Die Tradition der Familienbücher: Das Katalanische während der Decadència [Reprint 2012 ed.] 9783110931013, 3484522720, 9783484522725

This study traces the history of the text variety 'family chronicle' (Familienbuch, livre de raison, libro de

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German Pages 239 [240] Year 1996

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Table of contents :
Vorwort
1. Das Familienbuch – eine europäische Tradition
1.1. Texttradition, Texttyp und Alltagssprache/llenguatge popular
1.2. Formen des Familienbuchs
1.3. Beschreibung des Texttyps Familienbuch
1.4. Listen
2. Der Gebrauch des Katalanischen zu Ende der Decadància: Sprachverfall oder Sprachentfaltung?
2.1. Die Periodisierung der katalanischen Sprachgeschichte
2.2. Die Sprachen in Katalonien um 1800
2.3. Zur externen Sprachgeschichte
2.4. Grammatikographie und Lexikographie
3. Die ausgewählten Familienbücher und vergleichbaren Quellen
3.1. Die Auswahl der Manuskripte
3.2. Die Vorstellung der Manuskripte
4. Beschreibung der Alltagssprache der menestrals und pagesos im 18. und 19. Jahrhundert/ El llenguatge popular
4.1. Zur Relevanz einer Beschreibung auf der Grundlage überlieferter Texte
4.2. Einzelsprachliche Beschreibungen zum Katalanischen des 18. Jahrhunderts und des català colloquial
4.3. Kriterien der Beschreibung
4.4. Zur Graphie der Manuskripte
4.5. Phonologie
4.6. Morphosyntax
4.7. Lexik
4.8. Pragmatik
4.9. Der Varietätenraum
5. Kontinuität und Bruch
6. Transkription
6.1. Kriterien der Transkription
6.2. Transkription der Notas del tems aus dem Familienbuch von Joan Seriñana
7. Abbildungsverzeichnis
8. Bibliographie/bibliografia
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Die Tradition der Familienbücher: Das Katalanische während der Decadència [Reprint 2012 ed.]
 9783110931013, 3484522720, 9783484522725

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BEIHEFTE ZUR ZEITSCHRIFT FÜR ROMANISCHE

PHILOLOGIE

BEGRÜNDET VON GUSTAV GRÖBER FORTGEFÜHRT VON WALTHER VON WARTBURG UND KURT BALDINGER HERAUSGEGEBEN VON MAX PFISTER

Band 272

KONSTANZE JUNGBLUTH

Die Tradition der Familienbücher Das Katalanische während der Decadencia

MAX NIEMEYER VERLAG T Ü B I N G E N 1996

D 21 Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme [Zeitschrift für romanische Philologie / Beihefte] Beihefte zur Zeitschrift für romanische Philologie. - Tübingen : Niemeyer Früher Schriftenreihe Reihe Beihefte zu: Zeitschrift für romanische Philologie NE: HST Bd. 272. Jungbluth, Konstanze : Die Tradition der Familienbücher. - 1996. Jungbluth, Konstanze: Die Tradition der Familienbücher : das Katalanische während der Decadencia. - Tübingen : Niemeyer, 1996 (Beihefte zur Zeitschrift für Romanische Philologie ; Bd. 272) ISBN 3-484-52272-0 ISSN 0084-5396 © Max Niemeyer Verlag GmbH & Co. KG, Tübingen 1996 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Druck: Allgäuer Zeitungsverlag, Kempten Einband: Heinr. Koch, Tübingen

Inhalt

Vorwort

IX

1. Das Familienbuch — eine europäische Tradition

1

1.1. Texttradition, Texttyp und Alltagssprache///engwaige popular

1

1.2. Formen des Familienbuchs 1.2.1. Das Stichwort Familienbuch 1.2.2. Das wissenschaftliche Interesse am Familienbuch 1.2.3. Unterschiede in den verschiedenen Sprachräumen

6 6 8 14

1.3. Beschreibung des Texttyps Familienbuch

16

1.4. Listen 1.4.1. Charakteristika der Liste

21 22

2. Der Gebrauch des Katalanischen zu Ende der Decadencia: Sprachverfall oder Sprachentfaltung? 27 2.1. Die Periodisierung der katalanischen Sprachgeschichte

27

2.2. Die Sprachen in Katalonien um 1800 30 2.2.1. Das geschriebene Katalanisch in gebrauchssprachlichen Texten....31 2.2.1.1. Kaufmännische Texte: Rechnungen und Buchführung 31 2.2.1.2. Notarielle Texte: Testamente/Eheverträge/Kaufverträge 35 2.3. Zur externen Sprachgeschichte 2.3.1. Politische Ereignisse 2.3.2. Kulturelle Veränderungen 2.3.2.1. Die Kaffeehäuser 2.3.2.2. El Diario de Barcelona 2.3.2.3. Die öffentliche Rede 2.3.2.4. Die Rolle der milicia urbana 2.3.2.5. Das Sprachbewußtsein zu Beginn des 19. Jahrhunderts 2.3.2.6. Die Sprachkompetenz 2.3.2.7. Der Schulunterricht oder Maßstäbe zur angemessenen Beurteilung statistischer Analphabetenwerte

36 37 39 40 41 42 42 42 43 44

V

2.4. Grammatikographie und Lexikographie 2.4.1. Die beiden Grammatiken von Josep Ullastra und von Josep Pau Ballot 2.4.2. Zeitgenössische Lexika

48

3. Die ausgewählten Familienbücher und vergleichbaren Quellen

55

3.1. Die Auswahl der Manuskripte

48 52

55

3.2. Die Vorstellung der Manuskripte 57 3.2.1 Das Familienbuch von Joan Bautista Serinana 57 3.2.1.1. Die Manuskriptgestaltung 57 3.2.1.1.1. Das Manuskript — ein unicum? 60 3.2.1.2. Der Autor 61 3.2.1.3. Der Inhalt der komplett erhaltenen Quelle ist exemplarisch fur die Textsorte Familienbuch 63 3.2.1.3.1. Der Inhalt der Notas del tems 65 3.2.1.4. Zur Beurteilung der ausschnitthaften Textwiedergabe im Aufsatz von Josep Clavaguera 69 3.2.2. Die Memories d'unpages von Sebastia Casanovas 70 3.2.2.1. Die Manuskriptgestaltung 70 3.2.2.2. Der Autor und der biographische Inhalt seines Manuskripts... 73 3.2.2.2.1. Das Fragment steht exemplarisch fur das Nachdenken über die Aufgaben des Familienbuchschreibers 80 3.2.2.3. Dem Familienbuch beigelegte Schriftstücke 84 3.2.2.4. Die Situation der Witwen — zur Illustration einer Auswertung der Quellen unter sozialhistorischer Perspektive 90 3.2.2.5. Die vorliegende Edition 94 3.2.2.5.1. Die Kriterien der Transkription 94 3.2.2.5.2. Die Kommentare der Herausgeber 95 3.2.3. Das anonyme Manuskript Successos de Barcelona 97 3.2.3.1. Die Manuskriptgestaltung 97 3.2.3.2. Der Autor 103 3.2.3.3. Der Inhalt 104 3.2.3.4. Die vorliegenden Editionen 107 3.2.3.5. Das Fragment ist exemplarisch fur die prekären Überlieferungsbedingungen der Familienbücher 110

VI

4. Beschreibung der Alltagssprache der menestrals undpagesos im 18. und 19. Jahrhundert/ El llenguatge popular 116 4.1. Zur Relevanz einer Beschreibung auf der Grundlage überlieferter Texte

116

4.2. Einzelsprachliche Beschreibungen zum Katalanischen des 18. Jahrhunderts und des catalä colloquial

117

4.3. Kriterien der Beschreibung

120

4.4. Zur Graphie der Manuskripte 4.4.1. Der Akzent 4.4.2. Die Interpunktion und die Schreibweise 4.4.3. Groß- und Kleinschreibung 4.4.4. Eigennamen 4.5. Phonologie 4.5.1. Die Vokale 4.5.1.1. Vokale in betonter Stellung 4.5.1.2. Die unbetonten Vokale 4.5.1.2.1. Die Addition von Lauten 4.5.2. Die Konsonanten 4.5.2.1. Die Addition von Lauten im Auslaut 4.5.2.2. DerHiat

120 120 121 122 123 124 124 124 124 126 127 131 131

4.6. Morphosyntax 4.6.1. Das Nominalsystem 4.6.1.1. Substantiv und Adjektiv 4.6.1.1.1. Die Pluralbildung 4.6.1.2. Artikel 4.6.1.3. Pronomina 4.6.1.3.1. Demonstrativpronomen 4.6.1.3.2. Indefinitpronomen 4.6.1.3.3. Possessivpronomen 4.6.1.3.4. Personalpronomen 4.6.1.3.4.1. Subjektspronomina 4.6.1.3.4.2. Objektspronomina 4.6.1.3.5. Relativpronomen 4.6.2. Das Verbalsystem 4.6.2.1. Unpersönliche Formen 4.6.2.1.1. Infinitiv und Gerundium 4.6.2.1.2. Das Passiv 4.6.2.2. Persönliche Formen 4.6.2.2.1. Der Indikativ 4.6.2.2.2. Der Konjunktiv 4.6.3. Präpositionen

