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German Pages 504 [505] Year 1983
ARMIN HORZ
Die Rechtsstellung des Sozialarbeiters in Frankreich
Schriftenreihe für Internationales und Vergleichendes Sozialrecht Herausgegeben von Hans F. Zacher, München
Band 10
Die Rechtsstellung des Sozialarbeiters in Frankreich
Von
Dr. Armin Hörz
DUNCKER &HUMBLOT/BERLIN
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Börz, Armin: Die Rechtsstellung des Sozialarbeiters in Frankreich I von Armin Hörz. ·Berlin: Duncker und Humblot, 1983. {Schriftenreihe für internationales und vergleichendes Sozialrecht; Bd. 10) ISBN 3-428-05465-2
NE:GT
Alle Rechte vorbehalten
@ 1983 Dunelter & Humblot, Berlin 41
Gedruckt 1983 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berlin 61 Prlnted in Germany ISBN 3 428 05465 2
Meinen Eltern
Geleitwort Die Sozialpolitik in der Bundesrepublik Deutschland bevorzugt wirtschaftliche Maßstäbe, finanzielle Leistungen, rechtliche Regelungen, subjektive Rechte und gerichtlichen Rechtsschutz. Atypische Nöte und personale Leistungen verdrängt sie leicht. Die Gründe sind vielfältig und liegen tief. Wirtschaftliche Maßstäbe, finanzielle Leistungen und "rechenhafte" Ansprüche treffen die Interessen des Durchschnitts, der großen Mehrheit. Atypische Nöte und personale Hilfen dagegen finden sich oft in minoritären Feldern. Sie sind demokratisch nicht wirkungsvoll. Weder haben die Interessen es leicht, sich durchzusetzen, noch zahlt sich eine Politik, die sich gerade darauf richtet, als mehrheitsbildend aus. Nicht selten auch geht es um irgendwelche "Außenseiter"Nöte, die zu vernachlässigen eher für "anständig" gehalten wird als sie aufzunehmen. Die Sozialpolitik ist, indem sie atypische Nöte und personale Leistungen eher verdrängt, also Ausdruck einer wesentlichen Befindlichkeit der Gesellschaft und des Gemeinwesens. In dieser Schattenzone deutscher Sozialpolitik liegt die Sozialarbeit. Sie erbringt personale Leistungen, und sie ist nirgends so wichtig wie in atypischen Nöten. Gerade deshalb trifft die Sozialarbeit die Unsicherheit der Gesellschaft und der Politik in der Bundesrepublik Deutschland gegenüber atypischen Nöten und personalen Hilfen voll. Nur zu leicht hat die Sozialarbeit Anteil an der Ächtung, welche die Gesellschaft der einen oder anderen Klientel der Sozialarbeit entgegenbringt. Nirgends wird Sozialarbeit umfassend politisch verantwortet. Nur zu leicht stößt sie auf Mißtrauen - auf ein Mißtrauen solchen Grades, daß man lieber die Existenz der Sozialarbeit verdrängt, als daß man die Gründe des Mißtrauens aufzuarbeiten sucht. Diese Schwierigkeit der Sozialarbeit zeigt sich gerade auch vom Recht her. Die "Stärke" des Rechts liegt im typischen Fall und in der Zuteilung ökonomischer Güter (insbesondere Geldleistungen). Seine "Schwäche" liegt im atypischen Fall und in der personalen Leistung (Betreuung, Erziehung, Behandlung, Pflege). Wo es um personale Leistungen geht, ist in erster Linie notwendig, daß sich Menschen finden und Organisationen bilden, die diese Leistungen erbringen. Wo es sich um besondere, ausgeprägte Berufe (z. B. des Arztes) handelt, kann das
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Geleitwort
Recht daran anknüpfen und eine gewisse Ordnung auch dieser Leistungen bewirken. Jedoch bleibt immer ein Bereich der Sorge für den Menschen, der über vorgegebene Schemata hinausgeht. Das ist der Bereich der Sozialarbeit, die vom Recht nur begrenzt gewährleistet und gesteuert werden kann. Die Schwierigkeit besteht nicht nur in der Vielfalt, Offenheit und Unbestimmtheit dessen, was Sozialarbeit zu tun hat. Sie besteht auch darin, daß sich Sozialarbeit in einer Zwischenlage zwischen dem Staat und der Privatsphäre befindet. Sozialarbeit, die ganz in die Privatsphäre des Klienten eingeht, erfüllt nicht ihren Auftrag, den Klienten in die Gesellschaft zu integrieren. Sozialarbeit, die allein staatlich, "behördlich", bleibt, geht nicht in die Privatsphäre ein, kann nicht genügend Hilfe in die insuffiziente Privatsphäre hineintragen. Sozialarbeit steht so in einer schwierigen Spannung. Es wäre Sache des Rechts, gerade diese schwierige Spannung so aufzunehmen, daß sie für die Sozialarbeiter, die sie aushalten müssen, erträglich wird. Gesetzgebung und Literatur zum deutschen Recht reflektieren diese Probleme noch kaum. Allenfalls über gewisse Konfliktzonen - wie z. B. das Zeugnisverweigerungsrecht der Sozialarbeiter - wird diskutiert. Im Ausland hat das Recht der Sozialarbeit hier und da bereits deutlichere Züge angenommen. Als 1976 die Projektgruppe der Max-PlanckGesellschaft für internationales und vergleichendes Sozialrecht ihre Arbeit aufnahm, machte sie deshalb die Rechtsstellung der Sozialarbeiter zu einem der zentralen Arbeitsthemen. Eine erste Studie kam von Peter Trenk-Hinterberger: Sozialarbeit in Lateinamerika- Entwicklungen, Tendenzen, Grundtatbestände (Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge, 58 Jg., 1978, S. 84 ff.). Die beiden ersten umfassenden Länderstudien wurden von Rolf Haberkorn zur Rechtsstellung des Sozialarbeiters in England und von Armin Hörz zur Rechtsstellung des Sozialarbeiters in Frankreich in Angriff genommen. Weitere Studien zu ausländischen Staaten werden derzeit vorbereitet. Und die Hoffnung des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Sozialrecht, in welches die erwähnte Projektgruppe 1980 umgewandelt worden ist, geht dahin, daß es, wenn so genügend Erfahrungen gesammelt sind, doch eines Tages auch möglich sein wird, die Situation in Deutschland darzustellen und mit einem internationalen Vergleich zu schließen. Vielleicht kann damit das Institut auch dazu beitragen, der Sozialarbeit in Deutschland den Platz zu sichern, den sie braucht, um ihren Dienst am Menschen und an der Gesellschaft zu leisten - und der Gesellschaft, der Sozialarbeit den Platz nicht nur zuzugestehen, sondern zu gewährleisten, den sie gerade auch im Interesse der Gesellschaft und im Interesse der Werte, die diese Gesellschaft für sich in Anspruch nimmt, braucht.
Geleitwort
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An der Betreuung der vorliegenden Arbeit von Armin Hörz über die Rechtsstellung der Sozialarbeiter in Frankreich, die der Juristischen Fakultät der Universität München als Dissertation vorgelegt und von ihr als Dissertation angenommen wurde, hat der für Frankreich zuständige Landesreferent, Herr Dr. Gerhard Igl, einen bedeutsamen Anteil genommen. Dafür sei ihm auch an dieser Stelle gedankt. München, im Dezember 1982 Hans F. Zacher
Inhaltsverzeichnis EINFÜHRUNG
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A. Der Begriff des Sozialarbeiters und der Sozialarbeit I. Sozialarbeit als Hilfe ...................... . . .. .... . ....... .. ... . II. Sozialarbeit als persönliche Hilfe ........... . .......... . ....... . III. Sozialarbeit als Hilfe zur Selbsthilfe ... . ... .. ........... .. .. . . . . IV. Institutionelle Ausübung der Sozialarbeit ... ...... .. . . .. ... ... . . V. Professionalisierte Ausübung der Sozialarbeit .... ...... . . . .. . . . VI. Definition der Sozialarbeit und des Sozialarbeiters .... .. . ... . .. .
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B. Zentrale Probleme der Sozialarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Sozialarbeit als Teil der staatlichen Sozialpolitik ...... ,. . . . . . . . . . II. Organisation und Verwaltung der französischen Sozialarbeit . . . . III. Ausbildung un d Professionalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Sozialarbeit im Spannungsfeld verschiedener Interessen . . . . . . . . . V. Aufgabenfelder und Klientengruppen der Sozialarbeit . . . . . . . . . . . VI. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
38 38 39 41 42 45 47
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1. TEIL
Der sozialpolitische und historische Kontext der Sozialarbeit in Frankreich, ihre Organisation und Verwaltung
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1. Kapitel
Sozialarbeit als spezifischer Teil der französischen Sozialpolitik A. Sozialpolitik
48 48
B. Die Sozialleistungssysteme .. ... . ......... .. ............. . , . . . . . . . . . 51 I. Sekurite sociale (Soziale Sicherheit) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 1. Die sozialen Risiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 2. Die einzelnen Zweige der sozialen Sicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 3. Die Arbeitslosigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54
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Inhaltsverzeichnis II. Aide sociale (Sozialhilfe) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Sozialhilfe als Basissozialleistungssystem . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Leistungen der Sozialhilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die "action sanitaire et sociale" der Sozialleistungsträger . . . . . . .
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C. Action sociale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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D. Travail social und Service social . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vermittlungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Integrationsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111. Erziehungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Kontrollfunktion .... . ................. ,. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Platz der Sozialarbeit im System der Sozialpolitik
60 61 61 62 62 63
2. Kapitel
Die Geschichte der Sozialarbeit in Frankreich
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A. Entstehung und Entwicklung staatlicher Armenfürsorge bis 1789 I. Die feudale Gesellschaft und ihre Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Caritas und Almosen für die Armen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111. Die Politik der Ausschließung und Einschließung gesellschaftlicher Randgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Leprosorien, Narrenschiff und Narrenhaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Arme ..... .. ...... .. .... . ..... . .. . ........ . . . . .. . ........ .... a) Zucht- und Arbeitshäuser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Höpital general . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Spezialisierte Verwahranstalten . ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zeitgenössische Kritik dieser Politik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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B. Die weitere Entwicklung der staatlichen Armenfürsorge bis 1871 . . . . I. Politische, ökonomische und soziale Veränderungen nach der französischen Revolution . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Staatliche soziale Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Maßnahmen der Revolutionsregierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einschränkung der Kinderarbeit, Verkürzung des Arbeitstages 3. Reaktion auf gesellschaftliche Randgruppen . . . . . . . .. . . . . . . . . . . a) Geisteskranke und asiles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Delinquenten und Gefängnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Jugendfürsorge und Heime . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
71 71 74 75 75 76 76 77 77
C. Entstehung und Entwicklung der Sozialarbeit (1871 - 1944) . . . . . . . . . . . I. Politische und ökonomische Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Staatliche Sozialpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111. Der neue Ansatz: Sozialarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gründe für den neuen Ansatz Sozialarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Arbeiterbewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Frauenemanzipation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Katholische Soziallehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
78 78 79 82 82 83 83 84
68 68 69 69 69 70 71
Inhaltsverzeichnis
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2. Entstehung und Entwicklung der Sozialarbeit a) Die "Maisons sociales" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der medizinisch-soziale Zweig der Sozialarbeit . . . . . . . . . . . . c) Die betriebliche Sozialarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die Jugendfürsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Die gesellschaftlichen Randgruppen . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . f) Die Ausbildung zum Sozialarbeiter und das Staatsdiplom . . g) Die Berufsverbände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Die Trägervielfalt und die Koordination ....,. . . . . . . . . . . . . . i) Das Berufsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . j) Das Fremdbild der Sozialarbeit, der Grundsatz der Neutralität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
84 84 86 88 90 93 93 95 96 97
D. Die Entwicklung der Sozialarbeit seit 1944 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Politische, ökonomische, soziale und rechtliche Entwicklung . . . . . 98 II. Die Entwicklung der Sozialarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Weitere Aufgabenfelder der Sozialarbeit ................ ... .. 2. Koordinationsregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Gründung der ANAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Das Berufsrecht . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Arbeits-, beamten- und sozialrechtliche Regelungen .......... 6. Die Ausbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Die Vorbeugung und die Animation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Maßnahmen im institutionellen und im offenen Bereich . . . . . . a) Geistig und körperlich Behinderte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Resozialisierung von Delinquenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Jugendliche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Institutionelle Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Der Grundsatz der Neutralität, der Methoden der Sozialarbeit
102 102 102 103 104 104 104 105 105 106 107 107 108 108
3. Kapitel
Das Redlt der Träger der Sozialarbeit
110
A. Die Sozialdienste der öffentlichen Gebietskörperschaften . . . . . . . . . . . . . 111 I. Die Sozialdienste des Staates ............. ... ............ . ...... 1. Sozialdienste für Staatsbedienstete .... ... . ........ . .. .. . ..... 2. Sozialdienste für die Bevölkerung . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . .. .. . . a) Der service social des prisons (service social de l'administration penitentiaire) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Comites de probation et d'assistance aux liberes (CPAL) c) Die services de l'education surveillee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Der service de sante scolaire . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das Ministere de la Solidarite nationale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
111 111 114 114 115 116 117 117
II. Die Sozialverdienste der Departements . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 1. Der service social departemental . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 a) Die section actions sanitaires . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121
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Inhaltsverzeichnis b) Die section enfance, der service unifie de l'enfance . . . . . . . . aa) Die aide sociale a l'enfance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Dienste der enfance inadaptee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die protection materneHe et infantile . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Der service de sante scolaire . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die section actions et aides sociales . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Sektorisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die circonscriptions . . . . . . . . .. . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die secteurs ....................... . .................... .. c) Zusammenfassung ............ ,. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die Sektorisation in anderen Bereichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111. Die kommunalen Sozialdienste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die services sociaux municipaux ..... .. ...... . ...... ~ . . . . . . . 2. Die Sozialdienste der Bureaux d'aide sociale . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Besonderheiten in Paris . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
122 123 124 124 126 127 128 128 129 129 130 130 130 133 134
B. Die Sozialdienste der Träger sozialer Sicherheit (Organismes semipublics) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ... ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Sozialdienste der Krankenversicherungsträger . . . . . . . . . . . . . . 1. Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Aufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Finanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Sozialdienste der Altersversicherungsträger . . . . . . . . . . . . . . . . . 111. Die Sozialdienste der Familienbeihilfekassen . . . . . . . ... . . . . . . . . . . . ·1. Organisation ........................ .. ................... .. . 2. Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Aufsicht ............... . ............ . .................... .. . 4. Finanzierung ....... .. ................................. . .. . . IV. Die Sozialdienste der Mutualites sociales agricoles (MSA) ... . ....
134 134 134 136 136 137 138 139 139 140 140 141 141
C. Die Sozialdienste der privaten, freien Träger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Sozialdienste der Unternehmen ..... . ....................... 1. Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Aufgaben ...........,. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Aufsicht ..................................................... 4. Finanzierung .. .................... . ....... . . ... ........ ..... II. Die Sozialdienste privater Vereinigungen und Stiftungen ... . .... 1. Das Gesetz über die Vereinigungsfreiheit . ............... . . .. 2. Die·Sozialdienste gemeinnütziger Vereinigungen ......... . ... a) Dieservices sociaux aupres des tribunaux (pour enfants) .. b) Die services sociaux d'action educative (d'observation) en milieu ouvert .. .. ... ... ......... . ...... .. ........ .. ...... c) Derservice social d'aide aux emigrants (SSAE) . . . .. .... . . . d) Enfance inadaptee . .. . . . . . . .. . . . .. .. .. .. . . . . . . . .. . .. . . .. .. e) Die services de tutelle aux prestations sociales . . . . . . . . . . . . f) Die Croix-Rouge Francaise ................ ... ... . .. .. ....
143 143 143 145 146 146 146 146 147 147 148 149 150 152 152
Inhaltsverzeichnis
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4.Kapitel
Die Koordination der Sozialarbeit
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A. Die Koordination der Sozialdienste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Schaffung von Koordinationsorganen .. ~ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Comite de liaison et de coordination des services sociaux . . 2. Die Commission permanente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die praktische Durchführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Enfance inadaptee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Klassifizierung und Registrierung der Sozialdienste . . . . . . . . . 1. Polyvalente und spezialisierte Sozialdienste . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die services sociaux polyvalents de secteur geographique . . b) Dieservices sociaux polyvalents de categorie d'usagers .... c) Die services sociaux specialises . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Registrierung der Sozialdienste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Möglichkeiten freiwilliger Koordination .... .. ................... 1. Gegenseitige Kooperationsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Übertragung von Zuständigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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B. Koordination und Beaufsichtigung der sozialen Einrichtungen . . . . . . . I. Gemeinsame Regelungen für die Sozialeinrichtungen öffentlicher und privater Träger . . . . . . . . . ... . . . . . . . • . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Koordinationsregelungen ................... _. . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Regelung der Gründung von Sozialeinrichtungen . . . . . . . . II. Kc;>ordinatio.~s- und Aufsichtsregelungen für Sozialeinrichtungen pnvater Trager . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Erteilung der Betriebserlaubnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Schließung privater Sozialeinrichtungen ................. III. Koordinations- und Aufsichtsregelungen für Sozialeinrichtungen öffentlicher Träger . . . . . . . . . . . . . . ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Mitbestimmungsregelungen
162 162 162 164 166 166 166 167 168 169
2. TEIL
Der Beruf des Sozialarbeiters
171
5. Kapitel
Das Recht der Ausbildung zum Sozialarbeiter
171
A. Problemformulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 B. Das Recht der Ausbildungsstätten . . . . . . . . . . . .. . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 I. Die Ausbildungsstätten für die assistant(e)s de service social .... 172 1. Die Träger der Ausbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . .. . . . . . 172
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Inhaltsverzeichnis 2. Koordination und staatliche Aufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Genehmigung der Einreichung der Schulen . . . . . . . . . . . . b) Die Aufsicht ..... .. ............ ... .................. . .... c) Studienordnung und Staatsdiplom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Leitung der Schulen ........... . ... .. ....... . .. ..... ..... 4. Die Finanzierung der Schulen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Ausbildungsstätten für andere soziale und erzieherische Berufe
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C. Der Zugang zu den Ausbildungsstätten für Sozialarbeiter . . . . . . . . . . . . I. Qualifizierende fachliche Zulassungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . II. Persönliche nicht-fachliche Zulassungsvoraussetzungen .. ... ... .. III. Aufnahmeprüfungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ausbildungsförderung . . .................. .. ............ . .......
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D. Ausbildungsgang, Ausbildungsinhalte und Ausbildungsabschluß . . . . . I. Die Ausbildung zum .assistant(e) de service social . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die theoretische Ausbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die praktische Ausbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Zwischenprüfung . . . ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Das Staatsdiplom . . ................... .... .. . ........ . . . . _. . . . 5. Reformvorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Die Neuregelung der Ausbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ausbildungsgänge und Ausbildungsabschlüsse für andere soziale und erzieherische Berufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Conseiller en economie familiale et sociale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Puericultrice . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Travailleuse familiale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Delegue a la tuteile aux prestations sociales . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Educateur de jeunes enfants, jardiniere d'enfants . . ....... .. . 6. Educateur specialise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Moniteur-educateur .. .... .. ............. . ... . . . ....... .. .... 8. Educateur technique sp, tissant un reseau de protection sanitaire et sociale effectif97» wurde eine neue Form sozialer Kontrolle erreicht: Zum einen drang die Kunde über die tatsächlichen Zustände in den Arbeiter- und Armenvierteln verstärkt ins Bewußtsein der Öffentlichkeit, zum anderen ermöglichten die Hausbesuche eine stärkere Überwachung der Aktivitäten und des Verhaltens der besuchten Familien98• Es entstanden neue medizinisch-soziale Berufsfelder im Bereich der Sozialarbeit99, die der infirmieres und die der visiteuses. In diesem Bereich waren aber auch die assistantes sociales tätig, wobei ein Arzt die medizinische, eine assistante sociale die soziale Diagnose und Behandlung eines Falles übernahm100• Charakteristisch für diese Form der Sozialarbeit waren: -
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die beginnende Diversifizierung der beruflichen Tätigkeitsfelder in der Sozialarbeit; die beginnende Diversifizierung der Sozialdienste: Mme Getting und der service social a l'höpital, Mme Spitzer und der service social de l'enfance en danger moral, Mme Chevalley und der service social d'aide aux emigrants, Mlle Hardouin und der service social des caisses de compensation de la region parisienne, Mlle de Hurtado und der service social de la Croix-Rouge Fran~aise101 ; die verbreitete Freiwilligkeit der Sozialarbeit (benevolat); das fast ausschließliche Betreiben der Sozialarbeit durch private Vereine und privates Engagement.
u1 Verdes-Leroux, S. 37, zitiert nach de Hurtado, Le service social tel que je l'ai vecu. 98 Ebd., S. 39. 99 Vgl. dazu Ceccaldi, Band 1, S. 14 f.: "On constate ... en France, un effort de plus en plus marque pour articuler aussi etroitement que possible les actions sanitaires et sociales. Cette tendance s'explique historiquement par le recours systematique aux assistantes sociales pour la mise en place des services medico-sociaux." 1oo Vgl. z. B. Rupp, Le service social, S. 92 ff. und Guerrand/Rupp, S. 53. 101 Rupp, Le service social, S. 91.
