 und 1944 beschädigt, brannten die Museumsgebäude im März 1945 vollständig aus. Ein Teil der Museumsbestände konnte allerdings zuvor ausgelagert werden. Siehe zum Beispiel Stieren 1950, S. V. UAMs, Bestand 10, Nr. 6754, Personalbogen Stieren. Siehe Sicherl 2006, S. 67–72. Siehe zum Beispiel UAMs, Bestand 10, Nr. 6754, Personalbogen Stieren. Siehe Narr 1980, S. 423.

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Diese Kontinuität wurde in den folgenden Jahrzehnten, da Stieren nicht der NSDAP angehört und zudem zu den Gegnern Reinerths gezählt hatte, als eine allgemeine „Abwehr der nationalsozialistischen Tendenz“ interpretiert und speziell der Konflikt Stierens mit Andree beziehungsweise dem Reichsbund als „Distanz“ gegenüber dem Nationalsozialismus bewertet. Rekurrierend auf die Ergebnisse der neueren Fachgeschichtsforschung und im Anschluss an die Ausführungen zu dem Konflikt um das Ordinariat ist diese Feststellung allerdings zweifelhaft. Klar ersichtlich wurde bereits, dass sowohl Andree als auch Stieren wissenschaftsexterne beziehungsweise außeruniversitäre Unterstützungsinstanzen für sich gewinnen konnten. Betrachtet man den Konflikt um den Lehrstuhl als Auseinandersetzung zwischen den Konkurrenten Stieren und Andree, so wird deutlich, dass beide Kontrahenten Ressourcen aus der politischen Sphäre mobilisierten und zugleich über Ressourcen verfügten, die für die Politik von Interesse waren. Andree setzte in der Konkurrenz zu Stieren allein – und letztlich vergeblich – auf die Partei beziehungsweise den Reichsbund und das Amt Rosenberg. Die kontinuierliche Betonung seiner Parteizugehörigkeit – verwiesen sei exemplarisch auf sein ostentatives Auftreten in Uniform während des Gerichtsverfahrens 1934 – entfaltete aber nicht die von ihm erhoffte Wirkung. Allein politische Verbundenheit reichte nicht aus, um Andrees Defizite als Wissenschaftler zu kompensieren und seine Berufung von Seiten der Universität zu fördern. Zudem nahm diese Unterstützung, beispielsweise durch den Dozentenschaftsleiter und Schuh, zusehends ab. Um seine Position in der Auseinandersetzung mit Stieren zu verbessern, versuchte Andree die Mittel zu nutzen, die der politische Systemwechsel von 1933 bot. Er lancierte die Denunziation Stierens, die allerdings lediglich destruktive Effekte hatte und allein die universitäre Karriere Stierens hemmte. In dem modifizierten und komplizierten Berufungsverfahren sorgte die Verunglimpfung Stierens im Zusammenwirken mit den diffusen politischen Gutachten und dem Einwand des Amtes Rosenberg für Verzögerungen, und letztlich ergab sich in der Auseinandersetzung um den Lehrstuhl ein Zustand der Blockade. Doch konnte Andree, obwohl er in dem Konflikt durch das Amt Rosenberg protegiert wurde, anders als sein Kontrahent regional kaum relevante Ressourcen mobilisieren. Stieren, der bei Staats- und bei Parteistellen Unterstützung fand, besaß hingegen vor allem bei regionalen Institutionen Rückhalt. Entscheidende Bedeutung hatte dabei die enge Vernetzung von Universität und Provinzialverband, die sich sowohl auf wissenschaftlicher Ebene als auch in der Zusammenarbeit der jeweiligen Verwaltungsstellen zeigte. Die feste Verzahnung der vorgeschichtswissenschaftlichen Arbeit an der Universität Münster mit den außeruniversitären Forschungseinrichtungen dokumentierte sich insbesondere darin, dass Stieren das Fach an der Hochschule, am Landesmuseum und in der Altertumskommission vertrat. Diese Personalunion bildete das zentrale Argument in dem kontinuierlichen Bemühen von Fakultät und Provinz,

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einen Lehrstuhl für Vorgeschichte zu errichten und mit Stieren zu besetzen. Die zuständigen Stellen von Universität und Provinzialverband koordinierten diesbezüglich intensiv ihr Vorgehen, das vor und nach 1933 auf eine gegenseitige Nutzenmaximierung im Bereich der Ur- und Frühgeschichte ausgerichtet war. Neben der Argumentationsfigur der Personalunion ergab zudem die Betonung der wissenschaftlichen Leistungen Stierens eine Konstante über den politischen Systemwechsel hinweg. Stierens fachliche Qualifikation und die von ihm besetzten Schlüsselpositionen der westfälischen Vorgeschichtsforschung stellten somit umfangreiche wissenschaftliche Ressourcen dar. Diese ermöglichten ihm unter anderem, in dem Konflikt mit Andree beziehungsweise dem Reichsbund die Unterstützung von Fakultät und Provinzialverwaltung zu erhalten. Dabei blieb „seriöse“ Wissenschaft ein entscheidendes Kriterium, wie besonders die Ausführungen Stierens auf der Jahreshauptversammlung der Altertumskommission 1935 verdeutlichten. Dort erklärte er, „dass die Altertumskommission gewillt ist, auch in Zukunft mit bewährten wissenschaftlichen Methoden, ausgerichtet auf die nationalsozialistische Idee an der Aufklärung der deutschen Vorgeschichte mitzuarbeiten. Sie [die Altertumskommission, Anm. d. V.] steht auf dem Standpunkt, dass methodische, fest gegründete Wissenschaft für unsere nationalsozialistische Bewegung gerade gut genug ist“.225

Die „Ausrichtung auf die NS-Idee“ konkretisierte sich in der Kooperation mit verschiedenen NS-Organisationen, wobei Stieren und seine Mitarbeiter beispielsweise Schulungen, Vorträge sowie „Führungen von SA, SS und HJ-Formationen, von NSLB, FAD und Fachschaften aller Art innerhalb […] [der] vorgeschichtlichen Sammlungen“226 anboten. Zudem war das Museum bemüht, einen Beitrag zur allgemeinen Popularisierung der Vorgeschichte zu leisten und konzipierte auf Anregung des Gauschulungsleiters Schwarzschulz eine Wanderausstellung zur Vor- und Frühgeschichte Westfalens. Derartige Tätigkeiten verschafften Stieren neben der Unterstützung durch Universität und Provinzialverband zugleich Rückhalt bei den regionalen Parteistellen. Die Loyalität gegenüber den neuen Machthabern ermöglichte aber nicht nur in der Auseinandersetzung um das Ordinariat die Mobilisierung politischer Ressourcen, sondern auch im Hinblick auf die konkrete Forschungsarbeit. Ein anschauliches Beispiel für die politische Förderung und die Verbindung von Wissenschaft und Politik bietet die Ausgrabung der germanischen Siedlung bei Kamen, die der Reichsbauernführer Richard Walther Darré im Herbst 1935 besuchte.227 Dessen Spende von 500 Reichsmark, die elf Prozent des Grabungsetats darstellte,228 be225

226 227 228

Archiv der Altertumskommission, Ordner: Jahreshauptversammlungen Berichte 1909– 1938, Bericht über die Hauptversammlung der Altertumskommission vom 15.6.1935, hier zitiert nach Sicherl 2006, S. 49–50. Sieren 1935, S. 2. Bänfer/Stieren 1936, S. 411. Sicherl 2006, S. 54.

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günstigte die dortige Arbeit ebenso wie die umfangreiche Heranziehung des Freiwilligen Arbeitsdienstes.229 Zusammenfassend ist schließlich festzustellen, dass hinsichtlich der Vorgeschichtsforschung in Münster beziehungsweise im Hinblick auf den Konflikt zwischen Stieren und Andree Behauptungen im Sinne einer „Abwehr des Nationalsozialismus“ unzutreffend sind. Deutlich erkennbar wird vielmehr ein enges Verhältnis zwischen Wissenschaft und Politik, das in der Art einer wechselseitigen Ressourcenmobilisierung auf eine gegenseitige Nutzenmaximierung ausgerichtet war. Dabei ist, neuere Forschungsergebnisse bestätigend, zu attestieren, dass weder das Festhalten an wissenschaftlichen Standards noch speziell die Gegnerschaft zu Reinerth mit einer Ablehnung des Nationalsozialismus gleichzusetzen sind.

Literatur Bänfer, Ludwig/Stieren, August, Eine germanische Siedlung in Westick bei Kamen, Kr. Unna, in: Westfalen. Hefte für Geschichte, Kunst und Volkskunde 21 (1936), S. 410–433. Bollmus, Reinhard, Das „Amt Rosenberg“, das „Ahnenerbe“ und die Prähistoriker. Bemerkungen eines Historikers, in: Leube/Hegewisch 2002, S. 21–48. Bollmus, Reinhard, Das Amt Rosenberg und seine Gegner. Studien zum Machtkampf im nationalsozialistischen Herrschaftssystem, Stuttgart 1970. Chronik der Westfälischen Wilhelms-Universität zu Münster 1932/33 – 1933/35. Ditt, Karl, Raum und Volkstum. Die Kulturpolitik des Provinzialverbandes Westfalen 1923–1945 (Veröffentlichungen des Provinzialinstitut für Westfälische Landes- und Volksforschung des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe 26), Münster 1988. Droste, Daniel, Politik, Wissenschaft und Region. Die Westfälische Wilhelms-Universität im Dritten Reich, in: Westfälische Forschungen 60 (2010), S. 193–220. Eberle, Henrik, Die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg in der Zeit des Nationalsozialismus 1933–1945, Halle 2002. Eggert, Manfred K.H./Samida, Stefanie, Ur- und Frühgeschichtliche Archäologie, Tübingen 2009. Fausser, Katja, Geschichtswissenschaft im Nationalsozialismus. Ein Beitrag zur Geschichte der Historischen Institute der Universität Münster 1933–1945 (Zeitgeschichte – Zeitverständnis 8), Münster, Berlin, London 2000. Fehr, Hubert, Ur- und Frühgeschichte, in: Wirbelauer, Eckard (Hg.), Die Freiburger Philosophische Fakultät. Mitglieder, Strukturen, Vernetzungen (Freiburger Beiträge zur Wissenschafts- und Universitätsgeschichte. NF 1), Freiburg 2006, S. 532–556. 229

Zum Beispiel Stieren 1935, S. 10.

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Grünert, Heinz, Gustaf Kossinna (1858–1931). Vom Germanisten zum Prähistoriker. Ein Wissenschaftler im Kaiserreich und der Weimarer Republik (Vorgeschichtliche Forschungen 22), Rahden 2002. Grüttner, Michael, Biographisches Lexikon zur nationalsozialistischen Wissenschaftspolitik (Studien zur Wissenschafts- und Universitätsgeschichte 6), Heidelberg 2004. Grüttner, Michael, Studenten im Dritten Reich, Paderborn 1995. Halle, Uta/Schmidt, Martin, „Es handelt sich nicht um Affinitäten von Archäologen zum Nationalsozialismus – das ist der Nationalsozialismus“. Bericht über die internationale Tagung „Die mittel- und osteuropäische Ur- und Frühgeschichtsforschung in den Jahren 1933–1945“ (Berlin 19.–23. November 1998), in: Archäologische Informationen 22 (1999) S. 41–52. Halle, Uta, „Die Externsteine sind bis auf weiteres germanisch!“ Prähistorische Archäologie im Dritten Reich (Sonderveröffentlichungen des Naturwissenschaftlichen und Historischen Vereins für das Land Lippe 68), Bielefeld 2002. Halle, Uta, Ur- und Frühgeschichte, in: Elvert, Jürgen/Nielsen-Sikora, Jürgen (Hg.), Kulturwissenschaften und Nationalsozialismus (Historische Mitteilungen. Beiheft 72), Stuttgart 2008, S.109–166. Halle, Ute, Ideologisierung und Politisierung. Die Vereinnahmung der prähistorischen Archäologie durch Ideologie und Politik im 19. und 20. Jahrhundert, in: Landesverband Lippe (Hg.), 2000 Jahre Varusschlacht, Bd. 3, Stuttgart 2009, S. 243–252. Hassmann, Henning, Archäologie und Jugend im „Dritten Reich“. Ur- und Frühgeschichte als Mittel der politisch-ideologischen Indoktrination von Kindern und Jugendlichen, in: Leube/Hegewisch 2002, S. 107–146. Hausmann, Frank-Rutger, Die Rolle der Geisteswissenschaften im Dritten Reich 1933–1945 (Schriften des Historischen Kollegs. Kolloquien 53), München 2002. Heuss, Anja, Kunst- und Kulturgutraub. Eine vergleichende Studie zur Besatzungspolitik der Nationalsozialisten in Frankreich und der Sowjetunion, Heidelberg 2000. Jagust, Frederick, Follow the Money. Bemerkungen zum Verhältnis von Geld, Prähistorie und Nationalsozialismus, in: Schachtmann/Strobel/Widera 2009, S. 285–299. Kaiser, Tobias, Rezension von: Eberle, Henrik, Die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg in der Zeit des Nationalsozialismus 1933–1945, Halle 2002, in: Sehepunkte 4/10 (2004), http://www.sehepunkte.de/2004/10/1999.html, Zugriff: 10.5.2011. Kater, Michael, Das „Ahnenerbe“ der SS 1935–1945. Ein Beitrag zur Kulturpolitik des Dritten Reiches, Stuttgart 1974. Kossinna, Gustaf, Die deutsche Vorgeschichte. Eine hervorragend nationale Wissenschaft, Leipzig 1912.

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Prähistorie und Nationalsozialismus an der Universität Münster

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Leube, Achim/Hegewisch, Morten (Hg.), Prähistorie und Nationalsozialismus, Die mittel- und osteuropäische Ur- und Frühgeschichtsforschung in den Jahren 1933–1945 (Studien zur Wissenschafts- und Universitätsgeschichte 2), Heidelberg 2002. Leube, Achim, Die Ur- und Frühgeschichte an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, in: vom Bruch, Rüdiger (Hg.), Die Berliner Universität in der NSZeit, Bd. 2: Fachbereiche und Fakultäten, Stuttgart 2005, S. 149–163. Narr, Karl Josef, Ur- und Frühgeschichte, in: Dollinger, Heinz (Hg.), Die Universität Münster 1780–1980, Münster 1980, S. 421–423. Niederhöfer, Kai (Hg.), Einhundert Jahre Geschichte der Altertumskommission für Westfalen von 1896 bis 1996 (Veröffentlichungen der Altertumskommission für Westfalen 16), Münster 2006. Pape, Wolfgang, Ur- und Frühgeschichte, in: Hausmann 2002, S. 329–360. Pape, Wolfgang, Zur Entwicklung des Faches Ur- und Frühgeschichte in Deutschland bis 1945, in: Leube/Hegewisch 2002, S. 163–226. Pilger, Andreas, Germanistik an der Universität Münster. Von den Anfängen um 1800 bis in die Zeit der frühen Bundesrepublik (Studien zur Wissenschaftsund Universitätsgeschichte 3), Heidelberg 2004. Schachtmann, Judith/Strobel, Michael/Widera, Thomas (Hg.), Politik und Wissenschaft in der prähistorischen Archäologie. Perspektiven aus Sachsen, Böhmen und Schlesien (Berichte und Studien 56), Göttingen 2009 Schöbel, Gunter, Hans Reinerth. Forscher, NS-Funktionär, Museumsleiter, in: Leube/Hegewisch 2002, S. 321–396. Sicherl, Bernhard, Geschichte der Altertumskommission für Westfalen von 1896 bis 1969, in: Niederhöfer 2006, S. 11–72. Stieren, August, Bericht des Vertrauensmannes für kulturgeschichtliche Bodenaltertümer der Provinz Westfalen, in: Nachrichtenblatt für Deutsche Vorzeit 11 (1935) S. 2–13. Stieren, August, Die vorgeschichtliche Denkmalpflege in Westfalen, in: Nachrichtenblatt für deutsche Vorzeit 6 (1930), S. 228–248. Stieren, August, Vorwort des Herausgebers, in: Ders. (Hg.), Fundchronik für Westfalen und Lippe über die Jahre 1937–1947 (Bodenaltertümer Westfalens 7), Münster 1950, S. V–VI. Strobel, Michael/Widera, Thomas, Einleitung, in: Schachtmann/Strobel/Widera 2009, S. 9–29. Trier, Bendix, Geschichte der Altertumskommission für Westfalen von 1969 bis 1996, in: Niederhöfer 2006, S. 73–101. Trier, Bendix, Zur Geschichte der Altertumskommission für Westfalen, in: Westfälisches Museum für Archäologie (Hg.), Hinter Schloss und Riegel. Burgen und Befestigungen in Westfalen (Begleitbuch zur Ausstellung des Westfälischen Museums für Archäologie Münster aus Anlaß des hundertjährigen Bestehens

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Karsten Wallmann/Kristina Sievers

der Altertumskommission für Westfalen, Münster, 2. November 1997–19. April 1998), Münster 1997, S. 11–31 . Vorlesungsverzeichnisse der Westfälischen Wilhelms-Universität Wintersemester 1929/30 – Wintersemester 1939/40. Weißer, Ansgar, Die Geschichte des Provinzialverbands Westfalen und des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe, Münster 2007, http://www.lwl.org/lwldownload/Der_LWL/lwl-geschichtetext.pdf, Zugriff: 10.5.2011.

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Thamer/Droste/Happ Die Universität Münster im Nationalsozialismus Band 2

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Veröffentlichungen des Universitätsarchivs Münster Herausgegeben von Sabine Happ Band 5

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Die Universität Münster im Nationalsozialismus Kontinuitäten und Brüche zwischen 1920 und 1960

Im Auftrag des Rektorats der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster herausgegeben von Hans-Ulrich Thamer, Daniel Droste und Sabine Happ

Band 2

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Abbildung auf dem Titel: Schlageterfeier und Rektoratsantritt am 28. Mai 1933 in der Stadthalle Münster. Foto: Stadtarchiv Münster, Fotosammlung, Nr. 6573.

Impressum © 2012 Aschendorff Verlag GmbH & Co. KG, Münster Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf fotomechanischem oder ähnlichem Wege und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Die Vergütungsansprüche des § 54 Abs. 2 UrhG werden durch die Verwertungsgesellschaft Wort wahrgenommen. Gesamtherstellung: Aschendorff Druckzentrum GmbH & Co. KG

ISBN 978-3-402-15884-5 (2 Bände)

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Inhalt des ersten Bandes Geleitwort der Rektorin .......................................................................................

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Hans-Ulrich Thamer Zwischen Selbstbehauptung und Selbstgleichschaltung Universitäten im Nationalsozialismus – eine Einleitung ...................................

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Teil 1: Die Universität als Institution Kristina Sievers Rektor und Kurator der Universität Münster Führertum zwischen Anspruch und Wirklichkeit ...............................................

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Timm C. Richter „In jeder Weise volles Verständnis für die Belange der Wehrmacht“ Das Verhältnis der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster zum Militär .............................................................................................

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Johannes Schäfer Eine wirkliche Landesuniversität schaffen Die Gesellschaft zur Förderung der Westfälischen Wilhelms-Universität ........

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Hans-Ulrich Thamer Die Universität Münster über sich selbst Feierkultur und Selbstdarstellung im 20. Jahrhundert .......................................

113

Sabine Happ Die Aberkennung von Doktorgraden an der Universität Münster in den Jahren 1920 bis 1960 ..................................................................................

135

Christoph Weischer Studierende an der Universität Münster 1920 bis 1960 .....................................

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Rainer Pöppinghege Studentische Repräsentationsorgane 1920 bis 1960 ...........................................

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Inhalt

Peter Respondek Die Universität Münster nach 1945 Wiedereröffnung und Entnazifizierung im Kontext britischer Besatzungspolitik ..............................................................

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Teil 2: Fakultäten und Institute Nicola Willenberg „Der Betroffene war nur Theologe und völlig unpolitisch“ Die Evangelisch-Theologische Fakultät von ihrer Begründung bis in die Nachkriegszeit ................................................

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Thomas Flammer Die Katholisch-Theologische Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität im „Dritten Reich“ ............................

309

Sebastian Felz Im Geiste der Wahrheit? Die Münsterschen Rechtswissenschaftler von der Weimarer Republik bis in die frühe Bundesrepublik ...........................

347

Ursula Ferdinand Die Medizinische Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster von der Gründung bis 1939 ..................................................................

413

Ioanna Mamali Psychiatrische und Nervenklinik Münster 1925 bis 1953 .................................

531

Markus Drüding Das Philosophische Seminar in Münster .............................................................

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Karsten Wallmann und Kristina Sievers Prähistorie und Nationalsozialismus an der Westfälischen Wilhelms-Universität ............................................................................................

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Inhalt

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Inhalt des zweiten Bandes Teil 2: Fakultäten und Institute (Fortsetzung) Katja Fausser „Das Institut zu neuem Leben erweckt“? Entwicklungen am Historischen Seminar 1920 bis 1960 ....................................

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Volker Honemann Die Germanistik der Westfälischen Wilhelms-Universität vom Ende des Ersten Weltkrieges bis 1960 .........................................................

689

Manfred Günnigmann Dem Zeitgeist angepasst Musikwissenschaft an der Westfälischen Wilhelms-Universität 1922 bis 1962 ..........................................................................................................

751

Daniel Droste Das Zoologische Institut der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster im 20. Jahrhundert .................................................................................

787

Daniel Droste Das Botanische Institut der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster im 20. Jahrhundert .................................................................................

819

Achim Weiguny Die Physik an der Universität Münster im Spannungsfeld des Nationalsozialismus ........................................................

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Kathrin Baas Geographie an der Universität Münster 1918 bis 1950 Akademische Karrieren zwischen Wissenschaft, Politik und Verwaltung .........

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Michael Krüger Leibesübungen, Sport und Sportwissenschaft an der Universität Münster von den Anfängen bis in die 1960er-Jahre ...........

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Inhalt

Teil 3: Personen Sabine Happ und Veronika Jüttemann Ein langer Schatten? Der Einfluss des Nationalsozialismus auf die Situation von Frauen an der Universität Münster 1920 bis 1960 ...........................................................

929

Manfred Witt Karl Wilhelm Jötten und das Hygiene-Institut 1926 bis 1945 Biopolitik im Kontext von Universität, Stadt und Land ....................................

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Hans-Peter Kröner „Die Fakultät hat in politisch schwierigen Situationen Charakter bewiesen“ Der „Lehrstuhl für Erbbiologie und Rassenhygiene“ und die Berufung Otmar Freiherr von Verschuers in Münster ........................................................

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Julian Aulke Zwischen Sozialmedizin und Kriminalbiologie Heinrich Többen und das Institut für gerichtliche und soziale Medizin in Münster ........................................................................... 1029 Daniel Droste Der Fall Bruno K. Schultz NS-Täter, ihre wissenschaftliche Reintegration und die Kontinuität nationalsozialistischer Netzwerke an der Universität Münster ........................ 1055 Sara-Marie Demiriz Aus den „Ideen von 1914“ Der Staatswissenschaftler Johann Plenge und seine Institute ............................ 1083 Nadine Förster Der Nationalökonom Hans-Jürgen Seraphim zwischen Demokratie und Diktatur (1927 bis 1962) ......................................... 1113

Anhang Abkürzungsverzeichnis ........................................................................................ 1155 Personenregister .................................................................................................... 1157 Verzeichnis der Autorinnen und Autoren .......................................................... 1179

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„Das Institut zu neuem Leben erweckt“? Entwicklungen am Historischen Seminar 1920 bis 1960 Am 3. November 1945 begann Georg Schreiber seine Rede zur Wiedereröffnung der Westfälischen Landesuniversität in Münster mit folgenden Worten: „Sonst war es üblich, daß der Rektor in seiner Rektoratsrede einen fachwissenschaftlichen Vortrag hielt. Ich schiebe aber die mir lieb gewordene Fachwissenschaft heute rücksichtslos beiseite. Die Stunde verlangt vielmehr gebieterisch, daß wir uns mit der neuen Umwelt auseinandersetzen, daß wir das Gestern und Heute aufgeschlossen nachprüfen.“1 Diese Auseinandersetzung mit den politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen von Wissenschaft, mit der Zeitgebundenheit von Erkenntnissen und Handeln ist eine stete Quelle für Studien auch der Wissenschafts- und Universitätsgeschichte. Bei der Beschäftigung mit Aspekten aus der Geschichte des Historischen Seminars der Westfälischen Wilhelms-Universität zwischen den Jahren 1920 und 1960 stellt sich aufgrund der verschiedenen politischen Zäsuren die Frage nach Brüchen, Veränderungen und Kontinuitäten. Wie haben die politischen Umstände das wissenschaftliche Leben am Historischen Seminar beeinflusst? Wie wirkten sie auf die Institution und die Menschen, die sie mit Lehre und Forschung ausmachten? Fallen regionale Besonderheiten ins Auge? In den Zeitrahmen für diese Untersuchung fielen für das Historische Seminar der Universität Münster bedeutsame Entwicklungen. Ausbau und stärkere Institutionalisierung des Seminarlebens fanden ebenso statt wie letzte Schritte auf dem Weg der Emanzipierung von kirchlichen Einflüssen und der katholischen Wissenschaft. Die Abnahme der konfessionellen Bindungen verlief parallel zum Anstieg der politischen Übergriffe auf die Universität und auf Lehre, Lehrende und Studierende am Historischen Seminar. Nach dem Krieg erlebte das Seminar einen Aufschwung und, parallel zur Entwicklung an anderen westdeutschen Universitäten, einen Ausbau des Seminars durch die Gründung neuer Ordinariate, die mit Spezialisierungen und Ausdifferenzierungen einhergingen und den Grundstein legten für das spezifische Profil des Historischen Seminars der Universität Münster, wie es teilweise bis heute besteht.

1

Schreiber 1945, S. 2. Schreiber sprach nach General E. Hakewell-Smith, dem Vertreter der Britischen Rhein-Armee, der soeben die Westfälische Landesuniversität feierlich eröffnet hatte.

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Der Untersuchungszeitraum ermöglicht die Betrachtung von Entwicklungen am Historischen Seminar unter drei politischen Systemen. Nach einem kurzen Abriss der Geschichte des Instituts während der vier Jahrzehnte folgt eine Auseinandersetzung mit politisch motivierten Veränderungen im Seminar zu Beginn wie zum Ende des Nationalsozialismus. In vieler Hinsicht veränderten sich die Bedingungen nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 wie nach dem Ende des Regimes 1945 tiefgreifend; andererseits war in Münster bezogen auf politische Einflussnahme auf die Personalpolitik des Seminars vielmehr das Jahr 1942 eine Zäsur, wie dargestellt werden soll. Anschließend möchte ich anhand der Karriere des Landeskundlers Friedrich von Klocke beispielhaft sowohl Bedingungen von Forschung und Lehre zur Zeit des Nationalsozialismus als auch das Selbstverständnis der Münsterschen Historiker und ihr Verständnis vom standesgemäßen Handeln von Historikern im Spannungsfeld von Wissenschaft und Politik beleuchten. Das Beispiel ist auch deshalb gewählt, da von Klocke nach dem Krieg zu den wenigen Hochschullehrern in Münster gehörte, die aus politischen Gründen entlassen wurden und denen die Rückkehr in ihre alte Stellung über viele Jahre nicht gelang. Dann folgen in kurzen Zügen einige Schlaglichter auf das Historische Seminar: die personelle Kontinuität am Seminar über politische Zäsuren hinweg, die Bedeutung der Universität Königsberg im Netzwerk Münsterschen Historiker, die Neuausrichtung nach 1945 und die Erweiterung und Ausdifferenzierung der Lehrstühle des Historischen Seminars in den 1950er-Jahren in verschiedene Abteilungen.

Forschungsstand Die letzte Dekade hat eine Vielzahl neuer Publikationen zur Universitätsgeschichte hervorgebracht, viele davon einschlägig für den hier behandelten Gegenstand. Grundsätzlich ist dabei festzustellen, dass in zunehmendem Maße in größeren Zusammenhängen auf Vorgänge und Entwicklungen innerhalb der Geschichtswissenschaft geschaut und immer komplexere Wirkungszusammenhänge untersucht werden. In großer Zahl erschienen Sammelbände zur Geschichte einzelner Universitäten, die auch explizit die jeweiligen Historischen Seminare berücksichtigen,2 beziehungsweise Monografien zu diesen.3 Ergänzt werden sie durch Werke, die ihr Augenmerk dezidiert auf die Positionierung von Disziplin und Fachvertretern im speziellen Spannungsfeld zwischen Wissenschaft und Politik legen; unter verschie2

3

Beispielsweise Hammerstein 1989, Borowsky 1991, Eriksen 1998, Höpfner 1999, Gottwald 2003, Piepenbrink 2005, Oberkrome 2005, Wolgast 2006, Wirbelauer 2006, Haupts 2007, Buddrus 2007, Kretschmann 2008, Cornelißen 2009, Hehl 2009, Heiss 2010, Helmrath 2010, Hardtwig 2010, Grün 2010; mit internationalem Bezugsrahmen vgl. Middell 2001. Boockmann/Wellenreuther 1987, Miethke 1992, Hansen/Ribbe 1992, Neuhaus 2005, Jatho/Simon 2008, Daniels 2009, Weigand 2010, Nicolaysen/Schildt 2011. Der Band von Wiesing/Brintzinger/Grün/Junginger/Michl 2010 enthält dann keinen Beitrag zu Geschichtswissenschaft mehr.

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denen Bezugspunkten werden Strukturen und Entwicklungen innerhalb der Geschichtswissenschaft und ihrer Teildisziplinen untersucht.4 Ein anderer Ausgangspunkt sind biografische Analyse von Werk und Handeln einzelner Historikern.5 Auch speziell zur Geschichte des Historischen Seminars an der Universität Münster kann sich dieser Aufsatz auf jüngere Studien stützen.6

Das Historische Seminar 1920 bis 1960 – Ausbau, Wachstum und Bedeutungsgewinn Das Historische Seminar war zu Beginn des Untersuchungszeitraums vergleichsweise schwach aufgestellt. Dies lässt sich mit der schwierigen Universitätsgründung erklären: Im Rahmen des Kulturkampfes hatte es in Münster intensive und lange Auseinandersetzungen zwischen der Preußischen Staatsregierung und dem Landesbischof gegeben, was für die anfangs noch Theologisch-Philosophische Akademie als unmittelbarer Vorläuferin der Universität Münster eine Blockade in vielerlei Hinsicht bedeutete.7 Auch innerhalb der Akademie gab es scharfe Auseinandersetzungen um das Verhältnis von katholischen Glaubensüberzeugungen und wissenschaftlichen Erkenntnissen. 1877 wurde ein Historisches Seminar eingerichtet, das sich nach Gründung der zweiten Universität 1902 aus der zuvor engen Ausrichtung auf die Theologie und die Staatswissenschaften löste. Obwohl nun überkonfessionelle Einrichtung, wurde jedoch ein Lehrstuhl für Mittlere und Neuere Geschichte als Konkordatslehrstuhl in der Universitätssatzung verankert, der ausschließlich mit aktiven Katholiken besetzt werden durfte.8

4

5

6

7 8

Pionierstudien stammen von Heiber 1966, Werner 1967, früh auch Burleigh 1988, Schönwälder 1992, Oberkrome 1993. Vgl. auch Wolf 1999, Schulze/Oexle 1999, Hohls/Jarausch 2000, Haar 2002, Elvert 2002, Linnemann 2002, Loose 2005, Grothe 2005, Nagel 2005, Eichhorn 2006, Haar/Fahlbusch 2010. Vgl. beispielsweise Eckel 2005 (die anschließende Kontroverse um Rothfels zwischen Heinrich August Winkler und Ingo Haar ist nachzulesen bei Hürter/Woller 2005), Cornelißen 2001, Berg 2003, Mühle 2004, Goede 2008, Aly 1999, Dunkhase 2010. Für Gespräche und Literaturhinweise danke ich Eckart Krause und Prof. Dr. Rainer Nicolaysen von der Arbeitsstelle für Universitätsgeschichte an der Universität Hamburg. Zu den Anfängen der Geschichtswissenschaft in Münster vgl. Mütter, Die Geschichtswissenschaft an der Alten Universität und Akademie Münster, 1980; Mütter, Die Geschichtswissenschaft in Münster, 1980; Oesterreich 1980, Fausser 2000. Die archivgestützten Erinnerungen von Hubert Mattonet 2008, der in den genannten Jahren unter anderem Geschichte studierte, behandeln Alltag oder Lehre am Historischen Seminar nicht. Vgl. Ribhegge 1985, bes. S. 100–117; ebenfalls Kurz, Die Münsteraner Akademie im Kulturkampf, 1980. Vgl. § 4 der Universitätssatzung von 1902. Einen Überblick über Konkordatslehrstühle in der Geschichtswissenschaft gibt Grill 2008.

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Somit waren die ersten beiden Lehrstühle des Historischen Seminars9 konfessionell paritätisch zu besetzen. Die Existenz des Konkordatslehrstuhls im Historischen Seminar in Münster wurde mit der Ausbildungsfunktion für katholische Theologiestudenten begründet10 und war ein Zeichen für das immer noch angespannte Verhältnis zwischen „katholischer“ und „moderner“ Wissenschaft und der noch nicht überwundenen Einstellung, dass bekennender Katholizismus und Wissenschaft im Sinne des Historismus unvereinbar nebeneinander stehen müssten. Zu Beginn des Untersuchungszeitraums war der Konkordatslehrstuhl mit Aloys Meister besetzt.11 Nach dessen Tod 1925 wurde Gerhard Kallen berufen. Der Studienrat und Privatdozent in Bonn war viele Jahre für seine wissenschaftlichen Arbeiten vom Schuldienst beurlaubt, thematisch beschäftigte er sich mit Kirchengeschichte und -recht. In Münster erreichte er erstmalig den Status eines Ordinarius. Den Lehrstuhl verließ der aktive Katholik jedoch zwei Jahre später für einen Ruf nach Köln.12 Sein Nachfolger in Münster wurde 1927 Anton Eitel, ein Schüler Heinrich Finkes. Eitel war nicht die erste Wahl, sein Name tauchte auf der ersten Besetzungsliste für die Nachfolge Kallens nicht auf. Seine Berufung, die aus dem Kreis des Historischen Seminars heraus vorgeschlagen wurde, stand wohl stark in Zusammenhang mit den Diskussionen um die Rolle von katholischen Professoren in Münster beziehungsweise dem Vorwurf der Diskriminierung von katholischen Wissenschaftlern.13 Durch diese Diskussionen über konfessionelle Fragen rückte die Bedeutung von Lehre und Forschung des zu Berufenden in den Hintergrund, was der Bedeutung des Lehrstuhls im überregionalen Vergleich abträglich war. Der noch ausbaufähige Status des Historischen Seminars zu Beginn des Untersuchungszeitraums zeigte sich auch daran, dass das Seminar in Münster überwiegend Bedeutung als Ort des entscheidenden Karrieresprungs auf einen ordentlichen Lehrstuhl besaß und dass seine Ordinarien zudem wenig Mobilität in Richtung anderer Universitäten zeigten. Aloys Meister ebenso wie seine Nachfolger auf dem Konkordatslehrstuhl Gerhard Kallen (1925 bis 1927) und Anton Eitel (in Münster von 1927 bis 1941 und erneut von 1946 bis 1950), wurden in Münster erstmals auf ein Ordinariat berufen. Meister und Eitel blieben in Münster bis zu ihrer Emeri9

10 11

12

13

Seit 1909 wurde Alte Geschichte nicht mehr am Historischen Seminar, sondern am neu gegründeten Institut für Altertumskunde erforscht und gelehrt. Vgl. Hütter, Geschichtswissenschaft in Münster, 1980, Oestreich 1980, Ribhegge 1985. Vgl. zum Beispiel auch noch 1946 im Schreiben des Rektors an den Dekan vom 9.8.1946, UAMs, Bestand 63, Nr. 17. Aloys Meister, in Münster von 1899 bis 1925, seit 1908 ordentlicher Professor für Mittlere und Neuere Geschichte sowie historische Hilfswissenschaften. Zu Meister vgl. Oesterreich 1980, S. 354, viele Details auch in seinen Personalakten im UAMs, Bestand 10, Nr. 278, Bd. 1 und 2, sowie Bestand 5, Nr. 144. Zu den Details vgl. Kallens Personalakten im UAMs, Bestand 10, Nr. 216, Bd. 1 und 2, sowie Bestand 5, Nr. 94. Zu Kallens Wirken in Köln während des Nationalsozialismus vgl. Haupts 2007, bes. S. 249ff. So Oesterreich 1980, S. 364.

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tierung beziehungsweise bis zu ihrem Tod. Auch für Ernst Daenell, Ordinarius auf dem evangelischen Lehrstuhl für Mittlere und Neuere Geschichte von 1913 bis zu seinem frühen Tod 1921, war es der erste Lehrstuhl.14 Nachfolger von Daenell wurde 1922 Hermann Wätjen, der bis zu seiner Emeritierung 1942 in Münster lehrte. Wätjen wechselte von der Technischen Universität Karlsruhe nach Münster, nachdem er sich in Hamburg und Göttingen zuvor letztlich nicht hatte durchsetzen können. Die Hamburger Universität, die aufgrund ihrer wissenschaftlichen Ausrichtung auf Handels- und Überseegeschichte für Wätjen besonders attraktiv war, ging 1937 mit ihm in Berufungsverhandlungen, ein Wechsel nach Hamburg scheiterte jedoch an den politisch negativen Gutachten des Münsterschen NS-Dozentenbunds und des Münsterschen Rektors über Wätjen.15 Die zwei Ordinarien wurden bis 1928 flankiert von Karl Spannagel, der ein persönliches Ordinariat für Mittlere und Neuere Geschichte mit Schwerpunkt auf der deutschen und preußischen Geschichte besaß.16 Versuche der Fakultät, die Amtszeit von Spannagel zum Zeitpunkt seiner Emeritierung zu verlängern beziehungsweise das Ordinariat auf Dauer zu stellen, scheiterten an der Ablehnung des Ministeriums.17 Über Jahrzehnte (beginnend 1908 als Privatdozent bis zu seinem Tod 1948) erweiterte Karl Voigt als Privatdozent, nichtbeamteter außerordentlicher Professor und ab 1939 als außerplanmäßiger Professor ohne Beamtenstatus, das Seminar- und Vorlesungsangebot zur Mittleren und Neueren Geschichte mit Lehrangeboten zur Geschichte des Mittelalters und der Neuzeit mit Schwerpunkt auf Verfassungs- und Kirchengeschichte wie auch englische und französische Geschichte.18 In den 1920er- und 1930er-Jahren war das Historische Seminar damit personell, aber auch räumlich quantitativ eher schlecht aufgestellt.19 Mittelbewilligungen für den Ausbau des Historischen Seminars waren insbesondere in Berufungs- beziehungsweise Bleibeverhandlungen erfolgversprechend, nur gab es in diesen Jahrzehnten wenig Wechsel auf den Lehrstühlen. Eine Verbesserung der personellen und finanziellen Ressourcen des Historischen Seminars erfolgte 1942 im Rahmen der Neubesetzung der zwei Lehrstühle des Seminars – in diesem Jahr kam der 14

15 16 17 18 19

Beschreibungen zum Wirken der Lehrstuhlinhaber finden sich ebd. Allgemein zu Karrieren der Professoren vgl. auch Weber 1984. Für Unterstützung bei der Sichtung der Personalakten im Universitätsarchiv Münster danke ich Nadine Förster und Fabian Behre. Vgl. Goetz 2011, S. 125f. Zu Details vgl. unter anderem seine Personalakten im UAMs, Bestand 10, Nr. 6645, und Bestand 5, Nr. 303. Vgl. Schreiben des Dekans an das Preußische Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung vom 13.1.1928, UAMs, Bestand 10, Nr. 6645. Vgl. UAMs, Bestand 10, Nr. 449, Bestand 5, Nr. 830, Bestand 63, B II 2 e. Ab 1932 wurden die Arbeitsbedingungen am Historischen Seminar mit der Bewilligung einer besoldeten Hilfskraft geringfügig verbessert. 1945 trat der erste Assistent am Historischen Seminar, Dr. Karl Banzer, diese Stelle an, der schon während des Krieges, mindestens seit 1942 als „Seminarwart“ des Historischen Seminars gearbeitet hatte. Eine zweite Assistentenstelle für das Historische Seminar wurde vom Rektorat 1949 bewilligt. Vgl. UAMs, Bestand 62, Nr. 110.

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Freiburger Mediävist Gerd Tellenbach für zwei Jahre nach Münster, fast zeitgleich mit dem Neuzeithistoriker Kurt von Raumer. Nach dem Zweiten Weltkrieg bis zum Ende des Untersuchungszeitraums wurde das Historische Seminar von den langjährig in Münster wirkenden Ordinarien Herbert Grundmann20 und Kurt von Raumer21 geprägt. Nach Eitels regulärer Emeritierung 1950 folgte Paul Egon Hübinger nach, ein weiterer Vertreter der katholischen Wissenschaft, der zuvor an der Universität Bonn ein planmäßiges Extraordinariat innehatte.22 1954 ging er in die Politik und kehrte 1959 an die Bonner Universität zurück. Hübinger, der sich schon früh nach dem Krieg um eine Revision des Geschichtsbilds bemühte,23 setzte sich auch in den 1960er- und 70er-Jahren mit der Geschichte seiner Heimatuniversität Bonn im Nationalsozialismus auseinander.24 Sein Nachfolger auf dem Konkordatslehrstuhl wurde 1955 Otto Herding. Als Folge der Zunahme der Studierendenzahlen in den 1950er-Jahren wurde neben den beiden langjährig bestehenden Lehrstühlen nach dem Krieg auch das Historische Seminar in Münster ausgebaut. Die Erhöhung der Zahl der Ordinarien und außerordentlichen Professuren ging, analog zur Entwicklung an anderen Universitäten, einher mit der Ausdifferenzierung der Fachrichtungen, die sich in Münster in der Gründung verschiedener Abteilungen innerhalb des Historischen Seminars vollzog. Erste Schritte auf dem Weg zur Etablierung der Neueren und Neuesten Geschichte in Münster erfolgten 1955 mit der Übertragung eines persönlichen Ordinariats an Werner Conze. Daneben fielen in den Untersuchungszeitraum Aufbau und Gründung der Abteilung für osteuropäische Geschichte 1958 sowie für Westfälische Landesgeschichte 1964. Interessant ist die starke und frühe Institutionalisierung der Militärgeschichte in Münster mit Werner Hahlweg, der ab 1950 als Dozent mit Schwerpunkt auf der niederländischen Geschichte am Historischen Seminar arbeitete und 1957 erst zum außerplanmäßigen Professor für Militärgeschichte und Wehrwissenschaft ernannt und 1969 als Ordinarius auf den einzigen Lehrstuhl dieses Zuschnitts in der Bundesrepublik, der in Münster für ihn geschaffen worden war, berufen wurde.25 20 21 22 23 24

25

Grundmann folgte in Münster auf Tellenbach und war Ordinarius für mittelalterliche Geschichte von 1944 bis 1959. Kurt Raumer, ordentlicher Professor in Münster für Mittelalterliche und Neuere Geschichte von 1942 bis 1969. Vgl. Weber 1984, S. 240. Vgl. beispielsweise Hübinger 1950. Vgl. Hübinger 1963. Ist die Zeit des Nationalsozialismus hier noch eher allgemein behandelt, veröffentlichte Hübinger 1974 den Band „Thomas Mann, die Universität Bonn und die Zeitgeschichte. Drei Kapitel deutscher Vergangenheit aus dem Leben des Dichters 1905–1955“. Darin setzt er einen Schwerpunkt auf die Vertreibung Thomas Manns von der Universität sowie die Vorgänge um die Aberkennung von dessen Ehrendoktortitel im Jahr 1936 und beschäftigt sich im Epilog auch mit der Frage der Schuld und Verantwortung von Fakultät und Universität sowie mit Fragen von persönlichen Spielräumen der Handelnden. Vgl. Personalakten Hahlwegs im UAMs, Bestand 63, Nr. 256, Bestand 207, Nr. 563.

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Insbesondere im Bereich der Landesgeschichte wurden Forschung und Lehre am Historischen Seminar der Universität flankiert von außeruniversitären Einrichtungen, die ebenfalls Forschungsprojekte betrieben und Publikationen herausgaben. Dies war in Münster ab 1929 insbesondere das Provinzialinstitut für westfälische Landes- und Volkskunde des Provinzialverbands Westfalen, zu dessen Aufgaben auch die wissenschaftliche Erforschung und Darstellung von Aspekten westfälischer Geschichte gehörte. Eine Verbindung zur Universität bestand insbesondere über die 1896 gegründete Historische Kommission, die, ehemals unabhängig, ab 1929 als Teil des Provinzialinstituts institutionell an den Provinzialverband angegliedert worden war und im Nationalsozialismus nach einer Satzungsänderung von 1933 stärker von diesem kontrolliert wurde.26 Seine Mitglieder rekrutierten sich in großer Zahl aus dem Historischen Seminar.27 Auch zum Staatsarchiv bestand eine enge Verbindung, die sich beispielsweise in der regelmäßigen Einbeziehung der Leiter des Archivs als Honorarprofessoren am Historischen Seminar manifestierte. Die einzige Ausnahme von dieser Praxis im Untersuchungszeitraum ist aufschlussreich und wird später noch erwähnt. Die Verbindung zum Archiv verstärkte sich in der Zeit, als nach dem Bombentreffer der Räume des Historischen Seminars in der Alten Sternwarte 1943 und der Einstellung des Lehrbetriebs der Philosophischen Fakultät im Herbst 1944 das Historische Seminar nach Kriegsende für drei Jahre in Räume des Staatsarchivs einzog, bis es nach einer weiteren Zwischenlösung in den ehemaligen Reiterkasernen in der Steinfurter Straße seinen bis heute bestehenden Platz im 1956 neuerbauten Fürstenberghaus fand.28 Nach diesem kleinen Blick auf die Situation des Historischen Seminars im Untersuchungszeitraum sollen jetzt einige Vorgänge aus den Phasen der Systemwechsel beleuchtet werden.

Übergänge und Zäsuren 1933 – 1942 – 1945 Mit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1933 änderte sich der Rahmen der Universitätsverfassung,29 personell wirkte sich der Regimewechsel jedoch vorerst nicht auf das Historische Seminar aus. Anders als beim Institut für Altertumskunde gab es im Historischen Seminar keine Entlassungen nach dem Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums. Wätjen und Eitel blieben unangefochten in ihren Positionen. Wätjen begrüßte als nationaler, „unpolitischer“ Historiker das Ende der Weimarer Republik, trat jedoch nicht in die NSDAP ein und blieb zu den Nationalsozialisten auf der Distanz, die zwischen nationalkonservati26 27 28 29

Vgl. Ditt 1988, bes. S. 81f., S. 243f., S. 277–283. Vgl. auch Kohl 1972. Zu den Standorten der Universität Münster vgl. Niemer 2010. Vgl. die Beschreibungen der Politisierung der Hochschule bei Hörster-Philipps/Vieten 1980.

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ven Geschichtsinterpretationen und den rassistischen Theoremen nationalsozialistischer Prägung bestanden.30 Eitel erlebte in den ersten Jahren nach der Machtübernahme eine Aufwertung seines Einflusses innerhalb der Universität und der lokalen historischen Szene: Er wurde im Mai 1933 Dekan der Philosophischen Fakultät und für das darauffolgende akademische Jahr 1934/35 zum Prorektor der Universität ernannt.31 Neben der Leitung des Vereins für Geschichte und Altertumskunde Westfalens, die er seit 1928 innehatte, übernahm er vom Herbst 1933 bis 1941 den Vorsitz in der Historischen Kommission des Westfälischen Provinzialinstituts. Bei Vorlesungsangeboten und Seminaren änderte sich die Rhetorik insbesondere bei einigen jüngeren beziehungsweise weniger etablierten Dozenten schnell. So nahm die Zahl der Überblicksvorlesungen mit Zeitbezügen bis in die Gegenwart zu, „Rasse“ hielt als Kategorie Einzug in Interpretationen der Geschichte, zum Beispiel bei Veranstaltungen von von Klocke und Carl Arnold Willemsen. Keiner der Historiker engagierte sich jedoch in den ab dem Wintersemester 1933/34 angebotenen und stark ideologisierten sogenannten Politischen Vorlesungen für Hörer aller Fachbereiche, obwohl diese häufig historische Ausrichtungen hatten.32 Dagegen wurde die Beschäftigung mit Deutscher Volksgeschichte durch Veranstaltungen von von Klocke kontinuierlich ausgebaut.33 Am Historischen Seminar in Münster zeigte sich das typische Phänomen, dass insbesondere bei jungen, aufstrebenden Mitgliedern des Seminars, deren Position an der Universität noch nicht gesichert war, Parteieintritte aus dem Jahr 1933 zu finden sind. In Münster war das neben Friedrich von Klocke auch Carl Arnold Willemsen, Jahrgang 1902, der 1933 zudem Mitglied der SA wurde und in Münster von 1935 bis 1940 nichtbeamteter außerordentlicher Professor für Geschichte und Historische Hilfswissenschaften war.34 Auf die Zeit nach Lockerung der Aufnahmesperre in die NSDAP am 1. Mai 1937 entfallen die vier Parteieintritte von Anton Eitel (1937), Kurt von Raumer (1938), Hermann Kesting (1937) und Johannes Bauermann (1937), Direktor des Staatarchivs seit 1939, von 1940 bis 1945 Honorarprofessor am Historischen Seminar. Bauermann war zudem von 1936 bis 1938 förderndes Mitglied der SS. Eine Parteimitgliedschaft war jedoch nicht Voraussetzung für eine Berufung nach Münster während des Nationalsozialismus, wie die Berufungen der Nicht-Parteimitglieder Gerd Tellenbach im Jahr 1942 und Herbert Grundmann 1944 zeigen. Die stärkere Hinwendung insbesondere in der Lehre zu Begriffen und Konzepten mit Anschlussfähigkeit an nationalsozialistische Geschichtsinterpretationen 30

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Zu Biografie und Werk Wätjens vgl. Mütter 2010. Eine exemplarische Auswertung verschiedener Vorlesungsmanuskripte und Publikationen Wätjens während der NS-Zeit auch bei Fausser 2000, S. 96–104. Vgl. UAMs, Bestand 10, Nr. 1625, Bd. 1. Details vgl. auch Fausser 2000, S. 82–90. Vgl. zum Beispiel UAMs, Bestand 186, Nr. 2, Beispiele dazu vgl. auch bei Fausser 2000, S. 87–91. Zu Willemsen vgl. UAMs, Bestand 10, Nr. 473. Er wurde 1932 nach Münster umhabilitiert und wurde 1939 a.o. Professor an der Akademie Braunsberg/Ostpreußen.

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erfolgte im Historischen Seminar Anfang der 1940er-Jahre. Zu diesem Zeitpunkt rückte das Seminar in den Blick der lokalen Gauleitung sowie der Universitätsleitung, was zu einer Reihe mehr oder weniger direkter Eingriffe führte.35 Über die Einflussnahme auf die Personalpolitik des Historischen Seminars, genauer über die forcierte Beendigung von Dienstverhältnissen und Einfluss auf die Kandidatenauswahl bei Neuberufungen, erreichte die Gauleitung im Schulterschluss mit dem Rektorat und dem REM, insbesondere auf dem Lehrstuhl für neuere Geschichte eine fachlich und politische Neuausrichtung durch den neuen Lehrstuhlinhaber Kurt von Raumer. Da zum Zeitpunkt der Erreichung des 65. Lebensjahres im Februar 1941 noch kein Nachfolger für Wätjen verpflichtet war, verschob der Rektor dessen Emeritierung. Das politische Gutachten, das wegen der Dienstverlängerung Wätjens bei der Gauleitung beantragt wurde, fiel ähnlich wie schon die Bewertung bei den Berufungsverhandlungen Wätjens mit Hamburg negativ aus. Es enthielt nun jedoch auch eine Reihe von Anschuldigungen persönlicher wie fachlicher Art, die alle darauf zielten, eine Verlängerung der Dienstverpflichtung von Wätjen zu verhindern.36 Die Inhalte des Gutachtens führten zu Wätjens Entpflichtung zum Ende des Wintersemester 1941/42, hatten jedoch keine weiteren Konsequenzen für den Professor, auch weil der Kurator nach Rücksprache mit dem Gaupersonalamtsleiter dazu riet, den Fall aufgrund der bereits beschlossenen Emeritierung „auf sich beruhen zu lassen“.37 Mit der Beschneidung der Rechte als Emeritus hatte die Gauleitung ihr Ziel, den Rückzug Wätjens aus dem Historischen Seminar, erreicht. Fast zeitgleich verlor das Historische Seminar auch den zweiten Ordinarius. Anton Eitel war 1937 in die NSDAP eingetreten, wurde jedoch 1941 aus der Partei ausgeschlossen. Innerhalb der Partei war nämlich bekannt geworden, dass Eitel Mitte der 1930er-Jahre ein kanonisches Gericht angerufen hatte, um seine Ehe scheiden zu lassen – die aus dieser Handlung deutlich zu Tage tretenden kirchlichen Bindungen führten zum Parteiausschluss. Ähnlich wie im Fall Wätjen fand sich auch bei Eitel eine Lösung insofern, als Eitel formal aus gesundheitlichen Gründen und somit mit vollen Rechten in den vorzeitigen Ruhestand ging.38 Zur Überbrückung der Vakanzen und um eine stärkere Politisierung im Sinne des nationalsozialistischen Regimes zu erreichen, vergab der Dekan 1941 an Hermann Kesting einen Lehrauftrag für Geschichte und Politik mit einem Schwerpunkt auf der Methodik der Geschichtswissen35 36

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Vgl. auch Fausser 2000, S. 61f. So habe Wätjen sich Anfang 1933 gegenüber dem Führer der historischen Fachschaft negativ über Hitlers „Mein Kampf“ geäußert, habe sich geweigert, Literatur von Walter Frank für die Seminarbibliothek anzuschaffen, und habe nach dem Verlust des Hauses durch einen Bombentreffer im Juli 1941 Aufnahme bei einer befreundeten „Volljüdin“ erhalten. Vgl. politisches Gutachten des Gaupersonalamts vom 21. Januar 1942, UAMs, Bestand 10, Nr. 458; s. auch Fausser 2000, S. 51–55. Vgl. handschriftlicher Vermerk von Kurator Beyer vom 24.2.1942 auf dem Gutachten des Gaupersonalamts, UAMs, Bestand 10, Nr. 458. Vgl. Fausser 2000, S. 50f.

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schaft, der zu den am stärksten politisch gefärbten Veranstaltungsangeboten des Historischen Seminars führte und deren unverhohlene Titel ihren legitimatorischen Charakter offenlegten. Kesting, Mitglied der NSDAP seit 1937, begann seine Tätigkeit in Münster mit einer Vorlesung „1000 Jahre Kampf um die deutsche Einheit. Reichsgröße – Reichssehnsucht – Reichserfüllung“ und las zudem über „Politische Fragen der Gegenwart in geschichtlicher Bedeutung“ oder im Wintersemester 1942/43 „Quellen zur Politik der Reichsgründer (Heinrich, Otto von Bismarck, Adolf Hitler)“. Viele seiner Angebote wurden für Hörer aller Fachbereiche geöffnet. Der promovierte Gymnasiallehrer und Fachleiter für Geschichte war anders als die alten Lehrstuhlinhaber Wätjen und Eitel zudem bereit, auch außerhalb der Universität politische Vorträge auf Veranstaltungen der NSDAP zu halten.39 Die doppelte Vakanz am Historischen Seminar nach dem Weggang von Wätjen und Eitel Anfang 1942 scheint als Chance auf einen „Neubeginn“ in verschiedener Hinsicht gewertet worden sein. Einerseits drängten Gauleitung und Universitätsleitung auf eine stärkere Politisierung der Arbeit am Historischen Seminar. Diesen Aspekt machte Rektor Mevius im Sommer 1941 stark, wie der kurze Ausschnitt aus seinem Schreiben an den Rektor der Universität Leipzig zeigt, dem – verkürzt – das Zitat des Titels dieses Aufsatzes entlehnt ist: „Wir brauchen hier in Münster einen jüngeren, energischen Historiker, der das eingeschlafene historische Institut zu neuem Leben erweckt, der aber vor allen Dingen in Stande ist, den heutigen Studierenden solche Geschichtskenntnisse zu vermitteln, wie sie von den zukünftigen Studienräten im nationalsozialistischen Deutschland verlangt werden müssen“.40

Andererseits bot sich durch die Aufhebung der konfessionellen Bindung des Lehrstuhls – sie war 1937 auf Antrag des Kurators durch Streichung des entsprechenden Paragraph 7 (1902 noch Paragraf 4) der Universitätssatzung aufgehoben worden41 – die Chance, die Profilierung des Historischen Seminars weiter voranzutreiben. Beide Bestrebungen, die den generellen Wunsch nach einer größeren Bedeutung des Historischen Seminars erkennen ließen, wurden durch die Neuberufungen von 1942 verkörpert: Mit Kurt von Raumer berief die Universität einen Wissenschaftler, der politisch deutlich größere Affinität zum Nationalsozialismus aufwies als alle Münsterschen Ordinarien zuvor. Bei der Suche eines Nachfolgers für Wätjen machte Rektor Mevius von seiner Führerkompetenz Gebrauch und stimmte sich, zum Beispiel bei einem Treffen im April 1942, auch mit dem Gauleiter ab. Mit Gerd Tellenbach, dem Nachfolger von Eitel, wurde ein Historiker evangelischer Konfession berufen, der ein großes wissenschaftliches Potential erkennen 39

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Er wird in einer Übersicht von 1935 als Ortsgruppen-Schulungsleiter im Gau WestfalenNord geführt. Vgl. Liste anliegend zum Schreiben des Kreisschulungsleiters vom 1.3.1935, LAV NRW W, NSDAP-Gauleitung Westfalen Nord, Gauschulungsamt, Nr. 228. Vgl. Schreiben von Rektor Mevius an den Rektor der Universität Leipzig vom 18. Juli 1941, UAMs, Bestand 4, Nr. 240. Vgl. Antrag des Kurators an das REM vom 14.6.1937, UAMs, Bestand 4, Nr. 240.

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ließ. Seine Karrierechancen im Dritten Reich waren jedoch durch weitgehend fehlende Anpassung an den Nationalsozialismus eingeschränkt,42 wodurch sich Chancen für das Historische Seminar in Münster ergaben, ihn erfolgreich, wenn auch nur für zwei Jahre und bei gleichzeitiger Vertretung seiner alten Professur in Gießen, in ihre Stadt zu berufen. Die Universitätsleitung unterstützte die politische Ausrichtung von wissenschaftlicher Forschung und Lehre auf Themenfelder und Interpretationen mit Anschlussfähigkeit an nationalsozialistische Theoreme, wehrte sich jedoch gegen ein allzu offensichtliches Primat der Politik in der wissenschaftlichen Arbeit durch Dozenten, die sich außerhalb der Zunft bewegten und nicht von der community akzeptiert waren. Dies zeigte sich bei den vergeblichen Versuchen Kestings, seine Tätigkeit auch nach den Berufungen von Raumers und Tellenbachs fortzuführen. Eine nicht fristgerecht eingereichte Habilitationsschrift Kestings bot der Fakultät die Möglichkeit zur Beendigung des Lehrauftrags. Kestings Versuche, in den folgenden zwei Jahren doch noch eine Fristverlängerung zu erreichen beziehungsweise verschiedene seiner Schriften als Habilitation anerkennen zu lassen und an die Universität zurückzukehren, scheiterten.43 Dies zeigt, dass bei allen Veränderungen und Annäherungen an die neuen politischen Rahmenbedingungen zentrale ältere Normen und Traditionen des Wissenschaftsbetriebs in Münster vielfach weiter Geltung behielten. Neben der Einflussnahme der lokalen Gauleitung bei den beschriebenen Wechseln auf den Ordinariaten 1942 gibt es weitere Beispiele dafür, wie sie in regelmäßigen Kontakten zur Universitätsleitung erfolgreich direkten politischen Einfluss auf Belange des Historischen Seminars nehmen konnte. Im Jahr 1938 beispielsweise verhinderte der Gauleiter, dass dem Direktor des Staatsarchivs Münster, Eugen Meyer, eine Honorarprofessur für historische Hilfswissenschaften verliehen wurde. Meyers letzte Vorgänger, Friedrich Philippi und Ludwig Schmitz-Kallenberg, hatten langjährig44 am Historischen Seminar als Honorarprofessoren gelehrt, ebenso wie Meyers Nachfolger Johannes Bauermann von 1939 an.45 Nachdem der Rektor anlässlich der Eröffnung eines Neubaus am Staatsarchivgebäudes wohl eine Honorarprofessur für Meyer mit Hinweis auf eine „alte, gute Tradition, dass der Leiter des Staatsarchivs Mitglied des Lehrkörpers der Universität sei,“ in Aussicht gestellt hatte, intervenierte der Leiter des Gauschulungsamtes bei der Universität.46 Hintergrund für die Ablehnung waren vergangene Konflikte zwischen Provinzialverband und Gauleitung während des Machtkampfes aus dem Jahr 1933 um die zukünfti42 43 44 45 46

Vgl. Schönwälder 1992, S. 226, auch Jatho 2008. Details vgl. UAMs, Bestand 10, Nr. 4, auch Fausser 2000, S. 91–95. Philippi 1900 bis 1920, Schmitz-Kallenberg von 1922 bis zu seiner Pensionierung 1932. Sogar nach seiner Pensionierung als Staatsarchivdirektor 1961 bot Bauermann weiter Lehrveranstaltungen am Historischen Seminar an. Dies geht aus einer längeren Aktennotiz eines Treffens zwischen dem Rektor, dem Kurator und dem Leiter des Gauschulungsamts, Rosenbaum im Sommer 1938 hervor. LAV NRW W, NSDAP – Gauleitung Westfalen-Nord, Gauschulungsamt, Nr. 226.

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ge Rolle der Historischen Kommission, in der sich der Provinzialverband gegen die Gauleitung durchgesetzt hatte.47 Die Beispiele zeigen das Spannungsfeld von erfolgreichem Einfluss der Politik auf das Historische Seminar einerseits und der Wirkung von Beharrungskräften andererseits, die Qualitätsstandards wissenschaftlicher Arbeit verteidigten, vor allem aber tradierte Eintrittswege in die Universität und in eine wissenschaftliche Karriere wie beispielsweise eine innerhalb der Zunft akzeptierte Habilitationsschrift. Das von vielen Seiten geäußerte Interesse an einer Belebung und „Modernisierung“ des Historischen Seminars zeigte sich auch an der Bereitstellung größerer Ressourcen. Die beiden neuen Lehrstuhlinhaber, von Raumer und Tellenbach, beantragten im Sommer 1942 beim REM in Berlin in mehreren Schreiben die Verbesserung der Rahmenbedingungen für Lehre und Forschung: Darunter fallen die Forderung nach einer wissenschaftlichen Assistentenstelle am Historischen Seminar,48 das bis dato lediglich über eine wissenschaftliche Hilfskraft verfügte, Zuschüsse für den systematischen Aufbau einer Abteilung für Historische Hilfswissenschaften49 sowie höhere Zuschüsse zum Jahresetat des Historischen Seminars.50 Zuvor hatten beide bereits Mittel zum Ausbau der Seminarbibliothek beantragt, insgesamt wurden 1942 und 1943 zu diesem Zweck 4.000 RM sowie zwei wissenschaftliche Hilfskräfte für den Auf- und Ausbau der Bibliothek bewilligt.51 Das Jahr 1945 bedeutete dagegen für das Historische Seminar keine wirkliche Zäsur. Die zwei beziehungsweise drei Ordinarien des Seminars (Herbert Grundmann, Kurt von Raumer und ab 1946 wieder Anton Eitel) hatten alle bereits zur Zeit des nationalsozialistischen Regimes in Münster gelehrt beziehungsweise waren noch unter den Bedingungen des Nationalsozialismus berufen worden wie Grund47

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Damals versuchte Eduard Schulte, damals noch Stadtarchivar, später Stadtarchivdirektor und 1933 Geschäftsführer der Historischen Kommission, deren Aufgaben radikal und „ausschließlich darauf (zu) erstrecken, die neudeutsche Kulturpolitik aktiv zu unterstützen“. Vgl. Schultes Denkschrift „Neue Aufgaben“; LAV NRW W, Nachlass von Klocke, Nr. 151,3. Schulte war zu diesem Zeitpunkt NSDAP-Mitglied und Gaufachberater für Geschichte der Gauleitung Westfalen-Nord. Er konnte sich jedoch gegen den Provinzialverband nicht durchsetzen und verlor seine Position an Eugen Meyer. Unterstützt wurde Meyer dabei vom damaligen Vorsitzenden der Historischen Kommission, Anton Eitel. Vgl. auch Ditt 1988, S. 278. Die Stelle wurde Anfang 1945 mit Dr. Karl Banzer besetzt; vgl. UAMs, Bestand 62, Nr. 110. Vgl. Schreiben von Raumer und Tellenbach an das REM vom 11.6.1942, ebd. Vgl. Schreiben von Raumer und Tellenbach an das REM vom 13.6.1942 mit dem Antrag auf Neufestsetzung der Haushaltsmittel für 1943. Die Unterzeichner fordern, den Jahresetat von 1910 Reichsmark unabhängig von den Mitgliederzahlen des Historischen Seminars zu zahlen. Ebd. Zu den Schriftwechseln vgl. UAMs, Bestand 9, Nr. 390. 1942 bewilligt zudem die Gesellschaft zur Förderung der Westfälischen Wilhelms-Universität auf Antrag von Bauermann 1.000 RM, um die dritte Serie des Werks „Monumenta palaeographica“ anzuschaffen. Vgl. ebd.

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mann.52 Angeknüpft wurde allerdings erneut an die Tradition der Förderung der katholischen Wissenschaft durch die Wiederherstellung des Konkordatslehrstuhls53 und die Wiedereinsetzung Anton Eitels 1946. Dieser erreichte die Rückgängigmachung seiner Frühpensionierung, was zur Gründung eines zweiten Lehrstuhls für Mittelalterliche Geschichte führte, den Eitel 1946 bis zu seiner Pensionierung 1950 innehatte und der erneut als Konkordatslehrstuhl ausgewiesen wurde.54

Friedrich von Klocke – eine Karriere unter Bedingungen des Nationalsozialismus Am Beispiel Friedrich von Klockes lohnt ein näherer Blick auf die Umstände einer Karriere im Nationalsozialismus, die einherging mit der zwischenzeitlichen Etablierung der deutschen Volksgeschichte am Historischen Seminar in Münster. Eine reiche Quellenüberlieferung55 ermöglicht beispielhaft Einsichten in das Zusammenspiel von verschiedenen politischen und wissenschaftlichen Institutionen, hier zwischen Universität, Provinzialverband, NSDAP-Gauleitung, Amt Rosenberg und dem REM während der NS-Zeit. Das Beispiel zeigt ein Ressourcenensemble,56 bei dem die teilweise Verschmelzung von politischen und wissenschaftlichen Regionalinteressen mit ideologischen Interessen der NSDAP und persönlichen For52

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Grundmann war zwar zum 1.10.1944 berufen wurde, trat faktisch sein Ordinariat erst 1945 an aufgrund der kriegsbedingten Schließung der Philosophischen Fakultät im Herbst 1944 und Grundmanns Einsatz in der Wehrmacht. Angemahnt auch durch Bischof Graf von Galen in seinem Schreiben an Rektor Schreiber vom 4.11.1945. Vgl. UAMs, Bestand 62, Nr. 25. Hinweise auf den internen Weg der Wiedereinsetzung Eitels auf einen Konkordatslehrstuhl enthalten auch die Personalakten Gisbert Beyerhaus, dessen Frage nach einer Gastprofessur vom Rektorat über einige Monate mit der Causa Eitel aus taktischen Gründen verknüpft wurde. Vgl. UAMs, Bestand 63, Nr. 17, auch Schriftwechsel des Rektors in der Sache von 1946, UAMs, Bestand 10, Nr. 858. Zur Wiedereinsetzung des Konkordatslehrstuhl vgl. auch den entsprechenden Paragraphen 11 der Satzung der Philosophischen Fakultät der Universität Münster Anfang der 1950er-Jahre: „(1) In der Philosophischen Fakultät sollen für Philosophie und für das Fach der Mittleren und Neueren Geschichte je ein ordentlicher Professor evangelischer und ein ordentlicher Professor katholischer Konfession bestellt werden. (2) Im Übrigen bestehen an der Universität, abgesehen von den theologischen Fakultäten, keinerlei konfessionelle Beschränkung für die Besetzungen der Lehrstühle.“ In der Universitätssatzung von 1966 gab es keinen Paragraphen mehr zur konfessionellen Bindung eines Lehrstuhls im Historischen Seminar; vgl. zum Beispiel Exemplar im UAMs, Bestand 9, Nr. 1792. Personalakten und Entnazifizierungsunterlagen finden sich im UAMs, im LAV NRW W und LAV NRW R. Von Klocke hinterließ einen umfangreichen Nachlass. Ein großer Teil davon liegt in der ULB Münster; dieser Teil ist noch nicht verzeichnet und damit kaum zugänglich. Ein kleinerer Teil des Nachlasses ist im LAV NRW W überliefert als Teil des Nachlasses seiner Familie. Dieser Teil ist ebenso erschlossen wie der Teil, der im Universitätsarchiv Münster liegt. Ash, beispielsweise 2002.

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schungsinteressen und Karriereerwägungen sich auf mehreren Ebenen begegneten und beeinflussten. Ebenso aufschlussreich wie das Zusammenspiel in den 1930erund 1940er-Jahren sind die persönlichen Folgen dieser Verbindungen mit dem NSRegime für von Klocke nach 1945. Friedrich von Klocke, geboren 1891, stammte aus einem westfälischen Adelsgeschlecht und fand seinen wissenschaftlichen Schwerpunkt in der Stadt- und Landesgeschichte mit besonderem Interesse an der Ständegeschichte und der Genealogie. Er war von 1919 bis 1925 Archivar in der Zentralstelle für Deutsche Personen- und Familiengeschichte in Leipzig und arbeitete anschließend bis zu seinem Wechsel an die Universität Münster 1931 als Oberarchivar der Vereinigten Adelsarchive.57 In Münster, wo er sich 1931 habilitierte, begann von Klocke als Privatdozent mit einem Lehrauftrag für „Mittlere und Neuere Geschichte, insbesondere westfälische Geschichte“, der in den folgenden Jahren um den Bereich „Deutsche Volksgeschichte“ erweitert wurde.58 1939 wurde er zum Dozenten neuer Ordnung, das heißt zum Dozenten im Beamtenverhältnis, ernannt. 1942 erhielt er eine außerordentliche Professur für Mittlere und Neuere Geschichte, insbesondere Westfälische Geschichte. Viele seiner (1939 waren es schon 80) Aufsätze in landeskundlichen Zeitschriften beschäftigen sich mit Fragen der Ahnen- und Familienforschung sowie der Stadtgeschichte. Neben seiner Tätigkeit an der Universität war er gut in der lokalen Szene der Landesgeschichte vernetzt. Seit 1926 war er Mitglied der Historischen Kommission.59 Ditt hat detailliert beschrieben, wie das Provinzialinstitut für westfälische Landes- und Volkskunde als Dachorganisation von vier Kommissionen, darunter der Historischen, gegründet wurde, um Raum und Volkstum Westfalens zu erforschen. 60 Methodisch fokussierte sich das Institut auf die Kulturraumforschung, und Ditt konstatiert, dass das Provinzialinstitut seit Ende der 1920er-Jahre weniger interessiert war an Unterstützung und Sicherung des kulturellen Erbes als vielmehr daran, durch die Förderung eines Westfalenbewusstseins verstärkt auch politische Forderungen nach territorialer Ausdehnung der Provinz begründen zu können. Die Hinwendung zu Raum- und Volkstumsfragen in Politik und Wissenschaft ermöglichte dem Provinzialinstitut, wissenschaftliche Erkenntnisse über die Ausbreitung des Westfalenbewusstseins zur Legitimation von territorialen Ansprüchen für die Provinz Westfalen zu nutzen. Von Klocke, der auch mit anderen Projekten des Provinzialinstituts beauftragt war,61 war einer der Protagonisten an der Universität, der 57 58 59 60 61

Vgl. beispielsweise Artikel in der Münsterschen Zeitung vom 12./13. Juni 1937; LAV NRW W, NSDAP – Gauleitung Westfalen-Nord, Gauschulungsamt, Nr. 226. Vgl. Schreiben an Dekan vom 8.3.1937, UAMs, Bestand 63, Nr. 3, Bd. 1. Vgl. Trauerrede von Raumers am 2.1.1961, LAV NRW W, Nachlass von Klocke, Nr. 445. Vgl. Ditt 1988. So arbeitete er seit 1928 beinahe zwei Jahrzehnte lang an der Edition der Soester Regesten, bevor er die ersten beiden Bände des Projekts abschloss, vgl. beispielsweise LAV NRW W, Nachlass von Klocke, Nr. 152.

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diesen Anspruch mit seiner wissenschaftlichen Arbeit stützte.62 Die systematische Auswertung seiner zahlreichen Publikationen und insbesondere seines umfangreichen Nachlasses könnte weitere Details und Differenzierungen erbringen; dieser Aufsatz stützt sich auf einige Unterlagen aus seinem Nachlass zu seiner wissenschaftlichen Lehre am Historischen Seminar sowie auf einigen Publikationen und Manuskripte aus den 1930er- und 1940er-Jahren. In dem bereits erwähnten Konflikt um eine stärkere Politisierung der Arbeit der Historischen Kommission 1933 vertrat von Klocke eine eher gemäßigte Position im Vergleich zum damaligen Geschäftsführer Eduard Schulte. Dieser hatte nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten eine Denkschrift ausgearbeitet, die konkrete Vorschläge zur Hinwendung zu breiteren Bevölkerungsschichten und zu einer Abkehr von Editionsprojekten hin zu stärkerer Vermittlungsarbeit auch für Rezipienten außerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft enthielt. Von Klocke legte seine Vorstellungen im Juli 1933 ebenfalls schriftlich nieder.63 Er plädierte für die Fortführung älterer Projekte, die vorrangig der Veröffentlichung von Quellenmaterial dienten, wie beispielsweise das Westfälische Urkundenbuch oder Inventare nichtstaatlicher Archive. In seiner Vorschlagsliste für neuere Aufgaben schlug er Darstellungen beispielsweise zur Bevölkerungs-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Westfalens oder zur Rolle Westfalens in der Siedlungs- und Kolonialgeschichte, insbesondere bei der Besiedelung Osteuropas im Mittelalter, vor. Als einziges Mitglied des Historischen Seminars übernahm von Klocke Verantwortung auch als Mitarbeiter der Gauleitung Westfalen-Nord. Nachdem er 1933 in die NSDAP eingetreten war, begann seine Tätigkeiten für die NSDAP-Gauleitung Westfalen-Nord ein Jahr später. Anfangs war er „Gauschulungsredner für politische Volkskunde im Gauschulungsamt“.64 Im September 1934 übernahm er Referate für Volkskunde und Heimatgeschichte im Gaukulturamt sowie im Gauschulungsamt, für das er weiterhin „rednerisch tätig“ war. Im Gaukulturamt wurde von Klocke ab

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Vgl. beispielsweise seine „Notizen zum Westfalen-Bewußtsein“ vom April 1935, zitiert in Fausser 2000, S. 87f. Zum Kontext vgl. auch Ditt 2005. Vgl. Manuskript von Klockes „Bemerkungen zum allgemeinen Arbeitsplan der Historischen Kommission Westfalens“ vom 19.7.1933, LAV NRW W, Nachlass von Klocke, Nr. 151,3. Den Ausweis erhielt er am 20.6.1934 und war seitdem in der Schulungsrednerkartei, vgl. LAV NRW W, NSDAP-Gauleitung Westfalen-Nord, Gauschulungsamt, Nr. 226. Dem Gauschulungsamt oblag die politische Schulung von Parteimitgliedern, besonders denen der „politischen Leiter“ mit öffentlichen Funktionen. Zu diesem Zweck organisierte das Amt Lehrgänge an den von ihnen geleiteten sogenannten Gauschulungsburgen in Westfalen in Nordkirchen, Erwitte, Senne, Botzlar und Lübbecke. Daneben betreute das G. den Stab weltanschaulich-politischer sogenannter Schulungsredner. Vgl. auch LAV NRW W, Findbuch C 3. Eine ausführliche zeitgenössische Beschreibung „Die Aufgaben und der Aufbau des Gauschulungsamtes Westfalen-Nord der N.S.D.A.P. im Jahre 1934“ befindet sich ebd., Gauschulungsamt Nr. 223.

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1934, im Gauschulungsamt ab 1941 als Gaustellenleiter geführt.65 Persönlich und auch finanziell profitierte von Klocke während des Nationalsozialismus von der zunehmenden Etablierung der deutschen Volksgeschichte und seinem Engagement in der Gauleitung. Traut man den Angaben zu seinen Einkünften seit 1933, die er im Fragebogen der Militärregierung machte, haben sich seine Einkünfte von anfangs 1700 RM bis 1944 beinahe vervierfacht.66 Hinweise, dass von Klocke seine Verbindung zur NSDAP auch zur Unterstützung seiner wissenschaftlichen Arbeiten zu nutzen versuchte, sind zumindest in einem Fall aktenkundig geworden. Im Jahr 1935 schrieb er eine Skizze „Westfalen und der Osten“, die er Anfang 1936 an den Gauschulungsleiter und den Gauamtsleiter sandte.67 Zum selben Thema hatte es Ende 1933 in Verbindung mit dem Provinzialverband auch eine „gegenwartsorientierte“ Ausstellung des Landesmuseums in Münster gegeben.68 Im August 1937 setzte sich der Gauschulungsamtsleiter beim Amt Rosenberg dafür ein, von Klocke durch die Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft die „Finanzierung und Einrichtung einer wissenschaftlichen Reise in den deutschen Osten“ zu bewilligen. Der Leiter des Amtes für Schulung im Amt Rosenberg antwortete einen Monat später und riet, von Klocke solle „einen persönlichen Antrag ohne jeden amtlichen Hinweis an die Notgemeinschaft richten. Diesen Antrag solle Pg. Dr. von Klocke nicht direkt an die Notgemeinschaft, sondern an mich senden. Ich werde dann von mir aus die Befürwortung des Amtes erwirken und die Sache unter der Maßgabe schleunigster Weiterbearbeitung an die Notgemeinschaft wenden“.69 1940 veröffentlichte von Klocke das Buch „Westfalen und der deutsche Osten vom 12. bis zum 20. Jahrhundert“,70 das sich an eine breite Leserschaft richtete und in die sogenannte „NS-Bibliographie“ aufgenommen worden war. In dem Band beschreibt er den Beitrag Westfalens an der Kolonisation Osteuropas seit dem Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert. Das Buch macht im Vorwort, aber nicht nur dort, deutliche Avancen an die nationalsozialistische Herrschaft mit einem Zitat aus „Mein Kampf“ und dem expliziten Lob Hitlers als „begnadeten Mann“. Durchweg legitimierte von Klocke einen territorialen Anspruch des Deut65 66 67 68 69

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Vgl. Schriftwechsel in der Personalakte von Klocke beim Gauschulungsamt, ebd. sowie Nr. 226. Vgl. Aufstellung von Klockes im Fragebogen der Militärregierung von Oktober 1946, ebd., Nachlass von Klocke, Nr. 445. Veröffentlicht im „Ostsee-Heft“ des „Westfälischen Erziehers“ auf S. 601; vgl. LAV NRW W, NSDAP-Gauleitung Westfalen-Nord, Gauschulungsamt Nr. 226. Vgl. Ditt 1988, S. 300. Schreiben vom 17.9.1937, LAV NRW W, NSDAP-Gauleitung Westfalen-Nord, Gauschulungsamt, Nr. 226. Einige Tage später hatte von Klocke in seiner Antwort angekündigt, den Antrag stellen zu wollen; vgl. ebd. Eine Forschungsreise in den deutschen Osten hat er jedoch wohl nicht gemacht – in seinen Kalendern aus den Jahren 1937 bis 1940, in denen er durchgängig unter anderem Reisen und wissenschaftliche Projekte vermerkte, ist nichts Derartiges vermerkt; vgl. LAV NRW W, Nachlass von Klocke Nr. 449,1–9. Vgl. Klocke 1940. Von Klocke verfasste die Publikation laut seinen Kalendereintragungen im September und Oktober 1940.

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schen Reichs auf die Ostgebiete als deutschen Volks- und Kulturraums und eine deutsche Hegemonie über die ansässigen Kulturen. Vergleichbare Argumentationsmuster finden sich in vielen zeitgenössischen Publikationen aus der Ostforschung und sind in den letzten Jahren stärker problematisiert worden.71 Die Annexion der Tschechoslowakei von 1938/39 und den Polenfeldzug von 1939 rechtfertigte er auch explizit.72 Von Klocke bemühte sich, für verschiedene Siedlungsräume im Baltikum, in Pommern, Schlesien, Ostpreußen, Böhmen, Mähren, dem Banat etc. einen gewichtigen westfälischen Anteil am deutschen „Volkstum“ in den genannten Regionen nachzuweisen, wobei er von einer „historisch-politischen Großlandschaft“ Westfalen ausging, die weite Teile des Hannoverschen beziehungsweise Oldenburgischen Landes einbezog: „Der Volkstumscharakter muß für uns das Einordnungsmittel sein!“73 Die Stoßrichtung seiner Schrift ging daher in zwei Richtungen: Legitimation der deutschen Expansionspolitik ebenso wie die erneute Formulierung von Ansprüchen in der Region auf einen erweiterten Raum Westfalens; ein Bestreben, das viele Projekte des Provinzialinstituts der Zeit verfolgten.74

„Persilscheinkultur“ auch am Historischen Seminar – Entnazifizierung Der Verlauf der Entnazifizierung von Klockes erlaubt interessante Einblicke in das Historische Seminar und den Umgang mit aus der Diktatur belasteten Personen sowie der Persilscheinkultur. Als ehemals aktives Parteimitglied und Inhaber eines Amts in der Gauleitung konnte von Klocke nach Kriegsende nicht an der Universität bleiben; er wurde mit Anordnung vom 5. September 1945 durch die Militärregierung suspendiert.75 Bis zu seiner Entnazifizierung vergingen vier Jahre, erst 1949 gelang ihm die Rückkehr an die Universität, jedoch nicht die Rückkehr in seine alte Position, um die er noch bis zu seiner Pensionierung 1955 kämpfte. Damit gehörte von Klocke zu der kleinen Minderheit der Professoren der Universität Münster, die nicht in ihre alte Stellung an der Hochschule zurückkehren konnten.76 Er war der einzige, der am Historischen Seminar mit der Einstufung in Kategorie IV (Mitläu-

71 72 73 74 75 76

Einschlägig dazu Oberkrome 1993; zuletzt Kleindienst 2010, auch Haar/Fahlbusch 2008. Klocke 1940, beispielsweise S. 5, S. 126. Ebd., S. 8. Vgl. zum Beispiel Ditt 1988, S. 381ff. Vgl. Schreiben des Oberpräsidenten der Provinz Westfalen, Amelunxen, an von Klocke vom 8.9.1945, LAV NRW W, Nachlass von Klocke Nr. 445. Laut Zählung des NRW-Landesverbands der Nicht-amtierenden (amtsverdrängten) Hochschullehrer vom 6.12.1951 waren das: Becher, Mai, Rud. Müller, von Klocke, Seitz, Senftleben, Schuh, Cajobus, Schulte-Kemminghausen, Eberhard, Kindervater. Vgl. LAV NRW W, Nachlass von Klocke, Nr. 445.

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fer) suspendiert wurde. Bei formal gleicher Einstufung konnten beispielsweise von Raumer oder Bauermann ohne Unterbrechung weiter arbeiten.77 Gegen die Einstufung in Kategorie IV (ohne Vermögenssperre) nach der Auswertung seiner Fragebögen plus Anlagen vom 21. November 1946 und vom 16. Mai 1947 legte von Klocke mit Unterstützung eines Rechtsanwalts im Juli 1947 Berufung ein. Daraufhin wurden die Unterlagen an den „Ausschuss der 1. Instanz zwecks Kategorisierung“ zurückgegeben,78 beiliegend eine zweite Ausfertigung des Fragebogens mit Ergänzungen.79 Der Haupt- und Kategorisierungsausschuss verhandelte in der Sache von Klocke am 16. Oktober 1947 und blieb bei der Einstufung in Kategorie IV.80 In den Jahren bis zu seiner Rückkehr an die Universität versuchte von Klocke in Berufungsverfahren, sein politischen Engagement während des Nationalsozialismus zu relativieren. Als besonders schwerwiegend stellten sich zwei Punkte heraus: Das war zum einen sein Engagement in der Gauleitung mit der Tatsache, dass er Stellenleiter im Gaukulturamt war. Seine Verteidigungslinie, dass er die Leitung nur nominell innehatte und das Gaukulturamt kein politisches Amt gewesen sei, überzeugte in der Berufung anfangs wenig. Von Klocke konstruierte zudem das Bild eines Mannes, der 1937 bei der Gauleitung in Ungnade gefallen sei und sich danach vom Nationalsozialismus abgewendet habe. Er belegt es damit, dass ihm 1937 der Gauschulungsrednerausweis entzogen worden sei. Das kann bezweifelt werden; er wurde jedenfalls am 4. August 1936 noch einmal verlängert.81 Dagegen spricht auch eine Notiz in seiner Personalakte vom 4. Februar 1938, laut der von Klocke von Hauptstellenleiter Schmidt-Hern der „Gauschulungsrednerausweis Nr. 8“ überreicht worden war, der von Klocke berechtigte, im Gau Westfalen-Nord über politische Volkskunde zu sprechen.82 Belastend, auch weil es nicht zu der von ihm behaupteten Entfremdung vom Nationalsozialismus passte, waren für ihn politische Einlassungen in seiner oben erwähnten Monografie zu „Westfalen und der deutsche Osten“. Dies schwächte seine Verteidigungsstrategie, wonach er ab 1937 in Konflikt mit der lokalen Gauleitung gestanden und sich auch innerlich vom Nationalsozialismus weiter entfernt habe. Auch sein Kirchenaustritt am 30. Dezember 1942, dem nach dem Krieg im März 1946 ein Wiedereintritt in die evangelische Kirche folgte, belastete ihn. Dass am Historischen Seminar zwei Promovenden, von denen er eine große Zahl betreut hatte, bei ihm mit stark antisemi77 78 79 80 81 82

Vgl. Entnazifizierungsunterlagen von Raumers: LAV NRW R, Akte NW 1039, R 504; Bauermann: LAV NRW R, NW 1039, B 3781. Schreiben Anwalt Reismann an von Klocke vom 7.10.1947, LAV NRW W, Nachlass von Klocke, Nr. 445. Vgl. LAV NRW W, Nachlass von Klocke, Nr. 446. Der Bescheid wurde am 13.3.1948 zugestellt; die gesammelten Unterlagen zum Verlauf seiner Entnazifizierung vgl. LAV NRW W, Nachlass von Klocke, Nr. 445 und 446. Vgl. entsprechende Notiz in LAV NRW W, NSDAP-Gauleitung Westfalen-Nord, Gauschulungsamt, Nr. 226. Vgl. ebd.

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tischen Arbeiten zur Geschichte der Juden promoviert worden waren,83 wurde im Rahmen des Entnazifizierungsverfahrens nicht erfasst. Bei seinen Bemühungen um Rehabilitierung und Rückkehr an die Universität kam für von Klocke dem Althistoriker Hans Erich Stier eine zentrale Rolle als eines von drei Mitgliedern des Sichtungsausschusses der Universität zu.84 Eine der Aufgaben des Sichtungsausschusses war die erneute Anhörung der bereits entlassenen Personen. Aus einem 22 Seiten umfassenden Schreiben85 von Klockes an Stier geht hervor, dass ihm Stier Notizen zu belastenden Dokumenten aus seiner Personalakte beim Kurator auf dessen Bitte hin überlassen hatte, damit er die Chance erhalte, dazu Stellung zu nehmen. Diese nutzte von Klocke, indem er sich in dem ausführlichen Schreiben an Stier rechtfertigte. Unter den Namen der Verfasser seiner „Persilscheine“, die er der Berufung gegen die Einstufung als Mitläufer beilegte, finden sich viele von Mitgliedern des Historischen Seminars. Als Anlage zum ersten Fragebogen von 1946 fügte von Klocke 28 eidesstattliche Erklärungen bei, davon stammten 13 von Angehörigen der Universität Münster, darunter die Historiker Eitel, Tellenbach, Grundmann und Voigt, sowie mehrere Studierende beziehungsweise weitere Dozenten der Universität. Bis zu seiner Anhörung im Berufungsverfahren 1948 hatte von Klocke knapp 60 Bescheinigungen gesammelt, nun kamen noch Erklärungen der Professoren Hestermann, Rosenfeld, Hermann, Schmaus, Drost, Goeters, Kratzer, Aubin, Schreiber und Stier dazu. Die Wissenschaftler bescheinigten von Klocke unter anderem, niemals Parteibelange vertreten, nie Studierende im Sinne der NS-Ideologie beeinflusst und ausschließlich „streng objektiv“ (Tellenbach) und „unbeirrt konzessionslos“ (Grundmann) gelehrt und publiziert zu haben. Grundmann urteilte bezogen auf den Band „Westfalen und der deutsche Osten“ von 1940, von Klocke habe damit ein Werk publiziert, welches „im Ganzen durchaus kein nur zeitbedingtes KonjunkturErzeugnis [ist], sondern der knapp zusammengefaßte Ertrag ganz selbständiger, gründlicher, weit zurückreichender Forschungsarbeit, in seinem sachlichen Gehalt wissenschaftlich unanfechtbar und sehr aufschlußreich“ sei.86 Die Mechanismen

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85 86

Zu Details vgl. Fausser 2000, S. 90f. Dieser Ausschuss wurde am 10.4.1946 per Erlass der Militärregierung als Nachfolger des Informationsausschusses gegründet und hatte die Aufgabe, die Militärregierung sowohl organisatorisch als auch durch eine Vorprüfung der eingegangenen Fragebögen bei der Entnazifizierung zu unterstützen. Die zwei weiteren Mitglieder waren der Katholische Theologe Prof. Max Meinertz und der Jurist Prof. Arthur Wegner, der Ende Juni 1946 von dem Juristen Rudolf Johns abgelöst wurde. Respondek 1995, S. 432. Zu Abläufen der Entnazifizierung und den Aufgaben der einzelnen daran beteiligten Instanzen der Universität in Münster im Detail vgl. den frühen Aufsatz von Kurz/Witte 1980; Respondek 1995, bes. S. 411–454. S. auch Kurz/Witte 1993. Schreiben vom 26. Juli 1948, LAV NRW W, Nachlass von Klocke, Nr. 446. Vgl. zum Beispiel die Erklärungen von Grundmann vom 29.9.1946 und die eidesstattliche Erklärung von Tellenbach vom 13.10.1946, LAV NRW W, Nachlass von Klocke, Nr. 446.

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von „Selbstnazifizierung“ wie „Selbstentnazifizierung“87 sind im für diesen Aufsatz gesichteten Teil des Nachlasses von von Klocke beispielhaft gut nachzuvollziehen. Dass die Professoren über ihre gegenseitigen Aktivitäten der Vergangenheit wenigstens teilweise im Bilde waren und dieses Wissen auch durchaus eingesetzt wurde, zeigt der Brief von Klockes an Stier auch. Da in seiner Personalakte „Ausbildungsvorträge in den Gauführerschulen“ aktenkundig geworden waren, versuchte von Klocke auf mehreren Seiten,88 diese Tätigkeit zeitlich einzugrenzen und zu relativieren. Als ein Argument dazu dient ihm die von ihm gemachte Unterscheidung zwischen „Bildungsvorträgen einerseits und Ausbildungsvorträgen weltanschaulich-politischer Art“ andererseits,89 in die er den Kollegen geschickt einbezieht: „Sie, sehr geehrter Herr Stier, [werden] das gewiss verstehen. Sie würden es auch als unzutreffend bezeichnen, wenn die hochwertigen Bildungsvorträge, die Sie etwa im NSLB oder wohl auch in der ‚Gauarbeitsgemeinschaft für Geschichte‘ gehalten haben, heute als Ausbildungsvorträge weltanschaulich-politischer Art im Sinne des Nationalsozialismus angesprochen und beurteilt würden. Jene Unterscheidung ist auch dann berechtigt, wenn Ihre und meine Vorträge in Ausbildungskursen, die von irgendwelchen Parteiorganisationen herbeigeführt waren, eingeschoben gewesen sind.“ Das dahinterliegende Kalkül wird auch aus einem Schreiben von von Klockes Anwalt ersichtlich, der seinem Mandanten schreibt: „Im Übrigen müsste Stier wegen seines eigenen Geschichtswerkes Verständnis für Ihre Situation haben und ich rege deswegen an, dass wir uns gerade über ihn einmal unterhalten.“90 Drei Monate nach Inkrafttreten der „Verordnung zum Abschluss der Entnazifizierung im Lande NRW“91 fand am 26. November 1948 im Oberfinanzpräsidium in Münster die Berufungsverhandlung des Berufungsausschusses für Entnazifizierung der Stadt Münster statt, die für von Klocke erfolgreich verlief. Der Ausschuss folgte in allen Punkten den Verteidigungslinien des entlassenen Wissenschaftlers: Die Einleitung in seiner Schrift „Westfalen und der deutsche Osten“ sei „unwesentlich und unerheblich“, die Leitung des Gaukulturamt sei „kein parteiamtliches“ Amt gewesen, da es von einer untergeordneten Dienststelle „willkürlich geschaffen“ worden sei. Insgesamt wurde die Einstufung in Kategorie V damit begründet, dass „sich aus den zahlreichen schriftlichen Gutachten und mündlichen Zeugenaussagen ein tatsächlich aktiver Widerstand des Herrn von Klocke gegen den Nationalsozialismus in seiner Lehrtätigkeit insbesondere gegen die einseitig behandelte Rassenfrage und die dilettantisch betriebene Genealogie“ erwiesen habe. Mit Datum vom 10. Janu-

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So Bernd Weisbrod zum Beispiel 2004, S. 259–279. Schreiben vom 26. Juli 1948, S. 3–5, LAV NRW W, Nachlass von Klocke, Nr. 446. Ebd., S. 5. Schreiben Anwalt Reismann an von Klocke vom 7.10.1947, LAV NRW W, Nachlass von Klocke Nr. 445. Vom 24.8.1949. Zur Beendigung der Entnazifizierung in NRW vgl. Respondek 1995, bes. 503ff.

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ar 1949 wurde von Klocke in die Kategorie V „Entlastete“ eingestuft.92 Daraufhin konnte er an die Universität zurückkehren und erhielt zum Wintersemester 1949/50 am Historischen Seminar einen unbesoldeten Lehrauftrag für Genealogie und Geschichte der Familie,93 der Anfang Januar 1950 in einen besoldeten Lehrauftrag umgewandelt wurde. Für eine Rückkehr an die Universität nach der Entlastung hatte sich der Dekan der Philosophischen Fakultät in Münster eingesetzt und gegenüber dem Kultusministerium die politische Unbedenklichkeit einer Rückkehr von Klockes an das Historische Seminar bestätigt,94 sich jedoch gegen die Wiedereinsetzung in seinen alten Status verwahrt. Die Ablehnung der Fakultät wurde nicht mit politischen, sondern mit wissenschaftlichen Argumenten begründet.95 Zur Vergabe einer Diätendozentur wäre die Fakultät zudem nur bei einer zusätzlichen Bewilligung bereit gewesen. Der Konflikt endete im Mai 1955 mit der Zuweisung einer in der Evangelisch-Theologischen Fakultät freigewordenen Diätendozentur an von Klocke durch den kleinen Senat der Universität Münster im Jahr seiner Emeritierung.96 Von Klocke hatte den politischen Rückenwind für das persönliche Fortkommen und die Aufwertung seines Forschungsgebiets und seiner persönlichen Forschungsinteressen genutzt. Gleichwohl hatte er es wohl vermieden, Kollegen zu denunzieren, und im Konflikt zwischen der Universität und dem Leiter des Gauschulungsamts um die Frage einer Honorarprofessur für den Leiter des Staatsarchivs, Eugen Meyer, trotz Aufforderung durch den Rektor keine politische Bewertung über Eugen Meyer abgegeben, sondern ihn an dessen Widersacher Eduard Schulte verwiesen, der anschließend ein negatives Gutachten über Meyer erstellte.97

Ausrichtung auf die neuen Machtverhältnisse nach 1945 Die personelle Kontinuität auf den Lehrstühlen über 1945 hinaus bestärkte in manchem Rückblick den Eindruck von weitgehender „politischer Unanfälligkeit“ der Münsterschen Historiker.98 Eine große Zahl von Publikationen, vielfach angestoßen durch den Historikertag 1998 in Frankfurt a. M., haben inzwischen Handeln und Werk vieler Historiker in ihrer Zeitgebundenheit analysiert und anhand von Pub92 93 94 95 96 97

98

Protokoll von H. Espey, Zeuge der Berufungsverhandlung der Entnazifizierungskommission vom 26.11.1948, vom 27.1.1949, LAV NRW W, Nachlass von Klocke, Nr. 445. Vgl. Schreiben des Kultusministeriums an die Universität Münster vom 30.11.1949, ebd. Vgl. Schreiben Dekan Heuer an das NRW-Kultusministerium vom 3.10.1949, vgl. LAV NRW R, NW 172, Nr. 562. Vgl. Schreiben des Kurators der Universität Münster an das NRW-Kultusministerium vom 20.11.1954, LAV NRW R, Bestand NW 172, Nr. 562. Vgl. ebd. Vgl. Aktennotiz eines Treffens zwischen dem Rektor, dem Kurator und dem Leiter des Gauschulungsamts im Sommer, LAV NRW W, NSDAP – Gauleitung Westfalen-Nord, Gauschulungsamt, Nr. 226. So beispielsweise im Jahr 1980 geurteilt von Oesterreich 1980, S. 366.

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likationen, Vorträgen, politischen Schriften, Nachlässen und Briefwechseln facettenreich ihr Leben und Arbeiten im Nationalsozialismus und der anschließenden Nachkriegszeit gezeichnet.99 So gibt es auch zu Hermann Grundmann und Kurt von Raumer inzwischen Untersuchungen ihrer Denkmuster, ihres politischen und wissenschaftlichen Handelns zur Zeit des Nationalsozialismus und ihrer Arbeiten in der Bundesrepublik, wenn auch eine intensive Beschäftigung insbesondere mit dem letztgenannten noch aussteht. An dieser Stelle sollen lediglich einige Hinweise auf wissenschaftliche Paradigmen und Grundannahmen, politische Bewertungen wie Engagements der beiden Münsterschen „Haupthistoriker“ vor 1945 wiedergegeben werden, um zu zeigen, dass die Kontinuität auf den Lehrstühlen des Historischen Seminars nach 1945 nicht als Beleg für die Politikferne der Ordinarien taugt. Herbert Grundmann, spezialisiert auf das späte Mittelalter mit Schwerpunkt auf Religions- und Geistesgeschichte,100 war nicht Mitglied der NSDAP gewesen und wurde nach Kriegsende in Münster, und auch in der deutschen Geschichtswissenschaft insgesamt, schnell zu einer zentralen Figur. Im September 1945101 war er von der Militärregierung als Lehrstuhlinhaber am Historischen Seminar in Münster bestätigt worden. Dass er den Ruf angenommen hatte, war durch die Umstände am Kriegsende begünstigt worden – in seinen Memoiren zitiert Tellenbach Grundmann mit dem Satz, man ginge im Allgemeinen nicht von Königsberg nach Münster.102 Die Fakultät hatte ihn als einzigen Kandidaten erwählt, der in der Lage sei, die Lücke zu schließen, die der Weggang Tellenbachs hinterlasse.103 Durch seinen Wechsel 1944, auch wenn Grundmann das Ordinariat aufgrund des Krieges faktisch erst 1945 antrat, blieb ihm das Schicksal von zum Beispiel Conze erspart, nach Kriegsende und dem Verlust der Ostgebiete jahrelang eine neue Wirkungsstätte an einer westdeutschen Universität suchen zu müssen – dass alte Verbindungen aus Königsberg Conze in Münster später genau dabei unterstützten, wird im folgenden noch beleuchtet werden. Durch seinen Wechsel nach Westfalen konnte Grundmann nach Kriegsende dort in kurzer Zeit zu einer der zentralen Figuren des Wiederaufbaus, insbesondere auch der Belebung des Historischen Seminars werden. Grundmann ist erst spät in den Blick der kritischen Betrachtung seiner Karriere im Nationalsozialismus gekommen. Anne Christine Nagel104 beschreibt den 99

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Eine enge Verzahnung von biografischen Stationen, Publikationen sowie ihre zeitgenössische und historische Rezeption liefert beispielsweise Eckel in seiner „intellektuellen Biografie“ von Hans Rothfels aus dem Jahr 2004 oder auch Dunkhase über Werner Conze im Jahr 2010. Zu Stationen Grundmanns wissenschaftlichen Werdegangs vgl. beispielsweise Nagel 2005, S. 214. Vgl. seine Angaben im „Persilschein“ für von Klocke vom 29.9.1946, LAV NRW W, Nachlass von Klocke, Nr. 446. Tellenbach 1981, S. 64. Zum Ablauf der Berufung vgl. die Personalakten Grundmanns im UAMs, Bestand 10, Nr. 2310, Bestand 63, Nr. 32, Bestand 207, Nr. 218. Vgl. auch Fausser 2000, S. 71f. Nagel 2004, dies. 2005, dies. 2008.

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Historiker nach Sichtung unter anderem seines Leipziger Nachlasses als sehr gut vernetzten Wissenschaftler, der sich in den frühen Jahren in privaten Briefen als ein Anhänger Hitlers und der nationalsozialistischen Bewegung gezeigt habe.105 Unter den Bedingungen des Nationalsozialismus machte er auch ohne Parteibuch eine glänzende Karriere, auch weil er politisch positiv durch Dozentenbundführer bewertet wurde. Grundmann war Mitglied im NSV, Autor mehrerer politischen Rundfunkvorträge und Redner bei verschiedenen Wehrmachtsstellen, darunter auch 1943 die SS-Junkerschule in Bad Tölz sowie ein Einsatz im März desselben Jahres in Bialystok, wo er historische Vorträge vor deutschen Offizieren hielt.106 Gleichzeitig verteidigte er auch wissenschaftliche Standards, so zum Beispiel bei seiner vernichtenden Rezension einer Abhandlung des NS-Theologen Erich Seeberg zu Meister Eckhart.107 Völkische, teilweise auch rassistische Vorstellungen weist Nagel nach, die ihm „eine hohe Identifikation mit den Zielen des Nationalsozialismus“108 bescheinigt. Wissenschaftlich habe er sehr methodisch und auch brilliant gearbeitet, aber vom „Standpunkt völkischen Denkens aus“.109 In Münster startete Grundmann nach dem Krieg als Nichtparteimitglied formal unbelastet. Er stellte sich umstandslos auf die neue Zeit ein, vollendete zum Teil die alten Projekte, bot jedoch auf Wunsch der britischen Militärregierung 1945 eine Vorlesung für Hörer aller Fachrichtungen zum Thema „England und Deutschland“ an.110 Im Vorstand des Verbands Deutscher Historiker wurde er zu einer zentralen Figur und arbeitete frühzeitig an der Neuausrichtung der Geschichtswissenschaft und dem Anschluss an die europäischen Entwicklungen mit. Auch für den Wiederaufbau und Ausbau des Historischen Seminars und der Philosophischen Fakultät in Münster setzte er sich maßgeblich ein, unter anderem als Dekan im Wintersemester 1947/48 bis Sommersemester 1948 beziehungsweise Prodekan im darauffolgenden akademischen Jahr. 1959 verließ er das Seminar und wechselte als Präsident der Monumenta Germaniae Historica nach München.111 Eine wirkliche Konstante im Historischen Seminar in Münster über das Ende des Nationalsozialismus hinweg war der Neuzeit-Ordinarius, Kurt von Raumer.

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Die Einschätzung passt zur Unterschrift Grundmanns unter den Wahlaufruf für Hitler im März 1933, vgl. Schreiner 1989, S. 145, auch Nagel 2004, S. 595. Zur Vortragstätigkeit Grundmanns bei Partei und Wehrmacht vgl. Nagel 2005, S. 73–82, Schönwälder 1992, S. 227. Grundmann wurde 1941 und 1944 zum Wehrdienst herangezogen; er war einer von acht Historikern, für deren uk-Stellung sich das Amt Rosenberg im Jahr 1943 einsetzte, s. Schönwälder 1992, S. 365, Anm. 600. Vgl. auch Etzemüller 2001, S. 22. Vgl. Nagel 2005, S. 605f. Vgl. ebd., S. 613. Vgl. ebd., S. 617. Vgl. Vorlesungsverzeichnis Wintersemester 1945/46; ebenso Nagel 2004, S. 615. Details zum Verlauf der Berufung an die Monumenta Germaniae Historica vgl. Nagel 2005, S. 215–222.

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Eine systematische Auswertung seines Nachlasses112 und seiner Werke steht noch aus. Zu seiner politischen Betätigung und wissenschaftlichen Ausrichtung zur Zeit des Nationalsozialismus gibt es einige Studien, die dazu Anhaltspunkte liefern, ohne seine Person in den Mittelpunkt zu stellen.113 In seiner Zeit in Heidelberg, wo von Raumer sich bei Hermann Oncken 1929 habilitierte und wo er bis 1935 als Privatdozent und später als außerordentlicher Professor lehrte, äußerte er sich dezidiert auch politisch beispielsweise eine Woche vor der Saarabstimmung 1935.114 Seine Beschäftigung mit dem „Volkstumskampf in deutschen Grenzlanden“ empfahl ihn im selben Jahr für eine Tätigkeit am privaten Herder-Institut in Riga, wo er als außerordentlicher Professor arbeitete. 1939, nach der Umsiedlung der Baltendeutschen, wurde er Ordinarius in Königsberg als Nachfolger von Kleo Pleyer, bei dessen Vorgänger Karl Alexander von Müller er 1924 in München promoviert worden war.115 Von Königsberg aus kam er 1942 wie beschrieben nach Münster. Von Raumer beteiligte sich an der Arbeit des „Instituts der Elsaß-Lothringer im Reich“, das die Forderung einer gesicherten Westgrenze erhob, die durch die Wiedereingliederung Elsaß-Lothringens erreicht werden sollte.116 Er argumentierte historisch und vom Volkstum ausgehend für die Notwendigkeit des Besitzes beider Rheinufer für Deutschland („Überschrift: Hoffnungen auf deutschen Volkstumskampf in deutschen Grenzlanden“) und plädierte für eine Verschiebung der deutschen Grenze nach Westen. Von Raumer beschäftigte sich 1941 in „Deutscher Lebensraum und europäische Lebensordnung“ auch mit Belgien und Holland, versuchte die Neuorientierung der Länder auf die führende Macht Deutschland hin zu begründen, trug mit seiner Arbeit zur Infragestellung der Existenz der Länder bei und rechtfertigte deutschen Vorherrschaftsanspruch.117 Von Raumer war ein Historiker, der eine stärkere Bindung der Forschung an das Gegenwartsgeschehen befürwortete. In seinen Schriften finden sich, so Schönwälder, neben konservativnationalistischen Geschichtsbildern auch Anlehnungen an „rassische Qualitäten“ und „Erbkräfte“. So sprach von Raumer auf dem Historikertag 1937 beispielsweise offen über Rangunterschiede zwischen Völkern und einen besonderen geschichtlichen Rang des deutschen Volkes.118 Er kommentierte als Historiker auch dezidiert das politische Geschehen und rechtfertigte das nationalsozialistische Regime als zeitgemäß, begrüßte den Sieg der Nationalsozialisten und legitimierte die deut112 113 114 115 116 117 118

Er liegt in der Handschriftenabteilung der Universitäts- und Landesbibliothek Münster. Beispielsweise Schönwälder 1992, Haar 2002, Etzemüller 2001, Fausser 2000, S. 104–111, Wolf 1996, passim. Raumer 1936. Zur Westforschung in den 1930er- und 1940er-Jahren vgl. Schöttler 1999, S. 204–261. Vgl. Entnazifizierungsakten von Raumers, LAV NRW R, NW 1039, R 504, auch zum Beispiel Weber 1984, S. 245. Vgl. Schönwälder 1992, S. 38. Eine Auseinandersetzung mit Aufsätzen zur Westgrenze zwischen 1933 und 1935 vgl. auch Fausser 2000, S. 107ff. Schönwälder 1992, S. 202. Ebd., S. 122.

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sche Expansionspolitik im Osten wie im Westen durch seine historischen Schriften. Nähe zum Regime ließ er erkennen, als er sich in Zeitungen der deutschen Besatzungsorgane in Polen und Tschechien äußerte.119 Ende 1941 und im April 1944 nahm er Einladungen der Wehrmacht an, Kurse und Vorträge an Akademien der Wehrmacht im Baltikum zu halten.120 Der Historiker war damit 1945 politisch belastet. Dass er nach Kriegsende weiter lehren konnte, hat zu Nachfragen von Kollegen, zum Beispiel Peter Rassow, bei Grundmann geführt, der sich jedoch hinter von Raumer gestellt hat.121 Von der Militärregierung war von Raumer 1945 bestätigt worden, eingestuft wurde er in die Kategorie IV als Mitläufer.122 Beide Münsterschen Historiker hatten sich demnach in den Dienst der Nationalsozialisten gestellt beziehungsweise stellen lassen, zudem dienten Teile ihrer wissenschaftlichen Publikationen zur Legitimation der nationalsozialistischen Expansionspolitik. Insbesondere von Raumer äußerte sich zudem auch dezidiert zur Tagespolitik. Auf dem Historikertag 1949 leistete von Raumer öffentlich Abbitte bei seinen Kollegen.123 Nach dem Krieg verlagerte er seinen Schwerpunkt auf Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, auch engagierte er sich lange als Gutachter im Fachausschuss der Deutschen Forschungsgemeinschaft für Geschichte, seit 1959 als Vorsitzender des Fachausschusses.124 Er wirkte bis zu seiner Emeritierung in Münster. Die Analyse wissenschaftlicher Werke in ihrer Zeitgebundenheit und ihrer untrennbaren Verbindung zur Biografie der Autoren ist bereits bei vielen Historikern detailliert dargestellt worden. Insbesondere die Modulation von persönlichen Grundüberzeugungen rund um die Umbrüche der Systemwechsel im 20. Jahrhundert sind Prozesse, deren genaue Beschreibung aufschlussreich, „faszinierend und erklärungsbedürftig“ ist, wie Winfried Schulze anmerkte,125 und wo es bei Münsterschen Mitgliedern des Historischen Seminars noch einige Facetten zu entdecken und zu deuten gibt.

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So zum Beispiel verfasste von Raumer folgende Zeitungsartikel in der Krakauer Zeitung: Deutscher Lebensraum und europäische Lebensordnung, 23.3.1941; Ordnung gegen Zerstörung. Tausend Jahre deutsch-russische Beziehungen, 30.8.1941; 1812 und heute. Vom Segen der deutschen Einheit, 23.10.1941, vgl. Schönwälder 1992, S. 402f. Vgl. seine Angaben im Fragebogen der Militärregierung vom 22.3.1947, LAV NRW R, NW 1039, R 504. So Etzemüller 2001, S. 132. Vgl. Entnazifizierungsakten von Raumers, LAV NRW R, NW 1039, R 504. Etzemüller 2001, S. 133. Vgl. Schreiben von Raumer an Kultusministerium von 1963, LAV NRW R, NW 172, Nr. 628. Schulze 2000, S. 423.

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Königsberger Verbindungen: Werner Conze und der Ausbau der Zeitgeschichte in Münster Mit Grundmann und von Raumer wirkten zwei Historiker in Münster, die beide 1939 nach Königsberg berufen worden waren, wo sie jeweils ihr erstes Ordinariat erlangten. Die besondere wissenschaftliche Atmosphäre der „Grenzlanduniversität Königsberg“ in den 1930er- und 1940er-Jahren ist in den vergangenen Jahren intensiver beleuchtet worden.126 Zu einem durch ihre gemeinsamen Erfahrungen im speziellen Milieu der ostpreußischen Grenzlanduniversität zusammengeschweißten „Königsberger Kreis“ gehörten neben Hans Rothfels auch die beiden späteren Münsterschen Professoren Grundmann und von Raumer, unter den jüngeren Wissenschaftlern der Gruppe befand sich neben Theodor Schieder und Helmut Schelsky auch der Historiker und Soziologe Werner Conze, der 1934 in Königsberg bei Hans Rothfels promoviert wurde.127 Anders als von Raumer und Grundmann, die im Krieg nach Münster gingen, wechselte Conze, der nach seiner Promotion in Wien tätig war, noch 1944 auf ein Extraordinariat an die Reichsuniversität in Posen, so dass seine Karriere nach dem Krieg einen Bruch erhielt. Die alten Verbindungen waren jedoch über die Königsberger Zeit hinaus auch in der Bundesrepublik belastbar, in Münster verhalfen ihm die ehemaligen Kollegen zur Wiedererlangung seines ehemaligen Status als außerordentlicher Professor beziehungsweise zu seinem ersten vollen, wenn auch persönlichen Ordinariat in Münster. Conzes Biografie und Karriere nach 1945 sind gut erforscht.128 Ein erster Besuch Conzes bei von Raumer 1945 führte zu keiner Beschäftigung.129 Ab dem Sommersemester 1951130 vertrat Werner Conze diesen jedoch während einer Erkrankung. Ins Spiel gebracht wurde er für die Vertretung von Theodor Schieder, dem Nachfolger von Raumers in Königsberg, im Rahmen eines Vortrags in Münster.131 Nach von Raumers Rückkehr bemühte sich das Historische Seminar über mehrere Jahre stark darum, Conze in Münster zu halten. Dieser erhielt im Wintersemester 1952/53 eine Diätendozentur für neueste Geschichte.132 Mit Conze besaß das Historische Seminar einen aufstrebenden Wissenschaftler, von dem es stark profitieren konnte, nicht nur weil er zur damaligen Zeit der einzige Vertreter für Zeitgeschichte in Münster war. Neben gut besuchten Veranstaltungen initiierte er Ende April 1952 beispielsweise eine fünftägige „Arbeitswoche für Geschichtslehrer an höheren Schulen über 126 127 128 129 130 131 132

Beispielsweise Haar 2004, Etzemüller 2001, bes. S. 21–35. Zur Universität im Untersuchungszeitraum vgl. zudem zum Beispiel Boockmann 1995. Vgl. Etzemüller 2001, S. 23f. Zum Beispiel Dunkhase 2010, Etzemüller 2001, ders. 2002. Vgl. Brief Grundmann an Schieder vom 7.11.1945, ediert bei Boockmann 1995, S. 278f. Vorher wirkte er unter finanziell prekären Umständen in Göttingen, vgl. Etzemüller 2001, S. 129ff., siehe auch Linnemann 2002. So schreibt Grundmann in einem Brief an Conze vom 26.2.1951, Auszüge davon sind abgedruckt bei Dunkhase 2010, S. 74, S. 278. Vgl. UAMs, Bestand 5, Nr. 898.

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Sozialgeschichte“, die von der Philosophischen Fakultät gemeinsam mit dem Landesverband nordrhein-westfälischer Geschichtslehrer und finanziell unterstützt vom Kultusministerium angeboten und von 129 Lehrerinnen und Lehrern besucht wurde.133 Aufgrund eines Stipendiums des „Ausschusses für Amerikastudien an deutschen Universitäten“ verpflichtete sich Conze auch zu Lehrveranstaltungen über amerikanische Geschichte, sein ehemaliger Schwerpunkt der Ostwissenschaften trat in Münster weniger zutage. Wissenschaftlich charakterisiert Dunkhase die Münsterschen Jahre Conzes als „Sattelzeit seiner intellektuellen Biografie“, in der er seine sozialgeschichtlichen Fragestellungen konkretisierte.134 Mit Wirkung zum 1. April 1955 besetzte das Kultusministerium einen neu geschaffenen „kw.-Lehrstuhls für Neuere Geschichte, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte“135 mit Conze. In Aussicht auf diesen Lehrstuhl hatte Conze in den Jahren zuvor Berufungen in andere Städte, zum Beispiel Berlin, abgelehnt. Als er einen Ruf nach Heidelberg erhielt, beantragte die Fakultät in Münster im Sommer 1956 erfolgreich ein persönliches Ordinariat für Conze.136 Ihm war damit die Rückkehr in die Zunft gelungen; das Historische Seminar hatte die Weichen gestellt für die Etablierung der Zeitgeschichte. Nach harten Berufungs- beziehungsweise Bleibeverhandlungen zwischen Münster und Heidelberg, deren Ausgang lange offen war, wechselte Conze schließlich doch zum Wintersemester 1956/57 nach Heidelberg.137 Äußerst knapp verlor Münster letztlich das Rennen um einen der später renommiertesten Historiker seiner Zeit und den (Mit)Begründer der Sozialgeschichte in der Bundesrepublik. Ihm folgte Heinz Gollwitzer auf dem Lehrstuhl nach, der sich bereits nach seiner Habilitation im Wintersemester 1950/51 an der Universität Münster als Vertreter der Sozialgeschichte einen Namen gemacht hatte.

Gastprofessoren aus dem Exil Seit den 1950er-Jahren erfolgte die weitere Vergrößerung des Historischen Seminars. Die Strategie in Münster beim Ausbau bestand in der Gründung von Direktion, Etat und Verwaltung selbständiger Fachabteilungen. Im Untersuchungszeitraum spezialisierte sich Münster mit zwei Abteilungsgründungen auf westfälische 133

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Vgl. Programm und Bericht über die Arbeitswoche in UAMs, Bestand 62, Nr. 110. Conzes Vortrag zu „Die Problematik der Sozialgeschichte für Forschung und Unterricht“ eröffnete die Tagung, vom Historischen Seminar in Münster sprachen im Laufe der Woche ebenfalls Grundmann, Ludat und von Raumer. Dunkhase 2010, S. 74. Zur Auseinandersetzung mit Conzes Rolle im und Verhältnis zum Nationalsozialismus haben sich viele Stimmen geäußert, die kritischste Haltung findet sich bei Aly 1999. kw: künftig wegfallend. Vgl. UAMs, Bestand 5, Nr. 898. Vgl. ebd. Zu den Hintergründen für Conzes Entscheidung und Details zu den Verhandlungen vgl. auch Etzemüller 2001, S. 141–145, und Dunkhase 2010, S. 75–78.

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Landesgeschichte einerseits sowie osteuropäische Geschichte andererseits. Das Lehrangebot wurde zudem durch Gastprofessuren erweitert, zu denen auch zwei in die USA emigrierte Historiker gehörten: Dietrich Gerhard und Golo Mann. Für beide war das Historische Seminar in Münster in den 1950er-Jahren erste Station ihrer Rückkehr nach Deutschland. Schon 1947 hatte es für die Münsterschen Studierenden Angebote zum Blick über den Tellerrand gegeben: Um ihnen nach Ende des Krieges die Auseinandersetzung mit Geschichtsinterpretationen außerhalb der abgeschotteten und ideologisch kontrollierten deutschen Universitätslandschaft zu gewähren, hatte das British Council für zwei Jahre einen Gastdozenten für europäische Geschichte mit dem Schwerpunkt englische Geschichte an die Universität vermittelt und finanziert.138 John Whitfield Jennings beendete seine Dozentur mit Ablauf des Wintersemester 1949/50.139 Im Anschluss bemühte sich das Historische Seminar erfolgreich um zwei Gastprofessuren für Gerhard. Dietrich Gerhard (1896–1985) hatte sich 1931 bei Friedrich Meinecke in Berlin habilitiert. Da er aufgrund seiner „halbjüdischen Abstammung“ nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten keine akademische Zukunft in Deutschland hatte, nahm er 1935/36 eine Gastprofessur in Harvard an, nach der er in den USA im Exil blieb. 140 Schon früh hatte der Verfassungs- und Sozialhistoriker Gerhard seinen Wunsch geäußert, im Rahmen von Gastaufenthalten in Deutschland in Austausch mit deutschen Studierenden zu kommen. An Meinecke schrieb er Ende August 1948, dass er gerne bereit wäre, als Gastdozent nach Deutschland zu gehen, „für einen Sommer oder auch länger“. „Menschlich hätte ein jeder Aufenthalt in Europa, und zumal in Deutschland, für mich die große Anziehung der Möglichkeit zu wirklichem Gedankenaustausch, an dem es mir in St. Louis fast gänzlich fehlt  […]“141 Seine erste Station in Deutschland war die Universität Münster, wo er im Sommer 1950 und 1951 Gastprofessuren annahm. Sein großes Interesse, wieder in Deutschland zu lehren, zeigt sich auch darin, dass er trotz enger finanzieller Spielräume die Kosten für die Überfahrt übernahm. In Münster bot er in den Monaten Juni und Juli 1950 eine Vorlesung über die Geschichte des British Empire sowie eine Übung über „Grundkräfte und Grundunterschiede des europäischen und amerikanischen Geschichtsbewusstsein und Geschichtsstudium“ an.142 Am Tag vor der Abreise nach Deutschland schrieb Gerhard in einem Brief: „Die Hauptauf138 139

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Vgl. Schreiben von British Council London vom 9.1.1950 an Rektorat Universität Münster, UAMs, Bestand 62, Nr. 110. Seine Tätigkeit beurteilte von Raumer in einem Schreiben an den Rektor im Jahr 1950 rückwirkend ambivalent; aufgrund von sprachlichen Problemen und wenig Lehrerfahrung habe er wenige Hörerinnen und Hörer erreicht. Vgl. ebd. Zum Wirken von Dietrich Gerhard in Deutschland in der Nachkriegszeit vgl. Meinecke 2006, S. 40ff. Brief von Dietrich Gerhard an Friedrich Meinecke vom 30. August 1948 (Nachlass Meinecke 12). Abgedruckt in: Meinecke 2006, S. 176–184, hier S. 182f. Vgl. Brief von Raumers an Kultusministerin Nordrhein-Westfalen vom 3.5.1950, UAMs, Bestand 62, Nr. 110. Für weitere Details vgl. ebd.

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gabe wird sein, aus der eigenen Ausweitung und veränderten Auffassung heraus in Vorlesungen, Seminaren und Gesprächen mit den Studenten Fühlung zu nehmen. […] [Ich] verspreche mir, z.T. aufgrund von Rothfels’ Erfahrungen, z.T. auf Grund eigener Begegnungen in St. Louis mit deutschen Studenten und Lehrern, von der Tätigkeit an der Universität ein Vordringen zu wirklichem gegenseitigen Verstehen. Aufregend wird es sein.“143 Nach seinen Gastaufenthalten in Münster übernahm er ab 1955 für sechs Jahre eine Professur für Amerikawissenschaften in Köln, die er parallel zu seinem Lehrstuhl in St. Louis ausfüllte. Anschließend arbeitete er bis 1967 am Göttinger Max-Planck-Institut für Geschichte als Leiter der Neuzeit-Abteilung. Auch in einem anderen Fall war Münster die erste Station eines Exilanten bei seiner Rückkehr nach Deutschland: Golo Mann, Sohn von Thomas Mann, war 1933 nach Frankreich und 1940 in die USA emigriert. Nach dem Krieg hatte er mehrere Aufenthalte in Europa, wohin er im Sommer 1958 endgültig übersiedelte. In den Wintersemestern 1958/59 und 1959/60 war er Gastdozent in Münster, bevor er im Wintersemester 1960/61 Ordinarius auf dem neu geschaffenen Lehrstuhl für Politische Wissenschaften an der Technischen Universität Stuttgart wurde, den er 1965 aufgab.144 Die Gastprofessur in Münster war von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanziert. Mann las über „Demokratie und Außenpolitik in den Wandlungen der modernen Gesellschaft“ und bot eine Übung zur Philosophie der Geschichtsschreibung an,145 im zweiten Semester gab er ein Kolloquium zum Werk von Alexis de Tocqueville und las über „Große Romane des 19. Jahrhunderts als Quelle für den Historiker“.146

Westfälische Landesgeschichte nach 1945 Aufgrund der Suspendierung von Klockes war die westfälische Landesgeschichte im historischen Seminar nach 1945 personell geschwächt. Ab 1946 hatte Hermann Rothert, ein pensionierter Ministerialrat und Autor lokalgeschichtlicher Publikationen wie beispielsweise einer dreibändigen „Westfälischen Geschichte“,147 mehrere Jahre lang Veranstaltungen als „Honorarprofessor für Mittlere und Neuere Geschichte, insbesondere des westfälischen Landes und Volkes“ angeboten.148 Ab 1952 vertrat Albert K. Hömberg das Fach in Münster, anfangs mit einem Lehrauftrag, dann mit einer Diätendozentur. 1961 wurde ein Extraordinariat für Lan143 144 145 146 147 148

Brief von Dietrich Gerhard an Gerhard Masur vom 31.5.1950 (Nachlass Masur 58). Abgedruckt in: Meinecke 2006, S. 185. Zu Golo Mann vgl. Bitterli 2004. Vgl. Lahme/Lüssi 2007, S. 392. Vgl. auch Bitterli 2004, hier bes. S. 159ff. Rothert 1949–1951. Vgl. Personalliste im Vorlesungsverzeichnis, zum Beispiel Sommersemester 1950.

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desgeschichte für ihn geschaffen, für das er alternativlos vorgeschlagen wurde mit dem Auftrag, eine Abteilung für westfälische Landesgeschichte aufzubauen.149 1964 sollte die Abteilung mit einem Ordinariat für westfälische Landeskunde aufgewertet werden. Nach Hömbergs Tod 1963 wurde die Schaffung des Ordinariats vorgezogen, so dass der neue Direktor der Abteilung für westfälische Landesgeschichte, Heinz Stoob, 1964 auf ein Ordinariat berufen werden konnte.150 In Münster setzte sich die Zusammenarbeit zwischen dem Historischen Seminar und dem Provinzialinstitut weiter fort. Über die Historische Kommission waren viele Mitglieder des Seminars an Publikationsprojekten des Provinzialinstituts beteiligt, in den Jahren von 1951 bis 1961 gab es zudem einen Lehrauftrag für Geschichtliche Landeskunde Nordwesteuropas für Franz Petri. Petri war nach Hermann Aubin und Franz Steinbach einer der einflussreichsten Volks- und Kulturraumforscher mit wissenschaftlichem Schwerpunkt auf der „Westforschung“ mit ihrer großen Nähe zur Politik. 1942 war Petri bereits als möglicher Nachfolger auf dem Lehrstuhl von Wätjen im Gespräch gewesen und von der Fakultät auch auf Platz zwei der Vorschlagsliste hinter von Raumer gesetzt worden.151 Über die wissenschaftliche Legitimation der deutschen Expansion nach Westen hinaus hatte sich Petri der Politik auch als Kulturreferent der deutschen Militärverwaltung in Belgien/Nordfrankreich zur Verfügung gestellt.152 Petri, der nach dem Krieg von der Militärregierung interniert und an einer Rückkehr an seinen Lehrstuhl für Niederländische Geschichte an der Universität Köln gehindert wurde, gelang auf Empfehlung Hermann Aubins 1951 in Münster die Rückkehr auf eine einflussreiche Stelle in der Wissenschaftsorganisation. Als Geschäftsführer des Provinzialinstituts baute er in den folgenden Jahren zunächst dessen Bedeutung und Einflussmöglichkeiten kontinuierlich zu einem eigenen Forschungsinstitut aus, dessen Direktor er schließlich wurde.153 An der Universität bot Petri Veranstaltungen zur Geschichte der Niederlande und Belgiens, zur Hanse, den Franken, Karl V. und Problemen der westfälischen Geschichte des Mittelalters und der Neuzeit an. 1961 wechselte er an die Universität Bonn auf den Lehrstuhl für Rheinische Landesgeschichte und wurde dort zudem Direktor des Instituts für geschichtliche Landeskunde.

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Vgl. UAMs, Bestand 62, Nr. 34. Vgl. Schreiben des Dekans vom 31. Juli 1963, UAMs, Bestand 9, Nr. 1960. Vgl. Vorschlagsliste der Fakultät an das REM vom 2.7.1941, UAMs, Bestand 9, Nr. 324. Details dazu bei Ditt 1996, S. 107ff. Eine Analyse seiner Schriften während der NS-Zeit liefert auch Wolf 1996, S. 305–314. Vgl. Ditt 1996, bes. 137f. In seinen Forschungsprojekten am Provinzialinstitut verfolgte Petri weiterhin auch Projekte mit starken Bezügen zu seinen Forschungen seit Ende der 1920er-Jahre, beispielsweise die Publikationsreihe „Der Raum Westfalen“ oder die Durchführung einer historisch-anthropologisch-medizinischen Studie in den 1950er-Jahren, die nach Merkmalen eines „fälischen Rassetyps“ suchte. Vgl. ebd., S. 139–148.

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Gründung der Abteilung für osteuropäische Geschichte In den Jahren nach dem Krieg wurde auch in Münster die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Osteuropäischen Geschichte verstärkt. Das Fach wurde seit 1947 durch Herbert Ludat vertreten. Ludat, geboren 1910, hatte als Spezialist für die Geschichte Polens nach seiner Habilitation 1941 als Dozent an der Reichsuniversität Posen gelehrt. Er las Mittlere und Neuere Geschichte mit besonderer Berücksichtigung der Ostdeutschen und Osteuropäischen Geschichte anfangs auf einer Diätendozentur, ab 1951 als außerplanmäßiger Professor und ab 1955 auf einer wissenschaftlichen Ratsstelle.154 Im selben Jahr übernahm er die Leitung der „Arbeitsgemeinschaft für Ostforschung“ an der Universität Münster, der zu diesem Zeitpunkt auch von Klocke und Conze angehörten.155 Eine erste Aufwertung der osteuropäischen Geschichte erfolgte 1953, als es Studierenden ermöglicht werden sollte, „das Fach Mittlere und Neuere Geschichte mit besonderer Betonung der osteuropäischen Geschichte als Promotionsfach wählen zu können“.156 Als Ludat 1956 einen Ruf nach Gießen auf das neu geschaffene Ordinariat für Osteuropäische Geschichte und Allgemeine Wirtschaftsgeschichte erhielt,157 beantragte der Dekan im Sommer 1956 die Einrichtung einer planmäßigen, außerordentlichen Professur für Osteuropäische Geschichte.158 Im zweiten Antragsentwurf vom 1. März 1957 konkretisierten die Antragsteller ihre Pläne der Gründung einer Abteilung für Osteuropäische Geschichte am Historischen Institut, das in enger Zusammenarbeit mit den Slavisten Studierenden das Erlernen einer einschlägigen Fremdsprache sowie das Studium der osteuropäischen Geschichte ermöglichen sollte.159 Politisch war die Zeit dafür günstig, da der Wille bestand, nach dem Verlust der deutschen Ostgebiete und Gründung der DDR sowie den Systemauseinandersetzungen im Kalten Krieg dieses Thema wachzuhalten und Verbindungen und Kenntnisse auch in der Geschichtswissenschaft zu stärken. In einem Beschluss mit „Empfehlungen zur Ostkunde“ verband beispielsweise die Kultusministerkonferenz Ende 1956 ihre Forderung nach Verstärkung der Ressourcen für die „Ostforschung“ an Universitäten und nach einem stärkeren Gegenwartsbezug der Forschungsaktivitäten der 154

155 156 157 158 159

Vgl. Entwurf zur Einrichtung eines planmäßigen Extraordinariats für osteuropäische Geschichte vom 1. März 1957, UAMs, Bestand 62, Nr. 148. Zum wissenschaftlichen Werk von Ludat, speziell Ergebnissen und Umwertungen in seiner Betrachtung des deutschpolnischen Verhältnisses zwischen 1939 und Ende der 1950er-Jahre vgl. Unger 2007, S. 142–146, S. 169f. Vgl. UAMs, Bestand 221. Vgl. Schreiben Dekan von Raumer an Prof. Gerhard und Prof. Ludat vom 3.2.1953, UAMs, Bestand 62, Nr. 110. Weber 1984, S. 244. Vgl. UAMs, Bestand 62, Nr. 148. Das Slavisch-Baltische Seminar bestand seit 1930, seit 1948 lehrte Dietrich Gerhardt (1911– 2011) auf einem planmäßigen Extraordinariat, das 1958 zu einem Ordinariat aufgewertet wurde. Details vgl. Rösel 1980. Zur allgemeinen Einordnung vgl. Unger 2007, S. 114ff.

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bereits bestehenden Institute und Einrichtungen mit der Erreichung der folgenden politischen Zielsetzungen: 1. „Bewusstsein der deutschen Einheit“ und „Wille zur Wiedervereinigung“ wachzuhalten. Dazu sei die „Kenntnis Mitteldeutschlands, heute SBZ, nötig“. 2. Den deutschen Osten besonders der Jugend vertraut zu machen, sie solle ein „inneres Verhältnis zu Vertreibungsgebieten als zur Heimat eines Teils ihres Volkes“ bekommen. 3. Kenntnis der Völker, Kulturen und Probleme Osteuropas und Ostmitteleuropas, „auch mit dem System, das dort gegenwärtig herrscht“.160 Die Gründung der Osteuropa-Abteilung entsprach so dem politischen Zeitgeist, an vielen westdeutschen Universitäten bestanden bereits entsprechende Schwerpunkte. 161 Die Universität Münster nutzte nun die politische Lage zur Erweiterung ihrer Kapazitäten am Historischen Seminar mit Erfolg. Nach der Bewilligung eines planmäßigen Extraordinariats für Osteuropäische Geschichte setzte sich die Fakultät sehr für die Besetzung des Lehrstuhls mit Manfred Hellmann ein. Hellmann wurde 1938 in Königsberg bei Heinrich Harmjanz und Gunther Ipsen promoviert und arbeitete als Assistent am Historischen Seminar in Posen. 1945 wurde er Assistent am Institut für deutsche Landesgeschichte in Leipzig, von wo er 1949 nach Freiburg ging. 1952 habilitierte er sich dort bei Gerd Tellenbach und Gerhard Ritter und ging anschließend 1956 nach Münster. 1958 wurde er zum außerplanmäßigen Professor ernannt.162 Hellmann setzte die Aufbauarbeiten von Ludat fort und wurde 1964 als Lehrstuhlinhaber für Mittlere und Neuere Geschichte unter besonderer Berücksichtigung Osteuropas gleichzeitig Leiter der „Abteilung für Osteuropäische Geschichte des Historischen Seminars“. Unter dem gemeinsamen Dach des Historischen Seminars fanden zu Beginn der 1960er-Jahre somit zwei Abteilungen Platz, die zusammen zur Größe und Bedeutung des Seminars beitrugen.

Fazit In den Untersuchungszeitraum fallen wichtige Entwicklungen für das Historische Seminar an der Universität Münster. Die Geschichtswissenschaft in Münster gewann an Bedeutung, als es am Historischen Seminar gelang, vielversprechende Historiker nicht nur auf ein Ordinariat zu berufen, sondern auch zu halten bezie160

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Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 13.12.1956 mit „Empfehlungen zur Ostkunde“. Vgl. beispielsweise UAMs, Bestand 125, Nr. 12. Zur Rolle der Kultusministerkonferenz bei der Koordinierung der Wiederbelebung der Ostforschung an westdeutschen Universitäten vgl. Unger 2007, S. 121ff. Ordinariate zur Osteuropäischen Geschichte zum Beispiel in Göttingen, Hamburg, Köln, München, Tübingen, Gießen, Berlin und Kiel; Extraordinariate in Erlangen, Frankfurt a. M., Mainz und Marburg. Vgl. Antragsentwurf für ein planmäßiges Extraordinariat für Osteuropäische Geschichte vom 1.3.1957, UAMs, Bestand 62, Nr. 148. Vgl. Weber 1987; S. 227f.; vgl. auch Schreiben des Dekans an Kultusministerium Nordrhein-Westfalen vom 17. Mai 1960, UAMs, Bestand 62, Nr. 148.

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hungsweise bedeutende Wissenschaftler für den Standort zu interessieren. Durch die Abschaffung des Konkordatslehrstuhls unter den Nationalsozialisten vollzog sich am Historischen Seminar ein Modernisierungsschub, der die Berufungen von Tellenbach und Grundmann ermöglichte – weder der evangelische Tellenbach noch der konfessionslose Grundmann wären für den Lehrstuhl vorher infrage gekommen. Beide Historiker waren zudem durch die politischen Umstände beziehungsweise den Kriegsverlauf in ihrer persönlichen Karriereplanung behindert, was dem Historischen Seminar in Münster positiv in die Hände spielte. Bei der Wiederbelebung des Seminars nach 1945 profitierte der Standort dann von der Aufbauarbeit Herbert Grundmanns. Dessen Rolle in den ersten Nachkriegsjahren in Bezug auf Münster noch detaillierter in den Blick zu nehmen, wäre lohnenswert. 1942 gab es nach dem Ausscheiden der alten Ordinarien viel Spielraum für tiefgreifende Veränderungen im Seminar und es war ein bedeutendes Jahr, da entscheidende Weichen für die Zukunft gestellt wurden. Dies gilt einerseits für eine zeitweise stärkere Politisierung beziehungsweise Ideologisierung der Geschichtswissenschaft in Münster, wie sie kurz beleuchtet worden ist. Sie hatte jedoch ihre Grenzen, an denen beispielsweise Kesting scheiterte, als er ohne in der Zunft anerkannte wissenschaftliche Qualifikation versuchte, seine Position im Historischen Seminar dauerhaft zu sichern. Die Berufungen Tellenbachs und von Raumers im Jahr 1942 belegen den Handlungsspielraum, den es für Rektorat und Fakultät gab. Dieser wurde auch zur Berufung des politisch kaum dem Nationalsozialismus entgegenkommenden Tellenbach genutzt, dessen wissenschaftliche Exzellenz sich bereits abzeichnete und dessen wissenschaftliche Reputation einen großen Gewinn für das Historische Seminar in Münster darstellte. Der Zusammenbruch des Nationalsozialismus brachte neben der Suspendierung von Klockes keine weiteren personellen „Ausfälle“ für das Historische Seminar mit sich, im Gegenteil: Durch die Wiedereinsetzung des Konkordatslehrstuhls und die Rückkehr Eitels vergrößerte sich das Seminar zu einem für eine Expansion aufgrund der äußeren, durch Not und Mangel geprägten, Umstände ungewöhnlichen Zeitpunkt. Dieser lässt sich nur durch die Bedeutung der katholischen Tradition der Universität erklären, an die sie nach dem Ende des Nationalsozialismus zügig anknüpfen wollte. Die institutionell starke Rolle des Katholizismus endete mit der Aufhebung der konfessionellen Bindung des Lehrstuhls in den 1960er-Jahren. Von Klocke ist ein Beispiel für eine Karriere unter den Bedingungen der NSPolykratie wie auch für Kontinuitäten und Brüche im Jahr 1945. Die institutionelle Verankerung der Westfälischen Landesgeschichte an der Universität Münster in der Bundesrepublik konnte der Historiker nicht mehr mitgestalten. Der Zusammenbruch des Nationalsozialismus unterbrach nicht nur seine Karriere, sondern schwächte durch die längere Vakanz vorübergehend auch die Stellung der Landesgeschichte am Historischen Seminar. Dass eine Beschäftigung von belasteten Vertretern der Volksgeschichte im Historischen Seminar nicht als problematisch angesehen wurde, zeigt nicht nur die Unterstützung der Rückkehr von Klockes an das

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Seminar, sondern auch der Lehrauftrag für Petri in den 1950er-Jahren. Eine intensivere Beschäftigung mit der Zusammenarbeit von Münsterschen Historikern und dem Provinzialverband beziehungsweise später dem Landschaftsverband in der Historischen Kommission könnte hier weitere Aspekte zu Tage bringen. Kontinuitäten, Justierungen und Neuausrichtungen bei wissenschaftlichen Schwerpunkten und Denkmustern der Münsterschen Historiker nach 1945 sind hier allenfalls in knappen Stichworten erwähnt. Intensivere Werkanalysen der Münsterschen Historiker wären notwendig, um das Bild zu vervollständigen. Die beschriebenen Vorgänge deuten darauf hin, dass das Historische Seminar der Universität Münster aus den Herausforderungen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gestärkt hervorgegangen ist. Wie die Beispiele gezeigt haben, war ein Grund dafür auch das Bestreben innerhalb des Seminars und der Zunft, über Phasen politischer Systemwechsel hinweg die eigene Position zu stärken und persönliche Netzwerke belastbar zu halten – auch unter Ausblendung von teilweise zweifelhaften politischen Einlassungen und Engagements und unter weitgehendem Verzicht auf offene Auseinandersetzungen innerhalb des Historischen Seminars in Münster.

Literatur Ash, Mitchell G., Konstruierte Kontinuitäten und divergierende Neuanfänge nach 1945, in: Grüttner, Michael (Hg.), Gebrochene Wissenschaftskulturen. Universität und Politik im 20. Jahrhundert, Göttingen 2010, S. 215–245. Ash, Mitchell G., Wissenschaft und Politik als Ressource für einander, in: vom Bruch, Rüdiger/Kaderas, Brigitte (Hg.), Wissenschaften und Wissenschaftspolitik. Bestandsaufnahmen zu Formationen, Brüchen und Kontinuitäten im Deutschland des 20. Jahrhunderts, Stuttgart 2002, S. 32–51. Aly, Götz, Theodor Schieder, Werner Conze oder: Die Vorstufe der physischen Vernichtung, in: Schulze/Oexle 1999, S. 163–182. Berg, Nicolas, Der Holocaust und die westdeutschen Historiker. Erforschung und Erinnerung, Göttingen 2003. Bitterli, Urs, Golo Mann – Instanz und Außenseiter. Eine Biografie, Zürich 2004. Boockmann, Hartmut/Wellenreuther, Hermann (Hg.), Geschichtswissenschaft in Göttingen. Eine Vorlesungsreihe (Göttinger Universitätsschriften. A: Schriften, 2), Göttingen 1987. Boockmann, Hartmut: Die Königsberger Historiker vom Ende des 1. Weltkriegs bis zum Ende der Universität, in: Rauschning, Dietrich/von Nerée, Donata (Hg.), Jahrbuch der Albertus-Universität zu Königsberg und ihre Professoren. Aus Anlaß der Gründung der Albertus-Universität vor 450 Jahren (Der Göttinger Arbeitskreis. Veröffentlichungen 451), Berlin 1995, S. 257–281.

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Katja Fausser

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Katja Fausser

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Schöttler, Peter, Historische Westforschung zwischen Abwehrkampf und territorialer Offensive, in: Ders. (Hg.), Geschichtsschreibung als Legitimationswissenschaft 1918–1945, 2. Aufl. Frankfurt a. M. 1999, S. 204–261. Schreiber, Georg, Hochschule und Volkstum in der neuen Zeit. Rektoratsrede zur Wiedereröffnung der Westfälischen Landesuniversität am 3.11.1945, Recklinghausen 1945. Schreiner, Klaus, Wissenschaft von der Geschichte des Mittelalters nach 1945. Kontinuitäten und Diskontinuitäten der Mittelalterforschung im geteilten Deutschland, in: Schulin, Ernst (Hg.), Deutsche Geschichtswissenschaft nach dem Zweiten Weltkrieg (1945–1965) (Schriften des Historischen Kollegs. Kolloquien 14), München 1989, S. 87–146. Schulze, Winfried, Geschichtswissenschaft nach 1945, München 1993. Schulze, Winfried, „Insofern ist die Frage spannend, wo der schmale Grad zwischen erwünschter Einmischung in Politik und Distanz zur Politik verläuft.“ (Interview), in: Hohls/Jarausch 2000, S. 404–436. Schulze, Winfried/Oexle, Otto Gerhard (Hg.), Deutsche Historiker im Nationalsozialismus, Frankfurt a. M. 1999. Tellenbach, Gerd, Aus erinnerter Zeitgeschichte, Freiburg i. Br. 1981. Tenorth, Heinz-Elmar (Hg.), Geschichte der Universität Unter den Linden 1810– 2010, Bd. 5: Transformation einer Wissensordnung, Berlin 2010. Tilitzki, Christian, Von der Grenzland-Universität zum Zentrum der nationalsozialistischen „Neuordnung des Ostraums“? Aspekte der Königsberger Universitätsgeschichte im Dritten Reich, in: Jahrbuch für Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 46 (2000), S. 233–269. Unger, Corinna R., Ostforschung in Westdeutschland. Die Erforschung des europäischen Ostens und die Deutsche Forschungsgemeinschaft 1945–1975 (Studien zur Geschichte der Deutschen Forschungsgemeinschaft 1), Stuttgart 2007. Vorlesungsverzeichnisse der Westfälischen Wilhelms-Universität Sommersemester 1900 – Wintersemester 1948/49. Weber, Wolfgang, Biographisches Lexikon zur Geschichtswissenschaft in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Die Lehrstuhlinhaber für Geschichte von den Anfängen des Faches bis 1970, 2. durchges. Ausgabe Frankfurt a. M. 1987. Weber, Wolfgang, Priester der Klio. Historisch-sozialwissenschaftliche Studien zur Herkunft und Karriere deutscher Historiker und zur Geschichte der Geschichtswissenschaft 1800–1970 (Europäische Hochschulschriften. Reihe 3, 216), Frankfurt a. M., Berlin, New York 1984. Weigand, Katharina (Hg.), Münchner Historiker zwischen Politik und Wissenschaft. 150 Jahre Historisches Seminar der Ludwig-Maximilians-Universität (Beiträge zur Geschichte der Ludwig-Maximilians-Universität München 5), München 2010. Weisbrod, Bernd, Das Moratorium der Mandarine. Zur Selbstnazifizierung der Wissenschaften in der Nachkriegszeit, in: Lehmann, Hartmut/Oexle, Otto

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Gerhard, Nationalsozialismus in den Kulturwissenschaften, Bd. 2: Leitbegriffe – Deutungsmuster – Paradigmenkämpfe. Erfahrungen und Transformationen im Exil, Göttingen 2004, S. 259–279. Werner, Karl Ferdinand, Das NS-Geschichtsbild und die deutsche Geschichtswissenschaft, Stuttgart 1967. Wiesing, Urban/Brintzinger, Klaus-Rainer/Grün, Bernd/Junginger, Horst/Michl, Susanne (Hg.), Die Universität Tübingen im Nationalsozialismus (Contubernium. Tübinger Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 73), Tübingen 2010. Wirbelauer, Eckhard (Hg.), Die Freiburger Philosophische Fakultät 1920–1960. Mitglieder, Strukturen, Vernetzungen (Freiburger Beiträge zur Wissenschaftsund Universitätsgeschichte N. F. 1), München 2006. Wolgast, Eike, Mittlere und Neuere Geschichte, in: Eckart, Wolfgang U./Sellin, Volker/Wolgast, Eike (Hg.), Die Universität Heidelberg im Nationalsozialismus, Heidelberg 2006, S. 491–516. Wolf, Ursula, Litteris et Patriae. Das Janusgesicht der Historie (Frankfurter historische Abhandlungen 37), Stuttgart 1996.

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Die Germanistik der Westfälischen Wilhelms-Universität vom Ende des Ersten Weltkrieges bis 1960 Die Geschichte der Germanistik beziehungsweise des Germanistischen Instituts der Westfälischen Wilhelms-Universität, die rund eineinhalb Jahrhunderte zurückreicht,1 war bis vor wenigen Jahren nur unzulänglich erforscht. Das Institut selbst hat sich für diese offenbar kaum interessiert, wie das Fehlen einer institutsinternen Chronik, aber auch die geringe Zahl einschlägiger Publikationen zeigt. Günther Weydts Beitrag in der Festschrift, die die Universität 1980 zu ihrem zweihundertjährigen Bestehen erscheinen ließ, gereicht weder dem Institut noch dem Verfasser zur Ehre.2 Darüber hinaus ist zum einen der verdienstvolle Abriss der Institutsgeschichte von Carsten Albers zu nennen,3 zum anderen der Beitrag von Herbert Kraft zu dem bereits 1947 in Münster ausgerichteten Internationalen Ferienkurs, der die Verheerungen, die der Nationalsozialismus auch bei Lehrenden wie Studierenden der Münsterschen Germanistik angerichtet hatte, in vollem Lichte erscheinen ließ.4 Eine massive Verbesserung des Forschungsstandes brachte erst die 2004 erschienene, umfangreiche Studie von Andreas Pilger, die auf der Basis eines organisationssoziologischen Modells die Geschichte der Münsterschen Germanistik umfassend aufgearbeitet hat.5 Ihr Hauptverdienst besteht darin, dass Pilger unter Ausschöpfung zahlreicher Archive nicht nur das Wirken der in Münster tätigen Germanisten in Lehre und Forschung und das der Germanistikstudenten gründlich analysiert hat, sondern dass er dieses auch zu den die jeweilige Zeit bestimmenden geistesgeschichtlichen Paradigmen in Beziehung setzte, zum Beispiel Positivismus versus „Geistesgeschichte“, Autonomie der Wissenschaft im „Dritten Reich“ versus Heteronomie, Kontinuität versus Neubeginn nach 1945. 1

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1859 wurde Wilhelm Storck „zum ersten außerordentlichen Professor der deutschen Sprache und Literatur ernannt“, Albers 1994, S. 210; das „Germanistische Seminar“ wird erst 1895 gegründet, ebd., S. 211f. Weydt 1980. Der Beitrag ist nicht nur sehr knapp, er verharmlost auch die Involvierung des Instituts wie einzelner Germanisten in das „Dritte Reich“ in schwer erträglicher Weise. Dass hier anderes möglich war, zeigen die Beiträge zur Anglistik (Hermes 1980). Zur Kritik der Darstellung Weydts (zu seiner Einschätzung durch die Nationalsozialisten siehe unten) siehe vor allem Pilger 1995, S. 10. In der Darstellung von Wilhelm Ribhegge spielt die Germanistik (verständlicherweise) nur eine geringe Rolle, Ribhegge 1985. Albers 1994. Kraft 1999. Herbert Kraft danke ich auch an dieser Stelle für die Überlassung weiterer, einschlägiger Materialien. Pilger 2004.

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Die hier vorgelegte Studie ist dieser herausragenden Arbeit intensiv verpflichtet.6 Sie muss vielfach an der Oberfläche bleiben. Ein Beispiel: Für eine gründliche Erforschung der wissenschaftlichen Leistung wie vor allem der weltanschaulichideologischen Einstellung der Münsterschen Germanisten wären auch die aus ihrer Feder stammenden, sehr zahlreichen „Selbstthematisierungen“ zu analysieren, also Forschungsberichte, in denen diese sich über die gegenwärtige Lage des eigenen Faches Rechenschaft gaben.7 Im Folgenden soll nun, in Anlehnung an das Konzept dieses Sammelbandes, ein Abriss der Institutionen- wie Personengeschichte des Germanistischen Instituts der Westfälischen Wilhelms-Universität in den vier Jahrzehnten zwischen 1918 und 1960 geboten werden. Dieser Zeitschnitt ist einerseits vorgegeben, andererseits aber für die Germanistik auch sinnvoll: Der politisch-gesellschaftliche Umbruch am Ende des Ersten Weltkrieges wirkte sich, wie zu zeigen sein wird, auch auf die Germanistik deutlich aus, und um 1960 endete eine Phase in deren Geschichte, die – auch personell – deutliche Kontinuitäten zu den vorherigen (und auch zum Dritten Reich) aufwies. Im Einzelnen ist zu fragen nach Ort und Unterbringung des Instituts, nach seiner Größe (personell: Professoren, Mitarbeiter, Studenten; finanziell), seiner wissenschaftlichen und didaktischen Leistung (Lehrangebot, Forschung der Lehrenden, Promotionen), nach der Einbindung des Instituts in die Universität und in die Scientific Community, aber auch nach seinem Verhältnis zur Stadt Münster. Ein besonderes Augenmerk ist dabei auf die regional wie überregional prominenten Vertreter der Münsterschen Germanistik, konkret auf deren persönliche wie akademische Lebensläufe zu richten. All dies soll zur Vermeidung von Wiederholungen in einer chronologisch voranschreitenden Narration dargelegt werden, wobei ein sehr deutlicher Akzent auf die Zeit des Nationalsozialismus und des „Dritten Reiches“ gelegt wird. Dabei versteht sich von selbst, dass angesichts des vorgegebenen, geringen Umfanges Vieles nur angedeutet werden kann.8 6

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Siehe zur Dissertation Pilgers die ausführliche Rezension von Müller 2005. Pilgers Zulassungsarbeit (siehe Fußnote 2) ergänzt seine Dissertation wesentlich, zum Beispiel durch die Analyse der 1933 bis 1945 entstandenen Dissertationen. Ich danke Andreas Pilger herzlich für Überlassung einer Kopie dieser Arbeit, eines Exemplars seiner Dissertation sowie für weitere Auskünfte. Dainat, Literaturwissenschaftliche Selbstthematisierungen, 2003. Für Münster liegen solche aus der Feder Hübners, Müllers (zahlreiche), Stefanskys, von Wieses, Brinkmanns, G. Weydts, Kindermanns (mehrere), Schwieterings, Kluckhohns und A. Malte Wagners vor. Dies zeigt, wie intensiv sie sich am Fachdiskurs beteiligten. Etliche darunter sind als „Bekennerschreiben“ gegenüber den neuen Machthabern von 1933 zu bezeichnen, siehe dazu Dainat 1997, S. 103f. und 108 (Benno von Wiese 1933 gegen den „selbstgenügsamen Intellektualismus“), S. 112 (Günther Weydt über die „ersehnte ‚neue Ordnung des Lebens‘“). Ein besonderer Dank für vielfältige Unterstützung gilt dem Universitätsarchiv Münster, hier vor allem Herrn Robert Giesler. Bewusst verzichtet wurde auf die Befragung von „Zeitzeugen“. Sie wären im Zuge einer umfassenden Aufarbeitung des Gegenstandes natürlich zu konsultieren.

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Die Germanistik der Westfälischen Wilhelms-Universität

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Die Münstersche Germanistik am Ende des Ersten Weltkrieges und in der Weimarer Republik An dem in mehreren Räumen des Erdgeschosses des sogenannten „Neuen Institutsgebäudes“ der Universität9 untergebrachten „Germanistischen Seminar“,10 das seit 1910 in eine „Ältere“ und eine „Neuere“ Abteilung gegliedert war,11 lehrten zu Ende des Ersten Weltkrieges die Professoren Franz Jostes (1858–1925)12 und Julius Schwering (1863–1941),13 weiterhin als nicht beamteter Dozent Paul Kluckhohn (1886–1957), dessen Forschungsschwerpunkt neben der deutschen Literatur des 19. Jahrhunderts auch das Mittelalter war.14 Hinzu trat in den Jahren von 1919 bis 1926 als Privatdozent für Neuere deutsche Literaturgeschichte Leopold Magon (1887–1968), der sich 1917 während eines Fronturlaubs in Münster habilitiert hatte. Das Vorlesungsverzeichnis für das Wintersemester 1918/19 vermeldet: „Dr. Magon steht im Heeresdienst und wird gegebenenfalls später ankündigen.“15 Ergänzt wurde das Lehrangebot regelmäßig durch Otto Hoffmann (1865–1940), seit 1909 Ordinarius für Vergleichende Sprachwissenschaft am Seminar für Vergleichende Sprachwissenschaft, Klassische Philologie und Archäologie der Universität, der im genannten Semester „Sprachwissenschaftliche Übungen […]: Anleitung zur sprachvergleichenden Behandlung der Grammatik des Deutschen und der klassischen Sprachen“ anbot. Wie sehr der Krieg das Leben der Universität wie auch des Instituts beeinträchtigte, zeigt nicht nur der Umstand, dass der Personalteil des Vorlesungsverzeichnisses für viele Lehrende ein „Im Heere“ meldete, sondern auch, dass vom 3. Februar bis 16. April 1919 ein „Zwischensemester für Kriegsteilnehmer“ organisiert wurde.16 Magon, seit 1914 Soldat, stand auch jetzt noch im Heeresdienst. Das Lehrangebot der Germanistik bestand aus „Althochdeutsche Literatur, Mo. 9

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Dieses südlich des alten Jesuitenkollegs gelegene Hörsaal- und Seminargebäude war 1912 erbaut worden; 1913 zog das Seminar dort ein, Pilger 2004, S. 115. Zur Lage siehe Kirchhoff 1980, S. 122, Karte 2, Nr. 4. Den Status eines „Instituts“ erlangte die Germanistik erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Pilger 2004, S. 96f. Die damals erlassene Satzung sollte dafür sorgen, dass die vorhandenen Geldmittel gleichmäßig ausgegeben wurden. Dahinter wiederum verbarg sich ein Machtkampf zwischen Jostes und Schwering (siehe unten) um Finanzen (auch Hörergelder!) und Einfluss. Seit 1904 o. Prof. für Germanische Philologie, zuständig vor allem für Ältere Sprache und Literatur, siehe Tiedau, Jostes, 2003. 1906–1929 o. Prof., siehe Nölle-Hornkamp 2003. Zu ihm, dem vielfach unterschätzten, gleichwohl wichtigsten „Förderer des literarischen und kulturellen Lebens“ in Westfalen im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts siehe auch Gödden/Nölle-Hornkamp 1989. 1913–1920 Privatdozent, 1920–1925 nbao. Professor, siehe König 2003, S. 956f. Die in König 2003 von der Redaktion verfassten Beiträge werden nicht gesondert im Literaturverzeichnis aufgelistet. Ebd., S. 1142–1144; Vorlesungsverzeichnis 1918/19, S. 19. Vorlesungsverzeichnis Zwischensemester 1919; ein weiteres Zwischensemester wurde von September bis Dezember 1919 durchgeführt. Von den 1914 bis 1918 durchschnittlich 112

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9–10“ und „Praktische Übungen an althochdeutschen Texten, Di. 8–10“ (Jostes), „Einführung in das Studium der Literaturgeschichte, Mo. 11–12“, „Ausgewählte Kapitel aus der Geschichte des deutschen Dramas, Di. 11–12“ und „Stilistische Übungen für jüngere Semester, Mi. 11–12“ (Schwering) sowie „Grundzüge der historischen deutschen Grammatik, Mi. Fr. 9–10“ und „Mittelhochdeutsche Übungen und Einführung in die mittelhochdeutsche Literatur für jüngere Semester, Do. 9–11“ (Kluckhohn). Otto Hoffmann bot eine „Kursorische Lektüre des Ulfilas, Sa. 10–12“ an. Dieses sehr schmale Lehrangebot wurde in den nächsten Jahren deutlich erweitert; in der Regel konnten zunächst 14 bis 15, dann bald – ab dem Wintersemester 1920/21 – um die 20 Lehrveranstaltungen stattfinden, was zum einen daran lag, dass nun der 1920 in Münster habilitierte Sprachwissenschaftler Theodor Baader seine Tätigkeit aufnahm,17 zum anderen, dass in diesem Semester ein Niederländisches Lektorat eingerichtet wurde, dem dann für lange Jahre Dr. René van SintJan vorstand (mit drei, später bis zu fünf Lehrveranstaltungen). Dessen Etablierung basierte auf den regen niederländisch-flämischen Forschungsinteressen vor allem von Jostes, aber auch von Schwering. Ermöglicht wurde sie durch die mit dem Ende des Weltkrieges in Bezug vor allem auf die Flamen veränderte politische Situation, die es gestattete, den Flamen Sint-Jan (der mit den Deutschen zusammengearbeitet hatte) nach Münster zu holen.18 Das Lehrprogramm der 1920er-Jahre lässt einen zwar nicht klar definierten, aber ausgesprochen weiten Fachbegriff erkennen: Es reichte – abgesehen von den obligaten „Einführungen“ – von der Historischen Syntax, Phonetik und Wortbildung bis zu Stilistik, Rhetorik und Poetik, von der Althochdeutschen und Altsächsischen Literatur über das Nibelungenlied, Mittelhochdeutsche Lyrik und Drama, die Literatur der frühen Neuzeit, Goethe und Schiller bis hin zur Literatur des 19. Jahrhunderts (mit Börne, Heine und der politischen Dichtung) und sogar der Gegenwart. Darüber hinaus erschienen in den Vorlesungsverzeichnissen immer wieder Veranstaltungen zur Kulturgeschichte, aber auch zu mittellateinischer und skandinavischer Literatur (Magon).19 Nur schwach ausgeprägt war die Behandlung der westfälischen Literatur, und es überrascht, dass bis zum Wintersemester 1927/28 Annette von Droste-Hülshoff nicht Gegenstand einer eigenen Lehrveranstaltung war, wozu zu bemerken ist, dass Veranstaltungen zu einzelnen Autoren auf die „ganz Großen“

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Mitgliedern [ = Lehrenden der Universität] befanden sich 40 im Heeres-, Sanitäts- und Hilfsdienst.“, Ribhegge 1985, S. 146. S. unten. Zu ihm (geb. 1887) und zur frühen Entwicklung der Niederlandistik in Münster siehe Pilger 2004, S. 210–222, besonders S. 217–219. 1923 habilitierte sich Sint-Jan in Münster, 1932 wurde ihm „der Titel eines nichtbeamteten außerordentlichen Professors verliehen“, ebd., S. 218. De facto hielt mit Magon, der in Ergänzung seiner germanistischen Studien von 1921 bis 1923 in Kopenhagen, Uppsala, Stockholm und Oslo studiert hatte, bis zu seinem Weggang nach Greifswald 1928 die Skandinavistik an der Universität Münster Einzug. Ein eigenes „Skandinavisches Seminar“ entstand erst nach dem Zweiten Weltkrieg.

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wie Walther von der Vogelweide, Wolfram von Eschenbach, Goethe oder Schiller beschränkt waren.20 Die Vermehrung des Lehrkörpers durch den nur wenige Jahre am Seminar tätigen Münsterschen Sprachwissenschaftler (mit dem Schwerpunkt Erforschung des Westfälischen) Theodor Baader (1888–1959)21 und den Mediävisten Arthur Hübner (1885–1937)22 veränderten diese Grunddisposition nur in geringem Maße, zum Beispiel in Gestalt einer stärkeren Beachtung der spätmittelalterlichen Literatur (Hübner). Auch der 1926 in Münster bei Hübner habilitierte und von da an bis 1964 am Institut tätige Karl Schulte-Kemminghausen (1892–1964),23 der sich schwerpunktmäßig mit der Literatur Westfalens (vor allem der Droste) und der Niederlande, aber auch mit „volkskundlichen“ Themen (Namenkunde, Brauchtum, Lieder, Sprichwörter) beschäftigte, setzte erst allmählich einen neuen Akzent. Mit dem Sommersemester 1928 trat Julius Schwietering (1884–1962)24 als Nachfolger Arthur Hübners in den Dienst des Seminars, was eine stärkere Betonung der Literatur des Hochmittelalters, aber auch der „Volkskunde“ zur Folge hatte. 1929, nachdem Julius Schwering ausgeschieden und sein Ordinariat auf ein Extraordinariat zurückgestuft worden war, nahm der in diesem Jahr in Münster habilitierte Neugermanist Georg Stefansky (1897–1957) die Arbeit am Seminar auf. Bis 1933 war er Privatdozent für „Neuere deutsche Literaturgeschichte mit besonderer Berücksichtigung der Geistesgeschichte“. Seine Lehrveranstaltungen waren stark geistesgeschichtlich orientiert.25 Seiner jüdischen Abstammung wegen wurde er 1933 entlassen.26 Die Nachfolge Schwerings übernahm ab dem Wintersemester 1930/31 Günther Müller (1890–1957),27 dessen starke Betonung religiöser, insbesondere katholischer Texte und Phänomene bei fast gleichmäßiger Beherrschung 20

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In diesem Semester las Karl Schulte-Kemminghausen über: „Annette von Droste-Hülshoff (für Hörer aller Fakultäten) Do, 5– 6 ½“; implizit dürfte die Droste aber schon vorher behandelt worden sein, zum Beispiel in Schwerings „Geschichte der westfälischen Dichtung“ (Sommersemester 1926). Leopold Magon bot wiederholt Lehrveranstaltungen zu Friedrich Rückert an, über den er 1912 promoviert worden war und sich 1917 (bei Schwering) habilitiert hatte (Sommersemester 1923 „mit Benützung des schriftlichen Nachlasses“, auch Sommersemester 1927), dies sicher deshalb, weil sich ein Teil des Rückert-Nachlasses in der ULB Münster befindet. 1920–1923 Privatdozent für Germanische Philologie, siehe Janssen 2003. 1924–1927 als Nachfolger von Franz Jostes, der im Juni 1923 um Entbindung „von der Verpflichtung, Vorlesungen zu halten“, gebeten hatte, Albers 1994, S. 213; zu Hübner siehe Höppner 2003. 1926–1934 Privatdozent, danach nbao. Prof., 1945–1950 „aus politischen Gründen von der Universität entfernt“, Tiedau, Schulte Kemminghausen, 2003, Zitat S. 1676. 1928–1932 o. Prof. für Deutsche Sprache und Literatur, Harms 2003. Siehe zum Beispiel die Vorlesung „Dichtung und Weltanschauung des deutschen Barock“ im Wintersemester 1930/31; Vorlesungsverzeichnis, S. 61. Adam 2003. Der Entzug der Lehrbefugnis erfolgte auf der Grundlage des § 3 des berüchtigten „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ (ebd., S. 1792) der nationalsozialistischen Regierung. Siehe die ausführliche Darstellung des Falles Stefansky bei Pilger 2004, S. 222–274. 1930–1943 o. Prof. für Neuere Deutsche Sprache und Literatur, Azzouni 2003.

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der älteren wie neueren Literatur eine besondere, nach 1933 den neuen Machthabern zusehends missliebige Ausrichtung zeigte. 1932 schließlich trat als Nachfolger Schwieterings mit Jost Trier (1894–1970)28 ein besonders profilierter Sprach- und Kulturwissenschaftler, der schon im Sommersemester 1933 über „Deutsche Volkskunde I: Das Haus“ las, in den Dienst des Seminars, wo er ununterbrochen bis 1963 tätig sein sollte. Überblickt man die rund eineinhalb Jahrzehnte vom Ende des Ersten Weltkrieges bis zur Machtergreifung der Nationalsozialisten, so ist folgendes zu bemerken: Mit je einem Lehrstuhl für die „Neuere“ und die „Ältere“ Literatur – was der Institutsgliederung entsprach – und ergänzt durch in der Regel zwei Privatdozenturen beziehungsweise außerordentliche Professuren besaß das Münstersche Institut eine im Vergleich mit anderen Universitäten durchschnittliche Stellenausstattung.29 Engagement und Leistung vor allem dieser letztgenannten Lehrenden sind angesichts ihrer miserablen Bezahlung, die sich aus Hörergeldern, teilweise ergänzt durch „magere Stipendien oder kaum minder mager besoldete Lehraufträge“ zusammensetzte,30 rundweg zu bewundern. Inhaltlich gesehen wurden die Jahrzehnte bis 1933 geprägt von einer zunächst vor allem durch Julius Schwering betriebenen zusehenden Etablierung der Neueren deutschen Literaturgeschichte. 1930 stellte Schwering nicht ohne Befriedigung – und mit einiger Selbstüberschätzung – fest, dass er das „Ziel“ der „Gleichberechtigung der neueren deutschen Literaturgeschichte“ neben dem „germanistisch-philologischen Betrieb […] trotz mancher Hindernisse und Schwierigkeiten binnen weniger Jahre erreicht“ habe.31 Mit der Berufung von Jost Trier 1932 trat an die Spitze der Älteren Abteilung ein Ordinarius mit vor allem sprachwissenschaftlichen Interessen, wodurch nun die Ältere deutsche Literatur in den Hintergrund trat. Kompensiert wurden derartige Akzentverlagerungen dadurch, dass die meis28 29

30 31

Meineke 2003. Vgl. hierzu Pilger 2004, S. 117–119. Die Rückstufung der Stelle Schwerings auf ein Extraordinariat hatte nur geringe praktische Auswirkungen, weil genügend wissenschaftlicher Nachwuchs zur Verfügung stand. Pilger 2004, S. 119. „Zweitberufe“ dürften nicht selten gewesen sein: Theodor Baader arbeitete beispielsweise längere Zeit nebenher beim Finanzamt, ebd. Schwering o. J. (1930), S. 2. Ebd., S. 5ff. ein Verzeichnis der bei ihm entstandenen Dissertationen zu Westfälischer Dichtung (34), Presse und Theater in Westfalen (6), Deutscher Dichtung des 17. und 18. Jahrhunderts (18), des 19. Jahrhunderts (66), zur Vergleichenden Literaturgeschichte (8), zu Stoff- und Motivgeschichte (12), sowie ungedruckte beziehungsweise teils gedruckte Arbeiten (53 + 5) und im Erscheinen begriffene Dissertationen (9). Es zeigt dies Schwerings außerordentliche Spannweite – und auch den Umstand, dass bis 1945 in viel höherem Maße die Promotion als (oft zusätzlicher) Studienabschluss gewählt wurde. Gödden/Nölle-Hornkamp, S. 34, zählen insgesamt „mehr als 230“ von Schwering betreute Dissertationen; dort S. 34–43 Verzeichnis derselben. Dass deren wissenschaftliche Qualität nicht selten zu wünschen übrig ließ, hat Schwering selbst gesehen, siehe ebd., S. 34. Als bedeutender, die germanistische Hochschullaufbahn einschlagender Schüler ist Leopold Magon zu nennen.

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ten der im genannten Zeitraum tätigen Wissenschaftler sowohl Veranstaltungen zur Neueren wie auch zur Älteren Literatur (so vor allem Schulte-Kemminghausen), oft aber auch zur Sprachwissenschaft anbieten konnten und anboten. Immerhin bleibt auffällig, dass der Vergleichende Sprachwissenschaftler Hoffmann bis zum Ende unseres Zeitraumes sprachwissenschaftliche Lehrveranstaltungen abhielt. Eine klare Trennung der Gegenstandsbereiche in Forschung und Lehre, wie wir sie heute kennen, gab es dementsprechend nicht. Der noch am ehesten als „Altgermanist“ im modernen Sinne zu bezeichnende Julius Schwietering konnte zum Beispiel im Wintersemester 1930/31 über „Wortbedeutungslehre als Einführung in die deutsche Sprachgeschichte“ lesen,32 während Schulte-Kemminghausen neben volkskundlichen Lehrveranstaltungen auch solche zur älteren und zur neueren deutschen Literatur hielt (wobei gemeinsamer Nenner häufig der Bezug auf Westfalen war), und Jost Trier in seinem ersten Münsterschen Semester (Wintersemester 1932/33) eine Vorlesung über „Nibelungenlied und Nibelungensage“, eine „Einführung in das Mittelhochdeutsche“, in der „Oberstufe“ aber auch ein Seminar zu „Wort- und Begriffgeschichte“ anbot. Die heutigen Grenzen innerhalb des Faches bildeten sich so erst sehr allmählich heraus. Das Vorlesungsverzeichnis des Wintersemesters 1926/27 wie die Chronik des gleichen Jahres wiesen auf eine Veränderung der Organisation des Seminars hin: Die Veranstaltungen der Germanistik erschienen ab jetzt wie bisher unter „Deutsche Philologie“ (es sind dies vor allem die Vorlesungen, daneben aber auch Übungen und Lektüren), weiterhin aber auch unter „Germanistisches Seminar“, gegliedert in „A. Deutsche Abteilung“ und „B. Niederländische Abteilung“. Hier wurden, differenziert in Unter-, Mittel- und Oberstufe und in „ältere“ sowie „neuere“ Abteilung“ die Seminare und Übungen verzeichnet, wobei für die Oberstufen, das heutige Oberseminar, keine Themen genannt wurden.33 Zumindest ab diesem Zeitpunkt hatte damit das Niederländische den Status einer Abteilung erlangt. Diese Gliederung blieb bis zum Wintersemester 1938/39 erhalten, ab dem dann zusätzlich „Arbeitskreise und Kolloquien“ als Lehrform des Seminars erscheinen. Bemerkenswert ist weiterhin, dass sich das Lehrangebot im Laufe der 1920er-Jahre thematisch zusehends auf den Bereich einengte, den wir heute als Gegenstandsbereich der Germanistik bezeichnen. Allgemein kulturhistorische, nordistische oder mittellateinische Lehrveranstaltungen findet man in den späteren 1920er-Jahren ebenso wenig wie allgemein kulturhistorische. Der Horizont des Instituts verengte sich damit beträchtlich, man könnte sagen: er nationalisierte sich, wozu auch die zusehends stärkere Beschäftigung mit niederdeutscher und insbesondere westfälischer Sprache und Literatur passt. Beachtenswert ist schließlich, dass sich über lange Zeit mediävistische und neuzeitliche Lehrveranstaltungen in etwa die Waage hielten. Es 32 33

Vgl. Pilger 2004, S. 166. Die Chronik 1926/27, S. 40, erklärt hierzu: „Um eine gründliche Ausbildung zu ermöglichen, wurden mit Beginn des WS 1926/27 die Seminare beider Abteilungen in ein Pro-, Mittel- und Oberseminar geteilt.“

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lag damit ein starker Akzent auf den Anfängen der deutschen Literatur. Eine deutliche Neuorientierung erfuhr das „Geistesleben“ des Instituts erst durch den Eintritt Stefanskys und Müllers, sowie, jedoch in ganz anderer Hinsicht, durch den Triers mit seinem spezifisch sprachwissenschaftlich-kulturwissenschaftlichen Ansatz. Richtet man den Blick über Münster hinaus, so ist ein weiteres bemerkenswert: Mit Kluckhohn, Schwietering, Müller und Trier sowie Hübner, die sämtlich der gleichen Gelehrtengeneration angehörten (geboren zwischen 1884 und 1894; Hübner und Kluckhohn habilitierten sich 1913, die anderen in den 1920er-Jahren) hatte die Münstersche Germanistik gleich vier beziehungsweise fünf Germanisten der nationalen Spitzengruppe aufzuweisen, was sich heute in der oft erstaunlich breiten Rezeption und langen Nachwirkung ihrer Schriften dokumentiert:34 Kluckhohns Studien zu Ministerialität und Ritterdichtung werden noch heute diskutiert, seine Dissertation von 1909/10 („Die Ministerialität in Südostdeutschland vom 10.–13. Jahrhundert“) wurde 1970, seine Habilitationsschrift („Auffassung der Liebe in der Literatur des Mittelalters und der deutschen Romantik“) ebenfalls 1970 in dritter Auflage nachgedruckt. Schwieterings Habilitationsschrift über die „Demutsformel mittelhochdeutscher Dichter“ von 1921 wurde unverändert 1970 neu aufgelegt. Müllers in Vielem unüberholte „Deutsche Dichtung von der Renaissance bis zum Ausgang des Barock“ von 1927 wurde 1957 nachgedruckt, wie viele seiner Arbeiten aus den zwanziger und dreißiger Jahren.35 Die Arbeiten des mit Münster besonders verbundenen Jost Trier (Professur 1932 bis 1963) zu der von ihm entwickelten Wortfeldtheorie (zuerst in seiner Marburger Habilitationsschrift von 1928) wurden nicht nur in den 1970er-Jahren nachgedruckt (Paris 1973) und reich rezipiert, sondern finden gegenwärtig erneut stärkere Beachtung.36 Nicht vergessen sei über all dem, dass auch das weitgefächerte wissenschaftliche Oeuvre des Franz Jostes, besonders seine Editionen (zum Beispiel Daniel von Soest, 1902, Neudruck 1972; Meister Eckhart und seine Jünger, 1895, Neudruck 1972) bis in die Gegenwart weiterwirkt, was teilweise auch für die Droste-Arbeiten Schulte-Kemminghausens und seine Vorarbeiten zu einem Westfälischen Wörterbuch gilt.37 Hinzu tritt, dass mehrere der Münsterschen Germanisten bedeutende Zeitschriften gründeten beziehungsweise herausgaben, so Paul Kluckhohn die von ihm zusammen mit Erich 34

35 36 37

Im Folgenden sind nur Andeutungen und einzelne Beispiele möglich; für Details sei auf die in der Regel gründlichen Artikel im Internationalen Germanistenlexikon verwiesen. Bei den Beispielen beschränke ich mich auf Publikationen der Gelehrten, die in Münster entstanden oder die Voraussetzung für die Berufung dorthin bildeten, weshalb ich auf die bedeutenden Arbeiten von Arthur Hübner (nur 1924 bis 1927 in Münster) nicht eingehe. Leopold Magons Publikationen sind deutlich nordistisch ausgerichtet. Siehe König 2003, S. 1282f. Besonders zu nennen ist weiterhin Müllers bis heute wichtige „Geschichte des deutschen Liedes vom Zeitalter des Barock bis zur Gegenwart“ von 1925. Siehe Höfer-Lutz 1994 sowie die weiteren Beiträge in Zillig 1994. Wohl zu wenig beachtet ist bisher das wissenschaftliche Oeuvre Julius Schwerings (zum Beispiel Editionen der Werke Freiligraths und der Droste), der sich in Forschung wie Lehre vielfach abseits der „Hauptstraßen“ bewegte.

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Rothacker inaugurierte „Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte“ (zwischen 1923 und 1956 erschienen 30 Bände), die „schnell zur führenden literaturwissenschaftlichen Zeitschrift Deutschlands“ avancierte,38 so Georg Stefansky von 1926 bis 1933 den „Euphorion“, dessen Herausgabe ihm im Zusammenhang mit seiner Entfernung aus dem Dienst in diesem Jahr entzogen wurde. Er hatte die Zeitschrift „systematisch aktuellen Tendenzen, wie den Methoden der Literatursoziologie, Psychologie, Psychoanalyse und Geisteswissenschaft“ geöffnet.39 Über Zahl, Geschlechterverteilung, Studienziele und soziale Lage der Münsterschen Germanistik-Studenten lässt sich naturgemäß weit weniger sagen als über die Lehrenden. Dennoch erlauben die offiziellen Universitätspublikationen40 sowie die Arbeiten Pilgers und Pöppingheges zumindest in einigen Bereichen genauere Aussagen.41 Der Erste Weltkrieg hatte den Studienbetrieb schwerstens beeinträchtigt: „Von den 2333 Studierenden“ der Universität standen im Wintersemester 1914/15 „1.069, mehr als 46%, im Heeres- und Sanitätsdienst. Unter den zurückgebliebenen 1.264 Studierenden befanden sich bereits 240 Studentinnen. Die Studentenzahl blieb bis zum Sommersemester 1918, als 72% eingezogen waren, unter 1.000.“42 Für 38 39

40 41

42

Dainat 1996, S. 76. Adam 1996, S. 61. Die Zeitschrift wurde dann durch Julius Petersen und Hermann Pongs, die nun die Herausgabe übernahmen, in „Dichtung und Volkstum“ umbenannt. Sie wollten damit deutlich machen, dass „auch die Wissenschaft von der Dichtung immer das Volkstum im Auge halten wird als den Grundwert, der alle ästhetischen, literarhistorischen, geistesgeschichtlichen Werte trägt und nährt“ (Geleitwort, ebd., S. 62). Was dies konkret bedeutete, zeigt der Umstand, dass das erste Heft der neuen Zeitschrift aus Beiträgen Josef Nadlers zu „Rassenkunde, Volkskunde, Stammeskunde“, Julius Petersens zur „Sehnsucht nach dem Dritten Reich in deutscher Sage und Dichtung“ und Hermann Pongs‘ zu „Krieg als Volksschicksal im deutschen Schrifttum“ bestand, siehe ebd., S. 63 mit Anm. 16. Vorlesungsverzeichnisse, die bis 1916 und von 1925 bis 1936 erscheinende Chronik, die 1919 bis 1921 erscheinenden „Hochschul-Stimmen“. Siehe Chronik der Westfälischen Wilhelms-Universität. Ihr Erscheinen wurde, wie der Einleitung der Chronik für das Jahr 1925/26 zu entnehmen ist, nach dem 31.3.1916 durch Ministerialerlass zur Einschränkung des Papierverbrauchs untersagt. Ab 1925 erschien sie einmal jährlich, 1936 wurde sie, ohne Angabe von Gründen, komplett eingestellt, erst ab 1946 erscheint sie wieder regelmäßig. Sie stellt eine ausgesprochen wertvolle Quelle dar, weil sie (neben Rektoratsreden und anderem) Selbstcharakterisierungen der Institute und Seminare mit Themen und Teilnehmerzahlen bietet. Das Vorlesungsverzeichnis ist bezüglich der Studierendenzahlen nicht auswertbar, weil es nur Zahlen für die einzelnen Fakultäten bietet. Zudem waren in Münster bis Ende des Zweiten Weltkrieges die Philologien Teil der „Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät“. Die „Hochschul-Stimmen. Zeitschrift für das akademische Leben der Westfälischen Wilhelms-Universität. Mit amtlichen Nachrichten“ wurden vom Allgemeinen Studentenausschuß herausgegeben. Sie erschienen vierzehntäglich zwischen Juni 1919 und Februar 1921. Zu den Studierenden siehe weiter Pilger 2004, passim, und besonders Pöppinghege 1994. Ribhegge 1985, S. 146. Einen kleinen Eindruck von den Examensmodalitäten nach dem Ersten Weltkrieg bietet die Autobiographie des Dominikaners Laurentius Siemers 1957,

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die Germanistik bedeutete dies, dass die Zahl der Studierenden von 239 im Jahre 1910 auf 201 im Jahre 1920/21 zurückging. Der nur geringe Rückgang erklärt sich dadurch, dass im gleichen Zeitraum der Anteil weiblicher Studierender „von 0,4 % im Jahr 1910 auf 24,4 % im Jahr 1920/21 und auf 40 % im Jahr 1924/25 anstieg“;43 erstmals wurde so die Germanistik zu einem „Frauenstudium“. In den Jahren der Weimarer Republik nahm die Zahl der Studenten bis 1931 drastisch zu, von 120 Hauptfachstudenten [!] auf 334.44 Diese besuchten vor allem Lehrveranstaltungen der Neueren Abteilung; die Ältere Abteilung wurde weniger bis schwach frequentiert. Während im Wintersemester 1915/16, dem vorerst letzten, für das eine Chronik vorliegt, „das Seminar [= Ältere plus Neuere Abteilung] 55 ordentliche Mitglieder und 6 Hospitanten“ zählte,45 verzeichnet die Chronik für das Wintersemster 1925/26 86 Mitglieder für die Neuere Abteilung (Schwering, Thema: Das bürgerliche Drama II) und nur 13 für die Ältere Abteilung (Hübner, Thema: „Heliand“). Im Sommersemester 1926 ist das Verhältnis 88 (Thema: „Deutschland und die Weltliteratur“) zu 20 (Thema: der Roman „Wilhelm von Österreich“). Mit dem Eintreten Julius Schwieterings 1928 scheint sich dies deutlich geändert zu haben: Für das Wintersemester 1928/29 meldet die Chronik für das Mittelseminar 169 (Thema: „Minnesangs Frühling“), für das Oberseminar 43 (Thema: Wolframs „Parzival“) Mitglieder. In der Neueren Abteilung hatte das Mittelseminar Karl Schulte-Kemminghausens 140 Teilnehmer (Thema: „Die deutsche Prosanovelle“), das Oberseminar Julius Schwerings 45 (Thema „Die Entwicklung der Ansicht über das Drama von Gottsched bis zur Gegenwart“). Wie es scheint, spielte auch hier – wie stets – die Beliebtheit beziehungsweise Attraktivität von Lehrenden eine wichtige Rolle. Der starke Anstieg der Studentenzahlen machte dabei ab der Mitte der 1920erJahre die Suche nach einer verbesserten Unterbringung des Seminars unausweichlich. In der Chronik auf 1928/29 konnte Julius Schwietering als Direktor des Instituts denn auch mit Stolz vermelden: „Zu Beginn des Wintersemesters 1928 wurde das Seminar aus den zu eng gewordenen Räumen des Universitätsgebäudes nach Domplatz 4 verlegt. Dadurch wurde die Möglichkeit geschaffen, die dem Seminar von dem Magistrat der Stadt Münster46 als dauernde Leihgabe angebotene theatergeschichtliche Bibliothek, etwa 2800 Bände umfassend, unterzubringen. Dem

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45 46

hier S. 41: Siemers besteht die mündliche Prüfung bei Kluckhohn, allerdings nicht „mit Auszeichnung“, weil „im Protokoll sein Versagen im Gotischen“ stehe. Pilger 2004, S. 112; dort S. 52 die Entwicklung der Studentenzahlen von 1850 bis 1920, S. 113 die weitere Entwicklung bis 1941. Zur Problematik der Ermittlung der Studentenzahlen siehe Pilger 2004, S. 112f. (Differenzen zwischen amtlicher Hochschulstatistik, Zählung der Lehrenden; Günther Müller zählte für das Sommersemester 1931 610 Studierende, für das folgende Wintersemester sogar 725, Pilger 2004, S. 113). Zur Zahl der Studenten von 1918 bis 1931 (sprunghafter Anstieg 1919, der 1922/23 nachließ, dann weiterer Anstieg bis 1931) und den Ursachen für die Zunahme siehe Pöppinghege 1994, S. 22–25. Chronik 1915/16, S. 85. Die vorausgehenden vier Wörter im Original gesperrt gedruckt.

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Herrn Kurator sei für die Bewilligung des notwendigen Inventars auch an dieser Stelle sehr herzlich gedankt.“47 Gemeint war mit „Domplatz 4“ das am Geisbergweg (zwischen Rothenburg und Domplatz) gelegene Gebäude des ehemaligen Lehrerinnenseminars. Das Seminar war hier „in zwei Direktorenzimmern und fünf Bibliotheksräumen wenigstens einigermassen ausreichend räumlich untergebracht.“ Die Bibliothek umfasste inzwischen immerhin 6.000 Bände, für die elf neue Bücherregale bereitgestellt wurden. Freilich war der Zustand des Gebäudes wie der der neuen Räume offenbar erbärmlich.48 Sehr bescheiden war auch, dies schon seit den Anfängen der Münsterschen Germanistik, deren finanzielle Ausstattung. In den 1920er-Jahren trat hier, auch bedingt durch Inflation und Wirtschaftskrise, keine Besserung ein. Mitunter wussten die Direktoren des Seminars sich nur durch Überziehung dieses Sachmitteletats zu helfen; gelegentlich brachten Sonderzuwendungen des Ministeriums eine gewisse Entspannung der Situation. Die Folge der extremen Mittelknappheit waren „wirklich unerträgliche […] Lücken“ im Bücherbestand. Auch das Binden von Büchern musste vielfach unterbleiben.49 Über 70 Prozent der Studenten (und sogar 90 Prozent der Studentinnen) strebten den Lehrberuf an, was in den 1920er-Jahren zu einer zusehends dramatischen Situation führte: „die wachsende Zahl der Studierenden [konnte] vom Lehrerarbeitsmarkt nicht mehr aufgenommen werden.“50 Die Weltwirtschaftskrise von 1929ff. und ihre Folgen verschärften das Problem. In der Chronik auf das Jahr 1930/31 erklärte der Rektor der Universität, der Mediziner Krause: „Die Lage für unsere Studenten hat sich in den letzten Wochen durch die Notverordnungen insofern noch weiter verschärft, als viele Akademiker nach bestandenem Examen heute nicht mehr wissen, was aus ihnen werden soll. Besonders hart sind die Philologen und die Mediziner betroffen. Die Studienassessoren sind zu vielen Hunderten brotlos geworden. Neueinstellungen erfolgen nicht mehr.“51 47 48

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51

Chronik 1928/29, S. 61. Pilger 2004, S. 115f., das Zitat aus UAMs, Bestand 9, Nr. 391, 13.11.1928. Zur Lage der Gebäude siehe Kirchhoff/Siekmann 1980, S. 121–127, hier Karte 2. Das Lehrerinnenseminar lag da, wo auf der Karte rechts unten die Zahl 7 zu lesen ist; freundliche Auskunft von Mechthild Siekmann, der ich für zahlreiche weitere Hinweise danke. Pilger 2004, S. 116f.; das Zitat aus UAMs, Bestand 9 Nr. 392, 29.7.1925. Pilger 2004, S. 113. Schon die Hochschul-Stimmen von 1919 (hier S. 139) erklärten, dass „vor dem Studium der Schulwissenschaften […] nicht dringend genug gewarnt werden“ könne; siehe auch ebd., S. 252f. („Die Aussichtslosigkeit des Philologiestudiums“) und 1920/21, S. 106f. Chronik 1930/31, S. 10. Nachdem Krause, dem dies ein besonderes Anliegen war, im Anschluss daran gegen das neue Heilpraktiker-Gesetz polemisiert, das Deutschland medizinisch „auf der schiefen Ebene, auf der es sich befindet, mit Riesenschritten“ heruntersinken lasse, erklärt er, man habe „in Deutschland bereits 12 Millionen Minderwertige“; die „Zahl der Lebensuntüchtigen unseres Volkes“ sei „auf ein Drittel der Gesamtbevölkerung zu schätzen.“ Zum „akademischen Arbeitsmarkt am Ende der Weimarer Republik“ siehe Hempel-Küter 2000, S. 18–21.

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Neben dem Lehramtsexamen wählten nicht wenige Studenten die Promotion als Studienabschluss. Deren Zahl war 1920 auf 28 gestiegen, eine exzeptionell hohe, durch das Kriegsende zu erklärende Anzahl. Aber auch in den darauf folgenden Jahren blieb sie bei durchschnittlich knapp 20. Erst ab 1927 fiel sie deutlich auf etwa acht pro Jahr ab. Die Masse der Studierenden promovierte in der Neueren Abteilung.52 Hauptprüfer war, wie die Promotionsalben der Universität zeigen,53 bis zu seinem Ausscheiden Julius Schwering, dies vor allem in den Jahren von 1923 bis 1925. 1924 wurden bei ihm nicht weniger als 14 Dissertationen abgeschlossen, meist über westfälische oder rheinische Autoren und Gegenstände,54 aber auch über allgemeinere Themen.55 Auch nach seinem Ausscheiden aus dem Dienst 1929 promovierte Schwering weiter. So wurde beispielsweise am 16. Januar 1930 der später bedeutende Germanist Hermann Kunisch von Schwering und Wagner mit einer Arbeit über „Das Wort ‚Grund‘ in der Sprache der deutschen Mystik des 14. und 15. Jahrhunderts“ promoviert.56 Die Zahl der Promotionen bei anderen Hochschullehrern, so bei Franz Jostes, der 1924 in den Ruhestand getreten, und bei Paul Kluckhohn, der ja nur bis 1925 in Münster tätig war, blieb demgegenüber relativ gering. Zu bemerken ist, dass Jostes 1924 Karl Schulte-Kemminghausen mit seiner Einleitung zum vierten Bande der Sämtlichen Werke der Droste promovierte. Jostes‘ wie Kluckhohns Themen bieten wenig Überraschendes.57 Eine recht rege Promotionstätigkeit entfaltete in den wenigen Jahren seiner Münsterschen Lehrtätigkeit Arthur Hübner. Bei ihm wurde beispielsweise die noch heute unverzichtbare Dissertation von Grete Lüers zur „Sprache der deutschen Mystik“ (23. Februar 1926) geschrieben. Entsprechendes gilt für Hübners Nachfolger Schwietering. Bei ihm entstanden – um einen Eindruck von der Spannweite seiner Forschungsinteressen zu geben – ebenso Arbeiten über „Hartmann und Chrétien de Troyes“58 wie über „Dostojewski in Deutschland“59 und über die „Bäuerliche Kultur in Nordravensberg“.60 In das Jahr 1931 fallen insgesamt fünf Promotionen bei Schwietering und eine erste bei Günther Müller, der zum Wintersemester 1930/31 seinen Dienst angetreten hatte. 52 53 54 55 56

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Verhältnis Neuere zu Ältere Abteilung 1923: 19 zu 1, 1926: 15 zu 4, 1931: 11 zu 4. Siehe die genauen Zahlen bei Pilger 2004, S. 289, Diagramm 3. UAMs, Bestand 62, GB 5. Beispielsweise „Die Entwicklung des Heimatgedankens im westfälischen Prosaroman“, Maria Schlenker, 20.4.1925. Zum Beispiel: „Schiller und der französische Klassizismus“, Maria Jacobi, 9.9.1924; „Das deutsche geistliche Volkslied als Gut unserer Kultur“, Simon Heinrich, 19.12.1924. Mit „Wagner“ dürfte Albert Malte Wagner gemeint sein, der kurzfristig in Münster tätig war, weil Schwering ihn – erfolglos – zu habilitieren versuchte; zum Vorgang siehe Pilger 2004, S. 104–110. Zum Beispiel eine Arbeit über das „Tösser Schwesternbuch“ bei Jostes, Otto Cremer, 21.3.1924, und eine Studie über den Novellenstil Achims von Arnim bei Kluckhohn, Otto Boxel, 22.1.1924. Herbert Drube, 9.9.1930. Theoderich Kampmann, 8.1.1931. Gustav Hagemann, 2.6.1931.

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Schon das Thema dieser ersten Arbeit über den katholischen Priester, Volksschriftsteller und Theologen Alban Stolz61 zeigte Müllers Interessen, die sich, auch in seinen Lehrveranstaltungen und Publikationen, in den kommenden Jahren immer deutlicher ausbilden sollten. 1932/33 ließ, wie bereits erwähnt, die Zahl der Promotionen, auch bedingt durch die sehr schlechte wirtschaftliche Situation vieler Studierender, kräftig nach. Für 1932 weist das Album der Promotionen gar keine, für 1933 nur insgesamt fünf Promotionen nach. Fragt man nach den Gründen für die während der 1920er-Jahre so außerordentlich hohen Promotionszahlen (sie übertreffen die heutigen, bei einer Vervielfachung der Studierendenzahl, auch in absoluten Zahlen um ein Mehrfaches), dann liegt die zentrale Antwort darin, dass viele das Lehramt anstrebende Studierende zusätzlich die Promotion erwerben wollten, um so ihre Einstellungsund Beförderungschancen zu verbessern.62 Die germanistische „ratio“ der Lehrenden der Münsterschen Germanistik in den Jahren 1918 bis 1933, ihre wissenschaftliche Ausrichtung ist von Andreas Pilger gründlich untersucht worden; dies unter dem Rubrum „Methodische Sinnsuche“; die Rezension von Hans Harald Müller hat sich vor allem mit diesem Kapitel kritisch auseinandergesetzt.63 Dabei hat sich gezeigt, dass eine scharfe Opposition „Positivismus“ versus „Geistesgeschichte“ von der Realität nicht gedeckt wird, dieser entspricht eher eine Einbeziehung geistesgeschichtlicher Konzepte in grundsätzlich „positivistische“ Themenstellungen, wie sie sich deutlich in den frühen Arbeiten des Schwering-Schülers Magon zeigt.64 Insgesamt ist eine Akzentverlagerung „vom äußeren [= positivistischen] Detail auf die inneren Strukturen“, an denen die Geistesgeschichte interessiert war, zu erkennen. Wie eine Reihe von Prüfern „variierte auch Magon das positivistische Muster, ohne es revolutionär umzustürzen. Er lenkte den Blick von der äußeren Lebens- und Entstehungsgeschichte auf den inneren, geistigen ‚Erlebnisgehalt‘, […] und er untersuchte diesen im Zusammenhang mit der geistigen Struktur der jeweiligen Zeit, nahm also literarische Bedeutung als Teil einer Weltanschauung.“65 61 62 63

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„Alban Stolz als Volkspädagoge“, Leo Grüner, 29.12.1931. So auch Pilger 2004, S. 114. Pilger 2004, S. 119–222; im folgenden behandelt Pilger (S. 222–274) unter der Überschrift „Grenzgänge zwischen Geistes- und Stammesgeschichte“ den „jüdische[n] Literaturwissenschaftler“ Georg Stefansky. Dabei zeigt Pilger in eindrucksvoller Weise, wie sich das geisteswissenschaftliche Paradigma in allen drei Gegenstandsbereichen der Germanistik, der Älteren und Neueren Literaturgeschichte (beziehungsweise -wissenschaft) sowie der Sprachwissenschaft auswirkte. Zur Kritik siehe Müller 2005, S. 4f. Siehe die Analysen Pilgers 2004, S. 120–126, mit der sehr verdienstvollen Untersuchung ausgewählter Dissertationen; zu Magons Arbeiten siehe S. 123–126. Pilger 2004, S. 126. Dieses und vergleichbare, wie ich meine, zutreffende Ergebnisse stehen in deutlichem Widerspruch zu Pilgers apodiktischer (und von Müller zu Recht kritisierter) Formulierung (S. 119), das positivistische Paradigma habe sich im frühen 20. Jahrhundert „totgelaufen“ und sei deshalb von einer jüngeren Wissenschaftlergeneration durch neue methodische Konzepte ersetzt worden; ähnlich Pilger 2004, S. 133.

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Die Berufungen beziehungsweise Dienstantritte neuer Lehrender am Germanistischen Seminar (Kluckhohn ab 1918, Magon ab 1919, Schwietering ab 1928, Stefansky ab 1929, Müller ab 1930, Trier ab 1932; auch die Berufung Schulte-Kemminghausens ab 1924 spielte hier eine gewisse Rolle) verstärkten den Zug hin zu einer geistes- und ideengeschichtlich orientierten Auffassung von der Germanistik im Lauf der 1920er-Jahre immer deutlicher,66 doch kam es, abhängig von den behandelten Gegenständen, zu ganz unterschiedlichen „Füllungen“ des geistesgeschichtlichen Konzepts. Die „methodisch-thematischen Verschiebungen“67 führten bei Kluckhohn, dessen 1923 gegründete „Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte“ das Leitorgan der geistesgeschichtlichen Richtung wurde, zu einer sehr allgemein und bewusst weit gefassten Konzeption: Ermittlung der „immer wiederkehrenden ethischen Konstanten“68 der deutschen Literatur, also auch der spezifisch „deutschen“ Werte, damit zu einem deutlich nationsbezogenen, zeitbedingten Konzept. Bei Julius Schwietering lässt sich eine „geistesgeschichtliche Wendung“ bereits in seiner Dissertation von 1908 erkennen, die sich in seiner berühmt gewordenen Habilitationsschrift von 1921 über die „Demutsformel mittelhochdeutscher Dichter“ noch verstärkte. Erkenntnisziel war hier die „innere Auffassung des mittelhochdeutschen Dichters“.69 Wenn Schwietering dann in einem nächsten Schritt, sichtbar vor allem in seinem in Münster konzipierten, ab 1932 erscheinenden Großwerk „Die deutsche Dichtung des Mittelalters“70 Dichtung und bildende Kunst miteinander verband und hinter beiden die „neuartig verinnerlichte Frömmigkeit“ (das „gotische Erlebnis“, das einen Wechsel von einer theozentrischen zu einer anthropozentrischen Frömmigkeit signalisierte) der Künstler des Mittelalters entdeckte,71 dann war damit der Grund gelegt für eine ganzheitliche Auffassung aller mittelalterlichen Dichtung, die „in ihrer Entwicklung bei aller Verschiedenheit im einzelnen letztlich einer gemeinsamen mystischen, 66

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Die Tätigkeit des weitestgehend an mittelalterlichen Texten und deren Editionen sowie an der Wörterbucharbeit interessierten Arthur Hübner spielte hier kaum eine Rolle, worauf auch die von ihm in Münster betreuten Dissertationen hinweisen; siehe zu seiner Berufung und seiner fachlichen Ausrichtung Pilger 2004, S. 143–146. Die oben genannten Gelehrten sind von ihrem Lebensalter her durchweg knapp eine Generation jünger als die Ordinarien der ersten hier zu behandelnden Gruppe, Jostes (geb. 1858) und Schwering (geb. 1863). Pilger 2004, S. 126. Zu den hier nicht zu erörternden Ursachen siehe ebd., S. 126. Von Interesse ist, dass die Prüfungsordnung für Deutschlehrer bereits 1917 auch „das Verständnis“ des „geistigen Gehaltes und künstlerischen Wertes“ eines Werks der deutschen Literatur verlangte (ebd., S. 129). Ebd., S. 131. Wie sehr es Kluckhohn in seinen altgermanistischen Veranstaltungen zum einen um solide Textinterpretation, zum anderen aber um Ermittlung und Beschreibung der „geistigen Strömungen“ ging, zeigt Pilger 2004, S. 146–151; Zitat S. 147. Pilger 2004, S. 151f., Zitat S. 153. Schwietering 1941. Ebd.

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auf göttliche Durchwirkung des Irdischen zielenden Linie folge“.72 Es war damit eine synthetische Deutung von großer Geschlossenheit erreicht, die „volkhaften“ Vereinnahmungen gegenüber weitgehend resistent war. Dem Neugermanisten Georg Stefansky hat Pilger ein ausführliches, luzides Kapitel gewidmet,73 weshalb hier Andeutungen genügen: Seine Modernität bestand nicht zuletzt darin, dass er als einer der ersten die grundsätzliche Problematik der neuen geistesgeschichtlichen Synthesen erkannte, nämlich dass die „Vielfalt und Dynamik kultureller Phänomene“ stets „so groß“ ist, dass es kaum möglich sei „in bezug auf eine bestimmte Zeit und einen bestimmten Raum von einer einheitlichen, festen geistigen Struktur zu sprechen“. Es ist damit das „Bedenkliche der Vorgehensweise“ der Vertreter der geisteswissenschaftlichen Methode aufgezeigt. Auf der anderen Seite ist Stefanskys eigenes, von ihm als „naturwissenschaftlich“ aufgefasstes Konzept dem Zeitgeist stark verhaftet: Er sieht bei der „Hervorbringung kultureller Phänomene die geistige Freiheit des Einzelnen […] begrenzt […] durch den Einfluss von Stamm und Landschaft“74 – ein Konzept, das damit von der später berüchtigten „Literaturgeschichte der deutschen Stämme und Landschaften“ des Josef Nadler75 gar nicht sehr weit entfernt war. Eine wieder andere Prägung erfuhr das geistesgeschichtliche Methodenparadigma in den Schriften des 1920 zum Katholizismus konvertierten, 1930 nach Münster berufenen Günther Müller. Hier bekam es eine dezidiert konfessionelle, speziell katholische Wendung. Müllers „Synthese-Vorstellung“ war zunächst „weniger national, als vielmehr religiös gefärbt“.76 Sie war zum einen stark von ganzheitlichen, metaphysischen Vorstellungen des Expressionismus beeinflusst, leitete sich andererseits aber, was die „Weltanschauung“ angeht, letztlich von der mittelalterlichen Scholastik sowie den Ganzheitsvorstellungen mittelalterlicher Religiosität ab und gelangte dadurch – so zuerst in seiner großen, noch immer bedeutenden Darstellung „Deutsche Dichtung von der Renaissance bis zum Ausgang des Barock“77 – zu einer neuen, originellen Art der Literaturbetrachtung. Blickt man von den 1930er-Jahren aus auf die germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Münster zurück, dann wird rasch klar, dass sie, weitestgehend historisch arbeitend, einer Vereinnahmung durch völkisch-nationalistische Ideologeme am stärksten ausgesetzt war. Bei dem bereits ab 1924 in Münster lehrenden Karl Schulte-Kemminghausen wurden diese im Lauf der Jahre immer deutlicher erkennbar. Es ergab sich dies vor allem durch einen Wechsel im Erkenntnisziel weg von den Wörtern hin zu den Inhalten, womit auch ursprünglich dialektologische Fragestellungen wie die nach den Ursachen der Verdrängung des Niederdeutschen durch 72 73 74 75 76 77

Ebd., S. 155. Pilger 2004, S. 222–274. Ebd., S. 232 und 233 (Zitate). Nadler 1912–1918. Ebd., S. 135. Müller 1927.

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das Hochdeutsche zu geistesgeschichtlichen, und im besonderen historisch-politischen wurden. Schulte-Kemminghausen wie auch Baader und ihre Schüler konzentrierten sich zusehends auf die „Volkskultur als sprachprägenden Kontext“,78 was auf eine Einbeziehung der Volkskunde hinauslief. Selbst ein scheinbar so „unpolitisches“ Projekt wie das noch von Jostes angestoßene „Wörterbuch der Westfälischen Mundart“, an dem nun intensiv gearbeitet wurde, konnte sich dieser Konzeption nicht entziehen. Seit 1927 unter der praktischen Leitung von Schulte-Kemminghausen verfolgte das Wörterbuch eine dezidiert „kulturgeschichtlich-volkskundliche Ausrichtung“.79 Es verwundert so nicht, dass 1928 beim Provinzialverband eine Volkskundliche Kommission gegründet wurde, deren Leitung Schulte-Kemminghausen übernahm. Politisiert wurde diese grundsätzlich sprachwissenschaftliche Arbeit weiterhin durch ihre enge Verbindung mit der infolge der Niederlage im Ersten Weltkrieg und die dadurch ausgelöste Orientierungskrise immer stärker werdenden, von den Provinzialverbänden und zahllosen lokalen Institutionen beförderte Heimatbewegung, die eine Besinnung auf die eigenen Wurzeln in „Volkstum“ und Sprache und deren Traditionen verfolgte. Hinzu kam, dass – wie zum Beispiel die Lehrveranstaltungen der Münsterschen Germanistik in den 1920er-Jahren deutlich zeigen – das „methodische Konzept der Deutschen Philologie“ neben „deutscher Literatur und Sprache […] eben auch Sagen und Mythen, Märchen und Volkslied, kurzum alles, was dem heutigen Verständnis nach Gegenstand der Volkskunde ist,“ umfasste.80 Die Münsterschen Germanisten der 1920er-Jahre konnten hier fugenlos an viele Arbeiten Jostes‘, ja an seine grundsätzliche Forschungsrichtung (von den Wörtern zu den „Sachen“) anknüpfen.81 Als 1927 zum ersten Mal die Volkskunde per Erlass „als Zusatzfach bei der wissenschaftlichen Prüfung für das Lehramt an höheren Schulen zugelassen“ wurde,82 trug das Seminar, da eine „Professur für niederdeutsche Literatur, Sprache und Volkskunde“ vorläufig nicht erlangt werden konnte, dem letztlich durch die Erteilung eines „Lehrauftrags für niederdeutsche Volks- und Mundartenkunde“ an Karl Schulte-Kemminghausen Rechnung.83 Es lief dies parallel damit, dass auch ganz allgemein „volkskundliche Fragestellungen in die Germanistik zurückkehrten“.84 Viele Vertreter derselben wandten sich immer deutlicher der „Kultur der einfachen Volksschichten“,85 damit auch den „Sachen“ zu, wie etwa dem deutschen beziehungsweise niedersächsischen Bauernhaus, so das 78 79 80

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Pilger 2004, S. 188. Ebd., S. 190. Ebd., S. 193; siehe zum Folgenden Pilgers weitere Ausführungen zu den „Ausdifferenzierungstendenzen der Volkskunde“ (S. 193–210). Für diese sehr weite Auffassung des Faches konnte man sich immerhin auf Jacob Grimm mit seinem Konzept von den „Wörtern und Sachen“ berufen. Siehe die Details bei Pilger 2004, S. 194. Ebd., S. 195. Ebd., S. 196. Ebd., S. 197. Ebd.

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Thema eines Volkskundlichen Kolloquiums im Sommersemester 1928. In Münster formierte sich „eine neue volkskundliche Schule um die Person des Altgermanisten Julius Schwietering“.86 Wie sehr sie in der Mitte der modernen Germanistik angekommen war, zeigt der Umstand, dass Schwietering seinen programmatischen Aufsatz „Wesen und Aufgaben der Volkskunde“ 1927 in Kluckhohns „Deutscher Vierteljahresschrift“ veröffentlichen konnte. Angestrebt wurde letztlich eine „Rekonstruktion der bäuerlichen Gemeinschaftskultur“.87 Dass sich eine derartige Konzeption nationalistisch-völkisch leicht vereinnahmen ließ, zeigten dann, in Münster vor allem in Schriften Schulte-Kemminghausens, die Entwicklungen der dreißiger Jahre. Als schließlich 1932 Jost Trier Schwietering auf dem altgermanistischen Lehrstuhl folgte, fand er eine Situation vor, die seiner eigenen methodischen Ausrichtung in Vielem entsprach:88 Er teilte mit Schwietering die grundsätzlichen theoretischen Annahmen (Sprache „spiegelt […] nicht reales Sein“)89, fasste das bedeutungszuweisende Subjekt aber grundsätzlich „kollektivistisch, als soziales Gebilde“90 auf. Von da aus hatte Trier in den 1920er-Jahren seine stark an Gedanken Humboldts angelehnte Wortfeldtheorie entwickelt, so mit seiner Habilitationsschrift: „Der deutsche Wortschatz im Sinnbezirk des Verstandes“ von 1928, die 1931 veröffentlicht wurde. Diese „interpretierende Wortfeldforschung“ besaß „eine große Nähe zum bedeutungsgeschichtlichen Forschungsprogramm Schwieterings“.91 Wenn sich damit „Geistesgeschichte nur in der Sprachgeschichte“ manifestierte,92 dann lag es nicht allzu fern, sich der „Sachen“ – so zum Beispiel dem „bäuerlichen Haus im deutschen Nordwesten“ und seinen Teilen – anzunehmen, wie Trier dies in den dreißiger Jahren mit seinen Schülern mit großer Intensität tat. Schließlich war, in seiner theoretischen Konzeption, den Wörtern und, eine Ebene darüber, dem Gefüge der Sprache nur beizukommen, wenn man die Bezeichnungen für die Teile eines komplexen Gegenstandes – wie etwa des Bauernhauses, das geradezu zum Kern der Kultur des Volkes avancierte – erfasste und sie in ihrer Historizität wie in ihrem gegenseitigen Bezogensein analysierte.

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Pilger 2004, S. 198, hier S. 198–205 zur theoretischen Fundierung durch die Soziologie Hans Freyers („Volkssoziologie“). Freyer gehörte zu den „Vordenkern“, die „1933 explizit oder implizit mit dem Anspruch auf[traten], künftig eine gewichtige Rolle als akademische Vordenker des Nationalsozialismus zu spielen“, siehe Grüttner 1999, Zitat S. 458; zu Freyer S. 467–471; hier S. 464–467 zu Erich Rothacker, der nach anfänglicher Begeisterung seit den späten 1930er-Jahren die NS-Wissenschaftspolitik vehement kritisierte. Ebd., S. 205; dort S. 205–210 Beispiele für die Umsetzung dieses Konzepts durch Schwieterings Doktoranden und Darlegungen zu dessen Problematik. Siehe zum folgenden die Ausführungen bei Pilger 2004, S. 168–177. Ebd., S. 168. Ebd. Pilger 2004, S. 171. Ebd., S. 172.

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Die Münstersche Germanistik von der Machtergreifung der Nationalsozialisten bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges Die „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 mit Vereidigung der Präsidialregierung Hitler, der schon im März das „Ermächtigungsgesetz“ und bald darauf das „Gleichschaltungsgesetz“ folgten, brachte auch in Münster und an dessen Universität den „Kampf gegen Weimar“ beziehungsweise „Los von Berlin“ zum Abschluss, an dem sich, von studentischen Organisationen abgesehen, anscheinend nicht wenige Hochschullehrer beteiligt hatten. Hierzu müssen im Folgenden Stichworte genügen, die zeigen sollen, dass weite Kreise der Universität von Anfang an die Weimarer Republik abgelehnt oder sogar bekämpft hatten, auch wenn die Masse der Lehrenden politisch indifferent war und blieb.93 Am 27. Juni 1929 beispielsweise, einen Tag vor dem Jahrestag des Versailler Friedensvertrags, „versammelten sich“, wie die offizielle Chronik der Universität geradezu mit Stolz berichtet, „Angehörige und Freunde der Universität […] zu einer eindrucksvollen Kundgebung gegen das Versailler Friedensdiktat und die Kriegsschuldlüge“. Es ist dies umso bemerkenswerter, als die preußische Regierung derartige Kundgebungen explizit verboten hatte.94 Am 26. Juli 1929 führte die Universität mit weit geringerem Engagement, gezwungen durch einen Beschluss der Rektorenkonferenz, eine Feier zum zehnjährigen Bestehen der Republik durch; ein klares Bekenntnis zur Weimarer Republik ging von ihr jedenfalls nicht aus. Anders die am Abend des gleichen Tages auf Initiative von Studenten organisierte Protestveranstaltung gegen den Youngplan.95 Zu nennen ist weiterhin das besondere Engagement der Universität bei der Ausrichtung von Reichsgründungsfeiern, so zum Beispiel am 18. Januar 1931 und 1933,96 und der von Langemarck-Feiern, so besonders 1929. Mit Hermann Göring als drittem Redner hatte erstmals „ein führender Vertreter der NSDAP Ge93

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Siehe Hörster-Philipps/Vieten 1980. Für die größeren Zusammenhänge grundlegend: Marshall 1972, hier S. 119f. zur politischen Indifferenz. Ein Überblick über die Entwicklung der Universität Münster im „Dritten Reich“ bei Heiber 1994, S. 674–732. Chronik 1928/29, S. 36; zum Verbot Hörster-Philipps/Vieten 1980, S. 84f.; siehe weiterhin Marshall 1972, S. 282f.; hier S. 283f. auch die vergeblichen Versuche der Regierung, derartige Missachtungen ihrer Erlasse durch die Universitäten zu stoppen. Siehe Hörster-Philipps/Vieten 1980, S. 82f. Bei dieser Feier zum 60. Jubiläum der Reichsgründung 1931 kritisierte der Rektor, der Mediziner Krause, vehement die „Kriegsschuldlüge“, vgl. Hörster-Philipps/Vieten 1980, S. 79–82; ein Bild Krauses im Ornat des Rektors in: Krause 1931, hier vor dem Titelblatt. Krauses „Führer durch Universität und Stadt“ bietet zur Germanistik keine Informationen. Zur Feier am 18.1.1933 wurde der den Nationalsozialismus unterstützende Schriftsteller Erwin Guido Kolbenheyer „vom Rektor als Festredner gewonnen“, Chronik 1932/33, S. 11. Dieses Engagement hatte, wie schon die „Hochschul-Stimmen“ von 1919 bis 1921 zeigen, in Münster damals eine weit zurückreichende Tradition, siehe ebd. 1919/20, S. 7f. („Protestkundgebung der Studentenschaft gegen den Gewaltfrieden“), S. 189–191 („Vaterländische Gedenkfeier“, 18.1.1920), 1920/21, S. 130 (Aufruf der Studentenschaft zum 18.1.1921).