132 132 132 132 134 135 135 137 137 139 139 139 140 141 141 141 ...142 143 143 146 148 VII

4.6.4. Konjunktionen 4.6.4.1. Diskussion zu que

151 153

4.7. Lexik 4.7.2. Wortbildung 4.7.2.1. Präfixbildung 4.7.2.2. Suffixbildung

159 162 162 163

4.8. Pragmatik 4.8.1. Die Deixis 4.8.2. Expressive Mittel 4.8.2.1. Mittel der Hervorhebung 4.8.2.2. Beschimpfungen 4.8.2.3. Sprichwörter und Redensarten

163 163 166 166 166 168

4.9. Der Varietätenraum

170

5. Kontinuität und Bruch

173

6. Transkription

177

6.1. Kriterien der Transkription

177

6.2. Transkription der Notas del tems aus dem Familienbuch von Joan Serinana

178

7. Abbildungsverzeichnis

213

8. Bibliographie/feiMogra/ra

214

VIII

Vorwort

«Die Tradition der Familienbücher. Das Katalanische während der Decadencia.» - der Titel dieser sprachhistorischen Arbeit beinhaltet die beiden hauptsächlichen Fragestellungen, die den hier enthaltenen Forschungen zur Textsortengeschichte einerseits und zur katalanischen Sprache andererseits zugrundegelegt sind. Wie läßt sich die Textsorte Familienbuch charakterisieren und in welcher Tradition steht sie? Wie ist das Katalanische zur Zeit der Decadencia zu beschreiben? Das Interesse fiir die katalanische Sprache hatte bereits meine erste umfangreichere wissenschaftliche Arbeit geprägt. Damals ging ich unter soziolinguistischer Perspektive der Frage nach, wie die Schulen Barcelonas mit der Sprachenfrage im nachfrankistischen Katalonien umgingen. Das erneute Engagement für die wissenschaftliche Arbeit wandte sich im Gegensatz hierzu der Sprachgeschichte zu. Diese Veränderung des Blickwinkels beruht auf dem Verständnis, daß «gerade im Hinblick auf ein nicht-resignatives Geschichtsverständnis (...) die Beschäftigung mit der (Sprach)geschichte unumgänglich ist, ja die Beschränkimg auf die Analyse des Gegenwärtigen auch den Verlust der Zukunft bewirkt.»1 Unter der Bezeichnung Decadencia werden die mehr als drei Jahrhunderte des kulturellen Kataloniens zusammengefaßt, die auf das Goldene Zeitalter der katalanischen Literatur im 15. Jahrhundert folgen, das durch die Expansion Kataloniens im Mittelmeerraum geprägt war. Der erneute wirtschaftliche und kulturelle Aufstieg Kataloniens im 19. Jahrhundert charakterisiert die Zeit der Renaixenga, in der das Katalanische als Literatursprache wiedergeboren wurde. Auch die wissenschaftlichen Arbeiten bezogen sich bisher hauptsächlich auf diese beiden Zeiträume wirtschaftlicher und kultureller Größe Kataloniens, die Zeit der Decadencia dagegen ist wenig erforscht. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, wenn die Untersuchungen, die für die Zeit der Renaixenga vorliegen, erkennen lassen, daß die Ausgangssituation für die unter Philologen und Politikern ausgetragenen Kontroversen im Hinblick auf die Normierung des Katalanischen bisher nur sehr schemenhaft bekannt war. Der Versuch einer (Wiedergeburt) (la Renaixenga) beinhaltet als Kehrseite auch die Abgrenzungen davon, was gerade nicht gefordert werden soll - der • Schlieben-Lange 1983:10.

IX

Sprachgebrauch zum Beispiel. Kontroversen bestehen aber nicht nur zwischen den Gegnern der Renaixenga, sondern auch zwischen den Förderern der Renaixenga — etwa über die Frage, inwieweit historische Modelle und welche für die zu schaffende Literatursprache Katalanisch Vorbild sein können^. Was hat man sich unter dem verachteten Sprachgebrauch vorzustellen? Welche Schreibtraditionen wurden jenseits des literarischen Bereichs gepflegt? Wie sah das zeitgenössische, populäre Katalanisch aus, das die Vertreter des catala que ara 's parla auf ihre Flagge geschrieben hatten? Stimmte ihr Argument, daß die Rezeptionsgewohnheiten des Volkes eine an der kastilischen Orthographie angelehnte Normierung des Katalanischen verlangten? Sie (die Vertreter des catala que ara 's parla) gehen davon aus, daß das Volk, wenn überhaupt, dann nur die kastilische Orthographie lesen könne, die Schreibung des Katalanischen sich deshalb an dieser zu orientieren hätte und nicht traditionell sein dürfe 3 .

Ein erster Überblick über die in katalanischer Sprache für den Zeitraum zwischen etwa 1700 und 1850 vorliegenden Textsorten zeigt, daß sich die Textsorte Familienbuch in besonderer Weise fiir die angestrebte einzelsprachliche Beschreibung eignet. Einerseits ist sie eine Textsorte des Diskursuniversums Alltag, andererseits enthält sie unterschiedliches Sprachmaterial, da die Quellen sowohl listenähnliche, als auch in erzählendem Duktus verfaßte Teile beinhalten. Wie auch einer der beiden während der Forschungsarbeiten entstandenen Aufsätze in seinem Titel dokumentiert, strebte ich ursprünglich eine Rekonstruktion der gesprochenen Sprache an. Die Rezeption der im Umfeld des Saarbrücker Romanistentags 1979 einerseits4 und der in Freiburg entstandenen Arbeiten zum Spannungsfeld zwischen Schriftlichkeit und Mündlichkeit andererseits hat zu einer treffenderen Einordnung des untersuchten Sprachmaterials geführt. Die Anwendung des aus dem Freiburger Forschungszusammenhang entstandenen, von Peter Koch und Wulf Oesterreicher vorgestellten Modells eines sprachlichen Kontinuums, das sich zwischen einem nähesprachlichen und einem distanzsprachlichen Pol bewegt®, zeigt, daß das untersuchte Sprachmaterial einen schriftsprachlichen Gebrauch des im 18. und 19. Jahrhundert verwendeten Katalanisch repräsentiert, der deutlich nähesprachlich geprägt ist. Im Bemühen, die konkreten Quellen in einen allgemeineren Rahmen einzuordnen, machte mich meine Doktormutter auf die 1993 erschienene Habilitationsschrift von Christof Weiand aufmerksam, der für Italien die Textsorte libri 2

Neu-Altenheimer 1990:9. Ergänzung in Klammern von mir. Zur leichteren Lesbarkeit wurde z.B. am Satzende abweichend vom Original ausgeschrieben. 3 Meisenburg 1991:57. Ergänzung in Klammern von mir. 4 Stellvertretend seien genannt: Ernst 1980, 1985, Hausmann 1980, Holtus/Radtke 1985, Schmitt 1980, Schweickard 1983. 5 Freiburger Sonderforschungsbereich unter Leitung von Wolfgang Raible. 6 Koch/Oesterreicher 1985.