2. Kap.: Die Geschichte der Sozialarbeit in Frankreich
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c) Die betriebliche Sozialarbeit Während des ersten Weltkriegs ergab sich die Notwendigkeit, die im Krieg kämpfenden Arbeiter, vor allem in den kriegswichtigen Industrien, durch weibliche Arbeitskräfte zu ersetzen102• In dieser Situation entstand ein weiterer wichtiger Zweig der französischen Sozialarbeit, die Sozialarbeit in den Betrieben. Es handelte sich insofern um eine neue Form der Sozialarbeit, als nun gezielt gerade auf den Ort der Arbeit und die Situation am Arbeitsplatz eingewirkt wurde. Der Arbeiter wurde Klient. Diese erste Form betrieblicher Sozialarbeit wurde aus zwei Gründen initiiert: « ••• celles du gouvernement, accroitre le rendement des ouvrieres de l'armement, et celles d'un groupe de femmes specialistes de l'action sociale, s'inquietant des consequences des deplacements de la maind'ceuvre femininetoa.» Es waren also wirtschaftliche und moralische Gründe für die betriebliche Sozialarbeit gegeben: Es sollte zugleich die individuelle Arbeitsleistung der Frauen gesteigert und ihre moralische Schädigung verhindert, sie vor allem zur weiteren Erfüllung ihrer Aufgaben als Mutter und im Haushalt neben der Arbeit angehalten werden. 1918 wurde der Einsatz von Sozialarbeitern in der Rüstungsindustrie in einem Gesetz über die Kriegsproduktion geregelt: In jedem Betrieb mit mehr als 100 beschäftigten Frauen mußte eine "surveillante"104 angestellt werden, die folgende Aufgaben hatte:
de l'embauchage des ouvrieres et de leur affectation; des questions relatives a l'hygiime et au bien-etre des femmes employees par l'etablissement; - de l'instruction des plaintes portees par elles a l'occasion de leur travai1105,»
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Arbeitsgebiete waren also die Einstellung der Arbeiterinnen, die Hygiene am Arbeitsplatz, das physische und moralische Verhalten und Wohlergehen der beschäftigten Frauen und die Bearbeitung ihrer arbeitsbezogenen Beschwerden, dagegen nicht die Arbeitsbedingungen und die Löhne: 102 Vgl. Guerrand/Rupp, S. 47, wonach 1916 135 000, 1917 358 000 und 1918 420 000 Arbeiterinnen in Rüstungsbetrieben beschäftigt waren. 1oa Verdes-Leroux, S. 26.
104 Später surintendante d'usine. Diese neue Funktionsbezeichnung wurde nach englischem Vorbild geschaffen. Der englische Einfluß zeigt sich auch darin, daß die Idee zur betrieblichen Sozialarbeit von einer französischen Delegation aus England mitgebracht und dann in Zusammenarbeit mit Mmes Brunschwicg, de Montmort, Diemer, Viollet und Routier in die Tat umgesetzt wurde (ebd., S. 27). 105 Liaisons sociales, Le service social du travail, no special du mai 1969, S.l2.
C. Entstehung und Entwicklung der Sozialarbeit (1871-1944)
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«Leur fonction consiste a s'occuper du bien-etre physique et moral des ouvrieres, a l'exclusion de taute question technique interessant le travail et le salairet06 .»
Nach Kriegsende wurden die surintendantes d'usine dazu verwendet, sich um die soziale und berufliche Wiedereingliederung der Flüchtlinge aus den umkämpften Gebieten in Nordfrankreich, der repatriierten Elsässer und Lothringer und der Kriegsgefangenen zu kümmern. Danach bestand ihre Aufgabe, sofern ein betrieblicher Sozialdienst, der ja gesetzlich nicht vorgeschrieben war, von den Unternehmern beibehalten wurde, darin, für die Aufrechterhaltung eines "bon esprit"107 bei den Arbeitern, d. h. für die Aufrechterhaltung des innerbetrieblichen sozialen Friedens, zu sorgen. Nach der großen Streikwelle in den Jahren der Volksfrontregierung 1936 bis 1938 wurde die Idee einer Sozialarbeit auf Betriebs- bzw. Unternehmensebene wieder aufgegriffen. Diese Tendenz wurde nach 1940 durch die Notwendigkeit verstärkt, in den kriegswichtigen und anderen Betrieben wieder mehr auf weibliche Arbeitskräfte zurückzugreifen. Es handelte sich wieder darum, die moralische Gefährdung der Frauen am Arbeitsplatz und die sozialen Folgen ihrer Abwesenheit vom Haushalt mit Mitteln der Sozialarbeit zu bekämpfen: Fabrikarbeit von Frauen wurde als soziale Gefahr empfunden1{)8 • Daher wurde 1942 ein Sozialdienst in Unternehmen mit mehr als 250 Arbeitnehmern gesetzlich vorgeschrieben. Da jedoch die Einführung eines Sozialdienstes an den Erlaß von Ausführungsdekreten für die einzelnen Industriezweige gekoppelt war und solche Ausführungsdekrete nur für die metallverarbeitende, die Leder- und die Keramikindustrie erlassen wurden, war die Einrichtung eines betrieblichen Sozialdienstes auch nur in diesen Branchen obligatorisch103• Charakteristisch für diese Form der Sozialarbeit waren folgende Momente: - Erstmals engagierte sich der Staat im engeren Bereich der Sozialarbeit, indem er die Funktion der surintendante d'usine schuf. Dagegen blieben Rekrutierung und Ausbildung dieses Personals weiter privaten Organisationen überlassen110• - Die Diversifizierung der Sozialdienste und der sozialen Berufe nahm weiter zu. 1os Guerrand/Rupp, S. 51.
107 Verdes-Leroux, S. 35. Vgl. auch Kniebiehler, Nous, les assistantes sociales, S. 164 ff. 108 Guerrand/Rupp, S. 80. 109 Loi du 28 juillet 1942 (J. 0. 29 juillet 1942); decrets du 13 aoüt 1943 (J. 0. 17 aoüt et 29 aoüt 1943). uo So Verdes-Leroux, S. 24.
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2. Kap.: Die Geschichte der Sozialarbeit in Frankreich
Die Sozialarbeit setzte nun bei den Arbeitern selbst an. Es wurde die Vormachtstellung der "benevoles" durch Schaffung bezahlter Funktionen durchbrachen. d) Die Jugendfürsorge
Nach dem ersten Weltkrieg begann eine intensivere Sozialarbeit auf dem Gebiet der Jugendfürsorge. Ein erster Zweig dieser Arbeit war die medizinische und soziale Bekämpfung der Säuglings- und Kindersterblichkeit. 1922 wurde ein "Comite national de l'enfance" und danach ein "Office de protection materneUe et infantile" im Departement Seine unter Leitung von Ysabel de Hurtado gegründet111• Aufgaben waren die Beratung schwangerer Frauen und Mütterberatungen über das richtige Aufziehen von Kleinkindern. Für die älteren Kinder entwickelten sich erste Ansätze eines schulischen Gesundheitsdienstes, es gab aber noch keinen obligatorischen "service de sante scolaire" 112• Durch verstärkte Einrichtung von Kindergärten, Freizeiteinrichtungen und Ferienkolonien wurde versucht, eine größere Zahl von Kindern und Jugendlichen zeitweilig von der Straße zu holen und erzieherisch zu beeinflussen. Durch vorbeugende Straßenarbeit wurde versucht, Prostitution und Verwahrlosung von Jugendlichen zu verhindern113• In der Fürsorge für die verwahrlosten, verwaisten und delinquenten Jugendlichen gab es bei grundsätzlicher Aufrechterhaltung der Einschließungsmaßnahmen vermehrte Versuche, im offenen Bereich, d. h. in den Familien und außerhalb von Institutionen auf diese Jugendlichen einzuwirken. Dazu wurden besondere Interventionsmöglichkeiten der Justiz entwickelt: Durch die 1912 unter besonderer Mitwirkung von Henri Rollet114 geschaffene spezielle Jugendgerichtsbarkeit (juge des enfants, tribunaux des enfants) wurden abweichende Handlungen und Verhaltensweisen von Jugendlichen einer stärkeren gerichtlichen Kontrolle unterworfen und damit der rein polizeilichen Gefahrenbekämpfung entzogen. Durch die spezialisierte Jugendgerichtsbarkeit wurde auch ein besserer Schutz der Jugendlichen gegen eine mißbräuchlich ausgeübte elterliche Gewalt möglich. Vgl. dazu Guerrand/Rupp, S. 58 f. und oben FN 94. m Vgl. Hebrard, Le service social aupres de l'enfance d'äge scolaire; Traynard, L'assistante sociale et l'enfant d'äge scolaire. us Vgl. z. B. Lascoumes, S. 103 ff. 114 Loi du 22 juillet 1912 sur l'institution du tribunal pour enfants. Henri Rollet war überzeugter Katholik und Anhänger der Soziallehre. Sein Hauptinteresse lag auf dem Gebiet der Jugendwohlfahrt. Als Richter setzte er sich für die Einrichtung einer speziellen Jugendgerichtsbarkeit ein. 111
C. Entstehung und Entwicklung der Sozialarbeit (1871-1944)
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Weiter wurde die Untersuchung der Persönlichkeit und sozialen Umwelt eines gefährdeten oder delinquenten Jugendlichen (enquete sociale) eingeführt, um den Jugendrichtern beim Fällen ihrer Urteile durch eine soziale Diagnose der Jugendlichen und eine Prognose ihrer weiteren Entwicklung zu helfen. Die Funktion dieser Berichterstatter, der ersten (Jugend-) Gerichtshelfer, wurde von assistantes sociales ausgeübt: Ab 1923 bestanden private services sociaux aupres des tribunaux, so der 1923 von Mme Spitzer in Zusammenarbeit mit Henri Rollet gegründete service social de l'enfance en danger moral115• Charakteristisch für die Anfänge der Sozialarbeit mit Jugendlichen und für die Anfänge der Jugendgerichtshilfe waren die von Sozialarbeitern durchgeführten Sozialuntersuchungen. Sie sollten eine umfassendere Kontrolle der sozial auffälligen Jugendlichen ermöglichen. Weiterer Zweck war, ein der Abweichung und dem Problem des Jugendlichen angepaßtes Urteil zu finden und zu begründen und die für die Wiedereingliederung des Jugendlichen beste Erziehungs- oder Sanktionsmaßnahme auszusprechen. In den verwendeten Fragebogen wurden zahlreiche Fragen bezüglich des moralischen Verhaltens und anderer sehr privater Dinge gestellt. Daneben flossen aber auch die äußeren Umstände, die familiäre und soziale Umwelt in die Fragebögen und die Beurteilung der Untersuchung ein: «11 faut contacter d'abord diverses institutions, les voisins, les a:uvres, l'employeur, puis interroger la famille eile-meme et observer tout ce qu'on voit mais aussi ce qui est cache. La decoration du logement doit etre analysee soigneusement; non seulement eile renseigne sur les gouts et les capacites menageres de la mere, mais eile indique le niveau moral de la famille: 11 faut etre attentif a la proprete, a l'ordre, a l'hygieme, aux methodes educatives, mais la partie la plus importante, et Ia plus delicate, consiste dans l'·interrogatoire• sur la moralite116.» 1912 wurden auch das Prinzip des Vorrangs von Erziehungsmaßnahmen vor Strafen normiert und der Begriff der überwachten Freiheit (liberte surveillee) eingeführt. Zur Durchführung der Maßnahmen der überwachten Freiheit wurde die neue Funktion eines "delegue a la liberte surveillee" geschaffen, ein Vorläufer der heutigen Bewährungshelfer: . Auch im Arbeitsrecht gab es neue Entwicklungen: neben Arbeitnehmerschutzgesetzen vor allem im Bereich des kollektiven Arbeitsrechts. Schon 1944 waren Koalitionsfreiheit und Streikrecht wiedergewährt worden. 1945 wurden die Comites d'entreprise, 1946 die delegues du personne! eingeführt. Mit ihnen verfügen die Arbeitnehmer nun über Vertretungsorgane im Betrieb. Die gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer haben seit 1968 mit den delegues syndicaux noch ein zusätzliches Vertretungsorgan im Betrieb156• Mit einer convention collective nationale (einem Tarifvertrag) der Sozialpartner vom 31. 12. 1958 wurde eine Sicherung der Arbeitnehmer bei Arbeitslosigkeit eingeführt, die neben die aus öffentlichen Mitteln gewährte aide publique de chömage trat und von unabhängigen Trägern (UNEDIC federant les ASSEDIC) gewährt wird. Die Arbeiter werden durch ein Beitrags- und Leistungssystem proportional zur Lohnhöhe gegen das Risiko des unfreiwilligen Arbeitsplatzverlustes geschützt. 1979 wurde die staatliche Arbeitslosenhilfe abgeschafft und durch eine globale Subvention des Staates zur Arbeitslosenversicherung ersetzt. Bei Kurzarbeit gibt es ein Entschädigungssystem, das staatliche Beihilfen und manchmal zusätzliche tarifliche Entschädigungssummen gewährf-57. Bedeutsam wurden die staatlichen Planungen der Wirtschafts- und später auch der Sozialentwicklung. Dafür wurden verschiedene Kommissionen geschaffen, die jeweils für fünf Jahre bestimmte Planziele publizieren (planification168). 1981 wurden die Mindestlöhne und die Familienleistungen stark erhöht. Die Sozialversicherung wurde erneut reformiert. Beschäftigungsprogramme, vor allem auch die Schaffung neuer Arbeitsplätze im sozialen Bereich, und Möglichkeiten zur Verkürzung der Lebensarbeitszeit sollen zur Bekämpfung der hohen Arbeitslosigkeit beitragen1159• m Loi no 75-535 du 30 juin 1975 relative aux institutions sociales et medico-sociales (J. 0. 1 juillet 1975). Vgl. auch ebd., S. 258 f. 156 Ordonnance du 2 fevrier 1945 instituant les comites d'entreprise; loi du 16 avril 1946 sur les delegues du personnel; loi du 27 decembre 1968 sur les delegues syndicaux. Diese Gesetze wurden im Code du Travail kodifiziert. 157 Saint-Jours, Landesbericht Frankreich, S. 256 f. 168 Vgl. dazu Ceccaldi, Band 1, S. 129 ff. und die vom Commissariat general du Plan herausgegebenen vorbereitenden Werke für die Beschlußfassung über die Pläne und die Arbeit der Plankommissionen (vie sociale, habitat, inegalites sociales, personnes ägees, prestations sociales, revenues et transferts, readaptation etc.).
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2. Kap.: Die Geschichte der Sozialarbeit in Frankreich
IL Die Entwicklung der Sozialarbeit
1. Weitere Aufgabenfelder der Sozialarbeit Zunächst fällt die weitere Ausdehnung der Sozialarbeit auf neue Klientengruppen, in neue gesellschaftliche Bereiche und Aufgabenfelder und die rechtliche Regelung dieser Entwicklung auf160• Gesetzlich festgelegte Wirkungsbereiche der Sozialarbeit finden sich z. B. im Bereich der Jugendfürsorge und des Jugendschutzes: Jugendgerichtshilfe und überwachte Freiheit mit Bewährungshilfe; Schulgesundheitsdienste; Sozialdienste zum Schutz der Kleinkinder und ihrer Mütter (protection materneile et infantile); gerichtlicher und sozialer Schutz gefährdeter Kinder und Jugendlicher161 • Weitere gesetzliche Festlegungen von Sozialarbeiteraufgaben finden sich bezüglich der "Fleaux sociaux" (Tuberkulose, Geisteskrankheiten, Geschlechtskrankheiten, Krebs, Alkoholismus und Drogensucht). Im Bereich der Systeme sozialer Sicherheit wurden 1946 eigene Sozialdienste der Familienbeihilfekassen und der Krankenkassen vorgesehen162• Ferner wurde 1945 ein Sozialdienst für die Gefangenen vorgesehen und 1945/46 die betriebliche Sozialarbeit neu geregelt163•
2. Koordinationsregelungen Die Ausdehnung der sozialen Aktivitäten, die Zunahme der Sozialarbeit tragenden Organisationen und das stärkere Engagement des Staates und der Sozialversicherungsträger in der Sozialarbeit erforderten eine gesetzliche Regelung der Koordination der von diesen Trägern betriebenen Sozialarbeit. Die Koordination wurde 1950 gesetzlich geregelt und 1959 effektiver zu gestalten versucht164• Eine weitere Verbesserung der Koordination wurde mit der Gründung der "Directions 158 Vgl. dazu das in Le Monde vom 2. 6. 1981, S. 1 und 44 veröffentlichte Interview mit dem Minister für Nationale Solidarität, Nicole Questiaux. Bisher wurden der Mindestlohn um 10 Gfo, das garantierte Minimum um 20 °/o, die Familienleistungen und die Wohnbeihilfen um 25 Ofo erhöht (Le Monde vom 4. 6. 1981, S. 1). Im Öffentlichen Dienst und im Sozialbereich sollen 55 000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden (Le Monde vom 11. 6. 1981, S. 40. Vgl. auch die circulaire no 81-15 du 29 juin 1981 relative a la mise en reuvre du plan gouvernemental de creation d'emplois [annexes], abgedruckt in: Bulletin Officiel du Ministere de la Solidarite nationale et du Ministere de la Sante no 81/28 du 11 aoüt 1981). Vgl. auch die Bestandsaufnahme "La France en mai 1981", insbesondere Band 3. 160 Vgl. für den Beginn dieser Epoche Guerrand/Rupp, S. 121. 161 Vgl. dazu die Ausführungen im 12. Kapitel. 162 Vgl. dazu die Ausführungen im 3. und 13. Kapitel. 163 Vgl. dazu Desmottes, S. 23 ff. und de Bousquet, S. 29 ff., 38 ff. 164 Loi no 50-905 du 4 aoüt 1950 (J. 0. 6 aoüt 1950); dckret no 59-146 du 7 janvier 1959 relatif a la Iiaison et a la coordination des Services sociaux (J. 0. 9 janvier 1959). Vgl. dazu die Ausführungen im 4. Kapitel.
D. Die Entwicklung der Sozialarbeit seit 1944
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departementales de l'action sanitaire et sociale" (DDASS) im Jahre 1964 und mit der Aufteilung der Departements in "circonscriptions" und "secteurs" im Jahre 1966 bezweckt165• In der Sozialarbeit mit behinderten Kindern und Jugendlichen wurden anstelle der Associations regionales de Sauvegarde de l'enfance et de l'adolescence (ARSEA) mit den Centres regionaux de l'enfance et de I'adolescence inadaptees (CREAI) neue und effektivere Koordinationsorgane geschaffen166• 3. Die Gründung der ANAS
1946 wurde die Association nationale des assistant(e)s de service social (ANAS) gegründet. In ihr organisierten sich Mitglieder der ATS, der UCSS und der Gewerkschaften, die das Staatsdiplom für assistant(e)s de service social erworben hatten. Die ANAS begriff sich in der Folge als reine Berufsorganisation der assistantes sociales und engagierte sich fast ausschließlich für deren Rechte und ihre juristische Absicherung durch ein Berufsstatut. So gehörte die ANAS auch nicht der Federation fran~aise des travailleurs sociaux (FFTS) an, die 1950 gegründet worden war und viele andere im Sozialbereich tätige Berufsgruppen und deren Angehörige organisierte. Die ANAS stellte sich folgende Aufgaben: grouper les assistantes de service social; etudier toutes les questions professionnelles et techniques du Service social fran!;ais; - reellereher et definir les interets generaux de l'ensemble des assistantes sociales pour les porter a la connaissance des pouvoirs publics; - aider a la defense de l'honneur de la profession et a la protection du titre d'assistante sociale; - creer des organismes destines a faciliter la vie materielle et professionnelle des assistantes sociales161.»
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Zur Erreichung dieser berufsorientierten Ziele führte die ANAS Verhandlungen mit dem Staat über die den Berufsstand und seine rechtliche Absicherung betreffenden Fragen, veranstaltete sie jährlich Kongresse und Tagungen ihrer Abteilungen1 '68 und erließ sie 1950 den Code de Deontologie, in dem die Pflichten der Sozialarbeiter festgelegt sind, die in der ANAS organisiert sind169• Vgl. dazu die Ausführungen im 3. Kapitel. Vgl. zur Entwicklung der ARSEA nach 1944 Chauviere, S. 154 ff., 207 ff. 167 Guerrand/Rupp, S. 115 f. 168 Vgl. zu den Kongressen der ANAS den Anhang. Zu ihren Präsidenten vgl. ebd., S. 114, FN 6. 169 Vgl. dazu die Ausführungen im 6. Kapitel. 165 166
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2. Kap.: Die Geschichte der Sozialarbeit in Frankreich
4. Das Berufsrecht 1946 wurde die berufsrechtliche Stellung der assistant(e)s de service social geregelt. Es wurde ein Berufsausübungsmonopol in den Sozialdiensten für sie geschaffen und geschützt, der Titel "assistant(e) de service social" wurde geschützt und die Angehörigen des Berufsstandes Vv'Urden der Pflicht zur Wahrung des Berufsgeheimnisses, der Schweigepflicht, unterstellt170• Damit erreichte der Beruf eine über die gemeinsame Ausbildung hinausgehende Professionalisierung.
Dagegen blieben Versuche, ein weitergehendes Standesrecht zu erreichen, erfolglos. Insbesondere wurde keine einheitliche Standesorganisation (im Sinne einer "Sozialarbeiterkammer") und keine Standesgerichtsbarkeit geschaffen1 u. Für andere soziale Berufe existiert noch kein Standesrecht
5. Arbeits-, beamten- und sozialrechtliche Regelungen Die Sozialarbeiter erhielten eine bessere arbeits-, beamten- und sozialrechtliche Absicherung. Die Sozialarbeiter beim Staat, den Departements, den Gemeinden und den öffentlichen Krankenhäusern und Einrichtungen wurden zu Beamten oder Angestellten der jeweils sie beschäftigenden Körperschaft172• Für die Sozialarbeiter anderer Träger wurden in der Regel Tarifverträge abgeschlossen.