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legenheit, auf einer offiziellen Feier der Universität zu sprechen.“97 Eine Beteiligung von Germanisten – etwa als Redner – ist für die genannten Veranstaltungen, soweit ich sehe, nicht nachzuweisen, doch zeigt sich punktuell schon sehr früh die Ablehnung der Republik und „Berlins“ durch einzelne Vertreter derselben: Julius Schwering, Rektor 1923/24,98 sah sich 1923 nicht in der Lage, am Verfassungstag teilzunehmen, weil er am Tag zuvor in den Urlaub ging. Er übergab seine RektorInsignien „to whom it may concern“. Bei der gleichen Gelegenheit war die Universität außerstande, die offizielle Reichsflagge zu hissen, weil sie nur über einen Fahnenmast verfüge, der durch die preußische Fahne „besetzt“ sei.99 Bei den oben geschilderten und weiteren antirepublikanischen Aktivitäten der Universität ist zwar keiner der Germanisten namhaft zu machen, wohl aber der am Institut ständig lehrende Sprachwissenschaftler Otto Hoffmann, der bereits am 28. November 1918 eine Ortsgruppe der „Vaterlandspartei“ gegründet hatte.100 Er verfügte über sehr gute Beziehungen nach Berlin und war mit dem rechtsextrem-antisemitischen Montan-, Rüstungs- und Medienunternehmer Alfred Hugenberg befreundet, mit dem zusammen er die „Gesellschaft zur Förderung der Westfälischen WilhelmsUniversität“101 gründete. Als Vorsitzender der rechtsextremen Deutsch-Nationalen Volkspartei Hugenbergs war er seit 1921 Mitglied des Preußischen Landtages.102 Inwieweit er seine Germanistik-Studenten politisch beeinflusst hat, wäre zu untersuchen.103 Zu betonen ist aber, dass seit den späteren 1920er-Jahren die NSDAP in der Stadt Münster auf ausgesprochen große Ablehnung und Schwierigkeiten stieß, dies vor allem wegen der sehr starken konfessionellen Bindung, konkret der Kirchentreue der Masse der Bevölkerung und der damit verbundenen dominierenden Stellung der Zentrumspartei. Was die Lehrenden der Germanistik angeht, so fällt – sowohl während der Weimarer Republik wie während des „Dritten Reiches“ – ihr insgesamt sehr geringes Engagement innerhalb der Universität, zum Beispiel in den Gremien der universitären Selbstverwaltung, wie außerhalb derselben auf. Das gesamte Seminar „fuhr“ hier gewissermaßen ein sehr niedriges „Profil“: offenbar wollte man in Ruhe seine Arbeit tun und durch lästige Verwaltungsangelegenheiten 97 98 99

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Hörster-Philipps/Vieten 1980, S. 85. Nicht 1925/26, wie Nölle-Hornkamp 2003, S. 1691, angibt. Marshall 1972, S. 226. Schwerings Verstoß gegen seine Dienstpflicht, einer Universität wie eines beamteten Hochschullehrers gleichermaßen unwürdig, erstaunt. Da seine Personalakte (UAMs, Bestand 10, Nr. 406, Bd. 1) für die Jahre 1920 bis 1927 eine Lücke aufweist, lassen sich keine Angaben zu Auswirkungen derselben machen. Ribhegge 1985, S. 146, vor allem aber Marshall 1972, S. 48f. Auch in Göttingen gab es eine Ortsgruppe der „Vaterlandspartei“, siehe ebd., S. 48. Vgl. den Beitrag von Johannes Schäfer in diesem Band. Marshall 1972, S. 49f. und 111. Siehe weiterhin Hagenlücke 1992 und Krüger 1992, hier bes. S. 54–57 und S. 222. Münster kann – so Krügers Fazit (S. 284) – „zumindest vorübergehend ohne weiteres als ein Zentrum republikfeindlicher Aktivitäten angesprochen werden“, die Stadt fungierte als „regionale Ordnungszelle“. Vielleicht gibt der Hoffmann-Nachlass im UAMs (Bestand 183) etwas dazu her.

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wie politische Aktivitäten nicht gestört werden (über die Ausnahmen wird später zu sprechen sein). Neben dem bereits erwähnten, insgesamt unauffällig verlaufenen Rektorat Schwerings ist lediglich ein Dekanat Triers (1935/36) zu nennen. Angesichts der – im Universitätsmaßstab beträchtlichen – Größe der Germanistik als Fach ist dies bemerkenswert.104 Was die vor allem aus dem unteren Mittelstand stammenden Studierenden der Universität Münster angeht, so hat die Untersuchung von Pöppinghege105 ihre tiefe Verunsicherung nach dem Ende des Ersten Weltkrieges gezeigt: Zum einen war ihre wirtschaftliche Lage katastrophal, zum anderen war ihnen die im Kaiserreich selbstverständliche Sicherheit genommen, nach einem ordentlichen LehramtsExamen an der Schule eine Lebenszeit-Stelle zu bekommen.106 Die Folge war eine politische Radikalisierung mit einem bereits in den frühen 1920er-Jahren massiven Antisemitismus,107 die mit den Stichworten Kaisertreue – Ablehnung des Versailler Vertrages – Antiparlamentarismus – Führerideal gekennzeichnet werden kann, dies alles bei einem grundsätzlich geringen Interesse an Politik. In den Jahren von 1929 bis 1935 folgte dann eine „Antirepublikanische Neuformierung“: 1932 behauptete ein Medizinstudent in der „Westfälischen Landeszeitung“, dass „die Zahl der deutschen Studenten, die dem heutigen System [das heißt der Weimarer Republik] feindlich gegenüberstehen, weit über 50 % beträgt“ – was zutreffen dürfte.108 Die Neuformierung führte dazu, dass auch der in Münster seit 1930 tätige NSDStB, der anfangs – des „katholischen Milieus“ wegen – mit den größten Schwierigkeiten zu kämpfen hatte, allmählich Fuß fassen konnte, zumal das Rektorat ihm zumindest bei seiner Betätigung in der Universität keine Steine in den Weg legte.109 Es verwundert so nicht, dass 1932 – bei absolut gesehen niedrigen Zahlen – 22,8 Prozent 104 105 106 107

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Aus heutiger Sicht betrachtet scheint dies eine Konstante des Faches zu sein. Gerade diese Abstinenz macht Aussagen zu politischen Einstellungen schwierig. Pöppinghege 1994, passim. Siehe ebd., S. 137–140, für die Philologie-Studenten und die obigen Nachweise aus den „Hochschul-Stimmen“. Die „Hochschul-Stimmen“ notieren immer von neuem antisemitische Schmierereien auf Hörsaalbänken, siehe 1919/20, S. 155, 211; 1920/21, S. 59, siehe auch S. 121f. und S. 168 (der „Münsteraner Waffen-Ring“, der Dachverband zahlreicher Korporationen, äußerte gegenüber dem Rektor sein „lebhaftes Bedauern“, dass „die Wahl des Festredners für die Reichsgründungsfeier ausgerechnet auf einen Dozenten rein jüdischer Abkunft fallen mußte.“ Der „scharf umrissene Standpunkt“ der Korporationen „hinsichtlich der Rassenfrage“ werde dadurch aber „in keiner Weise geändert.“). Pöppinghege 1994, S. 195. Siehe die Beispiele bei Pöppinghege 1994, S. 175f. Im Wintersemester 1933/34 waren 117 Studenten (3,0 Prozent) Mitglieder des NSDStB, siehe Grüttner 1995, S. 246 und S. 53. Dies ist bei weitem der niedrigste Wert aller deutschen Universitäten. In Göttingen waren im Sommersemester 1933 bereits 46,6 Prozent der Studierenden Mitglied. Quantitativ dominierten in Münster noch für etliche Zeit die katholischen Studentenverbindungen, siehe ebd., S. 42. Auch die Einrichtung eines „Kameradschaftshauses“ gelang in Münster (und Würzburg) nicht, siehe ebd., S. 267.

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der Münsterschen NSDAP-Mitglieder Studenten waren.110 Die Masse der Münsterschen Studentenschaft steckte jedoch am Ende der Weimarer Republik noch immer in einer „tiefen Identitätskrise“: antimodernistisch und antikapitalistisch eingestellt suchten Viele nach einem Sündenbock für ihre schlechte Lage, insbesondere ihr Nicht-gebraucht-werden, was in Antirepublikanismus, Antisemitismus und einem immer lauteren Ruf nach einfachen Lösungen und einem starken Führer sowie einer „Sympathie für revolutionäre Lösungsangebote“ resultierte, wobei das Spektrum der Einstellungen von völligem Desinteresse bis zu extremer, auch physische Gewalt nicht scheuender politischer Radikalisierung reichte.111 Inwieweit allerdings Studierende der Germanistik sich aktiv an radikalen Aktionen beteiligten oder im – in Münster zunächst sehr schwachen – NSDStB tätig waren, ist noch zu untersuchen.112 „Nach dem 30. Januar 1933 stellten sich die offiziellen Vertreter der Westfälischen Wilhelms-Universität nahezu uneingeschränkt auf die Seite der neuen Machthaber.“ Ein Aufruf der Universität zu den Märzwahlen wie zum Reichstagsbrand, das Hissen der Hakenkreuzfahne auf dem Hauptgebäude der Universität und eine „Weihestunde“ in der Aula zum 21. März, dem „Tag von Potsdam“, sowie eine Rede des Juristen Hubert Naendrup, der bald der erste NS-Rektor der Universität sein sollte, zeigen dies deutlich. „Der Übergang zum Faschismus“, so das Fazit von Hörster-Philipps und Vieten, konnte sich an der Universität Münster „bruchlos, ohne Protest oder gar Widerstand, vollziehen, weil antidemokratisches, antikommunistisches und militaristisches Gedankengut diese Universität seit der Gründung der Weimarer Republik 1919 geprägt hatten.“113 Dabei ist zu betonen, dass der nationalistische bis faschistische „aggressive Lärm“114 der – was die Lehrenden angeht, mehrheitlich protestantischen – Universität sich sehr deutlich von der Einstellung der weit überwiegend katholischen, zentrumsdominierten Bevölkerung der Stadt Münster unterschied, die bis 1945 ihrem Klerus – und allen voran dem Bischof –, weit weniger aber den neuen Machthabern traute und folgte.

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Ebd., S. 187. Siehe die Charakterisierung ebd., S. 195–204. Pöppinghege 1994 führt explizit keine Germanistikstudenten auf, nennt allerdings ohnehin selten Studienfächer. Für die Einzelheiten siehe Hörster-Philipps/Vieten 1980, S. 87f., Zitat S. 88. Ein Beispiel dafür bietet der „Bericht des Rektors“, des Anglisten Keller, in der Chronik von 1932/33, die den von der Universität erlassenen Aufruf vom 5.3.1933 zitiert, hier S. 6–8, weiterhin S. 11f. (die „Feierlichkeiten“, an denen der Rektor teilnahm, waren vielfach rechter bis rechtsextremer und militärischer Art). Zur Parteizugehörigkeit der Münsterschen Professoren 1941 und 1945 siehe Heiber 1994, S. 700–702 (1945 sind 37 von 53 Professoren und elf von 14 Dozenten der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät Parteimitglieder). Marshall 1972, S. 179.

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Die Stimmung in Stadt und Universität im Frühjahr 1933 schildert eindrücklich der Münstersche Mathematiker Heinrich Behnke (1898–1979)115 in seinen Erinnerungen:116 „Sobald man in den Bannkreis der Universität kam, merkte man, dass die Beziehungen der Menschen untereinander sich schlagartig verändert hatten. Viele gingen auf Distanz ihren bisher freundschaftlich gesonnenen Kollegen und Nachbarn gegenüber. Man konnte ja nicht wissen, wie man durch den Umgang mit anderen Menschen belastet würde.“117

In dieser Atmosphäre gegenseitigen Misstrauens stand die „Gesinnungsschnüffelei hoch im Kurs“. Man sprach, als die ersten Absetzungen von Professoren bekannt werden, von einer „geheimen Kommission von Professoren und Studenten auf der Gauleitung, die alle Entscheidungen über Entlassungen zu fällen hätte. Listen der Abzusetzenden kursierten überall und wurden länger und länger.“118 Worauf Behnke sich hier bezieht, ist die vom Gauleiter eingesetzte „Kommission in Fragen der Gleichschaltung an der Universität Münster“, die von dem Orientalisten und Religionswissenschaftler Anton J. M. D. Baumstark geleitet wurde. Beurteilungen erfolgten „oft nach dem ganz persönlichen Gutdünken“ des Leiters; „Einheitlichkeit konnte, wenn überhaupt, nur in den relativ einfach feststellbaren Fällen ‚nichtarischer Abstammung‘ gemäß § 3 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums erzielt werden.“119 Der Selbstmord des bereits erwähnten Mediziners und ehemaligen Rektors Krause, der sich am Grabmal des Freiherrn vom Stein erschoss, weil er – selbst national bis chauvinistisch denkend – sich gegen das neue Heilgehilfengesetz gewandt, das Aufziehen einer Hakenkreuzfahne an seinem Institut zu verhindern versucht hatte und darauf von nationalsozialistischen Mitarbeitern und Studenten zur Strecke gebracht worden war, dürfte in Universität und Stadt für erhebliche Aufregung gesorgt haben; die Einstellung zu dem neuen System änderte er nicht.120

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1927–1947 Professor in Münster. Behnke 1978, hier S. 86–116: „Als junger Professor in Münster“; S. 117–159: „Unter der Herrschaft des Nationalsozialismus“. Behnke schildert die Auseinandersetzungen zwischen Naendrup und dem rechtsradikalen, gleichwohl katholischen Orientalisten Anton Baumstark („der bärtige Mann“, „Vater Abraham“) in ihrer Kandidatur für die Rektorwahl, ebenso die Groteske eines „für alle Angehörigen der Universität obligatorisch[en]“ gemeinsamen Schwimmens, bei dem der Rektor über „militärische Dinge“ dozierte, während der „bärtige Mann“ auseinandersetzte, wie er „die Freiheit der Wissenschaft und den blinden Gehorsam gegenüber ‚dem Führer‘ miteinander verbinden könne“, während ein „Jüngling mit einem Megaphon“ (der Führer der NS-Studentenschaft?) versuchte, die Versammlung zu leiten, S. 118f. Ebd., S. 118. Ebd., S. 120, siehe weiterhin die Schilderung ebd. S. 118–127 und S. 132f. Pilger 2004, S. 276. Zu den Entlassungen insgesamt siehe Zahnow 1993, S. 41–43, zu Baumstark besonders Heiber 1992, S. 168f., 178f., 395, 465–472. Hierzu siehe Heiber 1992, S. 175–179.

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Gleichwohl rückte auf die Dauer die „Minderheit der nicht ideologisch Erkrankten näher zusammen.“121 Am 10. Mai 1933 kam es auch in Münster, wie in anderen Städten des Reiches, zur öffentlichen Verbrennung von „Jüdisch-liberalistische[r] Literatur“. Die „Münsterische Zeitung“ hatte in einem Artikel vom 7. Mai 1933 darauf hingewiesen, „daß zu der feierlichen Verbrennung jüdischer und marxistischer Bücher am Mittwoch auf dem Hindenburgplatz schon recht viel ‚Brennmaterial‘ gesammelt worden ist.“ Im weiteren wird erklärt, dass Studenten der Universität im „Rahmen der Aktion wider den undeutschen Geist“ am Samstagmorgen eine „Kundgebung auf dem Domplatz“ abhielten, „wo ein dicker Schandpfahl122 errichtet wurde, auf dem an dicken Nägeln die Einbanddeckel von Büchern hingen, Bücher von Remarque, Tucholsky, Toller, von Stefan Zweig und von anderen mehr, die mit auf der Femeliste der Deutschen Studentenschaft stehen. Nach dem Liede ‚Burschen heraus‘ legte der Leiter des münsterischen Kampfausschusses ‚Wider den undeutschen Geist‘, cand. phil. Roloff,123 die besondere Aufgabe dar, die der Studentenschaft bei dem Ausbau des Dritten Reiches zufalle […].“124

Bemerkenswert ist, dass diese Aktion trotz der Schwäche des NSDStB in Münster möglich war, was noch dadurch an Bedeutung gewinnt, dass es überhaupt nur an fünf Hochschulen zur Errichtung derartiger „Schandpfähle“ kam.125 Die Ver121

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Behnke 1978, S. 124f. Die Autobiographie des 1943 nach Münster berufenen Benno von Wiese (1982), geschrieben anscheinend 1981, schildert die „Machtergreifung“ und die weiteren Ereignisse des Jahres 1933 – von Wiese ist damals Privatdozent an der Universität Erlangen – lediglich in einer ganz auf die eigene Person bezogenen Sicht (S. 138–146), in der er im Nachhinein den Sündenfall seines Parteieintritts 1933 sowie seiner weiteren Tätigkeiten für das NS-Regime beklagt. Wort gesperrt. Name gesperrt. Die letzten fünf Wörter im Original gesperrt. Zitiert nach Kuropka 1978, Dokumente 7a, 7b: Photographie des „Schandpfahles“, Dokument 7c: Artikel Münsterische Zeitung vom 14.5.1933: „Das Läuterungsfeuer auf dem Hindenburgplatz“ (mit Photographie). Zu Roloff siehe Pöppinghege 1994, S. 245: „Roloff, Herbert: Hauptamt Propaganda 33 [dies bezieht sich auf seine Tätigkeit für die ‚Deutsche Studentenschaft‘; frdl. Mitteilung von Anja Gussek, Stadtarchiv Münster, vom 20.8.2010]; Organisation Bücherverbrennung Mai 33; HS-Gilde Widukind; Akademischer Turnverein.“ Roloff, geb. 3.9.1910, war Student der Mathematik und stammte aus Essen. Am 9.5.1934 legte er die Prüfung für das Lehramt ab, wie seine Karteikarte aus dem Studierendensekretariat ausweist, UAMs, Bestand 209, Herbert Roloff. Grüttner 1995, S. 84 (außer Münster Dresden, Erlangen, Königsberg, Rostock). Der Plan war von der Deutschen Studentenschaft auf Drängen des Kultusministeriums zurückgezogen worden (ebd.). Dass die Aktion zur Bücherverbrennung von der „Deutschen Studentenschaft“, nicht aber vom NSDStB, der NSDAP oder der neuen nationalsozialistischen Regierung ausging, hat die sehr reiche Forschung inzwischen sichern können, siehe Barbian 1995, S. 128–141, besonders S. 139f. Siehe weiterhin Heiber 1992, S. 88–91, vor allem Faust 1983, S. 38f., sowie die auf S. 186–254 erwähnten beziehungsweise abgedruckten Dokumente. Zur Durchführung in den einzelnen Orten siehe Sauder 1983, S.

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brennung der Bücher auf dem Hindenburgplatz kommentierte die „Münsterische Zeitung“ vom 14. Mai 1933 dann so: Man habe aus den „Bibliotheken der Universität“ und „aus der Bürgerschaft Münsters […] Schmutz und Schund zusammengetragen. Die hellen Flammen schlugen energisch gegen den schwarzen Himmel empor, alles vernichtend, was man zum Femetod verurteilt hatte. Stramm standen die Chargierten der StudentenKorporationen mit Fahnen und Fackeln herum, und SA., SS. und die Hitlerjugend stellten die Ehrenwachen bei diesem Schauspiel. Nun ist in den Bücherreihen Platz geschaffen, um Wertvolleres zur Förderung deutschen Kultur und Literatur aufzunehmen.“126

Inwieweit Münstersche Germanisten an der Bücherverbrennung und ihrer Vorbereitung beteiligt waren, lässt sich nicht sagen. Sicher ist jedoch, dass keiner der Lehrenden – anders als beispielsweise in Göttingen der Germanist Friedrich Neumann als Rektor und der Germanist Gerhard Fricke als Hauptredner, in Bonn der Germanist Hans Naumann – anlässlich der Bücherverbrennung sprach.127 Ob einer der Germanisten daran teilnahm, ist nicht zu klären. Nachdem der „radikale Aktivismus aus der Formierungsphase des NS-Regimes erst einmal abgeebbt war“, gelang es, die Autonomie der universitären Institutionen in beträchtlichem Maße zu erhalten. Die Versuche der nationalsozialistischen Regierung, die Universität „gleichzuschalten“, waren in Münster nur sehr bedingt erfolgreich, zum einen wegen der „polykratischen Struktur des nationalsozialistischen Herrschaftssystems“,128 konkret: des Wirrwarrs bezüglich der Zuständigkeiten, zum anderen – dies ein spezifisch münsterscher Grund – wegen der starken Bindung der wichtigsten Akteure wie Baumstark und des auf Naendrup seit März 1935 folgenden Rektors Karl Hugelmann an den Katholizismus.129 Auch der 1937 auf Hugelmann als Rektor folgende Botaniker Walter Mevius, ein Mitglied der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, war für die Germanistik kein

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213 (Münster). Danach wurden in Münster 1.000 Bände verbrannt. Es geht dies aus dem Bericht Roloffs hervor. Dieser ist abgedruckt in: Haarmann/Huder/Siebenhaar, S. 213; er enthält sonst keine zusätzlichen Informationen über aktiv beteiligte Personen. Zitat nach Kuropka 1978, Dokument 7c. Die Einstellung der „Münsterischen Zeitung“ zum Nationalsozialismus zu untersuchen, scheint ein Forschungsdesiderat zu sein. Bereits am 30.3.1933 hatte sie am Ende eines Artikels über die „Abwehrmaßnahmen [!] gegen die jüdischen Geschäfte in Münster“ gemeldet, dass „im Laufe des Vormittags […] jüdischen Hochschullehrern das Betreten der Westfälischen Landesuniversität verwehrt“ worden sei, siehe Kuropka 1978, Dokument 6h. Abdruck der Rede Naumanns in: Haarmann/Huder/Siebenhaar 1983, S. 202–204. Zu Fricke siehe Dainat, Literaturwissenschaftliche Selbstthematisierungen, 2003, S. 67 (mit Literatur). Zitate Pilger 2004, S. 278 und 274f. Gleichwohl hatte der Jurist Hugelmann „bereits 1932 den Ausschluß der jüdischen Bevölkerung aus der deutschen Volksgemeinschaft juristisch begründet“, Fahlbusch 1999, S. 78. Zu Naendrup, Hugelmann und Mevius siehe Heiber 1994, S. 674–694.

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„rabiater Nazi“.130 Für sie kam als besonderes, ihre Interessen schützendes Faktum hinzu, dass seit Januar 1935 der Germanist Jost Trier als Dekan der Fakultät amtierte. Er war zwar am 1. Mai 1933 in die NSDAP eingetreten und „dachte grundsätzlich autoritär-konservativ, elitär statt demokratisch“,131 beharrte aber mit großem Engagement auf der „Aufrechterhaltung der korporativen Strukturen und des kollegialen Prinzips“ der Universität. Dementsprechend wehrte er sich nachdrücklich – und erfolgreich – gegen Eingriffe in die Autonomie der Universität. Auch die Beziehungen zu dem 1934 gegründeten Reichserziehungsministerium gestalteten sich für die Münstersche Germanistik eher positiv, da der seit 1937 für Münster zuständige Referent Heinrich Harmjanz selbst Germanistik studiert hatte. Zusehends schwierig wurde jedoch ihre Zusammenarbeit mit dem Vertreter des REM vor Ort, dem Kurator der Universität, als der „Personalamtsleiter des [NS-]Gaues Westfalen-Nord, Curt Beyer“ 1937 Kurator wurde. Damit verstärkten sich die Einflussmöglichkeiten des 1935 gegründeten und seit 1938 von dem „prononciert nationalsozialistischen“ Mediziner Hermann Walter geleiteten NS-Dozentenbundes, der nun „sozusagen die reguläre politische Kontrollfunktion“ bei sämtlichen Einstellungen an der Universität übernahm. Dies führte für die Germanistik einmal dazu, dass die Einstellung einer Wissenschaftlichen Hilfskraft abgelehnt wurde.132 Die Ablösung Walters durch den Geographen Hans Dörries als Leiter des Dozentenbundes Anfang der 1940er-Jahre reduzierte dann sofort den politischen Druck auf die Fakultät und damit auch die Germanistik. Wie entwickelte sich diese in den Jahren nach 1933 personell und inhaltlich?133 Mit dem Erlass des bereits erwähnten „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufs130

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Siehe zum Ganzen Pilger 2004, S. 275–282, Zitate S. 278, 275f., 282. Zur Einschätzung Naendrups wie Hugelmanns siehe die Reden, die diese als der abgehende und der neugewählte Rektor am 11.5.1935 in der Stadthalle (!) hielten, abgedruckt in der Chronik 1935/36, S. 17–37. Hugelmann sprach im wissenschaftlichen Teil seiner Ausführungen über den Reichsbegriff. Mevius kritisierte 1939 in ungewöhnlicher Schärfe das 1937 eingeführte, dem Universitätsbesuch vorgeschaltete einjährige Studium an einer „Hochschule für Lehrerbildung“, siehe Grüttner 1995, S. 185; zu ihm siehe weiterhin Heiber 1992, S. 543–553. Desungeachtet denunzierte er wiederholt Fachkollegen und griff, jüdischer Großeltern wegen, in Berufungsverfahren ein (freundlicher Hinweis von Daniel Droste). Pilger 2004, S. 279, hier S. 279–282 zu Triers Amtsführung mit einem Beispiel für sein Autonomiebeharren. Eine Durchsicht der Personalakte zeigt im Übrigen, dass er kaum einen seiner Briefe mit „Heil Hitler“ unterzeichnete. Wegen Verweigerung des „Deutschen Grußes“ war 1934 in Münster der Katholische Missionswissenschaftler Joseph Schmidlin entlassen worden, siehe Heiber 1992, S. 167f. Angezeigt worden war Schmidlin von Baumstark. Pilger 2004, S. 284f.; hier S. 285f. ein Beispiel für die Diskrepanz zwischen „offiziellem“ Bekenntnis zum Nationalsozialismus und ideologiefreier wissenschaftlicher Leistung (Dissertation Hermann Fischer, bei Trier). Zur Person des Kurators Beyer siehe Heiber 1994, S. 695–698. Er war reichsweit „der einzige aktive Parteifunktionär in einer solchen Funktion“, ebd., S. 695. Eine vorläufige Bilanz der „Nationalsozialistische[n] Personalpolitik“ für das „Gesamtfach Germanistik“ bei Hempel-Küter 2000, S. 21–24; hier S. 23 eine Liste der Entlasse-

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beamtentums“ vom 7. April 1933 wurde sie sofort von den Eingriffen der nationalsozialistischen Regierung erfasst: Dem seit 1929 mit beträchtlichem Erfolg am Seminar lehrenden jüdischen Privatdozenten Georg Stefansky wurde die Lehrbefugnis entzogen, ebenso die Herausgeberschaft des „Euphorion“.134 Seine bisherigen „Förderer und Weggefährten“ wagten es nicht, sich für ihn einzusetzen, seine „Publikationen wurden in Deutschland nicht mehr zitiert, der Briefwechsel mit Kollegen brach ab.“135 Davon, dass sich Stefanskys münstersche Kollegen, vor allem die Germanisten, für ihn eingesetzt hätten, ist nichts bekannt geworden; derartige Solidarisierungen blieben auch andernorts für die dort Entlassenen aus.136

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nen. Zur Berufungspolitik siehe grundlegend Dainat 2003, S. 55–86. Der Aufsatz nimmt vielfach auch die Altgermanistik/Sprachwissenschaft in den Blick. Dainat konstatiert zum einen, dass in einer ersten Phase, in der die Nationalsozialisten die Berufungspolitik von ideologischen Prämissen aus genau zu steuern versuchen, „Anpassungsbemühungen“ der zu berufenden Wissenschaftler wenig Erfolg hatten (S. 77), zum anderen, dass die Universitätskommissionen trotzdem weitgehend „ihre“ Kandidaten durchsetzten und „um 1936/37 […] das Scheitern der bisherigen Berufungspolitik, ja der gesamten nationalsozialistischen Wissenschaftspolitik unübersehbar“ war (S. 80). Es folgte eine Phase der Individuallösungen (Berufungen/Versetzungen, zum Beispiel Kindermann, von Wiese). Die „Vorschläge der Fakultäten und damit die fachliche Qualifikation [erhielten] wieder größeres Gewicht“ und die „Ansprüche“ auf ideologische Konformität wurden „gesenkt“ (S. 81). Die „zwischen 1938 und 1944“ erfolgten „Weichenstellungen“ in der Personalpolitik wirkten sich „bis weit in die fünfziger Jahre“ aus (S. 85). Für Münster siehe besonders Pilger 1995, S. 16. Die Details bei Pilger 2004, S. 263–265. Der Bericht des Kommissionsleiters Baumstark (siehe oben) produziert bewusst ein „negativ stilisiertes Charakterbild“ (S. 265). Am 7.9.1933 erfolgte die endgültige Entlassung Stefanksys; Pilger 2004, S. 265; siehe auch Heiber 1994, S. 703–705. Die Chronik 1932/33 erklärt auf S. 10 lapidar: „Durch Erlaß vom 30.4.1933 wurden auf Grund des Beamtengesetzes bis zur endgültigen Entscheidung vorläufig beurlaubt Prof. Dr. Freund, Prof. Dr. Bruck, n. b. a. o. Prof. Dr. Heilbronn und Honorarprofessor Woldt.“ Ob Stefansky nicht genannt wurde, weil er nur Privatdozent war, ist nicht erkennbar. Pilger 2004, S. 266; dort S. 266–274 zu Stefanskys späterem Schicksal, das ihn nach Prag, Genf und schließlich in die USA führte. Vgl. Dainat 1997, S. 104. Merkwürdigerweise berichtet auch die Chronik 1933/35 nicht über Stefanskys Entlassung, siehe ebd., S. 9 (Entlassung Professoren Schmitz, Schmidlin, Lerch). Heinrich Behnke berichtet von seiner Teilnahme an einer Fakultätenkonferenz in Göttingen bald nach dem Erlass des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“, man habe aus der Zeitung erfahren, dass „elf Professoren von deutschen Universitäten wegen politischer Unzuverlässigkeit abgesetzt wären“, was als „Beruhigung“ gegolten habe: „So wenig! Dann ist es ja nicht so schlimm“, Behnke 1978, S. 117. Dainat, Literaturwissenschaftliche Selbstthematisierungen, 2003, S. 60, zeigt, dass von der ersten „Säuberungswelle“ in der Germanistik nur Nicht-Ordinarien betroffen waren; „führende gemäßigt-liberale und erst recht sozialistische oder pazifistische Hochschullehrer“ fehlten in der Germanistik, siehe Jansen 1993, hier zitiert nach Dainat, Literaturwissenschaftliche Selbstthematisierungen, 2003 S. 60. Zum – nach 1933 veränderten – Berufungsverfahren siehe ebd., S. 61–65.

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Was die personelle Entwicklung der Münsterschen Germanistik angeht, so gelang gegenüber den neuen Machthabern zunächst eine Erweiterung, dies unter Verweis auf die (allerdings nur bis 1931!) steigenden Studierendenzahlen. Der bereits 1930 mit der Berufung Günther Müllers erlangten Stelle einer Wissenschaftlichen Hilfskraft (= Assistent) konnte Anfang 1934 eine weitere hinzugefügt werden. Der von den Direktoren Trier und Müller gestellte Antrag hatte die besondere politischideologische Bedeutung des „Deutschfaches“ betont.137 Dieses politische Argument wurde erneut erfolgreich eingesetzt, als es galt, einen Abzug des bisher von seinem Recklinghäuser Gymnasium nur beurlaubten Kollegen Schulte-Kemminghausen zu verhindern. Er war im Juni 1934 zum nichtbeamteten außerordentlichen Professor ernannt worden. Sein Verbleib an der Universität gelang vor allem aber dadurch, dass er seit 1933 in SA und NS-Dozentenbund mitarbeitete. Das Gutachten Baumstarks bezeichnete ihn als einen jener „Volksgenossen […], die gesinnungsmäßig bedingungslos für den neuen deutschen Staat“ und seine „geistige nationalsozialistische Grundlage gewonnen“ werden konnten.138 Mit politisch begründeten Anträgen auf Stellen war das Germanistische Seminar auch in den nächsten Jahren erfolgreich: 1938/39 gelang es, nach längeren, sehr komplexen Verhandlungen mit dem REM, für Münster eine planmäßige außerordentliche Professur für niederdeutsche Sprache zu gewinnen. Basis war einerseits ein Lagebericht des Dekans Trier von 1935, der die Stellensituation des Seminars in schwärzesten Farben beschrieb und deshalb Professuren für niederdeutsche Philologie und Volkskunde sowie für Niederlandistik forderte. Dass er dies nicht auch in Bezug auf die durch Stefanskys Entlassung gerissene Lücke tat, dürfte am außerordentlichen Lehrerfolg Günther Müllers gelegen haben und wäre zudem politisch inopportun gewesen. Triers Forderung fügte sich jedoch sehr gut ein in eine vom Rektorat betriebene Initiative, Münster als „Grenzlanduniversität“ zu etablieren, die sich in besonderem Maße der Erforschung der westlichen Nachbarn Deutschlands widmen sollte.139 137

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Pilger 2004, S. 290f., Zitat S. 291. Zur neugermanistischen Berufungspolitik der Nationalsozialisten siehe Dainat, Berufungspolitik, 2003, hier S. 57ff. zur allgemeinen Struktur der germanistischen Institute und zu den Zahlenverhältnissen (von 1931 bis 1938 sinkt die Zahl der Germanistikdozenten reichsweit um etwa 20 %). Pilger 2004, S. 292. Siehe zum Ganzen Pilger 2004, S. 293–298. Trier selbst förderte, auf Geheiß des Rektors Hugelmann, diese Pläne durch eine Denkschrift, siehe UAMs, Bestand 4, Nr. 1343 (vier Seiten). Sie beklagte – allerdings recht unspezifisch – die Westorientierung der Niederlande und forderte, die Universität Münster müsse qualitativ in allen Bereichen eine Spitzenstellung erreichen, dann werde man sie in den Niederlanden auch zur Kenntnis nehmen. Auch nach der Ablehnung durch das REM (Brief des Ministers Rust vom 15.4.1937) schlug der Rektor in einer Denkschrift vom 4.6.1937 die Schaffung besonderer Einrichtungen als Voraussetzung für eine planmäßige Grenzlandarbeit der Universität vor; konkret genannt wurden: Einstellung eines niederländischen Lektors (und Versetzung des Flamen Sint-Jan an eine rheinische Hochschule), ein Extraordinariat für Niederdeutsche Sprache (zu besetzen mit Schulte-Kemminghausen), Zuschüsse für Sonderausgaben.

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Auch wenn diese Initiative letztlich scheiterte, konnte nach längeren Bemühungen doch 1940 die genannte Niederdeutsch-Professur besetzt werden, und zwar mit dem auf das Niederdeutsche in umfassendem Sinne spezialisierten Sprachwissenschaftler William Foerste (1911–1967).140 Gegen die ursprünglich vorgesehene Berufung Karl Schulte-Kemminghausens hatten sich massive, für ihn und seine Unterstützer nicht zu überwindende Hindernisse aufgebaut, die – latent – vielleicht auch darin bestanden, dass er sich als einziger Angehöriger der Universität aktiv an der Reichspogromnacht vom 9./10. November 1938 beteiligt hatte.141 Foerste trat den Dienst mit dem ersten Trimester 1940 – auf solche war der Lehrbetrieb inzwischen umgestellt worden – an. Seinem Lehrstuhl sollte das „Material“ (vor allem also Bücher) des 1938 aufgelösten Instituts für [religiöse] Volkskunde Georg Schreibers überlassen werden. Ein zu errichtendes Institut für Niederdeutsche Philologie und Volkskunde sollte in Räumen der Schreiberschen Institute (Breul 21a–22) untergebracht werden.142 De facto war Foerste allerdings, nachdem er zunächst „u.k.“143 gestellt worden war, seit 1942 wieder im Heeresdienst, zunächst in Gütersloh, dann in Berlin. Erst im ersten Trimester 1941 und bis einschließlich

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Habilitation Münster 1943. Siehe zu ihm Sanders 2003, S. 500–502, sowie die Personalakte, UAMs, Bestand 63, Nr. 12, Bd. 1, sowie die Habilitation Foerstes, UAMs, Bestand 64, Nr. 16, die wegen seines stetigen Heeresdienstes schwer zu organisieren war. Siehe dazu weiter UAMs, Bestand 63, Nr. 12, Bd. 2, der zunächst über Foerstes Schicksale bei Kriegsende informiert. Eine Postkarte und ein Telegramm an Heinrich Behnke lassen erkennen, dass er mit diesem befreundet war. Zu den Voraussetzungen und Umständen der Berufung Foerstes, dem gegenüber trotz SA- und Parteimitgliedschaft (1933 beziehungsweise 1937) der gutachtende Hamburger NS-Dozentenbundführer erhebliche Vorbehalte erhob, siehe Pilger 2004, S. 323–327. Letztlich setzten sich Fakultät, Rektorat und REM gegen die Unterstützer Schulte-Kemminghausens – vor allem die Gauleitung und das „Amt Rosenberg“ – durch. Pilger 2004, S. 322 mit Anm. 222; die Details bei demselben 1995, S. 125. Zur Reichspogromnacht in Münster siehe die gründliche Untersuchung von Zahnow 1993, hier S. 72–90 (ohne Erwähnung Schulte-Kemminghausens). Siehe dazu die Personalakte SchulteKemminghausens, UAMs, Bestand 10, Nr. 398, Bd. 1. In einer undatierten, wohl im Kontext seines Gesuchs um Wiedereinstellung entstandenen Denkschrift „Meine Einstellung zur Judenfrage“ (zwei Seiten) stellt Schulte-Kemminghausen seine Aktivitäten so dar, dass er am 8. (sic!) 11.1938 als Angehöriger der SA „unter Androhung strenger Bestrafung […] den Befehl zum Dienst zu erscheinen“ erhielt, dem sei er nachgekommen (Was er während desselben tat, wird nicht gesagt). Am Abend sei er telefonisch aufgefordert worden, zum Servatiiplatz zu kommen, von wo er zwei ihm unbekannte Verwundete ins Krankenhaus gefahren und außerdem bei einer Plünderung „eingegriffen und mit Erfolg versucht [habe], Absperrmaßnahmen zu ergreifen.“, siehe UAMs, Bestand 5, Nr. 823. Siehe dazu unten und Morsey 2004, S. 23, weiterhin S. 26f. Zu Schreiber siehe auch Heiber 1994, S. 703–705. Unabkömmlich.

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Sommersemester 1942 erscheint er – jeweils mit maximal zwei Veranstaltungen – im Vorlesungsverzeichnis,144 dann erst wieder im Sommersemester 1946.145 Aus rein politischen Gründen wurde schließlich im Dezember 1936 ein zweiter literaturwissenschaftlicher Lehrstuhl eingerichtet, diesmal auf Initiative des REM: Dieses teilte der Universität die Versetzung des Danziger Literaturwissenschaftlers und Nationalsozialisten Heinz Kindermann an das Germanistische Seminar mit. Energischer Widerspruch der Fakultät und des Rektorats blieben fruchtlos; Kindermann (1894–1985),146 der „seit der Machtübernahme keine wissenschaftlich brauchbare Zeile“ mehr publiziert hatte, wurde nach Münster versetzt.147 Hintergrund der Entscheidung war, dass das Ministerium die „Wirksamkeit des katholischen Literaturwissenschaftlers Günther Müller in Münster soweit wie möglich begrenzen […] wollte“.148 Diese aber war, wie die Zahl der Teilnehmer an seinen Lehrveranstaltungen ebenso wie die der Promotionen zeigt, dauerhaft sehr groß. Mit dem katholischen Glauben als „grundlegende[m] Bezugspunkt seiner wissenschaftlichen Arbeit“ und dem ihn offensichtlich auszeichnenden Charisma war er eine „Integrationsfigur des Münsterschen katholischen Milieus“.149 Der von Müller – in den Augen der Nationalsozialisten – ausgehenden Gefahr begegnete man zunächst dadurch, dass man ihm die Prüfungsbefugnis für die Lehrämter entzog (end144 145

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Vorlesungsverzeichnis 1. Trimester 1941, S. 70, Vorlesung: „Die Schriftsprache des ostniederländisch-westfälischen Raumes im 16. Jh., 2 st. n. V.“ Siehe die Personalakten: UAMs, Bestand 63, Nr. 12, Bd. 1 und Bd. 2, Bestand 10, Nr. 1928. Die Habilitationsakte, UAMs, Bestand 64, Nr. 16, zeigt, mit welchen Mühen das Erlangen einer ordentlichen Professur während des „Dritten Reiches“ beziehungsweise des Krieges verbunden war. Foerste war, unhabilitiert, zunächst zum Extraordinarius ernannt worden. Am 8.7.1943 erhob die NSDAP keine Einwände gegen seine Zulassung; er sei „politisch einwandfrei, zuverlässig und einsatzfähig“. Mitglied der SA war er seit dem 5.11.1933, Parteigenosse seit dem 15.10.1937. Habilitiert Wien 1924, 1936–1943 o. Prof. für Neuere deutsche Literaturgeschichte in Münster, danach in Wien. Siehe Pilger 2003. 1934 erklärt der Danziger NSDAP-Gauleiter Albert Forster im Zusammenhang mit einer möglichen Berufung Kindermanns nach Würzburg, er sei „der einzige Nationalsozialist, der in ganz Deutschland Professor für neuere deutsche Literatur ist“; zitiert nach Dainat, Literaturwissenschaftliche Selbstthematisierungen, 2003, S. 70. Zu seinem „Weg in den Nationalsozialismus“ (Parteieintritt 1933, Tätigkeit im NS-Lehrerbund, Lektor in der Abteilung Schrifttumspflege des Amtes Rosenberg, förderndes Mitglied der SS und anderes) siehe Pilger 1995, S. 92–95. Siehe zum folgenden Pilger 2004, S. 367ff., Zitat S. 368. Schon im Zusammenhang mit Verhandlungen über die Nachfolge Schwerings hatte das Seminar sich 1930 massiv gegen Kindermann ausgesprochen. Dies wegen seiner „mangelnden wissenschaftlichen Eignung“ (ebd., S. 367). Diese Einschätzung teilte 1934 auch Ernst Krieck, siehe Dainat, Literaturwissenschaftliche Selbstthematisierungen, 2003, S. 73. Pilger 2004, S. 299. Zu Müller siehe weiterhin ders. 1999, S. 49–59, wo der Streit um Müllers Berufung und die „Schwierigkeiten nach der Machtübernahme“ ausführlich dargestellt sind, sowie S. 62–89. Ebd. S. 59–62, zu Müllers Programm einer „Katholischen Literaturwissenschaft“. Pilger 2004, S. 372.

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gültig 1936). Auch dies machte – um einen Examensstau zu vermeiden – die Berufung eines zweiten Literaturwissenschaftlers nötig. Kindermann aber konnte sich, dem Seminar oktroyiert, dort weder persönlich noch wissenschaftlich durchsetzen. Er blieb, von den Kollegen soweit wie möglich isoliert, ein Außenseiter. Den bei ihm entstehenden Dissertationen blieb die Anerkennung versagt, lediglich bei kulturellen Veranstaltungen außerhalb der Universität betätigte er sich erfolgreich als „Bahnbrecher der […] volkhaft-lebenswissenschaftlichen Richtung“.150 Die nationalsozialistische Führung bemühte sich deshalb seit 1941, Müller zu versetzen oder außer Dienst zu stellen. Dies gelang, indem er 1943 gezwungen wurde, seiner Pensionierung aus Gesundheitsgründen (eine Herzerkrankung hatte sich sukzessive verschlimmert) zuzustimmen, was – bei insgesamt günstigen Bedingungen – seinen Wegzug aus Münster einschloss.151 Die Nachfolge übernahm auf Vorschlag der Fakultät Benno von Wiese (1903–1987),152 der in den Augen der Partei ausgesprochen „positiv zu bewerten“ war.153 Da er im Wehrdienst stand und die Universität im Sommer 1944 ihren Betrieb einstellte, beschränkte sich seine Münstersche Tätigkeit bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges auf ein einziges Semester.154 – Nur kurz zu 150

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Siehe die Details bei Pilger 2004, S. 388–392, Zitat S. 392, und ders. 1995, S. 90–106, hier auch zu Kindermanns politischen Auslandsreisen. Seine Münsterschen Lehrveranstaltungen waren dauerhaft schwach besucht, Pilger 2004, S. 390. 1943 verließ er Münster und ging nach Wien. Seine Einstellung zum Nationalsozialismus bedarf weiterer Erforschung, siehe zum Beispiel die ihn möglicherweise entlastenden Details bei Pilger 1995, S. 102f., hier S. 107–118 unter dem Titel „Literaturwissenschaft als ‚volkhafte Lebenswissenschaft‘“ eine Darstellung der wissenschaftlichen Arbeiten Kindermanns, die schon früh „völkische“ Züge erkennen lassen, um dann in den 1930er-Jahren „seine Konzeption einer literarhistorischen Anthropologie“ zu entwickeln, die „zu einem Kernstück der von ihm propagierten volkhaften Lebenswissenschaft“ wurde (S. 113). Kindermanns „Dichtung und Volkheit“ von 1937 gilt als „gründlichste und konsequenteste ‚Gleichschaltung‘ im Gesamtbereich der deutschen Literaturwissenschaft.“, Oskar Benda 1953, zitiert nach Pilger 2004, S. 114. Siehe die Darstellung des „Falles Müller“ bei Pilger 2004, S. 391–396, sowie Heiber 1994, S. 724–729. Habilitation Bonn 1929. Pilger 2004, S. 397. Von Wiese war durch Parteimitgliedschaft (1933), Mitgliedschaft im NS-Lehrerbund, im NS-Dozentenbund, als „Lektor bei der Rosenbergschen Schrifttumskommission im Hauptlektorat Deutsche Literaturgeschichte“ und anderes ausgewiesen, siehe ebd., S. 397. In seiner Autobiographie (Wiese 1982) zeichnet er sich selbst als weitestgehend unpolitischen Menschen. Dass er auf „hartnäckige Vorwürfe“ der Nationalsozialisten wegen seiner Beschäftigung mit Autoren wie Erich Maria Remarque „mit einem bekenntnishaften ‚Politischen Lebenslauf‘ reagiert, in dem er seine ‚Entwicklung zum jungen Nationalsozialismus‘ [sic] beschreibt, sein Buch „Politische Dichtung Deutschlands“ (Wiese 1931) als „eindeutige Absage an die marxistischen Strömungen und an den Einfluss des Judentums in der Literatur“ deklariert und einen seiner Kritiker als „Jude“ denunziert“, (Dainat, Literaturwissenschaftliche Selbstthematisierungen, 2003, S. 76) erfährt man daraus nicht. Zu ihm siehe weiterhin Rossade 2003. Eine wenn auch kurzfristige weitere Unterstützung neugermanistischer Lehre brachte der Privatdozent Georg Baumecker, der 1937 „auf Geheiß des REM“ nach Münster kam,

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erwähnen ist die Tätigkeit Wolfgang Mohrs (1907–1991)155 in Münster: Er nahm vor dem Hintergrund der pangermanischen Vorstellungen der nationalsozialistischen Wissenschaftspolitik von 1940 bis 1941 eine dem Germanistischen Institut zugeordnete Privatdozentur für Nordistik wahr; ein Skandinavisches Seminar gab es noch nicht.156 Das Vorlesungsverzeichnis für das zweite Trimester 1940 führte ihn und eine „Nordische Abteilung“ erstmals auf.157 Sie erscheint letztmalig im Wintersemester 1941/42; wie es zur Gründung dieser Abteilung kam, wäre näher zu untersuchen. Wie stellt sich vor dem hier skizzierten Hintergrund das Lehrangebot der Münsterschen Germanistik zwischen 1933 und 1945 dar? Für die Jahre 1933 bis 1936 lassen sich, auch was die Frequentierung der Lehrveranstaltungen angeht, genauere Angaben machen, weil für diese Jahre noch die „Chronik“ der Universität Münster vorliegt. Vergleicht man die Lehrangebote mit denen der späten 1920er-Jahre, so zeigt sich zum einen eine Fortführung der damaligen Tendenzen, zum anderen eine allmählich deutlicher werdende, nie aber großen Raum gewinnende Anpassung an die Ideologie des Nationalsozialismus. Dabei ist zu bedenken, dass die Themen hierfür natürlich nur sehr bedingt aussagekräftig sind. Quantitativ erfolgte, nach einem leichten Einbruch nach 1933 auf durchschnittlich etwa 17 Lehrveranstaltungen bis in die späten 1930er-Jahre hinein, eine Ausweitung auf gut 20 Veranstaltungen. Dies lag vor allem daran, dass neben die „klassischen“ Lehrveranstaltungstypen nun zusehends „Arbeitskreise“ traten, die mit gleicher Grundthematik mehr oder weniger regelmäßig jedes Semester angeboten wurden, so zum Beispiel Triers berühmt gewordener „Hauskundlicher Arbeitskreis“, der „Arbeitskreis für volksdeutsches Schrifttum“ Kindermanns und Schulte-Kemminghausens „Volkskundliche Arbeitsgemeinschaft“. Sehr häufig waren diese mit Exkursionen verbunden beziehungsweise vollzogen sich in Form von „Lehrfahrten“.158 Daneben ist zu beachten, dass die Zahl der Lehrveranstaltungen der Niederlandistik – immer noch ausschließlich

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um dort die Literaturwissenschaft zu verstärken“, Pilger 2003, S. 347, hier S. 348–360 zu Baumeckers Werdegang und Laufbahn. Siehe weiterhin Pilger 1995, S. 125–134. 1938 wurde er in Münster zum Dozenten für Neuere deutsche Literaturwissenschaft ernannt, konnte dort jedoch nicht recht Fuß fassen. 1939 zum Heeresdienst eingezogen fiel er 1943. Pilger 1995, S. 125, resümiert: „Von Anfang an haben die Nationalsozialisten den beruflichen Werdegang des jungen Germanisten mit Argwohn beobachtet. Sie haben sich ihm in den Weg gestellt, haben ihn versetzt, haben anschließend ein weiteres Mal ihre Fußangeln ausgelegt und ihn am Ende in den Krieg geschickt.“ Richtig ist aber auch, dass Baumecker qualitativ nicht zur Spitzengruppe des Nachwuchses gehörte. Habilitation Köln 1938. Müller 2003, siehe weiterhin Pilger 2004, S. 303 mit Anm. 131. Man hoffte, so „‚das Nordische künftig in Münster energisch pflegen zu können‘ und gleichzeitig ‚den Anforderungen der neuen Prüfungsordnung‘ nachzukommen, ‚die auf das Nordische großen Wert legt.‘“, so Jost Trier 1939 an den Kurator, zitiert nach Pilger 1995, S. 21. Vorlesungsverzeichnis 2. Trimester 1940, S. 66f. Siehe zum Beispiel das Vorlesungsverzeichnis Sommersemester 1939, hier S. 73. Kindermanns Thema war damals das Schrifttum „Deutsch-Afrikas“.

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durch den außerordentlichen Professor Sint-Jan vertreten – nun deutlich größer war als früher, zum Beispiel im Wintersemester 1933/34 fünf Lehrveranstaltungen, später sechs. Ab dem dritten Trimester 1940 erschien im Vorlesungsverzeichnis eine eigene „Niederdeutsche Abteilung“,159 ab dem ersten Trimester 1941 war sie mit der Niederländischen vereint. Als Lehrende traten hier Foerste und Sint-Jan auf. Mit dem Sommersemester 1942 sank die Zahl der Lehrveranstaltungen deutlich ab. Jetzt konnten nur noch 17 Vorlesungen und Seminare angeboten werden, die „Arbeitsgemeinschaften“ verschwanden. Im Wintersemester 1942/43 waren es nur noch 15, im Sommersemester 1944 elf (Müller kündigte nun nicht mehr an), im Wintersemester 1944/45 nominell 15, ehe der Lehrbetrieb endgültig zum Erliegen kam, um im Sommersemester 1946160 mit 27 (!) Lehrveranstaltungen Triers, Heselhaus‘,161 von Wieses und Foerstes einen sehr starken Aufschwung zu nehmen.162 Einen recht genauen Eindruck von der Arbeitsweise des Seminars gibt die von den Direktoren Müller und Trier verantwortete Chronik des Seminars auf 1933/34:163 Im Wintersemester 1933/34 „besprach Prof. Trier auf der Oberstufe mit 11 ausgewählten Teilnehmern“ seinen Aufsatz über Bedeutungsforschung von 1934; als Gäste wurden mehrere Kollegen eingeladen. Das Vorlesungsverzeichnis spricht hier von „Arbeiten zur Wort- und Begriffsgeschichte im Bereich der Menschenkunde“. Triers Seminar der Mittelstufe (72 Teilnehmer) bestand aus „Übungen zur sprachgeschichtlichen Vorlesung“, bei denen Teile aus Brinkmann: „Sprachwandel und Sprachbewegungen“ gelesen wurden. Im Seminar der Unterstufe interpretierte Schulte-Kemminghausen mit 32 Teilnehmern mittelhochdeutsche Lyrik vor Walther. „Mehrere volkskundliche Arbeitsgemeinschaften unter Leitung von Prof. Trier, Prof. Dr. Schulte-Kemminghausen, Dr. Nörrenberg,164 Dr. Mayser, Dr. des. Stüwer bemühten sich im Wintersemester 1933/34 und im Sommersemester 1934 um die volkskundlichen Fragen des Raumes Westfalen, vornehmlich in Lied, Mundart, Erzählgut, Bauernhaus und Heiligenverehrung.“

In der Neueren Abteilung behandelte Günther Müller mit 92 Teilnehmern Gedichtgruppen aus „Des Knaben Wunderhorn“ „unter besonderer Beachtung der Fragen volkstümlicher und volkhafter Lyrik“. Auf der Unterstufe wurde mit 38 Teilnehmern „zur Analyse mehrerer Erzählungen Paul Ernsts angeleitet.“ Hinzu-

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Siehe dazu oben die Darlegungen zur Etablierung einer Niederdeutsch-Professur. Für dieses Semester existiert ein maschinenschriftliches Vorlesungsverzeichnis. Zum ihm siehe unten. Inwieweit – und gegebenenfalls wo (siehe unten) – für das Sommersemester 1944 und das Wintersemester 1944/45 tatsächlich noch germanistische Lehrveranstaltungen stattfanden, wäre zu prüfen. Chronik 1933/35, S. 96–98. Erich Nörrenberg, Verwalter des Archivs des Westfälischen Wörterbuches, siehe Pilger 2004, S. 191.

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zurechnen sind die Vorlesungen des Semesters:165 Hoffmann über die „Altgermanischen Sprachen und ihre Denkmäler“, Trier über „Hauptfragen der Sprachgeschichte“, Müller über den „Weg der Romantik zum Volkstum“ und über die „Literatur des deutschen Spätbarock“, Schulte-Kemminghausen über die „Deutsche Lyrik des Mittelalters“, Trier über „Deutsche Volkskunde I: Das Haus“, Schulte-Kemminghausen über die Droste „und die gleichzeitige Dichtung in Westfalen“ sowie über „Plattdeutsche Dichtungen des 20. Jh.s“. Hinzu gesellten sich nicht weniger als sechs niederlandistische Lehrveranstaltungen: zwei Sprachkurse (Unterstufe), Übersetzungen ins Niederländische und die Lektüre eines modernen Romans (Mittelstufe) sowie „Het Toneel in de Mideleeuwen“ und eine Lektüre der Versnovelle „Marijken van Nieumeghen“ – insgesamt also ein sehr stattliches, differenziertes Angebot, das das Interesse an deutschem „Volk“ beziehungsweise „Volkstum“, „Raum“ und „Sachen“, wie vor allem dem „Haus“, ebenso wie an national getönter Literatur erkennen lässt. Überblickt man den Zeitraum von 1933 bis 1945, dann lässt sich sagen, dass das Lehrangebot noch immer vom mehrfach angebotenen „Heliand“ über die Klassiker bis zur Literatur der Moderne, von den Anfängen der Sprachgeschichte bis zur Diskussion moderner sprachwissenschaftlicher Fragestellungen und – bei deutlichem Bezug zum Raum Westfalen beziehungsweise Niederdeutschland (siehe zum Beispiel Triers vielfach angebotene „Studienfahrten zur Hauskunde“) – von der Beschäftigung mit den materiellen Grundlagen der „Volkskultur“ bis hin zu deren literarischen Ausprägungen reichte. Mitunter wird die Anpassung an die neuen „Verhältnisse“ sehr deutlich, so, wenn Günther Müller im Sommersemester 1934 auf der Mittelstufe das Thema „Rasse und Stil“ behandelte und in der Chronik dazu bemerkte: „den Uebungen [wurde] Günthers ‚Rasse und Stil‘ als Ausgangsfeld einer rassekundlichen Dichtungsbetrachtung zugrundegelegt. In schriftlichen Arbeiten bemühten sich die Mitglieder um rassekundliche Bestimmung von Dichtern vornehmlich der klassisch-romantischen Zeit. Für Schiller und Novalis wurden dabei schöne Ergebnisse, für Kleist beachtliche Anregungen gewonnen. Zahl der Teilnehmer: 82“.166

Auch im Wintersemester 1936/37 behandelte Müller dieses Thema, diesmal auf der Oberstufe, nachdem er schon im Wintersemester 1935/36 eine Vorlesung zum Thema „Dichtung und Rasse“ gehalten hatte – vermutlich eine der Konzessionen, die Müller machte.167 Kindermann bot zunächst nur „klassische“ Themen an, zum Beispiel „Goethes Lyrik“ im Wintersemester 1937/38, wandte sich dann aber zusehends der Gegenwartsdichtung („Das deutsche Drama der Gegenwart“, Sommersemester 1938) und der „auslandsdeutschen“ Literatur, seinem Spezialgebiet zu 165 166 167

Siehe Vorlesungsverzeichnis Wintersemester 1933/34. Chronik 1933/35, S. 97. Auch ein Seminar „Volk im Schrifttum der Deutschen Bewegung“ im gleichen Semester gehört hierhin. Es fällt auf, dass Müller nun keine Veranstaltungen mehr anbot, die explizit „katholische“ Autoren und Gegenstände behandelten.

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(zum Beispiel: „Österreichs Anteil am gesamtdeutschen Schrifttum“, Wintersemester 1938/39, „Die Weltkriegsdichtung der Deutschen im Ausland“, Wintersemester 1939/40) und setzte dadurch neue Akzente, denen jedoch – wie bereits bemerkt – der Erfolg versagt blieb. Foerste beschränkte sich auf sein eigentliches Gebiet, die niederdeutsche Sprach- und Literaturgeschichte („Heliand“), daneben hielt er auch Veranstaltungen zum Mittelhochdeutschen ab. Nach dem Sommersemester 1942 erscheint er nicht mehr im Vorlesungsverzeichnis, weil er nun nach Berlin zum Kriegsdienst eingezogen war. Auch wenn das Vorlesungsverzeichnis natürlich nichts über die konkrete Ausgestaltung und Intention der Lehrveranstaltungen aussagt, so mag doch immerhin auffallen, dass Lehrveranstaltungen zu von den Nationalsozialisten besonders geschätzten Dichtern wie etwa Friedrich Wilhelm Weber, Hermann Stehr oder Guido Kolbenheyer völlig fehlen. Lediglich Kindermann bot im Wintersemester 1942/43 einmal eine Vorlesung „Von Hebbel zu Kolbenheyer“ an. Betrachtet man die Promotionen der Jahre 1933 bis 1945, so ist zu beobachten, dass ihre Zahl nach einem Anstieg bis 1935 stark abnahm. 1935 lag sie bei 28, 1944 bei neun Promotionen bei einer Frauenquote von 36 beziehungsweise 78 Prozent.168 Insgesamt entstanden zwischen 1933 und 1944 nicht weniger als 158 Dissertationen, 74 Prozent davon in der „Neueren Abteilung“. Hauptbetreuer war bis zu seinem zwangsweisen Ausscheiden Günther Müller, der auch danach, mindestens bis 1942, mitunter zusammen mit Trier und später mehrfach mit Kindermann, der nach 1939 Hauptprüfer der Neueren Abteilung wurde, Arbeiten betreute. Ihre Ausrichtung hat Pilger ausführlich analysiert:169 Explizit „nationalsozialistische“ Themen waren die absolute Ausnahme, so die von Müllers rassekundlichen Lehrveranstaltungen angeregte Dissertation von Wilhelm Müller „Studien über die rassischen Grundlagen des ‚Sturm und Drang‘“.170 Ganz vereinzelt steht auch die Dissertation von Hans Schneider bei Müller, „Der Tragiker Paul Ernst […] Versuch einer Würdigung vom Stand nationalsozialistischer Weltanschauung“ (11. Juni 1935), die als „neuartig“ charakterisiert und mit „rite“ bewertet wurde. Weitaus häufiger waren „Untersuchungen, die zwar nach außen hin mehr oder weniger deutlich dem völkischrassistischen Denken der Nationalsozialisten Tribut zollten, in ihrer Programmatik aber, 168

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Siehe Pilger 2004, S. 287f.; sowie besonders ders. 1995, S. 136–147, mit gründlicher Analyse der Arbeiten. Versucht wurde hier vor allem, „das Maß zu bestimmen, in dem völkische oder rassistische Ideologeme die wissenschaftliche Arbeit beeinflußt haben.“ (S. 136). Das im Folgenden ebenfalls herangezogene Promotionsjournal der Universität Münster ist für Teile der Jahre 1935 und 1936 wegen Wasserschadens nicht vollständig auswertbar. Pilger 2004, S. 376–382, ders. 1995, S. 141–147. Ribhegges Überprüfung der von der Förderergesellschaft zwischen 1933 und 1945 unterstützten Dissertationen zeigt, dass sich diese Arbeiten weniger durch die Dominanz einer „deutsche[n] Ideologie aus[zeichneten]“, als vielmehr durch die „Enge des Horizonts und Schlichtheit der Fragestellungen“, Ribhegge 1985, S. 194. Siehe dazu Grüttner 1995, S. 199, der dies unter dem Rubrum „Grenzen der Gleichschaltung“ aufführt. Siehe aber deren Charakterisierung bei Pilger 2004, S. 376–378.

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weitgehend unbeeinflusst vom Ideologiediskurs, weiterhin den Prinzipien der katholischen Literaturwissenschaft treu blieben.“171

Daneben war bei Müller auch die – ihm von den Nationalsozialisten zum Vorwurf gemachte – Dissertation Franz Wieses „Leitgedanken zur Ideologie der Romane von Vicki Baum“ (17. August 1935) entstanden. Neben Müller, für den ich nach der Machtergreifung deutlich über 40 Dissertationen zähle, die thematisch vielfach der Literatur des Barock gewidmet waren, spielte auch nach seinem Weggang 1932 Julius Schwietering noch eine gewisse Rolle. Neben mediävistischen Themen, wie „Die Magdalenenszene im geistlichen Spiel“ von Maria Norberta Hoffmann (23. September 1933) erscheinen auch volkskundliche, wie „Der Erzähler in der Dorfgemeinschaft“ von Otto Brinkmann (30. Juni 1933). Ab 1934 trat dann sein Nachfolger Jost Trier zunächst mit mediävistischen, dann aber zusehends sprachwissenschaftlichen Themen auf, zum Beispiel „Der intellektuelle Wortschatz Luthers“ von Adele Schöningh (21. Januar 1938, mit Müller). Sein „Hauskundlicher Arbeitskreis“ spielte verständlicherweise eine große Rolle, siehe zum Beispiel – dies die wichtigste Arbeit – die 1943 veröffentlichte Dissertation von Triers Mitarbeiter Josef Schepers, „Das Bauernhaus in Nordwestdeutschland“, 1939. Die Thesen dieser Arbeit – wie Triers Vorstellung vom „Gefüge des Bauernhauses als „schaubare[m] Kern der Sprache“172 – waren „mit der NS-Ideologie und ihrem Germanenkult […] sehr gut vereinbar“,173 doch blieb eine „fundamentale Differenz zur NS-Ideologie“, indem Trier und seine Schüler einen „ethno-geographischen Deutungsansatz“ strikt ablehnten174 – anders etwa als Karl Schulte-Kemminghausen, der allerdings als Prüfer vorwiegend mit Arbeiten zur Droste nur eine sehr geringe Rolle spielte. Die bei Heinz Kindermann oft in gemeinsamer Betreuung mit Günther Müller entstandenen Arbeiten erscheinen von ihrer Thematik her traditionell, wie beispielsweise „Die Religiosität in Klopstocks ‚Messias‘“ von Joseph Müller (29. Oktober 1937). Nur gelegentlich werden Autoren wie Hanns Johst (Hans Heering, 8. Juni 1938) oder Hermann Stehr (Gustav Blanke, 15. April 1942) behandelt, oder es wird zu „auslandsdeutschen“ Themen, wie „Der Weg der sudetendeutschen Dichtung zur völkischen Wiedergeburt“ von Friedrich Ferié (17. Februar 1941) gearbeitet. Insgesamt orientierten sie sich zunehmend an Kindermanns „Entwurf einer literaturhistorischen Anthropologie“.175 Thematisch dominierte nun – bei starkem Zurücktreten der Autoren der Klassik – das spätere 19. Jahrhundert.176 Zusammenfas171

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Ebd., S. 378. Er exemplifiziert dies im folgenden (S. 378–381) am Beispiel der Dissertation von Müllers späterer Geliebter und Ehefrau Helene Kromer über „Die Bedeutung psychologischer und rassischer Typen für die Literaturwissenschaft“ (zu ihr siehe auch Pilger 1995, S. 62–65), weitere Beispiele Pilger 2004, S. 381f. Pilger 2004, S. 329. Ebd., S. 335; siehe die weitere Charakterisierung der Arbeit dort S. 334–336. Ebd., S. 336. Pilger 1995, S. 141. Siehe die Details bei Pilger 1995, S. 142. Einen Sonderfall stellt Hölderlin dar (sieben Dissertationen).

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send gelangt Pilger in seiner Untersuchung der Dissertationen zu dem Ergebnis, dass sie, was ihre Beeinflussung durch die Ideologie des Nationalsozialismus angeht, in zwei Gruppen zerfallen: solche, die von dieser „weitestgehend frei“ blieben (fast ausnahmslos die Arbeiten, die in der Älteren Abteilung entstanden, aber auch zahlreiche bei Müller bis 1944 entstandene Dissertationen), und solchen „bei denen die wissenschaftliche Argumentation fast vollständig von den weltanschaulichen Maßstäben überlagert wird“.177 Dies wird umso deutlicher, je weiter das „Dritte Reich“ und der Krieg voranschritten, wobei jedoch „antisemitische Parolen“ in den Dissertationen „nicht die Regel waren.“178 Insgesamt wird sich sagen lassen, dass die wissenschaftlichen und politisch-ideologischen Prägungen der Lehrenden des Seminars auch hier deutlich zu erkennen sind. Diese erweisen sich, was die Anpassung an die Leitlinien der NS-Ideologie angeht, als beweglich, ohne jedoch eigene Positionen aufzugeben. Nur bei Kindermann deckten sich diese sehr weitgehend mit denen des NS-Staates. Was die Studierenden der Germanistik zwischen 1933 und 1945 angeht, so ist zunächst zu bemerken, dass ihre in den 1920er-Jahren kräftig angestiegene Zahl ab 1931 stark zurückging. Es lag dies – neben der demographischen Situation – an der „schlechten Konjunkturlage am Arbeitsmarkt“, weiterhin am Gesetz „Gegen die Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen“ vom 25. April 1933. Von 334 Studenten ging deren Zahl bereits 1933 auf 252 zurück, im Sommersemester 1934 waren es nur noch 158 (davon nur noch 14 Erstsemester). Trotz Versuchen des Gegensteuerns lag die Zahl bei Kriegsausbruch nur noch bei 58 Hauptfachstudenten (36 Männer, 22 Frauen). Im letzten statistisch erfassten Semester, dem ersten Trimester 1941, gab es 115 Haupt- und Nebenfachstudenten, wobei – kriegsbedingt – der Frauenanteil sukzessive zunahm, von 46 Prozent 1932/33 auf 70 Prozent 1941. Der Rückgang der Studierendenzahl war mit einem Durchschnitt von 65 Prozent auch im Vergleich zu den anderen an der Universität vertretenen Fächern sehr erheblich.179 Trotzdem gelang es der Germanistik, wie gezeigt, nicht nur Stellenabzüge zu verhindern, sondern die Stellen- und Mittelsituation sogar zu verbessern, was zeigt, wie wirksam politische Argumentationen („Grenzlanduniversität“, Germanistik als raumbezogene „Deutschkunde“) im NS-System sein konnten. Dies spiegelt sich auch in der räumlichen Situation der Germanistik wider. Trotz (oder wegen?) des drastischen Rückgangs der Studentenzahlen erfolgte 1938 ein neuerlicher Umzug des Germanistischen Seminars. Das Vorlesungsverzeichnis gibt ab dem Sommersemester 1938 und bis einschließlich dem ersten Trimester 1941 als Anschrift „Schlaunstr. 4I“ an, also ein Gebäude in der Nachbar177 178 179

Zitate Pilger 1995, S. 143. „Zwischenformen“ (ebd.) fehlen fast ganz. Siehe im Weiteren die zahlreichen Beispiele Pilgers für die beiden Typen, ebd., S. 143–147. Ebd., S. 145. Siehe die Vergleichszahlen bei Pilger 2004, S. 289f., sowie die Statistik der Promotionszahlen 1923 bis 1944 ebd. Siehe weiterhin Dainat 1997, S. 118 (Rückgang der Zahl der Studierenden und der Lehrenden).

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schaft des heutigen Institutsgebäudes der „Kleineren Fächer“ des „Fachbereichs 9 Philologie“ (Schlaunstr. 2). Der „Studentenführer für die Universität Münster i. W. 1939“180 spricht von „Fünf helle[n], freundliche[n] Räume[n], darunter ein eigenes Zeitschriftenzimmer“, in denen neben der „Präsenzbibliothek“ „auch noch eine Entlehnbibliothek für volksdeutsches Schrifttum zur Verfügung“ stand. In der Schlaunstraße ist das Seminar aber nicht geblieben: Anscheinend 1941 zog es in Räume der ehemaligen Institute des Theologen, [religiösen] Volkskundlers und Zentrumsabgeordneten Professor Georg Schreiber („Deutsches Institut für Auslandskunde e. V.“ sowie „Deutsches Institut für Volkskunde“, Adresse Breul 21a und 22), die im Zusammenhang mit der Entfernung Schreibers aus dem Dienst der Universität von den Behörden beschlagnahmt worden waren. Schreiber hatte nach Ansicht des SD versucht, „die nationalsozialistische Volkskundearbeit in katholischem Sinne zu zersetzen.“181 Um die reichen Bibliotheken seiner Institute (insgesamt 30.000 bis 35.000 Bände!), an denen auch die Germanisten lebhaft interessiert waren, entbrannte ein heftiger Kampf, der im September 1942 mit einem Kompromiss endete: ein Teil der Bestände ging an die Berliner Auslandswissenschaftliche Fakultät, ein Teil verblieb in Münster. „Alles in allem“ führte dies „im Germanistischen Seminar zu einem erheblichen Anwachsen des Buchbestandes.“182 Mit dem Umzug des Seminars wurden schließlich Planungen des Rektors Mevius von 1941, „in den Gebäuden am Breul ein neues ‚Deutsches Institut‘ mit insgesamt fünf Abteilungen ‚unterzubringen‘, darunter auch eine Abteilung für Volkskunde“,183 teilweise realisiert. 180 181 182

183

Studentenführer 1939, S. 75. Morsey 2004, S. 5, Anm. 11. Pilger 2004, S. 301–303, Zitat S. 302. Mit der Sichtung des Materials hatte, nachdem Kindermann für sein Gebiet „Auslandsdeutsche Literatur“ größtes Interesse gemeldet hatte, der Kurator Trier und Foerste beauftragt. Siehe weiterhin die grundlegende Darstellung von Morsey 2004; auf diesen Titel machte mich Mechthild Siekmann aufmerksam, der ich für weitere Hinweise herzlich danke. Der Kurator der Universität, Beyer, plante bereits 1940, die Gebäude unter anderem „für die Unterbringung eines neu zu errichtenden Instituts für niederdeutsche Philologie und Auslandskunde“ zu nutzen, Morsey 2004, S. 19. Morsey (ebd., S. 45f.) zufolge wurde ein Teil der im teils kriegszerstörten Anatomischen Institut (Krummer Timpen) zwischengelagerten Bestände bei einem Luftangriff am 10.10.1943 zerstört, bei dem „auch die Gebäude Breul 21a/22 schwer beschädigt und weitere Teile der dort noch verbliebenen Bibliothek vernichtet“ worden seien. Dennoch erfuhr die Bibliothek der Germanistik zunächst eine nicht unbeträchtliche Verstärkung: Als das „Institut für religiöse Volkskunde“ durch Schreiber nach dem Krieg wiedererrichtet wurde, gelang es ihm „bis Mitte der fünfziger Jahre ca. 900 Titel vom Germanistischen Seminar zurückzuerhalten“ (ebd., S. 54). Nach Mitteilung des Geschäftsführers, Dr. Flammer (E-Mail vom 28.7.2010), existieren im heutigen Institut „ca. 1.000–1.500“ Bücher mit Stempeln „Germanistisches Seminar“, die nach dem Krieg aus der Germanistik zurückgeführt wurden. Schreiber erhielt nach Auskunft Flammers nach dem Krieg Entschädigungszahlungen für „Bibliotheksverluste“, was auch für einen Verlust der nach Berlin verbrachten Bestände sprechen könnte. Morsey 2004, S. 31.

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Alle hier geschilderten Aktivitäten litten schon vor, erst recht aber seit Beginn des Zweiten Weltkrieges unter immer stärkeren Störungen, die schließlich den Lehrbetrieb zum Erliegen brachten: Im Sommer 1939 (15. Juli) wurde die Universität „wegen des Ernteeinsatzes der Studenten geschlossen und nach Kriegsbeginn am 1. September 1939 nicht wieder geöffnet“. Erst am 8. Januar 1940 nahm sie den Betrieb wieder auf, wobei der Lehrbetrieb nun auf Trimester umgestellt wurde, was für viele Studenten massive Probleme (vor allem finanzielle) mit sich brachte.184 Hinzu traten in Münster die seit dem ersten Luftangriff vom 16. Mai 1940 immer häufiger werdenden Bombenangriffe der Alliierten und die damit zusammenhängenden Luftalarme (der erste bereits am 4. September 1939!). Gezählt wurden bis zum 25. März 1945 102 Angriffe mit 1.128 Fliegeralarmen (532 am Tag, 596 in der Nacht), die zusammen 1.532 Stunden dauerten.185 Vor allem die schweren Angriffe im Juli 1941, 1943 und dann besonders 1944 führten zu massivsten Beeinträchtigungen des öffentlichen Lebens, die schließlich zu einem fast völligen Stillstand des universitären Lebens führten. Die Universität wurde zwar nicht geschlossen, jedoch in nahe liegende Kleinstädte, so vor allem Bad Salzuflen, evakuiert.186 Die Räumlichkeiten des Germanistischen Seminars am Breul wurden bei dem Bombenangriff am 10. Oktober 1943 schwerstens beschädigt. Inwieweit und wo sich danach noch ein geregelter Lehr- und Seminarbetrieb aufrecht erhalten ließ, ist noch zu ermitteln; das Vorlesungsverzeichnis lässt von all dem nichts merken. Von einer Kriegsbegeisterung der Studenten war jetzt und schon vorher nichts zu sehen: Im März 1941 klagte der Rektor der Universität, Mevius, darüber, dass „ein erheblicher Teil der Studierenden an den im Wehrkreis VI gelegenen Hochschulen versuche, sich vor dem Wehrdienst zu drücken. Überhaupt sei die Einsatzbereitschaft der Masse der deutschen Studenten in diesem Kriege überhaupt nicht mit der im Weltkrieg zu vergleichen“.

Gegen Ende des Krieges lebten überdies die alten Korporationen wieder auf.187 Schaut man über Münster hinaus, so lässt sich nach 1933 die Einstellung der dortigen Germanisten zum neuen System auch an ihrem Verhältnis zu wissenschaftlichen Aktivitäten ihres eigenen Bereichs erkennen, die von der NSDAP beziehungsweise deren Organen entwickelt oder gefördert wurden.188 An dem von Franz Koch 184 185

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Kuropka 1992, S. 350, sowie die Dokumente Nr. 41 (S. 375–378) und Nr. 43 (S. 378f.). Ebd., S. 147, nach den Zahlen des Statistischen Amtes der Stadt Münster. Siehe Ausstellungskatalog „Bomben auf Münster“: Galen 1984, S. 29f. Siehe weiterhin die Berichte bei Kuropka 1992, Nr. 65–67 (S. 203–206), Nr. 79–81 (S. 211–213), Nr. 84 (S. 214–220), Nr. 111–113 (S. 238–241, Angriff 11.10.1943), Nr. 115f. (S. 243f., Angriffe 1944). Siehe weiterhin Beer 1983. Respondek 1995, hier S. 30–33, bes. S. 32. Siehe Grüttner 1995, S. 393 (Zitat), und ebd., S. 405. Die folgenden Hinweise stehen für eine hier nicht zu leistende gründliche Auseinandersetzung mit dem wissenschaftlichen Oeuvre der Münsterschen Germanisten während des „Dritten Reiches“. Mitgliedschaft in der NSDAP (oder SA) oder Aktivitäten, wie sie für Benno von Wiese zu finden sind, sagen allein sehr wenig über die tatsächliche Einstellung

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unter Mitwirkung von Ludwig Wolff, Clemens Lugowski und Justus Obenauer herausgegebenen „Handbuch des deutschen Schrifttums“189 haben Münstersche Germanisten nicht mitgearbeitet, anders als an dem ebenfalls von Koch organisierten „fünfbändige[n] germanistische[n] Sammelwerk ‚Von deutscher Art in Sprache und Dichtung‘, [das] bereits 1941 geschlossen“ vorlag.190 Band II bot einen völlig „unheldisch“ auftretenden, auch heute noch mit Gewinn zu lesenden Beitrag zu Wolframs „Parzival“ von Julius Schwietering,191 der damals in Berlin lehrte, Band III einen solchen von Benno von Wiese, damals noch in Erlangen, zu „Die deutsche Leistung der Aufklärung“,192 der allenfalls nationsbetont („Preußentum der Aufklärung“), nicht aber nationalsozialistisch genannt werden kann; anders der Beitrag von Heinz Kindermann in Band IV zu „Die Sturm- und Drangbewegung im Kampf um die deutsche Lebensform“.193 Zwar findet sich keine explizite Anlehnung an die Ideologeme der braunen Machthaber,194 gleichwohl eine die andere Gesinnung verratende Sprache, wenn immer wieder von „Angriffszielen“ „Fronten“, der „arteigen-deutschen [ein vielfach gebrauchtes Adjektiv] Lebensform“, von der „volkhaften Sendung der Sturm-und-Drang-Dichtung“ die Rede ist, die ihm Vor-

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191 192 193 194

der betreffenden Person zum Nationalsozialismus aus. Auch aus der Teilnahme Triers und von Wieses an einer von dem Göttinger Altgermanisten Friedrich Neumann geleiteten „Dozentenakademie“ im März 1939, die den Auftrag des NSD-Dozentenbundes zum Aufbau der Geisteswissenschaften als bewusst nationalsozialistischen Forschungszweigen einleiten sollte (siehe dazu Hempel-Küter 2000, S. 38f.), läßt sich wenig für unsere Fragestellung schließen. Koch 1939–1943. Hausmann 2007, S. 97f., hier S. 98f. (A. 13) ein Verzeichnis aller Beiträge. Zur Entstehung des Werkes, das Ergebnis einer „Kriegseinsatztagung der Hochschulgermanisten in Weimar 1940“ und damit „Beitrag der Germanistik zum totalen Krieg“ war, siehe Röther 1980, S. 298–300, Zitate S. 298. Zur Intention des Werkes siehe Kochs Vorwort in Koch 1939–1943, Bd. 1, S. V–IX, hier S. VIIIf.: „So will die vom kulturellen und politischen Ethos des Nationalsozialismus getragene Forschung wissenschaftlich gesicherte Tatsachen gefühls- und erlebnisnahe auch außerwissenschaftlichen Kreisen zugänglich machen, nicht zuletzt auch dem Auslande, das daraus ersehen mag, wie der Deutsche sich mit seiner eigenen kulturellen Vergangenheit auseinandersetzt und welcher Wandel sich im Gebiete wissenschaftlicher Fragestellungen vollzogen hat und vollzieht.“ Basis ist aber, dass „Vor Deutschland […] sich die ungeheure Aufgabe [erhebt], diesem neuen Europa auch eine neue geistige Ordnung zu geben, geistig zu durchdringen, was das Schwert erobert hat.“ (S. V) – womit ganz selbstverständlich von einer geradezu absoluten Überlegenheit „deutschen Wesens“ (und damit deutscher Literatur) ausgegangen wurde. Siehe weiterhin Hausmann 2007, S. 145–154, wo nicht nur die Entstehung des germanistischen Teils des „Gemeinschaftswerks“, sondern auch dessen Einschätzung durch die moderne NSForschung dargestellt werden, sowie Hempel-Küter 2000, S. 37. Zu den „Münsterschen“ Beiträgen sind hier nur Stichworte möglich. Schwietering, Wolframs Parzival, 1941. Wiese 1941. Kindermann 1941. Es überrascht, dass der Mystikforscher Josef Quint seinen Meister Eckhart-Beitrag mit einem Rosenberg-Zitat einleitet, Quint 1941, S. 3.

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läufer der „deutschen Bewegung“ des frühen 19. Jahrhunderts ist, welche für ihn ihrerseits im Aufbruch von 1933 ihre Erfüllung findet. Der Beitrag „Das Volksund Nationalbewußtsein in der deutschen Bewegung“195 von Paul Kluckhohn, der damals seit langem in Tübingen war, bediente sich demgegenüber zwar einer gemäßigten Sprache, sah aber ganz ähnlich den nationalsozialistischen Neubeginn als Analogie zur „Bewegung“ des frühen 19. Jahrhunderts.196 Günther Müllers Beitrag „Die Grundformen der deutschen Lyrik“197 lässt erkennen, wie nah sich Müllers aus Goethes naturwissenschaftlichen Schriften entwickelte „morphologische“ Auffassung von Literatur und die NS-Ideologie sein konnten beziehungsweise wie weit er dieser entgegenzukommen bereit war. Der Beitrag ist nicht nur geradezu deutschtümelnd („Grundton deutscher Art“, das „deutsche Artgesetz dichterischen Hervorbringens“). Er sieht auch eine besondere „rassische Grundart“, die sich in die „Gestaltungsgesetze“ von Lyrik, „mit dem Keim gegebene Daseinsgefüge“ hinein entfaltet.198 Der pathetische „hohe Ton“, den der Schluss anschlägt („Kampfgemeinschaft“, „Verbundenheit mit den Weltkräften“, Lyrik „wirkt […] an ihrem Teil mit, in deutscher Kunst deutsche Art nicht nur zu spiegeln, sondern auch zu stärken und aufzurufen“),199 wirkt befremdlich.200 Wie wurde die Münstersche Germanistik von den braunen Machthabern selbst gesehen? Wohl aus der Feder des Germanisten, Bonner Assistenten und SS-Oberscharführers Hans Rössner sowie mehrerer Ko-Autoren stammt ein Ende 1938/ Anfang 1939 im Auftrag des Sicherheitsdienstes der NSDAP erstelltes, 134-seitiges Dokument mit dem Titel: „Lage und Aufgaben der Germanistik und deutschen Literaturwissenschaft“,201 das den Zustand der deutschen Germanistik im Detail beschrieb, weil diese „ihre grosse Aufgabe und Chance, die ihr durch die nationalsozialistische Revolution geboten wurden, noch in keiner Weise voll erkannt hat.“202 195 196

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Kluckhohn 1941. Vgl. dazu Gretz 2007, S. 61–90: „Radikalisierung und Nationalisierung: Heinz Kindermann und Paul Kluckhohn“, zu Kindermann hier S. 62–76, bes. S. 67, zu Kluckhohn bes. S. 76–83. Müller 1941. Ebd., S. 97. Ebd., S. 135. Ob sich Münstersche Germanisten an der „Schriftenreihe zur weltanschaulichen Schulungsarbeit der NSDAP“ des Amtes Rosenberg beteiligt haben (in der Elisabeth Frenzels notorische Arbeit „Der Jude im Theater“ erschien), konnte ich nicht abschließend klären, da anscheinend kein vollständiges Verzeichnis der Titel existiert. Ich halte dies (nach Durchsicht der erhaltenen, meist um die 20 Nummern umfassenden Bestände der großen Bibliotheken) für unwahrscheinlich. Zur Tätigkeit des Amtes Rosenberg siehe weiter Hempel-Küter 2000, S. 30–32. Simon 1998. Faksimile einiger Seiten des Originals in: Lerchenmüller/Simon 1997, S. 47. Simon 1998, S. 5, Vorwort, wo vorausgehend erklärt wird, dass die Germanistik „in hervorragendem Maße [daran] mitzuwirken [hat], die neuen weltanschaulichen Grundwerte aus der sprachlich-dichterischen Überlieferung der germanisch-deutschen Volksgeschichte und der übrigen Volkstümer herauszuarbeiten.“ Die Germanistik wird hier geradezu

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Nach einer Analyse des Status der Germanistik bis 1933 („Abgrenzung des Fachgebietes“ – „Geschichtliche Entwicklung im 19. Jh.“ – „Zersetzung der Germanistik nach dem Kriege“)203 erfolgt eine „Sachliche und personelle Bestandsaufnahme“,204 danach eine Darstellung der „Neuen Aufgaben der Germanistik“205 sowie eine „Personelle und sachliche Durchführung“.206 Dabei sollten „die ausgesprochen gegnerischen oder liberalen Personen“ und die „bisherigen sachlichen Leistungen und neuen Arbeitsansätze“207 erfasst werden.208 Im Sach- und Personalteil wurde für Münster knapp die personelle Situation beschrieben mit den Professoren Müller, Trier, deren Hilfskräften (= Assistenten) Rainer Weinrich, Lieselotte Müller,209 und Prof. Kindermann. Ein positiver oder negativer Kommentar wurde – im Unterschied zu anderen Universitäten oder Hochschullehrern – nicht abgegeben.210 Allerdings wurden in der Abteilung 2.b („Die Gegner“)211 genannt unter 3. Katholiken: „Brinkmann, Hennig, ausserordentlicher Professor, Jena, wird positiv beurteilt und als nicht mehr katholisch gebunden“,212 „Kindermann, Heinz, ordentlicher Professor, Münster. Wird positiv beurteilt, katholische Bindungen unklar“,213 „Magon, Leopold, Dr. phil., ordentlicher Professor für Deutsch und nordische Philologie,

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als „Mutter der Wissenschaften“ (so Simon in der Einleitung, S. LVII, siehe auch S. 62) stilisiert. Ebd., S. 5–9. Ebd., S. 9–61. Ebd., S. 61–64. Ebd., S. 65–69. Ebd., S. 5. Eine genauere Charakterisierung der Denkschrift ist hier nicht möglich. Beklagt wird in ihr zum Beispiel die „immer stärkere wissenschaftliche Beteiligung des intellektuellen Judentums und der großstädtischen, meist pazifistischen und international eingestellten Literaten“ (ebd., S. 7, siehe auch S. 8). Weiterhin wird vor dem „weltanschaulichen Gegner“, insbesondere dem „politischen Katholizismus“ gewarnt (S. 10). Für die Zeit nach 1918 wird zwischen einer „philologisch-historischen Richtung“, einer „ästhetischen Betrachtungsweise“ und einer „Literaturwissenschaft als reine Geisteswissenschaft“ unterschieden (alle werden negativ beurteilt), man wirft der Germanistik „Verjudung“ und „Bolschewisierung“ vor. Beklagt wird weiter, dass die Germanistik sich mit den bedeutenden lebenden Dichtern (Kolbenheyer, Grimm, Strauß, Wilhelm Schäfer, Weinheber, Blunck) nicht beschäftigt habe (ebd.). Der Studienbetrieb sei größtenteils noch „völlig liberal und richtungslos“ (S. 66). Die „Grenzlandaufgaben der Universität“ seien noch „völlig unzureichend in Angriff genommen.“ (S. 68) – auch in diesem Zusammenhang ist wohl der Versuch der Profilierung der Universität Münster als „Grenzlanduniversität“ zu sehen. Zur Einschätzung des Faches Germanistik durch die NSDAP siehe weiterhin Dainat 1997, S. 105f. Die in der Regel durch das Vorlesungsverzeichnis erfassbaren Wissenschaftlichen Hilfskräfte (= Assistenten) bedürften einer besonderen Untersuchung; Lehrstuhlinhaber sind aus ihren Reihen anscheinend nicht hervorgegangen. Ebd., S. 22. Ebd., S. 13. Ebd., S. 12; zu ihm siehe unten. Ebd.

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Greifswald, katholisch gebunden“214 und „Müller, Günther, Dr. ordentlicher Professor, Direktor des Germanistischen Seminars, Münster, katholischer Exponent in der Germanistik (Konvertit)“.215 In der Rubrik 2.b 4. „Liberale und Reaktionäre“ erscheinen Magon,216 Müller und „Trier, Jost, ordentlicher Professor, Direktor des Germanistischen Seminars, Münster“, unter 2.c „Positive Wissenschaftler“ wurden Brinkmann und Kindermann genannt.217 In der Rubrik 2.d218 wurden unter dem „positiven Nachwuchs“ habilitierter Dozenten, die in absehbarer Zeit für Lehrstühle zur Verfügung stehen, aufgeführt: Wolfdietrich Rasch, Erich Trunz, Günther Weydt („Seiner Gesamthaltung nach positiv aber wenig aktiv“).219 Günther Müller wurde in der Einleitung zu Abschnitt 3 im Übrigen vorgeworfen „auf dem Gebiet der Germanistik wissenschaftlich getarnt katholisch-politische Propaganda zu treiben.“220 Beigegeben waren der Denkschrift noch zahlreiche „Dossiers“ zu einzelnen Germanisten, die auch Lebensläufe enthielten.221 Versucht man, in Bezug auf das Verhältnis der Münsterschen Germanistik zum „Dritten Reich“ beziehungsweise deren Involvierung in dasselbe Bilanz zu ziehen, so ist zunächst festzustellen, dass die früher formulierte Alternative Autonomie versus Heteronomie zu grobschlächtig ist, um den Verhältnissen gerecht zu werden. Es gelang den Universitäten – und auch der Münsterschen Germanistik – eine relativ starke Eigenständigkeit zu bewahren.222 Eingriffe von außen, also seitens der nationalsozialistischen Machthaber, wurden so gut es ging abgewehrt. Professoren und auch Ministeriale, wie Heinrich Harmjanz, versuchten den Einfluss der NSDAP „aus Interesse an ruhigen und zweckmäßigen Hochschulen“ zu begrenzen, „um möglichst in eigener Regie die eigenen Belange zu regeln.“223 Zugute kam ihnen dabei der sich ständig steigernde Zuständigkeits- und Verantwortungswirrwarr in der Wissenschaftspolitik des „Dritten Reiches“.224 Die Ausgrenzung Heinz Kindermanns, Jost Triers erfolgreiche Abwehr politischer Eingriffe in „seine“ Fakultät, 214 215 216

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222 223 224

Ebd. Ebd., S. 13. Seine Greifswalder Tätigkeit wird an anderer Stelle des oben genannten Berichtes folgendermaßen bewertet: „Als besonders negativ nach Haltung und Arbeitsausrichtung wird das nordische Institut in Greifswald unter der Leitung von Professor Magon geschildert.“ (ebd., S. 15, Einleitung zum Abschnitt über die „Hochschulinstitute und Seminare“). Simon 1998, S. 13. Ebd., S. 14f. Ebd., S. 15. Ebd., S. 10f. Einige davon faksimiliert in: Lerchenmüller/Simon 1997, S. 40f. und 42. Faksimile des Dossiers Hennig Brinkmann ebd., S. 42. Zu seiner Tätigkeit während des „Dritten Reiches“ ebd., S. 21f. (mit Faksimile des Titelblattes von Brinkmanns „Die deutsche Berufung des Nationalsozialismus“, Jena 1934). Die Dossiers sind als Ganzes bisher unpubliziert (freundliche Auskunft von Holger Dainat, E-Mail vom 17.8.2010). So auch Hempel-Küter 2000, S. 30ff. Dainat 1997, S. 107. Siehe dazu ebd., S. 114ff.

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aber auch das Scheitern der Politik im Hinblick auf eine Lahmlegung des Einflusses Günther Müllers zeigen dies für Münster in aller Deutlichkeit. Auf der anderen Seite ist festzustellen, dass es „für die Mehrzahl der etablierten Germanisten […] unmittelbar nach der nationalsozialistischen Machtübernahme keine“ oder nur geringe „Anpassungsprobleme und auch keine gravierenden Richtungsänderungen ihres wissenschaftlichen Programms“ gab, weil eine „Ablösung der Forschungskonzepte […] schon lange vor der Machtübernahme stattgefunden“ hatte.225 Eine „Gleichschaltung“ musste nicht angeordnet werden, sondern folgte von allein.“226 Diese Selbstanpassung der Germanisten hatte auch etwas damit zu tun, dass sie von der Politik „keine klaren Zielvorgaben“ erwarten konnten.227 Während in Münster aber Heinz Kindermanns wissenschaftliche Grundeinstellung ganz mit der des „Dritten Reiches“ konkordierte und ebenso die deutlich rassistischen Vorstellungen SchulteKemminghausens, lässt sich bei Günther Müller, aber auch bei Benno von Wiese durchaus ein Prozess der allmählichen Anpassung an Aspekte der NS-Ideologie erkennen.228 Was die „Ablösung der Forschungskonzepte“ angeht, so ist hier noch einmal auf die schon in den 1920er-Jahren beginnende und sich dann intensivierende Hinwendung zum „nationalen Potential“ zu verweisen, die – in Reaktion gegen den vorausgehenden Positivismus – sich auf Nation, Heimat, Volkstum (und Volkskunde), damit auf „heimatlich-stammliche“ und – in der NS-Zeit – „arischrassische“ Konzepte konzentrierte.229 Dass dabei auch Gratwanderungen möglich 225 226

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Hempel-Küter 2000, S. 33; man beachte meine Einschränkung. Ebd., S. 35. Dafür spricht auch, dass der Deutsche Germanistenverband sich dem NSLehrerverband anschloss (ebd.). Zum generellen Verhalten der Professorenschaft gegenüber dem Nationalsozialismus siehe Faust 1980. Dainat 1997, S. 120. Siehe zu Kindermann Sturm 1995, passim (Register S. 296), sowie die Zitate bei Dainat 1997, S. 12, und jetzt die Darlegungen von Gretz 2007, hier S. 61–90: „Radikalisierung und Nationalisierung: Heinz Kindermann und Paul Kluckhohn“, die aufzeigt, wie beide Germanisten (auf unterschiedliche Weise) die „deutsche Bewegung um 1800“ als „eine Vorgeschichte zur ‚deutsche[n] Bewegung des Dritten Reiches‘“ verstanden und instrumentalisierten. Wenn dabei der „Durchbruch der Seele“ (S. 67) ein zentraler Schritt in der Entwicklung der Bewegung um 1800 ist, dann zeigt sich eine thematische Nähe zu Günther Müllers völlig anders gearteter, auf den „Faust“ bezogener „Geschichte der deutschen Seele“ von 1939. Germanistik musste für Kindermann in der Gegenwart „volkhafte Lebenswissenschaft“ sein, das heißt eine „politische, auf das Handeln gerichtete“ Wissenschaft (ebd., S. 73). Zu Schulte-Kemminghausen und den in seiner Schrift „Mundart und Hochsprache in Norddeutschland“ von 1939 geäußerten Vorstellungen (entscheidender „Motor von Sprachentwicklung“ sind für ihn „Änderungen der rassischen Grundlage“) siehe Wirrer 1994, S. 207–261, Zitat S. 234, siehe weiter S. 233–236, 243, 247, 268f. Zu von Wiese siehe Sturm 1995, passim (Register S. 298). Hempel-Küter 2000, S. 33, die hier Hermand 1994, S. 77, zitiert. Zur Volkskunde Hempel-Küter 2000, S. 34, zur Germanistik als „Deutschkunde“ S. 35. Gretz 2007 zeigt am Beispiel Kindermanns, dass seine nach 1933 entstandenen Publikationen in Kontinuität zu den früheren stehen, siehe das Fazit ebd., S. 76. Entsprechendes kann sie für Kluckhohn zeigen (S. 76–90), der seine Vorstellungen von der „deutschen Bewegung“ (in der für ihn

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waren, die die Grenze zu den Ideologemen des „Dritten Reiches“ wahrten, zeigt für Münster das Beispiel Jost Triers.230

Neubeginn und Kontinuität: Die Münstersche Germanistik 1946 bis 1960 Das Kriegsende sah auch das Germanistische Seminar der Universität Münster in Trümmern. In einem Schreiben vom 19. Mai 1945 beauftragte der Rektor von Salzuflen aus Jost Trier als Direktor desselben, die Einrichtungen des Seminars sicherzustellen und sie in seinem Hause in der Waldeyerstraße 53 (Sentruper Höhe) unterzubringen, da das Seminargebäude am Breul vorerst nicht repariert werden könne.231 Dies geschah, und auch das Seminar für Niederdeutsche Philologie und Volkskunde konnte notdürftig dort untergebracht werden. Ein Brief Triers vom 14. Juni 1946 an den Rektor informiert darüber, dass die Vorlesungen der Germanistik im Hörsaal der Kinderklinik stattfanden.232 In der Waldeyerstraße blieb das Seminar, notdürftigst untergebracht, bis zum Herbst 1949. Das Vorlesungsverzeichnis für das darauf folgende Wintersemester meldete als neue Adresse für beide Seminare „Steinfurter Straße 105“. Hierhin, in die Gebäude der ehemaligen Reiterkaserne (den heutigen Leonardo-Campus der Universität), wurden nach und nach zahl-

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Hölderlin eine besondere Rolle spielt), die auch Vorläufer des Nationalsozialismus ist, auch noch nach 1945 äußerte. Von Interesse ist hier, dass Trier zwischen 1934 und 1938 nicht publizierte, siehe Volmert 2003, S. 321–344, hier S. 322. Volmert schließt daraus, dass der „rassekundliche“ Auftrag der neuen Machthaber mit Triers Selbstverständnis als Wissenschaftler nicht vereinbar war. Triers Gratwanderung ist besonders an seiner durch Volmert (S. 325–338) analysierten Rede zur Eröffnungsfeier der Münsterschen Hochschultage am 17.6.1938 über die Frage: „Warum studieren wir die Geschichte unserer Muttersprache?“ zu erkennen. Den oft pathetischen (der Sprachwissenschaftler als Hoherpriester und Seher in Bezug auf das „Haus der Sprache“), dann wieder raunend-mystische Ton der Rede (zu deren Abdrucken siehe ebd., S. 325, Anm. 15) ist heute schwer zu ertragen. Volmerts Ergebnis, dass die Rede einerseits den „Forderungen der NS-Wissenschaftspolitik Genüge tut“, andererseits aber „ein eigenständiges, den philologischen Traditionen verhaftetes Wertsystem etablierter Wissenschaft“ vertrat, und dass zum dritten „viele Sentenzen“ als „kodierte Äußerungen eines inneren Widerstandes gelesen werden können“ (S. 338), ist zuzustimmen. In einem Brief vom 11.12.1939 an den Reichsminister für Erziehung, Wissenschaft und Volksbildung protestierte Trier in überaus scharfer Form dagegen, dass ein Abdruck seiner Rede in einer NS-Zeitschrift diese durch Fehler und Auslassungen massiv entstellt habe; er sah „sein Ansehen auf das Schwerste gefährdet“ und verlangte Entschuldigung und korrigierten Wiederabdruck, siehe UAMs, Bestand 63, Nr. 120. UAMs, Bestand 10, Nr. 7021, Bd. 2. Trier bat das Rektorat bald um Heizmaterial, Vorhänge und eine Putzfrau. UAMs, Bestand 62, Nr. 114. Ein Schreiben vom 26.4.1946 teilt mit, dass die Materialien des Westfälischen Wörterbuchs noch in Vorhelm wären. Sie sollten umgehend nach Buldern überführt werden, wo sich bereits mehrere ausgelagerte Einrichtungen der Universität befanden (ebd.).

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reiche Institute der Philosophischen Fakultät verlagert, wobei für die Germanistik laut Vorlesungsverzeichnis mit dem Sommersemester 1950 noch ein Umzug (in die Nummer 107) erfolgt zu sein scheint. Mit dem Sommersemester 1947 wurde das Seminar zum „Germanistischen Institut“. Bald folgte die Aufspaltung der Fakultät in eine eigene Philosophische und eine Naturwissenschaftliche. Für das Sommersemester 1955 wird erstmals ein eigenes „Volkskundliches Seminar“, nun mit der Adresse „Schloßplatz, U-Baracke“ genannt, das bald darauf im Wintersemester 1955/56 in das Gebäude Rothenburg 32 umzog. Ab dem Sommersemester 1957 wurde dann das geisteswissenschaftliche Hauptgebäude (Domplatz 20–22), damals als „Quadrum“, später und heute als „Fürstenberghaus“ bezeichnet, zum Domizil der Germanistik. Was das Personal angeht, so befanden sich Jost Trier, Benno von Wiese, William Foerste und Clemens Heselhaus vor Ort.233 Letzterer, bei Günther Müller über ein Thema der Barockliteratur promoviert und über die Droste habilitiert, nahm seit 1946 eine Diäten-Dozentur wahr; 1952 wurde er außerplanmäßiger außerordentlicher Professor.234 Aus dem Dienst entfernt wurde, seiner NS-Vergangenheit wegen, Karl Schulte-Kemminghausen. Relativ rasch erfolgte die Entnazifizierung der Lehrenden:235 Trier wurde im Oktober 1945 in seinem Amt bestätigt und im Juni 1948 in die Kategorie IV (Mitläufer) eingestuft. Seine Personalakte enthält zahlreiche, ihn unterstützende Briefe von Schülern.236 Auch von Wiese wurde im Oktober 1945 im Amt bestätigt und im folgenden Jahr in die Kategorie V (unbelastet) eingestuft, was angesichts seiner vielfältigen Verflechtung in Aktivitäten des nationalsozialistischen Regimes, aber auch seines Buches „Dichtung und Volkstum“ von 1933 überrascht.237 Über die Atmosphäre des Neuanfangs, in dem das Seminar vor allem durch Trier und von Wiese repräsentiert wurde, liegt aus der Feder des Germanisten Karl-Otto Conrady ein bewegender Bericht vor, der beide als überragende akademische Lehrer rühmt. Von Wiese, bei dem Conrady später promovierte, erlebte er als „beeindruckenden liberalen Professor.“238 Wie erging es den anderen vor 1945 in Münster tätigen Germanisten? William Foerste, Mitglied der NSDAP seit 1937, war zwar 1945 verhaftet worden (anscheinend an seinem Heimatort Moisburg bei Hamburg), kam aber, wie er in einem Telegramm vom 11. Januar 1946 aus (dem 233 234 235 236 237

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Siehe Vorlesungsverzeichnis Sommersemester 1946. Waldow 2003, S. 733–735. UAMs, Bestand 62, Nr. 114, Antrag, Heselhaus zum apl. Professor zu ernennen, 29.1.1951. Siehe zum folgenden Pilger 2003, S. 423–429; zu Trier insbesondere Respondek 1995, S. 229. Siehe UAMs, Bestand 20, Nr. 7021, Bd. 2, Briefe ab 14.10.1945. Von Wiese selbst hat diese Publikation in seiner Autobiographie (Wiese 1982, S. 131) als „Auftragsarbeit“, „viel zu rasch entstanden und dadurch problematisch“ charakterisiert. Zu den Umständen von von Wieses Entlastung siehe Pilger 2004, S. 425–428. Siehe weiterhin Rossade 2007. Conrady 1996, S. 404–425, hier S. 407f., Zitat S. 408. Auch Heselhaus wird hier knapp erwähnt.

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Lager?) Neuengamme mitteilt, bald wieder frei. Mit Zeugnis vom 1. Juli 1948 war er vollständig entlastet.239 Länger brauchte es, bis Karl Schulte-Kemminghausen an die Universität zurückkehren konnte. Nachdem er am 29. März 1949 durch einen Spruchkammerbescheid als „entlastet“ eingestuft worden war, nahm er zum Wintersemester 1950/51 seine Tätigkeit wieder auf.240 In diesem Semester erscheint auch erstmals der durch seine NS-nahe Vergangenheit belastete, 1948 aber als „entlastet“ eingestufte Erich Trunz unter den Lehrenden des Seminars.241 Seine Berufung auf eine Gastprofessur wurde wesentlich durch von Wiese betrieben, der mit ihm befreundet war; begründet wurde sie mit der rasant ansteigenden Studentenzahl.242 Auch auf anderen Gebieten ging es nun aufwärts: Ab dem Wintersemester 1948/49 konnte durch den neuen Lektor Arnold Rakers wieder Niederländisch angeboten werden. Im Sommersemester 1949 erscheinen erstmals Lehrveranstaltungen für Sprecherziehung, für die man den Schauspieler Peter Otten gewonnen hatte, der am Seminar und in Münster rasch zu einer Institution wurde. Auf Betreiben Triers und von Wieses wurde im gleichen Jahr ein Lektorat für „Sprecherziehung und Vortragskunst“ eingerichtet.243 Ab dem Sommersemester 1950 bot Alfred Schmitt, seit 1947 Direktor des Sprachwissenschaftlichen Seminars, erstmals – wie früher 239 240

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UAMs, Bestand 63, Nr. 12, Bd. 2. Tiedau, Schulte Kemminghausen, S. 1675, und UAMs, Bestand 10, Nr. 398, Bd. 1. Siehe weiterhin UAMs, Bestand 10, Nr. 398, Bd. 2, und Bestand 5, Nr. 823. Diese Akte enthält einen am 13.3.1951 abgestempelten, anonymen, von einer sehr literaten Hand auf gutem Papier geschriebenen Brief des Wortlauts: (Umschlag): „An das Sekretariat der Universität (20a) Münster“; Text: „Wie ist es möglich, dass man einen so schwer belasteten Mann wie Schulte-Kemminghausen, wilder P. G., Judenschinder, fast Mörder, wieder zu mittelmässigen Vorträgen in der Universität zulässt?“ Die Akte enthält weiterhin undatierte und unadressierte maschinenschriftliche Ausarbeitungen. „Mein Verhältnis zur NSDAP und ihren Gliederungen“, „Mein Verhältnis zur Judenfrage“. In ersterer erklärt SchulteKemminghausen, seine NS-Aktivitäten seien extrem unbedeutend gewesen und er habe Droste-Forschung und Droste-Gesellschaft frei von NS-Einflüssen gehalten; zu letzterer siehe oben. Wie sehr die Nationalsozialisten an der Droste interessiert waren, zeigt Schulte-Kemminghausens Veröffentlichung von dreien seiner Droste-Vorträge in einem Bändchen „Hat doch jeder sein eignes Blut“ (Schulte-Kemminghausen 1939), dem man die Schirmherrschaft des Gauleiters Meyer über die von der Gauleitung veranstalteten „Droste-Gedenktage“ (1939ff.) entnehmen kann (S. 21). Danach spricht Schulte-Kemminghausen vom „Wert, den ihre [sc. der Droste] Kunst innerhalb der von nationalsozialistischem Geist getragenen Kulturpflege den Menschen unserer Zeit zu bieten vermag.“ (S. 22). Zur Einstellung Schulte Kemminghausens siehe jetzt Bürger 2011. Zu ihm siehe Herrmann 2003, zu seiner Einstellung in Münster besonders Pilger 2004, S. 436–438, der auch auf die NS-nahen, der Karriereförderung dienenden Schriften Trunz‘ aus den späten 1930er-Jahren eingeht. Schon am 2.12.1951 schrieb Trunz an den Seminardirektor Trier, seine Lehrbelastung sei kaum zu ertragen (Unterseminar 219 Teilnehmer, Mittelseminar 87, Vorlesung über 300, 20 Staatsexamina, 150 Leistungsprüfungen), siehe UAMs, Bestand 62, Nr. 114. Am 27.12.1951 erhält es (beziehungsweise die später berühmte, noch immer existierende „Studiobühne“) den sehr stattlichen Betrag von DM 10.000.- für die Beleuchtungstechnik, siehe UAMs, Bestand 62, Nr. 114.

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Otto Hoffmann – Lehrveranstaltungen an („Gotische Lektüre“).244 Die Volkskunde emanzipierte sich sukzessive von der Germanistik: 1951 wurde Bruno Schier auf ein volkskundliches Ordinariat berufen, und es entstand ein eigenes Volkskundliches Institut.245 Seit dem Sommersemester 1950 konnte Schwedisch angeboten werden; aus dem Lektorat wurde 1962 das Nordische Seminar.246 Während all dies auf einen ohne größere Komplikationen verlaufenden, das „Dritte Reich“ rasch und entschlossen hinter sich lassenden Neubeginn deutet, bereiteten zwei „Fälle“ Probleme: Im Oktober 1956 stellte Georg Stefansky, 1933 entlassen, einen Wiedergutmachungsantrag mit dem Ziel der Wiedereinstellung am Germanistischen Seminar. Über eine Wiedergutmachung gegenüber Stefansky hatte die Fakultät bereits zehn Jahre vorher ergebnislos diskutiert. Jetzt ging es ihm, dessen wirtschaftliche Situation sich in den USA sukzessiv verschlechtert hatte, um seine materielle Absicherung durch die „nachträgliche Beförderung zum ordentlichen Professor“.247 Während Schulte-Kemminghausen eine solche in seinem diesbezüglichen Gutachten für möglich hielt, äußerte Trier, der seit dem Sommersemester 1956 Rektor der Universität war, größte Bedenken, die er selbst dann noch verstärkte, als Stefansky nur noch die nachträgliche Ernennung zum außerordentlichen Professor beantragte. Die Gründe dafür bleiben letztlich offen; vielleicht hängen sie mit dem zweiten hier zu besprechenden Fall, Triers Bemühen um die Reintegration Hennig Brinkmanns, zusammen.248 Ich möchte vermuten, dass Triers absolutes Streben nach Qualität der Hauptgrund für sein aus heutiger Sicht deutlich zu kritisierendes Verhalten waren. Erst Ende 1957 wurde Stefansky in einer Entscheidung des Kultusministeriums Nordrhein-Westfalen der Titel und die Besoldung eines emeritierten Extraordinarius zugesprochen249; der Umgang mit ihm stellt kein Ruhmesblatt in der Geschichte der Münsterschen Germanistik dar. Als in seinem Ergebnis problematisch erwies sich die von Trier (und daneben Foerste) betriebene Gewinnung des wegen seines überaus intensiven NS-Engagements 1945 entlassenen Hennig Brinkmann für Münster.250 Er war zwar 1947 als „entlastet“ eingestuft worden, hatte aber nicht wieder an einer Universität Fuß fas-

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Siehe Vorlesungsverzeichnis Sommersemester 1950, S. 28. Zu Schmitt siehe Albers 1994, S. 220. Vgl. ebd., S. 221, und die Vorlesungsverzeichnisse Sommersemester 1952, S. 81 (Lehrveranstaltung Schiers im Rahmen der Germanistik), Wintersemester 1952/53, S. 87 (Volkskunde als Abteilung der „Deutschen Philologie“), Sommersemester 1955 (Volkskundliches Seminar). Albers 1994, S. 225f. Zu den Details, vor allem zur Vorgeschichte siehe Pilger 2004, S. 432–435, Zitat S. 434. So Pilger 2004, S. 435, der weiterhin – meines Erachtens mit Recht – annimmt, dass Trier versuchte, von außen herangetragene körperschaftliche Verpflichtungen von „seiner“ Universität fernzuhalten. Siehe das Protokoll der Fakultätssitzung vom 17.1.1958, UAMs, Bestand 62, GB 11, Bd. 4. Zu ihm siehe Rüter 2003, weiterhin Pilger 2004, S. 435f.

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sen können.251 Ursache dafür waren unter anderem Publikationen Brinkmanns, so sein Buch „Die deutsche Berufung des Nationalsozialismus“ von 1934, in dem zum Beispiel der Satz zu lesen ist „Die deutsche Bewegung [um 1800] und die nationalsozialistische Revolution sind nach Wesen und geschichtlicher Stellung verwandt.“252 und in dem vom „Kulturjuden Heine“ und dem „Ghettojuden Börne“253 die Rede ist. Das Judentum nutze seinen Einfluss „in den jüdischen Salons von Berlin“ zur „geistige[n] Zersetzung Deutschlands“,254 Karl Marx gilt als „jüdischer Verführer“ („neue jüdische Invasion“).255 Die Seiten 70 und folgende bringen dann NS-Ideologie in reinster Form, einschließlich der Forderung, die „Fortpflanzung Minderwertiger“ müsse verhindert werden,256 Seiten 103 und folgende zitieren blutrünstigen Kitsch (Erinnerung an den Ersten Weltkrieg). Als Brinkmann dieses Buch publizierte, war er erst 33 Jahre alt, aber bereits ein bedeutender Wissenschaftler,257 der mit Erfolg darauf hinarbeitete, sich sehr große Teile der Germanistik einschließlich der Sprachwissenschaft und der mittellateinischen Literatur forschend zu erschließen. Seine herausragende Qualität auf Gebieten, die sonst kaum jemand beherrschte, und seine fachliche Spannweite mögen es gewesen sein, die Jost Trier und William Foerste veranlassten, sich nachdrücklich für seine Berufung an das Germanistische Seminar einzusetzen. Am 11. Februar 1955 fasste die Philosophische Fakultät „im Bewußtsein ihrer Verantwortung für amtsverdrängte deutsche Hochschullehrer“ den Beschluss, Brinkmann seiner wissenschaftlichen Qualifikation wegen für eine „kw-Professur“258 vorzuschlagen. Dabei erklärte sie, dass ihr bewusst sei, dass Brinkmann sein Ordinariat in Frankfurt a. M. 1945 aus politischen Gründen verloren habe. „Sie hält es aber – in voller Übereinstimmung mit dem Deutschen Germanistenverband (vgl. den Briefwechsel seines 1. Vorsitzenden Prof. Trier mit dem Herrn Kultusminister von NRW vom Dez. 1954/Januar 1955) – nicht für richtig, diesen hochbegabten deutschen Gelehrten wegen seiner zeitweiligen NS-Überzeugung lebenslänglich von den deutschen Hochschulen fernzuhalten, sondern wünscht einmütig seine Eingliederung in unserer Fakultät.“259 251

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Privatgelehrter in Lippstadt 1945–1948, Lehrer ebd. und in Düsseldorf bis 1956. Die Universität Frankfurt lehnte im Januar 1946 seine Wiedereinstellung wegen „Bedenken politischer Art“ ab, siehe Rüter 2003, S. 273. Brinkmann 1939, S. 17. Ebd., S. 34. Ebd., S. 36f., ähnlich S. 53ff. Brinkmann 1934, S. 67. Ebd., S. 84. Siehe zum Beispiel Brinkmann 1928, 2. Aufl. 1979. Künftig wegfallende Professur. UAMs, Bestand 63, Nr. 75. Der Beschluss wurde von Foerste als Dekan unterzeichnet. Der hier zitierte Text stammt von Trier. Das Kultusministerium scheint gezögert zu haben, jedenfalls wurde im Mai 1956 ein neuer Antrag zur Einstellung Brinkmanns nötig, den Trier formulieren sollte. UAMs, Bestand 62, GB 11, Bd. 5, Protokoll der Fakultätssitzung, 11.5.1956.

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Brinkmann wurde schließlich im Dezember 1957 zum außerordentlichen Professor für „Lateinische Dichtung des Mittelalters in Deutschland, besonders im Mittelalter“ ernannt.260 Diese von Trier herrührende Formulierung der Venia legendi war von ihm, wie er am 23. Januar 1961 erklärte, gewählt worden, um eine Einengung des Gebiets seines Nachfolgers zu verhindern.261 In praxi führte sie zu einem schließlich mit großer Erbitterung ausgetragenen Zerwürfnis zwischen Trier und Foerste auf der einen, Brinkmann auf der anderen Seite, das nicht einmal durch des Letzteren Ernennung zum ordentlichen Professor und Direktor des neugegründeten Mittellateinischen Seminars 1963 behoben wurde. Im Kern ging es um die Frage, ob Brinkmann Germanist mit mittellateinischer Spezifizierung oder Mittellateiner mit germanistischen Forschungsinteressen sei.262 Trier wie Foerste wollten verhindern, dass Brinkmann unter dem Dach der Germanistik Seminare mit mittellateinischer Thematik anbot, die dann genuin germanistische Lehrveranstaltungen ersetzen konnten. Man möchte vermuten, dass Brinkmanns hartnäckige Versuche, in der Obligatorik der Germanistik Fuß zu fassen, mit dem Wunsch nach mehr Studenten in seinen Lehrveranstaltungen und damit auch mehr Examina und Hörer- beziehungsweise Prüfungsgeldern zusammenhingen. Abgesehen von diesen Auseinandersetzungen, die in manchem schon die der 1970er- und 1980er-Jahre vorausahnen ließen, ging es weiter „aufwärts“, allerdings mit enormer personeller Fluktuation: Der zusehends durch Gastprofessuren außerhalb Münsters tätige Benno von Wiese wurde im Wintersemester 1955/56 und im Sommersemester 1957 durch Hans-Egon Hass vertreten,263 und als er 1957 nach Bonn ging, folgte ihm Wolfdietrich Rasch nach, der bis zu seiner Emeritierung 260 261

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Pilger 2004, S. 436; UAMs, Bestand 62, GB 11, Bd. 5, Fakultätsprotokoll, 8.11.1957. Am 17.1.1958 begrüßte die Fakultät ihr neues Mitglied. UAMs, Bestand 10, Nr. 7021, Bd. 2, Brief Triers an den Vorsitzenden des Wissenschaftlichen Prüfungsamtes, in dem er seine Mitgliedschaft in demselben niederlegt wegen Ernennung Brinkmanns zum Germanistik-Prüfer. Die germanistische Prüfungsgenehmigung war Brinkmann durch das Kultusministerium erteilt worden; in einem Brief vom 12.3.1962 protestierten Rasch, Weydt, Just, Foerste und Borck dagegen (seltsamerweise nicht Trier). Die Auseinandersetzungen schlugen sich nieder in einem Dauerstreit über die Positionierung der Lehrangebote Brinkmanns im Vorlesungsverzeichnis. Wie groß die Erbitterung war, zeigt ein Brief Foerstes an Brinkmann vom 18.1.1964, in dem er beklagt, er habe die Initiative zu Brinkmanns Einstellung ergriffen, dies trotz dessen NS-Vergangenheit (im weiteren werden drei einschlägige Publikationen Brinkmanns, darunter das oben genannte Buch aufgeführt). Wenn Brinkmann sich nicht an die Vereinbarung halte, die Verbindung zum Germanistischen Institut als gelöst zu betrachten, werde er (Foerste) sein Unterrichts- und Prüfungsamt sofort niederlegen. Ähnlich ein Brief Foerstes an den Dekan vom 22.1.1964: Brinkmann sei in die Germanistik eingedrungen, weshalb Trier seine Prüfungstätigkeit eingestellt habe; er [Foerste] fühle sich durch Brinkmann düpiert. Siehe UAMs, Bestand 63, Nr. 75, dort ein weiterer Brief Foerstes vom 20.2.1964, in dem wiederum an Brinkmanns Vergangenheit erinnert wird. Von Wiese nahm in dieser Zeit eine Gastprofessur in Princeton wahr. Zu Hass siehe Tempel 2003. Er hatte bei Günther Müller promoviert.

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1971 in Münster blieb.264 Im gleichen Jahr nahm Trunz einen Ruf nach Kiel an. Die entstandene Lücke wurde durch die Berufung Albrecht Schönes geschlossen, der aber bereits 1960 einen Ruf nach Göttingen annahm. Die Jahre um und nach 1960 waren dann von einer großen personellen Erneuerung des Instituts bestimmt: Trier ging 1963, Foerste 1967 in den Ruhestand, 1964 starb Schulte-Kemminghausen. 1960 wurde Günther Weydt in der Nachfolge Schönes berufen, im gleichen Jahr erhielt Karl-Ludwig Schneider eine planmäßige außerordentliche „Professur für Neuere deutsche Literaturgeschichte“, blieb aber nur für das Sommersemester 1960 in Münster. Karl-Heinz Borck, seit langem Assistent am Institut, habilitierte sich im gleichen Jahr und lehrte als Privatdozent, ebenso Klaus Günther Just. 1961 erhielt Wolfgang Preisendanz ein Extraordinariat für Neuere deutsche Literaturgeschichte, das bereits im folgenden Jahr durch den von Wiese-Schüler Hans-Joachim Schrimpf, der schon seit langem am Institut tätig war, übernommen wurde,265 und im Sommersemester 1960 nahm Johannes Rathofer als Assistent des Niederdeutschen Seminars seinen Dienst auf.266 Die zweite Hälfte der 1950er- und der Beginn der 1960er-Jahre waren also unruhige Zeiten am Institut, weil jetzt die Generation derjenigen, deren Karriere durch den Weltkrieg verzögert worden war, auf die Lehrstühle der Universitäten drängte. Konstanz boten in diesen Jahren nur noch die Vertreter der vorhergehenden Generation: Schulte-Kemminghausen, geboren 1893, Trier, geboren 1903, Foerste, geboren 1911, Heselhaus, geboren 1913, auch von Wiese, geboren 1903, Brinkmann, geboren 1901, und Rasch, geboren 1903, gehören hierher. Die Daten zeigen neben der außerordentlichen Fluktuation das Eintreten einer neuen Wissenschaftlergeneration in die Universität beziehungsweise das Germanistische Institut, daneben aber auch, dass Triers und seiner Kollegen Bemühen um die Gewinnung wissenschaftlich-fachlich herausragend qualifizierter Nachwuchswissenschaftler insgesamt nur teilweise von Erfolg gekrönt war. Zwar gehörten die bis nach 1960 in Münster verbleibenden Germanisten zu den bedeutendsten Wissenschaftlern des Faches, doch gelang es nicht, alle zu halten, wie der Weggang von Wieses und Trunz‘ zeigt, und nicht wenige später hochbedeutende Wissenschaftler der jüngeren Generation, wie etwa Albrecht Schöne, konnten nur für kurze Zeit an Münster gebunden werden, weil die Münsterschen Lehrstühle (!) eben noch durch die Vertreter der älteren Generation besetzt waren. Wenn die Geschichte der Münsterschen Germanistik in den 1950er-Jahren trotzdem in Vielem als „Erfolgsgeschichte“ bezeichnet werden kann, dann auch deshalb, weil Renommee und inneruniversitärer Einfluss des Instituts im Vergleich zu seiner früheren Position entschieden zunahmen: Trier wie von Wiese und auch Foerste erhielten immer von Neuem Rufe nach außerhalb oder ihnen wurden ehrenvolle Gastprofessuren an264 265 266

Zu ihm siehe Begemann 2003. Siehe die Daten bei Albers 1994, S. 222–225. Im Wintersemester 1957/58 lehrte vertretungsweise Walter Höllerer am Institut, siehe das Vorlesungsverzeichnis, S. 115f., zu ihm siehe König 2003, S. 766–768.

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geboten. Sie übernahmen das Amt des Dekans, zum Beispiel von Wiese 1950 bis 1952, oder gar des Rektors, so Trier 1956/57,267 und mehrten so das Ansehen des Instituts.268 Aber auch überregional waren sie tätig: Als vom 12. bis zum 16. September 1952 der „Deutsche Germanistenverband“ in Münster tagte, wurde er durch Jost Trier begrüßt, der „nunmehr auch Erster Vorsitzender des Gesamtverbandes“ war.269 Während die Münstersche Germanistik vor dem Zweiten Weltkrieg mit der Scientific community nur lose verknüpft war (das Institut war – und ist dies auch heute noch vielfach – in der Regel sich selbst genug), änderte sich dies nun. Wie aber war die Situation am Anfang des Neubeginns, welches Bewusstsein vom Vorherigen und welche Stimmung in Bezug auf das Künftige herrschten 1945 bei der Wiedereröffnung der Universität und in den ersten Nachkriegsjahren? Von hohem Interesse ist hier die Rede, die der erste Nachkriegsrektor, der bereits erwähnte Prälat Georg Schreiber am 3. November 1945 hielt.270 Schreiber sprach davon, dass der „schöpferische Geist der Hochschule inmitten von Verwundungen und Zerstörungen wach und lebendig sei“, von der „schwere[n] und verhängnisvolle[n] Krise des letzten Jahrzehnts“,271 von dem „unerträglichen Netz von Zwangsorganisation“, das über die Hochschule geworfen worden sei, das „Opportunismen“ nach sich gezogen habe, „die selbst in Gefälligkeiten bei Berufungen ausmündeten.“272 Er sprach davon, dass die Welt „wie gebannt auf die Konzentrationslager“ starre und über die „Vergewaltigungen des Naziterrors“273 – aber nicht davon, dass die Universität selbst sich schuldig gemacht hatte, nicht davon, dass jüdische und politisch missliebige Gelehrte von der Universität vertrieben worden waren. Und wenn er den einigermaßen merkwürdigen Satz formuliert, der Forscher von heute müsse 267 268 269

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Siehe dazu Triers Vortrag bei Übernahme des Amtes: Trier 1957 (Sprachwissenschaftliche Analyse verschiedener Formen des „Reihendienstes“). Die Münstersche Germanistik hat sich auf diesem Felde (Selbstverwaltung) in den vergangenen Jahrzehnten stark zurückgehalten, durchaus zum Nachteil des Instituts. Müller-Seidel 1952, Zitat S. 536. Der „Germanistenverband“ wurde auf der Münsterschen Tagung „endgültig konstituiert“ (ebd.). Der „Gesamtverband“ vereinte „wissenschaftlich tätige“ Germanisten mit den „Deutschlehrern der höheren Schulen“ und den „Germanisten der Pädadogischen Akademien“ in der Erwartung, so den „Austausch zwischen Schule und Universität besser fördern zu können“ (ebd.). Müller-Seidel beschränkt sich in seinem Bericht trotz des Titels „darauf, über den wissenschaftlichen Ertrag zu referieren“ (S. 537). Abdruck in Schreiber 1946, S. 3–9. Im Folgenden sind Beschlüsse von Rektoren- beziehungsweise Hochschulkonferenzen abgedruckt (deutsch-englisch) und eine englische Übersetzung der Rede Schreibers. Eine Rede des Professors Johannes Herrmann (Herrmann 1947) bemerkt, die Universität teile mit allen anderen die „verhängnisvolle Verknüpfung ihrer Existenz mit dem Weltgeschehen“ (S. 12); nur „verhältnismäßig wenige“ ihrer Mitglieder hätten aus politischen Gründen ausscheiden müssen. Das „Dritte Reich“ wird explizit nicht erwähnt. Ebd., S. 3. Ebd., S. 4. Ebd., S. 8.

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sich „volksverbunden, schollenpflichtig und heimatstark“ einstellen,274 dann wird deutlich, dass von einer tiefergehenden Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, unter dem Schreiber ja selbst gelitten hatte, nicht die Rede sein konnte. 14 Jahre später, zum Sommersemester 1959, erschien im Vorlesungsverzeichnis der Universität erstmals ein Abriss der „Geschichte der Universität Münster“275 aus der Feder des 1927 nach Münster berufenen Historikers Anton Eitel, der lediglich die Verhängnisse des Zweiten Weltkrieges mit ihren immensen Zerstörungen beklagte und dann zur Wiederaufnahme des Betriebes im Wintersemester 1945/46 überging – das „Dritte Reich“ wurde mit keinem Wort erwähnt.276 Hier wie an anderen Universitäten war, angesichts ungeheurer materieller Not und eines unbändigen Willens zum Neubeginn, der zusätzlich von der Aufhebung der geistigen Isolierung Deutschlands beflügelt wurde, eine Auseinandersetzung mit dem „Dritten Reich“ noch nicht möglich oder wurde für eine „cura posterior“ gehalten. Noch deutlicher erkennen lässt sich die Bewusstseinslage der Universität und insbesondere ihrer Studierenden anhand der Materialien, die über einen Zweiten Internationalen Ferienkurs informieren, der unter dem Titel „Weltprobleme vom Ausland her gesehen“ vom 5. bis zum 21. August 1947 in Münster stattfand.277 Über ihn berichtete ausführlich „Das Auditorium. Hg. von Dozenten und Studenten der Universität Münster“.278 Die hier abgedruckten Reden und Verlautbarungen hinterlassen einen zwiespältigen Eindruck. In seiner Schlussansprache betonte der Rektor zwar die „Verantwortung, die Deutschland durch seine Kriegsvorbereitungen und seine Politik auf sich geladen hat“279 und dass das Bewusstsein derselben „in uns lebendig sein sollte“.280 Andererseits aber riet er dazu, „vorläufig einen Strich 274 275 276 277

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Ebd., S. 5. Vorlesungsverzeichnis Sommersemester 1959, S. 3–6. Zu dem „strammen Deutschnationalen“ Eitel, der „auf dem Konkordatslehrstuhl saß“, siehe Heiber 1994, S. 676. Siehe die Charakterisierung desselben bei Kraft 1999 sowie Respondek 1995, S. 109–111. In die Wege geleitet wurde er von dem „Universitätsoffizier“ Ray Perraudin, der für die Universität zum veritablen Glücksfall wurde; siehe die Beschreibung seiner Tätigkeit bei Respondek 1995, S. 98–127. Perraudin stellte rasch ein gutes Verhältnis zum Rektor Schreiber und seinem Nachfolger Emil Lehnartz her, mit dem ihn später eine intensive Freundschaft verband (ebd., S. 104). Ein Namensverzeichnis der 268 (!) Teilnehmer im Nachlass Herrmann, UAMs, Bestand 182, Nr. 11. Seitens der Germanistik nahmen Foerste und Heselhaus teil, nicht aber Trier und von Wiese. Unter den 34 englischen Teilnehmern war der Altgermanist Frederick Pickering, Direktor des Germanistischen Instituts der Universität Sheffield, der der alliierten Kontrollkommission einen Studentenaustausch Münster-Sheffield vorschlug, dessen sehr erfolgreicher Entwicklung 1997 mit einem Kolloquium in Sheffield gedacht wurde, siehe Kraft 1999, S. 11. Dozenten und Studenten der Universität Münster 1947 (Exemplar im UAMs); das Heft druckt neben den Vorträgen die Eröffnungs- und Schlussansprachen ab, geht auf „Feiern – Sitzungen – Geselligkeiten“, also den Ablauf des Kurses ein (S. 4–9) und bietet unter der Rubrik „Aussprache“ (S. 79–88) Stellungnahmen zum Ferienkurs. Ebd., S. 77. Ebd., S. 78.

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[zu] ziehen und unbelastet von vorne anzufangen“, die Zukunft werde eine Klärung und Lösung bringen.281 Frederick Pickerings „Eindrücke in Münster“282 waren demgegenüber sehr differenziert: Auf der einen Seite berichtete er von zwei Eröffnungsreden (ohne die Redner zu nennen), „worin wir aufgefordert wurden, darin übereinzustimmen, dass ganz Europa krank gewesen sei (das Geschwür sei zufällig in Deutschland aufgebrochen)“ und dass den Alliierten „einfach die Verantwortung für die Katastrophe zugeschrieben“ werde,283 auf der anderen Seite, dass es sowohl Mitglieder des Lehrkörpers gegeben habe, die „in den schärfsten Ausdrücken über den Nationalsozialismus sprachen“, was viele für peinlich gehalten hätten, aber auch andere, die als Nazigegner „niemals über den Nationalsozialismus sprachen.“284 In den Köpfen der teilnehmenden Studenten habe Verwirrung und Orientierungslosigkeit geherrscht. Was „Demokratie“ eigentlich bedeute, sei ihnen ebenso unklar, wie ihr politisches Tatsachenwissen sehr gering sei.285 An Diskussionen beteiligten sie sich nur marginal, vielleicht aus einem „Gefühl der Hoffnungslosigkeit und Hilflosigkeit“ heraus.286 All dies erscheint als Folge der von vielen Rednern beklagten geistigen Isolierung Deutschlands während des „Dritten Reiches“.287 Dabei ist zu beachten, dass die Situation der Studierenden nicht nur deshalb hochproblematisch war, weil unter ihnen so viele Kriegsheimkehrer mit ganz unterschiedlicher Vorbildung waren, sondern weil ihre schiere Zahl rasch die Möglichkeiten der im Wiederaufbau begriffenen Universität überstieg. Ganz besonders gilt dies für die Germanistik.288 Schon im Wintersemester 1946/47 gab es 258 Hauptfachstudenten der Germanistik, 1950 bereits 332, womit der Höchstwert der 1930er-Jahre wieder erreicht war. 1955 hatte sich die Zahl auf 624 fast verdoppelt, 1960 lag sie bei mehr als 1.100. Zu welchen Zahlen dies in den Seminaren und bei den Prüfungen führte, wurde oben am Beispiel von Erich Trunz bereits gezeigt, und es ist selbstverständlich, dass das Institut immer von Neuem und mit steigendem Nachdruck auf der Zuweisung von Stellen insistierte. Dass es dabei erfolgreich war, lag am Renommee der bereits „vor Ort“ befindlichen Professoren („Integrationsfi-

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288

Ebd. Ebd., „Aussprache“, S. 81–85. Ebd., S. 84. Ebd., S. 82. Ebd., S. 82f. Ebd., S. 84. Ein wesentlich günstigeres Urteil über die Bewusstseinslage der Studenten gab der Schweizer Journalist Peter Dürrenmatt ab (ebd., „Aussprache“, S. 79f.), der von intensiven, ins existentielle gehenden Diskussionen über die Schuldfrage – auch die persönlicher oder familiärer Schuld – berichtet. Eine nähere Erforschung des schriftlichen Echos des Ferienkurses, zum Beispiel in der ausländischen Presse, ist sehr zu wünschen. Siehe zum weiteren Pilger 2004, S. 438–440 (mit Diagramm der Entwicklung der Studentenzahlen von 1949–1963).

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guren mit sehr guten personalen Netzwerken“)289 wie an ihrem Engagement in der Selbstverwaltung. Wie präsentierte sich die Lehre nach 1945? Für die ersten Semester ist festzustellen, dass sehr Vieles beim Alten blieb. Trier nahm seinen „Hauskundlichen Arbeitskreis“ sowie die „Wörter und Sachen“ wieder auf; sie erscheinen noch im Wintersemester 1959/60 im Vorlesungsverzeichnis. Von Wiese bot Veranstaltungen über den von den Nationalsozialisten vereinnahmten Hölderlin an, daneben solche über Lessing, Goethe, Schiller und die Tragiker des 19. Jahrhunderts, zu Rilke und Mörike. Foerste, der eigentlich erst jetzt zu lehren begann, widmete sich neben dem „Heliand“ Grundlagen des Niederdeutschen (vor allem dem Altsächsischen) und der Volkskunde, Heselhaus der Droste. Einen neuen Akzent setzten er und von Wiese jedoch mit Veranstaltungen zur Barockliteratur (zum Beispiel zu Grimmelshausen). Erstmals im Wintersemester 1948/49 erschien die durch das NS-Regime verdrängte Literatur: Heselhaus bot eine Vorlesung für Hörer aller Fakultäten mit dem Titel „Der deutsche Roman in der Emigration: Werfel, Kafka, Thomas Mann“ an und im Wintersemester 1949/50 ein Kolloquium über Kafka. Er beschäftigte sich auch in den folgenden Jahren mehrfach mit der Literatur des 20. Jahrhunderts290 – „heimisch“ allerdings wurde diese Literatur in der Lehre des Instituts in den 1950er-Jahren gar nicht. Erhalten blieb demgegenüber das Interesse an der Literatur nach 1800 (der „Deutschen Bewegung“, siehe oben), die nun als eine solche der „Wiederherstellungsbewegung“ firmierte, so mehrfach Heselhaus, zum Beispiel im Wintersemester 1948/49. Relativ schmal blieb – da Trier sich ja vornehmlich als Sprachwissenschaftler verstand – das altgermanistische Lehrangebot („Nibelungenlied“, Walther von der Vogelweide), allerdings engagierten sich hier Foerste und auch Schulte-Kemminghausen in zusehendem Maße, zum Beispiel Foerste mit einer „Lektüre mystischer Prosa“ im Sommersemester 1953. Auch Schulte-Kemminghausen knüpfte bei seinem Wiedereintritt in das Institut an alte Themen an („Plattdeutsche Dichtung in Westfalen“, Wintersemester 1950/51). Im gleichen Semester begann auch Trunz mit einer Vorlesung über Barockliteratur und einem Seminar über „Geschichte und Arbeitsweise der Literaturwissenschaft“. Er setzte in den folgenden Jahren thematisch kaum neue Akzente. Was die Sprachgeschichte anging, so bediente sich das Institut – wie früher – der Hilfe des Seminars 289 290

Ebd., S. 441. Von den Themen seiner Lehrveranstaltungen her müsste er für die Studenten der interessanteste Lehrende des Instituts gewesen sein, siehe zum Beispiel seine Veranstaltungen zu Stifter (Wintersemester 1949/50), zu Ernst Jünger und Gottfried Benn (Sommersemester 1950, Wintersemester 1950/51), zu Symbolismus und Expressionismus (Sommersemester 1951, Wintersemester 1952/53), zu Bert Brecht (Sommersemester 1951), zu Rilke und Valéry (Wintersemester 1951/52), zu Else Lasker-Schüler (Wintersemester 1952/53), zur Literatur zwischen den Weltkriegen (Sommersemester 1953), Calderon, Grillparzer, Hofmannsthal (Sommersemester 1954) – hier werden Ansätze zu einer Komparatistik sichtbar (vgl. auch die Veranstaltung im Sommersemester 1956 zu Expressionismus und angloamerikanischem Imagismus).

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für Vergleichende Sprachwissenschaft. Seit dem Sommersemester 1950 bot dessen Direktor Alfred Schmitt regelmäßig Lehrveranstaltungen an. Auch wenn man bedenken muss, dass all diese Lehrangebote vor dem Hintergrund noch immer großer bis größter materieller Nöte und Bedrückungen im weitesten Sinne zu sehen sind, ist das weitgehende Ausbleiben thematischer Innovation doch erstaunlich; es erklärt sich vor allem aus einer zunächst erheblichen personellen Kontinuität. Obwohl die meisten Hauptakteure 1945 erst gut 40 Jahre alt (Trier, von Wiese, Trunz) beziehungsweise Anfang 50 waren (Schulte-Kemminghausen), hatten sie doch bereits sehr strapazierende Jahre als Hochschullehrer während des „Dritten Reiches“ hinter sich. Die jüngeren, Foerste und Heselhaus, mussten auf intensiven Kriegseinsatz beziehungsweise lange Jahre als Auslands-Lektor zurückblicken, was alles der Beschäftigung mit neuen Fragestellungen und Autoren nicht eben förderlich war. Als mit dem Sommersemester 1956 Schrimpf und Hass erstmals im Vorlesungsverzeichnis erschienen, boten sie ein Seminar zur Theorie des Dramas und „Interpretationen moderner Lyrik“ an. Das war ein erster Hinweis darauf, dass die Literaturtheorie nun allmählich Raum gewann, aber auch darauf, dass man sich weiterhin der schon gleich nach dem Kriege geforderten Rückkehr zur intensiven Beschäftigung mit den Texten selbst verpflichtet fühlte. Seit dem Sommersemester 1957 verstärkte sich das Lehrangebot der Älteren Abteilung mit dem Eintritt Borcks. Ab dem folgenden Semester trat als Vergleichender Sprachwissenschaftler Peter Hartmann die Nachfolge Schmitts – auch als Lehrender der Germanistik – an. Als mit dem Sommersemester 1958 erstmals Hennig Brinkmann im Vorlesungsverzeichnis genannt wurde, bot er eine Vorlesung zu „Grundlagen der mittelalterlichen Dichtung in der mittellateinischen Literatur“ an, daneben „Übungen zur lateinischen Poetik des Mittelalters“, womit einerseits ein neues Feld betreten, andererseits der Konflikt mit der bisher in Münster betriebenen Germanistik vorprogrammiert wurde. Insgesamt ist bis in die frühen 1960er-Jahre hinein somit eine erstaunliche Kontinuität des Lehrangebots zu beobachten, die sich gegenüber den frühen Nachkriegsjahren fast noch verstärkte. Die Literatur des 20. Jahrhunderts spielte nach wie vor praktisch keine Rolle. In der Altgermanistik blieb man bei den altbewährten „Klassikern“, die Sprachwissenschaft verharrte weitestgehend in der Vermittlung der Grundlagen und den altvertrauten Paradigmata. Demgegenüber ist zu betonen, dass „Kontinuität der Programme“291 natürlich nicht zwangsläufig Kontinuität und fehlende Veränderung bei den Inhalten und besonders in der Forschung der jetzt (noch immer) tätigen Münsterschen Germanisten bedeutete. Pilger hat in seiner gründlichen Untersuchung festgestellt, dass politisch-völkische Implikationen relativ mühelos neutralisiert wurden, dass jedoch auch Modifizierungen zu erkennen sind: Wohl in Nachwirkung des Biologismus der NS-Zeit lehnte sich Trier in seinen Forschungen nun intensiv an das von Müller aus Goethes naturwissenschaftlichen Schriften abgeleitete Morphologie-Konzept 291

So die Überschrift bei Pilger 2004, S. 442, und die Ausführungen S. 442–473, aus denen die folgenden Andeutungen schöpfen.

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an,292 dies bei zusehendem Insistieren auf „bedeutungs- und entstehungsgeschichtlicher Rekonstruktion“,293 die auch Foerstes Arbeiten immer stärker kennzeichnete. Auch Brinkmann und Trunz näherten sich später dem einst von Müller entwickelten „morphologischen“ Ansatz. Mit ihm blieb „die Literaturwissenschaft in der Nachkriegszeit ‚organische Lebenswissenschaft‘, wobei ein semantisch weitgehend unbestimmter, wahlweise religiös, völkisch oder biologisch zu definierender Seinsbegriff kontinuierlich die ‚realidealistische‘ Grundlage bildete“.294

Die daneben zu beobachtende deutliche Rephilologisierungstendenz (und mit ihr die Textinterpretation), die vor allem in den Arbeiten Borcks, aber auch in denen mehrerer Neugermanisten sichtbar wurde, und die mit der Hinwendung zum genauen Lesen, zur „Andacht im Kleinen“, wie sie auch von der Schule gefordert wurde,295 konkordierte, ließ sich mit diesem Ansatz durchaus vereinen.296 Die hier beschriebene personelle wie wissenschaftliche Konstellation löste sich erst um 1960 allmählich auf: mit dem Weggang Trunz‘, Heselhaus‘ und Schönes, dem Ruhestand Triers (1963), dem Tod Schulte-Kemminghausens (1964) und dem Foerstes (1967). Mit dem Eintreten Friedrich Ohlys (1964), mit Schrimpf, Preisendanz, Schneider, aber auch mit der Auseinandersetzung der 1968er-Generation mit dem „Dritten Reich“ brach für das Germanistische Institut der Universität Münster eine neue Zeit an.

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Ebd., S. 450. Ebd., S. 446. Ebd., S. 468. Siehe die Details ebd., S. 471–473. Zu untersuchen bleibt, wie sich all dies in den im fraglichen Zeitraum entstandenen Dissertationen niederschlug.

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Dem Zeitgeist angepasst Musikwissenschaft an der Westfälischen Wilhelms-Universität 1922 bis 1962 Die deutsche Musikwissenschaft hat nach 1945 nur wenige Versuche unternommen, ihre Vergangenheit kritisch zu beleuchten. Ursächlich mag dies zunächst einmal in der allgemeinen Denkweise liegen, eine zweifelhafte Vergangenheit in den ersten Nachkriegsjahren zu verdrängen. Die ältere und zeitlich betroffene Generation hatte kein Interesse an einer Aufklärung. Hier werden Existenzangst, Versorgungs- und Existenzprobleme oder eine gewisse Scham eine Rolle gespielt haben. Die jüngere Generation hatte kaum Interesse an Rückschau und Besinnung, sie sah im Wiederaufbau weitgehend zerstörter universitärer Strukturen ihre eigenen Chancen. Aufklärungsdefizite in Sachen Vergangenheitsbewältigung sind also nicht verwunderlich. In jüngster Zeit ist Bewegung in das Thema gekommen. So sind Publikationen zu der Gesamtthematik erschienen, wie zum Beispiel die Studien von Willem de Vries1 oder die Arbeit der Amerikanerin Pamela Potter.2 Zahlreiche Aufsätze, vor allem die jüngste Veröffentlichung von Bernhard Bleibinger3 oder die Studie von Thomas Schipperges4 sind wichtige Beiträge zu einer Aufarbeitung der Vergangenheit. Große Verdienste hat sich der Privatforscher Fred K. Prieberg um die Klärung der Rolle der Musik im „Dritten Reich“ erworben. Sein umfangreiches musikwissenschaftliches Lebenswerk, an dem Prieberg fast 40 Jahre (1956–1993) gearbeitet hat, legte er 2004 in dem fast 10.000 Seiten umfassenden „Handbuch deutsche Musiker 1933–1945“ vor.5 Für die Musikwissenschaft in Münster ist auf die unveröffentlicht gebliebene Staatsexamensarbeit von Peter Lohaus zu verweisen.6 Auch verschiedene Kongresse und Tagungen haben sich mit dem Thema „Musikwissenschaft im Nationalsozialismus“ befasst. Die Teilnehmer der internationalen Tagung „Musikwissenschaft im Nationalsozialismus und in faschistischen Regimen“ im März 2000 auf Schloss Engers untersuchten vier Tage lang Fragen der 1 2 3 4 5 6

De Vries 1988. Das Buch erschien zuerst unter dem Titel: Sonderstab Musik. Music confiscation. Potter 2000. Bleibinger 2001. Schipperges 2005. Prieberg 2004. Lohaus 2004.

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Musikwissenschaft zur Zeit des Nationalsozialismus, was in den Medien und der öffentlichen Wahrnehmung eine breite Resonanz fand. Die Tagung bestätigte, „dass die Beschäftigung mit derlei Fragen nach wie vor schwer fällt, dass hier nicht routinemäßig ein Thema wie jedes andere verhandelt wird.“7 Die akademische Disziplin Musikwissenschaft ist in Deutschland eine im Vergleich zu anderen Fächern junge Wissenschaft. Gründungen der musikwissenschaftlichen Seminare und Institute folgten Ende des 19. Jahrhunderts und zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Obwohl sich die Musikwissenschaft in Münster erst 150 Jahre nach der Universitätsgründung am 16. April 17808 etablierte, hat sie schon eine wechselvolle Geschichte durchlaufen. Die junge Disziplin musste sich gegenüber den etablierten Fächern zunächst einmal durchsetzen und in Münster wie an anderen Universitäten Fuß fassen. Diese Entwicklung der Musikwissenschaft an der Westfälischen Wilhelms-Universität wird im Folgenden für den Zeitraum 1922 bis 1962 aufgearbeitet und knapp skizziert. Im Mittelpunkt stehen dabei folgende Fragen: Hat es in der Musikwissenschaft während dieser Zeit einen Wandel in den Forschungsinhalten gegeben? Gab es an den Nahtstellen der drei Epochen – Weimarer Republik, Nationalsozialismus und Nachkriegszeit – Brüche oder ließen sich Kontinuitäten feststellen? Inwieweit haben gesellschaftliche und politische Umbrüche Einfluss auf die Musikwissenschaft gehabt und Veränderungen im universitären Betrieb hervorgerufen? Wie sind Musikwissenschaft und Politik miteinander umgegangen? Da eine Institutsgeschichte immer eine Personengeschichte impliziert, wird die für die Untersuchungszeit in der Musikwissenschaft verantwortliche Fakultät einer näheren Betrachtung unterzogen. Dazu gehören Fragen zur NSDAP-Zugehörigkeit, zur Studentenschaft, zu Parteiaktivitäten und zu übergeordneten Netzwerken, ferner zu Funktionen außerhalb der Universität oder zu Einbindungen in das Propagandanetzwerk der Nationalsozialisten, schließlich aber auch Fragen zur Entnazifizierung nach 1945.

Die Anfänge der Musikwissenschaft in Münster Der Wunsch nach einer „akademischen Musikpflege“ war erstmals aufgekommen, als 1874/75 „der nunmehr konfessionell gleichberechtigten Philosophischen Fakultät das volle Promotionsrecht verliehen“9 wurde. So wandte sich der Rektor der Universität an den Kurator mit einer Eingabe, „in der die ‚Erteilung des Musik- und Gesangunterrichtes‘ ‚auf das Lebhafteste befürwortet‘ [wurde]: ‚Der Mangel desselben machte sich nicht nur bei den akademischen Feierlichkeiten in einer empfindlichen Weise fühlbar, sondern es fehlt[e] auch speziell den Theo7 8 9

Foerster/Hust/Mahling, Vorwort, 2001, S. X. Zur Geschichte der Westfälischen Wilhelms-Universität s. Ribhegge 1985, S. 50f. Lütteken 1987, S.46.

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logie Studierenden jede Gelegenheit, sich für diese besonders wünschenswerte Kenntnis der Kirchenmusik und des Kirchengesanges zu verschaffen.‘ Der Musikunterricht [wurde] also allein aus praktischen Interessen erwogen; vorgeschlagen als Lehrer [wurde] Julius Otto Grimm.“10

Grimm (1827–1903) wurde schließlich mit Wirkung vom Wintersemester 1878/79 an zum Lektor ernannt und war ab diesem Zeitpunkt für den akademischen Musik- und Gesangsunterricht zuständig.11 Nach Aufenthalten in Dresden, Leipzig, Düsseldorf und Göttingen war Grimm bereits 1860 nach Münster gekommen, wo er das Dirigat des Musikvereins übernommen hatte. Hier brachte er das Musikleben auf eine beachtliche Höhe. Er führte in zahlreichen Orchester-, Chor- und Kammerkonzerten über 1.500 Werke aus dem 17. Jahrhundert bis zur zeitgenössischen Musik auf. Das bedeutendste Konzertereignis für die Region war das jährlich veranstaltete zweitägige Cäcilien-Fest, das er ins Leben gerufen hatte. Grimms Sympathien für Münster waren gering. 1864 schrieb er an Brahms, mit dem ihn seit seiner Leipziger Zeit eine sehr persönliche Freundschaft verband: „Ich einsiedele hier in Münster und gebe Stunden, denn ich muss unser täglich Brot verdienen.“12 Im selben Jahr schrieb Clara Schumann – das Ehepaar Clara und Robert Schumann war ebenfalls eng mit Grimm befreundet und Clara Schumann war aus Zuneigung zu Grimm häufig in dessen Konzerten solistisch eingebunden – an Brahms: „Grimm war auch von Münster […] gekommen, er sehnt sich dort fort.“13 Erst allmählich gewöhnte sich Grimm an die Stadt und seine Bewohner. Schließlich blieb er 40 Jahre Musikdirektor in Münster und lebte dort bis zu seinem Tod 1903. Während seiner Tätigkeit wurden Grimm zahlreiche Ehrungen zuteil. So wurde er 1878 zum Königlichen Musikdirektor, 1885 zum Professor und Dr. h.c. der Universitäten Münster und Breslau (wie Johannes Brahms) und unter anderem auch zum Mitglied der Berliner Akademie ernannte.14 1887 wurde als weiteres Lektorat neben Grimms dasjenige für Chor- und Kirchengesang eingerichtet. 1905, zwei Jahre nach Grimms Tod, folgte Wilhelm Niessen als Lektor für akademischen Musik- und Gesangsunterricht. Dieser hielt die erste musikhistorische Vorlesung der Universität mit dem Thema „Beethovens Leben und Werk“. Bereits zwei Jahre später wurde Niessen zum ersten akademischen Musikdirektor ernannt.15 10 11 12 13 14 15

Ebd. S. 46f., insb. S. 46, Fußnote 151. Lütteken bezieht sich in diesem Zusammenhang auf einen Brief des Rektors an den Kurator vom 25.3.1878, UAMs, Bestand 3, Nr, 1395. Lütteken 1987, S. 46f. Erste Erwähnung erfolgte im Vorlesungsverzeichnis vom Sommersemester 1879, s. ebd., S. 47, Fußnote 153. Lütteken, S. 30. Ebd. Vgl. Ribhegge 1985, S. 2. Institut für Musikwissenschaft der Universität Münster, Institutsgeschichte, http://www. uni-muenster.de/Musikwissenschaft/institut/index.html, Zugriff: 6.12.2009.

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Im November 1900 wurde Wilhelm Niessen Leiter des Münsterischen Musikvereins. Hier fand er ein ungewöhnlich gut organisiertes Musikleben vor, das Grimm ihm bei seinem Ausscheiden überlassen hatte. In der Folge führte Niessen die Konzerttätigkeit seines Vorgängers weiter fort: „Die Nachfolge Grimms war einerseits damit verbunden, die letztlich doch aus dem Brahms-Umfeld stammende Tradition auch in das neue Jahrhundert zu transportieren. Zum anderen galt es die Versäumnisse in Sachen ‚neudeutscher Schule‘ auszugleichen, sowie die Programme für die Moderne zu öffnen. Niessen führte erstmals Werke Bruckners auf, verstärkt auch die Werke Liszts und Wagners (etwa Teile aus Parsifal). Hinzu trat die Musik der Gegenwart, die Niessen nur zögernd berücksichtigte, durch Aufführungen etwa der Kompositionen von August Klughardt, Felix Woyrsch, Felix von Weingartner und Max Reger.“16

Elf Jahre später folgte Fritz Volbach Wilhelm Niessen als Lektor für akademischen Musik- und Gesangsunterricht.

Die Gründung des musikwissenschaftlichen Seminars und sein erster Direktor Fritz Volbach (1861–1940) Es ist unbestritten, dass der Komponist, Dirigent und Musikwissenschaftler Fritz Volbach17 nach dem Ersten Weltkrieg die zentrale Musikerpersönlichkeit der Stadt Münster wurde, die nicht nur das Musikleben in Münster sondern auch die Gründung des Musikwissenschaftlichen Instituts maßgeblich beeinflusst hat. Vor seinem Dienstantritt in Münster hatte er zuvor in Berlin, Mainz und Tübingen gewirkt. Bereits in frühen Jahren wurde Volbachs Neigung und Hinwendung zu musikpraktischen Themen erkennbar. 18 In Mainz komponierte er unter anderem vier größere Orchesterwerke.19 Vor allem aber widmete er sich der Volksmusik. Volbach stellte sein kompositorisches Schaffen dabei ganz in den Dienst der genannten Ideale: auf der einen Seite wilhelminischer Patriotismus und das Bekenntnis zur Nation,20 auf der anderen Seite tiefe katholische Frömmigkeit.21

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Lütteken 1987, S. 36f. Zur Biographie Fritz Volbach: Hindrichs 2001; „Professor Volbach verlässt Münster“, Münstersche Zeitung, 22.9.1933, UAMs, Bestand 5, Nr. 221; „Der Schöpfer des Städtischen Orchesters Münster – Generalmusikdirektor Prof. Dr. Volbach gestorben“, Münstersche Zeitung, 5.12.1940, UAMs, Bestand 10, Nr. 452; tabellarischer Lebenslauf Volbachs, ebd.; Rectanus 2007. Schwarte 1987, S.144. Unter anderem „Ostern“, ein „symphonisches Gedicht“, und „Alt Heidelberg, du feine“, „Symphonie in h moll“, Quintett in Es Dur für Klavier, Oboe Klarinette, Horn und Fagott mit der Satzfolge Allegro, Adagio molto espressivo e solenne und Rondo oder das Quintett in vier Sätzen für Klavier und Streichquartett in d-moll. Schwarte 1987, S. 135. Ebd.

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Volbachs Publikationen zu dieser Zeit waren zahlreich und thematisch vielseitig.22 Seine Ideale fanden sich in seinen Schriften immer wieder da, „wo international anerkannte Kulturleistungen und Komponisten als ‚deutsch‘ herausgestellt werden können. Anders als Wagner vermeidet Volbach weitestgehend die Herabsetzung jüdischer Musiker, ist aber von Vorbehalten gegenüber etwa Mendelssohn und Meyerbeer keinesfalls frei.“23

Praktischen Ausdruck fanden seine Werte in seiner freiwilligen Meldung zum Kriegsdienst. 1914 bis 1918 leitete er ein Militärorchester in Belgien.24 Als Wilhelm Niessen schließlich als Musikdirektor der Stadt Münster ausschied, wurde 1917 aus einer Fülle von Bewerbern Volbach vom Stadtrat zum neuen Musikdirektor gewählt. Ab 1918 beziehungsweise ab 1921 leitete er als Generalmusikdirektor das Städtische Orchester und den Musikvereinschor.25 Die Besetzung dieser Stelle hatte große Bedeutung für die musikalische Entwicklung in Münster, „denn die Professionalisierung des Musiklebens im 20. Jahrhundert fand unmittelbar nach dem ersten Weltkrieg ihren Ausdruck in der Gründung des Städtischen Orchesters (1919), der Musik(hoch)schule (1919) oder auch des Musikwissenschaftlichen Seminars der Universität (1927). […] Mit den Aufgabenbereichen ‚Sinfoniekonzert‘, ‚Musikvereinskonzert‘ und ‚Musiktheater‘ bekleidete der GMD das wichtigste musikalische Amt der Stadt.“26

Mit seinem Dienstantritt wurde Fritz Volbach 1918 an die Universität berufen und übernahm dort die Nachfolge des ebenfalls von Wilhelm Niessen bis dahin geleiteten Lektorats für akademischen Musik- und Gesangsunterricht. Im selben Jahr wurde Volbach zum Ordinarius für Musikwissenschaft berufen.27 Wie das Beispiel Münster zeigt, waren in der Weimarer Zeit vermehrt musikwissenschaftliche Aktivitäten an den Universitäten zu beobachten. Dass sich die Musikwissenschaft immer noch auf unsicherem Terrain bewegte, lag an der wissenschaftspolitischen Zurückhaltung, die Musikwissenschaft als eigenes Fach an den Universitäten zu installieren. So wurde in Bonn 1919 das Institut eingerichtet, aber erst 1942 der erste planmäßige Ordinarius berufen. Die Universität Freiburg richtete 1919 ein musikalisches Seminar ein, besetzte es, wie in Münster, jedoch zunächst nur mit einem Lektor. Auch in Köln arbeitete Ernst Bücken, der 1920 das musikwissenschaftliche Institut eingerichtet hatte, viele Jahre als dessen Direktor, ohne jemals die Stelle eines Ordinarius zu erreichen.28 22 23 24 25 26 27 28

Ein umfassendes Verzeichnis über Volbachs Schriften findet sich bei Trott 1966, S. 182ff. Ebd., S. 140, Fußnote 5. „Professor Volbach verlässt Münster“, Münstersche Zeitung, 22.9.1933, UAMs, Bestand 5, Nr. 221. Sandberger 1994, S. 214. Ebd., S. 212. UAMs, Bestand 9, Nr. 411, „Eröffnung des neuen wissenschaftlichen Seminars“, Münsterischer Anzeiger, 5.2.1928. Vgl. Potter 2000, S. 125f.

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1919 gründete die Stadt Münster auf Vorschlag Volbachs die „Westfälische Schule für Musik“. Seine ursprüngliche Idee, das gesamte Musikwesen zu vereinheitlichen und die Musikschule als Musikhochschule zu konzipieren und der Universität anzugliedern, stieß allerdings auf Skepsis. Hier sollten zukünftige Musiklehrer ausgebildet werden, aber auch die Volksmusikerziehung und die musikalische Laienbildung ihren Standort finden. Nach seinem Ausscheiden 1924 aus den Diensten der Stadt Münster und nach seiner Ablösung durch Rudolf Schulz-Dornburg (1891–1949) als Generalmusikdirektor verstärkte Volbach seine universitäre Tätigkeit. Er öffnete seine Vorlesungsveranstaltungen für Hörer aller Fakultäten. Die hiermit verbundenen pädagogischen Vorstellungen übernahmen auch Volbachs Nachfolger, insbesondere Werner Korte. Volbach bot in den folgenden Jahren für Hörer aller Fakultäten Vorlesungen, die sich unter anderem mit der Wiener Klassik und der Romantik beschäftigten, an.29 Erwähnt werden muss eine Veranstaltung, die Volbach im Wintersemester 1923/24 durchführte: „Ausführung und Behandlung Händel- und Bach’scher Partituren“. Zum ersten Mal wurde hier im Vorlesungsverzeichnis in Verbindung mit der Seminarübung das „Collegium musicum“ aufgeführt. Mit dieser Veranstaltung wurde die Grundlage für die Entstehung des Collegium musicums geschaffen.30 Die Collegia musica waren in der Weimarer Zeit an allen Universitäten wieder belebt worden. In Münster installierte Fritz Volbach die Einrichtung des Collegium musicum und förderte die Entwicklung dieses Orchesters ebenso wie seine Nachfolger. 1926 wurde Volbachs großes Ziel im Zusammenhang seiner Vorstellungen über eine sinnvolle Vereinheitlichung in der Lehrerausbildung erfüllt, denn das Preußische Kultusministerium hatte eine Neuordnung des Musikunterrichts an den höheren Lehranstalten veranlasst, was zur Konsequenz hatte, dass mit der Einführung von Musik als Zusatzfach Musik Examensfach wurde. Das bestandene Examen berechtigte zum Erteilen von Musikunterricht an höheren Schulen. Diese Neuordnung hatte zur Folge, dass im Zuge der Erweiterung des Faches Musik die Studentenzahlen permanent stiegen, sodass das personelle Angebot an Lehrenden erweitert werden musste, wollte man den gestiegenen Anforderungen nachkommen. „Eine willkommene Hilfe fand Prof. Dr. Volbach an Dr. Fellerer, der sich 1927 als Privatdozent habilitierte. Nun konnte der Lehrbetrieb in vollem Umfang aufgenommen werden, besonders nach der Seite der theoretischen Hilfswissenschaften und vor allem der Paläographie.“31

Am 16. Dezember 1927 erfolgte per Erlass des Preußischen Ministers für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung die Umwandlung des Musikwissenschaftlichen 29 30 31

Zu den Semesterveranstaltungen Fritz Volbachs s. Vorlesungsverzeichnisse Wintersemester 1918/19 bis Wintersemester 1923/24. Vorlesungsverzeichnis Wintersemester 1923/24, S. 41. UAMs, Bestand 9, Nr. 411, „Eröffnung des neuen wissenschaftlichen Seminars“, Münsterischer Anzeiger, 5.2.1928.

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Lektorats in ein Musikwissenschaftliches Seminar. Volbach wurde zum Direktor ernannt 32 Mit der Gründung des Seminars wurden die neuen Räume im ehemaligen Lehrerinnenseminar am Domplatz übergeben.33 Die geforderte Professorenstelle für Musikwissenschaft, die 1930 von der Philosophischen Fakultät beantragt worden war, wurde vom Preußischen Ministerium dem Direktor Fritz Volbach – inzwischen 68-jährig – nicht übertragen. Nach seiner Versetzung in den Ruhestand zog Volbach 1929 nach Wiesbaden, wo er sich weiterhin kompositorischer und schriftstellerischer Arbeiten widmete und wo er am 30. November 1940 im Alter von 78 Jahren verstarb.34

Karl Gustav Fellerer (1902–1984), Direktor des Musikwissenschaftlichen Seminars in Münster von 1929 bis 1932 Mit der Erweiterung des Lehrkörpers des Musikwissenschaftlichen Instituts durch den Privatdozenten Fellerer konnte der Lehrbetrieb im vollen Umfang aufgenommen werden. Seine erste wesentliche Bewährungsprobe erledigte Fellerer, wie bereits erwähnt, mit großem Einsatz während der Feierlichkeiten zur Eröffnung des Musikwissenschaftlichen Seminars 1927. Einen Teil der musikalischen Darbietungen während dieser Feierstunde hatte Fellerer mit dem Universitätschor übernommen, der aus Studenten und Dozenten bestand und unter Fellerer zu begeistern wusste. Mit 27 Jahren wurde Fellerer nach erfolgter Habilitation 1927 zum Direktor des Musikwissenschaftlichen Seminars ernannt. 35 Nachdem das Musikseminar in Münster mit zu den größten Seminaren in Preußen angewachsen war, hatte der Ausbau des Seminars absolute Priorität. Dies 32

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34 35

UAMs, Bestand 62, B II 15, Schreiben (Erlass) des Preußischen Ministers für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung an den stellvertretenden Universitätskurator in Münster, 16.12.1927. Der „Münsterische Anzeiger“ berichtete über die Feierlichkeiten während des Festaktes: „Nun folgte die Fortsetzung des musikalischen Teils; zunächst Schumanns Klavierquartett, von Fräulein Smid, Fräulein Betz, Professor Ott und Herrn Göhre sehr schön und schwungvoll vorgetragen. Dann als Hauptwerk des Abends Schumanns Zigeunerleben. Unter der anfeuernden Leitung Dr. Fellerers zeigte hier der neue Universitätschor, dass er auf dem Wege ist, ein wichtiger Faktor im Kunstleben Münsters zu bilden. Es gewährt wirklich einen Genuss, den frischen Stimmen des aus Studenten und Dozenten zusammengesetzten Chores zu lauschen und sich von seiner Begeisterung und Impulsität mitreißen zu lassen.“, UAMs, Bestand 9, Nr. 411, „Eröffnung des neuen wissenschaftlichen Seminars“, Münsterischer Anzeiger, 5.2.1928. Hier finden bereits die musikpraktischen Fähigkeiten Dr. Fellerers, Volbachs Nachfolger im Amt des Direktors des Musikwissenschaftlichen Seminars, ihren positiven Niederschlag, außerdem wird dem neugeschaffenen Universitätschor eine große Zukunft vorausgesagt. Amtsblatt der Westfälischen Wilhelms-Universität 3 (1940), S. 104. UAMs, Bestand 9, Nr. 411, Schreiben des Preußischen Ministers für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung an den Privatdozenten Dr. Fellerer in Münster, 23.12.1929.

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machte Fellerer in einem Schreiben an den Rektor der Universität deutlich, indem er auf die Bedeutung des Musikwissenschaftlichen Seminars für die Universität und für die Stadt Münster verwies. Zudem forderte Fellerer hierfür immer wieder hartnäckig Finanzmittel ein.36 Gleichzeitig bemühte sich Fellerer, das Collegium musicum (Chor und Orchester) zu einem wesentlichen Bestandteil der musikwissenschaftlichen Arbeit im Seminar aufzuwerten, einmal durch eine verpflichtende Teilnahme aller Studenten des Seminars im Collegium musicum, aber auch durch regelmäßige Einsätze dieser Ensembles bei öffentlichen Veranstaltungen innerhalb und außerhalb der Universität. Deshalb war Fellerer um eine finanzielle Absicherung der praktischen Musikpflege an der Universität bemüht und er scheute sich auch nicht, Defizite und organisatorische Mängel in der praktisch-musikalischen Arbeit dem Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung schriftlich mitzuteilen, um auf unzumutbare Verhältnisse aufmerksam zu machen, die die praktische Musikarbeit erheblich erschwerten.37 Mit über 150 Musizierenden hatte Fellerer eine Konzertbasis geschaffen, die es ermöglichte, große Werke zur Aufführung zu bringen. Neben der Arbeit mit dem Collegium Musicum führte Fellerer auch Volbachs Betreuung der Sammlung Abate Fortunato Santinis, welche bis heute von besonderer Bedeutung für die Westfälische Wilhelms-Universität und für die Stadt Münster ist, fort.38 Nach nur drei Jahren verließ Fellerer Münster. Mit 29 Jahren stand er am Anfang seiner wissenschaftlichen Karriere, die an dieser Stelle nicht weiter verfolgt werden kann. Lediglich auf die späteren Verstrickungen Fellerers mit dem Nationalsozialismus muss kurz eingegangen werden, um deutlich zu machen, dass das bereits bei Volbach erkennbare antisemitische und ideologische Gedankengut bei Fellerer nicht nur seine Fortsetzung, sondern auch in seiner aktiven Verstrickung mit den Nationalsozialisten seine praktische Umsetzung fand. Fellerer stellte sich nach 1933 hinter die Kulturpolitik der Nationalsozialisten und warb in seinen wissenschaftlichen Werken für eine Verbindung von Musik und Politik.39 Über theoretische Legitimation hinaus wurde er jedoch auch praktisch 36 37 38

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UAMs, Bestand 4, Nr. 226, Schreiben Fellerers an den Rektor der Universität, 28.1.1932. UAMs, Bestand 9, Nr. 411, Schreiben Fellerers an den Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, 20.2.1931. Die Biographie Fortunato Santinis sowie die gesamte Entwicklungsgeschichte dieser Bibliothek sind demnächst der Dissertation des Verfassers zu entnehmen: Günnigmann, in Vorbereitung, Kapitel 3.4.2. So schrieb er 1933 in einem Aufsatz über „Musik und Politik“ in der „Deutschen Tonkünstler-Zeitung“: „Große Bewegungen haben stets der Kunst große Anregungen gegeben, die schöpferische Gestaltung finden. Auch in der Gegenwart ist solches aus der Neubesinnung auf das Volkstum und der Aufrüttelung der Geister im nationalen Gedanken zu erwarten. Die gemeinschaftsbildende Kraft der Musik wird wie in früheren Jahrhunderten ihren Teil an der großen geistigen Einigung des deutschen Volkes haben und neue künstlerische Werte formen. […]. Es ist kein Zufall, dass die neue Zeit im Horst-Wessel Lied ein Nationales Volkslied gefunden hat, das Gemeingut des ganzen Volkes geworden

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aktiv. Im Auftrag des Einsatzstabs Reichsleiter Rosenberg nahm er zusammen mit Herbert Gerigk an einer Beschlagnahmungsaktion des „Sonderstabes Musik“ bei der Ballerina Madame Chasles in Paris teil.40 Seine Bereitschaft zur Mitarbeit bei von den Nationalsozialisten geplanten Projekten, insbesondere seine enge Zusammenarbeit mit Herbert Gerigk,41 machte es den Nationalsozialisten leicht, ihn für ihre Dienste im Zusammenhang mit dem Sonderstab Musik im Amt Reichsleiter Rosenberg einzusetzen. Es ist erstaunlich, dass Fellerer nach 1946 bei der Entnazifizierung der Kategorie V zugeordnet und somit „entlastet“ wurde.

Die Besetzung der Direktorenstelle durch Werner Korte 1932 Nachdem Fellerer Münster verlassen hatte, war die Stelle des Direktors am Musikwissenschaftlichen Seminar vakant. Fellerer sorgte sich um den Fortbestand des Seminars und richtete daher mehrere Schreiben an den Rektor der Universität Münster42 und das Preußische Wissenschaftsministerium,43 in denen er sich für eine rasche Wiederbesetzung stark machte. Um Fellerers Nachfolge bewarben sich vier Kandidaten.44 Dabei versuchte vor allem die Universität Köln, den Direktor des dortigen Musikwissenschaftliche Instituts, Ernst Bücken, in Münster durchzusetzen.45 Fellerer griff schließlich in diese Bewerbungsauseinandersetzung zwischen Köln und Münster ein, indem er kritisierte, dass Bücken dem musikalisch-praktischen Part seines Lehrauftrages zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt habe.46 Diese Kritik entsprach dem eigenen Verständnis Fellerers, der in Münster neben den wissenschaftlichen vor allem aber auch den musikalisch-praktischen Part mit seinen vielen Ensembles auf einen beachtlich hohen Stand gebracht hatte. Die Bewerbungsbemühungen Bückens endeten letztendlich damit, dass der Dekan der Phi-

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ist. […]“ Fellerer, Karl-Gustav, Musik und Politik, in: Deutsche Tonkünstlerzeitung 29 (7. April 1933), S. 104, zitiert nach: Prieberg 2004, S. 1639. De Vries 2000, S. 184, sowie Prieberg 2004, S. 1645. Herbert Gerigk war ein überzeugter Nationalsozialist, der bereits in jungen Jahren in der NSDAP die Karriereleiter erklommen hatte. So gehörte er schon sehr früh dem Amt Rosenberg an, wurde hier Leiter der Musikabteilung und hatte in dieser Funktion das gesamte Musikwesen unter seiner Aufsicht. Fellerer wie Korte gehörten zu seinen engsten Mitarbeitern. UAMs, Bestand 4, Nr. 251, Schreiben Fellerers an den Rektor der Universität Münster, 28.1.1932. Ebd., Schreiben des Rektors der Westfalischen Wilhelms-Universität an den Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, 7.3.1932. Hermann Güttler (1887–1963), Schwerpunkt Komposition; Heinrich Maria Sambeth (1893–1969), ein Schüler Volbachs mit dem Schwerpunkt Musiktheorie; Ernst Bücken (1884–1949), 1921–1932 Direktor des Musikwissenschaftlichen Instituts in Köln. S. hierzu: UAMs, Bestand 62, B II 15, verschiedene Schriftsätze zu diesem Besetzungsverfahren. UAMs, Bestand 9, Nr. 411, Handschriftliche Mitteilung Fellerers an Peters, 25.2.1932.

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losophischen Fakultät, Wilhelm Wackernagel, Bücken mitteilte, dass unmittelbar nach Fellerers Ausscheiden in Münster von dem Musikwissenschaftler Dr. Werner Korte eine bemerkenswerte Habilitationsschrift eingereicht worden sei, und man beabsichtige, für Korte den Lehrauftrag zu beantragen.47 Der junge Musikwissenschaftler Werner Korte (1906–1982) bemühte sich auf Anraten Volbachs, in Münster um die Habilitation, nachdem er seine Assistenzzeit bei Heinrich Besseler in Heidelberg 1932 beendet hatte.48 Dekan Wackernagel forderte aufgrund dieses Bewerbungsschreibens verschiedene Stellungnahmen hinsichtlich Kortes wissenschaftlicher Qualifikation ein, die in ihrer Aussage insgesamt nicht unbedingt für Korte sprachen. Hatte Kortes geistiger Mentor Heinrich Besseler in einem Schreiben an den Dekan49 Kortes Kompetenzen als Wissenschaftler und als Musikpraktiker besonders herausgestellt und ihn für sehr geeignet empfohlen, gaben die beiden anderen Musikwissenschaftler Wilibald Gurlitt (1889–1963)50 und später auch Fritz Volbach51 in ihren Stellungnahmen einer Umhabilitierung Bückens gegenüber einer Neuhabilitierung Kortes den Vorzug. Bei Volbach ist diese Stellungnahme nicht nachvollziehbar, war er es doch gewesen, der Korte zur Habilitation geraten hatte und der sich nun gegen Korte und für Bücken einsetzte. Das Habilitationsverfahren Kortes wurde trotz der umstrittenen Stellungnahmen zügig in Angriff genommen, um die Stelle umgehend wieder zu besetzen, aber auch, um Bücken in Köln möglichst umgehend vor vollendete Tatsachen zu stellen. So schrieb Wackernagel an Bücken: „Wir haben die Habilitationsangelegenheit [Dr. Kortes] denn auch gerade vor Semesterende noch so weit gefördert, dass Korte gestern Abend zu einer Probevorlesung vor der Fakultät mit anschließendem Colloquium zugelassen worden ist und diese Habilitationsleistungen zur vollsten Zufriedenheit aller kompetenter Beurteiler erledigt hat. Korte wird also gleich zu Beginn des Sommer-Semesters noch eine öffentliche Antrittsvorlesung halten, und als dann seine Lehrtätigkeit beginnen können. Gleichzeitig wird für ihn die Übertragung des bisherigen Lehrauftrages von Fellerer beantragt werden.“52

Kortes Habilitationsschrift befasste sich mit dem Thema „Die Musikgeschichte Italiens im ersten Viertel des fünfzehnten Jahrhunderts“ und wurde von den Gutachtern, darunter Fellerer, hoch gelobt. 53 Seine öffentliche Vorlesung fand am 20. April 1932 in der Aula der Universität zu dem Thema „Die Bedeutung Johann Sebastian Bachs für das 19. und 20. Jahrhundert“ statt. Nach erfolgreichem Abschluss erhielt Korte die venia legendi der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakul47 48 49 50 51 52 53

UAMs, Bestand 62, B II 15, Schreiben Wackernagels an Bücken, 5.3.1932. UAMs, Bestand 8, Nr. 8878, Bd. 1, Bewerbungsschreiben Kortes an den Kurator der Universität, 17.2.1932. UAMs, Bestand 64, Nr. 54, Schreiben Besselers an Wackernagel, 7.2.1932. Ebd., handschriftliche Notiz Gurlitts an Wackernagel, 5.2.1932. UAMs, Bestand 62 B II 15, Schreiben von Volbach, Adressat nicht zu ermitteln, 4.3.1932. Ebd., Schreiben Wackernagels an Bücken, 5.3.1932. UAMs, Bestand 64, Nr. 53, Beurteilungsunterlagen der Habilitationsschrift Werner Kortes, 20.2.1932.

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tät. Am 14. Mai 1932 teilte das Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung mit, dass Werner Korte beauftragt werde, „vom Sommersemester 1932 ab in der genannten Fakultät die Allgemeine Musikwissenschaft in Vorlesungen und Übungen zu vertreten.“54 Mit diesem Lehrauftrag verbunden war die Ernennung „zum Direktor des Musikwissenschaftlichen Seminars der Universität Münster“.55 Werner Korte, nicht ganz 26-jährig, hatte sein Ziel erreicht, und Wackernagels Bemühen, noch im Sommersemester 1932 die Nachfolge Fellerers zu regeln, war erfolgreich verlaufen.

Das Musikwissenschaftliche Seminar unter der Leitung von Werner Korte – Errichtung eines Extraordinariats Ab 1935 unternahm die Universität große Anstrengungen, ein beamtetes Extraordinariat für die Musikwissenschaft einzurichten und es mit Korte zu besetzen. Für diese Besetzung lagen zwei Gutachten vor. Beide stammten von ehemaligen Lehrern Kortes, Wilibald Gurlitt und Heinrich Besseler, die bereits 1932 hinsichtlich Kortes Habilitation Stellungnahmen abgegeben hatten. Durch eine Veröffentlichung in der parteiamtlichen Zeitung „Die Musik“ hatte Korte sich jedoch selbst Steine in den Weg gelegt, hatte er doch dort Gurlitt als einen der Hauptvertreter der Geistesgeschichte56 dargestellt und ihn für die Misere in der Musikwissenschaft mitverantwortlich gemacht.57 Dieses methodische Vorgehen Gurlitts wurde von Korte im Zusammenhang der damals geführten Methodendiskussion in der Musikwissenschaft strikt abgelehnt. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass die Begutachtung Gurlitts hinsichtlich der Besetzung des Extraordinariats durch Korte negativ ausfiel. So hielt er ihn für noch nicht reif für diesen Posten und warf ihm vor, „er [habe] sich seine Sache wissenschaftlich offensichtlich etwas zu leicht gemacht und z. B. in der kleinen Schrift über Bach und den Aufsätzen in der Zeitschrift Die Musik gar zu flüchtig und großsprechend gearbeitet.“58 Besseler andererseits waren Kortes Aktivitäten im Amt Rosenberg nicht unbekannt und seine Nähe zu Gerigk aus persönlichen Gründen ein Dorn im Auge.59 In Besselers Gutachten, in der Diktion eher zurückhaltend, heißt es daher: 54 55 56 57 58 59

UAMs, Bestand 8, Nr. 8878, Bd. 1, Schreiben des Ministeriums für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung vom 14.5.1932. Ebd. Siehe zur Geistesgeschichte Geldsetzer 1974. Korte 1934/35, S. 340. UAMs, Bestand 63, Nr. 90, Schreiben von Prof. Dr. Wilibald Gurlitt an den Dekan der philosophischen und naturwissenschaftlichen Fakultät Trier, 30.9.1935. Rosenberg war der Beauftragte des Führers für die Überwachung der gesamtem geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP. In dieser Funktion baute sich Rosenberg in seinem Amt eine Machtbasis aus, die sich auf das gesamte kulturelle

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„Auskunft über die wissenschaftlichen Qualitäten Kortes zu geben, ist nicht leicht, da er – wie alle Kollegen seiner Alterstufe – in den letzten beiden Jahren durch außerfachliche Aufgaben und die Umstellung unseres wissenschaftlichen Lebens stark in Anspruch genommen war. […] Die maßgebliche Beurteilung steht natürlich nur dem am Ort und Stelle Tätigen zu. Als auswärtiger Beobachter kann ich nur sagen, dass ich in die wissenschaftlichen Qualitäten Dr. Kortes unverändertes Vertrauen setze und es begrüßen würde, wenn er die Musikwissenschaft in beamteter akademischer Stellung vertreten oder den entsprechenden Titel erhalten könnte.“60

Trotz dieser beiden zum einen ablehnenden und zum anderen zurückhaltenden Gutachten hielt der Dekan Trier an seinem Vorhaben fest, das Extraordinariat mit Korte zu besetzen. Er begründete dies damit, dass die „Stellung der Musikwissenschaft, ihre bisherige Entwicklung in Münster, nicht minder ihre Bedeutung im Ganzen einer nationalsozialistischen Erziehung“ dahin dränge, „ihr auch organisatorisch die Stellung zu geben, die ihr wesensmäßig zukommt.“61 So sei das „Seminar zu den bestausgerüsteten musikwissenschaftlichen Seminaren an den deutschen Universitäten [zu] rechnen“.62 Da Korte inzwischen in zahlreichen Organisationen der NSDAP Mitglied geworden und seine Mitarbeit eingebracht hatte, vergaß Trier auch nicht, in seinem ausführlichen Schreiben dieses Engagement Kortes herauszustellen.63 Das REM lehnte den Antrag jedoch 1936 ab.64 Stattdessen wurde Korte zum nichtbeamteten außerordentlichen Professor ernannt.65 Im Mai 1938 stellte der Dekan, inzwischen der Physiker Adolf Kratzer, einen erneuten Antrag. Er begründete dies damit, dass die Musikwissenschaft trotz des enormen Aufschwungs in den vergangenen Jahren, was die Vergabe an Lehrstühle betreffe, im Vergleich zu anderen Fachbereichen sehr vernachlässigt worden sei.

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Leben ausbreitete. Das Amt Musik unter Leitung des Musikwissenschaftlers Herbert Gerigk war die aktivste Abteilung im Amt Rosenberg, die unter anderem durch eine Reihe von publizistischen Projekten Einfluss nahm. Durch den Fall „Fink–Besseler“, in dem man den Studenten Fink des Seminars verwiesen hatte, war Besseler bei der Reichsstudentenführung und im Amt Rosenberg in Ungnade gefallen, und man versuchte unter allen Umständen, Besselers weitere Karriere zu verhindern. Hierbei tat sich besonders Herbert Gerigk hervor, der systematisch versuchte, Besseler zu blockieren. UAMs, Bestand 63, Nr. 90, Schreiben von Prof. Dr. Heinrich Besseler an den Dekan der philosophischen Fakultät in Münster, 11.10.1935. UAMs, Bestand 8, Nr. 8878, Bd. 1, Schreiben des Rektors und des Stellvertretenden Kurators der Westfälischen Wilhelms-Universität an den Reichs- und Preußischen Minister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, 28.10.1935, Betrifft: Stellung der Musikwissenschaft an der Universität Münster, S. 1. Ebd., S. 4. Korte war inzwischen Mitarbeiter in der Kunstschriftleitung der Nationalzeitung in Essen. Hier handelte es sich um das amtliche Organ des Gaues Westfalen Nord. Ferner war er in den künstlerischen Beirat des Amtes für Kunstpflege in der Reichsleitung der NSDAP berufen worden. s. hierzu: ebd. UAMs, Bestand 8, Nr. 8878, Bd. 1, Schreiben des Ministeriums an den Kurator der Universität, 15.1.1936. Ebd., Schreiben des Ministeriums an den Kurator der Universität, 30.1.1937.

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Schließlich müsse man den Lehrstuhl in Münster, der an einer der größten Universitäten Preußens eine bedeutende Entwicklung genommen und sich dort voll etabliert habe, gleichrangig mit Lehrstühlen anderer Universitäten im Lande behandeln.66 Das Ministerium hatte zwar grundsätzlich keine Einwände gegen ein Extraordinariat, machte aber zur Bedingung, dass die Fakultät hierfür einen anderen Lehrstuhl zur Verfügung stellen müsse. Die Umsetzung dieser Forderung gestaltete sich, wie aus dem Schriftverkehr des Rektors mit dem Ministerium ersichtlich wird, schwierig.67

Kortes Zusammenarbeit mit dem Amt Rosenberg und mit Herbert Gerigk Zu diesem Zeitpunkt besann sich Korte seiner guten Beziehungen zu Herbert Gerigk und schaltete diesen in der Angelegenheit des Extraordinariats in Münster ein. Aus der Aktenlage des Bundesarchivs in Berlin geht hervor, dass Gerigk sich um Kortes Anliegen bemühte. Sie zeigt im Folgenden aber auch, wie weit inzwischen die Zusammenarbeit Kortes mit dem Amt Rosenberg gediehen war und wie sehr er sich vom nationalsozialistischen Machtapparat hatte vereinnahmen lassen. So bat Gerigk, inzwischen Leiter der Hauptstelle kulturpolitisches Archiv, den NSDStB um Übermittlung zu Korte. „Da K. seit längerer Zeit von uns wiederholt auch für wichtigere Arbeiten herangezogen worden ist, liegt uns an einer möglichst ausführlichen Darstellung“.68 Eine dieser Arbeiten war die Bearbeitung der Musikfragen für Rosenbergs „Handbuch der Romfrage“. Da Korte zu den wenigen Vertretern seines Fachs gehöre, die von nationalsozialistischer Seite aus bejaht werden könnten, bat Gerigk auch den Führer des NS-Dozentenbundes darum, gegebenenfalls Kortes Ernennung zu befürworten.69 Auch im Rahmen der Reichsmusiklager wurde Korte im Dienst des Regimes tätig. Beim dritten Lager hielt er vor dem NSD-Studentenbundes einen Vortrag „über die rassisch verwurzelten Grundkräfte der deutschen Musik und wies ferner auf die daraus entspringenden großen und verpflichtenden Aufgaben des heutigen Komponisten hin.“70 Beim vierten Lager zeigte er seinen Film „Freusburg“.71 Hierzu schrieb ihm der Reichsstudentenführer: „so erinnere ich Dich daran, wie Du in den Tagen des letzten Reichsmusiklagers wieder froh und munter geworden bist. Außerdem ist es gar nicht anders denkbar, als dass Du 66 67 68 69 70 71

UAMs, Bestand 4, Nr. 89, Schreiben des Dekans Kratzers an das REM, 13.5.1938. Siehe hierzu den Schriftwechsel ebd. BAB, NS 15/36, Bl. 102, Schreiben Gerigks an das Amt NSD-Dozentenbund, 19.10.1937. Ebd., Bl. 127, Schreiben Gerigks an den NSD-Dozentenbund, 8.3.1938. Sichard, Wolfgang, Deutsche Musikstudenten auf der Freusburg, in: Deutsche Musikkultur 5 (1938/39), S. 315, zitiert nach: Prieberg 2004, S. 4189. Die Freusburg diente von 1928 bis 1945 als Reichsarbeitsdienstlager, Wehrertüchtigungslager und später als Reservelazarett.

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wieder das ganze Musiklager mit uns arbeitest. […] Auch sonst kommen dort andere Dinge deutlich zur Sprache.“72

Nicht nur der vertraute Umgangston des Reichsstudentenführers, auch seine aktive Mitarbeit in einzelnen Projekten zeigt deutlich, wie sehr Korte in den kulturellen Machtapparat der Nationalsozialisten eingebunden war. Auch auf einer Veranstaltung der Kreisleitung der NSDAP und des Musikvereins der Stadt Bielefeld hielt er beispielsweise 1938 eine Gedenkrede für Monteverdi.73 Trotz dieser Anbiederung war Kortes Kandidatur für das Extraordinariat in Münster nicht unumstritten. Offensichtlich bestanden zwischen dem Dekan und dem Rektor der Universität unterschiedliche Meinungen diesbezüglich. Während sich der Dekan für Korte aussprach, war dem Rektor Mevius dessen Mitarbeit im Amt Rosenberg ein Dorn im Auge.74 Anfang Juli 1939 wurde der Antrag auf Errichtung eines Extraordinariats vom Dekan Kratzer mit Genehmigung Mevius’ erneut dem Ministerium vorgelegt.75 Auch dieser zweite Versuch blieb jedoch erfolglos. Erst nach Kriegsende 1946 sollten die Pläne verwirklicht werden.

Herbert Gerigks Habilitation Auf die Zusammenarbeit Kortes mit Herbert Gerigk wurde mehrfach hingewiesen. Gerigk (1905–1996) gilt als einer der bekanntesten Antisemiten innerhalb des Fachs Musikwissenschaft. Sein berüchtigtes „Lexikon der Juden in der Musik“ und sein Engagement im Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg beim Raub wertvoller Musikalien im Ausland (vor allem in Frankreich) belegen dies. Geraubt wurde vor allem der Besitz verfolgter Juden in den von Deutschland besetzten Ländern. Gerigk übernahm die Planung der Musikpolitik Rosenbergs und war für deren Durchführung zuständig. Diese hatte das Ziel, jüdische Musikwissenschaftler aus ihren Ämtern zu entfernen und die Ausbreitung der ästhetisch avancierten neuen Musik, die von den nationalsozialistischen Machthabern strikt abgelehnt wurde, zu verhindern. Hierzu eine entsprechende Einlassung Gerigks von 1942: „Die Frage muss aufgeworfen werden, ob es im Zeichen der Liquidierung des Judentums in Europa angebracht ist, jüdische Mischlinge als Kulturschaffende in irgendeiner Form zuzulassen.“76 Seinen guten Kontakt zu Korte versuchte Gerigk Ende 1935 schließlich für sein eigenes Fortkommen einzusetzen und stellte einen Habilitationsantrag bei der Philosophischen Fakultät der Universität Münster. Inzwischen war er in der NSDAP 72 73 74 75 76

BAB, VBS 1, 1060039508, Schreiben des Reichsstudentenführers – Kulturamt – an Prof. Dr. Werner Korte, 13.7.1938. Prieberg 2004, S. 4189. BAB, NS 15/158a, Bl. 81, Schreiben Gerigks an das Amt Wissenschaft, Amtsleiter Pg. Prof. Dr. Baeumler, 24. 2. 1939. UAMs, Bestand 4, Nr. 89, Schreiben des Dekans Kratzers an das REM, 7.7.1939. Klee 2003, S. 180.

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die Karriereleiter emporgestiegen und hatte es zum Hauptstellenleiter in der Reichsleitung gebracht. Offensichtlich glaubte Gerigk durch eine Habilitation seiner Person durch diesen musikwissenschaftlichen Nachweis mehr Glanz zu verleihen, aber auch, um seine Position im Amt Rosenberg und in der NSDAP aufzuwerten.77 Im Sinne einer kumulativen Habilitation legte Gerigk der Prüfungskommission eine Zusammenstellung verschiedener Publikationen vor, die aus „einem Buch, zwei Sonderdrucke(n), neun Zeitschriftennummern, einer Zeitung und einem Bündel = 10 Blatt Buchbesprechungen“78 bestand. Der Minister hatte sich in Berlin damit einverstanden erklärt, im Habilitationsverfahren Gerigks von der Einreichung einer Habilitationsschrift abzusehen.79 Während die Kommissionsmitglieder Günther Müller (Literaturwissenschaft)80 und Heinrich Scholz (Philosophie)81 die eingereichten Arbeiten kritisch beurteilten, hob Korte hingegen die fachliche Gründlichkeit hervor und stellte die wissenschaftlichen Leistungen der Schriften Gerigks heraus. Ferner sah er in der Person Gerigks „einen verdienstvollen Anwärter auf die Würde eines Dr. habil.“82 Daraufhin schlossen sich auch die beiden anderen Professoren der Empfehlung Kortes an. Was Korte veranlasst hat, Gerigk in seinem Gutachten trotz des mageren Publikationsnachweises so positiv zu beurteilen, ist nicht auszumachen, galt er doch als strenger und anspruchsvoller Prüfer. Gerigk hatte sein Ziel, sich zu habilitieren, erreicht, was er auch entsprechend dokumentierte, indem er fortan auf allen amtlichen Schriftstücken und vor allem auch als Autor und Herausgeber seiner Publikationen als „Dr. phil. habil.“ firmierte. Auf der anderen Seite war Korte Gerigks Einfluss im Amt Rosenberg wohl bekannt und die enge Zusammenarbeit Kortes mit dem Amt Rosenberg und insbesondere Gerigk war nicht zu übersehen. Korte konnte durchaus einschätzen, dass sich dieser Einsatz für seine universitäre Karriere positiv auswirken konnte. Aber auch Pamela Potters Einschätzung muss in diesem Zusammenhang beachtet werden, wenn sie richtigerweise bemerkt, dass viele Musikwissenschaftler noch die Unsicherheiten nach dem Ersten Weltkrieg in Erinnerung hatten. In der Zusammenarbeit mit dem Amt Rosenberg sahen sie eine Vorsichtsmaßnahme mit gewissen Sicherheitsgarantien, ferner die Chance für möglichen zukünftigen politischen Einfluss.83 Bei Korte war dies der Fall, denn seine Anbiederung zeigte sich nicht 77

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Seine Parteizugehörigkeit setzte Gerigk immer wieder nutzbringend ein. So schrieb er im Zusammenhang seines „Ariernachweises“ an den Dekan: „Da ich Parteimitglied bin und außerdem die Geschäfte eines Hauptstellenleiters in der Reichsleitung der NSDAP wahrnehme, habe ich den Fragebogen über meine und meiner Ehefrau arische Abstammung nicht mit eingereicht.“, UAMs, Bestand 64, Nr. 30, Schreiben Gerigks an den Dekan,12.12.1935. Ebd., Bestand 64, Nr. 30, Empfangsbestätigung des Dekans an Gerigk. Ebd., Schreiben des Dekans an Gerigk, 6.4.1936. Ebd., Gutachten Günther Müller, 15.5.1936. Ebd., Gutachten von Heinrich Scholz, 24.6.1936. Ebd., Gutachten Werner Kortes, 15.5.1936. Potter 2000, S. 194.

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nur darin, dass er neben Fellerer regelmäßig Beiträge in der Traditionszeitschrift „Die Musik“ publizierte, sondern dass er auch in anderen von Gerigk kontrollierten Schriftenreihen und Monatsheften mit Beiträgen, wie noch zu zeigen sein wird, vertreten war. Auch gemeinsame Auftritte mit Gerigk waren Korte willkommen. Er trat beispielsweise mit Gerigk, Erich Schenk und Erich Schumann auf einem Treffen der Deutschen Gesellschaft für Musikforschung auf, nachdem das Leitungsgremium unter dem Vorsitz des Bonner Ordinarius Ludwig Schiedermair einen Eintritt Gerigks und seiner Gesinnungsgenossen in das Leitungsteam der Gesellschaft verhindert hatte.84 In dieses Bild passt Gerigks eifriges Bemühen, ferner sein aufbegehrendes Machtstreben, seinen Führungsanspruch auch in der Deutschen Gesellschaft für Musikforschung geltend zu machen. Korte stellte sich hierbei offensichtlich gerne als Statist zu Verfügung.

Werner Kortes Publikationen und sein Auftritt auf den Reichsmusiktagen Eines der Ziele der Nationalsozialisten war es, die Gleichschaltung der Kunst durch Sonderveranstaltungen und Festspiele zu fördern. Hierzu gehörten die Reichsmusiktage, die am 22. Mai 1938, dem Geburtstag Richard Wagners, in Düsseldorf unter der Schirmherrschaft Joseph Goebbels eröffnet wurden. Goebbels sah in den Reichsmusiktagen Veranstaltungen für musikpolitische Grundsatzerklärungen und Weichenstellungen. Werner Korte hatte sich unter den deutschen Musikwissenschaftlern bereits 1938 – gerade 32-jährig – einen Namen gemacht und er war der bei weitem jüngste Referatsleiter und Redner bei den ersten Reichsmusiktagen.85 Thomas Phleps, der sich in seinem Aufsatz ungewöhnlich scharf mit der Auswahl und Zusammensetzung der Referenten auseinandersetzt, kommt zu folgender Feststellung: „Es war eine äußerst heterogene Truppe, die sich hier zur Lobpreisung des Terrorregimes und zur Verschärfung national-konservativer Einstellungen zu völkisch-rassischen Aggressionen zusammenfand“.86 Korte hatte sein großes Ziel, im Konzert der bedeutenden Musikwissenschaftler mit zu spielen, erreicht. Schließlich bot sich Korte auf dem Plateau dieses Musikkongresses eine willkommene Gelegenheit, auf sich aufmerksam zu machen, indem er aus ideologischer Sicht seine Thesen einer musikalischen Erneuerung, die in einem engen Schulterschluss mit den kulturpolitischen Zielen der Nationalsozialisten standen, vor einem fachkundigen Publikum ausbreiten konnte. Schwerpunkt dieser Tagung war das Thema Musik und Rasse.87 Die 84 85 86 87

Ebd. Phleps 2001, S. 479. Ebd. Ausführliche Informationen zu den Referatsthemen, den Referenten sowie dem gesamten Ablauf der musikwissenschaftlichen Tagung der Deutschen Gesellschaft für Musikwis-

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verschiedenen Forschungsschwerpunkte verteilten sich auf fünf Arbeitsgruppen. Korte leitete die Arbeitsgruppe 4, die sich mit Fragen der Musikforschung beschäftigte. In einer der frühesten Auseinandersetzungen nach dem Ersten Weltkrieg ging es um die Stellung der Musikwissenschaft als Geisteswissenschaft. In diesem Zusammenhang wurde die Frage aufgeworfen, ob sich die Musikwissenschaft nicht „von den philosophischen Prämissen des Konzeptes der Geistesgeschichte zu verabschieden habe“ und es daher notwendig sei, „dass die Musikforschung eine eigene Methodik aus der inneren Struktur ihres Gegenstandes entwickeln müsse.“88 Korte selbst sprach am 27. Mai 1938 zu dem Thema „Die Aufgaben der Musikwissenschaft“. Der Vortrag ist nach Potters Einschätzung „ein antisemitischer Angriff auf die klassische Musikwissenschaft.“89 Er spricht vom Grundirrtum der Geisteswissenschaft und macht hierfür die Juden, die vor 1933 in Forschung und Lehre tätig waren, verantwortlich.90 Kortes Qualifikationsschriften (Dissertations- und Habilitationsschrift)91 richteten sich an ein musikalisches Fachpublikum. In seiner Dissertation hatte sich Korte mit der Struktur des Klanges auseinandergesetzt, in seiner Habilitationsschrift weitete er diese Klanganalysen in Strukturanalysen auf Messen, Motetten und Chanson der frühen italienischen Musik aus. Diesen methodische Ansatz einer zu entwickelnden Strukturanalyse, der damals in der Musikwissenschaft als ein neuartiger wissenschaftlicher Zugriff anzusehen war, verließ Korte ab 1932 wieder, indem er diese Methode im Zusammenhang mit einer neuen Musikwissenschaft in eine Wertwissenschaft transformierte und integrierte, in deren Mittelpunkt das Volk stand. Somit wandelte sich Korte von einem musikwissenschaftlichen zu einem politischen Autor, dem politische und ideologische Themen im Zuge einer musikalischen Erneuerung wichtiger waren. Wie Fellerer vollzieht auch Korte durch seine Publikationen den Schulterschluss mit den Nationalsozialisten. 1934 schrieb er in der Frankfurter Zeitung über das Horst-Wessel Lied: „Hier versagen alle bewährten Methoden der kritischen Analyse, da hier Musik nicht als Selbstzweck sondern im Dienste eines politischen Bekenntnisses vollzogen wird. […]. In diesem Sinne ist die Mehrzahl der neueren nationalen Musikliteratur politische Bekenntnismusik […]. Die Erziehungsstätten neuer nationaler Kunst sind die Erziehungsstätten der Jugend: Schule, Universität, Arbeits- und Wehrsportlager.“92

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senschaft anlässlich der Reichsmusiktage Düsseldorf, 26. bis 28. Mai 1938, sind dem Dokumentenverzeichnis XI zu entnehmen, in: Schipperges 2005, S. 407f. Potter 2000, S. 216. Ebd., S. 111. Korte 1938, S. 671. Dissertation: Korte 1929, Habilitation: Korte 1933. Korte 1934.

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Hier wurden von Korte bereits 1934 erste klare Vorstellungen einer neuen Werteerziehung im Sinne eines politischen Bekenntnisses sichtbar. Gleichzeitig wies er auf die große Bedeutung der neuen Erziehungsstätten für die Jugend hin. Mit dieser Äußerung ist Korte vor allem in der Nachkriegszeit immer wieder konfrontiert worden.93 Korte war, wie bereits erwähnt, ein entschiedener Gegner der Geistesgeschichte. In seiner Auseinandersetzung mit deren Protagonisten hatte er auch seine Lehrer Wilibald Gurlitt und später Curt Sachs, „der nach seiner Emigration zur beliebten Zielscheibe geworden war“,94 scharf angegriffen.95 Seine Vorstellungen erschienen dabei auch einigen seiner Kollegen, welche selbst politische und antisemitische Schriften verfassten, als inakzeptabel.96 Nur wenige Musikwissenschaftler waren daher bereit, innerhalb dieser Methodendiskussion Kortes Position in ihrer Radikalität zu übernehmen. Vielmehr wollten sie die Prinzipien der Geistesgeschichte aufrecht erhalten, indem sie fortfuhren, „ihre Nachbardisziplinen zu beobachten und mit einigen der von ihnen verwendeten Ansätze zu experimentieren.“97 Korte hielt dagegen an seinen Positionen fest, entwickelte nach 1945 die Strukturforschung weiter und schuf in den 1960er-Jahren an der Westfälischen Wilhelms-Universität eine Forschungsstelle für theoretische Musikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Strukturanalyse. Die Musikwissenschaft nutzte nach 1932 die Gelegenheiten, sich auf verschiedenen Gebieten zu engagieren. Trotz einer Engführung von Musikwissenschaft und Ideologie der Nationalsozialisten kann man nicht von einer Ideologisierung der Musikwissenschaft sprechen, denn die Auseinandersetzung der Rassenproblematik – obwohl 1938 Thema der musikwissenschaftlichen Tagung in Düsseldorf – sowie die Judenfrage insgesamt spielten nicht die überragende Rolle, wie man dies vermuten konnte. Anders verhielt es sich mit der Volksmusikforschung, denn sie „war eines der wenigen Gebiete, auf denen ernsthaftes Engagement sowohl die Forschung als auch die musikalische Praxis voranbrachte. Die Gründe hierfür haben aber weniger mit den Doktrinen der Nationalsozialisten zu tun, sondern mehr mit den allgemeinen Entwicklungen in der deutschen Geistesgeschichte einschließlich der zurückliegenden Methodenkrisen, mit der Vertiefung des völkischen Denkens, mit einer Neugier auf neue wissenschaftliche Methoden und mit der Faszination durch die zunehmende Popularität der Volksmusik.“98 93 94 95

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Vgl. Sandberger 1994, S. 238. Ebd., S. 248. Siehe hierzu: Potter 2000, Kapitel: Die Grenzen der Geistesgeschichte und das Aufkommen des Neopositivismus, S. 212–219, Kapitel: Nazifizierung der Musikwissenschaft?, S. 247–250, sowie Korte 1934/35 und 1939. Vgl. hierzu zum Beispiel die Überlegungen von Siegfried Goslich und Wolfgang Boetticher, siehe: Goslich, Siegfried, Gedanken zu einer geisteswissenschaftlichen Musikbetrachtung, in: Festschrift Arnold Schering, S. 90f., zitiert nach: Potter 2000, S. 248. Potter 2000, S. 215. Ebd., S. 247.

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Bereits 1935 hatte sich Korte also vehement als Gegner der Geistesgeschichte artikuliert und in seiner antisemitischen Betrachtungsweise99 den Nationalsozialisten angebiedert, indem er für eine Musikwissenschaft plädierte, die vom Volk ausging. Hier tat sich für deutsche Musikwissenschaftler und vor allem für Korte ein zweites Forschungsgebiet auf, wo er sich zu profilieren versuchte. Korte setzte sich für eine Musikwissenschaft ein, in deren Mittelpunkt die Verbindung der Wissenschaft mit dem Volk stand. Er forderte eine neue Musikgeschichtsschreibung, die Kriterien für eine musikerzieherische Zielsetzung formulierte. Auf seine Vorstellungen einer musikerzieherischen Zielsetzung100 kann an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden.101 Seine Anliegen brachte Korte auch in seine kulturpolitischen Konzepte ein, in denen er zum Ausdruck brachte, welche neuen Impulse Vorlesungen und Seminare aufgreifen müssten, um zeitgerecht zu lehren. Ein großes Anliegen Kortes war es, die Forschungs- und Lehrstätten der Universitäten aus ihrer Isolierung herauszuholen und sie mit der praktischen Musik in Kontakt zu bringen. Hier bediente sich Korte der Collegia musica, denen er in seinem neuen Erziehungskonzept, wie noch gezeigt wird, eine bedeutende Rolle zuwies. Viele Ideen dieser neuen musikalischen Denkweise im Zusammenhang mit der Volksmusikforschung entstammen der Jugendmusikbewegung, die schon seit der Weimarer Zeit mit ihren Vorstellungen von Gemeinschaft und Volksbildung Verbindungen zu Musikwissenschaftlern hergestellt hatte. Die aus der Jugendmusikbewegung hervorgegangenen Musikwissenschaftler stießen bei den Nationalsozialisten mit ihren Ideen von einer neuen Musikkultur offene Türen auf. Zu ihnen gehörte neben vielen anderen auch Werner Korte. Im Zusammenhang mit einem umfassenden Germanisierungsprozess innerhalb der deutschen Gesellschaft war Korte einer der eifrigsten deutschen Musikwissenschaftler, der versuchte, die großen deutschen Meister für die deutsche Musikgeschichte zu vereinnahmen. Es ging darum, den deutschen Charakter dieser Komponisten, darunter Schütz,102 Händel103 oder Mozart,104 zu betonen. Auffällig ist dabei Kortes aggressives Verhalten 99 100

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Siehe hierzu: Korte 1934/35. Ablehnung einer passiven und individualistischen Haltung des Konzerthörers, stattdessen Entwicklung einer Volksgemeinschaft, Kritik am Konzertsaal, stattdessen Bildung kleiner Musikkreise, Kritik am Konzertbetrieb des 19. Jahrhunderts, stattdessen Aufführung zeitgenössischer Musik und Weckung des Interesses für das Lied zur Förderung des Gemeinschaftssinnes, keine Isolation, stattdessen öffentliche Auftritte anlässlich nationalsozialistischer Feiern, Ablehnung des Fachvirtuosen, stattdessen Pflege der Musikerziehung und Schaffung guter Ausbildungsmöglichkeiten für den Musikerzieher, etc. Siehe hierzu: Korte 1935/36 und 1937/38. Siehe hierzu: Korte 1935. Siehe hierzu: Korte 1936, S. 55–67. – Auch andere Musikwissenschaftler setzten sich mit den Fall Händel auseinander: Leichtentritt 1924, Müller-Blattau 1933, Rosenberg 1937, Moser 1941. Siehe hierzu: Korte 1941. Hier heißt es am Schluss des Aufsatzes: „Und die Größe dieses weltumgreifenden Optimismus, und die Gnade des Genies, im Untergang die überzeu-

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gegenüber der katholische Kirche, auf das an dieser Stelle im Zusammenhang mit der Einweihung der Brucknerbüste in der Walhalla durch Adolf Hitler kurz eingegangen werden soll. Diese großartige Inszenierung eines Staatsaktes „vor dem Ehrentempel deutschen Geistes“105 war unter anderem auch eine öffentliche Abrechnung der deutschen Machthaber mit der katholischen Kirche, die es aus Sicht der Nationalsozialisten versucht hat, die Musik Bruckners für ihre konfessionellen Ziele zu vereinnahmen. Diese Ehrung Bruckners durch den „Führer“ war auch für Korte Anlass, sich zu Wort zu melden und im Gleichklang mit den Nationalsozialisten gegen die katholische Kirche zu polemisieren. In der Nationalsozialistischen Lehrerzeitung schrieb er: „Die ‚Regeneration mit der Wurzel‘ ist inzwischen bei uns in Angriff genommen worden, wenn auch sicher vorerst ohne die Vergewaltigung Bruckners zum Apostel einer katholischen Zukunft und auf anderem Wege, als sich die politisch-katholische Kulturanschauung sich vorgestellt hat. Wir sind heute zu einer neuen Sicht, wie zur Reinlichkeit verpflichtet, wir stehen unter anderen Wertungen und versuchen manches an seinen Platz zu stellen, das von den vergangenen Jahrzehnten liberalistischer Geschichtsbetrachtung gewaltsam verrückt worden ist.“106

Kortes Engagement an der Westfälischen Wilhelms-Universität Zeitzeugen zu finden, die während des Nationalsozialismus bei Korte studiert haben, ist heute nicht mehr möglich. Deshalb ist nicht nachzuprüfen, was Korte in seinen Lehrveranstaltungen wirklich gesagt hat. Somit ist diese Untersuchung auf die in den Vorlesungsverzeichnissen aufgeführten Veranstaltungen angewiesen. Darin sind auf den ersten Blick keine Auffälligkeiten hinsichtlich Antisemitismus, nationalsozialistischer Ideologie, Rassenlehre oder ähnlichem erkennbar. Mit einigen Veränderungen schließen seine Veranstaltungen thematisch an die seiner Vorgänger an. 1939 besuchte die Redaktion des Münsterischen Anzeigers im Rahmen einer Hochschul-Artikelserie Werner Korte und das Musikwissenschaftliche Seminar. Der Leser erhielt in dem anschließenden Artikel „Frau Musica auf Münsters hoher Schule“ einen Einblick in die Arbeitsweise des Seminars. Inhaltlich gab Korte gegenüber der Redaktion das wieder, was er in seinem Beitrag „Die Aufgaben der Musikwissenschaft“ von 1935 zu seinem kulturpolitischen Konzept für die Arbeit musikwissenschaftlicher Seminare angeregt hatte.107 Er erläuterte den Aufbau und die

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gende Kraft des beglückenden, makellosen Bekenntnisses in Tönen untertan zu haben, das erst erhebt Mozart zu dem Klassiker par excellence, hierin ruht die erschütternde Größe des deutschen Genies und seines musikalischen Vermächtnisses.“ Ebd., S. 569. Anton Bruckner zog in die Walhalla ein, 1937, S. 194 Ebd. Korte 1935, S. 342ff.

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inhaltlichen Schwerpunkte der Seminarveranstaltungen und machte deutlich, dass die Studenten im Hauptseminar lernen sollten, selbständig wissenschaftlich zu arbeiten, „wobei die Strukturforschung mittelalterlicher und barocker Musikformen im Vordergrund steh(e). Vornehmlich (werde) die deutsche Musik behandelt.“108 Korte bot ab dem Sommersemester 1939 in jedem Semester für seine Doktoranden in den Hauptseminaren Übungen zur Strukturforschung an. Um das Deutschtum in der Musikwissenschaft neu zu definieren, ging Korte vornehmlich in seinen Vorlesungen auf diese Thematik ein, in denen er für einzelne Kulturepochen und den hierin eingebundenen Komponistenbiographien, zum Beispiel Beethoven oder Wagner, das typisch Deutsche herausstellte.109Auf die Frage der Redaktion, in welchem Zusammenhang die Rassenforschung mit der musikwissenschaftlichen Disziplin stehe, antwortete Korte „dass im münsterischen Seminar seit Jahren den Beziehungen von Musik und Rasse besondere Bedeutung gewidmet (werde), da diese Fragen zum speziellen Arbeitsgebiet Prof. Kortes gehör(t)en.“110 Korte verwies dabei auf seine Abhandlungen in den Nationalsozialistischen Monatsheften. Die Tatsache, dass im Seminarraum eine Karte über die Rassenverteilung in Europa angebracht war, wertete der Münsterische Anzeiger als „erfreuliche(n) Beweis für die Gegenwartsverbundenheit und den nationalpolitischen Wert der musikalischen Arbeit.“111 Auch mit dem Collegium musicum löste Korte das ein, was er in seinen Publikationen über die Musikpflege der Gegenwart geschrieben hatte. Nach der Machtübernahme erhielten die Collegia musica eine neue Aufgabe. Neben den Feierveranstaltungen innerhalb der Universität gab es außeruniversitäre Konzerte. In Münster wirkte das Collegium musicum, das sich aus Studenten verschiedener Fakultäten und Bürgern der Stadt zusammensetzte, bei nationalsozialistischen Veranstaltungen und Organisationen (NS-Kulturgemeinde, NSDStB, Gaukulturwochen) mit. Aufgrund von Schulungs- und Arbeitslagern der NS-Bewegung war eine geregelte Probentätigkeit aber kaum möglich. Auch Konzertaufführungen gestalteten sich aufgrund von Besetzungsproblemen schwierig, vor allem, als im Wintersemester 1939/40 die Universität Münster kriegsbedingt vorübergehend geschlossen wurde. Für große Festveranstaltungen wurde nun das Städtische Orchester verpflichtet, das vom Generalmusikdirektor geleitet wurde. Auch Korte übernahm in einigen Fällen die Leitung dieses Orchesters. Er dirigierte das Städtische Orchester bei der Gedenkfeier für den erschossenen Volkshelden Albert Leo Schlageter,112 der NSDAP-Mitglied war und als Freikorpskämpfer von den Nationalsozialisten zum Märtyrer hochstilisiert wurde. Wie üblich bei NS-Feierlichkeiten war Marschmusik das vorherrschende musikalische Genre. So wurden von Beethoven der Marsch 108 109 110 111 112

„Frau Musica auf Münsters Hoher Schule“, Münsterischer Anzeiger, 12.1.1939. Siehe die Vorlesungsverzeichnisse der entsprechenden Semester. Ebd. Ebd. Münsterischer Anzeiger, 31.5.1933.

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aus Fidelio und die Egmont-Ouvertüre aufgeführt.113 Ebenso dirigierte Korte das Städtische Orchester am 30. Januar 1935, dem Feiertag der Reichsgründung und der Machtübernahme der Nationalsozialisten.114 Obwohl die Auftritte des Collegium musicum immer seltener wurden, beteiligte es sich mit mittelalterlicher Musik, Barockmusik, frühklassischer- und zeitgenössischer Musik am Kulturleben der Stadt und des Umlands. Auch Klavierabende und zeitgenössische Kammermusik sowie mittelalterliche Hausmusik wurden im Sinne der Jugendmusikbewegung aufgeführt. Diese Programmgestaltungen zeigten, dass Korte die Gemeinschaftsmusik aus dem Umfeld der Jugendmusikbewegung in den Fokus seiner Konzerte rückte. Im Sinne der neuen Machthaber klärte Korte sein Publikum über das neue Musikverständnis auf und hob den Begriff der Gemeinschaft ins Zentrum des gemeinsamen Musizierens. An einem Konzertabend 1934, als er Werke von Purcell, Bach und Hindemith115 aufführte, verdeutlichte er dem Publikum an Musikbeispielen, was in diesem Zusammenhang wirkliche Gemeinschaftsmusik bedeutet. Die Menschen hätten sich damals zusammengefunden, um als Gleichgesinnte gemeinsam zu musizieren. Auf dieser Ebene seien viele musikalische Werke entstanden, die bis heute ihre Gültigkeit hätten. Korte animierte sein Publikum, diese musikalische Gemeinschaft anzunehmen und sich zu eigen zu machen.116 Er führte die „Sing- und Spielmusik für Liebhaber und Musikfreunde“ von Hindemith auf und demonstrierte daran sein Anliegen.117 Seinen Konzertaufführungen stellte Korte stets einen Vortrag voraus, um sein Publikum auf den Komponisten und dessen Werk einzustimmen, so beispielsweise am 5. Juli 1934 im Rahmen der Werbung für den deutschen Geist Bachs Musikalisches Opfer. In seinen Vereinnahmungsversuchen deutscher Komponisten stellte Korte Bach als eine zentrale Figur deutscher Gemeinschaftskultur vor, der seine Werke aus einer gemeinschaftsverbundenen Grundhaltung komponiert habe.118 Im Lauf der folgenden Jahre spielte Korte immer wieder mit dem Collegium musicum, so während der Gaukulturwoche 1937119 oder auf einer Werbeveranstaltung zur Erhöhung der Studentenzahlen in Münster 1938. Mit Ausbruch des Krieges konnten Konzerte kaum noch aufgeführt werden. 1943 kam noch ein Konzert des Collegiums musicum und des Universitätschores zustande, in dem Werke von Vivaldi, Brahms und Haydn aufgeführt wurden. Die Presse war voll des Lobes und stellte den Idealismus der akademischen Jugend und die Tatkraft Kortes trotz kriegsbedingter Schwierigkeiten heraus.120 113 114 115 116 117 118 119 120

Ebd. Münsterischer Anzeiger, 30.1.1935. 1934 galt Hindemith (1895–1963) noch als Erneuerer der deutschen Musik, später emigrierte er nach wüsten Kampagnen gegen ihn in die Schweiz. Münsterischer Anzeiger, 24.7.1934. Ebd. Münsterischer Anzeiger, 7.7.1934. Münsterischer Anzeiger, 20.4.1937. Westdeutsche Zeitung, 20.3.1943.

