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German Pages 236 Year 2004
Marcus Klein Im langen Schatten des Nationalsozialismus: Faschistische Bewegungen in Chile zwischen der Weltwirtschaftskrise und dem Ende des Zweiten Weltkriegs
E d i t i o n e n der I b e r o a m e r i c a n a Ediciones de Iberoamericana Serie A: Literaturgeschichte und -kritik / Historia y Crítica de la Literatura Serie B: Sprachwissenschaft / Lingüística Serie C: Geschichte und Gesellschaft / Historia y Sociedad Serie D: Bibliographien / Bibliografías Herausgegeben von / Editado por: Waither L. Bernecker, Frauke Gewecke, Jürgen M. Meisel, Klaus Meyer-Minnemann C: Geschichte und Gesellschaft / Historia y Sociedad, 10
Marcus Klein
Im langen Schatten des Nationalsozialismus Faschistische Bewegungen in Chile zwischen der Weltwirtschaftskrise und dem Ende des Zweiten Weltkriegs
Vervuert Verlag • Frankfurt am Main 2004
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
© Vervuert Verlag, Frankfurt am Main 2004 ISBN 3-86527-147-2 Alle Rechte vorbehalten Umschlaggestaltung: Michael Ackermann unter Verwendung einer Photographie von Jorge González von Marées, 1935 Gedruckt auf säure- und chlorfreiem, alterungsbeständigem Papier gemäß ISO-Norm 9706 Printed in Germany
DANKSAGUNG
Ohne eine Vielzahl von Personen in Europa und Lateinamerika, die mich in den letzten Jahren intellektuell unterstützten und bereicherten und, falls notwendig, aufmunterten, hätte dieses Buch nicht entstehen können. Mein intellektueller Dank gilt vor allem James Dunkerley, Alan Angell, Helen Graham, Nicola Miller sowie Jürgen Müller. Zu verschiedenen Zeitpunkten wiesen sie durch ihre Kommentare und Anregungen auf Unklarheiten und Schwächen in der Argumentation hin und halfen, Fehler zu korrigieren. Hans-Christoph Zimmermann erwies sich als unermüdlicher, penibler und überaus kritischer Leser des gesamten Manuskripts. Kerstin Schwartz beseitigte letzte Schwächen und Fehler. Für die noch bestehenden Unzulänglichkeiten bin aber ausschließlich ich verantwortlich. Für die freundliche Zusammenarbeit und Hilfe in Chile möchte ich mich vor allem bei Rodrigo Alliende González, der mir Zugang zu den privaten Papieren von Jorge González von Marées gewährte, und Anne Pérotin-Dumon und Miriam Guzmán, die in der Nationalbibliothek von Santiago das Unmögliche möglich machten, bedanken. Darüber hinaus bin ich den Mitarbeiterinnen des Nationalarchivs, Abteilung Siglo XX, der Biblioteca Nacional und der Biblioteca del Congreso in Santiago zu Dank verpflichtet. In Deutschland erwiesen sich die Mitarbeiterinnen des Politischen Archivs des Auswärtigen Amtes (ehemals Bonn, nun Berlin), des Bundesarchivs in Koblenz, des Staatsarchivs Hamburg, des Instituts für Zeitgeschichte in München und der Bibliothek des IberoAmerikanischen Instituts, Preußischer Kulturbesitz, in Berlin als sehr hilfreich. In Großbritannien geht meine Anerkennung an die Bibliothekare des ehemaligen Institute of Latin American Studies (im August 2004 aufgegangen im Institute for the Study of the Americas), der University of London Library (Senate House), der British Library, des Institute of Historical Research (University of London) sowie den Angestellten des Public Record Office in Kew Gardens. Schließlich sei dem Centrum voor Studie en Documentatie van Latijns Amerika (CEDLA) in Amsterdam gedankt, an dem dieses Buch fertig gestellt wurde.
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Jürgen Müller stellte mir Kopien von chilenischen Dokumenten zur Verfügung; Mario Valdes Urrutia überließ mir ein unveröffentlichtes Manuskript; Sandra McGee Deutsch half Lücken in der Chronologie zu füllen, und Oliver Dinius beschaffte einen Artikel in den USA, der in Europa nicht erhältlich war. Allen möchte ich noch einmal meinen Dank aussprechen. Zuletzt, aber sicherlich nicht am wenigsten, bin ich meiner Mutter verpflichtet, die mich bis zu ihrem allzu frühen Tod großzügig unterstützte. Gleiches gilt für meine Großeltern, die mir nach dem Ablauf des Stipendiums, das mir vom Österreichischen Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur für mein Doktoratsstudium am Institute of Latin American Studies — auf dem dieses Buch teilweise aufbaut - für die Studienjahre 1995/1996 und 1996/1997 gewährt worden war, finanziell zur Seite standen und Engpässe zu überwinden halfen. Heike gehört, wie immer, mein größter Dank. Ohne ihre Liebe und Zuneigung als auch ihre kritischen Kommentare hätte dieses Buch nie geschrieben werden können. Ihr und unserem Sohn Felix ist es gewidmet. Die Ausführungen zu Carlos Keller Rueff greifen auf einen Artikel zurück, der 2 0 0 2 in der Zeitschrift Historia (Santiago) unter dem Titel „The Making of an Unlikely Chilean Fascist: Reflections on the Intellectual Development and Political Work of Carlos Keller Rueff' (Bd. 35, S. 1 8 7 - 2 0 9 ) erschien. Teile des zweiten Kapitels, insbesondere Abschnitt 2.4., „Der MNS, die Deutsch-Chilenische Gemeinschaft und der Deutsche Jugendbund Chile", wurden in The Americas unter dem Titel „The MNS, the German-Chilean Community, and the Third Reich, 1 9 3 2 - 1 9 3 9 : Myth and Reality" im April 2 0 0 4 (Bd. 6 0 , Nr. 4 , S. 5 8 9 - 6 1 6 ) veröffentlicht. Das dritte Kapitel basiert auf meinem im Journal of Latin American Studies im Mai 2001 publizierten Artikel „The New Voices of Chilean Fascism and the Popular Front, 1 9 3 8 - 1 9 4 2 " (Bd. 3 3 , Nr. 2, S. 3 4 7 - 3 7 5 ) . Mein Dank geht an die Academy of American Franciscan History und die Cambridge University Press© für die freundlichen Genehmigungen, die Beiträge hier in deutscher Ubersetzung nachzudrucken. Speziell der Aufsatz aus dem Journal of \uitin American Studies wurde für dieses Buch überarbeitet, erweitert und leicht korrigiert. Die Übersetzungen aus dem Spanischen und Englischen stammen allesamt von mir. Richard Rachenzentner half dankenswerterweise meinem Französisch auf die Sprünge.
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INHALTSVERZEICHNIS
DANKSAGUNG
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ABKÜRZUNGEN
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1.
2.
ZUR FRAGE DES FASCHISMUS IN CHILE (UND LATEINAMERIKA) DER MOVIMIENTO NACIONAL SOCIALISTA UND DIE GRENZEN DES FASCHISTISCHEN TRAUMS, 1932-1939 2.1. Die Geburt des Naäsmo 32 2.2. Die Ideologie und Politik des MNS in der Anfangsphase 40 2.3. Auf der Suche nach einer Identität 48 2.4. Der MNS, die deutsch-chilenische Gemeinschaft und der Deutsche Jugendbund Chile 68 2.5. Die Popularisierung des Naäsmo 78 2.6. Der MNS, die Volksfront und Carlos Ibáñez 102 2.7. Der 5. September 1938 und seine Auswirkungen 116 2.8. Abschließende Bemerkungen 126 Tab. 1: Wahlen zum Abgeordnetenhaus, 7. März 1937 (Absolut) 130 Tab. 2: Wahlen zum Abgeordnetenhaus, 7. März 1937 (Prozent) 132 Tab. 3: Lokalwahlen, 3. April 1938 (Absolut) 134 Tab. 4: Lokalwahlen, 3. April 1938 (Prozent) 136
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3.
4.
DIE NEUEN STIMMEN DES CHILENISCHEN FASCHISMUS UND DIE VOLKSFRONT, 1 9 3 8 - 1 9 4 5 3.1. Der langsame Zerfall des Nacismo und das Scheitern des Partido Nacional Fascista 142 3.2. Der General, sein Anwalt und der Movimiento Nacionalista de Chile 158 3.3. Die verworrenen Wege der Vanguardia Popular Socialista 167 3.4. Die Unión Nacionalista oder der gemeinsame Niedergang der chilenischen Faschisten 184 3.5. Abschließende Bemerkungen 191 Tab. 5: Wahlen zum Abgeordnetenhaus, 2. März 1941 (Absolut) 194 Tab. 6: Wahlen zum Abgeordnetenhaus, 2. März 1941 (Prozent) 196 DAS SCHICKSAL DES CHILENISCHEN FASCHISMUS NACH 1 9 4 5
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CHRONOLOGIE DER EREIGNISSE, 1931 - 1 9 4 4
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LITERATURVERZEICHNIS
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ABKÜRZUNGEN
AAA Acción Rep. AMI ANCH
APL AN BA BI^AR COSACH CORFO COVENSA CTCH
DAI DCB DJC EIAL Fn. FNPL
FO FP g. GNU HAHR JBLA
JCH
Asociación de Amigos de Alemania (Vereinigung der Freunde Deutschlands) Acción Republicana (Republikanische Aktion) Archivo del Ministerio del Interior (Archiv des [chilenischen] Innenministeriums) Acción Nacionalista de Chile (Nationalistische Aktion Chiles) Alianza Popular Libertadora (Volksbefreiungsallianz) Archivo Nacional (Nationalarchiv) Bundesarchiv Bulletin of Latin American Research Compañía de Salitre de Chile (Salpetergesellschaft Chiles) Corporación de Fomento (Entwicklungsgesellschaft) Corporación de Ventas de Salitre y Yodo (Verkaufsgesellschaft für Salpeter und Nitrat) Confederación de Trabajadores de Chile (Verband der Arbeiter Chiles) Deutsches Ausland-Institut Deutsch-Chilenischer Bund Deutscher Jugendbund Chile Estudios Interdisciplinarios de América Latina y el Caribe Fußnote Frente Nacionalista Patria y Libertad (Nationalistische Front Vaterland und Freiheit) Foreign Office Frente Popular (Volksfront) gewählt Grupo Nacista Universitaria (Nacistische Universitätsgruppe) Hispanic American Historical Review Jahrbuch für Geschichte von Staat, Gesellschaft und Wirtschaft Lateinamerikas Journal of Contemporary History
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JLAS
Kand. KOMINTERN
Kommunist. LSN MEMCH MNCH MNJC
MNS MR n. NR NSDAP NSDAP/AO
PA AA PAL PNF PNS PNSOCH PRAG
PRO SA St. TEA TNA
UN 10
Journal of Latin American Studies Kandidaten Kommunistische Internationale Kommunisten Legión Social-Nacionalista (Sozial-Nationalistische Legion) Movimiento Pro-Emancipación de la Mujer Chilena (Bewegung für die Emanzipation der chilenischen Frau) Movimiento Nacionalista de Chile (Nationalistische Bewegung Chiles) Movimiento Nacional de la Juventud Conservadora (Nationale Bewegung der Konservativen Jugend) Movimiento Nacional Socialista (Nationalsozialistische Bewegung) Milicia Republicana (Republikanische Miliz) nominiert Núcleo Reconstrucción (Kern Wiederaufbau) Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei/ Auslandsorganisation Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes Partido Agrario Laborista (Agrarische Arbeiterpartei) Partido Nacional Fascista (Nationalfaschistische Partei) Patria Nueva Sociedad (Vaterland Neue Gesellschaft) Partido Nacional Socialista Obrero de Chile (Nationalsozialistische Arbeiterpartei Chiles) Privatsammlung Rodrigo Alliende González (Privatarchiv von Jorge González von Marées) Public Record Office Sturmabteilung Stimmen Tenacidad Entusiasmo Abnegación (Zähigkeit Enthusiasmus Entsagung) Tropas Nacistas de Asalto (Nacistische Sturmabteilungen) Tropas Nacionalistas de Asalto (Nationalistische Sturmabteilungen) Unión Nacionalista (Nationalistische Union)
Abkürzungen
US Vanguard. VPS
Unión Socialista (Sozialistische Union) Vanguardistas Vanguardia Popular Socialista (Sozialistische Volksavantgarde)
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1.
ZUR FRAGE DES FASCHISMUS IN CHILE (UND LATEINAMERIKA)
Das Schlechteste, was ein Volk wie unseres in politischer Hinsicht machen kann, ist, den Anspruch erheben, originell sein. Es wäre lächerlich, wenn wir uns dagegen wehren würden, uns von den aus Europa kommenden Ideologien und spirituellen Tendenzen inspirieren lassen Unsere Arbeit besteht genau darin, die universellen Grundlagen des Faschismus an die Notwendigkeiten und Neigungen unseres Volkes anzupassen. Jorge Gon^äle^ von Maréesx
In einem Interview, das Ende Januar 1937 in der Zeitschrift Hoy publiziert wurde, äußerte sich der Führer des Movimiento Nacional Socialista (Nationalsozialistische Bewegung, MNS), Jorge González von Marées, eingehend zum ideellen Verhältnis seiner Gruppierung zur Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) Adolf Hitlers. Auf die Frage des Journalisten bezüglich des Namens der von ihm geführten Bewegung behauptete der Jefe (Führer), dass zum Zeitpunkt der Gründung des MNS im April 1932 die späteren „weltweiten Auswirkungen" des deutschen Nationalsozialismus noch nicht absehbar gewesen seien. Der Begriff „Nazismus" sei überdies in Chile erfunden worden, und erst danach habe er Eingang in das „universelle Vokabular" gefunden. Es sei ihm aber bewusst, erklärte González dem skeptischen Reporter, dass die unbestreitbare Ähnlichkeit der Namen den Eindruck erwecke, der MNS sei bloß eine „Kopie oder Imitation" der NSDAP. Dies sei aber, so stellte er bestimmt fest, zweifellos nicht der Fall. Außerdem blieben ihre Unabhängigkeit sowie ihr faschistischer Charakter außer Frage. Würde er heu-
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Civis, „Ideologías criollas", Vagna Naäonal-Soäaüsta, El Imparäal, 29. Nov. 1932, S. 6. Michael Potashnik zufolge war „Civis" ein Pseudonym von González. Siehe „Nacismo: National Socialism in Chile, 1932-1938" (PhD diss., University of California, Los Angeles, 1974), S. 168.