6. Die Ausbildung Mit der Zunahme der Zahl der sozialen Berufe und der Aufgaben der Sozialarbeit und mit der Änderung der äußeren Bedingungen der Sozialarbeit wurden immer mehr Ausbildungsgänge zu diesen Berufen neu geschaffen und zum Teil, ab 1967, neue Staatsdiplome eingeführtrf3. Die schon bestehenden Ausbildungsgänge und Prüfungsvorschriften 17 0 Loi no 46-830 du 8 avril 1946 relative a l'exercice des professions d'assistantes ou d'auxiliaires de service social et d'infirmieres ou d'infirmiers (J. 0. 9 avril1946); kodifiziert in art. 218 ff. du Code de la Familie et de l'Aide sociale. 171 Solche Versuche wurden von einer Gruppe von Parlamentariern gemacht (z. B. Germaine de Peyrolles), die 1947 einen Gesetzesvorschlag einbrachten, eine Standesgerichtsbarkeit und einen Conseil national des assistant(e)s de service social einzurichten, mit dem Ziel, die Einhaltung des Berufskodex auch wirklich zu gewährleisten. Die Mehrheit lehnte diesen Vorschlag ab (Dalloz, S. 577, RN 63 am Ende und Desmottes, S. 24, FN 1). 172 Vgl. dazu FN 8 zum 7. Kapitel und die Ausführungen im 7. Kapitel unterB. 173 Vgl. dazu die Ausführungen im 5. Kapitel und Verdes-Leroux, S. 110, 153.
D. Die Entwicklung der Sozialarbeit seit 1944
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wurden häufig reformiert1 '74 • Die wohl wichtigste Änderung wurde 1968 eingeführt, als das erste Studienjahr nicht mehr ausschließlich der medizinischen Ausbildung vorbehalten wurde. 7. Die Vorbeugung und die Animation
Eine wichtige neue Entwicklung in der französischen Sozialarbeit ist die stärkere Berücksichtigung und Durchsetzung der vorbeugenden Sozialarbeit (prevention), vor allem in der Jugendhilfe, und der animation. Durch vorbeugende Sozialarbeit sollen Gefährdung, Verwahrlosung oder Delinquenz von Jugendlichen nicht erst dann bekämpft werden, wenn sie schon eingetreten sind, sondern es soll schon die Entstehung dieser Phänomene durch Einwirkung auf die Familie, die Umwelt und die sozialen Kontakte von Kindern und Jugendlichen verhindert werden. Diese vorbeugende Jugendsozialarbeit wird von den Sozialarbeitern der sozialen Jugendhilfe (Aide sociale a l'enfance, ASE) und der "Clubs et equipes de prevention" (CEP) getragen1'73 , die Straßenarbeit mit den Jugendlichen machen und ihnen Freizeitprogramme in Freizeitheimen bieten. Dadurch soll eine Entwicklung der Jugendlichen, die ein Eingreifen von Behörden und Justiz erforderlich macht, möglichst verhindert werden. Auch mit der Sozialarbeit der Protection materneUe et infantile und der Schulgesundheitsdienste soii vorgebeugt werden: durch Früherkennung saUen Gesundheitsschäden, geistige Schäden, schulische Probleme etc. so weit wie möglich vermieden werden. 8. Maßnahmen im institutionellen und im offenen Bereich
Im Bereich der geseiischaftlichen Reaktion auf soziale Unangepaßtheiten von Problem- und Randgruppen ergaben sich nach 1944 Veränderungen. Oft blieb es zwar bei der Ausschließung dieser Gruppen aus der Gesellschaft durch ihre Einschließung in geschlossenen Anstalten: der Geisteskranken in den Asylen, der Delinquenten in den Gefängnissen, zunehmend der alten Menschen in Hospizen, der Körperbehinderten in Pflegeanstalten und der Jugendlichen in Heimen und Erziehungsanstalten. Zunehmend setzte sich aber die Notwendigkeit und Möglichkeit einer Behandlung dieser Gruppen und einer sozialen Fürsorge für sie im nicht institutionellen Bereich durch (milieu ouvert). Vgl. z. B. o. V., in: Revue franc;aise de service social 2/1975, S. 8 ff. Vgl. dazu Lascoumes, S. 103 ff. Zu den clubs et equipes de prevention vgl. auch Bulletin Officiel du Ministere de la Solidarite nationale et du Ministere de la Sante, fascicule Special no 82-19 bis, clubs et equipes de prevention. 174 175
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2. Kap.: Die Geschichte der Sozialarbeit in Frankreich a) Geistig und körperlich Behinderte
Bei der Behandlung der Geisteskranken wurde dies durch den medizinischen und chemischen Fortschritt ermöglicht (z. B. psychosomatische Medizin, Chemotherapie). Durch den Gebrauch von Medikamenten, die das Gehirn beeinflussen176 , von Drogen177 und seit 1952 von Psychopharmaka und Tranquilizern178 konnte ein Teil der leichteren Fälle aus den Asylen und anderen psychiatrischen Anstalten entlassen werden, ohne eine Gefahr für sich oder andere darzustellen, da Psychopharmaka und Tranquilizer bewirken, daß Angstzustände aufhören und Unruheoder Wahnsinnszustände schwächer ausfallen. Nach dem ersten Versuch von 1922 wurden weitere ambulante Stationen geschaffen, die die Behandlung und Überwachung der Geisteskranken außerhalb der psychiatrischen Kliniken ermöglichten. Die antipsychiatrische Bewegung179 und die Sektorisation der Psychiatrie und Kinderpsychiatrie180 mit dem Plan, ein Netz von Sozialstationen auch mit Sozialarbeitern zur Versorgung der Geisteskranken zu schaffen, sorgte für eine weitere Entwicklung in dieser Richtung. Durch Arbeitstherapie wurde innerhalb und außerhalb der Anstalten versucht, eine bessere soziale und berufliche Wiedereingliederung der Geisteskranken und geistig Behinderten zu erreichen. Durch bessere medizinische Behandlung, durch neue Techniken wie Arbeits- und Bewegungstherapie und durch verbesserte Umschulungsprogramme wurden bei der körperlichen Wiederherstellung und der beruflichen und sozialen Wiedereingliederung der Körperbehinderten Fortschritte möglich. Das Orientierungsgesetz von 1975 zugunsten behinderter Personen181 führte zu einer Abänderung des sozialen Status der Behinderten. Die Hilfe für sie fällt in den Zuständigkeitsbereich der Systeme sozialer Sicherheit, der Sozialhilfe und der action sociale. Ihre Probleme sind als von der Gesellschaft zu tragende Lasten anerkannt.
11s Z. B. Adrenalin, Acetylcholin, Serotonin und Katecholamin (vgl. Pelicier, S. 108). 177 Ebd., S. 109: Bulbocapnin, Mescalin, LSD, Marihuana etc. 178 Antidepressiva und Amphetamine. 179 Vgl. dazu Obiols, Antipsychiatrie und die Werke von Foucault, Basaglia, Cooper, Laing, Szasz und Mannoni. 1811 Zur Sektorisation der Psychiatrie vgl. Mises/Thevenot, S. 169 ff. 181 Loi no 75-534 du 30 juin 1975 d'orientation en faveur des personnes handicapees (J. 0. 1 juillet 1975). Vgl. auch den Kommentar von Levy, La loi d'orientation du 30 juin 1975, S. 108 ff. und Witterstätter, Rehabilitation in Frankreich, S. 53 ff.
D. Die Entwicklung der Sozialarbeit seit 1944
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b) Resozialisierung von Delinquenten In den Gefängnissen ging man von der bloßen Isolierung der Gefangenen und vom Arbeitszwang ab und zum "Erziehungsvollzug" über. Ein wichtiger Zweck der Haftstrafe wird in der Resozialisierung der Gefangenen gesehen. Den Häftlingen werden subjektive Rechte zuerkannt182. Um das zum Teil kriminogene Element des Gefängnisaufenthaltes bei leichterer Kriminalität zu vermeiden, wurden neue Instrumente der Überwachung von Verurteilten in Freiheit angewandt (bedingte Entlassung, Bewährung), wobei dann die Fürsorge für und die Kontrolle über die freigelassenen oder in Freiheit belassenen Verurteilten Aufgabe spezialisierter Sozialarbeiter wurde. c) Jugendliche In der Jugendfürsorge setzte sich die erzieherische Einwirkung im offenen Bereich am stärksten durch. Die Begriffe Erziehung und Kindeswahl wurden zum zentralen Gedanken der gesellschaftlichen Reaktion auf Abweichungen. In den Vordergrund der Resozialisierungsbemühungen für delinquente Jugendliche rückte die überwachte Freiheit (liberte surveillee). Speziellen Bewährungshelfern, den delegues a la liberte surveillee, obliegt die Fürsorge für und die Überwachung der Jugendlichen183. Daneben wurde allerdings weiter die institutionelle Erziehung delinquenter Jugendlicher betrieben (education surveillee), es wurden aber die bestehenden repressiven Institutionen zum Teil durch neue Heime, die "Instituts publies d'education surveillee" (IPES) bzw. die "lnstitutions speciales d'education surveillee" (!SES), ersetzt. Wegen der Aufgabe der Erziehung bzw. Resozialisierung handelt es sich nun um eine rationale Einschließungsstrategie ("enfennement rationnalise") 184• Für die gefährdeten Jugendlichen wurden vorrangig Methoden der Fürsorgeerziehung und der Beobachtung im offenen Bereich (action educative en milieu ouvert, observation en milieu ouvert) geschaffen185. Damit soll die Erziehung - auch die durch Sozialarbeiter und Erzieher Tiedemann. Ordonnance no 45-174 du 2 fevrier 1945 relative a l'enfance delinquante (J. 0. 3 fevrier 1945). Vgl. auch die Ausführungen im 12. Kapitel unter F. und G. 184 Vgl. zum Terminus Lascoumes, 8.101, 109 Figur 2. Zu den Einrichtungen und Maßnahmen der education surveillee vgl. Chauviere, S. 162 ff. 1ss Decrets no 59-100 du 7 janvier 1959 (J. 0. 8 janvier 1959) relatif a la protection sociale de l'enfance en danger und no 59-101 du 7 janvier 1959 (J. 0. 8 janvier 1959) modifiant et completant le Code de la Familie et de l'Aide sociale en ce qui concerne la protection de l'enfance; art. 40 ff. du Code de la Familie et de l'Aide sociale; art. 371 ff. du Code civil; art. 888 ff. du Code de la Procedure civile. 182
183
108
2. Kap.: Die Geschichte der Sozialarbeit in Frankreich
überwachte Fürsorgeerziehung - in der natürlichen Familie oder einer Ersatzfamilie ermöglicht werden. Die Einweisung von gefährdeten Jugendlichen in ein Erziehungsheim soll möglichst wegen der häufig negativen Konsequenzen der Heimeinweisung (Hospitalismus) vermieden d) Institutionelle Maßnahmen Nach wie vor spielen Heime und Anstalten eine wichtige Rolle bei der Unterbringung, Erziehung, Wiedereingliederung, Rehabilitation und Überwachung von Sozialfällen, insbesondere für die schweren Fälle, die nicht aus eigener Kraft überleben können, für die die von den sozialen Diensten und offenen ambulanten Einrichtungen in den Sektoren gebotenen Leistungen nicht ausreichen oder die keine Familien haben. Das Recht dieser sozialen Einrichtungen und ihr Rechtsverhältnis zum Benutzer wurde 1975 neu geregelt186.
9. Der Grundsatz der Neutralität, die Methoden der Sozialarbeit Ideologisch setzte sich der Grundsatz der Neutralität der Sozialarbeit vollends durch. Er ist auch im Code de la Deontologie de l'ANAS festgeschrieben187. Der Einfluß der katholischen Kirche und die Konfessionalisierung der Sozialarbeit nahmen ab, die staatlichen Interventionen in der Sozialarbeit und die institutionelle Organisation der Sozialarbeit nahmen zu. Auch die Professionalisierung der Sozialarbeit wird durch die Ausbildungs- und Standesregelungen verstärkt, das "benevolat" spielt nur noch eine geringe Rolle. Ein neues Phänomen ist die Aufspaltung der Methoden der Sozialarbeit: Neben der traditionell betriebenen Einzelfallhilfe (casework, service social individualise) finden nun auch die in den USA und Großbritannien entwickelten Methoden des group-work (service social de groupe) und des community-work (service social de communaute) stärkere Verbreitung188. Die historische Entwicklung der Methoden der Sozialarbeit kann in Frankreich in folgende Etappen eingeteilt werden: -
die langsame Entwicklung von einer karitativen und freiwilligen Wohltätigkeitsarbeit zu ersten Ansätzen einer beruflichen Ausübung der Sozialarbeit (1900-1920); die beginnende Ausarbeitung einer Methodologie nach nordamerikanischem Vorbild (1920-1940);
188 Loi no 75-535 du 30 juin 1975 relative aux institutions sociales et medico-sociales (J. 0. 1 juillet 1975). Vgl. auch den Kommentar von Levy, La loi du 30 juin 1975 relative aux institutions sociales, S. 522 ff. 187 Vgl. art. 4 und 5 du Code de Deontologie de l'ANAS. 188 Vgl. dazu FN 24 zur Einleitung.
D. Die Entwicklung der Sozialarbeit seit 1944
109
-
die Vernachlässigung dieser Methodologie und die Analyse der Sozialarbeit nach Aufgabenfeldern (1940-1955);
-
die Wiederentdeckung der Einzelfallhilfe (1955-1960);
-
die Entdeckung der Gruppen- und der Gemeinwesenarbeit (1960heute)189.
tsv
De Robertis, S. 11 f.
3. Kapitel
Das Recht der Träger der Sozialarbeit In diesem Kapitel sollen die wichtigsten Träger der Sozialarbeit in Frankreicherfaßt und ihre innere Organisation und Struktur, ihre Aufgaben, ihre Beaufsichtigung durch staatliche Behör~en und ihre Finanzierung dargestellt werden. Dagegen soll auf die praktische Sozialarbeit der von diesen Trägern beschäftigten Sozialarbeiter in den (hier nur kurz umrissenen) Aufgabenfeldern der Sozialarbeit erst im vierten Teil eingegangen werden. Die Notwendigkeit eines solchen Kapitels über das Recht der Träger der Sozialarbeit ergibt sich aus den Strukturen der französischen Sozialarbeit: -
-
dem ausschließlich institutionellen Rahmen der französischen Sozialarbeit; der Organisationsvielfalt und der rechtlich unterschiedlichen Verfassung der Trägerorganisationen; den Auswirkungen der institutionellen Ausübung der Sozialarbeit auf die Rechtsstellung der einzelnen Sozialarbeiter: Arbeit in abhängigen Beschäftigungsverhältnissen; der staatlichen Regelung der Aufsicht, Finanzierung und Koordination der Sozialarbeit der verschiedenen Sozialdienste und den Auswirkungen dieser Regelungen auf die Rechtsstellung der einzelnen Sozialarbeiter1 •
1 Vgl. dazu oben die Ausführungen in der Einleitung. Zum 1.1. 1975 waren die Sozialarbeiter in folgender Anzahl bei den verschiedenen Trägern beschäftigt: Staat und Departements 8630; Gemeinden, Sozialhilfeämter und öffentliche Einrichtungen 2820; Sozialversicherungsträger und Familienkassen 5310; private Träger 6180 (nach IGAS, 1979, S. 385). Dieses Verhältnis hat sich seither nicht wesentlich verändert.
A. Die Sozialdienste der öffentlichen Gebietskörperschaften
111
A. Die Sozialdienste der öffentlichen Gebietskörperschaften2 I. Die Sozialdienste des Staates Die Sozialdienste des Staates lassen sich in zwei Gruppen einteilen, die sich danach unterscheiden, auf welchen Adressatenkreis sie mit ihrer Sozialarbeit abzielen. Sie sind entweder (nur) zum Wohl der Staatsbediensteten, des Personals (Beamte, Angestellte, Arbeiter) des betreffenden Ministeriums eingerichtet oder (auch) zum Wohl einer bestimmten Klientel, die nicht Teil des Staatsapparates ist.
1. Sozialdienste für Staatsbedienstete In diesem Sinne hat heute jedes Ministerium einen eigenen, mehr oder weniger bedeutsamen Sozialdienst für seine Beschäftigten. Von ihrer zahlenmäßigen Bedeutung her sind die Sozialdienste der Post und der Armee besonders zu erwähnen. Der Sozialdienst des Ministere des Postes, Telephones et Telecommunications (PTT) wurde 1942 geschaffen. Er wird von einer "Sous-direction du service social" geleitet, die 1946 bei der Zentralverwaltung der Post eingerichtet wurde3 • Diese Unterdirektion wird von einem Leiten2 Nach de Laubadere, S. 168 ff. handelt es sich (außer dem Staat) bei Departements und Gemeinden um Gebietskörperschaften: "Les departements et communes, ce sont les seules divisions administratives, qui constituent des ,collectivites territoriales', c'est-a-dire des circonscriptions territoriales dötees de la personnaHte morale." (ebd., S. 173). Dagegen handelte es sich bei den Regionen bis zur Dezentralisierungsgesetzgebung 1982 nicht um Gebietskörperschaften (ebd., S. 171): "Les regions ... sont desormais (reforme de 1972) dötees de la personnaHte morale mais avec la qualification d'etablissements publies et non de collectivites territoriales." Nach art. 59 de la loi no 82-213 du 2 mars 1982 relative aux droits et libertes des communes, des departements et des regions (J. 0. 3 mars 1982) handelt es sich nun auch bei den Regionen um Gebietskörperschaften (collectivites territoriales). Vgl. auch Rivero, Droit administratif, S. 357 und Saint-Jours, Les relations du travail dans le secteur public, S. 17 f. Auf die Arrondissements und Cantans soll hier nicht eingegangen werden, da sie nur eine einfache Einteilung der Departements darstellen (vgl. Ceccaldi, Band 1, S. 161). 3 Loi du 25 septerobre 1942 (J. 0. 1 octobre 1942) und decret du 10 mai 1946 (J. 0. 14 mai 1946). An dieser Stelle soll ein kurzer Überblick über die verschiedenen Möglichkeiten gegeben werden, verbindliche Regelungen zu erlassen: Lai ist das Gesetz im formellen Sinne. Art. 34 der Constitution legt die Materien fest, die allein der gesetzlichen Regelung durch das Parlament (Assemblee nationale) vorbehalten sind. Ordonnance: Gemäß Art. 38 der Constitution kann sich die Regierung vom Parlament die Ermächtigung erteilen lassen, zur Ausführung ihres Programmes während einer bestimmten Zeit Maßnahmen treffen zu können, die normalerweise durch Gesetz ergehen müssen. Sie werden durch den Ministerrat nach Stellungnahme des Staatsrats beschlossen, vom Präsidenten der Repu-
112
3. Kap.: Das Recht der Träger der Sozialarbeit
den Sozialarbeiter (assistant(e) social(e) chef) geleitet, von dem die Sozialarbeiter in den Regionen und Departements weisungsabhängig sind und der andererseits dem Minister für das Funktionieren des Sozialdienstes verantwortlich ist4 • Der Sozialdienst der Forces Armees, der drei Teilstreitkräfte Heer, Luftwaffe und Marine, wurde 1948 eingerichtet und 1977 reformiert5 • Er untersteht einem Dienst der Zentralverwaltung der Streitkräfte, dem "Service central de l'action sociale des Armees". Dieser Dienst wird von einem General geleitet, der eine "inspectrice generale" als Assistentin hat, die assistante sociale sein muß. In den einzelnen Militärregionen wird die Sozialarbeit durch Sozialarbeiter der "Directions regionales de l'action sociale des Armees" durchgeführt. Diese Direktionen leitet ein Offizier unter Mitwirkung eines Leitenden Sozialarbeiters. Darunter kann es weitere Untergliederungen auf der Ebene der Militärdistrikte geben. Daneben haben die Teilstreitkräfte zum Teil noch Sozialdienste in den Militärkrankenhäusern und in den militärischen Gesundheitsfürsorgestellen6. Für den Bereich des Ministere de la Solidarite nationale, des Ministere du Travail und des Ministere de la Sante besteht nun ein gemeinsamer Sozialdienst, das "Bureau des amvres sociales" bei der Sous-direction de l'administration generale. Es wird von einer Leitenden Sozialarbeiterin geleitet, der die verantwortlichen Sozialarbeiter für Paris und die Ile-de-France und für die Provinz (in Lyon, Orleans, Toulouse, Marseille und Montpellier) unterstehen. Für die Beamten, Pensionäre und ihre Familien in den anderen Regionen ist zunächst noch die Leitende Sozialarbeiterin in Paris zuständig. Dieser Sozialdienst kann spezielle blik unterzeichnet und treten mit ihrer Veröffentlichung in Kraft. Sie müssen zu einem in der Ermächtigung festgelegten Zeitpunkt zum Zweck ihrer Ratifizierung vor das Parlament gebracht werden, sonst werden sie ungültig. Dtkret et arrete: Le pouvoir reglementaire (reglement d'administration publique) ist die Macht, die einigen Verwaltungsbehörden zusteht und die darin besteht, Anordnungen von genereller Bedeutung und Wirksamkeit zu erlassen. Sie machen einen wichtigen Teil der rechtssetzenden Tätigkeit der Verwaltung aus. Ihr wesentliches Charakteristikum ist ihre Allgemeinheit und Nicht-Einzelpersonenbezogenheit im Gegensatz zu den individuell-konkreten Akten der Behörden, den actes administratives (Verwaltungsakte). Circulaires et Instructions: Dies sind Regelungen, mit denen die Verwaltungsspitze den Beamten Weisungen und Richtlinien zur Auslegung der Gesetze, die sie anzuwenden haben, erteilt. Ihre Bindungswirkung bleibt auf das Innere der Verwaltung beschränkt, sie haben keine Außenwirkung (vgl. de Laubadere, S. 198 ff. und Rivero, Droit administratif, S. 93 ff.). ' Dalloz, S. 571, RN 9. 5 Decret du 29 janvier 1948 (J. 0. 31 janvier 1948) et dtkret no 77-203 du 4 mars 1977 relatif a l'action sociale des Armees et arrete du 4 mars 1977 relatif a son Organisation (J. 0. 6 mars 1977). 0 Vgl. Dalloz, S. 571, RN 9 und ASH, no 1059 du 1 avril1977, S. 19 ff.