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Wenig bekannt ist, dass Korte von 1925 bis 1940 ausgiebig komponierte. Der gesamte musikalische Nachlass Kortes lagert seit 2006 im Musikarchiv der Universitäts- und Landesbibliothek.121 Bei näherer Betrachtung kann Kortes Kompositionsschaffen den Ideen der Jugendmusikbewegung zugeordnet werden. Die Instrumentalmusiken mit ihren Streichquartetten, den Trios, den kleinen Kammermusiken, den Liedkompositionen mit Klavier- und Orchesterbegleitungen, den Kantaten und Spielmusiken unterstreichen diesen Eindruck. Es handelt sich um Kompositionen, die zum gemeinschaftlichen Musizieren in kleinen Ensembles für Feiern oder als Hausmusik geeignet sind. Korte kennzeichnete seine Musik als deutsche Musik, so zum Beispiel in seiner Komposition Gesang von unserer Zeit: Ein deutsches Oratorium in drei Teilen für Sprecher, Solosopran, vierstimmigen gemischten Chor und Orchester. Trotz seiner erfolgreichen Arbeit in Münster verfolgte Korte unter den Nationalsozialisten weiterhin sein Ziel, Ordinarius zu werden. Dazu boten sich Gelegenheiten an verschiedenen Universitäten. Aber weder in Tübingen noch in Frankfurt, Gießen oder Innsbruck wurde Korte bei der Vergabe von Lehrstühlen berücksichtigt. Neben der Vertretung in Gießen – in Münster war der Universitätsbetrieb inzwischen geschlossen – wurde Korte gleichzeitig in Marburg mit der Vertretung des neu eingerichteten Lehrstuhls für Musikwissenschaft beauftragt.122 Dennoch zerschlugen sich seine Hoffnungen zunächst.123 Dies war für Korte allerdings kein Nachteil, denn 1946 erhielt er seine Berufung zum Ordinarius in Münster.

Das Musikwissenschaftliche Seminar und die Nachkriegszeit – Neuanfang und Wiederaufbau In den Kreis der Musikwissenschaftler (Besseler, Schiedermair, Engel, Moser),124 die behaupteten, während des „Dritten Reiches“ schikaniert worden zu sein, reihte sich Werner Korte nach 1945 nahtlos ein. „Hier herrschte die Tendenz vor, alle persönli-

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In einer Pressemitteilung der Universität vom 10. April 2006 heißt es: „Die nun erworbenen rund 20 eigenhändigen vollständigen Kompositionen Kortes umfassen Instrumentalmusik sowie Lieder, Kantaten und Oratorien auf Texte von Johann Wolfgang von Goethe, Matthias Claudius, Ernst Wiechert und Ludwig Bäte. Ein größeres, noch unerschlossenes Konvolut von Kompositionsskizzen rundet den Nachlass ab.“ Pressemitteilung upm vom 10.4.2006, Bedeutende Schätze für die Universitäts- und Landesbibliothek. Musikarchiv erhielt zwei Sammlungen zum westfälischen Musikleben. http://cgi.uni-muenster.de/ exec/Rektorat/upm.php?rubrikAlle&neu=0&monat=2006, Zugriff: 3.11.2008. Staatsarchiv Marburg, 307d, acc. 1967/11, Nr. 366 ab, Schreiben des REM an den Kurator der Universität Marburg 17.11.1943. Ebd., Schreiben des Kurators an den Dekan, 17.8.1945. Vgl. Potter 2000, S. 298ff.

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chen Konflikte, finanziellen Restriktionen und Maßnahmen, die im Allgemeinen als unfair erachtet wurden, zu Fällen politischer Verfolgung aufzublasen.“125 In einem Lebenslauf vom 12.11.1947 schrieb er (inzwischen Ordinarius in Münster): „1937 wurde mir auf Antrag der Fakultät der Titel eines a.o. Professors verliehen, womit die Fakultät der politischen Bedrohung meiner beruflichen und privaten Existenz durch Gauleitung und Reichsdozentenbund zu begegnen trachtete. Obwohl ich schließlich 1938 Parteigenosse wurde, blieb meine Stelle weiterhin gefährdet und verschlechterte sich im Laufe des Krieges nach und nach (bis zur dreimaligen Denunziation bei der Wehrmacht). Die von der Fakultät immer erneut versuchte Ernennung zum Ordinarius blieb unerreichbar.“126

Aus seiner gesicherten Position als Ordinarius heraus konnte Korte 1947 während des Parteigerichtsverfahrens gegen Heinrich Besseler in einer Stellungnahme feststellen, dass Herbert Gerigk systematisch daran gearbeitet habe, Besselers Karriere zu zerstören. Offensichtlich war es nach dem Krieg für Korte zu gefährlich, an seinem ehemaligen Parteigenossen und Weggefährten Gerigk festzuhalten. „Auch ich geriet in ähnliche Schwierigkeiten wie jene und erhielt von Dr. G[erigk] die schriftliche Bestätigung meiner politischen und sachlichen Unbrauchbarkeit; Letzteres speziell wegen meines hartnäckigen Eintretens für die allen überlegenen Qualifikation Professor B(esselers) in Heidelberg.“127

All diese „Lebenslüge(n)“128 wurden für viele Musikwissenschaftler zur erfolgreichen „akademischen Überlebensstrategie [im] Nachkriegsdeutschland“,129 die ihnen erneut den Zugang zu zentralen Positionen innerhalb der Fakultäten verschafften. Diese Feststellung trifft auch für Werner Korte zu. Dass Korte „trotz seiner Hetzschriften der dreißiger Jahre und seiner Einstufung als Belasteter nach dem Krieg 1946 erster Ordinarius in Münster (wurde)“,130 erstaunt zunächst.131 125 126

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Ebd., S. 299. LAV NRW R, Bestand NW 172, Nr. 571, Lebenslauf Kortes, 12.11.1947. In diesem Lebenslauf datiert Korte seinen Parteieintritt absichtlich ein Jahr vor. Sein urkundlich festgehaltener Parteieintritt erfolgte 1937. Universitätsarchiv Heidelberg, PA Nr. 326 (Personalakte Besseler), zitiert nach Schipperges 2005, S. 184. John 2001, S. 464. Ebd. Vgl. Potter 2000, S. 311. Trotz intensiver Recherchen in den verschiedensten Archiven Deutschlands ist bis heute nicht gelungen, die Entnazifizierungsunterlagen Kortes ausfindig zu machen. Die Personalakte Kortes im Universitätsarchiv Münster, die offensichtlich für die Zeit des Nationalsozialismus „gesäubert“ wurde, gibt nur unwesentliche Informationen wieder. Der Musikwissenschaftler Wilibald Gurlitt bemerkt in einem Schreiben an die Universität Leipzig: „Nur soviel vermag ich Ihnen heute schon zu sagen: der von Ihnen erwähnte Werner Korte in Münster ist politisch belastet.“, UAL, Philosophische Fakultät, B 2/2246, Bl. 3, Schreiben Gurlitts an die Universität Leipzig, 26.4.1946. – Auf dieses Schriftstück bezieht sich Pamela Potter in ihrer Recherche, hinsichtlich Kortes „Belastung“ im Zusam-

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Dennoch gibt es, wird die spezifische Situation in Münster in der unmittelbaren Nachkriegszeit mit einbezogen, durchaus plausible Erklärungen für diese Entscheidung. So wurde die Wiedereinstellung zum einen durch die unzureichende Durchführung der Entnazifizierung an der Universität Münster durch die britische Militärregierung möglich. Korte war bei weitem nicht der einzige Belastete, der nach dem Krieg ohne Probleme wiedereingestellt wurde. Die Frage der Notwendigkeit der Wiederbesetzung des musikwissenschaftlichen Lehrstuhls wurde im Zuge der Entnazifizierung höher angesetzt als die politische Gesinnung und die Sympathien Kortes für die Nationalsozialisten. Außerdem konnte sich Korte einer Reihe von Unterstützern sicher sein. Im Besetzungsverfahren des Ordinariats hatte er in Dekan Behnke132 und Rektor Schreiber133 starke Befürworter auf seiner Seite. Ebenso standen die Repräsentanten der Stadt Münster,134 denen die Konzerte Kortes mit dem Collegium musicum aus der Vergangenheit in guter Erinnerung geblieben waren, hinter ihm. Außerdem galt Korte als anerkannter Wissenschaftler, Lehrer und Forscher, dessen Dienste für die Universität Münster man sich unbedingt sichern wollte. Dies war insbesondere deshalb von Bedeutung, da in Münster bekannt war, dass Korte auf der Berufungsliste der Marburger Universität stand.135 Einer Abberufung Kortes dorthin wollte man durch eine Ernennung zum Ordinarius zuvorkommen. Aus dieser Sichtweise heraus ist es daher nicht erstaunlich, dass er am 6. Juli 1946 zum Ordinarius am Musikwissenschaftlichen Institut ernannt wurde.136

Korte als Ordinarius Mit der Ernennung hatte Korte sein seit vielen Jahren angestrebtes Ziel endlich erreicht. Als Leiter war er gefordert, den Wiederaufbau des Musikwissenschaftlichen Seminars voran zu bringen und den Lehrbetrieb wieder aufzunehmen. Ein

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menhang mit dessen Entnazifizierung. Auch dem Artikel über Korte in der 2. Auflage von „Die Musik in Geschichte und Gegenwart“ („Korte, Werner“ 2003) liegt hinsichtlich der Kategorisierung Kortes dieses Dokument zugrunde. Das gespannte Verhältnis zwischen Korte und Gurlitt aus der Vergangenheit kann man in diesem Zusammenhang nicht unberücksichtigt lassen und von daher muss man diese Einlassung Gurlitts mit Vorbehalt zur Kenntnis nehmen. UAMs, Bestand 8, Nr. 8878, Bd. 1, Schreiben Behnkes an den Oberpräsidenten der Provinz Westfalen, Dr. Amelunxen, 13.12.1945. Ebd., Schreiben Schreibers an den Oberpräsidenten der Provinz Westfalen, Dr. Amelunxen, 18.5.1946. In den Schreiben Behnkes und Schreibers an den Oberpräsidenten wird nachdrücklich darauf hingewiesen, dass es der ausdrückliche Wunsch der Stadt ist, das neu zu schaffende Ordinariat mit Prof. Dr. Werner Korte zu besetzen. LAV NRW R, NW 172, Nr. 571, Schreiben des Kurators der Universität an die Frau Kultusminister des Landes Nordrhein-Westfalen, 8.11.1950. UAMs, Bestand 8, Nr. 8878, Bd. 1, Mitteilung des Oberpräsidenten an Prof. Dr. Werner Korte, d. d. Hd. des Herrn Rektors der Universität.

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Bericht zur Situation des Musikwissenschaftlichen Seminars gibt einen Einblick in die katastrophalen Zustände, in der sich das Institut 1946 befand.137 Aufgrund der Zerstörung der meisten Universitätsgebäude138 stellte sich für Korte zunächst die Raumfrage. 1944 waren die Gesamtausgaben und die Denkmälerbände des Seminars im Magazinkeller der Universität untergebracht worden. Ein großer Teil der Bibliothek war in der Frauenklinik gelagert, wo die Bestände weitgehend bei Bombardierungen verschüttet wurden. Die zugewiesenen Räume erwiesen sich für einen Seminarbetrieb als unbrauchbar. In der Kinderklinik waren dem Seminar zunächst zwei Räume zugebilligt worden, um den Seminarbetrieb für zehn Hauptfach- und 20 bis 30 Nebenfach-Studierende wieder aufnehmen zu können.139 Engagiert setzt sich Korte für geeignete Seminarräume ein und forderte eine ebenbürtige Behandlung bei der Raumverteilung mit den anderen Fächern. Da von den 6.000 Bänden der Seminarbibliothek aufgrund von Plünderungen und Zerstörung 80 Prozent nicht mehr zur Verfügung standen, nutzte Korte jede Gelegenheit, den Bestand durch Erwerb von Büchern aus Privatbibliotheken aufzustocken, wie zum Beispiel 1950, als er die Bibliothek des verstorbenen Bibliotheksrates Johannes Joachim aus Göttingen erwerben konnte.140 Korte war ständig bestrebt, beim Kurator Gelder für Instrumentenpflege, Büromaterial und Restaurierung beschädigter Bücher und Zeitschriften zu beantragen, so beispielsweise 1951 zum Ankauf eines Steinway-Flügels zum Preis von 3.500 DM.141 Auch die zuvor mit vielen Problemen belastete Orgelanschaffung fand ihre Fortsetzung.142 Eindringlich forderte Korte beim Kurator der Universität sein Anliegen ein: „Als Vertreter meines Fachs darf ich hinzufügen, dass für den Lehrbetrieb an den musikwissenschaftlichen Seminaren aller Universitäten eine Orgel eine selbstverständliche Notwendigkeit ist. Die Orgel ist in Disposition und Gesamtanlage außerdem das Ergebnis vierjähriger spezieller Forschungsarbeiten (Exkursionen) des musikwissenschaftlichen Seminars

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UAMs, Bestand 62, Nr. 91, Bericht Kortes zur Situation des Musikwissenschaftlichen Seminars, 16.6.1947. Das musikwissenschaftliche Seminar war bis zu seiner Zerstörung 1944 im Hauptgebäude der Universität am Domplatz untergebracht. Vgl. UAMs, Bestand 62, Nr. 91, Bericht Kortes zur Situation des Musikwissenschaftlichen Seminars, 16.6.1947. UAMs, Bestand 9, Nr. 412, Schreiben Kortes an den Kurator der Westf. Landesuniversität, 11.5.1950. Ebd., Schreiben Kortes an den Kurator, 27.3.1951. Korte war es vor dem Krieg gelungen, eine Kleinorgel für das Musikwissenschaftliche Seminar anzuschaffen, die später in der Aula der Universität, dem Fürstenbergsaal, der dem Collegium musicum als Konzertsaal und als Probenraum diente, installiert wurde. Wegen heftiger Mängel baute Orgelbauer Rohlfing aus Osnabrück später eine neue Orgel, die aber bis zum Kriegsende in Osnabrück ausgelagert blieb. Siehe: UAMs, Bestand 9, Nr. 413 und Nr. 14. Zu diesem Rechtsstreit ist der gesamte Schriftverkehr einsehbar.

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im Norddeutschen Raum. Sie ist also als ein ähnliches Ergebnis anzusehen, wie die z. Zt. von der Freiburger Universität gebaute Prätorius-Orgel.“143

Korte reichte daraufhin einen Kostenvoranschlag und einen Entwurf für eine Orgel mit 24 Registern, 2.096 Pfeifen und einem Baukostenaufwand von 33.000 DM ein. Sie wurde schließlich in der Orgelbauwerkstatt Paul Ott in Göttingen gebaut und am 4. Dezember 1958 im Rahmen einer Feier eingeweiht.144 Neben der Ausstattung des Instituts hatte die nach wie vor ungelöste Raumfrage für Korte weiterhin oberste Priorität. Bereits 1954 hatte er großes Interesse an den Räumlichkeiten eines der beiden Kavaliershäuschen auf dem Hindenburgplatz für die Seminarunterbringung gezeigt.145 Nach hartnäckigem Einsatz konnten schließlich 1963 die neuen Seminarräume im rechten Kavaliershäuschen vor dem erzbischöflichen Residenzschloss bezogen werden.146 Hier ist das Musikwissenschaftliche Seminar bis heute untergebracht. Kortes Lehrveranstaltungen nach 1945 setzten nahtlos da an, wo sie 1943/44 geendet hatten. Zwar waren seine Vorlesungen nicht mehr von deutschnationaler Thematik geprägt, aber nach wie vor war die Musik bis 1900 sein Arbeitsschwerpunkt.147 Die Neue Musik war für ihn kein Thema. Er hatte sie während des „Dritten Reiches“ aus propagandistischen Gründen abgelehnt, und konnte auch nach 1945 keinen Zugang zu ihr finden. Dies ist umso erstaunlicher, als er auf Einladung des Direktors der Stuttgarter Hochschule 1951 an einer Hochschulwoche für neue Musik teilgenommen hatte. Er begründete seine Teilnahme folgendermaßen: „Für die Studierenden der Musikwissenschaft ist es unerlässlich, dass sie und ich diese besondere, von allen unterschiedene Möglichkeit notwendiger Orientierung wahrnehmen.“148 Ferner nahm Korte an Hochschulwochen in Osnabrück, Soest und Bochum teil, „wo ich für unsere Universität eben gerade über die Situation der neuen Musik vortragen werde.“149 Statt eines neuen Aufbruchs hielt Korte jedoch an festgefahrenen und einseitigen Lehrangeboten fest, ohne dabei einen Blick nach außen oder in die Zukunft zu richten.150

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UAMs, Bestand 9, Nr. 413, Schreiben Kortes an den Kurator, 18.11.1952. Programmfolge: UAMs, Bestand 9, Nr. 1840. UAMs, Bestand 62, Nr. 91, Schreiben Kortes an den Rektor, 11.3.1954. Institutsgeschichte, online unter: www.uni-muenster.de/Musikwissenschaft/institut/index.html, Zugriff: 6.12.2009. Darunter Brahms, Bruckner, Beethoven, Musik des Mittelalters, ferner Instrumentalmusik und die Mannheimer Schule. Siehe: Gespräch mit Dr. Riehm am 13.1.2010 in dessen Wohnung. Riehm hatte bei Korte Ende der 1950er-Jahre studiert und wurde promoviert. Später leitete er als Universitätsdirektor das Collegium musicum. UAMs, Bestand 9, Nr. 412, Schreiben Kortes an den Kurator wegen Reisekostenzuschuss, 6.3.1951. Ebd. Gespräch mit Prof. Dr. Salmen in Kirchzarten am 14.7.2009. Die Lehrveranstaltungen Kortes nach 1945 sind den Vorlesungsverzeichnissen in der Nachkriegszeit zu entnehmen.

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Auch außerhalb der Universität waren Kortes Vorträge sehr gefragt. So startete er an der Volkshochschule Münster eine neue Vorlesungsreihe. Der erste Abend beschäftigte sich mit der Wiener Klassik. „In geistvollen Formulierungen, faszinierend und mitreißend gestaltet er die Dinge so, dass der Laie wie auch der Musiker selbst […] Wertvolles und Neues mit nach Hause nehmen. […] und er weiß sie [die alten Meister] vor dem wahren, historischen, soziologischen und weltanschaulich-philosophischen Hintergrund ihres Jahrhunderts höchst plastisch darzustellen.“151

Bereits vier Jahre nach Zusammenbruch des Nationalsozialismus hatte Korte offensichtlich im Zusammenhang einer neuen Musikgeschichte seinen früheren Anspruch, Musikwissenschaft von der Geistesgeschichte zu trennen, aufgegeben. Mit dem gleichen Engagement, mit dem Korte den Wiederaufbau des Musikwissenschaftlichen Seminars betrieben hatte, verfolgte er auch die Wiederbegründung des Collegium musicum. Die Studentenzahlen und Immatrikulationen stiegen nach 1945 ständig an, und Korte konnte bald wieder ein stattliches Orchester zusammenstellen. Mitte der 1950er-Jahre führte er die Veranstaltungsreihe „Das Musikkolleg“ ein. Hier handelte es sich um eine Veranstaltungsreihe offener Kammermusikabende für Studenten, die alle 14 Tage stattfanden. „Diese Veranstaltungen […] haben bisher durch einen außerordentlich starken Besuch erwiesen, dass sie nicht nur einem kulturellen Bedürfnis, sondern auch einer besonderen kulturellen Aufgabe im Rahmen des Studiums generale dienen.“152

Auch die Konzerte des Collegium musicum erfreuten sich allgemeiner Beliebtheit, wie Konzertkritiken aus den 1950er- und den 1960er-Jahren bestätigen. Das Ensemble bestand fast ausschließlich aus Studenten, dem vereinzelt Berufsmusiker beitraten, „um die Vortragsfolgen (durch Einbeziehung klassischer, romantischer und moderner Musik) lebendig und abwechslungsreich und das Aufführungsniveau hoch zu halten.“153 Die Konzerte fanden bis 1957 im großen Hörsaal des physikalischen Instituts statt, danach im großen Hörsaal der philosophischen Fakultät am Domplatz. Mit zunehmender Studentenzahl wurde es unumgänglich, den Lehrkörper zu vergrößern. Maria Elisabeth Brockhoff promovierte 1944 bei Korte mit dem Thema „Studien zur Struktur der italienischen und deutschen Triosonate im 17. Jahrhundert.“ Sie wurde Kortes erste wissenschaftliche Assistentin. Mit der Arbeit „Studien zur Konzerttechnik Bachs“ habilitierte sie sich für das Fach Musikwissenschaft. Ein ergänzendes Medizinstudium schloss sie mit dem Staatsexamen ab. Danach lehrte Brockhoff weitere 40 Jahre an der Universität Musikwissenschaft. 1968 wurde sie 151 152 153

„Wiener Klassik“, Münsterische Nachrichten (Stadt), 21.6.1949. UAMs, Bestand 9, Nr. 1838, Schreiben Kortes an den Kurator wegen Kostenzuschuss für diese Veranstaltungsreihe, 9.2.1955. UAMs, Bestand 9, Nr. 1839, Schreiben Kortes an den Kurator wegen Kostenzuschuss für das Collegium musicum, 21.3.1957.

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zur Wissenschaftlichen Rätin und Professorin ernannt. Ihre Schwerpunkte waren Opernwissenschaft und die Musik des 20. Jahrhunderts. Im offiziellen Nachruf der Universität heißt es: „Sie lehrte Musikgeschichte einer allgemeinen Kultur- und Geistesgeschichte und zog stets Querverbindungen zu anderen Disziplinen.“154 Ein weiterer Schüler, der in Münster Professor werden sollte, war Rudolf Reuter. In einem Schreiben an den Rektor der Universität stellte Korte Reuters Orgelkompetenz überzeugend heraus: „1948 hatte Rudolf Reuter bei Korte mit dem Thema ‚Die Orgel- und Klavierfugen Johann Sebastian Bachs‘ promoviert. Reuter galt als ein ausgewiesener Orgelfachmann, der seit 1951 Berater des Herrn Landeskonservators von Westfalen und Lippe [war] und [der] sich in dieser Zeit eine außerordentliche Kenntnis des historischen Orgelbaus erworben [hat] […], so dass gesagt werden kann, dass Herr Reuter in seiner Generation wahrscheinlich der erste und kenntnisreichste wissenschaftliche Sachverständige des historischen Orgelbaus in Deutschland ist.“155

Die Dienste dieses Fachmannes wollte sich Korte sichern. Reuter wurde eine Stelle als Lektor angeboten, er wurde Leiter der Orgelwissenschaftlichen Forschungsstelle. Schließlich erhielt er 1966 eine zusätzliche Professur, die an diese Forschungsstelle gebunden war. 1949 promovierte Wilhelm Wörmann bei Korte mit dem Thema „Alte Prozessionsgesänge in der Diözese Münster“. Wörmann erhielt bei Korte eine Assistentenstelle, da er in ihm geeigneten Hochschulnachwuchs sah. Bald machte Korte ihn zu seinem Vorlesungsassistenten und beantragte eine Verlängerung des Vertrages Wörmanns und stellte ihm eine Habilitation in Aussicht.156 Wenig später verließ Wörmann die Universität, und ging zur im Aufbau befindlichen Bundeswehr. Dort brachte er es bis zum Brigadegeneral. Dr. Gerhard Croll, der Anfang der 1960er-Jahre nach Münster kam, hatte bei Rudolf Gerber in Göttingen promoviert. In Münster konnte Croll auf Antrag Kortes ein Proseminar selbständig leiten. 1961 habilitierte er sich mit einer Arbeit über die Opern von A. Steffani. „1966 wurde er auf die Lehrkanzel Musikwissenschaft der wiedergegründeten Universität Salzburg berufen. (Emeritierung 1993).“157 Hatte Korte seine Publikationstätigkeit 1942 weitgehend eingestellt, so setzte diese erst sehr spät nach dem Krieg wieder ein. Die Nachkriegsliteratur Kortes, die nur noch vier Publikationen aufweist, beschäftigte sich bis auf sein Buch „De Musica“ mit der Strukturanalyse. In seinem Buch Bruckner-Brahms (1963) versuch154

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Nachruf des Rektors der Universität Dieckheuer und des Dekans der Philosophischen Fakultät Hortschansky zum Tode von Elisabeth Brockhoff am 21.9.1996, Westfälische Nachrichten, 26.9.1996. UAMs, Bestand 9, Nr. 1839, Schreiben Kortes an den Rektor der Universität wegen Beantragung einer Orgelwissenschaftlichen Forschungsstelle, 22.2.1961. UAMs, Bestand 62, Nr. 91, Schreiben Kortes an den Herr Kurator wegen Dienstzeitverlängerung Wörmanns, 24.10.1953. Croll 2001, Sp. 124.

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te Korte, „das Strukturfeld Bruckner-Brahms in seinen historischen Rahmen zu stellen.“158 Die wissenschaftliche Methode der Strukturanalyse, deren Anfänge sich bereits in seiner Dissertation 1928 andeuten, erlebte nun eine Wiederbelebung, die darin gipfelte, dass Korte 1969 eine Forschungsstelle für theoretische Musikwissenschaft am Musikwissenschaftlichen Institut einrichten konnte. Die Bedeutung dieser Forschungsstelle bleibt unklar, kein Musikwissenschaftliches Institut verfügt über eine ähnlich geartete Forschungsstelle. Ursula Götze, die bei Korte mit der Arbeit über den Burgsteinfurter Hofkapellmeister Johann Friedrich Klöffler mit summa cum laude promoviert hatte, galt als ausgewiesene Kennerin dieser wissenschaftlichen Methode. „Die z. T. strukturwissenschaftliche Dissertation erhielt das Prädikat summa cum laude und als Auszeichnung einen Teil des Jahrespreises der Fakultät.“159 Als Akademische Rätin/Oberrätin war Frau Götze in dieser Forschungsstelle tätig. Sie war eine enge Mitarbeiterin Kortes, die bei der Erstellung Kortes Buch Bruckner-Brahms eine wertvolle Hilfe war, ebenso für die Promovenden, die im Rahmen der Forschungsstelle ihre Doktorarbeiten erstellten.160 Möglicherweise wurde die Forschungsstelle eigens eingerichtet, um Ursula Götze einen sicheren Arbeitsplatz zu verschaffen. Nur so ist Kortes Bemühen zu verstehen, die laufenden Verträge Ursula Götzes zu verlängern und ihre wissenschaftliche Karriere bis zur Regelbeförderung als Akademische Rätin zu fördern.161 Bereits in den 1950er-Jahren wurde es still um Korte. Seine publizistische Enthaltsamkeit, die bereits 1942 einsetzte und erst wieder 1963 unterbrochen wurde, lässt Raum für viele Spekulationen. Ein Grund war sicher der gesundheitliche Zustand Kortes. Darüber hinaus darf auch fachliche Enttäuschung vermutet werden: Seine Vorstellungen von einer neuen Musikwissenschaft hatten kaum ein Echo gefunden, und mit seiner Strukturanalyse hatte er sich wissenschaftlich isoliert. In diesem Zustand von Frustration zog sich Korte zurück. Auf Kongressen und Tagungen suchte man ihn vergebens. Ob auch die späte Auseinandersetzung mit nationalsozialistischen Positionen zu neuen Einsichten bei Korte geführt haben könnten, ist nicht zu belegen. In der deutschen Musikwissenschaft nach 1945 spielte Korte demnach keine wichtige Rolle mehr. Dies wird beispielsweise daran deutlich, dass Korte in der 1994 eröffneten Ausstellung im Stadtmuseum Münster zum Thema „Musik in Münster“ lediglich am Rande im Zusammenhang seiner Äußerung zu dem Horst-WesselLied erwähnt wird, während Fritz Volbach viel Aufmerksamkeit eingeräumt wird. Laut Klaus Hortschansky, der für den Ausstellungskatalog verantwortlich war, habe Werner Korte mit seiner nationalsozialistischen Vergangenheit für die Musik 158 159 160 161

Vgl. Korte 1963, Vorbemerkung, S. 9. UAMs, Bestand 5, Nr. 301, Schreiben Kortes an den Kultusminister des Landes Nordrhein-Westfalen, 5.11.1965. Werner Hümmeke 1970, Rudolf Weber 1971, Karl-Jürgen Kemmelmeyer 1973, Burckhard Löher 1983. UAMs, Bestand 8, Nr. 13784, Diverse Schreiben Kortes an den Kurator der Universität.

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in Münster in den davorliegenden Jahrzehnten keine Rolle gespielt und sei deshalb für die Ausstellung unwichtig gewesen. Dies wird auch besonders in den „Beiträgen zur Westfälischen Musikgeschichte“ deutlich, wo Korte im Heft 17 (Festschrift zum 60. Geburtstag von Frau Prof. Dr. Maria Elisabeth Bockhoff) und im Heft 20 (Festschrift zum 60jährigen Bestehen des Musikwissenschaftlichen Seminars der Westfälischen Wilhelm-Universität) lediglich in einer Fußnote erwähnt wird. Die letztgenannte Festschrift war Fritz Volbach – Komponist, Dirigent, Musikwissenschaftler – gewidmet.

Fazit Wie in anderen Universitätsstädten, so ist in Münster während der Weimarer Zeit eine deutliche Expansion der Musikwissenschaft zu beobachten. Unter Volbach wurden grundlegende Voraussetzungen für die Gründung eines Musikwissenschaftlichen Seminars gelegt. Seine Verdienste als Musikpraktiker (Komponist und Dirigent) für die Stadt Münster, aber auch sein Engagement, den universitären Betrieb zu installieren und ihm ein ansprechendes Niveau zu geben, sind unbestritten. Fritz Volbachs musikwissenschaftliche Schriften zeigen die gesamte Musikgeschichte „im Sinne einer evolutionären Entwicklung ganz auf die deutsche Musik als Sieger im Kampf ums Dasein ausgerichtet, gepaart mit der Idee einer deutschen Kunst.“162 Somit finden sich in den Schriften Volbachs, aber auch in seinen Kompositionen, all jene geistigen und kulturellen Strömungen wieder, die so typisch für das Wilhelminische Zeitalter waren. Mit den meisten seiner Zeitgenossen teilte er den Willen, Kriegsbegeisterung zu entfachen und in den Publikationen den Patriotismus zu stärken. Antisemitische Vorurteile sind in den Schriften Volbachs unübersehbar, Anzeichen eines latenten Antisemitismus klar festzustellen. Volbachs Verständnis der deutschen Musikgeschichte hat auch in Münster deutliche Spuren einer deutschnationalen Ausrichtung hinterlassen. Thorsten Hindrichs vermutet, dass dies auch mit Volbachs ausgeprägtem Katholizismus zusammenhängen könnte. Hindrichs stützt sich hierbei auf das Buch von Olaf Blaschke „Katholizismus und Antisemitismus im Deutschen Kaiserreich“.163 Belege in Münster ließen sich für diese Vermutung nicht finden. Auch in Münster wurden als bereits während der Weimarer Zeit die Voraussetzungen für einen nahtlosen Übergang der Musikwissenschaft zum Nationalsozialismus gelegt. Im Zuge der Germanisierung wurden die großen Meister der Musik für die deutsche Musikgeschichte vereinnahmt und das Collegium musicum als Instrument für die Ziele der neuen Machthaber eingesetzt. So erlangte das Ensemble wie fast alle collegia musica eine große Bedeutung im musikpraktischen Schaffen. 162 163

Hindrichs 2001, S. 76. Ebd., Fußnote 45. Vgl. Blaschke 1997.

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Sein Programm orientierte sich an die Literatur der älteren deutschen Musik. Es entwickelte sich eine neue Gemeinschaftsmusik im Sinne der Jugendmusikbewegung. In Volbach, Fellerer und Korte standen Persönlichkeiten an der Spitze des Musikwissenschaftlichen Seminars, die dem Zeitgeist aufgrund ihrer ideologischen und politischen Einstellungen in Wort und Schrift angepasst waren. Korte gehörte zu den Musikwissenschaftlern, die sich früh von den neuen Machthabern vereinnahmen ließen. Seine Forderungen nach einer neuen kulturpolitischen Erziehung und einer neuen am Leitbild des Volkes orientierten Musikgeschichtsschreibung passten ebenso in das kulturpolitische Konzept der Nationalsozialisten wie seine Versuche, vermeintliche Fehlentwicklungen in der Musikwissenschaft zum Beispiel die Geisteswissenschaft in der Musikforschung, den Juden zur Last zu legen. Die wissenschaftliche Arbeit im Musikwissenschaftlichen Seminar wurde der nationalsozialistischen Ideologie angelehnt. Man kann aber dennoch von keiner nationalsozialistischen Musikwissenschaft sprechen. Die zur Zeit des Nationalsozialismus entstandenen Promotionen weisen beispielsweise kaum ideologisch oder politisch gefärbte Inhalte auf.164 Allerdings zeigt die Habilitation Herbert Gerigks, dass bei ihm weniger wissenschaftlicher Anspruch als politische Orientierung im Mittelpunkt stand und für eine wissenschaftliche Laufbahn als wichtig erachtet wurden. Nach 1945 setzte, wie für die deutsche Musikwissenschaft insgesamt konstatiert werden kann, auch in Münster eine Zeit des Schweigens und Vertuschens ein. Eine allgemeine konsequente Entnazifizierung fand nach Ende des Krieges nicht statt, eher zeichnete personelle Kontinuität die Nachkriegszeit aus. Werner Korte wurde direkt nach Kriegsende zum ordentlichen Professor berufen, was er während der NS-Zeit nicht erreicht hatte. Er bekleidete diese Position bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1973. Korte fühlte sich, wie viele seiner Kollegen, als ein von den Nationalsozialisten Verfolgter, dem diese die Universitätskarriere verstellt hätten. Ideologische „Freunde“ aus der Zeit des „Dritten Reiches“ (wie vor allem Herbert Gerigk) wurden für diese Misere verantwortlich gemacht. Nach Kortes Ernennung zum Ordinarius spielte der Nationalsozialismus keine Rolle mehr, über die Vergangenheit wurde in der Nachkriegszeit nicht geredet. Propagandistische Themen aus der Vergangenheit (die Auseinandersetzung mit der „Geistesgeschichte“) waren fortan erledigt. Korte wurde nach dem Krieg ohne Entnazifizierungsprobleme Ordinarius in Münster. In dieser Position setzte er sich erfolgreich für den Aufbau des Musikwissenschaftlichen Seminars und für die Wiederbegründung des Collegium musicum ein. Seine Konzerte fanden ihren Niederschlag in positiven Konzertkritiken der örtlichen Presse. Kortes Lehrveranstaltungen knüpften in ihrer Eingleisigkeit dabei nahtlos an die Veranstaltungsreihen vor 1945 an. Er umgab sich fortan mit fähigen Mit164

Eine Promotionsliste über die angefertigten und von Korte betreuten Arbeiten während der NS-Zeit und in der Nachkriegszeit ist dem UAMs, Bestand 62, Nr. 91 (ab Dekanat Wackernagel) zu entnehmen.

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arbeitern, die an der Weiterentwicklung des Seminars einen großen Anteil hatten. Die einseitige und fast besessene Ausrichtung seiner Strukturanalyse trieb ihn wissenschaftlich in die Isolation. Seine Forschungsarbeit fand keine Anerkennung. Er starb am 26. November 1982 mit 76 Jahren in Münster.

Literatur Anton Bruckner zog in die Walhalla ein. Der Führer ehrt den großen Genius in einem feierlichen Staatsakt vor dem Ehrentempel deutschen Geistes, in: Reichsanzeiger der deutschen Erzieher. Nationalsozialistische Lehrerzeitung (1937), S. 194–195. Blaschke, Olaf, Katholizismus und Antisemitismus im Deutschen Kaiserreich (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 122), Göttingen 1997. Bleibinger, Bernhard, Mythos Marius Schneider, Agent im Dienste der Musikwissenschaft, Handlanger der Nationalsozialisten oder verfolgter Emigrant?, in: Foerster/Hust/Mahling 2001, S. 329–359. Croll, Gerhard, „Croll, Gerhard“, in: Blume, Friedrich/Finscher, Ludwig (Hg.), Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik, Personenteil, Bd. 5: Cov–Dz, 2. neubearb. Aufl. Kassel 2001, Sp. 124. De Vries, Willem, Sonderstab Musik. Organisierte Plünderungen in Westeuropa 1940–45, Köln 1988. De Vries, Willem, Kunstraub im Westen 1940–1945. Alfred Rosenberg und der „Sonderstab Musik“, Frankfurt a. M. 2000. Fellerer, Karl-Gustav, Musik und Politik. Musik – Ethos politicon, in: Deutsche Tonkünstlerzeitung 31 (1933), S. 103–104. Foerster, Isolde von/Hust, Christoph/Mahling, Christoph-Hellmut (Hg.), Musikforschung, Faschismus, Nationalsozialismus. Referate der Tagung Schloss Engers (8. bis 11. März 2000) (Musik im Metrum der Macht 1), Mainz 2001. Foerster, Isolde von/Hust, Christoph/Mahling, Christoph-Hellmut, Vorwort, in: Foerster/Hust/Mahlmann 2001, S. I–X. Geldsetzer, Lutz, Geistesgeschichte, in: Ritter, Joachim (Hg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 3: G–H, Basel 1974, Sp. 207–210. Günnigmann, Manfred, Werner Korte. Musikwissenschaft während des Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit in Münster (in Vorbereitung). Hindrichs, Thorsten, Deutschnationale Tendenzen am Beginn des 20. Jahrhunderts. Der Musikwissenschaftler Fritz Volbach als Beispiel, in: Foerster/Huth/ Mahling 2001, S. 65–77. Hortschansky, Klaus (Hg.), Fritz Volbach (1861–1940). Komponist, Dirigent und Musikwissenschaftler. Festschrift zum 60jährigen Bestehen des Musikwissen-

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schaftlichen Seminars der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (Beiträge zur westfälischen Musikgeschichte 20), Hagen 1987. John, Eckhard, Legendenbildung und kritische Rekonstruktion. 10 Thesen zur Musikforschung im NS-Staat, in Foerster/Hust/Mahling 2001, S. 461–470. Klee, Ernst, Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945, 2. Aufl. Frankfurt a. M. 2003. Korte, Werner, Die Harmonik des frühen 15. Jahrhunderts in ihrem Zusammenhang mit der Formtechnik, Diss. Berlin 1929, Münster 1929. Korte, Werner, Studien zur Geschichte der Musik in Italien im ersten Viertel des 15. Jahrhunderts (Münsterische Beiträge zur Musikwissenschaft 6), Habil. Münster 1932, Kassel 1933. Korte, Werner, Nationale Musik im neuen Deutschland, in: Frankfurter Zeitung Nr. 104 vom 11.8.1934. Korte, Werner, Die Aufgabe der Musikwissenschaft, in: Die Musik 27 (1934/35), S. 338–344. Korte, Werner, Heinrich Schütz, in: Nationalsozialistische Monatshefte 6 (1935), S. 32–38. Korte, Werner, Bildungs- und Ausbildungsfragen der Musik, in: Die Musik 28 (1935/36), S. 348–356. Korte, Werner, Friedrich Händel, in: Gerigk, Herbert (Hg.), Meister der Musik und ihre Werke, Berlin 1936, S. 55–67. Korte, Werner, Alte und neue Orchestermusik, in: Die Musik 29 (1937/38), S. 565–567. Korte, Werner, Die Grundlagenkrisis der deutschen Musikwissenschaft, in: Die Musik 30 (1938/39), S. 668–674. Korte, Werner, Mozart, in: Nationalsozialistische Monatsblätter 12 (1941), S. 563– 569. Korte, Werner, Bruckner und Brahms. Die spätromantische Lösung der autonomen Konzeption, Tutzing 1963. „Korte, Werner“, in: Blume, Friedrich/Finscher, Ludwig (Hg.), Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik, Personenteil, Bd. 10: Kem–Ler, 2. neubearb. Aufl. Kassel 2003, Sp. 544–545. Leichtentritt, Hugo, Händel, Stuttgart, Berlin 1924. Lohaus, Peter, Das Musikwissenschaftliche Seminar der Westfälischen WilhelmsUniversität in der NS-Zeit, Staatsexamensarbeit Münster 2004. Lütteken, Laurenz, Profile eines „Rückzugsgebietes“. Zur Musikgeschichte Münsters im 19. Jahrhundert, in: Hortschansky 1987, S. 1–53. Moser, Hans Joachim, Georg Friedrich Händel, Kassel 1942. Müller-Blattau, Joseph, Georg Friedrich Händel (Die großen Meister der Musik), Potsdam 1933. Phelps, Thomas, „Ein stiller und zäher Kampf um Stetigkeit“ – Musikwissenschaft in NS-Deutschland und ihre vergangenheitspolitische Bewältigung, in: Foerster/Hust/Mahling 2001, S. 471–488.

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Potter, Pamela M., Die deutscheste der Künste. Musikwissenschaft und Gesellschaft in der Weimarer Republik bis zum Ende des Dritten Reichs, Stuttgart 2000. Prieberg, Fred K., Handbuch deutsche Musiker 1933–1945, Kiel 2004. Rectanus, Hans, „Volbach, Fritz“, in: Blume, Friedrich/Finscher, Ludwig (Hg.), Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik, Personenteil, Bd. 17: Vin–Z, 2. neubearb. Aufl. Kassel 2007, Sp. 203–204. Ribhegge, Wilhelm, Geschichte der Universität Münster. Europa in Westfalen, Münster 1985. Rosenberg, Alfred, Georg Friedrich Händel (Schriften des Händel-Hauses in Halle 1), Wolfenbüttel, Berlin 1937. Sandberger, Wolfgang, Musikleben vom Ersten Weltkrieg bis zur Gegenwart 1918– 1933, in: Hortschansky, Klaus/Galen, Hans (Hg.), Musik in Münster. Eine Ausstellung des Stadtmuseums Münster in Zusammenarbeit mit dem Musikwissenschaftlichen Seminar der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, 22. April – 31. Juli 1994, Münster 1994, S. 212–262. Schipperges, Thomas, Die Akte Heinrich Bessler. Musikwissenschaft und Wissenschaftspolitik in Deutschland 1924 bis 1949 (Quellen und Studien zur Musik in Baden-Württemberg 7), München, Berlin 2005. Schwarte, Michael, Musikvermittlung als erzieherisches Anliegen. Fritz Volbach als Autor, in: Hortschansky 1987, S. 139–194. Trott, Helmut, Volbach, Fritz, in: Rheinische Musiker 4 (1966), S. 182–184. Vorlesungsverzeichnisse der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster Wintersemester 1918/19 bis Wintersemester 1923/24.

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Das Zoologische Institut der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster im 20. Jahrhundert Lehre und Forschung in den biologischen Wissenschaften haben an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster eine lange Tradition.1 Die Ursprünge der Institute für Zoologie und Botanik lassen sich bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts zurückverfolgen. Dieses war im Bereich der Naturwissenschaften auf der einen Seite von einem enormen Zuwachs an wissenschaftlichen Erkenntnissen und auf der anderen Seite von einem fortschreitenden Emanzipierungs- und Ausdifferenzierungsprozess geprägt.2 Das galt selbstverständlich auch für die Biologie. Sie „etablierte sich […] als die umfassende ‚Wissenschaft vom Lebendigen‘ inhaltlich und institutionell als autonome Disziplin im Kanon der Naturwissenschaften.“3 Dabei kam es jedoch zu einer Art umgekehrtem Ausdifferenzierungsprozess, entwickelte sich doch aus der Naturgeschichte nicht zunächst eine einheitliche Disziplin „Biologie“, sondern es erfolgte ohne Zwischenschritt eine direkte Aufspaltung in Botanik und Zoologie (einschließlich Mineralogie).4 Am Ende des Jahrhundert war dieser Prozess weitgehend abgeschlossen, was sich auch in der Einrichtung von selbständigen, aus den medizinischen Fakultäten ausgegliederten zoologischen und botanischen Lehrstühlen an den deutschen Universitäten widerspiegelte, so zum Beispiel in Gießen 1850, Jena 1865, Kiel 1868 oder Heidelberg 1878. Die Gründungen korrespondierender Extraordinariate an der Universität beziehungsweise Akademie Münster fielen in dieselbe Zeit. Aber nicht nur institutionell, sondern auch methodisch wurden neue Wege beschritten. So ergänzte die Biologie ihre traditionell vergleichend-deskriptiv ausgerichtete Arbeitsweise durch neue Methoden und wandte sich, hierbei stärker in der Botanik als in der Zoologie, mehr und mehr dem Experiment als Werkzeug der wissenschaftlichen Erkenntnis zu. Als wichtigste Neuformulierungen beziehungsweise Neuentdeckungen der damaligen Zeit können die Evolutions- (hier vor allem Darwin und Wallace) sowie die Vererbungstheorie (Mendel) und ihre Wiederentdeckung gelten.5 An den Universitäten manifestierten sich diese Modernisierungsprozesse in einer weiteren Ausdifferenzierung der einzelnen Forschungsfelder: Physiologische 1 2 3 4 5

Dieser Beitrag basiert auf den Ergebnissen meines Dissertationsprojektes zur Geschichte der biologischen Institute der Universität Münster 1922 bis 1962. Vgl. für das Folgende vor allem Penzlin 2006, S. 1521. Ebd., S. 1522. Kanz 2002, S. 24. Vgl. hierzu Schulz 2006.

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Chemie, Entwicklungsmechanik, Entwicklungsphysiologie, Cytologie und andere Themenfelder wurden als selbständige Bereiche wahrgenommen. Die Wiederentdeckung der Mendelschen Regeln führte schließlich zur Genetik, welche 1906 als Begriff eingeführt wurde. Arbeitsgebiete wie die vergleichende Tierphysiologie, Neurophysiologie, Stoffwechselphysiologie, Hormonforschung und Sinnesphysiologie, deren Entwicklung ebenfalls in diesen Zeitraum fällt, sollten später auch in den Forschungen an den Münsterschen Instituten eine wichtige Rolle spielen. Als erster Professor, der neben allgemein naturwissenschaftlichen auch zoologische und botanische Vorlesungen anbot, lehrte Franz Wernekinck von 1797 bis 1822 in Münster.6 Etwa zur gleichen Zeit, zwischen 1808 und 1818, hielt der Apotheker Dr. Ferdinand Herold pharmazeutisch-botanische Vorlesungen ab. Ihnen folgte eine Reihe von Wissenschaftlern, die zum Teil noch zusätzlich an der Medizinisch-Chirurgischen Lehranstalt und am Gymnasium Paulinum unterrichteten. Eine klare Trennung der Fachgebiete gab es lange Zeit nicht. Die allgemein in Lehre und Forschung voranschreitende Aufspaltung und Spezialisierung der einzelnen biologischen Fächer machte indes auch vor Münster nicht halt. 1873 wurde Hermann Landois zum außerordentlichen Professor ernannt und erhielt 1876 das allein für die Zoologie neu geschaffene Extraordinariat. Die Botanik hatte bereits einige Jahre zuvor, im Jahr 1867, ein eigenes Extraordinariat unter dem bereits seit 1860 an der Akademie über Anatomie und Physiologie sowie Entwicklungsgeschichte der Pflanzen lesenden Theodor Rudolf Nitschke erhalten.7 Damit war die sich bereits länger abzeichnende fachwissenschaftliche Spaltung der beiden Bereiche auch organisatorisch vollzogen. Mit dem vorliegenden Aufsatz soll die Geschichte des Instituts für Zoologie vom Ende des Ersten Weltkrieges bis in die 1960er-Jahre dargestellt werden. Dieser breite Untersuchungszeitraum erlaubt es, sowohl Brüche als auch Kontinuitäten während der Systemwechsel von der Weimarer Republik über den Nationalsozialismus hin zur Bundesrepublik in den Blick zu nehmen und zu analysieren. Methodisch orientiert sich der Beitrag dabei, ebenso wie die in diesem Sammelband vorliegende Untersuchung zum Institut für Botanik, an zwei analytischen Leitlinien, die als Klammer für die Frage nach dem Verhältnis von Institutionen und Personen der Universität, wissenschaftspolitischer Entwicklung der beteiligten politischen Funktionsträger sowie Wissenschaftswandel dienen. Auf der einen Seite soll unter Rückgriff auf den Ansatz Mitchell G. Ashs, der Wissenschaft und Politik als sich gegenseitig mobilisierende Ressourcenensembles interpretiert, das wechselseitige Verhältnis dieser Teilbereiche näher beleuchtet werden. Kernbegriffe des Modells sind die Aspekte Wissenschaft, Politik und Wissenschaftswandel. Hierbei wird axiomatisch angenommen, dass die Begriffe Wissenschaft und Politik nur schwer bis gar nicht voneinander zu trennen seien. Deshalb werde ein weiter Begriff des Wandels benötigt, um all diese Aspekte zu 6 7

Stempell 1912, S. 115. Tobler 1922, S. 22f.

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erfassen. Hierfür biete sich das Konzept der Um- und Neugestaltung von Ressourcenkonstellationen und -ensembles an, welches auf einer Erweiterung des Ressourcenbegriffs über das Finanzielle hinaus auf kognitiv-konzeptionelle, apparativinstitutionelle und rhetorische Ebenen beruht. Ash hat zu diesem Zweck einige Vorschläge zur Typologie der Ressourcen vorgebracht. Zum einen zählen hierzu die Wandlungen personeller Ressourcen. Zum anderen lassen sich die Wandlungen institutioneller Konstellationen und die damit zusammenhängende Neuzusammensetzung von praktischen Fertigkeiten und Forschungsstilen beobachten. Ein dritter Bereich sind Neukonstruktionen beziehungsweise Neuzuordnungen von Wissenschaften, wobei es sich hierbei im Wesentlichen um die Mobilisierung rhetorischer Ressourcen handelt, das heißt um Versuche, verschiedene Wissenschaften im Sinne des jeweils neuen Regimes umzudeuten.8 Auf der anderen Seite soll der Aspekt der regionalen Einbindung von Universität und Forschung in das Münstersche Umfeld herausgearbeitet werden. Hierzu gehören beispielsweise personelle Verflechtungen der Universität mit Organisationen wie Heimatbünden oder wissenschaftlichen Einrichtungen in Westfalen, das Verhältnis zum Provinzialverband, zum katholischen Milieu oder zur NSDAP. Bevor dies jedoch geschehen kann, müssen die personellen, organisatorischen und wissenschaftlichen Rahmenbedingungen des Instituts zu Beginn des Untersuchungszeitraumes dargestellt werden.

Das Zoologische Institut vor 1922 Ende der 1860er-Jahre hatten sich Zoologie und Botanik an der damaligen Akademie Münster organisatorisch getrennt. Als erster Extraordinarius für Zoologie amtierte ab 1873 Hermann Landois, der in Münster bis heute vor allem für die Gründung des Zoos (1875) und des Museums für Naturkunde (1891) bekannt ist.9 Er erweiterte nach seiner Berufung die Sammlung und das Vorlesungs- und Übungswesen des Zoologischen Instituts. Wissenschaftlich arbeitete Landois vor allem über Tierstimmen, Spermatogenese, Entwicklungsgeschichte, Geschlechtsbestimmung, Ton- und Stimmapparate der Insekten und Eischalen der Vögel.10 Nachdem er im Januar 1905 verstarb, folgte ihm der bisherige außerordentliche Professor für Anatomie an der Universität Greifswald Emil Ballowitz.11 Er wiederum wurde von Walter Stempell abgelöst. Das Preußische Wissenschaftsministerium ernannte ihn am 30. Mai 1911 zum ordentlichen Professor für Zoologie, womit ihm außerdem das gleichnamige neugeschaffene etatmäßige Ordinariat übertragen wurde. In der Folgezeit baute Stempell die Forschung und Lehre am Institut weiter aus. In 8 9 10 11

Vgl. hierzu Ash 2002 und 2006. Rensch 1980, S. 467. Stempell 1921, S. 7. Stempell 1912, S. 119f.

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Auswahl sei an dieser Stelle auf Bereiche wie die Schalenbildung der Mollusken, Tiergesellschaften, Abstammungslehre, Systematik, aber auch Spezialgebiete wie Tierbilder der Mayahandschriften verwiesen.12 Zu Beginn der 1920er-Jahre hatte er das Institut von einem hauptsächlich heimatkundlich arbeitenden Teilbereich der Anatomie zu einer vielseitigen Einrichtung umgestaltet. Der verheiratete Stempell ließ sich jedoch auf eine Affäre mit einer seiner Studentinnen ein und machte diese schließlich sogar zu seiner Assistentin. Daraufhin breiteten sich Unruhe und Misstrauen am Institut aus. Aufgrund der Tatsache, dass durch das Bekanntwerden des Verhältnisses die Autorität des Ordinarius’ vollends untergraben worden war, beurlaubte ihn das Ministerium Ende 1921 vorläufig und beorderte einen Ersatzmann nach Münster. Am 27. Dezember 1921 wurde Professor Jürgen Wilhelm Harms von der Universität Marburg für das laufende Wintersemester mit Stempells Vertretung beauftragt.13 Sein Gastspiel an der Universität Münster blieb aber nur von kurzer Dauer. Harms ging bereits 1922 als Ordinarius nach Königsberg.14 An seiner Stelle schickte das Preußische Wissenschaftsministerium am 24. April 1922 Heinrich Jakob Feuerborn,15 den ehemaligen Assistenten Stempells, von seiner neuen Arbeitsstelle an der Universität Kiel nach Münster zurück. Dort beauftragte es ihn, im Sommersemester 1922 die Vertretung des nunmehr als „erkrankt“ bezeichneten Ordinarius in Vorlesungen und Übungen zu übernehmen und die Direktionsgeschäfte des Zoologischen Instituts zu führen.16 Die zunächst kurzfristig geplante Vertretung sollte die nächsten fünf Jahre andauern.

Die Vertretung des Ordinariats durch Feuerborn 1922 bis 1927 Feuerborn übernahm das Institut in einer politischen Krisenzeit. Deutschland war noch immer von den Folgen des verlorenen Ersten Weltkriegs gezeichnet. Politische Instabilität und Inflation schufen ein Klima, welches die Förderung der Hochschulen und der an ihnen arbeitenden Wissenschaftler auf der Prioritätsliste der politischen Entscheidungsträger nach hinten schob. Auch der neue Direktor des Instituts war davon betroffen. Seine persönlichen Lebensumstände konnten sich darüber hinaus schon allein aus dem Grund nicht festigen, als er nicht etwa auf den Posten als Lehrstuhlinhaber berufen, sondern stattdessen sein Auftrag zur Vertretung Stempells jedes Semester aufs Neue verlängert wurde.17 Feuerborn versuchte zwar während seiner gesamten Amtszeit, seine Ernennung zum ordentlchen 12 13 14 15 16 17

Stempell 1921, S. 8ff. UAMs, Bestand 63, Nr. 179. Vgl. Potthast 2010, S. 441–442. Der Zoologe hatte seinen Namen inzwischen von Heinrich Jacobfeuerborn in Heinrich Jakob Feuerborn ändern lassen. UAMs, Bestand 4, Nr. 227. So am 5.4.1923, am 11.9.1923 und am 28.4.1924, siehe UAMs, Bestand 4, Nr. 227.

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Professor zu erreichen, aber sowohl die Univeristät als auch das Preußische Wissenschaftsministerium lehnten diese Forderung ab. 18 Ein Grund hierfür war nicht zuletzt seine schwache wissenschaftliche Reputation.19 So wurde beispielsweise Feuerborns einzige von der Fachwelt beachtete Arbeit, eine neuartige Theorie über den Bau des Insektenthorax, von anderen Entomologen vernichtend beurteilt und gänzlich zurückgewiesen.20 Darüber hinaus plagten noch weitere Probleme das Institut. Hierzu gehörte neben einer mangelhaften räumlichen und materiellen Ausstattung auch ein zu geringer Etat.21 Mehrmals musste Feuerborn Versuche seitens des Kurators, eine der drei am Institut bestehenden Assistentenstellen zu streichen, abwehren.22 Auch konnten sich, abgesehen von ihm selbst, keine personellen Kontinuitäten entwickeln. So wechselten die Assistenten in einigen Jahren gleich mehrmals, und nur wenige von ihnen verblieben längerfristig am Institut. Andererseits lassen sich für die Jahre zwischen 1922 und 1927 aber auch erste Entwicklungen feststellen, welche noch Jahrzehnte später für das Institut wichtig sein sollten. So wurden etwa bereits in den frühen 1920er-Jahren durch die Anbindung von regelmäßigen Gastdozenten an das Institut, zum Beispiel für Fischerei23 und Bienenkunde,24 die Grundsteine für eine außeruniversitäre Vernetzung der Zoologie gelegt, die bis in die 1960er-Jahre andauern sollte. Organisatorisch konnte das Zoologische Institut jedoch weder mit seinem botanischen Schwesterinstitut noch mit den Einrichtungen vieler anderer Universitäten konkurrieren. Unterrichtsmittel und -sammlungen waren veraltet, und die Wissenschaftler mussten das spärlich vorhandene Material durch eigene Anschaffungen aufstocken.25 Der Institutsbetrieb entsprach Mitte der 1920er-Jahre weitestgehend dem der Vorkriegszeit. Wenn auch die Anzahl der Hörer in den Vorlesungen teilweise viel höher lag, waren bei einer Gesamtzahl von 2.001 Studenten an der Universität Münster im Wintersemester 1924/25 insgesamt nur 13 (neun männliche, 18

19 20 21 22

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Vgl. zum Beispiel UAMs, Bestand 9, Nr. 519, Feuerborn an Kurator, 18.9.1924, UAMs, Bestand 9, Nr. 519, Feuerborn an Dekan der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, 17.2.1925, oder GStA, I. HA Rep 76 Va, Sektion 13, Titel IV, Nr. 6, Bd. III, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fachschaft an Philosophisch-Naturwissenschaftliche Fakultät, 2.2.1926. UAMs, Bestand 9, Nr. 523, Feuerborn an Kurator, 2.8.1925. Vgl. Feuerborn 1922; zu seinen Kritikern unter anderem Martini 1923, Weber 1923. UAMs, Zugang 19/2005 (Institut für Zoologie), Karton: Institutsakten 1918–1927; Akte: Institutsakten 1923, Feuerborn an Kurator, 2.8.1923. Vgl. unter anderem UAMs, Bestand 9, Nr. 522, Feuerborn an Kurator, 29.1.1923, UAMs, Zugang 19/2005 (Institut für Zoologie), Karton: Institutsakten 1918–1927, Akte: Institutsakten 1923, Feuerborn an Kurator, 30.7.1923, sowie UAMs, Bestand 9, Nr. 523, Feuerborn an Kurator, 9.2.1924. Schäperclaus 1959, S. 300f. UAMs, Zugang 19/2005 (Institut für Zoologie), Karton: Institutsakten 1918–1927; Akte: Instituts-Akten im Geschäftsjahr 1922, Nachricht des Kurators, 8.3.1923. UAMs, Bestand 9, Nr. 519, Feuerborn an Kurator, 10.1.1925.

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vier weibliche) für Biologie eingeschrieben. Damit rangierte Münster sowohl was die Gesamtzahl als auch den Bereich Biologie betraf am unteren Ende der preußischen Hochschulen (zum Vergleich: Marburg 1.569 Studenten, davon 26 Biologie; Berlin 7.311, davon 83 Biologie).26 In Bezug auf die forschungsimmanente Entwicklung kann die Zeit unter der Führung Feuerborns als Phase der Stagnation bezeichnet werden, auch wenn es ihm gelang, insbesondere die Heimatkunde und -forschung auszubauen. Dabei war der Zoologe stets bemüht, eine Verbindung von universitärer Lehre, Heimatbewegung und Politik, zum Beispiel durch Gastvorträge, herzustellen. In einem Vortrag über „Heimatschutz, Heimatforschung, Heimaterziehung mit besonderem Hinblick auf den heimatkundlichen Unterricht“ von 1924 wurde dies besonders deutlich. Feuerborn nach müsse die Heimatkunde auf einer Kenntnis der Heimatnatur aufbauen. Zuständig dafür seien die Biologen. Die Heimat müsse zum Symbol der Vaterlandsliebe werden, und der Heimatgedanke sei der Hauptfaktor für den seelischen Wiederaufbau des Volksganzen. Daher sei die Heimatlehre auch in der Schule als ethische Grundlage der Heimatliebe wichtig. Sie müsse nicht Disziplin, sondern Prinzip des Unterrichts sein, und auch die Universität müsse noch mehr als bisher in ihren Dienst treten.27 Nutzte der Zoologe solche Gedanken Mitte der 1920erJahre noch als Ressource zur Stärkung der universitären Biologie, so war er damit 1933 überaus anschlussfähig an die Blut-und-Boden-Ideologie der Nationalsozialisten. Quantität und Qualität des wissenschaftlichen Outputs des Instituts sanken hingegen weiter ab. Feuerborn selbst hatte bis zu seiner Ablösung an der Spitze des Instituts insgesamt nur eine sehr geringe Anzahl von Beiträgen veröffentlicht, und davon lediglich einen Bruchteil zwischen 1922 und 1927. Auch die von ihm betreuten Dissertationen ließen keine innovativen Impulse erkennen. Thematisch beschäftigten sie sich mit Feuerborns Spezialgebieten, nämlich entweder Gewässertieren28 oder Insekten.29 Der stellvertretende Ordinarius konnte zwar den Prüfungsinhalten seinen Stempel aufdrücken, beschränkte sich bei der Anleitung seiner Schüler aber auf das, was ihm vertraut war, und brachte die Arbeit am Institut wissenschaftlich nicht voran. Ähnlich sah es bei den Vorlesungsinhalten aus, denn auch sie blieben über den gesamten Zeitraum weitgehend konstant. Innovationen ließen sich unter den an26 27 28

29

Statistik der Landesuniversitäten und Hochschulen Preußens für das Wintersemester 1924/25, in: UAMs, Bestand 4, Nr. 1169. UAMs, Zugang 19/2005 (Institut für Zoologie), Karton: Institutsakten 1918–1927; Akte: Institutsakten 1924, Vortrag Feuerborn, undatiert. Als ein Beispiel die Dissertation von Wilhelm Schäperclaus „Untersuchungen über den Stoffwechsel, insbesondere die Atmung niederer Wassertiere“, vom 22.2.1924, bewertet mit sehr gut, in: UAMs, Bestand 62, GB 5, Bd. 1. Zum Beispiel „Das larvale Muskelsystem und die Entwicklung der imaginalen Flugmuskulatur von Psychoda alternata Say“ von Lina Dirkes vom 12.7.1928, bewertet mit gut, in: UAMs, Bestand 62, GB 5, Bd. 1.

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gebotenen Veranstaltungen schwerlich finden. Traten sie doch einmal auf, wie beispielsweise der „Kursus über angewandte Biologie (für Landwirte, Biologen und landwirtschaftlich interessierte Hörer aller Fakultäten)“ im Sommersemester 1922 oder „Die angewandte Biologie im modernen Wirtschaftsleben“ im Wintersemester 1922/23, kamen sie von externen Mitarbeitern und hielten sich nur für ein einsemestriges Gastspiel. Mit voranschreitender Zeit schrumpfte die Zahl der Veranstaltungen hingegen mehr und mehr zusammen.30 Womit man sich zum damaligen Zeitpunkt definitiv nicht beschäftigte (und dies ist im Hinblick auf Feuerborns spätere Konversion zum Experten für Rassenkunde interessant), war Vererbungslehre und Rassenhygiene. Als im Frühjahr 1925 der Bearbeiter der Abteilungen „Erblichkeitslehre und Variationserscheinungen“ und „Rassenunterschiede des Menschen, Anthropologie“ einer Düsseldorfer Ausstellung für „Gesundheitspflege, soziale Fürsorge und Leibesübungen“ beim Zoologischen Institut anfragte, ob man sich beteiligen wolle,31 musste Feuerborn antworten, dass man dies leider nicht könne, da man zu den Themen nicht forsche.32 Der Modernisierungsschwung, der unter Stempell noch Inhalte und Struktur der Forschung und Lehre vorangetrieben hatte, verebbte demnach unter der Leitung Feuerborns. Anstatt das Institut zu reformieren, ließ er es in die Beliebigkeit fallen und koppelte es dadurch von der allgemeinen Wissenschaftsentwicklung ab. Wenn auch die äußeren Umstände ein Aufblühen des Instituts erschwerten, so muss ein Hauptgrund für die Fehlentwicklungen letztlich in der Person des stellvertretenden Direktors gesucht werden. Als das Preußische Staatsministerium schließlich im September 1926 die Berufung Stempells gegen seine Entlassung aus dem Dienst endgültig zurückwies, entschlossen sich Fakultät und Wissenschaftsministerium daher auch dazu, Feuerborn bei der Suche nach einem neuen Ordinarius nicht zu berücksichtigen.33 Völlig unerwartet löste die Übergehung des Zoologen dabei ein politisches Echo aus. So versuchte der Münstersche Oberbürgermeister Georg Sperlich (Zentrum), seinen Parteifreund Dr. Aloys Lammers, seit 1921 Leiter der Hochschulabteilung im Preußischen Wissenschaftsministerium und seit 1925 dort Staatssekretär,34 dazu zu bewegen, seinen Einfluss zugunsten einer Berufung Feuerborns geltend zu machen.35 Auch Dr. Albert Lauscher, Mitglied des Preußischen Landtages (Zentrum) 30 31 32 33 34

35

Vgl. Vorlesungsverzeichnisse Sommersemester 1922 bis Sommersemester 1927. UAMs, Zugang 19/2005 (Institut für Zoologie), Karton: Institutsakten 1918–1927; Akte: Institutsakten 1925. 1.4.1925–31.3.1926, Bearbeiter an Feuerborn, 18.4.1925. Ebd., Feuerborn an Bearbeiter, 22.4.1925. GStA, I. HA Rep 76 Va, Sektion 13, Titel IV, Nr. 3, adhib., Preußischer Wissenschaftsminister an Kurator, 23.9.1926. Kurzbiographie zu Lammers, Aloys, in: „Akten der Reichskanzlei. Weimarer Republik“ online; http://www.bundesarchiv.de/aktenreichskanzlei/1919-1933/0021/adr/adrhl/ kap1_5/para2_12.html, Zugriff: 28.4.2009. GStA, I. HA Rep 76 Va, Sektion 13, Titel IV, Nr. 3, Bd. XVI, Oberbürgermeister von Münster an Lammers, 11.12.1926.

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und Professor für Theologie an der Universität Bonn,36 übte heftige Kritik an der Berufungspraxis der Fakultät und monierte, dass bei der Besetzung von drei zoologischen Ordinarien in Preußen nicht ein einziger Katholik vorgeschlagen worden sei.37 Feuerborns Kontakte in das katholische Milieu der Domstadt konnten ihm jedoch nicht helfen. Die Universität beharrte auf ihrem Recht zur akademischen Selbstverwaltung. Um jedoch eine völlige Brüskierung des Stellvertreters zu vermeiden, wurde er durch die Ernennung zum nichtbeamteten außerordentlichen Professor,38 die Erteilung eines Lehrauftrages für Landesfauna39 und die Finanzierung einer einjährigen Forschungsreise nach Südostasien40 für seine langjährige Tätigkeit belohnt. Im Auswahlverfahren um das Ordinariat setzte sich schließlich der Würzburger Entwicklungsphysiologe Leopold von Ubisch gegen seine Mitbewerber durch. Er wurde am 17. März 1927 auf den Lehrstuhl berufen41 und trat zum 1. April 192742 seinen Dienst als neuer Ordinarius an.

Das Ordinariat von Ubisch 1927 bis 1935 Von Ubisch gelang es, das Institut nach den Jahren der Stagnation zu modernisieren. Analog zu seinen Forschungsschwerpunkten führte er es, neben der Beibehaltung traditioneller Münsterscher Themen, inhaltlich durch die Etablierung der Entwicklungsmechanik, der Genetik und durch den Ausbau der Tierphysiologie wieder an die aktuelle Forschung heran. Dieser umfangreiche Wandel fand sich sowohl in den Vorlesungsthemen43 als auch in den Dissertationen44 und den wissenschaftliche Arbeiten der Institutsmitarbeiter wieder.45 Dabei wurden die Veränderungen stets durch Impulse seitens der Wissenschaft angestoßen, die Politik intervenierte in diesem Bereich nie. Über die inhaltlich wie personelle Neuausrichtung vergaß von Ubisch jedoch auch seinen Vorgänger Feuerborn nicht, den er von Beginn an ste36

37 38 39 40 41 42 43 44 45

Kurzbiographie zu Lauscher, Albert, in: „Akten der Reichskanzlei. Weimarer Republik“ online; http://www.bundesarchiv.de/aktenreichskanzlei/1919-1933/0021/adr/adrhl/ kap1_5/para2_45.html, Zugriff: 28.4.2009. GStA, I. HA Rep 76 Va, Sektion 13, Titel IV, Nr. 3, Bd. XVI, Lauscher an Dekan der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, 15.3.1927. Ebd., I. HA Rep 76 Va, Sektion 13, Titel IV, Nr. 6, Bd. III, Preußisches Wissenschaftsministerium an Feuerborn, 4.7.1927. Humboldt-Universität zu Berlin, Universitätsarchiv zu Berlin, PA Feuerborn, Bd. IV, Preußisches Wissenschaftsministerium an Feuerborn, 10.9.1927. Chronik 1927/28, S. 93ff. UAMs, Bestand 9, Nr, 976, Kurator an Preußisches Wissenschaftsministerium, 13.4.1927. Chronik 1927/28, S. 93ff. Vgl. zum Beispiel Chronik 1929/30, S. 87ff., oder Vorlesungsverzeichnis Sommersemester 1930, Wintersemester 1930/31. Vgl. hierzu UAMs, Bestand 62, GB 5, Bd. 1. Vgl. zum Beispiel von Ubisch 1922 und 1924 oder Kosswig 1930.

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tig förderte. Mit der Einstellung neuer Assistenten stabilisierte sich darüber hinaus auch die Personalsituation am Institut. In politische Auseinandersetzungen mischte sich der Ordinarius nur selten ein. Kam es dennoch dazu, handelte es sich um ausschließlich wissenschaftspolitische Themen, wie beispielsweise die reichsweite Auseinandersetzung um eine Neustrukturierung der Prüfungsordnung für Mediziner46 oder die Frage nach der Finanzierung biologischer Versuchsstationen.47 Stattdessen betrieb von Ubisch eine umfangreiche Lobbyarbeit für das Institut und vernetzte es regional und international. So gelang es ihm, hochkarätige auswärtige Forscher zu begleitenden Vorträgen an der Universität zu gewinnen.48 Ebenso arbeitete er eng mit außeruniversitären Einrichtungen wie der Versuchsanstalt für Bienenkunde der Provinz Westfalen und dem Fischereibiologischen Instituts der Landesbauernschaft Westfalen zusammen und regte unter anderem eine Zusammenführung diese Institute unter voller Wahrung ihrer Selbständigkeit zu einer Arbeitsgemeinschaft mit dem Zoologischen Institut an.49 Der Kooperationswille des Ordinarius beschränkte sich aber nicht nur auf außeruniversitäre Partner. Auch zu seinen Kollegen und Nachbarinstituten versuchte er, Kontakte zu knüpfen. Zusammen mit dem Ordinarius für Botanik, Friedrich Wilhelm Benecke, verfasste von Ubisch beispielsweise am 2. Juli 1928 ein Schreiben an den Kurator, mit dem die beiden biologischen Institute in Absprache mit den Lehrstühlen für Geographie und Geologie die Errichtung einer biologischen Station auf Norderney vorschlugen.50 Als dies vom Ministerium abgelehnt wurde, veranstaltete man trotzdem vom 1. bis zum 11. September 1929 zusammen mit der Gesellschaft zur Förderung der Klimaforschung im Nordseegebiet, Abteilung Norderney, einen interdisziplinären Ferienkurs auf der Nordseeinsel, und ein halbes Jahr später unterstützten dieselben Lehrstühle einen Antrag beim Preußischen Landwirtschaftsministerium auf Ausbau des Instituts für Nordseeforschung an gleicher Stelle.51 Bei all diesen Anlässen argumentierte von Ubisch vorrangig mit der Notwendigkeit des Erhalts und der Verbesserung der Qualität von Lehre und Forschung, um die politischen Entscheidungsträger zu einer Förderung der Münsterschen Zoologie zu bewegen. Hiermit war er zwar im Regelfall erfolgreich, was sich unter anderem in der Verlängerung von Mitarbeiterstellen, finanzieller Unterstützung und Umbaumaßnahmen am Institut niederschlug. Daneben gelang es ihm zudem auch, durch eine effektive Nachwuchsförderung aussichtsreiche junge Forscher für 46

47 48 49 50 51

Vgl. hierzu UAMs, Bestand 62, A I 4, Denkschrift des Dekans der Philosophischen Fakultät der Universität Bonn, 15.7.1932, bzw. ebd., Dekan der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät an Kurator, 31.7.1932. UAMs, Bestand 9, Nr. 805, von Ubisch an Kurator, 7.11.1932. UAMs, Bestand 62, Z 1, von Ubisch an Dekan der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, 17.10.1929. UAMs, Bestand 9, Nr. 519, von Ubisch an Kurator, 20.11.1930. UAMs, Bestand 9, Nr. 541, von Ubisch und Benecke an Kurator, 2.7.1928. UAMs, Bestand 9, Nr. 541.

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Münster zu gewinnen.52 Dennoch war seine Amtszeit von permanenten Problemen geprägt, die das Institut schon seit Jahrzehnten plagten. Neben die allgegenwärtige Raumnot traten ab 1929 noch die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise, die sich in einer akuten Finanznot des Instituts niederschlugen. Von Ubisch war kontinuierlich damit beschäftigt, Gelder einzutreiben, Unterstützer zu mobilisieren und den Betrieb des Instituts mit inadäquater Ausstattung aufrecht zu erhalten. Sein größtes Projekt, einen Neubau des Zoologischen Instituts, konnte er nicht verwirklichen. Die bereits weit fortgeschrittenen Pläne wurden durch die Machtübernahme der NSDAP am 30. Januar 1933 gestoppt. Darüber hinausgehende Folgen für das Institut hatte der Systemwechsel 1933 jedoch zunächst nicht. Von Ubisch setzte seinen Kurs auch nach Hitlers Amtsantritt weiter fort. Inhaltlich lassen sich kaum Veränderungen in der Zoologie feststellen. Das Einsickern von NS-Themen in den Lehrplan fand bis auf wenige, sporadische Veranstaltungen nicht statt, und die Vergabe von NS-affinen Dissertationsthemen, wie beispielsweise in der Medizinischen Fakultät, fehlte völlig.53 Der Regimewechsel konnte in diesem Fall die Konstanz eines Ordinariats nicht durchbrechen. Dennoch deuteten sich infolge des antisemitischen Kurses der neuen Regierung Konflikte an. Von Ubisch, obwohl evangelisch getauft, galt aufgrund seiner jüdischen Mutter fortan als „Halbjude“. Er wurde nur deshalb nicht schon im Zuge der ersten, auf das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933 folgenden Entlassungswelle aus der Universität entfernt, weil er im Ersten Weltkrieg Frontkämpfer gewesen war und deshalb durch eine Ausnahmeklausel vorerst geschützt blieb.54 Die Atmosphäre am Institut verschärfte sich weiter, als seine Assistenten Zug um Zug entweder der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen beitraten. Gleiches galt für die Studentenschaft, deren nationalsozialistisch organisierter Teil auch in Münster gegen missliebige Professoren hetzte und sie aus der Universität zu vertreiben suchte.55 Besonders Feuerborn, der sich durch seine Nichtberufung zum Ordinarius 1927 und durch die Tatsache, dass man an seiner Stelle einen jüngeren Forscher auf den Direktorenposten gesetzt hatte, benachteiligt fühlte, versuchte, die neuen politischen Realitäten zu seinem Vorteil zu nutzen und gegen seinen eigenen Vorgesetzten vorzugehen. In der Machtübernahme der Nationalsozialisten sah er seine letzte Chance, aus seiner unbefriedigenden Stellung auszubrechen. Diese wollte er mit aller Kraft nutzen. Um das zu erreichen, legte er einen Opportunismus, eine Arbeitswut sowie eine wissenschaftliche Wandlungsfähigkeit an den Tag, die sich, insbesondere im Hinblick auf sein fortgeschrittenes Alter, als außergewöhnlich dar52

53 54 55

Hierzu zählten unter anderem der spätere langjährige Münstersche Dozent Friedrich Krüger und der spätere Ordinarius in Braunschweig, Istanbul und Hamburg, Curt Kosswig. Vgl. hierzu UAMs, Bestand 62, GB 5, Bd. 1. UAMs, Bestand 9, Nr. 863, Kurator an Preußischen Wissenschaftsminister, 23.5.1933. Vgl. zum Beispiel Pöppinghege 1994, S. 215.

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stellt. Gleichzeitig setzte er mit seinen Aktivitäten Prozesse in Gang, die nicht nur das Zoologische Institut in die tiefste Krise seiner Geschichte stürzen, sondern eine Vielzahl von Mitarbeitern in Auseinandersetzungen hineinziehen sowie Auswirkungen auf zahlreiche Karrieren haben sollten. Zu diesem Zweck aktivierte der zu diesem Zeitpunkt bereits über 50-jährige Entomologe seine regionalen Netzwerke, die ihm den Weg zu einer Übernahme des Lehrstuhls ebnen sollten. Dabei vermischten sich politische mit wissenschaftlichen Ressourcen. Zunächst trat Feuerborn Anfang Mai mit der Mitgliedsnummer 2.162.906 der NSDAP bei.56 Ebenso wurde er Mitglied der NSV und im Juli 1933 des NSLB.57 Hinzu kamen umfangreichen Tätigkeiten im Gau Westfalen-Nord als Gaufachberater für Naturschutz, als Mitarbeiter im Gauschulungsamt und wöchentlicher Referent auf der Gauführerschule Nordkirchen, als Mitarbeiter des Rassenpolitischen Amtes im NSLB, in der Verwaltungsakademie, bei den Gerichtsrefendaren des Oberlandesgerichtsbezirks Hamm, bei den Ärzten, der Landesbauernschaft und als Vertrauensdozent der Studentenschaft.58 Daneben wurde er auch wissenschaftlich aktiv. Ein erster Schritt war die Gründung einer Biologenschaft im Sommersemester 1933, deren Ziel die Behandlung von Rassenproblemen sein sollte.59 Im Wintersemester 1933/34 folgte die Ankündigung einer Veranstaltung mit dem Titel „Abstammungslehre, mit besonderer Berücksichtigung des Rasse- und Artbildungsproblems“.60 Mit dieser Vorlesung betrat er zwar nicht komplettes wissenschaftliches Neuland, hatte er doch bereits im Wintersemester 1927/28 und im Wintersemester 1931/32 eine ähnliche Veranstaltung zur Einführung in die Dezendenzlehre für Hörer aller Fakultäten abgehalten.61 Wissenschaftlich hatte er sich jedoch selbst in seinen spärlichen Veröffentlichungen und auch in den anderen von ihm angebotenen Seminaren überhaupt nicht speziell mit dieser Thematik beschäftigt, und die Verknüpfung mit Rasse und Artbildung zeigte deutlich, in welche Richtung das Thema ausgelegt werden sollte. Diese Neuausrichtung versuchte Feuerborn daraufhin auch formal abzusichern. Dazu übermittelte er dem Dekan Anton Baumstark, selbst aktiver Nationalsozialist und sehr um eine Säuberung der Universität von dem Regime suspekten Mitarbeitern bemüht,62 den Wunsch, dass sein Lehrauftrag, der sich auf Landesfauna be56 57 58 59 60 61 62

BAB, ehemals BDC, C 172. Humboldt-Universität zu Berlin, Universitätsarchiv zu Berlin, PA Feuerborn, Bd. I. UAMs, Bestand 9, Nr. 1440, Einige Darlegungen zum Falle Feuerborn von Wilhelm Jung, undatiert, nach 8.11.1935. Humboldt-Universität zu Berlin, Universitätsarchiv zu Berlin, PA Feuerborn, Bd. IV, Feuerborn an Kurator, 4.2.1934. Vorlesungsverzeichnis Wintersemester 1933/34. Vorlesungsverzeichnisse Wintersemester 1927/28, 1931/32. So hatte sich Baumstark als Kopf einer „Gleichschaltungskommission“ einen Namen im Kampf gegen tatsächliche und vermeintliche Regimegegner an der Universität Münster gemacht, vgl. Pilger 2004, S. 264.

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schränkte, auf das Gebiet der Rassenkunde und Erblehre erweitert werde.63 All dies führte zu Verstimmungen mit von Ubisch, der fürchtete, die Kontrolle über seinen Assistenten und sein Institut zu verlieren. In seinen Mobilisierungsbestrebungen ging Feuerborn aber auch über die Universität Münster hinaus. Bereits vor 1933 war der Assistent, wie erwähnt, in der Heimatkunde überaus aktiv gewesen und verstand es nun geschickt, diese Tätigkeit mit den neuen politischen Notwendigkeiten zu verbinden. Zusammen mit seinem Kollegen Helmut Beyer hob er Anfang 1934 die Zeitschrift „Natur und Heimat“ aus der Taufe. Die Zeitschrift versuchte in der Folge, neben regionalkundlichen Artikeln die Blut-und-Boden-Ideologie des Nationalsozialismus in der Heimatkunde zu verankern.64 Außerdem fungierte sie als Knotenpunkt zur Provinzialleitung unter Landeshauptmann Karl Friedrich Kolbow. Gleichzeitig diente sie zur Verzahnung des Zoologischen Instituts mit dem Provinzialmuseum für Naturkunde, an dem mehrere ehemalige Mitarbeiter des Instituts tätig waren, welche auch den Hauptteil der Autoren der Zeitschrift stellten.65 Feuerborn hatte sich demnach politische Rückendeckung durch den Gau sowie durch den Landeshauptmann und regionalen Ressourcen durch seine Einbindung in die NS-Rassenpolitik in Westfalen gesichert. Schließlich vermochte er auch noch Rektor Hubert Naendrup, der die Gelegenheit nutzen wollte, den „Nichtarier“66 von Ubisch loszuwerden, und die NS-Studentenschaft, die von einem größeren Einfluss im Kampf um eine nationalsozialistische Universität träumte, für sich zu gewinnen. Gestützt durch diese Netzwerke entfesselte der Assistent schließlich am symbolträchtigen 9. November 1934 mit der Aufhetzung seiner Studenten gegen seinen eigenen Vorgesetzten den von ihm lange geplanten Kampf um das Zoologische Institut – und scheiterte letztendlich vollständig. Zwar gelang es ihm, von Ubisch durch eine Hetzkampagne zur Aufgabe seines Postens und zur Emigration nach Norwegen zu zwingen. Die Nachfolge an der Lehrstuhlspitze wurde ihm aber, trotz seiner Verbindungen und einflussreicher außeruniversitärer Unterstützer,67 nicht übertragen. Grund hierfür war seine bestenfalls zweitklassige wissenschaftliche Reputation.68 Auch im Nationalsozialismus bedeutete politisches Engagement 63 64 65 66

67

68

UAMs, Bestand 4, Nr. 89, Dekan der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät an Kurator, 22.3.1934. Vgl. hierzu unter anderem Feuerborn, Unser Wille, 1934, ders., Naturschutz, 1934, und ders., Heimatschutz, 1934. Vgl. hierzu Ditt 1988, S. 339. So habe dieser „den Ostelbischen Junker herauszubeissen [ver]sucht und gar kein Gefühl dafür […], auf welch unsicherem Boden er damit als Nichtarier heute steht […]“, siehe: UAMs, Bestand 5, Nr. 218, Bd. 1, Rektor an REM, 4.12.1934. Hierzu zählte nicht zuletzt weiterhin Landeshauptmann Kolbow, der bestrebt war, eine nationalsozialistisch ausgerichtete Heimatkunde an der Universität Münster zu verankern. So urteilte zum Beispiel Max Hartmann, Direktor des Kaiser-Wilhelms-Instituts für Biologie, über Feuerborn, er sei ein Morphologe und Ökologe „alten Stils“, stehe neuen ex-

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nicht automatisch beruflichen Aufstieg, seriöse Wissenschaft blieb weiterhin ein wichtiges Berufungskriterium. Verbittert überwarf sich Feuerborn nun mit seinen ehemaligen Verbündeten und wurde schließlich über mehrere Stationen an die Universität Berlin abgeschoben, wo er, auf einer Abteilungsvorsteherstelle am Zoologischen Institut verharrend, 1945 von den Sowjets entlassen wurde.69

Vertretung Kosswig und Ordinariat Weber 1935 bis 1940 Als Vertretung für von Ubisch, der am 26. November 193570 mit dem Dank des „Führers“ zwangsemeritiert wurde, beorderte das REM dessen ehemaligen Assistenten Curt Kosswig aus Braunschweig nach Münster zurück. Dieser hatte seit seinem Abschied aus dem Institut im Jahr 1933 als Professor an der dortigen Technischen Hochschule sowie als Rasseprüfer der SS bei der SS-Standarte IV, unter anderem für die Leibstandarte Adolf Hitler, Karriere gemacht. Inzwischen war er aber durch Flügelkämpfe innerhalb der SS und nicht zuletzt durch seine Loyalität zu seinem akademischen Lehrer und Freund von Ubisch unter Druck geraten, was später dazu führen sollte, dass er seine Posten verlieren und in die Türkei emigrieren musste.71 Kosswig konnte während seiner kurzen Vertretungszeit keinen bleibenden Einfluss auf Forschung und Lehre des Instituts nehmen. Auch beim Personal blieb, bis auf den Austausch Feuerborns, alles beim Alten. Auch deshalb, weil seine Anhänger auch nach Feuerborns Weggang den Kampf um das Institut weiter fortsetzten, entschied sich das REM dafür, direkt in die Suche nach einem neuen Ordinarius einzugreifen und den Entomologen Hermann Weber in Münster zu installieren. Zwar war Weber zunächst nicht auf der Vorschlagsliste der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Münster aufgeführt worden. In ihm vereinten sich jedoch Fachkompetenz und nationalsozialistische Überzeugung,72 sodass das REM ihn mit sanftem Druck und unter tatkräftiger Mithilfe des Ordinarius für Botanik und späteren Rektors, Walter Mevius, ins Amt hieven konnte.73 Weber wurde mit dem expliziten Auftrag nach Münster geschickt, am Institut für

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perimentellen Fragestellungen (interessanterweise auch der Vererbung, bei der sich Feuerborn besonders zu profilieren verstanden hatte) fern und habe lediglich Arbeiten über Insekten auf dem Niveau „mittelmäßiger Doktorarbeiten“ veröffentlicht, siehe: UAMs, Bestand 4, Nr. 237, Gutachten Hartmann, 19.10.1935. Humboldt-Universität zu Berlin, Universitätsarchiv zu Berlin, Personalakte Feuerborn, Bd. I. UAMs, Bestand 4, Nr. 237, REM an von Ubisch und Kurator, 26.11.1935. Vgl. hierzu Droste 2011. GStA, Rep. 90 A, Nr. 1772, Eignungsbericht zu Weber, 23.3.1936, in: REM an Preußischen Ministerpräsidenten, 4.5.1936. BAB, R 4901, Nr. 14893, Deutsche Dozentenschaft, Gebietsführung Rheinland-Westfalen an REM, 11.12.1935.

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Ruhe zu sorgen und es von intrigierenden Elementen zu säubern.74 Genau dies tat er mit harter Hand, was zur Relegation ehemaliger Feuerbornschüler und zu einer Unterdrückung interner Auseinandersetzungen, gepaart mit einem Klima der Überwachung und der Denunziation, führte.75 Anfang März 193676 übernahm er zunächst vertretungsweise, ab dem 1. April 1936 dann endgültig das zoologische Ordinariat.77 Weber stärkte die Verbindung zum Naturkundemuseum, indem er den dort 1937 neu als Direktor eingestellten Bernhard Rensch als Dozenten an das Institut holte.78 Andere Netzwerke wurden dagegen mehr und mehr vernachlässigt. Kontakte zu ausländischen Forschungseinrichtungen schliefen ein oder brachen ganz ab. Regionale Aktivität stand bei Weber nicht mehr im Vordergrund. Vergleicht man sowohl die personelle als auch inhaltliche Ausstattung des Zoologischen Instituts mit anderen Universitäten und Technischen Hochschulen zur Mitte der 1930er-Jahre, so fällt ein deutliches Missverhältnis zwischen dieser und den Studentenzahlen auf. Zwar ging die Hörerzahl im Schnitt leicht zurück (im Wintersemester 1936/37 zählte die Statistik 242, im Sommersemester 1937 124 Studenten). Damit lag die Universität Münster jedoch im Normalbereich des Reiches, hatte sie doch, was die biologischen Kernfächer betraf (und nur diese wurden in Münster gelehrt), nicht weniger Besucher als andere Universitäten wie Berlin, Breslau oder Bonn. Sowohl größere als auch kleinere Universitäten und Technische Hochschulen hatten jedoch ihren Fächerkanon ausgeweitet und dementsprechend weitaus mehr Dozentenstellen geschaffen, so zum Beispiel in den Bereichen Milchwirtschaft, Tierzuchtkunde, Rassenbiologie oder Hydrobiologie. Dadurch konnten sie interessierten Studenten ein breiteres Angebot im Grenzbereich zwischen Biologie und Landwirtschaft offerieren und eine weit höhere Zahl an Besuchern binden.79 Münster hatte in diesem Bereich wenig anzubieten. Versuche aus den 1920erJahren, Landwirtschaft als eigenes Fach anzubieten, waren nie wirklich gefördert und daher, trotz möglicher ideologischer Fallstricke, von den Nationalsozialisten im Jahr 1935 wieder eingestellt worden.80 Der neue Ordinarius hätte diesem Trend durch die Einführung neuer Forschungsrichtungen oder die Stärkung vormaliger Münsterscher Schwerpunkte, zum Beispiel der Entwicklungsphysiologie, entgegenwirken können. Diese zählte aber nicht zu seinen Fachgebieten. Stattdessen griff Weber auf die gänzlich unrevolutionäre Morphologie zurück,81 was sich vor allem in den Themen der unter seiner 74 75 76 77 78 79 80 81

UAMs, Bestand 62, D 6, Bd. 1, Weber an Dekan, 7.5.1936. Vgl. hierzu den Denunziationsfall Heddergott, UAMs, Bestand 4, Nr. 687, Weber an Rektor, 23.12.1937. UAMs, Bestand 4, Nr. 227, REM an Weber, 4.3.1936. UAMs, Bestand 10, Nr. 3652, Lebenslauf Weber. UAMs, Bestand 8, Nr. 10787, Bd. I. BAB, R 4901, Nr. 12866, Statistiken zu Besuchern biologischer Vorlesungen. UAMs, Bestand 9, Nr. 995, Erlass des REM, 25.6.1935. Vgl. zur morphologischen Forschung im NS Deichmann 1995, S. 123ff.

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Leitung begonnenen Dissertationen82 widerspiegelte. Mit seinem Amtsantritt war daher keine Weiterentwicklung der Lehre, wie es sie unter von Ubisch gegeben hatte, verbunden. Stattdessen markierte er vielmehr einen Rückschritt zur Stagnation, wie sie schon unter Feuerborn das Institut geprägt hatte. Die Pläne der Fakultät, die in ihren ursprünglichen Besetzungsvorschlägen noch Genetiker und Entwicklungsphysiologen präferiert hatten, wurden damit durch die politische Entscheidung des REM konterkariert. Während der neue Ordinarius den Lehrbertrieb des Instituts demnach in die Beliebigkeit abdriften ließ, nur wenige Veranstaltungen abhielt und seine Handschrift in Lehre und Forschung kaum zu erkennen war, stieß er jedoch mit seinen eigenen Forschungen in junge und propagandistisch ausnutzbare Gebiete vor. Hierzu zählte vor allen Dingen die Ökologie, der Weber den Großteil seines wissenschaftlichen Schaffens der späten 1930er-Jahre widmete. Anders als Feuerborn, dessen Verflechtung in den Nationalsozialismus vorrangig über Institutionen und personelle Netzwerke aufgebaut worden war, wählte Weber den Weg einer wissenschaftlichen Legitimation des neuen Regimes, um sich zu positionieren. Hierzu veröffentlichte er während seiner Zeit in Münster (und auch später noch) eine Vielzahl von Beiträgen in den wichtigsten naturwissenschaftlichen Fachzeitschriften, in denen er Gesellschaftsordnung und Politik der Nationalsozialisten unter Rückgriff auf biologische „Gesetze“ zu rechtfertigen trachtete. Grundlage für seine Ausführungen war eine explizit politische Sicht auf sein eigenes Fachgebiet: „Biologie lehrt den, der überhaupt lernen will, für das Leben in der Gemeinschaft ganzheitlich, organisch zu denken, sie ist daher auch, was man heute von der Wissenschaft überhaupt fordert, im höchsten, im durchaus neuen Sinn politische Wissenschaft.“

sowie das Axiom: „Der Mensch ist verwurzelt in seiner Rasse, seinem Volkstum, seiner Nationalität und seinem Heimatboden und er kann das auch nicht verleugnen, wenn er wissenschaftlich produziert.“83

Was im Laufe der nächsten Jahre folgte, war eine Verquickung sozialdarwinistischer, rassenhygienischer und biologistischer Vorstellungen zu einer biologisch fundierten nationalsozialistischen Gesellschaftslehre. Kennzeichnend für Weber war dabei, dass er die Notwendigkeit der praktischen Anwendung biologischer Erkenntnisse gegenüber dem stattdessen kritisierten bloßen Theoretisieren seiner 82

83

Vgl. hierzu zum Beispiel die Dissertation von Hermann Heddergott zum Thema „Kopf und Vorderdarm von Panorpa communis L.“, vom 10.12.1938, bewertet mit sehr gut, oder die von Heribert Röber, „Morphologie des Kopfes und des Vorderdarmes der Larve und Imago von Sialia flavilafera“, vom 29.7.1941, bewertet mit sehr gut, in: UAMs, Bestand 62, GB 5, Bd. 2; sowohl Heddergott als auch Röber sollten später an der Universität Münster tätig sein. Für beide Zitate Weber 1935/36, S. 106 bzw. S. 100.

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Fachkollegen betonte. Zwar stellte dies im Kontext der biologischen Diskussion der späten 1930er-Jahre keinen Einzelfall dar. Seine mit dem Gestus der Verkündung ewiger Naturgesetze vorgetragenen Forderungen nach Zuchtwahl, Rassentrennung und Ausmerzung waren in ihrer Radikalität für die Biologie in Münster aber ein Sonderfall. Feuerborn hatte zwar auch versucht, sich auf demselben Feld zu positionieren. Mit seinen Publikationen hatte er jedoch nur eine begrenzte regionale Reichweite entfalten und keinerlei Theoriediskussionen anfachen können, da sich seine Ausführungen auf dem Niveau rassenpolemischen Allgemeinguts gehalten hatten. Weber hingegen publizierte in anerkannten Fachzeitschriften und legte in seinen Beiträgen ein sich weiterentwickelndes wissenschaftliches Abstraktionsvermögen an den Tag, indem er bestehende Theorien aufnahm und sie unter NSGesichtspunkten neu erschloss. Dies war für Münster auch dahingehend bemerkenswert, als sich hier bislang die Mediziner den Bereich der Rassenhygiene quasi exklusiv gesichert und dessen Ausbau propagiert hatten. Seine explizit nationalsozialistische Ausrichtung war es auch, die Webers weiteren Karriereweg förderte. Obwohl er auch in seinem Fachgebiet Entomologie mit positiver Resonanz veröffentlichte, kann dies allein seinen weiteren Aufstieg kaum erklären. Im Januar 1940, mitten im Semester, nahm er völlig unerwartet einen Ruf nach Wien an, nur um ein Jahr später als neuer Ordinarius für Zoologie an die Reichsuniversität Straßburg zu wechseln, eine von drei neu etablierten NS-Kaderschmieden in den besetzten Gebieten. Weber avancierte außerdem zum Führer des Reichsbundes für Biologie und zu einem hochrangigen Leiter im SS„Ahnenerbe“.84 Offensichtlich hatte ihm seine Aufgabe in Münster lediglich als Karrieresprungbrett gedient. Mit Webers Internierung im Zuge der Eroberung Straßburgs 1944 schien seine Karriere zunächst ein vorzeitiges Ende zu nehmen. Tatsächlich sollte der überzeugte Nationalsozialist jedoch rasch wieder auf die Füße kommen und ließ sich dabei auch von den geänderten politischen Rahmenbedingungen nicht stoppen. 1950 wurde er Honorar-, ein Jahr später ordentlicher Professor in Tübingen. Es folgten Posten bei der UNESCO, der Deutschen Forschungsgemeinschaft und diversen internationalen biologischen Organisationen. Weber, 1948 als „Mitläufer ohne Maßnahmen“ entnazifiziert, starb 1956 in Tübingen.85 Die Zeit seines Ordinariats stellte für Münster somit in der Zeit von 1922 bis 1927 eine zweite Stagnationsphase dar. Wissenschaftliche Impulse setzten in jenen Jahren nur die Assistenten und Dozenten. Dies sollte sich mit der Berufung seines Nachfolgers, Erich Ries, ändern, der 1940 ein für Münster völlig neues Forschungsfeld mit an das Institut brachte: die Histologie.

84 85

Universitätsarchiv Tübingen, 126/741. Ebd.

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Das Ordinariat Ries 1940 bis 1943 Mit Ries berief das REM einen in vielerlei Hinsicht modernen Wissenschaftler mit großem Potential nach Münster. So wurde er nicht nur auf dem noch jungen Forschungsfeld der Histophysiologie und der Krebsforschung aktiv, sondern förderte, wenn auch durch die Kriegsumstände bedingt, anders als seine Vorgänger die wissenschaftlichen Karrieren von Frauen. Ries hatte sich als jüngster Privatdozent Deutschlands bereits mit 25 Jahren in Köln mit einer Schrift „Über die Histophysiologie des Mäusepankreas nach Lebendbeobachtungen, Vitalfärbung und Stufenuntersuchung“86 habilitiert und im Anschluss dort eine Dozentur übernommen.87 Im folgenden Jahr wechselte er jedoch auf Wunsch seines ehemaligen Lehrers Professor Paul Buchner an die Universität Leipzig, wo dieser das Ordinariat für Zoologie übernommen hatte. Hier blieb Ries bis zu seiner Abordnung nach Münster als Assistent und Dozent am Zoologischen Institut tätig. Am 20. März 1939 wurde er „Sonderführer (z)“ bei der Militärärztlichen Akademie in Berlin.88 Weil Ries „stets politisch eine etwas indifferente Haltung an den Tag legte, auch bisher keiner Gliederung der Partei angehört hat, ebenso in keiner Weise den Willen zu politischer Mitarbeit zeigte“,89 trat er, wohl in Anbetracht „gewisser Bedenken in politischer Hinsicht“90 der Leipziger Dozentenschaft, 1937 in die NSDAP ein und wurde in Münster stellvertretender Dozentenführer und Leiter der Abteilung für Organisation und Personal im NSDDB.91 Dieses politische Eingeständnis blieb jedoch seine einzige Berührung mit dem System. Weder in seinen wissenschaftlichen Veröffentlichungen noch in seinen privaten Aufzeichnungen und Korrespondenzen lassen sich Anbiederungen an das Regime, wie unter Feuerborn oder Weber, finden. Ideologisierung und Nazifizierung des Instituts, welche sein Vorgänger entschieden vorangetrieben hatte, wurden unter Ries nicht fortgesetzt. Zwar lassen sich auch für den Histologen Gutachten nachweisen, in denen er Kollegen einen völkischen Geist bescheinigte oder deren nationalsozialistische Gesinnung hervorhob.92 Eine wissenschaftliche Legitimation des Regimes oder eine einheitliche NS-Ausrichtung des Institutes fanden jedoch nicht statt. Hatte Weber seine Assistenten, zum Teil aus politischen Gründen, noch angegriffen und ihre Karriere aktiv behindert, setzte Ries auf die Förderung des „Nachwuchses“, selbst wenn er, wie Rensch, sogar älter war als er selbst oder, wie seine Assistentin Ilse Fischer, eine Frau.

86 87 88 89 90 91 92

Buchner 1949, S. 15. UAMs, Bestand 10, Nr. 12537, Bd. 1, Personalblatt Ries, undatiert, ca. 1941. Ebd. Ebd., Dozentenschaft Universität Leipzig an Rektor Leipzig, 7.2.1938. Ebd. Ebd., NSDAP an Kurator, 19.7.1941. Vgl. zum Beispiel UAMs, Bestand 92, Nr. 4, Bd. 2, Gutachten Ries, 10.12.1941.

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Kennzeichnend für das Ordinariat Ries war die wissenschaftliche Vielseitigkeit des Lehrstuhlinhabers. Neben seinem Spezialgebiet hatte er seit 1933 an der Universität Leipzig auch über Zellen- und Vererbungslehre, allgemeine Biologie, Stoffwechselphysiologie und Entomologie gelesen93 und veröffentlicht.94 Ebenso war er mit Entwicklungsphysiologie vertraut95 und hatte in diesem Bereich unter anderem zur Muskeldifferenzierung in Eizellen der Seescheide gearbeitet.96 Ähnlich facettenreich waren seine weiteren wissenschaftlichen Veröffentlichungen. 1935 publizierte er beispielsweise „Über den Sinn der erblichen Insektensymbiose“,97 1937 über „Entwicklungs- und Differenzierungsperioden der Zelle“,98 wobei er Kritik an einer ausschließlich morphologischen Betrachtung von Entwicklungsvorgängen äußerte, und 1939 über „Die Bedeutung spezifischer Mitosegifte für allgemeinere biologische Probleme“,99 womit er in die damals hochaktuelle und stark geförderte Krebsforschung vorstieß.100 Ries’ Aufsätze wie auch seine Monographien waren von einem streng wissenschaftlichen, analytisch scharfen Stil geprägt. Ein Beispiel hierfür ist sein Aufsatz über „Wege und Aufgaben der Histophysiologie“,101 der 1937 in „Der Biologe“ veröffentlicht wurde. In diesem Aufsatz versuchte der Zoologe, sein noch in den Anfangsstadien steckendes Fachgebiet einerseits zu umreißen, andererseits aber auch bereits Ziele für eine zukünftige Forschung zu aufzustellen. Kenntnisreich skizzierte er Forschungsstand und -probleme, forderte die Synthese verschiedener Fachrichtungen und versuchte, für sein Spezialgebiet zu werben. Schon hier wurden die Bereiche sichtbar, mit denen er sich später in Münster am meisten beschäftigen sollte. Neben seinen kürzeren Beiträgen wurden auch Ries’ Monographien von der Fachwelt wohlwollend aufgenommen. Werner Jacobs von der Universität München beurteilte seinen 1938 erschienenen „Grundriß der Histophysiologie“ äußerst positiv und wies gleichzeitig darauf hin, wie erfahren Ries in diesem noch jungen Fachgebiet sei, wie viele Probleme aber auch noch gelöst werden müssten.102 Ein Jahr später erhielt seine „Allgemeine Gewebelehre“ beste Noten von Franz

93 94 95 96 97 98 99 100 101 102

UAMs, Bestand 10, Nr. 12537, Bd. 1, Dekan Philosophische Fakultät Universität Leipzig an REM, 27.1.1939. Nachlass Erich Ries, im Privatbesitz von Franz-Josef und Ursula Schütz, geb. Ries, Publikationsliste Ries, undatiert. UAMs, Bestand 10, Nr. 12537, Bd. 1, Personalblatt Ries, undatiert, ca. 1941. Ebd., Personalblatt Ries, Bericht über eine Forschungsreise nach Norwegen vom 22.8.1938 bis 15.9.1938, 20.10.1938. Ries 1935. Ries, Entwicklungs- und Differenzierungsperiode, 1937. Ries 1939. Vgl. zur Krebsforschung im NS Deichmann 1995, S. 126ff. Ries, Wege, 1937. Jacobs 1940.

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Schwanitz,103 und auch Hermann Weber empfahl das Werk seines Nachfolgers vor allem aufgrund seiner gelungenen Verbindung morphologischer und physiologischer Betrachtungsweisen.104 Als Ries im Januar 1940 zunächst als Vertretung für Weber aus Leipzig nach Münster kam, stand das Institut vor einer Reihe von Problemen. Das größte war der wenige Monate zuvor entfesselte Zweite Weltkrieg. Er stoppte oder behinderte nicht nur die Finanzierung von Forschungsvorhaben, sondern beeinträchtigte mit der Einberufung einer großen Anzahl von Universitätsmitarbeitern sowohl den Lehr- als auch den Forschungsbetrieb am Zoologischen Institut. Nach und nach zogen die Assistenten und Dozenten des Instituts an die Front, so dass Ries mehr und mehr mit einer Notbesetzung arbeiten musste.105 Gleichzeitig öffnete diese Entwicklung das Institut aber auch, wie bereits angedeutet, für einen Personenkreis, der dort seit den Tagen Stempells völlig gefehlt hatte: Biologinnen. Mit mehreren weiblichen wissenschaftlichen Hilfskräften, aber auch der Einstellung der habilitierten Ilse Fischer sollte sich die Personenkonstellation am Institut stark verändern. Es gelang Ries, während seiner kurzen Zeit an der Universität Münster diese zu einer renommierten Adresse der Histologie zu machen. Nicht nur entwickelten er und seine Mitarbeiter neue Untersuchungsmethoden, sie setzten auch technische Innovationen wie den wissenschaftlichen Film ein, gewannen Fördermittel der Deutschen Forschungsgemeinschaft und bauten ein, die Zeitumstände betrachtet, eindrucksvolles Lehrprogramm auf. Ebenso wurden alte ausländische Verbindungen neu belebt, vor allem in Richtung Italien und hier, dem außenpolitischen Kurs einer engen Verbindung zum Achsenpartner entsprechend, auch unter politischen Vorzeichen.106 Dennoch bildete eine politische Argumentation die Ausnahme: Wie bereits seine Vorgänger argumentierte Ries mit dem Nutzen einer positiven Förderung für die Ausbildung der Studenten, einer Steigerung der Qualität der Lehre und eines Prestigegewinns für Deutschland durch ein fachlich hochwertiges Instituts. Ries war mitten im Prozess der Neuausrichtung des Instituts begriffen, als er im Mai 1943 zur Wehrmacht eingezogen wurde. Er übergab die Amtsgeschäfte an seine Vertraute Fischer – ein weiteres Novum, denn nie zuvor hatte eine Frau an der Spitze eines Instituts der Universität Münster gestanden.107 Obwohl Ries die folgenden sechs Monate bei der militärischen Grundausbildung in Berlin-Spandau verbrachte, arbeitete er weiterhin an mehreren wissenschaftlichen Manuskripten

103 104 105 106 107

Schwanitz 1940. Weber 1939. UAMs, Bestand 92, Nr. 4, Bd. 2, Krüger an Dekan der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, 10.5.1941. UAMs, Bestand Rektorat, Nr. 12537, Bd. 1, Ries an REM, 20.1.1941. UAMs, Bestand 63, Nr. 185, Ries an Dekan der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, 12.3.1943.

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weiter und kehrte zu Prüfungen nach Münster zurück.108 Als Sonderführer musste er jedoch nach dem Willen des Oberkommandos des Heeres einen routinemäßigen achtwöchigen Einsatz zur Frontbewährung ableisten. Für diesen wurde er Mitte Dezember an die Ostfront geschickt, wo er schließlich Ende Februar 1944 am letzten Tag seines Dienstes getötet wurde.109 Damit teilte er das Schicksal seines Assistenten Jentschs, der ein halbes Jahr später in Bessarabien den Tod fand.110

Die Vertretung des Ordinariats durch Fischer 1943 bis 1947 Damit war das Institut zu Beginn der Vertretungszeit Fischers an einen historischen Tiefpunkt gelangt. Fast alle Mitarbeiter waren eingerückt, und das Lehrangebot war auf fünf Veranstaltungen im Wintersemester 1943/44 zusammengeschmolzen. Trotzdem versuchte die Biologin, durch die Etablierung neuer Forschungsvorhaben den Betrieb aufrecht zu erhalten.111 Noch Mitte August 1944 bewilligte die Deutsche Forschungsgemeinschaft Fischer für ihre in Verbindung mit dem Ordinarius für Hygiene Karl Wilhelm Jötten durchzuführenden „Untersuchungen über Wirkung von gewerblichen Staubarten auf Zellen in Gewebekulturen“ eine Sachbeihilfe von 10.000 RM.112 Selbst Promotionen wurden noch durchgeführt.113 Verglichen mit den Vorjahren war aber auch dies nur noch ein Schatten des ursprünglichen wissenschaftlichen Outputs des Instituts. An einen geregelten Lehrbetrieb, das Setzen neuer Forschungsimpulse oder das Aufrechterhalten von Netzwerken war unter den Kriegsumständen nicht mehr zu denken. Mit der Verschärfung des Kriegsverlaufs verschlechterte sich die Lage für die Zoologie weiter. Bücher wie wissenschaftliche Instrumente wurden, um sie zu schützen, ausgelagert. Der Vorlesungsbetrieb kam praktisch zum Erliegen, als mit Rensch auch noch der letzte verbliebende Dozent an die Reichsuniversität Prag wechselte. Als die Alliierten Münster am 24. März 1945 einnahmen und der Universitätsbetrieb eingestellt wurde, besiegelte dieser Schritt nur noch eine Entwicklung, die faktisch schon längst vollzogen war. Bereits zum Wintersemester 1945/46 wurde die Universität aber wiedereröffnet, und auch das Zoologische Institut nahm seine Arbeit wieder auf.114 Die überleben108 109 110 111 112 113

114

Nachlass Erich Ries, im Privatbesitz von Franz-Josef und Ursula Schütz, geb. Ries, Ries an Gustav Fischer, 2.8.1943. Ebd., Erich Ries an Maria Ries, 11.12.1943. UAMs, Bestand 10, Nr. 3229, Bd. 1, Entnazifizierungsbescheid Jentsch, 19.5.1948. Zum Beispiel zu Alterserscheinungen bei der Taufliege Drosophila. BAK, R 73, Nr. 11015, Deutsche Forschungsgemeinschaft an Fischer, 17.8.1944. So konnte Liselotte Wolf noch am 29. August 1944 ihr Studium mit einer Dissertation zum Thema „Untersuchungen über die Kopf- und Thoraxmuskulatur und das Nervensystem der Kleiderlaus“ mit der Note gut abschließen, siehe UAMs, Bestand 62, GB 5, Bd. 2. UAMs, Bestand 9, Nr. 519, Fischer an Kurator, 29.8.1945.

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den Mitarbeiter kehrten aus der Wehrmacht zurück. Auch Rensch, der mit der Prager Universität gleichzeitig seine dortige Stelle verloren hatte, kam mit seiner Assistentin Angela Nolte wieder am Institut unter. Damit markierte der Regimewechsel für die Münstersche Zoologie eine eigentümliche Mischung aus Kontinuität und Diskontinuität. Verfolgt man den Umgang mit den Beschäftigten, so stellt man fest, dass viel dafür getan wurde, durch Krieg und Zusammenbruch benachteiligte Forscher zu reintegrieren. Die Assistenten Friedrich Krüger und Heribert Röber, beides ehemalige Blockwalter beziehungsweise Blockleiter, waren beide zunächst von der Militärregierung entlassen und dann wieder eingestellt worden. Rensch und Nolte, die aufgrund des Zusammenbruchs der Deutschen Karls-Universität Prag beide unter dem Vermerk „Vertriebene“ firmierten, hatten eine neue Anstellung gefunden. Hans Breider, ehemals Schulungsleiter der SS, wurde ebenso wieder aufgenommen wie die Assistenten Karl-Wilhelm Harde und Hans Steiner, die, wenn auch nur auf unterster Ebene, Führungsaufgaben in der HJ übernommen hatten. Rassisch, politisch oder religiös Verfolgte waren aber, obwohl sich das Innenministerium für deren Einstellung generell stark machte, nicht berücksichtigt worden. Zwar wurden einige neue Mitarbeiter eingestellt, es blieben aber auch wichtige Protagonisten der Jahre vorher weiter am Institut beschäftigt. Auch was die Lehrinhalte betraf, änderte sich nur wenig.115 Ein inhaltlicher Bruch zur Zeit des Nationalsozialismus war am Institut nicht festzustellen. Dieses stand weiterhin unter der Leitung der Histologin Fischer. Seitens der Universität hatte man jedoch kein Bedürfnis, eine Frau auf einem Direktorenposten zu belassen. Die bereits während des Krieges begonnene Suche nach einem Nachfolger wurde fortgesetzt. Nachdem ein halbherziger Versuch der Universität, den 1935 vertriebenen von Ubisch zurückzugewinnen, gescheitert war,116 kristallisierte sich Rensch als Favorit sowohl der wissenschaftlichen Leitung der Universität als auch der politischen Entscheidungsträger, allen voran des neuen Landeshauptmanns Bernhard Salzmann, heraus. Hier spielte nicht zuletzt Renschs Verankerung in der Region, die er durch seinen ehemaligen Posten als Direktor des Naturkundemuseums vorweisen konnte, eine Rolle. Zum Wintersemester 1947/48 wurde der Evolutionsbiologe dann schließlich auf den Lehrstuhl berufen, den er bis 1968 inne haben sollte.117 Fischer, die als Dozentin am Institut verbleiben durfte, wurde mit einer geringen Entschädigung für ihre jahrelange Arbeit abgespeist. Eine angemessene Würdigung ihrer Leistung für die Münstersche Zoologie fand nicht statt.118

115 116 117 118

Vgl. hierzu Vorlesungsverzeichnisse Sommersemester 1943 bis Sommersemester 1947. UAMs, Bestand 92, Nr. 132, von Ubisch an Dekan der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, 7.10.1946. UAMs, Bestand 4, Nr. 286. UAMs, Bestand 9, Nr. 806, Kurator an Kultusminister, 22.4.1947.

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Das Ordinariat Rensch 1947 bis 1968 Unter der Leitung Renschs erlebte das Institut eine erneute Blütephase. Nach den schweren Zerstörungen von Räumen und Material gelang es ihm, die Münstersche Zoologie innerhalb kürzester Zeit wieder an die aktuelle wissenschaftliche Entwicklung heranzuführen. Dabei machte er sich, wie schon von Ubisch, vor allem die guten Verbindungen des Instituts in die Region, insbesondere zum Naturkundemuseum und zum Provinzialverband, zu nutze. Durch die Einstellung von Nachwuchskräften und die Einbindung erfahrener Lehrbeauftragter konnte er dabei einerseits eine neue Generation von Wissenschaftlern anleiten und die Forschungsschwerpunkte des Instituts an seinen eigenen Interessen ausrichten. Andererseits war es ihm dadurch möglich, bereits längere Zeit am Institut verankerte Forschungsrichtungen weiterzuführen und zu modernisieren. Indem er beide Aspekte miteinander kombinierte, konnte Rensch einen inhaltlich breit gefächerten Lehrbetrieb aufbauen. Dieser Kurs schlug sich in einer weiteren Teilverschiebung der wissenschaftlichen Inhalte hin zur Evolutions- und – immer stärker – zur Verhaltensforschung nieder. Sie zeigte sich auch in den nun so zahlreich wie nie zuvor veröffentlichten Dissertationen seiner Doktoranden und den Publikationen der Institutsmitarbeiter.119 Erste Vorlesungen zu dieser damals als „Tierpsychologie“ bezeichneten Forschungsrichtung wurden bereits 1948 abgehalten, und Rensch baute sie in den Folgejahren weiter aus. Im Wintersemester 1950/51 folgte eine gleichlautende Veranstaltung,120 welche auch von der Studentenschaft gut angenommen wurde und 80 Hörer121 anziehen konnte. Im Semester darauf gab es ein verhaltenskundliches Kolloquium.122 Im Wintersemester 1953/54 hielt Rensch, das Thema nochmals ausweitend, ein Seminar mit dem Titel „Bewußtseinserscheinungen, Nervensystem u. Sinnesorgane. Eine biologische und naturphilosophische Analyse“123 ab und deutete hier erneut seine spätere Beschäftigung mit philosophischen Fragestellungen an. Flankiert wurde die Veranstaltung von Noltes Seminar „Allgemeine Zoologie für Psychologen“,124 und im darauf folgenden Sommersemester 1954 bot der 1953 zum Honorarprofessor der Universität Münster ernannte und mit einem Lehrauftrag für Verhaltensforschung versehene125 Konrad Lorenz auf Einladung Renschs eine Veranstaltung unter dem Titel „Einführung in die vergleichende Verhaltensforschung“126 an. Bis über das Ende des Untersuchungszeitraums hinaus 119 120 121 122 123 124 125 126

Vgl. hierzu UAMs, Bestand 62, GB 5, Bd. 2. Vorlesungsverzeichnis Wintersemester 1950/51, S. 88. SBB, Nachlass 126 (B. Rensch), Kasten 27, Tagebucheintrag 3.12.1950. Vorlesungsverzeichnis Sommersemester 1951, S. 91. Vorlesungsverzeichnis Wintersemester 1953/54, S.109. Vorlesungsverzeichnis Wintersemester 1953/54, S.110. UAMs, Bestand 4, Nr. 563, Mitteilungen des Rektors, 2/1953. Vorlesungsverzeichnis Sommersemester 1954, S.117.

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sollte das Thema mit wechselnden Referenten und unterschiedlicher Gewichtung fast permanent im Vorlesungsbetrieb des Instituts präsent sein. Wie so oft bedingten sich Lehrbetrieb und Forschungsthemen gegenseitig, so dass es nicht verwundert, dass in den 1950er-Jahren auch eine Vielzahl tierpsychologischer Themen den Forschungsbetrieb der Institutsmitarbeiter prägte. Zusammen mit seinem Assistenten Karl-Wilhelm Harde führte Rensch 1951 Versuche an Riesen- und Zwergkaninchen durch.127 Am Ende desselben Jahres begann der Assistent Rudolf Altevogt mit der Dressur von Elefanten, um Erkenntnisse zur Aufnahmekapazität dieser Tiere für visuelle Aufgaben zu erzielen.128 Zu Beginn des Jahres 1952 folgten weitere Dressuren von Mäusen und Fischen.129 Später nahm man noch Affen hinzu, so dass sowohl eine große Bandbreite unterschiedlicher Tierarten als auch Untersuchungsfelder bearbeitet werden konnte.130 Ab 1954 beschäftigten sich auch die Forschungen Altevogts mit verhaltenskundlichen Themen, wobei dabei weiterhin die Sinnesphysiologie eine wichtige Rolle spielte. In den Jahren darauf dehnte er seine Forschungen auf die einzige in Europa vorkommende Winkerkrabbe, Uca tangeri, aus. Im Sommer 1957 reiste er dazu, von Rensch befürwortet, nach Südspanien. In der Balz- und Fortpflanzungssaison zwischen Juni und Juli führte er dort Beobachtungen und kinematographische Analysen des damals noch unbekannten Wink- und Kopulationsverhaltens dieser Art durch.131 Ein großer Vorteil für diese Art von Forschung war durch die Präsenz des Zoos in Münster gegeben. Ende 1954 schlossen daher Zoologisches Institut und Zoologischer Garten einen Vertrag zur Einrichtung einer tierpsychologischen Forschungsstelle ab, um die Beziehungen zu formalisieren.132 Die Universität zahlte dem Zoo anschließend pro Jahr 1.000 DM, damit die wissenschaftlichen Mitarbeiter des Instituts und Doktoranden gelegentlich Untersuchungen an den Zootieren durchführen konnten.133 Eng mit verhaltenskundlichen Fragestellungen waren unter Rensch zu dieser Zeit auch immer sinnes- und nervenphysiologische Aspekte verknüpft. Parallel zu den genannten Arbeiten fanden daher auch weiterhin Transplantationsversuche und histologische Untersuchungen statt. Über mehrere Jahre hinweg wurden Amphibien Augen auf verschiedene Körperstellen transplantiert, Reizversuche am spinalen Frosch134 und elektrophysiologische Versuche an freigelegten Froschhirnen bei einäugiger Belichtung durchgeführt.135 Eingebettet war dies in Forschun127 128 129 130 131 132 133 134 135

SBB, Nachlass 126 (B. Rensch), Kasten 27, Tagebucheintrag 3.2.1951. Ebd., Tagebucheintrag 23.12.1951. Ebd., Tagebucheintrag 1.1.–10.2.1952. Ebd., 1.2.1957; für eine ausführliche Beschreibung der Versuche siehe Dücker 2000, S. 65ff. UAMs, Bestand 8, Nr. 9948, Altevogt an Kurator, 7.6.1957. UAMs, Bestand 9, Nr. 1942, Vertrag, 1.10.1954. UAMs, Bestand 9, Nr. 1953, Rensch an Kurator, 14.7.1960. SBB, Nachlass 126 (B. Rensch), Kasten 27, Tagebucheintrag 1.1.–10.2.1952. Ebd., Tagebucheintrag 29.11.1954.

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gen Renschs zur Erregung der Mittelhirnhemisphären,136 welche bereits im Januar 1955 erste Erfolge zeigten und eine Zusammenarbeit der Hemisphären bestätigten.137 Auch diese Arbeiten wurden mit korrespondierenden Lehrveranstaltungen wie zum Beispiel dem Spezialkolleg „Zentralnervöse Leistungen“ mit 65 Hörern im Wintersemester 1954/55 flankiert.138 In den Bereich der Hirnforschung bewegten sich unter der Anleitung des Ordinarius auch seine Assistenten. Nolte verfasste zu diesem Thema ihre Habilitationsschrift, und Harde beschäftigte sich vorzugsweise mit der Aufhellung der Wachstumsgradienten einzelner Hirnpartien bei Säugetieren.139 Zu diesem Zweck begann man auch, das Institut mit modernster Technik auszustatten. So beantragte Nolte am 26. März 1955 die Anschaffung einer „Elektronenrechenmaschine“, also eines frühen Computers, um zu überprüfen, ob sich Renschs Vorstellungen über das Hirngeschehen an einem nicht lebenden System kopieren lassen könnten.140 Neben diesen Themen blieb aber nach wie vor die Evolution ein weiterer Kernforschungsbereich Renschs. Hierzu veröffentlichte er die Mehrzahl seiner Schriften zu dieser Zeit,141 bevor er in den 1960er-Jahren immer stärker in den naturphilosophischen Bereich umschwenkte. Dieser Schwerpunkt spiegelte sich auch in den Lehrveranstaltungen wider. In jedem Semester zwischen 1950 und 1962 wurden Veranstaltungen zur Abstammungslehre, zur Genetik oder zur Entwicklungsgeschichte und -mechanik von ihm oder seinen Mitarbeitern, die teilweise auch selbst zu diesem Thema arbeiteten, angeboten. Zusätzlich zum wissenschaftlichen Wiederaufbau legte der neue Ordinarius außerdem besonderen Wert auf die internationale Vernetzung seines Instituts. In den 1950er-Jahren hielt eine Reihe von weltweit führenden Biologen142 Gastvorträge in Münster, während Rensch und seine Mitarbeiter ihrerseits zu umfassenden Forschungs- und Vortragsreisen in so unterschiedliche Regionen wie Australien, Indien, Madagaskar und die USA aufbrachen.143 Vor allem als Vertreter der „Synthetischen Theorie“144 der Evolution erwarb sich der Zoologe dabei einen international geachteten Ruf. Sein Renommee wirkte sich schließlich auch positiv auf die Entwicklung des Instituts aus, welches Mitte der 1950er-Jahre nicht nur den lang benötigten Neubau erhielt, sondern auch personell und materiell aufgestockt wurde. 136 137 138 139 140 141 142 143 144

Ebd., Tagebucheintrag 4.11.1954. Ebd., Tagebucheintrag 20.1.1955. Ebd., Tagebucheintrag 29.11.1954. UAMs, Bestand 10, Nr. 2513, Rensch an Kurator, 17.8.1954. UAMs, Zugang 19/2005 (Institut für Zoologie), Karton: Institutsakten 1944–1946, Aktenordner: Dekan, Unterordner: Mai 1947–Dezember 1958, Nolte an unbekannt, 26.3.1955. So beispielsweise Rensch 1949, ders. 1960 und ders. 1961. U.a. John Burdon Sanderson Haldane, Julian Huxley, Ernst Mayr und Theodosius Dobzhansky. Vgl. hierzu zum Beispiel UAMs, Bestand 4, Nr. 34 gen. (alt), Rensch an Kultusministerium Nordrhein-Westfalen, 20.12.1950. Vgl. zur Synthetischen Theorie Engels 1999.

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Trotz der positiven Entwicklungen wurden die Jahre unter Renschs Leitung jedoch auch von mehreren Konflikten begleitet. Seine Tätigkeit als Direktor des Naturkundemuseums sorgte für Unstimmigkeiten mit dem Kultusministerium Nordrhein-Westfalen und führte zu wütenden Interventionen einer Gruppe um den CDU-Landtagsabgeordneten Dr. Heinrich Wolf. Ebenso resultierten seine Thesen zur Evolution in Auseinandersetzungen mit dem katholischen Milieu Münsters, aus dessen Reihen Anschuldigungen gegen die Lehrinhalte des Zoologen erhoben145 und sogar Gegenveranstaltungen zu seinen Vorträgen angeboten wurden.146 Nicht zuletzt blieb auch das Verhältnis Renschs zu seinem Kollegen an der Spitze des Botanischen Instituts, Siegfried Strugger, stets gespannt.147 Diese Schwierigkeiten konnten den weiteren Aufstieg der Zoologie jedoch nicht negativ beeinflussen. Auch hier vollzog sich in den späten 1950er-Jahren der Übergang der Universität Münster von einer Universität mittlerer Größe zur Massenhochschule. Die Studentenzahlen am Institut stiegen bis 1962 um ein Drittel an, während der Anteil der weiblichen Studenten von 61 Prozent (1950) auf 27 Prozent (1962) absank, als die Masse der ehemaligen Soldaten begann, in die Universitäten zu strömen, und das konservative Klima die Frauen wieder aus dem akademischen Leben zu verbannen suchte.148 An Renschs Institut hingegen stiegen sie auch weiterhin in hohe Positionen auf: Mitte der 1950er-Jahre war die Hälfte der fest angestellten wissenschaftlichen Mitarbeiter weiblich.149 Rensch baute das Institut in den folgenden Jahren weiter aus. Seine Ausstattung wurde modernisiert und die Verbindungen zu außeruniversitären Einrichtungen, wie beispielsweise dem Münsterschen Zoo oder der „Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen“ unter der Leitung des Wissenschaftspolitikers Leo Brandt, weiter verstärkt. Neben der Kontaktpflege, oder vielmehr als integraler Teil derselben, gelang es Rensch auch, durch die Mitwirkung in verschiedenen Organisationen und die Übernahme hochrangiger Posten das Zoologische Institut weiter mit der weltweiten Scientific Community zu vernetzen. Ebenso wurden ihm selbst prestigeträchtige Ehrungen150 zuteil, unter anderem 1956 die Aufnahme als ausländisches Mitglied der Linnean Society of London und 1957 die Verleihung des „Dr. phil. h.c.“ der Universität Uppsala. 1958 erhielt er die DarwinWallace-Medaille der Linnean Society in London. Schließlich wurde ihm auch noch die Darwin-Plakette der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina ver145 146 147

148 149 150

SBB, Nachlass 126 (B. Rensch), Kasten 27, Tagebucheintrag 31.12.1948. Ebd., Tagebucheintrag 10.3.1959. Vgl. hierzu zum Beispiel: SBB, Nachlass 126 (B. Rensch), Kasten 27, Tagebucheintrag, 29.6.1947: „Strugger weiß etwas, er wird gewiss in Münster eine große ‚Schule‘ aufmachen, aber ich werde mich kaum mit ihm anfreunden.“ Vgl. für die UAMs, Bestand 51, E 13, Bd. 1, Übersicht über die Struktur der Studentenschaft, hier: Biologie. Gerti Dücker (Assistentin), Ilse Fischer (apl. Professorin), Angela Nolte (Kustodin). Soweit nicht anders angegeben siehe SBB, Nachlass 126 (B. Rensch), Kasten 26.

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liehen.151 Die Vernetzung des Ordinarius belegt nicht nur eindrucksvoll die wissenschaftliche Achtung, die ihm von der Fachwelt im In- und Ausland entgegengebracht wurde, sondern spiegelt auch die Bandbreite seiner Forschungen wider. Zu Beginn der 1960er-Jahre setzte sich die weltweite fachliche Ausdifferenzierung der Zoologie auch in Münster weiter fort. Damit einher ging ein weiterer struktureller Ausbau des Instituts. Bereits in den späten 1950er-Jahren hatte Rensch versucht, die Einrichtung eines Extraordinariats zu erreichen. Am 9. Juli 1962 mündeten seine Bemühungen schließlich in der Ernennung des Würzburgers Karlheinz Bier zum außerplanmäßigen Professor und seiner Berufung nach Münster.152 Biers Forschungsschwerpunkte waren neben Ameisen vor allem Histochemie und das Grenzgebiet zwischen Cytologie, Biochemie und Genetik. Gleichzeitig konnte er durch Vorlesungen zur Entwicklungsphysiologie die Lehre und Forschung auf diesem Gebiet, welches in Münster zu jener Zeit nicht vertreten wurde, ergänzen.153 Damit schloss sich mit Bier nach fast 30 Jahren wieder der Kreis zu von Ubisch, der dieses Fachgebiet in den 1920er-Jahren an der Universität Münster etabliert und bis zu seiner Vertreibung gelehrt hatte. Gemeinsam sollten Rensch und Bier, ab 1965 auch nominell als Direktoren des Instituts gleichgestellt, die Geschicke der Münsterschen Zoologie in den darauf folgenden Jahren leiten. Renschs Emeritierung 1968 und Biers früher Tod im Jahr darauf markierten schließlich einen deutlichen Schnitt in der Entwicklung des Instituts und bilden damit das Ende des Untersuchungszeitraumes.

Fazit Zwischen 1922 und 1962 durchlief das Zoologische Institut der Universität Münster eine entscheidende Phase in seiner Entwicklung. Noch unmittelbar nach dem Ende des Ersten Weltkriegs hatten Ordinarien im Stil des 19. Jahrhunderts die Forschungsinhalte, Strukturen und außeruniversitären Vernetzungen des Faches geprägt. 40 Jahre später hatte sich dieses Bild stark gewandelt. Zwar waren noch immer die Lehrstuhlinhaber diejenigen Personen geblieben, die die inhaltliche Ausprägung der Institute bestimmten und sie mit einem ihnen eigenen Stil nach außen repräsentierten. Die kontinuierliche Verästelung der Zoologie in eine Fülle von Einzelgebieten, der Wandel des politischen wie gesellschaftlichen Umfeldes, aber auch die gewachsenen Möglichkeiten, die der technische Fortschritt auf allen Gebieten der Wissenschaft mit sich brachte, hatten inzwischen jedoch aus einem autoritären Institut eine arbeitsteilige, spezialisierte Forschergemeinschaft im intensiven Austausch mit ihrer Umgebung werden lassen. Im nationalen Kontext fallen dabei Gemeinsamkeiten mit als auch Unterschiede zu anderen deutschen Universitäten auf. 151 152 153

Ebd. UAMs, Bestand 92, Nr. 57, Ernennungsurkunde, 9.7.1962. Ebd., Berufungsvorschlag Extraordinariat Zoologie, 7.3.1962.

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Vergleicht man die Entwicklungen an der Universität Münster beispielweise mit denen in Kiel,154 Tübingen155 und Jena,156 so treten teils deutliche Unterschiede zu Tage. Eine von außen gesteuerte, fakultätsübergreifende wissenschaftliche Neuausrichtung der Biologie anhand von NS-Vorgaben geschah nicht. Auch der forcierte Ausbau rassenkundlicher Forschung und Lehre, wie in Jena und Tübingen, wurde in Münster nicht verwirklicht. Genausowenig gelang es der SS oder einer vergleichbaren NS-Organisation, die Universität Münster zu ihrem Stützpunkt zu machen, wie zum Beispiel in Prag.157 Ebenso fehlten national bedeutsame und einflussreiche Protagonisten, wie beispielsweise Ernst Lehmann, Gerhard Heberer oder Walter Zimmermann. Gleichzeitig ergeben sich aber auch viele Gemeinsamkeiten. Ähnlich wie für Kiel lassen sich mannigfache außeruniversitäre Vernetzungen nachweisen, welche die Zoologie eng mit regionalen Institutionen wie dem Provinzialverband, dem Naturkundemuseum oder auch der Heimatbewegung verknüpften. Gleichzeitig ist eine der Situation in Tübingen ähnliche Koexistenz von dezidiert biologistischen Wissenschaftlern und ideologiefreier, international eingebundener Wissenschaft zu verzeichnen. Schließlich lassen sich durch die Querverbindung Gauleitung/Rektorat Parallelen zum Einfluss von NS-Organisationen wie in Jena ziehen. Auch für die Biologie in Münster ist eine Orientierung der nationalsozialistischen Wissenschaftspolitik an den Kernelementen der NS-Ideologie auszumachen. Juden und weitere „Feindgruppen“ wurden ausgeschaltet, die Universität nach dem Führerprinzip neu ausgerichtet und ein Netz der Beeinflussung durch NSDDB, NSDStB und weitere Organisationen über die Institute ausgeworfen. Daraus resultierende Probleme für die Qualität von Forschung und Lehre, ein forcierter Generationenwechsel oder eine Überbetonung politischer gegenüber qualitativer Auswahlkriterien sind jedoch nicht nachweisbar. Stattdessen herrschte eine weitestgehende Autonomie in der Ausgestaltung von Methoden und Forschung vor, und die Eigeninitiative der Forscher blieb bei der Definition des Verhältnisses von Wissenschaft und Politik entscheidend. Dabei wurde eine intensive Verknüpfung von Theorie und Praxis angestrebt, die sich auch in den vielfachen institutionellen und persönlichen Verflechtungen von Wissenschaft und Politik widerspiegelte. Die Hochschullehrerschaft selbst stellte sich dem Nationalsozialismus wenn nicht immer zur Verfügung, so doch niemals entgegen. Eine von der Fakultät oder der Universitätsleitung geförderte oder gesteuerte Fixierung auf eine „kämpferische Wissenschaft“ oder eine umfassend geplante und von der Politik mit geförderte nationalsozialistische Umstrukturierung und Neuausrichtung der Universität, wie sie für Jena nachgewiesen wurde, gab es in Münster jedoch nicht. 154 155 156 157

Vgl. hierzu Hoßfeld/Zachos 2009. Vgl. hierzu Potthast 2010, S. 441–460. Vgl. hierzu Hoßfeld 2003. Vgl. hierzu Roth 1999.

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Wie wenig dies jedoch über die Verstrickung des Instituts mit dem Regime aussagt, zeigt vor allem der Blick auf das Verhalten dreier Protagonisten. Sowohl Feuerborn als auch Kosswig und Weber stellten ihre Forschungen direkt zur Legitimation des NS-Regimes zur Verfügung, wenn auch Vorgehensweisen und Absichten der Zoologen unterschiedlich waren. Feuerborn wechselte sein Forschungsgebiet vollständig und biederte sich dem Regime in einer Vielzahl von Funktionen an, um seine Karriere zu fördern. Kosswig hingegen behielt seine vererbungswissenschaftlichen Schwerpunkte aus den 1920er-Jahren bei und sah mit der Machtübernahme 1933 endlich die Zeit gekommen, in der die Politik seine Forderungen nach einer „Aufartung“ des deutschen Volkes einlösen würde. Weber wiederum interpretierte seine bisherigen Forschungsgebiete unter NS-Gesichtspunkten neu, um dadurch an Macht und Prestige zu gewinnen. Allen drei war dabei eine Orientierung an den ideologischen Leitlinien des neuen Systems gemein, was ihr Verhalten von ihren botanischen Kollegen unterschied. Daher war es ihnen nach 1945 auch im Gegensatz zu diesen nicht möglich, nahtlos an ihre Arbeit vor dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus anzuknüpfen. Es muss jedoch betont werden, dass ein derartiges Verhalten keinesfalls notwendig war, um unter den Nationalsozialisten frei und erfolgreich arbeiten zu können. So gelang es Ries, aufgrund seiner hervorragenden Qualifikation ohne eine Vermengung von Wissenschaft und Politik erfolgreich zu veröffentlichen und zu forschen. Auch Rensch, der sich von NS-Organisationen fernhielt, konnte bis zum Ordinarius aufsteigen, ohne sich zu verstricken. Dies war auch ein wichtiger Grund dafür, warum er nach 1945 seine langjährige und renommierte Karriere in Münster fortsetzen konnte. Auch deshalb, weil Rensch eine Vielzahl der früheren Mitarbeiter weiter beschäftigte, ist die Geschichte des Zoologischen Instituts daher stärker durch Kontinuitäten als durch Brüche gekennzeichnet. Mit dem Ende des Nationalsozialismus ging zunächst weder eine personelle noch eine wissenschaftliche Neuausrichtung des Instituts einher. Eine „Entnazifizierung“ fand nicht statt, sie sollte sich erst auf natürlichem Wege durch das Ausscheiden älterer Forscher und den damit am Institut einhergehenden Generationenwechsel Mitte der 1950er-Jahre einstellen. Für den inhaltlichen Wandel war daher auch der Ordinariatswechsel 1947, wie schon 1922, 1927, 1936 und 1940, verantwortlich. Die Politik spielte hierbei keine Rolle. Die Geschichte des Zoologischen Instituts der Universität Münster ist daher, bei all ihren Besonderheiten, keine Geschichte des Außergewöhnlichen. Vielmehr spiegelt sie Struktur, Forschung, Lehre und Verhältnis zur Außenwelt einer durchschnittlich großen, durchschnittlich finanzierten und, zumindest bis 1947, durchschnittlich renommierten Forschergemeinschaft wider. Diese Eigenschaften machen es jedoch möglich, die Rolle der Zoologie in Münster quasi als Basiswert für die Untersuchung der Entwicklungen an anderen biologischen Instituten weiterer deutscher Universitäten heranzuziehen. Gleichzeitig wird dadurch deutlich, wie weit die Wurzeln der nationalsozialistischen Diktatur auch in den alltäglichen,

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unspektakulären Betrieb eines relativ kleinen Instituts an einer mittleren Provinzuniversität wie Münster reichten. Die Leichtigkeit, mit der sich eine verbrecherische Weltanschauung auch hier an den Orten, an denen sich die geistige Elite des Landes versammelte, festsetzen konnte, bleibt damit nach wie vor bemerkenswert.

Literatur: Ash, Mitchell G., Wissenschaft und Politik als Ressourcen füreinander, in: vom Bruch, Rüdiger/Kaderas, Brigitte (Hg.), Wissenschaften und Wissenschaftspolitik. Bestandsaufnahmen zu Formationen, Brüchen und Kontinuitäten im Deutschland des 20. Jahrhunderts, Stuttgart 2002, S. 32–51. Ash, Mitchell G., Wissenschaftswandlungen und politische Umbrüche im 20. Jahrhundert – was hatten sie miteinander zu tun?, in: vom Bruch, Rüdiger/Gerhardt, Uta/Pawliczek, Aleksandra (Hg.), Kontinuitäten und Diskontinuitäten in der Wissenschaftsgeschichte des 20. Jahrhunderts (Wissenschaft, Politik und Gesellschaft 1), Stuttgart 2006, S. 19–38. Buchner, Paul, Erich Ries zum Gedächtnis, in: Ries, Erich, Rätsel des Lebens. Plaudereien aus Tier- und Menschenwelt, Westerstede 1949, S. 9–23. Chronik der Westfälischen Wilhelms-Universität zu Münster 1927/28 – 1929/30. Ditt, Karl, Raum und Volkstum. Die Kulturpolitik des Provinzialverbandes Westfalen 1923–1945 (Veröffentlichungen des Provinzialinstituts für Westfälische Landes- und Volksforschung des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe 26), Münster 1988. Deichmann, Ute, Biologen unter Hitler. Porträt einer Wissenschaft im NS-Staat, Frankfurt am Main 1995. Droste, Daniel, Vom SS-Schulungsleiter zum Emigranten. Die Karriere des Zoologen Curt Kosswig und die Rolle der Biologie als Stütze des NS-Staates, in: Annals of the History and Philosophy of Biology (2011) [in Vorbereitung]. Dücker, Gerti (Hg.), 100 Jahre Bernhard Rensch. Biologe, Philosoph, Künstler (Worte – Werke – Utopien. Texte und Thesen Münsterscher Gelehrter 16), Münster 2000. Engels, Eve-Marie/Junker, Thomas/Weingarten, Michael (Hg.), Die Entstehung der synthetischen Theorie. Beiträge zur Geschichte der Evolutionsbiologie in Deutschland 1930–1950 (Verhandlungen zur Geschichte und Theorie der Biologie 2), Berlin 1999. Feuerborn, Heinrich Jakob, Das Labialsegment, die Gliederung des Thorax und die Stigmenverteilung der Insekten in neuer Beleuchtung, in: Zoologischer Anzeiger 54 (1922), S. 49–61 und S. 97–111. Feuerborn, Heinrich Jakob, Unser Wille, unsere Aufgabe, unser Wunsch, in: Natur und Heimat 1 (1934), S. 1–3.

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Feuerborn, Heinrich Jakob, Naturschutz aus dem Nationalsozialismus, in: Natur und Heimat 1 (1934), S. 25–27. Feuerborn, Heinrich Jakob, Heimatschutz, Heimaterziehung, Heimatforschung, in: Natur und Heimat 1 (1934), S. 49–52. Hoßfeld, Uwe, Von der Rassenkunde, Rassenhygiene und biologischen Erbstatistik zur Synthetischen Theorie der Evolution: Eine Skizze der Biowissenschaften, in: Hoßfeld, Uwe/John, Jürgen/Lemuth, Oliver (Hg.), „Kämpferische Wissenschaft“. Studien zur Universität Jena im Nationalsozialismus, Köln, Weimar, Wien, 2003, S. 519–574. Hoßfeld, Uwe/Zachos, Frank E., Namhafte Vertreter der Kieler Biowissenschaften im Nationalsozialismus, in: Cornelißen, Christoph/Mish, Carsten (Hg.), Wissenschaft an der Grenze. Die Universität Kiel im Nationalsozialismus (Zeit und Geschichte 14), Essen 2009, S. 323–340. Jacobs, Werner, Rezension über Ries, Erich, Grundriß der Histophysiologie, in: Der Biologe 9 (1940), S. 164. Jahn, Ilse (Hg.), Geschichte der Biologie. Theorien, Methoden, Institutionen, Kurzbiographien (Digitale Bibliothek 138), Berlin 2006. Kanz, Kai Torsten, Von der biologia zur Biologie. Zur Begriffsentwicklung und Disziplingenese vom 17. bis zum 20. Jahrhundert, in: Hörstermann, Ekkehard/Kaasch, Joachim/Hoßfeld, Uwe/Kaasch, Michael/Junker, Thomas, Die Entstehung biologischer Disziplinen. Beiträge zur 10. Jahrestagung der DGGTB in Berlin 2001, Bd. 2, Berlin 2002, S. 9–30. Kosswig, Curt, Die experimentelle Erzeugung von Mutationen, in: Die Naturwissenschaften 18 (1930), S. 561–565. Martini, Erich, Bemerkungen zu Feuerborns neuer Theorie über den Thoraxbau der Insekten, in: Zoologischer Anzeiger 55 (1923), S. 176–190. Penzlin, Heinz, Die theoretische und institutionelle Situation in der Biologie an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, in: Jahn 2006, S. 1521–1532. Pilger, Andreas, Germanistik an der Universität Münster. Von den Anfängen um 1800 bis in die Zeit der frühen Bundesrepublik (Studien zur Wissenschaftsund Universitäts-Geschichte 3), Heidelberg 2004. Potthast, Thomas/Hoßfeld, Uwe, Vererbungs- und Entwicklungslehren in Zoologie, Botanik und Rassenkunde/Rassenbiologie: Zentrale Forschungsfelder der Biologie an der Universität Tübingen im Nationalsozialismus, in: Wiesing, Urban/Brintzinger, Klaus-Rainer/Grün, Bernd/Junginger, Horst/Michl, Susanne (Hg.), Die Universität Tübingen im Nationalsozialismus (Contubernium. Tübinger Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 73), Tübingen 2010, S. 435–482. Pöppinghege, Rainer, Absage an die Republik. Das politische Verhalten der Studentenschaft der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster 1918–1935 (Agenda Geschichte 4), Münster 1994.

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Rensch, Bernhard, Biologische Gefügegesetzlichkeit, in: Joachim Jungius-Gesellschaft der Wissenschaften e.V. (Hg.), Das Problem der Gesetzlichkeit, Hamburg 1949, S. 117–137. Rensch, Bernhard, The Laws of Evolution, in: Tax, S. (ed.), Evolution after Darwin, Vol. I, Chicago 1960, S. 95–116. Rensch, Bernhard, Die Evolutionsgesetze der Organismen in naturphilosophischer Sicht, in: Philosophia Naturalis 6 (1961), S. 288–326. Rensch, Bernhard, Die Entwicklung der Zoologie an der Universität Münster, in: Dollinger, Heinz (Hg.), Die Universität Münster 1780–1980, Münster 1980, S. 467–470. Ries, Erich, Über den Sinn der erblichen Insektensymbiose, in: Die Naturwissenschaften 44 (1935), S. 744–749. Ries, Erich, Entwicklungs- und Differenzierungsperiode der Zelle, in: Die Naturwissenschaften 25 (1937), S. 241–249. Ries, Erich, Wege und Aufgaben der Histophysiologie, in: Der Biologe 6 (1937), S. 42–49. Ries, Erich, Die Bedeutung spezifischer Mitosegifte für allgemeinere biologische Probleme, in: Die Naturwissenschaften 30 (1939), S. 505–515. Roth, Karl Heinz, Heydrichs Professor. Historiographie des „Volkstums“ und der Massenvernichtungen: Der Fall Hans Joachim Beyer, in: Schöttler, Peter (Hg.), Geschichtsschreibung als Legitimationswissenschaft 1918–1945, Frankfurt a. M. 1999, S. 262–342. Schäperclaus, Wilhelm, H. H. Wundsch, in: Hydrobiologia 13 (1959), S. 300– 304. Schulz, Jörg, Aspekte der Würdigung von Mendels Arbeit nach 1900, in: Jahn 2006, S. 1915–1927. Schwanitz, Franz, Rezension über Ries, Erich, Allgemeine Gewebelehre, in: Der Biologe 9 (1940), S. 98. Stempell, Walter, Das Zoologische Institut der Westfälischen Wilhelms-Universität (1821–1912), in: Festschrift zur 84. Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte, Münster 1912, S. 115–128. Stempell, Walter, Hundert Jahre Zoologisches Institut in Münster, in: Mitteilungen aus dem Zoologischen Institut der Westfälischen Wilhelms-Universität zu Münster i. W., Münster 1921, S. 3–12. Tobler, Friedrich, Zur Geschichte des Botanischen Gartens und Unterrichts in Münster, in: Münsterland 9 (1922), S. 15–23. von Ubisch, Leopold, Über die Harmonie des tierischen Entwicklungsgeschehens, in: Die Naturwissenschaften 10 (1922), S. 271–278. von Ubisch, Leopold, Stimmen die Erkenntnisse der Aalforschung mit Wegeners Theorie der Kontinentalverschiebung überein?, in: Die Naturwissenschaften 12 (1924), S. 345–348.

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Vorlesungsverzeichnisse der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster Sommersemester 1922 – Sommersemester 1954. Weber, Hermann, Zur Gliederung des Insektenthorax. Kritische Bemerkungen zu H. J. Feuerborns neuer Thoraxhypothese, in: Zoologischer Anzeiger 57 (1923), S. 97–124. Weber, Hermann, Lage und Aufgabe der Biologie in der deutschen Gegenwart, in: Zeitschrift für die gesamte Naturwissenschaft 1 (1935/36), S. 95–106. Weber, Hermann, Rezension über Ries, Erich, Allgemeine Gewebelehre, in: Zeitschrift für die gesamte Naturwissenschaft 5 (1939), S. 238.

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Das Botanische Institut der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster im 20. Jahrhundert Wie sein Zoologisches Schwesterinstitut kann das Institut für Botanik der Universität Münster auf eine lange, bis in das 19. Jahrhundert reichende Geschichte zurückblicken.1 Im Zuge einer Aufspaltung der Naturwissenschaft hatte sich auch an der damaligen Akademie Münster, wie an vielen weiteren Universitäten Deutschlands, die Naturgeschichte unter anderem in Zoologie und Botanik differenziert und sich seitdem stetig weiterentwickelt.2 Diese Entwicklung ist für die Botanik in Münster bislang jedoch nur wenig erforscht worden. Einen ersten Versuch unternahm im Jahre 1922 der damalige Assistent Friedrich Tobler.3 Seinem knappen Abriss folgten in den Jahren danach lediglich ein kurzer Aufsatz im Sammelband zum 200-jährigen Jubiläum der Universität 1980 vom damaligen Ordinarius Erwin Latzko,4 der aber wichtige Abschnitte wie den Nationalsozialismus fast vollständig aussparte. Als jüngster Beitrag, der sich jedoch nur mit einem Teilaspekt beschäftigt, liegt eine Abhandlung des Emeritus Rolf Wiermann über die Geschichte des Botanischen Gartens vor.5 Eine Untersuchung von Personen, Struktur und wissenschaftlichen Inhalten, welche gleichzeitig das Verhältnis der Wissenschaft zur Politik mit einbezieht, ist bislang ein Forschungsdesiderat. Der vorliegende Aufsatz soll helfen, diese Lücke zu schließen. Das methodische Grundgerüst sowie der Untersuchungszeitraum orientieren sich dabei an den bereits im Beitrag zur Zoologie dargelegten Aspekten.6

Das Botanische Institut vor 1916 Nachdem sich die Botanik an der Akademie Münster, dabei universellen Entwicklungen der Gesamtwissenschaft folgend, im späten 19. Jahrhundert fachlichinhaltlich wie organisatorisch von der Zoologie und Mineralogie getrennt hatte, übernahm Theodor Nitschke 1867 neben dem Extraordinariat für Botanik auch die Leitung des Botanischen Gartens. 1875 wurde das Extraordinariat in ein Ordi1 2 3 4 5 6

Dieser Beitrag basiert auf den Ergebnissen meines Dissertationsprojektes zur Geschichte der biologischen Institute der Universität Münster 1922 bis 1962. Vgl. hierzu den Beitrag zum Institut für Zoologie in diesem Band. Tobler 1922. Latzko 1980. Wiermann 2003. Vgl. hierzu den Beitrag des Autors zum Institut für Zoologie in diesem Band.

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nariat umgewandelt.7 Nitschke behielt die Leitung bis 1883.8 Unter seinem Nachfolger Otto Brefeld zog das Institut 1896/97 in ein neu errichtetes Gebäude an der Südseite des Botanischen Gartens ein.9 Brefeld, Sohn eines Apothekers aus Telgte, legte den Schwerpunkt seiner Forschungs- und Lehrtätigkeiten vor allem auf das damals noch junge Gebiet der Mykologie. 1891 wurde er nach Breslau berufen. Sein Nachfolger wurde Wilhelm Zopf. Er verstarb bereits 1909 im Alter von 63 Jahren, woraufhin Carl Erich Correns als Ordinarius nach Münster übersiedelte. Correns, der sich als Forscher vor allem durch die Wiederentdeckung der Mendelschen Regeln und intensive Tätigkeiten auf dem Gebiet der Vererbungsforschung hervortat, wechselte jedoch bereits 1914 als Direktor an das Kaiser-Wilhelm-Institut für Biologie.10 Ab dem Wintersemester 1914/15 übernahm daher Alfred Heilbronn, zu jenem Zeitpunkt planmäßiger Assistent am Institut, bis zum Amtsantritt eines Nachfolgers für Correns die Vertretung des Ordinariats.11 Der neue Lehrstuhlinhaber, Friedrich-Wilhelm Benecke, wurde schließlich zum 1. April 1916 berufen. Mit ihm begann am Botanischen Institut eine neue Phase der Stabilität, welche die nächsten 30 Jahre lang die botanische Forschung und Lehre in Münster bestimmen sollte.

Das Ordinariat Benecke 1916 bis 1935 Benecke war 1892 in Jena bei Erich Stahl12 mit einer Dissertation über die physiologische Anatomie der Nebenzellen der Sukkulenten13 promoviert14 worden und danach an mehreren Universitäten tätig gewesen war. Unmittelbar vor seiner Berufung nach Münster hatte er als Professor in Berlin gewirkt. Seit seiner Amtsübernahme am Botanischen Institut hatte sich Benecke mit einer Vielzahl von Arbeitsgebieten, darunter Pflanzengeographie und Mikrobiologie, beschäftigt. Zu einem seiner Forschungsschwerpunkte in Münster sollte sich die pflanzliche Ernährungsphysiologie entwickeln. Neben dem Ordinarius waren am Botanischen Institut und Botanischen Garten,15 ähnlich der Situation am Zoologischen Institut, zwei Assis7 8 9 10 11 12 13 14 15

Tobler 1922, S. 23. Latzko 1980, S. 464. http://www.uni-muenster.de/Biologie.Botanik/institut/geschichte/index.html, Zugriff: 16.8.2010. Latzko 1980, S. 464f. UAMs, Bestand 5, Nr. 77, Kurator an Heilbronn, 23.10.1919. Sackmann 1985, S. 31. UAMs, Bestand 10, Nr. 738, Bd. 1, Zeitungsbericht in „Münsterscher Anzeiger“, 23.9. 1938. Ebd., Personalbogen, undatiert, nach 1925. Der Übersichtlichkeit halber wird anstelle dieses Doppelbegriffes im Folgenden lediglich „Botanisches Institut“ verwendet. Ähnliches gilt für die beiden Assistentenstellen, von denen bis 1933 eine dem Institut, die andere dem Garten zugeordnet war. Sie werden unter demselben Oberbegriff subsumiert.

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tenten sowie ein Abteilungsvorsteher tätig: der bereits genannte Alfred Heilbronn, Walter Mevius und Emil Hannig. Alle drei sollten in den nächsten Jahrzehnten wichtige Rollen am Institut spielen. Im Vergleich zum Zoologischen Institut war die Botanik personell somit etwas besser ausgestattet. Daraus erklärt sich auch, im Unterschied zum Schwesterinstitut, das Fehlen externer Lehrbeauftragter. Schon zu diesem Zeitpunkt hatte sich eine Arbeitsteilung etabliert, die auch für die nächsten Jahre beibehalten werden sollte. Jeder der Dozenten deckte dabei ein Forschungsgebiet ab, auf das er sich spezialisiert hatte. Benecke hielt als Ordinarius die allgemeinen Veranstaltungen ab, ergänzt um Spezialthemen wie Ernährungsphysiologe. Hannig las über Pflanzensystematik und Blütenpflanzen, aber vor allem über ein Themengebiet, welches hauptsächlich ab den späten 1930er-Jahren noch eine äußerst wichtige Rolle an der Universität Münster spielen sollte: die Pharmakognosie. Heilbronn hingegen konzentrierte sich auf ein damals noch recht junges Gebiet, die Vererbungslehre, und war damit seinen Kollegen in der Zoologie, welche dieses Thema erst später und, bis zur Anstellung Kosswigs, nicht regelmäßig anbieten sollten, voraus.16 Vor 1920 war er sogar der einzige Dozent an der gesamten Universität gewesen, der zu diesem Thema gelesen hatte.17 Dabei hatte er auch versucht, Vererbungslehre und Soziologie miteinander zu verknüpfen.18 Bereits im Wintersemester 1919/20 hatte er über Rassen- und Gesellschaftsbiologie gelesen. Für das Sommersemester 1920 kündigte er dann eine Vorlesung unter dem Titel „Biologische Fragestellungen der Soziologie“ an. Damit wollte er unter anderem Heinrich Ernst Zieglers Werk „Die Vererbungslehre in der Biologie und in der Soziologie“,19 welches er als konservativ-antisozial bezeichnete, etwas entgegensetzen. Die Fakultät stoppte jedoch dieses Vorhaben und begründete dies damit, dass Heilbronn seine venia überschreite und ihm die Fachkompetenz fehle. Außerdem hatte man inhaltliche Bedenken: „Nach Ansicht der Fachvertreter der Botanik, Zoologie und Physiologie sind die wissenschaftlichen Forschungen soziologischen Charakters auf diesen Gebieten noch nicht weit genug vorgeschritten, um aus ihnen wirklich wissenschaftlich gegründete Folgerungen auf die Fragen der menschlichen Soziologie ziehen zu können.“20

Damit war ein biologischer Ansatz zur Bearbeitung sozialer Fragestellungen an der Universität Münster von Seiten der Universitätsleitung zunächst beendet worden. Es ist jedoch verwunderlich, dass bereits ein Jahr später der Abteilungsvor16 17

18 19 20

Vgl. Vorlesungsverzeichnis Sommersemester 1922. GStA, I. HA Rep 76 Va, Sektion 13, Titel IV, Nr. 6, Bd. III, Briefwechsel zwischen Heilbronn, Dekan der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, Benecke und Preußischem Wissenschaftsminister, Juli 1920 bis Juni 1921. Vgl. für das Folgende ebd. Ziegler 1918. GStA, I. HA Rep 76 Va, Sektion 13, Titel IV, Nr. 6, Bd. III, Dekan der PhilosophischNaturwissenschaftlichen Fakultät an Preußischen Wissenschaftsminister, 14.10.1920.

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steher im Anatomischen Institut, Eugen Kurz, welcher nicht zuletzt wegen seiner rassistischen Ansichten ab 1925 von der NSDAP-Gauleitung als guter Redner geführt werden sollte, eine Vorlesung über Rassenkunde abhalten konnte.21 Hier hatte man offensichtlich keinerlei Bedenken, dass eine Venia überschritten wurde oder Kompetenzmangel vorlag. Charakteristisch für das Botanische Institut zu Beginn der 1920er-Jahre war, im Gegensatz zu den teils chaotischen Personalverhältnissen am Zoologischen Institut, die hohe personelle Kontinuität der Lehrstuhlmitarbeiter. Eine weitere Konstante bildete jedoch auch die konsequent schlechte finanzielle Lage der Botanik. Die gesamten 1920er-Jahre waren vom ständigen Kampf Beneckes um Sonderbewilligungen, Etaterhöhungen und eine Verbesserung der materiellen Ausstattung des Instituts geprägt. Dabei wog umso schwerer, dass zwar die Zahl der Mitarbeiter gleich blieb, die der Studenten aber stark anstieg und Mitte der 1920er-Jahre auf einer Höhe mit der Botanik an den Universitäten Kiel, Marburg, Bonn und Halle lag.22 Trotz dieser Schwierigkeiten konnte Benecke den Vorlesungsbetrieb aber sowohl quantitativ als auch inhaltlich ausbauen. Seinen ursprünglichen Neigungen folgend gewann dabei die Ernährungsphysiologie am Institut immer mehr an Bedeutung. Inhaltlich beschäftigten sich die Mitarbeiter in ihren Forschungsarbeiten mit Ernährungs- und Reizphysiologie der höheren Pflanzen, Pflanzenanatomie, Bakteriologie, Mykologie, Systematik (hier insbesondere Serodiagnostik) und Pflanzengeographie.23 Diese Forschungsthemen fanden sich auch in der Lehre wieder, wo die Zahl der Veranstaltungen zwischen neun und 16 schwankte.24 Neben Seminaren wie „Pharmakognosie und mikroskopische Drogenuntersuchungen“ waren zum Beispiel vererbungswissenschaftliche Seminare, Bestimmungsübungen von Kryptogamen und Blütenpflanzen sowie Veranstaltungen über „Anatomie und Physiologie der Pflanzenzelle“ vertreten. Ebenso breit gefächert wie die Themen der Lehre waren auch die Untersuchungsfelder der in diesem Zeitraum angenommen Dissertationen, bei denen Arbeiten über Algen,25 Bakterien26 oder ernährungsphysiologische Fragestellungen27 im Vordergrund standen. Für die Einbindung des Instituts in außeruniversitäre Netzwerke ist, im Gegensatz zum Zoologischen Institut, für diese Zeit wenig Material in den Akten zu fin21 22 23 24 25

26 27

Dicke 2004, S. 17. UAMs, Bestand 9, Nr. 530, Benecke an Kurator, 8.1.1926. Chronik 1925/26, Bericht zum Botanischen Institut, S. 68f. Vgl. Vorlesungsverzeichnisse der Universität 1922 bis 1927. Zum Beispiel „Abhängigkeit der Entwicklung des Volvox aureus von äusseren Bedingungen“ von Franziska Knocke, am 8. Juli 1924 mit sehr gut bewertet, siehe: UAMs, Bestand 62, GB 5, Bd. 1. Zum Beispiel „Azotobakter-Studien“ von Ludwig Niemeyer, am 26. September 1924 mit sehr gut bewertet, siehe ebd. Zum Beispiel „Untersuchungen über Spaltöffnungsbewegungen, Transpiration und Stärkespeicherung bei Impatiens parviflora in ihrer Abhängigkeit von den Standortfaktoren“ von Antonie Haken, am 24. September 1926 mit cum laude bewertet, siehe ebd.

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den. Man kooperierte, wie auch die Kollegen in der Zoologie, mit der Zoologischen Station in Neapel und dem Internationalen Biologischen Institut „Angelo Rosso“ auf dem Col d’Olen.28 Ende der 1920er-Jahre erfuhr das Institut eine Ausweitung seiner Kompetenzen. In Ermangelung einer eigenen landwirtschaftlichen Fakultät waren ab dem 1. April 1927 auf Anweisung des Preußischen Ministers für Landwirtschaft, Domänen und Forsten landwirtschaftliche Vorprüfungen in Münster möglich geworden.29 Benecke wurde daraufhin in den Prüfungsausschuss für Landwirte aufgenommen.30 Das Wachstum des Instituts schlug sich jedoch nicht in einer besseren Ausstattung seitens des Ministeriums nieder. Die Botanik kämpfte also mit ähnlichen Problemen wie die Zoologie, wo von Ubisch einen Großteil seiner Energie in die Bewältigung dieser Schwierigkeiten investieren musste. Erst 1929 konnte durch die Einstellung eines dritten Assistenten die weiterhin steigenden Studentenzahlen abgefedert werden. Somit waren neben dem Lehrstuhlinhaber kurzzeitig sechs weitere wissenschaftliche Mitarbeiter am Botanischen Institut beschäftigt. Zu Beginn der 1930er-Jahre war die Situation am Botanischen Institut demnach zwiespältig zu beurteilen. Zum einen war man personell, sowohl was Quantität als auch Qualität der Belegschaft betraf, gut gerüstet und konnte eine langjährige Stabilität aufweisen. Das Institut erhielt Unterstützung der inzwischen in Deutsche Forschungsgemeinschaft umgetauften Notgemeinschaft, lag, was die Forschungsthemen der Mitarbeiter betraf, am Puls der Zeit und konnte ein ausgewogenes Lehrprogramm vorweisen. Benecke hatte sich im Laufe seiner Karriere eine hohe Reputation erworben, was zum Beispiel an zwei Vorgängen des Jahres 1931 deutlich wird. So fand unter seiner Ägide als Präsident der Deutschen Botanischen Gesellschaft vom 26. bis zum 29. Mai 1931 eine gemeinsame Tagung der Deutschen Botanischen Gesellschaft, der Freien Vereinigung für Pflanzengeographie und Systematik sowie der Vereinigung für angewandte Botanik statt, zu deren Eröffnungssitzung im Auditorium Maximum der Universität er auch den Oberpräsidenten der Provinz Westfalen einlud.31 Außerdem wurde Benecke im Sommer des Jahres zum stellvertretenden Vertrauensmann der Deutschen Forschungsgemeinschaft gewählt.32 Auf der anderen Seite belasteten jedoch weiterhin hohe Studentenzahlen,33 ein zu geringer Etat34 sowie Raummangel35 die Arbeit der Wissenschaftler. Auch schien 28 29 30 31 32 33 34 35

UAMs, Bestand 4, Nr. 303, Preußischer Wissenschaftsminister an Kurator, 11.9.1924, beziehungsweise Preußischer Wissenschaftsminister an Hochschulen, 8.12.1914. UAMs, Bestand 9, Nr. 995, Rundschreiben des Ministers für Landwirtschaft, Domänen und Forsten, 16.4.1927. Ebd., Preußischer Wissenschaftsminister an Benecke, von Ubisch, 26.3.1927. LAV NRW W, Bestand Oberpräsidium, Nr. 5528, Benecke an Oberpräsidenten, 15.5.1931. UAMs, Bestand 4, Nr. 1336, Schreiben Beneckes, 1.8.1931. UAMs, Bestand 4, Nr. 532, Benecke an Kurator, 30.7.1930. UAMs, Bestand 9, Nr. 528, Benecke an Kurator, 30.4.1930. Chronik 1928/29, Bericht des Botanischen Instituts, S. 107.

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sich in den Lehr- und Forschungsbetrieb, betrachtet man die Lehrveranstaltungen und die Veröffentlichungen der Dozenten, auf den ersten Blick eine gewisse Routine einzuschleichen. Vergleicht man die Vorlesungsverzeichnisse der Jahre 1927 bis 1931 mit denen davor, so fällt auf, dass auch hier wenig von den traditionell angebotenen Veranstaltungen abgewichen wurde. Die Standardvorlesungen wurden weiterhin von denselben Dozenten gelesen und punktuell um Seminare zur Pflanzengeographie und zur Ökologie (Hannig) oder zu Pflanzenkrankheiten und angewandter Botanik (Heilbronn) ergänzt. Lediglich Mevius, der inzwischen regelmäßig mindestens eine Veranstaltung pro Semester anbot, brachte mit vom Schema abweichenden Seminaren wie zum Beispiel „Tropische und subtropische Pflanzen der Weltwirtschaft“ im Wintersemester 1929/30 oder „Blütenökologie mit Demonstrationen“ im Sommersemester 1930 etwas frischen Wind in den Vorlesungsplan. Hauptsächlich konzentrierte er sich aber auch in der Lehre auf pflanzliche Ernährungsphysiologie.36 Es ist aber davon auszugehen, dass die Dozenten ihre Lehrinhalte entsprechend der sich über die Jahre ändernden Forschungslage anpassten. Daher hieße es auch vorschnell zu urteilen, lediglich auf Basis der Vorlesungstitel von einer Zeit der Stagnation am Institut zu sprechen. Vielmehr wird darin die Dominanz eines langjährigen Ordinarius deutlich, der der Botanik in Münster eine charakteristische Prägung verliehen hatte. Während von Ubisch, welcher jedoch auch 18 Jahre jünger als Benecke war, im Zoologischen Institut auf Fortschritt drängte und den Vorlesungsbetrieb nach der Stagnationsphase unter Feuerborn neu organisierte, hatte sich Benecke längst ein Institut nach seinen Vorstellungen geschaffen. Diese Situation sollte sich auch in den Folgejahren bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten im Januar 1933 nicht substantiell ändern. Ähnlich wie in der Zoologie zog diese zunächst keine unmittelbaren Folgen für das Personal oder die wissenschaftlichen Inhalte am Botanischen Institut nach sich. Wie ihre zoologischen Kollegen bemühten sich im Windschatten der Machtübernahme auch die Assistenten am Botanischen Institut ab dem Frühjahr 1933, Einlass in die NSDAP oder eine ihrer Gliederungen zu finden. Politisch motivierte Einflussversuche der Partei oder anderer außeruniversitärer Stellen auf wissenschaftliche Inhalte oder personelle Entscheidungen am Institut lassen sich jedoch auch in den folgenden Jahren nicht belegen. Einzige Ausnahme bildete die Entfernung von Alfred Heilbronn. Ende April 1933 fand mit ihm die antisemitische Politik der neuen Machthaber in der Botanik ihr erstes und vorerst einziges Opfer. Heilbronn galt den Nationalsozialisten, obwohl er in den 1920er-Jahren zum Protestantismus konvertiert war,37 auch weiterhin als Jude. Dies machte ihn zur Zielscheibe des Regimes. Am 29. April 1933 wurde ihm zunächst bis auf weiteres

36 37

Vgl. die Vorlesungsverzeichnise der Universität 1927 bis 1931. Bozay 2001, S. 110.

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untersagt, Vorlesungen oder Übungen anzuzeigen.38 Am 30. April telegraphierte das Preußische Wissenschaftsministerium dann aus Berlin nach Münster, dass er bis zur endgültigen Entscheidung durch das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 193339 mit sofortiger Wirkung zu beurlauben sei.40 Am 14. September 1933 entzog das Preußische Wissenschaftsministerium dem Botaniker schließlich auf Basis des § 3 des Gesetzes die Lehrbefugnis.41 Heilbronn emigrierte daraufhin in die Türkei, wo er am 15. Oktober 1933 an der Universität Istanbul den Lehrstuhl für Pharmabotanik und Genetik übernahm.42 Dort wurde er zum Mitbegründer der modernen türkischen Botanik und arbeitete ab 1937 eng mit seinem Freund, dem ebenfalls emigrierten Münsterschen Zoologen Curt Kosswig, zusammen.43 Erst 1956 kehrte er nach Deutschland zurück und übernahm für wenige Jahre erneut einen Lehrauftrag für Vererbungslehre an der Universität Münster. Mitte der 1930er-Jahre kündigte sich schließlich eine von den politischen Zeitumständen unabhängige wichtige Zäsur in der Geschichte des Botanischen Instituts an. Benecke sollte im September 1935 seinen 67. Geburtstag feiern, womit er sich dem Ende seiner Tätigkeit als ordentlicher Professor näherte. Dadurch rückte in den ersten Monaten des Jahres die Suche nach einem Nachfolger für den Botaniker in den Fokus der Aufgaben der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät. Dabei waren die Verantwortlichen bestrebt, den ruhigen Kurs, den das Institut unter Benecke bislang genommen hatte, fortzuführen und auf Experimente in personeller wie wissenschaftlicher Hinsicht zu verzichten. Möglicherweise spielte dabei auch die sich zeitgleich verschärfende Situation im Zoologischen Institut eine Rolle, wo Feuerborn gegen von Ubisch zu Felde zog und die Angelegenheit außer Kontrolle zu geraten drohte. Daher war es seitens der Beteiligten nur plausibel, dass sich aus dem Kreis der Kandidaten am Ende Beneckes langjährige Assistent Walter Mevius durchsetzte, welcher 1932 als ordentlicher Professor an die Landwirtschaftliche Hochschule Berlin gewechselt war und nun als Quasi-Hausbesetzung nach Münster zurückkehren sollte. Wenn auch die fachwissenschaftlichen Inhalte die dominierende Rolle bei seiner Auswahl spielten – Mevius hatte sich wie sein akademischer Lehrer auf Ernährungsphysiologie spezialisiert –, so sollten im Hintergrund doch auch politische Gründe mitschwingen. So urteilte sein damaliger Arbeitgeber, das Institut für landwirtschaftliche Botanik der Universität Berlin, über den potentiellen Ordinarius:

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UAMs, Bestand 9, Nr. 863, Dekan der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät an Kurator, 29.4.1933. Reichsgesetzblatt 1933 I, S. 175f. UAMs, Bestand 9, Nr. 863, Preußischer Wissenschaftsminister an Kurator, 30.4.1933. UAMs, Bestand 5, Nr. 77, Preußischer Wissenschaftsminister an Heilbronn, 14.9.1933. UAMs, Bestand 10, Nr. 9690, Preußischer Wissenschaftsminister an Heilbronn, Wiedergutmachungsbescheid des Kultusministeriums Nordrhein-Westfalen, 3.5.1953. Vgl. den Beitrag zum Zoologischen Institut in diesem Band sowie Droste 2011.

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„Im Übrigen ist es besonders wertvoll, daß er aus eigener langjähriger Erfahrung die Schwierigkeiten kennt, die einer nachhaltigen Durchsetzung des Nationalsozialismus an der Universität Münster entgegenstehen.“44

Ende Mai 1935 berief das REM Mevius zum 1. Juli 1935 auf den ordentlichen Lehrstuhl für Botanik der Universität Münster.45 Planmäßig legte Benecke einen Tag vorher sein Amt wegen Erreichens der Altersgrenze nieder.46 Nach fast 20-jähriger Tätigkeit war damit, zumindest auf dem Papier, die Ära Benecke am Botanischen Institut der Universität Münster zu Ende gegangen.

Das Ordinariat Mevius 1935 bis 1944/45 Obwohl die Universität Münster also auf Tradition setzte, sollte die Berufung Mevius’ dennoch nach den vielen Jahren unter Beneckes Leitung, in denen eine strukturelle wie wissenschaftlich-inhaltliche Regelmäßigkeit den Betrieb bestimmt hatte, auch Veränderungen herbeiführen. Hierzu zählte nicht zuletzt eine fortschreitende Politisierung, welche es unter Benecke, der sich mit solchen Dingen nie beschäftigte, nicht gegeben hatte. Sie lief jedoch, anders als die zeitgleich stattfindende Politisierung im Zoologischen Institut, nicht auf eine ideologische Anpassung an den Nationalsozialismus hinaus, sondern manifestierte sich besonders in seiner technokratischen Unterstützung durch die Verzahnung des Instituts mit NS-Wissenschaftsorganisationen. So konnte Mevius die Vernetzung des Botanischen Instituts durch seine Berufung in Schlüsselpositionen an der Schnittstelle von biologischer Forschung und NS-Politik vorantreiben. Ein Beispiel dafür ist seine Arbeit für Konrad Meyer. 1935 wurde die „Reichsarbeitsgemeinschaft der Landbauwissenschaft“, welche einige Zeit später unter dem Namen „Forschungsdienst“ firmierte, als zentralistische wissenschaftsorganisatorische Institution der Agrarwissenschaft ins Leben gerufen.47 Ziel der Neugründung war die Gleichschaltung dieses Forschungszweiges. Zum Reichsbeauftragten der neuen Organisation wurde der Staatssekretär im Reichsernährungsministerium Herbert Backe ernannt. Obmann wurde Konrad Meyer, der spätere Architekt des Generalplans Ost. Dieser sollte sein Amt „im Sinne nationalsozialistischer Wirtschaftsgestaltung führen“,48 womit die Vermischung wissenschaftlicher und politischer Ziele besonders deutlich wurde. Zu den Aufgaben des Forschungsdienstes zählten neben der zentralen Planung und Kontrolle der agrarwissenschaftlichen Forschung in Deutschland die Koordination der Gemeinschaftsarbeit und die Bereitstellung von Forschungsmitteln. Dabei 44 45 46 47 48

BAB, ehemals BDC, A 0046, Eignungsbericht, undatiert, in: Mevius an REM, 19.6.1935. UAMs, Bestand 63, Nr. 181, REM an Mevius, 24.5.1935. Chronik 1935/36, Bericht des Botanischen Instituts, S. 129f. Vgl. zum Forschungsdienst Klemm 1994, S. 46–53. Ebd. S. 47.

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sollte er der deutschen Landwirtschaft das Rüstzeug für die „Erzeugungsschlacht“49 und den zweiten Vierjahresplan zu geben. In diesem Kontext wurden Mevius und seinen Mitarbeitern Forschungsarbeiten für den praktischen Pflanzenanbau übertragen. Die Führungsstellen des Dienstes wurden mit regimetreuen Wissenschaftlern besetzt. Ähnliches galt auch für die Leitung der etwa 120 Arbeitskreise, die den Unterbau der Organisation bildeten.50 Hier gründete Mevius im Jahre 1936 im Auftrag Meyers den Arbeitskreis „Landwirtschaftliche Botanik“ und übernahm dessen Führung. Darüber hinaus wurde Mevius von Meyer noch zum Vertrauensmann für Botanik ernannt worden.51 Neben diesen Änderungen bürgte die Anstellung Mevius’ jedoch auch für eine Kontinuität, die beispielsweise am zoologischen Schwesterinstitut, an dem mit den verschiedenen Ordinarien auch die Forschungsinhalte nach 1935 in rascher Folge wechselten, fehlte. Dies wird vor allem an den angebotenen Lehrveranstaltungen deutlich. Über die Jahre hatten sich in der Struktur der Veranstaltungen keine grundlegenden Änderungen ergeben. Als Mevius schließlich zum Wintersemester 1935/36 als neuer Ordinarius antrat, nahm er lediglich Beneckes Rolle im Vorlesungsverzeichnis ein, während Titel und Inhalte der Veranstaltungen gleich blieben. Ein entscheidender Schnitt sollte erst mit der internen Reorganisation des Instituts im Jahr 1937 folgen. Bis dahin bestimmte eine Kontinuität die Inhalte des Instituts, die für einen Ordinariatswechsel zwar untypisch war, aber durch die spezifische Situation am Botanischen Institut erklärt werden kann. Mevius, als Student und Assistent über zwölf Jahre von Benecke geprägt, war diesem, was die Forschungsthemen betraf, einfach viel zu ähnlich, als dass sich daraus ein Wandel der Inhalte hätte ergeben können. Der neue Lehrstuhlinhaber war noch immer derart den alten Strukturen am Institut verhaftet, dass das Ordinariat Benecke über dessen Weggang hinweg faktisch weiterbestand. Dies wird auch dadurch weiter belegt, dass der alte Lehrstuhlinhaber ein Arbeitszimmer im Institut zugewiesen bekam, in dem er seine ernährungsphysiologischen Arbeiten im wissenschaftlichen Einklang mit den restlichen Mitarbeitern als Emeritus weiterführen konnte.52 Außerdem wird der Befund durch die die Themen der Forschungsvorhaben, welche die einzelnen Institutsmitglieder unter Zuhilfenahme von Fördermitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft in jenem Zeitraum durchführten, und die Dissertationen, welche über beide Wechsel 1933

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Das vorrangige Ziel der Erzeugungsschlacht, deren Konzept 1934 von Herbert Backe entwickelt wurde, war die Herstellung der Unabhängig des Deutschen Reiches von Nahrungsmittelimporten vor allem im Hinblick auf einen bevorstehenden Krieg, siehe hierzu: Schmitz-Berning 2000, S. 210–212. Klemm 1994, S. 14f. BAB, R 4901, Nr. 14280, Mevius an REM, 1.6.1937. UAMs, Bestand 9, Nr. 528, Vermerk, 13.8.1935.

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und 1935 hinweg am Institut eingereicht wurden, gestützt. Wie zuvor waren auch hier hauptsächlich Ernährungsphysiologie und Bakteriologie vertreten.53 Mevius führte demnach bestehende Forschungsrichtungen fort und sorgte damit für Kontinuität. Der Einfluss des neuen Ordinarius ist daher nicht in den Forschungsinhalten am Institut zu greifen. Vielmehr bemühte sich Mevius unmittelbar nach seiner Amtsübernahme, die Probleme, die das Botanische Institut seit langem plagten, offensiv anzugehen und den Schwung, den er durch seinen Wechsel nach Münster erhalten hatte, auszunutzen. Mit diesem Vorhaben scheiterte er jedoch schnell und deutlich am REM. Mehrere der mit ihm in den Berufungsverhandlungen vereinbarten Zusagen des Ministeriums, unter anderem eine Erhöhung der Institutsmittel und die Einstellung neuer Mitarbeiter, wurden zunächst nicht eingehalten. Erst gegen Ende der 1930er-Jahre konnte Mevius hier Erfolge vorweisen. 1937 wurde der Botaniker zusätzlich zum Rektor der Universität Münster ernannt. Um in diese Position gelangen zu können, hatte er sich politisch profilieren müssen. Schon 1933 war Mevius dem NSLB beigetreten. Ebenso war er mit der Mitgliedsnummer 106.483 Förderndes Mitglied der SS geworden54 (er trat dort, ebenso wie bei der Studentenkampfhilfe, 1939 wieder aus). 1937, parallel zu seiner Ernennung, vervielfachten sich seine Aktivitäten. Mevius trat der NSDAP (1. Mai 1937, Mitgliedsnummer 4.565.102), dem NSDDB und der NS-Studentenkampfhilfe bei.55 Später im Jahr wurde er zur Teilnahme an der Kulturtagung des Reichsparteitages der NSDAP eingeladen.56 Sein neues Amt an der Spitze der Universität kombinierte Mevius mit einer mehr und mehr dezidiert politischen Ausrichtung seiner Tätigkeiten als Ordinarius. Seine Rolle als Rektor sollte es dem Botaniker in der Folgezeit gestatten, von zwei verschiedenen Posten aus Einfluss vor allem auf die personelle Entwicklung des Botanischen Instituts zu nehmen. Insbesondere die Schicksale seiner Assistenten Max Roberg und Eduard Schratz waren hierbei intensiv miteinander verknüpft. Dabei spielte auch ein aggressiver Antikatholizismus eine Rolle. Bereits in der Auseinandersetzung zwischen Feuerborn und von Ubisch am Zoologischen Institut, in die sich Mevius eingemischt hatte, war dies in seiner Ablehnung einer Anstellung Feuerborns offen zu Tage getreten. So hatte er geäußert: „Man darf keine Katholiken nach Münster bringen. Nur alte Zentrumsfeinde gehören hier her.“57 Ähnlich äußerte er sich auch 1940, als der zukünftige neue Ordina53

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Zum Beispiel „Die Assimilation des Luftstickstoffs durch einige Bakterien“ von Mathilde Christiane Schröder, am 1. Februar 1932 mit cum laude bewertet, „Beiträge zur Kenntnis der Symbiose von Azolla und Anabaena“ von Anna Huneke, am 20. Juni 1933 mit gut bewertet, oder „Über atypische Zellformen bei Bacillus amylobacter“ von Wilhelm Burksteeg, am 8. März 1935 mit magna cum laude bewertet, siehe: UAMs, Bestand 62, GB 5, Bd. 1. BAB, ehemals BDC, A 0046. StAHH, PA Mevius, IV 1368, Personalbogen, undatiert, nach 1939. Ebd., Kurator an Universitätskasse, 4.9.1937. BAB, R 4901, Nr. 14893, Mevius an REM, 20.10.1935.

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rius für Zoologie Erich Ries erstmals mit ihm zusammentraf. Ihm teilte er mit, dass an der Universität Münster „auf keinen Fall ein Katholik auf einen naturwissenschaftlichen Lehrstuhl kommen würde, weil in Münster die Spannungen so gross wie nirgends sonst seien.“58 Denselben Antikatholizismus wählte sich Mevius dann bei der Ausschaltung Robergs zur Ressource. Der ehemalige Assistent hatte sich bereits im Jahre 1935 habilitiert, durch die von den Nationalsozialisten eingeführte Trennung von Habilitation und Erteilung der Lehrbefugnis jedoch noch keine Dozentur erhalten. Die Zwischenzeit hatte er genutzt, sich in Innsbruck fortzubilden und auf Pharmakognosie zu spezialisieren. Damit hätte Roberg eigentlich eine hervorragende Ausgangsposition in Münster haben müssen, hatte Mevius doch bereits 1935 proaktiv eine Umwandlung der Stelle Hannigs in ein Extraordinariat für Pharmakognosie nach dessen Ausscheiden 1937 beantragt und dies mit der wachsenden Relevanz dieses Forschungsfeldes begründet. Auch Benecke hatte Roberg in diese Richtung hin unterstützt. Zunächst sah daher auch alles danach aus, dass sich seine Karriere in diese Richtung weiter entwickeln sollte. Im April 1937 stellte der Assistent einen Antrag auf Übertragung einer entsprechenden Dozentur und präsentierte sich der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät mit einem Vortrag. Dekan Adolf Kratzer bat daraufhin den Rektor, beim REM dafür einzutreten, dass Roberg seinem Antrag entsprechend eine solche für Allgemeine Botanik und Pharmakognosie unter Einschluss der Mikrobiologie erhalte.59 Der Assistent selbst wandte sich am 29. April 1937 an das REM und bat, im Falle der Erteilung einer Dozentur nach Münster, Breslau oder an eine andere Universität überwiesen zu werden, an der er die Ausbildung der Pharmazeuten in Pharmakognosie übernehmen könne. Er selbst präferiere Münster, da er dort als Assistent gearbeitet und unterrichtet habe und sich aufgrund seiner Vertrautheit mit den dortigen Verhältnissen für eine Dozentur besonders geeignet halte.60 Einen Tag später, am 30. April 1937, leitete der Rektor das Schreiben des Dekans zur Stellungnahme an den Leiter der Dozentenschaft, den Mediziner Hermann Walter, weiter.61 Walter äußerte sich positiv über Robergs Vortrag und schloss sich dem Antrag des Dekans an. Dem fügte er jedoch einen weiteren Absatz hinzu, welcher ob seiner Wichtigkeit rot markiert wurde: „Wegen seiner Verankerung im katholischen Milieu Münsters wäre allerdings die Frage zu prüfen, ob Roberg nicht an eine weniger zentrumlich eingestellte Umgebung als gerade Münster (Westf.) versetzt werden sollte.“62 58 59 60 61 62

Nachlass Erich Ries, im Privatbesitz von Franz-Josef und Ursula Schütz, geb. Ries, Ries an Herrn Schüler [sein Schwiegervater, DD.], 20.11.1940. UAMs, Bestand 9, Nr. 537, Dekan der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät an Rektor, 26.4.1937. UAMs, Bestand 9, Nr. 537, Roberg an REM, 29.4.1937. Ebd., Rektor an Leiter der Dozentenschaft, 30.4.1937. Ebd., Stellungnahme Walter, 15.5.1937.

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Damit wolle Walter zwar nichts gegen die politische Haltung Robergs gesagt haben, die er gar nicht gut genug kenne, um sie beurteilen zu können. „Die Tatsache aber, daß er ganz aus kathol. Kreisen Münsters hervorging, ist nicht zu bestreiten.“63 Damit lag die Entscheidung über die weitere berufliche Zukunft des jungen Botanikers nun bei Mevius. Als Assistent und später als Ordinarius hatte er acht Jahre lang mit Roberg zusammengearbeitet. Gleichzeitig passte dessen Qualifikation genau zu den Plänen, die Mevius für die weitere Entwicklung des Botanischen Instituts geschmiedet hatte. Auf Basis der positiven Stellungnahmen sowohl des Dekans als auch des Leiters der Dozentenschaft wäre es ihm ein Leichtes gewesen, im Rahmen seines Handlungsspielraumes die unspezifischen Katholizismus-Andeutungen als vernachlässigbar einzustufen. Stattdessen entschloss sich der Botaniker jedoch, die Karriere Robergs an der Universität Münster, gegen dessen expliziten Wunsch, zu beenden. In seinem Schreiben an das REM vom 21. Mai 1937 schloss er sich daher sowohl den Ausführungen des Dekans als auch des Dozentenschaftsführers an. Einleitend lobte er zwar den Einsatz Robergs für das Botanische Institut. Seinen Antrag, an die Universität Münster überwiesen zu werden, könne er aber nicht unterstützen. Die Begründung dafür war explizit politisch. So habe Roberg seine ganze Jugend-, Studien- und langjährige Assistentenzeit in Münster verbracht. Er sei bei einer Verbindung des Kartellverbandes katholisch deutscher Studentenvereine aktiv gewesen und habe auch später als Alter Herr „mit ganz besonderer Begeisterung und Hingabe die Bestrebungen seines alten Bundes unterstützt.“64 Dieser ständige Aufenthalt in Münster habe zu einem reichlich einseitigen Blickpunkt Robergs geführt. Im Interesse seiner weiteren Entwicklung als Hochschullehrer sei es deshalb unbedingt erforderlich, ihn in eine ganz fremde Umgebung zu setzen. Daher bitte er darum, ihn der Universität Breslau als Nachfolger des verstorbenen Professors Alexander von Lingelsheim zuzuteilen, bei gleichzeitiger Bewilligung einer höheren Lehrauftragsvergütung.65 Wie sich die Politik beispielsweise im Rahmen von Berufungsverfahren im Regelfall den Vorschlägen der Universitäten anschloss, so reagierte das REM auch hier und folgte den Ausführungen des Rektors. Am 9. November 1937 verlieh man Roberg eine Dozentur für Allgemeine und Pharmazeutische Botanik einschließlich Mikrobiologie und wies ihn zwar der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät zu,66 beauftragte ihn aber am selben Tag widerruflich für das Wintersemester 1937/38 damit, in Breslau Vorlesungen und, wenn nötig, Übungen in Pharmakognosie zu halten.67 Zum erzwungenen Abschied aus Münster versetzte Mevius 63 64 65 66 67

Ebd. Ebd., Rektor an REM, 21.5.1937. Ebd. Ebd., Kurator an Dekan der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, Leiter der Dozentenschaft, Rektor, 9.11.1937. Ebd., Kurator an Dekan der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, Rektor, 9.11.1937.

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seinem langjährigen Kollegen noch einen weiteren Schlag. Roberg hatte sich um ein Nachwuchsstipendium beworben, weshalb sich der Beauftragte für die Nachwuchsförderung der Dozentenschaft, Georg Niemeier, mit Nachfragen an den Rektor gewandt hatte.68 Dieser teilte ihm jedoch kurz und knapp mit, dass Roberg in Breslau 250 RM pro Monat erhalte, noch Kolleggelder erwarten könne und als unverheirateter Mann mit dieser Summe auskommen müsse. „Es ist also sein Stipendiengesuch hinfällig geworden.“69 Zum Sommersemester 1938 wurde Roberg vom REM schließlich permanent damit betraut, Pharmakognosie in Breslau zu lehren.70 Damit war eine Rückkehr nach Münster ausgeschlossen. Somit hatte der für den Bereich Pharmakognosie bestqualifizierte Mitarbeiter das Institut auf Bestreben Mevius’ verlassen. Rein fachlich ist dieser Vorgang nicht nachzuvollziehen. Erst in Kombination mit einer weiteren Personalentscheidung des Botanikers bietet sich eine Erklärung für diese Entwicklung an. Mit seinem Assistenten Eduard Schratz hatte er nämlich einen anderen Kandidaten für die Übernahme der Pharmakognosie in Stellung gebracht. Schratz hatte sich bis zu diesem Zeitpunkt vor allem mit Halophyten und Vegetationskunde beschäftigt.71 Zudem hatte er seit 1936 Arbeiten im Auftrag Mevius’ im Rahmen von dessen Arbeitskreis im „Forschungsdienst“ durchgeführt.72 Im selben Jahr war er außerdem, ohne sich vorher bei seinen Tätigkeiten an der Universität Münster mit dem Thema Pharmakognosie befasst zu haben, Mitglied der Reichsarbeitsgemeinschaft für Heilpflanzenkunde und Heilpflanzenbeschaffung geworden.73 Zu Beginn des Jahres 1937 wurde ihm dort von der Gauleitung die Organisation des Anbaus der deutschen Heilpflanzen übertragen.74 Diese Vernetzung kam auch unmittelbar dem Botanischen Institut zu Gute. Als im Februar 1937 das REM, ohne Zweifel im Hinblick auf eine verstärkte Autarkiepolitik in einem kommenden kriegerischen Konflikt, verfügte, dass die Botani68 69 70 71 72 73

74

Ebd., Niemeier an Rektor, 3.11.1937. Ebd., Rektor an Niemeier, 9.11.1937. Ebd., Kurator an Dekan der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, Rektor, 7.4.1938. BAB, R 4901, Nr. 14280, Kurator an REM, 27.8.1936. BAK, R 73, Nr. 14512, Schratz an Deutsche Forschungsgemeinschaft, 19.1.1937. Die Reichsarbeitsgemeinschaft für Heilpflanzenkunde und Heilpflanzenbeschaffung war am 16. April 1935 von Reichsärzteführer Gerhard Wagner als Einheitsorganisation für die vorher in mehreren Verbänden zusammengeschlossenen Arzneipflanzenanbauer in Weimar gegründet worden. Organisatorisch unterstand sie dem Hauptamt für Volksgesundheit der NSDAP. Kernziele der Reichsarbeitsgemeinschaft waren zum einen die autarke Versorgung der deutschen Bevölkerung mit qualitativ hochwertigen Heilpflanzen, zum anderen die wissenschaftliche Begleitung und Lenkung des Heilpflanzenanbaus sowie die Kartierung des Reichsgebietes und die anschließende Sammlung von Material, vgl. Schlick 2008, S. 341ff. LAV NRW W, Bestand Oberpräsidium, Nr. 7966, Kommentar Mevius zur Verfügung des REM zur Erweiterung der Nutzpflanzensortimente der Botanischen Gärten vom 17.2. 1937, 16.3.1937.

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schen Gärten der deutschen Universitäten ihre Nutzpflanzensortimente erweitern sollten, konnte Mevius diesen Umstand als Ressource einsetzen. So befürwortete er diese Entscheidung und regte eine Erweiterung des Gartens auf ein Gelände zwischen Westring und Hittorfstraße75 an. Dies sei aus mehreren Gründen wünschenswert. Zum einen sei so die Schaffung des von den Pharmakologen geforderten Heilpflanzengartens möglich, welcher aufgrund der gestiegenen Bedeutung der heutigen deutschen Heilpflanzenkunde und der dadurch möglichen Deviseneinsparungen im Rahmen der Autarkiebestrebungen nötig sei. Zum anderen sei für Schratz’ Tätigkeiten für die Gauleitung ein solcher Garten, auch als Schulungsort, notwendig.76 Somit sollte der Garten eine weitere Klammer zwischen Universität und außeruniversitären Institutionen darstellen. Als Hannig schließlich zum 1. Oktober 1937 emeritiert wurde und damit das Themenfeld Pharmakognosie, welches dieser seit seiner Berufung nach Münster im Jahr 1922 betreut hatte, zum Wintersemester 1937/38 frei wurde, konnte mit Schratz ein Wissenschaftler mit besten Verbindungen zur Politik, zu außeruniversitären Einrichtungen und gleichzeitig als Protegé des Ordinarius für Botanik in diese Lücke gesetzt werden. Ab dem 1. November 1937 übernahm er Hannigs alte Lehrveranstaltungen sowie die Ausbildung der Studierenden in Pharmazie und Pharmakognosie und wurde dafür vollständig von seinen Pflichten als Assistent entbunden.77 Sein eigentliches Lehrgebiet, die Vererbungslehre, welche er von Heilbronn übernommen hatte, behielt er noch bis zum Sommersemester 1938 bei, danach wurde es von einem neuen Mitarbeiter wahrgenommen.78 Hatte er 1933 von der Ausschaltung Heilbronns profitiert, war es nun die Emeritierung Hannigs sowie die von Mevius betriebene Versetzung Robergs, die ihm die Tür öffnete. Schratz’ Aufstieg sollte sich in den folgenden Jahren weiter fortsetzen. 1939 erhielt er, nachdem sowohl Mevius als auch außeruniversitäre NS-Kreise deutlichen Einfluss auf das Berufungsverfahren genommen hatten, das neu geschaffene Extraordinariat für Pharmakognosie und wurde zum Abteilungsleiter und außerordentlichen Professor ernannt.79 Im Rahmen dieser Tätigkeit baute er das Institut zu einem Koordinierungszentrum der deutschen Heilpflanzenforschung aus. Verantwortlich war hierfür insbesondere seine Tätigkeit als stellvertretender Vorsitzender der Reichsarbeitsgemeinschaft für Heilpflanzenkunde und Heilpflanzenbeschaffung und als Gausachbearbeiter für die Gaue Westfalen-Nord, Westfalen-Süd und Weser-Ems. Im Rahmen der Autarkiebestrebungen und des Vierjahresplanes organisierte Schratz hierbei in enger Abstimmung mit der Partei den Anbau von 75 76

77 78 79

Hier befindet sich heute die Pharmazeutische Biologie der Universität Münster. LAV NRW W, Bestand Oberpräsidium, Nr. 7966, Kommentar Mevius zur Verfügung des REM zur Erweiterung der Nutzpflanzensortimente der Botanischen Gärten vom 17.2.1937, 16.3.1937. UAMs, Bestand 9, Nr. 537, Mevius an REM, 17.1.1938. Vgl. Vorlesungsverzeichnisse Wintersemester 1937/38 und Sommersemester 1938. UAMs, Bestand 10, Nr. 3811, Bd. 1, REM an Schratz, 24.3.1939, beziehungsweise Kurator an Dekan der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, 31.3.1939.

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Heilpflanzen und das Sammeln wildwachsender Arzneipflanzen durch Schulen, HJ, BDM und SA.80 Hinzu kam eine ähnlich enge Kooperation mit der Reichsstelle für Wirtschaftsausbau (Amt für den Vierjahresplan), den zuständigen Ämtern für Volksgesundheit der NSDAP und dessen Gauamtsleiter für Westfalen-Nord, Dr. Franz Vonnegut, dem Reichsapothekerführer, dem Landeshauptmann der Provinz Westfalen, dem NLSB und zahlreichen Ärzten.81 Während des Krieges bearbeitete der Pharmakognost außerdem für das Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete die Frage der Heilpflanzenbeschaffung und bot sich nach dem Überfall auf die Sowjetunion im Herbst 1941 der Deutschen Forschungsgemeinschaft an, bei der Ausplünderung russischer Forschungseinrichtungen in der Ukraine eine führende Rolle zu spielen. 1943 reiste er schließlich im Auftrag von Alfred Rosenbergs Ministerium fünf Wochen durch die Ukraine und sichtete russische Arzneipflanzenkulturen.82 Die Vorgänge um Roberg und Schratz belegen demnach eine enge Vernetzung des Instituts mit der Politik. Mevius beließ es bei seiner Unterstützung des Regimes aber nicht nur bei einer organisatorischen Verflechtung. So unterstützte er auch gezielt die antisemitische Politik der Nationalsozialisten. Zum einen ließ er aus eigenem Antrieb 1939 den „jüdisch versippten“ Emil Hannig aus dem Vorlesungsverzeichnis streichen.83 Zum anderen griff er im August 1940 in den Berufungsvorgang zur Wiederbesetzung des Ordinariats für vergleichende Sprachwissenschaft und Slavische Philologie ein, der zu diesem Zeitpunkt seitens der Universität bereits fast abgeschlossen war. Mevius sah sich nämlich zur Intervention gezwungen, da er zwischenzeitlich leider erfahren habe, dass der an erster Stelle der Vorschlagsliste genannte Professor Hans Krahe zwei jüdische Urgroßmütter habe. Auch wenn das Beamtengesetz eine Berufung auf den Lehrstuhl deshalb nicht ausschließe, so müsse er als Biologe betonen, dass zwei jüdische Urgroßelternteile in erbbiologischer Hinsicht einem jüdischen Großelternteil entsprächen und Krahe demnach in erbbiologischer Hinsicht als Mischling zweiten Grades angesprochen werden müsse. Aus diesem Grund sei es Mevius nicht möglich, seine Berufung zu befürworten. Hinzu käme noch, dass sich Krahe nicht für den NS-Staat einsetze. Daher bat er das REM darum, ihn nicht zu berufen.84 Mevius hatte sich also zu einem zuverlässigen und im Sinne des NS-Regimes handelnden Rektor und Ordinarius entwickelt. Auch mit Partei und Gauleitung harmonierte er hervorragend.85 Die nationalsozialistische Ausrichtung des Botanikers spiegelte sich schließlich auch unter seinen Mitarbeitern wider. Ende 1939 trat 80 81 82 83 84 85

Vgl. hierzu UAMs, Bestand 4, Nr. 239, sowie UAMs, Bestand 10, Nr. 3811, Bd. 1. UAMs, Bestand 4, Nr. 239, Stellungnahme Mevius zur Vorschlagsliste, 17.6.1938. LAV NRW R, Entnazifizierungsakte Schratz, NW 1039–SCH, Nr. 174, Fragebogen, 15.2. 1947. UAMs, Bestand 10, Nr. 2482, Bd. 1, Rektor an Kurator, 19.4.1939. UAMs, Bestand 4, Nr. 240, Mevius an REM, 2.8.1940. Vgl. beispielsweise Schröder 1940, S. 284ff.

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mit Horst Engel auch der letzte der Assistenten der NSDAP bei.86 Damit waren nunmehr alle am Institut tätigen Wissenschaftler Parteimitglieder. Wie auch am zoologischen Schwesterinstitut sollte der Kriegsausbruch am 1.  September 1939 lediglich Veränderungen der Personalausstattung des Instituts mit sich bringen. Auf den Bereich der Forschung und Lehre hatte der Krieg hingegen zunächst keinen negativen Einfluss. So wurden mit Wilhelm Dorfmüller87 und Richard Büker88 zwar zwei der drei vorhandenen Assistenten eingezogen, aber keiner der dozierenden Mitarbeiter musste ins Feld. Somit blieb die Zahl der Seminare bei zehn bis zwölf pro Semester auf einem ähnlich hohen Niveau wie vor 1939. Auch inhaltlich gab es keine Verschiebungen. Stattdessen war durch die Anstellung eines Lehrbeauftragten sogar eine Ausdehnung der Forschungsinhalte auf Pflanzensoziologie und Pflanzengeographie feststellbar. Ähnliches galt für den Bereich der Pharmakognosie. Auch für die Wehrmacht wurden nun Forschungsaufträge, beispielsweise über Hormonstoffwechsel und nitrifizierende Bakterien, übernommen.89 Gleichermaßen liefen bereits vor dem Krieg begonnene, weitestgehend über Drittmittel finanzierte Projekte ohne größere Einschränkungen weiter. Bezeichnend für das Wechselspiel von Wissenschaft und Politik jener Zeit ist die Neuausrichtung der internationalen Forschungskontakte des Instituts. Sie sollten sich ab 1941, im Gleichschritt mit der Außenpolitik des Reiches, in Richtung Osten orientieren. Hierbei spielte Mevius eine führende Rolle, indem er eine enge Verbindung zu den Botanikern der Universität Sofia knüpfte. Vom 19. bis 29. Mai 1942 reiste er auf Einladung des dortigen Rektors durch Bulgarien. Die Reise ist ein gutes Beispiel für die Verquickung politischer und wissenschaftlicher Ziele. So inspizierte Mevius einerseits biologische und landwirtschaftliche Universitäts- und Schuleinrichtungen, hielt Vorträge über Heilpflanzen- und Bodenkunde und besuchte Sehenswürdigkeiten. Wie hoch die Angelegenheit aber auch diplomatisch angesiedelt war, zeigt andererseits die Tatsache, dass Mevius neben dem NSDAPLandesgruppenleiter Dr. Otto-Heinrich Drechsel auch den bulgarischen König zum Gespräch traf. In seinem späteren Bericht für das REM war Mevius voll des Lobes über die Qualität der Forschung und der Forschungseinrichtungen, über die Forscher und über das bulgarische Volk, dessen Unterstützung „für den Kampf des großdeutschen Reiches“ und den Glauben an den „Endsieg“ er hervorhob.90 Im Zusammenhang mit dieser Reise wurde der Ordinarius zum korrespondierenden Mitglied der mathematisch-naturwissenschaftlichen Abteilung der bulgarischen Akademie der Wissenschaften ernannt.91 Außerdem erhielt er das bulga-

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LAV NRW R, Entnazifizierungsakte Engel, NW 1039–E, 214. LAV NRW R, Entnazifizierungsakte Dorfmüller, NW1013–II/ED Nr. 949. BAB, R 4901, Nr. 14280, Mevius an REM, 23.11.1939. Vgl. UAMs, Bestand 4, Nr. 706, Forschungsaufträge, 6.11.1943. BAK, R 73, Nr. 13118, Bericht Mevius über Reise durch Bulgarien, 3.6.1942. UAMs, Bestand 4, Nr. 304, Mevius an Stroyanoff, 7.7.1942.

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rische Großoffizierskreuz.92 Auch danach hielt Mevius die Verbindung zwischen den Universitäten weiter aufrecht. Bis Kriegsende besuchten mehrere bulgarische Wissenschaftler Münster und die Universität.93 Hatte man also bis zu diesem Zeitpunkt auch trotz der Einschränkungen, die der Zweite Weltkrieg mit sich gebracht hatte, einen Großteil an Normalität wahren und sowohl Forschung als auch Lehre weitgehend aufrecht erhalten können, so sollte die Realität des Krieges Mitte 1943 schließlich doch noch für große Verwerfungen am Botanischen Institut sorgen. Nach mit kurzer Unterbrechung 23 Jahren Tätigkeit an der Universität Münster fand nämlich die Dienstzeit Mevius’ ein vorzeitiges, unerwartetes Ende. Der Grund hierfür waren aber keine weiteren Einberufungen zur Wehrmacht oder alliierte Bomben, sondern etwas völlig Anderes: ein 18-pfündiger Schinken.94 Diese sogenannte „Schinkenaffäre“ war es, welche Mevius 1943 zunächst seinen Posten als Rektor und schließlich auch seinen Lehrstuhl kostete und aufgrund derer ihm in Münster bis zum heutigen Tage der Name „Schinken-Mevius“ nachhängt. Seinen aktenkundlichen Anfang nahm der Vorgang Mitte Juli 1943 mit einer Notiz des Universitätskurators und gleichzeitigen Leiters des Gaupersonalamts Westfalen-Nord, Curt Beyer. Hierin hielt dieser fest, dass er am 26. Mai 1943 erfahren habe, dass Mevius in ein Sondergerichtsverfahren gegen einen Zahnarzt und früheren Studenten der Universität Münster, Franz Baxmann, aus Paderborn verwickelt sei. Dieser habe sich schwerer Verbrechen gegen die Kriegsgesetze schuldig gemacht. Mevius habe in seiner dienstlichen Eigenschaft als Rektor Baxmann, allerdings „ohne sein Vorleben zu kennen“,95 gefördert und später durch seine Frau von diesem Fleisch entgegengenommen. Am 10. Juli 1943 wurde Beyer daraufhin zu einer Besprechung beim stellvertretenden Gauleiter bestellt, an der auch der Gaustabsamtsleiter und Oberstaatsanwalt Wetzmüller teilnahmen.96 Bereits in der Zusammensetzung der Gruppe wird deutlich, wie eng universitäre, staatliche und parteiliche Stellen in dieser Angelegenheit zusammenarbeiteten. In der Besprechung wurde auf Vorschlag des Oberstaatsanwaltes eine Stellungnahme der Gauleitung dahingehend abgegeben, dass „Mevius als Rektor nicht mehr tragbar sei und auch von Münster versetzt werden müsse […] [,] daß man aber in Ansehung seiner langjährigen Verdienste und im Interesse der Ruhe

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StAHH, PA Mevius, IV 1368, Personalbogen, 5.10.1945. Vgl. zum Beispiel UAMs, Bestand 4, Nr. 304, Mevius an Christov, 7.9.1942. Zum Gewicht des Schinkens siehe UAMs, Bestand 10, Nr. 10417, Bericht über die sogenannte „Schinkenaffäre“, Juli 1943. Ebd., Aktennotiz Beyer, 13.7.1943; diese Aussage Beyers ist äußerst zweifelhaft, belegen die restlichen vorhandenen Dokumente doch, dass Mevius bezüglich Baxmann Akteneinsicht bei der Universität genommen hatte und genaue Informationen über dessen Werdegang hätte haben müssen. Ebd.

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an der Universität und mit Rücksicht auf die schwierige Lage in Münster, das Verfahren durch einen Zahlungsbefehl abschließen wolle.“97

In der Folgezeit bemühten sich Universität, Justiz und Partei, Mevius mit möglichst wenig Aufsehen aus Münster zu entfernen. Schließlich gelang es ihnen, ihn gegen den Willen der dortigen Universität nach Hamburg versetzen zu lassen. Für die letzten Monate des „Dritten Reiches“ übernahm daraufhin Mevius‘ Assistent Hans Söding die Amtsgeschäfte des Direktors.

Das Interregnum 1944/45 bis 1948 Am 15. November 1944 wurde das Institut in die Ausweichstelle Emsdetten ausgelagert,98 ein Teil der Ausstattung wurde nach Göttingen gebracht.99 Ähnlich wie zur selben Zeit am Zoologischen Institut konnte der Betrieb aber nur noch eingeschränkt aufrecht erhalten werden.100 Kurz vor Kriegsende sah es dann so aus, als könnte Schratz erneut durch seine guten Verbindungen zu einem Karrieresprung ansetzen. Gauleitung, Kurator und Rektor verständigten sich darauf, ihn als Nachfolger von Mevius zu installieren.101 Kurz darauf beendeten jedoch die militärischen und politischen Ereignisse diese Pläne. Am 31. März 1945 wurde Emsdetten besetzt, und die Räume des Instituts, welches in einer Gastwirtschaft untergebracht worden war, wurden von den Alliierten beschlagnahmt.102 Der Krieg hatte bis dahin am Institut unterschiedlich starke Spuren hinterlassen. Auf der einen Seite hatte man personelle Verluste hinnehmen müssen. Mit Dorfmüller und Büker waren zwei der drei Assistenten an der Front gefallen. Gleichzeitig hatte man mit Mevius, Schratz und Söding aber die Hauptstützen des Instituts in Münster halten und die Lücken in der Assistentenschaft durch Vertreter ausgleichen können. Mit dem Aufstieg der Pharmakognosie war sogar eine Expansion und Einflussvermehrung der Münsterschen Botanik verbunden. Was Forschung und Lehre anbetraf, hatte der Krieg schließlich fast gar keine Spuren hinterlassen. Das Institutsgebäude hingegen war zu 80 Prozent zerstört.103 Ähnlich sah es bei Ausstattung und Materialien aus, während die Bibliothek des Instituts weitgehend hatte

97 98 99 100 101 102 103

Ebd. BAB, R 4901, Nr. 14280, Vermerk, 1.2.1945. UAMs, Bestand 4, Nr. 724, Report on the State of the University of Münster and proposals for its Re-Opening, undatiert. BAB, R 4901, Nr. 14280, Söding an Kurator, 20.2.1945. Vgl. unter anderem UAMs, Bestand 4, Nr. 707, Gauhauptamtsleiter Westfalen-Nord an Gaupersonalamtsleiter Westfalen-Nord, 11.3.1945. BAB, R 4901, Nr. 14280, Schratz an Kurator, 28.12.1945. UAMs, Bestand 4, Nr. 730, Übersicht über durch den Luftkrieg entstandene Schäden an der Universität Münster, undatiert.

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gerettet werden können.104 Somit stellte sich auch für die Botanik die Aufgabe des Wiederaufbaus unter schwierigen äußeren Bedingungen. Dieser Wiederaufbau sollte sich in den folgenden Jahren bis zur Berufung des neuen Ordinarius weitestgehend mit der alten Lehrstuhlbesetzung vollziehen. Ein Schnitt gegenüber der Zeit vor dem 8. Mai 1945 fand nicht statt. Stattdessen dominierte auch hier, wie in der Zoologie, die Kontinuität. So waren es mit Söding und Schratz auch zwei langjährige Mitarbeiter, die im Wintersemester 1945/46 gemeinsam mit „Pflanzensoziologie“ neben der Zoologin Ilse Fischer eine von nur insgesamt zwei biologischen Veranstaltungen der Universität anboten.105 Bis zum Wintersemester 1946/47 sollten sie allein alle Seminare, inzwischen bereits wieder sechs Stück, bestreiten. Deren Titel unterschieden sich in nichts von dem, was vor 1945 und auch schon vor 1933 am Institut gelehrt worden war. Lediglich die Pharmakognosie war kurzzeitig von der Botanik in die Pharmazie verschoben worden. Auch hier lehrte Schratz aber dasselbe wie zuvor.106 So sahen die Pläne der Fakultät zunächst auch vor, einen der verbliebenen Mitarbeiter des Instituts als Ordinarius zu berufen. Diese Absicht wurde jedoch durch die Vorgabe des Oberpräsidenten der Provinz Westfalen durchkreuzt, keine leitenden Posten mit ehemaligen Parteimitgliedern zu besetzten. Da alle verbliebenen habilitierten Münsterschen Botaniker nationalsozialistisch belastet waren, musste die Universität Münster also anderswo nach einem Nachfolger suchen.107 Versuche, zuerst den 1933 vertriebenen Heilbronn108 und dann den jüdischen Emigranten Leo Brauner aus Istanbul nach Münster zu holen, schlugen jedoch fehl.109 1948 wurde daraufhin der Österreicher Siegfried Strugger berufen, der zuvor in Hannover gelehrt hatte.110 Mit Strugger, von 1934 bis 1938 SA-Mitglied111 und laut Selbstbezeichnungen aus den 1930er-Jahren NS-Sympathisant,112 begann am Botanischen Institut eine Phase der wissenschaftlichen Neuausrichtung und des strukturellen Ausbaus.

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UAMs, Bestand 4, Nr. 724, Report on the State of the University of Münster and proposals for its Re-Opening, undatiert. Vgl. Vorlesungsverzeichnis Wintersemester 1945/46. Vgl. Vorlesungsverzeichnis Wintersemester 1946/47. UAMs, Bestand 62, B III 8c, Dekan der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät an Söding, 15.3.1946. UAMs, Bestand 62, Nr. 3, Dekan der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät an Rektor, 10.1.1946. UAMs, Bestand 9, Nr. 325, Dekan der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät an Kultusministerium Nordrhein-Westfalen, 21.4.1947. UAMs, Bestand 10, Nr. 3822, Kultusministerium Nordrhein-Westfalen an Strugger, 23.8.1948. Universitätsarchiv Gießen, PA 1873, Personalbogen, 4.1.1935. Universitätsarchiv Gießen, Phil/Math.-Nat. Habil 3 b, Strugger an Dekan der Philosophischen Fakultät, GW, 20.10.1933.