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te wieder eine Bewegung gründen, überlegte er jedoch, ob er noch einmal den gleichen Namen annehmen oder ob er einen „anderen, typisch chilenischen" wählen würde, selbst wenn letztendlich die „spirituelle Bedeutung" einer Gruppe wichtiger sei als „Worte" oder „Bezeichnungen".2 Wie die Ausfuhrungen und Erläuterungen des Jefe unschwer erkennen lassen, kämpfte die von ihm geführte nacistische Bewegung mit gravierenden Legitimationsproblemen. Wenn auch widerwillig und beschönigend gestand González die Schwierigkeiten ein, mit denen sich der MNS seit seinem Erscheinen auf der politischen Bühne knapp fünf Jahre zuvor ständig konfrontiert sah: von seinen Gegnern wurde ihm vorgeworfen, politische Ideen und Ideale zu vertreten, die keinen Platz in Chile hätten und in keiner Weise die Realitäten und die Probleme des Landes reflektieren würden. Der MNS, so wurde behauptet, imitiere bloß seine Vorbilder, insbesondere die deutschen Nationalsozialisten. Mitunter wurde ihm sogar unterstellt, den angeblichen imperialistischen Interessen des europäischen Faschismus in Chile Vorschub zu leisten. Die Wirklichkeit war wesentlich komplexer, wie sich im Laufe dieser Arbeit zeigen wird. Aber auch die Ausführungen González' bedürfen einer kritischeren Betrachtung. Seine Darstellung der Tatsachen, die offensichtlich darauf abzielte, die Eigenständigkeit und sogar Vorreiterrolle des Naäsmo (im Gegensatz zum deutschen Nazismus mit einem „c" geschrieben) hervorzuheben, sollen nicht unwidersprochen bleiben. Unbestritten war, wie der chilenische Führer feststellte, die institutionelle und organisatorische Unabhängigkeit seiner Gruppe. Entgegen den Behauptungen mancher zeitgenössischer Gegner, vor allem der Linken, die unlängst ohne Vorlage von neuen Fakten wiederholt wurden,3 bildete sie nicht die „Fünfte Kolonne" des europäischen Faschismus. Ihr einziger Zweck bestand keinesfalls darin, die Machtergreifung Hitlers in Chile vorzubereiten. Tatsächlich waren die Beziehungen zwischen dem nationalsozialistischen Regime bzw. seinen Vertretern in Chile und den chilenischen Faschisten nicht nur relativ eingeschränkt, sondern auch durchaus problemgeladen. Die divergierenden Vorstellungen über die Zukunft der deutsch-chilenischen Gemeinschaft — die vom 2 3
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„Con Jorge González von Marées", Hoy, 28. Jan. 1937, S. 11. Vgl. María Soledad de la Cerda, Chile y los hombres del Tercer Tkeich (Santiago: Sudamericana, 2000), S. 22.
/. Faschismus in Chile
Nationalsozialismus geförderte Bewahrung ihrer deutschen Identität gegenüber der vom Naäsmo angestrebten vorbehaklosen Integration in die chilenische Nation — sollte zu Konfrontationen führen, die nicht gelöst werden konnten und eine engere Zusammenarbeit ausschlössen. Zwei unversöhnliche Formen von Nationalismus trafen aufeinander. Der Naäsmo war auch, wie der Jefe feststellte, eine faschistische Bewegung.4 Er basierte auf einer „revolutionären Form des Ultranationalismus", der für den Faschismus typisch war (und ist). Ebenso wie seine europäischen Vorbilder predigte der MNS „die Notwendigkeit" einer „sozialen Wiedergeburt der Nation", um ihren angeblichen Niedergang umzukehren und eine neue Ära nationaler Größe herbeizuführen. Erklärtes Ziel der Naästas war, eine neue totalitäre Ordnung zu schaffen, die sich sowohl vom Liberalismus als auch vom Kommunismus unterschiede; sie trüge dazu bei, die durch die politischen Parteien verursachten Gegensätze innerhalb der Nation zu überwinden, die das chilenische Volk zu zerstören drohten, und alle sozialen Sektoren und Klassen in einer hierarchisch organisierten Gemeinschaft zu vereinen. Die Gruppe zeigte darüber hinaus auch andere Züge, die gemeinhin als charakteristisch für den europäischen Faschismus der Zwischenkriegszeit angesehen werden. Als Beispiele seien hier eine „vitalistische Philosophie", ein extremer Elitismus, das Führerprinzip, die positive Beurteilung von Ge4
Speziell in der deutschsprachigen Wissenschaft gibt es noch immer starke Vorbehalte gegenüber einem allgemeinen Faschismusbegriff. Es wird in aller Regel argumentiert, wie Karl-Dietrich Bracher (Zeitgeschichtliche Kontroversen. Um Faschismus, Totalitarismus, Demokratie [München: Piper, 1976], S. 31) und Wolfgang Wippermann (Totatitarismustheorien. Die Entwicklung der Diskussion von den Anfängen bis heute [Darmstadt: Primus, 1997], S. 41) stellvertretend feststellen, dass er nicht der totalitären Natur des Dritten Reichs und vor allem der Vernichtung der Juden, die ein Spezifikum des Nazismus war, Rechnung tragen würde. Diese Argumentation scheint mir zu kurz zu greifen. Wie Ian Kershaw überzeugend argumentiert, kann man eben in einer vergleichenden Perspektive „die Besonderheiten der radikalen deutschen Variante" hervorbringen. So gibt es auch keinen notwendigen Widerspruch zwischen der „Akzeptanz des Nazismus als (der extremsten Manifestation von) Faschismus und der Anerkennung seiner einzigartigen Charakteristika innerhalb dieser Kategorie, die man nur im Rahmen der deutschen Entwicklung angemessen verstehen kann." Vgl. Kershaw, The Nasj Dictatorship: Problems and Perspectives of Interpretation (London/New York: Arnold, 1993, 3. Ausgabe), S. 37. Kershaw bekräftigt diese Haltung in „Hider and the Uniqueness of Nazism", JCH, Bd. 39, Nr. 2 (2004), S. 239-254.
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walt genannt und die Tendenz, „Krieg und/oder militärische Werte zu normalisieren."5 Der Einfluss des deutschen Nationalsozialismus auf die Gründung des MNS war aber wesentlich wichtiger, als González es zugeben mochte und wegen des Selbstverständnisses als wahrhaft chilenischer und nationalistischer Erscheinung auch eingestehen konnte. Entgegen seinen Beteuerungen hatten sich die Gründungsmitglieder 1932 absichtlich für den Namen Nationalsozialistische Bewegung entschieden. Sie wollten so von der wachsenden Wahrnehmung der NSDAP in Chile und ihrem steigenden internationalen Ansehen profitieren, die in direktem Zusammenhang mit Hitlers Erfolgen in den zur gleichen Zeit stattfindenden Wahlen für die Reichspräsidentschaft standen. Vor allem in den Anfangsjahren hatte sich der Naäsmo auch nachdrücklich mit dem Nazismus und in geringerem Maße dem italienischen Faschismus identifiziert. Diese Bemühungen zeigten sich nicht nur in der positiven Berichterstattung der nacistdschen Presse über die Entwicklungen im Dritten Reich und im faschistischen Italien oder der gleichberechtigten und austauschbaren Verwendung der Begriffe „Faschismus" und „Naäsmo", sondern auch in anderen Bereichen. So war zum Beispiel die Uniform seiner Mitglieder dem deutschen Vorbild nachempfunden; González imitierte Hiders spezielle Variante des Römischen Grußes, mit dem am Ellbogen abgewinkelten Arm; und die paramilitärische Organisation des MNS, die als Legión Nacista (Nacistische Legion) gegründet worden war, wurde nach der Machtergreifung Hiders in Tropas Nacistas de Asalto (Nacistische Sturmabteilungen, TNA), identisch mit der deutschen SA, umbenannt; sie
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Zu dem dieser Arbeit zugrundeliegenden Faschismusbegriff siehe Stanley G. Payne, A History of Fascism, 1914-45 (London: UCL Press, 1995), S. 3-19; Roger Griffin, The Nature ofFasäsm (London: Roudedge, 1993), S. 1-55; und Roger Eatwell, Fascism: A History (London: Vintage, 1996), S. xix-xxiv und 11. Paynes Arbeit liegt nunmehr in einer deutschen Übersetzung vor, Geschichte des Faschismus. Aufstieg und Fall einer europäischen Bewegung (Berlin/München: Propyläen, 2001). Zur andauernden Diskussion über die Nützlichkeit dieses Konzeptes siehe Griffin, „The Primacy of Culture: The Current Growth (or Manufacture) of Consensus within Fascist Studies",/CH, Bd. 37, Nr. 1 (2002), S. 21-43; Payne, „Review Article: Historical Fascism and the Radical Right", ]CH, Bd. 35, Nr. 1 (2000), S. 109-118; und David D. Roberts, Alexander De Grand, Mark Antliff und Thomas Linehan, „Comments on Roger Griffin, ,The Primacy of Culture: The Current Growth (or Manufacture) of Consensus within Fascist Studies'", JCH, Bd. 37, Nr. 2 (2002), S. 259-274.
1. Faschismus
in
Chile
entschieden sich auch für das Horst-Wessel-Lied als ihre Hymne.6 Die Ähnlichkeiten und Einflüsse waren nicht von der Hand zu weisen. Die ursprünglich als vorteilhaft angesehene Affinität mit dem Nazismus, durch den sich der MNS von anderen rechten Gruppierungen unterscheiden konnte und die ihn mit einem vorgeblich dynamischen und revolutionären Regime in Verbindung brachte, war aber im Laufe der Dreißigerjahre, wie González' Bemühungen um Distanz andeuteten, zu einer immer größeren Bürde geworden. Mit der anschwellenden internationalen Kritik am Dritten Reich aufgrund der rücksichtslosen Verfolgung politischer Gegner und der deutschen Juden sowie seiner aggressiven Außenpolitik hatte sich die Wahrnehmung des Faschismus, der mit der Machtübernahme des Nationalsozialismus erst zu einem universellen Phänomen aufgestiegen war, grundlegend geändert.7 Als eine Gruppe, die ihre ideologische und ideelle Identifikation speziell mit dem Nazismus nicht verleugnen konnte und wollte, war der MNS somit mit einem schier unlösbaren Dilemma konfrontiert. Als Faschisten wurden die Nacistas unweigerlich beschuldigt, nicht die Interessen Chiles an erste Stelle zu setzen, so wie sie es in ihrer Propaganda unterstrichen, sondern Diener fremder Herren zu sein. Die Betonung der nationalistischen und sozialen Komponenten ihres Programms, die ab Mitte des Jahrzehnts an Konturen gewannen und Anschuldigungen entkräften sollten, Imitatoren zu sein,8 als auch die allmähliche Distanzierung vom nazistischen 6
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Für Ähnlichkeiten siehe Rodrigo Alliende González und María Piedad Alliende Edwards, El Jefe. La vida de Jorge Gon^ále^ von Maries (Santiago: Los Castaños, 1990), S. 55-56. Zu TN A siehe „Legión Nacista", Página Nacional-Socialista, El Imparäal, 18. Nov. 1932, S. 2; und Archivo Nacional, Archivo del Ministerio del Interior, 8382 Investigaciones Confidenciales, 1933, Servicio de Investigaciones, Identificación y Pasaportes, Memorándum no. 122, Santiago, 2. Mai 1933. Für die internationalen Auswirkungen der Etablierung des Dritten Reichs auf den Faschismus siehe, z. B., Stuart J. Woolf, „Introduction", in ders. (Hg.), Fascism in Europe (London: Weidenfeld & Nicolson, 1980, 2. Ausgabe), S. 16; Renzo De Feiice, Interpretation of Fascism (Cambridge, MA: Harvard University Press, 1977), S. 4; und Eric J. Hobsbawm, Age of Extremes: The Short Twentieth Century, 1914-1991 (London: Abacus, 1995), S. 117. Solche Vorwürfe finden sich auch noch in der älteren Sekundärliteratur, z. B. in Richard Donoso, Alessandri. Agitador y demolador (Mexiko-Stadt/Buenos Aires: Fondo de Cultura Económica, 1954), Bd. 2, S. 256; Eduardo Frei Montalva in Alberto Edwards Vives und Frei Montalva, Historia de los partidos políticos (Santiago: Pacífico, 1969), S. 241; Arturo Fontaine, „Ideas nacionalistas", in Alberto Arce Eberhard
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Regime liefen weitgehend ins Leere. Worte und Bezeichnungen waren eben doch entscheidend für die Wahrnehmung einer Gruppe. Den einzigen Ausweg aus der politischen Sackgasse, in die sich die nacistische Bewegung durch die ursprüngliche Identifizierung mit und die Anlehnung an die europäischen Diktatoren manövriert hatte, bot die Aufgabe der faschistischen Selbstbestimmung und somit letztlich die Verleugnung ihrer historischen Wurzeln. Nur so konnten die selbsternannten Retter der chilenischen Nation hoffen, breitere Schichten zu erreichen und aus der Isolation auszubrechen, die sich aufgrund der wachsenden Polarisierung zwischen konservativen Regierungsparteien einerseits und zentristischen und linken Oppositionskräften andererseits verstärkte. Zum Zeitpunkt des Interviews im Januar 1937 war von diesem Schritt noch keineswegs die Rede, und er war auch noch nicht absehbar. Aber diese Entwicklung sollte in den nächsten Monaten Gestalt annehmen und an Dynamik gewinnen. Bald nach den Kongresswahlen vom März 1937, in denen die Naristas das aus ihrer Sicht enttäuschende Ergebnis von rund 3,5 Prozent aller Stimmen erzielten (und damit bloß drei Mandate im 146-köpfigen Unterhaus errangen), wurde ihre Haltung vis-a-vis dem Nazismus zunehmend kritischer. Verstärkt griff González das Dritte Reich an, vor allem wegen seiner Politik bezüglich der katholischen Kirche und der organisierten Arbeiterschaft. An ihrer Marginalisierung änderte dies jedoch vorerst nichts. Erst nachdem González im Mai 1938 dem Faschismus abschwor und den MNS als demokratische Kraft neu definierte, konnten die Naästas sich aus dem langen Schatten des Nazismus befreien und ein größeres Maß an politischer Handlungsfreiheit und Legitimation gewinnen. Erst mit diesem Schritt wurden die ehemaligen Bewunderer Adolf Hitlers und Benito Mussolinis zu einem akzeptablen Koalitionspartner für andere Gruppen und Parteien. Dieser Prozess gewann nach dem gescheiterten Staatsstreich von September 1938 und der nachfolgenden Unterstützung der Volksfront in den Präsidentschaftswahlen neuen Schwung. Unter der Führung ihres Jefe benannte sich der MNS im Januar 1939 in Vanguardia Popular Socialista (Sozialistische Volksavantgarde, VPS) um und definierte sich als linke Partei. Gleichzeitig führten diese Entscheidungen, die und Enrique Campos Menéndez (Hg.), Pensamiento nacionalista (Santiago: Gabriela Mistral, 1974), S. 244; und Hernán Ramírez Necochea, „El fascismo en la evolución política de Chüe hasta 1973", Araucaria de Chile (Madrid), Bd. 1 (1978), S. 19.
