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German Pages 232 [244] Year 1969
SENECA UND DIE GRIECHISCH-RÖMISCHE DER
SEELENLEITUNG
TRADITION
Q U E L L E N U N D S T U D I E N ZUR GESCHICHTE DER PHILOSOPHIE HERAUSGEGEBEN VON
PAUL W I L P E R T f
BAND XIII
1969
WALTER
DE
GRUYTER
& CO.
/
BERLIN
VORMALS G. J. GÖSCHEN'SCHE VERLAGSHANDLUNG . J. GUTTENTAG, VERLAGSBUCHHANDLUNG . GEORG REIMER · K A R L J. TRÜBNER . VEIT & COMP.
SENECA UND D I E G R I E C H I S C H - R Ö M I S C H E T R A D I T I O N DER S E E L E N L E I T U N G
VON
I L S E T R A U T HADOT
1969
WALTER
DE
GRUYTER
& CO.
/
BERLIN
VORMALS G. J . GÖSCHEN'SCHE VERLAGSHANDLUNG . J . GUTTENTAG, VERLAGSBUCHHANDLUNG . GEORG REIMER . K A R L J. TRÜBNER · V E I T & COMP.
Archiv-Nr. 3496692
© 1969 by Walter de Gruyter & Co., yormals G. J. Göschen'schc Verlagshandlung — J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung — Georg Reimer — Karl J. Trübner — Veit Sc Comp., Berlin 30 Alle Rccbte des Nachdrucks, der photomechanischen Wiedergabe, der Übersetzung, der Herstellung von Mikrofilmen und Photokopien, auch auszugsweise, vorbehalten Schreibsatz: Walter de Gruyter & Co., Berlin — Printed in Germany
Dem Gedächtnis meines verehrten Lehrers Prof. Dr. Georg Rohde t 1960
gewidmet
Vorwort
Die vorliegende Arbeit ist im August 1965 der Philosophischen Fakultät der Freien Universität Berlin als Dissertation eingereicht worden. Dieses Datum bezeichnet auch im wesentlichen den Abschluß meiner Arbeit am Manuskript. Bibliographische Ergänzungen sind nicht mehr vorgenommen worden. Großen Dank schulde ich meinen Lehrern, den Herren Professoren P. Moraux, H. Schwabl, 0 . Luschnat, G. Knauer, besonders aber G. Rohde, der mir die Anregung gab zu promovieren und der mich trotz seines schweren Leidens bis zu seinem Tode mit Ermutigungen und Ratschlägen unterstützte. Nicht zuletzt gilt mein dankbares Gedenken dem verstorbenen Herrn Prof. Dr. P. Wilpert, der sich in seiner Eigenschaft als Herausgeber bereit erklärte, meine Dissertation in der vorliegenden Reihe erscheinen zu lassen.
Berlin, Ostern 1968
Bemerkungen zur Textgestaltung und zum Literaturverzeichnis
Die im Text zitierte Sekundärliteratur ist in den Fußnoten nur mit dem Verfassernamen und Titel angegeben; die ausführlicheren bibliographischen Angaben finden sich im Literaturverzeichnis. In durch „ . . . " gekennzeichneten Übersetzungen habe ich eigene Zusätze durch [ . . . ] kenntlich gemacht und den Fortfall von Worten durch ( . . . ) • Wenn zu einem Werktitel mehrere Ausgaben aufgeführt werden, so wird die für die Zitate und Übersetzungen benutzte Textausgabe im Literaturverzeichnis durch * hervorgehoben. Die angeführten Texte sind meist nur nach Buch und Paragraphen zitiert.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
VII
Einführung
1
Erster Teil: Historische und philosophische Grundlagen für die Theorie der Seelenleitung bei Seneca I. II. III. IV.
Die Bereiche der Seelenleitung in der Auffassung Senecas Die Anfänge der Seelenleitung im 7.-4. vorchristlichen Jahrhundert Die Seelenleitung der hellenistischen Philosophenschulen mit einem Überlick über die Entwicklung der stoischen Philosophie Die Stellung Senecas innerhalb der Entwicklung der römischen Philosophie
Zweiter Teil: Ziele und Aussichten der Seelenleitung in der Auffassung Senecas I.
II.
5 7 10 39 79
97
Die Ziele Die Eudaimonie oder Tugend als oberstes Ziel Die einzelnen Qualitäten der Tugend als Teilziele a) Das Wissen als Habitus und seine Bereiche b) Die „securitas" c) Die „tranquillitas animi"
99 99 103 103 126 135
Die Aussichten der Seelenleitung in der Auffassung Senecas Die Bedeutung von Veranlagung und Umwelt für die Aussichten der Seelenleitung Die Bedeutung des Alters für die Aussichten der Seelenleitung . . . . Die Funktion der Selbsterkenntnis und des Willens Die Funktion des Seelenleiters
142 142 158 162 164
Schlußbetrachtung: Das Verhältnis von Tradition und Originalität in der annaeischen Seelenleitung
179
Indices
191
Einführung
Von niemandem, der sich je mit den Werken des Jüngeren Seneca befaßt hat, ist in Zweifel gezogen oder bestritten worden, daß die Seelenleitung und Seelenheilung das zentrale Anliegen dieses Autors darstellte. Der Bedeutung dieses Anliegens für das gesamte Wirken Senecas ist man sich inzwischen sogar so bewußt geworden, daß man von dorther als seiner geistigen Mitte sowohl seine staatsmännische Tätigkeit1 als auch seine Dramendichtung2 zu begreifen sucht. Wie aber die Ziele der Seelenleitung Senecas beschaffen sind, wie er selbst die Aussichten derselben beurteilt hat und welche Methoden er für anwendbar hielt, ist bis heute einer gründlichen Untersuchung noch nicht unterzogen worden 3 , obwohl, wie die Dinge liegen, gerade die Beantwortung dieser Fragen einen entscheidenden Beitrag zu unserem Seneca-Verständnis leisten müßte. Mit der vorliegenden Arbeit soll daher der Versuch gemacht werden, diesen Fragenkomplex in Angriff zu nehmen. Es will jedoch fast so scheinen, als seien die Voraussetzungen, dabei zu annähernd sicheren Ergebnissen zu gelangen, einem solchen Unternehmen nicht günstig: gibt es doch kaum einen anderen antiken Autor, dessen Persönlichkeit und Werk bei vergleichbarem Erhaltungszustand seines Oeuvre so mannigfachen und einander widersprechenden Wertungen und Deutungen unterworfen wurde, und die auf Wallenstein, den berühmten Feldherrn des Dreißigjährigen Krieges, gemünzten Worte Schillers treffen auch auf den Jüngeren Seneca in vollem Umfange zu: „Von der Parteien Gunst und Haß verwirrt, schwankt sein Charakterbild in der Geschichte". Daß dies zu seinen Lebzeiten und noch eine gewisse Zeit nach seinem Tode der Fall war 4 , kann allerdings nicht wundernehmen. Bei einer Persönlichkeit, die so stark im öffentlichen Blickfeld stand wie Seneca als Erzieher und Ratgeber des jungen Nero, konnte es gar nicht ausbleiben, daß die Beurteilung seines Lebens und 1 So z.B. A. Sipple, Der Staatsmann und Dichter Seneca als politischer Erzieher. 2 Z.B. F. Egermann, Seneca als Dichterphilosoph. 3 P. Rabbow, Seelenführung, behandelt zwar u.a. die Seelenführung Senecas, geht in seiner Interpretation jedoch nicht von den eigenen Äußerungen dieses Autors aus, sondern legt, in der Überzeugung, daß es in der Kaiserzeit eine feste Technologie der sittlichen Lebensbemeisterung gegeben habe, die schließlich in der christlichen Praxis kulminiert, das Schema der Exerzitien des Ignaz v. Loyola seiner Betrachtung der Texte Senecas, Epiktets, Plutarchs und Marc Aurels zugrunde. Wie Luck in seiner Rezension (Gnomon 1956,S.268-271) richtig bemerkt, kann diese Methode Seneca sowie den anderen erwähnten Autoren nicht gerecht werden. Die interessante Arbeit von Trillitzsch, Senecas Beweisführung, behandelt nur einen Aspekt der Seelenführung Senecas, und zwar die „Beschaffenheit und Anwendungstechnik" seiner Beweise. Diese Untersuchung hat also mehr phänomenologischen Charakter. 4 Über seine Persönlichkeit vgl. die widersprechenden Äußerungen z.B. bei Tac.,Annal.XIII,2; XV,60-65 und Dio Cassius LXI,4 u. LXII,25. Seine philosoph. Leistungen gegensätzlich beurteilt z.B. bei Plin., NH XIV,4 u. Gellius, NoctAtt.VII,2,l.
2
Einführung
seiner Werke den Stempel bald des privaten Neides und politischen Hasses, bald der Anerkennung und Sympathie trug, und es liegt schließlich in der Natur der besonderen Verhältnisse Senecas selbst, daß man in der Auseinandersetzung um ihn noch das übliche Maß überschritt. Denn wird es schon sonst einem Politiker nicht leicht, eine objektive Würdigung bei Mit- und Nachwelt zu finden, so fordert ein Staatsmann, der nach eigenem Bekenntnis Philosoph und als solcher Anhänger der kompromißlosen Stoa sein will, die Kritik geradezu heraus. Handlungen, die in anderen Fällen als verständlich und entschuldbar angesehen würden, wie die in das Gewand eines Beileidsschreibens gekleidete, an einen einflußreichen Höfling gerichtete Bitte des verbannten Seneca um Begnadigung5, werden, gemessen an den Postulaten der stoischen Moral, zu einer unverzeihlichen Verfehlung, und so lieferte Seneca mit seinem offenen Eintreten fur die stoische Philosophie seinen Gegnern selbst die strengsten Maßstäbe zur Beurteilung seines Lebens und Wirkens. Die Übereinstimmung von Philosophie und Leben bei Seneca zu überprüfen, hat auch die heutigen Philologen immer wieder gereizt, und da die antike Uberlieferung an zuverlässigen Daten und Berichten über Senecas Leben arm ist, Seneca selbst sich nahezu jeder Angabe über seine Biographie enthält, bedeutet dieses Unternehmen in der Tat keine leichte Aufgabe; man ist daher nicht allzu sehr erstaunt, hinsichtlich der Persönlichkeit Senecas dieselbe Divergenz der Urteile wie im Altertum, noch um einige Schattierungen bereichert, in der heutigen Senecaliteratur wiederzufinden. Anders müßte es jedoch — so möchte man nach einem Blick auf die nicht unbeträchtliche Zahl der überlieferten Werke Senecas meinen — nach soviel Jahrhunderten klärender Distanz um die Bewertung und Interpretation seines literarischen Nachlasses bestellt sein, zumindest was die Prosaschriften betrifft, die doch im Grunde alle um ein einheitliches Thema, das summum bonum des Menschen, in stoischer Sicht die sittliche Lebensführung, zentriert sind, sich inhaltlich gegenseitig ergänzen und daher ein ziemlich vollständiges Bild der ethischen Anschauungen Senecas zu liefern in der Lage sind. Sollte es da heute nicht möglich sein, zu einigermaßen gesicherten Ergebnissen und einheitlichen Auffassungen über die Intentionen dieser Schriften und ihren Inhalt zu kommen? Eine Sichtung der fast unübersehbaren einschlägigen Literatur scheint das Gegenteil zu erweisen. Die Kontroversität dpr Urteile ist auch hier nicht zu überbieten. Da flodet man zunächst einmal den wissenschaftlichen Streit um die Frage entbrannt, ob die sogenannten moralphilosophischen Schriften Senecas überhaupt als solche, d.h. im eigentlichen Sinne philosophische, anzusprechen seien: „Seneca ist als Philosoph durchaus ernst zu nehmen!" sagen die einen 6 ; „Seine philosophischen Qualitäten sind äußerst gering einzuschätzen!" 7 meinen die andern, und schließlich wird sogar bestritten, daß Seneca überhaupt ein Philosoph hat sein wollen 8 . Diejenigen, die Seneca für einen Philosophen halten, bezeichnen ihn teils als reinen Sto5 Consolatio ad Polybium. 6 Z.B. E. Zeller, Die Philosophie der Griechen...,III 1, S.720: er ist auch wirklich ein sehr tüchtiger Vertreter seiner Schule..." u.P.Grimal, Seneque est-il un philosophe? 7 Dieser insbesondere seit Hegel (Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie XIV,S.435) erhobene Vorwurf trifft meist nicht Seneca allein, sondern die philosophierenden Römer insgesamt. Vgl. die Widerlegung dieser Ansicht durch P. Grimal, Slneque est-il un philosophe, S.60f. 8 A. Guillemin, Seneque directeur d'ämes, S.202: „Seneque n'a pas voulu etre un philosophe...".
Philosophie und Seelenleitung bei Seneca
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iker, teils als eklektischen, teils als skeptischen Stoiker 9 . Innerhalb der Stoa selbst rechnen ihn diese unter die Anhänger der orthodoxen Stoa 10 Jene sprechen von seiner Absage an den Rigorismus der Alten Stoa unter dem Einfluß der Mittelstoa 11 , wieder andere von einer Entwicklung der Ideen Senecas vom orthodoxen Monismus zum mittelstoischen Dualismus12 bzw. vom altstoischen Weisenideal zu einem mittelstoisch-poseidonisch gemilderten 13 . Manche schildern ihn rundweg als Pessimisten 1 4 , andere kritisieren sein „Hin-und-Herschwanken" zwischen ethischem Pessimismus und Optimismus 15 , und wieder andere betonen den optimistischen Zug in Senecas Schriften 16 . Lohnt es sich überhaupt bei diesem Widerstreit der Meinungen, ein ähnliches Thema neu in Angriff zu nehmen? M.E. müßte die Erkenntnis der Gründe dafür, wie ein solches Auseinanderweichen der Meinungen bereits über Grundfragen Platz greifen konnte, obwohl uns der Wortlaut der annäischen Schriften doch vorliegt, eine gewisse Gewähr für die Vermeidung ähnlicher Fehler bieten. Der Hauptgrund ist zweifellos darin zu sehen, daß man sich nur zu oft damit begnügt hat, Äußerungen Senecas losgelöst aus ihrem Zusammenhang zu interpretieren, ein Verfahren, mit dem sich gerade bei diesem Autor alles, was man will, beweisen läßt. Die zweite Fehlerquelle ist darin zu suchen, daß man sich häufig nur mit einem Teil der Schriften gründlicher befaßt hat, etwa mit einem der Dialoge oder - noch häufiger - mit den Briefen an Lucilius, ohne zu sehen, daß sich Episteln und Dialoge gegenseitig bedingen und ergänzen, daß jedes für sich semen besonderen Platz im Gesamtwerk Senecas einnimmt 17 und das eine oder andere nicht beliebig ausgeschaltet werdenkann. Leicht kann es auch zu einer Verschiebung der Tatsachen führen, wenn Äußerungen Senecas aus den Trostschriften mit gleichem Maße gemessen werden wie solche aus den Lehrschriften und -briefen. Das literarische Genus mit den zugehörigen Topoi muß unter allen Umständen berücksichtigt werden 1 8 , was 9 Letzteres (zu finden bei S. Rubin, Die Ethik Senecas in ihrem Verhältnis zur älteren und mittleren Stoa) ist ein Widerspruch in sich selbst 10 Z.B. P. Grimal, a.a.O., S.64: „Ainsi, de quelque cöte que nous abordions la pen see de Seneque, nous sommes sans cesse ramenes a une position fondamentale, qui repond precisement a l'intuition centrale du stoi'cisme le plus orthodoxe." Ebenso in: Seneque, sa vie, son oeuvre..., S.41. 11 Das ist die communis opinio. 12 Z.B. S. Rubin, a.a.O. 13 Z.B. A.D. Leemann, Gnomon 26,1954 (Rezension der Diss, von Ganss), S.486. 14 Ch. Favez, Le pessimisme de Seneque. 15 Rubin, a.a.O. 16 A. Guillemin, a.a.O.,S.204: „Seneque, rencontrant ses contemporains en proie au taedium vitae, auquel venaient s' ajouter les menaces du tröne imperial, ...entreprend de jeter sur ses sombres visions une lumiere de serenite et meme de les envelopper d'une atmosphere de joie." Vgl. Sipple, Der Staatsmann und Dichter Seneca...., S. 17f. (Optimismus Senecas in Erziehungsfragen). 17 P. Grimal hat in seinem Aufsatz „La place des Lettres a Lucilius dans l'oeuvre de Seneque" mit aller wünschenswerten Deutlichkeit auf die organische Zusammengehörigkeit der einzelnen Teile im Gesamtwerk Senecas hingewiesen. 18 Eine solche Trostschrift ist stets bemüht, alle Trostgründe aufzuführen, deren man habhaft werden kann, ohne Rücksicht auf die Vereinbarkeit mit einem bestimmten philosophischen System. Dieses Prinzip hatte bereits Chrysipp in seinem Therapeutikos verfolgt. Vgl.SVF,III, 474: ä\\ä φίΚανθρωπότΐρο ν οΐμαι Κ έλοον Χρύσιιητον nenocqKevai iv τ φ пер ι παθών вераπβντικφ, βουλόμβνον Oepaneüaai τα ττάβη ώς Kareiteiyovra και ένοχΧονντα την
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Einführung
vielfach zu wenig beachtet wird. Ferner genügt es auch nicht, zwar die Werke Senecas in ihrer Gesamtheit, aber isoliert zu betrachten, sondern eirte gründliche Kenntnis auch des philosophischen Schrifttums Ciceros ist Voraussetzung für das Verständnis Senecas. Schließlich — und das ist auf Grund der Überlieferungslage die am schwersten zu erfüllende Bedingung - gehört eine umfassende Kenntnis der Stoa in allen ihren Entwicklungsphasen zur unabdingbaren Ausrüstung des Seneca-Interpreten. Daß hier, d.h. in den verschiedenartigen Tendenzen der Stoa-Forschung und ihrem noch unvollkommenen Stand, der Ansatzpunkt für viele Abweichungen in den Urteilen über Seneca zu finden ist, soll später noch gezeigt werden. Allerdings ist mir die Frage gestellt worden, ob bei dem Thema der vorliegenden Arbeit eine stärkere Berücksichtigung der Philosophie Senecas und der Stoa überhaupt nötig sei. Vom modernen Standpunkt aus seien jedenfalls Philosophie und Psychotherapie völlig voneinander getrennte Gebiete, und die Ziele der einen seien nicht identisch mit den Zielen der anderen. — Aber selbst, wenn bei Seneca vergleichbare Verhältnisse vorlägen — dies zu untersuchen wird eine der Aufgaben dieser Arbeit sein - wäre es dennoch nötig, die Beziehungen seiner Seelenleitung zu seiner Philosophie näher zu bestimmen, wozu die Kenntnis eben dieser Philosophie gehört. Zunächst muß es sich daher darum handeln kurz zu umreißen, was Seneca selbst unter Seelenleitung versteht, und davon ausgehend einen Überblick über die Grundlagen seiner Praxis in der Antike zu geben.
άνθρωπίνην ψυχην, προηγουμένως μέν τοϊ< δοκοϋσιν αύτφ ϋη/ιέσί λόγο«, δευτέρως και τρΐτως καν ток μη άρίσκουσι των δογμάτων. Vgl. Zitat S. 21, Anm. 71.
Bi
Erster Teil:
Historische und philosophische Grundlagen für die Theorie der Seelenleitung bei Seneca
I. Die Bereiche der Seelenleitung in der Auffassung Senecas
Bei dem Versuch, Senecas Auffassungen von den Aufgaben und dem Bereich der Seelenleitung zu beschreiben, begegnet man sofort einer Schwierigkeit: Seneca selbst hat nie einen unserem Begriff der Psychagogie oder Psychotherapie entsprechenden Terminus verwendet, um seine Bemühungen zu kennzeichnen, und das hat seinen Grund nicht etwa in einer mangelnden Ausdrucksfähigkeit der lateinischen Sprache, die eine adäquate Übertragung dieses Begriffs aus dem Griechischen verhindert haben könnte. Unser heutiger Sprachgebrauch verwendet zwar die aus dem Griechischen stammenden Worte „Psychagogie" und „Psychotherapie" als fachgebundene Termini für die Behandlung seelischer Fehlhaltungen und Krankheiten durch speziell für diesen Zweck (meist tiefenpsychologisch) geschulte Experten. Man würde aber in der antiken griechischen Literatur vergebens nach einer ähnlich eingeschränkten Verwendung des Wortes ψυχαγωγία suchen, und ein Wort φυχο0εράπεια gab es im klassischen Wortschatz noch nicht. Das Substantiv ψυχαγωγία und das Verbum ψυχαγωγεί haben einen sehr weiten Anwendungsbereich: Neben der Tätigkeit des Gottes Hermes, die abgeschiedenen Seelen in die Unterwelt hinabzugeleiten1, bezeichnen sie das Ansichziehen und Lenken der Seelen durch jede Art von Lockung oder Reiz; daher sind Verbindungen wie τους ανθρώπους bth της ΰψεως ψυχαγωγεί 2 , τούς άκροωμένους ψυχαγωγέ«»3, κολακείαις ψυχαγωγοΰμε*Όΐ4, λόγοις τινά ψυχαγωγέ«»5 etc. gebräuchlich. Eine Beeinflussung der Seele wird zwar durch diese Worte ausgedrückt, aber nicht im Sinne einer methodischen Einwirkung zur Erzielung eines bestimmten richtigen seelischen Verhaltens. Ebenso steht es um das Verbum Oepaneüew, das „pflegen, warten, behandeln, heilen" bezeichnen kann, das aber selbst in der von Piaton6 gebrauchten Verbindung σώμα και φυχψ θεραπεύειν nicht einseitig auf die Bedeutung „den Körper und die Seele h e i l e n " festgelegt ist, sondern es werden auch an dieser Stelle wenigstens zwei Arten von „θεραπεία," unterschieden, eine, die die bloße Belustigung zum Ziel hat, ihrem Wesen nach also nichts anderes als Schmeichelei ist 7 , und eine, die nach Kräften versucht, Leib und Seele besser zu machen. Wenn es also in der Antike systematische Bemühungen gegeben hat, richtungweisenden oder heilenden Einfluß auf die seelische Haltung anderer auszuüben, so begegnen uns diese jedenfalls nicht unter den genannten beiden Termini, weshalb 1 2 3 4 5 6 7
Vgl. RE-Artikel „Hermes", RE VIII, Sp. 790 (Eitrem). Xen., Mem.3,10,6. Isocr., 2,49. Demosth., 44,63. Lycurg.,33. Plato, Gorg. 513d. Plato, Gorg. 513d.
8
Die Bereiche del Seelenleitung in der Auffassung Senecas
sie auch im Folgenden vermieden und selbst die deutschen Ausdrücke „Seelenleitung" und „Seelenheilung" nur gebraucht werden sollen, um die Einordnung einer antiken Praxis in die moderne Vorstellungswelt zu erleichtern. Wenn wir nämlich vom Inhalt der modernen Begriffe ausgehen, also davon, daß die Seelenführung eine Art individueller Lebenshilfe vermitteln soll und die Seelenheilung darauf abzielt, seelische Fehlhaltungen zu behandeln und zu heilen, dann sind wir allerdings berechtigt zu sagen, daß der 94. und 95. Brief Senecas an seinen Freund Lucilius ausführliche Erörterungen über Aufgaben und Methodik der Seelenleitung und Seelenheilung enthalten. Das Ziel, das es für Seneca anzustreben gilt, ist klar ausgesprochen: Entweder handelt es sich darum, eine kranke Seele zu heilen und von Fehlern zu befreien, oder die zwar davon noch freie, aber zu Schlechterem hinneigende Seele im voraus zu gewinnen8. Auf welche Weise aber kann dieses Ziel am sichersten erreicht werden? Das ist die Frage, die Seneca in den genannten beiden Briefen zu beantworten sucht, und er tut dies, indem er - zur Überraschung des modernen Lesers - zu einer auf philosophischer Ebene geführten Diskussion innerhalb der stoischen Schule Stellung nimmt. Wir hören von zwei Teilen der Philosophie, die man in der Stoa zu unterscheiden gewohnt war, einem paränetischen und einem dogmatischen Teil. Der paränetische Teil, so erklärt Seneca dem Lucilius, hat die Aufgabe, für eine jede Lebensrolle besondere Vorschriften, praecepta, zu geben. Er erteilt dem Ehemann Rat, wie er sich gegen seine Gattin verhalten, dem Vater, wie er seine Kinder erziehen, dem Herrn, wie er seine Sklaven behandeln soll9. Ihm obliegt es, durch Präzepte die Affekte einzuschränken und zu binden 10 , durch Präzepte den einzelnen auf die Erfüllung seiner Pflichten hinzuführen 11 , ihn das rechte Handeln zu lehren 12 . Und Seneca zählt auf, darin dem Poseidonios folgend 13 , welche Bereiche dieser paränetische Teil umfaßt. Zu ihm gehört natürlich zuerst die praeceptio, das Vorschriftengeben, sodann die suasio14, das Raterteilen, ferner die consolatio, die Tröstung, die exhortatio, die Aufmunterung, die inquisitio causarum, griechisch aetiologia, und schließlich die ethologia, auch characterismos genannt, d.h. die Beschreibung der einzelnen Tugenden, die die Kennzeichen einer jeden Tugend und eines jeden Lasters angibt. 8 Sen., Ep.94,I3:... debemus aut percurare mentem aegram et vitiis liberare, aut vacantem quidem, sed ad peiora pronam praeoccupare. 9 Sen., Ep.94,1 10 Sen., Ер. 94,47 11 Sen., Ер. 94,34 12 Sen., Ер. 94,45 13 Sen., Ep.95,65: Posidonius non tantum praeceptionem...sed etiam suasionem et consolationem et exhortationem necessariam iudicat. His adicit causarum inquisitionem, aetiologian quam quare nos dicere non audeamus, cum grammatici, custodes Latini sermonis, suo iure ila appellant, non video. Ait utilem futuram et descriptionem cuiusque virmtis. hanc Posidonius ethologian vocat, quidam characterismon appellant, signa cuiusque virtutis ac vitii et notas reddentem, quibus inter se similia discriminentur. 14 Es ist zu fragen, worin sich praeceptio und suasio voneinander unterscheiden sollen. M.E. darin, daß die praeceptio kurz gefaßte Anweisungen gibt, häufig in Vers- oder Sentenzform, während die suasio literarisch breit ausgeführte Präzepte oder Ratschläge enthält, gemäß der Bedeutung dieses Terminus in der Rhetorik. Als eine inquisitio causaium sind wohl Senecas Nat. quaest. anzusehen.
Paränetik und Dogmatik
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Der dogmatische Teil hingegen umfaßt die philosophischen Lehrsätze, die dogmata, wie die Griechen sie nennen, oder decreta bzw. placita auf lateinisch 15 . Die Aufgabe dieses Teiles ist es nicht, Vorschriften für einen speziellen Fall zu geben, sondern er will Überzeugungen vermitteln, die sich auf die Gesamtheit des menschlichen Lebens erstrecken 16 , er will die Richtschnur liefern, anhand deren man seine Handlungen Uberprüfen und dergemäß man glauben kann, daß das recht sei, was man getan h a t 1 7 . Die Vorschriften lehren, was man tun soll, die Lehrsätze, wie (d.h. in welcher Gesinnung) man es tun soll 1 8 ; denn die Lehrsätze setzen dem Menschen das Ziel seines Lebens vor Augen, sie definieren, was für ihn das höchste Gut darstellt, dem er nachstreben soll und das alle seine Worte und Handlungen berücksichtigen müssen, ganz so wie die Seeleute ihren Kurs nach einem bestimmten Gestirn ausrichten1 . Beide Teile der Philosophie, den paränetischen wie den dogmatischen, hält Seneca fur notwendig, um erfolgreich Seelen leiten und heilen zu können. Er wendet sich mit dieser seiner Ansicht sowohl gegen den Stoiker Ariston, der nur die philosophischen Lehrsätze gelten ließ und die Präzepte verwarf2 0 , als auch gegen eine nicht näher bezeichnete Gruppe von Leuten, vielleicht Kynikern, die ihrerseits die Dogmen für unwirksam erklärten und den präzeptiven Teil für ausreichend erachteten, um die Menschen zum Sittlich-Guten hinzuführen. Wir sehen, daß die Diskussion um die rechte Methode der Seelenleitung innerhalb der Stoa zeitlich weit hinaufreicht, fast bis in die Gründungszeit hinein. Ariston war ein Schüler Zenos, des Schulgründers, und lehrte gleichzeitig mit Kleanthes. Die Position, die Seneca innerhalb dieses Meinungsstreites bezieht, ist offensichtlich die der orthodoxen Stoa, die gegen Ariston und die Extremisten der anderen Seite von Klean thes verteidigt wurde 21 und die auch Chrysipp, wie wir "später noch sehen werden, vertrat. Zunächst aber sollen diese Schulstreitigkeit'en beiseite gelassen werden, bewegen sie sich doch in einem bereits fertigen System von Anschauungen, deren Herkunft und Eigenart allein aus diesem System heraus für den modernen Leser nicht erklärt werden kann, der sich vor die Frage gestellt sieht, was Philosophie, Dogmen und Präzepte letzten Endes mit Seelenleitung zu tun haben sollen. Um hierauf eine Antwort zu finden, wird es nötig sein, die Entwicklung der Seelenleitung bei Griechen und Römern von ihren ersten deutlicheren Spuren aus zu verfolgen.
15 Sen., Ep.95,10. 16 Sen., Ep.95,44: ergo infigi debet persuasio ad totam pertinens vi tarn: hoc est, quod decretum voco. 17 Sen., Ep.95,39. 18 Sen., Ep.95,40. 19 Sen., Ep.95,45-46: Proponamus oportet flnem summi boni, ad quem nitamur, ad quem omne factum nostrum dictumque respiciat: veluti navigantibus ad aliquod sidus derigendus est cursus. Vita sine proposito vaga est: quod si utique proponendum est, incipiunt necessaria esse decreta. 20 Sen., Ep.94,2. 21 Sen., Ep.94,4: Cleanthes utilem quidem iudicat et hanc partem (scil.praeceptivam), sed inbecillam nisi ab universo fluit, nisi decreta ipsa philosophiae et capita cognovit.
II. Die Anfänge der Seelenleitung im 7.- 4. vorchristlichen Jahrhundert
Die Anfange der Seelenleitung erscheinen mit hineingenommen in den Rahmen allgemeiner Erziehung, sofern man unter Erziehung (griech. παώεία) die Gesamtheit der Bestrebungen versteht, einem Menschen Lebenstüchtigkeit zu verleihen. Zunächst in der mündlichen Weitergabe von Erfahrungen bestehend, die mit wachsender Fähigkeit zu Vergleich und Abstraktion immer mehr den Charakter der Allgemeingültigkeit und Allgemeinverbindlichkeit annahmen, fanden sie ihren ersten literarischen Ausdruck in der Aufstellung von Lebensregeln in Form von Ermahnungen >(ύποθήκαι)1. Wie sie uns um 700 v.Chr. in den an den Bruder Perseus gerichteten Erga des Hesiod entgegentreten, sind die sittlichen Belehrungen noch nicht von speziellen, praktischberuflichen Arbeitsanweisungen getrennt, und so finden wir in buntem Wechsel bäuerliche Arbeitsregeln und ethische Maximen. Was diesen ΰποθηκαι des Hesiod aber ihre Besonderheit vor anderen verleiht, das ist ihr formaler und religiöser Aspekt. Formal, weil ihre Versform sie aus dem Niveau bloßer Alltäglichkeit heraushebt und ihnen Einprägsamkeit vermittelt 2 . Religiös, weil sie aus dem von den Musen inspirierten Munde eines Dichters stammen 3 , der durch ihre Hilfe nach damaliger, noch Jahrhunderte weiter wirkender Auffassung die Wahrheit, αλήθεια, zu sprechen4 und den Willen des Zeus zu verkünden5 imstande ist. So erhöht es auch in der Folgezeit das Gewicht der υποθηκαι, wenn die Reflexionen über eigene sittliche Erfahrungen, 1 Vgl. u.a. S. 11, Anm. 8 ,,ύποθήσομαι" und diepseudohesiodischen Χίρωνος υποθηκαι. 2 Über die Rolle von Vers und Sentenz in der Vulgärethik vgl. A. Dihle, Die Goldene Regel, S'85 ff 3 Hesiod,Erga 1-10. 4 Vgl. M. Detienne, Crise agraire et attitude religieuse chez Hesiode,S.43: „Si l'on analyse le champ semantique d'Aletheia dans la pensee grecque archaTque, on est conduit ä constater que, dans les milieux poetiquefs, mantiques et meme politiques, Aletheia s'affirme constamment dans une opposition complementaire ä Lethe, et qu'elle joue sur le plan de la problematique de la parole le role d'un doublet mythique de la memoire. Or l'on sait que, dans la Grece archaTque, la memoire, qui est le plus souvent la mere des Muses, est une representation religieuse fondamentale. Elle apparait comme la forme mythique d'un pouvoir de voyance, d'une connaissance de l'invisible et de l'au-dela. Par la memoire, le poete, comme le devin, apprehende d'un seul coup ,,ce qui est, ce qui sera, et се qui fut" (Нот. II.I, 70; Hesiode, Theogonie, 32 et 38); eile permet a celui qui la possede de prononcer des paroles magico-religieuses, efficaces, lourdes de realite. En bref, l'Aletheia du poete est de 1'ordre de la „revelation". Parce qu'Hesiode possede un don de voyance, les paroles qu'il profere definissent ,,ce qui est"; elles apparaissent comme la realite aux yeux de tous ceux qui participent du systeme de pensee religieuse de la Grece archaique. Rien d'etrange par consequent si les conseils d'Hesiode a Perses sont explicitement ..les desseins de Zeus"." 5 Hesiod, Erga* 661-662: άλλα και ως έρέω Ζηνός νόον αίγώχοίό. Μούσαι yap μ' έδίδαξαν άθέοφατον ϋμνον äeiSewt
Theognis
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verbunden mit den traditionellen Forderungen einer Gesellschaftsschicht oder mit den aus historischen Situationen ableitbaren Lehren, in Verse gefaßt werden. Wir finden Zeugnisse kriegerischer und politischer Paränese in der frühen Elegie6 und den Niederschlag einer jahrhundertealten Adelsethik im Kern der berühmten Elegiensammlung des Theognis (6.Jh.). „Weil ich es gut mit Dir meine, Kyrnos, werde ich Dir an Ratschlägen vermitteln, was ich selber als Kind von den Guten 7 gelernt habe" 8 , so rechtfertigt Theognis sein Unternehmen, das es sich zum Ziel gesetzt hatte, inmitten der Wirren politischer und sozialer Umschichtung in Kyrnos das Bewußtsein adliger Abkunft und damit der Qualität der angeborenen Anlage wach zu halten und zu festigen, dieser Anlage, die nach archaischer Anschauung allein Bürge sein konnte sowohl für heldenhaften Mut im Kriege wie für standhaftes und würdevolles Ertragen allen Unglücks, während der Niedriggeborene bei Schicksalsschlägen versagt9. Daß sich in dieser archaischen Adelsethik, die in der Situation des Theognis durch das Schwinden der äußeren Machtstellung und des Reichtums des megarischen Adels noch eine Steigerung ihrer Werte, der αρετή, erfuhr 1 0 , die ersten Ansätze zum Ideal des stoischen Weisen finden, der sich die Seelenruhe in allen Stürmen des Schicksals zu bewahren weiß, darauf sei an dieser Stelle bereits hingewiesen 11 . Auf dem Gebiet der Prosa mündet dieses Bemühen, die Maßstäbe rechten Handelns in eine einprägsame Form zu kleiden, einerseits in die kurzen, nur aus wenigen Worten bestehenden Weisheitsspriiche wie „Nichts zu sehr" (μηδέν äyav), „Erkenne dich selbst" (γι>ώ0ι ααυτόν), „Maß ist das Beste" (μέτρον άριστον), andererseits in die stilistisch gefeilte Sentenz. Besonders die Sophisten haben zur Ausbildung der letzte-
6 Z.B. Kallinos, frg.lD; Tyrtaios frg.7D Anfang; Solon, Eunomia und frg.lOD. 7 Die ά·γαθοί: unübersetzbare Koppelung von Standes- und ethischen Voizügen in diesem Begriff. 8 V. 27 - 28: Σοι δ' iyui ev φρονέων ϋπο&ήσομαι, οϊά π ер αυτός, Κύρν', άπό τών ά-γαθών ιταίς er' έών εμαθον. 9 Z.B. V. 3 1 9 - 3 2 2 : Μΰρν άβαθος μεν άνηρ γνωμην έχει εμπε&ον aiei, τολμά 6' εν те κακοϊς κείμενος ev τ' άγαβοϊς' el δέ θεός κ α κ φ άνδρΐ βίον και πλοΰτον ύπάσση, άφραίνων κακίην ού δύναται κατέχειν. Vgl. V.6S8: . .. inei εστ' άνδρός πάντα φέρειν äyaffov. 10 Die Steigerung offenbart sich in der schroffen Gegenüberstellung von Reichtum und Tugend, die ja in der Zeit der ungebrochenen Adelsmacht durchaus eine Einheit bildeten, ζ. B. V.149f.: Χρήματα μίν δαίμων και τταγκάκψ άνδρι δί&ωσιν Κ ΰρν ' άρετης δ' ολίγοις ίνδράοι μοϊρ' 'έπεται. V. 145- 148: Βούλεο δ' εύσεβεων όλίγοκ σύν χρήμασιν οίκεϊν, Η πλουτείν άδίκως -χρήματα πασάμενος. Έν δε δικαιοσύνη συλλήβδην πόα' άρετή στιν, πας δε τ' άνηρ άγαβός, Κύρνε, δίκαιος iwv. 11 Vgl.Fr.Wehrli, ΛΑΘΕ ΒΙΩΣΑΣ, der „das organische Wachstum der philosophischen Ethik bei den Griechen aus ihrer ursprünglichen Wertung der Dinge" (a.a.O.Einleitung) überzeugend nachgewiesen hat. - D a s charakteristische Verbum, mit dem Theognis die dpern kennzeichnet, ist τολμάν, das bei ihm nicht nur in mutigem Ankämpfen gegen das Unglück, sondern vor allem darin besteht, daß man im Unglück seine Würde zu wahren weiß. So kann er von τολμά» auch sprechen, wo es gilt, sich vom Glück nicht aus der Fassung bringen zu lassen. Vgl.M.Hoffmann, Die ethische Terminologie bei Homer, Hesiod und den alten Elegikern und Jambographen.
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ren einen bedeutenden Beitrag geleistet, und „die wesentliche Leistung der Sophistik auf dem Gebiete der Ethik ist" nach dem Urteil A. Dihles, „darin zu suchen, daß sie sittliche Vorstellungen des Vulgärbewußtseins, des common sense, in knappe, einprägsame und darum lehrbare Formulierungen von höchstmöglichem Abstraktionsgrad gebracht h a t " 1 2 . Nun gilt es jedoch an dieser Stelle zu prüfen, ob diese poetisch und sententiös eingekleideten moralischen Lehren mit Recht unter die Anfänge der Seelenleitung zu zählen sind. Ist es nicht das Charakteristikum der Seelenleitung, es nicht bei einfachen Belehrungen bewenden zu lassen, sondern auch Hilfen zu ihrer Aneignung, eine gewisse Technik, zu vermitteln? Was unterschiede sie sonst von der Ethik, deren Aufgabe es ist, die Fundamente und Richtlinien des menschlichen Handelns zu fixieren und zu analysieren? Ohne auf die Beziehungen der Seelenleitung zur Ethik im Altertum an dieser Stelle schon ausführlich eingehen zu wollen, wäre hierzu dreierlei zu sagen: (1) Zunächst, daß man im Griechenland des 7.- 4. Jh.v.Chr. ganz offensichtlich nicht den heute weit verbreiteten Standpunkt vertrat, daß Erfahrungen nicht ohne weiteres von einer Person auf die andere übertragbar seien und deren Weitergabe in Form von Verhaltensmaßregeln daher so gut wie gar keinen erzieherischen Wert habe. Wenn man sich die sokratische These vor Augen hält, daß niemand, der das Gute kenne, ihm entgegenhandeln könne, oder anders ausgedrückt, daß niemand absichtlich oder freiwillig etwas Böses tun werde, so erkennt man daraus die fundamentale Bedeutung, die der einfachen Paränese fur die Art der Menschenformung, die wir mit Willensbildung zu bezeichnen pflegen, zugemessen werden konnte. Zu wissen, wie man sich zu verhalten habe, bedeutete schon den entscheidenden Schritt zum richtigen Verhalten selbst. Dieser Tatbestand kommt auch darin zum Ausdruck, daß viele griechische Bezeichnungen für „Wissen", u.a. γνώμη, „in einheitlichem Bedeutungsgehalt die Erkenntnis selbst und ihre Folge, den Entschluß, den rationalen Willen" 13 umfassen, so daß z.B. äypota sowohl die Unwissenheit als auch die begangene Verfehlung bedeuten kann 1 4 . Eine Ermahnung und ein guter Rat für die Lebensführung, gegeben von jemandem, der auf Grund seiner Erfahrungen und seiner Einsicht die Masse überragt, sind darum viel wert und haben eine ganz reale Bedeutung in einer Zeit, in der weder die Religion noch der Staat bestimmenden Einfluß auf die öffentliche Moral nehmen. Selbst weite Wege eines guten Rates wegen zu unternehmen, sah man u.U. als lohnend a n 1 5 . Daher ist es durchaus verständlich, wenn Theognis es als ein Zeichen seines besonderen Wohlwollens betrachtet wissen wollte, daß er dem jungen Kyrnos die Lehren für adliges Wohlverhalten weitergab 16 , die er selbst einst empfangen hatte, und Isokrates 17 dachte etwa zwei 12 Die Goldene Regel, S.85. 13 F. Zucker, Verbundenheit von Erkenntnis und Wille im griechischen Sprachbewußtsein..., S. 1063. Vgl. B. Snell, Die Ausdrücke fiir den Begriff des Wissens in der vorplatonlschen Philosophie. 14 So F.Zucker,a.a.O. 15 Vgl. Theognis, 71 f.: άλλα дет' ϊσθλύν 'ιών ßovXeveo πολλά μογήσας και μακρην ποσσίν, Κυρ ι/, οδόν έκτελεσας. 16 Vgl. Zitat S. 11, Anm. 8. VgL Hesiod, Erga 97: Σοίδ' eyw ίσθλα νοέων βρέω... 17 Zur Echtheitsfirage vgl. S. 18.
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Jahrhunderte später nicht anders über seine paränetischen Reden an Demonikos 18 und Nikokles 1 . Weit davon entfernt, daß diese Mahnreden als lästig empfunden werden könnten, sind sie im Gegenteil ein wertvolles Geschenk, sie sind einem Schatzhaus vergleichbar, aus dem jeweils im Bedarfsfalle das Nötige entnommen werden kann 2 0 . Wie die Tugend der größte und dauerhafteste Besitz ist 2 1 , so ist ein guter Ratgeber das wertvollste unter allen Besitztümern2 2 , weil er durch seinen Beitrag zur Tugend hinführt; denn wie der Körper auf Grund seiner Beschaffenheit durch angemessene Übung sich entwickelt, so entwickelt sich die Seele auf Grund ihrer Beschaffenheit durch treffliche Worte2 3 , und um dieses seelische Wachstum bei Demonikos zu ermöglichen, will Isokrates, wie er sagt 2 4 , versuchen, kurz die Ratschläge zusammenzufassen, von denen er und alle anderen Menschen sich die größten Fortschritte in der Tugend versprechen. Wenn es auch im vierten Jahrhundert in der Person des Aristoteles nicht an einem Vertreter der Meinung gefehlt hat, daß das bloße Wissen, wie man handeln müsse, für den Tugenderwerb so gut wie nichts beitrage, daß es vielmehr darauf ankomme, sich in tugendhaften Handlungen zu üben 2 5 , so hat doch die Paränese die ganze Antike hindurch nicht an Bedeutung verloren, und Seneca verteidigt, wie erwähnt, sie und ihre praecepta im 94. Brief als wichtiges, wenn auch nicht einziges Element der Seelenleitung. Soweit zu den antiken Anschauungen über die Wirksamkeit der Paränese als solcher. (2) Um die praktische Rolle, die der Grieche den Präzepten in seinem Leben einzuräumen willens war, richtig würdigen zu können, ist es als nächstes jedoch ratsam, einen Blick auf jene Disziplin zu werfen, die in der Antike so oft in fruchtbarem Kontakt mit der Ethik gestanden hat: die Medizin2 6 . Und zwar gilt es nicht etwa, die Verhaltensmaßregeln zu betrachten, die der Arzt fur den Kranken zusammenstellt; denn wenn diese ängstlich befolgt werden, so liegt das in der Natur der Sache, befindet sich doch der Kranke in einer akuten Gefahr und erhofft von der genauen Einhaltung ärztlicher Anordnungen die Wiederherstellung seiner Gesundheit. Nein, auf eine viel erstaunlichere Einrichtung soll die Aufmerksamkeit gelenkt werden, eine Einrichtung, die wir bereits im fünften vorchristlichen Jahrhundert antreffen, 18 Isocr.1,2: άπέσταλκά σοι τύνδε τον λό-γον δώρο ν, τεκμήριον μεν της προς υμάς εύνοιας... 19 Isoci., 2,1-2. 20 Isocr., 1,44: ... июнеρ έκ ταμιείου... 21 Isocr., 1,5: ... ης (seil, τής αρετής) ούδεν κτήμα σεμνότεροι/ οΰδε βεβαώτερόν εστί. 22 Isocr., 2,53: ... σύμβουλος άγαβος χρηαψ,ώτατον και τυραννικώτατον άπάντων των κτημάτων εστίν. 23 Isocr., 1,12: ... τα μεν yap σώματα τοις συμμέτροις πόνοις, ή δε ψυχή τοις σπουδαίοις λό-γοις αΰξεσθαι πέφυκε. Vgl.Sen., Ερ.94,30: ingenii vis praeeeptis alitur et crescit. 24 Isocr., 1,12: διόπερ ε~γώ σοι ιτεφάσομαι συντόμως ύποθεσθαι, δι' ών αν μοι δοκοίης επιτηδευμάτων πλείστον προς άρετην έπιδοϋναι και παρά τοις άλλοις απασιν άνθρώποις εύδοκιμησαι. 25 Arist., ΕΝ ΐί,4,1105Α 33, vgl. S. 106, Anm. 19 u. EN II,4,1105В 9 ff. 26 Vgl. die Untersuchungen von W. Jaeger, F. Wehrli, Ober das Verhältnis der ethischen μέσονLehre des Aristoteles zu der Schrift des hippokratischen Corpus De vetere medicina. Zu denken ist auch an die Beziehungen zwischen pneumatischer Schule und Stoa. (W. Jaeger, Paideia II, S.36; F. Wehrli, Ethik und Medizin. Zur Vorgeschichte der aristotelischen MesonLehre.)
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die Diätetik2 7 , die es sich zur Aufgabe gemacht hat, dem Gesunden vorzuschreiben, wie er leben müsse, um gesund zu bleiben. Nicht etwa, daß es sich dabei um allgemeine Richtlinien gehandelt hätte, die der Arzt fur eine gesunde Lebensweise aufstellte, die Diätetik geht viel weiter: Das ganze Leben, den Tageslauf, das Essen, den Schlaf, nimmt sie unter Kontrolle. Sie bestimmt die Länge der Nachtruhe, die Zeit des Aufstehens, die Bekleidung, die Zusammensetzung des Frühstücks, Dauer und Art der Gymnastik, die Stunde des Bades, Zeit und Speisekarte des Mittagessens, Ausdehnung des Spazierganges, Dauer der Unterhaltung mit Freunden, Verhalten bei Symposien etc.. Für die Ausübung einer beruflichen Tätigkeit ist dabei kein Platz gelassen, daher kann auch nur der Reiche und Unabhängige ganz gesund leben. Und diese ganzen Anordnungen sind noch dazu nach Ort, Jahreszeit, Lebensalter, Geschlecht und individueller körperlicher Beschaffenheit verschieden, so daß jeweils nur der Arzt entscheiden kann, was dem einzelnen wann, wo und wie zuträglich ist. Damit macht der Arzt nicht nur den Kranken, sondern auch den gesunden Menschen völlig von sich abhängig, und nicht nur das, er macht den Gesunden fast zu einem Kranken, weil dieser nämlich nur noch gesund ist, wenn er sich peinlich genau nach den Anweisungen der Diätetik richtet und vollkommen regelmäßig lebt. Natürlich haben die Auswüchse der Diätetik bereits in der Antike ihre Kritik gefunden. Besonders die Philosophen mußten sich gegen das Ansinnen wehren, ein Leben nur nach den Gesetzen des Körpers zu führen. Piaton hat denn auch diesen Zweig der Medizin nicht anerkennen wollen und seine Tradition darum nicht auf Asklepios und seine Jünger, sondern auf einen gewissen Herodikos zurückfuhren wollen, über den er seinen Spott ausgießt2 8 . Er weist daraufhin, daß in einer wohlgeordneten Stadt, wo jedem seine besondere Aufgabe zugeteilt ist, niemand Zeit hat, sein ganzes Leben hindurch krank zu sein und sich behandeln zu lassen und daß diese übertriebene Sorge für den Leib auch einem tugendhaften Leben im Wege steht. „Der größte Nachteil aber ist", so führt er aus 2 9 , „daß sie auch jegliches Lernen und Nachdenken und jede Selbstbesinnung erschwert, weil sie sich stets vor Überanstrengung des Kopfes und Schwindel fürchtet und behauptet, dies komme vom Philosophieren. Wo sie sich also findet, da steht sie auf jede Weise der Übung und Bewährung in der Tüchtigkeit im Wege, bewirkt sie doch, daß man sich immer krank fiihlt und niemals aufhört, körperliche Gebrechen zu haben." Trotz dieser Kritik, die zumindest allen Philosophenschulen und allen politisch Interessierten gemeinsam gewesen sein muß, hat die Medizin noch jahrhundertelang an der Diätetik festgehalten und weiterhin von den Menschen verlangt, nach Möglichkeit nur ihrer Gesundheit zu leben3 0 . Zweifellos hätte sie diese Unterordnung 27 In den folgenden Ausführungen beziehe ich mich großenteils auf L. Edelstein, Antike Diätetik. 28 Resp. III,406a ff. 29 Resp. III,407c in der Übersetzung von R. Rufener, Artemis-Verlag. 30 Galen, De sanit.tuen. 2,1 (S. 38,20 ff. Koch): kßoi 8e δοκούαι και öooi δια φιλοτψίαν η δι' eitιθυμίαν ηντιναούν εϊλοντο βίον iv περιστάοεσι πρα~τμάτων, ώς όλι'γιστα δύνασθαι σχοΚάζειν rfj του σώματος emjieXeia, και ούτοι δονλεύΐΐν έκόιττες ούκ άγαβαϊς δεσποίναις... όστις Se άκρ.φώς έλεύββρος υπάρχει και τύχτ) και npoaipiaei, δυνατόν ύποθίσθαι τ φ δ ί , ώς αν byiawoi те μαλιστα και ηκιοτα νοοήαΐΐ£ και γηράσειευ αριατα... Sext.Emp., Adv.Math. 11,49: äyaßov μεν ούν, και τούτο πρώτον, ί'ψήκασι την ύ-γειαν ούκ ολίγοι τών те ποιητών κάι τών συγγραφέων και καθόλου πάιτβς οι άπο του βίου.
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der persönlichen Lebensführung unter die Kontrolle des Arztes nicht immer wieder fordern können, wenn sie damit nicht einem vorhandenen Bedürfnis entsprochen hätte. Wir können es uns zwar heute nicht mehr vorstellen, daß Menschen bereit gewesen sein sollen, sich in die Zwangsjacke dieser Gesundheitsregeln pressen zu lassen, aber daß das im.Altertum in großem Umfange der Fall gewesen sein muß, beweisen sowohl die Kritik Piatons als auch das Vorhandensein einer reichen antiken medizinischen Literatur über Diätetik. Diese Bereitwilligkeit des antiken griechischen Menschen, wie sie sich in der Diätetik spiegelt, um der Gesundheit willen, die, wie Sextus Empiricus sagt 3 1 , unter den äußeren Gütern das höchste ist, sich größten Einschränkungen zu unterwerfen und genau nach den Vorschriften des Arztes zu leben, wirft auch auf die Bedeutung der ethischen Präzepte ein Licht. Es konnte unbedingt damit gerechnet werden, daß der wertvollere Teil der Menschen sich anzustrengen bereit war, nach ihnen zu leben; und das bedeutete nach Ansicht der damaligen Zeit, daß man die Lebensregeln nicht nur auswendig zu lernen hatte, sondern sie auch durch ständige geistige Übung bereit halten mußte 3 2 und sich außerdem noch zur Festigung der Selbstkontrolle und Vorbereitung möglicher Ernstfälle Übungen in Enthaltsamkeit und Bedürfnislosigkeit unterwarf 3 3 , eine Praxis die wir bei Seneca wiederfinden werden. Als die Philosophie begann, der auf den allgemeinen Werturteilen, den δόξαι των πολλών, beruhenden Ethik eine wissenschaftlich fundierte, auf wahre Erkenntnis begründete entgegenzustellen, da bediente sie sich nicht von ungefähr des Vergleichs ihrer Aufgabe mit der der Medizin 34 : Das sittlich fehlerhafte Verhalten wird zu einer Krankheit der Seele, die durch richtige Erkenntnis geheilt werden kann. Die Philosophie wird die Wissenschaft, die es unternimmt, die Krankheiten der Seele zu heilen, wie die Medizin die Wissenschaft ist, die den Körper heilt."Der Philosoph leistet also für die Seele das gleiche, was der Arzt für den Körper leistet. Und wie der Gesunde den Arzt braucht, um gesund zu bleiben oder selbst sein eigener Arzt sein muß, braucht jeder Mensch die Philosophie oder muß selbst ein Philosoph sein, um richtig zu leben" 3 s . Aber die Vergleiche gehen m. E. noch weiter, selbst bis in Einzelheiten hinein: Der in der medizinischen Literatur beliebte Vergleich zwischen Arzt und Steuermann wird auf den Philosophen übertragen. Die Einzelvorschriften der Diätetik spiegeln sich in der Cäsuistik der Pflichtenlehre, und selbst der Streit zwischen den medizinischen Schulen der Methodiker und Empiriker findet sein Analogon im erwähnten Methodenkampf der philosophischen Ethik, der um die Anwendung von dogmata und praecepta gefuhrt wird. Es handelte sich also für die griechische Philosophie nicht darum, die Ansprüche der Medizin auf ihren bestimmenden Einfluß hinsichtlich der menschlichen Lebensführung zu negieren. Im Gegenteil gründete sie gerade ihren Primatsanspruch auf die Anerkennung der Rechte der Medizin, indem sie die Sorge um den Körper als berechtigt anerkannte, aber ihr gegenüber als höhere Pflicht die Sorge um die Seele fordern 31 Vgl. Zitat Anm.30 32 Isocr., 1,18: ü μβν έ-πίαταααц ταύτα βιαφύλαττΐ так μελέταις... 33 Isocr., 1,21: Γύμναζε oeaxnov πόνοις έκουσίοκ, οπως αν δύνη και τούς Ακουσίους ύπομένε ш. 34 Den Arzt-Vergleich verwendete auch die Sophistik. Vgl. Fritz Wehrli, Der Arztvergleich bei Piaton. 35 L. Edelstein, Antike Diätetik, S.270.
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konnte, da der Mensch aus Körper und Seele besteht, die Seele aber der ungleich wertvollere Teil des Menschen ist 3 6 , der Teil, der ihn erst eigentlich zum Menschen macht 3 7 . Die Gesundheit der Seele ist fortan das höchste Gut für den Menschen, dem sein angestrengtes Streben zu gelten hat, der Diätetik für den Körper wird die Diätetik der Seele übergeordnet und erstere dadurch praktisch ausgeschaltet. Wie ich glaube, verliert, vor dem Hintergrund der medizinischen Diätetik betrachtet, selbst der vielgeschmähte Rigorismus der Stoa etwas von seiner Schärfe, zumindest aber wird die Stellung der Präzepte im Leben der Antike durch diesen Vergleich etwas deutlicher geworden sein. (3) Nun zurück zu den erwähnten versifizierten Präzepten des Hesiod und Theognis oder auch des Phokylides sowie den Weisheitssprüchen und Sentenzen, bei denen es sich bereits um weit mehr als um einfache Ermahnungen handelt. Was sie von diesen unterscheidet, ist nicht etwa nur ihre Einprägsamkeit im Sinne einer mnemotechnischen Hilfe, sondern vor allem ihre Überzeugungskraft, die" der Prägnanz ihrer sprachlichen Formulierung selbst innewohnt 3 8 und es durch diese sprachlich-rhetorische Komponente vermag, die in der Tiefe des Unterbewußtseins ruhenden allgemeinen sittlichen Vorstellungen ins Licht des rationalen Bewußtseins zu heben 3 9 So wie die Tierfabel, deren erstes Zeugnis wir ebenfalls bei Hesiod finden40, einen moralischen Grundsatz dadurch deutlich und dem Erlebnis zugänglich macht, daß sie ihn in eine Handlung auflöst und einkleidet, die nicht in der Sphäre des täglichen Lebens spielt, sondern sich im Gegenteil völlig von ihr entfernt und ins Reich der Phantasie fuhrt, so dringen auch der Vers und die Sentenz in tiefere Bewußtseinsschichten als die alltägliche Sprache. Sie beschäftigen nicht nur den Verstand, sondern rufen Emotionen und Antriebe hervor. Seneca hat die Art und Weise ihres Wirkens treffend analysiert, wenn er bei seiner Verteidigung der Paränese im 94. Brief den gegnerischen Einwand, Vorschriften ohne hinzugefügte Beweise ihrer Richtigkeit könnten nichts nützen, folgendermaßen erledigt 41 : „Außerdem haben die Vorschriften in sich selbst viel Beweiskraft, zumal wenn sie entweder einem Gedicht 36 Die Ansicht vom Vorrang der Seele vor dem Körper findet sich bereit? ab 6.Jh.: Pythagoreer, Demokrit (Diels-Kranz, VS II, 68 В 187): άνβρώποις άρμόδιον ψυχής μάλλον η σώματος Xoyov ποίΐνσθαι - ψυχής μεν yap τελβότης σκήνεος μοχθηρνην όρθοϊ, σκήνεος & e ισχύς ävev λογισμού ψυχην ούδέν τι ίμβίνω rißr\ow. Allgemeingut im 4.Jh.: Antiphon, Diels-Kranz, VS 11,87 B2; Isocr., 15, 180; Aristoteles, Protreptikos Frg. 11 Ross. 37 Zur Veranschaulichung dienten der hellenistischen Philosophie die zahlreichen Seinsdihäresen mit ihrem gestuften Aufbau vom anorganischen Leben über das Tierreich bis zum Menschen. Jede Seinsstufe unterscheidet sich von der ihr vorangehenden durch den Zuwachs bestimmter Fähigkeiten; so unterscheidet die Tiere von den Pflanzen ihre Fähigkeit zur Wahrnehmung und Bewegung, den Menschen vom Tier der Logos. VgL z.B. SVF, 11,458-462, 714-716 etc. Vgl. Aristoteles, De anima 413b 12 ff. 38 Abgesehen von ihrer in religiösen Anschauungen wurzelnden Autorität. Vgl. oben S. 10. 39 Vgl. hierzu A. Dihle, Die Goldene Regel, speziell das Kapitel: Die Goldene Regel und die Gnomik der Sophisten, dem ich vieles verdanke. 40 Hesiod, Erga 202 f.: Fabel von Falke und Nachtigall. In der Rhetorik wird der Fabel die Rolle eines Ub'erzeugungsmittels vor ungebildetem Publikum zugewiesen: Quint, Inst.or.V,l 1, 19: illae quoque fabellae, quae... nomine... Aesopi maxime celebrantur, ducere animos solent praecipue rusticorum et imperitorum, qui et simplicius quae ficta sunt audiunt, et capti voluptate facile iis quibus delectantur consentiunt; siquidem et Menenius Agrippa plebem cum patribus in gratiam traditur reduxisse nota illa de membris humanis adversus ventrem discordantibus fabula. 41 Ep.94,27ff.
Die paiänetischen Sentenzen bei Isokrates
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eingewebt sind oder in der Prosa in eine Sentenz komprimiert werden, wie jene catonische: „Kaufe nicht, was du brauchst, sondern was du nötig hast; was du nicht brauchst, ist für ein As zu teuer", oder solche vom Orakel gegebenen Antworten oder denen ähnliche Aussprüche wie: „Geh sparsam mit der Zeit um", „Erkenne dich selbst". Wirst du einen Beweis fordern, wenn dir jemand folgende Verse sagt: „Ein Mittel gegen Kränkung ist Vergessen", „Immer begünstigt den Kühnen das Glück, doch der Feige steht selbst sich im Wege"? Dergleichen Sprüche benötigen keinen Anwalt; sie rühren an die Affekte selbst und nützen uns, weil die Natur ihre Macht ausübt. Die Seelen tragen den Samen zu allem Sittlichguten in sich, der durch Ermahnung geweckt wird, nicht anders als der Funke, von einem leichten Hauch unterstützt, sein Feuer entfacht... Außerdem ist mancherlei zwar in der Seele vorhanden, aber zu wenig parat, was sogleich zur Hand ist, wenn es ausgesprochen wird..." 4 2 . Die paränetische Sentenz oder Gnome hat ihre bewußte schulmäßige Gestaltung vor allem der von Gorgias ausgehenden Rhetorik zu verdanken, die sich selbst als Technik des ι№хауоууей> in dem o b e n 4 3 erörterten weiten Sinne verstand. Jede Sentenz, wie si«r uns in der Demonikos-Rede des Isokrates entgegentritt, ist ein Musterbeispiel für die Verwendung gorgianischer Stilmittel 4 4 , und im Grunde besteht diese ganze paränetische Rede des Isokrates aus nichts anderem als aus einer Aneinanderreihung von lauter Sentenzen, die zusammen, wie A. Dihle sich ausdrückt, ein „Kompendium einer formalisierten, auf dem common-sense aufgebauten Ethik darstellen" 4 5 , der Spruchsammlung des Phokylides und Theognis vergleichbar, die Isokrates dementsprechend als seine Vorgänger aufführt 4 6 . Nicht anders wird eine sophistische τέχνη des Wohlverhaltens im ausgehenden fünften Jahrhundert ausgesehen haben, eine solche τέχνη, wie sie fast für jedes Gebiet des menschlichen Lebens von den Sophisten verfaßt wurde, so daß Aristophanes von der solchermaßen sich bildenden athenischen Jugend im Spott sagen konnte: Sie sind geübte Leute; jeder hat ein Buch und lernt daraus, was richtig ist 4 7 . In dieser bewußten Anwendung sprachlich-ästhetischer Mittel zum Zwecke der Willensbeeinflussung und Belehrung - angegriffen von Piaton, verteidigt von Isokrates liegt der bleibende Beitrag der Sophistik zur antiken Seelenleitung. "Keiner erfand 42 Vgl. Sen., Ер.94,43 f.: quis autem negabit feriii quibusdam praeceptis efficaciter etiam inperitissimos? velut his brevissimis yocibus, sed multum habentibus ponderis: „nil nimis", „avarus animus nullo satiatur lucro", „ab alio exspectes, alteri quod feceris". haec cum ictu quodam audimus, nec ulli licet dubitare aut interrogare „quare? ", adeo etiam sine ratione ipsa Veritas ducit. si reverentia frenat animos ac vitia compescit, cur non et admonitio idem possit? si imponit pudorem castigatio, cur admonitio non faciat, etiam si nudis praeceptis utitur? VgL Sen., Ер. 108,9 ff. 43 Vgl. S. 7. 44 Hierfür seien einige wenige Beispiele angeführt: Isocf., 1,7: η δε της άρετης κτησις... τά μέν τοις άλλοις αδύνατα δυνατά καθιοτ'αοα, τά δ έ τ φ πλήθει φοβέρα θαρααλεως υπομένουσα, και τον μέν 'όκνον ψ0701л τον 6е πόνον 'έπαινον ηγουμένη. 18: Έάν τις φιλομαθής, εσει πολυμαθής. 20: Τ φ μέν троки) η/ίγνου φιλοπροσήη/ορος, τω δέ λόγιμ ΐύπροσηγορος. 34: βουΚβύου μέν βραδέως, Επιτελεί δ έ ταχέως τα δόξαντα. 45 Α. Dihle, Die Goldene Regel, S.90f. 46 Isocr., 2,43: οημεϊον δ ' αν τις ποιήοαιτο την 'Ησιόδου και θεόη/νώος και Φωκυλίδου ποίησιν • και η/άρ τούτους φαοί μέν άριστους γε-γενησθαι συμβούλους τ φ βίω τ φ των άνθρώπων... 47 Aristoph.jRan. 1113f.: έστρατευμένοι yap еюц βιβλίον τ' έχων έκαστος μανθάνει τά δεξιά.
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eine schönere Kunst, um die Seele für die Agone der Tüchtigkeit zu üben" heißt es von Gorgias4» als dem Erfinder dieser Technik, die wir über Isokrates, Cicero, Seneca bis ins christliche Mittelalter und zu Ignatius von Loyola verfolgen können. Ein Vergleich zwischen Isokrates, Cicero und Seneca soll dies erläutern. Jedem, der die Demonicea und die beiden anderen paränetischen Schriften des Isokrates neben den Werken Senecas liest, wird die verblüffende Ähnlichkeit beider im Stil auffallen. Bei beiden findet sich die reichliche Verwendung gorgianischer Stilfiguren und die Vorhebe für Parataxe, u.a. auch die Gewohnheit, eine Reihe pointiert formulierter Einzelvorschriften mit einer Sentenz allgemeinen Inhalts abzuschließen4 9 . Die Vermeidung der sonst fur Isokrates charakteristischen Periode in diesen Werken hatte sogar oft dazu gefuhrt, ihre Echtheit zu bestreiten. Ich sehe aber in dieser Stilverschiedenheit nur die Auswirkung der Theorie, die die Sentenz als für die ethische Belehrung besonders wirkungsvoll ansah und halte demgemäß dieses Kriterium für sich genommen nicht für ausreichend, um die Unechtheit der genannten Schriften zu begründen. Auch Senecas Stil ist m.E. noch zu wenig unter diesem Gesichtspunkt und zu einseitig nur aus dem Zeitgeist und aus seiner persönlichen Veranlagung heraus erklärt worden. Cicero hingegen hat zwar nicht an den Sentenzenstil angeknüpft - es findet sich ja auch kein eigentlich paränetisches Werk bei ihm 5 0 — hat aber an der Verbindung der rhetorischen mit der erzieherischen Komponente festgehalten, wie sie für das übrige Werk des Isokrates charakteristisch ist und ihren programmatischen Ausdruck in der „Helena", der Rede „Gegen die Sophisten" und der „Antidosis" gefunden hat. Isokrates steht auf dem Standpunkt, daß die Menschen besser und wertvoller werden können, wenn sie den Ehrgeiz haben, gut zu sprechen und imstande zu sein, ihre Hörer zu überzeugen. Denn wenn, so meint er, jemand Reden entwirft, die des Lobes würdig sein sollen und ihm zur Ehre gereichen, dann kann er sich keine nichtswürdigen oder geringen Gegenstände zum Thema nehmen, sondern erhabene und schöne und das Wohl der Menschheit im allgemeinen wie im politischen Sinne betreffende. Sodann wird er aus all den menschlichen Taten, die mit den genannten Themen in Verbindung stehen, die angemessensten und beweiskräftigsten als Beispiele auswählen; und da er sich gewöhnt hat, diese Beispiele zu betrachten und zu begutachten, wird er ihren Einfluß nicht nur in der Vorbereitung der Rede spüren, sondern auch in allen seinen übrigen Handlungen, so daß demjenigen gut zu sprechen und gut zu handeln gleichermaßen zuteil wird, der sich in der rechten Weise mit der Abfassung von Reden beschäftigt 51 . 48 Zweites Epigramm der olympischen Gorgiasstatue, Kaibel 875: Горуюи άσκησαι ψυχην αρετής ές άγωνας ουδείς πω θνητών καλλών' εύρε τέχνην. Vgl. Gorgias, ' Ε λ έ ν η ς ε у κ ώ μ ιο ν (Diels-Kranz, VSII, 82 Β 11, 8): λόγος δυνάστης μέγας εστίν, ος σμικροτάτψ σώματι και άφανεστάτψ θειότατα 'ipya άποτελεί • δύναται •γαρ και φόβον παύσαι και λύπη ν άφελείν και χαραν έvερyάσaöθaι και ελεον έπαυξήσαι. 49 Vgl. Isocr., 1,20: ηδέως μεν εχε προς απαντας, χβώ δε τοις βελτίατοις · ούτω -γαρ τοις μεν ούκ άπεχθης εσει,τοϊς δε φίλος ιενήαει. τάς εντεύξεις μη ποιου πυκνας τοις αύτοϊς,μηδε μακρας περί τών αυτών - πληαμονη yäp άπαντων und Sen., Ερ.81, i : nam si hoc periculum vitare volueris, non dabis beneficia; ita ne apud alium pereant, apud te peribunt, non respondeant potius quam non dentur. et post tnalam segetem serendum est. 50 Die exhortatio - man könnte an Ciceros Hortensius denken - gehört nicht dem Genus an, das es mit der Vermittlung von Präzepten zu tun hat. 51 15, 275ff.
Rhetorische und erzieherische Komponente
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An dieser Zielsetzung, die Isokrates seiner φιλοσοφώ, gibt5 2 , ist das Gewicht neu, das er im bewufcten Gegensatz zu einem großen Teil der Sophisten auf die Würde und Erhabenheit des Gegenstandes legt, der in den Reden behandelt werden soll. „Halte nicht die für weise", ermahnt er Nikokles5 3 , „die scharfsinnig über Bedeutungslosigkeiten streiten, sondern die, die gut über die bedeutendsten Dinge reden". Fast gleichlautend formuliert Cicero die Aufgaben der Philosophie 54 . Die „bedeutendsten Dinge", das sind für Isokrates solche, aus denen jeder Hörer unmittelbaren Nutzen für sein Leben ziehen kann 55 , von denen er eine Bereicherung erfährt, nicht dialektische Spitzfindigkeiten und die Spekulationen der alten Naturphilosophen 56 . Ganz ähnliche Ansichten vertreten Cicero und Seneca 57 , wenn sie auch unter „philosophia" etwas anderes verstanden haben als Isokrates. Wir haben also als Grundlage der Methode des Isokrates etwa folgenden psychischen Vorgang: Die Erhabenheit und Würde der Thematik wirken veredelnd auf den Redner, der sich mit einem solchen Stoff beschäftigt. Zwecks Mitteilung an den Hörer hat nun der Redner die Aufgabe, der Größe seines Gegenstandes entsprechende Worte zu finden, um ihm angemessenen Ausdruck zu verleihen. Das gelingt jedoch nur wenigen, bei den meisten steht die Ausdrucksweise hinter der Qualität des Stoffes zurück5 8 , denn diese verlangt eine Prosa, die auf derselben Höhe wie die Dichtung liegt. Die volle Kunst der Rede soll aber nicht nur deswegen entfaltet werden, um dem Hörer Genuß zu verschaffen, ihm ein Vergnügen zu bereiten, sondern in erster Linie aus dem Grunde, weil nur sie nach einer in der Antike weit verbreiteten Überzeugung in der Lage ist, der Ehrwürdigkeit des Gegenstandes gerecht zu werden, weil, wie Cicero es formuliert, kein Gedanke erleuchtet ist ohne das Licht der Worte5 9 . Wenn dem Hörer oder Leser etwas Schönes und Erhabenes nahe gebracht werden soll, dann gelingt das nur mit schönen und erhabenen Worten: Die Sache ist vom Wort nicht zu trennen 6 0 , ja sie wird für den Menschen erst durch das Wort zu Sache, d.h. zu einem Gegenstand, mit dem er sich denkend beschäftigen kann. Was sich vorher beim Verfasser der Reden abgespielt hat, vollzieht sich in verkürzter Form nun beim Hörer oder Leser. Der Verfasser war durch die unab52 Den Terminus φιλοσοφία gebrauchte Isokrates in einem allgemeineren Sinne, wie auch Aristeides ihn erklärt: φιλοσοφία bedeutete in den besten Zeiten φιλοκαλία τις к at δ ιατ ρ φή περί λόγους, και οϋχ ό wv τρόπος ούτος άλλα παιδεία κοινώς (Dind.II,47). Vgl. Jebb, Attic orators, II, S. 34 f. 53 Isocr., 2,39: σοφούς νόμιζε μη τούς άκριβώς περί μικρών ερίζοντας, άλλα τούς ευ περί των μεγίστων λέγοντας... 54 Cie., Tusc.1,7: hanc enim perfectam philosophiam semper iudieavi, quae de maximis quaestionibus copiose posset ornateque dicere. Vgl.Tusc.III,6. 55 Isocr., 15,266: φιλοσοφίαν μεν ούν ούκ οίμαι δεϊν προσαγορεύειν την μηδέν έν τ ψ παρόντι μήτε προς τό λέγειν μήτε προς το πράττειν ωφελούσαν... 269: ... δεϊν δε τούς προΰργου τι .ποιεΐν βουλομένους καϊ των λόγων τούς ματαίους και των πράξεων τας μηδέν προς τον β ίο ν φέρουσας άναιρεϊν έξ άπασών των διατρφών. 56 Isocr., 13, Iff.; 15,268. 57 VgL die Zitate S. 80,Anm. 4 u. 5. 58 Isocr., 10,12: ot δέ περί των όμολογουμένων ίγαθών ή καλών ή τών διαφερόντων ίπ' άρετή λέγειν έπιχεψήσαντες πολύ καταδεέστερον τών υπαρχόντων απαντες εΐρηκασιν. Vgl. Ciceros Kritik am philosophischen Schrifttum, z.B. Tusc.I,5ff. 59 Cie., De orat.111,24: ...neque esse ullam sententiam inlustrem sine luce verborum. Vgl. § 50: ... oratio, quae lumen adhibere rebus debet. 60 Vgl. Cie., a.a.O.III,19: Nam cum omnis ex re atque verbis constet oratio, neque verba sedem habere possunt, si rem subtraxeris, neque res lumen, si verba semoveris. Vgl. § 24.
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Die Anfänge der Seelenleitung
lässige Betrachtung des Gegenstandes selbst und sein Bestreben, ihn in seinem ganzen Sein intellektuell zu erfassen, durch eben diesen Gegenstand in seinem Innern affiziert und zur Imitation angeregt worden; der Hörer kann ihn durch das Bemühen des Redners, wenn es erfolgreich war, gleichzeitig intellektuel und affektiv erfassen und sich damit zu eigen machen: Der Belehrung selbst ist durch ihre Art der Vermittlung schon eine Hilfe zur Aneignung immanent 6 1 . Imitation, Suggestion, Sympathie, diese 3 wichtigen, eng zusammengehörenden Faktoren moderner Psychagogie 62 , werden demnach, wie wir sehen, von der antiken Seelenleitung ebenfalls angestrebt und angewendet, wenn auch nicht expressis verbis und mit anderen Mitteln als heute 6 3 . Wir finden bei Isokrates und Cicero, der ihm darin gefolgt ist, für die Abfassung einer längeren, zusammenhängenden, belehrenden, exhortativen oder lobenden Rede dasselbe Prinzip ausgesprochen, wie wir es bei der Formulierung der Präzepte angewendet fanden. Für Cicero ist es daher eine Selbstverständlichkeit, daß die Darlegung des stoischen Tugendideals stilistisch auf einer ähnlichen Höhe stehen muß wie diese selbst 6 4 , um die rechte Beweiskraft zu haben, und er unternimmt es daher auch, die stoischen Paradoxa, die seines Erachtens keine ihrem Wert entsprechende literarische Einkleidung gefunden hatten, durch die Kunst seiner Rede auch der breiten Masse nahe zu bringen 6 5 . Man wird daher Seneca kaum gerecht, wenn man ihm an Stellen, wo er z.B. den stoischen Weisen mit allem rednerischen Schmuck preist, vorwirft, er rette sich immer dann in leere Rhetorik, wenn er mit den Lehren seiner Schule innerlich nichts anfangen könne. Rhetorik ist es schon, und zwar mit höchster Bewußtheit angewendete, aber sie ist alles andere als leer, sondern ihr Vorhandensein ist eher als ein Zeichen großer innerer Beteiligung zu werten, sehe ich doch keinen Grund, Senecas Beteuerung den Glauben zu versagen, daß er das, was er sage, nicht nur denke, sondern liebe 6 6 .
61 Daß der Form gegenüber dem Inhalt sogar die stärkere Einwirkung auf den sittlichen Habitus zugeschrieben wurde, zeigt die Kritik Piatons an der Dichtung, die er aus erzieherischen Gründen für angebracht hielt: Resp. III,387b: ταύτα και τα τοιαύτα πάντα παραιτησόμβθα "Ομηρον
те και τούς άλλους ποιητάς μη χαλβπαίνειν αν διαγράφουμε у, ούχ ώς ού ποιητικά και ηδέα ток πολλοίς άκουαν,
άλλ' οοφ
ποιητικωτέρα,
τοσούτψ
τρτον άκουατέον
ποιοι
και άνδράοιν ους δει Ελευθέρους elvai, δουλβίαν θανάτου μάλλον πβφοβημένους. 62 Ich zitiere Brett, Psychology ancient and modern, S. 83: „In the technical language of psychology the words imitation, suggestion, and sympathy are closely related. Imitation describes the behaviour which is suggested; suggestion indicates the subconscious character of the process, which is the secret of its power for good or evil; sympathy originally denoted the coincidence of feeling or communication of feeling which seems to occur spontaneously ... Professor Mac Dougall's phrase „sympathetic induction of emotion" is a good epitome of this doctrine ...". 63 Vgl. die in der rhetorischen Schrift Περί ύφους dargelegte Theorie. Siehe hierzu weiter unten S. 131. 64 Cie., Tusc.V.l: Nihil est enim omnium, quae in philosophia tractantur, quod gravius magnificentiusque dicatur. ...tale...est (nämlich der Satz: virtus ad beate vivendum se ipsa contenta est), ut elaborandum sit, quo facilius probetur. Vgl. Sen., Ep.75,3: Non mehercules ieiuna esse et arida volo, quae de rebus tarn magnis dicentur. 65 Cie., Parad.Stoic.praef.4: Quae [scil.paradoxa) quia sunt admirabilia contraque opinionem omnium, temptare volui possentne proferri in lucem et ita dici, ut probarentur... 66 Sen., Ep.75,3: hoc unum plane tibi adprobare Vellern, omnia me ilia sentire, quae dicerem, nee tantum sentire, sed amare.
Die Unabhängigkeit der Paränese von der Dogmatik
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Die bisherigen Ausführungen hatten das Ziel, an die Wurzeln eines Teils der See lenleitung Senecas heranzuführen. Wie erwähnt, hatte Seneca das Gebiet der Seelenleitung und -heilung der Schultradition gemäß in zwei Teile, einen dogmatischen und einen paränetischen 6 7 , eingeteilt. Dieser letztere hat es, wie der Name sagt, in der Hauptsache mit den Einzelvorschriften zu tun, mit Vorliebe in Form von Sentenzen und Versen 6 8 , sowie mit Zureden, Aufmunterungen, Tröstungen, Beschreibungen von Tugenden und Lastern 6 9 , die eine längere Rede oder Abhandlung erfordern. Die Elemente dieses präzeptiven Teils, der vorbereitende und unterstützende Funktion hat, finden sich, wie wir gesehen haben, in der Hauptsache bereits in einer Zeit, die der Gründung der Stoa und der anderen hellenistischen Philosophenschulen weit voraus liegt, und zwar sind die Elemente sowohl inhaltlicher als auch formaler Natur. Inhaltlich insofern, als der erwähnte paränetische Teil ziemlich unabhängig von den philosophischen Schuldogmen, bzw. dem sogenannten dogmatischen Teil, ist und sich größtenteils auf den consensus omnium stützt, wie er in der Vulgärethik mit ihrem durch die Jahrhunderte tradierten Gedankengut zum Ausdruck kommt. Vieles, was sich bei Hesiod und Theognis findet, kehrt in der Paränese der hellenistischen und kaiserzeitlichen Philosophenschulen wieder. Selbst Chrysipp hat sich in der Praxis der Affektheilung in den Anfangsstadien der Behandlung — und das ist vornehmlich der Bereich der pars praeceptiva 7 0 — von jeglichem Dogmatisieren völlig frei gehalten 7 1 , und auch Panaitios hat seine an Q. Tubero gerichtete Schrift über das Ertragen des körperlichen Schmerzes keineswegs auf der stoischen Lehre aufgebaut 7 2 , daß der Schmerz kein Übel sei, woraus nicht geschlossen werden darf, daß er etwa an diesem Dogma seiner Schule nicht mehr festgehalten habe. Dementsprechend sind auch die Trostschriften tendiert; es wird an Trostgründen alles angeführt, dessen man habhaft werden kann, und ohne Rücksicht auf Schuldoktrinen auch und vor allem auf allgemeine Überzeugungen zurückgegriffen. So konnte der Stoiker Panaitios ohne weiteres die Trostschrift des Akademikers Krantor zur Lektüre empfehlen 7 3 , und dessen Methode der Tröstung sowie ihr Gedankengut wird sich von dem des Sophisten Antiphon nicht wesentlich unterschieden haben, der der Überlieferung nach der erste gewesen sein soll, der eine gewisse Kunst des Tröstens entwickelte 7 4 . 67 Pars praeceptiva, „quam Graeci paraeneticen vocant" = Ep.95,1. Vgl. zum Weiterwirken dieser Einteilung im christl. Bereich A. Mehat, Les ordres d' enseignement chez Clement d' Alexandrie et Seneque. 68 Vgl. die Zitate S. 17. 69 Vgl. Sen., Ер.95,65. 70 Vgl. S. 8. 71 Vgl SVF,III,474: και ταύτα δ' αι> προσθείην τοίς λε-γομένοις ort Χρύσιππος έν τφ περί παθών θεραπευτική πειράται υπέρ τού καταστείλαι τα iv άνθρώποις πάθη των ψυχών, μη προσποιησάμενος ποίον το της Αληθείας έστί δόγμα, θεραπεύειν κατα τ ας διάφορους αιρέσεις τους iv τοις πάΰεσι προκατειλημμένους, και φησίν от ι κ'άν ήβονη τέλος τ)> ούτωσΐ вераπευτέον τα πάθη • κ'άν τρία ·γένη τών άγαθών, ούδέν ήττον και κατα τον λό-γον τούτον τών παθών όντως ίπαλλακτέον τούς ενεχομένους αύτοϊς. Vgl. Cie., Tusc. IV,62. VgL Zitat oben S. 3, Anm. 18. 72 Vgl.Cic., De fin.IV,23: ...Panaetius, cum ad Q.Tuberonem de dolore patiendo scriberet, quod esse caput debebat, si probari posset, nusquam posuit, non esse malum dolorem, sed quid esset et quale, quantumque in eo esset alieni, deinde quae ratio esset perferendi. 73 Vgl.Cic., Luculi. 135. 74 Diels-Kranz, VS 11,87 A 6: τβχνην άλυπίας OVVCOTTIOCLTO, Соолер τοϊς vooovotv η παρά τών Ιατρών depaneia υπάρχει- ev Κορίνθωι те катеакеиааμένος οίκημα τι παρά την
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Die Anfänge der Seelenleitung
Auch in formaler Hinsicht reichen die Anfänge des präzeptiven Teils in der Gestalt, wie er sich bei Seneca findet, weit hinauf: Die Einkleidung ethischer Vorschriften in Verse ist schon um 700 v.Chr. greifbar, und die rhetorische Ausgestaltung der Sentenz, der Consolatio, Exhortatio usw. mit der zugrunde liegenden Theorie ihrer seelenleitenden Funktion kann bis auf die Sophisten und Isokrates zurückgeführt werden. So hat denn auch die Rhetorik als selbständige Unterrichtsdisziplin außerhalb der philosophischen Schulen verschiedene Teile der pars praeceptiva, vor allem die consolatio, weiterhin als ihren Aufgabenbereich betrachtet und für ihre Abfassung bestimmte Regeln aufgestellt, deren Niederschlag wir in den rhetorischen Lehrschriften des Pseudodionysius und des Menander finden7 5 . Daß wir in dieser bewußten Anwendung sprachlich-ästhetischer Mittel zur Verwurzelung des Wissens in der emotionalen Sphäre 7 6 ein Stück nicht nur praktisch angewandter, sondern auch theoretisch reflektierter Methodik einer Seelenleitung vor uns haben, wie sie die ganze Antike hindurch zur Anwendung kam, daran kann nicht gezweifelt werden. *
* *
Die bewußte Anwendung der sprachlich-rhetorischen Komponente als Erziehungsfaktor durch die Sophisten hatte natürlich auch ihre Schattenseiten, da ein Mißbrauch nicht ausgeschlossen werden konnte und auch häufig stattfand.Bereits im ausgehenden fünften und im vierten Jahrhundert wurde Kritik an der schrankenlosen Verwendung der Rhetorik laut und für denjenigen, der sich ihrer Mittel bediente, eine solide sittliche Orientierung gefordert. Isokrates tat dies, indem er fest auf dem Boden der δόξαι των πολλών verharrte, auf denen im allgemeinen die sophistischen τέχναι des Wohlverhaltens beruhten; für ihn genügten als Richtlinien die im Bewußtsein der Allgemeinheit verankerten ethischen Überzeugungen 7 7 . Jedoch fanden sich auch Andersdenkende wie Sokrates und Piaton, denen dies nicht ausreichte, die gerade die Gültigkeit der δόξαι των πολλών in Frage stellten und die Prüfung des Wahrheits- und Seinscharakters jedes einzelnen sittlichen Phänomens verlangten. Dieses bewußte Abrücken eines einzelnen oder einer kleinen Schicht von den allgemeinen Überzeugungen, wie es für die hellenistischen Philosophenschulen charakteristisch ist, trat natürlich in der griechischen Antike mit Sokrates und Plaayopav проеурафеν,οτι δύναται, τους Χνπουμένονς δια λόγωκ θεράπευειν,καί πυνθανόμενος τάς αιτίας παρεμυθε'ιτο τους κάμνοντας. - Nach Quintilian, Inst.III, 1,12 sollen Prodikos, Hippias, Protagoras und Thrasymachos auch über die Affekte geschrieben haben. 75 Pseudodionysios, Ars rhet., S.26ff.; Menander: Περί επιδεικτικών, Rh.Gr.S.413,5ff. Vgl. H.H.Studnik, Die consolatio mortis in Senecas Briefen, S.22,Anm.2: „Während Menander den λόγος παραμυθητικός (consolatio) gesondert behandelt, gehört er bei Pseudodionysios als Teil zum λόγος έπιτάφιος. Daß letzterer, wie ihn die attischen Redner bereits ausgebildet hatten, die rhet. Vorschriften auch für Inhalt und Aufbau der consolatio beeinflußte, zeigen deutlich die Angaben beider Rhetoren." 76 Die Einwirkung von Vers und Sentenz auf den affektiven Bereich kommt in den erwähnten Seneca-Zitaten in folgenden Worten zum Ausdruck: adfectus ipsos tangunt et natura vim suam exerccnte proficiunt (Ep.94,28); quis autem negabit feriri quibusdam praeeeptis efficaciter etiam imperitissimos? . . .haec cum ictu quodam audimus. . . (Ep.94,43). 77 Vgl. Zitat S. 13, Anm. 24.
Die Anfänge der Dogmatik
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ton nicht zum ersten Mal in Erscheinung. Die Adelsethik des Theognis beruhte bereits auf der Gegenüberstellung der Wertmaßstäbe der Wenigen (ολίγοι) , des Adels, mit denen der Vielen (πολλοί), der Masse des Volkes. Was der Adel als Privileg der Geburt für sich in Anspruch nahm, das forderte der Philosoph auf Grund seiner höheren Einsicht, die bisher unreflektiert Hingenommenes in den Bereich wissenschaftlicher Erkenntnis einzubeziehen unternahm, und sobald die Philosophie sich von der Deutung des Kosmos aus auf das Gebiet der Ethik zu erstrecken begann — Pythagoras und seine Lehre ist das früheste und sehr berühmte Beispiel - sehen wir sie um die Setzung neuer ethischer Normen bemüht. Mit diesem Zeitpunkt beginnt praktisch die Geschichte des zweiten von Seneca erwähnten Teils der Seelenleitung, des dogmatischen. Es ist naheliegend, daß die Präzepte in dem Moment durch Dogmen ergänzt werden mußten, wo man es unternahm, Normen aufzustellen und Werte zu setzen, die von den δόξαι των πολλών, dem common sense, abwichen, und es ist anzunehmen, daß sich bereits Pythagoras mit seiner sektenförmig von der Umwelt abgeschlossenen Gemeinde vor diese Notwendigkeit gestellt sah. Es wäre zweifellos — auch über den Nachweis einer erstmaligen Konzeption von Dogmen hinaus — von höchstem Interesse für die Geschichte der Seelenleitung, könnte man sich einen einigermaßen zutreffenden Überblick über die Lehrpraxis des Pythagoras verschaffen; denn man darf es wohl als feststehend betrachten, daß es sich bei seinem Unterricht nicht nur um die wissensmäßige Vermittlung bestimmter philosophischer Lehren gehandelt hat, sondern damit verbunden um eine bewußte methodische und sehr tiefgehende Einwirkung auf den seelischen Habitus der Schüler. Alles, was wir von Pythagoras und seiner Schule wissen — mag dies auch wenig genug sein - deutet darauf hin, daß es sich bereits hier, wie später bei manchen hellenistischen Philosophenschulen, um eine philosophische Lehre gehandelt hat, die sich nicht darauf beschränkte, Naturphilosophie und Ethik in ein gemeinsames System einzubeziehen, sondern die darüber hinaus auf die Aneignung und Anwendung dieser Ethik in der Praxis abzielte. Der enge, sektenartige Zusammenschluß der Mitglieder dieser Schule legt beredtes Zeugnis ab, daß wir hier nicht einen akademischen Lehrbetrieb im modernen Sinne vor uns haben, sondern eine Lehr-, Lern- und Lebensgemeinschaft der Art, wie wir sie am reinsten ausgeprägt im Garten des Epikur wiederfinden 7 8 . Leider läßt uns die schlechte Überlieferungslage zu keiner ausreichenden Kenntnis der Seelenleitungspraxis des Pythagoras gelangen, und ich muß darauf verzichten, zum Streit der Meinungen auf diesem Gebiet Stellung zu nehmen 7 8 *. Wenn Delatte 7 9 mit seinen Untersuchungen über die άκούσματα, die kurzen, prägnanten Formulierungen pythagoreischer Lehren, recht behielte, so wäre es immerhin verlockend, in deren beiden Gruppen 8 0 die ersten Ansätze zu jener von Seneca im 94. 78 Vgl. z.B. die Rolle der Freundschaft in beiden Schulen. 78a Vgl. zur Frage der Akusmatiker und Mathematiker K. von Fritz, Mathematiker und Akusmatiker bei den alten Pythagoreern; vgl. femer W. Burkert, Weisheit und Wissenschaft, als neueste umfassende Studie zur pythagoreischen Frage. 79. A. Delatte, Etudes sur la litterature pythagoricienne. 80 Nach Delatte lassen sich die άκούσματα ihrem Inhalt nach in zwei grosse Gruppen einteilen: Die eine Cruppe will eine kurze Zusammenfassung der hauptsächlichsten philosophischen Lehren geben - in ihrer Intention etwa den κνριαι δόξαι des Epikur vergleichbar - die andere enthält Vorschriften für die Verhaltensweisen im täglichen Leben.
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Die Anfänge del Seelenleitung
und 95. Brief behandelten Zweiteilung der Philosophie in einen dogmatischen und einen paränetischen Teil 81 zu sehen, die die Unterweisungsgrundlage nicht nur für einige hellenistische und kaiserzeitliche Philosophenschulen gewesen ist, sondern auch im christüchen Bereich weitergewirkt hat8 2 . Ferner legen die interessanten Studien Detiennes8 3 die Auffassung nahe, daß der Heroenkult der Pythagoreer mit Herakles als zentraler Gestalt als einer der Ausgangspunkte des Zweiges philosophischer Paränese zu werten ist, der sich auf das Beispiel, das Bild des Weisen als verpflichtendes Exemplum, stützt 84 . Heros und θβϊος άνήρ in ihrer die Ebene der allgemeinen menschlichen Möglichkeiten übersteigenden Stellung münden in die Figur des stoischen Weisen ein, die Inkarnation eines philosophischen Ideals, das trotz seiner Abstraktion nichts von seiner verpflichtenden Kraft verliert. Bis hin zu Seneca bleibt es eine Hauptaufgabe der Paränese, das Bild dieses Weisen in immer neuen Hymnen zu singen, in unauflöslicher Verflechtung von Enkomion und Paränese, aber auch von Paränese und Dogmatik. Hier ist einer der Punkte, wo beide Teile eine Verbindung eingehen. Über die Art der philosophischen Begründung des ethischen Verhaltens, also den Inhalt des dogmatischen Teils der pythagoreischen Philosophie, sowie über das genaue Wesensbild des pythagoreischen Weisen sind wir aber in jedem Falle, selbst wenn wir uns auf die Hypothesen der genannten Autoren stützen, nur ungenügend unterrichtet. Es ist aber ohnehin wahrscheinlich, daß ein in allen Einzelheiten festumrissenes Weisenideal bei den alten Pythagoreern noch gar nicht existierte, finden wir doch auch rund 100 Jahre später bei Demokrit noch keine ganz klaren Vorstellungen darüber. Zwar ist der in der Vulgärethik in der Zeit des Theognis bereits
81 Vgl. oben S. 8 f. 82 A. Mehat, Les ordies d'enseignement chez Clement d'Alexandrie et Seneque, S. 354, weist im Logos paidagogos des Clemens den paränetischen und im Logos didaskalikos den dogmatischen Teil nach. Vgl. Clemens Alex., Paedag. I,lf.. 83 M. Detienne, Homere, Hesiode et Pythagoie; ders., Crise agraire et attitude religieuse chez Hesiode. 84 Detienne ist der Meinung (im ersten der genannten Aufsätze), dafi im Heroenkult der alten Pythagoreer eine Umwandlung der ursprünglich kriegerischen Qualitäten der Heroen in moralische stattgefunden habe. So seien z.B. in einer Homer-Anthologie einzelne Züge des Achill zusammengestellt worden, die sich durch entsprechende Exegese und Vergleich mit dem pythagoreischen Brauchtum gegenseitig zum Bilde des vollkommenen pythagoreischen Weisen ergänzten. In diesem Zusammenhang seien die von Diogenes Laertius (Diog.L.,VIII, 24) als altpythagoreisch zitierte Vorschrift: „Es soll zur Lyra gesungen werden, um das Leben der Götter und guter Menschen zu rühmen" und ferner die Bemerkung Jamblichs (Vita Pyth.,111), daß sich Pythagoras ausgewählter Stücke aus Homer und Hesiod zur Belehrung der Seele bediente, zu sehen. 85 Zur Sonderstellung auch des θείος άνηρ vgl. Detienne, Crise agraire et attitude religieuse chez Hesiode, S.37: „Dans certains milieux du debut du VI e siecle, le theios aner est un homme replie sur soi, un homme entraine ä une ascese de caractere spirituel; c'est un specialiste de Г а т е , un homme qui s'occupe davantage de son äme que de son corps. II se qualifie en tant qu 'homme divin dans la mesure oü il accomplit des actions extraordinaires, oil il fait preuve de comportements supra-normaux. Par exemple Aiistee et Abaris font figure d'envoy es des dieux parce que jamais on ne les voit manger ni boire, parce qu'ils vivent tres longtemps, parce qu'ils sont doues d'un don d'ubiquite, parce que, enfin, ils ont le pouvoir de delivrer l'äme des liens du corps. Bref, 1'homme divin du VI e siecle accomplit des actions qui transcendent la condition humaine. Son genie de vie et, notamment, les tabous auxquels il obeit, l'eloignent du commun des mortels: c'est un homme d'exception."
Sokiates
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durchbrechende Konflikt zwischen adeliger Mannestugend und äußeren Gütern 8 6 bei Demokrit klar dahin entschieden, daß das eigentliche Glück des Menschen in seiner Seele zu suchen sei8 7 . Demokrit begnügt sich auch nicht mehr mit dem Hinweis auf eine Gerechtigkeit, δικαιοσύνη, die bei Theognis als Charakteristikum der Arete 8 8 eine Mitgift adliger Geburt, bei Hesiod eine von den Göttern dem Dichter verliehene Gabe ist 8 9 , also mehr oder minder ein von außen bevorzugten Menschen Verliehenes darstellt, sondern er sucht ganz allgemein in der psychischen Struktur des Menschen nach einem möglichen Garanten des Glücks und findet ihn in der „Einsicht" 9 0 , aber worauf sich diese Einsicht beziehen soll, definiert er nicht näher. Dieser Mangel wird nicht nur auf die lediglich fragmentarische Überlieferung zurückzufuhren sein, die fiir uns ein möglicherweise von ihm stammendes Werk Περί της τού σοφού διαθέσεως 91 verloren sein läßt, sondern hat eher seinen Grund darin, daß eine Lösung dieser Frage erst nach einer genauen Besinnung auf die eigentliche Natur des Menschen, auf das aus dieser seiner Natur fiir ihn resultierende höchste Gut, zu erwarten war 9 2 . Sokrates war der erste, von dem wir wissen, daß er die damit zusammenhängenden Probleme in Angriff nahm. Trotz der Verschiedenartigkeit des Bildes, das wir von ihm aus den Schilderungen des Piaton, Aristophanes, Xenophon gewinnen, läßt sich doch dies eine mit Sicherheit sagen, daß er unablässig bemüht war, den Fragen nach dem Guten, nach der Tugend, nach der Glückseligkeit in kritischer Besinnung nachzugehen. Die Dringlichkeit dieser Fragen ergab sich für ihn nicht nur aus der Notwendigkeit, die von der griechischen Philosophie nun erkannte Problematik einer Lösung zuzuführen, sondern vor allem aus dem Bedürfnis, gegenüber den Gefahren einer schrankenlosen, alle sittlichen Maßstäbe relativierenden Rhetorik das Bewußtsein der Existenz unantastbarer Werte in seinen Mitmenschen wachzuhalten. Allerdings, von einem eigentlichen dogmatischen Teil der Philosophie kann bei Sokrates keine Rede sein, zumal seine Philosophie ihre besondere Prägung durch die bewußte Beschränkung auf ethische Fragen erhält. Das will zwar nicht heißen, daß sich Sokrates nicht bestimmte ethische Prinzipien aufzustellen bemühte, die durchaus die Kraft von Dogmen auszustrahlen in der Lage waren, aber bis zu einem in sich geschlossenen System war es noch weit, und in wie verschiedenen Richtungen die wenigen Grundsätze des Sokrates interpretiert werden konnten, zeigen die nachfolgenden Schulen, die, in ihrer geistigen Ausrichtung voneinander stark abweichend, sich doch alle seiner Person verpflichtet glauben: die Akademie Piatons, Kyniker, Kyrenaiker, Megariker.
86 Vgl. oben S. 11, Aran. 10. 87 Diels-Kranz, VS 11,68 B170: (ύδαψονίη ψυχής και κακοδαμονίη· Nr.171: εϋδαιμονό) ουκ. ίν βοοκήμασw οικεί ούδέ ev χρυσώι • ψυχή οίκητήρων δαίμονος. 88 Vgl. oben S. 11, Anm. 10. 89 VgL oben S. 10. 90 Diels-Kranz, VS 11,68 В 77: δόξα και πλούτος άνευ ξυυέσιος ουκ άοφαλέα κτήματα. Nr. 119: άνθρωποι τύχης ειδώλου έπλάσαντο -πρόφασιν Ι&ίης άβουλνης' βαια yäp φρονήσει τύχη μάχεται, τα δέ πλείστα ev βιωι ΐύξύνετος όξυδερκειη κατιθύνει. 91 Diels-Kranz, VS II, 68 Β 0 b . 92 Vgl. F. Kallfelz, Die Charakterkunde in der antiken Philosophie, S.86f..
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Ein solches „Dogma" der sokratischen Ethik ist die Identität von Tugend und Wissen 93 . Sokrates ist überzeugt, daß der, welcher das Schöne und Gute erkennt, ihm nicht zuwiderhandeln k a n n 9 4 . Aus dieser Überzeugung geht für ihn die Verpflichtung hervor, die sittlichen Begriffe zu untersuchen und das wahre Wissen von diesen Begriffen den Menschen zu übermitteln. Der Glaube an den „technischen" Charakter des Wissens und an seine Macht, an die Erlernbarkeit der Tugend, teilt er mit den Sophisten 9 5 , aber er gründet sein Tugendwissen nicht wie diese auf die δόξαι των πολλών, sondern untersucht den Wahrheits- und Seinscharakter jedes einzelnen sittlichen Phänomens, in vollem Bewußtsein der Tatsache, daß die Ergebnisse seiner Untersuchungen oft geradezu παρά δόξαν των πολλών sind 9 6 . Die unüberbrückbare Kluft zwischen der Meinung der kritiklosen Menge und der höheren Einsicht der Philosophen und ihrer Anhänger, die so stark in der Stoa und bei den Epikureern zutage t r i t t 9 7 , beginnt noch deutlicher sichtbar zu werden als bei den Pythagoreern. Ferner sind die Antakoluthie der Tugenden 9 8 , die Indifferenz der äußeren G ü t e r " - wohlbekannte stoische Themen - Grundsätze des Sokrates. Ob Sokrates jedoch als der Urheber der Gleichsetzung der Tugend mit dem, was fax Natur des Menschen gemäß ist, anzusprechen ist, bleibt ungewiß 0 Es ist möglich, daß Piaton selbst erst den für die hellenistischen Philosophenschulen so wichtigen, durch die Sophistik vorbereiteten ката φύσιν-Begfiif in die Philosophie einführte 1 0 0 , aufgrund seiner medizinischen Auffassung von „der Natur als Realität, die ihre eigenen Normen in sich t r ä g t " 1 0 1 . Bezeichnend aber für die im ganzen aporetische Situation des Sokrates ist seine von Xenophon 1 0 2 geschilderte Begegnung mit dem Sophisten Hippias. Hippias verlangt von Sokrates, er möge endlich einmal erklären, was das „Gerechte" beinhalte, statt immer nur zu fragen und zu widerlegen. Anstelle einer Antwort verweist Sokrates ihn auf sein Leben, d.h. mit anderen Worten, daß er nicht in der Lage ist, sein Wissen von der Gerechtigkeit positiv auszusagen, daß er aber sein Leben als von den Grundzügen der Gerechtigkeit beherrscht ansieht und daher als Beispiel, als Wegweiser, empfiehlt.
93 Z.B. bezeichnete er die ävSpeia als επιστήμη των δεινών: Aristot, EN 111,8,1116 B4ff. Vgl. die gleichlautenden stoischen Formulierungen SVF,III,262: ίνδρείαν δε επιστήμη» δεινών και ού δεινών και ουδετέρων (keyovaw oi Στοικοί) u. 111,265. Ubernaupt scheinen die stoischen Definitionen der einzelnen Tugenden auf einen schon von Sokrates erarbeiteten Katalog der Tugenden zurückzugehen. Das gleiche gilt Von der Katalogisierung der Affekte. Vgl. z.B. die sokratische Definition der Furcht: δέος yap ehai προο&οκίαν μέλλοντος κακού (= Plat., Laches 198В 8-9) mit der stoischen: metus opinio impendentis mali (SVF, 111,393; vgl. 111,386). 94 Vgl. Piaton, Apol. 25D-26A, Aristoteles, Magna Moralia 1187A7, Xenophon, Mem.III,9,4. 95 Vgl. oben S. 17." Kennzeichnend für den technischen Charakter sind die vielen Handwerksvergleiche bei Sokrates. 96 Die entgegengesetzte Auffassung der „Vielen" in Bezug auf den Satz πάς 'άκων αδικεί wird in Piatons „ S t a a t " 360 С von Glaukon vertreten: ούδε'ις εκών δίκαιος. 97 Vgl. die bekannten Paradoxa Stoicorum und die vor allem in den ersten Stadien der Seelenleitung von Stoikern und Epikureern ausgesprochene Mahnung, sich von dem Treiben der Menge zurückzuziehen. 98 Vgl. Plat., Laches 199 C-E. 99 Vgl. Plat., Symp. 216 D-E. 100 Vgl. Plat., Resp. IV,444 C-E: das der menschlichen Natur Gemäße ist die Arete, die sittliche Schlechtigkeit ist naturwidrig. 101 W. Jaeger, Paideia II, S. 391 Anm.48. 102 Xenophon, Mem. IV,4,9ff.
Normativer Charakter der antiken Seelenleitung
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Die Bedeutung des verpflichtenden Beispiels für die Seelenleitung der Antike tritt liier wieder einmal klar in Erscheinung, und gleichzeitig wird seine Grenzstellung oder seine Rolle als Verbindungsglied zwischen beiden Teilen der Philosophie, dem dogmatischen und dem paränetischen, deutlich. In der Lehre des Sokrates ergänzt es geradezu die erst in Ansätzen vorhandene Dogmatik, so wie umgekehrt das Weisenideal der hellenistischen Philosophenschulen nichts anderes ist als anschaulich gemachte Dogmatik, und der Charakter der Anschaulichkeit verweist das Beispiel in beiden Fällen wiederum in das Gebiet der Paränese 10 3 . Aus dieser wichtigen Funktion des Beispiels sowie der damit verbundenen Dogmatik, erhellt der starke normative Charakter der antiken Seelenleitung und daraus resultierend das Fehlen des im eigentlichen Sinne charakterologischen Moments, worin einer der Hauptunterschiede zur modernen Psychagogie104 zu suchen ist. Die heutige wissenschaftliche Psychagogie nimmt ihren Ausgangspunkt vom Charakter des Individuums, wobei unter „Charakter" nach Kalifelz die psychische Bedingung eines Inbegriffs von Maximen verstanden wird, unter dem das Verhalten eines Subjekts begriffen werden kann, oder einfacher ausgedrückt, die bleibende Eigentümlichkeit des Subjekts, die für sein Verhalten verantwortlich ist und sich darin dokumentiert. Daraus folgt, daß schon die Art und Entwicklungsmöglichkeit des individuellen Normbewußtseins von der charakterlichen Anlage abhängig ist, oder anders formuliert, daß die Höhe dder der Umfang der Zielsetzung des einzelnen Menschen für sein Handeln abhängig ist von seiner charakterlichen Anlage 10 6 . Die moderne Psychologie geht daher für jeden einzelnen Fall empirisch vor und hütet sich, das Individuum Normen zu unterwerfen, die außerhalb seiner selbst entwickelt wurden, seien sie religiöser Natur oder in philosophischer Ethik' erarbeitet; die krasse Anwendung dieser Methode fuhrt zu einer Verneinung der Verantwortlichkeit des Menschen. Beispiele dafür liefern moderne psychiatrische Gerichtsgutachten in Fülle. Sind wir heute an einer extremen Berücksichtigung der individuellen psychischen Struktur angelangt, so bietet uns die Antike das andere Extrem. Die medizinische Diätetik war zwar bemüht, ihre Präzepte auf die individuelle körperliche Beschaffenheit des Patienten abzustimmen, aber in der Seelenleitung fehlt ein solches Bestreben fast gänzlich 10 7 , und das nicht nur in der Zeit der Sophistik, sondern durchgängig. Ob Theognis seinem Kyrnos Verhaltensmaßregeln gibt oder Isokrates dem 103 VgL oben S. 24 und weiter unten S. 174 f. 104 Ich meine hiermit vorzugsweise die auf der Tiefenpsychologie basierende Psychagogie und Psychotherapie. Es soll jedoch nicht übersehen werden, daß auch heute bei einer dogmatisch fundierten Seelenleitung, z.B. innerhalb der katholischen Kirche, das normative Element seine Geltung behalten hat. 105 a.a.O. S.83. 106 Ansätze einer solchen Auffassung zeigt bereits Aristoteles, EN VI,12,1144 A 34, Übers-v.Dirlmeier: Dieser oberste Wert aber zeigt sich nur dem Blick des wertvollen Menschen, denn Minderwertigkeit des Charakters schafft Verwirrung und Täuschung über die Ausgangspunkte des Handelns. 107 P. Pachlatko, Die Stellung der Griechen zum Problem der Verschiedenheit der Menschen, S.72, weist mit Recht darauf hin, daß die medizinischen Theorien über die Ursachen der Verschiedenheit der Menschen kaum auf die Ethik eingewirkt haben: „Die medizinische Seite des Problems steht meist für sich und wird selten im Zusammenhang mit den beiden erstgenannten (seil, der ethischen und sozialen Seite) behandelt" Zum Thema der individuellen Veranlagung vgl. S. 29 ff. u. S. 153 f.