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838 Das Ordinariat Strugger

Strugger fand bei seinem Amtsantritt im Mai 1948 ein Institut vor, welches sich bereits wieder in einem geordneten Zustand befand. Etwa 150 Studenten, darunter 100 Frauen, waren eingeschrieben. Was die Geschlechterverteilung betraf ähnelte das Institut also der Münsterschen Zoologie zur selben Zeit. 1947 hatten zehn Staatsexamina und zwei Promotionen113 abgeschlossen werden können, und die Einrichtung des Instituts war wesentlich vervollständigt worden. Damit wurde die Botanik an der Universität Münster langsam wieder arbeitsfähig. Söding und Schratz hatten den Lehrbetrieb ab dem Sommersemester 1946 unter Rückgriff auf dieselben Seminare, die auch schon vor 1945 und teils bereits vor 1933 angeboten worden waren, wieder aufgebaut. Ohnehin stellte sich die personelle Situation positiv dar. Mit sechs Dozenten und 16 Seminaren hatte das Botanische Institut 1948 einen so hohen Stand erreicht wie nie zuvor. Die überwiegende Mehrheit der Dozenten war zudem bereits vor 1945 am Institut tätig gewesen. Somit war es auch hier, wie in der Zoologie, nicht zu einer personellen Entnazifizierung gekommen. Auch in der Botanik taten ehemalige Nationalsozialisten, darunter Blockleiter wie Söding114 und Walter Baumeister,115 weiterhin Dienst. Mit dem Wintersemester 1948/49 sollte Strugger schließlich damit beginnen, der inhaltlichen Ausrichtung des Instituts mehr und mehr seinen Stempel aufzudrücken.116 Die Forschungsfelder des neuen Ordinarius waren äußerst umfangreich. Neben experimenteller Zellforschung und Physiologie der Wasserbewegung zählten hierzu Physiologie der Photosynthese, Bakteriologie, Bodenbakteriologie, Wachstumsphysiologie und mikroskopische Methoden (Phasenkontrastmikroskopie und Fluoreszenzmikroskopie).117 Als sein eigentliches Kernarbeitsfeld konnte dabei die Vitalfärbung pflanzlicher Zellen gelten. Damit wich er zwar auf der einen Seite deutlich vom bisher am Institut betriebenen Gebiet der Ernährungsphysiologie ab, besaß auf der anderen Seite aber auch genug Expertise, um die Tradition der Universität auf diesem Forschungsfeld nicht verfallen zu lassen. Im März 1949 zog das Institut aus den bis dahin benutzten Räumen in der Kinderklinik aus und siedelte in den nunmehr fertiggestellten Ersatzbau, die sogenannte Baracke, über.118 Im Juni des Jahres begann dann der Wiederaufbau des Botanischen Instituts.119 Im Mai 1952 war der Bau weitgehend abgeschlossen, so dass

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Der endgültige Abschluss der Promotionsverfahren fiel in das Frühjahr 1948, weshalb sie hier erst für dieses Jahr gezählt werden, vgl. UAMs, Bestand 62, GB 5, Bd. 2. UAMs, Bestand 5, Nr. 686. UAMs, Bestand 8, Nr. 8752, Bd. 1. Vgl. Vorlesungsverzeichnis der Universität Münster 1945 bis 1949. UAMs, Bestand 10, Nr. 3822, Personalblatt, undatiert, nach 1948. UAMs, Bestand 9, Nr. 529, Strugger an Kurator, 28.2.1949. Ebd., Ausschnitt aus „Westfälischer Kurier“, 13.5.1949.

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Strugger den Fokus der Anstrengungen auf die Vervollständigung der zerstörten Sammlungen und der Institutsbibliothek richten konnte.120 Neben dem organisatorischen Wiederaufbau begann Strugger ebenfalls damit, lange Zeit vernachlässigte Kontakte ins Ausland neu zu knüpfen. In den folgenden Jahren reisten er und seine Mitarbeiter zu Vortrags- und Forschungsreisen nach Nord- und Südamerika und in verschiedene europäische Länder.121 Reisen wie diese waren aber nicht das einzige Mittel, mit dem er, analog zum Vorgehen Renschs, das Botanische Institut in der nationalen wie internationalen Wissenschaftsgemeinschaft zu vernetzen suchte. Auch die Verbindungen zur Region wurden neu aufgebaut, beispielsweise durch Vorträge vor dem Westfälischen Industrieklub zu Dortmund.122 Dabei nutzte Strugger, wie auch sein Kollege Rensch, mehr und mehr die Möglichkeit, durch Einbeziehung der Massenmedien die Arbeit des Instituts auch einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu machen. Insbesondere die lokalen Münsterschen Zeitungen spielten dabei eine wichtige Rolle. Sie wurden zu einer neuen Ressource im Umgang der Wissenschaft mit der Politik, indem sie einerseits exklusiv über die Arbeit im Botanischen Institut berichteten und andererseits Strugger erlaubten, über diesen Weg Argumente für die Förderwürdigkeit seiner Arbeit publik machten.123 Ab 1952 wurden schließlich auch wieder Gastforscher am Institut aufgenommen und Gastredner zu Vorträgen eingeladen. In einer Abkehr von der Institutspolitik unter Mevius und ohne Zweifel unter Einfluss der neuen Westbindung der jungen Bundesrepublik richtete sich auch die Instituts-„Außenpolitik“ neu aus. Der in den 1940er-Jahren gepflegte Kontakt nach Bulgarien riss ab. Stattdessen wandte man sich den neuen Verbündeten zu. In den folgenden Jahren besuchten Wissenschaftler aus den USA, England und Indien das Institut.124 Die inhaltliche Neuausrichtung des Instituts in jenen Jahren war eng mit den Hauptforschungsgebieten des neuen Lehrstuhlinhabers verbunden. Dabei legte Strugger besonderen Wert auf eine experimentelle Institutsarbeit.125 Anfang der 1950er-Jahre beschäftigten sich die Mitarbeiter hauptsächlich mit Forschungsarbeiten zur Strukturanalyse pflanzlicher Zellen, wie beispielsweise der Chloroplastenerforschung.126 Die inhaltliche Schwerpunktverlagerung, welche zwar einerseits das Gebiet der pflanzlichen Ernährungsphysiologie nicht komplett hinter sich ließ, andererseits aber deutlich Struggers Handschrift trug, zeigte sich auch in den am In120 121

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UAMs, Bestand 8, Nr. 11647, Bd. 1, Strugger an Kurator, 22.5.1952. Vgl. z.B. UAMs, Bestand 207, Nr. 574, Strugger an Kurator, 10.8.1949, oder UAMs, Bestand 4, Nr. 670, Strugger an Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, 8.5.1950. UAMs, Bestand 207, Nr. 574, Westfälischer Industrieklub zu Dortmund an Strugger, 13.3.1952. Vgl. hierzu die zahlreichen Zeitungsausschnitte in UAMs, Bestand 207, Nr. 574. UAMs, Bestand 4, Nr. 670, Currier an Strugger, 16.4.1952. UAMs, Bestand 8, Nr. 11647, Bd. 1, Strugger an Kurator, 2.8.1950. UAMs, Bestand 9, Nr. 529, Strugger an Kurator, 20.11.1950.

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stitut eingereichten Dissertationen sowie dem Lehrangebot. Strugger legte großen Wert auf eine mikroskopische und mikrobiologische Ausbildung der Studentenschaft. Gleichzeitig gelang es ihm, durch die strategische Aufteilung seiner Mitarbeiter eine umfassende Synthese der verschiedensten Forschungsgebiete an seinem Institut zu gewährleisten. Insgesamt war neben der breiteren Aufstellung auch eine deutliche Vermehrung der angebotenen Veranstaltungen erkennbar. Hierzu zog er nun auch weitere externe Lehrbeauftragte, beispielsweise für Pflanzenschutz, hinzu. Somit wird klar, dass es dem neuen Ordinarius gelang, die alten Stärken der Münsterschen Botanik mit seinen neuen, modernen Ansätzen und Forschungsfeldern zu verbinden.127 1953/54 sollten mit dem Ausscheiden langjähriger Mitarbeiter auch die Assistentenstellen des Botanischen Instituts wieder neu besetzt werden. Wie einige Jahre zuvor am Zoologischen Institut vollzog sich damit auch hier Mitte der 1950er-Jahre ein Generationenwechsel. Dabei bewies Strugger gutes Geschick, vielversprechende Nachwuchskräfte aus dem Kreis seiner Doktoranden an das Institut zu binden. Die Mehrzahl von ihnen sollte in der Folge langjährige wissenschaftliche Karrieren, teils sogar an der Universität Münster, einschlagen.128 Als Strugger 1954 einen Ruf an die prestigeträchtige Universität München erhielt, konnte er durch geschickte Bleibeverhandlungen einen weiteren personellen wie strukturellen Ausbau des Instituts sichern. Unter anderem wurde die Pharmakognosie unter Schratz als eigenständige Abteilung aus dem Botanischen Institut ausgegliedert. Hatte es zuvor noch einige Fluktuationen in der Personalbesetzung des Botanischen Instituts gegeben, so stabilisierten sich nun auch hier ab 1956 die Strukturen. Das bereits zu diesem Zeitpunkt gut ausgestattete Lehrstuhlteam und der anwendungsorientierte, durch externe Lehrbeauftragte betreute Teil des Seminarangebots wurden durch Neueinstellungen weiter verstärkt.129 Auffällig ist auch der interdisziplinäre Ansatz, den Strugger in Bezug auf neue wissenschaftliche Methoden verfolgte. So kooperierte er auf einem für die gesamte Forschung am Institut wichtigen Feld, dem der Elektronenmikroskopie, aufs Engste mit dem Ordinarius für Experimentalphysik, Ernst Kappler, und dem Direktor des Instituts für medizinische Physik, Gerhard Pfefferkorn, mit denen er gemeinsame Veranstaltungen anbot.130 Neben einer erfolgreichen Personal- und Forschungspolitik waren die späten 1950er- und frühen 1960er-Jahre auch weiterhin von Struggers emsiger Vernetzungstätigkeit geprägt. So engagierte er sich beispielsweise auch auf dem Feld der

127 128 129 130

Vgl. Vorlesungsverzeichnis der Universität Münster 1948 bis 1953. So beispielsweise seine Schüler Kaja und Hagedorn, die bis in die 1990er-Jahre am Institut tätig sein sollten. Vgl. z.B. UAMs, Bestand 10, Nr. 6208, oder UAMs, Bestand 10, Nr. 3503. Vgl. Vorlesungsverzeichnis 1956 bis 1962.

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Erwachsenenbildung und hielt Vorträge an der Volkshochschule.131 Außerdem legte er weiter eine umfangreiche Reisetätigkeit an den Tag, die das Institut vor allem mit ausländischen Einrichtungen in Kontakt brachte. Gleichzeitig stand er dem Institut für Biologie der Kernforschungsanlage Jülich vor.132 Neben der Förderung des Instituts nutzte Strugger seinen weitreichenden Einfluss auch, um sich in die Wissenschaftspolitik der 1950er-Jahre einzuschalten. Wie auch Rensch war er in der „Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen“ tätig. Gegründet am 19. Mai 1950, leitete sie einen grundlegenden Wandel in der Forschungspolitik Nordrhein-Westfalens ein. Mit einer Hinwendung zur Grundlagenforschung und mit umfangreichen finanziellen Mitteln ausgestattet, avancierte die Arbeitsgemeinschaft unter der Geschäftsführung des SPD-Politikers Leo Brandt zu einem Bindeglied von Wirtschaft, Staat und Wissenschaft.133 Strugger wurde Mitglied der Arbeitsgemeinschaft und publizierte in diesem Rahmen Denkschriften zur Lage der Botanik in Deutschland. Hierbei hob er vor allem die seiner Meinung nach vorherrschende Unterbesetzung und Unterfinanzierung der Universitätsinstitute und die Verantwortung der Politik für eine umfassende Forschungsförderung hervor. Gleichzeitig machte er auf die Wirksamkeit der Biologie als Ressource für den Wiederaufbau Deutschlands und ihre Bedeutung für den Erhalt eines zivilisierten Staates hin.134 Das besondere Interesse des Ordinarius galt aber vor allem der Schulpolitik. Als Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft „Deutsche Höhere Schule in der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte“ engagierte er sich vor allem für einen Ausbau des naturwissenschaftlichen Unterrichts in der Oberstufe.135 Seiner Meinung nach müsse die Politik durch eine richtige Weichenstellung im Bereich der Bildungspolitik für eine gleichberechtigte Kooperation von Natur- und Geisteswissenschaften sorgen. Ins Zentrum seiner Argumentation stellte der Botaniker dabei den zivilisatorischen Auftrag, den Europa seiner Meinung nach in der Welt zu erfüllen habe, und dessen Erfolg nur durch eine umfangreiche naturwissenschaftliche Bildung der nachwachsenden Generation sichergestellt werden könne. Selbst die USA, laut Strugger „heute die Weltzentrale für eine wissenschaftliche Aktivität aller Art“,136 beneideten die Europäer um ihre reine, nicht auf Nützlichkeit zielende Forschung: „Dieses schöne Zeugnis soll uns in dieser Zeit stärken und soll uns überzeugen, daß Europa auch in Zukunft noch eine wichtige Mission in der Welt zu erfüllen hat. Alle großen Gedanken sind beinahe in seinem Schoße geboren worden. Es hängt auch von unseren höheren Schulen und ihrer Entwicklung in Zukunft das Schicksal und die Weltwirksamkeit 131 132 133 134 135 136

UAMs, Bestand 207, Nr. 574, Zeitungsausschnitt aus „Westfälische Nachrichten“, 7.7.1961. UAMs, Bestand 10, Nr. 3503, Strugger an Kurator, 16.6.1961. Vgl. hierzu Brautmeier 1983, S. 21ff. Ebd. Vgl. zum Beispiel Strugger 1958. Ebd.

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Europas ab. Möge Europa so stark sein, damit die Erziehung, die Wissenschaft, die Künste und die höchste Einsicht der Staatsmänner imstande sind, das geistige Gleichgewicht der Menschheit zu erhalten. Das ist eine echte Mission, für die wir als Europäer leben und arbeiten wollen, damit nicht tierische Barbarei die Welt verwüsten kann.“137

Die Früchte seiner Arbeit um eine Stärkung der Naturwissenschaften und den weiteren Ausbau seines Institutes, darunter die Aufstockung um mehrere Extraordinariate, konnte der Botaniker Anfang der 1960er-Jahre jedoch nicht mehr ernten. Am 11. Dezember 1961 starb Strugger im Alter von nur 55 Jahren an den Folgen einer Krebserkrankung.138 Der Ordinarius wurde unter großer Anteilnahme der Universitätsmitglieder und im Beisein zahlreicher Trauergäste beerdigt.139 Seine herausragende Stellung in der Forschergemeinschaft spiegelte sich über seinen Tod hinaus in den Ehrerweisungen, die ihm von vielen Seiten zukamen, wider.140 Mit Strugger verlor das Botanische Institut nicht nur einen geschickten Organisator und einen Wissenschaftler von internationalem Ruf, sondern auch jemanden, der die Münstersche Botanik nach der Isolation des Zweiten Weltkriegs durch seine Aktivitäten wieder mit der weltweiten Forschergemeinschaft vernetzt hatte. Während sein Tod eine tiefe Lücke im Institut riss, waren die Verantwortlichen doch umgehend darum bemüht, für Stabilität zu sorgen. Mit Struggers Tod übernahm der inzwischen 23 Jahre am Institut beschäftigte Walter Baumeister im Dezember 1961 vorläufig die Amtsgeschäfte des Direktors.141 Mit der Berufung von Struggers Nachfolger Hans Reznik142 wurde 1963 schließlich auch der bereits begonnene Generationenwechsel am Institut auf höchster Ebene abgeschlossen. Unter seiner Leitung erlebte die Botanik, wie schon ihre Schwesterdisziplin Zoologie unter Rensch und Bier, in den Jahren nach Struggers Tod eine weitere Ausdifferenzierung und Spezialisierung. Das Personal, das unter Strugger und teils schon unter Mevius angestellt worden war, prägte diese Entwicklung auch in den 1960er-, teilweise sogar bis in die 1990er-Jahre entscheidend mit. Somit ist auch für das Botanische Institut jene Mischung aus Kontinuität und Fortschritt festzuhalten, welche seit den 1920er-Jahren ein Merkmal der Münsterschen Biologie insgesamt gewesen war.

Fazit Für das Botanische Institut sind für die Zeit von den frühen 1920er- bis in den 1960er-Jahre ähnliche Entwicklungen wie für das zoologische Schwesterinstitut zu 137 138 139 140 141 142

Ebd. SBB, Nachlass 126 (B. Rensch), Kasten 27, Tagebucheintrag 26.12.1961. UAMs, Bestand 10, Nr. 3822, Zeitungsausschnitt aus „Münsterischer Anzeiger“, 16.12.1961. Vgl. zum Beispiel UAMs, Bestand 207, Nr. 574, Bürgermeister von Völkermarkt an Rektor, 20.7.1962. UAMs, Bestand 8, Nr. 8752, Bd. 1, Kultusministerium an Rektor, 21.2.1962. Vgl. zu Reznik Kürschner 1966, S. 1976.

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konstatieren. Wie dort spiegelte sich die sich ausdifferenzierende und in einer Vielzahl von einzelnen Fachgebieten verästelnde wissenschaftliche Entwicklung auch in Personal, Strukturen und Inhalten des Institutsbetriebes wider. Ebenso deutlich wird, dass auch hier die einzelnen Ordinarien – und nicht politische Rahmenbedingungen oder außeruniversitäre Entscheidungsträger – für wissenschaftliche Schwerpunkte und inhaltlichen Wandel verantwortlich zeichneten. Ersichtlich wird dies insbesondere an der vom politischen Systembruch 1933 gänzlich unbeeinflussten wissenschaftlichen Kontinuität, die über den Wechsel vom Lehrer Benecke zum Schüler Mevius hinaus bestand. Fast 30 Jahre lang sollte dadurch die pflanzliche Ernährungsphysiologie der wichtigste Forschungsschwerpunkt am Institut bleiben. Im Umgang der Forscher mit dem NS-Regime lassen sich ebenfalls Parallelen aufzeigen. Wie in der Zoologie nutzten die Botaniker ihre Nützlichkeit für das Regime, um ihre Karrieren zu befördern und sich wissenschaftlich zu profilieren. Auch hier sollten sie ihre Forschungsschwerpunkte teils völlig ändern (wie beispielsweise Schratz) oder sie unter den neuen Rahmenbedingungen neu interpretieren (wie zum Beispiel Mevius). Dadurch wurden auch sie zu stabilisierenden Faktoren für ein verbrecherisches System. Insbesondere Mevius sorgte durch seine Personalpolitik und die Übernahme außeruniversitärer Posten für eine intensive Vernetzung von Politik und Wissenschaft. Eine wichtige Rolle spielte dabei vor allem das Dreieck Rektor – Kurator – Gauleitung.143 Dennoch zeigen sich im Vergleich mit der Zoologie auch einige Unterschiede. So fällt, eng verknüpft mit der inhaltlichen Kontinuität, die bereits angesprochene personelle Stabilität auf, welche dem zeitweiligen Chaos im Zoologischen Institut gegenüberstand. Hinzu kam eine andere Art der Organisation der Lehre, die im Gegensatz zu den Zoologen bis 1945 nicht auf externe Lehrbeauftragte, sondern auf eine höhere Zahl von Institutsangestellten setzte. Dies ging automatisch einher mit einer weniger stark ausgeprägten Vernetzung mit außeruniversitären Einrichtungen. Verbindungen wie die der Zoologen zum Naturkundemuseum, zur Landesanstalt für Fischerei oder zur Westfälischen Versuchs- und Lehranstalt für Bienenkunde fehlten. Aber auch im Umgang mit dem NS-Regime verhielten sich die Botaniker durchaus anders als ihre zoologischen Kollegen. Während jene ihre Energie darauf verwandten, die ideologischen Aspekte des Nationalsozialismus zu legitimieren (zum Beispiel Rassenpolitik, Judenverfolgung, Sterilisationen und Ausmerzung „Minderwertiger“), engagierten sich die Botaniker stärker im technokratischen Bereich. Dies zeigt vor allem die intensive Vernetzung insbesondere der Ernährungsphysiologie und der Pharmakognosie durch Mevius und Schratz, die leitende Positionen in regimenahen, in zentralen Punkten für Vierjahresplan und Krieg wichtigen Organisationen wie dem „Forschungsdienst“ oder der Reichsarbeitsgemeinschaft für Heilpflanzenkunde und Heilpflanzenbeschaffung übernahmen. Sie setzten damit ihre Fähigkeiten für vordergründig unpolitische Aspekte der NS-Politik wie 143

Vgl. hierzu den Beitrag von Kristina Sievers in diesem Band.

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Nahrungsmittelsicherheit und die Versorgung des Volkes mit Heilpflanzen ein. Natürlich waren diese Tätigkeiten letztlich nicht von den Verbrechen des Regimes zu trennen, bildeten sie doch Basis für Krieg, Ausplünderung und Vernichtung. Dennoch erlaubten sie den Protagonisten, anders als ihren zoologischen Kollegen, nach 1945 nahtlos in denselben Bereichen, teils sogar mit denselben Aufgaben, weiterzuarbeiten, ohne sich inhaltlich neu ausrichten zu müssen. Insgesamt konnte sich die Botanik, wie auch die Zoologie, jederzeit des Wohlwollens der politischen Entscheidungsträger in Gauleitung und Provinzialverwaltung sicher sein. Sowohl Gauleiter Meyer als auch Gauamtsleiter/Kurator Beyer und Landeshauptmann Kolbow mischten sich direkt und wiederholt, jedoch immer in Kooperation und nie in Konfrontation mit universitären Stellen, in Entscheidungsprozesse ein. Ähnliche Funktionen übernahmen nach dem Krieg die Hochschulreferentin im Kultusministerium Nordrhein-Westfalen, Angèle Auburtin, und der neue Landeshauptmann Bernhard Salzmann. Es kann somit von einer jahrzehntelangen engen und fruchtbaren Kooperation zwischen Wissenschaft und Politik gesprochen werden. Wie für viele andere Institute nachweisbar sollte der 8. Mai 1945 auch für die Münstersche Botanik keine „Stunde Null“ darstellen. Wichtige Protagonisten blieben im Amt oder kehrten an das Institut zurück. Damit wurde auch die Chance auf eine „Entnazifizierung“ des Instituts verpasst. Forschung und Lehre sollten sich nicht durch den Regimewechsel, sondern erst durch den neuen Ordinarius Strugger neu ausrichten, wobei auch hier deutliche Kontinuitäten, allen voran die Pharmakognosie unter Schratz, zu der Zeit vor 1945 bestehen blieben. Strugger war es, der, wie auch sein Kollege Rensch, eine Internationalisierung des Institutes, eine Öffnung für die Öffentlichkeit und, ab den späten 1950er-Jahren, einen Generationswechsel einleitete. Gleichzeitig begann damit der Wandel weg von einer strikten Ordinarienuniversität hin zu einer arbeitsteiligen Forschergemeinschaft, wie er auch im Zoologischen Institut festzustellen ist. Dennoch blieb auch in der Botanik nach wie vor der Lehrstuhlinhaber das bestimmende Element und sollte es noch über Jahre hinaus bleiben.

Literatur Bozay, Kemal, Exil Türkei. Ein Forschungsbeitrag zur deutschsprachigen Emigration in der Türkei (1933–1945), Münster 2001. Brautmeier, Jürgen, Forschungspolitik in Nordrhein- Westfalen 1945–1961, Düsseldorf 1983. Chronik der Westfälischen Wilhelms-Universität zu Münster 1925/26 – 1929/30. Dicke, Jan Nikolas, Eugenik und Rassenhygiene in Münster zwischen 1918 und 1939 (Berliner Beiträge zur Zeitgeschichte 3), Berlin 2004.

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Droste, Daniel, Vom SS-Schulungsleiter zum Emigranten. Die Karriere des Zoologen Curt Kosswig und die Rolle der Biologie als Stütze des NS-Staates, in: Annals of the History and Philosophy of Biology (2011) [in Vorbereitung]. Klemm, Volker, Agrarwissenschaften im „Dritten Reich“. Aufstieg oder Sturz? (1933–1945), Berlin 1994. Kürschner, Joseph (Hg.), Kürschners deutscher Gelehrten-Kalender, 10. Ausgabe, München 1966. Latzko, Erwin, Geschichte der Botanik an der Universität Münster, in: Dollinger, Heinz (Hg.), Die Universität Münster 1780–1980, Münster 1980, S. 463–466. Sackmann, Werner, Biographische und Bibliographische Materialien zur Geschichte der Mikrobiologie und zur bakteriologischen Nomenklatur (Marburger Schriften zur Medizingeschichte 16), Frankfurt a. M., Bern, New York 1985. Schlick, Caroline, Apotheken im totalitären Staat. Apothekenalltag in Deutschland von 1937 bis 1945, Stuttgart 2008. Schmitz-Berning, Cornelia, Vokabular des Nationalsozialismus (Quellen und Studien zur Geschichte der Pharmazie 85), Berlin 2000. Schröder, Arno (Bearb.), Mit der Partei vorwärts! Zehn Jahre Gau Westfalen-Nord, Detmold 1940. Strugger, Siegfried, Die Einheit im Bildungsplan der höheren Schulen, Naturwissenschaften und allgemeine Bildung, in: Verhandlungen der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte 45 (1958), S. 3–8. Tobler, Friedrich, Zur Geschichte des Botanischen Gartens und Unterrichts in Münster, in: Münsterland 9 (1922), S. 15–23. Vorlesungsverzeichnisse der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster Wintersemester 1936/37 – Wintersemester 1962/63. Wiermann, Rolf, Der Botanische Garten der Universität Münster. 200 Jahre Geschichte, Münster 2003. Ziegler, Heinrich Ernst, Die Vererbungslehre in der Biologie und in der Soziologie. Ein Lehrbuch der naturwissenschaftlichen Vererbungslehre und ihrer Anwendungen auf den Gebieten der Medizin, der Genealogie und der Politik, Jena 1918.

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Die Physik an der Universität Münster im Spannungsfeld des Nationalsozialismus

Die folgende Darstellung1 geht davon aus, dass es genügt, das Verhalten der damals in Münster in der Physik wirkenden Professoren und Dozenten zu durchleuchten und zu bewerten, um zu einer aussagefähigen Einschätzung der Rolle der Physik in Münster während der NS-Zeit zu gelangen. Die Auswahl erfolgte an Hand der Vorlesungsverzeichnisse der Jahre 1925 bis 1955. In ihnen ist im Bereich der Physik kein Fall von politisch bedingten Entlassungen während der NS-Zeit zu finden. Als Quellen wurden in erster Linie die zugehörigen Akten des Universitätsarchivs in Münster verwendet. Dies ist ein Mangel der vorliegenden Arbeit, denn Akten anderer Universitäten (wie München, Breslau und Königsberg), von Industriebetrieben (wie Siemens oder Askania) oder Behörden (wie dem Berliner Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung) könnten wichtige – die vorliegende Untersuchung korrigierende – Tatbestände zu Tage fördern. Die Möglichkeit des Zugriffs auf solche Quellen war im Fall der vorliegenden Arbeit leider nicht gegeben. Insoweit kann die vorliegende Untersuchung nicht den Anspruch einer vollständigen, abschließenden Darstellung des Themas erheben. Bei der Auswertung der Quellen soll zunächst einmal zwischen eigenen Aussagen der Betroffenen und Aussagen von Zeugen über die Betroffenen unterschieden werden: Aussagen der Betroffenen über sich selbst sind kritischer zu beurteilen als Zeugen-Aussagen. Aber auch bei Zeugen-Aussagen ist Vorsicht geboten, wenn sie zum Beispiel von Untergebenen, Nachbarn oder Freunden gegeben werden. Zeugen-Aussagen werden in die Wertung nur dann einbezogen, wenn sie durch vergleichbare, unabhängige Aussagen anderer Zeugen bestätigt werden. Zwei Professoren, die sowohl in der Weimarer Zeit als auch während des HitlerRegimes und nach dessen Untergang in Forschung und Lehre tätig waren, gebührt – in sehr unterschiedlicher Weise – besonderes Interesse. Dies sind der Direktor des Physikalischen Instituts Hermann Senftleben und Adolf Kratzer als Ordinarius für Theoretische Physik. Hinzu treten in den ersten Jahren nach Kriegsende Eugen Kappler als Direktor des Physikalischen Instituts, Heinz Bittel als Direktor des neugegründeten Instituts 1

Für viele hilfreiche Hinweise beim Quellenstudium danke ich Professor Dr. Norbert Schmitz sowie Dr. Wilhelm Große-Nobis, der mir durch die Kenntnis des persönlichen Nachlasses seines Lehrers Professor Dr. Heinz Bittel geholfen hat. Frau Lenore Bittel danke ich für die Möglichkeit, diesen Nachlass vor Übergabe an das Universitätsarchiv Münster einsehen zu können.

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für Angewandte Physik und Walter Franz als Privatdozent für Theoretische Physik. Der Beginn ihrer Karriere fällt in die Zeit des aufkommenden Nationalsozialismus. Sie haben nach dem Krieg die weitere Entwicklung der Physik in Münster bestimmt. Ihr Verhalten in der NS-Zeit muss daher in unserem Zusammenhang eingehend untersucht werden. Zum Fach Astronomie gibt es eine umfassende Darstellung von Hilmar G. Duerbeck mit dem Titel „German Astronomy in the Third Reich“. Auf dieses Buch wird verwiesen und die Rolle des Astronomischen Instituts in der NS-Zeit nur kurz angesprochen.2

Im Vorfeld Vor und während der Weimarer Zeit war die Physik in Münster durch Gerhard Schmidt, Guido Szivessy und Georg Siemens vertreten. Ihr Wirken in Münster reicht in die NS-Zeit hinein und soll hier der Vollständigkeit halber kurz dargestellt werden. Gerhard Schmidt,3 Jahrgang 1865, war der Vorgänger von Senftleben als Direktor des Physikalischen Instituts. Nach dem Studium der Physik und Chemie an verschiedenen Universitäten promovierte er 1890 in Basel und habilitierte sich nach sechsjähriger Assistentenzeit 1896 in Erlangen mit Arbeiten über Fluoreszenz und Lumineszenz. In Erlangen gelang ihm 1898 die Entdeckung der Thorium-Radioaktivität gleichzeitig mit der Entdeckung der Polonium-Radioaktivität durch das Ehepaar Curie. Nach einem Jahr als ordentlicher Professor an der Forstakademie in Eberswalde kehrte er 1901 auf ein Extraordinariat nach Erlangen zurück. Es folgten vier Jahre als Ordinarius in Königsberg, nach denen er schließlich 1908 als Direktor des Physikalischen Instituts nach Münster berufen wurde. Hier setzte er mit Arbeiten über Kathodenstrahlen zunächst die Forschungsrichtung seines Vorgängers Johann Wilhelm Hittorf fort, später befasste er sich mit der Leitfähigkeit von Salzdämpfen. Mit Kriegsbeginn 1914 wurde er Dekan der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät und im politisch turbulenten Jahr des Kapp-Putsches 1920 war er Rektor der Universität. 1933 wurde er mit 68 Jahren emeritiert, blieb aber noch zwei Jahre im Amt, bis Senftleben als sein Nachfolger berufen wurde. Gerhard Schmidt, Geheimer Regierungsrat und Träger des von der Preußischen Monarchie 1705 gestifteten Ordens „Roter Adler“, wurde im Februar 1935 feierlich durch Rektor, Kurator und Fakultät verabschiedet. Ein halbes Jahr vorher hatte er, der kein Mitglied der NSDAP war, noch den „Eid auf den Führer Adolf Hitler“ ablegen müssen.

2 3

Duerbeck 2006. UAMs, Bestand 10, Nr. 3787; Hoyer 1980.

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Guido Szivessy,4 Jahrgang 1885, promovierte 1909 in Straßburg mit dem Thema „Über den Lichtbogen in Schwefelkohlenstoffdampf“. Nach Assistentenjahren in Stuttgart und Dresden wechselte er nach Münster an das Physikalische Institut zu Gerhard Schmidt, wo er sich im Frühjahr 1914 mit einer Arbeit über „Die optischen Wirkungen des elektrischen Feldes“ habilitieren konnte. Seine wissenschaftliche Arbeit wurde durch den Ausbruch des Ersten Weltkrieges unterbrochen, an dem er von 1914 bis 1918 teilgenommen hat, zuletzt als Leutnant der Reserve. Anfang 1919 nahm er seine Assistententätigkeit in Münster wieder auf, erhielt 1921 nach Weggang von Erwin Madelung nach Frankfurt zunächst einen Lehrauftrag für Theoretische Physik und wurde kurz danach zum nichtbeamteten außerordentlichen Professor für Physik ernannt. Er wechselte 1929 nach Bonn, wo er von 1933 bis 1936 den Direktor des Physikalischen Instituts, Professor Dr. Heinrich Konen, vertrat. 1939 schied Szivessy aus dem Hochschuldienst aus und arbeitete bis 1945 als wissenschaftlicher Leiter bei den Askania-Werken in Berlin. Die Askania-Werke waren spezialisiert auf Navigationsinstrumente für Schiffe und Flugzeuge. Im Zweiten Weltkrieg wurden dort auch Steuerungssysteme für Torpedos und für die Peenemünder V-Waffen entwickelt. Die Frage, in welchem Bereich Szivessy tätig war, insbesondere ob er an der Waffenforschung beteiligt war, kann nur an Hand von Unterlagen der Firma Askania beantwortet werden. Nach Kriegsende wurde Szivessy 1946 ordentlicher Professor für Physik an der Technischen Universität Berlin, ein Jahr später ordentlicher Professor für Theoretische Physik an der Universität Rostock, wo er bis zu seinem Tod 1948 arbeitete. Georg Siemens,5 geboren 1882, schloss sein Studium 1905 als Diplom-Ingenieur ab und ging anschließend in die Industrie, hielt aber Kontakt zur Hochschule und promovierte 1914 – kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs – zum Dr.-Ing. 1915 wurde er zum Heeresdienst eingezogen und einer Fernsprecheinheit zugeteilt. Nach dem Krieg widmete er sich wieder wissenschaftlich-technischer Arbeit und konnte sich 1922 in Münster bei Gerhard Schmidt habilitieren über das Thema „Die elektrischen Maschinen in einheitlicher Darstellung“, aufbauend auf dem Prinzip der Carnot-Maschine. Hauptberuflich war er als Leiter des Technischen Büros von Siemens und Halske in Essen tätig, mit einem Lehrauftrag in Münster. 1931 wurde er zum nichtbeamteten außerordentlichen Professor der Elektrotechnik an der Universität Münster ernannt – mit lobenden Gutachten von Clemens Schaefer und Walter Schottky. Letzterer, damals bei Siemens und Halske in Berlin, befürwortete die Ernennung mit den Worten, dass „Georg Siemens dem Professorentitel einer angesehenen Universität nur Ehre machen wird“. Als er 1939 nach Berlin in die Zentrale von Siemens und Halske versetzt wurde, stellte sich die Frage nach seiner Anbindung an Münster. Eine Ernennung zum außerplanmäßigen Professor wurde von ihm nicht gewünscht mit der Begründung, 4 5

Szivessy, in: Catalogus Professorum Rostochiensium, 2011. Universitätsarchiv Bonn, Personalakte G. Szivessy, UAMs, Bestand 5, Nr. 210, UAMs, Bestand 10, Nr. 431. UAMs, Bestand 92, Nr. 121, Bd. 1 und Bd. 2.

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„dass er dann als Beamter und zugleich als Vertreter eines großen Industriekonzerns in Interessenkonflikte kommen könnte“.6 So schlug die Fakultät in einem Brief von Dekan Kratzer dem Ministerium in Berlin vor, Siemens sollte aus dem Lehrkörper der Universität Münster ausscheiden und Honorarprofessor für Elektrotechnik in Berlin werden. Gegen den Willen von Siemens und entgegen dem Antrag der Fakultät ernannte das Berliner Ministerium Siemens – nach Überprüfung seiner Abstammung belegt durch den Ahnenpass – 1940 zum außerplanmäßigen Professor in Münster unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf. Ein Antrag von Siemens zu Beginn des Jahres 1942, an die Technische Hochschule Berlin versetzt zu werden, wurde vom Ministerium abgelehnt mit dem Argument, dass in Berlin Elektrotechnik ausreichend vertreten sei. Den wahren Kern des Problems für Siemens erhellt ein Brief des Dekans an das Ministerium in Düsseldorf vom 4. Februar 1947, nach dem Siemens nicht wünschte außerplanmäßiger Professor zu werden, „da er damals (im Dritten Reich) nicht Beamter hatte werden wollen“. Ob er sich dem damals in diesem Fall üblichen Zwang, in die NSDAP einzutreten, hat erfolgreich entziehen können, ist an Hand seiner Münsterschen Personalakte nicht überprüfbar. Über den Tätigkeitsbereich von Siemens in der Zentrale von Siemens und Halske in Berlin während der Jahre 1939 bis 1945 geben die Münsterschen Akten keine Auskunft. Im Sommer 1947 wurde er im Alter von 65 Jahren von der Universität Münster von Vorlesungsverpflichtungen entbunden und im Vorlesungsverzeichnis als außerplanmäßiger Professor geführt.

Von der Weimarer Zeit bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs Die überragende Persönlichkeit der Münsterschen Physik in der Zeit vom Aufstieg bis zum Untergang des Nationalsozialismus war Adolf Kratzer.7 Er begann 1912 nach dem Abitur das Studium an der Technischen Hochschule München in Richtung Maschinenbau, schwenkte dann aber unter dem Eindruck der Vorlesungen von Arnold Sommerfeld auf Mathematik und Physik um. Als Kriegsfreiwilliger erlitt er 1915 einen Kehlkopfdurchschuss, leistete dennoch nach Genesung wieder Militärdienst bis Kriegsende. 1918 nahm er das Studium wieder auf und wurde 1920 bei Sommerfeld mit Arbeiten über Rotations-Schwingungs-Spektren von Molekülen promoviert, die ihm rasch Ansehen in der Fachwelt verschafften. Das der Theorie zugrunde liegende „Kratzer-Potential“ lernen heute noch die Physikstudenten im Kurs Quantenphysik kennen. Nach einem Jahr als Assistent bei dem Mathematiker David Hilbert in Göttingen konnte er sich 1921 in München habilitieren. Nach einem abgelehnten Ruf an die Universität Tübingen wurde er 1922 Ordinarius für 6 7

Ebd. Franz, W., A. Kratzer. Laudatio zum 70. Geburtstag von Adolf Kratzer, Westfälische Nachrichten vom 16.10.1963, in: UAMs, Bestand 207, Nr. 261.

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Theoretische Physik in Münster. Hier widmete er sich außer seiner wissenschaftlichen Arbeit (Fragen zu Raum und Zeit und zur Axiomatisierung der Physik) mit großer Kraft auch seiner Lehrtätigkeit, den Aufgaben der Universitätsverwaltung und der Studentenfürsorge. Von seinen Schülern wurde Karl-Heinz Bennemann als Ordinarius an die Freie Universität Berlin berufen. In den Jahren von 1936 bis 1942 schirmte er als „Dauerdekan“8 die Fakultät erfolgreich gegen Eingriffe der NSDAP und ihrer Unterorganisationen ab. Von 1943 bis 1946 verwaltete er das Amt des Prorektors. Kratzer gelang es, in einer Zeit als bedeutende Kollegen wie die Nobelpreisträger Johannes Stark und Philipp Lenard die Relativitätstheorie von Albert Einstein verteufelten, die Freiheit von Forschung und Lehre zu erhalten. Ein Beispiel dafür ist die offizielle Ankündigung einer vierstündigen Vorlesung über Relativitätstheorie9 für das Wintersemester 1935/36. Noch 1941 hielt Kratzer ein Seminar über Allgemeine Relativitätstheorie ab wie sein Münchener Kollege Maue nach einem Besuch in Münster in seinem Brief vom 25.5.1941 an Sommerfeld berichtete.10 Kratzers Einsatz für die Universität ist umso mehr als mutig und schwierig zu würdigen, als er in seinem direkten Umfeld mit seinem Kollegen Senftleben einen „Partner“ hatte, der entgegen dem Wunsch der Fakultät nach Münster gekommen war, offenbar gute Verbindungen zum Ministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung in Berlin hatte und als Obertruppführer der SA zu Vorlesungen in brauner Uniform auftrat. Hermann Senftleben11 hat seine berufliche Karriere an der Universität Breslau im renommierten Institut von Clemens Schaefer begonnen. Mit jüdischen Kollegen zusammenzuarbeiten bereitete ihm offensichtlich keine Probleme: 1915 promovierte er bei Rudolf Ladenburg, der später emigrieren musste. Zu der Privatdozentin Hedwig Kohn, mit der er in seiner Breslauer Zeit zusammengearbeitet hatte,12 hielt er noch regelmäßigen Kontakt bis zu ihrer Emigration in die USA im Jahr 1938. Auch zu seinem früheren Breslauer Kollegen Fritz Reiche hatte Senftleben bis Anfang 1938 Kontakt wie ein Brief von Reiche aus Berlin an Senftleben vom 19. Februar 1938 zeigt.13 Seine Berufung nach Münster stand unter einem ungünstigen Stern. Ihr Ablauf hat von Beginn an Spannungen in das Verhältnis von Senftleben und der Fakultät gebracht. Im August 1933 hatte die Fakultät dem Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung in Berlin eine Liste für die Nachfolge von Gerhard Schmidt vorgelegt. In dieser Liste erschienen auf Platz 1 Gerhard Hoffmann und Walter Kossel aequo loco, auf Platz 2 Rudolf Tomaschek und auf Platz 3 Marianus Czerny und Helmuth Kuhlenkampf aequo loco. Statt einer Reaktion auf diese 8 9 10 11 12 13

Schmitz 2011, S. 94. Ebd., S. 90. Ebd., S. 110. UAMs, Bestand 10, Nr. 3817. Winnewisser 2003. Das Foto auf S. 53 zeigt Senftleben bei Messungen mit Hedwig Kohn. UAMs, Bestand 10, Nr. 3817.

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Liste erhielt die Fakultät im Oktober 1934 aus Berlin die Aufforderung zu einer Stellungnahme zu der vom Ministerium geplanten Berufung von Senftleben. Die Antwort der über diesen Affront aus Berlin zu Recht verärgerten Fakultät klingt fast unterwürfig-ängstlich: Im Wesentlichen „glaubt die Fakultät sagen zu müssen, dass die seiner Zeit von ihr vorgeschlagenen und ebenso eine Reihe weiterer Physiker sich auf Grund ihrer bisherigen wissenschaftlichen Arbeiten eines größeren Ansehens erfreuen als Senftleben“.14 Des Weiteren wurde kritisch angemerkt, dass „seine Forscherarbeit auf wenige Gebiete der Physik beschränkt ist in Anbetracht der Tatsache, dass er nicht am Weltkrieg teilgenommen hat“.15 Dass eine so „weiche“ Reaktion keinen Erfolg im Sinne der Fakultät haben würde, überrascht nicht, nachdem das Ministerium die von der Fakultät vorgelegte Liste schlichtweg ignoriert hatte. Senftleben wurde – kommentarlos – zum 1. April 1935 zum ordentlichen Professor der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät in Münster ernannt. So begann er seine Münstersche Zeit als unerwünschter Kollege – eine schwierige Ausgangslage. Verhandlungen über notwendige Mittel für Umbauten im Institut und wissenschaftliche Geräte führte Senftleben direkt mit Berlin, und dies offenbar erfolgreich. So bot er im Mai 1935 als Direktor des Physikalischen Instituts in einem Brief an den Kurator der Universität Münster an, einen Antrag auf Bewilligung von Mitteln für wissenschaftliche Geräte „in Berlin persönlich zu begründen“. Die Zusage über einmalige Mittel in Höhe von 35.000 Reichsmark kam schnell, ebenso wie die Zusage über Umbaumittel zuvor im Rahmen seiner Berufungsverhandlungen. Senftleben schien also gute direkte oder indirekte Kontakte zum Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung in Berlin gehabt haben. Dafür sprach auch der oben beschriebene Ablauf seiner Berufung. Es lag also damals durchaus nahe zu vermuten, dass politische Fürsprecher bei Senftlebens Berufung nach Münster eine wichtige Rolle gespielt hatten. Eine solche Vermutung war auf Johannes Stark16 gerichtet. Erst nach dem Krieg wurde an Hand einer Reihe von Gutachten, auf die später noch eingegangen wird, klar, dass Senftleben von kompetenten Fachkollegen auf Grund seiner wissenschaftlichen Leistungen für die Stelle in Münster empfohlen worden war. Ob auch politisch motivierte „Hilfe“ im Spiel war, könnte – wenn überhaupt – heute nur an Hand der Akten des Berliner Ministeriums geklärt werden. Außer seinen notorischen Auftritten als „Professor in Uniform“17 und der Verleihung des Kriegsverdienstkreuzes II. Klasse für „Mitarbeit bei vormilitärischer Ausbildung der SA-Wehrmannschaften“ gibt es kaum Erkenntnisse über politische Aktivitäten von Senftleben im Sinne der NSDAP. 1937 schlug er dem Rektor der Universität vor,18 das damals übliche „Dankopfer“ zu Hitlers Geburtstag „in mehr 14 15 16 17 18

UAMs, Bestand 62, B III 3a. Ebd. UAMs, Bestand 92, Nr. 64, Bd. 1 und 2. Rammer 2007, S. 381; Respondek 1995, S. 240ff. Heiber 1992, S. 37.

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oder minder geschlossener Form zu spenden“ – die Aktion verlief „im Sande“. Aktenkundig ist seine Zustimmung19 zu einer Initiative des Verbands Deutscher Elektrotechniker aus dem Jahr 1940, die Einheit der Frequenz von Hertz (Hz) in Helmholtz umzubenennen, um „Leistungen volksfremder Forscher (Hertz) nicht unnötigerweise in den Vordergrund zu schieben, insbesondere wenn gleichwertige Leistungen deutscher Forscher (Helmholtz) vorliegen“. Gemessen an Johannes Stark, der Werner Heisenberg im „Schwarzen Korps“ angriff als „Statthalter des Judentums im deutschen Geistesleben, die ebenso verschwinden müssen wie die Juden selbst“, und Philipp Lenard, der rechtsradikale Studenten zu Protest-Veranstaltungen gegen den „Juden Einstein“ ermunterte, erscheinen Senftlebens politische Aktivitäten unter dem Nationalsozialismus sehr moderat. Das Arbeitsgebiet von Senftleben ab 1930 war der Einfluss elektrischer und magnetischer Felder auf Transport-Eigenschaften von Gasen und Flüssigkeiten. Dieses Phänomen wird in der Literatur als Senftleben-Beenakker-Effekt geführt.20 Diese Arbeiten von Senftleben wurden von der Fakultät in ihrer Erwiderung auf die Berliner Entscheidung über die Nachfolge von Schmidt völlig falsch eingeschätzt. Dies zeigten spätere Gutachten aus Göttingen und München, auf die weiter unten noch eingegangen wird. In seinem Rechenschaftsbericht21 aus dem Jahr 1962 über das Physikalische Institut während der Jahre 1939 bis 1945 erwähnt Senftleben eine „Einschränkung der wissenschaftlichen Arbeit durch Wehrmachtsaufträge, denen gegenüber alle anderen Untersuchungen zurücktreten mussten“. Worum es bei diesen Aufträgen konkret ging, wird im Bericht nicht näher spezifiziert. Sicher ist, dass es sich nicht um Waffen-Forschung im großen Stil handelte wie etwa bei der Raketen-Entwicklung oder der Nutzung der Kernspaltung (als Energiequelle oder als Atombombe). Dazu fehlten in Münster die experimentellen und personellen Voraussetzungen. Viel mehr als durch Wehrmachtsaufträge hat die Forschung in Münster gelitten unter Personalmangel und durch die großen Luftangriffe 1941 und 1943. Der einzige während des ganzen Krieges am Physikalischen Institut tätige Assistent war Jan van Calker,22 der wegen seiner Behinderung infolge einer Kinderlähmung vom Wehrdienst befreit war. Alle anderen Mitarbeiter wurden nach und nach zum Wehrdienst eingezogen. Auf Grund zerstörter Laborräume und Apparaturen mussten die Forschungsarbeiten reduziert und in verschiedene Ausweichquartiere – Schloss Buldern und die Landwirtschaftliche Schule Holzminden – ausgelagert werden, wo eine Reihe von Examensarbeiten noch fortgeführt werden konnten. Der für viele andere Fächer wichtige Physikunterricht konnte durch Senftleben und van Calker

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Wolff 2008, S. 262. Bergmann-Schaefer 2006. Senftleben, Hermann, Das Physikalische Institut der Universität Münster während der Jahre 1939 bis 1945 (November 1962), Dekanat Fachbereich Physik, Universität Münster. UAMs, Bestand 92, Nr. 63, UAMs, Bestand 5, Nr. 413.

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in eingeschränkter Form aufrecht erhalten werden, bis er im Herbst 1944 völlig eingestellt werden musste. Van Calker23 hatte nach dem Physikstudium in Heidelberg und Freiburg 1934 bei Walther Gerlach in München über „Emissionsspektren“ promoviert. Nach einem Jahr als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Chemischen Untersuchungsamt in Stuttgart und einem einjährigen Stipendium der „Notgemeinschaft Deutsche Wissenschaft“ in Freiburg wurde er dort Assistent am Radiologischen Institut. Ab Wintersemester 1937/38 arbeitete er als Assistent bei Senftleben in Münster, wo er sich im März 1943 mit einer Schrift über „Untersuchungen zur quantitativen Spektralanalyse vielfältig zusammengesetzter Stoffe“ und mit Probevorlesungen über die „Physikalischen Grundlagen von Malerei und Musik“ habilitieren konnte. Im August 1943 wurde er „im Namen des Führers zum Dozenten ernannt“ mit der Aufforderung, „nach dem Krieg einen Lehrgang des Reichslagers für Beamte nachzuholen“, wozu es aus ersichtlichen Gründen nie gekommen ist. Sein Verhältnis zu Senftleben war unproblematisch. Auch wenn „er (Senftleben) zu oft in Uniform aufgetreten ist, war er in seinem Herzen bürgerlich konservativ, jedenfalls kein überzeugter Nazi“ – so van Calker in einem Brief an Clemens Schaefer im Mai 1946.24 Van Calker war seit 1937 Parteimitglied, wurde aber im Übrigen in keiner Weise politisch aktiv. Er konnte nach vorläufiger Überprüfung durch die Militärregierung im Oktober 1945 weiterhin als Dozent im Amt bleiben. Er leitete das Physikalische Institut in dieser schwierigen Phase des Wiederaufbaus vertretungsweise bis zur Berufung des Nachfolgers von Senftleben. Im Gegensatz zu van Calker hatte Felix Durau,25 ebenfalls Assistent und später Dozent am Physikalischen Institut, von Beginn an Probleme mit Senftleben. Die Schuld daran dürfte weniger an Senftleben gelegen haben. Durau galt in der Fakultät wegen seines „extremen Individualismus“ als ein schwieriger Charakter.26 Durau, Jahrgang 1896, hatte von 1915 bis 1918 am Ersten Weltkrieg teilgenommen und konnte so erst spät sein Studium beginnen. 1924 promovierte er bei Schmidt über „Adsorption von Gasen an festen Substanzen“, vier Jahre später konnte er sich mit weiteren Arbeiten auf dem gleichen Gebiet in Münster habilitieren. Er blieb bei Schmidt in Münster, zunächst als Assistent (1925–1929), später als Oberassistent (1930–1936). „Um seine wissenschaftliche Laufbahn nicht zu gefährden“, trat er „auf Rat eines älteren Kollegen“ (Professor Zipf)27 1933 in die NSDAP ein, hat aber nach eigener Aussage selten Uniform getragen und sich politisch nicht engagiert.28 Die Probleme mit Senftleben betrafen zunächst nur Duraus Assistentenstelle, die Senftleben einem seiner Mitarbeiter zugedacht hatte, den er aus Breslau mit nach 23 24 25 26 27 28

Ebd. UAMs, Bestand 10, Nr. 3817, Brief von Jan van Calker an Clemens Schaefer, 17.5.1946. UAMs, Bestand 92, Nr. 64, Bd. 1 und Bd. 2. Ebd., Bd. 1. Ebd. Siehe hierzu die unten angeführten Erklärungen zum Entnazifizierungsverfahren.

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Münster bringen wollte. Senftleben hätte – so Duraus Darstellung – ihn gedrängt, seine Stelle zugunsten dieses von Senftleben favorisierten Mitarbeiters aufzugeben und stattdessen einen fast ebenso gut dotierten Lehrauftrag anzunehmen. Als sich später herausstellte, dass der von Berlin genehmigte Lehrauftrag um 100 Reichsmark niedriger lag als seine Assistentenbezüge, unterstellte Durau, dass Senftleben dies schon vorher gewusst habe, und warf ihm „Doppelzüngigkeit“ vor.29 Diesen Vorwurf wies Senftleben in einem Brief an den Fakultätsdekan zurück und betonte, dass „die Entscheidung des Ministeriums ohne sein Dazutun zustande gekommen sei und er ihm (Durau) nicht schaden wolle“.30 Zu diesem Zeitpunkt – Anfang 1935, also vor Amtsantritt von Senftleben in Münster – hatten die beiden noch keinen persönlichen Kontakt gehabt. Ihr Verhältnis verschlechterte sich, als Senftleben im Juni 1937 den Rektor über ein Gespräch mit dem Assistenten Dr. Georg Tschoepe informierte, der Durau vorwarf, ein „schlechtes Verhältnis zu den Doktoranden und Assistenten zu haben, schwache Dissertationen mit Resultaten anderer Kandidaten aufzubessern und die Drucklegung von Dissertationen zu behindern“.31 Mehrere Schlichtungsversuche von Dekan Kratzer wurden von Durau als unbefriedigende Kompromisse abgelehnt. Duraus schriftliche Beschwerde beim Ministerium in Berlin über Senftlebens Vorgehensweise wurde von dort zurückverwiesen mit dem Hinweis, zuvor müsse ein Ehrengerichtsverfahren im NS-Dozentenbund durchgeführt werden. Zu diesem Verfahren, das von Universität und NS-Dozentenbund eher halbherzig angegangen wurde, ist es nie gekommen: Einer der Gründe war die Einberufung von Durau 1939 zur Wehrmacht, wo er als Meteorologe „unabkömmlich“ war. Im Übrigen „fehlten“ – aus ähnlichen Gründen – „geeignete Vermittler für das Verfahren“.32 Vor dem Hintergrund dieses Zerwürfnisses wird verständlich, dass Durau auch das Scheitern seiner Ernennung zum außerplanmäßigen Professor Senftleben anlastete. Die Wirklichkeit sah anders aus: Nach Meinung der Fakultät – gestützt auf eine Reihe hochkarätiger Gutachten – war „Durau für ein Ordinariat ungeeignet, da seine wissenschaftlichen Arbeiten zu einseitig sind und seine Lehrtätigkeit nicht als erfolgreich angesehen werden kann“.33 Damit war eine Ernennung zum außerplanmäßigen Professor ausgeschlossen. In einem Schreiben an den Minister in Berlin vom Dezember 1936 strebte Dekan Kratzer eine Kompromisslösung an: Er beantragte, Durau zum nichtbeamteten außerordentlichen Professor zu ernennen und ihm eine „Stelle an einer Institution für sorgfältige wissenschaftliche Arbeit ohne Lehraufgaben wie der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt anzubieten, da er bei den Studenten wenig Anklang findet“. Dabei wurde im Antrag darauf abgehoben, dass „Durau Frontkämpfer im 1. Weltkrieg war mit Schaden für seine 29 30 31 32 33

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berufliche Karriere“. Der Antrag auf Ernennung zum Professor wurde vom Minister abgelehnt, eine Versetzung an die Reichsanstalt für unmöglich erklärt, „da dort erstklassige Forschereigenschaften vorausgesetzt werden“.34 Durau vermutete, dass hinter seinem Misserfolg außer Senftleben auch der damalige Präsident der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt Johannes Stark steckte, der ihm „ein schlechtes Gutachten ausgestellt habe, weil er in seinen Arbeiten stets auch Arbeiten jüdischer Physiker zitiert habe“.35 Später äußerte er (1948 in einem Brief als Anlage zu seinem „Fragebogen“)36 auch die Vermutung, dass „Stark Senftleben nach Münster gebracht habe“. 1943 wurde Durau wegen eines Herzleidens von der Wehrmacht entlassen. Nach dem Krieg durfte er seine Lehrtätigkeit mit Zustimmung des britischen Verbindungsoffiziers Ray F. Perraudin im Februar 1948 wieder aufnehmen. In der Anlage zu seinem „Fragebogen“ hatte Durau eine Reihe von Entlastungschreiben angeführt: Josefa Evers, Mitbewohnerin im Haus Piusallee 32, und Professor Hanns Linhardt bestätigten ihm, dass er die Ausschreitungen gegen Juden als Rechtsverletzung und Kulturschande streng verurteilt hat. Paul Scharwächter, verheiratet mit einer Jüdin, bedankte sich dafür, dass er seinem Sohn Hans Scharwächter geholfen hat, in der NS-Zeit in Physik zu promovieren. Die Professoren Karl Knauer und Karl Voigt bezeugten, dass Durau nie Propaganda für Hitler oder NS-Organisationen gemacht hat.37 Durau wurde mit Datum vom 5. Februar 1948 als unbelastet eingestuft. Im Juni 1948 beantragte Dekan Heinrich Behnke die Ernennung zum außerplanmäßigen Professor, „auch wenn von ihm nicht mehr viel zu erwarten ist angesichts seiner körperlichen und geistigen Gesundheit“ – mit dem Hinweis, dass Durau „Opfer zweier Kriege“ sei.38 Die Ernennung durch das Ministerium in Düsseldorf erfolgte Ende 1948. Mit seinem Tod im Februar 1968 verlor die Fakultät einen „menschlich anständigen, aber als akademischer Lehrer nicht geeigneten Kollegen“.39

Nachkriegszeit und Wiederaufbau Nach Kriegsende wurde Senftleben von der Militärregierung mit Wirkung vom 25. September 1945 seines „Amtes (als Professor und Institutsdirektor) enthoben“.40 Es folgte ein langer und zäher Kampf Senftlebens um seine Rehabilitation, der schließ34 35 36 37 38 39 40

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lich 1952 vor Gericht für ihn erfolgreich endete. Im ersten Schritt ging es um seine Einstufung im Rahmen des Entnazifizierungsverfahrens durch die britische Militärbehörde. Dazu wurden folgende Selbstaussagen und Zeugenaussagen vorgelegt: Erstens: In einem Brief vom 1. Oktober 1945 an die Britische Revisionsbehörde41 erklärte Senftleben zu seiner Mitgliedschaft in der SA, dass er 1933 den Eintritt in die NSDAP verweigert habe, „auf Druck“ dann in den „Stahlhelm“ eingetreten sei. Für die Mitgliedschaft im „Stahlhelm“ legte Senftleben die Bestätigung der Beitragszahlung für 1933 vor. 1934 wurde der „Stahlhelm“ in die SA-Reserve überführt, der er dann automatisch angehörte. Insoweit ist zumindest ein Teil dieser Selbstaussage (Mitgliedschaft im „Stahlhelm“) objektiv belegt; die Aussage der Verweigerung des Eintritts in die NSDAP erscheint somit zwar plausibel, ist damit aber nicht objektiv bewiesen. Zweitens: Wegen seiner Freundschaft mit dem erklärten Katholiken Clemens Schaefer und seiner Zusammenarbeit mit seinem jüdischen Mentor Rudolf Ladenburg und seiner jüdischen Kollegin Hedwig Kohn sei er angegriffen worden; mit Hedwig Kohn habe er bis zu ihrer Übersiedlung in die USA 1938 Kontakt gehabt. Ebenso habe er zu seinem früheren Breslauer Kollegen Fritz Reiche Kontakt gehalten. Diese Aussage von Senftleben bestätigen ein Brief von Fritz Reiche vom 19. Februar 1938 sowie die schriftliche Aussage des früheren Assistenten Dr. Heinz Gladisch vom 8. Oktober 1945.42 In diesem Brief bestätigt Dr. Gladisch auch, dass Senftleben „an der Verurteilung von NS-Studenten im WS 1932/33 durch den Senat der Universität Breslau teilgenommen habe und dafür in Presse und Öffentlichkeit heftig angegriffen worden sei“. Für die letztere Aussage liegt keine weitere unabhängige Bestätigung vor, sodass sie von geringerer Wertigkeit ist. Drittens: In Münster habe er den „Gehorsam bei gewaltsamen Aktionen der SA gegen Juden im November 1938 verweigert und den Befehl zu diesen Aktionen nicht weitergeleitet“. Dazu bezeugt Frau Hertha Klug, damals wohnhaft in Münster, Wichernstraße 13, in ihrem Schreiben vom 5. Oktober 1945, dass „in der Nacht des 9.11.1938 ein Bote der SA zur Wohnung von Senftleben mit Befehlen für die Judenaktion gekommen sei und dass er diesen Befehlen nicht Folge geleistet habe. Sie habe die Angelegenheit dadurch miterlebt, dass sie im gleichen Haus wohnte und durch die nächtliche Benachrichtigung geweckt wurde“. Die Aussage von Frau Klug wird bestätigt von Finanzpräsident Kuntze, damals wohnhaft in der Melchersstraße. Ob Senftleben mit seiner Weigerung – wie er behauptete –„verhindert hat, dass sich weitere SA-Männer an den Ausschreitungen beteiligten und sein Verhalten ihn fast seine Stelle gekostet hätte“, sei dahingestellt. Viertens: Auch habe er sich „gegenüber dem Kanzler als hohem Parteibeamten für Kollegen eingesetzt, die wegen ihrer parteifeindlichen Haltung Schwierigkeiten hatten“ mit der Universitätsverwaltung und mit dem NS-Dozentenbund unter Führung von Professor Hans Dörries. Für diese Aussagen legte Senftleben 41 42

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Entlastungszeugnisse43 von seinen Assistenten Dr. Gladisch und Dr. Pietzner und seinem früheren Breslauer Kollegen Professor Johannes Buder sowie von Rektor Herbert Siegmund vor. Letzterer stellte heraus, dass „Senftleben 1942 als Dekan versucht hat, den Einfluss parteilicher Stellen bei Habilitationen und Berufungen auszuschließen“. Dazu werden in den Schreiben vom 3. und 13. Oktober 1945 eine Reihe von Beispielen44 angeführt : 1. Verhinderung der Habilitation des „Parteiexponenten“ Dr. Kesting, Studienrat in Detmold. 2. Ernennung des dem NS-Regime unbequemen Dr. Bavink zum Honorarprofessor. 3. Mehrfache, energische Vertretung der Belange der Professoren Micheel und Stier, die von dem damaligen Dozentenschaftsführer einer systemkritischen Haltung verdächtigt wurden. 4. Widerstand gegen alle Bestrebungen, dem Exponenten des Reichspropagandaministeriums Dr. Hubert Max, Leiter des Instituts für Zeitungswissenschaften, einen Lehrstuhl zu verschaffen, obwohl von Gauleitung und Kuratorium das Ansinnen an die Fakultät herangetragen wurde. 5. Erfolgreicher Protest gegen die vom Reichsdozentenbund gewünschte Berufung eines wissenschaftlich nicht ausreichend ausgewiesenen Kandidaten bei der Besetzung des Lehrstuhls für Mineralogie 1943. Inwieweit diese Fälle heute noch an Hand von Akten überprüft werden können, muss in der vorliegenden Studie offen gelassen werden. Der zuletzt genannte Fall darf aber als gesichert gelten auf Grund einer schriftlichen Erklärung von Professor Kratzer vom 6. Oktober 1945. Dort heißt es, dass in dem Verfahren, „bei dem vom Ministerium ein bestimmter, parteinaher Anwärter in den Vordergrund geschoben wurde, sich der damalige Dekan Senftleben mit Entschiedenheit dafür eingesetzt hat, dass eine besser geeignete Persönlichkeit auf die Vorschlagsliste gesetzt wurde“. Fünftens: Sieben Studenten der Universität bestätigten ihm, dass er „sich jeder politischen Betätigung im Unterricht und im Institut enthalten habe und sich in Vorlesungen nicht gescheut habe, die Verdienste jüdischer und ausländischer Physiker hervorzuheben und ihre Namen zu nennen“. Dass die sieben Studenten angesichts vieler anderer Vorlesungsteilnehmer und Institutskollegen hier aus Gefälligkeit eine Falschausssage riskiert hätten, erscheint unwahrscheinlich. Sechstens: Schließlich bestätigte ihm Superintendent Dicke in einem Schreiben vom 6. Oktober 1945 ein positives Verhältnis zur Kirche. Er konnte „aus eigener Kenntnis bezeugen, dass Senftleben auch in den Jahren 1933–45 eine durchaus positive Einstellung zur Kirche bewiesen hat. Im Juli 1943 habe er den 2. Sohn getauft. Auch bei dieser Gelegenheit sei die positive Einstellung zur Kirche wie bei anderen Gelegenheiten klar zum Ausdruck gekommen“. Da die Aussage der Taufe objektiv nachprüfbar sein dürfte – es sei denn die Unterlagen seien im Krieg verloren gegangen – kann der obigen Aussage Glauben geschenkt werden, wiewohl sie nur von einer Person getragen wird. In den obigen Erklärungen werden konkrete Fakten, Namen, Ort und Zeit von jeweils mehr als nur einem Zeugen benannt, so dass der generelle Verdacht von 43 44

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reinen Gefälligkeitsgutachten abwegig erscheint. Sie passen zu dem Gutachten des Sichtungsausschusses der Universität vom 5. August 1946,45 der für eine Wiederverwendung von Senftleben plädierte, da „er nach einhelligem Zeugnis der Sachkenner trotz des oftmals entgegengesetzten Eindrucks seines Auftretens in der Öffentlichkeit innerlich kein Anhänger der Nazi-Weltanschauung gewesen ist“. Eine Erklärung für den frappierenden Widerspruch zwischen der in den obigen Aussagen bekundeten inneren Haltung des Menschen Senftleben und seinem penetranten Auftreten als Professor in Nazi-Uniform geben die aufgelisteten Unterlagen nicht. Im Ergebnis wurde Senftleben im Herbst 1947 zunächst in Kategorie IV, ein halbes Jahr später in Kategorie V und damit als „unbelastet“ eingestuft. Dessen ungeachtet erklärte der Verbindungsoffizier der Britischen Militärbehörde Perraudin gegenüber der Fakultät: „Military Government considers Senftleben as unsuitable for appointment to a university“.46 Diese Einschätzung machte sich die Fakultät mehrheitlich zu Eigen. Laut einer Aktennotiz von Dekan Grundmann vom 22. März 1948 votierte die Fakultät gegen eine Wiedereinstellung von Senftleben in Münster: Er sei „in Münster nicht erwünscht, da er sich durch übereifrige Durchführung von Bestimmungen in der NS-Zeit in Gegensatz zu seinen Kollegen gestellt hat“. Um ihn „finanziell abzusichern“, sollte versucht werden, ihm eine angemessene Stelle bei der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig zu verschaffen.47 Die Bundesanstalt bekundete in ihrer Antwort vom 20. September 1948 Interesse an Senftleben, hätte aber „zur Zeit keine angemessene Stelle verfügbar“. Das Ministerium in Düsseldorf entschied schließlich mit Schreiben vom 21. September 1949, Senftleben formal wieder einzustellen und ihn gleichzeitig in den Wartestand zu versetzen, mit Zahlung des Wartegeldes gemäß Beamtengesetz. Zwischenzeitlich hatte Senftleben eine Stelle bei den Chemischen Werken Hüls gefunden, unterstützt durch ein hochkarätiges Gutachten aus Göttingen.48 In ihrem Brief vom 7. April 1948 lobten Richard Becker, Werner Heisenberg, Hans Kopfermann, Robert Wichard Pohl und Max von Laue nicht nur Senftlebens optische Untersuchungen aus seiner frühen Breslauer Zeit. Noch besser wurden seine Arbeiten über den Einfluss von Magnetfeldern auf Transporteigenschaften in paramagnetischen Stoffen beurteilt, die „erst später voll verstanden wurden und dann zu einem Verfahren zur Messung von Sauerstoff in Gasgemischen führten, das zum dauernden Bestand der chemischen Messtechnik gehören wird“. Abschließend heißt es, „es wäre gut um unsere deutschen Universitäten bestellt, wenn jede in ihrer Naturwissenschaftlichen Fakultät einen Physiker in ihren Reihen hätte, dem eine so wichtige Leistung wie Senftleben gelungen ist“. Ähnlich positiv lautet ein wissenschaftliches Gutachten49 von Walther Gerlach, der anderslautende Beurteilungen 45 46 47 48 49

Respondek 1995, S. 240, Fn. 224. UAMs, Bestand 10, Nr. 3817. UAMs, Bestand 92, Nr. 20. Ebd.; Schmitz 2011, S. 84. UAMs, Bestand 92, Nr. 20.

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auf „Nichtsachverständige“ zurückführt. Auch in der Industrie, insbesondere bei den Chemischen Werken Hüls,50 stand Senftleben „in hohem fachlichen Ansehen“, die „Widerstände von einigen Herren in der (Münsteraner) Fakultät gegen ihn wurden dort bedauert“. Selbst wenn man der Fakultät zu Gute hält, dass seine Arbeiten 1935 noch nicht voll verstanden waren, erscheint ihr Urteil über Senftleben in dem Brief an das Ministerium in Berlin sachlich schwer verständlich. In einem zweiten Schritt betrieb Senftleben seine Rehabilitation weiter, indem er vor dem Landesverwaltungsgericht Düsseldorf gegen das Land Nordrhein-Westfalen auf Wiederherstellung seiner alten Rechte in Forschung und Lehre klagte. Er hatte Erfolg: Nach dem Urteil vom 5. Juni 1952 musste das Land ihn als ordentlichen Professor mit vollen Bezügen und Kolleggeld wiedereinstellen, da er im Entnazifizierungsverfahren als unbelastet eingestuft worden war.51 Dass das Vorschlagsrecht der Fakultät im Berufungsverfahren von Berlin ignoriert wurde, wurde vom Gericht nicht als Grund für die Entlassung von Senftleben akzeptiert. Die Vorbehalte in der Fakultät blieben dennoch bei einigen Mitgliedern weiterhin bestehen, da er in der NS-Zeit ein „100%-iger Dekan“ war;52 auch der Vorwurf der „Mittäterschaft an der NS-Schreckensherrschaft“ wurde aufrechterhalten.53 Dem steht folgende Erklärung von Kratzer54 entgegen: „Als Fachvertreter der theoretischen Physik bin ich mit dem Professor der experimentellen Physik Dr. H. Senftleben seit 1935 häufig zusammen gewesen, so dass Herrn Senftleben meine ablehnende Haltung zur NSDAP bekannt war. Mir ist jedoch niemals bekannt geworden, dass er bei anderen Stellen davon Gebrauch gemacht hätte, sodass mir daraus ein Schaden entstanden wäre.“ Diese Aussage wurde von Kratzers jüngster Tochter, Frau Betta Hövelmann, nachdrücklich bestätigt: Man habe in Anwesenheit von Hermann Senftleben sogar „Nazi-Witze“ erzählen können ohne befürchten zu müssen, von ihm denunziert zu werden.55 Nach dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugunsten von Senftleben wurden nun sachbezogene Bedenken gegen die Wiederherstellung seiner alten Rechte in Forschung und Lehre in Münster vorgebracht, da nach der Berufung von Kappler dafür räumlich und apparativ keine Möglichkeiten bestünden. Nach langen Verhandlungen mit Senftleben wurde schließlich im Februar 1954 eine Vereinbarung getroffen. Danach konnte Senftleben Vorlesungen im Umfang von ein bis drei Wochenstunden anbieten, die aber außerhalb des Physikalischen Instituts gehalten wurden. Weiterhin erhielt er das Recht, Doktorarbeiten zu vergeben, wurde damit aber kein Mitglied der engeren Fakultät. Schließlich wurde vereinbart, das er im Vorlesungsverzeichnis als ordentlicher Professor unter den Gastprofessoren 50 51 52 53 54 55

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geführt wurde.56 In dieser Form, die im Mai 1954 die Zustimmung des Ministeriums in Düsseldorf fand, blieb Senftleben der Universität Münster verbunden. Im März 1958 wurde er emeritiert mit „Dank und Anerkennung für seine treuen Dienste“ durch Minister Paul Luchtenberg.57 Senftleben verstarb 1975 in Recklinghausen. Sein Kollege Kratzer hatte keinerlei „Berührungspunkte“ mit der NSDAP und deren Organisationen. Er wurde daher sofort nach Kriegsende als Mitglied des „Informationsausschusses“ der Universität eine wichtige Kontaktperson für Major G. F. Savage, der direkt nach Kriegsende für die Entnazifizierung des Universitätspersonals im Auftrag der Militärregierung tätig war. Darüber hinaus kümmerte Kratzer sich mit großem Einsatz um die Belange der Studenten. So verwundert es nicht, dass seine wissenschaftliche Produktivität nachließ, wenn man noch hinzunimmt, dass fast die gesamte Last der Vorlesungen und Übungen in Theoretischer Physik auf seinen Schultern lag. Adolf Kratzer58 war eine der entscheidenden Persönlichkeiten, die dafür sorgten, dass die Universität in kurzer Zeit wieder funktionsfähig wurde. Bis 1962 arbeitete er mit großem Engagement in der Lehre im neugegründeten Institut für Theoretische Physik und für die Studentenschaft. Bis zur Einführung der Förderung nach dem „Honnefer Modell“ bearbeitete er alle Anträge für Stipendien, Gebührenerlass und Freitische ohne jede Hilfe.59 Bis zu seiner Emeritierung 1962 lag die Entscheidung über Problemfälle bei ihm – und sie war dort „gut aufgehoben“.60 Für Kratzer „musste der Student zwei Voraussetzungen erfüllen, damit er in den Genuss des staatlichen Füllhorns kommt: Er musste Leistungen zeigen, die guter Durchschnitt sind, und er musste bedürftig sein.“ Für die Prüfung, ob diese Kriterien erfüllt waren, nahm er sich viel Zeit für jeden Einzelfall. Bedürftige unterstützte er notfalls auch mit „Naturalien“ wie im Fall der alleinstehenden Studentin Irmgard Führer, der er zu einem warmen Wintermantel aus einer Kleiderspende aus Schweden verhalf. So verwundert es nicht, dass die Studentenschaft „in Anerkennung seiner großen Verdienste um die Belange der Studenten“ für den 23. Mai 1962 einen Fackelzug organisierte. Das Aasee-Haus des Studentenwerks wurde zu seinen Ehren in AdolfKratzer-Haus umbenannt. Für seine großen Verdienste um die Universität wurde er zum Ehrensenator ernannt,61 da er „ als Dekan der Fakultät die Freiheit von Forschung und Lehre in der Zeit schwerster Bedrängnis unerschrocken verteidigte und als Prorektor in den Jahren des Zusammenbruchs sich unermüdlich der Erhaltung und dem Wiederaufbau der Universität Münster widmete“. Fast gleichzeitig erhielt er das Große Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland. Kratzer verstarb – allseits hoch geehrt – 1983 in Münster im Alter von 90 Jahren. 56 57 58 59 60 61

UAMs, Bestand 92, Nr. 20. Ebd. UAMs, Bestand 207, Nr. 261. Nolte 1962. Schmitz 2011, S. 197. UAMs, Bestand 207, Nr. 261.

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Unterstützung im Bereich der Theoretischen Physik erhielt Kratzer durch Walter Franz, der im Herbst 1946 seinen Dienst als Dozent in Münster antrat. Franz62 war wie Kratzer Schüler von Sommerfeld, bei dem er 1933 promovierte. Anschließend arbeitete er bis 1937 als dessen Assistent, mit Unterbrechungen: Um einer Bindung an die NSDAP zu entgehen, meldete er sich zum Wehrdienst. Dieser Entscheidung ging eine Beratung mit Professor Sommerfeld voraus wie ein Brief von Sommerfeld vom 4. Januar 1946 belegt: „Er (Walter Franz) hätte Gelegenheit gehabt in der mit ihm verwandtschaftlich verbundenen altberühmten Optischen Firma Steinheil sich zu betätigen, zog aber die akademische Laufbahn vor. Um diese ohne parteiliche Bindung betreten zu können, meldete er sich schon 1935 zum freiwilligen Militärdienst, wozu ich ihm soweit ich weiß selbst geraten habe. Dass sein Interesse während seiner Münchener Zeit lediglich auf wissenschaftlichem Gebiet lag und dass er sich niemals politisch betätigt hat, kann ich versichern. Über die Umstände, die ihn in Königsberg veranlassten der Partei und SA beizutreten, bin ich nicht unterrichtet.“63 Von 1937 bis 1939 war Walter Franz Assistent am Institut für Theoretische Physik der Universität Königsberg bei Fritz Sauter. In dieser Zeit entschloss er sich, doch in die NDSAP einzutreten, da er weiterhin in der Forschung an einer Universität arbeiten wollte und die Mitgliedschaft in der Partei zu dieser Zeit Voraussetzung war für die Übernahme in eine Dauerstelle als Beamter. So lobte der Leiter der NS-Dozentenschaft Boldt in einem Brief an den Rektor64 zwar die Qualifikation von Dr. Franz, beanstandete aber „seinen Mangel an politischem Einsatz“ und kündigte an, „er werde es sich angelegen sein lassen, Dr. Franz zu einer stärkeren Teilnahme am politischen Leben und einer Bewährung in dieser Hinsicht zu bringen“. Zwei Wochen später meldete Boldt dem Rektor, dass Dr. Franz „sein Versprechen eines stärkeren politischen Einsatzes inzwischen erfüllt hat, insofern er zu Beginn des Jahres 1938 in die SA eingetreten ist“. In Königsberg konnte sich Walter Franz dann 1939 habilitieren mit einer Arbeit „Über den elektrischen Durchschlag in Festkörpern“. Nach einer Reihe von Probevorlesungen an der Universität Münster über die Oberflächenwellen des Wassers wurde ihm eine Diätendozentur angeboten,65 die er wegen Einberufung zum Wehrdienst nicht antreten konnte. Ab Ende 1943 war er bis Kriegsende für Hochfrequenzforschung an der Technischen Universität München vom Wehrdienst freigestellt.66 Im Herbst 1946 konnte Walter Franz die ihm übertragene Diätendozentur in Münster antreten und seine Vorlesungstätigkeit aufnehmen, da er „der Militärre62 63 64 65 66

UAMs, Bestand 8, Nr. 11631, Bd. 1, Bd. 3, Bd. 4. Erklärung Prof. Dr. Arnold Sommerfeld, http://www.lrz.de/~Sommerfeld/gif100/05191_01. gif, Zugriff: 22.5.2012. UAMs, Bestand 8, Nr. 11631, Bd. 3. Ebd. UAMs, Bestand 8, Nr. 11631, Bd. 4.

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gierung genehm war“.67 Im Wintersemester 1947/48 war er mit einer Lehrstuhlvertretung an der Technischen Hochschule Karlsruhe beauftragt. Von Oktober 1948 bis Juli 1949 war er als Fellow des British Council an die Universität Birmingham eingeladen, wo er am Lehrstuhl von Professor Rudolf Peierls arbeitete. Peierls hatte nach 1933 als Jude Deutschland verlassen müssen und eine Stelle an der Universität Birmingham erhalten. Im Krieg war er in Los Alamos am Manhattan Projekt beteiligt, 1946 nach Birmingham zurückgekehrt. Wenn Peierls Walter Franz 1948 als Gast in seinem Institut aufnahm, wird er sich mit Sicherheit über das Verhalten von Franz in der NS-Zeit kundig gemacht haben. Walter Franz erhielt nach seiner Rückkehr nach Münster eine außerplanmäßige Professur. Nach abgelehnten Rufen an die Humboldt-Universität in Berlin und an die Universität Istanbul nahm er einen Ruf auf einen Lehrstuhl für Theoretische Physik nach Hamburg an. 1962 gelang es der Universität Münster, ihn als Nachfolger von Adolf Kratzer auf den Lehrstuhl für Theoretische Physik zurückzugewinnen. Über 90 Originalpublikationen und ein originelles Lehrbuch über Quantentheorie zeigen die enorme Breite seiner wissenschaftlichen Arbeit: von den Grundlagen der Quantentheorie über Kernphysik (Theorie der Multipolstrahlung), Festkörperphysik (Franz-Keldysh-Effekt) und Optik (Theorie der Beugung) bis hin zu technischen Anwendungen (Wasserwellen, Kriechwellen, Hochfrequenzforschung). Seine Publikationsliste gibt keinen Hinweis auf eine konkrete Beteiligung an Projekten der Waffenforschung. Von seinen Schülern erhielt Peter Beckmann einen Ruf an die Universität Mainz, Ludwig Tewordt an die Universität Hamburg, Heinz Deuling wurde von der Technischen Universität Berlin nach Kassel berufen; Josef Kamphusmann habilitierte sich in Münster und blieb im Institut für Theoretische Physik als C3-Professor. Walter Franz wurde im Oktober 1979 in Münster emeritiert, blieb jedoch noch zwei Jahre aktiv im Fachbereich Physik tätig. Während in der Theoretischen Physik durch Kratzer und Franz ein schneller, nahtloser Wiederaufbau in Lehre und Forschung gelang, war die Ausgangslage in der Experimentellen Physik sehr viel schwieriger. Senftleben wurde im Oktober 1945 entlassen und stand für einen Wiederaufbau der Experimentalphysik in Münster nicht zur Verfügung. So lag die volle Last in Verwaltung, Ausbildung und Forschung bei Jan van Calker, der während des Krieges als Assistent und Dozent entscheidend mitgeholfen hatte, den Institutsbetrieb so gut wie möglich aufrecht zu erhalten. Bei den Studierenden der Naturwissenschaften und der Medizin fand sein Einsatz große Anerkennung: In einer umfangreichen Unterschriftenaktion wurde die Universität gebeten, van Calker auf einer gesicherten Stelle in Münster zu halten. Erst Ende 1960 erhielt er eine Stelle als Wissenschaftlicher Rat, nachdem er fünf Jahre vorher zum außerplanmäßigen Professor ernannt worden war. Er verließ Münster 1965 als ordentlicher Professor an der Universität Düsseldorf. 67

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Erst 1949 gelang es, mit Eugen Kappler68 als Institutsdirektor einen Nachfolger für Senftleben zu gewinnen. Eugen Kappler promovierte 1931 bei Gerlach in München und konnte sich dort 1939 mit einer Arbeit über Brown’sche Bewegung habilitieren. Sein Versuch über die molekularkinetische Anregung von Drehschwingungen ist als „Kappler-Versuch“ in die Literatur eingegangen. Trotz seiner Nähe zu Gerlach, der im Dritten Reich „Bevollmächtigter für Kernforschung“69 war, war Kappler nie an kernphysikalischen Projekten zur Energiegewinnung oder Herstellung atomarer Waffen beteiligt. Er widmete sich im Krieg den mechanischen und magnetischen Eigenschaften von Festkörpern und brachte dieses Arbeitsgebiet, das damals noch in den Anfängen lag, mit nach Münster, nachdem er den Ruf auf den Lehrstuhl für Experimentalphysik zum 1. April 1949 angenommen hatte. Die Anstellung an der Universität Münster verlief im Hinblick auf seine politische Haltung und Betätigung im „Dritten Reich“ problemlos. In einem Gutachten hatte Sommerfeld ihn empfohlen als einen Kollegen, der „nicht nur wegen seiner wissenschaftlichen Leistungen, sondern auch wegen seiner menschlichen Zuverlässigkeit und aufrechten Persönlichkeit die größte Achtung bei all seinen Kollegen genießt“. Sommerfeld bestätigte ihm auch, dass „er nie in einer Naziorganisation gewesen ist und nie aus seiner nazifeindlichen Gesinnung einen Hehl gemacht hat“.70 Unter Kappler begannen Neuaufbau und Erweiterung der Experimentellen Physik in Münster. Von seinen Schülern haben sich Wolfgang Hellenthal, Ludwig Reimer, Willy Hartnagel, Ulrich Bonse und Otmar Kanert habilitiert. Bonse und Kanert nahmen 1970 beziehungsweise 1971 einen Ruf auf eine C4-Professur an die neugegründete Universität Dortmund an. Hellenthal und Reimer blieben als C3Professoren in Münster am Physikalischen Institut. Im Hinblick auf praktische Anwendungen der Physik wurde 1951 das Institut für Angewandte Physik gegründet, dessen erster Direktor Heinz Bittel71 wurde. Er war wie Kappler Schüler von Gerlach, bei dem er nach dem Studium von Physik, Chemie und Mathematik 1935 mit einer Arbeit auf dem Gebiet der Optik promovierte. Nach der Habilitation 1938 mit einer Schrift über „Magnetismus und elektrische Leitfähigkeit in Metallen“ wurde Heinz Bittel 1939 in München zum Dozenten ernannt. Als passionierter Reiter trat er im November 1933 einem Reitersturm der SS bei.72. 1937 wurde er Mitglied der NSDAP, um die Möglichkeit einer akademischen Laufbahn und die Einstellung als Beamter zu wahren. Dass daraus kein persönliches Bekenntnis zum Nationalsozialismus zu folgern ist, zeigte sein engagierter 68 69 70 71 72

UAMs, Bestand 207, Nr. 493, UAMs, Bestand 8, Nr. 6856. Cassidy 1995. Eidesstattliche Erklärung von Prof. Arnold Sommerfeld, http://www.lrz.de/~Sommerfeld/ gif100/05146_01.gif, Zugriff: 22.5.2012. UAMs, Bestand 92, Nr. 175, UAMs, Bestand 207, Nr. 273, UAMs, Bestand 8, Nr. 6835. Nachlass Heinz Bittel, jetzt: UAMs, Bestand 314. Eidesstattliche Erklärungen von Prof. W. Gerlach, Universität München, und von Prof. E. Kappler, Universität Münster, UAMs, Bestand 314.

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Einsatz für die Weiterführung der Physikausbildung von männlichen und weiblichen Angehörigen katholischer Orden, die die parteipolitisch ausgerichtete Administration zu unterbinden versuchte. Dabei „hat er offizielle Anweisungen und Hetzerei unbekümmert ignoriert, insbesondere auch die Order gegen das Lehren der Relativitätstheorie“.73. In einer eidesstattlichen Erklärung vom 2. August 1949 von Eugen Kappler im Entnazifizierungsverfahren von Bittel74 heißt es, dass es „Bittel mitzuverdanken sei, dass die volljüdische Studentin Frl. Scharff (später Frau Gertrud Scharff-Goldhaber, Ehefrau des Physikers Maurice Goldhaber) sich bis zum Abschluß ihres Studiums im Jahre 1935 (Dissertation vom 19. Juni 1935) an der Universität hat halten können.“ Bittels positive Besprechung ihrer Arbeit erschien 1935 in den Physikalischen Berichten,75 was ihm Ärger hätte einbringen können mit NS-Organisationen wie der NS-Dozentenschaft. Als Bittel zum Beginn des Polenfeldzuges zur Wehrmacht eingezogen wurde, endete seine Mitgliedschaft in der „Reiter-SS“. Nach einem halben Jahr Militärdienst als Wachtmeister bei der berittenen Artillerie wurde er als Physiker von der Marine zu Entwicklungsarbeiten angefordert und arbeitete bis Ende des Krieges bei den Berliner Askania-Werken als Abteilungsleiter. Seine Arbeiten betrafen die magnetische Lenkung und Zündung von Torpedos, besonders mit Blick auf den Einfluss von Schiffen auf das Erd-Magnetfeld. Bevor Bittel nach Kriegsende sein Gesuch zur Einleitung des Entnazifizierungsverfahrens bei der Universität München eingereicht hatte, arbeitete er schon (ab Januar 1946) für die französische Marine und wurde im Juni 1946 als „Spezialist“ zu Untersuchungen über Schallausbreitung in Salzwasser an das Forschungsinstitut der Marine in Saint Raphael verpflichtet. Dort arbeitete er bis zu seiner Berufung nach Münster 1951. In Münster begründete er die Arbeitsgebiete Ferro- und Ferrimagnetismus, Ferroelektrika, Supraleitung und Schwankungserscheinungen. Im Kontext mit dem zuletzt genannten Gebiet verdient das Buch über „Rauschen“ Erwähnung, das Bittel zusammen mit Leo Storm verfasste. Die Arbeiten des Instituts für Angewandte Physik fanden Anerkennung weit über Münster hinaus. Bittel erhielt Angebote auf Führungspositionen in der Industrie (Philips 1954, Siemens und Halske 1958), 1961 als Präsident der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt und 1964 als Wissenschaftlicher Direktor der Europäischen Weltraumforschungs-Organisation. Im Interesse des noch jungen Instituts für Angewandte Physik und insbesondere seiner jüngeren Mitarbeiter lehnte er alle diese Angebote ab. 1972 wurde er in den französischen Orden „Palmes Académiques“ als „Officier“ aufgenommen, 1973 wurde er Ordentliches Mitglied der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften. 1963/64 war er Rektor der Universität Münster. 73 74 75

Ebd. Ebd. Bittel 1935.

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Nach einer schweren Erkrankung im Gefolge einer Operation wurde er vorzeitig vom Dienst freigestellt bis zu seiner Emeritierung 1976. Aus dem von Heinz Bittel stark geprägten Institut für Angewandte Physik sind eine ganze Reihe von Hochschullehrern hervorgegangen: Horst Müser und HansGünter Unruh wurden als Professoren an die Universität des Saarlandes berufen, Karl-August Hempel an die Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen, Christoph Heiden nach Giessen, Rainer Kassing nach Kassel. Leo Storm und Hans-Horst Mende blieben als C3-Professoren am Institut für Angewandte Physik in Münster.

Astronomie in Münster Astronomie war in der NS-Zeit und besonders während des Zweiten Weltkrieges insofern wichtig, als Erkenntnisse über die Sonne und ihren Einfluss auf die Erde Konsequenzen haben für Wettervorhersagen und Funkverbindungen. So verwundert es nicht, dass die Sternwarte 1937 zum Astronomischen Institut aufgewertet wurde. Der erste Leiter der Sternwarte war Joseph Plassmann.76 Er war zunächst von 1898 bis 1924 Lehrer am Gymnasium Paulinum und Lektor für Astronomie. 1913 wurde er zum ordentlichen Honorarprofessor für Astronomie an der Universität Münster ernannt, von 1921 bis 1930 war er Vorsteher der Universitätssternwarte. Außer vielen Publikationen über „Veränderliche Sterne“ schrieb er populäre Bücher wie die „Himmelskunde“ und war Herausgeber diverser astronomischer Periodika. Angesichts seines Alters (geboren 1859, gestorben 1940) kann er unter dem Nationalsozialismus in der Physik der Universität Münster keine bedeutende Rolle gespielt haben, – er war schon 1930 aus dem Universitätsdienst ausgeschieden. Wenn einer seiner Söhne, der Germanist Josef Otto Plassmann, sich aktiv als NS-Propagandist betätigte und als SS-Hauptsturmführer im akademischen Bereich reüssierte (Professur für „Germanische Volkskunde“ in Bonn), sollte man allein daraus keine Rückschlüsse auf die politische Einstellung des Vaters ziehen. Als Nachfolger von Josef Plassmann wurde 1930 Martin Lindow77 ernannt. Lindow erfreute sich eines guten Rufes als theoretischer Astronom von internationaler Bedeutung wie ihm der Leiter des Observatoriums Kopenhagen, E. Strömgren, bestätigt.78 Obwohl er stark mathematisch ausgerichtet war (Arbeiten zum (N+1)Körperproblem der Astronomie zur Berechnung von Bahn-Korrekturen), sorgte er mit viel Verhandlungsgeschick für eine gute apparative Ausstattung. Diese kam leider nicht in vollem Umfang zum Zuge: Mit Kriegsbeginn kam der für die Bedie76 77 78

UAMs, Bestand 10, Nr. 333, UAMs, Bestand 5, Nr. 290. Duerbeck 2006, Günther 1967, Bauer 2008. UAMs, Bestand 5, Nr. 746, UAMs, Bestand 10, Nr. 269, UAMs, Bestand 92, Nr. 2. UAMs, Bestand 5, Nr. 746, UAMs, Bestand 10, Nr. 269, UAMs, Bestand 92, Nr. 2.

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nung und Pflege der Beobachtungsgeräte ausgebildete Assistent Erich Hüttenhain79 zur Wehrmacht. Dort entwickelte er sich zu einem der bedeutendsten deutschen Kryptologen seiner Zeit. Nachdem das Institut durch Bombenangriffe zerstört und die Familie Lindow zwei Mal ausgebombt worden war, entschied sich Lindow 1944 nach Göttingen überzusiedeln. Nachdem er 1945 im Alter von 65 Jahren regulär pensioniert worden war, hat er von 1947 bis 1956 in Münster weiterhin Vorlesungen gehalten. Lindow war kein Mitglied der NSDAP,80 wie in einem Schreiben der NSDAP, Sektion Westfalen Nord, vom 30. Juli 1940 festgehalten ist. Er verstarb nach kurzer Krankheit 1967 in Göttingen. Zum Nachfolger von Lindow wurde 1947 Johannes Hellerich81 als Leiter des Astronomischen Instituts bestellt; er blieb in dieser Stellung bis zu seiner Emeritierung 1954. Hellerich war kurz nach seiner Promotion 1913 im ersten Weltkrieg zur Marine eingezogen worden. Nach Kriegsende konnte er sich 1924 in Kiel habilitieren und wurde 1929 nach Hamburg berufen. Nachdem er ab 1941 die Sternwarte in Straßburg geleitet hatte, wurde er nach Kriegsende wegen seiner NS-Vergangenheit (Parteimitglied seit 1937) in Frankreich interniert und 1946 nach Hamburg entlassen. Er gilt nicht als überzeugter Nationalsozialist, seine Parteizugehörigkeit diente eher dazu, ihm eine Tätigkeit an einer universitären Einrichtung zu ermöglichen.82 Hellerichs Hauptarbeitsgebiet war „Veränderliche Sterne“, deren typische zeitliche Periode es erlaubt, Entfernungen von sehr weit entfernten Sternen zu vermessen. Außerdem war er ein Experte für die Zeitrechnung der Maya. Seine Arbeiten im Krieg galten der Aufzeichnung der Sonnenstrahlung und der Absorption in der Atmosphäre.

Wertung An Hand der in der Zeit des Nationalsozialismus in Münster in der Physik und in der Astronomie vertretenen Arbeitsgebiete lässt sich ablesen, dass hier Waffenforschung im großen Stil nicht betrieben worden ist. Dazu fehlte die notwendige Ausstattung an Gerät und Personal. Hinzu kam die Zerstörung von Gebäuden und Inventar durch die Bombenangriffe 1941 und 1943, die die fast vollständige Auslagerung der Physik nach Buldern und Holzminden in notdürftig hergerichtete Gebäude zur Folge hatten. Die in dem betrachteten Zeitraum in Münster tätigen Professoren und Dozenten sind durch wissenschaftliche Arbeiten ausgewiesen. Sie sind nicht durch ihre positive Einstellung zum Nationalsozialismus und/oder ihr Engagement in NS-Orga79 80 81 82

Duerbeck 2006, Günther 1967, Bauer 2008. UAMs, Bestand 5, Nr. 746, UAMs, Bestand 10, Nr. 269, UAMs, Bestand 92, Nr. 2. Duerbeck 2006, Heck 2005. UAMs, Bestand 92, Nr. 30, UAMs, Bestand 5, Nr. 305, UAMs, Bestand 10, Nr. 2653. Duerbeck 2006, Heck 2005.

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nisationen in ihre Positionen gelangt. Letzteres ergibt sich schon daraus, dass ihre Ernennungen zu Professoren deutlich außerhalb der Jahre 1933 bis 1945 liegen83 – mit Ausnahme von Senftleben, der 1935 ernannt wurde. Dennoch gelten obige Aussagen – entgegen allem Anschein wegen der Art seiner Berufung nach Münster und wegen seines exzessiven Tragens der SA-Uniform – auch für Senftleben. Das bestätigt ihm außer den oben erwähnten Göttinger Physikern und Walther Gerlach auch Clemens Schaefer84 in einer Erklärung vom 12. Juni 1946, wo es heißt: „Senftleben hat seine Berufung als exzellenter Physiker nicht der Parteizugehörigkeit zu verdanken, seine Arbeiten werden im Ausland als Senftleben-Effekt zitiert.“ In seiner Erklärung betont Schaefer auch, dass er „zusammen mit M. Wien und K. W. Meissner die Berufung von Senftleben nach Münster unterstützt hat“. Ob auch Johannes Stark bei der Berufung von Senftleben „mitgewirkt“ hat, wie Durau85 unterstellte, kann – wenn überhaupt – nur an Hand der Akten des Berliner Ministeriums überprüft werden. Das Gewicht der Aussage von Clemens Schaefer über Senftleben mag man daran bemessen, dass er (Schaefer) nach dem Krieg auf einer Vorstandssitzung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft einen Kollegen benannte, der ihn 1939 beim Ministerium denunziert hatte, und dass er sich gegen die Wiedereinsetzung von drei belasteten Kollegen (unter anderem Pascual Jordan) als Professoren aussprach.86 Von den oben besprochenen Professoren waren Schmidt, Kratzer, Kappler und Lindow nachweislich nicht in der NSDAP. Die Mitgliedschaft der Professoren Bittel, Franz und Hellerich und des Dozenten van Calker in der NSDAP ist zu sehen als ein Schritt der damals notwendigen Anpassung, um überhaupt im universitären Bereich forschen und lehren zu können. Bei dem Dozenten Durau kann man angesichts des frühen Beitritts in die Partei argwöhnen, dass er dies tat, um fünf Jahre nach seiner Habilitation seine stagnierende Karriere zu befördern. Die Professoren Szivessy und Siemens waren der Universität Münster nur durch Lehraufträge verbunden. Szivessy war schon 1929 nach Bonn gewechselt, Siemens arbeitete schon seit 1928 für die Firma Siemens und Halske in Essen, später in Berlin. Über ihre Nähe zum NS-Regime geben die Unterlagen aus Münster und Bonn keine Auskunft. An Hermann Senftleben bleibt der „Professor in Uniform“ hängen, der damit besonders für Studenten ein schlechtes Beispiel lieferte. Eine Begründung dafür, dass Senftleben regelmäßig in Uniform aufgetreten war, versuchte der britische Verbindungsoffizier Perraudin in seinem Brief87 an die Fakultät: „Senftleben wore uniform even in 1945 – either as a matter of personal vanity or of envy vis-a-vis others who wear army uniform.“ Mit seinem zweiten Argument kann Perraudin 83 84 85 86 87

Vgl. hierzu die in den vorangegangenen Abschnitten angegebenen Daten. UAMs, Bestand 10, Nr. 3817. UAMs, Bestand 92, Nr. 64, Bd. 1. Rammer 2007. UAMs, Bestand 10, Nr. 3817.

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durchaus den Kern der Sache getroffen haben. Auf Grund einer körperlichen Behinderung konnte Senftleben im Ersten Weltkrieg „dem Vaterland nicht dienen“. Dass er dies als Makel empfunden hat, den er später durch Tragen der SA-Uniform kompensieren wollte, wäre für die Menschen seiner Zeit vor 100 Jahren durchaus nachvollziehbar gewesen, auch wenn es nach heutigen Wert-Maßstäben eher ein verständnisloses Kopfschütteln hervorrufen mag. Ob diese Erklärung zutrifft und ausreicht, sei dahingestellt. Es gibt keinerlei Beweise, dass er Kollegen der Fakultät, die Distanz zum Nationalsozialismus und seinen Organisationen hielten, in ihrer Arbeit behindert oder gar bei der NS-Bürokratie „angeschwärzt“ hätte. Dennoch führte seine wie auch immer geartete Nähe zum Nationalsozialismus dazu, dass er de facto nach dem Krieg nicht in sein Amt zurückkehren konnte, obwohl er de iure nach dem Urteil des Verwaltungsgerichts dazu berechtigt war. Er bleibt eine schillernde Figur in der Geschichte der Physik an der Universität Münster.

Literatur Bauer, Friedrich L., Erich Hüttenhain: Entzifferung 1939–1945, in: InformatikSpektrum 31 (2008), S. 249–261. Bergmann-Schaefer, Lehrbuch der Experimentalphysik, Bd. 5, 2. Auflage, Berlin 2006. Bittel, Heinz, [Rezension zu:] Gertrud Scharff, Über die Gültigkeit der Becker’schen Beziehung für die Anfangspermeabilität von stark gezogenem Nickeldraht, in: Physikalische Berichte 16 (1935), S. 2382–2383. Cassidy, David C., Werner Heisenberg. Leben und Werk, Heidelberg 1995. Duerbeck, Hilmar G., German Astronomy in the Third Reich, in: Heck, André, Organizations and Strategies in Astronomy, Volume 7 (Astrophysics and Space Science Library 343), Dordrecht 2006, S. 383–414. Günther, O., Martin Lindow, in: Astronomische Nachrichten 290 (1967), S. 191. Heck, André, Strasbourg Astronomical Observatory and its Multinational History, in: Ders. (Hg.), The Multinational History of Strasbourg Astronomical Observatory, Heidelberg 2005, S. 1–61. Heiber, Helmut, Universitäten unterm Hakenkreuz, Teil I: Die Kapitulation der Hohen Schulen, Teil 1, München 1992. Hoyer, Ulrich, Johann Wilhelm Hittorf, in: Dollinger, Heinz (Hg.), Die Universität Münster 1780–1980, Münster 1980, S. 437–445. Nolte, Jürgen, 30 Jahre für Studenten, in: Semesterspiegel. Studentenzeitschrift an der Universität Münster, 9. Jahrgang, Heft 59, Juni 1962, S. 24. Rammer, Gerhard, „Sauberkeit im Kreise der Kollegen“. Die Vergangenheitspolitik der Deutschen Physikalischen Gesellschaft, in: Hoffmann, Dieter/Walker,

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Mark (Hg.), Physiker zwischen Autonomie und Anpassung. Die Deutsche Physikalische Gesellschaft im Dritten Reich, Weinheim 2007, S. 359–420. Respondek, Peter, Besatzung – Entnazifizierung – Wiederaufbau. Die Universität Münster 1945–1952. Ein Beitrag zur Geschichte der deutsch-britischen Beziehungen nach dem Zweiten Weltkrieg auf dem Bildungssektor (Agenda Geschichte 6), Münster 1995. Schmitz, Norbert, Adolf Kratzer 1893–1983 (Wissenschaftliche Schriften der WWU Münster. Reihe XIV, 1), Münster 2011. Szivessy, Guido, in: Catalogus Professorum Rostochiensium, http://cpr.uni-rostock. de/nav?id=cpr_person_00002327&offset=0&path=left.search.simple.searchresult-simple.docdetail&resultid=187rr7jw59bpvh2iu7xa2, Zugriff: 22.5.2012. Vorlesungsverzeichnisse der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster 1925– 1955. Winnewisser, Brenda P., Hedwig Kohn – eine Physikerin des zwanzigsten Jahrhunderts. Von den Nazis vertrieben, emigrierte die dritte habilitierte Physikerin Deutschlands von Breslau in die USA, in: Physik Journal 2 (2003), Nr. 11, S. 51–59. Wolff, Stefan L., Die Familie Hertz – eine nichtjüdische Wissenschaftlerfamiliie mit jüdischem Namen, in: Wolfschmidt, Gudrun (Hg.), Heinrich Hertz and the Development of Communication (Nuncius Hamburgensis. Beiträge zur Geschichte der Naturwissenschaften 10); Norderstedt 2008, S. 253–274.

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Geographie an der Universität Münster 1918 bis 1950 Akademische Karrieren zwischen Wissenschaft, Politik und Verwaltung

„Die nationalsozialistische Revolution, die alle Seiten des Lebens neu überprüft, um die besten Keime eines kraftvollen und geschlossenen Volkstums zur Entfaltung zu bringen, zwingt vor allem auch die Vertreter deutscher Wissenschaft, Bildung und Erziehung, wenigstens in einer Reihe von Fachgebieten, die Grundlagen, Wege und Ziele ihrer Arbeit zu mustern und im Lichte der neuen Zeit zum Teil neuartig zu sehen. […] Münster i.W., Dezember 1933 […]“1

Auf diese Weise sprach sich Ludwig Mecking, Ordinarius für Geographie in Münster von 1920 bis 1935, öffentlich für eine Anpassung seiner Wissenschaft an die Ideologie des Nationalsozialismus aus. Die Machtübernahme der Nationalsozialisten betrachtete er als Chance für die gesellschaftliche Aufwertung der Geographie innerhalb und außerhalb der Universität.2 Die Auswirkungen dieses Wechselverhältnisses zwischen Wissenschaft und Politik auf die Karrieren einzelner Geographen an der Universität Münster und auf die Inhalte von Forschung und Lehre in Republik und Diktatur sollen im folgenden Beitrag thematisiert werden.

Die Geographie in Münster nach dem Ersten Weltkrieg „Es ist einfach ein zwingendes Gebot der Sicherung unseres materiellen Daseins wie unserer Stellung in der Welt und unserer Zukunft, daß das erdkundliche Wissen und Verständnis, nicht bloß in engeren Kreisen, sondern in der Gesamtheit der Gebildeten unseres Volkes auf einen wesentlich höheren Stand gehoben wird.“3

Dies forderte der erste Ordinarius für Geographie an der Universität Münster, Richard Lehmann, bereits im Jahre 1917 und spielte damit auf die politische Bedeutung der Geographie und ihre noch untergeordnete Stellung an den Schulen und Universitäten an.4 Seine Forderungen standen mit einem allgemeinen Politisie1 2 3 4

Mecking, Blut und Boden, 1934, S. 1. Mecking, Erdkunde, 1934, S. 1–6. Lehmann 1917. Siehe auch UAMs, Bestand 62, B II 8. Lehmann war nicht ohne Einfluß in der Münsterschen Hochschullandschaft, da er 1900/01 Rektor war, den bedeutungsvollen Aufbau der Staats- und Rechtswissenschaftli-

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rungsprozess der deutschen Geographie in Zusammenhang, der nach dem Ersten Weltkrieg einsetzte. Lehmann beurteilte die wirtschaftliche Situation des Deutschen Reiches als kritisch und forderte als Ausweg aus dieser Krise die Stärkung der Bildung, insbesondere die Aufwertung des Faches Geographie.5 Neben der Förderung des Erdkundeunterrichts an den Schulen sprach sich Lehmann für eine Vergrößerung der Geographie an den Universitäten durch die Schaffung eines zweiten Lehrstuhls aus, was die Erweiterung des Dozentenkreises mit sich bringen müsste.6 Forschung und Lehre sollten zugunsten jener geographischen Disziplinen umstrukturiert werden, die sich mit den kulturellen Bedingungen des Verhältnisses von Natur, Raum und Mensch beschäftigten. Dementsprechend machte er sich auf dem zweiten Geographentag in Halle öffentlich für die systematische Förderung der so genannten Landeskunde stark, welche in den folgenden Jahrzehnten eine erhebliche Aufwertung erfahren und im Mittelpunkt universitärer Forschung und Lehre stehen sollte. Das Geographische Seminar der Universität Münster war seit seiner Gründung 19137 personell äußerst spärlich besetzt. Die Geschäfte wurden im Jahre 1920 von einem einzigen Ordinarius geführt, dem zunächst ein Hilfsassistent zur Seite gestellt wurde. Der Geograph Wilhelm Meinardus,8 der das Ordinariat von 1909 bis 1920 innehatte, bat den Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung im Juni 1919 um die Genehmigung einer Assistentenstelle. Neben der gestiegenen Zahl der Geographiestudenten, die im Sommersemester 1919 bei rund 200 lag, begründete er den Antrag mit der Zunahme der gesellschaftlichen Bedeutung des Geographieunterrichts, welcher durch die Beschäftigung mit der Auslandskunde und der Wirtschafts-, Handels- und Verkehrsgeographie eine Komplexität erfahren habe, welcher die Hochschulgeographie gerecht werden müsse.9 Im Sommersemester 1920 stellte Meinardus schließlich einen Antrag auf Schaffung einer planmäßigen Assistentenstelle. Erneut betonte er den hohen gesellschaftspolitischen Anspruch des Erdkundeunterrichts, indem er erstmalig auch auf die neue Disziplin der politischen Geographie verwies. Auf diese Weise wurde deutlich, dass geographische Forschung nicht nur innerhalb der Hochschule gestärkt werden, sondern eben

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chen Fakultät initiierte und den Ausbau der Akademie förderte. Zur weiteren Kontextualisierung dieser These siehe auch Böhm 2008. Ebd., S. 2, S. 5. Der Lehrbetrieb begann 1885 unter der Leitung von Richard Lehmann und wurde als „geographischer Lehrapparat“ bezeichnet. 1913 erhielt er offiziell die Bezeichnung „Geographisches Seminar“. Siehe UAMs, Bestand 63, D 12, Bd. 1. Meinardus wurde am 14.7.1867 in Oldenburg geboren. Er wurde am 4.3.1894 in Berlin promoviert und habilitierte sich dort am 29.3.1899. Am 6.9.1906 wurde er apl. Prof. und am 3.12.1909 Ordinarius für Geographie der Universität Münster. Siehe UAMs, Bestand 5, Nr. 143, Bestand 63, D 12, Bd. 1. UAMs, Bestand 9, Nr. 396, Schreiben von Wilhelm Meinardus an den Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung vom 14.6.1919.

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auch Eingang in den außeruniversitären Bereich finden und nicht minder zur gesellschaftlichen Bildung der Staatsbürger beitragen sollte.10

„Erdkundliche Bildung im neuen Staat!“:11 Das Ordinariat Ludwig Mecking (1920 bis 1936) Meinardus folgte im Oktober 1920 einem Ruf an die Universität Göttingen, sein Nachfolger wurde der Kieler Geograph Ludwig Mecking.12 Bis zu seinem Antritt als ordentlicher Professor an der Universität Münster zum Wintersemester 1920/2113 war er in zahlreiche wissenschaftliche und staatliche Organisationen eingebunden gewesen und hatte in Form von fachgeographischer Arbeit bei ihren Vorhaben mitgewirkt. In einem Schreiben an den Kurator der Universität Kiel gab er an, vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges Vorlesungen an der Marineakademie gehalten und bei der Internationalen Meereskommission gearbeitet zu haben.14 Sein ehemaliger Assistent Albrecht Burchard berichtete in einer Würdigung Meckings zu seinem 60. Geburtstag weiterhin, dass dieser während des Ersten Weltkriegs „der Marine gelegentlich wissenschaftliche Dienste […]“15 leistete. Außerdem „entfaltete er eine reiche Vortragstätigkeit, in deren Mittelpunkt […] Darstellungen über die Kriegsschauplätze im Westen und Osten standen.“16 In Meckings Personalakten ist dazu zu finden, dass er 1913/14 Dozent an der Marineakademie und von 1914 bis 1920 Mitglied der Preußischen und Internationalen Kommission für Meeresforschung war.17 Als Ordinarius nahm Mecking am 18. Januar 1925 auf der Reichsgründungsfeier der Universität Münster eine repräsentative Rolle ein, als er die Rede zu diesem bedeutenden Festakt hielt.18 Der Vortrag ließ den Einfluss der völkischnationalistischen Geographie auf den national-konservativen Wissenschaftler Me10

11 12

13 14 15 16 17 18

Ebd., Schreiben von Meinardus an den Kurator vom 9.5.1920. Hier konstatiert Meinardus: „Die Anforderungen an den erdkundlichen Unterricht sind mit der als notwendig anerkannten Betonung des Auslandsstudiums, der Wirtschafts- und Verkehrsgeographie sowie der politischen Geographie erheblich gewachsen.“ Mecking, Blut und Boden, 1934, S. 1. Mecking wurde am 3.5.1879 in Frankfurt a. M. geboren und im Juni 1905 in Berlin promoviert. Er habilitierte sich im Mai 1909 in Göttingen und wurde daraufhin zum ordentlichen Professor an der Universität Kiel ernannt. 1913/14 war er Dozent an der Marineakademie und von 1914 bis 1920 Mitglied der Preußischen und der Internationalen Kommission für Meeresforschung. Siehe UAMs, Bestand 5, Nr. 143. Ebd. StHH, Bestand Hochschulwesen, Dozenten- und Personalakten, Nr. 289, Bd. 2, Schreiben von Mecking an den Kurator der Universität Kiel vom 8.7.1919. Burchard 1939, S. 203. Ebd. UAMs, Bestand 5, Nr. 143, Personalakte Ludwig Mecking. Siehe Mecking 1925. Siehe zu den Feiern an der Universität Münster Greive 2006.

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cking erkennen.19 Seine zentrale These lautete, dass die Kolonisation der Polarwelt ein Glanzstück der politischen Geschichte darstellen würde, da sie trotz immens schwieriger geographischer Bedingungen gelungen sei. Durch die Eroberung von Ländern wie etwa Grönland würden sich die dortigen Lebensbedingungen sowohl für die Einwanderer als auch für die Eingeborenen verbessern. Schließlich sei es zu einer Vermischung beider „Rassen“ gekommen, was zur Ausbildung einer „polaren Rasse“20 geführt habe. So seien aus Eskimos schließlich „Grönländer“ geworden – die Europäisierung durch „Europäerblut“21 habe ihren Lauf genommen und die „Kulturmenschheit“22 in der Kolonie sei entstanden. Zur Erhärtung seiner Thesen nannte Mecking das Negativbeispiel der Antarktis: Da hier schlechte geographische Bedingungen vorherrschten, sei keine Kolonisation möglich gewesen. Daher sei die Antarktis „isoliert“23 und würde „des höheren Lebens“24 entbehren. Auf diese populärwissenschaftliche Weise plädierte Mecking öffentlich für das Erstarken des deutschen Volkes im „Kampf um den Raum“.25 Es solle sich ein Beispiel an der Eroberung der Polarwelt nehmen, bei welcher der Mensch durch „Geist und Wille […] die Riesen des Eises“26 bezwungen habe. Die Rede passte in den Kontext der Geisteshaltung der deutschen Geographie nach dem Ersten Weltkrieg, aber auch in die Gefühlswelt der nationalkonservativen Eliten des Landes. In diesen Hintergrund fügte Mecking seine kulturgeographischen Thesen ein und schloss mit den Worten ab: „Stolz gedenken wir heute der Großen, der Gründer des Reiches. Ihre leuchtendsten Sterne mögen unsern trüben Tag erhellen in dieser Zeit der Schmach! Sie, die Deutschland einten und stärkten, sollten uns Vorbilder bleiben, Führer hinauf zur Ehre und Freiheit!“27

Zum Ende der 1920er-Jahre und in den ersten Jahren der NS-Herrschaft wurden Mecking vielfältige Ämter in der geographischen Fachgemeinschaft übertragen. Bis zum Kriegsbeginn 1939 war er weiterhin in die internationale wissenschaftliche Gemeinschaft eingebunden, was seine Stellung als Vizepräsident der Internationalen Geographischen Union in den Jahren 1934 bis 1939 zeigte.28 Seine Position als Führer der deutschen Delegation auf dem Internationalen Geographenkongress in Warschau vom 23. bis 31. August 193429 stand im Zeichen der NS-Machtübernah19 20 21 22 23 24 25 26 27 28

29

Zur Genese der völkischen Geographie siehe Schultz 1980, S. 202–215. Mecking 1925, S. 16. Ebd., S. 5. Ebd., S. 19. Ebd., S. 16. Ebd., S. 17. Ebd., S. 1. Ebd., S. 19. Ebd. StHH, Bestand Hochschulwesen, Dozenten-und Personalakten, Nr. 289, Bd. 4, Ausschnitt aus dem Hamburger Abendblatt vom 4.5.1949, ebd., Bd. 3, Liste zum Erlass vom 19.3.1937 vom 22.4.1937. Ebd., Anlage zu der Nachweisung zum Erlass vom 19. März 1937.

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me und der damit einhergehenden Gleichschaltung der deutschen Geographie. Im Geographischen Anzeiger30 erläuterte Mecking in der oben schon erwähnten Ausgabe von 1934, welche Bedeutung die Aufwertung der Geographie an Schulen und Universitäten für die Formierung der Bildung innerhalb des nationalsozialistischen Systems zukommen würde. Demnach stelle die Vermittlung erdkundlichen Wissens in der Schule eine grundlegende Disziplin mit politischer Bedeutung dar. So sah Mecking den Zweck und die Aufgabe der Geographie darin, dass die Schüler die „natürliche Verbundenheit des jungen Menschen mit Blut und Boden“31 erkennen sollten. Der Erdkundeunterricht sollte nach der nationalsozialistischen Ideologie ausgerichtet werden. Auf diese Weise würden Geographen zu einem „organischen Bildungsaufbau […] [der] Volksgemeinschaft“32 beitragen. Weiterhin führte er aus, dass die Geographie unter den Wissenschaften diejenige sei, welche dem Nationalsozialismus besonders früh effektiv zuarbeiten könne, da sich die geographische Forschung schon seit geraumer Zeit mit den Kategorien wie „Blut“ und „Boden“ befassen würde. Daher stelle der Übergang ins NS-Herrschaftssystem, so Mecking, eine der Geographie willkommene Veränderung dar.33 Deutsche Geographen sahen sich zu Beginn der 1930er-Jahre – und dazu zählte ohne Zweifel auch Mecking – verankert in der Tradition nationalkonservativen Denkens. Die nationalsozialistische Ideologie gab dieser Gruppe von Geographen noch ein weiteres Element hinzu: die Idee der Volksgemeinschaft.34 Daher bot der NS-Staat die Möglichkeit, die akademische Geographie zu fördern.35 Das Verhältnis von Mensch, Raum und Natur, welches ein grundlegendes Modell geographischen Denkens darstellte, wurde im Zuge der Etablierung der NS-Herrschaft mit den ideologischen Kategorien von Blut und Boden nahezu gleichgesetzt.36 Ein Blick auf die Lehrveranstaltungen des Geographischen Instituts zeigt, dass man sich nicht erst ab 1933 mit Themen aus dem Feld der politischen Geographie, sondern schon in den frühen 1920er-Jahren beschäftigte. So gab Mecking neben den üblichen Vorlesungen zur Physischen Geographie bereits 1920/21 auch Ver30 31 32 33

34 35 36

Siehe zur Analyse des Geographischen Anzeigers Brogiato 1998. Mecking, Blut und Boden, 1934, S. 1. Ebd. Mecking, Erdkunde, 1934, S. 1. Dort betont Mecking folgendes: „Es mag nicht viele Wissenschaften geben, bei deren Vertretern die neue Zeit mit ihren hohen Zielen ein solches Echo wecken kann und muß wie bei uns Geographen. Seit Jahrzehnten ringen wir gegen alte Auffassungen um unseren Anteil an der nationalen Bildungs- und Erziehungsarbeit und nun klingen uns bei der völkischen Erneuerung Losungsworte, wie ‚Blut und Boden‘, entgegen, die dem Inhalt und Ziel geographischer Forschung, der Synthese von Erde und Mensch, so nahe stehen.“ Siehe dazu auch Meynen 1935. Ebd. Ebd.: „so gibt es doch keine, die stärker alle ihre Fragestellungen auf den Boden, den Raum, die Heimat, die Länder konzentriert wie die Geographie, auch keine, die so sehr beides zusammen, Boden und Mensch, Land und Volk, in engster Verbundenheit als Endziel ihrer Arbeit ansieht.“

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anstaltungen zur Auslandskunde und Geopolitik, die meist auch für Hörer aller Fakultäten bestimmt waren.37 Der Trend der Lehre am Geographischen Seminar in Münster ging, wie an vielen anderen Universitäten in dieser Zeit auch, hin zur Beschäftigung mit anthropogeographischen Themen. Im Wintersemester 1922/23 lehrte Mecking erstmals die „Grundzüge der Geographie des Menschen“.38 In diesen Jahren wurden bereits moderne Disziplinen wie Verkehrs- und Wirtschaftsgeographie unterrichtet39 und im Sommersemester 1926 gab es zum ersten Mal eine eigene Vorlesung zum Komplex der Siedlungsgeographie, die von Meckings Assistenten Nikolaus Creutzburg gehalten wurde.40 Ab 1930 lag der Schwerpunkt der Lehre auf der deutschen Landeskunde.41 Außerdem sollten die Geographiestudenten an Vorlesungen aus der Volkskunde teilnehmen.42 Der Blick wurde auch in Münster nun auf die „Großmächte der Weltwirtschaft“43 gerichtet, und Veranstaltungen zur Wirtschaftsgeographie fanden „unter besonderer Berücksichtigung des hochkapitalistischen Weltbildes“44 statt. Neben den Vorlesungen über seine bevorzugten Forschungsgebiete wie Asien und die Polargebiete bezog Mecking in seinen länderkundlichen Veranstaltungen weitere geopolitische Diskurse ein und sprach etwa über „Völkerwandel und Raumprobleme im Stillen Ozean“.45 Im Sommersemester 1933 wurde das so genannte Grenz- und Auslandsdeutschtum im osteuropäischen Raum in der universitären Lehre thematisiert.46 Auffällig viele Veranstaltungen wurden in diesem Semester außerdem zur Völkerkunde Afrikas, die wieder vom Volkskundlichen Institut ausgerichtet wurden, abgehalten.47 Albrecht Burchard48 unterstützte Mecking äußerst tatkräftig in der Lehre von Geopolitik und Siedlungsgeographie. Burchard war überzeugter Nationalsozialist – er war bereits 1932 in die NSDAP eingetreten49 – und band die NS-Ideologie be37 38 39 40

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Siehe Personal- und Vorlesungsverzeichnis Sommersemester 1920 und Wintersemester 1921/22. Personal- und Vorlesungsverzeichnis Wintersemester 1922/23. Siehe Personal- und Vorlesungsverzeichnis Wintersemester 1923/24. Personal- und Vorlesungsverzeichnis Sommersemester 1926. Creutzburg wurde 1920 in München promoviert und 1922 außerplanmäßiger Assistent von Mecking in Münster. 1924 habilitierte er sich mit einer Arbeit über „Standortfragen des Thüringer Waldes“. Siehe UAMs, Bestand 5, Nr. 39; Bestand 10, Nr. 65. Vorlesungsverzeichnis Sommersemester 1930. Vorlesungsverzeichnis Sommersemester 1931. Vorlesungsverzeichnis Wintersemester 1931/32. Vorlesungsverzeichnis Sommersemester 1932. Vorlesungsverzeichnis Wintersemester 1932/33. Vorlesungsverzeichnis Sommersemester 1933. Ebd. Siehe zur Person Albrecht Burchards auch Brogiato 1998, S. 196–200. UAMs, Bestand 9, Nr. 862, Zugehörigkeit von Dozenten und Beamten zur NSDAP, „Entwurf Nachweisung der Beamten und Lehrer der Universität Münster i. W., die Mitglied der NSDAP sind“, o.D.

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wusst in sein geographisches Denken mit ein. Außerhalb der Universität engagierte er sich im NSLB als fleißiger Autor für den Geographischen Anzeiger und verfasste zahlreiche Artikel, in denen er die Zusammenarbeit von Geographie und Nationalsozialismus forderte. Ab dem Wintersemester 1933/34 trat ein weiterer Wandel in der geographischen Lehre in Münster ein. In Meckings Vorlesung über die „allgemeine Geographie des Menschen“50 wurde Rassengeographie51 thematisiert. Ergänzend dazu fand die Heimatkunde Eingang in die Lehre des Geographischen Instituts. So gab Burchard eine Lehrveranstaltung zum Thema „Geographische Heimatkunde von Nordwestdeutschland“.52 Schließlich nahm Mecking auch in der Lehre deutlich Stellung zur politisch-gesellschaftlichen Situation, da er ein Seminar gab, in dem es um die „Besprechung geopolitischer Zeitfragen“53 gehen sollte. Aus den Quellen lässt sich schließen, dass sich die Münsterschen Hochschulgeographen schon vor dem Machtwechsel 1933 mit Themen aus der Anthropound insbesondere der politischen Geographie beschäftigten. 1933 stellte daher keine weitreichende Zäsur für die geographische Forschung dar. Man konnte auf alte Ergebnisse zurückgreifen und ihnen eine neue ideologische Färbung geben. Allerdings kam es bei der universitären Lehre zu einer Schwerpunktverschiebung, die vor allem die Landeskunde betraf. Alles drehte sich um neue entscheidende Paradigmen, die aus der nationalsozialistischen Ideologie stammten, aber zugleich zum Inhalt „reiner“ wissenschaftlicher Forschung gemacht wurden: Die Konzentration auf die nordwestdeutsche Heimat, die Rassenkunde und die Geopolitik als Aushängeschild der geographischen Wissenschaft im neuen nationalsozialistischen Staat. Im Oktober 1935 nahm Mecking einen Ruf an die Universität Hamburg als Nachfolger von Siegfried Passarge an.54 Einen Grund für seinen Wechsel nannte Mecking nicht, aber Fakt war, dass das Geographische Seminar in Münster finanziell und materiell sehr schlecht ausgestattet war. Die Bemühungen Meckings, die Situation am Seminar zu verbessern, wurden immer wieder vom Kurator zurückgewiesen. Hinzu kam, dass die Universität Hamburg durch ihren Standort mit einem großen Seehafen und ihrem Schwerpunkt der Beschäftigung mit kolonialen Themen bestens zu den Forschungsschwerpunkten Meckings passte.55

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Vorlesungsverzeichnis Wintersemester 1933/34. Ebd. Ebd. Vorlesungsverzeichnis Sommersemester 1934. Siehe dazu im Einzelnen Fischer/Sandner 1988. Auf Meckings Zeit in Hamburg werde ich in meiner Dissertation ausführlich eingehen.

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Forschung „im Interesse von Volk und Staat“:56 Das Ordinariat Hans Dörries (1936 bis 1945) Die Berufung des Nachfolgers Ludwig Meckings stand im Zusammenhang mit der Überlegung des Provinzialverbandes, eine Geographische Kommission innerhalb des Provinzialinstituts für Westfälische Landes- und Volkskunde zu gründen, deren Leitung vom Göttinger Geographen Hans Dörries übernommen werden sollte.57 Dieser bekam zunächst aber nur eine Vertretungsprofessur in Münster, weshalb sich die Provinzialverwaltung für die Umwandlung der Stelle in eine ordentliche Professur stark machte. Hierdurch wurde Rektor Karl Hugelmann dazu veranlasst, sich beim REM für eine schnelle Berufung von Dörries einzusetzen, da er die gute Zusammenarbeit von Provinz und Universität nicht gefährden wollte.58 Das Eingreifen in Berufungsfragen von Seiten der Selbstverwaltung der Provinz war in dieser Form neu. Zwar plante man schon in den frühen 1930er-Jahren die Gründung einer geographischen Kommission innerhalb des Provinzialinstituts für Westfälische Landes- und Volkskunde, doch scheiterte dieses Unternehmen an der fehlenden Kooperationsbereitschaft des Geographieordinarius Ludwig Mecking.59 Als man mit der Suche nach einem Nachfolger für Mecking begann, konnte man die Bedürfnisse des Provinzialinstituts für Westfälische Landes- und Volkskunde und der Universität berücksichtigen und schien in der Person von Hans Dörries einen zur Zusammenarbeit willigen Kandidaten gefunden zu haben. Dörries stand auf dem ersten Platz der Liste der Münsterschen Berufungskommission. Der Grund für seine Bevorzugung lag vor allem in seinem Forschungsschwerpunkt, dem Nordwesten Deutschlands, da dieser hervorragend zu den Forschungsgebieten des Provinzialinstitutes passte. Dazu zählte auch seine historisch-genetische Arbeitsweise,60 die in erster Linie in der Erforschung der so genannten Kulturlandschaft lag.61 In diese Theorie bettete von Dörries die Entstehung der deutschen Kulturlandschaft – in Anlehnung an Albrecht Penck – in die territorialen Verluste Deutschlands von 1919, die im Versailler Vertrag festgeschrieben worden waren, ein.62 In Beziehung 56 57 58 59 60

61

62

UAMs, Bestand 9, Nr. 397, Bd. 2, Schreiben von Dörries an den Kurator vom 28.10.1936. UAMs, Bestand 62, B II 8, Schreiben von Trier vom 8.11.1935. Siehe dazu im Einzelnen Ditt 1988. UAMs, Bestand 62, B II 8, Schreiben von Hugelmann an das REM vom 8.2.1936. Vgl. Ditt 1988, S. 284f. So stellte Dörries folgende These auf: „Mit Erscheinungen der Gegenwart hat sie (die Geographie, K. B.) es zu tun, doch indem sie deren räumlicher Verknüpfung nachgeht, greift sie zur Erklärung zurück in Vergangenheit“, Archiv für Geographie, Nachlass Hans Dörries, Kasten 828, Nr. 4, Vorlesungsmanuskript „Allgemeine Wirtschafts- und Verkehrsgeographie“, Bl. 6. So konstatierte Dörries in der Vorlesung über Deutschland: „Das Deutsche Reich seit 1919 umfaßt noch weniger deutschen Kultur- u. Volksboden! Verluste: Elsaß, Schleswig, Posen, Danzig, Oberschlesien.“, Archiv für Geographie, Nachlass Hans Dörries, Kasten 828, Nr. 9, Vorlesungsmanuskript „Deutschland“. Ebd.

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auf die politische Einstellung und seine Fähigkeiten als Dozent beschrieb ihn Karl Gottfried Hugelmann als „überaus belebenden Lehrer, […] der durch sein Beispiel und seine Charakterwerte auch beste erzieherische Wirkung ausübt. Ebenso bewährt er sich in Schulungslagern als anregend und wegweisend. Die Aufgaben der Zeit erfasst er mit Ernst und Tatkraft.“63

Der aus Wesermünde-Lehe, dem heutigen Bremerhaven, stammende Dörries studierte ab 1916 Geographie, Geschichte und Geologie in Göttingen und schloss dieses Studium 1924 mit der Promotion bei Wilhelm Meinardus ab.64 Im Frühjahr 1923 wurde er Assistent in Göttingen, wo er sich in den darauf folgenden zwei Jahren mit Unterstützung der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft habilitieren konnte.65 Daraufhin war er außerplanmäßiger Professor am Geographischen Seminar der Universität Göttingen, bis sich im Sommersemester 1935 die Möglichkeit ergab, den Erdkundelehrstuhl von Hans Mortensen in Freiburg zu vertreten.66 Ab dem 1. April 1936 wurde Dörries dann ordentlicher Professor und Direktor des Geographischen Seminars der Universität Münster.67 Zum Zeitpunkt seiner Vereidigung am 2. Juli 1936 war er bereits aktives Mitglied der SA und förderndes Mitglied der SS.68 Als Dörries nach Münster berufen wurde, fand er das Geographische Seminar in einem materiell und personell sehr schlechten Zustand vor. Folglich bemühte er sich schon zu einem frühen Zeitpunkt, den Stellenwert des Seminars innerhalb der Universität aufzuwerten, um mehr Gelder zur Verfügung gestellt zu bekommen. Ein erster Schritt sollte in seinen Augen die Umbenennung des Seminars in „Geographisches Institut“ sein.69 Diese Bezeichnung sei verglichen mit den anderen preußischen Universitäten zeitgemäß und im Hinblick auf „die Bedeutung der Geographie als Wissenschaft und Unterrichtsfach in der Gegenwart und ihrer ministeriell anerkannten und ihr zugewiesenen nationalpolitischen Aufgaben“70 notwendig. Die Umbenennung erfolgte kurz darauf, jedoch war sie ausdrücklich nicht mit einer finanziellen Aufstockung verbunden.71 63 64 65

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Ebd. UAMs, Bestand 10, Nr. 1442, Personalbogen vom 2.7.1936. BAB, R 1501, Nr. 116319, Bl. 2, Jahresrechnung der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft für die Zeit vom 1. April 1924 bis 31. März 1925. Siehe auch ebd., Nr. 116309, Bl. 153. Ebd., Bewilligung des Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung vom 19.3.1935. Ebd., Schreiben des Ministers an den Kurator der Universität Münster und Dörries vom 5.5.1936. Siehe auch UAMs, Bestand 63, Nr. 175, Schreiben des REM an Dörries vom 5.5.1936. BAB, Bestand R 4901/PA, Nr. 1747, Personalbogen von Hans Dörries, o.D. UAMs, Bestand 63, D 12, Bd. 1, Schreiben des Kurators an Dörries vom 25.4.1936. UAMs, Bestand 9, Nr. 397, Schreiben von Dörries an den Kurator der Universität Münster vom 22.2.1936. Ebd., Schreiben des REM an den Kurator vom 20.4.1936.

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Eine wichtige Anlaufstelle für Dörries als Geschäftsführer des Geographischen Instituts war das REM mit seinem Referenten für Geographie, Völkerkunde und Geopolitik, Wolfgang Panzer.72 Panzer kam mehrmals nach Münster, um sich die Zustände am Institut persönlich vor Augen zu führen.73 Dörries kannte ihn bereits von seinen Berufungsverhandlungen in Berlin und nutzte diese Bekanntschaft als Ordinarius weiter aus.74 So wandte er sich oftmals direkt an Panzer, vor allem, wenn es um die Schaffung neuer Stellen und einmalige Zuschüsse zu materiellen Anschaffungen des Instituts ging.75 Gegenüber dem Kurator benutzte Dörries dann die Zustimmung aus Berlin als Legitimation für sein Vorhaben.76 Als weitere wichtige Verbindung auf Reichsebene, die Dörries als neuer Ordinarius herstellte, galt die Beziehung zum Obmann der Reichstelle für Raumordnung, Konrad Meyer. In seiner Position als Leiter der Hochschularbeitsgemeinschaft für Raumforschung an der Universität Münster gehörte Dörries in den engen Kreis der Vertrauensmänner der Reichstelle für Raumordnung in Berlin. Damit war er unmittelbar über die Pläne der Reichstelle für Raumordnung informiert und mit seinen Mitarbeitern am Geographischen Institut durch Forschungen, die in deren Auftrag ausgeführt wurden, in die Reichsstelle eingebunden. Dies ging mit einer Schwerpunktverschiebung in Forschung und Lehre einher. Bereits im Januar 1936 kündigte Rektor Hugelmann an, dass – in Absprache mit dem REM77 – die Einführung von Raumforschung in Form einer interdisziplinären Forschungsgruppe an der Universität Münster geplant sei. Für das Fach Geographie sollten sich Hans 72

73

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Panzer war in seiner Funktion als Referent für Geographie, Völkerkunde und Geopolitik im REM maßgeblich an der Ausgrenzung von jüdischen Geographen beteiligt. So erreichte er als Maßnahme die Versetzung von Leo Waibel in den Ruhestand, der den Lehrstuhl für Geographie an der Universität Bonn seit 1929 innehatte, und bezweckte damit seine Emigration in die USA, da Waibel mit einer sogenannten Halbjüdin verheiratet war. Dies ist auch für die Geschichte der Geographie an der Universität Münster von Bedeutung, da der Assistent von Dörries und spätere Lehrstuhlinhaber des Instituts nach 1945, Wilhelm Müller-Wille, 1935 bei Waibel promoviert wurde. Dazu mehr in meiner Dissertation. Mehr zur Person und Funktion Panzers für die deutsche Geographie siehe Wardenga 2006. Siehe etwa UAMs, Bestand 9, Nr, 397, Schreiben von Dörries an den Kurator über den Dozentenschaftsleiter, den Dekan und den Rektor vom 11.7.1936, ebd., Schreiben von Dörries an den Kurator vom 12.8.1936. Panzer war im REM zuständig für sämtliche Berufungen auf geographische Lehrstühle. Siehe Wardenga 2006, S. 1224. Ebd., Schreiben von Dörries an den Kurator vom 15.6.1936, ebd., Schreiben von Dörries an den Kurator vom 2.6.1936, ebd., Schreiben von Dörries an den Kurator vom 15.6.1936, ebd., Schreiben von Dörries an den Kurator vom 12.8.1936. Dort betont Dörries: „Meinen Vorschlägen der räumlichen Erweiterung hat er (Panzer, Anm. K. B.) voll zugestimmt und außerdem seiner großen Befriedigung Ausdruck gegeben über den inneren Ausbau des Geographischen Institutes und seinen planmäßigen Aufbau zum neuzeitlichen Lehr- und Forschungsinstitut.“ Ebd. UAMs, Bestand 4, Nr. 1342, Schreiben von Hugelmann an alle Dekane vom 31.1.1936.

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Dörries und Georg Niemeier78 am geplanten Projekt beteiligen.79 Am 26. Februar 1936 traf sich die Arbeitsgemeinschaft für Raumforschung an der Universität Münster zu einer Besprechung, in der geklärt werden sollte, in welchem Ausmaße sich die beteiligten Disziplinen bereits mit Raumforschung beschäftigt hätten.80 Dörries konstatierte, dass in Münster „bisher keine speziellen Arbeiten im hiesigen Sinne angefertigt worden“81 seien. Daher würde Niemeier bald mit einer Arbeit über die „Geographie der ländlichen Siedlung im Münsterland“82 beginnen. Schon zu diesem Zeitpunkt ließ sich erkennen, dass die Hochschularbeitsgemeinschaft für Raumforschung in Münster eng mit anderen Institutionen Westfalens vernetzt war. So arbeitete der Geograph Wilhelm Brünger von der Hochschule für Lehrerbildung in Dortmund im Rahmen der Hochschularbeitsgemeinschaft zum Thema des „Nordrandes des Ruhrgebiets und des Raumes um Dortmund“.83 Niemeiers und Brüngers Arbeiten sollten von der Förderergesellschaft finanziert werden.84 Auch das Provinzialinstitut war in die Forschungstätigkeit der Hochschularbeitsgemeinschaft für Raumforschung eingebunden, als dessen Historische Kommission an einem Atlasprojekt für Westfalen arbeitete. Die Zusammenarbeit von Provinz und Universität war dem REM äußerst wichtig, Rektor Hugelmann musste diese sogar schriftlich bestätigen.85 Sinn und Zweck der Gründung von Hochschularbeitsgemeinschaften für Raumforschung lagen im Prinzip darin, die Siedlungspläne der Nationalsozialisten wissenschaftlich zu fundieren, zu legitimieren und voranzutreiben.86 Die Disziplin der Siedlungsgeographie gehörte zu den Forschungsschwerpunkten von Hans Dörries.87 Bereits in seiner Göttinger Zeit lehrte er sie als junger Dozent an der Universität an der Leine.88 Mit dem Beginn der Zusammenarbeit des Geographischen Instituts mit dem Provinzialinstitut für Westfälische Landes- und Volkskunde und der Gründung der Hochschularbeitsgemeinschaft für Raumforschung wurde es mög78 79 80 81 82 83 84 85 86 87

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Zu Niemeier siehe unten mehr. UAMs, Bestand 4, Nr. 1342, Schreiben von Hugelmann an alle Dekane vom 31.1.1936. Ebd., „Protokoll über die Sitzung der Arbeitsgemeinschaft für Raumforschung an der Universität Münster am Mittwoch, den 26. Febr. 1936“. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd., Schreiben von Hugelmann an das REM vom 6.3.1936. Siehe dazu im Einzelnen Rössler 1990. Siehe hier stellvertretend die eindrückliche Bibliographie in Dörries 1940. Die Forschungsschwerpunkte von Hans Dörries und anderen Münsterschen Geographen sollen in der auf diesem Aufsatz aufbauenden Dissertation ausführlich im Hinblick auf ihren Inhalt und auf mögliche Transformationsprozesse im Zeitraum von 1920 bis 1950 untersucht werden. Die Forschungsleistungen von Hans Dörries werden insbesondere gewürdigt in Müller-Wille 1955. Archiv für Geographie, Nachlass Hans Dörries, Kasten 828, Nr. 5, Vorlesungsmanuskript „Allgemeine Siedlungsgeographie“

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lich, Theorie und Praxis der Siedlungsgeographie in Form von Landesforschung und Landesplanung miteinander zu verknüpfen. Für Dörries lag die Aufgabe des Geographen in diesem Zusammenhang darin, sich um die Erforschung des „deutschen Lebensraumes in Mitteleuropa“,89 zu bemühen. Diese Funktion stellte Dörries in seiner Rede, die er auf der Reichsgründungsfeier der Universität Münster am 29. Januar 1938 in der Stadthalle Münster hielt, direkt in den Dienst der Politik, indem er die geographische Wissenschaft und ihre Protagonisten als Experten für Raumfragen hervorhob. Diese Aufgabe schien für ihn durch die Politik legitimiert gewesen zu sein, was er mit einem Zitat Adolf Hitlers auf dem Reichsparteitag von 1935 zu belegen beabsichtigte: „Es gibt wohl kein Volk, das für die Erhaltung seiner nationalen Existenz mehr Mut einsetzen mußte als das deutsche. […] Gemessen an den Erfolgen anderer Völker sind die Ergebnisse des Ringens um das deutsche Schicksal tief beklagenswert. Indem wir diese Tatsachen ohne jede Selbsttäuschung erkennen, legt uns die Sorge für die Zukunft unseres Volkes auf, ihre Ursachen zu erforschen.“90

Inwieweit Hitler damit wirklich die wissenschaftliche Forschung gemeint hatte, bleibt anzuzweifeln. Dörries nahm dieses Zitat jedoch offensichtlich als eine Legitimationsgrundlage für die Ausweitung und Förderung der wissenschaftlichen Landeskunde.91 Diese stehe schließlich vor der Aufgabe, den nationalsozialistischen Staat und seine Volksgemeinschaft bei seinem „schärfsten Kampfe und bessere Nutzung und Ausweitung des deutschen Lebensraumes“92 zu unterstützen. So propagierte Dörries in seiner Rede, dass es zum Selbstverständnis der Wissenschaft und insbesondere der geographischen Landeskunde gehöre, mit der Politik zu kooperieren, denn „daß die Sorge um wirkliche, dauernde Sicherung unseres Lebensraumes den Führer heute Tag und Nacht beschäftigt, wissen wir alle und empfinden deshalb so stark die uns allen auferlegte Verpflichtung, der Forderung des Tages gerecht zu werden.“93

Als weitere Legitimationsgrundlage für die Zusammenarbeit von Geographen mit staatlichen Institutionen führte Dörries die Erlasse der NS-Regierung an, da diese 89 90 91

92 93

Dörries 1939, S. 1. Zitiert nach ebd. An dieser Stelle sollte darauf verwiesen werden, dass aus quellenkritischer Sicht sicherlich zu beachten ist, dass zwischen einer öffentlichen Rede und der wissenschaftlichen Arbeit an sich unterschieden werden muss. Es bestehen aus meiner Sicht jedoch keine Bedenken, diese Quelle als Beleg für die Analyse der Funktion und Person von Hans Dörries zu wählen, da sich die hierin beschriebenen theoretischen Ansichten des Geographen mit den Äußerungen in den Vorlesungsmanuskripten deutlich ähneln. Weitere Ausführungen werde ich allerdings erst in meiner Dissertation leisten können. Dörries 1939, S. 2. Ebd., S. 2.

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„Reichsplanung und Landesplanung zur staatlichen Hoheitsaufgabe erhob[en], deren Durchführung einer Reichsstelle für Raumordnung als unabhängiger, oberster Reichsbehörde übertragen worden ist, mit dem alleinigen Ziel der zusammenfassenden, übergeordneten Planung und Ordnung des deutschen Raumes für das gesamte Reichsgebiet.“94

Als Ziele von Landesforschung nannte Dörries in Anlehnung an den Reichsminister Kerrl die „Stärkung der biologischen Volkskraft, bestmögliche Nutzung des Bodens und seiner Kräfte, arteigene Zuordnung von Volk und Landschaft, Steigerung der Abwehrbereitschaft des deutschen Raumes“.95 In diesem Kontext führten die Münsterschen Geographen Forschungen über die Landschaft Westfalens durch. Ein großer Teil der Arbeiten bestand aus Dissertationen, die bei Dörries angefertigt wurden. Franz Ringleb etwa arbeitete über Klimaänderungen in Nordwestdeutschland und wurde bei seinem Vorhaben von der Reichsarbeitsgemeinschaft für Raumforschung von 1937 bis 1939 in Form eines Stipendiums unterstützt.96 Ringleb wurde zum 1. April 1939 nach der Fertigstellung seiner Dissertation außerplanmäßiger Assistent unter Dörries.97 Er war seit dem 1. Mai 1937 Mitglied der NSDAP und gehörte seit 1933 der SA an.98 Eine weitere wichtige Ressource, die den Aufbau und den Stellenwert der Geographie in Münster beschleunigte, bestand im Ausbau und in der Nutzung lokaler und regionaler Netzwerke. Die Zusammenarbeit mit der Provinzialverwaltung war hier ausschlaggebend, da das Geographische Institut durch die Einbindung in die Geographische Kommission einerseits direkt finanziell gefördert wurde und andererseits den Kontakt zu anderen regionalen Institutionen aufnehmen konnte. So waren Dörries und seine Mitarbeiter in die Deutsch-Niederländische Forschungsgemeinschaft eingebunden, welche zur Westdeutschen Forschungsgemeinschaft gehörte.99 Im Rahmen dieses Verbundes führten die Geographen Forschungsaufträge aus, die vornehmlich aus den Bereichen der Siedlungsgeographie und Landeskunde stammten. Bei einer ihrer Tagungen, die vom 4. bis 6. Juli 1936 im ostfriesischen Leer stattfand, hielt Dörries einen Vortrag über „die geographischen Grundlagen der Besiedlung im nordwestdeutschen-niederländischen Raum und in Sonderheit im Emsland beiderseits der Grenze“.100 94 95 96 97

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Ebd., S. 9. Ebd., S. 10. UAMs, Bestand 10, Nr. 359, Schreiben von Dörries als Leiter der Hochschularbeitsgemeinschaft für Raumforschung in Münster vom 27.3.1939. Ebd., Schreiben des REM an den Kurator der Universität Münster vom 22.4.1939, ebd., Formular „Antrag auf Genehmigung der Anstellung eines Assistenten für die Zeit vom 1. April 1939 bis 31. März 1941“, ebd., Schreiben des Kurators an Dörries vom 23.2.1939, ebd., Dienstvertrag vom 23.2.1939. Ebd. Siehe dazu ausführlicher Fahlbusch 1999 sowie Dietz/Arndt 2003. Siehe dazu auch Müller 2009. LWL-Archivamt, Bestand 701, Nr. 158, „Bericht über die Deutsch-Holländische Forschungstagung der Westdeutschen Forschungsgemeinschaft in Leer (Ostfriesland) vom

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Weiterhin sollten die Münsterschen Geographen die Städte und Siedlungsformen in Deutschland und den Niederlanden in ihrer geschichtlichen Entwicklung darstellen.101 Dabei handelte es sich in erster Linie um die Erforschung des Grenzgebietes, so etwa auf deutscher Seite des Emslandes.102 Außerdem leisteten sie auch eine praktische Arbeit, indem sie Karten des zu erforschenden Raums entwarfen.103 Die Deutsch-Niederländische Forschungsgemeinschaft verfolgte keinen rein wissenschaftlichen, sondern auch einen politischen Zweck. Auf den Tagungen sollte es immer wieder um die Gemeinsamkeiten beider Staaten gehen, vor allem im Hinblick auf die Kolonisierung Afrikas. Hier ging man davon aus, dass Deutsche und Holländer ihre „Rasse“ durch die Kolonisierung verbreiten und somit ein ähnliches machtpolitisches Ziel verfolgen sollten. Dadurch erhoffte man sich, die niederländischen Wissenschaftler für eine gemeinsame Zusammenarbeit zu gewinnen. Die Arbeit der deutsch-niederländischen Gemeinschaft wurde von deutscher Seite demnach stark von der nationalsozialistischen Ideologie und den imperialistischen Vorstellung ihrer Machthaber geprägt und bestimmt. Hinzu kam, dass wiederum das Provinzialinstitut für Westfälische Landes- und Volkskunde derartige Treffen der Forschungsgemeinschaft ermöglichte und organisierte. Auf den Arbeitsbesprechungen waren stets Landeshauptmann Karl Friedrich Kolbow104 und der Geschäftsführer des Instituts, Ernst Rieger, anwesend. Sie waren wichtige Ansprechpartner, wenn es um die Finanzierung der Forschungsvorhaben der Geographen ging, da die Arbeiten der Deutsch-Niederländischen Forschungsgemeinschaft im Rahmen der Geographischen Kommission erfolgten. So gliederte Niemeier seine Untersuchung über die „Flur- und Siedlungsformenforschung im Westmünsterland“ in die Forschungsgemeinschaft mit ein.105 Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Übernahme des Ordinariats für Geographie durch Hans Dörries mit vielen strukturellen und personellen Veränderungen verbunden war. Neben der Umbenennung des Seminars ging es Dörries vornehmlich darum, die materielle Situation zu verbessern. Die Vernetzung mit der Provinzialverwaltung war eine entscheidende Voraussetzung für den Ausbau des Geographischen Instituts seit 1935. Sie setzte eine immense Ressourcenmobilisie-

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4.–6. Juli 1936“, o.D. Ebd., Bl. 191, Notizen „zur kommenden Hollandtagung“, o.D. Ebd., Bl. 268, „Niederschrift über die Verhandlungen bei der Tagung der Westdeutschen Forschungsgemeinschaft in Leer […] am 4. bis 6. Juli 1936“, auf der Dörries über die „Geographische(n) Grundlagen der Besiedlung im Emslande“ berichtete, o.D. Zur sogenannten Westforschung siehe Dietz/Arndt 2003 und Müller 2009. Ebd. Siehe zu Kolbow im Einzelnen Dröge 2010. LWL-Archivamt, Bestand 701, Nr. 158, „Bericht über die Deutsch-Holländische Forschungstagung der Westdeutschen Forschungsgemeinschaft in Leer (Ostfriesland) vom 4.–6. Juli 1936“, o.D., Bl. 323, „Niederschrift über die 3. Deutsch-Niederländische Arbeitsbesprechung des Provinzialinstituts für westfälische Landes- und Volkskunde in Coesfeld, 16.–17. Oktober 1937“, o.D.

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rung in der Form in Gang, dass das Provinzialinstitut für Westfälische Landes- und Volkskunde einerseits die universitäre Forschung für sich nutzen konnte und dass Hans Dörries durch diese Verbindung andererseits als Person immer wichtiger für die Universität wurde. Dies zeigte sich bereits kurz nach seinem Amtsantritt, als er im Wintersemester 1938/39 Senator,106 im Sommersemester 1941 Dozentenschaftsleiter und zugleich Dozentenbundleiter und Leiter des Amtes Wissenschaft im NSDDB wurde.107

Dörries’ Assistenten – Karrieren vor dem Hintergrund des Nationalsozialismus Die Karriereverläufe von Dörries’ Assistenten verdeutlichen, in welcher Weise ein totalitäres Regierungssystem wie das nationalsozialistische Einfluss auf die jeweilige akademische Laufbahn nehmen konnte. Georg Niemeier stand bereits 1935 auf der Berufungsliste für die Nachfolge von Ludwig Mecking in Münster.108 Zuvor war er seit Januar 1928 außerplanmäßiger Hilfsassistent und seit Mai 1930 außerplanmäßiger Assistent am Geographischen Seminar gewesen.109 Er war für die Neubesetzung aufgrund seiner Forschungsschwerpunkte, die im Bereich der Siedlungsgeographie und der Landeskunde Nordwesteuropas lagen, durchaus interessant.110 Außerdem war er seit 1932 an der akademischen Selbstverwaltung beteiligt, indem er sich als Vertreter der Nichtordinarien und später im NSDDB als Leiter des Amtes für Geländesport, Vertrauensmann für Wehrpolitik und Zweckforschung und als Leiter des Amtes für Nachwuchsforschung engagierte.111 Niemeier trat am 1. November 1933 in die SA ein, wo er „nationalpolitische Vorträge“112 hielt. Im selben Jahr wurde er Mitglied im NSLB, bei dem er sich durch seine Schulungstätigkeit im Gau WestfalenNord einen Namen gemacht hatte.113 Dort wurde er schließlich stellvertretender Gausachbearbeiter für Erdkunde und Geopolitik. Am 1. Mai 1937 trat er in die NSDAP ein.114 Im Jahre 1939 wurde er für das Amt des Ordinarius für Geographie an der Deutschen Herderhochschule in Riga in Erwägung gezogen.115 Außerdem 106 107 108 109 110 111 112 113 114 115

Vorlesungsverzeichnis Wintersemester 1938/39. Vorlesungsverzeichnis Sommersemester 1941. BAB, ehemals BDC, A0075, Berufungsliste Nachfolge Mecking, verfasst von Dekan Trier, o.D. Ebd., Lebenslauf, von Niemeier verfasst am 5.9.1936. UAMs, Bestand 62, B II 8, Schreiben von Trier an das REM über Rektor und Kurator der Universität Münster vom 7.12.1935. BAB, ehemals BDC, A0048, Lebenslauf, von Niemeier selbst verfasst am 26.10.1937. BAB, R 4901/PA, 13272, Personalbogen Niemeier, o.D. BAB, ehemals BDC, A0075, Lebenslauf von Niemeier verfasst am 25.10.1940. Ebd. Ebd., Schreiben des Rektors des Herderinstituts in Riga an Amtsrat Fleischer aus Berlin vom 7.8.1939, ebd., Schreiben der Herderhochschule zu Riga an Niemeier vom 4.8.1939,

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sollte er Schulungsleiter der Ortsgruppe Lettland-Riga der Auslandsorganisation der NSDAP werden.116 1940 widmete er sich der Wehrgeographie im Rahmen von Vorträgen bei der Wehrmacht.117 Rektor Hugelmann bezeichnete Niemeier 1936 als „überzeugte[n] Nationalsozialist[en]“,118 und auch der Dozentenführer bestätigte seine positive Haltung gegenüber dem NS-Staat.119 Schließlich wurde Niemeier 1935 zwar nicht das Ordinariat in Münster übertragen, er erhielt jedoch einen Lehrauftrag für Siedlungs- und Wirtschaftsgeographie und für die Landeskunde Nordwestdeutschlands.120 Im Mai 1937 wurde er zum außerplanmäßigen Assistenten Dörries’ ernannt.121 Sein politisches Engagement verhalf ihm dazu, dass er im Januar 1941 als Ordinarius für Geographie an die Reichsuniversität Straßburg berufen wurde und dort auch als Dekan fungierte.122 Ein entscheidender Wegweiser für Niemeiers Karriere war ohne Zweifel seine Tätigkeit für den NSLB. Vom 25. bis 18. Mai 1934 leitete er ein Schulungslager des NSLB Gau Westfalen-Nord in Tecklenburg, für welches das Geographische Seminar Karten und weiteres Material beisteuerte. In dem Lager sollte es um heimatgeographische Themen und um die Frage gehen, wie diese im Rahmen der Heimatkunde im Erdkundeunterricht verwirklicht werden konnten.123 Auch die anderen Mitarbeiter des Geographischen Seminars waren in umfangreichem Maße an den Schulungen des NSLB beteiligt. So fand vom 12. bis 18. April 1935 eine Schulung zum Thema Geopolitik in Nottuln statt. Niemeier und Mecking hielten dort Vorträge, die deutlich Stellung zu aktuellen politischen Diskursen dieser Zeit bezogen. Während Niemeier über die „geopolitische Stellung und Bedeutung deutscher Kolonien“ sprach, hielt Mecking zunächst einen klassisch

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ebd., Schreiben des REM an Niemeier vom 6.9.1939, ebd., Schreiben von Niemeier an das REM vom 17.9.1939. Ebd. Ebd. Ebd., Schreiben des Rektors der Universität Münster an den Rektor der Technischen Hochschule Aachen vom 25.3.1936. Ebd., Gutachten des Dozentenschaftsleiters Walter vom 12.3.1938, Niemeiers „eindeutig nationalsozialistische Haltung“ erklärt Walter schon im Juni 1935, als es um die Erteilung des Lehrauftrages ging. Siehe ebd., Schreiben von Walter an Rektor Hugelmann vom 28.6.1935, ebd., Wissenschaftliches Gutachten des Dozentenschaftsleiters der Universität Münster, Walter, vom 31.7.1935. Ebd., Lebenslauf von Niemeier, verfasst von ihm selbst am 5.9.1936, ebd., Schreiben von Dekan Trier an das REM vom 25.6.1935, ebd., Schreiben von Mecking an den Dekan der Philosophischen und Naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Münster vom 27.5.1935, ebd., Schreiben vom Kurator der Universität Münster an Niemeier vom 12.9.1935, ebd., Schreiben des stellvertretenden Kurators der Universität Münster an den Dekan Trier vom 25.2.1936. Ebd., Urkunde über die Ernennung Niemeiers durch das REM vom 27.5.1937. Ebd., Schreiben von Niemeier an Harmjanz vom REM vom 1.2.1941. BAB, Bestand NS 12, Nr. 1404, Tätigkeitsberichte Gau Westfalen-Nord und Süd, Bericht über das heimatgeographische Schulungslager des NSLB Gau Westfalen-Nord vom 15.–28.5.1934 in Tecklenburg.

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länderkundlichen Vortrag über Japan, um anschließend einen Vergleich über die „Raumnot Japans und Deutschlands“ anzustellen.124 Weiterhin wurde zu diesem Zeitpunkt über die Grenze Deutschlands nach Osten gesprochen, wozu Mecking einen Vortrag über „Das Deutschtum in Polen in Verbindung mit den politischgeographischen Problemen Polens“ beisteuerte.125 Niemeier als stellvertretender Sachbearbeiter für Geopolitik und Heimatkunde im NSLB Gau Westfalen-Nord plante mit seinem Vorgesetzten für das Jahr 1935, dass die Themen „Geopolitik“, „Heimatkunde“ und „Rassenkunde“ in den einzelnen Schulungslagern behandelt werden sollten.126 Niemeier engagierte sich dafür in hohem Maße und kümmerte sich um die Fortsetzung der Nottulner Tagung, die vom 21. bis 24. Juli in BielefeldBethel stattfinden127 und bei der es um das Thema „deutscher Osten“ gehen sollte.128 Niemeier war ein Beispiel dafür, wie man als Wissenschaftler im Nationalsozialismus eine erfolgreiche akademische Laufbahn einschlagen konnte. Durch sein ausgeprägtes Engagement bei den weltanschaulichen Schulungen des NSLB machte er schon in den frühen Jahren der NS-Herrschaft auf sich aufmerksam. Dass die Karrieren von Wissenschaftlern im Nationalsozialismus aber auch völlig unterschiedlich verlaufen konnten, zeigen die Lebensläufe der Münsterschen Geographen Wilhelm Müller-Wille und Hans Riepenhausen. Beide waren Assistenten von Hans Dörries. Müller-Wille wurde zum 1. April 1936 auf Erlass des REM von Bonn nach Münster versetzt.129 Der Anlass für diese besondere Verfügung war scheinbar die enge Beziehung Müller-Willes zu seinem Doktorvater Leo Waibel. Mit dem Wechsel nach Münster sollte der Einfluss Waibels auf Müller-Wille geschwächt werden. Waibel war ein angesehener Geograph, der es jedoch nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten an der Universität Bonn schwer hatte, seine Stellung zu halten, da er mit einer Jüdin verheiratet war. So versuchten seine Bonner Kollegen in Kooperation mit dem REM, ihn aus seinem Amt zu entfernen, was dazu führte, dass Waibel schließlich in die USA emigrierte.130 Neben seiner guten Beziehung zu Waibel kam für Müller-Wille hinzu, dass er nicht mit den Nationalsozialisten sympathisierte. Er war kein Parteimitglied, trat 124

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129 130

Ebd., Artikel aus „Der Westfälische Erzieher“ 10, S. 259–262, ebd., Nr. 840, Vierteljahresberichte u.a. NSLB Gau Westfalen-Nord, Tätigkeitsbericht der Dozentenschaft der Universität Münster für das erste Vierteljahr 1935. Ebd. Ebd., Übersicht über die Gliederung der Abteilung Erziehung und Unterricht des Gaues Westfalen-Nord im zweiten Vierteljahr 1935. Ebd., Schreiben des Dozentenschaftsführers der Universität Münster, Heinermann, an die Gauamtsleitung des NSLB, Abteilung Erziehung und Unterricht vom 8.7.1935. Ebd., Nr. 926, Vierteljahresberichte der Abteilung Erziehung und Unterricht der einzelnen Gaue, Bd. 2, Schreiben der Gauamtsleitung Westfalen-Nord an die Reichsamtsleitung in Bayreuth vom 28.10.1935. UAMs, Bestand 8, Nr. 8929, Bd. 1, Schreiben von Dörries an Dekan Kratzer vom 18.11.1942, ebd., Schreiben von Dörries an das REM vom 28.3.1939. Siehe dazu im Einzelnen Böhm 1991.

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1935 bereits wieder aus der SA aus und engagierte sich nicht in anderen NS-Organisationen. An der Universität Münster hingegen fand er mit Dörries und Niemeier Wissenschaftler vor, die der NS-Bewegung wohlwollend gegenüber standen. Riepenhausen verfolgte eine grundlegend andere Strategie, die seiner politischen Einstellung entsprach. Bereits am 1. Mai 1933 trat er der NSDAP bei.131 Außerdem wurde er kurz darauf Mitglied des NSKK,132 der SA,133 des NSDDB134 und des NSLB.135 Nach seinem Studium arbeitete er von 1933 bis 1936 als Assistent bei Hans Mortensen in Göttingen.136 Zum Oktober 1936 wechselte er dann an die Universität Münster, um bei Hans Dörries zu promovieren.137 Als es zur Konstituierung der Geographischen Kommission kam, wurde Riepenhausen schnell aufgenommen und sogar zum Geschäftsführer ernannt.138 Dörries bemühte sich um die Rekrutierung neuer Mitglieder, die von der Gauleitung Westfalen-Nord auf ihre „politische Zuverlässigkeit“ hin geprüft wurden. Da er mittlerweile eine gute Beziehung zu seinem Assistenten Müller-Wille aufgebaut hatte und auch von seiner fachlichen Kompetenz überzeugt war, wollte er ihn ebenfalls in die Kommission aufnehmen. Dies lehnte die Gauleitung aber ab, da MüllerWille als politisch nicht zuverlässig eingestuft wurde. So konstatierte der Leiter des Gaupersonalamts in seiner Begründung, dass „der Angefragte weder der Partei noch einer ihrer Gliederungen bezw. angeschlossenen Verbänden, bezeichnenderweise nicht einmal der NSV [angehöre] und bisher jede Mitarbeit im Sinne der Bewegung abgelehnt [habe]. Er nimmt an Parteiveranstaltungen nicht teil und zeigt auch sonst in dieser Richtung eine zumindest laue Haltung.“139

Müller-Wille musste daraufhin ausführlich darüber Bericht erstatten, warum er aus der SA ausgetreten war und Rechenschaft über seine bisherige akademische Laufbahn ablegen.140 Dörries beantragte daraufhin die Aufnahme erneut und berichtete, dass sein Assistent mittlerweile Mitglied der NSV und des NSKK sei und 131

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UAMs, Bestand 10, Nr. 358, Lebenslauf aus dem „Antrag auf Genehmigung zur Anstellung eines wissenschaftlichen Assistenten an den Universitätsanstalten“, o.D. Siehe auch LAV NRW R, NWO, Nr. 22132, Entnazifizierungsakte Riepenhausen, NSDAP-Mitgliederkarteikarte, o.D. LAV NRW R, NWO, Nr. 22132, Entnazifizierungsakte Riepenhausen, Fragebogen Riepenhausen, 21.2.1936. Ebd. Ebd. Ebd., Mitgliederkarteikarte des NSLB vom 1.4.1935. Ebd., Schreiben des Dekans der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Göttingen an den Kurator der Universität Münster vom 3.11.1936. Ebd., Schreiben des Kurators an Dörries vom 10.10.1936. LWL-Archivamt, Bestand 702, Nr. 128a, Schreiben von Riepenhausen an Kolbow vom 7.12.1937. Ebd., Schreiben von Schwab an den Oberpräsidenten vom 25.8.1937. Ebd., Schreiben des Oberpräsidenten an Müller-Wille vom 19.11.1937, ebd., Schreiben von Müller-Wille an den Oberpräsidenten vom 5.12.1937.

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„mit seinen Untersuchungen über den Wald in Westfalen-Lippe unmittelbar für die Erfordernisse des Vierjahresplanes“ arbeite.141 Dies führte dazu, dass Müller-Wille 1938 doch noch in die Geographische Kommission aufgenommen wurde.142 Im Juli 1940 trat Müller-Wille schließlich in die NSDAP ein.143 Wie dieses Beispiel zeigt, waren politische Zugehörigkeit und akademische Sozialisation im Nationalsozialismus entscheidend für die Karrierechancen junger Wissenschaftler und standen sogar über den Forschungsschwerpunkten, denn diese ähnelten sich bei Riepenhausen und Müller-Wille sehr. Beide beschäftigten sich mit Kulturgeographie am Beispiel der westfälischen Landeskunde. Die Dissertation von Riepenhausen über die „Entwicklung der bäuerlichen Kulturlandschaft Westfalens“ wurde 1936 im Rahmen der Publikationsreihe der Geographischen Kommission veröffentlicht.144 Müller-Wille habilitierte sich Ende 1941 mit einer Arbeit über „Die Naturlandschaften Westfalens. I. Teil: Relief und Gewässernetz“.145 Außerdem wurde er zu diesem Zeitpunkt vom Gaudozentenbundführer Becher für den NSDDB vorgeschlagen.146 Damit waren seine Karrierechancen nun deutlich verbessert, was zur Folge hatte, dass sich die Konkurrenz zwischen den beiden jungen Geographen immer mehr zuspitzte. Nachdem Dörries die Stelle von Riepenhausen bis zum 30. September 1940 hatte verlängern lassen,147 kündigte dieser plötzlich bei der Universität, da er ab dem 1. April 1939 eine Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Hauptgeschäftsstelle des Provinzialinstituts bekommen hatte.148 Daher stellte sich die Situation ab 1940 derart dar, dass Riepenhausen für den Provinzialverband und Müller-Wille für die Universität über die Landeskunde Westfalens forschte. Diese Überschneidung führte zu einem heftigen Streit zwischen Müller-Wille und dem Provinzialinstitut, das in diesem Zusammenhang vor allem durch den Landeshauptmann Karl Friedrich Kolbow vertreten wurde. Dieser warf MüllerWille in einem Schreiben an den Rektor Walter Mevius vor, die gute Beziehung von Universität und Provinzialverband durch sein Verhalten verletzt zu haben, da er dem Provinzialinstitut vorgeworfen habe, dass dieses seine Forschungen behin141 142 143 144

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Ebd., Schreiben von Dörries an Kolbow vom 7.2.1938. Ebd., Schreiben der Gauleitung an den Oberpräsidenten vom 14.3.1938. LAV NRW R, NWO, Nr. 44569, Entnazifizierungsakte Müller-Wille, Mitgliedskarteikarte der NSDAP von Müller-Wille. Ebd., Schreiben von Kühl an den Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Göttingen vom 23.11.1936, ebd., Schreiben von Kühl an den Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Göttingen vom 3.11.1936. UAMs, Bestand 8, Nr. 8929, Bd. 2, Habilitationsurkunde vom 13.12.1941, ebd., Schreiben des Kurators an Müller-Wille vom 5.4.1939. Ebd., Schreiben des Gaudozentenführers Becher an den Rektor vom 14.10.1942. Ebd., Schreiben des Kurators an Dörries vom 12.8.1938, ebd., Dienstvertrag vom 12.8.1938. Ebd., Schreiben von Riepenhausen an den Kurator vom 6.1.1939.

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dern würde. Ausführlich schilderte Kolbow daraufhin den Sachverhalt aus seiner Perspektive und kam zu dem Schluss, dass Müller-Wille gerade durch das Provinzialinstitut hervorragende Forschungsbedingungen gestellt bekommen habe, nicht zuletzt durch die finanzielle Förderung seiner Publikationen. Daher sei es völlig unzulässig, von einer Behinderung seiner Arbeit durch Überschneidungen von Forschungsrichtungen zu sprechen. Die Auseinandersetzung zwischen MüllerWille und Kolbow ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass Müller-Wille 1942 eine Diätendozentur von der Universität Bonn angeboten bekam. Daraufhin tauschte er sich darüber mit dem Bonner Kurator darüber aus und reflektierte seine finanzielle Situation in Münster.149 Dörries versuchte, zwischen Provinz und Universtiät zu vermitteln, jedoch scheiterte sein Vorhaben, beide Assistenten wissenschaftlich und finanziell zu fördern. Nach dem Schreiben von Kolbow, das mehrere Seiten umfasste und in einem höchst emotionalen Stil verfasst worden war, sah Rektor Mevius die guten Beziehungen zur Provinz gefährdet. Die Folge war, dass er das REM bat, Müller-Wille an eine andere Universität zu versetzen, um „die vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Universität und Provinzialverwaltung nicht zu gefährden“.150 So blieb Müller-Wille nur der Gang nach Göttingen im Sommersemester 1943.151 Durch gute Kontakte zu Hans Mortensen konnte er sich dort 1943 eine Diätendozentur verschaffen.152 An diesem Beispiel wird deutlich, dass die Verzahnung von Wissenschaft und Politik zur Zeit des Nationalsozialismus zu unterschiedlichen Karriereverläufen führen konnten. Während Müller-Wille es von Beginn an schwer hatte, sich in der Münsterschen Geographie zu etablieren, wurde Riepenhausen aufgrund seiner politischen Einstellung sofort integriert. Die politischen Machthaber hatten auch ein Mitspracherecht bei der Konstituierung der wissenschaftlichen Gemeinschaft, da ihre Mitglieder in ihr Konzept zu passen hatten. Nicht nur die Gauleitung, sondern auch der Provinzialverband schien sich in die Personalangelegenheiten um Dörries einzumischen und durchaus ein Mitspracherecht zu haben. So eskalierte die Situation, als Kolbow Rektor Mevius dazu veranlasste, sich für die Versetzung MüllerWilles an eine andere Universität einzusetzen.

Geographische Lehre und Forschung im Krieg Auch die Lehrveranstaltungen am Geographischen Institut in Münster wurden ab 1933 nach der neuen politischen Dimension des Fachs ausgerichtet. Auffällig ist je149 150 151 152

Ebd., Vermerk des Oberinspektor Hannak vom 10.10.1942. UAMs, Bestand 92, Nr. 169, Schreiben von Mevius an den Dekan der Philosophischen und Naturwissenschaftlichen Fakultät. UAMs, Bestand 8, Nr. 8929, Bd. 4, Personalakte Müller-Wille, Schreiben vom Rektor der Universität Göttingen an das REM vom 29.3.1943. Ebd., Schreiben vom REM an den Kurator der Universität Göttingen vom 4.5.1943.

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doch, dass dies im Vergleich zu den 1920er-Jahren deutlich begrenzter stattfand. So waren es in der Vorkriegszeit vornehmlich die Veranstaltungen von Georg Niemeier, die einen Bezug zum Raumforschungsprojekt von Universität und Provinz aufwiesen, wie etwa die Veranstaltung „Raum und Wirtschaft“, die er in den Wintersemestern 1936/37 und 1937/38 abhielt,153 die eine Grundlage für die „wirtschaftliche Raumforschung“ darstellen sollten.154 Die Vorlesungen und Seminare, die Hans Dörries zur dieser Zeit anbot, wiesen im Großen und Ganzen keine ideologische Färbung auf. Allerdings ist dabei zu berücksichtigen, dass er den Großteil der Verwaltung des Lehrbetriebes seinen Assistenten überließ.155 Dies hing in erster Linie mit seinen auswärtigen Verpflichtungen und vor allem ab 1939 mit seinen wehrgeographischen Tätigkeiten zusammen. Dazu wurde er ab Mitte 1940 vom REM mit der Begründung, dass er „aus zwingenden Gründen der Reichsverteidigung zur Erfüllung kriegswichtiger Aufgaben“156 als Wissenschaftler zur Verfügung stehen müsse, unabkömmlich gestellt. So begab sich Dörries zum einen als Vortragsredner auf Reisen wie etwa im Juni 1942, als er für die Wehrmacht in Belgien einen Vortrag über „Flandern im niederdeutschen Raum“ hielt, der ausschließlich propagandistischen Zwecken dienen sollte.157 Der Geograph fügte in einem Schreiben ans Reichsministerium nach der Reise hinzu, dass ihm der Aufenthalt in Belgien persönlich viel bedeutet habe und dass er folglich „mit Dank an diesen Einsatz zurückdenke“.158 Seine Vortragstätigkeit schien also für beide Seiten – abstrakt gesprochen für Politik und Wissenschaft – fruchtbar gewesen zu sein. Dementsprechend berichtete Dörries weiterhin „unter Bezugnahme auf die […] vom Leiter der Propaganda-Abteilung Belgien […] mitgeteilten Feststellungen […] daß diese kurze Vortragsreise durch fünf flämische Städte ein Erfolg gewesen sei.“159 Bereits einige Monate nach diesem Einsatz hielt Dörries erneut Vorträge – diesmal für die Kriegsmarine an der Ostsee.160 Kurz darauf, im Oktober 1942, unternahm er schließlich eine Vortragsreise für die Luftwaffe.161 Weiterhin arbeitete Dörries als Kartograph für verschiedene Kriegsprojekte.162 So nahm er im Herbst 1944 einen Forschungsauftrag von der Marinegeographischen Stelle des Oberkommandos der Kriegsmarine an,163 bei dem es um das Zeichnen 153 154 155 156 157 158 159 160 161 162 163

Vorlesungsverzeichnisse Wintersemester 1936/37 und 1937/38. Ebd. Siehe UAMs, Bestand 10, Nr. 1442, Bl. 122, Schreiben von Dörries an Beyer vom 2.9.1942. Ebd., Bl. 110, Schreiben von Heinermann (REM) vom 1.2.1941. Ebd., Bl. 119, Schreiben von Dörries an das REM vom 27.5.1942. Ebd., Bl. 120, Schreiben von Dörries an das REM, o.D. Ebd. Ebd., Bl. 122, Schreiben von Dörries an Beyer vom 2.9.1942. Ebd., Bl. 123, Schreiben des Oberbefehlshabers der Luftwaffe an das REM vom 29.9.1942. Für die freundliche Hilfestellung bei folgenden Ausführungen sei auch Dr. Sören Flachowsky, Berlin, gedankt. UAMs, Bestand 5, Nr. 725, Schreiben von Mentzel an den Rektor der Universität Münster vom 10.11.1944.

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von Karten von den Küsten Südenglands für wehrgeographische Zwecke ging.164 Der Auftrag war geheim und wurde unter der Dringlichkeitsstufe „SS“, welche die zweithöchste war, geführt.165 Weiterhin kartographierte Dörries im Auftrag der so genannten Forschungsstaffel Schulz-Kampfhenkel, die vom gleichnamigen Sonderbeauftragten der erdkundlichen Forschung im Reichsforschungsrat, Otto Schulz-Kampfhenkel,166 gegründet und geleitet wurde. Zusammen mit Wilhelm Müller-Wille und Hans Mortensen aus Göttingen erstellte er Übersichtskarten zur Geländebeurteilung von Westeuropa, die zunächst unter der Dringlichkeitsstufe „SS“167 und in einem Fortführungsantrag schließlich als „dringend kriegswichtig“ geführt und geheim gehalten wurden.168 Außerdem erhielt Dörries im März 1944 550 Reichsmark für eine „Quellenauswertung für Karten zur Geländebeurteilung“, die wiederum im Auftrag der Forschungsstaffel Schulz-Kampfhenkel stattfand.169 Neben diesen eher praktisch orientierten Forschungsaufträgen beteiligten sich die Münsterschen Geographen Hans Dörries und Georg Niemeier zudem am so genannten Gemeinschaftswerk der deutschen Geisteswissenschaften, das unter dem Namen „Aktion Ritterbusch“ bekannt wurde. In diesem Projekt, in dem laut Frank-Rutger Hausmann „die Geographie […] einen zentralen Platz ein[nahm]“ und „Grundsätzliches zur Lebensraumideologie beitragen“ sollte, sahen die deutschen Geographen eine Veröffentlichung von sechs Bänden vor, die einen Überblick über Forschungsbeiträge von ihnen bieten sollten und welche die Aufgabe hatten, die Vorstellung von der Eroberung neuen Lebensraums durch die Nationalsozialisten wissenschaftlich zu untermauern.170 Dörries verfasste für dieses geographische und geisteswissenschaftliche Großprojekt einen Artikel über „Probleme der ländlichen Siedlung“.171 Außerdem wirkte er bei der zweiten Auflage des Bandes 164

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BAB, R 26/III, Nr. 10, Bl. 309, Tabelle über den Forschungsauftrag von Dörries, BAB, R 26/III, Nr. 172, Antrag auf Erteilung eines geheimen Forschungsauftrages an Prof. Dr. Dörries. Siehe auch ebd., Aktenvermerk vom Oberkommando der Kriegsmarine vom 31.8.1944 über die Besprechung betreffend Marinegeographie am 29.8.1944. Ebd. Siehe zur Person Schulz-Kampfhenkels Flachowsky/Stoecker 2011. BAB, R 26/III, Nr. 279, Tabelle des Sonderbeauftragten der erdkundlichen Forschung, o.D. An dieser Stelle sei Dr. Sören Flachowsky, Berlin, für die weiterführenden Hinweise zur Forschungsstaffel Schulz-Kampfhenkel gedankt. BAB, R 26/III, Nr. 33, Tabelle mit Anträgen auf Erteilung eines Forschungsauftrages vom 5.3.1944, ebd., Nr. 279, Tabelle des Sonderbeauftragten der erdkundlichen Forschung, o.D. BAB Berlin, R 26/III, Nr. 180, Schreiben von Schulz-Kampfhenkel an Mentzel vom 28.3.1944. Das Werk „Lebensraumfragen. Geographische Forschungsergebnisse“ sollte sechs Bände umfassen und wurde von Heinrich Schmitthenner, Oskar Schmieder und Karl Heinrich Dietzel herausgegeben. Der erste Band „Europa“ wurde 1941 veröffentlicht. Siehe zum Folgenden auch Hausmann 2002, S. 127 sowie S. 187–201. Ebd.

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über die Lebensraumfragen mit, indem er den Herausgebern einen Aufsatz über „die bevölkerungsgeographische Struktur der britischen Inseln“172 zur Verfügung stellte. Auch Georg Niemeier beteiligte sich am Gemeinschaftswerk der Geographen. In dem geplanten Band über den Orient schrieb er über den „Einfluss der Araber auf die Kulturlandschaft Spaniens“.173 Diese Beispiele zeigen, dass Dörries und Niemeier bei der Entwicklung ihres Fachs zum „Diener einer aggressiven Eroberungspolitik“174 aktiv mitwirkten, indem sie einerseits propagandistische Vorträge hielten und andererseits ihre Forschungen, die zum Teil schon aus den 1920er-Jahren stammten, in den Kontext der Legitimierung nationalsozialistischen Handelns stellten. So passten sich die Münsterschen Geographen an das Verhalten ihrer Kollegen anderer deutscher Universitäten an. Hans Dörries’ Ordinariat endete abrupt mit seinem Tod am 9. Mai 1945 in Dresden. Seine Zeit als Professor und Geschäftsführer des Geographischen Instituts der Universität Münster wurde von den Eingriffen der nationalsozialistischen Herrschaft in die Wissenschaftspolitik der jeweiligen Universitätslandschaft und ihrer regionalen Verwaltung bestimmt. Obwohl er sich nicht so eindeutig wie Niemeier und Riepenhausen zur NS-Bewegung durch eine Parteimitgliedschaft bekannte, nutzte er jedoch die neuen Gegebenheiten aus, um den Stellenwert der Geographie in der universitären Landschaft zu verbessern. Außerdem sprang er – zumindest in seiner Position als Geschäftsführer des Geographischen Seminars – auf den Zug der erstarkenden wissenschaftlichen Raumforschung mit auf.

Geographische Forschung in Münster nach 1945: Kontinuitäten und Neubeginn Die Räume des Geographischen Instituts, die im Gebäude der Alten Akademie am Domplatz lagen, wurden im Krieg vollständig zerstört. Ein Großteil des Institutseigentums mit zahlreichen Karten, Plänen und Büchern befand sich zu diesem Zeitpunkt jedoch bereits nicht mehr in Münster, da Dörries und sein Hilfsassistent Hans Berg dafür gesorgt hatten, dass es an verschiedenen Orten im Umland gelagert wurde.175 Nach dem Kriegsende fand das Institut in den Gebäuden rund um den Schlossgarten zeitweise Unterschlupf, bevor es 1950 in die Pferdegasse umzog.176 Bis dahin ging es aber vorrangig darum, den Lehrstuhl neu zu besetzen und den Studienalltag am Institut in Gang zu bringen. 172 173 174 175

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Ebd. Ebd. Ebd., S. 201. UAMs, Bestand 63, D 12, Bd. 2, Bericht von Hans Berg, Wissenschaftliche Hilfskraft am Geographischen Institut, über die Verlagerung der Bücher und Einrichtungen des Geographischen Instituts, o.D, UAMs, Bestand 9, Nr. 398, Bericht von Hans Berg vom 28.9.1945. Ebd., Schreiben von August Hendker, Internationale Möbeltransporte, an den Kurator vom 26.9.1950.

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Im Mai 1946 wurde eine Kommission zur Wiederbesetzung des Geographielehrstuhls gegründet, die möglichst rasch einen Nachfolger für Dörries finden sollte. Die Geschäfte am Institut wurden von einem Studienrat, Max Georg Schmidt, geführt, was in den Augen der Kommission schnell geändert werden sollte. Daher schlug sie Wilhelm Brünger aus Hamburg als vorübergehenden Lehrstuhlvertreter vor.177 Ebenso auf der Liste stand der ehemalige Assistent von Hans Dörries, Wilhelm Müller-Wille. Aufgrund mehrerer Absagen und des Einsatzes der Göttinger Kollegen Meinardus und Mortensen178 sowie des Rektors der Universität Münster für Müller-Wille179 wurde dieser schließlich als Nachfolger ausgewählt. Die Ernennung zum ordentlichen Professor erfolgte jedoch aufgrund des langwierigen Entnazifizierungsverfahrens erst zum 1. März 1948.180 Seit dem Wintersemester 1946/47 begann Müller-Wille parallel zu den Entnazifizierungsverfahren mit dem Aufbau des Geographischen Instituts der Universität Münster. Zunächst ging es um die grundlegenden materiellen Arbeiten, bis die Vorlesungen im Sommersemester 1947 wieder aufgenommen werden konnten.181 Der Studienalltag lief gut an – bereits im Wintersemester 1947/48 waren rund 300 Geographiestudenten in Münster eingeschrieben.182 Wilhelm Müller-Wille war zu diesem Zeitpunkt der einzige noch unter Dörries eingestellte Geograph, der wieder an der Universität lehren durfte. Offiziell erhielt er erst 1947 die Erlaubnis von der Militärregierung, als Geographiedozent an der Universität Münster zu arbeiten.183 In seinem Entlastungszeugnis wurde er in die Kategorie V (Entlastete) eingestuft.184 Trotz dieses offiziellen Vorgangs gab es innerhalb der Stadtverwaltung zu diesem Zeitpunkt noch immer Debatten darüber, ob Müller-Wille tatsächlich politisch unbelastet sei. Der Dekan Grundmann setzte sich daraufhin in einem ausführlichen Schreiben an den Kultusminister für ihn ein. In seiner Argumentation dafür, dass der Geograph unbelastet sei, bezog sich Grundmann in erster Linie auf dessen Aussagen vor dem Entnazi177 178

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Ebd., Schreiben von Trier an den Dekan vom 7.5.1946. UAMs, Bestand 8, Nr. 8929, Bd. 2, Schreiben von Rudolf Smend an o.N. vom 1.6.1946. Dort heißt es: „Der Dozent der Geographie Dr. Müller-Wille hat hier einen ausgezeichneten Namen. Wissenschaftlich schätzen ihn Meinardus und Mortensen sehr hoch, rücken ihn geradezu an die erste Stelle in der jüngeren Generation, und ebenso hat er menschlich den allerbesten Eindruck gemacht.“ Ebd., Schreiben des Dekans an Ludwig Mecking vom 28.5.1946. Dort heißt es: „Unser Rektor scheint ja seine eigenen Wege zu gehen. Er scheint seinerseits den grössten Wert auf Dr. Müller-Wille zu legen. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir über Dr. Müller Wille [sic!] berichten würden.“ Ebd., Schreiben des Kultusministers an Müller-Wille vom 4.6.1948. UAMs, Bestand 63, D 12, Bd. 2, Schreiben des Kurators an den Dekan der Philosophischen und Naturwissenschaftlichen Fakultät vom 3.12.1946. Ebd., Schreiben von Müller-Wille an den Kurator vom 22.11.1947. UAMs, Bestand 8, Nr. 8929, Bd. 4, Schreiben der Militärregierung an den Kultusminister, Rektor und Kurator vom 24.4.1947. Ebd., Schreiben von Müller-Wille an den Kurator vom 22.11.1947, ebd., Schreiben des Dekans an den Kultusminister vom 28.11.1947.

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fizierungsausschuss der Stadt Münster und auf seine enge Beziehung zu Leo Waibel.185 Grundmann konstatierte, dass Müller-Wille bei seiner Anhörung angegeben hätte, dass er 1936 „gegen seinen Wunsch vom Ministerium als Assistent von Bonn nach Münster versetzt worden [war], um ihn dem Einfluß seines Lehrers Prof. Leo Waibel […] zu entziehen und den nationalsozialistisch gesinnten Prof. Dörries zu unterstellen.“186

Außerdem ging Grundmann auf die Nichtzulassung Müller-Willes 1937 in die Geographische Kommission des Provinzialinstituts ein, indem er sie in die zahlreichen Hindernisse des neuen Ordinarius einordnete, die ihm während der nationalsozialistischen Herrschaft aufgrund seiner Freundschaft zu Waibel und seiner allgemeinen Weltanschauung in den Weg gestellt worden waren. Die enge Beziehung zu seinem Doktorvater führte Grundmann außerdem als Beleg für seine nicht-nationalsozialistische Einstellung an.187 Wie bei vielen anderen Fächern auch konnte man bei den Münsterschen Geographen in den Nachkriegsjahren einige Kontinuitätslinien zur NS-Zeit beobachten. Zunächst wurde die Zusammenarbeit von Universität und Provinzialverwaltung fortgesetzt, da das Institut für Westfälische Landes- und Volkskunde fortbestand und auch die Geographische Kommission weiter arbeiten sollte. Zwischen dem Direktor des Geographischen Instituts und dem Leiter der Geographischen Kommission herrschte nach wie vor eine Personalunion. Auffällig waren aber vor allem die personellen Kontinuitäten nach 1945. Sowohl Wilhelm Müller-Wille und Hans Riepenhausen als auch Franz Ringleb waren zunächst weiterhin am Geographischen Institut der Universität Münster beschäftigt. Sogar Georg Niemeier, der nach 1945 auf der Insel Norderney lebte,188 fand wieder Anschluss ans Geographische Institut in Münster. Er erhielt einen Forschungsauf185 186 187

188

Siehe dazu ausführlich Böhm 1991. Ebd., Schreiben von Dekan Grundmann an den Kultusminister vom 25.2.1948. So heißt es ebd.: „Die politische Haltung von Herrn Prof. Müller-Wille in den Jahren 1933–1945 ist am besten zu belegen aus seinem Verhältnis zu seinem Lehrer Prof. Dr. Leo Waibel, der von 1930–1937 Geograph an der Universität Bonn war, dann seines Amtes enthoben wurde, weil seine Frau Halbjüdin ist. Bis zum Frühjahr 1939 hielt er sich noch in Deutschland auf, um dann unter dem Druck der politischen Verhältnisse nach Amerika zu gehen. Während dieser ganzen Zeit hat Herr Müller-Wille in engster Verbindung mit ihm gestanden und ihn als letzter seiner Schüler beim Fortgang aus Deutschland bis zum Schiff begleitet. Sofort nach dem Kriege hat er die Verbindung mit Prof. Waibel wieder aufgenommen. Wie Herr Müller-Wille politisch und wissenschaftlich zu beurteilen ist, geht am deutlichsten aus einem Privatbrief an ihn von Prof. Waibel vom 26.11.46 hervor, der in beglaubigter Abschrift beigefügt wird. Er ist in einem Zeitpunkt an Prof. MüllerWille gerichtet, als dieser, von den Besatzungsbehörden anerkannt, in sicherer Stellung als Dozent an der Universität Göttingen lehren konnte und keiner weiteren Entlastung zu bedürfen schien. Er beweist überdies, daß Herr Müller-Wille auf Grund seiner Arbeiten auch in der ausländischen wissenschaftlichen Welt beachtet wird. […]“ LAV NRW R, NW 1039 N, Nr. 268, Entnazifizierungsakte Niemeier, Fragebogen der alliierten Militärregierung vom 1.1.1946.

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trag über ein Buch über die Ortsnamen des Münsterlandes,189 nachdem er vom Entnazifzierungsausschuss der Stadt Münster in die Kategorie V (Entlastete) eingestuft worden war.190 Hans Riepenhausens Tätigkeiten während der NS-Zeit sorgten für dessen Nachkriegskarriere hingegen nur sehr kurzzeitig für Schwierigkeiten. Zunächst wurde er vom Entnazfizierungsausschuss am 6. August 1946 aus dem Dienst der Provinzialverwaltung entlassen, da er den Mitgliedern als „aktiver Nazi“191 bekannt gewesen sei.192 Kurz darauf wurde er jedoch trotzdem in die Gruppe V der Entlasteten eingestuft.193 Er arbeitete weiterhin eng mit dem Provinzialverband zusammen und engagierte sich seit 1953 im Deutschen Heimatbund,194 was sogar den Anlass gab, Riepenhausen für das Bundesverdienstkreuz vorzuschlagen.195 Der Assistent am Geographischen Institut und ehemalige Stipendiat der Reichsstelle für Raumforschung, Franz Ringleb, befand sich in englischer Kriegsgefangenschaft, bis der Dekan der Philosophischen und Naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Münster die englische Armee im November 1945 darum bat, ihn aus der Haft zu entlassen. Er sollte wieder am Geographischen Institut in Münster unterrichten können, da dort ein Mangel an Lehrkräften herrsche.196 Dies wurde der Universität Münster zunächst auch ermöglicht,197 jedoch wurde Ringleb von der Entnazifizierungskommission belastet und daraufhin von der Militärregierung aus dem Dienst der Universität entlassen. Kurze Zeit später wurde er jedoch erneut entlastet und im Jahr 1950 wieder eingestellt,198 nachdem sich auch Müller-Wille für ihn eingesetzt und auf seine Fähigkeiten als Geograph hingewiesen hatte. Seine 189 190

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Niemeier 1953. LAV NRW R, NW 1039 N, Nr. 268, Entnazifizierungsakte Niemeier, Bescheid des Ausschusses II, o.D. Der Termin für die Kategorisierung Niemeiers wurde für den 3.2.1948 festgesetzt. Siehe ebd., Schreiben des Entnazifizierungs-Hauptausschusses des Stadtkreises Münster an Niemeier vom 13.1.1948. Siehe dazu auch ebd., Case Summary der Militärregierung, o.D. Ebd., NW 1039 R, Nr. 1776, Entnazifizierungsakte Riepenhausen, Case Summary der Militärregierung, o.D., in dem es heißt: „Recommendation of Denazification Commitee and reason: […] Dismissal! Has received an appointment by the Authorities, because he was known to them as an active Nazi.“ LWL-Archivamt, Bestand 132, Personalakten der ehemaligen Beschäftigen des LWL, Personalbogen Riepenhausen, o.D. Ebd., Schreiben des Entnazifizierungsausschusses der Stadt Münster vom 5.11.1948. LAV NRW R, NWO, Nr. 22132, Entnazifizierungsakte Riepenhausen, Vorschlagsliste für die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes vom Kultusministers des Landes NordrheinWestfalen vom 6.5.1974. Ebd., NWO, Nr. 9760, Entnazifizierungsakte Riepenhausen, Schreiben vom Deutschen Heimatbund an den Regierungspräsidenten in Münster vom 5.,12.1972, ebd., Schreiben des Oberstadtdirektors an den Regierungspräsidenten von Münster vom 21.3.1974. UAMs, Bestand 63, Nr. 12, Bd. 3, Schreiben des Dekans an das „Arbeitsamt der englischen Armee über Oberstleutnant Savage und den Stadtkommandanten“ vom 22.11.1945. UAMs, Bestand 10, Nr. 359, Auszahlungsordnung des Kurators für das Rechnungsjahr 1945. UAMs, Bestand 9, Nr. 398, Bd. 3, Schreiben vom Kurator an den Dekan vom 8.10.1945.

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Karrierechancen im akademischen Betrieb sahen in den Nachkriegsjahren jedoch schlecht aus, da er sich nicht habilitiert hatte und dies auch nicht beabsichtigte. Er schien es vorzuziehen, eine Anstellung an einem klimatologischen oder meteorologischen Instituts außerhalb der Universität zu finden. Müller-Wille erklärte sich dazu bereit, ihm bei der Suche zu helfen.199 Die Universität Münster kündigte Ringleb schließlich im März 1951.200 Ihm gelang es jedoch nicht, eine erhoffte Anstellung als Meteorologe zu bekommen.201 Das Geographische Institut der Universität Münster bot demnach nach dem Ende der NS-Herrschaft ein ambivalentes Bild: Einerseits wurde ein Neuanfang ermöglicht, andererseits wurde dieser von personellen und institutionellen Kontinuitäten begleitet. Schließlich lag es an den Wissenschaftlern selbst, die geographische Forschung in Münster neu zu gestalten und ihr Fach nach den Jahren der Verstrickung ins NS-System vor allem innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft – insbesondere auf internationaler Ebene – zu legitimieren.

Fazit Abschließend muss konstatiert werden, dass die Münsterschen Geographen, wie andere deutsche Wissenschaftler auch, ihre Stellung zwischen Wissenschaft, Politik und Verwaltung ausnutzten, um ihre eigene Karriere anzutreiben wie auch um das geographische Institut auszubauen. Am deutlichsten veranschaulichen dies die Karriereverläufe von Ludwig Mecking und Georg Niemeier. Hans Dörries geriet allerdings in seiner Rolle als Vermittler zwischen Provinzialverwaltung, Universität, Reichstelle für Raumordnung und REM in den Strudel nationalsozialistischer Wissenschaftspolitik. Auch er machte sich die neuen Bedingungen nach 1933 zu Nutze, um zunächst die Situation am Geographischen Institut zu verbessern. Ab 1936 wurde er durch seine guten Kontakte zu den oben genannten Instanzen und anderen regionalen Forschungsverbünden immer wichtiger für die Universität. Das Ordinariat von Ludwig Mecking fiel in eine Zeit, die von politischen Umbrüchen geprägt war. Die Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde von ihm begrüßt, da er sich eine Förderung der wissenschaftlichen Geographie an den Universitäten aufgrund der politischen Nähe zur nationalsozialistischen Ideologie erhoffte. So äußerte er sich in Fachzeitschriften schon 1934 über die „Blut und Boden“-Ideologie positiv und betonte ihre Grundlagen in der Humangeographie. Nach 1933 zeigte sich dann auch in Forschung und Lehre, dass Mecking ein „vehementer Befürworter einer nationalsozialistischen Ausrichtung der Geographie“202 199 200 201 202

Ebd., Schreiben von Müller-Wille an den Kurator vom 25.10.1950. UAMs, Bestand 10, Nr. 359, Schreiben des Kurators an Ringleb vom 14.11.1950. Ebd., Schreiben von Ringleb an den Kurator vom 22.12.1951, ebd., Schreiben von Ringleb an den Kurator vom 18.6.1951. Fischer 1991, S. 1199.

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war. Sein Wechsel nach Hamburg bedeutete auch einen Karrieresprung, da das dortige Institut viel besser ausgestattet war und er seine bisherigen Forschungsschwerpunkte besser anwenden und weiterführen konnte. In den Jahren 1936 bis 1945 nutzte Mecking seine Stellung ebenfalls aus und unternahm zahlreiche Forschungsreisen ins Ausland und hielt dort Vorträge vor Wehrmachtsangehörigen.203 Die Wissenschaftspolitik der frühen 1930er-Jahre war in Münster vom Beginn des Ausbaus der Zusammenarbeit der Universität mit der Provinzialverwaltung beziehungsweise mit dem Provinzialinstitut für Westfälische Landes- und Volkskunde geprägt. Zusammen mit den Veränderungen der politischen Linie durch die Ideologie der Nationalsozialisten bedeutete dies eine Schwerpunktverschiebung in Forschung und Lehre zugunsten der westfälischen Landeskunde. Der zu gründenden Geographischen Kommission sollte der Ordinarius für Geographie der Universität Münster vorstehen. Das Provinzialinstitut war daher an der richtigen Auswahl eines Nachfolgers von Mecking interessiert und setzte sich für den Landeskundler aus Göttingen, Hans Dörries, ein. Die Universität reagierte darauf mit der Schaffung einer ordentlichen Professur. Mit der Transformation des Staates durch die Nationalsozialisten sollte die Heimatforschung in der weltanschaulichen Erziehung eine wichtige Rolle einnehmen. Für die wissenschaftliche Forschung in Westfalen bedeutete dies, dass in vielen geisteswissenschaftlichen Disziplinen die westfälische Landeskunde vorrangig betrieben und stark gefördert werden sollte.204 Darin sah Dörries die Möglichkeit, nicht nur seine eigenen Forschungsinteressen und die seiner Mitarbeiter auszuweiten, sondern durch eine enge Zusammenarbeit mit der Provinzialverwaltung, vor allem mit dem Provinzialinstitut für westfälische Landes- und Volkskunde, mehr Gelder zur Verfügung gestellt zu bekommen. Dieses Ziel erreichte Dörries innerhalb kürzester Zeit. Die personelle und inhaltliche Verbindung von Universität und Provinz, die mit der Entstehung der Geographischen Kommission 1936 institutionell gesichert wurde, erlangte in den folgenden Jahren eine hohe Priorität. Sogar Personalentscheidungen wurden der Pflege von Querverbindungen untergeordnet. So wurde der Assistent Wilhelm Müller-Wille 1943 nach Göttingen versetzt, da Rektor Mevius die Beziehung zwischen den beiden tragenden Einrichtungen Westfalens durch sein Verhalten gefährdet sah. Letztlich hatten die politischen Vorstellungen der Gauleitung und der Provinzialverwaltung während des gesamten Ordinariats Dörries einen großen Einfluss auf die Entwicklung der Karriereverläufe der Münsterschen Geographen. Die Tätigkeiten von Hans Dörries während des Zweiten Weltkrieges waren äußerst vielfältig. Neben einer Reihe von Vorträgen, die einen patriotischen Zweck erfüllen sollten, führte er kartographische Forschungsaufträge für die Forschungs203 204

Die Person von Ludwig Mecking und insbesondere seine Hamburger Zeit wird in meiner Dissertation ausführlich behandelt werden. Die Schwerpunktverschiebung im Nationalsozialismus zugunsten einzelner geographischer Disziplinen soll in meiner Dissertation ausführlich behandelt werden.

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staffel von Otto Schulz-Kampfhenkel und die Marinegeographischen Stelle in Würzburg aus. Diese waren kriegswichtig, wie immer wieder seitens des Reichsforschungsrates betont wurde, und wurden demnach mit beträchtlichen Summen gefördert. Dörries und sein Assistent waren es weiterhin, die bei der so genannten Aktion Ritterbusch mitwirkten, indem sie ihre Forschungen einem eindeutig politisch motivierten Publikationsprojekt zur Verfügung stellten. Folglich muss man zu dem Schluss gelangen, dass sich die Mitglieder des Geographischen Instituts in Münster insbesondere in der Zeit von 1939 bis 1945 in den Dienst des Nationalsozialismus stellten. Der Tod von Hans Dörries verzögerte die Wiederaufbauarbeit am Geographischen Institut, da zunächst ein Nachfolger gefunden werden musste. Nach einer langen und komplizierten Suche erhielt schließlich sein Assistent Wilhelm Müller-Wille das Nachkriegsordinariat in Münster. In den 1950er- und 1960er-Jahren verbesserte sich die personelle und materielle Situation am Institut deutlich, bis es schließlich in den 1970er-Jahren zu einer Ausdifferenzierung der geographischen Wissenschaft kam, die mit einer institutionellen Aufgliederung verbunden war.

Literatur Böhm, Hans, Geographie, in: Elvert, Jürgen/Nielsen-Sikora, Jürgen (Hg.), Kulturwissenschaften und Nationalsozialismus (Historische Mitteilungen. Beihefte 72), Essen 2008, S. 359–389. Böhm, Hans (Hg.), Beiträge zur Geschichte der Geographie an der Universität Bonn (Colloquium Geographicum 21), Bonn 1991. Brogiato, Heinz-Peter, „Wissen ist Macht – Geographisches Wissen ist Weltmacht“. Die schulgeographischen Zeitschriften im deutschsprachigen Raum (1880– 1945) unter besonderer Berücksichtigung des Geographischen Anzeigers, Teil 1: Textband (Materialien zur Didaktik der Geographie 18), Trier 1998. Burchard, Albrecht, Ludwig Mecking zum 60. Geburtstag, in: Geographischer Anzeiger 40 (1939), S. 201–205. Dietz, Burkhard/Arndt, Johannes (Hg.), Der Griff nach dem Westen. Die „Westforschung“ der völkisch-nationalen Wissenschaften zum nordwesteuropäischen Raum (Studien zur Geschichte und Kultur Nordwesteuropas 6), 2 Bde. Münster 2003. Ditt, Karl, Raum und Volkstum. Die Kulturpolitik des Provinzialverbandes Westfalen 1923–1945 (Veröffentlichungen des Provinzialinstituts für Landes- und Volksforschung des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe 26), Münster 1988. Dörries, Hans, Landesforschung und Landesplanung, in: Westfälische Forschungen 2 (1939), S. 1–18.

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Geographie an der Universität Münster 1918 bis 1950

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Leibesübungen, Sport und Sportwissenschaft an der Universität Münster von den Anfängen bis in die 1960er-Jahre Die Geschichte der Leibesübungen und des Sports in Münster – dazu gehört auch die Westfälische Wilhelms-Universität – wurde umfassend und an Originalquellen bearbeitet in dem federführend von Hans Langenfeld und Klaus Prange verfassten Band „Münster – die Stadt und ihr Sport“ dargestellt.1 Darin wird auch die Verbindung von Leibesübungen, Turnen, Spiel und Sport an der Universität mit den Turn- und Sportaktivitäten an Münsters Schulen und in den zahlreichen Vereinen der Stadt deutlich. Die Stadt Münster selbst und ihre verantwortlichen Räte und Beamten waren und sind sich dieser Verflechtungen ebenso bewusst wie die Universitätsleitungen, aber auch die Vereine und Verbände von Turnen und Sport der Stadt, die seit 1919 im Stadtverband für Leibesübungen (heute Stadtsportbund) zusammengeschlossen sind; nicht zu vergessen die Katholische Kirche und die Einrichtungen der Königlich Preußischen Armee, dann der Reichswehr. Obwohl Leibesübungen, Spiel und Sport nicht an erster Stelle der Prioritätenliste dieser Institutionen stand, die alle einem Erziehungsauftrag verpflichtet sind, versuchten sie dennoch, den sportlichen Bedürfnissen ihrer jugendlicher Klientel so weit wie möglich entgegen zu kommen, sofern sich diese mit den Interessen ihrer jeweiligen Institution vereinbaren ließen. Man kann deshalb zwar nicht davon sprechen, dass Münster eine „Sportstadt“ sei, aber sie war und ist eine Verwaltungs- und Universitätsstadt mit einem selbstbewussten Bürgertum und vielen jungen Menschen, die stets neuen Schwung und neues Leben in die Stadt bringen. Universität, studentische Burschenschaften und Korporationen, Schulen, bürgerschaftliche Vereine, Militär und Kirche in Münster hatten und haben es meistens mit jungen Menschen zu tun, die in der Regel gerne Sport treiben und von denen nicht wenige ausgesprochen sportbegeistert sind. Dies traf auch schon um 1900 zu und erklärt, dass diese die Stadt Münster prägenden (Erziehungs-)Institutionen dem Sport in der Regel aufgeschlossen gegenüberstanden und sich bemühten, den Schülern, Studenten, christlichen jungen Männern (und später auch Frauen) sowie jungen Rekruten einerseits Möglichkeiten zum Sporttreiben zu bieten und den Sport andererseits zu einem Bestandteil der Erziehung und Ausbildung in ihrer jeweiligen Institution zu machen. In diesem Beitrag wird es nun darum gehen, den Focus auf die spezifische Entwicklung des Universitätssports zu richten und an einzelnen ausgewählten Bei1

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spielen, Ereignissen und Personen auf die Beziehungen zum Sportleben außerhalb der Universität einzugehen. Die bereits von Langenfeld und Prange ausgewerteten Quellen von Stadt (einschließlich der Vereine) und Universität wurden zu diesem Zweck durch vertiefende Studien im Universitätsarchiv Münster ergänzt. Ziel ist es, die Geschichte der Leibesübungen, des Sports und der Sportwissenschaft an der Universität Münster von den Anfängen über die Höhepunkte zur Zeit der Weimarer Republik und unter nationalsozialistischer Herrschaft bis zum Zusammenbruch und Neuanfang nach 1945 in den wesentlichen Strukturen und Ereignissen zu rekonstruieren, darzustellen und zu analysieren.

Fecht- und Turnlehrer an der Universität Münster Im Jahre 1902 hatte Kaiser Wilhelm II. die Akademische Lehranstalt Münster wieder in den Stand einer Universität erhoben. Im Jahr darauf wurde bereits ein Universitäts-Turn- und Fechtlehrer eingestellt. Er hatte nicht nur die Aufgabe, für die Studenten Turn- und Fechtkurse anzubieten, sondern ebenso an der Ausbildung von Turnlehrern für die Schulen in Westfalen mitzuwirken, indem er im Namen und unter der Leitung der Schulbehörden akademische Turnlehrerkurse für die künftigen Lehrer an den Höheren Schulen durchführte, und – dem Trend um 1900 entsprechend – darüber hinaus die „Volks- und Jugendspiele“ leitete, wie es ausdrücklich in seiner Aufgabenbeschreibung hieß.2 Im Vergleich zu anderen Universitäten in Deutschland war die Anstellung eines akademischen Turnlehrers nichts Neues und Besonderes. Münster hinkte der Entwicklung wegen der späten Universitätsgründung eher hinterher. An den alten, renommierten Universitäten wie Göttingen, Heidelberg oder Tübingen wirkten schon seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts fest angestellte Universitätsturnlehrer, die an die Stelle der aus der Zeit der Ritterakademien stammenden Reit- und Fechtlehrer getreten waren und das „Turnen“ als damals moderne, nationale Körperkultur der Deutschen nicht nur vertraten, sondern auch im Titel führten. Als erster Universitäts-Turn- und Fechtlehrer der Universität Münster wurde der Turnlehrer des Turnvereins Münster von 1862 e.V., Wilhelm Becker, verpflichtet – für zehn Stunden in der Woche bei einem Jahresgehalt von 1.000 Mark (ein Gymnasiallehrer verdiente um 1900 etwa 4.000 Mark im Jahr). Becker war gewissermaßen der „Turnvater“ Münsters, der das klassische Turnen an Geräten, die „volkstümlichen“ turnerischen Übungen im Freien sowie die exerziermäßig betriebenen Frei- und Ordnungsübungen in den Schulen und Vereinen Münsters propagierte und sich darüber hinaus um die Verbreitung moderner „Volks- und Jugendspiele“ bemühte. Mit diesem Begriff wurden sowohl die deutschen Turnspiele wie Faustball und Schlagball, aber auch neue, moderne Rasenspiele aus England wie Fußball, 2

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Hockey, Cricket oder Tennis bezeichnet, die bei den Studenten und der bürgerlichen Gesellschaft Münsters immer beliebter wurden. Die Begeisterung der Münsterschen Bevölkerung für Turnen und Sport hielt sich um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert dennoch in Grenzen. Erst vergleichsweise spät kam es im Münsterland und seinem urbanen Zentrum, der Stadt Münster, zu Turn- und Sportvereinsgründungen. Natürlich gab es wie überall an den Gymnasien verpflichtenden Turnunterricht, und in den Studentenverbindungen wurde gefochten und ein bisschen geturnt. Die Gründung der Akademischen Turnverbindung Westmark, die das Turnen als wesentlichen Zweck im Namen trug und Mitglied im Akademischen Turnbund von 1883 war, wird auf 1902, das Jahr der Universitätsgründung, datiert. Gemeint war mit „Turnen“ in der Akademischen Turnverbindung und im Akademischen Turnbund jedoch nicht nur das aktive Turnen mit und ohne Turngeräte, sondern die von den Turnern vertretenen nationalen Ideale und die Pflege vaterländischen Bewusstseins durch Gesang und Geselligkeit vor und nach dem eigentlichen, körperlichen Turnen. Universitätsturnlehrer Becker kann für die Anfangszeit der Universität und des Universitätssports als ein Beispiel für die Verbindung von Universität, Stadt und bürgerlicher Gesellschaft in Münster angesehen werden.3 Er war ein viel gefragter Mann, wenn es um Turnen, Spiel und Sport in Münster ging, egal ob in den Schulen, den Turn- und Sportvereinen oder auch der Universität. Gleichwohl waren die Münsteraner um 1900 eher gemäßigt an Turnen und Sport interessiert. Dies traf auch auf die Universitätsleitung zu, die mit der Anstellung eines Universitätsturnlehrers ihrer Pflicht Genüge getan zu haben glaubte. Eine eigene Universitätsturnhalle oder ein von der Universität gepflegtes Freigelände für Spiele und athletische Übungen, wie es in England selbstverständlich war und auch an deutschen Universitäten wie Breslau, Königsberg, Göttingen, Heidelberg oder Marburg Verbreitung fand, gab es nicht. Diese Zurückhaltung der Universität in Sachen Sportstätten galt genauso für die Stadt Münster, die keine eigenen Turn- und Sportanlagen betrieb. Die Bürger Münsters sorgten selbst für ihre Sportstätten, indem sie sich zu Turn- und Sportvereinen zusammen schlossen und vereinseigene Anlagen bauten: der Turnverein die Turnhalle am Breul, die Münsterschen Fußballvereine ihre Rasen-Spielplätze vor der Stadt auf der Loddenheide und die Schwimm- und Rudervereine ihre Anlagen an der Werse und am Kanal, der 1899 von Kaiser Wilhelm in Dortmund eingeweiht worden war.4

3 4

Vgl. sein Porträt in Langenfeld/Prange 2002, S. 107–109, sowie seinen Nachlass, UAMs, Bestand 183. Vgl. die einschlägigen Kapitel bei Langenfeld/Prange 2002.

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Otto Hoffmann – praeceptor gymnasticae Erst allmählich nahm die Sportbegeisterung bei den Studenten in einem Maße zu, dass diese auch materiell, in Form des Baus von Sportanlagen, und institutionell Resonanz fand. Erste Einrichtungen an der Universität, die sich neben dem angestellten Universitäts-Turn- und Fechtlehrer – nach dem Tod Wilhelm Beckers 1908 waren dies die Turnlehrer Carl Roux aus Leipzig (1908/09) und Georg Wegener aus Berlin (seit 1909) – um die Turn- und Sportinteressen der Studentenschaft in Münster kümmerten, waren der 1910 gegründete Akademische Ausschuss für Leibesübungen an der Universität und der 1912 ins Leben gerufene Studentenausschuss für Leibesübungen. Er kann auch als eine frühe Form studentischer Mitbestimmung an der Universität verstanden werden – auf einem Gebiet, das der Professorenschaft als eher nebensächlich erschien, für die Studenten selbst aber ein Betätigungsfeld darstellte, auf dem sie über ihr Studium im engeren Sinn hinaus sowohl ihrem Sport- und Bewegungsdrang nachkommen als auch sinnvoll ihre Freizeit verbringen, Freundschaften pflegen und bei einigen „sports“ wie zum Beispiel Tennis auch „flirten“ konnten. Schließlich war der Sport „modern“ und nicht zuletzt ein Thema, bei dem man Vaterlandsliebe und Nationalbewusstsein demonstrieren konnte. Otto Hoffmann, der den Vorsitz im Akademischen Ausschuss für Leibesübungen innehatte, setzte sich besonders für die Gründung des Studentenausschusses für Leibesübungen ein und begründete mit dieser Initiative seinen Ruf als wichtigster Förderer von Leibesübungen, Spiel und Sport der Universität Münster. Unter seiner Leitung wurde 1913 dann das erste Universitäts-Sportfest in Münster durchgeführt.5 Hoffmann konnte allerdings bereits auf einer beachtlichen akademischen Sporttradition in Münster aufbauen. Es gab einen Akademischen Schwimm- und Ruderverein (gegründet 1891), die Akademische Turnverbindung Westmark (gegründet 1902) und schließlich seit 1910 den Akademischen Sportclub, dessen Mitglieder sich vor allem der Leichtathletik, dem „Olympischen Sport“ verschrieben. Der Akademische Sportclub, der auch von der Universität unterstützt wurde,6 richtete 1911 im Auftrag der Deutschen Sportbehörde für Athletik, des Vorläufers des heutigen Deutschen Leichtathletikverbandes, die ersten Deutschen Meisterschaften im leichtathletischen Zehnkampf aus. Teilnehmer war unter anderem der spätere Begründer der deutschen Sportmedizin, der Arzt Dr. Arthur Mallwitz.7 Im Zehnkampf siegte Karl Halt. Er war 1944 der letzte „Reichssportführer“ und von 1951 bis 1960 Präsident des Nationalen Olympischen Komitees für Deutschland.

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Langenfeld/Prange 2002, S. 186. Beispielsweise gab sie Mittel für die Anschaffung von elf Hockeyschlägern, um „am Bockplatz vor dem Buddenturm gegen einen auswärtigen Verein das einzige Hockeyspiel in Münster in den Vorkriegszeiten“ auszutragen, Ostrup 1929, S. 4. Ebd. Illustrierte Sportzeitung 20 (1911), S. 1013–1014.

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Der Akademische Sportclub war bereits 1910 als Organisator der „I. Nationalen Olympischen Spiele“ in Münster aufgetreten, die unter der Schirmherrschaft des Staatsministers a. D. von der Recke und des Oberpräsidenten der Provinz Westfalen standen. Es wurden ausschließlich (leicht-)athletische Wettkämpfe, bei denen auch Ehrenpreise verliehen wurden, ausgetragen, unter anderem auch ein Stafettenlauf „für aktive Militärs des Heeres und der Marine“, aber auch ein „Dreikampf für Turner“ (100 Meter, Steinstoßen und Weitsprung). 1911 und 1912 wurden diese akademischen Olympien wiederholt, dann aber wegen des Weltkriegs und der geplanten Olympischen Spiele von 1916 in Berlin ausgesetzt. Die „Marke“ Olympia sollte auf die Spiele von Berlin begrenzt bleiben.8 Der 1865 in Hannover geborene Otto Hoffmann war nicht nur ein begeisterter Turner und vor allem Sportler, sondern ein ebenso respektabler Professor und Politiker. 1909 wurde er auf den Lehrstuhl für vergleichende Sprachwissenschaft an der Universität Münster berufen, den er bis zu seiner Emeritierung 1933 innehatte. 1928 verliehen ihm die Medizinische und 1935 die Staats- und Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität für seine Verdienste als „langjähriger eifriger Förderer der körperlichen Ausbildung der Studierenden“ Ehrendoktorwürden. Hoffmann war schon in der Kaiserzeit ein angesehenes Mitglied der bildungsbürgerlichen Münsterschen Gesellschaft, was sich auch daran erkennen lässt, dass er 1913 den preußischen Roten Adlerorden IV. Klasse verliehen bekam, den im Übrigen auch Turnlehrer Becker schon erhalten hatte. Hoffmanns große Zeit als Sport- und Hochschulpolitiker kam jedoch in der Weimarer Republik. Am Ende des Kriegs hatte er sich der Deutschen Vaterlandspartei angeschlossen, aus der dann die von dem „Pressezaren“ Alfred Hugenberg geführte DNVP hervorging. Hoffmann zählte 1918 zu den ersten Mitgliedern dieser rechtskonservativen und nationalen beziehungsweise nationalistischen Partei, die später Adolf Hitler an die Macht verhelfen sollte, und wurde zum Vorsitzenden des Landesverbandes Westfalen-Nord gewählt. Danach war er auf praktisch allen lokalen und regionalen politischen Ebenen als Funktionär und Abgeordneter der DNVP tätig, insbesondere als Stadtverordneter (von 1919 bis 1929), als Abgeordneter im Provinziallandtag Westfalen (von 1926 bis 1929) und bis zum Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft im preußischen Landtag (von 1921 bis 1933). Außerdem war er 1925/1926 Rektor und 1926/1927 Prorektor der Universität Münster.9 In diesen Ämtern vertrat Hoffmann nicht nur die nationalistischen und revanchistischen Ziele seiner Partei, sondern er setzte sich außerordentlich für die Pflege von Turnen und Sport und den Bau von Sportstätten ein. Dies war natürlich kein Gegensatz; denn gerade die konservativen und nationalen Parteien und Gruppie8 9

Langenfeld/Prange 2002, S. 167. Athletik Jahrbuch 10 (1914), S. 267. Nach diesen Akten und unter der Perspektive von Leibesübungen siehe bei Langenfeld/ Prange 2002, S. 254–256, ein Porträt von ihm. Eine Bronzebüste Hoffmanns ist im Eingangsbereich des Instituts für Sportwissenschaft Münster (Verwaltungsgebäude Horstmarer Landweg 62 b) aufgestellt.