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1. Faschismus in Chile
das Scheitern des chilenischen Faschismus nachdrücklich unterstrichen, auch zu Abspaltungen und dem Erscheinen neuer Gruppen auf der politischen Bühne, die das Erbe des Nacismo anzutreten versprachen und die Verheißung von der faschistischen Erlösung Chiles verbreiteten. Während der kurzen Zeit ihres Bestehens standen diese Nachfolgeorganisationen — der Partido Nacional Fascista (Nationalfaschistische Partei, PNF), der Movimiento Nacionalista de Chile (Nationalistische Bewegung Chiles, MNCH) und die Unión Nacionalista (Nationalistische Union, UN) — im Wesentlichen den gleichen Schwierigkeiten gegenüber wie der MNS. Einerseits sahen sie sich als nationale Manifestation einer, aus ihrer Sicht, weltgeschichtlichen Strömung, der die Zukunft gehörte. Andererseits beteuerten sie zu Recht, wenn auch vergebens, ihre organisatorische und mit Einschränkungen ideologische Eigenständigkeit. Erschwert wurde ihr Kampf um nationale Anerkennung und für ihre faschistischen Ziele durch das steigende Misstrauen der chilenischen Bevölkerung vis-a-vis dem Faschismus nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Mehr noch als der MNS mussten sie gegen das Vorurteil und den Vorwurf ankämpfen, nicht die Interessen Chiles an erste Stelle zu stellen, sondern lediglich Vertreter der angeblichen imperialistischen Ansprüche des Dritten Reichs in ihrer Heimat zu sein. Mit der sich abzeichnenden Niederlage der Achsenmächte verloren sie schließlich auch noch den Anspruch, eine internationale Vorreiterrolle einzunehmen. So wie das Erscheinen des MNS auf das Engste mit dem Aufstieg des deutschen Nationalsozialismus verbunden war, bedeutete seine vernichtende Niederlage das Ende aller Träume für die kleiner werdende Schar chilenischer Faschisten. Bereits Anfang 1944 löste sich die Unión Nacionalista auf. Sie hatte ab März 1942 als letztes Sammelbecken für den chilenischen Faschismus gedient, einschließlich der zu ihren nacistischen Wurzeln zurückgekehrten VPS. Das vorliegende Buch hat diese im langen Schatten des Nazismus agierenden Bewegungen zum Gegenstand. Der behandelte Zeitraum — von der Weltwirtschaftskrise bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs — deckt den Aufstieg, die relative Blütezeit und das Scheitern des chilenischen Faschismus ab. Obwohl es bereits in den Zwanzigerjahre ausgesprochene Bewunderer Mussolinis in Chile gab — vor allem unter katholischen Würdenträgern, die sich vom Sieg des Duce über den Kommu-
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nismus, seinen ständestaatlichen Ideen und nicht zuletzt dem Konkordat mit dem Vatikan angezogen fühlten9 — und sogar ein kurzlebiger Partido Fascista (Faschistische Partei) in der nordchilenischen Stadt Iquique existierte,10 waren lediglich während dieser Periode die Voraussetzungen gegeben, die den Faschismus auch in Chile als eine plausible Alternative erschienen ließen. Dies war einerseits, wie die Entscheidung für den Namen Nationalsozialistische Bewegung belegte, Ergebnis des Aufstiegs und der anschließenden Machtergreifung des Nazismus in Deutschland. Durch die Erfolge des Faschismus in der Gestalt der NSDAP in einer der führenden Industrienationen der Welt gab es ein Vorbild, das, anders als der italienische Faschismus, weit über die Grenzen ethnischer Gemeinschaften wirkte. Die weitverbreitete Bewunderung für Deutschland in Chile, die ihren Ursprung in der Reform des Erziehungswesens und des Heeres Ende des 19. Jahrhunderts durch deutsche Ausbilder hatte,11 intensivierte dieses Interesse noch. Die Große Depression, die sich verheerend auf das ökonomische und politische System des Landes auswirkte, verstärkte andererseits in Kreisen, die dem Kommunismus abgeneigt waren, den Eindruck, dass sowohl die Demokratie als auch der Kapitalismus am Ende waren. Für einige erschien der Faschismus als der einzige Ausweg aus der als existentiell empfundenen Krise. Das Zusammenspiel von politisch-wirtschaftlichen und strukturellen Faktoren schränkte das Potential an möglichen Anhängern jedoch ein, und dies trägt zum Verständnis der Entwicklung des chilenischen Faschismus entscheidend bei. Die Voraussetzungen für die Machtergreifung durch eine auf die Mobilisierung breiter Massen ausgerichtete faschistische Bewegung waren in Chile nicht gegeben. Die Krise, die sämt9
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Frederick B. Pike, Chile and the United States, 1880-1962: The Emergence of Chile's Soäal Crisis and the Challenge to United States Diplomacy (Notre Dame: University of Notre Dame Press, 1963), S. 192. Ramirez Necochea, „fascismo", S. 13. Zur Bildung siehe William Sywak, „Values in Nineteenth Century Chilean Education: The Germanic Reform of Chilean Public Education 1885-1910" (PhD diss., University of California, Los Angeles, 1977), und für die Armee, und speziell Theodor Körner, vgl. Frederick M. Nunn, The Military in Chilean History: Essays on CivilMilitary Relations, 1810-1973 (Albuquerque: University of New Mexico Press, 1976). Für eine kritischere Sicht dieses Einflusses siehe William F. Sater und Holger H. Herwig, The Grand Illusion: The Prussiani^ation of the Chilean Army (Lincoln: University of Nebraska Press, 1999).
1. Faschismus in Chile
liehe Aspekte des politischen, wirtschaftlichen und sozialen Lebens erfasste, sollte sich als nicht so dauerhaft und tiefgreifend erweisen, wie man dies Anfang der Dreißigerjahre hätte annehmen können (und aus der Sicht der Faschisten wohl gehofft hatte). Während der Amtszeit von Arturo Alessandri Palma (1932-1938) normalisierte sich die politische Lage wieder und die ökonomische Situation des Landes verbesserte sich merklich. Damit in direktem Zusammenhang steht, dass sich an der politischen Macht der traditionellen Eliten nur allmählich etwas änderte — ungeachtet der vielfältigen und vielschichtigen Parteienlandschaft, die sich nach der im Oktober 1932 erfolgten Rückkehr zur Demokratie entfaltete. Die durch die Konservative (Partido Conservador), Liberale (Partido Liberal) und, mit Einschränkungen, Radikale Partei (Partido Radical) vertretene Oberschicht bewahrte weitgehend ihre dominante Position, die sich in den Mehrheiten in den beiden Kammern des Kongresses niederschlug. Ihre kulturelle und soziale Dominanz blieb ebenfalls im Wesentlichen unberührt.12 Im fraglichen Zeitraum wurde Chile mithin noch immer von einer kleinen Elite kontrolliert; von einer Massengesellschaft konnte keine Rede sein. Darüber hinaus durften aufgrund des geltenden Wahlrechts nur männliche Chilenen, die lesen und schreiben konnten und das 21. Lebensjahr vollendet hatten, in den Präsidentschafts- sowie Kongresswahlen ihre Stimmen abgeben. Frauen erhielten erst 1934 das Stimmrecht, und dann schränkten es die ausschließlich männlichen Gesetzgeber auf Lokalwahlen ein; gleichzeitig gestand der Kongress bezeichnenderweise, die untergeordnete Rolle von Frauen in der chilenischen Gesellschaft reflektierend, seit fünf Jahren im Land lebenden männlichen und weiblichen Ausländern das gleiche Recht zu. Aufgrund dieser Einschränkungen und einer Analphabetenrate von rund 25 Prozent waren in den drei Präsidentschafts-, vier Kongress- und fünf Lokalwahlen, die zwischen 1932 und 1945 abgehalten wurden, konsequenterweise im Schnitt nur rund 10 Prozent der chilenischen Bevölkerung, die während der gleichen
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Der Votmarsch eines antioligarchischen Nationalismus war nicht so entscheidend, wie ihn Patrick Barr-Melej ausmacht. Siehe Reforming Chile: Cultural Politics, Nationalism, and the Rise of the Middle Class (Chapel Hill/London: The University of North Carolina Press, 2001).
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Periode v o n viereinhalb auf fünfeinhalb Millionen anwuchs, wahlberechtigt. Chile war in vieler Hinsicht eine rein „formale Demokratie". 1 3 Unter Bedachtnahme dieser Ausführungen erhebt die vorliegende Arbeit den Anspruch, drei grundlegende Zielsetzungen 2u erfüllen. E r s tens bietet sie die erste umfassende Darstellung über den chilenischen Faschismus, die auf Archivarbeiten in Chile, Deutschland und Großbritannien basiert. D i e wachsende Zahl v o n englisch- und spanischsprachigen Veröffentlichungen, die sich in den letzten Jahren mit der Thematik eingehend und teils kontrovers beschäftigt haben, 1 4 berücksichtigten beispielsweise selbst unpublizierte chilenische Primärquellen — speziell die Unterlagen des chilenischen Innenministeriums über die Aktivitäten der chilenischen Faschisten, die seit A n f a n g der Neunzigerjahre in Santiago zugänglich sind — nur fallweise. 1 5 Informationen aus deutschen Archiven, insbesondere dem Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes und dem Bundesarchiv Koblenz, wurden in diesen Publikationen über-
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Brian Loveman, Chile: The Legacy of Hispanic Capitalism (New York: Oxford University Press, 1988, 2. Ausgabe), S. 230. Vgl. Mario Sznajder, „A Case of Non-European Fascism: Chilean National Socialism", JCH, Bd. 28, Nr. 2 (1993), S. 269-296; Jaime Etchepare und Hamish I. Stewart, „Nazism in Chile: A Particular Type of Fascism in South America", JCH, Bd. 30, Nr. 4 (1995), S. 577-605; Sandra McGee Deutsch, Ims Derechas: The Extreme Right in Argentina, brazil, and Chile, 1890-1939 (Stanford: Stanford University Press, 1999), S. 143-192; Alliende González und Alüende Edwards, Jefe, Sznajder, „El Movimiento Nacional Socialista. Antisemitismo y movilización política en Chile en la década del treinta", Coloquio (Buenos Aires), Bd. 21 (1989), S. 61-70; Verónica Valdivia Ortiz, „Las nuevas voces del nacionalismo chileno: 1938-1942Boletín de Historia y Geografia, Nr. 10 (1993), S. 119-139; und Valdivia, El naäonalismo chileno en los años del Erente Popular (1938-1952) (Santiago: Universidad Católica Blas Cañas, 1995), S. 7-28. Erwähnt sei hier auch noch Erwin Robertson, „Las ideas nacionalsocialistas en Chile, 1932-1938", Dimension Histórica de Chile (Santiago), Nr. 1 (1984), S. 92-128. Der Wert dieser Arbeit wird aber dadurch entscheidend eingeschränkt, da Robertson mehr als nur akademisches Interesse am Nationalsozialismus hat. Er ist ein bekennender und bekannter Bewunderer Hitlers, wie er in einem Gespräch mit dem Autor in Santiago 1997 unumwunden feststellte. So nahm er beispielsweise 1989 in Santiago an einer Feier zum 100. Geburtstag des Führers teil und war einer der Redner auf der Veranstaltung. Vgl. Jiles Pamela, „Afirman nazis criollos: ,Hider resucitará desde Chile"', Análisis, 1. Mai 1989, S. 28-29. Die Ausnahmen sind Deutsch (Derechas, S. 143-192) für den MNS; und Valdivia („nuevas voces" und naäonalismo) für die Nachfolgeorganisationen.