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Die Anfänge der Seelenleitung
Demonikos und Nikokles und in der Kaiserzeit Seneca Lucilius, immer bleibt die Persönlichkeit des Adressaten im Unbestimmten und entbehrt weitgehend der individuellen Züge 1 0 8 . Die antike Seelenleitung orientiert sich nicht an der besonderen psychischen Struktur des „Patienten", sondern an gewissen Normen für menschliches Verhalten, mögen diese nun aus den allgemeinen Vorstellungen erwachsen oder philosophisch begründet sein. Dieselbe Auffassung vom Menschen tritt uns in der Literatur in einem Genus entgegen, das besonders geeignet ist, uns einen Einblick in die antike Auffassung vom Individuum zu vermitteln: in der Biographie. Denn auch diese als ein literarisches Genus, das sich die Darstellung einer individuellen Persönlichkeit zum Ziel gesetzt hat, verfährt, ebenso wie die Personencharakteristik der Historiker, generalisierend, wie u.a. Hans Drexler 109 an Beispielen von Xenophon bis hin zu Tacitus nachgewiesen hat. Die Schilderung und Beurteilung einer Person erfolgt nach einem festen Normenschema, sozusagen anhand eines Kanons von sittlichen Werten und Unwerten. Drexler beschreibt das antike Verfahren der Persönlichkeitsschilderung wie folgt 1 1 0 : „So wäre denn also der Charakter des Menschen einem Schulzeugnis zu vergleichen, in dem die Stelle der Fächer Tugenden und Laster einnehmen. In jede einzelne Rubrik wird eine Zensur eingetragen, und diese Zensuren wiederum können zu einem Gesamtprädikat zusammengezogen werden. Individualität ist demnach nichts anderes als Verschiedenheit in den einzelnen Zensuren und im Gesamtprädikat, ein verschiedenes Mischungsverhältnis von Tugenden und Lastern, d.h. von generellen Eigenschaften. Dies aber kann unmöglich das Wesen der Individualität sein." Grundlage und Ziel einer solchen Art von Charakteristik ist immer die Norm, was ein Satz aus Xenophons Biographie des spartanischen Königs Agesilaos deutlich zum Ausdruck bringt 1 1 1 : „ ,Wenn Lot und Richtschnur eine schöne Erfindung des Menschen sind, um ein Bauwerk senkrecht auszuführen, dann scheint mir die Vortrefflichkeit des Agesilaos ein Beispiel zu sein fur die, welche die Tugend zu üben wünschen.' Dieser Satz verrät, worauf es Xenophon ankommt: nicht auf das Individuelle, sondern auf das Generelle, auf die allgemeine sittliche Regel und Norm, die uns alle verpflichtet und der wir nahe zu kommen haben. Und wenn sich Agesilaos von anderen Menschen unterscheidet, dann nur insofern, als er jene Norm in einzigartiger Weise verwirklicht hat." Der exemplarische Charakter der antiken Biographie ist aus den Worten Xenophons deutlich erkennbar, wie er auch von Plutarch bestätigt wird 1 1 2 , und in diesem Punkte berührt sie sich mit der Ethologie, dem Teil der von Seneca erwähnten präzeptiven Seelenleitung, der sich die Beschreibungen von Tugenden und Lastern zur Aufgabe gesetzt hat. Im Grunde ist eine solche phänomenologische, aller romanhaften Züge entkleidete Monographie über eine Tugend oder ihr Gegenteil, wie wir sie in Senecas De const, sapientis, De tranquillitate animi oder De dementia finden, nichts anderes 108 VgL unten S. 175 unten. 109 H. Drexler, Die Entdeckung des Individuums. Probleme antiker Menschendarstellung. Vgl. auch Wolf Steidle, Sueton und die antike Biographie, der ebenfalls auf S. 113 feststellt, daß „kein antiker Mensch . . . individuellpsychologisch charakterisiert", sowie A. Dihle, Studien zur griechischen Biographie, S.28, S.34 u.SS.76-87. 110 A.a.O. S. 384. 111 Ich zitiere im Folgenden H. Drexler, a.a.O. S.384. 112 Vgl. Hut., Aem.l.
Fehlen des charakterologischen Moments
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als die konsequente Weiterführung der bei Xenophon ausgesprochenen Tendenz, Leitbilder der Tugend zu v e r m i t t e l n 1 1 3 . Die hohe Geltung des exemplum, des verpflichtenden Beispiels, in der Antike und vor allem auf dem Gebiet der Seelenleitung, erklärt sich nur aus dem Vorhandensein eines starken sittlichen Normbewußtseins. So sind auch die „Charaktere" des Theophrast keine charakterisierenden Darstellungen von Individuen, wie man in der modernen Auffassung des Begriffs „Charakter" dem Titel nach vermuten könnte, sondern Schilderungen von Typen, so realistisch und differenziert sie auch in den Einzelzügen gehalten sein m ö g e n 1 1 4 , von Typen, wie sie ebenfalls die etwa gleichzeitige Neue Komödie herausbildet und die in irgendeiner Weise jenseits der Norm stehen. Das Fehlen des im modernen Sinne charakterologischen Moments in der antiken Seelenleitung beruht also, wie wir gesehen haben, auf einer in der Antike weit verbreiteten Einstellung dem Einzelmenschen gegenüber 1 1 5 . Das bedeutet jedoch nicht, daß, wie Drexler annimmt, „die Antike das Individuum nicht e n t d e c k t " hätte. Wenn Drexler den normativen Zug in der Menschendarstellung sowohl an der antiken Biographie hervorhebt wie auch in der bildenden Kunst, in der das Porträt erst ziemlich spät eine Rolle zu spielen beginnt und selbst dann noch überwiegend idealisierend gehalten ist, so hat er im großen und ganzen recht. Aber man muß sich daneben auch den Blick freihalten für Erscheinungen wie das durchaus individuelle römische Porträt, von dem Drexler selbst sagt, daß sein Vorhandensein ein ungelöstes Problem für ihn d a r s t e l l t 1 1 6 , ferner für die ganz deutliche Beachtung individueller Unterschiede in der antiken M e d i z i n 1 1 7 , die zum Ausbau der Temperamentenlehre und der Physiognomik führte, so daß es doch eine zu starke Vereinfachung bedeuten würde, die Dinge so zu sehen wie Drexler. Man kann nur konstatieren, daß alle diese Ansätze zu einer „differentiellen Psychologie", um den entsprechenden modernen Terminus zu gebrauchen, auf die antike philosophische Ethik kaum eine Auswirkung gehabt h a b e n 1 1 8 , die ihre Systeme auf dem Fundament des „Gattungsbegriffes Mensch" aufbaut und von dorther ihre Normen gewinnt 1 1 9 . 113 Vgl. Sen., Ер.95,65-66. 114 Vgl. Μ. Landmann, Elenktik und Maieutik, S.93f.: „Theophrast will nicht Menschen so, wie sie wirklich sein könnten, in ihren wesentlichen Besonderheiten darstellen. Vielmehr sind, was er darstellt, nicht so sehr Charaktere als nur Charaktereigenschaften. . . Ja genau genommen handelt es sich nicht einmal um einen herausgegriffenen Zug an einem lebendigen Menschen, sondern nur um künstliche Häufung immer wieder desselben Zuges auf ein quasimenschliches Substrat. Was damit gewonnen wird, ist aber immer nur ein schärferes Erfassen dieses Zuges als solchen." 115 Vgl. W. Jaeger, Paideia II.S.64, der ebenfalls betont, daß.„der Blick für Menschen und menschliche Eigenschaften ebenso wie das Leben selbst völlig der Herrschaft des Typischen unterworfen" ist. 116 Drexler, a.a.O. S. 3 9 8 u. S. 390, Anm. 2. 117 Die medizinische Begründung der individuellen Verschiedenheiten beruhte in der Hauptsache auf der Elementenlehre des Empcdokles: Das Mischungsverhältnis der 4 Elemente, aus denen der menschliche Körper besteht, bestimmt seine individuelle Beschaffenheit. Vgl. Diels-Kranz, VS 1,31, A 86. 118 Eine Ausnahme stellt wieder Aristoteles dar, von dem W. Jaeger (Paideia II,S.36) sagt, daß es eins der größten Probleme seiner Ethik gewesen sei, „wie die Norm, die doch allgemeiner Natur ist, auf das Leben des Individuums und auf den Einzclfall angewandt werden kann". In seiner Nikomachischen Ethik unterscheidet er unter ausdrücklicher Berufung auf die Medizin zwischen Individualerziehung und Gemeinschaftserziehung: X , 9 , l 180 В 7ff. fleh zitiere die Übers, von Dirlmeier): „Überdies ist die Einzelerziehung der öffentlichen
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Die Anfänge der Seelenleitung
Wenn man aber auf diese Diskrepanz zwischen Medizin und Ethik hinweist, was o f t geschehen i s t 1 2 0 , so müßte man m.E. diese Feststellung noch in zweierlei Hinsicht ergänzen: 1) Auch auf dem Gebiete der antiken Medizin ist die Frage der individuellen menschlichen Verschiedenheit durchaus nicht einheitlich entschieden, besonders, sofern man sich vom Gebiet der körperlichen Beschaffenheit dem seelischen Bereich zuwendet. Daß die körperliche Verschiedenheit soweit geht, daß kein Organismus dem anderen gleicht und daß man daher auch nicht in allgemeingültiger Weise eine Lebensart als die beste empfehlen kann, wurde in den medizinischen Schriften vom Hippokratischen Corpus an bis hin zu Galen immer wieder b e t o n t 1 2 1 , da auf empirischem Wege gewonnenes Material zur Genüge zur Verfügung stand. Dennoch erscheint, da man nicht alles bis in die Unendlichkeit der variablen Einzelfälle auflösen kann, bereits im Hippokratischen Corpus der „Begriff von Arten (είδη) der menschlichen Natur, der Gestalten, Veranlagungen, Krankheiten u s w . . . 'Eidos' bezeichnet zunächst die Form, weiterhin die sichtbaren Form-Merkmale einer Gruppe von Individuen im Vergleich mit denen einer anderen Gruppe. Es wird aber alsbald auf alle irgendwie feststellbaren gemeinsamen Züge jeder Mehrheit verwandter Phänomene ausgedehnt und erhält so die Bedeutung Typus oder A r t . " 1 2 2 Daneben begann sich sogar eine ganz e x t f e m e Richtung der Medizin zu entwickeln, die als „Hypothesenmedizin von allgemeinen Prinzipien ausgeht und zu Spekulationen nach Art der Naturphilosophen neigt" 1
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überlegen: auch bei der Heilkunst ist es so. Im allgemeinen nämlich ist dem Fieberkranken Ruhe und Enthaltung von Speisen zuträglich, im Einzelfall aber vielleicht nicht, und auch der Boxlehrer läßt nicht alle seine Schüler dieselbe Kampfesart üben. Man darf also annehmen, daß es auf eindm Einzelgebiet zu schärferer Profilierung kommt, wenn die Fürsorge individuell ist; denn der einzelne gelangt dabei leichter zu dem, was zweckdienlich ist." Vgl. auch den Einfluß des medizinischen Meson-Begriffes auf seine Ethik. Hierzu Wehrli, Ethik und Medizin . . . Vgl. die Oikeiosislehren der hellenistischen Philosophenschulen (z.B. in der Darstellung Ciceros der Oikeiosislehren der epikureischen [De fin. 1,30; 11,31], stoischen [De fin. 111,16; IV,34] und akademisch-peripat [De fin. IV,16; V,24] Schule). Auch im Neuplatonismus ist es im allgemeinen die immanente Gattung, die das Individuum vollendet, oder anders ausgedrückt, das Individuum wird durch die Gattung vollendet. Vgl. P. Pachlatko, Die Stellung der Griechen zum Problem der Verschiedenheit der Menschen, S. 72: zitiert: S. 27, Anm. 107. Vgl M. Landmann, Elenktik und Maieutik, S. 98. Vgl. die Schrift Περί διαιτης im Corpus Hippocraticum l,c.2: Als erste Voraussetzung für die Abfassung eines guten Traktats über die Diät muß man die Wirkungen aller Nahrungsmittel, der gymnastischen Übungen, der Witterungs- und lokalen Einflüsse kennen etc.. Aber auch dieses alles reicht nicht aus: ei μεν yap ην ευρετόν επί τούτοισι προς έκαστην φύσιν σίτου μέτρον και πόνων άριϋμός σύμμετρος μη 'έχων υπερβολή ν μήτε έπι το πλέον μήτε έπι το έλασσον, ευρητο αν ή ύγείη το taw ίαΌρωποιαιν άκρφώς • Nö» 6ε τα μεν προειρημένα πάντα εΰρηται, όκοΐά έστί, τούτο δε άεύνατον εύρεϊν. Ei μεν ούν παρείη τις και όρψη, -γινώσκοι αν τον ανθρωπον εκΒύνοντα τε και ev τοϊσι -γυμνασίοιοι -/υμναξόμενον, ωστε φύλασσειν ν-γιαίνοντα, των μεν άφαφέων, τοίσι δε προστιϋείς · μη παρεόντι δε άδύνατον ύποθέσθαι ές άκρφείην οιτα και πόνους • Vgl. Galen, De sanitate tuenda II,с. 1: ωσπερ αυτών των σωμάτων έδείχθη παμπόλλη τις ούσα διαφορά κατά τον αυτόν τρόπον παϊ των βίων, οϋς βιούμεν, ε'ίΐδη πάμπολλα εστίν. OUKOUV εγχωρεί την αρίστην τοϋ σώματος έπψέλειαν έν απαντι τώ προχειρνσθέντι βίω συστήσασθαц άλλα την μεν ώς εν εκάστψ βελτίοτην oäv τε, την δ' άπλώς άρίστην ούκ έγχωρει κατά πάντας τους β'ιους ποιήσασθαι. (* S. 38,9 ff., Koch). Vgl. W. Jaeger, Paideia II, S.30. Vgl. A. Lesky, Gesch. d. griech. Lit. 1 , S. 463. Die Schrift „Über die alte Medizin" nimmt gegen diese Richtung Stellung.
Das chaiakterologische Moment in der antiken Medizin
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Dagegen war es von vornherein unmöglich, die Frage nach der Natur der Seele anders als auf spekulativem Wege anzugehen, sofern man sich überhaupt damit befaßte, und dies geschah dann wieder meist unter Zuhilfenahme irgendeines der philosophischen Systeme 124 . Interessant ist es jedenfalls, gelegentlich in der medizinischen Literatur Hinweise dafür zu finden, daß man bei der Erörterung der individuellen Verschiedenheiten und ihrer Entstehung zwischen Körper und Seele unterschied: So verfährt z.B. der Verfasser der Schrift „Über Diät" im Hippokratischen Corpus (auf den zudem „die überwältigende Mehrheit aller Erwähnungen des Wortes „Seele" in den hippokratischen Schriften entfällt, in denen es sonst begreiflicherweise nur ausnahmsweise vorkommt" 12 5 ): „Es kann aber Weibliches und Männliches aus dem Grunde zusammentreten, weil beides in beiden (Eltern) ernährt wird, und weil die Seele bei allen beseelten Wesen dasselbe ist, während sich der Körper eines jeden einzelnen Wesens von dem jedes anderen unterscheidet. Die Seele ist also immer ähnlich, sowohl bei den Größeren als auch bei den Kleineren, denn sie wird weder auf natürlichem Wege, noch durch gewaltsamen Eingriff verändert. Der Körper aber ist bei keinem jemals derselbe, weder von Natur, noch durch einen gewaltsamen Eingriff, denn er wird einerseits in alles aufgelöst, andererseits mischt er sich mit allem." 126 Der Verfasser der Schrift „Über Diät" sieht die Seele als körperlich an, aber als von außen in den Körper eintretend und ebenso nach gewisser Zeit wieder ins Ungewisse verschwindend12 7 . Daß aber auch die Auffassung von der Seele als unkörperlicher Substanz im Sinne Piatons ihre qualitative Unterschiedslosigkeit nahelegte, bezeugt Galen 1 2 8 , Wir sehen also, daß sich auch innerhalb der antiken Medizin Tendenzen finden, wie sie Landmann 12 9 bei Piaton bemerkt, nämlich „individuelle Momente der Seele nicht nur unbeachtet zu lassen, sondern sogar
124 So gipfelt die Pseudo-Galenische Schrift Πώς έμψυχοϋται τα έμβρυα ausdrücklich in dem Bemühen, die Lehre Piatons als wahr zu erweisen, daß die Seele von außen in den Körper eintritt und folglich die Seele des Kindes nicht von den Eltern herkommen k a n a Vgl. K. Kalbfleisch, Die neuplatonische, fälschlich dem Galen zugeschriebene Schrift Προς Γ σύρου nepi του πώς έμψυχοϋται τα έμβρυα, S. 36,9. 125 Vgl. W. Jaeger, Paideia, II,S.51f. In dieser Tatsache sieht Jaeger u.a. einen Anhaltspunkt fiir die Spätdatierung dieser Schrift, weil die Seele den Griechen in dieser wissenschaftlich-theoretischen Form nicht vor dem 4. Jh. zum Mittelpunkt des Denkens geworden war. 126 Ich zitiere die Übersetzung der Schrift .„Über Diät" von R. Fuchs in: Hippokrates, sämtliche Werke ins Deutsche ü b e r s e t z t . . , I, Kap. 28. Der Verfasser sieht eine gewisse Differenzierung der Seele nur in ihrem jeweils männlichen oder weiblichen Prinzip, aus deren drei verschiedenen Möglichkeiten des Zusammentretens im Kinde drei Typen von Frauen und Männern resultieren. ч ( 127 Vgl. Περί δι«της, I,c.7: Έσέρπει δέ ές άνθρωπου ψυχή · -πυρός καΐ ΐίδατος ξυγκρησιν έχουσα, μοίρα υ σώματος άνθρωπου • I,c.29: Die menschlichen Seelen werden hier mit brennenden Kohlen verglichen: όκόταυ δ' άναλώσωσι την ύπάρχουοαν τροφή ν, διακρίνονται ές τό άδηλου · τούτο και άνθρωπίνη ψυχή πάσχει. 128 Vgl. Galen, "Οτι ταϊς той σώματος κράσεσιν αϊ της ψυχής δυνάμεις έπονται, С.З, 776: έν μεν yap σώμασί ye τάς κράσεις ορώ πάμπολύ те διαφερούσας άλλήλων και παμπόλλας οίίσας · Ιισωμάτου δ'ούσίας αύτης καθ' εαυτηυ είναι δυναμένης, ουκ οΙΙσης δε ποιότητος ή ειίίους σώματος οΰδεμΐαν ίπιυοώ διαφοραν καίτοι πολλάκις έπισκεψάμειχ>ς те καί {"ητήσας επιμελώς. . . 129 Vgl. Μ. Landmann, a.a.O.S.98 und weiter unten: „Nicht zwar etwa, daß die Seelen nach ihm, wie nach manchen, nur Funken einer universalen und einzigen Weltseele wären. Quantitativ vielmehr sind sie von vornherein individuiert, aber sie sind es nicht qualitativ. Wie nach andern alle Seelen sündig und somit vor Gott gleich sind, so sind sie nach Piaton ursprünglich alle göttlich und somit ebenfalls gleich. Das Individuelle ist erst dadurch in die
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Die Anfänge der Seelenleitung
zu leugnen". Die Konsequenz einer solchen Anschauung ist es natürlich, alle individuellen Unterschiede vorwiegend dem Gebiet des Körperlichen zuzuweisen, und ζ. B. die Verschiedenartigkeit der Temperamente durch das Mischungsverhältnis der Körpersäfte bedingt sein zu lassen oder gewisse charakterliche Veranlagungen auf das gegenseitige Mengenverhältnis der vier Elemente im Körper zurückzufuhren, was im Endeffekt auf dasselbe hinausläuft, wie wenn man mit dem größten Teil der Mediziner der Seele keine Eigenexistenz zubilligt und sie etwa als Harmonie der Mischungsverhältnisse der vier Körpersäfte oder körperbildenden Elemente ansieht. Entscheidend sind in beiden Fällen die körperlichen Funktionen für das individuelle Charakterbild des Menschen 13 0 . 2) Die zweite, wichtigere Ergänzung betrifft das Gebiet der Ethik selbst. Wenn Piaton im Protagoras-Mythos ausdrücklich auf die gleichartige Veranlagung aller Menschen zur Tugend hinweist 1 3 1 , und wenn die Stoa diesen Grundsatz zum Fundament ihrer Ethik macht 1 3 2 , so bedeutet diese Tatsache für sich genommen noch keineswegs, daß die Voraussetzung dafür das Nicht-Erkennen oder Nicht-Beachten individueller psychischer Unterschiede sein müßte. Zumindest im Falle der Stoa läßt sich das Gegenteil erweisen.,Sie unterscheidet von Anfang an deutlich die „zwei Naturen" des Menschen, seine auf eine übergreifende, göttliche Naturgesetzlichkeit bezogene „Logos-Natur", aus der sich sein Normbewußtsein und die daraus resultierende angeborene Tendenz zur Wertung 1 3 3 herleitet, und seine individuelle Natur. Ich zitiere statt der kurzen Formel des Chrysipp 1 3 4 die etwas längeren, nach der communis opinio auf Panaitios zurückgehenden Ausführungen Ciceros in De off., 1,107 ff. Cin der tÜbersetzung von K. Büchner): „Man muß auch erkennen, daß wir von der Natur gleichsam mit zwei Rollen betraut worden sind. Die eine von ihnen ist gemeinsam, daher, daß wir alle teilhaben an der Vernunft und dem Vorrang, durch
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Seelen gekommen, daß zugleich die Schlechtigkeit in sie kam: wie dieser Wandel sich vollzog, wieso aus dem urspxünglichen Zustand der Seele der faktische sich entwickeln mußte, ist eine Frage, auf die Piaton nie eine befriedigende Antwort gefunden hat." Dies zu beweisen ist das Ziel von Galens Schrift "Ort ταϊς τον σώματος κράσεσιν αϊ τής ψυχής δυνάμεις έπονται. Platon, Protagoras 322 С -324 С. Näheres hierzu im nächsten Kapitel S. 76 und in dem Abschnitt über „Die Bedeutung von Veranlagung und U m w e l t . . S . 153. Die Bildung der sittlichen Begriffe wird ausführlich in der stoischen Oikeiosislehre behandelt. Eine wesentliche Rolle spielt dabei die Erfahrung, die aber nur wirken kann, weil die Voraussetzung zur Bildung ethischer Begriffe dem Menschen von der Natur als Anlage gegeben ist. Vgl. Plutarch, Stoic.Rep.l7=SVF,III,69: τον περί ί-γαθών και κακών Xöyov öv ούτος (Χρύσιππος) ewayet, . . μάλιστα των εμφύτων απτεσθαι προλήψεων. Plutarch, Comm.Not 1070 С: Chrysipp widerspricht den κοινοί εννοιαι: και ταύτ' εν τοις περί άγαθών και κακών αιρετών τε και φευκτών οικείων τε και άλλοτρίων, α μάλλον 'έδει θερμών [re] και ψυχρών λευκών τε και μελάνων σαφεστέραν 'ε'χειν την iväpyeiav • έκείνων μεν yap έξωθεν eloiv at φαντασίαι ταϊς αϊσθησεσιν έπειαοδιοι, ταύτα δ' έκ τών άρχών τών iv τ/μίν σύμφυτου εχει την yiveaiv. „Die 'έμφυτοι προλήψεις sind also keine angeborenen Ideen; sie sind aber auch nicht einfach mit den naturhaft sich entwickelnden Prolepseis gleichzusetzen; Sie bilden unter diesen eine eigene Gruppe, die sich von den übrigen dadurch unterscheidet, daß sie nicht aus der äußeren Erfahrung stammt, sondern aus dem Erlebnis unseres Ich. So können diese Begriffe 'die in unserer Natur mitgegebenen' heißen" = Pohlenz, Die Stoa I, S.58. Vgl.Diog.L.,VII,89=SVF,111,4: φύοιν δε Χρύσιππος μεν έξακούει, ή Ακολούθως δει ζην τήν τε κοινην και Ι&ίως την ανθρωπίνων.
Allgemeine Natur und individuelle Natur
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den wir vorden Tieren herausragen, von dem sich alles Ehrenvolle und Schickliche leitet und aus dem die Methode, das rechte Handeln zu finden, entwickelt wird. Die andere aber ist die, die einem jeden eigentümlich zugewiesen ist. Wie nämlich in den Körpern große Verschiedenheiten sind, wir die einen durch Schnelligkeit zum Lauf, die andern durch Körperkraft zum Ringen stark sehen und ebenso den Gestalten teils Würde, teils Anmut innewohnen, so treten in den Seelen noch größere Verschiedenheiten auf.... So sehr wie möglich aber muß jeder an dem Seinen, nicht dem Fehlerhaften, aber doch dem Eigentümlichen festhalten, da damit um so leichter jenes Schickliche, was wir suchen, innegehalten wird. So nämlich muß man es machen, daß wir nichts gegen die allgemeine Natur 1 3 5 anstrengen, unter ihrer Bewahrung jedoch unserer eigenen folgen , . . " 1 3 6 Das Individuelle ist also wohl erkannt, nur hat es sich der überindividuellen Norm zu beugen, die nicht zu Gunsten des Individuellen verletzt werden darf. Nur in diesem Sinne, d.h. um zu erkennen, wieweit die individuelle Grundbeschaffenheit des einzelnen von der zu erstrebenden Norm abweicht, welche Entwicklungsmöglichkeiten sie im Hinblick auf diese Norm b i e t e t 1 3 7 und welche methodischen Ansatzpunkte damit gegeben sind, wird die Physiognomik in der antiken Seelenleitung verwendet oder die Aufnahme neuer Schüler von einem Prüfungsgespräch abhängig gemacht. Eine solche Eignungsprüfung finden wir für Pythagoras 1 3 8 und in aller Ausführlichkeit für Sokrates und Seneca b e z e u g t 1 3 9 , und es ist nicht nötig, in dieser Tatsache einen Widerspruch zu der gerade von diesen beiden 135 Ich folge in meiner Auffassung des Begriffs „universa natura" P. Boyance, Le stoi'cisme ä Rome, S.226f.: „Le sens ä donner ä cette dernierc notion reste tres controversy dans les derniers travaux. Pour les uns, Panetius, fidele ä l'ancien stoicisme, entend par la la loi de raison gouvernant le monde. Pour les autres, il s'agit de la nature humaine en general, en face des natures particulieres aux divers individus, en face de la nötre. Pour ma part j e penserais volontiere que les premiers ont raison." Ich verweise besonders auf Anm.2,S.227 des genannten Aufsatzes von Boyance. Meinerseits möchte ich noch eine Seneca-Stelle ( E p . 1 2 4 , 14,zitiert auf S. 100, Anm. 13) zum Vergleich heranziehen, die m.E. keinen Zweifel mehr über die Interpretation von „universa natura" aufkommen l ä ß t , der diesmal die „Naturen" der einzelnen beseelten Seinsstufen (Pflanze, Tier, Mensch) gegenübergestellt sind. Die „eigene Natur" (sua natura) enthält die beiden Aspekte der Gattungsnatur und der individuellen. Der letztere Gesichtspunkt tritt bei Seneca u.a. in De tranqu.an. 6 , I f f . (vgl. unten S. 153 f., Anm. 50, 2. Zitat.) hervor. 136 Ganz ähnlich wird der epikureische Standpunkt von Lucrez formuliert (III,307ff.): 307 . . . quamvis doctrina politos constituat pariter quosdam, tarnen itla relinquit naturae cuiusque animi vestigia prima 314
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. . . differre necessest naturas hominum varias moresque sequacis.
illud in his rebus video firmare potesse, usque adeo naturarum vestigia linqui parvola, quae nequeat ratio depellere nobis, ut nihil inpediat dignam dis degere vitam. 137 Über die Bedeutung der individuellen Veranlagung für die Aussichten der Seelenleitung in der Sicht der Stoa, speziell Senecas, ausführlich weiter unten S. 153 ff. 138 Für Pythagoras, der der Erfinder der Physiognomik genannt wird, vgl. Jamblich, Vita Pythag. 17,71. 139 Für Sokrates vgl. Aristophanes, Wolken 476ff. Vgl. Ed. des Places, Direction spirituelle, Sp. 1 0 0 5 . Für Seneca vgl. Epp. 25 u. 29. Darüber ausführlicher unten S. 172.
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Die Anfänge der Seelenleitung
letztgenannten Seelenleitern konsequent vertretenen Meinung zu sehen, daß alle Menschen die gleiche Veranlagung zur Tugend in sich tragen 1 4 0 . In stoischer Sicht kann die naturgegebene Anlage zum ethisch Guten durch schlechte Gewohnheiten so überdeckt werden, daß sie in extremen Fällen nie mehr ganz zum Durchbruch gelangen k a n n 1 4 1 . Mit solchen Fällen pflegt sich ein Seelenleiter nicht aufzuhalt e n 1 4 2 . Die Berücksichtigung individueller Verschiedenheiten spielt also eine gewisse Rolle bei der Auswahl der Schüler und im ersten Stadium der Seelenleitung; mit fortschreitendem Unterricht tritt das individuelle Element zurück, um dem Appell an die überindividuellen Normen, an die universa natura, Platz zu machen. So wenden sich Senecas Schriften an die verschiedensten Adressaten, ohne aber auf diese als individuelle Persönlichkeiten mehr als nur lose bezogen zu sein. Das Gleiche gilt für die Briefe Epikurs, wie überhaupt für die uns erhaltene einschlägige antike Literatur 1 4 3 . Zusammenfassend läßt sich also sagen, daß innerhalb der antiken Seelenleitung ein starker normativer Zug festzustellen ist, der — bereits in der Frühzeit bei den alten Pythagoreern und in der Vulgärethik erkennbar — über Sokrates und Piaton in die Stoa einmündet. Dieser Zug prägt sich, wie wir gesehen haben, auch in anderen Zweigen des antiken geistigen und kulturellen Lebens stark aus. Dieser Faktor bedingt einerseits sowohl die starke Geltung des Beispiels, des Exemplum, das in beiden Teilen der Philosophie oder Seelenleitung, dem paränetischen wie dem dogmatischen, eine führende Rolle spielt, wie die Ausbildung eines dogmatischen Teils überhaupt, andererseits das Fehlen des im eigentlichen Sinne charakterologischen Moments. Dieser Tatbestand läßt sich aber nicht damit erklären, daß das Individuum als solches in der Antike nicht erkannt worden wäre, sondern beruht eher auf einer Minderbewertung des Individuums gegenüber einer alles umfassenden und alles gleichermaßen verpflichtenden, auf kosmischer Gesetzlichkeit beruhenden N o r m 1 4 4 , eine Minderbewertung, die allerdings oft nahe an Nichtbeachtung heranreicht. *
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140 Bezeichnend für die untergeordnete Rolle, die man in Bezug auf die Erreichbarkeit der Tugend 4er individuellen Veranlagung zumaß, ist u.a. folgende Sokrates-Anekdote: Cie., Tusc. IV,80: Qui autem natura dicuntur iracundi aut misericordes aut invidi aut tale quid, ei sunt constituti quasi mala valetudine animi, sanabiles tarnen, ut Socrates dicitur. Cum multa in conventu vitia conlegisset in eum Zopyrus, qui se naturam cuiusque ex forma perspicere profitebatur, derisus est a ceteris, qui ilia in Socrate vitia non agnoscerent, ab ipso autem Socrate sublevatus, cum ilia sibi insita, sed ratione a se deiecta diceret. Die gleiche Anekdote erwähnt: Cie., De fat.5.10. Vgl auch Marc Aurel V,5; zitiert unten S. 156, Anm. 58 sowie die dortigen weiteren Zitate. 141 Vgl. weiter unten das Kapitel „Die Bedeutung von Veranlagung und Umwelt." 142 Vgl. Sen., Ep.29,3: „Sapientia ars est: certum petat, eligat profecturos, ab is, quos desperavit, recedat, non tarnen cito relinquat et in ipsa desperatione extrema remedia temptet." Vgl. weiter unten S. 171. 143 Höchstens auf dem Gebiete der Trostliteratur tindet sich in eewa ein Eingehen auf die personlichen Umstände des Adressaten, was z.T. auf die Materie selbst zurückzuführen ist (die Trostgründe müssen sich ja den Arten des Verlustes entsprechend - je nachdem ob es sich um den Tod eines Vaters, der Mutter, eines Kindes etc. handelt - verschieden gestalten), z.T. darauf zurückgeht, daß diese Art Schriften fast durchweg an Laien gerichtet sind, also ein Anfangsstadium der Seelenleitung bezeichnen. 144 Für Epikur sind zwar die ethischen Normen nicht unmittelbar naturgegeben, wie für Sokrates, Piaton und die Stoa, sondern konventionell, jedoch sind sie sozusagen ein notwendiges
Paränetik und Dogmatik bei Piaton
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Meine bisherigen Ausführungen hatten das Ziel, die von Seneca genannten beiden Teile der Philosophie, den paränetischen und den dogmatischen, bis zu ihren ersten nachweisbaren Spuren zurückzuverfolgen. Es ist jedoch in der Geschichte der antiken philosophischen Seelenleitung keineswegs immer leicht, diese beiden Teile sauber voneinander zu trennen. Diese Schwierigkeit, die uns bereits bei der Behandlung der Funktion des verpflichtenden Beispiels innerhalb der Seelenleitung begegnet ist 14 5 , tritt schließlich bei den Werken Piatons mit aller Deutlichkeit ans Licht. Die moderne Interpretation der Dialoge Piatons pflegt z.T. von den berühmten Stellen im 7. Brief Piatons und im Phaidros auszugehen, in denen Piaton das mündliche Gespräch als die allein gültige philosophische Methode und die schriftliche Mitteilung als zur wirklichen Belehrung ungeeignet bezeichnet 14 6 . Welchen Platz nehmen diesen Äußerungen zufolge seine schriftlich fixierten Dialoge ein? Bleiben die wahren philosophischen Erkenntnisse dem mündlichen Unterricht vorbehalten und sind die Dialoge nur als protreptisch, als zur eigentlichen Philosophie lediglich hinführend, anzusehen? Oder sind sie doch Nachahmung eines echten Lehrgespräches 147 ? Es ist im Rahmen der vorliegenden Arbeit weder möglich noch notwendig, innerhalb dieser Diskussion Stellung zu beziehen, die das Verhältnis von esoterischer und exoterischer Lehre in den Dialogen Piatons bestimmen will. In dem gegebenen Zusammenhang ist es nur wichtig zu untersuchen, ob und wie sie dem Charakter einer Philosophie, die sich als Seelenleitung versteht, gerecht werden. Die gründlichste Untersuchung der Funktion des platonischen Dialogs und seiner wichtigsten, schon von W. Jaeger1 ^festgestellten Elemente, der Elenktik und der Paränese, hat m.E. K. Gaiser 14 9 angestellt. Er geht dabei aus von einem Vergleich des Logos Sokratikos mit der sophistischen Werberede und weist nach, daß die platonischen Dialoge „im ganzen nach Form und Aufbau" mit diesem sophistischen Logos Protreptikös verwandt sind 150 . Von diesen formgeschichtlichen VorausSetzungen aus wendet er sich der Deutung der Funktion des platonischen Dialogs in seinen Teilen und in seiner Gesamtheit zu und sieht einen grundsätzlichen Unterschied zu den sophistischen protreptischen Logoi darin, daß er nicht nur wie diese eine Hinwendung zur Paideia bezweckt, sondern - und das macht ihren philosophischen Charakter aus — darüberhinaus gleichzeitig ein Stück dieser Paideia in sich selbst enthält 151 . Dieses Ergebnis wird nicht nur durch die enge Verflechtung von Elenktik - also philosophisch-sachlicher Argumentation — und Paränese erreicht, sondern vor allem durch die besondere Aufgabe der elenktischen Partien selbst, die keineswegs rein
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Ergebnis der Natur des Menschen; sie erwachsen aus seinem naturgegebenen Streben nach ungetrübter Lust, dessen Befriedigung nur durch Anpassung an die konventionell gültigen Normen gesichert werden kann. Vgl. oben S. 24 und S. 26 f. Piaton, Ep.VII,344B ff.; Phaidros 275 С ff. u. 277 E. Zu den verschiedenen diesbezüglichen Tendenzen der Platonfoischung vgl. Gaiser, Protreptik und Paränese bei Piaton, Einleitung. W. Jaeger, Paideia II, S. 85 f., spricht allerdings von Protreptik und Elenktik, da er nicht in der Weise Gaisers zwischen Protreptik und Paränese unterscheidet. Vgl. Gaiser, a.a.O. S.30. K. Gaiser, Protreptik und Paränese bei Piaton. K. Gaiser, a.a.0.s.60f. Vgl. Gaiser, a.a.O. S. 18 u. S. 106 f.
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Die Anfänge der Seelenleitung
belehrenden Charakter haben, sondern auch einer seelischen Katharsis dienen 15 2 , „die unmittelbar zur Gesundung und wirklich zur αρετή"15 3 hinführt. Dies geschieht auf folgende Weise: Wenn der Gesprächspartner des Sokrates, der seine Niederlage im eristisch-elenktischen Gespräch voraussieht, oder aber - durch die Widersprüchlichkeit der jeweiligen Gesprächsergebnisse in Verwirrung geraten — nicht mehr an die Zweckmäßigkeit einer Gesprächsfortfuhrung glaubt, dennoch seine Eigenliebe, seinen Ehrgeiz (φιλονικία) und sein Mißtrauen (απιστία, μισολογία) überwindet und um der Wichtigkeit des behandelten Gegenstandes willen zu einer Fortsetzung der Untersuchungen bereit ist, dann ist er bereits ein gutes Stück auf dem Wege zur Tugend vorangekommen 154 . Piaton läßt dies im Menon den Sokrates ganz ausdrücklich aussprechen 15 5 : „...das übrige freilich möchte ich nicht eben ganz verfechten für diese Rede (über die ώ>άμι>ησις); daß wir aber, wenn wir glauben, das suchen zu müssen, was wir nicht wissen, besser werden und mannhafter und weniger träge, als wenn wir glauben, was man nicht wisse, sei nicht möglich zu finden, und man müsse es also auch nicht erst suchen, dafür möchte ich allerdings streiten, wenn ich es könnte, mit Wort und Tat." Das bedeutet aber nichts anderes, als daß das sokratische Gespräch nicht nur den wahren Tugendbegriff in immer erneuten Definitionsversuchen zu finden sich bemüht, sondern darüber hinaus die Tugend selbst schon teilweise verwirklicht, wenn der Gesprächspartner nur willens ist, dem Dialog in seinen vielen Windungen mit innerer Anteilnahme zu folgen. Die vielen Windungen aber mit ihren scheinbaren Irrwegen, Abschweifungen und Neuansätzen etc. sind notwendig, denn das wahre Wissen steht erst fest, wenn es, wie Sokrates sagt, „viele Male auf vielerlei Weise" herausgefragt worden ist 15 6 . Der Weg zur Erkenntnis hin ist also ebenso wichtig wie die Erkenntnis selbst, oder vielmehr, man kann erst dann von einer sicheren Erkenntnis sprechen, wenn man über möglichst viele Wege und unter großen Anstrengungen zu ihr gelangt ist. Um die dazu notwendige Bereitschaft des Gesprächspartners zu gewährleisten, wird die Paränese zum wichtigen Bestandteil der platonischen Dialoge, deren Stellung und Funktion Gaiser folgendermaßen 15 7 beschreibt. „Es hat sich gezeigt, daß die philosophische Paränese einen typischen Ort in der Mitte 15 8 des Dialogs hat, wo die elenktische Untersuchung ins Stocken gerät und das Gespräch sich auf sich selbst besinnt. Da in dieser Situation die Zuverlässigkeit und Verbindlichkeit des λόγος überhaupt und der Gesprächsführung in Frage gestellt ist, kann sich Sokrates nicht auf einen bestimmten λόγος berufen, um den Sinn des Weitersuchens zu erweisen. Das Gespräch ist auf einem toten Punkt angelangt und in akuter Gefahr: Das Gespräch droht zu zerfallen, weil sich das Gesuchte im λόγος nicht als etwas Festbleibendes zeigt, während doch das Gesuchte nur festgebunden werden kann, wenn das Gespräch aufrechterhalten wird... Das Weitersuchen muß gegen alle Wahrscheinlichkeit als sinnvoll gelten. In dieser Lage setzt, da der λόγος selbst zu versagen scheint, die paränetische Besinnung ein. Die Paränese lebt von der Kraft des un152 153 154 155 156 157 158
Vgl. hierzu auch M. Landmann, Elenktik und Maieutik. Vgl. Gaiser, a.a.O.S.161. " " " ""S.160. Piaton, Menon 86 В f . i n der Übersetzung von Schleiermacher. Vgl. Gaiser, a.a.O.S.183. Vgl. Gaiser, a.a.O.S.184. Vgl. Gaiser,a.a.O. S.183f.. Der zweite typische Ort der Paränese ist am Schluß der Dialoge, häufig in Verbindung mit dem Mythos, wie Gaiser, a.a.O. S. 187 ff., gezeigt hat.
Psychagogie und Philosophie
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mittelbar Anschaulichen und Eindrücklichen, vom Paradeigma15 9 in verschiedener Hinsicht" und weiter unten 1 6 0 : „Die philosophische Paränese im platonischen Dialog ist also dazu da, zusammen mit der Elenktik die Umkehrung und Vorwärtswendung zum wahrhaft seienden Guten zu fördern. Wenn die elenktische Untersuchung nicht aus der paränetischen Besinnung neue Antriebe bekäme, müßte sie an den 'toten Punkten' stillstehen, weil Schritt für Schritt das Suchen des wahren Sachverhalts und die Bereitschaft zur Berichtigung des Lebens zusammengehören..." Aber die Paränese ist nicht nur eine Hilfe für die ungehinderte Durchführung der Elenktik, sondern oft auch geradezu ihre Ergänzung, was besonders an ihrer Verbindung mit dem Mythos deutlich wird: Gaiser hat sehr richtig das gegenseitige Verhältnis folgendermaßen bestimmt 1 6 1 : „Die platonischen Mythen richten sich nach der Wahrheit, die im elenktischen Gespräch zum Vorschein gekommen ist... Das Besondere am Mythos gegenüber dem λόγος ist also hier nicht, daß er etwas anderes sagt, wohl aber daß er dasselbe über dasselbe auf andere Weise sagt." Die platonischen Dialoge sind also weder rein protreptisch im Sinne einer sophistischen Werberede, die über sich hinaus auf ein noch ausstehendes und erst zu erwerbendes 0per7?-Wissen verweist, noch haben sie ausschließlich lehrhaften Charakter, sondern sie tragen zur Aneignung dieses Wissens selbst schon bei. Diesem Verhältnis hat V. Goldschmidt 16 2 in einer sehr treffenden Formulierung Ausdruck verliehen, wenn er von den platonischen Dialogen sagt, daß sie „former plutot qu'informer" wollen. Der platonische Dialog hat also seelenleitende Funktion. Er zeigt nicht nur den Weg, sondern er ist selbst ein Weg, auf dem die Seele zum Guten voranschreitet; er ist eine Übung, eine Askesis. Diese Feststellungen haben nicht nur Geltung für die Dialoge Piatons, sondern sie sind grundlegend für das Verständnis antiker philosophischer Schriften überhaupt. Mag auch an die Stelle der Elenktik im Hellenismus die Dogmatik getreten sein, so sind doch die meisten der uns erhaltenen philosophischen Schriften alles andere als eine klare Darstellung eines philosophischen Systems, ja viel mehr noch, sie wollen es gar nicht sein: Sie bezwecken nicht in erster Linie den Aufweis einer philosophischen Lehre, sondern vielmehr deren Aneignung. Dies bedingt, daß sich der Aufbau der Schriften aus den Gesichtspunkten der Seelenleitung herleitet, also vorwiegend nach rhetorischen und nicht nach philosophisch-systematischen Maßstäben gestaltet wird. Hier liegt die Wurzel für die scheinbare Systemlosigkeit der Komposition auch der Schriften Senecas mit ihrer für heutige Begriffe oft unzusammenhängenden Aufein159 Dieses Paradeigma ist in den platonischen Dialogen zunächst einmal Sokrates selbst in seiner vorbildlichen philosophischen Haltung. Daneben ist aber auch der Mythos, worauf ebenfalls Gaiser (a.a.O.S.188) hinweist, „eine Weise des Paradeigmatischen . . . Die mythische Projektion ist mit der Paränese in der Weise verbunden, daß einerseits der paränetische Anspruch aus der paradeigmatischen Anschaulichkeit des Mythos seine Durchschlagskraft erhält und andererseits die Funktion der mythischen Darstellung des philosophischen βίος in der Paränese zum Ausdruck k o m m t . " Außerdem knüpft, worauf bereits W. Jaeger (Paideia II,S.85) hinweist, die Paränese an ihren ältesten Formbestand an, „den wir durch die Tragödie bis ins Epos zurückverfolgen können." Gaiser weist auch in diesem Zusammenhang auf die Gnomik und Dichterzitate hin. 160 Gaiser, a.a.O.S. 186. 161 Gaiser, a.a.0.s.l90f. 162 V. Goldschmidt, Les dialogues de Piaton, Structure et methode dialectique, S.3.
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Die Anfänge der Seelenleitung
anderfolge von dogmatischen und paränetischen Teilen, die ein und dasselbe Thema von den verschiedensten Seiten aus in Angriff nehmen, oft mit überraschenden Neuansätzen, scheinbaren Exkursen, Irrwegen und Wiederholungen. In seinem Vortrag „System und Methode in der antiken und der frühchristlichen Philosophie" 1 6 3 hat P. Hadot die antiken Maßstäbe für die Komposition philosophischer Schriften einer Untersuchung unterzogen und seinerseits ihren psychagogischen Aspekt betont. Er weist nach, daß dieses mit den Elementen der Rhetorik arbeitende Kompositionsprinzip in der antiken philosophischen Literatur zur Tradition geworden ist, die bis zu den Schriften der Kirchenväter hin Gültigkeit behalten hat. Er führt in diesem Zusammenhang zwei Stellen aus den ΣτρωματεΤς des Clemens von Alexandrien an, die die Bewußtheit in der Anwendung dieser Methode bezeugen. Clemens sagt von seinem Werk, den Στρωματεΐς, daß sie die Wahrheit enthalten, aber verstreut, ausgebreitet wie Saatgut, um vor denen sicher zu sein, die es nur aufpicken wollen wie die Krähen. Wenn es aber einen guten Bauern finde, werde jedes Saatkorn aufgehen und Frucht tragen 1 6 4 . Das heißt nichts anderes, als daß sich dem flüchtigen Leser die Wahrheit nicht erschließen wird, sondern nur dem, der sich formen lassen will, der sich die Mühe macht, dem Gedankengang des Autors in allen seinen Abzweigungen und Umwegen zu folgen. Aber lassen wir Clemens selbst sprechen: „Ich schweige darüber, daß die Stromateis, Verkörperungen der Gelehrsamkeit, absichtlich die Samen der Erkenntnis verbergen. Wie der passionierte Jäger es liebt, auf die Pirsch zu gehen, Fährten zu verfolgen, seine Hunde zu hetzen, bevor er das Jagdtier erlegt, ebenso erweist sich die Wahrheit voller Süße, wenn man sie aufgespürt und mit harter Arbeit erkämpft h a t . " 1 6 5 Das, was sich uns heute als Mangel an Komposition in den Stromateis des Clemens darstellt, ist also durchaus beabsichtigt im Sinne einer exercitatio animi. Ausgehend von der Funktion der Dialoge Piatons, der ersten nicht mehr nur fragmentarisch überlieferten Werke griechischer Philosophie, habe ich mich bemüht, auf allgemeine Prinzipien der Gestaltung antiker philosophischer Schriften hinzuweisen . Dies schien mir nicht zuletzt im Hinblick auf die Beurteilung der Schriften Senecas von Wichtigkeit zu sein, die in adäquater Weise nur erfolgen kann, wenn man ihre Form von ihrer Funktion her zu verstehen sich bemüht. Darüber wird an anderer Stelle mehr zu sagen sein 1 6 7 . Wie sich das Verhältnis des dogmatischen Teils der Philosophie zum paränetischen gestaltet, das wird noch in den nächsten Kapiteln Gegenstand der Untersuchung sein. Zunächst aber hoffe ich, die enge Verbindung von Philosophie und Seelenleitung in der Antike sowie die traditionellen Grundlagen einiger ihrer Aspekte deutlich gemacht und damit einen Beitrag zur Interpretation der oben erwähnten stoischen Diskussion 168 über die Bereiche der Seelenleitung gegeben zu haben.
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Unveröffentlichter Vortrag, gehalten in München 1961. Stromat., 1,12,56,3. Stromat., I,2,20,4ff. Zu diesem Thema vgl. u.a. die instruktiven Ausführungen von J. de Romilly, Histoire et raison chez Thucydide, S. 90 - 106. 167 Vgl. weiter unten S. 124 unten ff. 168 Vgl. S. 8 f.
III. Die Seelenleitung der hellenistischen Philosophenschulen mit einem Überblick über die Entwickluna der stoischen PhilosoDhie
Die griechische Philosophie der hellenistischen Zeit zeichnete sich unter dem Einfluß der politischen Ereignisse durch zwei Haupttendenzen aus, einmal in sozialer, einmal in inhaltlicher Hinsicht: War in der klassischen Zeit die Beschäftigung mit der Philosophie das Privileg einer gesellschaftlichen Elite, so findet im Hellenismus eine zunehmende Vulgarisation statt. Nur diejenigen Schulen konnten im Hellenismus einer Blütezeit entgegensehen, die den Bedürfnissen einer breiten Schicht des Volkes entgegenzukommen wußten. Diese Tendenzen hatten natürlich sowohl eine Vereinfachung in der Darstellung philosophischer Probleme als auch eine Beschränkung des Themenkreises zur Folge. Die beiden in der Gründungszeit des Peripatos und der Akademie so wichtigen Disziplinen Physik und Dialektik treten innerhalb der philosophischen Systeme immer mehr zurück, und damit schwindet auch die Bedeutung der beiden genannten Schulen. Die Ethik ist es, die unter dem starken Gewicht des epikureischen Gartens und der Stoa jetzt in den Vordergrund des Interesses gerückt ist, und zwar eine Ethik, die ganz auf das Individuum ausgerichtet ist ohne die frühere enge Verbindung mit der Politik, ohne die Ableitung der sittlichen Ziele von den Zwecken der Polis. Dem einzelnen Menschen eine echte Lebenskunst zu vermitteln, ihm damit einen neuen Halt zu geben, der die verlorene Geborgenheit in der alten Polis-Gemeinschaft aufwiegen konnte, war das Hauptziel der hellenistischen Philosophie. Wenn ich in der Überschrift von der Seelenleitung der hellenistischen Philosophenschulen sprach, so will ich diese Ankündigung gleich dahin präzisieren, daß sich meine Darstellung in der Hauptsache auf zwei Schulen beschränken wird: auf die epikureische und auf die stoische Schule. Bei den anderen werde ich mich, teils aus sachlichen Gründen, teils aus Mangel an überliefertem Material, auf kurze Erwähnungen beschränken. Es wäre zweifellos von größtem Interesse, könnte man sich von der Seelenleitung der Schulen der sogenannten Kleinen Sokratiker ein genaueres Bild machen, glaube ich doch, daß v. Fritz recht hat mit seiner Vermutung, daß es diesen Schulen in der Nachfolge des Sokrates „vor allem um eine Erziehung und Ausbildung der Schüler für das Leben" 1 ging. Jedoch ist selbst für die Kyniker, die als einzige unter den Kleinen Sokratikern noch in der hellenistischen Epoche und bis in die römische Kaiserzeit hinein ihre Bedeutung behalten haben, die Überlieferung so spärlich und darüberhinaus so schwierig auszuwerten, daß ich es mir im Rahmen dieser Arbeit versagen muß, auf die damit verbundene Problematik einzugehen. Bei oberflächlichem Lesen der bei Diogenes Laertius überlieferten Vita des berühmten Kynikers Diogenes von Sinope könnte man zwar zu der Auffassung kommen, einige konstruktive Züge kynischer Seelenleitung wiedergewinnen zu können,
1 K. v. Fritz, RE-Artikcl „Megarikcr", Suppl.V,Sp.718.
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Die Seelenleitung der hellenistischen Philosophenschulen
aber v. Fritz hat in seinen „Quellenuntersuchungen zu Leben und Philosophie des Diogenes von Sinope" gezeigt, mit wieviel Vorsicht man an alle diesbezüglichen Angaben herangehen muß 2 . Über die Akademie kann ich mich aus sachlichen Gründen kurz fassen. In dieser Schule findet man unter den ersten Nachfolgern Piatos im wesentlichen nur eine Fortsetzung und Ausarbeitung der spätplatonischen Metaphysik. Das bedeutet also, daß unter Speusippos und Xenokrates als Leitern der Schule weiterhin die Probleme im Vordergrund standen, die Piaton in seinen späteren Dialogen und in seinen letzten Vorlesungen über das Gute aufgeworfen hatte: Die Frage nach der Existenz transzendenter Ideen, nach ihrer Identität mit den Idealzahlen, nach den letzten Prinzipien der Realität usw.. Daß dies eine Problematik war, die dem Durchschnittsmenschen und den damaligen Lebensproblemen völlig fern lag, ist evident. Die Folge war, daß die Schule bald in Bedeutungslosigkeit versank und erst durch die skeptische Richtung eine Wiederbelebung erfuhr. Aber auch diese, selbst in ihrer milderen probabilistischen Richtung, konnte auf Grund ihres skeptischen Charakters keinen eigenen positiven Beitrag zur Ethik und Seelenleitung leisten. Mit dem Peripatos verhielt es sich ähnlich. Schon Aristoteles hatte sich vorwiegend der objektiveil Forschung, den Naturwissenschaften, gewidmet. Unter Theophrast und Straton konnte die Schule noch ihren Ruf behaupten, dann aber kam es zu raschem Verfall. Immerhin sah sich der Peripatos im Laufe der Zeit durch die ständige Konfrontation mit den Lehren der erfolgreichen Stoa doch gezwungen, aus Ansätzen bei Aristoteles eine eigene ethische Dogmatik zu entwickeln und dementsprechend die Ziele seiner Seelenleitung zu formulieren. Niederschläge dieser Doktrin, von der sich nicht mit Sicherheit angeben läßt, wann sie entstanden ist 3 , finden sich bei Cicero und Seneca. Wenn man auch auf Grund der Überlieferungslage kaum zu der Meinung kommen kann, daß der Peripatos jemals einen entscheidenden Beitrag zur Seelenleitung geleistet hat noch daß er sich dies überhaupt zum 2 Über den in diesem Zusammenhang besonders interessierenden Abschnitt der Vita über die doppelte Askesis (§ 70) kommt v. Fritz (a.a.O.S.59) beispielsweise zu folgendem Schluß: „ . . . so ist weitaus das Wahrscheinlichste, daß es (d.h. das Stück) aus einer dem Diogenes von stoischer Seite untergeschobenen Schrift stammt. . . Macht man diese Annahme, so stimmt alles zusammen: der Abschnitt über die doppelte ίίσκησκ paßt am besten in die Schrift nepi αρετής. Diese Schrift wird nur in dem Katalog des Sotion erwähnt, der zweifellos stoisch beeinflußt ist, und hat außerdem einen Titel, der bei den Stoikern weitaus am häufigsten ist. Der Abschnitt unterscheidet sich ferner von den übrigen Teilen der Doxographie so stark, daß man kaum glauben kann, daß er von demselben Schriftsteller stamme wie jene. Er enthält eine Menge von spezifisch stoischen Schulausdriicken: alles löst sich aufs beste, wenn man annimmt, daß er aus einer Schrift stammt, die dem Diogenes von den Stoikern untergeschoben wurde. Es ist dabei charakteristisch, daß diese, die ja dabei die Verbindung mit Sokrates im Auge hatten, das, was sie dem Diogenes unterschoben, aus Stoischem und Antisthenischem zusammenfügten." Auf S.82 weist v. Fritz darüberhinaus nach, daß auch die Diogenesreden des Dion von Prusa ebensowenig wie die Diogeneszitate bei Epiktet herangezogen werden können, um ein echtes Diogenes-Bild zu gewinnen. 3 Aus einer Stelle in den Tusculanen Ciceros scheint hervorzugehen, daß man ab Lykon (Schulleiter in der zweiten Hälfte des 3.Jahrh.) etwa diese Systematisierung der peripatetischen Ethik anzunehmen hat: Tusc.111,78: Quid? üla Lyconis qualia sunt? qui aegritudinem extenuans parvis ait eam rebus moveri, fortunae et corporis incommodis, non animi malis. Vgl. hiermit Tusc.III,74ff.
Metriopatheia und Peripatetiker
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Ziele setzte, so will ich doch der Vollständigkeit halber und um ein Bild von der gegenseitigen Beeinflussung der hellenistischen Philosophenschulen untereinander zu vermitteln, einige Züge der peripatetischen Ethik hier behandeln, soweit sie die bekannten Darstellungen dieser Materie bei Cicero (5. Buch De fin.) und Areios Didymos zu ergänzen imstande sind. Cicero berichtet im dritten Buch der Tusculanen über einige Seelenleitungsprinzipien der verschiedenen Schulen im Zusammenhang mit der consolatio, der Tröstung. „Manche sind der Meinung, daß der Tröstende nur eine Aufgabe habe, nämlich zu lehren, daß jenes (d.h.der Grund der Trauer) überhaupt kein Übel sei, wie Kleanthes; manche, es sei kein großes, wie die Peripatetiker." 4 Aus dieser Stelle ergibt sich für die Peripatetiker, daß sie es als einzige Pflicht des Tröstenden betrachten, dem Trostsuchenden zu beweisen, daß das den Schmerz hervorrufende Übel nicht groß sei. Dies stellt sie in Gegensatz zu den Stoikern, die sich bemühen darzulegen, daß es überhaupt kein Übel außer dem Laster gebe und daß infolgedessen, da Schmerz nach allgemeiner Auffassung nur durch ein Übel hervorgerufen werden kann, auch kein äußeres Geschehnis, ganz gleich welcher Art, dazu angetan sein könnte, seelischen Schmerz auszulösen. Diese Seite der Beweisführung, das den Schmerz verursachende Moment betreffend, wurzelt also in der Güterlehre, während die hervorgerufenen Symptome in den Bereich der Affektlehre fallen. Das praktische Ziel der Stoiker ist es also, den Schmerz radikal zu beseitigen (tollere aegritudinem fundituss). Umgekehrt kann konsequenterweise das peripatetische Beweisziel, nämlich daß das Übel nicht groß sei, nur ergeben, daß auch der resultierende Schmerz nicht groß sein darf. Als Grundlage des peripatetischen Prinzips erweist sich daher a) im Bereich der Güterlehre die Anerkennung körperlicher und äußerer Güter 6 , wenn auch in beschränktem Maße; b) im Bereich der Affektlehre die Metriopathie, die von Cicero und Seneca auch an vielen Stellen expressis verbis für die Peripatetiker bezeugt wird 7 . 4 Cie., Tusc.HI,76. 5 Cie., a.a.O. § 75. 6 Vgl. Aristoteles, EN 1,8,1098 В 12ff.: In Anerkennung der Tradition 3 Klassen von Gütern: та έκτος, та irepi ψυχήν, та. nepi σώμα. 1,8,1099 A 31: φαίνεται δ'ομως κοιτών έκτος άyaθώv -προσδβομένη ... (seil, ή ευδαιμονία). Vgl. MM 1,3,1184 Β, vgL Cie., De fin.V. 7 Seneca gibt im 85. Brief an Lucilius eine zusammenhängende Darstellung der Kontroversen zwischen Stoa und Peripatos bezüglich der Affektlehre und der Affektbekämpfung, die in allen Einzelheiten mit den kürzeren Erwähnungen bei Cicero übereinstimmt. Für Cie. vgl. De off. I 88-89: Nee vero audiendi, qui graviter inimicis irascendum putabunt idque magnanimi et fortis viri esse censebunt . . . Numquam enim iratus... mediocritatem illam tenebit, quae est inter nimium et parum, quae placet Peripateticis et recte placet, modo ne laudarent iracundiam et dicerent utiliter α natura datam. Lucullus, 135: Mediocritates illi probabant, et in omni permotione naturalem volebant esse quendam m o d u m . . . . Atque illi quidem etiam utiliter α natura dicebant permotiones istas animis nostris datas, metum cavendi causa, misericordiam aegritudinemque clementiae; ipsam iracundiam fortitudinis quasi cotem esse dicebant.. . Acad. 1,38-39: cumque perturbationem animi illi [seil, veteres Academici et PeripateticiJ ex homine non tollerent naturaque et condolescere et concupiscere et extimescere et efferri laetitia dicerent, sed ea contraherent in angustumque deducerent, hic [seil. Zeno Stoicus] omnibus his quasi morbis voluit carere sapientem. Tusc.IV,38: Quocirca mollis et enervata putanda est Peripateticorum ratio et oratio, qui perturbari animos necesse dicunt esse, sed adhibent modum quendam, quem ultra progredi non oporteat. Tusc.IV,43: Quid, quod iidem Peripatetici perturbationes istas, quas nos exstirpandas putamus, non modo
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Die Seelenleitung der hellenistischen Philosophenschulen
Während die Stoiker jeden Affekt als krankhaft 8 und demgemäß als naturwidrigen Seelenzustand bezeichneten, lag umgekehrt den Peripatetikern daran, das Vorhandensein gemäßigter Affekte als naturgemäß und nur das Übermaß und den Mangel als nicht den Gesetzen der Natur entsprechend zu erweisen 9 . Gemäß den in der Anmerkung gegebenen Zitaten bezeichneten die Peripatetiker die maßvollen Affekte nicht nur als naturgemäß (naturales), sondern auch als nützlich (utiles). Sie siedelten diese Affekte als expertes rationis 1 °in einem anderen Seelenteil an als die Vernunft 1 1 . Das Moment der Nützlichkeit wurde im 4. Buch der Tusculanen 12 noch dadurch unterstrichen, daß fast in Form einer Tabelle einige Affekte mit ihren unmittelbaren günstigen Wirkungen zusammengestellt wurden. So heißt es vom Zorn, daß er nützlich für die Tapferkeit sei, von der Begierde (cupiditas) und Lust (libido), daß ohne sie nichts Rühmliches geschehen könne, vom Schmerz, daß er für die Gewissensbildung notwendig sei, da wir über eine gerechte Bestrafung Schmerz empfinden sollen, vom Mitleid, daß es dazu beitrage, die Not der Mitmenschen zu lindern, von der Furcht (metus), daß sie nötig sei, um in allen Dingen die erforderliche Vorsicht anzuwenden. Es ist nun interessant, die Frage zu stellen, ob und wo bei Aristoteles die Ansatzpunkte für diese Lehre zu finden sind, da sie ja mit der bekannten aristotelischen Bestimmung der Tugenden als Mitte zwischen zwei extremen Grundhaltungen nicht identisch sein kann, handelt es sich doch nach aristotelischer Lehre bei den Tugenden im Gegensatz zu den Affekten um έ'ξεις und kommen diese doch nur unter Beteiligung der Vernunft zustande 1 3 . In der Nikomachischen und der Eudemischen Ethik finden sich genauere Entsprechungen, jedoch sind die Elemente der ciceronischen und annaeischen Darstellung der peripatetischen Affektlehre in der Eudemischen Ethik am ausführlichsten behandelt. Im siebenten Kapitel des dritten Buches
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naturales esse dicunt, sed etiam utiliter a natura datas? Tusc.IV,46: Haec tarnen ita disputant, ut resecanda esse fateantur, evelli penitus dicant nec posse пес opus esse, et in omnibus fere rebus mediocritatem esse optumam existiment. Tusc.111,74: Hic mihi adferunt mediocritates, quae si naturales sunt, quid opus est consolatione? natura enim ipsa terminabit modum; sin opinabiles, opinio tota toÜatur. Vgl. Gellius, Noct. Att. 1,26,10 über den Philosophen Taurus. Vgl. meine Darlegungen über die stoische Lehre von den seelischen Erkrankungen unten S. 143 ff., besonders die Tabelle auf S. 145. Vgl. die Zitate Anm.7 Vgl. Cie., Acad.1,39: cumque eas perturbationes antiqui naturales esse dicerent et rationis expertes aliaque in parte animi cupiditatem alia rationem collocarent. Offensichtlich in Anlehnung an die von Aristoteles im 13.Kap. der Nikomachischen Ethik vorgenommene Aufteilung der Seele in einen alogischen und einen logischen Teil (то aXoyov- το Koyov 'έχον) = EN 1,13,1102 А 27 f. § § 4 3 ff. Die Definition der Tugend bei Aristoteles lautet EN 11,6,1106 В 36ff.: 'έοτιν ара ή αρετή βξκ προαιρετική, έν μεσότητι ούσα τη προς ημάς, άιρισμέιγ \оуц) και φ αν ο φρονιμος öpiaeιεν. Aristoteles kennt dreierlei seelische Phänomene EN 11,5,1105 В 20: . . . та έν τη ψυχή "γινόμενα τρία έοτί, πάθη, δυνάμεις έξεις... Xeyu) δε πάθη μεν έπιθυμίαν, öpyhv φόβον θάρσος φθόνον χαράν ..., ο'λως οίς 'έπεται ηδονη η λύπη • δυνάμεις δε καθ "άς παθητικοί τούτων λε^ίμεθ α, οίον καθ' 'άς δυνατοί bpyiaOfivai η λυπηθηναι 'ή έλεήσαι • εξεις δε καθ"άς προς τα πάθη εχομεν εύ η κακώς...
Metriopatheia der Peripatetiker
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nämlich, nach der Beschreibung einiger Tugenden, findet sich folgender Passus 14 : „Auch nahezu alle anderen den Charakter betreffenden, Lob verdienenden und tadelnswerten Erscheinungen sind teils Übertreibung, teils Mangelerscheinungen, teils Mitten, und zwar in bezug auf die Affekte." Anschließend werden sechs μεσότητες mit ihren zugehörigen Extremen aufgezählt, nämlich die νέμεσις
ls
αιδώς
φιλώ. σεμνστης αλήθεια
ευτραπελία
)
als Mitte zwischen
φθόνος und τό τού έπιχειρεκάκου πάθος αναισχυιτια κατάττληξις •έχθρα κολακεία ανθ άδεια αρεοκεία ειρωνεία αλαζονεία aypom ία βωμολοχία.
Über diese μεσότητες heißt es anschließend, daß sie nicht zu den Tugenden zählen, obwohl sie lobenswert sind, denn sie kommen ohne freie Wahl .zustande. Sie müssen vielmehr unter die Affekte gerechnet werden. Wegen ihres naturgegebenen Seins tragen sie bei zu den natürlichen Tugenden, d.h. also zu den lobenswerten Grundhaltungen, die der Mensch vermöge seiner individuellen Veranlagung, ohne eigenes Zutun, besitzt, und zwar trägt die νέμεσις bei zur Gerechtigkeit, die αιδώς zur Sophrosyne usw. 1 ". Die bei Cicero und Seneca erwähnten mediocritates der Peripatetiker entsprechen also durchaus den μεσότητες in der Eudemischen Ethik in der Betonung ihrer Naturgegebenheit und ihrer Nützlichkeit. Auch der Anfang zu einer katalogartigen Aufzählung ist in der Eudemischen Ethik vorhanden, ähnlich der im vierten Tusculanenbuch. Die peripatetische Affektlehre stellt sich also nach diesem Vergleich in ihrem elementaren Bestand als ziemlich kontinuierlich dar, allerdings mit einer Ausnahme: Cicero erwähnt in der oben 1 'zitierten Stelle aus dem Lucullus den modus naturalis 1 8 , also das natürliche Maß, das nach peripatetischer Lehre der Affekt nicht überschreiten darf. Wie man das Attribut,naturalis" auch interpretiert, ob man es mit „naturgegeben" oder „von der Natur gefordert" wiedergibt, bei Aristoteles läßt es
14 EE III,7,1233B17ff. Vgl EN II,7,1108A 30ff. In der EN sind aber die systematischen Unterscheidungen zwischen den eigentlichen Tugenden und ihren Vorstufen im späteren Teil aufgegeben worden. Darüber vgl. Dirlmeier, Aristoteles, Eudemische Ethik, S.357 (61,10). 15 Vgl. auch Magna Moralia, teilweise im Wortlauf völlig übereinstimmend, I,27,1192B18ff. 16 EE III,7,1234A24ff.: Πασαι δ'αύται at μεσότητες έπαινεταϊ μεν, ούκ εΐσι δ' άρεταί, ούδ' αί έναντίαι κακίας 'άνευ προαιρέσεως γάρ · ταύτα δε πάντ έστίν ev ταϊς των παθημάτων διαφεσεσιν, 'έκαστον yäp αντών πάθος τί εστίν, δια δε τό φυσικά είναι εις τ ας φυσικάς συμβάλλεται άρετάς. εστί -γάρ, ωσπερ λεχθήσεται έν τοϊς ύστερον, εκάστη πως άρετη και φύσει και άλλως, μετά φρονήσεως · ο μεν συν φθόνος εις άδικίαν συμβάλλεται... και ή νέμεοις εις δικαιοσύνην... 17 Vgl. S. 41, Anm. 7, Lucullus 135. 18 Vgl. auch Cie., Tusc.111,74, zitiert S. 42, Anm. 7. Cie., De inv.II,159: Nam virtus est animi habitus naturae modo atque rationi consentaneus. (Der Zusammenhang deutet auf peripatetische Quelle hin.)
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Die Seelenleitung der hellenistischen Philosophenschulen
sich in dieser Verbindung nicht belegen. Die erste Deutung würde sogar in Widerspruch zu der in der Eudemischen Ethik vorgefundenen Lehre stehen, denn dort sind nicht nur die μβσότητες der Affekte naturgegeben, sondern auch die dazugehörigen Extreme, und der mit der zweiten Interpretation verbundene Aspekt, aus der Naturgesetzlichkeit einen Maßstab für das ethische Verhalten des Menschen zu gewinnen, ist bei Aristoteles in den ethischen Schriften nicht vorhanden. Dieser letztere Ansatz, den wir auch in den peripatetischen Oikeiosislehren in der Darstellung des Antiochus von Askalon (Cie. De fin. V) und in dem Abriß der peripatetischen Ethik des Areios Didymos wiederfinden, muß also später von den Peripatetikern in ihre Ethik eingearbeitet worden sein, wobei ich nicht zu der Meinung Dirlmeiers19 neige, daß Theophrast als der Urheber dieser Tendenz anzusehen ist. Eher möchte ich R. Philippson 20 zustimmen, der die peripatetische Oikeiosislehre stoischem Einfluß zurechnet, und dementsprechend auch den modus naturalis der Affekte als ein Argument bezeichnen, das aus der Auseinandersetzung mit der Stoa hervorgegangen ist . Glücklicherweise können wir uns ein ungefähres Bild davon machen, wie die peripatetische Begründung des natürlichen Maßes, beispielsweise des Schmerzes über den Verlust von Angehörigen, ausgesehen hat, und wir haben damit vielleicht das einzige überlieferte Zeugnis peripatetischer praktischer Seelenleitung vor uns. Ich bin nämlich wie C. Grollios2 2 der Ansicht, daß wir in einem kleinen Abschnitt von Senecas Trostschrift an Marcia23 peripatetisches Gedankengut vor uns haben. Die Tatsache als solche, daß ein Stoiker in seiner Consolationsschrift die Trostargumente anderer Schulen verwendet, ist nicht befremdlich, ist es doch ein verbreitetes therapeutisches Prinzip dieses Genus, alle nur irgendwie greifbaren Trostgründe anzuführen 24 . Es ist daher auch keineswegs als Abweichung vom strengen Standpunkt der Stoa zu werten, wenn Seneca in seinen Trostschriften in der von Chrysipp2 s empfohlenen Weise einige Zugeständnisse an seine Adressaten macht, die ja weder Stoiker noch Philosophen sind, und ihnen das Recht ihres Schmerzes nicht von vornherein abspricht. So gesteht Seneca also auch Marcia die Äußerungen eines gemäßigten Schmerzes26 über den Verlust ihres Sohnes zu und fährt dann fort: „Aber mehr ist, was die Einbildung hinzufügt, als was die Natur gefordert hat. Siehe, wie heftig bei der stummen Kreatur die Sehnsucht nach ihren Verlorenen ist, und dennoch wie kurz. Man hört das Gebrüll der Kühe einen und noch einen zweiten Tag lang, und nicht 19 Vgl. Franz Dirlmeier, Die Oikeiosislehre Theophrasts. 20 Vgl. R. Philippson, Das Erste Naturgemäße. 21 Die Tendenz an sich, aus Beobachtungen am Säugling und an Tieren, die beide außerhalb der menschlichen Zivilisation stehen, eine natürliche und von herkömmlichen Vorstellungen unverfälschte Ethik abzuleiten, findet sich schon bei einzelnen Sophisten. Im platonischen Gorgias z.B. gründet Kallikles das Recht des Stärkeren auf die Beobachtungen am Tier. Vgl. O. Gigon, Epikur, Einleitung S.XVIII f., der auch die Argumentation Aristipps, der seine Lustethik durch Beobachtungen am Säugling rechtfertigt, auf sophistische Traktate zurückführt. 22 С. C. Grollios, Seneca's Ad Marciam, S. 28 ff. 23 Sen., Ad Marc.7,lff. 24 Vgl. oben S. 3, Anm. 18 und S. 21, Anm. 71. Vgl. auch Cicero, Tusc.111,76 (nachdem er die hauptsächlichen Trostargumente der einzelnen Schulen aufgezählt hat): Sunt etiam qui haec omnia genera consolandi colligant-alius enim alio modo movetur . . . 25 Vgl. oben S. 21, unten S. 54 f. 26 Sen., Ad Marc.7,1: At enim naturale desiderium suorum est. - Quis negat, quamdiu modicum est?
Ein Zeugnis peripatetischei Seelenleitung
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länger dauert das unstete und unsinnige Hin- und Herlaufen der Stuten. Das Wild, wenn es die Spuren seiner Jungen verfolgt und die Wälder durchirrt hat, wenn es mehrmals zu der ausgeraubten Lagerstätte zurückgekehrt ist, stillt sein Rasen dennoch in kurzer Zeit; die Vögel umrauschen ihre leeren Nester mit großem Geschrei, dennoch nehmen sie einen Augenblick später beruhigt ihre Flüge wieder auf. Bei keinem Lebewesen ist die Sehnsucht nach den verlorenen Jungen von langer Dauer, außer beim Menschen, der seinem Schmerz nachhängt und nicht bloß in dem Maße von ihm ergriffen wird, wie er ihn fühlt, sondern wie er ihn zu fühlen sich vorgenommen hat." Eine solche Argumentation wäre vom stoisch-philosophischen Standpunkt aus völlig sinnlos, da die Stoa ja die Affekte mit Stumpf und Stiel auszurotten sich bemüht 2 7 und nur die ersten unwillkürlichen Reaktionen, die motus non voluntarii in den ersten Schrecksekunden 28 , gelten läßt. Darüberhinaus betrachten die Stoiker einen Vergleich der menschlichen Affekte mit ähnlichen Erscheinungen bei den Tieren als unzulässig, da diese vernunftlos sind und daher gar keine Affekte haben können, die ja nach stoischer Ansicht nur durch ein Verstandesurteil, wenn auch ein falsches, zustande kommen können 2 9 . Aber auch das Folgende zeigt deutlich, daß wir es hier mit peripatetischen Gedankengängen zu tun haben. Aus dem zitierten Vergleich mit den Tieren wird nämlich der Schluß gezogen, daß es wider die Natur ist, sich vom Schmerz zerbrechen zu lassen (ut scias non esse hoc naturale, luctibus frangi), und mit fast denselben Worten zitiert Seneca die peripatetische Definition ihres Weisen im 85. Brief an Lucilius 3 0 . Es wäre sicher interessant, das Hin-und-Her der Argumente und Gegenargumente beider Schulen genauer darzustellen, wie es sich in den Tusculanen Ciceros — hauptsächlich in der zweiten Hälfte des dritten Buches - und den Briefen Senecas sowie in $einem Traktat De ira abzeichnet, aber es würde zu weit führen. Ich möchte nur noch hervorheben, daß sich auf beiden Seiten ein festes Schema der Argumentation entwickelt hatte, das in den ca. hundert Jahren, die zwischen den Schriften Ciceros und Senecas liegen, nahezu unverändert geblieben ist und vermutlich schon aus der zweiten Hälfte des dritten Jahrhunderts datiert. Das Verblüffende daran ist, daß man auf beiden Seiten mit fast denselben Beweismitteln arbeitete, sich also ganz auf die gegenseitige Diskussion eingestellt hatte.
27 Vgl. Sen., E p . l l 6 , l f . : Utrum satius sit modicos habere adfectus an nullos, saepe quaesitum est: nostii illos expellunt, Peripatetici temperant. . . Non obtinebis, ut desinat, si incipere permiseris. 28 Vgl. unten S. 132 f., besonders Anm. 41. 29 Vgl. Sen., Ep.85,8: Quemadmodum rationi nullum animal optemperat, non fenim, non domesticum et mite, - natura enim illorum est surda suadenti: - sie non secuntur, non audiunt affectus, quantulicumque sunt. Diese Stelle steht im 85. Brief innerhalb der Auseinandersetzung mit den Peripatetikern und scheint gegen solche peripatetischen Argumentationen gerichtet zu sein, wie ich sie aus der Trostschrift Senecas zitiert habe. 30 Sen., Ep.85,3: Item sine tristitia eum dici aiunt [scil.Peripatetici] qui non est obnoxius tristitiae nec frequens nimiusve in hoc vitio; illud enim humanam naturam negare, alieuius animum immunem esse tristitia: sapientem non vinci maerore, ceterum tangi. . .
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Die Seelenleitung der hellenistischen Philosophenschulen
Eine Tabelle soll dies zu erläutern versuchen, die ich aus den genannten Texten ausgezogen habe:
Stoa
Peripatos modicus dolor naturalis est modicus dolor utilis est immodicus dolor non est naturalis
aegritudo non est naturalis
Beweis: a) non est naturale quod varium est a) non est naturale quod varium est b) non est naturale quod decrescit mora b) non est naturale quod decrescit mora ergo: aegritudo in opinione est
immodicus dolor in opinione est Arten der falschen Vorstellungen:
a) opinio mali b) quod homines se officio fungi putant iusto atque debito
a) opinio magni mali b) quod homines gratum mortuis se facere arbitrantur
Für die peripatetische Seelenleitung lassen sich also nur spärliche Züge rekonstruieren, die aber jedenfalls die Kern- bzw. die Hauptunterscheidungspunkte zur Stoa betreffen. Der Verlust des übrigen Materials ist wahrscheinlich im Essentiellen nicht so groß wie im Quantitativen. Wir können zwar aus einer Bemerkung Ciceros, daß über jeden sogenannten Unglücksfall von den Griechen Trostschriften geschrieben worden seien 3 1 , entnehmen, daß die Zahl der uns verlorenen Schriften dieser Art beträchtlich gewesen sein muß, und wir können sicher sein, daß ein erheblicher Teil davon aus der Hand der Peripatetiker stammte 3 2 ; aber die Paränese als solche wird sich in diesen vorwiegend an Laien gerichteten Traktaten, ganz gleich welcher Schulherkunft sie waren, nicht wesentlich, sondern höchstens graduell unterschieden haben, worauf ich bereits oben 3 3 hinwies. Daß es im inneren Kreise des Peripatos über den Rahmen populärer Trostschriften hinaus eine Seelenleitung im eigentlichen Sinne, d.h. eine mit ständiger Askesis verbundene strenge Schulung, gegeben habe, wie dies bei Stoikern und Epikureern der Fall war, darüber wird uns nichts berichtet. Vielleicht war die peripatetische Ethik mit ihrem Eingeständnis des Unvermögens, dem Menschen zu Seelenruhe und
31 Cie., Tusc.HI,81: Sunt enim certa, quae de paupertate, certa, quae de vita inhonörata et ingloria dici soleant; separatim certae scholae sunt de exsilio, de interitu patriae, de Servitute, de debilitate, de caecitate, de omni casu, in quo nomen poni solet calamitatis. Haec Graeci in singulas scholas et in singulos libros dispertiunt: opus enim quaerunt; quamquam plenae disputationes delectationis sunt. 32 Cie., Tusc.IV,9: Quia Chiysippus et Stoici, cum de animi perturbationibus disputant, magnam partem in iis partiendis et definiendis occupati sunt, illa eorum perexigua Oratio est, qua medeantur animis nec eos turbulentos esse patiantur; Peripatetici autem ad placandos animos multa adferunt, spinas partiendi et definiendi praetefmittunt. . . 33 Vgl. oben S. 21 f.
Erfolg der Stoa und des Gartens Epikurs
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Glück verhelfen zu können 3 4 , auch keine Doktrin, die in den ersten eineinhalb Jahrhunderten des Hellenismus, in einer Zeit der religiösen und sozialen Entwurzelung, dem Menschen einen neuen Halt zu geben vermochte, in einer Zeit, die vielleicht wie keine andere in der Weltgeschichte den Menschen die Unsicherheit seiner Existenz fühlen ließ. Unzählige Kriege unter den Nachfolgern Alexanders des Großen verwüsteten das Land. Die Machtverhältnisse wechselten ständig: Der Sieger von gestern war der Besiegte von heute, und die griechischen Stadtstaaten waren die Verbündeten bald der einen, bald der anderen Partei. Danach kam der Machtanstieg Roms und brachte eine Serie von neuen Konflikten mit sich: Kriege mit dem Achäischen Bund, mit Philipp und Perseus von Makedonien, mit Antiochus III. Nirgends im griechischen Bereich gab es ein Leben in auch nur annähernder Sicherheit. Dieses alles führte dazu, dem Menschen das Gefühl zu geben, „daß alles in dieser Welt von einer grausamen und unbeständigen Macht geleitet werde, von Tyche oder Fortuna..., einer Macht, die sich völlig gleichgültig dem einzelnen Menschen gegenüber zeigt, der auf dem stürmischen Meer des Lebens gleich einem schwachen Boot herumgeworfen wird... Oder man glaubte unter dem Einfluß astrologischer Doktrinen, die vom dritten Jahrhundert an populär wurden - zumindest in Ägypten - , daß alles von einem unerbittlichen Geschick (griech. Heimarmene) regiert werde, das vom Augenblick unserer Geburt an den Lauf des Lebens im voraus bestimmt, und dem niemand entfliehen kann." 3 5 Die ersehnte Unabhängigkeit gegenüber dem Schicksal, gegenüber den Wechselfällen des Glücks zu gewährleisten, verheißen nun die beiden bedeutendsten Philosophenschulen des Hellenismus, die Stoa und der Garten Epikurs, und darin liegt sicher auch zu einem Teil das Geheimnis ihres Erfolgs. Die Wege, die den Menschen von den beiden Schulen gezeigt werden, sind sehr verschieden, aber das Ziel ist dasselbe: Die Eudaimonie, das Glück des Menschen, vom Zugriff des Fatums zu befreien und nur von der Selbstbestimmung des Menschen abhängig sein zu lassen. Der stoische Weise wahrt seine Eudaimonie in ständigem Kampf mit der „Tyche", d.h. er weicht nicht vor den Schwierigkeiten des Lebens zurück, sondern er fordert sie heraus, um seine Überlegenheit zu beweisen3 6 ; Epikur hingegen zieht sich so weit wie möglich zurück vor den Stürmen des Lebens, um der „Tyche" keine Angriffsfläche zu bieten, er bevorzugt die Zurückgezogenheit: Xäße βιώσας. Beide so gegensätzlichen Haltungen hatten schon im frühgriechischen Denken ihre Ausprägung gefunden 3 7 . Über das Ziel hinaus war beiden Schulen vor allem noch ein Zug gemeinsam, der zu ihrer Popularität nicht den unbedeutendsten Beitrag geleistet hat: den Wert eines Menschen nicht nach seiner Herkunft, seiner Standeszugehörigkeit zu beurteilen, sondern ausschließlich nach den Eigenschaften seines Charakters, seinem Willen zur 34 Dies ist schließlich die Konsequenz einer Lehre, die den Besitz der wichtigsten äußeren und körperlichen Güter neben der Tugend als Voraussetzungen der Eudaimonie betrachtet und die von ihrem Weisen aussagt, daß er sogar der unter unendlichen Mühen erworbenen Tugend wieder verlustig gehen könne, wenn eine Kette von Schicksalsschlägen über ihn hereinbreche. Vgl. hierzu den Abriß der peripatetischen Ethik des Areios Didymos, Stob.Ecl.II,132,20 Wachsmuth. Es ist auch vornehmlich von Theophrast bekannt, daß er die Autarkie der Tugend mit Entschiedenheit bestritt. 35 Festugiere, Personal Religion among the Greeks, S. 41 (aus dem Englischen übersetzt). 36 Vgl. Seneca, Ep.66,50 ff.; Ep.64,4; 67,14 f.; De constsapientis; De Providentia. Vgl. unten S. 61 unten. 37 Vgl. Fr. Wehrli, Лаве βιώσας.
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Die Seelenleitung der hellenistischen Philosophenschulen
Selbsterziehung, seiner Persönlichkeit. So ist es aus der Schule Epikurs bekannt, daß ehemalige Hetären dort Aufnahme fanden und sogar bei entsprechenden Fähigkeiten mit wissenschaftlichen Aufgaben betraut wurden 3 8 , und innerhalb der Geschichte der Stoa wissen wir von einer Reihe von Fällen, wo ehemalige Angehörige der untersten Stände bis in die höheren Lehrämter aufstiegen 3 9 . Demgegenüber zeigt der Peripatos bis in die römische Kaiserzeit hinein in seiner Ethik die Spuren der aristokratischen Tendenzen ihres Schulgründers4 0 . Was die Schule Epikurs sogar noch gegenüber der Stoa auszeichnete, das war die Tatsache, daß sie — zumindest zu Lebzeiten Epikurs — neben der philosophischen Ausbildung auch für die materielle Sicherheit ihrer Anhänger aufzukommen sich bemühte und damit bereits die äußeren Voraussetzungen schuf, jedem Mitglied ein Gefühl der Geborgenheit zu verleihen. Epikur verfugte über die finanzielle Unterstützung reicher Freunde aus Lampsakos, und außerdem kam ein Prinzip in Anwendung, das schon den alten Pythagoreem zugeschrieben wird, demzufolge die Begüterten, die in die Lebensgemeinschaft der Schule eintraten, ihr Vermögen zur Verfügung stellten, so daß die mittellosen Mitglieder der Schule mitunterhalten werden konnten 4 1 . Freilich war der Aufwand fur den Lebensunterhalt gering, denn es herrschte der epikureischen Lehre gemäß der Grundsatz äußerster Bedürfnislosigkeit. In seinem Brief an Polyainos erklärt Epikur, daß er für seinen eigenen Unterhalt täglich nicht einmal eine Obole ausgebe, während sein Schüler Metrodor, der noch nicht so weit fortgeschritten sei, täglich eine ganze brauche. Wie wenig das für die damaligen Lebensumstände war, ersieht man daraus, daß man als äußerstes Minimum fur die Ernährung eines Sklaven 2 Obolen täglich angesetzt hatte 4 2 . Wenn man sich ein Bild von der Organisation dieser Philosophenschule machen will - und das ist im Zusammenhang dieser Arbeit wichtiger, als die ohnehin bekannte und in ihren wichtigsten Punkten nicht umstrittene Doktrin zu behandeln —, so vergleicht man sie am besten mit einem sehr großen familiären und gleichzeitig gewerblichen Haushalt 4 3 . Die Schule Epikurs stand jedem offen, Menschen beiderlei Geschlechts und jeden Alters, Ehepaare lebten dort mit ihren Kindern und ebenfalls eine entsprechende Anzahl von männlichen und weiblichen Sklaven. „Welch große Scharen von Freunden hielt Epikur in einem einzigen Haus, noch dazu in einem 38 Vgl. Cie., De n a t . d e o r . 1 , 9 3 : . . . non modo Epicurus et Metrodorus et Hermarchus contra Pythagoram Platonem Empedoclemque dixerunt, sed meretricula etiam Leontium contra Theophrastum scribere ausast-scito illa quidem sermone et Attico, sed tarnen: tantum Epicuri hortus habuit licentiae. 39 Man denke u.a. an Kleanthes, den Leiter der Stoa nach Zeno, der Faustkämpfer gewesen sein soll, und an Epiktet, den ehemaligen Sklaven. 40 Bis in den Abriß der peripatetischen Ethik des Areios Didymos hinein wird adlige Abstammung unter den äußeren Gütern aufgezählt. 4 1 Dies läßt sich aus folgenden Testamentsanweisungen Epikurs schließen: Diog.L.,X,10,20: ίπιμελείσθωσαν be και Νικάνορος, кавалер και ημείς, 'ίν οσοι των συμφιλοσοφούνTOJV ήμϊν \pelav έν τοις Ιδίοις παρεσχημενοι και την πασαν οικειότητα ένδεδει-γμένοι, συγκαταγηράσκειν μεθ' ημών προείλοιτο ίν φιλοσοφία, μηδενός των άνα·γκαίων ένδεεϊς καϋεστήκωσιν επί την ημετέραν δύναμιν. Vgl. auch den Passus davor ab § 19. 42 Bei Gleichsetzung As=Obole; vgl. Sen., Ер. 18,9 (Fragm. 158 Usener) und Festugiere, Epicure et ses dieux, S.28, Anm.2, der für die wirtschaftlichen und sozialen Fragen auf Tarn, The hellenistic Age, S.120f., verweist. 43 Zum Folgenden vgl. De Witt, Epicurus and his philosophy und Festugiere, Epicure et ses dieux.
Die Organisation der Schule Epikurs
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sehr engen, und wie groß war die liebevolle Übereinstimmung aller: So ist es auch heute noch bei den Epikureern." 4 4 Daß diese Worte Ciceros aus dem Munde des Torquatus nicht nur die Meinung eines einzelnen darstellten, sondern dem allgemeinen Urteil über das Zusammenleben der Epikureer entsprachen, wird aus vielen anderen antiken literarischen Zeugnissen deutlich 45 . Zweifellos bedeutet es ein erfolgreiches Stück Seelenleitung, bei einer so zahlreichen, auf engstem Raum zusammenlebenden, aus allen nur möglichen Altersstufen bestehenden und auch dem sozialen Herkommen wie der intellektuellen Vorbildung nach so verschiedenen Hausgemeinschaft eine so vollendete Harmonie unter allen Beteiligten herzustellen. Glücklicherweise können wir uns ein einigermaßen zutreffendes Bild davon machen, mit welchen Mitteln dieses Wunder ermöglicht wurde. Das Leben in der Schule Epikurs stellte nichts anderes dar, als ein ständiges, stufenweises Fortschreiten zur Weisheit4 6 . Wenn ein Mitglied der Schule besser genannt werden konnte als das andere, dann nur in bezug auf die größeren Fortschritte, die es aufzuweisen hatte. Jedes Schulmitglied war gehalten, die Angehörigen der nächst höheren Stufe zu respektieren und zu verehren, in erster Linie natürlich Epikur selbst, der den Titel eines ήγεμώ^, eines Führers 47 , für sich in Anspruch nahm, und es ist kaum zweifelhaft, in welchem Sinne er dies verstanden sehen wollte. Seneca berichtet in einem seiner Briefe an Lucilius 48 von einer Klassifizierung von Menschen, die Epikur vorgenommen habe: „Einige, sagt Epikur, seien nach der Wahrheit ohne fremden Beistand ausgegangen und hätten sich selbst den Weg dorthin gebahnt... gewisse andere benötigten fremde Hilfe, sie gingen nicht von selbst, wenn niemand voranschritte, aber sie folgten gut nach. Unter diesen befände sich Metrodorus 4 9 ... Neben diesen findet mairnoch eine andere Klasse von Menschen, — und selbst diese ist nicht zu verachten - die sich zum Rechten treiben und drängen lassen, die nicht nur einen Führer brauchen, sondern einen Helfer, sozusagen einen Antreiber... Ein solcher sei Hermarch 5 °gewesen." Daß Epikur sich selbst zu der erstgenannten Klasse von Menschen rechnete, geht aus seinen vielfachen Äußerungen hervor, mit denen er zu betonen pflegte, daß er bei der Aufstellung seines philosophischen Systems keinem Lehrer etwas zu verdanken habe, sondern völlig eigene Wege gegangen sei 5 1 . Er 44 Cie., De fin.1,65: At vero Epicurus una in domo, et ea quidem angusta, quam magnos quantaque amoris conspiratione consentientes tenuit amicorum greges! Quod fit etiam nunc ab Epicureis. 45 Vgl. u.a. Gnomol.Vat.36. Cie., De fin.II,81; Lucullus 115: Epicureos, tot meos familiares, tarn bonos, tarn inter se amantes v i r o s . . . Tusc.111,50: Et queruntur quidam Epicurei, viri optimi - nam nullum genus est minus malitiosum - . . . 46 Vgl. De Witt., a.a.O. S. 99 f. 47 Vgl. De Witt., a.a.O.S.93. Vgl. Diog.L.,X,20. wo auf Hermarchos als das Schulhaupt nach Epikurs Tode dieser Titel angewandt wird. 48 Sen., Ep.52,3. 49 Metrodorus war der Lieblingsschüler Epikurs, allgemein als „alter Epicurus" angesehen. 50 Schulleiter nach dem Tode Epikurs. 51 Diese seine Behauptung ist in der Antike häufig angefeindet worden: Vgl. Cie., De nat.deor. 1,72 f.: Ista enim a vobis quasi dictata redduntur, quae Epicurus oscitans halucinatus est, cum quidem gloriaretur, ut videmus in scriptis, se magistrum habuisse nullum. . . . nihil enim olet ex Academia^ nihil [ne] ex Lyceo, nihil ne e puerilibus quidem diseiplinis. Xenocraten audire potuit.. . ipse non vult. Pamphilum quendam Piatonis auditorem ait a se Sami auditum. . . ; sed hunc Platonicum mirifice contemnit Epicurus: ita metuit ne quid umquam didicisse videatur. In Nausiphane Democriteo tenetur; quem cum a se non neget auditum vexat tarnen omnibus contumeliis. atqui si haec Democritea non audisset, quid
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Die Seelenleitung der hellenistischen Philosophenschulen
war überzeugt, mit seiner Philosophie, der „wahren Philosophie" 5 2 , die Menschheit zur Eudaimonie und zur Freiheit zu führen5 J , während er alle diejenigen als Sklaven ansah, die wie die Naturphilosophen an die άναγκη, die Notwendigkeit, glaubten oder wie die Dichter an das Fatum, Theophrast an die Fortuna, das breite Volk an göttliche Einmischung in irdische Belange, die Platoniker an Astralgötter und diejenigen, die ihre Freiheit vergeudeten, um politischer Macht, Ruhm und Reichtum nachzujagen. Was Wunder, wenn er dieselbe Verehrung für sich in Anspruch nahm und auch erhielt, wie sie den sogenannten σωτηρβς, den Heilsgöttern, vom Volk entgegengebracht wurde 5 4 und wenn er seine Worte als Orakel bezeichnete 5 5 ? Nun wäre es zwar sicher falsch, aus dem eben Vorgetragenen schließen zu wollen, daß Epikur sich selbst für einen Gott hielt. Das hätte sich mit seiner eigenen Theologie kaum vereinbaren lassen5 6 . Vielmehr war es ihm darum zu tun, das Verdienst seiner eigenen Lehre um die Menschheit höher zu stellen als das der vermeintlichen Götter 5 7 , und die vielen kultischen Anklänge im Ritual seiner regelmäßig
audicrat, quid est in physicis Epicuri non a Democrito? nam etsi quaedam commutavit. . . tarnen pleraque dicit e a d e m . . . Vgl. Cie., De fin.1,21; 1,17. Vgl. Sextus Emp., Adv.Math. 1,3: yevößevoq ου ν τούτου μαθητής (seil. Ναυσιφάκους) ό 'Επίκουρος imep του боке i f · αυτοδίδακτος είναι και αυτοφυής φιλόσοφος ήρνεϊτο εκ παντός τρόπου, τήν те περι αυτού φήμην έξαλείφειν 'έσπευδε. . . 52 Vgl. Gnomol.Vat.41. 53 Vgl. Lucr., De rer.nat.VI,24ff.: veridicis igitui purgavit pectora dictis Ί et finem statuit cuppedinis atque timoris I exposuitque bonum summum, quo tendimus omnes, ί quid foret, atque viam monstravit, tramite parvo I qua possemus ad id recto contendere cursu... 54 Vgl. Philod.ap.Pap.Herc.,346,4,19: ... ύμνεϊν και τον σωτήρα τον ϋμέτερον Σωτήρ wird Epikur auch von Plotina, der Frau Trajans, in einem Brief an die Epikureer in Athen genannt (Syll., 834,20). 55 Vgl. Gnom.Vat.29; Lucr., De rer.nat.V,110ff.: Qua prius adgrediar quam de re fundere fata sanetius et multo certa ratione magis quam Pythia quae tripode a Phoebi lauroque profatur, multa tibi expediam doctis solacia dictis. 56 Vgl. die Antwort Epikurs auf die Proskynesis des Kolotes, Frgm.141 Usener, in der Interpretation von Festugiere, a.a.O.S.7. 57 Diese Tendenz wird aus dem Proömium zum 5.Buch des Lucrez deutlich sichtbar ( V , 8 f f . ) : 8 . . ., deus ille fuit, deus, inelyte Memmi, qui prineeps vitae rationem invenit earn quae nunc appellatur sapientia . . . 13 confer enim divina aliorum antiqua reperta. namque Ceres fertur fruges Liberque liquoris vitigeni laticem mortalibus instituisse; cnrn tarnen his posset sine rebus vita mancre, ut fama est aliquas etiam nunc vivere gentis. at bene non poterat sine puro pectore vivi; quo magis hie merito nobis deus esse videtur, ex quo nunc etiam per magnas didita gentis dulcia permuleent animos solacia vitae. In welchem Sinne Epikur den Gottvergleich verstand, geht auch aus den Schlußworten seines Briefes an Menoikeus hervor (Ich zitiere in der Übersetzung von Gigon): „Dieses und was dazu gehört, überdenke Tag und Nacht in dir selber und zusammen mit dem, der deinesgleichen ist. Dann wirst du niemals, weder im Wachen noch im Schlafen, beunruhigt werden, und du wirst unter den Menschen leben wie ein Gott. Denn keinem sterblichen Wesen gleicht der Mensch, der inmitten unsterblicher Güter lebt."
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Die Organisation der Schule Epikurs
stattfindenden Feste 5 8 sowie die bewußte Anlehnung an sprachliche Wendungen und Bilder aus den Mysterienkulten 5 9 u n d der Tradition der вейн άνδρες60
wird kei-
nen anderen Zweck gehabt haben, als zu diesem Vergleich ständig herauszufordern 61 . Das für die Seelenleitung wichtige und hochwirksame Moment aber bestand darin, daß Epikur mit allen diesen Entsprechungen zu kultischen Gepflogenheiten dem vielen Menschen innewohnenden naiven religiösen Bedürfnis Nahrung gab und die Wirkung seiner Autorität durch diese starke emotionale Grundlage ins Ungemessene steigerte. Außerdem verdient noch hervorgehoben zu werden, daß der Vergleich des Weisen mit den Unsterblichen somit keineswegs eine Eigentümlichkeit nur der stoischen Lehre darstellt 62 . Die nächsten im Rang nach Epikur waren Metrodor, Hermarch und Polyainos. Diese drei hatten den Titel eines καθηΎεμών inne, was nach De Witt soviel bedeutet wie „beigeordneter Führer" 63 , aber es ist nach dem Zitat aus Seneca 64 klar, daß Epikur diese drei Männer der Führung nur insoweit fähig hielt, als er ihnen den Weg bereits gezeigt hatte. Eine ähnliche Rangfolge lag bei der Unterscheidung zwischen dem σοφός und den φιλόσοφοι vor. Der Titel des σοφός war Epikur allein vorbehalten. Später scheint er
ihn allerdings auch Metrodor zuerkannt zu haben6 5 . Die Lehrer der nachfolgenden Ränge wurden — zumindest zur Zeit Philodems als καθηγηταί bezeichnet . Jedem dieser καβη-γηταί war eine Gruppe oder Klasse zugeteilt, deren Aufgabe die stufenweise Erarbeitung der philosophischen Doktrin war, während anscheinend die individuelle Seelenführung den καθηΎεμόνες oblag 67 '
58 Vgl. hierzu das reiche Material bei Festugiere, a.a.O. in den Anmerkungen zu den Seiten 31-35. 59 Vgl. die sehr instruktive Zusammenstellung bei Festugiere, a.a.O.S.57,Anm.l. Ich möchte meinerseits noch hinzufügen Frgm.Usener 163: παώΐίαν bi näoav, μακάριε, фейуе, τάκάτων άράμενος, wo auf das Bild der Fahrt der Seele nach den Inseln der Seligen angespielt wird. (Über Herkunft und Entwicklung dieser Symbolik vgl. Detienne, Homere, Hesiode et Pythagore, S.49ff.) 60 Vgl. Gnomol.Vat.10: „Denk daran, daß du, von sterblicher Natur und über begrenzte Zeit verfügend, durch die Erforschung der Natur die Unbegrenztheit und die Ewigkeit erklommen hast und zu überblicken vermochtest 'Vergangenes, Gegenwärtiges und Zukünftiges' "! (Übers. Gigon) Damit soll gesagt werden, daß das Studium der epikureischen Physik das Wissen verleiht, das in der griech. Tradition den Sehern und веЫ άνδρες zugeschrieben wird. Vgl. oben S. 10 und S. 24, Anm. 85. 61 Wenn Epikur z.B. die in regelmäßigem Turnus stattfindenden Feiern seiner Schule gerade auf Tage legte, die von großer kultischer Bedeutung waren (vgl. De Witt,S. 104f.), so ist das vielleicht mit den Maßnahmen der christlichen Kirche zu vergleichen, die auf die höchsten heidnischen Kultfeste die bedeutendsten christlichen fallen ließ. 62 Vgl. S. 24. 63 Vgl. De Witt, a.a.O.S.94;vgl. Philod., Πepi όργης Frgm.45,1; Rhet.I,col.23.22 p.49 (Sudhaus). 64 Vgl. S. 49. 65 Vgl. Cie., De fin.II,7: . . . qui [seil. Epicurus] se unus, quod sciam, sapientem profiteri sit ausus. Nam Metrodorum non puto ipsum professum, sed, cum appellaretur ab Epicuro, repudiare tantum beneficium noluisse; Septem autem illi non suo, sed populorum suffragio omnium nominati sunt. 66 Vgl. De Witt, Organization and procedure in Epicurean groups, S.206. 67 Vgl. Vogliano, Epicuri et Epicureorum scripta in Herculanensibus Papyris servata, Frgm.5, col.26,Lin.4-10,S.52.
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Die Seelenleitung der hellenistischen Philosophenschulen
Die individuelle Seelenleitung sowie die Gestaltung des philosophisch-dogmatischen Unterrichts in der epikureischen Schule sind nicht nur für sich genommen erwähnenswert, sondern ihre Kenntnis vermag auch die Struktur der stoischen Seelenleitung zu erhellen, wie wir sie in den Briefen Senecas und im Aufbau der Schulen des Musonius und des Epiktet wiederfinden. Epikurs methodisches Prinzip flir den Unterricht im dogmatischen Teil der Philosophie hat er selbst u.a. im Anfang seines Briefes an Herodot niedergelegt, den ich hier zitiere 6 8 : „Für solche, die nicht in der Lage sind, alles im einzelnen durchzuarbeiten, was wir über die Natur niedergeschrieben haben, oder die größeren der darüber verfaßten Bücher durchzunehmen, habe ich einen Auszug aus der gesamten Materie zurechtgemacht, damit sie die grundlegendsten Lehren hinlänglich im Gedächtnis behalten können und auch imstande sind, bei den verschiedenen Gelegenheiten in den Hauptpunkten sich selbst zu helfen, soweit sie sich mit Naturwissenschaft befassen. Auch jene, die in der Übersicht über das All schon hinreichend fortgeschritten sind, müssen sich an die elementaren Grundrisse der gesamten Materie erinnern. Denn einer Gesamtansicht bedürfen wir häufig, der Einzelheiten dagegen nicht in derselben Weise. So müssen wir denn auch auf jene zurückgreifen und sie andauernd soweit im Gedächtnis festhalten, daß wir sowohl den wesentlichen Überblick über die Dinge haben, als auch jede Präzisierung hinsichtlich der Einzelheiten selber finden können, nachdem wir einmal die allgemeinsten Umrisse richtig begriffen und ins Gedächtnis aufgenommen haben. Denn auch für den vollendeten Kenner ist dies das Entscheidende bei jeder Präzisierung, daß er die Übersicht treffend anwendet, dadurch daß er alles auf die einfachsten Elemente und Ausdrücke reduziert. Denn es ist nicht möglich, die dichte Masse des zusammenhängenden Systems des Alls zu kennen, wenn man nicht in der Lage ist, durch kurze Bezeichnungen alles vollständig zu umgreifen, was man auch im einzelnen präzisieren könnte." Wir erfahren also, daß Epikur neben ausführlichen Gesamtdarstellungen seiner physikalischen Lehre 6 9 - wahrscheinlich den 37 Büchern nepl φύσεως, von denen Diogenes Laertios 7 0 spricht — eigenhändig eine Epitome 7 1 geschrieben hat, eben jenen Brief an Herodot. Diese Epitome verfolgt einen doppelten Zweck, wie Epikur angibt: Einmal will sie die grundlegenden Lehren 7 2 für solche zusammenstellen, die aus irgendwelchen Gründen nicht in der Lage sind, sich ausfuhrlich mit allen Fragen der Lehre zu befassen; zum andern ist sie auch für diejenigen unentbehrlich, die bereits über eine vertiefte Kenntnis der gesamten Materie verfügen. Die Epitome hat also nicht nur vorbereitende Funktion, sie dient nicht nur dem Anfänger zu einer ersten Einführung bzw. dem in seinen Studienmöglichkeiten zeitlich Eingeschränkten zu einem gedrängten Überblick über die wichtigsten Lehren, sondern sie darf auch 68 Ep.ad Heiod., bei Diog.L.,X,35ff., zitiert in der Übersetzung von O.Gigon, Epikur,S.10. 69 Der griechische Terminus für diese Gattung wissenschaftlicher Werke lautet υπόμνημα, der lateinische „commentarium". Vgl. Usener, Epicurea, S. XLII. Vgl. unten S. 65, Anm. 147. 70 Diog.L., X,27. 71 'Επιτομή lautet der Terminus des Epikur. Daneben spricht er auch von einem πυκνόν της άβρόας βπφοΚης, was man vielleicht mit „gedrängter Übersicht über das Ganze"übersetzen kann. Der entsprechende lateinische Terminus lautet nach Seneca „breviarium". Vgl.Sen., Ep.39,1: commentarios, quos desideras, diligenter ordinatos et in angustum coactos ego vero componam: sed vide, ne plus profutura sit ratio ordinaria quam haec, quae nunc vulgo breviarium dicitur, olim cum latine loqueremur, summarium vocabatur. 72 Die ολοσχερέστατα! δό^αι; vgl. Ep.ad Herod., bei Diog.L., X,35.