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rungen förderten den Sport in besonderer Weise, weil sie in ihm einen Ersatz für die Wehrpflicht sahen, die in Deutschland nach der Niederlage des Weltkriegs durch den Versailler Vertrag abgeschafft worden war. Lediglich ein Heer von 100.000 Mann durfte noch unterhalten werden. Aber die Armee als „Schule der Nation“, wie es in preußischer Tradition im Kaiserreich geheißen hatte, existierte nicht mehr. Viele Aktivisten schlossen sich deshalb nach dem Krieg paramilitärischen Freikorps oder dem „Stahlhelm“, der stärksten Organisation ehemaliger Frontsoldaten, an. Und dann gab es noch den Sport, der nur entsprechend militärisch aufgerüstet werden musste, dachten sich sowohl arbeitslose Militärs als auch nationalistische Politiker, für die die teilweise Entmilitarisierung Deutschlands einer nationalen Demütigung gleich kam. Außerdem hatten schon die verantwortlichen Offiziere der Königlich Preußischen Armee dem Sport mit großen Sympathien gegenübergestanden – dem Kampfspiel Fußball, das sich aus ihrer Sicht ausgezeichnet für die Schulung des Kampfeswillens der Mannschaften eignete, und den vornehmen „Gentlemensports“ wie Segeln und Jagen, aber auch Reiten und Rudern, weil sie der Kaiser selbst gerne betrieb oder durch die Stiftung von Pokalen förderte. Allein aus diesem Grund war Sport in der besseren wilhelminischen Gesellschaft „en vogue“. Solche Beziehungen zwischen der Armee und der Universität sowie auch den Turn- und Sportvereinen der Stadt hatte es im Übrigen in der Garnisonsstadt Münster ebenfalls gegeben. Die Offiziere in Münster, an erster Stelle Generaloberst Freiherr Moritz Ferdinand von Bissing, stellten schon um 1900 bereitwillig Exerzierplätze zur Verfügung, wo Turnfeste und Turnspiele durchgeführt wurden und fußballbegeisterte Schüler und Studenten spielen konnten. Dies gilt in Münster für den Hindenburgplatz (bis 1928 Neuplatz) ebenso wie für die Loddenheide, die ebenfalls Exerziergelände war, den Richtübungsplatz des Feldartellerie-Regiments vor dem Neutor, den Bockplatz an der Münzstraße oder den Minoritenplatz an der Neubrückenstraße, die regelmäßig als Turn-, Spiel- und Sportplätze genutzt wurden.10

Das Sportgelände am Horstmarer Landweg Nachdem 1920 die versammelte deutsche Studentenschaft auf dem Zweiten deutschen Studententag in Göttingen die Einführung einer Sportpflicht für alle Studenten gefordert hatte, versuchte Hoffmann in Münster die materiellen und personellen Voraussetzungen für die Realisierung dieser Forderung zu schaffen.11 In der Stadtverordnetenversammlung setzte er 1921 praktisch im Alleingang durch, 10 11

Vgl. Langenfeld/Prange 2002, S. 191. Vgl. den Bericht über den Göttinger Studententag: Die Einführung pflichtgemäßer Leibesübungen 1920. Die Bedeutung dieses zweiten deutschen Studententages für die Entwicklung der Leibesübungen und des Sports an den deutschen Universitäten hat Buss 1975 in seiner Dissertation untersucht. Ebenso Buss 2009.

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dass die Stadt dem Verkauf des Geländes auf dem Horstmarer Landweg an die Fördergesellschaft der Westfälischen Wilhelms-Universität zustimmte. Die Universität selbst beteiligte sich weder am Kauf des Grundstücks noch an den Kosten für den Bau eines Sportplatzes und eines „Sportheims“ am Horstmarer Landweg. Die Mittel wurden durch private Geldgeber aufgebracht. Die Fördergesellschaft der Universität, der einflussreiche Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft Münsters angehörten, finanzierte die Baumaßnahme.12 Der damals moderne und bewunderte Sportplatz mit gepflegtem Rasen, sechs Laufbahnen und einer Tribüne an der westlichen Längsseite konnte im März 1923 eingeweiht werden. Das „Sportheim“ folgte mit einer feierlichen Zeremonie unter großer Anteilnahme der Studenten- und Dozentenschaft und in Anwesenheit von zahlreichen Vertretern des Erziehungsministeriums sowie städtischer Behörden am 15. Juli 1927. In der Chronik der Universität hieß es dazu folgendermaßen: „Mit Unterstützung der Unterrichtsverwaltung ist von Freunden der Universität eine Einrichtung geschaffen, die die Möglichkeit bietet, wissenschaftliche Forschung, körperliche Erziehung und studentische Geselligkeit zu vereinen und die somit für die Erziehung der akademischen Jugend neue und erfolgversprechende Wege weist.“13

Hugo Wagner und die Gründung des Instituts für Leibesübungen 1925 Parallel zum Bau der bis heute genutzten Sportanlagen am Horstmarer Landweg stellte Hoffmann die personellen Weichen für die Etablierung des Sports und der Sportwissenschaft an der Universität Münster. Auf sein Betreiben wurde im Januar 1924 Hugo Wagner als akademischer Turn- und Sportlehrer in den Dienst der Universität gestellt. Wagner stammte aus Lüneburg und war ein guter, erfolgreicher Sportler, insbesondere Leichtathlet und Fußballer beim FC Preußen 06. Er hatte an der Universität Münster die Fächer Deutsch, Geschichte und Latein studiert sowie 1914 den Turnlehrerkurs absolviert.14 Sporthistorisch gesehen repräsentierte Wagner einen neuen Typ des Turn- und Sportlehrers. Er kam nicht mehr aus dem wertkonservativen und eher kleinbürgerlich-handwerklichen Turnerlager, sondern aus dem – damals – modernen Sport. Mit ihm endete in Münster und an der Universität so gesehen die Ära der körperkultu-

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Siehe den Beitrag von Johannes Schäfer zur Fördergesellschaft der Universität in diesem Band. Chronik 1927/28, S. 31. Vgl. zu seiner Biografie ausführlicher Langenfeld/Prange 2002, S. 315–318. Siehe außerdem die Chroniken der Westfälischen Wilhelms-Universität aus den 1920er-Jahre, in denen immer wieder vom Institut für Leibesübungen und von Hugo Wagner die Rede ist, z. T. auch mit von ihm selbst verfassten Texten, sowie seine Darstellung des Instituts im Studienführer der Universität von 1931: Wagner 1931.

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rellen Vorherrschaft des Turnens und der Universitätsturnlehrer, und es begann die neue Zeit des Sports. Mit der Einstellung Wagners reagierte die Universität auf verschiedene „Noten“ und Erlasse des Preußischen Ministers für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung der Jahre 1924 und 1925, in denen von den Schulen und Universitäten gefordert wurde, den Sport und die körperliche Erziehung der Studenten entschiedener zu fördern. Zu diesem Zweck wurde auch verfügt, dass in Preußen (und in der Folge im ganzen Deutschen Reich) „Institute für Leibesübungen“ geschaffen werden sollten, in denen alle Einrichtungen der Universität zusammengefasst werden mussten, „welche dem Betriebe der Leibesübungen an der Universität dienen“.15 Die Leitung dieses Instituts oblag dem akademischen Turn- und Sportlehrer der Universität und stand unter Aufsicht eines ordentlichen Professors – Otto Hoffmann.16 Das Jahr 1925 kann also mit Recht als Gründungsjahr des Instituts für Leibesübungen und damit des Hochschulsports und der Sportwissenschaft an der Universität Münster bezeichnet werden, obwohl zu diesem Zeitpunkt von wissenschaftlicher Forschung auf dem Gebiet des Sports noch nicht die Rede sein konnte. Nachdem Hugo Wagner 1927 auf Drängen seines Mentors Hoffmann seine Promotion mit der Note „gut“ abgeschlossen hatte,17 wurde er 1928 offiziell zum „Direktor“ des Instituts für Leibesübungen ernannt. Das Institut gehörte keiner Fakultät an, sondern unterstand dem „Akademischen Ausschuss für Leibesübungen“ der Universität. Mitglieder waren neben dem Rektor, der den Vorsitz innehatte, Vertreter der Fakultäten und der Studentenschaft sowie der Direktor des Instituts für Leibesübungen. Die treibende Kraft im Akademischen Ausschuss für Leibesübungen war Otto Hoffmann.

Sportpflicht an der Universität Münster Das Ministerium kam zögerlich der studentischen Forderung nach Einführung einer allgemeinen Sportpflicht an den Universitäten nach. Im März 1925 wurde sie zunächst für alle Philologiestudenten (Lehramtsstudenten) verfügt, von der Universitätsleitung allerdings nur halbherzig umgesetzt. Dies veranlasste Hugo Wagner zu einem Schreiben an seine Magnifizenz, den Rektor der Universität, den Erlass zur Sportpflicht doch bitte publik zu machen.18 Unterstützt wurde Wagner von der Medizinischen Fakultät, die sich um den Gesundheitszustand der studentischen Jugend ebenso sorgte wie um ihre militäri15 16 17 18

UAMs, Bestand 4 Nr. 636, Erlass des Preußischen Ministers für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, 30.9.1925. Ebd. Das Thema der Dissertation lautete: „Untersuchungen über die Frage der turnerischen und sportlichen Höchstleistung und ihre besondere Bedeutung für die Jugendbildung“. UAMs, Bestand 4, Nr. 636, Schreiben Wagner an Rektor, 19.5.1925.

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sche Fitness. „Die Medizinische Fakultät Münster begrüßt alle Bestrebungen“, hieß es in einem Bericht an den Rektor, „ welche darauf hinzielen, der körperlichen Ausbildung der deutschen Jugend neben der wissenschaftlichen das ihr gebührende Recht einzuräumen. Sie ist überzeugt, dass der Fortfall der militärischen Ausbildung und der damit verbundenen körperlichen Durcharbeitung in entscheidenden Entwicklungsjahren es notwendig macht, daß mehr als bisher auch die Studierenden aller Fakultäten darauf hingewiesen werden, sich an der praktischen Leibesübung zu beteiligen.“19

Der Rektor schloss sich dieser Meinung an und begründete die Einführung des Pflichtsports in seinem Bericht in der Chronik 1929/30 damit, dass der Gesundheitszustand der Studierenden schlecht sei. „Die Zahl der Tuberkulösen unter den Neuimmatrikulierten übersteigt in Prozenten den Volksdurchschnitt, und die Aufwendungen für Tuberkuloseheilverfahren betrugen allein 31000 RM gegenüber 20000 RM im Vorjahr.“20 Hinzu kamen Unter- und Mangelernährung, Erschöpfungszustände sowie mangelhafte hygienische Zustände in den Studentenwohnungen, die zu dem insgesamt schlechten Gesundheitszustand der Studierenden führten. Wegen der gestiegenen Krankheitskosten drängte auch die Akademische Krankenkasse auf Maßnahmen zur Verbesserung des Gesundheitszustandes der Studenten. Sie bestanden in Vorsorgeuntersuchungen, die von der Medizinischen Fakultät durchgeführt wurden, in der Einrichtung einer „Mensa Academica“, aber auch in Turnen, Spiel und Sport, für die das Institut für Leibesübungen zuständig war. Die Leibesübungen wurden auch in Münster, um ein Wort des damaligen Oberbürgermeisters von Köln, Dr. Konrad Adenauer, zu zitieren, als „Arzt am Krankenlager des Volkes“ angesehen.

Leibesübungen als Studienfach Parallel zu den Maßnahmen der Universität, die darauf zielten, den Gesundheitszustand und die Wehrfähigkeit der Studenten zu heben, kam, wiederum angestoßen durch die Studentenschaft und das Preußische Kultusministerium, eine Diskussion auf, Leibesübungen als Hauptfach für das Lehramt studieren zu dürfen. Bis dahin war es nur möglich, Leibesübungen als Ergänzungs- und Nebenfach im Rahmen 19

20

Ebd., Schreiben der Medizinischen Fakultät an den Rektor betreffend Einführung des Turnens als Hauptprüfungsfach für das Höhere Lehramt, 28.2.1928. In dieser Akte sind neben den Erlassen und „Noten“ des Kultusministeriums weitere Gutachten zum Erlass des Preußischen Ministers für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung vom 23. Dezember 1927 über die Einführung des Faches Leibesübungen als Haupt- und Nebenfach innerhalb der Lehramtsprüfung an Höheren Schulen enthalten, unter anderem die im Folgenden zitierte abschließende Stellungnahme der Universität vom 25. Februar 1928, unterzeichnet von Otto Hoffmann. Zur Bedeutung dieses Erlasses für die Einführung einer akademischen Sportlehrerausbildung, vgl. Buss 2009. Chronik 1929/30, S. 11–12.

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des – in der Regel – Zwei-Fach-Lehramtsstudiums zu belegen. In einer Note des Ministeriums vom 23. Dezember 1927 wurde nun die „Einführung des Fachs Leibesübungen als Hauptfach innerhalb der Lehramtsprüfung an Höheren Schulen“ verfügt. Das Studium war auf acht Semester ausgelegt und beinhaltete eine fachpraktische Ausbildung „in allen Hauptzweigen der Leibesübungen“, wie es hieß, sprich: „Körperschule“, Leichtathletik, Geräteturnen, Spiele, Wandern, Schwimmen, Rudern, Wintersport und so weiter, die von den Turn- und Sportlehrern des Instituts für Leibesübungen erteilt werden sollten, sowie Vorlesungen und „wissenschaftliche Übungen“, die von Lehrkräften der Universität übernommen werden mussten. Diese Vorschläge gingen dann aber der Professorenschaft in Münster doch zu weit. Selbst Otto Hoffmann wollte sich mit dem Gedanken, dass Leibesübungen und Sport ein gleichberechtigtes akademisches Studienfach sein sollten, noch nicht anfreunden. Die Universität reagierte auf die Anordnung des Erziehungsministeriums mit einer klaren Ablehnung. Sie sei nicht bereit, Leibesübungen als Hauptfach im Rahmen der Staatsprüfung zuzulassen. Die körperliche Erziehung dürfe nicht mit der geistigen gleichgesetzt werden, hieß es. Bei aller Berechtigung einer angemessenen körperlichen Betätigung der Studenten dürfe es nicht zu einer Überbewertung der Leibeserziehung kommen. Leibesübungen seien auch kein Forschungsgebiet der Universität, das mit anderen gleichgesetzt werden dürfe. Lediglich die didaktische Verwendung von Kenntnissen und Einsichten über Leibesübungen aus anderen, selbständigen Disziplinen wie Medizin, Psychologie, Pädagogik oder Geschichte sei für eine theoretische Ausbildung im Neben- oder Ergänzungsfach Leibesübungen akzeptabel. Außerdem führe eine übertriebene sportliche Betätigung der Studenten zu geistiger Erschöpfung, was wiederum das eigentliche Studium beeinträchtige. „Die heute nach fremden Vorbildern sich überall breitmachende Überschätzung körperlicher Leistungen“, hieß es in dem Gutachten der Universität Münster vom 25. Februar 1928, „droht die Eigenart der deutschen Kultur zu zerstören, zu deren Trägern mit in erster Linie die akademisch gebildeten Kreise gehören.“ Diesem Gutachten, das der Vorsitzende des Akademischen Ausschusses für Leibesübungen, Professor Otto Hoffmann, nach Berlin schickte, schlossen sich andere Universitäten wie Marburg und Frankfurt am Main an. Darin wurde die Auffassung vertreten, dass ein achtsemestriges Studium der Leibesübungen im Hauptfach für das Höhere Lehramt, das die Einrichtung eines eigenständigen akademischen Fachs Leibesübungen zur Folge haben müsste, unnötig sei. Ausreichend sei wie bisher ein viersemestriges praktisches Studium, das vom Institut für Leibesübungen und seinem Direktor geleitet werde. Gegebenenfalls könnten zusätzliche theoretische Lehrveranstaltungen in den Semesterferien beziehungsweise in den Oster- und Herbstferien angeboten werden. Trotz der ablehnenden Haltung der Münsterschen Professorenschaft verfügte das Preußische Erziehungsministerium mit Erlass vom 1. August 1929 die Neuord-

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nung der Turn- und Sportlehrerausbildung an den Höheren Schulen in Preußen.21 Sie trat zum Sommersemester 1930 in Kraft. Demnach konnte nun die Lehrbefähigung im Fach Leibesübungen im Haupt- und Nebenfach für das Höhere Lehramt innerhalb der Lehramtsprüfung erworben werden. Allerdings war es nicht möglich, eine Erste Staatsarbeit im Fach Leibesübungen zu schreiben, weil es keinen akademisch ausgewiesenen, das heißt habilitierten Professor für Leibesübungen oder Leibeserziehung, sondern nur einen gerade promovierten Institutsdirektor gab. Das Ministerium nahm sich jedoch die Einwände der Professorenschaft zu Herzen und legte Wert auf eine qualitativ anspruchsvolle, wissenschaftlich fundierte Lehramtsausbildung in Leibesübungen. Dem akademischen Turn- und Sportlehrer sei es unbenommen, sich zu habilitieren, hieß es in einer Verordnung. Zu beachten sei jedoch, dass die Erteilung eines Lehrauftrags nur bei Vorliegen besonderer Gründe und nur für habilitierte Turn- und Sportlehrer in Frage käme. Nach dieser Verordnung durften die theoretischen Lehrveranstaltungen in Leibesübungen also nur von qualifizierten Professoren aus anderen Fächern oder vom Leiter des Institut für Leibesübungen erteilt werden, sofern er habilitiert oder zumindest promoviert war. Dr. Hugo Wagner erfüllte diese Auflage nur ansatzweise. Bei den Lehrkräften für Leibesübungen am Institut – 1925 waren es neben dem Leiter ein Assistent und sieben Hilfskräfte – in den praktischen Fächern handelte es sich in der Regel um gute Turner und Sportler, aber zumeist ohne akademische Qualifikation.

Sportärzte In der neuen Studienordnung spielte die Sportmedizin eine wichtige Rolle. Alle Beteiligten im Ministerium und im Akademischen Ausschuss für Leibesübungen waren sich einig, dass eine sportmedizinische Betreuung der Sportstudenten ebenso unverzichtbar sei wie medizinische Grundlagen des Studiums in Leibesübungen, insbesondere in Anatomie und Physiologie, aber auch Orthopädie, Hygiene und Ernährung. Die Medizinische Fakultät stellte bereitwillig einen Arzt zur Verfügung, der diese Aufgaben übernehmen sollte. Der erste in dieser Funktion am Institut für Leibesübungen tätige Sportarzt war seit Mai 1927 der Wissenschaftliche Assistent am Anatomischen Institut, Dr. med. Johannes Paul Kremer. Ihm folgte 1929 Dr. med. Robert Gantenberg. Der Sportarzt sollte die Sportstudenten auf ihre gesundheitliche Eignung untersuchen, das Trai21

Vgl. zu diesem für die Entwicklung der Leibesübungen und körperlichen Erziehung in ganz Deutschland wegweisenden Erlass und den vorausgehenden Streit im Preußischen Kultusministerium und mit den Spitzen des Deutschen Turnlehrervereins allgemein Neuendorff 1936, S. 619–632; außerdem Buss/Peiffer 1986. Dabei ging es im Kern um die Frage einer akademischen Turnlehrerausbildung in Preußen. Der zuständige Dezernent im Ministerium, Hermann Ottendorff, wird von Neuendorff kritisiert, weil er diesen Prozess nur sehr zögerlich vorangebracht habe.

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ning der Athleten medizinisch betreuen und sportmedizinische Vorlesungen, Seminare und Übungen (zum Beispiel Sportmassage) anbieten. Deshalb wurde auch eine sportmedizinische Beratungsstelle am Institut eingerichtet. Diese Struktur besteht im Prinzip bis heute. Die erfolgreiche Zusammenarbeit von Institut für Leibesübungen und Medizinischer Fakultät kann auf eine mehr als 80 Jahre alte Tradition zurückblicken. Die Sportmedizin ist nicht Teil des Instituts für Leibesübungen beziehungsweise heute des Instituts für Sportwissenschaft, sondern der Medizinischen Fakultät, leistet aber sportmedizinische Lehre und Betreuung der Sportstudierenden im Institut für Sportwissenschaft. In den ersten Jahren des Bestehens des Instituts und der Lehramtsprüfungsordnung von 1929/30 leistete die Sportmedizin den wesentlichen und qualitativ sicher anspruchsvollsten Teil des Studiums der Lehramtsanwärter: Hugo Wagner las über Theorie der Leibesübungen (Teil 1 und 2), und alle anderen Theorieveranstaltungen waren medizinischer Natur: Anatomie (Kremer), Physiologie (Weber), Hygiene (Besserer), Krankheit und Sport (Gantenberg), Sportverletzungen (Eichberg). Die beiden hauptamtlichen, von der Medizinischen Fakultät abgeordneten Sportärzte waren nicht nur medizinisch ausreichend qualifiziert, sondern sie wiesen aus damaliger Sicht auch politisch den Weg der Leibesübungen und des Sports in die nationalsozialistische Zukunft. Dr. Kremer beendete 1929 seine Tätigkeit als Sportarzt. Im selben Jahr wurde er am Anatomischen Institut der Universität Münster habilitiert. Kremer war ein überzeugter Nationalsozialist. Bereits 1932 trat er in die Partei ein, 1935 in die SS. Sein medizinisches Spezialgebiet war die Erbbiologie beziehungsweise Rassenlehre. Zu diesem Thema bot er Lehrveranstaltungen und Fortbildungskurse am Institut für Leibesübungen an. Ab 1939 nahm er einen Lehrauftrag für menschliche Vererbungslehre an der Medizinischen Fakultät wahr. Kremer war von September bis Dezember 1942 als Offizier der Waffen-SS und Lagerarzt in Auschwitz tätig und nachweislich für die Durchführung von Menschenversuchen und die Ermordung von 10.717 Menschen mit verantwortlich. Nach dem Krieg wurde er für zehn Jahre inhaftiert. Die Universität Münster entzog ihm 1961 sein Doktorat.22 Kremers Nachfolger Dr. Gantenberg war ebenfalls ein Nationalsozialist der ersten Stunde. Er gehörte der SA-Brigade 66 als „Führer des Sanitätscorps“ an, die von dem Münsteraner SA-Obergruppenführer Max Lorenz befehligt wurde. Lorenz bezeichnete ihn als „Sonderbeauftragten der Partei in der Medizinischen Fakultät“. Er übte das Amt des Sportarztes bis zum Jahr 1937 aus, als er nach einem Streit die Universität Münster verließ und nach Berlin übersiedelte. In Münster hinterließ er verbrannte Erde. Er verleumdete Kollegen, die ihm im Wege standen oder die ihm politisch nicht folgten, insbesondere Professor Dr. Wolfgang Keller, den er wegen

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Vgl. zu Kremer den Beitrag von Vieten 1980, bes. 106–112. Vieten geht jedoch nicht auf das Engagement Kremers als Sportarzt der Universität am Institut für Leibesübungen ein.

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übler Nachrede anzeigte, und seinen früheren Chef, Professor Dr. Paul Krause, den er anscheinend in den Selbstmord trieb.23

Die Deutschen Hochschulmeisterschaften 1929 – ein Höhepunkt des Universitätssports in der Weimarer Republik Um das Jahr 1930 hatten sich die Strukturen des Instituts herausgebildet, in denen dann auch im „Dritten Reich“ und darüber hinaus die Turn- und Sportlehrerausbildung und der Hochschulsport an der Universität organisiert werden konnten. Die Jahresberichte Hugo Wagners liefern einen Überblick über Stand und Struktur des Instituts für Leibesübungen der Universität Münster am Ende einer kurzen und rasanten Entwicklung. Sie markiert auch einen wichtigen ersten Abschnitt der Institutsgeschichte vor dem Machtantritt der Nationalsozialisten, der neue Herausforderungen, aber auch Risiken für das Institut mit sich brachte. Das Institut für Leibesübungen mit seinem Direktor, einem Assistenten und einer Assistentin sowie mehreren Hilfsassistenten, die alle geprüfte Turn- und Sportlehrer und leistungsstarke Athletinnen und Athleten waren, mussten neben dem obligatorischen Pflichtsport auch den freiwilligen Studentensport sowie die sportpraktischen Lehrveranstaltungen für die Lehramtsstudenten im Hauptfach sowie als Neben- und Ergänzungsfach organisieren und durchführen. Der Direktor hielt die Grundvorlesung, und die von der Medizinischen Fakultät abgeordneten Sportärzte übernahmen neben der sportärztlichen Untersuchung und Beratung der Studierenden die medizinischen Vorlesungen und Seminare, die für ein qualifiziertes akademisches Studium der Leibesübungen für unerlässlich erachtet wurden. Examens- und Doktorarbeiten konnten selbstverständlich nur von einem ordentlichen Professor betreut werden. Es gab jedoch durchaus Professoren aus der Medizin und aus anderen Fakultäten, die Themen aus dem Bereich der Leibesübungen akzeptierten. Einen gesellschaftlichen Höhepunkt für Leibesübungen, Turnen und Sport an der Universität und für die Stadt Münster bildeten die Deutschen Hochschulmeisterschaften am 13. und 14. Juli des Jahres 1929 auf der neu errichteten, allseits bewunderten Sportanlage.24 Die Veranstaltung stand unter der Schirmherrschaft des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg. Die versammelte Prominenz von Stadt 23

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Hierzu ebenfalls: Hörster-Phillips/Vieten 1980, bes. S. 96. Das Engagement Gantenbergs als Sportarzt findet keine Erwähnung. Zur „Ehrenangelegenheit“ Gantenberg/Keller vgl. UAMs, Bestand 9, Nr. 1447. Gantenberg war nach seiner Umhabilitierung außerplanmäßiger Professor an der Universität Berlin und seit 1940 als Arzt in der Wehrmacht tätig. Er starb 1946 in russischer Gefangenschaft im Lazarett von Brschitza in der Sowjetunion; Grüttner 2004, S. 55f. Die Angelegenheiten um die Sportärzte am Institut für Leibesübungen wurden in den Dienstakten des Kurators festgehalten, UAMs, Bestand 9, Nr. 1157. Vgl. auch die Beschreibung in Langenfeld/Prange 2002, S. 252–254. Siehe außerdem die umfangreiche Berichterstattung und Kommentierung des Ereignisses im Hochschulblatt für Leibesübungen, dem Organ des „Deutschen Hochschulamtes für Leibesübungen“,

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und Universität, an der Spitze Oberbürgermeister Dr. Georg Sperlich und Rektor Prof. Dr. Rudolf His, betrachtete das Sportfest als eine „vaterländische Veranstaltung“. Turnen und Sport würden den Studenten das Rüstzeug geben, meinte Oberbürgermeister Sperlich, „was du brauchst, um zu arbeiten und zu wirken für Volk und Vaterland“ – womit er ein Zitat Friedrich Ludwig Jahns aufgriff, das nicht nur die Turner des 19. Jahrhunderts ständig im Munde führten, sondern das auch für die Sportler galt, die den Turnern in ihrer Vaterlandsliebe um nichts nachstehen wollten. Vor Tausenden von Zuschauern wurden zahlreiche Wettkämpfe in den verschiedensten Disziplinen durchgeführt, von der Leichtathletik und den großen Turnund Sportspielen bis zum Schwimmen in der Flussbadeanstalt des SV 91 an der Werse und Tennis. In dieser Disziplin siegte im Einzel überraschend der spätere „Tennisbaron“ Gottfried von Cramm, der in Münster den Grundstein für seine Karriere legte. Im Zehnkampf der Leichtathletik, der „Königsdisziplin“, setzte sich der Münstersche Student Erich Stechemesser durch. Er erhielt dafür nicht nur den Ehrenpreis von Rektor und Senat der Universität sowie die Preußische Staatsplakette verliehen, sondern wurde auch ohne Examen zum Assistenten am Institut für Leibesübungen ernannt. Den Höhepunkt des Festes bildete ein Fackelzug zum Dom mit anschließender Siegerehrung.

Wehrsport in Münster Zu Beginn der 1930er-Jahre war also das Institut für Leibesübungen bestens „aufgestellt“, würde man heute sagen. Institutsdirektor Wagner und viele seiner Mitarbeiter hatten außerdem die Zeichen der Zeit erkannt und stellten sich schon ab 1932 auf einen politischen Systemwechsel ein. Wie aus dem Jahresbericht 1932/33 und den Vorlesungsverzeichnissen hervorgeht, wurden nun verstärkt wehrsportliche Inhalte sowohl in der praktischen Ausbildung als auch in den theoretischen Seminaren berücksichtigt: Geländeläufe und Gepäckmärsche, Boxen, Kleinkaliberschießen, ein Geländesportdreikampf mit Schießen, Keulenwerfen und Gepäckmarsch wurde ausgetragen, ebenso ein Geländesportfünfkampf mit Kleinkaliberschießen, Gepäckmarsch, Hindernislauf, Steinstoßen und Schwimmen in Kleidung, und es gab theoretische Unterweisungen in Zusammenarbeit mit studentischen Wehrverbänden und der Reichswehr in Gelände- und Kartenkunde, Tarnung, Spähen und Streifen. Hugo Wagner hielt ein Seminar zum Thema „Der Wehrgedanke als Motiv der körperlichen Erziehung“, und Hauptmann Speidel vom Reichswehrministerium breitete seine „Gedanken der militärischen Jugendausbildung im Ausland“ in einer Vorlesung vor den Sportstudierenden aus. Sein Vortrag war Ausdruck der iminsbesondere die Hefte 15 und 16 des 8. Jahrgangs 1929 mit den Reden und Ansprachen Prof. Stühmers und Prof. Hoffmanns sowie dem Grußwort von Rektor His.

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mer enger werdenden Beziehungen zwischen Reichswehr und Institut unmittelbar vor der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten.25 Da das Institut von Anfang an stärker als andere Fächer und Einrichtungen der Universität auf studentische Wünsche und Moden reagierte, liegt nahe, dass auch die wehrsportliche Ausrichtung zahlreicher studentischer Vereine, Verbände und Verbindungen sowie politischer und vaterländischer Vereine zu diesem inhaltlichen Schwerpunkt des Hochschulsports beitrug. Insbesondere war dies der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund, der 1929 in Münster seinen Ortsverein gegründet hatte, aber auch die Hochschulgruppe des Stahlhelms betrieb Wehrsport.

Die Gleichschaltung des Universitätssports Was sich änderte, erfuhren die Münsterschen Universitätssportler schon im März 1933, weil nach dem Beschluss des Ermächtigungsgesetzes die Zuständigkeit für das Institut für Leibesübungen ab dem 31. März 1933 nach Berlin wechselte. Der Universitätssport wurde von nun an zentral vom REM und dem dort eingerichteten „Amt K“ (Körperliche Erziehung) gelenkt. Sein Chef wurde der Leichtathlet und fanatische Nationalsozialist Karl Krümmel.26 Eine seiner ersten Amtshandlungen war die Auflösung der Deutschen Hochschule für Leibesübungen in Berlin. Die Erwartungen oder Hoffnungen Hugo Wagners, dass wegen des verstärkten wehrsportlichen Engagements seit Beginn der 1930er-Jahre alle Zuständigkeiten für Sport und Wehrsport an der Universität Münster dem Institut für Leibesübungen und ihm als Direktor übertragen würden, erfüllten sich jedoch nicht. Im Gegenteil traten die NS-Studentenschaft und die SA als konkurrierende Institutionen auf, die letztlich das Ziel hatten, dass das Institut die sachliche und personelle Ausstattung für den Wehrsport des NS-Studentenbundes bereitstellen musste. Wagner beklagte nach dem Krieg in seinem Rechenschaftsbericht vom 24. Januar 1946 an den Kurator der Universität Münster diesen massiven Einfluss der Partei und des NS-Studentenbundes: „Im Jahre 1933 beabsichtigte die NS-Studentenführung Berlin die Institute für Leibesübungen an den Hochschulen zu beseitigen und durch studentische Wehrsportämter – sogenannte SA Hochschulämter – zu ersetzen.“ Er selbst habe sich diesen Bestrebungen so gut es ging entgegengestellt, indem er sich dem „Ansinnen“ verweigert habe, „zwei führende Mitglieder des NS-Studenten-

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Im Jahresbericht Wagners 1932/33 in den Universitätsakten kommt diese wehrsportliche Ausrichtung besonders zum Ausdruck, UAMs, Bestand 4, Nr. 643. Über den Aufbau der NS-Strukturen im Hinblick auf Leibesübungen, körperliche Erziehung und Sport informiert am besten: Bernett 2008. Zu Karl Krümmel siehe speziell Ueberhorst 1976.

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bundes“, die Herren Weitz und Platz,27 an Stelle von Dr. Theodor Schmidt als Assistenten einzustellen.28 Im Wintersemester 1933/34 wurde laut Erlass wie an allen anderen Universitäten das SA-Hochschulamt der Universität gegründet, das seinen SA-Sport selbstverständlich auf dem Gelände des Instituts für Leibesübungen durchführte und dafür alle Einrichtungen des Instituts in Anspruch nahm.29 Damit war das Institut faktisch nur noch für die akademische Turn- und Sportlehrerausbildung, den Pflichtsport für die Philologen und die sportliche Ausbildung und Erziehung der Studentinnen zuständig, während das SA-Hochschulamt den Wehrsport und den SA-Dienst der Studenten organisierte. Bei allen sportlichen Belangen der Partei mussten die Fachleute des Instituts zur Verfügung stehen. Die Assistenten Stechemesser und Dr. Schmidt taten ihren Dienst als Sportreferenten beim SA-Sturmbann. Statt auf das „zivile“ Sportabzeichen bereiteten sie die Studenten nun auf das SA-Sportabzeichen vor. Der Unterschied zwischen SA-Sport und Instituts-Sport war auch an der Kleidung der Studenten zu erkennen: Zum SA-Sport hatten sie im Dienstanzug zu erscheinen, während der Sport des Instituts für Leibesübungen in Sportkleidung absolviert wurde. Eine Folge des exzessiven SA-Dienstes war ein auch von Hugo Wagner bedauerter drastischer Rückgang der Teilnahme der Studenten am allgemeinen, freiwilligen Hochschulsport. Mit anderen Worten: Das Institut verwandelte sich zu einer Hilfseinrichtung für den SA- und Wehrsport des NS-Studentenbundes beziehungsweise der Staatspartei NSDAP. Die finanziellen Mittel zur Durchführung des SA-Sports musste das Institut durch Umschichtungen im Etat vornehmen – auf Kosten des traditionellen, mehr oder weniger zivilen Studentensports und der körperlichen Bildung und Erziehung der Studenten. Der „starke Mann“ am Institut war nicht mehr Direktor Hugo Wagner, sondern der am Institut angestellte und über den Etat des Instituts finanzierte Wehrsportlehrer und Leiter des SA-Hochschulamtes, Albert Ohlendorf. SA-Obersturmführer und Studienreferendar Ohlendorf wechselte nach der Schließung des SA-Hochschulamtes 1934 in den Stab des Chefs des Ausbildungswesens der Partei in Westfalen und kehrte 1937 als Wissenschaftlicher Assistent ans Institut für Leibesübungen zurück. Er ist eines von vielen Beispielen, wie allein die Zugehörigkeit und Treue zur Partei den Ausschlag für eine Beamtenstelle und Karriere an der Universität eröffnete. Anderen wurden dagegen Beschäftigung und Karriere am Institut verwehrt. Grundlage für die Entlassung von jüdischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Universität war das nach der „Machtergreifung“ verfügte so genannte Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums. Am Institut für Leibesübungen war 27 28 29

Es handelt sich vermutlich um die Studenten Friedrich-Wilhelm Weitz und Jürgen Platz, UAMs, Bestand 209, Karteikarten Weitz und Platz. UAMs, Bestand 4, Nr. 658. Vgl. die Akten zur Hochschulgruppe Münster des NS-Studentenbund (1929–1935), UAMs, Bestand 4, Nr. 771.

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davon die jüdische Gymnastiklehrerin Ida Wangemann (1907–1997) betroffen. Die Schülerin der Freiherr-vom-Stein-Schule machte nach dem Abitur eine Gymnastiklehrerinnenausbildung in Düsseldorf und unterrichtete danach am Münsterschen Institut Tanz und Gymnastik. Mehrere Semester lang hatte sie Kurse in der damals modernen „Mensendieck-Gymnastik“ geleitet. Nachdem die Führerin der Arbeitsgemeinschaft der NS-Studentinnen ihren Studentinnen die Teilnahme an den Kursen von Fräulein Wangemann untersagt und beim Kurator interveniert hatte, wurde ihr 1935 auf Anweisung von Karl Krümmel aus dem REM die Lehrbefugnis entzogen.30 Ida Wangemann zog daraufhin nach Berlin um, war dort in einem Büro tätig und erteilte nebenher privat Gymnastikunterricht. 1937 versuchte sie erneut in Münster Fuß zu fassen, wurde jedoch wiederum denunziert und wanderte schließlich mit ihrem nicht-jüdischen Verlobten Kurt Birrenbach nach Argentinien aus, weil sie aufgrund der „Nürnberger Gesetze“ nicht heiraten durften. Birrenbach, der Mitglied der NSDAP war, wurde nach der Rückkehr der Familie 1952 nach Deutschland ein bekannter CDU-Politiker und Wirtschaftsexperte.31 Aus den Universitätsakten geht nicht hervor, ob es außer im Fall Ida Wangemann zu weiteren Diskriminierungen und Denunziationen jüdischer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter oder auch Studentinnen und Studenten am Institut für Leibesübungen in Münster gekommen ist. Es ist nicht bekannt, ob es am Institut weitere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter jüdischer Abstammung im Sinne der NSRasseideologie gab.

Pflichtsport Eine gravierende Änderung bedeutete die ab 1933 verfügte Ausweitung des Pflichtsports nun für alle Studierenden auf drei Semester. Konkret bedeutete dies, dass alle Studentinnen und Studenten, nicht mehr nur wie bisher die „Philologen“, über drei Semester hinweg drei bis vier Semesterwochenstunden Sport belegen und mit einer Sportprüfung abschließen mussten. Die Begeisterung der Studenten über diese drastische Regelung legte sich sehr schnell. Sie nutzten nach und nach jede Gelegenheit, um die Sportpflicht zu umgehen. Im Sommersemester 1938, auf dem Höhepunkt der Verweigerungswelle, schafften rund 60 Prozent der lediglich 625 sportfähigen Studierenden die geforderten Leistungen nicht. 134 hatten nicht einmal ihre Nachweise abgegeben.32 Der zu diesem Zeitpunkt verantwortliche Institutsdirektor Dr. Gerhard Fritz Ammon fand zwar drastische Worte, um diesen Schlendrian zu geißeln, hielt aber 30 31

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UAMs, Bestand 9, Nr. 1156. Die Angaben zu Ida Wangemann sind in der verdienstvollen Studie von Möllenhoff/ Schlautmann-Overmeyer 1995, S. 487, enthalten. Frau Möllenhoff verdanke ich auch die Information zum Sterbedatum von Ida Wangemann (12.11.1997). Langenfeld/Prange 2002, S. 289.

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gleichwohl gegenüber dem Rektor einen Studienausschluss, der möglich gewesen wäre, für eine zu harte Bestrafung. Im Ergebnis führte die Einführung des Pflichtsports dazu, dass der vom Hochschulinstitut für Leibesübungen, wie das Institut für Leibesübungen seit 1936 offiziell hieß, angebotene freiwillige Studentensport beliebter, der Pflichtsport dagegen zunehmend verweigert und lustlos absolviert wurde. Institutsdirektor Dr. Hugo Wagner war zwar eine wichtige Figur beim Übergang des akademischen Sports an der Universität Münster in den Nationalsozialismus, aber er blieb im nur schwer durchschaubaren Ränkespiel der NSDAP nicht ohne Konkurrenz. Jedenfalls wurde ihm vom Oberpräsidenten der Provinz Westfalen zum 1. November 1935 die Leitung des Dezernats für körperliche Erziehung in der Abteilung für das Höhere Schulwesen in Westfalen übertragen. Zunächst sollte er zwar weiterhin Direktor des Instituts für Leibesübungen bleiben und auch die Theorie und Geschichte der Leibesübungen am Institut im Rahmen der Turn- und Sportlehrerausbildung lehren. Gleichzeitig wurde der Oberassistent, Studienassessor Bartsch, direkt von Karl Krümmel aus Berlin beauftragt, Wagner in Münster zu vertreten. Am 1. April 1936 war der Wechsel perfekt. Wagner schied aus dem Amt, und Hans Bartsch trat im August, offiziell ernannt vom Kurator der Universität, seine Nachfolge als Leiter und Direktor des Instituts für Leibesübungen an. Er war wie Wagner und Max Lorenz Nationalsozialist und Mitglied des Sturmbannes I/13 Münster. In seiner Funktion als NSDAP-Wehrsportler und Parteiaktivist leitete er in Gievenbeck die achtwöchige Flakausbildung. Bei den Studenten und in der Universität galt er als besonders streng und unnachgiebig in der Frage der Befreiung von der Sportpflicht. Nach dem Krieg begründete Wagner diesen Wechsel damit, dass er aus parteipolitischen Gründen erfolgt sei. Das Institut sollte vollständig unter die Kontrolle der Parteileitung gebracht werden. Seine Versetzung sei einer Entmachtung gleichgekommen sein. Er sei nicht Nationalsozialist gewesen.33

Die Affäre Bartsch In der Universität regte sich jedoch Unmut und Kritik an dieser personellen Auswechslung. Aufhänger waren die fehlenden fachlichen und wissenschaftlichen Qualifikationen des neuen Direktors und der Assistenten am Institut für Leibesübungen. In einem jedoch nicht persönlich unterzeichneten Brief im Namen der Professorenschaft der Universität vom 11. Februar 1938 an Oberregierungsrat Huber im REM in Berlin wurde erstens deutlich die allgemeine Sportpflicht kritisiert.34 Sie sei übertrieben und würde zu einem Verlust an akademischer Bildung führen. In diesem Zusammenhang wurde dann zweitens kritisiert, dass die Lehrkräfte und 33 34

UAMs, Bestand 4, Nr. 658, Brief Hugo Wagners an den Kurator der Universität, 24.1.1946. UAMs, Bestand 4, Nr. 636, Brief des Rektors an Oberregierungsrat Huber, 11.2.1938.

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insbesondere der Leiter des Instituts für Leibesübungen ein schlechtes Vorbild für akademische Bildung im Bereich der Leibesübungen und des Sports abgäben. Direktor Bartsch fehle jede wissenschaftliche Qualifikation, hieß es. Es dürfe nicht sein, dass „Langzeitstudenten“ wie die Lehrkräfte am Institut Vorlesungen und Seminare erteilten. „Unbedingt erforderlich ist es aber“, hieß es in diesem bemerkenswerten Brief weiter, „dass bei der Auswahl sowohl des Leiters als auch des Sportarztes sowie der übrigen Hilfskräfte am IfL [Institut für Leibesübungen] ein erheblich schärferer Maßstab angelegt wird als bisher.“ Als Negativ-Beispiel wird dann Direktor Bartsch selbst angeführt, der bei seiner Doktorprüfung in Marburg durchgefallen sei. Dieser Herr Bartsch habe dann noch seinem Schwager Siegfried Scheffler den Posten des Sportarztes am Institut verschafft, obwohl dieser noch nicht einmal seine ärztliche Approbation erworben habe. „Es ist für eine Universität untragbar“, schlossen die Münsterschen Professoren, „wenn der wichtige Posten eines Sportarztes von einem derart unfähigen Menschen eingenommen wird.“35 Der Brief zeigte Wirkung, obwohl Sportarzt Scheffler ebenso wie Bartsch selbst direkt aus Berlin durch Karl Krümmel, den Leiter des „Amtes K“ im REM, ernannt worden waren. Sie wurden nicht, wie bisher an der Universität üblich, durch den Rektor berufen. Nachdem sich jedoch die Dozentenschaft Münsters auch förmlich über diese Anstellung eines nicht approbierten Arztes beschwert hatte – was an sich ein ungewöhnlicher Vorgang ist –, wurde Scheffler zum 31. März 1938 gekündigt. Sein Nachfolger wurde der Freiburger Arzt Dr. med. Emil Josef Klaus und nach dessen Einberufung in die Armee 1942 Stabsarzt Dr. Winkler von der Heeressanitätsstaffel Münster bis zum Ende des Krieges. Bartsch blieb zwar Oberassistent am Institut, musste aber die Leitung des Instituts abgeben, und zwar an Studienassessor Dr. Gerhard Fritz Ammon, der im August 1938 vom REM in Berlin mit der kommissarischen Leitung des Instituts beauftragt wurde. Nachdem jedoch Gerüchte aufgekommen waren, dass Ammon homosexuell sei, meldete sich dieser als Kriegsfreiwilliger zum Fronteinsatz, wo er 1943 vor einem Kriegsgericht verurteilt wurde.36 Vertretungsweise sollte zunächst der Direktor des Instituts in Greifswald die Leitung des Instituts für Leibesübungen der Universität Münster übernehmen. Dies zerschlug sich jedoch, und stattdessen übernahm Dr. Hugo Wagner, inzwischen zum Oberregierungs- und Schulrat aufgestiegen, ab Oktober 1943 wieder den Direktorenposten des Instituts, den er nach kurzer Unterbrechung über das Kriegsende hinaus bis zu seiner Pensionierung im Wintersemester 1956/57 behalten sollte.

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Ebd. Vgl. dazu UAMs, Bestand 9, Nr. 1170, sowie Bestand 4, Nr. 658 (alt).

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922 Hugo Wagners Rolle

In Münster musste Hugo Wagner nach dem Krieg erklären, wie es dazu kommen konnte und welche Gründe es denn gebe, um wieder ein Institut für Leibesübungen an der Universität Münster zu eröffnen beziehungsweise fortzuführen. Schließlich ging es auch um seine eigene berufliche Zukunft. Faktisch war Wagner nach 1936 „zum obersten nationalsozialistischen Leibeserzieher Westfalens aufgestiegen“,37 auch wenn er sich selbst später gar nicht als Nationalsozialist sah.38 Er verstand es nach dem Zusammenbruch des „Dritten Reichs“, seine 1936 erfolgte Versetzung als Direktor des Instituts in die westfälische Schulverwaltung gegenüber der britischen Besatzungsmacht und dem neuen Oberpräsidenten so darzustellen, als ob ihm die Direktorenstelle „entzogen“ worden sei, weil er sich gegen HJ und NSStudentenschaft gestellt und sich geweigert habe, fachlich nicht qualifizierte NSStudentenfunktionäre am Institut einzustellen. Inwiefern Wagner selbst an dem Protestschreiben der Universität gegen Bartsch und Scheffler beteiligt war, möglicherweise sogar ursächlich, lässt sich aus den Akten nicht rekonstruieren. Gesichert ist jedoch, dass es mit den Zentralbehörden von Partei und Staat in Berlin wegen des Instituts für Leibesübungen zu einem Konflikt kam, in dessen Folge sich letztlich der Kandidat der Partei als Direktor, Hans Bartsch, nicht behaupten konnte.39 Vielfach geehrt von der Universität, der Stadt und dem Stadtverband für Leibesübungen für seine Verdienste um den Sport an der Universität und in der Stadt Münster beschäftigte sich Hugo Wagner bis ins hohe Alter mit der Frage der Verstrickung der Leibeserziehung und des Sports in den Nationalsozialismus. Sie war ein zentraler Teil der eigenen Lebensgeschichte. Herausgekommen ist dabei sein Buch „Humanismus, Militarismus, Leibeserziehung“.40

Krieg – Ende – Neubeginn Obwohl die Universität Münster schon zu Beginn des Krieges zum Wintersemester 1939/40 nur noch eingeschränkt funktionsfähig war, musste das Institut für Leibesübungen der Universität Münster seinen Betrieb auf Geheiß des Reichsinnenministeriums fortsetzen, um weiterhin die sportliche Grundausbildung der angehenden Lehrer zu gewährleisten. Nach und nach wurden jedoch die verbliebenen Mitarbeiter eingezogen, und große Teile des Inventars gingen an die Wehrmacht. Im Juli 1942 wurde nach den ersten Bombardements und Zerstörungen Münsters das Sportheim durch Ausgebombte belegt, danach durch die Wehrmacht. Pläne des 37 38 39 40

Langenfeld/Prange 2002, S. 317. Siehe Fußnote 21. Zum gesamten Vorgang vgl. UAMs, Bestand 4, Nr. 246. Wagner 1959.

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REM, in Münster Versehrtensport zu organisieren, wurden nicht umgesetzt. Die letzte sportliche Veranstaltung fand im Juni 1944 statt: ein leichtathletischer Dreikampf des BDM. Im Oktober 1944 wurden die Universität und das Institut für Leibesübungen komplett geschlossen. Die Geschäftsräume des Instituts am Domplatz und das Sportheim waren schon durch einen Bombenangriff am 7./8. November 1941 zerstört worden. Bombenkrater auf den Sportplätzen, auch am Horstmarer Landweg, und die Nutzung von Sportplätzen als Gemüse- und Kartoffeläcker machten einen normalen Sportbetrieb unmöglich.41 Nach dem Krieg gab es in der neuen Universitätsleitung und Professorenschaft, die allerdings so neu nicht war, keine Sympathien mehr für den Sport an der Universität Münster.42 Man wollte das Institut für Leibesübungen nicht wieder eröffnen. In einem Schreiben des Dekans der Philosophischen und Naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität, Prof. Heinrich Behnke, an den Rektor vom 8. Februar 1946 wurde erklärt, dass das Wissenschaftliche Prüfungsamt in Zukunft Leibesübungen nicht mehr als Prüfungsfach zulassen wolle und deshalb zu prüfen sei, ob und inwiefern der „Personalbestand“ des Institut einzuschränken sei und angesichts der Raumverhältnisse überhaupt noch „das Turnen durchgeführt werden kann“. „Jedenfalls ist es für eine Philosophische Fakultät untragbar, wenn das Institut für Leibesübungen personell so gut betreut wird, wie die Institute der wissenschaftlichen Hauptfächer. Die Pflege der Leibesübungen in der Philosophischen Fakultät kann ausschließlich mit sozialen Gründen gestützt werden.“

Mit anderen Worten sah Dekan Behnke weder einen wissenschaftlichen noch einen pädagogischen Grund für die Existenz des Instituts. Im „Entwurf einer Neuordnung des Lehr- und Übungsbetriebs des Hochschulinstitutes für Leibesübungen der Universität Münster“ unmittelbar nach dem Krieg, in dem die Sportpflicht formell aufgehoben wurde, war deshalb auch nicht mehr von Lehrerbildung oder gar Wissenschaft die Rede. Der freiwillige Sportbetrieb sollte lediglich zur „Gesunderhaltung und Erholung“ dienen. Der Sport soll „den aus dem Kriege und der Gefangenschaft heimkehrenden Studenten neue Lebenskraft und Lebensfreude schenken“.43 Die britischen Besatzungsoffiziere, die auch das Sportheim beschlagnahmt hatten, erlaubten jedoch bereits zum 1. Juni 1946 die Wiederaufnahme des Betriebs des Instituts durch den alten und neuen Direktor Dr. Hugo Wagner: „We have no scruples about restoring Dr. Wagner to his office“, hieß es im Schreiben des Militärgouverneurs vom 12. Februar 1946 an den Rektor, in dem dieser ersucht wurde, dem Antrag Wagners auf Wiederöffnung des Instituts stattzugeben.44 Bald darauf wurden der Sportplatz und dann auch das Sportheim von den Briten freigegeben. Wagner und sein Assistent Franz Henning sowie ein Sportarzt konnten im Winter41 42 43 44

Vgl. UAMs, Bestand 62, Z Nr. 4 Bd. 2. Siehe bes. UAMs, Bestand 4, Nr. 658 (alt). Ebd. Ebd.

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semester 1948/49 den Lehrbetrieb für das Fach Leibeserziehung im Hauptfach mit dem Abschluss des Staatsexamens für den Höheren Schuldienst wieder aufnehmen. Die wenigen Studenten konnten in der von den Briten zur Verfügung gestellten ehemaligen Exerzierhalle – heute die alte Leonardo-Campus- (beziehungsweise General von Einem-) Halle – nutzen. 1951 wurde schließlich das Institut für Leibesübungen auch förmlich wieder eröffnet. Es gehörte keiner Fakultät an, sondern war direkt dem Rektor und dem Senat unterstellt. 1954 erfolgte der Bau des bis heute genutzten Verwaltungsgebäudes an der Längsseite des Sportplatzes am Horstmarer Landweg, an der Stelle, an der bis dahin die Tribüne gestanden hatte. 1957 löste Gerhard Nacke-Erich Dr. Hugo Wagner als neuer Institutsdirektor ab. Die ersten Professoren für Sportwissenschaft wurden schließlich zu Beginn der 1970er-Jahre berufen. Sie gehörten der Philosophischen Fakultät an und erteilten ihre akademische Lehre am Institut für Leibesübungen, ebenso wie die Sportärzte und Medizinprofessoren bis heute der Medizinischen Fakultät angehören und Sportmedizin am Institut für Sportwissenschaft lehren. 1958 wurde das Institut für Sportmedizin gegründet. Es ging aus der Sportmedizinischen Untersuchungsstelle hervor. Direktor wurde Dr. Emil Josef Klaus, der sie schon seit 1938 geleitet hatte und diese Stelle nach seiner Rückkehr aus dem Krieg und aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft 1949 wieder angetreten hatte. Nach dem Ausscheiden von Direktor Nacke-Erich 1977 wurde das Institut für Leibesübungen von akademischen Sportlehrern und Mitarbeitern aus dem akademischen Mittelbau verwaltet. Als 1980 schließlich im Zuge der Universitätsreform in Nordrhein-Westfalen die Pädagogische Hochschule Westfalen-Lippe Abteilung Münster in die Universität Münster eingegliedert wurde, kamen zahlreiche Lehrkräfte und Professoren für Leibeserziehung an das Institut, das nun zu einem eigenen Fachbereich 20 aufgewertet wurde. Erster Dekan wurde Professor Dr. Ulrich Garske. Die organisatorische Trennung von Sportwissenschaft und Hochschulsport erfolgte erst 1997/98, als auch der Fachbereich 20 wieder aufgelöst und die Fachrichtung Sportwissenschaft in einen neu geschaffenen Fachbereich 7 Psychologie und Sportwissenschaft integriert wurde. Die beiden zentralen Aufgaben des akademischen Sports sind jedoch trotz geänderter Rahmenbedingungen bis heute geblieben: Der freiwillige Hochschulsport für alle Studentinnen und Studenten sowie Angehörige der Universität Münster und die akademische Forschung und Lehre auf dem Gebiet der Leibesübungen und des Sports.

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Literatur Bernett, Hajo, Nationalsozialistische Leibeserziehung. Eine Dokumentation ihrer Theorie und Organisation, überarbeitet und erweitert von Hans Joachim Teichler (Texte – Quellen – Dokumente zur Sportgeschichte 1), 2. überarb. Aufl. Schorndorf 2008. Buss, Wolfgang, 80 Jahre vollakademische Sportlehrerausbildung. Die Etablierung des Studienfaches „Leibesübungen und körperliche Erziehung“ an den preußischen Universitäten im Jahre 1929 – die Vorgeschichte und weitere Entwicklung bis in die Nachkriegszeit, in: Sportwissenschaft 39 (2009), S. 283–297. Buss, Wolfgang, Die Entwicklung des deutschen Hochschulsports vom Beginn der Weimarer Republik bis zum Ende des NS-Staates – Umbruch und Neuanfang oder Kontinuität?, Diss. Göttingen 1975. Buss, Wolfgang/Peiffer, Lorenz, 50 Jahre Hochschulsportordnung. Eine Studie zu Anspruch und Wirklichkeit nationalsozialistischer Sportpolitik, in: Sportwissenschaft 16 (1986), S. 38–60. Chronik der Westfälischen Wilhelms-Universität zu Münster 1925/26 – 1929/30. Die Einführung pflichtmäßiger Leibesübungen. Beschlüsse des zweiten Deutschen Studententages, in: Hochschul-Stimmen 2 (1920), S. 98–100. Grüttner, Michael (Hg.), Biographisches Lexikon zur nationalsozialistischen Wissenschaftspolitik (Studien zur Wissenschafts- und Universitätsgeschichte 6), Heidelberg 2004. Hörster-Phillips, Ulrike/Vieten, Bernward, Die Westfälische Wilhelms-Universität beim Übergang zum Faschismus. Zum Verhältnis von Politik und Wissenschaft 1929–1935, in: Kurz 1980, S. 77–103. Kurz, Lothar (Hg.), 200 Jahre zwischen Dom und Schloß. Ein Lesebuch zur Vergangenheit und Gegenwart der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, Münster 1980. Langenfeld, Hans/Prange, Klaus, Münster – die Stadt und ihr Sport. Menschen, Vereine, Ereignisse aus den vergangenen beiden Jahrhunderten, Münster 2002. Möllenhoff, Gisela/Schlautmann-Overmeyer, Rita, Jüdische Familien in Münster 1918 bis 1945, Bd. 1: Biographisches Lexikon, Münster 1995. Neuendorff, Edmund, Geschichte der neueren deutschen Leibesübung vom Beginn des 18. Jahrhunderts bis zur Gegenwart, Band IV: Die Zeit von 1860 bis 1932, Dresden 1936. Ostrup, Max, Aus dem münsterischen Sportleben der Vergangenheit und Gegenwart, in: Hochschulblatt für Leibesübungen 8 (1929), S. 4–6. Ueberhorst, Horst, Carl Krümmel und die nationalsozialistische Leibeserziehung (Turn- und Sportführer im Dritten Reich 4), Berlin 1976. Wagner, Hugo, Institut für Leibesübungen, in: Krause, Paul (Hg.), Die Westfälische Wilhelms-Universität zu Münster i. W. Ein Führer durch Universität und Stadt und ihre Einrichtungen, Münster 1931, S. 122–131.

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Wagner, Hugo, Humanismus, Militarismus, Leibeserziehung. Freiheit oder Zwang in der Menschenführung (Wissenschaftliche Reihe des Deutschen Sportbundes 2), München 1959. Vieten, Bernward, Medizin ohne Menschlichkeit. Rassenhygiene und Kriegsforschung an der medizinischen Fakultät Münster, in: Kurz 1980, S. 104–126.

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Ein langer Schatten? Der Einfluss des Nationalsozialismus auf die Situation von Frauen an der Universität Münster 1920 bis 1960 „Es kommt mal vor – so dann und wann – daß eine Frau auch denken kann. Laßt sie doch denken, laßt sie in Gesetzen wühlen, laßt sie mit Paragraphenketten spielen …“1 Mit diesem Gedicht, veröffentlicht 1946 in den Münsterischen Studentenblättern, plädierte die Jura-Studentin Elisabeth Deventer mit leicht ironischem Unterton für das Recht der Frauen auf einen Studienplatz. Denn angesichts zerstörter Universitäten, begrenzter Kapazitäten in der Lehre und zahlreicher Kriegsheimkehrer, die nun von der Front in den Hörsaal drängten, wurde eben dieses Recht der Frauen nicht nur in Münster in öffentlichen Diskussionen erneut in Frage gestellt. Zwar waren deutschlandweit nach einem starken Rückgang zu Beginn der 1930er-Jahre während des Krieges die Studentinnenzahlen rasant auf vorher unerreichte Höhen geschnellt: Während im letzten Friedenssemester 1939 nur 5.777 Studentinnen an deutschen Universitäten eingeschrieben waren, waren es im akademischen Jahr 1943/44 über 25.000. Das entsprach einem Anteil von 47 Prozent an der Gesamtstudentenschaft.2 Mit Ende des Krieges, so die Meinung zahlreicher Zeitgenossen, sollte aber auch an den Universitäten wieder die Normalität in Person der (überwiegend) männlichen Studenten und Wissenschaftler Einkehr halten. Tatsächlich ging der Anteil der Frauen an den Studierenden stark zurück: 1950 stellten sie in der Bundesrepublik insgesamt 19,7 Prozent der Studierenden,3 in Münster knapp über 23 Prozent.4 Erst in den 1950er-Jahren stieg der Anteil langsam an, in Münster bis 1960 auf knapp 25 Prozent.5 1 2 3 4

5

Deventer 1946, S. 25. Huerkamp 1996, S. 88. Genaue Studierendenzahlen für Münster sind für die Kriegsjahre leider nicht überliefert. Zu den bundesweiten Zahlen siehe: Kuhn/Rothe/Mühlenhaupt 1996, S. 82. Diese und die folgenden Angaben münsterischer Studentinnen und Studenten beziehen sich, falls nicht anders angegeben auf: http://www.uni-muenster.de/Rektorat/Statistik/ d2s94ba.html, Zugriff: 11.2.2011. Zur statistischen Entwicklung in den ersten 100 Jahren des Studiums von Frauen an der Universität Münster: Damm-Feldmann, Die Entwicklung des Frauenanteils, Teil 1, 2008.

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Der hinter diesen Zahlen stehenden Frage, ob der Nationalsozialismus der Ausbreitung des Frauenstudiums und der Karriere von Wissenschaftlerinnen an der Westfälischen Wilhelms-Universität eher förderlich oder eher hinderlich war, geht dieser Aufsatz nach.6 Von Interesse ist hierbei zum einen die Hochschul- und Frauenpolitik im selbsternannten „Dritten Reich“: In welchem Verhältnis standen ideologische Überzeugungen und das Frauenbild der Nationalsozialisten zu den fachlichen und pragmatischen Anforderungen des Regimes an die Ausbildung und Berufstätigkeit von Frauen? Welche politischen, rechtlichen und sonstigen Rahmenbedingungen bestimmten das Studium und die akademische Berufstätigkeit von Frauen? Und was war die langfristige Wirkung nationalsozialistischer Ideologie und Politik? Von Interesse sind hierbei zum anderen aber auch die Handlungen und Haltungen der Studentinnen und Wissenschaftlerinnen an der Westfälischen Wilhelms-Universität gegenüber dem Nationalsozialismus und ihren eigenen Karrieren. Waren sie Opfer von Diskriminierung und Verfolgung, Mitläuferinnen, passive Nutznießerinnen des Systems, Täterinnen oder befanden sie sich im Widerstand? Und wie gingen sie mit den Folgen der politischen Systemwechsel für ihre beruflichen Laufbahnen um? Während einige auch in jüngerer Zeit erschienene Universitätsgeschichten geschlechtergeschichtliche Aspekte gar nicht erst berücksichtigen,7 hat die Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte insgesamt diese Fragen bislang sehr unterschiedlich beantwortet. An einem Ende des Meinungsspektrums stehen Untersuchungen wie die von Petra Umlauf über Studentinnen an der Universität München oder von Hiltrud Häntzschle über den Exodus deutscher Wissenschaftlerinnen nach 1933. Während Häntzschle sogar so weit geht zu argumentieren, der überproportional hohe „Exodus von Wissenschaftlerinnen“ nach 1933 sei nicht nur Indiz für die Diskriminierung von Frauen während des NS-Regimes gewesen, sondern habe Folgen für die Unterrepräsentanz von Frauen in den Wissenschaften bis heute, beschränkt Petra Umlauf ihre Thesen auf die NS- und die Nachkriegszeit. In letzterer habe die anti-emanzipatorische Frauenpropaganda des Nationalsozialismus eine solch‘ nachhaltige Wirkung gezeigt, dass das Frauenstudium in München erst in den 1960er-Jahren die durch den Nationalsozialismus verursachten Rückschritte wieder aufgeholt habe. Trotz des kurzfristigen Anstiegs der Studentinnenzahlen während des Krieges sei die Politik der Nazis „in der Hauptsache“ auf die „Reduzierung der Studentinnen“ gerichtet gewesen.8 Am anderen Ende des Meinungsspektrums steht die These von Jacques R. Pauwels, dass der Nationalsozialismus trotz entsprechender Versuche durch Propaganda und Gesetzgebung nicht in der Lage gewesen sei, die Fortschritte des Frau6 7 8

Zur Geschichte des Frauenstudiums an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster insgesamt siehe: Happ/Jüttemann 2008. Eberle 2002, Rupieper 2002, Haupts 2007, Krause 2003, Pohl 2001. Häntzschle 1999, S. 153, Umlauf 2006, bes. S. 553–558. Die langfristige Wirkung antifeministischer NS-Propaganda betont ebenfalls Stuchlik 1984, S. 148–154.

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enstudiums zu verhindern.9 Die Ergebnisse weiterer Untersuchungen bewegen sich zwischen diesen beiden Polen. So konstatiert Claudia Huerkamp in der Politik der Nationalsozialisten eine „Ambivalenz zwischen Unterdrückung und Förderung der ausbildungsmäßigen und beruflichen Ambitionen von Frauen“. Die Nationalsozialisten hätten ihren eigentlichen „Antifeminismus“ mit Beginn des Akademikermangels Ende der 1930er-Jahre sehr pragmatisch wichtigeren Prioritäten beziehungsweise neuen Zwängen wie der Kriegsvorbereitung oder der Kriegswirtschaft untergeordnet.10 Andere Studien betonen, dass Frauen nicht nur vom System „Betroffene“, sondern auch „Handelnde“ gewesen seien, die als „weibliche Trägergruppen des Systems“ die nationalsozialistische Ideologie in die Gesellschaft hineingetragen, teils aber auch einfach ihre eigenen Interessen verfolgt hätten.11 Am Beispiel Jenas zeigt etwa Katrin Stiefel, dass die Studentinnen ihre Daseinsberechtigung an der Universität unter Berufung auf die Geschlechterideologie der Nationalsozialisten verteidigt und sich gezielt Aufgaben gesucht hätten, in denen sie sich als Nachwuchswissenschaftlerinnen in den „Dienst am Volk“ stellen konnten.12 Und Levke Harders und Annette Vogt finden zwar zahlreiche Belege für die strukturelle Benachteiligung von Frauen an der Berliner Universität in den ersten Jahren der NS-Herrschaft, betonen aber auch, dass der Krieg gerade jungen Nachwuchswissenschaftlerinnen Karriere- und Qualifizierungsmöglichkeiten bot, die sie sonst nicht erhalten hätten und die sie vor allem, aber nicht nur in der späteren DDR für ihre weiteren Karrierewege nutzen konnten.13

Frauen an der Westfälischen Wilhelms-Universität in der Weimarer Republik Die Weimarer Republik war eine Blütezeit des Frauenstudiums. Trotz Inflation 1923 und Weltwirtschaftskrise ab 1929 strömten immer mehr Frauen in die Hörsäle, auch in Münster. Am Ende der Weimarer Republik hatte die Universität Münster mit einer Studentinnenquote von 21,42 Prozent im Wintersemester 1931/32 sogar den zweithöchsten Frauenanteil einer deutschen Universität.14 Dieser vergleichsweise hohe Anteil führte jedoch nicht automatisch zu einer geeigneten Repräsentation der Studentinnen in der studentischen Selbstverwaltung. Nach vorbereitenden Sitzungen der Frei- und Korpsstudenten fand am 18. Juni 1918 eine erste allgemeine Studentenversammlung statt, in der beschlossen wurde, eine Kommission zu beauftragen, eine Satzung für einen Allgemeinen Studenten9 10 11 12 13 14

Pauwels 1984, S. 136. Huerkamp 1996, S. 308–310. Die wechselnden Haltungen des Nationalsozialismus gegenüber dem Frauenstudium betont auch Grüttner 1995, S. 112–126. Manns 1997, S. 12–16. Stiefel 2003. Harders 2005, Vogt 2005. Huerkamp 1988, S. 210.

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ausschuss an der Universität Münster zu entwerfen. Der Entwurf wurde auf einer Sitzung am 30. Juni nach langen Diskussionen um die Vertretung der Freistudenten und der Studentinnen gebilligt. Die verabschiedete Satzung sah im Vorstand nur männliche Studierende vor. Diese Satzung hatte allerdings nicht lange Bestand, da weiterhin Bedenken gegen die Zusammensetzung des Vorstandes geäußert wurden und die Deutsche Studentenschaft, die alle Studentenausschüsse vertrat, die Satzung im Juli 1919 beim ersten allgemeinen Studententag ablehnte. Zudem erkannte das Preußische Kultusministerium Satzungen der Studentenausschüsse nur an, wenn sie dem demokratischen Wahlrecht entsprachen, so dass die münsterische Satzung geändert wurde und am 29. Januar 1920 erstmals demokratische Studentenwahlen stattfinden konnten. Die Anerkennung der Satzung durch das Ministerium folgte im November 1921.15 Trotzdem blieben die demokratisch gesinnten Studierenden in der gesamten Weimarer Republik in der Minderheit. Schon 1919 hatte sich der Hochschulring Deutscher Art gegründet, in der sich rechte Studenten zusammenschlossen. Der Ring war zu Beginn der 1920er-Jahre unter den Studierenden die wichtigste Organisation, an der sich aber die Nichtkorporierten und neben anderen Verbindungen auch die katholischen Studentinnenverbindungen nicht beteiligten.16 Gegen Ende der Weimarer Republik traten weitere nationalistische und nationalsozialistische Gruppierungen in den Vordergrund, wie die Vereinigung auslandsdeutscher Studierender, der Jungkonservative Klub und schließlich der NSDStB, der sich in Münster jedoch erst im Februar 1929 und damit reichsweit recht spät gründete.17 Weitere drei Jahre später schlossen sich in Münster zehn Studentinnen zur ANSt zusammen. Nachdem Frauen zunächst recht aktiv im AStA waren, ließ ihr Engagement in der Hochschul- und Parteipolitik allmählich nach. 1920 waren etwa 23 Prozent der Mandatsträger Frauen, im Sommersemester 1926 nur noch 7,5 Prozent.18 Gleichwohl ist ihre Beteiligung an demokratischen Prozessen als Fortschritt zu bezeichnen. Doch die Frauen profitierten nicht nur vom neuen liberaleren Zeitgeist und demokratischen Entwicklungen. Es gab auch ganz handfeste Verbesserungen der gesetzlichen Rahmenbedingungen für weibliche wissenschaftliche und akademische Karrieren. Mit der Einführung der Habilitationserlaubnis für Frauen fiel 1920 das letzte formale Hindernis für eine Hochschulkarriere von Frauen. Zwar sollte es in Münster noch bis 1953 dauern, bis sich die ersten zwei Frauen, Angela Nolte in der Zoologie und Gerda von Bredow im Fachbereich Philosophie, habilitierten,19 von anderen Verbesserungen der Berufschancen profitierten münsterische Studentinnen jedoch unmittelbar: Zum einen wurde das Heiratsverbot für Lehrerinnen zwischen 1919 und 1923 sowie zwischen 1929 und 1932 aufgehoben und das Mädchenschul15 16 17 18 19

Pöppinghege 1994, S. 57–60. Ebd., S. 93–98. Ebd., S. 168–173. Ebd., S. 143. Wiethoff, Die Entwicklung des Frauenanteils, 2008, S. 53–54.

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wesen weiter ausgebaut. Beide Entwicklungen machten das Lehramtsstudium für Frauen auch in Münster noch attraktiver, als es bereits vorher gewesen war.20 Zum anderen öffneten sich 1922 neue juristische Berufsfelder für Frauen: Ab sofort durften sie Richterin und Staatsanwältin werden, und auch juristische Laufbahnen in der Verwaltung standen ihnen nun offen.21 Zwar studierten nur sehr wenige Frauen in Münster wie anderswo Jura – 1924 gab es an der Universität Münster 770 Jura-Studenten, aber nur 30 Jura-Studentinnen – eine der ersten münsterischen Jura-Studentinnen, Theanolte Baehnisch (1899–1973), ergriff die neuen Chancen jedoch direkt:22 Ihre Zulassung als erste weibliche Regierungsreferendarin Preußens erkämpfte sie sich 1922 beim preußischen Innenminister Carl Severing persönlich, in der Weimarer Republik leitete sie das Referat „Öffentliche Bühnen“ im Polizeipräsidium Berlin, während der NS-Zeit arbeitete sie gemeinsam mit ihrem Mann als Verteidigerin politisch Verfolgter, bevor sie 1946 zur Regierungspräsidentin des Bezirks Hannover gewählt und 1959 zur Bevollmächtigten des Landes Niedersachsen beim Bund ernannt wurde.23 Ein Indiz für die Verbesserung der Situation von Frauen an der Universität in der Weimarer Republik war für Münster der Anstieg des Anteils an den Promotionen, die jedoch in den verschiedenen Fakultäten sehr differenziert zu betrachten sind. Während die Katholisch-Theologische Fakultät bis zum Ende der Weimarer Republik keine Frau,24 die Evangelisch-Theologische Fakultät lediglich 1925 eine Frau25 und die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät nur drei Frauen zum Dr. jur. promovierte, wurden an letzterer Fakultät in nahezu jedem Jahr Frauen zum Dr. rer. pol. promoviert, so dass ihr Anteil in den Jahren 1929 bis 1933 im Schnitt bei fast 23 Prozent lag.26 Das Zögern der Frauen, sich dem Jurastudium zu widmen und den juristischen Doktortitel zu erwerben, kann sicherlich mit dem schwierigen Berufseinstieg begründet werden, der auch nach der Zulassung von Frauen zu diversen staatlichen Laufbahnen nur allmählich gemildert wurde.27 Ganz 20 21 22 23 24

25 26

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Schweighöfer 2008, S. 153–154. Deutscher Juristinnenbund 1984, S. 14. Zu den Studentenzahlen siehe Schweighöfer 2008, S. 163. Röwekamp 2008. An der Katholisch-Theologischen Fakultät waren bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges Frauen nicht zum Studium zugelassen. – Zusammenstellung der ersten Promovendinnen ihres Faches von Wiebke Reichmann, abgedruckt bei Damm-Feldmann, Die Entwicklung des Frauenanteils, Teil 1, 2008, S. 52. Paula Kogge. Die Zahlen beruhen auf Berechnungen, die Wiebke Reichmann und die Verfasserinnen aufgrund der Promotionsaktenbestände des Universitätsarchivs Münster gemacht haben. Frau Reichmann sei dafür gedankt, dass sie ihre Zahlen zur Verfügung gestellt hat. – Die Zahl der Promotionen insgesamt, aber auch der Anteil von Frauen schwankt in den verschiedenen Jahren erheblich. Deshalb wurden Zeiträume zusammengefasst, um einen Überblick über die Entwicklung zu erhalten. Auch heute ist es für Frauen schwierig, als Juristin zu reüssieren. An der Universität Münster hat mit Ursula Nelles 1994 erstmals eine Frau einen juristischen Lehrstuhl erhal-

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anders sah es in den anderen Fakultäten aus. An der Medizinischen Fakultät, die 1925 gegründet wurde, waren im Zeitraum von 1925 bis 1933 mit Schwankungen in den einzelnen Jahren etwa 11 bis 12 Prozent der Doktoranden Frauen.28 An der Philosophischen Fakultät29 lag der Anteil von Frauen an den Promovierten in der Zeit von 1919 bis 1933 im Schnitt bei etwa 20 Prozent mit leicht steigender Tendenz in den letzten Jahren.30 Damit entsprach er in etwa dem Anteil von Frauen an der Gesamtzahl der Studierenden.

Frauen an der Westfälischen Wilhelms-Universität 1933 bis 1937/38 Mit Beginn der NS-Herrschaft verschlechterten sich die Rahmenbedingungen des Frauenstudiums zunächst rapide. Sogar seine Abschaffung stand in der reichsweiten Diskussion, an der sich Angehörige der Universität Münster jedoch nicht beteiligt zu haben scheinen. „Die Hochschule gehört den Männern“, erklärte etwa der Hauptschriftleiter der Zeitschrift der Fachschaften der Berliner Hochschulen „Wissen und Dienst“, Otto Schuster, und wollte den Frauen allenfalls ein Gastrecht an den Universitäten zur Ausbildung in bestimmten pflegerischen und erzieherischen Berufen einräumen. Dagegen wehrten sich nicht nur Oskar Stäbel, von 1933 bis 1934 Reichsführer des NSDStB und der Deutschen Studentenschaft, und verschiedene Frauenverbände.31 Auch die neue Regierung entschloss sich gegen eine Abschaffung, wohl aber für eine starke Beschränkung des Studiums von Frauen, sah sie die eigentliche Aufgabe des weiblichen Geschlechts doch in der Geburt und Aufzucht möglichst vieler Kinder. Da jedoch angesichts des starken Frauenüberschusses nach dem Ersten Weltkrieg nicht alle Frauen Mutter werden könnten, sollten diese Frauen ihre frauenspezifischen „natürlichen“ Fähigkeiten in sozialen, pflegerischen oder erzieherischen Berufen zum Wohle des Volkes einsetzen können.32 Eine erste Beschränkung des Frauenstudiums stellte das „Gesetz gegen die Überfüllung der deutschen Schulen und Hochschulen“ vom 25. April 1933 dar. Zwar stand das Gesetz auch im Kontext der Debatten über die Verringerung männlicher und vor allem weiblicher Studierendenzahlen, die angesichts der hohen Akademikerarbeitslosigkeit bereits in den späten 1920er-Jahren begonnen hatten; in seiner nationalsozialistischen Prägung richtete es sich jedoch vor allem gegen die Zulassung von jüdischen Studierenden. Bei reichsweit erwarteten 40.000 Abiturienten

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ten. Deutschlandweit gab es bis 2008 erst eine Frau, die es geschafft hat, geschäftsführende Partnerin einer Rechtsanwaltskanzlei zu werden, vgl. Gürtler 2008. 1925–1928: 11,1 Prozent, 1929–1933: 12,5 Prozent. Die Philosophische Fakultät umfasste bis zur Abspaltung einer eigenen Fakultät 1948 auch die mathematischen und naturwissenschaftlichen Fächer. In Fünf-Jahres-Zeiträumen: 1919–1923: 19,55 Prozent, 1924–1928: 20,99 Prozent, 1929– 1933: 21,61 Prozent. Nur in wenigen Jahren (1922, 1933) lag der Anteil unter 15 Prozent. Zur Debatte siehe: Paulsen 1933/34, dort auch Zitate. Ausführlicher zur Debatte siehe: Umlauf 2006, S. 505ff.

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1934 – darunter 10.000 Frauen – reduzierte das Gesetz die Zahl der Studienanfänger auf insgesamt 15.000 und bestimmte, dass die Quote jüdischer Erstsemester pro Fakultät 1,5 und weiblicher Studienanfänger insgesamt zehn Prozent nicht übersteigen durfte.33 Bereits im Februar 1935 wurden jedoch die Zulassungsbeschränkungen zu den Universitäten für Frauen und Männer arischer Abstammung, nicht aber für Juden, wieder aufgehoben. Der kurze Geltungszeitraum des Gesetzes war jedoch nicht der einzige Grund, warum seine Auswirkungen auf die – gleichwohl negative – Entwicklung des Frauenstudiums in Münster kaum spürbar waren. Dem reichsweiten Trend entsprechend waren die Studierendenzahlen insgesamt – und insbesondere die Zahlen der Studentinnen – nach dem akademischen Jahr 1931/32 bis zum Ende der 1930erJahre stark rückläufig. Waren 1931/32 noch 1.184 Studentinnen in Münster immatrikuliert, waren es 1938/39 nur noch 273.34 Andere Gründe als das Gesetz gegen die Überfüllung der deutschen Hochschulen waren daher ausschlaggebender für die Entscheidung von immer mehr Abiturientinnen gegen eine Immatrikulation, der Nationalsozialismus und seine anti-emanzipatorische Ideologie verstärkte diesen Trend lediglich: In wirtschaftlich schwierigen Zeiten finanzierten die Eltern eher den Söhnen als den Töchtern das kostspielige Studium, zumal die Möglichkeiten für Studentinnen, Geld hinzuzuverdienen, ungleich schlechter waren als die ihrer Kommilitonen.35 Zudem sahen die Berufschancen für Akademikerinnen in den 1930er-Jahren noch schlechter aus als für ihre männlichen Kollegen:36 Bereits seit 1929 durften verheiratete Frauen auf Grundlage des „Gesetzes über die Rechtsstellung der weiblichen Beamten“ nicht mehr im Schuldienst tätig sein, ab 1936 waren alle Frauen per Führerentscheid von juristischen Berufen ausgeschlossen.37 Das wirkte sich auch auf die juristischen Promotionen von Frauen an der Universität Münster aus. Während in den Jahren 1937 und 1938 noch die letzten drei Frauen zum Dr. jur. promoviert wurden, legte in den folgenden zehn Jahren nur eine einzige Frau – Hildegard Gros im Jahr 194138 – eine Dissertation vor. Nur mit großer Mühe gelang es der Gerichtsassessorin Hildegard Meyer 1934 eine Zulassung zur Rechtsanwaltschaft am Amtsgericht und Landgericht Münster zu er33

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Huerkamp 1996, S. 78–82. An der Universität Münster lag der Anteil jüdischer Studierender an der Gesamtzahl der Studierenden immer unter dem Durchschnitt und erreichte 1935, als es erstmals eine statistische Erhebung nach Religionszugehörigkeit gab, bei nur 0,5 Prozent, Grüttner 1995, S. 495. In den gleichen Jahren studierten 4.343 beziehungsweise 1.701 Männer an der Universität Münster. Pöppinghege 1994, S. 136–141, hat die wirtschaftliche Situation der Studierenden, insbesondere die der Werkstudenten, zwischen 1924 und 1928 untersucht und konstatiert, dass sich für Studentinnen lediglich die Unterrichtstätigkeit als Verdienstmöglichkeit bot, S. 139. Im übrigen zur sozialen Lage der Studentinnen: Zigan 2008. Grüttner 1995, S. 116–117. Schweighöfer 2008, S. 153, S. 164. UAMs, Bestand 33, Nr. 1189.

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langen. Ihrem Gesuch wurde zunächst vom Vorstand der Anwaltskammer Hamm widersprochen, wobei als Begründung gar keine rechtliche Grundlage angeführt werden konnte: „Bei der bekannten starken Überfüllung des Berufes müssen weibliche Beamte zurücktreten. Wenn auch die Rechtsanwalts-Ordnung diesen Gedanken nicht ausspricht, so liegt er doch im Zuge der heutigen Auffassung und Zeit.“39 Die Zulassung erfolgte dann trotzdem am 20. Juli 1934,40 wobei sicherlich eine Rolle spielte, dass der Vater von Hildegard Meyer, Dr. Wilhelm Meyer, als Notar und Rechtsanwalt in Münster tätig war. Nicht nur die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft konnte sich schwierig gestalten, auch bereits die Ableistung der Anwaltsstage im Referendariat konnte versagt werden.41 Abschreckend auf viele potentielle Studentinnen wirkte sich auch der halbjährige Arbeitsdienst aus, zu dem seit 1934 alle „Abiturientinnen mit Studienabsichten“, nicht aber die übrigen jungen Frauen ihres Jahrgangs zwecks Auslese dem Regime geeignet erscheinender Studentinnen verpflichtet waren.42 Wer im Lager versage, so der Minister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung Bernhard Rust 1933, habe „das Recht verwirkt, Deutschland als Akademiker führen zu wollen.“ Der positive Bescheid der Lagerleiterin über „Kameradschaft“, „Fleiß“ und „Weltanschauung“ der Studienaspirantin, der ihr nach Ableistung des Dienstes im sogenannten Pflichtenheft ausgestellt wurde, war Voraussetzung für die Zulassung zur Einschreibung. Zwar konnte wegen vorher fehlender Infrastruktur der Arbeitsdienst erst ab 1937 in vollem Umfang für alle Frauen durchgeführt werden: 1934 hatten immerhin 22 der in Münster neu eingeschriebenen Studentinnen keinen Arbeitsdienst geleistet,43 1935 leisteten 77 von insgesamt 221 Studentinnen Arbeitsdienst,44 und auch danach gab es Ausnahmeregelung, wie die Herkunft aus einer kinderrei39 40 41

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43 44

LAV NRW W, Personalakte Nr. 288 (neue Verzeichnung), Vorstand der Anwaltskammer Hamm (Westf.) an Oberlandesgerichtspräsidenten Hamm, 14.7.1934. Ebd., Verfügung des Oberlandespräsidenten Hamm, 20.7.1934. Für Münster beziehungsweise Westfalen konnte hierfür kein Beleg gefunden werden. Allerdings schrieb die nach dem Krieg in Münster zum Vorbereitungsdienst in einer Anwaltskanzlei zugelassene Ilse Redeker in ihrem Lebenslauf: „Mein beim Reichsjustizministerium in Berlin gestellter Antrag auf Zulassung zur Ableistung des damals vorgeschriebenen Anwalts- und Anwärterdienstes wurde abschlägig beschieden mit der Begründung, es sei von höchster Stelle nicht erwünscht, Frauen zur Anwaltschaft zuzulassen. Ich wandte mich daher einer anderen juristischen Tätigkeit zu.“ LAV NRW W, Personalakte Nr. 317 (neue Verzeichnung), Lebenslauf, 26.9.1947. Seit 1935 galt eine allgemeine Dienstpflicht für beide Geschlechter, die für Frauen mit Ausnahme der Abiturientinnen mit Studienabsichten jedoch bis zum Kriegsbeginn freiwillig blieb. Huerkamp 1996, S. 82–86, Müller 2008, S. 98f. BAB, NS B 8, 3478, Hauptamtsleiterin der Deutschen Studentenschaft Münster, Elisabeth Wewel, an Reichsreferentin für den Arbeitsdienst, Ruth Pagel, 17.6.1935. Maria Zumbusch, die Referentin für den Arbeitsdienst der Studentenschaft Münster, meldete noch im Februar 1935 77 Studentinnen, die Arbeitsdienst geleistet hatten, von insgesamt 221 Studentinnen an Ruth Pagel; BAB, NS B 8, 3503, Schreiben Zumbusch an Pagel,11.2.1935.

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chen oder bäuerlichen Familie, die vom Arbeitsdienst befreiten. Dennoch waren die Aussicht auf das Lagerleben und die oft harte körperliche Arbeit während des Dienstes ein weiterer Baustein, der zum Rückgang der Studentinnenzahlen in den 1930er-Jahren beitrug. Auch während des Studiums waren verschiedene Dienste für die Studentinnen verpflichtend: Mehrere Stunden Sport pro Woche sowie Lehrgänge über Luftschutz, Erste Hilfe und im Nachrichtendienst waren für alle Studentinnen vorgeschrieben und scheinen auch in Münster durchgeführt worden zu sein, allerdings ohne eine vollständige Teilnahme aller Studentinnen zu erreichen.45 Gleichwohl erinnert sich der münsterische Mathematikprofessor Heinrich Behnke in seiner Autobiographie, dass die Studierenden gerade in den Anfangsjahren des Nationalsozialismus stark durch politische und gesellschaftliche Aktivitäten der verschiedenen NS-Organisationen beansprucht gewesen seien, von den in Frage kommenden Organisationen sind jedoch kaum Quellen überliefert.46 Erwünscht waren zudem freiwillige „Landarbeits- und Fabrikdienste“ der Studentinnen in den Semesterferien, an denen einige münsterische Studentinnen teilnahmen; allerdings nahm die Zahl der Meldungen im Laufe der Zeit rapide ab.47 So handelt einer der wenigen der im Bundesarchiv überlieferten Schriftwechsel der Studentenführung der Universität Münster aus dem Jahr 1938 davon, dass es der Leiterin der Abteilung Frauendienste im Amt Studentinnen/Münster, Meta Grubé, nicht gelang, eine einzige Studentin für einen Sondereinsatz in den Ferien zu gewinnen.48 Auch sonst hielt sich das politische Engagement der Studierenden und insbesondere der Studentinnen in Münster in Grenzen. So hatte sich die ANSt in Münster 1932 erst sehr spät gegründet und stand hier wie anderswo in starker Abhängigkeit vom NSDStB. Erst nach der sogenannten Machtergreifung der Nationalsozialisten wuchs sie stärker an und umfasste 1933 bereits 44 Mitglieder. Sie betätigte sich insbesondere auf dem Feld von Sanitäts-, Luftschutz- und Funkkursen.49 Eine der 45 46 47

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BAB, NS B 8, 3478, Hauptamtsleiterin der Deutschen Studentenschaft Münster, Elisabeth Wewel, an Reichsreferentin für den Arbeitsdienst, Ruth Pagel, 17.6.1935. Behnke 1978, S. 128, S.131. Für 1934 meldete Ruth Bauer, die Referentin für Arbeitsdienst der Studentenschaft Münster, 16 Studentinnen für den Landdienst in der Eifel und sechs Studentinnen für den Landdienst in Ostpreußen; BAB, NS B 8, 3866, Bauer an Pagel, 6.7.1934. Im Februar 1935 sandte M. Zumbusch als Referentin für den Arbeitsdienst der Studentenschaft Münster eine Aufstellung der Studentinnen an Ruth Pagel, in der sie als Grundlage für den Fahrgeldzuschuss nach Fakultäten und Semesterzahl aufgeschlüsselt die Anzahl der Studentinnen benennt, die Arbeitsdienst und Landdienst leisteten. Für den Landdienst werden für die Philosophische Fakultät vier Studentinnen, für die Medizinische Fakultät drei Studentinnen aufgelistet; BAB, NS B 8, 3503, Zumbusch an Pagel, 11.2.1935. Staatsarchiv Würzburg, NS 38/4064 (zur Zeit leihweise im Bundesarchiv), Briefwechsel zwischen Meta Grubé, Leiterin der Abteilung Frauendienst im Amt Studentinnen/Münster, und Mathilde Betz, Leiterin der Abteilung Frauendienste in der Reichsstudentenführung, 17.5.–2.6.1938. Pöppinghege 1994, S. 176–177.

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Hauptprotagonistinnen war die Zahnmedizinerin Liselotte Machwirth, die auch Mitglied in der NS-Frauenschaft war.50 1933 wurde sie Führerin der ANSt Münster und avancierte im Dezember 1934 zur Reichs-ANSt-Referentin im NSDStB, eine Position, die sie bis zum Februar 1936 innehatte.51 Außer einzelnen Studentinnen, die sich wie Liselotte Machwirth sehr aktiv für den Nationalsozialismus einsetzten, traten Frauen jedoch nicht an herausgehobener Position in Erscheinung. Die Aktivitäten der ANSt Münster scheinen zudem recht begrenzt gewesen zu sein, wie nicht nur die geringe Überlieferung deutlich macht. Auch die Mitgliederzahlen im ANSt sprechen eine deutliche Sprache: 1937 waren nur 14,4 Prozent aller münsterischen Studentinnen der ANSt beigetreten, reichsweit lag die Quote durchschnittlich zwischen 30 und 50 Prozent. Ähnlich niedrige Zahlen wiesen lediglich Bonn (12,2 Prozent) und Köln (14,4 Prozent) auf,52 beides ebenfalls Städte mit stark katholischer Prägung, so dass hier ein Zusammenhang vermutet, auf Grund der Quellenlage jedoch nicht nachgewiesen werden kann. Allerdings muss davon ausgegangen werden, dass die meisten Studentinnen mit den Zielen des Nationalsozialismus durchaus konform gingen. Widerstand oder widerständiges Verhalten ist nicht aktenkundig geworden, wiewohl es im Einzelfall vorkam. So hat die Medizinstudentin Maria Beyer gemeinsam mit ihrer Schwester Predigten von Bischof von Galen vervielfältigt und verbreitet.53 Zum Ausschluss von Studentinnen vom Studium ist es jedoch nicht gekommen, wohingegen zwischen 1933 und 1935 fünf Studenten wegen ihrer politischen Ansichten relegiert wurden.54 Am stärksten litten jedoch die jüdischen Studentinnen (und Studenten) unter den neuen Machthabern.55 Hatte sie das „Gesetz gegen die Überfüllung der deutschen Schulen und Hochschulen“ bereits übermäßig stark betroffen, wurden Immatrikulationen nach 1935 de facto unmöglich, da die Einschreibung nun an die Ableistung 50

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Im Mai 1932 trat auch die Studentin Lore Michels in die NS-Frauenschaft Münster ein; LAV NRW W, NS-Frauenschaft Nr. 125, Mitgliedsliste der NS-Frauenschaft Münster, undatiert. Wiethoff, Liselotte Machwirth, 2008. Machwirth wurde 1936 als Zahnärztin promoviert, starb aber schon im darauffolgenden Jahr. Grüttner, 1995, S. 501. Ester 2010, S. 16. In der Villa ten Hompel wird der Nachlass von Maria Beyer verwahrt, der Abschriften der Galen-Predigten enthält. Ihre Schwester, Gertrud Beyer, lebt noch und kann über die Vervielfältigung der Predigten berichten; freundliche Auskunft vom Leiter der Villa ten Hompel, Dr. Christoph Spieker, vom 17.3.2011. Relegiert wurden: Otto Zielke 1933 wegen Betätigung im kommunistischen Sinne (UAMs, Bestand 4, Nr. 1033), Franz Ballhorn 1933 wegen Weigerung, in die SA einzutreten (Ester 2010, S. 27), Bernhard Rülander 1934 wegen antinationaler Betätigung (UAMs, Bestand 4, Nr. 1033), Arnold Münster 1935 wegen aktiver Betätigung im kommunistischen Sinne (UAMs, Bestand 4, Nr. 792) sowie Fritz Depke 1936 (vgl. den Beitrag von Nicola Willenberg in diesem Band). Zu den jüdischen Studentinnen in Deutschland siehe: Huerkamp 1993, S. 326ff., Huerkamp 1996, S. 88.

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eines Arbeitsdienstes gebunden war, zu dem jedoch nur Arier zugelassen wurden. Bereits im Wintersemester 1934/35 waren von den 1932 4.000 jüdischen Studierenden an deutschen Hochschulen nur noch 500 übrig geblieben, in Münster waren 1935 noch zehn von insgesamt 3.662 Studierenden jüdischen Glaubens.56 Da es in Münster jedoch immer nur sehr wenige jüdische Studierende gegeben hatte – die höchste Quote wurde im Wintersemester 1919/20 mit 1,5 Prozent erreicht – hinterließ ihre Vertreibung hier geringere Spuren als an Orten wie Heidelberg oder Berlin, die wegen ihrer Tradition oder ihres Rufes bereits seit dem Kaiserreich eine höhere Attraktivität für jüdische Studierende besaßen. Dies ist mit Sicherheit auch ein Grund dafür, dass es in Münster – anders als an anderen Universitäten – keine jüdischen Wissenschaftlerinnen gab, die auf Grundlage des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom April 1933 beurlaubt, frühzeitig pensioniert oder entlassen hätten werden können. Vom nichtakademischen Personal wurden 1935 Ida Wangemann, die in Düsseldorf von 1926 bis 1928 eine Ausbildung zur Gymnastiklehrerin absolviert hatte und anschließend an der Universität Münster Gymnastikkurse durchführte, sowie schon 1933 die Pflegerin Rosa Salomon, die in der Universitätsfrauenklinik beschäftigt war, entlassen. Beide überlebten die Zeit des Nationalsozialismus im Ausland.57 Allerdings waren einzelne Wissenschaftlerinnen mit jüdischer Herkunft anderen Zurückweisungen ausgesetzt. Hima Stolzberg, die 1926 bis 1928 in Münster, anschließend an verschiedenen anderen Universitäten Medizin studiert hatte und schließlich nach Münster zurückkehrte, wollte nach bestandenem Staatsexamen, ärztlicher Approbation und einiger praktischer Erfahrung an der Universitätskinderklinik als Volontärärztin zugelassen werden. Die Zusage des Ministeriums vom 1. November 1933 wurde mit Schreiben vom 23. Februar 1934 zurückgezogen. Zwar wurde der Begriff „nichtarisch“ nicht verwendet, aber: „Da Ihre Beschäftigung an der Universitätskinderklinik auf den Widerstand fast der gesamten Dozentenschaft und insbesondere der Assistenten der Klinik gestoßen ist und daher auch Unzuträglichkeiten mit den Studierenden zu befürchten waren, hat der Führer der Dozentenschaft die Voraussetzungen meines Erlasses als nicht erfüllt angesehen und deshalb Ihnen nahegelegt, auf Ihre Beschäftigung an der Klinik zu verzichten.“ 1931, als Hima Stolzberg ein Praktikum an der Kinderklinik absolviert hatte, waren jedoch keine Schwierigkeiten aufgetreten.58 R. M.,59 die 1938 ihre medizinische Doktorarbeit eingereicht und die mündliche Prüfung bestanden hatte, verweigerte die Universität Münster die Ausstellung der Doktorurkunde, da wegen ihrer „halbjüdischen Abstammung“ ihre Approbation als Ärztin vom Reichsinnen56 57 58 59

UAMs, Bestand 4, Nr. 1171; Grüttner 1995, S. 495. Möllenhoff/Schlautmann-Overmeyer 1995, S. 487 und S. 377. UAMs, Bestand 10, Nr. 6734. Zum Lebensweg von Hima Stolzberg Möllenhoff/Schlautmann-Overmeyer 1995, S. 461–462. Namen von Frauen, die nach 1911 geboren sind, werden aus Datenschutzgründen anonymisiert wiedergegeben.

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ministerium abgelehnt wurde. Erst 1948 stellte ihr die Universität eine schriftliche Bescheinigung über den Erwerb des Doktortitels aus. Eine Urkunde erhielt sie auch dann nicht.60

Frauen an der Westfälischen Wilhelms-Universität 1937/38 bis 1945 Für die nicht-jüdischen Studentinnen verbesserten sich die Studienbedingungen ab 1937/38 jedoch deutlich. Ein Akademikermangel begann sich abzuzeichnen, und die Nationalsozialisten passten ihre Frauen- und Hochschulpolitik den neuen Anforderungen pragmatisch an. Seit 1936 wurden Frauen ausdrücklich ermutigt, ein Studium aufzunehmen, gerne auch in Fächern wie den Natur- und Technikwissenschaften, die bislang als dem Wesen der Frau widersprechend gegolten hatten, aber kriegswichtig waren. Seit 1938 wurde der Hochschulzugang auch „Begabten ohne Reifezeugnis“ beiderlei Geschlechts erteilt. Eine mit größeren Mitteln ausgestattete Stipendienpolitik sollte zudem neue Anreize für ein Studium schaffen. Hatte das Studentenwerk zu Beginn des NS-Regimes die Stipendienquote für Studentinnen von 11,2 Prozent aller Stipendien 1932 auf 6,9 Prozent 1937 immer weiter reduziert, stieg ihr Anteil in den darauf folgenden Jahren wieder stark an. 1938 waren bereits 10,7 Prozent der von der Hochschulförderung unterstützten Studierenden Frauen, 1941 sogar 18,9 Prozent. Zudem wurde die Fördersumme pro Stipendiat beziehungsweise Stipendiatin aufgestockt und der Anteil der Geförderten an der Gesamtstudentenschaft erhöht. Damit war es für Studentinnen deutlich einfacher geworden, ein Stipendium zu ergattern als noch in der Weimarer Republik. Selbstredend trifft dies aber nur auf die weltanschaulich mit dem Nationalsozialismus kompatiblen Frauen zu.61 1939 resümiert Elisabeth Boedeker in der Zeitschrift „Die Frau“ diesen Politikwechsel des Regimes lobend, freilich nicht, ohne die dahinter liegenden Gründe zu verschweigen: „Dennoch liegt die Zeit nicht weit zurück, in der gerade die wissenschaftliche Mitarbeit von Frauen aus biologischen, wie aus gesellschaftlichen Gründen bekämpft wurde. […] Unsere nationale Lage inmitten ungünstiger Nachbarn ist derart, daß sie neben der wirtschaftlichen mehr und mehr auch die geistige Autarkie unseres Volkes verlangt und daher auch die entsprechend vorhandenen weiblichen Kräfte braucht. Die wissenschaftlich begabte Frau kann heute nicht nur studieren, es wird geradezu von ihr erwartet, daß sie sich da einsetzt und ausbildet, wo sie voraussichtlich am meisten leisten wird, ohne dabei die ihr zugewiesenen mütterlichen Aufgaben zu schmälern. Welch eine Wandlung!“62 Wie sich dieser Politikwechsel auf die Situation von Frauen an der Westfälischen Wilhelms-Universität auswirkte, lässt sich leider nicht mehr genau rekonstruie60 61 62

UAMs, Bestand 54, Nr. 1333. Für den Hinweis sei Dr. Ursula Ferdinand gedankt. Huerkamp 1996, S. 165–168. Boedeker 1939/40, S. 101.

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ren, da Unterlagen über die Stipendienvergabe in Münster fehlen. Auf die Studentinnenzahl hatte er zunächst keine Auswirkung, im Gegenteil: von 1933 bis 1939 sank der Anteil der Studentinnen an der Gesamtzahl der Studierenden von 19,53 Prozent (1933/34) auf 13,83 Prozent (1938/39). Bei den Promotionen ist für die Zeit von 1934 bis 1938 ein leichter Anstieg des Frauenanteils bei der Philosophischen und der Medizinischen Fakultät sowie bei der Promotion zum Dr. jur. an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät, jedoch ein deutlicher Abfall bei der Promotion zum Dr. rer. pol. an der gleichen Fakultät festzustellen.63 Dass sich die reichsweit ab dem Beginn des Zweiten Weltkriegs rapide ansteigenden Studentinnenzahlen jedoch auch an der Universität Münster bemerkbar machten, steht außer Frage.64 Waren während des absoluten Tiefstandes 1938/39 nur 273 Frauen an der Universität Münster immatrikuliert, waren es 1940/41 bereits wieder 470 und ein Jahr später 526. Ihr Anteil an den Studierenden wirkte auf die Zeitgenossen aber noch einmal größer, da viele der eingeschriebenen männlichen Kommilitonen bereits an der Front und in der Universität gar nicht mehr sichtbar waren.65 Für die darauf folgenden Jahre sind leider keine Zahlen erhoben worden beziehungsweise überliefert. Doch muss davon ausgegangen werden, dass der Frauenanteil an den Studierenden weiter stieg. Durch die im Krieg weilenden Männer war ein großer Arbeitskräftemangel entstanden. Die Ehe und ein Leben als Hausfrau und Mutter erschien vielen Frauen zudem nicht mehr als Lebensmodell, auf das sie sich verlassen konnten.66 Die neue Lage am Arbeitsmarkt sahen viele Frauen aber auch als Chance. Eine Auswertung der Personalakten aller Wissenschaftlerinnen der Universität Münster – die überwältigende Mehrzahl von ihnen Ärztinnen –, die bis einschließlich 31.12.1919 geboren wurden, bestätigt diese Überlegungen. So enthalten die Akten Hinweise, dass im Zweiten Weltkrieg vermehrt Frauen studierten, die sich eigentlich bereits für eine andere, in der Ausbildung weniger kostspielige oder leichter zugängliche Berufslaufbahn oder für ein Leben im Kreis ihrer Familie entschieden hatten. Ein typisches Beispiel ist Agnes Hagedorn, geboren 1911 als Tochter eines Fabrikanten in Warendorf. Nach der Schule studierte sie zunächst von 1931 bis 1933 Erdkunde, Sport, Französisch und Englisch an den Universitäten Münster, Königsberg und Freiburg. Sie brach das Studium ab und war dann bis 1937 im väterlichen Betrieb und Haushalt tätig. 1937 bis 1938 besuchte sie die Soziale Frauenschule in Hagen und absolvierte soziale Praktika in Warendorf und Düsseldorf. Im Wintersemester 1939/40 nahm sie ein Medizinstudium in Breslau auf, das sie in Würzburg, München und Münster – unterbrochen von Famulaturen – weiter63 64 65 66

1934–1938: Philosophische Fakultät 23,08 Prozent, Medizinische Fakultät 15,1 Prozent, Dr. jur. 7,1 Prozent, Dr. rer. pol. 17,3 Prozent. Ohne genaue Zahlen zu nennen, bestätigt dies auch die Autobiographie des münsterischen Mathematikprofessors Heinrich Behnke; Behnke 1978, S.145. Ebd., S. 145. Grüttner 1995, S. 120f.

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führte. Ihr medizinisches Staatsexamen legte sie im August 1947 in Münster ab und wurde als Ärztin approbiert. Von März 1949 bis zum Februar 1950 war sie Medizinalpraktikantin, anschließend noch ein Jahr unbesoldete Volontärassistentin an der Universitätskinderklinik in Münster. Wie ihr weiterer beruflicher Lebensweg verlief, lässt sich leider nicht nachvollziehen.67 Andere Frauen hatten vor Beginn ihres Medizinstudiums im Zweiten Weltkrieg als Krankengymnastin, Kontoristin oder „in seinem sozialen Beruf“ gearbeitet, beziehungsweise in den 1930er-Jahren ein Mathematikstudium aus familiären oder finanziellen Gründen abgebrochen.68 Sie alle schienen die Studien- und Berufsmöglichkeiten für Frauen im Zweiten Weltkrieg so positiv zu beurteilen, dass sie sich auch im fortgeschrittenen Alter noch für den Beginn eines Studiums entschieden. Aus einer Reihe von Personalakten von Medizinerinnen, die bis 1945 an den Universitätskliniken tätig waren, geht zudem hervor, dass sie vermehrt als Kriegsvertretungsärztin für ihre männlichen Kollegen, die an der Front waren, eingesetzt wurden. Diese Vertretungen datieren frühestens aus dem Jahr 1942, meist aus den Jahren 1943 bis 1945; in wenigen Fällen lief der Vertrag bis 1946.69 Als Beispiel sei die 1911 geborene Paula Keller genannt, Tochter eines Bauunternehmers, die 1939 nach ihrer Approbation als Ärztin von Anfang Juli 1940 bis Ende Juli 1941 wissenschaftliche Hilfskraft an der Universitätsaugenklinik war, dort ab August 1941 eine wissenschaftliche Assistentenstelle verwaltete und schließlich von September 1943 bis Dezember 1945 als Kriegsvertretungsärztin geführt wurde. Später war sie als Augenärztin in Beckum tätig.70 Wie der weitere berufliche Lebensweg verlief, lässt sich nur bei wenigen Kriegsvertretungsärztinnen nachvollziehen. Lediglich bei einer von ihnen wurde der Vertrag verlängert, allerdings nur als Volontärassistentin, das heißt in der Regel ohne eine angemessene Vergütung. Cäcilie Floren, seit ihrer Eheschließung 1941 Hürten, die 1911 in Eickelborn/Westfalen als Tochter eines Berufsschullehrers geboren wurde, legte 1938 in Münster ihre ärztliche Staatsprüfung ab und wurde 1939 promoviert. Nach ihrer Approbation als Ärztin war sie zunächst bis Mitte 1941 als wissenschaftliche Hilfskraft an der Medizinischen Universitätsklinik, dann zwei Jahre als Verwalterin einer Assistentenstelle und im Anschluss dreieinhalb Jahre als Kriegsvertretungsärztin tätig, ehe sie – wie bereits bemerkt – als Volontärärztin beschäftigt wurde. Nach Ausscheiden aus der Medizinischen Klinik Ende Oktober 1948 setzte sie ihre Karriere als Oberärztin in der Raphaelsklinik in Münster fort.71

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UAMs, Bestand 10, Nr. 2401. UAMs, Bestand 10, Nr. 3918, Nr. 4740, Nr. 6421, Nr. 5102. In den Akten ist von Kriegsdienstvertretung, Dienstverpflichtung, Notdienstverpflichtung oder Kriegsaushilfe die Rede. UAMs, Bestand 10, Nr. 1096, Nr. 2130, Nr. 2321, Nr. 2448, Nr. 2752, Nr. 3030, Nr. 3075, Nr. 3118, Nr. 3288, Nr. 3428. UAMs, Bestand 10, Nr. 3428. UAMs, Bestand 10, Nr. 3075.

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Gleichzeitig zeigen die Personalakten jedoch auch, dass Frauen es in Münster sehr viel später als an anderen Universitäten schafften, sich zu habilitieren oder sogar eine Professur zu erlangen.72 Dass gleichwohl während des Zweiten Weltkrieges mit der Zoologin Ilse Fischer die erste Frau mit Habilitation an der Universität Münster zu lehren begann, ist ein weiterer Ausdruck der Chancen, die der Krieg Akademikerinnen auch in Münster bot.73 Ilse Fischer ist allerdings auch ein beredtes Beispiel dafür, wie schwierig es für Frauen in der Wissenschaft werden konnte. Davon soll später die Rede sein. Zunächst entwickelte sich aber ihre Karriere ausgesprochen positiv. 1932 an der Universität Leipzig promoviert, erhielt Fischer verschiedene Stipendien und forschte an der Universität Leipzig und an der Charité Berlin. Nach ihrer Habilitation 1940 an der Universität Leipzig nahm sie eine Referentenstelle bei der Reichsanstalt für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht an, wechselte dann aber 1942 auf eine Dozentur an der Universität Münster und übernahm dort 1943 die Position einer stellvertretenden Direktorin des Instituts für Zoologie. Für die Universität Münster, an der es zu diesem Zeitpunkt keine weitere habilitierte Frau gab, war diese Stellung mehr als ungewöhnlich, sicherlich aber neben der hohen akademischen Qualifikation von Ilse Fischer vor allem den Bedingungen im Krieg geschuldet.74

Frauen an der Westfälischen Wilhelms-Universität 1945 bis 1960 Mit dem Kriegsende geriet die Zulassung von Frauen zum Studium angesichts zerstörter Universitäten, begrenzter Studienplätze und zahlreicher Kriegsheimkehrer, die in die Hörsäle drängten, erneut in die öffentliche Diskussion. Dieses Mal schlug die Debatte auch in Münster Wellen.75 Zwar hatte die Militärregierung verfügt, dass sich die Studienplatzvergabe nach der politischen Zuverlässigkeit der Bewerber richten sollte, das Rektorat erklärte dennoch in dem Entwurf eines Schreibens vom 21. September 1946 „zu den Bestimmungen der Militärregierung über die Zulassung von Studierenden zum Sommer-Semester 1946“: „Kommen wir zurück zu der Frage: Wie hätte sich die Universität von sich aus verhalten in der Auslese der Studierenden? […] 3. Bei dem augenblicklichen Ansturm auf die Hochschule ist die Bevorzugung der männlichen Bewerber76 gegenüber den weiblichen un72

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Zum Vergleich: An der Berliner Universität hatten sich bis Januar 1933 allein an der Philosophischen Fakultät zwölf Wissenschaftlerinnen habilitiert, an der Medizinischen Fakultät waren zu diesem Zeitpunkt drei Privatdozentinnen und eine außerplanmäßige Professorin beschäftigt. Vogt 2005, S. 179–182. Wiethoff, Die Entwicklung des Frauenanteils, 2008, S. 53. Personalakten von Ilse Fischer im UAMs, Bestand 8, Nr. 8738, Bestand 207, Nr. 186, Bestand 92, Nr. 68. S. zu Fischer demnächst die Dissertation von Daniel Droste. Herrn Droste sei für die Einsichtnahme in seine noch nicht veröffentlichte Arbeit gedankt. Siehe hierzu auch Neugebauer 2008, S. 111–112. „Bevorzugung der männlichen Bewerber“ im Original kursiv.

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vermeidbar. So hart die Massnahme für die Einzelne sein mag. Das Frauenstudium muss gebremst werden. Vielerlei Gründe führen zu dieser Erkenntnis.“77

Ein frauenfeindliches Klima machte sich angesichts der Konkurrenz um die wenigen Studien- und Arbeitsplätze an der Hochschule breit, so dass Professor Heinrich Behnke 1946 mit Sorge feststellt: „Der Antifeminismus, der sich auf dem Bildungsgebiet infolge der Konkurrenz wieder einschleicht und natürlich unter der männlichen Jugend reichlich Nahrung findet, wird mit Thesen begründet, die in ihrer formalen Art Ähnlichkeiten mit den Rechtfertigungsversuchen für den Antisemitismus haben.“78

Die münsterischen Studentinnen gehen in der Diskussion in die Defensive, bestehen aber auf ihr grundsätzliches Recht zu studieren. So erklärt die Studentin Lucie Winkelmann in einem Artikel in den Münsterischen Studentenblättern zunächst, dass es „für uns Frauen selbstverständlich“ sei, den Männern bei der Studienplatzvergabe „die meisten Plätze ein[zu]räumen“. Gleichzeitig fordert sie jedoch auch: „Wir Frauen haben uns bewähren können und unsere Leistung, in besonderem Maße die Leistung in akademischen Berufen unter Beweis stellen können. Das ist eine Tatsache, die keiner leugnen kann und wird. Sie berechtigt uns heute zu unserer Forderung: Laßt der Frau das Studium!“79

Ihre eingangs mit dem Gedicht zitierte Mitstudentin, Elisabeth Deventer, versucht hingegen, ihre männlichen Kommilitonen mit dem Hinweis zu beruhigen, dass die meisten Studentinnen ohnehin bald ihren Platz im Hörsaal gegen den Platz im Haushalt tauschen würden. „Die meisten werden es bald leid, wenn sie den rechten Mann gefunden.“80 In letzterem Zitat klingt bereits das restaurative Frauenbild der Nachkriegszeit an, das den eigentlichen Platz der Frau im Haus als Ehefrau und Mutter sah, und ihre Berufstätigkeit nur als Ausnahme in Notsituationen und dann möglichst in „weiblichen Berufen“ der Pflege oder Erziehung vorsah. Natürlich verband sich dieses Frauenbild in der Nachkriegszeit stark mit zeitspezifischen Umständen, mit der Sehnsucht nach Familienidylle und „heiler Welt“, einem Ende der chaotischen Verhältnisse von Kriegs- und unmittelbarer Nachkriegszeit, mit denen auch eine starke Erwerbstätigkeit der Frauen assoziiert wurde.81 Ein ähnliches Frauenbild hatten Konservative jedoch bereits im Kaiserreich und der Weimarer Republik vertreten, bis etwa 1937 verfochten es auch die Nationalsozialisten, allerdings in rassistisch pervertierter Form. Rückschritte im Frauenstudium nach Kriegsende also allein Nachwirkungen anti-feministischer nationalsozialistischer Frauenbilder 77 78 79 80 81

UAMs, Bestand 4, Nr. 641. Zitiert nach Respondek 1995, S. 155. Winkelmann 1946. Deventer 1946, S. 25. Niehuess 2008, S. 254.

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zuzuschreiben, greift daher zu kurz.82 Die Argumente gegen das Frauenstudium sind älter und stoßen immer dann auf besonders großen Widerhall, wenn die Lage am Arbeitsmarkt angespannt ist. Gleichzeitig lässt sich in der Nachkriegszeit, wie in dem Zitat von Lucie Winkelmann, jedoch ein wachsendes Selbstbewusstsein der Frauen beobachten, die gerade in den Kriegsjahren bewiesen hatten, dass sie für Studium und Berufstätigkeit genauso geeignet waren wir die Männer. Gleichwohl sind in der unmittelbaren Nachkriegszeit Rückschritte im Frauenstudium zu konstatieren. Ausdruck der restriktiven Bedingung für die Zulassung von Frauen zum Studium ist ein zunächst sinkender Anteil von Studentinnen an der Gesamtzahl der Studierenden. Im Studienjahr 1946/47 lag ihr Anteil noch bei 29,09 Prozent, sank dann im Laufe der nächsten Jahre bis 1951/52 auf knapp 22 Prozent, um in der Folge wieder leicht anzusteigen. Erst ab Ende der 1960er-Jahre nahm der Anteil der Frauen an den Studierenden kontinuierlich zu, um erstmals Ende der 1990er-Jahre die 50 Prozent zu übersteigen.83 Die Promotionen von Frauen sprechen eine ähnliche Sprache, wobei wie in den vorherigen Jahrzehnten auch erhebliche Unterschiede zwischen den verschiedenen Fakultäten bestehen. Während in den theologischen Fakultäten beiderlei Konfessionen keine Frauen promoviert wurden, stieg der Frauenanteil in der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät für den Dr. jur. kontinuierlich an, nachdem in den letzten Jahren der NS-Herrschaft ein Tiefpunkt erreicht war. In den Zeiträumen 1949 bis 1953 und 1954 bis 1958 lag er bei 4,3 Prozent beziehungsweise 3,8 Prozent. Bei der Promotion zum Dr. rer. pol. wurde Ende der 1940er-Jahre ein gewisses Hoch erreicht, da 19,2 Prozent der Promovierten Frauen waren. In der Folgezeit von 1954 bis 1958 sank der Frauenanteil bei den Promotionen allerdings auf 4,2 Prozent. In der Medizinischen Fakultät blieb der Anteil der Promovendinnen an der Gesamtzahl der Promovierten konstant hoch und lag Ende der 1940er-Jahre bis zum Ende der 1950er-Jahre im Schnitt bei etwa 25 Prozent, konnte aber in einzelnen Jahren auch die 30 Prozent zum Teil deutlich überschreiten, zum Beispiel 1950 mit 33,7 Prozent. Dramatisch ist der Rückgang des Frauenanteils bei den Promotionen in der Philosophischen und in der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, die hier gemeinsam betrachtet werden, da eine Abtrennung der mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächer aus der Philosophischen Fakultät erst 1948 erfolgte. Während in den 1940erJahren mehr als 50 Prozent aller Promotionen von Frauen abgelegt wurden, sank der Anteil in den 1950er-Jahren auf unter 20 Prozent in den Jahren 1954 bis 1958 ab. Dass diese Rückschritte jedoch mittelbare Folgen des Nationalsozialismus gewesen wären, lässt sich nicht belegen. Denn weder können die Wurzeln des Frauenbildes der Nachkriegszeit, wie bereits gesehen, ausschließlich im Nationalsozialismus verortet werden, noch wurde die Entnazifizierung als Mittel zur Diskriminierung von Frauen an der Universität Münster eingesetzt. Zwar war eine Entnazifizierung 82 83

Vgl. Umlauf 2006, S. 553–558. Studierendenzahlen nach Geschlecht für die Zeit ab 1965 unter: http://www.uni-muenster.de/Rektorat/Statistik/d2s94b.html, Zugriff: 6.3.2011.

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sowohl bei den Studierenden als auch bei den Lehrenden der Universität Münster notwendige Voraussetzung für die Zulassung zum Studium beziehungsweise zur Lehrtätigkeit. Für die Studierenden beiderlei Geschlechts war darüber hinaus ab dem Sommersemester 1946 ein Arbeitseinsatz zum Wiederaufbau der Universität obligatorisch. Wesentliche Unterschiede zwischen weiblichen und männlichen Studierenden bei der Zulassung gab es nicht, beim Arbeitsdienst wurden die Studentinnen eher bei Büroarbeiten eingesetzt als die Studenten.84 Da außer Ilse Fischer bis 1945 keine Frau Professorin an der Universität Münster und Ilse Fischer einer Verstrickung oder Anbiederung an das NS-Regime völlig unverdächtig war, ist es auf dieser Ebene zu keiner Entlassung gekommen. Bei den übrigen wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen der Universität Münster ist es schwierig, einen Überblick zu erhalten. Zwar lässt sich bei der Durchsicht von Personalakten bei vielen Frauen eine Mitgliedschaft in der NSDAP, zumeist aber in Gliederungen der Partei, wie dem Bund Deutscher Mädel, dem Nationalsozialistischen Studentenbund, der NSFrauenschaft, der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt oder dem Nationalsozialistischen Lehrerbund feststellen,85 die wenigsten Frauen waren aber an exponierter Position im Sinne der nationalsozialistischen Bewegung tätig, auch wenn sie das System gestützt und unterstützt haben.86 Auf die Situation der Frauen an der Universität Münster hatte die Entnazifizierung daher keinen besonderen Einfluss. Neben allen Rückschritten und Schwierigkeiten brachte die Nachkriegszeit jedoch auch Verbesserungen für Studentinnen und Wissenschaftlerinnen in Münster mit sich. 1950 hatten sich die Rahmenbedingungen für das Studium und die wissenschaftliche Karriere von Frauen stabilisiert: Die Debatte über die Abschaffung oder Begrenzung des Frauenstudiums hatte keine dauerhaften Konsequenzen gezeigt, mit 23 Prozent lag die münsterische Studentinnenquote sogar über dem bundesweiten Durchschnitt von 19,7 Prozent. Der mühsam erkämpfte Artikel 3 des Grundgesetzes „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ schaffte trotz zunächst unzureichender Umsetzung zudem die Sicherheit, dass das Frauenstudium und die Arbeit von Wissenschaftlerinnen nie wieder grundsätzlich zur Disposition gestellt werden konnten.87 1945 öffnete zudem die Katholisch-Theologische Fakultät ihre 84

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Zur Entnazifizierung der Studenten und zur Zulassung zum Studium Respondek 1995, S. 140–175. Unterschiede ergaben sich lediglich darin, dass Frauen nicht Mitglied der SS oder der SA gewesen sein konnten und auch nicht als Soldaten am Krieg teilgenommen hatten. Beispielhaft seien folgende Personalakten genannt: UAMs, Bestand 10, Nr. 399, Nr. 792, Nr. 1096, Nr. 1264, Nr. 1826, Nr. 2130, Nr. 3030, Nr. 3075, Nr. 3117, Nr. 3118, Nr. 3288, Nr. 3313, Nr. 3428, Nr. 4378, Nr. 4740, Nr. 4867, Nr. 5294, Nr. 5725, Nr. 5785, Nr. 5952, Nr. 6812, Ausnahme ist H. K., die 1940 Führerin einer ANSt-Gruppe war, 1948 aber durch die Entnazifizierungskammer entlastet wurde und bis 1962 an der Universität Münster tätig blieb; UAMs, Bestand 10, Nr. 3313. Das „Gleichberechtigungsgesetz“ von 1958 räumte der Ehefrau das Recht ein, das eigene Vermögen zu verwalten und bestätigte ihr grundsätzliches Recht auf Erwerbsarbeit. Doch erst die Reform des Familienrechtes 1976/77 entzog dem Ehemann die Möglichkeit, die

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Tore für Frauen, die zuvor nur mit Sondergenehmigungen zugelassen worden waren. Den Frauen standen nun alle Studienfächer an der Universität Münster offen. Auch die noch bestehenden Berufsverbote für (verheiratete) Frauen wurden nach und nach aufgehoben: 1951 wurde die „Zölibatsklausel“ im deutschen Beamtenrecht abgeschafft, ab sofort durften Lehrerinnen verheiratet sein. Bereits mit dem Kriegsende fiel das Berufsverbot für Juristinnen. Frauen, die in den 1940er-Jahren trotz des später drohenden Berufsverbots in Münster Jura studiert hatten, nutzten die neuen Möglichkeiten für teils erstaunliche Karrieren: Anne-Marie Hoffmann etwa wurde 1972 als erste Frau Bundesanwältin beim Bundesgerichtshof.88 Die wesentlichen formalen Hürden für das Studium und die wissenschaftliche Karriere von Frauen waren damit beseitigt. Als eine der letzten Universitäten in Deutschland habilitierte die Universität Münster zudem 1953 die ersten zwei Frauen. Zuvor hatten sich mit Ilse Fischer 1942 und Maria Elisabeth Brockhoff 1947 zwei Frauen an die Universität Münster umhabilitiert.89 Der weitere Karriereweg Ilse Fischers ist jedoch auch ein Beispiel dafür, wie schwer es Frauen auch in der Nachkriegszeit noch hatten, sich in der Wissenschaft zu behaupten. Fischer, die seit 1943 stellvertretende Direktorin des Zoologischen Instituts war, wurde nach dem Tod von Erich Ries, Lehrstuhlinhaber für das Fach Zoologie, der 1944 an der Ostfront gefallen war, gar nicht für seine Nachfolge in Betracht gezogen. Die Suche nach einem Nachfolger zog sich über das Kriegsende hinaus hin. In dieser Zeit fungierte Bernhard Rensch als Lehrstuhlvertreter und wurde schließlich zum 1. August 1947 auf den Lehrstuhl berufen. Fischers Position im Institut wurde in dieser Zeit immer schwächer: Kritik an ihrer Tätigkeit als stellvertretende Direktorin kam auf, mit Rensch verstand sie sich nicht gut, und schließlich folgte ihre Entbindung vom Amt der stellvertretenden Institutsdirektorin. 1949 wurde sie zwar zur außerplanmäßigen Professorin ernannt, Fischer zog es jedoch vor, 1950 zu einem Forschungsaufenthalt nach Chicago aufzubrechen, wo sie schwer erkrankte.90 Ebenfalls auf massive Schwierigkeiten stieß Maria Cramer, die sich 1952 darum bemühte, die venia legendi der Universität Münster zu erhalten, nachdem sie sich bereits 1941 an der Universität Wien im Fach Orientalistik habilitiert hatte. Ihre Habilitationsprüfung in Münster scheiterte, weil sie angeblich den wissenschaftlichen Anforderungen nicht genügte, was aber Professoren anderer Universitäten anders sahen.91 Reüssieren konnte aber schließlich Angela Nolte 1953 im Fach Zoologie, ein Schützling von Bernhard Rensch. Damit war sie die erste Habilitandin der Universität Münster, gefolgt von Gerda von Bredow, die im gleichen Jahr für das Fach Philosophie habilitiert wurde, Ingeborg

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Erwerbsarbeit seiner Frau auch gegen ihren Willen zu kündigen, sollte sie ihren Pflichten in Ehe und Familie seiner Ansicht nach nicht ausreichend nachkommen können. Schweighöfer 2008, S. 154, S. 166–167, Röwekamp 2008, S. 293–297. Wiethoff, Die Entwicklung des Frauenanteils, 2008, S. 53. Vgl. demnächst Dissertation von Daniel Droste. Wiethoff, Die Entwicklung des Frauenanteils, 2008, S. 55.

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Esenwein-Rothe, die sich 1954 für Volkswirtschaftslehre und Statistik habilitierte, und der Chemikerin Almuth Klemer, die 1958 eine Habilitation vorlegte.92 Einen Lehrstuhl hat jedoch keine dieser Wissenschaftlerinnen an der Universität Münster erlangt. Als ersten Frauen gelang dies erst Marie-Luise Dittrich, die am 16. Januar 1965 zur Direktorin der Älteren Abteilung des Germanistischen Instituts berufen wurde, sowie zwei Wochen danach Ruth Stiehl, später Altheim-Stiehl, die am 2. Februar 1965 Direktorin des Instituts für Altertumskunde wurde.

Fazit Wenn so auch die letzten formalen Hindernisse für das Studium und eine wissenschaftliche beziehungsweise akademische Karriere von Frauen spätestens ab 1950 fielen und die ersten Frauen tatsächlich auch an der Universität Münster Professorinnen wurden, so ist dies bis heute nicht mit einer Gleichstellung mit den männlichen Kollegen zu verwechseln.93 Zwar ist die Geschichte des Frauenstudiums an der Westfälischen Wilhelms-Universität langfristig betrachtet mit Sicherheit eine Erfolgsgeschichte, jedoch verläuft sie nicht geradlinig, sondern ist vielmehr immer wieder von Rückschlägen gekennzeichnet. Doch welche Rolle spielte der Nationalsozialismus in dieser Entwicklung? Es besteht kein Zweifel, dass die Nationalsozialisten ein zutiefst anti-emanzipatorisches Frauenbild vertraten, in dem die Frau vor allem für die Geburt und Erziehung möglichst vieler gesunder, arischer Kinder zuständig war und das Studium bestenfalls als Notlösung für die Frauen betrachtet wurde, die nicht Mutter werden konnten. Und es besteht auch kein Zweifel daran, dass die Nationalsozialisten mit dem Gesetz gegen die Überfüllung der deutschen Hochschulen, mit der Einführung von verschiedensten Diensten vor und während des Studiums sowie mit Berufsverboten und -einschränkungen für Akademikerinnen zumindest in den Anfangsjahren bemüht waren, ihre ideologischen Überzeugungen in konkrete Politik zu übersetzen. Dennoch war der Einfluss ihrer Maßnahmen auf die negative Entwicklung des Frauenstudiums in Münster in den 1930er-Jahren gering. So hatte der Rückgang der Studierenden- und insbesondere der Studentinnenzahlen bereits vor 1933 eingesetzt und hat seine Ursachen vor allem in den ökonomischen Schwierigkeiten und der hohen Akademikerarbeitslosigkeit nach der Weltwirtschaftskrise. Die nationalsozialistische Politik hat diesen Rückgang lediglich verstärkt, auch wenn nicht bestritten werden soll, dass sie einigen Frauen, vor allem Juristinnen, Karrierewege versperrt hat. Mit einsetzendem Akademikermangel 1937/38 und dann noch einmal verstärkt im Krieg vergaßen die Nationalsozialisten zudem ihre anti-emanzipatorischen Vorbehalte und betrieben eine Politik, die das Studium von Frauen in vorher unbe92 93

Ebd, S. 54. Damm-Feldmann, Die Entwicklung des Frauenanteils, Teil 3, 2008, S. 61–68.

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kanntem Ausmaß förderte, eine Chance, die zahlreiche Frauen für sich nutzten. In Münster machte sich dies nicht nur an steigenden Studentinnenzahlen, sondern auch an immer mehr Wissenschaftlerinnen bemerkbar, die vor allem als Vertretungsärztinnen in den Unikliniken, in einem Fall aber auch als stellvertretende Direktorin des Instituts für Zoologie die zum Krieg eingezogenen Männer vertraten. Die Frage, ob unter den Frauen an der Universität Münster in der NS-Zeit eher Täterinnen oder Opfer waren, lässt sich nicht beantworten. Weder für die eine noch die andere Seite gibt es Belege, von den genannten Fällen abgesehen. Zu vermuten ist, dass die meisten Frauen Mitläuferinnen waren, die sich dem System anpassten. Die im Vergleich zu vorherigen Jahrzehnten prominente Stellung konnten die Frauen nach Kriegsende nicht halten. Die Studentinnen wurden in den ersten Nachkriegsjahren bei der Immatrikulation benachteiligt, ihr Anteil an den Promotionen sank, die zurückkehrenden Wissenschaftler nahmen ihre Arbeitsplätze wieder ein, sogar das Frauenstudium selbst stand kurzfristig zur Diskussion, und es sollte noch bis 1965 dauern, bis die erste Frau in Münster auf einen Lehrstuhl berufen wurde. Die These, dass die Rückschritte – wie in der Literatur häufig behauptet94 – auf eine langfristige Nachwirkungen des nationalsozialistischen Frauenbildes zurückzuführen seien, greift jedoch zu kurz. Die Überzeugung, dass das Studium für Frauen schädlich bis überflüssig und nur in Notfällen für einige Frauen sinnvoll sei, die große Mehrheit der Frauen jedoch ihre eigentliche Erfüllung in den Aufgaben der Mutter und Ehefrau fände, ist keine Erfindung der Nationalsozialisten. Sie ist von konservativer Seite seit dem Beginn des Kampfes um das Frauenstudium im Kaiserreich immer wieder vorgebracht worden und fand in wirtschaftlich schwierigen Zeiten stets besonders starken Zuspruch.95 Das war in der Nachkriegszeit nicht anders. Zudem knüpften die Studentinnenzahlen in Münster bereits zu Beginn der 1950er-Jahre wieder an das hohe Niveau der späten Weimarer Jahre mit einem Anteil von über 20 Prozent an den Studierenden an und lagen damit über dem bundesweiten Durchschnitt. Auch dies spricht gegen die These des langen Schattens nationalsozialistischer Frauenbilder. Gleichwohl soll nicht bestritten werden, dass es gerade Frauen, die eine wissenschaftliche Karriere anstrebten, in Münster äußerst schwer hatten und hier vergleichsweise spät die ersten Frauen habilitiert und auf Lehrstühle berufen wurden. Doch weder die Gründe hierfür noch die für die weitere Entwicklung des Frauenstudiums entscheidenden Weichenstellungen der Nachkriegszeit – der Artikel drei des Grundgesetzes, die darin implizierte rechtliche Absicherung des Frauenstudiums und die Beseitigung formaler Hindernisse für akademische Karrieren von Frauen – sind in den Nachwirkungen des Nationalsozialismus zu suchen.

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Siehe mit Verweisen auf weitere Literatur Umlauf 2006, S. 553–558. Happ/Jüttemann 2008, S. 14–20.

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Karl Wilhelm Jötten und das Hygiene-Institut 1926 bis 1945 Biopolitik im Kontext von Universität, Stadt und Land Am 13. Mai 1958 verstarb Karl Wilhelm Jötten, Ordinarius für Hygiene und Bakteriologie und Direktor des Hygiene-Instituts sowie des Staatlichen Instituts für Staublungenforschung und Gewerbehygiene an der Universität Münster. Er war während zweier Amtszeiten Dekan der Medizinischen Fakultät gewesen und hatte eine Vielzahl an nationalen und internationalen Ehrungen erhalten, darunter den Devoto-Preis der Königlichen Akademie der Wissenschaften in Mailand. Jötten vertrat die Universität in der Weimarer Republik in zahlreichen gesundheitspolitischen Gremien, zum Beispiel in der Münsterschen Gesundheitskommission, im großen Wohlfahrtsausschuss und in der Ausgleichsstelle des Landeshauptmanns der Provinz Westfalen sowie im Landesgesundheitsausschuss und im Bundesgesundheitsrat in der Nachkriegszeit. In den 46 Jahren seiner wissenschaftlichen Tätigkeit hatte Jötten über 200 Arbeiten veröffentlicht, die vor allem der Bakteriologie, der Arbeits- und Gewerbehygiene und der Tuberkulose als Volkskrankheit gewidmet waren. In einer einzigen Arbeit jedoch beschäftigte er sich 1935 mit einem Thema der NS-Rassenhygiene: „Erbhygienische Untersuchungen an Hilfsschulkindern“. Diese Arbeit Jöttens und weitere am Hygiene-Institut entstandene rassenhygienische Publikationen lösten im Nachgang zum Deutschen Ärztetag 2007 in Münster eine Diskussion um die Geschichte der Medizinischen Fakultät der Universität in der NS-Zeit und um die Person Jöttens im Speziellen aus. Grundlegend war hierfür die bis dahin in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommene Untersuchung von Jan Nikolas Dicke zur Rassenhygiene und Eugenik in Münster zwischen 1918 und 1939.1 In seinem Buch konzentriert sich Dicke auf die Entwicklung der rassenhygienischen Forschungen der Dozenten an der Medizinischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität und streift am Rande auch andere Fachbereiche. Er ermöglicht es so, die Entwicklung der eugenischen Positionen der Dozenten von der Weimarer Republik bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges nachzuvollziehen. Durch diese Darstellung hat Dicke die Grundlage für eine intensivere Betrachtung der Protagonisten hinsichtlich ihrer Einbindung in eugenische/rassenhygienische Netzwerke auf Reichs-, Landes- und Stadtebene sowie für einen Vergleich mit 1

Dicke 2004.

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den Entwicklungen an anderen Hochschulen in Deutschland gelegt. Es stellt sich die Frage, ob das in Münster überwiegende katholische Milieu Resistenz gegenüber rassenhygienischem Gedankengut zeigte und sich diese auf die Universität und ihre Dozenten auswirkte oder ob sich die Dozenten der Universität unabhängig von ihrer konfessionellen Bindung dieser jungen Wissenschaft in Forschung und Lehre widmeten. Ausgangspunkt dieser Untersuchung wird das Wirken Professor Dr. Karl Wilhelm Jöttens und der in seinem Umfeld wirkenden Kollegen sein, um anhand ihrer Haltung zur Rassenhygiene die Vielschichtigkeit der Positionen in ihren einzelnen Phasen zwischen 1923 und 1945 nachzuzeichnen. Als Grundlage dienen für die Weimarer Zeit hauptsächlich die Veröffentlichungen der Protagonisten und Quellen aus außeruniversitären Archiven sowie Zeitungen und Zeitschriften, da originäre Unterlagen im Privatbesitz blieben und eine Sicherung oder Übergabe der Nachlässe in den Nachkriegsjahren nicht erfolgte beziehungsweise von den Erben nicht erwünscht war. Gleiches gilt hinsichtlich Forschung und Lehre auch für die Zeit des Nationalsozialismus. Jedoch spiegeln in dieser Zeit die Personalakten von Professor Jötten und Professor Eugen Kurz die Konflikte unter den Dozenten der Medizinischen Fakultät wider, die neben den wissenschaftlichen Interessen auch die persönlichen Motive für rassenhygienische Forschungen offenlegen.

Karl Wilhelm Jöttens beruflicher Werdegang bis 1933 Karl Wilhelm Jötten wurde als Sohn des katholischen Bankiers Wilhelm Jötten am 4. März 1886 in Essen geboren. 1906 nahm er sein Studium in Bonn auf und besuchte bis 1911 die Universitäten in München, Leipzig und Berlin, wo er am 19. Juni 1911 sein Staatsexamen ablegte und 1912 promoviert wurde. Danach wurde er Assistenzarzt an der Frauenklinik Berlin (1913/14). Sein ursprüngliches Ziel, Gynäkologe zu werden, musste Jötten nach einer Erkrankung an Tuberkulose und nachfolgender anderthalbjähriger Behandlung aufgeben. Er widmete seine Forschungen nun den Ursachen der Tuberkulose, wurde Assistent am Hygiene-Institut Berlin (15. Mai 1915 bis 31. September 1916) und nachfolgend wissenschaftlicher Hilfsarbeiter beim Kaiserlichen Gesundheitsamt in Berlin (1. Oktober 1916 bis 31. Oktober 1919). 1919 erhielt er eine Assistentenstelle am Hygiene-Institut Leipzig (1. November 1919 bis 1. November 1924), wo er 1920 habilitierte. Am 13. März 1923 erfolgte seine Ernennung zum außerordentlichen Professor in Leipzig und am 15. November 1924 die Berufung als Professor für Hygiene und zum Direktor des Hygiene-Instituts der Universität Münster. Jötten baute das Institut auf und erweiterte es 1926 um eine Medizinal-Untersuchungsabteilung sowie 1928 um die staatliche Forschungsabteilung für Staublungenforschung und Gewerbehygiene, als deren Leiter er fungierte. Die letztgenannte Abteilung kennzeichnet einen Schwerpunkt seiner Forschungen für die nachfol-

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genden Jahre. Ein anderer war die Gesundheitsfürsorge und hier auf Grund seiner eigenen Vorgeschichte besonders die Tbc-Fürsorge. Zusammen mit dem Theologen Professor Heinrich Weber, der zugleich Leiter des Staatswissenschaftlichen Instituts der Westfälischen Wilhelms-Universität und des Caritas-Verbandes für das Bistum Münster war, sowie mit Professor Heinrich Többen vom Institut für Gerichtliche und Soziale Medizin gründete Jötten 1930 das „Institut für Soziale Hygiene und Soziale Fürsorge an der Universität Münster“. Es widmete sich vor allem der sozialhygienischen und der sozialen Fürsorge-Ausbildung zunächst von Ärzten und Zahnärzten, die als Fürsorge-, Kommunal-, Schulund Kreisärzte arbeiten wollten. Später sollte die Ausbildung anderer Personen, die in der Fürsorge und Sozialhygiene beschäftigt waren, folgen.2 Diese Arbeitsgemeinschaft war die Fortsetzung der gemeinsamen Arbeit Webers und Jöttens in der Ausbildung von leitenden Fürsorgebeamten durch das Seminar für Soziale Fürsorge in den vorhergehenden Jahren. Jötten scheiterte aber mit dem Plan, das neu gegründete Institut als Ausbildungsakademie für die staatlichen Kreisärzte anerkennen zu lassen, da die bereits vorhandenen Akademien in Preußen nicht ausgelastet waren.3 Auch außerhalb der Universität war Jötten als ihr Vertreter in der Münsterschen Gesundheitskommission, im Tuberkuloseausschuss der Landesversicherungsanstalt Westfalen und als ständiger Teilnehmer im großen Wohlfahrtsausschuss und in der Ausgleichsstelle des Landeshauptmanns der Provinz Westfalen tätig. Er war also nicht nur ein hervorragender Wissenschaftler und Hochschuldozent, sondern auch ein Sozialreformer, der seinen Einfluss in den entsprechenden gesundheitsfürsorgerischen Gremien von Stadt und Provinz geltend machen wollte und konnte. Jötten entsprach damit dem Typus des Sozialhygienikers, der beanspruchte, gruppen- und klassenspezifische Faktoren von Krankheit beeinflussen zu können, um die aus ihr abgeleiteten Interventionsforderungen durchzusetzen. Der naturwissenschaftliche Anspruch und die Beschränkung auf gesundheitliche Zielsetzungen ließen die Forderungen der Sozialhygieniker der damaligen Zeit und der von ihr geleiteten und initiierten kommunalen Sozialreformen unpolitisch erscheinen. Die Entpolitisierung der Reformen durch Hygiene war jedoch nur bedingt, da sie letztendlich der Stärkung der bürgerlich-mittelständischen sozialen Reformen und Normen diente. Die Sozialhygiene war somit Wegbereiter bürokratisch durchführbarer Normalitätsstandards und diente als Grundlage für eine Bürokratisierung und Professionalisierung gesundheitspolitischer Reformen. Dabei war sie gebunden an die spezifische Form sozialer Verantwortung für das Volksganze beziehungsweise den Volkskörper und orientierte sich mehr an der Volksgesundheit als am Wohl des einzelnen Patienten. In diesem Punkte stimmte sie mit einer anderen speziellen Art der Hygiene, der Rassenhygiene, überein, die sich zur selben Zeit wie die Sozial2 3

Westfälischer Anzeiger vom 17.3.1930. UAMs, Bestand 9, Nr. 623, Schreiben des Preußischen Ministers für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung an den Kurator der Universität Münster vom 24.7.1930.

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hygiene entfaltete und während der Weimarer Republik an Bedeutung und Einfluss gewann.

Die Entwicklung der rassenhygienischen Bewegung in der Weimarer Republik Die Vertreter der Rassenhygiene verstanden sich wie die Sozialhygieniker als Hüter der Volksgesundheit und nahmen ebenso für sich in Anspruch, zur Lösung der Sozialen Frage beitragen zu wollen. Was sie jedoch von den Vertretern der Sozialhygiene unterschied, waren ihre grundlegenden Theorien, die Mitte des 19. Jahrhunderts ihren Anfang nahmen. Die selektionistische Variante des Sozialdarwinismus und die Eugenik, eine von dem Engländer Francis Galton entwickelte Erbgesundheitslehre, bildeten ihren wissenschaftstheoretischen Hintergrund. Die Eugeniker gingen davon aus, dass die natürliche Auslese der einzige Antrieb jeglichen organischen wie gesellschaftlichen Fortschrittes sei, der sich aber nicht automatisch vollziehe, da sich unter gewissen Umständen die „Untauglichen“ durchsetzen und eine Gefährdung der weiteren evolutionären Entwicklung darstellen könnten. Die Anwendung dieser Theorie auf die Soziale Frage bedeutete deren Umwandlung von einem gesellschaftlichen Problem in ein wissenschaftlichmedizinisches: „Die durch die Industrialisierung erzeugten asozialen Individuen wurden einfach zu biologisch und medizinisch untauglichen Elementen. Die einzige Methode, diese Gruppe aus der Bevölkerung zu eliminieren, bot eine Politik der ‚rationalen Auslese‘.“4

Diese Biopolitik wurde bis 1933 in Deutschland je nach dem Verhältnis zum Rassismus als Eugenik beziehungsweise Fortpflanzungshygiene oder Rassehygiene beziehungsweise Rassenhygiene bezeichnet. Während sich Eugenik und Fortpflanzungshygiene ausschließlich mit den Problemen der Abstammung, Vererbung, Entartung und entsprechender Gegenmaßnahmen wie freiwillige Eheberatung und Sterilisation beschäftigten, kamen bei der Rasse- oder Rassenhygiene der anthropologisch geprägte Rassebegriff als Selektionselement – innerhalb einer Rasse beziehungsweise zwischen den Rassen – hinzu. Die frühe Eugenik wurde in Deutschland von wissenschafts- und fortschrittsgläubigen Bildungseliten getragen. Aber auch die Arbeiterbewegung, namentlich die SPD, öffnete sich auf Grund ihrer Wissenschaftsgläubigkeit für eugenische Themen. Wenngleich die Mehrheit innerhalb der konfessionellen Milieus die Eugenik ablehnte, wurden auch in ihnen Theologen, Ärzte und Wohlfahrtsfunktionäre Anhänger dieser aufstrebenden Wissenschaft. In der im Jahre 1904 zum ersten Male herausgegebenen Eugenik-Zeitschrift „Archiv für Rassen- und Gesellschafts-Biologie“ und in der 1905 folgenden Gründung der zunächst international konzipierten und ab dem Ersten Weltkrieg national agie4

Weiss 1989, S. 157.

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renden Deutschen Gesellschaft für Rassenhygiene fand die Eugenik-Bewegung in Deutschland ihr Zentrum.5 Sie besaß in Deutschland zunächst zwei Ortsgruppen, in Berlin und in München. Die Gesamtmitgliederzahl blieb in den Jahren bis 1933 zwar beschränkt,6 wuchs aber stetig. Die überwiegende Zahl der Mitglieder stammte aus akademischen Kreisen.7 Es waren in ihr alle politischen Parteien vertreten, und Juden zählten ebenso zu ihren Mitgliedern wie Katholiken und Protestanten.

Die Institutionalisierung der Rassenhygiene in der Stadt und an der Westfälischen Wilhelms-Universität Während der Weimarer Zeit waren die Degenerationserscheinungen, die Analyse der Belastung durch „Minderwertige“ sowie bevölkerungspolitische Fragen vordringlichste Themen der Eugeniker. Zusätzlich rückte die Frage, wie die gesellschaftlichen Kosten der unproduktiven Menschen verringert werden könnten, zunehmend in den Vordergrund. Ursächlich für die Diskussion dieser Thematik war der Schock der Niederlage des Krieges. Die Vertreter der Rassenhygiene waren nunmehr mit dem Problem beschäftigt, wie der Untergang des Deutschen Volkes verhindert werden könnte. „Unter dem Druck der wirtschaftlichen und psychologischen Folgen des Versailler Vertrages und der Inflation, unter dem Zwang einer Fremdherrschaft von ‚kulturell niedrig stehenden‘ Menschen – wie der Genetiker Erwin Bauer es ausdrückte – und angesichts der Zumutung, in einer ungefestigten und weitgehend ungeliebten Republik leben zu müssen, machten sich die Rassenhygieniker klar, dass die Verbesserung der biologischen und nationalen Leistungsfähigkeit Deutschlands nicht mehr nur ein Thema für Intellektuelle war.“8

Die Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Rassenhygiene begannen ihr Anliegen durch Vorträge in der wissenschaftlich interessierten Öffentlichkeit zu verbreiten. Hier sind neben dem Anthropologen Eugen Fischer und dem Genetiker Otmar Freiherr von Verschuer besonders Fritz Lenz und der Jesuitenpater Hermann Muckermann, Bruder des in Münster tätigen Jesuiten Friedrich Muckermann, zu nennen, die durch ihre Vortragsreisen in ganz Deutschland zum Anwachsen der Gesellschaft beitrugen. Sie waren zudem die Protagonisten der beiden Flügel innerhalb der Gesellschaft. Während Lenz als Anhänger der Überlegenheitstheorie der arischen Rasse in der Münchener Sektion große Anhänger fand, lehnten die Mitglieder der größeren Berliner Gesellschaft diese Ansichten kategorisch ab. Sie hatten über die ganze Weimarer Zeit hinweg eine positive Einstellung zum neuen Staat und waren wie Muckermann überwiegend am Zentrum oder an der Sozialde5 6 7 8

Zur Eugenik im internationalen Vergleich siehe Schwartz 2008. 1931 waren es 1.085 Mitglieder im Deutschen Reich, Muckermann 1932, S. 95. Ebd. Weiss 1989, S. 164.

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mokratie orientiert. Die Münchener Gruppe hingegen tendierte mehr zur politischen Rechten und zu völkischen Ideen. Die Reorganisation der Gesellschaft im Jahre 1922 und die Vortragsreisen Muckermanns, Fischers und Lenz zeigten durch die Gründung zahlreicher neuer Ortsgruppen ihre Wirkung. Gleichzeitig gelang es der Rassenhygiene, in die Wissenschaftsbereiche der Genetik, Anthropologie, Psychiatrie, Kriminalbiologie und Blutgruppenforschung Eingang zu finden. Das breite Interesse, das der Rassenhygiene nun in der Wissenschaft zu Teil wurde, ermöglichte 1923 die Einrichtung des ersten Lehrstuhls für Rassenhygiene in München mit der Besetzung durch Lenz und 1927 die Errichtung des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik in Berlin.9 Die Gründung des Instituts, die alle Reichstagsparteien unterstützten, wäre ohne das Zutun des Münsterschen Professors für Religionsgeschichte Georg Schreiber nicht zustande gekommen. Schreiber war kulturpolitischer Sprecher des Zentrums im Reichstag und seit 1920 Berichterstatter des Haushaltsausschusses für den Etat des Reichsministeriums des Innern. Schreiber selbst war ein typischer Vertreter des Zentrums in eugenischen Fragen. Zwar sah er die Notwendigkeit, den Geburtenrückgang und damit den „weißen Tod“ in Deutschland zu verhindern, aber zugleich wollte er das „oft unterschätzte Qualitätsproblem der Bevölkerungslehre“10 in den Blick genommen sehen. Gleichwohl ging es ihm nicht um Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht des Einzelnen wie ein Eheverbot, den eugenisch indizierten Schwangerschaftsabbruch oder die Sterilisation. Vielmehr sei das „Ziel der Schaffung gesunder Ehen und eines tüchtigen Bevölkerungsnachwuchses“11 durch freiwillige Maßnahmen zu verfolgen. Die Kirche sollte hierbei erzieherisch wirken, um dem Sittenverfall der Gesellschaft zu verhindern, der Alkoholismus sowie außerehelichen Geschlechtsverkehr und somit die Ausbreitung von Geschlechtskrankheiten fördere und zusammen mit Wohnungsnot und ungünstigen ökonomischen Verhältnissen die Hauptursache für den Bevölkerungsrückgang sei.12 Schreiber gehörte damit zu den Befürwortern eugenischer Reformen, die in Abgrenzung zu den vorwiegend an negativen Maßnahmen orientierten Rassenhygienikern wie Lenz ein Programm einer positiv verstandenen Eugenik entwarfen, mit dem die Missstände behoben werden sollten. Der katholische Eugenikdiskurs war ein Versuch, die Eugenik in den festen Bezugsrahmen katholischer Normen zu stellen, um die Gefahren, die aus einer Verabsolutierung der Rassenhygiene als eine Vergötzung der Erbanlagen und der Rasse entstehen würden, zu bannen.13 Folgerichtig machte Schreiber seine Zustimmung für die Bewilligung der für den Bau des Instituts notwendigen Reichsbeihilfe von der Berufung Hermann Muckermanns als Leiter der Eugenik-Abteilung abhängig. Dies kann als 9 10 11 12 13

Ebd. Schreiber 1918, S. 135. Schreiber 1926, S. 77. Vgl. Dicke 2004, S. 51. Vgl. Nowak 1978, S. 107.

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Versuch gewertet werden, die Forschung auf dem im Reich und in Preußen politisch brisanten Gebiet der Eugenik durch einen dem Zentrum nahe stehenden Eugeniker im Sinne Schreibers kontrollieren zu wollen.14 Dieses Ziel wurde durch ein komplexes Finanzierungsmodell erreicht, in dem neben der Reichsbeihilfe von 300.000 RM auch das Land Preußen 100.000 RM bereitstellte. Die fehlenden 200.000 RM sollten durch Beiträge der Landesversicherungsanstalten,15 durch Akquirierung von Spenden sowie durch Vorträge über Eugenik erbracht werden. Die Gründung kam zustande, nachdem Muckermann bei katholischen Industriellen und Finanziers die fehlenden Geldmittel eingeworben hatte. Aus Münster spendeten der Kaufhausbesitzer und Karstadtmitbegründer Theodor Althoff (1.000 RM) und der Reichstagsabgeordnete des Zentrums und Unternehmer Generaldirektor ten Hompel (1.500 RM).16 Weitere Spenden kamen von öffentlichen Körperschaften, zum Beispiel vom westfälischen Provinzialausschuss aus Münster (7.500 RM).17 Muckermann selbst steuerte die fehlenden 20.000 RM aus seinem Privatvermögen bei, um den Bau des Institutsgebäudes zu finanzieren.18 In den Folgejahren finanzierte das Institut den laufenden Betrieb nicht zuletzt durch die 60.000 RM, die die preußischen Provinzialverbände als zweckbestimmten Mitgliedsbeitrag jährlich an die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zahlten.19 Zum Direktor der Forschungsanstalt und Leiter der Abteilung Anthropologie wurde der Katholik Eugen Fischer berufen, die Sektion für menschliche Erblehre wurde Otmar Freiherr von Verschuer unterstellt, und Hermann Muckermann übernahm die Leitung der Eugenik-Abteilung. Münster war im Vorfeld der Gründung und auch in den nachfolgenden Jahren Ziel der Vortragsreisen Muckermanns, Lenz und Fischers. Am 4. und 7. Januar 1926 hielt Lenz im Rahmen der „Hochschulkurse für jedermann“ zwei Vorträge in Münster über die „Rassenzukunft des deutschen Volkes“, wovon der zweite Vor14 15

16 17

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Vgl. Heinemann 2004, S. 265. Die Landesversicherungsanstalt Westfalen in Münster zahlte 1.302 RM, der dritthöchste Betrag nach der Landesversicherungsanstalt der Rheinprovinz (2.414 RM) und der Berlins (1.908 RM), vgl. Liste der eingegangenen Beiträge auf das Konto: K.W.I. für Anthropologie, Archiv der Max-Planck-Gesellschaft, I Abt., Rep. 1A, Nr. 2411. Beide Förderer waren Mitglieder der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft. Vgl. Bergemann/Kazemi/Wegeleben 1990, S. 22 und 106. Vgl. Archiv der Max-Planck-Gesellschaft, I. Abt., Rep. 1A, Nr. 2411, Schreiben des Landeshauptmanns der Provinz Westfalen, Münster, an den Präsidenten der Kaiser-WilhelmGesellschaft zur Förderung der Wissenschaften, Berlin, vom 29.1.1927. Ebd. Insgesamt belief sich der Mitgliedsbeitrag auf 100.000 RM, der nach der Einwohnerzahl der Provinz anteilig umgerechnet wurde. 20.000 RM entfielen auf das Kaiser-WilhelmInstitut für Psychiatrie in München, 20.000 RM auf die Forschungsstelle für Auslandsrecht und die restlichen 60.000 RM auf das neu geschaffene Kaiser-Wilhelm-Institut. Die Provinz Westfalen zahlte seit 1924 jährlich 14.000 RM Mitgliedsbeitrag, LWL-Archivamt, Bestand 701, Nr. 58, Schreiben des Leiters der Geschäftsstelle der vereinigten Provinzen, Berlin am 20.12.1924 an den Landeshauptmann Westfalen.

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trag wegen der großen Resonanz vom Hörsaal 10 in das Auditorium Maximum verlegt werden musste.20 Die Vorträge waren in mehrfacher Weise erfolgreich. Im Anschluss an diese Vorträge wurde die Münstersche Ortsgruppe der Gesellschaft für Rassenhygiene gegründet.21 Ihr Vorsitzender war der protestantische Honorarprofessor für Gerichtliche und Soziale Medizin Alwin Besserer, der zugleich Leiter des Preußischen Medizinaluntersuchungsamtes in Münster, sachverständiger ärztlicher Berater der Landesversicherungsanstalt Westfalen und Leiter ihrer Beratungsstelle für Geschlechtskrankheiten war. Besserer hatte bereits seit 1922 Vorträge zu eugenischen Themen gehalten, in denen er wie seine katholischen Kollegen Ehe und Familie als „Keimzelle der alten Gesellschaftsordnung im biologischen wie im moralischen Sinne“ sah und die besondere Bedeutung der Gattenwahl hervorhob. Insbesondere lagen ihm positiv-eugenische und auch von katholischer Seite akzeptierte Maßnahmen wie die Vermittlung von eugenischem Wissen durch Schule und Elternhaus am Herzen, um ein „Qualitätsvolk“ zu schaffen.22 Aber genauso sah er bereits eine Entwicklung voraus, die zehn Jahre später Realität werden sollte: „In wenigen Jahrzehnten […] könnte [man] daran gehen, die Vorschläge der negativen Rassenhygiene zur Einschränkung der Vererbung minderwertiger Anlagen […] in die Praxis umzusetzen, systematisch und in größeren Umfang“,23

wie er in einem öffentlichen Vortrag am 28. Mai 1922 im Auditorium Maximum anlässlich der ersten Mitgliederversammlung der Gesellschaft zur Förderung der Westfälischen Wilhelms-Universität referierte. Besserer gehörte dem Verwaltungsrat der Gesellschaft an, zu deren Mitgliedern und Förderern Münstersche Persönlichkeiten wie der oben bereits erwähnte Generaldirektor ten Hompel oder Oberbürgermeister Sperlich gehörten.24 Über die Größe der Münsterschen Ortsgruppe der Gesellschaft für Rassenhygiene in den ersten fünf Jahren ihres Bestehens lassen sich keine genauen Angaben machen. Dem Jahresbericht der Gesellschaft vom 18. September 1931 zufolge waren es zehn Personen. Sie war damit die kleinste unter den älteren Ortsgruppen der 20 21

22 23 24

Vgl. Münsterischer Anzeiger vom 3.1. und 7.1.1926. Vgl. Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie 18 (1926), S. 444. Dicke datiert hingegen die Übernahme des Ortsgruppenvorsitzes durch Besserer nach einem Artikel zum 60. Geburtstag Besserers im Münsterischen Anzeiger vom 13.9.1936 auf das Jahr 1922, Dicke 2004, S. 117. Zitiert nach Dicke 2004, S. 124. Zitiert nach Dicke 2004, S. 120. Besserer 1934, S. 18–19. Auch der Westfälische Bankverein, ein Tochterunternehmen der Essener Credit-Anstalt, dessen Vorstand Jöttens Vater Wilhelm war, zählte wie es Adolf ten Hompel, Bruder des Generaldirektors, gewünscht hatte, zu den Mitgliedern der Gesellschaft, siehe S. 38 des Berichtes und LAV NRW W, Nachlass Adolf ten Hompel, Nr. 138, 1915–1937, darin Korrespondenz mit Wilhelm Jötten zwecks Beitritt der Essener Credit-Anstalt über den Westfälischen Bankenverein zur Gesellschaft zur Förderung der Westfälischen Wilhelms-Universität.

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Eugenikbewegung. Über ihre Zusammensetzung gibt es nur wenige Anhaltspunkte. Eine statistische Prüfung aus dem Jahre 1931 ergab für die gesamte Gesellschaft, dass der überwiegende Teil der Mitglieder aus akademischen Kreisen stammte, wobei die Universitätsprofessoren „eine nicht geringe Zahl“ ausmachten.25 Dies dürfte auch für Münster zutreffend sein. In einem Brief an von Verschuer berichtet Lenz, dass er während seines Aufenthalts in Münster ein Gespräch mit Jötten geführt habe, in dem Jötten Lenz von einer beabsichtigten Eröffnung einer rassenhygienischen Abteilung am HygieneInstitut in Kenntnis setzte und ihn nach geeigneten Personal hierfür fragte. Lenz hielt aber die Situation in Münster trotz der Möglichkeit für von Verschuer, hier bald habilitieren zu können, für problematisch: „Ich glaube, es wird nicht leicht sein, auf die Dauer mit Jötten gut auszukommen. Er scheint ein Mann von brennendem Ehrgeiz zu sein, mehr die Natur eines individuellen Organisators als eines Gelehrten oder Denkers. Die Ausstattung des Instituts mit Apparativen und Mitteln ist fabelhaft. Vermutlich wird er bedingungslose Unterordnung auch geistig fordern. Ein weiterer Umstand ist, daß Münster sehr katholisch ist, auch Jötten ist katholisch. Der dortige Rassenhygieniker würde also wohl allerlei taktische Rücksichten zu nehmen haben. Ich habe das schon in meinen drei Vorträgen in Münster gemerkt, die übrigens sehr gut aufgenommen wurden […]“26

Dieser Brief ist der erste Hinweis auf das rassenhygienische Interesse Jöttens, der durch sein Studium und seine beruflichen Tätigkeiten in München, Berlin und Leipzig bereits vorher von rassenhygienische Ideen beeinflusst gewesen sein könnte. Das für Rassenhygieniker der Münchener Sektion schwierige katholische Milieu dürfte wohl auch der Grund für die geringe Mitgliederzahl der Ortsgruppe in Münster gewesen sein. Lenz stand, ebenso wie sein Vorgänger als Sektionsleiter in München, Ploetz, im Konflikt mit der katholischen Kirche, die eine grundsätzliche Ablehnung gegenüber Bevölkerungslehren hatte, die ausschließlich die Interessen des Staates oder der Gesellschaft als Richtmaß für die Familien vorgaben und christlich-ethische Positionen ablehnten. Für Lenz und Ploetz hingegen war „die Forderung der Rassenhygiene nach Ermöglichung eines direkten Zugriffs auf Ehe und Familie mit der Vorstellung verbunden, nach denen die Wissenschaft an die Stelle der traditionell dafür zuständigen Institution, der Kirche, treten sollte.“27

Dieser Kampf der Kirche um den zentralen Einfluss auf Familie und Ehe zieht sich wie ein roter Faden durch die fürsorge- und gesundheitspolitischen Diskussionen der Weimarer Republik, wie etwa um die Einführung von Gesundheitszeug-

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Siehe Muckermann 1932, S. 95. Siehe Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin Münster, Brief von Fritz Lenz an Otmar von Verschuer vom 17.1.1926. Siehe Heinemann 2004, S. 253.

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nissen für die Eheschließung oder um die integrierte Ehe- und Sexualberatung.28 Gleichwohl sich im katholischen Milieu entschiedene Gegner der Eugenik sammelten, gab es in ihm ebenso dieser Wissenschaftsrichtung aufgeschlossene Theologen, Ärzte und Wohlfahrtsfunktionäre, die in Muckermann als Mittler zwischen Kirche und Eugenik ihre Galionsfigur hatten. Der Brief zeigt deutlich, dass Jötten zu dieser Gruppe gehörte, und lässt die Vermutung zu, dass er zumindest mit ihren Zielen sympathisierte oder sogar Mitglied der Gesellschaft wurde. Hierfür spricht auch, dass bereits im Jahr 1927 im „Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie“ ein von der Westfälischen Wilhelms-Universität stammender wissenschaftlicher Beitrag mit dem Titel „Die Bedeutung der menschlichen Isohämagglutination für Rassenbiologie und Klinik“ von Herbert Leveringhaus veröffentlicht wurde. Es handelt sich dabei um eine Dissertation, die am Hygiene-Institut unter Jötten entstanden ist.29 1931 folgte eine Dissertation von Carl-Heinz Schröder über „Die Vererbung der Hasenscharte und Gaumenspalte, dargestellt an 21 Stammbäumen“, die in der chirurgischen Universitätsklinik unter Professor Heinrich Coenen verfasst wurde.30 Die Veröffentlichung dieser Arbeit führt zur Annahme, dass Coenen als Referent und Initiator dieser Arbeit ebenfalls Kontakt zur Gesellschaft hatte, zumal in den dreißiger Jahren zwei weitere Arbeiten, die unter Jötten und Coenen entstanden, im Archiv veröffentlicht wurden. Über die Mitglieder der Ortsgruppe der Gesellschaft für Rassenhygiene in der Zeit bis 1933 gibt es aber keine eindeutigen Anhaltspunkte. Das Interesse, das seit dem Vortrag von Lenz seitens der Dozenten der Rassenhygiene entgegengebracht wurde, veränderte auch das Lehrprogramm. Im Wintersemester 1927/28 wurde von Jötten die Vorlesung „Rassen- und Fortpflanzungshygiene“ begründet, die in den darauf folgenden Wintersemestern durch seinen Assistenten am Hygiene-Institut Dr. Wilhelm Pfannenstiel als Vorlesung über „Rassen- und Fortpflanzungshygiene (mit Lichtbildern)“ fortgeführt wurde. Im Sommersemester wurde die Thematik von Pfannenstiel durch die Vorlesung zur Bekämpfung der Volkskrankheiten, mit den Schwerpunkten Geschlechtskrankheiten, Tuberkulose und Alkoholismus ergänzt. Die Vorlesungen galten auch als Lehrveranstaltungen des von Jötten, Weber und Többen geleiteten Seminars für Fürsorgewesen der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät und wandten sich zudem an Hörer aller Fakultäten. Pfannenstiel war seit Herbst 1926 Assistent am Hygiene-Institut und scheint die von Jötten in Aussicht gestellte Stelle für Rassenhygiene übernommen zu haben, bis er im April 1931 den Ruf als ordentlicher Professor an die Universität Marburg erhielt. Anschließend übernahm der zweite Assistent am Institut Dr. Friedrich Sartorius die Vorlesungen Pfannenstiels.31 28 29 30 31

Vgl. Richter 2001, S. 78–136. Siehe Archiv für Rassen- und Gesellschaftbiologie 19 (1927), S. 1ff. Siehe Archiv für Rassen- und Gesellschaftbiologie 25 (1931), S. 369–394. Vgl. Dicke 2004, S. 18.

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Jötten und seine Assistenten waren jedoch nicht die ersten Dozenten, die Aspekte der Rassenhygiene, besser gesagt „rassenkundliche“ Themen, in Münster lehrten. Bereits seit dem Wintersemester 1920/21 hielt der sich als Anhänger der „Rassenlehre“ von Hans Friedrich Karl Günther ausgebende Professor Dr. Eugen Kurz vom Anatomischen Institut Vorlesungen über Anthropologie beziehungsweise Rassenkunde. Kurz, der von 1911 bis 1919 Leiter des Anatomischen Instituts der deutschen Medizin- und Ingenieurschule in Shanghai gewesen war, gehörte dem Alldeutschen Verband, dem völkischen Heimatbund „Rote Erde“ und dem Stahlhelm an und unterhielt seit den 1920er-Jahren Kontakte zur NSDAP.32 In den Wintersemestern 1924/25 und 1925/26 las er „Rassenkunde, mit besonderer Berücksichtigung der in Deutschland lebenden Bevölkerung“, die er jeweils durch die Übung „Anleitung zu wissenschaftlichen Untersuchungen auf dem Gebiete der vergleichenden Anatomie und Anthropologie“ ergänzte.33 Die Inhalte dieser Veranstaltungen dürften den Ansichten der Vertreter der Münchener Sektion der Gesellschaft für Rassenhygiene – also denen von Lenz – recht nahe gekommen sein, denn am 26. Januar 1923 legte Kurz in einer Sitzung der Zoologischen und Botanischen Sektion des Westfälischen Provinzialvereins für Wissenschaft und Kunst seine Theorien zum Thema „Schwarz, Gelb und Weiß, eine Rassenskizze und eine Mahnung“ ausführlich dar. Er warnte darin vor allem „vor der falschen Humanität, die allen Dingen eine gleichwertige Bedeutung bemisst, ähnlich wie eine falsche Humanität alle Menschen für gleichwertig erachtet“.34 Kurz wurde 1925 sogar in einer Rednerliste der NSDAP-Gauleitung Westfalen als „guter Redner“ für das Gebiet der Rassenkunde genannt, obwohl er sich selbst vor 1933 nicht sehr in der Öffentlichkeit exponieren wollte.35 Anhaltspunkte dafür, dass Kurz zur Ortsgruppe der Gesellschaft für Rassenhygiene gehörte, gibt es nicht. Als 1926 die NSDAP-Gauleitung Rheinland-Nord bei Kurz um eine Rede zur Rassenkunde anfragte, verwies dieser auf den außerordentlichen Professor für Straf- und Zivilprozessrecht sowie Straf- und Kirchenrecht Andreas Thomsen, „der auf diesem Gebiet ebenfalls Bescheid wüßte“.36 Thomsen war zugleich Vorsitzender des westfälischen Provinzialverbandes des „Reichsbundes der Kinderreichen zum Schutze der Familie“ und in dieser Funktion Mitglied des Reichsvorstandes des Reichsbundes. Im Juni 1922 hielt Thomsen einen Vortrag über das „Aussterben der modernen Kulturvölker“ auf dem Hauptvertretertag der Bünde der Kinderreichen in Weimar.37 Im Sommersemester des selben Jahres hatte Thomsen damit begonnen, an der Westfälischen Wilhelms-Universität eine Vorlesung unter dem Titel: „Die Anfänge einer Völkerpolitik (Erhaltung und Neubildung von Völkern)“ 32 33 34 35 36 37

Vgl. Luther 1967, S. 115, und Krüger 1992, S. 268. Vgl. die Vorlesungsverzeichnisse in den entsprechenden Semestern. Vgl. Krüger 1992, S. 268, und Westfälische Landeszeitung vom 3.2.1923. Vgl. Krüger 1992, S. 269 und Anm. 136. Zitiert nach Krüger 1992, S. 269. Vgl. Dicke 2004, S. 42.

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zu halten, die er im Sommersemester 1925 und für die folgenden Jahre als „Anfänge einer allgemeinen Völkerpolitik (Erhaltung der verschwindenden heutigen und Heranzüchtung neuer Kulturvölker), für Hörer aller Fakultäten“ bis zum Wintersemester 1933/34 fortführte. Das Thema der Vererbung griff Professor Besserer im Sommersemester 1925 in seiner Veranstaltung „Soziale Hygiene II: Vererbung, Leibesübungen, Beruf und Arbeit, für Hörer aller Fakultäten“ auf. Vererbungslehre in Verbindung mit „anderen biologischen Grundlagen für Mediziner“ war auch das Thema der Vorlesung von Dr. Becher am Anatomischen Institut im Wintersemester 1925/26. Rassenkunde und Vererbung wurden, wie gezeigt wurde, also schon vor 1927 an der Universität Münster gelehrt, jedoch nicht unter der Erweiterung der „Rassenhygiene“. Darin lag das neue Element der Veranstaltungen des HygieneInstituts. Die Thematik der Rassenhygiene blieb in Münster aber nicht auf universitäre Zirkel beschränkt.

Rassenhygienische Forschungen außerhalb der Universität Nicht zuletzt durch die verstärkte eugenische Propaganda des Kaiser-WilhelmInstituts, das zum Beispiel in enger Zusammenarbeit mit den preußischen Sozialund Medizinalbehörden eugenische Schulungskurse für Ärzte, Beamte und Lehrer organisierte, gelang es der Eugenik in größeren Bevölkerungskreisen Beachtung zu finden. Insbesondere Muckermann erreichte es, dass die Gedanken der Eugenik in der katholischen Bevölkerung Verbreitung fanden und zugleich auch auf staatliche oder öffentliche Stellen einwirkten. Am 16., 17. und 18. Januar 1929 hielt Muckermann auf Einladung des Westfälischen Heimatbundes in Person von dessen Fachausschussvorsitzendem für Geschichte, Führer der Landschaft Münsterland im Westfälischen Heimatbund, Leiter der Archivberatungsstelle des Provinzialverbandes und Geschäftsführer der NSDAP im Gau Westfalen-Nord, Dr. Heinrich Glasmeier, drei gut besuchte Vorträge in der Aula des Städtischen Gymnasiums.38 Im Anschluss an diese Vorträge lud der Westfälische Heimatbund zusammen mit der Provinzialverwaltung den Leiter des Kaiser-Wilhelm-Instituts, Eugen Fischer, nach Münster ein. Er erklärte der Provinzialverwaltung, dass ihm finanzielle Mittel zu anthropologischen Untersuchungen zur Verfügung stünden und Westfalen hierfür besonders geeignet sei. Kurze Zeit später schulte Fischer Volksschullehrer im Westmünsterland, die diese Untersuchungen durchführen sollten und vermaß selbst die Köpfe westfälischer Adeliger. Der für Kulturfragen zuständige Landesrat und spätere Bürgermeister von Münster, Karl Zuhorn, unterstützte diese Forschungen, konnte jedoch den Plan, eine Assistentenstelle Fischers aus dem Etat des Provinzialverbandes zu übernehmen und eine Außenstelle des Kaiser-Wilhelm-Instituts in Westfalen einzurichten, zunächst wegen der kritischen Haushaltslage und anschließend wegen der 38

Vgl. Münsterischer Anzeiger vom 18.1. und 20.1.1929.

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Arbeitsüberlastung Fischers und Muckermanns nicht realisieren. Der Westfälische Heimatbund richtete aber einen Fachausschuss für Geografie und Eugenik ein.39 Auch Georg Schreiber, der zudem Mitglied der volkskundlichen Kommission des Provinzialverbandes war, beabsichtigte 1930 ein Forschungsinstitut für deutsche Volkskunde in enger Anbindung an die anthropologische Abteilung des Kaiser-Wilhelm-Instituts einzurichten.40 Die Aktivitäten der konservativen Katholiken wie Schreiber und Zuhorn spiegeln den Antimodernismus der katholischen Kirche und ihrer Vertreter in Wissenschaft und Politik wider. Bei ihnen ließ die schon in der Kaiserzeit begonnene Liberalisierung der Gesellschaft und die sozialen Auswirkungen der Industrialisierung einen gesellschaftlichen Gegenentwurf von einer Einheit von Volk und Staat durch eine Rückbesinnung auf das Volkstum entstehen. Dieser wurde für sie von der frei von industriellen Einflüssen an die Ackerscholle gebundene Landbevölkerung verkörpert. Gerade die rasante Entwicklung im Ruhrgebiet mit dem scheinbar nicht aufhörenden Zuzug von Arbeitern aus dem Osten wirkte auf die in Westfalen beziehungsweise im Ruhrgebiet geborenen Zuhorn und Glasmeier oder auch sicherlich auf die Professoren Jötten und Többen bedrohlich. Sie galt es abzuwehren.41 Der Heimatdichter und Geschäftsführer des Westfälischen Heimatbunds, Karl Wagenfeld, formulierte dieses Gefühl bereits 1913 in einer Denkschrift zur Gründung des Westfälischen Heimatbundes: „Wenn aber die Heimatsache – sei es Heimatschutz, Heimatpflege oder Volkskunde und Volkssprache – nachhaltige Erfolge haben soll, so ist es unbedingt nötig, daß die weitesten Volkskreise bedeutend mehr, als bislang geschehen ist, für die Heimatfrage interessiert werden. Denn nur dadurch kann das Endziel der Heimatbewegung erreicht werden: das Volk zu bewußter Heimatliebe zu erziehen. Das aber ist gerade hier in Westfalen um so dringender nötig, als für uns, die wir mit Eisen und Kohle dem Ansturm der Industrie ausgesetzt sind, die Heimatfrage letzten Endes […] eine Rassenfrage, eine Stammesfrage [ist]. Das Slaventum und die Fremdlinge des Industriebezirkes bedeuten [den] Anfang einer Völkerwanderung, die uns überrennen, unsere ganze völkische Art zugrunde richten wird, wenn nicht in jeden Volksgenossen das Heimat- und Stammesgefühl eingehämmert und lebendig gehalten wird.“42 39 40 41

42

Vgl. Ditt 1988, S. 76 und 78. Schreiber 1930, S. 148. Jötten war nach eigenen Angaben Mitglied der rechtskonservativen DNVP, vgl. UAMs, Bestand 10, Nr. 4212, Bd. 1, Schreiben Jöttens an den Kurator vom 4.2.1937. Többen, der ein Übergreifen kommunistischer Ideen auf die Arbeiterschaft im Ruhrgebiet fürchtete, hatte den Kapp-Putsch und die anschließenden brutalen Kämpfe der Reichswehr und Freikorpskämpfer gegen die sogenannte Rote Armee der Arbeiter im Ruhrgebiet aus der Sicht seines Freundes des kommandierenden Generals Freiherr von Watter als Gast in dessen Hause „miterlebt“, vgl. Dicke 2004, S. 81. Für das brutale Vorgehen der Soldaten und Freikorpsverbände, darunter auch studentische Freikorps, gegen die Arbeiterverbände vgl. unter anderem Witt 1991, S. 252–265. Zitiert nach Ditt 1988, S. 63. Wagenfeld entwickelte in den Folgejahren das Konstrukt eines geografisch-biologischen Volkstums, das vor Fremdrassigen und Volksfremden ge-

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1931 ergänzte er die Beschreibung der Bevölkerung des Ruhrgebietes: „So erwuchs und erwächst von Generation zu Generation rassisch, kulturell und gesellschaftlich minderwertiger das Proletariat, kulturlose und unzufriedene Massen.“43 Diese reaktionäre Sicht hinderte ihre Anhänger jedoch nicht daran, zur Erreichung ihrer Ziele auf moderne Technologien und Wissenschaften zurückzugreifen. So stehen das rassenhygienische Lehr- und Forschungsangebot an der Universität und die Aktivitäten zur Errichtung einer Außenstelle des Kaiser-Wilhelm-Instituts nicht im Widerspruch zu den gesellschaftspolitischen Vorstellungen ihrer Protagonisten während des Kaiserreichs und der Weimarer Republik.44

Radikalisierungstendenzen bei katholischen Eugenikern und Interessensverbänden zu Beginn der 1930er-Jahre Während die Ausweitung der Fürsorgeleistungen zu Beginn der 1920er-Jahre zu einer größeren Akzeptanz innerhalb des Wählerklientel der Regierungsparteien von SPD und Zentrum in ihren Wählerschichten führte, erzwang die 1929 einsetzende wirtschaftliche Depression eine Überprüfung der sozialstaatlichen Prinzipien. „Die Kritik an den anschwellenden Sozialausgaben und die Forderung – selbst von linksgerichteten Politikern –, die schwindenden ökonomischen Ressourcen des Landes auf möglichst kosteneffektive Weise zu nutzen“,45

führte zu einer schleichenden Radikalisierung der Positionen zur Familienförderung, zur Zwangsverwahrung und zur Sterilisierung der eugenikfreundlichen Vertreter in Wissenschaft, Politik und Fürsorge. So forderte Muckermann eine differenzierte Förderungspolitik zur Erhaltung der erbgesunden Familie, die er in der Regel nicht mehr als kinderreich bezeichnete. Muckermann hatte in seiner eigenen Untersuchung festgestellt, dass die Kinder, die Hilfsschulen besuchten, im Durchschnitt mehr Geschwister hätten als solche, die höhere Schulen besuchten. „Die größte Kinderzahl findet sich gerade in den Familien, die im Zeichen der Entartung und darum auch einer beispiellosen Hemmungslosigkeit stehen. Gerade die Familien der Alkoholiker und Schwachsinnigen zeigen dies.“46

Muckermann forderte, die staatlichen Leistungen für Familien von ihrer Erbgesundheit abhängig zu machen und erbkranke Familien hiervon auszuschließen.

43 44 45 46

schützt werden müsse, weiter fort. Wenngleich ideologisch eine Nähe zum Nationalsozialismus bestand, kam für ihn während der Weimarer Republik eine Mitgliedschaft auf Grund seiner katholischen Bindung und seines sozial-konservatives Weltbild wohl nicht in Frage. Vgl. Ditt 1988, S. 68. Wagenfeld 1931, S. 254, zitiert nach Schnepper 1990, S. 110. Volkov 2009, S. 71–74. Weiss 1989, S. 169f. Muckermann 1932, S. 301.

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Daher sollte sich der Bund der Kinderreichen ausschließlich der „erbgesunden“ Familie zuwenden.47 Muckermann hatte mit seinen Forderungen Erfolg. Während der Reichsbund während der 1920er-Jahre vor allen Dingen dem Postulat der quantitativen Bevölkerungspolitik folgte und darin von den Vertretern der Zentrumspartei unterstützt wurde, änderte der Bund seinen Kurs 1932. Ausschlaggebend war hierfür der Diskussionsverlauf in dem vom Bund der Kinderreichen 1930 initiierten Reichsausschuss für Bevölkerungsfragen. Im Laufe der Sitzungen mussten die Vertreter des Bundes, darunter auch der Münstersche Professor Thomsen, erkennen, dass ihre Forderungen nach finanzieller Förderung aller Kinderreichen durch die Sparpolitik nicht zu realisieren war. Die Mitglieder des Ausschusses forderten nun, dass nur noch hochwertige kinderreiche Familien staatliche Beihilfen erhalten sollten. Alkoholiker und andere asoziale Familien müssten hingegen davon ausgeschlossen werden. Weiterhin sollten diese „Minderwertigen“ dauernd in Anstalten untergebracht werden.48 Mit dieser Forderung fanden die Vertreter des Bundes 1932 auch Unterstützung in Reihen der Zentrumspolitiker, zumal wenn diese selbst in der Fürsorge aktiv waren. Hier sind zum Beispiel die preußische Zentrumsabgeordnete und „Bewahrungstheoretikerin“ des Katholischen Fürsorgevereins für Mädchen, Frauen und Kinder Helene Wessels oder die Generalsekretärin des Vereins und Reichstagsabgeordnete Elisabeth Zillken zu nennen. In Münster wie in vielen anderen Kommunen war der Verein maßgeblich in der Sozial- und Gesundheitsfürsorge, etwa in der Geschlechtskranken- und Alkoholkrankenfürsorge, eingebunden und betrieb sowohl Fürsorgeheime als auch ein Waisenhaus.49 Zillken lehnte „die Entlassung ‚Unerziehbarer‘ aus der Fürsorgeerziehung ohne anschließende Bewahrung“ ab, und sprach sich stattdessen für eine „kostengünstigere Überweisung in ein Arbeitshaus“ aus, um die Gesellschaft vor politischem „Radikalismus, Kriminalität, Verbreitung ansteckender Krankheiten sowie Erzeugung minderwertiger […] Nachkommenschaft“ zu schützen.50 Zillken erntete heftige Kritik von der Zentrale des Caritasverbandes in Freiburg und revidierte ihre Position, hielt jedoch gleichzeitig an einer umstrittenen Konzeption von „Arbeitserziehungsanstalten“ fest.51 Das eugenisch begründete Bewahrungskonzept Zillkens war von vornherein nicht durchsetzbar, da das gesamte Anstaltswesen unbezahlbar geworden war. In der logischen Konsequenz konnte nur eine Lösung der Eugenischen Frage über die kostengünstigere und eugenisch effizientere Sterilisierung erfolgen. Dieser Option öffnete sich auch die Zentrumspartei, obwohl die 1930 vom Papst verkündete Eheenzyklika „Casti conubii“ die Sterilisation ausdrücklich untersagte und lediglich die seit Beginn der Weimarer Republik von den katholischen Eugenikern vertretenen positiven Maßnahmen berücksichtigte. 47 48 49 50 51

Vgl. Wie die Familie – so das Volk 1930, S. 33. Vgl. Richter 2001, S. 66. Vgl. Katholische Fürsorgearbeit in Münster o.J., Andres 1995, S. 270–281. Zitiert nach Richter 2001, S. 193. Richter 2001, S. 194.

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Das zu dieser Zeit große Interesse an der Eugenik im katholischen Milieu spiegelt sich auch in Münster wider. Am 14. März 1931 organisierte die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften eine Vortragsveranstaltung mit dem Leiter des Kaiser-Wilhelm-Instituts Eugen Fischer „über Ergebnisse neuer Erbforschungen beim Menschen“. Anlässlich „der großen Bedeutung dieses Vortrages für die Erhaltung der Volkgesundheit und der Volkskraft“52 stellte die Stadt die Stadthalle unentgeltlich zur Verfügung und organisierte die Veranstaltung über ihr Verkehrsamt.53 Fischer sprach von einer „Sterilisation [eines Volkes] mit wirtschaftlichen und psychischen Mitteln“, wenn die gesunden Familien wegen der finanziellen Lage auf Kinder verzichten würden und gleichzeitig „auf dem Gebiete des Fürsorgewesens unendliche Summen für Minderwertige und Minderwertigkeiten ausgegeben werden.“ Im Umkehrschluss forderte Fischer „die Sterilisation der Abnormen […], da sie wegen ihrer ständig wachsenden Zahl aus wirtschaftlichen Gründen nicht in Anstalten bewahrt und von der Fortpflanzung ausgeschaltet werden“54 müssten. Der Berichterstatter des Münsterischen Anzeigers erhob hiergegen aus ethischen Gründen Einspruch, aber vermerkte anschließend: „Ohne Frage liegt hier ein Problem von ungemein wichtiger und (im wörtlichen Sinne des Wortes) weittragender Bedeutung für die Zukunft des deutschen Volkes.“55 Es bedurfte nur noch eines Ansteigens des ökonomischen Drucks durch die Weltwirtschaftskrise, und die ethischen Bedenken würden auch auf Seiten katholischer Politiker bei Seite geschoben werden. Dies mussten auch die Zuhörer dieses Vortrages erkannt haben. Die Wende des Zentrums pro Sterilisierung erfolgte in der Sitzung des preußischen Landesgesundheitsrates vom 2. Juli 1932 in Berlin. Hermann Muckermann forderte in seinem Vortrag neben positiven eugenischen Maßnahmen, wie ein Programm zur eugenischen Erziehung, bei dem die Eugenik zum Pflichtfach für die Ausbildung von Ärzten werden sollte, mehrere negative Maßnahmen, die zuvor am Widerstand des Zentrums im Reichstag gescheitert oder deutlich abgeschwächt worden waren. Hierzu zählte neben den verpflichtenden Gesundheitszeugnissen auch die eugenische Eheberatung. Er stellte aber klar, dass diese Mittel zusammen mit der eugenischen Asylierung nicht ausreichen würden, um effektive Eugenik zu betreiben. Als einzige wirksame Maßnahme sah er die eugenische Sterilisierung, die aber nur freiwillig zu geschehen habe.56 Weiterhin forderte er eine differenzierte Wohlfahrtspflege zu Gunsten der Erbgesunden, wobei er sich auf eine Analyse der anwesenden Helene Wessels berief. Am Ende seiner Ausführungen forderte Muckermann im Sinne Wagenfelds und Schreibers noch eine Förderung der bäu52 53 54 55 56

Münsterischer Anzeiger vom 12.3.1931. Vgl. Archiv der Max-Planck-Gesellschaft, I. Abt., Rep. 1A, Nr. 829, Schreiben der KaiserWilhelm-Gesellschaft an den Münsterschen Stadtrat Engelmeier vom 19.2.1931. Münsterischer Anzeiger 17.3.1931. Ebd. Vgl. Richter 2001, S. 297.

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erlichen Siedlung, da die „erbgesunde Landbevölkerung der Quell des Lebens und aller Tüchtigkeit“ sei, von dem die „Erneuerung der Volkskraft“ ausgehen könnte. Um diese „wertvollen Erbstämme“ zu erhalten, müsse man die „Kleinsiedlung“ fördern.57 Die Inhalte des Referats waren Bestandteil der von Muckermann verfassten Leitsätze des Landesgesundheitsrates, die sich eng an die Leitsätze der Deutschen Gesellschaft für Rassenhygiene von 1932 anschlossen. Am Ende der Sitzung wurde eine Kommission mit der Ausarbeitung eines Gesetzentwurfes über die freiwillige Sterilisierung und die Redigierung der Leitsätze Muckermanns beauftragt. Ihr gehörten führende katholische Eugenikbefürworter wie der Ministerialdirektor im Preußischen Ministerium für Volkswohlfahrt Heinrich Schopohl, Ministerialrat Arthur Ostermann, Hermann Muckermann und Eugen Fischer an. Sie hatten die Mehrheit in der Kommission und sorgten für eine Formulierung des Gesetzentwurfes im Sinne Muckermanns.58 Ende des Jahres 1932 war trotz des Preußenschlages die „Chance für ein reibungsloses sterilisationspolitisches Zusammenspiel der Gesundheitsbürokraten Preußens und des Reiches“59 gegeben, doch die Machtübertragung an die Nationalsozialisten in den Innenministerien des Reiches und Preußens entzog dem Entwurf eines freiwilligen Sterilisierungsgesetzes die Grundlage. Ende 1932 bestanden somit zwei innerkatholische Positionen in der Sterilisationsfrage, die der Katholischen Amtskirche mit der Eheenzyklika und die der Zentrums-Eugenik, die vor allem in der Wohlfahrtsbürokratie und der wissenschaftlichen Politikberatung verortet war.

Zurückhaltung Auch am Hygiene-Institut konnte man während dieser Zeit die Entwicklung hin zu negativ-eugenischen Maßnahmen verspüren, wie die Beiträge der Assistenzärzte des Instituts im von Jötten und Weber 1932 herausgegebenen „Lehrbuch der Gesundheitsfürsorge“ belegen.60 So forderte der protestantische Wilhelm Pfannenstiel in seinem Beitrag „Eheberatung“ die gesundheitsamtliche Erfassung der gesamten Bevölkerung und eine verpflichtende erbgesundheitsorientierte Eheberatung mit im Einzelfall erforderlichen negativ-eugenischen Konsequenzen.61 Er plädierte bereits 1930 für ein Eheverbot, dass durch umfassende Gesundheitsüberwachung auf eine von Patientenangaben unabhängige Basis gestellt werden sollte.62 1932 mochte 57 58 59 60 61 62

Die Eugenik im Dienste der Volkswohlfahrt 1932, S. 6–25, zitiert nach Richter 2001, S. 296–298. Vgl. Richter 2001, S. 304. Schwartz 1995, S. 323. Jötten 1932. Vgl. Pfannenstiel 1932, S. 172, vgl. auch Dicke 2004, S. 18f. Vgl. Pfannenstiel 1930, S. 96.

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er diese Forderung in dem Band von Jötten und Weber, der als „Einführung in das wichtige weit verzweigte Aufgabengebiet der Gesundheitsfürsorge“63 und als Ergänzung zu den Vorlesungen des Instituts für soziale Hygiene und soziale Fürsorge gedacht war, nicht wiederholen. Es scheint, als ob ein Eheverbot im Institut nicht konsensfähig war, denn der seit 1931 als außerplanmäßiger Assistent tätige katholische Kollege Heinz Reploh äußerte sich deutlich gemäßigter in der Frage der Gesundheitszeugnisse. Er betonte die positiv-eugenische Bedeutung der Eheberatung, die durch Belehrung der zukünftigen Ehepartner die Voraussetzungen für eine gesunde Nachkommenschaft erreichen sollte.64 Er lag damit auf einer Linie mit den gemäßigten Eheberatungskonzepten der katholischen Kirche. In der Frage der finanziellen Grenzen der Fürsorge stimmte er jedoch mit Muckermann und den Zentrums-Eugenikern des Landesgesundheitsrates überein. Auch er hielt es für legitim, die Unterstützung für Schwache zu kürzen, wenn sie die Starken schwächen.65 Der Caritasdirektor Weber mochte sich diesen Tendenzen ebenfalls nicht entziehen und forderte 1932 in seinem Aufsatz über das Wanderwesen, dass „arbeitsscheue, psychopathische und asoziale Elemente“ vollständig erfasst werden sollten. Diese Erfassung sollte als Grundlage dienen, um, nach der Schaffung entsprechender Gesetze, die Betroffenen in Zwangsverwahrung zu nehmen, denn sie seien „eine schier unerträgliche Belastung“ für das Fürsorgewesen. Zudem seien soziale und eugenische Maßnahmen gegen das Wandererwesen zu treffen, um die von ihm ausgehende Verbreitung von ansteckenden Krankheiten, Kriminalität sowie asozialen Nachwuchses zu verhindern.66 Mit der negativ-eugenischen Forderung nach Asylierung der Wanderer lag Weber auf einer Linie mit Wessels und Zillken. Gleichzeitig aber war diese Möglichkeit, eine Sterilisation der Betroffenen zu verhindern und den Bestand der katholischen Anstalten und Heime zu sichern, angesichts der Finanzlage der öffentlichen Haushalte illusorisch. Reploh, Weber und als Herausgeber des Lehrbuches auch Jötten blieben 1932 deutlich hinter der Radikalisierung zentrumsnaher Eugeniker und deren Gesetzentwurf zur Sterilisation auf freiwilliger Basis zurück und scheinen sich angesichts der Enzyklika des Papstes zurückgehalten zu haben. Diese Zurückhaltung zeigte der Mitorganisator des Instituts für Soziale Hygiene und Soziale Fürsorge Heinrich Többen nicht. Többen hatte sich bereits 1925 für die Zwangssterilisation von Trinkern, Geisteskranken und Epileptiker ausgesprochen, da sie durch die Vererbung defekter geistiger Anlagen eine starke Affinität zum Verbrechen hätten. Sie sollten

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Goldmann, F., Lehrbuch der Gesundheitsfürsorge, in: Klinische Wochenschrift 12 (1933), S. 557, zitiert nach Dicke 2004, S. 21. Vgl. Reploh 1932, S. 93, vgl. auch Dicke 2004, S. 20. Reploh 1932, S. 270, vgl. auch Dicke 2004, S. 20. Weber 1932, S. 54f.

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„durch geeignetes staatliches Eingreifen, insbesondere durch gesetzgeberische Vorschläge über lebenslängliche Anstaltsunterbringung und rassehygienische Maßnahmen, die mit den schweren Formen des angeborenen Schwachsinns und der psychopathischen Minderwertigkeit Behafteten, Epileptiker und Säufer von der Fortpflanzung ausschließen.“67

Gleichwohl sah er die Möglichkeit der Zwangssterilisation während der Weimarer Republik für nicht gegeben, da die Bevölkerung in ihrer Mehrheit nicht bereit sei, die rassenhygienischen Maßnahmen bis in ihre letzte Konsequenz mitzutragen.68 So standen für Többen während der 1920er-Jahre sozialfürsorgerische Maßnahmen im Fokus, wenngleich er zu diesem Zeitpunkt radikaleren rassenhygienischen Lösungsansätzen positiv gegenüberstand. Damit nahm er eine Radikalisierung der Forderungen katholischer Eugeniker wie 1932 im preußischen Landesgesundheitsrat vorweg. Am Ende der Weimarer Republik fehlte in Deutschland wie in Preußen nur noch ein kleiner Schritt zur Verabschiedung eines Sterilisierungsgesetzes. Die Nationalsozialisten brauchten die Ansätze der zentrumsnahen Eugeniker nur aufgreifen und in radikalerer Form ohne die moralischen Grenzsetzungen der katholischen Konfession umsetzen. Diese Grenzen waren in Münster deutlich zu spüren, dennoch kann ab dem Vortrag von Lenz im Jahre 1926 ein wachsender Einfluss der Eugenik auf Politiker, Fürsorgebürokraten, Ärzten und Wissenschaftlern in Münster und an der Westfälischen Wilhelms-Universität festgestellt werden. Wenn auch eine langsamere Radikalisierung der Positionen als in Preußen oder im Reich stattfand, ist auch in Münster eine zunehmende Akzeptanz von negativen eugenischen Maßnahmen wie der Zwangsasylierung während der Weltwirtschaftskrise auszumachen. Das Thema Sterilisation schien in der Stadt noch nicht konsensfähig gewesen zu sein, und nur einzelne Befürworter wie Besserer oder Többen traten in der Öffentlichkeit hierfür ein. Jöttens Einstellung zu negativen eugenischen Maßnahmen ist nicht bekannt, da er sich öffentlich nicht zu derartigen Fragen geäußert hat und im Hintergrund als Organisator wirkte. Insgesamt kann für Münster und für die Region von einem pro-eugenischen Grundkonsens in breiten Teilen des konservativen Bürgertums jeglicher Konfession ausgegangen werden, der Zwangsmaßnahmen nicht ausschloss. Was die Universität betrifft, entsprach die Entwicklung der Rassenhygiene als Lehrfach an der Medizinischen Fakultät der an anderen Universitäten.69 Nach einer Untersuchung von Maria Günther70 ist die Entwicklung in Münster geradezu typisch für dieses medizinische Lehrfach. Wie in Freiburg durch Eugen Fischer war es ein Anatomie- und Anthropologie-Dozent, Professor Eugen Kurz, der die 67 68 69 70

Többen, Heinrich, Über den Inzest, Leipzig, Wien, 1925, S. 82, zitiert nach Dicke 2004, S. 79. Vgl. Többen 1927, S. 379, vgl. auch Dicke 2004, S. 80. Der Lehrstuhl von Lenz kann als Ausnahme von der Regel angesehen werden. Vgl. Ritter 1992, S. 177. Günther 1982.

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Thematik aufgriff und von dem aus der Schwerpunkt des rassenhygienischen Unterrichts auf den Fachbereich der Hygiene, besonders der Sozialhygiene überwechselte. Ähnliche Entwicklungen gab es auch in Berlin, wo Alfred Grotjahn, oder in München, wo Ignaz Kaup die Rassenhygiene als das Kernthema ihrer Sozialen Hygiene behandelten. Rassenhygienische Grundlagenforschung ist während der Weimarer Republik auf dem Gebiet der Sozialhygiene anzusiedeln,71 wenngleich auch die Psychiater zunehmendes Interesse daran bekundeten. In Münster war es Professor Ferdinand Kehrer, der Leiter der Universitätsnervenklinik, der sich ausgiebig mit der Vererbbarkeit psychischer und neurologischer Krankheiten beschäftigte,72 und auch Többen war Psychiater. Er vermerkte in der Chronik der Universität für die Zeit zwischen April 1927 und Oktober 1928, dass in seinem Institut über Erbbiologie gearbeitet worden sei.73 Anschauungsmaterial erhielt er hierfür in der von ihm in Münster begründeten kommunalen Beratungsstelle für Psychopathen, der mit dem Institut organisch verknüpften Beratungsstelle für Alkoholkranke sowie durch die von Többen geleiteten kriminalbiologischen Beratungsstelle bei der Strafanstalt Münster74. Der Unterschied der Entwicklung des Faches in Münster im Vergleich zu anderen Universitäten besteht in der zeitlichen Verschiebung. Hierfür dürfte die späte Gründung der Medizinischen Fakultät und ihrer Einrichtungen zu Beginn der 1920er-Jahre ausschlaggebend gewesen sein. Es ist auffällig und zugleich typisch für alle Hochschulen, dass sich die Vorlesungen von Thomsen und Jötten beziehungsweise seiner Assistenten an die Hörer aller Fachbereiche wendeten. Die Studenten in ihrer Gesamtheit galten gemäß den Theorien Schallmeyers als Hauptzielgruppe rassenhygienischen Gedankengutes. Sie sollten durch breite Informationen von der Wichtigkeit ihres Erbgutes und der Verpflichtung, es im Interesse der Allgemeinheit gesund zu erhalten, überzeugt werden und zugleich auf die Verbreitung der rassenhygienischen Aufklärung auch in den nichtmedizinischen Fachbereichen vorbereitet werden. Der Mediziner jedoch sollte zum wichtigsten Vertreter rassenhygienischer Gedanken und in seiner Funktion als „Erbarzt“ zum Verwalter des Erbgutes des Einzelnen und des Volkes werden. Dabei strebte man weniger den rassenhygienischen Spezialisten an, als vielmehr ein breites rassenhygienisches Fundament des Allgemeinpraktikers.75

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Zwei Drittel aller Vorlesungen zur Rassenhygiene wurden von Sozialhygienikern gehalten. Vgl. Ritter 1992, S. 177. Zu Kehrer siehe Dicke 2004, S. 58–73, sowie den Beitrag von Ioanna Mamali in diesem Band. Vgl. Chronik 1927/28, S. 77. Zu Többen siehe Dicke 2004, S. 73–89, sowie den Beitrag von Julian Aulke in diesem Band. Vgl. Günther 1982, S. 75.

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Rassenhygiene an der Westfälischen Wilhelms-Universität zwischen 1933 und 1945 Zu Beginn des Jahres 1933 stand bereits fest, dass die rassenhygienisch indizierte Sterilisierung legalisiert werden würde. Das Gesetzgebungsverfahren war soweit fortgeschritten, dass die Nationalsozialisten es kurz nach der Machtübertragung noch vor der Neustrukturierung des Gesundheitswesens zum Abschluss bringen konnten. Das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom Juli 1933 bedeutete mit der zugelassenen Zwangssterilisierung eine weitere Radikalisierung rassenhygienischer Bestrebungen, die aber auch die Katholiken nicht verhindern wollten. So gab der Verein akademisch gebildeter Katholiken im Vorfeld des Gesetzes im Jahre 1933 zu verstehen, dass er die Zwangssterilisierung aus moraltheologischen Gründen ablehne, aber bei Erlass des Gesetzes die deutschen Katholiken keinen Widerstand entgegenbringen würde.76 Die Radikalisierung machte auch vor der Gesellschaft für Rassenhygiene (Eugenik) und den Hochschulen nicht halt. In der Gesellschaft trat der katholisch geprägte Vorstand Fischer-Ostermann-Muckermann zurück. Die von ihnen vertretene Eugenik war nicht mehr erwünscht. Der neue Vorsitzende Rüdin ließ als Reichskommissar den von Muckermann eingeführten Zusatz der Eugenik im Namen der Gesellschaft wieder streichen und gab ihr im Jahre 1934 eine von den Nationalsozialisten aufgezwungene Satzung, die sie zur „Unterstützung der Regierung in der Verwirklichung rassenhygienischer Bestrebungen“ verpflichtete und sie gleichzeitig in den Reichsausschuss für Volksgesundheit beim Reichsministeriums des Innern eingliederte.77 Etwa die Hälfte der 20 Ortsgruppenleiter wurde ausgetauscht. Die Mitglieder des Rassenpolitischen Amtes der NSDAP waren angewiesen, die Führung der Ortsgruppen zu übernehmen, um die rassenhygienische Propaganda über die Partei hinaus zu intensivieren. In Münster ist davon in den vorliegenden Quellen nichts zu bemerken, denn Professor Besserer blieb bis zu seinem Tode 1939 Vorsitzender der Gesellschaft. Über seine Mitgliedschaft im Rassenpolitschen Gauamt ist nichts bekannt. Zweiter Vorsitzender wurde der Nervenarzt Cuno Peter. Das Schriftführeramt übernahm der Assistenzarzt an der Universitätsklinik für Chirurgie, Dr. Carl Heinz Schröder. Zum erweiterten Vorstand zählten unter anderem die Ehefrau des Direktors der Provinzialheilanstalt Dr. Heinrich Schnittker, die Ehefrau von Professor Andreas Thomsen, des weiteren der Facharzt Dr. Walter Bömer, der Zoologe Professor Heinrich Feuerborn, der Referent für Bevölkerungspolitik Geiger, der Gauobmann der NS-Ärzteschaft Sanitätsrat Dr. Franz Vonnegut und der Heimatdichter und zu diesem Zeitpunkt zweite Vorsitzende des Westfälischen Heimatbundes Karl Wagenfeld.78 Der Rektor der Westfälischen Wilhelms-Universität, der 76 77 78

Vgl. Schmuhl 1992, S. 104. Vgl. ebd., S. 97. Im März 1933 schrieb Wagenfeld: „[…] wir helfen daß die gesunde Erbmasse unseres Volkes ungefährdet an die Träger unserer Zukunft weitergegeben wird“, zitiert nach Schnep-

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Oberpräsident, der Landeshauptmann, der Regierungspräsident sowie der Oberbürgermeister sagten der Gesellschaft offiziell ihre Unterstützung zu, ebenso wie die NS-Ärzteschaft des Gaues Westfalen-Nord und die Arbeitsgemeinschaft der Träger der Sozialversicherung durch ihren Vorsitzenden Landesrat Dr. Maximilian Kraß.79 Neue Entwicklungen ergaben sich auch an den Hochschulen und Instituten. Von besonderer Bedeutung war die Entstehung rassenhygienischer Institute nach der Machtübertragung. 1933 wurden die Institute in Berlin, Leipzig, Halle, und Greifswald errichtet. Aus Münster meldete sich angesichts dieser Entwicklung Jötten in der Medizinischen Zeitschrift zu Wort.80 Er schlug vor, das Fachgebiet Rassenkunde und Rassenhygiene in Form von zusammenhängenden Vortragsreihen für verschiedene Bezugsgruppen zu behandeln, um so einer Überfrachtung des Lehrstoffes vorzubeugen: „Neben gewissen Prozentsätzen der Philologen, der Juristen, der Volkswirte und der Theologen, sind es vor allem die Mediziner, auf deren besondere Heranbildung Wert gelegt werden muß.“ Rassenhygiene sollte zum Pflichtfach für Mediziner werden. Jötten konnte sich zwar vorstellen, „daß der Impuls, den die Rassenhygiene durch den Sieg des Nationalsozialismus erhalten hat, sich auch in der Forschung noch stark auswirken und es vielleicht wünschenswert machen wird, in großem Umfang auch an die Angliederung rassenhygienischer Forschungsabteilungen an die hygienische Institute heranzugehen“,

doch wollte er dies zunächst mit fächerübergreifenden Arbeitsgemeinschaften erreichen. „Es müßte dieses in gleicher Weise gelingen, wie wir es mit Erfolg bei Behandlung der Gesundheitsfürsorge im Unterricht und Forschung durch das Institut für Soziale Hygiene und Soziale Fürsorge bei den Universitäten Münster für die Studenten der Medizin und anderer Fakultäten durchgeführt haben. […] Es scheint uns sehr zweckmäßig, sich jetzt schon überall der vorhandenen Kräfte soweit wie möglich zu bedienen, um das Ziel der geistigen Durchdringung der Jugend mit dem deutschen Rassegedanken ohne Verzug in die Tat umsetzen zu können, ohne daß dazu die Schaffung besonderer Lehrstühle für Rassenhygiene nötig wäre.“

Damit wandte Jötten sich gegen den Vorschlag von Fritz Lenz, die Rassenhygiene durch eigenständige Lehrstühle an den Medizinischen Fakultäten fest zu etablieren. Jötten erntete sofort den Protest seiner Kollegen.81 Lenz fügte sogar hinzu: „Ausdrücklich warnen möchte ich davor, die Rassenhygiene im Rahmen sonstiger hygienischer Vorlesungen erledigen zu wollen.“82 Lenz Zielsetzung hatte Erfolg. 1935 übernahm von Verschuer die Leitung des Frankfurter Instituts für Erbbiolo79 80 81 82

per 1990, S. 113. Die Mitarbeit in der Ortsgruppe war ihm demnach eine Verpflichtung. Vgl. Münstersche Zeitung vom 21.10.1933. Die Vornamen der beiden Ehefrauen wurden in dem Artikel nicht genannt. Für die folgenden Zitate Jötten 1933, S. 1080f. Haag 1933, S. 1184f. Lenz 1934, S. 248.

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gie und Rassenhygiene und 1936 wurde in Gießen das Institut für Erb- und Rassenpflege unter der Leitung von Heinrich Wilhelm Kranz gebildet. An fast allen größeren deutschen Universitäten entstanden nach dem Vorbild Münchens Lehrstühle für Rassenhygiene. Münster, als kleinere und jüngere Fakultät, gehörte wie Bonn oder Marburg nicht dazu.83 Jötten geriet damit 1933 ebenso als Rassenhygieniker ins Abseits wie Hermann Muckermann, der im Juli 1933 die Leitung der Abteilung Eugenik am Kaiser-Wilhelm-Institut an Lenz abtreten musste. Bei diesem Anlass bat Ministerialrat Arthur Gütt vom Reichsministerium des Innern, das Institut möge sich in den Dienst des „Dritten Reiches“ stellen und bei der Durchführung des Sterilisierungs- und Reichsangehörigengesetzes mitwirken. Eine ähnliche Aufforderung dürfte wohl auch an die Universitäten herangetragen worden sein. Denn wenige Tage vor Verkündung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses am 25. Juli 1933 begann am 19. Juli 1933 ein von der juristischen Fachschaft der Universität Münster organisierter Vortrags- und Diskussionszyklus über vier Abende „über das Problem der Sterilisation und Euthanasie“, bei denen Vertreter der einzelnen Disziplinen sprachen, „deren Belange und Sphären hierdurch berührt“ wurden. Den Anfang machte Professor Eugen Kurz im überfüllten Auditorium Maximum. Er war kurz zuvor der NSDAP und dem Rassenpolitischen Amt beigetreten und hielt in der Folgezeit als „Experte“ Vorträge über Rassenkunde vor allem an der Gauführerschule Nordkirchen. Kurz führte unter anderem aus: „Wir stehen heute vor der Aufgabe, unsere biologischen Erkenntnisse für das deutsche Volk in die Tat umzusetzen. Der Nationalsozialismus betrachtet es als seine Pflicht, das organisch gewachsene deutsche Volk zu einem einheitlichen und gesunden Volksganzen zusammenzuschließen, das auf den biologischen Grundlagen der Blutsgemeinschaft, der Stammeszugehörigkeit und des arisch-nordischen Erbgutes beruht.84 Die Harmonie dieses Volksganzen aber wird gestört nicht nur durch die Anwesenheit des dem deutschen Volke völlig wesensfremden jüdischen Volkes, sondern auch durch das Heer der Schadhaften, Minderwertigen, Geisteskranken und Verbrecher, das die organische Entwicklung unseres Volkes weitgehend beeinflußt. Denn die geistesschwachen Menschenbestände, deren Zahl immer mehr zunimmt, breiten sich mit großer Schnelligkeit aus, weil durch eine zu weitgehende Fürsorge für die Minderwertigen und eine verkehrt angewandte Barmherzigkeit der von der Natur gewollte Auslesevorgang, das Schwache zu vernichten, das Starke zu erhalten, fast aufgehoben wird und schließlich auf ein Überleben der Minderwertigen hinausläuft […] Wir müssen daher den durch die mildernden Mittel der Barmherzigkeit entstandenen verkehrt ablaufenden Auslesevorgang bewußt ändern […] und zielbewußt eine neue Form der Auslese schaffen, indem wir bestimmen, wer zur Fortpflanzung kommen soll und wer nicht.85 Es ist daher die Härte einer Maßnahme wie die der Unfruchtbarmachung nicht zu 83 84 85

Vgl. Weindling 1989, S. 515–517. „das auf den biologischen Grundlagen der Blutsgemeinschaft, der Stammeszugehörigkeit und des arisch-nordischen Erbgutes beruht“ im Originaltext kursiv. „wir bestimmen, wer zur Fortpflanzung kommen soll und wer nicht“ im Originaltext kursiv.

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vermeiden.86 Ein objektives Recht, daß uns solche Maßnahmen verbieten wolle, gibt es nicht, wir tragen Recht und Gesetz in uns und sind jederzeit im Recht, wenn unsere Maßnahmen unserem Volke zum Leben verhelfen […] Aus falscher Humanität sind wir auf dem Wege zum Abgrund. Wir dürfen uns der fortschreitenden Entartung nicht verschließen. Theologen und Juristen sind meist gegen die Sterilisierung, jedoch bezeichnen sie schon manche Katholiken als ein Notrecht von Staat und Kirche. Nicht auf die Quantität, auf die Qualität kommt es an.“87

Auf die Frage der Euthanasie hingegen ging Kurz nur am Rande ein: „als Beschleunigung des Todes auf ausdrücklichen Wunsch eines Kranken, der von einem unheilbaren Leiden befallen ist, unsagbare Schmerzen leidet und den Tod sicher erwarten muß.“88 Gerade die Anspielungen Kurz auf die angeblichen Katholiken, die dem Staat in der Frage der Sterilisation ein Notrecht einräumen würden, machen den Sinn und Zweck der ganzen Veranstaltungsreihe deutlich: die Vertreter der verschiedenen Fakultäten sollten im katholischen Münster Propaganda für das kommende Zwangssterilisierungsgesetz machen. Dabei ging man relativ geschickt vor. Mit Eugen Kurz von der Medizinischen, Ernst Rosenfeld von der Rechts- und Staatswissenschaftlichen und Friedrich Wilhelm Schmidt von der Evangelisch-Theologischen Fakultät sprachen zunächst drei grundsätzliche Befürworter eines kommenden Sterilisierungsgesetzes, wobei die beiden letztgenannten durchaus eigene Vorstellungen in die Diskussion einbrachten. Bei Peter Tischleder von der Katholisch-Theologischen Fakultät hingegen mussten die Verantwortlichen der Reihe mit einer Ablehnung eines Sterilisationsgesetzes wie auch der Euthanasie von vornherein rechnen, wenngleich auch er einräumte: „Zwar verbiete die Enzyklika auch die freiwillige Sterilisierung, da der Mensch kein Recht habe, seinen Körper zu zerstören oder zu verstümmeln. Die katholische Kirche sehe aber wohl ein, daß der Staat auf die Bürger anderer Konfessionen Rücksicht nehmen müsse, die bei gutem Willen, also subjektiv, unschuldig ein objektives Verbrechen begingen. So würde die katholische Kirche nur gegen eine Zwangssterilisierung aus Gewissensgründen Protest erheben.“89

Doch auch dieser Protest der Kirche blieb angesichts der neuen Machtverhältnisse in Deutschland und auch im katholischen Münster zu diesem Zeitpunkt aus. Dass die Mediziner in Münster die Rassenhygiene nun voll und ganz im nationalsozialistischen Sinne als Lehrgebiet durchsetzen und ihren Beitrag zum Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses leisten wollten, verdeutlichen die Vorlesungsverzeichnisse der Medizinischen Fakultät bis 1944. Kurz ergänzte seine jeweils im Wintersemester gehaltene Vorlesung über Rassekunde durch eine weitere zur „Speziellen Rassekunde: Das jüdische Volk“. Der ebenfalls am Anatomischen 86 87 88 89

„Unfruchtbarmachung nicht zu vermeiden“ im Originaltext gesperrt. Westfälische Landeszeitung Nr. 199 vom 21.7.1933. Münsterischer Anzeiger Nr. 753 vom 21.7.1933. Westfälische Landeszeitung vom 25.7.1933.

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Institut lehrende Dozent Johann Paul Kremer las jeweils zum Sommersemester über „Menschliche Vererbungslehre“, die er ab dem Wintersemester 1941 durch ein „Erbbiologisches Seminar“ ergänzte. Professor Ferdinand Kehrer, Direktor der Universitäts-Nervenklinik, las in den Wintersemestern bis zum dritten Trimester 1940 über „Die erblichen Krankheiten, insbesondere die Geistes- und Nervenleiden und ihre Bedeutung für die Volksgesundheit“ und sein Oberarzt Wilhelm Klimke seit dem Sommersemester 1936 über „Das Sterilisationsgesetz mit Grundlagen der Vererbungslehre“. Diese Veranstaltung erhielt ab dem darauf folgenden Wintersemester den genaueren Titel „Das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses mit Grundlagen der Vererbungslehre“.