1. Faschismus
in
Chile
haupt nicht verwendet. Dies ist vor allem im Hinblick auf die angeblichen Verbindungen zwischen Nazis und Naästas ein Manko. Zweitens schließt sie eine Lücke in der deutschsprachigen Forschung über Lateinamerika, denn in den wenigen auf Deutsch erschienenen Publikationen über den chilenischen Faschismus wurde primär das Verhältnis des Naäsmo zur deutsch-chilenischen Gemeinschaft beleuchtet.16 Obwohl damit zweifellos wichtige Beiträge zu einem besseren Verständnis dieses spezifischen Aspekts des MNS geleistet wurden, mangelt es noch immer an einer übergreifenden Monographie. Die Arbeit von Simone Schwarz ändert nichts an dieser Behauptung. Abgesehen von der höchst fragwürdigen Konzeption — sie stellt die nacistische Bewegung und die chilenische Landesgruppe der NSDAP als gleichberechtigte Gruppen nebeneinander, obwohl es sich bei dem MNS um eine unabhängige, chilenische Bewegung und bei der Landesgruppe um eine abhängige Unterorganisation der NSDAP handelte, die fast ausschließlich reichsdeutsche, in Chile lebende Staatsbürger zur ihren Mitgliedern zählte17 — ist der Abschnitt über die chilenische Nationalsozialistische Bewegung voller faktischer Fehler. Weder wurde der MNS nach dem gescheiterten Putsch vom September 1938 „durch seine Anführer aufgelöst" noch stellte er sich „1936 erstmals zur Wahl". Und ganz sicher „standen Antisemitismus und Antiimperialismus" nicht „im Mittelpunkt der Reden" der
Nacistas.w
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Olaf Gaudig und Peter Veit, „,...und morgen die ganze Welt!' Der Nationalsozialismus in Chile 1932-1943", Zeitschrift für Geschichtswissenschaft (Berlin), Bd. 42 (1994), S. 507-524; und Jürgen Müller, Nationalsozialismus in Lateinamerika. Die Auslandsorganisation der NSDAP in Argentinien, Brasilien, Chile und Mexiko, 1931-1945 (Stuttgart: Hans-Dieter Heinz, 1997), S. 216-217 und 241-251. Gaudig und Veits Artikel erschien ursprünglich in leicht veränderter Fassung als ,„¡...Y mañana el mundo entero!' Antecedentes para la historia del nacionalsocialismo en Chile", Araucaria de Chile (Madrid), Nr. 41 (1988), S. 99-117.
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Siehe Müller, Nationalsozialismus, S. 360. Schwarz, Chile im Schatten faschistischer Bewegungen. Der Einfluß europäischer und chilenischer Strömungen in den 30er und 70er Jahren (Frankfurt am Main: Verlag für Akademische Schriften, 1997), S. 18, 32 und 35. Die Beispiele ließen sich ohne Probleme fortführen. So ist es nicht richtig, dass Carlos Keller Rueff den MNCH gründete (S. 39). Und es stimmt ganz sicherlich nicht, dass Carlos Ibáñez del Campo, der im Übrigen nicht durch Arturo Alessandri Palma ins argentinische Exil gezwungen worden war, nach seiner Rückkehr die Alianza Popular Libertadora (Volksbefreiungsallianz, APL) organisierte, „zu der das [sie!] MNS Kontakt aufnahm und mit der
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Drittens versteht sich die Arbeit auch als ein Beitrag zur Forschung über den internationalen Faschismus. Der Faschismus war zwar primär ein europäisches Phänomen, aber es gab auch in anderen, von Europa geprägten Regionen der Welt, vor allem in Lateinamerika, in den Dreißiger- und frühen Vierzigerjahren Organisationen, die als faschistisch zu bezeichnen sind. In diesem Zusammenhang sei vor allem auf die bei weitem wichtigste und nach Mitgliedern absolut stärkste lateinamerikanische Bewegung dieser Zeit hingewiesen, die Acs civiles en armas, 1932-1936 (Santiago: Dirección de Bibliotecas, Archivos y Museos, 1992). Siehe auch Terence Stephen Tarr, „Military Intervention and Civilian Rule in Chile, 1924-1936" (PhD diss., University of Florida, 1960), S. 149-290; und Carlos Maldonado Prieto, Im Miliäa Republicana. Historia de un ejéráto civil en Chile, 1932-1936 (Santiago: Servicio Universitario Mundial, 1988). Zu Alessandri siehe Robert J. Alexander, Arturo Alessandri: A Biography (Rutgers University: Latin America Institute/Ann Arbor: University Microfilms International, 1977). Zu den Streitkräften während dieser Zeit siehe Carlos Maldonado Prieto, „Entre reacción civilista y constitucionalismo formal. Las fuerzas armadas chilenas 19311938", Contribuáones FLACSO (Santiago), Nr. 55 (1988).
2. Grenzen desfaschistischen Traums
bekannte und jede Art von (linkem oder rechtem) Extremismus ablehnte, proklamierte die Nationalsozialistische Bewegung nichts weniger als deren Umsturz. Für den MNS, der als Ausnahme unter den oben erwähnten rechten Gruppierungen, wie er in seiner ersten programmatischen Erklärung berechtigterweise unterstrich, bereits vor dem Erscheinen der „Sozialistischen Republik" entstanden war und somit keine bloße Reaktion auf diese darstellte,12 war die Schaffung einer neuen, faschistischen Ordnung oberste Maxime. Es war diese von ihrem Jefe Jorge González von Marées geführte Gruppe, die während Alessandris sechsjähriger Amtszeit den äußerst rechten Rand der an Parteien reichen politischen Landschaft dominierte.13 Konservative und Liberale repräsentierten die Interessen der ländlichen Oligarchie und städtischen Eliten und entwickelten sich zu den Säulen des zunehmend konservativeren Präsidenten;14 die Radikalen, die Partei der Mittelklasse und Großgrundbesitzer aus dem Süden des Landes, dominierten das politische Zentrum (und wurden im Laufe des Jahrzehnts zum Zünglein an der politischen Waage);15 die Kommunisten (Partido Comunista de Chile), die seit ihrer Gründung 1922 treu den Vorgaben der Kommunistischen Internationalen (KOMINTERN) (und somit Moskau) gefolgt waren und weiterhin folgen sollten, und die aufstrebenden Sozialisten, 1933 durch einen Zusammenschluss kleinerer Gruppen gegründet und streng antikommunistisch ausgerichtet, waren die bestimmenden Kräfte auf der Linken.16 12
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Vgl. Movimiento Nacional-Socialista de Chile, Declaraciones fundamentales — Plan de Acción — Organización — Programa (Biblioteca nacista no. 1) (Santiago: La Tracción, 1932), S. 3, Fn. 1. Vgl. Sofia Correa, „Arturo Alessandri y los partidos políticos en su segunda administración", in Claudio Orrego Vicuña (Hg.), Siete ensayos sobre Arturo Alessandri Palma (Santiago: ICHEH, 1979), S. 391-465. Siehe Teresa Pereira, El Partido Conservador, 1930-1965. Ideas, figurasy actitudes (Santiago: Vivaria, 1994). Zu den Liberalen liegt keine überzeugende Arbeit vor. Ein historischer Abriss findet sich in Miguel Prado Valdés, Reseña histórica del Partido Liberal (Santiago: Andina, 1963). Vgl. Peter G. Snow, Radicalismo chileno. Historia y doctrina del Partido Radica! (Buenos Aires: Francisco de Aguirre, 1972). Siehe Drake, Soáalism, speziell S. 139-188; Andrew Barnard, „The Chilean Communist Party, 1922-1947" (PhD diss., University of London, 1977); und Julio César Jobet, El Partido Sorialista en Chile (Santiago: Prensa Latinoamericana, 1971, 3. Ausgabe), Bd. 1.
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2.1. Die Geburt des Nacism
o
Der Movimiento Nacional Socialista wurde am 5. April 1932, dem Jahrestag des Sieges von San Martin über die royalistischen Kräfte unter General Osorio im Flachland von Maipó 1818 und dem 32. Geburtstag ihres zukünftigen Führers, Jorge González von Marées, in Santiago ins Leben gerufen. Hinter der Neugründung stand eine kleine Schar von jüngeren Männern, die vorwiegend der gebildeten, Urbanen Mittelklasse angehörten. Unter ihnen befanden sich unter anderem der 27-jährige Anwalt Mauricio Mena Mena, der 24-jährige Jurist Luis Felipe Laso Pérez-Cotapos und der 33-jährige Arzt Emilio Aldunate Phillips.17 Die Initiative zur Etablierung einer faschistischen Organisation war im Vormonat von Francisco Javier Díaz Valderrama ausgegangen, einem pensionierten Generalinspekteur der Armee und bekennenden Bewunderer des deutschen Nationalsozialismus und Adolf Hiders.18 Sein Vorschlag, das Programm der NSDAP, das er ins Spanische übersetzt hatte, als Grundlage für die neue Gruppierung zu nehmen, wurde jedoch von González sowie Carlos Keller Rueff abgelehnt. Beide Männer, die zu den prägenden Figuren der Nationalsozialistischen Bewegung werden sollten, stimmten darin überein, dass die Annahme des leicht abgeänderten Programms für eine wahrhaftig chilenische Bewegung ungeeignet wäre. Es sei vielmehr notwendig, ein Manifest zu verfassen, das die nationalen Traditionen reflektieren und die aktuellen Probleme des Landes ansprechen würde.19 Ungeachtet der Ablehnung von Díaz Valderramas Anregung, die ihn offensichtlich verärgerte und bald darauf zur Gründung der kurzle17
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Vgl. Mauricio Mena Mena, „Génesis y desarrollo del N a c i s m o A c c i ó n Chilena, Bd. 4, Nr. 2 (1935), S. 80-81. Er zählt hier jene Gründungsmitglieder auf, die zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Artikels noch dem MNS angehörten. Weitere Namen finden sich in Rodrigo Alliende Gonzalez und María Piedad Alliende Edwards, El Jefe. La vida de Jorge Con^ále^ von Marées (Santiago: Los Castaños, 1990), S. 47. Für die pro-nazistische Haltung Díaz Valderramas vgl. Victor Farias, Los na^is en Chile (Barcelona: Seix Barrai, 2000), S. 369-383. Farias' Buch liegt nun auch in leicht überarbeiteter Fassung auf Deutsch vor. Siehe Die Na^is in Chile (Wien: Philo, 2002). George F. W. Young, ,Jorge González von Marées: Chief of Chilean Nacism", JBLA, Bd. 11 (1974), S. 316.
2. Grenzen desfaschistischen
Traums
bigen Legion Social-Nacionalista veranlasste,20 machte die Wahl des Namens deutlich, dass Deutschland im Allgemeinen und der Nazismus im Besonderen eine starke Anziehungskraft auf die Gründer des Nacismo ausübten. Mit der unbestreitbaren Ähnlichkeit — die auch dadurch nicht geschmälter wurde, dass der chilenische Nationalsozialismus, im Gegensatz zu seinem deutschen Vorbild, wie die Nacistas nie müde wurden zu unterstreichen, in seiner spanischen Version mit einem „c" geschrieben wurde — wollten sie offensichtlich von der wachsenden Wahrnehmung und dem steigenden Prestige des Nazismus profitieren, nicht zuletzt in Chile. Diese Entwicklung, die auf Adolf Hitlers bemerkenswerte Erfolge in den zu dieser Zeit stattfindenden Wahlen für das Amt des Reichspräsidenten zurückzuführen war, zeigte sich in der Berichterstattung der chilenischen Presse. Unmittelbar vor und nach dem ersten Wahlgang, der am 13. März stattfand und in dem der Führer der deutschen Nationalsozialisten rund ein Drittel aller Stimmen auf sich vereinigen konnte, brachte beispielsweise El Mercurio regelmäßig Artikel über die Vorgänge in Deutschland. Auch am Tag der offiziellen Gründung des MNS, die von der Öffentlichkeit unbemerkt blieb — kein einziges chilenisches Blatt berichtete über das Ereignis - , schrieb die einflussreichste und auflagenstärkste chilenische Tageszeitung über eine Veranstaltung der Nazis in Berlin auf ihrer Titelseite.21
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Zu den Publikationen und propagandistischen Schriften der Organisation siehe Gaudig und Veit, „Nationalsozialismus", S. 509, Fn. 6. Farías' Feststellung ('nasjs, S. 369), dass es sich bei der LSN um die „erste chilenische Nazi Organisation" handelte, ist falsch und irreführend. Sie ist falsch, da der MNS nachweislich vor ihr gegründet worden war; und sie ist irreführend, da er den Begriff „nazi" verwendet. Dieser Terminus war den deutschen Nationalsozialisten vorbehalten. Schließlich muss man mit großer Überraschung lesen, dass die Existenz der Legion bis zur Veröffentlichung seines Buches unbekannt gewesen sei. Gaudig und Veit, deren Doktorvater er an der Freien Universität gewesen war und die er im Prolog (S. 10) ausdrücklich lobend erwähnt, haben allerdings bereits 1988, das heißt zwölf Jahre vor der Publikation von Los na^is en Chile, die Gruppe in ihrem Artikel ,„¡...Y mañana el mundo entero!' Antecedentes para la historia del nacionalsocialismo en Chile" (.Araucaria de Chile [Madrid], Nr. 41 [1988]) auf Seite 103 kurz diskutiert.
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„Las autoridades alemanas adoptan diversas medidas contra los nazis", El Mercurio, 5. April 1932, S. 1.
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Hinzu kam noch ein ganz persönlicher Faktor. Die Entscheidung der sich formierenden chilenischen Faschisten für die Bezeichnung Nationalsozialistische Bewegung wurde zweifelsohne durch die Erziehung und das Weltbild der beiden Männer beeinflusst, die den Naäsmo prägen sollten: mit Gonzalez von Marées und Keller Rueff standen ihnen zwei Deutsch-Chilenen vor. Obwohl der spätere Jefe nach 1905 sein gesamtes Leben in Chile verbrachte, so wuchs er doch in einem Haushalt auf, der, nicht zuletzt aufgrund der Heirat seiner deutschen Mutter mit einem deutschen Lehrer fünf Jahre nach dem Tod seines leiblichen Vaters, eines chilenischen Arztes, die bürgerlichen Wertvorstellungen des „Kaiserlichen Deutschlands" pflegte: „sauber, stolz, ambitiös, ernst und moralistisch". Diese „Charakterzüge" zeigten „sich ebenfalls in seiner Persönlichkeit".22 Die Sozialisierung Kellers23 in diesem Geiste war noch ausgeprägter. Der zukünftige Chefideologe des MNS, 1898 als Sohn deutschstämmiger Eltern in der südchilenischen Stadt Concepción geboren, genoss seine gesamte Ausbildung an der deutschen Schule seiner Heimatstadt — anders als González, der nur kurzfristig eine deutsche Schule in Santiago besuchte — und verbrachte darüber hinaus seine Jugend in Berlin. Erst nach dem erfolgreich abgeschlossenen Studium an den Universitäten von Berlin, Bonn und Würzburg — an Letzterer wurde ihm für eine Arbeit über die Entwicklung des chilenischen Bergwesens 1921 die Doktorwürde verliehen24 — kehrte er nach Chile zurück. Er widmete sich sodann seiner akademischen Laufbahn sowie der Deutschtumsarbeit. Mitte der Zwanzigerjähre war er unter anderem als Geschäftsführer des Deutsch-Chilenischen Bundes (DCB) tätig, dem Dachverband deutschchilenischer Vereine.