A. Die Sozialdienste der öffentlichen Gebietskörperschaften
113
und schwierige Probleme seiner Klientel an die Sozialarbeiter der Directions departementales des affaires sanitaires et sociales abgeben7 • Diese Sozialdienste sind dadurch gekennzeichnet, daß sie sich um die sozialen Probleme einer bestimmten Bevölkerungsgruppe (einer bestimmten Gruppe staatlichen Personals) und deren Familien kümmern. So kümmert sich z. B. der Sozialdienst der Streitkräfte um die aktiven und nicht mehr aktiven Berufssoldaten und ihre Familien, um die Beamten, Angestellten und Arbeiter, die für das Verteidigungsministerium arbeiten, und ihre Familien, um die nicht wiederverheirateten Witwen und minderjährigen Waisen der genannten Gruppen und um die Wehrpflichtigen und freiwillig Längerdienenden8 • Die Sozialarbeiter sollen sich um alle sozialen Probleme ihrer Zielgruppe kümmern. Es handelt sich um services sociaux polyvalents de cab~gorie9• Zur Tätigkeit dieser Sozialdienste und ihrer Sozialarbeiter gehört vor allem die Verwaltung der Gelder, die das jeweilige Ministerium für soziale Zwecke zur Verfügung stellt. Damit werden Hilfen für junge Paare und Haushalte, für Kantinen, Ferienkolonien und Wohnungen der Bediensteten gewährt. Daneben werden Hilfen bei besonderen Umständen und problematischen sozialen Situationen, in denen eine Intervention von Sozialarbeitern notwendig ist, gewährt. Hauptarbeitsgebiet sind die "ceuvres sociales", die Sozialeinrichtungen der Verwaltungen: neben Kantinen und Ferienkolonien vor allem Kinderkrippen und Kindergärten. Ihre Aufgaben entsprechen also im Bereich der Öffentlichen Hand zum Teil denen der Comites d'entreprise in privaten Betrieben10• Die staatliche Aufsicht über diese Sozialdienste erfolgt im Wege der hierarchischen Kontrolle und Weisungsbefugnis des Dienstvorgesetzten (Dienstaufsicht). Die Sozialarbeit dieser staatlichen Sozialdienste wird hauptsächlich aus dem Staatshaushalt, aus dem Haushalt des jeweiligen Ministeriums, finanziert. Zum Teil werden auch Einnahmen aus eigenen Tätigkeiten wie der Veranstaltung von Tombolas und Abgaben der Benutzer zur Finanzierung genutzt. 1973 lagen die den Staatsverwaltungen für die Unterhaltung der Sozialdienste gewährten Gelder bei 331,6 Mio. Francs, d. h. bei etwa 0,55 fl/o der Lohnsumme. Ein ähnliches Verhältnis war 7 Note no 920 du 25 mai 1982 relative a l'action sociale en faveur des agents de l'Etat en activite ou retraites et de leurs familles, abgedruckt in: Bulletin officiel du Ministere de la Solidarite nationale et du Ministere de la Sante no 82-21, no 32019. e ASH, no 1059 du 1 avril1977, S. 19 ff. e Vgl. dazu die Ausführungen im 4. Kapitel. 10 Piquemal, Le fonctionnaire Droits et garanties, S. 299 und SaintJours, Les relations du travail, S. 281. Vgl. auch die Ausführungen im 7. Kapitel und die Note no 920 du 25 mai 1982 (FN 7).
8 Hörz
114
3. Kap.: Das Recht der Träger der Sozialarbeit
auch in den folgenden Jahren gegeben. Es besteht die Forderung nach Erhöhung dieser Quote auf 3 °/o der Lohnsumme11 • 2. Sozialdienste für die Bevölkerung
Für eine von den Staatsbediensteten unterschiedene Klientel sind von den staatlichen Verwaltungen verschiedene Sozialdienste eingerichtet worden. a) Der service social des prisons (service social de l'administration penitentiaire) Auf nationaler Ebene besteht beim Justizministerium, "Direction administrative penitentiaire", "Sous-direction de l'exercice des peines", der service social des prisons, der einer assistante sociale chef inspectrice, einer Leitenden Sozialarbeiterin, untersteht12• Darunter bestehen auf regionaler Ebene neun "Directions regionales penitentiaires"13, von denen jede mehrere umliegende Departements umfaßt. Jeder regionalen Direktion ist eine assistante sociale regionale zugeteilt14, die der Leitenden Sozialarbeiterin des Dienstes untersteht. In den Regionen sind den Strafanstalten15 eine oder mehrere assistantes sociales zugeteilt. Diese Sozialarbeiter werden vom Justizminister angestellt oder von anderen Sozialdiensten zur Verfügung des Justizministeriums abgeordnet. In der Ausübung ihrer Tätigkeit sind die Sozialarbeiter vom Direktor der Haftanstalt abhängig und ihm verantwortlich16• 1976 waren 238 Sozialarbeiter beschäftigt. 162 Sozialarbeiter waren verbeamtet, davon 34 Leitende Sozialarbeiter. 60 Sozialarbeiter waren arbeitsvertraglich angestellt, daneben gab es vier assistantes sociales vacataires. Zwölf Sozialarbeiter der Streitkräfte waren zu den Gefängnisverwaltungen für die von Militärgerichten Verurteilten abgeordnet worden17 • Die Aufgabe der Sozialarbeiter in den Gefängnissen (ebenso der Erzieher, die von der Gefängnisverwaltung angestellt sind, und der Dienste, die eine schulische und berufliche Fortbildung der Gefangenen erSaint-Jours, Les relations du travail, S. 284 f. Art. D 461, al. 3 Code de la Procedure penale. 13 In Lilie, Bordeaux, Strasbourg, Toulouse, Rennes, Lyon, Paris, Marseille et Dijon. 14 Art. D 461, al. 4 Code de la Procedure penale. 15 Die 142 "maisons d'arret" für Untersuchungsgefangene (prevenus) und zu kurzen Freiheitsstrafen Verurteilte; die 14 "centres de detention", 6 "maisons centrales" und die "quartiers de securite renforcee" für die zu mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe Verurteilten (detenus); die sechs Gefängniskrankenhäuser und die neun halboffenen "centres de semi-libertt~" (Zahlen für 1979 nach: INSEE, Annuaire statistique de Ia France 1981, S. 132). 16 Art. D 461 Code de Ia Procedure penale. 17 Hertevent, Le service social dans l'administration penitentiaire, s. 2 ff. u
12
A. Die Sozialdienste der öffentlichen Gebietskörperschaften
115
möglichen), besteht darin, die Resozialisierung der Gefangenen und ihre Wiedereingliederung in die Gesellschaft durch Therapie und Nachsorge vorzubereiten und zu erleichtern18• Aufsicht und Kontrolle über die Tätigkeit der Sozialarbeiter üben die Dienstvorgesetzen, die Gefängnisdirektoren im Wege hierarchisch legitimierter Weisungen und die Leitenden Sozialarbeiter bei der zentralen Verwaltung aus19• Es findet also auch hier eine Dienstaufsicht statt. Die Sozialarbeit mit Häftlingen wird aus dem Haushalt des Justizministeriums finanziert. b) Die Comites de probation et d'assistance aux liberes (CPAL) Die CPAL20 (Bewährungshilfedienste) werden bei den tribunaux de grande instance21 eingerichtet und auf einem bestimmten, nach Gerichtsbezirken abgegrenzten geographischen Gebiet (circonscription) tätig. Den Vorsitz in den CPAL führt jeweils ein juge de l'application des peines (Strafvollstreckungsrichter) des betreffenden Bezirks. Die CPAL sind folgendermaßen zusammengesetzt: • -
educateurs delegues a la probation; assistantes sociales; delegues vacataires, adjoints de probation, delegues benevoles, membres actifs, membres d'honneurs et bienfaiteurs.
Dabei werden die hauptamtlich tätigen Erzieher, Sozialarbeiter und delegues vacataires - im Gegensatz zu den anderen, ehrenamtlich tätigen, Mitgliedern des Komitees - als "agents de probation" bezeichnet. 1s Art. D 440 ff., 450 ff., 460 Code de la Procedure penale. Vgl. zu den Befugnissen und Pflichten der Gefängnissozialarbeiter die Ausführungen im 15. Kapitel. 19 Art. D 461 Code de la Procedure penale. 2o Eine vollständige Namens- und Adressenliste der CPAL findet sich bei Neret, Guide pour le reclassement, S. 29 ff. 21 Zur Gerichtsorganisation der Strafgerichte als Teil der ordentlichen Gerichtsbarkeit (juridiction judiciaire) vgl. das "Schema des organes de la procedure penale" bei Fouquet/Loffredo, Le droit et l'educateur, tome 1, S. 273. Eingangsinstanz sind die tribunaux d'instance (tribunaux de police) und die tribunaux de grande instance (juge d'instruction, tribunaux correctionnels). Nächste Instanz sind die Cours d'Appel (Cour d'Assises als Eingangsinstanz für Verbrechen, Chambre des appels correctionnels als Berufungsinstanz). Revisionsinstanz ist die Chambre criminelle de la Cour de Cassation. Im Jugendstrafrecht sind die juges des enfants und die tribunaux pour enfants bei den tribunaux de grande instance und die cours d'assises des mineurs Eingangsinstanzen je nach Schwere des Delikts und Alter des Jugendlichen. Berufungsinstanz sind die Chambres sp> Die Sozialarbeiter eines solchen Sozialdienstes (z. B. der Armee, der SNCF, der Post und anderer Ministerien, zum Teil der Mutualites sociales agricoles) werden ebenso wie die Sozialarbeiter, die in einem geographischen Sektor Familiensozialarbeit machen, bezüglich der gesamten sozialen Probleme ihrer Zielgruppe und deren Familien tätig'20. c) Die services sociaux specialises «L'assistante sociale specialisee appartient a un service dont l'action est specialisee soit en fonction d'un probleme, soit en fonction d'un groupe de population et des problemes specifiques a ce groupe21.» Spezialisierte Sozialdienste sind:
tout service qui s'applique a une activite particuliere ou qui releve d'une technique propre et tout service social qui s'exerce exclusivement a l'interieur d'une institution, d'un etablissement ou d'une entreprise22.» « •. .
Dazu gehören also einmal die Sozialdienste, die eine besondere soziale Aktivität entfalten, sich also nicht mit der Gesamtheit der Probleme einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder der gesamten Bevölkerung eines bestimmten Gebietes befassen, und Sozialdienste, die eine besondere Technik anwenden (z. B. der service social d 'aide aux emigrants, die Services d'hygiene mentale, die in der Jugendhilfe tätigen Sozialdienste, die Sozialdienste, die bei der Bekämpfung der "fleaux sociaux" engagiert sind). Zum anderen gehören die Sozialdienste dazu, die ausschließlich innerhalb von Institutionen, Sozialeinrichtungen, Heimen und Unternehmen tätig werden, sich also nur mit den speziellen Problemen der jeweiligen Insassen bzw. Arbeitnehmer beschäftigen, die sich für diese aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu der betreffenden Organisation ergeben können (z. B. services sociaux du travail, services sociaux des prisons, services de sante scolaire, services 18 10 20 21 22
Vgl. FN 14. Vgl. FN 16. Vgl. FN 17. Vgl. FN 14. Vgl. FN 16.
4. Kap.: Die Koordination der Sozialarbeit
160
de protection materneile et infantile, Sozialdienste in den verschiedenen Heimen und Anstalten der Jugend-, Alten-, Behinderten- und Krankenhilfefl3. Die Sozialarbeiter dieser spezialisierten Sozialdienste werden ergänzend zur polyvalenten Sozialarbeit ihrer Kollegen in den Sektoren tätig. Diese suchen ihre Mithilfe, wenn sich ein spezielles persönliches, wirtschaftliches oder soziales Problem stellt, das spezielle Kenntnisse verlangt, um effektiv gelöst werden zu können, oder wenn sich ein Problem stellt, das eine intensivere Beschäftigung verlangt, als ein polyvalenter Sozialarbeiter mit seinen vielen verschiedenen Klienten zu leisten vermag. 2. Die Registrierung der Sozialdienste Alle öffentlichen und privaten Träger der Sozialarbeit im Departement werden registriert. Jeder Träger muß sich und sein Ziel - service social specialise oder service social polyvalent (de secteur ou de categorie) - innerhalb von fünfzehn Tagen nach Gründung des Sozialdienstes in eine Liste beim Präfekten des jeweiligen Departements eintragen lassen. Wird er in mehreren dieser Kategorien tätig, muß er sich in den verschiedenen Kategorien eintragen lassen. Diese Liste mit der Registrierung der Sozialdienste wird jährlich veröffentlicht. Neu entstehende Dienste können wählen, wie und auf welchem Gebiet sie tätig werden wollen, und müssen sich dann entsprechend eintragen lassen. Diese Registrierung bedeutet eine gewisse Einschränkung der freien Wahl der Aktivitäten des Trägers. Die einzelnen Sozialdienste können zwar in der Folge ihren Tätigkeitsbereich und ihre soziale Zielsetzung ändern, doch ist dies nur eingeschränkt möglich: Die services sociaux polyvalents können sich erst spezialisieren oder sich einer anderen Zielgruppe von Klienten zuwenden und die services sociaux polyvalents de secteur geographique können sich erst in services sociaux polyvalents de cat> Die Aufgabenverteilung zwischen Departement und privaten Trägern kann also durch Verträge geregelt werden, so in der sozialen Jugendhilfe, im Mütter- und Kleinkinderschutz und in der Bekämpfung der "fleaux sociaux". Die Errichtung und Führung von Heimen und Anstalten in diesen Bereichen der Sozialarbeit und in der Sozialarbeit mit sozial unangepaßten Jugendlichen ist oft privaten Organisationen überlassen. Die Aufgabenübertragung kann aber auch durch Verwaltungsakt des Präfekten erfolgen, so vor allem bei der Zuständigkeitsübertragung in der Gerichts- und in der Jugendgerichtshilfe sowie bei der offenen Erziehung, der Beobachtung und der institutionellen Betreuung und Erziehung von delinquenten bzw. gefährdeten Jugendlichen. B. Koordination und Beaufsichtigung der sozialen Einrichtungen I. Gemeinsame Regelungen für die Sozialeinrichtungen öffentlicher und privater Träger
1. Koordinationsregelungen Soziale Institutionen (institutions sociales) sind alle Einrichtungen öffentlicher oder privater Träger, die hauptsächlich und ständig -
unter Mithilfe von Sozialarbeitern und interdisziplinären Teams Aktivitäten sozialen oder medizinisch-sozialen Charakters, vor allem Beratung, Information, Vorbeugung, Früherkennung, Unterstützung und Hauspflege ("maintien a domicile") gewähren; 28 29
So Morival, S. 55. Dalloz, S. 574, RN 29.
B. Koordination und Beaufsichtigung der sozialen Einrichtungen -
163
Minderjährige oder Erwachsene, die besonderen Schutz brauchen, in Heimen aufnehmen oder in Familien unterbringen; junge Arbeiter aufnehmen; alte Personen unterbringen; minderjährigen oder erwachsenen Behinderten in Anstalten oder im herkömmlichen Lebenskreis Sondererziehung, berufliche (Wieder-) Eingliederung oder beschützte Arbeit gewähren30•
Aus dieser Aufstellung ergibt sich der weite Anwendungsbereich der loi sur les institutions sociales et medico-sociales. Das Gesetz umfaßt weitgehend das gesamte Spektrum der sozialen Dienste und beschränkt sich nicht auf die Regelung der rechtlichen Probleme bei Unterbringung in Heimen. Daraus resultiert die Notwendigkeit von Koordinationsregelungen für die verschiedenen Aktivitäten der sozialen Einrichtungen auf den Gebieten der Beratung und Information, Vorbeugung und Früherkennung, Erziehung und Pflege in offenen oder geschlossenen Einrichtungen und Unterbringung. Die Koordination der Tätigkeit dieser Institutionen wird zunächst durch die Einrichtung von Koordinationsorganen, die aus Vertretern der Institutionen zusammengesetzt sind und auf ihre Initiative hin geschaffen werden, sichergestellt. Es wird also Wert darauf gelegt, daß die Koordination durch die Institutionen selbst, autonom, vorgenommen wird. Die Institutionen oder ihre Koordinationsorgane schließen weiter mit dem Staat oder anderen zuständigen Gebietskörperschaften Verträge ab, in denen die verfolgten Ziele, die Klientel, die eingesetzten Mittel und Methoden und die Verbindungen der betreffenden Institution mit anderen Institutionen im sozialen oder gesundheitlichen Bereich festgelegt werden. Grund für die Koordinationsregelung ist auch hier die Vermeidung von doppelter Arbeit und Finanzierung. Hier kommt das Interesse der Finanzierungsträger der Institutionen (Öffentliche Hand und Sozialleistungsträger) zum Ausdruck, die Ausgaben sinnvoll einzusetzen. Andererseits verlangen die sozialen Bedürfnisse, die sehr verschieden und in ständiger Entwicklung sind, eine große Flexibilität der sozialen Institutionen. Deren autonome Entscheidung, um welche sozialen Bedürfnisse sie sich mit welchen Mitteln kümmern wollen, muß weitgehend erhalten bleiben31. ao Art. 1 de la loi no 75-535 du 30 juin 1975 relative aux institutions sociales et medico-sociales (J. 0. 1 juillet 1975). Vgl. dazu Levy, La loi du 30 juin 1975 relative aux institutions sociales, S. 522 ff. und lgl, Die französische Konzeption der Unterbringung, S. 47 ff., 52. at Art. 2 ebd. Circulaire du 13 septembre 1976 (J . 0. 27 septembre 1976) relative a l'application du decret no 76-838 du 25 aout 1976 relatif aux commissions nationale et regionales des institutions sociales et medico-
164
4. Kap.: Die Koordination der Sozialarbeit
2. Die Regelung der Gründung von Sozialeinrichtungen Von diesen sozialen Institutionen, den Trägern, hängen die Sozialeinrichtungen, die Heime und Anstalten ab. Ihre Gründung oder die nennenswerte Ausdehnung ihres Betriebs kann erst nach einer begründeten Stellungnahme der "Commissions nationale ou regionales des institutions sociales et medico-sociales" erfolgen, wenn sie zu den folgenden Kategorien von Sozialeinrichtungen (etablissements sociaux) gehören: - ~tablissements recevant habituellerneut des mineurs relevant des chapitres Jer et ne du titre II du Code de la Familie et de l'Aide sociale et maisons d'enfants a caractere sociale; d. h. die Einrichtungen, die Minderjährige aufnehmen, Kinderheime und Kinderkrippen. - ~tablissements medico-educatifs qui re~oivent en internat, en externat ou en eure ambulatoire des jeunes handicapes ou inadaptes; d. h. die medizinisch-erzieherischen Einrichtungen, die in Form eines Internats, eines Externats oder ambulant junge Behinderte und junge unangepaßte Personen aufnehmen. - ~tablissements d'enseignement qui dispensent a titre principal une education speciale aux jeunes handicapes ou inadaptes; d. h. Unterrichtsanstalten, die hauptsächlich der Sondererziehung junger Behinderter und junger unangepaßter Personen gewidmet sind. - ~tablissements d'education surveillee; d. h. die Einrichtungen für die überwachte Erziehung vor allem delinquenter Jugendlicher. - ~tablissements qui assurent l'hebergement des personnes ägees, des adultes handicapes ou inadaptes; d. h. die Einrichtungen, die alten Personen, erwachsenen Behinderten und erwachsenen unangepaßten Personen Unterbringung gewähren, Altenheime und spezielle Heime für Behinderte. - ~tablissements d'aide par le travail; d. h. Einrichtungen der Arbeitshilfe. - Foyers de jeunes travailleurs; d. h. Wohnheime für junge Arbeiter32• Diese Einrichtungen können nur nach Einholung der Stellungnahme bestimmter Kommissionen, den "Commissions regionales des institutions sociales et medico-sociales" bzw. der "Commission nationale des institutions sociales et medico-sociales" errichtet oder wesentlich erweitert werden. sociales et a la procedure d'examen des projets de creation et d'extension des etablissements enumeres a l'article 3 de la loi no 75-535 du 30 juin 1975. Vgl. auch ASH no 1039 du 12 novembre 1976, S. 15 ff. 32 Art. 3 des Gesetzes no 75-535 (FN 30); ASH no 1039, S. 17 mit einer Übersicht, welche Einrichtungen im einzelnen unter diese Kategorie fallen; Igl, Die französische Konzeption der Unterbringung, S. 53.