Denunziation und opportunistische Forschungen Das Zentrum für rassenhygienische Lehre und Forschung blieb in Münster das Hygiene-Institut unter Jötten. Daran konnten sowohl seine Niederlage in der Diskussion um die Frage der Einrichtung von rassenhygienischen Lehrstühlen als auch seine Schwierigkeiten um die Anerkennung seiner Mitgliedschaft in der NSDAP nichts ändern. Jötten hatte nach eigener Aussage auf ausdrückliches Drängen des Rektors Hubert Naendrup und auf Wunsch der Kollegen Friedrich Heiderich, Hans Vogt und Heinrich Herzog im Frühjahr 1933 den Antrag auf Aufnahme in die NSDAP gestellt, um mit den genannten Ordinarien ein Gegenwicht zu den der NSDAP angehörenden und mit deren Unterstützung aufstrebenden Oberärzten zu bilden. Doch nach „1 ¼ jähriger Anwartschaft wurde ich im Juli 1934 auf Beschluss des Ortsgruppengerichtes als politisch unzuverlässig ‚ohne Angabe von Gründen als Parteimitglied‘ abgelehnt.“90 Ursächlich dürfte hierfür die Aussage der Ehefrau von Professor Johannes Hielscher gewesen sein, die bei einer der Wahlen 1932 in ihrer Wohnung in der Nähe des Hüfferstifts am offenen Fenster gehört haben will, wie ein Mann zu einem Bekannten vor dem Wahllokal gesagt habe, dass alle Nationalsozialisten an die Wand gestellt werden sollten. Frau Hielscher, die Jötten nicht persönlich kannte, hatte Eugen Kurz von dem Vorfall erzählt und ihm den Mann beschrieben. Kurz meinte, es müsste Jötten gewesen sein, und muss daraufhin die Parteidienststelle informiert haben, denn die Zeugin wurde kurze Zeit später von der NSDAP-Ortsgruppe vorgeladen und bestätigte die Aussage.91 Dass Jötten eine derartige Aussage getätigt haben könnte, lag im Bereich des Möglichen. Sein Kollege Kehrer etwa beschrieb ihn als etwas cholerisch, was sich durch sein impulsives Wesen „gelegentlich in Poltern“ und kurzschlussartigen Äußerungen entlud.92 Von den Vorgängen um Jöttens Parteiaufnahmeverfahren hat anscheinend weder Jöt90 91 92

UAMs, Bestand 5, Nr. 639, Anlage II zur Information des Rektors der Universität Münster aus der Entnazifizierungsakte o.J. Vgl. UAMs, Bestand 10, Nr. 4212, Bd. 1, Befragung der Zeugin Hielscher vom 13.11.1936. Vgl. Kehrer 1958, S. 5 und 7.

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ten selbst noch die Hochschulleitung Kenntnis erhalten. Die Personalakten Jöttens weisen jedenfalls keine Anhaltspunkte auf. Kurz, der auch in den folgenden Jahren mehrfach zu Denunziationen neigte und sogar hierfür gerichtlich belangt wurde,93 schien jedenfalls ein Interesse gehabt zu haben, Jötten zu schaden. Aber auch Jötten dürfte einer Auseinandersetzung nicht aus den Weg gegangen sein. Hierfür bleiben auf Grund der Quellenlage nur Anhaltspunkte, die sich auf die Rivalitäten in Fragen der Rassenhygiene an der Universität beziehungsweise eine mangelhafte Akzeptanz von Kurz bei den Ordinarien beziehen. So hat sich 1934 Jötten beim Gauobmann der NS-Ärzteschaft, Sanitätsrat Dr. Franz Vonnegut, über die unzulänglichen und unwissenschaftlichen Vorträge zur Rassenhygiene seitens der Partei beschwert und um Abstellung gebeten. Hiermit könnte Jötten Kurz gemeint haben, der offiziell als Redner der NSDAP für Rassenhygiene geführt wurde. Mit der Partei im Rücken dürfte Kurz ebenfalls einen Anspruch auf die rassenhygienische Führungsrolle an der Fakultät erhoben haben. Vonnegut wies jedenfalls Jötten brüsk ab, denn Jötten wurden von Seiten der Ortsgruppenführung seine Bindungen an das katholische Milieu angelastet. Die NSDAP in Münster und im Gau Westfalen-Nord wollte gerade die vor 1933 bestehenden katholisch dominierten Strukturen in der Region beseitigen. Daher verlor Jötten bereits 1933 seine Mitgliedschaften in den Ausschüssen von Stadt, Provinzialverband und bei der Landesversicherungsanstalt. Nach eigenen Aussagen wurde er vom Hochschulausschuss der Partei als „schwarz“ abgestempelt. Sein Vater hatte noch 1932 der Vorbereitungskommission des Katholikentages in Essen angehört und seine gesamte Familie wäre als führend in der Zentrumspartei eingestuft worden.94 Eine Zentrumsmitgliedschaft hatte bei Jötten jedoch nicht vorgelegen, da er schon seit 1922/23 Mitglied der DNVP gewesen war.95 Jötten war aber Mitglied der Katholischen Deutschen Studentenverbindung Bavaria-Bonn und leitete jahrelang den Altherren-Ausschuss. Er hielt als Mitbegründer der Burgundia-München Verbindung zum Cartellverband der katholischen Studentenverbindungen und wurde zum Ehren-Alter Herr der Verbindungen Alsatia und Zollern-Münster ernannt. Gegen Jötten wurde weiterhin vom Hochschulausschuss der Vorwurf erhoben, er beschäftige vorwiegend katholische Assistenten, was bei Heinrich Reploh, der eine Tochter aus der Familie des Druckereibesitzers des Kirchlichen Amtsblattes der Diözese Münster und Besitzers der Regensbergschen Buchhandlung, Lucas, geheiratet hatte, auch stimmte. Zusätzlich belastete Jötten die Herausgabe des Lehrbuchs für Gesundheitsfürsorge mit Professor Heinrich Weber.96 Ohne Mitgliedschaft in der 93 94

95 96

Vgl. UAMs, Bestand 10, Nr. 4212, Bd. 1, verschiedene Vorgänge. Vgl. UAMs, Bestand 5, Nr. 639, Anlage II zur Information des Rektors der Universität Münster o.J. Die Durchschrift der Anlage stammt aus dem Entnazifizierungsverfahren Jöttens und datiert vermutlich aus dem Jahre 1949. Vgl. UAMs, Bestand 10, Nr. 4212, Bd. 1, Schreiben Jöttens an den Kurator vom 4.2.1937. Vgl. UAMs, Bestand 5, Nr. 639, Anlage II zur Information des Rektors der Universität Münster o.J. Vgl. Fußnote 91.

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NSDAP war zwar nicht seine Existenz, wohl aber seine weitere Karriere gefährdet. Jötten hoffte seit 1932 auf den Ruf an eine größere Universität, was jedoch ohne die Mitgliedschaft in der NSDAP nicht möglich war. So erhielt Jötten 1934 zwar den Ruf an die Medizinische Fakultät in Leipzig und nach eigenen Aussagen war die Ernennung seitens der entscheidenden Instanzen quasi nur noch eine Formsache, doch der Einspruch des Gauleiters Mutschmann soll dies verhindert haben.97 Wollte Jötten, der unter seinen Kollegen als Realist und Praktiker galt und der die Anerkennung der für ihn maßgebenden Menschen oder Institutionen suchte,98 seinen nicht geringen Einfluss an der Fakultät erhalten und auf eine Professur an einer größeren Universität berufen werden können, war die nachträgliche Aufnahme in die NSDAP für ihn zwingend geboten. Die Lösung schien die Anpassung an das System über die rassenhygienische Forschung und Lehre zu sein. Ab dem Wintersemester 1933/34 hielt Jötten eine Veranstaltung über „Rassenhygiene und Eugenik für Studenten der Medizin“, und seine Assistenten setzten die Vorlesungen von vor 1933 über „Rassen- und Fortpflanzungshygiene (mit Lichtbildern) für Hörer aller Fakultäten“ fort. Die Veranstaltungen fanden unter den Studierenden jedoch nur geringes Interesse.99 Erst als die Rassenhygiene 1936 zum Pflichtfach und 1939 zum Prüfungsgebiet im Examen erhoben wurde, stiegen die Teilnehmerzahlen am Hygiene-Institut. Erfolgreicher sollte Jötten mit seinen Forschungen sein.

Erbhygienische Untersuchungen an Hilfsschulkindern Ab 1934 richtete Jötten sein Forschungsinteresse im Sinne der neuen Machthaber aus. Nicht mehr die Gesundheitsfürsorge bildete den Schwerpunkt der Aktivitäten Jöttens und seines Instituts für Soziale Hygiene, sondern die Erforschung des angeborenen Schwachsinns bei Hilfsschulkindern und die Vererbung von Erbkrankheiten bei Blinden und Taubstummen im Sinne des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses. Nicht weniger als 21 Dissertationen entstanden zwischen 1934 bis 1938 zu dieser Thematik.100 Jötten griff damit ein Thema auf, das 97 98 99

100

Ebd. Vgl. Kehrer 1958, S. 5 und 7. Vgl. Nachweisung über die Besucherzahl der Vorlesungen des Hygienischen Institute während der letzten sechs Semester [Sommersemester 1935 bis Wintersemester 1937/38], UAMs, Bestand 9, Nr. 611. Arend, Werner, Beitrag zur Frage der Durchführung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses. Med. Diss. Münster 1938; Bujok, Margarete, Sozialhygienische und erbbiologische Untersuchungen an Hilfsschülern und in den Familien der Hilfsschulkinder aus den Kreisen Hamm und Lüdinghausen. Inaugur. Diss. Med. Münster 1935; Diers, Magdalena, Erbhygienische Untersuchungen an Hilfsschulkindern im Kreise Minden. Inaugur. Diss. Med. Münster (Gütersloh) 1936; Ernst, Hilde, Untersuchungen über die Erblichkeit des Schwachsinns und der Fortpflanzung Minderwertiger in den Hilfsschülerfamilien Wiesbadens und Wiesbaden-Bieberichs. Inaugur. Diss. Med. Münster

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Rassenhygieniker seit langem beschäftigt hatte.101 Hierfür werteten die Doktoranden die von den Lehrern der Hilfsschüler ausgefüllten Erhebungsbögen und die schulärztlichen Berichte aus. Ob die Erhebungsbögen zwischen 1933 und 1934/35 unter rassenhygienischen Aspekten von Schulen ergänzt worden waren, geht aus den Arbeiten nicht hervor. Die Schüler selbst wurden nicht untersucht, und es fanden auch keine Hausbesuche oder Befragungen bei den Eltern und Geschwistern statt, sodass exogene zugunsten der vorgeblich vererbbaren endogenen Ursachen vernachlässigt wurden. Die Untersuchung der Familienangehörigen und der Lebensverhältnisse vor Ort gehörte jedoch seit langem zur Forschungsgrundlage bei

101

(Gütersloh) 1936; Hackert, Franz, Erbhygienische Untersuchungen an Hilfsschulkindern der Stadt Essen. Inaugur. Diss. Med. Münster (Bottrop i.W.) 1935; Heller, Ludwig, 1 3/4 Jahre Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses in Gelsenkirchen. Inaugur. Diss. Med. Münster 1937; Hesse, Liese, Erbhygienische Untersuchungen an Hilfsschulkindern der Stadt Oldenburg. Inaugur. Diss. Med. Münster (Delmenhorst i.O.) 1938; Hove, Menno van, Untersuchungen über die Häufigkeit von Erbkrankheiten im Kreise Leer unter besonderer Berücksichtigung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses und der Stammbaumforschung. Inaugur. Diss. Med. Münster (Bottrop) 1936; Josten, Konstanze, Erbhygienische Untersuchungen an den Kindern der Hilfsschulen in Neuß und Krefeld-Uerdingen. Inaugur. Diss. Med. Münster (Neuß a.Rh.) 1937; Lohoff, Wilhelm, Erbhygienische Untersuchungen an Hilfsschulkindern in den Städten Oberhausen und Mülheim an der Ruhr. Inaugur. Diss. Med. Münster (München)1936; Mehring, Eugen, Untersuchung über Erblichkeit und Fortpflanzung in den Hilfsschülerfamilien der Stadt Münster (Westf.). Inaugural-Dissertation med. Münster 1934; Meteling, Maria, Erbhygienische Untersuchungen an Hilfschulkindern des Stadt- und Landkreises Recklinghausen. Inaugur. Diss. Med. Dent. Münster (Quackenbrück) 1935; Patt, Wilhelm, Erbhygienische Untersuchungen an Hilfsschulkindern in der Stadt Bochum. Inaugur. Diss. Med. Münster (Bottrop) 1937; Pauls, Karl-Heinz, Erbhygienische Untersuchungen an Hilfsschulkindern Duisburg-Meyderichs. Inaugur. Diss. Med. Münster (Duisburg) 1935; Reinicke, Hans, Erbhygienische Untersuchungen an Hilfsschulkindern in Dortmund. Inaugur. Diss. Med. Münster (Quackenbrück) 1937; Romberg, Heinz, Erbhygienische Untersuchungen an Hilfsschulkindern in Castrop-Rauxel. Inaugur. Diss. Med. Münster 1937; Rudolph, Kurt, Erbhygienische Untersuchungen an Hilfsschulkindern in Recklinghausen. Inaugur. Diss. Med. Münster (Emsdetten) 1938; Schulz, Grete, Erbhygienische Untersuchungen an den Kindern der Hilfsschule und Taubstummenanstalt in Hildesheim. Inaugur. Diss. Med. Münster (Bonn-Leipzig) 1935; Stenmans, Emil, Erbhygienische Untersuchungen an Hilfsschulkindern der Städte Homberg (Niederrhein), Rheinhausen (Niederrhein) und der dazugehörigen Landkreise. Inaugur. Diss. Med. Münster (Bottrop) 1935; Vahrmeyer, Hans, Erbhygienische Untersuchungen an Hilfsschulkindern der Stadt Hagen. Inaugur. Diss. Med. Münster (Quackenbrück) 1937; Wesendahl, Josef, Erbhygienische Untersuchungen an den Hilfsschulkindern der Kreise Beckum und Soest, den Kindern der Provinzial-Taubstummenanstalt in Soest und an der Provinzial-Blindenanstalt in Soest. Inaugur. Diss. Med. 1936. Diese und die in der folgenden Fußnote genannten, von Jötten betreuten Dissertationen sind im Literaturverzeichnis am Ende des Beitrages nicht erneut aufgeführt. Vgl. Ellassow 1916, Reiter/Osthoff 1921, Prokein 1927.

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ähnlichen Untersuchungen.102 Für die begrenzte wissenschaftliche Aussagekraft der Arbeiten spricht auch die fachliche Heterogenität der Jungärzte. Unter ihnen waren angehende Allgemeinmediziner, Zahnärzte und Chirurgen, aber keine Psychiater oder Vererbungswissenschaftler. Die Untersuchungen entsprachen daher nicht dem damaligen Forschungsstandard auf dem Gebiet. Jötten und sein Assistent Reploh103 präsentierten die Essenz der Dissertationen in einem Vortrag auf dem Internationalen Kongress für Bevölkerungswissenschaft, der vom 26. August bis zum 1. September 1935 in Berlin stattfand. Der Kongress wurde vom Deutschen Ausschuss der Internationalen Vereinigung für Bevölkerungswissenschaft, von der Deutschen Statistischen Gesellschaft, der Gesellschaft für Rassenhygiene und der Deutschen Gesellschaft für öffentliche Hygiene unter der Ehrenpräsidentschaft von Reichsinnenminister Wilhelm Frick veranstaltet. Alle namhaften deutschen und internationalen Bevölkerungswissenschaftler und Rassenhygieniker nahmen daran teil. Während der erste Teil der Veranstaltung sich eingehend mit bevölkerungswissenschaftlichen und -statistischen Inhalten beschäftigte, war der zweite Teil ganz der Rassenhygiene und ihrer sozialpolitischen Umsetzung gewidmet. Neben Jötten hielten Arthur Gütt, Alfred Ploetz, Robert Ritter, Otmar von Verschuer, Heinrich Wilhelm Kranz, Walter Groß, Ernst Rüdin, Eugen Fischer und viele andere Vorträge zu „Rassefragen“. Im offiziellen Teilnehmerverzeichnis findet sich unter anderem Professor Alwin Besserer.104 Jötten und Reploh betonten in ihrem Beitrag über „Erbhygienische Untersuchungen an Hilfsschulkindern“105 die Bedeutung, die den „Schwachsinnigen“ als erbbiologisch „Minderwertigen“ bei der Fortpflanzung zukäme: „weil die Natur ihres Leidens bzw. ihres Defektes nicht von vornherein eine Ausschaltung oder wenigstens eine mindere Beteiligung am Fortpflanzungsprozeß bedingt […]“.106 Beide bemängelten, dass bei den bis dahin durchgeführten Reichsgebrechlichenzählungen die „Debilen“ nicht berücksichtigt worden seien. „Diese Gruppe spielt aber erfahrungsgemäß sogar sowohl nach der Verbreitung wie auch nach ihrer Bedeutung für die Erblichkeit […] die größte Rolle. […] Rund 1,5–2 % sämtlicher Schulkinder sind Hilfsschüler und hiernach ergeben sich nach Verschuer auch über eine Million Schwachsinnige für das Deutsche Reich.“107

102 103

104 105 106 107

Vgl. Reiter/Osthoff 1921 oder die 1933 am Hygiene-Institut in Heidelberg entstandene Dissertation von Helwig 1934, S. 480–489. Die Anpassung an eine nationalsozialistische Rassenhygiene hatte der vormals gemäßigte katholische Eugeniker Reploh bereits in seiner ebenfalls 1935 erschienen Habilitationsschrift vollzogen. Auch hier könnten die Motive auf Grund seiner Beziehungen zum örtlichen katholischen Milieu opportunistischer Natur gewesen sein. Vgl. Reploh 1935. Vgl. auch Dicke 2004, S. 23–26. Harmsen 1936, S. 934. Jötten/Reploh 1936. Ebd., S. 731. Ebd.

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Deren Familien vermehrten sich überproportional zur gesunden Durchschnittsfamilie. Beide führten weiter aus: „Besonders bedrohlich erscheinen die Verhältnisse aber dann, wenn man nicht die Vermehrung der Durchschnittsbevölkerung, sondern die Vermehrung der Kreise, die als erbbiologisch wertvoll zu betrachten sind, mit der Fortpflanzung der Minderwertigen vergleicht. Von Wichtigkeit ist hierbei die Vererbbarkeit des Schwachsinns.108 Wenn auch der Erbgang im Einzelnen noch keine restlose Klarheit gewonnen ist, so läßt sich doch sagen, daß die Manifestationswahrscheinlichkeit für den angeborenen Schwachsinn groß ist. […] Besonders ist zu erwähnen, […] daß gerade die leichten Formen (Debilität) mit besonders großer Wahrscheinlichkeit vererbt werden […] Natürlich sind nun aber die Debilen vom bevölkerungspolitischen Standpunkt aus als wesentlich gefährlicher anzusehen als die Idioten, da letztere im allgemeinen sehr häufig anstaltsbedürftig bleiben und somit für die Fortpflanzung ausfallen, während die Debilen im größten Umfange zur Fortpflanzung kommen und damit Gelegenheit haben, ihre schlechten Erbanlagen weiter zu vererben.“109

Jötten und Reploh versuchten nun, ihre Thesen mittels der Untersuchungen an den Hilfsschulkindern nachzuweisen, da sie sich nach ihrer Meinung für die Untersuchung über die erbliche Belastung von „Schwachsinnigen“ besonders eignen würden und die meisten Fälle von Schwachsinn unter diesen zu finden seien. Sie fühlten sich durch die Untersuchungen ihrer Doktoranden in ihren Annahmen bestätigt und zogen daraus die Schlussfolgerung, dass eine Notwendigkeit für intensive Gegenmaßnahmen bestände. Neben der Förderung der mit „wertvollen Erbgut“ ausgestatteten Familien forderten sie die Ausschaltung derjenigen aus dem Fortpflanzungsprozess, „bei denen die Vererbung der Erbanlage unerwünscht ist. […] Die Wege für diese Arbeit sind im Deutschen Reich durch das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933 vorgezeichnet.“110 Der Versuch Jöttens und Replohs, die besondere Vererblichkeit des „angeborenen Schwachsinns“ – ein im Gesetz extrem weit gefasster Begriff – bei den Hilfsschulkindern und ihren Familien nachzuweisen, geschah zu einer Zeit, als die meisten der von dem Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses betroffenen und durch die Wohlfahrtsbürokratie schon vor 1933 erfassten Anstaltspatienten sterilisiert worden waren und die Rassenhygieniker in der Gesundheits- und Schulbürokratie neue Bevölkerungsgruppen erfassten und mittels der Hilfsschule selektierten.111 Seit Beginn der rassenhygienischen Bewegung gegen Ende des 19. Jahrhunderts leugneten die Rassenhygieniker wie Jötten die gesellschaftlichen Umstände und Ursachen, die Teile der Bevölkerungsschichten benachteiligten. Eine 108 109 110 111

„Vererbbarkeit des Schwachsinns“ im Original kursiv. Ebd., S. 731f. Ebd., S. 732. So wurde am 6.7.1935 mit Erlass zur „Überweisung von Kindern in die Hilfsschule“ und mit dem am 12.12.1935 veröffentlichten Erlass zur „Sterilisation von Hilfsschulkindern“ die Beteiligung der Hilfsschulen an der Durchführung des Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933 (Reichsgesetzblatt I, S. 529) festgelegt. Vgl. Kottmann 2006, S. 42f.

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mit größter Wahrscheinlichkeit angenommene Vererblichkeit und kein exakt wissenschaftlich fundiertes Ergebnis reichte für sie aus, derartige, weit in das Persönlichkeitsrecht des Einzelnen hineinreichende Maßnahmen zu befürworten und sie als wissenschaftlich begründet zu bezeichnen. Bei 60 Prozent der circa 350.000 Opfer des Zwangssterilisationsgesetzes wurde der Beschluss zur Sterilisation durch die Erbgesundheitsgerichte mit der Diagnose „angeborener Schwachsinn“ begründet. Damit waren in hohem Maße ehemalige Hilfsschüler von dem Gesetz betroffen. Hieran trugen die Mediziner der Westfälischen Wilhelms-Universität ihre Mitschuld. Rassenhygieniker wie Jötten und Reploh lieferten hierzu die theoretische Begründung, und Dozenten wie Kehrer und Besserer verfassten die Gutachten oder fällten als ärztliche Beisitzer der Erbgesundheitsgerichte die Beschlüsse. Die Chirurgen und Gynäkologen der Universitätskliniken führten schließlich die angeordneten Sterilisationen und Abtreibungen auch gegen den Widerstand der Betroffenen aus. Es sollte noch bis zum 19. Mai 1936 dauern, bis Jöttens Andienung an das NSRegimes durch seine Forschungen wirkte. Das Gauparteigericht stellte das Verfahren gegen Jötten wegen nicht nachgewiesener Behauptungen ein, und er wurde durch Verfügung des Gauleiters unter der Mitgliedsnummer 2.477.280 in die Partei aufgenommen.112 Die Gaugesundheitsführung schien dennoch weitere Vorbehalte gegenüber Jötten zu haben, denn nach seinen eigenen Angaben wurden Jötten und sein Assistent Reploh in der Folgezeit vom Leiter des Gauamtes für Volksgesundheit Sanitätsrat Dr. Vonnegut und dessen Nachfolger und späteren Gaugesundheitsführer Dr. Franz Fenner bei allen wichtigen Entscheidungen, zum Beispiel bei der Besetzung der Stelle des Leiters eines Instituts für Staublungenforschung, einem Spezialgebiet Jöttens, und ähnlichen Angelegenheiten, stets übergangen.113 Seine Stellung an der Universität war jedoch gefestigt, wie seine Amtszeit als Dekan der Fakultät vom 1. April 1935 bis 31. März 1937 und sein Vorsitz beim Prüfungsausschuss für Mediziner und Zahnmediziner von 1933 bis 1939 bestätigt. Dabei zeigte Jötten wiederum seine Anpassungsfähigkeit an die neuen Gegebenheiten. Hatte er 1933 sich noch gegen die Einrichtung von rassenhygienischen Lehrstühlen gewandt, befürwortete er im November 1935 zusammen mit Professor Heiderich vom Anatomischen Institut und Professor Hellmuth Becher die Einrichtung eines eigenständigen Instituts für Rassenkunde und Vererbungslehre unter dem Ordinariat von Professor Kurz. Heiderich war sogar bereit, 1.000 Reichsmark aus dem Etat seines Instituts zur Verfügung zu stellen, allerdings unter der Bedingung, dass Kurz aus dem Anatomischen Institut ausscheide.114 Dies kann als ein Beleg gewertet 112 113 114

Vgl. UAMs, Bestand 10, Nr. 3271, Schreiben Jötten an den stellvertretenden Kurator vom 20.5.1936. Vgl. UAMs, Bestand 5, Nr. 639, Anlage II zur Information des Direktors der Universität Münster, aus der Entnazifizierungsakte Karl Wilhelm Jöttens o.J. Vgl. UAMs, Bestand 10, Nr. 4212, Bd. 1, Schreiben Jötten als Dekan der Medizinischen Fakultät an den Rektor Prof. Dr. Hugelmann vom 19.11.1935. Auch dieser Umstand

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werden, dass Heiderich Kurz aus seinem Institut wegloben wollte und die entscheidenden Stellen mit einem finanziellen Opfer beeinflussen wollte. Jötten unterstützte ihn hierbei. Kurz lehnte zunächst ab, da er weiter Anthropologie lehren wollte, um wenig später jedoch zuzusagen.115 Zur Einrichtung eines Lehrstuhls für Kurz kam es aber nicht, und Kurz blieb am Anatomischen Institut. Ein Jahr später brachte Kurz Jötten in Bedrängnis. Kurz fühlte sich im Herbst 1936 bei der Berufung eines Luftwaffenarztes durch Heiderich benachteiligt, da dieser einen jungen Assistenzarzt benannt hatte. Hierfür machte Kurz wohl auch Jötten als Dekan mitverantwortlich, denn als ihm von Seiten des REM eröffnet wurde, dass überlegt werde, ihn nach Düsseldorf zu versetzen, erregte er sich derart, dass er gegenüber dem Ministerialbeamten Werner Jansen die Beschuldigungen gegen Jötten aus dem Parteigerichtsverfahren mitteilte. Das Ministerium verlangte daraufhin vom Kurator Franz Peters schnellste Aufklärung der Vorwürfe.116 Der Kurator vernahm die Zeugin Hielscher, nahm als Gauamtsleiter Einblick in die Gauparteigerichtsakten und befragte einen verantwortlichen Gauparteirichter. Ebenso forderte er von Jötten und Kurz Stellungnahmen an beziehungsweise er vernahm sie persönlich. Jötten schien zum ersten Mal von der Aussage der Zeugin Hielscher gehört zu haben und beteuerte, dass er sich vor 1933 als DNVP-Mitglied immer die Übernahme der Regierung durch DNVP und NSDAP gewünscht habe und in seinen rassenhygienischen Vorlesungen vor 1933 immer auf Hitlers „Mein Kampf“ und besonders auf dessen rassenhygienische Einstellungen sowie seine Siedlungs- und Wohnungspolitik hingewiesen habe. Jötten behielt sich zudem vor, vor dem Parteigericht Klage gegen Kurz zu erheben.117 Der Kurator übermittelte nachfolgend an das Ministerium einen für Jötten positiven Bericht, da sich die Beschuldigungen von Kurz durch die Aussage von Frau Hielscher nicht als beweiskräftig erwiesen hätten. Weiterhin wertete Peters für Kurz negativ, dass dieser bei einer Vernehmung die Unwahrheit gesagt hatte. Zu einem Gespräch mit dem Gaudozentenführer, in dem Kurz ebenfalls den Vorwurf gegenüber Jötten getätigt hatte, gab Kurz zunächst an, dass er zu diesem Zeitpunkt nicht gewusst habe, dass Jötten im Mai 1936 Parteimitglied geworden sei. Kurz konnte nachgewiesen werden, dass er diesen Sachverhalt bereits vor dem Gespräch gewusst hatte. Er wurde daraufhin am 16. April 1937 vom Ministerium mit einem Verweis bestraft.118

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zeigt, wie Jötten sich der gängigen Lehrmeinung und der Forderung Lenz nach rassenhygienischen Lehrstühlen angepasst hatte. Vgl. ebd., Schreiben Kurz an den Kurator Peters im Januar 1936. Vgl. ebd., Schreiben des Reichs- und Preussischen Ministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung an den Kurator der Westfälischen Wilhelms-Universität vom 19.11.1936. Vgl. ebd., Schreiben Jötten an den Kurator vom 4.2.1937. Vgl. ebd., Bericht des Kurators an das Ministerium vom 4.12.1936, Protokoll der Vernehmung Kurz‘ durch den Kurator am 9.2.1937 und Schreiben des Ministeriums an den Kurator vom 16.4.1937.

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Bei der Untersuchung durch Peters und seinen Nachfolger Curt Beyer ging es Jötten nur noch um den Erhalt seiner Stellung an der Westfälischen Wilhelms-Universität, denn bereits 1936 war er mit seiner Bewerbung um einen Lehrstuhl an der Berliner Universität gescheitert. Das Ministerium habe ihm mitgeteilt, dass seine Person für Berlin nicht tragbar sei, und der Personalreferent im Ministerium Jansen habe ihm nahegelegt, aus der katholischen Kirche aus und der SS beizutreten, wenn er sich noch Hoffnung auf einen Ruf an eine andere Universität machen wollte.119 Wie wichtig die Mitgliedschaft in der NSDAP für Professoren war, die nicht als linientreu galten, belegt die Frühemeritierung von Professor Heinrich Többen, der Opfer einer Rufmordkampagne wurde. Többen hatte vor 1933 dem rechten Flügel der Zentrumspartei angehört und sich nach 1933 durch die Erfüllung religiöser und kirchlicher Pflichten zu seinem Glauben bekannt. Sein Eintreten für die Rassenhygiene im Sinne der Nationalsozialisten vor und nach 1933 bot ihm keinen Schutz.120 Obwohl Jötten bis 1938 weitere Dissertationen zu der Hilfsschülerthematik betreute, veröffentlichte er keine weiteren Forschungsergebnisse auf dem Gebiet der Rassenhygiene und konzentrierte sich wieder auf bakteriologische Arbeiten. Der Grund könnte in den mangelnden Berufungsmöglichkeiten für eine Professur an einer größeren Universität und an der Sicherung des Status Quo in Münster durch seine nachträgliche Parteimitgliedschaft gelegen haben. Das Thema Rassenhygiene überließ er jetzt seinen Assistenten und vor allem den ab 1938 an seinem Institut tätigen Privatdozenten. Im August 1938 kam mit dem Leiter des Gesundheitsamtes der Stadt Münster, Dr. Robert Engelsmann, ein Befürworter der NS-Rassenhygiene und ein Gefolgsmann von Arthur Gütt,121 dem für das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses verantwortlichen Staatssekretär im Reichsministerium des Innern, als Privatdozent an sein Institut. Engelsmann hatte zuvor bei Jötten habilitiert.122 Unter Engelsmann und Jötten entstanden in der Folgezeit Dissertationen wie „Untersuchungen über eine asoziale Sippe in Münster“123 oder „Rassische Untersuchungen an den ‚Zigeuner‘-Kolonien Lause und Altengraben bei Berleburg (Westfalen)“.124 119 120

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Vgl. UAMs, Bestand 5, Nr. 639, Anlage II zur Information des Rektors der Universität Münster o.J. Vgl. Dicke 2004, S. 88f. Auch die alten Rassenhygieniker wie Lenz oder Fischer traten 1940 der Partei bei, nachdem sie in einem Konflikt mit Himmler geraten waren. Sie waren vorher wie Többen zu stolz dafür gewesen. Vgl. Müller-Hill 1991, S. 145. Engelsmann hatte Gütt auf der Versammlung des Medizinalbeamtenvereins im Jahre 1932 bei der Verabschiedung eines rassenhygienischen Programms unterstützt und sich für die Einrichtung eines Ausschusses für Bevölkerungsfragen unter Gütt und seiner Mitgliedschaft eingesetzt. Vgl. Labisch 1985, S. 209f. Gütt war gesundheitspolitischer Berater des Vorsitzenden des Reichsbundes der Kinderreichen Deutschlands gewesen und Engelsmann bis 1933 der Schriftführer der Verbandszeitschrift. Engelsmann 1937. Andrees 1939. Krämer 1937.

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Engelsmanns Einfluss auf den rassenhygienischen Diskurs an der Medizinischen Fakultät blieb auf drei Jahre begrenzt. Bereits 1941 wurde er übergangsweise zum Reichskommissar für die besetzten Gebiete in Norwegen in Oslo abkommandiert und erhielt nachfolgend die kommissarische Verwaltung der Stelle des Amtsarztes und Leiter des staatlichen Gesundheitsamtes in Calau. 1943 erhielt er einen Lehrauftrag an der Universität Breslau.125 Ab dem Sommersemester 1938 begann zudem der Leiter des Ausbildungsstabes der SS-Sanitätsabteilung XVII, Beisitzer des Erbgesundheitsgerichtes Münster und in der gleichen Funktion später beim Erbobergesundheitsgericht in Hamm tätige Nervenarzt, Dr. Cuno Peter, seine Vorlesungen über „Die Erbpflege-Gesetzgebung und die Rassenschutzgesetzgebung des Dritten Reichs mit seminaristischen Übungen und Begutachtungen aus dem Gebiete der Erbpflege und Rassenschutz“. Zu diesem Zeitpunkt war der Höhepunkt der Durchführung des Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses bereits seit zwei Jahren überschritten, und ab 1939 wurde die Zahl der Verfahren unter dem Primat des Krieges auf ein Minimum reduziert. Auch die Mediziner an den Hochschulen verspürten nun ein Unbehagen bei der Durchführung der Rassenhygiene, da sie sich im Sinne der NS-Bevölkerungpolitik als ineffektiv und zu unpräzise in ihren Forschungsergebnissen herausgestellt hatte. Daher konzentrierten sie sich auch an der Westfälischen Wilhelms-Universität ab 1940 mehr auf die Grundlagenforschung in der Vererbungslehre. Seit diesem Jahr hielten jeweils im Sommersemester Jötten, Kehrer, Helmut Loebell, Oswald Marchesani (und Carl Heinz Schroeder)126 eine Veranstaltung über die „Vererbungslehre als Grundlage der Rassenhygiene“. Noch immer gab es keinen Lehrstuhl, der schwerpunktmäßig auf die Genetik hin ausgerichtet war. Ein Versuch des Rektors Walter Mevius im Jahre 1940127 blieb ebenso erfolglos wie der vier Jahre zuvor von Heiderich und Jötten. Einen weiteren Anlauf unternahm 1942 Gauleiter Alfred Meyer. Er schrieb an den zuständigen Minister Rust:

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Vgl. Dicke 2004, S. 92. Helmut Loebell: planmäßiger außerordentlicher Professor und Direktor der Ohrenklinik, Oswald Marchesani: Direktor der Augenklinik, Carl Heinz Schroeder: Assistent an der Chirurgischen Klinik. Spätestens seit 1938 wurden unter der Regie des Leiters des Anatomischen Instituts Prof. Dr. Heiderich von einer dazu abgestellten Schülerin des Rassekundlers Eugen Fischer, rassekundliche Forschungen in Zusammenarbeit mit dem Provinzialinstitut für Westfälische Landes- und Volkskunde in Münster durchgeführt. Die Oberaufsicht und finanzielle Unterstützung leistete der Oberpräsident der Provinz Westfalen; der SS-Abschnitt XVII wurde um die Benennung eines Verbindungsmannes ersucht. Vgl. Vieten 1978, S. 297f.

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„Die Errichtung eines Lehrstuhls für Erbbiologie und Rassenhygiene, als Kernstück der nationalsozialistischen Weltanschauung, ist in dem weltanschaulich und politisch äußerst schwierigen Gebiet meines Gaues unbedingt erforderlich.“128

Bei diesem Vorstoß konnte sich der Gauleiter der Unterstützung der NSDAPZentrale in München und auch des Münsterschen Rektors sowie des Dekans der Medizinischen Fakultät, Professor Hellmut Becher, sicher sein. Letztere unterstützten Meyer auch deshalb, weil sie wie Meyer und der Gaudozentenführer mit der Vertretung des Faches Rassenkunde durch Professor Kurz nicht mehr zufrieden waren. Kurz wurde im Wintersemester 1942 mit der Begründung der Unwissenschaftlichkeit untersagt, seine Vorlesung über Rassenkunde abzuhalten. Doch auch dem Gauleiter war kein Erfolg beschieden. Erst im Haushaltsjahr 1944/45 ist ein Etatposten für den Lehrstuhl für Rassenhygiene und Erbbiologie zu finden. Er wurde jedoch nicht mehr vor Kriegsende besetzt. 1951 wandelte man ihn in einen Lehrstuhl für Humangenetik mit einem eigenen Institut um und besetzte ihn mit einem der führenden Rassenhygieniker und Vererbungswissenschaftlers des „Dritten Reiches“, Otmar Freiherr von Verschuer. Teile der vormals rassenhygienischen Forschung fanden somit wissenschaftsgeschichtlich wie personell in Münster ein Kontinuum, wenngleich unter anderen Vorzeichen. Jötten, der nach dem Krieg im Entnazifizierungsverfahren als Mitläufer eingestuft wurde,129 konzentrierte seine Lehre und Forschungen wieder ganz auf die Gewerbehygiene und die Staublungenforschung. Einen Ruf an die Universität Leipzig lehnte er 1948 ebenso ab, wie wenig später den an das Hygiene-Institut des Ruhrkohlenbezirks in Gelsenkirchen.130 Zwei Monate nach seiner Emeritierung erhielt Karl Wilhelm Jötten am 31. Juli 1954 das „Große Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland“. Sein Nachfolger in der Leitung des Hygiene-Instituts wurde sein langjähriger Assistent und Co-Autor des rassenhygienischen Vortrages über die Hilfsschulkinder in Berlin, Professor Dr. Heinz Reploh.

Fazit Eugenik respektive Rassenhygiene war bis 1933 eine in den konservativ-bürgerlichen Kreisen, insbesondere bei Vertretern aus Medizin, Gesundheitspflege und -fürsorge, anerkannte und von ihnen umgesetzte biologische Wissenschaft. Ihre Anwendung erforderte politische Maßnahmen, die weit in das Persönlichkeitsrecht des Einzelnen reichte und dieses letztendlich massiv einschränkte. Wenngleich die 128 129 130

GStA, Rep. 76, 292, Professoren der Medizinischen Fakultät, Bd. II, 1942–1945, Bl. 2, zitiert nach Vieten 1982, S. 301. Vgl. UAMs, Bestand 10, Nr. 3271, Abschrift von Abschrift VI des Entnazifizierungsbogens. Vgl. UAMs, Bestand 5, Nr. 639, Lebenslauf o.J.

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Eugeniker anders als die Rassenhygieniker bis zur Weltwirtschaftskrise stets die Förderung der Zielgruppen hervorhoben, akzeptierten sie unter dem Eindruck der Finanzkrise und damit der Krise des Weimarer Wohlfahrtsstaates mittels negativer eugenischer Maßnahmen, Mitmenschen ihre Freiheit und ihre körperliche Unversehrtheit zu nehmen. Dies galt auch für die Mitglieder der Medizinischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität, wie die Beispiele Besserer und Többen zeigen. Gab es in dieser Zeit auf Grund der Zugehörigkeit zum katholischen Milieu auch noch zurückhaltende Positionen, wie die von Reploh, wurden diese nach 1933 auf Grund persönlichen Karrierestrebens beiseitegeschoben. Jötten und Reploh sind hierfür beste Beispiele. Der eine suchte die Fortsetzung der beruflichen Karriere durch eine Professur an einer größeren und anerkannten Fakultät, der andere war am Beginn seiner Hochschulkarriere. Waren ihre engen Kontakte zum Zentrum und zum Katholizismus während der Weimarer Republik von Vorteil, wurden sie während des Nationalsozialismus zur Belastung. Als Lösung des Konflikts folgte die Anbiederung an das NS-System über den Weg der Übernahme der vom Staat geförderten und mit dem Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses politisch umgesetzten NS-Rassenhygiene. Dabei scheuten Jötten und Reploh auch nicht davor zurück, wissenschaftlich nicht fundierte Forschungsergebnisse zu nutzen und wissend um die nicht verifizierte Vererbbarkeit des „angeborenen Schwachsinns“ bei Hilfsschülern deren Zwangssterilisation zu fordern. Jötten und Reploh lieferten angesichts des erwachten Interesses an der rassenhygienischen Erfassung und erbbiologischen Selektion der Hilfsschüler durch den NS-Staat die scheinbar wissenschaftliche Legimitation für deren Zwangssterilisation. Wenngleich beide keine weiteren rassenhygienischen Arbeiten mehr vorlegten, förderte Jötten als Organisator im Hintergrund entsprechende Forschungen seiner Dozenten und Studenten. Jötten kann daher aber nicht als führender Rassenhygieniker bezeichnet werden. Vielmehr war er wie viele in dieser Zeit ein Opportunist, der sein Ziel, einen Ruf auf den Lehrstuhl in Berlin oder Leipzig zu erhalten, auf Grund der bei ihm angenommenen mangelnden Linientreue zum Nationalsozialismus aber nicht erreichte. Dennoch war seine mitbestimmende Position in der Fakultät gefestigt, und es blieb ihm eine vorzeitige Emeritierung wie Többen erspart. Jötten konnte so seine Karriere bis zu seinem offiziellen Ruhestand fortsetzen und Reploh zu seinem Nachfolger machen. Die rassenhygienische Lehre und Forschung am Hygiene-Institut und an der Fakultät entsprach vor und nach 1933 den Entwicklungen an anderen Universitäten in diesem Zeitraum, wenngleich die Häufigkeit der Dissertationen zu den Hilfsschulkindern als singulär anzusehen ist. Auch der bis 1945 fehlende Lehrstuhl für Rassenhygiene unterscheidet die Westfälische Wilhelms-Universität von den meisten anderen Universitäten in Deutschland.

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„Die Fakultät hat in politisch schwierigen Situationen Charakter bewiesen“ Der „Lehrstuhl für Erbbiologie und Rassenhygiene“ und die Berufung Otmar Freiherr von Verschuers in Münster Zum 1. April 1951 wurde Otmar Freiherr von Verschuer (1896–1969), ehemaliger Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik, international anerkannter Forscher auf dem Gebiet der Pathologie der menschlichen Vererbung, aber auch einer der führenden Rassenhygieniker des „Dritten Reiches“ und Mentor des KZ-Arztes Josef Mengele, auf den Lehrstuhl für Humangenetik der Universität Münster berufen.1 Wie konnte es geschehen, dass dieser hochrenommierte, aber zugleich auch durch seine Kooperation mit den Nationalsozialisten und seine Verwicklung in menschenverachtende Humanexperimente im KZ-Auschwitz im äußersten Maße diskreditierte Wissenschaftler an eine Universität berufen wurde, die eher marginal war in der deutschen Wissenschaftslandschaft, die eher für Provinzialität als für Exklusivität, für Fleiß als für Originalität stand, die ein eher beschauliches Dasein führte als Landesuniversität in ländlich strukturiertem und katholisch ausgerichtetem Milieu? Die Berufung Otmar von Verschuers ist ein Musterbeispiel für das Zusammenspiel unterschiedlicher Netzwerke bei der Reetablierung eines politisch belasteten Wissenschaftlers nach 1945, aber auch für die Unbedarftheit einer jungen, nicht durch Tradition und Spitzenforschung ausgewiesenen Universität, die die „Gunst der Stunde“ nutzte, um wohlfeil an Wissenschaftler zu gelangen, für die unter anderen Umständen Münster gewiss nicht die erste Präferenz gewesen wäre. Verbunden mit der Geschichte dieser Berufung ist die Geschichte eines Lehrstuhls, der, unter verschiedenen Bezeichnungen, gewissermaßen eine „creatio ex nihilo“ darstellt, jedenfalls seine Entstehung den besonderen Bedingungen der Nachkriegszeit verdankt.

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Zur Rolle von Verschuers im „Dritten Reich“ vgl. Kröner 2005, Weiss 2010. Eine ausführliche Biographie von Verschuers wird von Sheila F. Weiss vorbereitet.

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Rassenkunde und Rassenhygiene an der Medizinischen Fakultät vor 1945 In Münster gab es bis 1945 keinen Lehrstuhl und kein Institut für Rassenhygiene, Rassenkunde, Erb- und Rassenkunde oder wie auch immer die Bezeichnung für ein Fach lautete, über dessen Namen und Inhalte selbst die „Fachleute“ sich seinerzeit nicht immer einig waren.2 Damit war Münster keine Ausnahme. Auch an sieben weiteren Universitäten kam es nicht zu einer entsprechenden Institutsgründung.3 Seit 1920 hielt der Anatom und Anthropologe Eugen Kurz (1881–1968) Vorlesungen über Rassenkunde ab. Sowohl als Forscher als auch als Lehrer galt Kurz, der von 1927 bis 1945 zusätzlich einen Lehrauftrag für topographische Anatomie an der Medizinischen Akademie in Düsseldorf innehatte, als Versager. Als 1935 der Münstersche Ordinarius für Anatomie Friedrich Heiderich ihn auf eine eigene Abteilung für Rassenkunde „wegloben“ wollte, brachte Kurz nicht einmal den dafür angeforderten Inventarisierungs- und Personalbedarfsplan zustande, so dass das Projekt nicht zustande kam.4 1943 wurde ihm die Abhaltung von Vorlesungen über Rassenkunde untersagt,5 weil, so der Rektor in einem Schreiben an das REM, die Studenten seine Vorlesungen „als eine humoristische Angelegenheit“ betrachteten.6 Die Vorlesung „Rassenkunde“ wurde daher von dem Dozenten Wolfgang Bauermeister übernommen, der Mitarbeiter am Kölner Institut für Erbbiologie und Rassenhygiene war und für diese Vorlesung regelmäßig anreisen musste.7 Seit dem Wintersemester 1937/38 bot außerdem SS-Hauptsturmführer Dr. Cuno Peter, Leiter des Ausbildungsstabes der SS-Sanitätsabteilung XVII, im Rahmen eines unvergüteten Lehrauftrags eine Vorlesung sowie seminaristische Übungen zur „Erbpflege- und Rassenschutzgesetzgebung des Dritten Reiches“ an. Peter war 1931 in die NSDAP und 1932 in die SS eingetreten und arbeitete als niedergelassener Nervenarzt in Münster.8 Er hatte seine SS-Verbindungen spielen lassen, um seine akademische Karriere zu befördern. Der SS-Brigadeführer Rolf von HumannHainhofen hatte sich daraufhin an den Gauleiter und vor allem an seinen „alten Freund“ Curt Beyer, den Kurator der Universität Münster, gewandt mit der „Anregung“, Peter den Titel eines Honorarprofessors zu verleihen.9 Beyer hatte dann

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So der Tübinger Anthropologe Gieseler in einem Schreiben an das REM, Universitätsarchiv Tübingen, Bestand 205, Nr. 131 vom 23.5.1942. Es handelt sich um die Universitäten Bonn, Düsseldorf, Erlangen, Göttingen, Halle, Heidelberg und Marburg. Das Kölner Institut wurde 1939 gegründet, das Rostocker sogar erst 1944. Vgl. van den Bussche 1989, S. 104. Zu Kurz ausführlich: Pátek 2010, S. 54–65. UAMs, Bestand 9, Nr. 337, Kurator Universität Münster an REM vom 5.4.1943. BAB, Bestand R 4901, Nr. 14892, Rektor Universität Münster an REM vom 15.7.1942. UAMs, Bestand 9, Nr. 337, Kurator Universität Münster an REM vom 5.4.1943 UAMs, Bestand 10, Nr. 327, Lebenslauf Cuno Peter, geb. 21.1.1883 in Neuwied. Ebd., R. v. Humann-Hainhofen an Gaugeschäftsführer und Kurator der Universität Münster vom 1.2.1939.

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in diesem Sinne beim Rektor angefragt.10 Rektor Walter Mevius führte in seinem Antwortschreiben aus, dass Peter zwar gewisse formale Voraussetzungen erfülle, er aber noch nicht sagen könne, ob er sich als Forscher und Lehrer bewährt habe. „Eines aber glaube ich heute schon sagen zu können“, fügte Mevius dann hinzu, „daß seine wissenschaftliche Tätigkeit, gemessen an seinen wissenschaftlichen Veröffentlichungen, keineswegs ausreichend ist, um ihn zum Honorarprofessor in der Medizinischen Fakultät dem Minister vorschlagen zu können. Ein Privatdozent oder ein nbao. Professor mit gleichen Leistungen würde niemals zum beamteten Professor vorgeschlagen werden können.“11

Damit hatten sich wissenschaftliche Standards gegenüber Parteizugehörigkeit durchgesetzt. Beyer erreichte später nur, dass der unvergütete Lehrauftrag in einen vergüteten umgewandelt wurde.12 Auch auf dem Gebiet der Rassenhygiene/Eugenik galten die Münsterschen Vertreter in Fachkreisen eher als marginal. Seit dem Wintersemester 1927/28 bot der Ordinarius für Hygiene Karl Wilhelm Jötten (1886–1958)13 oder einer seiner Mitarbeiter eine Vorlesung zur Rassen- und Fortpflanzungshygiene an. Jöttens Forschungsschwerpunkt lag allerdings eher auf der Gewerbehygiene, und wenn er sich ab 1933 vermehrt auch der Rassenhygiene zuwandte, so ist das nicht so sehr in Begriffen einer „ideologischen Kohärenz“ als vielmehr der „Instrumentalisierung“ zu verstehen: Jötten versuchte, die neue wissenschaftliche Konjunktur für sich dienstbar zu machen.14 Darüber hinaus wurden Vorlesungen zur Menschlichen Erblehre von dem Anatom Johann Kremer angeboten, der ebenfalls ein wissenschaftlicher Außenseiter war und lamarckistische Vorstellungen vertrat.15 Schließlich lasen auch der Psychiater Ferdinand Kehrer (1883–1966) und sein Oberarzt Wilhelm Klimke (1898–1961) über Fragen der Erbpathologie, Vererbungslehre und Sterilisationsgesetzgebung. Mit der Bestallungsordnung von 1939 wurde Rassenhygiene endgültig Prüfungsfach im medizinischen Staatsexamen. In zehn Semesterwochenstunden, die sich auf vier Vorlesungen verteilten, sollten „Vererbungslehre und Rassenkunde“, „Bevölkerungspolitik“, „Menschliche Erblehre als Grundlage der Rassenhygiene“ und schließlich „Rassenhygiene“ unterrichtet werden.16 Jetzt wurde deutlich, wie wenig die Fakultät nach zeitgenössischen Standards für diese neuen Aufgaben auf10 11 12 13 14 15

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Ebd., Kurator an Rektor Universität Münster vom 6.2.1939. Ebd., Rektor Universität Münster an Kurator vom 11.2.1939. Ebd., REM an Kurator Universität Münster vom 15.9.1942. Zu Jötten vgl. den Beitrag von Manfred Witt in diesem Band. Zu ideologischer Kohärenz und Instrumentalisierung s. Ash 2002. Kremer wurde 1942 als SS-Arzt nach Auschwitz abkommandiert. Dort versuchte er seine festgefahrene Karriere durch „Untersuchungen zur Hungerdystrophie“ zu befördern. Notorisch wurde sein Tagebuch, in dem völlig unreflektiert das Banale neben dem Schrecklichen steht, Berichte über die tägliche Speisefolge neben Beschreibungen von Selektionen und Vergasungen. Vgl. Klee/Dreßen/Rieß 1988. Vgl. van den Bussche 1989, S. 135.

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gestellt war. Auf Initiative des Dekans der Medizinischen Fakultät und unterstützt durch die Dekane der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen und der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät wandte sich daher der Rektor der Universität Mevius 1941 an das REM und beantragte die Errichtung eines Lehrstuhls für Erbbiologie und Rassenhygiene. Der Antrag wurde abgelehnt, da die Errichtung nicht im Interesse der Reichsverteidigung liege.17 Ein Jahr später startete die Universität einen neuen Versuch, und wieder ging die Initiative von der Medizinischen Fakultät aus. Neben den Anforderungen der Studienordnung, die vorklinische und klinische Vorlesungen vorsah, zog Dekan Hellmut Becher auch die Kriegsnotwendigkeit des neuen Lehrstuhls heran und zögerte dabei nicht, sich auf die genozidale „Umvolkungspolitik“ der Nationalsozialisten zu berufen. Die Militärärzte kämen mit den außerordentlich schwierigen Problemen der nationalsozialistischen Fremdvolkpolitik und den Fragen des rassischen Verhältnisses einzelner Fremdvölker zum deutschen Volk in Berührung. „Der Arzt hat dabei häufig schwerwiegende Entscheidungen etwa über stammesgleich und stammesfremd, über Assimilation und Umvolkung, über Ehen mit Fremdvölkischen und andere einschlägige Fragen zu fällen“, so Becher.18 Der Dekan erwähnte auch, dass der Reichsgesundheitsführer Dr. Leonardo Conti sowie der Leiter des Rassenpolitischen Amtes der NSDAP Professor Dr. Walter Groß an der Errichtung des Lehrstuhles interessiert seien. Dasselbe Interesse habe der Gauleiter des Gaues Westfalen-Nord geäußert. Auch die Verwaltung des Provinzialverbandes habe darauf hingewiesen, dass für die rassekundlichen Untersuchungen im Rahmen der landeskundlichen Untersuchungen in Westfalen ein Fachmann erforderlich sei. Ein solcher Fachmann, so schloss Becher seinen Antrag, stehe der Fakultät nun zur Verfügung. Auch diesmal hatten die beiden anderen Dekane den Antrag befürwortet, und Rektor Mevius hatte in seiner Stellungnahme noch auf die mangelhafte Qualifikation der beiden Dozenten Kurz und Kremer verwiesen.19 Gauleiter Alfred Meyer hatte ebenfalls an den Reichswissenschaftsminister Bernhard Rust sowie an Martin Bormann geschrieben mit der Bitte, die ParteiKanzlei möge sich seinem Wunsche entsprechend verwenden. In seinem Schreiben an Rust verwies Meyer auf die „weltanschaulich und politisch“ äußerst schwierige Situation in seinem Gau: „Die seit Jahrhunderten hochqualifizierte wissenschaftliche Arbeit der Kirche in diesem Raum hat ihr einen geistigen Vorsprung gesichert, der ihr heute und auch in Zukunft noch die Führung eines erheblichen Teiles der Menschen garantiert.“

Dies mache die Errichtung eines Lehrstuhls für Erbbiologie und Rassenhygiene als „Kernstück der nationalsozialistischen Weltanschauung“ unbedingt erforder17 18 19

Droste 2011, S. 316. BAB, Bestand R 4901, Nr. 14892, Dekan der Medizinischen Fakultät an REM auf dem Dienstwege vom 4.7.1942. Ebd., Rektor der Universität Münster an REM vom 15.7.1942.

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lich.20 Auch die Partei-Kanzlei der NSDAP übernahm die Argumentation Meyers und schrieb an das REM: „Gerade in dem weltanschaulich und politisch schwierigen Gebiet des Gaues Westfalen-Nord wäre die Errichtung eines derartigen Lehrstuhls äußerst erwünscht.“21 Trotz dieser konzertierten Aktion kam es erneut zu einer Absage, allerdings in einem auslegbaren vagen Duktus gehalten, der offenbar Raum ließ für alternative Interpretationen in der Nachkriegszeit. Am 4. September 1942 schrieb Reichsminister Rust an Meyer, er wäre gern bereit, Meyers Wunsch entsprechend die Errichtung eines ordentlichen Lehrstuhls in der Medizinischen Fakultät in Münster „in Erwägung zu ziehen“.22 Er habe sich daher zunächst mit dem Rektor der Universität in Münster in Verbindung gesetzt. Ob die Schaffung einer Planstelle durch den Haushalt 1943 aber möglich werde, sei zur Zeit nicht zu übersehen, da Haushaltsrestriktionen, nach denen die Neueinstellung von Mitteln nur zulässig seien, wenn sie im dringenden Interesse der Reichsverwaltung lägen, auch für den Haushalt 1943 gälten. Der Minister führte abschließend noch aus, „daß schon die Besetzung der vorhandenen Lehrstühle dieses Faches wegen des Fehlens geeigneter Persönlichkeiten auf Schwierigkeiten stößt, sodaß mit der Schaffung einer Stelle in Münster das gesteckte Ziel nicht erreicht wäre.“23 Daraufhin klärte der Dekan der Medizinischen Fakultät am 10. September 1942 unter Verweis auf seinen Antrag vom 4. Juli 1942 den Rektor der Universität auf, bei dem von ihm erwähnten Fachmann handele es sich um den außerplanmäßigen Professor Dr. Günther Just, Leiter des Erbwissenschaftlichen Forschungsinstitutes des Reichsgesundheitsamtes in Berlin-Dahlem und einer der „besten Vertreter auf dem Gebiete der menschlichen Erbwissenschaft und Rassenkunde“. Just wäre bereit, einem Ruf nach Münster Folge zu leisten. In Anbetracht der Schwierigkeiten bei der Abhaltung der Vorlesungen – Becher spielte hier auf die auch von Rektor Mevius erwähnten fachlichen Mängel der Dozenten Kurz und Kremer an – wolle er den Vorschlag machen, Just schon einmal mit der vertretungsweisen Abhaltung der Vorlesungen zu beauftragen. So habe dieser die Möglichkeit, die Verhältnisse seines Sonderfaches in Münster kennen zu lernen und auch die Fakultät könne die Zusammenarbeit mit Just prüfen.24 Anfang November schließlich schrieb der Reichsminister für Wissenschaft dem Universitätskurator in Münster, er könne dem Antrag der Medizinischen Fakultät auf Erteilung eines Lehrauftrages für Erbbiologie und Rassenkunde an Professor Just nicht entsprechen, da dieser zum 1. Dezember 1942 einen Ruf an die Universität Würzburg angenommen habe.25 Damit enden zunächst 20 21 22 23 24 25

Ebd., Gauleiter Meyer an REM vom 11.8.1942. Ebd., Partei-Kanzlei der NSDAP München an REM vom 27.8.1942. Ebd., REM an Gauleiter Westfalen-Nord vom 4.9.1942. Ebd. BAB, Bestand R 4901, Nr. 14892, Dekan der Medizinischen Fakultät an Rektor der Universität Münster vom 10.9.1942. Ebd., REM an Universitätskurator in Münster vom 7.11.1942.

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die Versuche, in Münster einen Lehrstuhl für Rassenhygiene einzurichten. Auf jeden Fall sind bis Kriegsende keine weiteren Vorgänge zwischen REM und Universität Münster bezüglich dieses Lehrstuhl überliefert.26

Keine „Stunde Null“: Fritz Lenz und die Medizinische Fakultät Bei den Bombenangriffen vom 26. und 28. Oktober 1944 wurde das Universitätsklinikum so stark zerstört, dass ein weiterer Betrieb unmöglich geworden war. Die Medizinische Fakultät beschloss daher, in das 100 km entfernte ostwestfälische Bad Salzuflen umzuziehen. Dort wurden nach kurzer Zeit die Lehrtätigkeit und die klinische Tätigkeit wieder aufgenommen.27 Der Zufall wollte es, dass sich wenig später Fritz Lenz (1887–1976) in das nur etwa dreißig Kilometer von Bad Salzuflen entfernte Lübbecke absetzte. Fritz Lenz war ebenfalls einer der führenden Rassenhygieniker des „Dritten Reiches“ gewesen, leitete als Nachfolger des abgesetzten Hermann Muckermann die Abteilung für Eugenik am Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie und hatte den Lehrstuhl für Rassenhygiene an der Berliner Universität inne. Ende Dezember 1944 hatte sich Lenz krank gemeldet und war zu einem Erholungsurlaub bei Verwandten seiner Frau auf das Rittergut Obernfelde bei Lübbecke gezogen.28 Frau Lenz entstammte einer einflussreichen ostwestfälischen Familie. Ihr Vater Franz von Borries war Landrat des Kreises Herford gewesen, und ihre Mutter entstammte einer alten westfälischen Industriellenfamilie.29 Lenz‘ Absetzbewegung war gewiss nicht nur krankheitsbedingt gewesen. Lenz hatte eine panische Angst vor den Russen, und diese war gewiss nicht ganz unberechtigt, durfte er doch erwarten, als herausgehobener Vertreter der faschistischen Rassenhygiene einen prominenten Platz auf den Fahndungslisten der Sowjets einzunehmen.30 Von Verschuer, als Direktor des Kaiser-Wilhelms-Instituts für Anthropologie einer der Vorgesetzten von Lenz, war mit dessen Abwesenheit durchaus einverstanden und bestärkte ihn sogar darin. Wahrscheinlich plante von Verschuer schon sei26

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Weder die Recherchen von Mitarbeitern des Historischen Seminars noch des Instituts für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin der Universität Münster im Universitätsarchiv sowie im Bundesarchiv in Berlin haben weitere Hinweise gefunden. Meine persönliche Anfrage an das Bundesarchiv unter Bezugnahme auf die Tatsache, dass nach 1945 an der Universität Münster offenbar ein solcher Lehrstuhl existierte, wurde mit E-mail vom 5. 4. 2011 folgendermaßen beantwortet: „In diesem Bestand [REM] konnte ich nur in der Ihnen bereits bekannten Akte R 4901/14892 Informationen über den Antrag der Einrichtung des Lehrstuhls im Jahre 1942 finden, die Prüfung anderer die Universität Münster betreffenden [sic] Akten verlief negativ.“ Vgl. Rothschuh 1957, S. 57. Briefwechsel Lenz/von Verschuer, Lenz an von Verschuer vom 9.1.1945. Der Briefwechsel wurde mir freundlicherweise von Lenz’ Sohn Widukind Lenz (†) zur Verfügung gestellt. Zu Lenz vgl. Kröner 1998, Schmuhl 2005, Weiss 2010. UAMs, Bestand 9, Nr. 337, Lenz an den Oberpräsidenten vom 3.7.1945. Lenz hat sich wiederholt im Briefwechsel Lenz/von Verschuer entsprechend geäußert.

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nen eigenen Umzug in den Westen, den er im Februar 1945 dann auch vollzog. Auf jeden Fall schrieb Lenz an von Verschuer, er habe sich bei Professor Kehrer in Bad Salzuflen zur Untersuchung angemeldet.31 Es ist davon auszugehen, dass sich Lenz und Kehrer schon vorher kannten. Beide waren Beisitzer und Gutachter in Erbgesundheitsprozessen gewesen, Kehrer war wie Lenz ein überzeugter Eugeniker und grundsätzlich erbpathologisch orientiert. Am 9. Februar schrieb Lenz an von Verschuer „als dem Direktor des K.W. Instituts für Anthropologie“, nach eingehender Untersuchung durch Kehrer und den Internisten Professor Schellong habe ihm Kehrer bescheinigt, dass er „an einem sehr schweren nervösen Erschöpfungszustand leide“ und dass er „auf vorläufig nicht absehbare Zeit ausserstande“ sei, seinen dienstlichen Verpflichtungen in Berlin nachzukommen.32 Obwohl „arbeitsunfähig“ nutzte Lenz aber wohl seinen Aufenthalt in Bad Salzuflen, um professionelle Arrangements einzuleiten, die seine Nachkriegskarriere befördern sollten. Am 12. März schrieb er an von Verschuer: „Auf Einladung von Prof. Kehrer habe ich am 6.3. eine Vorlesung im Rahmen seiner Vorlesung gehalten. Nach Ostern soll ich 2 Stunden übernehmen. Das ist zugleich Arbeitstherapie.“33 Tatsächlich schrieb der Rektor kurz danach an das REM und bat um die Genehmigung, Herrn Professor Fritz Lenz, wissenschaftliches Mitglied des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie, die Vorlesungen über „Rassenkunde und Rassenbiologie“ zu überlassen, da kein anderer Dozent zur Verfügung stehe.34 Das Kriegsende vereitelte zunächst diese Pläne, und das Sommersemester 1945 fand nicht statt. Mit Schreiben vom 12. Juli 1945 beantragte Lenz beim Oberpräsidenten der Provinz Westfalen die Übernahme in die Medizinische Fakultät der Universität Münster. Lenz, der führende Vertreter der völkischen Fraktion der deutschen Rassenhygieniker, überzeugter Anhänger „nordischer Überlegenheit“ und Wunschkandidat der SS als Nachfolger Hermann Muckermanns am KaiserWilhelms-Institut für Anthropologie, betonte in dem Schreiben seine innere Distanz zum Nationalsozialismus, dessen Antisemitismus er nie mitgemacht habe. In die Partei sei er nur auf Drängen des damaligen Leiters des Gesundheitswesens eingetreten, eine endgültige Bestätigung in Form eines Parteibuches habe er aber nie erhalten. Lenz verwies auf seine internationale wissenschaftliche Reputation und seine Tätigkeit als erbärztlicher Berater und erbbiologischer Vaterschaftsgutachter. Eine solche Expertise werde gewiss auch in Zukunft benötigt. Schließlich hob Lenz die westfälische Herkunft seiner Frau hervor. Seine Lehrtätigkeit in Berlin, so führte Lenz aus, könne er zurzeit nicht ausüben und deshalb bitte er um die Übernahme in die Medizinische Fakultät der Universität Münster. Das „Fach der menschlichen Erblehre einschliesslich Erbpathologie und Sozialbiologie“ [sic!] sei auch weiterhin für die Ausbildung der Mediziner wesentlich. An der Universität Münster sei aber 31 32 33 34

Briefwechsel Lenz/von Verschuer, Lenz an von Verschuer vom 31.1.1945. Ebd., Lenz an von Verschuer vom 9.2.1945. Ebd., Lenz an von Verschuer vom 12.3.1945. UAMs, Bestand 9, Nr. 337, Rektor (über Kurator) an REM vom 20.3.1945.

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bisher keine Professur für das Fach vorhanden. Die einschlägigen Vorlesungen habe der Hygieniker Professor Jötten gehalten. Aber Jötten selbst habe bei der Fakultät angeregt, dass Lenz die Vorlesungen übernehme.35 Der Oberpräsident hatte das Schreiben an den Kurator der Universität weitergeleitet, und dieser hatte es über den Rektor an die Dekane der Philosophischen und Medizinischen Fakultät mit der Bitte um Stellungnahme gesandt.36 Daraufhin hatte Kehrer als Dekan der Medizinischen Fakultät am 31. Juli an Lenz geschrieben.37 Noch bevor Lenz antwortete schob Kehrer ein Schreiben nach, in dem er ausführte, er habe schon einmal mit dem stellvertretenden Rektor [dem Physiker Adolf Kratzer] gesprochen, und der habe in Aussicht gestellt, man könne Lenz zunächst als Honorarprofessor mit den Bezügen eines Diäters einstellen. Kehrer fuhr fort, auf der heutigen Fakultätssitzung sei die Frage gestellt worden, ob Lenz nicht im Ausland „als nationalistisch eingestellter Rassenhygieniker“ bewertet werden könne, und es daher „taktisch“ [sic!] nicht das Richtigste wäre, erst die „politische Bereinigung“ abzuwarten. Kehrer kündigte an, das Problem mit dem Rektor [Prälat Georg Schreiber (1882–1963)] zu besprechen.38 Die Fakultät war sich offensichtlich der Problematik des Falls „Lenz“ sehr wohl bewusst. Aber sie interessierte überhaupt nicht die inhaltliche Seite der Vorwürfe gegen Lenz, sondern nur die Frage, welches Licht eine solche Berufung auf die Fakultät werfen könne. Hier wird schon sehr früh ein Vorgehen deutlich, das sich durch die ganze frühe Nachkriegsgeschichte der Fakultät ziehen sollte: Grundsätzliche Strategie war, namhafte Wissenschaftler an die Fakultät zu holen. Politische Belastung war kein grundsätzliches Hindernis, konnte sogar ein Vorteil sein, da sie die Bereitschaft bei dem betroffenen Wissenschaftler erhöhte, auch an eine zweitrangige Universität zu gehen. Die „politische Bereinigung“ wurde dabei nur als ein „taktischer Schritt“ gesehen, ein passiver Vorgang, der – und das implizierte ja auch der Begriff „Persilschein“ – den „braunen Schmutz“ abwusch und den Täter weiß und unbefleckt wie die Wäsche aus der Maschine hervorgehen ließ. Am 8. August antwortete Lenz auf das erste Schreiben Kehrers. Darin teilte er zunächst mit, dass eine Rückkehr nach Berlin nicht mehr in Frage komme, womit er andeutete, dass er grundsätzlich bereit sei, sich in Richtung Münster zu orientieren. Lenz konnte nun seinerseits weitere Netzwerke mobilisieren, hier vor allem die politischen Verbindungen der Familie seiner Frau, die offenbar bis in die britische Militärregierung reichten. Hinzu kam, dass große Teile der britischen Militärverwaltung, die ihren Hauptsitz in Bad Oeynhausen hatte, im benachbarten Lübbecke untergebracht waren. „Ich habe mit dem englischen Herrn sprechen können, der von sich aus auf meine Lage zu sprechen kam“, schrieb Lenz etwas kryptisch. 35 36 37 38

Ebd., Lenz an den Oberpräsidenten [Rudolf Amelunxen] vom 3.7.1945. Ebd., Kurator [Clemens Steinbicker] an Rektor vom 20.7.1945. Das Schreiben liegt leider nicht vor. Das Datum geht aus dem Antwortschreiben von Lenz hervor: UAMs, Bestand 9, Nr. 337, Lenz an Kehrer vom 8.8.1945. UAMs, Bestand 4, Nr. 461 (alt), Kehrer an Lenz vom 7.8.1945.

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Als Gegenleistung hatte er dann dort auch die Raumfrage der Kehrerschen Klinik und der Kinderklinik vorgebracht und den Eindruck gewonnen, „dass bei der massgebenden Stelle Verständnis und Wohlwollen herrscht“.39 In seinem Antwortschreiben teilte Kehrer Lenz „streng vertraulich“ mit, „dass ‚man‘ in Münster sogar erwägt, in den Etat 1946 ein Ordinariat für menschliche Erblehre einzusetzen, zunächst natürlich ohne Nennung einer bestimmten Persönlichkeit, aber es ist ja klar, dass ‚man‘ nur Sie damit meint“. Kehrer war überzeugt, dass die Sache glücken werde, wenn man sich nicht an dem Fragebogen stoßen würde. Er sehe aber nicht ein, warum das der Fall sein sollte.40 Hier bleibt zunächst festzuhalten, dass 1945 offenbar kein Ordinariat für menschliche Erblehre existierte und demnach die Bemühungen der Fakultät von 1942 um die Einrichtung eines solchen Lehrstuhl die letzten gewesen waren. Bei dem von Kehrer bedeutungsvoll in Anführung gesetzten „man“ konnte es sich eigentlich nur um die Medizinische Fakultät oder eine einflussreiche Gruppe in dieser handeln.41 Lenz war Mediziner und auch immer an medizinischen Institutionen und Fakultäten tätig gewesen. Es ist unwahrscheinlich, dass ein Lehrstuhl für Lenz an der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät eingerichtet werden sollte. In den Quellen finden sich aber für das Jahr 1946 keinerlei Hinweise auf die Einrichtung eines solchen Lehrstuhls oder entsprechende Bemühungen.42 Lenz’ Beziehungen zur Militärregierung hatten Kehrer hellhörig gemacht: „Was Sie von dem englischen Herrn schreiben, interessiert die Universität ungemein und die Grundfrage lautet: Ist derselbe etwa der Vorgesetzte aller für education [sic] bestimmten Männer, folglich auch für die Universitäten?“ Kehrer führte weiter aus, dass man es in Münster als eine „besonders unangenehme Tatsache“ empfinde, dass für die mittleren und unteren Schulen ein Referent namens Savage bestimmt sei, aber nicht für die höheren. „Bei allen dringlichen Fragen wissen wir niemals, welcher der höchste Schutzpatron ist. Sollte das Herr Thom. sein?“43 39 40 41

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Ebd., Lenz an Kehrer vom 8.8.1945. Ebd., Kehrer an Lenz vom 11.8.1945. Es könnte sich bei dieser Gruppe auch um den am 16.7.1945 gebildeten „Notsenat“ aus „Nichtparteigenossen“ gehandelt haben, der unter Vorsitz des noch amtierenden Rektors Siegmund Georg Schreiber zum Rektor und Adolf Kratzer zum Prorektor wählte. Kehrer, Többen und Lehnartz waren als Vertreter der Medizinischen Fakultät Mitglieder dieses Senats. Auch eine Anfrage beim Landesarchiv Nordrhein-Westfalen wurde negativ beantwortet. Es gibt keine Unterlagen bezüglich der Einrichtung des Lehrstuhls. (Mitteilung Dr. A. Henning, Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Westfalen, vom 16.3.2011.) Die Überlieferung beginnt 1947 mit der Anfrage des Rektor um Umwandlung des Lehrstuhl für menschliche Erblehre in einen für Slawistik. Dokumentiert werden dann die Berufungsvorgänge um Muckermann und von Verschuer. UAMs, Bestand 4, Nr. 461 (alt), Kehrer an Lenz vom 11.8.1945. Der Kanadier G. F. Savage war tatsächlich der Leiter der Abteilung „Education and Religious Affairs“ der Militärregierung für die Provinz Westfalen und auch für die Universität Münster zuständig. Im April 1946 wurde Ray Perraudin zum „University Control Officer“ für die Universität

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In seinem Antwortschreiben versuchte Lenz die Bedenken der Fakultät wegen seines Ansehens im Ausland zu zerstreuen und verwies auf seine Beziehungen zu amerikanischen und englischen Eugenikern und Erbforschern. „Bedenken gegen mich können höchstens von missgünstigen oder überängstlichen Leuten bei uns erhoben werden“, so Lenz. Er betonte dann, dass „Herr Th.“ tatsächlich „der maßgebende Mann auch für die Universitäten sei und er es als eine „Fügung des Schicksals“ betrachte, dass dieser Mann von ihm gehört habe und ihn zu sich gebeten habe. Er sei über eine Stunde bei ihm gewesen, und Herr Th. habe ihm auch persönlich wertvolle Ratschläge gegeben. Schließlich wiederholte Lenz noch einmal, dass er die Raumfrage an der Medizinischen Fakultät angesprochen habe: „Möchte ich doch der Universität Münster, die mir so überaus freundlich entgegenkommt, auch meinerseits ein wenig nutzen können.“44 Eine Woche später schrieb Lenz an den Generaldirektor der Kaiser-WilhelmGesellschaft Ernst Telschow, und erkundigte sich vorsichtig über sein Arbeitsverhältnis.45 Die Generalverwaltung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft war inzwischen in Göttingen untergekommen und Telschow ließ in seinem Antwortschreiben durchblicken, dass er wenig Hoffnung für das Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie sehe, dass sich aber der Göttinger Gynäkologe Heinrich Martius nach Lenz erkundigt habe.46 Wie Kehrer gehörte auch Martius zum weiteren Kreis der erbbiologisch interessierten Kliniker. Die Universität Göttingen schließlich wurde schon am 1. September 1945 als erste Universität der britischen Besatzungszone wiedereröffnet. Anfang September fuhr Lenz nach Göttingen und nahm erste Verhandlungen mit der Fakultät auf. Im Oktober 1945 wurde Lenz in Göttingen zum planmäßigen außerordentlichen Professor für menschliche Erblehre ernannt unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit. Kehrer muss von Lenz’ Göttinger Bestrebungen erfahren haben und ihn in einem Schreiben vom 12. September dazu befragt haben.47 Lenz bestätigte in seiner Antwort seine Göttinger Pläne und bat um Verständnis, da die Existenz seiner Familie davon abhänge, dass er wieder in eine Berufstätigkeit komme. Man habe ihm in Göttingen zu verstehen gegeben, dass eine Bewilligung neuer Ordinariate „auf absehbare Zeit ausgeschlossen sei“. „Wenn aber trotzdem in Münster ein Ordina-

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Münster ernannt. Zur britischen Besatzung in Münster und Westfalen vgl. Respondek 1995, S. 36ff. UAMs, Bestand 4, Nr. 461 (alt), Lenz an Kehrer vom 13.8.1945. Wer tatsächlich der ominöse Herr Th. gewesen ist, lässt sich nicht mehr feststellen. Es ist durchaus möglich, dass Lenz die Bedeutung dieses Offiziers übertrieben oder überschätzt hat. Tatsache ist, dass Lenz gerade in England in Genetiker- und Anthropologenkreisen bekannt war und dass sein Lehrbuch, der „Baur-Fischer-Lenz“ dort in Übersetzung vorlag. Vgl. dazu Mazumdar 1992. Vgl. Kröner 1998, S. 64. Ebd. Dieses Schreiben liegt nicht vor. Das Datum geht aus dem Antwortschreiben von Lenz hervor.

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riat für menschliche Erblehre errichtet werden könnte, […] so würde ich natürlich gern dafür zur Verfügung stehen“, so Lenz. Grundsätzlich würde es seines Erachtens im Interesse der Universität Münster liegen, wenn ein solches Ordinariat im Etat der Universität vorgesehen werden könnte.48 Mit diesem Schreiben endet der erste Versuch, nach dem Krieg einen belasteten Rassenhygieniker an die Universität Münster zu berufen. Als sich im November der Kurator nach der noch immer ausstehenden Stellungnahme des Dekans zum Antrag von Lenz auf Übernahme in die Medizinische Fakultät erkundigte, antwortete Kehrer lapidar: „Herr Prof. Lenz hat sich mittlerweile, da Münster ihm nicht genug Sicheres bieten konnte, anscheinend erfolgreich nach Göttingen um Übernahme einer bezahlten Lehrtätigkeit gewendet.“49

Günther Just und der „wiedergefundene“ Lehrstuhl Für das Jahr 1946 sind keine Bemühungen von Seiten der Universität oder der Fakultäten um Einrichtung oder Besetzung eines Lehrstuhls für menschliche Erblehre überliefert. Erst 1947 findet dieser Lehrstuhl wieder Erwähnung, mysteriöserweise jetzt der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät zugehörig. In einem Schreiben an das Kultusministerium vom 24. März bittet Rektor Emil Lehnartz (1898–1979) darum, die „nicht besetzte ordentliche Professur für menschliche Erblehre“ in ein Ordinariat für Slawistik umzuwandeln. Für diese Lösung spräche, „daß das vorgesehene Ordinariat für menschliche Erblehre nicht besetzt ist und in absehbarer Zeit für den vorgesehenen Zweck auch keine Verwendung finden dürfte“.50 Völlig unklar ist, woher dieser Lehrstuhl auf einmal kommt. Die einzige Erklärung wäre, dass die etwas vage formulierte Absage des REM als eine Zusage interpretiert wurde für den Fall, dass die seinerzeit vorgebrachten Gründe für die Absage sich änderten (Haushaltslage/keine qualifizierten Bewerber). Das erklärt aber noch nicht, warum der Lehrstuhl, der seinerzeit für die Medizinische Fakultät beantragt wurde, sich jetzt an der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät befindet. Vielleicht ist dieser Lehrstuhl unter Ausnutzung der unsicheren Aktenlage und der mangelnden Nachprüfbarkeit in der frühen Nachkriegszeit einfach erfunden worden, um ihn als Ressource gegenüber dem Kultusministerium zu benutzen, wie es im Falle der geplanten Umwandlung ja auch versucht wurde. Auf jeden Fall scheint es von Seiten der Naturwissenschaftler und Mediziner nach dem Scheitern der Lenz-Aktion zunächst kein großes Interesse gegeben zu haben, diesen Lehrstuhl zu besetzen. Die Mediziner müssten von der Existenz dieses Lehrstuhl gewusst haben, denn Rektor Lehnarzt war als Ordinarius für physiologische Chemie Mitglied der Medizinischen Fakultät. Als auf der Fakultätssitzung der Philosophisch-Naturwis48 49 50

UAMs, Bestand 4, Nr. 461 (alt), Lenz an Kehrer vom 15.9.1945. UAMs, Bestand 9, Nr. 337, Dekan Medizinische Fakultät an Kurator vom 6.11.1945. Kröner 1998, S. 146.

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senschaftlichen Fakultät im November der Dekan berichtete, dass das vorgesehene Extraordinariat für Slawistik noch nicht bewilligt sei und dass man eventuell Mittel aus dem freien Ordinariat für menschliche Erblehre dafür verwenden wolle, gab es keinen Protest von Seiten der naturwissenschaftlichen Fraktion.51 Das sollte sich einen Monat später auf der Dezember-Sitzung der Fakultät ändern. Unter dem Tagesordnungspunkt „4: Professur für menschliche Erblehre“ schrieb der Protokollant: „Aufgrund einer Anfrage von Professor Günther Just, Würzburg, war von seiner Magnifizenz [Rektor Lehnartz] erneut die Frage einer Professur für menschliche Erblehre zur Sprache gebracht worden.“52 In der folgenden Diskussion führte Professor Adolf Kratzer aus, dass Professor Just schon einmal auf einer Liste der Medizinischen Fakultät für die fragliche Professur gestanden habe. Er sei ein „hervorragender Vertreter des Faches“ und seine Berufung würde einen großen Gewinn für die Universität darstellen. Es entwickelte sich daraufhin eine Auseinandersetzung um die Frage, „ob die Besetzung dieser Professur in Zusammenhang gebracht werden dürfe mit der Besetzung anderer Professuren, insbesondere der für Slawistik.“ Professor Kratzer hob noch einmal hervor, man dürfe keinesfalls auf diesen Lehrstuhl verzichten, und er verwahrte sich „als Naturwissenschaftler“ dagegen, „daß stillschweigend darüber beraten werde, ob dieser naturwissenschaftliche Lehrstuhl etwa zugunsten einer geisteswissenschaftlichen Professur verwendet werden solle.“53 Die Schärfe in Kratzers Ton ist sicher auch durch eine gewisse Frontstellung zu erklären, die zwischen den natur- und geisteswissenschaftlichen Fakultätsmitgliedern entstanden war. Im Sommersemester hatte es bei der Wahl des Dekans und Prodekans am 11. Juli Unstimmigkeiten zwischen Vertretern dieser beiden Fraktionen gegeben, woraufhin eine Gruppe naturwissenschaftlicher Professoren, darunter auch Kratzer, der Fakultät einen Vorschlag zur Satzungsänderung unterbreitet hatte.54 Von einem „stillschweigenden“ Vorgehen der geisteswissenschaftlichen 51 52 53 54

UAMs, Bestand 62, GB 11, Bd. 3, Sitzung der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät vom 21.11.1947, TOP 2: Personalfragen. Ebd., Sitzung der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät vom 19.12.1947, TOP 4: Professur für menschliche Erblehre. Ebd. UAMs, Bestand 62, Nr. 61, Betrifft: Änderung der Fakultäts-Satzungen, Münster 15.7.1947. Die anderen Unterzeichner waren Scholz, Behnke, Ulm, van Calker, Seifert, Rensch, Schratz, Kaufmann und Seith. Es ging bei der Änderung vor allem um die Besetzung des Dekan- beziehungsweise Prodekanamtes, das wechselseitig von den beiden Fraktionen besetzt werden sollte. Auch das Problem der Entscheidungshoheit bei Fragen, die überwiegend in das Interessengebiet einer Abteilung fielen, sollte dort gelöst werden. Eine Kommission zur Klärung dieser Fragen scheiterte letztlich am Widerstand der Geisteswissenschaftler, sodass die Trennung der beiden Fakultätshälften als letzte Lösung schließlich auf der Fakultätssitzung vom 12.2.1948 mit 22 Ja-Stimmen gegen sieben NeinStimmen bei zwei Enthaltungen beschlossen wurde. UAMs, Bestand 62, GB 11, Bd. 3, Fakultäts-Sitzung vom 12.2.1948, TOP 2: Abstimmung über Teilung oder Aufrechterhaltung der Einheit der Fakultät.

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Kollegen kann aber, wie oben ausgeführt, keine Rede sein. Kratzers emotionales Engagement und das seiner naturwissenschaftlichen Kollegen rührt daher sicher auch aus der Tatsache, dass hier die Chance bestand, einen berühmten Genetiker und Zoologen an die Fakultät zu bekommen, ungeachtet seiner politischen Belastung.55 Die damit zusammenhängenden Fragen sollte eine Kommission klären, der der Physiker Kratzer, der Zoologe Bernhard Rensch, der klassische Philologe Franz Beckmann und der Psychologe Wolfgang Metzger angehörten. Dass die Berufung von Just von den Mitgliedern der Kommission als nicht ganz unproblematisch wahrgenommen wurde, zeigt die Tatsache, dass die Kommissionsmitglieder offenbar Informationen über ihn einholten. Spätestens aus den Rückantworten sollte ihnen diese Problematik aber klar geworden sein. Für Rensch und Metzger liegen Antworten auf ihre Anfragen vor. Als erster meldete sich der Göttinger Psychologe Johannes von Allesch, der pikanterweise von Metzger gar nicht angeschrieben worden war.56 Bezüglich der fachlichen Qualifikation verwies er auf seinen Schüler Kurt Wilde, der allerdings von Metzger angeschrieben worden war. Von Allesch konnte sich aber nicht verkneifen, darauf hinzuweisen, dass Just in der gemeinsamen Zeit in Greifswald immer versucht habe, sich in die Psychologie einzudrängen. Schwerer wog der Vorwurf, Just habe als Assistent am Zoologischen Institut in Greifswald die Entlassung des damaligen Direktors Matthes verlangt, weil dieser mit einer „jüdischen oder halb-jüdischen Frau“ verheiratet gewesen sei. Matthes habe sich dadurch veranlasst gesehen, Greifswald zu verlassen, und sei 55

56

Günther Just (1892–1950) wurde 1933 Direktor des Instituts für menschliche Erblehre und Eugenik, ab 1937 für Vererbungswissenschaft der Universität Greifswald. 1933 Eintritt in die NSDAP, Mitarbeiter des Rassenpolitischen Amtes, Ortsgruppenschulungsleiter der NSDAP in Greifswald. Ab 1937 Leiter der Erbbiologischen Abteilung des Reichsgesundheitsamtes. 1943 Ordinarius am Institut für Vererbungswissenschaft und Rasseforschung in Würzburg. Just war Herausgeber des renommierten „Handbuchs der Erbbiologie des Menschen“, Berlin 1940, in dem zum ersten Mal der Terminus „Humangenetik“ im deutschen Sprachraum benutzt wurde. 1947 wurde Just durch die Spruchkammer II Würzburg Stadt als „Mitläufer“, Gruppe IV, entnazifiziert. Vgl. Kröner 1998, S. 151f. UAMs, Bestand 91, Nr. 215, von Allesch an Metzger vom 8.1.1947 [sic!]. Die Datierung kann nicht stimmen, wie aus dem Inhalt des Briefes hervorgeht. Von Allesch hatte den klassischen Fehler begangen, dass er nach dem Jahreswechsel gewohnheitsgemäß und unbeabsichtigt die alte Jahreszahl weiterbenutzte. Tatsächlich hatte Metzger, das geht aus von Alleschs Antwort hervor, seinen Schüler [Oskar] Graefe an den Göttinger Psychologiestudenten [Johannes C.] Brengelmann schreiben lassen, um Informationen über das Verfahren der Studienzulasssung in Göttingen zu bekommen. Gleichzeitig hatte er an von Alleschs Schüler Kurt Wilde geschrieben, um Informationen über Just zu bekommen. Metzger stand mit von Allesch nicht auf bestem Fuße, weil dieser ihm 1938 bei der Berufung in Halle in verletzender Weise vorgezogen worden war, obwohl Metzger schon längere Zeit die Lehrstuhlvertretung übernommen hatte. Bei der Berufung soll ein gewisser politischer Einfluss mitgespielt haben, obwohl von Allesch nicht Mitglied der NSDAP war. Brengelmann und Wilde hatten von Allesch dann über die Anfrage informiert. Vgl. zu von Allesch: Paul 1987.

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nach Coimbra gegangen. Von Allesch gab mehrere Greifswalder Professoren als Gewährsleute für seinen Vorwurf an.57 Die nächste Anfrage war an den Marburger Neurologen und Neuropsychologen Klaus Conrad gegangen. Dieser gab eine eher zurückhaltende Einschätzung Justs ab. Er bezeichnete ihn als einen Mann von großem Wissen, etwas pedantisch und eher organisatorisch als schöpferisch, aber damit für die heutige Zeit wahrscheinlich geeigneter als ein Mann mit epochalen wissenschaftlichen Ideen aber ohne Organisationstalent. Leider gäbe es kaum noch „reine Genetiker“, der beste sei Nikolai Timoféeff-Ressowski gewesen, aber den hätten ja die Russen abgeholt. „Und sie meinen unter Genetiker doch wohl die exakte Forschung, nicht die etwas sehr diffuse menschliche Erblehre? Da gibt es natürlich zahlreiche Leute, ebenso Anthropologen u. dergl. die meisten als ‚Rassenhygieniker‘ gegenwärtig in der Acht.“58

Dass Just offenbar nicht zu dieser Gruppe gerechnet wurde, zeigt einmal mehr, wie sehr es ihm kontrafaktisch gelungen war, nach dem Krieg als unbelasteter Wissenschaftler zu erscheinen, der auch in der NS-Zeit nur der reinen Wissenschaft gedient hatte. Conrad empfahl Metzger, sich an Professor Alfred Kühn in Tübingen zu wenden, weil dieser am besten über die jüngere Nachwuchsgeneration Auskunft gebe könne und außerdem einen internationalen Ruf habe.59 Metzger hatte auch Kurt Gottschaldt angeschrieben, der seit 1946 das Psychologische Institut der Universität Berlin [ab 1949 Humboldt-Universität] leitete und wie Metzger Gestaltpsychologe aus der Schule Wolfgang Köhlers und Kurt Lewins war. Gottschaldt hatte von 1935 bis 1945 der Erbpsychologischen Abteilung des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie vorgestanden und galt als Fachmann für Vererbungsfragen auf dem Gebiet der Psychologie. Er galt als politisch unbelastet und hatte nach dem Krieg gegen seinen ehemaligen Chef von Verschuer ausgesagt. Nach Gottschaldts Meinung bestände über Justs sachliche Qualifikation kein Zweifel. Politisch sei er aber „etwas vielseitig“ gewesen. Er nehme aber an, dass er inzwischen rehabilitiert sei.60 Kurt Wilde (1909–1958), an den sich Metzger ebenfalls gewandt hatte, war von 1935 bis 1939 Assistent unter Gottschaldt am Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie gewesen, ehe er 1939 seinem Mentor von Allesch nach Halle und später 57

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60

Dass von Allesch selber keine großen Probleme im Umgang mit belasteten Kollegen hatte, zeigt sein Verhalten in der „Baumgarten-Kontroverse“. Nachdem die Schweizer Psychologin Franziska Baumgarten 1949 eine Auseinandersetzung der deutschen Psychologen mit ihrer NS-Vergangenheit eingefordert hatte, antwortete von Allesch als Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychologie und lehnte eine Auseinandersetzung explizit ab mit der Begründung, eine Diskussion der Katastrophe, die über sie hereingebrochen sei, könne nur verhindern, dass Ordnung und Frieden wieder gefunden würden. Vgl. Paul 1987, S. 339f. UAMs, Bestand 91, Nr. 215, Conrad an Metzger vom 23.1.1948. Alfred Kühn (1885–1968) wurde 1937 Direktor am Kaiser-Wilhelm-Institut für Biologie. Er kooperierte mit den Nazis, war aber nicht in NS-Verbrechen involviert. Sofort nach Kriegsende bekam er einen Lehrstuhl in Tübingen. UAMs, Bestand 91, Nr. 215, Gottschaldt an Metzger vom 24.1.1949.

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nach Göttingen folgte.61 Wilde lobte in seinem Antwortschreiben vor allem die Vielseitigkeit Justs, die ihn befähige, sowohl die zoologische Genetik an einer naturwissenschaftlichen Fakultät als auch die Humangenetik an einer medizinischen zu vertreten. Er hob besonders seine enge Verbindung zu Pädagogik und Psychologie hervor, was sicher auch als eine Empfehlung für die spezielle Münstersche Situation verstanden werden sollte. Wilde ging auch auf die Kritik von Alleschs bezüglich der Einmischung in die Psychologie ein, milderte diese aber, indem er schrieb: „Auf der einen Seite ist es sehr erfreulich, dass der Genetiker von der Wichtigkeit psychologischer Arbeit überzeugt ist, auf der anderen ist es natürlich leicht angängig, dass dadurch Überschneidungen, ja Übergriffe, die misslich werden können, entstehen.“

Er führte dann aus, dass sich von Allesch seinerzeit stets über solche Einmischungen beklagt habe, enthielt sich aber weiterer Wertungen. Als einzigen echten Alternativkandidaten nannte Wilde Wolfgang Lehmann, ebenfalls ehemaliger Assistent am Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie und ein Schüler Eugen Fischers. Als „zweite Besetzung“ erwähnte er noch Hans Grebe, ehemaliger Assistent von Verschuers sowohl am Frankfurter Institut als auch am Kaiser-WilhelmInstitut, und Peter Kemp, der als Anthropologe sein Fach an von Verschuers ehemaligem Frankfurter Institut vertrat.62 Schließlich meldete sich auch noch Alfred Kühn Anfang März 1948, an den sich Metzger auf Conrads Empfehlung hin gewandt hatte. Sein Fazit: „Für die streng wissenschaftliche menschliche Vererbungslehre ist Just63 sicher der erste Vertreter des Faches in Deutschland.“64 Als Alternativen nannte er noch Rolf Danneel und Hans Bauer, beide ehemalige Mitarbeiter Kühns am Kaiser-Wilhelm-Institut für Biologie. Just und Danneel seien „formell“ Mitglieder der NSDAP gewesen. Bauers Weigerung, in die Partei einzutreten, sei der Grund gewesen, dass er sich nicht habilitieren konnte. Kühn fasste die Nachwuchssituation auf dem Gebiet der Genetik recht gut zusammen, als er schrieb: „Daß ich Ihnen nicht weitere Namen von jungen Forschern, die wissenschaftlich hervorragend und politisch oder entlastet sind [sic!], für Ihre Genetik-Professur vorschlagen kann, bekümmert mich sehr. Viele meiner besten Schüler aus der Göttinger Zeit, die in die akademische Laufbahn eingetreten waren, sind gefallen. Un[d] immer war die Anzahl der Genetiker in Deutschland noch nicht sehr groß.“65 61

62 63 64 65

Gottschaldt betrachtete ihn daher ebenfalls als seinen Schüler. 1953 trat er die Nachfolge von Alleschs auf den Göttinger Lehrstuhl an, und nach seinem frühen Tod 1958 (Wilde wurde 1909 geboren) folgte Gottschaldt seinem ehemaligen Schüler auf den Göttinger Lehrstuhl. Wilde war 1933 in die SA und 1937 in die NSDAP eingereten. Ab 1941 war er Stellvertreter des Dozentenführers Wilhelm Wagner an der Universität Halle. www. catalogus-professorum-halensis.de/wildekurt.html, Zugriff: 9.3.2011. UAMs, Bestand 91, Nr. 215, Wilde an Metzger vom 31.1.1948. „Just“ im Original kursiv. UAMs, Bestand 91, Nr. 215, Kühn an Metzger vom 10.3.1948. Ebd.

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Auch Rensch hatte Erkundigungen eingezogen und sich an Hans Nachtsheim und Egon von Eickstedt gewandt.66 Hans Nachtsheim hatte schon 1946 eine Professur für Genetik an der Berliner Universität erhalten und galt als einer der wenigen politisch unbelasteten Genetiker, da er nicht Mitglied der NSDAP gewesen war. Dass er in seiner Zeit am Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie ethisch verwerfliche Versuche an Kindern der Euthanasie-Anstalt Görden durchgeführt hatte, war zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt.67 Nachtsheim empfahl ebenfalls Just. Von Eickstedt war wie Nachtsheim kein Mitglied der NSDAP gewesen, da sein Aufnahmeantrag abgelehnt worden war. Als rassentheoretisch orientierter Anthropologe hatte er aber eng mit dem Rassenpolitischen Amt und dem Reichssippenamt kooperiert. Nach dem Krieg war es ihm gelungen, sich als NS-Verfolgter darzustellen, und so hatte er schon 1946 einen Lehrstuhl für Anthropologie an der Universität Mainz erhalten.68 Ob Rensch über die Versuche Nachtsheims informiert war, steht zu bezweifeln; die Rolle von Eickstedts als einer der führenden Anthropologen des „Dritten Reiches“ sollte aber dem Zoologen bekannt gewesen sein. Die Ergebnisse der „Just-Kommission“ sind offenbar nie in der Fakultät vorgelegt und diskutiert worden. Die Diskussion um die Teilung der Fakultät stand offenbar so im Vordergrund, dass sie alle anderen Probleme in den Hintergrund drängte. In den Protokollen der Fakultätssitzungen findet sich jedenfalls kein Hinweis darauf, dass die Kommission einen Abschlussbericht vorgelegt habe. Das lässt ebenfalls darauf schließen, dass es den Naturwissenschaftlern eher darum ging, die absolute Zahl ihrer Lehrstühle zu erhöhen als speziell die menschliche Erblehre zu etablieren.69 Inzwischen hatte die Medizinische Fakultät von den Bemühungen ihrer naturwissenschaftlichen Kollegen Wind bekommen. Am 13. Februar 1948 schrieb Dekan Arnold Loeser an den Kurator, die Medizinische Fakultät habe davon Kenntnis erhalten, dass der von ihr „wiederholt beantragte Lehrstuhl für Rassenkunde und Erbbiologie“ der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät zugesprochen wurde. Die Medizinische Fakultät lege „entscheidenden Wert darauf, diesen Lehrstuhl in der Fakultät zu behalten“. Er bitte deshalb darum, den Lehrstuhl in die 66 67 68

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Vgl. Droste 2011, S. 324f. Zur Einschätzung dieser Versuche vgl. Schwerin 2004, S. 312f., Schmuhl 2005, S. 435f. Zur Rolle von Eickstedts im „Dritten Reich“ vgl. Kröner 1998, S. 158–168. Von Eickstett hatte sich in einer Diskussion über den Rassebegriff mit der Mehrheitsfraktion der Anthropologen angelegt und das später als Grund für seine „Verfolgung“ angegeben. Tatsächlich hatte auf der Fakultätssitzung im Dezember 1947, als die Kommission gegründet wurde, die Zoologin Fischer den Vorschlag gemacht, den Lehrstuhl umzuwidmen in einen für reine Genetik. UAMs, Bestand 62, GB 11, Bd. 3, Sitzung der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät vom 19.12.1947, TOP 4: Professur für menschliche Erblehre. Auch ein solcher Lehrstuhl hätte mit Just, der von Haus aus Zoologe war, besetzt werden können. Grundsätzlich hätte dieser Lehrstuhl vor allem gut in das Forschungsprofil von Rensch gepasst, der sich inzwischen der synthetischen Evolutionstheorie zugewandt hatte.

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Medizinische Fakultät „zurückzuverlegen“.70 Wie alle Vorgänge um diesen Lehrstuhl, ist auch das Schreiben Loesers widersprüchlich. Wie konnte man etwas, das man wiederholt beantragt (zwei Mal!), aber nie bekommen hatte, behalten? Und wie konnte etwas zurückgegeben werden, was man nie besessen hatte? Wer hatte schließlich einen beantragten, aber nie genehmigten Lehrstuhl der PhilosophischNaturwissenschaftlichen Fakultät zugesprochen, die im Übrigen von einem „Lehrstuhl für menschliche Erblehre“ sprach, während Loeser die seinerzeit im Antrag benutzte und inzwischen doch anrüchige Formulierung „Rassenkunde und Erbbiologie“ gebrauchte? Auf einer „Teilfakultätsversammlung“ der Naturwissenschaftlichen Abteilung der Philosophischen Fakultät – der am 12. Februar 1948 beschlossenen Teilung der Fakultät hatte das Kultusministerium erst mit Schreiben vom 22. März 1948 zugestimmt71 – wurde mit Blick auf die Ansprüche der Medizinischen Fakultät beschlossen, eine Umbenennung des Lehrstuhls in „Anthropologie und menschliche Erblehre“ vorzuschlagen. „Es soll der Versuch gemacht werden, den Lehrstuhl in der naturwissenschaftlichen Fakultät zu behalten, zumal der in Aussicht genommene Professor Just ursprünglich Biologe und nicht Mediziner sei.“72 Ob diesem „Versuch“ irgendein amtlicher Beschluss folgte, ist nirgends dokumentiert. Der Kurator bat daraufhin in einem Schreiben an die Medizinische Fakultät um zusätzliche Benennung, „ob und welche [sic!] Person dort für die Besetzung der Stelle in Vorschlag gebracht werden könne“. Das Schreiben enthielt auch noch eine handschriftliche Bleistiftnotiz, datiert vom 28. April: „Herr Prof. Behnke wurde nach vorheriger Rücksprache mit Herrn Siegmund gebeten, einen Bericht über Herrn Just, Würzburg zu geben.“73 Der Dekan war aber nicht bereit, eine Vorschlagsliste für den „Lehrstuhl für Rassenkunde und Erbbiologie“ vorzulegen, bevor er nicht über den Lehrstuhl verfügen könne, und bat um eine Beschleunigung der Verlegung.74 Schließlich teilte der Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät Behnke seinem medizinischen Kollegen am 2. Juli 1948 mit, die Fakultät habe Stellung genommen zu der Einordnung des Lehrstuhls für menschliche Erblehre, „der ja zunächst unserer Fakultät zugeteilt war“. Behnke erklärte sich einverstanden, dass der Lehrstuhl der Medizinischen Fakultät überlassen werde für den Fall, „dass Herr Professor Just eine Berufung annimmt und dieser seinen Lehrstuhl nicht jetzt oder später auf weitere Gebiete, wie allgemeine Anthropologie oder allgemeine Erblehre

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UAMs, Bestand 9, Nr. 337, Dekan Medizinische Fakultät an Kurator vom 13.2.1948. UAMs, Bestand 62, Nr. 61, Kultusminister an Dekan der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät vom 22.3.1948. UAMs, Bestand 62, GB 11, Bd. 3, Sitzung der naturwissenschaftlichen Abteilung vom 16.3.1948. UAMs, Bestand 51, F 2 Bd. 22, Kurator an Dekan Medizinischen Fakultät vom 22.3.1948. Ebd., Dekan Medizinische Fakultät an Kurator vom 3.5.1948.

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oder auch Zoologie für Mediziner ausdehnt. Sollte Herr Just nicht nach Münster kommen, so behält sich meine Fakultät ihre Stellungnahme vor.“75

Hier wird noch einmal klar, dass es den Naturwissenschaftlern allein um die Person Just und die damit verbundene „Aufwertung“ der Universität ging. Der Lehrstuhl an sich war ihnen inzwischen nach vollzogener Trennung von der Philosophischen Fakultät nicht mehr so wichtig, da sie die von Just vertretenen „nichtmedizinischen“ Lehrinhalte sehr gut auch selber übernehmen konnten. Möglicherweise wussten die Vertreter zu diesem Zeitpunkt schon, dass die Chancen, Just nach Münster zu holen, inzwischen arg gesunken waren. Am 6. Juli 1948 übernahm Just, zunächst kommissarisch, die Leitung des Instituts für Anthropologie in Tübingen, am 11. September wurde er dort zum ordentlichen Professor für Anthropologie ernannt.76

„Ein außerordentliches Interesse an Fragen der Erbbiologie und der Rassenhygiene“: der Lehrstuhl und die Medizinische Fakultät Der Dekan der Medizinischen Fakultät informierte am 14. Juli den Kurator über das Einverständnis der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät zur Verlegung des Lehrstuhls. Das Interesse der Medizinischen Fakultät an einem „Lehrstuhl für Rassenkunde und Erbbiologie“, wie sie ihn expressis verbis bezeichnete, kann mit Lehranforderungen gewiss nicht erklärt werden. Zwar galt als Rahmen für die Ärzteausbildung nach 1945 weiterhin die Bestallungsordnung von 1939, ihre Ausfüllung stand aber im Ermessen der einzelnen Fakultäten. Daraufhin wurden NS-spezifische Lehrinhalte kurzerhand gestrichen. Tatsächlich wurden in Münster nach Wiedereröffnung der Universität weder Vorlesungen noch Seminare zum Thema „Menschliche Erblehre“, „Anthropologie“ geschweige denn „Rassenkunde“ gehalten. Erst nach der Berufung von Verschuers tauchen humangenetische Vorlesungen im Vorlesungsverzeichnis auf. Aber selbst die Bestallungsordnung von 1953 sah keine Pflichtveranstaltungen und auch keine Prüfungen in Humangenetik vor.77 Auch hier muss also einerseits das Interesse im Vordergrund gestanden haben, einen prominenten „Spitzenwissenschaftler“ an die Fakultät zu bekommen. Andererseits steht zu vermuten, dass es eine Gruppe von Wissenschaftlern an der Fakultät gab, die auf „humangenetische Expertise“ für ihre eigenen Forschungen nicht verzichten wollte. Für diese Gruppe stehen in erster Linie der Psychiater Ferdinand Kehrer und der Hygieniker Karl Wilhelm Jötten; aber auch der Gerichtsmediziner Heinrich Többen, der Pathologe Herbert Siegmund und möglicherweise der Dermatologe Carl Moncorps sind dieser Gruppe zuzurechnen. 75 76 77

Ebd., Dekan Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät an Dekan Medizinische Fakultät vom 2.7.1948. Vgl. Kröner 1998, S. 152. Zur Geschichte der Medizinischen Prüfungsordnungen vgl. Sczibilanski 1977.

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Dass sich auch der Rektor, der Biochemiker Emil Lehnartz (1898–1979), das Anliegen seiner Fakultät zu eigen gemacht hatte, zeigt ein Schreiben, das er am 18. Juli 1948 an das Kultusministerium schickte. Dieses hatte offenbar eine Anfrage über vakante Lehrstühle verschickt. In seiner Beantwortung führte der Rektor unter anderem aus: „Ferner ist eingereicht eine Vorschlagsliste für das neueingerichtete [sic] Ordinariat für menschliche Erblehre. Hierzu möchte ich allerdings bemerken, daß mir die Übertragung dieses Lehrstuhls in die Medizinische Fakultät sinngemäßer zu sein scheint, als die Zuweisung zur Mathematisch-naturwissenschaftlichen Fakultät.“78

Offenbar war der Rektor ohne Wissen des Kurators vorgeprescht, denn dieser entwarf Anfang August ein Schreiben an die Kultusministerin, in dem er die Verlegung des Lehrstuhls an die Medizinische Fakultät beantragte. Dieses Schreiben sollte urschriftlich an den Rektor mit der Bitte um Stellungnahme geschickt werden, ehe es endgültig versandt werden sollte. Wie schwer sich der Kurator mit der unklaren Entstehungsgeschichte dieses Lehrstuhls tat, zeigt ein Vergleich des ersten Entwurfs des Schreibens mit der endgültigen Version. Zunächst hatte der Kurator geschrieben: „In der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät besteht seit einigen Jahren der immer noch unbesetzte Lehrstuhl für menschliche Erblehre. Der Dekan der Medizinischen Fakultät teilte mir am 13.2.48 mit, dass die Fakultät erst jetzt davon Kenntnis erhalten habe, dass der von ihr wiederholt beantragte Lehrstuhl für Rassenkunde und Erbbiologie der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät zugesprochen worden sei. Die Medizinische Fakultät lege aber entscheidenden Wert darauf, diesen Lehrstuhl in der Medizinischen Fakultät zu behalten. Sie bittet daher um Verlegung des Lehrstuhls.“

In der endgültigen Fassung hieß es: „In der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät ist der Lehrstuhl für menschliche Erblehre unbesetzt. Der Dekan der Medizinischen Fakultät teilte mir am 13.2.48 mit, dass die Fakultät von dem Bestehen des von ihr wiederholt beantragten Lehrstuhls für Rassenkunde und Erbbiologie erst jetzt Kenntnis erhalten habe. Die Medizinische Fakultät lege entscheidenden Wert darauf, diesen Lehrstuhl in die Medizinischen Fakultät zu übernehmen“.79

Die endgültige Fassung versucht die Vagheiten und Widersprüchlichkeiten der ersten Version zu vermeiden. Die Existenz dieses Lehrstuhls wird faktisch gesetzt. Es ist keine Rede mehr davon, dass der Lehrstuhl einer Fakultät „zugesprochen“ wurde. Die Medizinische Fakultät will diesen Lehrstuhl nicht „behalten“, sondern „übernehmen“. Schließlich betonte der Kurator noch, dass auf seine Anfrage beim Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät keine Stellungnahme 78 79

UAMs, Bestand 9, Nr. 810, Rektor Universität Münster an Kultusministerium vom 18.7.1948. UAMs Bestand 9, Nr. 338, Kurator an Kultusminister. Der Entwurf trägt als Datum nur „August 1948“, die endgültige Fassung ist mit „6. August 1948“ datiert.

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eingegangen sei, dass er aber vom Dekan der Medizinischen Fakultät erfahren habe, dass die Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät unter bestimmten Bedingungen bereit sei, den Medizinern diesen Lehrstuhl zu überlassen. Schon am 13. August kam der Rektor der Bitte des Kurators um Stellungnahme nach. Es lohnt sich, ausführlicher aus dieser Stellungnahme zu zitieren, denn die Wortwahl, immerhin mehr als drei Jahre nach Kriegsende, ist recht aufschlussreich: „Der Lehrstuhl für Rassenkunde und Erbbiologie“, so Rektor Lehnartz, „ist seiner Zeit während des dritten Reiches beantragt worden, da entsprechend der Tendenzen der damaligen Zeit alle derartigen Fragen stark betont, ja überbetont wurden. Dessen ungeachtet besteht aber nach wie vor ein außerordentliches Interesse daran, daß die Fragen der Erbbiologie und der Rassenhygiene [sic!] an den Universitäten bearbeitet und gelehrt werden. Selbstverständlich sind an einer Durchführung derartiger Arbeiten sowohl die Mathematisch-naturwissenschaftliche Fakultät wie die Medizinische Fakultät interessiert. Aber es ist kein Zufall, daß schon bei der ersten Beantragung dieses Lehrstuhls er für menschliche80 Erblehre und Rassenbiologie beantragt wurde, und bei der außerordentlichen Bedeutung der menschlichen Erbfrage nicht nur für die Forschung, sondern auch für die Praxis in der Medizin, ich erinnere etwa nur an die vielen Zustandsbilder, die auf der Grenze normaler und pathologischer geistiger Haltung und geistiger Leistung stehen, erscheint es mir allein sinnvoll, diesen Lehrstuhl der Medizinischen Fakultät anzugliedern.“

Dem Interesse der Naturwissenschaftler könne dadurch Rechnung getragen werden, dass der Vertreter für Rassen- und Erbbiologie Mitglied beider Fakultäten wäre.81 Auch in dieser Stellungnahme wird nur von einer Beantragung, aber nicht von einer Bewilligung dieses Lehrstuhls gesprochen. Auffällig ist hier neben dem verquasten und gewundenen Verweis auf die Rolle, die diese Wissenschaft während des „Dritten Reichs“ spielte, auch der völlig unbedarfte Gebrauch der Bezeichnungen „Rassenkunde“ und „Rassenhygiene“, ohne sie in Anführungen zu setzen oder darauf zu verweisen, dass diese obsolet seien. Im Gegenteil, der Rektor verweist darauf, wie wichtig diese Fächer auch weiterhin für die Medizinische Forschung und Praxis seien und begründet letzteres, und da könnte ihm der Psychiater Kehrer die Hand geführt haben, vor allem mit grenzwertigen geistigen Haltungen und Leistungen. Schon Lenz hatte die Minderbegabungen, die grenzwertigen Intelligenz- und Charakterstörungen, für die nach Meinung der Zeit vor allem die Hilfsschüler typisch waren, für das eigentliche eugenische Problem gehalten, weil diese nicht von dem Indikationenkatalog des Sterilisationsgesetzes erfasst würden.82 Neben Kehrer hatten sich in Münster vor allem Jötten und Többen mit Intelligenzminderung und Verhaltensauffälligkeiten bei Jugendlichen befasst und die Heredität dieser Veranlagung betont.

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„menschliche“ im Original kursiv. UAMs Bestand 9, Nr. 338, Rektor an Kurator vom 13.8.1948. Vgl. Lenz 1934.

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Am 7. September 1948 beantragte der Kurator schließlich die Verlegung des Lehrstuhls an die Medizinische Fakultät und am 22. November bewilligte die Kultusministerin den Antrag, fügte aber hinzu, es könnten „keine Bedingungen, sowohl was die Besetzung des Lehrstuhls als auch das Lehrgebiet anlangt, angenommen werden“.83 Diese Bemerkung bezog sich auf die Bedingungen der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, dass erstens Just berufen werde und zweitens dieser sein Lehrgebiet nicht ausdehnen dürfe. Diese Einschränkung war aber zu diesem Zeitpunkt längst hinfällig geworden, da Just inzwischen eine ordentliche Professur in Tübingen angenommen hatte. Dass dies auch bis Münster durchgedrungen war, zeigt ein Schreiben des Dekans der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät Behnke an den Dekan der Medizinischen Fakultät Jötten, in dem er Rensch als Vertreter seiner Fakultät für die Berufungssitzungen der Medizinischen Fakultät für den Lehrstuhl für Erblehre benannte. Damit sollte offenbar dem Vorbehalt Rechnung getragen werden, den sich die Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät für den Fall der Nicht-Berufung Justs ausbedungen hatte.

Eine „opportune Zwischenlösung“: Hermann Muckermann und das Kaiser-Wilhelm-Institut für angewandte Anthropologie Letztlich spricht vieles dafür, dass von Verschuer von Anfang an der Kandidat der Medizinischen Fakultät war, da es unwahrscheinlich ist, dass diese nichts über Justs Tübinger Pläne gewusst haben sollte. Schon im Oktober 1948 hatte Lenz an Verschuer geschrieben und ihm mitgeteilt, dass in Münster ein „Ordinariat für menschliche Erbbiologie“ vorgesehen sei. Man habe mit Just verhandelt, aber der sei ja nach Tübingen gegangen.84 Im März 1949 konnte er von Verschuer berichten: „Kürzlich erkundigte sich Kehrer telegrafisch nach ihrer Adresse; ich hatte sie ihm allerdings schon vor Monaten schriftlich mitgeteilt. Quod felix faustumque sit.“85 Von Verschuer wusste, dass auch Muckermann mit Münster verhandelte, und hatte dies Lenz mitgeteilt. Der zeigte sich aber wie immer bestens informiert oder wusste die Situation einzuschätzen, als er schrieb, er glaube nicht, dass Muckermann eine etatmäßige Stelle bekomme, da er zu alt sei. „Ich halte es daher für möglich“, so Lenz, „dass Muckermann sich emeritieren lässt und als Emeritus nach Münster geht und dort mit der kommissarischen Wahrnehmung des Lehrstuhls beauftragt wird.“86 Tatsächlich schrieb der Dekan am 27. Juli 1949 an die Kultusministerin und schlug die Berufung Muckermanns auf den Lehrstuhl für menschliche Erblehre, wie er jetzt auch von den Medizinern genannt wurde, vor. Muckermann war auf der 83 84 85 86

UAMs, Bestand 9, Nr. 338, Kurator an Kultusminister vom 7.9.1948; Kultusminister an Rektor vom 22.11.1948. Briefwechsel Lenz/von Verschuer, Lenz an Verschuer vom 8.10.1948. Ebd., Lenz an Verschuer vom 10.3.1949. Ebd., Lenz an Verschuer vom 2.9.1949.

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Fakultätssitzung vom 12. Juli 1949 als Kandidat „unico loco“ aufgestellt worden. Dekan Jötten bezeichnete Muckermann als „zurzeit bei weitem führende[n] und anerkannteste[n] Erblichkeitsforscher“ und anerkannten Forscher auf dem Gebiet der Eugenik mit „bemerkenswerten Veröffentlichungen“. Der Hamburger Anthropologe Walter Scheidt87 habe der Fakultät mitgeteilt, Muckermann sei wie kein anderer geeignet, den Lehrstuhl für menschliche Erblehre in Münster zu übernehmen. Muckermann selber, der zur Zeit mit dem Neuaufbau des Kaiser-Wilhelm-Instituts für angewandte Anthropologie in Berlin-Dahlem beschäftigt sei, habe dem Dekan mitgeteilt, dass einer Verlegung des Kaiser-Wilhelms-Instituts nach Münster kein grundsätzliches Hindernis entgegenstehen müsste, wenn sich die Universität Münster um sein Institut in ähnlicher Weise bemühen würde, wie das andere Universitäten um andere Kaiser-Wilhelm-Institute auch getan hätten. Der Dekan deutete an, man habe inoffiziell schon Kontakt mit der Max-Planck-Gesellschaft aufgenommen, und die habe durchblicken lassen, dass man unter Umständen an eine Verlegung des Kaiser-Wilhelm-Instituts denken könne, falls Muckermann in Münster berufen würde.88 Was hatte die Fakultät bewogen, einen fast 72-jährigen Mann zu berufen, dessen wichtigste Veröffentlichungen mehr als 15 Jahre zurücklagen und der schon zu seiner Zeit am Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie eher ein eugenischer Propagandist für katholische Kreise als ein herausragender Wissenschaftler gewesen war?89 Ein Grund ist sicher die Möglichkeit gewesen, mit Muckermann gleichzeitig ein Kaiser-Wilhelm-Institut nach Münster zu bekommen, denn die Fakultät hatte zwar inzwischen den Lehrstuhl, aber kein Institut.90 Muckermann passte gut 87

88 89

90

Walter Scheidt (1895–1976) hatte als Anthropologe und Rassenforscher 1933 das „Bekenntnis der Professoren an den deutschen Universitäten und Hochschulen zu Adolf Hitler und dem nationalsozialistischen Staat“ unterzeichnet. Er galt aber als Außenseiter der deutschen Rassenanthropologie und war nicht Mitglied der NSDAP. In einem Brief an seinem amerikanischen Kollegen Franz Boas vom 19.4.1933 hatte er sich aber offen zum Antisemitismus und für den Ausschluss der Juden aus der deutschen Gesellschaft bekannt. http://www.franz-boas.de/download/on_brief_scheidt_u.pdf, Zugriff: 20.5.2011. UAMs Bestand 9, Nr. 338, Dekan Medizinische Fakultät an Kultusministerium vom 27.7.1949. Hermann Muckermann (1877–1962) war einer der wichtigsten Propagandisten für ein Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie in der Weimarer Republik gewesen. Er nutzte vor allem seine Verbindungen zum Prälat Schreiber, um in Zentrums-Kreisen Gelder für das neue Institut aufzutreiben. Dafür wurde er später mit dem Posten eines Abteilungsleiters für die Abteilung Eugenik belohnt. 1933 musste er seine Stelle zugunsten von Lenz verlassen. Nach dem Krieg galt er daher als NS-Verfolgter. Vgl. Kröner 1998, S. 16–25. Das Problem war schon auf jener Sitzung der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät vom 19.12.1947, auf der die naturwissenschaftliche Abteilung den Lehrstuhl für sich reklamierte, angesprochen worden. Kratzer hatte dort Beckmanns Frage nach dem Institut mit der Bemerkung vom Tisch gewischt, Just werde sich schon sein Institut schaffen. UAMs Bestand 62, GB 11, Bd. 3, Sitzung der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät vom 19.12.1947, TOP 4: Professur für menschliche Erblehre.

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in das katholische Milieu, Schreiber würde sich gewiss für ihn bei der Max-PlanckGesellschaft stark machen, und sein hohes Alter ließ auf ein kurzes Interregnum hoffen; denn der eigentliche Wunschkandidat, Otmar von Verschuer, stand noch nicht zur Verfügung. Dessen Karriere war zu diesem Zeitpunkt in eine Sackgasse geraten, und selbst Lenz, der sich ja auch in Münster für von Verschuer eingesetzt hatte, glaubte nicht so recht an von Verschuers Chancen.91 Der Grund für diesen Stillstand war das Kollegialgutachten von Mitgliedern der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft über von Verschuers Rolle im „Dritten Reich“ gewesen, das aufgrund von Enthüllungen Robert Havemanns erstellt worden war. Dieses Gutachten, das auch auf von Verschuers Verstrickungen in Menschenversuche in Auschwitz verwies, hatte dazu geführt, das von Verschuers Berufungen sowohl in Frankfurt als auch in Tübingen scheiterten, obwohl er in beiden Fällen auf ausgedehnte Netzwerk-Ressourcen zurückgreifen konnte und zunächst die Berufungslisten angeführt hatte.92 Hinzu kam, dass Havemann im Januar 1947 gegen von Verschuers Entnazifizierungsbescheid als Mitläufer Einspruch erhoben hatte und damit ein Wiederaufnahmeverfahren in Gang gesetzt hatte, dass sich bis Mai 1949 hinziehen sollte, um dann im Sande zu verlaufen. Danach blieb von Verschuer zu seiner politischen „Bereinigung“ allein noch, das Kollegialgutachten durch ein Gegengutachten zu entkräften. Mit dessen Vorbereitung war er wohl beschäftigt, als die Fakultät Muckermann vorschlug. Und das dieser Vorschlag ein taktischer gewesen war und nur dazu diente, die Zeit bis zur endgültigen Exkulpation von Verschuers zu überbrücken, dafür spricht ein Brief Kehrers93 an von Verschuer, datiert auf den 16. Juli 1949, also nur vier Tage nach der Fakultätssitzung, auf der Muckermann zum Kandidaten „unico loco“ aufgestellt worden war. Kehrer schrieb: „In der Anlage sende ich zugleich im Auftrage des Herrn Dekans, der Sie bestens grüssen lässt, Ihre Papiere mit vielem Dank zurück. Wir haben das Wesentliche aus diesen ausgezogen. Ich darf Sie vertraulich versichern, dass Sie im ‚Vordergrund‘ unserer Betrachtungen stehen, und ich persönlich kann hinzufügen, dass ich es sehr begrüssen werde, wenn Sie hier Ihre Tätigkeit aufnehmen könnten. Vorläufig hat sich für Münster eine opportune Zwischenlösung ergeben, über die ich hoffe Ihnen später einmal berichten zu können.“94

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94

Vgl. Kröner 1998, S. 144f. Ausführlich dazu vgl. Kröner 1998, S. 97–117. Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin Münster, Teilnachlass Kehrer, Brief an von Verschuer vom 16.7.1949. Der maschinengeschriebene Durchschlag trägt keine Unterschrift und fand sich in einer Briefsammlung Kehrers, die am Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin aufbewahrt wird. Dass aber Kehrer der Autor ist, darüber bestehen kaum Zweifel, da er schon vorher wiederholt als Verbindungsmann zu von Verschuer benannt worden ist. Der Durchschlag trägt auch noch den Bleistiftvermerk „An Herrn Prof. Jötten“, was deutlich macht, dass Kehrer tatsächlich, wie auch der Text besagt, im amtlichen Auftrag handelte. Ebd.

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Dieser Brief lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig, und es ist klar, dass mit der „Zwischenlösung“ nur Muckermann gemeint sein konnte. Am 19. September 1949 fand dann das sogenannte „Stuttgarter Treffen“ statt, auf dem eine von Verschuer handverlesene Gruppe ehemaliger Mitglieder der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft unter Federführung von Adolf Butenandt den entscheidenden „Persilschein“ zur Entlastung von Verschuers verfasste.95 Das Kultusministerium ließ sich Zeit in Sachen Muckermann, obwohl der Dekan Ende Oktober noch einmal eine Stellungnahme des Kultusministeriums zu dem Berufungsvorschlag angemahnt hatte.96 Erst am 6. April 1950 schrieb die Ministerin an den Dekan, der Finanzminister habe Bedenken, einer Berufung Muckermann wegen dessen vorgerückten Alters zuzustimmen. Sie würde es aber sehr begrüßen, wenn Muckermann mit der Wahrnehmung der Geschäfte des Lehrstuhls beauftragt würde.97 Muckermann stand zu diesem Zeitpunkt in Verhandlungen mit der MaxPlanck-Gesellschaft um Aufnahme seines Institutes in die Gesellschaft, und sein Anliegen wurde vor allem vom Präsidenten Otto Hahn und von Otto Warburg unterstützt. Letzterer bezeichnete die Aufnahme Muckermanns und seines Institutes in die Max-Planck-Gesellschaft als „sittliche Pflicht“, da ihm 1933 Unrecht widerfahren und er seinerzeit an der Errichtung des Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie wesentlich beteiligt gewesen sei.98 Mit dieser Perspektive stand nicht zu erwarten, dass Muckermann die kommissarische Leitung eines Lehrstuhls in Münster übernehmen würde. Dass auch die Medizinische Fakultät nicht mehr damit rechnete, mit Muckermann gleichzeitig ein komplettes Institut zu übernehmen, zeigt ein Schreiben des Dekans Rohrschneider an das Kultusministerium vom Juni 1950, in dem er Mittel zur Errichtung eines „Instituts für menschliche Erblehre und Anthropologie“ für den Haushaltsplan 1951 beantragte.99 Rohrschneider hatte sich beim Direktor des Instituts für Anthropologie in Mainz und Vorsitzenden der Deutschen Gesellschaft für Anthropologie, Egon von Eickstedt, nach dem Kostenbedarf für die Einrichtung eines solchen Instituts erkundigt, und dieser hatte ihm eine ausführliche Liste geschickt, die neben den Kosten für zwölf Räume, zwei Assistenten und zwei Hilfskräften als Minimum einen Einrichtungsbedarf von 42.100

95 96 97 98

99

Vgl. Kröner 1998, S. 132–138. UAMs, Bestand 52, Nr. 336, Dekan Medizinische Fakultät an OR Dr. Dr. Auburtin vom 29.10.1949. UAMs, Bestand 51, F 2, Bd. 22, Kultusministerium an Dekan vom 6.4.1950. Vgl. Kröner 1998, S. 202f. Muckermanns Verhandlungen mit der Max-Planck-Gesellschaft scheiterten letzten Endes. Sein Institut wurde zwar von der Gesellschaft finanziert, aber nie offiziell als Max-Planck-Institut in die Max-Planck-Gesellschaft aufgenommen. UAMs Bestand 51, F 2, Bd. 22, Dekan Medizinische Fakultät an Kultusministerium Nordrhein-Westfalen vom 14.6.1950.

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DM aufwies.100 Auch diese Liste schickte Rohrschneider nach Düsseldorf.101 Das Kultusministerium verweigerte allerdings seine Zustimmung zu einer „Neuerrichtung eines Instituts für menschliche Erblehre und Anthropologie“ wegen fehlender Mittel und empfahl, den Plan erst einmal zurückzustellen.102 Dagegen erklärte sich die Kultusministerin noch einmal mit Schreiben vom 9. September 1950 bereit, Muckermann mit der „Wahrnehmung der Geschäfte des Lehrstuhl für menschliche Erblehre“ zu beauftragen. Außerdem fragte sie, da kein Bericht zugegangen sei, ob mit der Vorlage weiterer Berufungsvorschläge zu rechnen sei. Zumindest ein Berufungsvorschlag sollte kurz darauf folgen, nachdem offenbar Muckermann den Vorschlag der Kultusministerin abgelehnt hatte.

Die Berufung Otmar Freiherr von Verschuers: ein Max-Planck-Institut für Münster? Auf der Fakultätssitzung vom 9. Oktober 1950 stimmte die Medizinische Fakultät einer Berufungsliste zu, die Otmar von Verschuer „unico loco“ vorsah.103 Am 11. Oktober schrieb Dekan Rohrschneider an den Vertreter der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät Rensch und schlug dort ebenfalls von Verschuer vor, da die Kultusministerin die Berufung Muckermanns abgelehnt habe.104 Rensch erklärte sich mit der Nominierung von Verschuers einverstanden, fügte aber noch hinzu, dass für den Fall, dass noch weitere Herren nominiert werden sollten, man auch an Professor Hans Nachtsheim denken sollte. Dieser habe angedeutet, er sei nicht abgeneigt, nach Westdeutschland zu wechseln. Allerdings müsse man ihm wohl ziemlich weitgehende räumliche und finanzielle Zugeständnisse machen, damit er seine erfolgreichen Untersuchungen über Erbkrankheiten bei Kaninchen fortsetzen könnte.105 Diese Bemerkung zielte natürlich daraufhin, dass man zwar einen Lehrstuhl, aber kein Institut zur Verfügung hatte. Das Problem schien mit der Berufung von Verschuers lösbar, denn dieser hatte angedeutet, dass er das von ihm nach Solz „gerettete“ Institutsmaterial bei einer Berufung gewissermaßen als „Morgengabe“ mit einbringen könnte und hatte als Perspektive, ähnlich wie im Falle Muckermann, die Etablierung eines Max-Planck-Institut in Aussicht gestellt.106 Verschuer hatte, gewitzt durch seine Erfahrungen bei seinen Berufungsbemühungen in Frankfurt und Tübingen, seine Berufung nach Münster mit langer Hand 100 101 102 103 104 105 106

Ebd., von Eickstedt an Dekan Medizinische Fakultät vom 26.6.1950. Ebd., Dekan Medizinische Fakultät an Kultusministerium Nordrhein-Westfalen vom 7.7.1950. Ebd., Kultusministerium an Dekan Medizinische Fakultät vom 10.8.50. Ebd., Dekan Medizinische Fakultät an Ponsold vom 9.10.1950. Ponsold hatte an der Sitzung nicht teilgenommen und wurde auf diesem Wege um seine Stellungnahme gebeten. Ebd., Dekan Medizinische Fakultät an Rensch vom 11.10.1950. Ebd., Rensch an Dekan Medizinische Fakultät vom 20.10.1950. Vgl. Kröner 1998, S. 147.

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vorgeplant, hatte Kontakte wie Lenz, Kehrer und Jötten bemüht, hatte das Berufungsverfahren vor der Spruchkammer abgewartet und sich schließlich ein maßgeschneidertes Gutachten von handverlesenen ehemaligen Kollegen der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft ausstellen lassen. Um Interventionen aus dem politischen Raum, die im Falle Frankfurts und Tübingens jeweils seine Berufung vereitelt hatten, zuvorzukommen, hatte er sich an einen alten Bekannten, den Pädiater Carl-Gottlieb Bennholdt-Thomsen (1903–1971) gewandt, der inzwischen den Lehrstuhl für Pädiatrie an der Universität Köln innehatte. Bennholdt-Thomsen war ebenfalls sehr stark erbbiologisch ausgerichtet und hatte vor dem Krieg zuletzt den Lehrstuhl für Pädiatrie an der Karls-Universität in Prag inne. Sein Vorgänger Hermann Mai wurde 1943 auf den Münsterschen Lehrstuhl berufen. Es gibt Hinweise darauf, dass Bennhold-Thomsen in Prag in die „Kindereuthanasie“ verwickelt war.107 Auf jeden Fall gehört er im weiteren Sinne zu der sogenannten „Prag-Connection“, einem Netzwerk gegenseitiger Hilfe ehemaliger NS-Professoren der Universität Prag, das bei Nachkriegsberufungen an der Medizinischen Fakultät Münster eine große Rolle gespielt hat. Bennhold-Thomsen schrieb von Verschuer im Juni 1950, dass er sich bei dem Hygieniker Jötten und beim Dekan Rohrschneider ausführlich für von Verschuer verwendet habe. Er fuhr dann fort: „Durch mein Dekanat habe ich eine gewisse Beziehung zur Frau Kultusminister und ihrer Dezernentin Frau Dr. Dr. Aubertin. Dass ich direkt an beide schreibe, wäre meines Erachtens taktisch falsch. Wenn man beiden jedoch durch Mittelsmänner einen Tip geben könnte, dass sie bei mir anfragen würden, besonders letztere würde das, glaube ich, ohne weiteres tun, dann könnte man vielleicht noch zusätzlich etwas nachhelfen.“108

Jetzt ging alles sehr schnell. Am 25. Oktober 1950 schlug Dekan Moncorps in einem Schreiben an das Kultusministerium die Berufung Verschuers auf den Lehrstuhl für menschliche Erblehre vor. Verschuer sei „als Wissenschaftler weit über Deutschlands Grenzen bekannt“. „Der Wert seiner Forschung und die Bedeutung seiner Forschungsarbeit auf dem Gebiet der menschlichen Erblehre [sei] über alle Kritik erhaben. Auch als akademischer Lehrer [habe] er sich in den Jahren 1933–1942 vollauf bewährt.“ Der Dekan drängte indirekt zur Eile, in dem er darauf hinwies, es bestände Gefahr, dass von Verschuer auf den durch den plötzlichen Tod von Günther Just verwaisten Lehrstuhl für Anthropologie in Tübingen berufen würde.109

107 108

109

Vgl. Benzenhöfer/Oelschläger/Schulze/Šimu˚nek 2006, S. 26–33. Archiv Stiftung für Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts, Sammlung Erbbiologie/Humangenetik, Bennholdt-Thomsen an von Verschuer vom 21.6.1950. Ich verdanke diesen Hinweis Sheila Weiss. Die persönliche Referentin der Kultusministerin Teusch, Oberregierungsrätin Dr. Dr. Auburtin, war während des Krieges Mitarbeiterin von Berthold von Stauffenberg und Helmuth James von Moltke am Kaiser-Wilhelm-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht. Vgl. van Roon 1970, S. 20, Anm. 77, 78, S. 60. UAMs Bestand 51, F 2, Bd. 22, Dekan Medizinische Fakultät an Kultusministerium vom 25.10.1950.

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Diese Gefahr hat nachweislich nie bestanden.110 Der Kurator bat auf der Rückseite des Schreibens den Dekan um die Vorlage eines politischen Fragebogen sowie des Kategorisierungsbescheids von Verschuers. Mit Schreiben vom 14. November schickte von Verschuer den angeforderten politischen Fragebogen sowie Kopien seines Spruchkammerbescheides. Dazu bemerkte er, er habe keinen Einspruch gegen seine Einstufung als Mitläufer erhoben, da man ihm versichert habe, die erfolgte Einstufung sei ausreichend für die Fortsetzung seiner wissenschaftlichen Arbeit. Das habe sich später als unrichtig erwiesen. Im Gegensatz zur englischen Zone sei es in Frankfurt nicht möglich, einen Spruch für Gruppe IV anzufechten mit dem Ziel einer Umgruppierung in Gruppe V. Tatsache war aber, dass von Verschuer bis zur Einstellung des Verfahren im Mai 1950 eher Gefahr gelaufen war, in eine höher belastete Gruppe eingestuft zu werden. Als daraufhin das Kultusministerium den Dekan um die Übersendung des Lebenslaufs, Schriftenverzeichnis und der „politischen Daten“ von Verschuers bat, antwortete Moncorps entrüstet: „Bei Herrn Professor von Verschuer handelt es sich um einen weltbekannten Forscher, so daß ich Hemmungen habe, von ihm nochmals Lebenslauf und seine Arbeiten anzufordern. Ich möchte dazu bemerken, daß der Gelehrtenkalender erschöpfend Auskunft über die wissenschaftliche Tätigkeit des Herrn Professor von Verschuer geben kann. Ferner darf ich nochmals auf die Gefahr hinweisen, daß Herr Professor von Verschuer auf den freigewordenen Lehrstuhl in Tübingen berufen würde, wenn die Berufungsangelegenheit von Professor von Verschuer nach Münster nicht rasch zum Abschluss gebracht werden kann.“111

Wenig später konnte Moncorps von Verschuer mitteilen, das Kultusministerium habe auf das „unbillige Verlangen“ verzichtet.112 Inzwischen hatte von Verschuer aber die angeforderten Unterlagen schon verschickt, und Moncorps leitete diese an das Kultusministerium weiter, konnte es aber nicht unterlassen, noch einmal zu betonen, dass aus dem Lebenslauf und den Publikationen hervorgehe, dass von Verschuer „ein bedeutender Forscher mit internationalem Ruf“ sei und dass die Fakultät großen Wert auf von Verschuers Berufung nach Münster lege.113 Nachdem das Innenministerium und das Finanzministerium der Berufung zugestimmt hatten, fragte das Kultusministerium bei von Verschuer an, ob er bereit sei, einen Ruf nach Münster anzunehmen. Am 14. Februar 1951 schickte von Verschuer seine grundsätzliche Zusage.114 110

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Vgl. Kröner 1998, S. 150–173. Der Lehrstuhl blieb bis 1955 unbesetzt, da sich die Rückberufung des favorisierten Wilhelm Gieselers auf seinen alten Lehrstuhl wegen seiner politischen Belastung hinzog. UAMs Bestand 10, Nr. 3651, Dekan Medizinische Fakultät an Kultusministerium vom 2.12.1950. UAMs Bestand 51, F 2, Bd. 22, Dekan Medizinische Fakultät an von Verschuer vom 15.12.1950. Ebd., Dekan Medizinische Fakultät an Kultusministerium vom 18.12.1950. LAV NRW R, NW 172. Nr. 697, von Verschuer an Kultusministerium vom 14.2.1951. Offenbar hat es weder im Kultusministerium noch im Innen- oder Finanzministerium

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Eine Woche später fuhr er zu Berufungsverhandlungen nach Düsseldorf. Dort ließ er offenbar durchblicken, dass er eventuell sein altes Kaiser-Wilhelm-Institut in Münster wieder errichten könne und dass Prälat Schreiber seinen Einfluss für diesen Plan geltend machen solle. In den Berufungsvereinbarungen ließ er dann festschreiben, die Unterrichtsverwaltung solle sich dafür einsetzen, dass 60 Kisten Institutsmaterial aus Frankfurt nach Münster überführt werden könnten.115 In einem Schreiben an Kehrer, der offenbar immer noch die wichtigste Kontaktperson zu von Verschuer darstellte, präzisierte er das noch einmal: Er beabsichtige, das alte KaiserWilhelm-Institut für Anthropologie in Münster wieder zu errichten und benötige dazu als ersten Schritt die Überführung des von ihm „geretteten“ Institutsinventars nach Münster. Das Verfügungsrecht liege beim Präsidenten der Max-PlanckGesellschaft, Professor Hahn, der leider noch zögere, da Professor Muckermann die Überführung des Materials nach Dahlem beantragt habe. Wenn sich aber Prälat Schreiber für von Verschuer verwenden würde, dann zweifele er nicht, dass Hahn seine Zustimmung geben werde.116 Wie schon im Falle Muckermann sollten Schreibers alte Verbindungen zum Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie genutzt werden. Tatsächlich hatten nicht nur Muckermann, sondern auch von Verschuers ehemalige Kollegen Gottschaldt, Lenz und Nachtsheim Anspruch auf das von von Verschuer verlagerte Material erhoben, worüber es zu einem längeren Streit kam, der sich noch bis August 1952 hinzog.117 Mit Schreiben vom 23. Februar 1951 hatte sich auch die persönliche Referentin der Kultusministerin, Frau Dr. Dr. Angèle Auburtin, an Schreiber gewandt, seinen Einfluss bei der Max-Planck-Gesellschaft betont und darum gebeten, dass er sich bei der Max-Planck-Gesellschaft verwenden solle, dass das „der MPG gehörige Institut für Humangenetik“ [sic!] der Universität Münster überlassen werde. Schreiber antwortete am 3. April, er habe in diesem Sinne dem Präsidenten der Max-Planck-Gesellschaft geschrieben. Die konzertierten Bemühungen Schreibers, der Fakultät und des Kultusministeriums bewirkten immerhin, dass der Senat der Max-Planck-Gesellschaft am 6. April 1951 beschloss, von Verschuer das Material leihweise zu überlassen, bis der Senat „auf Grund einer von den Herren Muckermann, Nachtsheim und v. Verschuer einzufordernden Vereinbarung“ (Gottschaldt und Lenz hatten schon vorher verzichtet) über den endgültigen Verbleib beschließe.118 Im Mai traf das Material in Münster ein. Im weiteren Verlauf verzichteten sowohl Nachtsheim und zuletzt auch Muckermann auf

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Vorbehalte gegen die Berufung von Verschuers gegeben. Im internen Verkehr des Kultusministeriums beziehungsweise zwischen den Ministerien wurde die Formulierung Moncorps hinsichtlich der Bedeutung von Verschuers und der „Gefahr“, ihn nach Tübingen zu verlieren, wörtlich übernommen. Vgl. LAV NRW R, NW 172, Nr. 697, Vermerk an Frau Minister vom 11.12.1950; Kultusministerium an Innenministerium vom 20.12.1950. UAMs Bestand 10, Nr. 3651, Berufungsvereinbarung vom 22.2.1951, gez. Konrad (Ministerialrat), Otmar Freiherr von Verschuer. UAMs Bestand 51, F 2, Bd. 22, von Verschuer an Kehrer vom 26.2.1951. Vgl. Kröner 1998, S. 222–235. Ebd., S. 232.

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das Inventar, nicht ohne einen gewissen Druck von Seiten der Max-Planck-Gesellschaft, die sich auf diese Weise des „Problems von Verschuer“ entledigen wollte.119 Verschuers Pläne einer Neubegründung seines alten Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie waren nicht unbegründet, da sich die Kaiser-Wilhelm- beziehungsweise später die Max-Planck-Gesellschaft nicht eindeutig zu diesen Plänen verhielt.120 So konnte von Verschuer diese Karte sowohl bei seinen Berufungsplänen in Frankfurt und Tübingen als auch in Münster spielen. Ein Aktenvermerk des Kurators vom 12. April 1951 über eine Rücksprache mit von Verschuer über die Finanzierung des „Instituts für menschliche Erblehre“ hält fest: Als endgültige Lösung „wird in erster Linie die Einrichtung des Instituts als M.P.I. ins Auge gefasst“. Die Übernahme der laufenden Institutskosten durch die Max-Planck-Gesellschaft bedarf noch weiterer Verhandlungen, „die voraussichtlich frühestens Ostern 1953 perfekt werden“.121 Das Jahr 1953 bezog sich auf einen Antrag, den von Verschuer 1950 an die Max-Planck-Gesellschaft gestellt hatte und in dem er unter anderem beantragt hatte, dass die Gesellschaft ein Institut für Humangenetik unter seiner Leitung einrichte. Die Max-Planck-Gesellschaft hatte ihm darauf beschieden, das Projekt eines Max-Planck-Instituts für Humangenetik müsse solange zurückgestellt werden, bis über die Aufnahme der Dahlemer Institute in die Gesellschaft entschieden worden sei.122 Das sollte 1953 der Fall sein. Als die Dahlemer Institute schließlich in die Max-Planck-Gesellschaft aufgenommen wurden, teilte Präsident Hahn von Verschuer mit, dass die Einrichtung eines Instituts für Humangenetik von Seiten der Gesellschaft nicht in Erwägung gezogen werde.123 Damit wurde jetzt auch offen ausgesprochen, was schon länger die Absicht der Kaiser-Wilhelm-/MaxPlanck-Gesellschaft gewesen war, aus taktischen Gründen aber immer verschwiegen wurde: Verschuer sollte spätesten nach der Offenlegung seiner Verbindung zu Auschwitz und Mengele keine Positionen mehr in der Max-Planck-Gesellschaft einnehmen noch sollte die Tradition eines Kaiser-Wilhelm-/Max-Planck-Instituts für Anthropologie fortgeführt werden. Um aber von Verschuers Berufungschancen im universitären Bereich zu erhöhen – was wiederum die Max-Planck-Gesellschaft von ihrer Fürsorgepflicht von Verschuer gegenüber entbinden würde – ließ man ihn und seine universitären Verhandlungspartner in dem Glauben, ein solches Institut könne unter von Verschuers Leitung etabliert werden. Mit Urkunde vom 17. März 1951 wurde von Verschuer zum ordentlichen Professor im Beamtenverhältnis auf Lebenszeit berufen124 und am 1. April 1950 wurde ihm die Stelle eines ordentlichen Professors der Medizinischen Fakultät Münster verliehen mit der Verpflich119 120 121 122 123 124

Ebd., S. 235. Ebd., S. 174–183. UAMs Bestand 10, Nr. 3651, Aktenvermerk des Kurators über Rücksprache mit von Verschuer am 12.4.1951. Kröner 1998, S. 182. Ebd., S. 182. UAMs Bestand, 10, Nr. 3651, Berufungsurkunde von Verschuer durch den Ministerpräsidenten [Arnold] und die Kultusministerin [Teusch] vom 17.3.1951.

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tung, das Lehramt menschliche Erblehre in Vorlesungen und Übungen angemessen wahrzunehmen.125

Fazit und Ausblick Lässt man die Geschichte dieses Lehrstuhl und seiner Besetzungsversuche noch einmal Revue passieren, so stellt sich diese als eine Gemengelage dar, die von lokalen Faktoren wie Religion oder Marginalität, von Professionalisierungsgründen, von zeitbedingten Faktoren wie sie typisch für den „Schwellenraum“ 1945/46 waren, von spezifischen Forschungsinteressen sowie von dem Zusammenspiel verschiedener kollegialer Netzwerke geprägt waren. Zeugt der Versuch, Fritz Lenz schon 1945 in Münster zu reetablieren, von einem ungeheuren Mangel an Sensibilität für seine Rolle und die seines Faches (und damit für viele Kollegen auch für die eigene Rolle) im Nationalsozialismus, so ist er auch das Ergebnis einer ersten Nutzung von Netzwerken, die sich teilweise überschnitten und ihre Tätigkeit bis in die 1960er-Jahre fortsetzen konnten. Neben familiär bedingten Beziehungen, die Lenz vor allem einen guten Kontakt zu den Besatzungsbehörden vermittelten, konnte Lenz als erster auf ein Netz zurückgreifen, das ich als „KWI-Netz“ bezeichnen würde. Die zentrale Rolle, die das Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie in der Bevölkerungspolitik des „Dritten Reiches“ spielte, als Beratungsinstitution, als Dienstleister und nicht zuletzt als Ausbilder, hatte dazu geführt, dass seine Direktoren und Abteilungsleiter Kontakte zu den „upper corridors“ sowohl der Medizinalbürokratie des Innenministeriums, der medizinischen und rassenbiologischen Parteiinstitutionen und der SS erhielten. Seine wissenschaftliche Bedeutung spiegelte sich sowohl in seiner internationalen Anerkennung, in seinem Ruf bei hereditär interessierten Medizinern aller Fachdisziplinen, wie sie vor allem in der „Gesellschaft für Konstitutionsforschung“ versammelt waren, und nicht zuletzt in einem hohen Durchlauf an wissenschaftlichen Assistenten, die sich auch nach 1945 ihrem Institut verbunden fühlten. Von Verschuer hat gewiss bei seiner Berufung von diesem Netz Gebrauch gemacht. Hinzu kommt die schon erwähnte „Prag-Connection“ sowie ein Netzwerk, das ich als „kirchliches Netzwerk“ bezeichnen möchte und das über die Konfessionsgrenzen funktioniert. Dieses Netzwerk, das sich in den Personen kirchlich orientierter Eugeniker wie Muckermann oder Eugen Fischer von katholischer Seite oder von Verschuer und Hans Harmsen von evangelischer Seite mit dem „KWI-Netzwerk“ überschneidet, ermöglichte dem Katholiken Schreiber, sich für den Protestanten von Verschuer einzusetzen und dem evangelischen Kehrer, sich für Muckermann zu verwenden. Auch der katholische Jötten setzte sich für den Haupteugenikaktivisten der „Inneren Mission“ Hans Harmsen ein, der sich bei Jöt125

Ebd., Kultusministerium an von Verschuer durch den Rektor vom 11.4.1951.

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ten 1949 für die freundliche Initiative bedankte, dank derer seine Berufung in die Akademie für Städtebau und Landesplanung erfolgt sei.126 Der Berufungsversuch Muckermanns muss als ein Schachzug, als eine Art Gambit angesehen werden, das den Weg für die Berufung von Verschuers freimachen sollte. Nach seiner Berufung in Münster wurde von Verschuer selber zur zentralen Figur des „KWI-Netzwerkes“. Eine Reihe ehemaliger Instituts-Mitglieder wie Gerhard Koch, Kurt Gerhard oder Heinrich Schade verdanken ihre Nachkriegskarrieren nicht zuletzt von Verschuer. Andere konnte er für seine Zwecke nützen wie etwa Lothar Loeffler, dessen Einfluss bei der Deutschen Atomkommission entscheidend war für die großzügige Förderung des Münsterschen Instituts durch das Atomministerium.127 Das „KWI-Netz“ wurde schließlich von von Verschuer ausgeweitet auf alle, die aufgrund ihrer erb- oder rassenbiologischen Tätigkeit im „Dritten Reich“ als politisch belastet galten. Schon 1953 promovierte er einen der Hauptangeklagten beim Nürnberger Ärzteprozess, den Chef des persönlichen Stabs beim Reicharzt SS Helmut Poppendick, der 1947 wegen Mitgliedschaft in einer verbrecherischen Organisation zu zehn Jahren Haft verurteilt worden war. Die Promotion des 1952 vorzeitig aus der Haft entlassenen Poppendicks war auch Teil eines Versuchs, ihm eine neue Identität zu verschaffen. In seinem handschriftlichen Lebenslauf gibt Poppendick an, er sei 1945 in Kriegsgefangenschaft geraten, aus der er am 8. Februar 1952 entlassen worden sei.128 Auch für die Rückberufung des ehemaligen SS-Hauptsturmführers Wilhelm Gieseler auf seinen alten, nach dem Tod Justs wieder vakanten Lehrstuhl für Anthropologie in Tübingen machte sich von Verschuer stark und konnte es dabei nicht unterlassen, eine Invektive gegen den von den Nationalsozialisten entlassenen Anthropologen Karl Saller zu fahren. Nach seinem „geistigen Gehalt“, so von Verschuer, könne ein von Saller geleitetes Institut sich nicht mit einem von Gieseler geleiteten messen.129 Schließlich wurden auch die Pläne einer Unterbringung des SS-Hauptsturmführers Michael Hesch und des SS-Standartenführers Bruno Karl Schultz nach § 131 Grundgesetz als Emeriti an der Universität Münster von von Verschuer unterstützt. Die beiden Anthropologen waren Mitglieder, Schultz sogar Gründungsmitglied und Abteilungslei126

127 128 129

UAMs, Bestand 51, E 25, Bd. 1, Harmsen an Jötten vom 11.3.1949. Auch der nominal protestantische aber eher agnostische Fritz Lenz berief sich in seinem Schreiben an den Oberpräsidenten in Westfalen sowie in seinem politischen Fragebogen für die Besatzungsbehörden auf seine christlichen Wurzeln und seinen Beitrag zu einer „christlichen“ Eugenik. Als Beleg gab er unter anderem sein Vorwort für das Buch „Erbpflege und Christentum. Fragen der Sterilisation, Aufnordung, Euthanasie, Ehe“ (Klotz: Leipzig 1940) des antisemitischen Theologen Wolfgang Stroothenke an, der Mitarbeiter des „Instituts zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“ der „Deutschen Christen“ war. Vgl. Kröner 1997. UAMs, Bestand 55, Nr. 1548 vom 18.2.1953, Helmut Poppendiek [sic!], geb. 6.1.1902. Wir verdanken diesen Hinweis Paul Weindling. Vgl. Kröner 1998, S. 156.

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ter, des Rasse- und Siedlungshauptamt der SS und tief in die Umvolkungs- und Vernichtungspläne im besetzten Osteuropa involviert. Beide gehörten der „PragConnection“ an, Schultz zuletzt als Direktor des Instituts für Rassenbiologie an der Karls-Universität Prag. Während im Fall Hesch das Unternehmen scheiterte, wurde Schultz nach langem Vorlauf 1961 zum entpflichteten ordentlichen Professor an der Medizinischen Fakultät der Universität Münster ernannt.130 Von Verschuer zog die Trennlinie bei offenkundigen Ideologen, die nicht die akademischen Weihen eines Anthropologie-, Biologie- oder Medizinstudiums genossen hatten. Ein solcher Fall war zum Beispiel Hans F. K. Günther, der sich nach Meinung der meisten Erb- und Rassenforscher als Philologe, der er von Herkunft war, auf ein Feld gewagt hatte, für das er nicht qualifiziert war. Günther, bekannt im „Dritten Reich“ als „Rassen-Günther“, hatte diverse Bücher zur Rassenkunde und Rassengeschichte publiziert und war 1930 vom nationalsozialistischen Staatsminister Wilhelm Frick der Thüringer Koalitionsregierung gegen den Widerstand der Universität Jena auf einen eigens für ihn eingerichteten Lehrstuhl für Sozialanthropologie berufen worden. Das hatte großen Unmut in Kreisen der akademisch etablierten Erb- und Rassenforscher hervorgerufen. Kurz nach seiner Berufung in Münster erhielt von Verschuer eine Anfrage des Lehmann-Verlags, der sich in der Weimarer Republik und im „Dritten Reich“ unter anderem durch die Herausgabe völkischer, rechtslastiger und rassenkundiger Schriften hervorgetan hatte, ob er bereit sei, Günthers neues Buch „Gattenwahl, Wege zu ehelichem Glück und erblicher Ertüchtigung“ für die „Münchener Medizinische Wochenschrift“ zu rezensieren. Die Anfrage war pikanterweise unterzeichnet von Bruno K. Schultz, der zu diesem Zeitpunkt Schriftleiter beim Lehmann-Verlag war. Von Verschuer nahm den Auftrag an, antwortete aber mit einem Verriss, der in der Aussage mündete, das Buch wäre besser nicht geschrieben worden, da es heute vorzügliche Ehebücher von ausgewiesenen Experten gebe. Der Lehmann-Verlag bedankte sich für die Rezension, bedauerte aber, dass er sie nicht verwenden könne, da er schon eine andere Rezension erhalten habe, die sich bereits im Satz befinde. Es folgten noch weitere Auseinandersetzungen zwischen von Verschuer und dem Lehmann-Verlag, die darin gipfelten, dass der Lehmann-Verlag auf von Verschuers Mitarbeit als Rezensent für das Fachgebiet „Humangenetik“ der Münchener Medizinische Wochenschrift verzichtete und von Verschuer sein Abonnement der Wochenschrift kündigte. Damit hätte man die Sache auf sich beruhen lassen können, aber von Verschuer schickte den ganzen Briefwechsel an den Dekan Fritz Schellong mit der Bitte, diesen in der Fakultät in Umlauf zu geben, „da es sich dabei um eine grundsätzliche Frage handelt – das Wiederaufleben der Güntherschen Rassenideologie, in einem pseudowissenschaftlichen Gewand geboten“.131 Von Verschuer hat nie reflektiert, wel130 131

Zu Hesch und Schultz vgl. ausführlich Droste 2011, S. 358–384, sowie den Beitrag von Droste in diesem Band. UAMs, Bestand 52, Nr. 357, von Verschuer an Dekan Medizinische Fakultät vom 25.1.1952.

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chen Anteil er selber an der nationalsozialistischen Rassenideologie hatte. Durch seine „wissenschaftliche“ Legitimierung der Stigmatisierung, Ausgrenzung und damit letztlich auch der Vernichtung „erbbiologisch“ oder „rassenkundlich“ definierter Minderheiten und auch durch praktische Teilnahme an der Durchführung entsprechender erbbiologischer und rassenkundliche Maßnahmen hat er mit einem verbrecherischen System kooperiert und die Akzeptanz der menschenfeindlichen NS-Ideologie in akademischen Kreisen und international befördert. Weder die Fakultät noch die Universität haben jemals Anstoß an von Verschuers Vergangenheit genommen. Hinweise von dritter Seite auf von Verschuers Rolle in „Dritten Reich“ wurden von der Universität oder dem Kultusministerium entweder heruntergespielt oder mit Nichtbefassung gestraft.132 Von Verschuers eigene Worte, die er als „Mahnung“ an die Berufungskommission „Gieseler“ in Tübingen schickte, geben vielleicht am besten die Atmosphäre wieder, die in den 1950erJahren an der Fakultät und wohl auch der Universität herrschte: „Solange es noch Fakultäten an deutschen Universitäten gibt“, belehrte von Verschuer den Kommissionsvorsitzenden, „die gegenüber dem Grundsatz der ausschlaggebenden wissenschaftlichen Qualifikation bei Berufungen gegenüber irgendwelchen politischen Einflüssen nachgeben, ist die Freiheit der Wissenschaft gefährdet und damit etwas krank an unserer Lebensgrundlage, was sich auf Dauer verhängnisvoll auswirken muss. Ich fühle mich deshalb hier in Münster ganz besonders wohl, weil die Fakultät alle ihre Leute wieder zurückgeholt hat, keinen Lehrstuhl vorher anderweitig besetzte und nicht über politische Zwirnsfäden gestolpert ist. Es ist wirklich wohltuend, solch’ einer Fakultät anzugehören, die trotz aller persönlichen und sachlichen Verschiedenheiten von einer seltenen Einmütigkeit ist und in politisch schwierigen Situationen Charakter bewiesen hat.“133

Von Verschuer wurde am 30. September 1964 emeritiert. Am 8. August 1969 starb er an den Folgen eines Autounfalls. In seinem Nekrolog führte der Rektor aus: „Er hat sich stets für die praktische Anwendung humangenetischer Kenntnisse im Sinne einer human motivierten Eugenik eingesetzt.“134 132

133 134

UAMs, Bestand 5, Nr. 372, Bd. 1, Anonymus an Rektor vom 20.7.1960; UAMs, Bestand 5, Nr. 372, Bd. 2, Vermerk der Pressestelle vom 27.8.1969 über Beschwerde einer Herrn B. über den Nachruf zu von Verschuer. Vgl. auch LAV NRW R, NW 172. Nr. 697, Zeitungsausschnitt aus „Die Tat“ vom 2.11.1960 „NS-Rassenhygieniker Verschuer lehrt in Münster“. In einer Stellungnahme zu dieser „Pressedenunziation“ [sic] des Staatssekretärs für den Ministerpräsidenten wiederholt dieser die Elogen Moncorps und verweist auf die großen Drittmittel, die von Verschuer seitens der Deutschen Forschungsgemeinschaft und des Atomministeriums eingeworben habe. Das Schreiben trägt den handschriftlichen Vermerk, dass nach Rücksprache mit dem persönlichen Referenten gemäß Weisung des Ministerpräsidenten zurzeit nichts zu veranlassen sei. LAV NRW R, NW 172, Nr. 697, Herrn Ministerpräsidenten durch die Hand des Herrn Staatssekretärs vom 28.11.1960. Universitätsarchiv Tübingen, Bestand 205, Nr. 131, von Verschuer an Schwarz vom 29.2.1952. UAMs, Bestand 10, Nr. 3651, Nekrolog des Rektors anlässlich des Todes von von Verschuer.

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Literatur Ash, Mitchell G., Wissenschaft und Politik als Ressourcen für einander, in: vom Bruch, Rüdiger/ Kaderas, Brigitte (Hg.), Wissenschaft und Wissenschaftspolitik. Bestandsaufnahmen zu Formationen, Brüchen und Kontinuitäten im Deutschland des 20. Jahrhunderts, Stuttgart 2002, S. 32–51. Benzenhöfer, Udo/Oelschläger, Thomas/Schulze, Dietmar/Šimu˚nek, Michal, „Kindereuthanasie“ und „Jugendlicheneuthanasie“ im Reichsgau Sudetenland und im Protektorat Böhmen und Mähren (Studien zur Geschichte der Medizin im Nationalsozialismus 5), Wetzlar 2006. Droste, Daniel, Die biologischen Institute der Universität Münster 1922–1962, Diss. phil. Münster 2011. Klee, Ernst/Dreßen, Willi/Rieß, Volker, „Schöne Zeiten“. Judenmord aus der Sicht der Täter und Gaffer, Frankfurt a. M. 1988. Kröner, Hans-Peter, Förderung der Genetik und Humangenetik in der Bundesrepublik durch das Ministerium für Atomfragen in den fünfziger Jahren, in: Weisemann, Karin/Kröner, Hans-Peter/Toellner, Richard (Hg.), Wissenschaft und Politik. Humangenetik in der DDR (1949–1989) (Naturwissenschaft – Philosophie – Geschichte 1), Münster 1997, S. 69–82. Kröner, Hans-Peter, Von der Rassenhygiene zur Humangenetik, Das Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik nach dem Kriege (Medizin in Geschichte und Kultur 20), Stuttgart, Jena, Lübeck, Ulm 1998. Lenz, Fritz, Zur Sterilisierungsfrage, in: Klinische Wochenschrift 13 (1934), S. 294– 295. Mazumdar, Pauline, Eugenics, Human Genetics and Human Failings. The Eugenics Society, its Sources and its Critics in Britain, London, New York 1992. Pátek, Philipp, Die Entwicklung der Anatomie in Düsseldorf. Von der Akademie für praktische Medizin zur Universität Düsseldorf, Med. Diss. Düsseldorf 2010. Paul, Rainer, Psychologie unter den Bedingungen der „Kulturwende“. Das Psychologische Institut 1933–1945, in: Becker, Heinrich/Dahms, Hans-Joachim/ Wegeler, Cornelia (Hg.), Die Universität Göttingen unter dem Nationalsozialismus. Das verdrängte Kapitel ihrer 250jährigen Geschichte, München 1987. Respondek, Peter, Besatzung – Entnazifizierung – Wiederaufbau. Die Universität Münster 1945–1952. Ein Beitrag zur Geschichte der deutsch-britischen Beziehungen nach dem Zweiten Weltkrieg auf dem Bildungssektor (Agenda Geschichte 6), Münster 1995. Rothschuh, Karl E., Kleine Geschichte der Medizinischen Fakultät der Universität Münster Westf., Münster 1957. Schmuhl, Hans-Walter, Grenzüberschreitungen. Das Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik 1927–1945 (Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus 9), Göttingen 2005.

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Schwerin, Alexander von, Experimentalisierung des Menschen. Der Genetiker Hans Nachtsheim und die vergleichende Erbpathologie, 1929–1945, Göttingen 2004. Sczibilanski, Klaus, Von der Prüfungs- und Vorprüfungsordnung (1883) bis zur Approbationsordnung 1970 für Ärzte der Bundesrepublik Deutschland. Die Entwicklung der medizinischen Prüfungsordnungen, dargestellt an Aufsätzen aus der deutschen ärztlichen Standespresse, Med. Diss. Münster 1977. van den Bussche, Hendrik, Im Dienste der „Volksgemeinschaft“. Studienreform im Nationalsozialismus am Beispiel der ärztlichen Ausbildung (Hamburger Beiträge zur Wissenschaftsgeschichte 4), Hamburg 1989. van Roon, Ger, Graf Moltke als Völkerrechtler im OKW, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 18 (1970), S. 12–61. Weiss, Sheila Faith, The Nazis Symbiosis. Human Genetics and Politics in the Third Reich, Chicago London 2010.

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Zwischen Sozialmedizin und Kriminalbiologie Heinrich Többen und das Institut für gerichtliche und soziale Medizin in Münster

„In nimmermüder Arbeit war er bestrebt, die Wurzeln der mannigfaltigen Störungen der sozialen Ordnungen durch bestimmte Menschen und Menschengruppen wissenschaftlich zu erforschen und aus lebensnaher psychologischer Erfassung heraus zu ihrer Behebung und Verhütung beizutragen. […] Wer nun hätte meinen wollen, daß die nimmermüde Beschäftigung mit den Niederungen und Nachtgebiete menschlichen Tuns und Treibens in ihm eine pessimistische Grundhaltung erzeugt hätte, würde sich sehr getäuscht haben. Denn das Forschen nach den Wurzeln dieser sozialen Übel war ihm stets nur Voraussetzung für das ethische Ziel ihrer Besserung und Verhütung, also für ein letztlich ärztliches Ziel.“1

Die Entwicklung eines Gerichtsmediziners, „der sich bis in die 1920er Jahre auf sozialpolitische Lösungsansätze konzentrierte“ und sich für die Wiedereingliederung straffällig gewordener Jugendlicher in die Gesellschaft einsetzte, hin zu einem Befürworter negativ-eugenischer und rassenhygienischer Maßnahmen spiegelt sich in der Person Heinrich Többen wider.2 Dieser sowohl für den sozial- als auch für den gerichtsmedizinischen und kriminalbiologischen Diskurs wichtige Wissenschaftler war bisher kaum Gegenstand der (medizin-)historischen Forschung, obwohl sein Werk weit über die Grenzen der Universitätsstadt Münster rezipiert wurde.3 Eine biographische Annäherung4 an diesen einflussreichen Vertreter seines Fachs, der als Ordinarius für gerichtliche und soziale Medizin an der Universität Münster, Leiter der kriminalbiologischen Untersuchungs- und Sammelstelle am städtischen Gefängnis, ebenfalls dort angestellter Arzt der „Irrenabteilung“ und psychiatrischer Gutachter in außeruniversitären Einrichtungen tätig war, schließt dementsprechend eine Lücke in der Forschung. Ziel dieses Beitrages ist es, sowohl eine Rekonstruktion von Többens akademischem Lebenslauf und seiner umfangreichen praktischen Tätigkeiten als auch die Skizzierung seiner Forschungen und das daran anknüpfende Verhältnis zum Nationalsozialismus zu liefern. Die Entwicklung Többens vom sozialmedizinisch 1 2 3 4

Gedenkworte Prof. Kehrers, in: Trauerfeier 1951. Vgl. Herber 2002, S. 240. Zur Geschichte der Gerichtsmedizin Münsters: Siegel 1966, Sieverding 1964, Dicke 2004; exemplarisch auch: Herber 1989, S. 101f., S. 240–243. Für einen biographischen Zugang vgl. Etzemüller 2003, S. 86f.

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geprägten zu einem sich zunehmend mit kriminalbiologischen Thesen auseinandersetzenden Gerichtsmediziner bildet den Kern dieses Beitrages. Nicht nur im Bereich der wissenschaftlichen Publikationen, in denen sich Többen vom Umweltzum Anlagedenker wandelte, ist mit dem Jahr 1933 eine Annäherung an das NSSystem zu erkennen, sondern auch bei der direkten Mitarbeit in Gerichten durch gutachterliche Tätigkeiten und der erbbiologischen Bestandsaufnahme bei der kriminalbiologischen Untersuchungs- und Sammelstelle. Trotz dieses – möglicherweise – karrierestrategischen „Kurswechsels“ bekam Többen in den späten 1930er- und frühen 1940er-Jahren Probleme mit dem nationalsozialistischen Machtapparat.

Katholisches Milieu und Karriere-Krise im Nationalsozialismus Heinrich Többen,5 der 1924 zum Direktor des Instituts für gerichtliche und soziale Medizin in Münster ernannt wurde und dieses bis zu seiner Emeritierung am 1. Oktober 1946 leitete, stammte aus dem im Emsland gelegenen kleinen Ort Haselünne. Dem Zentrum nahe stehend pflegte er auch in den Jahren nach 1933 seine Kontakte zur katholischen Geistlichkeit. Deutschlandweit war er einer der wenigen Lehrstuhlinhaber in der gerichtlichen Medizin, der nachweislich der NSDAP nicht beigetreten war.6 Als einer der bis 1890 geborenen Fachvertreter neben Hermann Merkel, Hans Molitoris und Karl Reuter und anderen hatte Többen die Zeit des Nationalsozialismus noch in seinen letzten Amtsjahren miterlebt und zählte nicht zu jenem Ende der 1920er- und Anfang der 1930er-Jahre charakteristischen Gene5

6

Geboren am 17.2.1880 in Haselünne, Staatsexamen und Promotion 1903 in Halle, 1.10.1904 bis 30.9.1905 Volontärarzt bei der Provinzialheilanstalt Göttingen, 1.10.1905 bis 30.9.1907 Assistenzarzt an der Provinzial-Heil-Pflegeanstalt in Münster, 16.6.1908 Ernennung zum nebenamtlichen Lehrbeauftragten der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Münster für gerichtliche Psychiatrie und Medizin, seit dem 1.6.1908 Anstaltsarzt des Zuchthauses Münster, im Ersten Weltkrieg Leiter des Lazarettes für Nervenverletzungen und -krankheiten in Münster, danach praktizierender Nervenarzt in Münster, 1.10.1924 bis 30.9.1946 ordentlicher Professor an der Westfälischen Wilhelms-Universität, gestorben am 11.7.1951 in Münster. Vgl. Nachweis zur Anweisung der Versorgungsbezüge für den Prof. Többen vom 14.2.1952, UAMs, Bestand 10, Nr. 3649, Bd. II; Persönliches Schreiben Többens vom 14.1.1948 an den Dekan der Medizinischen Fakultät, UAMs, Bestand 52, Nr. 33; Sterbeurkunde Standesamt Münster Nr. 965/1951, UAMs, Bestand 10, Nr. 3649, Bd. 2; Schreiben des Preußischen Ministers vom 31.5.1926 an den ordentlichen Professor Többen in Münster, LAV NRW W, GSA Hamm, Nr. 1796. Többen war ausgebildeter Psychiater und Neurologe, vgl. Kersting 1996, S. 208. Schreiben Gottfried Raestrups vom 21.7.1946 an den Dekan der Medizinischen Fakultät der Universität Münster, UAMs, Bestand 51, F 2, Bd. 10. Die Professoren Merkel aus München und Molitoris aus Erlangen, die ebenfalls keine NSDAP Mitglieder waren, befanden sich zu diesem Zeitpunkt schon im Ruhestand. Der andere Gerichtsmediziner war Gottfried Raestrup aus Leipzig, der nachweislich kein NSDAP Mitglied gewesen ist, vgl. Herber 2002, S. 183.

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rationswechsel, wie er durch Personen wie Friedrich Pietrusky, Berthold Mueller oder Gerhard Schrader vollzogen wurde, die durchweg 15 bis 20 Jahre jünger waren.7 Többen gehörte dem rechten Flügel der Zentrumspartei an.8 Die gesamte Partei bestand aus einem dichten Netzwerk in Form eines „aufgefächerten katholischen Vereinswesens“, zumeist unter geistlicher Führung.9 Gerade die Nähe zum katholischen Milieu und der enge Kontakt zu Münsters führenden Geistlichen führte mehrfach zu Konfrontationen mit den Nationalsozialisten. Hierbei lassen sich grob zwei Phasen ausmachen.10 Am 28. Januar 1939 wurde Többen aufgrund eines angeblichen Verdachts wegen Bestechung und Betrug erstmals aus dem Amt gedrängt. „Das Verhalten Prof. Többen‘s erscheint jedoch noch in weiterer Hinsicht befremdend“, so der Wortlaut eines Schreibens des Universitätsrates.11 Auch Generalstaatsanwalt Hans Semler in Hamm erkundigte sich nun, ob Többen seiner Tätigkeiten am Zuchthaus enthoben werden sollte.12 Er habe sich der „Achtung“ und des „Vertrauens“, die seinem Berufe entspräche, „unwürdig erwiesen“.13 Seine fehlende Parteizugehörigkeit wurde ihm hier zum Problem.14 Weltanschaulich sei das ehemalige Zentrumsmitglied nicht mehr geeignet, das Professorenamt auszuüben. Auch ein Gesinnungsschreiben des Generalleutnant a. D. Oskar Freiherr von Watter über Többens Charakter konnte vorerst keine Wirkung erzielen.15 Von Watter war von Többens Gesinnung derart überzeugt, dass er ihm anbot, gegenüber Parteidienststellen für ihn zu bürgen. Trotz solcher Protektion war Többens Karriere zunehmend in Gefahr, er stehe der nationalsozialistischen Weltanschauung 7 8

9 10

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15

Vgl. Herber 2002, S. 149. Vgl. Schreiben Többens an den Dekan der Medizinischen Fakultät vom 14.1.1948, UAMs, Bestand 52, Nr. 33; zur Organisation der Zentrumspartei in Münster: Kaufmann 1984, S. 115–129. Ritter 1985, S. 51; vgl. Loth 1984, Kaufmann 2001. Vgl. Schreiben Többens an den Dekan der Medizinischen Fakultät Münster vom 14.1.1948, UAMs, Bestand 52, Nr. 33: „Schon von meiner Jugend her bin ich dem Bischof Berning von Osnabrück nahegetreten und habe später u.a. den Erzbischof Poggenburg auf das genaueste kennengelernt.“ Auch über Többens Beziehungen zu Clemens von Galen sowie Adolf Donders und Joseph Mausbach wurde in diesem Schreiben berichtet. Schreiben des Universitätsrates vom 5.12.1938, betr. Professor Többen an den Universitätskurator, UAMs, Bestand 10, Nr. 3649, Bd. 1. Allein der Verdacht pflichtwidriger Handlungen konnte also schon erheblichen Einfluss auf Többens andere Tätigkeiten haben. Vgl. Schreiben des Generalstaatsanwalt in Hamm vom 9.2.1939 an den Rektor der Universität Münster, UAMs, Bestand 10, Nr. 3649, Bd. 1. Der Bescheid stammt aus oberster Instanz. Vgl. Schreiben des REM vom 28.1.1939 an den Universitätskurator, ebd. Vgl. Schreiben des Universitätskurators vom 3.2.1939 an den REM, ebd.: „Professor Többen ist, wie ich bisher für den Wohnsitz zuständigen Ortsgruppe der NSDAP festgestellt habe keine Parteimitglied [sic!].“ Während der Ruhrkämpfe verbrachte er viele Abende mit General von Watter. Vgl. Datenbogen zur Person Többen, ebd.

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gefühls- und verstandesmäßig fremd gegenüber.16 Erst durch einen Gnadenerlass Hitlers vom 11. Juli 1939 und der Einstellung des Verfahrens am 19. März 1940, die „unter Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beschuldigten“ erfolgte, obwohl klare Verstöße gegen das Dienststrafrecht vorlagen,17 konnte Többen sein Amt wieder ausüben. Für die Universitätsspitze schien er nicht mehr tragbar. Rektor Walter Mevius beschrieb Többens Verhalten in diesem Kontext als „äußerst unwürdig für einen Universitätsprofessor“.18 Er sei keine Persönlichkeit, die sich „entweder als Forscher oder als nationalsozialistischer Vorkämpfer besonders ausgezeichnet“ hätte, so Mevius. Er habe es nur seinen Beziehungen zum Zentrum zu verdanken, dass ihm die Universität Münster die neu errichtete Professur übertragen hatte, obwohl er keine ausreichende Vorbildung besessen hätte.19 Die Jahre 1939 und 1940 waren darüber hinaus geprägt durch weitere Anschuldigungen, Vorwürfe und Denunziationen, darunter unter anderem Versuche mit Tuberkelbazillen an Zuchthausgefangenen vorgenommen zu haben.20 Auch in seiner Tätigkeit als Sachgutachter für diverse Gerichte wurde Többen des Amtsmissbrauchs beschuldigt.21 Nur für kurze Zeit konnte Többen sein Amt wieder problemlos ausführen, die Gauleitung hatte ihn ins Visier genommen. Am Ende des Jahres 1941 wurden erneut Informationen bezüglich seiner politischen Gesinnung eingeholt, was dazu führte, dass ihm 1942 die Leitung der kriminalbiologischen Sammelstelle entzogen wurde. Die fehlende Parteizugehörigkeit trug hier maßgeblich dazu bei.22 Seine Mitgliedschaften beschränkten sich auf diverse nationale und der NSDAP angeschlossene 16 17

18 19 20

21 22

Schreiben des Reichministers und Chefs der Reichskanzlei vom 12.7.1938 an unbekannt, UAMs, Bestand 10, Nr. 3649, Bd. 2. Schreiben des REM vom 9.6.1938 an den Universitätskurator in Münster, UAMs, Bestand 10, Nr. 3649, Bd. 1; Schreiben des Reichsführers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 28.1.1939, ebd.; vgl. Schreiben des REM vom 19.3.1940 an den Kurator der Westfälischen Wilhelms-Universität, UAMs, Bestand 10, Nr. 3649, Bd. 2. Többen soll eine Person zur Bespitzelung eines Patienten in eine Münstersche Klinik eingeschleust haben, um bei einer Versicherung auf Schadensersatz zu klagen. Ihm wurde Bestechung und Betrug vorgeworfen. Vgl. Stellungnahme des Rektors der Universität Münster vom 28.6.1940 zum Schreiben Többens vom 26.6.1940, UAMs, Bestand 10, Nr. 3649, Bd. 2. Ebd. Vgl. Siegel 1966, S. 51–57. Többen stritt diese Vorwürfe ab. Siehe Antwortschreiben Többens vom 5.9.1939 an den Generalstaatsanwalt in Hamm, LAV NRW W, GSA Hamm, Nr. 1796. Schreiben des Generalstaatsanwalts vom 21.11.1940 an den Reichsminister der Justiz, LAV NRW W, GSA Hamm, Nr. 1796, Bl. 195. Im Zuge des Dienststrafverfahrens gegen ihn wurde eine Beurteilung seiner politischen Einstellung gefordert. vgl. Herber 1989, S. 346, Dicke 2004, S. 89. Im Februar 1942 vermerkte der Kurator der Universität Münster, dass gegen die Weiterbelassung des Universitätsprofessors Többen im Amt als Hochschullehrer schwerste Bedenken zu erheben seien und man zu seiner Emeritierung rate, Vermerk des Kurators vom Februar 1942, UAMs, Bestand 10, Nr. 3649, Bd. 2.

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Verbände.23 Seinerzeit sei Többen auf Drängen der Zentrumspartei nach Münster gekommen und stehe heute noch gegen die Bewegung, sei konfessionell äußert stark gebunden und verkehre sehr viel mit der katholischen Geistlichkeit. Trotz der genannten Mitgliedschaften in diversen nationalen Verbänden könne unter den gegebenen Umständen nur von einer „zweckbedingten Zugehörigkeit“ ausgegangen werden, die mit seiner „inneren Gesinnung nichts zu tun“ habe. Többen habe noch in keiner Weise den Beweis dafür erbracht, dass er jederzeit bereit sei, rückhaltlos für den nationalsozialistischen Staat einzutreten.24 Im Juli 1942 schließlich untersagte Universitätskurator Curt Beyer Többen wegen fehlender weltanschaulicher Eignung Vorträge auf Lehrgängen für zukünftige Staatsanwälte zu halten,25 zumal auch der schlechter werdende Gesundheitszustand eine Weiterarbeit unmöglich zu machen schien.26 Többens vermeintliche Distanz zum Nationalsozialismus wurde ihm nach dem Krieg bestätigt: Er habe „bekanntermassen [sic!] nicht auf dem Boden des Nationalsozialismus gestanden.“27 Zudem habe er sich nicht in der Erfüllung religiöser und kirchlicher Pflichten behindern lassen und damit Missfallen erregt. Er sei „durch seine politische Einstellung in der nationalsozialistischen Zeit zurückgesetzt worden.“28 In den Jahren bis 1942 mehrten sich die Probleme mit den Nationalsozialisten, sodass er schließlich seine privatärztlichen Dienste nicht mehr ausführen durfte. Többens Probleme mit dem nationalsozialistischen Regime entziehen sich einer eindeutigen Einordnung, da sich in seinen Publikationen an vielen Stellen affirmative Kommentare zum Nationalsozialismus finden. 23

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Hierzu zählten der NSDFB, die SA Reserve, FM der SS, DLV sowie NSDLB. Neben den genannten Verbänden gehörte er dem Nationalsozialistischen Fliegerkorps, dem Reichsbund der Deutschen Beamten, der Nationalsozialistischen Kulturgemeinde, der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt und dem Volksbund des Deutschtums im Ausland an. Siehe Personalbogen Heinrich Többen, UAMs, Bestand 10, Nr. 3649, Bd. 1. Vgl. vertraulicher Aktenvermerk des Kurators der Universität Münster vom 9.2.1942, UAMs, Bestand 10, Nr. 3649, Bd. 2. Siehe Liste der NSV angehörenden Mitglieder, LAV NRW W, JVA MS, Nr. 2635, Bl. 4. Siehe Schreiben Többens an den Herrn Kurator der Universität Münster vom 16.12.1938, UAMs, Bestand 10, Nr. 3649, Bd. 1. Schreiben des Gaupersonalamtsleiters Hauptstelle politische Beurteilung vom 3.10.1941 an den Kurator der Universität Münster, UAMs, Bestand 10, Nr. 3649, Bd. 2. Streng vertrauliches Schreiben des Kurators der Universität Münster vom 9.2.1942, ebd. Többen hatte zuvor einen Vortrag über Kriminalpsychologie und Jugendverwahrlosung in der Bautzener-Woche des 2. kriminologischen Überholungslehrgangs für Strafrechtler und Staatsanwälte gehalten, vgl. Schreiben Többens vom 12.2.1942 an den Kurator der Universität Münster, ebd. Vgl. Fachärztliches Zeugnis des Prof. Loebell vom 17.7.1942 sowie Schreiben Többens vom 1.11.1944, ebd. Schreiben des Kurators der Universität Münster vom 3.5.1947 an den Kultusminister des Landes Nordrhein-Westfalen, ebd. Schreiben des Kurators der Universität Münster vom 24.6.1947 an den Kultusminister des Landes Nordrhein-Westfalen, ebd.

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„Anlage und Umwelt halten sich die Waage“ – Von der sozialen Medizin zur Kriminalbiologie Eugenisches Denken hatte sich zum einen in den sozial-moralischen Milieus entwickelt und war zum anderen einem zunehmenden Akademisierungsprozess ausgesetzt. Als Bewegung war die Eugenik in der Weimarer Republik sowohl inhaltlich als auch institutionell stark aufgefächert und löste die bis 1918 dominierende Rassenhygiene ab, welche sich bereits 1905 in der durch Alfred Ploetz gegründeten Gesellschaft für Rassenhygiene institutionalisiert hatte.29 Die eng mit den jeweiligen sozial-moralischen Milieus und den sie repräsentierenden Parteien verbundenen Eugeniker kooperierten jedoch mit den stark rechtsgerichteten älteren Rassenhygienikern. Neben eine sozialistische Eugenik trat Mitte der 1920er-Jahre auch eine katholisch geprägte Eugenik.30 Diese verschiedenen Gruppen bestimmten bis zum Jahr 1933 die „eugenische Politikberatung“ der Regierungen.31 Nach Schwartz kann die Zeit bis 1933 mithilfe eines dreistufigen Modells beschrieben werden. Eine erste Phase bestand demnach aus „engagierten Einzelpersonen, über organisierte milieubezogene Pressure-groups“ in einer zweiten und schließlich „zur parlamentarisch-administrativen Politik-Gestaltung“ in einer dritten Phase.32 Hierbei ist zu beobachten, dass häufig, gerade in den beiden konfessionellen Milieus, ein „wissenschaftlicher Wettlauf um politische Gestaltungsspielräume“33 stattfand. Vor allem die Folgen des Ersten Weltkrieges standen im Fokus eugenischer Bevölkerungspolitik, insbesondere der Geburtenrückgang. Negativ-eugenische Maßnahmen sollten den „erbkranken Menschen dazu veranlassen, freiwillig auf Nachwuchs zu verzichten“. Positive Maßnahmen sollten den „erbgesunden“ Nachwuchs fördern.34 Eine bei den katholischen Eugenikern besonders bevorzugte Maßnahme war die Asylierung, eine Maßnahme, für die sich auch Többen einsetzte. Auch der eng mit der Sozialhygiene verbundene Alfred Grotjahn hatte die eugenische Funktion der Asylierung als das wichtigste Mittel ausgemacht.35 Durch eine „gesteigerte Politikfähigkeit eugenischen Denkens“ lässt sich in allen „sozialmoralischen Milieus eine Zustimmung zu negativ-eugenischer Politik ausmachen.“36 29

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Vgl. Ploetz 1911. Eugenik wurde zunächst synonym zum Terminus Rassenhygiene gebraucht. Erst die mit der „Deutschen Gesellschaft für Rassenhygiene“ neu entstandene, sich in München konzentrierende Fraktion hatte sich eine „nordische Rasse auf ihre Fahne geschrieben“. Vgl. Kröner 1999, S. 112. Vgl. Muckermann 1929, Richter 2001. Vgl. Schwartz 1995, S. 410. Ebd., S. 411f. Seit den 1980er-Jahren wird die perspektivische Verengung auf die NS-Rassenhygiene durchbrochen, vgl. Schmuhl 1992, Weingart/Kroll/Bayertz 1988, Weindling 1989. Schwartz 1997, S. 430. Vgl. Richter 2001, S. 511f. Vgl. Grotjahn 1926. Schwartz 1997, S. 20.

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Trotz der bereits angedeuteten Probleme Többens mit dem Nationalsozialismus spielte er im eugenischen und kriminalbiologischen Diskurs bis in die 1940er-Jahre eine wichtige Rolle.37 Das lag zum Teil an der oszillierenden Position Többens zwischen sozialer und gerichtlicher Medizin und dem Nutzen gerade der gerichtlichen Medizin für den Nationalsozialismus. Deren Aufgabe war es, „mit Hilfe medizinischer und naturwissenschaftlicher Methoden der Rechtspflege zu dienen.“38 Többen vertrat hier eine stark sozialmedizinisch geprägte Gerichtsmedizin. Im Verlauf der zunehmenden kriminalbiologischen Ausrichtung des Faches hatten sozialmedizinische Aspekte an Bedeutung verloren, die entsprechenden Forschungseinrichtungen wurden 1940 reichsweit in kriminalistische Institute umgewidmet.39 Diese terminologische Volte verweist darauf, dass die soziale Medizin zunehmend durch kriminalbiologische Konzepte abgelöst wurde. Diese Tendenz hatte schon weit vor dem Jahr 1933 eingesetzt, wurde jedoch durch die Nationalsozialisten sukzessive systematisiert und vereinheitlicht.40 Többen beschäftigte sich als Sozialmediziner hauptsächlich mit den Folgen der Industrialisierung und den aus dem Ersten Weltkrieg resultierenden Problemen im Ruhrgebiet. Gerade in den Ballungsgebieten führten mangelhafte Ernährung, Schwächung durch Arbeit und unhygienische Lebensbedingungen zu einer Zunahme von Tod, Krankheit und steigenden Verbrechenszahlen.41 Die Jugendverwahrlosung und die Bekämpfung der Wohnungsnot, die sowohl in engem Zusammenhang mit gesundheitlichen Risiken als auch mit dem sittlichen Verfall durch Alkoholismus einherging, bildeten einen Schwerpunkt neben dem forensisch-psychiatrischen Bereich und dem Umgang mit Kriminellen.42 Forschung und außeruniversitäre Praxis waren eng verflochten. So engagierte sich Többen bereits früh in der Jugendfürsorge. In diesem Kontext gründete er zusammen mit Heinz Reploh vom Hygienischen Institut eine besondere Abteilung für gesundheitliche Jugendfürsorge. Auch eine Beratungsstelle für Psychopathen, die gemeinsam mit Stadtarzt Dr. Alexander Luig betrieben wurde, zeugt von einer engen Kooperation zwischen Universität und öffentlichem Gesundheitswesen.43 Többen, der in der Tradition einer von Georg Puppe geprägten sozialen Medizin stand, hielt die Gerichtsmedizin und das 37 38 39 40 41 42

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Vgl. Simon 2001, S. 13. Esch 1925, S. 18. Anordnung des Reichsministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 7.9.1940, UAMs, Bestand 10, Nr. 3649, Bd. 2. Vgl. Roth 2009, Wagner 2002. Eckart 1990, S. 246–248. Die Psychopathologie war seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bereits eng mit der Degenerationsfrage verbunden. Sowohl der Begründer der Degenerationstheorie Benedict Augustin Morel als auch Wilhelm Schallmayer und Alfred Ploetz machen den Alkoholismus unterschiedlich gewichtet als Quelle der fortschreitenden Entartungserscheinungen verantwortlich. Vgl. Weingart/Kroll/Bayertz 1988, S. 48f. Vgl. Többen, Psychopathenfürsorge, 1932, S. 324. Zwischen 1923 und 1932 waren es im Schnitt 50,8 Personen pro Jahr, die bei dieser Stelle beraten wurden.

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Gebiet der sozialen Fürsorge für prädestiniert bei der Beantwortung der Sozialen Frage.44 „Die Jugendverwahrlosung und ihre Bekämpfung“ war Többens wichtigste Publikation auf diesem Gebiet und weit über Münsters Grenzen hinaus bekannt.45 Die Ursachen der „Verwahrlosung“46 und eine daraus resultierende Zunahme von Verbrechen wurden von Többen sowohl auf Anlage- als auch auf Umwelteinflüsse, darunter vor allem Alkoholmissbrauch und die Rolle des Sozialmilieus, zurückgeführt.47 Damit teilte er eine in der Sozialmedizin gängige Annahme.48 Wie hoch Többen die Bedeutung des Einflusses durch die Umwelt einschätzte, wird anhand seiner Schilderungen des Industriemilieus deutlich. Die Spätfolgen der Industrialisierung riefen laut Többen ein überall herrschendes Wohnungselend,49 Alkoholismus, sexuelle Verwahrlosung und Inzest hervor.50 Die Ursachen der „Verwahrlosung“ führte Többen gleichgewichtet auf das Individuum und das Milieu zurück.51 Zur Lösung schlug er Maßnahmen der Jugendwohlfahrtspflege und Sozialpolitik vor. 44

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Georg Puppe hielt soziale und gerichtliche Medizin für unzertrennlich. Puppes Verständnis von sozialer Medizin beinhaltete sozialtherapeutische und sozialfürsorgerische Ansätze, die von der Mehrheit der Fachvertreter nicht geteilt wurden. Vgl. Puppe 1900, ders. 1908. Többen 1922. In der zweiten Auflage von 1927 werden die Kapitel ergänzt durch Abhandlungen über die Verkrüppelung, die Sinnesfehler, den Morphinismus, den Kokainismus, die Kindesaussetzung, über die Psychologie des einzigen Kindes, die Abtreibungssache sowie die industriellen und ländlichen Umweltverhältnisse. Das Werk wurde an einigen Stellen äußerst positiv rezensiert. So lobte die Caritas das Buch und wies auf den „ernst-religiös-sittlichen Ton“ und „warmes Interesse für Elternhaus und Familie“ hin. Vgl. Bücherschau 1923; an anderer Stelle fiel dieses jedoch nicht so positiv aus. Die katholisch-moraltheologischen Anschauungen des Verfassers stünden manchmal in Gegensatz zur objektiven naturwissenschaftlichen Betrachtungsweise. Vgl. Müller-Hess 1927. Zum Begriff der Verwahrlosung vgl. Többen 1930, S. 199. Die Kapitel A und B thematisieren den Forschungsstand zur Geschichte der Verwahrlosung und eine umfassende Begriffsbestimmung. Kapitel C widmet sich den Ursachen der Verwahrlosung, sowohl den Anlage- als auch Umweltschäden. Ein umfassendes Kapitel D bietet verschiedene Ansätze zur Bekämpfung der Verwahrlosung. Im letzten Kapitel E wird das Thema in einen breiten internationalen Kontext eingeflochten. Unter „Verwahrlosung“ verstand Többen „ohne die nötige Wahrung sein, sowohl in körperlicher wie in geistiger Hinsicht“. Többen 1927, S. 53. Durch das Wohnungselend kam es laut Többen zur Verbreitung von Seuchen. Da keine Trennung der Geschlechter auf engstem Raume vollzogen werden konnte, konnte es zu unsittlichen Handlungen kommen. Hier sah Többen auch die Ursachen des Inzests. Zum Problem der „Schlafgänger“ trat die mangelnde Hygiene hinzu. Ein „erheblich großer Prozentsatz großstädtischer, stark proletarischer und dauernd gesundheitlich, moralisch und kriminell gefährdeter Menschen […]; sie bilden zunächst durch ihre Fluktuation und ihren engen Zusammenhang mit allen Schichten der Bevölkerung einen die Gesamtheit der Bevölkerung gefährdenden Ansteckungsherd.“ Vgl. Többen 1927, S. 280. Többen, Gefährdung, 1929. Vgl. Többen, Die sozialmedizinische und kriminalpolitische Bedeutung, 1929, S. 138, Többen 1925, Többen, Blutschande, 1933. Hierzu zählte er „erziehungswidrige Einflüsse“ in den Familien. Dazu traten wirtschaftliche Schädigungen. In vielen dieser konstatierten Punkte sah Többen die Ursachen der Verwahrlosung und eine steigende Kriminalitätsrate. Vgl. Többen 1927, S. 220.

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Többen beurteilte die Rolle des Milieus für den Gerichtsmediziner als enorm wichtig.52 Sowohl bei der sozialen Fürsorge als auch bei der Erforschung der Ursachen spiele die Anlage zwar eine Rolle, er forderte jedoch seine Kollegen auf, „die dem Milieu zugewandte Aufmerksamkeit im Hinblick auf die Zeitverhältnisse nicht erlahmen zu lassen.“53 Dem Milieu und seinen Einflüssen müssten in der gesamten gerichtlichen Medizin mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden,54 die Umweltzustände bedürften einer Verbesserung.55 Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass für Többen die Jugendverwahrlosung aus einem dichten Geflecht von in der Persönlichkeit liegender innerer Faktoren bestand, die endogener Natur seien und auf die Geistesveranlagung zurückgeführt werden könnten, und exogener Faktoren, das heißt Einflüssen aus der Umwelt.56 Dieses relative Gleichgewicht der Faktoren endogener und exogener Ursachen modifizierte Többen in den Jahren nach 1933 sukzessive zugunsten der in den Erbanlagen liegenden Faktoren.

Kriminalität und Erbanlage Die Kriminalbiologie war in den späten 1930er-Jahren zu einer „weltanschaulich fundierten Wissenschaft“ geworden, in der das „zentrale Paradigma“ galt, dass Kriminalität genetisch bedingt sei und das Milieu nur noch eine marginale Rolle spiele.57 Durch die „schrankenlose Bevollmächtigung“ der Polizei sowie einer umfassenden Gesetzgebung waren kriminalbiologische Theorien und deren „exekutive Praxis“ im nationalsozialistischen Deutschland institutionalisiert worden.58 Die Methodik der 1920er-Jahre legte den Grundstein der kriminalbiologischen Erfassung durch die Nationalsozialisten, was jedoch nicht als teleologisch ausge52

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„Überhaupt muß man sich, wie auch besonders meine eigenen Fälle zeigen, davor hüten, einseitig immer die krankhafte Anlage allein in derartigen Fällen für den sittlichen Verfall verantwortlich zu machen, wenn auch die Verwahrlosung meistens mehr in der Artung der Kinder als in der abträglichen äußeren Umgebung begründet ist. Selbstverständlich spielt hier oft auch das Milieu eine Rolle, und nicht umsonst haben Schmidt-Monnard und Schlesinger auf die misslichen häuslichen Verhältnisse vieler Hilfsschüler hingewiesen“. Vgl. Többen 1927, S. 109. Többen, Die Bedeutung des Milieus, 1932, S. 188. Ebd. Többen, Gefährdung und Schutz der Jugend, 1929, S. 201. Többen 1927, S. 61. Vgl. Wagner 2002, S. 94. „Unter dem Einfluss der konstitutionellen Auffassung Kretschmers, der erbbiologischen Untersuchungen an Zwillingen durch Lange, Stumpfl und Kranz, sowie der Psychopathenlehre Schneiders setzt sich in Mitteleuropa die stärkere Betonung des sogenannten Anlagedenkens durch.“ Vgl. Kaiser 1983, S. 19. Zur Geschichte der Kriminalbiologie in Weimarer Republik und Nationalsozialismus siehe: Baumann 2006, Liang 1999, Müller 2004. Wagner 2002, S. 94; vgl. Terhorst 1985.

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richtete Entwicklung beschrieben werden kann.59 In den Jahren nach 1933 rückte Többen von fürsorgerischen Maßnahmen ab und widmete sich vermehrt der Verbrechensbekämpfung.60 Hierbei begrüßte er einen durch die NS-Gesetzgebung entstandenen größeren Freiraum für die Gerichtsmediziner.61 Die Ursachen einer Straftat lägen vermehrt in den erblichen Anlagen eines Verbrechers und charakterisierten die „kriminelle Persönlichkeit“62 – Thesen, die Teil des zeitgenössischen kriminalbiologischen Diskurses waren.63 Kriminalität stand demnach erbbiologisch in enger Beziehung zu verschiedenen Geisteskrankheiten. Das Verhältnis zwischen einem gehäuften Auftreten von Geisteskrankheiten unter Verwandten und einem verstärkten Auftreten von Kriminalität in Familien lege nahe, dass Kriminelle eine „verbrecherische Anlage“ vererbt bekommen hätten.64 Schließlich konnten erbliche Anlagen eine „indirekte Rolle“ als Verbrechensursache einnehmen, wenn die verwandtschaftliche Häufung von geistigen Abnormitäten im „Grenzgebiet zwischen geistiger Gesundheit und Geistesstörung lagen“.65 Seit Beginn der 1920er-Jahre hatte sich ein System etabliert, welches kriminalbiologische Erfassungssysteme für den Strafvollzug nutzte. Da deren Ausrichtung 59 60

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Roth 2009, S. 370. „Für die Entstehung der Verwahrlosung ist in der Regel die Anlage der Persönlichkeit bedeutungsvoller als das Milieu.“ Többen 1939, S. 180. „Die in einer vergangenen Epoche üblichen heilpädagogischen Erziehungsversuche haben gezeigt, daß sie nicht in der Lage waren, die schicksalsmäßig schlechte Charakterentwicklung zu hemmen oder günstig zu beeinflussen.“ Többen 1936, S. 34. „Die Möglichkeiten, Straftaten vorzubeugen, vor allen Dingen in solchen Fällen, wo es sich um ein gewohnheitsmäßiges Verbrechertum handelte, sind in der Vergangenheit nicht immer in der notwendigen Weise beachtet worden. Es bestand vielmehr die Gefahr, daß durch einen allzu schlaff und heilpädagogisch magis in operationen quam in opere eingestellten Strafvollzug ‚die Unglückswege des Schicksals‘ […] künstlich vermehrt wurden. Dagegen hat die Regierung des Dritten Reiches durch ihre energischen Maßnahmen uns den Weg eröffnet, Straftaten durch strenge gesetzliche Vorkehrungen zu verhüten und zu vermindern.“ Többen 1936, S. 42. Eine „Milieutherapie“ führe laut Többen nur noch zum Erfolg, wenn es sich mit Sicherheit nicht um einen „Anlagefall“ handele, Többen, Moderne Kriminalbiologische Erfahrungen, 1938, S. 47. Siehe Simon 1997, S. 11. Simon weist zu Recht auf eine methodische Verfehlung hin, betrachtete man die Entwicklung der Kriminalbiologie als linear auf den Nationalsozialismus hin. Siehe Wetzell 2000. Vgl. Wetzell 2003, S. 72. Kritische Stimmen kamen auch aus Deutschland, wo sich Gustav Aschaffenburg gegen die Existenz einer erblich kriminellen Veranlagung aussprach, da nur ein Experiment „gesunde Kinder aus Verbrecherfamilien in anständiger Umgebung zu erziehen […]“ einen Beweis erbringen könnte. Vgl. Aschaffenburg 1923, S. 101–103, Luxenburger 1930, S. 424. Luxenburger, seit 1924 wissenschaftlicher Assistent an der Demographischen-Genealogischen Abteilung der Deutschen Forschungsanstalt, hatte sich als einer der führenden psychiatrischen Erbforscher etabliert. Die Manifestation einer Eigenschaft bei einem Individuum sei niemals nur allein das Ergebnis von Vererbung, sondern immer ein Produkt der Wechselwirkungen von Vererbung und Außeneinflüssen.

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in Abhängigkeit zur jeweiligen „politischen Couleur“ jedes Landes zu sehen war, konnten die Ergebnisse der Kriminalbiologie durchaus auch in den Dienst eines an „Resozialisierungserfolgen und individuellen Besserungschancen orientierten Stufenvollzugs oder sozialhygienischer Reformen gestellt werden.“66 Ein wesentliches Ziel dieses fließenden Übergangs war sowohl in der Endphase der Weimarer Republik als auch in der NS-Diktatur die Identifizierung des unverbesserlichen, „erblich belasteten Verbrechers und seine Ausschaltung aus dem Genpool der Bevölkerung“.67 Der Wert des Rechtsbrechers sollte für die Volksgemeinschaft ermittelt werden. Als Wissenschaft war die Kriminalbiologie äußerst anschlussfähig an die nationalsozialistische Weltanschauung und bot Chancen auf eine beschleunigte Karriere.68 Im Kontext des „Gesetzes zur Vereinheitlichung des Gesundheitswesens“69 war die Arbeit der Gerichtsmediziner von enormer Wichtigkeit für die Nationalsozialisten. Die neun eingerichteten kriminalbiologischen Untersuchungs- und Sammelstellen70 waren Teil des erbbiologischen Kontrollapparats bei beträchtlichen Teilen der Bevölkerung.71 Die Kriminalbiologie sei berufen, die „unerziehbaren Gewohnheitsverbrecher von denen zu trennen, die durch Hinzufügung des Strafübels wieder zu nützlichen Gliedern der Gemeinschaft werden können“, so Többen in einem Beitrag aus dem Jahr 1939.72 Prophylaktische und heilpädagogische Maßnahmen zur Verbrechensbekämpfung und Vorbeugung hielt Többen zunehmend für nicht effektiv. Er räumte ein, dass die Vorbeugung von Straftaten in der Vergangenheit nicht immer in der notwendigen Weise beachtet worden war.73 Die wissenschaftliche Beschäftigung mit Straftätern und deren gesellschaftlichen und individuellen Ursachen für delinquentes Verhalten begann bereits im 19. Jahr66 67 68

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Roth 1984, S. 370. Ebd. Gerade das Verhältnis zwischen Rassenhygienikern und Nationalsozialisten schien günstige Voraussetzungen für beide Seiten zu bieten, denn „die Nationalsozialisten versprachen eine politische Aufwertung des Fachs“, speziell durch neue Stellen, Institute und Gelder. Hingegen konnte die Rassenhygiene als „wissenschaftliche Autorität für die Begründung der nationalsozialistischen Rassen- und Bevölkerungspolitik“ dienen. Vgl. Kröner 1999, S. 126, Weingart/Kroll/Bayertz 1988, S. 532ff. Für einen theoretischen Ansatz dieses gegenseitigen Wechselverhältnisses: Ash 2002. Reichsgesetzblatt 1934 I, S. 531. Zur Gleichschaltung des Gesundheitswesens siehe: Schmuhl 1992, S. 138–150. Siehe: Neureiter 1938, S. 175f., Roth 1984. Das Institut wurde am 7.9.1940 umbenannt. Erst 1947 erhielt es wieder die alte Bezeichnung, vgl. UAMs, Bestand 9, Nr. 624. Többen war bereits seit 1931 Leiter der kriminalbiologischen Forschungsstelle in Münster, die 1936 zur kriminalbiologischen Sammelstelle erweitert wurde. Die hier von ihm untersuchten Häftlinge stammten aus dem Einzugsgebiet der Bezirke der Oberlandesgerichte Celle und Hamm. Vossen 2001, S. 482. Többen, 1939, S. 209. Die größte Härte sei die größte Milde im Umgang mit Kriminellen. Siehe Többen 1935, S. 109.

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hundert. Die von vielen Theoretikern „angewendete biologistische Betrachtungsweise […] läßt sich auch für die im Umfeld von Strafrechtswissenschaften, gerichtlicher Medizin und Psychiatrie neu entstehenden Wissensgebiete […] nachweisen.“74 Cesare Lombrosos Thesen über den „geborenen Verbrecher“ trugen maßgeblich dazu bei, sich erstmals mit naturwissenschaftlichen Methoden dem Phänomen des Verbrechens zu nähern.75 Durch die starke Betonung naturwissenschaftlicher Methoden konnten Verbrechen ohne moralische Wertung als Phänomen in der gesamten Gesellschaft und bei jedem Individuum erforscht werden. Neben das Strafsystem sollte ein weiteres System sichernder und bessernder Maßnahmen gestellt werden, welches eine auf die Eigenart des Täters abgestimmte Maßnahme zusätzlich zur Freiheitsstrafe wirksam werden lassen sollte. Vor allem junge Straftäter, die durch pädagogische Maßnahmen in die Gesellschaft wiedereingegliedert werden sollten, waren von diesen Maßnahmen betroffen. Neben diesen aufgrund ihrer Anlagen Resozialisierbaren sprach sich der Strafrechtler von Liszt jedoch auch für die „rücksichtslose Unschädlichmachung des endgültig gescheiterten“ aus.76 Die einseitige Ausdeutung der Anlage im Sinne Lombrosos wurde vorerst auch von Többen abgelehnt. In den Jahren nach 1933 hatte sich dieses Denken jedoch stark verändert. Nach dem Kriminalbiologen Luxenburger könne man von „ererbten kriminogenen Voraussetzungen“ sprechen, deren Anlagen „mannigfaltige Strukturen zur Prägung einer zum Verbrechen disponierenden Charakteranlage“ führe, so Többen 1942.77 Auch Emil Kraepelin, die zentrale Figur der deutschen Psychiatrie um die Jahrhundertwende, verstand Kriminalität als biologisches Problem.78 Bereits 1923 erschien in dritter Auflage „Das Verbrechen und seine Bekämpfung“79 des Kraepelin-Schülers und Kriminologen Gustav Aschaffenburg. Beeinflusst durch seinen Lehrer sah Aschaffenburg neben den allgemeinen Ursachen des Verbrechens die individuellen Ursachen als maßgeblichen Faktor an.80 Menschliches Handeln unterliege dem Gesetz der Kausalität, nicht der freien Willensentscheidung. Anlage 74 75

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Herber 1989, S. 229. Lombroso 1902. Lombroso gilt neben Ferri und Garofalo als Begründer der kriminal-anthropologischen Schule. Ferri gilt als Mitbegründer der Positivistischen Schule. Lombroso untersuchte einen von „Geburt an zum Straftäter prädestinierten Menschentypus“, den so genannten „uomo delinquente“. Dieser besäße eine Reihe von Eigenschaften, darunter auch körperliche. Zeichnet sich diese Schule durch ein verstärktes Anlagedenken aus, so ist die Verbrechensursache bei der kriminal-soziologischen Schule fast ausschließlich bei den Umweltfaktoren auszumachen. Der Begründer dieser Schule ist der Mediziner J. Alexander Lacassagne aus Lyon. Beide Schulen besitzen jedoch ein deterministisches Menschenbild. Vgl. Gadebusch Bondio 1995, Castiglione 1970. Vgl. Liszt 1881, Herber 1989, S. 230. Luxenburger 1930, S. 428, Többen 1942, S. 126. Vgl. Blasius 1994, S. 126. Aschaffenburg 1923. Allgemeine Ursachen fand er in den Kategorien: Verbrechen und Jahreszeit, der Ort der Tat, Rasse und Religion, der Alkohol, andere Genussmittel, die Prostitution, Spiel, Kino, Schundliteratur, die wirtschaftliche Lage, Krisen und Kriege. Vgl. Aschaffenburg 1923, S.

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und Umwelt sind für Aschaffenburg gleichermaßen für ein Verbrechen verantwortlich.81 Für Többen wurde jedoch vermehrt die „krankhafte Erbmasse“, das heißt die ererbten konstitutionellen oder erworbenen Seelen- und Charakterzustände, für eine Tat verantwortlich gemacht.82 Paratypische Ursachen wirkten als Katalysator. Ein schlechtes Milieu führe fast zwangsläufig zu einer „kriminellen Karriere“.83 Die Umwelt könne psychologische Symptome mobilisieren. Ein Zusammenhang zwischen dem „geisteskranken“ oder „geistesgestörten“ Menschen und der relativen Häufigkeit der Ausübung von Verbrechen war somit hergestellt.84 Die Forschungen im Bereich der Kriminalbiologie konzentrierten sich nicht nur auf den Straftäter selbst, sondern auch auf die Erfassung und Beurteilung seiner Familie.85 Eine der Hauptaufgaben der Kriminalbiologie war die Rekonstruktion des „Werden und Wesen der Persönlichkeit“ des Straftäters.86 Die Auffassung der Kriminalbiologie war es, die einzelne Persönlichkeit als das Subjekt, „als dessen individuelle Lebensäußerung das Verbrechen gilt“, anzusehen.87 Többen lieferte eine differenziertere Begriffsbestimmung der Kriminalbiologie. Diese bezeichne „die Lehre von der Fehlentwicklung des Menschen zur verbrecherischen Persönlichkeit infolge seiner körperlichen und innerseelischen, durch genotypische Ursachen bedingten Veranlagung und der diese Persönlichkeitsausrichtung fördernden Reizwirkung der paratypischen Ursachen.“88

Er folgte so im Wesentlichen einer Definition Adolf Lenz‘ und machte neben der erblichen Belastung bei Kriminellen auch asoziale und kriminelle Neigungen

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15–144. Seiner Unterscheidung zwischen Milieu und Anlage folgte auch Többen in früheren Jahren. Aschaffenburg 1904, S. 4. Többen, Kriminalbiologie, 1938, S. 273. Siehe Grau 1998, S. 18. Grau folgert jedoch ohne Nachweise, Többen empfände 1933, „wie die Mehrheit seiner ärztlichen Kollegen keine Skrupel, unter den neuen Machthabern ‚seine Pflicht zu erfüllen‘“. Vgl. Schreiben des Reichs- und Preußischen Minister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 26.8.1935 an den Universitätskurator der Universität Münster, UAMs, Bestand 9, Nr. 862. Grau 1998, S. 25. Zu den Charakterzuständen zählte er Leichtsinn (in 71,06 Prozent der von Többen beobachteten Fälle), kriminelle Neigungen (32,30 Prozent), Brutalität (41,99 Prozent), Verschwendung (29,07 Prozent), Genußsucht (25,52 Prozent), Geltungssucht (12,92 Prozent), Arbeitsscheue (19,38 Prozent), moralische Verkommenheit (29,07 Prozent), Neigung zu geschlechtlichen Ausschweifungen (67,83 Prozent). Többen 1942, S. 125. Többen 1917, S. 81. Zur Entwicklung der Kriminalistik siehe: Mantel/Schwerd 1995, S. 66–72. Hierzu Lenz 1927. Lenz war Leiter des Kriminologischen Universitätsinstituts in Graz. Vgl. Eisenberg 1990, Kaiser 1983. Lenz 1927, S. 20. „Kriminalbiologie als die systematische Lehre von der Persönlichkeit des Täters und von seinen Verbrechen als individuellem Erlebnis.“, Lenz 1925, S. 30. Többen, Kriminalbiologie, 1938, S. 273.

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sowie Charaktereigenschaften verantwortlich.89 Die nationalsozialistische Pflicht bestehe darin, „die gesunde Allgemeinheit unseres Volkes vor kranken und asozialen Elementen zu schützen, indem wir uns ganz dafür einsetzen, daß diese in Anstalten isoliert werden und ferner, daß es immer noch billiger ist, die geringen Pflegekosten zu zahlen als die Kosten der Schäden, die die Asozialen draußen anrichten, aufzubringen“,

so Többen zustimmend über den Kommentar eines seiner Schüler.90 Többen folgerte aufgrund selbst beobachteter Fälle im „Zuchthaus“, dass es zu großen Teilen wahrscheinlich sei, dass kriminelles Verhalten erblich bedingt sei.91 Bei 565 untersuchten Fällen wurde dieses bei etwa einem Viertel der Gefangenen bestätigt. Er schloss aus den Statistiken auf die kriminogene Bedeutung des präkriminellen Lebens.92 In den Jahren nach 1933 entwickelte sich Többen zu einem Befürworter negativer eugenischer und rassenhygienischer Maßnahmen zur Verbrechensbekämpfung.93 Nach diesen Beobachtungen ist davon auszugehen, dass Többens Forschungen auf Zuspruch hätten stoßen müssen. Das Jahr 1933 stellt hier eine relative Zäsur dar. Schon vor 1933 stand für ihn fest, dass die von ihm untersuchten Mörder beziehungsweise Totschläger zu 67,5 Prozent durch eine „erbliche Belastung mit Geistes- und Nervenkrankheiten sowie mit Psychopathie einschließlich der Trunksucht“94 belastet seien. Für Többen versprach die „Milieutherapie“ nicht mehr den erhofften Erfolg, wenn es sich mit Sicherheit um einen „Anlagefall“ handeln würde.95 Die stärkere Gewichtung über die Vererbung verbrecherischer Anlagen, „die in dieser strengen erbdeterministischen Spielart nur im rechten politischen Lager anschlußfähig war“, konnte nicht abgestritten werden.96 Für Többen hatten die moderne Erbbiologie und die sich aus ihren Lehren ergebende Gesetzgebung maßgeblichen Anteil an der Bekämpfung und Verhütung von Verbrechen. Durch Eheberatung und „positive Auslese erbtüchtiger Ehekontrahenten durch Gewährung eines Ehestandsdarlehens“ sollte das Ziel erbtüchtiger Großfamilien erreicht werden.97 Die „negative Auslese“ funktioniere durch das Ehegesundheitsgesetz, um die „Verbindung erbuntüchtiger Persönlichkeiten zu verhindern“. NS-Organisationen wie NSV und HJ würden die Jugend betreuen und somit ein Abgleiten vom „geraden Weg in die Verwahrlosung“ als Vorstufe 89 90 91 92

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Ebd., S. 274. Többen 1937, S. 56f. Többen, Die Bedeutung des präkriminellen Lebens, 1933, S. 517. Ebd., S. 520 und S. 523. Bei seinen untersuchten Fällen stellte Többen fest, dass sich die von den Vorfahren übernommenen genotypischen Eigenschaften schon im präkriminellen Leben störend gelten machen würden, der Weg in die Kriminalität geebnet wäre. Vgl. Herber 2002, S. 240. Többen, Untersuchungsergebnisse an Totschlägern, 1932, S. 111. Többen, Moderne Kriminalbiologische Erfahrungen, 1938, S. 47. Kaufmann 1984, S. 516. Többen, Moderne Kriminalbiologische Erfahrungen, 1932, S. 44.

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zur Kriminalität verhindern.98 Als Kriminalbiologe war Többen nicht nur wichtiger Akteur im strafrechtlichen und eugenischen Diskurs, er wirkte darüber hinaus auch als Praktiker. Hier nahm er als Gutachter eine wichtige Position ein, in der sein Urteil häufig über Gefängnisaufenthalt oder Sterilisierung entschied.99 Die Regierung des „Dritten Reiches“ habe „durch ihre energischen Maßnahmen uns den Weg eröffnet, Straftaten durch strenge gesetzliche Vorkehrungen zu verhüten und zu vermindern.“100 Der „große Fortschritt der nationalsozialistischen Gesetzgebung“ bestehe darin, dass der Richter im Interesse des Schutzes der Volksgemeinschaft sofort ein Urteil fällen kann, um den Angeklagten in Sicherungsverwahrung zu stellen.101

„Die Einheit von Theorie und Praxis“ – Tätigkeiten als „biologischer Soldat des Volkes“102 Többen verfasste nicht nur eine Vielzahl wissenschaftlicher Publikationen, sondern betätigte sich in verschiedenen Bereichen des öffentlichen Gesundheitswesens der Stadt Münster. Die gerichtliche Medizin als die Anwendung ärztlichen Wissens im Dienste der Rechtspflege bot im Bereich der Erb- und Rassenpflege das schon angesprochene besondere Potential zur Legitimation des NS-Staates.103 Die Beteiligung an nationalsozialistischen Verbrechen konnte jedoch weit weniger nachgewiesen werden, als beispielsweise im Fach Psychiatrie. Die Vielfalt gerichtsmedizinischer Tätigkeiten gewährleistete dem Fach eine kontrollierende und organisierende Funktion im Gesundheitswesen.104 Neben Tätigkeiten als Sachverständige wurden Gerichts-

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Ebd., S. 45 und S. 54. Többen hielt eine „einheitliche Ausrichtung im nationalsozialistischen Geiste“ bezüglich der Trennung von Gefährdeten und „Verwahrlosten“ für richtig, vgl. S. 53. Auch die Maßnahmen der Deutschen Reichsregierung hielt Többen für begrüßenswert, vgl. S. 59. Siehe Ehlers 1994. Többen 1936, S. 42. Többen 1940, S. 111. Reiter 1939, S. 6; dazu auch Klee 2001, S. 46–49. Eulner 1970, S. 159. Ein auf 464 Seiten umfassend informierendes Handbuch Georg Straßmanns erschien 1931 als zweite Auflage des Lehrbuches seines Vaters Fritz Straßmann und galt als eines der Standardwerke. Georg Straßmann emigrierte aufgrund der politischen Verhältnisse in der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg. „Die gerichtliche Medizin verwertet ärztliche Kenntnisse im Dienste der Rechtspflege.“ Vgl. Straßmann 1931. Nach langen Bemühungen wurde das Fach der gerichtlichen Medizin schließlich im Jahre 1924 als Lehr- und Prüfungsfach anerkannt. Gütt 1939. In der Erbgesundheitspflege nehme sie „die Form der unmittelbaren Mitwirkung an der Entscheidung an“, beschrieb Roland Freisler, Staatssekretär im Reichsjustizministerium, die Funktion der gerichtlichen Medizin. Nach: Freisler 1939, S. 946–949. Vgl. Greve 2004, S. 102.