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Young, „Gonzalez", S. 312. Zu Kellers Lebensweg und ideologischer Entwicklung bis zum Eintritt in den MNS siehe Marcus Klein, „The Making of an Unlikely Chilean Fascist: Reflections on the Intellectual Development and Political Work of Carlos Keller R u e f f , Historia (Santiago), Bd. 35 (2002), S. 187-201; und Vicente Romero, „Carlos Keller (Chilien, 1898-1974. Polygraphe, politicien, technocrate)", Histoire et Sodétés de l'Amérique latine (Paris), Bd. 2, Nr. 2 (1994), S. 109-126. „Die Entwicklung des Bergwesens in Chile" (Inaugural-Dissertation, Bayerische Maximilian-Julius-Universität Würzburg, 1921).
2. Grenzen desfaschistischen
Traums
Gegen Ende des Jahrzehnts löste sich Keller aus diesem Umfeld, um sich als chilenischer Nationalist neu zu definieren. Es war vor allem IM etema crisis chilena (Die ewige chilenische Krise), 1931 in Santiago erschienen, das Kellers Ruf als renommierter Intellektueller und chilenischer Nationalist begründete.25 Mit diesem Buch hatte er sich der losen Strömung von Schriftstellern, Denkern und Politikern unterschiedlichster weltanschaulicher Orientierung angeschlossen, die seit dem Beginn des Jahrhunderts die moralische Dekadenz und den politischen Verfall des Landes anprangerten, der sogenannten Literatura de la crisis (Literatur der Krise).26 Für Keller, der bereits Mitte der Zwanzigerjähre in seinen Beiträgen für den Deutsch-Chilenischen Bund aus seiner Verachtung für die Demokratie und den Kapitalismus kein Hehl gemacht hatte,27 war ein politisch autoritärer und in die Wirtschaft eingreifender Staat der Schlüssel zur Lösung dieser Probleme. González beteiligte sich nicht mit Publikationen an der Debatte über die Ursachen des vermeintlichen Niederganges Chiles und den Maßnahmen, die ergriffen werden müssten, um diesen umzukehren. In seinen Auftritten und unveröffentlichten Arbeiten, die er während der Zwanzigerjähre zu sozialen Problemen verfasste, vertrat er aber ebenfalls antiliberale und antikommunistische Ideen.28 Er war wie sein späterer
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Keller, La eterna crisis chilena (Santiago: Nascimento, 1931). Ein Jahr später folgten noch zwei Bücher, in denen Keller seine Ideen weiter ausführte, Un país al gante. Contribución a la seismologa de Chile (Santiago: Nascimento, 1932) und Como salir de la crisis (Santiago: Nascimento, 1932). Für Einschätzung siehe Mario Góngora, Ensayo histórico sobre la noción de estado en Chile en los siglos XIXy XX (Santiago: Ediciones de la Cuidad, 1981), S. 35. Für eine detaillierte Diskussion der hauptsächlichen Vertreter der Literatura de la crisis siehe Cristian Gazmuri, Testimonios de una crisis. Chile, 1900-1925 (Santiago: Universitaria, 1979); und „La idea de decadencia nacional y el pensamiento político conservador chileno en el siglo XX", Estudios Soáaks (Santiago), Bd. 28/29, Nr. 2/3 (1981), S. 33-54. Vgl. folgende Artikel Kellers in Deutsche Monatshefte für Chile-, „Hindenburg", Bd. 5, Nr. 5 (1925), S. 129-132; „Nietzsche", Bd. 5, Nr. 8 (1925), S. 225-227; und „Der Führer", Bd. 5, Nr. 7 (1925), S. 193-197. Vgl. die Arbeiten in der Privatsammlung Rodrigo Alliende González (PRAG), „Una obra de interés nacional. La Liga pro Educación Popular .Rafael Sotomayor'", 1921; Manuskript ohne Titel, 12. Aug. 1922; und Manuskript „Capítulo I. El problema social", 1925. In den Zwanzigerjahren erschien lediglich González' Diplomarbeit in
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Mitstreiter Keller davon überzeugt, dass die aus seiner Sicht chaotische Situation des Landes „in direkter Verbindung mit der weltweiten Krise des Kapitalismus stand" und dass der „Liberalismus der Hauptgrund für die moralische Dekadenz Chiles war".29 Die Nation brauchte eine grundlegende Kursänderung. Der Faschismus, in Europa auf dem Vormarsch, schien die Antwort zu bieten. Keller und González, die Oswald Spenglers Der Untergang des Abendlandes bewunderten,30 griffen mit ihren Überzeugungen, „dass Chile eine starke Führung brauchte" und „dass [die] Demokratie als eine effektive Form der Regierung diskreditiert war",31 weit verbreitete autoritäre Meinungen auf. Sie stimmten auch mit konservativen und rechtsgerichteten Denkern überein, beispielsweise Alberto Edwards und Francisco Antonio Encina, die die „Geschichte Chiles als die eines unaufhaltsamen Niederganges seit den großen Tagen der Portalianischen Republik, als eine starke Regierung der Nation angeblich Ordnung, Hierarchie und Fortschritt gebracht hatte",32 sahen. Die Parlamentarische Republik, die den
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gedruckter Form. Siehe „El problema obrero en Chile" (Memoria de prueba, Universidad de Chile, Santiago, 1923). Michael Potashnik, „Nacismo: National Socialism in Chile, 1932-1938" (PhD diss., University of California, Los Angeles, 1974), S. 137. Für Keller siehe Spengler y la situaáón política cultural de la América Ibérica (Santiago: Universitaria, 1927). Keller behauptete später, während seines Aufenthaltes in Deutschland Spengler kennengelernt und nach seiner Rückkehr nach Chile weiterhin mit ihm Kontakt gestanden zu haben. Es finden sicher allerdings keine Belege für derartige Verbindungen. Siehe Klein, „Keller", S. 192, Fn. 35. Für González siehe „Spengler, filósofo del fascismo", Trabajo, 25. Jan. 1934, S. 4; und „Con Jorge González von Marées", Hoy, 28. Jan. 1937, S. 12. González' Bewunderung für Der Untergang des Abendlandes mag auch daher gerührt haben, weil Spengler Hans von Marées, einen Großonkel mütterlicherseits, in einem Atemzug mit Tizian und Edouard Manet als einen großen Maler bezeichnet. Siehe Spengler, Der Untergang des Abendlandes. Umrisse einer Morphographie der Weltgeschichte (München: DTV, 1991, 10. Auflage), S. 315. Pike, Chile, S. 205. Nicola Miller, In the Shadow of the State: Intelleäuals and the Quest for National Identity in Twentieth-Century Spanish America (London/New York: Verso, 1999), S. 232. Zu mehr oder weniger vorsichtig kritischen Beurteilungen von Portales und seinen Ideen siehe, z. B., Jay Kinsbruner, Diego Portales: Interpretative Essays on the Man and Times (Den Haag: Martinus Nijhoff, 1967); Sergio Villalobos R., Portales. Una falsificaron histórica (Santiago: Universitaria, 1989); und Alfredo Jocelyn-Holt Letelier, „El
2. Grenzen desfaschistischen Traums
Platz des von Diego Portales im 19. Jahrhundert geschaffenen autokratischen Regimes mit der Revolution von 1891 eingenommen hatte, wurde konsequent in negativer Wiese beschrieben.33 Entscheidend war jedoch, dass nicht einmal Edwards, ein Apologet und aktiver Unterstützer von Carlos Ibáñez — unter anderem war er Bildungsminister in den letzten Monaten der Diktatur —, faschistische Positionen eingenommen hatte. Er bewunderte lediglich „personalistische (unipersonal) und autoritäre Regierungen".34 Und es waren eben ihre faschistischen Vorstellungen über die zukünftige Ordnung — die Rückkehr zu nationaler Größe auf der Grundlage eines streng hierarchisch aufgebauten Regimes, mit ständestaatlichen Strukturen und einer die Massen integrierenden und mobilisierenden Einheitspartei - , die die führenden Köpfe des MNS von anderen rechten Denkern und Intellektuellen unterschieden. Die Interpretationen der Geschichte waren identisch, aber die von den Naästas formulierten Lösungen zur Überwindung der Krise wichen deutlich von bis dahin vorgebrachten Vorschlägen ab. González und Keller, die somit weit mehr als nur ihre Abstammung verband, nahmen in den nächsten Jahren verschiedene Rollen im MNS ein. González wurde sein unbestrittener Führer. Dies war bemerkenswert, da der studierte Jurist bis April 1932 keine herausragende Rolle im öffentlichen und politischen Geschehen des Landes gespielt hatte.35 Bis
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peso de la noche". Nuestra frágil fortaleza histórica (Santiago: Planeta, 1999, 3. Ausgabe), S. 105-180. Vgl. dazu die nähren Ausfuhrungen in Abschnitt 2.2. Cristian Gazmuri, „Testimonios de una crisis", in ders. (Hg.), Ei Chile del centenario, los ensayistas de la crisis (Santiago: Universidad Católica de Chile, 2001), S. 18, Fn. 23. González war lediglich Mitte der Zwanzigerjahre Mitglied in der Geheimorganisation Tenacidad Entusiasmo Abnegación (Zähigkeit Enthusiasmus Entsagung, TEA) gewesen, die Präsident Alessandri abgelehnt und gewalttätige Aktionen durchgeführt hatte. Darüber hinaus hatte er soziales Engagement in von ihm gegründeten Abendschulen für Arbeiter gezeigt. Ende Juli 1931 war González, zu diesem Zeitpunkt Bürgermeister von Ñuñoa (Santiago), Mitbegründer der Unión Cívica de Ñuñoa (Bürgerliche Union von Ñuñoa), einer der vielen Bürgerwehren, die während dieser turbulenten Zeit entstanden und als Vorläuferinnen der Milicia Republicana gesehen werden können. Zu TEA siehe Sandra McGee Deutsch, IMS Derechas: The Extreme BJght in Argentina, Brasil, and Chile, 1890-1939 (Stanford: Stanford University Press, 1999), S. 72; und zur Unión Cívica vgl. Maldonado Prieto, Milicia Republicana, S. 21.
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zu den einschneidenden Veränderungen 1938 blieb er jedoch die eindeutige Identifikationsfigur der nacistischen Bewegung. Die rasch unterdrückte Revolte durch Fernando Ortúzar Vial und Raúl Silva Espejo im Dezember 1933, die abgesehen von ihrem sofortigen Ausschluss aus dem MNS und dem Rücktritt des Führers der paramilitärischen Einheit, der Tropas Nacistas de Asalto, Alberto Meinhold Fajardo, keine weiteren Folgen hatte, war die einzige Ausnahme.36 González war das öffentliche Gesicht der Gruppe, und er bestimmte auch ihre politische Richtung. In den im Dezember 1932 veröffentlichten Statuten bezeichnete er sich selbst, in aller Bescheidenheit, als die „höchste Autorität" des MNS, den er „mit allen Vollmachten" führe.37 In einer überarbeiteteten und erweiterten Satzung, die drei Jahre später publiziert wurde, wurde seine ohnehin bereits dominante Position noch weiter unterstrichen. Anders als die ursprüngliche Fassung sah diese Version nun keinerlei Möglichkeit mehr vor, ihn abzusetzen. Die Bewegung war strikt nach dem Führerprinzip organisiert. Dementsprechend wurden die einfachen Mitglieder im „nacistischen Schwur" zu absolutem „Gehorsam" gegenüber González verpflichtet.38 Keller agierte hingegen primär im Hintergrund. Als der „intellektuelle Geist" und „zweite Führer des Naäsmo" war er hauptsächlich für die
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„Cómo y por qué se produjo la expulsión de los Nacistas Ortúzar Vial y Silva Espejo", Trabajo, 21. Dez. 1933, S. 1; González, „Por desleales", ibid., 21. Dez. 1933, S. 3; Archivo Nacional (AN), Archivo del Ministerio del Interior (AMI), 8383 Investigaciones Confidenciales, 1933, Servicio de Investigaciones, Identificación y Pasaportes, Memorándum no. 350, Santiago, 16. Dez. 1933; no. 352, Santiago, 18. Dez. 1933; und no. 357, Santiago, 23. Dez. 1933. Für Ortúzar Vials Reaktion auf die Ereignisse vgl. Respuesta a don Jorge Gon^ále^ von Maries (Ñuñoa: Diario Alemán, 1933). Silva Espejo reagierte mit dem Pamphlet Mi expulsión del Movimiento National Socialista (Ñuñoa: Diario Alemán, 1933). Gemeinsam mit Huberto Grez Silva gaben sie zwischen November 1933 und Februar 1934 die Zeitung El Debate heraus, die sich als das Sprachrohr des „wahren Naasmo" (Pike, Chile, S. 393, Fn. 172, kursiv hinzugefügt) bezeichnete. Insgesamt erschienen 34 Ausgaben der Zeitung.
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„Plan de organización del MNS", Página Nacional-Sotialista, E! Impartial, 6. Dez. 1932, S. 14. „Organización nacista", Acáón Chilena, Bd. 4, Nr. 2 (1935), S. 113. Die Abteilung für Frauen ist hier noch nicht aufgeführt. Sie wurde erst Ende des Jahres gegründet. Zum Schwur siehe „El juramento nacista", ibid., Bd. 4, Nr. 2 (1935), S. 118.