Der dogmatische Lehrplan Epikurs
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später nicht aus der Hand gelegt werden: Selbst die in der epikureischen Lehre weit Fortgeschrittenen müssen sie immer wieder von neuem memorieren 73 . Die Wichtigkeit des Memorierens und Einübens bei Tag und Nacht wird auch am Schluß des Briefes an Menoikeus, der eine Epitome der epikureischen Ethik darstellt, hervorgehoben 7 4 . Es liegt auf der Hand, daß damit nicht nur der Vorgang des rein intellektuellen und gedächtnismäßigen Erfassens des Lernstoffes gemeint sein kann, denn um beispielsweise den sehr kurzen Brief des Epikur an Menoikeus auswendig zu lernen, braucht auch ein nur mittelmäßig begabter Schüler sicher nicht länger als einen Vormittag. Das μελεταν δια παντός ημέρας και νυκτός kann daher nichts anderes bedeuten als eine ständige Meditation über philosophische Grundwahrheiten. Dadurch ist deutlich erkennbar, wie sich mit dem dogmatischen Teil der Philosophie ein Element des paränetischen Teils verbindet, nämlich die admonitio als ständiges mahnendes Erinnern7 5 an bereits Gelerntes, das der Adept der Philosophie für sich allein7 6 vornehmen oder von einem anderen durchführen lassen kann. Im großen und ganzen wird der philosophisch-dogmatische Lehrplan Epikurs, wie De Witt dargelegt hat 7 7 , sich etwa folgendermaßen gestaltet haben: Den Beginn des Unterrichts stellte ein kurzer Abriß der ganzen Lehre des Epikur dar, der zumindest in späterer Zeit 7 8 die uns überlieferten Κύριοι δόξα* umfaßte, eine Zusammenstellung der vierzig wichtigsten und grundlegenden Dogmen in kurzen Sentenzen, von denen
73 Vgl. den Schluß des Briefes an Herodot, Diog.L., X,82f., zitiert in der Übersetzung von O. Gigon, Epikur,S.29: „Dies, mein Herodotos, habe ich dir in den wichtigsten Punkten über die Natur des Alls zusammengezogen. Wenn nun diese Darlegung mit möglichster Genauigkeit festgehalten wird, so glaube ich, auch wenn einer nicht zu allen Einzeluntersuchungen weiterschreitet, so wird er doch den andern Menschen gegenüber eine unvergleichliche Überlegenheit gewinnen. Denn er wird von sich aus vieles klarstellen können von dem, was in unsern gesamten Untersuchungen im einzelnen dargelegt worden ist; und unsere vorliegende Zusammenfassung selbst wird, wenn er sie ins Gedächtnis einprägt, ihm dauernd eine Hilfe sein. Denn sie ist von solcher Art, daß auch jene, die schon hinreichend oder vollständig in die Einzelheiten eingedrungen sind, ihre Untersuchungen über die gesamte Natur am erfolgreichsten durchführen, wenn sie sie in derartige Begriffe auflösen. Wer aber nicht zu denen gehört, die durchaus vollkommen sind, der kann auf Grund des Gesagten auch ohne mündliche Unterweisung in allerkürzester Zeit einen Überblick über das Wichtigste erhalten, der ihn zur Ruhe bringt" Vgl. Lucr., De rer.nat.1,1115-1117.
74 Diog.L., ХД35: ΤαΟτ' ούν к at τα τούτοις συγγενή μελέτα δια παντός ημέρας και νυκτός προς σεαντόν και προς τον ομοιον σεαντφ.. . Vgl. Ep.ad Pythocl., bei Diog.L., X,84ff. 75 Vgl. u.a. Plin., Ep.8,24,1: amor in te meus cogit non ut praecipiam (neque enim praeceptore eges), admoneam tamen ut quae scis teneas et observes. Vgl. Sen., Ep.75,11. Über die gelegentliche Unterscheidung von exhortatio und admonitio vgl. unten & 169, Anm. 32, letzter Teil. 76 Vgl. Epikur, Ep. ad Menoic., Zitat Anm. 74 und Epiktet, Zitat S. 57, Anm. 104. Titel wie Inhalt der Bücher Εις εαυτόν oder καθ' εαυτόν des Kaisers Marc Aurel weisen darauf hin, daß es sich hier um die Praxis der entsprechenden, selbst vorgenommenen schriftlichen Übungen handelt, während die Briefe Senecas an Lucilius derartige Ermahnungen von anderer Seite darstellen. Vgl. S. 59, Anm. 111. 77 De Witt, Epicurus and his philosophy, S. 110 ff. 78 Usener zufolge stellen die Κύριαι δόξαι eine Epitome der Lehre Epikurs von fremder Hand dar (vgl.Epicurea S.XLIV); De Witt dagegen scheint anzunehmen, daß diese Epitome auf Epikur selbst zurückgeht.
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Die Seelenleitung der hellenistischen Philosophenschulen
wiederum die ersten vier in die kurze Formel der sogenannten Tetrapharmakos 79 zusammengezogen wurden. Die Κύριαι δόξαι waren im gesamten Altertum berühmt 8 0 und wurden von allen Epikureern auswendig gelernt . Wünschte der Schüler eine Erweiterung seiner Kenntnisse, z.B. auf dem Gebiete der Physik, so konnte er zu der kleinen Epitome, dem Brief Epikurs an Herodot, greifen. Die weiteren Details lieferten dann die „Große Epitome" 8 2 und darüberhinaus die 37 Bücher der Physik selbst. Die Methode Epikurs ist also zunächst deduktiv: Von gewissen allgemeinen Grundprinzipien schreitet sie fort zu den Einzeluntersuchungen 8 3 , jedoch so, daß auch derjenige, der nur diese Grundprinzipien kennt, sein philosophisches Rüstzeug als ausreichend betrachten d a r f 8 4 , ist er doch nach Meinung Epikurs bereits mit Hilfe dieser Grunddogmen in der Lage, „von sich aus vieles klarstellen zu können von dem, was in unseren gesamten Untersuchungen im einzelnen dargelegt worden ist." Selbst der Mann aus dem Volke, der mit der Philosophie Epikurs nie näher in Berührung gekommen ist, kann sich rühmen, Epikureer zu sein, sofern er nur die Tetrapharmakos zu erfassen imstande ist. Für jene nun, die im Idealfall mit Hilfe der deduktiven Methode bis zu den kleinsten Details der Lehre Epikurs gelangt sind, beginnt dann — und bereits auf dem Wege dorthin — das umgekehrte Verfahren: der Rückgriff von den Einzeluntersuchungen auf die Grunddogmen. Auf eine Phase der Extension folgt immer wieder eine Phase der Komprimierung. Diese Methode ist keineswegs auf die Schule Epikurs beschränkt geblieben. Sie liegt dem Lehrplan der Briefe des Stoikers Seneca ebenso zugrunde wie der Lehrpraxis des Epiktet, wie sie sich überhaupt in dem starken Florieren der Epitome in der Hellenistik und in der römischen Kaiserzeit manifestiert 8 5 . Die Briefe Senecas an Lucilius z.B. zeigen ein allmähliches Fortschreiten von lapidaren philosophischen Grundsätzen, die so allgemein sind, daß Seneca sie unbeschadet seines Stoikertums aus dem Munde Epikurs nehmen darf, bis hin zu philosophischen Quisquilien. Dieser Entwicklung entspricht der stetig sich vergrößernde Umfang der Briefe. Daneben lassen sich folgende Stadien des philosophischen, außerhalb des Briefwechsels stattfindenden Lehrgangs, aus den Briefen ablesen: I. Phase (Sentenz): Sie wird durch das Eingehen Senecas auf die epikureischen Neigungen des Lucilius gekennzeichnet 8 6 . Die kurzen Briefe sind auf Epikursentenzen 79 Usener, Epicurea, S.69 (Voll.Herc.coll.alt.t.I f.148: ιταρ1,5 (S.18,10 Marquardt): Άλλ'εμο^ε δοκεϊ βάλτων elvai μακρώ προς то επί πολύ εχειυ 'άνευ των ε'φ-ημένων παθών, πρώτον μεν εξαναοτάντα της κοίτης έπισκοπείσθαι προ πάντων τών καθ' ημεραν еру ω ν, ара βέλτιόν έστι πάθεοι δουλεύοντα £ήν η λογισμφ χρήσβαι προς 'άπαντα; δεύτερον δ', οτι τ ψ βουλομέν^ yiyveodai καλφ кауавф παρακλητέον ίοτ'ι τον δηλώοοντα τών ύφ' εαυτού πραττομένων ουκ ορθώς έκαστου • е й ' ετι καθ' е карт η ν η με ρ αν те και ω ρ αν ε χ ε 11> < χ ρ ή > έ ν πρόχειρη την δό ξ αν τ αύτη ν, ώ ς 'άμε Lvov μεν ε ο τ ι ν εαυτόν τ ι μ ή σ α ι τών καλών κ ά у α θ ώ ν. . . (S. 19,11): κ α ι τών δ ο γ μ ά τ ω ν οίς πειθ όμενος αν η ρ у ε ν η ο η καλός κäyaθός, 'εν π ο λ λ φ χρόνψπροοήκε ιμελεταν έκαστο ν. έπιλα νθανόμεθα yäp αύτοϋ ρρδίως εκπίπτοντας της ψυχής ημών, δια τό φθάφαι πεπληρώοθαι τοις πάβεσιν αύτήν. 108 Vgl. Zitat S. 57, Anm. 104. 109 Uns kenntlich zu einem geringen Teil durch die Aufzeichnungen seines Schülers Lucius, die zwar nicht wie die des Arrian stenographisch und an Ort und Stelle erfolgt sind, sondern erst Jahre später aus dem Gedächtnis, an deren Zuverlässigkeit aber dennoch, wie Capelle (a.a.O.S.236) urteilt, „für die Kenner dieser Art Literatur überhaupt kein Zweifel" besteht. 110 Als eines der jüngsten Beispiele sei hier nur W. Trillitzsch, Senecas Beweisführung, S.69, zitiert: „Wenden wir uns nun dem ausgeprägt diatribenhaften Charakter in Senecas Schriften zu, der besonders im ersten Teil seiner Briefe (1-88) und einigen Dialogen augenfällig hervortritt. Es ist hier gar keine eigentliche Beweisführung vorhanden, sondern es werden lediglich praecepta erteilt und irgendwelche philosophische Gedanken in eine anschauliche und
Das Memorieren philosophischer Grunddogmen
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schließlich die schriftlichen Übungen111 des Kaisers Marc Aurel Εις έαυτόν. Alle diese Zeugnisse sind, wie bereits bemerkt, nicht als Dokumente für den eigentlichen dogmatischen Unterricht anzusehen, sondern stellen bestimmte Formen der Einübung, des μελετάν, dar, die der sittlichen Verarbeitung und Aneignung des Gelernten 112 und als richtig Erkannten dienen. Wenn sich diese Übungen auf verhältnismäßig wenige philosophische Grundthemen beschränken 113 und diese unaufhörlich umkreisen, so kann man von diesem Tatbestand allein noch nicht auf eine zunehmende Verflachung des philosophischen Lehrbetriebes in der Kaiserzeit schließen, haben wir doch gesehen, daß es sich hierbei um ein methodisches Prinzip handelt, das sich bereits zu Beginn der Epoche der hellenistischen Philosophie manifestiert und eine gründliche Beschäftigung der dazu Befähigten mit den Einzelheiten der Lehren nicht ausschließt 114 . Die Herausarbeitung eines „Katechismus" hängt eben mit dem Heilscharakter der epikureischen und stoischen Philosophie eng zusammen, und seine Bebedeutung und Stellung ist keine andere als innerhalb der christlichen Lehren, bei deren Beurteilung es genau so verfehlt wäre, etwa von der Thematik der Predigten in den Gemeindekirchen auf den Stand der modernen Theologie zu schließen. Was die Seelenleitung betrifft, so haben wir in diesem ständigen Memorieren und inneren Bereitstellen philosophischer Grunddogmen ihr hellenistisches und kaiserzeitliches Kernstück vor uns. Wie schon oben erwähnt, handelt es sich hierbei ja nicht um bloße Operationen des Intellekts, die ihr Ziel im Denkakt selbst erreichen und erfüllen, sondern erstrebt wird ganz eindeutig eine bestimmte sittliche Haltung, die Fähigkeit zur Bewältigung aller Lebenssituationen, d.h. also die Transformation
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unterhaltsame Form gekleidet. Ihre überzeugende Wirkung geht dabei von der autoritativen Person des Lehrers aus, der sich der Wahrheit seiner Worte bewußt i s t . . . So erhalten die vielfältigen Ermahnungen und Hinweise, die oft wiederholt und in eine kurze, prägnante Form - die Sentenz - gebracht werden, die fast sprichwortartigen Charakter annimmt, eine eigentümliche Wirkungskraft. Sie werden dabei von Bildern, Vergleichen oder Erfahrungstatsachen und -beweisen unterstützt, illustriert und in der zwanglosen Form des sermo mit einem vorgestellten Gesprächspartner - Mittel des Einwurfs - vorgebracht." Bereits in der Schule Epikurs war es üblich, schriftlich zu memorieren bzw. zu meditieren, was bei entfernt wohnenden Schülern in Briefform geschah. Vgl.Frgm.212 Usener; [Штц\ ρ[ώ]ν τ[ην] έπιατολην παααΐν] και τον [^πι]λθ7ΐσμόν ον έπεπάηαο περί των [άν]θρώ[πω]ν ώ[ς] μτγτε την άναλο·γίαν την ката τα φαινόμενα [τ]οϊς άοράτοις [ούσ]αν δυναμ[6ΐΊω[ι>1 συνιδεϊν μήτε. . . Vgl. ferner Ep.ad Pythoclen (Pseud.-Epikur, Diog.L.,X,84): Κλέωυ . . . την παρά σον μοι ηνεγκεν έπιοτολήν, έν f j φιλοφρονούμενος. . . ούκ άπυθάνως έπειρώ μνημόνευεw των βίς μακάριου βίον συντεινόντων διαλογισμών. . . Denselben Brauch dürfen wir auch bei dem Briefwechsel Seneca-Lucilius voraussetzen; jedenfalls glaube ich, daß die häufigen Briefanfänge dieser Art: Ex is quae mihi scribis, et ex is quae audio, bonam spem de te concipio (Ep.2,1); Exulto, quotiens epistulas tuas accipio: implent enim me bona spe et iam non promittunt de te, sed spondent (Ep.19,1) auf in den Briefen des Lucilius enthaltene schriftliche Meditationen anspielen, obwohl sich dies nicht beweisen läfit Eindeutig dagegen ist die Anweisung Epiktets (Diatr. 111,24,103): Ταύτα νυκτός, ταύτα ημέρας πρόχειρα 'έστω • ταύτα урафеш, ταύτα άναη/ι-γνώσκειν · nepi τούτων τους λόγους ποιείσθαι, αυτόν προς αύτον, προς 'έτερον. Vgl. S. 53 oben. Vgl. Epict,III, 5,11: ταύτα με ένθυμούμενον, ταύτα -γράφοντα, ταύτα άναγιγνώσκοντά καταλάβοι ο θάνατος. Vgl. Sen., Ερ.20,1: Illud autem te, mi Lucili, rogo atque hortor, ut philosophiam in praecordia ima d e m i t t a s . . . Ep.40,4: Quid, quod haec oratio, quae sanandis mentibus adhibetur, descendere in nos debet? Vgl. S. 56, Anm. 94 den Schluß des Zitates. Vgl. S. 56, Anm. 94 den Anfang des Zitates. VgL oben S. 53 ff.
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Die Seelenleitung der hellenistischen Philosophenschulen
philosophischer Lehren in einen ethischen Habitus 1 1 5 , worauf ich weiter 1 1 6 unten ausführlicher zu sprechen kommen werde. Neben diesen Meditationen der Grunddogmen gab es noch andere Arten geistiger Übung, die zwar mit der jeweiligen Dogmatik so fest verbunden sind, daß sie geradezu als Charakteristika der einzelnen Schulen zu bezeichnen sind, die aber doch eine gewisse Eigenständigkeit besitzen: die praemeditatio malorum für die Stoa und die avocatio, die Ablenkung, für die Epikureer. Wenngleich Cicero im dritten Tusculanenbuch die praemeditatio malorum vor allen den Kyrenaikern zuschreibt 117 — eine Angabe, zu deren Bestätigung wir keine weiteren Zeugnisse besitzen — und erst in zweiter Linie Chrysipp, so ist doch diese Übung des Vorausbedenkens aller möglicherweise eintretenden Unglücksfälle in besonderem Maße typisch für die Stoa. Wir haben gesehen, daß die ständig vorgenommenen Meditationen der philosophischen Grunddogmen zu einer „Bewußtseinspräsenz" führen sollen „ut sua sponte occurrant salutaria et ubique ac statim desiderata praesto sint et sine ulla mora veniat illa turpis honestique distinctio" 118 . Das stoische Grunddogma, daß es kein Übel gebe außer dem Laster, sollte also beim Eintreffen eines jeden (ubique) fälschlicherweise so genannten Übels, also bei Todesfällen, Verbannung etc., sofort (statim) gegenwärtig sein. Damit nun auch durch das Moment der Plötzlichkeit und Überraschung bei einem unerwarteten Geschehnis die Bewußtseinspräsenz der Grunddogmen nicht überdeckt oder gar ausgeschaltet werden konnte, übte man sich durch eine Art Vorwegnahme aller möglichen Unglücksfälle in der Phantasie (animo praesumere) 119 , und zwar, wie Seneca sagt, nicht nur unter der Voraussetzung,
115 VgL das „partem sui facere" im Zitat S. 56, Anm. 94. Seneca spricht auch von einem „transflgurari": Ep.6,1: Inteüego, Luciii, non emendari me tantum sed t r a n s f i g u i a r i . . . . Für Eipkui vgl· das Zitat S. 53, Anm. 74, ferner u.a. Ep.ad Menoic. (Diog.L.,X,124): £ui*?0i?e δ' ΐι> τφ νομίξειν μηδέν προς ήμάς ebnu τον θάνατον. Hierzu bemerkt P. Rabbow sehr richtig (Seelenführung S.129 f.): „Hier konnte dem Psychagogen unmöglich verborgen sein, daß das ständige Memorieren dieser - und überaus zahlreicher ähnlicher - Elementarsätze der Heilslehre, das intensive, „heftige", zum Jasagen führende Memorieren einen sittlichen Zustand, hier der Furchtlosigkeit vorm Tode, der Freiheit von Götterfurcht, als unmittelbare Wirkung des memorativen Aktes weckte, erneuerte, festigte, vertiefte." 116 Vgl. unten meine Ausführungen über das „Wissen als Habitus". 117 Vgl. Cie., Tusc.111,52: Cyrenaicorum restat sententia, qui tum aegritudinem censent exsistere, si necopinato quid evenerit . . . etiam Chrysippo ita videti scio, quod provisum ante non sit, id ferire vehementius. Vgl· a.a.O. 31: Qua re accipio equidem a Cyrenaicis haec arma contra casus et eventus, quibus eorum advenientes impetus diuturna praemeditatione frangantur... 118 Vgl· Zitat S. 56, Anm. 94. 119 Vgl. Sen., Ep.91,3-4: Inexspectata plus adgravant: novitas adicit calamitatibus pondus, nec quisquam mortalium non magis quod etiam miratus est, doluit. Ideo nihil nobis inprovisum esse debet: in omnia praemittendus animus cogitandumque non quiequid solet, sed quicquid potest f i e r i . . . 7-8: Cogitanda ergo sunt omnia et animus adversus ea, quae possunt evenire, firmandus. Exilia, tormenta morbi, bella, naufragia meditare. Potest te patriae, potest patriam tibi casus eripere, potest te in solitudines abigere, potest hoc ipsum, in quo turba suffocatur, fieri solitudo. Tota ante oculos sortis humanae conditio ponatur, nec quantum frequenter evenit, sed quantum plurimum potest evenire, praesumamus animo, si nolumus opprimi nec Ulis inusitatis velut novis obstupefieri: in plenum cogitanda fortuna est. Vgl. Ep. 78,29.
Die Praemeditatio malorum bei den Stoikern
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daß sie eventuell eintreten könnten, sondern daß sie mit Bestimmtheit eintreten werden120. Diese Übung hat schon eine lange Tradition. Euripides, Schüler des Anaxagoras, beschreibt sie bereits in einer seiner T r a g ö d i e n 1 2 1 , und wahrscheinlich aus etwa der gleichen Zeit stammt ein entsprechendes Zeugnis aus der pythagoreischen S c h u l e 1 2 2 In der Lehre der Stoa aber nimmt diese Art von Meditation geradezu eine zentrale Stellung ein, sollte sie doch mit nie nachlassender Intensität durchgeführt werden: „Bei jedem von den Dingen, die dir Freude machen oder ein Bedürfnis dir erfüllen oder teuer sind, gedenke den Spruch auszusprechen.(e7riXe7eu>), der ansagt, was es ist. Beginne mit dem Kleinsten. Wenn du einen Topf gern hast, sprich: 'einen Topf lieb' ich'; dann wirst du, wenn er dir zerbricht, dich nicht erregen. Wenn du dein Kindlein küssest oder auch dein Weib, sprich: 'einen Menschen küsse ich'; dann wirst du·, wenn es stirbt, dich nicht e r r e g e n . " 1 2 3 Die Forderung der Stoa, auf diese Weise in aufrechter Haltung und mit o f f e n e n Augen der Tyche ins Gesicht zu s e h e n 1 2 4 , erzeugte eine Grundhaltung angespannter Wachsamkeit, die den stoischen Weisen kennzeichnet, der, wie Cicero es formuliert „semper animo sie exeubat, ut ei nihil improvisum accidere possit, nihil inopinatum"125.
120 Vgl. Sen., Ep.99,32: . . .in reliquum adhortarer, contra fortunam tolleres animos et omnia eius tela, non tamquam possent venire, sed tamquam utique essent Ventura, prospiceres. 121 Vgl. Cie., Tusc.111,29: Haec igitur praemeditatio futurorum malorum lenit eorum adventum, quae venientia longe ante videris. Itaque apud Euripiden a Theseo dicta laudantur; licet enim, ut saepe faeimus, in Latinum ffla convertere: Nam qui haec audita a docto meminissem viro, futuras mecum commentabar miserias: aut mortem acerbam aut exsili maestam fugam aut semper aliquam molem meditabar mali, ut, si qua invecta diritas casu foret, ne me inparatum cura laceraret repens. Quod autem Theseus a docto se audisse dicit, id de se ipso loquitur Euripides. Fuerat enim auditor Anaxagorae, quem ferunt nuntiata morte filii dixisse „sciebam me genuisse mortalem". Quae vox declarat iis esse haec acerba, quibus non fuerint cogjtata. Vgl. P. Rabbow, Seelenführung, S. 160 ff. 122 Vgl. Diels-Kranz, VS 1,58 D 6 (Jamblich,V.P.196): και ην αύτοϊς παράγγβλμα, ώς oüSev Sei των άνθρωπίνων συμπτωμάτων άπροσ&όκητον είναι παρά τοις νουν εχουσιν, άλλα πάντα *ροα5οκάν,ων μη τυγχάνουσιν ούτοι κύριο ι 'άντε ς. Vgl. Ρ. Rabbow, a.a.O., S.161, der diese Stelle in Übersetzung anfuhrt. 123 Epict., Encheir.3, zitiert in der Übersetzung von P. Rabbow a.a.O. S.163f. Vgl.Sen., Ad.Marc. 10,3: Omnes ergo nostros, et quos superstites lege nascendi optamus et quos praecedere iustissimum ipsorum votum est, sie amare debemus, tamquam nihil nobis de perpetuitate, immo nihil de diuturnitate eorum promissum sit. Saepe admonendus est animus omnia amet ut recessura, immo tamquam recedentia: Quicquid a fortuna datum est tamquam exemptum auetore possideas. Vgl. Poseidonios b. Galen, De plac. Hippocr.4,17f., p.393 Müller. 124 Vgl. Plutarch, Περί ευθυμίας 476 D; vgL P. Rabbow, a.a.O. S. 168. 125 Cie., Tusc.IV,37. P. Hadot, Plotin ou la simplicite du regard, S.115, weist auf das Fortleben dieser geistigen Haltung bei Plotin hin: „Si, par exemple, Porphyre nous dit de Plotin que son attention ä soi-meme ne se relächait jamais' (8,20), que 'sa tension Interieure ne cessait jamais tant qu'il veillait' (9,17), il fait tout simplement allusion, en employant ces mots (attention=prosoche, tension=tasis), au vocabulaire technique qui designait la vigilance, c'estiä-dire Γ attitude fondamentale du sage stoicien."
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Die Seelenleitung der hellenistischen Philosophenschulen
Die Einstellung Epikurs ist ganz und gar gegensätzlich. F. Ravaisson 1 2 6 hat nicht zu Unrecht die Verschiedenheit beider Haltungen durch die Termini τόνος oder emτασις bzw. intentio auf der einen Seite, äveaiq bzw. remissio oder resolutio auf der anderen Seite kennzeichnen zu können geglaubt. Epikur ist überzeugt, wie Cicero ausführt 1 2 7 v , d a ß notwendig alle Kummer haben, die glauben, im Unglück zu sein, gleich, ob das vorher vorausgesehen und erwartet wurde oder veraltet ist. Denn durch das Alter minderten sich die Übel nicht, noch würden sie vorausbedacht leichter, und töricht sei sogar das Bedenken eines kommenden oder vielleicht nicht einmal kommenden Übels; lästig genug sei jedes Übel, wenn es da wäre; wer aber immer denke, es könne ihm etwas Widriges zustoßen, dem werde das ein ewiges Unglück; wenn es gar nicht einmal einträte, nähme man umsonst ein freiwilliges Elend auf sich; so ängstige man sich immer entweder durch Empfangen eines Übels oder das Denken daran. - Linderung des Kummers aber sieht er in zwei Dingen, in der Ablenkung (avocatio) von den Gedanken an die Beschwerden und der Hinlenkung (revocatio) zur Betrachtung der Genüsse. Er meint nämlich,-die Seele könne der Vernunft gehorchen und folgen, wohin jene sie führe. Es verbietet daher die Vernunft auf die Beschwerden hinzuschauen, sie zieht ab von den quälenden Gedanken, stumpf macht sie den Blick für die Betrachtung des Elends, und wenn sie zum Rückzug daraus geblasen hat, treibt und regt sie wieder dazu an, die mannigfachen Genüsse zu sehen und mit ganzer Seele zu erfassen, von denen er durch die Erinnerung an die vergangenen und die Hoffnung auf folgende das Leben des Weisen erfüllt glaubt." Die Methode der Ablenkung, der avocatio a cogitanda molestia et revocatio ad contemplandas voluptates 1 2 8 , ist das hauptsächlichste Heilmittel Epikurs gegen jede Art von Leid- und Schmerzempfindung und ist in seiner Auffassung von der Entstehung der Affekte begründet. Er ist nämlich der Meinung, daß für das Aufkommen eines Affektes das Moment der Aufmerksamkeit entscheidend ist: Wenn man das Übel anschaut (intuetur 1 2 9 ), sich ganz seiner Betrachtung hingibt, dann allerdings muß Kummer oder ein anderer Affekt mit Notwendigkeit entstehen. Man muß also seine Gedanken von dem Betrüblichen wegreißen, ihnen eine andere Richtung geben, den Blick auf Freudvolles lenken, woran der epikureische Weise stets Überfluß hat, er, der auch die vergangenen Lustempfindungen noch zu nutzen weiß,
126 F. Ravaisson, Essai sur la Metaphysique d'Aristote II, S.117. 127 Cie., Tusc. III,32f., zitiert in der Übersetzung von K. Büchner, S.138f. 128 In der Verbindung der beiden Elemente liegt das Kennzeichnende der epikureischen Übung, vor allem in der Hinwendung zu lustvollen Empfindungen. Die Ablenkung als solche ist auch bei den Stoikern nicht ganz unbekannt, aber sie wird nur in umgekehrter Richtung gebraucht: Sie dient der Wegwendung des Geistes von sich aufdrängenden Lustvorstellungen, hauptsächlich erotischer Art (vgl. Epict. 11,18,25). Was die Meinung P. Rabbows betrifft, der für den Prozeß der Vermischung stoischer und epikureischer Lehren das Beispiel der eigentümlichen Verbindung der stoischen Prämeditation mit ihrem epikureischen Gegensatz (mala non praeeipere) bei Seneca anführt (a.a.0.s.307), so glaube ich nicht, daß bei Seneca davon die Rede sein kann. In wclchem Sinne die Verwendung epikureischen Gedankengutes bei Seneca gedeutet werden muß, dafür gibt S. 54, nebst Anm. 86, ein gutes BeispieL 129 Cie., Tusc. 111,28: Epicuro autem placet opinionem mali aegritudinem esse natura, ut quicumque intueatur in aliquod maius malum, si id sibi accidisse opinetur, sit continuo in aegritudine. Vgl. P. Rabbow, a.a.O.S.281 f.
Freundschaft und Freimütigkeit bei den Epikureern
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indem er sich unablässig an sie mit Freuden erinnert 1 3 0 . Selbst wenn er von körperlichen Schmerzen befallen wird, „so haben sie niemals solche Gewalt, daß der Weise nicht mehr Gründe zur Freude als solche zum Leide h a t . " 1 3 1 Denn der epikureische Weise „hat begrenzte Begierden, verachtet den Tod, hat ohne jede Angst wahre Ansichten über die Götter und zögert nicht, wenn es so besser sein sollte, aus dem Leben zu scheiden. Ausgestattet mit diesen Dingen ist er stets in Lust. Denn es gibt keine Zeit, in der er nicht mehr Lust hätte als Schmerz. Er erinnert sich dankbar an das Vergangene, und das Gegenwärtige ergreift er in der Weise, daß er anerkennt, wie groß es sei und wie angenehm; er hängt nicht am Zukünftigen, sondern erwartet es und genießt inzwischen das Gegenwärtige..." 1 3 2 . Von allen Dingen aber, die die Weisheit zum glückseligen Leben bereitgestellt hat, ist nach epikureischer Ansicht nichts größer, reicher und lustvoller als die Freundschaft 1 3 3 . Über die Bedeutung der Freundschaft für die Philosophie Epikurs ist so vieles und z.T. so Ausgezeichnetes geschrieben w o r d e n 1 3 4 , daß es nicht nötig ist, an dieser Stelle ausführlicher darauf einzugehen. Von dem institutionellen Charakter der Freundschaft in der Antike im allgemeinen und ihren Beziehungen zur Seelenleitung werde ich weiter u n t e n 1 3 s noch sprechen. Hier möchte ich nur einen Aspekt der epikureischen Freundschaft hervorheben, der bisweilen in unserer Fachliteratur mit dem Begriff „Beichte" gekennzeichnet wird, den ich aber doch lieber mit dem umfassenderen antiken Terminus „Freimütigkeit (παρρησία)" belegen will. In seinem Traktat "Über die Freimütigkeit" gibt uns Philodem, der Schüler des epikureischen Schulhauptes Zeno und Hausphilosoph des Römers L. P i s o 1 3 6 , ein anschauliches Bild des Geistes, wie er in der Schule Epikurs zu dessen Lebzeiten geherrscht hatte und wie er in allen epikureischen Vereinigungen erstrebt wurde: rückhaltloses freundschaftliches Vertrauen aller untereinander und absolute Offenheit. Das erste Erfordernis hierfür war, alle Mitglieder der Schule, ganz gleich welchen Alters, welchen Herkommens und welchen Geschlechtes, daran zu gewöhnen, Ermahnungen und Verweise bereitwillig entgegenzunehmen 1 3 7 . Dieser Gewöhnung diente wahrscheinlich die von Philodem an anderer Stelle erwähnte Einrichtung, daß jedes Mitglied in einem gewissen Turnus regelmäßig an die Reihe kam, den Vorsitz über die anderen zu fuhren und als Schiedsrichter zu fungieren. Timokrates, ein abtrünniger Schüler des Epikur, machte es diesem daher zum Vorwurf, daß er unter Mißachtung der gesellschaftlichen Rangordnung auf diese Weise auch der Hetäre Leontion den Vorsitz über Themista, eine verheiratete Frau vornehmen Herkommens, übertragen hatte. Epikur verteidigt sich unter Hinweis auf das freundschaftliche Verhältnis aller seiner Schüler untereinander, wo keiner Gefahr laufe, durch einen mißgünsti130 Vgl. Cie., De fin. 1,57: Sed ut iis bonis erigimur quae exspectamus, sic laetamur iis quae recordamür. Stulti autem malorum memoria torquentur, sapientes bona praeterita grata recordatione renovata delectant. Est autem situm in nobis, ut et adversa quasi perpetua oblivione obruamus et secunda iueunde ac suaviter meminerimus. 131 Cie., a.a.O. 62. 132 Cie., a.a.O. 62, zitiert in der Übers, von K. Büchner. 133 Vgl. Cie., a.a.O. 65. 134 So z.B. von A.J. Festugiere, Epicure et ses dieux. 135 Vgl. S. 165 ff. 136 Vgl. Cie., In Pisonem 68: Is [seil. Piso] cum istum adulescentem [seil. Philodemum] iam tum hac dis irata fronte vidisset, non fastidivit eius amicitiam, cum esset praesertim appetitus; dedit se in consuetudinem sie, ut prorsus una viveret nec fere umquam ab eo discederet. 137 Vgl. Philodem, riepi παρρησίας.
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gen oder hämischen Schiedsrichter eine beleidigende Behandlung zu erfahren 1 3 8 . Die eigentliche Direkten aber lag nicht in den Händen von Schülern, sondern konnte - den durch Philodem niedergelegten Forderungen zufolge - nur von sehr Erfahrenen und in der eigenen Vervollkommnung sehr weit Fortgeschrittenen, d.h. eigentlich nur von Weisen, in der rechten und Erfolg versprechenden Weise ausgeübt werden 139 . Mit diesen Darlegungen Philodems stimmt überein, daß wir außer von Epikur selbst nur von den Rangnächsten in der Schule, den καθηγεμό^ες, hören, daß sie mit der intimeren Seelenleitung betraut waren, die unter Ausschluß der Öffentlichkeit in einem Gespräch unter vier Augen stattzufinden hatte 1 4 0 . Diesen ihren Seelenleitern sollte jedes Mitglied der epikureischen Gemeinde sich rückhaltlos anvertrauen wie dem besten Freunde und ihnen auch die verborgensten charakterlichen Fehler mitteilen, jede Schwäche, ja selbst jeden Zweifel 1 4 1 . Philodem erzählt in diesem Zusammenhang, daß Epikur einen gewissen Herakleides gelobt habe, „weil er die Tadelsworte, die seine geplante Beichte nach sich ziehen mußte, geringer veranschlagte als den Nutzen, die ihm jene einbrachten, und darum dem Epikur seme Verfehlungen bekannte" 1 4 2 . Umgekehrt mußte sich Apollonides den Tadel des Epikur gefallen lassen, weil er sich nicht von selbst entschließen konnte, sein Inneres zu offenbaren und sich korrigieren zu lassen. Diese seine Unterlassung veranlaßte Polyainos zu einer Denunziation bei Epikur, woraufhin dieser dem Apollonides brieflich Vorwürfe machte 143 . Philodem hebt hervor, daß Epikur die Handlungsweise des Polyainos als durchaus gerechtfertigt ansah 1 4 4 . Der geforderten Freimütigkeit des Schülers hatte die des Seelenleiters zu entsprechen. Mit völliger Offenheit sollte er dem Schüler die Bedeutung seiner Verfehlungen vor Augen führen und gerechtfertigten Tadel nicht zurückhalten, jedoch 138 Vgl. Epikurs Brief an Idomeneus, in: Philodem, De vitiis, lib. 10, hrgs. von C. Jensen: Ein neuer Brief Epikurs, in: Abhdl.d.Ges.d.Wiss.zu Göttingen, Phil.-Hist.Kl.,III,5, Berlin 1933, p.l2,col.II,12 ss.. Ich gebe hier die Jensens Interpretation berichtigende Übersetzung von Festugjere, Epicure fet ses dieux, S.41, Anm.4 wieder: (C'est le dieu Asclepios qui s'adresse a Epicure): „Maintenant, en се qui concerne les insultes qu'il (Timocrate) a ramassees contre vous, il ne parvient meme pas ä vous diffamer quand il declare ignominieux pour vous tous que Leontion ait re9u, pour quelque temps la presidence sur les autres disciples, voire sur une femme mariee (Themista). II n'a guere le droit de se rire de ces choses, et c'est lui qui se deshonore en voulant vous deshonorer. Car on peut donner la presidence ä tous, quand c'est entre eux seuls qu'ä tour de role ils-exercent la fonction d'arbitre (διαιτήυωσι) et qu'ils ne risquent pas d'etre traites avec mepris par un arbitre qui ne partagerait pas leurs dispositions." 139 Vgl. Philodem, a.a.0.1 sqq. 140 Philodem, Περί παρρησίας, 35;79;51;53-54;81. Vgl. Plutarch, De audiendo, 43 F: μάλιστα δ' ό προς έκαστου Ιδία neμαινόμενος λόγος βχει τινά. καρπόν ώφέλψον τοις ύπομβνειν και προσέχειυ ίθνοθε'ιαι. Vgl. Sen., Ερ.38,1: Philosophia bonum consilium est: consilium nemo clare dat. 141 Philodem, a.a.0.28;39;40-42;47. 142 Philodem, a.a.0.49: Ιέπαφεϊσθαι τον 'Ηρακλείδης οτι τας ίκ τώ[ι>] ένφαν{η\σομένων μέμψεις ηττο[υ]ς τιβεμερος τή[ς] ώφελια{ς] αυτών έμήνυεν Έπικούρωι τάς αμαρτίας, zitiert in Anlehnung an die Übersetzung von S. Sudhaus, Epikur als Beichtvater, S.647. 143 S. Sudhaus, a.a.O., bringt das epikureische Brieffragment Usener, Epic.Frgm.il8, in Zusammenhang mit dem weiteren Wortlaut des eben zitierten Philodem-Fragments: και Πολύαινος Se τοιούτος ην,ος ye και Ά[πολλωι>ι]δου £ρθνμοΰρ[τ]ο(ς γράφει?] προς 'Επίκουρου. 144 Philodem, a.a.O. 50: δκφολον. . . γάρ ούχ ήγήοεται τον Επιθυμούντα τον φίλον τυχεϊν •διορθώσεως.
Das persönliche Gespräch mit dem Seelsorger
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hatte die Grundhaltung des Seelenleiters milde und menschenfreundlich zu sein. Epikur habe, wie Philodem berichtet 1 4 5 , aus tiefstem Herzen die rauhe und verletzende Art der Kyniker verachtet und ihre Gewohnheit, in einem fort alles und jeden zu schmähen. Beispiele dieser individuellen Seelenleitung finden sich ebenfalls in der römischen Kaiserzeit. Plutarch nennt diese als dritte und letzte Stufe der philosophischen Unterweisung nach der Vorlesung (άκρόασις, λόγος, oder als besondere Form: σχολή) und der Diatribe 1 4 6 , was sie als feste Einrichtung kennzeichnet. Der Zusammenhang des Traktats läßt in Verbindung mit meinen früheren Untersuchungen folgende Reihenfolge des philosophischen Unterrichts erkennen: Zuerst hört der Schüler eine Vorlesung über bestimmte philosophische Probleme oder nimmt an der Lesung einer philosophischen Schrift mit anschließendem Kommentar des Lehrers t e i l 1 4 7 . Anschließend findet eine Übung (διατριβή) statt, die zwar ebenfalls in der Hauptsache vom Philosophen als Lehrer bestritten wird, in der aber Fragen aus dem Kreis der Zuhörer gestellt werden können über Dinge, die diesen besonders am Herzen liegen 1 4 8 . Plutarch empfiehlt insbesondere, Fragen über die Affekte zu stellen, mit denen man vorwiegend zu kämpfen habe. So befragt auch Gellius in der o b e n 1 4 9 zitierten Stelle aus den Noctes Atticae den Philosophen Taurus nach dessen Vorlesung in der Diatribe über den Zorn. Darüber hinaus aber solle man sich , so rät Plutarch, nach der Diatribe dem Philosophen noch privat nähern und zusätzliche Fragen stellen. Wenn der Philosoph sich dann freimütig äußere (παρρησίαξηται), dürfe man nicht unwillig sein, sei doch diese Art der an einen einzelnen gerichteten priva-
145 A.a.O., coL III, 146 Plutarch spricht in seinem Traktat De audiendo zuerst über die rechte Art, bei Vorlesungen zuzuhören. In diesem Zusammenhang spricht er von άκρόαοεις, σχολαί. Dann geht er dazu über zu erörtern, wann und in welcher Weise es erlaubt sei, Fragen zu stellen (42 F), und in Verbindung hiermit spricht er von der Diatribe und dem privaten Gespräch: 43 D f.: . . . ούδέ 'άμαθίην κρύπτεα/ 'άμεινον, ως φηοιν 'Ηράκλειτος, άλλ' εις μέσον τιθέναι και θεραπεύειν. αι> δ' οργή τις η προσβολή δεισιδαιμονίας η . . . ειηταράξτι την διάνοιαν, ού φευκτέον εις έτερους λόγους άποδώράακοντας τον ελεγχον, άλλα περι αυτών τούτων άκουστέον έυ ταις διατρφαϊς, και μετά τάς διατριβάς ιδία προσιόντας αυτούς και τι ροσ ανακρίνοντας. 147 Hierzu vgl. für Epiktet oben S. 57, für Plotin: Porphyrios, Vit-Plot. 14,10ff.: εν δε ταϊς συνουσίαις άνε·γινώσκετο μεν αύτφ τα υπομνήματα, ε'ίτε Σεβήρου ε'ιη είτε Κρονίου η Νουμηνώυ η Γαίου η 'Αττικού- • - έλέ-γετο δε εκ τούτων ουδέν καθάπαξ, άλλ' 'ίδιος ήν και έξηλλαγμένος έν ττj θεωρώ, και τον Αμμωνίου φέρων νούν έν ταις έξετάσεοιν. έπληρούτο δε ταχέως και δι ολίγων δούς νούν βαθέος θεωρήματος όνίστατο. Harder, der in seiner Übersetzung υπομνήματα durch „Kommentar" wiedergibt, merkt hierzu Folgendes an (72 14,11): „Wenn υπομνήματα hier (wie es nahe liegt) diese Bedeutung hat, sind die im folgenden Aufgezählten Kommentatoren des Plato und des Aristoteles. Freilich kann das Wort auch „Abhandlung, Expose" bedeuten." Bei Galen findet sich dieses Wort noch in der Bedeutung von Abhandlung. Vgl. Galen, Περί ψυχής παθών 1.1 (S.1,1 Marquardt): έπειδή και δί υπομνημάτων εχειν βούλει, α προς την έρώτηαιν άπεκρ ινάμην,ην ένεστήοω προς ήμας ... ήδη πράξω τούτ ο. Galen bezeichnet hier also seine Abhandlung Περί ψυχής παθών selbst als υπόμνημα, wie auch an anderer Stelle seine Abhandlung Περί ηθών. Vgl. Περί ψυχής παθών, I, 6 (S. 20,20 Marquardt). 148 VgL oben S.57 f., ferner Porphyrios, VitPlot. 3,35ff.: ην δε ή διατριβή, ως αν αυτούς ίητεϊν προτρεπομένου τους συνόντας, αταξίας πλήρης και πολλής φλυαρίας. . . 149 S. 57, Anm. 101.
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ten Rede die nützlichste für den, der willig zuzuhören gewohnt s e i 1 5 0 . Diese Form der individuellen Seelenleitung begegnet bei Plutarch noch unter keinem bestimmten Terminus, jedoch scheint man später den Ausdruck ομιλία, dafür verwendet zu haben151. Bei Galen, dem Arzt und Philosophen, findet sich ein anschauliches Beispiel dieser individuellen Seelenleitung in einem seiner Traktate 1 5 2 . Er erzählt von einem jungen Mann, der ihm gegenüber verneint habe, wegen geringfügiger Ursachen sich zu grämen. Später aber sei dieser eines Tages bereits im Morgengrauen zu ihm gekommen und habe ihm berichtet, er habe eine schlaflose Nacht verbracht, weil er plötzlich erkannt habe, daß er selbst bei unbedeutenden Anlässen nicht mit demselben Gleichmut reagiere wie er, sein Lehrer Galen, bei großen. Er wolle daher jetzt von ihm hören, wie er zu dieser seelischen Verfassung gelangt sei, ob durch Naturanlage oder eigene Bemühung und Studium. Galen willfahrt der Bitte des jungen Mannes und gibt ihm ausführlich Antwort. Im übrigen zieht sich wie ein roter Faden durch diesen Traktat die Mahnung Galens, daß man, da man sich nicht selbst zu erkennen vermöge, zu seiner sittlichen Besserung (έπανόρθωσις153) eines anderen bedürfe, der einen schonungslos auf alle Verfehlungen hinweise und dem man offen über die eigenen Schwierigkeiten zu berichten habe 1 5 4 . Ein solcher ausführlicher Bericht eines Patienten über seine seelische Verfassung an seinen Seelenleiter findet sich in Briefform zu Beginn des Traktates De tranquillitate animi des Seneca 1 5 5 , und es spielt für den Zeugniswert dieser Stelle keine Rolle, ob Seneca diesen Brief fingiert hat oder nicht. Der ganze anschließende Traktat stellt nichts anderes dar als die seelenärztliche Diagnose 1 5 6 Senecas mit den entsprechenden Behandlungsanweisungen 15 7 . Nun setzt allerdings eine derartige detaillierte Beschreibung eigener seelischer Fehlhaltungen, wie wir sie in dem genannten Brief des Serenus an Seneca vor uns haben, eine stark entwickelte Fähigkeit zur Selbsterkenntnis voraus und zeugt zudem von einer minutiösen Selbstbeobachtung. Ob diese in systematischer Form tatsächlich in der Antike betrieben wurde, soll im Folgenden untersucht werden. Wenn wir auch für die Schule Epikurs keine direkten Bezeugungen haben, so ist die Wahrscheinlichkeit doch sehr groß, daß Epikur bereits diese Übung des examen
150 Vgl. Zitat S. 64, Anm. 140. 151 Porphyrios erzählt z.B. in seiner Vita Plotini, daß er als Schüler bei Plotin gerade in einer Zeit eintraf, als dieser Sommerferien hielt und kein Schulbetrieb stattfand. Er hätte aber auf andere Weise mit ihm zusammen sein dürfen ev τακ όμιλίακ (5,3f.). R. Harder merkt zu diesem Termin an (12:3,1): persönliche Gespräche. Vgl. Porphyrios, Vit.Plot. 8,12; 18,6. Ich vermute, daß es sich bei Plotin um eine feste seelsorgerische Einrichtung handelte. 152 Galen, Перс ψυχής παθών I, 7 (S.28,13 ff. Μ.). 153 έπανόρθωσις oder διόρθωσις erscheint als fester Terminus der Seelenleitung von Philodem bis Galen. 154 Ganz ebenso Plutarch, De prof. virt. 82 Α: τό δ'εαυτόν άμαρτό ντα παρ exe tu τοις έ\έ-γχονσι και τό πάθος \eyeiv και την μοχθηρΐαν άποκαλύπτειν και μη χαίρειν λανθάνοντα μηδ' άηταπαν ά-γνοούμενον άλλ' όμολοτ/είν και δειοθαι τον άπτομένου και νουθετούντος ού φαύλον αν ε'ίη προκοπής σημειον. Vgl. hierzu ferner weiter unten das Kapitel „Die Funktion des Seelenleiters". 155 Sen., De tranqu. animi 1, 1-18. 156 Sen., a.a.O. 2,1. 157 Sen., a.a.O. 2,2 bis Schluß.
Das examen conscientiae bei den Epikureern
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conscientiae empfohlen hat, bietet sie doch erst die geeignete Grundlage für die geschilderte „Beichtpraxis" bei den Epikureern. W. S c h m i d l s 8 hat mit Recht betont, daß der Gewissensbegriff συνείδηση (conscientia) bei Epikur eine große Rolle gespielt h a t 1 5 9 , und besonders interessant sind in diesem Zusammenhang seine Bemerkungen über den Terminus συντρφή (contritio animi=Zerlcnirschung) 160 , der in einem Brieffragment aus dem Kreise Epikurs auftaucht. Trotzdem bin ich nicht der Ansicht F. Zuckers, daß Epikur der erste war, der dem Gewissensbegriff einen festen Platz in der Ethik eingeräumt h a t 1 6 1 ; dies dürfte kaum von der bei Sokrates so betonten Forderung des -γνώθι oeamov zu trennen sein. Die Möglichkeit bleibt jedoch, daß die organisierte Form des examen conscientiae, d.h. die formale Schulung des Gewissens, ihren Ursprung im Kepos hat, falls man nicht lieber annehmen will, daß diese Übung bereits im älteren Pythagoreismus ausgebildet wurde. Die antike Uberlieferung jedenfalls bringt einhellig die Übung der Gewissensprüfung mit den alten Pythagoreern in Zusammenhang. So schreibt z.B. Porphyrios über Pythagoras 1 6 2 , er habe vorzüglich zwei günstige Zeitpunkte der Aufmerksamkeit empfohlen, den des Zubettgehens und den des Aufstehens. Zu beiden Zeiten sollte man prüfen, was man getan habe und was nun zu tun sei, und bei sich selbst für das Getane Rechenschaft ablegen und sorgfältig seine zukünftigen Handlungen überdenken. Vor dem Zubettgehen solle jeder sich daher folgende Verse vorsingen, die ich in Prosa wiedergebe: „Nicht soll sich dir auf die weichen Lider der Schlaf senken, ehe du nicht jedes einzelne deiner Tagewerke auf dreifache Weise bedacht hast: Worin fehlte ich? 158 W. Schmid, Contritio und ' ultima linea rerum' in neuen epikureischen Texten, S.308f. und Artikel 'Epikur' im RAC, Sp. 742. 159 Schmid, a.a.O., zieht zum Beweis Frgm.531 Us. (=Sen., Ep.97, 15) heran: hic consentiamus [sc.cum Epicuro] mala facinora conscientia flagellari et plurimum illi tormentorum esse eo, quod perpetua illam sollicitudo urget ac verberat, quod sponsoribus securitatis suae non potest credere. Ferner Frgm. 522 Us. (=Sen., Ep. 28,9): initium est salutis notitia peccati. 160 Zum Begriff selbst, der sich bei Philod., Pragmat., col.18,5 D findet, stellt Schmid, Contritio. . . , S. 313 nach vorangegangenem Vergleich mit Plutarch, De superstit. 165 Α und De audiendo 47 A (cap. 16), fest, „daß συντριβή (ουντρίβεοθαι) eine Nuance hat, die über δηγμός und άδημονία beträchtlich hinausgeht und eigentlich etwas fiir den philosophischen Geist Illegitimes darstellt, das - so dürfen wir annehmen - nur in ganz bestimmten Fällen von Epikur als zulässig und ethisch fördersam betrachtet werden konnte. Ein solcher Fall war wohl nur dann gegeben, wenn die in der 'Zerknirschung' liegende ταραχή eine echte kathartische Wirkung auszuüben geeignet erschien." 161 Vgl. F. Zucker, Syneidesis-Conscientia, S.20f., zitiert nach Schmid, a.a.O., da mir die Arbeit Zuckers leider nicht zugänglich war. Zum Gewissensbegriff in der Antike vgl. ferner H. Osborne, Σ Τ Ν Ε Σ Ι Σ and Σ Τ Ν Ε Ι Δ Η Σ Ι Σ ; H.-R. Schwyzer, „Bewußt" und „unbewußt" bei Plotin; hierzu vgl. auch den Diskussionsbeitrag von H. Dörrie, im selben Band der Entretiens, S. 383f. speziell zu Epikur; vgl. ebenfalls den Artikel unter dem Stichwort σύνοιδα, συνείδησκ von Maurer im Theolog. Wörterbuch zum Neuen Testament, VII, S. 897-906. 162 Porphyrios, Vit. Pythag. 40: δύο Se μάλιστα καιρούς παρηγγύα έν φροντί&ι θέσθαι, τον μέν ore εις υπνον τρέιτοιτο, τον δ' ore έξ ϋπνου διανίαταιτο. έπιοκοπεϊν yap προσήκειν έν έκατέρω τούτοιν τά те 'ήδη πεπρα-γμένα και τα μέλλοντα, των μέν •γενομένων εΰθύνας παρ' εαυτού 'έκαστον λαμβάνοντα, των δέ μελλόντων πρόνοιαν ποιούμενου, προ μέν ούν του υιτνου ταύτα έαυτω τά 'έπη έπάδειν εκαστον. μηδ' ΰπνον μαλακοίοιν έπ' ομμασι πρσσδέξασθαι πριν των ήμερννών ip-γων τρις εκαστον έπελθεϊν, πή παρέβην; τί δ' ερεξα; τί μοι δέον ούκ έτελέσθη; προ δέ της επαναστάσεως έκεϊνα • πρώτα μέν έξ ΰπνοιο μελίφρονος έζυπαναστας εύ μάλ' όπιπεύειν οσ' εν ήματι έρ-ya τελέσσεις
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Was führte ich aus? Welche Pflicht unterließ ich? ", vor dem Aufstehen jene: „Als erstes, wenn du aus süßem Schlaf erwachst, bedenke sorgfältig dein künftiges Tagewerk." Diese von Porphyrios angeführten Verse des pythagoreischen Carmen aureum werden ergänzt durch ein entsprechendes Zitat bei E p i k t e t 1 6 3 , das noch zwei weitere Verse des Abendspruches enthält: „Beginnend mit dem ersten, gehe sie einzeln durch und dann schilt dich wegen deiner schlechten Taten, freue dich über die guten." Das Ziel einer solchen doppelten Übung ist wohl ohne weiteres ersichtlich: Es wurde ein Äußerstes an Aufmerksamkeit und Bewußtheit erstrebt, kein Augenblick des täglichen Lebens sollte ohne rationale Kontrolle vorübergehen, und darüber hinaus sollte der Vergleich zwischen Geplantem und Erreichtem die Prüfung des sittlichen Fortschritts ermöglichen. Mit der Frage, ob und wie weit wir hier wirklich altpythagoreisches Gedankengut vor uns haben, kann ich mich hier nicht befassen. In der jüngeren Sekundärliteratur wird die Tendenz erkennbar, altpythagoreische Elemente nur in den ersten drei Versen gelten zu lassen und sie dahingehend zu interpretieren, daß es sich bei der geforderten Übung bei den alten Pythagoreern nicht um eine Gewissensprüfung, sondern um ein reines Gedächtnistraining gehandelt h a b e 1 6 4 . D i e antiken Bezeugungen der entsprechenden Übung jedenfalls setzen unter Berufung auf Pythagoras im ersten vorchristlichen Jahrhundert ein, während die Übung als solche - auch mit rein moralischer Zielsetzung - sich bis ins zweite Jahrhundert v.Chr. zurückverfolgen läßt, wie der in diesem Zusammenhang m.W. noch nicht von der Sekundärliteratur herangezogene Aristeas-Brief b e w e i s t 1 6 5 . Zu dieser Übung der Selbstprüfung liegen uns in den Zeugnissen eines Seneca, Epiktet und Plutarch bereits sehr differenzierte Anleitungen vor. Eine Anweisung zur morgendlichen Meditation gibt Epiktet 163 Epict., Diatr. 111,10,3: Die ersten drei Verse sind dieselben wie bei Porphyrios, nur mit leichter Abänderung des letzten Wortes: = τετέλεσται, statt ετέλεοθη. (In IV,6,35 dagegen bringt er wieder das von allen anderen Quellen Übereinstimmend zitierte έτελεοθη.) Es folgen dann zwei weitere Verse: ίρξάμενος δ' άιτο πρώτου* έπέξιθι και μετέπειτα δειλά μεν ουν ре ξ ας επιπΚήσσεο, χρηστά, δέ τέρπου. *(mit Bentley; τούδε S; τούτον Oldfather, С. Schenkl.) 164 So z.B. P.C. van der Horst, Les Vers 4' or Pythagoriciens, S.24, unter Berufung auf Cie., De senect.ll,38: . . . multum etiam Graecis litteris utor Pythagoreorumque more exercendae memoriae gratia, quid quoque die dixerim, audierim, egerim, commemoro vesperi, was allerdings keine ganz stichhaltige Begründung ist, da Cato hier schließlich nur von dem Zweck seiner eigenen Verwendung des Pythagoreus mos spricht. Ähnlich W. Burkert, Weisheit und Wissenschaft, S.146: „Die spätere Tradition macht ausführliche Angaben über systematisches Gedächtnistraining der Pythagoreer; sie suchten sich am Morgen oder auch am Abend die ganzen Ereignisse des letzten Tages, ja sogar der Vortage zu vergegenwärtigen. Im Jenseits sind die Quellen der Lethe und Mnemosyne, der Myste wird zu dieser hingewiesen und vor jener gewarnt. So hat man ansprechend vermutet, daß das ursprüngliche Ziel der pythagoreischen Konzentrationsübung war, die Kraft der Seele zu steigern, damit sie nach dem Vorbild des Pythagoras der Quelle der Lethe entgehen kann; vielleicht auch war es MysterienЬгацсЬ, im Mysten die ^Erinnerung' an seine göttliche Abkunft wachzurufen." 165 Die frühesten Bezeugungen dieser Übung: Ich zitiere den vorwiegend ins 2. Jh.v.Chr. datierten Aristeas-Brief nach Schubart, Das hellenistische Königsideal nach Inschriften und Papyri, S.6: „Wichtig aber ist es zu sehen, wie der König durch das Amtstagebuch, die sogenannten Ephemeriden, sich zur Strenge gegen sich selbst und zur Gewissenhaftigkeit erzieht; auch
Das examen conscientiae bei Seneca
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z.B. in folgender Form: „Sobald du morgens aufgestanden bist, prüfe: 'Was fehlt mir noch zur Erlangung der Apathie? Was fehlt mir zur Seelenruhe? Wer bin ich? Doch nicht bloß ein elender Körper? Besitz, Ruhm? Nichts davon! Was bin ich also? Ich bin ein vernunftbegabtes Lebewesen!' Was wird also von Dir gefordert? Durchforsche deine Taten: 'Worin fehlte ich? In dem, was die Gleichmütigkeit betrifft! Was beging ich an Unfreundlichkeiten, Asozialem, Rücksichtslosigkeiten? Was habe ich in bezug auf alles dieses getan oder unterlassen?' 166 Bezeichnend dafür, wie solche Selbstprüfuogen meist von allgemeinen Erwägungen, ich möchte fast sagen, Leitmotiven auszugehen pflegen, - hier: Was bin ich? Ein vernunftbegabtes Lebewesen! - ist auch die o b e n 1 6 7 zitierte Galenstelle. Dort ging dem Akt der Selbsterkenntnis, der freilich in dem dort geschilderten Anfangsstadium des sittlichen Fortschritts nur mit Hilfe eines Seelenleiters vorgenommen werden konnte, die grundsätzliche Erwägung voraus, die während des ganzen Tages stündlich wiederholt werden sollte: Ist es besser, den Leidenschaften zu frönen oder sich bei all' und jedem von der Vernunft leiten zu lassen? Ein ausgeführtes Beispiel abendlicher Selbstprüfung bietet Seneca 1 6 8 : „Gibt es etwas Schöneres als die Gewohnheit, seinen ganzen Tag so durch und durch zu prüfen? Wie ruhig ist der Schlaf, wie tief und frei, der auf die Selbstmusterung folgt! Täglich verantworte ich mich vor meinem Richterstuhl. Wenn fortgetragen ist das Licht und meine Frau verstummt, die meine Sitte kennt, durchstöbere ich meinen ganzen Tag und nehme meine Taten und Worte wieder vor; gar nichts verhehle ich, nichts übergehe ich. Warum denn sollt' ich mich auch fürchten wegen irgendeiner von meinen Verfehlungen, da ich doch sagen kann: „Sieh, daß du das nicht wieder tust! Für jetzt verzeih' ich dir. In jener Disputation hast du gereizt und aggressiv geredet: laß künftig dich nicht mehr mit unwissenden Menschen ein; nicht lernen wollen sie, die niemals lernten. — Den hast du, weil du zürntest, mit mehr Freimut als recht war, ermahnt, ihn daher nicht gebessert, sondern nur geärgert: beachte künftig nicht nur, ob es wahr ist, was du sagst, sondern ob der, zu dem du's sagst, Wahrheit vertragen kann. — Beim Gastmahl haben dich Witzworte von gewissen Leuten und Anzüglichkeiten leicht gereizt: gedenke, Jedermannsgeselligkeit zu meiden; losgelassen ist die Ausgelassenheit, wenn sie getrunken haben, da nicht mal, wenn
dies bezeugt der Brief des Aristeas 298: εθος yap έατι, καθώς και σύ γινώσκεις, άφ' ης αν ώρας (so statt -ημέρας zu lesen) ό βασιλεύς αρξηται χρηματΐξειν μέχρις οΰ κατακοψηθη, πάντα άυαγράψβσθαι τα \eyößeva και πρασοόμενα, καλώς -γινομένου και συμφερόντως• τη yap kmούση τα τη πρότερον πεπραγμένα και λελαλημένα προ той χρηματισμού πapavaywώσκετau και εΐ τις μη δεόντως γέγονε, διορθώσεως τνγχάνει τό πεπpayμέvov." Cie., De senect. 11,38, zitiert oben S. 68, Anm. 164. Diod., Bibliotheca X,5,l. Sen., De ira 111,36,1: (über Sextius, einen röm. Philosophen flühaugusteischer Zeit oder dessen gleichnamigen Sohn) Omnes sensus perducendi sunt ad firmitatem; natura patientes sunt, si animus illos desiit corrumpere qui cotidie ad rationem reddendam vocandus est. Faciebat hoc Sextius, ut consummato die, cum se ad noctumam quietem recepisset, interrogaret animum suum: „Quod hodie malum tuum sanasti? Cui vitio obstitisti? Qua parte melior es?" 166 Epict, Diatr. IV,6,33. Vorher hat Epiktet den ersten oben zitierten Vers des Carmen aureum zitiert und die abendliche Selbstpiüfung behandelt 167 Vgl. oben S. 58, Anm. 107. 168 Sen., De ira III,36,2ff., Fortsetzung der oben (Anm. 165) zitierten Stelle, hier wiedergegeben in der den Text etwas kürzenden Übersetzung von Rabbow, a.a.O., S. 185 f.
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Die Seelenleitung der hellenistischen Philosophenschulen
sie nüchtern sind, sie Scheu und Sitte kennen. - Im Zorne hast du deinen Freund gesehen gegen den Portier von irgendeinem Anwalt oder Reichen, weil er ihn nicht einließ; und selbst warst du erzürnt auf jenes inferiore Ding von Sklaven: so zürnst du also einem Kettenhund? Auch dieser bellt erst laut, doch wenn du ihm zu fressen hinhältst, wird er zahm. Zieh dich zurück und lache! — Weil du auf einem weniger honorigen Tischplatz saßest, hat Zorn dich angewandelt gegen deinen Wirt, den Kartenausträger, ja gegen den, der höher saß als du: Unsinniger, was macht es, welchen Sofateil du drückst. Kannst ehrenhafter oder ehrloser du werden durch ein Kissen? - Mit unfreundlichen Blicken sahst du einen Jemand an, weil er von deinem Schriftstellergenie schlecht redete: soll das Gesetz sein? So könnte Ennius dich nicht leiden, weil du keine Freude an ihm hast, und Cicero wäre dein Feind, wenn du dich über seine Dichtungen belustigtest! Wirst du wohl, wenn du dich um die Gunst des Publikums bewirbst, dir auch sein Votum gleichmütig gefallen lassen!" Diese tägliche, morgens und abends oder nur abends vorgenommene Gewissensprüfung 1 6 9 wurde von Zeit zu Zeit, worauf auch Rabbow hinweist, mit der Überprüfung der sittlichen Gesamthaltung verbunden. Ich zitiere E p i k t e t 1 7 1 : „Wir müssen überschauen: wie wir früher uns verhielten zu den Widerfahrnissen des Lebens, wie wir jetzt es tun; welche es sind, die uns noch Pein bereiten können; wie wir auch sie in unsere Behandlung nehmen, wie sie tilgen können; die, die einer Durcharbeitung noch bedürfen, durcharbeiten nach der ihnen eigenen Methode." Einen regelrechten Leitfaden zur Prüfung sittlicher Fortschritte stellt Plutarchs Traktat De profectibus in virtute dar. Man bediente sich sogar schriftlicher Tabellen, um eine genaue Überprüfung zu gewährleisten. So empfiehlt beispielsweise Epiktet, bei der Bekämpfung des Zorns so vorzugehen, daß man die Tage zählt, an welchen man in Zorn geriet und an welchen nicht: „'Ich pflegte jeden Tag in Zorn zu geraten, dann einen um den anderen Tag, dann jeden dritten, dann jeden vierten Tag.' Wenn du so weit kommst, daß du dreißig Tage lang von Zorn frei warst, dann bringe Gott ein Opfer dar. Denn die fehlerhafte Haltung (hexis) beginnt zunächst sich aufzulösen, danach wird sie vollends zerstört" 1 7 2 . Mit Recht vermerkt Rabbow 1 7 3 , daß eine solche Methode nicht denkbar ist ohne schriftliche Notizen. Alle diese Zeugnisse für das examen conscientiae, die vorwiegend aus dem ersten nachchristlichen Jahrhundert stammen, lassen eine starke Systematisierung dieser
169 Die morgendliche und abendliche Selbstprüfung stellt eigentlich das Minimum dar, wie wir aus Galen, Περί ψυχής παθών 1,6, (S.23,7 Μ) ersehen können. Galen geht aus von der mit Hilfe eines anderen, am besten eines erfahrenen Greises vorgenommenen Selbstprüfung und fährt dann fort: είτα (d.h. später, wenn man die Selbstprüfung ohne Seelenleiter vornehmen kann. Ich übernehme nicht die Konjektur τούτο ν. Marquardt, da είτα mit dem πρώτον v.S.22,26 korrespondiert.) καθ' εκάστη ν ημέρα ν αντον (χρή) αναμιμνήα κειν, αμεινον μεν el πολλάκις, el δε μή, άλλα πάντως ye κατά την £ω, πριν αρχεοθαι τών πράξεων, εις εσπέραν δε, πριν άναπαύσεσθαι μέλλειν. Έ γ ώ δήποτε και τάς φερόμενας ώς Πυθαγόρου παραινέσεις (εμαυτόν) ε'ίθιοα δις της ημέρας άνα-γι·γνώσκεw μεν τά πρώτα, λεγειι» δ' από στόματος ύστερον. Marquardt will diese Stelle atheticren, jedoch kann ich seine Gründe (vgl. Praef. S.LXIII) nicht recht verstehen; es scheint mir vielmehr, daß die Stelle gut mit dem Kontext harmoniert. 170 171 172 173
Rabbow, a.a.O. S.182. Epict., Diatr. 111,13,8, zitiert in der Übersetzung von Rabbow, a.a.O. Epict., Diatr. II, 18,12f. A.a.O. S. 184.
Die „Entwicklung" der stoischen Philosophie
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Übung erkennen, der gegenüber jedoch die methodischen Anweisungen eines Origenes aus der ersten Hälfte des dritten Jahrhunderts eine beachtliche Steigerung aufweisen. Eine kurze Paraphrase seines Kommentars zum Hohen Lied 1,8 (nisi cognoveris te...) soll daher den Abschluß bilden. Origenes erkennt in diesem Vers die uralte ethische Forderung des yvcSdι aeavröv, deren doppelten Aspekt er hervorhebt. Einmal bestehe die Selbsterkenntnis im Wissen um das Wesen der Seele (quid sit in eius substantia) 174 , zum anderen im Wissen um ihre sittliche Haltung (affectus= διάβεσις) 175 , das nur auf dem Wege einer subtilen Gewissensprüfung zu erlangen sei. Die von ihm angeführte Methode des examen conscientiae geht vorwiegend auf dihairetischem Wege vor: Ist die Grundhaltung der Seele sittlich gut oder schlecht? Hat sie den rechten Vorsatz, oder nicht? Wenn sie einen guten Vorsatz hat, hat sie den gleichen Tenor in Bezug auf alle Tugenden oder nur in Bezug auf einige? Wenn sie von der Tugend noch entfernt ist, ist sie wenigstens auf dem Wege zu ihr? Ist sie in dem Zustand der Untugend durch Vorsatz oder Schwäche? Auf welche Fehler bezieht sich ihre Untugend? Auf Zorn, Trauer, Ehrgeiz, Furcht? Auf alle diese Fehler, oder nur auf einige? Immer oder manchmal?— Origenes ist Zeuge dafür, daß diese Tradition des examen conscientiae in das Christentum Eingang gefunden hatte. •
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Wenn im vorigen Abschnitt einige Charakteristika hellenistischer philosophischer Seelenleitung behandelt worden sind, die vornehmlich auch in der Stoa eine große Rolle gespielt haben, so wird man vielleicht fragen, wie eine solche Seelenleitung überhaupt möglich sein konnte innerhalb einer Philosophie wie der stoischen, die den Satz aufgestellt hatte, daß es nichts Mittleres zwischen dem sittlich Guten und Schlechten, zwischen dem Weisen und dem Toren gebe 1 7 6 . Ist man genötigt anzunehmen, daß eine stoische Seelenleitung erst möglich wurde, als die mittlere Stoa unter Panaitios und Poseidonios eine Milderung des „altstoischen Rigorismus" vorgenommen hatte und damit auch dem sittlichen Fortschritt einen Platz in ihrem System ermöglicht hatte? Seit dem epochemachenden Buch von Schmekel über die „Philosophie der mittleren Stoa" ist vielfach die Meinung vertreten worden, daß Panaitios so etwas wie eine ,.Moral zweiten Ranges" entwickelt habe, die dazu bestimmt war, an die Stelle des als unerreichbar erkannten altstoischen Weisenideals zu treten, und daß es diese von Panaitios und Poseidonios eingeführte neue Ethik war, die Cicero und Seneca beeinflußt h a t t e 1 7 7 . 174 Origenes, In cant 146,16 Baehrens. 175 Origenes, a.a.O.143,5 Baehrens: ut puta ut intelligat, si boni affectus sit aut mali 143,27 ei άη/α&ην η φαύλην e'xei Smßeatv). 176 In Bezug auf das examen conscientiae äußert H. Jaeger, L'examen de conscience, S. 199, sich z.B. folgendermaßen: „Si par exemple, beaucoup d' auteurs stoi'ciens insistent particulierement sur 1' examen de conscience, comme Sextius, Seneque, Epictete ou Marc Aurele, on ne peut pas dire pour autant que la doctrine stoi'cienne dans son ensemble ait favorise specialement cette pratique ascetique pour approfondir la conscience morale. Tout au contraire le dogme stoicien au sujet de la nature de la faute (omnia peccata paria) prouve que le desir d' intensifier Γ introspection et de creuser individuellement ses actions etait regarde plutot comme inutile." 177 So z.B., um nur einige wenige Vertreter dieser Meinung zu nennen, Guillemin, Seneque
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Die Seelenleitung der hellenistischen Philosophenschulen
Diese neue mittelstoische Richtung dachte man sich als unter dem Einfluß der Polemik der Neuen Akademie, vor allem des Karneades, entstanden, deren Echo man in Ciceros Werk De finibus wiederzufinden glaubte 1 7 8 : „Sie [die Stoiker] rechnen...das natürliche Strebevermögen, das sie άρμη nennen, sowie die Pflicht (officium) und ebenfalls die Tugend selbst zu den naturgemäßen Dingen. Wenn sie aber zum höchsten Gut gelangen wollen, dann überspringen sie alles [d. h. die beiden ersten natürlichen Etappen]." Die Akademiker hätten also den Stoikern vorgeworfen, unfähig zu sein, eine Verbindung zwischen der „empirischen Menschennatur" (mit ihren Strebungen und ihrer Eigengesetzlichkeit) und der „Logosnatur" 179 des Menschen herzustellen: Die Stoiker hätten zwar behauptet, daß alles, was außerhalb der Tugend läge, zu den gleichgültigen Dingen (αδιάφορα, indifferentia) 180 gehöre, gleichzeitig aber erklärt, daß einige unter diesen Dingen vorzuziehen (προηγμένα) seien, ohne daß sie klarzustellen vermocht hätten, weshalb. Ferner seien sie nicht imstande, das Phänomen des sittlichen Fortschritts zu erläutern.da sie alle Menschen außer dem Weisen zu Toren stempelten und nicht angeben könnten, wie man ein Weiser werde. Um diesen Einwänden der Akademiker entgegenzutreten, hätten die stoischen Schulhäupter zu Anfang des zweiten vorchristlichen Jahrhunderts, Antipater von Tarsos und Diogenes von Babylon, die Definitionen, die die alte Stoa für das höchste Gut, das Telos, gegeben hatte, korrigiert, und zwar dergestalt, daß sie die Beziehung zum täglichen Leben, also den Bereich der Pflichten (τα καθήκοντα, officia), stärker in den Vordergrund rückten 1 8 1 . Mit Panaitios und Poseidonios endlich habe sich dann der entscheidende Wandel in der Stoa vollzogen. Panaitios habe den menschlichen Strebungen, den ορμαί (appetitiones), Rechnung getragen, habe erstmalig in der Formulierung des Telos die individuelle Menschennatur berücksichtigt 182 und sei in der Güterlehre vom rigorosen Standpunkt der Stoa abgewichen, die alles außerhalb der Tugend zu gleichgültigen Dingen (αδιάφορα, indifferentia) gestempelt hatte. In Weiterentwicklung dieser Doktrin habe Poseidonios an der monistischen Seelenlehre der alten Stoa Kritik geübt, da diese die Bedeutung des irrationalen Elements in der menschlichen Seele verkannt habe 183 .
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diiecteur d' ämes; Ganss, Das Bild des Weisen bei Seneca; Pohlenz, Die Stoa; Rubin, Die Ethik Senecas in ihrem Verhältnis zur Älteren und Mittleren Stoa; Burnier, La morale de Seneque et le neostoi'cisme. Cie., De fin. IV,39. In der Verwendung dieser Begriffe folge ich O. Luschnat, Das Problem des ethischen Fortschritts in der alten Stoa, S.184 u.S.188. Zur stoischen Güterlehre vgl. unten S. 118, Anm. 96. So z.B. Pohlenz, Die Stoa, und: Stoa und Stoiker, besonders in dem Kapitel „Die Verteidigung des Systems". Die zur Diskussion stehenden Telosformeln lauteten folgendermaßen: Zeno (SVF,1,179): διόπερ πρώτος ο Ζήνων έν τω περι άνθρωπου φύσεως τέλος ehe то ομολογουμένως τη φύσει ζην, опер εστί κατ' άρετην ξνν. Vgl. ferner SVF, 1,180-189. Chrysipp (SVF, III,4): πάλιν δ'Ίσον έστΐ то кат'äpe την ζην τ ψ κατ' εμηειρίαν των φύσει συμβαινόντων ζην, ως φησι Χρύσιππος έν τ ψ яомтц) περί τελών, μέρη -γαρ etaιν ai ημέτεροι φύσεις της той ολου -διόηερ τέλος γίνεται το ακολούθως r f j φύσει ζην • опер έστι κατά те την αυτού και κατά την των ολων. . . φύσιν δε Χρύσιππος μεν έξακούει, fi άκολούθως δει ξην την те κοινην και Ιδίως την άνθρωηίνην. Diogenes Babylonios (SVF, 111,45): ό μεν ουν Διογένης τέλος φησι ρητώς το εΰλογιοτειν εν τή τών κατά φύσιν εκλογή. Vgl. SVF, 111,44 u.46. VgL hierzu oben S. 32 f., mit Anm. 135. I.G. Kidd, The relation of Stoic intermediates to the summum bonum.. ., S.183, gibt eine
Appetitio, officium, virtus
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Demgegenüber haben mehrere jüngere Arbeiten teils gezeigt, teils der Erkenntnis den Weg bereitet, daß auch ein Panaitios und Poseidonios von den grundlegenden Lehren der altstoischen Philosophie nicht abgewichen sind: Sie seien „Stoiker geblieben", d.h. sie hätten an der Behauptung festgehalten, daß die Tugend das einzige und zugleich höchste Gut, das Telos, sei 1 8 4 . Dies sei umso wahrscheinlicher, als die Lehre der alten Stoa selbst von Anfang an die Elemente dessen enthalten habe, was man als wesentliche Neuerungen in der mittleren Stoa zu entdecken glaubte 185 . Die akademische Kritik sei auf eine Mißinterpretation der stoischen Lehre zurückzuführen 186 . In der Tat hatten die Stoiker, im Gegensatz zu den gegnerischen Behauptungen, in Verbindung mit ihrer Oikeiosislehre die drei oben 1 8 7 genannten Gruppen der appetitio (ορμή), des officium (καθήκον) und der virtus vollständig miteinander in Einklang bringen können. Die erste Stufe ist die der ορμαι, der ersten natürlichen Strebungen des Kindes und Kleinkindes, die sich in „Übereinstimmung mit der Natur" auf die πρώτα κατά φΰοιν (prima naturae) wie Selbsterhaltung188 etc. richten. Diesem instinkthaften Streben zu folgen wird auch als erste Pflicht, primum officium, bezeichnet. Diese όρμαί (appetitiones) entstehen auf körperlicher Basis ohne Beteiligung der Vernunft, deren Entwicklung erst einer späteren Altersstufe vorbehalten bleibt. Die zweite Stufe ist die der καθήκοντα (officia): Sie entspricht der Gesamtheit der menschlichen Handlungen, die rein äußerlich gesehen in „Übereinstimmung mit der Natur" ausgeführt werden. Diese „Übereinstimmung mit der Natur" erfolgt spontan in der Handlungsweise der Tiere 189 und ist dem Triebleben des Kleinkindes beigegegute Zusammenfassung der Beweispunkte für diese Theorie: 1) The formulae of the τέλος given by the members of the School. 2) The precise statement of Diogenes Laertius, VII, 128 [ό μέντοι Παναιτιος και Ποσβιίώριος
ούκ αύταρκη Xeyovai την άρετήν, άΚΚα xpeiav ewai φασι και ύ-γιβίας και χορηγίας και Ισχυες.) 3) Cicero, de officiis, I and II as a general source for Panaetius' ethical philosophy. 4) Passages showing that Panaetius and Posidonius, in opposition to Chrysippus, recognized an irrational element in the human soul, leading to a changed interpretation of human
ορμαί and thus of τά ката φύσιν, their objects. 184 Das ist die Auffassung von I.G. Kidd, The relation of Stoic intermediates to the summum bonum, with reference to change in the Stoa. Ich zitiere eine seiner sehr treffenden Formulierungen: „But there comes a time when one ist led to ask the question, 'When is a Stoic not a Stoic? ', and I for one would find difficulty over a member who contradicted the characteristic and fundamental tenet of the School, the summum bonum. I am further heartened in this by the backing of Cicero, who maintains that a School may diverge on other points but not on this (De fin. V,14-J5.)". Für Poseidonios vgl. noch Sen., Ep.87,35: Posidonius sic interrogandum aif: „quae neque magnitudinem animo dant nec fiduciam nec secüritatem, non sunt bona: divitiae autem et bona valitudo et similia his nihil horum faciunt:
ergo non sunt bona.", eine Stelle, die Diogenes Laertius klar widerlegt. 185 Das ist der Gedankengang von Kidd; wesentliche Aspekte hierzu enthüllen die Aufsätze von O. Luschnat, Das Problem des ethischen Fortschritts in der alten Stoa, und J. Moreau, Ariston et le stoi'cisme. 186 So V. Goldschmidt, Le systeme stoi'cien et Γ idee de temps. Einen schnellen Überblick über die neuere Stoaforschung vermittelt P. Boyance, Le stoicisme ä Rome. 187 Cie., De fin. IV,39, vgl. S. 72. 188 Vgl. Cie., De fin. 111,16: Placet his [seil. S t o i c i s ] . . . simulatque natum sit animal..., ipsum sibi conciliari et commendari ad se conservandum...
189 Vgl. SVF, 1,230: ορίξβται Se τό καθήκον • το άκόλουθον kv fcjfi, Ö πραχθεν e'v\oyov
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Die Seelenleitung der hellenistischen Philosophenschulen
ben. Aber mit fortschreitender Entwicklung der Vernunft stellt sie sich beim Menschen nicht mehr spontan ein, sondern resultiert erst aus einer Wahl. Diese Wahl nun, die den menschlichen Handlungen zugrundeliegen muß, und deren Objekte τα κατά φύσα> sein sollen, kann auf zweierlei Weise erfolgen: unvollkommen und vollkommen. Unvollkommen ist sie dann, wenn sie zwar die richtigen Objekte trifft, aber nicht von der rechten Einsicht in ihr Tun begleitet wird. In diesem Falle erfüllt der Mensch zwar seine Pflichten, aber nur unvollkommen, weil die innere Haltung, die seine Handlungen begleitet, nicht der vollkommenen Vernunft, der Tugend, entspringt. Eine solche unvollkommene Pflichterfüllung fassen die Stoiker unter dem Begriff καβήκοντα (media officia) zusammen. Die Objekte der mittleren oder unvollkommenen Pflichterfüllung liegen im Bereich der „gleichgültigen Dinge" (αδιάφορα, indifferentia), zwischen denen eine Auswahl in Richtung auf die κατά φύσιν zu treffen jedoch das menschliche Leben erfordert. Um diese Auswahl zu erleichtern, gibt es eine Zusammenstellung von Regeln (praecepta). Da diese Regeln sich aber immer nur auf das Äußere der Handlungen erstrecken können, sind sie nur Leitfaden für die unvollkommene Pflichterfüllung, das medium officium, oder auch nur officium genannt 1 9 0 . Wenn die Auswahl nun nicht nur die richtigen Objekte trifft, sondern auch in der rechten Weise erfolgt, ist die dritte Stufe, die αρετή (virtus), erreicht. Die Pflichter-, fullung ist hier eine vollkommene (κατόρθωμα, perfectum officium). Allein der Weise ist einer solchen Handlungsweise fähig, und es ist überflüssig zu sagen, daß er keiner Präzepte für die richtige Auswahl der Objekte der Handlungen mehr bedarf. Er läßt sich nur von der Vernunft, die bei ihm einen vollkommenen Grad ihrer Ausbildung erreicht hat (ratio perfecta), leiten und erlangt daher fur seine Handlungen den Grad der vollkommenen Übereinstimmung mit der Natur (ομολογώ, convenientia), der göttlichen Ratio 1 9 1 . Der Unterschied zwischen den καθήκοντα und den κατορθώματα besteht also darin, daß die ersteren sozusagen die Materie für die letzteren sind 1 9 2 . Mit anderen Worten: Die Objekte der unvollkommenen Pflichterfüllung sind auch das Feld, auf dem die Tugend sich betätigt. Damit dürfte erwiesen sein, daß die oben erwähnte Polemik gegen angebliche Inkonsequenzen in der stoischen Lehre gegenstandslos ist und auf — absichtlichen oder unabsichtlichen — Mißverständnissen beruht. Im Gegenteil, die
άπολογίαν εχει ••пара το καθήκον бе то έναντίως. τοντο Biareivei και е'к τα äXoya των fqjuio, ivepyei yip τι какеша ακολούθως rrj εαυτών φύοει · i-πι (be) των λογικών ξωων ούτως ίποΒίΒοται το ακόλουθου έν βίω. 190 Vgl. Cie., De fin. 111,20: Initiis igitur ita constitutis, ut ea quae secundum naturam sunt ipsa propter se sumenda sint contrariaque item reicienda, primum est officium (id enim appello καθήκον), ut se conservet in naturae statu, deinceps ut ea teneat quae secundum naturam sint, pcllatquc contraria; qua inventa selectione et item reiectione sequitur deinceps cum officio selcctio, deinde ea perpetua, tum ad extremum constans consentaneaque naturae, in qua primum inesse incipit et intellegi quid sit quod vere bonum possit dici. Vgl. Cie., a.a.O. III,22. 191 Vgl. Cie., De fin. 111,59: Quoniam enim videmus esse quiddam, quod recte factum appe'l"mus, id autem est perfectum officium, erit etiam inchoatum, ut, si iuste depositum reddere in reete factis sit, in offieiis ponatur depositum reddere; illo enim addito „iuste" fit recte factum, per se autem hoc ipsum reddere in officio ponitur. 192 Vgl. Plutarch, comm.not. 23,1069 Ε: Και τίνα λάβω τον καθήκοντος αρχήν και ΰλην της άρβτης, cupek την φύσιν και τό κατα φύσιν',
Der Streit des Ariston mit Zenon
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Feststellung Ciceros, daß das stoische System bewundernswert folgerichtig s e i 1 9 3 , hat sich auch hier als richtig erwiesen: „Von der conciliatio, die sich instinkthaft vollzieht, bis hin zur von dei Vernunft bestimmten convenientia ist der Kreis geschlossen: vom Anfang bis zum Ende verbleibt man in der „Übereinstimmung mit der N a t u r " 1 9 4 . Nun beweist zwar das Vorhandensein der geschilderten stoischen Lehre bei Cicero noch nicht zwingend, daß diese bereits in der alten Stoa entwickelt wurde. Hierfür aber liefert der Streit des Ariston mit seinem Lehrer Zenon, dem Schulgründer der Stoa, ein unbestreitbares Indiz 1 9 5 . Ariston wurde gerade deswegen von Zeno heftig bekämpft und von allen nachfolgenden Stoikern als Häretiker gebrandmarkt, weil er keine in der Natur begründeten Unterschiede unter den „gleichgültigen Dingen" (αδιάφορα, indifferentia) anerkennen wollte, die Berechtigung einer vernunftgemäßen Wahl unter diesen also verneinte und damit nach Ansicht Zenos der Tugend ihr Betätigungsfeld n a h m 1 9 6 . D i e Hierarchie unter den „gleichgültigen Dingen", die die Grundlage der pflichtgemäßen Auswahl und damit auch der Pflichtenlehre ist, ja sogar die dazugehörigen Präzepte selbst, waren also bereits ein Element der zenonischen Lehre, was auch aus der von Seneca geschilderten Kontroverse zwischen Zenon und Ariston um den Nutzen der praecepta hervorgeht 1 9 7 . Ein wesentliches Moment der stoischen Ethik liegt also in der Unterscheidung zwischen καθήκον und κατόρθωμα, und damit in der Behauptung, daß die Tugend das einzige Gut ist. Diesem grundlegenden Dogma widersprechen die Telosdefinitionen des Diogenes und Antipater keineswegs, wie Kidd 1 9 8 hervorhebt: Sie haben lediglich den Bereich der καθήκοντα in ihren Definitionen etwas mehr in den Vordergrund gerückt, vielleicht unter dem Einfluß der Polemik des Karneades, und der Unterschied zu den Definitionen eines Chrysipp z.B. liegt lediglich in der Formulierung, nicht in der Bedeutung 1 9 9 . Was Panaitios betrifft, so finden sich allerdings bei Diogenes Laertios Angaben, die dem stoischen Tugendbegriff widersprechen 200 . Aber wie Kidd dargelegt hat, sind die Formulierungen des Diogenes Laertios wahrscheinlich darauf zurückzuführen, daß man eine Äußerung des Panaitios aus ihrem Kontext gelöst hat 2 0 1 . Außerdem ist es mehr als unwahrscheinlich, daß eine so fundamentale Abweichung des Panaitios und Poseidonios von der grundlegenden Lehre der Stoa, wie sie bei Diogenes Laertios behauptet wird, kein weiteres Echo in der sonstigen antiken Literatur etwa bei Cicero, Seneca etc. gefunden h ä t t e 2 0 2 . Wenn 193 Vgl. Cie., De fin. V,83; Et hercule (fatendum est enim, quod sentio) mirabilis est apud illos contextus rerum. 194 V. Goldschmidt, a.a.O. S.129, in deutscher Übersetzung zitiert. 195 Vgl. J. Moreau, Ariston et le stoi'cisme, der dieses Thema ausführlich behandelt. 196 Vgl. Cicero, De fin. 111,50: Deinceps explicatur differentia rerum, quam si non ullam esse diceremus, confunderetur omnis vita, ut ab Aristone, neque ullum sapientiae munus aut opus inveniretur, cum inter res eas quae ad vitam degendam pertinerent, nihil omnino interesset, neque ullum dilectum adhiberi oporteret. 197 Vgl. oben S. 9. 198 Vgl. Kidd, a.a.O. S.188. 199 So auch van Straaten, Panetius, S.152. Vgl. hierzu auch Cie., De fin. 111,33: . . . eorum [ seil. Stoicorum ] definitiones paulum oppido inter se differunt et tarnen eodem spectant. 200 Vgl. oben S. 73, Anm. 183. 201 Vgl. Kidd, a.a.O. S.189, der u.a. auf die Mifiinterpretation eines Satzes des Chrysipp durch Plutarch hinweist (Stoic, repugn. 30,1048 A). 202 Es ist auch Anhängern der These Schmekels gelegentlich aufgefallen, daß hier offenbar ein
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Die Seelenleitung der hellenistischen Philosophenschulen
ferner Panaitios die Tugend definiert als ein Leben in Übereinstimmung mit den δεδομέναις-ήμϊν ек φύσεως άφορμαίς203, so darf man nicht vergessen, worauf ebenfalls Luschnat 204 hinweist, daß Chrysipp und Kleanthes die Meinung vertreten hatten, daß alle Menschen eine Anlage zum Sittlich-Guten in sich tragen (αφορμαi ек φύσεως προς αρετήν205). Und schließlich, wenn wir in dem Traktat De officiis von Cicero die Lehre des Panaitios über die καθήκοντα wiederfinden, also sozusagen eine ,.Moral zweiten Ranges" für die Nichtweisen, die Toren 2 0 6 , so wäre es falsch daraus zu schließen, daß Panaitios die Lehre von den κατορθώματα aufgegeben und die Ethik auf das Gebiet der καθήκοντα beschränkt habe. Über Poseidonios hingegen wissen wir, daß er ausdrücklich das stoische Dogma bestätigt hatte, daß nur die Tugend allein ein Gut i s t 2 0 7 . Was nun die Seelenlehrtf des Poseidonios betrifft, so ist diese in einer Dissertation von K. Schindler 208 sehr gründlich behandelt worden. Бг hat in Verbindung mit einer Untersuchung der Begriffe μέρος und δυναμις dargelegt, däß man bei Poseidonios von Seelenteilen im Sinne Pia tos nicht sprechen kann, der sie noch dazu durch ihre verschiedenen Sitze im Körper lokal voneinander getrennt sein läßt. Vielmehr gehe er von einer einheitlichen Auffassung der Seele im Sinne der Stoa aus 2 0 9 . Wenn Poseidonios zwischen einer λογική und einer παθητική δύναμις in der Seele unterscheide, so in der Hauptsache deswegen, um eine bessere Erklärung für die Entstehung der Affekte geben zu können als Chrysipp. Er habe jedoch der λογική δύναμις ihre Herrscherstellung nicht genommen und keine Konsequenzen aus seiner Psychologie gezogen, die einen abweichenden Standpunkt von den ethischen Forderungen der alten Stoa ergäben2 1 Es handele sich vielmehr um die „Verwendung platonischer und aristotelischer Gedanken zum Aufbau eines im Grunde stoischen Systems" 2 1 1 .
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Mißverhältnis vorliegt. Ich zitiere Gigon, Die Erneuerung der Philosophie in der Zeit Ciceros, S.49: „Wir haben den bestimmten Eindruck, daß sich die Stoa in der Zeit zwischen Chrysipp und Poseidonios tiefgehend gewandelt hat. A. Schmekel hat den Begriff der „Mittleren Stoa" geprägt; auch wenn er die Texte durchwegs viel zu oberflächlich interpretiert hat, so hat er doch mit diesem Begriff etwas evident Richtiges getroffen. Merkwürdigerweise hat aber die Antike selbst die Veränderung des Denkens, auf die Schmekel aufmerksam gemacht hat, nicht beachtet. Gewiß werden mancherlei Abweichungen der Lehren des Panaitios und Poseidonios von denjenigen Chrysipps notiert, doch sie werden nirgends, soweit ich sehe, als ein Abfall von einer Orthodoxie, überhaupt „als eine grundsätzliche Neuorientierung aufgefaßt." Van Straaten, Frgm.96. O. Luschnat, a.a.O. S.185; Kidd, a.a.O. S.189. Vgl. SVF, 1,566 u. SVF, 111,228. Vgl. Cie., De off. 111,13-15. Vgl. Cie., Tusc. 11,61: Itaque narrabat [ seil. Pompeius ] eum [ seil. Posidonium ] graviter et copiose de hoc ipso, nihil esse bonum, nisi quod est honestum, eubantem disputavisse, cumque quasi faces ei doloris admoverentur, saepe dixisse: Nihil agis, dolor! quamvis sis molestus, numquam te esse confitebor malum.' Vgl. S. 73, Anm. 184 das Seneca-Zitat. Karl Schindler, Die stoische Lehre von den Seelenteilen und Seelenvermögen insbesondere bei Panaitios und Poseidonios und ihre Verwendung bei Cicero. Vgl. Schindler, a.a.O. S.48, der u.a. Galen, De plac. Hipp.et PlatS.501,10 M, anführt: ö Se 'Αριστοτέλης те και ο Ποσειδώνος et δ η μϊν η με'ρη ψυχής ουκ όνομάξο υσιν, δυνάμεις Se ehai φασι μιας ουσίας ίκ της καρδίας ορμώμενης. Vgl. Schindler, a.a.O. S.49. VgL auch Zeller, Die Philosophie der Griechen, III,1,S.603: „Diese Abweichungen [d.h. in der Psychologie] von der stoischen Überlieferung hatten nun zwar auf die übrigen Lehren des Poseidonios nicht den Einfluß, den m a n . . . erwarten könnte,
Das Problem des ethischen Fortschritts
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Daß die Pflichtenlehre eines Panaitios sich in den Rahmen der altstoischen Lehre einfügt und daß es nicht erst mittelstoischer Neuerungen bedurfte, um die stoische ethische Theorie mit der Praxis der Seelenleitung zu verbinden, ist in den Arbeiten insbesondere von Kidd und Moreau hinreichend gezeigt worden 2 1 2 : Bereits die Ethik Zenos kannte die Präzepte der Pflichtenlehre, die selbstverständlich nicht für den Weisen, sondern nur für den Fortschreitenden praktischen Wert haben konnten. Aber, so könnte man fragen, bleibt nicht der Einwand bestehen, daß es innerhalb eines Systems, das zwischen dem Weisen und dem Toren kein Mittleres anerkennt, kernen Platz für den sittlichen Fortschritt geben kann? Wie jedoch 0 . Luschnat kürzlich gezeigt hat, kann auch dieses Argument keine Gültigkeit mehr beanspruchen. Wenn die Stoiker zwischen dem Weisen und dem Toren einen „kontradiktorischen"213Gegensatz annehmen, weil sie die Möglichkeit eines Zwischenzustandes zwischen beiden leugnen, so bedeutet das lediglich, daß die Weisheit oder Tugend keines Gradunterschiedes, keines Mehr oder Minder fähig ist, während ihr Gegensatz, die Torheit oder das Laster, in gewisser Hinsicht derartige Gradunterschiede aufweist 214 . Luschnat legt dar, daß bereits die Pythagoreer derartige Gegensätze kannten 215 , desgleichen Piaton im Symposion 216 , wo der Philosoph (φιλόσοφος) im Gegensatz zum Weisen (σοφός) trotz aller Fortschritte auf dem Wege zur Weisheit innerhalb der Unwissenheit (άμαθία) verbleibt. Die stoische Doktrin setzt ein logisches Schema voraus, das bereits für Xenokrates 217 nachweisbar ist und in dem der Bereich des „Nicht-Guten" eine Unterteilung in „absolut schlecht" und „weder gut noch schlecht" (αδιάφορα) aufweist 218 :
211 212
213 214
215 216 217 218
so entschieden er vielmehr die Abhängigkeit der Ethik von der Ansicht über die Affekte anerkannte, so wird uns doch aus seiner Sittenlehie nichts berichtet, was mit der stoischen Moral im Widerspruch stände; denn die Angabe des Diogenes, daß er die Tugend nicht für das einzige Gut und für hinreichend zur Glückseligkeit gehalten habe, haben wir bereits als unglaubwürdig erkannt." Vgl. Schindler, a.a.O. S.54. Vgl. Kidd, a.a.O. u. Moreau, a.a.O., dessen Zusammenfassung ich teilweise zitiere (S.48): ,,L' ethique theorique doit se completer d' une pedagogie; mais une pedagogie est indigne de ce nom, si eile ne se suspend ä une axiologie.D' avoir saisi, mieux qu' aucun peut-etre de ses successeurs, la necessite de cette liaison et de cet equilibre, tel parait etre le merite eminent de Zenon." Für die Darstellung der ethischen Begriffe in der stoischen Logik vgl. Luschnat, a.a.O. S. 194-199 und 21 Off. Vgl. Cie., De fin. 111,48: Itaque consentaneum est his quae dicta sunt ratione illorum, qui ilium bonorum finem, quod appellamus extremum, quod ultimum, crescere putent posse isdem placere esse alium alio etiam sapientiorem, itemque alium magis alio vel peccarc vel recte facere, quod nobis non licet dicere, qui crescere bonorum finem non putamus. Ut enim qui demersi sunt in aqua nihilo magis respirare possunt, si non longe absunt a summo, ut iam iamque possint emergere, quam si etiam tum essent in profundo, nec catulus ille qui iam appropinquat ut videat plus cernit quam is qui modo est natus, item qui processit aliquantum ad virtutis habitum nihilo minus in miseria est quam ille qui nihil processit. Vgl. Luschnat, a.a.O. S. 207, der Arist., Met. I.5,986A15ff. anführt. Plat., Symp. 203 Ε ff.. VgL Luschnat, a.a.O. 212, der Xenokrates, Frgm.76 Heinze anführt: παν το ου ή ά-γαθόν ioTW η κακόν ёотш η ovre ά-γαθόν έστιν ovre κακόν iortv. Vgl. Diog. L., VII,61 = SVF, III, Diogenes Babylonius Frgm. 25. (Definitionen der ά,ντώυχί· реок und νποδιαίρεσκ).
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Die Seelenleitung der hellenistischen Philosophenschulen
οντα αγαθά
ουκ αγαθά κακά
αδιάφορα (= о'&ге κακά owe αγαθά, vgl. Xenokrates, Anm. 217 ) Es ist ohne weiteres klar, daß der Begriff des Fortschritts seinen Platz in der Kategorie des „Weder gut noch schlecht" findet 2 1 9 . Sittlicher Fortschritt und Pflichtenlehre sind also als Bestandteile altstoischer Lehre zu betrachten, womit das farbenprächtige Gemälde, das man von der Mittelstoa entworfen hat, seiner Leuchtkraft wesentlich beraubt wird. Man kann natürlich mit der Möglichkeit rechnen, daß es erst unter dem Einfluß der Polemik der Gegner der Stoa zu einem stärkeren Ausbau der Pflichtenlehre in der Mittelstoa kam 2 , wenn man auch die Auswirkungen dieser Tendenz nicht so weit überschätzen soll um anzunehmen, daß die Casuistik der Pflichtenlehre in der römischen Kaiserzeit zum alleinigen Betätigungsfeld stoischer Seelenleitung geworden sei. Seneca hat immer wieder betont, daß die besten Vorschriften nichts nützen, wenn nicht durch die Lehrsätze der Philosophie der Boden für sie bereitet sei 2 2 1 , und die philosophische Wissensvermittlung bleibt die conditio sine qua non seiner Seelenleitung. Daß die geschilderten Ergebnisse der jüngeren Stoa-Forschung auch ihre Auswirkung auf die Seneca-Interpretation haben müssen, dürfte nicht zu bezweifeln sein. Insbesondere sind sie geeignet, die erstaunliche Tatsache zu erklären, daß der (zahlenmäßig geringe) Teil der Seneca-Interpreten, der von einem exakten Vergleich mit der Lehre der alten Stoa ausging, in Seneca einen Anhänger der orthodoxen Stoa sah, während diejenigen, die die oben erwähnte Auffassung von der Mittelstoa 222 zur Basis ihrer Untersuchungen machten, unschwer ihrerseits Mittelstoisches bei Seneca entdecken konnten: Die Erkenntnis von der in den wesentlichen Zügen kontinuierlich verlaufenen Entwicklung der stoischen Philosophie fuhrt auch auf dem Gebiet der Seneca-Forschung zur Aufhebung der Gegensätze. Um Mißverständnissen vorzubeugen: ich vertrete nicht die Ansicht, daß eine Unterscheidung zwischen alter Stoa und Mittelstoa nicht ihre Berechtigung hätte; jedoch halte ich es für notwendig, die Tragweite dieser Unterscheidung wesentlich einzuschränken. Für mich wird die Mittelstoa weitgehend dadurch gekennzeichnet, daß ihre Vertreter sich um Aufnahme platonischen und aristotelischen Gedankengutes bemühten, ohne jedoch dadurch an die Grundlagen des stoischen Systems zu rühren, vielmehr, um es zu bereichern und zu stützen. 219 Vgl. das den Inhalt mehrerer antiker Texte zusammenfassende Schema bei Luschnat, a.a.O., S. 209:
—
κακία (σκληρά διάββσις)
προκοπή
•
аретт)
κακία Vgl. S. 103, Anm. 1. 220 So u.a. V. Goldschmidt, a.a.O. S.62, Anm.3. 221 Über die notwendige Verbindung von dogmatischem und paränetischem Teil der Philosophie spricht Seneca ausführlich im 95. Brief. 222 Vgl. S. 71 f.
IV. Die Stellung Senecas innerhalb der Entwicklung der römischen Philosophie
Während die Philosophie in Griechenland auf alle Bevölkerungsschichten leicht Einfluß gewinnen konnte, hatte sie in Rom lange mit dem Widerstand eines großen Teils der fuhrenden Schicht zu kämpfen. Ich brauche nur an die immer wieder von Staats wegen vorgenommenen Vertreibungen der griechischen Philosophen und Rhetoren aus'Rom zu erinnern1 und an die Resistenz, die Cato Censorius dem vordringenden griechischen Einfluß entgegensetzte. Die Verbreitung der Philosophie war für Rom zu einer Frage der Staatsraison geworden. Der Staat als Lebensmitte und der Wert der Tradition, die Bindungen des Einzelnen an die res publica, waren hier im 3. vorchristlichen Jahrhundert im Gegensatz zum hellenistischen Griechenland noch nahezu unerschüttert geblieben. Darum wehrte man sich gerade in den staatspolitisch interessierten Kreisen heftig gegen eine mögliche Zersetzung des bewährten mos und der auctoritas maiorum durch die in manchen Punkten allzu freien und kritischen Auffassungen der Philosophen; namentlich widersetzte man sich der Tendenz der Epikureer zur Loslösung des Individuums aus der staatlichen Gemeinschaft. Entscheidenden Einfluß auf das römische Geistesleben gewann die griechische Philosophie erst durch den Stoiker Panaitios, der in den einflußreichsten römischen Kreisen verkehrte und in seiner Persönlichkeit sowie in seiner Lehre, die auch peripatetische und akademische Elemente in sich aufgenommen hatte, der Mentalität der traditionsbewußten Aristokraten weitgehend entsprach 2 . Anknüpfend an das primäre Interesse des Römers für den Staat, bildete sich unter seiner Leitung und der Mitwirkung des Polybios im Scipionenkreis ein Zentrum staatsphilosophischen Denkens, und durch diese Bresche in der Mauer des römischen Widerstandes vermochten auch andere philosophische Disziplinen legitimen Eingang zu halten, allerdings nur insoweit sie sich mit dem vorwiegend aufs Praktische gerichteten römischen Denken vereinbaren ließen. Cicero und Seneca, die beiden römischen Autoren, von denen uns das umfangreichste lateinische philosophische Schrifttum des ersten vor- und nachchristlichen Jahrhunderts überliefert ist 3 , werden nicht 1 Z.B.: 173 Ausweisung der Epikureer Alkaios und Philiskos. 161 Ausweisung der griechischen Rhetoren und Philosophen durch ein senatus consultum. 156 Frühzeitige Beendigung des römischen Aufenthaltes der griech. Philosophengesandtschaft (Karneades, Kritolaos, Diogenes) durch Cato Censorius. 2 In einen großen Teil des Volkes dagegen hatte die Lustlehre Epikurs Eingang zu finden vermocht, vgl. Cie., Tusc. IV,6: . . . cum interim . . . С. Amafinius extitit dicens, cuius libris editis commota multitudo contulit se ad earn potissimum diseiplinam, sive quod erat cognitu perfacilis, sive quod invitabantur, inlecebris blandis voluptatis, sive etiam, quia nihil erat prolatum melius, illud quod erat, tenebant! Vgl. De fin. 11,44. 3 Cicero berichtet in seiner Einleitung zum IV. Buch der Tusculanen (IV,5f.), daß es über die wahre und erlesene Philosophig, die die Kunst, richtig zu leben, beinhaltet und die, von den römischen Vorfahren praktisch ausgeübt, der Lehre nach von Sokrates ausgehend, im Peripatos und in der Stoa ununterbrochen fortgelebt habe, vor ihm und zu seiner Zeit keine oder fast keine Schriften in lateinischer Sprache gegeben habe im Gegensatz zu der Fülle des von ihm abgelehnten epikureischen Schrifttums. Uns ist jedenfalls von dem Wenigen, das Cicero
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Seneca und die Entwicklung der römischen Philosophie
müde zu versichern, daß der vielbeschäftigte Römer im Gegensatz zum müßigen und geschwätzigen Griechen gar keine Zeit habe, sich aus bloßer Freude an der Diskussion mit unwichtigen und unnützen Fragen, mit quaestiunculis und ineptiis wie dialektischen Spitzfindigkeiten zu befassen, oder aus purer Lust am Spekula* tiven Denken mit Problemen, deren Materie so schwierig ist, daß es von vornherein als aussichtslos erscheint, daß menschliche Erkenntnis je über ein „non liquet" hinauskommen könnte 4 . Er kann sich nur mit den großen, wirklich lebenswichtigen Themen abgeben, mit solchen, die zur Lebensgestaltung unmittelbar beitragen5. Eine solche Einstellung ist zwar weder neu noch auf Rom beschränkt, wie man den herablassenden, vom Geiste des Cato Censorius geprägten Äußerungen Ciceros und Senecas über die „Graeculi" entnehmen könnte, sondern hat eine lange Tradition. Ich habe mich bereits in einem früheren Kapitel entsprechende Tendenzen bei Isokrates aufzuzeigen bemüht6, und es ist bekannt, daß in der popularphilosophisch gehaltenen kynischen Diatribe ähnliche Themen nahezu zu Gemeinplätzen geworden sind7. Diese von den Römern adoptierte Haltung bewirkt zweierlei: erstens, daß die Gewichtsverteilung innerhalb der philosophischen Disziplinen fiir die Römer Cicero und Seneca dieselbe ist wie für die Griechen der hellenistischen Zeit. Das Schwergewicht liegt auf den ethischen Fragen, bei Seneca noch betonter als bei Cicero, während Physik und Logik nur insoweit von Bedeutung sind, als sie in irgendeiner Beziehung zur Ethik stehen. Allerdings sind bei Cicero innerhalb der Ethik wieder, wie in der klassischen Zeit, ihre beiden Aspekte, Staatslehre und individuelle Ethik, gleichermaßen vertreten, während die politische Situation zur Zeit Senecas auch in Rom ähnliche Bedingungen geschaffen hatte wie in Griechenland zu Anfang der hellenistischen Periode, so daß das allgemeine Desinteresse am
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erwähnt, nichts überliefert, ausgenommen einige Fragmente aus den Werken Vanos, und auch nach Cicero klafft eine Lücke bis hin zu Seneca, so daß ich mich für die im Sinne Ciceros maßgebliche römische Philosophie dieser Zeit in der Hauptsache auf diese beiden berufen muß. Cie., De orat.11,18: Omnium autem ineptiarum, quae sunt innumerabiles, haud sciam an nulla sit maior quam, ut ill! [seil. Graeci] solent, quöcumque in loco, quoscumque inter homines visum est, de rebus aut difficillimis aut non necessariis aigutissime disputare. Cie., De orat. 1,102: „Quid? mihi vos nunc" inquit Crassus, „tamquam alicui Graeculo otioso et loquaci et fortasse docto atque erudito quaestiuneulam . . . ponitis? . . . " Vgl. De off. 1,19. Sen., Ер. 82,8: Libet enim . . . ridere ineptias Graecas... . Darüber, daß sich die Sophismata in Rom nie einbürgern konnten, vgl. Ep. l l l . l f . Sen., Ер. 45,4-5: multum magnorum virorum iudicio credo, aliquid et meo vindico. nam illi quoque non inventa, sed quaerenda nobis reliquerunt, et invenissent forsitan necessaria nisi et supervacua quaesissent. multum illis temporis verborum cavillatio eripuit, captiosae disputationes, quae acumen irritum exercent. nectimus nodos et ambiguam significationem verbis inligamus ac deinde dissolvimus: tantum nobis vacat? Sen., Ep. 16,3: nec in hoc adhibetur [seil, philosophia] ut cum aliqua oblectatione consumatur dies, ut dematur otio nausia: animum format et fabricat, vitam disponit, actiones regit, agenda et omittenda demonstrat, sedet ad gubernaculum et per aneipitia fluetuantium dirigit cursum. Vgl. Cie., Tusc. V,5 über die Philosophie. Vgl. S. 19. A. Oltramare, Les origines de la diatribe romaine, bringt auf den Seiten 44ff. eine Aufstellung solcher „themes de limitation et de critique". Zur Topik entsprechender Äußerungen vgl. auch W. Theiler, Die Vorbereitung des Neuplatonismus, S.2, Anm. 2.
Piäponderanz der Ethik
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staatlichen Geschehen bei Seneca die Staatslehre in den Hintergrund rücken läßt. Zum andern wird durch die geschilderte Einstellung auch innerhalb der bereits im Hellenismus getroffenen, verhältnismäßig begrenzten Auswahl aus dem umfangreichen Gebiet der Philosophie eine weitere Einengung und Verlagerung8 der Thematik erzielt. Gewisse Teile des dialektischen Schlußverfahrens im Bereich der Logik und viele Erörterungen über Fragen aus der Physik, auch wenn sie den theoretischen Unterbau abgeben für die ethischen Systeme, werden als Übertreibungen abstrakten Denkens ohne praktischen Nutzen abgelehnt. So kann Seneca nicht einsehen, auf welche Art Beweisgänge wie: „Kein Übel ist rühmlich. Der Tod aber ist rühmlich. Also ist der Tod kein Übel", den Menschen auch nur ein Stück in der Bekämpfung der Todesfurcht weiterbringen sollten 9 , oder wie man im Ernst darüber Untersuchungen anstellen könne, ob die Tugenden Lebewesen seien oder nicht 1 0 . Cicero urteilt nicht anders 11 . In schwierigen Fragen, z.B. aus der Psychologie, bemüht man sich daher gar nicht erst um eine feste Position oder um Auffindung des Wahrscheinlichen, sei es innerhalb der verschiedenen philosophischen Richtungen, wie bei Cicero, sei es innerhalb der eigenen Schule, wie bei Seneca. Ein Beispiel aus den Tusculanen des Cicero soll dies verdeutlichen 12 : Es geht Cicero darum, zu beweisen, daß der Tod kein Übel ist. Die erste Frage, die es in diesem Zusammenhang zu beantworten gilt, ist, was der Tod überhaupt sei. Die einen sind nämlich der Meinung, sagt Cicero, der Tod sei die Trennung der Seele vom Körper, nach der Ansicht anderer gingen Körper und Seele gemeinsam zugrunde. Was aber die Seele selbst sei, darüber herrschten die größten Meinungsverschiedenheiten, und Cicero referiert im Folgenden alle ihm bekannten Theorien über das Wesen der Seele und schließt mit diesen Worten: „Welche von diesen Meinungen die wahre ist, sieht vielleicht ein Gott; welches die wahrscheinlichste ist, ist eine große Frage. Wollen wir also unter diesen Meinungen die Entscheidung treffen oder wollen wir lieber zu unserem Thema zurückkehren? 3 Der Gesprächspartner antwortet, daß er am liebsten beides möchte, es sei aber sicher schwer zu vereinigen. Wenn es also möglich sei, sich von der Todesfurcht zu befreien, ohne die Seelenlehre näher erörtert zu haben, dann solle nur das Todesproblem besprochen werden. Wenn dies aber nicht gehe, dann solle erst die Seelenlehre behandelt werden, die Todesfurcht ein anderes Mal. Cicero entscheidet sich für die zweite der soeben genannten 8 Vgl. P. Grimal, Auguste et Athenodore, S.73: „Mais c' est avec Panetius que, pour la premiere fois, се stoicisme en travail fut arrache aux speculations de Г Ecole et transplante a Rome et c'est grace a ce changement de climat spirituel que la doctrine put prendre une conscience nouvelle - et plus claire - des puissances qu' eile portait en elle." 9 Sen., Ep. 82,9: Zenon noster hac collectione utitur: „nullum malum gloriosum est: mors autem gloriosa est: mors ergo non est malum." profecisti: liberatus sum metu; post hoc non dubitabo porrigere cervicem. non vis severius loqui nec morituro risum movere? 10 Sen., Ep. 113,1: Desideras tibi scribi a me, quid sentiam de hac quaestione iactata apud nostros: an iustitia, fortitudo, prudentia ceteraeque virtutes animalia sint. hac subtilitate e f f e c i m u s , . . . ut exercere ingenium inter inrita videremur et disputationibus nihil profuturis otium terere. puto quidem esse, quae deceant phaecasiatum palliatumque. Vgl. Ep. 117, 1; 18,33. 11 Cie., Tusc. 11,29: concludunt ratiunculas Stoici, cur non sit malum [sell, dolor] ; quasi de verbo, non de re laboretur. 12 Cie., Tusc. I,18ff. Auf die Wichtigkeit dieser Stelle für die Kenntnis der ciceronischen Methode wies Prof. Moraux in seiner Vorlesung über „Ciceros philosophische Schriften" hin. 13 Cie., a.a.O. 1,23. Die Übersetzung folgt K. Büchner.
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Seneca und die Entwicklung der römischen Philosophie
drei Möglichkeiten: „Die Untersuchung wird nämlich beweisen, daß, welche der Meinungen, die ich dargelegt habe, auch wahr sei, der Tod kein Unglück ist oder vielmehr sogar ein G u t / ' 1 4 Der erste Teil der nun folgenden Argumentation will darlegen, daß, falls es richtig ist, daß die Seele nach dem Tode fortbesteht, der Tod nicht nur kein Unglück, sondern ein Geschenk für den Menschen ist. Der ab § 81 beginnende zweite Teil des Beweisganges soll klarstellen, daß der Tod auch beim Untergang der Seele nicht zu fürchten ist. Die beiden Teile zusammen bestehen aus einer erneuten sukzessiven Betrachtung der einzelnen Meinungen über die Natur der Seele, ohne besonderes Gewicht auf ihren Wahrheitscharakter zu legen, denn welche Meinung auch die richtige sein mag, es ergibt sich in jedem Falle, daß der Tod nicht zu fürchten ist, und das ist das allein Wesentliche. Auch Senecas Argumentation verfolgt häufig die gleiche Methode, und über gelegentliche Inkonsequenzen in gewissen Einzelheiten, wie sie manchmal beim Vergleich der einzelnen Werke untereinander sichtbar werden, darf man sich dann nicht wundern: sie beruhen m. E. keineswegs auf einer bewußten Meinungsänderung im Sinne einer Entwicklung oder einer entschiedenen Abweichung von einer bestimmten Schulmeinung, sondern vielmehr einerseits auf völligem Desinteresse an einer verwickelten Problematik, wie wir dies schon für Cicero feststellen konnten, andererseits auf dem vorwiegend paränetischen Charakter der Schriften Senecas 15 . Und damit wird der Punkt berührt, der trotz der vielfach übereinstimmenden Verfahrensweisen bei Cicero und Seneca dennoch einen grundlegenden Unterschied zwischen beiden aufweist. Cicero ist Anhänger der probabilistischen Richtung der skeptischen Akademie, und das Prinzip dieser Schule erlaubt ihm einen echten Eklektizismus 16 . Er ist daher, mit wenigen Ausnahmen 17 , bemüht, vor seinem Leser die verschiedensten Lehrmeinungen auszubreiten, einmal, damit dieser sich ein Urteil bilden und nach eigenem Gutdünken das ihm am wahrscheinlichsten Erscheinende entnehmen kann 1 8 , zum andern, weil auf andere Weise das Wahrscheinliche, das probabile, gar nicht gefunden werden könnte 1 9 . Seine eigene Überzeugung fügt er mehr oder weniger ausführlich hinzu. Bei Seneca liegen die Dinge anders. Zwar hat man auch ihn oft als Eklektiker bezeichnet und sich dabei auf Senecas eigene Aussagen gestützt, in denen er das Recht auf eigene Meinung für sich in Anspruch nimmt 2 0 . Aber Grimal 21 hat 14 Cie., a.a.O. 1,23. 15 Ich habe bereits früher (vgl. S. 21) daraufhingewiesen, daß die stoische Paränese - zumal in den Anfangsstadien der Behandlung - an Schuldogmen nicht gebunden war. 16 Cie., Tusc. V,82: . . . a te [seil. Cicerone] impetrarim lubenter, ut, nisi molestum sit, quoniam te nulla vineula impediunt ullius certae diseiplinae libasque ex omnibus, quodeumque te maxime specie veritatis movet. Vgl. Tusc. IV,7. 17 Auf dem Gebiet der Staatslehre und Rhetorik, vgl. Cie., Leg. 1,39. 18 Cie., Tusc. V,83: Utamur igitur libertate, qua nobis [seil. Academicis] solis in philosophia licet uti, quorum oratio nihil ipsa iudicat, sed habetur in omnes partes, ut ab aliis possit ipsa per sese nullius auetoritate adiuneta iudicari. 19 Cie., Tusc. 11,9: Itaque mihi semper Peripateticorum Academiaeque consuetudo de omnibus rebus in contrarias partis disserendi non ob eam causam solum placuit, quod aliter non posset, quid in quaque re veri simile esset inveniri... . 20 Sen., Ер. 45,4: Non enim me cuiquam emaneipavi, nullius nomen fero: multum magnorum virorum iudicio credo, aliquid et meo vindico. Sen., De vit. beat. 3,2: . . . non alligo me ad unum aliquem ex Stoicis proceribus: est et mihi censendi ius. Itaque aliquem sequar, aliquem
Unterschied zwischen den Methoden Ciceros und Senecas
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richtig erkannt, daß diese Äußerungen „keine andere Bedeutung haben, als die autonome Anhängerschaft Senecas an eine Philosophie zu unterstreichen, eine Anhängerschaft, die er jederzeit das Recht in Anspruch nimmt zu widerrufen, die aber faktisch stets durch seine persönlichen Erfahrungen bestärkt wird2 2 ." Ein gründliches Studium der annäischen Schriften ergibt nämlich, daß er an allen fundamentalen Lehren seiner Schule treu festgehalten hat2 3 . Wenn daher Seneca z.B. in den Trostschriften nicht über die bereits von Sokrates in seiner Apologie gebrauchte Alternative „mors . . . aut finis aut transitus2 4 " hinauskommt, sich nicht auf die genuin stoischen Lehren beschränkt und wie Cicero verschiedene mögliche Konsequenzen des Todes durchgeht, um zu beweisen, daß der Tod nicht zu furchten ist, wenn er endlich im ersten Teil seiner Briefe an Lucilius epikureische Maximen zum Ausgangs- oder Endpunkt seiner Argumentationen macht, so ist in dieser Tatsache nichts anderes zu sehen als die Anwendung des hier schon oft erwähnten, von Chrysipp in seinem Therapeutikos formulierten Prinzips der Seelenleitung25. Chrysipp forderte nämlich, daß man von den Überzeugungen des Patienten auszugehen, an sie anzuknüpfen habe, mögen diese auch falsch sein, mit anderen W orten, daß in den ersten Stadien der Seelenleitung das paränetische Element das Übergewicht über das dogmatische haben müsse. Es ist in diesem Zusammenhang sehr interessant zu beobachten, wie Seneca in den Briefen mit Rücksicht auf den aus dem Lager Epikurs kommenden Lucilius zwar vom epikureischen Wortlaut ausgeht, diesen aber dann im stoischen Sinne interpretiert, alles in allem ein pädagogisch äußerst geschicktes Vorgehen, das aber mit Eklektizismus nicht das geringste zu tun hat. Es wurde bereits oben auf die Präponderanz der Ethik bei Cicero und Seneca hingewiesen, die bei Cicero in ihren beiden Aspekten, Staatslehre und individueller Ethik, in Erscheinung tritt, bei Seneca allein im individuellen Teil. Aber innerhalb der hellenistischen Philosophie hatten sie für die Individualethik die Möglichkeit der Auswahl zwischen mehreren Systemen: dem der Epikureer, dem der Peripatetiker und alten Akademie2 6 und dem der Stoa. Beide, Seneca und letztlich auch Cicero27— und das ist für ein Verständnis Senecas nicht unwichtig wegen der dadurch in Erscheinung tretenden Verbindungslinien zwischen römisch-republikanischer und kaiserzeitlicher Philosophie - entscheiden sich für die Stoa. Warum
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iubebo sententiam dividere, fortasse et post omnes citatus nihil improbabo ex iis quae priores decreverint. . . Unter dem Aspekt des Eklektizismus sieht ihn u.a. Ch. Burnier, La morale de Seneque et le neo-stoicisme, der in dieser angeblichen Tendenz Senecas den Beginn des Neostoizismus erkennen will. Vgl. P. Grimal, Seneque, S. 40-42. Vgl. P. Grimal, a.a.O., S.42. Vgl. P. Grimal, a.a.O. S.41.,vgl. oben S. 3, Anm. 10. Sen., Ер. 65,24. Vgl. S. 3, Anm. 18; S. 21, Anm. 71; S. 44; S. 54 f. Beide wurden als identisch angesehen, vgl. die Rede des Varro in Cie., Acad. 1,15ff. und des Piso in Cie., De fin. V,7. Die skeptische Richtung der Akademie dagegen hatte keine Ethik eigenen Gepräges entwickelt. Sie beschäftigte sich mit den Streitigkeiten zwischen Stoa und Peripatos, vgl. Cie., Tusc. IV,6. Zeller (Die Philosophie der Griechen III,1,1 S.686) weist auf das ständige Schwanken Ciceros zwischen peripatetischer und stoischer Ethik hin, was für Ciceros A.bhandlung Uber die Güterlehre, die Bücher De finibus bonorum et malorum, auch noch seine volle Gültigkeit hat. Er
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Seneca und die Entwicklung der römischen Philosophie
sagte ihnen dieses System, wenn auch mit Einschränkungen, am meisten zu, warum schien es für Cicero den Anspruch auf größere Wahrscheinlichkeit zu erheben, für Seneca die meiste Aussicht auf Erfolg zu haben? Es lassen sich mehrere Gründe für ihre Entscheidung anführen, die ich den eigenen Ausführungen Ciceros und Senecas entnehmen werde, statt mich mit der schon oft geäußerten Feststellung 2 8 zu begnügen, daß das ethische System der Stoa im Römer offenbar verwandte Seiten berührte und, wie sich M.Pohlenz ausdrückt, dem römischen Wesen kongenial war 2 9 . Die Ablehnung der epikureischen Lehre braucht hierbei weniger ausführlich behandelt zu werden: sie ergibt sich zum Teil aus dem bereits auf Seite 7 9 Gesagten. Der epikureische Grundsatz des λάθε βιώσας mit seiner Abkehr von jeder politischen Betätigung 3 0 und die starke Betonung der Lust als des höchsten Gutes und des Schmerzes als des höchsten Übels gaben Cicero und Seneca Grund genug, diese Art von Philosophie zurückzuweisen. „Wenn ihr Epikureer alles nach der Lust ausrichtet, könnt ihr die Tugend nicht hüten und bewahren 3 1 ", sagt Cicero, und ferner: „Wenn vollends Schamhaftigkeit, Mäßigung, Keuschheit, mit einem Wort die Selbstbeherrschung, durch Furcht vor Strafe oder Schande gezügelt und nicht durch ihre eigene Ehrwürdigkeit geschützt werden, welcher Ehebruch, welche Unzucht, welche Wollust wird da licht ungescheut zum Ausbruch kommen? . . . 3 2 " Für die Römer aber, wie überhaupt für jeden Menschen mit sittlichem Bewußtsein, ist es nach Meinung Ciceros schon immer eine Selbstverständlichkeit gewesen, seine Handlungen nicht nach dem eigenen Nutzen und der sympathisiert hier mit der harmonisierenden Tendenz des Antiochos, der einen Unterschied zwischen Stoa und Peripatos nur in den Worten, nicht in der Sache, sehen wollte. Die Vernunft läßt nach Ciceros Urteil (Vgl. De fin. 11,38) nur zwei Systeme übrig, das peripatetische und das stoische, über die sie immer und immer wieder nachdenkt. Leichter aber werde sie zur Entscheidung kommen, wenn sie erst erkannt habe, ob zwischen den beiden Systemen der Sache nach oder in den Bezeichnungen ein Streit bestehe. Ciceros Nachsinnen über diese Problematik scheint ihn aber bereits am Schluß von De fin. zu der Überzeugung gebracht zu haben, daß der Unterschied doch im Sachlichen liege, darauf deutet jedenfalls seine Kritik am peripatetischen System hin (De fin. V,77ff.). Die Entscheidung für das eine oder andere wurde somit notwendig, wenn auch die versöhnende Tendenz nie ganz zum Schweigen kommt, und sie fiel im Zusammenhang mit der Affektlehre in den Tusculanen überwiegend zugunsten der Stoa aus (Vgl. Tusc. 11,45; 111,22; 111,12-13), wodurch er in einen gewissen Widerspruch zu seinen in De fin.geäußerten Meinungen geraten mußte, was er selbst bemerkt (Vgl. Tusc. V,32f). In dem anderen praktischen Teil der Ethik, der Pflichtenlehre (De off.), folgt er nach eigener Aussage in der Hauptsache dem Stoiker Panaitios (Vgl. Ad.Att. XVI,11, 4). 28 Z.B.: Max Pohlenz, die Stoa I 2 , S. 259. 29 A.a.O. Ich möchte diese geistige Verwandtschaft jedoch nicht nur wie Pohlenz (S. 260) für die von Panaitios etc. „hellenisierte" Stoa in Ansprich nehmen. Über die durch alle Entwicklungsphasen der Stoa hindurchgehende Einheitlichkeit ihrer Grundanschauungen vgl. oben S. 71 ff. Im übrigen lassen sich die „semitischen" Züge der alten Stoa durchaus auch aus griechischem Wesen und griechischer Tradition erklären, was ich in den vorangehenden Kapiteln darzulegen versucht habe. So auch A. Jagu, Zenon de Cittium, S.20. Vgl. P. Rabbow, Paidagogia, in dem Kapitel „Die gemeingriechische Intellektualität", S.136ff. 30 Sen., Ер. 90,35: non de ea philosophia loquor, quae civem extra patriam posuit, extra mundum deos, quae virtutem donavit voluptati, sed de ilia, quae nullum bonum putat nisi quod honestum est. . . . 31 Cie., De fin. 11,71. 32 Cie., De fin. 11,73.
Die Bedeutung der stoischen Ethik für Cicero und Seneca
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Lust, sondern allein nach d e m auszurichten, was schicklich, rühmlich und ehrenh a f t ist 3 3 . Als exempla kann Cicero viele Angehörige der römischen Nobilität anführen, z.B. die drei D e c i e r 3 4 . Mit Beispielen uneigennützigen Heldenmutes seien nicht nur die erdichteten Theaterstucke, sondern auch die Geschichtswerke, besonders die römischen, reichlich ausgestattet 3 5 , während es bei den Griechen damit sehr mäßig bestellt s e i 3 6 . Und es handelt sich, wie Cicero b e m e r k t , nicht bloß um Heerführer und andere durch ihre H e r k u n f t und Stellung hervorragende Männer, die sich durch selbst den Tod verachtende treue Pflichterfüllung auszeichnen, sondern nach dem von Cicero angeführten Zeugnis Catos sind o f t im Kriege ganze Truppenverbände an besonders gefährdete Stellen gezogen, im vollen Bewußtsein der Tatsache, daß sie von dort nicht wiederkehren würden 3 7 . Daher k ö n n t e es kein Anhänger der epikureischen Lehre wagen, wie Cicero sagt, seine Ansicht vor dem Senat, vor der Volksversammlung, dem Heere oder den Zensoren zu vertreten 3 8 , da eine solche Sprache anstößig (turpis) sei. Seneca argumentiert ähnlich. Die epikureische Lehre schied somit völlig aus, u n d es gab überhaupt nur zwei philosophische Systeme, mit denen man sich nach Meinung Ciceros e r n s t h a f t befassen k o n n t e : das stoische und das p e r i p a t e t i s c h e 3 9 , und zwar einerseits wegen der starken Betonung des Virtus-Ideals, andererseits wegen ihrer positiven Einstellung d e m Staat gegenüber. Denn w e n n die Stoa auch wie Epikur ihre Ethik vom Individuum her a u f b a u t e mit dem Ziel, den einzelnen Menschen gegenüber allen äußeren Umständen u n d Bindungen autark zu machen, so b e t o n t e sie im Gegensatz zu diesem doch den Sozialtrieb und stärkte das Verantwortungsbewußtsein des Einzelnen für die Allgemeinheit. Der stoische Satz πολιτεύσβται ö σοφός ließ sich für die politische wie für die philosophische Tätigkeit in Anspruch nehmen, und die Züge, die den stoischen Weisen auszeichneten, ähnelten stark dem Bild, das Cicero im I.Buch der T u s c u l a n e n 4 0 v o n den Vorfahren e n t w i r f t . So k o n n t e die stoische Ethik als theoretische Begründung des geheiligten mos maiorum angesehen werden41. 33 34 35 36 37 38 39
Cie., De fin. 11,45; Tusc. 11,58; De fin. V,63. Cie., De fin. 11,61. Cie., De fin. V,63-64. Cie., De fin. 11,62. Cie., Tusc. 1,101. Vgl. Sen., Ер. 82,22. Cie., Tusc. 111,51, vgl. De fin. 11,74. Cie., De fin. 11,38: . . . nee ulla de summo bono ratio aut voluptatis поп dolendive partieeps aut honestatis expers probabitur. Ita relinquet duas, de quibus etiam atque etiam considered Aut enim statuet nihil esse bonum nisi honestum, nihil malum nisi turpe, cetera aut omnino nihil habere momenti aut tantum, ut пес expetenda пес fugienda, sed eligenda modo aut reicienda sint, aut anteponet earn, quam cum honestate ornatissimam, tum etiam ipsis initiis naturae et totius perfectione vitae locupletatam videbit. 40 Cie., Tusc. 1,2. 41 Vgl. P. Aubenque et J.M. Andre, Seneque, S. 21: „Jusqu' а Г epoque de Seneque cohabitent une morale philosophique reposant sur un systeme des vertus, et une tradition morale nationale, le mos majorum. La morale romaine primitive est empirique et antispeculative. V action a pour but de realiser des vertus par rintermediaire des exempla de la race, exaltes par l'historiographie nationale ou par les catalogues edifiants (Valere Maxime sous Tibere). La theorie stoi'cienne de 1' action con^ue comme imitation, si nette chez Ciceron, n' apporte qu' un renfort ideologique ä des positions bien etablies.. . . Qu' il s' agisse de la finalite impartie ä Г action, ou des ideaux, on peut dire que le Portique etait d' emblee en harmonie avec lc mos majorum."
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Seneca und die Entwicklung der römischen Philosophie
Dem virtusbetonten Bild der Vorfahren entsprach der peripatetisch-altakademische Weise jedoch nicht weniger, jedenfalls in der Form, wie ihn der Akademiker Antiochos unter Berufung auf Aristoteles und hauptsächlich P o l e m o n 4 2 mit Eliminierung sämtlicher milderer Tendenzen 4 3 gekennzeichnet h a t t e 4 4 . Dieser war in seinen Wesenszügen dem stoischen sehr ähnlich: Er war wie jener im Besitze sämtlicher Kardinaltugenden und den äußeren Lebensumständen gegenüber in einem Maße autark, daß ein Unterschied zur stoischen Idealgestalt rein phänomenologisch gesehen kaum bestand 4 5 . Daneben gab es in mehreren Spielarten, auf die ich nicht näher einzugehen brauche, die mildere und wohl genuinere Form des peripatetischen Weisen, bei dem ein gewisses Maß an Affekten nicht nur geduldet, sondern sogar als wünschenswert angesehen wurde 4 6 . Entsprechend der Güterbewertung wurde auch in mehreren Abstufungen eine größere Einwirkungsmöglichkeit äußerer Umstände auf ihn zugegeben. Dem Hang des Römers zur politischen Betätigung gaben beide Lehren ebensoviel Raum zur Entfaltung wie die stoische 4 7 . Cicero und Seneca haben es mehrmals deutlich ausgesprochen, warum sie die Stoa auch beiden Formen des akademisch-peripatetischen Systems gegenüber bevorzugten: Es waren auf der einen Seite die größere Folgerichtigkeit und Durchschaubarkeit, die das ethische System der Stoiker in seinem theoretischen Fundament auszeichneten 4 8 , auf der anderen Seite als praktische Auswirkung dieser Theorie die konsequenteren und darum mehr Erfolg versprechenden Ansätze zu einer Methode der Seelenleitung 4 9 .
42 Cie., De fin. V,14: Antiquorum autem sententiam Antiochus noster mihi videtur persequi diligentissime, quam eandem Aristoteli fuisse et Polemonis docet. Vgl.IV, 14. 43 Z.B. des Theophrast und des Staseas, vgl.: Cie., De fin. V,75: . . . memini Staseam Neapolitanum, doctorem ilium tuum, nobilem sane Peripateticum, aliquanto ista secus dicere solitum, assentientem iis qui multum in fortuna secunda aut adversa, multum in bonis aut malis corporis ponerent. Est, ut dicis, inquit [seil. Piso, der die Lehre des Antiochos im V. Buch vorträgt]; sed haec ab Antiocho . . dicuntur multo melius et fortius, quam a Stasea dicebantur. Cie., De fin. V,12: Theophrastum tarnen adhibeamus ad pleraque, dum modo plus in virtute teneamus, quam ille tenuit, flrmitatis et roboris. 44 Vgl. Cie., De fin. V: Cicero läßt in diesem Buch Piso die Lehre des Antiochos vortragen. 45 Antiochos hatte sogar die stoische Apathie übernommen, vgl. Cie., Luc.135. Die Autarkie der Tugend hatte nur dadurch eine minimale Einschränkung erfahren, daß die Tugend als ausreichend nur zum glücklichen Leben, zur vita beata, hingestellt wurde, nicht zum sehr glücklichen (vita beatissima), zu dem auch noch der Besitz der hauptsächlichsten körperlichen Güter, z.B. der Gesundheit, gehörte. Vgl. De fin.,V,71; Sen., Ер. 92,14; Ер. 85,19. 46 Vgl. Cie., Acad. 1,38; Cie., Lucullus 135; Sen., Ер. 85,3f. Vgl. oben S. 41 ff. 47 Piso konnte sagen (Cie., De fin. V,74): ita relinquitur sola haec diseiplina digna studiosis ingenuarum artium, digna eruditis, digna claris viris, digna prineipibus, digna regibus. 48 „Was ich denke, muß ich auch aussprechen", sagt Cicero, als er Piso die peripatetischen Diskrepanzen zwischen Güterlehre und Teloslehre vorhält, „bewundernswert ist bei den Stoikern der enge Zusammenhang der Dinge. Die Ergebnisse entsprechen den Voraussetzungen, das in der Mitte Liegende beiden: alles stimmt mit allem überein.." (Cie., De fin. V,83, vgl. Tusc. V,82 und IV,66: atque erat facile sequentem eam rationem [seil. Stoicorum), quae maxime probatur de bonis et malis, negare umquam laetitia adfici posse insipientem . . . 49 Sen., De const, sap. 1,1: Tantum inter Stoicos . . . et ceteros sapientiam professos interesse quantum inter feminas et mares non immerito dixerim, cum utraque turba ad vitae societatem tantundem conferat, sed altera pars ad obsequendum, altera imperio nata sit. Ceteri sapientes molliter agunt et blande, ut fere domestici et familiares medici aegris corporibus non qua optimum et celerrimum est medentur, sed qua licet; Stoici, virilem ingressi viam, non ut
Ciceros und Senecas Bevorzugung der stoischen Ethik
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In einem früheren Kapitel ist bereits gezeigt worden, daß man die Lehre der Stoa innerhalb ihrer geschichtlichen Entwicklung in ihren Grundzügen als ziemlich einheitlich betrachten d a r f 5 0 . Sie hatte unter radikaler Umwertung der bestehenden Werte (vgl. die stoischen Paradoxa) ohne Einschränkung die These vertreten, daß es außer der Tugend kein Gut gebe und außer dem Laster kein Übel, woraus sich ohne weiteres ergab, daß die Tugend allein ausreiche, das Ziel aller Menschen, die Eudaimonie, zu erreichen. Jede noch so kleine Einschränkung dieser Grundsätze gefährdete die Verwirklichung der Eudaimonie des Menschen, sei es, daß man wie die Peripatetiker Theophrast 5 1 und Staseas5 2 ein gewisses Maß an äußeren und körperlichen Gütern als unerläßlich für das menschliche Glück erachtete, sei es, daß man wie der Akademiker Antiochos, seinerseits wohl wieder in Anpassung an die Stoa, die Tugend als für ein glückliches Leben ausreichend betrachtete, nicht aber für ein vollendet glückliches, zu dem neben der Tugend der Besitz der hauptsächlichsten körperlichen Güter gehörte 5 3 . Denn „wer könnte", so fragt Cicero, „auf die Widerstandskraft des Körpers und die Beständigkeit des Glücks vertrauen? Es kann nun aber niemand glücklich sein, wenn nicht auf Grund eines beständigen, festen und dauerhaften G u t e s 5 4 " . Jedoch nicht nur die Eudaimonie des Menschen werde auf diese Weise von Zufällen abhängig gemacht, sondern die Tugend selbst in Frage gestellt und aufgehoben, räume man äußeren Umständen irgend einen Einfluß auf die innere Haltung des Menschen ein 5 5 . Das aber wäre für Cicero und Seneca undenkbar. Denn wann könnte sich Tugend sonst bewähren, wenn nicht unter schwierigen Umständen? Zweifel an der Möglichkeit, sie zu verwirklichen, lassen die vielen römischen geschichtlichen Beispiele, zuletzt durch Cato Uticensis5 6 , nicht aufkommen. Als das einzige ethische System aber, das der Erhabenheit der Tugend gerecht wird, das den in uns ruhenden Tugendbegriffen entspricht 5 7 und innerhalb dessen die Existenz der Tugend einzig gesichert erscheint, ist nach Ciceros und Senecas Ansicht das der Stoa 5 8 .
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amoena ineuntibus videatur curae habent, sed ut quam primum nos eripiat et in iUum editum verticem educat, qui adeo extra omnem teli iactum surrexit ut supra fortunam emineat. Vgl. oben S. 71-78. Cie., Tusc. V,24: . . . cum statuisset [seil. Theophrastus] verbera, tormenta, cruciatus, patriae eversiones, exilia, orbitates magnam vim habere ad male misereque vivendum, non est ausus elate et ample loqui, cum humiliter demisseque sentiret. Vgl. S. 86, Anm. 43. Cie., De fin. V,71: Piso spricht: . . . ilia enim, quae sunt a nobis bona corporis numerata, complent eam quidem beatissimam vitam, sed ita, ut sine Ulis possit beata vita e x s i s t e r e . . . Vgl. Sen., Ер. 92,14 und 85,19. Cie., Tusc. V,40; vgl. Tusc. V,29 und V,30: non igitur facile concedo (Cicero spricht) neque Bruto meo neque communibus magistris nec veteribus illis, Aristoteli, Speusippo, Xenocrati, Polemoni, ut cum ea [seil, corporis mala et e x t e r n a ) . . . in malis numerent, iidem dicant semper beatum esse sapientem. Cie., Tusc. V,51f.: quid ergo.. . hunc p r o h i b e t . . . in virtute non beatam modo vitam, sed etiam beatissimam ponere? quod quidem nisi fit, virtutum interitus consequetur. . . at nos virtutem semper liberam volumus, semper invictam; quae nisi sunt, sublata virtus est. Sen., Ер. 66,16: nam si, quae extra virtutem posita sunt, aut minuere illam aut augere possunt, desinit unum bonum esse, quod honestum. si hoc concesseris, omne honestum pent. Vgl. Cie., Tusc. V,4; Sen., De Providentia, an mehreren Stellen. Cie., Tusc. IV,53: quamvis licet insectemur istos [seil. Stoicos) ut Carneades solebat, metuo, ne soli philosophi sint. quae enim istarum definitionum non aperit notionem nostram, quam habemus omnes de fortitudine tectam atque involutam? Cie., Tusc. V,82 (Cicero über die stoische Ethik): Habes quae fortissime de beata vita dici pu-
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Seneca und die Entwicklung der römischen Philosophie
Was nun die Affektlehre betrifft und damit eng verbunden die Seelentherapie, auf der das Hauptgewicht der kaiserzeitlichen Philosophie ruht, so fordert die Stoa in Konsequenz ihrer Güterlehre die gänzliche Ausrottung der Affekte, die Peripatetiker hingegen nur deren Mäßigung, da es nicht in der Macht des Menschen liege, die Affekte ganz zu vermeiden. Diese Haltung der Peripatetiker sehen Cicero und Seneca als gefährlich an, denn jede Nachgiebigkeit den Schwächen des Menschen gegenüber sei eine Verlockung zum Sich-gehen-lassen 5 9 und zeuge außerdem von einer ganz unmännlichen und weichlichen Einstellung 6 0 . Überdies ist es ihrer Meinung nach schwerer, bei den Affekten ein gewisses Maß einzuhalten als sie völlig zu unterdrücken 6 1 . Bei aller grundsätzlichen Übereinstimmung mit den ethischen Forderungen der Stoa haben Cicero und Seneca aber auch mit ihrer Kritik nicht zurückgehalten, die sich zum Teil schon aus der oben geschilderten römischen Einstellung der Philosophie gegenüber ergibt. So wenden sie sich auch speziell innerhalb der Ethik gegen eine Ausbreitung des dialektischen Apparates, also gegen die Definier- und Einteilungssucht der Stoiker bei der Behandlung der einzelnen Tugenden und seelischen Erkrankungen und gegen die dialektischen Spitzfindigkeiten in der ethischen Beweisführung, die zum eigentlichen Ziel der Ethik, wie sie es verstehen, nämlich zur Seelenheilung, nichts beitragen 6 2 . Auch die Kritik an einzelnen Zügen der stoischen Methode der Seelenleitung weist bei beiden Autoren viele Übereinstimmungen auf, doch soll der damit zusammenhängende Fragenkomplex, besonders in Bezug auf Seneca, ausführlicher in einem späteren Kapitel behandelt werden. Das Ziel der bisherigen Ausführungen war es einmal, die Linie der Entwicklung aufzuzeigen, die kontinuierlich von der hellenistischen Philosophie über Cicero zu
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tem et, quo modo nunc est, nisi quid tu melius attuleris, etiam verissime. Vgl. ferner fiir die Kritik an der peripatetisch-akademischen Güter- bzw. Teloslehre Tusc. V,30f., V,22f., V,40; Sen., Ер. 85,19, Ер. 92,14f. Cie., Tusc. 111,13: sed videamus, ne haec oratio sit hominum adsentantium nostrae inbecillitati et indulgentium mollitudini. . . Cie., Tusc. IV,38: Quocirca mollis et enervata putanda est Peripateticorum ratio et oratio, qui perturbari animos necesse dicunt esse, sed adhibent modum quendam, quem ultra progredi non oporteat. Vgl. 111,22; Sen., Const, sap. 1,1, vgl. S. 86, Anm. 49. In diesen und ähnlichen Äußerungen scheint die starke Betonung des Männlichen dem stoischen Grundsatz von der gleichen Befähigung beider Geschlechter zur Tugend zu widersprechen, und in der Tat ist für Cicero der Begriff der virtus noch untrennbar mit dem Manne verbunden. Vgl. Varro, De lingua Latina V,73: Virtus ut viritus a virilitate (dicta). Cie., Tusc. 11,43: . . . appellata est enim ex viro virtus. . . Über Senecas Einstellung vgl. unten S. 156 f. Sen., Ер. 85,9: facilius est enim initia illorum prohibere quam impetum regere, falsa est itaque ista mediocritas et inutilis, eodem loco habenda, quo si quis diceret modice insaniendum, modice aegrotandum. Vgl. Cie., Tusc. IV,40. Cie., Tusc. IV,9: Quia Chrysippus et Stoici cum de animi perturbationibus disputant, magnam partem in iis partiendis et definiendis occupati sunt, illa eorum perexigua oratio est, qua medeantur animis nec eos turbulentos esse patiantur... Cie., Tusc. II,28f.: nec tarn quaerendum est, dolor malumne sit, quam firmandus animus ad dolorem ferendum. Concludunt ratiuneulas Stoici, cur non sit malum, quasi de verbo, non de re laboretur. Vgl. De fin. IV,7. Sen., Ер. 82,20f.: . . . Laconas tibi ostendo in ipsis Thermopylarum angustiis positos: nec victoriam sperant nec reditum. ille locus illis sepulchrum futurus est: quemadmodum exhortaris, ut totius gentis ruinam obiectis corporibus excipiant et vita potius quam loco cedant? dices: quod malum est, gloriosum non est. mors gloriosa est: mors ergo non malum'? о efficacem contionem! Vgl. Ep. 82,19; Vgl. Marc Aurel, I, 17,22.
Die Tragweite der stoischen Dogmen bei Seneca
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Seneca und damit zur römischen kaiserzeitlichen Philosophie überhaupt führt. Die vielen Gemeinsamkeiten 63 zwischen Cicero und Seneca lassen den Anschluß der römisch-kaiserzeitlichen an die Philosophie der republikanischen Zeit enger erscheinen, als er oft 6 4 gesehen worden ist: Daß bei einer weitgehenden Beschränkung der Philosophie auf die Individualethik, wie sie in der Kaiserzeit stattfindet, die Stoa die fuhrende Stellung einnehmen würde, kündigt sich bereits bei Cicero an. Zum andern sollte dieser kurze Überblick dazu dienen, die Tragweite, die man Senecas Bekenntnis seiner Zugehörigkeit zur Stoa beimessen darf, unter zwei Gesichtspunkten zu umreißen, und zwar zunächst einem einschränkenden: Am Beispiel des Akademikers Cicero läßt sich verfolgen, daß eine Übernahme stoischer ethischer Prinzipien auf römischem Boden sogar bei abweichender Haltung in der Erkenntnistheorie und Physik erfolgen konnte. Zu sehr glichen die stoischen ethischen Grundanschauungen den in der römischen Aristokratie durch lange Tradition geprägten sittlichen Vorstellungen6 5 , als daß sie nicht schon auf den ersten Blick auf einen Römer eine besondere Anziehungskraft hätten ausüben müssen, die dann bei kurzer Beschäftigung mit dem zugehörigen ethischen System durch dessen Kompromißlosigkeit und innere Konsequenz verstärkt wurde. Dies zeigt sich auch an der ersten von einem Römer, und zwar von einem Angehörigen der Nobilität6 6 , unter Augustus gegründeten philosophischen Schule, der Schule der Sextier. Die Vertreter dieser Schule, die einen großen, wenn auch kurzen Erfolg hatte6 7 , bezeichneten sich selbst nicht als Stoiker, und sicher mit Recht, denn den kümmerlichen überlieferten Resten ihrer Lehre kann man entnehmen, daß gewisse pythagoreische Elemente eine Rolle gespielt haben mußten. Dennoch war ihre auf die römischen rein praktischen Bedürfnisse zugeschnittene Ethik6 8 innerhalb des gegebenen Rah-
63 Charakteristisch für beide ist auch die enge Verbindung zwischen Philosophie und Rhetorik, bei Seneca speziell zwischen ethischer Belehrung und Rhetorik (vgl. oben S. 18 ff.); doch darauf bzw. auf ihre Wirkung bis hin zu Augustin (vgl. die Ausführungen über den Predigtstil in De doctrina Christiana II, 36,54-37,55 und IV, 1,1-27,60) näher einzugehen ist hier nicht der Platz. 64 Vgl. z.B. die Meinung Bonhöffers über die Entwicklung der stoischen Philosophie, Epictet und die Stoa, S. V. 65 Daß die Vorstellungen über den mos maiorum, wie sie in der röm. Literatur des ersten vorund nachchristlichen Jahrhunderts zum Ausdruck kommen, selbst schon das Ergebnis einer ständigen Auseinandersetzung mit der griech. Philosophie sind, ist evident. Vgl. A. Oltramare, Les origines de la diatribe Romaine, S.87 ff., über den Einfluß der griech. Popularphilosophie auf Cato Censorius und Ennius. Vgl. S. 85, Anm. 41. Bei Seneca ist die absolute Gleichsetzung des mos maiorum mit den stoischen Tugenden vollzogen (z.B. Cons, ad Marc. 1,3). U. Knoche, Der Philosoph Seneca, Anm.88 zu S.23, möchte „sogar annehmen, daß hinter dem fast scherzhaften „maiores nostros Stoicos fuisse" (Ep.110,1) eine ernsthafte Diskussion steckt" und er äußert ferner: „Endlich bekommt erst von dieser Deutung her die häufige Verwendung altrömischer Einzelgestalten als Beispiele für römische Tugenden ihren rechten Sinn". Bemerkenswert ist auch in diesem Zusammenhang, daß die Verkörperungen des Weisen für die griech. Stoa aus der Mythologie stammten (Herakles und Odysseus); für die römische Stoa dagegen ist es eine historische Gestalt, Cato Uticensis. 66 Sen., Ер 98,13: honores reppulit pater Sextius, qui ita natus, ut rem publicam deberet capessere, latum clavum divo Iulio dante non recipit. 67 Sen., Nat. quaest. VII,32,2: Sextiorum nova et Romani roboris secta inter initia sua, cum magno impetu coepisset, extincta est. 68 Sen., Ер. 59,7: Sextium ecce cum maxime lego, virum acrem, Graecis verbis, Romanis moribus philosophantem . . .
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mens der stoischen so ähnlich, daß Seneca in einem seiner Briefe den Gründer der Schule einen Stoiker nannte 6 9 . So war es auch in der Hauptsache die Anziehungskraft der stoischen ethischen Maximen, die Seneca innerhalb der Tendenzen einer Zeit, in der die Ethik nicht nur zur wichtigsten, sondern nahezu zur einzigen philosophischen Disziplin geworden war, zu einem Anhänger dieser Schule werden ließ. Es hieße übertriebene Anforderungen an ihn stellen, die auch seiner oben geschilderten, ihm mit Cicero gemeinsamen Einstellung zuwiderliefen, wollte man erwarten, daß er etwa das gesamte System der Stoa bis in die letzten Einzelheiten hinein nicht nur hätte kennenlernen, sondern sich damit auch gründlich auseinandersetzen wollen. Man kann den aufgezeigten Tendenzen zufolge im Gegenteil von vornherein annehmen, daß er sich in wissenschaftlichen Problemen und Streitfragen, soweit sie das Fundament seiner ethischen Anschauungen nicht berührten, um keinen eigenen Standpunkt bemühte, sondern sich im wesentlichen auf die Autorität der Schulhäupter verließ. Da die Stoa aber ein im großen und ganzen zwar einheitliches Gebilde darstellte, im Laufe ihrer Geschichte in manchen Details hingegen Abweichungen durchaus zu verzeichnen waren, konnte es durchaus vorkommen, daß Seneca bei Themen, die nicht im Zentrum seines Interesses standen, solche gegensätzlichen Thesen nebeneinander verwendete, wenn sie nur alle einen brauchbaren Ausgangspunkt für seine psychagogischen Ziele liefern konnten. Gelegentlich finden sich bei ihm sogar Äußerungen im Sinne der akademischen Urteilsenthaltung, ohne daß man einer solchen Tatsache allzu großes Gewicht beimessen dürfte. Um nur ein wichtiges Beispiel anzuführen: Für einen Systematiker der Philosophie hätte die Psychologie eine der Grundlagen für die Ethik dargestellt, wäre doch für ihn z.B. die Lehre von den Seelenteilen und der Entstehung der Affekte die theoretische Voraussetzung für die Seelentherapie gewesen. Seneca jedoch hat sich um diese Zusammenhänge wenig gekümmert und Fragen aus der Psychologie kaum berührt. Am meisten äußert er sich noch in verstreuten Bemerkungen über die Substanz und Herkunft der Seele und vertritt dabei überwiegend den stoischen Materialismus7 0 . Jedoch finden sich auch zwei bis drei Stellen, an denen er zum Ausdruck bringt, daß man über die Beschaffenheit der Seele, ihr Woher und Wohin, letztlich nichts wisse 7 1 . Diese Tatsache wird jedoch weniger wundernehmen, wenn man sich erinnert, wie bereits für Cicero 72 die Lösung der Frage nach der Seelensubstanz nicht die Vorbedingung für das Erreichen ethischer Ziele, ζ. B. der Bekämpfung der Todesfurcht, darstellt, sondern daß er sowohl die skeptische Haltung als auch jede andere Meinung zu diesem Thema als mit diesem Ziele vereinbar ansah. 6 9 Sen., Ер. 64,2: lectus est deinde liber Quinti Sextii patris, magni, si quid mihi credis, viri et, licet neget, Stoici. 70 Sen., Ер. 50,6: Quid enim est aliud animus quam quodam m o d o se habens spiritus? vides autem tanto spiritum esse faciliorem omni alia materia, quanto tenuior est. Ep. 57,8; Ep. 106,4 usw. 71 Sen., Nat. quaest. VII,25,2: multa sunt quae esse concedimus; qualia sunt? ignoramus. Habere nos animum, cuius imperio et impellimur et revocamur, omnes fatebuntur; quid tarnen sit animus illc rector dominusque nostri, non magis tibi quisquam expediet quam ubi sit. Alius ilium dicet spiritum esse, alius concentum quendam, alius vim divinam et dei partem, alius tenuissimum animae, alius incorporalem potentiam; non deerit qui sanguinem dicat, qui calorem. Adeo animo non potest liquere de ceteris rebus ut adhuc ipse se quaerat. Ep. 121,12. 72 Cie., Tusc. 1,23-24.
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Hinsichtlich der Frage nach der Postexistenz der Seele, die innerhalb der auf das Diesseits gerichteten Stoa von geringer Bedeutung war und sehr verschieden beantwortet wurde 7 3 , interessiert ihn nur die Alternative, ob das persönliche Bewußtsein nach dem Tode noch fortdauere oder nicht. Obwohl er wie Cicero 74 mit der ersten Möglichkeit sympathisiert, erscheint ihm wohl die zweite als am wahrscheinlichsten, denn er vertritt sie an weitaus den meisten Stellen7 s , stellt aber auch häufig beide disjunktiv nebeneinander7 6 . Auf eine definitive Entscheidung kommt es ihm hierbei ebensowenig an wie Cicero, denn für die Bekämpfung der Todesfurcht ist es ihrer Meinung nach unwesentlich, ob man das eine annimmt oder das andere 77 . In seinen sehr sparsamen Äußerungen über die Teile der Seele kommt überwiegend die monistische Auffassung, daneben aber auch eine mehr dualistisch gefärbte zu Worte 78 . Dies machte für Seneca wohl keinen bedeutenden Unterschied aus, verbindet er doch mit beiden dieselbe Grundbedingung für ein glückliches Leben: die Vernunft in uns muß vollkommen sein 79 . Ob die Vernunft nun diese Bedingung erfüllt als eine der möglichen Verhaltensarten des Hegemonikon oder als eine von drei Potenzen der Seele, dürfte für ihn unwesentlich gewesen sein. Jedoch hat man bisher in der Hauptsache auf zwei ziemlich extreme Arten derartige vermeintliche Diskrepanzen zu lösen versucht, einmal, indem man eine fortschreitende Meinungsänderung im Sinne einer inneren philosophischen Entwicklung bei Seneca annehmen zu können glaubte, zum anderen dadurch, daß man kurzerhand nur eine Kategorie der Aussagen als Senecas wahre Ansicht gelten ließ und Widersprechendes auf die Benutzung verschiedener Quellen zurückführte. Während die zuletzt angeführte Methode das Problem nicht löst, sondern nur verlagert — denn es wäre ja nun wieder zu fragen, wieso Seneca so verschiedenartige Quellen nebeneinander ausschreiben konnte, wenn diese Widersprüche zu seiner eigenen festen Meinung enthielten — wird die erste dadurch entkräftet, daß sich die Diskrepanzen eben nicht auf einzelne Entwicklungsstufen verteilen lassen, sondern durchaus in einem zeitlichen Neben- und Miteinander existieren. Bleiben wir beim Thema der Psychologie: Rubin, um nur einen Namen zu nennen, will in den Briefen Senecas, also in dessen Alterswerk, einen Bruch mit dem 73 Vgl. Bonhöffer. Epictet und die Stoa, S.55. 74 Für Cicero vgl. Tusc. I, u.a. §§ 39/40: Α.: errare nie hercule malo cum Piatone... quam cum istis vera sen tire." Μ.: „Macte virtute! ego enim ipse cum eodem ipso non invitus erraverim." Vgl. Sen., Ер. 102,2: iuvabat de aeternitate animarum quaerere, immo mehercules credere, praebebam enim me facilem opinionibus magnorum virorum rem gratissimam promittentium magis quam probantium.. . 75 Sen., Ер. 77,11; Ер. 99,30; frg. 28; Ер. 36,9 etc.. 76 Sen., De prov. 6,6; Ер. 24,18; Ер. 71,16; Ер. 76,35 etc. 77 Vgl. Cie., Tusc. 1,25: Quo modo igitur aut cur mortem malum tibi videri dicis, quae aut beatos nos efficiet animis manentibus aut non miseros sensu carentes? Vgl. Sen., Ер. 65,24: mors quid est? aut finis aut transitus. nec desinere timeo, idem est enim, quod non coepisse, nec transire, quia nusquam tarn anguste его. Vgl. Ep. 76,25. Ich stimme Bonhöffer, Epictet und die Stoa, S. 64, letzter Absatz, darin bei, daß das Urteil Steins (Psychologie der Stoa, I, S.196) nicht zutrifft, daß für Seneca die Unsterblichkeit ethisch unentbehrlich gewesen sei. Sie war dies nicht einmal für Cicero. Jedoch fehlt bei Bonhöffer der Hinweis auf Parallelen bei Cicero, die die von ihm behauptete Originalität Senecas in der Problemstellung beim Thema „Postexistenz" in anderem Lichte erscheinen lassen würden. Vgl. Bonhöffer a.a.O. S. 63 und Anm.2. 78 Monismus: u.a. De ira 1,8,3; Ep. 114,24; Ep. 113,7. Dualist. Färbung: Ep. 92,Iff. Vgl. meine Ausführungen oben S. 76 f. 79 Sen., Ep. 92,2.
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'psychologischen Monismus der alten Stoa' feststellen 80 . Davon kann aber keine^ Rede sein, denn es überwiegt im Gegenteil die altstoisch-monistische Auffassung , womit gleichzeitig die von Rubin gezogenen Konsequenzen entfallen: „Wir können mit aller Bestimmtheit annehmen, daß dieser Bruch Senecas mit einer früher von ihm stark vertretenen Auffassung auf eine vollständige Umbildung seines inneren Wesens zurückzuführen ist" 82 . Ganz abgesehen von dem Nichtvorhandensein eines Bruches, lägen solche Fragen für Seneca viel zu sehr am Rande, als daß sich bei ihrer flüchtigen Behandlung eine innere Wandlung hätte ausdrücken können. Die Entwicklungsthese hat sich somit, jedenfalls soweit sie sich auf derartige rein philosophisch-theoretische Argumente stützt, ebenfalls als unhaltbar erwiesen und kann daher nicht zur Basis der folgenden Ausführungen gemacht werden. Es bleibt m. E. lediglich die bereits oben angedeutete Erklärung übrig, diese und ähnliche Erscheinungen auf die im Vergleich mit Cicero sichtbar gewordene Tendenz zurückzufuhren 83 , mit eiserner Konsequenz und dogmatisch nur an gewissen ethischen Zielen festzuhalten, deren Grundlagen jedoch nicht zu fixieren, teils aus mangelndem Interesse 84 an der damit verbundenen diffizilen Problematik, teils, um diesen Zielen durch die Fülle möglicher Voraussetzungen eine um so größere Allgemeinverbindlichkeit zu verschaffen 85 . Damit aber wird schon der zweite Gesichtspunkt berührt, unter dem anhand des historischen Vergleichs die Tragweite der stoischen Dogmen bei Seneca untersucht werden sollte, diesmal die ethischen Grundsätze selbst betreffend. Man hat oft eine Unvereinbarkeit darin gesehen, daß Seneca einerseits über eine unbezweifelbar hervorragende Menschenkenntnis verfüge, andererseits aber uneingeschränkt die „altstoi80 Rubin, Die Ethik Senecas in ihrem Verhältnis zur älteren und mittleren Stoa, S. 18. Rubins Interpretationen basieren noch dazu auf einer falschen Auslegung der Seelenlehre des Panaitios und des Poseidonios. Vgl. oben S. 76 f. 81 Monistische Auffassung liegt z.B. Ep. 113,7 und 114,23f. zugrunde, während die mehr dualistisch gefärbte nur in Ep. 92,1 zutage tritt. Ganss, Das Bild des Weisen bei Seneca, S.32 und ebenso Pohlenz, Die Stoa, I, S.308 wie Ch. Favez, Le pessimisme de Seneque, S.162, dürften im Irrtum sein, wenn sie für den Dualismus noch Ep. 71,27 in Anspruch nehmen. Es ist an dieser Stelle von einer Zweiteilung des ganzen Menschen, nicht der Seele, die Rede. Die pars inrationaüs bezeichnet somit den Körper, die pars rationalis die Seele insgesamt, was auch aus dem Gesamtzusammenhang hervorgeht: vgl. 71,6 und 29. 82 A.a.O. S. 18. 83 Diese Tendenz dokumentiert sich auch in der Schule der Sextier, vgl. Sen., Ep. 108,21: p o t i o n über die Gründe zur Empfehlung der Fleischabstinenz) magni ista crediderunt viri. itaque iudicium quidem tuum sustine, ceterum omnia tibi in integro serva. si vera sunt ista, abstinuisse animalibus innocentia est; я falsa, frugalitas est. 84 Quint., Instit. orat. X,1,129 urteilt folgendermaßen über Seneca: In philosophia parum diligens, egregjus tarnen vitiorum insectator fuit. 85 Vgl. die relativistische Haltung Epikurs in naturwissenschaftlichen Einzelfragen und seine Annahme einer Vielheit möglicher Erklärungen. Ich zitiere O. Gigon, Epikur, S.XXXVIIIf.: „Für alle naturwissenschaftlichen Einzelfragen stellt Epikur ganze Reihen von Hypothesen zusammen, um zu beweisen, daß jedes Phänomen ohne Widerspruch zum Augenschein auf viele verschiedene Weisen erklärt werden k ö n n e . . . Freilich hat Epikur nicht, wie die eigentliche Skepsis des Timon von Phleius, diese Lehren gegeneinander ausgespielt, um aus ihrer Vielheit und Widersprüchlichkeit auf die Unmöglichkeit des Erkennens überhaupt zu schließen. Er hat sich darauf beschränkt, sie nebeneinander zu stellen, und erklärt, es komme nur darauf an, mit dem Augenschein in Übereinstimmung zu bleiben; wie man sich darüber hinaus die Sachen im einzelnen zurechtlege, sei nicht allzu wichtig. Auf diese Weise h o f f t e er am ehesten die Beruhigtheit der Seele erreichen zu können unter der Voraussetzung natürlich, daß man die Grundlehren von den Atomen und dem Leeren unverbrüchlich festhalte."
Menschliche Begrenztheit und sittliches Ideal
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sehen" ethischen Ziele vertreten habe, die doch in ihrer idealen Höhe weit über den menschlichen Möglichkeiten lägen 86 . So hat man die annaeischen Schilderungen des stoischen Weisen teils auf bloße Freude am Pathos rhetorischer Übertreibung zurückfuhren zu müssen geglaubt, teils hat man zu zeigen versucht, daß Seneca die starre Form des stoischen Weisen mit neuem, wirklichkeitsnäherem Inhalt gefüllt habe, daß er also bei gleicher Formulierung der Attribute des Weisen doch etwas anderes als die frühere Stoa darunter verstanden habe 87 . Die letztere Ansicht mag in gewissen Grenzen ihre Berechtigung haben, zumal wenn man berücksichtigt, daß es in der frühen stoischen Ethik außerhalb der tragen* den Leitgedanken vieles gegeben haben muß, was selbst ein Chrysipp nicht fixiert haben konnte und somit der individuellen Auffassung der einzelnen Stoiker überlassen blieb. Eine genaue Abgrenzung solcher individuellen Ergänzungen und Auslegungen des Systems heute vorzunehmen, ist wegen des Materialmangels kaum noch möglich, und so bleibt wohl in dieser Frage nur der von Bonhöffer 88 für Epiktet beschrittene Weg, durch Vergleich der kaiserzeitlichen Stoiker untereinander wenigstens die charakteristischen Tendenzen der einzelnen zu bestimmen. Was aber die stoischen ethischen Kernsätze selbst und damit eng verbunden die Grundzüge ihres Weisenideals betrifft, ist man wohl kaum berechtigt, ihre Verbindlichkeit für Seneca in Abrede zu stellen. Daß im Gegenteil gerade diese es waren, die nachweislich seit Cicero eine große Anziehungskraft auf die Römer ausübten, wurde durch die obigen Ausführungen zu zeigen versucht. Zudem war es bereits die Ansicht der Stoa der Gründungszeit, daß das Idealbild des stoischen Weisen bestenfalls von einigen Auserwählten verwirklicht werden könne, ohne daß diese Auffassung mit absoluter Skepsis gleichzusetzen wäre . Darüber hinaus aber glaube ich, daß diese Art der Fragestellung, d.h., ob Seneca an die Erfüllbarkeit des Weisenideals geglaubt habe oder nicht, am Wesentlichen, an seiner wirklichen Bedeutung, vorbeigeht. Ganz abgesehen von der Möglichkeit seiner Verwirklichung nämlich, hat die immer erneute Verherrlichung des stoischen Weisen ihre durchaus reale Funktion innerhalb der Paränese, wie in einem früheren Kapitel zu zeigen versucht wurde 9 0 . Es entsprach der Überzeugung des antiken Menschen, 86 J. Le Hir, Les fondements psychologiques et rcligieux de la morale d' Lpictctc, unternimmt einen völlig verfehlten Lösungsversuch dieser Problematik bei Epiktet, indem sie von einer für antikes Denken nicht zutreffenden Trennung von moralischem Streben und Glückstreben ausgeht. Vgl. unten S. 101, Anm. 16. 87 Z.B. Ganss, Das Bild des Weisen bei Seneca, S.41: „Der Weise kann sich dem Irdischen hingeben, er kann in Affekte verfallen, er kann sündigen, aber er überwindet alle Schwächen. Gerade in der ständigen Möglichkeit des Abgleitens und Fallens liegt seine Größe begründet." 88 A. Bonhöffer, Epictet und die Stoa; zur Frage der проттавеш vgl. besonders S. 307 ff. 89 De const, sap. 7,1: Non est quod dicas, ita ut soles, hunc sapientem nostrum nusquam inveniri. Non fingimus istud humani ingenii vanum decus nec ingentem imaginem falsae rei coneipimus, sed qualem conformamus exhibuimus, exhibebimus, raro forsitan magnisque actatum intervallis unum (neque enim magna et excedentia solitum ac vulgarem modum crebro gignuntur); ceterum hie ipse Μ. Cato, a cuius mentione haec disputatio processit, vereor ne supra nostrum exemplar sit. Für Musonius Frgm. 17 vgl. Übers. Capelle S.291: „Und wahrlich, es ist nicht unmöglich, daß ein solcher Mensch einmal vorkommt, denn wir können uns aus keinem anderen Grunde diese Tugenden vorstellen als infolge der menschlichen Natur selbst, dadurch, daß wir solchen Menschen begegnet sind, die man auf Grund ihres Wesens göttlich oder gottähnlich nannte." 90 Vgl. oben S. 24, S. 26 unten f. Die in seinem Aufsatz „Der Philosoph Seneca" S. 23 von U. Knoche geäußerte Ansicht: „trotz aller Humanitätsideale mußte der Weise der griech. Stoa
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Seneca und die Entwicklung der römischen Philosophie
daß es genüge, etwas Lobenswertes vor Augen zu stellen, um Nachahmer zu f i n d e n 9 1 : exemplum trahat, und daß die Würde eines großen Beispiels verbunden mit kunstvoller Wortgestaltung geradezu unwiderstehlich wirke 9 . Mit der Kraft einer visionären Erscheinung stellt Seneca den Weisen, „dessen Gestalt seine Schriften durchleuchtet" 9 3 , vor uns hin, um durch die Bildhaftigkeit des Ausdrucks den sinnlich stärksten und überzeugendsten Eindruck, den des Sehens, zu ersetzen. Denn, so sagt er im 115.Brief, jeder würde von Liebe zur Tugend entbrennen, wenn es ihm glückte, sie zu schauen 9 4 . Der Glaube an die Anziehungskraft des Guten erscheint von Sokrates bis Seneca ungebrochen. Eine annähernd richtige Einschätzung des stoischen Weisen ist für uns Heutige m.E. nur möglich, wenn wir uns diesen auf dem Hintergrund der Tradition der Heroen und θείοι сшдрея zu sehen bemühen 9 5 . Wie tief im übrigen der Konflikt zwischen menschlicher Begrenztheit und den hohen sittlichen Idealen gefühlt wurde, wie aber dieser Konflikt keinesfalls zur Aufgabe des ethischen Idealismus führte, dafür legen folgende Worte Ciceros an Brutus Zeugnis ab, die wohl niemand ohne innere Bewegung zu lesen vermag 96 : „Daß du . . . der Überzeugung bist, daß die Tugend sich selbst genüge, um glücklich zu leben, habe ich sowohl aus dem Buche ersehen, das du aufs sorgfaltigste verfaßt und mir geschickt hast, als auch aus vielen Gesprächen mit dir; wenn das auch schwer zu beweisen ist wegen so mannigfacher und zahlreicher Qualen des Schicksals, so ist es doch derart, daß man sich anstrengen muß, damit es um so leichter gutgeheißen werde. Denn es gibt nichts von all dem, was in der Philosophie behandelt wird, was mit mehr Gewicht und größerer Pracht vorgetragen werden sollte... Was mich betrifft, so beginne ich, wenn ich die Schicksalsschläge, mit denen mich das Geschick heftig gequält hat, bei mir bedenke, bisweilen an dieser Überzeugung zu zweifeln und die Schwachheit und Gebrechlichkeit des Menschengeschlechts zu furchten. Ich furchte nämlich, da die Natur uns schwache Körper gab und ihnen unheilbare Krankheiten und unerträgliche Schmerzen verband, sie hat uns auch Seelen gegeben, die den Schmerzen der Körper entsprechen und getrennt für sich in Ängste und Leiden verstrickt sind. Aber dabei mache ich mir selbst Vorwürfe, daß ich nach anderer und vielleicht auch unserer Weichheit, nicht nach der Tugend selbst über die Kraft der Tugend befinde 9 7 . Sie hat nämlich, wenn es überhaupt eine
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jedem antiken Menschen als der Hybristes erscheinen - übertrat er doch die Stufe, über die der Mensch nicht gehen darf und gab sich als Übermensch, ja, als Gott. Dies Idealbild macht sich Seneca nicht zu eigen;" erscheint mir ganz irrig. Schon die Griechen der vorklassischen Zeit kannten das Ideal des weit übt die allgemeinen menschlichen Maßstäbe sich erhebenden Heros (Herakles und Odysseus). Sen., Ер. 95,66: proponamus laudanda, invenietur imitator. Seneca spricht hier von den ethologiae, den Beschreibungen von Tugenden. Für Isokrates und Cicero vgl. oben S. 18 ff. O. Regenbogen, Seneca als Denker römischer Willenshaltung, S. 130. Sen., Ер. 115,6: Nemo, inquam, non amore eius arderet, si nobis illam videre contingeret. . . Vgl. Cicero, der sich auf die Worte Piatos, Phaidros 250 E, beruft: De fin. 11,52: „Oculorum" inquit Plato „est in nobis sensus acerrimus, quibus sapientiam non cernimus. Quam illa ardentis amores excitaret sui!" Vgl. die obigen Ausführungen auf S. 24. Cie., Tusc. V,l-4 auszugsweise und in Anlehnung an die Übersetzung von K. Büchner. Vgl. Sen., Ер. 71,22: non putant enim fieri, quiequid facere non possunt: ex infirmitate sua de virtute ferunt sententiam. Vgl. Ep. 92,25.
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Tugend gibt, ein Zweifel, den dein Onkel, Brutus, benommen hat, alles, was den Menschen betreffen kann, unter sich, verächtlich schaut sie auf alle menschlichen Schicksale herab, und frei von jeder Schuld meint sie, daß nichts außer ihr selbst sie angehe. Wir aber, weil wir alle Widrigkeiten, sowohl wenn sie nahen, durch unsere Furcht vermehren, besonders aber, wenn sie da sind, durch unseren Kummer, verdammen lieber die Naturordnung als unseren Irrtum."
Zweiter Teil:
Ziele und Aussichten der Seelenleitung in der Auffassung Senecas
I. Die Ziele
Die Frage nach den Zielen der Seelenleitung Senecas ist identisch mit der nach den Zielen seiner Philosophie. Daß sich die antike Philosophie seit der Zeit des Hellenismus, teilweise auch früher, in der Hauptsache als Seelenleitung verstand, ist in den obigen Ausführungen dargelegt worden. Nur vom Gesichtspunkt der Seelenleitung und Seelenheilung aus ist die dem modernen Standpunkt so fremde Zweiteilung der Philosophie in einen paränetischen und einen dogmatischen Teil zu verstehen, die Seneca im 94. und 95.Brief an Lucilius ausführlich bespricht 1 . Im Folgenden soll versucht werden, anhand einer Untersuchung von Senecas eigenen Äußerungen über seine Ziele auch etwas Klarheit über das gegenseitige Verhältnis dieser beiden Teile seiner Seelenleitung zu gewinnen.
Die Eudaimonie oder Tugend als oberstes Ziel
„Alle Menschen wollen glücklich sein", mit diesen Worten beginnt Seneca seinen Dialog De vita beata, und die Berechtigung einer solchen Zielsetzung für den Menschen und damit für die Seelenleitung ist von der Antike nie in Zweifel gezogen worden 2 . Aber wenn auch in diesem Punkte Einigkeit herrscht, daß nämlich die Eudaimonie das höchste Gut, das summum bonum oder den finis bonorum für den Menschen darstellt, so doch nicht darüber, worin diese Glückseligkeit besteht 3 . Deshalb hält Seneca es für nötig, zunächst darzulegen, was unter dem Glück zu verstehen sei, sodann, auf welchem Wege man es schnellstens erreichen könne 4 . Im Gegensatz zu Aristoteles, der eine eingehende Kritik anderer philophischer Auf1 Vgl. oben S. 8 ff. 2 Vgl. Piaton, Euthydem 278E, Symp. 205A; Aristoteles, EN I, Kap. 1-4; Cie., Hortensius, frg. 36 (Mueller). 3 Sen., De vit. beat. 1,1: Viveie. . . omnes beate volunt, sed ad pervidendum quid sit quod beatam vitam efficiat caligant Vgl. Arist, EN I,4,1095A 18: την yap εύδαιμονίαν και ot πολλοί και οι χαρίειτες Xeyovaw, το δ' εύ ?ήι> και τό ευ πράττε«», ταϋτον ύπολαμβάνουσι τφ εϋδαιμονεϊν · περί be της ευδαιμονίας, τί έστιν, ίμφωβητούσι, και ούχ ομοίως οι πολλοί τοϊς σοφοϊς ά-ποδώόασιν. 4 Sen., a.a.O. 1,1: Proponendum est itaque primum quid sit quod appetamus; tunc circumspiciendum qua contendere illo celerrime possimus. -Bezeichnend nicht nur für Seneca, sondern überhaupt für die Tendenz der römischen Philosophie, ist das „celerrime"! V. Goldschmidt, Le systeme stoicien et l'idee de temps, hat gezeigt, daß der Stoizismus eine Philosophie des durch die Tugend vermittelten, unmittelbaren, sofort eintretenden Glücks ist. Vielleicht schließt das celerrime auch diesen Aspekt mit ein. Vgl. Ep. 119,1: Docebo, quomodo fieri dives celerrime possis.
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Tugend als oberstes Ziel der Seelenleitung
fassungen seiner eigenen Definition des höchsten Gutes voranstellt 5 , und auch im Gegensatz zu Ciceros systematischer Darstellung der verschiedenen Schulmeinungen 6 will Seneca, um Umwege zu vermeiden, wie er sagt, auf die Meinungen anderer gar nicht erst eingehen, würde es doch zu weit führen, alle aufzuzählen und zu widerlegen 7 . „Nostram accipe", schlägt er daher kurzerhand dem Adressaten, seinem Bruder Gallio, vor. Er betont zwar, daß er sich nicht an irgendeinen unter den stoischen Lehrmeistern gebunden fühle, sondern sich das Recht auf eine eigene Meinung zuerkenne 8 . Jedoch hinsichtlich dessen, was, wie er sagt, ohne Meinungsverschiedenheiten bei den Stoikern als die Grundlage der Eudaimonie angesehen wird: ad legem exemplumque naturae formari 9 , macht er von vornherein keinerlei Vorbehalte. Seneca definiert also die Eudaimonie wie folgt: „Glücklich ist demnach ein Leben, das mit seiner Natur übereinstimmt, was aber auf keine andere Weise geschehen kann, als wenn zunächst der Geist gesund und im ständigen Besitz dieser seiner Gesundheit ist, wenn er sodann tapfer und energisch ist, ferner vollendet schön und widerstandsfähig, angepaßt den Zeitumständen, besorgt um seinen Körper und das den Körper Betreffende, aber nicht in ängstlicher Weise, schließlich, wenn er den anderen Dingen, die zum Leben beitragen, sorgfältige Beachtung schenkt, jedoch ohne irgendetwas davon zu bewundern, bereit, die Gaben des Glücks zu nutzen, aber nicht, ihnen sklavisch zu frönen 1 0 ". Dieser Sachverhalt kann, wie Seneca ausführt 1 1 , noch auf andere Weise und mit den verschiedenartigsten Worten dargestellt werden, der Sinn bleibt immer derselbe: Der Geist ist es in seinem vollendeten Zustand, die vollkommene Vernunft (ratio perfecta) oder die Tugend (virtus), wie er an anderen Stellen genannt wird, der das menschliche Glück garantiert 1 2 , und dies ist sowohl gleichbedeutend mit dem Leben nach dem allgemeinen Naturgesetz als auch mit dem, das der eigenen, d. h. menschlichen Natur, entspricht 1 3 . Aus Senecas zahlreichen Variationen dieses Themas soll nur noch eine Stelle herangezogen werden, die zur Abrundung des oben entworfenen Bildes beitragen
5 Ali st., EN I, Kap. 6 (1096A 11 ff.) 6 Cicero stellt in De fin. die verschiedenen hellenist. ethischen Systeme nacheinander dar. 7 Sen., De vit. beat. 3,2: Sed ne te per circumitus traham, aliorum quidem opiniones praeter ibo, nam et enumerare illas longum est et coarguere. 8 Sen., a.a.O., vgl. S. 82, Anm. 20. Darüber, wie diese Vorbehalte zu verstehen sind, vgl. oben S. 82 unten f. 9 Sen., De vit. beat. 3,3. 10 Sen., De vit. beat. 3,3. 11 A.a.O., 4,1. 12 Sen., Ер. 76,15f.: bonus autem est, si ratio eius explicata et recta est et ad naturae suae voluntatem accommodata. haec vocatur virtus, hoc est honestum et unicum hominis bonum. nam cum sola ratio perficiat hominem, sola ratio perfecta beatum facit. . . 13 Sen., Ер. 124,14: quattuor hae naturae sunt, arboris, animalis, hominis, dei: haec duo, quae rationalia sunt, eandem naturam habent, illo diversa sunt, quod alterum inmortale, alterum mortale est. ex his ergo unius bonum natura perficit, dei scilicet, alterius cura, hominis, cetera tantum in sua natura perfecta sunt, non vere perfecta, a quibus abest ratio, hoc enim demum perfectum est, quod secundum universam naturam perfectiim, universa autem natura rationalis est. Vgl. Diogenes Laert., VII,88: το Ακολούθως τή φύσει ζην, опер έστI κατά те την αυτού και κατα την των 'όλων. . . Vgl. Ер. 76,8ff. Vgl. Ер. 76,8ff.
Ratio perfecta als alleiniger Garant der Eudaimonie
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k a n n 1 4 . Es heißt dort: „ . . . Zum dem Range nach ersten Gut wollen wir zurückkehren und überlegen, wie es beschaffen ist: es ist der die Wahrheit betrachtende Geist, der erfahren darin ist, was er zu meiden und was er zu erstreben hat, der nicht auf Grund einer bloßen Meinung, sondern nach ihrem Wesen den Dingen ihren Wert beimißt, der sich dem Weltall einreiht und auf dessen gesamte Bewegungen seine Betrachtungen richtet, der in gleicher Weise angespannt contemplativ und aktiv tätig ist, der voller Größe und Energie, in Unglück und Glück unterschiedslos unbesiegt, sich keinem Geschick unterwerfend, über allem steht, was ihm zustoßen und geschehen kann, herrlich, in vollendeter Harmonie von sittlicher Schönheit und Kraft, gesund und nüchtern, unerschütterlich und furchtlos, den keine Macht zerbrechen kann, den die Zufälligkeiten des Lebens weder übermütig machen noch niederdrücken können: ein solcher Geist ist Tugend." Das Ziel aller Menschen, ihr summum bonum, das glückliche Leben, wurde also zunächst gleichgesetzt mit einem Leben im Einvernehmen mit der Natur. Da die Gesetzmäßigkeit des Kosmos auf der Vernunft des göttlichen Pneumas beruht und der Teil des Menschen, der ihn zum Menschen macht, nämlich der Geist, von diesem vernunftbegabten Pneuma abstammt 1 5 , bedeutet für den Menschen ein Leben sowohl nach seiner eigenen Natur als auch nach der des Alls ein Leben nach der reinen Vernunft. Die vita beata wird also bedingt durch den Besitz der ratio perfecta. Die vollendete Vernunft kann natürlich ihrerseits wieder nur Vollkommenes erzeugen, sei es auf dem Gebiet rein geistiger Betätigung, sei es im Bereich des sittlichen Handelns; sie ist daher gleichbedeutend mit Weisheit und Tugend, so daß die Begriffe vita beata, summum bonum oder honestum, ratio perfecta, sapientia, virtus, in stoischer Sicht unterschiedslos für einander eintreten und als oberstes Ziel des Menschen genannt werden können 1 6 . Die ratio perfecta ist aber nicht nur der entscheidende Faktor und Garant für ein glückliches Leben, sondern sogar der alleinige 17 . Ebenso stellt die ratio das eigentliche Wesen des Menschen dar, sie ist das einzige, was zählt 1 8 . Die aus Körper und Seele bestehende Natur des Menschen wird also auf den geistigen 14 Sen., Ер. 66,6. Ich richte mich hier nach der Interpunktion der Textausgabe von F. Prechac. 15 Sen., Ер. 66,12: divinorum una natura est. ratio autem nihil aliud est quam in corpus humanuni pars divini spiritus mersa. Vgl. Ep. 41,5 f. 16 Es hieße deshalb mit antikem Denken fremden Begriffen arbeiten, wollte man wie Rubin, Die Ethik Senecas in ihrem Verhältnis zur älteren und mittleren Stoa, S.37, einen prinzipiellen Unterschied zwischen Tugend und Eudaimonie annehmen: „Mag Seneca jedoch noch so sehr mit aller Emphase betonen, daß die Tugend ihren Zweck in sich selbst haben muß, so tritt doch bei ihm immer stärker das Bestreben hervor, die Ausübung derselben mit eudaimonistischen Beweggründen in innigen Zusammenhang zu bringen." Als Belege fuhrt er an: De vit. beat., die hier bereits erwähnte Stelle Ep. 76,15, ferner Ep. 12,9; Ep. 45,9; Ep. 124,7, die nichts weiter beweisen, als das Eudaimonie und Tugend eben identisch sind. Demzufolge gibt es nach stoischer Auffassung keine Belohnung der Tugend, die außerhalb ihrer selbst läge, und keine andere Strafe für das Laster als dessen Vorhandensein selbst. 17 Einer der oft von Seneca verteidigten Leitsätze der stoischen Ethik lautet: virtus ad beate vivendum se ipsa contenta est. Vgl. z.B. Ep. 9 insgesamt und Ep. 92,24. 18 Sen., Ep. 41,6ff.: quid enim est stultius quam in homine aliena laudare? . . . lauda in illo, quod nec eripi potest nee dari, quod proprium hominis est. quaeris quid sit? animus et ratio in animo perfecta, rationale enim animal est homo, consummatur itaque bonum eius, si id implevit, cui nascitur. quid est autem, quod ab illo haec ratio exigat? rem facillimam, secundum naturam suam vivere. Vgl. Ep. 65,22: animus ad se omne ius vindicet: contemptus corporis sui certa libertas est.
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Tugend als oberstes Ziel der Seelenleitung
Teil, die „mens" reduziert 1 9 . Daher sind nicht nur die Begriffe ratio perfecta, virtus, summum bonum etc. austauschbar, sondern in gleicher Weise kann dafür der Weise, der sapiens, eintreten. So könnte z.B. in der zuletzt erwähnten Stelle 2 0 statt des summum bonum ohne weiteres der Weise Gegenstand der Prädikationen sein. Wenn aber die ratio perfecta bzw. die virtus das glückliche Leben beinhalten, muß es das Ziel eines jeden Menschen sein, seine ratio, die er von der Natur in einem unvollkommenen Zustand erhalten h a t 2 1 , zu vervollkommnen oder sie wenigstens der Vollkommenheit so weit wie möglich anzunähern. Entsprechend gestalten sich die Ziele der Seelenleitung für Seneca 2 2 . Da die Tugend, deren Unteilbarkeit und Gleichheit Seneca den stoischen Dogmen entsprechend stets vertritt 2 3 , ein sehr komplexes Gebilde ist, kann sie von demjenigen, der vorerst nur über die 19 Hierin sah die peripatetische Polemik einen ihrer Hauptansatzpunkte, vgl. Cie., De fin. IV, 28: uno autem modo in virtute sola summum bonum recte poneretur, si quod esset animal, quod totum ex mente constaret. . . vgl. § 26-28. 20 Sen., Ер. 66,6. 21 Sen., Ер. 124,9ff.: . . . est aliquod inrationale animal, est aliquod nondum rationale, est rationale sed inperfectum. . . in eo, quod iniatioiiale est, numquam erit bonum: in eo, quod nondum rationale est, tunc esse bonum non potest: esse in eo, quod rationale est sed inperfectum, iam potest bonum, sed non e s t . . . quemadmodum omnis natura bonum suum nisi consummate non profert, ita hominis bonum non est in homine, nisi cum illi ratio perfecta est. quod autem hoc bonum? dicam: liber animus, erectus, alia subiciens sibi, se nulli. hoc bonum adeo non recipit infantia, ut pueritia non speret, adulescentia inprobe speret: bene agitur cum senectute, si ad illud longo studio intentoque pervenit. 22 Vgl. Α. de Bovis, La sagesse de Seneque, S.29: „Seneque envisage done ties nettement 1' existence d' un 'summum' que Г on peut nommer avec lui la 'perfection'. Mais il est trop evident qu' il ne distingue pas un plan moral dont les exigences s' imposent ä tous, et un plan de perfection determine par un ensemble de moyens mis a la libre disposition des volontaires. Aux yeux du philosophe pai'en les choses ne se presentent pas ainsi. II у a une morale dont les obligations pesent sur chaque conscience: ceci est hors de discussion. Au delä de cette morale commune a tout homme, s' etend un domaine qui est celui de la perfection. Celle-ci estelle obligatoire? Seneque ne souleve pas ce probleme. . . . Quant aux moyens ä prendre pour parvenir a la sagesse ou perfection, rien ne montre que Seneque ait entrevu une distinction ä faire entre ceux qui sont obligatoires pour tous et ceux qui sont facultatifs, comme c' est le cas dans la perfection chretienne." Innerhalb seiner sonst sehr richtigen Feststellungen übersieht de Bovis nur, daß sich für Seneca und die Stoa ein solches Problem gar nicht stellen konnte: Da einerseits Eudaimonie und Tugend identisch sind, andererseits jeder Mensch anerkanntermaßen nach Glück strebt, muß also auch jeder Mensch nach der Tugend streben, und zwar nach deren Vollbesitz, da es nach stoischer Auffassung nicht möglich ist, einen Teil der Tugend zu besitzen, ohne sie ganz zu besitzen. 23 Sen., Ер. 66,7 (direkt an den auf S. 100 übersetzten Abschnitt anschließend): haec eius [seil, virtutis] est facies, si sub unum veniat aspectum et semel tota se ostendat. ceterum multae eius species sunt, quae pro vitae varietate et pro actionibus explicantur: nec minor fit aut maior ipsa.. . sed in alias atque alias qualitates convertitur ad rerum, quas actura est, habitum figurata. . . Ep. 66.10: ergo virtutes inter se pares sunt. . . Vgl. § 29. Vgl. Zenon, SVF, 1,200: άρετάς ό Ζήνων άπολβίπει -πλείονας κατά διαφοράς . . . ώς μίαν ούσαν άρετήν, ταΐς 6ε προς τα πράγματα σχέσβσι κατά τας ένερ·γείας бшфереш δοκούσαν. Im Unterschied zu Ariston, der eine gewisse Differenzierung der einen Tugend nur in ihrer Relation zu den verschiedenen Gegenständen des Handelns sah ( ката то πρός τί πως εχειν = SVF, 1,351), billigt Chrysipp den Einzeltugenden verschiedene Qualitäten,zu, wonach sie in stoischer Sicht auch substantiell geschieden sind. (ό τοίνυν Χρύσιππος Setxνυαιν ονκ iv ту πρός τι σχέσει -γινόμενου το πλήθος τών αρετών те και κακιών, άλλα iv ταΐς οίκείαις ουσία ις ύπαλλαττομέναις κατά τάς ποιότητας. . . = SVF, 111,259) In SVF, 111,280 wird die Qualitätsverschiedenheit und gleichzeitige Antakoluthie der Tugenden folgendermaßen erklärt (ich gebe die Zusammenfassung von Pohlenz, die Stoa I, S.127,
Die einzelnen Qualitäten der Tugend als Teilziele
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ratio imperfecta verfügt, nicht als Gesamtheit aller ihrer Erscheinungsformen wie Tapferkeit, Gerechtigkeit, Einsicht, Selbstbeherrschung, angestrebt werden, sondern muß den Gelegenheiten entsprechend und von den verschiedensten Punkten aus in Angriff genommen werden 2 4 , auch unter negativem Aspekt, nämlich durch die Bekämpfung der Laster. In der praktischen Seelenleitung mußte daher die Tugend als oberstes Ziel in einzelne Unterziele aufgeteilt werden, die den verschiedenen Qualifikationen der Tugend entsprechen, ohne daß dies jedoch bei Seneca zu einem Schematismus gefuhrt hätte. Er hat sich vielmehr ganz unsystematisch und unter Verzicht auf Vollständigkeit nur die Themen herausgegriffen 2 5 , die ihm aus eigener Erfahrung heraus zentrale Bedeutung für das menschliche Leben zu haben schienen. Zunächst aber sollen die einzelnen Qualifikationen der virtus oder mens recta oder ratio perfecta, oder wie die Bezeichnungen auch immer lauten mögen, in ihrer Darstellung bei Seneca betrachtet werden, um danach feststellen zu können, wieweit ihnen Seneca seine Aufmerksamkeit gewidmet hat und wie die Schwerpunkte seiner Bemühungen verteilt sind.
Die einzelnen Qualitäten der Tugend als Teilziele aj Das Wissen als Habitus1 und seine Bereiche In der oben aus De vita beata übersetzten Stelle 2 wird als Bedingung für ein glückliches Leben angeführt, daß die Vernunft gesund sein und im ständigen Besitz der Gesundheit bleiben müsse 3 . Ist nämlich die Kraft des Logos im Menschen ungeschwächt (sanus), so vermag er — orientiert an den Gesetzen und Beispielen der Natur 4 — immer zu erkennen, was recht und gut ist, und hat demzufolge über alle Dinge ein richtiges und sicheres Urteil, ein echtes und nicht auf Scheinwahrheiten beruhendes Wissen 5 . wieder): Jede Tugend hat ihr Spezialgebiet, in dem sich ihr eigenes Wesen vollendet; sie dient aber in zweiter Linie auch der Verwirklichung der anderen. So setzt die Sophrosyne den Trieben Maß und Ziel; aber ohne diese Selbstbeherrschung ist auch keine Tapferkeit und Gerechtigkeit möglich, und ebenso wirken diese auf sie selbst zurück. Alle Tugenden haben ja als gemeinsames Ziel die Eudämonie des naturgemäßen Lebens, und sie unterscheiden sich nur dadurch, daß sie dieses auf verschiedenem Wege erreichen wollen. Alle haben neben dem praktischen Element auch ein theoretisches und setzen als Grundlage in gleicher Weise das Wissen um das Gute und Üble voraus." -Seneca hält sich an die Lehre Chrysipps, obwohl er den Einzelheiten des Problems, z.B. der Körperlichkeit der Tugenden, kein großes Interesse abgewinnen kann. 24 Sen., Ер. 2,4: Aliquid cotidie adversus paupertatem, aliquid adversus mortem auxili compaia, nec minus adversus ceteras pestes, et cum multa percurreris, unum excerpe, quod illo die concoquas. Vgl. Sen., Ер. 108,2: . . . per partes pervenietur ad totum. Aptari onus viribus debet... 25 In späteren Jahren scheint er aber Vollständigkeit angestrebt zu haben. Vgl. Ep. 106,2: scis . . . me moralem philosophiam velle complecti et omnes ad eam pertinentis quaestiones explicare. Vgl. Ep. 108,1. 1 Die stoische Ethik kennt die terminologische Scheidung zwischen έξις und δώθεσις. Vgl. SVF, III, 105 (p Diog. L., VII 98): e n τών περί ψυχή ν αγαθών τα μέν eioLV εζβις, та δε διαθέσεις . . . διαθέσεις μεν at άρβταί, εξεις δε τα Επιτηδεύματα, . . . Als διαθέσεις werden die Tugenden und Laster bezeichnet, die wie der Begriff der geraden Linie kein Mehr
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Das Wissen als Habitus und seine Bereiche
D i e s e s Wissen, die scientia r e r u m , ist a b s o l u t u n e n t b e h r l i c h . E i n e u n b e w u ß t richtige
H a n d l u n g ist n o c h lange k e i n e T u g e n d , s o n d e r n diese e n t s t e h t erst d u r c h
das V o r h a n d e n s e i n d e s s i t t l i c h e n B e w u ß t s e i n s , d . h . der V e r b i n d u n g v o n s c i e n t i a u n d v o l u n t a s in der S i c h t S e n e c a s 6 . S o k e n n t z w a r das L e b e n d e s U n g e b i l d e t e n E r s c h e i n u n g e n , die d e n T u g e n d e n ä h n l i c h sind, die g l e i c h s a m V o r s t u f e n der e c h t e n T u g e n d e n sind: m a t e r i a virtutis, d i e s e selbst aber w e r d e n nur d e m voll d u r c h g e b i l d e t e n u n d d u r c h u n u n t e r b r o c h e n e Ü b u n g zur V o l l e n d u n g g e l a n g t e n G e i s t z u t e i l 7 . A b e r es k o m m t n i c h t darauf an, d a ß das Urteil z e i t w e i l i g richtig ist, s o n d e r n d a ß es u n t e r allen U m s t ä n d e n a u f r e c h t e r h a l t e » w i r d u n d s i c h g l e i c h b l e i b t 8 ( i n p e r p e t u a p o s s e s s i o n e sanitatis). S o w i e das L a s t e r e i n f a l s c h e s Urteil ist, das hartnäckig a m S c h l e c h t e n f e s t h ä l t 9 , s o b e r u h t die T u g e n d a u f b e s t ä n d i g e n w a h r e n Urteilen1
S o l a n g e die V e r n u n f t n o c h u n v o l l k o m m e n ist, s c h w a n k t sie i n i h r e n
U r t e i l e n , hat sie erst ihre V o l l e n d u n g erreicht, ist sie v o n u n w a n d e l b a r e r F e s t i g k e i t 1 1 . A l l e i n a u c h d u r c h d i e s e Kriterien w i r d das W e s e n der T u g e n d n o c h n i c h t vollständig e r f a ß t . Z u d e m w a h r e n Wissen u n d d e m u n b e d i n g t e n F e s t h a l t e n an d i e s e m Wissen m u ß n o c h die U m s e t z u n g d i e s e s Wissens i n die T a t k o m m e n : „ i n o p e r e t e m p -
oder Weniger zulassen. Vgl. Simpl. In Categ. 237,25; Sen., Ер. 71,19: persuadebit u n u m bonum esse, quod h o n e s t u m : hoc nec remitti nec intendi posse, non magis quam regulam, qua rectum probari solet, flectes. Vgl. SVF, 111,525: τας μεν εξεις еттешеавш φασί Βύνασθαι ,καί άνίεαθαί • τάς δε διαθέσεις άνεπιτάτους είναι και άνανέτους. Ich weiß nicht, warum О. Rieth, Grundbegriffe der stoischen Ethik, S.92, bei den Ausführungen des Simplicius über die διάθεσις das Moment der Beharrlichkeit nicht gelten lassen will, das auch durch Plutarch seine Bestätigung erhält: Virt. mor. 4 4 1 E = SVF 111,459: . . . ττ\ν άρετήν той ηγεμονικού της ψ υ χ ή ς διάθεσίν αυτήν όμολο·γούμενον
τίνα και
και δύναμιν, βέβαιον και
-γεΎενημένην άμετάπτωτον,
υπό \oyov, ύποτίθενται
μάλλον δ ε λόγοι> Όυσαν (seil, oi Στοίκοι).
Bei Seneca entspricht der Habitus der διάθεσις, während das noch nicht zum Habitus gewordene Wissen als ε ξις anzusehen ist. -Die Stoa führte die Unterscheidung zwischen διάθεσις und εξις nicht konsequent durch, da sie zuweilen die Einzeltugenden als εξεις bezeichnet. VgL SVF, III, 265-270. Vgl. S. 143 ff. 2 Sen., De vit. beat. 3,3, vgl. S. 100. 3 A.a.O.: sana mens. . . et in perpetua possessione sanitatis s u a e . . . 4 ad naturae legem exemplumque formari, siehe a.a.O.: animus intuens vera, vgl. Ep. 66,6 (in Übersetzung S. 101). 5 Sen., Ep. 66,6: . . . non ex opinione, sed ex natura pretia rebus i m p o n e n s . . . 6 Über die Beziehungen zwischen scientia u n d voluntas vgl. S. 106, Anm. 21 u. S. 163, Anm. 6. 7 Sen., Ep. 90,46: ignorantia rerum innocentes erant: m u l t u m autem interest, u t r u m peccaie aliquis nolit an nesciat. deerat illis iustitia, deerat prudentia, deerat temperantia ac fortitudo. omnibus his virtutibus habebat similia quaedam rudis vita: virtus non contingit animo nisi instituto et edocto et ad summum adsidua exercitatione perdueto. ad hoc quidem, sed sine hoc naseimur et in optimis quoque, antequam erudias, virtutis materia, non virtus est. Vgl. Sen., Ep. 31,8 u.a. Eine Unterscheidung zwischen den sogenannten natürlichen Tugenden, den
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φυοικαι
άρεταί,
u n d der Tugend im eigentlichen Sinne, der
κυρία
άρετή,
die an d e n
Besitz der φρόνησις gebunden ist, bereits bei Aristoteles, EN VI,13,1144 B4; vgl. EE 1234 A24; dem Sinne nach unterschieden auch bei Piaton, z.B. Resp. IV,430 B. Sen., Ep. 71,32: quid crit haec virtus? judicium verum et i m m o t u m . Sen., Ep. 20,5: quid est sapientia? semper idem velle atque idem nolle. Vgl. Ep. 31,8. Sen., Ep. 75,11: . . . morbus est iudicium in pravo pertinax. Vgl. Piaton, Resp. IV, 430B; vgl. ferner Aristoteles EE II,5,1222A, wo er die in der EN VI,13, 1144B 20 ff. als unzureichend erklärte zeitgenössische Definition der αρετή als έξις ката τον ορθόν λ07ον noch vertritt. Sen., Ep. 71,27: antequam impleatur [scil. summum bonum], incerta mentis volutatio est, cum vero perfectum est, inmota ilia stabilitas est.
Die einzelnen Qualitäten der Tugend als Teilziele
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tanda s u n t 1 2 " . „Nicht der ist glücklich, der die Dinge weiß, sondern der sie handelnd verwirklicht" 1 3 . Sind alle drei Faktoren vorhanden, so ist die sapientia erreicht, die ars v i t a e 1 4 . Nur über drei Stufen kann diese komplexe Art des Wissens als Habitus daher von dem Nichtweisen und entsprechend von der Seelenleitung angestrebt werden: Erst muß man sich die Elemente des Wissens aneignen (animum instituere et edocere), was ein rein intellektueller Vorgang ist, sodann m u ß man sich das Wissen so einprägen, daß man es immer parat hat, daß es durch keine äußeren Umstände beeinträchtigt noch verloren gehen kann, daß es also eins mit dem Menschen wird, daß es zum Bestandteil seines Wesens, zum Habitus, w i r d 1 5 . Diese zweite Stufe kann nur durch Übung und Gewöhnung erreicht werden (adsidua exercitatione), wie ebenfalls die dritte, in der das Wissen sich aktiv betätigen und bewähren s o l l 1 6 . Die Struktur der zu dem erwähnten Ziel führenden Methode muß an dieser Stelle mit erwähnt werden, u m das Ziel selbst karer hervortreten zu lassen. Es ist demnach keineswegs so, daß in sokratischer Weise die Tugend dem Wissen (im gewöhnlichen Sinne, d.h. seiner engeren Bedeutung) gleichgesetzt w ü r d e 1 7 , denn dann bedürfte es keiner Übung. In diesem Falle würde es genügen, daß der Mensch im Besitze eines voll ausgebildeten Urteilsvermögens ist, um die entsprechenden sittlichen Handlungen zu garantieren. Andererseits deckt sich die bei Seneca vorgefundene Auffassung aber trotz vorhandener Ä h n l i c h k e i t e n 1 8 auch nicht mit der 12 Sen., Ер. 75,7. 13 Sen., Ер. 75,7. 14 Sen., Ер. 117,12: sapientia est mens perfecta vel ad summum optimumque perducta. ars enim vitae est. 15 Vgl. die Lehre des Aristo, Sen., Ер. 94,48: philosophia, inquit, dividitur in haec, scientiam et habitum animi. nam qui didicit et facienda ас vitanda percepit, nondum sapiens est, nisi in ea, quae didicit, animus eius transfiguratus est. - Ep. 94,26: quaecumque salutaria sunt, saepe agitari debent, saepe versari, ut non tantum nota sint nobis, sed etiam parata. Ep. 117, 16: sapientia habitus perfectae mentis est. Vgl. Ep. 16,6. 16 Sen., Ep. 75,7: quando tam multa disces? quando, quae didiceris, adfiges tibi ita, ut excidere non possint? quando ilia experieris? non enim, ut cetera, memoriae tradidisse satis est: in opere temptanda sunt, non est beatus, qui seit ilia, sed qui facit. Vgl. Sen., Ep. 71,30: suadeo adhuc mihi ista, quae laudo, nondum persuadeo. etiam si persuasissem, nondum tam parata haberem aut tam exercitata, ut ad omnes casus procurrerent. (Zu dem dacauffolgenden Vergleich des Lernvorgangs mit dem Färben der Wolle vgl. Piaton, Resp. IV, 429 D-Ε.) Bei Epiktet erscheinen die beiden letzten Stufen unterschieden als μελέτη und ασκησκ. Vgl. Diatr. 11,9,13: Αιά τούτο παραγγέλλουσιν oi φιλόσοφοι, μη ίρκεΐαθαι μόνψ τφ μαθεϊν, άλλα και μελέτην προσλαμβάνειν, είτα 'άσκησιν. Die geistige Einübung als μελέτη bezeichnet auch bei Piaton (cf. Phaidon 81 Α μελέτη θανάτου) und Isokrates (cf. oben S. 15, Anm. 32). Das Produkt der 3. Stufe ist bei Seneca die patientia. Die Notwendigkeit dieser Übungsstufe bildet das Hauptargument Senecas in seinem Dialog De Providentia. Vgl. 2,3: Athletas videmus, quibus virium cura est, cum fortissimis quibusque confligere et exigere ab iis per quos certamini praeparantur ut totis contra ipsos viribus utantur: caedi se vexarique patiuntur et, si non inveniunt singulos pares, pluribus simul obiciuntur. 4: Marcet sine adversario virtus; tunc apparet quanta sit quantumque poll eat, cum quid possit patientia ostendit. Scias licet idem viris bonis esse faciendum, ut dura ac difficilia non reformident nec de fato querantur, quicquid accidit boni consulant. . . 17 Falsch: Sipple, Der Staatsmann und Dichter Seneca als politischer Erzieher, S.19: „Die Ansicht, daß Wissen und Tugend identisch sei, vertritt Seneca im Anschluß an Sokrates immer wieder. Die Philosophie allein vermittelt dieses Wissen. Nur dieses muß der Erzieher dem Zögling beibringen, praeeepta sind dann unnötig und überflüssig." 18 Z.B. bei der Darlegung der 3 Voraussetzungen einer sittlichen Handlung, die für den Men-
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Das Wissen als Habitus und seine Bereiche
des Aristoteles, der dem Moment des Wissens (in der eingeschränkten Bedeutung) beim Zustandekommen einer ethischen Handlung eine sehr untergeordnete Funktion beimißt 19 . Während bei Seneca die Tugend nur dem vollausgebildeten Geist erreichbar ist2 0 , das Wissen (im üblichen Sinn) also die Grundbedingung, die conditio sine qua non, für das Erreichen der Tugend darstellt 21 , vertritt Aristoteles den Standpunkt, daß das Wissen zum Tugenderwerb wenig oder nichts beitrage, daß dagegen alles darauf ankomme, häufig tugendhafte Handlungen zu vollziehen: denn der Mensch werde gerecht dadurch, daß er gerecht handele, und besonnen dadurch, daß er besonnen handle. Ohne solche Handlungen aber bestünde nicht die geringste Aussicht, jemals zur Tugend zu gelangen; die Theorie nütze in diesem Falle garnichts 22 . Aber der Unterschied besteht nicht nur darin, daß Aristoteles die ethischen Tugenden ein Ergebnis der aus Übungen hervorgegangenen Gewöhnung sein läßt, sondern ist vor allem darin zu sehen, daß er Lehre und Lernen in einen gewissen Gegensatz zu Übung und Gewöhnung bringt, indem er die Lehre der Ausbildung der dianoetischen Tugenden und damit des rationalen Seelenteils vorbehält, die Gewöhnung aber zusammen mit den ethischen Tugenden dem alogischen Seelenteil zuweist2 3 , während die Stoa schon eine solche Scheidung in dianoetische und ethische Tugenden nicht kennt. Mit diesen aristotelischen Anschauungen arbeitet vielfach die moderne Pädagogik, und von dorther kommend haben sie Eingang auch in die Seneca-Interpretation gefunden. Es wäre aber m.E. ebenso falsch, den aristotelischen Begriff der Gewöhnung auf die Stoa und Seneca anzuwenden, wie den sokratischen Begriff des Tugendwissens, was ebenso häufig geschieht. Beides muß zwangsläufig dazu fuhren, Inkongruenzen innerhalb der stoischen Lehre zu konstatieren: Im letzteren Falle würde die stoische Affektlehre, die die Bekämpfung der Affekte hauptsächlich auf dem Wege der Aufklärung vornimmt, unvereinbar sein mit der von der Stoa anerkannten Tatsache, daß es Menschen gibt, deren Urteilsvermögen voll ausgebildet ist, die also wissen, wie sie zu leben haben, und die dennoch nicht entsprechend handeln. Im ersten Falle würde der Umstand, daß das Element der Übung im stoischen Bereich eine Rolle spielt, als unvereinbar mit dem psychologischen Monismus erscheinen.
sehen gegeben sind: -πρώτον μεν έάν εΙΒώς, επειτ' iav προαφούμενος, кал προαφούμενος δι' αύτά, το δε τρίτον εάν και βεβαίως και άμετακινήτως εχων πράττη. = Arist., E N II, 4,1105 Α 31 ff. 19 Arist., E N 11,4,1105 А 33 (direkt an den Anm. 18 gegebenen Text anschließend): ταύτα Se προς μεν то τάς αλλας τέχνας εχειν ob συναρώμειταχ, πλην αντό το εΐδέναι • προς δε το τάς άρετάς το μεν ε'ώέναι ούδεν η μικρόν ισχύει, τα δ' αλλα ού μικρόν άλλα τό πάν δύναται, απερ έκ τοϋ πολλάκις πράττειν τα δίκαια και σώφρονα περιιίνεται. 20 „virtus non contingit animo nisi instituto et edocto", vgl S. 104, Anm. 7; vgl. Epiktet, Diatr. I, 26,3f.; 1,17,1-16. 21 Vgl. Sen., Ep. 95,57: actio recta non erit, nisi recta fuerit voluntas, ab hac enim est actio, rursus voluntas non erit recta, nisi habitus animi rectus fuerit: ab hoc enim est voluntas, habitus porro animi non erit in optimo, nisi totius vitae leges perceperit et quid de quoque iudicandum sit, exegerit, nisi res ad verum redegerit. Vgl. Nat. Quaest. VI,32,1: quos [scil. anirnos] magis refert nostra fortiores fieri quam doctiores. sed alterum sine altero non fit. 22 Vgl. Arist., EN 11,4,1105B 23 Arist., E N 11,1,1103A 14: ήθικής, ή μεν διανοητικη ανξησιν, δίοπερ Εμπειρίας
9 ff. Διττής δή της άρε της ούσης, της μεν διανοητικής της δε το πλέων έκ διδασκαλίας e'xet και την -γένεσιν και την δεϊται και χρόνου, η δ'ηθική έξ εθους περιγινεται. . .