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mediziner unter anderem zur Beurteilung der menschlichen Psyche hinzugezogen.105 Durch das „Gesetz zur Vereinheitlichung des Gesundheitswesens“106 vom 3. Juli 1934 wurden Voraussetzungen dafür geschaffen, dass Menschen mit „erblicher Belastung“ zentral durch die Gesundheitsämter erfasst werden konnten.107 Dieses regelte die Einrichtung selbständiger Gesundheitsämter anstelle der Kreisärzte. Die neuen Aufgaben bestanden darin, die staatliche Gesundheitsaufsicht mit der kommunalen Gesundheitsfürsorge zu vereinigen und die neuen ideologischen Aufgaben der Nationalsozialisten umzusetzen. Die Professoren der gerichtlichen Medizin sollten fortan, soweit es ihnen möglich war, Tätigkeiten im Rahmen des Gesundheitsamtes nur für die Universitätsstadt ausüben. Diese Aufgaben bestanden aus der Erb- und Rassenpflege einschließlich der Eheberatung, zu welchen die Verhütung erbkranken Nachwuchses, die Erziehung zur Erbgesundheit und Rassenreinheit sowie Erbbestandsaufnahmen zählten, neben der Gesundheitsaufsicht und dem Gesundheitsschutz.108 Dazu kam die individuelle Gesundheitspflege in Form von Beratungen für Schwangere, für Kleinkinder, Schulgesundheitspflege, die Förderung der Körperpflege und der Leibesübungen, Bekämpfung des Alkoholismus und des Rauschgifts sowie Fürsorge für Dauerkranke.109 Többens praktische Leistungen auf dem Gebiet der gerichtlichen Medizin und Kriminalbiologie erfreuten sich einer hohen Wertschätzung.110 105

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Többen arbeitet als gerichtsärztlicher Sachverständiger für die Gerichte des Oberlandesgerichts Hamm und den Versorgungsgerichten und Oberversicherungsgerichten Westfalens sowie beim gerichtsärztlichen Ausschuss der Provinz Westfalen. Vgl. Schreiben Többens vom 26.6.1928 an den stellvertretenden Kurator der Universität Münster, UAMs, Bestand 9, Nr. 624. Die gesamten gerichtsärztlichen Dienstgeschäfte im Stadtkreis Münster wurden ihm am 1.4.1927 übertragen. Vgl. Schreiben des Preußischen Ministers für Volkswohlfahrt an den Oberlandesgerichtspräsidenten in Hamm i. W., LAV NRW W, OLG Hamm, Nr. 5436. Reichsgesetzblatt 1934 I, Nr. 71, S. 531. In den Stadt- und Landkreisen wurden Gesundheitsämter mit einem staatlichen Amtsarzt als Leiter eingerichtet. Zu den Aufgaben zählten die Gesundheitspolizei, Erb- und Rassenpflege einschließlich Eheberatung, gesundheitliche Volksbelehrung, Schulgesundheitspflege, Mütter und Kinderberatung, Fürsorge für Tuberkulöse, Geschlechtskranke, körperlich Behinderte, Sieche und Süchtige, ärztliche Mitwirkung bei Maßnahmen zur Förderung der Körperpflege und Leibesübungen sowie die amts-, gerichts- und vertrauensärztliche Tätigkeit. Siehe hierzu Labisch 1985. Ein städtisches Gesundheitsamt hatte in Münster seit 1921 bestanden. Vgl. Reploh 1935, S. 104. Schreiben des Reichs- und Preußischen Ministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 2.8.1935 an die Regierungspräsidenten in Königsberg, Stettin, Breslau, Merseburg, Schleswig, Hildesheim, Münster, Kassel, Wiesbaden, Düsseldorf und Köln, UAMs, Bestand 10, Nr. 3649, Bd. 1. Leesch 1992, S. 95f. Többen erarbeitete zusammen mit anderen Strafrechtlern, Psychiatern und Kriminologen, unter der Mitarbeit des Ministerialrates Schäfer, einen Fragebogen einheitlicher, anthropologischer und kriminologischer Art. Vgl. Rothmeier 1999, S. 277. „Die Leistungen Prof. Dr. Többens, der seit 1908 an dem Zuchthause tätig ist, dürften als vorbildlich zu bezeichnen sein. Auch in den früheren Jahren, als in den Irrenabteilungen

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Mit der Einrichtung der kriminalbiologischen Sammelstellen wurden Strafgefangene erfasst und beobachtet, die gegen das „Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über die Maßregeln der Sicherung und Besserung vom 24. November 1933“ als „gefährliche Sittlichkeitsverbrecher“ verstoßen hatten.111 Als Gerichtsmediziner und Kriminalbiologe war Többens Arbeit bei der Umsetzung dieses Gesetzes neben anderen Kriminologen, Psychiatern und Bevölkerungswissenschaftlern von besonderer Bedeutung.112 Er teilte die Meinung der Nationalsozialisten über die Wichtigkeit der praktischen Verwertbarkeit der Kriminalbiologie. Diese war nach Erlass des Reichs- und Preußischen Ministers vom 30. Januar 1935 für die Untersuchung bei Rechtsbrechern verantwortlich. Die Untersuchungen seien nach „erbkundlichen, psychologisch-psychiatrischen und soziologischen Grundsätzen durchzuführen, um ein geschlossenes Bild des Untersuchten und damit die für seine soziale und rassische Bewertung erforderlichen Unterlagen zu gewinnen“.113 Nur mit Hilfe der Kriminalbiologie könne man über „den Wert oder Unwert des einzelnen für Volk und Staat, für die Gesellschaft und für die Rasse“ entscheiden,114 alles um den Aufstieg für „gesunde, tüchtige Menschen und Stämme“ zu fördern und die „unerziehbaren Gewohnheitsverbrecher von denen zu trennen, die durch Hinzufügung des Strafübels wieder zu nützlichen Gliedern der Gemeinschaft werden können.“115 Kranke, leistungsschwache und „lebensrassisch abträgliche“ Menschen waren somit bei Többen aus dem „Lebensstrom des Volkes“116 mit voller Verantwortung auszuschalten. Seit dem 20. Februar 1936 sollten die kriminalbiologischen Untersuchungen in die erbbiologische Bestandsaufnahme der Bevölkerung eingegliedert werden, insbesondere im Sinne der „negativen Auslese“. Die Untersuchungen waren Teil der massenstatistischen Auswertungen, zu denen Többen mit der Erstellung von Sippentafeln beitrug.117 Die Sammelstellen waren eng verbunden mit dem Reichsministerium der Justiz, dem Reichsministerium des Innern und dem

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verschiedener Strafanstalten die Neigung zu einer sehr verweichlichten Behandlung der Insassen vorhanden gewesen sein soll, hat er ungesunde Übertreibungen vermieden und auf Zucht und Ordnung gehalten. Seine reichen Erfahrungen in der Pflege des körperlichen und geistigen Gesundheitszustandes sowie seine wissenschaftliche Befähigung dürften dem Gesundheitsamt recht dienlich sein.“ Schreiben des Strafanstaltsdirektors vom 12.12.1936 an den Generalstaatsanwalt in Hamm, LAV NRW W, GSA Hamm, Nr. 1796, Bl. 149. Vgl. Schmuhl 1992, S. 147. Vgl. Roth 2009, S. 57. Többen, Kriminalbiologie, 1938, S. 277. Ebd., S. 278. Többen 1939, S. 209. Többen, Kriminalbiologie, 1938, S. 278. Mit der Erstellung von Sippentafeln sollte die erbbiologische Bestandsaufnahme des Volkes erfolgen. Vgl. Richarz 1987, S. 134. Die Sippentafeln bildeten den „Grundstock für reichseinheitliche Erbarchive und Erbkarteien“. Vgl. Schmuhl 1992, S. 145.

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Reichsgesundheitsamt und fungierten somit als zentrale Schaltstellen.118 Zahlreiche Gutachten dienten hier der erbbiologischen Bestandsaufnahme.119 Durch das relativ große Einzugsgebiet mit den Bezirken der Oberlandesgerichte Hamm und Celle galt Münster als besonders geeigneter Ort.120 Die Arbeitsbelastung nahm mit den Jahren nach 1933 stetig zu. Höhere Belegzahlen resultierten aus dem „Gesetz über die Sicherungsverwahrung“, die Verfahren zu Entmannungen und Sterilisierungen hatten deutlich zugenommen.121 Auch die Behandlung der schwierigen „psychopathischen Pseudoquerulanten und Querulanten“ nahm zunehmend mehr Zeit in Anspruch.122 Bei der empirischen Erfassung von Straftätern galt festzustellen, ob „kriminelles“ Erbgut an mögliche Nachkommen weitervererbt werden konnte.123 Wie geschätzt Többens Arbeit und auch der Standort Münster war, wird im Schreiben 118

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Siehe Többen, Die Bedeutung des präkriminellen Lebens, 1933, S. 528. Többen erwähnt, dass die kriminalbiologischen Untersuchungen die strafrechtliche Begutachtung niemals ersetzen könne. Die erstellten Karteien würden jedoch für die Gutachten als brauchbare Unterlagen dienen. Siehe Schaubild bei Többen, Kriminalbiologie, 1938, S. 279. Siehe Grau 1998, S. 11. „[…] mit dieser Zuarbeit zum Aufbau eines reichsweiten, erbbiologischen Verbrecherkatasters trugen sie maßgeblich zur rassenhygienischen Ausrichtung des Strafvollzugs bei.“ Többen folgerte, „die kriminalbiologischen Sammelstellen hätten die Aufgabe, das von den einzelnen Anstalten eingesandte Material zu sammeln und nach wissenschaftlichen Grundsätzen zu verarbeiten.“ Többen, Kriminalbiologie, 1938, S. 283. Neben dem „vollen Einblick in die Wesensart des Prüflings im allgemeinen“, musste die „vererbungswissenschaftliche Durchforschung der Sippe“ folgen. Siehe Neureiter 1940, S. 4. Insgesamt liegen etwa 1.000 Einzelakten aus der kriminalbiologischen Sammelstelle und etwa 4.000 Akten aus der „Irrenabteilung“ im Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Westfalen, die im Rahmen dieses Aufsatzes nur in Auswahl eingesehen werden konnten. Többen 1936, S. 40. „Eine der wichtigsten Aufgaben der kriminalbiologischen Untersuchungsstellen ist die Festlegung einer Indikation für die Sicherungsverwahrung auf Grund exakter erb- und konstitutionsbiologischer Untersuchungen.“ Durchführungsverordnung zur allgemeinen Verfügung vom 30.11.1937, in: Reichsgesetzblatt 1938 I, Nr. 13, S. 16f. Daneben wurden weitere Sammelstellen errichtet in Berlin, Leipzig, Halle an der Saale, Freiburg, Köln, München-Stadelheim, Königsberg, Hamburg und Wien. Vgl. Neureiter 1938, S. 175. Nachdem das „Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung“ am 1.1.1934 wirksam geworden war, wurden auch in Münster etliche Entmannungen bei „gefährlichen Sittlichkeitsverbrechern“ angeordnet. Schreiben des Strafanstaltsdirektors vom 20.7.1935 an den Generalstaatsanwalt in Hamm, LAV NRW W, GSA Hamm, Nr. 1796, Bl. 129. So folgerte Többen, „die wissenschaftliche Kriminalpolitik wird sich immer mehr an den durch eine sorgfältige Vorgeschichte und einen exakten Untersuchungsbefund gestützten differenzialdiagnostischen ärztlichen Erwägungen orientieren müssen.“ Vgl. Többen, Untersuchungsergebnisse an Totschlägern, 1932, S. 114. In den 1970er-Jahren wurden dem Staatsarchiv Münster mehrere Akten aus der Strafanstalt Münster übergeben. In den ungefähr 1.000 Einzelakten wird abschließend beurteilt, ob betreffende Person entmannt oder sterilisiert werden sollte. Die hiermit einhergehenden schweren psychischen und physischen Folgen wurden in den jährlich stattfindenden Nachuntersuchungen nur marginal angedeutet. Die Patienten sollten in der Regel bis zu fünf Mal im Abstand mehrerer Jahre zu den Nachuntersuchungen kommen. Unterzog sich ein Sexualstraftäter in schwe-

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des Strafanstaltsdirektors vom 18. Juli 1934 an den Generalstaatsanwalt in Hamm deutlich: „[…] Im Frieden, im Kriege und in den Nachkriegsjahren hat er trefflich seine Pflicht erfüllt, ohne in unangebrachte Weichheit zu verfallen. […] Die Zahl der Entmannungen zu denen der Anstaltsarzt eingehend sich zu äußern hat, dürfte in einem Zuchthaus grösser als in einem Gefängnis sein. Insbesondere aber sind die Fälle der Unfruchtbarmachung, deren Prüfung genaue und sorgfältige Vorarbeiten erfordert, in einem Zuchthaus, in das schliesslich all‘ die minderwertigen Elemente auf ihrer Verbrechensbahn kommen, wesentlich zahlreicher als in einer andern Strafanstalt. […] Universitätsprofessor Többen ist endlich seit Jahren bemüht, in seinen Vorlesungen, die in einem Hörsaale der Irrenabteilung stattfinden, die Ergebnisse seiner umfangreichen praktischen Tätigkeit an der Anstalt wissenschaftlich zu verwerten und dadurch den Lehrbetrieb der Hochschule bei der Heranbildung des juristischen und medizinischen Nachwuchses zu befruchten. Ich darf dabei darauf hinweisen, dass dieser Lehrtätigkeit mit Rücksicht auf die starken eugenischen Bestrebungen heute eine besondere Bedeutung zukommt, zumal gerade ein Zuchthaus zahlreiche Beispiele für die Notwendigkeit derartiger Ziele bietet.“124

Worte, die davon zeugen, dass Többens Arbeit wichtig für den wissenschaftlichen Nachwuchs und das NS-System war. Münster war als Standort mit großem Einlieferungsbezirk für die Tätigkeiten eines Anstaltsarztes außergewöhnlich gut. Dazu trat die Konfrontation mit besonderen Fällen, bei denen mögliche Entmannungen und Sterilisierungen geprüft und vorbereitet wurden.125 Trotz aller Tätigkeiten schien die Wertschätzung seiner Arbeit in den frühen 1940er-Jahren nur noch gering, aus nationalsozialistischer Perspektive hielt man ihn für entbehrlich.

Schlussbemerkungen Die Entwicklung des Faches der gerichtlichen und sozialen Medizin in Verbindung mit der zunehmend wichtiger werdenden Kriminalbiologie an den deutschen Universitäten zur Zeit der nationalsozialistischen Diktatur konnte in Heinrich Többen jenes Opportunitätsdenken wecken, welches in der Hoffnung auf eine beschleunigte Karriere lag. Obwohl Többen einer um 1880 geborenen älteren Generation

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ren Fällen freiwillig einer Entmannung, so konnte er mit Haftminderung rechnen. Vgl. Kriminalbiologische Akte des B., LAV NRW W, JVA MS, Nr. 2002. Schreiben des Strafanstaltsdirektors vom 18.7.1934 an den Generalstaatsanwalt in Hamm, in: LAV NRW W, GSA Hamm, Nr. 1796, Bl. 100. Zur Anschaulichkeit sei hier exemplarisch ein Fall geschildert. Das Opfer H. wurde beim Amtsgericht Münster vorgeladen. Sein Fall wird in Akte L 4 J. 492/27 verzeichnet. Der Antrag auf Sterilisierung erfolgte am 17.9.1934. Als Ursache wurde Schizophrenie diagnostiziert. Schon vorher wurde beim Erbgesundheitsgericht über den Fall am 36.4.1934 entschieden. Der Eingriff erfolgte dann in Düsseldorf-Derendorf am 2.5.1934. Schon am 4.5.1934 wurde das Opfer zurücktransportiert und blieb bis zum 23.10.1934 in Münster. Siehe Sterilisierungsliste, LAV NRW W, JVA MS, Nr. 2909 und 2910.

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von Gerichtsmedizinern angehörte, die weit mehr Schwierigkeiten mit dem nationalsozialistischen Machtapparat hatten als ihre jüngeren Kollegen, modifizierte er seine früheren Thesen und widmete sich neuen Forschungsfeldern. Der Grad der Anpassung oder gar offensichtlichen Unterstützung des Regimes war jedoch unterschiedlich stark ausgeprägt. Die Krux der Zeit lag einerseits in der „handlungsorientierten Verwissenschaftlichung eugenischen und kriminalbiologischen Denkens“ und umgekehrt in der daraus resultierenden „gesteigerten Politikfähigkeit“ dieses Denkens.126 „Erbdeterministisches Denken“ fand durch eine Gruppe von Medizinern und Psychiatern Eingang in die Kriminologie, wobei sukzessiv frühere Milieutheorien abgelöst wurden.127 Eine im Zuge der Einführung des Strafvollzugs zur Individualisierung dienende Kriminalbiologie formte sich unter nationalsozialistischer Ideologie zu einer Wissenschaft, die zur Legitimierung des NS-Systems beitrug. Többen glaubte nach wie vor, mit fürsorgerischen und milieuverbessernden Maßnahmen gegen Kriminalität angehen zu können. In den meisten Fällen hielt er jedoch die Anlage für ein Verbrechen bedeutender als die Umwelteinflüsse.128 Durch jene Anpassung trug Többen zur Legitimation des nationalsozialistischen Herrschaftsapparates und rassenhygienischer Konzepte bei. Trotz einer Nichtzugehörigkeit zur NSDAP konnte Többen lange Jahre ungehindert praktizieren und veröffentlichen. Trotzdem verwundert es, dass man in den späten 1930er-Jahren auf ihn aufmerksam wurde, obwohl viele seiner publizierten Thesen durchaus Teilen nationalsozialistischer Ideologie entsprachen. Többen als ein Professorentypus einer älteren Generation, der in der Weimarer Republik eine spezifische soziale Medizin vertrat, wurde zunehmend für entbehrlich gehalten. Deutlich wird auch, dass Többen kaum Schnittmengen zwischen den Systemen Wissenschaft und Politik sah. Wissenschaftliches Ethos eines Mediziners und politischer Kontext standen für Többen in keiner Abhängigkeit. 1946 wurde Többen emeritiert und äußerte sich wissenschaftlich nicht mehr. Zeichneten sich Többens Thesen im Bereich der Jugendfürsorge noch durch eine relative Kontinuität aus, so brachte er sich mit seinen Thesen zur Erforschung der Kriminalität und dem Umgang mit dem „Verbrecher“ in die Nähe nationalsozialistischer Ideologie. Többen sah mit der Zäsur des Jahres 1933 neue Möglichkeiten und Wege, seiner Karriere einen neuen Aufschwung zu verleihen. Die Möglichkeit auf den Zug der für den Nationalsozialismus zunehmend wichtiger werdenden Kriminalbiologie aufzuspringen, ließ Többen nach 1933 nicht aus.

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Vgl. Schwartz 1997, S. 22, Weingart/Kroll/Bayertz 1992, S. 66. Vgl. Schwartz 1997, S. 24. Többen, Die Bedeutung des präkriminellen Lebens, 1933, S. 529.

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Der Fall Bruno K. Schultz NS-Täter, ihre wissenschaftliche Reintegration und die Kontinuität nationalsozialistischer Netzwerke an der Universität Münster Als im Zweiten Weltkrieg die Wehrmacht weite Teile Europas unter die Kontrolle des Deutschen Reiches brachte, bot sich den nationalsozialistischen Machthabern die Gelegenheit, mit den drei Reichsuniversitäten Strassburg, Prag und Posen alte deutsche Universitätstraditionen bei gleichzeitiger Ausschaltung französischer, tschechischer und polnischer Bildungsstätten neu aufleben zu lassen. Als nationalsozialistische Musteruniversitäten sollten sie die Prototypen einer neuen Hochschulpolitik bilden. In ihrer Funktion als Kaderschmieden der NS-Wissenschaft wurden an den drei Hochschulorten vor allem solche Forscher berufen, die sich durch zwei Merkmale auszeichneten. Auf der einen Seite legitimieren sie in ihren Arbeiten verschiedene Aspekte der NS-Herrschaft, beispielsweise deren radikale Volkstums-, Rassen-, Wirtschafts- oder Gesundheitspolitik. Auf der anderen Seite waren sie durch eigene Tätigkeiten in teils hohen Stellungen in NS-Organisationen eingebunden. Charakteristisch war dabei eine intensive Verzahnung von Wissenschaft und Politik, Theorie und Praxis. Professoren agierten als Berater der im Vernichtungskrieg im Osten eingesetzten Einsatzgruppen und Sonderkommandos, führten medizinische Experimente an KZ-Häftlingen durch, entwarfen „Ent-“ und „Umvolkungs“-Pläne für die eroberten Gebiete oder organisierten Ausplünderung und Lenkung der Volkswirtschaften der besetzten Staaten. 1 Zwischen 1940 und 1945 legten diese Forscher eine große Betriebsamkeit an den Tag, und es gelang ihnen, mit ihren radikal-revolutionären Vorstellungen in einige Bereiche der Politikgestaltung einzubrechen. Dennoch führte die Kürze der Zeit, in der die genannten Universitäten unter deutscher Kontrolle standen, dazu, dass man bei ihrem Aufbau nicht über erste organisatorische Ansätze hinauskam.2 Mit dem Vorrücken der alliierten Armeen 1944/45 wurden die Reichsuniversitäten evakuiert, letztendlich abgewickelt und wieder aufgelöst. Die dort tätigen deutschen 1 2

Vgl. hierzu beispielsweise Harten/Neirich/Schwerendt 2006, S. 242ff. Die deutschsprachige beziehungsweise ins Deutsche übersetzte Forschung zu den drei Reichsuniversitäten ist bislang nicht sehr umfangreich. Eine umfassende, auf aktueller universitätsgeschichtlicher Methodik fußende Darstellung steht noch aus. Vgl. bis dahin u.a. Kostlan 2000, Glettler/Míšková 2001, Hausmann 2010.

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Akademiker verloren ihre Stellung und mussten oftmals flüchten, viele davon in die westdeutschen Besatzungszonen. Da sie damit das Schicksal einer nicht unerheblichen Anzahl anderer Beamter aus den nunmehr verlorenen Ostgebieten teilten, verankerte die junge Bundesrepublik im Grundgesetz den Artikel 131, der den betroffenen Personen die Regelung ihrer Rechtsverhältnisse und eine angemessene Versorgung durch ein Bundesgesetz zusagte. Auf Basis dieses „Gesetz[es] zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Personen“ vom 10. April 19513 wurde in der Folgezeit die Mehrheit der vertriebenen oder geflüchteten Hochschullehrer an westdeutschen Universitäten untergebracht. Dadurch konnten auch hochrangige NS-Täter in Amt und Würden zurückkehren. Mit dieser Gruppe von Forschern befasst sich die vorliegende Untersuchung.

Akademische Vergangenheitspolitik und kollegiale Netzwerke an deutschen Universitäten Die Grundlage für die hier beschriebene Entwicklung bildete eine akademische Vergangenheitspolitik der Nachkriegsjahre, die in erster Linie auf zwei Prämissen fußte.4 Zum einen habe sich der Nationalsozialismus die Wissenschaft Untertan gemacht und sie in vielen Bereichen für seine Zwecke missbraucht. Dieses Argument brachten die Forscher vor, wenn sie damit konfrontiert wurden, dass eine erdrückende Zahl führender Wissenschaftler an vorderster Stelle in Planung und Ausführung der Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten eingebunden gewesen war.5 Zum anderen hätten aber gerade die deutschen Universitäten das jahrhundertealte Humboldt’sche Bildungsideal auch während der NS-Herrschaft weiter hochgehalten. Hiermit war die Konstruktion des Mythos einer „reinen“ Wissenschaft verknüpft, auf die sich vor allem, aber nicht ausschließlich, die Naturwissenschaften nach 1945 beriefen.6 Beide Elemente dienten als Legitimationsgrundlage dafür, in den Universitäten eine der wenigen Institutionen sehen, mit deren Hilfe ein Wiederaufbau der deutschen Gesellschaft möglich sein sollte.7 Wenn sich auch kritische Stimmen gegenüber dieser Legendenbildung erhoben, so entfaltete sie doch innerhalb der Professorenschaft eine starke Wirkung. Dazu trug nicht zuletzt bei, dass die von den Alliierten durchgeführte Entnazifizierung als Bedrohung der universitären Selbstverwaltung und Angriff auf den eigenen Stand empfunden wurde.8 Vor allem die Mediziner, deren direkte Verstrickung in die Rassenpolitik des NS3 4 5 6 7 8

Bundesgesetzblatt I 1951, S. 307. Vgl. zum Thema (akademische) Vergangenheitspolitik zum Beispeil Weisbrod 2002, Oehler-Klein/Roelcke 2007, Schüring 2006, Frei 1999. Vgl. Weisbrod 2002, S. 21. Weisbrod 2002, S. 33. Ebd., S. 23. Oehler-Klein/Roelcke 2007, S. 12.

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Regimes offen und für alle erkennbar gewesen war, sahen sich dabei erheblichem Druck ausgesetzt. In Kombination mit dieser akademischen Selbstverortung zwischen Opfer und Hoffnungsträger entwickelte sich daraus eine Kultur der Abwehr, Verleugnung und Amnestierung. Schuld wurde auf eine kleine Gruppe von Tätern abgewälzt, deren öffentlichkeitswirksame Abstrafung den Blick auf die alltägliche Verstrickung der weniger prominenten Kollaborateure verdeckte.9 Dadurch begünstigt, dass die medizinischen Notwendigkeiten einer Mangelgesellschaft in der unmittelbaren Nachkriegszeit den Einsatz aller verfügbaren Ärzte dringend notwendig machten, konnten viele von ihnen schon rasch wieder praktizieren.10 Hinzu kam eine Tradition der Kollegialität in der Professorenschaft, welche dazu führte, dass innerhalb der Fakultäten ein Korpsgeist überdauerte, der in eigentümlichem Widerspruch zur Ausschaltung der jüdischen Kollegen nur wenige Jahre zuvor stand.11 Somit konnten viele der unter Druck geratenen Forscher bald wieder in ihre alten Positionen zurückkehren. Über die universitäre Kollegialität hinaus war aber vor allem die gute Einbettung vieler Professoren in lokale Netzwerke ein wichtiger Grund dafür, dass die Wiedereingliederung belasteter Hochschullehrer im Regelfall problemlos verlief. Auch Münster und die dort bestehende Westfälische Wilhelms-Universität bildeten dabei keine Ausnahme. In der Domstadt spielte dafür vor allem das katholische Milieu eine wichtige Rolle. Es bot beispielsweise örtlichen Medizinern wie Karl Wilhelm Jötten12 oder Heinrich Többen,13 die sich dem NS-Regime angedient hatten, Unterstützung. Die Wirksamkeit dieser Netzwerke beschränkte sich jedoch nicht nur auf aktuelle Professoren der Universität Münster. Sie kamen auch solchen Kollegen zu Gute, die in der Zwischenzeit an andere Universitäten gewechselt waren und durch den Krieg ihre Positionen eingebüßt hatten. Dies war beispielsweise bei dem Botaniker Horst Engel der Fall, der zwischenzeitlich in Danzig tätig gewesen war und als Assistent am Provinzialmuseum für Naturkunde Unterschlupf fand.14 Ähnlich verlief es bei dem Zoologen Bernhard Rensch, der nach dem Verlust seiner Stelle in Prag an die Philosophisch-Naturwissenschaftliche Fakultät zurückkehrte und dort später sogar Ordinarius wurde.15 Auch für die anderen Fachbereiche lassen sich zahlreiche ähnliche Beispiele finden. Während demnach die überwiegende Mehrheit der Wiedereingliederungen auf diese Art und Weise ablief und lokale Netzwerke die Regel bildeten, gab es aber 9 10 11 12 13 14 15

Ebd., S. 16. Ebd., S. 13. Ebd., S. 14. Hierzu Dicke 2004. Hierzu Aulke 2008. Vgl. hierzu StAHH, PA Engel, Nr. IV 3082, UAMs, Bestand 92, Nr. 26, UAMs, Bestand 10, Nr. 88. Vgl. hierzu UAMs, Bestand 8, Nr. 10787, Bd. 1.

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auch hier Ausnahmen. Ein Fall sticht dabei besonders heraus, handelte es sich doch um einen Professor, der vor seiner Integration in die Medizinische Fakultät der Universität keinerlei Kontakte nach Münster gehabt hatte: der Rassenkundler Bruno K. Schultz. Anhand seiner Nachkriegskarriere wird daher im Folgenden der Frage nachgegangen, wie es dazu kommen konnte, dass die Universität Münster einen hochrangiger SS-Führer und Mittäter beim Völkermord im Osten in ihre Reihen aufnahm. Dazu wird zunächst die Person Bruno K. Schultz, sein akademischer wie politischer Werdegang und seine maßgebliche Mitwirkung an NS-Verbrechen dargestellt werden. Einer Schilderung seines Entnazifizierungsverfahrens folgt dann eine Analyse seiner ersten Kontaktaufnahmen mit der Universität Münster. Abschließend werden die beiden letztlich erfolgreichen Versuche, ihn mit Hilfe alter Netzwerke aus seiner Prager Zeit in Münster unterzubringen, analysiert. Dabei wird die Kontinuität nationalsozialistischer Netzwerke an deutschen Universitäten über den Systembruch 1945 hinaus ebenso dargestellt werden wie die Umstände, unter denen die Reintegration hochbelasteter NS-Täter in die akademische Gemeinschaft abseits lokaler Milieus und Verbindungen funktionieren konnte. Schließlich wird gezeigt werden, wie Universitätsverwaltung, Fakultäten und die Politik miteinander kooperierten, um die Reintegration von Schultz selbst gegen den fachlich begründeten Widerstand einzelner Ordinarien durchzusetzen.

Der akademische und politische Werdegang von Bruno K. Schultz Bruno K. Schultz wurde am 3. August 1901 als Sohn eines Wirklichen Hofrats und Polizeipräsidenten in Sitzenberg bei Wien geboren. Von 1911 bis 1919 besuchte er das Humanistische Gymnasium in Wien, wo er 1919 das Abitur ablegte.16 Im Anschluss daran studierte er von 1919 bis 1924 Rassenkunde und Skandinavistik an der Universität Wien und wurde am 9. Dezember 1924 mit dem Thema „Beiträge zu den Jenseitsvorstellungen der Germanen“ zum Dr. phil. promoviert.17 Nach seiner Promotion arbeitete Schultz in wechselnden Positionen an verschiedenen Universitäten und Instituten. Von 1924 bis 1925 war er als Volontärassistent am Geographischen Institut der Universität Leipzig tätig. Danach wechselte er von 1925 bis 1926 in gleicher Stellung an das Naturwissenschaftlich-Historische Museum in Wien, bevor er 1927 als wissenschaftlicher Mitarbeiter an das Anthropologische Institut der Universität Wien übersiedelte. Von 1927 bis 1931 arbeitete er als außerordentlicher Assistent an der Staatssammlung München und von 1931 bis 1934 als ordentlicher Assistent am Anthropologischen Institut der Universität München.18 1934 habilitierte sich Schultz an der Universität München mit einer 16 17 18

UAMs, Bestand 52, Nr. 278, Lebenslauf, 31.10.1960. Harten/Neurich/Schwerendt 2006, S. 276. UAMs, Bestand 52, Nr. 278, Lebenslauf, 31.10.1960.

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Arbeit zum Thema „Anthropologische Untersuchungen an Bauern des südlichen Allgäus, Lechtales und Bregenzer Waldes“,19 wurde jedoch bereits 1936 an die Universität Berlin umhabilititert. 1938 wurde er dort als außerordentlicher Professor berufen und gleichzeitig zum Direktor des Biologischen Instituts der Reichsakademie für Leibesübungen ernannt.20 Am 8. Juli 1942 ging Schultz als ordentlicher Professor an die Deutsche Karls-Universität im besetzten Prag und wurde gleichzeitig zum Direktor des dortigen Instituts für Rassenbiologie bestellt.21 Auf diesem Posten verblieb er bis kurz vor Kriegsende, als mit der Schließung der Deutschen Karls-Universität auch seine Karriere als Ordinarius ein Ende fand. Die wissenschaftliche Fachrichtung, in der sich Schultz verortete und die sich 1942 in der Benennung seines Lehrstuhls mit „Rassenbiologie“ widerspiegelte, hatte zu diesem Zeitpunkt bereits einen langen Entwicklungsprozess hinter sich gebracht. Um den Forscher besser einordnen zu können, ist daher ein kurzer Abriss zum Verhältnis von Rassenhygiene und Nationalsozialismus sinnvoll. Der Ursprung dieser für beide Seiten fruchtbaren Kooperation lag dabei schon weit vor 1933. Die Essenz dessen, was sich zur NS-Rassenhygiene22 entwickeln sollte, lässt sich bis zu einem Zusammentreffen verschiedener geistiger und wissenschaftlicher Strömungen im ausgehenden 19. Jahrhundert zurückverfolgen. Hier flossen sozialdarwinistische, eugenische und rassenanthropologische Aspekte zu einem neuen Paradigma mit dezidiert bevölkerungspolitischen Zielsetzungen zusammen. Bestimmt wurden diese vom Bild einer „erbgesunden“ Gesellschaft, die über den Weg einer Separierung von Förderwürdigen und Förderunwürdigen, aber auch über eine Ausschaltung als minderwertig definierter Gruppen hergestellt werden sollte. Hierzu zählten bereits zu Beginn, gemäß der Postulierung der erblichen Grundlagen gesellschaftlicher Missstände, neben geistig und körperlich Behinderten auch Verbrecher und Prostituierte. Rassistisch im Sinne einer wertenden Unterscheidung zwischen verschiedenen menschlichen Rassen war die Rassenhygiene anfangs nicht. Erst ihre Verknüpfung mit Kategorien der Rassenanthropologie, zum Beispiel einer höheren Wertigkeit der arischen und insbesondere der nordischen Rasse, lenkte sie in diesbezügliche Bahnen.23 Obwohl Anklänge hieran bereits bei Ploetz24 sichtbar 19 20 21 22

23 24

Ebd. Ebd. UAMs, Bestand 8, Nr. 47066, Bd. 3, REM an Kurator Deutsche Karls-Universität Prag, 8.7.1942. Der Begriff der Rassenhygiene selbst wird von den Nationalsozialisten, aber auch von der zeitgenössischen Wissenschaft nicht einheitlich verwendet und teilweise synonym mit Rassenkunde, Rassenbiologie und menschlicher Erblehre genutzt. Generell ist zu konstatieren, dass unter Rassenkunde zumeist eine anthropologische und bei den Naturwissenschaften angesiedelte, unter Rassenhygiene hingegen eine klinisch orientierte medizinische Wissenschaft verstanden wurde; vgl. Harten/Neurich/Schwerendt 2006, S. 3. Vgl. ebd., S. 3ff. Vgl. zu Ploetz: Schmuhl 2005.

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sind, wurde eine grundlegende und systematische Verknüpfung dieser Aspekte in Deutschland25 erst in den 1920er-Jahren durch Friedrich Lenz durchgeführt. Er war es auch, der eine Verbindung zur völkischen Ideologie mit ihrem Konzept der Volksgemeinschaft herstellte.26 Bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 sollten diese Konzepte nur eine von vielen Strömungen innerhalb des rassenhygienischen Diskurses sein, der innerhalb der demokratischen Ordnung der Weimarer Republik nicht zuletzt durch „humanere“ sozialdemokratische und zentrumsnahe christlich-soziale, auf Fürsorge abzielende Spielarten komplementiert wurde. Dies sollte sich mit dem Aufbau des Führerstaates ändern. Mit ihren Ideen von Blut und Boden, einem arisch-germanischen Bauerntum und einer Aufartung durch verschärfte Auslese nahmen die Nationalsozialisten einem Brennspiegel gleich die verschiedenen Strömungen der rassenhygienischen Bewegung auf und verdichteten sie zusammen mit Konzepten einer auf biologischen Grundlagen beruhenden Erziehung zu einem letztlich völkermörderischen Programm. Ziel war nun die Reinigung des „Volkskörpers“ von allem Schädlichen. Mittel hierzu wurde die „Ausmerzung“. Die wissenschaftliche Legitimationsgrundlage für diese Politik lieferten dabei die Mediziner und Naturwissenschaftler, die sich nun, da alle moralischen wie rechtlichen Schranken niedergerissen waren, an eine praktische Umsetzung ihrer Theorien machten. Der Tendenz der kumulativen Radikalisierung27 des Regimes folgend wurden auch ihre Forderungen immer radikaler. In der Person Bruno K. Schultz trafen sich Wissenschaft und Politik dabei geradezu prototypisch. Neben seinem wissenschaftlichen Aufstieg hatte Schultz nämlich ebenso intensiv seine politische Laufbahn vorangetrieben und sich schon früh im Dunstkreis völkischer Gruppierungen bewegt. So wurde er bereits kurz nach Ende des Ersten Weltkrieges Mitglied des Völkischen Blocks der Deutschen Studentenschaft der Universität Wien sowie des Nordischen Rings.28 Im Jahre 1929 wurde Schultz Schriftleiter der Zeitschrift „Rasse und Volk“ und fand damit eine Möglichkeit, seine Arbeiten einem größeren Leserkreis zugänglich zu machen.29 Anfang der 1930er-Jahre näherte er sich schließlich der nationalsozialistischen Bewegung an. Bereits 1931 arbeitete er, ohne selbst Mitglied zu sein, an der Erstellung des Verlo-

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Rassenhygienische Konzepte, aber auch konkrete Anwendungen in der Politik, hatte es zu diesem Zeitpunkt in einer Vielzahl von Ländern bereits gegeben, insbesondere in den USA. Dort waren auf Basis rassenhygienischer Forschung Gesetze zum Verbot der „mischrassigen“ Eheschließung und verschärfte Einwanderungsbestimmungen gegenüber unerwünschten und als minderwertig betrachteten Volksgruppen durchgesetzt worden, vgl. hierzu u.a. Kühl 1994 und Proctor 1988. Harten/Neurich/Schwerendt 2006, S. 5ff.; vgl. zum Konzept der Volksgemeinschaft zuletzt Wildt 2007. Vgl. hierzu Mommsen 1983. Harten/Neurich/Schwerendt 2006, S. 467. UAMs, Bestand 8, Nr. 47066, Bd. 3, Regierungspräsident Münster an Kultusminister Nordrhein-Westfalen, 31.12.1954.

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bungs- und Heiratsbefehls der SS mit.30 Am 1. Februar 1932 folgte sein Eintritt in die NSDAP (Mitgliedsnummer 935.761). Im selben Jahr trat er in die SS ein (SSNummer 71.679) und übernahm das Amt eines Referenten für Rassenkunde im Rasse- und Siedlungsamt der SS, dem späteren Rasse- und Siedlungshauptamt SS. 1934 wurde Schultz dort hauptamtlicher Mitarbeiter.31 Ab September 1937 war er Angehöriger des Reichsausschusses zum Schutze des deutschen Blutes im Stabe des Stellvertreters des Führers. Ebenso arbeitete er im Rassenpolitischen Amt der NSDAP und war Leiter der Abteilung Rassenkunde und Rassenforschung im Stabsamt des Reichsbauernführers in Berlin. Ab dem 1. Oktober 1941 wurde er „für die Dauer des Krieges zur Übernahme eines Auftrages des Reichsführers SS von den Vorlesungen befreit“.32 Im November 1941 zum SS-Obersturmbannführer befördert folgte kurz darauf sein weiterer Aufstieg zum SS-Standartenführer.33 Ebenfalls 1941 wurde Schultz kommissarischer, ein Jahr später offizieller Leiter des Rassenamtes im Rasse- und Siedlungshauptamt.34 Ab 1944 leistete er schließlich neben seiner Tätigkeit als Professor Dienst als Führer bei der Waffen-SS.35 Schultz kann im Spektrum der Rassenhygieniker der damaligen Zeit in die Gruppe der anthropologisch ausgerichteten, wissenschaftlich kaum profilierten, dafür aber umso mehr politisierten und anwendungsorientierten Forscher eingeordnet werden. Zwar dienten sich auch die universitären wie außeruniversitären Spitzenforscher, beispielsweise in den Kaiser-Wilhelm-Instituten, dem NS-Regime an, Schultz jedoch agierte als Transmissionsriemen von der Theorie auf die Praxis.36 Während Lenz oder von Verschuer zwar einer verbrecherischen Politik die Munition lieferten, war es der Wiener Rassenkundler, der sie den Tätern vor Ort zur Verfügung stellte und sie quasi in den Gebrauch ihrer Waffe einwies. Die Reichsuniversität Prag bot ihm dabei ein ideales Betätigungsfeld. So war es der SS hier, im Gegensatz zu den älteren Universitäten im Reich, leichter möglich, auch wissenschaftlich nicht besonders hervorstechende Kandidaten über die Parteischiene ins Amt zu hieven. Nichts Anderes war bei Schultz der Fall gewesen. Eng damit verbunden war ein weiterer Aspekt, der besonders auf den Plänen des stellvertretenden Reichsprotektors für Böhmen und Mähren und Chefs des Rasse- und Siedlungshauptamtes Reinhard Heydrich fußte. Dieser wollte die Deutsche Karls-Universität Prag zu einem wissenschaftlichen Dreh- und Angelpunkt der von der SS beherrschten Umvolkungs- und Germanisierungspolitik im Osten ausbauen und sammelte dort zu diesem Zweck eine Reihe von dafür geeigneten Wissenschaftlern. Als Rektor war zunächst 1940 mit dem Agrarrechtler Wilhelm Saure ein Exponent 30 31 32 33 34 35 36

Heinemann 2003, S. 56. Harten/Neurich/Schwerendt 2006, S. 278. UAMs, Bestand 8, Nr. 47066, Bd. 3, Kultusministerium Bayern an Minister für Politische Befreiung in Bayern, 5.9.1953. Ebd., Kultusminister Bayern an Minister für Politische Befreiung in Bayern, 5.9.1953. Harten/Neurich/Schwerendt 2006, S. 278. BAB, Bestand R 4901, Nr. 14214. Vgl. zur Rolle des Kaiser-Wilhelm-Instituts Kröner 1998 sowie Schmuhl 2003.

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der Rasse- und Siedlungshauptamtes installiert worden. Dieser wurde jedoch, da er sich nicht als der richtige Mann für Heydrichs ehrgeizige Pläne herausstellte, bereits 1942 durch den ehrenamtlichen SD-Mitarbeiter Alfred Buntru ersetzt. Gleichzeitig wurde neben Schultz eine Reihe von aufs Engste mit dem Rasse- und Siedlungshauptamt und der SS verknüpfte Forscher nach Prag berufen oder es wurden komplett neue Lehrstühle für sie geschaffen. Hierzu zählten unter anderen der Volkstumsforscher Hans Joachim Beyer, der Volkstumshistoriker Heinz Zatschek, der Sozialanthropologe Karl Valentin Müller und der Völkerpsychologe Rudolf Hippius. In diesem interdisziplinären Verbund sollte die wissenschaftliche Basis für die megalomanen Völkerverschiebungs- und Ausrottungspläne der Nationalsozialisten erarbeitet werden.37 Erneut stand dabei insbesondere Schultz am Schnittpunkt zwischen Theorie und Praxis.

Schultz in Prag Während seiner Zeit als Direktor des Instituts für Rassenbiologie an der Deutschen Karls-Universität Prag sowie seiner Arbeit für die SS war Schultz an einer Vielzahl von Gewaltmaßnahmen des nationalsozialistischen Regimes beteiligt. Hierbei arbeitete er eng mit seinem Prager Kollegen Professor Karl Johannes Thums, dem Direktor des Instituts für Rassenhygiene an der Deutschen Karls-Universität, zusammen. Neben ihm war Schultz einziger vom Reichsministerium des Inneren bestellter Sachverständiger in Vaterschafts- und Abstammungsprozessen sowie Verfahren des Reichssippenamtes im böhmisch-mährischen Raum und im Reichsgau Sudetenland. Im Rahmen dieser Tätigkeit verfasste er Gutachten, die sich in vier Kategorien einordnen lassen: 1. Gutachten zur rassischen Einstufung der untersuchten Betroffenen gemäß den Nürnberger Gesetzen; 2. Vaterschaftsbestimmungen, beispielsweise in Unterhaltsstreitigkeiten; 3. Gutachten zum Schutz der Erbgesundheit des deutschen Volkes, beispielsweise bei Mischehen, Fragen des „Rasseschutz“ oder bei Ehegesundheitszeugnissen; 4. Eugenische Gutachten für Gerichtsverfahren aufgrund des „Gesetz[es] zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“. Schultz war somit neben der Legitimierung und Operationalisierung der nationalsozialistischen Diskriminierungspolitik führend und verantwortlich an der NSSterilisationspraxis beteiligt.38 Die Aufgaben des Rassenanthropologen blieben jedoch nicht auf einen rein theoretischen Rahmen beschränkt. Im Auftrag der SS führte Schultz von 1940 bis 1941 Rassemusterungen im Elsass und in Lothringen zum Zweck einer rassischen Auslese der Einwohner als Vorbereitung für anschließend durchzuführende Aussiedlun37 38

Vgl. hierfür Roth 1999, S. 297–303. Šimu˚nek 2004, S. 251f.

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gen durch.39 Später koordinierte er von Prag aus die wissenschaftliche Ausrichtung und die rassenanthropologische Ausbildung der Rasse- und Siedlungs-Führer und Eignungsprüfer der SS. Damit war er direkt in die Umsiedlungs-, Vertreibungs- und Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten in Osteuropa und Russland eingebunden.40 Hierbei entwickelte er unter anderem die vom Rasse- und Siedlungshauptamt während ihrer rassischen Untersuchungen benutzten Klassifikationskarten. Mit ihnen war anhand der Beurteilung einer Vielzahl körperlicher Merkmale über ein von Schultz erdachtes System eine Kategorisierung der Betroffenen in die Gruppen I bis IV je nach rassischer Wertigkeit schnell, effizient und vor allem einheitlich möglich.41 Gleichermaßen aktiv setzte er sich für die praktische Anwendung der von ihm entwickelten Kriterien ein. So forderte er Anfang 1942 als kommissarischer geschäftsführender Chef des Rassenamtes im Rasse- und Siedlungshauptamt die Evakuierung rassisch Unerwünschter nach dem Osten, ein Terminus, der in zeitgenössischen Schriftwechseln für die Deportation und Vernichtung der Juden und anderer rassisch unerwünschter Bevölkerungsteile in den besetzten Ostgebieten benutzt wurde.42 Bis Kriegsende blieb Schultz an oberster Position in den Völkermord eingebunden.

Flucht nach Bayern und Entnazifizierung Mit dem Zusammenbruch des Deutschen Reiches flüchtete Schultz 1945 aus Prag nach Bayern. Drei Jahre später musste er sich dort einem Entnazifizierungsverfahren stellen, das am 23. Juni 1948 vor der Spruchkammer Dachau abgeschlossen wurde. Wohl wissend um die Konsequenzen, die ihm aufgrund seiner führenden Tätigkeit für die nationalsozialistische Rassenpolitik drohten, hatte Schultz in seinem Verfahren falsche Angaben zu seiner politischen Vergangenheit gemacht. So hatte er angegeben, lediglich von 1938 bis 1945 Mitglied der NSDAP und von 1938 bis 1945 Mitglied des NSKK, dort von 1939 bis 1945 als Rottenführer, gewesen zu sein. Seine Tätigkeit für die SS verschwieg er völlig. Die Spruchkammer Dachau stufte Schultz daraufhin als Mitläufer ein und legte ihm am 27. Januar 1948 eine Sühnezahlung von 50 DM auf. Selbst dagegen legte Schultz am 11. Februar 1948 Einspruch ein. Der Beschluss wurde aber am 2. Juni 1948 bestätigt.43 Die Jahre danach verbrachte Schultz ohne Amt und Stellung als vertriebener Hochschullehrer. 1950 fand er eine neue Betätigung als gerichtlicher Sachverstän39 40 41

42 43

Heinemann 2003, S. 314f. Ebd., S. 596. Vgl. das von Schultz zusammengestellte Schulungsmaterial für Rasseprüfer von 1934, BAB, Bestand NS 31, Nr. 279, Bl. 2–5, sowie Übergangsbestimmungen für die SS-Annahmeuntersuchungen vom 5.9.1936, BAB, Bestand NS 2, Nr. 166. Heinemann 2003, S. 367. UAMs, Bestand 8, Nr. 47066, Bd. 3, Spruchkammerbescheid Dachau, 14.7.1948.

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diger in Vaterschaftsfragen in München sowie als Buchhalter und Lektor im J. F. Lehmanns-Verlag in München, dem früheren Hausverlag der Nationalsozialisten für die Publikation rassenkundlicher Schriften.44 Dies war ihm jedoch nicht genug. Im Juli 1952 versuchte er daher zum ersten Mal, über den § 78 a Absatz 2 des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Personen wieder an eine Stelle als Hochschullehrer zu gelangen.45 Im Zuge des Verfahrens fielen dem Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus im September 1953 jedoch Diskrepanzen zwischen Schultz’ Angaben bei der Spruchkammer Dachau und Akten der Deutsche Karls-Universität Prag im Bundesarchiv Berlin auf.46 Daraufhin ließ der „Minister für Politische Befreiung in Bayern“47 eine Wiederaufnahme des Verfahrens prüfen und erstattete Anzeige wegen des Verdachts auf ein Vergehen nach Artikel 65 des Gesetzes zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus,48 des so genannten „Befreiungsgesetzes“.49 Damit gerieten die Mühlen der Justiz langsam in Bewegung. Am 21. Mai 1954 befasste sich die Hauptspruchkammer München mit dem Fall Schultz. Der Vorgang ist ein irritierendes Beispiel für die Inkonsistenz vieler Entnazifizierungsverfahren. Zwar hob die Kammer den Spruch der Spruchkammer Dachau vom 23. Juni 1948 im Wiederaufnahmeverfahren aufgrund der damals gemachten falschen Angaben auf. Gleichzeitig wurde aber das Verfahren gegen Schultz gemäß § 1 des Gesetzes zum Abschluss der politischen Befreiung in Bayern vom 27. Juli 1950 eingestellt. Die Kammer argumentierte, dass Schultz zwar eigentlich in Kategorie II eingeordnet werden müsse, eine Reihe von Entlastungsschreiben, im Volksmund auch Persilscheine genannt, jedoch eine Einordnung in Kategorie III nötig scheinen ließen. Da das Gesetz zum Abschluss der politischen Befreiung in Bayern für diese Kategorie eine Einstellung der Verfahren vorsah, kam Schultz somit ohne jegliche Konsequenzen aus der Sache heraus.50 Auch von der Erstattung einer Strafanzeige wegen Vergehens nach Artikel 65 des Befreiungsgesetzes sah der Minister für Politische Befreiung in Bayern im Hinblick auf das Straffreiheitsgesetz von 195451 nun ab.52 Die Akten des Verfahrens wurden anschließend an das Innenministeri44 45 46 47

48 49 50 51 52

Ebd., Personalerhebungsbogen, 28.3.1958. Ebd., Schultz an Kultusminister Bayern, 28.7.1952. Ebd., Kultusminister Bayern an Minister für Politische Befreiung in Bayern, 5.9.1953. Vgl. Volkert 1983, S. 317. Unter der Bezeichnung „Minister für Politische Befreiung in Bayern“ firmierte die im Rahmen des bayrischen Finanzministeriums abgewickelten Nachfolgebehörde des bis 1950 von Heinrich Schmitt geleiteten Staatsministeriums für Sonderaufgaben, das bis dahin für die Entnazifizierung in Bayern zuständig gewesen war. Vgl. Woller 1986, S. 117ff. UAMs, Bestand 8, Nr. 47066, Bd. 3, Minister für Politische Befreiung in Bayern an Kultusminister Bayern, 23.12.1953. Ebd., Spruchkammerbescheid München, 21.5.1954. Bundesgesetzblatt 1953 I, S. 203. UAMs, Bestand 8, Nr. 47066, Bd. 3, Minister für Politische Befreiung in Bayern an Kultusminister Bayern, 19.8.1954.

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um Nordrhein-Westfalen, das für Schultz aufgrund seines Wohnortwechsels nach Münster zuständig geworden war, übersandt.53 Von dort wurden die Unterlagen mit der Bitte um weitere Bearbeitung an den Regierungspräsidenten in Münster weitergeleitet.54 Eine Kopie ging ebenfalls an das Kultusministerium NordrheinWestfalen.55 Dort sah man trotz der erdrückenden Belege „keine hinreichenden Anhaltspunkte […], daß seine aktive Tätigkeit für die NSDAP und ihrer [sic!] Gliederungen für seine Ernennungen [zum Professor, DD] ursächlich war.“56 Dies hätte Schultz von einer Unterbringung gemäß Artikel 131 Grundgesetz ausgeschlossen. Am 17. März 1955 erhielt er daher folgerichtig seinen Unterbringungsschein.57

Das Institut für Gerichtliche Medizin der Universität Münster als Schleuse für Prager SS-Angehörige In Münster hatte im Jahre 1948 Albert Ponsold als Nachfolger Heinrich Többens die Leitung des Instituts für Gerichtliche Medizin an der Westfälischen WilhelmsUniversität übernommen. Er holte Schultz 1953 an sein Institut.58 Von 1941 bis 1945 war Ponsold Ordinarius für Gerichtliche Medizin an der Reichsuniversität Posen gewesen und hatte dort eine rege Gutachtertätigkeit, laut eigenen Angaben zu 90 Prozent Blutgruppengutachten zur Feststellung der Vaterschaft unehelicher Kinder, entwickelt. Dabei war er zum Obergutachter für das gesamte Reichsgebiet aufgestiegen.59 Auch wenn die Akten keine direkten Informationen darüber geben, woher sich die beiden Professoren kannten oder welche Gründe Ponsold für die Entscheidung, Schultz anzustellen, gehabt haben könnte, lassen mehrere Indizien auf alte Netzwerke schließen. So waren beide in enger geographischer Nähe in hohen Positionen in ähnlichen Gutachterbereichen tätig gewesen. Außerdem war Ponsold als Richter am Erbgesundheitsgericht in Erscheinung getreten60 und hatte in Posen Vorlesungen über Vererbungs- und Rassenlehre61 abgehalten, was ihn in direkten Kontakt mit dem Aufgabenbereich Schultz’ brachte. Darüber hinaus waren die Verbindungen zwischen den Universitäten Posen und Prag eng, die beide, wie eingangs erwähnt, als nationalsozialistische Kaderschmieden62 im neu erschlossenen Osten dienen sollten. Dies machte eine Bekanntschaft der beiden Ordinari53 54 55 56 57 58 59 60 61 62

Ebd., Kultusminister Bayern an Innenministerium Nordrhein-Westfalen, 18.10.1958. Ebd., Innenministerium Nordrhein-Westfalen an Regierungspräsident Münster, 19.11.1954. Ebd., Regierungspräsident Münster an Kultusminister Nordrhein-Westfalen, 31.12.1954. Ebd., Kultusminister Nordrhein-Westfalen an Regierungspräsident Münster, 4.3.1955. Ebd., Vermerk des Innenministeriums Nordrhein-Westfalen, 17.3.1955. UAMs, PA Schultz, Bestand 8, Nr. 47066, Bd. 1, Ponsold an Kurator, 30.6.1954. LAV NRW W, Entnazifizierungsakte Ponsold, NW 1002-Med, Nr. 10986. Klee 2007, S. 469. BAB, Bestand R 4901, Nr. 24096, Kurator Posen an REM, 5.10.1942. Vgl. hierzu Wroblewska 2000.

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en wahrscheinlich. Gestützt wird die Netzwerk-These auch noch durch weitere Personalentscheidungen in Münster, denn interessanterweise war Schultz nicht der erste ehemalige Mitarbeiter der SS aus Prag, der Unterschlupf in Ponsolds Institut gefunden hatte. Bereits 1948 hatte der Ordinarius dem Pathologen Hans Sachs zeitweise einen Platz an seinem Lehrstuhl verschafft. Sachs, geboren am 31. März 1912, zunächst Oberarzt der Luftwaffe, hatte sich an der Universität Prag habilitiert und war, zur Waffen-SS abkommandiert, erst zum leitenden Arzt der SS und Polizei in Böhmen und Mähren und Ende 1944 zum leitenden Pathologen beim Reichsarzt-SS aufgestiegen. In diesem Rahmen war er auch an den so genannten N-Stoff-Versuchen, unter anderem geplanten Kampfstoffversuche an Konzentrationslagerhäftlingen, beteiligt.63 Sachs’ Zeit an der Universität Münster war von Streitereien mit seinem Vorgesetzten geprägt, der sich aufgrund dessen einer weiteren Karriere des Pathologen in den Weg zu stellen versuchte.64 Eine Karriereförderung durch Universitätskreise ist deshalb nicht belegbar. Interessanter für ein Verständnis der Rolle Schultz‘ ist daher der Fall eines weiteren ehemaligen Mitarbeiters des Rasse- und Siedlungshauptamt, denn vom 20. September 195165 bis 31. August 195366 hatte am Münsterschen Institut der ehemalige außerordentliche Professor an der Technischen Hochschule Dresden, Michael Hesch, als durch Ponsold privat angestellter Gutachter67 als Erbbiologe gearbeitet68 und war damit direkter Amtsvorgänger Schultz‘ gewesen. Hesch, geboren am 18. September 1893 in Siebenbürgen, war nach einem naturwissenschaftlichen Studium ab 1917 zunächst in das Referendariat gegangen. Danach hatte er Anthropologie und Völkerkunde studiert und als Assistent des späteren prominenten Leipziger Rassenkundlers Otto Reche in Wien gearbeitet. Bereits 1916 hatte er mit ersten rassenkundlichen Arbeiten, Untersuchungen an russischen Kriegsgefangenen, Erfahrung gesammelt. Ab den frühen 1920er-Jahren war Hesch im völkischen Umfeld tätig, beteiligte sich am Kampf der StudentenBurschenschaft „Moldavia“ gegen Juden und Klerikale und wurde, ebenso wie Schultz, Mitglied im „Nordischen Ring“. Hesch folgte Reche, als dieser 1927 nach Leipzig ging, und wurde Kustos der Anthropologischen Abteilung des Museums für Tier- und Völkerkunde in Dresden.69 Am 1. Mai 1933 trat er der NSDAP bei, ein Jahr später dem Nationalsozialistischen Lehrerbund und der SS sowie weiteren NSGliederungen wie SA, NSV und NSDDB.70 In der Folgezeit führte er zahlreiche 63 64 65 66 67 68 69 70

Klee 2007, S. 517. Vgl. dazu die Auseinandersetzungen um ein Arbeitszeugnis für Sachs durch Ponsold in: UAMs, Bestand 5, Nr. 367. UAMs, Bestand 10, Nr. 2718, Kurator an Regierungspräsident Münster 6.1.1959. Ebd., Kurator an Regierungspräsident Münster (Bezirksausgleichstelle), 23.9.1953. Ebd. UAMs, Bestand 10, Nr. 2718, Regierungspräsident Münster an Kurator, 22.12.1958. Harten/Neurich/Schwerendt 2006, S. 275. Ebd., S. 399.

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weitere rassenkundliche Untersuchungen durch, so beispielsweise 1934 erbbiologische Erhebungen an sächsischen Strafgefangenen. Hesch stellte sich dem Regime mit großem Eifer zur Verfügung, verband seine Forschung mit politischen Aufgaben und legitimierte und stützte die NS-Rassenpolitik aktiv. So arbeitete er in der rassenpolitischen Schulungs- und Erziehungsarbeit, wurde „Fachberater für Rasse“ in der Kulturpolitischen Abteilung der NSDAP-Kreisleitung und hielt Kurse für die NS-Frauenschaft und die Leipziger Schutzpolizei. Obwohl er ab 1936 einen Lehrauftrag für „Grundlagen und Wege der nationalsozialistischen Rassen- und Bevölkerungspolitik“ an der Universität Leipzig inne hatte, verlagerte sich seine Haupttätigkeit im Laufe der Zeit immer mehr von der Forschung und Lehre fort hin zur Arbeit in der SS, wo er schnell Karriere machte. Schon 1936 Standartenschulungsleiter beim Rasse- und Siedlungshauptamt, stieg er zum Hauptsturmführer auf, wurde 1940 als SS-Fachführer Rasse- und Siedlungswesen zur Einwandererzentralstelle Litzmannstadt versetzt und war 1941 zu „geheimen Sondereinsätzen“ in Böhmen und Mähren unterwegs. Ein Jahr später übernahm er die Leitung der Rasse- und Siedlungsamts-Dienststelle Königgrätz und wirkte als Lehrkraft bei den Eignungsprüferlehrgängen des Rassenamtes mit. 1943 wurde Hesch zum Leiter der Landesstelle Sudeten des Rasse- und Siedlungsamtes ernannt, 1944 zum kommissarischen Leiter der Rasse- und Siedlungsamts-Außenstelle Böhmen-Mähren in Prag. Der Übergang zwischen „Drittem Reich“ und Bundesrepublik gelang ihm 1945 problemlos: Er wurde wieder Professor an der Technischen Hochschule Dresden und Direktor der Staatlichen Museen für Tierkunde und Anthropologie.71 Ebenso wie bei Schultz ist unklar, welche Verbindung zwischen dem Rassenkundler und dem Gerichtsmediziner Ponsold bestand. Die Beziehungen zwischen Hesch und Schultz hingegen können detailliert nachvollzogen werden. Beide waren Schüler Otto Reches gewesen72 und hatten 1935 gemeinsam das Werk „Rassenkundliche Bestimmungstafeln für Augen-, Haar- und Hautfarben“ herausgegeben. Außerdem hatte Hesch zu den von Schultz herausgegebenen „Lichtbildervorträgen“ einen Beitrag über „Die Juden“ beigesteuert.73 Eine Zeitlang war Hesch als Kandidat für das dann von Schultz übernommene Ordinariat für Rassenbiologie an der Deutschen Karls-Universität Prag gehandelt worden.74 Die engste Verbindung zwischen den beiden Männern bestand jedoch durch ihre gemeinsame Tätigkeit für das Rasse- und Siedlungshauptamt in Prag. Zwischen ihnen hatte sich eine Freundschaft entwickelt, und es war Schultz, der Hesch mit Wirkung vom 8. Oktober 1942 als hauptamtlichen Mitarbeiter einstellte.75 Es ist daher davon auszugehen, dass Hesch Schultz nach Münster vermittelte, vor allem auch deshalb, weil zwi-

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Ebd., S. 276. Ebd., S. 279. Ebd., S. 400. Geisenhainer 2002, S. 369. Ebd., S. 370.

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schen dem Abschied Heschs und dem Dienstantritt Schultz an Ponsolds Institut nur zwei Wochen lagen. Die Ähnlichkeiten zwischen den beiden Rassenkundlern endeten aber nicht bei ihrer gemeinsamen Vergangenheit im Rasse- und Siedlungshauptamt und der gleichen Tätigkeit am Institut für Gerichtliche Medizin. Wie Schultz versuchte auch Hesch, über den Artikel 131 Grundgesetz eine Stelle als emeritierter Hochschullehrer zu erlangen. Der Ablauf seines Falles zeigt starke Parallelen zu dem einige Jahre später stattfindenden Vorgang um Schultz und kann quasi als gescheiterter Testlauf einzelner Kreise an der Universität Münster für den Versuch gesehen werden, hochbelastete Professoren an der Universität unterzubringen. Es soll deshalb hier kurz skizziert werden. Am 8. September 1953 wandte sich der Regierungspräsident in Münster mit einem Brief an den Universitätskurator August Flesch und erkundigte sich, bezugnehmend auf ein [nicht mehr auffindbares, DD] Schreiben vom 25. Oktober 1952, ob Hesch inzwischen eine Anstellung an der Universität Münster gefunden habe. Gegebenenfalls bat er um die Übersendung von Einstellungsdatum, Rechtsstellung, Amtsbezeichnung und Besoldungsgruppe.76 Der Kurator erwiderte zwei Wochen später, dass es zu einer Einstellung nicht gekommen und Hesch inzwischen nach Wuppertal verzogen sei.77 Offenbar hatte Hesch also zunächst versucht, auf normalem Wege an der Universität Münster Fuß zu fassen, was jedoch aus nicht überlieferten Gründen nicht zum Ziel geführt hatte. Ein knappes Jahr später hatte er seine Strategie geändert. Am 5. Januar 1954 richtete er ein „Gesuch um Emeritierung unter Bezugnahme auf § 78 a der 1. Novelle zum Gesetz zu Art. 131 GG“78 an den Rektor Hermann Volk. In nur einem Satz ging er auf seine frühere Tätigkeit ein und blendete seine Arbeit für das Rasse- und Siedlungshauptamt dabei völlig. So teilte er mit, seit dem 30. September 1952 durch Entscheidung des Innenministers des Landes Nordrhein-Westfalen unterbringungsberechtigter Hochschullehrer zu sein sowie auf der Liste der nach Kapitel I des Gesetzes zu Artikel 131 Grundgesetz unterbringungsberechtigten Personen geführt zu werden. Daher möge man ihn an der Naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Münster als Emeritus, unter explizitem Verzicht auf die Ausübung seiner Lehrtätigkeit (da Anthropologie bereits durch den Assistenten am Institut für Humangenetik, Dr. Kurt Gerhardt, gelehrt würde), aufnehmen. Die notwendigen Formalitäten hatte er bereits erledigt: „Meine Aufnahme in die Unterbringungsliste ist durch den Herrn Regierungspräsidenten in Münster, die Festsetzung meines Übergangsgehaltes durch den Herrn Kurator der Universität in Münster erfolgt, der Ordinarius für Humangenetik und Direktor des Instituts für Humangenetik an der Universität Münster, Herr Professor Dr. O. Frhr. von Verschuer,

76 77 78

UAMs, Bestand 10, Nr. 2718, Regierungspräsident Münster an Kurator, 8.9.1953. Ebd., Kurator an Regierungspräsident Münster (Bezirksausgleichstelle), 23.9.1953. UAMs, Bestand 5, Nr. 496, Hesch an Rektor, 5.11.1954.

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ist bereit, mein Ansuchen als zuständiger Vertreter meines Faches und als Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Anthropologie zu unterstützen.“79

Damit waren die notwendigen Netzwerke in Stellung gebracht. Zu einer Emeritierung kam es jedoch nicht. Am 15. November 1954 teilte der Kurator dem Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, Hans-Paul Kaufmann, mit, dass Hesch zwar die Voraussetzungen zur Emeritierung aufgrund des Artikels 131 Grundgesetz erfülle. Weil jedoch noch nicht abzusehen sei, wann die entsprechenden Haushaltsmittel dafür verfügbar wären und weil erstmals 1955 eine Emeritenstelle für einen „131er“ im Haushaltsplan-Entwurf vorgesehen sei, könne die weitere Entwicklung noch nicht vorhergesagt werden.80 Einige Tage später übersandte er Heschs Antrag mit der Bitte um Kenntnisnahme an das Kultusministerium Nordrhein-Westfalen und bat um weitere Anweisungen, wie in diesem Fall vorzugehen sei.81 Von Enthusiasmus seitens der Universität war also nichts zu bemerken. Ähnlich indifferent fiel auch die Antwort des Kultusministers aus. In seinem Schreiben vom 30. Dezember informierte er den Kurator einerseits darüber, dass die Aufnahme vertriebener Hochschullehrer eine Kann-, keine Muss-Bestimmung sei, und dass andererseits die entsprechende Fakultät der beteiligten Hochschule den Antrag zu stellen habe, nicht der Hochschullehrer selbst. Außerdem sollte in jedem Fall eine längere Bindung des zu emeritierenden an die Universität vorliegen und dieser eine Ergänzung und Bereicherung des Lehrkörpers darstellen. Diese Fakten seien Hesch mitzuteilen.82 Inzwischen war infolge Heschs Antrags auch eine Diskussion zwischen der Medizinischen und der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Münster in Gang gekommen, wer nun eigentlich für den Rassenkundler zuständig sei. Während die Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät auf den medizinischen Lehrstuhl für Humangenetik verwies, schob der Dekan der Medizinischen Fakultät die Verantwortung der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät zu. Offensichtlich wollte keine von beiden Hesch emeritieren, auch wenn man sich über die Gründe ausschwieg. Daraufhin wandte sich der Dekan der MathematischNaturwissenschaftlichen Fakultät an den Vorsitzenden des Hochschulverbandes, Professor Wilhelm Felgentraeger, und bat um eine Einschätzung der Rechtsgrundlage. Dessen Antwort übermittelte er am 7. Januar an den Rektor.83 Felgentraeger brachte die gleichen Argumente wie das Kultusministerium vor und schätze die

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Ebd. UAMs, Bestand 10, Nr. 2718, Kurator an Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, 15.11.1954. Ebd., Kurator an Kultusminister Nordrhein-Westfalen, 19.11.1954. Ebd., Kultusminister Nordrhein-Westfalen an Kurator, 30.12.1954. UAMs, Bestand 5, Nr. 496, Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät an Rektor, 7.1.1955.

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Aussichten, Hesch emeritieren zu können, als sehr gering ein.84 Eine Woche später schließlich informierte der Kurator den Rassenkundler über den Stand der Dinge. Damit war der Emeritierungsversuch faktisch gestoppt. Was Kurator Flesch nur in einer Notiz für den Rektor niederlegte, nicht aber Hesch mitteilte, war, dass für die Universität Münster die im Haushaltsplan vorgesehene „131er“-Stelle für Professor Schumann in der Evangelisch-Theologischen Fakultät vorgesehen war.85 Die Frage, ob die Universität Hesch nicht wollte, und wenn nicht, warum, oder ob er einfach nur zu spät kam, muss daher unbeantwortet bleiben. An dieser Stelle verliert sich zunächst die Spur Heschs in den Akten der Universität Münster. Dies mag mit seinem Wegzug nach Wuppertal zu tun haben. Dennoch scheint die Universität auch die nächsten Jahre weiterhin nach Möglichkeiten gesucht zu haben, Hesch unterzubringen. Fast genau drei Jahre nach der Absage, am 15. Januar 1958, sandte der Ordinarius für Zoologie, Bernhard Rensch, Papiere die Angelegenheit Hesch betreffend an den Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät zurück. Dieser hatte zuvor um eine Stellungnahme in Bezug auf Hesch gebeten. Rensch gab an, den Fall mit von Verschuer durchgesprochen zu haben, und fügte hinzu, dass Hesch offenbar eine normale wissenschaftliche Karriere durchlaufen habe. Da er aber nur kurz Professor und nie Ordinarius gewesen sei, käme keine Emeritierung, sondern nur eine normale Pensionierung in Frage. Diese Frage müsse aber natürlich die Fakultät entscheiden.86 Auch wenn unklar ist, ob Rensch über die politische wie wissenschaftliche Vergangenheit Heschs informiert war, ist bemerkenswert ist, wie unkritisch er mit dem Fall umging. Sein Urteil zeigte aber offensichtlich Wirkung. Am 28. Februar 1958 lehnte die Fakultät die Emeritierung Heschs ab.87 Danach herrschte wieder fast ein Jahr Ruhe. Ende Dezember 1958 fragte dann der Regierungspräsident beim Kurator an, ob es sich bei der Tätigkeit Heschs am Institut für Gerichtliche Medizin um eine Beschäftigung im Sinne des § 35 Abs. 3 des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Personen gehandelt habe. Dies sei relevant für die Festsetzung von Heschs Versorgungsbezügen.88 In seiner Antwort verneinte dies der Kurator und bezeichnete Hesch als Privatangestellten Ponsolds.89 Damit war der Fall endgültig zu den Akten gelegt. Wie bereits erwähnt, kam es jedoch in der Person Schultz‘ zu einer Neuauflage des Vorgangs mit fast denselben Beteiligten. 84 85 86

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Ebd., Felgentraeger an Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, 5.1.1955. Ebd., Kurator an Hesch beziehungsweise Kurator an Rektor, 11.1.1955. UAMs, Zugang 19/2005 Institut für Zoologie, Ordner: Dekan, Unterordner: Mai 1947– Dezember 1958, Rensch an Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, 15.1.1958. UAMs, Bestand 91, Nr. 22, Protokoll der Fakultätssitzung vom 28.2.1958. UAMs, Bestand 10, Nr. 2718, Regierungspräsident Münster an Kurator, 22.12.1958. Ebd., Kurator an Regierungspräsident Münster, 6.1.1955.

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Ponsold, Schultz und der erste Wiedereingliederungsversuch Etwas mehr als zwei Wochen nach dem Weggang Heschs von Ponsolds Institut, am 15. September 1953, wurde Schultz als Leiter der Abteilung Erbbiologie am Institut für Gerichtliche Medizin der Universität Münster angestellt. Dies war nach Ponsolds Angaben zwar keine Planstelle und damit auch keine direkte Beschäftigung durch die Universität. Seiner Meinung nach konnte die Tätigkeit aber Umfang und Bedeutung nach wie eine Abteilungsleiterstelle bewertet werden.90 Damit war Schultz zwar wieder an einem Universitätsinstitut tätig, aber nicht in der angestrebten Stellung als Hochschullehrer, sondern nur als externer Partner. Dabei sollte es aber nicht bleiben, denn Schultz versuchte in der Folgezeit, Kontakte zur Leitung der Universität Münster zu knüpfen. Der erste schriftlich nachweisbare Kontakt zwischen ihm und der Universitätsverwaltung fand am 30. Juni 1954 statt. In einem Brief an Kurator August Flesch bat er um die Zuweisung eines Pachtgrundstückes aus dem Baugelände des Studienfonds, da er in der Nähe des Instituts für Gerichtliche Medizin ein Einfamilienhaus bauen wolle.91 Beigefügt an diese Bitte war ein Schreiben von Professor Ponsold. Er bezeichnete die Erbbiologie als wesentlichen Bestandteil des Instituts für Gerichtliche Medizin und Schultz als einen seiner besten und zuverlässigsten Mitarbeiter. Dieser habe wesentlich dazu beigetragen, dass das Institut auf diesem Gutachtergebiet im Bereich des Oberlandesgerichtsbezirks Hamm führend sei. Die Universität müsse daher alle Mittel einsetzen, Schultz an Münster dadurch zu binden, dass ihm eine Gelegenheit gegeben werde, seine Familie aus Österreich herüberzuholen und ihr eine Bleibe zu bieten. Er empfehle daher den Antrag Schultz’ auf das Wärmste, da ein Grundstück die erste Voraussetzung für eine Bindung Schultz’ an die Universität Münster sei.92 Nur zwei Wochen später wandte sich Rektor Harry Westermann im Rahmen desselben Vorgangs an den Kurator. Hierbei ist interessant, dass der Rechtswissenschaftler Westermann zusammen mit Schultz in Prag gelehrt und ebenso wie dieser vom gemeinsamen Mentor Wilhelm Saure, seines Zeichens SS-Oberführer und ehrenamtlicher Mitarbeiter im Rasse- und Siedlungshauptamt, an die Deutsche KarlsUniversität geholt worden war.93 Westermann gab nun an, dass Schultz zwar nicht Mitglied des Lehrkörpers sei, nach Ponsolds Aussage aber von großer Wichtigkeit für das Institut. Er schlage daher die Zuteilung des Stückes an Schultz vor. Es müsse aber jedoch erst bei Professor Helmuth Schreiner, der ebenfalls Bauwünsche habe, angefragt werden, ob bei diesem Interesse bestehe, da er als ordentlicher Professor

90 91 92 93

UAMs, Bestand 8, Nr. 47066, Bd. 1, Ponsold an Kurator, 30.6.1954. Ebd. Ebd. Vgl. hierzu Heinemann 2003, S. 633 .

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Vorrang habe.94 Leider ist kein weiterer Schriftverkehr über den Vorgang überliefert, so dass offen bleiben muss, wie der Fall weiterging. Der nächste Kontakt zwischen Verwaltung und Schultz wurde drei Jahre später überraschenderweise von Kurator Oswald Freiherr von Fürstenberg initiiert. Ein Aktenvermerk vom 17. Juli 1957 gibt Auskunft darüber, dass ein Mitarbeiter von Fürstenbergs am selben Tag mit Schultz telefoniert und ihn darauf hingewiesen hatte, dass dieser die Möglichkeit habe, gemäß § 78 a Absatz 2 des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Personen die Rechtsstellung eines Emeritus an der Universität Münster zu erlangen. Schultz habe Interesse signalisiert und wollte dieses näher mit dem Kurator besprechen.95 Bemerkenswert an diesem Vorgang ist, dass die Universität von sich aus auf Schultz zuging. Zu diesem Zeitpunkt lagen die umfangreichen, in Bayern gesammelten Informationen über Schultz’ SS-Mitgliedschaft und seine Beteiligung an NS-Verbrechen bereits in den beteiligten Ministerien in Nordrhein-Westfalen vor, so dass es ein Leichtes gewesen wäre, sich über seine Vergangenheit zu informieren. Dazu kam es aber offenbar nicht. Schultz nächster Schritt führte nun zwei Wochen später zu seinem ehemaligen Prager Kollegen Bernhard Rensch, der 1948 Ordinarius für Zoologie an der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät geworden war. Dies war insofern außergewöhnlich, da man normalerweise erwarten könnte, dass die erste Verbindung zu einer Fakultät über den Dekan oder eine andere offizielle Stelle hergestellt werden sollte. Schultz versuchte jedoch, alte Netzwerke zu reaktivieren. Laut Tagebucheintrag Renschs vom 1. August 1957 lief der Kontaktversuch wie folgt ab: „Prof. Schultz, der frühere Anthropologe in Prag, jetzt Vaterschaftsgutachter in Münster, entsann sich meiner, weil er wieder etwas an der Universität werden will. Ich verwies ihn an Verschuer, mit dem zunächst ein Einvernehmen hergestellt werden müsse.“96

Diesem Vorschlag folgte Schultz offensichtlich. Ein handschriftlicher Notizzettel eines unbekannten Verfassers vom 18. Januar 1958 vermerkt, dass dieser sich mit von Verschuer (der 1951 auf den Lehrstuhl für Humangenetik berufen worden war), Strugger (dem 1947 berufenen Ordinarius für Botanik), Rensch und dem „Prodekan (Ende SS 1957)“97 in Verbindung setzen wolle. Verschuer habe bereits zugesagt, sich für Schultz’ Unterbringung als k.w.-Professor einsetzen zu wollen.98 Damit waren wieder dieselben Personen wie beim Emeritierungsversuch Heschs aktiv. Interessanterweise fällt der Vorstoß Schultz auch fast auf den Tag genau mit dem erneuten Versuch der Universität zusammen, Heschs Emeritierungsverfahren nach drei Jahren Pause noch einmal zu reaktivieren. 94 95 96 97 98

UAMs, Bestand 8, Nr. 47066, Bd. 1, Rektor an Kurator, 13.7.1954. Ebd., Aktenvermerk des Kurators, 17.7.1957. SBB, Nachlass 126 (B. Rensch), Kasten 27, Tagebucheintrag vom 1.8.1957. Es muss unklar bleiben, ob der Prodekan der Mediziner (Friedrich Mauz) oder der der Naturwissenschaftler (Wilhelm Klemm) gemeint ist. UAMs, Bestand 92, Nr. 16, handschriftlicher Notizzettel, 18.1.1958.

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Die inoffizielle Fühlungnahme zwischen Schultz und dem Emeritierungsnetzwerk begann tatsächlich schon kurze Zeit später, und bereits am 29. Januar 1958 ließ der Ordinarius für Humangenetik Taten folgen. In einem Brief an den Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, Hans Seifert, wies von Verschuer darauf hin, dass Schultz „131er“, also unterbringungsberechtigt gemäß Artikel 131 Grundgesetz, sei. Er rekapitulierte kurz Schultz’ wissenschaftlichen Werdegang, ohne mit einem Wort auf dessen NS-Vergangenheit, die ihm unzweifelhaft bekannt war, einzugehen. Ebenso ging er über Schultz’ eindeutig nationalsozialistische Veröffentlichungen hinweg, indem er sie der Münchner Schule Mollisons, bei dem Schultz gelernt habe, entsprechend den Gebieten der vorgeschichtlichen Anthropologie und der Anthropometrie einordnete. Über Schultz’ Karriere nach Kriegsende bemerkte er nur, dass dieser seit einigen Jahren zusammen mit Ponsold als Vaterschaftsgutachter tätig sei. Das völlige Fehlen wissenschaftlicher Veröffentlichungen nach 1945 begründete er mit Schultz’ äußerst bedrängter Lebenslage. Von Verschuer befürwortete den Antrag auf eine k.w.-Professur,99 damit Schultz wieder wissenschaftlich arbeiten und akademisch tätig sein könne. Nach dem Weggang seines Assistenten Dr. Gerhardt würde er es begrüßen, wenn die Anthropologie in Vorlesungen innerhalb der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät wieder vertreten würde. Von Verschuer selbst würde Schultz Lehrmittel und Institutsbibliothek, aus Raummangel jedoch bis zu einem möglichen Neubau seines Instituts keinen Arbeitsplatz zur Verfügung stellen können.100 In dieselbe Richtung zielte auch ein am selben Tag von Ponsold an den Dekan gerichtetes Schreiben, in dem er dem Antrag Schultz’, eine k.w.-Professur für Anthropologie an der MathematischNaturwissenschaftlichen Fakultät zu erhalten, seine volle Unterstützung angedeihen ließ.101 Die Begeisterung für Schultz wurde jedoch nicht von allen Universitätsstellen geteilt. So fielen die Antworten der beiden Biologen weniger positiv aus. Am 20. Februar 1958 sandte Rensch ein ausführliches Gutachten an den Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät.102 Wie auch bei Hesch war er um seine Einschätzung gebeten worden. An den Beginn seines Schreibens stellte Rensch die Einschränkung, dass es für ihn schwierig sei, sich zu Schultz’ Antrag zu äußern, da er trotz Berührungspunkten der Zoologie mit der Anthropologie fachfremd sei. Zunächst zählte er auf, was für den Antrag spreche. Er selbst habe Schultz 1944 in Prag flüchtig kennen gelernt. Das Gutachten von Verschuers habe gezeigt, dass Schultz eine ordnungsgemäße akademische Karriere hatte. Wie schon bei Hesch beurteilte Rensch also auch hier die Vergangenheit seines Kollegen äußerst unkritisch. Auch habe Rensch sich in der Fakultät schon mehrmals dafür eingesetzt, dass die Anthropologie als Fach vertreten würde. Wenn Schultz also eine k.w.-Professur 99 100 101 102

K.w.-Professur: künftig wegfallende Professur. UAMs, Bestand 92, Nr. 16, Verschuer an Seifert, 29.1.1958. Ebd., Ponsold an Seifert, 29.1.1958. Ebd., Rensch an Seifert, 20.2.1958.

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bekäme, so habe dies den Vorteil, dass Anthropologie wenigstens vorübergehend gelesen würde. Allerdings ergäbe sich daraus auch eine Reihe von Schwierigkeiten. So sei Anthropologie kein Promotionsfach. Das hieße, man würde einen Lehrstuhlinhaber bekommen, der keine Doktoranden betreuen könne, ohne dass die Promotionsordnung geändert werden müsste. Eine solche Änderung wäre jedoch nur dann sinnvoll, wenn man beabsichtige, die k.w.-Professur in eine ordentliche Professur umzuwandeln. Da die Fakultät jedoch mehrere neue Lehrstühle anstrebe, sei es kaum zu erwarten, dass die Anthropologie hier an vorderer Stelle stehen würde, da auch von Seiten der Biologie andere Extraordinariate als vordringlicher zu bezeichnen wären. Hierzu zählte Rensch zum Beispiel Biochemie, Systematische Zoologie, Systematische Botanik, Mikrobiologie oder Schädlingsbekämpfung. Außerdem decke von Verschuer bereits ein großes Teilgebiet der Anthropologie ab. Dazu käme noch die allseits herrschende Raumnot. Deshalb halte er den Antrag Schultz’ für wenig sinnvoll. Als Alternative schlug Rensch jedoch vor, Schultz eine Dozentur zu übertragen, falls dies für diesen tragbar schiene und er nicht später mit unerfüllbaren Forderungen käme. Rensch würde eine solche Lösung begrüßen, auch wenn sie die Risiken der Wiederholung der Probleme der Dozentur von Dr. Gerhardt beinhalte.103 Wenige Tage später, am 24. Februar 1958, äußerte sich auch Strugger schriftlich beim Dekan. Er zeigte sich mit Renschs Gutachten völlig einverstanden und wies ebenfalls darauf hin, dass die Anthropologie vom Standpunkte der Biologie ein letztrangiges Bedürfnis sei, da man viel dringendere Lehrstuhlsorgen habe. Darüber hinaus merkte er aber noch einen weiteren Punkt an. So sei der Weg, den Schultz bei seinem Antrag genommen habe, ungewöhnlich und nicht vollständig den akademischen Gepflogenheiten innerhalb einer Fakultät entsprechend. Strugger hätte es lieber gesehen, wenn der Antrag im Kreise der Fakultät durch persönliche Fühlungnahme mit Schultz vorbereitet worden und die Initiative für ein solches Vorhaben von der Fakultät ausgegangen wäre. Sollte jedoch Schultz in kollegialer Weise geholfen werden, müsste die gesamte Fakultät eine Kommission einsetzen, um die wissenschaftliche Bedeutung und persönliche Qualität Schultz’ zu prüfen, da auch eine k.w.-Professur die vollen Rechte eines Lehrstuhlinhabers habe. 104 Zusammen mit der Tatsache, dass zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal ein schriftlicher Antrag Schultz’ vorlag, sondern alles über kollegiale Verbindungen unter vier Professoren plus dem Dekan durchgeführt wurde, wird deutlich, dass hier im Rahmen von alten Netzwerken, namentlich die Verbindung Rensch – von Verschuer – Schultz – Ponsold aus der Prager Zeit, eine möglichst informelle, rasche und wenig Aufsehen erregende Abwicklung des Falles erreicht werden sollte. 103 104

Rensch ging auf besagte Probleme nicht näher ein, so dass unklar bleiben muss, was damit gemeint war. UAMs, Bestand 92, Nr. 16, Strugger an Seifert, 24.2.1958.

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Hierzu kam es aber nicht, da der Einwand Struggers beim Dekan Wirkung gezeigt zu haben schien. Am 28. Februar 1958 wurde, dem Vorschlag des Botanikers folgend, die Einsetzung einer Fakultätskommission beschlossen.105 Am 4. März 1958 teilte der Dekan Schultz mit, dass sein Antrag aus Krankheitsgründen nicht mehr habe durchberaten werden können. Gleichzeitig hielte er die Übersendung eines schriftlichen, begründeten Antrags für empfehlenswert.106 Am 5. Mai 1958107 tagte schließlich die Kommission, der neben dem Dekan die Professoren Bernhard Rensch, Siegfried Strugger, Eduard Schratz (Pharmazeutische Botanik) und Wilhelm Müller-Wille (Geographie) angehörten, und kam zu einem für Schultz ernüchternden Ergebnis: Sein Antrag wurde abgelehnt. Interessant ist hierbei die differenzierte Begründung der Kommission. Zum einen habe ihr missfallen, dass Schultz die Angelegenheit in einer nicht ganz den akademischen Gepflogenheiten entsprechenden Weise in Gang gebracht habe. Des Weiteren habe Schultz trotz mehrjähriger Anwesenheit in Münster niemals Verbindung zur Fakultät gesucht und zu erkennen gegeben, dass bei ihm der Wunsch nach einer Wiederaufnahme der akademischen Lehr- und Forschungstätigkeit bestünde. Drittens schließlich kam die Kommission, unabhängig von der durch die Gutachten Struggers und Renschs dargelegten ungünstigen Gesamtsituation für eine Professur für Anthropologie in der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, zu dem Ergebnis, dass die wissenschaftliche Bedeutung und die persönlichen Qualitäten Schultz’ es nicht rechtfertigen würden, der Fakultät die Empfehlung zu geben, eine k.w.-Professur für ihn zu beantragen. Daher sei die Kommission einstimmig zu der Auffassung gekommen, dass in einem ordnungsgemäßen Berufungsverfahren für eine etwa beabsichtigte und beantragte Professur Schultz nicht in Vorschlag gebracht werden würde.108 Am 7. Mai 1958 übersandte der Dekan das Protokoll der Kommissionssitzung zur Korrektur an Rensch und Strugger. Anbei fügte er den nun schriftlich vorliegenden Antrag Schultz’ (datiert vom 6. Mai 1958) sowie ein aktualisiertes Schriftenverzeichnis mit der Bitte um Durchsicht.109 Auch dies änderte jedoch nichts an der ablehnenden Haltung der Biologen. Rensch erklärte, sein Urteil habe sich durch das neue Verzeichnis nicht geändert, da nach 1938 nur eine Arbeit von vier Seiten hinzugekommen wäre. Für die Mitteilung an Schultz sollte es ausreichen, darauf hinzuweisen, dass die Fakultät von einem Antrag auf Übertragung einer k.w.-Professur beim Kultusministerium absehen möchte, da sie in absehbarer Zeit keine Möglichkeit für eine Verankerung der Anthropologie in der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät sehe.110 Ebenso blieb Strugger bei seiner negativen Ein105 106 107 108 109 110

Ebd., Entwurf des Sitzungsprotokolls der Kommission „Anthropologie“, 7.5.1958. Ebd., Seifert an Schultz, 4.3.1958. Ebd., Seifert an Rensch, Strugger, Schratz, Müller-Wille, 30.4.1958. Ebd., Entwurf des Sitzungsprotokolls der Kommission „Anthropologie“, 7.5.1958. Ebd., Seifert an Rensch, Strugger, 7.5.1958. Ebd., Rensch an Seifert, 9.5.1958.

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schätzung. Das neue Verzeichnis ändere nichts an der dürftigen wissenschaftlichen Situation, und außerdem habe ein großer Teil der Arbeiten einen „völlig zeitgebundenen Charakter“,111 ein freundlicher Euphemismus dafür, dass Schultz’ Arbeiten Legitimation und Stütze für die NS-Ideologie und -Herrschaftspraxis gewesen waren. Deshalb teilte der Dekan Schultz am 14. Mai 1958 mit, dass die Fakultät über seinen Antrag abgestimmt habe, er es jedoch bedauere, dass diesem nicht stattgegeben werden könne.112 Für die Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät war der Fall Schultz damit abgeschlossen; nicht jedoch für die Universität Münster.

Der zweite Wiedereingliederungsversuch Für die folgenden zwei Jahre lässt sich kein weiterer Schriftverkehr zwischen Schultz und der Universität Münster belegen. Schultz arbeitete weiterhin als Sachverständiger an Ponsolds Institut. Ende Oktober 1960 kam jedoch wieder Bewegung in den Fall. Leider finden sich in den Akten keinerlei Hinweise darauf, weshalb dies geschah und wer dafür verantwortlich zeichnete. In einem ausführlichen Lebenslauf vom 31. Oktober 1960 legte der Rassenkundler nochmals seine bisherige Karriere dar. Wie bereits zuvor fand seine Tätigkeit für die SS oder andere NS-Organisationen keinerlei Erwähnung. Ebenso versuchte er, den Eindruck zu erwecken, seine Forschungen hätten schwerpunktmäßig im Bereich der Vorgeschichte, der statistischen Bevölkerungserfassung sowie der Mainstream-Anthropologie gelegen, um jeglichen Anschein einer Verstrickung in NSUnrecht zu vermeiden.113 In der folgenden Woche richtete Professor Hans R. G. Günther von der Universität Erlangen im Namen des Hochschularbeitsausschusses des Bundesverwaltungsamtes eine Anfrage an den Dekan der Medizinischen Fakultät, ob die Fakultät geneigt sei, gemäß 78 a Absatz 2 des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Personen einen Emeritierungsantrag für Schultz zu stellen114 – von dem Versuch, ihn auf einer k.w.-Professur unterzubringen, hatte man offenbar Abstand genommen. Anders als noch bei Hesch, den sich beide Fakultäten gegenseitig zuzuschieben versucht hatten, zeigten sich die Mediziner nun sehr an Schultz interessiert. Im Gegensatz zum Vorgang in der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät 1958 entwickelt sich in der Medizinischen Fakultät nun alles sehr schnell. Keine zwei Wochen nach der Anfrage Günthers, am 14. November 1960, richtete Dekan Oskar Hepp den entsprechenden Antrag an das Kultusministerium. Gleichzeitig bean-

111 112 113 114

Ebd., Strugger an Seifert, 9.5.1958. Ebd., Seifert an Schultz, 14.5.1958. LAV NRW R, Berufungsakte Schultz, NW 172, Nr. 667. UAMs, Bestand 52, Nr. 278, Günther an Dekan der Medizinischen Fakultät, 4.11.1960.

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tragte er einen Zuschuss zum abzusehenden Ruhegehalt Schultz’.115 Am 26. Januar 1961 leitete der Kurator beides befürwortend weiter.116 Das Kultusministerium wiederum teilte am 8. März 1961 der Zentralen Besoldungs- und Versorgungsstelle Nordrhein-Westfalen mit, dass es beabsichtigt sei, Schultz zu emeritieren.117 Am 5. April 1961 beantragte das Kultusministerium beim Bundesinnenministerium den von Hepp angeregten Zuschuss, welcher am 2. Mai 1961 bewilligt wurde.118 Damit waren alle Verfahrensfragen gelöst, so dass Schultz schließlich am 24. Mai 1961 zum entpflichteten ordentlichen Professor an der Medizinischen Fakultät der Universität Münster ernannt werden konnte.119 Im selben Jahr beendete er seine Tätigkeit als Vaterschaftsgutachter.120 Nach einigen Wirren hatte Schultz also sein Ziel erreicht, wieder in eine seinem wissenschaftlichen Anspruch nach angemessene Stellung zu gelangen. Aber auch damit war der Fall für die Universität Münster noch nicht erledigt. Außer einer siebenseitigen Veröffentlichung über die Vererbbarkeit von körperlichen Merkmalen an Fuß und Hand aus dem Jahr 1963121 gibt es keinen Hinweis darauf, mit was Schultz die Zeit nach seiner Emeritierung verbrachte. 1965 regte sich in ihm aber offenbar der Wunsch, von seinem Recht als Emeritus zur Abhaltung von Lehrveranstaltungen Gebrauch zu machen, denn eine Fakultätssitzung am 25. Juni 1965 beschäftigte sich mit der Frage der Abhaltung eines Anthropologischen Kurses durch ihn.122 Die Fakultät hatte jedoch offensichtlich Bedenken aufgrund der unsicheren Vergangenheit des Professors, denn in einem Brief an Schultz vom 30. Juni 1965 bat der Dekan der Medizinischen Fakultät, Karl Eduard Rothschuh, diesen um Auskünfte zu Gründen für dessen vorzeitige Emeritierung. Den Anlass dafür teilte er ihm ganz offen mit: „In einer Zeit, in der die Öffentlichkeit und die Presse den Universitäten immer wieder mangelnde Sorgfaltspflicht und mangelndes politisches Fingerspitzengefühl vorwerfen, ist die Fakultät daran interessiert, Ihnen und sich keine Ungelegenheiten zu bereiten.“123

Man fürchtete also weniger die Tatsache, einen NS-Verbrecher in den eigenen Reihen zu haben, als die Möglichkeit schlechter Publicity für die Medizinische Fakultät. Der Brief verfehlte seine Wirkung nicht: Schultz kam der Bitte des Dekans umgehend nach. Eine nur eine Woche später datierte handschriftliche Notiz Roth115 116 117 118 119 120 121 122 123

UAMs, Bestand 8, Nr. 47066, Bd. 1, Hepp an Kultusminister Nordrhein-Westfalen, 14.11.1960. LAV NRW R, Berufungsakte Schultz, NW 172, Nr. 667, Kurator an Kultusminister, 26.1.1961. Ebd., Kultusminister Nordrhein-Westfalen an Zentrale Besoldungs- und Versorgungsstelle Nordrhein-Westfalen, 8.3.1961. Ebd., Kultusminister Nordrhein-Westfalen an Bundesinnenministerium, 5.4.1961. UAMs, Bestand 8, Nr. 47066, Bd. 1, Ernennungsurkunde, 24.5.1961. UAMs, Bestand 52, Nr. 278, Lebenslauf, 6.11.1963. Ebd., Publikationsliste, 6.11.1963. Ebd., Rothschuh an Schultz, 30.6.1965. Ebd.

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schuhs vermerkt, dass Schultz ihm mündlich über die Vorgänge, die zur vorzeitigen Emeritierung geführt hatten, berichtet habe. Ebenso habe er ihm den Spruchkammerbescheid vorgelegt, aus dem seine erhebliche Belastung durch seine Zugehörigkeit zu SS und NSDAP sowie seine Mitarbeit im Rahmen des Erbgesundheitsgesetzes und im Rasse- und Siedlungshauptamt hervorgingen. Schultz habe daher den Wunsch auf die Ankündigung von Vorlesungen zurückgezogen, nachdem ihn Rothschuh auf die Möglichkeit aufmerksam gemacht habe, dass die Presse die Angelegenheit hochspielen könnte.124 Auch hier war nicht die nun unzweifelhaft feststehende Belastung Schultz’ der Grund für das Handeln der Medizinischen Fakultät, sondern die Furcht vor schlechter Presse. Die „Entdeckung“ von Schultz’ Vergangenheit hatte jedoch keine Konsequenzen mehr für ihn. Nach diesem Vorfall liegt nur noch ein Schreiben Schultz’ in den Akten vor, in dem er sich am 25. August 1976 herzlich für die Glückwünsche, die warmen Worte kollegialer Verbundenheit und den Blumenstrauß der Medizinischen Fakultät zu seinem 75. Geburtstag bedankt.125 Das Korps hatte Schultz in seine Reihen aufgenommen. Am 24. März 1997 starb er im Alter von 95 Jahren.126 Für seine führende Rolle im Rahmen der nationalsozialistischen Herrschafts- und Vernichtungspolitik wurde er niemals belangt.

Fazit Abschließend stellt sich die Frage, wie sich der geschilderte Vorgang in das Bild der Westfälischen Wilhelms-Universität nach dem Zweiten Weltkrieg einordnen lässt. Mit Bruno K. Schultz kam 1953 ein hochgradig belasteter NS-Täter nach Münster. Ohne bis 1961 offiziell Mitglied des Lehrkörpers zu sein, nahm er von Beginn an eine verantwortungsvolle Stellung an einem Universitätsinstitut wahr und wurde dort maßgeblich vom ordentlichen Professor für Gerichtliche Medizin, Albert Ponsold, gestützt und gefördert. Ponsold war es auch, der Schultz über alte Netzwerke aus den besetzten Ostgebieten an die Universität Münster holte. Dass er dabei nicht der erst hochbelastete NS-Rassenkundler am Institut für Gerichtliche Medizin war, sondern mit Hans Sachs und Michael Hesch prominente Vorgänger hatte, stützt die Netzwerkthese weiter. Die Bemühungen, Schultz über seine lose Angliederung hinaus enger an die Universität zu binden, gingen 1957 erstaunlicherweise nicht von ihm selbst, sondern vom Büro des Leiters der staatlichen Verwaltung der Universität, Kurator Oswald Freiherr von Fürstenberg, aus. Er machte Schultz auf die Möglichkeit einer Aufnahme in den Lehrkörper der Universität über den Weg des § 78 a Absatz 2 des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Artikel 131 des Grundge124 125 126

UAMs, Bestand 52, Nr. 278, handschriftliche Notiz Rothschuhs, 7.7.1965. Ebd., Schultz an Grundmann, 25.8.1973. Ebd., Todesanzeige, undatiert.

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setzes fallenden Personen aufmerksam, trieb den Vorgang voran und wurde dabei vom Rektor, der ebenfalls eine Verbindung nach Prag hatte, unterstützt. Zu diesem Zeitpunkt waren umfangreiche Informationen zu Schultz’ SS-Vergangenheit und seiner aktiven Mitarbeit in der nationalsozialistischen Herrschafts- und Vernichtungspolitik dem Kultusministerium Nordrhein-Westfalen, dem Innenministerium Nordrhein-Westfalen und dem Regierungspräsident in Münster bekannt. Es wäre ein Leichtes für die Universität Münster gewesen, die betreffenden Informationen einzuholen. Darauf verzichtete man aber offensichtlich. Wieder spielten die alten Netzwerke Schultz’ aus seiner Zeit als Ordinarius für Rassenbiologie in Prag, namentlich die Verbindung zum Münsterschen Ordinarius für Humangenetik, von Verschuer, zum Ordinarius für Zoologie, Rensch, und zu Ponsold eine entscheidende Rolle. Über die personellen Verflechtungen sollte Unterstützung mobilisiert und an der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät vorbei eine möglichst rasche und wenig Aufsehen erregende Wiedereingliederung Schultz’ in die akademische Klasse ermöglicht werden. Dies scheiterte letztendlich am Widerstand Renschs und Struggers. Umso erstaunlicher ist, dass der zweite Versuch Schultz’ im Jahr 1960 zu einem gänzlich anderen Ergebnis führte. Innerhalb von nur zehn Tagen nach Anfrage des Bundesverwaltungsamtes hatte der Dekan der Medizinischen Fakultät Oskar Hepp den benötigten Antrag beim Kultusministerium eingereicht, was letztlich zur Emeritierung Schultz’ 1961 führte. Keine der differenziert formulierten Ablehnungsgründe der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät hatten für die Medizinische Fakultät eine Bedeutung. Hier scheinen sich persönliche Kontakte und Einfluss als wichtiger herausgestellt zu haben als wissenschaftliche Qualifikation und persönliche Qualitäten. Selbst als der Fakultät spätestens 1965 die belastete Vergangenheit Schultz‘ klar wurde, sah man keinen Grund zu handeln. Ganz im Gegenteil war man nur um das eigene Image besorgt, welches bei Bekanntwerden von Schultz’ Hintergrund hätte Schaden nehmen können. Statt Schultz für seine Taten machte man die Presse für eine potentielle öffentliche Skandalisierung der Vorgänge verantwortlich. Daher ist es nicht verwunderlich, dass Schultz bis zu seinem Tod Fakultätsmitglied blieb. Schultz‘ Fall ist insbesondere deshalb so interessant, weil er abseits der üblichen Wege akademische Vergangenheitspolitik der deutschen Universitäten nach 1945 verlief. Für gewöhnlich setzten sich die Fakultäten für eine rasche und die Vergangenheit ignorierende oder marginalisierende Wiedereingliederung ihrer eigenen, durch die neuen politischen Verhältnisse vom Universitätsbetrieb ausgeschlossenen Kollegen ein. Diese Vorgänge liefen in lokalen Kontexten und, für gewöhnlich, über lokale Kontakte und Netzwerke ab. Völlig anders jedoch bei den hier dargestellten Medizinern. Weder Sachs noch Hesch noch Schultz hatten vor 1948 irgendeine Verbindungen nach Münster gehabt. Bei ihnen lief die Wiedereingliederung nicht über die üblichen Kanäle, sondern offenbar allein über SS- beziehungsweise Ostverbindungen. Deshalb kann auch nicht von einem Versehen oder einer Verkettung

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von Zufällen die Rede sein. Diejenigen, die die Wiedereingliederung vorantrieben, wussten, wen sie vor sich hatten, und hatten keinerlei Probleme damit, die Belasteten an die Universität Münster zu holen. Wie die dargelegten Beispiele zeigen, blieben persönliche Kontakte und Seilschaften aus der Zeit des „Dritten Reiches“ also auch über das Kriegsende hinaus überaus wirksam und ermöglichten es nationalsozialistischen Tätern, unbehelligt und von ihren Kollegen gestützt, in den Kreis akademischer Würdenträger zurückzukehren. Auch wenn die Medizinische Fakultät der Universität Münster dabei nur ein Beispiel unter vielen ist, so werfen die Vorgänge hier doch die Frage auf, wieso es Professoren wie Schultz gerade an einer sich eines katholischen Bollwerks gegen den Nationalsozialismus rühmenden Universität127 gelang, wieder Fuß zu fassen. Dies zu klären muss Aufgabe weiterer Forschung sein.

Literatur Aulke, Julian, Das Institut für gerichtliche und soziale Medizin an der Universität Münster in der Zeit des Nationalsozialismus, Examensarbeit Münster 2008. Dicke, Jan Nikolas, Eugenik und Rassenhygiene in Münster zwischen 1918 und 1939 (Berliner Beiträge zur Zeitgeschichte 3), Berlin 2004. Frei, Norbert, Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit, München 1999. Geisenhainer, Katja, „Rasse ist Schicksal“. Otto Reche (1879–1966), ein Leben als Anthropologe und Völkerkundler (Beiträge zur Leipziger Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte. A, 1), Leipzig 2002. 127

Der Ursprung der Bollwerkthese lässt sich bis in die unmittelbare Nachkriegszeit zurückverfolgen und taucht erstmals in Rechtfertigungsschreiben der ehemaligen Rektoren Mevius und Siegmund auf, vgl. hierzu z.B.: UAMs, Bestand 5, Nr. 697, Rektor an Mevius, 2.7.1945, oder StAHH, Personalakte Mevius, IV 1368, Anlage zu Fragebogen, undatiert, ca. 1945. Danach setzte sie sich, analog zum Mythos des katholischen, gegen den Nationalsozialismus resistenten Münster, in der Öffentlichkeit fest und verschmolz teilweise mit ihm. Noch in der offiziellen Festschrift zum 200-jährigen Jubiläum der Universität bestimmte sie den Diskurs über die Geschichte der Universität Münster im Dritten Reich, exemplarisch bei Toellner 1980, S. 289: „Aber es zeigte sich – und nicht erst in den Endzeiten des Krieges –, daß rechtliches Denken und daß die aus münsterländischem Selbstbehauptungswillen und treuer Kirchlichkeit genährte, alteingesessene Skepsis gegen die Reichsregierung, ob nun protestantisch-preußisch oder nationalsozialistisch, ein wirksames Bollwerk gegen die bedingungslose und vorbehaltlose Hinnahme der neuen Herrschaft bildete.“ Auch Steveling übernahm noch 1999 diesen Duktus, siehe Steveling 1999.

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Der Fall Bruno K. Schultz

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Harten, Hans-Christian/Neirich, Uwe/Schwerendt, Matthias, Rassenhygiene als Erziehungsideologie des Dritten Reichs. Bio-bibliographisches Handbuch (Edition Bildung und Wissenschaft), Berlin 2006. Hausmann, Frank Rutger, Wissenschaftsplanung und Wissenschaftslenkung an der Reichsuniversität Straßburg, in: Dinckal, Noyan (Hg.), Selbstmobilisierung der Wissenschaft. Technische Hochschulen im „Dritten Reich“, Darmstadt 2010, S. 187–230. Heinemann, Isabel, „Rasse, Siedlung, deutsches Blut“. Das Rasse- und Siedlungshauptamt der SS und die rassenpolitische Neuordnung Europas (Moderne Zeit 2), Göttingen 2003. Klee, Ernst, Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945, Frankfurt a. M. 2007. Kostlan, Antonin (Hg.), Wissenschaft in den böhmischen Ländern 1939–1945, Prag 2004. Kröner, Hans-Peter, Von der Rassenhygiene zur Humangenetik. Das Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik nach dem Kriege (Medizin in Geschichte und Kultur 20), Stuttgart, Jena, Lübeck, Ulm 1998. Kühl, Stefan, The Nazi Connection. Eugenics, American Racism, and German National Socialism, New York, Oxford, 1994. Langewiesche, Dieter (Hg.), Universitäten im nationalsozialistisch beherrschten Europa (Geschichte und Gesellschaft 23,4), Göttingen 1997. Glettler, Monika/Míšková, Alena, Prager Professoren 1938–1948. Zwischen Wissenschaft und Politik (Veröffentlichungen zur Kultur und Geschichte im östlichen Europa 17), Essen 2001. Mommsen, Hans, Die Realisierung des Utopischen. Die „Endlösung der Judenfrage“ im „Dritten Reich“, in: Geschichte und Gesellschaft 9 (1983), S. 381–420. Oehler-Klein, Sigrid/Roelcke, Volker, Einführung. Das vergangenheitspolitische Handeln der medizinischen Eliten nach 1945, in: Dies., Vergangenheitspolitik in der universitären Medizin nach 1945. Institutionelle und individuelle Strategien im Umgang mit dem Nationalsozialismus, Stuttgart 2007, S. 9–20. Proctor, Robert N., Racial Hygiene. Medicine under the Nazis, Cambridge und London 1988. Roth, Karl Heinz, Heydrichs Professor. Historiographie des „Volkstums“ und der Massenvernichtungen: Der Fall Hans Joachim Beyer, in: Schöttler, Peter (Hg.), Geschichtsschreibung als Legitimationswissenschaft 1918–1945, 2. Aufl. Frankfurt a. M. 1999, S. 262–342. Schmuhl, Hans-Walter (Hg.), Rassenforschung an Kaiser-Wilhelm-Instituten vor und nach 1933 (Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus 4), Göttingen 2003. Schmuhl, Hans-Werner (Hg.), Grenzüberschreitungen. Das Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik 1927–1945 (Ge-

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Daniel Droste

schichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus 9), Göttingen 2005. Schüring, Michael, Minervas verstoßene Kinder. Vertriebene Wissenschaftler und die Vergangenheitspolitik der Max-Planck-Gesellschaft (Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus 13), Göttingen 2006. Šimu˚nek, Michal, Ein neues Fach. Die Erb- und Rassenhygiene an der Medizinischen Fakultät der Deutschen Karls-Universität Prag, in: Kostlan 2004, S. 190–317. Steveling, Lieselotte, Juristen in Münster. Ein Beitrag zur Geschichte der Rechtsund Staatswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, Westf. (Beiträge zur Geschichte der Soziologie 10), Münster 1999. Toellner, Richard, Medizin in Münster, in: Heinz Dollinger (Hg.), Die Universität Münster 1780–1980, Münster 1980, S. 285–307. Volkert, Wilhelm (Hg.), Handbuch der bayerischen Ämter, Gemeinden und Gerichte 1799–1980, München 1983. Weisbrod, Bernd, Akademische Vergangenheitspolitik. Beiträge zur Wissenschaftskultur der Nachkriegszeit (Veröffentlichungen des Zeitgeschichtlichen Arbeitskreises Niedersachsens 20), Göttingen 2002. Wildt, Michael, Volksgemeinschaft als Selbstermächtigung. Gewalt gegen Juden in der deutschen Provinz 1919 bis 1939, Hamburg 2007. Woller, Hans, Gesellschaft und Politik in der amerikanischen Besatzungszone (Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte 35), München 1986. Wroblewska, Teresa, Die Reichsuniversitäten Posen, Prag und Strassburg als Modelle nationalsozialistischer Hochschulen in den von Deutschland besetzten Gebieten, Torun 2000.

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Aus den „Ideen von 1914“ Der Staatswissenschaftler Johann Plenge und seine Institute an der Universität Münster

„Um ein volles Bild von der Bedeutung des Prof. Plenge […], mit Rücksicht auf die Kompliziertheit der gesamten Materie und der Persönlichkeit Prof. Plenges […], geben zu können, wäre ein Buch zu schreiben nötig. In ihm mischen sich Züge von Genialität mit gefährlichen Merkwürdigkeiten.“1

Mit diesen Worten versuchte im Jahre 1927 ein Referent des Wissenschaftsministeriums den Charakter des Nationalökonomen Johann Plenge in einer Aktennotiz für das Preußische Wissenschaftsministeriums zusammenzufassen. Die Vielschichtigkeit, welche sowohl Wesen als auch Wirken des Münsteraner Forschers auszeichnete, lässt sich bereits anhand dieser knappen Sätze erahnen. So übte Plenge nicht nur als Professor der Universität Münster, sondern auch als „öffentlicher Wissenschaftler“ und als „Politiker und Ideologe“ einen heute weitgehend in Vergessenheit geratenen Einfluss auf Wissenschaftsdiskurs und politische Diskussion des Kaiserreichs, der Weimarer Republik und in Ansätzen des Nationalsozialismus aus. Johann Plenge wurde am 7. Juni 1874 in Bremen geboren. Er wuchs in großbürgerlichen Verhältnissen auf und studierte „[…] nicht zuletzt unter dem Eindruck der Persönlichkeit Karl Büchers“2 vom Wintersemester 1893/94 bis zum Sommersemester 1897 Nationalökonomie an der Universität Leipzig.3 Nach der Promotion 1898 habilitierte er sich am 25. April 1903 mit seiner Schrift „Gründung und Geschichte des Credit Mobilier“. Im Mai 1913 folgte Plenge dem Ruf nach Münster und wurde dort zum ordentlichen Professor und Mitdirektor des Staatswissenschaftlichen Seminars bestellt.45 Sein Wirken wurde durch den Ausbruch des Ersten Weltkrieges maßgeblich beeinflusst. Plenge war, wie eine Mehrzahl der deutschen Professorenschaft, vom „Geist von 1914“ ergriffen. Das „Augusterlebnis“ des Jah-

1 2 3 4 5

GStA, I HA Rep. 76 Va. Sekt. 13 Tit. X Nr. 34, Bd. 2, Aktennotiz eines Referenten des Preußischen Wissenschaftsministeriums, 21.1.1927. Schäfers, Einleitung, 1967, S. 2. Vgl. UAMs, Bestand 9, Nr. 467, Personalblatt Plenge, Bildungsgang Plenge. Vgl. UAMs, Bestand 31, Nr. 16, Bd. 1, Brief vom 12.5.1913. Unterstützung erfuhr er dabei durch Max Weber und Hans Delbrück. Vgl. Schildt 1987, S. 530.

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res 1914 sollte jedoch auch persönlicher Wendepunkt werden, der fortan seine Forschungen weit über die Kriegsjahre 1914 bis 1918 hinaus beeinflusste. Nach dem Krieg wurde Plenge am 24. April 1919 das Ordinariat der wirtschaftlichen Staatswissenschaften in der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät an der Universität Münster verliehen.6 Von 1919 bis 1923 leitete er das von ihm gegründete Staatswissenschaftliche Institut als Direktor.7 Aus verschiedenen Gründen, deren ausführliche Beschreibung den Rahmen dieses Aufsatzes sprengen würde,8 kam es 1923 zur Schließung des Instituts und zu einer Neuordnung der Verhältnisse innerhalb der Staatswissenschaften.9 Die Eröffnung von Plenges neuem „Institut für Organisationslehre und Soziologie“ erfolgte erst im Mai 1925.10 Nach der Machtergreifung Januar 1933 kam es jedoch auch zur Schließung seines zweiten Instituts. Plenge selbst wurde schließlich „auf Grund von § 4 des Gesetzes über die Entpflichtung und Versetzung von Hochschullehrern aus Anlass des Neuaufbaus des deutschen Hochschulwesens vom 21. Januar 1935“11 am 18. Mai 1935 emeritiert.12 Danach wurde es stiller um ihn. Auch nach dem Ende des „Dritten Reichs“ stellte die Universität den Staatswissenschaftler nicht wieder ein. Plenge starb 1963 im Alter von 89 Jahren in Münster. Die bisherigen Arbeiten zu Plenge beschreiben ihn aus verschiedenen Perspektiven. So gibt es Hinweise auf Plenge als den aufstrebenden jungen Wissenschaftler und streitbaren Professor; wiederum andere Arbeiten zeigen ihn als politisch Mitwirkenden mit Kontakten zu verschiedenen politischen Strömungen13 oder auch als Forscher, der seinen Beitrag innerhalb der Sozialwissenschaften und Soziologie14 geleistet hat. Aus ideengeschichtlicher Perspektive beschäftigt sich insbesondere Michael Busch mit Plenge und seinem Wirken.15 Eine Arbeit, die Plenge in seiner Lehrtätigkeit, in Politik und öffentlicher Wissenschaft über die politischen Brüche hinaus und mit Blick auf die Frage Unikat oder Repräsentant einer Generation von Gelehrten untersucht, blieb jedoch aus. Auch dieser Aufsatz wird das im Eingangs6 7 8 9 10

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Vgl. UAMs, Bestand 31, Nr. 16, Bd. 1, Brief vom 24.4.1919, Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung an Plenge. Vgl. UAMs, Bestand 5, Nr. 472, Bd. 1, Pressenotiz zum 75. Geburtstag. Vgl. daher Demiriz 2009. UAMs, Bestand 4, Nr. 1278, Brief vom 16.5.1923, Der stellvertretende Kurator Peters an den Rektor und den Senat der Universität. Vgl. ebd., Brief vom 4.8.1923, Minister an Plenge, Beurlaubung, UAMs, Bestand 4, Nr. 1277, Brief vom 22.8.1925, Plenge an Minister, Betreff: Beurlaubung von Vorlesungen und Übungen für das Wintersemester 1925/26, und GStA, I. HA Rep. 76 Va. Sekt. 13 Tit. X Nr. 34, Bd. 1, Brief vom 24.10.1927, Plenge an Minister. UAMs, Bestand 10, Nr. 6956, Bd. 6, Brief vom 10.2.1935, Entpflichtung. Vgl. UAMs, Bestand 31, Nr. 16, Bd. 3, Brief vom 10.2.1935, Entpflichtung. Vgl. Pieper 1978, Schildt 1987, Ansorg 1984. Vgl. Linhardt 1963, Linhardt/Haseneck 1963, Schäfers 1967, Linhardt 1964, Linhardt 1965. Promotionsvorhaben „Der Gesellschaftsingenieur. Johann Plenge (1874–1963) – Sozialwissenschaftler an der Schwelle zur Moderne“ und Busch 2007.

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zitat geforderte Buch nicht ersetzen können. Denn dafür bietet Plenge zu viele interessante Fragestellungen, als dass sie im Rahmen einer solchen Arbeit abgehandelt werden könnten. In dem folgenden Aufsatz soll dennoch versucht werden, mit Fokus auf Plenges Zeit an der Universität Münster ein möglichst umfassendes Bild seines Wirkens und seines Einflusses auf die damalige Zeit herauszuarbeiten. Dabei werden die hier deskriptiv dargestellten Sachverhalte zueinander in Bezug gesetzt und Begründungen für Plenges Handeln aufgezeigt. Gleichzeitig soll Plenges eingangs genannter Einfluss als „politischer“ Professor, öffentlicher Wissenschaftler und Ordinarius an der Universität Münster im größeren historischen Kontext bewerten werden. Unter dem Oberbegriff „Politik und Ideologie“ werden dabei Plenges politischer Werdegang unter Bezugnahme auf seine „Ideen von 1914“, seine Zusammenarbeit mit dem Sozialdemokraten Konrad Haenisch16 und sein Verhältnis zum Nationalsozialismus behandelt. Der Aspekt „Öffentliche Wissenschaft“, dem in der Gesamtbetrachtung weniger Gewicht verliehen wird, zeigt, wie Plenge als Teil der wissenschaftlichen Öffentlichkeit fungierte und welche Bedeutung er für die Soziologie hatte. Die letzte Perspektive, „Universität Münster“, bildet den Schwerpunkt des Aufsatzes und soll Plenges wissenschaftliche Fußspuren an der Universität Münster aufzeigen. Das „Staatswissenschaftliche Institut“ und das „Forschungsinstitut für Organisation und allgemeine und vergleichende Soziologie“ bilden dabei den Ausgangspunkt. Im Vordergrund stehen dabei seine wissenschaftlichen Schwerpunkte, ihre Entwicklung und die darauf Einfluss nehmenden Faktoren. Die Analyse soll außerdem Plenges methodisches Vorgehen und das Zusammenspiel von politischem Engagement und Wissenschaft erarbeiten. Schließlich werden Plenges Einfluss auf die Strukturen der Staatswissenschaften in Münster und sein Anteil am Institutionalisierungsprozess der Universität Münster aufgezeigt. Plenge wurde durch verschiedenste Strukturen, politische Prozesse in Kaiserreich und NS-Zeit sowie durch politische Zäsuren, wie die Herrschaftswechsel, geprägt. Diese hatten ebenfalls Einfluss auf sein Handeln und Wirken in Politik, Öffentlichkeit und Wissenschaft. Jede Perspektive berücksichtigt in der Analyse spezifische Fragestellungen.17 Im Teil über „Politik und Ideologie“ werden Plenges 16

17

Haenisch, Benno Fritz Paul Alexander Konrad, war ein sozialdemokratischer Politiker. Er wurde m 14.3.1876 in Greifswald geboren und starb am 28.4.1925 in Wiesbaden. Haenisch besuchte die Universität Leipzig und begann seine politische Laufbahn bei der „Leipziger Volkszeitung“. Zu seinen Lehrmeistern gehören Paul Lensch, Rosa Luxemburg und Franz Mehring. Durch die Freundschaft mit dem russischen Revolutionär Alexander Helphand (Parvus) wurde er 1915 Redakteur der Zeitschrift „Glocke“. Hier arbeitete er neben Lensch, Eduard David und H. Cunow auch mit Plenge zusammen. Im November 1918 trat er für das Ressort Wissenschaft, Kunst und Volksbildung in die sozialistische preußische Regierung ein und leitete das Ministerium bis zur Regierungsumbildung 1921. Seine Amtsnachfolger waren Bölitz und C.H. Becker. Vgl. Hofmann 1966. Dabei gilt es, schwerpunktmäßig die Geschehnisse, die sich während Plenges Amtszeit in Münster ereignet haben, zu erarbeiten. Verknüpft und interpretiert werden sollen diese

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„Ideen von 1914“ herangezogen, um sein ideologisches Fundament zu bestimmen. Im Hinblick auf seinen politischen Werdegang wird die Anschlussfähigkeit dieser „Ideen“ an die Ideologie des Nationalsozialismus überprüft, um ideologische Übereinstimmungen oder Unterschiede bestimmen zu können. Sein Anteil an der „Öffentlichen Wissenschaft“ wird unter Bezugnahme seiner Kontakte zu anderen Fachwissenschaftlern und dem Einfluss seine Arbeiten im wissenschaftlichen Diskurs aufgezeigt. Die Analyse fußt dabei auf vier unterschiedlichen Quellenarten. Zum einen dienten die Dokumente aus dem Universitätsarchiv Münster, dem Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz und dem Bundesarchiv Berlin als Grundlage des Aufsatzes. Zum anderen wurden Schriften Plenges, in denen er die beiden Institute jeweils vorstellt, die Vorlesungsverzeichnisse der Universität Münster von 1910 bis 1936 und die Titel der Dissertationen, die bei Plenge geschrieben wurden, herangezogen. Da sowohl Plenges „Politik und Ideologie“ als auch sein Wirken in der „Öffentlichen Wissenschaft“ seine Arbeit in Münster bestimmten, wird unter Berücksichtigung der Erkenntnisse dieser beiden ersten Teilbereiche, der dritte kritisch behandelt.

Ideologie und Politik Zu dem, was vor allem die Welt um Plenge herum als merkwürdig bezeichnet hätte, gehörte in jedem Fall Plenges außergewöhnlich hohes Interesse und Mitmischen an und in der Politik. Beginn seiner Politisierung war das Augusterlebnis, dass nicht nur ihn, sondern ganz Deutschland im Jahre 1914 ergriff und zum Handeln im politischen Diskurs bewegte. Während die meisten Gelehrten jedoch nur in einer kurzen Phase ihre sonst unpolitische und reservierte Haltung gegenüber der Politik ablegten, blieb Plenge vom „Geist von 1914“18 ergriffen und gründete auf selbigen

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durch das Fragen nach Motiven für Plenges, aber auch das Handeln der Wissenschaftler und Politiker, die mit Plenge interagierten. Geschichtliche Momente, wie das Augusterlebnis, der Erste Weltkrieg, die Umbrüche, die sich aus den verschiedensten politischen Machthabern für Plenge ergeben, aber auch sein Verständnis von Wissenschaft werden erfragt und herangezogen, um Plenge besser in seine Zeit und seinen Einfluss auf diese verorten zu können. Wie ist Plenges wissenschaftlicher Einfluss zu bewerten? Welchen Anteil trägt er bei der Ausbildung der Fachwissenschaften in Münster? Wie ist seine Rolle in der öffentlichen Wissenschaft zu bewerten? Was waren seine Forschungsschwerpunkte und wie haben sich diese in Münster entwickelt? Wieso kam es zur zweimaligen Schließung seiner Institute? Wie ging er mit der Politik in einem sich ständig verändernden politischen System, vom Kaiserreich bis in die Bundesrepublik, um? Der „Geist von 1914“ war das vergeistigte Augusterlebnis. In ihm vereinigten sich unter dem gemeinsamen Ziel der deutschen Mobilmachung, die verschiedensten politischen Strömungen und gesellschaftlichen Gruppen. Die Gelehrten konnten im „Geist von 1914“ ihren, nach 1948 verloren gegangenen, politischen Einfluss wieder ausüben. Durch ihn war es den Gelehrten möglich geworden, den „[…] Kulturimperialismus der Vorkriegs-

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den von ihm entwickelten „sozialen Nationalismus“, der sich in den „Ideen von 1914“19 niederschlug. Kann Plenge bis zu Beginn des Ersten Weltkriegs noch in eine Gruppe von „modernistischen Mandarinen“20 verortet werden, fällt eine Beurteilung Plenges politischer Ansichten und Neigungen für die Folgezeit schwer. Sein politisches Spektrum, dass für ihn sowohl Anknüpfungsmöglichkeiten an die Sozialdemokratie als auch an den Nationalsozialismus zuließ, gilt es genauer zu untersuchen. Schlüssel hierbei sind die „Ideen von 1914“. Obwohl nicht von den „Ideen von 1914“ gesprochen werden kann, ist man sich in der Forschungsliteratur jedoch weitgehend einig, dass Plenge21, Kjellen22 und Ernst Troeltsch23 zu den ersten Verkündern und Hauptvertretern der „Ideen von 1914“ gehören.24 Zentrale Punkte der Plenge’schen „Ideen von 1914“ sind Organisation und Sozialismus, er betonte daher, dass „die Ideen von 1914 weder rein staatssozialistisch, noch rein demokratisch [sind]. Sie sind organisatorisch, ohne dem Individualismus sein Recht zu nehmen. Sie wollen ebenso ein kräftiges Beamtentum, wie ein freies Volk. Sie sind ein System der Menschenpflichten, ohne die Menschenrechte zu verkümmern.“25

Wer Plenge verstehen will, muss nicht zwingend diese Ideen in der Theorie verstehen lernen, sondern vielmehr ihre Bedeutung für Plenge erfassen. In ihnen spiegelt sich wider, wofür Plenge stand; sie sind Motor seiner wissenschaftlichen Inno-

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zeit zu überwinden […]“ (Krüger 1983, S. 19) und damit wieder eine aktive und führende Position im gesellschaftlichen Leben des Kaiserreiches einzunehmen. „Die Professoren leisteten den Kriegsdienst mit der Feder“ (Theodor Brot, aus: Wettmann 1994, S. 131– 171, hier: S. 142), indem sie „[…] den militärischen Einsatz nach innen und außen […]“ (Hoeres 2004, S. 16) unterstützten. Vertiefend siehe Wolfgang Greive herausgegebenen Luccumer Protokolle „Der Geist von 1914. Zerstörung des Universalen Humanismus“. Hier wird eine explizite Beschäftigung mit „Geist und Ideen von 1914“ gebracht, die eine Untersuchung der „[…] Zusammenhänge von Politik und Religion, des Profils der geistig-politischen Kultur des Kaiserreichs und des Paradigmas des ‚deutschen Sonderwegs‘“ (Greive 1990, S. 5), mit einschließt und differenziert betrachtet. Als umfangreichste Werke zum Komplex der „Ideen von 1914“, die als Teil der Neuordnung Deutschlands durch den Ersten Weltkrieg gesehen werden müssen, können Steffen Bruendels „Volksgemeinschaft und Volksstaat“, erschienen in Berlin 2003, und Peter Hoeres, „Krieg der Philosophen. Die deutsche und britische Philosophie im Ersten Weltkrieg“, erschienen in Paderborn 2004, herangezogen werden. Die Gelehrtengeneration, die im Kaiserreich geprägt wurde und Ende des 19. Jahrhunderts das Hochschulbild formte, wird bei Ringer als „Mandarine“ bezeichnet. Innerhalb der „deutschen Mandarine“ bildeten die Professoren und „Gelehrtenschaft“ der Nationalökonomie eine Ausnahme, da die „modernistische“ Minderheit fast ausschließlich von ihnen gebildet worden wäre. Vgl. Ringer 1983, S. 15f., und Kaesler 1998, S. 270. Plenge 1916. Kjellen 1915. Troeltsch 1925. Vgl. Bruendel 2003, S. 111. Plenge, 1789 und 1914, S. 146.

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vationen und Antrieb für seinen kämpferischen Geist. Dies zeigt sich im Umgang mit Politik und Ideologie seiner Zeit. Sein erster politischer Kontakt war der zur „Lensch-Cunow-Haenisch-Gruppe“,26 die sich aus einer Gruppe sozialdemokratischer Prosyleten zusammengeschlossen hatte. Plenges Zusammenarbeit mit diesen Sozialdemokraten bestand vor allem in dem Verfassen von Artikeln für die von der Gruppe herausgegebene Zeitschrift „Glocke“. Als Nichtmitglied der SPD wurde Plenge hier zum „Sprachrohr“27 und versuchte „unter der Devise der Weiterentwicklung“28 eine Demontage des marxistischen Sozialismus, wie er es auch schon in seinen „Ideen von 1914“ getan hatte, zu entwickeln. Mit Ende des Krieges verschwand jedoch der gemeinsame Nenner der Gruppe und führte zur Auflösung. Obwohl Plenge hier Anbindung fand, ist nicht anzunehmen, Plenge sei in den Dienst einiger rechter Sozialdemokraten gegangen, damit diese ihre politischen Neigungen verdeckt kundtun konnten. Vielmehr verstand er sich selbst „als Theoretiker, der die Sozialdemokratie in seinem Sinne ‚revolutionieren‘ wollte.“29 Plenge sah sich nicht als Politiker, der durch Handeln und aktive Teilnahme innerhalb einer Partei agiert, sondern vielmehr als Gelehrten und als Lehrer, der durch „die Feder“ spricht. „Die Revolutionierung der Revolutionäre“,30 wie seine Aufsatzreihe es verlauten ließ, hatte er nicht erreicht. Trotzdem entwickelte sich aus dieser Zeit eine Freundschaft zu einem seiner wichtigsten Gönner und Förderer, dem späteren Kultusminister Conrad Haenisch, welcher für den Aufbau von Plenges Institut in Münster noch von Bedeutung sein sollte. Darüber hinaus war die Mitarbeit bei der „Glocke“ die erste öffentliche Verkündung seines politischen Gedankenguts motiviert durch seine „Ideen von 1914“ und damit Anfangspunkt seines Kampfs für den „nationalen Sozialismus“. Die „Ideen von 1914“ waren auch in der NS-Zeit handlungsleitend für Plenge und bildeten das Fundament, auf dem er versuchte, sich – unter anderem um sein Institut zu legitimieren und zu retten – als Vorreiter des Nationalsozialismus darzustellen. Hitler war in Plenges Augen derjenige, der „die Kraft und den Mut [hatte] das Volk zur gemeintätigen Arbeit zu sammeln“31. Er habe das verwirklicht, was Plenge selbst zwar als erster proklamiert, zwischen 1914 bis 1918 aber nicht 26 27 28 29

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Die Bezeichnung ist aus den drei Namen der führenden Köpfe dieser Gruppe abzuleiten: Paul Lensch, Heinrich Cunow und Conrad Haenisch. Krüger 1983, S. 222. Ebd. Schildt 1987, S. 542, Vgl. auch BAB, NS26/1252, Plenge an Stadtrat Aschhoff, Archivdezernat (Abschrift für das Hauptarchiv der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei). Hier heißt es: „Als es schlechterdings noch keine nationalsozialistische Parteibewegung gab und geben konnte, war das allerschwerste und kühnste: als ganz allein auf sich und nur auf den eigenen Kopf angewiesener Einzelgänger […] den allerrücksichtlosesten und allerüberlegensten geistigen Kampf gegen den Marxismus, der je geführt ist, in einem eigenen Blatte des Gegners (‚Die Glocke‘) unmittelbar an ihn heranzutragen.“ Plenge 1918. Das Zitat ist einem Brief Plenges an Philipp Scheidemann entnommen: Plenge 1920, S. 14.

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in die Tat hatte umsetzen können: die Verbreitung des nationalen Sozialismus im Volk durch Tat und die Organisation des Volkes durch Organisation der Führung. Somit hatte Hitler in Plenges Augen „Die Revolutionierung der Revolutionäre“ durchsetzen können.32 Wie konnte sich jedoch Plenge, der Professor, der sich selbst als „nationalen Sozialisten“ bezeichnete und dazu noch jahrelang mit Sozialdemokraten zusammenarbeitete, in ideologische Nähe des Nationalsozialismus begeben? Ein Vergleich einiger Schlüsselwörter zeigt zumindest, ohne auf den tatsächlichen ideologischen Hintergrund einzugehen, die Anschlussfähigkeit der Plenge’schen Ideen an den Nationalsozialismus. Plenges nationaler Sozialismus stand für Organisation, Volksgemeinschaft, Propaganda, Gemeinschaft und erwartete ebenfalls „das Dritte Reich“. Der Nationalsozialismus Hitlers, wie er ihn selbst in „Mein Kampf“33 beschrieben hatte, beinhaltete ebenfalls die „Volksgemeinschaft“,34 zeigte die Wichtigkeit der „Propaganda“ und der „Organisation“, widmete sich der „Gewerkschaftsfrage“ und zielte auf ein „Drittes Reich“ ab.35 Ein direkter Vergleich zweier Zitate arbeitet die oberflächliche Ähnlichkeit ebenfalls heraus: „Die Propaganda rekrutiert Anhänger, die Organisation erhält ihre Mitglieder aus der, von der Propaganda gewonnenen, allgemeinen Anhängerschaft.“36 (Hitler) „Organisation und Propaganda gehören zusammen. Nur durch Propaganda Werbung neuer Mitglieder!“37 (Plenge).

Doch war die NSDAP „weder sozialistisch noch eine Arbeiterpartei. Nichtsdestoweniger vereinigte der Nationalsozialismus in seiner Bezeichnung die beiden mächtigsten ideologischen Antriebe der Epoche.“38 Die „Vereinigung“ von Begrifflichkeiten durch den Nationalsozialismus zeigt sich auch am Begriff der „Volksgemeinschaft“, in dem Plenge ebenfalls glaubte, seinen „nationalen Sozialismus“ erkennen zu können. Dabei war der Begriff der „Volksgemeinschaft“ keine Erfindung Plenges oder der Nationalsozialisten, sondern wurde in der Weimarer Republik von vielen Parteien, selbst den Sozialdemokraten, genutzt.39 Während die bürgerlichen Parteien damit jedoch auf eine „[…] harmonisierende Inklusion aller Bevölkerungsteile und auf die Herstellung von politischer Einheit des Volkes 32 33

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BAB, NS26/1252. Plenge 1935, Nachtrag 1, S. 13. Hitler 1933. Die Ausgabe des Jahres 1933 wurde deshalb gewählt, weil Plenge 1933 seine Vorlesungen über Hitlers „Mein Kampf“ abhielt. Natürlich ist klar, dass „Mein Kampf“ als normatives Grundgerüst zu sehen ist; für Plenge war es jedoch zum damaligen Zeitpunkt theoretische Grundlage, aus der er Erkenntnisse über die Ideen des Nationalsozialismus ziehen konnte. Hitler 1933, S. 470 (Die Angabe ist nur als Beispiel zu verstehen.) „11. Kapitel: Propaganda und Organisation“, „12. Kapitel: Die Gewerkschaftsfrage“ (Hitler 1933, dem Inhaltverzeichnis entnommen). Hitler 1933, S. 655. Plenge 1922. Sontheimer 1962, S. 353. Wildt 2011, Abschnitt 11.

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[…]“40 abzielten, war für den Nationalsozialismus vor allem die Exklusion durch die „Volksgemeinschaft“ maßgebend.41 Die Einsicht, dass seine „Volksgemeinschaft“ nicht die Adolf Hitlers war, erlangte Plenge selber nicht. Insbesondere der Begriff „Das Dritte Reich“ hatte Plenge geblendet und zur Annahme gebracht, sein nationaler Sozialismus und der Nationalsozialismus Hitlers hätten das gleiche Ziel gehabt. Plenge selbst hatte diesen Begriff Ibsens „Kaiser und Galiläer“42 entnommen und symbolisierte ihn durch die Sonne über dem Kreuz, welches er 1919 als Zeichen für sein Verlagsprogramm verwendete.43 Im Hakenkreuz sah er „nicht Symbol für einen totalitären Unrechtsstaat, sondern ‚Symbol für den sonnenhaften Gottesgeist‘“.44 Die Tatsache jedoch, dass „das Dritte Reich Johann Plenges […] nicht das Dritte Reich Adolf Hitlers [war], wie auch der nationale Sozialismus nicht ‚nationalsozialistisch‘ [gewesen ist] […]. Das Kreuz für das [er stritt, war] […] kein Hakenkreuz, das Dritte Reich, […] eine Schöpfung Adolf Hitlers […] – [woran] sich weder drehen noch deuteln [ließ],“45

blieb ihm uneinsichtig.46 Plenges eigenes Hakenkreuz, dass er mit dem Hitlers gleichsetzte, machte ihn blind und zeigt seine Fehleinschätzung des Nationalsozialismus deutlich. Er konnte auf den Nationalsozialismus augenscheinlich nicht anwenden, was er bereits 1928 erkannt hatte. Dass Organisation von allen Parteien „von der äußeren Linken bis zur äußeren Rechten […] [in] Sowjetrussland […] aber auch [vom] Faschismus [genutzt wurde] und […] ein Janus-Gesicht [hat], weil es herrschaftliche und genossenschaftliche Organisation gibt.“47 Das Janus-Gesicht des Nationalsozialismus durchdrang er nicht. Der Nationalsozialismus bediente sich zwar ähnlicher Schlagwörter und Symbole, wollte jedoch etwas ganz anderes bewegen, als Plenges nationaler Sozialismus. Trotz dieser Fehleinschätzung und der Anbiederungsversuche Plenges kann ihm eine Verstrickung in die Verbrechen der Nationalsozialisten nicht nachgewiesen werden; bevor der ganze Terror des NS-Regimes sich offenbarte, hatte seine frühzeitige Emeritierung im Jahr 1935 ihm ohnehin jeglichen Einfluss entzogen. Ungeachtet dessen ist Plenge kein hilfloses Opfer oder ahnungsloser Mitläufer ge40 41 42 43 44 45 46

47

Wildt 2011, Abschnitt 16. Ebd., Abschnitte 10, 11 und 16. BAB, NS 26/1252, Plenge 1935, Nachtrag 2, S. 18. GStA, I HA Rep. 76 Va. Nr. 10695, Brief vom 12.3.1943, Plenge an Reichskanzler Adolf Hitler. Schäfers, Soziologie und Wirklichkeitsbild, 1967, S. 118. Bernhard Harms, Brief an Plenge, 29.3.1934, entnommen aus: Schäfers, Soziologie und Wirklichkeitsbild, 1967, S. 112. Erkennen konnte Plenge dies nur ansatzweise 1947. In „Die Altersreife“ schrieb er zwar einsichtig, dass man ihm ernsthaft vorwerfen könne, die optimistische Hoffnung gehabt zu haben, „dass man dem Nazitum noch rechtzeitig mit der Wahrheit (hätte) beikommen können.“, Plenge 1948, S. 173. Trotzdem schätzte er selbst 1947 den Nationalsozialismus falsch ein, indem er ihm Reformfähigkeit attestierte. Plenge 1928, S. 2.

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wesen, der sich dem Willen des Regimes hat beugen müssen. Die Akten belegen dies deutlich. Sie zeigen, dass es Plenges eigene Motivation war, die Vorgängerschaft des „nationalen Sozialismus“ zu beanspruchen. Es zeigt sich, dass Plenge bereit gewesen war, seinen Einfluss in der Öffentlichkeit zu nutzen. Selbst wenn sein Handeln keinen nachweisbaren Auswirkung gehabt haben mag, unterstützte es den Nationalsozialismus dennoch indirekt: wie andere Repräsentanten der „Konservativen Revolution“48 hatte er „jene Ideenkomplexe, an die der Nationalsozialismus anknüpfen und derer er sich – nach ihrer Umformung in schiere Schlagwörter […] – propagandistisch bedienen konnte“,49 formuliert und dem Nationalsozialismus damit Anschluss und indirekten Nährboden verschafft. Sein Konzept eines „nationalen Sozialismus“ führte nicht – wie es durchaus möglich gewesen wäre – zur Abgrenzung von, sondern zur Anbiederung an den Nationalsozialismus. Plenge war jedoch, wie die neueren Forschungen zur Universitätsgeschichte zeigen, kein Einzelfall. Ein Großteil Deutschlands wissenschaftlicher Elite wartete entweder passiv ab, dass der Nationalsozialismus, wie all die anderen Regierungen, vorüber gehen möge, oder handelte, wie Plenge, auf ihren eigenen Vorteil bedacht und zum Schutz der eigenen Wissenschaft. Beide Geisteshaltungen waren letztlich fatal, da sie den Nationalsozialismus gewähren ließen. Die Betrachtung von Plenges Berührung mit der Politik zeigt, dass er offen war gegenüber den verschiedensten Ideologien seiner Zeit. Zunächst schloss er sich einer Gruppe von Sozialdemokraten an, versuchte, sich damit an etwas völlig anderem wie dem Nationalsozialismus anzugliedern, um daraufhin, unter dem Vorwurf der Nationalsozialisten Marxist zu sein, frühzeitig emeritiert zu werden. Zuletzt war er schließlich der Annahme verfallen, er hätte in der neu gegründeten Bundesrepublik mit seinen „Ideen von 1914“ an der Universität Münster einen Beitrag zum Wiederaufbau leisten können. Wie ist Plenges politisches Schwenken von links nach rechts einzuschätzen und erklärbar? Die beiden hier gewählten Beispiele der Zusammenarbeit mit verschiedenen politischen Bewegungen zeigen in jedem Fall, dass es die äußeren Umstände waren, die sich änderten, nicht Plenge. Er war weder Sozialdemokrat noch Marxist oder Nationalsozialist, auch wenn er zu allen drei politische und ideologische Anknüpfungspunkte besaß; stattdessen war er „aus den ‚Ideen von 1914‘“50 nationaler Sozialist, der als Lehrer versuchte, seinen „nationalen Sozialismus“ praktisch – über politische Tagesereignisse erhaben, ja diese sogar häufig ignorierend – durch die „Ideen von 1914“ zu verbreiten. Ideologische Übereinstimmungsmomente zwischen Plenge und anderen politischen Strömungen und Ideen kann es gegeben haben, ein Wandel hin zu einer dieser Denkrichtungen (Marxismus, Sozialdemokratie oder Nationalsozialismus) jedoch niemals. „Das hinderte 48 49 50

Vgl. Mohler 1994. Krüger 1983, S. 234. Mit diesem Zusatz „aus den ‚Ideen von 1914‘“ (teilweise mit dem Zusatz „Heil Hitler“) unterschrieb er nach der Machtergreifung 1933 viele seiner Briefe. Vgl. beispielsweise GStA, I HA Rep. 76 Va. 10695, Brief vom 11.1.1934, Plenge an Minister.

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ihn beileibe nicht, den Anschein der Zugehörigkeit zu einer politischen Gruppe zu nutzen, wo immer sich die Gelegenheit bot.“51 Letztlich, wie noch zu zeigen sein wird, immer zum Vorteil seiner Forschungsinstitute an der Universität Münster und im Blick auf die Durchsetzung seines „nationalen Sozialismus“.

Wissenschaftlicher Diskurs Der Erste Weltkrieg, die „Ideen von 1914“ und die Schließung des „Ersten Staatswissenschaftlichen Instituts“ bestimmten auch Plenges Verhältnis zur Fachwelt. Dies zeigte sich vor allem in seinem Propagandafeldzug gegen die Ruhrbesetzung 1923.52 Die Schließung des ersten Staatswissenschaftlichen Instituts führte bei Plenge schließlich zu einem noch stärkeren Bruch mit der ohnehin von ihm „verpönten“ Gelehrtenwelt. Er verschanzte sich mehr oder weniger in seinem neuen Institut für Organisationslehre und machte sich daran, das von ihm seit langem geplante Tafelwerk weiter auszubauen. Plenges Teilhabe am öffentlichen Wissenschaftsdiskurs ging über eine punktuelle Einmischung nicht hinaus. Erst 1927 kam er der schon seit 1922 bestehenden Einladung nach, der Deutschen Gesellschaft für Soziologie beizutreten.53 Jedoch nahm er trotz mehrfacher Aufforderung verschiedenster Kollegen, allen voran von Wiese und Tönnies, an keiner Tagung der Gesellschaft teil,54 obwohl ihm sogar mehrfach das Hauptreferat angeboten wurde.55 Das Angebot zur Mitarbeit an dem von Alfred Vierkandts geplanten „Handwörterbuch der Soziologie“56 lehnte er mit der Begründung ab, dass diese „alphabetische Aufsatzreihe über die Lieblingsgegenstände […] einer Reihe von formalen Soziologen […], [es] Gegnern der Soziologie […] leicht mache, über die Unzulänglichkeit unserer Wissenschaft zu spotten.“57 Schließlich trat er auch aus der Friedrich-List-Gesellschaft mit der Begründung wieder aus, sie sei ihm zu „wilhelminisch, äußerlich und dekorativ und ohne eigentlichen Gehalt für [die] […] Zeit“58. Sein Rückzug aus dem wissenschaftlichen Diskurs ist dabei jedoch auch Beleg für die häufigen Berührungspunkte mit der Fachwelt und dem Interesse, dass ihm und seiner Forschung entgegen gebracht wurde. Vor allem zu Beginn seiner wissenschaftlichen Laufbahn schien man sich für den jungen Plenge zu interessieren. So verfolgte Delbrück „mit besonderer Aufmerksamkeit die wissenschaftlichen 51 52 53 54 55 56 57 58

Pieper 1978, S. 90. Vgl. zu Plenges Ruhrkampf Kerssen 1967. Vgl. Schäfers, Soziologie und Wirklichkeitsbild, 1967, S. 76. Vgl. ebd., S. 76f., und Wallgärtner 1990, S. 129–133. Vgl. Schäfers, Soziologie und Wirklichkeitsbild, 1967, S. 76 und Schäfers, Einleitung, 1967, S. 8. Vgl. Vierkandt 1931. Plenge 1930. Plenge an Salin aus: Schäfers, Soziologie und Wirklichkeitsbild, 1967, S. 78.

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Arbeiten des Professors Plenge […], der […] zweifellos […] unter den jüngeren Nationalökonomen an erster Stelle“59 stand. Die Unterstützung, die Plenge bei seiner Berufung nach Münster durch Max Weber erfahren hatte, zeugt ebenfalls vom Potential, das in ihm gesehen wurde.60 Auch kam es, wenn auch im geringen Maßen, zum gedanklichen Austausch zwischen den Forschern. Plenge übernahm von Tönnies beispielsweise das Begriffspaar „Gemeinschaft und Gesellschaft“ und versuchte, es um den Organisationsbegriff zu erweitern. Dabei hoffte er auf Mitarbeit von Tönnies. Mit von Wiese gab es in der Beziehungslehre Übereinstimmungen. Plenge veröffentlichte zu diesem Thema daher mehrere Aufsätze in den Kölner Vierteljahresheften, dessen Schriftleiter von Wiese war.61 Umgekehrt bediente sich von Wiese Plenges Begriff der „Mehrschaft“62 und war „dankbar […] für dieses kurze erschöpfende Wort, ‚Betreff‘“.63 Daneben veröffentlichte Plenge in der Zeitschrift „Archiv für angewandte Soziologie“64 und in der „Zeitschrift für Volkspsychologie und Soziologie“,65 in denen auch Soziologen wie Geiger, Günther, Ipsen, Tönnies, Thurnwald, Spann und Stoltenberg publizierten.66 Seine Teilhabe am öffentlichen Wissenschaftsdiskurs war zwar geringer, als es das Fach selbst gewollt hatte, aber dennoch nahm Plenge daran teil. Ein Austausch von Ideen, wenn auch nur in geringer Form, fand ebenfalls statt; trotzdem blieb die Zusammenarbeit mit Tönnies, von Wiese und teilweise mit Bernhard Harms weitgehend die einzige, die innerhalb der Soziologie von Bedeutung war.67 Begründet ist dies in Plenges Wissenschaftsbegriff. Eine „Nicht-Werturteilsfreiheit“ der Wissenschaft kann als Grundsatz bei Plenge angesehen werden. Aus diesem heraus suchte er nach handlungsleitenden Gesamtzusammenhängen, um diese aktiv umsetzen zu lassen. Er strebte nach Allumfasstheit und Allgemeingültigkeit, was ihn beispielsweise zum aktiven Handeln im Ruhrkampf bewegte und damit in Gegensatz zur Gelehrtenwelt stellte. Fest steht, dass sein Einfluss hätte größer sein können, hätte er gewollt oder vielmehr, hätte er einen anderen Wissenschaftsbegriff gehabt, der sich mehr in die Zeit eingefügt und ihm nicht selbst die Mitarbeit an vielen soziologischen Projekten 59 60 61

62 63 64 65 66 67

Brief vom 5. März 1913, Delbrück an Plenge, zitiert nach: Schäfers, Einleitung, 1967, S. 3. „Herzlichen Dank für Ihre tatkräftige Hilfe in Münster und Gießen.“, Plenge an Max Weber, 14. März 1913, zititert nach: Schildt 1987, S. 531. Die Hefte waren dabei mehr als nur ein Forum soziologischer Diskussion, da hier die halboffizielle Meinung der Deutschen Gesellschaft für Soziologie kundgetan wurde. Vgl. Wallgärtner 1990. Plenge hatte drei Veröffentlichungen im ersten Teil, „Archiv für Beziehungslehre“, und fünf weitere im zweiten, „Allgemeinen Teil“, der Hefte. Vgl. Schäfers, Soziologie und Wirklichkeitsbild, 1967, S. 102. Vgl. ebd., S. 103. Vgl. Wallgärtner 1990, S. 189. Vgl. Ebd., S. 215. Vgl. Ebd., S. 189. Vgl. BAB, R 8088/452, Brief vom 19.2.1926, Scheel an Plenge, Brief vom 25.2.1926, Plenge an Scheel.

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verwehrt hätte.68 Erst nach der Schließung der Institute, woraufhin sich seine Wissenschaft von einer analytisch forschenden hin zu einer die Realität immer mehr zugunsten einer ästhetisch-religiösen Sichtweise verklärenden entwickelte, wurde die Kluft zur Fachwelt größer. Er befasste sich zunehmend mit Kunst, schrieb von neuen künstlerischen Entdeckungen, erhob den „nationalen Sozialismus“ immer mehr zu einer Art Religion.69 Metaphysisches und Religiöses wurde zu seiner neuen „Handlungswirklichkeit“. Der Zugang zu dieser „Wirklichkeit“ blieb anderen meist verschlossen. Letztlich erschwerte Plenges schwieriger Charakter eine Zusammenarbeit mit anderen Soziologen. Trotz alledem hatte die Fachwelt auch nach 1923 weiterhin Interesse an seiner Forschungen. Zentrum seines wissenschaftlichen Schaffens war die Universität Münster. Seine größten wissenschaftlichen Errungenschaften lassen sich dabei jedoch nicht in einem Schriftstück finden, sondern sind in seinen Forschungsinstituten zu sehen. Wie im Folgenden gezeigt wird, sind sie die Grundsteine für die Staatswissenschaft und die Soziologie an der Universität Münster.

Plenge und die Universität Münster Sowohl das erste Staatswissenschaftliche Institut als auch das Institut für Soziologie und Organisationslehre sind Belege, der im Einganszitat erwähnten „genialen und visionären Seite“ Plenges. Das erste Institut machte ihn zum Begründer der Staatswissenschaften, das zweite zum Urheber der Soziologie an der Universität Münster. In ihnen drücken sich nicht nur Plenges wissenschaftliche Schwerpunkte aus, vielmehr zeigt sich in ihnen sein Verständnis der Universität als Ausbildungsstätte. Er wollte weg von einer Wissenschaft, die sich um sich selbst dreht und den Bezug zur Praxis verliert. In keinem Schriftstück spiegelt sich daher besser als in den Instituten wider, wofür Plenges Forschungen standen und wonach er strebte: Staatswissenschaftliche Erneuerung auf Grund der „Ideen von 1914“.

Seminar für Volkswirtschaft und Verwaltung Plenges großer Einfluss auf die Entwicklung der Staatswissenschaften und die Gründung der Soziologie an der Universität Münster kann vor allem an Hand der Vorlesungsverzeichnisse der Jahre 1904 bis 1935 sowie zweier Schriften über die Institute gezeigt werden. Die Vorlesungsverzeichnisse zeigen die kontinuierliche Ausweitung der Staatswissenschaften, nicht nur in der Zahl der Lehrenden, sondern auch in der Ausdifferenzierung der Forschungsinhalte und Etablierung neuer 68 69

An dieser Stelle muss auf die Prägung durch den Ersten Weltkrieg und Plenges „Ideen von 1914“ verwiesen werden. Vgl. Schäfers, Einleitung, 1967, S. 3, und Krüger 1983, S. 22.

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Lehrmethoden und -mittel. Die Jahre von 1915 bis 1919 zeigen, dass a) das Angebot der Volkswirtschaftler größer wurde, b) sich die Themenfelder vergrößerten und c) das Volkswirtschaftliche Seminar einen unabhängigeren Charakter annahm. Wurden beispielsweise im Vorlesungverzeichnis des Wintersemesters 1914/15 die Staatswissenschaften noch unter der Kategorie „Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät“ ohne jegliche Systematik einfach den Veranstaltungen der Juristen folgend geordnet, zeigen die Ankündigungen für 1915 bereits das Bestehen eines „Seminar für Volkswirtschaft und Verwaltung“. Der Schwerpunkt der Lehre lag in den Anfangsjahren auf den wirtschaftlichen Themen. Zwischen 1915 und 1918 kann nicht von einer Verdrängung der wirtschaftlichen Themen zu Gunsten der Themen „Organisation“, „Krieg“ oder „Sozialismus“, die sich als Konsequenz aus Plenges „Ideen von 1914“ ergeben würden, gesprochen werden. Die Veränderungen der Staatswissenschaft begannen mit Plenges zweitem Amtssemester. Dass Plenge derjenige war, der die Ausdifferenzierung vornehmlich förderte, ist wahrscheinlich, kann jedoch nur vermutet werden.

Das Staatswissenschaftliche Institut Unverkennbar ist jedoch, dass es Plenge war, der durch die Begründung des Staatswissenschaftlichen Instituts, finanziert mit Hilfe des damaligen Ministers Haenisch, die Staatswissenschaften in Münster eigenständig und zu einer landesweit bekannten Einrichtung machte. Der schnelle und umfassende Aufbau des Instituts wäre, betrachtet man die wirtschaftliche Lage Deutschlands nach dem Ersten Weltkrieg, ohne Haenisch nicht möglich gewesen. Haenischs Reformversuch der deutschen Bildungspolitik und Plenges Idee einer praxisorientierten Ausbildungsstätte kamen überein. Obwohl politisch nicht einer Partei angehörig, teilten sie in Punkto Bildungspolitik ähnliche Ansichten. Plenge wurde die Hilfe eines ihm wohlgesinnten Sozialdemokraten zu Teil. Nur so ist es zu erklären, dass das Institut im wirtschaftlichen Tiefpunkt Deutschlands, welchen nicht nur die Bevölkerung, sondern auch die Universitäten spürten, aufgebaut werden konnte. Doch nicht nur sein Kontakt zu Haenisch, sondern auch seine Hartnäckigkeit im Schreiben von Bittanträgen an das Kultusministerium, seine Kommunikation mit dem Finanzministerium, die Beschaffung von finanziellen Mitteln aus der Industrie70 und sein glücklicher Kontakt zu seinem Jugendfreund, dem Industriellen Roselius, ermöglichten den Aufbau des Instituts. Das von Roselius finanzierte Zeichen „Sonne über dem Kreuz“ in den Bossen des Giebelfensters des Instituts71 70 71

Die Nordwestdeutsche Eisenindustrie finanzierte die Träger der Projektoren. Vgl. Plenge 1920, S. 13. Die Mitfinanzierung des Zeichens deutet daraufhin, dass Plenge und Roselius, wie schon Plenge und Haenisch eine gemeinsame Idee verfolgten und sich ideologisch in eine Richtung bewegten.

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symbolisiert Plenges Vision und gibt einen Hinweis auf seine Motivation: „Die Ideen von 1914“.72 „Es bedeutet eine neue Zukunft [des deutschen] […] Volkes über dem Kreuz seiner Gegenwart. Es bedeutet die Vereinigung der großen geistigen Gegensätze der neueren Geschichte: das dritte Reich. Es bedeutet auf dem Grund des Christentums erwachsenen Sozialismus“.73

Das Volk stand bei seiner Theorie im Mittelpunkt, denn nur der wirtschaftlich gebildete Bürger könne ein Nutzen für das Deutsche Allgemeinwohl sein. Besonderes Interesse brachte er daher der Verbreitung von Volks- und Wirtschaftswissenschaften in den Volkshochschulen entgegen.74 Volksakademien und Gewerkschaften gehörten ebenfalls zum Plan, um die „sachgemäße Ausbildung des volkswirtschaftlichen Nachwuchses […] zu sichern“.75 Der Institutsaufbau brachte vor allem eine weitere Spezialisierung in der Art der Lehre. Die Ausdifferenzierung, die bereits für die Jahre 1912 bis 1918 festgestellt wurde, setzte sich weiter fort.76 Das Vorlesungsverzeichnis für das Herbstzwischensemester 1919 führt zum ersten Mal das Veranstaltungsprogramm des „Staatswissenschaftlichen Instituts“ auf. Proseminare und Mittelseminare, die zuvor nur in Kategorien politisch oder volkswirtschaftlich gegliedert waren, wurden spätestens ab 1919 in drei Abteilungen gefächert. Während die Kategorien Politik/Staatswissenschaften und Volkswirtschaft schon seit dem Wintersemester 1915/16 Teil der Struktur waren, trat mit Gründung des Instituts die „Abteilung für Gesellschaftslehre“ neu hinzu. Des Weiteren wurden die Schulung eines allgemeinen technischen Verständnisses und die seit Jahren etablierte Privatwirtschaft hervorgehoben. Das weitergeführte „Zeitungspraktikum“,77 das „Institutskolloquium“ sowie die „Vortragsreihen des Staatswissenschaftlichen Instituts“ wurden ebenfalls in das Lehrangebot aufgenommen. Mit der „Vortragsreihe des Staatswissenschaftlichen Instituts“ wurde zum einen ein weiterer Praxisbezug hergestellt, zum anderen, da zugänglich für Hörer aller Fakultäten, auch ein Hauch von Interdisziplinarität78 vermittelt. Das neu eingeführte „Institutskolloquium“ diente zur Besprechung praktischer Fragen 72 73 74

75 76 77 78

Schildt spricht ebenfalls davon, dass Plenge und Roselius sich ideologisch und politisch nahe standen. Vgl. Schildt 1987, S. 556. Plenge 1920, dem Einband entnommen. „Denn […] die Jugend muss doch gerade in dieser Zeit des frühen Wahlrechts und der Unrast der Jugendlichen ‚durchstaatlicht‘, das heißt zum Verständnis einer hoch entwickelten Gesellschaft und ihrer Organisationsaufgaben herangebildet werden.“ Plenge 1920, S. 17. Ebd., S. 16. Dies kann ebenfalls aus den Vorlesungsverzeichnissen entnommen werden. Zur Vertiefung zum „Zeitungspraktikum“ kann auf Maoro 1987 hingewiesen werden. Besonders deutlich wird dies an der Vorlesung „Politik und Naturwissenschaft, Grundbeziehungen zwischen Naturwissenschaft und Staats- und Gesellschaftslehre. Gemeinvorlesung in Verbindung mit den Dozenten der philosophischen Fakultät.“ Vgl. Vorlesungsverzeichnis Wintersemester 1920/21.

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mit Vorträgen aus der Berufspraxis.79 Eine Betrachtung der Seminare, Übungen und Vorlesungen zeigt, dass die meisten Lehrangebote aus der „volkswirtschaftlichen Abteilung“ kamen.80 Plenges erweiterte sein wissenschaftliches Interesse um die Gesellschaftslehre, hielt jedoch auch an wirtschaftlichen Themen fest. Auch die von Plenge betreuten Doktorarbeiten geben Aufschluss auf den starken Ausbau in Größe und Themenfelder des Instituts. Dabei konnte festgestellt werden, dass Plenges anfänglicher – seit Beginn seiner Lehrtätigkeit – Themenschwerpunkt „Wirtschaft“ auch in den folgenden Jahren weiterhin Forschungsgegenstand blieb, jedoch von der Gesellschaftslehre so weit zurückgedrängt wurde, dass beide inhaltlichen Schwerpunkte 1926 gleichrangig berücksichtigt wurden.81 Ein Vergleich mit der Rechtswissenschaftlichen Sektion und der gesamten Universität belegt in jedem Fall eine große Prüfungsleistung Plenges.82 Die Daten machen deutlich, dass mit der Begründung des Staatswissenschaftlichen Instituts (beziehungsweise zwei bis drei Jahren nach Begründung) die Abschlüsse zum Dr. rer. pol. im Gegensatz zu den Abschlüssen zum Dr. jur. ansteigen. 1925 kamen fast viermal so viele Promotionen in der staatswissenschaftlichen Sektion (79) zum Abschluss, wie in der rechtswissenschaftlichen Sektion (22). Maximal kamen auf einen ordentlichen Professor der Rechtswissenschaften 4,5 Promotionen. Der Spitzenwert bei der pro OrdinariatLeistung der Staatswissenschaftler lag dagegen bei 31,6 Promotionen. Nicht nur Plenge, sondern auch Bruck und Weber, die anderen beiden prüfungsberechtigen Staatswissenschaftler neben Plenge, hatten demnach eine überdurchschnittlich hohe Prüfungsquote innerhalb der gesamten Fakultät, die dort nur bei 10,1 Prozent lag. An den Promotionen der gesamten Universität hatten die Staatswissenschaften 1925 einen Anteil von rund 41 Prozent; gemessen an der geringen Anzahl der ordentlichen Professoren ist dies umso bemerkenswerter. Außerdem zeigt die hohe Prüfungsleistung Plenges, dass er nicht nur formal als Leiter und Verwalter Einfluss auf das Staatswissenschaftliche Institut hatte, sondern auch inhaltlich-wissenschaftlich und in Zusammenarbeit mit den Studenten. Neben der Themenausweitung zeigt sich im Konzept des Instituts Plenges Anspruch einer praxisnahen Wissenschaft. In der Lehre wurde das Institut durch Vertreter mit praktischer Erfahrung, wie den Ingenieuren Dr. Ellinghaus und Dr. Woldt (Mitglied des Landtags), dem Syndikus Dr. Steiner, Landesrat Jung, Bergreferendar Dr. Leinau, Eisenbahninspektor Feldmann, Regierungsbaumeister Abels, (damals noch) Caritasdirektor Heinrich Weber83 sowie dem Oberbürgermeister a. D. Ma79 80 81 82 83

Vgl. beispielsweise Vorlesungsverzeichnis Wintersemester 1922/23. Die Fülle an verschiedenen Inhalten der Seminare, Übungen und Vorlesungen kann hier im Einzelnen nicht wiedergegeben werden. Vgl. zu den folgenden Werten Demiriz 2009. Dies muss auch für Bruck und Weber auf Grundlage von Plenges Vorleistungen konstatiert werden muss. Heinrich Weber „(* 20.10.1888 Röllinghausen/Kr. Recklinghausen, † 29.8.1946) studierte Philosophie und Theologie in Münster. 1912 wurde er zum Priester geweiht. 1919 promovierte er […] zum Dr. rer. pol., 1922 zum Dr. theol. in Tübingen. Nachdem er seit

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chens, unterstützt und ergänzt. Praktisch sollte auch die Methode sein und „weit über die gewohnte Praxis“84 hinausgehen. Lichtbilder sollten dies ermöglichen. Zu diesem Zweck wurde der große Hörsaal mit einer großen Projektionsfläche und einer mit Schubladen bestückten Wandvertäfelung, in die eine große Bildersammlung kommen sollte, ausgestattet.85 In Plenges Vorstellungen waren Begriffe ohne Anschauung leer und Anschauungen ohne Begriffe blind. Methodisch setzte er daher auf die von ihm entwickelten Unterrichtstafeln, die im Kapitel „Öffentliche Wissenschaft“ schon erwähnt wurden. Sie sollten die „vergleichende Methode, die als vergleichende Ideenlehre und als vergleichende Gesellschaftslehre, insbesondere als vergleichende Wirtschaftstheorie“86 aufzubauen war, ermöglichen. Die Unterrichtstafeln waren Plenges Antwort auf ein „Steckenbleiben in Einzeltheorien und Teilwahrheiten“,87 das er bei den meisten seiner Kollegen feststellte. Plenge fehlten die „Denker mit Fliegernatur“.88 Die Unterrichtstafeln waren seine Problemlösung. Sie stellten die fehlende Überblickmethode dar, mit denen es möglich werden sollte, die Einzeltheorien zusammenzufassen. Die Tafeln spiegeln außerdem die durch das Vorlesungsverzeichnis deutlich gewordene Unterscheidung „Gesellschaftslehre – Staatslehre – Wirtschaftlehre“ wider. Abgerundet und komplettiert wurde die Arbeit des Instituts durch das „Staatswissenschaftliche Verlagsprogramm“.89 Dieses erschien im Verlag G. D. Baedecker, Essen. Das Programm gliederte sich in die Reihen „Staatswissenschaftliche Beiträge“, „Staatswissenschaftliche Musterbücherei“ und „Staatswissenschaftliche Lehrbücher“. In den „Staatswissenschaftlichen Beiträgen“ wurden besonders gute und interessante Arbeiten aus dem Umfeld des Instituts veröffentlicht. Unter den ersten Veröffentlichungen findet sich auch die Dissertation90 von Professor Dr. Heinrich Weber.91 Die „Staatswissenschaftlichen Musterbücher“, in denen „Wiederabdrucke vorbildlicher […] älterer Leistungen veröffentlicht wurden“, waren dazu bestimmt „selbstständiges Sehen und Denken zu schulen“.92 Karl Marx’ „Zeitgeschichte und Revolution“ und Heinrich Dietzels „Beiträge zur Geschichte des Kommunismus

84 85

86 87 88 89 90 91 92

1916 Generalsekretär des Caritasverbandes war, wurde er 1920 Direktor des Verbandes für das Bistum Münster. 1921 habilitierte er sich mit der Arbeit ‚Akademiker und Wohlfahrtspflege im Volksstaat‘, die von Schmöle und Plenge begutachtet wurde, für Soziales Fürsorgewesen. Im Sommer 1922 erhielt er den Ruf auf den Lehrstuhl für christliche Gesellschaftslehre […].“, Steveling 1999, S. 233, Anmerkung 210. Plenge 1920, S. 22. Mit der Bildersammlung wollte Plenge ermöglichen „alle Zweige […] [der] Volkswirtschaft und die Hauptverhältnisse der ausländischen Wirtschaftswelt“ denen zu zeigen, welchen „nicht unbeschränkte Möglichkeiten zur Reise gegeben sind.“ Siehe Plenge 1920, S. 22. Ebd., S. 21f. Ebd., S. 23. Ebd. Vgl. Plenge 1920, dem Einband entnommen. Titel der Dissertation war „Das Lebensrecht der Wohlfahrtspflege“, ebd. Für Angaben zu Heinrich Weber siehe Hermanns 1998. Plenge 1920, dem Einband entnommen.

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und Sozialismus“ gehörten beispielsweise zu den Veröffentlichungen. Schriften der „Staatswissenschaftlichen Lehrbücherei“ wurden nicht veröffentlicht. Geplant war es, in dieser Reihe Erklärungen zu den Unterrichtstafeln herauszugeben.93 Auch hier wird deutlich, dass das neue Institut nicht vornehmlich der Forschung, sondern der Lehre diente. Plenge stimmte das Institut, seine Methoden und seine Lehrmittel, zumindest rein äußerlich, perfekt aufeinander ab. Das ausgeweitete Lehrangebot, das nicht nur, aber auch dem Anstieg der Studierendenzahlen seit 191794 Rechnung trug, brachte eine Veränderung des Lehrkörpers mit sich. Die externen Dozenten aus der Praxis haben dies bereits dokumentiert. Die universitätsinternen Verhältnisse änderten sich ebenfalls. Die Staatswissenschaftliche Sektion wurde um eine dritte ordentliche Professur erweitert und ab 1922 Dr. Werner Friedrich Bruck,95 der bereits zweite Wahl bei der ersten Besetzung 1921 gewesen war, mit der Lehre beauftragt. Nach Schmöles96 Tod übernahm Heinrich Weber, der seit Sommersemester 1920 Übungen und Vorlesungen im Staatswissenschaftlichen Institut abhielt, bei Plenge promoviert wurde und sich auch bei ihm habilitierte,97 ein Ordinariat in der Katholischen Theologie. Eine Vereinbarung zwischen der Katholisch-Theologischen Fakultät und der Rechts- und Staatswissenschaftlichen ermöglichte es, dass Weber zwar die katholische Professur antrat, jedoch in den Staatswissenschaften lehrte.98 Die Staatswissenschaften wurden dem93

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98

In den 1920er-Jahren ist eine Veröffentlichung vermutlich auf Grund der Wirtschaftskrise, in den 1930er-Jahren auf Grund der nationalsozialistischen Machtergreifung und der damit verbundenen Emeritierung Plenges, nicht erfolgt. Vgl. Pott 1980, S. 189, Schaubild 6: Die Entwicklung der Studentenzahlen in der Rechtsund Staatswissenschaftlichen Fakultät. Werner Friedrich Bruck: „(* 23.8.1880 Breslau, † 29.5.1945 New York) entstammte einer jüdischen Juristenfamilie, konvertierte zum evangelischen Glauben, studierte nach 1900 Biologie und Volkswirtschaft an den Universitäten Breslau, Berlin und Halle. 1907 wurde er Privatdozent und 1913 a. o. Professor für tropische Landwirtschaft in Gießen. Am 22. August 1922 […] erhielt er die Berufung […] an die Universität Münster. […] 1934 emigrierte er nach England […]. 1940 wanderte er in die USA aus. […]“, Hermanns 1998, S. 25, Anmerkung 76. Josef Schmöle: „(* 5.4.1865 Frankfurt a. M., † 27.11.1922 Münster) studierte zunächst an der Landwirtschaftlichen Hochschule zu Berlin (und) […] ab Herbst 1886 Nationalökonomie in Halle. […] Nach weiteren staatswissenschaftlichen Studien habilitierte er sich 1895 in Greifwald […]. 1900 wurde er in Greifswald außerordentlicher Professor der Nationalökonomie, bis 1901 vertrat er eine staatswissenschaftliche Professur in Marburg, zum 1.1.1903 erfolgte die Ernennung als etatmäßiger Extraordinarius in Greifswald. Am 16.7.1904 wurde er an die Universität Münster versetzt, am 24.11.1906 dort zum persönlichen Ordinarius ernannt.“, Steveling 1999, S. 223. Das Thema der Dissertation zum Dr. rer. pol. war „Das Lebensrecht der Wohlfahrtspflege“. Thema der Habilitationsschrift war „Akademiker und Wohlfahrtspflege im Volksstaat“. Vgl. Hermanns 1998. Vgl. dazu: UAMs, Bestand 31, Nr. 89, Vereinbarung geschlossen zwischen der Katholisch-Theologischen Fakultät und der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität zu Münster. Damit war es einerseits möglich, Weber

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nach ab 1921 durch drei Ordinarien geführt. In den Jahren 1921/22 waren es zudem zwischen zehn und 15 weitere Dozenten,99 die an der Lehre des Instituts beteiligt waren. Im Vergleich zu Plenges Anfangszeit an der Fakultät, in der nur Schmöle, Plenge, Teschemacher und Rasch für die Lehre verantwortlich waren (denn mehr Dozenten gab es vor der Gründung des Pleng’schen Instituts nicht), ist dies ein gewaltiger Zuwachs. Neben der personellen Ausweitung wurden im Laufe der Zeit Sonderausschüsse und weitere Seminare etabliert, um der Gesamtaufgabe des Instituts gerecht werden zu können.100 Aus Platzgründen soll an dieser Stelle jedoch nur der „Ausschuss für Gewerkschaftsschulung“ genauer betrachtet werden. Sein Vorsitz wurde von Plenge übernommen und die Kurse in Zusammenarbeit mit Rasch und Elinghaus sowie dem praktischen Beirat der Gewerkschaftskurse Münster, bestehend aus zwölf Praktikern aus den verschiedenen Gewerkschaftsorganisationen, geführt. Die Wirkung der Kurse ist aufgrund ihres episodischen Charakters schwierig abzuschätzen. Trotzdem sind die Gewerkschaftskurse insofern bemerkenswert, als dass durch sie ein Kontakt zwischen zwei unterschiedlichen sozialen Gruppen zustande kam. Die Kurse waren zudem Ausdruck der pädagogischen Absichten einiger Hochschullehrer, die sich der Arbeiterbewegung nach 1918 zuwandten. Ihr Ziel sei es oftmals gewesen „das ‚Schlimmste‘, nämlich die selbstbewusste Ausnutzung neu gewonnener Machtpositionen durch die bislang politisch Ausgegrenzten, zu verhüten […] und die Identifikation der Arbeiterschaft mit dem ‚Ganzen‘ zu befördern“.101 Letztlich zeugen die Gewerkschaftskurse, wie das ganze Staatswissenschaftliche Institut, von Plenges Streben nach ganzheitlicher staatswissenschaftlicher Erneuerung im Sinne der „Ideen von 1914“ und einem starken Praxisverhältnis.

Auswirkungen des Instituts Das von Plenge ins Leben gerufene Institut bewirkte, wie gezeigt, viele innovative Erweiterungen in Lehre und Forschung. Die Lehre nahm bei Plenge einen „unge-

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für die Staatswissenschaften zu erhalten und andererseits die Ansprüche der Katholischen Fakultät auf eine Professur für christliche Gesellschaftslehre zu wahren. Vgl. Steveling 1999, S. 233. Vgl. Vorlesungsverzeichnisse 1921/1922. Das „Seminar für Arbeitsvermittlung und Berufsberatung“ wurde in Zusammenarbeit mit der Konferenz der preußischen Landesarbeitsämter ausgebaut. Im „Ausschuss für Jugend- und Wohlfahrtspflege“ waren der ihr vorstehende Plenge und die Kollegen von Rechts- und Staatswissenschaften vertreten. Beteiligte Kollegen der Rechtswissenschaften: Rosenfeld und Besserer sowie Többen als nebenamtlicher Lehrbeauftragter der Juristischen Fakultät, der Philosophischen-Naturwissenschaftlichen Fakultät: Brunswig und Ettlinger. Vgl. zu Többen: Aulke 2008, zu allen anderen: Vorlesungsverzeichnis Wintersemester 1922/23. Reichling 1980, S. 75.

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wöhnlich großen Teil ein“,102 da der Wert einer Universität sich nach Plenge nicht an Hand dessen ermitteln ließe, was geprüft, sondern was gelehrt werde.103 Plenge prägte die Staatswissenschaften der Universität Münster nachhaltig, denn auch nach seiner Zeit als Direktor des Instituts blieben viele der von ihm eingeführten und geförderten Lehrschwerpunkte, Methoden und Vorlesungsstrukturen bestehen. Die Staatswissenschaften baute er von einem kleinen Seminar, vertreten nur von zwei ordentlichen Professoren, durch nur wenige Vorlesungen Einfluss nehmend, bis hin zu einem bekannten Institut mit ausgereiften Strukturen, eigener Bibliothek und Archiv, einer Fülle von verschiedensten Dozenten und eigenen Räumlichkeiten aus. In seiner Gesamtheit war das Institut aufeinander abgestimmt: die Räumlichkeiten waren an den Lehrmitteln, die Lehrmittel am Unterricht, das Personal an der Praxis und alle gemeinsam an der Staatswissenschaftlichen Erneuerung orientiert. Der Antrieb Plenges für den Ausbau des Instituts muss daher ebenfalls in seinen „Ideen von 1914“ gesehen werden. Das Institut zeigt deutlich die Arbeit eines Visionärs, eines Lehrers und Forschers, eines Professors mit politischem Interesse und einem offenem Wissenschaftsverständnis und macht Plenge zum Begründer der Staatswissenschaften in Münster.104 Die Schließung dieses Instituts, welches die Staatswissenschaften an der Universität Münster stark ausbaute und deutschlandweit bekannt machte, bleibt unverständlich, aber, wie im Folgenden gezeigt wird, nicht unerklärbar.

Die Schließung des Staatswissenschaftlichen Instituts 1923 Grund für die Schließung des Instituts Anfang des Jahres 1923 war letztlich eine Prinzipienfrage um das grundsätzliche Auftreten und Verhalten eines Gelehrten. Plenge war der „modernistische“, politisch eingreifende Minderheitengelehrte, während seine Kollegen sich eher der traditionellen Position in der Gelehrtenwelt zuordnen lassen. Plenge sah seine Aufgabe in der Umsetzung der „Ideen von 1914“, in der Umstrukturierung der Universität. Während Plenge durch den Amtswechsel Haenisch – Boelitz seinen Förderer und reformerische Unterstützung verlor,105 war Haenischs Abtritt in den Augen der breiten Gelehrtenwelt wahrscheinlich gern gesehen und bot einigen von ihnen in Münster die Chance zum Handeln. 102 103

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Linhardt 1963, S. 369. Vgl. UAMs, Bestand 31, Nr. 16, Bd. 1, Brief Plenge an Dekan, in dem er um Akteneinsicht bittet. Hier befindet sich auch die Debatte zwischen Plenge und Calmes, die im „Münsterischen Anzeiger“ abgedruckt wurde. Koch 1980, S. 282. Das gute Verhältnis zum Ministerium kann bei Plenge jedoch nur für die reformerische Amtszeit Haenischs konstatiert werden. Zuvor, aber vor allem nach der Schließung, war es Plenge, der dem Ministerium Unfähigkeit vorwarf und Eingriffe in die Hochschulpolitik als hemmend betrachtete.

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Konflikte mit Plenge gab es häufig. Seit Hamburg (1903) war Plenge, der auf einem Bankett Gustav von Schmoller öffentlich beleidigte, für „seinen hitzigen und streitlustigen Geist bekannt“.106 Diesen streitlustigen Geist konnte man auch in Münster spüren. Da dieser zwingend zu berücksichtigen ist, um ein Urteil über Plenges Wirken und „Schicksal“ in Münster abgeben zu können, wird folgend in einem kleinen Exkurs auf Plenges Konflikte mit seiner Umwelt eingegangen. Die Streitigkeiten sind auf verschiedenen Ebenen festzustellen. Unterschieden werden kann zwischen Konflikten im Kontakt mit dem Ministerium, innerhalb der Universität Münster, innerhalb der Staatswissenschaftler in Deutschland und auf privater Ebene. Innerhalb der Universität Münster kann zwischen Streitigkeiten mit dem Rektorat, der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät und den Staatswissenschaftlern unterschieden werden. Anlass für Streit war nicht unbedingt eine Streitlust, sondern vielmehr eine tief sitzende Grundhaltung Plenges. Seine Auseinandersetzungen entsprangen meistens einem real erkannten Problem.107 Banal wirkende Streitigkeiten fußten auf Plengeschen Prinzipien und seinem Wissenschaftsverständnis. Eine dieser Grundhaltungen lieferte Plenge in einem Brief an den Rektor: Kritik müsse immer dann geübt werden, wenn Grund dazu geboten sei, auch am Rektor (an höheren Instanzen) und gerade, wenn es um Sachverhalte gehe, in denen der Kritiker im Gegensatz zur kritisierten Instanz als Experte auftrete. Durch diese grundsätzliche Einstellung und Plenges starkem Festhalten an den „Ideen von 1914“ und einem Wissenschaftsbegriff, der konträr zu vielen seiner Kollegen stand, waren derartige Konflikte nicht selten. Das aufgezeigte Muster gilt ebenso für Plenges Auseinandersetzungen mit dem Ministerium. Er sah die Staatswissenschaften finanziell und personell gegenüber den Naturwissenschaften benachteiligt und machte vor allem der Ministerialbürokratie Vorwürfe.108 Plenge forderte ja gerade auf Grundlage der staatswissenschaftlichen Erneuerung, auf Grund der „Ideen von 1914“, die besondere Förderung des Staatswissenschaftlichen Unterrichts. Der Stempel mit den Initialen „FSP“,109 Fördern Sie Plenge, ist eine von Plenges Antworten auf die Uniformität des Wissenschaftsbetriebs. Innerhalb der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät gab es, wie später näher erläutert wird, vornehmlich Auseinandersetzungen mit den Juristen. Hauptstreitpunkt war die Kompetenzabgrenzung zwischen Juristen und Nationalökonomen. 1922 führte diese fast zur Trennung von Juristen und Nationalökonomen. 106 107 108 109

Schäfers, Einleitung, 1967, S. 3. In welcher Form die Beleidigung stattfand, ist leider nicht bekannt. Vgl. Linhardt kommt in der Einleitung zu „Cogito ergo sumus“ zu ähnlichen Erkenntnissen, Linhardt 1965. „Der Herr Minister vergessen mir“, GStA, I HA Rep. 76 Va. Sekt. 13 Tit. X Nr. 34, Bd. 2, Brief vom 21.11.1929, Plenge an Ministerialdirektor Richter. Vgl. Pieper 1978, S. 89.

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Plenge hatte zudem scharfe Auseinandersetzungen mit anderen Fachvertretern, unter anderem mit den Professoren Harms,110 Calmes und von Schanz.111 In all seinen Streitigkeiten ging es um wissenschaftliche oder universitäre Streitpunkte. Mit Calmes stritt Plenge sich beispielsweise über die Frage, ob Münster oder Frankfurt zuerst die Privatwirtschaftslehre eingeführt hatte.112 Nicht jeder Streit und Konflikt endete im Abbruch der Beziehung. Mit Bernhard Harms beispielsweise entwickelte Plenge sogar eine Art Freundschaft. Auch mit von Wiese und Tönnies stritt sich Plenge, überwarf sich mit Ihnen jedoch nicht. Selbst im privaten Bereich kam es zu Auseinandersetzungen. Dem Betrachter erscheinen diese häufig kindisch und kleinlich.113 Plenge war somit kein einfacher Zeitgenosse. Kritik war für Plenge so etwas wie Pflichterfüllung. Auseinandersetzungen scheute er nicht. Sie fußten auf Seiten Plenges jedoch häufig auf stark verinnerlichten Prinzipien und sachgemäßer Kritik, weiteten sich aber oftmals unsachgemäß aus und waren mit Polemik reich gespickt. Vor allem in seiner Streitlust, die Teil seiner Persönlichkeit war, zeigte sich der im Eingangszitat beschriebene „Zusammenhang von Wahnsinn und Genialität“.114 Im konkreten Fall der hier untersuchten Institutsschließung kam es aufgrund der Prüfungsberechtigung zum Dr. rer. pol. zur Verschärfung der dauernden Streitigkeiten zwischen Plenge und der Rechtswissenschaftlichen Fakultät, die später in der Schließung endeten. Gestritten wurde um solche Prüfungen mit Grenzthemen, die von Juristen und Staatswissenschaftlern gemeinsam abgenommen wurden.115 Plenge stellte daher 1922 schließlich einen Antrag zur „Sektionstrennung“,116 um Eingriffe der einen oder anderen Seite in fachfremde Angelegenheiten zu unterbinden. Der Antrag wurde abgelehnt, und es kam zu einem Neuaufleben des Streits, der 1923 nicht nur zwischen Plenge und den „Herren Nichtnationalökonomen“,117 110 111

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UAMs, Bestand 10, Nr. 6956, Bd. 3, Brief vom 5.7.1923, Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät an Kurator zur Weiterleitung an das Ministerium. UAMs, Bestand 31, Nr. 16, Bd. 1, Schreiben vom 3.2.1921, und UAMs, Bestand 10, Nr. 6965 Bd. 3, Brief vom 5.7.1923, Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät an Kurator zur Weiterleitung an das Ministerium. Vgl. UAMs, Bestand 31, Nr. 16, Bd. 1, Brief Plenge an Dekan. Vgl. Plenges Streit über das „Werfen von Steinen in seinen Vorgarten“, UAMs, Bestand 31, Nr. 16, Bd. 1, Brief Plenge an Oberbürgermeister. Streit mit ten Hompel, UAMs, Bestand 31, Nr. 16, Bd. 1, Streitfall Plenge ten Hompel. „In Davos beglückwünschte […] [Pieper] dann der damalige Kultusminister Becker zu der ausgezeichneten Gelegenheit, Studien zu machen über den Zusammenhang zwischen Wahnsinn und Genialität.“ Pieper 1978, S. 93. Zur damaligen Zeit war dies durchaus nichts Ungewöhnliches. Es gab keine einheitlichen Prüfungsverfahren oder regelmäßige Examina nach jeder Lehrveranstaltung. Vgl. Ringer 1983, S. 58. Vgl. UAMs, Bestand 9, Nr. 305, Brief vom 30.7.1922, Plenge an Minister, Sektionstrennung. UAMs, Bestand 31, Nr. 16, Bd. 6, Brief vom 28.11.1921, Plenge an Dekan der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät.

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sondern auch innerhalb der Staatswissenschaften geführt wurde. Denn auch die beiden fachfremden Professoren Bruck, ursprünglich Botaniker,118 und Weber, Theologe,119 waren in Plenges Augen noch nicht geeignet, um derartige Prüfungen abzunehmen. Der Streit weitete sich aus, Briefwechsel bezüglich der Situation häuften sich sowohl im Ministerium als auch im Rektorat der Universität. Die weitere Auflösung der Ereignisse ist mühsam, da das Aktenmaterial ungeordnet auf mehrere Bestände verteilt, lückenhaft und nicht aussagekräftig genug ist. Sicher ist jedoch, dass es nach der Auflösung des Instituts zu einer Überprüfung der Verhältnisse in Münster durch das Ministerium kam.120 „Plenge kämpfte vergeblich […]; Haenisch war nicht mehr Kultusminister, Carl Heinrich Becker121 war es noch nicht; Otto Boelitz122 war um Schlichtung bemüht, vermochte aber nichts.“123 Letztendlich entschied sich das Ministerium zu einer Neuordnung der Verhältnisse des hiesigen bisherigen Staatswissenschaftlichen Instituts. Im Mai 1923 wurden daraufhin zum einen das „Institut für Organisationslehre und allgemeine vergleichende Soziologie“, unter der Leitung Plenges, zum andern das „Staatswissenschaftliche Seminar“, mit den Direktoren vom Bruck und Weber, begründet. Letzteres wurde zwar 1923/24 in „Institut für Wirtschaft- und Sozialwissenschaft“124 umbenannt, blieb im Kern jedoch das alte.125 Trotzdem war Plenges sein Lebenswerk genommen. Welche Gründe es, neben den ständigen Streitigkeiten mit Plenge, für die Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät gab, Plenges Institut aufzulösen, kann nur vermutet werden. Auszuschließen ist, dass das Institut aus mangelnder Wissenschaftlichkeit, Zweckmäßigkeit oder zu geringem Erfolg geschlossen wurde. Die Ausführungen zeigten ein Institut, das sich über Jahre ausgeweitet und spezialisiert hatte. Fachlich-inhaltliche oder strukturelle Kritik wurde von Seiten der Fakultät nicht erhoben. Auch spricht die Kontinuität, in der Bruck und Weber das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Seminar führten, dagegen, dass Kritik an Aufbau und Strukturen des Staatswissenschaftlichen Instituts der Grund zur Schließung hätte sein können. Einfluss hatte bestimmt Plenges Verhältnis zum 118 119 120 121 122

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UAMs Bestand 10, Nr. 6956, Bd. 1, Brief vom 7.3.1923, Der Dekan Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät an Minister, im Anhang den Brief Plenges. Ebd. Vgl. UAMs, Bestand 4, Nr. 1278, Brief vom 29.3.1923, Rektor an Kurator, oder Kurator an Rektor. Carl Heinrich Becker, geb. 12.4.1876 Amsterdam, gest. 10.2.1933 Berlin. Für weitere biographische Angaben vgl. Mangold 2005. Otto Boelitz, geb. 18.4.1876 Wesel, gest. 29.12.1951 Düsseldorf. Vgl. Kurzbiographie Boelitz in den Akten der Reichskanzlei: http://www.bundesarchiv.de/aktenreichskanzlei/1919-1933/0000/adr/adrag/kap1_2/para2_214.html, Zugriff: 10.1.2009. Schäfers, Einleitung, 1967, S. 8. Vgl. Vorlesungsverzeichnis Sommersemester 1924. Plenge bezeichnete das neue Institut auf Grund von Webers und Brucks wissenschaftlicher „Herkunft“ lieber als „Theobotanisches Institut“. Vgl. Hermanns 1998, S. 30, Anmerkung 92.

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Ministerium, das unter Haenisch besonders positiv für Plenge ausfiel, ihm jedoch nicht die Sympathie seiner Kollegen eingebracht hatte. Ein so starker Ausbau eines Instituts Anfang der 1920er-Jahren war ungewöhnlich,126 Neid ein nicht unwahrscheinlicher Schließungsgrund. Zudem wurde Plenges Eingriff in den Ruhrkampf von Mitgliedern der Fakultät nicht nur als Gefahr für den Ruf der Fakultät wahrgenommen,127 sondern auch als „nicht standesgemäß“ empfunden. Die Ruhrpropaganda Plenges fiel zeitlich genau auf den Schließungsbeschluss der Fakultät und war der Grund, weshalb er bei der Sitzung nicht anwesend war. Die breite Gelehrtenschaft warf reformistischen Professoren128 wie Plenge vor, „Revolutionäre, die die Grundlagen der Universität zerstörten“ zu sein, indem sie diese „durch ein Gewerkschaftshaus oder einen Freidenkertempel ersetzen wollen“.129 „Die Erneuerung des Geistes, in Praxis […], um nationalen und internationalen Wiederaufbau [zu]treiben“,130 wurde von der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät als „Hauptwahnidee“131 Plenges bezeichnet. Dies zeigt, dass der Schließung zwei völlig unterschiedliche Auffassungen von Aufgabe und Ziel der Wissenschaft und Universität zu Grunde lagen. Der Streit und das kämpferische Gemüt Plenges könnten der Fakultät 1923 schließlich nicht mehr als nur den letzten Anstoß (um nicht zu sagen Vorwand) zum weiteren Handeln gegeben haben. Vor diesem Hintergrund ist zu vermuten, dass die Fakultät Plenge in seine Schranken hat weisen wollen. Die Art und Weise der Schließung – ein Fakultätsbeschluss zur Schließung eines Instituts in Abwesenheit des Institutsdirektors und die zügige Neuordnung der Verhältnisse – zeigt, dass in Münster eine „Entthronung“ Plenges stattfand. Plenge selbst spricht von Zerstörung. Die Wortwahl passt zwar auf Plenges persönliche Arbeit, auf das Institut jedoch nicht. Dieses hatte im Prinzip nur einen „Herrschaftswechsel“ erfahren: Bruck und Weber, die fachfremd in die Staatswissenschaft übergetreten und gerade einmal sechs Monate im Amt waren, wurde die Leitung eines Instituts, welches Plenge initiiert und aufgebaut hatte, übertragen. In allen aufgezeigten Bereichen des Instituts herrschte Kontinuität. Zudem stellt sich die Frage, was die Fakultät mit Schließung und Entreißung des Instituts überhaupt bezwecken wollte. Plenge selbst, der aus Fakultätssicht das eigentliche Problem darstellte, blieb ja im Amt. Weitere Konflikte hatte man durch die Schließung nicht verhindern können. Betrachtet man all diese Fakten, erscheint Plenge als vielleicht oft zu verbissener und streittüchtiger, aber 126 127 128

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Ringer 1983, S. 63. Vgl. UAMs, Bestand 31, Nr. 16, Bd. 2, Brief des Dekans der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät an den Minister. Des Weiteren wurde „Plenges Theorie […] als konzeptionelle Grundlage [Haenischs] sozialdemokratischer Kulturpolitik […] bezeichnet“. Helmuth Berking, zitiert nach Schildt 1987, S. 555, Anm. 278. Berking 1984, S. 1629. Ringer 1983, S. 76. UAMs, Bestand 10, Nr. 6956, Bd. 3, Brief vom 5.7.1923, Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät an Kurator zur Weiterleitung an das Ministerium, unterschrieben von Jacobi. Vgl. ebd.

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visionärer Professor, der „lieber alte bürokratische Gewohnheiten zu Fall bringen [wollte], statt wichtige soziale Aufgaben unter dem Geschäftsbetrieb des Kultusministeriums leiden zu sehen“.132 Die Gelehrtenwelt versuchte ebenfalls die Universität vor der Einflussnahme der Politik zu schützen, dies jedoch im Sinne des Bewahrens der alten Zustände, gegen ein Einwirken der Politik auf die Wissenschaft und umgekehrt.133 Plenge hatte mit seiner kämpferischen Art diese „alten Zustände“, im Sinne der Verwirklichung der „Ideen von 1914“, teilweise ohne Rücksicht, ins Wanken zu bringen versucht und „Professoren und Minister […] herausgefordert; sie haben ihn [dafür] die Überlegenheit ihrer Stellung, ihrer Macht fühlen lassen“.134 „Die […] Institutszerstörung […] ist wohl einmalig in der deutschen Universitätsgeschichte […] [gewesen], die Zeit von 1933 bis 1945 ausgenommen.“135

Das Institut für Organisationslehre und allgemeine und vergleichende Soziologie Ruhe kehrte um Plenge auch nach der Schließung des Instituts nicht ein. Für ihn hatte sich seit 1923 alles geändert. Plenges Ressentiment gegenüber dem Ministerium, dem universitären Betrieb und den Kollegen wurde durch die Institutsschließung nur noch verschärft. Der Versuch der Universität, Plenge nach der Schließung über ein Disziplinarverfahren, das seine Geisteskrankheit136 feststellen sollte, „loszuwerden“, scheiterte aus Mangeln an Beweisen.137 Trotzdem wurde Plenge, um des Friedens Willen, vom Ministerium zwangsweise beurlaubt138 und seine Arbeit am neuen Institut damit still gelegt. Das „Institut für Organisationslehre und allgemeine und vergleichende Soziologie“, von Plenge auch als das „O! So!“139 bezeichnet, nahm auf Grund der Konflikte 132 133 134 135 136 137 138

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BAB, R8088/451, Brief vom 6.10.1922. Vgl. Ringer 1998, S. 76. Vgl. Linhardt 1965, S. 12. Schäfers, Einleitung, 1967, S. 8. Vgl. GStA, I HA Rep. 76 Va. Sekt. 13 Tit. X Nr. 34, Bd. 1, Brief vom 3.6.1923, Dekan der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät Prof. Jacobi an Minister Boelitz. Vgl. UAMs, Bestand 10, Nr. 6965, Bd. 4, Brief vom 10.1.1924, Minister an Universitätskurator Münster. Vgl. GStA, I HA Rep. 76 Va. Sekt. 13 Tit. X Nr. 34, Bd. 1, Brief vom 4. August 1923, Minister Boelitz an Plenge. Hier heißt es: „Demgemäß beurlaube ich Sie mit Fortbezug Ihrer vollen Gehaltsbezüge demnächst bis zum 31. März 1924 von allen Ihren unterrichtlichen Obliegenheiten und entbinde Sie für die gleiche Zeit auch von der Leitung des Instituts für Organisationslehre und allgemeine und vergleichende Soziologie.“ „Der neue Name ist für den Alltagsgebrauch zu lang. Organisation und Soziologie geben abgekürzt: O. So. – Institut. O! So! Das wird bald allgemein verstanden werden“, GStA, I HA Rep. 76 Va. Sekt. 13 Tit. X Nr. 34, Bd. 1, Vom Staatswissenschaftlichen Institut Münster i. W. zum Institut für Organisationslehre und allgemeine und vergleichende Soziologie. Hauptseminar-Ansprache vom 29.5.1923.

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seinen offiziellen Betrieb erst nach dem Umzug in das Oberpostdirektorium140 1925 auf. Zunächst bestritt Plenge den Aufbau des Instituts alleine. Im Schnitt wurden drei Veranstaltungen pro Semester angeboten. Die Themen waren, zumindest dem Titel nach, soziologischer Natur.141 Ziele und Aufgaben des Instituts bestanden erstens in der Entwicklung einer „Organisationslehre“, die zweitens nur in einer „allgemeinen Gesellschaftslehre“ möglich war und drittens durch die „vergleichende Gesellschaftslehre“142 ergänzt werden sollte. Plenge war kein Gegner von Interdisziplinarität, seine Anatomie der Gesellschaftslehre war fachübergreifend anwendbar, Handwerkszeug, ohne ein Fach in seiner Autonomie zu beschneiden. Hierdurch wird Plenges originelles Denken einmal mehr deutlich. Auch durch sein zweites Institut übte Plenge letztlich großen Einfluss auf den institutionellen Ausbau der Universität aus. Mit dem Forschungsinstitut wurde er zum Begründer der Soziologie an der Universität Münster, denn Vorlesungen, theoretische Grundlage und der Name des Instituts belegen eindeutig eine Abkehr von rein wirtschaftlichen und staatswissenschaftlichen Themen. Den Wandel vom Nationalökonomen zum Soziologen belegen nicht nur die Namen seiner Institute, sondern auch die im Vorlesungsverzeichnis angekündigten Vorlesungen und Übungen. Im Vergleich der Vorlesungsverzeichnisse der Jahre 1913 bis 1923 und der Jahre 1925 bis 1934 wird deutlich, dass die zuvor wirtschaftlichen Themen durch die Themen „Gesellschaft“ und „Organisation“ erweitert, ergänzt und letztlich ersetzt wurden. Trotzdem kann das zweite Pleng’sche Institut nicht auf eine Bedeutungsebene mit dem Staatswissenschaftlichen Institut erhoben werden. Denn Plenge, der sich vornehmlich als Lehrer sah und staatswissenschaftliche Erneuerung anstrebte, verbannte sich mit dem Forschungsinstitut mehr oder weniger selbst ins Exil. Zwar waren Gebäude und Theorie seines neuen Arbeitsfeldes ausgereift, aber es gab nur eine viel geringere Anzahl an Personal und Studenten, die dieses nutzten. Auch wird die Außenwirkung des zweiten Instituts geringer als die des ersten gewesen sein. Doktorarbeiten wurden ebenfalls nicht mehr angenommen. Dessen ungeachtet beschreibt Pieper,143 der zwischen 1928 und 1932 Assistent am „O! So!“ war, 140

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Die Oberpostdirektion befand sich am Hohenzollernring 56. Der Eingang zum Institut lag an der Sternstraße 55. Vgl. BAB, R4901/14288, Schreiben vom 28.2.1935, Plenge an Minister. Das Alte Paulinum beherbergte wahrscheinlich nur noch das Institut für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. „Grundlagen der allgemeinen Gesellschaftslehre mit Anschauungstafel und Lichtbildern“ (Sommersemester 1926), „Soziologische Besprechungen zur Dynamik der Weltgeschichte“ (Wintersemester 1927/1928), „Die Grundgewebe der Gesellschaft“ (Sommersemester 1929), „Ausgewählte Kapitel aus der Geschichte der Soziologie“ (Sommersemester 1930) oder „Gemeinschaft, Gesellschaft, Organisation, für alle“ (Sommersemester 1931 uns Wintersemester 1931/1932) erkennen lassen. Vgl. dazu Vorlesungsverzeichnisse Sommersemster 1926 bis Wintersemester 1931/32. Plenge 1928, S. 17. Josef Pieper, Philosoph, geb. 4.5.1904 Elte/Westfalen, gest. 6.11.1997 Münster, katholisch, studierte von 1923 bis 1928 Philosophie, Rechtswissenschaft und Soziologie in Münster und Berlin. Er promovierte 1929 in Münster bei Max Ettlinger und war von 1928 bis 1932

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Plenge als nicht typischen Buchgelehrten, sondern als einen, der unbekümmerten Zugang zur Wissenschaft geschaffen hatte „und dies alles [im] […] Gegenteil von abstrakter Konstruktion.“144 Plenge hatte demnach trotz der Streitigkeiten seinen ideenreichen Geist nicht verloren. An seine geistreiche und aktive Schaffensphase vor 1923 konnte Plenge aber mit dem Forschungsinstitut bei weitem nicht anknüpfen. Den Anschluss an die Universität hatte das neue Institut schon bei seiner Gründung verloren. Formell wurde es erst 1934 durch die Nationalsozialisten geschlossen.

Plenges Zeit nach 1935 Plenges Tätigkeit als Lehrer hörte mit der Emeritierung gänzlich auf. Die Akten der Archive geben nur noch wenig Auskunft über sein Leben zwischen 1936 und 1945. Nach dem Krieg jedoch suchte Plenge den Kontakt zur Universität Münster noch am Tag der Neueröffnung (3. November 1945) und bot an, am deutschen Wiederaufbau, wie er ihn schon 1918 verfolgt hatte, mitzuwirken. Neue Ideen und Wege für den Wiederaufbau hatte er auch nach zwölf Jahren NS-Herrschaft nicht. Als Mittel für einen schnellen Wiederaufbau sah er sein noch unveröffentlichtes Tafelwerk und die Ideen des „nationalen Sozialismus“ an. Der Versuch, auf anderer Ebene Wiedereintritt in das politische und wissenschaftliche Leben zu erlangen, schlug auch fehl. Seine Mitarbeit an Zeitschriften wurde ebenfalls abgelehnt.145 Schreiben an den Vorsitzenden der SPD, Kurt Schumacher, der bei Plenge promoviert worden war, blieben unbeantwortet.146 1955 wurde Plenge schließlich, auf eigene Bitte,147 die Mitgliedschaft als Emeritus in der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät gewährt und sein Name im Vorlesungsverzeichnis entsprechend angeführt.148 Seiner Tätigkeit als Wissenschaftler ging er nach Kriegsende eingeschränkt wieder nach.149 Vereinsamt und erblindet starb Johann Plenge kurz vor seinem 90. Geburtstag in seiner wissenschaftlichen Heimat Münster.150

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Assistent bei Johann Plenge. 1946 Habilitation in Münster, im gleichen Jahr wurde er Professor an der Pädagogischen Akademie Essen, 1950 apl. Prof. an der Universität Münster, seit 1959 Ordinarius für Philosophische Anthropologie an der Universität Münster, 1972 emeritiert. Vgl. Wald 2001. Pieper 1978, S. 90. Ebd., S. 570. UAMs, Bestand 5, Nr. 472, Brief vom 25.6.1953, Antwort von SPD durch Ollenhauer. UAMs, Bestand 31, Nr. 16, Bd. 3, Brief vom 27.7.1954, Plenge an den Rektor. UAMs, Bestand 31, Nr. 16, Bd. 3, Brief vom 10.2.1955, Dekan Prof. Dr. Karl Peter an Plenge. Sein letztes größeres Werk „Die Altersreife des Abendlandes“ veröffentlichte er 1948. Danach folgten mehr oder weniger nur Neuauflagen oder Überarbeitungen seiner in früheren Jahren angefertigten Schriften. Schildt 1987, S. 570.

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Die Untersuchung Plenges aus unterschiedlichen Blickwinkeln ermöglicht es, ein Bild seines politisch-ideologischen, öffentlich-wissenschaftlichen und universitär-wissenschaftlichen Werdegangs zu zeichnen. Die Analyse seiner Münsterschen Zeit konnte Plenges Einfluss auf die Universität und den Wissenschaftsbetrieb darstellen. Sie reflektiert die zuvor erarbeitete Bedeutung von Plenges „Ideen von 1914“ und seines Verhältnisses zu Wissenschaft und Gelehrtenwelt. Mit der Untersuchung des Staatswissenschaftlichen Instituts, welches Plenge im Sinne seiner „Ideen von 1914“ ausbaute, konnte Plenges starker Einfluss in Münster nachgewiesen werden. Inhaltlich setzte er bis zur Schließung des Staatswissenschaftlichen Instituts vor allem wirtschaftliche und politische Schwerpunkte. Immer häufiger trat auch die Gesellschaftslehre hinzu, die vor allem von Plenge verfolgt wurde. Die zuvor gegenüber den Rechtswissenschaften unterrepräsentierten Staatswissenschaften wuchsen, unter großem Einsatz Plenges, zu einer wirklichen Disziplin. Auch die zahlreichen Promotionen, die Plenge und die anderen Ordinarien zwischen 1914 und 1928 abnahmen, belegen den Ausbau der Staatswissenschaften personell, finanziell, räumlich und in Bezug auf die Themengebiete. Mit dem Staatswissenschaftlichen Institut, das Plenge nur ein Jahr nach Kriegsende in Betrieb nahm, wurde er zum Begründer der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften in Münster. Das Forschungsinstitut für Organisationslehre und Soziologie zeigte eine Umorientierung der Pleng’schen Interessen, die mit dem Bruch mit der Fakultät sowie der Schließung des ersten Instituts in Zusammenhang stand. Inhaltlich widmete er sich nach 1923 vornehmlich der Soziologie. Plenge konnte nach außen mit dem zweiten Institut nicht an seine Vorleistungen anknüpfen, legte jedoch dadurch ebenfalls das Fundament der Soziologie an der Universität Münster. Plenge fiel nach 1923 in eine wissenschaftliche Schaffenspause, von der er sich nicht mehr erholte. Grund dafür war die Schließung, Plenge selbst hätte es als Zerstörung bezeichnet, des Staatswissenschaftlichen Instituts, ausgelöst durch einen Professorenstreit, der auf den unterschiedlichen Wissenschaftsbegriffen und -aufgaben fußte, die ihm seine Grundlage zur Verwirklichung der Ideen von 1914 entzog. Letztendlich war es sein verbissener Kampf für die „Ideen von 1914“, für die er bis zum Ende eintrat, der ihm einerseits den Antrieb für den intensiven und schnellen Ausbau der Staatswissenschaften in Münster gab und andererseits seine wissenschaftliche Karriere beendete. Plenge führte ein facettenreiches Leben in Politik und Öffentlichkeit, aber vor allem in seinem wissenschaftlichen Streben. Dass dem Begründer der Wirtschaftsund Sozialwissenschaften und der Soziologie im Bezug auf sein Schaffen in Münster wenig Beachtung geschenkt wurde, ergibt zumindest eine gewisse Kontinuität. Denn abgesehen von der kurzen Amtszeit Haenischs, die auch als Plenges „Blütezeit“ gesehen werden kann, konnte Plenge die richtigen Ansprechpartner nicht finden. Der Sozialdemokratie war er zu links, der Gelehrtenwelt zu politisch, dem Ministerium zu fordernd, den Nationalsozialisten nicht anschlussfähig und der jungen

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Bundesrepublik nicht mehr zeitgemäß genug, obwohl er zuvor meist beanspruchte, seiner Zeit voraus gewesen zu sein. Im Rückblick betrachtet scheint Plenges Werdegang fast tragisch. Die erhoffte Anerkennung für seine unbestreitbaren „Züge von Genialität“ scheint er sich letztlich durch die Anhäufung von „gefährlichen Merkwürdigkeiten“ selbst verbaut zu haben. Für die meisten seiner Zeitgenossen bleibt Plenge wohl vor allem eins, ein politisch engagierter Lehrer mit einem erfinderischeren Geist, der keinen Konflikt scheute und doch all dieser Fähigkeiten zum Trotz seinen Ideenreichtum und sein wissenschaftliches Schaffen häufig in die falsche, durch die „Ideen von 1914“ geleitete, Richtung kanalisierte.

Literatur Ansorg, Klaus, Johann Plenges Sozialismusvorstellungen und ihre Rezeption in der Sozialdemokratie während des Ersten Weltkrieges, Frankfurt a. M. 1984. Aulke, Julian, Das Institut für gerichtliche und soziale Medizin an der Universität Münster in der Zeit des Nationalsozialismus, Magisterarbeit Münster 2008. Berking, Helmuth, Masse und Geist. Studien zur Soziologie in der Weimarer Republik, Berlin 1984. Bruendel, Steffen, Volksgemeinschaft oder Volksstaat. Die „Ideen von 1914“ und die Neuordnung Deutschlands im Ersten Weltkrieg, Berlin 2003. Busch, Michael, Organisation durch Propaganda. Zur Begründung der Massenbeeinflussung bei Johann Plenge, in: medien&zeit. Kommunikation in Geschichte und Gegenwart 22 (2007) (Themenheft „Propaganda im Zeitalter der Weltkriege“), S. 15–30. Demiriz, Sara-Marie, Professor Dr. Johann Plenge und sein Verhältnis zur Universität Münster, Wissenschaft und Politik 1913–1935, Magisterarbeit Münster 2009. Dollinger, Heinz (Hg.), Die Universität Münster 1780–1980, Münster 1980. Greive, Wolfgang, Der Geist von 1914. Zerstörung des Universalen Humanismus?, Loccum 1990. Hermanns, Manfred, Heinrich Weber, Sozial- und Caritaswissenschaftler in einer Zeit des Umbruchs. Leben und Werk, Würzburg 1998. Hitler, Adolf, Mein Kampf, 74.–84. Auflage, München 1933. Hoeres, Peter, Krieg der Philosophen. Die deutsche und britische Philosophie im Ersten Weltkrieg, Paderborn 2004. Hofmann, Wolfgang, Haenisch, Konrad, in: Neue Deutsche Biographie 7 (1966), S. 442–444.

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Der Staatswissenschaftler Johann Plenge

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Kaesler, Dirk, Die frühe deutsche Soziologie 1909 bis 1934 und ihre EntstehungsMilieus. Eine wissenschaftssoziologische Untersuchung (Studien zur Sozialwissenschaft 58), Wiesbaden 1998. Kerssen, Ludger, Johann Plenges Ruhrkampf, in: Schäfers, Soziologie und Sozialismus, 1967, S. 45–60. Kjellen, Rudolf, Die Ideen von 1914, Leipzig 1915. Koch, Timm, Die Wirtschaftswissenschaften an der Universität Münster, in: Dollinger 1980, S. 281–283. Krüger, Dieter, Nationalökonomen im wilhelminischen Deutschland (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 58), Göttingen 1983. Linhardt, Hanns/Haseneck, Wilhelm, Johann Plenge. Zum Tode eines schöpferischen Organisationstheoretikers und Soziologen in: Betriebswirtschaftliche Forschung und Praxis 15 (1963), S. 720–724. Linhardt, Hanns, Cogito ergo sumus. Eine Auswahl aus den Schriften von Johann Plenge über Wirtschaft und Gesellschaft, Geschichte und Philosophie, Sozialismus und Organisation, Berlin 1965. Linhardt, Hanns, Johann Plenges Organisations- und Propagandalehre, eingeleitet von Hanns Linhardt, Berlin 1965. Linhardt, Hanns, Johann Plenge zum 89. Geburtstag, in: Betriebswirtschaftliche Forschung und Praxis 15 (1963), S. 366–371. Mangold, Sabine, Carl Heinrich Becker, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon 25 (2005), Sp. 42–46. Maoro, Bettina, Die Zeitungswissenschaft in Westfalen 1914–1945. Das Institut für Zeitungswissenschaft in Münster und die Zeitungsforschung in Dortmund (Dortmunder Beiträge zur Zeitungsforschung 43), Dortmund 1987. Mohler, Armin, Die Konservative Revolution in Deutschland, 1918–1932. Ein Handbuch, 4. Aufl. Darmstadt 1994. Pieper, Josef, Noch wußte es niemand. Autobiographische Aufzeichnungen 1904– 1945, München 1978. Plenge, Johann, 1789 und 1914. Die symbolischen Jahre in der Geschichte des politischen Geistes, Berlin 1916. Plenge, Johann, Die Revolutionierung der Revolutionäre, Leipzig 1918. Plenge, Johann, Das erste Staatswissenschaftliche Unterrichtsinstitut. Seine Einrichtungen und seine Aufgaben, Essen 1920. Plenge, Johann, Deutsche Propaganda. Die Lehre von der Propaganda als praktische Gesellschaftstlehre, mit einem Nachwort von Ludwig Roselius, Bremen 1922. Plenge, Johann, Das Forschungs-Institut für Organisationslehre und allgemeine und vergleichende Soziologie bei der Universität Münster, Münster 1928. Plenge, Johann, Acht Glossen zum Betrieb der Gesellschaftslehre, in: Kölner Vierteljahrshefte für Soziologie 9 (1930), S. 152–165.

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Plenge, Johann, Meine Meldungen zum Bund Schlageter e.V., Nachtrag 1: In den Umsturztagen 1918/19. Aus meinem Briefwechsel mit Konrad Haenisch, mit einem Brief an Philipp Scheidemann vom 8. Nov. 1918, Nachtrag 2: Moeller van den Bruck‘s Bekehrung zur Idee. Unser Briefwechsel von September 1918, Münster 1935. Plenge, Johann, Die Altersreife des Abendlandes, Düsseldorf 1948. Pott, Klaus, Universitätsstruktur und Entwicklung der Studentenzahlen, in: Dollinger 1980, S. 181–194. Reichling, Norbert, Die Akademischen Gewerkschaftskurse in Münster; in: Kurz, Lothar (Hg.), 200 Jahre zwischen Dom und Schloß. Ein Lesebuch zu Vergangenheit und Gegenwart der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, Münster 1980, S. 64–76. Ringer, Fritz K., Die Gelehrten. Der Niedergang der deutschen Mandarine 1890– 1933, Stuttgart 1983. Schäfers, Bernhard, Einleitung. Johann Plenge: Stationen seines Lebens; Momente seiner Werke, in: Schäfers, Soziologie und Sozialismus, 1967, S. 1–16. Schäfers, Bernhard (Hg.), Soziologie und Sozialismus. Organisation und Propaganda. Abhandlungen zum Lebenswerk von Johann Plenge, Stuttgart 1967. Schäfers, Bernhard, Soziologie und Wirklichkeitsbild. Plenges Beitrag zur deutschen Soziologie um 1930, in: Schäfers, Soziologie und Sozialismus, 1967, S. 61–122. Schildt, Axel, Ein konservativer Prophet, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 35 (1987), S. 523–570. Sontheimer, Kurt, Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik. Die politischen Ideen des deutschen Nationalismus zwischen 1918 und 1933, München 1962. Steveling, Lieselotte, Juristen in Münster. Ein Beitrag zur Geschichte der Rechtsund Staatswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster/Westf. (Beiträge zur Geschichte der Soziologie 10), Münster 1999. Troeltsch, Ernst, Die Ideen von 1914, in: Deutscher Geist und Westeuropa, Tübingen 1925. Vierkandt, Alfred, Handwörterbuch der Soziologie, Stuttgart 1931. Vorlesungsverzeichnisse der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster Wintersemester 1920/21 – Wintersemester 1931/32. Wald, Berthold, Pieper, Josef, in: Neue deutsche Biographie 20 (2001), S. 427–428. Wallgärtner, Gisela, Der Soziologische Diskurs im Kaiserreich, Münster 1990. Wettmann, Andrea, Kriegsbücher Theodor Birts in: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 44 (1994), S. 131–171. Wildt, Michael, „Volksgemeinschaft“. Eine Antwort auf Ian Kershaw, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History, Online-Ausgabe 8 (2011), http://www.zeithistorische-forschungen.de/16126041-Wildt-1-2011, Zugriff: 6.3.2012.