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Darstellung seiner Ideen verantwortlich.39 Keller fungierte bis Anfang 1937 als Herausgeber des Parteiblattes Trabajo, das im April 1933 gegründet worden war, und produzierte auch zwischen Januar 1934 und Januar 1938 beinahe im Alleingang die Zeitschrift Acáón Chilena. In dieser Publikation, die anfangs nicht offiziell mit dem MNS in Verbindung stand, aber ab Juni 1935 als das „Organ der Abteilung für die Vorbereitung der Führerschaft" erschien,40 erklärte er unbeirrt das Wesen und die Ziele des Naásmo. So fasste Keller 1936 in einer Sonderausgabe von Acáón Chilena das nacistische Programm zusammen, und er unterbreitete im gleichen Jahr mit einem Aktionsplan zur landwirtschaftlichen Reform {Plan general de acáón agraria naástá) die einzigen detaillierten Überlegungen der chilenischen Faschisten zu einem spezifischen Problem.41 In zahlreichen Artikeln, die oft nicht mehr als „politische Schlagworte" boten,42 versuchte er darüber hinaus, die Überlegenheit und letztlich die Unvermeidbarkeit des faschistischen Sieges zu demonstrieren, der der Demokratie und dem Kapitalismus ein Ende bereiten und den Niedergang des Landes umkehren würde. Die Botschaft des nationalen Erwachens propagierten die Naástas anfangs in Pamphleten, Konferenzen und der Página Naáonal-Soáalista (Nationalsozialistische Seite). Der Publikation des ersten Manifests, Declaraáones fundamentales — Plan de Acáón — Organi^aáón — Programa (Grundsätzliche Erklärungen — Aktionsplan — Organisation — Programm), im Juni folgten im gleichen Monat bzw. im September 1932 Vorträge González' mit den programmatischen Titeln El Movimiento Naáonal-Soáalista de Chile como única soluáón de la crisis política y soáal de la república (Die Nationalsozialistische Bewegung Chiles als einzige Lösung für die politische und soziale Krise der Republik) und Ta concepáón naásta del estado (Das 39 40
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Pike, Chile, S. 392, Fn. 170; und „Pero ¿Quién ha dicho que no hay derecho para matar?", Zig-Zag, 11. Sept. 1936, S. 75, kursiv hinzugefügt. „Actividades nacistas", Acáón Chilena, Bd. 6, Nr. 1 (1937), S. iv; und „A nuestros lectores", ibid., Bd. 3, Nr. 3 (1935), S. 133. Sein Nachfolger als Herausgeber von Trabajo war Diego Lira Vergara. Acáón Chilena, Numero Espeáal, Bd. 5, Nr. 2 (1936), S. 65-121; „Plan general de acción agraria nacista", ibid., Bd. 5, Nr. 1 (1936), S. 25-40. Abgesehen von Como salir de la crisis, das auf einem im August 1932 gehaltenen Vortrag basierte, schrieb Keller während seiner Zeit im MNS nur noch ein Buch, Una revoluáón en marcha. El Movimiento Naáonal-Soáalista ante la política delpaís (Santiago: Nacista, 1938). Gaudig und Veit, „Nationalsozialismus", S. 509.
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nacistische Konzept des Staates).43 In einem seiner wenigen dokumentierten öffentlichen Auftritte während seiner Zeit im MNS sprach Keller Ende Juli über die chilenische Geldpolitik,44 während Roberto Vergara Herrera wenig später über die angestrebte administrative Dezentralisierung des Landes referierte.45 Wichtigstes Medium war allerdings die Nationalsozialistische Seite, die zwischen Juli 1932 und Februar 1933 in der von Silva Espejo und Ortuzar Vial geleiteten Zeitung El Imparäal herauskam. Anders als die ausschließlich in Santiago abgehaltenen Konferenzen, die lediglich in Abständen von mehreren Wochen stattfanden, ermöglichten es die Artikel in dieser konservativen, in der Hauptstadt erscheinenden Publikation den Naastas, ihre Ideen regelmäßig und in kurzen Intervallen einer breiten Leserschaft und somit potentiellen Unterstützern näher zu bringen.46 Ab April 1933 übernahm Trabajo diese Funktion. Im ersten Jahr seines Bestehens erschien das Organ einmal wöchentlich, jeden Donnerstag; ab April 1935 kam es an zwei Tagen der Woche heraus, jeweils Mittwoch und Samstag; ab dem dritten Jahrestag der Gründung der Bewegung konnte man schließlich eine Tageszeitung produzieren.47
2.2. Die Ideologie und Politik des MNS in der Anfangsphase Mit dem Beginn seiner Propagandatätigkeit unterstrich der MNS die Identifikation mit dem internationalen Faschismus und erkannte an, dass es Ähnlichkeiten mit den Bewegungen in Deutschland, Italien und, etwas überraschend, Japan gab. Die Gruppierung stellte sich als die nationale 43
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El Movimiento Narional-Soäalista de Chile como única soluáón de la crisis política y soáal de la república (Biblioteca nacista no. 2) (Santiago: Condor, 1932); und IM concepción nadsta del estado (Biblioteca nacista no. 5) (Santiago: La Tracción, 1932). Nuestro problema monetaria (Biblioteca nacista no. 3) (Santiago: La Tracción, 1932). Descentralización administrativa (Biblioteca nacista no. 4) (Santiago: La Tracción, 1932). El Imparäal zählte zu den führenden chilenischen Tageszeitungen. 1938, in dem Jahr, für das Daten zur Verfügung stehen, erreichte das Blatt eine tägliche Auflage von 15.000 Stück. El Mercurio hatte im Vergleich dazu eine Auflage von 65.000 Stück. Siehe Walther Heide (Hg.), Handbuch der Zeitungswissenschaften (Leipzig: Hiersemann, 1940), Bd. 1, Spalte 728. Angaben zur Auflage von Trabajo konnten nicht ermittelt werden.
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Manifestation eines, wie sie meinte, neuen, universellen Phänomens dar. Ein Artikel, am 12. Juli 1932 in der ersten Ausgabe der Nationalsozialistischen Seite veröffentlicht, erklärte beispielhaft, dass alle Gruppen eine „nationale Wiedergeburt anstreben", sich gleichermaßen „der Dekadenz der historischen politischen Parteien" widersetzen und unisono „an den Geist eines Handelns, der in einem einzigen Strahl die Interessen der Gemeinschaft" vereinige, glauben würden. Die Vorstellung, dass „der Staat die Kriegsbeute sozialer Klassen ist, die sich im parlamentarischen Kampf durchzusetzen" vermögen, werde von allen Bewegungen ebenso vehement abgelehnt. Sie würden darin übereinstimmen, „einen starken und sich seiner Pflichten für die Nation bewussten Staat zu schaffen". Dessen ungeachtet, so betonte der unbekannte Autor angesichts möglicher Vorwürfe, dass der MNS ausländische Vorbilder bloß imitiere, würden die Naästas jedoch nicht einfach fremde Ideen nach Chile transferieren. Die Übereinstimmungen ergäben sich aus den gleichen Zielsetzungen und Idealen und seien deshalb rein formaler Art, denn der Naäsmo formuliere seine Ideen auf der Basis einer „realistischen und wissenschaftlichen Analyse" der chilenischen Wirklichkeit.48 Dieser faschistischen Identität entsprechend erklärte der Nacismo seine gleichzeitige Gegnerschaft zu politischem Liberalismus und Kommunismus. Den chilenischen Faschisten zufolge, die sich als die Retter der vom Untergang bedrohten Nation sahen, habe die Demokratie nachdrücklich gezeigt, dass sie sich den geänderten sozialen und ökonomischen Bedingungen nicht anpassen könne. Sie sei noch den Idealen einer längst vergangenen Periode verhaftet und stehe nicht im Gleichklang mit den neuen Realitäten des Lebens. Die chilenischen Parteien und ihre Führer, die vom „Geist des letzten Jahrhunderts" dominiert würden, seien die Repräsentanten dieses von der neuen Wirklichkeit überholten Zeitalters.49 Unter dem Eindruck der sozialen und politischen Spannungen, die nach dem Sturz des autokratischen Regimes von Carlos Ibänez an den Tag getreten waren, beschuldigte der MNS die Parteien, nicht die geteilte Nation zu einen; aufgrund der Verfolgung ihrer egoistischen Interessen leisteten sie nur neuen Auseinandersetzungen Vorschub. Die sozialen Klassen stünden sich daher in einer zunehmend 48 49
„El .Nacismo' chileno y movimientos similares en otros países", Página Socialista, El lmparáal, 12. Juli 1932, S. 2. Gon2ález, concepción nacista (1932), S. 11.
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bitter werdenden Konfrontation gegenüber. Dieser „individuelle und kollektive E g o i s m u s " sei, so führte der MNS in seiner grundlegenden Erklärung aus, jener „Faktor, der den schädlichsten Einfluss auf das politische, soziale und wirtschaftliche Leben" in der heutigen Zeit ausübe. 50 Eine direkte Konsequenz dieser, aus der Sicht der chilenischen Faschisten inakzeptablen Situation war der zunehmende Erfolg des K o m munismus, der in der nacistischen Propaganda als Überbegriff zur Beschreibung aller linken Gruppen diente, ungeachtet ihrer tatsächlichen ideologischen Ausrichtungen. Trotz vollmundiger Erklärungen, sich den „extremistischen Horden" in einem blutigen K a m p f „mit allen Mitteln" zu widersetzen, 51 beschränkten sich die Natistas bis August 1933 jedoch auf verbale Attacken. Selbst während der „Sozialistischen Republik" unterstrichen sie nur ihre grundsätzliche Ablehnung der kommunistischen Weltanschauung und betonten, dass den Versuchen der Marxisten, sich die Unzufriedenheit der „still vor sich hinleidenden" Bevölkerung zu Nutze zu machen, entschieden entgegengetreten werden müsse. Als „falsche Propheten gleichermaßen falscher und utopischer Ideen" seien sie „unfähig", „sich dem täglichen K a m p f zu stellen" und „irgendeine konstruktive Arbeit durchzuführen". Anstatt sich ihre eigenen Unzulänglichkeiten einzugestehen, würden sie vielmehr „die Gesellschaften, in denen sie leben, für ihre Misserfolge verantwortlich" machen. Ihre Konzepte führten darüber hinaus nicht nur zu „sozialer und politischer Anarchie", stellte der MNS in seiner Grundsatzerklärung fest; sie „töten [auch] die nationale Wirtschaft", indem sie den Geist persönlicher Initiative zerstörten, der die Basis für Wohlstand und Fortschritt bilden würde." Für die Naästas lag der Ursprung all dieser Übel im Sturz von Präsident J o s é Manuel Balmaceda 1891. E r habe den Untergang des von Diego Portales in den Dreißigerjahren des 19. Jahrhunderts geschaffenen autoritären Präsidialregimes bedeutet. Obwohl bis zu diesem Zeitpunkt die Demokratie von einer oligarchischen Minderheit kontrolliert worden und nicht mehr als eine Farce gewesen sei, würden diese Jahre „die goldenen Zeiten Chiles" repräsentieren. In dieser Ära sei das Land aus50
Movimiento Nacional Socialista, Declaraäonesfundamentales, S. 4.
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„ P o r la razón o la fuerza", Página Naäonal-Soäalista,
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Movimiento Nacional Socialista, Declaraäonesfundamentales, S. 5 und 9.
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Ellmparäal\
16. Aug. 1932, S. 2.
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schließlich von „patriotischen, entsagenden, ehrlichen und fähigen Staatsbürgern" regiert worden. Mit der Stärkung des Kongresses und der damit einhergehenden Ausweitung des Einflusses von politischen Parteien, die tatsächlich entscheidend an Macht gewonnen und die Exekutive zwischen 1891 und 1920 — während der sogenannten Parlamentarischen Periode — dominiert hatten, sei dieser Vorherrschaft der Eliten abrupt ein Ende gesetzt worden. Mehrheiten hätten den Willen und die Führerschaft von Persönlichkeiten ersetzt, und „Unfähigkeit und Korruption wurden in allen Bereichen der staatlichen Verwaltung und der Regierung gepriesen". Politische Führer, behauptete González in seiner Schrift über die nacistische Konzeption des Staates, hätten vergessen zu regieren und sich stattdessen darauf beschränkt, die Massen gnädig zu stimmen.53 Ziel der Naristas war die Umkehr dieses Verfalls, der, so führten sie aus, alle Bereiche des nationalen Lebens erfasst habe. Im Anklang an eine Idee, deren Ursprung bis zur chilenischen Unabhängigkeit zurückreichte und vom nationalistischen Schriftsteller Nicolás Palacios zur Jahrhundertwende in seinem einflussreichen Buch Ra%a chilena (Chilenische Rasse) über die sozialen und kulturellen Besonderheiten Chiles popularisiert worden war,54 appellierten sie daher an „diejenigen, die noch immer das Blut von Arauco und Spanien in sich kochen fühlten."55 Es seien Emotionen und nicht die rationalen Konzepte der Aufklärung, die der nacistischen Weltanschauung zu Grunde lägen. Sie würden instinktiv helfen, zwischen gut und böse zu unterscheiden. Die Nation brauche weniger „Verstand" und mehr „Gefühle". „Eine Bewegung wie unsere, die sich die Wiedergeburt eines Volkes zum Ziel gesetzt hat", schrieb Keller Ende Juli in der Nationalsozialistischen Seite, „muss sich auf emotionale Werte stützen", denn nur durch das Vertrauen in „die angeborenen Instinkte" könnten die „Fehler der reinen Vernunft" überwunden werden: Eine Gesellschaft, die sich verteidigt und auf die Übel reagiert, die ihre Existenz zu zerstören drohen, sucht in den elementaren Kräften der Natur nach
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Gonzalez, concepdén nacista (1932), S. 10-11. Palacios, Ra%a chikna (Valparaiso: Gustavo Schäfer, 1904). Zum Mythos vgl. Stephen E. Lewis, „Myth and History of Chile's Araucanians", Radical History 'Review, Bd. 58, Nr. 1 (1994), S. 112-114. Gonzalez, ùnica solution, S. 21.