B. Koordination und Beaufsichtigung der sozialen Einrichtungen
165
Die Commission nationale und die Commissions regionales des institutions sociales et medico-sociales werden von einem Richter geleitet und setzen sich aus Vertretern des Staates, der lokalen Gebietskörperschaften und der Sozialversicherungsträger, der öffentlichen und privaten sozialen Institutionen, der Ärzte, Sozialarbeiter und des übrigen technischen Personals und der Benutzer dieser Institutionen zusammen. Auch hier ist ein starker Einfluß der Träger- und Verwaltungsinteressen durch die Repräsentation in den Kommissionen gesichert33• Die Kommissionen werden in beratender Funktion tätig und müssen der zuständigen Behörde (Erziehungs-, Gesundheits-, Justizministerium und Ministerium für nationale Solidarität) begründete Stellungnahmen in den folgenden Fällen abgeben: -
Gründung oder Ausdehnung des Betriebs von Sozialeinrichtungen; Ausnahmen und Befreiungen von den Mindestnormen für die Ausstattung und den Betrieb der Sozialeinrichtungen; Schließung von Einrichtungen, die ohne Erlaubnis eröffnet wurden und betrieben werden.
Die Neugründung bzw. die Ausdehnung des Tätigkeitsbereichs von Sozialeinrichtungen sind an die Voraussetzung der Existenz von quantitativen und qualitativen Bedürfnissen der Bevölkerung gebunden, wobei schon vorhandene oder vorgesehene Einrichtungen zu berücksichtigen sind. Damit soll verhindert werden, daß Sozialeinrichtungen an der falschen Stelle entstehen, daß es in einer Region zu viele konkurrierende Einrichtungen gibt, während in anderen Gebieten Sozialeinrichtungen fehlen. Für die erforderliche Prüfung, ob danach die Voraussetzungen für die Gründung oder Ausdehnung gegeben sind oder nicht, und für die Abgabe einer entsprechenden begründeten Stellungnahme sind entweder die nationale oder die regionalen Kommissionen zuständig34. Für Einric.'ltung und Ausstattung, Betrieb und Funktionieren von Sozialeinrichtungen sollen qualitative und quantitative Mindestnormen festgelegt werden, an die sich die bestehenden oder neuzugründenden Einrichtungen zu halten haben. Von dieser Vorschrift sind aber (nach Stellungnahme der nationalen oder der regionalen Kommissionen35) Ausnahmen und Befreiungen für Einrichtungen mit experimentellem Charakter zulässig36• as Art. 6 des Gesetzes no 75-535 (FN 30). st Art. 3 und 7 ebd.
85 Welche Einrichtungen unter die Kompetenz der nationalen und welche in den Kompetenzbereich der regionalen Kommissionen fallen, vgl. decret no 76-838 (J. 0. 25 aoüt 1976, FN 31). Vgl. auch ASH no 1039, Schaubild. M Art. 4 des Gesetzes no 75-535 (FN 30). Diese Experimentierklausel reagiert darauf, daß Fortschritte im sozialen Bereich oft Pionieren mit neuen
166
4. Kap.: Die Koordination der Sozialarbeit D. Koordinations- und Aufsidltsregelungen für soziale Einriebtungen privater Träger
1. Die Erteilung der Betriebserlaubnis Die von privaten Trägern betriebenen Sozialeinrichtungen bedürfen für Gründung und Ausdehnung ihres Tätigkeitsbereiches vor Beginn der Ausführung des Projekts der Genehmigung durch die zuständige Verwaltungsbehörde (Präfekt oder Gesundheits-, Erziehungs-, Justizministerium oder Ministerium für nationale Solidarität). Die Genehmigung ist zu erteilen, wenn die Einrichtung den Bedürfnissen der Bevölkerung entspricht und wenn sie die quantitativen und qualitativen Mindestanforderungen erfüllt, die an den Betrieb von Sozialeinrichtungen gestellt werden. Daß diese Voraussetzungen vorliegen, muß von der nationalen oder den regionalen Kommissionen für Sozialeinrichtungen positiv festgestellt werden. Sie kann aber auch dann noch von der Zugehörigkeit zu einem Koordinationsorgan oder dem Abschluß einer Koordinationsvereinbarung abhängig gemacht werden37• Die Genehmigung beinhaltet vor allem die Betriebserlaubnis für die Einrichtung und die Erlaubnis, Sozialversicherten, Sozialhilfeklienten und anderen Personen Leistungen (Behandlung, Pflege und Unterbringung) zu gewähren, deren Kosten von einer juristischen Person des öffentlichen Rechts getragen werden, es sei denn, der Preis stünde außer Verhältnis zu den Betriebsbedingungen der Einrichtung38• Wird die Genehmigung entgegen der Stellungnahme der Kommissionen erteilt oder wird sie verweigert, so muß dies von der zuständigen Behörde begründet werden. Es handelt sich hier um eine Schutzvorschrift zugunsten der Kommissionen und Träger, die anhand der Gründe dann gegen die Verweigerung der Genehmigung gerichtliche Schritte einleiten können.
2. Die Schließung privater Sozialeinrichtungen Der zuständigen Verwaltungsbehörde muß jede wesentliche Änderung der Aktivität, Einrichtung, Organisation, Leitung und des Betriebs einer in Betrieb befindlichen privaten Sozialeinrichtung mitgeteilt werden. Diese überprüft dann die Vereinbarkeit der geplanten Änderungen mit den Bedürfnissen der Bevölkerung, den vorhandenen Sozialeinrichtungen, den quantitativen und qualitativen MindestvoraussetVorstellungen zu verdanken sind. Dem zuständigen gesetzesausführenden Ministerium liegt daran, diese Vorschrift möglichst weit und liberal anzuw enden (vgl. circulaire du 13 septerobre [FN 31]). 87 Art. 9 und 10 des Gesetzes no 75-535 (FN 30). 36 Art. 11 ebd.
B. Koordination und Beaufsichtigung der sozialen Einrichtungen
167
zungenfür den Betrieb einer Sozialeinrichtung und mit der gewünschten Koordination. Es besteht also auch eine Aufsicht über schon in Betrieb befindliche Sozialeinrichtungen. Wichtig sind die Rechte der zuständigen Verwaltungsbehörde, private Sozialeinrichtungen in bestimmten Fällen zu schließen: Eine ohne Genehmigung eröffnete und betriebene Einrichtung kann von der zuständigen Verwaltungsbehörde nach Einholung der Stellungnahme der nationalen oder regionalen Kommission für Sozialeinrichtungen geschlossen werden. Weiter kann die zuständige Verwaltungsbehörde die vollständige oder teilweise, befristete oder endgültige Schließung einer Sozialeinrichtung in den folgenden Fällen anordnen: -
-
-
wenn die Einrichtung nicht (mehr) den Mindestanforderungen, die an ihren Betrieb zu stellen sind, oder nicht (mehr) den Bedürfnissen der Bevölkerung entspricht; wenn in der Sozialeinrichtung Gesetzesverletzungen vorkommen, die die zivilrechtliche Verantwortlichkeit des Trägers oder die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Leitungspersonals betreffen; wenn die Gesundheit, Sicherheit und das physische oder moralische Wohlergehen der Benutzer der Sozialeinrichtung aufgrund der Einrichtungs-, Ausstattungs-, Organisations- oder Betriebsbedingungen bedroht und in Frage gestellt sind39• ßl. Koordinations- und Aufsichtsregelungen für Sozialeinrichtungen öffentlicher Träger
Sozialeinrichtungen öffentlicher Träger40 werden von einem Verwaltungsrat verwaltet und von einem von der zuständigen Verwaltungsbehörde ernannten Direktor geleitet. Mitglieder dieser Verwaltungsräte sind obligatorisch Vertreter der betreffenden Gebietskörperschaften, der Benutzer und des Personals der Sozialeinrichtung und der Sozialversicherungsträger, wenn diese ganz oder zum Teil zur Finanzierung der Sozialeinrichtung beitragen. Die Verwaltungsräte haben die Aufgabe, den Betrieb der Sozialeinrichtung durch Beschlüsse zu regeln. Die von öffentlichen Trägern betriebenen Sozialeinrichtungen unterliegen der Staatsaufsicht. Bestimmte Verwaltungsratsbeschlüsse bedürfen der Genehmigung des zuständigen Ministeriums: der Haushalt der Sozialeinrichtungen, die Kostenfestsetzung für geleistete Dienste, Immobiliengeschäfte, die Anstaltssatzung, Personalfragen etc. Ferner kann die Aufsichtsbehörde Ausgabenansätze verringern oder ganz verbieten, 39 40
Art. 14 ebd. Art. 19 in Verbindung mit art. 3 ebd.
168
4. Kap.: Die Koordination der Sozialarbeit
die mißbräuchlich, d. h. zu hoch sind. Sie kann aber auch Ausgabenansätze, die ihr zu niedrig erscheinen, erhöhen. Beschlüsse des Verwaltungsrats über andere als die aufgeführten Materialien werden wirksam, wenn die zuständige Aufsichtsbehörde nicht innerhalb von dreißig Tagen widerspricht41 • Damit wird die Rechtmäßigkeit und die Zweckmäßigkeit der Tätigkeit der Sozialeinrichtung beaufsichtigt. IV. Kritik
Diese gesetzlichen Regelungen der Koordination und der Beaufsichtigung der Sozialeinrichtungen waren verschiedentlicher Kritik von privater Trägerseite in der Hinsicht ausgesetzt, daß zu sehr in die Freiheit sozialer Aktivitätsentfaltung durch privates Engagement eingegriffen würde: « ••• soumettant a une tuteile etroite, exagerement minutieuse de tous les instants, les etablissements prives au meme titre que ceux du secteur public, ce projet parait veritablement meconnaitre les principes de liberte qui sont le fondement de notre societe politique et qui ont continue a prevaloir lors de la creation de la securite sociale en France ... Ce projet de loi constitue un precedent dangereux dans le domaine des rapports de !'Etat avec Ies organismes prives et Ies individus car il bouleverse les traditions liberales qui depuis 1789 ont ete instaurees en France dans le cadre defini par nos divers textes constitutionnels42 .» Diese Kritik wird aber von Levy in seiner Kommentierung des Gesetzes insgesamt nicht anerkannt, da verschiedene Befreiungsmöglichkeiten von den gesetzlichen Normen bestehen und insgesamt nur ein Mindeststandard gefordert wird. Weiteres Argument war, daß Koordination und Aufsicht meist in der Form der "coordination souple" und seltener in der Form der "coordination contraignante" angeordnet sind 43 • Da die Koordination zunächst freiwilligen, autonomen Zusammenschlüssen oder Konventionen der freien Träger mit den staatlichen Behörden überlassen bleibt, da die Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb von Einrichtungen bei Einhaltung der gesetzlich festgelegten Mindesterfordernisse und bei entsprechenden Bedürfnissen der Bevölkerung erteilt werden muß und da auch die Schließungstatbestände für Sozialeinrichtungen einschränkend formuliert sind, scheint die notwendige "souplesse", die notwendige Flexibilität und Freiheit des Engagements privater Träger zum Betreiben von Sozialeinrichtungen gewahrt zu sein.
41 42 43
Art. 20 ff. ebd. Levy, La loi du 30 juin 1975 relative aux institutions sociales, S. 524. Ebd., S. 526 ff.
B. Koordination und Beaufsichtigung der sozialen Einrichtungen
169
V. Mitbestimmungsregelungen
Eine organisatorische Besonderheit im Bereich der Sozialeinrichtungen ist die Einbeziehung des Personals und der Benutzer in die Verwaltung der Einrichtungen. In den privaten Sozialeinrichtungen, Heimen und Anstalten, deren Kosten ganz oder zum Teil von öffentlichen Trägern oder Sozialleistungsträgern getragen oder zurückerstattet werden, sind die Benutzer, d. h. die Insassen und die Familien der aufgenommenen und betreuten Minderjährigen, und das Personal obligatorisch an der Verwaltung der sozialen Einrichtungen über das Organ eines Heimbeirats ("conseil de maison") beteiligt44• Die Beteiligung ist als Anhörungs- und Vorschlagsrecht für alle den Betrieb der Einrichtung betreffenden Fragen, vor allem Fragen des internen Ablaufs des täglichen Lebens, der Hausordnung, der sozialen und kulturellen Veranstaltungen, der pädagogischen und therapeutischen Ausrichtung, der Projekte von Umbauten und der Ausstattung sowie der Kosten der von der Einrichtung erbrachten Leistungen, ausgestaltet45• In den Sozialeinrichtungen öffentlicher Träger ist die Beteiligung der Benutzer keinem besonderen Organ anvertraut. Einrichtungen, die Arbeitshilfen anbieten, medizinisch-erzieherische Einrichtungen, die junge Behinderte und Unangepaßte im Internat, Externat oder ambulant aufnehmen, und Einrichtungen, die alte Personen und erwachsene Behinderte oder Unangepaßte unterbringen, müssen einen Verwaltungsrat besitzen und unterstehen der staatlichen Aufsicht46• Auch die Interessen der Benutzer sind in diesem Verwaltungsrat vertreten. Zu den Aufgaben des Verwaltungsrates gehören die Haushaltsfestsetzung, die Kostenbemessung der Leistungen, der Erwerb und Verkauf von Grundstücken, die Kreditaufnahme, die Projektierung baulicher Veränderungen, die Aufstellung der Hausordnung, die Schaffung, Abschaffung und Veränderung der Dienste, die Beschäftigungsbedingungen und die Personalstärke. In einigen medizinisch-sozialen Pflege- und Rehabilitationseinrichtungen für schwer kranke und alte Personen und in Altenheimen sind die Interessen der Benutzer noch über eine beratende Kommission vertreten, die vor der Entscheidung des Verwaltungsrats über Investitionen, laufende Betriebskosten und die Organi« Art. 17 des Gesetzes no 75-535 (FN 30); vgl. dazu decret no 78-377 du 17 mars 1977 (J. 0. 22 mars 1977) portant application de l'article 17 de la Ioi no 75-535 du 30 juin 1975. Für die in Einrichtungen untergebrachten alten Menschen vgl. noch circulaire no 24 du 20 mars 1978 relative la participa-
a
tion des personnes ägees residant en etablissement (Bulletin Officiel du Ministere de la Sante et de la Familie, 21178, no 14 881). 45 lgl, Die französische Konzeption der Unterbringung, S. 66. 48 Art. 20 des Gesetzes no 75-535 (FN 30).
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4. Kap.: Die Koordination der Sozialarbeit
sation der Dienste für alte Menschen anzuhören ist47• Die Interessen des (auch sozialen) Personals werden durch die Commission technique paritaire wahrgenommen, die obligatorisch über die Organisation der Dienste und die Arbeitsbedingungen anzuhören ist48 •
41 Art. 22 ebd.; vgl. dazu d1kret no 78-612 du 23 mai 1978 (J. 0. 30 mai 1978) relative aux etablissements publies enumeres a l'article 19 de la loi no 75-535 du 30 juin 1975 et a la commission consultative prevue a l'article
22 de la meme loi. 4B Art. 25 des Gesetzes no 75-535.
2. TEIL
Der Beruf des Sozialarbeiters 5. Kapitel
Das Recht der Ausbildung zum Sozialarbeiter A. Problemformulierung1 Die Wichtigkeit, Schwierigkeit und Vielfalt der sozialen Probleme, denen Sozialarbeit vorbeugen, denen sie abhelfen, die sie mindern oder kontrollieren soll, und deren ständiger Wandelaufgrund der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung erfordern eine qualifizierte Ausbildung der Sozialarbeiter, die als Agenten der Gesellschaft und der Träger der Sozialarbeit diese Arbeit vor Ort oder in der Verwaltung leisten. Die praktischen und therapeutischen Ausbildungsinhalte sind die sozialen Probleme und Bereiche, in denen Sozialarbeit interveniert und mit denen die Sozialarbeiter in ihrer praktischen Tätigkeit konfrontiert sind, und die rechtlichen, ökonomischen, sozialen und politischen Rahmenbedingungen der Sozialarbeit. Ausbildungsinhalte sind ferner die Methoden der Sozialarbeit, mit denen am erfolgversprechendsten die jeweilige Sozialarbeit geleistet und ihr Ziel erreicht werden kann, und die persönlichen, körperlichen und psychischen Merkmale und Eigenschaften des Klienten. Die Ausbildung ist Ansatz der Konstituierung der Sozialarbeiterberufe als Berufsstand, da die Professionalisierung auf einer gemeinsamen Ausbildung, den durch sie vermittelten gemeinsamen Kenntnissen und Methoden und einer gemeinsamen Ethik beruht. Damit ist ein Anknüpfungspunkt für die Abgrenzung der professionell Tätigen gegenüber den nicht ausgebildeten, freiwillig und karitativ sozial Tätigen gegeben. Sozialarbeit entzieht sich - zumindest in Teilen ihres Interventionsbereiches und Aufgabenfeldes - einer eingehenden rechtlichen Regelung. Sozialarbeit als menschliche, als persönliche Zuwendung kann nicht bis ins Detail rechtlich gesteuert und geordnet werden. Durch eine 1
Vgl. dazu auch die in der Einleitung gemachten Ausführungen.
172
5. Kap.: Das Recht der Ausbildung zum Sozialarbeiter
für alle Sozialarbeiter verbindlich gesetzte Ausbildung mit verbindlichen Inhalten werden aber den Sozialarbeitern gemeinsame Kenntnisse und Methoden und eine gemeinsame Ethik und Pflichtenlehre vermittelt und eine in gewissem Maße einheitliche und auf eine gewisse Konzeptbreite festgelegte Sozialarbeit ermöglicht, die weder zu sehr auf bürokratische Aktivitäten beschränkt bleibt, noch sich zu sehr nur in der Privatsphäre pewegt und auf den gesellschaftlichen Bezug verzichtet.
B. Das Recht der Ausbildungsstätten I. D•e Ausbildungsstätten für die
assista~t(e)s
de service social
Die Ausbildung zu assistant(e)s de service social findet in den "ecoles preparant au diplöme d'f:tat d'assistant(e)s de service social" statt, die im folgenden als Sozialarbeiterschulen bezeichnet werden2 • 1. Die Träger der Ausbildung
Die Sozialarbeiterschulen haben unterschiedliche Organisationsformen und hängen von verschiedenen Trägern ab. Die meisten Schulen haben private Träger. Neben privaten Vereinen ist vor allem die CroixRouge Fran~aise ein wichtiger Träger der Ausbildung. Mehrere Schulen haben ein Krankenhauszentrum als Träger, wozu auch die Sozialarbeiterschule der "Assistance Publique - Hötel-Dieu" in Paris zu rechnen ist. Zwei Schulen hängen von Sozialleistungsträgern, der nationalen Familienbeihilfen- und der nationalen Krankenversicherungskasse (CNAF und CNAMTS) ab. Einige Schulen haben eine Gebietskörperschaft als Träger, auch wenn sie privatrechtlich organisiert sind: Das Institut de service social et de recherches sociales (ISSRS) in Montrouge (Hauts-de-Seine) ist eine Sozialarbeiterschule, die vom Ministerium für nationale Solidarität abhängt. Einige dieser Schulen sind Schulen der Departements oder Regionen, z. B. Schulen der Stadt und des Departements Paris, des Departements Seine-Maritime sowie des Departements Somme und der Departements der Region Picardie (Somme, Aisne, Oise) 3• 2 Vgl. zu den Namen und Adressen Desmottes, S. 125 ff. und ASH, Les professions sociales, S. 4 f. Vgl. zur geographischen Verteilung der Sozialarbeiterschulen, zu den Daten ihrer Gründung und zur Entwicklung der Zahl der Schulen, Schüler und Staatsdiplerne Braquehais, in: Revue franc;aise de service social 2/1978, S. 1 ff., 7 ff. Annex und in: Revue franc;aise de service social 3/1978, S. 37 ff. die Korrekturen dazu. Zur Zeit erfolgt die Ausbildung an 52 Sozialarbeiterschulen. Vgl. jetzt auch die Aufstellung bei Baur-Halbwachs, La profession d'assistant de service social, S. 82 ff. 3 Vgl. dazu Desmottes, S. 35; Ceccaldi, Band 2, S. 272 f.; ASH, Les professions sociales, S. 4 f.