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Der Nationalökonom Hans-Jürgen Seraphim zwischen Demokratie und Diktatur (1927 bis 1962) Am 11. September 1962 verstarb mit Hans-Jürgen Seraphim ein Wissenschaftler, der sich sowohl 1933 als auch 1945 mit jeweils neuen politischen Strukturen arrangieren musste. Der Nationalökonom Seraphim, dessen Forschungsschwerpunkte in erster Linie auf dem Feld der deutschen, ost- und südosteuropäischen Agrar- und Siedlungspolitik sowie in der Auseinandersetzung mit osteuropäischen Wirtschaftsfragen zu verorten sind, lehrte bis 1945 an den Universitäten Rostock, Leipzig und Breslau. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges konnte er sich an der Universität Münster erneut als Hochschullehrer positionieren. Eine kritische Auseinandersetzung mit dem wissenschaftlichen Wirken Seraphims steht bislang noch aus und das, obwohl Seraphim sich mit Forschungsthemen beschäftigte, die vor allem mit Blick auf den Nationalsozialismus als kontrovers zu betrachten sind.1 Eine Untersuchung des Wirkens Seraphims auf Kontinuitäten und Brüche über die Zäsuren 1933 und 1945 hinweg ist vor allem im Kontext des jahrzehntelang geführten Diskurses über das Verhältnis von „Verantwortung“ und „Wissenschaft“ interessant. Nach Mitchell G. Ash erhielt dieser seit Mitte der 1980er-Jahre zunehmend eine vergangenheitspolitische Dimension und hatte einen Paradigmenwechsel innerhalb der wissenschaftlichen Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte und damit einhergehend eine veränderte Betrachtungsweise des Verhältnisses von Wissenschaft und Politik zur Folge. Die These von einer einseitigen „Indienstnahme“, „Unterordnung“ oder gar einem „Missbrauch“ der Wissenschaft durch die Politik war und ist demnach nicht mehr haltbar.2 Vielmehr haben verschiedene Untersuchungen einzelner Teilaspekte der Wissenschafts- und Universitätsgeschichte deutlich gemacht, dass die Initiative zu einer Kooperation mit dem NS-Regime nicht selten von den Wissenschaftlern selbst ausging. Auch die Selbstdarstellungen 1

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Zwar existieren einige Arbeiten, die den biografischen und wissenschaftlichen Werdegang Seraphims streifen, allerdings geschieht dies mehr am Rande und im Kontext der Untersuchung anderer Forschungsfragen. Vgl. Grobelný 1973, Camphausen 1990, Bömelburg 1995, Wagner 2008, Janke 2009, Petersen 2007. Nach Ash sollten die beiden Bereiche Wissenschaft (Institutionen und Personen) und Politik (in dieser Arbeit auch Verwaltung und Wirtschaftspraxis) nicht mehr als voneinander unabhängige Systeme betrachtet, sondern als in einem ständigen „interaktiven“ Wechselverhältnis stehende Ressourcen füreinander begriffen werden. Der Ressourcenbegriff wird über seine gängige ökonomische Bedeutung hinaus erweitert, so dass die relevanten Ressourcen auch von konzeptioneller, institutioneller oder rhetorischer Art sein können. Die bestehenden multivalenten Ressourcenensembles sind gegenseitig mobilisierbar und mit verschiedenen politischen Systemen kombinierbar. Vgl. Ash 2008, 2010 und 2002.

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und Neupositionierungen von Wissenschaftlern und Forschungsprogrammen nach 1945 wurden damit einhergehend kritisch betrachtet und neu bewertet.3 Hieran schließt auch die Arbeit der vom Rektorat der Westfälischen WilhelmsUniversität Münster einberufenen Expertenkommission zur Aufarbeitung der Universitätsgeschichte im 20. Jahrhundert an.4 Der vorliegende Aufsatz will einen Beitrag zu dieser Aufarbeitung leisten, auch wenn Hans-Jürgen Seraphim selbst während der NS-Zeit nicht in Münster lehrte.5 Aufgrund der oben genannten Gründe ist sein wissenschaftliches Wirken und vor allem auch seine Reetablierung als Hochschullehrer an der Universität Münster nach 1945 dennoch interessant. Konkret wird daher im Folgenden untersucht, ob und inwieweit die Arbeit Seraphims Brüche beziehungsweise Kontinuitäten aufweist, die auf den Wechsel der jeweiligen politischen Strukturen zurückzuführen sind. Weiterhin gilt das Interesse der Frage, ob Seraphim vor allem mit Blick auf den Nationalsozialismus bereit war, sich an die jeweils neuen politischen Strukturen anzupassen, diesen gegenüber Zugeständnisse zu machen oder ihnen gar zuzuarbeiten, um für sich Vorteile zu erarbeiten und bestimmte berufliche Ziele zu erreichen. Um diese zentralen Fragen zu beantworten, wird im Folgenden, nach einer kurzen Verortung Seraphims innerhalb der deutschen Nationalökonomie der späten Weimarer Republik und des Nationalsozialismus, chronologisch die Arbeit des außerordentlichen und ordentlichen Professors an seinen verschiedenen Wirkstätten in dem Zeitraum von 1927 bis 1962 untersucht. Dies geschieht in erster Linie auf zwei Ebenen. Zum einen wird seine institutionelle Arbeit an den jeweiligen Universitäten näher beleuchtet. Zum anderen werden seine Forschungsschwerpunkte 3

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Die inzwischen verstärkte Aufarbeitung der Rolle der Wissenschaft in der Zeit des Nationalsozialismus umfasst neben größeren Projekten wie der Erforschung der Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft oder der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft auch eine Reihe entsprechender Untersuchungen auf lokaler Ebene. Das Interesse gilt sowohl Personen, Institutionen und Netzwerken als auch der Betrachtung der wissenschaftlich-methodologischen Entwicklung einzelner Fächer und Disziplinen vor und nach 1933 sowie den strukturellen Bedingungen und Veränderungen von Forschung und Lehre innerhalb und außerhalb der Universitäten. Zu nennen ist beispielsweise der 2007 veröffentlichte „Professorenkatalog“ der Universität Rostock, der auch einen Eintrag zu Hans-Jürgen Seraphim enthält. Vgl. Buddrus 2007. Vgl. http://www.uni-muenster.de/Rektorat/ns-kommission/konzept.html, Zugriff: 24.3.2011. Grundlage dieses Beitrags stellt die Magisterarbeit der Verfasserin dar. Im Rahmen dieser Magisterarbeit musste sich sowohl auf einzelne Forschungsschwerpunkte Seraphims als auch zeitlich beschränkt werden. Außen vorgelassen werden musste Seraphims wissenschaftliche Arbeit als Assistent und Referent der Wirtschaftsabteilung am „OsteuropaInstitut zu Breslau“ in den Jahren von 1922 bis 1927. Zudem wurde sich in erster Linie auf Seraphims agrar- und siedlungspolitischen Schriften konzentriert, da er sich mit dieser Thematik bis zum Ende seines wissenschaftlichen Wirkens kontinuierlich auseinandersetzte. Schließlich stand im Mittelpunkt der Magisterarbeit vor allem die Zeit des Nationalsozialismus. Vgl. Förster 2011.

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sowie -standpunkte anhand ausgewählter Publikationen Seraphims herausgestellt.6 Schließlich wird – so weit möglich – auch noch eine dritte, „persönliche“ Ebene in die Betrachtungen mit einbezogen. Gemeint sind hier persönliche Entscheidungen und Handlungen Seraphims, wie eventuelle Mitgliedschaften in Parteien, NS-Gliederungen oder ähnlichem, aber auch sein Verhalten während seines Entnazifizierungsverfahrens. Mit der Untersuchung dieser drei Ebenen wird eine erste eingehende kritische Auseinandersetzung mit dem Wirken Hans-Jürgen Seraphims ermöglicht.

Seraphims Werdegang bis zu seiner Erstberufung 1927 Hans-Jürgen Seraphim wurde am 3. Februar 1899 in Sassendorf, einem kleinen Vorort von Riga, geboren und verbrachte seine Kindheit und Jugend in Lettland. Er wuchs in patriarchalischen Familienverhältnissen auf, die gekennzeichnet waren durch das traditionelle Familienbild des konservativen deutschbaltischen Bürgertums.7 Sein Vater, der Lehrer und Schriftleiter Ernst Seraphim (1862–1945), ein Vertreter des rechten Flügels der konservativen Mehrheit des deutschbaltischen Bürgertums, war auf die „nationale Abschottung“ seiner Familie gegenüber allen nichtbaltendeutschen Einflüssen bedacht.8 Nach seiner Ausbildung zum Kanonier und nachdem sich Lettland am 18. November 1918 von Russland unabhängig erklärt hatte, kämpfte Seraphim in der „Baltischen Landeswehr“ für die „Verteidigung der Heimat“ gegen die Armee der Bolschewiki.9 Nach der Niederlage der „Baltischen Landeswehr“ folgte Seraphim Anfang des Jahres 1920 seiner inzwischen nach Königsberg verzogenen Familie, um an der dortigen „Albertina“ ein Studium der Nationalökonomie, Statistik und Geographie aufzunehmen.10 Dieses schloss er im Jahr 1922 mit der Erlangung der Doktorwürde mit einer Arbeit über „Die ländli6 7 8

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Seraphims Hochschultätigkeit in Form von Vorlesungen, Seminaren und Übungen bleibt in diesem Beitrag außen vor. Vgl. UAMs, Bestand 10, Nr. 6541, „Sterbeurkunde Hans-Jürgen Seraphims“ vom 13.9.1962. Seraphim besuchte ausschließlich deutschsprachige Gymnasien wie die Albertschule in Riga oder später das „Deutsche Ritterschaftliche Gymnasium“ in Mitau sowie das „Deutsche Stadtgymnasium“ in Dorpat, wo er im Sommer 1918 sein Kriegsabitur absolvierte, bevor er als Kriegsfreiwilliger in das 60. Feldartillerie-Regiment in Schwerin eintrat. Vgl. UAL, Personalakten, PA 887, Bl. 14, „Fragebogen für die Angehörigen des Öffentlichen Dienstes vom 15.4.1938“. Auf die familiäre Situation der Familie Seraphim geht HansChristian Petersen in seiner Dissertation über den Bruder Hans-Jürgen Seraphims, PeterHeinz Seraphim (1902–1979), ausführlich ein. Vgl. Petersen 2007. Vgl. Petersen 2007, S. 62ff.; UAL, Personalakten, PA 887, Bl. 14, „Fragebogen für die Angehörigen des Öffentlichen Dienstes vom 15.4.1938“, UAMs, Bestand 5, Nr. 560, „Lebenslauf Seraphims“, undatiert. Petersen 2007, S. 72, UAL, Personalakten, PA 887, Bl. 14, „Fragebogen für die Angehörigen des Öffentlichen Dienstes vom 15.4.1938“, UAMs, Bestand 5, Nr. 560, „Lebenslauf

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che Besiedlung Westsibiriens durch Russland“ mit dem Prädikat „ausgezeichnet“ ab.11 Sein Doktorvater war der Ökonom Albert Hesse, welchem Seraphim noch im selben Jahr nach Breslau folgte. Dort war Seraphim unter der Leitung Hesses als Assistent am Staatswissenschaftlichen Seminar der Universität Breslau und in der Wirtschaftsabteilung am dortigen Osteuropa-Institut tätig. Er habilitierte sich 1924 „für das Gesamtgebiet der Nationalökonomie und Statistik“ mit einer Arbeit über „Neuere russische Wert- und Kapitalzinstheorien“. Anschließend war Seraphim als Privatdozent und Dezernent der Wirtschaftsabteilung weiterhin an der Universität Breslau beziehungsweise dem dortigen Osteuropa-Institut angestellt, bis er zum Sommersemester 1927 einen Ruf an die Universität Rostock erhielt.12 In diesen frühen Jahren seiner wissenschaftlichen Tätigkeit widmete sich Seraphim besonders Fragen und Problemen der russischen Volkswirtschaft mit dem Schwerpunkt auf Agrar-, Handels- und Währungspolitik sowie der theoretischen Entwicklung der russischen beziehungsweise sowjetischen Volkswirtschaft.13

Der Nationalökonom Seraphim in Rostock, Leipzig und Breslau bis 1945 – wirtschaftstheoretische Einordnung und Seraphims „Wissenschaftsbegriff“ Vor dem Hintergrund der am Ende der Weimarer Republik vorherrschenden Spaltung der deutschen Nationalökonomie in ein „klassisches“ und in ein als „Historische Schule“ bezeichnetes Lager, erscheint eine „wirtschaftstheoretische“ Einordnung Seraphims innerhalb dieser beiden Strömungen sinnvoll, zumal vor allem die Historische Schule der Nationalökonomie zumindest anfangs von der nationalsozialistischen Machtübernahme 1933 profitieren konnte.14 Seraphim verstand die Disziplin Nationalökonomie als eine wirklichkeits- und lebensnahe und somit realistische „Erfahrungswissenschaft“. Er lehnte eine rein ökonomische, „mechanistische“ Konstruktion, welche auf „lebensfernen Deduktionen“ basiere, und damit auch klar die Grundgedanken der „klassischen Theorie“ der Nationalökonomie, ab.15 Allein schon aufgrund dieser ablehnenden Haltung gegenüber allem lediglich abstrakten und rationalen Denken in der Nationalökonomie kann Seraphim nur der Historischen Schule zugeordnet werden. Die „klassische Theorie“ sei nach Seraphim aufgrund ihres statischen Wesens nicht in der

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Seraphims“, undatiert. Das Wintersemester 1921/22 verbrachte Seraphim an der Universität Graz. Vgl. Buddrus 2007, S. 385. Vgl. BAB, R 4901, Nr. 13277, „Kartei aller Hochschullehrer, Hans-Jürgen Seraphim“, undatiert, UAMs, Bestand 5, Nr. 560, „Lebenslauf Seraphims vom 15.9.1947“; Buddrus 2007, S. 385. Vgl. hierzu eine ausführliche Übersicht über die Schriften Seraphims, in: Ohm 1964, S. 379–383. Vgl. Janssen 2009, hier vor allem S. 22ff., S. 50–57. Seraphim 1936/37, S. 257.

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Lage, sich veränderten Umständen anzupassen. Im Sinne der „anschaulichen Theorie“ der jüngeren Historischen Schule der 1920er- und 1930er-Jahre präferierte Seraphim eine „dynamische Theorie“, die die geschichtsbedingten wirtschaftlichen Veränderungen der Zeit greifen könne.16 Auch knüpfte seine Auffassung von Wissenschaft an die der Historischen Schule an: Eine realitätsnahe, wahre und praktische Wissenschaft, welche die Aufgabe habe, notwendige Fragen zu klären, die sich aus der jeweils aktuellen Situation ergäben und die der Praxis zugänglich gemacht werden sollten.17 Seraphims Verständnis von Wissenschaft ist somit in erster Linie jenes einer der Praxis „dienenden“ Wissenschaft. Im Gegensatz zu der üblich vertretenen Meinung innerhalb der Historischen Schule, welche sich aktiv in Politik und praktische Wirtschaft einschalten wollte, betonte Seraphim jedoch, dass eine „politische Wissenschaft“ nicht dazu berechtigt sei, der Politik Vorschriften zu machen.18 Den nationalsozialistischen Anspruch des „Primats der Politik“ zweifelte er somit nicht an. Ab 1933 formulierte Seraphim in Anlehnung an die „anschauliche Theorie“ zunehmend ein eigenes theoretisches Gedankenmodell aus, welches in seinen Ausführungen bis 1945 Bestand haben sollte. Einen zentralen Aspekt stellte hierbei das Modell eines „gestalthaften Wirtschaftsdenkens“ dar, welches das Wirtschaftsleben in seiner Gesamtheit erfassen soll.19 Seraphim betrachtete „Wirtschaft“ als ein Gesamtgefüge, das seinem Wesen nach wandelbar sei und im Laufe der Zeit verschiedene Wirtschaftsgestalten hervorgebracht habe.20 Dieses Gesamtgefüge „Wirtschaft“ stelle einen Gliederbau dar, indem sich alle Glieder – die einzelnen Menschen – „organisch“ ein- und dem höchsten Zweck des Gesamtgefüges unterzuordnen hätten. Höchster Zweck der aktuellen „volksgebundenen“ Wirtschaftsgestalt sei die Bedarfsdeckung des gesamten Volkes.21 Dieses Theorem einer „volksgebundenen Wirtschaftsgestalt“ stellte einen weiteren wesentlichen Aspekt in Seraphims wirtschaftstheoretischem Gedankenkonstrukt dar. Demnach entstehe echte „Volkswirtschaft“ erst dann, „wenn die volklichen Wirtschaftskräfte in einem volkeinheitlichen Staat ihre Entfaltungsmöglichkeiten finden“ würden. Ein quantitativ gestärkter und zusammengefasster „Volkskörper“ sei demnach wesentlich 16 17 18 19 20

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Vgl. ebd., S. 257, 259, ders. 1930, S. 194, Janssen 2009, S. 50ff., 55ff. Vgl. Seraphim, Die Reorganisation des Osteuropa-Instituts, 1943, S. 51, ders., Agrarkrisis, 1933, hier: Vorwort. Ders., 1936/37, S. 267, ders., Agrarkrisis, 1933, Vorwort. Vgl. Seraphim 1936/37, S. 258–263. Seraphim nennt für die bisherige Entwicklung die„familien- und sippengebundene“, die „korporativ gebundene“, die „staatsgebundene“, die „einzelwirtschaftliche“ und schließlich die „volksgebundene Wirtschaftsgestalt“. Vgl. ebd., S. 257–269. Damit stellt Seraphim die Bedürfnisse des Individuums unter die Bedürfnisse der Gemeinschaft. Die Stellung des Einzelnen ist demnach „dienend“. Dies kam dem totalitären Machtanspruch der Nationalsozialisten und ihrem Grundsatz von Führung und Gefolgschaft entgegen. Vgl. ebd., S. 257–269, ders., Die geschichtliche Bedingtheit, 1932, S. 200–203.

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für eine starke Volkswirtschaft. Es lassen sich in Seraphims Texten keine Hinweise darauf finden, dass dieser Argumentation eine rassisch-biologische Begründung zu Grunde liegt. Vielmehr scheint er sich auf ein geistig-kulturelles Verständnis von Volk und Volksganzem zu beziehen. Welchen ideellen Grundlagen er bei der Ausgestaltung dieses Theorems auch folgte, er traf damit jedenfalls den „Zeitgeist“ nationalsozialistischen Wirtschaftsdenkens.22

Hans-Jürgen Seraphim an der Universität Rostock – Karriere mit Hindernissen Seraphim wurde zum Wintersemester 1927 als außerordentlicher Professor für „Wirtschaftswissenschaften“ nach Rostock berufen.23 Diese Berufung entsprach nicht unbedingt dem „normalen“ Karriereverlauf eines damaligen Nachwuchsakademikers. Vor dem Hintergrund der hochschulpolitischen Lage – die Mehrzahl der jungen Nachwuchsakademiker erhielt entweder keine feste Anstellung oder hatte im Schnitt neun Jahre auf eine Berufung zum ordentlichen oder außerordenlichen Professor gewartet – kann sowohl diese „frühe“ Berufung als auch sein relativ junges Erstberufungsalter von 28 Jahren als nicht „selbstverständlich“ bezeichnet werden.24 Verlief die akademische Karriere Seraphims bis zu diesem Zeitpunkt also äußerst positiv, sollte sich dies auch nach der nationalsozialistischen „Machtergreifung“ zunächst nicht ändern. Er wurde zum 1. Oktober 1933 als Nachfolger des inzwischen verstorbenen Heinrich Mannstaedt zum ordentlichen Professor auf den Lehrstuhl für Wirtschaftswissenschaften berufen.25 Direkten Einfluss dürften die politischen Entwicklungen des Jahres 1933 auf die Entscheidung Seraphims, der SA beizutreten, gehabt haben, auch wenn er bereits ab Mai 1934 der SA-Reserve angehörte.26 22 23

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Ders., 1940, S. 676. Vgl. BAB, R 4901, Nr. 13277, „Kartei aller Hochschullehrer: Hans-Jürgen Seraphim“, undatiert; Buddrus 2007, S. 385; UAR, Personalakte Seraphim, Hans-Jürgen, Bl. 8, Bestallungsurkunde vom 29.10.1927 „Ernennung zum außerordentlichen Professor“. Vgl. hierzu ausführlich Grüttner 2002. Ähnlich zu bewerten ist auch eine zweite im Juli 1930 an Seraphim herangetragene Berufung auf den Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre an die „Landwirtschaftliche Hochschule Hohenheim“, die er anscheinend aufgrund von Verhandlungen mit der Universität Rostock ablehnte. Infolge dessen wurden ihm die akademischen Rechte eines ordentlichen Professors an der Universität Rostock verliehen. Vgl. UAR, Personalakte Seraphim, Hans-Jürgen, Bl. 14, Schreiben vom 11.7.1930 „Erhalt eines Rufes nach Hohenheim“, Bl. 19, Schreiben vom 3.8.1930 „Ablehnung des Rufes nach Hohenheim“, Bl. 21, Schreiben vom 6.8.1930 „Über die Verleihung der Bezeichnung und der Rechte eines ordentlichen Professors“, Bl. 24, Erlass vom 22.8.1930 „Verleihung der Bezeichnung und der Rechte eines ordentlichen Professors an Seraphim“. Vgl. UAR, Personalakte Seraphim, Hans-Jürgen, Bl. 31, Mitteilung vom 7.7.1933 „Nachfolge des verstorbenen Mannstaedts“, Bl. 32, Erlass vom 20.9.1933: „Ernennung zum ordentlichen Professor an der Universität Rostock“. BAB, R 4901/13277, „Kartei aller Hochschullehrer: Hans-Jürgen Seraphim“, undatiert.

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Ab Ende 1934 geriet Seraphim in einen Konflikt mit den neuen politischen Machthabern. Die gesamte Familie Seraphim musste sich gegen Behauptungen zur Wehr setzen, sie sei jüdischer Abstammung.27 Auch wenn diese Behauptungen „widerlegt“ werden konnte, zogen sie für Seraphim kurzzeitig berufliche Beeinträchtigungen nach sich. So wurde eine im November 1934 an ihn ergangene Berufung nach Breslau zum 1. April 1935, obwohl Seraphim gewillt war anzunehmen, unmittelbar vor Abschluss der Verhandlungen, aufgrund „politischer Bedenken“ in letzter Instanz verwehrt.28 Die nicht zustande gekommene Berufung nach Breslau bedeutete zweifelsfrei einen Rückschlag für ihn, hatte langfristig aber keine spürbaren Auswirkungen auf seinen weiteren Karriereverlauf.

Die Rostocker Abteilung des „Deutschen Forschungsinstituts für Agrar- und Siedlungswesen“ Mit Beginn seiner Lehrtätigkeit in Rostock übernahm Seraphim die Direktion der dortigen Abteilung des „Deutschen Forschungsinstituts für Agrar- und Siedlungswesen“, die der Berliner Hauptabteilung unter der Leitung des Nationalökonom und Geheimen Regierungsrats Professor Dr. Max Sering im Januar 1926 als Nebenstelle angegliedert worden war.29 Aufgabe war in erster Linie die wissenschaftliche Erforschung des Agrar- und Siedlungswesens, was auf „Anregung des Preussischen Landwirtschaftsministeriums“ schwerpunktmäßig die Untersuchung der deutschen landwirtschaftlichen Pachtverhältnisse umfassen sollte. Der Abteilung Rostock wurden in diesem Rahmen die ostelbischen Gebiete des Deutschen Reiches zugewiesen. Zudem stand das Problem der zweckmäßigen landwirtschaftlichen Betriebsgrößen und eine allgemeine Beobachtung und Untersuchung der Agrar- und Siedlungsverhältnisse des In- und Auslandes im Fokus der Forschung.30 Das Institut war von Beginn an auf eine enge Zusammenarbeit mit der politischen Ebene 27

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„Zweifel“ an der „arischen“ Abstammung entstanden aufgrund des Familiennamens, weshalb Ermittlungen eingeleitet wurden. Dieser Sachverhalt konnte Ende November 1934 geklärt werden. Im Dezember 1934 kam es zu einem zweiten „Zwischenfall“, der diese Zweifel erneut aufkommen ließ. Die „Reichsstelle für Sippenforschung“ erstellte schließlich ein Gutachten, das die „arische“ Abstammung der Familie Seraphim bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts bescheinigte. Vgl. hierzu Petersen 2007, S. 112ff. Vgl. UAR, Personalakte Seraphim, Hans-Jürgen, Bl. 40, Schreiben vom 30.11.1934 „Erhalt eines Rufes an die Universität Breslau“, Bl. 41, Schreiben vom 11.12.1934 „Annahme des Rufes nach Breslau“, GStA, I. HA Rep. 90 A Nr. 1769, Bl. 33 und 35, Schreiben vom 15.1.1935 und 19.1.1935 „Absage des Rufes nach Breslau aus „politischen Gründen“. Vgl. UAR, Juristische Fakultät, Nr. 121, Bericht vom 7.5.1927 „Aufbau und die Aufgaben des Deutschen Forschungsinstituts für Agrar- und Siedlungswesen mit drei Anlagen“, Schreiben vom 20.12.1927 „Nachfolge von Constantin von Dietze am Forschungsinstitut für Agrar- und Siedlungswesen in Rostock“. Vgl. ebd., Bericht vom 7.5.1927 „Aufbau und die Aufgaben des Deutschen Forschungsinstituts für Agrar- und Siedlungswesen mit drei Anlagen“.

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ausgelegt. Laut Irene Stoehr verband das Institut „auf eigenwillige und produktive Art Politikberatung mit Grundlagenforschung einerseits sowie die Vorzüge zentralisierter mit dezentraler empirischer Agrarökonomie andererseits“.31 Nach 1933 konnte das Institut seine Forschungen zunächst wie gewohnt weiter betreiben. Nach der Ernennung Walther Darrés zum Reichsernährungsminister und „Reichsbauernführer“ wurden jedoch im Laufe des Jahres 1934 die finanziellen Mittel für die Forschungen des Instituts radikal gekürzt. Schließlich wurden alle Abteilungen des Forschungsinstituts als Stiftung zum Anfang des Jahres 1935 aufgelöst. Die Rostocker Abteilung wurde infolgedessen in ein Universitätsinstitut umgewandelt.32

Seraphims Forschungen während seiner Rostocker Zeit Seraphim beschäftigte sich in Rostock vor allem mit zwei Themenkomplexen. Bis 1929 entstanden in erster Linie Forschungsarbeiten, in welchen er sich mit den osteuropäischen Wirtschaftssystemen auseinandersetzte.33 Danach dominieren seine Untersuchungen zu agrar- und siedlungspolitischen Fragen, die sich sowohl auf den deutschen als auch auf den ost- und südosteuropäischen Raum beziehen. Er setzte sich dahingehend vor allem mit den möglichen Auswirkungen der seit 1919 in Ost- und Südosteuropa durchgeführten Agrarreformen auf die deutsche Landwirtschaft auseinander.34 Maß er den produktionspolitischen Auswirkungen (erhöhter Konkurrenzdruck für die (ost-)deutsche Landwirtschaft) der Agrarreformen „Zwischeneuropas“ insgesamt eine geringe Bedeutung zu, so bewertete er die „bevöl31

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Stoehr 2002, S. 60. Dies wird auch an der Zusammensetzung des Kuratoriums deutlich: Mitglieder waren der Staatssekretär des Reichsarbeitsministeriums, der Direktor der Siedlungsabteilung im Preußischen Ministerium für Landwirtschaft, Domänen und Forsten, der Direktor der Abteilung für Hochschulwesen im Preußischen Ministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, der Direktor der agrarpolitischen Abteilung des Reichsministeriums für Ernährung und Landwirtschaft sowie Vertreter der Gesellschaft zur Förderung der inneren Kolonisation, der Neuland A. G. und der früheren Kriegssiedlerstiftung. Vgl. UAR, Juristische Fakultät, Nr. 121, Bericht vom 7.5.1927 „Aufbau und die Aufgaben des Deutschen Forschungsinstituts für Agrar- und Siedlungswesen mit drei Anlagen“. Vgl. UAR, Juristische Fakultät, Nr. 121, Schreiben vom 16.5.1935 „Einrichtung als eigenständiges Universitätsinstitut“. Vgl. zur Entwicklung des Forschungsinstituts nach 1933 Stoehr 2002, S. 63–67, 90. Hier seien vor allem zwei im Handwörterbuch der Staatswissenschaften erschienene Artikel zu den Stichwörtern „Bolschewismus“ und „Lenin“ erwähnt. Vor allem aus dem Artikel „Bolschewismus“ geht hervor, dass Seraphim diesen als ein „weltanschauliches Problem“ mit einer „kulturvernichtenden“ Wirkung auffasst. Somit wird Seraphims klare „antibolschewistische“ Haltung deutlich. Vgl. Seraphim, „Bolschewismus“, 1928, ders., „Lenin“, 1928. Vgl. Seraphim 1931, ders., Einwirkungen, 1932.

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kerungspolitischen“ Folgen vor allem für Ostdeutschland als schwerwiegender. Besonders infolge der polnischen Agrarreformen seien „hunderttausende“ neuer Bauernstellen geschaffen worden, so dass das „Pressen slawischen Volkstums auf deutschen Volksboden“ „bedrohliche“ Ausmaße angenommen habe.35 Als Gegenmaßnahmen müsste eine verstärkte Siedlung (Innere Kolonisation) deutscher Bauern in den ostdeutschen Gebieten forciert werden.36 Diese Forderung Seraphims entsprach durchaus dem Trend der deutschen agrar- und siedlungspolitischen Forschung, der seit Mitte der 1920er-Jahre immer bedeutsamer wurde und welcher die bevölkerungspolitische und „nationale“ Aufgabe von Siedlung in den Vordergrund stellte.37 Es stellt sich schließlich die Frage, ob und wie sich der politische Machtwechsel 1933 und die damit eingetretenen Veränderungen in der deutschen Agrarpolitik auf die Forschungen Seraphims an der Universität Rostock auswirkten. Im Wesentlichen handelt es sich bei den betreffenden Veröffentlichungen um Beschreibungen der erlassenen agrarpolitischen Gesetze, denen er insgesamt eine überaus positive Wertung zuteil werden lässt.38 So habe die „nationalsozialistische Revolution“ von allen bedeutsamen Umgestaltungen der Siedlungspolitik in der Nachkriegszeit „die stärksten grundsätzlichen Veränderungen“ bewirkt, die die Bedeutung des Bauern als „Repräsentant und Träger eines Standes“ wieder hervorhebe.39 Er würdigte besonders, dass die von ihm bereits zuvor betonte national-bevölkerungspolitische Funktion der Siedlung – nun „Neubildung des Bauerntums“ – zentrales Ziel aller agrar- und siedlungspolitischen Maßnahmen geworden sei und durch den Nationalsozialismus die Siedlungsbemühungen eine größere Planmäßigkeit erhalten habe. 35 36

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Vgl. Seraphim, Einwirkungen, 1932, S. 425, 429, 434. Eine solche Siedlung will Seraphim durch eine Siedlungspolitik, die sich auf die beiden Siedlungstypen „Aufstiegs-„ und „Aufbausiedlung“ stützt, verwirklicht wissen. Damit betont er den „sozialen“ Aspekt von Siedlung. Er spricht sich für die Ansiedlung von Personen aus, die zuvor schon im landwirtschaftlichen Sektor beschäftigt gewesen waren und die aufgrund ihrer landwirtschaftlichen Fähigkeiten und Leistungen ausgewählt werden sollten. Einen wichtigen Überblick über Seraphims siedlungspolitische „Grundsätze“ gibt die mit seinem Rostocker Assistenten Helmuth Wollenweber in Lettland durchgeführte Studie. Vgl. Seraphim, Die besonderen Blickpunkte, 1933, vor allem S. 76f., 92ff., 100. Das Vorwort der Studie stammt vom Dezember 1932. Vgl. außerdem: ders., Agrarkrisis, 1933, S. 10, ders. 1934, S. 715. Damit knüpfte die Siedlungspolitik der Weimarer Republik seit Mitte der 1920er-Jahre verstärkt an die „Innere Kolonisation“ der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg an, nach welcher Siedlung zunehmend als Mittel in einem „Daseinskampf der Völker“ galt. Vgl. Becker 1990, S. 111f., 282–287, 292ff., Mai 2002, S. 18–21. Als ausschlaggebende Gesetze dieser Frühphase der nationalsozialistischen Herrschaft gelten das „Gesetz über die Neubildung deutschen Bauerntums“ vom 14. Juli 1933, das „Gesetz über den vorläufigen Aufbau des Reichnährstandes und Maßnahmen zur Marktund Preisregelung für landwirtschaftliche Erzeugnisse“ („Reichnährstandgesetz“) vom 13. September 1933 und das „Reichserbhofgesetz“ vom 29. September 1933. Vgl. hierzu Münkel 1996, S. 100–108, Kluge 2005, S 28f., 31. Vgl. Seraphim 1934, S. 699, 701.

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Das „Fundamentalziel“ sei „Erhaltung und Festigung des volklichen Daseins“, was durch Stärkung des „bodenständigen Teil[s] des Volkes“ erfolge.40 Im Hinblick auf die Auswahl der „Neubauern“ stellte er weiterhin die Eignung der potenziellen Siedler nach dem Grundsatz von „Tüchtigkeit und Leistungsfähigkeit“ in den Vordergrund.41 Positiv bewertete er außerdem die durch das Reichsnährstandsgesetz eingeleiteten Maßnahmen und damit die Ausrichtung auf eine staatlich-regulierende Markt-, Produktions- und Preispolitik. Dadurch werde den Bauern ein Gefühl der „Sicherheit“ und des „Selbstvertrauens“ wieder gegeben.42 Zwar fehlen in Seraphims eigenen siedlungspolitischen Überlegungen rassisch-biologische Argumentationskriterien, womit ein grundsätzlicher Unterschied zu den nationalsozialistischen siedlungspolitischen Grundsätzen bestand, doch bewertete er im Gesamten die seit 1933 durchgeführten und eingeleiteten gesetzlichen Maßnahmen durchaus positiv, da sie die Stellung der Bauern stärkten und aufwerteten und so die „volkliche“ Bedeutung des Bauerntums gewürdigt wurde, die Seraphim selber bereits schon vor dem politischen Machtwechsel betont hatte.

Hans-Jürgen Seraphim an der Universität Leipzig – das Institut für Mittel- und Südosteuropäische Wirtschaftsforschung Wie bereits geschildert, wurde Seraphim zwar die Berufung nach Breslau versagt, jedoch erhielt er zum 1. April 1935 einen Lehrauftrag in Leipzig und wurde dort schließlich im Sommer desselben Jahres zum ordentlichen Professor auf den Lehrstuhl für Nationalökonomie berufen.43 Er trat damit die Nachfolge des im April 1933 in den Ruhestand versetzten Ordinarius Gerhard Kessler an (1883–1963).44 Seit Mai 1936 war Seraphim Direktor des „Instituts für Mittel- und Südosteuropäische Wirtschaftsforschung“, das in zwei Abteilungen unterteilt war: eine „Abteilung Mitteleuropa“, welche Österreich und die damalige Tschechoslowakei 40 41 42 43

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Vgl. ebd., S. 699, 701, 711f. Vor allem nahm hier der „Landarbeiter“ wieder einen zentralen Platz in der Argumentation Seraphims ein. Vgl. ebd., S. 702–708. Vgl. ders., Landwirtschaftliche Markteingliederung, 1935, hier vor allem S. 220f. Vgl. UAL, Personalakten, PA 887, Bl. 10, Schreiben vom 17.6.1935 „Antrittsvorlesung Seraphims am 8.5.1938“, Bl. 9, Zeitungsausschnitt, Leipziger Neueste Nachrichten vom 31.3.1935 „Erteilung des Lehrauftrags an Hans-Jürgen Seraphim für das Sommersemester 1935“. Vgl. UAL, Philosophische Fakultät, B 1/14, Nr. 25, Bl. 11, Erlass vom 8.5.1936 „Ernennung zum ordentlichen Professor an der Universität Leipzig“. Kessler wurde zunächst am 20. März 1933 für das Sommersemester beurlaubt und schließlich im Herbst desselben Jahres aufgrund des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ „ordnungsgemäß“ entlassen. Vgl. Wagner 2008, S. 137–245, Quaas 2009, S. 887f. Zudem war Seraphim Direktor des Instituts für Wirtschaftswissenschaften und Statistik sowie Leiter der Leipziger Hochschulgruppe der „Deutschen Wissenschaftlichen Gesellschaft“. Die Gesellschaft war 1936 gegründet worden. Vgl. Janssen, 2009, S. 205, Wagner 2008, S. 200.

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untersuchte, und eine „Abteilung Südosteuropa“, die sich mit den Ländern Ungarn, Rumänien, Jugoslawien, Bulgarien, Albanien, Griechenland und der Türkei beschäftigte.45 Das Institut setzte sich in erster Linie mit zwei Arbeitsschwerpunkten auseinander. Zum einen stand die Erforschung der sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse der genannten Untersuchungsgebiete im Mittelpunkt der Institutsarbeit.46 Zum anderen widmete man sich unter Seraphims Leitung zunehmend der Wirtschaftslage der so genannten „Auslandsdeutschen“. Interessant ist in diesem Zusammenhang vor allem eine von Seraphim geplante Tagung aller „Ostforscher“, die für den Oktober 1939 im Erzgebirge geplant war und in deren Fokus die deutschen Volksgruppen im Ausland stehen sollten.47 Entsprechend seinen eigenen Worten, nach denen das von ihm geleitete Institut eine „dem Leben zugewandt[e]“ Forschung betreiben solle, wiesen beide untersuchten Arbeitsschwerpunkte des Instituts eine für die damalige Zeit große Aktualität auf.48 Die inhaltliche Ausrichtung des Instituts an aktuell relevanten Wirtschaftsfragen und seine Anlehnung an die Interessen von Politik und Wirtschaftspraxis wird durch die Aussage Seraphims unterstrichen, dass die Forschungen seines Instituts den Sinn hätten, eben jenen Bereichen wertvolle Unterlagen zu liefern, „schwer zugängliches Quellenmaterial“ zu erschließen und so „mühelos eine Orientierung über eine Fülle von Problemen“ 45

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Zuvor war er stellvertretender Leiter des genannten Instituts gewesen, welches seit dessen Gründung 1928 dem Nationalökonom Kurt Wiedenfeld (1871–1955) unterstellt war, der nun planmäßig emeritiert wurde. UAL, Philosophische Fakultät B 1/14, Nr. 25, Bl. 11, Erlass vom 8.5.1936 „Ernennung zum ordentlichen Professor an der Universität Leipzig“, Seraphim, Zehn Jahre, 1938, S. 90, Quaas 2009, S. 887. Vgl. Seraphim, Zehn Jahre, 1938, S. 90–96. Die von Seraphim geplante Tagung sollte die Fortsetzung eines vom Institut für Osteuropäische Wirtschaft in Königsberg ausgerichteten „Treffen[s] deutscher Dozenten, […] die an der Ostarbeit besonders interessiert sind“ vom Herbst 1937 darstellen. Der Leiter der Nord- und Ostdeutschen Forschungsgemeinschaft, Albert Brackmann, teilte Seraphim jedoch am 9. September 1939 mit, dass die Tagung aufgrund der „veränderten Zeitumstände“ entfallen müsse. Vgl. BAB, R 153, Nr. 1071, Briefwechsel Brackmann und Seraphim vom 3.7.1939, 25.7.1939 und 5.9.1939 „Über die Tagung deutscher Ostforscher im Herbst 1937“. Vgl. Seraphim, Zehn Jahre, 1938, S. 93. Die deutschen Volksgruppen wurden vor allem ab 1937 zunehmend in die bevölkerungspolitischen Raum- und Siedlungsplanungen der Nationalsozialisten einbezogen, die eine gezielte Umsiedlung der „Grenz- und Auslandsdeutschen“ und nach dem deutschen Angriff auf Polen 1939 eine Einbindung in die Pläne zur „Neuordnung“ Osteuropas unter deutscher Führung mit sich brachte. Dies galt ebenso für die intensive Erforschung der produktionspolitischen Möglichkeiten, Handelsstrukturen und -kapazitäten der mittel- und südosteuropäischen Länder, welche vor allem nach der Verkündung des „Vierjahresplanes“ im Herbst 1936 als potenzielle Handelspartner, Rohstoff- und Lebensmittellieferanten zunehmend in den Mittelpunkt der außenwirtschaftlichen Interessen des Deutschen Reiches traten. Vgl. Haar 2005, S. 14f., Leniger 2006, Thörner 2008, S. 395, 423, Corni 1997, S. 469, 493.

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zu ermöglichen.49 Besondere Bedeutung maß Seraphim dabei den Studienreisen der Institutsmitarbeiter zu.50 Auch er selbst unternahm von Mitte August bis Mitte Oktober 1938 eine solche Studienreise durch verschiedene Länder Südosteuropas, in deren Verlauf er in den größeren Städten „Fühlung mit einer Reihe Behörden, Ministerien, statistischen Ämtern, Handelskammern und führenden Persönlichkeiten des deutschen Wirtschaftslebens“51 aufnahm. Im Interessenmittelpunkt standen sowohl wirtschaftliche und agrarpolitische Probleme der einzelnen Gebiete, die sich für eine wissenschaftliche Auseinandersetzung eigneten, als auch die zentrale Frage nach der Wirtschaftslage der deutschen Volksgruppen.52 Schließlich sei an dieser Stelle auch Seraphims aktive Mitarbeit in dem am 30. September 1936 gegründeten Südosteuropa-Institut der Universität Leipzig erwähnt. Auch hier widmete er sich als Leiter der „Abteilung für das Deutschtum in Südosteuropa“ dem so genannten „Auslandsdeutschtum“. Aktiv in Erscheinung trat Seraphim vor allem als Redner im Rahmen der von 1936 bis 1942 jährlich abgehaltenen „Südosteuropa-Ferienkurse“, wo er Vorträge zu den Themen „Die Agrargesetzgebung im Neuen Deutschland“ und „Die landwirtschaftliche Ernährungspolitik im Neuen Deutschland“ hielt. Die Ferienkurse hatten vor allem nach Kriegsbeginn eine „kulturpropagandistische“ Funktion, wodurch den ausländischen Teilnehmern die deutschen Interessen nahe gebracht werden sollten.53 Die 49

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Seraphim, Zehn Jahre, 1938, S. 93. Seraphim betonte dabei, dass trotz dieser Praxisnähe und der „aufgeschlossenen“ Einstellung gegenüber der „politischen Problematik“ das Institut dennoch „streng wissenschaftlich“ arbeite. Vgl. ebd., S. 91. Vgl. ebd., S. 92f. Diese Forschungsreise fokussierte sich in erster Linie auf die Staaten Jugoslawien und Rumänien. Bulgarien und Ungarn konnten aus „Zeitmangel“ nur „flüchtig“ besucht werden. Schwerpunkte der „Reiseroute“ waren vor allem die Küsten- und Hafenstädte, die Verwaltungs-, Handels- und Industriezentren sowie die Hauptstädte der Länder und schließlich die Regionen mit einem hohen Anteil an „Auslandsdeutschen“ (Bessarabien und Siebenbürgen). Vgl. UAL, Personalakten, PA 887, Bl. 12f., Undatierter Bericht „Studienreise durch den europäischen Südosten“. Diese Fragen sollten zu „gegebener Zeit“ und nach Rücksprache mit der Volksdeutschen Mittelstelle durch das „Institut für Mittel- und Südosteuropäische Wirtschaftsforschung“ geklärt werden. Vgl. ebd. Das Südosteuropa-Institut wurde als „Südosteuropäische Arbeits- und Forschungsgemeinschaft“ der Philosophischen Fakultät der Universität Leipzig gegründet und sollte alle dortigen „südosteuropäischen Aktivitäten“ bündeln. Publizistisches Organ waren die ab April 1937 herausgegebenen „Leipziger Vierteljahreshefte für Südosteuropa“. Die jährlichen „Ferienkurse“ setzten sich aus Vorträgen zu den Sachgebieten „Rasse, Volk und Bevölkerung“, „Landvolk und Landwirtschaft“ und „Wirtschaftsfragen“ zusammen. Seraphim selber nahm anscheinend nach dem fünften Ferienkurs im Jahr 1940 nicht mehr teil. Vgl. UAL, Philosophische Fakultät B 1/14, Nr. 57, Bd. 1–3, Bl. 19, Einladung und Programm „Dritter Südosteuropa-Ferienkurs vom 24.6.–13.7.1938“, Bl. 50, Einladung und Programm „Fünfter Südosteuropa-Ferienkurs vom 15.–31.7.1940“, ebd., Nr. 57, Bd. 1–3, Bl. 111ff., Schreiben vom 9. Februar 1942 „Über die Südosteuropa-Ferienkurse“; Münster 1937, Wagner 2008, S. 215f.

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bisherigen Ausführungen machen deutlich, dass Seraphim sowohl das ihm unterstellte „Institut für Mittel- und Südosteuropäische Wirtschaftsforschung“ als auch seine eigenen Forschungen auf eine „praxisnahe“ und an den aktuellen politischen Gegebenheiten und Interessen ausrichtete. Das von ihm geleitete Institut stellte dabei nach Thörner eines der „Zentren der wissenschaftlichen Förderung und Begleitung der „Südosteuropaexpansion“ dar.54

Die Veröffentlichungen Seraphims in Leipzig: „Deutsche Bauernpolitik“, „wirtschaftliche Nationalitätenkämpfe“ und die „Neuordnung Osteuropas“ Hans-Jürgen Seraphim knüpfte in Leipzig inhaltlich an die Forschungen seiner Rostocker Zeit an. Er beschäftigte sich auch hier mit Fragen rund um die agrar- und speziell siedlungspolitischen Maßnahmen und Gesetze der Nationalsozialisten. Dabei untersuchte er vor allem die produktionspolitische, soziale und schließlich volkswirtschaftliche Bedeutung der „Bauernneuschaffung“.55 Wie in Rostock betonte er auch nun wieder die Bedeutung der ländlichen Siedlung für die Stärkung des Bauerntums als Bevölkerungsgruppe und ihre national-bevölkerungspolitische und „soziale“ Funktion zur „Sicherung“ deutscher Gebiete vor allem im Osten des Reiches. Hiermit zusammenhängend erwähnte er erstmals die „raumordnende“ Komponente der bäuerlichen Siedlung.56 Darüber hinaus ging es jedoch nicht mehr nur allein um Erhaltung und Stärkung der Bauern und der Sicherung deutscher Gebiete. Durch die „Bauernneuschaffung“ sollte das „Volk“ als Ganzes und somit die gestaltende „Kraft“ der Wirtschaft gestärkt werden. Sie stellte nach Seraphim somit ein Mittel zur Verwirklichung einer „volksgebundenen Wirtschaftsgestalt“ dar und hatte damit für ihn auch eine volkswirtschaftliche und „volkliche“ Funktion. Seraphim formulierte in Leipzig also sein bereits erwähntes theoretisches Konstrukt einer „volksgebundenen Wirtschaftsgestalt“.57 Der zweite thematische Schwerpunkt, dem sich Seraphim in Leipzig widmete, stellte die Auseinandersetzung mit der wirtschaftlichen Situation der sogenannten grenz- und auslandsdeutschen Volksgruppen in Bessarabien, Wolhynien und dem 54 55

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Vgl. Thörner 2008, S. 425. Die produktionspolitische Funktion der „Neuschaffung deutschen Bauerntums“ bedeutete für Seraphim „Erschließung neuen Kulturlandes“, „Ertragssteigerung auf altem Kulturland durch Veränderung der Betriebsstruktur“, „Nahrungssicherung von Volk und Staat“. Vgl. Seraphim, Deutsche Bauern- und Landwirtschaftspolitik, 1939, S. 120, ders., Neuschaffung deutschen Bauerntums, 1935, S. 146. Die Umstrukturierung des Raumes müsse vor allem „organisch“ erfolgen. Die „Neuschaffung“ stellte damit eine „Teilmaßnahme“ dieser „planmäßigen Raumordnung“ dar. Vgl. ebd., S. 146, ders., Deutsche Bauern- und Landwirtschaftspolitik, S. 120. Vgl. ebd., S. 119, ders., Neuschaffung, 1935, S. 146, ders. 1940, S. 676, ders., Die Neuschaffung, 1938, S. 628.

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Baltikum sowie deren bäuerlichen Siedlungsstrukturen dar.58 Diese sei überwiegend durch bedrohliche „Nationalitätenkämpfe“ – vor allem auf wirtschaftlichem Gebiete – gekennzeichnet.59 Aggressoren seien nach Seraphim die anderen Nationalitäten, allen voran die polnische. Seraphim stellte somit seiner bisherigen Argumentation einer vermeintlichen Bedrohung durch einen angeblichen „Bevölkerungsdruck“ an den Grenzen innerhalb des Reiches eine weitere jenseits dieser Grenzen hinzu.60 Sprach er sich zunächst noch für den Erhalt dieser Gruppen innerhalb der ausländischen Staaten und einen „moderateren“, auf einen „Ausgleich“ der Spannungen zielenden Weg zur Lösung dieser vermeintlichen „Nationalitätenkämpfe“ aus, änderte sich dies nach dem Beginn des Zweiten Weltkrieges durch den deutschen Angriff auf Polen.61 Diesen befürwortete er vorbehaltlos, und seine Aussagen lassen sich zum Teil als eine direkte Übernahme der offiziellen Propaganda lesen.62 Seraphim unterstützte die bevölkerungspolitischen Maßnahmen im Zuge einer geplanten „Neuordnung“ Osteuropas, wozu auch die Umsiedlungen der Grenz- und Auslandsdeutschen aus dem ost- und südosteuropäischen Raum zählten und damit zusammenhängend die „Aussiedlung“ der einheimischen polnischen Bevölkerung in das Generalgouvernement.63 Diese wertete er als weitere Maßnahmen zur Verwirklichung einer „volksgebundenen Wirtschaftsgestalt“, die nur in einem „volkseinheitlichen Staat“ gegeben sei. Er verband somit innerdeutsche Siedlung mit den „Siedlungsmaßnahmen“, welche außerhalb des Reiches stattfinden sollten.64 Vor diesem Hintergrund lässt sich der Schluss ziehen, dass Seraphim die Handlungen und Entscheidungen der politischen Ebene vorbehaltlos – beinahe propa58

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Als Grundlage dienten in erster Linie die Ergebnisse, die Seraphim während seiner Studienreisen in die entsprechenden Gebiete gewinnen konnte. Vgl. vor allem ders., Die Siedlungsstruktur, 1939, ders., Struktur und Entwicklung 1939, ders., Rodungssiedler, 1938. In diesem wirtschaftlichem „Kampf“ gehe vor allem um die Frage der „wirtschaftlichen Machtstellungen“. Vgl. ders., Wirtschaftliche Nationalitätenkämpfe, 1938, S. 47–52. Vgl. ebd., S. 42, ders., Die Wandlung der Agrarverfassung 1939. Vgl. Seraphim, Wirtschaftliche Nationalitätenkämpfe, 1938, S. 57ff. Ebenso änderte sich die nationalsozialistische Politik gegenüber diesen Bevölkerungsgruppen. „Traditionelle“ Volkstumsvereine wie der Verein für das Deutschtum im Ausland wurden zunehmend in den Hintergrund gedrängt. Ab 1937/38 wurde unter dem Propagandaschlagwort „Heim ins Reich“ eine Politik eingeleitet, die als Beginn der nationalsozialistischen Umsiedlungspläne gelten dürfte. Vgl. Haar 2005, S. 14f., Leniger 2006, S. 35–45. So bezeichnete er den deutschen Angriff auf Polen als notwendigen „Befreiungsschlag“, der den unhaltbaren Zustand der (wirtschaftlichen) „Nationalitätenkämpfe“ endlich beseitige, welche die „Lebensfähigkeit“ der beim Reich verbliebenen Ostprovinzen „auf das Nachhaltigste gefährdet“ hätten. Vgl. Seraphim 1940, S. 561. Seraphim nannte Adolf Hitlers Reichstagsrede vom 6. Oktober 1939 sogar „wegweisend“. Die von Hitler verkündete Bereinigung der Grenzen nach „volklichen“ Aspekten sei zwar radikal aber notwendig. Das Tempo der „Aussiedlungen“ müsse gesteigert werden. Als „besonderes Problem“ bezeichnete er die „jüdische Bevölkerung“, worauf er aber weiter nicht näher einging. Vgl. Seraphim 1940, S. 652–655, Haar 2005, S. 15, Leniger 2006, S. 51f., Wildt 2006, Abschnitt 11, 15. Vgl. Seraphim 1940, S. 676.

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gandistisch – befürwortete. Seraphims hier in Kürze dargelegte Argumentation stimmt in vielen Punkten mit derjenigen zahlreicher anderer Vertreter der deutschen „Ostforschung“ überein. Neben der in seinen Leipziger Schriften aufkommenden starken Betonung der Kategorie „Volk“ wird deutlich, dass Seraphim von einer kulturellen und „natürlichen Überlegenheit“ der deutschen Volksgruppen, welche auf „rassischen und volklich-kulturellen Anlagen“ [!] beruhe, überzeugt war.65 Auch ist die Annahme einer „volksgeschichtlichen“ Kontinuität im deutschen und europäischen Osten Europas und die Betonung einer vermeintlichen Bedrohung des deutschen Volkes aufgrund angeblicher „Nationalitätenkämpfe“ für die Argumentation der deutschen „Ostforschung“ kennzeichnend.66 Spätestens in Leipzig kann Seraphim somit dem Kreis der „kämpfenden Wissenschaft“ zugeordnet werden.67

Seraphim an der Universität Breslau – Leiter des das Osteuropa-Institut zu Breslau Seraphims wissenschaftliche Karriere hatte in Leipzig anscheinend einen äußerst positiven Verlauf genommen, so dass er zum 1. April 1941 erneut einen Ruf auf den Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre an die Schlesische Friedrich-Wilhelms-Universität zu Breslau erhielt, dessen Annahme diesmal nichts im Wege stehen sollte.68 Mit seinem Wechsel nach Breslau war jedoch nicht nur diese Berufung, sondern auch die Leitung des dortigen „Osteuropa-Instituts“ – der ältesten und einzig interdisziplinär ausgerichteten Einrichtung auf dem Gebiet der Ostforschung – verbunden.69 Nach Seraphims eigenen Worten befand sich das 1918 gegründete OsteuropaInstitut in einer „ungeklärten Lage“, als er dessen Leitung übernahm.70 Die ein65 66 67

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An dieser Stelle werden das erste (und einzige) Mal rassische Momente in Seraphims Argumentation deutlich. Vgl. Seraphim, Wirtschaftliche Nationalitätenkämpfe, 1938, S. 55f. Von einer solchen historischen Kontinuität, speziell der „deutschen“ Siedlung im Osten Europas spricht Seraphim vor allem in folgender Schrift: Seraphim 1936. Die deutsche „Ostforschung“ war interdisziplinär ausgerichtet. Vor allem seitens der Vertreter der historischen Ostforschung lassen sich immer wieder ähnliche Aussagen feststellen. Vgl. hierzu vor allem: Krzoska 2008, S. 452f. Vgl. Universitätsarchiv Breslau, S 220 – Seraphim, H. J., Bl. 4, „Personalbogen Seraphim“, undatiert, Bl. 7, Erlass vom 10.3.1941 „Ernennung zum ordentlichen Professor an der Universität Breslau“. Vgl. Krzoska 2008, S. 455ff., Bömelburg 1995, S. 47. Dies war für Seraphim anscheinend für seinen Wechsel nach Breslau ausschlaggebend, da sich ihm nun ein „Wirkungskreis“ erschloss, der seinen „besonderen wissenschaftlichen Neigungen in hervorragendem Maße“ entsprach. Vgl. UAL, Personalakten, PA 887, Bl. 23, Schreiben vom 17.3.1941 „Erhalt und Annahme eines Rufes nach Breslau“. Die „Vorgeschichte“ des Osteuropa-Instituts zu Breslau kann an dieser Stelle nicht näher beleuchtet werden. Erwähnt sei jedoch, dass das Institut nach 1933 aufgrund seiner intensiven Beschäftigung mit Russland rasch in das Blickfeld der nationalsozialistischen

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zelnen Abteilungen waren seit Kriegsbeginn personell unterbesetzt, die „historische Forschung“ hatte einen beherrschenden Platz eingenommen und vor allem der Wirtschaftsabteilung fehlte jegliche Bindung zur wirtschaftlichen Praxis. Das Institut drohte somit an Bedeutung und Effektivität zu verlieren.71 Seraphim ordnete daher eine umfassende Reorganisation des Institutsapparates an, um so wieder eine straffere Strukturierung und eine Aktivierung der Arbeit aller Abteilungen zu erreichen. Zudem sollten die „Außenbeziehungen“ des Instituts – die Kontakte zu Wirtschaft, Verwaltung und politischer Ebene – wiederhergestellt beziehungsweise erweitert werden.72 Im Mittelpunkt der Institutsarbeit sollte die Erforschung der geistigen und wirtschaftlichen „Grundlagen und […] Entwicklungsbedingungen“ der osteuropäischen Länder stehen. Ziel war unter anderem, die gewonnenen Arbeitsergebnisse – ganz entsprechend der Auffassung Seraphims einer „dienenden“ Wissenschaft – Praxis, Verwaltung und akademischen Unterricht zur Verfügung zu stellen.73 Besonderes Gewicht legte Seraphim auf die Reaktivierung der Wirtschaftsabteilung des Instituts, der er selber als Abteilungsleiter vorstand.74 Die Arbeit der Wirtschaftsabteilung sowie des gesamten Instituts beschränkte sich nicht nur auf die publizistische Tätigkeit. Die Mitarbeiter erstellten außerdem Gutachten und vermittelten im Rahmen verschiedener Vorträge, Arbeitsgemeinschaften und Lehrkursen ihre Forschungsergebnisse „den verschiedenen interessierten Kreisen“. Die

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Wissenschaftspolitik gerückt war und sich zunächst nur bedingt innerhalb dieser etablieren konnte. Erwähnenswert ist ein Ereignis aus dem Jahr 1937, als sich die SS die Russlandbestände der Institutsbibliothek ohne Vorankündigung angeeignet hatte. Damit war dem Osteuropa-Institut seine wesentliche Arbeitsgrundlage verloren gegangen. Vgl. Camphausen 1990, Bömelburg 1995, Grobelný 1973. Ursprünglich war die Wirtschaftsabteilung des Osteuropa-Instituts die dominierende Abteilung gewesen, was sich nach der Gleichschaltung durch die Ernennung der Historiker Hans Uebersberger und Hans Koch als Leiter des Instituts geändert hatte. Vgl. hierzu Bömelburg 1995, S. 55f., 62, Camphausen 1990, S. 143. Die strukturellen Maßnahmen der Reorganisation umfassten eine Änderung der Institutssatzung, die eine völlige Neugestaltung des Kuratoriums mit sich brachte und die neben dem bereits seit 1929 vertretenen Reichsministerien für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung sowie dem Reichsministerium des Innern nun einen Vertreter des im Sommer 1941 gegründeten Reichsministeriums für die besetzten Ostgebiete aufnahm. BAB, R 153, Nr. 1083, „Tätigkeitsbericht des Osteuropa-Instituts 1941/42“, Camphausen 1990, S. 144, Seraphim, Die Reorganisation, 1943, S. 46. Vgl. ebd., S. 51, Bömelburg 1995, S. 50. Besonders die Veröffentlichungen nahmen für Seraphim eine wichtige Funktion in dieser Arbeit ein. So forcierte er von Beginn an die Neuerscheinung der 1939 eingestellten „Ostraum-Berichte“. Vgl. BAB, R 153, Nr. 1083, „Tätigkeitsbericht des Osteuropa-Instituts 1941/42“; Seraphim, Die Reorganisation, 1943, S. 48, ders., Die Wirtschaftsabteilung, 1943, S. 77f.

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„praktische Arbeit“ des Instituts wurde somit unter Seraphim enorm vorangetrieben.75 Besonders erwähnenswert – vor allem hinsichtlich des Aufbaus der „Außenbeziehungen“ und der damit erstrebten Intensivierung der Zusammenarbeit mit der niederschlesischen Wirtschaft – ist die im Oktober 1942 erfolgte Gründung einer „Zwischenstaatlichen Arbeitsgemeinschaft am Osteuropa-Institut zu Breslau“. Diese Arbeitsgemeinschaft war ein eigenständiger, aber mit dem Osteuropa-Institut eng verbundener Verein und sollte dem Zweck einer dauerhaften „Fühlungnahme zwischen deutschen und südosteuropäischen Vertretern der Agrarpolitik und Landbauwissenschaft“, der Herstellung von Kontakten zwischen den schlesischen beziehungsweise deutschen landwirtschaftlichen Instituten und den entsprechenden Organisationen im „europäischen Osten“ dienen. Für diesen Zweck wurden Arbeitstagungen geplant und durchgeführt. Ferner sollte die Zwischenstaatliche Arbeitsgemeinschaft Studienreisen in die ost- und südosteuropäischen Gebiete fördern und ein Stipendiensystem aufbauen.76 Es wird deutlich, dass Seraphim gemäß seiner Auffassung von einer „lebensnahen“ Wissenschaft das Osteuropa-Institut und speziell die von ihm geleitete Wirtschaftsabteilung an die Bedürfnisse und Interessen von Politik, Wirtschaft und Verwaltung anzupassen suchte und die erzielten Ergebnisse diesen Bereichen nutzbar zu machen gedachte. Dabei war er gemäß dem Leitspruch des Instituts – „A Baltico ad Euxinum“ – bestrebt, eine „ganzheitliche“ Erforschung des Untersuchungsrau75

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Vgl. ebd., S. 79, ders., Die Reorganisation, 1943, S. 49f. Ferner wurden die schon lange bestehenden Sprachkurse weitergeführt, die bereits seit Kriegsbeginn wachsendes Interesse seitens der Wehrmacht und der Waffen-SS erfuhren. Vgl. Camphausen 1990, S. 146, BAB, R 153, Nr. 1083, „Tätigkeitsbericht des Osteuropa-Instituts 1941/42“. Am 21.7.1941 fand in den Räumen der Industrie- und Handelskammer eine Vorbesprechung zur Gründung der Zwischenstaatlichen Arbeitsgemeinschaft statt. Anwesende waren neben Seraphim unter anderem der Landesbauernführer Niederschlesiens, der Präsident der Wirtschaftskammer Schlesiens, der Präsident der Breslauer Industrie- und Handelskammer und der Leiter der Breslauer Messe AG. Die endgültige Gründung des Vereins fand am 24.10.1941 statt. Zum Vorsitzenden wurde der ehemalige Botschafter Herbert von Dirksen ernannt. Die Geschäftsleitung lag laut Satzung in den Händen des Leiters des Osteuropa-Instituts – also bei Seraphim. Die Stipendien der Zwischenstaatlichen Arbeitsgemeinschaft wurden sehr wahrscheinlich in Zusammenarbeit mit der Deutschlandstiftung des Mitteleuropäischen Wirtschaftstages vergeben und als Mitglieder der Deutschlandstiftung des Mitteleuropäischen Wirtschaftstages geführt. Vgl. Grobelný 1973, S. 65; BAB, N 2049, Nr. 66, Bl. 14ff., Aktennotiz, undatiert, „Gründung einer Dachgesellschaft zur Vertiefung der Beziehungen zwischen Schlesien und der südosteuropäischen Gebiete“, Bl. 17f., Entwurf einer Pressemitteilung, undatiert „Gründung der ZAG“, Bl. 50ff., Satzungsentwurf der ZAG vom 24.10.1941, ebd., N 2049, Nr. 67, Bl. 284f., Schreiben vom 2.12.1942 „Zusammenarbeit mit dem Mitteleuropäischen Wirtschaftstag“, ebd., N 2049, Nr. 68, Bl. 1, Schreiben vom 4.1.1943 „Zusammenarbeit mit dem Mitteleuropäischen Wirtschaftstag“, ebd., R 153, Nr. 1038, „Tätigkeitsbericht des Osteuropa-Instituts 1941/42“.

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mes zu erreichen.77 Das Institut fand so unter Seraphims Leitung zu seiner alten Größe und Bedeutung innerhalb der deutschen Ostforschung zurück.78 Deutlich wird dies vor allem an einer vom Osteuropa-Institut im September 1941 ausgerichteten „Arbeitstagung aller Ost- und Südostinstitute“, auf welcher geklärt werden sollte, wie eine gemeinsame Arbeit der unterschiedlichen Institute sowie ein gemeinsames Publikations- und Zeitschriftenwesen aufzubauen und zu koordinieren sei. Zudem stand die Frage der Förderung des (ausländischen) wissenschaftlichen Nachwuchses im Mittelpunkt der Tagung. Auch wenn diese Fragen auf der Breslauer Tagung letztlich nicht geklärt werden konnten, war die Veranstaltung für das Osteuropa-Institut und seiner Stellung innerhalb der deutschen Ostforschung von großer Relevanz, da diese die erste Veranstaltung dieser Art überhaupt darstellte.79 Schließlich erhielt das Institut unter Seraphims Leitung die Bedeutung eines „kriegswichtigen“ Betriebes und wurde dem Amt VI, Gruppe G (Wissenschaftlich-Methodischer Forschungsdienst) des Reichssicherheitshauptamts unterstellt.80 Der bewusst gesuchte Kontakt zu Regierungs- und Parteistellen, die zahlreichen Vorträge vor Wirtschaftsgrößen und NS-Politikern, die Sprachkurse für SS- und Wehrmachtsangehörige und schließlich die erstellten Expertisen und Gutachten – auch wenn deren Inhalt heute nicht mehr ermittelbar ist – lassen erhebliche Zweifel daran aufkommen, dass die von Seraphim vielmals proklamierte „Wissenschaftlichkeit“ seiner eigenen Forschungen wie auch die des seiner Leitung unterstehenden Osteuropa-Instituts wirklich gewahrt werden konnte.

Seraphims Forschungsschwerpunkte: „Wirtschaftsaufbau Ost“ und „Großraumwirtschaft“ Anhand von Seraphims Veröffentlichungen wird deutlich, dass er sich in Breslau intensiv mit der Frage des an deutschen Interessen orientierten Aufbaus der Wirtschaft in den besetzten Ostgebieten auseinandersetzte. Er rechtfertigte die Umstrukturierung der Produktionsgrundlagen zugunsten einer Ertragssteigerung, die 77 78

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Vgl. Seraphim, Osteuropäischer Umbruch, 1942, S. 10. Das Osteuropa-Institut war fest in die Organisationsstruktur der durch die Nord- und Ostdeutsche Forschungsgemeinschaft koordinierten deutschen Ostforschung eingebunden. Vgl. Fahlbusch 1999, S. 188f. Die Tagung wurde auf Anregung des im REM zuständigen Referenten, Oberregierungsrat Dr. Herbert Scurla, veranstaltet. Eine endgültige Einigung über die Fragen sollte auf einer zweiten Tagung, die für das Jahr 1942 in Wien angesetzt wurde, erzielt werden. Vgl. Seraphim, Osteuropa-Institut 1942, Hausmann 2001, S. 51f., 85. Vgl. Behörde des Bundesbeauftragen für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, MfS HA IX/11 FV 143/69, Bd. 36, Bl. 9, Schreiben vom 14.3.1944 „Einreihung des OEI als „kriegswichtiger Betrieb“, ebd., Bd. 34, Bl. 3f., Undatierte Auflistung aller Institutionen des Reichssicherheitshauptamtes, Amt VI, Gruppe G.

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den Versorgungsbedürfnissen und -forderungen des Deutschen Reiches entgegenkam. Dabei betonte er die immense Bedeutung der besetzten Ostgebiete – allen voran der Ukraine – als „eminent wichtige Rohstoffkammern Europas“ und als erstrangige landwirtschaftliche „Überschussgebiete“.81 Er sprach sich daher für eine Umstrukturierung der Agrarverfassung der betroffenen Länder aus und empfahl eine Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der ländlichen Bevölkerung, da er deren „Arbeitswillen“ als entscheidende Voraussetzung zur Erreichung der angestrebten Ziele betrachtete.82 Seraphim rechtfertigte das Interesse des Deutschen Reiches an diesen Gebieten mit einer historischen Kontinuität und einer vermeintlichen kulturellen Überlegenheit der Deutschen gegenüber diesen Völkern.83 Er befürwortete in diesem Zusammenhang erneut die Umsiedlungen der grenzund auslandsdeutschen Volkgruppen und damit indirekt die Germanisierungs- und Vertreibungspläne der deutschen Besatzungspolitik im Rahmen des „Generalplan Ost“.84 Ob er sich des ganzen Ausmaßes der damit einhergehenden Maßnahmen bewusst war oder gar an diesen Plänen in irgendeiner Art mitgearbeitet hatte, ist nicht bekannt. Für Seraphim stand neben dem „Wirtschaftsaufbau Ost“ die Eingliederung der besetzten Gebiete – vor allem das Schwarzmeergebiet – in das Konzept einer angestrebten „Großraumwirtschaft“ im Mittelpunkt seines Forschungsinteresses. Er bezeichnete dieses angestrebte Wirtschaftssystem als „kontinentaleuropäische Wirtschaftsgemeinschaft“, welche den „künftigen Typus zwischenstaatlichen Zusammenarbeitens“ darstellen sollte.85 Als Teilaspekt dieser „kontinentaleuropäischen Wirtschaftsgemeinschaft“ widmete er sich außerdem speziell der konzeptionellen Einbindung der südosteuropäischen Länder sowie den speziellen Handelsbezie-

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Seraphim, Der deutsche Wirtschaftsaufbau, [1943 oder 1944], S. 69–76. Ähnlich sahen dies führende Personen des Reichsernährungsministeriums. Die Bedeutung der Ukraine wurde bis hin zur Mystifizierung als „Kornkammer Europa“ bei Weitem übersteigert. Vgl. Corni/Gies 1997, S. 546–551. Er begrüßte daher die am 15. Februar 1942 verkündete Agrarreform für die besetzten Gebiete, mit denen eine verlangsamte und stufenweise Rückführung der durch die sowjetische Kollektivierung entstandenen Kolchosen vorgenommen werden sollte. Diese Maßnahmen bezeichnete Seraphim als „nachhaltig“, da sie die „Leistungsfähigkeit“ der Landwirtschaft langfristig steigern würden. Vgl. Seraphim, Der deutsche Wirtschaftsaufbau, [1943 oder 1944], S. 63–74. Vgl. Seraphim, Der deutsche Wirtschaftsaufbau, [1943 oder 1944], S. 69–72. Vgl. ebd., S. 90f., Corni/Gies 1997, S. 504–507. Seraphim unterschied den Charakter dieser „kontinentaleuropäischen Wirtschaftsgemeinschaft“, die alle unter formeller und informeller Herrschaft stehenden Staaten Europas sowie die „befreundeten“ Staaten Südosteuropas umfasste, grundsätzlich von dem seiner Meinung nach „überkommenen“ liberalen Weltwirtschaftssystem „alter Prägung“, welches die Produktionsverhältnisse als gegeben hingenommen hätte. Vgl. Seraphim, Die Eingliederung der Landwirtschaft, 1942, S. 403ff.

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hungen des Reiches mit diesen Volkswirtschaften des Balkan- und Donauraumes.86 Seine Überlegungen fasste er wiederum in dem Konzept einer „deutsch-südosteuropäischen Wirtschaftsgemeinschaft“ zusammen.87 Auch in den Ländern Südosteuropas erachtete er eine Strukturveränderung der agrar- und landwirtschaftlichen Produktionsverhältnisse als notwendig und gerechtfertigt. Diese Veränderungen sollten sich ebenfalls an den Bedürfnissen des Deutschen Reiches orientieren.88 Seraphim betonte vielfach, dass sowohl die „deutsch-südosteuropäische Wirtschaftsgemeinschaft“ als auch die umfassendere „kontinentaleuropäische Wirtschaftsgemeinschaft“ auf dem Prinzip der Freiwilligkeit und des gegenseitigen Nutzens der Mitgliedsstaaten basieren würde.89 Dass dies den Tatsachen nur bedingt entsprach und die betreffenden Staaten durch die erfolgten Umstrukturierungsmaßnahmen zunehmend in starke Abhängigkeitsverhältnisse zum Deutschen Reich gedrängt wurden, machte den eher propagandistischen Charakter seiner Schriften deutlich, welche die Bedürfnisse des Deutschen Reiches herausstellten und die agrarpolitischen, expansiven und besatzungspolitischen Maßnahmen der Nationalsozialisten rechtfertigten.90

Seraphim wissenschaftliche Karriere nach 1945 – Entnazifizierung und Berufung nach Münster Bis Februar 1945 blieb Hans-Jürgen Seraphim Ordinarius in Breslau und Leiter des dortigen Osteuropa-Instituts. Dann mussten er und seine Familie die Stadt auf der Flucht vor der sowjetischen Armee verlassen.91 Im August 1945 trat erstmals 86

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Seraphims konzeptionelle Überlegungen waren nicht die einzigen dieser Zeit. Unmittelbar nach der nationalsozialistischen „Machtergreifung“ begannen zahlreiche Volkswirtschaftler, Agrarökonomen und Vertreter anderer Disziplinen sich mit dieser Thematik zu beschäftigen. Vgl. Corni/Gies 1997, S. 499f., Thörner 2008, S. 423. Dieses Konzepte stellte er ausführlich in der 1943 erschienen Publikation mit dem entsprechenden Titel „Deutsch-südosteuropäische Wirtschaftsgemeinschaft“ dar. Vgl. Seraphim, Wirtschaftsgemeinschaft, 1943. Seraphim benannte ganz klar die ernährungswirtschaftlichen Ziele, die das Deutsche Reich mit dieser „Wirtschaftsgemeinschaft“ anstrebte, und betonte den „Ergänzungscharakter“ dieses Raumes für die deutschen Interessen. Vgl. Seraphim, Wirtschaftsgemeinschaft, 1943, S. 14f., 68ff., ders., Die Eingliederung der Landwirtschaft, 1943, S. 409, 412f. Vgl. ebd., S. 405f., 410, ders., Deutsch-südosteuropäische Wirtschaftsgemeinschaft, 1943, S. 14, 68ff., 90–107. Vor allem die auf dem Clearingsystems und der Bilateralisierung der Handelsbeziehungen basierenden deutschen Handelspolitik führte zu diesen Abhängigkeitsverhältnisse, welche dem Deutschen Reich die Möglichkeit bot, auch politischen Einfluss einzunehmen und eine Art „informeller“ Kontrolle auszuüben Vgl. Thörner 2008, S. 440–447, 473–488, Corni/Gies 1997, S. 521, 529. Vgl. UAMs, Bestand 10, Nr. 6541, Schreiben vom 30.9.1945 „Schilderung der gegenwärtigen Situation“, ebd., Bestand 5, Nr. 560, „Handschriftlicher Lebenslauf Seraphims“ vom

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Professor Dr. Walther Hoffmann (1903–1971), der mit der Leitung der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Münster betraut worden war, an Seraphim mit dem Anliegen heran, einen Lehrauftrag für das Fach Agrarwirtschaftslehre zu übernehmen.92 Bis zur endgültigen offiziellen Berufung Seraphims auf den Lehrstuhl für Agrarwirtschaftslehre sollten jedoch noch fast drei Jahre vergehen, da seine Entnazifizierung – zumindest zunächst – nicht seinen Erwartungen entsprechend verlief. Resultat der ersten Überprüfung war, dass Seraphim im November 1945 durch Beschluss der Militärregierung von seiner Stelle im Landesamt für Statistik suspendiert wurde.93 Hiergegen legte Seraphim am 21. Februar 1946 schriftlich Einspruch ein. Seine Berufung hatte Erfolg, sodass er ab dem Sommersemester 1946/47 kommissarisch den Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Agrarwirtschaft an der Universität Münster vertreten konnte.94 Für eine endgültige Berufung auf diese Stelle war jedoch eine Einreihung Seraphims in das inzwischen fünfstufige Kategorisierungssystem im Rahmen der Entnazifizierung notwendig.95 Auch diesmal widersprach die Entscheidung der zuständigen Ausschüsse seinen Erwartungen, als er am 22. September 1947 aufgrund seiner SA-Mitgliedschaft in Kategorie IV („Mitläufer“) eingestuft wurde. Er legte abermals Einspruch vor dem

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15.9.1947, LAV NRW R, NW 1039–S, Nr. 133, „Fragebogen der Militärregierung“ vom 14.6.1946. Die Zeit unmittelbar nach der Flucht aus Breslau ist nur fragmentarisch dokumentiert und kann lediglich anhand weniger Fakten umrissen werden. Bekannt ist, dass Seraphim zunächst einen Forschungsauftrag am „Institut für Weltwirtschaft“ in Kiel erhielt, über dessen Inhalt jedoch keine genaueren Informationen vorliegen. Interessant ist dieser Umstand dennoch, da dieses Institut während des Nationalsozialismus vor allem unter seinem damaligen Leiter Andreas Predöhl (1893–1974) zahlreiche Expertisen für Politik und Wirtschaft erstellte. Vgl. Petersen 2009, S. 57–79. Zur „Überbrückung“ vermittelte Hoffmann Seraphim einen Forschungsauftrag bei der Siedlungsgesellschaft „Rote Erde“ des Provinzialverbandes Westfalen und eine Stelle als stellvertretender Leiter beim Statistischen Landesamt in Münster. Vgl. UAMs, Bestand 31, Nr. 95, Schreiben vom 3.8.1945 „Anfrage bezüglich der Erfüllung eines Lehrauftrages“, ebd., Bestand 10, Nr. 6541, Melde- und Personalbogen zum Bundesgesetz nach Art. 131 GG, 31.7.1951, LAV NRW R, 1039–S, Nr. 459, „Fragebogen der Militärregierung“ vom 12.9.1945, ebd., NW 172, Nr. 646, Schreiben vom 26.9.1946 „Bezüglich eines Lehrauftrages an Hans-Jürgen Seraphim“. Grund war hierfür anscheinend Seraphims Stellung als Leiter des Landesverbandes des Vereins für das Deutschtum im Ausland von 1931 bis 1935. LAV NRW R, 1039–S, Nr. 459, Vermerk es Kultusministers des Landes Nordrhein-Westfalen vom 14.10.1947 „Enthebung Seraphims“. Am 20. August 1946 wurde Seraphim durch die deutschen Sichtungsausschüsse in Münster und durch den Kontrollrat der Militärregierung in seinem Amt bestätigt. Vgl. ebd., Mitteilung vom 9.9.1946 „Bestätigung durch die deutschen Ausschüsse“, LAV NRW R, NW 1039–S, Nr. 459, Gutachten vom 21.6.1946 „Begründung des Sichtungsausschusses der Universität Münster für die baldige Eingliederung Seraphims in den Hochschulbetrieb der Universität Münster“. Vgl. Respondek 1995, S. 213, Lange 1976, S. 47.

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Berufungsausschuss der Stadt Münster ein und wurde schließlich durch die deutschen Ausschüsse der Stadt Münster und am 13. April 1948 durch den Sonderbeauftragten für Entnazifizierung des Landes Nordrhein-Westfalen in die Kategorie V („Entlastete“) eingestuft.96 Seiner offiziellen Berufung an die Universität Münster stand nun nichts mehr im Wege, sodass seine Ernennung auf den ordentlichen Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Agrarwirtschaft zum 21. Juni 1948 erfolgen konnte.97 Grundsätzlich stellt sich die Frage, wie Seraphim eine Einstufung in die Kategorie V als „Entlasteter“ erwirken konnte, war er doch zunächst als „Mitläufer“ kategorisiert worden. Seraphim nutzte die Möglichkeit, Zeugen zu seiner politischen Entlastung zu benennen und sich von ihnen so genannte „Persilscheine“ ausstellen zu lassen. Diese fügte er als „Beweismaterial“ in Form von einfachen und Eidesstattlichen Erklärungen sowie als Gutachten seinen Fragebögen beziehungsweise Einspruchsschreiben bei, um seine politische Unbescholtenheit zu dokumentieren.98 Ein zentraler Punkt in der „Entlastungsstrategie“ Seraphims und im Vergleich mit anderen Entnazifizierungsverfahren alles andere als untypisch stellte somit die Nutzbarmachung alter sozialer Netzwerke dar.99 Zudem war es Seraphim als Akademiker möglich, durch seine rhetorischen und argumentativen Fähigkeiten die entlastenden Aussagen zu einem logischen und in sich stimmigen Gesamtbild zusammenzufügen und unter sachlichen Gesichtspunkten zusammenzufassen.100 Dabei lassen sich folgende argumentative Schwerpunkte in seiner Selbstdarstellung fest machen: Seraphim versuchte seine Mitgliedschaften in NS-Gliederungen und im Verein für das Deutschtum im Ausland zu verharm-

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Auch diesmal zog sich die Angelegenheit wieder länger hin, da eine Berufungsmöglichkeit gegen eine Einstufung in Kategorie IV zunächst juristisch nicht bestanden hatte. Vgl. UAMs, Bestand 31, Nr. 95, Einspruchsschreiben vom 15.10.1947 „Seraphim an den deutschen Entnazifizierungsausschuss in Münster“, „Entlastungszeugnis“ vom 25.5.1948, LAV NRW R, NW 1039–S, 1338, „Zweites Einspruchsschreiben“ vom 1.3.1948 „An den Berufungsausschuss für Entnazifizierung der Stadt Münster“, Einreihungsbescheid vom 22.9.1947 „Einreihung Seraphims in Kategorie IV“. Vgl. UAMs, Bestand 5, Nr. 560, Erlass vom 31.8.1948 „Ernennung zum ordentlichen Professor an der Universität Münster und Direktor des Instituts für Genossenschaftswesen“. Insgesamt legte Seraphim mehr als dreißig Entlastungszeugnisse vor. Er wählte offensichtlich bewusst Personen, die bereits durch die Ausschüsse der Militärregierungen als entlastet und in ihren Positionen anerkannt worden waren. In Seraphims Fall sind besonders die Erklärungen Hermann Aubins, Andreas Predöhls, Friedrich Breckners und Reinhard Maurachs interessant, welche trotz ihrer Verstrickung in die deutsche Ostforschung der NS-Zeit und – im Falle Breckners – sogar offensichtlicher Nähe zur NSDAP, bereits zum damaligen Zeitpunkt wieder in das Hochschulsystem integriert waren. Vgl. LAV NRW R, NW 1039–S, Nr. 459 und Nr. 1338. Vgl. Petersen 2007, S. 258f. Petersen bezeichnet dies im Sinne Pierre Bourdieus als „kulturelles Kapital“. Vgl. ebd., S. 259.

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losen.101 Hinsichtlich seiner SA-Mitgliedschaft schreckte er auch nicht vor Lüge als Mittel zu seiner Entlastung zurück.102 Im Prinzip sei er ein absolut unpolitischer, dem Nationalsozialismus und seiner Ideologie fern stehender Akademiker und Mensch gewesen.103 Unterstrichen werden sollte dies sowohl durch die mehrfache Schilderung bestehender „Konfliktsituationen“ mit den nationalsozialistischen Machthabern als auch durch Situationen, in welchen Seraphim in gewisser Hinsicht persönlich „widerständig“ geworden sein soll.104 Ein letzter wichtiger Argumen101

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Seine Funktion als Leiter des Landesverbandes Mecklenburg des Vereins für das Deutschtum im Ausland beziehungsweise die Rolle des Vereins innerhalb der nationalsozialistischen Kulturarbeit marginalisierte er. So führte er mehrere Zeugen auf, die aussagten, dass der Verein eine überparteiliche, überkonfessionelle und staatlich unabhängige Organisation gewesen sei, die dem Nationalsozialismus und jeglichen nationalistischen Tendenzen fern stand und in ihrer „kulturellen“ Arbeit auf „Völkerverständigung“ zielte. Er selbst sei – angeblich nachdem sich der Einfluss durch den Nationalsozialismus bemerkbar machte, wofür sich aber vor 1945 keine Hinweise finden lassen – von seinem Posten als Leiter des Landesverbandes Mecklenburg zurückgetreten. Dabei wird die Tatsache verschwiegen, dass der Verein für das Deutschtum im Ausland sehr wohl bereits unmittelbar nach 1933 mit seiner „Selbst-“Gleichschaltung begann und als „Propagandaeinheit“ der NS-Volkstumsarbeit fungierte. Vgl. LAV NRW R, NW 1039–S Nr. 459, Einspruchsschreiben vom 21.2.1946, Erklärungen verschiedener Personen „Anlage 16–23 zum Einspruchsschreiben vom 21.2.1946“, UAMs, Bestand 5, Nr. 560, Einspruchsschreiben Seraphims, undatiert (ca. November 1945); Fahlbusch 1999, S. 106f. Seraphim gab zwar seine leitende Funktion und Mitgliedschaft im Verein für das Deutschtum im Ausland sowie seine Mitgliedschaften in SA und NSV an, nicht jedoch die im NSJuristenbund und NS-Lehrerbund. Zudem waren die Angaben seine SA-Mitgliedschaft betreffend nicht korrekt. Er gab an, erst im Mai 1934 in die SA eingetreten zu sein (ab Mai 1934 war er lediglich Mitglied der SA-Reserve). Tatsächlich war dies jedoch bereits im Oktober 1933 der Fall. Zudem schilderte er, dass sein Eintritt nur unter Druck des damaligen Rostocker Rektors erfolgt sei. Dem widerspricht die Aussage eines Rostocker Kollegen, Wilhelm Schüssler (1888–1965). Dieser teilte dem Leipziger Rektor 1934 mit, Seraphim sei der „erste Dozent“ an der Universität Rostock, der in die SA eingetreten sei. Vgl. UAL, Personalakten, Nr. 887, Bl. 4, Schreiben vom 23.6.1934 „Schüssler an den Rektor der Universität Leipzig“, LAV NRW R, NW 1039–S, Nr. 1338, Schreiben vom 1.3.1948 „Einspruch Seraphims gegen Einreihung in Kategorie IV“, „Ausgefüllter Fragebogen der Militärregierung“ vom 14.6.1946. Ebd., Einspruchsschreiben vom 15.10.1947 „Seraphim an den Berufungsausschuss für Entnazifizierung in Münster“, ebd., NW 1039–S Nr. 459, Einspruchsschreiben vom 21.2.1946, Erklärungen verschiedener Personen „Anlage 1–7, 9, 11f., 24, 32 zum Einspruchsschreiben vom 21.2.1946“. So finden sich in Seraphims eigenen Erklärungen als auch in denen seiner Fürsprecher Schilderungen darüber, wie Seraphim sich in heiklen Situationen für ausländische Mitarbeiter einsetzte, sich immer wieder weigerte, der NSDAP beizutreten und Diskussionen zwischen nicht-nationalsozialistischen und nationalsozialistischen Studenten zuließ, weshalb er durch den NS-Dozentenbund äußerst skeptisch betrachtet worden sei. Auch die 1934/35 gegen seine Familie erhobenen Anschuldigungen, sie sei jüdischer Abstammung, und die damit einhergehende Ablehnung seiner Berufung nach Breslau, werden ausführlich geschildert. Vgl. LAV NRW R, NW 1039–S, Nr. 459, Einspruchsschreiben

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tationsstrang in Seraphims Entlastungsstrategie war seine (Selbst-) Darstellung als objektiver Wissenschaftler, indem er seine eigene Arbeit als sachlich und objektiv darlegte und von der „Propaganda“ der Nationalsozialisten abgrenzte.105 Seraphim konnte sich mit Hilfe der zahlreichen Entlastungszeugen als unpolitischer Akademiker darstellen, welcher eine unabhängige und objektive Wissenschaft betrieb und sich auf persönlicher Ebene moralisch einwandfrei und beinahe widerständig verhielt. Er wandte dazu vor allem drei „strategische“ Mittel an: Lüge, Leugnung und Beschönigung. Die Schilderung seiner Entnazifizierung gibt somit Aufschluss darüber, wie sich Seraphim nach dem Ende des Nationalsozialismus auf die neuen politischen Machtverhältnisse einstellte, wie er sich Lücken im System der Entnazifizierung zu Nutze machte und so letztlich sein Ziel – die Wiedereingliederung als ordentlicher Professor in den Hochschulbetrieb – erreichte.

Seraphim an der Universität Münster – das Institut für Genossenschaftswesen und das Institut für Siedlungs- und Wohnungswesen Mit Seraphims offizieller Berufung nach Münster wurde er gleichzeitig zum Direktor des Instituts für Genossenschaftswesen ernannt.106 Das Institut war von Anfang an eng mit der genossenschaftlichen und wirtschaftlichen Praxis verbunden.107 Es war in seinem Aufbau interdisziplinär ausgerichtet und bestand aus vier Abteilun-

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vom 21.2.1946, Erklärungen verschiedener Personen „Anlagen 1, 9, 13, 15, 33 zum Einspruchsschreiben vom 21.2.1946“, ebd., NW 1039–S, Nr. 1338, Einspruchsschreiben vom 15.10.1947 „Seraphim an den Berufungsausschuss für Entnazifizierung in Münster“. Es wird mehrfach betont, dass Seraphim eine „wirklich wissenschaftliche Nationalökonomie“ betrieben und in der Tradition Max Serings agrarwirtschaftliche Grundsätze verfolgt habe, die mit denen der Nationalsozialisten grundsätzlich nicht vereinbar gewesen seien. Vor allem wurde jedoch immer wieder besonders betont, dass erst unter der Leitung Seraphims das Osteuropa-Institut wirklich „wissenschaftlich“ arbeiten konnte. Vgl. LAV NRW R, NW 1039–S, Nr. 459, Erklärungen verschiedener Personen „Anlagen 7a, 7b, 8–13, 24ff., 29 zum Einspruchsschreiben vom 21.2.1946“. Tatsächlich war er bereits schon seit der Gründung des Instituts am 17.12.1947, welche er maßgeblich mit in die Wege geleitet hatte, mit der vertretungsweisen Leitung desselben beauftragt worden. Vgl. UAMs, Bestand 9, Nr. 460, Protokoll vom 18.12.1947 „Gründungssitzung des Instituts für Genossenschaftswesen an der Universität Münster“, Erlass vom 16.2.1948 „Ernennung Seraphims zum kommissarischen Leiter des Instituts“. Aus diesem Grund stand dem Institut ein Förderrat bei, welcher die rechtsmäßige Form eines Vereins hatte und sich aus den vier genossenschaftlichen Spitzenverbänden, zahlreichen Fachverbänden, ländlichen und gewerblichen Regionalverbänden, Zentralinstituten, Ministerien und kommunalen Verwaltungsinstitutionen zusammensetzte. Vgl. UAMs, Bestand 9, Nr. 460, Protokoll vom 18.12.1947 „Gründungssitzung des Instituts für Genossenschaftswesen an der Universität Münster“, ebd., Bestand 9, Nr. 1730, Tätigkeitsberichte des Instituts für Genossenschaftswesen aus den Jahren 1951 und 1955, Bestand 9, Nr. 1731, Tätigkeitsberichte des Instituts für Genossenschaftswesen aus den Jahren 1956/57 und 1958/59; Bonus 1998, S. 25–28, Aschhoff 1972, S. 10.

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gen. Die volkswirtschaftliche Abteilung, dessen Leitung bei Seraphim lag, befasste sich sowohl mit dem deutschen als auch mit dem ausländischen Genossenschaftswesen.108 Aufgabe des Instituts war neben der interdisziplinären Erforschung der Probleme des modernen deutschen und ausländischen Genossenschaftswesens, die gewonnenen Ergebnisse der Praxis in Form von Vorträgen und Publikationen zugänglich zu machen, in genossenschaftlichen Organisationen mitzuwirken und sich an der Ausbildung des „genossenschaftlichen Nachwuchses“ zu beteiligen. Die Anfertigung von Gutachten und die Auskunftserteilung durch die Mitarbeiter stellte ebenfalls eine der Hauptaufgaben des Instituts dar.109 Diesen Aufgaben nachkommend betrieb das Institut eine, durch seinen Aufbau bedingte, breit angelegte Erforschung genossenschaftlicher Probleme. Exkursionen im In- und Ausland bildeten eine wichtige Arbeitsgrundlage für die Mitarbeiter des Instituts für Genossenschaftswesen, die eine Vielzahl von Forschungsaufträgen bearbeiteten, welche seitens der Politik, Verwaltung und Wirtschaft an das Institut herangetragen wurden.110 Die in den Tätigkeitsberichten aufgeführten Forschungsaufträge, Veröffentlichungen und Vorträge lassen erkennen, dass Seraphim sich im Rahmen des Instituts vermehrt soziologischer Fragestellungen und Problemen des ausländischen Genossenschaftswesens zuwendete. Er sprach als geschäftsführender Direktor regelmäßig auf in- und ausländischen Tagungen und Zusammenkünften vor Genossenschaftsverbänden, Hochschulen, genossenschaftlichen Forschungsinstituten sowie Vertretern der Wirtschaft.111 Im Mai 1956 richtete das Institut für Genossenschaftswesen unter seiner Leitung als treibende Kraft die erste internationale Genossenschaftstagung aus, an welcher „führende Praktiker der wichtigsten Genossenschaftssparten und Wissenschaftler aus den meisten westeuropäischen

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Des Weiteren bestanden eine Abteilung für Betriebswirtschaft, eine Abteilung für Genossenschaftsrecht und eine Abteilung für Steuerrecht einschließlich öffentlichen Rechts der Genossenschaften. Vgl. Aschhoff 1972, S. 9. Vgl. UAMs, Bestand 9, Nr. 460, Protokoll vom 18.12.1947 „Gründungssitzung des Instituts für Genossenschaftswesen an der Universität Münster“. Die volkswirtschaftliche Abteilung unter der Leitung Seraphims bearbeitete unter anderem 1956 einen Auftrag vom Bundeswirtschaftsministerium über das „Verhältnis der Mitglieder zu ihrer Genossenschaft“. Seraphim reiste zudem im April 1955 nach Frankreich und im Juli/August 1956 nach Finnland, um sich mit den dortigen Problemen und Fragen des Genossenschaftswesens auseinander zu setzen. Außerdem führte er 1958/59 eine Untersuchung über die Probleme des Genossenschaftswesens in den Entwicklungsländern (Griechenland und Italien) durch. Vgl. UAMs, Bestand 9, Nr. 1730, Tätigkeitsbericht des Instituts für Genossenschaftswesen von 1955, Bestand 9, Nr. 1731, Tätigkeitsbericht des Instituts für Genossenschaftswesen von 1956/57. Seraphims Themenschwerpunkte lagen dabei vor allem auf Fragen über genossenschaftliche Marktprobleme, Aufgaben der ländlichen Genossenschaften, Probleme der deutschen Agrarpolitik und über „soziologische“ Fragen (genossenschaftliche Gesinnung). Vgl. UAMs, Bestand 9, Nr. 1730, Tätigkeitsberichte des Instituts für Genossenschaftswesen 1951 und 1955.

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Ländern“ teilnahmen.112 Schließlich wurden die Ergebnisse der Forschungen im Rahmen von Arbeitskreisen diskutiert, wo auch neue Problematiken und Forschungsfragen erörtert wurden. An diesen Arbeitskreisen nahmen wiederum Vertreter der Wirtschafts- und Genossenschaftspraxis, von Behörden sowie ähnlich ausgerichteter Institute teil.113 Diese kurze Beschreibung des Instituts für Genossenschaftswesen unter der Leitung Seraphims zeigt, dass er es sich auch hier wieder – wie bereits zuvor in Rostock, Leipzig und Breslau – zur Aufgabe gemacht hat, das ihm unterstehende Institut auf eine enge Zusammenarbeit mit der wirtschaftlichen Praxis, Politik und Verwaltung auszurichten. Somit hatte sich offensichtlich an seinem Leitbild einer praxisbezogenen Wissenschaft auch nach 1945 nichts geändert. Dies galt jedoch nicht nur für das Instituts für Genossenschaftswesen, sondern auch für das zweite von Seraphim geleitete Münstersche Institut, das Forschungsinstitut für Siedlungs- und Wohnungswesen, dessen alleinige Leitung ab Frühjahr 1950 bei ihm lag.114 Mit der Übernahme der Direktion des Instituts war die Aufgabe seiner Reorganisation verbunden. Vor allem sollten die Forschungsfelder des Instituts auf die Untersuchung der ländlichen und landwirtschaftlichen Siedlung ausgeweitet werden. Seraphim konnte damit seinen seit Ende der 1920er-Jahre verfolgten eigenen Forschungsschwerpunkt in seine neue Wirkungsstätte einbringen. Nach Abschluss der Reorganisation im Jahr 1952 existierten unter seiner Leitung die fünf Referate „Städtisches Wohnungs- und Siedlungswesen“, „Ländliches Siedlungswesen und Agrarpolitik“, „Finanzierung“, „Soziologische Abteilung“ und „Landwirtschaftliche Betriebswirtschaft“.115 Seraphim scheint sich im Falle des Forschungsinstituts für Siedlungs- und Wohnungswesen auf die Aufgabe der Gesamtleitung und Repräsentation dieser Institution konzentriert zu haben. Im Rahmen der Reorganisation des Forschungsinstituts für Siedlungs- und Wohnungswesen – welches damals noch die Bezeichnung „Forschungsstelle“ trug – forcierte Seraphim eine stärkere Anbindung an die Universität Münster. Das Forschungsinstitut wurde in erster Linie aus finanziellen Gründen der Rechts- und 112 113

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Vgl. Bonus 1998, S. 29f. Vgl. UAMs, Bestand 9, Nr. 1730, Tätigkeitsberichte des Instituts für Genossenschaftswesen aus den Jahren 1951 und 1955, ebd., Bestand 9, Nr. 1731, Tätigkeitsberichte aus den Jahren 1956/57 und 1958/59. Anders als das Institut für Genossenschaftswesen bestand das „Forschungsinstitut für Siedlungs- und Wohnungswesen an der Universität Münster“ als „Forschungsstelle“ bereits seit dem 9. Juni 1929. Seraphim war seit dem 9. April 1948 zweiter wissenschaftlicher Leiter des Instituts. Vgl. Seraphim, 25 Jahre, 1956, S. 4, 19f., Burberg 1979, S. 755. Zuvor hatte der Arbeitsschwerpunkt auf der Untersuchung von Problemen des städtischen Wohnungswesens und Wohnungsbaus gelegen. Darüber hinaus betrachtete Seraphim es als dringlich, die soziologische Aspekte sowie die Fragen der Finanzierung das Siedlungs- und Wohnungswesen zu berücksichtigen. Das Referat für betriebswissenschaftliche Fragen wurde ab 1954 ausgebaut. Vgl. Seraphim, Die Aufgaben, 1950, S. 1, ders., 25 Jahre, 1956, S. 21f., Archiv des Instituts für Siedlungs- und Wohnungswesen Münster, ohne Signatur, Tätigkeitsbericht für die Jahre 1952 und 1955/56.

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Staatswissenschaftlichen Fakultät unterstellt. Dennoch sollte auch weiterhin seine Unabhängigkeit hinsichtlich Ausrichtung und Aufbau gewahrt bleiben.116 Nachdem in den ersten Jahren Fragen zur Behebung der Wohnungsnot und des Wiederaufbaus der zerstörten Städte sowie die Eingliederung der Flüchtlinge und Vertriebenen, die Bodenreform und die landwirtschaftliche Siedlung im Vordergrund der Arbeit standen, traten im Laufe der 1950er-Jahre andere Forschungsfragen wie Fragen der Raumordnung, des Städtebaus und der Agrarpolitik in den Mittelpunkt.117 Auch hier wurden die Institutsarbeit und deren Ergebnisse in erster Linie durch verschiedene Publikationen, Tagungen, Vortragsveranstaltungen und durch einen im Herbst 1952 geschaffenen „Arbeitskreis über Fragen des ländlichen Siedlungswesen“ der Öffentlichkeit und allen möglichen Interessenten zugänglich gemacht. Seraphims Vortragstätigkeit war auch hier äußerst umfangreich. Dabei waren die meisten seiner Vorträge, die die verschiedensten thematischen Fragen des Siedlungs- und Wohnungswesens betrafen, mit seinen im Rahmen des Forschungsinstituts entstandenen Publikationen identisch.118 Auch im Falle des Forschungsinstituts für Siedlungs- und Wohnungswesen dienten als „Basis“ der Forschungen regelmäßige regionale und überregionale Exkursionen und wissenschaftliche Studienreisen im In- und Ausland.119 Weitere wichtige Arbeitsgrundlagen des Forschungsinstituts stellten die Forschungsaufträge seitens der Bundes- und Landesregierung, der Siedlungsgesellschaften und anderer interessierter Instanzen dar.120 Eine wichtige materielle Grundlage bildeten die Förderungen der „wohnungswirtschaftlichen Praxis“ und entsprechender Ministerien, wie des Bundesminis-

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Ein von Beginn an zur Förderung der bisherigen Forschungsstelle bestehender Verein, welcher nun die Bezeichnung „Fördergesellschaft des Instituts für Siedlungs- und Wohnungswesen der Westfälischen Wilhelms-Universität zu Münster e. V.“ trug, blieb weiterhin als wichtiges Element des Instituts bestehen. Diese Fördergesellschaft setzte sich aus verschiedenen privaten Personen, Siedlungs- und Baubanken sowie verschiedenen Vereinen und Stellen der Verwaltung, der Wirtschaft und der kommunalen politischen Ebene zusammen. Vgl. ebd., Tätigkeitsberichte 1951 bis 1962, Seraphim, 25 Jahre, 1956, S. 27, Burberg 1979, S. 756. Vgl. Seraphim, 25 Jahre, 1956, S. 22f., Burberg 1979, S. 755. Seraphim hielt Vorträge über wohnungs- und siedlungswirtschaftliche Probleme sowie Strukturprobleme des Vestes Recklinghausen, über generelle Siedlungsfragen und Wohnungsbau (innere Kolonisation und Siedlung Finnlands, sozialer Wohnungsbau, die volkswirtschaftliche Bedeutung des Wohnungsbaus im Ruhrgebiet, Wohnungswirtschaft an Rhein und Ruhr, die Stahlarbeiter-Wohnungsbau AG, Miete und Wirtschaft), über agrarwirtschaftliche Fragen des In- und Auslandes (europäisches Bauerntum und die europäische Agrarunion, Probleme der ländlichen Arbeitsverfassung in Westfalen, aktuelle Probleme der deutschen Agrarpolitik). Vgl. Archiv des Instituts für Siedlungs- und Wohnungswesen Münster, ohne Signatur, Tätigkeitsberichte der Forschungsstelle für Wohnungs- und Siedlungswesen der Jahre 1950 bis 1962. Vgl. Seraphim, 25 Jahre, 1956, S. 26f. Vgl. ebd., S. 24.

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teriums für Wohnungsbau.121 Der praxisnahe Bezug war somit auch im Falle des Forschungsinstituts für Siedlungs- und Wohnungswesen konstitutionell festgelegt.

Die Arbeitsgemeinschaft für Osteuropaforschung und Seraphims „außeruniversitäre“ Tätigkeit Seraphim war an der Universität Münster jedoch nicht nur Hochschullehrer und Leiter der bereits vorgestellten Institute, sondern auch Mitglied der Arbeitsgemeinschaft für Osteuropaforschung.122 Diese wurde am 25. Juli 1951 zur „Förderung ostdeutscher und osteuropäischer Studien“ gegründet und stellte eine interdisziplinäre Arbeitsgemeinschaft an der Universität Münster dar.123 Die Initiative zur Gründung ging auf den Kultusminister des Landes Nordrhein-Westfalens und auf verschiedene Münstersche Professoren zurück, welche sich wissenschaftlich, aber auch persönlich für den osteuropäischen Raum interessierten. Ziel war es, „die wissenschaftlichen Traditionen der ehemaligen Universitäten in den deutschen Ostgebieten aufzunehmen und fortzusetzen“ sowie die „Stellung des Deutschtums innerhalb der geschichtlichen Entwicklung des osteuropäischen Raumes“ zu bestimmen.124 Die Arbeitsgemeinschaft kann somit als repräsentativ für bestehende Bestrebungen während der 1950er-Jahre betrachtet werden, die darauf zielten, die Tradition der deutschen „Ostforschung“, vor allem institutionell, wiederzubeleben.125 Die Mitgliedschaft Seraphims in der Arbeitsgemeinschaft für Ostforschung ist der einzige aussagekräftige Hinweis darauf, dass er sich nach 1945 überhaupt noch 121

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Vgl. Archiv des Instituts für Siedlungs- und Wohnungswesen Münster, ohne Signatur, Tätigkeitsberichte der Forschungsstelle für Wohnungs- und Siedlungswesen der Jahre 1955/56 und 1958/59. Die Arbeitsgemeinschaft für Osteuropaforschung wurde als „Forschungsgemeinschaft für Ostfragen“ gegründet. 1955 wurde sie in „Arbeitsgemeinschaft für Ostforschung“ umbenannt. Ab 1962 trug sie die Bezeichnung „Arbeitsgemeinschaft für Osteuropaforschung“. Vgl. Oberländer 1992, S. 192. UAMs, Bestand 221, Nr. 18, Notizen vom 4.2.1971 „Sitzung der Arbeitsgemeinschaft am 5.2.1971“. Ebd., Bestand 196, Nr. 1, Bericht vom 12.2.1952 „Über die Forschungsgemeinschaft für Ostforschung“. Dieses Vorhaben wurde von zahlreichen, inzwischen nach Westdeutschland verzogenen „Ostforschern“ vor allem über die Reaktivierung alter Netzwerke vorangetrieben. Ein gut erforschtes Beispiel stellt der so genannte „Göttinger Arbeitskreis“ dar, welcher sich überwiegend aus ehemaligen Königsberger „Ostforschern“ wie dem Historiker Werner Conze oder dem Agrarwissenschaftler Theodor Oberländer zusammensetzte. Dominierend waren bei all diesen „Reaktivierungsversuchen“ in erster Linie revisionistische Bestrebungen. Zudem ist erkennbar, dass sich Forschungsmethoden und -theorien nur unwesentlich geändert hatten, was am Beispiel Hermann Aubins besonders deutlich wird, der seine alten Texte in kaum veränderter Form nun erneut herausgab. Vgl. Krzoska 2008, S. 460–463.

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in irgendeiner Art und Weise auf dem Forschungsgebiet der Ost- beziehungsweise Osteuropaforschung betätigte. Gleichwohl sind auch hier die Informationen spärlich. Seraphim zählte von Anfang an zu den Mitgliedern der Arbeitsgemeinschaft und war bei allen konstituierenden Sitzungen anwesend. Eine umfassendere oder gar führende Stellung hatte Seraphim in der Arbeitsgemeinschaft jedoch nie eingenommen.126 Zudem setzte er sich im Rahmen der Arbeitsgemeinschaft für die Abhaltung und Veröffentlichung von Vorträgen und Publikationen ihm bekannter Personen ein.127 Er selbst betonte in einem Schreiben an den Rektor vom Januar 1958, dass er zwar weiterhin gerne an Arbeitssitzungen der Arbeitsgemeinschaft teilnehme, jedoch betrachtete er sich „nur noch als bedingt fachkundig auf diesem Gebiet“, weshalb er für eine „produktive Tätigkeit“ kaum zu verwenden sei.128 Neben seinen universitären Verpflichtungen war Seraphim ab März 1953 Mitglied im Forschungsbeirat für Fragen der Wiedervereinigung Deutschlands, ein zwischen 1952 und 1975 bestehendes und vom Bundesministerium für Gesamtdeutsche Fragen gegründetes Gremium zur Untersuchung der Verhältnisse in der DDR und zur Ausarbeitung von Maßnahmen im Falle einer Wiedervereinigung West- und Ostdeutschlands. Wichtiger Bestandteil des Forschungsbeirates war der so genannte „Forscherkreis“ als beratender wissenschaftlicher Beirat. Seraphim gehörte diesem „Forscherkreis“ bis 1958 an, hatte den Vorsitz der Arbeitsgemeinschaft „Wohnungs- und Siedlungswirtschaft“ und untersuchte in diesem Rahmen die Wohnverhältnisse in der DDR (dortiger Wohnungsbestand und Prognose des Wohnungsbedarfs im Falle einer Wiedervereinigung). Auf wessen Vorschlag hin Seraphim in den Beirat berufen wurde und aus welchen Gründen er bereits 1958 wieder ausschied, ist nicht bekannt.129 Außerdem war Seraphim ab 1952 Mitglied im Wirtschaftlichen Beirat des Bundesministeriums für Wohnungsbau, von 1956 bis 1961 Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses des „Vereins für Sozialpolitik“ und seit dem Jahr 1962 Mitglied des Beirats für Städtebau und Raumordnung.130 Nach Petersen hatte er zudem eine Dozentur an den Verwaltungs- und Wirtschafts126

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Vgl. UAMs, Bestand 221, Findbuch, Vorwort. Aus verschiedenen weiteren Schriftstücken geht hervor, dass er vor allem organisatorische Arbeiten übernommen zu haben scheint. Vgl. ebd., Bestand 221, Nr. 1, Bericht vom 12.2.1952 „Über die Forschungsgemeinschaft für Ostforschung“. So leitete er einen Vortrag seines Vetters Reinhard Maurach über „Sowjetisches Recht“ im Jahr 1962 in die Wege. Auch unterstützte er Veröffentlichungen seines Bruders PeterHeinz. Unter anderem eine 1951 erschienene Publikation mit dem Titel „Das Genossenschaftswesen in Osteuropa“. Vgl. UAMs, Bestand 221, Nr. 7, Schreiben vom 20.7.1961 und 26.2.1962 „Über den Vortrag Maurachs“, Nr. 3, Schreiben vom 11.7.1953 „Über die Veröffentlichung seines Bruders Peter-Heinz Seraphim“; Petersen 2007, S. 277f. Vgl. UAMs, Bestand 221, Nr. 15, Schreiben vom 30.1.1958 „Seraphim zu seiner Mitarbeit in der Arbeitsgemeinschaft“. Vgl. Gloe 2005, S. 87, 103, Wöller 2004, S. 85, Nützenadel 2005, S. 181. Vgl. UAMs, Bestand 5, Nr. 560, Mitteilung vom 6.10.1952 und 12.6.1962 (?) „An die Pressestelle der Universität Münster“; Buddrus 2007, S. 386.

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akademien in Dortmund und Hagen inne.131 Erwähnenswert sind außerdem zwei Studienreisen Seraphims während seiner Zeit in Münster. Zum einen unternahm er im Sommersemester 1949 eine Studienreise durch die USA. Diese Reise erfolgte auf Einladung der „Bipartéte Control Commission“ in Frankfurt a. M. und auf Veranlassung des US-Landwirtschaftsministeriums in Washington (United States Departement of Agriculture). Sie diente der agrarwissenschaftlichen Forschung und Ausbildung in den USA sowie der Kontaktaufnahme mit entsprechenden USamerikanischen Fachvertretern.132 Die zweite Studienreise Seraphims von August bis Oktober 1961 führte nach Mexiko. Dort untersuchte er die „mexikanischen Erfahrungen der genossenschaftlichen Landbewirtschaftung und ihre Bedeutung für die Entwicklung der Landwirtschaft“. Er unterbrach die Forschungen für zehn Tage, um eine offizielle „Beratertätigkeit“ an der Universität von Tegucigalpa in Honduras wahrzunehmen, über deren genaueren Umstände jedoch keine Informationen vorliegen.133

Die Forschungsschwerpunkte in Münster – ein Überblick Forschungsschwerpunkte Seraphims in Münster stellen agrar- und speziell siedlungspolitische Themen dar, was sich bereits auf institutioneller Ebene mit Blick auf das Forschungsinstitut für Siedlungs- und Wohnungswesen widerspiegelte. Auch im Rahmen des Instituts für Genossenschaftswesen dominierten in erster Linie agrarpolitische Fragestellungen. Die damaligen agrarpolitischen Probleme in Westdeutschland waren zahlreich. Vor allem die Zeit von 1945 bis 1949 war geprägt von einer permanenten Versorgungs- und Ernährungskrise, welche infolge der Festlegung der neuen Ostgrenze entlang der Oder-Neiße-Linie durch verringerte Produktionsflächen noch zusätzlich gestärkt wurde.134 Auch Seraphim benannte die damit zusammenhängenden Probleme in einer seiner ersten Schriften nach Wiederaufnahme seiner offiziellen Lehrtätigkeit 1948. Besonders die Frage, wie die massenhaft zugewanderten ostdeutschen Kriegsflüchtlinge in die westdeutsche Landwirtschaft zu integrieren seien, war für Seraphim von großer Bedeutung. Hinsichtlich einer Lösung der Versorgungsengpässe erachtete er eine Steigerung der landwirtschaftlichen Nahrungsproduktion – vor allem der Produktion von tierischen und pflanzlichen Fet131 132

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Vgl. Petersen 2007, S. 315f. Die Reise wurde auch vom „Ministerium für Ernährung und Landwirtschaft NRW“ angestoßen, welches Wert darauf legte, dass „ein Vertreter der wissenschaftlichen Agrarpolitik einer Hochschule des Landes Nordrhein-Westfalen an der Reise teilnahm“. Vgl. LAV NRW R, NW 174, Nr. 646, Antrag vom 31.7.1950 „Nachträgliche Erstattung von Reisekosten“, Antrag vom 29.3.1949 „Beurlaubung Seraphims für das Sommersemester 1949“. Vgl. ebd., Bericht vom 11.1.1962 „Über die Studienreise Seraphims und seine Beratertätigkeit“. Vgl. Feldenkirchen 1997, S. 268, Dix 2005, S. 78.

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ten, Milch, Eiern, Zucker sowie Obst und Gemüse – als unerlässlich. Dies auch, um dem wachsenden internationalen Konkurrenzdruck, der durch die Eingliederung der deutschen Wirtschaft in die Weltwirtschaft infolge des Marshallplans (1948– 1952) unausweichlich war, stand zu halten. Durch eine stärkere Erzeugung der genannten Produkte sollte eine Abhängigkeit vom Weltmarkt vermieden werden.135 Seraphim setzte sich hinsichtlich einer Lösung der Probleme eingehend mit der geplanten Agrar- und Bodenreform der westlichen Besatzungsmächte auseinander, welche vor allem die Aufhebung des Großgrundbesitzes und eine strukturierte und gut geplante Siedlung umfassen sollte.136 Er betonte den „strukturverändernden“ Charakter dieser Reform und ihre Bedeutung für die gesamte Volkswirtschaft.137 Vor allem hob er die Relevanz der Siedlung zur Behebung der bestehenden Probleme hervor, welche aber nur dauerhaft eine positive Wirkung zeigen könne, wenn sie ein „organischer Bestandteil der Agrarpolitik“ werde und nicht nur eine „Randerscheinung“ bleibe.138 Im Gegensatz zu seinen älteren Veröffentlichungen spielten für Seraphim nun allein produktionspolitische und soziale Motive der Siedlung eine Rolle, bevölkerungspolitische oder gar „nationalistisch-völkische“ blieben außen vor. Schließlich ging Seraphim in zahlreichen Texten auf die Bedeutung zunächst des deutschen, später auch des internationalen ländlichen Genossenschaftswesens ein. Diese könnten vor allem hinsichtlich einer Rationalisierung des Absatzes und der Produktion eine positive Wirkung ausüben, welche Seraphim für den sich zunehmend liberalisierenden Außenhandel als dringend erforderlich betrachtete.139 Er sprach den ländlichen Genossenschaften somit die Funktion einer „Selbstorganisation[en] der Landwirtschaft“ zu.140 Hatte sich Seraphim somit auf institutioneller Ebene bereits weitestgehend aus dem Gebiet der „Ostforschung“ – mit Ausnahme der Arbeitsgemeinschaft für Osteuropaforschung – zurückgezogen, so galt dies umso mehr für seine sonstige Forschungstätigkeit, speziell mit Blick auf seine Veröffentlichungen, wo keinerlei Hinweise darauf gegeben sind, dass er in diese Richtung nach 1945 noch einmal et135

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Interessant ist, dass Seraphim zwar diesbezüglich die Risiken der Einbindung der deutschen Wirtschaft in die Weltweltwirtschaft erwähnte, jedoch keinerlei antiliberalistische Tendenzen erkennen ließ, erachtete er diese doch noch zehn Jahre zuvor als „überholt“. Vgl. Seraphim 1949, S. 522–528. Dix betont, dass dabei die personellen und institutionellen Kontinuitäten erheblich auffälliger waren und fast „bruchlos“ alte Siedlungsprogramme übernommen und weitergeführt wurden. Vgl. Dix 2005, S. 78, 80, Feldenkirchen 1997, S. 266ff. Vgl. Seraphim 1949, S. 533, ders., Über einige Grundprobleme, 1953, S. 40f. Vgl. Seraphim, Siedlungspolitik und Agrarpolitik, 1956, hier vor allem S. 237. Vor allem die Absatzgenossenschaften würden seiner Ansicht nach zu einer Regulierung des Marktes und einer wirkliche Marktstrategie beitragen und somit eine stabilisierende Aufgabe und Bedeutung haben. Vgl. Seraphim, Die Bedeutung des Genossenschaftswesens, 1950, hier vor allem S. 11–14, 20. Vgl. Seraphim, Die Bedeutung der ländlichen Genossenschaften, 1953, S. 207.

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was publizierte. Aufgrund seines Amtes als Leiter des Forschungsinstituts für Siedlungs- und Wohnungswesen und des Instituts für Genossenschaftswesen widmete er sich während seiner Münsterschen Zeit hauptsächlich den damit einhergehenden Themengebieten. Als bedeutendste Veröffentlichungen Seraphims nach 1945 sind somit vor allem die programmatischen Schriften über das Genossenschaftswesen und über aktuelle Probleme der Agrar- und Siedlungspolitik zu nennen.

Fazit Gemäß seinem Verständnis von Wissenschaft verfolgte Seraphim durchgängig vier Leitsätze: Wahrheitsfindung, Problemorientierung, Realitätsnähe und Praxisrelevanz. Er betrachtete die Funktion von Wissenschaft als eine der „praktischen“ Ebene – Politik und Wirtschaft – dienende. Dabei konnte Wissenschaft Seraphim zu Folge immer nur eine beratende Funktion erfüllen, indem sie die gegebenen Bedingungen untersuchte, informierte und Lösungsvorschläge zu vorhandenen Problemen unterbreitete. Nach diesen Grundsätzen richtete Seraphim sowohl vor als auch nach 1945 alle von ihm geleiteten Institute aus. Eine direkte Anbindung an Politik und Wirtschaft war dabei vielfach gegeben. Dies äußerte sich in der Besetzung der Kuratorien und Vorstände seiner Institute sowie in deren Förderung durch Ministerien, kommunalpolitische Institutionen und Verbände. Deutlich wird dies vor allem aber auch anhand der bewussten thematischen Ausrichtung seiner eigenen und der Arbeit der von ihm geleiteten Institute an den aktuellen Problemen und Forschungsfragen der jeweiligen Zeit. Probleme, an deren Lösung in erster Linie jene „praktische“ Ebene interessiert war. Damit einhergehend stellt sich die Frage, wo sich gegebenenfalls Kontinuitäten und Brüche in Seraphims wissenschaftlicher Arbeit und Argumentation – vor allem mit Blick auf seine Veröffentlichungen – feststellen lassen. Was den politischen „Umbruch“ 1933 betrifft, so lassen sich Kontinuitäten in erster Linie hinsichtlich der Betonung einer abgeblichen bevölkerungspolitischen und nationalen Bedeutung der Siedlung feststellen. Hingegen traten in seiner Argumentation soziale Aspekte (Ansiedlung von Landarbeitern und sozialer Aufstieg) in den Hintergrund.141 Seine Argumentation wurde nach 1933 zunehmend von völkischen Momenten bestimmt, indem er verstärkt den grenz- und auslandsdeutschen Volksgruppen sowie der Schilderung vermeintlicher Nationalitätenkämpfe Aufmerksamkeit widmete und das Theorem einer „volksgebundenen Wirtschaftsgestalt“ herausbildete, welche er zunächst über innerdeutsche Siedlung („Neuschaffung deutschen Bauerntums“) und später über Umsiedlung der Auslands- beziehungsweise Volksdeutschen und 141

Dies geschieht zugunsten rassisch-biologischer Motive, die sich zwar nur indirekt bei Seraphim finden lassen, aber dennoch in gewisser Hinsicht vorhanden sind, da er vor allem die agrar- und siedlungspolitischen Maßnahmen der Nationalsozialisten würdigte und rechtfertigte.

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der Neuordnung Osteuropas verwirklicht wissen wollte. In diesem Sinne rechtfertigte er auch den deutschen Angriffskrieg und die darauf folgenden Neuordnungspläne Osteuropas vorbehaltlos. Gleiches galt auch für die Zeit nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion, den „Wirtschaftsaufbau Ost“ sowie den Aufbau einer „kontinentaleuropäischen Wirtschaftsgemeinschaft“. Auch nach 1945 lassen sich Kontinuitäten und Brüche in Seraphims Arbeit finden. In erster Linie knüpfte er an seinen bereits zuvor verfolgten Forschungsschwerpunkt der Agrar- und Siedlungspolitik an. Allerdings unterstrich er nun in erster Linie die produktionspolitischen und sozialen Ziele der Siedlung. Eine bevölkerungspolitische, nationale oder gar völkische Argumentation fehlte gänzlich. So lässt sich in seinen nun erschienenen Schriften nirgends das zuvor so feingliedrig ausformulierte Theorem der „volksgebundenen Wirtschaftsgestalt“ wiederfinden. Ein erheblicher Bruch lässt sich zudem auch für Seraphims Beschäftigung mit dem Gebiet der „Ost-“ beziehungsweise „Südostforschung“ feststellen, aus dem er sich – mit Ausnahme seiner anscheinend marginalen Beteiligung in der Arbeitsgemeinschaft für Osteuropaforschung – gänzlich zurückzog. Dass dies nicht unbedingt typisch ist, zeigen Beispiele zahlreicher anderer „Ostforscher“, die nach 1945 darum bemüht waren, eine Reaktivierung des Faches zu erreichen. Schließlich bleibt zu fragen, wie das Verhältnis Seraphims zu Politik und Praxis – vor allem mit Blick auf den Nationalsozialismus – zu bewerten ist. Offensichtlich war Seraphim nach 1933 bereit, seine Arbeit inhaltlich an die neuen Gegebenheiten anzupassen und sich und seinen Instituten eine „zuarbeitende“ Funktion aufzuerlegen, die vor allem nach 1933 einer Art „Selbstgleichschaltung“ nahe kam. Mit Bezug auf Ash geschah eine bewusste und freiwillige Bereitstellung von „Ressourcen“, um sich wiederum andere Ressourcen nutzbar zu machen. Gemeint sind in erster Linie berufliche Vorteile, wie es der Ruf Seraphims nach Breslau und die ihm übertragende Leitung des Osteuropa-Instituts dargestellt haben dürften. Dass dabei das Osteuropa-Institut wie bereits zuvor das Institut für Mittel- und Südosteuropäische Wirtschaftsforschung in das Netzwerk der nationalsozialistischen deutschen „Ost-“ beziehungsweise „Südostforschung“ eingebunden waren, unterstreicht dieses Bild zusätzlich. Ob Seraphim aufgrund dieser institutionellen Verstrickungen und seiner propagandistischen Ausführungen zu den verantwortlichen Planern oder – nach Susanne Heim und Götz Aly – zu den „Vordenkern der Vernichtung“ zählte, kann allerdings nicht fundiert geklärt werden. Zumindest eine „wegbereitende“ Rolle kann aber nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Nicht nur auf beruflicher Ebene war Seraphim bereit, dem Regime entgegenzukommen. Dies galt ebenso auf der persönlichen Ebene, wie sowohl seine Mitgliedschaft in SA und weiteren NS-Gliederungen als auch die nach dem politischen Machtwechsel 1933 erfolgten öffentlichen „Treuebekundungen“ gegenüber dem neuen Machthabern zeigen.142 Auch wenn diese Entscheidungen und Handlungen 142

Seraphim bezeichnet diesen Machtwechsel als einen „Wendepunkt“ und den „Beginn einer umwälzenden Ära“ oder gar einer „Revolution“. Diese würde in der Tradition des

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sowie seine freiwillige, bewusste Zusammenarbeit mit dem nationalsozialistischen Regime anscheinend nicht aufgrund ideologischer Konformität oder Überzeugung, sondern aus karrierestrategischen Gründen geschah, wird deutlich, dass Seraphim alles andere als ein „Entlasteter“ war, als der er nach 1945 durch die Entnazifizierungsausschüsse bezeichnet wurde. Seine erfolgreiche Wiedereingliederung und Etablierung in den Hochschulbetrieb gelang aufgrund seiner strategischen und argumentativen Fertigkeiten, dem Rückgriff auf vorhandene alte Netzwerke und das bewusste Ausnutzen vorhandener Lücken im System der Entnazifizierung, sodass im Sinne Ashs eine „Um- oder Neugestaltung von Ressourcenensembles“ auch 1945 erfolgte. Wie eingangs erwähnt, stellen Person und Wirken Hans-Jürgen Seraphims in der historischen Aufarbeitung der nationalsozialistischen Agrarpolitik und Ostforschung weitestgehend noch ein Desiderat dar. Auch im Rahmen dieses Aufsatzes konnten nur einige Aspekte seiner Forschungen – vor allem aus der Zeit nach 1945 – umrissen werden.143 Offen bleibt außerdem eine nähere Untersuchung der Veröffentlichungen Seraphims aus seiner Zeit als Assistent und Referent der Wirtschaftsabteilung am Osteuropa-Institut in den Jahren 1922 bis 1927. Ebenso konnten bisher Seraphims außeruniversitäre Tätigkeiten nur ansatzweise beleuchtet werden. Eine Ergänzung der bisherigen Ergebnisse bleibt somit noch offen, würde aber das Bild vom Wissenschaftler Hans-Jürgen Seraphim weiter komplettieren.

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alten Kaiserreiches stehen und habe den unhaltbaren Zustand, der durch das „Versailler Diktat“ entstanden sei, beendet. Vgl. Seraphim, Das System, 1942, S. 5f., 32. So konnte lediglich eine Auswahl der nach 1945 erschienenen Schriften im Rahmen dieses Aufsatzes als auch in der bereits erwähnten Magisterarbeit der Verfasserin berücksichtigt werden.

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Abkürzungsverzeichnis ANSt ao. apl. AStA BA/MA BAB BAK BAM BDC BDM bes. Bl. cand. DAF DDP DDR ders. d. h. dies. Diss. DM DNVP Dr. des. Dr. jur. Dr. med. Dr. med. dent. Dr. phil. Dr. rer. pol. Dr. theol. DVP ebd. ev. geb. gest. Gestapo GStA h. c. Hg. HJ IfZ

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Arbeitsgemeinschaft Nationalsozialistischer Studentinnen außerordentliche/r außerplanmäßige/r Allgemeiner Studierenden-Ausschuss Bundesarchiv Militärarchiv Freiburg Bundesarchiv Berlin Bundesarchiv Koblenz Bistumsarchiv Münster Berlin Document Center Bund Deutscher Mädel besonders Blatt Candidatus Deutsche Arbeitsfront Deutsche Demokratische Partei Deutsche Demokratische Republik derselbe das heißt dieselbe Dissertation Deutsche Mark Deutschnationale Volkspartei Doctor designatus Doctor juris Doctor medicinae Doctor medicinae dentariae Doctor philosophiae Doctor rerum politicarum Doctor theologiae Deutsche Volkspartei ebenda evangelisch geboren gestorben Geheime Staatspolizei Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin honoris causae Herausgeber Hitlerjugend Institut für Zeitgeschichte München

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Abkürzungsverzeichnis

kath. katholisch KZ Konzentrationslager LAV NRW OWL Landesarchiv Nordrhein-Westfalen Abteilung Ostwestfalen-Lippe LAV NRW R Landesarchiv Nordrhein-Westfalen Abteilung Rheinland LAV NRW W Landesarchiv Nordrhein-Westfalen Abteilung Westfalen LWL-Archivamt LWL-Archivamt für Westfalen Münster nbao. nichtbeamteter außerordentlicher NS Nationalsozialismus NSDÄB Nationalsozialistischer Deutscher Ärztebund NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei NSDDB Nationalsozialistischer Deutscher Dozentenbund NSKK Nationalsozialistischer Kraftfahrerkorps NSDStB Nationalsozialistischer Deutscher Studentenbund NSLB Nationalsozialistischer Lehrerbund NSV Nationalsozialistische Volkswohlfahrt o. ordentliche/r o. J. ohne Jahr o. O. ohne Ort Orgesch Organisation Escherich Pg. Parteigenosse PRO Public Record Office London Prof. Professor/in REM Reichsministerium für Erziehung, Wissenschaft und Volksbildung RM Reichsmark RWTH Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule S. Seite SA Sturmabteilung der NSDAP SBB Staatsbibliothek Berlin SD Sicherheitsdienst der SS Sp. Spalte SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands SS Schutzstaffel der NSDAP StAHH Staatsarchiv Hamburg StAMs Stadtarchiv Münster TH Technische Hochschule UAL Universitätsarchiv Leipzig UAMs Universitätsarchiv Münster UAR Universitätsarchiv Rostock USA United States of America vgl. vergleiche WWU Westfälische Wilhelms-Universität z. B. zum Beispiel

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Personenregister Abels (Regierungsbaumeister) 1097 Achelis, Johann Daniel 448 Adam, Karl 316 Adenauer, Konrad 216, 439, 911 Adickes, Erich 571 Adler, Bruno 256, 257, 262, 275 Adler, Karl 425, 444, 446, 452, 453, 503, 520 Adler, Margarete, geb. Teutschbein 453 Allesch, Johannes von 1005–1007 Altevogt, Rudolf 809 Althoff, Theodor 959 Alzheimer, Alois 536 Ameln, Konrad 284, 287 Amelunxen, Rudolf 50, 232, 233, 236, 339, 663, 775, 1000 Ammon, Gerhard Fritz 919, 921 Anderson, Frederick A. 501 Andree, Julius 603, 615–617, 619–628, 631, 633–635 Anton, Gabriel 539 Apffelstaedt, Hans Joachim 609 Apffelstaedt, Max 414, 417, 420, 445, 627 Arend, Werner 989 Arneth, Joseph 414, 415, 418, 430, 478, 517 Arnold, Karl 1021 Aschaffenburg, Gustav 1038, 1040, 1041 Ascher, Karl W. 500 Aschhoff, Hans 1088 Atzler, Edgar 437–439 Aubin, Hermann 361, 665, 676, 1134, 1140 Auburtin, Angèle 844, 1016, 1018, 1020 Aumund, Heinrich 102, 435 Baader, Theodor 692–694, 704 Backe, Herbert 826, 827

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Baehnisch, Theanolte 933 Baeumler, Alfred 570, 764 Ballof, Johannes 322 Ballowitz, Emil 414, 416, 420, 431, 789 Ballowitz, Karl 456 Banzer, Karl 651, 658 Barth, Karl 142, 143, 146, 147, 150, 152, 157, 254–256, 259, 261, 263, 268, 279, 281, 286, 288, 291, 293, 294 Bartsch, Hans 920–922 Bastgen, Henny 456 Bauch, Bruno 576 Bauer, Erwin 957 Bauer, Hans 1007 Bauer, Karl 255, 257, 263, 275 Bauer, Ruth 937 Bauermann, Johannes 654, 657, 658, 664 Bauermeister, Wolfgang 516, 994 Baumecker, Georg 718, 719 Baumeister (Sanitätsrat) 466, 467 Baumeister, Erich 475 Baumeister, Walter 838, 842 Baumgärtel, Friedrich 285 Baumgarten, Franziska 1006 Baumstark, Anton 16, 38, 63, 64, 361, 363, 446, 448, 449, 471, 582, 621, 622, 710, 712–715, 797 Baur, Erwin 550 Bavink, Bernhard 858 Baxmann, Franz 46, 835 Beaufays, Josef 459, 462, 463 Becher, Erich 571, 576 Becher, Erwin 478 Becher, Hellmut 56, 415, 418, 422, 424, 429, 450, 507, 512–514, 520, 663, 889, 964, 983, 987, 996, 997 Becker, Carl Heinrich 102, 198, 435, 576, 1085, 1103, 1104

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Personenregister

Becker, Richard 859 Becker, Wilhelm 904–907 Becker-Freyseng, Albrecht 570, 583, 586, 598 Beckmann, Franz 53, 56, 154, 237, 240, 333, 592, 1005, 1014 Beckmann, Peter 863 Behnke, Heinrich 64, 102, 228, 230, 233, 237–239, 243, 375, 588, 710, 714, 716, 775, 886, 923, 937, 941, 944, 1004, 1009, 1013 Behre, Willy 491 Behrends, Hermann 370 Beintker, Erich 430, 516, 517 Benecke, Erich-Emil 459–465 Benecke, Friedrich-Wilhelm 795, 820–827, 829, 843 Benecke, Martha 465 Bennemann, Karl-Heinz 851 Bennholdt-Thomsen, Carl-Gottlieb 1018 Berg, Hans 893 Berger, Wilhelm 45, 425, 426, 441, 446, 451, 452, 490 Bergmann, Bernhard 240, 375 Berkenkopf, Paul 385 Bertram, Adolf 327, 328 Bersu, Gerhard 608, 613 Besseler, Heinrich 760–762, 773, 774 Besserer, Alwin 418, 430, 441, 517, 547, 914, 960, 964, 971, 973, 981, 983, 988, 1100 Bettermann, Karl August 375 Betz 757 Betz, Mathilde 937 Beukenberg, Wilhelm 87, 91, 92, 95 Beyer, Curt 17, 29, 31, 39–50, 54, 55, 75, 77, 107, 473, 517, 627, 628, 655, 713, 725, 798, 835, 844, 891, 985, 994, 995, 1033 Beyer, Gertrud 938 Beyer, Hans Joachim 1062

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Beyer, Helmut 798 Beyer, Maria 938 Beyerhaus, Gisbert 659 Bibra, August-Wilhelm Freiherr von 76, 77 Bickenbach, Werner 513–515 Bieker, Joseph 323 Bieling, Hans 493, 494 Bielschowski, Alfred 500 Bier, Karlheinz 812, 842 Bierbaum, Max 209, 310, 311, 314, 320, 325, 331 Binding, Karl 537 Birrenbach, Kurt 919 Bismarck, Otto von 122, 374, 656 Bissing, Moritz Ferdinand Freiherr von 908 Bittel, Heinz 56, 847, 864–866, 868 Blanke, Gustav 723 Blomberg, Werner von 72–74 Boas, Franz 1014 Bodelschwingh, Friedrich von 254, 266 Bodewees, Karl-Theo 493, 494 Böckenförde, Ernst-Wolfgang 383, 384, 595 Boedeker, Elisabeth 940 Böger, Josef 63, 66 Böhlke, Kurt 203, 206 Boelitz, Otto 1101, 1104, 1106 Bömer, Walter 973 Boldt, Gottfried 862 Bollnow, Otto Friedrich 592 Bonhoeffer, Karl 536, 538 Bonton, Stephen Miles 440 Bopp, Linus 322 Borbet, Walter 99, 100 Borck, Karl-Heinz 737, 738, 743, 744 Bormann, Martin 588, 996 Börne, Ludwig 692, 736 Bornhausen, Karl 264 Bornkamm, Heinrich 269 Borries, Franz von 998

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Personenregister Bourdieu, Pierre 185, 1134 Boxel, Otto 700 Brackmann, Albert 1123 Brandt, Karl 515 Brandt, Leo 811, 841 Brauch, Fritz 483 Brauer, Adalbert 140, 141, 151 Brauner, Leo 837 Breckner, Friedrich 1134 Bredow, Friedrich 68 Bredow, Gerda von 932, 947 Breider, Hans 807 Breitholz, Franz 619–621 Brengelmann, Johannes B. 1005 Brinkmann, Hennig 690, 720, 729, 730, 735–738, 743, 744 Brinkmann, Otto 723 Brockhoff, Maria Elisabeth 778, 779, 947 Brot, Theodor 1087 Bruck, Günther vom 448 Bruck, Werner Friedrich 101, 145, 365, 386, 714, 1097, 1099, 1104, 1105 Brünger, Wilhelm 881, 894 Brunswig, Alfred 571, 572, 574–576, 1100 Buder, Johannes 858 Budde, Ludwig 243 Bücken, Ernst 755, 759, 760 Bühler, Ottmar 349–351, 359–361, 379 Büker, Richard 834, 836 Bürger, Max 478 Bujok, Margarete 759 Bumke, Oskar 535, 537, 542 Buntru, Alfred 1062 Burchard, Albrecht 873, 876, 877 Burksteeg, Wilhelm 828 Buttler 630 Cajobus 663 Calker, Jan van 853, 854, 863, 868, 1004 Calmes, Michael 1101, 1103

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Casper 464 Cassirer, Ernst 593 Chasles, Jeanne 759 Claaßen, Heinz 629, 630 Clauberg, Carl 447 Clostermann, Gerhard 574 Cochenhausen, Friedrich von 71 Coenen, Hermann 416, 419, 421, 431, 448, 449, 460–463, 504, 512, 514, 515, 520, 962 Cohn, Ernst 144, 145, 160 Conrad, Hermann 349 Conrad, Klaus 560, 1006, 1007 Conrady, Karl-Otto 733 Conti, Leonardo 479, 996 Conze, Werner 652, 668, 672, 673, 677, 1140 Correns, Carl Erich 820 Cramer, Maria 947 Cramm, Gottfried von 916 Cremer, Otto 700 Creutzburg, Nikolaus 876 Crinis, Max de 464, 512 Croll, Gerhard 779 Cunow, Heinrich 1085, 1088 Czerny, Marianus 851 Daenell, Ernst 89, 94, 651 Dahnke 496 Damaschke, Adolf 355 Damblé, Karl 480 Danneel, Rolf 1007 Darré, Walther 634, 1120 David, Eduard 1085 Davids, Hermann 416, 418, 430, 451, 452, 493, 494, 517 Dehn, Günther 140, 254, 259 Deinast, Gustav 446 Delbrück, Hans 1083, 1092, 1093 Demmer, Dietrich 205 Dempf, Alois 595 Derichsweiler, Albert 152, 200, 201, 205, 206, 210, 211, 585

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Personenregister

Dessauer, Otmar 218, 219 Deuling, Heinz 863 Deuticke, Hans Joachim 511 Deventer, Elisabeth 929, 944 Dieckheuer, Gustav 779 Dieckmann, Franz 352, 436, 437 Diekamp, Franz 314, 316, 331 Diers, Magdalena 979 Dietrich, Ernst-Ludwig 269 Dietz, Rolf 375, 381, 382, 386 Dietze, Constantin von 1119 Dietzel, Karl Heinrich 892, 1098 Diewerge, Wolfgang 358 Dirkes, Lina 792 Dirksen, Herbert von 1129 Dittrich, Marie-Luise 948 Dobzhansky, Theodosius 810 Döpp-Vorwald, Heinrich 583, 587 Dörries, Hans 149, 713, 857, 878–899 Dohmen, August 553 Dollfuß, Engelbert 208 Dollinger, Heinz 11 Domagk, Gerhard 419, 424, 428–430, 458, 459, 461, 464, 515 Donders, Adolf 312, 314, 324, 327, 331, 332, 589, 1031 Dorfmüller, Wilhelm 834, 836 Drechsel, Otto-Heinrich 834 Dreier, Ralf 383 Drost, Heinrich 350, 362–364, 369, 371, 375, 377, 386, 462, 665 Drube, Herbert 700 Dürrenmatt, Peter 741 Duesberg, Robert 432, 482, 483 Durau, Felix 854–856, 868 Dusse, Jean 254 Eberhard 663 Ebers, Godehard Josef 351 Ebert, Friedrich 120 Eck, Hans-Wilhelm 379 Eckhardt, Karl August 350, 386 Ehmann, Wilhelm 287, 288

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Ehrenberg, Hermann 87, 89 Eibl, Hans 577 Eichberg 914 Eichhoff, Erich 419, 424, 428–430 Eickhoff, Wilhelm Karl 476 Eickstedt, Egon von 1008, 1016, 1017 Einstein, Albert 851, 853 Eitel, Anton 69, 124, 129, 210, 577, 618, 650, 652–656, 658, 659, 665, 740 Elert, Werner 255 Ellinger, Karl 270, 291, 292 Ellinghaus 1097 Embden, Gustav 511 Emge, Carl August 27 Engel, Hans 773 Engel, Horst 810, 834, 1057 Engelkemper, Wilhelm 314, 321, 322, 331 Engelmann, Karl 459 Engelsmann, Robert 985, 986 Engelmeier, Paul 968 Epp, Franz Xaver Ritter von 69, 70 Erb, Wilhelm 536, 537 Erfurth, Fritz 203, 206, 211 Erichsen, Hans-Uwe 383 Erman, Heinrich 350, 351, 354, 355, 362, 364, 367 Erman, Walter 364, 365, 375, 382 Ernst, Hilde 979 Esau, Abraham 446 Esch, Peter 416, 417, 421, 428, 430, 431, 432, 434, 447–450, 452–455, 462, 463, 475, 512–514, 516, 520 Escherich, Georg 62 Eschweiler, Karl 316, 320, 321 Esenwein-Rothe, Ingeborg 948 Ettlinger, Max 572, 574–576, 1100, 1107 Evers, Josefa 856 Fehr, Oskar 500 Feickert, Andreas 211

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Personenregister Feldmann 1097 Feldmann, Erich 45 Felgentraeger, Wilhelm 1069, 1070 Fellerer, Karl Gustav 756–761, 766, 767, 782 Ferié, Friedrich 723 Ferri, Enrico 1040 Feuerborn, Heinrich Jacob 790–803, 814, 824, 835, 828, 973 Fikentscher, Wolfgang 364 Fink (Student) 762 Finke, Heinrich 650 Fischer, Eugen 550–552, 957–959, 964, 965, 968, 969, 971, 973, 981, 985, 986, 1007, 1022 Fischer, Gert Heinz 583 Fischer, Gustav 806 Fischer, Hermann 713 Fischer, Ilse 803, 805–807, 811, 837, 943, 946, 947, 1008 Fischer, Herwart 334 Fischer-Brügge, Erich 510 Flaschenträger, Bonifaz 511 Fleiter, Wilhelm 40, 41 Flemming, Friedrich 268 Flesch, August 32, 56, 1068, 1070, 1071 Floren, Cäcilie 942 Florian, Friedrich Karl 354 Foertsch, Hermann 69, 70 Foerste, William 716, 717, 720, 722, 725, 733, 735–738, 740, 742–744 Foerster, Augustin 425, 451, 452 Foerster, Otfried 542 Foerster, Werner 257, 263, 270, 271, 275, 282, 288, 296 Forster, Albert 717 Forster, Edmund 457 Fraatz, Paul 441, 510, 516 Frank, Hans 366, 378 Frankfurter, David 358 Franz, Walter 848, 862, 863, 868

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Frenzel, Elisabeth 728 Freund, Hermann 416, 417, 422, 426, 431, 436–440, 444–446, 448, 455–457, 461, 474, 477, 485, 486, 501, 503, 520, 714 Frey, Ministerialrat 338 Freyer, Hans 384, 705 Frick, Wilhelm 327, 328, 469, 496, 981, 1024 Fricke, Gerhard 712 Freisenhahn, Ernst 349 Friedrich Wilhelm II. 365 Frimberger, Ferdinand 482–484 Fromm, Erich 67, 72, 73 Fuchs, Alois 613 Führer, Irmgard 861 Fürstenberg, Franz Freiherr von 123, 124 Fürstenberg, Oswald Freiherr von 28, 32, 56, 1072, 1078 Gadamer, Hans Georg 592 Gärtner, Horst 507, 510 Galen, Clemens August Graf von 204, 310, 323, 324, 326–332, 334, 340, 562, 588, 589, 659, 938, 1031 Galton, Francis 956 Gantenberg, Cläre, geb. Schülbe 456 Gantenberg, Robert 425, 446, 452, 456, 468, 470–472, 477, 479–482, 913, 914 Garofalo, Raffaele 1040 Garske, Ulrich 924 Gaupp, Robert 538, 560 Gaupp, Robert, jun. 557 Gaus, Rudolf 493 Geiger (Referent für Bevölkerungspolitik) 973 Geiger, Theodor 1093 Genuit, Heinrich 510 Georgi 563 Gerber, Rudolf 779 Gerhard, Dietrich 674, 675, 677

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Personenregister

Gerhard, Kurt 1023 Gerhardt, Dietrich 677 Gerhardt, Kurt 1068, 1073, 1074 Gerigk, Herbert 759, 761–766, 774, 782 Gerlach, Walther 854, 859, 864, 868 Geyser, Joseph 571 Ghon, Anton 475 Gieseler, Wilhelm 994, 1019, 1023, 1025 Girndt, Otto 512 Gladisch, Heinz 857, 858 Glasmeier, Heinrich 964, 965 Globke, Hans J. 496 Glockner, Hermann 588 Gocht, Hermann 479 Goebbels, Joseph 359, 766 Goecke, Hermann 56, 447, 454, 455, 516 Goedecke (Landrat) 102 Göhre 757 Göring, Hermann 71, 121, 124, 580, 706 Goeters, Wilhelm 263, 264, 275–277, 282, 295, 665 Götze, Ursula 780 Gogarten, Friedrich 255 Goldhaber, Maurice 865 Goldschmidt, Richard-Hellmuth 573, 582, 583, 592, 598 Gollwitzer, Heinz 673 Goose, Ernst 364 Gottschaldt, Kurt 1006, 1007, 1020 Grabmann, Martin 316, 337 Grävinghoff, Walter 333, 425, 452, 469, 471, 472 Graf, Otto 438 Grawitz, Paul 458 Grebe, Hans 1007 Grimm, Friedrich 121, 357–359, 375, 386 Grimm, Julius Otto 753, 754 Grimme, Adolf 577

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Groener, Wilhelm 68 Gronowski, Johannes 99, 100, 121 Gros, Hildegard 935 Groß, Walter 981, 996 Große-Schönepauck, Hildegard 493, 494 Große-Wietfeld, Franz 314 Grotjahn, Alfred 972, 1034 Grubé, Meta 937 Grüner, Leo 701 Grüninger, Hans-Albrecht 490 Grünthal, Ernst 535 Grützmacher, Georg 55, 255, 257, 263, 276 Grundmann, Herbert 652, 654, 658, 668, 669, 671–673, 679, 859, 894, 895, 1078 Grynszpan, Herschel 358 Günther, Adolf 1093 Günther, Hans Friedrich Karl 963, 1024 Günther, Hans Richard Günter 1076 Gurlitt, Wilibald 760, 761, 768, 774, 775 Gustloff, Wilhelm 358, 359 Gütt, Arthur 492, 542, 543, 549, 551, 975, 981, 985 Güttler, Hermann 759 Gymnich, Friedrich 463 Haarmann, Walter 426, 456, 486, 512, 516 Hackert, Franz 980 Hackmann, Christian 254, 271, 272, 296 Haenchen, Ernst 251, 266–270, 281, 282, 284–287, 294, 297 Hänel, Johannes 254, 271, 272, 296 Haenisch, Konrad 1085, 1088, 1095, 1101, 1104, 1105, 1109 Häring, Theodor Lorenz 575, 576 Hagedorn, Agnes 941 Hagedorn, Herbert 840

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Personenregister Hagemann, Gustav 700 Hahlweg, Werner 652 Hahn, Otto 1016, 1020, 1021 Haken, Antonie 822 Hakewell-Smith, Edmund 647 Haldane, John Burdon Sanderson 810 Haller, Johannes 365 Hamacher, Wilhelm 236 Hanke, Hans 459 Hannak, Emil 48, 890 Hannig, Emil 821, 824, 829, 832, 833 Hansberg, Wilhelm 466, 468 Harde, Karl-Wilhelm 807, 809, 810 Harmjanz, Heinrich 678, 713, 730, 886 Harms, Bernhard 1090, 1093, 1103 Harms, Jürgen Wilhelm 790 Harmsen, Hans 1022, 1023 Hartmann, Gertrud, geb. Zippert 448 Hartmann, Hugo 448 Hartmann, Heinz Karl Ferdinand 444, 447, 448, 453, 503 Hartmann, Max 798, 799 Hartmann, Nicolai 578 Hartmann, Peter 743 Haselmayr, Friedrich 69, 70 Hass, Hans-Egon 737, 743 Hasse, Otto 67 Havemann, Robert 1015 Heberer, Gerhard 813 Heckel, Theodor 143 Heddergott, Hermann 800, 801 Heering, Hans 723 Heiden, Christoph 866 Heidegger, Martin 570 Heiderich, Friedrich 416, 420, 421, 431, 449, 450, 507, 512, 513, 977, 983, 984, 986, 994 Heilbronn, Alfred 714, 820, 821, 824, 825, 832, 837 Heim, Karl 253, 254 Heines, Edmund 357 Heinrich, Simon 700

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Heisenberg, Werner 853, 859 Heller, Hermann 380 Heller, Ludwig 980 Hellerich, Johannes 867, 868 Hellmann, Anna 444 Hellmann, Emma, geb. Kaufmann 444 Hellmann, Josef 444 Hellmann, Josef Maria 488 Hellmann, Karl 424, 429, 430 Hellmann, Manfred 678 Hellner, Hans 507, 516 Helphand, Alexander 1085 Hempel, Karl-August 866 Hepner, Fritz 148, 150 Hepp, Oskar 1076, 1077, 1079 Herbst, Emil 415, 418, 424, 428–430, 440 Herding, Otto 652 Herold, Ferdinand 788 Herrmann, Johannes 55, 68, 253, 254, 257, 258, 266, 274–276, 282, 285, 287, 289, 291, 293, 294, 296, 297, 739, 740 Hertel, Engelhard 425, 452 Herz, John 369 Herzen, Alexander 364, 365 Herzog, Heinrich 416, 420, 421, 440, 444, 446, 474, 485, 488–491, 501, 977 Hesch, Michael 1023, 1024, 1066–1073, 1076, 1078, 1079 Heselhaus, Clemens 720, 733, 738, 740, 742–744 Heß, Rudolf 466, 497, 499, 501, 502, 629, 632 Hesse, Albert 1116 Hesse, Liese 980 Hestermann, Ferdinand 665 Hettlage, Karl Maria 354 Heubner, Wolfgang 479 Heydrich, Reinhard 317, 1061, 1062 Heye, Wilhelm 67

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Personenregister

Hielscher, Fanny 977, 984 Hielscher, Johannes 446, 574, 581, 584, 977 Hierl, Konstantin 69 Hilbert, David 850 Hilgenberg, Friedrich K. 425, 428, 429, 452 Himmler, Heinrich 280, 317, 466, 609, 985 Hindenburg, Paul von 470, 915 Hippius, Rudolf 1062 Hirsch, Emanuel 291 Hirschfeld, Hans 483, 484 His, Rudolf 55, 351, 363, 364, 385, 916 His, Wilhelm 477 Hitler, Adolf 15, 70, 72–74, 122, 125, 127, 142, 200, 207, 210, 228, 238, 316, 353, 357–359, 361, 367, 466, 484, 488, 495, 560, 591, 609, 655, 656, 662, 669, 706, 770, 796, 799, 848, 852, 856, 882, 907, 984, 1014, 1032, 1088–1090, 1126 Hittorf, Johann Wilhelm 124, 848 Hoche, Alfred 537 Höfer, Joseph 322, 323, 336–338 Hölker, Karl 314, 323 Höllerer, Walter 738 Hömberg, Albert K. 675, 676 Hönigswald, Richard 576 Hövelmann, Bertha 860 Hoffmann, Anne-Marie 947 Hoffmann, Gerhard 851 Hoffmann, Helene 84 Hoffmann, Karl 325 Hoffmann, Maria Norberta 723 Hoffmann, Otto 55, 62, 83, 87–91, 95, 96, 98–100, 102, 104, 106, 214, 351, 376, 691, 692, 695, 707, 721, 735, 906–912, 916 Hoffmann, Walter 211, 328, 329 Hoffmann, Walther G. 233, 240, 1133 Hohbach, Hans 459

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Holfelder, Hans 442 Holl, Karl 270 Holzlöhner, Ernst 47 Hompel, Adolf ten 95, 960 Hompel, Rudolf ten 142, 145, 157, 959, 960, 1103 Hook (Zeche Radbod) 48 Hoppe, Werner 383 Hortschansky, Klaus 779, 780 Hove, Menno van 980 Huber, Ernst Rudolf 380 Huber, Hans 76, 77, 920 Hübinger, Paul Egon 652 Hübner, Arthur 690, 693, 696, 698, 700, 702 Hueck, Alfred 362 Hümmeke, Werner 780 Hünnebeck, Josef 459, 461, 46 Hüttenhain, Erich 867 Hütteroth, Heinrich 491 Hütteroth, Reinhard 441, 510 Hufnagel, Alfons 323 Hugelmann, Karl Gottfried 33, 39–41, 43, 53–55, 106, 127, 141, 143, 210, 211, 268, 271, 272, 275, 277–280, 295, 296, 333, 335, 336, 350, 361, 362, 369, 370, 373, 375–377, 385, 386, 487, 712, 713, 715, 878–881, 886, 983 Hugenberg, Alfred 87, 88, 90–92, 95, 96, 105, 351, 707, 907 Huismans, Wilhelm 491 Humann-Hainhofen, Rolf von 994 Huneke, Anna 828 Huxley, Julian 810 Igersheim, Josef 500 Immenkamp, Aloys 426 Imres, Josef 501 Ipsen, Gunther 678, 1093 Isay, Ernst 364, 375, 386 Isay, Luise 364 Issel, Paul 510

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Personenregister Itzig, Daniel 365 Jabès, Umberto 358 Jackson, H.S. 229 Jacobfeuerborn, Heinrich, s. Feuerborn, Heinrich Jakob Jacobi, Ernst 350–352, 362, 364, 367, 368, 386, 1105, 1106 Jacobi, Maria 700 Jacobs, Paul 291 Jacobs, Werner 804 Jacobshagen 42 Jacoby, Günther 576 Janssen, Karl 292 Janssen, Otto 581, 582, 591, 594, 598 Jennings, John Whitfeld 674 Jentsch, Seyfried 806 Joachim, Johannes 776 Johns, Rudolf 237, 376, 665 Johst, Hanns 723 Jordan, Pascual 868 Josten, Konstanze 980 Jostes, Franz 691–693, 696, 700, 702, 704 Jötten, Karl-Wilhelm 18, 141, 153, 416–418, 422, 431, 436–439, 441, 449, 450, 515, 806, 953–992, 995, 1000, 1010, 1012–1015, 1018, 1022, 1023, 1057 Jötten, Wilhelm 954 Jüssen, Klaudius 314, 316, 333 Jung 1097 Junker, Hubert 322 Just, Klaus Günther 737, 738, 997, 1003–1010, 1013, 1014, 1018, 1023 Kabitz, Wilhelm 45, 573, 580, 581, 585–587 Käding, Kurt 425, 427, 428 Käsemann, Ernst 269 Kafka, Gustav 576 Kaiserling, Helmut 475, 476 Kalkhoff, Wilhelm 510 Kallen, Gerhard 650

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Kamphusmann, Josef 863 Kampmann, Theoderich 700 Kannengießer, Josef 65, 196, 352 Kappler, Ernst 840 Kappler, Eugen 847, 860, 864, 865, 868 Kaser, Max 143, 148, 349, 362, 373–377, 382, 386 Kassing, Rainer 866 Kaufmann, Fanny 444 Kaufmann, Hans Paul 238, 1004, 1069 Kaufmann, Viktor 444 Kaupel, Heinrich 314, 322, 330, 339, 340 Kehrer (Pfarrer) 281 Kehrer, Erwin 536 Kehrer, Ferdinand Adalbert 233, 237, 417, 420, 431, 445, 446, 473, 504, 536–569, 972, 977, 986, 995, 999, 1000–1003, 1010, 1012, 1013, 1015, 1018, 1020, 1022, 1029 Kehrer, Ferdinand Adolf 536 Kehrer, Hans 538 Kehrer, Josefine, geb. de Lemos 538 Kehrer, Magret 538 Keller 456 Keller, Paula 942 Keller, Wolfgang 55, 88, 89, 121, 200, 471, 472, 479, 709, 914, 915 Kemmelmeyer, Karl-Jürgen 780 Kemp, Peter 1007 Kemper, August 278 Kern, Benno 583, 586, 587 Kerrl, Hanns 270, 272, 883 Kessler, Gerhard 1122 Kessler, Robert 447 Kesting, Hermann 654–657, 679, 858 Kihn, Berthold 556 Kinder, Ernst 292, 293 Kindermann, Heinz 690, 714, 717–719, 721, 722–725, 727–731 Kindervater, Joseph Wilhelm 663 Kirdorf, Emil 88

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Personenregister

Kirkpatrick, Ivone A. 230 Kittel, Helmuth 251, 264–267, 269– 271, 280–282, 284, 285, 295, 297 Kiwit, Heinrich 153 Klaesi, Jakob 535 Klare, Kurt 441, 500, 517 Klaus, Emil Josef 921, 924 Kleffner, Eberhard 547 Klein 462, 464 Klein, Friedrich 56, 350, 375, 377, 379, 380, 382, 383, 386, 387 Klein, Josef 325 Klein, Rosemarie, geb. Mankiewicz 445 Klemer, Almuth 948 Klemm, Kurt 40 Klemm, Wilhelm 56, 1072 Klemperer, Georg 477 Klimke, Wilhelm 455, 516, 545, 546, 555, 560, 977, 995 Klinge, Friedrich 450, 452, 465, 474– 478, 513, 515 Klingelhöfer, Paul 499 Klocke, Friedrich von 648, 654, 658–668, 675, 677, 679 Klöffler, Johann Friedrich 780 Klostermeyer, Wilhelm 459–464 Kluckhohn, Paul 690–692, 696, 698, 700, 702, 705, 728, 731 Klug, Hertha 857 Klughardt, August 754 Knapp, Erich 490, 491, 510 Knauer, Karl 856 Knepper, Reinhold 475, 476 Knipping, H.W. 478 Knocke, Franziska 822 Knörr 480 Knopp, Werner 56 Koch, Franz 726, 727 Koch, Gerhard 558, 559, 1023 Koch, Hans 1128

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Koch, Karl 256, 268, 275, 281, 282, 284, 296 Koch, Rudolf 510 Koch-Wawra, Friedrich 137 Köberle, Adolf 261, 265 Köhler, Wolfgang 1006 Kölpin, Heinz 63 König, Willy 439, 445, 446, 448, 455–457, 477, 485 Koester, Friedrich 517 Köttgen, Ullrich 510 Kötting, Bernhard 56, 130 Kogge, Paula 933 Kohlrausch, Eduard 378 Kohn, Hedwig 851, 857 Kolbenheyer, Erwin Guido 706, 722, 729 Kolbow, Karl Friedrich 436, 613, 618–621, 623–625, 629–632, 798, 844, 884, 888–890 Koll, Werner 512 Konen, Heinrich 53, 849 Konrad, Joachim 289, 290, 292 Kopfermann, Hans 859 Koppelmann, Wilhelm 572, 573, 583 Korbsch, Heinrich 435, 446, 452, 545, 553 Korte, Werner 756, 759–783 Kossel, Walter 851 Kossinna, Gustaf 606–609, 616, 624 Kosswig, Curt 796, 799, 814, 821, 825 Kraepelin, Emil 535, 536, 538, 1040 Krahe, Hans 833 Kranz, Heinrich 551, 552, 560 Kranz, Heinrich Wilhelm 975, 981, 1037 Kratzer, Adolf 48, 49, 105, 151, 212, 232, 233, 237, 238, 240, 282, 284, 285, 579, 588, 665, 762–764, 829, 847, 850, 851, 855, 858, 860–863, 868, 887, 1000, 1001, 1004, 1005, 1014

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Personenregister Krause, Paul 35, 55, 83, 96, 100, 203, 416, 418–423, 427, 428, 431, 438, 440, 450–452, 455–457, 465–474, 476–478, 480–483, 501–503, 699, 706, 710, 915 Kreller, Hans 362 Kremer, Johann Paul 425, 441, 446, 507, 516, 913, 914, 977, 995–997 Kretschmer, Ernst 538, 543, 560, 1037 Krieck, Ernst 570, 717 Kriele, Martin 383, 384, 595 Krömeke, Franz 419, 425 Kromer, Helene 723 Kromphardt, Wilhelm 42 Krückmann, Paul 88, 89, 350–352, 357, 362, 365–367, 374 Krüger, Friedrich 796, 805, 807 Krüger, Friedrich-Wilhelm 70–73 Krüger, Georg 328, 329 Krüger, Gerhard 233, 237, 583, 589– 593, 598 Krüger, Herbert 381 Krüger, Hugo 351 Krümmel, Karl 75, 917, 919–921 Krüner (cand. med.) 480 Krummacher, Otto 414, 416 Kühl, Ernst 361, 550–552, 618, 620, 622–625, 630, 889 Kühle, Heinrich 314 Kühlenthal 68 Kuhlenkampf, Helmuth 851 Kuhlmann, Fritz 482, 483 Kuhlo, Johannes 288 Kühn, Alfred 1006, 1007 Kunisch, Hermann 700 Kunisch, Siegmund 39 Künneth, Walter 262, 290 Kuntze (Finanzpräsident) 857 Kurz, Eugen 18, 415, 422, 430, 431, 441, 445, 456, 473, 516, 822, 954, 971, 975–978, 983, 984, 987, 994, 996, 997

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Ladenburg, Rudolf 851, 857 Lammers, Alois 793 Lammers, Heinrich 361, 365, 366 Landois, Hermann 788, 789 Lang, Albert 316 Lange, Johannes 552, 1037 Langsdorff, Alexander 609, 610 Langstein, Leopold 457 Lapersonne, F. de 494 Laue, Max von 859 Lauscher, Albert 793, 794 Ledingham, George A. 229, 236 Leers, Johann von 366 Lehmann, Ernst 813 Lehmann, Gunther 425, 438, 439, 452, 507 Lehmann, Richard 871, 872 Lehmann, Wolfgang 1007 Lehmann-Hartleben, Karl 613, 619 Lehnartz, Emil 52, 53, 56, 153, 231, 508–511, 513, 555, 740, 1001, 1003, 1004, 1011, 1012 Leinau (Bergreferendar) 1097 Lenard, Philipp 851, 853 Lendle, Ludwig 473, 474, 486, 489, 507, 508, 512, 513 Lensch, Paul 1085, 1088 Lentze, G. 459 Lenz, Adolf 1041 Lenz, Fritz 550, 558, 957–959, 961– 963, 971, 974, 975, 985, 998–1003, 1012–1015, 1018, 1020, 1022, 1023, 1060, 1061 Lenze, Helmut 441 Leveringhaus, Herbert 962 Lewin, Kurt 1006 Lilienthal, Reinhold von 62 Lilje, Hanns 262 Lindner, Karl David 498 Lindow, Martin 866–868 Lingelsheim, Alexander von 830 Linhardt, Hanns 856

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Personenregister

Litt, Theodor 570 Loebell, Helmut 450, 473, 474, 490, 491, 508, 518, 986, 1033 Loeffler, Lothar 1023 Löhlein, Walther 495, 496, 498 Löher, Burckhard 780 Löhr (Bielefeld) 466 Löhr, Hanns 47, 468, 469, 471 Löning, August 375 Löning, George Anton 349, 371, 374 Lönne, Friedrich 517 Loeser, Arnold 507, 512, 513, 1008, 1009 Lohoff, Wilhelm 980 Lombroso, Cesare 1040 Loo, Walter van der 279 Lorenz, Konrad 808 Lorenz, Max 914, 920 Lorenz, Werner 370 Lortz, Joseph 309, 310, 321, 325, 330, 332, 333, 336, 339, 340 Luchtenberg, Paul 575, 861 Ludat, Herbert 673, 677, 678 Ludendorff, Erich 354 Ludendorff, Mathilde 269 Lübbe, Hermann 383, 589, 595 Lüers, Grete 700 Lüerßen, Wilhelm 211 Lugowski, Clemens 727 Luig, Alexander 1035 Lukas, Josef 351, 352, 362, 385 Łukasiewicz, Jan 579, 586 Lüninck, Ferdinand Freiherr von 329, 496 Lux, Karl 55 Luxemburg, Rosa 1085 Luxenburger, Hans 1040 Machemer, Erna, geb. Schwalbe 487 Machemer, Helmut 445, 487, 493, 503 Machens, Theodor 1097, 1098 Machwirth, Liselotte 938 Madelung, Erwin 849

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Magon, Leopold 691–694, 696, 701, 702, 729, 730 Mai, Hermann 513, 514, 1018 Mallwitz, Arthur 906 Mangoldt, Hermann von 382 Mann, Golo 674, 675 Mann, Thomas 652, 675, 742 Mannstaedt, Heinrich 1118 Mansfeld, Werner 366–368, 375, 386 Marchesani, Oswald 473, 474, 491–494, 499, 500, 502, 986 Mark, James 231, 232 Mark, Robert 481 Marquard, Odo 383, 595 Martius, Heinrich 1002 Marx, Hermann 416, 420, 426, 429 Marx, Karl 593, 1098 Marx, Wilhelm 67 Masur, Gerhard 675 Matthes, Ernst 1005 Mattiat, Eugen 143, 623 Maue, August-Wilhelm 851 Maurach, Reinhard 1134, 1141 Mausbach, Joseph 120, 125, 331, 1031 Mauz, Friedrich 560, 561, 563, 1072 Max, Hubert 858 Mayr, Ernst 810 Mayr, Julius Karl 450, 474, 476, 477 Mayser 720 Mecking, Ludwig 871, 873–878, 885–887, 894, 897, 898 Meeteren, Wilhelm van 358 Mehring, Eugen 980 Mehring, Franz 1085 Meinardus, Wilhelm 88, 89, 93, 94, 872, 879, 894 Meinecke, Friedrich 674 Meinertz, Max 49, 237, 310, 314, 326, 339, 340, 376, 665 Meinhof, Ulrike 384 Meinicke, Erich 430, 517 Meissner, Karl-Wilhelm 868

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Personenregister Meister, Aloys 89, 650, 669 Mende, Hans-Horst 866 Mengele, Josef 993, 1021 Menger, Christian-Friedrich 382, 383 Menne, Fritz 509, 510 Mentzel, Rudolf 48, 506, 508, 891, 892 Merkel, Hermann 1030 Merkel, Klaus 459 Merkle, Sebastian 334 Meteling, Maria 980 Mettler, Anton 441 Metzger, Wolfgang 583, 587, 1005– 1007 Mevius, Walter 43–47, 55, 76, 77, 100, 106, 145–147, 334–339, 349, 446, 488, 505, 506, 508, 512, 514, 515, 587–589, 629, 632, 656, 712, 713, 725, 726, 764, 799, 821, 824–836, 839, 842, 843, 889, 890, 898, 986, 995–997, 1032, 1080 Meyer zu Hörste, Georg 426, 516 Meyer, Alfred 37–39, 41, 42, 45, 47, 48, 53, 54, 63, 77, 205, 268, 363, 448, 449, 471, 473, 476, 477, 480, 490, 502, 517, 627, 734, 844, 986, 987, 996, 997 Meyer, Eugen 657, 658, 667 Meyer, Hildegard 935, 936 Meyer, Konrad 826, 827, 880 Meyer, Wilhelm 936 Michaelis, Karl 32, 56, 371, 375, 381, 383, 386 Micheel, Fritz 52, 858 Mikat, Paul 219 Mikorey, Max 366 Mikulicz-Radecki, Felix von 514 Mörsdorf, Klaus 237, 240, 323, 325, 338–340 Mohler, Ludwig 314, 315, 321, 322, 333, 334, 337, 340 Mohr, Wolfgang 719 Molitoris, Hans 1030

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Mollison, Theodor 1073 Moltke, Hans Adolf von 586 Moltke, Helmuth James Graf von 378, 1018 Moncorps, Carl 153, 239, 474, 477, 561, 1010, 1018–1020, 1025 Morel, Benedict Augustin 1035 Mortensen, Hans 879, 888, 890, 892, 894 Moser, Hans Joachim 773 Most, Otto 593, 594 Muckermann, Friedrich 957 Muckermann, Hermann 957–959, 962, 964–970, 973, 975, 998, 999, 1001, 1013–1017, 1020, 1022, 1023 Mueller, Berthold 1031 Müller, Erich A. 425, 438, 439, 452, 507 Müller, Günther 231, 690, 693, 696, 698, 700–703, 715, 717, 718, 720–724, 728–731, 733, 737, 743, 744, 765 Müller, Joseph 723 Müller, Karl Alexander von 670 Müller, Karl Valentin 1062 Müller, Konrad 482, 483 Müller, Lieselotte 729 Müller, Ludwig 256, 265, 266, 270, 293 Müller, Rudolf 415, 417, 419, 420, 424, 432, 448, 449, 485, 663 Müller, Wilhelm 722 Müller-Steinfurt 271 Müller-Wille, Wilhelm 887–890, 892, 894–899, 1075 Münster, Arnold 203, 938 Münzenberger, Ernst Franz August 323 Müser, Horst 866 Mund, Franz 203 Muntsch, Otto 479 Murray, Gilbert 208 Mutius, Albert von 383 Nachtsheim, Hans 1008, 1017, 1020

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Personenregister

Nacke-Erich, Gerhard 924 Nadler, Josef 697, 703 Naendrup, Hubert 16, 37–40, 42, 43, 53–55, 62–66, 69, 70, 79, 121, 122, 126, 140, 203, 257, 260, 318, 320, 334, 349–354, 357, 363, 365–368, 375, 377, 385, 446, 462, 470, 476–480, 485, 582, 709, 710, 712, 713, 798, 977 Nattermann 432 Nauen, Rudolf 487 Neuhaus, Carl 425, 426, 452, 458, 459, 462, 503 Neumann, Franz 367 Neumann, Friedrich 712, 727 Neuß, Wilhelm 320 Neuwiem, Erhard 141, 142, 349, 350, 362, 374, 462 Never, Henry 459 Niehues 210 Niemann, Helmut 209 Niemeier, Georg 831, 881, 884–888, 891–893, 895–897 Niemeyer, Ludwig 822 Niemöller, Martin 251, 262 Niemöller, Wilhelm 251, 252 Niessen, Wilhelm 753–755 Nissl, Franz 536 Nitschke, Theodor Rudolf 788, 819, 820 Nörrenberg, Erich 720 Nolte, Angela 807, 808, 810, 811, 932, 947 Nordenson 497, 498 Obenauer, Justus 727 Oberländer, Theodor 1140 Ohlendorf, Albert 72, 74, 918 Ohm, Thomas 320 Oklitz, Eugen 457 Ostermann, Arthur 969, 973 Ott, Erwin 757 Ott, Paul 777

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Otten, Peter 734 Ottendorff, Hermann 913 Pacelli, Eugenio 313, 323, 329 Pagel, Ruth 936, 937 Pagenkopf, Hans 362 Panse, Friedrich 557 Panzer, Wolfgang 880 Pascher, Josef 232, 233, 310, 311, 323, 326, 330, 339, 340 Passarge, Siegfried 877 Patt, Wilhelm 980 Pauls, Karl-Heinz 980 Peierls, Rudolf 863 Penck, Albrecht 878 Perraudin, Ray F. 51, 52, 231, 233, 241, 740, 856, 859, 868, 1001 Peter, Cuno 516, 547, 973, 986, 994, 995 Petermann, Heinrich 539, 540 Peters, Franz 29–31, 35–41, 43, 53, 55, 154, 473, 759, 984, 985, 1084 Peters, Karl 349, 350, 375–378, 382, 384, 386 Petersen, Julius 697 Petri, Franz 676, 680 Pfannenstiel, Wilhelm 422, 425, 429, 962, 969 Pfeffer von Salomon, Franz 353 Pfefferkorn, Gerhard 840 Pfeil, Hans 324, 339, 583, 589–593, 595, 598 Pfleger, Luzian 326 Pfundtner, Hans 69 Philippi, Friedrich 657 Pickering, Frederick 740, 741 Pieper, Anton 11 Pieper, Josef 122, 367, 593, 594, 1103, 1107 Pieper, Karl 320 Pieper, Lorenz 210 Pietrusky, Friedrich 1031 Pietzner 858

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Personenregister Piper, Elisabeth 260 Piper, Otto 256, 260–262, 272, 288 Pitzen, Peter 473, 513 Pius XI. 319 Plassmann, Josef Otto 866 Plassmann, Joseph 866 Platz, Jürgen 918 Plenge, Johann 64, 351, 353, 1083–1110 Pleyer, Kleo 670 Ploetz, Alfred 961, 981, 1034, 1035, 1059 Pohl, Robert Wichard 859 Pohlisch (Frau) 557 Pohlisch, Kurt 543, 557, 558 Pongs, Hermann 697 Ponsold, Albert 1017, 1065–1068, 1070, 1071, 1073, 1074, 1076, 1078, 1079 Poyales, Francisco 447 Poos, Fritz 425, 429, 430, 445, 491, 493, 494, 499 Poppendick (Poppendiek), Helmuth 441, 1023 Poschmann, Bernhard 316 Predöhl, Andreas 52, 56, 1133, 1134 Preisendanz, Wolfgang 738, 744 Preyer, Dietrich 385 Puppe, Georg 1035, 1036 Quast, Rudolf 147, 150 Quasten, Johannes 314, 323, 331, 333 Quint, Josef 727 Radbruch, Gustav 357 Raestrup, Gottfried 1030 Randenborgh 279 Ranft, Franz 323 Rasch, Albert 1100 Rasch, Wolfdietrich 730, 737, 738 Rascher, Erich 47 Rassow, Peter 671 Ratschow, Carl Heinz 286, 291 Raumer, Kurt von 374, 652, 654–658, 660, 664, 668–674, 676, 677, 679

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Rech, Walter 514 Recke, Eberhard Freiherr von der 907 Redeker, Ilse 936 Redeker, Martin 262, 268, 270, 273, 280, 293, 294, 296 Regelsberger, Hermann 481, 483 Reichardt, Martin 416, 417, 420, 534–536, 538, 552, 553, 557, 560, 561, 563 Reiche, Fritz 851, 857 Reichenau, Walter von 69, 71–73 Reimpell 42 Reinerth, Hans 604, 607–609, 617, 623–627, 629, 631, 633, 635 Reinicke, Dietrich 382 Reinicke, Gerhard 382 Reinicke, Hans 980 Reismann 664, 666 Reiter, Hans 484 Rendtorff, Franz 254 Rendtorff, Heinrich 254 Rengstorf, Karl Heinrich 56, 290 Rensch, Bernhard 238, 800, 803, 806–812, 814, 839, 841, 842, 844, 947, 1004, 1005, 1008, 1013, 1017, 1057, 1070, 1072–1075, 1079 Reploh, Ida Elisabeth, geb. Lucas 978 Reploh, Heinrich 516, 970, 978, 981–983, 987, 988, 1035 Ressel, Hans 208 Reuter, Karl 1030 Reuter, Rudolf 779 Reznik, Hans 842 Rhode, Heinz 366–368, 386 Richter, Werner 145, 146, 262, 421, 428, 1102 Ridder, Helmut 380, 383 Rieger, Conrad 534 Rieger, Ernst 884 Riepenhausen, Hans 887–890, 893, 895, 896 Ries, Erich 802–806, 814, 829, 947

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Personenregister

Ringleb, Franz 883, 895–897 Rintelen, Fritz-Joachim von 577 Ritter, Gerhard 678 Ritter, Joachim 56, 130 Ritter, Johannes Martin 349, 375, 377, 569, 592–598 Ritter, Robert 981 Roberg, Max 828–833 Röber, Heribert 801, 807 Röhm, Ernst 71, 354 Röhr, Hans 480, 482, 483 Rössner, Hans 728 Rohden, Wilhelm 459 Rohlfing (Orgelbauer) 776 Rohrschneider, Wilhelm 1016–1018 Rollhäuser, Heinz 56 Roloff, Herbert 201, 711, 712 Romberg, Heinz 980 Rosegger, Hellfried 482 Roselius, Ludwig 1095, 1096 Rosemann, Rudolf 414, 416, 420, 421, 438, 440, 469, 474 Rosenberg, Alfred 607–609, 626, 627, 629–631, 759, 761, 763, 764, 833 Rosenfeld, Ernst Heinrich 55, 88, 89, 350–352, 355, 356, 362, 371–373, 375, 665, 976, 1100 Rosenmöller, Bernhard 574, 575, 577, 580, 583, 591, 593, 594 Rost, Georg Alexander 476 Roth, Fritz 482, 483 Roth, Joseph 338 Rothacker, Erich 576, 697, 705 Rothert, Hermann 675 Rothfels, Hans 649, 669, 672, 675 Rothschuh, Karl Eduard 442, 508–510, 1077, 1078 Rotschek, Ulrich 441 Roux, Carl 906 Rücker, Adolf 314, 320, 340 Rüdin, Ernst 492, 543, 544, 549, 973, 981

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Rudolph, Kurt 980 Rudolph, Wilhelm 56, 269, 291, 292 Ruhnau, Kurt 206 Ruprecht, Günther 287 Rust, Bernhard 43, 74, 75, 126, 232, 270, 318, 320, 329, 330, 335, 336, 451, 454, 462, 468, 469, 472, 488, 494, 496, 608, 715, 936, 996, 998 Ruttke, Falk 492, 549 Sachs, Curt 768 Sachs, Hans 1066, 1078, 1079 Salamucha, Jan 586 Saller, Karl 1023 Salomon, Rosa 939 Salzmann, Bernhard 553, 554, 807, 844 Sambeth, Heinrich Maria 759 Sandkuhl, J. 433 Santini, Fortunato 758 Sartorius, Friedrich 426, 445, 446, 452, 962 Sauer, Wilhelm 371–373, 375, 376, 385 Saumer, Ludwig 499 Sauter, Fritz 862 Savage, G. F. 50, 233, 234, 238, 240, 861, 896, 1001 Savigny, Leo von 350, 351 Schacht, Hjalmar 208 Schade, Heinrich 1023 Schaefer, Clemens 849, 851, 854, 857, 868 Schäffer, Hans 68 Schäperclaus, Wilhelm 792 Schallmeyer, Wilhelm 792 Schanz, Georg von 1103 Scharff-Goldhaber, Gertrud, geb. Scharff 865 Scharwächter, Hans 856 Scharwächter, Paul 856 Scheel, Adolf 211, 1093 Scheer 514, 515

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Personenregister Scheffler, Siegfried 921, 922 Scheidemann, Philipp 1088 Scheidt, Adolf 145, 146 Scheidt, Walter 1014 Schellong, Fritz 230, 428, 483, 511, 513, 556, 999, 1024 Schelsky, Helmut 213, 217, 672 Schenck, Rudolf 55, 63, 70, 71, 89, 94, 102–105, 118 Schenk, Erich 766 Schepers, Josef 723 Schieder, Theodor 672 Schiedermair, Ludwig 766, 773 Schier, Bruno 735 Schilling, Viktor 472, 474, 477–485, 502, 503, 511, 513 Schlageter, Albert Leo 771 Schleicher, Kurt von 67–69 Schlenker, Maria 700 Schlesinger 1037 Schlingensiepen, Hermann 294 Schlink, Edmund 286 Schlüter, Anton 459 Schlüter, Leonhard 216 Schmäing (Direktor) 324, 327, 328 Schmaus, Michael 309, 315, 316, 318, 325, 326, 331–333, 336, 337, 339, 340, 665 Schmidlin, Joseph 309, 314, 317–321, 330, 333, 334, 713, 714 Schmidt, Friedrich Wilhelm 43, 142, 143, 147, 255, 257, 258, 260–267, 271–281, 295, 296, 446, 976 Schmidt, Gerhard 118, 848, 849, 853, 854, 868 Schmidt, Hans 261 Schmidt, Hans Wilhelm 262, 263 Schmidt, Karl Ludwig 259 Schmidt, Max Georg 894 Schmidt, Paul Wilhelm 425, 451, 452, 477 Schmidt, Theodor 918

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Schmidt-Hern 664 Schmidt-Japing, Johann Wilhelm 265, 266 Schmidt-Monnard 1037 Schmieder, Oskar 892 Schmitt, Alfred 734, 743 Schmitt, Carl 361, 366, 367, 380, 383 Schmitt, Heinrich 1064 Schmitt, Rudolf 399 Schmitthenner, Heinrich 892 Schmitz, Otto 254, 257, 259–262, 268, 288, 289, 714 Schmitz-Kallenberg, Ludwig 657 Schmöle, Josef 1098–1100 Schmoller, Gustav von 1102 Schneider, Carl 543 Schneider, Egon 309, 314, 315, 319, 320, 322, 325, 333–338 Schneider, Hans 722 Schneider, Karl-Ludwig 738, 744 Schneider, Kurt 1037 Schnez, Albert 78 Schniewind, Otto 381 Schnoering, Karl 462–464, 471 Scholz, Heinrich 285, 288, 291, 569, 570, 572, 574, 576–588, 591, 594, 597, 765, 1004 Schöne, Albrecht 738, 744 Schöne, Hermann 55, 534 Schöningh, Adele 723 Schopohl, Heinrich 969 Schottky, Walter 849 Schrader, Gerhard 1031 Schrage-Borbet, Eberhard 149 Schratz, Eduard 828, 831–833, 836– 838, 840, 843, 844, 1004, 1075 Schreiber, Georg 38, 49, 50, 52, 56, 90, 104, 105, 127, 128, 140, 208, 210, 231–235, 237–239, 285, 296, 309, 310, 314, 317, 321, 330, 332, 333, 339, 340, 376, 554, 558, 559, 562, 592, 647, 659, 665, 716, 725,

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Personenregister

739, 740, 958, 959, 965, 968, 1000, 1001, 1014, 1015, 1020, 1022 Schreiner, Anna 291 Schreiner, Helmuth 233, 237, 364, 282–286, 288, 290, 291, 293, 295–297, 1071 Schreuer, Hans 350, 351 Schridde, Hermann 545 Schrimpf, Hans-Joachim 738, 743, 744 Schröder, Carl-Heinz 962, 973 Schröder, Horst 372, 377 Schröder, Mathilde Christiane 828 Schröder, Robert 447 Schürmann, Paul 515 Schürmann, Walter 430, 517 Schüssler, Wilhelm 1135 Schütz, Erich 438, 474, 507–510 Schütz, Werner 294, 297 Schuh, Friedrich 626, 628, 633, 663 Schulte, August 87 Schulte, Eduard 658, 661, 667 Schulte, Karl Joseph 139 Schulte-Kemminghausen, Karl 663, 693, 695, 696, 698, 700, 702–705, 715, 716, 719–721, 723, 731, 733–735, 738, 742–744 Schultz, Bruno K. 1023, 1024, 1055– 1080 Schultze, Günther K.F. 514 Schultze, Walter 273 Schultze-von Lasaulx, Hermann Arnold 375, 381 Schulz, Grete 980 Schulz, Paul 357 Schulz-Dornburg, Rudolf 756 Schulz-Kampfhenkel, Otto 892, 899 Schumann, Erich 766 Schumann, Friedrich Karl 293, 1070 Schumann, Hans 234, 349, 362, 373, 374, 376, 386 Schuster, Otto 934 Schwanitz, Franz 805

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Schwarz, Balduin 574, 580, 582, 591, 594, 598 Schwarz 271, 281, 337 Schwarzschulz, Erich 618, 629, 630, 634, 1025 Schweitzer, Carl Gunther 290, 293 Schwering, Julius 55, 691–694, 696, 698, 700–702, 707, 708, 717 Schwietering, Julius 690, 693–696, 698, 700, 702, 705, 723, 727 Scupin, Hans Ulrich 375, 381, 386 Scurla, Herbert 1130 Seeberg, Erich 669 Seeck, Otto 89 Seifert, Jürgen 383, 384, 1004, 1073– 1076 Seiler, Hans 279, 280 Seith, Wolfgang 1004 Seitz 663 Selbach, Helmut 542 Seldte, Franz 367 Semler, Hans 1031 Senftleben, Hermann 591, 663, 847, 848, 851–861, 864, 868, 869 Seraphim, Ernst 1115 Seraphim, Hans-Jürgen 1113–1146 Seraphim, Peter-Heinz 1115, 1141 Sering, Max 1119, 1136 Severing, Carl 66, 933 Siebke, Harald 447 Siegert, Karl 366 Siegert, Ludwig 386 Siegmund, Herbert 47–49, 53–55, 128, 149, 230–232, 476, 507, 509, 513, 515–520, 555, 858, 1001, 1009, 1010, 1080 Siemens, Georg 848–850, 865, 868 Siemerling, Ernst 537, 545 Sint-Jan, René van 692, 715, 720 Sinzheimer, Hugo 357 Smend, Julius 253, 254 Smend, Rudolf 894

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Personenregister Smid (Frau) 757 Söding, Hans 836–838 Sommerfeld, Arnold 850, 851, 862, 864 Spaemann, Robert 383, 384, 595 Spann, Othmar 1093 Spannagel, Karl 651, 658 Spatz, Hugo 552, 553, 558 Speidel (Hauptmann) 916 Sperlich, Georg 436, 437, 793, 916, 960 Spielmeyer, Walter 535 Spotteswoode, J. 229 Spranger, Eduard 570, 581 Stäbel, Oskar 934 Stahl, Erich 820 Stählin, Wilhelm 254, 255, 257–262, 266, 268, 273, 275–282, 284–286, 295–297 Stapper, Richard 139, 314, 315, 321, 322, 331 Stark, Johannes 851–853, 856, 868 Starling, Ernest Henry 438 Stauffenberg, Berthold von 1018 Stechemesser, Erich 916, 918 Stefansky, Georg 690, 693, 696, 697, 701–703, 714, 715, 735 Steffes, Johann Peter 314–316, 320, 324, 333, 339, 340 Stehr, Hermann 722, 723 Steinbach, Franz 676 Steinbicker, Clemens 32, 50, 56, 376, 1000 Steiner, Hans 807 Steiner, Oskar 1097 Stempell, Walter 789, 790, 793, 805 Stenmans, Emil 980 Stertz, Georg 556, 557 Stiehl, Ruth 948 Stieler, Georg 577, 589 Stier, Hans Erich 237, 665, 666 Stieren, August 603, 611–635

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Stinnes, Hugo 88 Stockert, Franz Günther Ritter von 560 Stoltenberg, Hans Lorenz 1093 Stolz, Alban 701 Stolzberg, Hima 939 Stoob, Heinz 676 Storck, Wilhelm 689 Storm, Leo 865, 866 Strasser, Gregor 354 Strugger, Siegfried 56, 811, 837–842, 844, 1072, 1074–1076, 1079 Strughold, Hubertus 507 Struker, Arnold 314, 331 Stuckart, Wilhelm 471, 496, 497 Stühmer, Alfred 42, 68, 96, 416–418, 420, 431, 432, 439–441, 451, 474, 476, 477, 916 Stülpnagel, Joachim von 67 Stumpf, Carl 576 Stumpfl, Friedrich 1037 Stupperich, Robert 263, 289, 290 Stüwer 720 Sunder-Plaßmann, Paul 510 Szily, Aurel von 416–418, 421, 429, 431, 439–441, 444, 447–450, 474, 485–488, 491–503, 520 Szily, Margarethe von, geb. Eissler 496 Szily, Walburga von, geb. Freiin von Spiegel von und zu Peckelstein 496 Szivessy, Guido 848, 849, 868 Tackenberg, Kurt 632 Tarski, Alfred 579 Tellenbach, Gerd 18, 652, 654, 656– 658, 665, 668, 678, 679 Telschow, Ernst 1002 Terbrüggen, August 515 Teschemacher, Hans 1100 Tewordt, Ludwig 863 Tietze, Konrad 514 Thimme, Wilhelm 256

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Personenregister

Thomsen, Andreas 350, 351, 355, 356, 362, 375, 963, 967, 972, 973 Thüsing 40 Thums, Karl Johannes 1062 Thurnwald, Richard 1093 Thyssen, Johannes 591 Tilman, Walter 493 Timoféeff-Ressowski, Nikolai Wladimirowitsch 1006 Tischleder, Peter 310, 314, 331, 340, 976 Tobler, Friedrich 819 Többen, Heinrich 237, 372, 416–418, 431, 473, 516, 533, 534, 555, 955, 962, 965, 970–972, 985, 988, 1001, 1010, 1012, 1029–1048, 1057, 1065, 1100 Tönnies, Ferdinand 1092, 1093, 1103 Töppner, Rudolf 483, 510 Tomaschek, Rudolf 851 Tophof (Staatsanwaltsrat) 462 Trendelenburg, Wilhelm 474 Trier, Jost 33, 56, 142, 281, 588, 604, 610, 623–625, 694–696, 702, 705, 708, 713, 715, 719–723, 725, 727, 729, 730, 732–744, 761, 762, 885, 886, 894 Trunz, Erich 730, 734, 738, 741–744 Tschoepe, Georg 855 Ubisch, Leopold von 203, 488, 794– 801, 807, 808, 812, 823–825, 828 Uebersberger, Hans 1128 Ulm, Helmut Emil 1004 Ummen, Hans Erich 40 Unruh, Hans-Günter 866 Vahlen, Theodor 471, 622–625 Vahrmeyer, Hans 980 Verschuer, Otmar Freiherr von 441, 551, 552, 557–560, 565, 957, 961, 974, 981, 993, 998, 999, 1001, 1006, 1007, 1010, 1013, 1015–1025, 1061, 1068, 1070, 1072–1074, 1079

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Vierkandt, Alfred 1092 Vincke, Johannes 325 Vögler, Albert 72, 83, 91, 92, 95, 96, 99, 100, 103, 104, 107 Vogt, Hans 416, 417, 419–421, 434, 435, 437, 449, 469, 471, 485, 512, 513, 514, 977 Vogt, Hermann 482, 483 Vogt, Oskar 479 Voigt, Karl 63, 64, 66, 651, 665, 856 Volbach, Fritz 754–760, 780–782 Volk, Hermann 56, 216, 323, 1068 Vonnegut, Franz 467, 833, 973, 978, 983 Wackernagel, Wilhelm 760, 761, 782 Wätjen, Hermann 70, 612, 651, 653– 656, 676 Wagenfeld, Karl 965, 968, 973 Wagner, Albert Malte 690, 700 Wagner, Gerhard 466–468, 471, 472, 477, 492, 499, 502, 831 Wagner, Hugo 909, 910, 913–918, 920–924 Wagner, Josef 37, 63, 100, 363 Wagner, Wilhelm 1007 Waibel, Leo 880, 887, 895 Walde, Bernhard 322 Waldmann, Anton 484, 497 Walter, Hermann 211, 257, 258, 260, 264, 271, 278–280, 322, 452, 456, 472, 485, 488, 513, 628, 713, 829, 830, 886, 889 Walter, Johannes von 292 Waltershausen, Bodo Sartorius Freiherr von 587 Wangemann, Ida 919, 929 Warburg, Otto 1016 Watter, Oskar Freiherr von 62, 65, 66, 353, 965, 1031 Weber, Christine 460–464 Weber, Friedrich Wilhelm 722 Weber, Hans Emil 263, 264, 275–278, 280, 282, 284

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Personenregister Weber, Hans H. 425, 428–430, 511, 513, 514 Weber, Heinrich 309, 314, 317, 318, 321, 330, 331, 333, 339, 365, 386, 955, 962, 969, 970, 978, 1097– 1099, 1104, 1105 Weber, Helene 145, 146 Weber, Hermann 799–803, 805, 814 Weber, Max 1083, 1093 Weber, Otto 146, 150, 153 Weber, Rudolf 780 Wegener, Georg 906 Wegner, Arthur 155, 237, 375, 376, 378, 379, 386, 665 Wehrung, Georg 254, 255, 263, 271 Weingartner, Felix von 754 Weinrich, Rainer 729 Weitz, Friedrich-Wilhelm 918 Weizsäcker, Ernst von 358, 586 Wendland, Heinz-Dietrich 56, 262, 293 Wentrup, Franz Arnold 462 Wernekinck, Franz 788 Wesendahl, Josef 980 Wessels, Helene 967, 968, 970 Wessely, Karl 500 Westermann, Harry 56, 83, 376, 380–383, 386, 387, 1071 Westhoff, Eduard 441 Weth, Gerhard von der 479, 510 Wetzmüller (Oberstaatsanwalt) 835 Wewel, Elisabeth 936, 937 Weydt, Günther 689, 690, 730, 737, 738 Wieland, Hermann 417 Wien, Max 868 Wiese, Benno von 690, 711, 714, 718, 720, 726, 727, 731, 733, 734, 737– 740, 742, 743, 1092, 1093, 1103 Wiese, Franz 723 Wilde, Kurt 1005–1007 Wilhelm II. 904 Willemsen, Carl Arnold 654 Winkelmann, Lucie 944, 945

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Winkler (Stabsarzt) 921 Winterseel, Wolfgang 480 Wirth, Wilhelm 575 Wirz, Franz 471, 472, 482, 484, 485, 492, 500, 502 Wörmann, Wilhelm 779 Wohlenberg, Willi 455, 482, 483, 516 Woldt, Richard 365, 386, 714, 1097 Wolf, Ernst 288, 291 Wolf, Heinrich 811 Wolf, Liselotte 806 Wolff, Hans Julius 153–155, 234, 375, 376, 379, 380, 382–384, 386 Wolff, Ludwig 727 Wollenberg, Robert 545 Wollenweber, Helmuth 1121 Woyrsch, Felix 754 Wucherpfennig, Vinzenz 425, 452, 516 Wuermeling, Bernhard 30 Wundt, Max 576 Wurm, Hermann Joseph 613 Wurm, Theophil 290 Wust, Peter 324, 576–580, 583, 585– 590, 597 Wüstenberg, Joachim 510 Zatschek, Heinz 1062 Zeiss, Erich 493, 494, 516 Zeiss, Heinz 479 Zeller, Max 66 Ziegler, Heinrich Ernst 821 Zillken, Elisabeth 967, 970 Zimmermann, Walter 813 Zipf, Karl 424, 426, 428–430, 455, 457, 486, 854 Zopf, Wilhelm 820 Zuhorn, Karl 228, 376, 613, 964, 965

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Verzeichnis der Autorinnen und Autoren Julian Aulke Geboren 1983 in Werne an der Lippe, 2004 bis 2008 Studium der Neueren und Neuesten Geschichte, Mittelalterlichen Geschichte und Politikwissenschaft an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, 2008 Magisterprüfung, 2008 Wissenschaftliche Hilfskraft bei der Kommission zur Aufarbeitung der Geschichte der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster im 20. Jahrhundert, 2008 bis 2009 Wissenschaftlicher Mitarbeiter im DFG-Projekt „Symbolische Kommunikation und kulturelle Identität in den Gruppenbildungsprozessen der revolutionären Frühphase der Weimarer Republik 1918/20“, seit 2009 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Theorie und Methoden der Geschichtswissenschaft an der Georg-August-Universität Göttingen. Kathrin Baas Geboren 1983 in Lüneburg, Studium der Neueren und Neuesten Geschichte, Politikwissenschaft und Philosophie in Münster und Würzburg, 2005 bis 2009 Tätigkeiten als Studentische Hilfskraft und Praktikantin beim Universitätsarchiv Münster, bei der Körber-Stiftung in Hamburg (Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten), beim Stadtarchiv Münster und beim LWL-Landesmuseum für Kunstund Kulturgeschichte in Münster, 2009 Magisterprüfung, seit April 2009 Promotionsstudium an der Universität Münster bei Professor Dr. Hans-Ulrich Thamer mit einer Untersuchung über den Transformationsprozess der geographischen Forschung an der Universität Münster 1918–1950, 2009 bis 2012 Wissenschaftliche Hilfskraft bei der Kommission zur Aufarbeitung der Geschichte der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster im 20. Jahrhundert, seit August 2012 Stipendiatin der Promotionsförderung der Universität Münster. Sara-Marie Demiriz Geboren 1984 in Herne, 2003 bis 2009 Studium der Neueren und Neuesten Geschichte, Politikwissenschaft und Kultur, Kommunikation & Management an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, Februar 2009 Magisterprüfung, 2009 bis 2012 Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt B6 „Politische Religion, Utopie und Gewalt im 19. und 20. Jahrhundert“ des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ der Universität Münster, seit 2009 Bearbeitung des Promotionsprojekts „Politische Religion im Kemalismus. Atatürk und die Formierung der modernen Türkei 1923–1938“ (Arbeitstitel). Daniel Droste Geboren 1981 in Erwitte, 2002 bis 2007 Studium der Neueren und Neuesten Geschichte, Politikwissenschaft und Anglistik in Münster und Williamsburg, VA,

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Verzeichnis der Autorinnen und Autoren

USA, 2007 Magisterprüfung, 2011 Promotion, 2007 bis 2012 Koordinator der Kommission zur Aufarbeitung der Geschichte der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster im 20. Jahrhundert. Markus Drüding Geboren 1982 in Cloppenburg, 2004 bis 2009 Studium der Geschichte und Germanistik an der Universität Münster, 2009 Erstes Staatsexamen, 2009 bis 2011 Wissenschaftliche Hilfskraft, seit 2011 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Didaktik der Geschichte der Universität Münster. Katja Fausser Geboren 1971 in Bergisch-Gladbach, 1991 bis 1998 Studium der Neueren und Neuesten Geschichte, Politikwissenschaften und Publizistik in Münster und Edinburgh, 1994 bis 1998 Studentische Hilfskraft im Stadtarchiv Münster, 1998 Magisterarbeit zur Geschichte des Historischen Seminars der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, 1998 bis 2000 Wissenschaftliche Mitarbeit im Projekt „Europäisches Geschichtsbewusstsein“ am Kulturwissenschaftlichen Institut in Essen, anschließend Vertretungsstellen als Veranstaltungskoordinatorin im Haus der Geschichte und als Europareferentin bei der Kultusministerkonferenz, beide Bonn, seit Ende 2001 bei der Körber-Stiftung in Hamburg, anfangs als Wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten, seit 2011 Projektmanagerin im Bereich Bildung. Sebastian Felz Geboren 1979 in Essen, 2000 bis 2008 Studium der Geschichte, Philosophie und des Öffentlichen Rechts sowie der Rechtswissenschaften an der Universität Münster, 2004 bis 2007 Studentische und Wissenschaftliche Hilfskraft am Centrum für Europäisches Privatrecht (Professor Dr. Dr. Reiner Schulze), 2006 Magisterprüfung, 2008 Erstes Juristisches Staatsexamen am Oberlandesgericht Hamm, 2008 bis 2012 Wissenschaftliche Hilfskraft und Mitarbeiter am Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte II (Professor Dr. Hans-Ulrich Thamer), seit 2008 Promotion über die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät Münster 1902–1952, seit 2012 Rechtsreferendar am Oberlandesgericht Düsseldorf. Ursula Ferdinand Geboren 1951 in Velsdorf (bei Magdeburg), 1969 bis 1973 Studium der Chemie an der Universität Greifswald, 1973 bis 1976 Dispatcher im VEB Plastverarbeitungswerk Schwerin, 1977 Studium der Publizistik, Lateinamerikanistik und Politischen Wissenschaften an der Freien Universität Berlin und der Universidad Nacional de Costa Rica (San José), 1987 bis 1992 Wissenschaftliche Angestellte am Zentrum für Technologische Zusammenarbeit der Technischen Universität Berlin, 1992 bis 1999 freiberufliche Tätigkeit im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit und

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Verzeichnis der Autorinnen und Autoren

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Lehrbeauftragte am Lateinamerika-Institut der Freien Universität Berlin, 1997 Promotion, 1999 bis 2000 Wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Magnus-HirschfeldGesellschaft – Forschungsstelle e.V., Berlin, 2000 bis 2001 Stipendiatin der Berliner Senatsverwaltung für Arbeit, berufliche Bildung und Frauen, 2001 bis 2007 Wissenschaftliche Mitarbeiterin im DFG-Schwerpunktprogramm 1106 „Ursprünge, Arten und Folgen des Konstrukts ‚Bevölkerung‘ vor, im und nach dem ‚Dritten Reich‘“ – Teilprojekt „Methoden und Theorien sozialwissenschaftlicher Bevölkerungsforschung in Deutschland ‚um 1930‘“ an der Technischen Universität Berlin, seit 2008 Wissenschaftliche Mitarbeiterin des DFG-Projekts „Geschichte der Medizinischen Fakultät der Universität Münster in der Zeit des ‚Dritten Reiches‘ und der frühen Nachkriegszeit“ am Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin der Universität Münster. Thomas Flammer Geboren 1975 in Salzgitter-Bad, 1994 bis 2000 Studium der Katholischen Theologie, 2000 Diplomtheologe, 2000 bis 2004 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Seminar für Mittlere und Neuere Kirchengeschichte der Universität Münster, seit 2004 Wissenschaftlicher Leiter des Instituts für die Geschichte des Bistums Münster an der Universität Münster, 2007 Promotion, seit 2007 zusätzlich Geschäftsführer des Instituts für religiöse Volkskunde (Münster). Nadine Förster Geboren 1983 in Troisdorf, 2004 Abitur, 2005 bis 2011 Magisterstudium der Neueren und Neuesten Geschichte, Volkskunde/Europäischen Ethnologie und Soziologie an der Universität Münster, 2008 bis 2010 Studentische Hilfskraft im Stadtmuseum Münster sowie 2009 bis 2011 Studentische Hilfskraft am Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte II der Universität Münster, 2011 Magisterprüfung. Manfred Günnigmann Geboren 1945 in Emsdetten, 1965 bis 1969 Tätigkeit als Auszubildender und als Bankkaufmann in Münster, 1968 bis 1971 Studium an der Pädagogischen Hochschule Westfalen-Lippe, 1971 Erstes Staatsexamen in den Fächern Deutsch, Musik und Mathematik, 1971 Beginn eines Zusatzstudiums, 1972 bis 1974 Studium zur Erlangung des akademischen Grades „Diplompädagoge“, 1974 Diplomprüfung, 1974 bis 1975 Ausbildungszeit als Lehramtsanwärter am Bezirksseminar in Coesfeld, 1975 Zweites Staatsexamen, 1978 Zusatzprüfung für das Lehramt der Sekundarstufe I an der Universität, 1975 bis 2008 Unterrichtstätigkeit, zunächst an der Losbergschule (GHS) in Stadtlohn, ab 1979 an der Städtischen Realschule in Stadtlohn (heute: Herta-Lebenstein-Realschule), 1981 bis 1982 Ausbildung zur Erlangung des Montessori-Diploms (Schwerpunkt: Entwicklung der Montessori-Pädagogik in Deutschland nach 1945), seit 2008 Realschullehrer a. D., 2008 Neuaufnahme eines musikwissenschaftlichen Studiums an der Westfälischen Wilhelms-Universität

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Verzeichnis der Autorinnen und Autoren

Münster, 2009 Doktorand an der Folkwang Universität in Essen, Thema der Dissertation: Werner Korte – Musikwissenschaft während des Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit in Münster. Sabine Happ Geboren 1965 in Bonn, 1986 bis 1989 Anwärterin bei der Stadt Bonn, 1989 Diplom-Verwaltungswirtin, 1989 bis 1993 Sachbearbeiterin bei der Stadt Bonn, 1989 bis 1995 Studium der Geschichte und Germanistik an der Universität Bonn, 1995 Magisterprüfung, 1995 bis 1996 Archivarin bei der Konrad-Adenauer-Stiftung St. Augustin, 1996 bis 2000 Wissenschaftliche Hilfskraft im Universitätsarchiv Bonn, 2001 Promotion, 2001 bis 2004 verschiedene Archivprojekte beim Universitätsarchiv Heidelberg, 2003 bis 2005 berufsbegleitendes Studium an der Fachhochschule Potsdam, 2004 Projektmitarbeiterin bei der Universitätsbibliothek Stuttgart, seit 2005 Leiterin des Universitätsarchivs Münster, 2009 Diplom-Archivarin. Volker Honemann Geboren 1943 in Stadelschwarzach/Unterfranken, 1962 bis 1969 Studium der Germanistik, Geschichte, Geographie und Kustgeschichte in Würzburg, Heidelberg und Paris, 1969 bis 1971 Studienreferendar, 1971 bis 1974 und 1976 bis 1978 Wissenschaftlicher Assistent am Institut für deutsche Philologie Würzburg (Professor Dr. Kurt Ruh), 1974 Promotion, 1975/1976 DAAD-Lektor am King‘s College London, 1978 bis 1982 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin (Professor Dr. Volker Mertens), 1982 Habilitation, 1983 bis 1992 C3-Professur Ältere Germanistik in Göttingen, 1992 bis 2008 (Pensionierung) C4-Professur für Ältere deutsche Literatur unter Einbeziehung der mediävistischen Komparatistik in Münster. Veronika Jüttemann Geboren 1978 in Coesfeld, 1997 bis 1998 Deutschassistentin an der Rossall-School, Fleetwood UK, 1998 bis 2001 Studium der Europäischen Geschichte an der Universität Cambridge UK, 2001 bis 2006 Promotion an der Universität Bielefeld bei Ute Frevert und Martina Kessel, seit 2006 Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Kontaktstelle Studium im Alter der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Hans-Peter Kröner Geboren 1949 in Bottrop, 1970 bis 1976 Studium der Medizin an der Universität Münster, 1976 ärztliche Prüfung, 1977 bis 1982 klinische Tätigkeit, 1980 Promotion zum Dr. med. 1982 bis 1988 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Theorie und Geschichte der Medizin der Universität Münster, gleichzeitig berufsbegleitendes Studium der Philosophie und Geschichte, 1989 bis 1990 klinische Tätigkeit, seit 1990 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin der Universität Münster, 1995 Habilitation, 2002 Ernennung zum

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Verzeichnis der Autorinnen und Autoren

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außerplanmäßigen Professor. Forschungsschwerpunkte: Medizingeschichte im 19. und 20. Jahrhundert; Medizin und Nationalsozialismus. Michael Krüger Geboren 1955 in Heidenheim/Brenz, Studium der Fächer Germanistik, Geschichte, Pädagogik und Sport in Würzburg, Tübingen und Leicester, GB, Promotion 1984 im Fach Geschichte, Studienassessor in Tübingen und Reutlingen, Wissenschaftlicher Assistent am Institut für Sportwissenschaft in Tübingen, 1996 Habilitation zum Thema „Körperkultur und Nationsbildung“, seit 1999 Professor und Direktor des Instituts für Sportwissenschaft der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, Sprecher der Sektion Sportgeschichte der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft, federführender geschäftsführender Herausgeber der Zeitschrift Sportwissenschaft von 2004 bis 2012. Forschungsschwerpunkte: Turn- und Sportgeschichte, olympische Geschichte und Pädagogik; ethische, politische und kulturelle Aspekte der Sportentwicklung (zum Beispiel Doping). Ioanna Mamali Geboren 1975 in Athen, 1994 bis 1998 Studium der Methodologie, Geschichte und Theorie der Wissenschaft und 1998 bis 2001 Aufbaustudium der Geschichte und der Philosophie der Wissenschaft und der Technologie an der Universität Athen, 1997 bis 2000 Mitarbeit bei diversen historischen Projekten an der Universität Athen, 2002 bis 2004 Projektleiterin im Griechischen Literatur- und Geschichtsarchiv in Athen, 2005 bis 2006 Aufbaustudium der Bibliotheks- und Informationswissenschaften an der Fachhochschule Köln, 2008 bis heute Mitarbeiterin am DFG-Projekts „Geschichte der Medizinischen Fakultät der Universität Münster in der Zeit des ‚Dritten Reiches‘ und der frühen Nachkriegszeit“ am Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin der Universität Münster, 2011 Promotion. Rainer Pöppinghege Geboren 1962 in Hamm/Westfalen, 1983 bis 1990 Studium der Neuesten Geschichte, Englischen Philologie und Politikwissenschaft an der Westfälischen WilhelmsUniversität Münster, 1991 bis 1993 Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Stadtarchiv Münster, 1993 Promotion, 1994 bis 1995 Ausbildung zum Fachjournalisten für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, 2004 Habilitation an der Universität Paderborn, 2011 Ernennung zum außerplanmäßigen Professor, lehrt seit 1998 Neueste Geschichte und Didaktik am Historischen Institut der Universität Paderborn. Peter Respondek Geboren 1957 in Wolfsburg, seit 1978 Studium der Geschichte, Germanistik, Soziologie und Erziehungswissenschaft in Münster, 1986 Staatsexamen (Sekundarstufe I und II), 1992 Promotion zum Dr. phil., lehrte von 1994 bis 2011 an der Universität Paderborn Geschichtswissenschaft. Forschungsschwerpunkte: Technik

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Verzeichnis der Autorinnen und Autoren

und Umweltgeschichte, Theorien und Methoden der Geschichtswissenschaft, Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, arbeitet zurzeit zum Thema „Biographie und Geschichtswissenschaft“. Timm C. Richter Geboren 1970 in Beckum, 1989 bis 1997 Studium der Neueren und Neuesten Geschichte, der Politikwissenschaft und Soziologie an der Westfälischen WilhelmsUniversität Münster, 1997 Magisterprüfung, 1998 Pädagogisch-wissenschaftlicher Mitarbeiter der Volkshochschule Münster im Rahmen der Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944“, 2001 bis 2002 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Ostkircheninstitut der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität im Rahmen des von Volkswagen-Stiftung geförderten Forschungsprojektes: „Bolschewistische Herrschaft und das Landeskonzil der Orthodoxen Kirche in Rußland“, seit 2001 mit Unterbrechungen freier Mitarbeiter des Geschichtsortes „Villa ten Hompel“ (Stadt Münster) und StattReisen e.V. Münster, 2007 bis 2008 Wissenschaftlicher Projektmitarbeiter am Deutschen Historischen Institut Warschau, seitdem Freiberufler. Johannes Schäfer Geboren 1984 in Wuppertal, 2003 bis 2011 Studium der Neueren und Neuesten Geschichte, Mittleren Geschichte und Philosophie an den Universitäten Münster und Wien, Mitarbeit in der studentischen und akademischen Selbstverwaltung, seit 2011 Promotion zur Geschichte der studentischen Hochschulpolitik in Münster im „roten Jahrzehnt“. Kristina Sievers Geboren 1983 in Neumünster, 2004 bis 2009 Studium der Neueren und Neuesten Geschichte, Mittleren Geschichte und katholischen Theologie, 2009 Magisterprüfung, 2009 bis 2012 Wissenschaftliche Hilfskraft am Historischen Seminar der Westfälischen Wilhelms-Universität und Mitglied der Kommission zur Aufarbeitung der Geschichte der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster im 20. Jahrhundert. Hans-Ulrich Thamer Geboren 1943 in Rotenburg an der Fulda, Studium der Fächer Geschichte, Latein und Politische Wissenschaften, 1968 Staatsexamen in Marburg, 1971 Promotion in Marburg, 1980 Habilitation in Erlangen, 1973 bis 1980 Wissenschaftlicher Assistent am Institut für Geschichte der Universität Erlangen, 1980 bis 1983 C2-Professor an der Universität Erlangen, 1983 bis 2011 C4-Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Münster, 1996 bis 2004 DFG-Fachgutachter, 1998 bis 2002 Prorektor für Lehre und Studentische Angelegenheiten der Universität Münster, seit 2011 Senior-Professor im Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der Uni-

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Verzeichnis der Autorinnen und Autoren

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versität Münster. Forschungsschwerpunkte: Nationalsozialismus und Europäischer Faschismus, Ideen und Sozialgeschichte im Zeitalter der Französischen Revolution, Kulturgeschichte von Museen und Ausstellungen, Historische Jugendforschung. Karsten Wallmann Geboren 1981 in Lengerich, 2002 bis 2011 Studium der Geschichte und Sozialwissenschaften an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, 2011 Erstes Staatsexamen, seit 2012 Lehramtsanwärter. Achim Weiguny Geboren 1935 in Bunzlau/Schlesien, Studium der Physik an der Universität Marburg und der Freien Universität Berlin, 1961 Diplom in Physik in Marburg, 1963 Promotion an der Universität Freiburg, 1967 bis 1968 Stipendiat der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Royal Society, Oxford University, 1969 Habilitation Universität Freiburg, 1970 C3-Professur an der Universität Münster, 1971 Ruf auf eine C4-Professur in Gießen, 1972 C4-Professur an der Universität Münster, Gastprofessuren: Witwatersrand University Johannesburg (1976/77), Los Alamos Scientific Laboratory (1980/81), University of Tokyo (Frühjahr 1985), Centre d’Etudes Nucleaires de Saclay (1986/87), Yukawa Institute for Theoretical Physics, Kyoto (Sommer 1993 und 1997). Forschungsgebiete: Kollektive Phänomene von Vielteilchensystemen in Molekül- und Kernphysik, Reaktionen leichter Atomkerne in der Astrophysik, Lernen von Gesetzen aus empirischen Daten im Rahmen der Quanten-Statistik. Christoph Weischer Geboren 1956 in Hamm, akademische Ausbildung in der Sozialwissenschaft an den Universitäten Münster (Staatsexamen und Promotion) und Bochum (Habilitation), 1981 bis 2004 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Soziologie der Universität Münster, an der Fakultät für Sozialwissenschaft – Sektion Sozialwissenschaftliche Methodenlehre und Sozialstatistik der Universität Bochum, am Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld und am Zentrum für interdisziplinäre Ruhrgebietsforschung der Universität Bochum, seit 2004 Vertretungsprofessur/Professur für Soziologie (mit den Schwerpunkten International vergleichende Sozialstrukturanalyse, Methoden der empirischen Sozialforschung und soziale Indikatoren) am Institut für Soziologie der Universität Münster. Forschungsschwerpunkte im Bereich der Sozialstrukturanalyse, der empirischen Sozialforschung und Statistik, der Armutsforschung, der industrielle Beziehungen und in der Geschichte der empirischen Sozialforschung. Nicola Willenberg Studium der Neueren und Neuesten Geschichte, Politikwissenschaft und Deutsche Philologie in Münster und Swansea, 2005 bis 2008 Wissenschaftliche Mitarbeiterin

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im Sonderforschungsbereich 496 „Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme“ an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, seit 2009 Wissenschaftliche Mitarbeiterin in dem interdisziplinären Forschungsprojekt „Die Wiederkehr der Folter? Interdisziplinäre Studie über eine extreme Form der Gewalt, ihre mediale Darstellung und ihre Ächtung“ an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Manfred Witt Geboren 1959 in Kamen, 1978 bis 1984 Lehramtsstudium Sekundarstufe II mit den Fächern Geschichte und Evangelische Religionslehre in Münster, 1984 Erstes Staatsexamen, 1985 bis 1987 Referendariat in Recklinghausen, 1987 Zweites Staatsexamen, 1988 bis 1993 Doktorandenstudium in Münster und Siegen zur Gesundheitsfürsorge in Münster (1930 bis 1950), 1989 bis 1990 wissenschaftlicher Mitarbeiter der Forschungsstelle Stadtgeschichte der Stadt Hamm, 1993 bis 1994 Fortbildung zum Wirtschaftsarchivar/Informationsmanager in Köln, 1994 freiberufliche Tätigkeit als Wirtschaftsarchivar u. a. bei der Brauerei Becks & Co in Bremen, 1995 bis 1998 Redakteur für Fachinformationssysteme beim MBO Verlag in Münster, seit 1998 Fachreferent für das Dokumentenmanagement und die Bibliothek der Industrie- und Handelskammer Nord Westfalen in Münster.

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Veröffentlichungen des Universitätsarchivs Münster V~"'fl.nUI'hun