X

difamiglia untersucht hatte. Seine Ergebnisse ließen sich mit den von mir untersuchten Manuskripten, begünstigt durch die Gemeinsamkeiten des romanischen Sprachraums bis in sprachliche Details vergleichen. Auf den Spuren der Textsorte Familienbuch konnte ich die Tradition auch in Frankreich feststellen. Am Beispiel Frankreichs wird besonders deutlich, daß sich die Textsorte selbst erst im Zuge einer wissenschaftlichen Betrachtung herausschält. Für Deutschland ist die Beschäftigung mit diesen Quellen bisher offenbar tabuisiert. Einerseits wurden die Familienbücher in den Dienst der nationalsozialistischen Ideologie genommen, andererseits war anschließend die wissenschaftliche Beschäftigimg mit dieser Art Dokumente eher anrüchig. Im ersten Teil der Arbeit wird die historische Textsorte Familienbuch beschrieben. Ihre Tradition im alteuropäischen Raum wird verfolgt und es wird gezeigt, wie sie in drei verschiedene Textsorten des 20. Jahrhunderts einmündet. Bei der Darstellung der Ergebnisse habe ich nicht die fur historische Darstellungen naheliegende chronologische Reihenfolge benutzt. Ich stelle zunächst die für die Textsorte Familienbuch typische und vollständig überlieferte Quelle vor. Diese Anordnung ermöglicht es, vom Allgemeinen zum Besonderen fortzuschreiten und unterstreicht den systematischen Zusammenhang. Die Arbeit ist so angelegt, daß auch eine separate Rezeption der Bereiche Textsortengeschichte und einzelsprachliche Beschreibung möglich ist. Das letzte Kapitel allerdings bezieht beide Bereiche aufeinander und zeigt einerseits die Kontinuität einer alteuropäischen Schreibtradition bis ins 19. Jahrhundert auf, andererseits wird der Bruch der Traditionen in mehrfacher Hinsicht an der Wende zum 20. Jahrhundert festgestellt. Für die vielen Gespräche, Hinweise und Ermutigungen bedanke ich mich bei meiner Doktormutter Brigitte Schlieben-Lange sehr herzlich. Ich verdanke ihr weit mehr, als in den direkten Hinweisen zum Ausdruck kommt. Der Kreis der deutschen Forscherinnen und Forscher der katalanischen Sprachwissenschaft, der in Berlin und Potsdam Aspekte meiner Arbeit konstruktiv diskutiert hat, stellte einen wichtigen Gegenpol zur Einsamkeit der wissenschaftlichen Forschung dar. Die katalanischen Fachkollegen, Antoni Badia, Emili Boix, Josep Moran, Modest Prats und Francesc Vallverdü haben mir zu unterschiedlichen Zeitpunkten wertvolle Hilfe geleistet. Bedanken möchte ich mich auch bei Maria Angels Anglada, die mich vor Ort begleitet hat, und bei Klaus-Jürgen Nagel, der prompt Hilfe wußte, wenn es um historische Fragen bezüglich Katalonien ging. Besonders intensiv konnten die Forschungen in den Zeiträumen verfolgt werden, in denen sie finanziell gefordert wurden. Ich bedanke mich bei der Eberhard-Karls-Universität Tübingen, die mir ein Stipendium im Rahmen der Frauenforderung des II. Hochschulsonderprogramms gewährte, und beim Ba-

XI

denwürttembergischen Ministerium für Wissenschaft und Forschung, das sich an der Finanzierung eines abschließenden Forschungsaufenthalts in Barcelona im Frühjahr 1994 beteiligte. Die Arbeit wurde auch durch die praktische Hilfe meiner Eltern unterstützt, die mich zeitweilig von den familiären Verpflichtungen entbunden haben, und von meinem Mann, der die Abbildungen der Manuskriptseiten ausdauernd überarbeitet hat, so daß die Reproduktionen aufgrund der modernen technischen Möglichkeiten kontrastreicher und deshalb oft deutlicher als die Originale sind. Für die Durchsicht der ersten Fassung der Dissertation bedanke ich mich bei Sibylle Ebner, Jakob Joos, Klaus-Jürgen Nagel und Elisabeth VolckDuffy. Die jetzt vorliegende Fassung beruht auf einer intensiven Überarbeitung, die im wesentlichen in Auseinandersetzung mit den Einwänden der beiden Gutachter, Brigitte Schlieben-Lange und Francisco Oroz, und unter Berücksichtigung der weiterführenden Literaturhinweise des Herausgebers Max Pfister entstanden ist. Ihnen allen sei an dieser Stelle nochmals ganz herzlich gedankt.

Kostheim, im Mai 1995

XII

Konstanze Jungbluth

1. Das Familienbuch — eine europäische Tradition

1.1. Texttradition, Texttyp und Alltagssprache///engwai£e popular Sprache manifestiert sich in der Welt, «wenn wir sprechen, dann tun wir dies mit jemandem über etwas K» Das Sprechen2 vollzieht sich «in der Lebenspraxis (...) im Rahmen von sozialen Situationen (...), in denen (Menschen) mit ihrer wirklichen Umgebung in Beziehung treten3.» Jeder bei dieser Interaktion neu entstehende Text folgt bestimmten Traditionen*. In der Regel bewahren wir beim Sprechen diese Texttraditionen, allerdings können wir sie im Einzelfall auch bewußt oder unbewußt überschreiten. Die Grenzen, innerhalb derer wir uns dabei bewegen, hat Karl Bühler zu Anfang des Jahrhunderts so benannt: Wohl wahr, daß wie alles andere, was wir ererbt von den Vätern haben, so auch «die Sprache» rezipiert sein will und ihre Auferstehung erleben muß im Monadenraum des Sprechers. Allein Rezeption und Selbstschaffen (Entnahme und Setzung) ist zweierlei; gehört zum Setzen die HUSSERLsche Freiheit der bedeutungsverleihenden Akte, so gehört als Grenze dieser Freiheit und korrelativ zu ihr die Bindung des Entnehmens, beim Entnehmen 5 .

Diese Grenzen, die hier allgemein fur die Sprache benannt sind, gelten auch auf der Ebene der Texttypen. Unser intuitives Vorwegwissen von Texttypen ermöglicht, «daß wir in jeder Situation im Rahmen des zugehörigen Typus ein sozial angepaßtes Textexemplar erzeugen und erkennen können, dessen Aufbaumuster wir vorab wählen bzw. bestimmen und das wir prozeßhaft nach flexiblen Regeln konkretisierend»

1 Schlieben-Lange 1983b: 13, kursiv i.O. «Unter verstehe ich natürlich die gesamte sprachliche Aktivität, d.h. also sowohl das Sprechen im eigentlichen Sinn des Wortes, als auch gegebenenfalls das Schreiben.» Coseriu 1988b:333, Fußnote 13. 3 Steger 1984:186, i.O. Personen anstelle von Menschen. 4 In der Begrifflichkeit Coserius expressives Wissen genannt: «Seiner Bestimmung gemäß wird das expressive Wissen auf Typen von Situationen (...) angewendet.» Coseriu 1988:331. 5 Bühler (1934) 1982: 68-69. Das Zitat stammt aus dem Kapitel über Sprechhandlung und Sprachwerk; Sprechakt und Sprachgebilde. Diesen vier Grundpfeiler der Sprachtheorie Karl Bühlers hat Wolfgang Raible den Entwurf der konzeptionellen Mündlichkeit bzw. Schriftlichkeit zugeordnet (Raible 1988). 6 Steger 1984:186. 2

1

Ningü, lie vat d'algun espontani semianalfabet, no ha escrit mai com es parla. S'escriu com hi ha la tradicio d'escriure. Poe ο molt, com els pintors pinten «segons» uns models de pintar. La «cultura» es aixö7.

Texttypen oder Textsorten, die beiden Begriffe werden parallel verwendet», sind «Traditionen auf einer mittleren Ebene'.» Sie liegen zwischen der Tradition der Sprache in der Konkretisierung der jeweiligen Einzelsprache und der Tradition der Diskursuniversen. «Diskursuniversen sind sozusagen Typen von Texttypen10.» In der Terminologie von Joshua Fishman werden sie domains genannt. The domain is a higher order of abstraction or summarization which is arrived at from a consideration of the socio-cultural patterning which surrounds language choices 11 ..

Diese Diskursuniversen, auch Textbereiche, Bezugsbereiche oder Welten genannt, sind den Texttypen hierarchisch übergeordnet. Ihre vorrangige Stellung drückt sich darin aus, daß eine Veränderung auf der Ebene des Diskursuniversums zwangsläufig auch die dazugehörenden Texttypen beeinflußt. Zu den jeweiligen historischen Zeitpunkten in unterschiedlicher Weise wurden aus dem allgemeinen Reden verschiedene Diskursuniversen ausgegliedert. Traditionsreiche Diskursuniversen sind beispielsweise die Religion, die Wissenschaft und die Dichtung. Selbstverständlich sind diese frühen Ausgrenzungen nicht immer und überall, wo sie vorgenommen wurden, in der gleichen Weise verlaufen. So können hier der Bereich des Normativen mit dem des Wissenschaftlichen lange vereint geblieben sein, dort der des Poetischen mit dem des Wissenschaftlichen usw. Außerdem können im Verlauf der Geschichte bereits getrennte Diskursuniversen wieder integriert werden. Und schließlich muß beachtet werden, daß der Bereich des Allgemeinen sich je nach den aus ihm vorgenommenen Ausgliederungen erheblich verändern kann 12 . Im Unterschied zu den Welten der Kunst, der Wissenschaft, der Religion, des Traums ist die Alltagswelt die für alle in einer Gesellschaft lebenden Menschen verbindliche; sie ist die Grundlage der normalen, lebensnotwendigen Kommunikation. Solche Welten wie die wissenschaftliche und künstlerische setzen voraus, daß man sich in gewisser Weise von den unreflektiert übernommenen Handlungs- und Denkgewohnheiten der Alltagswelt löst und die Regeln des jeweiligen Bereichs erst übernimmt 13 .