B. Das Recht der Ausbildungsstätten
173
Diese Schulen haben ungeachtet der rechtlichen Verfassung ihrer Träger ein unterschiedliches Niveau4 • Meist sind die Sozialarbeiterschulen "ecoles", die man etwa mit Fachschulen vergleichen kann. Neuerdings entstehen die "Instituts regionaux de formation des travailleurs sociaux et de recherches sociales" (IRFTS), die die genannten "ecoles" einer Region zusammenfassen und zusätzlich die Ausbildung zu verschiedenen anderen sozialen und erzieherischen Berufen integrieren. Solche IRFTS existieren in Poitiers (Poitou-Charentes), Talence (Aquitaine), Rauen (Haute-Normandie), Rennes (Bretagne) und Lilie (Nord/Pas-de-Calais). Schulen mit ähnlicher Zielsetzung bestehen in Metz, Lyon, Nancy, Strasbourg und Tours5 • Die IRFTS integrieren die Abteilungen Service social, fonction educative voie directe, fonction educative en cours d'emploi, formation permanente und recherches, also die Sozialarbeiterausbildung, die Ausbildung zum Erzieher .im direkten Weg oder als Praktikant, die Weiterbildung und die Forschung. Zwei Sozialarbeiterschulen haben Verträge mit Universitäten und vermitteln ihren Auszubildenden eine Ausbildung auf Universitätsniveau: die ecole pratique de service social mit der Universite de la Sorbonne nouvelle (Paris 111) und die ecole technique des surintendantes d'usine et des services sociaux mit der Universite de Paris VII. Daneben gibt es eine Ausbildungsstätte für Sozialarbeiter, die einer Universität angegliedert ist: Das Institut universitaire de Technologie (IUT), departement carrieres sociales, von Grenoble6 • Die Instituts universitaires de Technologie sind erste Schritte in Richtung auf eine Universitätsausbildung für die sozialen und erzieherischen Berufe: in Grenoble für die assistant(e)s de Service social, in Lilie für die educateurs, in Paris, Bordeaux, Rennesund Tours für die animateurs socio-culturels7 •
2. Koordination und staatliche Aufsicht Um trotz dieser verschiedenen Schultypen, Schulträger und Schulen eine einigermaßen einheitliche Ausbildung zum Staatsdiplom für die assistant(e)s de service social zu gewährleisten, wird die Ausbildung einheitlich zu gestalten versucht und werden die Schulen und die in ihnen vermittelte Ausbildung auf verschiedenen Ebenen staatlich beaufsichtigt. 4 Ein einheitlicher Schultyp im Sinne etwa einer Fachhochschule existiert noch nicht. 5 Seillier, S. 109; ASH, Les professions sociales, S. 4 f. 8 Vgl. zu den IUT auch o. V., in: Revue fran~aise de service social 2/1975, s. 15 ff. 7 ASH no 961 du 14 mars 1975, S. 9 ff. Zur Auseinandersetzung über die Notwendigkeit einer Universitätsausbildung vgl. auch die Aufsätze von Hovasse und von Bouquet/Chantreau/de Montalembert.
174
5. Kap.: Das Recht der Ausbildung zum Sozialarbeiter
a) Die Genehmigung der Einrichtung der Schulen Die privaten Träger der Schulen bedürfen für die Einrichtung der· Schulen der Genehmigung des Ministeriums für nationale Solidarität8 • Erst nach der nach begründeter Stellungnahme des Conseil superieur du service social erteilten Genehmigung darf der Unterricht aufgenommen werden9 • Zuvor muß die Satzung der Schule, in der die Ausbildungszwecke und -ziele, die Organisation und der Betrieb der Schule geregelt sein müssen, vorgelegt werden10• Die Gründung und Ausdehnungvon Ausbildungsstätten für Sozialarbeiterberufe wird nur noch genehmigt, wenn sie den Bedürfnissen der Bevölkerung entspricht, wie sie von der Commission nationale des institutions sociales et medicosociales anerkannt worden sind, und wenn sie bestimmten quantitativen und qualitativen Mindestanforderungen entspricht11• Die Genehmigung kann jederzeit wieder entzogen werden, wenn entsprechende· Gründe dies rechtfertigen12• Erst nach Genehmigung werden die Schu-· len vom Staat (Haushalt des Ministeriums für nationale Solidarität), aber auch von den lokalen Gebietskörperschaften und den Sozialversicherungsträgern (vor allem der nationalen Familienbeihilfenkasse· CNAF) finanziell durch Subventionen für die Investitions- und für die· laufenden Betriebsausgaben unterstützt. Die staatliche Finanzierung ist von der Zahl der Auszubildenden und von den von der Ausbildungsstätte unternommenen Anstrengungen bezüglich der Einrichtung und Ausstattung der Lernstätte und der pädagogischen Bemühungen und Neuerungen in ihr abhängig13• Die in der Regel ebenfalls von privaten Trägern betriebenen Einrichtungen, in denen die Praktika der Soziaiarbeiterausbildung durchgeführt werden, werden vom Directeur regional des affaires sanitaires et sociales oder vom Service regional des affaires sanitaires et sociales zugelassenH. Es handelt sich also um privatrechtlich organisierte Ausbildungsstätten, die staatlich genehmigt und aus öffentlichen Mitteln finanziert werden. 8 Art. 4 du decret no 80-334 du 6 mai 1980 relatif a la formation des assistants de service social (J. 0. 11 mai 1980). 9 Art. 5 du decret no 51-389 du 31 janvier 1951 relatif au diplöme d'Etat des assistants de service social et fixant les nouvelles applications en la matiere (J. 0 . 1 avril 1951) und art. 1 du decret no 76-53 du 12 janvier 1976 relatif au diplöme d'Etat d'assistants de service social (J. 0. 21 janvier 1976). 10 Vgl. dazu die bei Desmottes, S. 128 ff. angegebenen "reglements-types des ecoles". 11 Art. 29 de Ia Ioi no 75-535 du 30 juin 1975 relative aux institutions sociales et medico-sociales (J. 0. 1 juillet 1975). Vgl. dazu die Ausführungen im 4. Kapitel unter B. 12 Art. 7 des zitierten Dekrets vom 31. 1. 1951 (FN 9). 13 ASH no 1030 du 10 septembre 1976, S. 21. u Art. 6 des zitierten Dekrets no 80-334 (FN 8).
B. Das Recht der Ausbildungsstätten
175
b) Die Aufsicht Das Ministerium für nationale Solidarität übt auch die Aufsicht über die Schulen als technische, pädagogische und finanzielle Kontrolle aus. Beaufsichtigt wird der technische und der pädagogische Betrieb der Schule: ob die äußeren Bedingungen (Sicherheit, Einrichtung und Ausstattung etc.) für einen geregelten Unterricht gegeben sind und ob die Studienprogramme eingehalten werden. Die pädagogische Aufsicht wird aber bisher nicht in der Weise ausgeübt, daß bis ins Detail die Anwendung der theoretischen und praktischen Ausbildungspläne überwacht würde. Es wird vielmehr relativ großzügig verfahren und den einzelnen Schulen je nach den Trägerzielen ein gewisser Spielraum belassen15• Institutionell wird die Aufsicht durch interministerielle Kommissionen für die Ausbildungsgänge und Diplome, die unter der gemeinsamen Aufsicht verschiedener Ministerien vergeben werden (dies betrifft vor allem die IRFTS), durch regionale Kommissionen des Ministeriums für nationale Solidarität für die Schulen der assistant(e)s de service social und durch technische und pädagogische Beraterstäbe, die diesen Organen beigegeben sind, durchgeführt. Die Berater gehen an die Sozialarbeiterschulen, besuchen die Unterrichte und halten Arbeitssitzungen mit dem Lehrpersonal ab, um die Politik des Ministeriums zu erläutern und die Meinung derer dazu zu hören, die täglich mit der Ausbildung zum Sozialarbeiter und ihren Modalitäten konfrontiert sind. Dadurch soll eine fruchtbringende Interaktion zwischen den Schulen und dem Ministerium ermöglicht werden16• c) Studienordnung und Staatsdiplom Für alle Schulen ist die Studienordnung verbindlich, die vom Ministerium für nationale Solidarität erlassen wird. Durch die in dieser Studienordnung minuziös festgelegte Verteilung der theoretischen Allsbildungsgegenstände und der Praktika1 'f wird erreicht, daß die Ausbildung an allen Schulen, auch an den von privaten Trägern betriebenen Schulen, entsprechend den staatlichen Vorstellungen erteilt wird. Mit dem einheitlich geregelten Studienabschluß, dem diplöme d':E:tat d'assistant(e)s de service social, ergibt sich eine Kontrolle der Schulen insoweit, als nur die Diplome der Schulen Anerkennung finden, die sich dem staatlichen Curriculum unterworfen haben18 • Auch die staatliche Genehmigung und die Finanzierungswürdigkeit der privaten Schulen sind von der Ausrichtung des Unterrichts an der staatlichen Stu1s 18 17 18
Seillier, S. 109. Ebd. Vgl. dazu unten D. Witterstätter, Frankreichs Sozialarbeiterausbildung, S. 237 ff.
176
5. Kap.: Das Recht der Ausbildung zum Sozialarbeiter
dienordnung abhängig. Die Einhaltung der Studienordnung wird durch die pädagogische Aufsicht über die Schulen sichergestellt. Es handelt sich um staatlich festgelegte Ausbildungsinhalte in zumeist privatrechtlieh verfaßten und betriebenen Ausbildungsstätten. Die verschiedenen Ausbildungsstätten für die Ausbildung zum Staatsdiplom der assistant(e)s de service social haben aber trotz der einheitlichen Studienordnung einen eigenen Charakter bewahrt und sind auch von ihren Voraussetzungen und ihrem Niveau her zu unterschiedlich verfaßt und organisiert, als daß man von einer einheitlichen, nivellierten Ausbildung sprechen könnte19. 3. Die Leitung der Schulen
Die Sozialarbeiterschulen werden von einem Direktor oder einer Direktorin geleitet. Die Direktoren müssen das Staatsdiplom für assistant(e)s de service social und das diplöme superieur en travail social innehaben, mindestens dreißig Jahre alt sein, berufliche Erfahrung als Sozialarbeiter und pädagogische Erfahrung haben. Sie werden dann vom Ministerium für nationale Solidarität nach Stellungsnahme der Commission technique et pedagogique und des Conseil superieur du service social ernannt20• Das Lehrpersonal setzt sich aus Professoren (Ärzten für die medizinische Ausbildung, Juristen für die Rechtsausbildung, Psychologen, Psychiatern und Soziologen für die Ausbildung in den entsprechenden sozialwissenschaftliehen Fächern, und Ökonomen'21) und aus sogenannten "monitrices" für die eigentliche Ausbildung in Sozialarbeit zusammen. Um als "monitrice" in Sozialarbeit unterrichten, in Methoden und Techniken der Sozialarbeit, in der Ethik der Sozialarbeiterberufe und in den verschiedenen Aufgabenfeldern der Sozialarbeit ausbilden zu können genügt es, Praktiker zu sein. Voraussetzungen sind lediglich das Innehaben des Staatsdiploms und eine mindestens zweijährige Berufserfahrung. Praxis wird als Garantie für Kompetenz betrachtet. Eine offizielle Ausbildung zur "monitrice d'enseignement" ist gesetzlich noch nicht vorgeschrieben, kann aber im Wege der beruflichen Weiterbildung erworben werden. Rupp, Le service social, S. 45; de Bousquet, S. 91. Art. 1 ff. de l'arrete du 19 juin 1980 (J. 0. 26 juin 1980) relatif a l'agrement des directeurs et des responsables d'unites de formation dans les etablissements de formation preparant a l'examen du diplöme d'lttat d'assistant de service social. Zur Zusammensetzung der genannten Kommission vgl. arrete du 13 novembre 1980 portant nomination des membres de la commission technique et pedagogique d'agrement des ecoles de service social (Bulletin Officiel du Ministere de la Sante et de la Securite sociale, no 80/51, no 19 892). 21 Vgl. Rupp, Le service social, S. 45 und Desmottes, S. 40. 1D
20
B. Das Recht der Ausbildungsstätten
177
«Les monitrices sont choisies parmi les assistantes sociales diplömees qui ont donne la preuve de leur valeur professionneUe dans le service social actif qu'elles ont effectue avant de se consacrer a l'enseignement et qui ont temoigne de leurs aptitudes professionnelles22.» 4. Die Finanzierung der Schulen
Die Sozialarbeiterschulen werden, nachdem es kein Schulgeld mehr gibt23, durch Zuschüsse und Kredite für die Schulen zur Abdeckung der Investitions- und der laufenden Betriebsausgaben und für die Finanzierung der den Studenten gewährten Stipendien finanziert. Meist teilen sich der Staat und die Caisse nationale d'allocations familiales (CNAF) in die Kosten. Der Staat trägt bis zu 85 °/o der Kosten24• II. Die Ausbildungsstätten für andere soziale und erzieherische Berufe25
Die Ausbildungsstätten zu den meisten Erzieherberufen haben private Träger. Diese bedürfen für die Einrichtung und den Betrieb der Schulen der Genehmigung durch die für Gesundheit, nationale Solidarität, nationale Erziehung und/oder Justiz verantwortlichen Ministerien und sind den vorgegebenen Curricula dieser Ministerien unterworfen. Dadurch hat sich der Staat die Möglichkeit einer technischen Kontrolle über den äußeren Betrieb der Schulen und einer pädagogischen Kontrolle des Unterrichts an diesen Schulen geschaffen. Er legt die Ausbildungsgänge und die Ausbildungsziele fest. Diese Schulen werden in der Regel durch Subventionen des Staates, zum Teil auch der lokalen Gebietskörperschaften und der Sozialversicherungsträger finanziert. Damit übt der Staat auch eine finanzielle Kontrolle über diese Schulen aus. Daneben gibt es Ausbildungsstätten für Sondererzieher, die von öffentlich-rechtlich verfaßten Körperschaften (durch das Ministere de l'f:ducation nationale) betrieben werden: die Unites d'enseignement et de Ebd. und IGAS 1979, S. 419. So noch Desmottes, S. 40: indemnites de scalarite demandees a ses eleves. Vgl. auch Seillier, S. 110. Nach IGAS, 1979, S. 419 kann aber eine Einschreibegebühr bis zu maximal 200 Francs pro Jahr erhoben werden. 24 Seillier, S. llO; vgl. auch IGAS, 1979, S. 423 f. Vgl. auch die in Bulletin Officiel du Ministere de la Sante et du Ministere du Travail, no 48/ 76 abgedruckte Antwort des Gesundheit sministers auf eine schriftliche Anfrage im Parlament (no 32 017). 25 Vgl. zu den Namen und Adressen der Ausbildungsstätten für educateurs specialises ASH, Les professions sociales, S. 8 f.; für moniteur-educateurs ebd., S. 12 f.; für educateurs de jeunes enfants ebd., S. 18 f.; für aides medico-psychologiques ebd., S. 20; für animateurs socio-culturels ebd., S. 21; für conseillers en economie familiale et sociale ebd., S. 21 f.; für travailleuses familiales ebd., S. 25. Vgl. ferner die bei Verdes-Leroux, S. 110, 153 und bei Commissariat general du Plan, Rapport de la Commission Vie sociale, Paris 1976, abgedruckten Schaubilder. 22
23
12 Hörz
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5. Kap.: Das Recht der Ausbildung zum Sozialarbeiter
recherche (UER) von Lilie und Montpellier und die Instituts universitaires de technologie (IUT) von Lilie und Grenoble. Dagegen werden die educateurs de l'education surveillee ausschließlich an einer Schule eines staatlichen Trägers, des Justizministeriums (der ecole nationale de formation des personnels de l'education surveillee mit zwei Abteilungen in Savigny-sur-Orge (Essonne) und Toulouse) ausgebildet. Zu den anderen sozialen Berufen wird praktisch ausschließlich an Ausbildungsstätten privater Träger ausgebildet, die der Genehmigung des Ministeriums für nationale Solidarität bedürfen, entsprechend einer von diesem ausgearbeiteten Studienordnung unterrichten und von diesem beaufsichtigt werden. Diese Schulen werden durch Subventionen staatlicher Körperschaften oder der Sozialversicherungsträger finanziert. Auch über sie wird eine technische, pädagogische und finanzielle Aufsicht ausgeübt. Zu nennen sind hier noch die f:cole nationale de la Sante publique des Gesundheitsministeriums in Rennes und das Centre de formation et de recherche de l'education surveillee des Justizministeriums in Vaucresson (Hauts-de-Seine) für die Ausbildung der Jugendrichter und anderen staatlichen Personals, das sich mit gefährdeten und delinquenten Jugendlichen beschäftigt. C. Der Zugang zu den Ausbildungsstätten für Sozialarbeiter L Qualifizierende fachliche Zulassungsvoraussetzungen
Für die Aufnahme der Ausbildung an einer ecole de service social wird seit 1971 das baccalaureat (das französische Abitur) oder ein gleichgestellter Schulabschluß verlangt. Nunmehr genügt es aber auch, bei Beginn der Ausbildung 25 Jahre alt zu sein und fünf Jahre Berufspraxis zu haben oder fünf Jahre lang ein oder mehrere Kinder erzogen zu haben26• Das baccalaureat ist auch Zulassungsvoraussetzung für die Ausbildung zum conseiller(ere) en economie familiale et sociale, educateur de jeunes enfants, educateur specialise und educateur de l'education surveillee. Für diese Berufsausbildungsgänge genügt allerdings auch ein dem baccalaureat gleichgestellter Schulabschluß27• Die Auszu28 Am~te du 2 avril 1970 relatif a l'admission dans les etablissements preparant au diplöme d':etat d'assistant de service social (J. 0. 2 aoClt 1970). Neu geregelt durch art. 2 de l'arrete du 16 mai 1980 relatif aux conditions d'admission dans Ies etablissements de formation au diplöme d'Etat d'assistant de service social (J. 0. 26 juin 1980). 27 Die Liste der Titel, die das baccalaureat ersetzen, ist im Bulletin Officiel du Ministere de l'Education nationale du 11 septerobre 1969 erschienen.
C. Der Zugang zu den Ausbildungsstätten für Sozialarbeiter
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bildenden, die das baccalaureat nicht haben, müssen aber zum Teil spezielle Aufnahmeprüfungen ablegen. Daneben ist körperliche Geeignetheit und Fähigkeit zur Ausübung eines sozialen Berufes Voraussetzung. Für die Zulassung zur Ausbildung zum moniteur-educateur und zur aide medico-psychologique ist das baccalaureat nicht erforderlich. Für die Ausbildung zum educateur technique specialise kann das geforderte baccalaureat durch Abschlußzeugnisse der beruflichen Ausbildung (brevet technique, certificat d'aptitude professionnelle) und drei bzw. fünf Jahre praktische Arbeit ersetzt werden. Für die Ausbildung zum educateur de l'education surveillee wird zusätzlich zum baccalaureat ein obligatorischer "concours" verlangt, in dem die Fähigkeit des Kandidaten zur Ausübung gerade dieses Berufes mit mündlichen und schriftlichen Prüfungen und psychologischen Tests untersucht wird. Für die Ausbildung zur puericultrice ist das Staatsdiplom für infirmieres, sages-femmes oder assistant(e)s de service social Voraussetzung, für die Ausbildung zur surintendante d'usine das Staatsdiplom für assistant(e)s de service social28• Für das 1978 geschaffene höhere Sozialarbeiterdiplom (diplöme superieur en travail social) sind das Staatsdiplom oder ein anderer Abschluß, der zur Ausübung der Berufe assistant(e) de service social, educateur specialise, conseiller en economie sociale et familiale, educateur de jeunes enfants, educateur technique specialise oder animateur social et socio-educatif berechtigt, und eine fünfjährige praktische Berufstätigkeit und Berufserfahrung in einem dieser Berufe Zulassungsvoraussetzung. Die Ausbildung zu diesem Diplom umfaßt drei verschiedene Varianten: die Ausbildung zum Leitenden Sozialarbeiter, die Ausbildung zum Lehrer an einer Sozialarbeiterausbildungsstätte und die Ausbildung in der Sozialarbeitsforschung (insbesondere in der Forschung über die Methoden der Sozialarbeit)29•
2s Nach Verdes-Leroux, S. 110, 153. Vgl. zu den Ausbildungsabschlüssen auch Baudelot/Establet, S. 337 f. 28 Art. 2 de l'arrete du 14 novernbre 1978 portant creation du diplerne superieur en travail social (J. 0. 21 decernbre 1978), circulaire no 32 du 16 juin 1980 relatif au diplerne superieur en travail social (Bulletin Officiel du Ministere de la Sante et de la Securite sociale, no 80/28, no 19017) und circulaire no 82-20 du 17 juin 1982 relative au diplerne superieur en travail social (Bulletin Officiel du Ministere de la Solidarite nationale et du Ministere de la Sante, no 82/38, no 23707). Vgl. auch Revue trirnestrielle de droit sanitaire et social 1979, S. 253 f .; ASH, no 1151 du 2 rnars 1979, S. 22; Girard-Buttoz, S. 114 f .
12•
180
5. Kap.: Das Recht der Ausbildung zum Sozialarbeiter II. Persönliche nicht-fachliebe Zulassungsvoraussetzungen
Solche Zulassungsvoraussetzungen sind zunächst einmal bestimmte Altersgrenzen. Für den Zugang zu einer Ausbildungsstätte für assistant(e)s de service social genügt ein Mindestalter von 18 Jahren. Dieselbe Mindestaltersgrenze gilt für die meisten anderen Berufsausbildungsgänge. Nur für die Ausbildung zur travailleuse familiale wird ein Mindestalter von 19 Jahren, für die zum animateur ein Mindestalter von 21 Jahren gefordert. Daneben gibt es zum Teil Höchstaltersgrenzen für die Aufnahme der Ausbildung oder der Berufsausübung, von denen aber Befreiungen möglich sind, die in der Praxis, da immer noch zu wenig Sozialarbeiter vorhanden sind, in der Regel auch erteilt werden30• Formale Voraussetzungen für die Aufnahme der Ausbildung zum Sozialarbeiter sind in etwa die folgenden: -
Eine Kopie der bisher erworbenen Zeugnisse und Qualifikationen. Ein eigenhändig geschriebener Lebenslauf des Kandidaten. Wenn nötig, Nachweise über bereits abgelegte Studien und bereits ausgeübte berufliche Aktivitäten. Ein Auszug aus dem casier judiciaire (Führungszeugnis). Ein ärztliches Zeugnis, das die folgenden Nachweise enthalten muß: den Nachweis, daß der Kandidat nicht an Tuberkulose erkrankt ist, Impfnachweise gegen bestimmte Ansteckungskrankheiten und den Nachweis der körperlichen und psychischen Fähigkeit zur Ausübung des Sozialarbeiterberufes31 • Dl. Aufnahmeprüfungen
Da praktisch in der Ausbildung zu allen sozialen und erzieherischen Berufszweigen die Studienplätze und geeignete Stellen für die praktische Ausbildung knapp sind, wird die jährliche Aufnahmezahl an Auszubildenden mit einem vom Directeur regional des affaires sanitaires et sociales organisierten und mit einem von jeder Ausbildungsstätte individuell gestaltbaren Aufnahmeverfahren begrenzt, sogenannter "concours" mit Platzziffersystem 32• Von den Bewerbern um die Ausbildungsplätze an den Schulen für assistant(e)s de service social wird ein dreistündiger Aufsatz über ein ao Vgl. art. 2 des zitierten Dekrets vom 31. 1. 1951 (FN 9). 31 Vgl. ASH no 777 du 30 avril 1971, S. 17 ff. und art. 3 des zitierten arrete
du 16 mai 1980 (FN 26). 32 Art. 4 und 7 des zitierten arrete du 16 mai 1980; Witterstätter, Frankreichs Sozialarbeiterausbildung, S. 239; IGAS, 1979, S. 418.