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Zuflucht. So erlangt sie Sicherheit..., schafft sie es, die verlorenen Möglichkeiten wieder herzustellen und erhält einen unwiderstehlichen inneren Impuls. Der angeborene Instinkt sagt ihr, was für ihre Entwicklung vorteilhaft ist und was ihr schadet. Er erlaubt es, zwischen dem Gesunden und dem Verrotteten zu unterscheiden. Und [er] versetzt sie in die Lage, die scheinbar brillanten Ideen der falschen Propheten von sich zu weisen.56
Wie bereits die Kritik am politischen Liberalismus deutlich gemacht hatte, waren für die Naästas Parteien eines dieser zentralen Probleme. Sie würden nur spezifische Interessen verfolgen und dabei das übergeordnete Wohl der chilenischen Nation außer Acht lassen. In ihren programmatischen Veröffentlichungen unterstrichen sie deshalb, dass der Naäsmo keine neue, herkömmliche Partei sei. Der MNS sei vielmehr eine klassenübergreifende Bewegung: diszipliniert und streng hierarchisch aufgebaut und auf der Organisation berufständischer Interessen basierend. Anders als traditionelle Parteien, die glauben würden, durch die Verabschiedung neuer Gesetze grundsätzliche Veränderungen herbeiführen zu können, verfolge der MNS auch nicht, so behaupteten die selbsternannten Retter der chilenischen Nation im August 1932, zu einem Zeitpunkt, als das Land immer tiefer ins Chaos zu versinken drohte, die Umsetzung eines „rigiden und dogmatischen Programms". Als eine „patriotische Kraft", die von „energischen und moralisch gesunden Persönlichkeiten" getragen werde, würde sie vor allem entschiedene Maßnahmen ergreifen. In der derzeitigen Situation benötige die Nation weder die weitere Diskussion von Programmen noch mehr „theoretische Lösungen für [ihre] Schwierigkeiten". Es sei vielmehr das Gebot der Stunde, „mit Energie und Entschlossenheit zu handeln, Ängstlichkeiten und Vorurteile beiseite zu lassen, um in seinem gesamten Ausmaß die Devise unseres nationalen Schilds anzuwenden: durch den Verstand oder die Gewalt."57 Genauso wie sich die Strukturen und das Selbstverständnis des MNS von jener der traditionellen Parteien unterschieden, markierten seine Vorstellungen über die neuen gesellschaftlichen und staatlichen Strukturen einen fundamentalen Bruch mit einer liberalen und pluralistischen 56 57
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El Imparcial, Keller, „Menos intelecto, más sentimiento", Vágina Naäonal-Soäalista, 28. Juli 1932, S. 2. „Por la razón o la fuerza", ibid., 16. Aug. 1932, S. 2. Siehe auch „El progama del MNS", ibid., 16. Juli 1932, S. 2; und Núcleo nacista de Temuco, Naásmo chileno. Un estudio soáal (Temuco: Aldea, 1933), S. 15.
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Demokratie. Für politische Parteien, einen Kongress und auf demokratischem Wege herbeigeführte Entscheidungen, die aus der elitären Sicht der chilenischen Faschisten nicht mehr waren als die „omnipotente Dominanz des Willens der Massen",58 gebe es im nacistischen Regime keinen Platz mehr. An ihre Stelle träten, ganz im Sinne von Portales, eine „aristokratische Regierung" verdienter und führungsstarker Bürger und eine auf ständestaatlichen Prinzipien beruhende Versammlung, in der alle „aktiven und produktiven Kräfte der Nation" harmonisch vertreten seien.59 Während „die Führung der öffentlichen Angelegenheiten" durch eine „ausgewählte und disziplinierte Hierarchie" dem „politischen Opportunismus" und der Verfolgung partikularistischer Interessen durch Individuen oder Gruppen eine Ende bereiten werde,60 seien korporative Strukturen Garant für die Zusammenarbeit der verschiedenen Klassen und in weiterer Folge für Fortschritt und die Realisierung sozialer Gerechtigkeit. Hierin, und nicht in den von den Linken verbreiteten Ideen, liege die wahre Bedeutung des Sozialismus, stellte González in seinen Ausführungen über den Nacismo als dem einzigen Ausweg aus der chilenischen Krise fest.61 Wie in der glorreichen Zeit von Portales und seinen Nachfolgern würden in der neuen nacistischen Ordnung Autorität und Disziplin persönliche Freiheiten, kontroverse Diskussionen und politische Auseinandersetzungen ersetzen. Die Bürger, so machten der Jefe und seine Anhänger deutlich, hätten die „Diener des Staates" zu sein. Sie müssten ihre eigenen Ansprüche hinten anstellen und Opfer für das Gemeinwohl bringen.62 Unter diesem Regime wäre der Staat somit nicht mehr länger ein neutraler Beobachter, wie es der Liberalismus postuliere, sondern ein allgegenwärtiger Lenker und Führer der Nation, dem das Recht zugesprochen werde, „in alle nationalen Aktivitäten" unter dem Gesichtspunkt übergeordneter Interessen einzugreifen, nicht zuletzt in die Wirtschaft. In Anlehnung an den deutschen Nationalsozialisten Gottfried 58 59 60 61
Movimiento Nacional Socialista, Declaraciones fundamentales, S. 8. González, única soluáón, S. 15 und 18. Movimiento Nacional Socialista, Declaracionesfundamentales, S. 8. González, única soluáón, S. 18. Zum nacistischen Verständnis von Sozialismus siehe auch „El socialismo nacista", Página Naäonal-Socialista, El Impardal, 2. Aug. 1932, S. 2.
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„¿Qué es el Nacismo?", ibid., 12. Juli 1932, S. 2.
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Feder unterschieden die chilenischen Faschisten vage zwischen „produktivem Kapital", das sie beschützen würden, und „parasitärem Kapital", welches sie abschüfen. Anders als in den Arbeiten Feders war damit aber keine explizit antisemitische Botschaft verbunden. Noch kann ihre Position, trotz der Ankündigung, den Bankensektor und öffentliche Versorgungsbetriebe zu verstaatlichen, als strikt antikapitalistisch bezeichnet werden. Die Kritik am Kapitalismus als „tyrannisches und reaktionäres" System, das lediglich einer kleinen, wohlhabenden Elite nütze, betraf weder das Privateigentum noch die Privatinitiative; beide wurden als wesentliche Pfeiler des Wirtschaftslebens explizit anerkannt.63 Die ökonomischen Vorstellungen des MNS wurden vor allem von seiner antioligarchischen Haltung geprägt. Die Naästas kündigten an, die Abhängigkeit des Landes von den Deviseneinnahmen aus dem Kupferund Salpeterexport zu senken, der von US-amerikanischen Unternehmen kontrolliert wurde. Die Befreiung vom „Nordamerikanischen Joch" war ein speziell in der Anfangsphase oft wiederholtes Schlagwort der nacistischen Propaganda.64 In diesem Sinne unterstrichen sie in ihren Declaraäones fundamentales, dass ein faschistisches Regime den Bergbau verstaatlichen werde und dass es das alleinige Vorrecht des Staates sei, Konzessionen zu gewähren oder wieder zu entziehen. Ein derartiges Eingriffsrecht behielten sie sich auch hinsichtlich des landwirtschaftlichen Sektors vor. Die Enteignung von Latifundien wurde ebenso angekündigt wie das Verbot, Land zu verpachten. Ziel war die staatlich gelenkte Umverteilung des Besitzes. Diese Vorhaben wurden damit gerechtfertigt, dass die Landwirtschaft aufgrund der „ausgezeichneten natürlichen Voraussetzungen" am besten dazu geeignet sei, die gefahrliche Abhängigkeit der Volkswirtschaft vom Bergbau zu reduzieren. Die Entwicklung neuer Industrien werde ausschließlich in diesem Zusammenhang angestrebt.65 Wie González später feststellen sollte, sei es das
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Movimiento Nacional Socialista, Declaraciones fundamentales, S. 7 und 9-10. Zu Feder vgl. Albrecht Tyrell, „3. Gottfried Feder - der gescheiterte Programmatiker", in Ronald Smelser and Rainer Zitelmann (Hg.), Die braune Elite. 22 biographische Ski^en (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1988), S. 28-40. „Movimiento Nacional Socialista de Chile (MNS) ¿Qué significa el Nacismo?", Página Naäonal-Sodalista, El Imparcial, 12. Juli 1932, S. 2. Movimiento Nacional Socialista, Declaraäones fundamentales, S. 15-17. Die Reform des Grundbesitzes war eine von Keller bereits in früheren Schriften geäußerte Idee.
2. Grenzen desfaschistischen Traums
Schicksal Chiles, „ein Volk von Bauern, Fischern und Bergarbeitern zu sein".66 Da die erste Entwicklungsphase des MNS mit der „Sozialistischen Republik" zusammenfiel, traten die antioligarchischen Aspekte seines Programms gegenüber den Angriffen gegen die Linke aus taktischen Gründen in den Hintergrund. In der Hoffnung, Unterstützer aus den chilenischen Ober- und Mittelschichten zu gewinnen, die ein Ende der politischen Unsicherheit herbeisehnten, wie nicht zuletzt die Gründung der Milicia Republicana Ende Juli 1932 zeigte, stellten sie sich als eine Kraft: der Ordnung mitten im herrschenden Chaos dar. Die Entscheidung, Kandidaten für die für Oktober anberaumten Kongresswahlen zu nominieren, lässt auf eine gewisse Selbstsicherheit der Gruppe schließen, auch wenn González sich selbst nicht aufstellte. Die Teilnahme an den Wahlen unterstrich darüber hinaus die pragmatische Haltung der Nacistas. Obwohl sie an ihrer grundsätzlichen Kritik der Demokratie festhielten, waren sie bereit, mit anderen Organisationen und Parteien um die Gunst der überschaubaren Wählerschaft zu kämpfen, da Wahlen in nächster Zukunft als einzige Möglichkeit angesehen wurden, das politische System zu verändern: Solange wir nicht die notwendige Stärke haben, um die derzeitige politische Ordnung umzugestalten, bleibt uns nichts anderes, als uns dieser zu unterwerfen. Wir nehmen nicht an den Wahlen teil, weil wir glauben, dass das allgemeine [männliche] Wahlrecht noch immer eine akzeptable Form darstellt, um Institutionen zu bestimmen, sondern weil wir zur Zeit kein anderes Mittel haben.
Die Propagierung ihrer Ideen im Rahmen des Wahlkampfes sei, so räumte González kurz vor dem Urnengang ein, ein gerne akzeptierter Nebeneffekt. Sie könnten so ihre Vorstellungen einer noch breiteren Öffentlichkeit vorstellen.67 Die Entscheidung für die Teilnahme an den Wahlen hatte bereits zu Spannungen und zum Ausscheiden von Mitgliedern geführt, da sie darin
66 67
Siehe Keller, „Geopolitik", Deutsche Monatshefte für Chile, Bd. 9, Nr. 3/4 (1929), S. 60-65; und eterna crisis, S. 238. „Nacionalismo económico", Trabajo, 26. Okt. 1933, S. 3; und ha concepáón naásta del estado (Santiago: Juan Yunis S., 1934), S. 67. Jorge González, Elpredominio de la mediocridad (Santiago: o. A., 1932), S. 8.
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den ersten Schritt zur Wandlung des MNS in eine normale politische Partei sahen.68 Die Rückkehr zur Demokratie Ende 1932 sollte sich aber als weit größere Herausforderung für die noch junge Bewegung erweisen. Während das erzielte Ergebnis bemerkenswert war — die fünf Kandidaten, die ausschließlich im ersten Wahlkreis von Santiago nominiert worden waren, erhielten rund 1.000 Stimmen und verpassten damit nur knapp einen Sitz im 142-köpfigen Unterhaus69 —, schwächte die nachfolgende Wiederherstellung von Recht und Ordnung nach den Turbulenzen der letzten Monate die Anziehungskraft der Nacistas deutlich. Mit dem Rückgang revolutionärer Aktivitäten zogen sich Mitglieder scharenweise aus dem MNS zurück.70 Gemeinsam mit dem Wahlergebnis, das Mehrheiten rechter Parteien in beiden Kammern des Kongresses gebracht hatte, legt diese Entwicklung den Schluss nahe, dass der Naäsmo von einer generellen Ablehnung gegen jene Organisationen profitiert hatte, die als Gegner der „Sozialistischen Republik" im Besonderen und von sozialen Unruhen im Allgemeinen angesehen worden waren.
2.3. Auf der Suche nach einer Identität Angesichts seiner rapide sinkenden Unterstützung nach den Wahlen musste der MNS, sollte ihn nicht das gleiche Schicksal ereilen wie beispielsweise Diaz Valderramas Sozial-Nationalistische Legion, die mit der „Sozialistischen Republik" verschwunden war,71 seine Außenwirkung und Darstellung grundlegend verändern. Die bloße Betonung der antikommunistischen Stoßrichtung seines Programms, die ihn speziell für Mitglieder der Oberschicht als „das effektivste Bollwerk gegen die drohende Ausbreitung des sozial störenden .Kommunismus'" hatte erschei68 69 70 71
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Gustavo Vargas Molinare zitiert in Wilfredo Mayorga, „La fugaz violencia del Nacismo", Erälla, 20. April 1966, S. 18. Die Kandidaten waren Juan de Dios Valenzuela, Esposorio Espinoza, Gustavo Vargas Molinare, Carlos Yávar und Otto Krahn. Siehe Mena, „Génesis", S. 83. Ibid. Entgegen Farias' Behauptung (nasjs, S. 373) genoss die Gruppe keinesweges die „bevorzugte Aufmerksamkeit" der Nazis. Abgesehen von einem Artikel, der Anfang August 1932 im nationalsozialistischen Organ Völkischer Beobachter (siehe ibid., S. 370-371) veröffentlicht wurde, schenkte man ihr keine Beachtung. Deutsche Diplomaten erwähnten die Legion zu keinem Zeitpunkt in ihren Berichten.
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nen lassen,72 hätte unter den neuen politischen Verhältnissen das sichere Aus bedeutet. Die Nacistas begannen daher in den folgenden Monaten ihre Propaganda zu diversifizieren, wobei sie auf konservative Themen wie Religion setzten. Eine aggressivere Rhetorik und gesteigerte Präsenz in den Straßen wurden als weitere Maßnahmen angesehen, ihre öffentliche Wahrnehmung zu erhöhen und die innere Kohärenz sowie die Zufriedenheit der Tropas Nacistas de Asalto zu sichern, die unter der Inaktivität in den ersten Monaten ihres Bestehens litten.73 Der Ausbau seiner Basis, die sich laut González im März 1933 auf rund 400 Mitglieder in Santiago und weiteren 50 in Chillán, dem rund 400 Kilometer südlich der Hauptstadt gelegenen Geburtsort des Helden der Unabhängigkeitskriege Bernardo O'Higgins beschränkte,74 bedeutete darüber hinaus, dass die Botschaft der nationalen Erneuerung in das Land getragen werden musste. Gemeinsam mit anderen führenden Persönlichkeiten konzentrierte sich der Jefe vor allem auf die südlichen Provinzen. Der ersten Propagandareise im Oktober 1933, die ihn nach Ñuble führte,75 folgten eine Reihe von weiteren Aufenthalten in dieser Region, in der die Naästas ihre treuesten Anhänger außerhalb des Großraumes von Santiago {valle central) finden sollten. So war es kein Zufall, dass die erste Nationale Versammlung des MNS im Dezember 1934 in Concepción stattfand, der Heimatstadt Kellers. Die intensive antisemitische Kampagne, die bald nach den Wahlen in der Nationalsozialistischen Seite gestartet wurde, war der erste Versuch, dem MNS ein klareres Profil zu geben und so der drohenden Mar-
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Potashnik, „Nacismo", S. 235.