Das Verhältnis von Wissen und Übung in der Stoa
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Derartige Unvereinbarkeiten treten dagegen gar nicht erst in Erscheinung, wenn man sich dessen bewußt bleibt, daß die Tugend in stoischer Auffassung nicht einfach mit dem Wissen sokratischer Prägung gleichgesetzt werden kann, wenn die Stoa auch ebenso wie Sokrates von der Voraussetzung ihrer Lehrbarkeit ausgeht; denn das Vorhandensein des Wissens zieht bei Sokrates automatisch entsprechende Handlungen nach sich 24 , während nach stoischer Lehre Wissen und Handlungen sich durchaus widersprechen können (unbeschadet der Tatsache, daß ein rechtes Wissen die unabdingbare Voraussetzung für sittliches Handeln darstellt). Wenn nun diese Inkongruenz zwischen Wissen und Handlungen durch Übungen beseitigt werden soll, so besteht darin zwar eine gewisse Ähnlichkeit mit Aristoteles, aber im Gegensatz zu diesem erfolgt die Gewöhnung in der Hauptsache nicht auf dem Wege über den alogischen Bereich, sei es durch Gymnastik und Musik wie in Piatons Staat, sei es durch ständige Wiederholung praktischer Handlungen, sondern getreu dem stoischen Monismus durch eine Übung der Ratio selbst, also durch Denkübungen, durch eine ständige Wiederholung denkerischer Akte 25 . Jedoch werden für die dritte, zum Wissen als Habitus führende Stufe2 6 , die Stufe der aktiven Betätigung des Wissens durch Handlungen, schließlich auch Übungen in Erwägung gezogen, die Körper und Geist betreffen 27 . Dieses Grundsätzliche über das Verhältnis von Wissen und Übung in der Stoa mußte vor allem auch im Hinblick auf eine eventuelle Darstellung der annaeischen Methode der Seelenleitung gesagt werden. Eine deskriptive Untersuchung von 24 Vgl. P. Rabbow, Paidagogia, S. 107: „Der strenge Intellektualismus des Sokrates ist konzentriert in seinem Zentralsatz: Tugend ist Wissen. Ihn umgeben, ergänzen, erläutern die Kernsätze: Wissen ist das Herrscherliche, Starke in der Seele; niemand tut mit Willen unrecht, wer unrecht tut, tut es aus Unwissen; Ohnmacht gegen die Lüste gibt es nicht. In diesen Sätzen ist die absolute determinierende Gewalt des Wissens in der Seele stabiliert." Vgl. a.a.O. S.233 ff. die Zeugnisse für diese Kernsätze. Vgl. ebenfalls S. 15 Of. und 25 5 ff. die Kritik Rabbows an den bisherigen Deutungen des sokratischen Wissens. Vgl. oben S. 26. 25 Vgl. Musonius, Περί άσκήσεως Frgm. VI, Hense. Ich zitiere in der Übersetzung von W. Capelle S.252: „Die der Seele eigentümliche Übung aber besteht erstens darin, daß sie sich die Beweise einprägt von den Scheingütern, daß sie nicht wirkliche Güter sind, und ebenso von den scheinbaren Übeln, daß sie in Wahrheit gar keine sind, und daß sie sich so gewöhnt, die wirklichen Güter zu erkennen und von den nichtwirklichen zu unterscheiden und sich dann zu üben, vor keinem der scheinbaren Übel Angst zu haben und nach keinem der scheinbaren Güter zu trachten und die wirklichen Übel mit jeder Faser zu verabscheuen, den wirklichen Gütern aber mit allen Kräften nachzujagen." 26 Die Bezeichnung mit 1., 2. und 3. Stufe will kein zeitliches Nacheinander postulieren, sondern nur ein systematisches. In der Praxis der Seelenleitung erscheinen in einem auf den jeweiligen Grad des Fortschritts abgestimmten Mischungsverhältnis oft die Lern- oder Übungsvorgänge aller 3 Stufen nebeneinander. 27 Vgl. Musonius, Περί ασκήσεως, Frgm. VI, Hense, in der Übersetzung von W: Capelle S.252: „Denn es muß auch der Körper des künftigen Philosophen zu den Leistungen des Körpers gut ausgebildet sein, weil die Tugenden ihn oft als ein zu den Werken des praktischen Lebens notwendiges Organ gebrauchen. Von der Übung erfolgt nun diejenige, die der Seele eigen ist, nur für diese allein auf die rechte Weise, die andere dagegen ist Leib und Seele gemeinsam. Die beiden gemeinsame Übung erfolgt, wenn wir uns zugleich an Kälte und Hitze, Hunger und Durst, einfache Kost und ein hartes Lager gewöhnen sowie an Enthaltung von Genüssen, Ertragen von schweren Anstrengungen. Denn durch Übungen dieser und ähnlicher Art wird der Körper gestählt und an Beschwerden gewöhnt und abgehärtet. . . Es wird aber auch die Seele gestählt, indem sie sich durch das Ertragen von Mühsal zur Tapferkeit übt und durch die Enthaltung von Lüsten zur Selbstzucht." Auch Seneca bezeugt eigene Übungen dieser Art, vgl. Ep.l08,15ff.
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Die drei Teile der Philosophie
Senecas Methode würde nämlich ergeben - das läßt sich schon nach einem kurzen Überblick sagen —, daß für Seneca der stoische Begriff der exercitatio nicht bloße Theorie geblieben ist, sondern daß er seine Methode der Seelenleitung in der Hauptsache darauf aufbaut, bzw. sich in seinen kritischen Urteilen über die Erfolgsaussichten stoischer Seelentherapie darauf bezieht. Da also in der Auffassung der Stoa und Senecas ein sicheres Wissen eine der Grundvoraussetzungen für den Erwerb der Tugend darstellt 28 , bleibt nun zu untersuchen, auf welche Gebiete sich dieses Wissen zweckmäßigerweise erstrecken soll und wie weit nach Ansicht Senecas die Ziele durch den Seelenleiter gesteckt werden müssen. Der auf Seite 101 übersetzte 6. Paragraph des 66. Briefes gibt darüber einige Auskunft: Der Mensch muß wissen, was er zu meiden und zu erstreben hat 2 9 , er muß die Dinge nach ihrem wahren Wesen abschätzen können, was nichts anderes bedeutet, als daß er die Güter- und Pflichtenlehre zu kennen hat, die den täglichen Lebensablauf regeln. Darüber hinaus aber hat er seine Betrachtungen auf das Weltall zu richten und bemüht zu sein, es in seinen geordneten Abläufen zu erforschen und zu erkennen. Es wird also die Forderung erhoben, daß man sich mit der Physik zu befassen habe, die aber in der stoischen Philosophie durch den doppelten Aspekt der Physis (Materie und gestaltendes geistiges Prinzip) sowohl Kosmologie als auch Theologie umfaßt 3 0 . Wenn also Seneca - wie in Ep. 74,29 3 1 so an vielen anderen Stellen — von der scientia divinorum humanorumque als Voraussetzung für ein glückliches Leben oder die Tugend spricht, so meint er damit nichts anderes als die Kenntnis der stoischen Ethik und Physik 5 2 als Teilen der Philosophie, und somit erscheint das Studium der Philosophie wie in der hellenistischen Zeit, nur verkürzt um einen ihrer Teile 3 3 , die Logik, als der direkte Weg zu sapientia bzw. virtus 3 4 . Daß die Logik als dritter Teil der Philosophie in diesem Zusammenhang nicht ausdrücklich erscheint, nimmt nach dem, was im vorbereitenden Teil der Arbeit gesagt wurde, nicht wunder. Seneca berücksichtigt sie zwar in seinem Referat über die Einteilungen der Philosophie 3 5 und unterteilt sie getreu dem Vorbilde Zenos
28 Vgl. P. Grimal, Sencque est-il un philosophe? , S.63: „Nous ne saurions exagerer Γ importance, pour comprendrc la veritable position philosophique de Seneque, de cette foi en la valeur eminente de la connaissance." 29 Die fugienda und petenda ( άποπροη-γμένα und προη-γμένα ) bezeichnen den Bereich der indifferentia (άδιάψορα), auf die auch die Pflichtenlehre bezogen wird. 30 Ζ. B. Gleichsetzung der Physis mit Zeus: SVF, 1,160; 11,1076 etc. Vgl. Sen., Ep. 65,2: dicunt, ut scis, Stoici nostri duo esse in rerum natura, ex quibus omnia flant, causam et materiam. materia iacet iners, res ad omnia parata. . . causa autem, id est ratio, materiam format. . . 31 bcatum enim illud uno loco positum est, in ipsa mente, grande, stabile, tranquillum, quod sine scientia divinorum humanorumque non potest effici. Vgl. Ep. 89,4-5 u.a. ; vgl. Cie., De off., 11,5. 32 Vgl. De brev. vit. 19; Ep. 90,26ff.; Ep. 93,8ff.; Ep. 95,10 etc. 33 An sich kann die Logik sehr wohl in der „scientia div. hum." enthalten gedacht werden, bei Seneca aber offensichtlich nicht. 34 Sen., Ep. 89,5: alii Studium illam [seil, philosophiam] virtutis esse dixerunt, alii Studium corrigendae mentis, a quibusdam dicta est adpetitio rectae rationis. Über den Unterschied zwischen sapientia und philosophia vgl. § 4: sapientia perfectum bonum est mentis humanae; philosophia sapientiae amor est et adfectatio. haec eo tendit, quo illa pervenit. Cie., Tusc. 111,6: . . . est profecto animi medicina philosophia. . . 35 Sen., Ep. 89,9 u. 17.
Rhetorik und Dialektik
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in die beiden Teile Rhetorik und Dialektik3 6 , aber sonst findet sie bei ihm keine positive Beachtung. Selbst über die bei den Römern in so großem Ansehen stehende Rhetorik, die aber innerhalb der Stoa in diesem herkömmlichen Sinn fast keine Rolle spielt3 7 , äußert sich Seneca in der Theorie nur selten und mit merklicher Zurückhaltung 38 . Er ist einesteils zu sehr von der stoischen Ansicht überzeugt, daß es vor allem darauf ankomme, mores, non verba componere und animis, non auribus scribere, als daß er es wagen würde, ein Studium der Beredsamkeit nach Art der Rhetorenschulen zu empfehlen. Zu viel Übung müßte darauf verwendet werden, die den Menschen von der Verfolgung des einzigen wesentlichen Zieles, des Tugenderwerbs. abhalten würde. Und selbst wenn einem die Eloquenz ohne eigenes Zutun als Gabe der Natur zur Verfugung stände, so hätte man sie doch zu zügeln, denn wie dem Weisen ein gemessener Gang ziemt, so auch eine knappe Redeweise3 9 ; tardiloquum esse te iubeo, schreibt Seneca an Lucilius. Die Rhetorik, wie die Stoa sie verstand, erforderte kein eigenes Studium, bestand doch in ihrem Sinne das gute Reden im Sagen der Wahrheit4 0 , und dieses ergab sich zwangsläufig aus der rechten Verfassung des Geistes und war ohne diese nicht denkbar. Die einzige Möglichkeit, sich dem stoischen Ziel der Rhetorik zu nähern und die Seneca dem Lucilius daher empfiehlt, bestand darin, sich zu bemühen, langsam, überlegt und wenig zu sprechen. Es ist bezeichnend für die Einstellung der Stoa der Rhetorik gegenüber, daß sie es war, die eine Ergänzung der theophrastischen 4 Stiltugenden (аретси της λέξεως) durch eine 5. Tugend, die Kürze (συντομία), vornahm 41 : „Die συντομία ist eine Redeweise, die nur das enthält, was unbedingt zur Kennzeichnung der Sache erforderlich ist", so lautet die Definition des Stoikers Diogenes von Babylon 42 . Dieses Ideal der Kürze, zusammen mit dem parataktischen Stil ihrer syllogistischen Beweisführung, erzeugte einen Redestil, den Cicero sehr anschaulich an Cato Uticensis beschreibt: Anhänger der Stoa, die keinerlei Schmuck in ihren Reden sucht noch ihre Argumentationen in die Länge zieht, bringt er das, was er zu sagen hat „minutis interrogatiunculis quasi punctis" vor 4 3 . Daß er damit alles andere als 36 A.a.O. § 17. 37 Die Stoiker hatten sich bewußt in Gegensatz zu der herkömmlichen Rhetorik gesetzt, die nach ihrer Meinung nur auf Beifall und Massenwirkung ausgehe und sich dadurch oft genug in den Dienst des Unrechts begebe. Für die Stoa aber gelte als einzige Richtschnur die Wahrheit, der gegenüber alles andere in den Hintergrund zu treten habe. (Diese Argumentation des Diogenes Babylonius ist auf dem Hintergrunde der Polemik Philodems noch erkennbar.) Die Schmucklosigkeit ihrer Rede wirft Cicero den Stoikern daher an mehreren Stellen vor, z.B. De fin. IV,5 und 7: Totum genus hoc [seil, rhetoricum] Zeno et qui ab eo sunt, aut non potuerunt aut noluerunt tuen, certe reliquerunt. Quamquam scripsit artem rhetoricam Cleanthes, Chrysippus etiam, sed sic, ut, si quis obmutescere concupierit, nihil aliud legere debeat. 38 Vgl. Sen., Ер. 100; Ер. 115,1; Ер. 40,4: adice nunc, quod quae veritati operam dat oratio, incomposita esse debet et simplex... Ep. 40,12: hanc [scil. facilitatem] ego in viro sapiente recipio, non exigo; ut oratio eius sine impedimento exeat,.. 39 Vgl. Sen., Ep. 40,14. 40 Vgl. SVF, 11,293; es fehlt aber der Schlußsatz, worauf M. Pohlenz, Die Stoa II, S.31, hinweist: то be ev \eyeiv eXeyov τό άληβή Xeyew. 41 Vgl. die Belege bei M. Pohlenz, Die Stoa, II, S.31. 42 Diogenes L., VII,1,59. Vgl. C.N. Smiley, Seneca and the Stoic Theory of Literary Style, S.53. 43 Cie., Paradoxa Stoic., praef. 2: . . . nos ea philosophia plus utimur, quae peperit dicendi copiam, et in qua dicuntur ea, quae non multum discrepent ab opinione populari, Cato autem,
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Die drei Teile der Philosophie
überzeugend auf seine Zuhörer wirkte, obwohl er unbestritten mit seiner ganzen Person hinter dem stand, was er sagte, läßt Cicero dezent durchblicken, wenn er sein eigenes Vorhaben, über die Paradoxa Stoicorum zu sprechen, damit begründet, diese stoischen Dogmen endlich einmal in einer Form darbieten zu wollen, die ihnen Durchschlagskraft verleihen k ö n n e 4 4 . Seneca ist sich wie Cicero der Schwäche der stoischen Argumentationsweise wohl bewußt, und wenn er daher auch im Hinblick auf die Allgemeinheit den Standpunkt vertritt, daß man neben der Ausbildung des Charakters kein anderes Ziel verfolgen dürfe noch könne, also auch nicht die herkömmliche Beredsamkeit, so ist er sich andererseits doch darüber im klaren, daß er bei seiner sich selbst gesetzten Aufgabe als paedagogus generis humani 4 5 sich seiner besten Möglichkeiten berauben würde, Einfluß auf seine Mitmenschen ausüben zu können, wenn er auf die Mittel der Rhetorik verzichtete 46 . In Bezug auf die Dialektik jedoch ist seine Ablehnung massiv. Er sieht sie als völlig irrelevant für den Erwerb der Tugend und daher als unnütze Spielerei an und behauptet in Anlehnung an einen Ausspruch Ciceros, daß er, auch wenn seine Lebenszeit verdoppelt würde, keine Zeit fur sie übrig hätte 4 7 . Bei jeder Gelegenheit bedenkt er die Syllogismen Zenos und der übrigen Stoiker mit beißendem Spott und verurteilt ihre Sophismen 4 8 , durch die der Befragte zu Eingeständnissen gezwungen werde, an die er innerlich nicht glaube. Das bedeutet zwar nicht, daß man nicht gelegentlich derartiges lesen sollte, aber man darf sich auf keinen Fall ernstlich damit befassen wollen, man darf es nicht zum Selbstzweck erheben. Ebenso wie die stoische Schlußlehie wird innerhalb der Dialektik die Lehre von den Bezeichnungen (σημαίνοντα, significationes) abgelehnt, die bei den Stoikern einen breiten Raum einnimmt. „Wieviel Überflüssiges haben die Philosophen", beklagt sich Seneca im 88.Brief 4 9 , „wieviel, was sich der Nutzanwendung entzieht! Sie ebenfalls lassen sich herbei zu einer Unterscheidung der Silben und zu den Eigentümlichkeiten der Konjunktionen und Präpositionen und beneiden die Grammatiker, beneiden die Geometriker. Was sich in deren Disziplinen an Überflüssigem findet, übertragen sie auf ihre eigene. So kommt es, daß sie gewissenhafter zu sprechen wissen als zu leben." Gleich im Anschluß an diese Kritik leitet Seneca zum Gebiet der Erkenntnistheorie über und richtet einen heftigen Angriff auf die Vertreter der Skepsis5 0 . Wenn sich auch sein vernichtendes Urteil 51 hier speziell auf diese eine erkenntnis-
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perfectus mea sententia Stoicus, et ea sentit, quae non sane probantur in volgus, et in ea est haeresi, quae nullum sequitur florem orationis neque dilatat argumentum, minutis interrogatiunculis quasi punctis, quod proposuit, efflcit. Cie., a.a.O. 4. Vgl. oben S. 20 ff. Sen., Ер. 89,13. Vgl. oben S. 17 ff. über die Rolle der Rhetorik in der Seelenleitung und unten S. 184 ff. Sen., Ер. 49,5: negat Cicero, si duplicetur sibi aetas, habiturum se tempus, quo legat lyricos: eodem loco loca dialecticos: tristius inepti sunt, illi ex professo laseiviunt, hi agere ipsos aliquid existimant. Sen., Ер. 82,21; 83,9; 87,41; 45,5; 48,6; Ер. 117 etc., teilweise zitiert S. 187, Anm. 34 u. 35. Ep. 88,42. Sen., Ep. 88,43 ff. Ep. 88,45: haec omnia in ilium supervaeuum studiorum liberaüum gregem coice: illi mihi
Die Physik
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theoretische Richtung bezieht und nicht, wie Bonhöffer s 2 es darstellt, als eine Ablehnung der Erkenntnistheorie überhaupt zu werten ist, so geht man aber doch wohl nicht fehl in der Annahme, daß sich Seneca auch für die stoische Erkenntnistheorie nicht sonderlich interessiert und wie Epiktet der Beschäftigung mit ihr keinen wesentlichen Nutzen für die Seelenheilung zugeschrieben haben wird, obwohl ihm deren Prinzipien bei seiner praktischen Einstellung mehr zusagen mußten als die skeptischen, aufgrund deren die Möglichkeit jeder Erkenntnis auf dem Wege über die Sinneswerkzeuge geleugnet werden mußte. Jedenfalls legt, soweit ich sehe, keine Stelle im annaeischen Corpus Zeugnis davon ab, daß er eine Beschäftigung mit dieser Disziplin in seine Seelenleitung einbezogen hätte 5 3 . Wenn es also auch im Einklang mit der oben5 4 aufgezeigten römischen Tendenz steht, daß für Seneca der Erwerb — und vom Standpunkt des Seelenleiters aus die Vermittlung - von Kenntnissen auf dem Gebiete der Logik kein erstrebenswertes Ziel darstellt, so muß es aber auf den ersten Blick überraschen, daß Seneca, nach den angezogenen Stellens 5 zu urteilen, der Beschäftigung mit der Physik einen ebenso großen Raum im Leben des Weisen und Nichtweisen zuweist wie der Ethik, hätte man doch eher erwartet, daß er wie Aristo5 6 die Physik als ein Gebiet, das die menschliche Erkenntnisfähigkeit übersteigt, völlig verworfen hätte. Dies ist aber offensichtlich nicht der Fall, sondern Seneca muß dieser philosophischen Disziplin doch eine gewisse Bedeutung und Funktion im Hinblick auf die Verwirklichung seiner Ziele der Seelenleitung zuerkannt haben, wie die Häufigkeit vor allem seiner direkten, positiven Anspielungen auf bestimmte Aspekte der Physik beweist, wenn auch seine Stellungnahmen im einzelnen keineswegs einheitlich sind. Um die verschiedenen Nuancen in seiner Bewertung dieser Disziplin richtiger einschätzen zu können, insbesondere um auf die Frage einzugehen, ob damit eine Änderung der Seelenleitungsziele bei Seneca verbunden sei, ist es jedoch erforderlich, die stoischen Haupttendenzen in der Einteilung und Einschätzung der philosophischen Disziplinen kurz zu erwähnen. Wenn in diesem Zusammenhang von einer Einteilung und daher von Teilen der Philosophie gesprochen wird, so muß allerdings hinzugefügt werden, daß für die Stoiker wie auch für Seneca die Philosophie ebenso wie die Tugend ein durchaus einheitliches und unteilbares Gebilde darstellte, das vom Weisen in seiner Gesamtheit erfaßt und besessen wurde5 7 . Daher konnten die einzelnen Disziplinen auch Tugenden genannt werden 58 , und zwar in demselben Sinne wie die Einzeltugenden
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non profuturam scientiam tradunt, hi spem omnis scientiae eripiunt. Satius est supervacua scire quam n i h i l . . . Die Ethik des Stoikers Epictet, S. 123 unten. Seneca folgt in seiner Einteilung der Logik (Ep. 89,17) dem Teil der Stoiker, die die Erkenntnistheorie nicht als 3. Teil der Logik von der Dialektik absondern. Vgl. Diog. Laert VII 1 34 Vgl. S. 8 0 f f . ·, , , . Vgl. oben S. 101 u. S. 108. Vgl. Diogenes Laert., VII,160: τάν те φυσικον τόπον και τον λογικοί» άι/ήρίΐ, λέ-γων τον μέν ewai ύπίρ νμας, τον δ' ούδέν προς ήμας, μόνον δέ τον ήθικον eivcu προς ημάς. Vgl. Sen., Ер. 89,13. Vgl. Sen., Ер. 89,2: sapientis quidem animus totam molem eius [scil. philosophiae] amplectitur nec minus illam velociter obit quam caelum acies n o s t r a . . . Vgl. Cie., De fin. 111,72: Ad easque virtutes.. .dialecticam etiam adiungunt et physicam, easque ambas virtutum nomine a p p e l l a n t . . . Zur Einteilung in dialektische, ethische und physikalische Tugenden vgl. auch Diog. Laert., VII,92.
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Die drei Teile der Philosophie
Tapferkeit, Gerechtigkeit etc., nämlich nicht als Teile, sondern als Aspekte der einen Tugend. Lediglich aus den.Erfordernissen der Seelenleitung5 9 heraus aufgrund methodischer Erwägungen, also um dem Nichtweisen, dem eine solche Gesamtschau nicht zugänglich war6 0 , beim Erwerb der nötigen Kenntnisse zu helfen, wurde auch die Philosophie in Einzeldisziplinen unterteilt, weil wir, wie Seneca sagt, zur Erkenntnis des Ganzen leichter über seine Teile gefuhrt werden 61 . Demnach wäre es folgerichtig, wenn es innerhalb der Stoa im Gegensatz zu anderen Schulen nur eine Diskussion über die Reihenfolge der drei Teile, und zwar nach Gesichtspunkten der Methode, gegeben hätte, nicht aber über deren Rangfolge, denn Rangunterschiede dürften theoretisch bei der Gleichheit aller Tugenden nicht existieren62; und wir finden auch in der Tat bei den vielen Verherrlichungen des stoischen Weisen in der römischen Philosophie keine rangmäßige Unterscheidung in der Betätigung der dialektischen, ethischen und physikalischen Tugenden, allerdings mit der Einschränkung, daß die Ausübung der logischen Tugend durch den Weisen bei Seneca, entsprechend seiner oben erwähnten Einschätzung dieser Disziplin, kaum jemals ausdrücklich erwähnt wird: Ich könnte nur ein Beispiel anfuhren, wo Seneca etwa so deutlich wie Cicero in den Tusculanen63 alle drei Tugendelemente berücksichtigt64. Gilt demnach auch die gleichmäßige und ineinanderfließende Betätigung aller genannten Tugenden ohne jeden Wertunterschied für den Weisen, so hat sich jedoch von den in Bezug auf den Nichtweisen notwendigen methodischen 59 Auf die Bedeutung einer Wissensaneignung beim Tugenderwerb und damit der Wissensvermittlung für die Seelenleitung wurde oben (S. 103 ff.) hingewiesen. 60 Sen., a.a.O. in Fortführung des oben (S. 111, Anm. 57) angeführten Textes: nobis autem, quibus perrumpenda caligo est et quorum visus in proximo deficit, singula quaeque ostendi facilius possunt universi nondum capacibus. 61 Sen., Ер. 89,1: Rem utilem desideras et ad sapientiam properanti necessariam, dividi philosophiam et ingens corpus eius in membra disponi: facilius enim per partes in cognitionem totius adducimur. Vgl. Zitat S. 103, Anm. 24. Man scheint daher auch die Bezeichnung μέρη für die allgemein angenommenen drei Teile (Vgl. z.B. Diog. Laert., VII,39; vgl. Sen., Ер. 89,9: philosophiae tres partes esse dixerunt et maximi et plurimi auctores: moralem, naturalem, rationalem.) der Philosophie gern vermieden zu haben und dafür lieber τόνοι, ейт) oder yevri gesagt zu haben. (Vgl. Diog. Laert. VII,39: Apollodor sprach von roirot, Chrysipp und Eudromosvon εΐδ-η, andere von у ein}.) Jedenfalls wird bei Diog. Laert. (VII,41: 'άλλοι δ ' ο ύ του λόγου ταύτα μέρη φασίν, άλλ' αυτής της φιλοσοφίας, ώς Ζήνων ό Ταρσεύς Vgl. demgegenüber, was als allgemeinstoisch hingestellt wird: a.a.O. 39: τριμερή φασιν είναι τον κατά φιλοοοφίαν λόγον. - λόγος wohl hier=Lehre-) ausdrücklich Zenon Tarsensis von den übrigen Stoikern getrennt aufgeführt, weil er die drei Teile nicht als methodische Unterteilungen, sondern als Teile der Philosophie selbst angesehen hatte, ebenso die entgegengesetzte Gruppe derjenigen, die nicht einmal von einer Einteilung zu methodischen Zwecken etwas wissen wollten. (A.a.O. 40: και ούθέν μέρος той ετέρου άποκεκρίοθαι καθά τίνες αυτών φααιν, άλλα μεμίχθαι αύτά κάί την παράδοσιν μικτή ν έποίουν. Die sechs Teile des Kleanthes dagegen lassen sich, worauf Bonhöffer, Epictet und die Stoa, S.13, sehr richtig hinweist, als Unterteilungen der drei Hauptteile erklären.) 62 In dieser Konsequenz liegt der von Bonhoffer, Epictet und die Stoa, S. 13, nicht gesehene Unterschied zwischen der Gruppe des Zenon Tarsensis und den übrigen Stoikern begründet Denn wenn es sich wirklich so verhielt, daß dieser echte Teile der Philosophie annahm, so konnte er auch die Frage nach der Rangordnung stellen. 63 Cie., Tusc. V,68ff. „triplex ille animi f e t u s . . . " 64 Sen., Ер. 90,29. -Eine Wertabstufung innerhalb der drei Teile der Philosophie findet sich auch nicht in der ciceronischen Darstellung des stoischen Systems im 3. Buch De fin..
Die Reihenfolge der drei Teile
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Gesichtspunkten her neben einer bestimmten Systematik in der Abfolge der Teile auch eine Wertung ergeben, worauf verschiedene Texte, u.a. bei Seneca, hinweisen. Was nun die Reihenfolge der drei Teile im Unterricht betrifft, so sind, worauf auch Bonhöffer 6 5 hinweist, fast alle möglichen Kombinationen innerhalb der Stoa vertreten 6 6 . Da die Logik aber fur Seneca so gut wie keine Rolle spielt, ist es nur von Wichtigkeit, das Verhältnis von Phvsik und Ethik in der Stoa zu untersuchen 6 7 ; dabei finden wir ζ. B. für Chrysipp 6 8 bezeugt, daß er zwei unterschiedliche Standpunkte zur Frage der Reihenfolge von Physik und Ethik in Verbindung mit einer Wertung 6 9 eingenommen hat, offenbar je nach der Art der Betrachtungsweise. Einmal hat er, mit dem Blick auf den gesamten Kosmos und ausgehend von der Stufenfolge des Seins, die Theologie als die Lehre von den höchsten Seinsformen und damit die Physik als den erhabensten Gegenstand und sozusagen als die letzte Weihe der Philosophie angesehen, ein andermal zog er die eigentliche Bestimmung und den Zweck der Philosophie: die Lebenshilfe für den Menschen, in den Mittelpunkt seiner Betrachtung und stellte somit die Ethik als Ziel der Philosophie hin 0 . 65 Bonhöffer, Epictet und die Stoa, S.15ff.. 66 Diogenes Laertios berichtet, daß Zenon, Chrysipp, Archedem und Eudem (auch Kleanthes ist dazu zu rechnen, da die ersten zwei seiner sechs Teile der Logik entsprechen) mit der Logik begonnen hätten, Diogenes Ptolemaeensis mit der Ethik, Panaitios und Poseidonios mit der Physik. (Diog.Laert., VII,40f. Vgl. auch für Chrysipp die Notiz bei Plutarch, Stoic.rep.9. Bonhöffer, a.a.O. hält mit Recht Epict., Diatr. 1,17,6 ebenfalls für ein wichtiges Zeugnis.) 67 Hierfür stehen in der Hauptsache vier Texte zur Verfügung: Diog. Laert., VII,40f., Sext. Emp., Pyrrh. Hypotyp. 11,13 und Adv. Dogm. VII,22, sowie Plut., Stoic, rep. 9. Sextus führt als gebräuchlichste Reihenfolge die Physik nach der Ethik auf, Diogenes Laertios für Zenon und Chrysipp sowie Archedem und Eudem die Ethik nach der Physik. Da diese Bezeugungen in diametralem Gegensatz zu einander stehen, will Bonhöffer (A.a.O. S.15f.) wegen der größeren Zuverlässigkeit der Quelle dem Text des Sextus den Vorzug geben und zieht als Unterstützung seiner These das Zeugnis des Plutarch mit heran. Tatsächlich berichtet Plutarch am Anfang des 9. Kap. von Chrysipp, daß dieser für die jungen Männer den Lehrgang der Philosophie in der Anordnung Logik, Ethik, Physik vorgesehen habe, und die Begründung Chrysipps, die er für diese Reihenfolge angibt, daß nämlich der letzte Teil der Physik die Theologie sei und sie daher als Krönung angesehen werden müsse, stimmt mit der bei Sextus (Adv. Dogm. VII,22) gegebenen im großen und ganzen überein. Aber Plutarch bleibt bei dieser Feststellung nicht stehen, und insofern werden die Folgerungen Bonhöffers hinfällig. Getreu dem Anliegen dieser plutarchischen Schrift, das darin besteht, auf die Widersprüche in der stoischen Lehre hinzuweisen, fährt der Autor damit fort, Chrysipp der Inkonsequenz zu bezichtigen, indem er Äußerungen desselben aus verschiedenen Werken anfuhrt, in denen genau die umgekehrte Reihenfolge empfohlen wird, also erst Physik und dann Ethik und er sagt ausdrücklich, daß die Physik nur wegen der Ethik betrieben werde. (Z.B. 9,1035c5ff.= S.V.F., 111,68: ού yap εστίν άλλως ούδ' obieicrrepov επελβεϊν έπι τον τών ά-γαθών και κακών \oyov, ούδ' έπι τας αρετάς, ούδ' επ' εύδαιμονίαν, άλλ' [rj] άπό της κοινής φύσεως και από της τού κόσμου διοικήσεως• • • Sei yäp τούτοις συνάφαι τον περί άβαθων και κακών \0yov,ούκ ούσης άλλης άρχης αυτών άμείνονος ούδ' αναφοράς, ούδ' άλλου τίνος evexev της φυσικής θεωρίας παραληπτής ούσης η προς την περί äyadOv η κακών διάστασιν. Plutarch bemerkt daher: yiverai τοίνυν αμα πρόο και ήπίσω τών ηθικών ό φυσικός λόyoς κατά Χρύσιππον. 68 Siehe Anm. 67. 69 Bonhöffer, a.a.O., urteilt anders, da er nur den ersten Teil des Plutarch-Textes berücksichtigt. 70 „Diese entgegengesetzten Gesichtspunkte miteinander auszugleichen ist den Stoikern nicht gelungen", schreibt Zeller (Die Philosophie der Griechen, 111,1,S.63f.) und so gesehen erhält sowohl das Zeugnis des Diogenes Laertios als auch das des Sextus Empiricus seine Rechtfer-
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Die drei Teile der Philosophie
Wie es schon in der frühen Stoa — am Beispiel des Chrysipp deutlich erkennbar Schwankungen in der Wertung und Reihenfolge von Ethik und Physik gab, so finden wir dieses Nebeneinander verschiedener Betrachtungsweisen auch in den Werken Senecas, und diese Tatsache bedeutet demnach keineswegs von vornherein, daß für die Stellen, an denen Seneca der Physik-den Vorzug gibt, unbedingt der Einfluß des Poseidonios anzunehmen sei 71 , oder daß eine Entwicklung in seinen Ansichten stattgefunden habe 7 2 , was letztlich mit einer Änderung der Ziele in der Seelenleitung Senecas gleichzusetzen wäre. Seneca sieht also, wie erwähnt, bald die Physik als Vorbereitung zur Ethik als dem Ziel des philosophischen Studiums, bald die Ethik als Grundlage für ein Studium der Physik an, und zwar findet sich oft beides auf engem Raum nebeneinander. So äußert er sich, um nur ein Beispiel zu nennen, in der Praefatio zu den Quaestiones naturales zuerst in dem Sinne, daß der Teil der Philosophie, der sich auf die Götter bezieht, also die Physik, weit über dem Teil, der sich mit dem Menschen befaföt, der Ethik, stehe 7 3 . Demgemäß spricht er etwas weiter unten davon, daß die von uns erstrebte ethische Tugend nicht deswegen herrlich sei, weil der Tatbestand, von Fehlern frei zu sein, für sich genommen das Glück bedeute 7 4 , sondern weil sie den Geist ausdehne und vorbereite zur Erkenntnis der himmlischen Belange und ihn würdig mache, in die Gemeinschaft der Götter einzutreten 7 5 . Gleich anschließend aber kommt auch der entgegengesetzte Standpunkt zu Worte, daß nämlich, wie Chrysipp sagt 76 , die Physik getrieben werde, um Gut und Übel mit den richtigen Maßen zu messen: Im §7 heißt es, daß es den unmittelbar unter den Sternen Weilenden freue, die Ängste der Reichen und die ganze Erde mit ihrem Gold zu verlachen, und daß der menschliche Geist nicht eher die Säulenhallen und die von Elfenbein strahlenden getäfelten Decken etc. verachten könne, als bis er das gesamte Weltall umkreist und
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tigung. Auch die vielen Gleichnisse der Stoiker, die die Einteilung der Philosophie veranschaulichen sollen, z.B. das Gleichnis vom Ei, vom Fruchtgarten etc., sind Ausdruck dieser entgegengesetzten Standpunkte: Bald erscheint die Physik, bald die Ethik als wichtigster Teil der Philosophie, vgl. Diog. L., VII,40; Sext. Emp., Adv. Dogm. VII,17. Nur die Stellung der Logik bleibt sich immer gleich. Einen entgegengesetzten Standpunkt vertritt Bonhöffer, a.a.O. S.16. An eine Beeinflussung durch Poseidonios in diesem Zusammenhang glaubt z.B. W. Ganss, Das Bild des Weisen bei Seneca, S.24. Desgl. Aubenque-Andre, Seneque, S. 62. Vgl. Bonhöffer, Die Ethik des Stoikers Epictet, S.125. Quaest. nat., praef. 1: Quantum inter phüosophiam interest.. . et ceteras artes, tantum interesse existimo in ipsa philosophia inter illam partem quae ad homines et hanc quae ad deos pertinet. Altior est haec et animosior... 2: Denique inter duas interest quantum inter deum et hominem. Altera docet quid in terris agendum sit, altera quid agatur in caelo.. . Ein ähnlicher Gedankengang, auf dem aristotelischen Protreptikos beruhend, jedoch mit anderer Akzentuierung, findet sich im Hortensius des Cicero: frgm. 50 u. 97, Mueller=frgm.lOc u. 12 Ross (Aristoteles frgm.sel.) = August., Trin. 14,19,16 und 14,9,12: „Wenn nach dem Tode die menschlichen Seelen auf den Inseln der Seligen in Unsterblichkeit leben könnten, so würden ihnen dort die ethischen Tugenden nichts nützen: una igitur essemus beati cognitione naturae et scientia, qua sola etiam deorum est vita laudanda" . . . und: „. . . si. . . aeternos animos ac divinos habemus, sic existimandum est, quo magis hi fuerint semper in suo cursu, id est in ratione et investigandi cupiditate, et quo minus se admiscuerint atque implicuerint hominum vitiis et erroribus, hoc iis faciliorem adscensum et reditum in caelum fore." Vgl. Cie., Tusc. 1,72; vgl. Piaton, Phaidon 80 ff. Sen., a.a.O. § 6. Plut., Stoic, rep. 9, vgl. S. 113, Anm. 67.
Ethik und Physik
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die Kleinheit und Verächtlichkeit der Erde gesehen habe7 7 . In diesem Sinne antwortet Seneca auch am Schluß 78 der Praefatio einem fiktiven Gegner oder dem Lucilius, als dieser auf einen enthusiastischen Lobpreis der durch die Betrachtung des Weltalls gewonnenen Kommunikation mit Gott einwendet, was ihm denn dies alles nützen solle, mit den Worten: „Wenn nichts anderes, dann bestimmt dies: du wirst wissen, daß alles gering ist, wenn du erst einmal an Gott Maß angelegt hast." Dieses Hinausgehobensein über alles Irdische ist das Kennzeichen eines besonderen Aspektes der Tugend, der magnitudo animi7 9 ; und so wie diese Seite der Tugend häufig mit der ewig heiteren und ungetrübten superlunaren Sphäre des Weltalls verglichen wird 80 , so wird sie auch nach Meinung Senecas insbesondere durch die bewundernde und erforschende Betrachtung der überirdischen Dinge erreicht, die Seneca denn auch an unzähligen Stellen empfiehlt. „Diese Untersuchungen haben sich schon von der Bildung des Charakters entfernt", sagt Seneca 81 , „aber sie richten den Geist auf und erheben ihn zu der Größe der Gegenstände, die er behandelt 82 . Die Physik erfüllt also in den Augen Senecas einen doppelten Zweck: Einmal bildet sie durch die Kontemplation des Weltalls die Brücke zwischen Mensch und Gott und leistet damit einen selbständigen Beitrag zur Eudaimonie, zum andern dient sie der Ethik, indem sie dem Menschen die Bedeutungslosigkeit aller sogenannten Güter gegenüber dem einzigen echten Gut, der Tugend, erkennen hilft, und trägt somit mittelbar zur Erlangung des letzten Zieles bei. Es wird aber durch
77 Vgl. Cie., De rep. 1,17,26: Quid porro aut praeclarum putet in rebus humanis, qui haec dcorum regna perspexerit. . . 78 Sen., a.a.O. § 17. 79 Vgl. unten S. 129 ff. 80 Z.B. Sen., De iia 111,6,1: Nullum est argumentum magnitudinis certius quam nihil posse quo instigeris accidere. Pars superior mundi et ordinatior ac propinqua sideribus nec in nubem cogitur nec in tempestatem impellitur nec versatur in turbinem; omni tumultu caret; inferiora fulminant. Eodem modo sublimis animus, quietus semper et in statione tranquilla collocatus, omnia intra se premens quibus ira contrahitur, modestus et venerabilis est et dispositus. Ep. 59,16: talis est sapientis animus, qualis mundi super lunam . . . Vgl. De clem. 1,7,2. 81 Sen., Ep. 117,19: . . . de deorum natura quaeramus, de siderum alimento, de his tarn variis stellarum discursibus, an ad illarum motus nostra moveantur, an corporibus omnium animisque illinc impetus veniat, an et haec, quae fortuita dicuntur, certa lege constricta sint nihilque in hoc m u n d o repentinum aut expers ordinis volutetur. ista iam a formatione morum recesserunt, sed levant animum et ad ipsarum, quas tractat, rerum magnitudinem attollunt. . . Vgl. u.a. Ep. 88,28. 82 Vgl. Sen., Ep. 65,15 f.: (Dieser Stelle vorausgehend wurden verschiedene Schulauffassungen zum Problem des Verhältnisses von Materie und gestaltendem Prinzip behandelt.) 'quid te inquis delectat tempus inter ista conterere, quae tibi nullum affectum eripiunt, nullam cupiditatem abigunt?'ego quidem propiora ilia ago ас tracto, quibus pacatur animus, et me prius scrutor, deinde hunc mundum. ne nunc quidem tempus, ut existimas, perdo. ista enim omnia, si non concidantur пес in hanc subtilitatem inutilem distrahantur, attollunt et levant animum, qui gravi sarcina pressus explicari cupit et reverti ad ilia, quorum fuit. - Ich würde an dem überlieferten „peiora" (statt der Konjektur propiora) als Bewertung für die Gegenstände der Ethik keinen Anstoß nehmen, denn diejenigen der Physik werden o . t von Seneca als „magna" und „supra h u m a n a " bezeichnet in Anbetraeht der Erhabenheit des Stoffes, wie auch der räumlichen Situation wegen (vgl. Ep. 95, 10-11; Quaest. nat., Praef. 5). Es wäre aber vielleicht zu überlegen, ob die Partie „ego quidem p e i o r a . . . hunc m u n d u m " nicht noch zum Einwurf des Partners gehört.
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Die drei Teile der Philosophie
diese Zweckbeziehung gleichzeitig klar, einen wie kleinen Ausschnitt aus dem Gebiet der Physik Seneca überhaupt nur gelten läßt und der Sorge des Schülers anempfiehlt. Für die eigentliche Erforschung der Natur und ihrer Gesetze, also die Naturwissenschaften im engeren Sinne, hat er, sofern sie sich mit nach seiner Meinung kleinen Gegenständen befassen, nichts übrig 83 , und wenn er sich wie in den Quaestiones naturales auf die Erklärung einiger Naturerscheinungen wie Blitz, Donner, Kometen einläßt, so befaßt er sich hier mit den ganz großen Erscheinungen der Natur, die durch ihre Erhabenheit geeignet sind, den menschlichen Geist zu ihrer Größe hinaufzuziehen, und die durch ihren Furcht oder Bewunderung einflößenden Charakter seit jeher in der Volksmeinung aufs engste mit dem Wirken der Götter in Verbindung gebracht worden waren. Aber auch der direkte ethische Bezug wird in diesem Werk, getreu seiner Mahnung an Lucilius, alles, was er lese und lerne, auf die sittliche BiJdung zu beziehen 84 , gewahrt, wovon die vielen moralphilosophischen Digressionen Zeugnis ablegen 85 . Soll der Mensch sich nicht mit zu kleinen Fragen der Physik befassen, so auch nicht mit zu großen, wie z.B. mit dem Problem, was sich jenseits dieses Weltalls befindet, ob dort eine unermeßliche Leere herrsche oder ob selbst dieses in seine Grenzen eingeschlossen sei: homo ad immortalium cognitionem nimis mortalis est! 86 Seneca will statt des Versuchs einer wissenschaftlichen Erforschung dessen, was sich der Sinneswahrnehmung entzieht, sich lieber mit ganzer Seele der Bewunderung und Verehrung des Göttlichen hingeben 87 . Es ist also deutlich zu sehen, wohin die von Seneca so oft empfohlene Betrachtung des Kosmos tendiert: Zu einer wissenschaftlichen Erforschung nur in einem sehr begrenzten Umfange und nicht als Selbstzweck, sondern in der Hauptsache zu einer beinahe religiös-mystischen Versenkung in das Wesen des Göttlichen, die zu einer Kommunikation der menschlichen Seele mit Gott führt 88 . Es sind also nur wenige Gebiete der Physik, in denen Seneca einen Wissenserwerb und — von der Zielsetzung der Seelenleitung her — eine Wissensvermittlung für notwendig hält. Vor allem muß der Mensch zu den Fragen über das Verhältnis des Göttlichen zum Menschen, über die Beziehungen zwischen Heimarmene und mensch83 Vgl. Sen., De benef. VII, 1,5: Licet nescias, quae ratio oceanum effundat ac revocet, quare septimus quisque annus aetati signum inprimat, quare latitudo porticus ex remoto spectantibus non servet portionem suam, sed ultima in angustius coeant et columnarum novissime intervalla iungantur, quid sit, quod geminorum conceptum separet, partum iungat. . . 84 Sen., Ер. 89,18. 85 Von einer Bekehrung Senecas zur Naturwissenschaft als Selbstzweck, wie sie Bonhöffer, Die Ethik des Stoikers Epictet, S.125, annimmt, kann m.E. keine Rede sein. 86 Sen., De ot. 5, 6-7. 87 Sen., De ot. 5,8. 88 Wieweit Seneca mit dieser Auffassung noch auf dem Boden einer orthodoxen Stoa steht, ist schwer zu sagen. Man kann zwar behaupten, daß es hierbei nichts gäbe, was mit der Lehre der orthodoxen Stoa nicht zu vereinbaren wäre und dabei an das Beispiel des Kleanthes erinnern. Auch setzt Senecas oft vorgetragene Ansicht, daß sich die Seele durch die Betrachtung des Kosmos von ihren irdischen Fesseln befreie, sich ihrer Herkunft bewußt werde und sich auf ihre Rückkehr in die Heimat vorbereite, nicht unbedingt die Annahme einer persönlichen Postund Praeexistenz der Seele voraus, sondern könnte auch auf das stoische Dogma, daß die menschliche Seele ein Teil des göttlichen, vernunftbegabten Pneumas sei, zurückgeführt werden. Andererseits ist der Einfluß platonisierender Vulgärphilosophie in der damaligen Zeit so stark, was auch die herangezogenen Cicerostellen und ein Blick auf die Trostliteratur beweist, daß man zumindest die Verteilung der Akzente als von dorther übernommen ansehen kann.
Gliederung der Ethik bei Seneca
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lieber Willensfreiheit, über die Theodizee, Stellung beziehen, und zum Zweck einer solchen Wissensvermittlung schrieb Seneca seinen Traktat De Providentia neben vielen Berührungen dieser Themen in anderen Wferken und in den Briefen. Darüber hinaus ist es erstrebenswert, daß der Mensch, abgesehen von einer bewundernden Betrachtung der großen Naturerscheinungen, in ihnen eine gewisse Eigengesetzlichkeit erkennt, die nicht auf ihn, den Menschen, bezogen ist, so daß er imstande ist, sich von Aberglauben und Furcht frei zu halten, die der Eudaimonie im Wege stehen 89 . Zum Erwerb der hierfür notwendigen Kenntnisse dienen die Quaestiones naturales. Nachdem ich davon ausgegangen war, daß, wie Seneca sagt, die scientia divinorum humanorumque die unabdingbare Voraussetzung tür die Eudaimonie und für den Tugenderwerb darstellt, habe ich im Vorhergehenden zu zeigen versucht, was Seneca unter dem ersten Teil dieses Wissenskomplexes, der scientia divinorum, als einem Unterziel der Seelenleitung verstanden sehen wollte. Es soll nun der viel mehr im Zentrum der annaeischen Bemühungen stehende zweite Teil erörtert werden: die scientia humanorum, also die Ethik. Seneca hat selbst in dem schon erwähnten Brief an Lucilius über die Einteilung der Philosophie 90 die Ethik gegliedert und ihre Bereiche umrissen 91 . „Man hat es für gut befunden", sagt Seneca, „ den moralischen Teil der Philosophie in drei Abschnitte zu unterteilen, damit der erste eine prüfende Untersuchung sei, die jedem das Seine zuteilt und abschätzt, was jedes Ding wert i s t . . . Denn was ist so notwendig, wie den Dingen ihren Wert zuzumessen? Der zweite behandelt den Trieb, der dritte die Handlungen. Das erste ist nämlich, daß man urteilt, wie etwas jeweils beschaffen ist, das zweite, daß man einen darauf ausgerichteten und gezügelten Trieb in sich aufnimmt, das dritte, daß Übereinstimmung herrsche zwischen dem Trieb und den Handlungen, damit du in all diesem mit dir selbst übereinstimmst." Das bedeutet, daß wir hier eine Dreiteilung in Güterlehre, Trieblehre (unter die auch die Affektlehre fällt 9 2 ) und Pflichtenlehre vor uns haben, die einem gebräuchlichen stoischen Schema entspricht9 3 . Nun würde eine solche übernommene traditionelle Einteilung der Ethik freilich nicht beweisen, daß Seneca in der Praxis der Seelenleitung allen Teilen seine Aufmerksamkeit gewidmet hat, wenn nicht seine Schriften dafür Zeugnis ablegten. Zwar ist uns keine größere Abhandlung Senecas erhalten, die sich speziell mit der Güterlehre befaßt, aber es gibt keinen Traktat und kaum einen Brief von ihm, der nicht 89 Vgl. Cie., De fin. IV,11: Similia dici possunt de explicatione naturae, qua et hi (seil. Peripatetici] utuntur et vestri [seil. Stoici], neque vero ob duas modo causas, quo modo Epicuro videtur, ut pellatur mortis et religionis metus, sed etiam modestiam quandam cognitio rerum caelestium affert iis qui videant, quanta sit etiam apud deos moderatio, quantus ordo, et magnitudinem animi deorum opera et facta cernentibus, iustitiam etiam cum cognitum habeas, quod sit summi rectoris ас domini numen, quod consilium, quae voluntas.. . 90 Sen., Ер. 89. 91 Sen., a.a.O. § 14. 92 Vgl. Cie., De off. 11,18: . . . virtus omnis tribus in rebus fere vertitur, quarum una est in perspiciendo, quid in quaque re verum sincerumque sit. . ., ?'terum cohibere motus animi turbatos, quos Graeci πάβν nominant, appetitionesque, quas illi ορμάς, oboedientes efficere rationi.. . 93 Vgl. Rubin, Die Ethik Senecas in ihrem Verhältnis zur äft. u. mittl. Stoa, S. 4f.; vgl. die wohl auf Panaitios zurückgehende Einteilung der Ethik in Ciceros De off. 11,5,18 und Stob., Ecl. IIc. 5ff.
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Die drei Teile der Philosophie
mehr oder minder ausführlich auf dieses Thema eingeht, ein Zeichen dafür, daß die Vermittlung und das Wachhalten der richtigen Maßstäbe für die Bewertung der Güter und Übel eines der wichtigsten Unterziele seiner Seelenleitung darstellte. Fast ununterbrochen ist Seneca daher bemüht, seinen Adressaten entweder die Gültigkeit der stoischen Kernsätze der Güterlehre zu beweisen oder in der Erinnerung lebendig zu halten 9 4 , gibt dieser Teil der Ethik doch das Fundament für die anderen Teile ab, was Seneca auch in der oben erwähnten Begründung der Einteilung zum Ausdruck bringt. Darüber hinaus gibt Seneca dem Lucilius in zwei ausführlichen Briefen 95 eine systematische Darstellung der Güterlehre 9 6 . Ein charakteristischer Zug Senecas macht sich darin bemerkbar, daß er bemüht ist, die unerbittliche Strenge der Stoa noch um einige Grade zu übertreffen: Bei der Erörterung der drei Klassen der indifferentia 9 7 bringt er zum Ausdruck, daß er, wenn es einen Unterschied zwischen den indifferentia gäbe, dann diejenigen, die düster erscheinen, den bequemeren und weichlicheren vorziehen und diese größer nennen würde 9 8 . (Seneca spricht natürlich von den indifferentia, die durch die Betätigung der Tugend in ihnen zu Gütern geworden sind 9 9 ) . Denn es sei größer, Schwierigkeiten zu durchbrechen, als Erfreulichem ein Maß zu setzen. Seneca betont, daß er zwar wisse, daß es auf die gleiche Weise (nämlich durch dieselbe und immer gleiche Tugend) geschähe, daß jemand das Glück gut und das Unglück tapfer erträgt und daß jemand, der ohne Feindberührung vor dem Wall Wache hält, genau so tapfer sein könne wie einer, der trotz schrecklichster Verwundungen die Waffen nicht verliert. Er halte aber die im Ringen mit dem Schicksal erprobten Güter für lobenswerter 1 0 0 . Folglich wendet er sich im 67.Brief 1 0 1 gegen einige Stoiker, die der Meinung waren, daß man die Bewährung der Tugend innerhalb der indifferentia der zweiten Klasse, der άποπροηγμ&α, sich weder wünschen noch von sich wegwünschen solle. Seneca steht auf dem Standpunkt, daß nichts ein Gut sei, was man sich nicht auch wünschen könne. Im übrigen
94 Sen., Ер. 94,7: efficias oportet, ut sciat pecuniam nec bonum nec malum esse; ostendas illi miserrimos divites. efficias, ut quicquid publice expavimus, sciat non esse tarn timendum quam fama circumfert, nec dolorem quemquam nec mori. . . Vgl. Sen., Ер. 82,17. 95 Sen., Ер. 66 und Ер. 67. 96 Das einzige Gut ist die Tugend, das einzige Übel das Laster, alles übrige sind gleichgültige Dinge (άύιάφορα), die nur, je nachdem sie mit der Tugend oder dem Laster verbunden werden, zu Gütern oder Übeln werden können. Diese indifferentia sind in ihrem Wert oder Unwert untereinander gleich, werden aber in 3 Klassen geteilt: a) prima bona ( προ-η-γμένα ), diese sind secundum naturam, z.B. gaudium, pax, salus patriae; b) secunda bona ( άποπροηγμένα ), diese sind contra naturam, z.B. tormentorum patientia; c) media bona, in jeder Hinsicht gleichgültig, z.B. modestus incessus, compositus vultus. Stoische Lehre ist es, daß der Weise, wenn er die Wahl hat zwischen den indifferentia der ersten und der zweiten Klasse, die der ersten vorziehen wird. 97 Vgl. Anm. 96. 98 Sen., Ер. 6 6 , 4 9 : permitte m i h i . . . aliquid audacius dicere: si ulla bona maiora esse aliis possent, haec ego, quae tristia videntur, mollibus illis et delicatis praetulissem, haec maiora dixissem. . . 9 9 Sen., Ер. 67,6: non enim pati tormenta optabile est, sed pati fortiter. 4: Ita non incommoda optabilia sunt, sed virtus, qua perfcruntur incommoda. Vgl. Sen., Ер. 82,14. 100 Vgl. Sen., Ер. 66,50. 101 Sen., a.a.O. § 5.
Gliederung der Ethik bei Seneca
hatte er schon am Ende des vorhergehenden Briefes 102 betont, daß derjenige, der nicht imstande sei, sich derartiges zu wünschen, auch nicht zu seiner Ausführung fähig sei. Seneca formuliert durch diesen abweichenden Standpunkt in der Güterlehre sein Ziel der Seelenleitung also noch strenger als die Stoa selbst: nicht die Bewährung der Tugend schlechthin ist zu erstreben, die schließlich auch unter erfreulichen Umständen stattfinden kann, sondern erst die Bewährung im schweren und erbitterten Kampf mit dem Schicksal stellt für ihn einen echten Wert dar 1 0 3 . Dieser Zug zur Rigorosität tritt bei Seneca keineswegs nur vereinzelt auf, sondern gehört wie der entgegengesetzte Zug der Milde zum Kern seines Wesens. Daß Seneca dem zweiten Teil der Ethik, der Trieb- und Affektlehre, fast noch größere Aufmerksamkeit gewidmet hat als dem ersten Teil, wird unter dem Kapitel „securitas" noch ausgeführt werden. Im jetzigen Zusammenhang ist nur zu fragen, welche Ziele Seneca dem Wissenserwerb und der Wissensvermittlung in diesem zweiten Teil der Ethik stellt. Da sind in erster Linie wieder die Grundsätze der Güterlehre, deren sicherer Besitz die Voraussetzung für die Wohlgeordnetheit des Trieblebens darstellt, ist es doch nach stoischer Lehre das richtige oder falsche Urteil, das entweder einen berechtigten Trieb oder den Affekt im Menschen hervorruft. Ferner hat der Seelenleiter ein gewisses Kontingent von Trostgründen und allgemeinen Merksätzen bereitzustellen, die auswendig zu lernen sind, damit im Ernstfall davon Gebrauch gemacht werden k a n n 1 0 4 . Diese Kenntnisse müssen daher von jedem erworben werden. Darüber hinaus aber gibt es Wissensgebiete, deren Aneignung der Seelenleiter nur von Fall zu Fall, je nach der individuellen Beschaffenheit eines jeden, empfiehlt: Je nach der persönlichen Neigung zu gewissen Affekten hat man sich eine gründliche Kenntnis der betreffenden seelischen Krankheiten anzueignen, man hat ihr Erscheinungsbild genau zu studieren, und dies mit einem doppelten Zweck: Einmal muß man seine Fehler, um sie beseitigen zu können, genau kennen, zum andern trägt 102 Sen., Ер. 66,52. 103 Diese Wertung hat ihre Wurzel wohl in der vornehmlich der militärischen Sphäre verbundenen römischen Vorstellung und Beziehung zum Ruhm: dieser wird nur in hartem Kampf und unter Überwindung von Schwierigkeiten errungen. Vgl. Cie., De off. 1,64: quo difficilius, hoc praeclarius, und weiter unten bei der Schilderung des magnanimus, der an zwei Dingen erkannt werde: 66: altera est res, ut. . . res geras magnas illas quidem et maxime utiles, sed ut vehementer arduas plenasque laborum et periculorum cum vitae, tum multarum rerum, quae ad vitam pertinent. Es ist daher auch kein Zufall, daß sich die römische philosophische Schule der Sextier gerade durch ihren römischen „robor" auszeichnete (Sen., Quaest. nat. VII,32,2: Sextiorum nova et Romani roboris secta) und daß Seneca an ihren Vertretern, z.B. dem Älteren Sextius, den in diesem Ausmaß bei keinem anderen Philosophen zu findenden kraftvollen Mut rühmt: Ep. 64,3: quantus in illo, di boni, vigor est, quantum animi! hoc non in omnibus philosophis invenies: quorundam scripta darum habent tantum nomen, in cetera exanguia sunt; instituunt, disputant, cavillantur, non faciunt animum, quia non habent: cum legeris Sextium, dices: vivit, viget, liber est, supra hominem est, dimittit me plenum ingentis fiduciae.' in qua positione mentis sim, cum hunc lego, fatebor tibi: libet omnis casus provocare, übet exclamare: quid cessas, fortuna? congredere: paratum vides!' 104 Sen., Ep. 94,7 f.: efficias ut. . . sciat. . . . saepe in morte, quam pati lex est, magnum esse solacium, quod ad neminem redit: in dolore pro remedio futuram obstinationem animi, qui levius sibi facit, quiequid contumaciter passus est. optimam doloris esse naturam, quod non potest nee qui extenditur magnus esse пес qui est magnus extendi. . .
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es schon viel zu ihrer Vermeidung bei, wenn man sich ihrer Häßlichkeit bewußt wird. So gehört die manchmal ausgedehnte, manchmal kurze Schilderung von seelischen Krankheitszuständen mit zu den Aufgaben und Zielen des Seelenleiters 10 5 , wie umgekehrt auch die als Ansporn dienende Beschreibung von Erscheinungsbildern der T u g e n d 1 0 6 . In den Traktaten De tranquillitate animi, De ira, De dementia u. a. hat sich Seneca dieser Aufgabe unterzogen. Für den dritten Teil der Ethik endlich, für die Pflichtenlehre, die nach Senecas Formulierung 10 7 die Handlungen lehren soll, hat Seneca seinem Stande und seiner Interessensphäre gemäß seine besondere Aufmerksamkeit den Pflichten des reichen Aristokraten gewidmet: Über die rechte Art des Schenkens, den Umgang mit den Sklaven und, von seiner Aufgabe als Prinzenerzieher her, über das Verhalten des Kaisers seinen Untergebenen gegenüber, hat er das seiner Meinung nach Wissenswerte in Traktaten und Briefen behandelt. Vergleicht man diesen Themenkreis mit dem aus Ciceros Abhandlung über die Pflichten, so ist es auffallend, wie sehr sich der Schwerpunkt von den politischen Pflichten des freien römischen Bürgers auf die rein private Sphäre hin verlagert h a t l u 8 . Nachdem ich so die Bedeutung und den Umfang der Wissensvermittlung aus den Gebieten der Philosophie darzulegen versucht habe, bleibt noch zu erörtern, wieweit Seneca den Wissensbereich der artes liberales für die Ziele der Seelenleitung in Betracht zieht. Seneca geht in einem ziemlich ausführlichen Brief 1 0 9 auf diese Frage ein, den ich in seinem hauptsächlichen Gedankenablauf wiedergeben will. „De liberalibus studiis quid sentiam, scire desideras" beginnt er, einen Wunsch des Lucilius beantwortend, sein Schreiben, und er gibt sofort die ablehnende Antwort: „nullum suspicio, nullum in bonis n u m e r o 1 0 Zwar hätten sie auch ihre Verdienste, und zwar, insoweit sie den Geist vorbereiten und nicht von seiner eigentlichen Aufgabe (gemeint ist natürlich das Studium virtutis, die Philosophie), abhalten 1 1 1 . „Solange 105 Sen., De tianqu. an. 2,5: Totum interim Vitium in medium protrahendum est, ex quo agnoscet quisque partem s u a m . . . 106 Sen., De clem. 1,1,1: Scribere de dementia, Nero Caesar, institui, ut quodam modo speculi vice fungerer et te tibi ostenderem perventurum ad voluptatem maximam omnium. Vgl. oben S. 8. 107 Sen., Ер. 89,14, vgl. S. 117. 108 Zu Ciceros Auffassung, daß die Philosophie insgesamt, auch die individuelle Ethik, vorwiegend des Staatswohles wegen betrieben werden sollte und damit in erster Linie politischen Zwecken diente, vgl. De div. IJ,2,4 ff. 109 Sen., Ер. 88. 110 Sen., a.a.O. 1. 111 Ganz ähnlich lautet die Meinung des Isokrates über Fächer wie Geometrie und Astronomie und Studien dieser Art. Sie haben auch bei ihm vorbereitenden Charakter: Vgl. 15,261 ff.; 266: . . . γυμναοίαν μέντοι της ψυχής και παρασκευην της φιλοσοφίας καλώ την διατριβή ν την τοιαύτην. . . Vgl. des Sokrates Ansicht in Xenoph., Mem. IV,7,2 ff.: Αύτίκα γεωμετρίαν μέχρι μεν τούτου εφη δεϊν μανθάνειν, £ως 'ικανός τις γένοιτο, ei' поте δεηoeie, γην μετρ ω ορθώς η napchaßel" η -παρταδούναι η διανεϊμαι η 'έργον αποδεί£ασθαι• ο'ύτω fie τούτο pa&tov είναι μαθείν, йоте τον -προοέχοντα τον νουν ττj μετρήσει άμα τήν те γην όπόοη έοτίν εϊδέναι και ώς μετρείται έπιστάμενον ämevai. то δε μέχρι των δυοουνέτων διαγραμμάτων γεωμετρίαν μανθίνειν άπεδοκιμαζεν. ο τι μεν γαρ ώφελοίη ταύτα, ουκ εφη οραν • καίτοι ούκ Άπειρος γε αυτών ην. έφη δε ταύτα ικανά είναι άνϋμώπου βίον κατατρίβειν και άλλων πολλών те και ωφελίμων μαθημάτων άποκωλύειν.
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nämlich soll man in ihnen verweilen, wie der Geist nichts Größeres imstande ist zu betreiben" 1 1 2 . Hiermit bezieht sich Seneca, wie ich meine, auf die oben 1 1 3 erwähnte stoische Lehre, daß die Vernunft den Menschen beim Eintritt ins Leben noch nicht voll zur Verfugung steht und sich erst allmälich mit den Jahren entfaltet. Das höchste Gut, die ratio perfecta oder Tugend, ist daher weder in den einzelnen Phasen der Kindheit (infantia, pueritia) noch in der Jünglingszeit (adulescentia) zu erreichen. Für ein Studium der Ethik oder überhaupt der Philosophie ist der Mensch in diesen Lebensepochen daher noch nicht befähigt 1 1 4 , andererseits darf der Geist aber auch nicht brach liegen, sondern muß sich an einer seinem Entwicklungsstand gemäßen Tätigkeit entfalten können, und diesen Zweck erfüllen die artes liberales 115 . Seneca rechnet demgemäß die artes liberales unter die „puerilia" 116 , und es ist seine Ansicht, daß man sich mit ihnen im ausgereiften Mannesalter nicht mehr beschäftigen solle: „Wir sollen dergleichen nicht lernen, sondern gelernt haben!" 1 1 7 Sobald man aufnahmefähig geworden ist für ein Studium der Philosophie, die den Menschen seiner eigentlichen Bestimmung zufuhrt, indem sie ihn die Tugend lehrt, dürfen die artes liberales keine Rolle mehr spielen, denn diese können die Tugend nicht lehren. „Weshalb also bilden wir unsere Söhne in den artes liberales aus? Nicht weil sie die Tugend vermitteln könnten, sondern weil sie den Geist zur Aufnahme der Tugend vorbereiten!" 118 beschließt Seneca diesen Gedankengang. Im Folgenden gibt Seneca eine Einteilung menschlicher Beschäftigungsarten nach Poseidonios , der anscheinend, worin Seneca mit ihm übereinstimmt 120 , die artes liberales als „pueriles" und als die wahren „artes liberales" die Gebiete der Philosophie, des Studiums der sapientia, bezeichnet, weil diese sich mit der Tugend befassen. Aber mit den Folgerungen desjenigen 121 , der behauptet, daß die artes liberales einen gewissen Platz innerhalb der Philosophie zu beanspruchen 112 Sen., a.a.O. 1. 113 Vgl. S. 102, Anm. 21. 114 Dieselbe Ansicht in Bezug auf ein Studium der Staatswissenscjiaft, zu der er die Ethik rechnet, vertritt Aristoteles in der Nikomachischen Ethik I,3,1095A 1 ff.: 6ю της πολιτικής ούκ eoTiv οΐκίϊος άκροατής ο νέος" 115 Vgl. Cie. Hortensius, frgm. 23 (Mueller): Ut ii qui conbibi purpuram volunt sufficiunt prius lanam medicamentis quibusdam, sie litteris talibusque doctrinis ante exeoli animos ad sapientiam concipiendam imbui et praeparari decet. - Eine im Altertum ziemlich verbreitete Vorstellung. Vgl. Fragm. Hist Graec. III, S.349. 116 Sen., Ep. 88,2. 117 Sen., a.a.O.: cetera pusilla et puerilia sunt. . . non discere debemus ista, sed didicisse. 118 Sen., a.a.O. 20. 119 Sen., a.a.O., 21 f.: quattuor ait esse artium Posidonius genera: sunt vulgares et sordidae, sunt ludicrae, sunt pueriles, sunt liberales.. . Ganss, Das Bild des Weisen bei Seneca, S.18ff., sieht nicht nur diese Einteilung, sondern auch den folgenden Gedankengang ab § 26 als stark von Poseidonios beeinflußt an, da er der sonstigen annaeischen Denkweise widerspräche. „Von ep. 88,26 an scheint Seneca eine andere Stellungnahme zu beziehen." Er habe sich hier, so iuigert Ganss, „offensichtlich von Poseidonischem Geiste beeindruckt, eine großzügigere, universale Anschauung" von der Naturphilosophie zu eigen gemacht. Dieser Meinung kann ich nicht beistimmen. Im Gegenteil, Seneca zeigt nicht nur durch den ganzen Brief hindurch eine durchaus einheitliche Haltung, wie ich in meiner Interpretation zu zeigen versuchen werde, sondern auch eine seiner generellen Einstellung entsprechende. 120 Vgl. Sen., Ep. 88, 1-2. 121 Die Frage, ob das „inquit" im § 24 sich auf Poseidonios oder irgendeinen fiktiven Gegner bezieht, spielt für die Interpretation des annaeischen Gedankengangs keine Rolle.
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h ä t t e n , ist S e n e c a nicht einverstanden. Wenn m a n z u d e n n a t u r w i s s e n s c h a f t l i c h e n Fragen als Teilen der Physik u n d damit der P h i l o s o p h i e g e k o m m e n sei, s o argumentiert der Gegner, stütze m a n sich auf die Zeugnisse der G e o m e t r i e : also sei diese ein Teil der P h i l o s o p h i e , da sie sie u n t e r s t ü t z e 1 2 2 . Für d e n Vertreter dieser Meinung sind die artes liberales also ein adiutorium der P h i l o s o p h i e u n d d a m i t ein Teil, eine {3ars, d e r s e l b e n 1 2 3 . Seneca dagegen stellt sich auf e i n e n der altstoischen Güterlehre 2 4 e n t s p r e c h e n d e n S t a n d p u n k t , d e m z u f o l g e etwas, w a s z u einer anderen Sache in irgendeiner Weise verhilft o d e r n o t w e n d i g ist, n o c h längst kein Teil derselben ist: cibus a d i u t o r i u m corporis n e c tarnen pars e s t 1 2 5 . A b e r für S e n e c a sind die artes liberales, hier e x e m p l i f i z i e r t an der G e o m e t r i e , nicht e i n m a l ein a d i u t o r i u m z u m Studium sapientiae u n d damit zur T u g e n d 1 2 6 , s o n d e r n nur ein n e c e s s a r i u m 1 2 7 u n d vielleicht n o c h nicht einmal das. Z u m B e w e i s e seiner B e h a u p t u n g legt S e n e c a in d e n n ä c h s t e n P a r a g r a p h e n 1 2 8 die Verschiedenh e i t e n der Ziele trotz der G l e i c h h e i t der Materie z w i s c h e n d e n artes liberales u n d der P h i l o s o p h i e d a r 1 2 9 u n d zeigt, daß die B e t r a c h t u n g s w e i s e des P h i l o s o p h e n e i n e 122 Vgl. Sen., Ер. 88,24. 123 Von der Güterlehre her ist eine Einteilung der Güter in solche geläufig, die Teile des summum bonum = μέρη της ευδαιμονίας oder partes sind, in solche, die in irgendeiner Weise zur Eudaimonie beitragen, ohne einer ihrer Bestandteile zu sein: ποιητικά ά-γαθά oder efficientes und solche, die notwendige Voraussetzungen zur Eudaimonie bilden, ohne sie aber zu bewirken noch ein Teil von ihr zu sein: ώ ν ävev αδύνατον oder necessaria. Ein Teil dieser Unterscheidungen ist bereits durch die Eudem. Ethik bezeugt: 1214 В 27: ών ävev yäp ούχ οιόν те εΰδαιμονεϊν, ενιοι μέρη της ευδαιμονίας νομίξουαιν. Die Stoa unterscheidet sich von den Peripatetikern dadurch, daß sie nur die sittlich guten Handlungen als partes summi boni bezeichnete und nur die Freundschaft als adiutorium (vgl. Anm.124), während jene eine weitaus größere Anzahl von körperlichen Gütern, extreme Vertreter sogaf äußere Güter, entweder als adiutoria oder necessaria oder sogar als partes der Eudaimonie anerkannten. (Vgl. die Polemik einer strengeren Richtung des Peripatos gegen die Anhänger des Kritolaos in dem Abriß der peripatet. Ethik des Areios Didymos; vgl. hierzu R. Philippson, Das Erste Naturgemäße, S. 464ff. und F. Dirlmeier, Die Oikeiosislehre des Theophrast, unter dem Abschnitt über Areios Didymos). 124 Vgl. Cie., De fin. 111,55: Sequitur illa divisio, ut bonorum alia sint ad illud ultimum pertinentia (sic enim appello, quae τελικά dicuntur. . . ) , alia autem efficientia, quae Graeci ποιητικά, alia utrumque. De pertinentibus nihil est bonum praeter actiones honestas, de efficientibus nihil praeter amicum, sed et pertinentem et efficientem sapientiam volunt esse. Nam quia sapientia est conveniens actio, est ex illo pertinenti genere quod dixi; quod autem honestas actiones affert et effieit, efficiens dici potest. 125 Sen., Ер. 88,25. 126 Ganss, a.a.O., irrt m.E., wenn er in dem Satz „multa adiuvant nos nec ideo partes nostri sunt" multa adiuvant auf die artes liberales bezieht, „ m u l t a " ist vielmehr neutrales Subjekt („es gibt vieles, was uns hilft, was aber deswegen noch kein Teil von uns ist") im Plural, und es besteht somit kein Gegensatz zu Senecas Feststellung im § 31, wo er es ablehnt, die artes liberales als adiutorium virtutis zu bezeichnen. 127 Sen., Ер. 88,25: aliquod nobis praestat geometriae ministerium: sic philosophiae necessaria est, quomodo ipsi faber. . . 128 Sen., a.a.O., 26ff. 129 Sen., a.a.O.: sapiens enim causas naturalium et quaerit et novit, quorum numeros mensurasque geometres persequitur et supputat. qua ratione constent caelestia, quae illis sit vis quaeve natura, sapiens seit: cursus et recursus et quasdam obversationes, per quas descendunt et adlevantur ac speciem interdum stantium praebent, cum caelestibus stare non liceat, colligit mathematicus. quae causa in speculo imagines exprimat, seiet sapiens: illud tibi geometres potest dicere, quantum abesse debeat corpus ab imagine et qualis forma speculi quales imagines reddat.
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ganz andere als die des Mathematikers bezw. Geometrikers 13 0 ist und nicht von den Errungenschaften der Mathematik auszugehen braucht: philosophia nil ab alio petet, totum opus a solo excitat 1 3 1 . Die artes liberales sind also weder eine pars noch ein adiutorium der Philosophie 1 3 2 . Aber Seneca geht noch einen Schritt weiter: „Man kann sicherlich sogar dieses sagen, daß man ohne ein Studium der artes liberales zur Weisheit gelangen kann" sagt er 1 3 3 , und er sieht keinen Grund, warum er sich nicht einen zukünftigen Weisen ohne jede Kenntnis der Buchstaben vorstellen solle, da die Weisheit doch nicht in Geschriebenem enthalten sei: res tradit, non v e r b a . . . , und vielleicht sei sogar das Gedächtnis sicherer, das außerhalb seiner selbst kein Hilfsmittel habe. Es ist für Seneca also gar nicht so sicher, ob die artes liberales als „necessaria" für die Philosophie bezw. Weisheit anzusehen sind 1 3 4 . Jedoch deutet nichts darauf hin, daß Seneca den artes Uberales ihre Rolle im Jugendunterricht nehmen will, aber es steht für ihn fest, daß sie im reifen Mannesalter keinen Platz mehr beanspruchen dürfen. Die Bereiche der Philosophie sind seiner Ansicht nach so ausgedehnt, daß neben der Beschäftigung mit ihnen nichts anderes mehr Raum hat 1 3 5 . Aller überflüssiger Wissensballast muß dann über Bord geworfen werden, nur soviel darf aus den artes liberales zurückbehalten werden, wie absolut notwendig ist 1 3 6 . Keineswegs darf man sich als Erwachsener etwa noch intensiv mit ihnen beschäftigen wollen 13 7 , und Seneca gießt seinen ätzenden Spott über den Grammatiker Didymos aus 1 3 8 , der 4000 Bücher über völlig überflüssiges Zeug geschrieben habe, z.B. über die Heimat des Homer, über die wahre Mutter des Aeneas etc.. Schließlich begnügt sich Seneca nicht mehr mit dem Angriff auf die artes liberales, sonder geht am Schluß des Briefes 13 9 dazu über, auch an der Philosophie das zu brandmarken, was er für überflüssig hält. Doch darüber ist schon ausführlich gesprochen worden. Am Ende dieses Abschnittes möchte ich die bisherigen Ergebnisse kurz zusammenfassen: Nachdem oben festgestellt wurde, daß aus der besonderen Konstitution der stoischen und annaeischen Tugendlehre heraus die Wissensvermittlung zu den Zielen der Seelenleitung gehörte, wurde anschließend die Bereiche zu umreißen 130 Es ist sicher auch kein Zufall, daß uns keine eigenständige lat. Literatur aus den Gebieten der Naturwissenschaften, der Mathematik und Astronomie Uberliefert ist. 131 Sen., a.a.O. 28. Vgl. Piaton, Phaidon 96a-99d: Nutzlosigkeit naturwissenschaftlicher Betrachtungsweise. 132 Sen., a.a.O., 31: 'cum dicatis'inquit 'sine liberalibus studiis ad virtutem non perveniri, quema d m o d u m negatis illa nihil conferre virtuti?' quia пес sine cibo ad virtutem pervenitur, cibus tarnen ad virtutem non pertinet.. . non est, inquam, cur aliquid putes eius adiutorio fieri, sine quo non potest fieri. . . 133 Sen., a.a.O. 32. 134 Der Standpunkt der alten Stoa zur Frage der artes liberales ist nicht einheitlich: Zeno ablehnend, vgl. Diog. Laert., VII,32, Chrysipp bejahend, vgl. Diog. Laert., VII,129. Vgl. Cie., De fin. 111,18 u. 4 9 : Wertschätzung der artes. 135 Sen., Ер. 88,35: q u a m e u m q u e partem rerum humanarum divinarumque comprenderis, ingenti copia quaerendorum ac discendorum fatigaberis. haec tarn multa, tarn magna ut habere possint liberum hospitium, supervacua ex animo tollenda sunt. 136 Sen., a.a.O. 36: tantum itaque ex illis retineamus, quantum necessarium est. 137 Sen., a.a.O. 37: . . . ista liberalium artium consectatio molestos, verbosos, intempestivos, sibi placentes facit et ideo non discentes necessaria, quia supervacua didicerunt. 138 Sen., a.a.O. 139 Sen., a.a.O. 4 2 : de liberalibus studiis loquor: philosophi quantum habent supervaeui, quantum ab usu recedentis. . .
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versucht, in denen ein Wissenserwerb nach Ansicht Senecas vor sich gehen sollte. Eine Umgrenzung dieser Wissensgebiete wurde sowohl anhand von eigenen Äußerungen Senecas zu diesem Thema vorgenommen als auch vor allem mit Berücksichtigung der Häufigkeit und des Nachdrucks, mit dem die Vermittlung eines bestimmten Wissens durch Seneca erfolgt oder von einem entsprechenden Erwerb abgeraten wird. Dabei wurde konstatiert, daß die Philosophie auch in annaeischer Sicht gemäß der hellenistischen Tradition als die alleinige Vermittlerin der zur Erlangung der Eudaimonie nötigen Kenntnisse angesehen wird und daß demgegenüber die artes liberales nur eine propädeutische Funktion, beschränkt auf ein gewisses Lebensalter, erfüllen. Bei seiner grundsätzlichen und häufigen Betonung der Notwendigkeit eines Wissenserwerbs innerhalb der Philosophie kann es nun auf den ersten Blick verwundern, wie enge Grenzen Seneca diesem Wissen im allgemeinen gezogen hat. Zu einer richtigen Beurteilung dieses Tatbestandes muß man jedoch berücksichtigen, daß die Verlagerung des Schwergewichts auf die philosophischen Grunddogmen bereits als Charakteristikum der epikureischen Philosophie faßbar wurde und mit dem Anspruch der Philosophie als einer Heilslehre in engem Zusammenhang steht. Der im Hellenismus auftretenden Unterscheidung zwischen dem zur Erlangung der Eudaimonie unabdingbaren Wissen, das nur aus wenigen Dogmen besteht, und dem zwar erstrebenswerten, aber nicht absolut notwendigen Detailwissen haben wir die Beschränkung des Wissensstoffes, wie sie uns bei Seneca entgegentritt, in erster Linie zuzuschreiben. Demgegenüber fällt seine römische, unnützen Spekulationen abgeneigte Haltung weniger ins Gewicht. Es kann nicht bezweifelt werden, daß Seneca selbst sich einen guten Überblick über die stoische Lehre, auch in den sogenannten Quisquilien, verschafft hatte und dasselbe auch für Lucilius als wünschenswert betrachtete, wenn er auch nicht für alle Einzelheiten der stoischen Lehre ein tiefes Interesse aufbringen konnte. Aber all' dieses Detailwissen „dient eben zu nichts anderem, als daß man es eben weiß", seine Aneignung stellt eine angenehme und würdige Freizeitbeschäftigung dar (oblectamenta otii s u n t 1 4 0 ), während man umsomehr Zeit, Fleiß und eine unendliche geistige Anstrengung darauf verwenden muß, die Grunddogmen zu üben und deren an Umfang geringes Wissen zum Habitus werden zu lassen, d.h. es dahin zu bringen, daß dieses Wissen zur alleinigen Grundlage aller Handlungen wird. Es kommt weniger auf den Umfang des Wissens an, als - um einen modernen Ausdruck zu gebrauchen - auf den Grad semer Aktualität. Dem Ziel der Aktualisierung des Wissens, also der 2.Stufe auf dem Wege zum Wissen als Habitus, hat Seneca seine Hauptaufmerksamkeit als Seelenleiter gewidmet. Die außerordentliche methodische Geschicklichkeit und Originalität, mit der Seneca diese seine schwierige Aufgabe gelöst hat und der er seine große Beliebtheit gerade unter der römischen Jugend verdankt 1 4 1 , kann hier nur konstatiert werden. Die Darstellung der Methode der Seelenleitung Senecas wäre die Aufgabe einer anderen Arbeit. Es kann aber in diesem Zusammenhang noch daraufhingewiesen werden, daß sich nicht nur die Beschränkung der Thematik, sondern auch die formale Andersartigkeit der annaeischen Darstellung des Stoffes gegenüber Cicero zu großen Teilen 140 Vgl. Zitat S. 56, Anm. 94. 141 Vgl. Quint., Inst. orat. X,1,126: tum autem solus hie fere in manibus adolescentium f u i t . . .
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aus den verschiedenen Zielen der beiden Autoren erklärt. Cicero geht es darum, seinen Landsleuten eine nähere Bekanntschaft mit der griechischen Philosophie in den Punkten, die er für wichtig hält, zu vermitteln und durch die Verwendung der lateinischen Sprache anziehend zu machen. Er bemüht sich daher innerhalb dieser selbstgewählten Thematik um eine möglichst ausführliche und systematische Darstellung unter Berücksichtigung der wichtigsten Schulmeinungen. Aus diesem Bemühen erklärt sich sowohl der verhältnismäßig große Umfang seiner Schriften als auch die häufig angewendete Methode des in utramque partem disserere. Von den für Seneca maßgeblichen Erfordernissen der Seelenleitung aus wäre es jedoch höchst unklug, den Schüler erst ausführlich mit anderen Schulmeinungen bekannt zu machen, muß es ihm doch darum gehen, dem Adressaten zu einer ganz bestimmten Überzeugung zu verhelfen, natürlich zu der, die er selbst als Seelenleiter für die beste hält. Er wird also in der Hauptsache nur eine bestimmte Sicht der Dinge vermitteln 142 . Ferner muß er sein Augenmerk nicht nur auf eine einheitliche Wissensvermittlung, sondern vor allem auf das Wachhalten und ständige In-die-Erinnerungzurückrufen dieses Wissens richten. Für diese Zwecke ist eine systematische und ausführliche Darstellung eines bestimmten Stoffes nicht angebracht, da diese den Schüler nur ermüden und das Gegenteil von dem bewirken würde, was Seneca anstrebt. Es empfehlen sich vielmehr kurze, schlagwortartige, sich wie zufallig ergebende, aber oft wiederholte Berührungen immer der gleichen Punkte in immer neuen Einkleidungen, wobei einmal dieser, einmal jener Gesichtspunkt im Vordergrund der Betrachtung steht, aber möglichst viele wenigstens kurz gestreift werden 14 3 . Diesen Erfordernissen kommt, was die Form anbetrifft, der Brief am meisten entgegen, da in ihm dem Prinzip der Variatio und assoziativen Reihung der Gedanken freier Raum zur Entfaltung gegeben ist. Nicht umsonst werden die Briefe an Lucilius als das in jeder Hinsicht vollendetste Werk Senecas angesehen. Aber auch in den Traktaten hat Seneca versucht, beiden an den Seelenleiter gestellten Anforderungen gerecht zu werden, nämlich der Wissensvermittlung und vor allem seiner Befestigung durch Suggestion, was natürlich nur auf Kosten einer Systematik und logischen Gliederung geschehen konnte. Es ist auch keine Frage, daß der kurze pointierte Satzbau Senecas in Verbindung mit einer Fülle von Metaphern in weit höherem Maße als die Ciceronische Periode zu einer suggestiven Wirkung befähigt ist, und das ganz unabhängig von der Entwicklung des Modegeschmacks in Bezug auf den Stil 14 4 . Seneca hat sich jedenfalls über all diese Komponenten der Seelenleitung seine Gedanken gemacht, was anhand seiner eigenen Äußerungen in einem späteren Kapitel dargelegt werden wird 1 4 5 , und es zeugt von einer gänzlichen Verkennung seiner Absichten, wie überhaupt der Intention der antiken philosophischen Schriften, wenn man wie Teuffei 1 4 6 folgendermaßen über ihn urteilt:„Aber der Mangel eines festen Planes und die fortwährende Wiederkehr derselben Manier ermüdet, das stark hervortretende Streben zu gefallen verstimmt und erregt Verdacht auch gegen Ernstgemeintes." Gerade der scheinbare 142 Vgl. S. 100, ШИ АПШ. 7. 143 Vgl. S. 103, Anm. 24: Diese Methode, die Seneca dem Lucilius zur Selbsterziehung empfiehlt, hat er selbst als Seelenleiter angewendet. 144 Vgl. oben S. 17 f. u. 37 f. 145 Unten S. 184 ff. 146 Teuffei, Geschichte der röm. Literatur, S.644.
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Mangel eines festen Planes — daß es in Wirklichkeit doch einen gibt, ließe sich z.B. anhand der Briefe sehr gut darlegen 1 4 7 - und die fortwährende Wiederkehr der gleichen Gedanken in einer auf höchste Wirkung berechneten Form erscheint begründet, wenn man die Ziele in Betracht zieht, die Seneca als Seelenleiter mit seinen Schriften verfolgt hat: Die Verbindung von Dogmatik und Paränese. Die ersten beiden Stufen auf dem Wege zum Wissen als Habitus, die Wissensvermittlung in den erwähnten Grenzen und das Wachhalten dieses Wissens mit dem Ziele des in promptu, in manu habere, haben als Unterziele der Seelenleitung ihre starke Berücksichtigung in den Schriften Senecas gefunden. Dagegen ist es nur natürlich, daß sich Spuren der dritten Stufe, die aus der Umsetzung des Wissens in die Tat besteht, in den Werken Senecas kaum finden, ist dies doch einesteils die Folgerung, die sich aus der Beherrschung der 1. und 2. Stufe ergibt, andernteils ein Ergebnis von Erfahrung, die am besten im persönlichen Umgang mit dem Seelenleiter gewonnen wird, über den an späterer Stelle noch zu sprechen sein wird.
b) Die „securitas" War im vorigen Kapitel das Wissen als Habitus als wichtiges Unterziel der Seelenleitung Senecas behandelt worden, so soll jetzt ein anderer Aspekt der Tugend betrachtet werden, der sozusagen ein Resultat des Wissens als Habitus in einer besonderen Richtung darstellt, und der immer und immer wieder von Seneca in den Mittelpunkt der Betrachtung gezogen wird: die securitas. „quid est beata vita? securitas et perpetua tranquillitas 1 ", lautet eine der annaeischen Definitionen der Eudaimonie 2 , mit der Seneca das Endziel der Eudaimonie in die beiden Unterziele gegliedert hat, die auf der Grundlage des Wissens die Schwerpunkte seiner Bemühungen darstellen. Wenn es schon schwer ist, für den zweiten Terminus, die tranquillitas animi, eine passende Übersetzung zu finden, (die sich anbietenden Übertragungen wie „Seelenruhe" oder „Gemütsruhe" oder auch „Seelenfrieden" sind im Deutschen mit einem Unterton behaftet, der sich mit der lateinischen Wortbedeutung kaum verträgt), so ist die securitas fast unübersetzbar. Ehe aber eine solche Übersetzung versucht werden kann, ist es nötig, den Bedeutungsgehalt dieses Terminus anhand annaeischer Definitionen und anderer sprachlicher Wendungen, die von Seneca austauschsweise für diesen Begriff verwendet werden, zu untersuchen. Es ist vielleicht am günstigsten, von einer Stelle auszugehen, die gleich einen festen Gegenbegriff zur securitas bietet: Im 24. Brief 3 antwortet Seneca dem um den Ausgang eines Prozesses sehr besorgten, in Unruhe und Furcht schwebenden Lucilius, er werde ihn nicht mit falschen Hoffnungen trösten noch in seiner Furcht bestärken. „Aber ich will dich auf einem anderen Wege zur securitas führen", fährt Seneca fort, „wenn du alle Besorgnis (sollicitudo) abwerfen willst, so stelle dir auf alle Fälle als 147 Vgl. oben S. 54 ff. 1 Vgl. Cie., De off. 1,72: Capessentibus autem rem publicam nihil minus quam philosophis, haud scio an magis etiam, et magnificentia et despicientia adhibenda sit rerum humanarum. . . et tranquillitas animi atque securitas si quidem nec anxii futuri sunt et cum gravitate constantiaque victuri. Vgl. u.a. Sen., Ер. 44,7; Cie., De off. 1,69. 2 Sen., Ер. 92,3. 3 Sen., Ер. 24, 1-2.
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zukünftig das vor, wovon du fürchtest, daß es eintrifft, und was dies auch immer für ein Übel ist, miß es in deinem Innern aus und schätze deine Furcht ab: du wirst sicherlich einsehen, daß das, was du fürchtest, entweder nicht groß ist oder nicht lange andauert." Der Gegensatz zur securitas ist hier also die sollicitudo, d.h. die mit Furcht verbundene Sorge oder auch der Kummer, während unter der securitas selbst doch wohl das Freisein von solchen seelischen Zuständen verstanden werden muß. Eine ähnliche Verwendung des Wortes findet sich in dem Traktat De constantia sapientis. Seneca will in dieser Abhandlung den stoischen Satz beweisen, daß dem Weisen Unrecht und Schmach nicht zugefügt werden k ö n n e n 4 : „Tutus est sapiens nec ulla affici aut iniuria aut contumelia potest." Es könne zwar nicht verhindert werden, sagt er, daß es die Umwelt mit allen Mitteln versuchen werde, dem Weisen Unrecht und Schmach zuzufügen, aber dieser Versuch sei zum Scheitern verurteilt, weil der Weise zu hoch über allem stehe, als daß ihn dergleichen erreichen könnte. Wie ein Erwachsener nicht durch kindliche Ungezogenheiten in seiner Ehre angegriffen werden könne, so auch nicht der Weise durch die Böswilligkeit seiner Mitmenschen 5 . „Er wird also durch keines Menschen Beschimpfung in Erregung gebracht werden", argumentiert Seneca 6 , „denn mögen sie [d.h. die Menschen] sich alle untereinander unterscheiden, der Weise wenigstens hält sie alle für [untereinander] gleich wegen der ihnen allen gleichermaßen anhaftenden D u m m h e i t 7 . Denn wenn er sich einmal dazu herablassen würde, sich entweder durch Unrecht oder durch schmachvolle Behandlung erregen zu lassen, könnte er niemals securus [d.h. von Sorgen frei] sein 8 . Die securitas aber ist das charakteristische Gut des Weisen." Auch hier bezeichnet die securitas das Freisein von Furcht und Kummer, aber darüber hinaus noch, wie aus dem Kontext ersichtlich, das Fehlen jeder Erregung des Unwillens oder des Zornes (sapiens non indignatur, non irascitur contumeliis). Und noch eine dritte Stelle soll zum Vergleich herangezogen werden: Am Schluß seiner Ausführungen über das Erdbeben und seine verheerenden Auswirkungen im 6. Buch der Quaestiones naturales leitet Seneca, wie gewöhnlich, zu moralischen Reflexionen über 9 : „Soviel, Lucilius..., über die Gründe des Erdbebens; nun zu dem, was zur Stärkung des Geistes beiträgt. Es nützt uns mehr, diesen tapferer als gelehrter zu machen. Aber das eine geht nicht ohne das andere." Der moralische Gewinn, den Lucilius aus diesen naturwissenschaftlichen Betrachtungen ziehen soll, ist dieser: Wer sich erst einmal die furchtbaren Folgen des Erdbebens vor Augen gestellt hat, der fürchtet sich nicht mehr vor Menschen und Tieren, und er gewinnt darüber hinaus, da er sich so vielen Naturgewalten ausgesetzt sieht, eine Verachtung des menschlichen Daseins: kurz, die magnitudo animi ist das Ziel dieser N a t u r b e t r a c h t u n g 1 0 . „Das 4 5 6 7
Sen., a.a.O. 2,4. Sen., a.a.O. 12,2-3. Sen., a.a.O. 13,5. In der Auffassung der Stoa gab es zwischen Weisheit und Torheit kein Mittleres, vgl. Cie., De fin. 111,48 und IV,63f.: . . . qui sapientes non sint, omnes aeque miseros esse. . . Vgl. oben S. 77 ff. 8 Vgl. M. Pohlenz, Die Stoa I, S.309: „Das Wort bezeichnete im Sprachgebrauch der Zeit zunächst die äußere Sicherheit; Seneca erweckte die ursprüngliche Bedeutung wieder zum Leben und verstand darunter die Freiheit von Sorgen und Auflegungen, die dem Menschen als Frucht seiner unerschütterlichen festen sittlichen Haltung zuteil wird." 9 Sen., Quaest. nat. VI, 32,1. 10 Vgl. Sen., a.a.O., 2: Quem enim non hie ipse casus adversus omnes firmavcrit, erexerit? Quid est enim cur ego h o m i n e m aut feram, quid est cur sagittam aut lanceam tremam? Maiora me
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menschliche Leben ist eine unbedeutende Angelegenheit", fährt Seneca fort 1 1 , „aber eine sehr große Sache ist die Verachtung des Lebens 12 . Wer dieses verachtet (hat), wird furchtlos (securus) die Meere in Aufruhr sehen, selbst wenn sämtliche Winde sie aufgepeitscht haben, selbst wenn die Brandung durch irgend eine Verwirrung des Weltalls den gesamten Ozean gegen den Kontinent kehrt, furchtlos (securus) wird er die wilde und schreckliche Erscheinung des blitzenden Himmels erblicken, mag auch der Himmel zerbersten...furchtlos (securus) wird er nach dem Brechen der Fugen den Boden sich spalten sehen... Er wird unerschrocken (intrepidus) über dem Abgrund stehen und vielleicht hinabspringen, wohin er fallen muß." Die Beziehungen zwischen der magnitudo animi, die nach alter stoischer Definition eine Teiltugend der ανδρεία ist 13 , und der securitas sind hier ganz deutlich: die eine bildet die Voraussetzung zur anderen. Dieser Zusammenhang wird auch aus der schon am Anfang dieses Kapitels zitierten Definition der Eudaimonie 14 ersichtlich: „quid est beata vita? securitas et perpetua tranquillitas. hanc dabit animi magnitudo, dabit constantia bene iudicati tenax" und aus ersatzweise für „securus" eintretenden Ausdrücken wie intrepidus, inconcussus oder einfach fortis. Aus den angeführten Beispielen ist m.E. ersichtlich, daß die securitas einen Seelenzustand bezeichnet, der durch das Fehlen jeder Erregung nach einer bestimmten Seite hin charakterisiert wird: sie bezeichnet nämlich das Freisein von den Affekten, die durch die ungerechtfertigte Überzeugung vom Vorhandensein bestimmter Übel hervorgerufen werden. Es handelt sich also um die Affekte wie Furcht (metus), Trauer oder Kummer (aegritudo, dolor), Zorn u.a., während die entgegengesetzten Affekte, die durch das vermeintliche Vorhandensein von Gütern wachgerufen werden, also
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pericula expectant: fulminibus et terris et magnis naturae apparatibus petimur. 3: Ingenti itaque animo mors provocanda est. . . Vgl. S. 115. Sen., a.a.O., 4ff. Die Verbindung der magnitudo animi mit der rerum extemarum despicientia ist traditionell. Vgl. u.a. Cie., De off. 1,61 u. 66 (Panaitios); De oratore 11,343:... et magnitudo animi, qua omnes res humanae tenues ac pro nihilo putantur. Als Resultat der Kontemplation des Kosmos erscheint sie bereits bei Piaton. Vgl. : R.-A. Gauthier, Magnanimite, S.50: „ . . . la magnanimite platonicienne apparaft done, au meme titre que la contemplation dont eile est inseparable, comme une renonciation par οΰ Γ äme se detourne du monde d' ici-bas,. . . comme une ascension par oü eile s' eleve jusqu' ä Dieu.. ." Aber Gauthier weist auch auf einen grundlegenden Unterschied zwischen der bis Plotin reichenden platonischen Konzeption dieses Begriffes und der stoischen hin: a.a.O. S.54: „Sans doute, la magnanimite restera, pour le Platonicien comme pour le Stoicien, rrwpris du monde. Mais mepriser le monde e'etait, pour le Stoicien, mepriser les choses exterieures ä sa volonte: son mepris etait une ascese du vouloir. Pour le Platonicien, au contraire, mepriser le monde, c'est mepriser le domaine du sensible, image imparfaite de l'intelligible: son mepris est vue de l'esprit." Vgl. die Einteilung der Tugenden nach Chrysipp, SVF, III, 264: Των S'αρετών τας μεν είναι πρώτας, τας δε τακ πρώταις ύποτετα-γμένας • πρώτας δ£ τέτταρας είναι, φρόνησιν, σωφροσύνην, άνδρείαν, δικαωσύνην. . . τών be ύποτεταημένων τακ άρεταϊς ταύταις τας μεν τη φρονήσει ϋποτετάχθαί, τάς δε τη σωφροσύνη, τας δε τί) ανδρεία, τας δε rrj δικαιοσύνη. . . τη δε ανδρεία [ύποτάττεσθαι] καρτερίαν, θαρραλέοτητα, με-yαλοψυχίαν, εύψυχίαν, φιλοπονίαν. . . με·γαλοφυχίαν δε έπιστήμην υπεράνω ποιούσαν τών πεφνκάτων έν σπονδαώις τε yweadai και φαύλοις. Für Panaitios wäre, R.-A. Gauthier, a.a.O., S. 141 zufolge, die με·γαλοψυχία als Oberbegriff an die Stelle der ανδρεία getreten. Für Seneca scheint der engere Begriff gemäß der alten Einteilung maßgebend geblieben zu sein: Vgl. Ep. 67,10. Vgl. S. 126.
•Securitas" und „magnitudo animi"
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die Begierde (libido) und übermütige Freude 15 (laetitia gestiens), in keiner Beziehung zum Begriff der securitas stehen. Mit dieser zweiten Gruppe von Affekten hat sich Seneca in seiner Seelenleitung kaum befaßt, sie stellten offensichtlich kein Problem für ihn dar 1 6 . Um so mehr Mühe hat Seneca auf die Bekämpfung der ersten Gruppe der Affekte, des Zornes, der Trauer und vor allem der Furcht verwendet, und zwar der Furcht in allen möglichen Spielarten, besonders aber in einer speziellen Erscheinungsform, der Todesfurcht. Die Überwindung der Todesfurcht ist für ihn, nach der Häufigkeit und Intensität der Behandlung in Traktaten und Briefen zu urteilen, das wichtigste seelsorgerische Anliegen. „Darüber denke täglich nach, daß du mit Gleichmut aus dem Leben scheiden kannst", rät er dem Lucilius 17 . In wörtlicher Anlehnung an Piaton 18 ist für Seneca das Leben des Philosophen eine ständige Vorbereitung auf den Tod. Wenn der Tod auch ein indifferens sei, sagt Seneca 19 , so sei er doch kein solches, daß man leicht außer acht lassen könne. Durch angestrengte Übung müsse der Geist abgehärtet werden, damit er den Anblick und das Näherkommen des Todes ertrage. Um die Bedeutung der magnitudo animi für die securitas deutlicher hervortreten zu lassen, ist es nötig zu fragen, welcher Art nun die Übungen sind, mit deren Hilfe man die Todesfurcht, und erst recht jeden anderen Affekt der ersten Gruppe, nach Meinung Senecas überwinden und die securitas erreichen kann. Zunächst einmal müssen die Grundzüge der Güterlehre gelernt und in wiederholten Meditationen eingeprägt werden, denn „niemals wird sich die menschliche Seele zur Tugend aufschwingen, wenn sie den Tod für ein Übel hält: sie wird sich [dazu] aufschwingen, wenn sie ihn für ein indifferens hält," betont Seneca 20 , und weiter: „non recipit rerum natura, ut aliquis magno animo accedat ad id, quod malum iudicat..." Ein bestimmtes Wissen, auch in der Physik, ist also die conditio sine qua non, wie Seneca es auch in der aus den Quaestiones naturales angeführten Stelle hervorhebt 21 . Aber um der Furcht in allen ihren Erscheinungen Herr zu werden, muß zu diesem Wissen noch etwas anderes hinzutreten: der Mut, der magnus oder ingens animus2 2 , die magnitudo animi als umfassender Begriff, die insbesondere durch die Betrachtung des Kosmos und der großen Naturerscheinungen gewonnen wird2 3 , wie sie auch 15 Die stoische Einteilung der Affekte in zwei Gruppen gibt Cicero, Tusc. IV,11 f. wieder: Partes autem perturbationum volunt ex duobus opinatis bonis nasci et ex duobus opinatis malis; ita esse quattuor: ex bonis libidinem et laetitiam, ut sit laetitia praesentium bonorum, libido futurorum, ex malis metum et aegritudinem nasci censent, metum futuris, aegritudineir praesentibus: quae enim venientia metuuntur, eadem adficiunt aegritudine instantia. Laetitia autem et libido in bonorum opinione versantur, cum libido ad id, quod videtur bonum, inlecta et inflammata rapiatur, laetitia ut adepta iam aliquid concupitum ecferatur et gestiat. 16 Vgt. Senecas Einstellung in der Güterlehre zur Klassifizierung der indifferentia S. 118 f., bes. Sen., Ер. 66,49: maius est enim difficilia perfringere quam laeta moderari. 17 Sen., Ер. 4,5. 18 Vgl. Piaton, Phaidon 80 Ε 6: то ov&cv αλλο GOTiv TJ όρθώς φίΚοοοφονοα. και τCJ ovrt τεθνάνει μελετώσα ραδίως · τ} ού τούτ' αν e'trj μελέτη θανάτου', Von Cicero aufgenommen in den Tusc. 1,74: Tota enim philosophorum vita. . . commentatio mortis est. 19 Sen., Ер. 82,16. 20 Sen., a.a.O. 17. 21 Vgl. S. 127. Der hier interessierende Teil der übersetzten Stelle lautet im Urtext: Quos [seil, animos] magis refert nostra fortiores fieri quam doctiores. Sed altcriim sine altero non fit. 22 Vgl. S. 127, Anm. 10 und den eben zitierten Satz „ut aliquis magno animo accedat..." 23 Vgl. S. 115 f. u.S. 118, Anm. 12.
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durch Vorbilder direkt übertragen werden kann 2 4 . Auf die in den Augen Senecas besonders wichtige Aufgabe des Seelenleiters, den Mut bei den anderen zu wecken, wurde schon oben 2 5 hingewiesen. Nun könnte es nach dieser Darstellung, in der das Wissen als etwas von dem Mut, der magnitudo animi, Getrenntes aufgeführt wurde, allerdings den Anschein haben, als ob damit die Einheitlichkeit des stoischen Tugendbegriffs in Frage gestellt sei. Dies ist aber keineswegs der Fall 2 6 : An sich stellt natürlich die magnitudo animi wie die securitas nur einen besonderen Aspekt des Wissens als Habitus dar, und vom Standpunkt des Weisen aus bildet dieses alles zusammen eine Einheit. Aber für Seneca als Seelenleiter ist die Situation die - und das gilt sowohl für seine eigene Person 2 7 als für die seiner Adressaten - daß das Wissen zwar vorhanden, aber noch nicht zum Habitus geworden ist, bzw. ihr vorläufiger Habitus dem Wissen nicht entspricht. Um es zum Habitus werden zu lassen oder Wissen und Habitus miteinander in Einklang zu bringen 2 8 bedarf es nach Ansicht Senecas der verschiedensten Denkübungen, und zwar erweisen sich für bestimmte Ziele bestimmte Meditationen als besonders erfolgreich, so die Betrachtung des Kosmos durch den Vergleich seiner Größe mit der Winzigkeit und Erbärmlichkeit des menschlichen Daseins zur Gewinnung der magnitudo animi, die ihrerseits die Voraussetzung für die securitas ist. Diese Denkübungen gewinnen noch an Kraft, wenn sie von einem autoritativen Vorbild 2 9 ausgehen können. Um beim Beispiel der Todesfurcht zu bleiben: Beim Weisen ist das Wissen, daß der Tod kein Übel, sondern ein indifferens ist, mit dem entsprechenden Habitus, der Furchtlosigkeit vor dem Tode, untrennbar verbunden. Beim Nichtweisen oder dem auf dem Wege zur sittlichen Vollkommenheit Fortschreitenden liegt der Fall anders: Er kennt den betreffenden Satz aus der Güterlehre, aber er ist nicht bis in die tiefsten Tiefen seines Innern davon durchdrungen. Es bedarf erst einiger aus ganz anderen Richtungen kommender Hilfen, um sein Wissen zum Habitus werden zu lassen, um den Mut zu erzeugen, der zur Verwirklichung dieses Wissens nötig ist. Diese Hilfen sind nach Seneca u.a. die Betrachtung des Kosmos und das autoritative Beispiel. Erst über diese Umwege kann der betreffende Satz aus der stoischen Güterlehre beim Nichtweisen Aussicht haben, zum Habitus zu werden.
2 4 Vgl. Sen., Ер. 3 0 über die Wirkung des Beispiels des Aufidius Bassus. 25 Vgl. S. 1 1 9 , A n m . 1 0 3 , die Beurteilung des Sextius pater. 2 6 Panaitios machte die Einheit der Tugenden durch den Vergleich mit einer Zielscheibe klar: Die Tugend ist einer Zielscheibe vergleichbar, bei der jede Teiltugend einen Sektor darstellt. Der Schütze, der nach einem einzelnen Sektor zielt und ihn trifft, hat nichtsdestoweniger das Ziel getroffen (vgl. Fragm. v. Straaten 1 0 9 ) . 2 7 Vgl. S. 1 0 5 , Anm. 16, 2. Zitat. 2 8 Insofern besteht auch entgegen der Annahme Zellers (111,1, S . 2 3 0 ) kein Widerspruch darin, daß die „ a l t e " Stoa einerseits das falsche Urteil als Ursache der Affekte betrachtete, andererseits ein Fortbestehen des Affekts auch nach erfolgter Meinungsänderung für möglich hielt: Stob., ecl. 11,90. Eine derartige Lösung deutet Bonhöffer, Epictet und die Stoa, S . 2 8 3 f . bereits an. 2 9 Vgl. Sen., Ер. 3 0 , 6 f . : ergo inquit [seil. Aufidius Bassus], mors adeo extra omne malum est, ut sit extra omnem malorum metum. ' haec ego scio et saepe dicta et s«epe dicenda, sed neque c u m legerem, aeque mihi profuerunt, neque cum audirem aliis dicentibus, qui negabant timenda, a quorum metu aberant: hie vero plurimum apud me auetoritatis habuit, cum loqueretur de m o r t e vicina. - Daß aber nicht an die unüberlegt mit sich fortreißende Kraft des Beispiels gedacht ist, sondern stets an die rational begründete, zeigt § 12.