C. Der Zugang zu den Ausbildungsstätten für Sozialarbeiter
181
allgemeines Thema, eine Textinterpretation und eine schriftliche Prüfung in Geschichte, Geographie, Mathematik oder Sprachen verlangt33• Obligatorisch sind diese Prüfungen für die Ausbildungskandidaten, die nicht Inhaber des baccalaureat sind. Zum Teil werden auch mündliche Prüfungsgespräche mit den Kandidaten über soziale Probleme, über ihre Gründe, gerade eine Sozialarbeiterausbildung machen zu wollen, etc. geführt. Ferner können Intelligenz- und Persönlichkeitstests durchgeführt werden34• Durchgeführt wird die Selektion der Ausbildungsplatzbewerber in den Ausbildungsstätten durch professionelle Sozialarbeiter (Praktiker), durch Psychologen, Lehrpersonal etc. Die für die Selektion herangezogenen wichtigsten Kriterien sind die Persönlichkeit des Kandidaten, der psychologisch in der Lage sein muß, sich auf Klienten, Ereignisse und Institutionen einzustellen, die Fähigkeit des Kandidaten zur Kontakt- und Kommunikationsaufnahme mit Klienten und sozialen Gruppen und die Motivation für die Berufswahl35• Damit sind auch die Gründe für die Durchführung der Selektion vor der Zulassung zur Berufsausbildung angesprochen. Neben der Reduzierung der Zahl der Kandidaten auf die Zahl der zur Verfügung stehenden Ausbildungsplätze soll sie die Persönlichkeiten ermitteln, die in der Lage sind, anderen zu helfen und sich in eine in Entwicklung befindliche Gesellschaft einzubringen. Sie erklärt sich ferner daraus, daß es sich auf psychologischer Ebene um einen schweren Beruf handelt. Sie soll labile und für einen sozialen und helfenden Beruf ungeeignete Personen von der Ausübung und schon von der Ausbildung zu einem solchen Beruf fernhalten und sie soll die Allgemeinbildung und die geistige Reife des Kandidaten ermitteln36• Die freien Ausbildungsplätze werden an die am besten abschneidenden Kandidaten nach der Reihenfolge ihrer Punktezahl vergeben, wobei es von Schule zu Schule verschieden ist, ob ein Teil der Prüfung für sich ausreicht, einen Kandidaten nicht bestehen zu lassen, oder nur die gesamte Prüfung, d. h. das Gesamtbild des Kandidaten. An Kritik an diesem Verfahren wird vorgebracht, daß es damit die Ausbildungsstätten für den Sozialarbeiterberuf in der Hand haben, nur solche Schüler auszuwählen, die einem bestimmten von ihnen (ihren Trägern) vorgegebenen Modell entsprechen: 33 Art. 5 und 7 des am~te du 16 mai 1980. Zur Art der gestellten Themen vgl. Rupp, Le service social, S. 44. Vgl. auch arrete du 13 novembre 1980 du secretaire d'l!:tat aupres du ministre de la Sante et de la Securite sociale (abgedruckt in: Bulletin Offkiel du Ministere de la Sante et de la Securite sociale, no 81/2, no 20060). ac Etournaud, S. 14. 35 Ebd. 36 Ebd.
182
5. Kap.: Das Recht der Ausbildung zum Sozialarbeiter
3 • Die gekündigten agents contractuels haben ebenfalls einen gewissen Rechtsschutz. Sie haben ein Recht auf Verteidigung gegen die Kündigung, das die vorherige Einsichtnahme in die Personalakte beinhaltet, wenn die Kündigung aus disziplinarischen Gründen erfolgt, personenoder verhaltensbedingt ist. Der Gekündigte kann sich gerichtlich gegen die Kündigung durch Klage beim juge administratif zur Wehr setzen, der allerdings nur die Kompetenz hat, zu prüfen, ob aus dienstbedingten Interessen gekündigt wurde oder nicht. Während des Kündigungsschutzprozesses ist eine "indemnite de licenciement" von der Verwaltung zu 9 2 Vgl. dazu art. L 122--4 ff. Code du Travail und die in der Kommentierung zu art. L 122-14-11 Code du Travail bei Dalloz, Code du Travail, 42. Aufl., 1980, S. 39 ff. gemachten Aussagen. 93 Art. L 511-1 ff. Code du Travail.
236
7. Kap.: Die Rechtsbeziehungen zu den Trägern als Arbeitgebern
zahlen, außer nach schweren Pflichtverletzungen. Im Fall der Ungültigkeit und Aufhebung der Kündigung muß die Verwaltung die Karriere des angestellten Sozialarbeiters wiederherstellen, d. h. ihn so wiedereinstellen, wie er gestellt wäre, wäre er nicht unberechtigt gekündigt worden94• 4. Die Disziplinargewalt
Bei einem Fehlverhalten der Arbeitnehmer sind auch disziplinarische Maßnahmen möglich: moralische Sanktionen, wie Verwarnungen, Rügen und Verweise, Geldbußen und Einbehaltung eines Teils des Lohnes, innerdienstliche Versetzungen und Zurückstufungen mit nachfolgend geringerem Gehalt, zeitweilige Nichtbeschäftigung mit entsprechendem Lohnverlust (mise a pied) und Entlassung (congediement). Dagegen ist, außer gegen Entlassungen (Kündigungsschutz), noch kaum ein gerichtlicher Rechtsschutz entwickelt95•
In. Die soziale Sicherung der angestellten Sozialarbeiter 1. Regime general
Die angestellten Sozialarbeiter (auch die agents contractuels) werden mit der Aufnahme ihrer Arbeit in das regime general de la securite sociale aufgenommen und sind in ihm gegen die Risiken Krankheit, Mutterschaft, Invalidität und Tod, Arbeitsunfall und Berufskrankheit und Alter versichert und erhalten die Familienleistungen. Damit haben sie Ansprüche auf folgende Leistungen: -
-
In der Krankenversicherung haben sie und ihre Familienangehörigen Anspruch auf Behandlung und Kostenerstattung für die Behandlung und auf Lohnersatzleistungen. In der Altersversicherung haben sie Anspruch auf Renten für sich und ihre Hinterbliebenen (Witwen- und Waisenrenten) und eventuell auf Beihilfen für alte Arbeitnehmer, Witwen, Witwer und Familienmütter. In der Unfallversicherung haben sie Anspruch auf medizinische Behandlung und körperliche Wiederherstellung, auf berufliche Umschulung und Wiedereingliederung, auf Lohnersatzleistungen und Renten (ebenso Invaliditätsversicherung) und auf Verhütungsmaßnahmen. Für die agents contractuels werden die Leistungen direkt von der Verwaltung beglichen.
94 Saint-Jours, Les relations du travail, S. 321 ff., S. 339 f. •• Vgl. Camerlynck/Lyon-Caen, S. 484, RN 381.
C. Die individualarbeitsrechtliche Stellung der Sozialarbeiter
-
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Sie haben Anspruch auf Familienleistungen. Sie haben Anspruch auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit00•
Zur Finanzierung dieser Leistungen sind von den angestellten Sozialarbeitern und ihren Trägern Beiträge zu zahlen, die in bestimmten Prozentsätzen vom Bruttoverdienst abgezogen werden. Für die Familienleistungen (9,1 Ofo) und die Arbeitsunfallversicherung (hier ist die Beitragshöhe variabel nach der Unfallhäufigkeit) zahlen nur die Träger. Für die Krankenversicherung zahlen die Träger 13,45 °/o, die Sozialarbeiter 5,5 °/o. Für die Altersversicherung zahlen die Träger 8,20 Ofo und die Arbeitnehmer 4,70 O/of17.
2. Zusatzrentenversicherungssysteme Die angestellten Sozialarbeiter der privaten Träger und der Sozialleistungsträger sind heute obligatorisch an ein Zusatzrentenversicherungssystem angeschlossen. Paritätisch verwaltete Zusatzrentenversicherungskassen, die "Association generale des institutions de retraites complementaires" für die leitenden Angestellten (Leitenden Sozialarbeiter) und die "Association des regimes de retraites complementaires" für die anderen Arbeitnehmer zahlen die Zusatzrenten aus. Für das Zusatzrentenversicherungssystem für leitende Angestellte ist ein Beitrag in Höhe von 8 Ofo (6 Ofo für den Träger, 2 °/o für den Arbeitnehmer) abzuführen, den das Unternehmen um weitere 8 °/o erhöhen kann98• Für das Zusatzrentenversicherungssystem der nicht leitenden Angestellten ist ein Beitrag in Höhe von 4 °/o des Bruttolohnes abzuführen, der zwischen Träger und Sozialarbeiter im Verhältnis sechzig zu vierzig geteilt wird99• Für die agents contractuels ist ebenfalls ein obligatorisches Zusatzrentenversicherungssystem geschaffen worden, die "Institution de retraite complementaire des agents non titulaires de l':f:tat et des collectivites locales"100•
88 Vgl. dazu die Ausführungen im 1. Kapitel. Zu den Besonderheiten bei den agents contractuels vgl. art. 57 du decret no 60-452 du 12 mai 1960 relatif a l'organisation et au fonctionnement de la securite sociale (J. 0. 13 mai 1960). 87 Dupeyroux, RN 308, S. 797 und RN 300-3, S. 782. 98 Vgl. Saint-Jours, Le droit de la securite sociale, S. 435 f. 99 Loi no 72-1223 du 29 decembre 1972 portant generalisation de la retraite comp!ementaire au profit des salaries et anciens salaries (J. 0. 30 decembre 1972). Vgl. auch Hochard, S. 285; Marchecourt, tome 1, S. 42 und Saint-Jours, Le droit de la securite sociale, S. 439 ff. 100 Decret no 70-1277 du 23 dckembre 1970 (J. 0. 30 decembre 1970) und arrete du 26 decembre 1975 (J. 0. 3 janvier 1976). Vgl. Piquemal, Les nontitulaires, S. 213 ff., 250 ff. und Saint-Jours, Le droit de Ia securite sociale,
S.439 ff.
238
7. Kap.: Die Rechtsbeziehungen zu den Trägern als Arbeitgebern
D. Die Weisungsgebundenheit der Sozialarbeiter Hier soll intensiver auf die für ein Beamtenverhältnis kennzeichnende· hierarchische Abhängigkeit der Sozialarbeiter von ihren Dienstvorgesetzten und auf die für ein Arbeitsverhältnis kennzeichnende Weisungsgebundenheit des Arbeitnehmers an die Anordnungen des Arbeit-· gebers eingegangen werden. Aus der hierarchischen Position der Dienstvorgesetzten und aus der Direktionsbefugnis des Arbeitgebers ergeben sich der "pouvoir de direction", die Leitungsbefugnis, die das Recht auf Festsetzung des "reglement interieur", der Betriebs- und Dienststellen-ordnung beinhaltet, und die disziplinarische Gewalt. Der Sozialarbeiter muß in der Funktion arbeiten, die ihm der Träger,. z. B. durch Geschäftsverteilungspläne der DDASS, durch ihre Einstellung in bestimmte zuvor ausgewiesene Planstellen oder durch ihren Einsatz an bestimmten Orten der Sektoren zuweist. Dadurch wird die Tätigkeit des einzelnen Sozialarbeiters formal, d. h. durch einen bestimmten örtlichen Zuständigkeitsbereich, aber auch inhaltlich, d. h. durch den Einsatz in einer bestimmten Funktion und die Festlegung des sachlichen Zuständigkeitsbereichs, durch den Träger bestimmt. Der Sozialarbeiter muß die Normen respektieren, denen auch der Träger selbst unterliegt, z. B. weil er wegen der Koordinationsregelung des Departements auf die Durchführung einer bestimmten Sozialarbeit oder weil er wegen der finanziellen Förderung einer bestimmten Sozialarbeit durch staatliche Subventionen auf deren Durchführung festgelegt ist. Auch der Sozialarbeiter muß dann in der festgelegten Sozialarbeit tätig werden, bestimmte Methoden anwenden und bestimmte Ziele zu erreichen versuchen. Der Sozialarbeiter muß auch die Normen respektieren, die der Träger, bei dem er angestellt ist, sich selbst gesetzt hat. So muß er die Entscheidung respektieren, sich nur für bestimmte Bevölkerungsgruppen und deren soziale und persönliche Bedürfnisse und Probleme oder nur für bestimmte soziale und persönliche Bedürfnisse und Probleme der gesamten Bevölkerung zu engagieren. Dies gilt vor allem für die Träger der services sociaux specialises und der services sociaux polyvalents de categorie d'usagers und insbesondere für die privaten und kirchlichen Träger der Sozialarbeit. Insoweit geht das Interesse des Trägers an einer nach bestimmten Kriterien ausgerichteten Sozialarbeit dem Grundsatz der politischen, religiösen und weltanschaulichen Neutralität der Sozialarbeit vor. Hierdurch wird eine gewisse ideologische Abhängigkeit des Sozialarbeiters und eine ideologische Begründung der Sozialarbeit herbeigeführt, an der er festhalten muß.
D. Die Weisungsgebundenheit der Sozialarbeiter
239
Der Sozialarbeiter muß durch seine Arbeit auch zur Entwicklung des Trägers, bei dem er angestellt ist, beitragen: «L'assistante sociale est egalement responsable devant son employeur. Cet employeur peut avoir lui-meme une fonction sociale precise: etre responsable de la gestion de fonds qui ne peuvent etre attribues que selon des normes strictement determinees ou encore ne pouvoir s'interesser qu'a une categorie de personnes et de besoins. L'assistante doit respecter ces normes, eile se doit de contribuer au developpement et au rayonnement de l'organisme auquel elle est rattachee101.» Problematisch an dieser hierarchischen und weisungsgebundenen Abhängigkeit der Sozialarbeiter von ihrem Träger ist vor allem, wie weit dieses Weisungsrecht im Einzelfall gehen kann. Besonders problematische Punkte sind Konflikte über die anzuwendenden Methoden und anzustrebenden Ziele der Sozialarbeit, über das jeweilige Selbstverständnis von der Funktion der Sozialarbeit in der Gesellschaft und von der Rolle des Sozialarbeiters gegenüber Klienten, Institutionen und Gesellschaft. Hier wird in Frankreich der "dependance administrative", der Abhängigkeit vom Träger, die akzeptiert wird, die "independance technique", die technische Unabhängigkeit, d. h. die Unabhängigkeit des einzelnen Sozialarbeiters bei der Auswahl der Methoden und bei der praktischen Bestimmung des Vergehens im konkreten Fall entgegengestellt102. Das Weisungsrecht der Träger bezieht sich also vor allem auf die Festlegung der allgemeinen Ziele, Zwecke und des Klientenkreises der Sozialarbeit des Trägers und auf die Durchführung der Sozialarbeit mit bestimmten Klienten. Die Technik und Methodik der Sozialarbeit im Einzelfall bleibt der Verantwortung der Sozialarbeiter überlassen. Doch auch schon damit erweist sich der Träger oft als Bremse oder Verhinderung einer Sozialarbeiteraktivität, die auf tatsächliche Veränderungen zugunsten der Klienten gerichtet ist14!3. Die Träger verfügen zur Durchsetzung ihrer Ansicht von Funktion und Zielen der Sozialarbeit und über die Rolle der Sozialarbeiter gegenüber den Sozialarbeitern über die Mittel Kündigung und disziplinarische Maßnahmen. Kündigungen werden oft ohne Angabe des entscheidenden sachlichen Kündigungsgrundes der Nichtübereinstimmung über Methoden und Ziele der Sozialarbeit als verhaltensbedingte mit dem Argument deklariert, eine weitere sachliche Zusammenarbeit mit dem Gekündigten sei nicht mehr möglich104• Dasselbe gilt bei Ver10 1 Libermann, in: Droit social 1960, S. 187 ff., 191 und in: ANAS, Deootologie en service social, S. 156 ff., 163. 102 Mehl, in: ANAS, Deontologie en service social, S. 107 ff. 1os Vgl. dazu z. B. GITS, S. 22. 10 4 Vgl. dazu den Fall Escrivan und die Gründe ihrer Entlassung. Abgedruckt bei Esprit 4-5/1972, S. 33 ff., GITS, S. 23 ff. und Informations sociales 4-5/1976, s. 41 ff.
240
7. Kap.: Die Rechtsbeziehungen zu den Trägern als Arbeitgebern
beamtung für den Ausspruch von Disziplinarmaßnahmen. Dies zeigt ein Urteil des Verwaltungsgerichts Besanc;on vom 30. 6. 1976 in einem Rechtsstreit zwischen einer Sozialarbeiterin und dem Präfekten cies Departements Doubs für das Gesundheitsministerium über den Ausspruch einer Disziplinarmaßnahme wegen beruflicher Unfähigkeit und Nachlässigkeit in einer Kindesmißhandlungssache. Die Sozialarbeiterin begründete ihr Verhalten als Methode, das Vertrauen der Familie zu erlangen und dadurch dem Kind zu helfen105• Verschärft wird diese Problematik noch dadurch, daß die Abhängigkeit von Verwaltungen und Trägern meist eine Abhängigkeit von berufsfremden Personen ist. Mit Ausnahme der Leitenden Sozialarbeiter gilt dies für alle Vorgesetzten von Sozialarbeitern: die chefs du personnel, die inspecteurs de la population, die directeurs d'administration, die Vorstände, Verwaltungsräte und anderen Leitungs- und Kontrollorgane der Träger. Diese üben mit ganz anderen Interessen, zum Teil abgehoben von den Klienteninteressen, und ohne genaue Kenntnis von Methoden, Techniken und Selbstverständnis der Sozialarbeit ihre Leitungsbefugnis aus. Diese weitgehende Abhängigkeit der Sozialarbeiter wird noch dadurch verstärkt, daß bei der fast ausschließlichen Durchführung der Sozialarbeit durch abhängig beschäftigte Sozialarbeiter und bei dem völligen Fehlen freiberuflich tätiger Sozialarbeiter in Frankreich100 eine effektive Sozialarbeit überhaupt nur bei einem relativ guten Einvernehmen des Sozialarbeiters mit seinem Träger möglich ist, d. h. nur dann, wenn dessen Werte, Ziele und Verständnis von der Rolle und Funktion der Sozialarbeit vom Sozialarbeiter weitgehend akzeptiert werden. E. Die kollektiven Rechte der Sozialarbeiter I. Das Koalitionsrecht101
1. Die Koalitionsfreiheit Die Koalitionsfreiheit ist in Frankreich in der Präambel der Verfassung gewährleistet. Danach kann jeder seine Rechte und Interessen mit gewerkschaftlichen Mitteln verteidigen und einer Gewerkschaft seiner Wahl angehören: 105 Vgl. das in Revue fran~aise de service social 1/1977 abgedruckte Urteil des Verwaltungsgerichts Besan~on vom 30. 7. 1976. 1oa Vgl. Rupp, Le service social, S. 27. 1 07 Vgl. dazu Hochard, S. 29 ff.; Camerlynck/Lyon-Caen; S. 605 ff., RN 503 ff.; Rivero/Savatier, S. 98 ff.; Burdeau, S. 381 ff.; Javillier, S. 153 ff. mit weiteren Nachweisen.