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Hinweise auf die niedrige Disziplin der Truppe finden sich in AN, AMI, 8282 Investigaciones Confidenciales, 1933, Servicio de Investigaciones, Identificación y Pasaportes, Memorándum no. 196, Santiago, 15. Juli 1933; und no. 201, Santiago, 20. Juli 1933. Zu Regeln der Sturmabteilungen siehe Francisco Maldonado Chávez, Manual del TNA (Santiago: Jeneral Díaz, 1936).
74
AN, AMI, 8383 Investigaciones Confidenciales, 1933, Servicio de Investigaciones, Identificación y Pasaportes, Memorándum no. 357, Santiago, 23. Dez. 1933.
75
AN, AMI, 8373 Providencias Confidenciales, 359-596, 1933, Gobernador de Ñuble an Ministro del Interior, San Carlos, 16. Okt. 1933; und 8274 Providencias Confidenciales, 4767-4947, Intendente de Ñuble an Ministro del Interior, Chillán, 17. Okt. 1933.
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ginalisierung entgegenzuwirken.76 Die chilenischen Faschisten ließen sich bei dieser Entscheidung wahrscheinlich von den Erfolgen der N S D A P inspirieren. Die Effektivität von antisemitischen Attacken als Mittel der politischen Mobilisierung wurde, so schloss man wohl, von den deutschen Namensgebern nachdrücklich bewiesen. Dem großen Vorbild folgend denunzierten sie entsprechend den Kommunismus als „eine wahrhaftige jüdische Bewegung", die nur für den Zweck ins Leben gerufen worden sei, die „Beherrschung der Welt durch die jüdische Rasse" sicherzustellen. In enger Zusammenarbeit mit dem Kapitalismus, der, typisch für antisemitische Verschwörungstheorien, als eine jüdische Erfindung beschrieben wurde, strebe der Kommunismus angeblich die Zerstörung der „westlichen Kultur" im Allgemeinen und des „Lebenswillens" der chilenischen Bevölkerung im Besonderen an.77 Die Ernennung eines Juden, Daniel Schweitzer Speisky, für eine Schlüsselposition der Regierung Alessandri kritisierte González Anfang 1933 mit der endarvenden Unterstellung, dass man nicht den Angehörigen „einer Rasse", „die sich durch ihre absolute Geringschätzung für die Konzepte von Nationalität und Vaterland auszeichnet", mit soviel Macht ausstatten dürfe.78 Trotz der Heftigkeit dieser Attacken, die in einer von Trabajo Mitte August 1933 angeprangerten Verschwörung gipfelten, dass chilenische Zahnärzte durch die Ansiedlung von jüdischen ruiniert werden sollten,79 entwickelte sich der Antisemitismus nicht zu einem dominanten Thema des Naäsmo. Von Zeit zu Zeit erschienen antisemitische Beiträge im Parteiorgan, führende Mitglieder der Bewegung attackierten Juden in ihren öffentlichen Auftritten oder, wie vor allem Keller, verteidigten die 76
Abgesehen v o n vereinzelten Ausfallen, die das „internationale Judentum" mit d e m „wirtschaftlichen J o c h " verbanden, v o n dem Chile hätte befreit w e r d e n müssen, hatten A n g r i f f e gegen Juden in der nacistischen Propaganda bis zu diesem Zeitpunkt keine Rolle gespielt. Siehe „,E1 Mercurio' y el MNS", Página
Naäonal-Soäalista,
El Importal, 27. Aug. 1 9 3 2 , S. 2. 77
Civis, „Sovietismo y judaismo", Página Narional-Soáalista,
El Imparáal, 25. N o v .
1 9 3 2 , S. 6; und „El comunismo chileno", ibid., 2. Dez. 1 9 3 2 , S. 6. Potashnik („Nacismo", S. 168) zufolge w a r „Civis" ein Pseudonym v o n González. 78
González, „Las explicaciones de d o n Daniel Schweitzer", Página
Naäonal-Soäalista,
El Imparäal, 19. Jan. 1 9 3 3 , S. 6. D e r Rechtsanwalt Schweitzer Speisky w a r ein enger Freund Alessandris. Er hatte das A m t des Sekretärs der Präsidentschaft für sechs Monate inne. 79
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„Dentistas judíos desean establecerse en Chile", Trabajo, 17. Aug. 1 9 3 3 , S. 1.
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Politik des Dritten Reichs.80 Aber den verbalen Übergriffen mangelte es an Regelmäßigkeit, um sie als eine Haltung zu bezeichnen, die auf Die Protokolle der Weisen von Zion beruhte.81 So war es für die Position des MNS insgesamt bezeichnend, dass die Kontrolle der chilenischen Salpeterindustrie durch das US-amerikanische Konglomerat der Guggenheims, der Trabafo in der zweiten Hälfte des Jahres 1933 Augenmerk schenkte, nur anfanglich als ein Kampf gegen den Einfluss des jüdischen Kapitalismus dargestellt wurde. Der Hauptangriffspunkt lag im unberechtigten Vorwurf, dass die Regierung Alessandri die Compania de Salitre de Chile (Salpetergesellschaft Chiles, COSACH) — ein vom IbänezRegime und den Guggenheims geschaffenes Monopol — wieder beleben und so dem nordamerikanischen Imperialismus zu einem weiteren Sieg im Lande verhelfen wollte.82 Anders als der Antisemitismus, der wohl aufgrund des mangelnden Widerhalls in der Bevölkerung seine erhoffte Wirkung verfehlte,83 wurden heftige Angriffe gegen Freimaurer während der Dreißigerjahre zu 80
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Vgl. „Las razones del movimiento anti-judío en Alemania. Una réplica a Emil Ludwig", Hoy, 4. Aug. 1933, S. 25-26; und „Razas, pueblos y culturas", A.cdón Chilena, Bd. 6, Nr. 1 (1937), S. 2 und 4-5. Bicheno, „Anti-parliamentary Themes", S. 374. Potashnik („Nacismo", S. 203) und Gaudig und Veit („antecedentes", S. 105) kommen zu einer ähnlichen Schlussfolgerung wie ich. „Nuestra industria salitrera agoniza bajo las garras del judaismo internacional", Trabajo, 27. Juli 1933, S. 1; und Flugblatt des MNS reproduziert in ibid., 2. Nov. 1933, S. 4. Tatsächlich hatte der Präsident das Unternehmen in einer seiner ersten Amtshandlungen abgeschafft. 1934 ersetzte er es durch die Corporación de Ventas de Salitre y Yodo (Verkaufsgesellschaft für Salpeter und Nitrat, COVENSA), die dem chilenischen Staat eine effektive Kontrolle über diesen wichtigen Industriezweig gab und ihm ein Viertel aller Gewinne garantierte. Zu COSACH und COVENSA vgl. Simon Collier und William F. Sater, A History oj Chile, 1808-1994 (Cambridge: Cambridge University Press, 1996), S. 218-219 und 229; Jaime Rosenbütt Berdichesky, „El ministerio de Gustavo Ross y la configuarción del estado nacional desarrollista (1932-1938)", Historia (Santiago), Bd. 29 (1995/1996), S. 414-420; und Michael Monteón, Chile and the Great Depression: The Politics ofUnderdevelopment, 19271948 (Tempe: Arizona University Press, 1998), S. 143-145. Zu den Aktivitäten der Guggenheims in Chile siehe Thomas F. O'Brien, ,„Rich Beyond the Dream of Avarice': The Guggenheims in Chile", Business History Review, Bd. 63, Nr. 1, S. 122159. Vgl. Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes (PA AA), R 79123, Gesandtschaft an Auswärtiges Amt, Santiago, 16. März 1933.
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einem integralen Bestandteil des Nacismo. In diesen Attacken, die wahrscheinlich auf den großen Einfluss der Freimaurer in der Radikalen Partei und dem chilenischen Positivismus zurückzuführen waren,84 trat darüber hinaus ein Verbalradikalismus 2u Tage, der zu einem der zentralen Merkmale der nacistischen Propaganda geworden war und charakteristisch für das Auftreten der Bewegung bleiben sollte. Die Nadstas suchten nicht bloß eine Auseinandersetzung mit ihren Gegnern; sie kündigten, wie im Falle der Freimaurer, „den Krieg" gegen ihre Widersacher an, die letztendlich unweigerlich mit den Feinden der gesamten Nation gleichgesetzt wurden.85 In einem Flugblatt, das den programmatischen Titel El despertar de Chile (Das Erwachen Chiles) trug und im Juli 1933 zirkulierte, versprachen sie sämtliche politische Parteien zu „zerstören und zunichte [zu] machen" und den Marxismus „ohne Milde ... auszulöschen".86 Die erste blutige Konfrontation zwischen Nadstas und Mitgliedern linker Gruppen, die sich im Anschluss an den ersten öffentlichen Aufmarsch des MNS Anfang August in den Straßen Santiagos ereignete und der in den nächsten Jahren noch viele weitere mit den 1934 gegründeten Brigadas de Defensa Socialista (Sozialistische Verteidigungsbrigaden) folgen sollten, zeigte, dass es sich nicht mehr nur um leere Worte handelte.87 González' Männer sahen in den Zusammenstößen eine Möglichkeit, ihr Profil zu schärfen und infolgedessen suchten sie nach Vorwänden, um diese zu provozieren.88 84
Bicheno, „Anti-parliamentary Themes", S. 374.
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„La masonería pretende ahogar al Nacismo; pero el Nacismo extirpará a los masones", Trabajo, 24. Mai 1934, S. 1. Zu weiteren Angriffen gegen Freimaurer vergleiche, z. B., folgende Artikel in Trabajtr. „El monstruo de los diez mil tentáculos. Así define el Jefe del Nacismo a la masonería", 3. Mai 1934, S. 1 und 2; „El gran culpable", 10. Mai 1934, S. 3; „Señores masones, señores judíos", 25. April 1935, S. 4; und „Comunismo y masonería", 18. Mai 1936, S. 3. AN, AMI, 8382 Investigaciones Confidenciales, 1933, Servicio de Investigaciones, Identificación y Pasaportes, Memorándum no. 209, Santiago, 28. Juli 1933. AN, AMI, 8382 Investigaciones Confidenciales, 1933, Servicio de Investigaciones, Identificación y Pasaportes, Memorándum no. 210, Santiago, 7. Aug. 1933. Zu den sozialistischen Brigaden siehe Verónica Valdivia Ortiz, „Las Milicias Socialistas (1934-1941)", Mapocho (Santiago), Nr. 33 (1993), S. 157-180. AN, AMI, Providencias Confidenciales, 564, Servicio de Investigaciones, Identificación y Pasaportes, Memorándum „Movimiento Nacional Socialista", Santiago, 6. Juni 1934.
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2. Grenzen desfaschistischen Traums
Während die Bewegung bis Mitte 1933 von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt agierte, änderte sich die Lage durch die gewalttätigen Konfrontationen grundlegend. Sie erhielt jene Aufmerksamkeit, die ihr bislang vorenthalten worden war. Ende August und Anfang September widmete sich das chilenische Unterhaus erstmals ihren Aktivitäten. Die lebhafte und kontroverse Diskussion, die mehrere Tage andauerte, machte die unterschiedliche Wahrnehmung des MNS durch die politischen Lager deutlich. Konservative Deputierte, allen voran Ricardo Boizard Bastidas und Alejandro Dussaillant Lonandre, sahen in ihm primär eine antikommunistische Kraft, die es zu beschützen galt.89 Vertreter linker Gruppierungen sowie einige prominente Radikale, nicht zuletzt Gabriel González Videla, der spätere Führer der Volksfront und Präsident Chiles (1946-1952), lehnten diese Interpretation als irreführend und unzutreffend ab. González Videla unterstrich ausdrücklich die revolutionären Ziele der Bewegung und bezeichnete sie als eine Gefahr für die demokratische Ordnung.90 Rolando Merino Reyes, ein Mitglied der Sozialistischen Partei, machte darüber hinaus deutlich, dass der MNS aus seiner Sicht nicht mehr als „eine Imitation" der deutschen und italienischen Bewegungen sei, die über keine nationalen Wurzeln verfüge. Ihr Führer sei, so behauptete er, „mehr teutonisch und mehr deutsch" als chilenisch, „mehr von Marées als González".91 Der sozialistische Abgeordnete äußerte hier Vorwürfe, die in den folgenden Jahren immer wieder erhoben wurden und zum zentralen Angriffspunkt gegen die Naästas werden sollten.92 Wegen der nicht auszuschließenden Möglichkeit eines Verbots, das von linken Volksvertretern im Laufe der Debatte vehement gefordert wurde, sah sich die nacistische Führung gezwungen, ein Bekenntnis zur demokratischen Realisierung ihrer totalitären Ziele abzugeben und sämt-
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Cámara de Diputados, Sesiones Ordinarias 1933, 4. Sept. 1933, S. 2878-2880 (Boizard Bastidas) und 2881-2885 (Dussaillant Lonandre). Ibid., 28. Aug. 1933, S. 2612-2613. Ibid., 5. Sept. 1933, S. 2943 und 2946. Gelegentlich kam es auch zu persönlichen Untergriffen, so im März 1935, als das Organ der kommunistischen Jugend Tribuna juvenil Gonzalez als Homosexuellen bezeichnete. Siehe Karin Alejandra Rosemblatt, Gendered Compromises: Political Cultures