Die Erweckung des Mutes
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Ein ebenfalls wichtiges, von Seneca selbst oft angewendetes Mittel zur Erweckung des Mutes bei sich selbst und den anderen, erwähnt er zwar nicht ausdrücklich, aber es kann an seiner Methode deutlich abgelesen werden. Es handelt sich um einen gewissen Aspekt der Rhetorik, ein stilistisches Moment, das bereits Isokrates angedeutet h a t 3 0 u n d das seinen theoretischen Niederschlag in der rhetorischen Schrift „Über das Erhabene" gefunden hat. Es ist dies die antike Überzeugung, daß die Erhabenheit des Stils eines Redners oder Schriftstellers sowohl eine entsprechende seelische Verfassung bei diesem selbst voraussetze, wie sie auch mit Notwendigkeit eine ebensolche Gesinnung beim Zuhörer oder Leser hervorrufe 3 1 . Ein Blick auf Stellen wie die oben auf S. 128 übersetzte zeigen, daß Seneca sich diese Theorie zu eigen gemacht hatte: Mit der Schilderung von Naturkatastrophen und dem Verhalten des Weisen ihnen gegenüber verbindet sich ein stilistisches Pathos, das unbedingt mitreißend wirkt, zumal wenn man sich vorstellt, daß der Leser in der Antike laut las 3 2 und daher umso leichter durch die Gewalt der Worte in Begeisterung versetzt werden mußte33. Gegenüber der stoischen Apatheia, die die Freiheit von allen möglichen Affekten bezeichnet, betont die annaeische securitas also nur die Absenz einer bestimmten Gruppe von Affekten und ist demnach der Apatheia gegenüber als engerer Begriff zu werten. Aber nicht nur die Tatsache, daß Seneca sich vorwiegend mit den wirklich problematischen Affekten befaßt, hat zum bevorzugten Gebrauch des Terminus securitas als Bezeichnung für ein wichtiges Ziel der Seelenleitung geführt, sondern neben der ebenfalls hinzutretenden Übersetzungsschwierigkeit 34 die verschiedenen Interpretationsmöglichkeiten des Begriffes Apatheia selbst. Im 9. Brief wendet sich Seneca gegen Stilbon und andere, wahrscheinlich Pyrrhon oder vielleicht einige Vertreter der kynischen Schule, die die απάθεια („invulnerabilis animus oder animus extra omnem patientiam positus" in der Übersetzung Senecas) als völlige Empfindungslosigkeit auffassen, während die Stoiker nur die Affektlosigkeit darunter verstehen 3 5 : „Dieser Unterschied besteht zwischen uns [den Stoikern] und ihnen: Unser Weiser besiegt zwar jedes Unglück, aber er fühlt es; der ihre fühlt es nicht einmal 3 6 . " Wie 30 Vgl. obenS. 18 ff. 31 Vgl. Περί ύψους, с. VII,3: όταν ουν υπ' άνδρός ϊμφρονος και έμπειρου λόγωι» πολλάκις άκουό μενόν τι προς μεγαλοφροσύνην τήν ψυχή ν μη συνδιατίθή μηδ' έγκαταλείπτ) ττj Stavcfia π λείοι* τοϋ λεγομένου το αναθΐίορούμενον, πίπτη δ' αν ευ то συνεχές έπιοκοπτ) €ίς απαύξησιν, ούκ αν ετ αληθές ΰψος e'irj μέχρι μόνης της ακοής σψζόμενον. . . το δε ϋψος εγγύς αψει με-γαλοφροσύνης θεού. . . Vgl. Kiihn, Τ Φ Ο Σ, S. 6: „Ύφος ist. . . psychologische Bezeichnung eines seelischen Verhaltens, das, im Wort als Potenz gewissermaßen eingefangen, nun in der Siele des Hörers wieder aktualisiert wird. Wieder-, weil es ja von einem Gestalter einmal der αρμονία anvertraut werden mußte." 32 Vgl. J. Balogh, Voces paginaium. 33 Vgl. Sen., Ер. 108,7: Si quid acriter contra mortem dictum est, si quid contra fortunam contumaciter, iuvat protinus quae audias, facere. 34 Vgl. Sen., Ер. 9,2: in ambiguitatem incidendum est, si exprimere άπάθειαν uno verbo cito voluerimus et inpatientiam dicere. poterit enim contrarium ei, quod significare volumus, intellegi. nos eum volumus dicere, qui respuat omnis mali sensum: accipietur is, qui nullum ferre possit malum. 35 Sen., Ер. 9,3. 36 Vgl. Sen., Ер. 71,27: non educo sapientem ex hominum numero пес dolores ab illo sicut ab aliqua rupe nullum sensum admittente submoveo . . . Sen., Ep. 87,19: itaque indolentiam numquam bonum dicam: habet illam cicada, habet pulex. . . Sen., Ep. 45,9 (innerhalb einer Definition des homo beatus): . . . intrepidus, quem aliqua vis movet, nulla perturbat. . vgl Ep. 63,1.
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,Securitas" und „apatheia"
weit diese Empfindungen beim Weisen gehen dürfen, schildert Seneca u.a. in dem Traktat De constantia sapientis 3 7 . Er will hier darlegen, wie schon erwähnt, daß der Weise durch das ihm von anderen angetane Unrecht und durch Kränkungen gar nicht berührt werde: Dieses alles besiege er nicht nur, sondern er fühle es nicht einmal. Andere Dinge seien es, fährt Seneca fort, die den Weisen träfen, wenn sie ihn auch nicht niederwürfen, wie z.B. körperlicher Schmerz und Gebrechlichkeit, der Verlust von Freunden und Kindern und das Unglück des von der Fackel des Krieges verzehrten Vaterlandes: daß der Weise derartiges empfinde, bestreite ei nicht, denn die Härte eines Steins oder Eisens solle nicht für ihn in Anspruch genommen werden. Das sei keine Tugend, die darin bestände zu ertragen, was man gar nicht fühle. Wie verhalte es sich also? Er, der Weise, empfange gewisse Schläge, aber er überwinde diese und heile sie aus und beschwichtige sie; Geringfügigkeiten aber wie Kränkungen etc. fühle er nicht einmal. Daß sich eine ähnliche Abgrenzung der stoischen Auffassung von der Apathie gegenüber der völligen Gefühllosigkeit bereits innerhalb der frühen Stoa vollzogen hat, machen verschiedene Andeutungen wahrscheinlich, die sich u.a. bei Diogenes Laertius, Plutarch, Seneca und Cicero finden3 8 . Es ist wegen dieser verschiedenen Interpretationsmöglichkeiten erklärlich, daß Seneca den Begriff der Apatheia oder eine entsprechende Übersetzung nicht gern verwendete und einen geeigneteren Terminus, den der securitas, an dessen Stelle setzte. Eine Annäherung an die Metriopathie der Peripatetiker war aber mit der stoischen Interpretation der Apatheia nicht verbunden, und Seneca, wie auch Cicero in den Tusculanen, wendet sich an vielen Orten 3 9 scharf gegen die Affektlehre der Peripatetiker, die ein gewisses Maß an Affekten nicht nur für unvermeidlich, sondern sogar für nützlich hielten 4 0 . Seneca aber, wie überhaupt die Stoa, unterscheidet zwischen Affekten (adfectus, impetus), zu deren Entstehung es der überlegten Zustimmung (assensio animi, Synkatathesis) bedarf 4 1 , und sogenannten unfreiwilligen Gemütsbewegungen (motus non 37 Sen., a.a.O. 10,3f. 38 Diog. L., VII, 117 = SVF, 111,448: Φασΐ δε και άπαθί) ewai τον σοφόν, δ ώ το άνέμ-πτωτον είναι • είναι бе και άλλοι» άπαθί) τον φαϋλον, έν 'ίοω λβητόμΐνον τ ω σ κ λ η ρ φ και άτέγκτω • Chrysipp (SVFIII 574): äXyelv μεν τον σοφόν, μη βαοανίξεσθαι δε. Sen., De ira 1,16,7 = SVF, 1,215: nam, ut dicit Zenon, in sapientis quoque animo, etiam cum vulnus sanatum est, cicatrix manet. Sentiet itaque suspiciones quasdam et umbras affectuum, ipsis quidem carebit. Cie., Tusc. 111,13: nos autem audeamus non solum ramos amputare miseriarum, sed omnes radicum fibras evellere. Tarnen aliquid relinquetur fortasse: ita sunt altae stirpes stultitiae; sed relinquetur id solum, quod erit necessarium. Cie., Tusc. 111,83, Hoc detracto, quod totum est voluntarium, aegritudo erit sublata illa maerens, morsus tarnen et contractiuncula quaedem animi relinquentur. Vgl. Zenons δήξεις και συστολαΐ SVF, 1,209. Vgl. Plut., virt. mor. 9. 39 Z.B. in den Episteln 116 u. 85 und in De ira. 40 Vgl. Sen., Ер. 116,1: Utrum satius sit modicos habere adfectus an nullos, saepe quaesitum est: nostri illos expellunt, Peripatetici temperant. ego non video, quomodo salubris esse aut utilis possit ulla mediocritas morbi. . . Sen., Ер. 85,3: Huic collectioni hoc modo Peripatetici quidam respondent, u t imperturbatum et constantem et sine tiistitia sie interpretentur, tamquam imperturbatus dicatur, qui raro perturbatur et modice, non qui numquam. item sine tristitia cum dici aiunt, qui non est obnoxius tristitiae nec frequens nimiusve in hoc vitio. illud enim humanam naturam negate, alieuius animum inmunem esse tristitia. sapientem non vinci maerore, ceterum tangi. Vgl. oben S. 42 ff. 41 Sen., De ira 11,3,4: numquam. . . impetus sine assensu mentis est. Sen., Ер. 113,18: omne rationale animal nihil agit, nisi primum specie alieuius rei inritatum est, deinde impetum ce-
Unwillkürliche Gemütsbewegungen
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voluntarii) 4 2 , unter denen die ersten Reaktionen auf starke und unvermittelte äußere Einflüsse zu verstehen sind, deren Plötzlichkeit es zu einer Betätigung der Vernunft nicht erst k o m m e n läßt. Erscheinungen wie durch Schreck oder andere überraschende Eindrücke hervorgerufenes Erblassen, Gliederzittern, Tränen sind keine A f f e k t e , wenn sie auch von diesen nicht völlig zu trennen sind, weil sie eine Art Vorstufe bild e n 4 3 . Da sie ohne Beteiligung der Vernunft zustande k o m m e n , k ö n n e n sie auch durch diese nicht ausgeschaltet werden, sondern es ist nur möglich, eventuell eine Linderung durch Gewöhnung herbeizuführen 4 4 . Stellt man die annaeischen Äußerungen über die dem Weisen zugestandenen Gemütsbewegungen neben die aus der frühen Stoa überlieferten oder die die traditionelle Auffassung der Stoa wiedergebenden Ausführungen Ciceros im 3. u. 4. Buch der Tusculanen 4 ®, so kann man auf den ersten Blick keine prinzipielle Abweichung Senecas von der großen Linie der Stoa entdecken. Andererseits ist es aus Mangel an Material schwer zu entscheiden, ob Seneca mit seinem ζ. B. gegenüber Epiktet sehr großzügigen Gebrauch, den er von den m o t u s n o n voluntarii macht, noch der allgemeinen stoischen Auffassung entspricht. Wenn man jedenfalls „das reichliche Material, das Seneca beibringt, mit den dürftigen Konzessionen Epictets vergleicht, so wird man sich des Gedankens nicht erwehren können, daß Epictet manches von dem, was
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pit, deinde adsensio confiimavit hunc impetum. Sen., De ira 11,4,1: Et ut scias quemadmodum incipiant affectus aut crescant aut efferantur, est primus motus non voluntarius, quasi praeparatio affectus et quaedam comminatio; alter cum voluntate non contumaci, tamquam oporteat me vindicari cum laesus s i m . . . tertius motus est iam impotens, qui non si oportet ulcisci vult sed utique, qui rationem evicit. Primum illum animi ictum effugere ratione non possumus. . . ista non potest ratio vincere, consuetudo fortasse et assidua observatio extenuat. Alter ille motus, qui iudicio nascitur, iudicio tollitur. Siehe Anm. 41 drittes Zitat Vgl. Anm. 41 drittes Zitat; ferner: De ira 11,2,5: . . . omnia ista motus sunt animorum moveri nolentium, nec affectus sed principia proludentia affectibus. Aufzählungen und Schilderungen solcher motus non voluntarii z.B. Ер. 11,1-7; Ep. 57,3 ff.; Ep. 71,29; De ira II, 4f.;Ep. 99,18; Ep. 74,31. VgL Anm. 41, 3. Zitat; ferner Ep. 57,4; Ep. 11,7. VgL S. 132, Anm. 38. Die Frage muß offen bleiben, ob es eine voll entwickelte Lehre von den Voraffekten bereits in der frühen Stoa gegeben hat, oder ob diese als das Produkt einer späteren Entwicklung anzusehen ist. Man kann den Einwänden, die die Zeno und Chrysipp zugeschriebenen Äußerungen durch den Hinweis auf die übliche Tendenz, spätere Errungenschaften der Schulen auf die Schulgründer zurückzuführen, entkräften, eine gewisse Berechtigung nicht absprechen. Neben diesem Einwand bleibt jedoch die Tatsache bestehen, daß das Interesse an einer solchen nachträglichen Zuschreibung nur innerhalb einer Richtung der Stoa vorhanden gewesen sein konnte, die sich um engen Anschluß an die Schulgründer bemühte. Wenn man die sogenannte Mittelstoa unter diesem Aspekt sieht, wozu die oben S. 71 ff. über die grundsätzliche Einheitlichkeit der Stoa gemachten Darlegungen berechtigen, so mag sie es gewesen sein, die entweder aus wirklich vorhandenen oder aus vermeintlichen Ansätzen in der alten Stoa ein System der Voraffekte entwickelt hat. Daß Plutarch (San.praec. 127c-128b) und Seneca diese Lehre von Sotion übernommen hätten (Vgl. Pohlenz, Die Stoa II, S.154 im Anschluß an Holler), halte ich nicht für möglich, da nicht Philon die frühesten Spuren dieser Lehre aufweist, wenn er in den Q. in Gen. IV,73 „von dem impetus spricht, den auch der constans vir unwillkürlich erfährt, aber nicht usque in finem sich entwickeln läßt", sondern Cicero, Tusc. 111,83. Eine konstruktive Verwendung dieser Lehre und die überwiegend positive Bewertung der Voraffekte läßt sich jedoch erst bei Seneca nachweisen und ist vielleicht auf diesen selbst zurückzuführen. Vgl. S. 182 f.
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Die „securitas"
Seneca als motus inevitabilis darstellt, verworfen haben würde." 4 6 An Stellen wie den folgenden aus dem 99. Brief 4 7 scheint es jedoch eindeutig zu sein, daß die von der Stoa gezogenen Grenzen um ein Erhebliches überschritten wurden: „Wenn uns die erste Nachricht eines herben Todesfalles erschüttert hat, wenn wir den Leichnam umschlungen halten, der aus unserer Umarmung ins Feuer übergeben wird, dann preßt uns eine natürliche Notwendigkeit Tränen aus, und der Geist, vom Stich des Schmerzes angetrieben, erschüttert, wie den ganzen Körper, so die Augen, aus denen er die beiliegende Flüssigkeit herausdrückt und -treibt. Diese Tränen fallen, indem sie gegen unseren Willen hinausgetrieben werden. Andere gibt es, denen wir freien Lauf lassen, wenn die Erinnerung an die, die wir verloren haben, zurückgerufen wird, und es liegt eine gewisse süße Wehmut darin, wenn uns ihre angenehmen Gespräche, ihre fröhliche Unterhaltung, ihre dienstbereite Liebe einfallen: dann erleichtern sich, wie in der Freude, die Augen. Diesen Tränen geben wir uns hin (indulgemus), von jenen werden wir überwältigt." Das Verbum „indulgere" bezeichnet hier jedenfalls einen psychischen Vorgang, der durchaus innerhalb der eigenen Willensbestimmung liegt und damit im Grunde den Charakter eines Affektes erreicht hat, der in der hier beschriebenen Art auch nicht ohne weiteres im stoischen System der eimaßeta unterzubringen ist. Zusammenfassend: Die securitas, das kennzeichnende Gut des Weisen, wie Seneca sagt, und innerhalb seiner Bemühungen als Seelenleiter ein wichtiges, ja man ist versucht zu sagen, das wichtigste Ziel der Seelenleitung, unterscheidet sich von der stoischen Apathie durch zwei Merkmale: Einerseits umfaßt der Begriff der securitas nicht den vollen Bedeutungsinhalt der Apathie, da er sich nicht auf alle, sondern nur auf eine bestimmte Gruppe von Affekten, auf die lastenden, düsteren bezieht, zum andern wird das Prinzip der Apathie zwar nicht in der Theorie, wohl aber in der Praxis durch einen sehr weiten Anwendungsbereich der Voraffekte durchbrochen. In offenbarem Gegensatz zur Stoa, die den Weisen zwar nicht als gefühllosen Stein angesehen haben will, aber doch auch an sich liebenswerte Affektionen wie Gefühle der Zuneigung und Menschenliebe auf ein geringes, von der Ratio ganz und gar beherrschtes Maß beschränken will, in der sicheren Empfindung, daß jede starke menschliche Bindung eine Gefährdung der Autarkie des Weisen mit sich bringen würde 4 8 , stellt eine solche Einengung des Gefühlslebens kein Ziel der Seelenleitung für Seneca dar, vielmehr würde er darin eine Selbstentfremdung des Menschen erblicken. Um das stoische Dogma zu retten, bemüht sich Seneca, alle diese Äußerungen der Humanität, wie das Mitlachen und Mitweinen mit anderen, die Rührung beim Gedenken an verlorene Freunde, das vom Schmerz Übermanntwerden beim Tode der Lieben, in der Kategorie der Voraffekte unterzubringen, und es ist möglich, daß er hierbei auch von den Vorstellungen der römischen pietas geleitet worden ist, der gegenüber es einen Verstoß bedeutet hätte, beim Tode eines Angehörigen keine Trauer zu zeigen 4 9 . Als Ziel gilt ihm nur die Beseitigung der der Menschenwürde nicht entsprechen-
46 Bonhöffei, Epictet und die Stoa, S.309. 47 Sen., Ep. 99,18f. 48 Vgl. die orthodox-stoische Lehre über die Freundschaft, mit der auch Cicero nicht viel anfangen konnte. Vgl. ferner die stoische Verurteilung des Mitleids und der verzeihenden Milde. 49 Vgl. Sen., Ad. Polyb. 18,6: hunc potius modum servet, qui nee impietatem imitetur пес insaniam et nos in eo teneat habitu, qui et piae mentis est пес m o t a e . . . sie rege animum tu-
Die „tranquillitas animi"
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den Affekte 5 0 , wie Furcht und anklagender, verbitterter Schmerz 51 , Zorn etc., die letztlich alle von dem Gefühl der Unterlegenheit, sei es dem Schicksal, sei es gewissen Menschen gegenüber, ihren Ausgang nehmen. Diese Gefühle der Unterlegenheit sollen dem Menschen genommen werden, teils durch die Vermittlung von Wissen, teils durch das Entfachen des Mutes, er soll zu einer in sich selbst ruhenden Sicherheit, zur „securitas", gebracht werden, und das bedeutet in der Auffassung Senecas, dem Schicksal gegenüber einem Gotte gleich, dem Menschen gegenüber ein Mensch zu sein.
c) Die „tranquillitas animi" Dem letzten Aspekt der Tugend, der in seiner Eigenschaft als Seelenleitungsziel hier behandelt werden soll, der tranquillitas animi, hat Seneca einen ganzen Traktat gewidmet, abgesehen von vielen eingestreuten, weniger umfangreichen Erörterungen dieses Themas in anderen Zusammenhängen. Von Pohlenz1 wird dieser Begriff als mit der securitas identisch angesehen, wahrscheinlich deswegen, weil beide Begriffe oft nebeneinander erscheinen, wie in der im vorigen Kapitel erwähnten Definition der Eudaimonie 2 , und gestützt auf Cicero, bei dem in seinen philosophischen Schriften keine schärfere Abgrenzung beider Begriffe voneinander zu beobachten ist 3 . Bei genauerem Hinsehen muß man jedoch bemerken, daß zumindest für Seneca diese beiden Begriffe nicht einfach austauschbar sind, sondern jeder für sich seinen speziellen Anwendungsbereich besitzt, und daß in seinen Augen in der Kombination dieser beiden Teiltugenden das Wesen der Eudaimonie am kennzeichnendsten erfaßt wird. In dem erwähnten, an seinen Freund Serenus gerichteten Traktat De tranquillitate animi gibt Seneca eine ausfuhrliche Definition dieser Tugend und eine gründliche Beschreibung des entgegengesetzten lasterhaften Zustandes, für den es anscheinend einen speziellen Terminus nicht gibt. Sowohl in besagtem Traktat wie in den Briefen ist Seneca nicht imstande, diesen fehlerhaften Habitus des Geistes durch ein Wort auszudrücken, es sei denn durch den allumfassenden, aber wenig charakteristischen Begriff der stultitia, der Torheit, sondern er sieht sich jedesmal zu einer langen Umschreibung genötigt.
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um, ut et sapientibus te approbare possis et fratribus. Vgl. Cie., Ad Brut. 1,9,2; Plin., Ер. VIII, 16. Vgl. Sen., Ер. 74,30: inhonesta est omnis trepidatio et sollicitudo, in ullo actu pigritia. Honestum enim securum et expeditum est, interritum est.. . Vgl. Sen., Ер. 74,31: (Der Weise empfindet Schmerz, gesteht Seneca) sed manebit illi peisuasio eadem, nihil illorum malum esse nec dignum ad quod mens sana deficiat. M. Pohlenz, Philosophie und Erlebnis in Senecas Dialogen, S.71 mit Anm.l. VgL S. 126. Vgl. Cie., De fin. V,23: Democriti autem securitas, quae est animi tranquillitas, quam appellavit εύθυμίαν... VgL zu De off. das auf Panaitios zurückgeführte Schema von R.-A. Gauthier, Magnanimite, S. 141, wo „tranquillitas atque securitas" zusammen als Äquivalent für ευθυμία erscheinen. Vgl. auch bei Epiktet das entsprechende, verschiedentlich auftauchende, ebenfalls nicht näher definierte Begriffspaar απάθεια και eüpoia z.B. Diatr. 1,4,3; 1,4,29.
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Die „tranquülitas animi"
Statt der langen Schilderung dieses krankhaften Seelenzustandes durch Serenus in dem zugehörigen Traktat will ich hier lieber die knappere, aber nicht weniger treffende Definition aus einem Brief Senecas4an Lucilius wiedergeben: „Was ist es, Lucilius, was uns, die wir [eben] in die eine Richtung streben, in eine andere zieht und dorthin vorwärts treibt, woher wir zurückzukehren wünschen? Was streitet mit unserem Geist und erlaubt uns nicht, irgend etwas ein für allemal zu wollen? Wir schwanken zwischen verschiedenen Entschlüssen, nichts wollen wir gern, nichts vollständig, nichts immer!" Unzählig seien die Erscheinungsformen dieses Fehlers, so kennzeichnet Seneca diesen Geisteszustand in dem Traktat De tranquillitate animi 5 , aber er habe nur eine Wirkung: das Mißfallen an sich selbst. Der Gegensatz zu diesem unsteten Hin- und Herschwanken der Seele ist ihr ruhiges Verharren in einer Lage, im Gleichgewicht, welchen Zustand die Griechen, wie Seneca in der betreffenden Abhandlung anmerkt 6 , mit dem Wort ευθυμία bezeichnen und den er selbst durch „tranquillitas" wiedergibt, wobei er darauf hinweist, daß er mit diesem Terminus keine wortwörtliche, sondern eine sinngemäße Übersetzung des griechischen Wortes anstrebe. Wenn man diese Worte liest, könnte man meinen, daß Seneca sich als den ersten ansehe, der den Begriff der tranquillitas animi als Äquivalent für ευθυμία gebraucht habe. Sollte er sich der ähnlichen Verwendung dieses lateinischen Terminus bei Cicero nicht bewußt gewesen sein? Und warum erwähnt er ferner nur Demokrit als Verfasser einer Schrift über die ευθυμία und nicht Panaitios 7 , der ihm nicht nur zeitlich viel näher stand, sondern noch dazu Stoiker war? Ich will nicht versuchen, diese Fragen zu beantworten; ich kann lediglich konstatieren, daß Seneca selbst keine Verbindung in diesem Zusammenhang zwischen sich und Cicero bzw. Panaitios herstellt, sei es aus Unkenntnis der betreffenden Werke, sei es, weil er sich in seiner begrifflichen Deutung der tranquillitas ihnen nicht verpflichtet fühlt, sei es aus welchem Grund auch immer. Auffallend ist ferner, daß Seneca seine tranquillitas animi nicht als Übersetzung eines der vielen genuin stoischen Bezeichnungen für Tugenden ausgibt, wie sie uns in ganzen Verzeichnissen und genauen Definitionen vor allem von Andronikos 8 , aber auch von Stobaios und Clemens Alexandrinos überliefert sind 9 , sondern wie Panaitios an die umfassendere, aber unbestimmtere ευθυμία des Demokrit anschließt. Die Vermutung liegt nahe, daß er es, wie im Falle der securitas, absichtlich vermeidet, sich auf einen einzelnen dieser griechisch-stoischen Begriffe zu beziehen, um seiner tranquillitas einen umfassenderen Bedeutungsgehalt zu sichern. Nun zurück zu Senecas Traktat. Nachdem Seneca mit der erwähnten Einführung des Terminus „tranquillitas aninji" das Ziel genannt hat, das es für Serenus anzustreben gilt, läßt er eine kurze Beschreibung9 b i s folgen und verspricht anschließend, auch die Möglichkeiten, dorthin zu gelangen, zu erörtern. „Wir suchen also, aufweiche 4 Vgl. Sen., Ер. 52,1. 5 Vgl. Sen., De tranqu.an. 2,7. 6 Sen., a.a.O. 2,3: Hanc stabilem animi sedem Giaeci euthymfan vocant, de qua Democriti Volumen egregium est, ego tranquillitatem voco: nec enim imitari et transferre verba ad illorum formam necesse est... quod appellationis graecae vim debet habere, non faciem. 7 Vgl. S. 135, Anm. 3 u. van Straaten, Panaetii Rhodü Fragmenta , Fragm.45=Diog.Laert., IX, 20. 8 Andronicus, Περί παθών, vgl. SVF, III,266ff. 9 Vgl. SVF, 111,264 ff. 9 bis Sen., De tranqu.an. 2,4.
Die „tranquillitas" als „euthymia"
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Weise der Geist immer seinen gleichen, (und) günstigen Gang gehen, (und) sich selbst gewogen sein und seinen Zustand mit Vergnügen betrachten kann und diese Freude nicht unterbricht, sondern in ruhigem Zustand bleibt und sich weder übermütig erhebt noch herabstimmt. Das ist die tranquillitas. Wie man zu derselben gelangen kann,wollen wir jetzt im allgemeinen erforschen." Daß die tranquillitas animi, die abgeklärte Heiterkeit des Geistes, wie man vielleicht im Deutschen sagen könnte, in den Augen Senecas etwas anderes darstellt als die securitas, dürfte bereits aus diesen kurzen Beschreibungen hervorgehen. Zwar handelt es sich in beiden Fällen um eine gewisse Festigkeit der Seele, aber Seneca hat die securitas in ihrem Bedeutungsgehalt in erster Linie auf die Stabilität und Widerstandskraft gegenüber den Affekten festgelegt, deren auslösende Ursache in den von außen an uns herantretenden Störungen zu suchen sind, während die tranquillitas sich auf die im eigenen Innern des Menschen entstehenden Strebungen bezieht und deren harmonischen Zustand bezeichnet. Wie die magnitudo animi die Voraussetzung für die securitas bildet, so ist die Grundlage für die tranquillitas die concordia, congruentia oder convenientia 1 0 , und zwar wird die Übereinstimmung aller Handlungen 11 eines Menschen damit bezeichnet oder, wie man es auch ausdrücken kann, die Übereinstimmung mit sich selbst, die auf der Konstanz der Urteile beruht und die Seneca unübertrefflich mit der Sentenz „semper idem velle atque idem nolle" 1 2 charakterisiert hat. „Die tranquillitas kann nur denen zukommen", urteilt daher Seneca 1 3 , „die ein unverrückbares und sicheres Urteil erlangt haben". - Auf welchem Wege aber kann man zu diesem Ziel gelangen? „Nimm dir ein für allemal eine Richtschnur, nach der du lebst, und dieser gleiche dein gesamtes Leben an!" empfiehlt Seneca dem Lucilius 1 4 . Mit der sich natürlicherweise nun ergebenden Frage, wie diese Richtschnur denn aussehen solle, wird ein Problemkreis berührt, dessen Behandlung wohl traditionell zu einer Abhandlung über die Ruhe des Gemüts gehörte 1 5 und dem auch Seneca in seinem Traktat De tranquillitate animi einen breiten Raum widmet: die Wahl der Lebensform. Seneca stellt sich damit keineswegs auf den Standpunkt, den Plutarch in seiner Schrift Περί ευθυμίας einnimmt, daß nämlich die Wahl einer bestimmten Lebensform nichts zur Ruhe des Gemütes beitrage 16 . Zwar würde er Plutarchs Worten zu10 Griechisch: Ьшвеак όμολο-γουμένη, ομολογουμένως ζην. Vgl. Cie., De fin. 111,21. 11 Vgl. Sen., Ер. 120,11: . . . omnium inter se actionum concordia; vgl. Ер. 20,2: maximum hoc est. . . sapientiae. . . indicium, ut verbis opera concordent, ut ipse ubique par sibi idemque sit. 12 Vgl. Sen., Ep.20,5. 13 Sen., Ep. 95,57: non contingit tranquillitas nisi inmutabile certumque judicium adeptis. Vgl. Ер. 30,12: . . . haec ex iudicio certo tranquillitas est. Vgl. Ep. 92,3: quid est beata vita ? securitas et perpetua tranquillitas, hanc dabit animi magnitudo, dabit constantia bene iudicati tenax. Die magnitudo animi bezieht sich offensichtlich auf die securitas, die constantia bene iudicati tenax auf die tranquillitas. 14 Vgl. Sen., Ep. 20,3. 15 Vgl. Plutarch, Πβρϊ ευθυμίας, 465 С 8 ff., 466 С 10 ff. VgL Sen., De tianqu.an. 13,1, wo er sich auf den Anfang der Schrift Περί ΐύθυμίας des Demokrit bezieht: Hoc secutum puto Democritum ita coepisse: „Qui tranquffle volet vivere nec privatim agat multa nec publice"·,... 16 So wendet sich Plutarch im 2. Kapitel seiner Schrift gegen die Ansicht Demokrits, daß derjenige, der ruhigen Gemüts leben wolle, seine Geschäftigkeit auf dem privaten wie auf dem öffentlichen Sektor beschränken müsse, wie auch im 3. Kapitel ganz allgemein gegen die Meinung, daß eine bestimmte Lebensform vor anderen zu bevorzugen sei.
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Die „tranquülitas animi"
stimmen, daß nur Vernunft und Einsicht die Garanten für ein ruhiges Gemüt sein können 1 7 und daß für denjenigen, der diese besitzt, die Lebensform ganz gleichgültig ist. Aber Seneca geht in erster Linie von der Lage desjenigen aus, der noch nicht zur Vollkraft der Vernunft gelangt ist, und weiß sehr wohl, daß die Art der äußeren Lebensführung in hohem Maße fördernd oder hindernd auf den seelischen Besserungsprozeß einwirken kann. Es ist in diesem Zusammenhang sehr interessant zu beobachten, wie Seneca in den Briefen an Lucilius diesem als einem im ersten Stadium der Seelenheilung Befindlichen dringend ein vom Treiben der Menge zurückgezogenes Leben empfiehlt, ihn insbesondere vor dem verderblichen Einfluß eines Badeaufenthaltes in Bajä warnt 1 8 , wie er sich selbst aber als einem schon weiter Fortgeschrittenen einen solchen Aufenthalt durchaus zumutet und ihn sich von Zeit zu Zeit zur Übung seiner Festigkeit selbst auferlegt 1 9 . In dieser Verschiedenartigkeit der angewendeten Mittel beim Seelenheilungsverfahren einen Widerspruch sehen zu wollen 2 0 , ist völlig verfehlt, handelt es sich doch um eine vom therapeutischen Standpunkt aus geforderte Anpassung an die jeweilige seelische Situation des Patienten. Bei Seneca wie in der Stoa überhaupt hat man zwischen dem therapeutischen und dem dogmatischen Gesichtspunkt zu unterscheiden 2 1 , und die hauptsächlichste Quelle aller Mißverständnisse in der Interpretation ist in der Verkennung dieses Unterschiedes zu suchen. Die Frage der Lebensführung hat Seneca noch in zwei weiteren Schriften, in De brevitate vitae und De otio, ausführlich behandelt und damit gezeigt, ein wie wichtiges Ziel der Seelenleitung er in ihrer Lösung erblickte, „...es gibt drei Lebensformen, unter denen man nach der besten zu suchen pflegt: die eine ist dem Vergnügen gewidmet, die andere der Kontemplation, die dritte der Aktion", sagt Seneca in seiner Abhandlung De otio 2 2 und spielt damit auf die seit Aristoteles 23 geläufige Einteilung an. Aber es gab noch eine vierte Lebensform, die Seneca hier zwar nicht aufführt, die aber dennoch in demselben Dialog wie auch anderwärts von ihm erwähnt wird: der aus der Kombination der vita activa und der vita contemplativa bestehende βώς λογικός der Stoa 2 4 . Auf diese speziell stoische Lebensform bezieht sich Seneca, wenn er sagt: „solemus dicere summum bonum esse secundum naturam vivere: natura nos ad utrumque genuit et contemplation! rerum et actioni 2 5 ." 17 18 19 20
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Plut., a.a.O., c.4. Sen., Ер. 51. Sen., Ер. 56. So urteilt u.a. Ε. Albertini, La composition dans les ouvrages philosophiques de Scneque, S.134: „ . . . il arrive que d'une lettre a l'autre Seneque ait change d'attitude et se mette en contradiction avec lui-meme... L' influence du milieu, affirmee dans Ia Lettre 51, est niee dans les Lettres 55-56." Vgl. oben S. 21 u. Ss. 44, 54 f., 83. Sen., a.a.O. 7,1. Vgl. Aristoteles, z.B. EN 1,5,1095 В 17 ff. VgL R. Joly, Le theme philosophique des genres de vie dans l'antiquite classique, S.115: „En ce qui concerne le vocabulaire, Aristote est le premier ä exprimer regulierement la notion de genre de vie par le mot βίος suivi d'une epithete de formation savante en - ικός: ce qui ne contribuera pas peu ä fixer le theme dans la forme qu' il lui a donnee." Wenn Diogenes Laertios im Stoikerabschnitt drei Lebensformen erwähnt (VII, 130), nämlich den βίος θεωρητικός, πρακτικός und den βίος λογικός, von denen, wie er sagt, nach stoischer Ansicht der βίος λογικός zu wählen sei, so ist das zwar auf den ersten Blick frappierend, da man die seit Aristoteles geläufige Dreiteilung in βίος Απολαυστικός, βώς πρακτικός oder
.Tranquillitas animi" und Lebensform
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Diese genuin stoische Gleichstellung oder besser Synthese der vita activa mit der vita contemplativa findet sich bei Seneca und Cicero überall dort, wo es sich um die mehr oder weniger stereotypen Schilderungen des stoischen Weisen oder der sapientia etc. handelt 2 6 , während ihre sonstige Einstellung zu diesem Problem häufig differiert. Bei Cicero tritt dies besonders in seinem letzten Werk, in seiner Abhandlung über die Pflichten, in Erscheinung, w o er die vita activa eindeutig der vita contemplativa v o r z i e h t 2 7 , was natürlich nicht bedeutet, daß er die Beschäftigung mit den Wissenschaften völlig verwirft, entspricht es doch seinem Ideal des Redners und Staatsmannes, daß dieser über eine gute wissenschaftliche Bildung verfüge 2 8 , nur muß sich die Betätigung der wissenschaftlichen Neigungen unbedingt in gewissen Grenzen halten 2 9 , und es darf der Erfüllung der staatsmännischen Pflichten keine Zeit entzogen werden 3 0 . Man kann also bei Cicero in einem gewissen Sinne von dem Ideal einer vita mixta sprechen, aber im Unterschied gegenüber der Stoa mit einer deutlichen Bevorzugung eines der beiden Teile, und im Gegensatz zu Aristoteles mit eindeutiger Präferenz des aktiven E l e m e n t s 3 1 .
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πολιτικός und βίος θεωρητικός erwartet. Die Schwierigkeit löst sich jedoch leicht, wenn man bedenkt, daß der βίος Απολαυστικός für einen Stoiker jenseits jeder Diskussion stand und daher garnicht erst erwähnt zu werden brauchte. In Frage kamen nur der βίος πρακτικός und der βίος θεωρητικός, d.h. auch nicht die Wahl zwischen beiden, sondern ihre Synthese, und diese Synthese war der βίος λογικός, was einwandfrei aus dem begründenden Nachsatz hervorgeht, „daß das vernunftbegabte Wesen von der Natur ausdrücklich für die Theorie und für die Praxis geschaffen sei." (Diog.Laert., VII, 130: yeyovevai yäp ύπό της φύσεως έπίτηδες το λογικόν ϊψον προς θεωρίαν και πραξιν.) Dieser βίος λογικός ist also nichts anderes als das Leben nach der Natur, das ομολογουμένως ξην. Ausführlicher: R. Joly, a.a. 0. S. 143-147. Vgl. die vita mixta des Varro=Augustin, De civ. Dei, XIX,1-3 und die des Demetrius von Phaleron, Wehrli, Die Schule des Aristoteles, IV, Demetrios v. Phaleron, Fr. 72. Vgl. Sen., Ер. 95,10: philosophia... et contemplativa est et activa: spectat simul agitque.. . Z.B. Cie., Tusc. V,68ff. Bei Seneca finden sich unzählige Beispiele dieser Art, es sei hier nur an die schon genannten Stellen Ep. 95,10 und 66,6 erinnert. Der aufgezeigten Zusammenhänge wegen halte ich bei der letzten Stelle die Interpunktion de/ einer Konjektur Axelsons folgenden Textausgabe von Prechac für plausibler, durch die „ex aequo" zum Vorangehenden gezogen wird, denn es soll doch hier wohl der gleiche Umfang der contemplativen wie der aktiven Tätigkeit des Weisen betont werden: cogitationibus actionibusque intentus ex aequo. . . Cie., De off. 1,153: Placet igitur aptiora esse naturae ea officia, quae ex communitate, quam ea, quae ex cognitione ducantur.. . Etenim cognitio contemplatioque [naturae] manca quodam modo atque inchoata sit, si nulla actio rerum consequatur. Ea autem actio in hominum commodis tuendis maxime cemitur; pertinet igitur ad societatem generis humani; ergo haec Cognition! anteponenda est. Hier liegt Ciceros eigene Meinung vor, da die soeben aufgeworfene Frage von Panaitios nicht behandelt worden war: vgL 1,152; vgl· R. Joly, a.a.O. S. 162. Vgl. Cie., De orat. 1,1; De rep. 111,5: Quodsi quis ad ea instrumenta animi, quae natura quaeque civilibus institutis habuit, adiungendam sibi etiam doctrinam et uberiorem rerum cognitionem putavit... nemo est quin eos anteferre omnibus debeat. Vgl. Cicero, De off. I, 155: . . . nosque ipsi, quiequid ad rem publicam attulimus... a doctoribus atque doctrina instruct! ad eam et ornati accessimus. Vgl. De off. 1,19: Alterum est Vitium, quod quidam nimis magnum Studium multamque operam in res obscuras atque difficiles conferunt easdem non necessarias. Cie., De off. 1,19: Cuius studio a rebus gerendis abduci contra officium est: virtutis enim laus omnis in actione consistit. Aristoteles gibt im 10. Buch der EN dem βίος θεωρητικός als Bereich der dianoetischen Tugenden den Vorzug, sagt aber gleichzeitig, daß dieses Ideal in seiner reinen Form nur von einem Gott zu verwirklichen sei. Auf den Menschen zugeschnitten sei der βίος πρακτικός oder πολιτικός „Cette attitude revient... ä recommander en pratique la vie mixte, apres avoir reconnu la superiorite de la vie contemplative", folgert Joly, a.a.O., S.154.
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Die „tranquillitas animi"
Die gleiche Einstellung findet sich bei Seneca in seinem Traktat De tranquillitate animi. Die Lebensform, die er dem Serenus als die ideale empfiehlt, ist die gemischte, weil sie der sowohl zur Aktion als auch zur Kontemplation veranlagten Menschennatur Rechnung trägt und daher die besten äußeren Bedingungen zur Erzielung einer inneren Ausgeglichenheit, der tranquillitas, schafft. Aber von einem gleichen Mischungsverhältnis des kontemplativen und aktiven Elements kann bei Seneca ebenfalls keine Rede sein. Das otium 3 2 , das bedeutet hier die philosophischen Studien gewidmete Zeit, darf man seiner Meinung nach nur dann in Anspruch nehmen, wenn man an der Ausübung einer öffentlichen Tätigkeit gehindert ist 3 3 , und er wendet sich in diesem Sinne ausdrücklich gegen Athenodor - gemeint ist wahrscheinlich der Hausphilosoph des Augustus 3 4 — der dem otium den Vorzug gibt. Es bedeutet keinen Gegensatz zu der von Seneca in dem Dialog De tranquillitate animi vertretenen Meinung, wenn er in seiner an den von Amtsgeschäften überhäuften Praefectus annonae Paulinus gerichteten Abhandlung „Über die Kürze des Lebens" diesem das otium empfiehlt 3 s . In dieser Schrift handelt es sich nämlich nicht um eine der bekannten genera vitae, und das otium bedeutet somit hier nicht etwa den Gegensatz zu der vita activa, sondern schlechthin den Ansatzpunkt zum Beginn eines tugendhaften Lebens, zur Beschäftigung mit der Philosophie überhaupt. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal daraufhinweisen, daß die Begriffe „vita activa" und „vita contemplativa" wie bei Aristoteles, so bei den Stoikern, in einem ganz bestimmten werthaften Sinn gebraucht werden. Sie bezeichnen nämlich die verschiedenen Bereiche, in denen Tugend sich betätigt, stoisch ausgedrückt, verschiedene Aspekte des honestum 3 6 . Insofern ist auch unter der vita activa nicht ein Leben zu verstehen, das in irgend einer praktischen Tätigkeit hingebracht werden kann, sondern es kommt auf die Beziehung dieser Tätigkeit zur Tugend an. Das bedeutet aber, daß der Mensch Zeit finden muß, sich Rechenschaft über seine Taten zu geben, ja, sich überhaupt erst einen sittlichen Standpunkt zu erarbeiten 3 7 . Jede Beschäftigung aber, die aus den verschiedensten Beweggründen heraus mit solchem Eifer oder unter solchem Zwang betrieben wird, daß sie den Menschen nicht zur Besinnung kom-
32 Der Begriff „otium" bezeichnet eigentlich nur einen von Amtsgeschäften freien Zustand. Für Cicero und Seneca ist es jedoch so selbstverständlich, diese freie Zeit in der Hauptsache für philosophische Studien und nicht etwa für Vergnügungen anzuwenden, daß „otium" von ihnen häufig als Äquivalent für „vita contemplativa" verwendet wird. 33 Sen., De tranqu.an. 4,8: Longe itaque optimum est miscere otium rebus, quotiens actuosa vita impedimentis fortuitis aut civitatis condicione prohibebitur; numquam enim usque eo interclusa sunt omnia, ut nulli actioni locus honestae sit. 34 Dieser hat seinerseits - wenn man dem Zitat Senecas trauen darf - augenscheinlich gegen Cicero polemisiert, sogar mit wörtlicher Anspielung: vgl. Athenodor bei Sen., De tranqu.an. 3,5: Ergo, si tempus in studia conferas quod subduxeris officiis, non deserueris nec munus detractaveris. Vgl. Cie., De off. 1,19: Cuius studio a rebus gerendis abduci contra officium est. 35 Ich stimme mit der Auffassung von Aubenque-Andre, Seneque, S.33 nicht überein: „Les deux dialogues degagent des le?ons antithetiques: le premier exalte un mysticisme spirituel au detriment de la comedie sociale, le second eleve un barrage social devant les mefaits de 1' individualisme, dangereux et morbide... Iis soulignent Γ aspect purement intellectuel de la premiere conversion de Seneque et expliquent les sinuosites par lesquelles Seneque s' achemine a la sagesse totale." 36 Vgl. Anm. 33: ut nulli actioni locus honestae sit. Vgl. Cie., De off. 1,152 ff. 37 Vgl. Sen., De brev.vit. 10,3-4.
.Tranquiiiitas" und „otium"
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men läßt, ist abzulehnen und aufzugeben 3 8 .Dies ungefähr ist es, was Seneca in diesem Traktat sagen wollte, und es handelt sich hierbei nicht um eine Empfehlung der vita contemplativa, sondern um einen Aufruf zur Aufgabe einer Lebensform, die auch mit der echten vita activa nicht nur nichts gemein hat, sondern in krassem Gegensatz zu ihr steht. Der Hinweis auf die Kürze des Lebens und damit auf den Wert der Zeit für den Menschen und die Notwendigkeit ihrer vernünftigen Einteilung ist ein Element der Protreptik, das vorwiegend im allerersten Stadium der Seelenleitung zur Anwendung kommt. Nicht zufällig bildet daher dieses Thema nicht nur den Anfang der Briefe an Lucilius, sondern darüber hinaus sozusagen ein Leitmotiv im ganzen ersten Drittel der Briefe. Dagegen bedeutet die Tendenz von Senecas Schrift De otio eine wirkliche Veränderung seines Standpunktes gegenüber der in seiner Abhandlung über die Gemütsruhe vertretenen Meinung. Hatte er dort dem Serenus in einer Phase der eigenen Aktivität als Staatsmann eine gemischte Lebensform empfohlen, in der das politischaktive Element die herrschende Rolle spielen sollte, so handelt es sich hier darum zu beweisen, daß auch ein ausschließlich der Kontemplation gewidmetes Leben sich mit den stoischen Grundsätzen verträgt. Den Einwänden des Serenus gegenüber, der nun als überzeugter Stoiker die ihm in der Schrift De tranquillitate animi empfohlene Position verteidigt, will Seneca demonstrieren, daß es sich sowohl mit der Lehre der Stoa verträgt, sein ganzes Leben, d.h. von Jugend auf, der „contemplatio veritatis" zu widmen, als auch im Alter, nach Jahren eines im Staatsdienst zugebrachten Lebens, sich nur noch diesem Ziel zu widmen 3 9 . In Übereinstimmung damit rät er auch in seinen Briefen dfem Lucilius zur Aufgabe des Staatsdienstes 4 0 . Es ist natürlich anzunehmen, daß diese völlige Abkehr von der Politik zunächst eher von äußeren Umständen veranlaßt wurde, als daß sie auf einer inneren Wandlung beruhte, aber es ist wohl keine Frage, daß Seneca in diesem Leben des „otium" schließlich seine Erfüllung gefunden hat — im Gegensatz zu Cicero, der im otium stets nur einen nicht ganz befriedigenden Ersatz sehen konnte — und seine Briefe legen Zeugnis davon ab, daß er in dieser Lebensform den Weg gefunden hatte, der ihn zwar noch nicht sicher besitzen, aber schon kosten ließ, was er ein ganzes Leben lang erstrebt hatte: die tranquiiiitas animi.
38 Vgl. das Selbstzeugnis Ciceros, De off., 11,4, das besagt, daß er selbst in der Zeit seiner größten Inanspruchnahme durch den Staatsdienst noch Zeit für die Philosophie gefunden hatte, wenigstens zur Lektüre. 39 Sen., De ot. 2,1 f. 40 Sen., Ер. 19.
II. Die Aussichten der Seelenleitung in der Auffassung Senecas
Wenn meine Ausführungen über die Aussichten der Seelenleitung in der Aufassung Senecas einen soviel geringeren Umfang verglichen mit denen über seine Ziele aufweisen, so hängt das mit der oben erwähnten 1 , bei Cicero und Seneca in Erscheinung getretenen Tendenz zusammen, der Definition, Formulierung und Empfehlung ethischer Ziele gegenüber deren theoretische Grundlagen zu vernachlässigen. Eine solche Fixierung der Voraussetzungen fur die Seelenleitungsziele hätte aber allein den Boden abgeben können für eine gründlichere Erörterung der Bedingungen und Aussichten ihrer Verwirklichung. Die Stoa und überhaupt die großen philosophischen Schulen der hellenistischen Zeit haben sich sehr viel Mühe damit gemacht, ihre ethischen Ziele aus den Grundtrieben des Menschen, also aus seiner Veranlagung, abzuleiten und in ihren Oikeiosislehren die Grundzüge ihrer Anthropologie darzustellen. Seneca hat sich mit allen Einzelheiten dieses Fragenkomplexes offensichtlich nicht eingehend befaßt, sondern er macht sich nur die für die Zwecke der Seelenleitung selbst wichtigen Punkte der stoischen Lehre in großen Zügen zu eigen. Es handelt sich dabei einerseits um den Nachweis gewisser naturgegebener Voraussetzungen für den Tugenderwerb, also der grundsätzlich gleichen Veranlagung aller Menschen zur Tugend - der Gesichtspunkt der individuellen Verschiedenheit tritt dahinter stark zurück - 2 , ferner um die Frage der Funktion der Umwelt und des Alters für die Ausbildung der Vernunft, andererseits um die Darlegung der Bedingungen, die der einzelne Mensch von sich aus erfüllen muß, um in den Besitz der Tugend zu gelangen.
Die Bedeutung von Veranlagung und Umwelt für die Aussichten der Seelenleitung Auch im Folgenden handelt es sich um übliche stoische Lehren, an die sich Seneca ohne sichtbare Abweichung hält, auch wenn er nicht zu allen ihren Einzelheiten persönlich Stellung nimmt. Die Grundlage für Senecas Beurteilung der Aussichten der Seelenleitung und Seelenheilung bildet die stoische Theorie des Lasters und seiner Entstehung bzw. Heilung, wie umgekehrt die stoische Tugendlehre den Ausgangspunkt für die Formulierung seiner Ziele gebildet hatte.
1 Vgl. S. 92. 2 Vgl. oben S. 27 ff.
Die stoische Theorie der seelischen Krankheiten
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Wie in der Medizin die Gesundheit des Körpers als der naturgemäße Zustand angesehen wird, demgegenüber die Krankheit als Anomalität erscheint, so verhält es sich auch mit der Seele. Der Zustand der seelischen Gesundheit entspricht in den Augen der Stoiker, wie wir gesehen haben 1 , dem Besitz der Tugend, der αρετή, die gegenüber der körperlichen Gesundheit noch den Vorteil hat, daß sie unverlierbar ist 2 . Der Zustand der Krankheit der Seele hingegen ist die sittliche Schlechtigkeit, die κακία, die, wie ich in meinem Überblick über die Entwicklung der stoischen Philosophie dargelegt habe, Unterschiede dem Grade nach aufweisen kann 3 , je nachdem es sich um leichtere und schwerere Erkrankungen handelt, im extremen Falle aber, nämlich wenn sie zur Diathesis geworden ist, ebenso unverlierbar ist wie die Tugend selbst 4 . Für das Verständnis des stoischen Terminus κακία und sinnverwandter Ausdrücke erinnere ich an seine Doppelsinnigkeit 5 , da er, solange er zur Bezeichnung eines seelischen Krankheitszustandes im Bereich der Hexis gebraucht wird, die verschiedensten Schweregrade der Erkrankungen umfassen kann, bei denen jeweils eine Heilung möglich ist. Wird er aber zur Bezeichnung einer Diathesis verwendet 6 , so meint er die κακία par excellence, das Gegenbild der Tugend schlechthin oder ihre einzelnen Aspekte, in jedem Falle aber den unheilbaren Zustand sittlicher Schlechtigkeit 7 . Im lateinischen Sprachgebrauch wird die zur Diathesis gewordene seelische 1 Vgl. oben S. 100, 2. Absatz. 2 Vgl. u.a. Cie., Tusc. IV,31 (=SVF, 111,426): Illud animorum corporumque dissimile, quod animi valentcs morbo temptari non possunt, corpora possunt. . . Vgl. Sen., Ер. 72,6: Corpori enim ad tempus bona valitudo est.. . : animus semel in totum sanatur. 3 Vgl. Stob., eel. II, 113,18W (=SVF, 111,529): . . . 'ίσων δξ οιτων τών αμαρτημάτων είναι τινας εν αύτοϊς διαφοράς, καθ' 'όσον τα μεν αυτών άπο σκληράς και δυσιάτου διαθέσεως -γίνεται, τα δ' οΰ. 4 Vgl. oben S. 103, Anm. 1. 5 Vgl. oben S. 78, Anm. 219. 6 Normalerweise wird wie folgt unterschieden: Stob., ecl. 11,70,21 W (=SVF, 111,104): . . . ομοίως δε καΐ τών περί ψυχή ν κακών τα μεν είναι διαθέσεις, τα δ' βξεις μεν, διαθέσεις δ' οΐί, τα δε ο\πε 'έξεις ούτε διαθέσεις • διαθέσεις μεν τάς κακίας πάσας, έ'ξεις δέ μόνον τας εύκαταφορίας. . . και 'έτι τα νοσήματα και άρρωστήματα. . . Ich verwies jedoch bereits oben S. 103, Anm. 1 darauf, daß zwischen Hexis und Diathesis nicht immer scharf unterschieden wird. Vgl. zusätzlich SVF, 111,529 (teilweise zitiert in Anm. 3, vollständig S. 154, Anm. 51) und Cie., Tusc. IV,29: Vitiositas autem est habitus aut adfectio (das ist nicht die Übersetzung von 'έξις 4 διάθεσις, wie О. Heine in seinem Kommentar zum 4. Tusculanenbuch meint, sondern habitus umfaßt hier sowohl Diathesis als auch Hexis und wird der adfectio = πάθος gegenübergestellt, die eine ορμή ist. Vgl. Tabelle übernächste Seite.) in tota vita inconstans et a se ipsa dissentiens. Ita fit, ut in altera corruptione opinionum (seil, der vitiositas als habitus) morbus efficiatur et aegrotatio, in altera (seil, der vitiositas als adfectio) inconstantia et repugnantia. Non enim omne Vitium pares habet dissensiones, ut eorum, qui non longe a sapientia absunt, adfectio est illa quidem discrepans sibi ipsa, dum est insipiens, sed non distorta nec prava. Vgl. a.a.O. 34. 7 Eine zusammenhängende Schilderung des Krankheitsverlaufs über die leichteren Formen hin bis zur chronischen Unheilbarkeit gibt Cicero, Tusc. IV,23 ff. (=SVF, 111,424): Quem ad modum, cum sanguis corruptus est aut pituita redundat aut bilis, in corpore morbi aegrotationesque nascuntur, sie pravarum opinionum conturbatio et ipsarum inter se repugnantia sanitate spoliat animum morbisque perturbat. Ex perturbationibus autem primum morbi conficiuntur, quae vocant illi νοσήματα, eaque, quae sunt eis morbis contraria, quae habent ad res certas vitiosam offensionem atque fastidium, deinde aegrotationes, quae appellantur a Stoicis άρρωστήματα, hisque item oppositae contrariae offensiones. . . . Intellegatur igitur perturbationem iactantibus se opinionibus inconstanter et turbide in motu esse semper; cum autem hie fervor concitatioque animi inveteraverit et tamquam in venis medullisque insederit, tum exsi-
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Veranlagung und Umwelt
Erkrankung oft durch den Zusatz inveterata gekennzeichnet 8 , also ζ. B. aegrotatio inveterata. Im allgemeinen sind jedoch die lateinischen Termini bei Cicero und Seneca für sich genommen wenig eindeutig und müssen unter genauer Beachtung des jeweiligen Zusammenhangs, nie mechanisch, immer wieder neu mit den griechischen Entsprechungen identifiziert werden. Um einen ungefähren Überblick zu ermöglichen, soll eine Tabelle der stoischen Einteilungen der Krankheitsgrade mit einigen ihrer lateinischen Übersetzungen folgen (S. 145). Dem nachstehenden Schema nebengeordnet sind drei Stufen der sittlichen Besserung bzw. drei Klassen von zu seelischer Gesundheit hin Fortschreitenden, deren Definitionen ebenfalls traditionelles Schulgut waren 9 : 1. qui plurimum profecerunt: extra morbos sunt, affectus adhuc sentiunt perfecta proximi, (vgl. Cie., Tusc. IV,29, letzter Satz des Zitates S. 143, Anm. 6) 2. qui et maxima animi mala et affectus deposuerunt, sed ita, ut non sit illis securitatis suae certa possessio: possunt enim in eadem relabi, 3. qui extra multa et magna vitia sunt, sed non extra omnia. 1 0 Die systematischste Darstellung der stoischen Lehre von den seelischen Krankheiten besitzen wir in der römischen Literatur in Ciceros viertem Buch der Tusculanae disputationes, obwohl auch er sich unter Weglassung aller Subtilitäten nur auf das Notwendigste beschränkt 1 1 . Immerhin übernimmt er aber noch Unterscheidungen, wie die zwischen morbus und aegrotatio, die nur im Gedanklichen existieren 1 2 , für die Praxis aber keine Rolle spielen, während Seneca keinen Gebrauch mehr davon macht. Soweit ich sehe, zieht letzterer die beiden Stufen des morbus und der aegrotatio in eine zusammen und verwendet in der Hauptsache den Terminus morbus, wie er überhaupt auf die ganze Krankheitstheorie nur in seltenen Erwähnungen anspielt, obwohl sie die Grundlage seines Denkens abgibt.
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stit et morbus et aegrotatio et offensiones eae, quae sunt eis morbis aegrotationibusque contrariae.- Haec, quae dico, cogitatione inter se differunt, re quidem copulata sunt, eaque oriuntur cx libidine et ex laetitia. Nam cum est concupita pecunia nec adhibita continuo ratio quasi quaedam Socratica medicina, quae sanaret eam cupiditatem, permanat in venas et inhaeret in visceribus illud malum, exsistitque morbus et aegrotatio, quae evelli inveterata non possunt. . . Vgl. Epict., Diatr. 11,18,8 ff.: Der gleiche Gedankengang am gleichen Beispiel (Geldgier) entwickelt. Jedoch muß jeweils genau beachtet werden, zu welchem Substantiv inveteratus hinzugesetzt wird: Eine perturbatio inveterata ergibt einen morbus, ein morbus inveteratus eine aegrotatio, eine aegrotatio inveterata schließlich bezeichnet die Diathesis. Von den morbi an beginnen sich die Fehler auf die Diathesis hin zu entwickeln: perpetua mala esse coeperunt (Sen., Ер. 75,11). Was aus der Wendung „quidam hoc proficientium genus, de quo locutus sum, ita complectuntur, u t . . . dicant. . . " (Sen., Ер. 75,10) zu erkennen ist. Zur Stellung des Fortschrittgedankens innerhalb der stoischen Lehre vgl. oben S. 71 ff. Vgl. Sen., Ер. 75,12ff. Vgl. Cie., Tusc. IV,23: Hoc loco nimium operae consumitur a Stoicis, maxime a Chrysippo, dum morbis corporum comparatur morborum animi similitudo: qua oratione praetermissa minimc necessaria ea, quae rem continent, pertractemus. 27: Atque ut ad valetudinis similitudinem veniamus eaque conlatione utamur aliquando, sed parcius, quam solent Stoici.. . Vgl. a.a.O. 33. Vgl. Cie., Tusc. IV,29: Sed in animo tantum modo cogitatione possumus morbum ab aegrotatione seiungere. 24: Haec, quae dico, cogitatione inter se differunt, re quidem copulata sunt. . .
Die Grade der seelischen Krankheiten
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Vorstufe εύεμπτωσία proelivitas
1. Stufe (heilbar)
2. Stufe (heilbar)
_g als individuelle Anlage. Vgl. Cie., Tusc. IV,27, zitiert * ς S. 154 Anm. 52 ; Sen., De benef. 4,27,Iff., zitiert S. 154 Anm. 52 Definition: vgl. SVF,III,421 = εΰεμπτωσΐαν δ' είναι εύκαταφορίαν εις πάθος, πάθος perturbatio (Cie.) , , affectus (Sen.) = о р т , motus апиш Definition: vgl. SVF, III, 391: πάθος εστίν άλογος φυχης κίνησις και παρά φύσιν ή όρμή πλεονάζουσα. SVF, 111,447: Illi enim quae Graeci appellant πάθη, nos perturbationes possumus dicere. Sen., Ep. 75,12: Affectus sunt motus animi improbabiles subiti et concitati, qui frequentes neglectique fecere morbum... vgl. CiceroZitat S. 143 Anm. 7 . νόσημα _ .... bei Cicero habitus (Vgl. Zitat S. 143 Anm.6), morbus (Cie. u. Sen.) ' bei Seneca durch ein entsprechendes Attribut zu Vitium, z.B. inveteratum Vitium, durum Vitium, ausgedrückt. Definition: vgl. SVF,111,421: ...νόσημα δ' eivai δόξαν επιθυμίας έρρυηκυίαν εις εξιν και ενεσκιρωμένην, καθ' ην ύποΧαμ&άνουοι τα μη αιρετά σφόδρα αλρετάεΐναι... Cie., Tusc. IV, 23: Ex perturbationibus autem primum morbi conficiuntur, quae vocant illi νοσήματα... cum autem hie fervor concitatioque animi (seil, perturbatio) inveteraverit et tamquam in venis medullisque insederit, tum exsistit et morbus et aegrotatio. Sen., Ep. 75,11: morbi sunt inveterata vitia et dura...nimio artius haec animum implicuerunt et perpetua mala esse coeperunt. Ut breviter finiam, morbus est iudicium in pravo pertinax, tamquam valde expetenda sint, quae leviter expetenda sunt...
3. Stufe = (heilbar) 7epoZ(Cic.) ^'habitUS(Gc) Definition: vgl. SVF,III,421: τά δε νοσήματα μετ άσθενείας συμβαίνοντα άρρωστήματα καλεϊσθαι. Cie., Tusc. IV, 23: Ex perturbationibus autem primum morbi conficiuntur..., deinde aegrotationes, quae appellantur a Stoicis άρρωστήματα. Bei Seneca findet sich keine Unterscheidung zwischen morbus u. aegrotatio. Er verwendet nur den Terminus morbus. 4. Stufe κακία, κακόν, άμάρτημα άπο σκληράς im Lateinischen habitus oder durch Zu(unheilbar) και δυσιάτου διαθέσεως γει>όμενον = διόΒεσις, sätze wie perpetuum, vitium, malum, perpetuum malum (Sen.) inveteratum, zu maaegrotatio inveterata (Cie.) lum oder Vitium ausgedrückt. Definition: vgl. SVF,III,529: Ισων δε 'όντων τών αμαρτημάτων είναι τινας έν αύτοϊς διαφοράς, καθ' οσον τά μεν αυτών άπό σκληρά; και δυσιάτου διαθέσεως γίνεται., τά δ' οϋ. Cie., Tusc. IV,23: morbus et aegrotatio, quae evelli inveterata non possunt. Sen., Ep. 94,24: Ne ipsa quidem universae philosophiae vis...duram iam et veterem animis extrahet pestem...
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Veranlagung und Umwelt
Wenn Seneca auch der stoischen Klassifizierung der Krankheiten keine große Bedeutung beigemessen hat, so hat er umso mehr Gewicht auf das für die Beurteilung der Aussichten der Seelenheilung grundlegende Dogma gelegt, daß es durch die eigene Schuld des Menschen geschieht, wenn er sich seelische Krankheiten zuzieht 1 3 bzw. wenn er in ihnen verweilt, und es liegt darin kein Widerspruch zu der auch von ihm anerkannten Tatsache, daß das zur Diathesis gewordene Laster nicht mehr heilbar i s t 1 4 . Die Lösung dieser vermeintlichen Diskrepanz 15 ist in der Richtung zu suchen, die Aristoteles in seiner Nikomachischen Ethik eingeschlagen hat, w o es h e i ß t 1 6 : „Wenn jemand, ohne sich im Zustand der Unwissenheit 17 zu befinden, so handelt, daß er ungerecht wird, dann ist er zweifellos aus freiem Willen ungerecht. Allerdings folgt daraus nicht, daß jemand es nur zu wünschen braucht und schon hört er auf, ungerecht zu sein und wird wieder gerecht. Denn auch ein Kranker könnte nicht auf diese Weise wieder gesund werden. Dabei ist er unter Umständen sogar freiwillig krank: weil er nämlich ein liederliches Leben führt und nicht auf die Ärzte hört. Ursprünglich hätte es ihm freigestanden, nicht krank zu sein, aber jetzt nicht mehr, nachdem er seine Gesundheit vertan hat, so wenig wie das Zurückholen eines Steines möglich ist, wenn man ihn fortgeschleudert hat. Und doch war es in dem Belieben des Menschen gewesen, ihn zu werfen und wegzuschleudern, denn das bewegende Prinzip befand sich ja in ihm. So hatte auch der Ungerechte und Zügellose am Anfang die Möglichkeit nicht so zu werden — insofern beruht ihr jetziger Zustand auf freier Entscheidung - , nachdem sie aber sb geworden sind, haben sie keine Möglichkeit mehr nicht so zu sein." Und zusammenfassend weiter unten 1 8 : „Übrigens sind die Handlungen und die festen Grundhaltungen nicht im selben Sinne freiwillig. Denn über unsere Handlungen sind wir Herr von Anfang bis zu Ende, da wir von den einzelnen Stadien ein Wissen haben. Bei den festen Grundhaltungen sind wir jedoch nur über den Anfang Herr, während der allmähliche Fortschritt in seinen Einzelstadien sich unmerklich vollzieht, wie z.B. beim Siechtum. Weil es aber in unserer Macht gestanden hat, den Anfang so oder anders zu nützen, deshalb sind die festen Grundhaltungen etwas Freiwilliges."
13 Vgl. Cie., Tusc. IV,31: sed corporum offensiones sine culpa accidere possunt, animorum non item, quorum omnes morbi et perturbationes ex aspernatione rationis eveniunt; itaque in hominibus solum exsistunt; nam bestiae simile quiddam faciunt, sed in perturbationes non incidunt (d.h., da sie vernunftlos sind). Cie., Tusc. IV,65: Mihi quidem in tota ratione ea, quae pertinet ad animi perturbationem, una res videtur causam continere, omnes eas esse in nostra potestate, omnes iudicio suseeptas, omnes voluntaries. 14 Vgl. die Seneca-Zitate S. 151. Ferner Sen., Ер. 94,30 f.: Ingenii vis praeeeptis alitur et crescit novasque persuasiones adicit innatis et depravata corrigit. . . Non enim extineta in illo indoles naturalis est, sed obscurata et oppressa. Sic quoque temptat resurgere et contra prava nititur, nacta vero praesidium et adiuta praeeeptis evalescit, si tarnen illam diutina pestis non infecit nec eneeuit: hanc enim ne discipline quidem philosophiae toto impetu suo conisa restituet. Ep. 112,3: . . . emareuit et induruit: non potest reeipere rationem.. . 15 Bonhöffer, Die Ethik des Stoikers Epictet, S.138, sagt: „Eine wirkliche, theoretisch befriedigende Lösung dieser Antinomie ist nicht denkbar". 16 E N 111,5,1114 A 13 ff., zitiert in der Übers, von Dirlmeier. 17 Der unverschuldeten Unwissenheit hat Aristoteles jedoch sehr enge Grenzen gesetzt, vgl. EN 111,5,1113 В 30 f f . 18 E N 111,5,1114 В 30 ff., ebenfalls in der Übersetzung von Dirlmeier zitiert.
Die Anlage zur Tugend
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Es ist klar, daß eine solche Auffassung von der sittlichen Schlechtigkeit als etwas schuldhaft Erworbenem die Meinung voraussetzt, daß jeder Mensch von der Natur mit der Fähigkeit ausgestattet worden ist, die Tugend zu verwirklichen. Aber die Anlage zur Tugend entfaltet sich im Menschen nicht von selbst, wie sich etwa die Fähigkeit des Sehens und Hörens von selbst und mit Naturnotwendigkeit entwickelt. Aristoteles erklärt diesen Unterschied wie folgt 1 9 : „Somit ist es auch klar, daß keiner der Charaktervorzüge uns von Natur eingeboren ist, denn kein Naturding läßt sich in seiner Art umgewöhnen. Es ist in der Natur des Steines, zu fallen. Keine Gewöhnung wird ihn zum Steigen bringen, selbst wenn man ihn daran gewöhnen wollte, indem man ihn unzählige Male in die Höhe wirft. Und das Feuer läßt sich nicht nach unten zwingen und keinem Ding, das von Natur in bestimmter Richtung festgelegt ist, kann man ein anderes Verhalten angewöhnen. Also entstehen die sittlichen Vorzüge in uns weder mit Naturzwang noch gegen die Natur, sondern es ist unsere Natur, fähig zu sein, sie aufzunehmen—Wir haben ja nicht durch wiederholte Akte des Sehens oder Hörens die Fähigkeit der Wahrnehmung bekommen, sondern umgekehrt: die Fähigkeit war da und dann haben wir sie benützt — nicht etwa infolge der Benutzung erst erhalten. Die sittlichen Werte dagegen gewinnen wir erst, indem wir uns tätig bemühen." An derselben Unterscheidung, nämlich daß uns die Tugend nicht φύσει, d.h. auf Grund biologischer Gesetzmäßigkeit, verliehen ist, sondern daß es unserer Natur gemäß, κατά φύσιν, ist, sie in uns zu entwickeln, halten auch die Stoiker fest2 0 , wie es überhaupt bemerkenswert ist, wieviel altakademisches und aristotelisches Gedankengut in der Stoa in systematisierter Form fortlebt 2 1 . Es ist daher in ihrer philosophischen Theorie durchaus gut fundiert und enthält entgegen der Ansicht Bonhöffers2 2 keine Widersprüche in sich, wenn die Stoa einerseits behauptet, daß allen Menschen
19 EN 11,1,1103 A 19 ff., in der Übersetzung von Dirlmeier. 20 Nicht φύσει: Z.B. Sen., Ер. 90,44ff.: Non enim dat natura virtutem: ars est bonum fieri. . . virtus non contingit animo nisi instituto et edocto et ad summum adsidua exercitatione perducto. Ad hoc quidem, sed sine hoc nascimur et in optimis quoque, antequam erudias, virtutis materia, non virtus est. Sen., Ер. 49,11: dociles natura nos edidit et rationem dedit imperfectam, sed quae perfici posset. SVF, 111,224: oilre yap φύσει τήν άρετήν γεννώμεθα έχοντες oilre γενομένοις ώσπερ αλλα τ φα τών του σώματος μερών φυσικώς ύστερον έπιγίγνεταΐ' έπει ονδ' αν ην ев' έκούσιον ούδε έπαινετόν. SVF, 111,225: ου yap φύσει, μαϋήσει 6έ oi καλοί KÜyadoi ylvovrai, καθά-пер ιατροί και κυβερνηταί. aber κατά φύσιν: SVF, 1,566 (Kleanthes): πάντας yap ανθρώπους άφορμας εχειν έκ φύσεως προς άρετήν. . . Diog.L. VII,87 (Zeno): ayei ykp προς ταύτην (seil. άρετήν) [ημάς] ή φύσις. Stob., Eel. 11,9,8 и. 31,126 W (Musonius): . . . σπέρμα Αρετής εκάστη ημών ένεϊναι . . . . . . . όρεξις και οΐκείωσις φύσει προς άρετήν. . . Sen., Ер. 108,8: Omnibus . . . natura fundamenta dedit semenque virtutum. Ep. 31,9: natura te instruxit (seil, ad summum bonum capessendum). dedit tibi ilia, quae si non deserueris par deo surges. Ep. 90,1: . . . nisi ipsam philosophiam di tribuissent: cuius scientiam nulli dederunt, facultatem omnibus. 21 Antiochos'von Askalon hat nicht so unrecht, dessen Meinung Cicero u.a. De fin. V,22 wiedergibt: . . . Stoici, qui cum a Peripateticis et Academicis omnia transtulissent nominibus aliis easdem res secuti sunt. Vielfach genügt es jedenfalls, die stoischen Lehren bis zu ihren Ansätzen in der alten Akademie und im Peripatos zurückzuverfolgen, um die Lösung mancher Schwierigkeiten vor sich zu sehen. 22 Bonhöffer, Die Ethik des Stoikers Epictet, S.130.
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Veranlagung und Umwelt
von Natur die Fähigkeit gegeben ist, die Tugend zu verwirklichen, jedoch andererseits darauf hinweist, daß es im allgemeinen nur nach angestrengtester Beschäftigung mit der Philosophie möglich ist, zu einem tugendhaften Leben zu gelangen2 3 . Gemäß den geschilderten Anschauungen geht Seneca, getreu der Lehre der Stoa, von der Voraussetzung aus, daß in allen Menschen von Natur die Keime zur Tugend angelegt sind, die sich entfalten, wenn man ihnen eine gründliche Pflege angedeihen läßt 2 4 . Diese Keime oder Funken 2 s sind nichts anderes als die noch unentwickelte ratio selbst2 6 , die von den Stoikern als Teil des göttlichen Pneumas gedacht wird. Auf diese Weise kann man auch davon sprechen, daß ein Gott im Menschen wohnt - Seneca tut dies sehr gern - und daß es daher durch göttliche Hilfe geschieht, wenn man zur Tugend gelangt2 7 . Aber das Entscheidende bleibt immer das eigene Bemühen des Menschen, vom Gotte verliehen ist nur die Anlage zum Guten. Auf keinen Fall ist daher in einen Satz wie „bonus vero vir sine deo nemo est" so etwas wie christliche göttliche Gnade hineinzudeuten. Da der menschliche Geist ein Teil der göttlichen Vernunft ist, kann er nur die Anlage zum Guten in sich tragen, so wie auch dem menschlichen Embryo von der Natur die Anlage zu einer gesunden körperlichen Entwicklung mitgegeben wurde. So wie aber der Körper erkranken kann, so kann es auch die Seele und sich zum Bösen hinwenden, und zwar vornehmlich unter dem verderblichen Einfluß der Umwelt, der Eltern, Erzieher und Verwandten, die die noch unentwickelte Vernunft im Kinde nicht zur Entfaltung kommen lassen. Cicero beschreibt diesen Vorgang der διαστροφή folgendermaßen: „Wenn uns die Natur so geschaffen hätte, daß wir sie (d.h. die Natur in ihrer göttlichen Gesetzlichkeit) unmittelbar anschauen und erkennen und mit ihr als bester Führerin den Lauf des Lebens vollenden könnten, dann gäbe es freilich wohl keinen Grund, daß jemand systematische Lehre suchte. So aber gab sie uns nur 23 Vgl. die Zitate unter Anm. 20. 24 Z.B.: Sen., Ер. 108,8: facile est auditorem concitare ad cupidinem recti, omnibus enim natura fundamenta dedit semenque virtutum. omnes ad omnia ista nati sumus: cum inritator accessio tunc ilia animi bona veluti sopita excitantur. Ep. 94,29: omnium honestarum rerum semina animi gerunt, quae admonitione excitantur, non aliter quam scintilla flatu levi adiuta ignem suum explicat erigitur virtus, cum tacta est et inpulsa. VgL Epiktet, Diatr. 11,11,3; Vgl. die Zitate Anm. 20. 25 Von „Samen" der Tugend kann in Anlehnung an die stoischen σπερματικοί \6yoi als Teilen des Weltlogos gesprochen werden, von „Funken" unter Bezugnahme auf das Bild von der Weltvernunft als Feuer (vgl.SVF, 1,134), von dem die menschliche Vernunft gleichsam ein Funke ist (vgl. Cie., Tusc. 111,2, anschließend in Übersetzung zitiert). 26 Sen., Ep. 92,27: ratio vero dis hominibusque communis est: haec in illis consummata est, in nobis consummabilis. Vgl u.a. Ep. 49,11. 27 Z.B.: Sen., Ep. 73,15: non sunt dii fastidiosi, non invidi: admittunt et ascendentibus manum porrigunt. miraris hominem ad deos ire? deus ad homines venit, immo quod est propius, in homines venit: nulla sine deo mens bona est. semina in corporibus humanis divina dispersa sunt, quae si bonus cultor excipit, similia origini prodeunt et paria iis, ex quibus orta sunt, surgunt: si malus, non aliter quam humus sterilis ac palustris necat ac deinde creat purgamenta pro frugibus. Sen., Ep. 41,2: prope est a te deus, tecum est, intus est. ita d i c o . . . : sacer intra nos spiritus sedet, malorum bonorumque nostrorum observator et custos. hie prout a nobis tractatus est, ita nos ipse tractat. bonus vero vir sine deo nemo est: an potest aliquis supra fortunam nisi ab illo adiutus exsurgere? ibid. 5: Quemadmodum radii solis contingunt quidem terram, sed ibi sunt, unde mittuntur: sic animus magnus ac sacer et in hoc demissus, ut propius quaedam divina nossemus, conversatur quidem nobiscum, sed haeret origini suae: illinc pendet, illuc spectat ac nititur, nostris tamquam melior interest
Die schädlichen Umweltsemflüsse
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kleine Fünkchen, die wir, schnell durch schlechte Sitten und Vorstellungen verdorben, so gründlich ersticken, daß nirgends das Licht der Natur zutage tritt. Es sind nämlich unserer Anlage Samen zur Tugend eingeboren. Wenn diese reifen dürften, würde die Natur uns selbst zum glücklichen Leben fuhren. Jetzt aber leben wir, sobald wir das Licht der Welt erblickt haben und vom Vater anerkannt worden sind, in jeder nur möglichen Schlechtigkeit und in der schlimmsten Verkehrung der Vorstellungen, derart, daß wir fast zugleich mit der Milch der Amme den Irrtum eingesogen haben, wie es scheint. Wenn wir aber den Eltern zurückgegeben, darauf den Lehrern anvertraut sind, werden wir so von mannigfaltigen Irrtümern erfüllt, daß die Wahrheit der Nichtigkeit und dem verhärteten Vorurteil die Natur selbst weicht. Hinzu kommen noch die Dichter, die, wenn sie sich mit dem Anschein großer Gelehrsamkeit und Weisheit umgeben, gehört, gelesen und gelernt werden und tief in den Geistern Wurzel fassen; wenn vollends dazu noch als eine Art größter Lehrmeister das Volk kommt und von allen Seiten jede in Hinsicht auf Verkehrtheit einige Masse, werden wir völlig von falschen Meinungen vergiftet und fallen völlig von der Natur ab, derart, daß uns die am besten den Willen der Natur erkannt zu haben scheinen, nach deren Urteil nichts besser für den Menschen, nichts erstrebenswerter, nichts hervorragender ist als Ämter, Kommandos, Ansehen beim Volke." 2 8 Für uns mag die Vorstellung etwas verwunderlich erscheinen, daß ausgerechnet der Einfluß der Eltern und nächsten Verwandten für das Kind so verderblich sein soll, ist das doch der Personenkreis, der naturgemäß am meisten auf eine angemessene Förderung des Kindes bedacht ist. Welcher Art in dieser Hinsicht die Bedenken der Stoa sind, darüber machen u.a. Seneca und Calcidius2 9 detailliertere Angaben: Den Eltern und den übrigen Erziehern wird vor allem zur Last gelegt, daß sie dem Kind falsche Wertbegriffe einpflanzen. Alles Unangenehme wie Kälte, Hunger, Schmerz wird ihm ferngehalten, so daß das Kind zu der Auffassung kommen muß, diese Dinge seien Übel, während sie doch nach stoischer Lehre zu den indifferentia gehören, und das Gegenteil, alles Angenehme und Lustbringende, sei erstrebenswert. Ferner lernt das Kind von den Eltern die Hochschätzung von Gold und Silber, das Streben nach Reichtum, weshalb es diese Dinge für Güter halten muß - e i n e im Sinne der Stoa ebenfalls unrichtige Werteinschätzung. Diese schädlichen Umwelteinflüsse 30 sind so stark, daß es praktisch bei keinem einzelnen ausbleiben kann, daß er eine Erkrankung der Seele erleidet, noch bevor die Vernunft zu ihrer vollen Ausbildung gedeihen konnte. „Niemand gelangt in den
28 Cie.. Tusc. 111,2 ff., zitiert in der leicht abgeänderten Übersetzung von Karl Büchner. Vgl. Cie., De leg. 1,17,47 (=SVF, III,229b): Sed perturbat nos opinionum varietas hominumque dissensio: et quia non idem contingit in sensibus, hos natura certos putamus: ilia quae aliis sic, aliis secus, nee iisdem sempei uno modo videntur, ficta esse dueimus. Quod est longe aliter. Nam sensus nostros non parens, non nutrix, non magister, non poeta, non scaena depravat, non multitudinis consensus abducit a vero: animis omnes tenduntur insidiae, vel ab iis quos modo enumeravi, qui teneros et rüdes cum aeeeperunt, inficiunt et flectunt, ut volunt, vel ab ea, quae penitus in omni sensu implicata insidet, imitatrix boni, voluptas, malorum autem mater omnium. Vgl. Sen., Ер. 115,11 (zitiert auf S. 158, Anm. 4), sowie SVF, 111,228-236. 29 Vgl. die Zitate auf S. 158, Anm. 4. 30 Vgl. des weiteren Sen., Ер. 94,54; Epiktet, Diatr. 111,16,1-4; 111,16,9-10; 111,12,12.
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Veranlagung und Umwelt
Besitz der gesunden Vernunft", sagt Seneca 3 1 , „bevor er nicht in den Besitz der verkehrten gelangt ist. Wir sind alle vorbelastet: Die Tugend erlernen heißt das Laster verlernen." Auch der Weise hat ein solches Krankheitsstadium durchgemacht, das nicht spurlos vorübergeht, sondern „Narben" in der Seele zurückläßt3 2 , und an diesen Bedingungen wird sich auch nach Meinung Senecas für alle Zukunft nichts ändern 3 3 . Trotzdem braucht der Mensch nicht zu verzweifeln, denn da die Laster auf Erkrankungen der Seele und nicht etwa auf böse, unveränderbare Uraniagen zurückgeführt werden, sind sie im allgemeinen auch zu heilen, in allen den Fällen nämlich, wo sie noch nicht zur Diathesis geworden sind. Und gerade was diesen extremen Fall der Diathesis betrifft, so ist es nach Auffassung Senecas viel schwerer, dorthin zu gelangen als beispielsweise zur entgegengesetzten Diathesis, zur Tugend, und zwar deswegen, weil die Tugend der Natur des Menschen gemäß ist, während das Laster eine Selbstentfremdung des Menschen darstellt. „Contraria enim male in alieno haerent et ideo depelli et exturbari possunt; fideliter sedent, quae in locum suum veniunt. Virtus secundum naturam est, vitia inimica et infesta sunt." 34 Im Gegensatz zu seinen sehr sparsamen Äußerungen über die stoische Theorie der seelischen Krankheiten hat Seneca sehr oft zu den Aussichten der Seelenheilung Stellung genommen, und dieses Mißverhältnis ist ihm bei den modernen Interpreten sei-
31 Sen., Ер. 50,7. Vgl. ferner: Ep. 75,16: praeoccupati sumus; ad virtutem contendimus inter vitia districti. Sen., De clem. 1,6,3: Peccavimus omnes, alii gravia, alii leviora, alii ex destinato, alii forte inpulsi aut aliena nequitia ablati; alii in bonis consiliis parum fortiter stetimus et innocentiam inviti ac retinentes perdidimus; nec deliquimus tantum, sed usque ad extremum aevi delinquemus. Etiam si quis tarn bene iam purgavit animum, ut nihil obturbare eum amplius possit ac fallere, ad innocentiam tarnen peccando pervenit Sen'., De ira 11,10,3: Нас condicione nati sumus, animalia obnoxia non paucioribus animi quam corporis morbis, non quidem obtusa nec tarda, sed acumine nostro male utentia, alter alten vitiorum exempla: quisquis sequitur priores male iter ingressos, quidni habeat excusationem cum publica via erraverit? Vgl. Ep. 7,7. 32 Sen., De ira 1,16,7: Nam, ut dicit Zenon, in sapientis quoque animo, etiam cum vulnus sanatum est, cicatrix manet. Sentiet itaque suspiciones quasdam et umbras affectuum, ipsis quidem carebit. Vgl. Epiktet, Diatr. 11,18,10-11. 33 Beide in der Literatur häufigen Standpunkte, nämlich daß die eigene Zeit einen sittlichen Tiefpunkt bilde und daß die Sittenverderbnis zu allen Zeiten gleich stark gewesen sei, sind bei Seneca vertreten. Vgl. De tranqu.an. 7,3 und De benef. 1,10,Iff. 34 Sen., Ep. 50,8. Ich konnte beim besten Willen keine Anzeichen dafür entdecken, daß Seneca unter dem Einfluß des Poseidonios, wie Rubin (Die Ethik Senecas in ihrem Verhältnis zur Älteren und Mittleren Stoa, S.39) annimmt, oder sei es aus welchen Gründen auch immer, in einem späteren Stadium seiner Entwicklung vom Dogma der allgemeinen sittlichen Veranlagung des Menschen abgegangen sei und von prädestinierten bösen Eigenschaften gesprochen habe, die mit dem ganzen Wesen des Menschen so verwachsen seien, „daß die besten erzieherischen Mittel keine umgestaltende Wirkung zu erzielen vermögen". Wahrscheinlich liegt hier eine Verwechslung Rubins mit den διαθέσεις vor. Die von Rubin angeführten Stellen: Ep. 11,1; Ep. 50,7; Quaestnat. 111,29,3 können jedenfalls keinen Beweis in seinem Sinne erbringen: In Ep. 11 handelt es sich um die motus non voluntarii (zu diesen vgl. S. 132f.u.S. 183), denen Seneca die Beeinflußbarkeit durch die Philosophie stets abspricht (demselben Irrtum ist auch Sipple verfallen: Der Staatsmann und Dichter Seneca als politischer Erzieher, S.17), Ep. 50,7, soeben zitiert, bezieht sich auf die Phase der seelischen Erkrankung, die jeder Mensch auf Grund der Umwelteinflüsse durchmachen muß unbeschadet seiner potentiellen Veranlagung zur Sittlichkeit; die Stelle aus den Quaest.nat. bezieht sich nur auf die körperliche oder ganz allgemein menschliche Entwicklung.
Heilbare und unheilbare Fälle
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ner Werke oft zum Verhängnis geworden. Es ist ohne weiteres zuzugeben, daß der Versuch, Seneca nur aus sich selbst heraus zu erklären, d.h. ohne ihn vor dem Hintergrund der gesamten Lehre der Stoa zu sehen, stellenweise großen Schwierigkeiten begegnen muß. Zwar hat die oft geäußerte Meinung Senecas keinen Anstoß erregen können, daß seelische Krankheiten um so leichter zu heilen seien, je eher sie erkannt und behandelt würden3 5 , aber folgende Aussagen Senecas, die, losgelöst aus ihrem Zusammenhang, in der Tat unvereinbar erscheinen, haben zu den verschiedensten Spekulationen Anlaß gegeben. So heißt es einerseits bei Seneca: „Aber auch bei verhärteten Krankheitsfällen gebe ich die Hoffnung nicht auf. Es gibt nichts, was hartnäckige Bemühung und angestrengte und sorgfältige Pflege nicht überwinden könnte" 3 6 , an anderer Stelle dagegen: „Selbst nicht die Macht der ganzen Philosophie, wenn sie auch alle ihre Kräfte dazu aufriefe, wird eine schon verhärtete und veraltete Krankheit aus der Seele entfernen." 3 7 Angesichts solcher Äußerungen hat man entweder von einem „Hin- und Herschwanken Senecas zwischen einem ethischen Optimismus und Pessimismus"3 8 gesprochen oder gar von einer fortschreitenden Entwicklung Senecas zum Pessimismus hin. Der letzteren Annahme widerspricht jedoch die Tatsache, daß sich gerade in den Episteln, also einem Alterswerk Senecas, derartige „pessimistische" Äußerungen noch seltener finden als in seinen übrigen Werken. Wenn man auf die Grundhaltung Senecas in den Episteln sieht, so muß man im Gegenteil feststellen, daß ihn eine ruhige Zuversicht hinsichtlich seiner und des Luciüus Besserung erfüllt, so daß man viel eher von Optimismus zu sprechen Veranlassung hätte. Aberauch von einem „Hin- und Herschwanken" Senecas zwischen Optimismus und Pessimismus hinsichtlich der Aussichten der Seelenheilung kann m.E. keine Rede sein. Scheinbare Widersprüche wie die eben geschilderten lassen sich durch genauere Interpretation und Berücksichtigung des Zusammenhanges erklären. Betrachten wir z.B. die erste der zitierten Stellen3 9 , so ergibt sich aus dem Kontext, daß Seneca hier vom Standpunkt desjenigen aus spricht, der bereits an seiner Selbstvervollkommnung arbeitet. Es entspricht Senecas tiefster Überzeugung wie der der Stoa, daß durch hartnäckige eigene Bemühung jedes Laster getilgt werden kann, aber Bedingung dafür ist eben die Bemühung, die Selbsterkenntnis und Willen zur Besserung beim Patienten voraussetzt4 0 , die im Falle einer zur Diathesis gewordenen seelischen Erkrankung nicht mehr vorhanden und nicht mehr zu wecken wären. Das Kriterium der Diathesis
35 Vgl. u.a. Sen., Ер. 50,5: laborandum est, et ut verum dicam, ne labor quidem magnus est, si modo, ut dixi, ante animum nostrum formare incipimus et recorrigere, quam indurescat pravitas eius. 36 Sen., Ер. 50,6. Vgl. De ira, 11,12,3: . . . Atqui nihil est tarn difficile et arduum quod non humana mens vincat et in familiaritatem perducat assidua meditatio, nullique sunt tarn feri et sui iuris affectus ut non disciplina perdomentur. 13,1: sanabilibus aegrotamus malis ipsaque nos in rectum genitos natura, si emendari velimus, iuvat. 37 Sen., Ер. 94,24. Vgl. Ер. 94,31: Non enim extincta in illo indoles naturalis est, sed obscurata et oppressa. Sic quoque temptat resurgere et contra prava nititur, nacta vero praesidium et adiuta praeceptis evalescit, si tarnen illam diutina pestis non infecit nec enecuit: hanc enim ne disciplina quidem philosophiae toto impetu suo conisa restituet. 38 Vgl. Rubin, Die Ethik Senecas in ihrem Verhältnis zur Älteren und Mittleren Stoa, S. 41. 39 Sen., Ер. 50,6. 40 Vgl. weiter unten das Kapitel „Die Funktion der Selbsterkenntnis und des Willens".
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Veranlagung und Umwelt
ist ja gerade das Fehlen jeglichen Besserungswillens. Da in dem ersten Zitat nun von einer pravitas indurata in Verbindung mit hartnäckigem Bemühen zu ihrer Beseitigung die Rede ist, kann es sich hier nur um eine seelische Erkrankung im Bereich der Hexis handeln. Ähnlich verhält es sich mit der in Anmerkung zitierten Stelle aus De i r a 4 1 . Dort tritt Seneca einem fiktiven Gegner gegenüber, der die Ansicht des Peripatos geltend macht, daß die menschliche Natur es nicht zulasse, jeglichen Affekt mit Stumpf und Stiel auszurotten, wie es die Stoa fordert. Seneca erwidert im Hinblick auf alle Affekte, daß diese sehr wohl heilbare seelische Krankheiten seien und daß die Entschuldigung mit der menschlichen Natur nicht gelte. Es handelt sich also um eine grundsätzliche Diskussion darüber, ob Affekte heilbar seien, und Seneca hat vom Standpunkt der Stoa durchaus recht, dies zu bejahen, wie man ja in einer medizinischen Erörterung über die Lungentuberkulose z.B. grundsätzlich ihre Heilbarkeit vertreten würde, ungeachtet dessen, daß diese Krankheit in vielen Fällen immer noch zum Tode führt. Dagegen faßt die zweite der in Übersetzung zitierten Stellen 4 2 ganz klar den Zustand der Diathesis ins Auge.Es handelt sich hier um die Bekämpfung der These des Ariston, der im Gegensatz zur Stoa den präzeptiven Teil der Philosophie als wertlos ansah. „Was können bloße Ermahnungen bei schweren seelischen Erkrankungen schon ausrichten!" so argumentiert der fiktive Gegner, der die Position des Ariston vertritt. Der von Seneca vorgetragene Einwand lautet sehr geschickt, daß selbst die Macht der gesamten Philosophie, mithin auch die Kraft des von Ariston allein zur Seelenheilung in Anspruch genommenen dogmatischen Teils, zur Heilung gewisser Fälle nicht ausreiche, ebenso wie die Medizin gegen tödliche Krankheiten nichts vermöge. Weiter unten 4 3 wird derselbe Gedankengang noch einmal positiv gewendet: Die Ermahnungen tragen dazu bei, eine in Laster verstrickte Seele von diesen zu befreien. „Denn die natürliche Anlage ist nicht verlöscht, sondern nur verdunkelt und unterdrückt; auch so versucht sie sich wieder zu erheben und kämpft gegen das Verkehrte an, hat sie aber Schutz gefunden und wird sie durch Vorschriften unterstützt, so erstarkt sie; jedoch nur, wenn sie von keiner lange bestehenden Seuche durchtränkt und erstickt ist, denn dann wird sie selbst der Unterricht der Philosophie, auch wenn er seine ganze Kraft einsetzt, nicht wiederherstellen." Die Schwierigkeit der Interpretation dieser Stellen liegt offensichtlich in dem schon oben 4 4 festgestellten Mangel an einer festen Terminologie Senecas zur Bezeichnung der einzelnen seelischen Krankheitsgrade. Das jeweils konkret Gemeinte kann nur aus dem Zusammenhang erschlossen werden, und auch das nur dann, wenn man die stoische Theorie der seelischen Krankheiten zugrunde legt. Diese aber und mit ihr die stoischerseits angenommene Existenz eines unheilbaren Stadiums des Lasters, ist vielen Seneca-Interpreten dadurch unbekannt geblieben, daß es in den Werken Senecas keine systematische Darstellung dieser Theorie gibt. Es wäre aber ungerecht, diesen Mangel Seneca zur Last legen zu wollen, denn in seiner Praxis als
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Vgl. Zitats. 151, Anm. 36. Sen., Ер. 94,24, zitiert S. 151. A.a.O. § 31. Vgl. meine Ausführungen S. 143 f.
Allgemeine Gattungsnatur und individuelle Veranlagung
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Seelenleiter befaßte er sich nur mit den eindeutig besserungsfähigen Fällen 4 5 , denen gegenüber die Erörterung des Lasters als Diathesis keinen unmittelbaren Wert haben konnte und die daher nur bei der Wiedergabe stoischer Schulerörterungen mehr zufällig gestreift wurde. Was Senecas Äußerungen über die Aussichten der Seelenleitung und Seelenheilung betrifft, so kenne ich innerhalb der Lehrschriften und der Episteln nur eine Stelle, wo mir eine wirkliche Abweichung Senecas sowohl von der Linie der Stoa als auch von seinen übrigen Aussagen vorzuliegen scheint: das 16. Kapitel in Senecas Schrift „Vom glücklichen Leben". Dort räumt er ein, daß man, selbst wenn man schon sehr weit auf dem Wege der sittlichen Besserung fortgeschritten ist, zur Bewältigung des letzten Stückes, zur vollen Verwirklichung der Tugend, doch einer gewissen Gunst des Schicksals bedarf 46 . In Anbetracht des Gewichtes, das Seneca sonst gerade auf den Nachweis legt, daß das Schicksal keinen Einfluß auf die sittliche Haltung des Menschen habe 4 7 , möchte ich die obige Äußerung der Gesamttendenz der Schrift zugute halten, die eine Verteidigung gegen Angriffe seiner Gegner darstellt, die ihm, dem damals noch einflußreichen und über große private Reichtümer verfügenden Staatsmann vorwerfen, er lebe nicht in Einklang mit den stoischen Lehren, die er vertrete. Die allgemeine potentielle Veranlagung des Menschen zur Sittlichkeit und die schädlichen Einflüsse der Umwelt sind also in der Auffassung der Stoa und Senecas die beiden einander entgegenstehenden Komponenten, die einen bestimmenden Einfluß auf die Aussichten der Seelenleitung und -heilung haben. Hinzu kommt — aber nur ganz am Rande erwähnt — die individuelle Veranlagung des Menschen als fördernder oder hindernder Faktor, ohne daß sich Seneca darüber ausspricht, wie die Beziehungen zwischen allgemein-menschlicher4 8 Gattungsnatur und individueller Veranlagung gedacht werden. Jedoch weist alles darauf hin, daß er den Boden der allgemein-stoischen Anschauungen auch hier nicht verlassen hat. Wie bereits oben 4 9 erwähnt, hatte die Stoa in ihrem Gebot, der Natur zu folgen, den Begriff der Natur in doppelter Weise erklärt: Einmal in allumfassender Weise als kosmisch-göttliche, einmal als individuelle Natur, wobei man der letzteren folgen soll, aber nur soweit, wie dies in Übereinstimmung mit der ersteren möglich ist. Seneca empfiehlt daher u. a. in De tranquillitate animi wie Panaitios ausdrücklich, seinen Lebensweg, die berufliche Laufbahn etc., den eigenen Veranlagungen gemäß einzurichten und seiner Natur nichts abzuverlangen, was diese nicht zu leisten imstande sei: So dürfe man z.B. nicht Redner werden wollen, wenn man keine entsprechenden Talente aufzuweisen habe. Wenn die Natur widerstrebe, sei die Mühe umsonst5 0 . 45 Dies ist die stoische Praxis im Gegensatz zur kynischen. Vgl. hierzu meine Ausführungen weiter unten S. 171 f. 46 Sen., De vit.beata 16,3: Sed ei qui ad virtutem tendit, etiam si multum processit, opus est aliqua fortunae indulgentia adhuc inter humana luctanti, dum nodum illum exsolvit et omne vinculum mortale. 47 Vgl. u.a. Sen., Ер. 3 6 , 6 : in mores fortuna ius non habet, und vor allem die Schrift De const, sapientis. 4 8 Vgl. S. 33, Anm. 135, wo ich darauf hinwies, daß der Gegenbegriff zur rationalen universa natura, die sua natura, die beiden Aspekte der Gattungsnatur und der individuellen enthält. 4 9 Vgl. S. 32 f. 50 Man vergleiche Cie., De off. 1,110: „Admodum autem tenenda sunt sua cuique, non vitiosa, sed tarnen propria, quo facilius decorum illud, quod quaerimus, retineatur. Sic enim est
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Veranlagung und Umwelt
Auch das stoische Dogma, daß alle Weisen, wie auch die Toren, untereinander gleich seien, ist nicht so zu verstehen, als ob sie individueller Unterschiede entbehrten. Auch unter den Weisen wird der eine über größere Redetalente verfügen, der andere über größeren Scharfsinn, obwohl sie alle in gleicher Weise über die Gesamtheit der Tugenden verfugen. Ebenso verhält es sich natürlich bei den T o r e n 5 1 . Seneca unterscheidet daher scharf beispielsweise zwischen der Undankbarkeit als Laster, die jedem Toren automatisch zugeschrieben werden muß, eben weil er dumm ist und gegebenenfalls mit rein äußerlich dankbarem Verhalten nicht die richtige innere Einstellung verbindet, die dieses Verhalten erst zu einem tugendhaften machen würde, und der Undankbarkeit als angeborenem Charaktermerkmal: „Laß Dich gemäß stoischer Begriffsbestimmung über die zwei [Arten v o n ] Undankbaren belehren. Der eine ist undankbar, weil er ein Tor ist; ein Tor ist auch schlecht; weil er schlecht ist, ist er von keinem einzigen Laster frei: also ist er auch undankbar. So nennen wir alle Schlechten unbeherrscht, geizig, ausschweifend, bösartig, nicht weil jeder einzelne diese Fehler in schwerer und offenkundiger Form besitzt, sondern weil er sie besitzen könnte; und er besitzt sie, selbst wenn sie verborgen bleiben. Der andere, der von aller Welt so genannt wird, ist undankbar, indem er von Natur zu diesem Fehler neigt." 5 2
faciendum, ut contra universam naturam nihil contendamus, ea tarnen conservata propriam nostram sequamur, ut etiamsi sint alia graviora atque meliora, tarnen nos studia nostra nostrae naturae regida metiamur; neque enim attinet naturae repugnare nec quicquam sequi, quod assequi non queas." mit Sen., De tranqu.an. 6,4: „Considerandum est utrum natura tua agendis rebus an otioso studio contemplationique aptior sit, et eo incünandum quo te vis ingenii f e r e t . . . Male enim respondent coacta ingenia: reluctante natura, irritus labor est. 51 Vgl. SVF, 111,529 (=Stob., ecl. 11,113,18W): πάντων те των αμαρτημάτων ϊσων και των κατορθωμάτων, και τούς άφρονας έπίσης πάντας άφρονας ewai, την αυτήν καΐ ϊσην 'έχοντας &1авеош. ίσων Se όντων των αμαρτημάτων elvai τινας έν αύτοϊς διαφοράς, καθ' όσον τα μέν αύτών άπό α κλήρας και δυσιάτου διαθέσεως yiverat, та δ'об · και των σπουδαίων δε ιϊλλους άλλων προτρεπτικωτερους yiyveoOai και πειοτικωτέρους, 'έτι δε και άγχινουστέρους, κατά τα μέσα τα έμπεριλαμβανόμενα των έπιτάσεων συμβαινουσών. 52 Sen., De benef. IV,26,2-3. Vgl. a.a.O. 27,Iff.: Timidus dicitur aliquis, quia stultus est: et hoc malos sequitur, quos indiscreta et universa vitia circumstant; dicitur timidus proprie natura etiam ad inanes sonos pavidus. Stultus omnia vitia habet, sed non in omnia natura pronus est: alius in avaritiam, alius in luxuriam, alius in petulantiam inclinatur. Itaque errant illi, qui interrogant Stoicos: „Quid ergo? Achilles timidus est? quid ergo? Aristides, cui iustitia nomen dedit, iniustus est? . . . " Non hoc dicimus sic omnia vitia esse in omnibus, quomodo in quibusdam singula eminent, sed malum ас stultum nullo vitio vacare; ne audacem quidem timoris absolvimus, ne prodigum quidem avaritia überamus. Quomodo homo omnes sensus habet, nec ideo tarnen omnes homines aciem habent Lynceo similem, sic, qui stultus est, non tarn acria et concitata habet omnia, quam quidem quaedam. Omnia in omnibus vitia sunt, sed non omnia in singulis extant: hunc natura ad avaritiam inpellit; hie vino, hic libidini deditus est aut, si nondum deditus, ita formatus, ut in hoc illum mores sui ferant. Itaque, ut ad propositum revertar, nemo non ingratus est, qui malus: habet enim omnia nequitiae semina; tarnen proprie ingratus adpellatur, qui ad hoc Vitium vergit. Vgl. Cie., Tusc. IV,27 f.: . . .ut sunt alii ad alios morbos proeliviores... sic alii ad metum, alii ad aliam perturbationem: ex quo in aliis anxietas, unde anxii, in aliis iracundia dicitur... Atque haec aliorum ad alios morbos proeüvitas late patet; nam pertinet ad omnes perturbationes...
Allgemeine Gattungsnatur und individuelle Veranlagung
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Desgleichen gibt Seneca im zweiten Buch der Abhandlung über den Zorn die in ihren Grundzügen bereits aus einer Schrift des hippokratischen Corpus über die Umwelt bekannte Lehre über die Entstehung der Temperamente wieder 5 3 . Danach bedingt das Mischungsverhältnis der vier Elemente: Feuer, Wasser, Luft und Erde sowohl die örtlichen Verschiedenheiten als auch die der tierischen und menschlichen Körper und der Charaktere. Durch das Überwiegen des feurigen Elementes z.B. und die dadurch hervorgerufene Wärmeansammlung im Körper, entstehen die zum Jähzorn neigenden Charaktere etc.. Da die Ursachen einer solchen Veranlagung als durch den Körper bestimmt gedacht werden, kann eine Beeinflussung ebenfalls nur über den Körper geschehen durch Maßnahmen, die die überflüssige Hitze entziehen sollen. Da körperliche Anlagen nur durch Übung und Gewöhnung auszubilden oder zu hemmen sind, die möglichst frühzeitig beginnen müssen, wird hier auch von der wichtigen Rolle der Kindererziehung s 4 gesprochen, die Seneca sonst kaum erwähnt. Aus dem Zusammenhang könnte man entnehmen, daß an eine Auswirkungsmöglichkeit der naturgegebenen individuellen Temperaments-Veranlagung über den Bereich der Voraffekte hinaus nicht gedacht wird, daß also die Aussichten der Seelenleitung durch sie keine wesentliche Beeinträchtigung erfahren, aber klar ausgedrückt findet sich das nirgends. Und noch anderwärts ist ausdrücklich von individuellen Veranlagungen die Rede. In einem Brief an Lucilius s 5 berichtet Seneca z.B. von Epikur, daß dieser drei große Gruppen von Veranlagungen unterschieden habe. In der einen Gruppe befänden sich solche, die sich selbst ihren Weg zur Wahrheit bahnten, ohne irgendeiner von außen kommenden Hilfe zu bedürfen. Andere wiederum gingen nicht von selbst vorwärts, wenn keiner voranginge. Sei aber ein Führer vorhanden, so folgten sie willig nach. Die dritte Gruppe endlich bestände aus Menschen, die nicht nur eines Führers bedürften, sondern eines Helfers; sozusagen eines Antreibers. Wenn auch jeder aus diesen drei Gruppen schließlich zu eben demselben Ziel gelange, so fährt Seneca fort, so sei doch der mehr zu loben, der dasselbe erreiche, obwohl er mit seiner schwierigen Materie zu kämpfen habe. Er halte den zwar für glücklicher, der mit sich selbst keine Arbeit habe, aber den für verdienter, der die Mißgunst seiner Natur besiegt und sich zur Weisheit nicht nur hingeführt, sondern emporgezogen habe. „Diese harte und schwierige Veranlagung ist, wie du weißt, uns zuteil geworden" schreibt Seneca dem Lucilius, „unser Weg führt über Hindernisse." Daß die individuelle Naturanlage die Ziele der Seelenleitung begünstigt oder hemmt 5 6 , ist auch an dieser Stelle klar ausgesprochen, ohne aber auf die möglichen Konsequenzen einzugehen, die sich doch eigentlich ergeben: nämlich, daß es möglicherweise auch eine so schlechte Veranlagung geben könnte, daß damit jede Aussicht auf einen Erfolg in der Seelenleitung zunichte gemacht 53 Sen., De ira 11,19,1: Opportunissima ad iracundiam fervidi animi natura est. Nam cum elementa sint quattuor, ignis, aquae, aeris, terrae, potestates pares his sunt, fervida, frigida, arida atque umida: et locorum itaque et animalium et corporum et morum varietates mixtura elementorum facit, et proinde aliquo magis incubunt ingenia prout alicuius elementi maior vis abundat. 54 Sen., a.a.O. 21,1 ff.: Plurimum, inquam, proderit pueros statim salubriter institui. . . 55 Sen., Ер. 52,3ff.: vgl. Ep. 94,50ff. u. Ep. 95,36. 56 Vgl. Cie., Tusc. IV,32: Inter acutos autem et inter hebetes interest, quod ingeniosi, ut aes Corinthium in aeruginem, sie illi in morbum et incidunt tardius et recreantur ocius, hebetes non item. Nec vero in omnem morbum ac perturbationem animus ingeniosi cadit; non enim in ulla eeferata et inmania; quaedam autem humanitatis quoque habent primam speciem, ut misericordia, aegritudo, metus. Denselben Metallvergleich setzt Sen., Ep. 95,36 voraus.
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Veranlagung und Umwelt
würde. Eine derartige Folgerung tritt j e d o c h bei S e n e c a nirgends in Erscheinung. Bis auf die eine e r w ä h n t e Ä u ß e r u n g in d e m Traktat D e vita beata bleibt bei S e n e c a stets die s t o i s c h e A n s i c h t gewahrt, daß es für j e d e n M e n s c h e n i m Bereich der Selbstbestimm u n g liege, seine Natur z u v e r v o l l k o m m n e n , ja, er b e s t i m m t die R o l l e d e s p h i l o s o p h i s c h e n Unterrichts dahin, daß er die individuelle B e s c h a f f e n h e i t z u e r w e i t e r n u n d zu ergänzen, völlig n e u e geistige Ü b e r z e u g u n g e n z u den a n g e b o r e n e n h i n z u z u s c h a f f e n in der Lage ist 5 7 . Der M e n s c h gleicht, w i e die S t o i k e r sagen, v o n Natur z u n ä c h s t d e n Halbversen der Tragödie, d.h. er ist h a l b v o l l e n d e t . Wie diese aber j e d e r z e i t v o l l e n d e t w e r d e n k ö n n e n , in e i n e m Falle m i t leichter Mühe, i m anderen unter schwierigeren Bedingungen — so dürfen wir das Bild vielleicht ergänzen — s o k a n n a u c h der M e n s c h durch seine B e m ü h u n g in j e d e m Falle den Z u s t a n d der V o l l k o m m e n h e i t erreichen, m ö g e n a u c h seine individuellen A n l a g e n d e n Weg d o r t h i n leichter o d e r schwieriger gestalten 5 8 . Teils in das G e b i e t der allgemeinen, teils in das der individuellen M e n s c h e n n a t u r fällt die Frage n a c h der sittlichen Veranlagung der Frau. D i e S t o a h a t t e prinzipiell der Frau ein gleiches sittliches V e r m ö g e n z u g e s t a n d e n w i e d e m M a n n e 5 , u n d Seneca b e k e n n t sich ausdrücklich zu dieser A u f f a s s u n g in seiner Trostschrift an Marcia 6 0 u n d b e k u n d e t sie ferner durch sein i m Gegensatz zur V ä t e r s i t t e s t e h e n d e s Eintreten für eine p h i l o s o p h i s c h e A u s b i l d u n g der F r a u 6 1 . Andererseits ist es S e n e c a d o c h n i c h t 57 Sen., Ер. 94,30: Aut si praecepta nihil adiuvant, omnis institutio tollenda est, ipsa natura contenti esse debemus. Hoc qui dicunt, non vident alium esse ingenii mobffis et erecti, alium tardi et hebetis, utique alium alio ingeniosiorem. Ingenii vis praeceptis alitur et crescit novasque persuasiones adicit innatis et depravata corrigit. 58 Vgl. SVF, 111,225 (= Clemens Alex., Strom. I p.336 Pott): ού γαρ φύσει, μαθήσει δε ο£ καλοί κάγαθοί -γίνονται, кавалер ιατροί και κυβερνηται • paulo post: то δ' άλλους παρ' άλλους εν πεφυκέναι προς apeτην επιτηδεύματα μέν τινα τών ούτω πεφυκότων παρά τους έτέρους ενδείκνυται • τελειότητα δε κατ' άρετήν ούδ' ήντινούν των αμεινον φύντων κατη-γορεϊ, οπότε και οι κακώς πεφυκότες προς άρετην της προσηκούσης παιδείας τυχόντες ώς έπίπαν καλοκαγαθίας ηνυσανκαί αύ τα εναντία οΐ έπιτηδείως φύντες αμβλεία γεγόυασι κακοί. .. Vgl. vor allem auch Marc Aurel, V,5 (in der Übersetzung von W. Theiler): „Geistesschärfe können sie an dir nicht bewundern. Mag sein; aber vieles andere, bei dem du nicht sagen kannst: ich bin eben nicht dazu begabt. Jenes also weise vor, was ganz in deiner Gewalt steht: Lauterkeit, Ernsthaftigkeit, Ertragen von Schmerz, Verachten der Lust, Zufriedenheit mit dem Schicksal, Bedürfnislosigkeit, Freundlichkeit, Freiheit, Einfachheit, Meiden von Geschwätz, großen Sinn. Bemerkst du nicht, wieviel du schon vorweisen kannst, bei dem kein Vorwand der Unbegabtheit oder des Ungeschickes möglich ist, und trotzdem bleibst du noch aus freier Wahl unten? Oder bist du auch zu murren, knickerig zu sein, zu schmeicheln, den Körper anzuklagen, gefallsüchtig zu sein, zu prahlen und in der Seele vom einen zum andern hinzutreiben aus mangelnder Anlage gezwungen? Nein bei den Göttern! Sondern du konntest schon lange davon befreit sein und höchstens möglicherweise als recht langsam und schwer von Begriff verachtet werden. Aber du mußt auch daran arbeiten, ohne unaufmerksam zu sein und ohne dich bei der Trägheit wohl zu fühlen." 59 Vgl. SVF, 111,254 (=Clem.Alex„ Stromat. IV,8); SVF, 111,253 (=Lactant., Inst. div. 111,25). 60 Sen., a.a.O. 16,1: Quis autem dixerit naturam maligne cum mulierum ingeniis egisse et virtutes illarum in artum retraxisse? Par Ulis, mihi crede, vigor, par ad honesta, dum libeat, facultas est; dolorem h b o r e m q u e ex aequo, si consuevere, patiuntur. 61 Sen., Cons.ad Helv. 17,3f.: Itaque illo te duco quo omnibus qui fortunam fugiunt confugiendum est, ad liberalia studia: illa sanabunt vulnus t u u m , . . . His etiam si numquam assuesses, nunc utendum erat; sed, quantum tibi patris mei antiquus rigor permisit, omnes bonas artes non quidem comprehendisti, attigisti tarnen. Utinam quidem virorum optimus pater meus, minus maiorum consuetudini deditus, voluisset te praeceptis sapientiae erudiri potius quam imbui!
Die sittliche Veranlagung der Frau
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gelungen, sich aus den Banden des traditionellen Denkens6 2 ganz zu befreien, in dem sich besonders in Rom der Begriff der virtus6 3 untrennbar mit dem Manne verknüpfte. In vielen sprachlichen Wendungen und in kennzeichnenden Gedankenverbindungen64 bricht sich diese tief eingewurzelte Überzeugung von einer Minderwertigkeit des weiblichen Geschlechts Bahn, und er schreckt an einer Stelle auch nicht davor zurück, die Frau als ein vernunftloses Lebewesen zu bezeichnen6 5 . Ja, wenn man die Häufigkeit seiner negativen Urteile6 6 über die Frau in Betracht zieht, muß man sogar zu der Auffassung kommen, daß seine wahre Überzeugung sich im Gegensatz zu der stoischen Lehre befindet. So kann es nicht verwundern, daß Seneca in den beiden Frauen, bei denen er den Versuch einer Seelsorge für aussichtsreich hält und ihnen daher je eine Trostschrift widmet - es handelt sich um Marcia, die Tochter des Cremutius Cordus, und seine Mutter Helvia - eigentlich nicht typische Repräsentantinnen ihres Geschlechts erblickt, sondern weit über das Niveau ihrer Gattung hinausgehende Exemplare, die gegenüber der Allgemeinheit der Frauen eine Ausnahme darstellen6 7 . „Du kannst", so redet Seneca seine Mutter an, „nicht den Namen 'Frau' vorschützen, von dem dich deine Tugenden getrennt haben." Der Besitz von Tugenden erscheint hier also als mit dem Namen der Frau schlechterdings nicht vereinbar. Um die Ergebnisse dieses Abschnittes kurz zusammenzufassen: Es sind drei Faktoren zur Sprache gekommen, die einen mehr oder minder bestimmenden Einfluß auf die Aussichten der Seelenleitung haben. Der wichtigste Faktor ist die allgemeine Veranlagung des Menschen zur Tugend. Dieser Grundveranlagung gegenüber wird der individuellen Beschaffenheit nur eine beschränkte Bedeutung zuerkannt: Sie kann die Entwicklung der Tugendanlage fördern oder hemmen, aber sie kann sie nicht aufheben. Entgegen stoischer Ansicht läßt Seneca die Tendenz erkennen, der Geschlechts-
62 Vgl. die Einstellung des Cato Censorius gegenüber den Frauen, wie sie in seiner Rede zur Lex Oppia (Livius, XXXIV,2) zum Ausdruck kommt. Weitere literarische Parallelen bei Ch. Favez, Les opinions de Seneque sur la femme, S. 340f. 63 Vgl. S. 88, Anm. 60. 64 Vgl. z.B.: Sen., De tranqu.an. 16,2... si muliebriter et ignave perierunt. . . 17,4: . . . ultra muliebrem mollitiam... 65 Sen., De const.sap. 14,1: Tanta quosdam dementia tenet, ut sibi contumeliam fieri putent posse a muliere. Quid refert quam adeant, quot lecticarios habentem, quam oneratas aures quam laxam sellam? Aeque imprudens animal est et, nisi scientia accessit ac multa eruditio, ferum, cupiditatum incontinens. 66 Stellenverzeichnis bei Ch. Favez, Les opinions de Seneque sur la femme. Im übrigen vermag ich nicht zu erkennen, was Favez mit folgender Unterscheidung meint: „C'est done en la considerant comme une imprudens, et non pas seulement parce qu'elle appartient au sexe feminin, qu'il se montre aussi severe ä son egard. . . . S'il est parfois plus dur pour celleci que pour les imprudentes en general, c'est probablement parce que chez eile la predominance de l'element affectif sur l'element intellectuel est plus forte que chez l'homme. Mais c'est lä une difference de degre, non de nature." (S. 342 f.) Die Tatsache bleibt doch bestehen, daß es gerade die Eigenschaften des weiblichen Geschlechtes sind, die verurteilt werden, also doch „une difference de nature" in den Augen Senecas vorliegt. 67 Sen., Cons, ad Helv., 16,1: Non est quod utaris excusatione muliebris nominis, cui paene concessum est immoderatum in lacrimas ius . . . 2: Non potest muliebris excusatio contingere ei a qua omnia muliebria vitia afuerunt. 5: non potes itaque ad obtinendum dolorem muliebre nomen praetendere, ex quo te virtutes tuae seduxerunt.. . Vgl. Cons, ad Marc. 1,1: Nisi te, Marcia, scirem tarn longe ab infirmitate muliebris animi quam a ceteris vitiis recessisse . . . non auderem obviam ire dolori tuo . . .
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Die Bedeutung des Alters
Zugehörigkeit eine wesentliche Rolle zuzumessen. Der individuellen Anlage gegenüber wird dem Umwelteinfluß ein viel größeres Gewicht zugebilligt: Er verdirbt zunächst jeden Menschen im Kindesalter, d. h. in einem Alter, wo die Vernunft noch nicht voll ausgebildet ist, und wenn der Mensch später nicht rechtzeitig eigene Anstrengungen unternimmt, um diesen zerstörenden Einflüssen zum Trotz seiner Tugendanlage zum Durchbruch zu verhelfen, werden die umweltbedingten schlechten Gewohnheiten und falschen Urteile zum Habitus (in der Bedeutung von δίαθεσις) und damit nicht mehr korrigierbar.
Die Bedeutung des Alters fur die Aussichten der Seelenleitung
Die Bedeutung, die das Lebensalter in der Auffassung der Stoa und Senecas für die Aussichten der Seelenleitung hat, ist schon im vorangegangenen Teil der Arbeit mehrfach berührt worden, so daß ich mich z.T. mit Verweisen auf die entsprechenden Stellen begnügen kann 1 . Durch die stoische Lehre, daß die menschliche Vernunft erst mit dem Eintritt in die Pubertät zu ihrer vollen Entwicklung gelangen kann und erst dann allmählich zur Aufnahme der Tugend befähigt wird , kommen seelsorgerische Bemühungen im eigentlichen Sinne für die ersten vierzehn Lebensjahre nicht in Betracht und für die adulescentia, also die anschließende Zeit bis zu etwa 30 Jahren, mit Einschränkungen, d. h. ohne rechte Aussicht auf Erfolg. Chrysipp richtet sein Augenmerk in der Kindererziehung der ersten Jahre — mit der Seneca sich nicht befaßt hat — daher weniger auf das Kind selbst als vielmehr auf seine Umwelt 3 . Denn nach stoischer Ansicht ist es ja diese Umwelt, die in der Person der Amme und der Eltern durch übertriebene Liebe und Pflege dem Kinde falsche Begriffe über Lust und Schmerz einpflanzt 4 , noch ehe seine Vernunft ihm zu Hilfe kommen und sich dagegen zur Wehr setzen kann. Nach Ablauf der ersten Hebdomade, mit sieben Jahren, wenn die Vernunft sich anfängt zu entwickeln und
1 Vgl. S. 102, Anm. 21 und S. 120 unten f. 2 Vgl. Diog. L., VII, 55: . . . IJTKJ (seil, ή διάνοια) άπό δεκατεσσάρων έτών теХеюНтаг. Vgl. Sen., Ер. 118, 14: Infans fuit; factus est pubes; alia eius piopiietas fit: ille enim inrationalis est, hie rationalis . . . Vgl. Zitat S. 102, Anm. 21. Vgl. Sen., Ер. 124,10. 3 Vgl. Quintilian, Inst, or., I, 1,4: Ante omnia ne sit vitiosus sermo nutrieibus, quas si fieri posset sapientes Chiysippus optavit, certe quantum res pateretur optimas eligi voluit. (Vgl. SVF, III, 7 3 2 - 7 4 2 ) . 4 Vgl. Sen., Ер. 115,11: Admirationem nobis parentes auri argentique fecerunt, et teneris infusa cupiditas altius sedit crevitque nobiscum. deinde totus populus in alia discors in hoc convenit, hoc suspiciunt, hoc suis Optant. Vgl. SVF, 111,229 (= Calcidius in Timaeum 165): Quippe mox natis exque materno viscere decidentibus provenit ortus cum aliquo dolore, propterea quod ex calida atque umida sede ad frigus et siccitatem aeris circumlüsi migrent. Adversum quem dolorem frigusque puerorum opposita est, medicinae loco, artificiosa obstetricum provisio, ut aqua calida confoveantur recens nati adhibeanturque vices et similitudo materni gremii ex calefactione atque fotu, quo laxatum corpus tenerum delectatur et quiescit. Ergo ex utroque sensu, tarn doloris quam delectationis, opinio quaedam naturalis exoritur, omne suave ас delectabile bonum, contraque quod dolorem adferat malum esse atque vitandum.
Die Bedeutung des Alters
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das Sprachvermögen voll ausgebildet ist 5 , muß der-Intellekt gefördert werden. Die Kinder sollen dann auf die eyκύκλω. μαθήματα orbereitet und in ihnen unterrichtet werden, worin Seneca mit Chrysipp übereinstimmt 6 , aber nur in propädeutischem Sinne, nicht als Selbstzweck, das heißt also, daß die liberalia studia nur in diesem Übergangsstadium betrieben werden dürfen, in dem die ratio zwar einen Stoff braucht, um sich an ihm zu entwickeln, zur Aufnahme der Tugend und des entsprechenden philosophischen Lehrstoffes aber noch nicht befähigt ist. Es ist in diesem Alter auch noch nicht möglich, eine direkte Bekämpfung der Affekte vorzunehmen, die nach stoischer Lehre auf dem Wege über die Vernunft geschehen muß, sondern eine Beeinflussung ist wieder nur mittelbar, durch günstige Umwelteinflüsse, ζ. B. Lehrer und Erzieher von ruhiger, ausgeglichener Gemütsart, möglich 7 . Den späteren philosophischen Lehren ist auch insofern der Boden zu bereiten, als man die starke Gedächtniskraft der Kinder zum Lernen moralischer Sentenzen ausnützen soll 8 . Nach der Pubertät ändert sich zwar das Bild insofern, als nunmehr mit den philosophischen Studien begonnen werden kann und muß, da die Vernunft in ihrer Potenz voll zur Verfügung steht; auch ist die starke Begeisterungsfähigkeit des Jünglings ein Positivum 9 , das man insofern für die Zwecke der Seelenleitung nutzen kann, als man in seinem eindrucksfähigen Geist die Liebe und das
5 Es hat große Diskussionen (z.B. Bonhöffer, Epictet und die Stoa, S. 205ff.) über den scheinbaren Gegensatz folgender stoischer Äußerungen gegeben: SVF, 11,83 (= Aetius, Plac. IV,11): ö δέ λόγος, καθ'ov πpoσayoρeυόμεθa λογικοί έκ τών προλήψεων συμπληρούσθαι key erat κατά την πρώτην εβδομάδα und Diog. L. VII, 55: ζώου μέν ίστι φωνή άι\ρ ύπό ορμής neirXriyμένος, άνθρωπου δ' εστίν 'έναρθρος και into διανοίας εκπεμπόμενη, ώς ό Аюуешж φτηοίν, ήτις άπό δεκατεσσάρων έτών τελειούται. Wie F. Boll, Die Lebensalter, S. 26, Anm. 3, meine ich, daß sich dieser Widerspruch löst, wenn man die doppelte Bedeutung von λογος = Sprache und Vernunft, in Erwägung zieht. Vgl. Macrobius, S. Scip. I, 6, 70: anno (septimo) absolvitur integritas l o q u e n d i . . . 6 Sen., Ер. 88,1: Tamdiu enim istis (seil, liberalibus studiis) immorandum est, quamdiu nihil animus agere maius potest: rudimenta sunt nostra, non opera. Vgl. S. 120 ff. Für Chrysipp vgl. SVF, III, 738 (= Diog. L., VII, 129). Sen. Ер. 88, 20: Quare ergo liberalibus studiis füios erudimus? Non quia virtutem dare possunt, sed quia animum ad aeeipiendam virtutem praeparant. 7 Vgl. SVF, III, 229a (= Galen, De Hipp. et. Plat, deer., V 5): και πρώτον ye . . . πραχειρισώμεθα το περί τής των παίδων διοικήσεως, ούτε yap ύπό λόγου τάς ορμάς αυτών 'επιτροπεΰεσθαι δυνατόν είπεϊν (ού yap λυπείται και ηδεται καχ γελά και κλαίει και τοιαύθ' έτερα πάθη πάσχει μυρία - πολύ γάρ δη και πλείω και σφοδρότερα τά πάθη τοις παιδίοις έστίν ή τοις τελείαις. Sen., De ira II, 21, 9: Pertinebit ad rem praeeeptores paedagogosque pueris placidos darf: proximis applicatur omne quod tenerum est et in eorum similitudinem crescit; nutricum et paedagogorum rettulere mox in adulescentiam mores. 8 Sen., Ер. 33,7: Ideo pueris et sententias ediscendas damus et has quas Graeci chrias vocant, quia conplecti illas puerilis animus potest, qui plus adhuc non capit. 9 Vgl. Sen., Ep. 108, 12; 23.
εχουσ
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Die Bedeutung des Alters
Streben zum Guten und Edlen zu entzünden und ihm die entsprechenden Lehren zu vermitteln vermag. Zu einer Verwirklichung des Guten, der Tugend, kann es jedoch auch in diesem Alter kaum kommen 1 0 . Die Hauptrolle in der Seelenleitung fällt also der Erwachsenenerziehung zu, in der im Hinblick auf die Erfolgsaussichten die vorgerückteren Altersstufen eine Vorzugsstellung einnehmen. Gern kommt Seneca auf die Vorteile zu sprechen, die ihm das Greisenalter gewährt: Nur die körperlichen Kräfte, die Förderer der Laster, schwinden; der Geist aber ist kräftig und freut sich, nicht mehr viel mit dem Körper gemein zu haben 1 1 . An die Stelle der Genußsucht trete Bedürfnislosigkeit, und es sei süß, sagt Seneca, der Begierden überdrüssig zu werden und sie hinter sich zu lassen 12 . Er spricht von seiner tranquillitas, der ruhigen Heiterkeit seiner Seele und dem maßvollen Verhalten, der modestia morum, und deutet an 1 3 , daß er diese nicht nur seinen Fortschritten in der Weisheit, sondern auch seinem Alter verdanke. Wie der Höhepunkt jeder Lust gegen ihr Ende hin gelagert sei, so sei auch in einem Menschenleben am erfreulichsten das Greisenalter . So erscheint in den Schilderungen Senecas diese letzte Altersstufe als die im Hinblick auf die Aussichten der Seelenleitung optimale, da der körperliche Verfall der freien Betätigung des Geistes entgegenkomme und alles wegfalle, was den Menschen sonst von der Verfolgung seines eigentlichen Zieles ablenke. Das Alter ist also kein Abstieg, sondern ein Höhepunkt. Diese Schlußfolgerung mutet zunächst überraschend an, wenn man die vielen extrem negativen Bewertungen des Greisenalters in der antiken Literatur in Betracht zieht 1 5 , die in Senecas Sicht eine völlige Umwertung erfahren zu haben scheinen. Aber ganz so verhält es sich nicht, und dies wird klarer, wenn man die andere Hälfte der Argumentation berücksichtigt, die zur Behandlung dieses Topos gehört, die bei Seneca zwar nicht in Anwendung kommt, aber u.a. in Ciceros Abhandlung über das Greisenalter, im Cato Maior, zu finden ist. Zunächst nämlich muß man sich von dem Eindruck befreien, als seien die sehr eindrucksvollen Schilderungen, die Seneca von seinem Alter gibt, nichts anderes als der Ausdruck seiner persönlichen Erfahrungen und Empfindungen, als die sie dem naiven Leser erscheinen müssen. Auch hier, für dieses Gebiet anscheinend persönlichster Erlebnisse, läßt die Kenntnis der einschlägigen antiken Literatur das feste Fundament der Topoi sichtbar werden 16 . Aus Cicero erfahren wir nun, daß nicht 10 11 12 13
Vgl. S. 102, Anm. 21;. . . bonum . . . adulescentia inprobe speret. . . Vgl. Sen., Ер. 26, 2. Vgl. Sen., Ер. 12, 5 f. Vgl. Sen., Ер. 26,3; Ер. 68,14: Non est tarnen quod existimes ullam aetatem aptiorem esse ad bo nam mentem quam quae se multis experimentis, longa ас frequenti rerum paenitentia domuit, quae ad salutaria mitigatis affectibus venit. Hoc est huius boni tempus: quisquis senex ad sapientiam pervenit, annis pervenit. 14 Vgl. Sen., Ep. 12,5. 15 Vgl. u.a. die Schilderung der Altersstufen in der Rhetorik des Aristoteles (II, 12-14); Soph., Oed. auf Kolonos 1210 ff. 16 Cicero, der in seiner Einleitung züm Cato Maior auf Aristo Cius als einen Vorgänger in der Bearbeitung dieses Themas hinweist, erwähnt 5, 15 das Dispositionsschema: . . . quattuor reperio causas, cur senectus misera videatur, unam, quod avocet a rebus gerendis, alteram, quod corpus faciat inflrmius, tertiam, quod privet fere omnibus voluptatibus, quartam, quod haud procul absit a morte. Earum, si placet, causarum quanta quamque sit
Die Bedeutung des Alters
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das Greisenalter an sich der Garant für die tranquillitas animi ist, daß es nicht für sich genommen die angenehmste Lebenszeit ist, sondern nur unter der Bedingung, daß man sich das ganze vorherige Leben lang in intensivem Studium um den Erwerb der Tugend bemüht h a t 1 7 . War man als Jüngling und Mann ein Taugenichts und hat man sich nicht um seine sittliche Besserung bemüht, dann allerdings bringt das Alter die Qualen mit sich, die ihm nach allgemeiner Einschätzung zugeschrieben w e r d e n 1 8 . Ein glückliches Alter hat nur der Weise oder der sehr weit Fortgeschrittene: nulla consolatio permulcere posset stultam s e n e c t u t e m 1 9 . Dieser Teil der Argumentation mußte in den Schilderungen Senecas über sein Alter natürlich wegfallen, da es sich in seinem Falle von selbst verstand, daß er sich seit seiner Jünglingszeit ununterbrochen mit dem Studium der Philosophie beschäftigt hatte. Es wäre eine interessante Frage, ob diese in der Hauptsache auf philosophischer Tradition beruhende Abgrenzung und Wertung der Altersstufen sich bereits im Bewußtsein Senecas mit der nach astrologischen Gesichtspunkten vorgenommenen verband, oder ob diese Verbindung, die in der Renaissance deutlich in Erscheinung tritt, einer späteren Epoche vorbehalten blieb 2 0 .
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iusta una quaeque, videamus. Unter Punkt zwei und drei dieser Erörterung finden sich alle die positiven Argumente Senecas für die Vorteile des Alters, die in den Ansätzen bereits im Anfang der platonischen Politeia (Ausführungen des Kephalos über das Alter: I, 329A ff.) stehen. Cie., Cato Maior 5, 13: Est etiam quiete et pure atque eleganter actae aetatis placida ac lenis senectus. . . ibid. 3,9: Aptissima omnino s u n t . . . arma senectutis artes exercitationesque virtutum, quae in omni aetate cultae, cum diu multumque vixeris, mirificos eeferunt f r u e t u s . . . ibid. 18, 62: Sed in omni oratione mementote earn me senectutem laudare, quae fundamentis adulescentiae constituta sit. . . Non cani nec rugae repente auetoritatem arripere possunt, sed honeste acta superior aetas fruetus capit auetoritatis extremos. Cie., Cato Maior 2,4: Quibus enim nihil est in ipsis opis ad bene beateque vivendum, eis omnis aetas gravis est; qui autem omnia bona a se ipsi petunt, iis nihil malum potest videri, quod naturae necessitas adferat. Quo in genere est in primis senectus;... nulla consolatio permulcere posset stultam senectutem. ibid. 5, 14: Sua enim vitia insipientes et suam culpam in senectutem conferunt;. . . Vgl. Anm. 20. Ich möchte hier nur am Rande bemerken, daß nicht nur in der Sicht des Philosophen das Alter eine bevorzugte Stelle einzunehmen in der Lage war, sondern auch in einer von astrologischen Gesichtspunkten ausgehenden Einteilung der Lebensalter, die die 7 Altersstufen unter die Herrschaft der 7 Planeten in ihrer für die Astrologie festen Reihe nach ihrer Entfernung von der Erde brachte. (Vgl. F. Boll, Die Lebensalter, S. 30 ff.) Ich gebe hier Bolls freie Wiedergabe eines Abschnittes von Ptolemaios Tetrabiblos im Wortlaut wieder: „Die vier ersten Jahre von der Geburt an wird das Kind von Selene beherrscht. Der Mond wandelt sich rasch und hat einen kurzen Umlauf im Tierkreise; er nimmt die feuchten Dünste von der Erde auf. Also ist der Säugling ebenfalls raschem Wandel unterworfen, wächst sehr schnell, bedarf feuchter Nahrung, wie das feuchte Element in ihm selbst dominiert, hat einen Körper von geringer Festigkeit, seine Glieder sind noch nicht durchgebildet, seine seelischen Kräfte unfertig - alles wie es den unbeständigen und schwachen Wirkungskräften des Mondes entspricht. Das zweite Lebensalter, vom 5. bis zum 14. Jahr, beherrscht der Planet Merkur. Er beginnt in dem Knaben gleichsam das geistige und seelische Knochengerüst zu bauen und auszubilden, Samenkörner und Grundlagen der Wissenschaft einzusenken; er weckt durch Unterricht und Erziehung den jungen Geist und bringt zuerst die individuelle Verschiedenheit der Anlagen und Bestrebungen ans Licht.
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Die Funktion der Selbsterkenntnis
Die Funktion
der Selbsterkenntnis
und des
Willens
Hatte es sich bisher um Faktoren gehandelt, die ohne eigenes Zutun des Menschen die Aussichten einer Seelenleitung und -heilung bedingten oder beeinflußten, so sollen jetzt die selbständigen Beiträge behandelt werden, die der einzelne zu seiner Seelenheilung zu leisten hat und die in den Augen der Stoa und Senecas letztlich ausschlaggebend sind. Nach der Darstellung Senecas war es unter dem starken negativen Einfluß der Umwelt zunächst unausbleiblich, daß die menschliche Ratio erkranken mußte, und zwar meist in ihrem noch unentwickelten Zustand. Wie nun im Falle einer körperlichen Erkrankung zu ihrer Heilung dann erst etwas getan werden kann, wenn die Krankheit als solche erkannt worden ist, so ist auch bei seelischen Erkrankungen der erste Schritt zur Besserung die Erkenntnis der eigenen Fehler: „initium est salutis notitia peccati" lautet ein Ausspruch Epikurs, den Seneca zitiert 1 . „Denn wer nicht weiß, daß er fehlt, will nicht korrigiert werden", fährt Seneca an Lucilius gewendet fort, „es ist nötig, daß du dich zurechtweist, bevor du an deine Besserung gehen kannst." Deshalb gibt Seneca dem Lucilius den Rat,sich, soviel er könne, selbst an-
Das dritte Lebensalter, vom 15-22. Jahre, gehört dem Planeten Venus. Das stürmische Erwachen des sexuellen Lebens ist mit ihr verknüpft: die wahllose Verliebtheit, der tolle Trug der Leidenschaft, das Vorwärtsstürmen mit geschlossenen Augen. Die vierte Stufe, das erste Mannesalter, umfaßt 19 Jahre, vom 23-41.; es ist die Mitte und Sonnenhöhe der menschlichen Existenz und schon darum der Sonne, die den zentralen Platz unter den sieben Sphären einnimmt, zu eigen gegeben. Der Sonnengott - der König Helios - legt das Bedürfnis zu herrschen, die Selbständigkeit im Handeln in die Seele, den Wunsch nach Ruhm und sicher gegründeter Existenz; sie wendet sich von den spielenden und haltlosen Torheiten der Jugend zum Gesetzten, in sich Beharrenden 'der Mensch legt die Narrenschuoch von im', wie es gut deutsch ein Übersetzer des XV. Jahr, verständlich macht. Die zweite Hälfte des Mannesalters, vom 42.-56. Jahre, regiert der schlimme Planet Mars, der Unheilstifter. Er bringt den herben Ernst und den Kummer in das Leben, Sorgen und Qual fiir Leib und Seele; er gibt die erste schmerzliche Erkenntnis, daß die Blüte vorbei ist, und drängt so den Menschen dazu, mit harter Mühe, bevor das Ende nahe kommt, etwas Rechtes zu leisten. Noch einmal kommt ein Höhepunkt des Lebens: das erste Greisenalter. Da geht es weise, geht bedächtig. Ihm gebietet der Planet Jupiter, der Segensreiche, durch 12 Jahre, vom 57. - 68. Er bringt Abkehr vom Gewaltsamen, Mühseligen, von wilder Unruhe und gefahrvollen Bestrebungen: an ihre Stelle tritt der Sinn für Gemessenheit und Bedächtigkeit, die Neigung zu kluger Berechnung, die Fähigkeit und Lust, anderen zu raten und zu trösten; aber auch ein verstärkter Drang nach Ehre, Ruhm, Freiheit, doch alles getragen von gehaltener vornehmer Ruhe. Dann kommt das letzte Alter, das dem lichtschwächsten und langsamsten Planeten untersteht, dem Saturn. Das ist die letzte Stufe des abwärtsschreitenden Lebens: da erkalten und erlahmen alle Bewegungskäfte des Leibes und der Seele; Triebe, Genüsse, Wünsche, - alles schwächt sich ab, Mutlosigkeit, Mattigkeit, Unlust zu allem nimmt überhand, bis das Leben vollends erstarrt." 1 Sen., Ер. 28, 9 f.
Das Wollen
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zuklagen, sich zu erforschen; Zuerst solle er seiner eigenen Person gegenüber die Stelle des Anklägers vertreten, dann die des Richters und erst zuletzt die des Fürsprechers. Die Selbsterkenntnis ist also die erste Bedingung für den erfolgreichen Versuch einer Seelenheilung, aber nicht die entscheidende. Die Einsicht in die eigenen Fehler nützt für sich genommen nichts 2 , wenn man nicht gleichzeitig gewillt ist, diese abzulegen. Der Wille ist der ausschlaggebende Faktor für den sittlichen Fortschritt. „Was dich gut machen kann, liegt in dir selbst", schreibt Seneca dem Lucilius. „[Du fragst] was du nötig hast, um gut zu werden? Das Wollen!" Demgemäß bezeichnet Seneca an anderer Stelle 3 den Willen zum Fortschritt als einen großen Teil des Fortschritts selbst und bezeugt gleichzeitig von sich, daß er sich dieser einen Sache bewußt sei, daß er wolle und von ganzem Herzen wolle. Nach dem Grad des Wollens beurteilt Seneca in der Hauptsache die Aussichten der Seelenleitung auch bei seinen anderen Patienten. Im 29.Brief schreibt er dem Lucilius sozusagen ein psychologisches Gutachen über die Besserungsmöglichkeiten eines gemeinsamen Bekannten. Dieser, ein gewisser Marcellinus, ist insofern ein schwieriger Fall, als er eben noch keinen ernsten Willen zur Besserung aufbringt. Wenn Seneca ihm seine Fehler vorhält, dann versteht er es, die Situation ins Lächerliche zu ziehen und einem ernsten Gespräch auszuweichen 4 . Diesem Marcellinus fehlt es sicher nicht an Einsicht, worauf schon die Tatsache hindeutet, daß er sich Seneca offensichtlich einmal über seinen Zustand anvertraut und ihn um Rat gebeten hat. Aber er hat sich noch zu keinem festen Entschluß durchringen können, denn er kommt nur selten zu den Konsultationen und hat es nicht gern, von Seneca die Wahrheit über sich zu hören 5 . Solange er aber nicht wirklich will, hat Seneca keine Möglichkeit zu einer Erfolg versprechenden Seelenleitung. Daß es mit dem bloßen Wollen nicht sein Bewenden haben kann, ist selbstverständlich. Wenn der Vorsatz, sich zu bessern, gefaßt ist, hat die bewußte Distanzierung vom schädlichen Einfluß der Menge einzusetzen, die Abkehr von den geläufigen Werturteilen, das intensive Studium muß beginnen, bis das, was bislang lediglich guter Wille war, zum Habitus geworden ist 6 . Aber soviel auch noch hinzu-
2 Sen., Ер. 4 2 , 1 - 3 : lam tibi iste persuasit virum se bonum esse? atqui vir bonus tarn cito nec fieri potest пес i n t e l l e g i . . . „At male existimat de malis." Hoc etiam mali faciunt, пес ulla maior poena nequitiaest quam quod sibi ac suis displicet. 3 Sen., Ep. 71, 36. Vgl. u. a. Ep. 34, 3: pars magna bonitatis est velle fieri bonum. 4 Sen., Ep. 29,5: Faciet quod solet: advocabit illas facetias, quae risum evocare lugentibus possunt, et in se primum, deinde in nos iocabitur: omnia, quae dicturus sum, occupabit. Scrutabitur scholas nostras et obiciet philosophis congiaria, arnicas, gulam. 5 Ibid. 1: Raro ad nos venit, поп ulla alia ex causa quam quod audire verum t i m e t . . . 6 Sen., Ep. 16, 1: perseverandum est et adsiduo studio robur addendum, donee bona mens sit, quod bona voluntas est. - Ich zweifle, ob es berechtigt ist, mit M. Pohlenz (Philosophie und Erlebnis in Senecas Dialogen, Anhang: Ein römischer Zug in Senecas Denken) die römische voluntas im philosophischen Sprachgebrauch Senecas so scharf fron der griechischen προαίρεσκ abzusetzen, zumal die beiden Stellen aus dem annaeischen Corpus, auf die sich Pohlenz hauptsächlich stützt, m. E. falsch interpretiert sind. Es handelt sich erstens um Ep. 81, 13 f.: nemo referre gratiam seit nisi sapiens, stultus quoque.utcumque seit et quemadmodum potest, referat: scientia illi potius quam voluntas desit: velle поп discitur. Pohlenz schreibt dazu auf S. 117: „ . . . wenn Chrysipp von einem Stoiker gehört hätte, dem Toren solle es lieber am Wissen als am guten Willen fehlen, würden sich ihm die Haare gesträubt haben. Die ganze Einstellung ist als solche nur auf römischem Boden denk-
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Die Funktion des Seelenleiters
kommen muß, um einen sittlichen Fortschritt zu erzielen, die Erkenntnis der eigenen Fehler, sei sie durch eigene Einsicht oder durch Vorhaltungen anderer bewirkt, und der feste Wille zur Beseitigung eben dieser Fehler bieten die ersten wichtigen Ansatzpunkte für eine erfolgversprechende Seelenleitung und sind gleichzeitig ihre besten Garanten.
Die Funktion des Seelenleiters Sind Selbsterkenntnis und guter Wille auch vorhanden, so ist doch kaum einer ganz aus eigener Kraft dazu in der Lage, sich von seinen Lastern zu befreien 1 . Wie bei körperlichen Krankheiten der Arzt, so muß auch in den Fällen der seelischen Erkrankungen jemand konsultiert werden, der einem Hilfe leisten kann. Diesen Dienst können die großen Philosophen der Vergangenheit leisten 2 , aber auch die gegenwärtigen, sofern man seine Auswahl nicht von der Schnelligkeit ihrer Worte, sondern von der Übereinstimmung zwischen Worten und Taten abhängig macht 3 . Seneca rühmt immer wieder an seinem Lehrer Fabianus, daß Lehre und Leben bei ihm übereinstimmten 4 , und es beruhte auf der Wirkung seiner Person und seiner Vorlesung, daß er die jungen Männer anzog und zur Nachahmung seines Vorbildes begeisterte5. Für am wirksamsten hält Seneca wegen der unmittelbaren Wirkung des Vorbildes den persönlichen Umgang6, wie er ihn selbst mit seinen Lehrern aus der Schule der Sextier pflegte, für noch besser freilich das Zusammenleben mit dem erwählten Seelenleiter. „Den Metrodor und Hermarchus und Polyaenus machte nicht der wissenschaftliche Unterricht des Epikur, sondern die Lebensgemeinschaft mit diesem zu großen Männern 7 ", denn die Menschen pflegen mehr ihren Augen als ihren Ohren zu trauen 8 .
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bar." Nach meiner Ansicht müßte die Übersetzung aber lauten: „Keiner weiß Dank zu erstatten außer dem Weisen. Mag auch der Tor, soweit er es weiß und kann, Dank erstatten: es würde ihm eher am Wissen als am Wollen mangeln, denn das Wollen wird nicht gelernt." Bei der zweiten Stelle Ep. 37, 5 bezieht sich die Aussage: neminem mihi dabis, qui sciat, q u o m o d o quod vult, coeperit velle: non consilio adductus illo, sed impetu impactus est auf das falsche Wollen des Toren, vgl. Ep. 20, 6: nesciunt ergo homines quid velint nisi illo m o m e n t o quo volunt; in totum nulli velle aut nolle decretum est. Der Unterschied zum Griechischen liegt m. E. nur darin, daß im Lateinischen sowohl für die npoaipeaк, die von Aristoteles als ορεξίς τις βουλευτική μετά διανοίας definiert wird, „velle" oder „voluntas" gebraucht wird als auch für das auf keiner vernunftgemäßen Überlegung beruhende Wünschen und Wollen des Toren. . Sen., Ep. 52, 2: n e m o per se satis valet ut emergat: oportet manum aliquis porrigat, aliquis educat. Vgl. Ep. 29, 4: . . . si cito illi manus ponigitur. Sen., а. а. О. 7: tu vero etiam ad priores revertere, qui vacant: adiuvare nos possunt non tantum qui sunt, sed qui fuerunt. Sen., Ep. 52, 8 f. Sen., Ep. 40, 12: Fabianus, vir egregius et vita et scientia . . . Ep. 100, 11: denique illud praestabit, ut liqueat tibi ilium sensisse quae scripsit. Vgl. Sen., Ep. 100, 12. Sen., Ep. 75, 2: si fieri posset, quid sentiam, ostendere quam loqui mallem. Sen., Ep. 6, 6. Auch auf die Lebensgemeinschaft des Kleanthes mit Zeno wird hier hingewiesen.
8 Sen.', а. а. О. § 5.
Die Freundschaft
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Dieses letzte Beispiel aber bildet bereits den Übergang zu einer ganz bestimmten Form der Seelenleitung, von der sogleich die Rede sein soll. Denn neben der erwähnten, von Seneca empfohlenen Form der Seelenleitung durch sogenannte Berufsphilosophen, die sowohl öffentlich lehrten als auch in den großen römischen Häusern der Kaiserzeit eine wichtige Rolle gespielt haben - man denke u.a. an Athenodor, den Hausphilosophen des Augustus - gab es in Rom noch eine diskretere, aber nicht minder wirksame Form der Seelenleitung, von der Seneca auch an vielen Stellen spricht und die die Grundlage für seine seelsorgerische Tätigkeit abgibt: die Seelenleitung durch Freunde. Fast alle Schriften Senecas sind an Freunde oder ihm persönlich nahestehende Verwandte gerichtet, und besonders die Briefe an Lucilius legen Zeugnis ab von dieser intimeren Form der freundschaftlichen Ermahnung und Belehrung, deren Voraussetzungen über die gefühlsmäßigen Bindungen hinaus vor allem auch in dem stark institutionellen Charakter der antiken Freundschaftsverhältnisse zu suchen sind 9 . Diesen institutionellen Aspekt der Freundschaft nicht in Betracht zu ziehen, sind wir Heutigen nur zu gern geneigt, die wir nur noch die gefühlsmäßige Basis zu sehen gewohnt sind. Zwar die politische Bedeutung der Freundschaften, wie sie uns z.B. bei der athenischen Aristokratie der klassischen Epoche entgegentritt und wie sie sich noch zur Zeit der ausgehenden römischen Republik in den Briefen Ciceros widerspiegelt, ist seit Beginn der römischen Kaiserzeit immer mehr verblaßt; ihre soziale Valenz 10 aber, vor allem ihre Schutzfunktion 11 , die eine der Grundlagen der Philosophie Epikurs bildet, ist noch in etwa erhalten geblieben, und einige ihrer kennzeichnendsten Züge haben sich auch unter veränderten Bedingungen erhalten können. Zwei Werke der römischen Literatur, Ciceros De officüs - vor allem in dem Kapitel über die beneficentia - und Senecas De beneficüs 12 , sind geeignet, einen Einblick in den sozialen Aspekt, in das Pflichten-Reglement freundschaftlicher gegenseitiger Hilfeleistung, zu gewähren, dessen praktische Anwendung in den Briefen Ciceros ad familiares und in den Briefen des Plinius sichtbar wird 1 3 . Auch 9 A.-M. Guülemin, Pline et la vie litteraire de son temps, gibt eine ausgezeichnete Studie über den institutionellen Charakter der Freundschaft in der Antike und einige ihrer kennzeichnendsten Züge auf den Seiten 2 - 5 6 , der ich mich im Folgenden im großen und ganzen anschließe. 10 Der praktische Wert der Freundschaft wird in der Antike dem Reichtum häufig gleichgesetzt, was in stehenden Wortverbindungen zum Ausdruck kommt. Vgl. Riaton, Respubl. II, 361 В 3: es ist von dem vollkommen Ungerechten die Rede, der imstande sei βιάσαοθαι οσα äv βίας δέηται, διά те bvbpeiav και ρώμην και δια παρασκευή» φίλων και ουσίας. . . Horaz, Ars poet. 167: quaerit opes et amicitias; Dio Chr., Or III. 86: φιλία ν ye μην απάντων νενόμικε των αυτού κτημάτων κάλλιατον και ίερώτατον. Vgl. Guillemin, a. a. Ο. S. 4. 11 Guillemin, а. а. О., weist auf den Seiten 2 - 4 nach, daß sich viele Merkmale des Patronats im römischen Freundschaftsverhältnis erhalten haben. Freundschaften wie Feindschaften werden z.B. auch vererbt. Vgl. Guillemin, а. а. O. S. 7. 12 Guillemin, а. а. O., S. 8, Anm. 1, bemerkt mit Recht: „Le De beneficiis est ä la fois un manuel des vertus sociales et un code de la civilite. Ses nombreuses coincidences avec les lettres de Pline fournissent des points de герёге pour la determination des usages mondains de Г epoque imperiale." 13 Oft wurde der soziale Aufstieg einem Freund verdankt, der durch großzügige Schenkung den Census des Betreffenden erhöhte und zur Aufnahme in den Ritterstand fähig machte. Vgl. Sen., De benef. III, 9, 2; Plin, Ep. 1,19. Vgl. Guillemin, S. 9. Es war auch selbstver-
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Die Funktion des Seelenleiters
die Danksagungen für empfangene Freundschaftsdienste mußten unter Einhaltung genauer, bis ins Vokabular hinein festgelegter Spielregeln, abgestattet werden: Sie hatten in aller Öffentlichkeit, und nicht nur einmal, zu g e s c h e h e n 1 4 . Wichtiger noch für das Thema der Seelenleitung Senecas ist jedoch die Institution des Freundschaftsdienstes, die ich unter Beibehaltung des französichen Terminus „Direktion" nennen möchte. Wie ich es schon eingangs 1 5 im Zusammenhang mit der griechischen Antike erwähnte, wurde dem Rat-Erteilen und Um-Rat-Fragen im täglichen Leben eine große Bedeutung beigemessen. Viele Stellen der antiken Literatur geben Kunde von der in Athen wie in R o m üblichen Sitte, vor allen wichtigen Entscheidungen, m o c h t e n sie eine Heirat, einen Prozeß, die Wahl eines Arztes oder den Entschluß zum Selbstmord betreffen, ein Konsüium der Freunde einzuberufen und eingehend mit ihnen das Für und Wider zu erörtern 1 6 . Selbst auf intime Fragen der persönlichen Lebensführung, der Erfüllung der Forderungen der Pflichtenlehre 1 7 , der Moral, erstreckte sich dieser Brauch, der soweit ging, daß man sich — wie es im öffentlichen Bereich das A m t des Zensors gab — ein oder zwei durch Alter, Erfahrung und Autorität ausgezeichnete Freunde sozusagen als Sittenrichter bestellte, die nicht nur das Recht, sondern geradezu die Pflicht hatten, durch Rat, Aufmunterung, Ermahnung und Tadel auf die sittliche Vervollkommnung des Betreffenden hinzuwirken 1 8 . Diese Stelle nahm ζ . B. bei Plinius dem Jüngeren Corellius Rufus ein,
ständliche Freundespflicht, sich gegenseitig aus finanziellen Schwierigkeiten zu helfen, indem man die fehlende Summe lieh, selbst wenn man sie sich selbst erst gegen Zinsen ausleihen mußte: Sen., De benef. III, 8, 2; Plin., Ep. III, 11, 2: pecuniam . . . mutuatus ipse gratuitam dedi. 14 Vgl. Guillemin, a.a.O., S. 10 ff.; S. 11, Anm. 11: „Un vocabulaire special etait consacre a cette action de graces publique: praedicare, prae se ferre, testari". Vgl. Cie., Ad. fam. XII, 26, 1; Sen., De benef. V, 2, 4 u. a. 15 S. 12 f. 16 Vgl. Piaton, Protag. 313 A 2: Sokrates wirft dem Hippokrates vor, daß er sich ohne weiteres in die Schule des Protagoras begeben will: τ) et μεν το σώμα έπιτρεπειν oe 'έδει τ φ διακινδυνεύοντα τ} χρηστον αύτο yeveaSaι η πονηρόν, πολλά αν περιεσκέψω ей·1 έπιτρεπτέον είτε oU, καΐ ek συμβουλην τούς те φίλους αν παρακαλείς και τους οίκείους σκοπούμενος ήμέρας συχνάς• ο Se περί πλείονος той σώματος vyfl, την ψυχην. . . irepi Se τούτου oifre τ φ πατρί olhe τ φ ά£ελφψ ίπεκοινώοω olhe ημών τών εταίρων oüSevi... Vgl. Plin., Ер. 1,22, 8: (es ist von einem schwerkranken Freund die Rede) nuper me paucosque mecum, quos maxime diligit, advoeavit rogavitque, ut medicos consuleremus de summa valetudinis, ut, si esset insuperabilis, sponte exiret e vita, si tantum difficilis et longa, resisteret maneretque: dandum enim preeibus uxoris, dandum filiae lacrimis, dandum etiam nobis amicis, ne spes nostras, si modo non essent inanes, voluntaria morte desereret. Sen., Ep. 77, 5: coepit deliberare de morte. Convocavit complures amicos. Plin., Ер. I, 5,10: (Er antwortet jemandem, der als Vermittler in einem Streit zu ihm kommt) expecto Mauricum . . . ideo nihil alterutram in partem respondere tibi possum facturus, quidquid ille decreverit; Шит enim esse huius consilii ducem, me comitem decet. Vgl. Guillemin, a.a.O. S. 41. Vgl. Galen, Περί ψυχής παθών I, 2 S. 3, 1 Marquardt. 17 Vgl. Cie., De off. 1,147: Nec vero alienum est ad ea deligenda, quae dubitationem afferunt, adhibere doctos homines vel etiam usu peritos et, quid iis de quoque officii genere placeat, exquirerc . . . Ut enim . . . poetae suum quisque opus a vulgo considered vult, ut si quid reprehensum sit a pluribus, id corrigatur, iique et secum et aliis quid in eo peccatum sit exquirunt, sie aliorum iudicio permulta nobis et facienda et non facienda et mutanda et corrigenda sunt. 18 Vgl. Cicero, Lael. de amicitia, 13, 44: plurimum in amicitia amicorum bene suadentium valeat auetoritas, eaque et adhibeatur ad monendum non modo aperte, sed etiam achter, si
Die Freundschaft
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ein Mann, der wesentlich älter als Plinius gewesen sein muß, da sich Plinius, als er vom Freitode des Corellius im 68. Lebensjahr berichtet, als iuvenis b e z e i c h n e t 1 9 Den Verlust dieses Mannes, dessen ausgezeichneten Ruf, Weisheit und Autorität er an vielen Stellen hervorhebt, beklagt er mit folgenden Worten: „Ich habe verloren, verloren den Zeugen, den Führer, den Lehrmeister meines L e b e n s . . . ich fürchte, daß ich nun nachlässiger leben w e r d e " . 2 0 Corellius seinerseits hatte das Ausmaß seines Einflusses öffentlich bestätigt: „Ich m u ß mich beim Lobe des Secundus zurückhalten"äußerte er im Kreise des Nerva, „da er ausschließlich nach meinen Ratschlägen handelt." 2 1 Es war durchaus eine alte Tradition in R o m , daß jüngere Männer sich an wesentlich ältere, erfahrene und einflußreiche anschlossen und sich diesen zu ihrer weiteren Erziehung und Einführung in die Ämterlaufbahn übergaben. In den Zeiten der Republik, in der Hauptsache im 2. vorchristlichen Jahrhundert, waren es vor allem die berühmten Rechtskundigen, die viele Jünglinge a n z o g e n 2 2 , und Horaz beschreibt den umfassenden Aufgabenkreis eines Patrons in R o m s alter, guter Zeit wie folgt 2 3 : „Frühmorgens schon im Hause wach, gab man dem Klienten Rechtsberatung, lieh vorsichtig Gelder an reelle Namen aus, hörte man den Rat der Älteren an, belehrte man die Jüngeren, auf welche Weise sie ihr Vermögen vermehren, ihre Sinneslust (damnosa libido) vermindern könnten." Worauf letzteres zielt, davon können wir uns ein gutes Bild aus den Satiren des Lucilius 2 4 und des Horaz 2 5 machen, die aus-
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res postulabit, et adhibitae pareatur. 24, 88: nam et monendi amici saepe sunt et obiurgandi, et haec accipienda amice . . . 25, 91: . . . et monere et moneri proprium est verae amicitiae et alterum libere facere, non aspere, alterum patienter accipere, non repugnanter . . . Plin., Ер. 1,12, 1 1 - 1 2 . Vgl. Anm. 22. Vgl. Guillemin, a.a.O. S. 32 ff. Plin., Ер. I, 12, 12. Plin., Ер. IV, 17, 8. Ein umfassendes Bild dieses Verhältnisses entwirft Plinius in den §§ 4—6 dieses Briefes, das ich hier wiedergeben möchte, weil es in vieler Hinsicht für römische Verhältnisse typisch ist: Obversatur oculis ille vir, quo neminem aetas nostra graviorem, sanctiorem, subtiliorem tulit. quem ego cum ex admiratione diligere coepissem, quod evenire contra solet, magis admiratus sum, postquam penitus inspexi. inspexi enim penitus: nihil a me ille secretum, non ioculare, non serium, non triste, non laetum. adulescentulus eram, et iam mihi ab illo honor atque etiam (audebo dicere) reverentia ut aequali habebatur. ille meus in petendis honoribus suffragator et testis, ille in incohandis deductor et comes, ille in gerendis consiliator et rector, ille denique in omnibus officiis nostris, quamquam et imbecillus et senior, quasi iuvenis et validus conspiciebatur. quantum ille famae meae domi, in publico, quantum etiam apud principem adstruxit! Cicero läßt in seiner Schrift „Über das Greisenalter" den Cato Maior in ganz ähnlicher Weise über sein Verhältnis zu dem viel älteren Quintus Maximus sprechen (4, 10). Man lernte das Recht durch persönlichen Anschluß an rechtskundige Leute (iuris periti). Vgl. Cie., Orat. 142: . . .ius civile docere semper pulchrum fuit hominumque clarissimorum diseipulis floruerunt domus.. . Vgl. Cie., De orat. I, 200; Cie., Laelius 1,1: ego autem a patre ita eram deduetus ad Scaevolam (gemeint ist der Augur) sumpta virili toga, ut, quoad possem et liceret, a senis latere numquam discederem; itaque multa ab eo prudenter disputata, multa etiam breviter et commode dicta memoriae mandabam fierique studebam eius prudentia doctior. quo mortuo me ad pontificem Scaevolam contuli, quem unum nostrae civitatis et ingenio et iustitia praestantissimum audeo dicere. Vgl. Cie., Brutus 306: ego autem iuris civilis studio multum operae dabam Q. Scaevolae Q. F., qui quamquam nemini se ad docendum dabat, tarnen consulentibus respondendo studiosos audiendi docebat. Horaz, Ер. II, 1, 102 ff. Vgl. ζ. B. die Fragmente des 29. Satirenbuches des Lucilius. Vgl. Horaz, Sat. I, 2.
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Die Funktion des Seelenleiters
fuhrlich und in aller Deutlichkeit sexuelle Fragen behandeln und entsprechende Ratschläge erteilen. Diese Erziehungsarbeit, die von den jungen Männern nn allgemeinen ebenso ernst genommen wurde2 6 wie von den Greisen, die geradezu ihre Hauptaufgabe in der Unterweisung und Formung der Jugend erblickten2 7 , erstreckte sich, angefangen von den praktischen Dingen des täglichen Lebens, bis hin zu den Fragen der Ethik 28 und wurde besonders wirkungsvoll durch den täglichen Umgang, der einerseits den Jungen die Möglichkeit gab, die Identität von Leben und Lehre bei ihren Lehrmeistern zu überprüfen, andererseits, wenn diese Identität vorlag, den Lehrmeistern eine geradezu unumschränkte Autorität verlieh. Eine solche allgemeine Hochachtung genossen z.B. die beiden Scaevola, berühmt als Rechtskundige und von unbestechlicher Sauberkeit als Staatsmänner und Menschen. Anhänger der Stoa, hatten sie römische Tradition mit ihren philosophischen Grundsätzen zu einer Einheit zu verschmelzen gewußt, wie viele Römer nach ihnen. Schon jetzt wird klar geworden sein, in wie starkem Maße das Verhältnis des Seneca als Seelenleiter zu Lucilius sowohl von hellenistisch-philosophischen wie auch außerphilosophischen Traditionen bestimmt worden ist. Aber nicht nur die Stellung des Seelenleiters als solche ist das Feld, wo sich philosophische Ansprüche mit den tradierten Anschauungen mischen und sich gegenseitig befruchten, sondern ganz ebenso verhält es sich mit dem paränetischen Teil der Philosophie überhaupt. Ich habe oben 29 schon daraufhingewiesen, daß sowohl formale wie auch inhaltliche Elemente dieses Teils in der Vulgärethik wurzeln, und ich brauche daher speziell für den römischen Bereich nur noch einige Ergänzungen hinsichtlich seines institutionellen Charakters vorzunehmen. Ich darf noch einmal an die eingangs30 erwähnte Einteilung der pars praeceptiva in praeceptio, suasio, consolatio, exhortatio, inquisitio causarum, ethologia erinnern. Von diesen sechs Unterteilen entsprechen die ersten vier ganz und gar den Teilen der unter Freunden geübten Direktion. „ . . . vita autem victusque communis, consilia, sermones, cohortationes, consolationes, interdum etiam obiurgationes in amicitiis vigent maxime.. ." 3 1 so definiert Cicero die gegenseitigen Pflichten der Freunde, und daß dies keine theoretische Forderung geblieben ist, sondern durchaus einer geübten Praxis entsprach, bezeugt seine eigene umfangreiche Briefsammlung wie die des Plinius. Nicht nur, daß wir dort die genannten Gattungen des präzeptiven Teils in Briefform wiederfinden3 2 , sondern
26 Vgl. u. a. Cie., Lael. 1, 1 (zitiert S. 167, Anm. 22) und Plin., Ер. I, 14, 3: Es ist von einem jungen Mann die Rede, der sich unter die Leitung des Plinius begeben hatte: nam ita formari a me et institui cupit, ut ego a vobis solebam. 27 Vgl. Cie., Cato Maior 9, 2 8 - 2 9 : Quid enim est iueundius senectute stipata studiis iuventutis? An ne illas quidem vires senectuti relinquemus, ut adulescentes doceat, instituat, ad omne officii munus instruat? quo quidem opere quid potest esse praeclarius? 28 Vgl. u. a. das berühmte Virtus-Frgm. des Lucilius (ohne Buchzahl von Lactant., Div. Inst. VI, 5, 2 überliefertes Fragment). 29 Vgl. S. 21 f. 30 Vgl. S. 8. 31 Cie., De off. I, 58. 32 Daß es durchaus gerechtfertigt ist, auch in diesem Zusammenhang von „genera" zu sprechen, bezeugt Cicero selbst: Ad fam., VI, 10, 4 - 6 : Antea misissem ad te litteras, si genus scribendi invenirem; tali enim tempore aut consolari amicorum est aut polliceri. Consolatione non utebar, quod ex multis audiebam, quam fortiter sapienterque ferres iniuriam
Die Freundschaft
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es wird darüber hinaus eine eigene formelhafte „Terminologie 3 3 der Direktion" erkennbar, deren Existenz allein schon von der Häufigkeit des Gebrauches zeugt. Worin sich die Direktion eines Seneca von der Ciceros und Plinius' trotz dieses vorgegebenen Rahmens unterscheidet, das ist natürlich ihr ausschließlich philosophisch-stoischer Charakter, die Beschränkung auf das Gebiet der Moral, während bei Cicero das Hauptgewicht auf der politischen Betätigung, bei Plinius auf der literarischen ruht. Aber trotz der rein philosophischen Tendenz, die den Prosaschriften Senecas zu Grunde liegt, macht Seneca doch hier und da seinen Freunden Zugeständnisse, wenn es u m die Erfüllung einer Freundschaftspflicht geht, die nach alter Tradition zu den wichtigsten gehört und die Guillemin 3 4 die „recommanda-
temporum, quamque te vehementer consolaretur conscientia factorum et consiliorum tuorum . . . Itaque illud alterum, quod dixi, litterarum genus cotidie mihi, ut spero, fiet proclivius, ut etiam polliceri possim. Vgl. Ad fam. VI, 6 , 1 ff.: Vereor, ne desideres officium meum, quod tibi pro nostra et meritorum multorum et studiorum parium coniunctione deesse non debet; sed tarnen vereor, ne litterarum a me officium requires. Quas tibi et iam pridem et saepe misissem, nisi cotidie melius expectans gratulationem quam confirmationem animi tui complecti litteris maluissem. Nunc, ut spero, brevi gratulabimur; itaque in aliud tempus id argumentum epistolae differo. His autem litteris animum tuum, quem minime imbecillum esse et audio et spero, etsi non sapientissimi, at amicissimi hominis auctoritate confirmandum etiam atque etiam puto, nec iis quidem verbis, quibus te consoler ut adflictum et iam omni spe salutis orbatum, sed ut eum, de cuius incolumitate non . . . dubitem . . . Vgl. Ad fam. VI, 6, 12-13. Es gibt viele T r o s t b r i e f e im Briefcorpus Ciceros, die sich nicht nur auf Todesfälle beziehen.(Ad fam. V, 16; IV, 5; Ad Brut. I, 9), sondern noch häufiger auf Schicksalsschläge aufgrund politischer Ereignisse. Über die Topik der Trostgründe vgl. Plin., Ер. I, 12,13: Proinde adhibe solacia mihi, non haec "senex erat, infirmus erat' (haec enim novi), sed nova aliqua, sed magna, quae audierim numquam, legerim numquam. nam, quae audivi, quae legi, sponte succurrunt, sed tanto dolore superantur. Vgl. Cie., Ad fam. V, 13, 3: Ad consolandum autem cum ilia valent, quae eleganter copioseque collegisti, tum nihil plus, quam quod firmitudinem gravitatemque animi tui perspexi; E x h o r t a t i o n e n finden sich, worauf auch Guillemin, а. а. O., S. 34, aufmerksam macht, sowohl allein (u. a. Cie. Ad fam. V, 17; VI,1) als auch im Gefolge von Gratulationen: Tritt ein Freund ein Amt an, so wird er beglückwünscht, aber auch gleichzeitig dazu aufgerufen, es in ehrenvoller Weise zu führen. Vgl. Cie., Ad fam. X, 1; XII, 24; II, 7. Plin., Ер. VIII, 24. Zwischen der exhortatio und a d m o n i t i o , p r a e e e p t i o bzw. consilium einerseits und zwischen den 3 letztgenannten genera andererseits besteht inhaltlich oft kaum ein Unterschied, vgl. Cie., Ad fam. V, 13, 3 - 4 : . . . quamquam tuis monitis praeeeptisque omnis est abiciendus dolor. Ergo et domestica feremus, ut censes, et publica paullo etiam fortius fortasse quam tu ipse, qui praeeipis. Те enim aliqua spes consolatur, ut scribis, nos erimus etiam in omnium desperatione fortes, ut tu tarnen idem et hortaris et praeeipis. Dennoch wird gelegentlich zwischen admonitio und praeeeptio unterschieden, worauf ebenfalls Guillemin, а. а. O. S. 33, hinweist: „Le moniteur n' enseigne pas les devoirs, mais il les rappelle et veille ä ce que l'interesse ne les oublie pas." Vgl. Cie., De orat. II, 99; Plin., Ер. VIII, 24, 1: amor in te meus cogit non ut praeeipiam (neque enim praeeeptore eges), admoneam tarnen ut quae scis teneas et observes. 33 Terminologie der Direktion (vgl. Guillemin, а. а. O., S. 33 f.): tecum ipse certa (certes, etc.) et perge, persevera; Vgl. Cie., Ad fam. XI, 15,2; IX, 14, 6; Plin., Ер. VII, 8, 2 etc.; Sen., Ер. 4 , 1 ; 5, 1; 16, 6; 34 etc.; Persuade tibi: Cie., Ad fam. V, 21,5; Sen., Ер. 1, 1 etc.; Fac animo forti sis etc.: Cie., Ad fam. VI, 5, 4; V, 21, 5; Sen., Ер. 1, 1 etc. moneo, hortor, rogo (Vgl. Guillemin, a. a. O., S. 34 f.): Cie., Ad fam. V, 13, 4; V, 14, 3; V, 17, 3; V, 18, 1 etc.; Plin., Ер. 1,16, 7 etc.; Sen., Ep. 16, 6; 20,1; 19,1; 35, 1; 36,1 e t c . . . - Es muß auch berücksichtigt werden, daß der Brief und seine Gattungen zu den festen Übungen der Rhetorenschulen zählte. Vgl. H. Peter, Der Brief in der röm. Literatur, S. 14. 34 А. а. O. S. 28.
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Die Funktion des Seelenleiters
tion a la gloire" nennt. Guillemin hat gezeigt, welch bedeutende Rolle in den Briefen des Plinius dem Bemühen zufällt, den Freunden und nicht zuletzt auch sich zu Ruhm und Unsterblichkeit zu verhelfen. Ein Beispiel möge genügen: Plinius übersendet dem Tacitus in Briefform seinen Lebenslauf, damit, wie er unumwunden in den Eingangsworten zum Ausdruck bringt, dieser ihn durch vorteilhafte Erwähnung in seinen Historien unsterblich mache 35 . Mit dem gleichen Anliegen tritt Cicero an Lucceius heran 3 6 , und auch Seneca glaubt den Wunsch nach literarischer Unsterblichkeit dem Lucilius nicht versagen zu können 3 6 ; neben der Widmung einiger seiner Werke und der Adressierung seiner Briefe an Lucilius, die allein schon dem Lucilius Unsterblichkeit verleihen37, tut er noch ein übriges: Er reiht dem Corpus seiner Briefe eine Art laudatio über ein literarisches Werk des Lucilius ein , ein Zeichen dafür, wie stark gerade die Seelenleitung Senecas außerphilosophischen Traditionen verpflichtet ist. Diese antike Institution der Freundschaft ist es denn auch, die Seneca erklartermaßen für den den Zwecken der Seelenleitung angemessensten Rahmen hält, und dem adäquaten Kommunikationsmittel unter Freunden, dem vertraulichen Gespräch oder Brief, weist er in der Seelenleitung einen bevorzugten Platz zu: disputationes praeparatae et effusae audiente populo plus habent strepitus, minus familiaritatis. Philosophia bonum consilium est3®: consilium nemo clare dat. Aliquando utendum est et illis, ut ita dicam, contionibus, ubi qui dubitat, impellendus est: ubi vero non hoc agendum est, ut velit discere, sed ut discat, ad haec submissiora verba veniendum est 4 0 .
35 Hin., Ер. VII, 33. 36 Cie., Ad fam. V , 1 2 , 1 . . ^ _ 37 Sen., Ер. 21, 3 ff. unter Berufung auf Epikur: Exemplum Epicuri referam. Cum ldomeneo scriberet et fflum a vita speciosa ad fidelem stabüemque gloriam revocaret, rigidae tunc potentiae ministrum et magna tractantem: „si gloria, inquit, tangeris, notiorem te epistulae meae facient quam omnia iita, quae colis et propter quae colens.' Numquid ergo mentitus est? quis Idomenea nosset, nisi Epicurus ilium litteris suis incidisset? . . . Nomen Attici perire Ciceronis epistulae non s i n u n t . . . Quod Epicurus amico suo potuit promittere, hoc tibi promitto, Luciii: habebo apud posteros gratiam, possum mecum duratura nomina educere. Vgl. auch zu diesem Thema Theognis, 237 ff. 237 Σοι μεν iyoi πτέρ' έδωκα, συν ok έπ' άπειρο να πόντον πωτήσει και γην πάσαν άεφόμενος ρηϊδίως . . . 245 ούδέποτ ουδέ θανών άπολεϊς κλέος, άλλα μελήσεκ 'άφθα-ον άνθρώποκ αΐεν 'έχων 'όνομα, Κύρκε, καθ' Έλλά&α γην στρωφώμενος ήδ' άνά νήσους,. •• 38 Sen., Ер. 46, vgl. auch Ер. 79. 39 Dies ist die Aufgabe einer Philosophie, die sich als Seelenleitung versteht, seit Sokrates. Den Charakter der sokratischen Direktion beschreibt E. des Places, Direction Spirituelle, Sp. 1004: la direction . . . se presente comme une recherche en commun ä laquelle l'interesse convie (παρακαλεί) les autorites en la matiere (Protag. 349 A; Laches 1 7 8 B 180D); le disciple s'ouvre (άνακοινούται) ä son guide, il lui demande conseil (σνμβουλεύεται); consulter, c'est συμβουλεύεσθαι; conseiller, c'est συμβουλεύει*/. Les mots παρακαλεϊν, συμβουλεύεσθαι, et συμβουλεύειν, ίινακοινοϋσθαι sont constamment associes." 40 Sen., Ер. 38, 1. In der Theorie der Rhetorenschule wurde der Brief als „halbierter Dialog" angesehen. Vgl. H. Peter, Der Brief in der röm. Literatur, S. 18.
Die Auswahl der Freunde
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Unter diesen Umständen ist es selbstverständlich, daß der Seelenleiter in der Auffassung Senecas nicht an jeden Beliebigen seine Mühe verschwendet, sondern dasselbe Auswahlprinzip anwendet, das in der Antike in allen Abhandlungen über die Freundschaft empfohlen wird 41 und innerhalb der stoischen Lehre noch durch die Bedeutung, die dem Einfluß der Umwelt eingeräumt wird, besonderes Gewicht erhält: An die solle er sich halten, empfiehlt er dem Lucilius4 2 , — und er selbst pflegt danach zu handeln — die ihn zu bessern vermöchten oder denen die Annäherung gestatten, die er zu bessern imstande sei: denn der Nutzen sei wechselseitig und die Menschen lernten selbst, indem sie lehrten. - Eine ganz reale Gefahr für den Seelenleiter, der ja in der Regel selbst kein Weiser, sondern nur ein in der Selbstvervollkommnung weiter Fortgeschrittener ist 4 3 , sieht Seneca darin, die Direktion ausgesprochen schwieriger Fälle zu übernehmen, da diese womöglich imstande sind, ihren Helfer wieder auf ihr Niveau herabzuziehen 44 . Aber auch ganz abgesehen von den möglichen Auswirkungen auf den Seelenleiter hat es in jedem Falle ohnehin nur Zweck, diejenigen zu belehren, die belehrt sein wollen 4 5 . Nach der Art der Kyniker öffentlich auf dem Marktplatz zur breiten Masse, zu jedem, ob er hören will oder nicht, zu sprechen, hält Seneca allgemeinstoischer Einstellung gemäß nicht für angebracht, ja sogar für gefährlich. Auf den Einwand eines fiktiven Gegners, daß man doch mit Worten nicht zu sparen brauche, da sie ja nichts kosteten, und daß man doch, wenn man Vielen predige, wenigstens sicher sein könne, Einigen zu nützen, antwortet
41 Um nur eins der frühesten Beispiele zu erwähnen: Theognis, Vv. 3 5 - 3 6 : Έσθλώρ μεν yap απ' έσθλα μαθήσεαι' ην δε κακονσιν συμμίσγρς, απολείς και τον ιόντα νόον. 42 Sen., Ер. 7, 8. Vgl. Sen.'Ер. 38, 2. Vgl. Sen., Ер. 47, 15: Quidam cenent tecum, quia digni sunt, quidam ut s i n t . . . 43 Vgl. u. a. Sen., De vit. beat. 17, 3: Non sum sapiens e t . . . пес его. Exige itaque a me, поп ut optimis par sim, sed ut malis melior: hoc mihi satis est, cotidie aliquid ex vitiis meis demere et errores meos obiurgare. 4 Non perveni ad sanitatem, ne perveniam quidem; delenimenta magis quam remedia podagrae meae compono, contentus si rarius accedit et si minus verminatur. Vgl. Ер. 27,1: Non sum tam inprobus, ut curationes aeger obeam, sed tamquam in eodem valitudinario iaceam, de communi tecum malo conloquor et remedia communico. Vgl. hierzu die moderne Auffassung des Verhältnisses Psychotherapeuth-Patient, die M. Landmann, Elenktik und Maieutik, S. 56, nach Ferenczi, Psychoanalyse und Paedagogik, wie folgt schildert: Es „ergibt sich auch in der Psychoanalyse eine Gemeinsamkeit dadurch, daß sich Arzt und Patient nicht als der Gesunde und der Kranke polar gegenüberstehen, sondern beide als Suchende nur dem Grad ihrer Krankheit nach unterschieden sind und der endgültigen Gesundheit beide erst zustreben. Der eine regt im andern nur den Prozeß an, in dem er, freilich an fortgeschrittener Stelle und nicht so, daß auch die gegenseitigen Inhalte sich decken könnten, selbst auch begriffen ist. Er wird daher auch nicht schulmeisterliche Selbstzufriedenheit oder gar Mitleid zur Schau tragen und so den Patienten einschüchtern, sondern ihn mit der Bescheidenheit dessen, der sich selbst erkannt hat, auffordern, sein Kamerad zu werden." Vgl. Sen., Ер. 108, 3. 44 Vgl. Sen., Ер. 29, 4. 45 Sen., Ер. 29, 1: nulli enim nisi audituro dicendum est. Vgl. mit vorigem Kapitel. Vgl. Sen., Ер. 108, 4. Den gleichen Grundsatz vertrat auch Piaton. Vgl. Ep. 7, 331 А 6 : . . . 'όταν τις μοι συμβουλεύηται περί τίνος των μεγίστων περί τον αύτοΰ βίον, olov περί χρημάτων κτήσεως η nepi σώματος η ψυχής επιμελείας, αν μέν μοι το καθ' ημέραν εν тин τρόπω SoKfi ξήν η συμβουλεύσαντος αν έθελειν πείβεσθαι περί ών άνακοινοϋται, προθνμως συμβουλεύω και ουκ άφοσιωσάμενος μόνον έπανσάμην. έαν δε μη συμβουλεύηται μοι τό παρ άπαν ή συμβουλεύοντι δήλος tj μηδαμη πειοόμενος, αυτόκλητος επί τον τοιούτον ουκ έρχομαι συμβουλεύσων, βιασόμενος δέ οΰδ αν ύός η μου.
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Die Funktion des Seelenleiters
Seneca folgendermaßen: ..Ich glaube nicht, mein Lucilius, daß ein großer Mann so verfahren sollte: Seine Autorität wird dadurch geschwächt und hat bei denen nicht mehr genügend Gewicht, die sie, weniger herabgemindert, bessern könnte. Einem Bogenschützen steht es nicht an, ab und zu einmal zu treffen, sondern ab und zu einmal zu fehlen; das ist keine Kunst, die ihr Ziel durch Zufall erreicht. Weisheit aber ist eine Kunst: Sie erstrebt sicher Erreichbares, wählt die aus, die Fortschritte machen können, von denen , die sie nicht bessern zu können glaubt, zieht sie sich zurück 4 6 ." Seneca hält also auf strenge Auslese, und er übernimmt keineswegs vorbehaltlos die Direktion von Freunden und Bekannten des Lucilius, die dieser seiner Fürsorge anempfiehlt 47 . Auch Lucilius ist von Seneca erst auf seine Eignung überprüft worden. „Als ich deine gute Veranlagung sah", schreibt Seneca im 33. Brier 8 , „legte ich Hand an dich, habe dir die Sporen gegeben und keine langsame Gangart geduldet, sondern wiederholt angestachelt. Und nun tue ich dasselbe, aber ich ermahne einen schon von selbst Laufenden und seinerseits Ermahnenden." Die Freude am Fortschritt des anderen stachelt zu eigenem weiteren Bemühen an und die Befriedigung über die eigenen Ergebnisse ist um so größer, ja sie kann überhaupt erst vorhanden sein, wenn das Bewußtsein hinzukommt, damit auch dem Freund nützen zu kön49
nen . Es ist nun an der Zeit, zu dem eigentlichen Thema dieses Kapitels, zu der Frage nach der Funktion des Seelenleiters, zurückzukehren. Wir hatten den Äußerungen Senecas entnehmen können, daß seiner Meinung nach kaum einer imstande ist, aus eigenen Kräften zur sittlichen Vollendung zu gelangen: nemo per se satis valet ut emergat: oportet manum aliquis porrigat, aliquis educat5 0 . Diese Person des Seelenleiters, die also im Prozeß der sittlichen Besserung eine ausschlaggebende Funktion hat, erscheint uns in den Erörterungen Senecas vor allem unter einem dreifachen Aspekt: dem des Philosophen, dem des Freundes und dem der autoritativen Persönlichkeit. Die Funktion des Seelenleiters in seiner Eigenschaft als Philosoph ist für uns nach dem oben Gesagten nicht mehr schwer zu verstehen: Wie die Medizin die Wissenschaft ist, die derjenige beherrschen muß, der einen kranken Körper heilen will, so ist nach antiker Auffassung die Philosophie die Wissenschaft, die die Seele zu heilen vermag. Nur der Philosoph hat also die nötigen Wissensvoraussetzunger, um bei der Seelenheilung den richtigen Weg zu beschreiten. Unter diesem Aspekt
46 Sen., Ер. 29,3. Vgl. Epict., Frgm. 19 (Oldfather) (= Stob., III, 4, 93): Τ φ μεν Ιατρφ μηδέν συμβουλεύοντι αχθονται οι κάμνοντες καί ηγούνται άπε-γνώσθαι ύπ' αύτοϋ. προς δε τον φιλόοοφον δια τί ουκ αν τις ούτω διατε&είη, ώστε οΙτ)ι3ήραι äneyvCiaöai ύπ αύτοϋ σωφρονησεtev, et μηδέν λέ·γοι ετι προς αύτόν τών χρησίμων; 47 In dieser Hinsicht sind vor allem die Briefe 25, 29 u. 112 interessant, in denen Seneca dem Lucilius seine Meinung über die Besserungsaussichten einiger Freunde schreibt. 48 Sen., Ер. 33,2. 49 Sen., Ер. 6, 4: ego vero omnia in te cupio transfundere, et in hoc aliquid gaudeo discere, ut doceam: nec me ulla res delectabit, licet sit eximia et salutaris, quam mihi uni sciturus sum. si cum hac exceptione detur sapientia, ut illam inclusam teneam nec enuntiem, reiciam. 50 Sen., Ep. 52, 2.
Freundschaft und Selbsterkenntnis
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erscheint die Funktion des Seelenleiters mit der unseres heutigen Psychotherapeuten identisch, der ja von seinen Patienten auf Grund seines Fachwissens aufgesucht und konsultiert wird. Weshalb aber legt Seneca so großen Wert auf ein Freundschaftsverhältnis zwischen Seelenleiter und Patient? Es genügt nicht, hierauf zu antworten: „Weil in der Antike eine wesentliche Aufgabe der Freundschaft die Direktion ist". Sicher, die Freundschaft war, wie wir gesehen haben,' der institutionelle Rahmen für eine lange Tradition der Direktion. Aber wie ist dieses für unser heutiges Empfinden erstaunliche Bedürfnis nach Direktion in der Antike überhaupt zu erklären, welche Einstellung des Ich zu sich selbst und zum Du liegt hier zu Grunde, welche Funktion hatte der Freund nach antiker Auffassung bei der Vervollkommnung des Ichs? Wir haben in einem früheren Kapitel gesehen, daß die Selbsterkenntnis eine unabdingbare Voraussetzung sittlicher Besserung ist. Das -γνώθι oeoxnöv ist seit Sokrates Mittelpunkt jeder philosophischen Ethik. Aber ist Selbsterkenntnis überhaupt möglich? Die Magna Moralia, deren Verfasserschaft bis heute umstritten ist 5 1 , gibt darauf am ausführlichsten Antwort s 2 : „Es ist sehr schwierig, wie auch einige Philosophen gesagt haben, sich selbst zu erkennen... Daß wir das nicht können, geht daraus hervor, daß wir andere tadeln, es selbst aber nicht merken, wenn wir dasselbe tun, wofür wir andere rügten. Der Grund hierfür sind Eigenliebe und Leidenschaft, die vielen von uns das objektive Urteil trüben. Ebenso nun, wie wir, wenn wir unser Gesicht sehen wollen, dieses sehen,indem wir in den Spiegel blicken, so erkennen wir uns, wenn wir uns um Selbsterkenntnis bemühen, indem wir unseren Freund ansehen. Denn der Freund ist, wie wir zu sagen pflegen, unser anderes Ich. Wenn es nun gut ist, sich selbst zu erkennen, dies aber nicht möglich ist ohne einen Freund, so benötigt also der autarke Mensch einen Freund, um sich selbst zu erkennen." 5 3 Wenn also die Existenz eines Freundes die einzige Bedingung darstellt, unter der wir uns selbst zu erkennen in der Lage sind - in diesem Sinne ist der Freund in der wahrsten Bedeutung ein alter ego — und wenn ferner die Selbsterkenntnis eine Grundbedingung für jeden sittlichen Besserungsprozeß darstellt, so erhellt daraus die eminent wichtige Funktion, die dem Freund bei der Vervollkommnung des Ichs zufallen mußte. Der Satz der Erkenntnistheroie, daß Gleiches nur durch Gleiches erkannt werde, ist auch bei der philosophisch-ethischen Begründung der Freundschaft wirksam, insofern ja Gleichheit oder doch wenigstens Ähnlichkeit der Neigungen als ihre Voraussetzung angesehen werden. Es ist daher einleuchtend, daß für die Aussichten der Seelenleitung die Kombination von Seelenarzt und Freund in einer Person als geradezu ideal angesehen werden mußte. Aber die Wirkung des Seelenleiters konnte noch durch ein anderes Element erhöht werden, das an Wirksamkeit und Wert nach römischer Vorstellung alles andere übertrifft: die Autorität. Kennzeichen der Autorität ist es, kraft ihrer 51 Die Mehrheit der Forscher hält Aristoteles nicht fiir den Verfasser. Jedoch hat Dirlmeier in seiner kommentierten Übersetzung im Akademie-Verlag wieder fiir ihre Echtheit plädiert. 52 MM II, 1 5 , 1 2 1 3 A 13 ff. Vgl. EE VII, 12, 1245 A 35 u. Zitat S. 120, Anm. 106. Vgl. zu diesem Thema A. J. Voelke, Les rapports avec autrui dans la philosophie grecque d'Aristote a Panetius, S. 34 ff. 53 Vgl. Piaton, Alkibiades I, 133 Α ff. Vgl. Galen, Περί ψυχής παθών, oben S. 66, in diesem Zusammenhang erwähnt. Vgl. Plautus, Epid. 384; Stichus 1 2 2 - 1 2 5 .
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Die Funktion des Seelenleiters
selbst Glauben und Gehör zu finden ohne Beweise. Cicero gibt einen guten Einblick in die Geltung der Autorität im römischen juristischen Bereich, wenn er beispielsweise in De oratore ausführt, daß in Griechenland zwar die eigentlich Rechtskundigen Leute niederen Standes seien, die gegen geringen Lohn ihre Kenntnisse den Gerichtsrednern zur Verfügung stellten; in Rom aber werde die Rechtskunde gerade von den angesehensten und berühmtesten Bürgern getrieben „qui, cum ingenio sibi auctore dignitatem peperissent, perfecerunt ut in respondendo iure auctoritate plus etiam quam ipso ingenio valerent: d.h. also, man prüft nicht mehr ihre Entscheidung, sondern fügt sich ohne weiteres ihrer auctoritas. Die iuris peritorum auctoritas ist rechtsbildend geworden, über die Entscheidung des Einzelfalles hinaus." 5 4 Seneca selbst zieht den Vergleich, der die Sphäre des Rechts mit der der Seelenleitung verbindet. Im 94.Brief 5 5 antwortet er in der Auseinandersetzung zwischen Ariston und der orthodoxen Stoa um die Methode der Seelenleitung einem fiktiven Gegner auf den Einwand, daß bloße Präzepte ohne hinzugefügte Beweise doch nichts nützen könnten: „Wie, nützt nicht schon das Ansehen des Ermahnenden selbst auch ohne Beweise? Nämlich so, wie die Aussprüche der Rechtsgelehrten gelten, auch wenn keine Entscheidungsgründe angegeben werden." s 6 Es ist also die Funktion des Beweises, die die Autorität des Seelenleiters zu erfüllen hat, des Beweises für die Richtigkeit von Lehren, deren Gültigkeit der Schüler in den ersten Phasen der Seelenleitung noch nicht einzusehen und zu beurteilen vermag 57 . Schon der Gedanke an eine solche autoritative Persönlichkeit vermag viel: Irgendeinen tüchtigen Mann müsse man sich auswählen und ständig vor Augen haben, empfiehlt Seneca dem Lucilius 58 , auf daß man so lebe und so handle, als sähe jener zu; und er fährt fort: aliquem habeat animus, quem vereatur, cuius auctoritate etiam secretum suum sanctius faciat. Daß Seneca sich bewußt ist, für Lucilius eine solche Autorität darzustellen, geht aus seinen Worten im 32. Brief 5 9 hervor: „Lebe so", wendet er sich an Lucilius, „als ob mir alles, was du tust, zu Ohren käme, nein vielmehr, als ob ich es sähe!"
54 Cie., De oratore I, 198 und R. Heinze, Auctoritas, S. 359, dessen Ausführungen ich viel verdanke. 55 §27. 56 Vgl. Cie., Tusc. I, 49: Ut enim rationem Plato nullam a d f e r r e t . . . ipsa auctoritate me f r a n g e r e t . . . De nat. deor. III, 6 (Es spricht der Pontifex maximus Cotta): A te (seil. Balbo) philosopho rationem aeeipere debeo religionis, maioribus autem nostris etiam nulla ratione reddita credere. 57 Auch die Rhetorik kennt den Beweis ex auctoritate. Ich zitiere R. Heinze, Auctoritas, S. 361: „Die griechische Rhetorik, zuerst für uns Aristoteles (Rhet., В 23, 1398 В 20, vgl. Quint. V, 11, 36) nennt unter den Enthymemen, den rhetorischen Beweisen, auch die κρίσκ, d. h. das (nicht gerichtliche) Urteil, das andere über die Sache gefällt haben, die Allgemeinheit, die Weisen, die Guten, die Richter selbst'oder die Personen, auf deren Urteil sie etwas geben, ferner solche, denen zu widersprechen nicht möglich ist - die Herrscher - oder denen zu widersprechen nicht schön ist, die Götter, der Vater, die Lehrer. Für die römischen Rhetoren wird diese κρίσκ - selbstverständlich, können wir nun schon sagen - zur auctoritas." 58 Ep. 11, 9. 59 Ep. 32, 1.
Die Funktion der Autorität
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Ist schon die Geltung der auctoritas im römischen Bereich etwas Außerordentliches, so ist die Voraussetzung dafür noch erstaunlicher, daß nämlich, wie Heinze hervorhebt, „eine genügende Anzahl von Menschen dazu disponiert ist, auctoritas auszuüben und die dazu erforderlichen Opfer zu bringen. Wir wissen ja, daß ein Mann, der nach seinen geistigen und moralischen Eigenschaften durchaus berechtigt wäre, weitreichenden und tiefgehenden Einfluß auf andere auszuüben, hierzu doch nicht gelangt, wenn er es gar nicht anstrebt, wenn er keine Neigung hat, mit seiner Person hervorzutreten, auch keine Befriedigung darin findet, als Führer zu gelten, wohl gar eine Abneigung dagegen verspürt, andere in die Bahnen seines Geistes und seines Willens zu leiten: sei es, daß er die Verantwortung scheut, die er damit übernehmen würde, sei es, daß er von der allgemein gültigen Richtigkeit seiner Gedanken und Strebungen nicht fest genug überzeugt ist, um nicht andere sich selbst zu überlassen." 60 Seneca gehört ohne Zweifel zu denen, die die Opfer und die Verantwortung nicht gescheut haben, die mit der Ausübung der Autorität verbunden sind. Seine Hauptaufgabe als Seelenleiter sieht er zu einem Teil darin, andern das autoritative Beispiel zu geben, das den Beweis für die Richtigkeit seiner philosophischen Überzeugungen in sich trägt. Es ist daher wohl nicht als ein Zeichen von Ruhmsucht zu werten, sondern in erster Linie als ein Zeugnis von Senecas erfolgreichen, nicht nur im eigenen Interesse, sondern auch zum Zwecke der Seelenleitung vorgenommenen Bemühungen um die eigene Vervollkommnung, wenn er mit seinen von Tacitus überlieferten Abschiedsworten an die Freunde 61 das Bild seines Lebens als das schönste Vermächtnis bezeichnet, das er seinen Freunden hinterlassen könne: Wenn sie das in ihrer Erinnerung behielten, so äußert er sich, würden sie den Ruf eines guten Lebenswandels wie den treuer Freundschaft davontragen 62 . Eine imago vitae Senecae ist es denn auch, die uns vornehmlich in den Briefen an Lucilius entgegentritt. Denn während die Gestalt des Lucilius durch das Fehlen ausgeprägter Züge ziemlich farblos bleibt 63 und sich daher jeder Leser ohne weiteres an dessen Stelle versetzt fühlen kann, tritt die Persönlichkeit Senecas umso mehr hervor, ausgezeichnet durch alle Qualitäten, die die Wirksamkeit eines guten Seelenleiters ausmachen und die geeignet sind, wirklich das Innere eines Menschen zu berühren: warmes menschliches Verständnis und Mitempfinden auf der Basis einer großen Lebenserfahrung, Unerbittlichkeit in den Anforderungen an sich selbst, Nachsicht mit den Schwächen anderer, und nicht zuletzt das Eingeständnis eigener
60 Heinze, а. а. O., S. 365. 61 Tac., Ann. XV, 62: . . . conversus ad amicos, quando mentis eorum referre gratiam prohiberetur, quod unum iam et tarnen pulcherrimum habeat, imaginem vitae suae relinquere testatur, cuius si memores essent, bonarum artium famam tarn constantis amicitiae laturos. 62 Vgl. hierzu oben S. 26 den ganz ähnlichen Hinweis des Sokrates auf sein Leben als gelebtes Beispiel seiner Lehre sowie ganz allgemein meine Ausführungen über die Bedeutung des verpflichtenden Beispiels in der Antike S. 24 ff. Vgl. ebenfalls K. Gaiser, Protreptik und Paränese bei Piaton S. 155, über die Funktion der Sokrates-Figur in den platonischen Dialogen: „Daher ist die Paränese von jeher in der griechischen Dichtung durch die Gnomik, aber auch durch das Erinnern an Paradeigmatisches bestimmt; und so gehört auch zur philosophischen Paränese bei Piaton das Παράδειγμα, nämlich der Hinweis auf das Verhalten des Sokrates, der den Philosophen verkörpert, die Selbstdarstellung des Philosophen" und S. 224 f. 63 Vgl. S. 27 unten f.
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Die Funktion des Seelenleiters
Fehler und die Schilderung des angestrengten, unablässigen Bemühens um die eigene Besserung: eine imago vitae, die nicht nur autoritativ wirkt, sondern auch Zuneigung vermittelt, und die daher im höchsten Maße zu erfüllen imstande ist, was das Ziel einer jeden Seelenleitung darstellt: Führer und Helfer zu sein auf dem Wege zum sittlich Guten.
Schlußbetrachtung
Das Verhältnis von Tradition und Originalität in der annaeischen Seelenleitung
Nachdem ich in den vorangegangenen Kapiteln versucht habe, Senecas Auffassung von den Zielen und Aussichten der Seelenleitung in großen Zügen, auch unter Berücksichtigung der historischen Beziehungen, darzustellen, ist es vielleicht angebracht, abschließend die Frage nach dem Verhältnis von Tradition und Originalität in der Seelenleitung Senecas zu stellen. Seneca selbst hat sich über seine Einstellung zur Tradition mehrfach geäußert, sowohl im besonderen, nämlich zur stoischen Schulüberlieferung, als auch im allgemeinen, zur philosophischen Tradition überhaupt. Er verehre die Erfindungen der Weisheit und ihre Erfinder, schreibt er an Lucilius1, und es sei erfreulich, gleichsam die Erbschaft Vieler anzutreten. Für ihn sei dieses alles erworben und erarbeitet worden. „Aber", fährt Seneca fort, „wir wollen als guter Hausvater handeln: wir wollen vergrößern, was wir empfangen haben. Größer soll diese Erbschaft von mir auf die Nachwelt übergehen! Viel bleibt auch jetzt noch zu tun übrig, und viel wird übrig bleiben, und es wird keinem selbst nach tausend Zeitaltern Geborenen die Möglichkeit genommen sein, noch etwas hinzuzufügen. Aber selbst wenn alles bereits von den Alten gefunden worden ist, dies wird ewig neu bleiben: die Anwendung und die Kenntnis und die Disposition des von den anderen Gefundenen." Mit einem sehr anschaulichen Beispiel aus der Medizin nimmt Seneca den Teil dieses Gedankengangs, der ihm am wichtigsten erscheint, wieder auf: Lucilius solle einmal annehmen, daß ihnen wirksame Heilmittel gegen Augenkrankheiten überliefert worden wären. In einem solchen Falle hätte man es nicht nötig, nach anderen Medikamenten zu suchen, aber man hätte doch für jede einzelne Augenkrankheit das passende Medikament bereitzustellen, man müßte die Arzneien zerreiben, die Zeit für ihre Anwendung und die Dosis auswählen. So verhalte es sich auch in der Philosophie: Die Heilmittel für die Seele seien von den Alten bereits gefunden worden, aber wie sie anzuwenden seien und wann, danach zu fragen sei nun ihre Aufgabe. Treffender als es Seneca mit diesen Worten selbst getan hat, hätte man sein Verhältnis zur Tradition kaum definieren können. Es ist ihm demnach in seiner Praxis der Seelenleitung nicht darum zu tun, nach neuen Medikamenten, d.h. nach neuen philosophischen Systemen, Ausschau zu halten oder bestehende abzuändern, sondern er ist mit dem Vorhandenen zufrieden. Es kann sich für ihn allenfalls darum handeln, noch etwas hinzuzufügen, die Systeme auszubauen; im großen und ganzen aber sieht er seine Aufgabe darin, aus dem bereits zur Verfügung Stehenden das seiner Meinung nach Passende auszuwählen und sich mit der Art und Weise der Anwendung, also mit der Methode, zu befassen.
1 Vgl. Sen., Ер. 64, 7 f.
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Tradition und Originalität
Seneca bestätigt also durch seine eigenen Aussagen, was sich im Laufe der Arbeit herausgestellt hatte, nämlich daß er in der Begründung und Zielsetzung seiner Seelenteitung von der Lehre der orthodoxen Stoa kaum abweicht. Demgegenüber bedeutet es keinen Widerspruch, wenn Seneca des öfteren sein Recht auf eine eigene Meinung innerhalb der Stoa betont, denn er nimmt es bei genauer Prüfung der diesbezüglichen Stellen in der Hauptsache in dem oben angegebenen Rahmen in Anspruch, d.h. für ^ die Auswahl (eligere, relinquere), für Zusätze und für die Methode 2 ; meist aber will er nichts anderes damit ausdrücken, als daß er sich nicht blindlings der Ansicht eines berühmten Philosophen verschreibt 3 , sondern erst nach eingehender Überprüfung der Lehren seine Zustimmung gibt: „non servio illis, sed assentior" sagt Seneca im 80. Brief 4 , und in dem Traktat De vita beata vergleicht er sein Vorgehen sehr anschaulich mit einer Senatsverhandlung5: „Ich binde mich nicht an irgendeinen der stoischen Großen: auch ich habe das Recht, meine Meinung zu sagen. Daher werde ich dem einen folgen, bei einem andern werde ich anordnen, er solle seinen Vorschlag unterteilen 6 , vielleicht auch werde ich, wenn ich als letzter zur Meinungsäußerung aufgerufen worden bin, nichts von dem verwerfen, was meine Vorgänger für gut befunden haben, und [nur] sagen: „Meine Meinung ist außerdem noch folgende!" Daß sich Seneca in der Theorie seiner Seelenleitung der Meinung seiner Vorgänger anschloß, ist, wie der historische Vergleich zeigt, der Regelfall gewesen. Worauf es ihm aber dabei ankommt, ist, daß man die von anderen übernommene Meinung oder eine Auswahl daraus sich wirklich zu eigen macht und sie auch in eigener Verantwortung vertritt und in eigener Diktion weitergibt, ohne sich dabei für jedes Wort in den Schutz eines großen Namens zu begeben 7 . Durch einen Vergleich mit den Honig sammelnden Bienen hat Seneca selbst diesen Vorgang veranschaulicht: Man solle die Bienen nachahmen, sagt er, und alles, was man aus seiner verschiedenartigen Lektüre 8 an Wissensstoff zusammengebracht habe, klassifizieren — besser 2 An einer Stelle (Ep. 80, 1) spricht Seneca allerdings auch von Abänderungen (mutare), die er nötigenfalls vornehmen will, und in der Tat gibt es zwei Punkte, die aber überhaupt nicht ins Gewicht fallen, in denen er bewufit von der orthodoxen Stoa abfällt: es handelt sich dabei um eine geringe Abweichung von der stoischen Kategorienlehre, die ihm überspitzt erscheint (Ep. 58, 13), und ferner um die schon erwähnte Bevorzugung der secunda bona (vgl. S. 118). Dagegen verteidigt er häufig die Strenge der Stoa gegen jeden Versuch der Milderung und Verwässerung und wendet sich auch in peripheren Fragen, z.B. in der Kulturentstehungslehre (Ep. 90) und in der Lehre über die Entstehung der Regenbogenfarben (Quaest. nat. I, 5, 11), gegen Abweichungen des Poseidonios. 3 Vgl. oben S. 83. 4 Sen., a. a. 0 . § 1. 5 Sen., a. a. 0.3, 2. 6 Der Terminus technicus „sententiam dividere" bedeutet, daß gegebenenfalls die einzelnen Punkte, aus denen der Vorschlag eines Senators bestand, getrennt vorgebracht werden sollten, damit über jeden einzelnen abgestimmt werden konnte. 7 Vgl. Sen., Ep. 33, 8 f.: Omnes itaque istos, numquam auctores, semper interpretes sub aliena umbra latentes, nihil existimo habere generosi, numquam ausos aliquando facere, quod diu didicerant. Memoriam in alienis exercuerunt. Aliud autem est meminisse, aliud scire. Meminisse est rem commissam memoriae custodire: at contra scire est et sua facere quaeque nec ad exemplar pendere et totiens respicere ad magistrum: „Hoc dixit Zenon, hoc Cleanthes". Aliquid inter te intersit et librum: quousque disces? Iam et praecipe. 8 Das Wortspiel von lectio < J®®^® ~ ^ J ^ e l n
«st in der Übersetzung leider nicht wieder-
zugeben. Der lat. Text lautet: Ep. 84, 5: . . . nos quoque has apes debemus imitari et quaecumque ex diversa lectione congessimus, separare, - melius enim distincta servantur;
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nämlich könne man gut voneinander Unterschiedenes bewahren —. Danach müsse man durch die eigene geistige Anstrengung und Begabung alle diese verschiedenen Kostproben zu einem einheitlichen Geschmack verbinden, so daß, wenn auch die Quelle der einzelnen Entnahmen sichtbar bleibe, dennoch deutlich werde, daß es nicht dasselbe geblieben sei, was es war. - An diesem Bild aber läßt es sich Seneca noch nicht genügen; er zieht auch noch den Verdauungsvorgang im menschlichen Organismus zum Vergleich heran 9 : „Solange die Nahrungsmittel, die wir aufgenommen haben, in ihrer eigenen Qualität erhalten bleiben und als feste Bestandteile im Magen schwimmen, sind sie eine Belastung. Aber wenn sie eine Veränderung durchgemacht haben, dann schließlich gehen sie in Kraft und Blut über. Dasselbe müssen wir für den geistigen Ernährungsvorgang leisten: Wir dürfen nicht dulden, daß das Aufgenommene unangetastet bleibt, auf daß es nicht ein Fremdkörper im Organismus bleibe. Wir müssen es verdauen: Andernfalls geht es wohl dem Gedächtnis ein, aber wird nicht Teil unseres geistigen Seins." Ist die Bedingung der geistigen Integration fremden Gedankengutes erfüllt, so ist dem Originalitätsanspruch nicht nur Senecas, sondern überhaupt der Antike damit Genüge getan, man hat dann das Recht, sich als Autor zu bezeichnen im Gegensatz zum bloßen Interpreten. Diese Bewahrung der inneren Freiheit und Eigenverantwortlichkeit und des von philosophischen Schulzwistigkeiten ungetrübten Blicks dokumentiert sich auch in der sehr sympathischen Objektivität, mit der Seneca trotz aller prinzipiellen Ablehnung seiner Lehre einen Mann wie Epikur zu beurteilen in der Lage ist 1 0 , und sie äußert sich auch in der jedem Doktrinarismus abholden Bescheidenheit 11 , mit der Seneca die Lehre der Stoa vertritt und die wohl nicht zum wenigsten zu seinem großen Erfolg bei der römischen Jugend beigetragen hat. Senecas oft betonte Unabhängigkeit ist also mehr als Ausdruck einer inneren Haltung denn als philosophische Eigenständigkeit zu verstehen. Senecas Originalität im heutigen Sinne könnte also, seinen eigenen Aussagen zufolge, nicht in der Erfindung neuer Medikamente, d Ji. neuer philosophischer Lehren, zu suchen sein (was als den Tatsachen entsprechend in vorstehender Arbeit nachgewiesen wurde), sondern nur in ihrer Auswahl und Zusammenstellung, in ihrer Ergänzung und Anwendung. Wir wollen nun im einzelnen sehen, wie es sich damit verhält.
- deinde adhibita ingenii nostri cura et facultate in unum saporem varia illa libamenta confundere, ut etiam si appaxuerit, unde sumptum sit, aliud tarnen esse quam unde sumturn est, appareat. Das Beispiel mit den Bienen erscheint ebenfalls bei Plutarch, De audiendo 41 F. 9 Sen. а. а. О. 6: alimenta, quae accepimus, quamdiu in sua qualitate perdurant et solida innatant stomacho, onera sunt; at cum ex eo, quod erant, mutata sunt, tum demum in vires et in sanguinem transeunt. Idem in his, quibus aluntur ingenia, praestemus, ut quaecumque hausimus, non patiamur integra esse, ne aliena sint. Concoquamus illa: alioquin in memoriam ibunt, non in ingenium. 10 Vgl. u. a. De vit. beat. 13, 5 f.: Itaque non quod dicunt plerique nostrorum, sectam Epicuri flagitiorum magistral» esse, sed illud dico: male audit, infamis est, et immerito. Vgl. Sen., Ep. 33, 2. 11 Vgl. Sen., Ep. 45, 3: ceterum quod libros meos tibi mitti desideras, non magis ideo me disertum puto quam formonsum putarem, si imaginem meam peteres. indulgentiae scio istud esse, non iudicii. et si modo iudicii est, indulgentia tibi inposuit. sed qualescumque sunt, tu illos sic lege, tamquam verum quaeram aühuc, non sciam, et contumaciter quaeram.
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Tradition und Originalität
Was die Auswahl betrifft, so haben die vorangegangenen Ausführungen gezeigt, einen wie kleinen Bereich aus dem traditionellen Stoffkreis der Philosophie Seneca der Behandlung und Aneignung für wert befindet. Daß er mit dieser Tendenz zur Beschränkung allerdings auch wieder in einer gewissen Tradition stand, wurde in der Einlei tung zu zeigen versucht. Ein Vergleich mit Cicero läßt den wirklich eigenen Anteil Senecas, wenn man „eigen" im Sinne von 'neuartig' gebraucht, als sehr klein erscheinen. Wie es mit den Ergänzungen steht, von denen Seneca mehrfach spricht, ist aus Mangel an Vergleichsmaterial nicht leicht zu sagen. Ich kann aus dem gesamten annaeischen Corpus nur eine Stelle anführen, wo Seneca selbst einen speziellen Hinweis gibt; dieser aber ist charakteristisch. Es handelt sich um den 74.Brief an Lucilius, in dem Seneca das grundlegende Dogma der Stoa, daß der Besitz der Tugend zum glücklichen Leben ausreiche, verteidigt. In der zweiten Hälfte seiner Ausführungen12 will er den Einwand eines fiktiven Gegners entkräften, der an die stoische Lehre von den prima bona 13 anknüpft, unter die wohlgeartete Kinder, ein in guten Verhältnissen befindliches Vaterland und gute Eltern gerechnet werden. Wenn diesen Gefahren drohten, so folgert der Gegner, könnten die Stoiker also gar nicht ruhig (securi) zusehen: Die Bedrängnis des Vaterlandes, der Tod der Kinder, die Knechtschaft der Eltern könne sie nicht unerschüttert lassen. Hiergegen will Seneca zunächst die Argumente anfuhren, die die Stoiker gewöhnlich zu ihrer Rechtfertigung vortragen, danach aber noch das hinzufügen, was seiner Meinung nach zusätzlich zu sagen wäre 14 . Übliche Entgegnungen der Stoiker sind etwa, daß der Verlust von Freunden und gutgearteten Kindern kein Übel darstelle, da durch ihren Tod die Möglichkeit, daß man durch sie noch enttäuscht werden könnte, ausgeschaltet werde. Außerdem könne durch den Verlust von Freunden und Kindern im Leben des Weisen keine Lücke entstehen, denn die Tugend fülle alles aus, sie dulde keinen freien Platz, sie nehme den ganzen Geist ein, tilge jede Sehnsucht, sei sich allein genug, könne durch den Besitz von Freunden und Kindern nicht vergrößert werden, und anderes mehr. Seneca trägt gewissenhaft eine lange Liste derartiger Argumentationen vor, und es wäre m.E. falsch zu sagen, daß er sie nicht billige, denn dann hätte er sie gewiß nicht referiert. Aber befriedigt haben sie ihn offensichtlich nicht, an den Kern des Problems schienen sie ihm nicht zu rühren, so daß er das Bedürfnis empfand, von sich aus noch etwas hinzuzufügen15. Am meisten hat ihn wahrscheinlich, wenn auch vielleicht nur unterbewußt, das in diesen stoischen Darlegungen als so ganz und gar nur auf das eigene Ich bezogen erscheinende Verhältnis des Weisen zu seinen Mitmenschen gestört, in dem die Existenz von Freunden und Kindern zu gleichgültigen Anhängseln degradiert wird. Gleich der erste Satz seiner Ausführungen stellt das gestörte Gleichgewicht wieder her: Der Verlust von Freunden und Kindern werfe den Weisen nicht zu Boden, sagt Seneca. Er ertrage in gleicher Gesinnung ihren Tod wie er den seinen erwarte: Ebenso wenig fürchte er den seinen, wie er den ihren betrauere. - Der Tod von lieben Angehörigen hat also in
12 Sen., а. а. О § 22 f. 13 Vgl. S. 118, Anm. 96. 14 Sen., а. а. О. 23: quid adversus hos pro nobis responded soleat, ponam: deinde tunc adiciam, quid praeterea respondendum putem. 15 Sen., a. a. O. 29: sequitur illud, quod me responsurum esse dicebam.
Die Lehre der Voraffekte
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den Augen Senecas dasselbe Gewicht wie der eigene, erhält dieselbe Bedeutung und wird mit dem gleichen Ernst betrachtet, wenn auch der eine wie der andere mit derselben festen Haltung ertragen werden muß. Das bedeutet aber nach Ansicht Senecas nicht, daß der Weise in solchen Fällen in seinem Gefühlsleben überhaupt nicht berührt wird, sondern er wird die Farbe wechseln, im Mienenspiel wird sich eine Bewegung abzeichnen und „was sonst noch immer nicht auf Befehl der Vernunft, sondern durch einen gleichsam natürlichen Antrieb hervorgerufen" werde. Aber bei allen diesen seelischen Vorgängen werde dem Weisen die Überzeugung erhalten bleiben — und das ist für Seneca das allein Wichtige - , daß nichts von alledem (gemeint ist der Verlust von Freunden etc.) ein Übel darstelle noch wert sei, daß die gesunde Vernunft von sich selbst zu diesem hin abfalle. Alles was zu tun sei, werde der Weise mutig (audaciter), sofort (prompte) und willig (libenter) tun. Es schien Seneca also etwas zu wenig zu sein, dem Einwand des Gegners in stoischer Manier nur mit Sätzen aus der Güterlehre zu begegnen, die den konzessionslosen Gegenbeweis für die von der Gegenseite behauptete notwendige Erschütterung des Weisen durch den Verlust von Freunden und Kindern antreten sollten. Es wäre ihm als unmehschlich erschienen, nicht zuzugeben und ausdrücklich darauf hinzuweisen, daß der Weise durch derartige Schicksalsschläge doch berührt werde und seinen Schmerz auch äußere. Die alte Stoa könnte dies in einem gewissen Grade auch konzediert haben - die vorhandenen Zeugnisse16 sprechen nicht unbedingt dagegen — aber wenn sie in dem erwähnten Zusammenhang, nach Seneca zu urteilen, nicht damit operiert, so ist man versucht zu schließen, daß Epiktet eher der strengen stoischen Auffassung entsprochen haben wird 1 7 , der die motus inevitabiles auf die Reaktion auf plötzlich eintreffende Schreckensbotschaften beschränkte. Dadurch würde es sich erklären, daß die Erwähnung der Voraffekte, von der alten Stoa aus gesehen, in einer Diskussion wie der obigen keinen Platz hatte, handelte es sich doch nicht um die unvermutet eintreffende Nachricht von dem Verlust von Angehörigen, sondern um deren Verlust überhaupt, ob erwartet oder nicht. Außerdem bleiben für die Stoa derartige gefühlsmäßige Anwandlungen doch wohl immer nur die letzten, nicht tilgbaren Reste, sozusagen die Narben 18 , aus dem früheren Zustand der Unvollkommenheit, über die man lieber hinwegsieht als auf sie aufmerksam zu machen. Ganz anders Seneca. Erstens beschränkt er, wie bereits erwähnt1 y und wie auch aus dieser Stelle ersichtlich, die motus inevitabiles nicht auf plötzliche Eindrücke, und zweitens bedeuten ihm diese als unwillentlich bezeichneten Gefühlsäußerungen eine absolute Notwendigkeit und ein unabdingbares Attribut der Menschlichkeit 0 , über dessen Fehlen man sich schämen müßte, nicht aber über sein Vorhandensein. Einen Schmerz muß man über den Verlust eines geliebten Menschen empfinden, sofern man selbst ein Mensch sein will, aber gleichzeitig wissen, daß der Tod als solcher in den großen Ablauf des Naturgeschehens einzuordnen ist, das in seiner auf göttlicher Vernunft beruhenden Ordnung frei von allen Übeln ist. 16 Vgl. S. 133, Anm. 45. 17 Vgl. die Äußerung Plutarchs, die Lehre des Epiktet stimme mit den Schriften des Chrysipp überein. 18 Vgl. S. 132, Anm. 38, zweites Zitat. 19 Vgl. S. 133 ff. 20 Vgl. Sen., Ер. 99, 15: inhumanitas est ista, non virtus, funera suorum isdem oculis, quibus ipsos, videre nec commoveri ad primam familiarium divulsionem.
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Tradition und Originalität
Wurde schon im Kapitel über die „securitas" der sehr weite Anwendungsbereich der Voraffekte und ihre positive Bewertung aus sachlichen Gründen als eine Eigentümlichkeit Senecas im Vergleich zu Epiktetund als Abweichung von der Linie der orthodoxen Stoa gewertet, so scheint der eben besprochene Hinweis Senecas auf eigene Zusätze zur üblichen stoischen Argumentation in dieselbe Richtung zu weisen und außerdem die Möglichkeit anzudeuten, daß auch die Urheberschaft für die genannten Erscheinungen (weiter Anwendungsbereich und positive Bewertung der Voraffekte) bei Seneca selbst zu suchen ist. Hatte sich Senecas Originalität im heutigen Sinne in der Auswahl des Stoffes als sehr beschränkt erwiesen und ließen sich auch auf Seneca zurückgehende Erweiterungen des stoischen Systems (die allerdings mehr als Veränderungen anzusehen sind) nur vermutungsweise und in einem sehr geringen Umfang nachweisen, so sind die eigenen Leistungen Senecas auf dem Gebiete der Seelenleitungsmethode wesentlich höher zu bewerten. Zwar kann ich mich nicht der Meinung derer anschließen, die Seneca bahnbrechende neue pädagogische Erkenntnisse zuschreiben Die Fülle der psychologisch feinen Beobachtungen über Kindereiziehung (in De ira), über die beste Art des philosophischen Studiums (in den Briefen), über das Greisenalter (ebenfalls in den Briefen), erweist sich bei genauerem Hinsehen" als ebenso traditionell wie seine philosophischen Ansichten, und es ist m.E. nichts unzutreffender als die oft gehörte Behauptung moderner Interpreten, Seneca sei als Pädagoge „seiner Zeit voraus" 21 gewesen. Ich bin vielmehr der Meinung, daß seit dem vierten bis dritten vorchristlichen Jahrhundert alles das an theoretisch-philosophischen wie praktisch-pädagogischen Erkenntnissen vorlag, was bei Seneca in Erscheinung tritt. Wenn man von einem besonderen Verdienst Senecas sprechen kann, dann insofern, als er traditionelles Gedankengut in eine äußerst wirksame Form zu kleiden verstand. Wie schon oben 2 2 erwähnt, ist ihm mit Cicero das Bemühen um stilistisch gefeilten Ausdruck auch und gerade bei der Darstellung philosophischer Themen gemeinsam; was aber seine Schriften von denen Ciceros unterscheidet, ist die starke Ausprägung des paränetischen Elements neben dem belehrenden, die zu einer andersartigen Stilorientierung führt 2 3 . Es handelt sich bei Seneca in noch höherem Grade als bei Cicero um die Einführung der Stilelemente in das philosophische Schrifttum, die in besonderer Weise das „probare" und „movere" zum Ziel haben. Die Redeweise der Philosophen von Plato bis auf seine Zeit — sofern sie sich überhaupt um gepflegten Ausdruck bemühten - wird von Cicero dahingehend charakterisiert, daß es ihr an forensischem, d.h. publikumswirksamem, Nachdruck und Stimulation fehle. Sie erwachse aus der Stille der Philosophenschulen mit dem Ziel zu belehren, nicht zu fesseln, allenfalls zu gefallen, aber selbst das errege bei vielen Anstoß. Sie sei weich und beschaulich, weder mit Sentenzen noch mit populären Ausdrücken versehen 24 . Sie eignet sich daher nur für die gelehrte Diskussion, entbehrt aber jeder Wirkung auf die Menge, und das ist es, was Cicero selbst an 21 22 23 24
So Pire, Stoi'cisme et pedagogie, S. 98. S. 18 ff. Vgl. oben S. 125 f. Cie., Orat. 6 2 - 6 4 : Quamquam enim et philosophi quidam ornate locuti sunt - si quidem et Theophrastus a divinitate loquendi nomen invenit et Aristoteles Isocratem ipsum lacessivit et Xenophontis voce Musas quasi locutas ferunt et longe omnium quicumque scripserunt aut locuti sunt exstitit et suavitate et gravitate prineeps Plato tarnen horum oratio neque
Philosophie und Rhetorik
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Platon, Aristoteles, Theophrast, X e n o p h o n etc. vermißt. Auch die Philosophie darf seiner Ansicht nach einer Redeweise nicht entbehren, die, „geschöpft aus derselben Quelle wie die Kunst wissenschaftlicher Argumentation, reicher und breiter ist als diese und zur Erregung der Gemüter und fur die Sinnesart der breiten Masse geeigneter" 2 5 . In dem jahrhundertelangen Streit zwischen Rhetoren und Philosophen war es aber dieses Rühren an die menschlichen Leidenschaftin, was die Philosophen wegen der Gefahr des Mißbrauchs den Rhetoren zum Vorwurf machten, und es war in besonderem Maße die Stoa, die eine rigorose Abkehr von den rhetorischen Gepflogenheiten propagierte 2 6 . Berühmte Römer, die der Stoa anhingen, wie Rutilius Rufus, Q.Mucius Scaevola, Q.Aelius Tubero bis hin zu Cato Uticensis 2 7 , hatten sich in ihrer Redeweise selbst auf dem Forum nach den Anweisungen dieser Schule gerichtet, aber der Erfolg war nicht auf ihrer Seite gewesen. Rutilius Rufus z.B., Schüler des Panaitios, hatte seine Verurteilung zum Exil seiner allzu nüchternen Selbstverteidigung zu verdanken: Nicht nur, daß er es unter seiner Würde fand, Richter und Anwesende u m Mitleid anzuflehen, sondern er lehnte es auch ab, sich von berühmten Rednern wie Crassus und Antonius verteidigen zu lassen und beschränkte sich auf knappe und schlichte, rein informatorische Aussagen 2 8 : Eine Verteidigung, wie sie in Piatos Idealstaat am Platze gewesen wäre, wie Cicero sagt, 2 9 die sich aber angesichts der Realitäten als äußerst
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nervös neque aculeos oratorios ас forensis habet. Loquuntur cum doctis, quorum sedare animos malunt quam incitare, et de rebus placatis ac minime turbulentis docendi causa non capiendi loquuntur, ut in eo ipso, quod delectationem aliquam dicendo aucupentur, plus non nullis quam necesse sit facere videantur. . . . Mollis est enim oratio philosophorum et umbratilis nec sententiis nec verbis instructa popularibus nec vincta numeris, sed soluta liberius; nihil iratum habet, nihil invidum, nihil atrox, nihil miserabile, nihil astutum; casta, verecunda, virgo incorrupta quodam modo. Cie., Part. orat. 23, 7 8 - 7 9 : Sunt autem aliae quasi ministrae comitesque sapientiae; quarum altera quae sint in disputando vera atque falsa quibusque positis quid sequatur distinguit et iudicat; quae virtus omnis in ratione scientiaque disputandi sita est, altera autem oratoria. Nihil est enim aliud eloquentia nisi copiose loquens sapientia; quae ex eodem hausta genere quo ilia, quae in disputando, est uberior atque latior et ad motus animorum vulgique sensus accommodatior. Zum vorliegenden Thema vgl. A. Michel, Rhetorique et philosophie chez Ciceron. Vgl. oben S. 109 f. Zu Ciceros Urteil über den Stil des Cato Uticensis vgl. oben S. 109, Anm. 43. Cie., De orat. I, 229: nam cum esset ille vir (seil. Rutilius Rufus) exemplum, ut scitis, innocentiae cumque illo nemo neque integrior esset in civitate neque sanetior, non modo supplex iudieibus esse noluit, sed ne ornatius quidem aut liberius causam dici suam, quam Simplex ratio veritatis ferebat. Paulum huic Cottae tribuit partium, disertissimo adulescenti, sororis suae filio; dixit item causam illam quadam ex parte Q. Mucius, more suo, nullo apparatu, pure et dilucide. Vgl. ferner, auch über seinen Redestil im allgemeinen, Cie., Brutus 114: Sunt eius orationes ieiunae; multa praeclara de iure; doctus vir et Graecis litteris eruditus, Panaeti auditor, prope perfectus in Stoicis; quorum peracutum et artis plenum orationis genus scis tarnen esse exile nec satis populari adsensioni accommodatum . . . . Qui cum innocentissimus in iudicium vocatus esset,.. . cum essent eo tempore eloquentissimi viri L. Crassus et M. Antonius consulares, eorum adhibere neutrum voluit. Dixit ipse pro sese et pauca C. Cotta . . . et Q. Mucius enucleate ille quidem et polite, ut solebat, nequaquam autem ea vi atque copia quam genus fflud iudici et magnitude causae postulabat. Cie., De orat. I, 230: Nunc talis vir amissus est, dum causa ita dicitur, ut si in illa commenticia Piatonis civitate res ageretur.
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ungeeignet erwies; leider genüge es nicht zu wissen, was man zu sagen habe, wenn man es nicht publikumswirksam zum Ausdruck zu bringen vermöge 3 0 . Dieser Mangel an Wirkung auf ein größeres Publikum ist es denn auch, was Cicero, wenn schon bei Philosophen wie Aristoteles und Piaton, dann besonders an der Stoa auszusetzen hat. Was nützen das beste philosophische System und große Gedanken, wenn man sich damit in den engen Kreis der Schule quasi wie in einen Elfenbeinturm zurückzieht, eine Sprache spricht, die der Menge unverständlich bleiben muß und darauf verzichtet, sein Gedankengut in eine Form zu kleiden, die seine weitere Verbreitung, die Einflußnahme auf breitere Schichten, garantiert? Immer wieder wirft Cicero daher den Stoikern vor, daß ihre subtile und gleichzeitig saft- und kraftlose Ausdrucksweise geradezu abschreckend wirke und für jegliche Art von Seelenleitung nicht zu gebrauchen sei 3 1 . Der Weise, wie ihn Cicero in De legibus entwirft, wird daher die Hilfsmittel der Rhetorik nicht von sich weisen; er wird sich nicht nur an die subtilen Erörterungen der Dialektik halten, sondern er wird, in dem Bewußtsein, „für die Gemeinschaft der Mitbürger geboren zu sein, sich auch der zusammenhängenden, breiteren Rede bedienen, mit der er die Völker lenkt, die Gesetze festigt, die Missetäter straft, die Guten schützt, die ausgezeichneten Männer lobt, mit der er seinen Mitbürgern Präzepte zur Erringung ihres Heils und des Lobes auf eine Weise mitteilt, die geeignet ist zu überzeugen, mit der er zum SittlichSchönen anzutreiben, vom Schändlichen abzuhalten, die Kummerbeladenen zu trösten vermag, mit der er die Taten und Einsichten der tapferen und weisen Männer sowie die Schande der Missetäter in unvergänglichen Denkmälern der Öffentlichkeit darstellt." 32 Seneca teilt die Auffassung Ciceros von der mangelnden Breitenwirkung und Überzeugungskraft stoischer Literatur, wenn er auch — selbst ein Stoiker — nicht so in allen Einzelheiten darauf eingeht wie Cicero. Er vermeidet es, gegen die stoische Auffassung von der Rolle der Rhetorik offen zu polemisieren, und er empfiehlt auch keineswegs ein Studium der Rhetorik im Sinne der Rhetorenschulen 33 . Aber letzten Endes kritisiert er dieselben Phänomene in der stoischen Argumentationsweise wie Cicero: das Übermaß an dialektischen Spitzfindigkeiten ohne Überzeugungs-
30 Cie., Brutus 110: Neque enim refert videre quid dicendum sit, nisi id queas solute et suaviter dicere . . . 31 Vgl. Cie., Brutus 114, zitiert S. 185, Anm. 28; ferner: Cie., De orat. III, 66: Accedit quod orationis etiam genus habent (seil. Stoici) fortasse subtile et certe acutum, sed, ut in oratore, exile, inusitatum, abhorrens ab auribus vulgi, obscurum, inane, ieiunum . . . Cie., Brutus 118 Quam hoc idem in nostris contingere intellego quod in Graecis, ut omnes fere Stoici prudentissimi in disserendo sint et id arte faciant sintque architect! paene verborum, idem tradueti a disputando ad dicendum inopes reperiantur. Ibid. 120: Nam ut Stoicorum astrictior est oratio aliquantoque contractior quam aures populi requirunt.. . Cie., De orat. II, 159: Hie nos igitur Stoicus iste nihil adiuvat, quoniam, quem ad modum inveniam quid dicam, non docet; atque idem etiam impedit, quod et multa reperit, quae negat ullo modo posse dissolvi, et genus sermonis adfert non liquidum, non fusum ac profluens, sed exile, aridum, concisum ac minutum, quod si qui probabit, ita probabit, ut oratori tarnen aptum non esse fateatur; haec enim nostra oratio multitudinis est auribus accommodanda, ad oblectandos animos, ad impellendos, ad ea probanda, quae non aurificis statera, sed populari quadam trutina examinantur; qua re istam artem^otam dimittimus, quae in exeogitandis argument s muta nimium est, in iudicandis nimium loquax. Vgl. oben die Zitate S. 88, Anm. 62. 32 Cie., De leg. I, 62. 33 Vgl. oben S. 109 f.
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k r a f t 3 4 . Es geschieht selten in diesem Zusammenhang, daß er einen Stoiker persönlich angreift, wie im 82. und 83.Brief Zenon, im 87. Poseidonios und Antipater; häufiger sind anonyme Anspielungen. Auch nach Senecas Meinung darf der Philosoph sich nicht in subtilen Erörterungen ergehen, sondern er m u ß bei der Propagierung seiner Prinzipien sprechen wie in der Volksversammlung, wenn es gilt, die Annahme eines neuen Gesetzes durchzubringen 3 5 . Dennoch ist es nicht der Stil Ciceros, den er für die philosophische Paränese geeignet hält: seine Perioden erscheinen ihm als zu gleichförmig und weich 3 6 . Seneca inspiriert sich am Theater, an der Dichtung: „Leicht ist es, den Hörer zur Liebe des Guten zu entzünden: allen nämlich gab die Natur die Voraussetzungen und Samen der Tugenden, alle sind wir zu allem dieser Art geschaffen. Sobald jemand den Anreiz gibt, werden alle diese guten
34 Sen., Ер. 82, 8 ff.: Faciet autem illud fiimum adsidua meditatio, si non verba exercueris, sed animum, si contra mortem te praeparaveris, adversus quam non exhortabitur nec adtollet, qui cavillationibus tibi persuadere temptaverit mortem malum non esse. Libet e n i m , . . . ridere ineptias Graecas, quas nondum, quamvis mirer, excussi. Zenon noster hac conlectione utitur: „nullum malum gloriosum est: mors autem gloriosa est: mors ergo non est malum." Profecisti: liberatus sum metu; post hoc non dubitabo porrigere cervicem. Non vis severius loqui nec morituro risum movere? Non mehercules facile tibi dixerim, utrum ineptior fuerit, qui se hac interrogatione iudicavit mortis metum extinguere, an qui hoc, tamquam ad rem pertineret, conatus est solvere. Ibid., 19: Nostri quidem videri volunt Zenonis interrogationem veram esse, fallacem autem alteram et falsam, quae illi opponitur. Ego non redigo ista ad legem dialecticam et ad illos artificii velernosissimi nodos: totum genus istuc exturbandum iudico, quo circumscribi se, qui intenogatur, existimat et ad confessionem perductus aliud respondet, aliud putat. Pro veritate simplicius agendum est, contra metum fortius. Haec ipsa, quae volvuntur ab illis, solvere malim et expendere, ut persuadeam, non ut inponam. Ibid., 22 f f . : . . . quem mortalium circumscriptiones vestrae fortiorem facere, quem erectiorem possunt? frangunt animum, qui numquam minus contrahendus est et in minuta ac spinosa cogendus, quam cum aliquid grande componitur . . . omnibus mortalibus mortis timor detrahi debet. Quomodo illos doces malum non esse? quomodo opiniones totius aevi, quibus protinus infantia inbuitur, evincis? quod auxilium invenis [quid dicis] inbecillitati humanae? quid dicis, quo inflammati in media pericula inruant? qua oratione hunc timendi consensum, quibus ingenii viribus obnixam contra te persuasionem humani generis avertis? verba mihi captiosa componis et interrogatiunculas nectis? Vgl. Ep. 83, 9. 35 Sen., Ep. 87, 40 f.: De isto videbimus, si quando valde vacabit, quae sit divitiarum, quae paupertatis substantia: sed tunc quoque considerabimus, numquid satius sit paupertatem permulcere, divitiis demere supercilium quam litigare de verbis, quasi iam de rebus iudicatum sit. Putemus nos ad contionem vocatos: lex de abolendis divitiis fertur. His interrogationibus suasuri aut dissuasuri sumus? his effecturi, ut populus Romanus paupertatem, fundamentum et causam imperii sui, requirat ac laudet, divitias autem suas timeat, ut cogitet has se apud victos repperisse, hinc ambitum et largitiones et tumultus in urbem sanctissimam temperantissimam inrupisse, nimis luxuriöse ostentari gentium spolia, quod unus populus eripuerit omnibus, facilius ab omnibus uni eripi posse? Hanc satius est suadere et expugnare adfectus, non circumscribere. Si possumus, fortius loquamur: si minus, apertius. 36 Sen., Ep. 114, 15: Ad compositionem transeamus. Quot genera tibi in hac dabo, quibus peccetur? Quidam . . . Quorundam non est compositio, modulatio est: adeo blanditur et molliter labitur. Quid de ilia loquar, in qua verba differuntur et diu expectata vix ad clausulas redeunt? Quid illa in exitu lenta, qualis Ciceronis est, devexa et molliter detinens nec aliter quam solet, ad morem suum pedemque respondens? Vgl. Ep. 100, 7. Einige Stilproben Ciceros, von diesem selbst im Orator als Muster angeführt, seien zum Vergleich gegeben: Cie., Orat. 165: Est enim, iudices, haec non scripta, sed nata lex,
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seelischen Anlagen, die gleichsam geschlafen hatten, aufgeweckt. Bemerkst du nicht, wie die Theater vom Beifall widerhallen, sooft etwas gesagt wird, was wir insgesamt anerkennen und durch einstimmige Zustimmung als wahr bezeugen? Desunt inopiae multa, avaritiae omnia. In nullum avarus bonus est, in se pessimus. Diesen Versen spendet selbst der schmutzigste Geizhals Beifall und freut sich, daß sein Laster geschmäht wird. In wieviel stärkerem Maße ist das erst der Fall, wenn derlei Dinge von einem Philosophen gesagt werden, wenn sich unter seine heilbringenden Präzepte Verse mischen, die dieselben wirksamer in die Seele der Laien eindringen lassen. 'Denn', wie Kleanthes sagte, 'wie unser Atem einen lauteren Klang hervorbringt, wenn ihn die Tuba, nach langem Weg durch die Enge einer Röhre, am äußersten Ende verstärkt freigibt, so bewirkt der Verszwang eine größere Leuchtkraft unserer Gedanken.' Dieselben Gedanken werden nachlässiger aufgenommen und haben weniger Widerhall, sofern sie in ungebundener Rede gesagt werden; sobald ein Versmaß hinzukommt und bestimmte Versfüße den hohen Sinngehalt noch konzentrieren, erhält ein und dieselbe Idee die Gewalt eines von einem kräftigen Arm geschleuderten Geschosses. Über die Geringschätzung des Geldes wird viel gesprochen, und in langausgedehnten Reden wird den Menschen ans Herz gelegt zu glauben, daß ihr Reichtum nicht im väterlichen Erbe, sondern in ihrer Seele liegt und daß derjenige reich ist, der sich seiner Armut anzupassen wußte und sich mit Wenigem reich gemacht hat. Stärker werden die Seelen getroffen, wenn Verse folgender Art gesprochen werden: Is minimo eget mortalis qui minimum cupit. Quod vult habet, qui velle quod satis est potest. Wenn wir dieses und Ähnliches hören, werden wir zum Bekenntnis der Wahrheit gebracht. Selbst die Unersättlichen bewundern diese Worte, spenden Beifall und erklären dem Reichtum den Krieg. Wenn du nun diese Gemütsverfassung bei jenen wahrnimmst, dann laß nicht locker, stoße nach, lade ihnen Gepäck auf unter Weglassung aller Zweideutigkeiten, Syllogismen, Sophistereien und der übrigen Spielereien eines unproduktiven Geistes. Sprich gegen den Geiz, gegen den Luxus; wenn du siehst, daß du etwas erreicht und die Zuhörer affiziert hast, dann bedränge sie noch heftiger. Es ist unglaublich, was eine solche auf die Seelenheilung abzielende und ganz auf das Wohl der Zuhörer ausgerichtete Rede zu leisten vermag." 3 7 Denselben Dienst wie der Vers leistet die Sentenz, wie Seneca an anderer Stelle bezeugt 38 . Vers und Sentenz affizieren den Zuhörer unmittelbar, sie erzielen die vor allem in den ersten Stadien der Seelenleitung notwendige starke Wirkung auf das Gemüt, die Antriebskraft, handelt es sich doch zunächst nicht darum zu belehren, sondern zu ermahnen, d.h. erst einmal die Aufmerksamkeit auf sich zu
quam non didicimus, accepimus, legtmus, verum ex natura ipsa arripuimus, hausimus. expressimus, ad quam non docti,, sed facti, non instituti, s«l imbuti sumus. Ibid., 167: conferte hanc pacem cum illo bello, huius praetoris adventum cum illius imperatoris victoria, huius cohortem impuram cum illius exercitu invicto, huius libidines cum illius continentia: ab illo qui cepit conditas, ab hoc qui constitutas accepit captas dicetis Syracusas. 37 Sen., Ep. 108, 8 ff. 38 Sen., Ep. 94, 27, übersetzt oben S. 16 f.
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ziehen, zu stimulieren, das Gedächtnis zu stützen, sein Entgleiten zu verhindern 39 . Den Mangel an Sentenzen läßt Seneca in einem Brief den Lucilius an den Schriften des Philosophen Fabianus aus der Schule der Sextier beklagen4 0 , und wenn Seneca auch den ehemaligen Rhetoren als guten Stilisten verteidigt, so wird doch gleichzeitig dessen mangelnde Durchschlagskraft bei Lesern wie Lucilius konstatiert. Senecas Anschluß an den Stil der Sophisten, wie ihn Cicero beschreibt und für seine Zwecke ablehnt 41 , kann daher nur als bewußt erscheinen; andererseits ist die Kritik verständlich, die man an Senecas Stil üben kann, wenn man wie Quintilian nicht von den Maßstäben der Seelenleitung, sondern von denen der reinen Eloquenz geleitet wird4 2 . Immerhin muß er bezeugen, daß Seneca die von ihm gewünschte Wirkung gehabt hat: Er war damals der am meisten und fast ausschließlich gelesene Autor der Jugend 43 . Die Originalität Senecas auf dem Gebiet der Seelenleitung beruht auf dem rhetorisch-formalen Aspekt seiner Methode, deren Darstellung daher im wesentlichen in nichts anderem bestände als in einer Untersuchung über die rhetorische Struktur seiner Prosaschriften: Die Sentenz ist natürlich nicht das einzige rhetorische Kunstmittel, dessen sich Seneca bei seiner Seelenleitung bedient. Es seien hier noch kurz erwähnt die verschiedenen Formen der amplificatio 44 (per comparationem, per incrementum, ex contrario, per partitionem), die ein anderes Hauptmittel der Veranschaulichung darstellen. Aber Seneca bediente sich nicht nur vollendet aller seit der Sophistik für die Prosarede entwickelten rhetorisch-psychagogischen Erkentnisse4 5 , sondern er stellte auch mit seinen Tragödien als einer Art philosophischer Propädeutik die Dichtung in den Dienst der Seelenleitung, um möglichst weite Kreise anzusprechen. Daß er sich mit dieser Intention nicht im Widerspruch zur stoischen Lehre befand, hat Ph.de Lacy4 6 dargelegt. Das Publikum wurde nämlich nach stoischer Theorie in 39 Sen., Ер. 94, 25: Non docet admonitio, sed advertit, sed excitat, sed memoriam continet nec patibur elabi. 40 Sen., Ер. 100, 8: Deest Ulis oratorius vigor stimulique, quos quaeris, et subiti ictus sententiarum. Ibid. 5: Sensus honestos et magnificos habes, non coactos in sententiam, sed latius dictos. 41 Cie., Orat. 65: Sophistarum, de quibus supra dixi, magis distinguenda similitudo videtur, qui omnes eosdem volunt flores quos adhibet orator in causis persequi. Sed hoc differunt quod, cum sit his (seil, philosophis) propositum non perturbare animos, sed placare potius nec tarn persuadere quam delectare, et apertius id faciunt quam nos et crebrius, concinnas magis sententias exquirunt quam probabilis, a re saepe discedunt, intexunt fabulas, verba altius tiansferunt eaque ita disponunt ut pictores varietatem colorum, paria paribus referunt, adversa contrariis, saepissimeque similiter extrema definiunt. 42 Quint., Inst. orat. X, 129 f.: In philosophia parum diligens, egregius tarnen vitiorum insectator fuit. Multae in eo claraeque sententiae, multa etiam morum gratia legenda; sed in eloquendo corrupta pleraque atque eo perniciosissima, quod abundant dulcibus vitiis. . . Nam si. . . (es folgt eine längere, von der Textkritik nicht einwandfrei geklärte Stelle), si non omnia sua amasset, si rerum pondera minutissimis sententiis non fregisset, consensu potius eruditorum quam pueiorum amore comprobaretur. 43 Quint., Inst. orat. X, 125: Tum autem solus hie fere in manibus adulescentium fuit. 44 Vgl. hierzu auch Rabbow, Seelenführung, der hierin eine der Grundformen antiker und christlicher Meditation erblickt. 45 Vgl. oben S. 17 ff. 46 Ph. de Lacy, Stoic views of poetry, bringt eine Zusammenstellung der Zeugnisse über die stoischen Ansichten zur Poetik.
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zwei Gruppen eingeteilt, in Ungebildete und Gebildete: Ein ungebildetes Publikum ist unfähig, einem philosophischen Diskurs zu folgen und muß daher mit anderen Mitteln für die Philosophie gewonnen werden: durch Dichtung und Musik. Beide werden daher als eine Art Vorbereitung für die Philosophie, oder sogar als „erste Philosophie" bezeichnet. Das Vergnügen, das sie gewähren, nimmt das Ohr des Hörers auch für die in der Dichtung umschlossenen Gedanken ein und erzieht ihn auf diese Weise. Der Dichter schreckt vom Laster ab durch Beispiele des Bösen und begeistert für das Gute, indem er die Vorbilder für die Nacheiferung schafft. Selbstverständlich gilt eine solche Einschätzung der Poetik nicht den Dichtungen der gewöhnlichen Art, die unsere Begierden eher anstacheln als vermindern, sondern nur einer von philosophischen Einsichten geleiteten. Daß Seneca nicht der Schöpfer einer solchen Art von Tragödie ist, darauf hat F. Egermann 47 in seinem Aufsatz über Seneca als Dichterphilosophen bereits hingewiesen: Diogenes Laertios 48 erwähnt den Kyniker Diogenes von Sinope und Krates von Theben als Schöpfer philosophischer Tragödien. So sind auch Senecas Tragödien nichts anderes als ein weiterer Beitrag zur philosophischen Erziehung, zur Seelenleitung. Sie sind großangelegte Schaubilder menschlicher Torheit, Paradeigmata mit negativen Vorzeichen und abschreckender Wirkung. „Denn, so fragt Epiktet, was sind die Tragödien anderes als die metrische Darstellung der Affekte von Menschen, die den äußeren Dingen ganz und gar verfallen sind wie Priamos, Oidipus und so viele Große? " 4 9 Sie sind Gegenbilder zur Verherrlichung des stoischen Weisen, den Seneca in seinen Prosaschriften zu rühmen nicht müde wurde. Seneca hat bei seinen Zeitgenossen, besonders bei der Jugend 50 , den Erfolg gefunden, der dem hohen Maß der Hingabe an seine Aufgabe entsprach. Selbst Quintilian bezeichnet ihn als egregium vitiorum insectatorem 51 . Dieser Erfolg hat sich in ungewöhnlicher Weise bis ins Mittelalter und in die Renaissance hinein erstreckt: „Que Cicero, pere d' eloquence, traite du mespris de la mort; que Seneque en traite aussi: celuy la traine languissant, et vous sentez qu' il vous veut resoudre de chose dequoy il n'est pas resolu; il ne vous donne point de coeur, car luy-mesme n'en a point; l'autre vous anime et enflamme." 52 Senecas geistesgeschichtliche Bedeutung besteht darin, daß er mehr als irgend ein anderer antiker Autor das reiche Erbe der griechisch-römischen Tradition der Seelenleitung an das abendländische Denken weitergeleitet hat.
47 48 49 50 51 52
F. Egermann, Seneca als Dichterphilosoph. Diog. L., VI, 80 (Diogenes v. Sinope) u. VI. 98 (Krates v. Theben). Epict., Diatr. I, 4, 25 f.; vgl. Egermann, а. а. O., S. 25. Vgl. Zitat oben S. 189, Anm. 43. Quint., Inst. orat. X, 129. Montaigne, Essais, II, 31.
INDICES
Literaturverzeichnis
I. Textausgaben, Kommentare und Übersetzungen
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Textausgaben, Kommentare, Übersetzungen -
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Textausgaben, Kommentare, Übersetzungen
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25,27 72, 73, 75, 76, 77 89,93,94 131
de Lacy, Ph. 189 Landmann, M. 29, 30, 31, 36, 171 Leemann, A. D. 3 Lesky, A. 30 v. Loyola, I. 1 , 1 8 Luck 1 Luschnat, O. 72, 73, 76, 77, 7& Marquardt 70 Maurer 67 Mehat, A. 21, 24 Michel, A. 185 de Montaigne, M. 190 Moraux, P. 81 Moreau, J. 7 3 , 7 5 , 7 7 Oldfather, W. A. 56 Oltramare, A. 80, 89 Osborne, H. 67 Pachlatko, P. 27, 30 Peter, H. 169, 170
Index moderner Autoren Philippson, R. 44,122 Pire, G. 184 des Places, Ed. 33,170 Pohlenz, M. 32, 72, 84, 9 2 , 1 0 2 , 1 0 9 , 1 2 7 , 133,135, 163 Rabbow, P. 1, 57, 58, 60, 61, 62, 70, 84, 107, 189 Ravaisson, F. 62 Regenbogen, O. 94 Rieth, O. 104 de Romilly, J. 38 Rubin, S. 3, 72, 91, 92,101, 117,150, 151 Schiller, F. 1 Schindler, K. 76,77 Schmekel, A. 7 1 , 7 5 , 7 6 Schmid, W. 67 Schubart, W. 68 Schwyzer, H.-R. 67 Sipple, Α. 1, 3 , 1 0 5 , 1 5 0
Smiley, С. Ν. 109 Snell, В. 12 Souilhe, J. 56,57 Stein 91 van Straaten, Μ. 75 Studnik, Η. Η. 22 Tarn, W. 48 Teuffei, W. S. 125 Theiler, W. 80 Trillitzsch, W. 1 , 5 8 Usener, H. 5 2 , 5 3 , 5 4 Voelke, A. J. 173 Wehrli.F. 1 1 , 1 3 , 1 5 , 4 7 De Witt, N. W. 48, 49, 51, 53, 54 Zeller, E. 2, 76, 83, 113,130 Zucker, F. 12,67
Index der Namen und zitierten Stellen Die Zahlen hinter den Namen bezeichnen die Seiten ohne Berücksichtigung der Häufigkeit des Vorkommens eines Namens auf einer Seite. Abaxis: 24 Achäischer Bund: 47 Achill: 24, 154 Aeneas: 123 Aetius doxographus: siehe unter Stoicorum Veterum Fragmenta Agesilaos, Spartanerkönig: 28 Akademie, akademisch: 25, 39, 40, 41, 49, 79, 82, 83, 86, 88, 90,147;akademischperipatetische Oikeiosislehre (Cie., De fin. IV, 16 u. V, 23): 30 Aletheia: 10 Alexander d. Große: 47 Alkaios, Epikureer: 79 Anaxagoras: 61 Andronikos: 136, siehe ferner unter Stoicorum Veterum Fragmenta Amafinius, C.: römischer epikureischer Schriftsteller Antiochosv. Askalon: 44, 84, 86, 87, 147 Antiochos III.: 47 Antipaterv. Tarsos: 72, 75, 187 Antiphon, Diels-Kranz, VS II, 87 В 2: 16 Diels-Kranz, VS II, 87 А 6: 21 Antisthenes: 40 Antonius, M., Redner: 185 Apollodor, Stoiker: 112 Apollonides, Schüler des Epikur: 64 Archedem, Stoiker: 113 Areios Didymos, Abriß der peripatetischen Ethik: 41,44,48, 122 bei Stob., Ecl. 11,132, 20 W: 47 Aristeas, Epistula ad Philocratem: 24, 68 Epistula ad Philocratem 298: 69 Aristeidesv. Athen: 154 Aristeides, P. Aelius, II, 47: 19 Aristipp: 44 Ariston v. Chios: 9, 75, 102, 105, 111, 152, 174 Ariston v. Keos: 160 Aristophanes, Nub. 476 ff.: 33
Ran. 1113 f. : 17 Aristoteles, aristotelisch: 40, 44, 78, 86, 87, 99,106, 107,138, 139,140, 146,147, 173, 184, 185, 186 Dean. 11,413 В 12 ff.: 16 Eth. Eud. II,2,1214 В 27: 122 Π,5,1222 А: 104 III,7,1233 В 17 ff.: 43 111,7,1234 А 24 ff.: 43, 104 VII,12,1245 А 35: 173 Eth. Nik. I, Kap. 1 - 4 : 99 1,3,1095 A 1 ff.: 121 1,4,1095 A 18: 99 1,5,1095 В 17 ff.: 138 I, Kap. 6(1096 A 11 ff.): 100 1.8.1098 В 12 ff.: 41 1.8.1099 А 31: 41 1.13.1102 А 27 f.: 42 11.1.1103 А 14: 106 11,1,1103 А 19 ff.: 147 Π,4,1105 А 31 ff.: 106 11,4,1105 А 33: 106,13 11,4,1105 В 9 ff.: 106,13 11.5.1105 В 20: 42 11.6.1106 В 36 ff.: 42 II,7,1108 А 30 ff.: 43 III,5,1113 В 30 ff.: 146 111,5,1114 А 13 ff.: 146 111,5,1114 В 30 ff.: 146 111,8,1116 В 4 ff.: 26 VI,12,1144 А 34: 27 VI,13,1144 В 4: 104 VI,13,1144 В 20 ff.: 104 X: 139 Х,9,1180 В 7 ff.: 29 Magna Moralia 1,3,1184 В: 41 1,9,1187 А 7: 26 1,27,1192 В 18 ff.: 43 НД5Д213 А 13 ff.: 173 Metaph. 1,5,986 А 15 ff.: 77
Namen- u. Stellenindex Protreptikos Frgm. 10c Ross (= August., Trin. 14, 19, 26): 114 Frgm. 11 Ross (= Jambl., Protr. 9): 16 Figm. 12 Ross (= August., Trin. 14, 9,12): 114 Rhetorik II, Kap. 12-14: 160 11,23,1398 В 20: 174 Kommentare zu Aristoteles: 65 Aman, Schüler des Epiktet: 54, 56, 57, 58 Ep. ad Luc. Gell. § 7 (Oldfather): 58 Asklepios, Gott: 14, 64 Athenodor v. Tarsos, Stoiker, Hausphilosoph des Augustus: 140, 165 Attikos, Mittelplatoniker: 65 Aufidius Bassus, röm. Historiker, Freund Senecas: 130 Augustin, Aurelius: 89 Deciv. Dei XIX, 1 - 3 : 139 De doctr. Christ. 11,36,54-37,55: 89 V,1,1-27,60: 89 De Trin. XIV, 9,12: 114 XIV, 19,10: 114 Augustus: 89,140,165 Baibus, Q. Lucilius, Stoiker: 174 Brutus, M. Iunius: 94, 95, 87 Calcidius: 149 In Timaeum 165 (= SVF 111,229): 158 Cassius Dio, Hist. Rom. LXI,4: 1 LXII.25: 1 Cato, M. Porcius (Censor): 68, 79, 80, 85, 89,157, 167 Cato, M. Porcius (Uticensis): 87, 89, 93, 109,185 Ceres, Göttin: 50 Chrysipp: 9, 32, 44, 56, 60, 73, 75, 76, 88, 93, 103, 109, 112, 113, 114, 123, 133, 144, 158, 159, 163, 183 Therapeutikos: 54, 83 Vgl. ferner unter SVF Cicero, M. Tullius: 18-20, 70, 71, 75, 7 9 - 9 5 , 80-95, 111, 112, 120, 124, 125, 134, 136, 139, 140, 141, 142, 144, 169, 174, 182, 184, 185, 186, 187, 189 Acad. 1,15 ff.: 83 1,38: 86 1,38-39: 41 1,39: 42 Brutus 110: 186
114: 185, 186 118: 186 120: 186 306: 167 Cato Maior de senectute: 160 f. 2,4: 161 3,9: 161 4,10: 167 5,13: 161 5,14: 161 5,15: 160 9,28-29: 168 11,38: 68, 69 18,62: 161 De div. 11,2,4 ff.: 120 De fato 5,10: 34 De fin.: 83,100 1,17: 50 1,21: 50 1,30: 30 1,57: 63 1,62: 63 I,65: 49, 63 II,7: 51 11,20: 54 11,31: 30 11,38: 84, 85 11,44: 79 11,45: 85 11,52: 94 11,61: 85 11,62: 85 11,71: 84 11,73: 84 II,74: 85 0,81: 49 III: 112 III,16: 30, 73 111,18: 123 111,20: 74 111,21: 137 111,33: 75 111,48: 77, 127 111,49: 123 111,50: 75 111,55: 122 111,59: 74 III,72: 111 IV,5: 109 IV,7: 88, 109 IV,11: 117 IV,16: 30 IV,23: 21 IV,26-28: 102 IV,28: 102 IV,34: 30 IV,39: 72, 73
212 IV,63 f.: 127 V: 41 V,7: 83 V,12: 86 V,14: 86 V,14-15: 73 V,22: 147 V,23: 135 V,24: 30 V,63: 85 V,64: 85 V,71: 86, 87 V,74: 86 V,75: 86 V,77 ff.: 84 V,83: 75, 86 De inv. 11,159: 43 De leg. 1,39: 82 1,62: 184 De nat. deor. 1,72: 49 1,93: 48 111,6: 174 De off.: 76, 84,120, 165 ff. I u. II: 73 1,19: 80,139, 140 1,58: 168 1,61: 128 1,64: 119 1,66: 119, 128 1,69: 126 1,72: 126 1,88-89: 41 1,107 fT.: 32 1,110: 153 1,147: 166 1,152 ff.: 139, 140 1,153: 139 I,155: 139 II,4: 141 11,5: 108 II,18: 117 III,13-15: 76 De orat. 1,1: 139 1,102: 80 1,198: 174 1,200: 167 1,229: 185 I,230: 185 II,18: 80 11,99: 169 11,159: 184 II,343: 128 III,19: 19 111,24: 19
Namen- u. Stellenindex 111,50: 19 111,66: 186 De rep. 1,26: 115 ΠΙ.5: 139 Ep. a d A t t XVI,11,4: 84 ad Brut. 1,9: 169 1,9,2: 135 adfam.: 165-170 0,7: 169 IV,5: 169 V.12,1: 170 V,13,3: 169 V,13,4: 169 V,14,3: 169 V,16: 169 V,17: 169 V,17,3: 169 V.18,1: 169 V,21,5: 169 VI,1: 169 VI,5,4: 169 VI,6,1 ff.: 169 VI,6,12-13: 169 VI,10,4-6: 168 IX,14,6: 169 X,l: 169 XI,15,2: 169 XII,24: 169 XII,26,1: 166 Hortensius: 18 Frgm. 23 (Mueller): 121 Frgm. 36 (Mueller): 99 Frgm. 50 (Mueller): 114 Frgm. 97 (Mueller): 114 In Pisonem 68: 63 Laelius de amicitia 1,1: 167,168 13,44: 166 24,88: 167 25,91: 167 Lucullus 115: 49 135: 21,41,43, 86 Orator 62-64: 184 65: 189 142: 167 165: 187 167: 188 Paradoxa Stoic., Praef. 2: 109 Praef. 4: 110, 20 Part. orat. 23,78-79: 185 Tusculanae disput.: 132 1,2: 85
Namen- u. Stellenindex
1,5 ff.: 19 1,7: 19 1,18 ff.: 81 1,23: 81, 82 1,23-24: 90 1,25: 91 1,39-40: 91 1,49: 174 1,72: 114 1,74: 129 I,101: 85 II,9: 82 11,28: 88 11,29: 81 11,45: 84 11,58: 85 II,61: 76 III u. IV: 133 III: 45 III,2 ff.: 148, 149 111,6: 108 111,12-13: 84 111,13: 88, 132 111,22: 84, 88 111,28: 62 111,29: 61 ΠΙ,31: 60 111,32 f.: 62 111,50: 49 111,51: 85 111,52: 60 111,74: 42, 43 111,74 ff.: 40 111,75: 41 111,76: 41, 44 111,78: 40 111,81: 46 III,83: 132, 133 IV: 144 IV,5 f.: 79 IV,6: 79, 83 IV,7: 82 IV,9: 46, 88 IV,11 f.: 129 IV,23 ff.: 143, 144 IV,24: 144 IV,27 f.: 144, 154 IV,29: 1 4 3 , 1 4 4 IV,31: 1 4 3 , 1 4 6 IV,32: 155 IV,33: 144 IV,37: 61 IV,38: 41, 88 IV,40: 88 IV,43: 41, 42 IV,46: 42 IV,53: 87
213
IV,62: 21 IV,65: 146 IV,66: 86 IV, 80: 34 V: 86 V , l : 20 V,l—4: 94 V,4: 87 V,5: 80 V,22 f.: 88 V,24: 87 V,29: 87 V,30 f.: 87, 88 V,32 f.: 84 V,40: 87, 88 V,51 f.: 87 V,68 ff.: 112, 139 V,82: 82, 86, 87 V,83: 82 Clemens v. Alexandria: 21, 24, 136 Stromat. 1,2,20,4 ff.: 38 1,12,56,3: 38 Vgl. ferner unter SVF Corellius Rufus, Freund Plinius' des Jüngeren: 166, 167 Corpus Hippocraticum: 30, 155 De salubri Victus ratione: 30 I,c.7: 31 I,c.28: 31 I,c.29: 31 De vetere medicina: 13, 30 Cotta, C. Aurelius, Pontifex, Neffe des Rutilius Rufus: 174, 185 Crassus, L. Licinius, Redner: 185 Decius Mus, Vater, Sohn und Enkel, durch ihren Opfertod berühmt: 85 Demetrius, Kyniker, befreundet mit Seneca u. Thrasea Paetus: 56, 57 Bei Sen., De benef. VII,1,3 ff.: 56, 57 Demetrius v. Phaleron, Frgm. 72 Wehrli: 139 Demokrit: 24, 50, 55, 135, 136 Uepi εύϋυμίας: 137 Περί της той σοφού διαθέσεως, Diels-Kranz, VS 11,68 В O b : 25 Diels-Kranz, VS 11,68 В 77: 25 Diels-Kranz, VS 11,68 В 170: 25 Diels-Kranz, VS 11,68 В 171: 25 Diels-Kranz, VS 11,68 В 187: 16 Demonikos, Adressat einer in ihrer Echtheit umstrittenen Isokrates-Rede: 13, 18 Demosthenes, Orat. 44,63: 7 Didymos, Grammatiker: 123 Dio Cassius: VgL unter Cassius Dio
214
Namen- u. Stellenindex
Diodor, Biblioth. Hist X,5,l: 69 Diogenes v. Babylon, Stoiker: 72, 75, 79, 109 Vgl. ferner unter SVF Diogenes Laertios: 190 Vita des Kynikers Diogenes v. Sinope: 39 VgL ferner unter Diogenes v. Sinope, Epicurea, Krates, Pythagoreer, SVF Diogenes Ptolemaeensis, Stoiker: 113 Diogenes v. Sinope, Kyniker: 39, 40, 190 Bei Diogenes Laert., VI,80: 190 Dion v. Prusa (Chrysostomos), DiogenesReden: 40 Orat. 111,86: 165 Dionysios (Pseudo-), Ars rhet., S. 26 ff. Us.: 22
Empedokles: 48, 55 Ennius: 70, 89 Epigramm der Olympischen Gorgiastatue, Kaibel 875: 18 Epiktet: 1, 48, 54, 68, 71, 93, 111, 133, 135,183, 190 Diogenes-Zitate: 40 Diatriben: 56, 57, 58 1,4,3: 135 1,4,25 f.: 190 1,4,29: 135 1,17,1-16: 106 1,17,6: 113 1,26,3 f.: 106 I,26,13: 57 II,9,13: 105 11,11,3: 148 11,18,8 ff.: 144 11,18,10-11: 150 11,18,12 f.: 70 II,18,25: 62 III,5,11: 59 111,10,3: 68 111,12,12: 149 111,13,8: 70 111,16,1-4: 149 111,16,9-10: 149 III,24,103: 59 IV,6,33: 69 IV,6,35: 68 Encheiridion: 54 1,1: 57 1,5: 53, 57 3: 61 Fragment 19 Oldfather (= Stob., EcL III, 4,93) Epikur, Epikureer, epikureisch: 26, 39, 47-71, 79, 83, 84 f., 92, 117, 124, 155, 162, 164, 165, 170, 181
Epistulae: 34 ad Herodot.: 54 bei Diog. Laert, X,35 ff.: 52 bei Diog. Laert, X,39: 54 bei Diog. Laert., X,82 f.: 53 ad Idomen., bei Philodem, De vitiis, lib. 10 S. 12, coL I, Jensen: 64 S. 12, coL 11,12 ff., Jensen: 64 ad Menoec.: 50 bei Diog. Laert., X,124: 60 bei Diog. Laert, ХД35: 53 Große Epitome: 54 Пеριφΰσίως: 54 bei Diog. Laert., X,27: 52 Testament bei Diog. Laert., X,10,20: 48, 49 (Epikur), Epistula ad PythocL, bei Diog. Laert., X,84 ff.: 53, 59 Κνριαι 60(cu: 23, 53, 54 Epikureer epikur. Oikeiosislehre, bei Cie., De fin. 1,30 u. 11,31: 30 epikur. Tetrapharmakos: 54, 56, 57 bei Voll. Here. coll. alt t. I,f. 148 (Usenet, Epicurea S. 69): 54 GnomoL Vat 10, Usener: 51 GnomoL Vat. 29, Usener: 50 GnomoL Vat. 36, Usener: 49 GnomoL Vat. 41, Usener: 50 Frgm. 118 Usener (= Philodemus schoL Zenon. de übertäte dicendi VH1 v, 2 frgm. 73): 64 Frgm. 141 Usener (= Philodemus schoL Zenon. de libertate dicendi VH'v, 2 frgm. 9): 50 Frgm. 158 Usener (= Sen., Ер. 18,9): 48 Frgm. 163 Usener (= Diog. Laert, X,6): 51 Frgm. 212 Usener (= Philodemus Tipayματ. VH 2 I 126: 59 Frgm. 522 Usener (= Sen., Ер. 28,9): 67 Frgm. 531 Usener (= Sen., Ер. 97,15): 67 Frgm. 5, coL 26, Lin. 4-10, S. 52 Vogliano: 51 Eudem, Stoiker: 113 Eudromos, Stoiker: 112 Euklid, Mathematiker: 54 Euripides: 61
Fabianus, Lehrer Senecas aus der Schule der Sextier: 164, 189 Gaios, Mittelplatoniker: 65
Namen- u. Stellenindex Galen: 65 "Οτι ταϊς του σώματος крааеаш αΧ τής ψυχής δυνάμεις 'έπονται: 32 с.З, 776: 31 Περί τών 'Ιπποκράτους και Πλάτωνος δογμάτων, 4,17 f., S. 393 Müller: 61 S. 501,10 Müller: 76 5,5: 159 Περί ψυχής παϋών: 173 1.1 S. 1,1, Marquardt: 65 1.2 S. 3,1, Marquardt: 166 1.5 S. 18,10 u. 19,11 Marquardt: 58 1.6 S. 20,20 Marquardt: 65 1.6 S. 23,7, Marquardt: 70 1.7 S. 28,13 ff. Marquardt: 66 'Tyu-wwv λότος 2,1 S. 38,9 ff. Koch: 30 2,1 S. 38,20 ff. Koch: 14 Galen (Pseudo-), Προς Γαύρου περί τοϋ πώς έμφυχούται τα 'έμβρυα, S. 36,9 Kalbfleisch: 31 Gallio, siehe Novatus Gellius, Aulus, Noct. A t t 1,26: 57 I,26,10: 42 VII,2,1: 1 Glaukon, Bruder des Piaton: 26 Gnomologium Vaticanum siehe unter Epicurea Gorgias: 17 Diel»-Kranz, VS 11,82 В 11,8: 18 Helvia, Mutter Senecas: 157 Herakles: 24, 89, 94 Herakleides, Schüler des Epikur: 64 Heraklit bei Plut., De audiendo 43 D f.: 65 Hermarch, Schüler Epikurs: 48, 49, 51, 55, 164 Hermes, Gott: 7 Herodikos v. Selymbria, Gymnastiklehrer u. Arzt: 14 Hesiod: 21, 25 Erga 1 - 1 0 : 10
97: 12 202 ff.: 16 661-662: 10 Theogonie 32: 10 38: 10 Hesiod (Pseudo-), Χίρωκος ύποϋηκαι: 10 Hippias, Sophist: 22, 26 Hippokrates, Gesprächspartner des Sokrates in Piatons Protagoras: 166 Homer: 24, 123 II. 1,70: 10 Horaz: 167 Ars poet 167: 165
215
Ер. 11,1,102 ff.: 167 Sat. 1,2: 167 Idomeneus, Schüler Epikurs: 170 Isokrates: 12, 20, 22, 27, 80, 94,105,120, 131, 184 Orat 1,2: 13 1,5: 13 1,7: 17 1,12: 13 1,18: 15,17 1,20: 17,18 1,21: 15 1,44: 13 2,1-2: 13 2,39: 19 2,43: 17 2,49: 7 2,53: 13 10,12: 19 13,1 ff.: 19 15,180: 16 15,261 ff.: 120 15,266: 19 15,268: 19 15,269: 19 15,275 ff.: 18 Jamblich, De vita Pythag. 17,71: 33 31,196 (= Diels-Kranz, VS 1,58 D 6): 61 Kallikles, Gesprächspartner des Sokrates in Piatons Gorgias: 44 Kallinos, Frgm. 1 D, AnthoL Lyr. Gr.: 11 Karneades, Akademiker: 72, 75, 79, 87 Kleanthes, Stoiker: 9, 41, 48, 56, 76, 109, 112, 113, 116, 147, 164,180, 188 Vgl. ferner unter SVF Kolotes, Schüler Epikurs: 50 Krantor, Akademiker, Trostschrift: 21 Krates v. Theben, Kyniker, bei Diog. Laert., VI,98: 190 Kritolaos, Peripatetiker: 79, 122 Kronios, Mittelplatoniker: 65 Kyniker, kynisch: 9, 25, 39, 65, 80, 131, 153, 171 Kyrenaiker: 25, 60 Kymos, Adressat der Elegien des Theognis: 11, 12, 27 Lactantius, Divinae Instit. siehe unter Lucilius u. Stoica Leontion, Hetäre, Schülerin Epikurs: 48, 55, 63, 64 Lethe: 10, 68 Liber, Gott: 50
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Namen- u. Stellenindex
Livius, Titus, Ab urbe condita XXXIV,2: 157 Longjn (Pseudo-), Περί ϋψους: 2 0 , 1 3 1 c.VII,3: 131 Lucceius, L., röm. Historiker: 170 Lucffius, C.: 167 29. Satirenbuch: 167 Virtus-Fragment, bei Lactant, Div. Inst VI,5,2: 168 Luciüus, Adressat der Briefe Senecas und der Naturales Quaestiones (es werden nur die Stellen angeführt, die sich in etwa auf die Persönlichkeit des Lucilius beziehen): 28, 55, 59, 54, 83, 126, 170, 172,175 Lucius, Schüler des Musonius: 58 Lucretius Carus, Т., De rerum natura 1,1115-1117: 53 111,307 ff.: 33 V,8 ff.: 50 V,110 ff.: 50 VI,24 ff.: 50 Lykeion: 49 Lykon, Peripatetiker: 40 Lykurgos, Oratio in Leocratem 33: 7 Lynkeus: 154 Macrobius, Somn. Scip. 1,6,70: 159 Marc Aurel: 1, 71 Εϊς εαυτόν: 53, 59 1,17,22: 88 V,5: 34, 156 Marcellinus, Tullius, gemeinsamer Bekannter des Seneca und Lucilius: 163 Marcia, Tochter des Cremutius Cordus: 44, 156, 157 Mauricius, Iunius, Freund Plinius' des Jüngeren: 166 Megariker: 25 Memmius, C., Widmungsträger der Bücher De rerum natura des Lucrez: 50 Menander, Περί επιδεικτικών, Rh. Gr. S. 413,5 ff.: 22 Menoikeus, Schüler Epikurs: 53 Metrodor, Lieblingsschüler Epikurs: 48, 49, 51, 55, 164 Mnemosyne: 68 Mucius Scaevola: siehe unter Scaevola Musen: 10 Musonius Rufus: 52, 147 Diatriben: 58 Frgm. 6, Hense (Περί ασκήσεως): 107 Frgm. 17, Hense: 93 Bei Stob., Ecl. 11,9,8 W: 147 Ecl. 11,31,126 W: 147
Nausiphanes Democriteus, Lehrer Epikurs: 49, 50 Nerva: 167 Nero: 1 Neuplatonismus: 30 Nikokles, Herrscher von Salamis auf Cypern, Adressat einer Isokratesrede: 13, 19, 28 Novatus, L. Annaeus (durch Adoption Gallio), Bruder Senecas, Adressat des Traktates De vita beata: 100 Numenios, Mittelplatoniker: 65 Odysseus: 89, 94 Origenes, In cant. S. 146,16 Baehrens: 71 S. 143,5 Baehrens: 71 Panaitios: 33, 7 1 - 7 7 , 79, 81, 84, 92, 128, 135, 139, 153, 185 ConsoL ad Q. Tuberonem (bei Cie., Tusc. IV,23): 21 Πepi ίύϋυμίας: 136 bei Cie., De off. 1,66 (= Frgm. 106 v. Straaten): 128 1,107 ff.: 32 I,110 ff. (= Frgm. 97 v. Straaten): 153; in Übersetzung: 33 II,18 (Frgm. 89 v. Straaten): 117 I I I , 1 3 - 1 5 (13 = Frgm. 101 v. Straaten): 76 bei Clemens Alex., Strom. 11,21 (= Frgm. 96 v. Straaten): 76 bei Diog. Laert., VII,40 ff. (= Frgm. 63 v. Straaten): 113 VII,128 (= Frgm. 110 v. Straaten): 73, 75 IX,20 (Frgm. 45 v. Straaten): 136 bei Stob., Ecl. 11,5: 117 Ecl. 11,7 (= Frgm. 109 v. Straaten): 130 Pamphilos, Schüler Piatons, in Samos Lehrer Epikurs: 49 Paulinus, Praefectus annonae, Verwandter von Senecas Ehefrau: 140 Peripatos, peripatetisch, Peripatetiker: 39 ff., 79, 82, 83, 84, 85, 86, 88, 102, 117, 122, 132, 147, 152 peripatetische Ethik: 4 0 - 4 7 peripatetisch-akademische Oikeiosislehre (Cie., De fin. IV,16 u. V,23): 30 Perseus, Bruder des Hesiod: 10 Perseus ν. Makedonien: 47 Philipp v. Makedonien: 47 Philiskos, Epikureer: 79
Namen- u. Stellenindex Philodem, Hausphilosoph des L. Calpurnius Piso: 63, 64,109 apud Pap. Here., 346,4,19: 50 De vitiis, lib. 10 (Jensen), S. 12, coL I u. ü , 1 2 f f . : 64 Περί όργής, Frgm. 45,1: 51 Πepi παρρησίας: 63 28: 64 35: 64 39: 64 4 0 - 4 2 : 64 47: 64 49: 64 50: 64 51: 64 5 3 - 5 4 : 64 79: 64 81: 64 col. III: 65 Pragmat., coL 18,5 D: 67 Rhet. I, col. 23.22 S. 49 (Sudhaus): 51 Philon v. Alexandria, In Gen. IV,73: 133 Phoebus Apollo: 50 Phoky lides: 16, 17 Piso, L. Calpurnius, Freund des Epikureers Philodem: 63 Piso, M. Pupius, Gesprächspartner Ciceros im 5. Buch De fin.: 83, 86, 87 Piaton, platonisch, Platoniker: 15, 22, 25, 31, 34, 37, 38, 40, 48, 50, 55, 76, 77, 78, 91, 94,128, 129,174,175, 184, 185, 186 Alkibiades 1,133 Ä f f . : 173 Apol. 25 D - 2 6 A: 26 Ер. VII, 331 A 6: 171 344 В ff.: 35 Euthydem 278 E: 99 Gorgias: 44 513 D: 7 Laches 178 B - 1 8 0 D: 170 198 В 8 - 9 : 26 199 C - E : 26 Menon 86 В f.: 36 Phaidon 80 Ε 6: 129 80 ff.: 114 8 1 A : 105 96 A - 9 9 D: 123 Phaidros 250 E: 94 275 С ff.: 35 277 E: 35 Protagoras 349 A: 170 313 A 2: 166
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322 C - 3 2 4 С: 32 RespubL: 107 1,329 Α ff.: 161 Π,360 С: 26 Π,361 В 3: 165 111,387 В: 20 111.406 Α ff.: 14 111.407 С: 14 IV,429 D - E : 105 IV,430 В: 104 IV,444 С - Е : 26 Symposion 203 Ε ff.: 77 205 А: 99 216 D - Ε : 26 Kommentare zu Piaton: 65 Plautus, Epid. 384: 173 Stich. 122-125: 173 Plinius Secundus, C., der Ältere, Naturalis historia XIV,4: 1 Plinius Secundus, C., der Jüngere: 166,167, 169 Epistulae: 165-170 1,5,10: 166 1,12,11-12: 167 1,12,13: 169 1,14,3: 168 1,16,7: 169 1,19: 165 1,22,8: 166 111,11,2: 166 IV.17,4-6: 167 IV,17,8: 167 VD,8,2: 169 Vn,33: 170 VIII,16: 135 VIII,24: 169 VIII,24,1: 5 3 , 1 6 9 Plotin: 61, 65, 128 Plotina, Ehefrau Trajans: 50 Plutarch v. Chaironeia: 1, 66, 68 Aem. 1: 28 De audiendo: 65 41 F: 181 42 F: 65 43 D f.: 65 43 F: 64 47 A: 67 De comm. not. 23.1069 E: 74 24.1070 C: 32 De facie in orbe lunae 929 B: 57 De prof, in virt: 70 82 A: 66 De san. praec. 127 C - 1 2 8 B: 133
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Namen- u. Stellenindex
De Stoic, repugn. 9,1035 Α ff.: 113,114 9,1035 С 5 ff.: 113 17,1041 Ε: 32 30,1048 А: 75 De superstit. 165 А: 67 De tranquill, an.: 137 c. 4: 138 465 С 8 ff.: 137 466 С 10 ff.: 137 476 D: 61 De virt. mor. 9,449 A: 132 4 4 1 E : 104 bei Gellius, Noct. Att. 1,26: 57 Polemon, Akademiker: 86, 87 Polyainos, Schüler Epikuis: 48, 51, 64, 164 Polybios v. Megalopolis: 79 Polybios, Freigelassener des Kaisers Claudius, Adressat einer Trostschrift Senecas: 1 Pompeius, Cn., bei Cie., Tusc. 11,61: 76 Porphyrios: 61 Vit. Plot. 3,35 ff.: 65 5,3 f.: 66 8,12: 66 8,20: 61 9,17: 61 14,10 ff.: 65 18,6: 66 Vit. Pythag. 40: 67 Poseidonios: 8, 71, 72, 73, 76, 92, 113, 114, 121, 150, 180, 187 bei Cie., Tusc. 11,61: 76 bei Diog. Laert. VII,40 ff.: 113 VII, 128: 73 bei Galen, De plac. Hipp.et Plat. 4,17 f., S. 393 Müller: 61 S. 501,10 Müller: 76 bei Seneca, Ер. 87: 187 Ер. 87,35: 73 Ер. 88,21: 121 Ер. 90: 180 Ер. 95,65: 8 Natur, quaest. 1,5,11: 180 Prodikos, Sophist: 22 Protagoras, Sophist: 22 Ptolemaios Tetrabiblos, zitiert in Übersetzung von F. Boll: 161-162 Pyrrhon v. Elis: 131 Pythagoras, Pythagoreer, pythagoreisch: 23, 24, 26, 33, 34, 48, 61, 67, 68, 89, 77 bei Diog. Laert., VII,24: 24 Jamblich, Vit. Pyth. 196 (= DielsKranz, VS 1,58 D 6): 61
pythag. Carmen auieum: 67, 68 bei Epict., Diatr. ΙΠ,10,3: 68 Porphyr., Vit. Pythag. 40: 67 Pythagoreorum mos: bei Cie., Cato Maior 11,38 Pythia: 50 Quintus Maximus, älterer Freund des Cato Censorius: 167 Quintilian, M. Fabius: 189 Instit. orat. 1,1,4: 158 111,1.12: 22 V , l l , 1 9 : 16 V , l l , 3 6 : 174 X.1,125: 189 X,1,126: 124 X,1,129: 92,189,190 Rutiüus Rufus, P., Schüler des Panaitios: 185 Scaevola, Q. Mucius, Pontifex: 168, 185 bei Cie., Brutus 114: 185 De orat 1,229: 185 Laelius 1,1: 167 Scaevola, Q. Mucius, Augur: 167, 168 bei Cie., Brutus 306: 167 Laelius 1,1: 167 Seneca, L. Annaeus (Erwähnung finden hier nur die Werkzitate) Commentaria: 56 Traktate: 125 Cons, ad Helv. 16,1: 157 16,2: 157 16,5: 157 17,3 f.: 156 Cons, ad Marc. 1,1: 157 1,3: 89 7,1 ff.: 44 10,3: 61 16,1: 156 Cons, ad Polyb.: 2 18,6: 134 De benef.: 165 ff. 1,10,1 ff.: 150 111,8,2: 166 III,9,2: 165 IV,26,2-3: 154 V,2,4: 166 VII,1,3 ff.: 56 VII,1,5: 116 De brevit. Vit.: 138, 140 f. 10,3-4: 140 19: 108
Namen- u. Stellenindex De dementia: 28, 120 1,1,1: 120 1,6,3: 150 1,7,2: 115 De const, sapient.: 28, 47, 132 1,1: 86, 88 2,4: 127 7,1: 93 10,3 f.: 132 12,2-3: 127 13,5: 127 14,1: 157 De ira: 45, 120, 184 1,8,3: 91 I,16,7: 132,150 II,2,5: 133 11,3,4: 132 11,4: 133 11,4,1: 133 11,10,3: 150 11,12,3: 151, 152 11,13,1: 151 11,19,1: 155 11,21,1 ff.: 155 II,21,9: 159 III,6,1: 115 111,36,1: 69 111,36,2 ff.: 69 Deotio: 138 f., 141 2,1 f.: 141 5 , 6 - 7 : 116 5,8: 116 7,1: 138 De piovid.: 47, 55, 87, 105, 117 1,1: 55 2,3: 105 2,4: 105 6,6: 91 De tranquill, an.: 28, 66, 120, 135-138, 153 1,1-18: 66 2,1: 66 2,2-15: 66 2,3: 136 2,5: 120 2,7: 136 3,5: 140 4,8: 140 6,1 ff.: 33 7,3: 150 13,1: 137 16,2: 153 17,4: 153 De vit. beat. 1,1: 99 3,2: 82, 100, 180 3,3: 100, 104
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4,1: 100 13.5 f.: 181 16,3: 153 17,3-4: 171 Epistulae: 52, 53, 54, 56, 58, 91 f., 125, 141, 175, 184 I,1: 169 2,1: 59 2,4: 56, 103 4,1: 169 4,5: 129 5,1: 169 6,1: 60 6,4: 172 6,4 f.: 55 6,5: 164 6,6: 164 7,7: 150 7,8: 171 9: 101, 131 9,2: 131 9,3: 131 II,1: 150 11,1-7: 133 11,9: 174 12,5: 160 12,9: 101 13,4: 55 16,1: 163 16,3: 80 16,6: 105, 169 16,34: 169 18,33: 81 19: 141 19,1: 59, 169 20,1: 59, 169 20,2: 137 20,3: 137 20,5: 104, 137 20,6: 164 21,3 ff.: 170 24,1-2: 126 24,18: 91 25: 33, 172 26,2: 160 26,3: 160 27,1: 171 28,9: 162 29: 33,172 29,1: 163, 171 29,3: 34,172 29,4: 164, 171 29,5: 163 30: 130 30.6 f.: 130 30,12: 130, 137 31,8: 104
220
Namen- u. Stellenindex 31,9: 147 32,1: 174 33,1 ff.: 55 33,2: 172,181 33,7: 159 33,8 f.: 180 34,3: 163 35,1: 169 36,1: 169 36,6: 153 36,9: 91 37,5: 164 38,1: 64, 170 38,2: 171 39,1: 5 2 , 5 5 40,4: 59, 109 40,12: 109,164 40,14: 109 41,2: 148 41,5 f.: 101 41,6 ff.: 101 4 2 , 1 - 3 : 163 44,7: 126 45,3: 181 45,4: 82 4 5 , 4 - 5 : 80 45,5: 110 45,9: 101,131 46: 170 47,15: 171 48,6: 110 49,5: 110 49,11: 147,148 50,5: 151 50,6: 90,151 50,7: 150 50,8: 150 51: 138 52,1: 136 52,2: 164, 172 52,3 ff.: 155 52,7: 164 52,8 f.: 164 56: 138 57,3ff.: 133 57,4: 133 57,8: 90 58,13: 180 59,7: 89 59,16: 115 63,1: 131 64,2: 90 64,3: 119 64,4: 47 64,7 f.: 179 65,2: 108 65,15 f.: 115
65,22: 101 65,24: 83, 91 66: 118 66,6: 101,102, 104,108, 66,7: 102 66,10: 102 66,12: 101 66,16: 87 66,49: 118,129 66,50: 118 66,50 ff.: 47 66,52: 119 67: 118 67,5: 118 67,6: 118 67,14 f.: 47 68,14: 160 71,16: 91 71,19: 104 71,22: 94 71,27: 92,104, 131 71,29: 133 71,30: 105 71,32: 104 71,36: 163 72,6: 143 73,15: 148 74: 182 f. 74,22 f.: 182 74,23: 182 74,29: 108, 182 74,30: 135 74,31: 133, 135 75,2: 164 75,3: 20 75,7: 105 75,10: 144 75,11: 5 3 , 1 0 4 , 1 4 4 75,12 ff.: 144 75,16: 150 76,8 ff.: 100 76,15: 100,101 76,25: 91 76,35: 91 77,5: 166 77,11: 91 78,29: 60 79: 170 80,1: 180 81,1: 18 81,3: 55 81,13 f.: 163 82,8: 80 82,8 ff.: 187 82,9: 81 82,14: 118 82,16: 129
Namen- u. Stellenindex 82,17: 118,129 82,19: 88,187 82,20: 88 82,21: 110 82,22: 85, 187 83,9: 110, 187 84,5: 180 84,6: 181 85: 41 85,3: 45, 132 85,3 f.: 86 85,8: 45 85,9: 88 85,19: 86, 87, 88 87,19: 131 87,35: 73 87,40 f.:*187 87,41: 110 88: 120 ff. 88,1: 1 2 0 , 1 2 1 , 1 5 9 88,2: 121 88,20: 121,159 88,21 f.: 121 88,24: 122 88,25: 122 88,26 ff.: 121,122 88,28: 115,123 88,31: 122,123 88,32: 123 88,35: 123 88,36: 123 88,37: 123 88,42: 110,123 88.43 ff.: 110 88,45: 110 89: 117 89,1: 112 89.2: 111 89,4: 108 89,5: 108 89,9: 108, 112 89,13: 110,111 89,14: 117,120 89,17: 108, 111 89,18: 116 90: 180 90,1: 147 90,26 ff.: 108 90,29: 112 90,30: 91 90,35: 84 90.44 ff.: 147 90,46: 104 91,3-4: 60 91,7-8: 60 92,1: 92 92,1 ff.: 91
92,2: 91 92,3:126,137 92,14: 86, 87 92,14 ff.: 88 92,24: 101 92,25: 94 92,27: 148 93,8 ff.: 108 94: 99 94,1: 8 94,2: 9 94,4: 9 94,7: 118 94,7 f.: 119 94,13: 8 94,24: 151,152 94,25: 189 94,26: 105 94,27: 174, 188 94,27 ff.: 16 94,28: 22 94,29: 148 94,30: 13, 156 94,30 f.: 146 94,31: 151,152 94,34: 8 94,43: 17, 22 94,45 : 8 94,47: 8 94,48: 105 94,50 ff.: 155 94,54: 149 95 : 78, 99 95,10: 9,108, 139 95,10-11: 115 95,36: 155 95,39: 9 95,40: 9 95,44: 9 95,45-46: 9 95,57: 106, 137 95,65: 8 95,65-66: 29 95,66: 94 98,13: 89 99,15: 183 99,18: 133 99,18 f.: 134 99,32: 61 100: 109 100,5: 189 100,7: 187 100,8: 189 100,11: 164 100,12: 164 102,2: 91 106,1: 55
222
Namen- u. Stellenindex 106,2: 103 106,4: 90 108,1: 103 108,2: 103 108,3: 171 108,4: 171 108,7: 131 108,8: 147, 148 108,8 ff.: 188 108,9 ff.: 17 108,12: 159 108,15 ff.: 107 108,21: 92 108,23: 159 111,1 f.: 80 112: 172 112,3: 146 113,1: 81 113,7: 91, 92 113,18: 132 114,15: 187 114,23 f.: 92 114,24: 91 115,1: 109 115,6: 94 115,11: 149, 158 116,1: 132 116,1 f.: 45 117: 110 117,1: 81 117,12: 105 117,16: 105 117,19: 115 118,14: 158 119,1: 99 120,11: 137 121,12: 90 124,7: 101 124,9 ff.: 102 124,10: 158 124,14: 33, 100
Natui.quaest.: 8, 55, 56 Praef. 1 - 2 : 114 Praef. 5: 115 Praef. 17: 115 1,5,11: 180 111,29,3: 150 VI,32,1: 106, 127 VI,32,2 f.: 127 VI,32,4: 128 VII,25,2: 90 VII,32,2: 89,119 Figm. 28: 91 Serenus, Annaeus, Freund Senecas, Adressat dreier Traktate Senecas: 135, 136, 140, 141 Severos, Mittelplatoniker: 65
Sextius, Quintus, Vater u. Sohn, Sextier: 69, 71, 89, 90, 9 2 , 1 1 9 , 1 3 0 , 1 6 4 , 1 8 9 Bei Sen., De ira 111,36,1: 69 Ep.59,7: 89 64,2: 90 64,3: 119 98,13: 89 108,21: 92 Natur, quaest VII,32,2: 89, 119 Sextus Empiricus, Adv. Dogm. VII,17: 114 VII,22: 113 Adv. Math. 1,3: 50 XI,49: 14, 15 Pyrrh. Hypotyp. 11,13: 113 Simplikios, In Categ. 237,25: 104 Skeptiker: 110, 111 Sokrates, sokratisch: 22, 25, 26, 27, 33, 34, 36, 37, 39, 67, 79, 83, 94,106, 107, 120, 140, 170, 173, 175 Sokiatiker, Kleine: 39 Solon: Eunomia Frgm. 10 D Sophisten, sophistisch, Sophistik: 12, 17, 22, 26, 27, 44,189 sophistische Werberede: 35, 37 Sophokles, Oed. auf Kolonos 1210 ff.: 160 Sotion v. Alexandria: 40 Sotion, Lehrer Senecas in der Schule der Sextier: 92, 133 bei Seneca Ep. 108,21: 92 Speusipp: 40, 87 Staseas, Peripatetiker: 86, 87 Stilbon, Megariker: 131 bei Sen. Ep. 9: 131 Stobaios: 136. Vgl. ferner unter Areios Didymos, Epiktet, Musonius, Panaitios, SVF Stoica, SVF (die Namen der Stoiker, die im Text erscheinen, sind angegeben) 1,73 (Cie., De fin. 111,18): 123 76 Zeno (Cie., De fin. IV,7): 88, 109 134 Zeno (Cie., Acad. 1,39): 148 ι с Α ·7„ ~ fLactant., De vera sap. с. 91,., n o 160Zeno i T e r t u l l . , Apol. 21 ):108 179 (Cie., De fin. 111,21): 72, 137 180-189: 72 196 Zeno (Sen., Ep. 82,9): 81 200 Zeno (Plut., De Stoic, rep. 7,1034 С): 102 207 Zeno (Cie., Acad. 1,38): 41 209 Zeno (Galen, De Hipp, et Plat. plac. V lp.405 Mü.): 132 215 Zeno (Sen., De ira 1,16,7): 132, 150
Namen- u. Stellenindex 229 Zeno (Sen., Ер. 83,9): 110, 187 230 (Stob., Ecl. 11,7.8 p.85,13 W): 73 357 Aristo (Sen., Ер. 89,13): 111 358 Aristo (Sen., Ер. 94,1-2): 8, 9 365 Aristo (Cie., De fin. ΠΙ,50): 75 466 Cleanthes, Zeno (Sen., Ер. 6,6): 164 492 Cleanthes (Cie., De fin. IV,7): 88,109 566 Cleanthes (Stob., EcL 11,65,7 W): 76 576 Cleanthes (Cie., Tusc. 111,76): 41 582 Cleanthes (Sen., Ер. 94,4): 9 II,30 (Plut., De Stoic, rep. 9,1035 ff.): 113 42 Chrysipp (Plut., De Stoic, rep. 9,1035 ff.): 113 288 Chrysipp (Cie., De fin. IV,7): 88,109 293 (Anonymi Proleg. in Hermog. status Walz. Rh. Gr. VII p.8): 109 303 (Sen., Ер. 65,2): 108 458-462: 16 714-716: 16 III,4 Chrysipp (Diog. L., VII,89): 32 20 Chrysipp (Cie., De fin. IV,28): 102 68 Chrysipp (Plut., Stoic, rep. 9,1035 С 5 ff.): 113 69 (Plut, Stoic, rep. 17,1041 Ε): 32 99 (Sen., Ер. 74,22): 182 104 (Stob., Ecl. Π,70,21 W): 143 105 (Diog. L „ VII,98): 103 108 (Cie., De fin. 111,55): 122 132 (Cie., De fin. IV,39): 37, 72 139 (Plut., De Stoic, rep. 30,1048 A): 78 169 (Sen., Ер. 113,18): 132 182 (Cie., De fin. 111,16): 30, 73 188 (Cie., De fin. ΠΙ,20): 74 200 (Sen., Ер. 31,8): 104 200а (Sen., Ер. 76,8 ff.): 100 219 (Sen., Ер. 49,11): 147, 148 224 (Clemens Alex., Strom. VII,3 p. 839 Pott): 147 225 (Clemens Alex.; Strom. I p. 336 Pott): 147, 156 228 (Diog. L „ VII,89): 76 228-236: 149 229a (Galen, De Hipp, et Plat. deer. V,5): 159 231 (Sen., Ер. 115,11): 149, 158 253 (Lactant., Inst. div. 111,25): 156 254 (Clemens Alex., Strom. IV,8 p. 590): 156
223
259 Chrysipp (Galen, De Hipp, et Plat. deer. VU,206. 583 Μ): 102 262 (Stob., EcL 11,59,4 W): 26 264 Chrysipp (Stob., EcL 11,60,9 W): 128,136 265 (Diog. L „ VII 92): 26 265-270: 104 280 (Stob., Ecl. 11,63,6 W): 102 281 (Cie., De fin. 111,72): 111 307 (Sen., Ер. 113,1): 81 386 (Aspasius in Arist. Eth. Nicom. 44,12 u. 45,16 Heylb.): 26 393 (Cie., Tusc. IV,7,14): 26 417 Chrysipp (Cie., Tusc. 111,52): 60 423 (Cie., Tusc. IV,27): 154 424 Chrysipp (Cie., Tusc. IV,23-24): 143, 144 425 (Cie.; Tusc. IV,29): 143 426 (Cie.; Tusc. IV,31): 143, 146 428 (Sen., Ep. 75,11): 104, 144 439 (Plut., De virt. mor. 9,449 A): 132 443 (Sen., Ep. 116,1): 45, 132 448 (Diog. L „ VII,117): 132 459 (Plut, De virt. mor. 3,441 C): 104 474 Chrysipp (Orig. contra Cels. I 64 VoL I p.117,16 Kö.): 3, 21 483 Chrysipp (Cie., Tusc. IV,9): 46, 88 488 (Cie., Tusc. IV,62): 21 491 (Plut., De comm. not 23,1069 E): 74 498 (Cie., De fin. 111,59): 74 517 (Sen., Ep. 95,57): 106 525 (Porph., In Arist. categ. p. 137,29 Busse): 104 529 (Stob., EcL 11,113,18 W): 143, 154 530 (Cie., De fin. 111,48): 77, 127 574 Chrysipp (Stob., Floril. 7,21): 147 732-742: 158 738 (Diog. L „ VII,129): 159 Diogenes Babylonius 111,25 (Diog. L „ VII,61): 77 41 (Cie., De fin. 111,49): 123 44 (Stob. EcL 11,75,11 W): 72 45 (Diog. L., Vn,88): 72 46 (Clemens Alex., Strom. I p.497 Pott): 72 bei Diog. L., VII, 32: 123 34: 111 39: 112 40 f.: 113, 114
224
Namen- u. Stellenindex
41: 112 55: 158, 159 59: 109 87: 143 88: 100 92: 111 128: 73 129: 123 130: 138, 139 160: 111 bei Plut (zusätzlich zu den in den SVF aufgeführten Stellen) Comm. not 1070 C: 32 vgl. ferner unter Epiktet, Musonius, Panaitios, Poseidonios, Seneca sowie unter Cicero einige nicht unter den SVF aufgeführte Zitate aus dem 3. u. 4. Buch von De finibus und den Tusculanen. bei Stob, (zusätzlich zu den in den SVF aufgeführten Stellen) Ecl. 11,90: 130 II c.5 ff.: 117 Straten, Peripatetiker: 40 Tacitus, P. Cornelius: 170, 175 Annal. XIII, 2: 1 XV,60-65: 1 XV,62: 175 Taurus, Calvisius, Akademiker: 42, 57 bei Gellius, Noct Att. 1,26,10: 42 1,26,1 ff.: 57 Themista, Schülerin Epikurs: 63, 64 Theognis: 16,17, 22, 23, 24, 25, 27, Vv.27-28: 11 3 5 - 3 6 : 171 71 ff.: 12 145-148: 11 149 ff.: 11 237 ff.: 170 319-322: 11 658: 11
Theophrast, theophrastisch: 29, 40, 44, 47, 48, 50, 55, 86, 87,109,184, 185 Charaktere: 29 bei Cicero, De fin. V,12: 86 De nat. deor. 1,93: 48 Orat. 6 2 - 6 4 : 184 Tusc. V,24: 87 Theseus: 61 Thiasymachos, Sophist: 22 Tiberius, Kaiser: 85 Timokrates: Schüler des Epikur: 63, 64 Timon v. Phleius, Skeptiker: 92 Torquatus, L. Manlius, Epikureer, Gesprächspartner Ciceros in De finibus: 49, 54 Trajan, Kaiser: 50 Tubero, Q. Aelius, Schüler des Panaitios: 21, 185 Tyrtaios: Frgm. 7, D Valerius Maximus: 85 Vano, M. Terentius: 80 De lingua Lat. V,73: 88 bei August, De civ. Dei X I X , 1 - 3 : 139 bei Cie., Acad. 1,15 ff.: 83 Xenokrates: 40, 49, 77, 87 Frgm. 76, Heinze: 77 Xenophon: 29, 184,185 Agesilaos: 28 Memorab. 111,9,4: 26 III,10,6: 7 IV,4,9 ff.: 26 IV, 7,2 ff.: 120 Zenon v. Kition: 4 1 , 4 8 , 5 6 , 7 5 , 7 7 , 8 1 , 1 0 2 108, 109,110, 112,113,123, 132, 133, 147,150,180, 187 vgl ferner unter SVF Zenon v. Sidon, Epikureer: 63 Zeus: 10 Zopyros: 34
Verzeichnis der wichtigsten Stichworte
Griechisch byaßh: - ποιητικά 122; - τελικά 122; та έκτός — 41; τα περί ψυχήν - 41; τώ περί σώμα - 41; — ψυχής 103; τρ(α ·γένη των άγαβών 21; — όμολο-γούμενα 19 άγνοια 12 hypoiKia 43 ά&ημονία 67 άδιάψορα 72, 74, 75, 77, 108, 118 αΙδώς 43 (йреак 21 αιρετά 32 αιτιολογία 8 άκολοΰθως 32, 72,100 άκούσματα 23 άκρόασις 65 άλαζονεία 43 άλήβεια 10, 43 'άλογος 74 άμαθία 65, 77 αμάρτημα 143, 145, 154 άμαρτια 64 άμετακίνητ ος 106 άμετάπτωτος 104 άνάγκη 50 άναισχυντία 43 άνακοινοϋσθαι 170 άναμιμνήσκειν 70 άνάμνησις 36 ίνάνετος 104 άνδρεία 26, 128 άνέμπτ ωτος 132 άνεπίτατος 104 ίίνεσις 62 άνηρ: - άγαθός 11; - έμπειρος λόγων 131; — 'έμφρων 131; - βείος 24, 5 0 - 5 4 ; — κακός 11 άνΐεσθα1104 άντακολουθία 102 άντιδναίρεσις 77 άπάβεια 131, 132,134, 135 άπαθής 132 άπιστία 36 άποπροηγμένα 108, 118 Απροσδόκητος 61 όψέσκεια 43
άρετη 11, 13, 1 7 , 1 8 , 1 9 , 25, 26, 36, 42, 43, 72, 7 4 , 1 0 2 , 1 0 3 , 1 0 4 , 1 0 6 , 1 1 3 , 1 4 3 , 147 - διανοητική 106; - ήθική 106; - κυρία 104; - φυσική 104; πρώται άρεταί 128; άρεταΐ της λεξεως 109; κτήσις της άρετης 17; σπέρμα άρετής 147; ϋλη της ίψετής 74 άρρωστήμ ατα 143, 145 άσκειν 18 αακησις 40, 105 αύβάδεια 43 άφορμαί 76, 147 άφρων 154 βαιός: βαιά φρόνησις 25 βέβαιος 13,104, 106; βέβαιος λόγος 104; ουδέν κτήμα βεβαιότερου (της άρετής) 13 βίος: — άπολαυστικός 138; - θεωρητικός 138; - λογικός 138; - μακάριος 59; — πολιτικός 139; - πρακτικός 138 βουλεύεσθαι 12, 17 βούλεσθαι 11, 19, 58 βωμολοχία 44 •γένος: ·γένη φιλοσοφίας 116 'γνώμη 12, 11 •γυμνάξειν 15 •γυμνάσια: - της ψυχής 120 δέος 26 δηγμός 67 δηξις 132 διάθεσις 71, 103, 137, 143, 145, 154; - άνεπίτατ ος 104; — άνάνετος 104; - δυσίατος 143, 154; - σκληρά 143, 154; - όμολο·γουμένη 137; — τής ψυχής 104; - ά-γαβή 71; — φαυλή 71 διαίρεσις: - παθημάτων 43 διαιταν 64 διαλογισμός 59 διαστροφή 148 διατριβή 57, 65, 120 διαφυλάττειν 15
226
Stichwortverzeichnis
δίκαιος 11, 26,106 δικαιοσύνη 11, 25, 43 διόρθωσις 64, 66, 69 δόγμα 4, 21, 58 δογματικός 24 δόξαι: — των πολλών 15, 22, 23, 26; - κύριοι 23, 24, 5 3 - 5 4 ; - ολοσχερέστατα ι 52 δύναμις 42, 76,104; - λογική 76; - παθητική 42, 76; δυνάμεις της ψυχής 31 εθίζω: 64, 70 &>ος 69, 106 είδευαι 106, 120 είδος 30; είδη της φιλοσοφίας 112; εϊδη ψυχής 76 ειρωνεία 43 Εκλογή 72 έλέγχειν 66 έλεγχος 65 'εμπειρία 72, 106 έξις 42, 70, 103, 143, 145; - προαιρετική 42 έπαινεϊσθαι 64 'επανόρθωσις 66 επιβολή 52 έπιλέγειν 57, 61 έπιλογισμός 59 επιμέλεια: — ψυχής 171; - τοϋ σώματος 14, 30, 171 επίστασθαι 15 έπιστήμη 26, 128 επίτασις 62 έπιτ είνεσθαι 104 έπιτηδεΰματα 103 'επιτομή 52, 55 εύδαιμονία 25, 41, 99, 100, 113 εύεμπτωσία 145 ευθυμία 135-137 εύκαταφορία 143—145 εΰλογιοτεϊν 72 e 15 λόγος 73 ευπάθεια 134 εβροια 135 ευτραπελία 43 Ιχβρα 43 ήγεμών 49 ήγεμονικόν: — της ψυχής 104 θείος: - άνήρ 24, 5 0 - 5 4 θεραπεία 7, 21 θεράπευειν 3, 7, 21, 65; — δια λόγων 22 θεραπευτικός 3, 21 θεώρημα 65
θεωρία 139 κα&ηγεμών 51 καθηγητής 51 καθήκον 72—76 κακά 11; — τά περί ψυχήν 143; λόγος περί άβαθων και κακών 32, 113 κακία 11, 43, 78, 1 0 2 , 1 4 3 - 1 4 5 κανών 57 κατάπλη(ις 43 καθόρθωμα 7 4 - 7 6 , 1 5 4 κίνησις 145 κοινή: — φύσις 32, 72, 113 κολακεία 43 κράσις 31 κτήμα 13; — άσφαλές 25; - σεμνότερο ν 13; - βεβαιότερο» 13 κτήσις: - της άρετής 17 λογικός 159; λογικόν ζώον 74, 139 λόγος 18, 22, 36, 65, 104, 159; - άμετάπτωτος 104; - βέβαιος 104; - όμολογοΰμεμος 104; - σπουδαίος 13; - κατά φιλοσοφίαν 112; — φυσικός 113; - περί άγαθών καί κακών 32, 113; λόγοι σπερματικοί 148 μάθησις 147, 156 μανθάνειν 11,17, 105, 120, 171 μεγαλοψυχία 128 μελετά» 53, 5 5 , 5 7 , 5 8 - 5 9 , 129 μελετη 15, 105, 129 μέμψις 64 μέρος 72, 76; μέρη της εύδαιμονίας 122; μέρη τής φιλοσοφίας 112; μέρη τής ψυχής 76 μεσάτης 43—44 μετριοπάθεια 132 μισολογία 36 μνημονεύειν 59 νέμεσις 43 νόσημα 143, 145 οίκείωσις 30, 32, 44, 147 ομιλία 66 ομολογία 74 όμολογοΰμενος 19, 104, 137 όμολογουμένως 72, 137, 139 8ν (το) 77 ορεξις 147; - βουλευτική 164 ορίξειν 42, 73 ορμή 72, 7 3 , 1 1 7 , 1 4 3 , 145,159 πάθημα: διαίρεσις παθημάτων 43 πάθος 3, 21, 42, 58, 66, 117, 143, 145 παράδειγμα 34, 37, 175
Stichwortverzeichnis παρά&οσις 112 παράγγελμα 61 παραίνεσις 70 παραινετική 21, 24 παρακαλεϊν 170 παρρησία 63 παρρησιάζεσθαι 65 ποιότης 31, 102, 103 πράξις 139 προαιρεϊσθαι 106 προαίρεσις 14, 43, 163, 164 προΎυμνάξειν 57 προηΎμένα 72, 108, 118 προκοπή 66 προλήψεις 159; - 'έμφυτοι 32 προσδεϊσβαι 41 προσδοκά·/ 61 προσδοκία 26 προσέχειν 64 προσοχή 61 προς τί πως exeif 102 πρόχειροι»: - είναι 57, 59; - ϊχειν 58 σεμνότης 43 σημαίνοντα 110 σοφός 51, 77 σπέρμα: - άρετής 147 συ-γκατάθεσις 132 συμβουλή 166 σύμβουλος 13, 17 συμβουλεύεσθαι 170, 171, 172 συμφιλοσοφεϊν 48 συνεθίξειν 60 συνείδηοις 67 συνώεϊν 59 συντομία 109 συντριβή 67 συστολή 132 σχέσις 102 σχολή 65 σωτήρ 50 τά έφ' ήμϊν 57 τα ουκ e ήμϊν 57 ταμιεία 13
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ταραχή 67 τέλος 72, 73 τετραφαρμακός 54 τέχνη 17, 18, 21,106 τολμαν 11 τόνος 62 τόπος 112; - ήθικός 111; - λογικός 111; - φυσικός 111 8λι?: - της άρετής 74 ΰμνεϊν 50 ϋποδιαίρεσις 77 ϋποτίβεμαι 10, 11, 13, 14, 30 ΰποθήκαι 10 ύπομένειν 15, 17, 64 υπόμνημα 52, 65 φευκτά. 32 φθόνος 43 φιλία 43 φιλονικία 36 φιλοσοφία 19, 48, 120 φιλόσοφος 50, 51, 77 φρόνησις 25, 43, 104 φρόνιμος 42 φύσις 32, 72, 100, 108; - ίνβρωπίνη 32, 72; - άνθρωπου 72; — αΰτού 100; - κοινή 32, 72, 113; - τοϋ ολου 72; - τ ω ν ολων 100; κατά φύσιν 26, 73, 74, 147; φύσει 43, 147, 156 φωνή 159 ψυχαγωγεΰ» 7,17 ψυχαχωγία 7 ψυχή 13, 16, 18, 31, 42, 58,131, 166; - άνθρωπίνη 4, 31; Ύυμνασία της ψυχής 120; εϊδη ψυχής 76; εύδαιμονία ψυχής 25; ήγεμονικόν τής ψυχής 104; μέρη ψυχής 76; πάθη των ψυχών 21; τά περί ψυχήν 41 ώφελεΐν: 19 ώφελία: 64 ωφέλιμος: 64
Lateinisch actio 138-139; - recta 106 adhortaii 61 adiutorium 122, 123 admonere 53, 61, 169 admonitio 17, 53,148,169, 189 adulescentia 102, 124, 159 adversa 86 aegritudo 40, 41, 46, 60, 62,128; -maerens 132 aegrotatio 143,145; - inveterata 145 affectio 143 affectus 22, 45, 57, 71,115, 132, 144, Д45; - bonus 71; — inveteratus 144-145; - malus 71; - mitigatus 160; - modicus 45,132; affectum eripere 115; - expellere 45, 132; - temperare 45,132; praeparatio affectus 133; umbrae affectuum 132 affigere 56, 105 alimentum 181 amicitia 165-167 amor: - virtutis 94 amplificatio 189 animal: - imprudens 157; - inrationale 102; - nondum rationale 102; - rationale 101,102,132; - sociale 56 animus: - aeternus 114; - in statione tranquilla collocatus 115; - divinus 114; - erectus 102; - immunis tristitia 45, 132; - ingens 128; - institutus et edoctus 104; - invulnerabilis 131; - Uber 102; - magnus 129, 148; - modestus 115; - ad summum adsidua exercitatione perductus 104; - gravi sarcina pressus 115; - puerilis 159; - quietus 115; - rector dominusque nostri 90; - retractus in tutum 56; - sacer 148; - sublimis 115; - alia subiciens sibi 102; — se supra metus sustulit 56; - venerabilis 115; animum admonere 61; - attollere ad rerum magnitudinem 115; - consecrate virtuti 56; - delectare 189; - exercere 81,187; - fabricare 80; - facere 119; - firmare 60, 88; - formare 80,151; - impellere 186;
- interrogare 69; - levare 115; - oblectaxi 186; - pacare 115; - permulcere 50; - persuadere 189; - perturbare 41; - placare 46, 189; - praemittere 60; - praeparare ad sapientiam concipiendam 121; - praeparare ad accipiendam virtutem 159; - purgare 150; - recorrigere 151; - regere 134; - sanare 143; - sedare 185; - tollere 61; animo adfigere 56; - magnitudinem dare 73; - mederi 46; - praesumere 60; animos fortiores fieri 129 apis 180-181 appetitio 72-73; - rectae rationis 108; appetitiones oboedientes efficere rationi 117 approbare 20 arma: - contra casus 60 ars 34; - vitae 105; - rhetorica 109; artes liberales 121-123,159 ascensus: - in caelum 114 assensio (assensus): - mentis 132 assiduus 104,133,147,151,187 auctoritas 82,130,166,169,174 avocatio 60-62 beatus: vita beata 87, 99; vita beatissima 87 beneficentia 165 bonum: - honestum 100; - perfectum 108; - summum 50, 85, 89, 99-102,104, 118; - unicum 100; bona opinata 129; - pertinentia, efficentia 122; bona prima, secunda, media 118; bona corporis 87 breviarium 52, 55 casus: arma contra casus 60; ad omnes casus procurrere 105 causa 108; causae naturalium 122 cavillari 119 cavillatio 80, 187 celerrime 99 certare 169 characterismos 8 chria 159
Stichwortverzeichnis cicatrix 150 cognitio: - immortalium 116; - naturae 114; - rerum caelestium 117 cohibere: - motus animi 117 cohortatio 168 collatio 144 collectio 81 commemorate 68 commentarium 52, 55, 57 commentatio: - mortis 129 comparare 56 comparatio 189 compescere: - vitia 17 conciliatio 75 concitare: - auditorem ad cupidinem recti 148 concoquere 103, 181 concordia: - actionum 137 congruentia 137 conscientia 6 6 - 7 1 ; conscientiam aperire 56; conscientia flagellari 67 consilium 1 6 8 - 1 7 0 consolari 44 consolatio 8, 22, 42, 4 4 , 1 6 8 conspiratio: - amoris 49 constantia 124; - tenax 137 consuetudo 133 consummabilis 148 contemnere: - fortuita 56 contemptus corporis 102 contemplatio 1 3 8 - 1 3 9 contextus rerum 75 contractiuncula: - animi 132 contritio: - animi 67 convenientia 75,137 cupiditas 42,115; - investigandi 114 cupido: - recti 148 decretum 9 demittere: - in praecordia ima 59 demonstrare: - agenda et omittenda 80 descendere: - in nos 59 desperatio 34 despicientia: - rerum humanarum 126 diatriba 57 disciplina 79, 82, 86; - philosophiae 146 disputatio: - captiosa 80 disserere: - in contrarias partes 82 distinctio: — turpis honestique 56 divisio: - bonorum 122 doctrina 33,121 dogma 9 dolor 21, 46, 128 ducere: - animos 16, 59 durus 145 ediscere 54, 159
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edocere 104-105 educere 87,172 eligenda 85 eloquentia 185 emergere 172 eripere 87; - affectum 115 ethologia 168 exemplum: - naturae 104 exercere 56: - animum 81 exercitare 105 exercitatio: - adsidua 104-105; exercitationes virtutum 161 exhortari 88, 187 exhortatio 18, 53, 168-169 expellere: - affectum 45,132 expetenda 85,108 explicare 5 5 , 1 0 8 explicatio 117 exstirpare: - perturbationes 41 fabula 189 facienda 105 facultas 147 fatum 105 ferire 22, 60 fetus: - animi 122 finis: - summi boni 9; - bonorum extremus, ultimus 77, 99 formare 168; - animum 80,151; - materiam 108 formatio: - morum 115 fortitudo 41, 81,104 fortuna 60, 61, 86, 87, 119, 131, 148, 153, 156 fugienda 85,108 genus: - sermonis 186; genera consolandi 44; - dicendi 168; - vitae 138-140 gloria 170 habitus 102, 1 0 3 , 1 0 5 , 1 4 3 , 1 4 5 ; - rectus 106; - animi 43,106; - perfectae mentis 105; - piae mentis 134; - virtutis 77 honestum 56, 84, 87, 100, 104, 135, 140 hortari 169 ictus 22,189; - animi 133 imago: - vitae 1 7 5 - 1 7 6 impatientia 131 impeiturbatus 132 impetus 132; impetum regere 88 impietas 134 imprudens 157 incommoda 118; - corporis 40; - fortunae 40 inconstans 143
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Stichwortverzeichnis
inconstantia 143 indifferens 7 2 - 7 5 , 118,129 indolentia 131 indoles: - naturalis 146,151 indulgentia: - fortunae 153 indulgere 134 indurescere 146, 151 ineptiae: - Graecae 80 infans 158 infantia 102 inhumanitas 183 inquisitio: - causarum 8 , 1 6 8 insania 134 insectator: - vitiorum 189-190 insipiens 161 instituere 105, 168 institutio 156 intendi 104 intentio 62 intentus 56,102 interritus 135 intrepidus 131 invenire 56, 80, 93, 94, 119; - rationem vitae 50 inveterare 143, 145 inveteratus 144, 145 ira 57 iracundia 41 judicium 133, 137, 145; — verum et immotum 104; - immutabile certumque 137 labor 151 legere 180 liberalis: artes liberales 1 2 1 - 1 2 3 , 1 5 9 ; studia liberalia 1 2 3 , 1 5 6 , 1 5 9 maeror 132 magnanimus 41, 119 magnitudo animi 115, 117, 128,130, 137 magnus: magnae res 20 malum 8 5 - 8 8 , 1 1 8 , 144; - animi 40; - corporis 86; - perpetuum 145; mala opinata 129 manus: man um porrigere 148, 164; ad manum habere 56 materia 90, 108; - mali 56; - virtutis 104, 107 mederi: - animis 46 medicina: - animi 108 mediocritas 41, 42, 88, 132 meditari 61 meditatio 55; - assidua 151, 187 memoria 68, 105, 180-181, 189; - malorum 63 mens 102, 105; - aegra 8; - bona 163; - corrigenda 108; - humana 108;
- ad Sümmum perducta 105; - perfecta 105; - pia 134; - prona ad peiora 8; - sana 104,135; - sananda59; mentis incerta volutatio 104; - positio 119 metus 26 ministra: - sapientiae 185 moderatio 117 modestia 117; - morum 160 modicus 44, 4 5 , 1 3 2 modus: - naturae 43, 88; - naturalis 41 mollitia: - muliebris 157 monere 1 6 6 - 1 6 9 monstrare: - viam 50 mora: sine ulla - venire 56 morbus 5 7 , 1 4 3 , 1 4 4 , 1 4 5 , 1 5 5 ; - inveteratus 144-145 morsus: - animi 132 mos: - maiorum 89; - Pythagoreorum 68 motus: - animi 145; - turbati (animi) 117; - inevitabiles 183; primus motus non voluntarius 133; secundus motus cum voluntate non contumaci 133; tertius motus iam impotens 133 movere 184 mutare 180 natura 32, 34, 41, 42, 45, 56, 69, 73, 74, 85, 100, 101, 122, 138; - deorum 115; - humana 45, 133; - rerum 108; - propria (sua) 33, 100,153; - universa 3 3 , 1 0 0 , 1 5 3 , 1 5 4 ; naturae cuiusque animi 33; - variae hominum 33; prima naturae 73; secundum naturam 7 4 , 1 0 0 - 1 0 1 ; secundum naturam suam 101; secundum universam naturam 100 naturalis 42, 43, 46 necessarium 55, 56, 80, 122 notitia: - peccati 162 obiurgatio 168 oblectamenta: - otii 56, 124 observatio: - assidua 133 obtemperare: - rationi 45 offensio 146 officium 72, 74, 139; - inchoatum 74; - medium 74; - perfectum 74; - primum 74 opinari: duo opinata bona, duo opinata mala 129 opinio: - boni 129; - mali 62; - naturalis 158; opiniones pravae 143; conturbatio opinionum 143; corruptio opinionum 143; opinionum varietas 149 oratio: - philosophorum 185-186 otium 140
Stichwortverzeichnis paradoxa 20 paiatus: parata habere 105 patientia 105 pars: - animi 42; - dei 90; - divini spiritus 101; - praeceptiva philosophiae 8, 9, 21, 168; - rerum humanarum divinarumque 123; - superior mundi 115; partem sui facere 60; partes summi boni 122; - philosophiae 112,114; - perturbationum 129 partitio 189 peccare 104,150 perdiscere 56 permotio 41 perseverare 169 persuadere 169 persuasio 9,135 perturbatio 41, 42, 4 6 , 1 4 3 - 1 4 5 , 1 5 5 ; - naturalis 42; - inveterata 144-145; perturbationes rationis expertes 42 pestis 56,103,146 philosophia 20, 59, 82, 84, 92, 103-108, 1 3 9 , 1 7 0 ; - p e r f e c t a 19; - moralis 55,103 pietas 134 pigritia 135 placitum 9 positio: - mentis 119 possessio: - perpetua sanitatis 104 praeceptio 8,168, 169 praeceptivus: vgl. pars praeceptor 53,169 praeceptum 17, 22, 53, 56,156, 169 praecipere 53, 169 praedicare 166 praemeditatio: - diuturna 60; - futurorum malorum 61 praemittere: - animum 60 praeoccupare 8 praeparatio: - affectus 133 praesto: -esse 56 praesumere: - animo 60 pravitas 151 principia: - proludentia affectibus 133 probare 41, 55, 85, 86, 91,110, 184 procedere 153; - ad virtutis habitum 77 proclivitas 145 proccurrere: — ad omnes casus 105 proficisci 34, 56, 81, 144 proludere 133 promptus: in promptu habere 56, 58 protrahere: - Vitium in medium 120 Providentia 55 pueritia 102 purgare: - pectora veridicis dictis 50
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quaestiones: - maximae 19 qualitas 102 ratio 33,42, 85,101,148; - consummabilis 148; - consummata 148; - explicata 100; - imperfecta 147; - perfecta 100-102; - recta 100,108; - vitae 50; rationem reddere 69 recordatio 63 reditus: - in caelum 114 regula 104; - naturae 154; - vitae 5 5 - 5 7 reicienda 74, 85 relinquere 86,180,185 remedia 171; - extrema 34 remitti 104 remissio 62 repugnant ja 143 resolutio 62 revocatio 62 robor 86, 89,119 robur 163 rogare 169 salus 162 sanabilis 34 sanare 59 sanitas 104,171 sapiens 41, 45, 51, 57, 63, 86, 87, 93, 94, 105,115,171 sapientia 34, 50, 54, 56, 75, 86, 94,101, 104, 105, 108, 121, 143, 185 scholae: - de exilio, de Servitute, etc. 46 scientia 104-105,108, 111,114,117,157; - divinorum humanorumque 108,117; - rerum 104; - utilis, necessaria 56 scintilla 148 secunda 36 securitas 67,126,130,134,144 securus 135 sedes: - stabilis animi 136 selectio: - cum officio 74; - perpetua 74; - consentanea naturae 74 semen: - virtutum 147; semina omnium honestarum rerum 148; - divina 148 senectus 102,160,161 sententia 54, 60; sententiam dividere 82, 180; - de virtute ferre 94; - persequi 86; sententiae ediscendae 159; - ratae 54 sermo 168 sollicitudo 67,126,127; - inhonesta est 135 species: - virtutis 102 speculum: speculi vice fungi 59,120 spiritus 90, 101 sponte: - sua occurrere 56; - succurrere 169
232 stabilis 136 stabilitas: - immota 105 stirps: stirpes stultitiae 132 Studium: - longum et intentum 102; - corrigendae mentis 108; - virtutis 108 stultitia 132 stultus 154 suasio 8,168 sublimis 115 subtilitas: - inutilis 115 summarium 52 supervacua 8 0 , 1 1 0 , 1 2 3 suspicio 132 tela: - fortunae 81; teli iactus 87 temperare: - adfectum 4 5 , 1 3 2 testari 166 tranquillitas: - animi 126, 135-136, 160-161; - perpetua 137 tranquillus 108, 115, 137 transfigurari 60,105 trepidatio 135 tristitia 132 turpe 56, 85
Stichwortverzeichnis umbrae: - affectuum 132 usus: in usu esse 56 valetudo: - mala animi 34 velle: - fieri bonum 163 vestigia: - natural um 33; - prima naturae 33 vigor 119; - oratorius 189 vinculum: - mortale 153 virtus 8, 43, 73, 74, 81, 86, 87, 100,102, 106, 111, 117 vita: - beata 87, 9 9 , 1 0 1 , 1 3 7 ; - beatissima 87; - communis 168; - deorum 114; - mixta 139; - rudis 104 vitanda 105 vitiositas 143 Vitium 8 , 1 7 , 1 2 0 , 1 3 9 , 1 4 3 , 1 4 5 , 1 5 0 ; Vitium in medium protrahere 120; vitiorum insectator 92,189; vitia compescere 17 voluntas 104,117; - bona 163; - contumax 133; - recta 106 volutari 115 volutatio: - incerta mentis 104 vulnus 150,156