Trotz der Ausgliederungen müssen alle Diskursuniversen einschließlich dem allgemeinen Reden insgesamt als Kontinuum betrachtet werden. Die Vor-

1 Fuster 1976:124. 8 «Diskurstradition» in gleicher Bedeutung bei Koch 1988:343. 9 Schlieben-Lange 1983b: 145. !0 Schlieben-Lange 1983b: 146. H Fishman 1967:75. 12 Schlieben-Lange 1983b:467. 13 Schwitalla 1976:25. Die Zuordnung «unreflektiert übernommener Handlungs- und Denkgewohnheiten» als Charakterisierung der Alltagswelt halte ich allerdings für nur teilweise zutreffend.

2

Stellung des Kontinuums

läßt auch erkennen,

daß es v o m

Forschlings-

gegenstand abhängt, w i e v i e l e Diskursuniversen differenziert werden· 4 . D a s Diskursuniversum Alltag

ist v o n den erfolgten Ausgliederungen beson-

ders betroffen, denn es verliert j e nachdem an Bandbreite oder gewinnt diese hinzu. Mit der zunehmenden Industrialisierung und Technisierung, zuletzt auch Verwissenschaftlichung der Gesellschaft und ihrer Kommunikationsmittel werden manche Teile der Alltagskommunikation im Laufe der Geschichte in den jeweiligen theoretischen kommunikativen Bezugsbereich umgeordnet, also in die Bereiche der Institutionen, der Technik und der Wissenschaft. (...) Im übrigen ist die Alltagskommunikation und ihre Texttypik überlieferungsbedingt schwer nachzuvollziehen und nicht zusammenhängend untersucht wordenl 5 . In j e d e m Fall darf die Bezeichnung Alltag

nicht zu der A n n a h m e verleiten, die

in diesem Diskursuniversum aufgehobenen Texttypen seien einförmig. In der Hauptsache handelt e s sich u m mündlich realisierte Texttypen, die naturgemäß nicht für die Uberlieferung bestimmt sind. Z u den schriftlichen Texttypen des Diskursuniversums Alltag

gehören beipielsweise private N o t i z e n als Erinne-

rungsstütze, Listen, Briefe und in historischer Zeit Familienbücher' 6 . A n der Einordnung der Texttypen unter die Diskursuniversen läßt sich auch ablesen, daß die Texttypen unabhängig v o n den Einzelsprachen 1 7 sind. Trotzdem, und das läßt sich am konkreten Beispiel des Familienbuches zeigen, kann es b e z o g e n auf die j e w e i l i g e Einzelsprache unterschiedliche Ausprägungen des

14

«The domains recommended by Schmidt-Rohr were the following nine: the family, the playground, the school (...), the church, literature, the press, the military, the courts, and the governmental administration. Subsequently, other investigators either added additional domains (... the work-sphere as a domain), or found that fewer domains were sufficient in particular multilingual settings. However, what is more interesting is that Schmidt-Rohr's domains bear a striking similarity to those synthetisiert, die vielen Einzelaspekte zu einem Gesamtbild verdichtet werden.» Weiand 1993:144. Das Verfahren erinnert an das der Homöostase, wie es für mündliche Überlieferung besonders in nicht-schriftlichen Gesellschaften bekannt ist. «Die soziale Funktion des Gedächtnisses - und des Vergessens - läßt sich daher als die Endstufe dessen auffassen, was man die homöostatische Organisation der kulturellen Tradition in der nicht-literalen Gesellschaft nennen könnte.» Goody 1968/1991:68. Vgl. auch: Assmann 1988 und Kapitel 3.2.3.5. 1819 ?, das genaue Todesjahr ist nicht bekannt.

17

überwinden, eine gewisse finanzielle Einbuße, die keineswegs zu vernachlässigen ist und zu denken geben sollte, vor allem eine physische Anstrengung, denn im Pariser Geschäft wie auch in dem Gasthaus in La Fontaine-St.-Martin müssen schlechte Wohnbedingungen, schlechte Beleuchtungen, Promiskuität überwunden werden, um lesbare Zeichen hervorzubringen und schließlich und vor allem ist es eine Entscheidung in Hinsicht auf die normalen Gewohnheiten, in denen Muße und Diskussion verlaufen. In Paris wie auch im Maine heißt Schweigen, sich von den anderen absondern und den einsamen Gestus bevorzugen, Eigenschaften der Verinnerlichung zu zeigen, die ungewöhnlich in den Milieus sind, deren Arbeiten und Leben sie teilen 80 .

Die offene Form des Familienbuchs, ja sein bloßes Vorhandensein vor Ort»', ermöglicht auch die Aufbewahrung (autobiographischer Notizen. Die Soziologie sieht die Auflösung der bestehenden sozialen und familiären Ordnung als Auslöser fur (auto-)biographisches Schreiben82. Für die Familienbücher aus Frankreich steht diese Auflösung der bisherigen sozialen Ordnung im Zusammenhang mit der französischen Revolution. Die Autobiographie dieser beiden Männer (d.s. Louis Simon und Jacques-Louis Menetra), die dem Volk nahe sind, entsteht zweifellos aus dem individualisierten Widerhall eines kollektiven Bruchs, sozusagen der Notwendigkeit, die Fäden eines Stückes Stoff wieder aufzunehmen, der gerade dabei ist, sich aufzulösen 83 .

Für die Auflösimg der familiären Ordnung als Motiv der Schreibhandlung steht einerseits Sebastia Casanovas, der gegen seinen Vater anschreibt und besonders die Verschwendungssucht seines Vaters anprangert, um seinen Nachkommen zu erklären, weshalb das Familienvermögen so sehr geschrumpft ist und weshalb ihn dabei keine Schuld trifft. «Das Vater-Sohn-Verhältnis als verschwiegenes Schreibmotiv»84 findet sich auch bei einem der florentinischen Familienbuchautoren. Reduziert man Alberinis (Marcello Alberini, 1511—1580) «Ricordi» auf den traditionellen Inhalt eines Familienbuchs, so treten die zeitgeschichtlichen Zusammenhänge in den Hintergrund. Dafür aber rückt eine Figur in den Vordergrund, die den Bestand der Familie sichert und ihr vorsteht: der Vater. Im Schicksal dieser Figur liegt der Schlüssel zur schreibenden Tätigkeit des Sohnes Marcello. Zum einen rekapituliert Marcello letzte Stationen im Leben seines Vaters und fügt die entsprechenden Bilder in den historischen Kontext ein. Zum anderen tritt er aufgrund des Todes seines Vaters vor der Zeit die Stelle als Familienhaupt an, wozu pflichtgemäß auch die schriftliche Überwachung aller für die Alberini wirtschaftlich und sozial bedeutsamen Vorgänge gehört 85 .

Für die florentinischen Kaufleute liegt die Motivation fur ihre, meist mit Ricordi überschriebenen Äußerungen im Rechtfertigungsdruck86 gegenüber Vorst» Roche 1988:385-386. 81 Schreibutensilien wie Papier, Tinte, Federn waren nicht «an jeder Ecke» erhältlich. 8 2 Weiand 1993:152, Fußnote 207. 83 Roche 1988:386, i.O. irrtümlich Wiederhall. 84 Weiand 1993:151. 85 Weiand 1993:151. 86 Rechtfertigung wird häufig als Motivation fur das Schreiben angeführt. «Hay una justification, un rendir cuentas ante la de la masia, ante la dinastia.» Simon 1988:132.

18

würfen aus kirchlichen Kreisen, ihre berufliche Tätigkeit sei mit christlichen Werten unvereinbar. Das unter ethisch-moralischen Vorzeichen erzwungene Nachdenken über Stand und Person zeichnet sich auch in der praxisorientierten und moralisierenden Literatur der Kaufmannswelt ab: z.B. in Francesco di Balducci Pegolettis «Pratica della mercatura», Paolo da Certaldos «Libri di buoni costumi» oder Leon Battista Albertis «Libri della famiglia». So unterschiedlich diese stellvertretend genannten Texte auch im einzelnen sein mögen, so ist ihnen doch gemeinsam die Beförderung eines Gruppenideals und einer Identität, die, in die Praxis umgesetzt, zu allererst die der Familie ist. Diese wird nämlich verstanden als «nucleo di ricostruzione economica, sociale e morale delle comunita civili». Bei aller biologisch bedingten Zyklik — oder gerade deshalb - legt man Wert auf ihre Kontinuität. (...) Kembegriffe der Kontinuität sind «i passati» oder «gli antenati» bzw. «i posteriori» — also Vorfahren und Nachkommen. Im Schnittpunkt zwischen diesen beiden genealogischen Linien stehend, verfaßt das jeweilige Familienoberhaupt «Ricordanze» bzw. «Ricordi». (...) Diesen Büchern, die summarisch meist als Ricordanze bezeichnet werden, ist ein «carattere documentario, e non letterario» eigen. Sie haben ihren Platz in der buchhalterischen Organisation des Gewerbes. Die Ricordi stehen demgegenüber familiären Belangen offen und bilden die Grundlage für die Entwicklung einer autobiographischen Privatliteratur87.

Der Umstand, daß diese Familienbücher neben ihren spröden, obligatorischen Teilen auch einen relativ ausführlichen, erzählenden Teil aufweisen, hat ihre Tradierung sichergestellt, weil sie damit auf ein über das Private hinausgehendes allgemeines Interesse stoßen. El diario seria el libro escrito dia a dia, la inmediata transcription de la vida cotidiana que refleja los aspectos mäs prosaicos, las actividades mäs ordinarias de la jomada transcurrida, en una expresiön escrita elemental y a menudo con formulas repetitivas. Muchos de ellos tienen su origen en un libro de cuentas: de una masia, de un taller, de un pequeno negocio que, en determinados momentos, se enriquecen apuntando episodios trascendentes de la familia (bautizos, matrimonios, sepulturas...) ο acontecimientos de la vida social local ο comarcal que han impresionado al escntor (inundaciones, sequias, guerras, alojamientos...), pero estas narraciones aün se articulan y se construyen alrededor de las cuentas. En la mayoria de los casos el documento es seco tanto en la forma como en la expresiön sensible, pero en momentos y en diarios determinados el relator se convierte en confidente y entonces encontramos la gran riqueza de estos documentos: el autor expresa su pensamiento, la interpretation de los sucesos de la epoca, nos sentimos trasladados al mundo interior de los hombres del siglo XVI ο del siglo XVII. Pero cuando esto se produce, ^que nos aportan estos diarios personales? Frecuentemente un lujo de detalles sobre la vida material y economica del interior de una casa, de una familia, de una heredad: cuänto se ha pagado por un buey, las obras que han transformado el espacio de la vivienda, los tratos para fijar la dote de la hija...; pero tambien quedan reflejados

87

Weiand 1993:11—12. «In der Beschäftigung mit Texttypen bewegen sich die Sprach- und Literaturwissenschaft gegenwärtig deutlich aufeinander zu. Voraussetzung ist, daß die Sprachwissenschaft jetzt stark semantische und pragmatische Fragestellungen einbezieht, während die Literaturwissenschaft berücksichtigt, daß Gattungen/Texttypen aus virtuellen satzübergreifenden sprachstrukturellen Ganzheiten bestehen, die auf Konventionen oder Normierungen beruhen.» Steger 1984: 187. Die Darstellung von Christof Weiand folgt in erster Linie einem literaturwissenschaftlichen Interesse. Er ist den Anfängen der Autobiographie auf der Spur.

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elementos exteriores: desde las intemperancias ciimatologicas a la description de la llegada des soldados al pueblo, entonces el diario coge los aires de una pequena cronica 88 .

Erscheint es zunächst einmal merkwürdig, daß in unterschiedlichen sprachlichen und historischen Zusammenhängen der Texttyp Familienbuch gehäuft auftritt, so ist zu bedenken, daß «die Langlebigkeit bestimmter Textsorten und der mit ihnen verbundenen Kommunikationsformen (...) kaum überschätzt werden (kann)»89. Obwohl für Florenz mit dem 16. Jahrhundert «der Niedergang und das progressive Verschwinden der libri di famiglia»90 festgestellt wird, muß dieser Sachverhalt keineswegs das Ende der Tradition des Familienbuchs bedeuten. Die hier nachgezeichnete Linie, nämlich der Ursprung der libri di famiglia in den Kaufmannsfamilien der Stadt Florenz im 11.— 15. Jahrhundert, die nachgewiesene Tradition im ländlichen Frankreich ab dem ausgehenden 17. Jahrhundert^, die Präsenz der Familienbücher in Katalonien im 18. und 19. Jahrhundert, läßt vermuten, daß der Vorbildcharakter der in der Stadtkultur entwikkelten Textsorte im Laufe der Neuzeit in den kleinstädtischen und ländlichen Bereich vordringt. Für Deutschland ist nachgewiesen, daß sich die in den großen Stadtzentren (Handelsstädte wie z.B. Lübeck, Straßburg, Regensburg, Ulm, Augsburg) entwickelten Kommunikationsformen trotz des Niedergangs dieser Städte Ende des 16. Jahrhunderts/Anfang des 17. Jahrhunderts in den kleinstädtischen und ländlichen Bereichen etablieren. (Durch den Bedeutungsverlust der großen Stadtzentren) wird die Bedeutung der Stadtkultur für die Ausprägung alter und die Entwicklung neuer Kommunikationsformen insgesamt aber nicht geschmälert. Einerseits ist zu berücksichtigen, daß neben alten Handelsstädten neue aufsteigen und an überregionalem Einfluß gewinnen; z.B. Hamburg, Frankfurt, Leipzig, Danzig, Breslau. Andererseits ist wichtig, daß sich das Leben der Zeit in zahlreichen Kleinstädten konzentriert, die sich an den größeren städtischen Zentren orientieren und die im tagtäglichen Gesichtskreis des kleinen Bürgers oft kein anderes Bild bieten als die großen Handelsstädte92.

Aus rein linguistischer Sicht gebührt aber auch den nicht-literarischen, meist in Form von Listen geführten Teilen des Familienbuchs ein besonderes Interesse.

88 Simon 1988:127—128. Simon unterscheidet zwischen diario, cronica und dietario. Er bekennt aber abschließend: «pero es dificil que estas caracterizaciones se den de una manera en los documentos. Segün lo que conocemos de la literatura personal catalana de la epoca moderna, lo mäs frecuente es un genero literario hibrido en el cual se mezclan elementos de la autobiografla, de la cronica y del diario.» Simon 1988:130. 8 9 Wimmer 1985:1629. 90 Weiand 1993:13. 91 Reichardt 1985:108. Für den Zeitraum 1640—1715 in Frankreich werden auch hunderte livres de raison in den Sources de l'Histoire de France gelistet. Andre 1935, vol. VIII: 1 Iff. Außerdem als konkretes Beispiel das Familienbuch von Louis Simon, vorgestellt von Daniel Roche, 1988. 92 Wimmer 1985:1626. Ergänzung in Klammern von mir.

20

1.4. Listen Alle obligatorischen Bestandteile des Familienbuchs haben die Form einer Liste: die Geburtseintragungen, Heiratsdaten und die Register der Todesfälle. Hinzu kommen beispielsweise Listen über das Patrimonium (Besitz, Finanzen), über Einnahmen und Ausgaben, über Ernteerträge und -erlöse, über Erbschaftsund Pachtangelegenheiten, über Steuerabgaben, über Rechtsstreitigkeiten und dazugehörende notarielle Urkunden, über Mobilien und andere Anschaffungen. II est necessaire de distinguer entre les matieres traitees (pour les livres de raison). Les uns ne contiennent que des naissances, les baptemes, les manages et les deces. (...) C'est surtout au point de vue economique qu'il y a un interet ä connaitre les livres de raison (...). Mention des orages, grele, inondations, froid, — des gages des domestiques, des laboureures, etc. - des prix (volaille, ble, vetement, boisson), - de la situation des recoltes, - des charges qui accablent le peuple, - sur tout cela les indications sont infiniment precieuses 93 .

Interessant erscheint mir, daß die Form der Liste erstens, sozusagen auf der Ebene der Kulturgeschichte der Menschheit, beim Übergang der mündlichen Kulturen in schriftliche auftaucht«4. (Die Überliefeningsverfahren) liefern (...) unterschiedliche Hilfsmittel, die das Behalten des zu Reproduzierenden erleichtem. (...) Die diachrone Uberlieferung in vorschriftlichen Kulturen (...) ist gerade die ausgezeichnete Weise, wie Wissen von einer Generation zur anderen übermittelt wird, Wissen, das der Überlieferung wert ist, ist (...) meist nicht unmittelbar empraktisch anzueignen. Es ist vergleichsweise komplex. Deshalb müssen die Formen, in denen es verbalisiert wird, gleichfalls vergleichsweise komplex sein. Ein gutes Beispiel dafiir bieten die altorientalischen Listen. Sie stellen eine elementare Form der Wissensorganisation dar 95 .

Zweitens bestimmen Listen nicht nur in quantitativer Hinsicht die ersten romanischen Sprachdenkmäler und sind insofern Vorreiter beim Ablösungsprozeß vom Lateinischen. Ganz offensichtlich ist die Präponderanz der Listen ein Merkmal des Einstiegs in die Verschrifhing der Volkssprache. Auffällig hoch ist der Anteil an Listen in den absoluten Anfängen (bis ca. 1120: rund 67%)96.

An dritter Stelle, sozusagen auf individueller Ebene, finden sich die Listen wieder bei den wenigen Uberlieferungen, die uns von einfacheren Leuten vergangener Jahrhunderte erhalten sind. Das Wenige, das sie — selten - schriftlich fixiert haben, wird bevorzugt in Form von Listen tradiert. Die Aneignung der

93 94 95 96

Andre 1935, vol. VIII:8. auch Koch 1990: 144, Fußnote 61. Ehlich 1983:34, kursiv lt. O. Ergänzung in Klammern von mir. Koch 1990:132.

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Ausdrucksmöglichkeiten des schriftlichen Mediums beginnt mit Schriftzeugnissen, die Listencharakter haben97. Auch die nach Datum's oder Jahren organisierten historischen Eintragungen (Jahreschronik) können mit gewissen Einschränkungen unter den Begriff der Liste subsumiert werden. Die chronologische Anordnung fur diese Daten ist ein pragmatisches und naheliegendes Ordnungsprinzip, das das Zurechtfinden erst ermöglicht". Die Vorliebe für die Liste hat einerseits ihren Ursprung in der «elementaren Form der Wissensorganisation»100, wird aber andererseits vor allem durch die besonderen Charakteristika der Liste an sich gestützt. 1.4.1. Charakteristika der Liste Sowohl bei dem phylogenetischen als auch bei dem ontogenetischen Übergang von der mündlichen Überlieferung zur schriftlichen, geht es vordringlich darum, eine große Zahl einzelner Daten zu ordnen. Nicht zufällig taucht das Problem im Zusammenhang mit wirtschaftlichen Belangen auf. Listen spielen, als sehr praktische, fachlich orientierte, aber konzeptionell anspruchslose Sprachprodukte, bei den menschheitsgeschichtlich frühesten schriftlichen Zeugnissen eine herausragende Rolle, insbesondere bei der Registrierung von Wirtschaftsgütem 10 '. Mich interessiert hier eine (...) sehr wichtige Gruppe frühromanischer Schriftzeugnisse: die Listen oder listenartigen Aufstellungen. Dazu gehören Namenslisten, Steuerregister, Abgabenlisten, Buchführungslisten, Inventare usw. 102 .

Auf der individuellen Ebene bei der Analyse der in die Familienbücher eingetragenen Listen, wiederholt sich dieses Vorherrschen wirtschaftlicher Daten.

97

98

99

100 101 102

Die Liste, insbesondere wenn sie, wie hier, in ein Familienbuch integriert ist, tendiert, trotz ihrer Realisierung im schriftlichen Medium, konzeptionell gesehen zum nähesprachlichen Pol. Der Einstieg in die Schriftlichkeit bedeutet also nicht automatisch auch eine Aneignung der Versprachlichungsstrategien, die für die Bewältigung kommunikativer Distanz notwendig sind.Vgl. Koch/Oesterreicher 1990: 12 So verstehe ich auch Peter Koch: «(...) das dritte Linearisierungsprinzip ist nun das der Liste: die syntagmatische Similarität. Listeneinträge sind sprachliche Einheiten, die in einen bestimmten linearen, syntagmatischen Zusammenhang gebracht werden, weil zwischen ihren Denotaten (z.B. (...) Waren, Geldbeträgen, Ereignissen) eine jeweils relevante Similaritäsbeziehung besteht.» Koch 1990:140, Hervorhebung durch Fettdruck von mir. «Arno Schmidt hat einmal gesagt, das Datum sei das dümmste Ordnungsprinzip oder so ähnlich. Es ist eines unter anderen. Auf eine chronologische Anordnung kann ich beim nicht verzichten, weil sich sonst kein Mensch mehr zurechtfinden würde.» Kempowski 1993:34. Die erste Lieferung des -Projektes hat zum Ziel, anhand fremder Tagebücher, Aufzeichnungen, Briefnachlässe und Fotoalben die Zeit vom 1. Januar bis 28. Februar 1943 nachzuzeichnen. Das ganze Projekt soll den Zeitraum von Anfang 1943 bis zur Gründung der beiden deutschen Staaten im Jahre 1949 umfassen. Ehlich 1983:34. Koch 1990:144. Koch 1990:125.

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Das Inhaltsverzeichnis des Familienbuchs von Joan Serifiana enthält folgende Teile. Inhaltsverzeichn is Γ

τ 3" 4· 5" 6" r 8' 9' 10 11 12

des guten und schlechten Wetters der Preise für Trauben, Getreide und Ol der Rechtsstreitigkeiten, die ich gegen meine Familie führte der von mir, f~. . S™, bestellten Äcker der Urkunden und Schriftstücke, die auf mich, f.Bf.S1, lauten der von mir, f . B?. Sf, bezahlten Pflichtteile der von mir, f°~. Bf*. S"", gekauften Mobilien der Ausgaben für Arbeiten an meinem Haus J. B. S. der auf meinen Ländereien geernteten Trauben und Oliven der Heiraten der Geburten der Todesfalle'03

Aus diesem Inhaltsverzeichnis ist ersichtlich, daß hauptsächlich wirtschaftliche Daten schriftlich festgehalten werden. Auch das Document familiar von Antoni de Duran i de Bastero verzeichnet neben den genealogischen Daten solche, die den (wirtschaftlichen) Besitz betreffen104. Da das «zentrale(.) Anliegen der Familienbuchschreiber (...) die Sicherung des Patrimoniums (Besitz, Finanzen) und der Familienkontinuität (durch Vergegenwärtigimg der Genealogie)»105 ist, verliert die Beobachtung, daß man «in vielen Fällen (...) nicht einmal von einem sprechen (kann, sondern) die Bezeichnung 5 Ms. S.45. 16 Am Ende des Familienbuchs Sebastiä Casanovas eingelegtes notarielles Dokument (Annex 12). Notar Narcis Camps, Castellö d'Empüries, 5.11.1756.

58

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Das Verständnis, daß die druckschriftliche Wiedergabe eines Textes den vom Autor gewollten Text abbildet, beruht auf der kulturellen Entscheidung, daß ein handschriftlicher Text im Gegensatz zu einem Gemälde kein unicum, nichts Unwiederholbares ist. Deshalb können - in unseren Augen - handschriftliche Kopien oder (gedruckte) Ausgaben des Orlando Furioso den von Ariost gewollten Text exakt wiedergeben — die Kopien eines Gemäldes von Raffael aber können niemals das wiedergeben, was der Künstler ausgedrückt hat. Die unterschiedliche Bedeutung der Kopien in Malerei und Literatur erklärt, weshalb Mancini als Kunstkenner nicht die Methoden der Textkritik benutzen konnte, obgleich man prinzipiell eine Analogie zwischen dem Akt des Malens und des Schreibens herstellen kann 17 .

3.2.1.2. Der Autor Joan Bautista Serinana y Mallol wurde im Jahre 1818 in Llanpa geboren. Sowohl väterlicher- wie mütterlicherseits stammten die Familien aus diesem Ort. Llan?a liegt am Mitttelmeer, es gehört zum Alt Emporda, dem Landkreis/comarca, der unmittelbar an Frankreich angrenzt. Administrativ wird der Ort, der in der Zeit des Autors etwa 400 Häuser18 umfaßte, Figueres zugeordnet, auf kirchlicher Seite zählt er zur Diözese Girona. Für die Zeit um 1841/42 ist eine escuela de instruction primaria nachgewiesen, in der etwa 80 Schüler unterrichtet wurden. Aber «a Llan43 Colon/Garcia/Schmid 1987, vol. IV:103. 144 Moran 1987:314 142

4.6.2.2. Persönliche Formen 4.6.2.2.1. Der Indikativ Die Formen der 1. Person'« Präsens enden in der Regel auf -o, außer den Verben der dritten Konjugation mit inchoativem -esc-, die ihre etymologische Endung auf -esch noch nicht zugunsten der modernen, palatalisierten auf -eixo verändert haben. advertesch repetes 'repetesch'

(Casanovas, cap. 1—4, § 14), (Successos 3.11.1832).

Da der Endung auf -c (bei Sebastiä Casanovas repräsentiert durch -ch) innerhalb der unregelmäßigen Endungen eine systematische Bedeutung zukommt, sei hier erwähnt, daß die betroffenen Verben gegenüber dem heutigen Gebrauch keine Abweichung zeigen. dich crech tine

(Casanovas, cap. 1-4, § 16), (Casanovas, cap. 6, § 9), (Serinana 1843).

Für das Perfekt dokumentieren die Texte sowohl die einfachen, als auch zusammengesetzte Formen. Neben der heute normativen Form, die mit haver gebildet wird, finden sich im Manuskript Sebastia Casanovas auch Beispiele für die Bildung mit esser. Joan Veny hat diese Besonderheit als diatopische Variation für das rossellones beschrieben und seine Gültigkeit mit Einschränkungen auch für das catala septentrional de transiciö festgestellt. Bei der Bildung des zusammengesetzten Perfekts konvergiert ein für das Altkatalanische typischer und ein für die Gegenwart dialektal markierter Gebrauch. En catalä antic (i encara avui dialectalment), els verbs pronominals i aixi mateix eis intransitius que expressen un moviment, un estat ο un canvi d'estat constraien els temps composts am l'auxiliar esier 146 .

Für das 18. Jahrhundert ist im Manuskript Sebastia Casanovas neben der 1. Person Singular auch die 3. Person Plural dieses mit esser gebildeten Perfekts dokumentiert. El verb sere s'usa sovint com a auxiliar en el preterit perfet de verbs de moviment i altres intransitius: som vingut, he vingut, s 'es tallat un dit, s'ha tallat un dit, sum vist el peirer, he vist el paleta. Com veieu, bs utilitzable a totes les persones, ςο que contrasta amb la restriccio que, en aquest respecte, practica el septentrional de transiciö 147 .

145

Bei dem Manuskript Successos de Barcelona wird die 1. Person Singular sehr, sehr selten dokumentiert. Der Text ist so angelegt, daß bevorzugt in der 3. Person Singular und Plural, gelegentlich in der 1. Person Plural berichtet wird. 146 Schmid, Blanquema 1988:111. l « Veny 1989:68 143

haver

a manat an revingut a encontat 'ha encontrat' α tingut respecte abem partit havem esprimentat

(Serinana 1878), (Serinana 1877), (Serinana 1857), (Casanovas, cap. 9, § 24), (Serinana p. 68), (Serinana 1881),

esser'48

me som cuydat molts (...) son tornats

(Casanovas, cap. 14, § 5), (Casanovas, cap. 7, § 3) l 4 9 .

In den mit esser gebildeten Perfektformen stimmt das Partizip in Genus und Numerus mit dem Subjekt überein. Bei den mit haver gebildeten Perfektformen aber konkordiert das Partizip mit dem voranstehenden, direkten Objekt. la agesen pescuda los ha castigats la ha mantinguda dels fruits que ha trets

(Casanovas, (Casanovas, (Casanovas, (Casanovas,

cap. cap. cap. cap.

12, § 9)>50, 6, § 10), 9, § 1), 13, § 21).

En els temps compostos amb l'auxiliar esser el participi concorda sempre en genere i nombre amb el subjecte. Quan els temps compostos es construeixen amb haver, el participi concorda normalmente amb el complement directe, tant si va davant com si va darrere el participi. a) El complement directe es un pronom: — «/α hauran emperada e comensado» (...). — «no la havia jaquida» (...). — «eyls los hauran logats» (...). (...) b) El complement directe es un substantiu: — «les dites manleutes haurä fetes» (...). — «ha obtenguda sentencia» (...). (...) — Olle in: Anönim 1981:51, Fußnote zu 88. 272 Hier kleingeschrieben. 273 für cristians. 274 Es folgt ein unkenntlich gemachtes Wort. 269

167

Die soziale Ächtung der Menschen, die beleidigende und gotteslästerliche Reden führten, war allgegenwärtig. Sebastiä Casanovas führt aus, daß sein Hang zum Fluchen ihn fast seine Stellung als Knecht gekostet hätte. Com jo tania tant mal abity una voca tant blasfamadora per lo mal costum275 abia pres de mon para al principi los amos no me posquian sufrir (...) un dia despres de aver dinat me dona los diners que hi avia guanyat dient que Ii ysques de casa puix ell no volia mantanir un blasfemo en sa casa (Casanovas, cap. 15, § 30). Selbst Gefängnisstrafen wurden als Mittel der Bestrafung eingesetzt. No pencian que sempra que manavan alo dit mon para en la praso fos tant solament per deutas que tanbe Ii manavan algunas vegadas per batrasa ab difarents y altras vegadas per la mala llengua y malparlar que tania

(Casanovas, cap. XIV, § 6).

4.8.2.3. Sprichwörter und Redensarten Die Verwendung von Sprichwörtern und Redensarten ist besonders im Text von Sebastia Casanovas ein häufig verwendetes Mittel, um die eigenen Beobachtungen zu unterstreichen und ihre Gültigkeit auf ein allgemeines Niveau zu erhöhen. Ihre Frequenz unterstreicht ein weiteres Mal die Affinität des Textes zum nähesprachlichen Pol. Aixi s'expliquen, per exemple: (...) La inclusiö en el discurs d'abundants paremies, de frases fetes i de locucions de tota mena, mes freqüents en el registres col loquial que en la resta. Les paremies ο refranys funcionen en el discurs com a textos integres, amb sentit complet, que materialitzen actes de parla illocutius (com asseveracions, consells, felicitacions, amenaces, etc.) i en algunes ocasions perlocutius (lloances, ofenses ...) 276 .

Regine Lassen hat 1988 eine Arbeit zum katalanischen Sprichwort publiziert. Neben der literarischen Tradition beschreibt sie auch anhand eines eigenen, in Katalonien erstellten Korpus den umgangssprachlichen Gebrauch des Sprichworts. Sie untersucht seine möglichen Funktionen im sprachlichen Kontext277. In der Definition des Sprichwortes gehört die Volkstümlichkeit zu den bestimmenden Merkmalen. Die allgemeine Bekanntheit eines Spruches ist auch wesentliche Voraus275

,que \ ein Beispiel für das im Vergleich mit dem modernen Katalanisch «fehlende» Relativpronomen. 276 Payrato 1988:128-129. 277 An dieser Stelle möchte ich mich bei Regine Lassen bedanken. Sie hat mir ganz zu Beginn meiner Forschungen wertvolle Hinweise und konkrete Anschriften gegeben, die mir einen ersten Überblick über die schriftsprachliche Tradition in Katalonien im 18. und 19. Jahrhundert ermöglicht haben.

168

setzung für das Funktionieren innerhalb eines Gesprächsverlaufes. (...) Als festgefügte Wortfolge gewinnt es eine Bedeutung, die über der der eigenformulierten Rede steht. C.·) 278 · Eng mit der sogenannten Volkstümlichkeit verbunden, die ich eher als Vertrautheit oder Bekanntheit der Form des Sprichwortes bezeichnen möchte, ist die Lehrhaftigkeit, die dem Sprichwort per Definition zugeschrieben wird. (...) Die Belehrung ist dabei eine zusätzliche Funktion (...), die zu anderen kommunikativen Funktionen wie Illustration und Argumentation oder Handlungsschema wie Warnung und Ratschlag hinzukommt. (...) Die Wirkung des Sprichworts beruht einerseits auf seiner verbindenden, weil allgemein bekannten und akzeptierten Tradition (...). Andererseits wird sie durch die Rolle des Sprechers gestützt, der wiederum seine Position durch das Ansehen des Sprichworts stärken kann. Die Autorität des Sprechers kann beispielsweise in seinem Alter, seiner sozialen Stellung, (...) begründet sein 279 .

Die Verwendung der Sprichwörter im Manuskript Sebastia Casanovas hat immer auch diese Funktion. Seine Ratschläge an die Nachfahren werden gestützt und in ihrer Verbindlichkeit gesteigert durch die eingefügten Sprichwörter. Oft stehen sie zum Abschluß eines Paragraphen und fassen diesen allgemeingültig zusammen. y axis ab molts pochs anys se destrusa la casa y la isienda (...), Perque de mal just ve lo anyell que lo diabla sen porta la pell Aximatex tinch advertirlos que en cas hagian de contractor algun matrimoni ab fills ο fillas (...) vagian ab coydado que no tant solament han de mirar alos interesos sino que ab aquells ο aquellas ab que han de contractar al matrimoni que sian personas de vona qualitat (...) perque es molfactibla que los testos han de semblar las ollas

(Casanovas, cap. 8, § 3, Schlußsatz),

(Casanovas, cap. 1-4, § 13).

Sebastia Casanovas verwendet neben Sprichwörtern auch sprichwörtliche Ausdrücke, die sich ohne Schwierigkeiten in einen Satz einfügen lassen und weder formell noch inhaltlich unabhängig vom Kontext sind. Gemeinsam sind allen Formen des sprichwörtlichen Materials die Kürze, die Volkstümlichkeit und die Prägung, das heißt die festgefügte Form, die sich vom sprachlichen Kontext abhebt und die sprichwörtliche Aussage als eine solche erkennbar und auffällig macht. (...) Der sprichwörtliche Ausdruck wird im Katalanischen als «fi-ase proverbial» oder «fräse feta» bezeichnet. (...) mit ihm wird keine Lehre ausgedrückt 280 .

278 Lassen 1988:113. 279 Lassen 1988:114-115. 280 Lassen 1988:41.

169

Verität es que estos me expectaban a mi com areu tant de la mara com de mon abipero ni una malla me ha valgut

(Casanovas, cap. 10, § 5).

Die beiden anderen Manuskripte zeichnen sich stärker durch andere expressive Verfahren aus. Die unter dem Kapitel Lexik behandelten Wortbildungen sind in diesem Sinne auch hier von Bedeutung. Die Augmentative, die so charakteristisch für den Text Joan Serinanas sind, konnotieren einen hohen Grad emotionaler Beteiligung. Vergleichbares ist für die Wortbildungen mit dem Präfix des- festzustellen, die auch im Text des anonymen Autors der Successos de Barcelona belegt sind. 4.9. Der Varietätenraum Die Zuordnung der verschiedenen Varianten in diatopisch, diastratisch oder diaphasisch markierte fällt fur historisch weiter zurückliegende Sprachstadien schwer. Entfaltet man innerhalb des hierarchisch gegliederten Varietätengefuges auf einer weiteren Ebene, die zu der vorangegangen sozusagen quer liegt, die Dimension der nähesprachlichen gegenüber den distanzsprachlichen Erscheinungen, den informellen gegenüber dem formellen Sprachgebrauch so gewinnt die Verortung der beobachteten Besonderheiten eine zusätzliche Tiefe. Die drei Quellen bieten die Möglichkeit, einmal die diatopische Variation festzuhalten beim Vergleich zwischen dem Sprachmaterial aus den Familienbüchern von Sebastia Casanovas und Joan Serinana, die historisch etwa drei Generationen auseinanderliegen, ein anderes Mal die Diachronie auszublenden beim Vergleich zwischen dem Familienbuch von Joan Serinana und dem anonymen Manuskript Successos de Barcelona, die besonders auf die Frage der Varianz zwischen dem Sprachgebrauch des städtischen gegenüber dem ländlichen Raum befragt werden sollen. Stand am Anfang die Intuition, daß alle drei Quellen im Nähe-Distanz-Kontinuum durch eine deutliche Affinität zu konzeptioneller Mündlichkeit, zur katalanischen Nähesprache in ihrer historischen Dimension charakterisiert sind, so beeindruckt die nach eingehender Analyse zusammengetragene Materialfülle. Daß sich für die meisten Erscheinungen Belege aus zwei, manchmal aus allen drei Familienbüchern finden lassen, unterstreicht die Konvergenz der Quellen. Wie die jeweilige Einzelsprache den Varietätenraum füllt, hängt wesentlich vom Parameter der Diachronie ab. Sicherlich ist der diatopische Unterschied von großer Bedeutung, solange die Mobilität des Einzelnen beschränkt ist2«'.

281

Sebastiä Casanovas i Canut bewegte sich bei seinen Arbeitsstellen und den davon abhängigen Wohnorten innerhalb eines Radius von wenig mehr als 40 km.

170

Die häufige Einordnung der beobachteten Phänomene als diatopisch bildet die Lebensverhältnisse des 18. und 19. Jahrhunderts in Katalonien ab. Allerdings ist die Ausdifferenzierung bei weitem nicht so groß, wie zunächst zu vermuten war. Trotz der fehlenden Überdachung durch eine gemeinsame Norm bleiben die diatopischen Unterschiede im Hintergrund und bringen das Textverständnis auch über weite regionale Entfernungen nicht in Gefahr. Diese Einschätzung wird gestützt durch die zunächst verblüffende Feststellung, daß der Gegensatz zwischen Stadt und Land, der die diatopische wie auch diastratische Variation berührt, keineswegs von zentraler Bedeutung ist282. Der Sprachgebrauch zwischen den beiden Quellen des Emporda und dem Manuskript aus Barcelona ist erstaunlich homogen. Ist im Hinblick auf die Diatopik die Konvergenz auffallend, so gilt diese Beobachtung auch in diastratischer Hinsicht. Der dokumentierte Sprachgebrauch der Bauern und der Handwerker im 19. Jahrhundert in Katalonien wirkt gleichförmig, obwohl ihre Lebensverhältnisse sich auch schon im 19. Jahrhundert deutlich unterschieden. Im Verhältnis zum Sprachgebrauch anderer gesellschaftlicher Gruppen aber ist ein deutlicher Unterschied festzustellen, der auf eine Ungleichzeitigkeit im Gebrauch schriftsprachlicher Verfahren hinweist. Die Autoren, die aus diesen Verhältnissen stammen, sind mit den neuen schriftsprachlichen Verfahren hinlänglich vertraut, weil sie den Umgang mit den vergleichsweise elaborierten Textsorten der Diskursuniversen Literatur, Wissenschaft, Recht und Religion pflegen. Obwohl das in den vorgestellten Familienbücher dokumentierte Sprachmaterial eine große Zahl an Erscheinungen belegt, die bis in gegenwärtige catalä col loquial ihre Gültigkeit bewahrt haben, unterscheidet es sich doch deutlich vom modernen Gebrauch. Die geringe Verbindlichkeit bei der Verwendung unbetonter Präpositionen und die Dokumentation der Konjunktion que in enunziativer Funktion unterstreichen die diachronisch begündete Fremdheit der Texte. Gerade auch die hohe Frequenz dieser Verfahren charakterisiert das in den Quellen dokumentierte Sprachmaterial insgesamt. In diesen Aspekten ist die Kontinuität des Gebrauchs bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts belegt, so daß der Bruch, der aus der Differenz zum modernen Gebrauch unterstellt werden muß, um die Jahrhundertwende gesucht werden muß und nicht zufällig mit der Durchsetzung der katalanischen Schriftnorm zusammenfällt. Bin ich ursprünglich davon ausgegangen, daß das Fehlen der schriftsprachlichen Norm eine große Divergenz zwischen den Quellen und einen raschen Sprachwandel bedingt, wie ihn etwa Jürgen Pilawa für das Gaskognische283

282 Lewandowski 1979:149. 283 Pilawa 1990. 171

nachgewiesen hat, so muß für das Katalanische des 18. und 19. Jahrhunderts eine überraschende Homogenität besonders bei zum nähesprachlichen Pol neigenden Texten festgestellt werden. Auch die einsetzende Industrialisierung, die die Verstädterung mit sich bringt, fuhrt nicht unmittelbar zu einem deutlichen Bruch.

172

5. Kontinuität und Bruch

Zusammenfassend haben die Forschungen gezeigt, daß die katalanische Sprache während der Decadencia in Katalonien allgemein verbreitet war und in vielfältiger Weise gebraucht wurde. Die unter literaturwissenschaftlicher Perspektive gewählte Bezeichnung des ist fur den Sprachgebrauch insgesamt irreführend. Ich stimme der Historikerin Nüria Sales aus Perpinyä zu: Tant cert es que decadencia literäria no vol dir necessäriament decadencia lingiiistica1.

Gerade die Bauern und Handwerker können sich erst in dieser Zeit nach und nach Lese- und Schreibkenntnisse aneignen. Die schriftsprachliche Produktivität insgesamt nimmt zu und besonders wenn sie eine praktische Finalität beinhaltet, ist sie in Katalonien in katalanischer Sprache geschrieben. Neben juristischen Texten sind populärwissenschaftliche und Gebrauchstexte dokumentiert, administrative Texte und Familienbücher, die die Autoren selbst meist llibre de memoria nennen. Die Vorstellung von einer einsprachigen Gesellschaft geht allerdings fehl, denn auch lateinische, französische und kastilische Texte waren in unterschiedlichen Bereichen präsent. Die des Lesens Kundigen rezipierten unterschiedliche Texte, wobei der Inhalt für die Rezeptionsanstrengung ausschlaggebender war als die verwendete Sprache. Die Kommunikationsgewohnheiten waren der Art, daß auch die Analphabeten über die geschriebenen Informationen im Bilde waren. Am Arbeitsplatz in den Manufakturen wurden kastilischund katalanischsprachige Texte vorgelesen. Der Bote, der die notariellen Urkunden überbrachte, hatte die Aufgabe, den Urkundentext den Betroffenen zur Kenntnis zu bringen und seinen Inhalt im Hinblick auf den praktischen Lebenszusammenhang zu interpretieren. Der Rückgriff auf historische Modelle der katalanischen Sprache während der Renaixenga begründete sich also nicht in einer tatsächlich defizienten Sprachrealität, als vielmehr im Wunsch, an das Goldene Zeitalter der katalanischen Literatur anzuknüpfen und durch die Wahl des Vorbilds die eigene Zeit der Renaixenga zu glorifizieren. 1

Sales 1984:210. Das Zitat stellt die Umkehrung eines früher veröffentlichten Satzes zur Zeit der Renaixenga dar: «Tant cert es que renaixenfa literäria no vol dir necessäriament renaixen