E. Die kollektiven Rechte der Sozialarbeiter
241
«Tout homme peut defendre ses droits et ses interets par l'action syndicale et adherer au syndicat de son choix.» Damit besteht individuelle positive und negative Koalitionsfreiheit zur Wahrung und Verteidigung der wirtschaftlichen Interessen und der Arbeitsbedingungen, d. h. das Recht auf Eintritt in, Nichteintritt in und Austritt aus einer Gewerkschaft. Ferner ergibt sich aus dem Verfassungsartikel eine garantierte Wahlfreiheit zwischen verschiedenen Gewerkschaften. Auch die kollektive Koalitionsfreiheit (pluralisme syndical) ist verfassungsrechtlich geschützt108• Es darf damit staatlicherseits weder die Entstehung von Gewerkschaften überhaupt noch die Entstehung mehrerer Gewerkschaften für einen bestimmten Beruf verhindert werden. Aus dem uneingeschränkten Recht, sich in einer Gewerkschaft zu organisieren oder nicht, ergibt sich, daß es dem Arbeitgeber verboten ist, die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft oder die aktive Ausübung einer gewerkschaftlichen Betätigung zum Anlaß zu nehmen, Entscheidungen über die Einstellung, Beförderung, Entlohnung, Kündigung oder disziplinarische Maßnahmen gegen einen gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer zu treffen. Denn die abstrakte Anerkennung der Koalitionsfreiheit und des Rechts zu gewerkschaftlicher Betätigung wäre sinnlos, wenn die Arbeitgeber es in der Hand hätten, gewerkschaftlich organisierte Sozialarbeiter wegen ihrer gewerkschaftlichen Betätigung nicht einzustellen, zu entlassen oder sonst zu diskriminieren1Q9. Aus demselben Grund dürfen die Arbeitgeber auch keine Pressionen zugunsten einer oder gegen eine bestimmte Gewerkschaft ausüben. Auf der anderen Seite bedeuten die individuelle Koalitionsfreiheit und die Garantie des Gewerkschaftspluralismus, daß ein Träger nicht zur ausschließlichen Anstellung von Sozialarbeitern, die gewerkschaftlich organisiert oder gar nur Mitglieder einer bestimmten Gewerkschaft sind, gezwungen werden kann. Ein System von "closed-shops" ist also unzulässig110• Diese Regelungen gelten auch für Arbeitnehmer im Öffentlichen Dienst und für Beamte111• Es gibt aber einige spezielle Statute, die bestimmten Beamtengruppen das Koalitionsrecht verweigern, da es für unvereinbar mit den ihnen anvertrauten Aufgaben gehalten wird, so für das Militär und das corps prefectoral. Da die verbeamteten Sozialarbeiter nicht zu den angesprochenen Berufsgruppen gehören, ist für alle Vgl. art. L 411-1, 411-8 Code du Travail und Burdeau, S. 385 f. Art. L 412-1 ff. Code du Travail und ebd., S. 386 f. 110 Ebd., S. 387 und Camerlynck/Lyon-Caen, S. 630 f., RN 540. 111 Art. 14 statut general, art. L 411-11 ff. COde des Communes und art.. L 410-1 Code du Travail. 108
109
16 H ö rz
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7. Kap.: Die Rechtsbeziehungen zu den Trägern als Arbeitgebern
französischen Sozialarbeiter die Koalitionsfreiheit, das Recht zu gewerkschaftlicher Organisation und Betätigung gewährleistet.
2. Die Sozialarbeitergewerkschaften Die französischen Sozialarbeiter sind in speziellen Zweigen der Gewerkschaften, die sich lokal in die Unions departementales und die Unions locales (etwa Ortsverein), beruflich in die lokalen Berufsgewerkschaften untergliedern, organisiert112: -
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In der CGT (Confederation generale du travail, einer kommunistisch ausgerichteten Richtungsgewerkschaft), z. B. das syndicat CGT de l'enfance inadaptee und das comite de coordination des assistantes sociales CGT. In der CFDT (Confederation fran~aise democratique du travail, sozialistisch orientiert), z. B. die syndicats (departementaux) CFDT des services de sante et des services sociaux. In der CGT-FO (Confederation generale du travail - Force ouvriere, von der CGT abgespaltene sozialdemokratisch orientierte Richtungsgewerkschaft), z. B. die federation syndicale de l'action sociale FO. In der CFTC (Confederation fran~aise des travailleurs chretiens, christlich orientiert), z. B. das syndicat national chretien d'assistantes sociales. In der CGC (Confederation generale des cadres), in der vor allem Leitende Sozialarbeiter organisiert sind, z. B. das syndicat general des assistantes sociales. In der FEN (Federation de l'education nationale), einer nationalen Gewerkschaft für Erzieherberufe, z. B. das syndicat national des infirmiers, adjoints, assistants sociaux, secretaires scolaires du superieur et de l'education nationale. In speziellen Zweigen autonomer Gewerkschaften, z. B. das syndicat national du personnel social et para-social de Ia MSA und das syndicat national autonome des assistants sociaux des services departementaux.
Nach der Gewerkschaftsgründung (Ausarbeitung der Satzung, Durchführung der Gründungsversammlung, Wahl der Geschäftsführung und Hinterlegung der Satzung) und der Bestellung der Organe113 hat das Gewerkschaftsmitglied die folgende Rechtsstellung: Es ist beitragspflichtig entsprechend der Satzung, damit die Gewerkschaft über die 112 113
Vgl. dazu Hochard, S. 39 (Grafik). Ebd., S. 35 f.
E. Die kollektiven Rechte der 'Sozialarbeiter
243
finanziellen Mittel zur Durchführung ihrer Aufgaben verfügt. Es unterliegt der Gewerkschaftsdisziplin. Ein Ausschluß des Mitglieds ist bei Vorliegen der in der Satzung vorgesehenen Gründe, vor allem bei gewerkschaftsschädigendem Verhalten möglich. Es besteht innergewerkschaftliche Demokratie. Die Mitglieder können ihre Interessen und Meinungen im Wege von Wahlen und sonstigen Abstimmungen mit dem Mehrheitsprinzip durchzusetzen versuchen. Zugleich finden aber auch Minderheitstendenzen Berücksichtigung114• Ziel des gewerkschaftlichen Zusammenschlusses der Sozialarbeiter ist die gemeinsame Vertretung individueller und kollektiver Mitglieder- und Berufsinteressen, vor allem die Durchsetzung höherer Löhne, besserer Arbeitsbedingungen und größerer sozialer Rechte. Die Gewerkschaften haben unter bestimmten Voraussetzungen ein Recht auf ein Büro zur Ausübung ihrer Aktivitäten. Sie dürfen in den Dienststellen und Betrieben Anschläge machen und gewerkschaftliche Schriften und Material zur Werbung für die Gewerkschaft verteilen. Sie dürfen in der Dienststelle (außerhalb der Dienstzeit oder so, daß die Ausübung der Dienste nicht beeinträchtigt wird), Beiträge einziehen116. U. Das Tarifvertragsredlt1 16
Die Gewerkschaftsziele werden vor allem durch den Abschluß von Tarifverträgen mit den Arbeitgebern verfolgt. Unter convention collective versteht man: «La convention collective de travail est un accord conclu entre un employeur ou un groupement d'employeurs et une ou plusieurs Organisations syndicales representatives de salaries, en vue de fixer en commun les conditions auxquelles seront ulterieurement conclus les contrats individuels de travail. Son trait essentiel est de substituer des groupements aux individus dans ladeterminationdes conditions de travail111.» Sie sind also Abkommen der Sozialpartner zur allgemeinen Festlegung der Arbeitsbedingungen, die schriftlich abgefaßt sein müssen und befristet oder unbefristet (dann Kündigungsmöglichkeit für die vertragschließenden Parteien) abgeschlossen werden können118• Camerlynck/Lyon-Caen, S. 646 ff., RN 566 ff. Vgl. Saint-Jours, Les relations du travail, S. 118 f. Für den Öffentlichen Dienst nunmehr gesetzlich geregelt im decret no 82--447 du 28 mai 1982 relatif a l'exercice du droit syndical dans la Fonction publique (J. 0. 30 mai 114
115
1982).
118 Vgl. Hochard, S. 168 ff.; Camerlynck/Lyon-Caen, S. 675 ff., RN 602 ff.; Rivero/Savatier, S. 329 ff. Vgl. nun auch Auroux, S. 37 ff., 51 ff. 111 Camerlynck/Lyon-Caen, S. 675, RN 602; art. L 132-1 Code du Travail. 118 Art. L 132-5, 132-6 Code du Travail. Zum obligatorischen Mindestinhalt und zum möglichen weiteren Regelungsgehalt vgl. art. L 133-3 und 133--4 Code du Travail.
16•
244
7. Kap.: Die Rechtsbeziehungen zu den Trägern als Arbeitgebern
Gewerkschaften können einen Tarifvertrag nur dann abschließen, wenn sie repräsentativ sind. Kriterien für die Repräsentativität einer Gewerkschaft sind ihre Stärke (Mitgliederzahl), Gegnerunabhängigkeit, Beitragsaufkommen, Erfahrung und ihr patriotisches Verhalten während der deutschen Besatzungszeit Repräsentativ ist nicht nur die größte Gewerkschaft, es gibt auch repräsentative Minderheitsgewerkschaften und Gewerkschaften, die für bestimmte Kategorien von Beschäftigten repräsentativ sind (CGC, FEN). Auf nationaler Ebene sind die genannten großen Gewerkschaften, auch für Sozialarbeiter, repräsentativ. Deren Berufsgewerkschaften sind auch auf betrieblicher und lokaler Ebene repräsentativ, bei anderen Gewerkschaften hängt dies jeweils vom konkreten Organisationsgrad, von der Gegnerunabhängigkeit und vom Beitragsaufkommen ab. Es genügt, daß der Tarifvertrag von einer repräsentativen Gewerkschaft abgeschlossen wird. Er gilt dann für die gesamte Belegschaft des Unternehmens oder einer Branche, auch für die Mitglieder der Gewerkschaften, die den Inhalt des Tarifvertrages für ungenügend haltenn11• Die Regelungen der Tarifverträge werden dann als Mindestnormen der materiellen Arbeitsbedingungen in die Einzelarbeitsverträge übernommen. Es gilt das Günstigkeitsprinzip, d. h. eine im Arbeitsvertrag getroffene Regelung, die günstiger ist als die im Tarifvertrag, geht dieser vor. Dagegen dürfen Tarifvertragsregelungen nicht ungünstiger sein als Gesetze und Verordnungen zugunsten der Arbeitnehmer. Sie dürfen die gesetzlich festgelegten Mindestarbeitsbedingungen nicht unterschreiten120• Der wie ein Vertrag abgeschlossene Tarifvertrag wird in der Anwendung wie ein "reglement" behandelt, d. h. er gilt für die Mitglieder der Vertragsparteien, die Arbeitgeber(verbände) und die Gewerkschaftsmitglieder. Daraus ergeben sich folgende Konsequenzen: Ist der Träger nicht Partei eines Tarifvertrages, so kann der Sozialarbeiter, der Mitglied einer Gewerkschaft ist, die Partei ist, nicht die Anwendung des Tarifvertrages auf sich verlangen. Ist der Träger Partei des Tarifvertrages, so muß er den Tarifvertrag auf alle Mitarbeiter seines Sozialdienstes, auch auf die nicht gewerkschaftlich organisierten oder einer anderen Gewerkschaft angehörenden Sozialarbeiter anwenden, sogar wenn diese Gewerkschaft sich geweigert hat, den Tarifvertrag zu unterschreiben. Es genügt, daß eine repräsentative Gewerkschaft den Tarifvertrag unterschrieben hat. Dies ist die Konsequenz des Prinzips der Einheit der auf die Belegschaft anzuwendenden Arbeitsbedingungen1'21. 119 Vgl. art. L 132-1 Code du Travail; Camerlynck/Lyon-Caen, RN 618, S. 687, FN 2 und RN 580 ff., S. 655 ff. 120 Art. L 132-1 Code du Travail. 121 Camerlynck/Lyon-Caen, S. 707, RN 642.
E. Die kollektiven Rechte der Sozialarbeiter
245
Tarifverträge können für ein geographisch abgegrenztes Tarifgebiet, für einen Berufszweig, für ein Unternehmen oder eine Einrichtung oder mit nationaler Geltung für eine Branche abgeschlossen werden. Auf Forderung einer repräsentativen Gewerkschaft oder auf Initiative des Arbeitsministeriums kann ein Tarifvertrag für alle Unternehmen oder Arbeitnehmer eines bestimmten Berufes oder Tarifgebietes durch Entscheidung des Arbeitsministeriums für allgemeinverbindlich erklärt werden122• Beispiele für Tarifverträge für die sozialen und erzieherischen Berufe sind: -
die convention collective nationale (CCN) pour les organismes de securite sociale et d'allocations familiales du 8 fevrier 1957; die CCN de travail de l'enfance inadaptee du 15 mars 1966, ausgedehnt am 26 aoiit 1968; die CCN pour la formation de la Croix-Rouge Fran~aise du 15 juillet 1952; die CCN pour les travailleuses familiales du 2 mars 1970 und die CCN pour les travailleuses familiales rurales du 6 mai 1970; die CCN pour les foyers de jeunes travailleurs du 5 decembre 1972;
-
die CCN des etablissements prives d'hospitalisation, de soins, de eure et de garde a but non lucratif du 31 octobre 1951; -- die CCN des etablissements medicaux pour enfants et services d'enfants des etablissements medicaux du 26 aoiit 1965; - die CCN de travail pour le personnel de Ia Mutualite sociale agricole123.
m.
Das Arbeitskampfredlt124
Bei Nichteinigung in Verhandlungen über Tarifverträge zur Regelung der Arbeitsbedingungen und in sonstigen Arbeitskonflikten kann die Durchsetzung der gegenseitigen Interessen mit den Mitteln des Arbeitskampfes (Streik und Aussperrung) erfolgen.
Ebd., S. 707, RN 642. Zitiert nach Liaisons sociales, Conventions collectives de travail, no special du juin 1976, S. 125 ff. und IGAS, 1979, S. 395. 124 Vgl. dazu Hochard, S. 179 ff.; Camerlynck/Lyon-Caen, S. 743 ff., RN 691 ff.; Saint-Jours, Les relations du travail, S. 127 ff.; Javillier, S. 502 ff.; Burdeau, S. 388 ff.; Lyon-Caen/Tillhet-Pretnar, S. 301 ff., RN 338 ff.; art. L 521-1 ff. Code du Travail. 122 123
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7. Kap.: Die Rechtsbeziehungen zu den Trägern als Arbeitgebern
1. Streik Das Streikrecht für Arbeitnehmer ist seit der Verfassung von 1946 garantiert: «Le droit de greve s'exerce dans le cadre des lois qui le reglementent.>> Der Streik ist das Arbeitskampfmittel der Arbeitnehmer und Gewerkschaften: «La greve consiste en la cessation collective et concertee de travail afin d'exercer une pression sur l'employeur (ou parfois sur les pouvoirs publics) dans un but professionneJ125.» « ... ayant pour objectif soit une amelioration des conditions de travail ou de remuneration, soit le soutien d'une action sociale, voire politique126.» Der Streik ist also eine gemeinsame und abgestimmte freiwillige Arbeitsniederlegung, um damit Druck auf private oder staatliche Arbeitgeber zur Erreichung eines wirtschaftlichen oder beruflichen, zum Teil auch sozialen oder politischen Zieles auszuüben. Nicht erforderlich ist, daß es sich um einen gewerkschaftlich organisierten oder übernommenen Streik handelt. Auch "wilde" Streiks sind Streiks. Streiks können rechtmäßig oder rechtswidrig sein. Rechtmäßig sind Streiks, die durch kollektives und abgestimmtes Vorgehen (also auch wilde Streiks, "greves sauvages")121 zur Erreichung eines beruflichen oder wirtschaftlichen Zieles das Mittel der Arbeitsniederlegung anwenden, ohne ein schweres Vergehen darzustellen (z. B. Sabotage) oder gegen die Verhältnismäßigkeit zu verstoßen. Fraglich ist die Rechtmäßigkeit politischer Streiks. Diese sind grundsätzlich als Einmischung in politische Angelegenheiten, die nicht unmittelbar mit den Arbeitsbedingungen zu tun haben, rechtswidrig. Sie sind aber zulässig, wenn sie noch in irgendeiner Weise mit der eigenen Arbeitssituation des Streikenden zu tun haben. Ein Beispiel wäre die Forderung nach mehr Stellen im Sozialbereich, die Forderung nach einer bestimmten konkreten Änderung der Sozialpolitik oder ein Streik zur Erhaltung von Arbeitsplätzen. Rechtswidrig sind die "greves perlees" (Bummelstreiks), da für einen rechtmäßigen Streik eine vollständige Arbeitsniederlegung gefordert wird. Rechtswidrig sind ferner Streiks, die gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip verstoßen128• Das Streikrecht ist auch für Arbeitnehmer und Beamte im Öffentlichen Dienst gewährleistet. Eine Ausnahme gilt für bestimmte Gruppen von Beamten: Polizei, Militär, Richter, Gefängnispersonal, Flugsichem Lyon-Caen/Tillhet-Pretnar, S. 301, RN 339. Piquemal, droits et garanties, S. 384. 127 Hochard, S. 181. 128 Camerlynck/Lyon-Caen, S. 755 ff., RN 707 ff.; Lyon-Caen/Tillhet-Pretnar, S. 304 ff., RN 341 ff. 12s
E. Die kollektiven Rechte der Sozialarbeiter
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rung und Nachrichtendienste129, d. h. für Berufsgruppen mit sicherheitsrelevanten Tätigkeiten. Da Sozialarbeiter nicht zu diesen Gruppen gehören, steht ihnen, auch wenn sie verbeamtet sind, das Streikrecht zu. Das Streikrecht im Öffentlichen Dienst ist aber eingeschränkt geregelt. Neben den bereits genannten rechtswidrigen Arbeitsniederlegungen sind auch nicht angemeldete Arbeitsniederlegungen (Überraschungsstreiks, die Anmeldefrist beträgt fünf Tage) und die "greves tournantes", d. h. Punktstreiks bzw. Streiks wechselnden Dienststellenpersonals, rechtswidrig130• Bezüglich der in Sozialeinrichtungen beschäftigten Sozialarbeiter kann es aber zu einem Konflikt zwischen der Verteidigung ihrer wirtschaftlichen Interessen durch Streik und den Interessen der Benutzer der Einrichtungen an Betreuung und Sicherheit kommen. Dieser Konflikt kann aber nicht durch eine Beschränkung des verfassungsmäßig garantierten Streikrechts gelöst werden. Die Einrichtung eines Notdienstes, der während eines Streiks in einer privaten oder öffentlichen Sozialeinrichtung die notwendigen Mindestdienstleistungen erbringt, soll nach den Vorstellungen des zuständigen Ministers für nationale Solidarität in Tarifverträgen vereinbart werden131• Rechtmäßige und rechtswidrige Streiks haben folgende Rechtsfolgen: Beim rechtmäßigen Streik ruhen die Hauptpflichten aus dem Arbeitsbzw. dem Beamtenverhältnis, d. h. die Pflicht zur Erbringung der Arbeits- und Dienstleistung und die Lohnzahlungs- bzw. die Besoldungspflicht. Der Arbeitsvertrag wird nicht aufgelöst, sondern nur suspendiert und gilt nach Streikende weiter. Die Entlassung Streikender und ebenso jede andere Sanktion ist rechtswidrig132• Der rechtwidrige Streik ist Arbeitsvertragsbruch bzw. ein Verstoß gegen die Beamtenpflicht zur Erbringung der Dienste an der zugewiesenen Planstelle. Diese Pflichtverletzung kann mit arbeitsrechtlichen Sanktionen, vor allem Kündigung aus wichtigem Grund, oder mit den disziplinarischen Maßnahmen des Beamtenrechts geahndet werden. Ferner können sich die Streikenden und die Gewerkschaft, die zu einem rechtswidrigen Streik aufruft oder ihn trägt, schadenersatzpflichtig machen133• 128 Saint-Jours, Les relations du travail, S. 129 und die dort in FN 81-86 zitierten gesetzlichen Vorschriften; Burdeau, S. 394. 130 Art. L 521-2 ff. Code du Travail. 131 Vgl. dazu die circulaires no 82-3 du 15 fevrier 1982 relative a l'exercice du droit de greve dans les etablissements sociaux et medico-sociaux prives und no 82-7 du 10 mars 1982 relative a l'exercice du droit de greve dans les etablissements sociaux du secteur public (abgedruckt in: Bulletin Officiel du Ministere de la Solidarite nationale et du Ministere de la Sante no 82/23,
nos 23088, 23089). 132
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Camerlynck/Lyon-Caen, S. 767 ff., RN 719 ff. Ebd., S. 774 f., RN 727, 728.
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7. Kap.: Die Rechtsbeziehungen zu den Trägern als Arbeitgebern
2. Aussperrung Die Aussperrung ist das Arbeitskampfmittel der Arbeitgeberseite.
> Die Frage des Zeugnisverweigerungrechts von Sozialarbeitern ist bereits mehrfach gerichtlich entschieden worden, wobei die Urteile zu zum Teil kontroversen Ergebnissen gekommen sind. Im folgenden werden die angeführten Argumente für und gegen ein Zeugnisverweigerungsrecht von verschiedenen Sozialarbeiterberufen untersucht. I. Argumente gegen ein Zeugnisverweigerungsrecht der Sozialarbeiter
Verschiedene Urteile haben ein Zeugnisverweigerungsrecht für Sozialarbeiter abgelehnt und die Sozialarbeiter, die unter Berufung auf die Pflicht zur Wahrung des Berufsgeheimnisses die Aussage verweigerten, zur Zahlung von Geldbußen verurteilt. Im Fall der wegen Aussageverweigerung vor Gericht stehenden Erzieher von Besan~on, die die Aussage darüber verweigert hatten, welche der von ihnen betreuten Jugendlichen an einer Schlägerei beteiligt waren, haben das Berufungs- und das Revisionsgericht80 es abgelehnt, die Verletzung der Zeugenpflicht zur Aussage wegen Notstandes als gerechtfertigt anzusehen. Das Rechtsinstitut des Notstandes war von der 78 ASH no 1112 du 5 mai 1978, S. 19 f. und ASH no 1059 du 1 avril 1977, S. 21. 78 Vouin/Rassat, RN 374. Vgl. dazu auch Blonde!, S. 2178. 80 Urteil der Chambre d'Accusation de la Cour d'Appel de Besancon vom 8. 7. 1970 und der Chambre criminelle de la Cour de Cassation vom 4. 11. 1971, beide auszugsweise abgedruckt in: GITS, S. 14 ff.
D. Die Aussagepflichten und das Zeugnisverweigerungsrecht
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Eingangsinstanz bemüht worden, da für Erzieher die Pflicht zur Wahrung des Berufsgeheimnisses nicht gesetzlich angeordnet ist: