Die Rechtsstellung nichtärztlicher Leistungserbringer in der gesetzlichen Krankenversicherung: Eine vergleichende Untersuchung am Beispiel des Rettungswesens in Deutschland und Frankreich [1 ed.] 9783428512102, 9783428112104

Gegenstand des vorliegenden Werkes ist die Einbeziehung der Rettungsberufe in das System der Leistungserbringer der gese

108 86 25MB

German Pages 252

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Recommend Papers

Die Rechtsstellung nichtärztlicher Leistungserbringer in der gesetzlichen Krankenversicherung: Eine vergleichende Untersuchung am Beispiel des Rettungswesens in Deutschland und Frankreich [1 ed.]
 9783428512102, 9783428112104

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

CONSTANZE ABIG

Die Rechtsstellung nichtärztlicher Leistungserbringer in der gesetzlichen Krankenversicherung

Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 219

Die Rechtsstellung nichtärztlicher Leistungserbringer in der gesetzlichen Krankenversicherung Eine vergleichende Untersuchung am Beispiel des Rettungswesens in Deutschland und Frankreich

Von

Constanze Abig

Duncker & Humblot . Berlin

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena hat diese Arbeit im Jahre 200212003 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2003 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0227 ISBN 3-428-11210-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 §

Danksagung Die vorliegende Arbeit ist im Wintersemester 2002/2003 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena als Dissertation angenommen worden. Nach einer Überarbeitung befinden sich Rechtsprechung und Literatur auf dem Stand vom März 2003. Herrn Prof. Dr. Eberhard Eichenhofer möchte ich herzlich für seine Unterstützung und die angenehme und lehrreiche Zeit an seinem Lehrstuhl für Sozialrecht und Bürgerliches Recht danken. Ebenso gebührt Frau Prof. Dr. Elisabeth Koch Dank für ihr Interesse an der Arbeit und die Erstellung des Zweitgutachtens. Die Forschungseregbnisse zur französischen Rechtslage entstanden im Rahmen eines Forschungsaufenthaltes an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universite Paris X - Nanterre, weIcher durch ein Doktorandenstipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) im Rahmen des gemeinsamen Hochschulsonderprogramms III von Bund und Ländern ermöglicht wurde. Die Arbeit wurde mit dem Förderpreis des Deutschen Sozialrechtsverbandes 2003 ausgezeichnet, dem ich an dieser Stelle ebenfalls meinen herzlichen Dank aussprechen möchte. Jena, im September 2003

Constanze Abig

Inhaltsverzeichnis Einleitung .............................................................................

21

A. Untersuchungsgegenstand ........... . ............ . . . ........ . . . . . ..................

21

B. Untersuchungsziel .................................................................

22

C. Untersuchungsgang ................................................................

24

Erster Teil

Krankentransporte und Rettungswesen in Deutschland

26

A. Organisation des Rettungswesens ......... . ..................... . . . .............. . .

27

I. Historische Entwicklung .......................................................

27

11. Rechtsnatur und Träger der Aufgabe ............... . ............ . ............ . .

29

III. Finanzierung des Rettungswesens .................................... . . . . . . . . . .

31

IV. Durchführung der Aufgabe durch private Krankentransportunternehmen und Hilfsorganisationen ............................................................

32

B. Fahrkostentragung durch die gesetzliche Krankenversicherung .....................

35

I. Historische Entwicklung .......................................................

35

11. Voraussetzungen der Übernahme von Fahrkosten nach § 60 SGB V ............

38

III. Notwendigkeit des Transports. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

39

1. Die nächst gelegene Behandlungseinrichtung ...............................

40

2. Übernahme der Kosten für grenzüberschreitende Transporte ................

41

3. Die Übernahme der Kosten von Fehleinsätzen ..............................

42

IV. Härtefallregelungen der §§ 61, 62 SGB V ......................................

43

8

Inhaltsverzeichnis V. Bestimmung der Entgelte für Krankentransporte und Fahrten im Rahmen des Rettungsdienstes nach § 133 SGB V ...........................................

44

1. Anwendungsbereich des § 133 SGB V ......................................

45

a) Vertragslösung nach § 133 I SGB V .....................................

47

b) Festlegung von Festbeträgen nach § 13311 SGB V .......................

49

2. Bindungswirkung der bundesrechtlichen Preisbegrenzung ...................

51

C. Rechtsbeziehungen unter den Beteiligten ..... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

54

I. Vergütungsanspruch des vertraglich gebundenen Transportunternehmers .......

54

1. Rechtslage vor Inkrafttreten des Gesundheitsreformgesetzes (§ 194 RVO) ...

55

2. Rechtslage seit dem Inkrafttreten des Gesundheitsreforrngesetzes 1989 ..... .

58

3. Stellungnahme..............................................................

61

a) Abschluss von Vergütungsverträgen nach § 133 I SGB V ................

62

b) Einseitige Festlegung der Beförderungsentgelte nach § 13311 SGB V ....

65

c) Fazit ....................................................................

66

11. Vergütungsanspruch vertraglich nicht gebundener Transportunternehmen im Falle der Entgeltvereinbarung durch Vergütungsverträge im Sinne von § 133 I SGB V ........................................................................

67

I. Vertragliche Ansprüche des Transportunternehmers gegenüber der Krankenkasse aus §§ 631, 640, 641 BGB ............................................

67

a) Vertragsschluss durch den Arzt ..........................................

67

b) Vertragsschluss durch den Versicherten ..................................

69

2. Ansprüche des Unternehmers aus Geschäftsführung ohne Auftrag nach §§ 677, 683, 670 BGB analog...............................................

70

3. Ansprüche des Transportunternehmers aus § 812 I 1, Alt. I BGB wegen ungerechtfertigter Bereicherung der Krankenkasse ..........................

73

4. Vergütungsansprüche aus §§ 33 i. V. m. 19,20 GWB ........................

74

5. Freistellungsanspruch des Versicherten aus § 13 SGB V .....................

78

a) Derogation des § 13 111 SGB V durch das Wahlrecht des Versicherten ....

79

b) Abrechnungsweg ........................................................

80

111. Anspruch privater Transportunternehmen auf Teilhabe am Rettungswesen .....

81

I. Rechtmäßigkeit der Ausgestaltung des Rettungswesens als öffentliche Aufgabe ........................................................................

81

Inhaltsverzeichnis

9

2. Anspruch auf Zulassung zum öffentlichen Rettungsdienst nach den Rettungsgesetzen der Länder ...................................................

83

a) Verfassungs mäßigkeit der Funktionsschutzklauseln .................. . . . .

83

b) Verfassungsmäßigkeit der Privilegierung der Hilfsorganisationen ...... . .

87

c) Schlussfolgerungen......................................................

89

3. Pflicht zur öffentlichen Ausschreibung von Rettungsdienstleistungen durch die Landkreise ..............................................................

89

4. Anspruch der Transportunternehmer aus § 133 I SGB V auf Abschluss eines Vergütungsvertrages mit der Krankenkasse ..................................

92

a) Verstoß gegen Art. 3 I GG durch Privilegierung der freiwilligen Hilfsorganisationen .............................. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

93

b) Eingriff in die Berufsfreiheit des Transportunternehmers aus Art. 12 I GG

95

c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

98

5. Ausschreibungspflicht der Krankenkassen vor Abschluss der Vergütungsverträge ........................................................................

98

a) Krankenkassen als öffentliche Auftraggeber nach § 98 GWB ............

99

b) Leistungen des Rettungswesens als Dienstleistungen im Sinne von § 97 GWB .................................................................... 101 D. Zusammenfassung................................................................. 103

Zweiter Teil

Krankentransporte und Rettungswesen in Frankreich

104

A. Organisation des Krankentransport- und Rettungswesens ... . ........ . . . ............ 106 I. Historische Entwicklung ........................................ . .............. 106

11. Aide medicale urgente ......................................................... 110 I. Grundzüge des service public hospitalier ....................................

11 0

2. Organisation der Notfallrettung und Übertragung der Aufgabe an Dritte. . . . . 113 3. Finanzierung der Notfallrettung ............................................. 114 III. Transports sanitaires ........................................................... 115 I. Zulassung von Krankentransportunternehmen ...............................

115

2. Finanzierung der transports sanitaires .... . ............ . ........ . ............ 116

10

Inhaltsverzeichnis

B. Fahrkostentragung durch die gesetzliche Krankenversicherung

117

I. Grundprinzipien der gesetzlichen Krankenversicherung Frankreichs. . . . . . . . . . . . 117 1. Geschützter Personenkreis .................................................. 119

2. Organisation des regime general ............................................ 121 3. Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung........................... 122 a) Anspruchsvoraussetzungen .............................................. 122 b) Kostenerstattungsprinzip und Selbstbehalt des Versicherten .............. 123 11. Historische Entwicklung der Fahrkostenübernahme ......... . .................. 124 III. Übernahme von Fahrkosten durch die gesetzliche Krankenversicherung. . . . . . . . 126 1. Abgrenzung der zu übernehmenden Fahrkosten je nach Leistungserbringer .. 126

a) Kosten der aide medicale urgente. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 b) Kosten der Luftrettung .................................................. 127 c) Kosten der evacuatiuons sanitaires durch die Feuerwehren............... 128 2. Die einzelnen Fallgruppen .................................................. 130 3. Voraussetzungen und Umfang der Kostenerstattung ......................... 133 a) Medizinische Notwendigkeit des Transports............................. 133 b) Vorherige Zustimmung der Krankenkasse .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . .. .. . 135 c) Kostenerstattung für grenzüberschreitende Transporte ................... 136 d) Erstattung der Kosten von Fehleinsätzen ............................ . . . . . 138 4. Bestimmung der Erstattungssätze ........................................... 139 C. Ausgestaltung der Rechtsbeziehungen .............................................. 140 I. Rechtsnatur der im Rahmen eines transport sanitaire eingegangenen Vereinbarungen ...................................................................... 141 1. Rechte und Pflichten des Versicherten . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . .. . . . . .. . . . . . . . . . .. 141

2. Rechtsnatur von tiers payant-Vereinbarungen ............................... 142 a) Zulässigkeit der Derogation des Kostenerstattungsprinzips . . . . . . . . . . . . . .. 142 b) Qualifizierung als Vertrag zugunsten Dritter............................. 143 c) Subrogation personnelle des Transportunternehmers in die Rechte des Versicherten ............................................................. 145 d) Delegation im Rahmen eines mandat .................................... 147 e) Direktvergütung des Transportunternehmers als Leistung durch Dritte ... 149

Inhaltsverzeichnis

11

3. Rechtsbeziehungen unter Beteiligung eines Zusatzversicherers - das Rechtsinstitut des tiers payant delegue ............................................. 152 a) Zulässigkeitsvoraussetzungen der Direktvergütung des Leistungserbringers durch eine Privatversicherung ....................................... 153 b) Qualifizierung als cession de dette ....................................... 154 c) Das tiers payant delegue-Verfahren als mandat nach Art. 1984 C.Civ. .... 155 d) Qualifizierung des tiers payant delegue als delegation nach Art. 1275 et s. C.Civ. ................................................................. 156 11. Rechtsbeziehungen im Rahmen der transports non-sanitaires ................... 157 III. Rechtsbeziehungen zwischen den Versicherten und den Leistungserbringern im Rahmen der aide medicale urgente............................................. 158 IV. Anspruch privater Transportunternehmen auf Teilhabe am Rettungsdienst- und Krankentransportwesen ........................................................ 160 1. Rechtmäßigkeit der Ausgestaltung der aide medicale urgente als Aufgabe des service publique ........................................................ 160 a) Grundprinzipien des service public ...................................... 160 b) Notwendigkeit der Ausgestaltung der aide medicale urgente als Aufgabe des service public nach französischer Doktrin ............................ 163 2. Vorliegen eines Wettbewerbsverstoßes durch den Ausschluss von Privatpersonen aus der aide mecticale urgente ........................................ 164 3. Anspruch der Transportunternehmer auf Zugang zu den conventions tiers payant ...................................................................... 166 4. Ausschreibungspflicht der Krankenkassen für die conventions tiers payant .. 166 D. Zusammenfassung................................................................. 168

Dritter Teil

Vergleich

169

A. Organisatorische Ausgestaltung des Rettungswesens ..... . . . .......... . ............ 169

I. Terminologischer Ansatz ... .. ....... .... ...................................... 169

11. Organisatorisches Konzept . .. . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . .. . . . .. . . . .. . ... 170 1. Unterscheidung zwischen Einheits- und Trennungssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 2. Leistungserbringer im Rettungswesen ......................... .. ............ 171

12

Inhaltsverzeichnis 3. Ursachen des unterschiedlichen Grades der Einbeziehung privater Unternehmer ..................................................................... 173 III. Finanzierung des Rettungswesens. . . . . . . . . . . .. ... . . . . . . . . ... . . . . . .. . . . . . . . . . . .. 175

B. Fahrkosten als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung............. . ....... 176 I. Voraussetzungen und Umfang der Fahrkostenübernahme ....................... 177 1. Inhalt des Leistungskatalogs ....................................... .. ....... 178

2. Übernahme der Kosten für Krankenfahrten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 3. Übernahme der Kosten für grenzüberschreitende Transporte ................ 179 4. Fahrten zur Anpassung von Heil- und Hilfsmitteln sowie zu Kontrolluntersuchungen .................................................................. 180 5. Fahrkosten von Begleitpersonen............................................ 181 6. Schlussfolgerungen......................................................... 182 11. Rechtliche Handhabung von Fehleinsätzen ................................ . . . . . 183 III. Härtefallklauseln ....... .. .................... .. ........... .. .................. 183 C. Sicherstellung des Leistungsanspruchs der Versicherten durch den Abschluss von Verträgen der Krankenkassen mit den Leistungserbringern ......................... 184 I. Inhalt der Verträge ......... . .......... . .......... . .......... . .......... . ....... 185

11. Rechtsnatur der Verträge ....................................................... 186 III. Vereinbarung der Entgelte für Krankentransport- und Rettungsdienstleistungen 188 IV. Vertragspartner der Krankenkassen ............. .. ............................. 189 D. Beurteilung der Rechtslage anhand der Vorgaben des Europarechts ......... . ....... 192 I. Organisatorische Fragen ....................................................... 192 1. Schaffung eines öffentlichen Monopols für Rettungsdienstleistungen im Lichte der Art. 82, 86 EG ................................................... 192

a) Die Leistungen des Rettungsdienstes als wirtschaftliche Tätigkeit ........ 193 b) Zuerkennung von besonderen Rechten nach Art. 86 I EG ................ 194 c) Verstoß gegen das Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung ................................................................. 195

Inhaltsverzeichnis

13

d) Rechtfertigung des Monopols im deutschen Rettungswesen durch Art. 86 11 EG .................................................................... 197 aa) Rechtfertigung des Monopols in der Notfallrettung .................. 198 bb) Rechtfertigung des Monopols im Krankentransportwesen ........... 200 2. Anspruch ausländischer Transportunternehmer gegen die Aufgabenträger auf Zulassung zum öffentlichen Rettungsdienst ............................. 202 a) Zulassungsanspruch aus der Niederlassungsfreiheit, Art. 43 EG .......... 203 b) Zulassungsanspruch aus der Dienstleistungsfreiheit, Art. 49 EG .......... 206 c) Zwischenergebnis ....................................................... 208 3. Vereinbarkeit der vertraglichen Preisbestimmung mit Art. 81 EG ............ 209 4. Fazit.... . .......... . ........ . . . ...... . ... . .......... . ........ . .............. 211 11. Die rechtliche Handhabung grenzüberschreitender Transporte.................. 212 I. Grundlagen und Auswirkungen des Territorialitätsprinzips .................. 212

2. Einordnung von Krankentransportleistungen als "Leistungen bei Krankheit" nach Art. 22 ff. VO (EWG) 1408171 ........................................ 214 3. Vereinbarkeit des § 60 IV SGB V mit Art. 49 EG ... .. ........ .. ............ 216 a) Betroffenheit der Dienstleistungsfreiheit ................................. 216 b) Rechtfertigung der Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit ............ 217 4. Vereinbarkeit des § 60 IV SGB V mit Art. 39 EG ........................... 219 a) Betroffenheit der Freizügigkeit .......................................... 219 b) Rechtfertigung der Beschränkung .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . .. .. .. .. . .. .. . .. ... 220 5. Schlussfolgerungen......................................................... 221

Vierter Teil

Schlussfolgerungen und Lösungsansätze

224

A. Konsequenzen für die Organisation des Rettungswesens ....... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 224

I. Verstärkte Einbeziehung privater Leistungserbringer ........................... 225

11. Etablierung des Trennungssystems ............................................. 227 B. Reformansätze im Leistungsrecht .................................................. 229 I. Auswirkungen des Trennungsprinzips auf die RechtsteIlung der Rettungsberufe

als Leistungserbringer in der gesetzlichen Krankenversicherung. . . . . . . . . . . . . . .. 229

14

Inhaltsverzeichnis 11. Etablierung des Vertragsprinzips im Krankentransportwesen

230

111. Private Unternehmer als Leistungserbringer .................................... 232 IV. Erweiterung des leistungsrechtlichen Anspruchs der Versicherten .............. 233 C. Förderung der grenzüberschreitenden Rettung ...................................... 234

Thesen ........... . ..... . ................................................ . ............. 237 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 240 Sachregister ........... . ............... . ................ . ............... . ............. 250

Abkürzungsverzeichnis AB!.

Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften

a. F. AJDA

alte Fassung L' Actualite Juridique - Droit Administratif (Zeitschrift)

a!.

alinea (Absatz)

ALD

Actualite Legislative Dalloz (Zeitschrift)

AN

Assemble Nationale

Anm. AöR

Anmerkung Archiv des öffentlichen Rechts (Zeitschrift)

arr.

arrete (Entscheidung eines Präfekten) bzw. arret (Urteil)

Art.

Artikel

ASP Az.

Aktenzeichen

BAnz

Bundesanzeiger

BArBI

Bundesarbeitsblatt (Zeitschrift)

bayRettG

Rettungsdienstgesetz des Freistaats Bayern

berlRettG BGB!.

Rettungsdienstgesetz des Landes Berlin Bundesgesetzblatt

Arbeit und Sozialpolitik (Zeitschrift)

BGH

Bundesgerichtshof

BGHZ

Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen

BJ

Bulletin Juridique

BKK BKS

Die Betriebskrankenkasse (Zeitschrift)

BlStSozArbR

Bundesverband eigenständiger Krankentransport- und Sanitätshilfsdienste Blätter für Steuern, Sozialversicherung und Arbeitsrecht (Zeitschrift)

BMV-Ä

Bundesmantelvertrag für Ärzte

BO

Bulletin Officiel

BOCCRF

Bulletin Officiel de la Concurrence, de la Consommation et de la Repression des Fraudes

BOSP

Bulletin Officiel des Services de Prix

brbRettG

Rettungsdienstgesetz des Landes Brandenburg

BR-Drs.

Drucksachen des Bundesrates

Breith.

Breithaupt, Sammlung von Entscheidungen aus dem Sozialrecht

bremRettG BSG

Rettungsdienstgesetz des Landes Bremen

BSGE

Bundessozialgericht Entscheidungssammlung des Bundessozialgerichts

16

Abkürzungsverzeichnis

BT-Drs.

Drucksachen des Bundestages

Bull. Civ.

Bulletin des arrets des chambres civiles de la Cour de Cassation

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

BVerfGE

Entscheidungssammlung des Bundesverfassungsgerichts

BVerwG

Bundesverwaltungsgericht

BVerwGE

Entscheidungssammlung des Bundesverwaltungsgerichts

bwRettG

Rettungsdienstgesetz des Landes Baden-Württemberg

bzw.

beziehungsweise

C.A.

Cour d' Appel (Appelationsgericht)

Cass. civ.

Cour de Cassation, chambre civile (Kassationsgericht, Zivilkammer)

Cass. com.

Cour de Cassation, chambre commerciale (Kassationsgericht, Handelskammer)

Cass. soc.

Cour de Cassation, chambre sociale (Kassationsgericht, Sozialkammer)

e.e.

Conseil de la Concurrence

e.Civ.

Code Civil

e.Com.

Code des Communes

e.Comm.

Code de Commerce

C.E.

Conseil d'Etat ("Staatsrat", höchstes französisches Verwaltungsgericht)

a Participation Publique

CEEP

Centre Europeen des Entreprises

chron.

chronique

circ.

circulaire ("Rundschreiben")

CJCE

Cour de Justice des Communautes Europeennes (Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften)

CMP

Code des Marches Publics

CMU

Couverture Maladie Universelle

CNAMTS

Caisse Nationale de l' Assurance Maladie des Travailleurs Salaries

comite departernental

comite departernental de l' aide medicale urgente et des transports sanitaires

const.

Constitution de la V. Republique (Französische Verfassung)

convention

Convention (nationale) destine organiser les rapports entre les transporteurs sanitaires prives et les caisses d' assurance maladie

CPC

Central Product Classification (Zentrale Gütersystematik der Vereinten Nationen)

a

D.

Recueil Dalloz Sirey (Zeitschrift)

OB

Der Betrieb (Zeitschrift)

deb.

debats (Debatten)

decr.

decret

DGS

Direction Generale de Sante (Ministere de la Solidarite, de la Sante et de la Protection Sociale)

doc.

document

doctr.

doctrine (JCP)

Abkürzungsverzeichnis DOK DÖV Drs. Dr. Soc. DVBI ebda. ed. EG et a\. et s. EU EuGH EuR EuZW EWG EWir EWR ff. FS gazette Gaz. Pa\. GewArch GG GOÄ GRG GSG GWB hambRettG Hb. hessRettG Hg. Hk-BGB h.M. i. e. i. S. v. i. Ü. JCP 10 jur. JZ KrV KtR 2 Abig

Die Ortskrankenkasse (Zeitschrift) Die öffentliche Verwaltung (Zeitschrift) Drucksache Droit Social (Zeitschrift) Deutsches Verwaltungsblatt (Zeitschrift) ebenda editeur (Herausgeber) Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften et alii (und andere) et suivantes (fortfolgende) Europäische Union Europäischer Gerichtshof Europarecht (Zeitschrift) Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Europäische Wirtschafts gemeinschaft Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht Europäischer Wirtschaftsraum fortfolgende Festschrift La Gazette des Communes (Zeitschrift) La Gazette du Palais (Zeitschrift) Gewerbearchiv (Zeitschrift) Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland Gebührenordnung für ärztliche Leistungen Gesundheitsrefonngesetz Gesundheitsstrukturgesetz Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (Kartellgesetz) Rettungsdienstgesetz des Landes Hamburg Handbuch Rettungsdienstgesetz des Landes Hessen Herausgeber Dörner et al.: Handkommentar zum BGB herrschende Meinung id est (das ist) im Sinne von im Übrigen Juris Classeur Periodique (La Semaine Juridique) (Zeitschrift) Journal Officiel jurisprudence Juristenzeitung Die Krankenversicherung (Zeitschrift) Krankentransport und Rettungswesen (Loseblattsammlung)

17

18

lit. LKV LS LT-Drs. MDK MedR mvRettG m.w.N. ndsRettG ndsVBI n. F.

NJW

note Nr. nrwRettG NZS p.

pan. PBefG Pet. Aff.

Q Quot. Med. RCCC Rec. Leb. RD RDP RDSS RehaAnglG rep. min. RFDA RGAT RHF RJS

RL rpRettG RRJ

RVA RVA, AN RVO saarlRettG sächsRettG

Abkürzungsverzeichnis litera (Buchstabe) Landes- und Kommunalverwaltung (Zeitschrift) Liaisons Sociales (Zeitschrift) Landtagsdrucksache Medizinischer Dienst der Krankenkassen Medizinrecht (Zeitschrift) Rettungsdienstgesetz des Landes Mecklenburg-Vorpommem mit weiteren Nachweisen Rettungsdienstgesetz des Landes Niedersachsen Niedersächsische Verwaltungsblätter (Zeitschrift) neue Fassung Neue Juristische Wochenschrift (Zeitschrift) Anmerkung Nummer Rettungsdienstgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen Neue Zeitschrift für Sozialrecht page (Seite) Panorama d' Actualite (JCP) Personenbeförderungsgesetz Les Petites Affiches (Zeitschrift) questions Le Quotidien du Medecin (Zeitschrift) Revue des Contrats, de Concurrence et de Consommation Recueil Lebon des arrets du Conseil d'Etat Der Rettungsdienst (Zeitschrift) Revue du Droit Public (Zeitschrift) Revue du Droit Sanitaire et Social (Zeitschrift) Gesetz zur Angleichung der Leistungen der Rehabilitation reponse ministerielle (Antwort eines Ministers auf Anfragen der Parlamentsmitglieder) Revue Franr;:aise de Droit Administratif (Zeitschrift) Revue Generale des Assurances Terrestres (Zeitschrift) Revue Hospitaliere de France (Zeitschrift) Revue de Jurisprudence Sociale (Zeitschrift) Richtlinie Rettungsdienstgesetz des Landes Rheinland-Pfalz Revue de la Recherche Juridique - Droit Prospectif (Zeitschrift) Reichsversicherungsamt Amtliche Nachrichten des Reichsversicherungsamtes Reichsversicherungsordnung Rettungsdienstgesetz des Saarlands Rettungsdienstgesetz des Freistaates Sachsen

Abkürzungsverzeichnis SAMU saRettG SDIS SGb SGB V SGG shRettG Slg. SMUR somm. SozVers SPA SPIC thürRettG ThürVBI trib. conflits trib. inst. UCANSS USK vgl. VgV VO VOLtA VSL VSSR WuW WzS z. B. ZfF ZfS ZVgR

19

Service d' Aide Medicale Urgente Rettungsdienstgesetz des Landes Sachsen-Anhalt Services Departementales d'Incendie et de Secours Die Sozialgerichtsbarkeit (Zeitschrift) Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch: Gesetzliche Krankenversicherung Sozialgerichtsgesetz Rettungsdienstgesetz des Landes Schleswig-Holstein Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften Services Mobiles d'Urgence et de Reanimation sommaires commentes Die Sozialversicherung (Zeitschrift) service public administratif service public industriel et commercial Rettungsdienstgesetz des Freistaates Thüringen Thüringer Verwaltungsblatt (Zeitschrift) Tribunal des Conflits Tribunal d'instance (Zivilgericht erster Instanz) Union des Caisses Nationales de la Securite Sociale Urteilssammlung zur Krankenversicherung vergleiche Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge Verordnung Verdingungsordnung für Leistungen, Teil A Vehicule Sanitaire Legere Vierteljahresschrift für Sozialrecht (Zeitschrift) Wirtschaft und Wettbewerb (Zeitschrift) Wege zur Sozialversicherung (Zeitschrift) zum Beispiel Zeitschrift für das Fürsorgewesen Zentralblatt für Sozialversicherung, Sozialhilfe und Versorgung Zeitschrift für deutsches und internationales Vergaberecht

,,11 ne faut pas perdre la chance, aussi faible qu' elle soit, d' un sauvetage miraculeux. 11 ne faut pas, non plus, rester sur place et manquer peut-etre I' oasis proche ... Les sauveteurs me paraitront circuler dans un autre uni vers." Antoine de Saint-Exupery, "Terre des Hommes" (1939)

Einleitung A. Untersuchungsgegenstand Jedes Jahr wenden die gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland annähernd 2,45 Milliarden €l für Krankentransporte und Rettungsfahrten zugunsten ihrer Versicherten auf. Damit nehmen Fahrkosten mit ca. 2% zwar einen relativ geringen Prozentsatz der Krankenkassenbudgets ein. Indes sind die Kosten der einzelnen Rettungseinsätze vergleichsweise hoch. Fallen sie auf die Versicherten zurück, kann dies zu erheblichen finanziellen Belastungen für diese führen. Infolge der zunehmenden Mobilität der Bevölkerung ist es durchaus kein seltenes Ereignis, dass ein Versicherter außerhalb seines Heimatortes erkrankt oder verunglückt und von seinem Aufenthalts- in den Heimatort transportiert werden muss. Diese Fälle sind keineswegs auf Transporte innerhalb des Gebietes der Bundesrepublik beschränkt, vielmehr werden immer häufiger auch Krankenfahrten aus anderen Ländern, insbesondere aus den Mitgliedstaaten der Europäischen Union erforderlich. Da nach dem Territorialprinzip sämtliche Sozialversicherungsträger ihre Leistungen regelmäßig nur auf dem Gebiet des jeweiligen Staates erbringen, könnte die Kostenübernahme für Transporte über die Staatengrenzen weiteren Anlass für Auseinandersetzungen zwischen den Krankenkassen und ihren Versicherten bieten. Als Leistungen der gesetzlichen Krankenkasse nehmen die Leistungen des Rettungswesens und Krankentransporte insofern eine Sonderstellung ein, als infolge der Kompetenzverteilung des Grundgesetzes die Organisation, Durchführung und Finanzierung dieser als Aufgabe der Daseinsvorsorge qualifizierten Materie auf Länderebene, die Kostentragung durch die Krankenkassen hingegen auf Bundesebene geregelt ist. Aus § 2 SGB V folgt die Pflicht der gesetzlichen Krankenkassen, ihren Versicherten sämtliche im Dritten Kapitel des SGB V genannten I

Angaben des Bundesministeriums für Gesundheit für das Jahr 2000 (in DM 4,8 Mrd.).

22

Einleitung

Leistungen zur Wiederherstellung der Gesundheit zur Verfügung zu stellen. Dazu zählen auch die in § 60 SGB V geregelten Fahrkosten. In einem Urteil über die Selbstabgabestellen der Krankenkassen für Feinbrillen2 hat der BGH entschieden, dass die Krankenkassen die Leistungen, die sie ihren Versicherten nach § 2 SGB V schulden, im Regelfall nicht selbst, sondern durch Dritte, also unter Einschaltung der freien Berufe, der selbständig Tätigen und der freien Wirtschaft erbringen sollen. 3 Daher ist auch das Rettungswesen durch eigenständige Leistungserbringer durchzuführen. Aus den landesrechtlichen Gesetzen über die Rettungsdienste ergibt sich ebenfalls, dass die Aufgaben der Notfallrettung und des Krankentransportwesens auf Dritte übertragen werden sollen. Bei Hinzukommen eines weiteren Beteiligten komplizieren sich die innerhalb des Sozialversicherungsverhältnisses zwischen Versicherten und Krankenkassen bestehenden Rechtsbeziehungen. Gleichwohl existieren im Krankenversicherungsrecht kaum gesetzliche Regelungen derartiger "Leistungsdreiecke". Eine Ausnahme bildet das 1923 geschaffene Kassen- bzw. Vertragsarztrecht. 4 Dieses regelt die Beziehungen zwischen Ärzten, Versicherten und Sozialleistungsträgern umfassend. Es hat nunmehr in die §§ 72 ff. SGB V Eingang gefunden. Daneben sind die Rechtsbeziehungen unter Beteiligung von Krankenhäusem (§§ 107 ff. SGB V) sowie von Erbringern von Heil- und Hilfsmitteln (§§ 124 f. sowie §§ 126 ff. SGB V) ausführlich nonniert. Die sich im Rahmen des Rettungsdienstes ergebenden Rechtsbeziehungen sind dagegen in § 133 SGB V nur angesprochen. Neben diesem gesetzlichen Regelungsdefizit finden sich auch in der Literatur kaum eingehende Erörterungen zu den Rechtsfragen von Krankentransporten und Rettungsfahrten. 5 Die Äußerungen beschränken sich vielmehr auf rechtliche Teilfragen im Rettungswesen oder haben WirtschaftIichkeits- und Effizienzbetrachtungen zum Inhalt.

B. Untersuchungsziel Im Folgenden sollen die Rechtsprobleme des Rettungswesens als Bestandteil der Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung umfassend und rechtsvergleichend untersucht werden. Es soll dabei nicht nur auf die Rechtsbeziehungen unter den einzelnen Beteiligten des Rettungswesens - den Aufgaben- und den Kostenträgern, den Transportunternehmen und nicht zuletzt den Versicherten der geBGHZ 82, 375 (387, 389 f.). Zustimmend Dünisch, Erbringung nichtärztlicher Dienstleistungen, S. 144, Rosenthai, Leistungserbringer, S. 88, so auch schon RVA, AN 1914,379 (381). 4 Verordnung über Ärzte und Krankenkassen vom 30. 10. 1923, RGBI I, S. 1051, welche durch die Verordnung über die Kassenärztliche Versorgung vom 14.04. 1932, RGBI I, S. 19 in die §§ 368 ff. RVO einging und schließlich in die §§ 72 -106 SGB V übernommen wurde. 5 Vgl. dazu auch Schmitt, Leistungserbringung durch Dritte, S. 12 ff. 2

3

B. Untersuchungsziel

23

setzlichen Krankenversicherung - eingegangen werden. Denn die Fragen, die sich in diesem Zusammenhang stellen, gehen weit über das Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung hinaus. In der organisatorischen Ausgestaltung des Rettungswesens sind namentlich das Wettbewerbs- sowie das Vergaberecht berührt. Die Einordnung der Fahrkosten in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung soll am Beispiel Deutschlands und Frankreichs diskutiert werden. Im Vergleich stehen sich damit ein auf dem Sachleistungsprinzip und ein auf dem Kostenerstattungsprinzip basierendes Krankenversicherungssystem gegenüber. Dies hat nicht nur eine unterschiedliche Ausgestaltung des Leistungserbringungsrechts zur Folge, sondern birgt auch Konsequenzen im Hinblick auf das europäische Wettbewerbsrecht und das europäische koordinierende Sozialrecht. Insbesondere die Ausgestaltung des Rettungswesens als staatliche Aufgabe könnte sich mit Blick auf die Vorgaben des europäischen Wettbewerbsrechts als problematisch erweisen. Dieses ist von den Prinzipien der freien Konkurrenz und einem Vorbehalt zugunsten privater unternehmerischer Aktivitäten geprägt, denen die Errichtung eines öffentlichen Monopols zuwiderlaufen könnte. Auch das nationale Recht birgt insofern Schwierigkeiten aufgrund der Parallelität bundes- und landesrechtlicher Ausgestaltung derselben Materie. Im Leistungserbringungsrecht begegnen zum einen die von den Krankenkassen praktizierten Modalitäten der Einbindung privater Transportunternehmer in das Gefüge der nichtärztlichen Leistungserbringer rechtlichen Bedenken. Fehlentscheidungen des Gesetzgebers auf der organisatorischen Ebene sind in ihrer Wirkung nicht isoliert. Sie beeinflussen die Handlungsoptionen der Krankenkassen im Leistungsrecht und können letztlich die Rettungsberufe in ihrer Funktion als Leistungserbringer in der gesetzlichen Krankenversicherung schwächen. An dieser Stelle werden die Auswirkungen des Föderalismus deutlich. Ferner soll der Umfang der Leistungsverpflichtung der deutschen Krankenkassen, die für das Territorium der Bundesrepublik vorgesehen ist, einer eingehenden Betrachtung unterzogen werden. In diesem Zusammenhang ist zu klären, ob das deutsche und das französische Recht unterschiedliche Ansatzpunkte zu grenzüberschreitenden Sachverhalten aufweisen und wie daraus resultierende Probleme bewältigt werden können. Hierbei ist namentlich auf die VO (EWG) 1408/71 einzugehen. Diese soll Wanderarbeitnehmer, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union Gebrauch machen, vor Nachteilen in ihrer sozialen Sicherung schützen. Die VO (EWG) 1408/71 ordnet dementsprechend eine Exportpflicht der Sozialversicherungsträger für die Geldleistungen an, auf die ein Versicherter im Inland Ansprüche erworben hat. Es ist zu untersuchen, ob und wie Krankentransportleistungen dem europäischen koordinierenden Sozialrecht unterfallen und welche Konsequenzen dies für die Leistungspflicht der Krankenkassen bei grenzüberschreitenden Krankentransporten und Rettungsfahrten hat. Ziel der Arbeit ist letztlich die Beantwortung der Frage, ob die deutsche Gesetzeslage zum Rettungswesen den Anforderungen entspricht, die das Europarecht

24

Einleitung

aufstellt und ob sich aus dem französischen Modell Lösungsansätze ableiten lassen, mit denen die bestehenden Schwierigkeiten überwunden werden können.

C. Untersuchungsgang Im Rahmen der Untersuchung soll zunächst die deutsche Rechtslage zum Rettungswesen dargestellt werden. Nach Klärung der Schlüsselbegriffe und der Systematisierung der Gesetzgebungskompetenzen wird ein Überblick über die organisatorische Ausgestaltung des Rettungswesens gegeben. Denn die Verpflichtung der Krankenkassen zur Übernahme der Kosten für Krankentransporte und Rettungsfahrten hängt von der organisatorischen Ausgestaltung des Rettungsdienstes ab und baut auf dieser auf. Im Anschluss werden die Leistungen des Rettungsdienstes in das System der Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung eingeordnet, um daraus folgernd die zwischen den Beteiligten an Krankentransporten und Rettungsfahrten bestehenden Rechtsbeziehungen zu ermitteln. Hierbei werden auch Ansprüche der Beteiligten, die aus den Grundrechten, sowie dem Wettbewerbs- und Kartellrecht resultieren, zu erörtern sein. Ein besonderes Augenmerk ist dabei auf die Frage zu richten, ob und unter welchen Voraussetzungen private Unternehmen einen Anspruch auf Berücksichtigung als Leistungserbringer der gesetzlichen Krankenkassen haben - eine Problematik, die nicht zuletzt unter dem Gesichtspunkt der Wahlfreiheit der Versicherten unter den Leistungserbringern von Interesse ist. Jedoch ist angesichts hoher und weiterhin steigender Ausgaben eine Untersuchung dieser Frage auch im Interesse der Kostendämpfung geboten, zumal Privatunternehmen häufig für sich beanspruchen, die Leistungen erheblich preisgünstiger anbieten zu können als öffentliche Träger. Die Ergebnisse dieser Untersuchung werden mit der französischen Rechtslage zum Rettungswesen verglichen. Die Ausführungen zum französischen Krankenversicherungsrecht beschränken sich auf das regime general, welches die soziale Sicherung aller Arbeitnehmer sicherstellt. Es wird analysiert, inwieweit positive Lösungsansätze im französischen Recht auf das deutsche Rettungswesen übertragen werden können und ob darauf aufbauend eine andere Ausgestaltung der sozialrechtlichen Abdeckung der Kosten für Krankentransporte und Rettungsfahrten denkbar ist. Anhaltspunkte könnten sich insofern insbesondere aus der zentralisierten Staatsstruktur Frankreichs ergeben, die zu einheitlichen Lösungen führt, wogegen im föderalistisch geprägten deutschen Recht aufgrund der Länderkompetenz vielfältige, zum Teil erheblich divergierende Ansätze zur Lösung desselben Problems auftreten können. Weitere Schlussfolgerungen könnten sich aus der korporatistischen Prägung der Sozialversicherung in Deutschland ergeben. Traditionell sind es die Krankenkassenverbände, die im Rahmen eines komplexen Vertragssystems mit den Verbänden der Leistungserbringer die Modalitäten der Leis-

C. Untersuchungsgang

25

tungserbringung an die Versicherten aushandeln. Die französische securite sociale - auch dies ist eine Folge der politischen Zentralisierung - ist demgegenüber weitgehend durch gesetzliche Vorgaben determiniert. 6 Den Krankenkassen ist daher im Recht der Leistungserbringung ein vergleichsweise geringer Verhandlungsspielraum eingeräumt. Ob dies jedoch negative Auswirkungen auf die Effizienz und Effektivität des Krankenversicherungssystems hat, steht zu untersuchen. Anhand der vorangegangenen Überlegungen wird schließlich zu prüfen sein, ob und wenn ja: inwiefern das Europarecht eine andere gesetzliche Ausgestaltung und tatsächliche Handhabung des Rettungswesens gebietet. Dies liegt vor allem deshalb nahe, weil ein großer Teil des Rechts durch die Rechtsakte der Organe der Europäischen Union, insbesondere die umfangreiche Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes, beeinflusst, überformt oder gar verdrängt worden ist. Von überragender Bedeutung sind insoweit die durch den Gründungsvertrag der Europäischen Gemeinschaften garantierten Grundfreiheiten, beispielsweise die Freizügigkeit, Niederlassungs- oder Dienstleistungsfreiheit der Unionsbürger. Um die Wirksamkeit und Durchsetzbarkeit dieser Grundfreiheiten zu stärken, sind Rechtsakte von hoher Reichweite für die nationalen Rechtssysteme ergangen; auf dem Gebiet der sozialen Sicherung ist hier die VO (EWG) 1408171 zu nennen, welche die soziale Sicherung für sämtliche Unionsbürger, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch machen, garantiert. Es fragt sich, welche Auswirkungen die Rechtssetzungstätigkeit der Europäischen Union auf die Verpflichtung der Krankenkassen zur Übernahme von Fahrkosten - insbesondere auch im grenzüberschreitenden Verkehr - hat. Auch das Rettungswesen der Mitgliedstaaten kann sich der zunehmenden Europäisierung des nationalen Rechts nicht von vornherein verschließen. In organisatorischer Hinsicht könnten die Grundfreiheiten des EG-Vertrages dazu beitragen, die Möglichkeiten zur Einbeziehung ausländischer Krankentransportunternehmen in das System der Leistungserbringer oder die Durchführung grenzüberschreitender Transporte neu zu diskutieren. Am Ende der Erörterung werden letztlich Vorschläge unterbreitet, wie das Rettungswesen als Bestandteil der von den gesetzlichen Krankenkassen zu erbringenden Leistungen umgestaltet werden könnte. Ein funktionsfähiger und effizienter Rettungsdienst liegt aufgrund der evidenten Gefahren für Leben und Gesundheit der Bevölkerung im allgemeinen Interesse. Schon aus diesem Grunde sollten die Zeichen der Zeit nicht verkannt und Reformen in Angriff genommen werden.

6

Pretot. RJS 1997,414 (424).

Erster Teil

Krankentransporte und Rettungswesen in Deutschland Unter den Begriffen "Rettungswesen" oder "Rettungsdienst" sind die qualifizierten Krankentransporte sowie Transporte im Rahmen der Notfallrettung (im Folgenden: Rettungsfahrten), der Notarztdienst sowie die Luftrettung zusammengefasst. Einfache Krankentransporte oder Krankenfahrten, welche jedwede Beförderung von kranken oder verletzten Personen umfassen, die während der Fahrt jedoch nicht notwendig medizinisch betreut werden müssen, sind nicht dem Rettungswesen 1 sondern dem Personenbeförderungsverkehr zuzuordnen. Deshalb wurde diese Materie vormals im Personenbeförderungsgesetz (PBefG) geregelt. Handelt es sich bei den beförderten Personen dagegen um Kranke, Verletzte oder Hilfsbedürftige, die aufgrund ihres Gesundheitszustands während des Transportes der fachgerechten Betreuung durch einen Arzt oder nichtärztliches Hilfspersonal, insbesondere einen Rettungsassistenten oder -sanitäter, oder der besonderen Ausstattung des Rettungsfahrzeugs (Krankentransport-, Rettungs- oder Notarztwagen sowie Rettungshubschrauber) bedürfen, ist ein qualifizierter Krankentransport gegeben? Darüber hinaus besteht die Notfallrettung - oftmals auch als "Rettungsfahrt" oder ungenauer als "Rettungsdienst" bezeichnet - zunächst in der Versorgung von Verletzten oder Kranken am Einsatzort, um deren Transportfähigkeit herzustellen und dem anschließenden betreuten Transport in die nächst erreichbare Versorgungseinrichtung. 3 Kennzeichnendes Merkmal der Notfallrettung ist, dass sich der Verletzte in unmittelbarer Lebensgefahr befindet oder sein Gesundheitszustand eine lebensbedrohliche Verschlechterung erwarten lässt, so dass eine umgehende medizinische Behandlung erforderlich ist. 4 Sowohl der qualifizierte Krankentransport als auch Rettungsfahrten weisen also Elemente der Erste-Hilfe-Versorgung und der Betreuung durch Fachpersonal während der Fahrt auf. Im Rahmen der Notfallrettung wird Erste Hilfe jedoch bereits im Vorfeld des Transportes geleistet. Bei Krankentransporten wird sie dagegen lediglich im Einzelfall während der Fahrt erforderlich. I

2 3 4

Denninger; OÖV 1987,981 (982). Kirchner / Ehricke, WuW 1993, 573 (576). Denninger; OÖV 1987,981 (982), Lippert/Breitling, NJW 1988,749 (749). Riediger; Zu den Wirkungen des Rettungsdienstes, S. I, Denninger; OÖV 1987, 981

(982).

A. Organisation des Rettungswesens

27

Gemäß Art. 70 I GG liegt die Kompetenz zur Gesetzgebung grundsätzlich bei den Ländern, es sei denn, das Grundgesetz ordnet die Zuständigkeit des Bundes ausdrücklich an. Die Aufgabe des Rettungsdienstes ist nach herrschender Auffassung Teil der Gefahrenabwehr. 5 Mangels einer ausdrücklichen Kompetenzzuweisung betreffend das Rettungsdienst- und Krankentransportwesen an den Bund, fällt die Materie als Teil des Polizeirechts gemäß Art. 30, 70 GG in die Zuständigkeit der Länder. Eine Ausnahme besteht jedoch in einem Teilbereich der Luftrettung: in Art. 73 Nr. 6 GG ist dem Bund die ausschließliche Kompetenz zur Regelung des Luftverkehrs eingeräumt worden. Diesem ist auch die Luftrettung zuzuordnen. Die Länder dürfen gemäß Art. 71 GG diese Materie nur dann regeln, wenn sie hierzu in einem Bundesgesetz ausdrücklich ermächtigt worden sind. In Ausübung seiner Kompetenz hat der Bund das Luftverkehrsgesetz6 erlassen. Dieses regelt die Ausübung des Luftverkehrs. Es enthält daher vor allem Bestimmungen zum Flugbetrieb, sowie Genehmigungserfordernisse und Haftpflichtfragen. Die organisatorische Ausgestaltung und die Regelung der technischen Anforderungen an die Luftrettung sind demgegenüber den Ländern aufgrund ihrer Kompetenz für die Gefahrenabwehr vorbehalten. Soweit die Leistungen des Rettungsdienstes im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht werden, ordnet Art. 74 Nr. 12 GG die konkurrierende Kompetenz des Bundes für die Sozialversicherung an. Den Ländern ist nach Art. 72 I GG der Erlass entsprechender Regelungen verwehrt, falls der Bund von seiner Kompetenz Gebrauch gemacht hat. Dies ist mit dem Erlass der RVO, deren Regeln über die Krankenversicherung später Eingang in das SGB V fanden, geschehen. Da die Rettungs- und Transportfahrzeuge letztlich der Beförderung von Personen dienen und auch am Straßenverkehr teilnehmen, ergeben sich grundsätzlich weitere Regelungsbefugnisse des Bundes aus Art. 74 Nr. 11 sowie Nr. 22 GG. Danach ist dem Bund die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für die Personenbeförderung und den Straßenverkehr eingeräumt.

A. Organisation des Rettungswesens I. Historische Entwicklung Die Existenz des Rettungswesens in Deutschland ist auf private, vorwiegend kirchliche und karitative Initiativen zurückzuführen, deren Anfänge bis ins Mittelalter zurück reichen. 7 Die damals im Rettungswesen tätigen Organisationen - der 5 Denninger, DÖV 1987, 981 (985), Steck, BKK 1994, 665 (665), Da/hoff/Rau, NZS 1995, 153 (158). 6 LuftVG, Neufassung vom 14.01. 1981, BGBL I, S. 61. 7 Lippert/Weissauer; Das Rettungswesen, S. 3.

28

1. Teil: Krankentransporte und Rettungswesen in Deutschland

an die katholische Kirche angebundene Malteser Hilfsdienst, die 10hanniter Unfallhilfe der evangelischen Kirche, der aus der Arbeiterbewegung hervorgegangene Arbeiter-Samariter-Bund sowie seit 1863 das Rote Kreuz 8 - handelten ohne gesetzliche Rahmenregelungen, so dass kaum von einem systematisch organisierten Rettungsdienst die Rede sein kann. Im Zuge der weiteren Entwicklung, insbesondere aufgrund eines veränderten notfallmedizinischen Ansatzpunktes, wonach die Behandlung vor Ort zur Wiederherstellung der Transportfähigkeit die ständige Präsenz von ausgebildeten Ärzten an Bord der Rettungsfahrzeuge erforderte - zuvor stand der schnellstmögliche Transport des Patienten zum Arzt im Vordergrund - stießen die vorwiegend ehrenamtlich tätigen Hilfsorganisationen an die Grenzen ihrer Kapazitäten. Zugleich wurde deutlich, dass zwar der medizinische Fortschritt bereits eine wirksamere Hilfe am Einsatzort und auf dem Transportweg ermöglichte. Rechtliche Rahmenbedingungen, durch welche die Zusammenarbeit aller Beteiligten koordiniert und Anforderungen an Personal und Ausstattung der Rettungsmittel aufstellt werden, bestanden dagegen nicht,9 obwohl sie eine unverzichtbare Voraussetzung für ein funktionsfähiges Rettungssystem sind. In der Folge setzte sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass den Staat eine stärkere Verantwortung für Organisation und Funktionsfahigkeit des Rettungswesens treffen muss. Den Ausgangspunkt für erste gesetzliche Regelungen bildete das "Muster für ein Landesgesetz über den Rettungsdienst", 10 welches am 15.06. 1972 vom BundLänder-Ausschuss für das Rettungswesen" vorgelegt wurde. Durch diesen Musterentwurf sollten die Länder nachdrücklich zum Erlass von Gesetzen zur Ordnung des Rettungswesens veranlasst werden. In den angestrebten Rettungsgesetzen sollte die Tätigkeit des Rettungsdienstes mit den anderen am Notfalleinsatz Beteiligten abgestimmt werden. Dadurch sollte die Stellung des Rettungswesens als Glied der Rettungskette zwischen Erste-Hilfe-Maßnahmen, Notfallmeldung, ärztlichem Notfalldienst und der Notaufnahme in den Krankenhäusern gestärkt werden. 12 Daneben waren die Regelungen des Personenbeförderungsgesetzes 13 einschlägig. Vom Ge1tungsbereich des PBefG waren - ohne zwischen gesunden und kranken beförderten Personen zu differenzieren - nur solche Transporte erfasst, die von privaten Unternehmen außerhalb des öffentlichen Rettungswesens durchgeführt wurden. Diese Beförderungen wurden als Gelegenheitsverkehr mit Mietwagen betrachtet. 14 Weil das PBefG die geschäftsmäßige Personenbeförderung regelt, stanHausner, Mitwirkung Privater am Rettungsdienst, S. 17. BT-Drs. 7/489, S. 1 f. IO BT-Drs. 7/489, Anlage 1. 11 Bestehend aus Mitgliedern der für das Rettungswesen zuständigen Bundes- und Landesministerien, vgl. BT-Drs. 7/489, S. 1. 12 Lippert/Weissauer, Das Rettungswesen, Rn. 34. 13 PBefG vom 21. 03. 1961, BGBI. I, S. 241. 8

9

14

§§ 46 11 Nr. 3, 49 IV PBefG a. F., vgl. BR-Drs. 544/87, S. 4.

A. Organisation des Rettungswesens

29

den wirtschaftliche Gesichtspunkte im Vordergrund. Demgegenüber wurde nur unzureichend berücksichtigt, dass bei Krankentransporten der medizinische gegenüber dem Beförderungsaspekt wesentlich schwerer wiegt. 15 Insbesondere hatte der Bundesminister für Verkehr von der ihm in § 58 I Nr. 2 PBefG eingeräumten Möglichkeit des Erlasses einer Rechtsverordnung zur Regelung des Gelegenheitsverkehrs zum Zwecke des Krankentransportes keinen Gebrauch gemacht. Dem Bedürfnis nach einem effektiven und zuverlässigen Rettungswesen wurde daher in keiner Weise genügt. 16 Um einen ausgewogenen Wettbewerb auch im öffentlich organisierten Rettungsdienst zu gewährleisten, wurde das PBefG zum 01. 01. 1992 dahin geändert, dass die Beförderung von Personen mit Krankenkraftwagen nicht mehr in seinen Geltungsbereich fiel. l ? Die Materie sollte nunmehr den für das öffentliche Gesundheitswesen zuständigen Ländern überlassen werden, welche eher als der Bund die Möglichkeit haben, auf regionale Besonderheiten und tatsächliche Entwicklungen im Rettungswesen einzugehen. Seit dieser Änderung hat das PBefG im Rahmen des Krankentransportwesens nur noch für Patienten Bedeutung, die nicht der besonderen Einrichtungen eines Krankenwagens bedürfen und mit Taxen oder Mietwagen befördert werden können. 18 In der Folge wurden die Landesrettungsdienstgesetze nochmals überarbeitet. Die neuen Länder, in denen bis 1992 das DDR-Rettungsgesetz vom 13. 12. 1990 galt - zuvor existierten keinerlei gesetzliche Regelungen dieser Materie l9 - haben im Zuge dieser Novellierungen erstmalig eigene Rettungsgesetze erlassen. Den Vorschlägen des Musterentwurfs (im Folgenden: ME) sind die Länder auf unterschiedliche Weise gefolgt.

11. Rechtsnatur und Träger der Aufgabe In § 1 ME wurde zunächst die Aufgabe des Rettungsdienstes dahin definiert, dass dieser sowohl die Notfallrettung (§ 1 I ME), also die Erste-Hilfe-Versorgung zur Wiederherstellung der Transportfähigkeit und den anschließenden Transport des Verletzten in ein geeignetes Krankenhaus, als auch den Krankentransport (§ 111 ME) umfasst. Dieser Definition sind sämtliche Länder in ihren Rettungsgesetzen gefolgt; teilweise wird zusätzlich der Transport von Transplantationsorganen, lebenswichtigen Medikamenten oder Blutkonserven einbezogen. BT-Drs. 11 /2170, S. 2. Vgl. dazu die Ausführungen in BR-Drs. 544/87, S. 4 f. 17 6. Gesetz zur Änderung des PBefG vom 25. 07. 1989, BGBI. I 1547. 18 Fromm, NJW 1989,2378 (2378). 19 Das staatliche Rettungswesen der DDR gliederte sich in die Schnelle Medizinische Hilfe (SMH) - bestehend aus Notfallrettung und einem ärztlichen Not- und Bereitschaftsdienstund das Krankentransportwesen. Beide Bereiche waren organisatorisch strikt voneinander getrennt; eine Beteiligung privater Unternehmen war in keinem der Teilgebiete vorgesehen, Schulte, Rettungsdienst durch Private, S. 37 f. 15

16

1. Teil: Krankentransporte und Rettungswesen in Deutschland

30

In der Mehrzahl der Rettungsgesetze wird der Rettungsdienst ausdrücklich als öffentliche Aufgabe der Gefahrenabwehr sowie der Daseins- und Gesundheitsvorsorge umschrieben. Das Rettungswesen wird jedoch auch in den Ländern, in denen eine solche explizite Regelung fehlt,2o als öffentliche Aufgabe angesehen?! § 2 ME sieht weiterhin vor, dass das Rettungswesen - entsprechend der unterschiedlichen Ausgestaltung im jeweiligen Kommunalrecht - entweder als Auftragsangelegenheit, als Angelegenheit des übertragenen Wirkungskreises oder als (Pflicht-)Aufgabe zur Erfüllung nach Weisung den Kreisen und kreisfreien Städten übertragen werden soll. Dementsprechend haben die Länder die Landkreise und kreisfreien Städte zu Trägem des Rettungswesens erklärt, die sich in der Regel zu einem Rettungszweckverband zusammenschließen sollen. Eine Ausnahme besteht in Baden-Württemberg. Dort haben gemäß § 2 I, III bwRettG Hilfsorganisationen wie das Rote Kreuz, Arbeiter-Samariter-Bund oder 10hanniter-Unfallhilfe die Trägerschaft inne; die Trägerschaft der Land- und Stadtkreise besteht nur subsidiär. In den Stadtstaaten Berlin und Bremen sind die Städte Bremen und Bremerhaven bzw. das Land Berlin Träger des Rettungswesens. In Hamburg fällt die Trägerschaft auf die Berufsfeuerwehr zurück. 22 Der jeweilige Träger hat die bedarfsgerechte und flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit den Leistungen des Rettungsdienstes sicherzustellen. Soweit den Landkreisen und kreisfreien Städten zugewiesen, hängt der Rechtscharakter der Aufgabe von der Zuordnung des Landes zum monistischen oder dualistischen Modell kommunalrechtlicher Aufgabenerfüllung ab. Nach dem dualistischen Modell ist zwischen den der Selbstverwaltung zugewiesenen Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft und den vom Staat übertragenen Fremdverwaltungsaufgaben zu differenzieren, während das monistische Modell nur Selbstverwaltungsaufgaben kennt, die wiederum in freiwillige und pflichtige Selbstverwaltungsangelegenheiten und Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung einzuteilen sind?3 So ist das Rettungswesen in Bayern, dem Saarland und Mecklenburg-Vorpommern eine Aufgabe des übertragenen Wirkungskreises?4 Dagegen gilt es in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen als Pflichtaufgabe zur Erfüllung nach Weisung?S In Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, SachsenAnhalt und Thüringen, Hessen, Brandenburg und Schleswig-Holstein wurde der Rettungsdienst den Kreisen und kreisfreien Städten als pflichtige Selbstverwaltungsaufgabe übertragen?6 So in Bayern, Baden-Württernberg, Berlin und Schleswig-Holstein. Statt vieler Lippert/Weissauer, Das Rettungswesen, Rn. 37. 22 Begründung zu § 7 harnbRettG, Bürgerschafts-Drs. 14/300, S. 13. 23 Vgl. dazu Waechter, Kommunalrecht, Rn. 158 ff. 24 § 18 I 2 bayRettG, § 5 I saarRettG, § 611 rnvRettG. 25 § 2 III bwRettG, § 6 III nrwRettG. 26 § 3 11 ndsRettG, § 3 11 rpRettG, § 3 I saRettG, § 3 I thürRettG, § 4 I hessRettG, § 3 I brbRettG, § 611 shRettG. 20 21

A. Organisation des Rettungswesens

31

111. Finanzierung des Rettungswesens Nach § 9 ME soll die Finanzierung des Rettungsdienstes dem jeweiligen Träger bzw. - soweit sich mehrere Träger zusammengeschlossen haben - dem Rettungszweckverband obliegen. Diese Regelung wurde in sämtliche Rettungsgesetze übernommen. Unabhängig von der Geltung des monistischen oder dualistischen Modells kommunaler Aufgabenerfüllung folgt aus der Zuweisung einer Aufgabe als Pflichtaufgabe ein Anspruch der Landkreise und Gemeinden auf Ausgleich der entstehenden Kosten gegen das Land. 27 Nach Auffassung des Bundesausschusses "Rettungswesen" sind die Länder auch im Rettungswesen gehalten, Zuschüsse zur Finanzierung zu gewähren. Aufgrund der im Grundgesetz vorgegebenen Verteilung der Finanzierungsverantwortung, Art. 104a ff. GG, scheidet eine finanzielle Beteiligung des Bundes am Rettungsdienst aus. 28 Da das Rettungswesen in keinem Land als freiwillige Selbstverwaltungsaufgabe ausgestaltet ist, sehen die Rettungsgesetze in der Regel eine Zuschusspflicht des Landes vor. In Berlin, Nordrhein-Westfalen, Bremen und Hamburg fehlt eine entsprechende Regelung. Der Anspruch auf Kostentragung durch das Land ergibt sich aus der Landesverfassung bzw. der Gemeindeordnung, wo der Grundsatz der Länderbeteiligung an der Finanzierung der Pflichtaufgaben ebenfalls niedergelegt ist. 29 Mit den Zuschüssen werden in der Regel die Investitionskosten zur Errichtung und Unterhaltung der Rettungswachen gefördert. In Hessen und SachsenAnhalt30 werden daneben auch die Personalkosten vom Land erstattet. Zusätzlich sieht der Musterentwurf die Erhebung von Benutzungsentgelten vor. Sie sollen gemäß § 10 I Nr. 3 ME von einem eigens zu berufenden "Beirat für das Rettungswesen" mit den Kostenträgern vereinbart werden. Daraufhin haben sämtliche Länder die Erhebung von Entgelten für die Nutzung der Einrichtungen des Rettungsdienstes vorgesehen. Bezüglich der Festlegung der Benutzungsentgelte weichen die Regelungen jedoch vom Musterentwurf ab. Generell lassen sich zwei Modelle der Entgeltbestimmung ausmachen: Zum einen die einseitige Festlegung durch Satzung im Sinne der Kommunalabgabengesetze, zum anderen die Vereinbarung der Entgelte zwischen den am Rettungswesen Beteiligten. In Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen werden die Entgelte einseitig durch Satzung der Aufgabenträger festgelegt. 31 Dieser liegt eine Kosten- und Leistungsrechnung, die mit den Krankenkassenverbänden sowie Waechter, Kommunalrecht, Rn. 162, 165. Vgl. BT-Drs. 7/489, S. 6, Kühner, Planung, Finanzierung und Durchführung, S. 263. 29 So jedenfalls Waechter, Kommunalrecht, Rn. 162, 165. 30 § 7 I hessRettG, § 21 I Nr. 2 saRettG. 31 § 10 brbRettG, § 26 sächsRettG, § 20 saRettG, § 8 shRettG, §§ 14, 15 nrwRettG i. V. m. § 6KAG. 27 28

32

1. Teil: Krankentransporte und Rettungswesen in Deutschland

gegebenenfalls mit den Leistungserbringern vereinbart wird, zugrunde. Anderenfalls werden diese vor Satzungserlass angehört. In Baden-Württemberg, Bremen, Hessen und Bayern werden die Benutzungsentgelte dagegen zwischen den Krankenkassen und den Leistungserbringern vereinbart. Kommt eine Einigung nicht zustande, kann eine Schiedsstelle angerufen werden. Diese ist nach nochmals gescheitertem Einigungsversuch zur einseitigen Festlegung der Entgelte befugt. 32 In Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern wird die Vereinbarung zwischen den Aufgaben- und den Kostenträgem unter Beteiligung der Leistungserbringer getroffen. Wird kein Konsens erzielt, ist ebenfalls die einseitige Entgeltfestlegung durch Satzung vorgesehen. 33 Im Saarland erfolgt die Festsetzung durch Vereinbarung zwischen dem Träger - dem Rettungszweckverband - und den Krankenkassen. Bei Nichteinigung werden die Benutzungsentgelte in einer kommunalen Satzung bestimmt. 34 In Berlin wird zwischen der Notfallrettung und den einerseits von der Feuerwehr und andererseits von Privaten oder Hilfsorganisationen durchgeführten Krankentransporten unterschieden: für erstere werden Gebühren nach Maßgabe des KAG erhoben, für letztere vereinbaren die Aufgabenträger mit den Krankenkassenverbänden Benutzungsentgelte. Kommt die Einigung nicht zustande, ist die Senatsverwaltung zur einseitigen Festlegung durch Rechtsverordnung berechtigt. 35 In Hamburg erfolgt die Finanzierung - als logische Konsequenz der Trägerschaft der Feuerwehren - über Gebühren nach Maßgabe der GebOFw. 36 Die Benutzungsentgelte sind in allen Bundesländern entsprechend dem Selbstkostendeckungsprinzip so auszugestalten, dass sie alle Kosten des Rettungsdienstes decken, deren Finanzierung nicht anderweitig sichergestellt ist.

IV. Durchführung der Aufgabe durch private Krankentransportunternehmen und Hilfsorganisationen Auch bei der Durchführung der Aufgabe bestehen Unterschiede in der landesrechtlichen Ausgestaltung. Nach den Vorstellungen des Bund-Länder-Ausschusses "Rettungswesen" sollte die Möglichkeit bestehen, rettungsdienstliche Aufgaben durch Vereinbarung aller Beteiligten auf Sanitätsorganisationen oder private Unternehmen zu übertragen, vgl. § 7 ME. Der Gegenvorschlag des Bundesministers des 32 § 28 bwRettG, § 8 IV hessRettG, § 24 11 bayRettG; in Bremen ist anstatt einer Schiedsstelle die einseitige Festelegung der Entgelte entsprechend der Gebührenordnung vorgesehen, § 13 bremRettG. 33 § 15 ndsRettG, § 12 rpRettG, § 12 thürRettG, § 11 mvRettG. 34 § 10 I, 11 saarRettG. 35 §§ 20, 21 beriRettG. 36 Gebührenordnung für die Feuerwehr vom 2. 12. 1997, HmbGVB11997, S. 530.

A. Organisation des Rettungswesens

33

Inneren sah vor, in der Ermächtigungsnorm eine Subsidiaritätsklausel zu verankern. Der Rettungsdienst sollte danach nur dann auf Sanitätsorganisationen oder Privatunternehmer übertragen werden, wenn diese dazu bereit und in der Lage sind. 37 In ihren Rettungsgesetzen haben sämtliche Länder die Eingliederung Dritter in den Rettungsdienst vorgesehen; jedoch unterscheiden sich der Umfang und Modalitäten der Aufgabenübertragung zum Teil erheblich. Während in Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Sachsen und dem Saarland die Aufgabendelegation nach dem Gesetzeswortlaut den Regelfall darstellt,38 ist die Durchführung des Rettungsdienstes durch Hilfsorganisationen, öffentliche Feuerwehren oder private Dritte in Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Sachsen, Schleswig-Holstein und Thüringen lediglich im Rahmen einer Kann-Bestimmung möglich. 39 Den Trägem ist damit Ermessen eingeräumt, ob sie überhaupt Private in das Rettungswesen einbeziehen wollen. Teilweise ist ein vorrangiger Anspruch der Hilfsorganisationen auf die Übertragung der Aufgabe gesetzlich angeordnet40 oder der Genehmigungsanspruch privater Unternehmer unter den Vorbehalt gestellt, dass das öffentliche Interesse an einem funktionsfähigen Rettungsdienst nicht gefährdet wird (so genannte Funktionsschutzklausel).41 In Baden-Württemberg, Berlin und Hessen wird für die Übertragung der Aufgaben zwischen Notfallrettung und Krankentransporten differenziert: 42 eine Beteiligung Privater ist in der Regel nur bei Krankentransporten erlaubt. In der Notfallrettung kommt sie allenfalls ausnahmsweise "bei Bedarf in besonderen Fällen" in Betracht. So ist in Baden-Württemberg die Durchführung der Notfallrettung den Hilfsorganisationen vorbehalten, die aufgrund der Verträge mit dem Sozialministerium die Trägerschaft des Rettungswesens innehaben. In Berlin, Hamburg und Bremen ist die Feuerwehr mit dem Rettungswesen betraut. Daneben ist die Aufgabenübertragung durch die Senatsverwaltung an die hergebrachten Hilfsorganisationen zulässig. Auch das niedersächsische Rettungsdienstgesetz differenziert zwischen Aufgaben der Notfallrettung, die nur von den Trägem des Rettungswesens und deren Beauftragten durchgeführt werden soll, und denen des Krankentransportes, die auch von natürlichen oder juristischen Personen des Privatrechts wahrgenommen werden können. 43 Diese Form der Organisation des Rettungsdienstes wird allBT-Drs. 7/489, S. 8. § 5 I rpRettG, § 3 11 saRettG, § 8 I saarRettG, § 6 I sächsRettG. 39 § 5 brbRettG, §§ 7, 8 hambRettG, § 4 11 hessRettG, § 6 IV mvRettG, § 5 I ndsRettG, § 6 III shRettG, § 4 I thürRettG. 40 § 13 nrwRettG, § 19 I bayRettG, § 5 I rpRettG, § 611 bremRettG, sowie indirekt § 6 III shRettG: hier kann die Durchführung des Rettungsdienstes den Hilfsorganisationen ganz, Privaten dagegen nur teilweise übertragen werden. 41 § 7 III bayRettG, § 13 III Nr. 2 beriRettG, § 5 V brbRettG, § 15 III bremRettG, § 10 11 hessRettG, § 12 III hmbRettG, § 1511 mvRettG, § 22 I 2 ndsRettG, § 19 IV nrwRettG, § 18 III rpRettG, § 1711 sächsRettG, § 1611 saarlRettG, § 14 IV saRettG, § 11 11 shRettG. 42 § 2 11 bwRettG, §§ 2 IV, 5 beriRettG. §§ 4 11, 9 hess RettG. 43 §§ 5 11, 19 ndsRettG. 37

38

3 Abig

34

1. Teil: Krankentransporte und Rettungswesen in Deutschland

gemein mit dem Begriff "Trennungssystem" bezeichnet - in Abgrenzung zum "Einheitssystem", welches nicht zwischen Notfallrettung und Krankentransportwesen unterscheidet. Die Mitwirkungsform für private Akteure im Rettungswesen ist letztlich historisch bedingt: ~n Baden-Württemberg oder Bayern, wo das Rettungsgesetz die Hilfsorganisationen klar bevorzugt, beruht dies auf deren traditionell starken Verwurzelung in dieser Region. 44 Ein weiterer Grund ist darin zu sehen, dass die Vorhaltung eines Rettungsdienstes in diesen Flächenstaaten, insbesondere im ländlichen Raum nicht kostendeckend erfolgen kann. Insofern bieten sich die karitativen, d. h. nicht auf Gewinnerzielung ausgerichteten Hilfsorganisationen an. 45 Zudem wirken diese Organisationen traditionell im Katastrophenschutz mit, welcher den Rettungsdienst in weiten Teilen ergänzt. Ihre Bevorzugung im Rettungswesen kann daher - so die weit verbreitete Annahme - Synergieeffekte auslösen. In Berlin, Bremen und Hamburg beruht die Betrauung der städtischen Feuerwehr mit dieser Aufgabe auf der kleinen Landesfläche; zudem war die Feuerwehr dort seit jeher im Rettungsdienst tätig. Einen Beleg dafür bietet die langjährige Regelung der Materie in den Feuerwehrgesetzen. Erst 1992 (Bremen und Hamburg) bzw. 1993 (Berlin) wurden eigenständige Rettungsgesetze erlassen. Die Übertragung der Aufgabe an Dritte erfolgt regelmäßig durch öffentlichrechtlichen Vertrag oder Beleihung. Zusätzlich bedürfen die Leistungserbringer zur Teilnahme am Rettungsdienst einer vom Aufgabenträger zu erteilenden Genehmigung. 46 Weiterhin ist den Rettungsgesetzen aller Länder gemein, dass der Träger selbst zur Durchführung des Rettungsdienstes verpflichtet ist, falls die Aufgabenerfüllung anderweitig nicht sichergestellt ist. Die Koordinierung aller am Rettungsdienst Beteiligten obliegt der Rettungsleitstelle, die jeweils einem Rettungsdienstbereich zugeordnet ist. Sie nimmt sämtliche Notrufe entgegen, entscheidet, ob der Notfall in die Zuständigkeit des Rettungsdienstes fällt und entscheidet schließlich über die zu ergreifenden Maßnahmen. 47 Die der Rettungsleistelle zur Verfügung stehenden Rettungsmittel werden rund um die Uhr in den Rettungswachen vorgehalten; diese wurden mittlerweile flächendeckend eingerichtet. Die vom Ausschuss "Rettungswesen" mit der Vorlage des Musterentwurfs angestrebte Vereinheitlichung des Rettungswesens in den Ländern ist nicht erreicht worden. 48 Die Organisations modelle weichen zum Teil erheblich voneinander ab. 44 Hausner, Mitwirkung Privater am Rettungsdienst, S. 76, 81 f., für Bayern: BayVGH, DVBI. 1978,965 (966 f.). 45 Hausner, Mitwirkung Privater am Rettungsdienst, S. 148. 46 In Brandenburg besteht die Genehmigungspflicht indes nur für private Unternehmer, die nicht als gemeinnützig anerkannt sind, § 5 III brbRettG. 47 Hausner, Mitwirkung Privater am Rettungsdienst, S. 18 f. 48 Lippert/Weissauer, Das Rettungswesen, Rn. 33.

B. Fahrkostentragung durch die gesetzliche Krankenversicherung

35

Dies ist jedoch vornehmlich den historisch bedingten Unterschieden im Kommunalrecht der Länder geschuldet. Auch bezüglich der Aufgabendelegation an Private oder Hilfsorganisationen unterscheiden sich die Konzepte der Länder, was ebenfalls weitgehend historisch bedingt ist. 49 Dennoch sind durch den Musterentwurf in den 1970er Jahren positive Impulse gesetzt worden. Denn er führte dazu, dass in den Ländern überhaupt ein funktionsfähiges Rettungssystem etabliert wurde.

B. Fahrkostentragung durch die gesetzliche Krankenversicherung I. Historische Entwicklung In der Reichsversicherungsordnung 50 fanden sich zunächst weder Regelungen zur Durchführung noch zur Abrechnung von Krankentransporten. Gleichwohl waren Fahrkosten bereits als unselbständige Nebenleistung zur Krankenbehandlung nach § 182 Nr. I RVO von den Krankenkassen zu übernehmen. Nach allgemeiner Ansicht zählten auch diejenigen Aufwendungen zu den notwendigen Kosten der ärztlichen Behandlung, die erforderlich sind, um die Behandlung erst zu ermöglichen. 51 Dies folgt bereits aus dem Sachleistungsprinzip, wonach die Leistungen den Versicherten so zur Verfügung zu stellen sind, dass diese keine eigenen Aufwendungen haben, mithin auch keine Aufwendungen, um einen Arzt aufzusuchen. Die Kosten einer Reise zum Arzt, sowie - im Falle einer Erkrankung außerhalb des Wohnortes - der Transport des Patienten an einen Ort zur Erlangung ärztlicher Hilfe wurden als Teil der ärztlichen Behandlung angesehen. Auch das Reichsversicherungsamt befürwortete die Erstattung von Fahrkosten, da die Hinzuziehung eines geeigneten Arztes die Heilung wesentlich beschleunige und daher letztlich zu einer Kostenersparnis für die Kasse führe, selbst wenn der Arzt außerhalb des Wohnortes des Versicherten tätig sei. 52 Insbesondere wurden auch die Zehrkosten zu den erstattungsfähigen Aufwendungen gerechnet, da die Verpflegung zur Erhaltung der Gesundheit der Versicherten erforderlich sei. Uneinigkeit bestand bezüglich der Kostentragungspflicht für den Rücktransport eines Patienten in seine Wohnung. Nach einer Auffassung im Schrifttum53 waren diese vom Versicherten selbst zu finanzieren, da die Rückkehr zur Familie, selbst Lippert/Weissauer, Das Rettungswesen, Rn. 40. RVO vom 19.07. 1911, Neufassung vom 15. 12. 1924 in RGBI I, 779; bereinigte Fassung in BGBI. III, 820-1. 51 RVA, AN 1920, 399, Hahn, Handbuch der Krankenversicherung, § 182, Anm. 4c, Kühne, Krankenversicherung, S. 69, Brackmann, Hb Sozialversicherung, Band II, S. 405. 52 RVA, AN 1920,399. 53 Gura, WzS 1956,38 (39), Hahn in Perers, Hb Krankenversicherung, § 182, Anm. 4c. 49

50

3*

36

1. Teil: Krankentransporte und Rettungswesen in Deutschland

zum Zwecke der Pflege, nicht mehr im Zusammenhang mit der ärztlichen Behandlung stehe. Dieser Standpunkt wurde nicht durchweg geteilt: der Transport des Versicherten in seine Wohnung diene auch der Sicherstellung der ärztlichen Behandlung, die am Ort der Erkrankung nicht gewährt werden könne. Unter Umständen seien die Kosten des Rücktransports daher Bestandteil der von der Kasse zu tragenden ärztlichen Behandlung. 54 Dementsprechend legten die Gerichte die Fahrkostentragung durch die Kassen nicht pauschal fest, sondern entschieden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls über die Notwendigkeit der Fahrt im Sinne von § 182 II RVO. In der späteren Rechtsprechung 55 wurde § 392a RVO als Rechtsgrundlage für die Pflicht der Krankenkassen zur Übernahme der Fahrkosten angesehen. Danach konnten die Krankenkassen unter bestimmten Voraussetzungen die Übernahme der Kosten für "Arzt- und Krankenfuhren" in ihre Satzung aufnehmen. Die Kassen waren im Ergebnis auch ohne nähere gesetzliche Vorgaben gezwungen, mit den Leistungsanbietern in Kontakt zu treten, um ihren Versicherten die Inanspruchnahme von Transportleistungen zu ermöglichen. Mit dem Inkrafttreten des RehaAnglG56 wurde erstmals eine gesetzliche Regelung zur Übernahme von Transportkosten in die RVO eingefügt. Zunächst ordnete § 19 RehaAngiG die Übernahme aller im Zusammenhang mit medizinischen oder berufsfördernden Rehabilitationsmaßnahmen erforderlichen Reisekosten, also der Fahr-, Verpflegungs-, Übernachtungs- und Gepäcktransportkosten, an. Gleichzeitig wurde durch § 21 Nr. 14 RehaAnglG die RVO geändert. Gemäß § 194 I RVO sollten nunmehr auch die im Zusammenhang mit einer von der Krankenkasse zu gewährenden Leistung erforderlichen Reisekosten für den Versicherten und eine erforderliche Begleitperson zu übernehmen sein. Dies geschah zum einen vor dem Hintergrund, dass die Stellung von Behinderten verbessert werden sollte. 57 Zum anderen wurden durch das RehaAngiG auch die Krankenkassen als Träger der Rehabilitation eingesetzt. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollten Fahrkosten von allen Trägern von Rehabilitationsleistungen im einheitlichen Umfang getragen werden. 58 Ergänzt wurde § 194 RVO durch § 407 I Nr. 2 RVO. Danach konnten die Krankenkassenverbände entsprechende Verträge mit den Leistungserbringern abschließen. Den Maßstab für Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit der ärztlichen Verordnung bildeten die vom Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen erlassenen Krankentransportrichtlinien. 59 54 RVA, AN 1921, 168; 1933, 179 f., Albrecht, KrV 1956,212 (213), Kühne, Krankenversicherung, S. 69. 55 OVG Münster, DOK 1952, 546 (546). 56 Gesetz zur Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation vom 07. 08. 1974, BGB\. I, S. 1881 ff. 57 BT-Prot. 1973,69. Sitzung, S. 4202 f. 58 BT-Prot. 1974, 110. Sitzung, S. 7549, BT-Drs. 711237, S. 65, GerlachlKesselheim, DOK 1982,58 (66), Brackmann, Hb Sozialversicherung, Band II, S. 405 a. 59 Krankentransportrichtlinen vom 26. 2. 1982, BAnz 1982, Beilage 32, S. 9.

B. Fahrkostentragung durch die gesetzliche Krankenversicherung

37

Wegen des extremen Anstiegs der Ausgaben für Fahrkosten infolge der weitgehend unkritischen Verordnung von Krankenfahrten durch die Ärzte und mit Blick auf den zunehmenden Grad der Motorisierung der Bevölkerung60 wurden die bestehenden Vorschriften im Rahmen des GRG 61 neu geregelt. Im SGB V, welches die Regelungen der RVO zur gesetzlichen Krankenversicherung ablöste, findet sich nunmehr mit § 60 eine leistungsrechtliche und mit § 133 die entsprechende vertragsrechtliche Vorschrift zur Übernahme von Fahrkosten. Die Gesetzesänderung führte zu Einschränkungen bezüglich der von den Krankenkassen zu tragenden Kosten. So wurde die Leistungspflicht der Kassen auf die reinen Fahrkosten beschränkt. Im Gegensatz zur früheren Rechtslage muss der Versicherte für Übernachtung und Gepäcktransport nunmehr selbst aufkommen. 62 Daneben sollen die Kosten für Fahrten zu einer ambulanten Behandlung nur noch in Ausnahmefällen von den Krankenkassen getragen werden. 63 Auch die Übernahme der Fahrkosten für eine erforderliche Begleitperson wurde aus dem Leistungskatalog gestrichen. Da die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung weiterhin stiegen, wurde am 21. 12. 1992 das GSG64 erlassen, in dessen Rahmen die Normen zur Fahrkostentragung, insbesondere § 60 SGB V, nochmals eine Änderung erfuhren. Die Krankenkassen haben danach die Kosten für den Transport zu einer ambulanten Behandlung im Krankenhaus zu tragen, wenn dadurch eine voll- oder teilstationäre Behandlung verhindert oder zumindest verkürzt werden kann. Dies soll einen Anreiz schaffen, kürzere Behandlungszeiten in Anspruch zu nehmen, so dass letztlich Kosten gespart werden können. 65 Zudem wurde die Entwicklung der Preise für Krankenfahrten an die Entwicklung der Grundlöhne angebunden - ebenfalls um der ungebremsten Ausgabenentwicklung entgegenzuwirken. 66 Im Hinblick auf die ärztliche Verordnung werden die bestehenden Normen durch eine Neufassung der Krankentransportrichtlinien ergänzt. 67 Deren Anwendung soll der wirtschaftlichen und zweckmäßigen Verordnung von Krankentransportleistungen dienen, denn sie verpflichtet den verordnenden Arzt, sich bei seiner Entscheidung ausschließlich von der medizinischen Indikation leiten zu lassen.

60 61 62

63 64 65 66 67

BT-Drs.11/2237,S.186,BR-Drs.200/88,S.186. Gesundheitsreformgesetz vom 20. 12. 1988, BGB!. I, S. 2477. BT-Drs. 11/2237,S. 186,BR-Drs.200/88,S.186. BT-Drs. 11 /2237, S. 187. Gesundheitsstrukturgesetz vom 21. 12. 1992, BGB!. I, S. 2266. BT-Drs. 12/3608, S. 82. DalichaulGrüner, Gesetzliche Krankenversicherung - SGB V, § 133, S. 4. Krankentransportrichtlinien vom 17.06. 1992, BAnz 1992, Nr. 183 b, S. 19.

38

1. Teil: Krankentransporte und Rettungswesen in Deutschland

11. Voraussetzungen der Übernahme von Fahrkosten nach § 60 SGB V Gemäß § 60 I SGB V werden die Kosten für Fahrten einschließlich der Transporte nach § 133 SGB V von der Krankenkasse übernommen, wenn sie im Zusammenhang mit einer Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung notwendig sind. Fahrkosten stellen damit lediglich eine akzessorische Nebenleistung zu einer von der Krankenkasse geschuldeten Hauptleistung dar und teilen deren rechtliches Schicksal. 68 Ein Anspruch des Versicherten auf Übernahme dieser Kosten besteht folglich nur dann, wenn er auch einen Rechtsanspruch auf die Hauptleistung hat, diese also insbesondere nicht im Ermessen der Kasse steht. 69 Als Hauptleistung kommen sämtliche Leistungen des SGB V sowie die Leistungen bei Schwangerschaft und Mutterschaft nach der in Teilen weiterhin geltenden RVO (§§ 195 ff. RVO) in Betracht. Die Charakterisierung als Nebenleistung hat des Weiteren zur Folge, dass Fahrten von und zur ärztlichen Behandlung dieser zugerechnet werden oder der Hin- und Rücktransport ins bzw. aus dem Krankenhaus als Teil der Krankenhausbehand1ung zu betrachten ist. 7o Gemäß § 73 11 Nr. 2 SGB V sind Krankentransporte von der vertrags ärztlichen Versorgung umfasst. Voraussetzung für die Kostentragung durch die Krankenkassen ist daher die Verordnung der Fahrt durch einen Arzt, bei der dieser an die bereits erwähnten Krankentransportrichtlinien gebunden ist. Die Verordnung entfaltet insofern Bindungswirkung für die Krankenkassen, als damit die medizinische Notwendigkeit des Transportes sowie des eingesetzten Beförderungsmittel festgestellt worden ist. 7l Eine Ausnahme vom Erfordernis der ärztlichen Verordnung besteht naturgemäß bei Notfällen. Nach Nr. 3.4 der Krankentransportrichtlinien ist vom Vorliegen eines Notfalls auszugehen, wenn sich der Kranke in Lebensgefahr befindet oder schwerwiegende Gesundheitsgefahren drohen, sollte nicht umgehend medizinische Hilfe geleistet werden. Der Versicherte muss sich gemäß § 60 11 I SGB V grundsätzlich i. H. v. 13,00 € selbst an der Leistung beteiligen. Diesen Eigenanteil muss der Versicherte direkt an den die Fahrt durchführenden Unternehmer leisten. 72 Eine Ausnahme hat der Gesetzgeber in § 60 11 3 SGB V statuiert: danach zieht die Krankenkasse bei Fahrten, die von Rettungsdiensten durchgeführt werden, den Eigenanteil vom Versicherten ein. Dies erklärt sich daraus, dass es im Rahmen einer Rettungsfahrt unzumutbar wäre, würde man vom Versicherten sogleich die Leistung des Eigenanteils verlangen. Den darüber hinausgehenden Betrag übernehmen die Krankenkassen für Fahrten zur stationären Behandlung (§ 6011 1 Nr. I SGB V), Rettungs68 69 70

71

72

Statt vieler Marburger; ZfF 1990,148 (148); BSG, SozR 2200 § 194 Nr. 5 m. w. N. Schneider in Schulin, Hb Sozialversicherungsrecht Bd. I, § 26, Rn. 5. Marburger; ZfF 1990, 148 (148). LSG Nordrhein-Westfalen, Breith. 1999,395 (398 f.). Wasem, BArbBI1989 (4), 27 (29).

B. Fahrkostentragung durch die gesetzliche Krankenversicherung

39

fahrten (Nr. 2), Krankentransporte (Nr. 3) und Fahrten zur ambulanten Behandlung, wenn dadurch eine an sich gebotene stationäre Behandlung vermieden oder verkürzt wird (Nr. 4). Sonstige Fahrkosten - hier kommen lediglich Fahrten mit dem eigenen PKW, öffentlichen Verkehrsmitteln, Taxen oder Mietwagen in Betracht - werden von der Krankenkasse gemäß § 6011 2 SGB V nur getragen, soweit einer der in §§ 61, 62 SGB V normierten Härtefälle vorliegt. Insbesondere werden die Kosten für Fahrten zur ambulanten Behandlung den allgemeinen Lebenshaltungskosten zugerechnet. 73 Die Kosten des Interhospitaltransfers, i. e. der Verlegungstransport eines Patienten von einem Krankenhaus in ein anderes, sind durch die von den Krankenkassen an die Krankenhäuser zu zahlenden Fallpauschalen zur Vergütung von Krankenhausleistungen abgegolten. 74 Sie stellen daher keine Krankenkassenleistung im engeren Sinne dar. Bezüglich der Höhe der zu tragenden Kosten ist anzumerken, dass der Versicherte grundsätzlich die - preiswerteren - öffentlichen Verkehrsmittel nutzen soll. Ist dies aus medizinischen Gründen nicht möglich, kann auch ein anderes Transportmittel gewählt werden. 75 Welches Verkehrsmittel dies ist, richtet sich nach der Verordnung durch den Vertragsarzt im Einzelfall. Dieser hat dabei ausschließlich medizinische Aspekte, also die Art der Krankheit und ihrer Behandlung, zu berücksichtigen, nicht aber persönliche oder soziale Gründe. Welchem Transportmittel jeweils der Vorzug zu geben ist, ergibt sich aus der Reihenfolge ihrer Aufzählung in § 60 III SGB V. Danach sind in erster Linie öffentliche Verkehrsmittel (Nr. 1) zu benutzen. Scheidet diese Möglichkeit aus gesundheitlichen Gründen aus, kann der Versicherte auf Taxis oder Mietwagen zurückgreifen (Nr. 2) oder letztlich einen Kranken- oder Rettungswagen (Nr. 3) in Anspruch nehmen. Diese Anforderungen konkretisieren das Gebot des § 12 SGB V, wonach bei der Leistungserbringung die Grundsätze der Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit zu beachten sind.

III. Notwendigkeit des Transports Die Fahrt muss im Zusammenhang mit einer Hauptleistung der Krankenkassen notwendig sein. Es kommen daher nur Fahrten in Betracht, die unvermeidbar sind, um eine Krankenbehandlung in Anspruch nehmen zu können. 76

Schellhom. GK-SBG V, § 60, Rn. 20. Anders Philipp. NZS 2001, 129 (132), der jedoch verkennt, dass die Verlegung von Patienten nicht unter die in § 60 SGB V enumerierten Fallgruppen zu fassen ist. 7S Schneider in Schulin. Hb Sozialversicherungsrecht, § 26, Rn. 9. 76 Baier in KrauskopfISchroeder-Printzen. Soziale Krankenversicherung, § 60, Rn. 7; BSGE 40, 88 (89). 73

74

40

1. Teil: Krankentransporte und Rettungswesen in Deutschland

1. Die nächst gelegene Behandlungseinrichtung

Nach allgemeiner Auffassung 77 ist nur die Fahrt zur nächst erreichbaren Behandlungsmöglichkeit gerechtfertigt, die über die Einrichtungen verfügt, die zur Bekämpfung der beim Versicherten aufgetretenen Krankheit notwendig sind. Andere Aspekte, beispielsweise die räumliche Nähe zur Familie können in die Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit nicht einfließen. 78 Wird ohne zwingenden Grund ein anderer Behandlungsort gewählt, muss der Versicherte für die Mehrkosten aufkommen. 79 Darunter fallen indes nicht jedwede Beträge, die über die Kosten der Fahrt zur nächsten Einrichtung hinausgehen. Bei nur geringfügigen Differenzen, insbesondere wenn unter typisierender Betrachtung mehrere Behandlungsmöglichkeiten als "nächst erreichbar" anzusehen sind, entfällt die Verpflichtung des Versicherten, die Mehrkosten zu tragen. 80 Die Entscheidung, wer zu den nächst erreichbaren Leistungserbringern zählt, ist unter Berücksichtigung des Wirtschaftlichkeitsgebotes zu treffen, denn es kann dem Versicherten selbst unter Beachtung des Grundsatzes der freien Arztwahl, § 76 I SGB V, nicht freistehen, die Solidargemeinschaft der Versicherten ohne zwingenden Grund mit höheren Fahrkosten zu belasten. Durch das Kriterium der Notwendigkeit werden der freien Arztwahl des Versicherten insoweit Grenzen gesetzt. 81 Als notwendig gilt im Allgemeinen auch der Rücktransport in die eigene Wohnung. 82 Soweit der Versicherte außerhalb seines Kassenbezirkes erkrankt ist, sind nur die tatsächlich durch den Versicherungsfall bedingten Transportkosten zu übernehmen. Aufwendungen, die dem Versicherten auch entstanden wären, wenn er nicht erkrankt wäre, sind nicht von der Leistungspflicht der Kasse umfasst. In Ausnahmefällen können auch die Kosten des Transports an einen anderen Ort im Inland als dem Wohnort übernommen werden, so z. B. wenn anderenfalls das Erreichen des Heilerfolges erschwert ist. Auf die Übernahme dieser Fahrkosten besteht jedoch nur dann ein Anspruch, wenn sie nicht unangemessen hoch sind und in angemessenem Verhältnis zur entsprechenden Hauptleistung stehen. 83

77 Ger/ach in Hauck, SGB V, § 60, Rn. 11, Dalichau/Grüner, Gesetzliche Krankenversicherung - SGB V, § 60, S. 4, Baier in Krauskopj/Schroeder-Printzen, Soziale Krankenversicherung, § 60, Rn. 7, Schellhom in v. Maydell, GK-SGB V, § 60, Rn. 12. 78 Es sei denn, beim Versicherten wäre aufgrund der Trennung von seiner Familie eine psychische Erkrankung zu befürchten, BSGE 48, 139 (141). 79 Vgl. auch § 76 11 SGB V; BSG, SozR 2200 § 368d, Nr. 4, BSGE 48, 139 (141). 80 BSG, SozR 2200 § 368d, Nr. 4, nach BSGE 40, 88 sind auch Kosten für Fahrten an einen weiter entfernten Ort zu übernehmen, wenn ein wichtiger Grund vorliegt und die Fahrkosten im angemessenen Verhältnis zu den Kosten der Hauptleistung stehen. 81 Gura, WzS 1956, 38 (39). 82 BSGE 40, 88 (89); 54, 279 (280). 83 BSGE 40, 88 (90).

B. Fahrkostentragung durch die gesetzliche Krankenversicherung

41

2. Übernahme der Kosten für grenzüberschreitende Transporte

Gemäß § 60 IV SGB V werden die Kosten für Rücktransporte in das Inland, i. e. aus dem Ausland in den Geltungsbereich des SGB V, von der gesetzlichen Krankenversicherung nicht getragen. Dieser Leistungsausschluss gilt lediglich dann nicht, wenn sich der Versicherte ins Ausland begibt, um Behandlungsleistungen in Anspruch zu nehmen, die ihm im Inland nicht gewährt werden können, §§ 60 IV 2 i. V. m. 18 SGB V. Unter Geltung der RVO, die keine dem § 60 IV SGB V vergleichbare Regelung enthielt, hatte das BSG einen Anspruch der Versicherten auf Übernahme grenzüberschreitender Fahrkosten noch bejaht, wenn am Aufenthaltsort medizinische Hilfe nicht zu erlangen war: 84 Sei der Versicherte transportfähig, könne er die Gewährung ärztlicher Hilfe an seinem Wohnort beanspruchen, insbesondere auch die Erstattung seiner Reisekosten als Teil der von der Kasse zu tragenden Behandlungskosten verlangen. Denn dem außerhalb seines Kassenbezirks erkrankten Versicherten könne es nicht zugemutet werden, sich auf eigene Kosten an den Erfüllungsort zu begeben, um dort die Krankenkassenleistungen in Anspruch zu nehmen. 85 Er müsse sich jedoch diejenigen Aufwendungen anrechnen lassen, die allein durch seine Reise bedingt wurden. 86 Die aktuelle Gesetzeslage wird in Rechtsprechung und Literatur mit der Erwägung verteidigt, der Rücktransport sei nicht durch die Erkrankung im Ausland bedingt, sondern durch die freiwillige Entfernung des Versicherten aus dem Zuständigkeitsbezirk seiner Krankenkasse. 87 Da der Rücktransport primär durch die Reise des Versicherten verursacht wurde, sei es gerechtfertigt, diesem die Kosten aufzuerlegen. 88 Auch der akzessorische Charakter der Fahrkosten spreche gegen die Kostenübernahme. Denn bei Rücktransporten aus dem Ausland würden die Transportkosten die eigentlichen Behandlungskosten in der Regel weit überschreiten, so dass im Verhältnis zur Behandlungsleistung nicht mehr von einer Nebenleistung die Rede sein könne. 89 Der Leistungsausschluss des § 60 IV SGB V gilt nach Auffassung des BSG auch dann, wenn die den Transport notwendig machende Erkrankung auf dem Gebiet der Europäischen Union eingetreten ist. 9o BSGE 32, 225 für einen Krankentransport von Österreich nach Deutschland. BSGE 32, 225 (226 f.), ablehnend Wortmann, DOK 1975, 364 (366 f.), sowie NeumannDuesberg, DOK 1985,302 (304) für den Fall, dass die Krankenkasse einer Kostenübemahme vor Inanspruchnahme der Leistung nicht ausdrücklich zugestimmt hat. 86 BSGE 32, 225 (227 f.). 87 BSG, DOK 1979,523 (523), BSGE 47,79 (81 f.), BSG, USK 7595, LSG SchleswigHolstein, Urt. v. 26. 08. 1997 (L 1 Kr 64/96). 88 BSGE 47,79 (81). 89 BSGE 47,79 (82), BSG, DOK 1979, 523 (523), BSG, USK 7959. 90 BSGE 83, 285 (288 ff.), DalichaulGrüner; Gesetzliche Krankenversicherung - SGB V, § 60, S. 14 ff. 84 85

42

1. Teil: Krankentransporte und Rettungswesen in Deutschland

Die Versicherten sind folglich auf den Abschluss einer privaten Auslandskrankenversicherung angewiesen, um sich gegen das Risiko hoher Transportkosten im Falle einer Erkrankung im Ausland abzusichern. Dies sei den finanziell besser gestellten Versicherten, die sich weite Urlaubsreisen leisten könnten, durchaus zumutbar. 91 Denn ohne den Leistungsausschluss des § 60 IV SGB V müssten auch die Versicherten, die aus finanziellen Gründen keine Urlaubsreisen unternehmen könnten, die Kosten für solche Transporte mit ihrer Beitragszahlung finanzieren. Dies stelle eine ungerechtfertigte Mehrbelastung der Solidargemeinschaft der Versicherten dar. Ob diese Argumentation aufrechterhalten werden kann, lässt sich zumindest bezweifeln. Die Zahl derer, die ihren Urlaub im Ausland verbringen, steigt stetig, und Auslandsreisen sind angesichts der Preisentwicklung in den letzten Jahren keineswegs ein Privileg besser verdienender Kreise. 92 Zudem begegnet § 60 IV SGB V nicht zuletzt im Hinblick auf die Grundfreiheiten des EG-Vertrages Bedenken. 3. Die Übernahme der Kosten von Fehleinsätzen

Das Erfordernis der Notwendigkeit des Transports gewinnt an Bedeutung, wenn es zu keiner Inanspruchnahme der Krankenbehandlung kommt. Bei absoluten Fehleinsätzen, in denen weder ein Besteller des Transports noch ein Verletzter anzutreffen ist, also insbesondere bei Missbrauch von Notrufmeldern 93 kommt eine Kostenübernahme durch die Krankenkasse nicht in Betracht. In diesen Fällen gehen die Kosten des Einsatzes zunächst zu Lasten des entsprechenden Rettungsdienstträgers, sie können jedoch stets auf den Besteller abgewälzt werden. 94 Verordnet ein Arzt wissentlich einen nicht notwendigen Krankentransport, steht den Krankenkassen ein Regressanspruch gegen den Arzt aus §§ 48, 49 BMV-Ä zu. 95 Anders stellt sich die Rechtslage bei relativen Fehleinsätzen dar. Bei diesen liegt zwar ein Einsatzanlass vor, jedoch wurde das falsche Rettungsmittel eingesetzt oder es kam nicht zur Inanspruchnahme der Krankenbehandlung, etwa weil der Versicherte vor Eintreffen des Rettungsfahrzeugs verstorben ist. 96 Betrachtete man BSGE 47, 79 (82 f.). Auch in BSGE 32, 225 (227) war bereits von "den heutigen, gegenüber früher wesentlich gewandelten Reise- und Urlaubsgewohnheiten breiter Bevölkerungskreise" die Rede, welche es nach damaliger Auffassung des Gerichts nicht rechtfertigten, den Anspruch des Versicherten auf Ersatz der Rückreisekosten davom abhängig zumachen, dass der Ort der Erkrankung nicht unverhältnismäßig weit vom Wohnort des Versicherten liegt. 93 Riediger, Wirkungen des Rettungsdienstes, S. 14. 94 Breuer, ZfS 1983,339 (344); [wers, LKV 1999,485 ff. (aus der Perspektive des kommunalen Abgabenrechts). 95 LSG Nordrhein-Westfalen, Breith. 1999,395 (403). 96 Riediger, Wirkungen des Rettungsdienstes, S. 14; Breuer, ZfS 1983,339 (344). 91

92

B. Fahrkostentragung durch die gesetzliche Krankenversicherung

43

Fahrkosten streng als akzessorische Nebenleistung zur medizinischen Behandlung, müsste in derartigen Fällen eine Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung ausscheiden. Die Leistungspflicht der Kassen hinge dann aber von Zufallen ab. Dies widerspricht dem Sinn und Zweck des § 60 SGB V. Denn diese Norm soll dem Versicherten die Inanspruchnahme von Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung ermöglichen und verhindern, dass Versicherte von Behandlungsleistungen absehen, weil ihnen beim Aufsuchen der betreffenden Einrichtung Fahrkosten entstehen. Aus dem Wortlaut des § 60 SGB V lässt sich nicht entnehmen, dass es zur tatsächlichen Inanspruchnahme kommen muss, denn er verlangt nur einen Zusammenhang mit der Gewährung einer Leistung. Die Gewährung ist nicht mit der Inanspruchnahme gleichzusetzen, sondern setzt früher an: die Kasse muss ihre Leistungen im Versicherungsfall bereitstellen. Ob diese tatsächlich in Anspruch genommen werden oder nicht, hängt vom Versicherten ab. Soweit in § 60 SGB V von einem "Zusammenhang" zwischen Fahrt und Kassenleistung die Rede ist, sollte damit keine strikte Akzessorietät, sondern lediglich ein sachlicher und zeitlicher Bezug zu den grundsätzlichen Leistungspflichten der Krankenkasse geschaffen werden. 97 Dieser besteht bereits dann, wenn die Fahrt in der Absicht durchgeführt wurde, eine solche Leistung in Anspruch zu nehmen. 98 Dies entspricht insbesondere bei Rettungsfahrten der Zielsetzung solcher Transporte: sie liegt allein darin, die Rettung von Menschenleben zu ermöglichen, kann dies jedoch nicht immer gewährleisten. Die Kosten für relative Fehleinsätze sind daher zu übernehmen, wenn im Zeitpunkt des Einsatzes ein aus der Sicht des Bestellers nötiges Transportmittel angefordert wurde. Dabei ist auf die Einsichts- und Beurteilungsflihigkeit des Bestellers abzustellen: stellt sich diesem die konkrete Situation als Notfall dar, ist der Einsatz eines Transportmittels als notwendig zu erachten und somit von der Krankenkasse zu übernehmen. Falls die Leistungserbringung aufgrund eines außerhalb der Sphäre des Bestellers liegenden Ereignisses nicht realisiert werden kann, geht dies nicht zu dessen Lasten. 99

IV. Härtefallregelungen der §§ 61, 62 SGB V Gemäß § 61 I Nr. 3 SGB V hat die Krankenkasse notwendige Fahrkosten vollständig zu übernehmen, wenn der Versicherte durch die Verpflichtung zur Leistung des Eigenanteils unzumutbar belastet würde. Eine unzumutbare Belastung ist anzunehmen, wenn das Bruttoeinkommen des Versicherten eine bestimmte Höhe nicht erreicht oder wenn ihm bestimmte, das konventionelle Existenzminimum sichernde Sozialleistungen, z. B. Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG, Leistungen der Arbeitslosenhilfe oder dem BAFöG, gewährt werden (§ 61 11 SGB V). 97 98 99

Breuer; ZfS 1983,339 (341). Noch zu § 194 RVO: Breuer; ZfS 1983,339 (341 f.). Breuer; ZfS 1983,339 (343), Schellhorn, GK-SBG V, § 60, Rn. 9.

44

I. Teil: Krankentransporte und Rettungswesen in Deutschland

Eine teilweise Befreiung des Versicherten vom Selbstbehalt kommt nach § 62 I SGB V in Betracht, wenn die Zuzahlungen die Belastungsgrenze überschreiten. Sie wird ebenfalls an hand des Bruttogehalts des Versicherten bemessen. Insbesondere bei regelmäßig anfallenden Fahrkosten - denkbar wären hier Fahrten zur Behandlung chronischer Krankheiten - kann die zuständige Kasse nach § 62 I 3 SGB V die Kosten übernehmen. Jedoch besteht keine generelle gesetzliche Vermutung, dass chronisch Kranke durch die Zuzahlungspflichten stets unzumutbar belastet sind. Die Überforderungsklausel soll die Versicherten dazu veranlassen, aufgrund ihrer teil weisen Zuzahlungspflicht Leistungen auch von günstigeren Anbietern und gegebenenfalls weniger häufig in Anspruch zu nehmen. Wird hingegen die Sozialklausel des § 61 SGB Verfüllt, entfällt dieser Steuerungseffekt aufgrund der vollständigen Befreiung des Versicherten von der Leistung seines Eigenanteils. 100 Entstehen dadurch Mehrkosten, dass ein bedürftiger Versicherte ein Transportunternehmen in Anspruch genommen hat, dessen Tarife über den nach § 133 SGB V abrechnungsfähigen Preisen liegen, können diese im Rahmen der Härtefallregelung nicht übernommen werden. 101 Die Voraussetzungen der Härtefallbestimmungen sind vom Versicherten zu beweisen. 102

V. Bestimmung der Entgelte für Krankentransporte und Fahrten im Rahmen des Rettungsdienstes nach § 133 SGB V Die Finanzierung von Krankentransporten und Rettungsfahrten aus der Sicht der Krankenkassen ist in § 133 SGB V geregelt. Im Rahmen des GRG fand diese Regelung mit Wirkung vom 01. 01. 1989 vor dem Hintergrund der mit dem medizinischen Fortschritt einhergehenden Kostenexplosion Eingang in das SGB V. 103 Vorbehaltlich einer Entgeltfestlegung durch landes- oder kommunalrechtliche Bestimmungen sollen die Krankenkassen oder ihre Verbände nach § 133 I SGB V mit geeigneten Einrichtungen und Unternehmen Verträge über die Vergütung von Leistungen des Rettungsdienstes oder anderer Krankentransporte schließen. Werden aufgrund der landesrechtlichen Vorgaben die Entgelte hingegen einseitig durch Satzung oder Rechtsverordnung festgelegt, sind die Krankenkassen unter den in § 133 11 Nr. 1 - 3 SGB V statuierten Voraussetzungen berechtigt, ihre Leistungspflicht auf Festbeträge zu beschränken. Im Regierungsentwurf nicht enthalten, wurde der landesrechtliehe Vorbehalt erst auf Vorschlag des Bundesrates in § 133 SGB V eingefügt, um die Kompetenz der Länder zur gesetzlichen Ausgestaltung des Rettungsdienstes - welche auch die 100 101 102 103

Zipperer; BArBI 1989,30 (30). Baier in Krauskopf! Schroeder-Printzen, Soziale Krankenversicherung, § 60, Rn. 23. Zipperer; BArBI 1989, 30 (33). Henninger in Schulin, Hb Sozialversicherungsrecht, § 42, Rn. 1.

B. Fahrkostentragung durch die gesetzliche Krankenversicherung

45

Befugnis zur Festsetzung von Benutzungsgebühren für die Inanspruchnahme von dessen Leistungen beinhaltet - bundesgesetzlich anzuerkennen. 104 Im Rahmen der "Gesundheitsreform 2000" wurde der vormals allgemein gehaltene landesrechtliche Vorbehalt des § 133 I SGB V ("Soweit Landesrecht nichts anderes bestimmt ... ") durch die Formulierung "Soweit die Entgelte ... nicht durch landesrechtliche oder kommunalrechtliche Bestimmungen festgelegt werden" ersetzt. Diese Fassung stellt klar, dass die Krankenkassen an die landesrechtlichen Vorgaben gebunden sind. Es herrscht jedoch weitgehend Einigkeit darüber, dass der Bundesgesetzgeber trotz der Kompetenz der Länder, anderweitige Regelungen zu treffen, der Vertragslösung Vorrang vor einer einseitigen Festlegung der Entgelte einräumen wollte. 105 Die Befugnis der Krankenkassen zur Beschränkung ihrer Leistungspflicht auf Festbeträge nach § 133 11 SGB V soll demnach nicht dazu dienen, die Kosten eines Transports auf den Versicherten abzuwälzen, sondern vielmehr Entgeltverhandlungen bzw. das Zustandekommen einer Einigung zwischen den Krankenkassen und den Trägem des Rettungsdienstes im Sinne von § 133 I SGB V fördem. 106

1. Anwendungsbereich des § 133 SGB V In § 133 SGB V wird zwischen "Leistungen des Rettungsdienstes" und "anderen Krankentransporten" differenziert. Die Terminologie weicht von der leistungsrechtlichen Regelung des § 60 11 SGB V ab, in der eine Unterscheidung zwischen Fahrten zur ambulanten und solchen zur stationären Behandlung getroffen wird. Lediglich im Rahmen der Fahrten zur ambulanten Behandlung ist die Differenzierung zwischen Krankentransport und Rettungsfahrt von Bedeutung. Diese Unterschiede komplizieren die genaue Bestimmung des Anwendungsbereiches des § 133 SGB V - vor allem im Hinblick auf dessen Zusammenspiel mit § 60 11 SGB V. Als Transportmittel für Fahrten nach § 60 SGB V sieht § 60 III SGB V die Fahrzeuge des öffentlichen Nahverkehrs (Nr. 1), Taxen und Mietwagen (Nr. 2), Krankenkraftwagen und Rettungsfahrzeuge (Nr. 3), sowie private PKW (Nr. 4) vor. Da ein Vertragsschluss der Krankenkassen bzw. eine einseitige Gebührenfestsetzung für den öffentlichen Personennahverkehr sowie private Kraftfahrzeuge naturgemäß nicht in Betracht kommt, umfasst der Anwendungsbereich des § 133 SGB V zunächst alle Fahrten zur ambulanten wie stationären Behandlung, die mit Taxen, Mietwagen, Kranken- oder Rettungsfahrzeugen durchgeführt werden. Im Rahmen der nach § 133 I SGB V vorgesehenen Vertragslösung differenziert das Gesetz zwischen den "Leistungen des Rettungsdienstes" und "anderen Kran104 Dalichau/Grüner, Gesetzliche Krankenversicherung - SGB V, § 133, S. 6, Kranig in Hauck, SGB V, § 133, Rn. I. 105 Vgl. dazu Steck, BKK 1994,665 (666), Limpinsel in lahn/Klose, SGB für die Praxis, § 133, Rn. I. 106 Limpinsel in lahn/ Klose, SGB für die Praxis, § 133, Rn. 2.

46

1. Teil: Krankentransporte und Rettungswesen in Deutschland

kentransporten". Dem Begriff des Rettungsdienstes werden die Einrichtungen und Unternehmen der Daseinsvorsorge zugeordnet, die kraft Landesrechts mit der öffentlichen Aufgabe "Rettungsdienst" betraut sind. Als "andere Krankentransporte" werden demgegenüber sämtliche Beförderungen angesehen, die nicht durch den Rettungsdienst durchgeführt werden, also solche mit Taxen, Mietwagen oder einfachen Krankenkraftwagen. \07 Ein anderer Ansatz geht dahin, unter dem Begriff des Rettungsdienstes die Transporte zusammenzufassen, die unter Benutzung von Rettungs- und Notarztwagen sowie Rettungshubschraubern durchgeführt werden, und die Benutzung von Krankentransportwagen sowie Taxen und Mietwagen als "sonstige Krankentransporte" einzuordnen. \08 Beiden Ansätzen ist gemein, dass sie im Ergebnis sämtliche Rettungsfahrten und Krankentransporte unabhängig vom rechtlichen Status des Durchführenden in den Anwendungsbereich des § 133 I SGB V einordnen. Lediglich die Fahrten mit dem öffentlichen Nahverkehr oder einem privaten PKW sind nicht von dieser Norm erfasst. Die begriffliche Differenzierung ist an dieser Stelle daher nur von untergeordneter Bedeutung. \09 In § 133 III SGB V wird die Geltung des Vertragsgrundsatzes auf Transporte nach den Landesrettungsgesetzen oder dem PBefG erweitert. Letzteres - einschlägig waren die §§ 46 II Nr. 3, 49 IV, 51 VI PBefG a. F. - ist jedoch seit der Herausnahme dieser Materie aus dem Geltungsbereich des Gesetzes für die Beförderung mit Krankenkraftwagen weitgehend bedeutungslos. § 133 III SGB V soll zwar veranschaulichen, dass die Kassen bei ihren Vereinbarungen nicht auf Rettungsdienste beschränkt sind, die nach Landesrecht zum Zwecke der Daseinsvorsorge Rettungsdienstaufgaben wahrnehmen, sondern vielmehr auch mit Unternehmen in Verhandlungen treten können, die auf Gewinnerzielung ausgerichtet sind. llo Da jedoch sämtliche Länder in ihren Rettungsgesetzen ein Genehmigungserfordernis für Unternehmer im Bereich Rettungsdienst und Krankenfahrten aufgestellt haben, beinhaltet der Anwendungsbereich des § 133 III SGB V lediglich die nach dem PBefG zugelassenen Taxi- und Mietwagenunternehmen. § 133 II SGB V umfasst schließlich - wie die Verweisung auf landesrechtliche Bestimmungen verdeutlicht - Krankentransporte und Rettungsfahrten, die von nach Landesrecht mit dieser Aufgabe betrauten Einrichtungen und Unternehmen durchgeführt werden. Im Gegensatz zu § 60 SGB V, welcher den Versicherten einen Anspruch auf sämtliche im Zusammenhang mit einer Krankenkassenleistung notwendigen Fahrten vermittelt, gelten die Vergütungsregelungen im Ergebnis nur für Fahrten, die aus medizinischen Gründen nicht mit einem öffentlichen Verkehrsmittel oder einem privaten PKW durchgeführt werden können.

107 Davon wird offensichtlich auch in BGHZ 114, 218 (235) ausgegangen; i. E. so auch Hencke in Peters, Hb Krankenversicherung, § 133, Rn. 2, 3. 108 Kranig in Hauck, SGB V, § 133, Rn. 3. 109 So auch v. Maydell in v. Maydell, GK-SGB V, § 133, Rn. 3. 110 Kranig in Hauck, SGB V, § 133, Rn. 3.

B. Fahrkostentragung durch die gesetzliche Krankenversicherung

47

a) Vertrags/ösung nach § 1331 SGB V

Sieht das Landesrecht nicht vor, dass die Entgelte für Rettungsfahrten und Krankentransporte einseitig durch landes- oder kommunalrechtliche Bestimmungen festgelegt werden, haben die Krankenkassen diese mit dafür geeigneten Leistungserbringern vertraglich zu vereinbaren. Vertragsparteien sind zum einen die örtlichen Krankenkassen bzw. deren Verbände, wobei die Zuständigkeit für den Vertragsschluss originär bei den Krankenkassen angesiedelt istY 1 Gemäß § 217 11 Nr. 3 SGB V ist es den Kassen jedoch unbenommen, diese Befugnis an den Landes- bzw. Bundesverband zu delegieren. Dies bietet sich insbesondere beim Vertragsschluss mit überregional tätigen Hilfsorganisationen, z. B. dem Deutschen Roten Kreuz oder dem ADAC, an. Auf Seiten der Leistungserbringer verhandeln die Träger entsprechender Einrichtungen und Unternehmen. Deren rechtliche Ausgestaltung, insbesondere ihre Zuordnung zum öffentlichen oder privaten Recht ist unerheblich. Folglich kommen als Vertragspartner sowohl Landkreise und kreisfreie Städte, die den Rettungsdienst als Träger selbst durchführen, als auch freiwillige Hilfsorganisationen oder private Unternehmen in Betracht. ll2 Im Unterschied zu Verträgen über die Versorgung mit Heil- und Hilfsmitteln nach §§ 124 ff. SGB V ist der Vertragsgegenstand in § 133 I SGB V auf Vergütungsvereinbarungen beschränkt. Einzelheiten der Versorgung mit Rettungsdienstleistungen können in diese Verträge mithin keinen Eingang finden. Sie ergeben sich unmittelbar aus den Rettungsdienstgesetzen der Länder. Insbesondere kann aus dem Auftrag zur Sicherstellung der flächendeckenden Versorgung der Bevölkerung mit Leistungen des Rettungsdienstes aus § 133 I 3 SGB V keine Befugnis der Kassen abgeleitet werden, in den Verträgen mit den einzelnen Anbietern einen bestimmten Leistungsumfang festzuschreiben, um so die Flächendeckung im Zuständigkeitsbereich der jeweiligen Krankenkasse zu erreichen. 113 Ebenso ist es den Kassen versagt, vor Abschluss der Verträge eine Bedarfsprüfung vorzunehmenY4 Bei den Preisvereinbarungen sollen die Empfehlungen der Konzertierten Aktion im Gesundheitswesen (§§ 141 f. SGB V) sowie die preisgünstigsten Versorgungsmöglichkeiten berücksichtigt werden (§ 133 I 3, 7 SGB V).115 Die Empfehlungen der Konzertierten Aktion zielen darauf ab, zwischen dem Ziel der Beitragsstabilität (§ 71 SGB V) und der Pflicht einer bedarfsgerechten und ausreichenden mediziLimpinsel in lahn/ Klose, SGB für die Praxis, § 133, Rn. 4. v. Maydell in v. Maydell, GK-SGB V, § 133, Rn. 16 f. 113 Kranig in Hauck, SGB V, § 133, Rn. 22. 114 BSGE 77, 119 (122), Dalichau/Grüner; GSG, § 133, S. 7, Henninger in Schulin, Hb Sozialversicherungsrecht, § 42, Rn. 17. 115 Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen, Empfehlung vom 14. 12. 1993 zu den Ausgaben im Bereich Notfallrettung und Krankentransport, DOK 1994,41; Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen, Gesundheitsversorgung und Krankenversicherung 2000, S. 132 ff. 111

112

1. Teil: Krankentransporte und Rettungswesen in Deutschland

48

nischen Versorgung (§ 70 SGB V) zu vermitteln. Sie sollen der Gefahr entgegenwirken, dass die Leistungserbringer wegen des Grundsatzes der Beitragsstabilität dem Gebot der bedarfsgerechten Versorgung nicht mehr genügen. 116 Insoweit hat § 133 I SGB V nur eine klarstellende Funktion: bereits aus §§ 71, 141 II SGB V folgt, dass die Kassen zur Wahrung der Beitragssatzstabilität den Empfehlungen der Konzertierten Aktion folgen sollen. Vorrang hat jedoch in jedem Fall das Interesse der Versicherten, jederzeit einen ausreichenden Rettungsdienst in Anspruch zu nehmen. Kollidiert der Sicherstellungsauftrag der Krankenkassen mit den Empfehlungen der Konzertierten Aktion, haben die Kassen die Versorgung der Versicherten daher selbst dann sicherzustellen, wenn die Hinweise der Konzertierten Aktion dadurch nicht eingehalten werden können. I 17 Die Orientierung der Preisvereinbarungen an den preisgünstigen Versorgungsmöglichkeiten soll ebenfalls kostendämpfend wirken. Sie wurde vor dem Hintergrund der überdurchschnittlichen Kostenentwicklung für Rettungsleistungen eingeführt; insbesondere waren die erheblichen Preisunterschiede zwischen den Ländern, einzelnen Gemeinden und Landkreisen sowie zwischen gewinn orientierten Unternehmen und Hilfsorganisationen Anlass dieser Regelung. Durch § 133 I 7 SGB V sind die Kassen nunmehr verpflichtet, Preisvergleiche zwischen mehreren Anbietern durchzuführen und ihre Vereinbarungen bei gleicher Qualifikation an den günstigsten Angeboten zu orientieren. Dabei sind auch private Anbieter zu berücksichtigen. Dies stärkt nicht zuletzt die Verhandlungsposition der Krankenkassen, indem sie ihnen im Einzelfall einen Spielraum zur Vereinbarung geringerer Entgelte verschafft und könnte durch die Ermöglichung verstärkter Konkurrenz unter den Leistungserbringern positive Auswirkungen auf die Preisentwicklung haben. § 133 I 4 SGB V bindet die vereinbarten Preise an die Veränderungsrate der beitragspflichtigen Einnahmen sämtlicher Krankenkassenmitglieder an. Die für Transportleistungen abgerechneten Preise dürfen sich damit höchstens in dem Maß verändern, wie sich die beitragspflichtigen Einnahmen der Krankenversicherten im Vorjahr verändert haben. Diese Rate, die gemäß Art. 18 GKV-SolG 1l8 jährlich vom Bundesministerium für Gesundheit festgelegt wird, fungiert als Obergrenze. Sie darf von den Verhandlungspartnern bei der Vereinbarung der Transportentgelte nicht überschritten werden. Auch dieses Instrument dient der Stabilisierung der Beitragssätze der gesetzlichen Krankenversicherung. Ferner bestimmt § 133 I 2 SGB V, dass - sollten nach Landesrecht bei Nichtzustandekommen einer Vereinbarung die Transportentgelte einseitig bestimmt werden - auch bei dieser Festlegung § 71 1- III SGB V zu beachten ist. Die in den Vereinbarungen erzielten Hauck in Hauck, SGB V, § 141, Rn. 1. v. Maydell in v. Maydell, GK-SGB V, § 133, Rn. 23, Limpinsel, in Jahn/Klose, SGB für die Praxis, § 133, Rn. 6. 118 Gesetz zur Stärkung der Solidarität in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 19.12.1998, BGBl. I, S. 3853. 116 117

B. Fahrkostentragung durch die gesetzliche Krankenversicherung

49

Preise stellen gemäß § 133 I 6 SGB V Höchstpreise dar. Sie können daher unterschritten werden, so dass unterhalb der Obergrenze ein Wettbewerb unter den Anbietern möglich ist. b) Festlegung von Festbeträgen nach § 133 Il SGB V

Können aufgrund landesrechtlicher Regelungen die Entgelte für Krankentransporte und Rettungsfahrten einseitig durch Landes- oder Kommunalrecht - in der Regel sind dies Rechtsverordnungen der Landesregierungen oder kommunale Satzungen nach dem jeweiligen Kommunalabgabengesetz - festgelegt werden, sind die Krankenkassen grundsätzlich gehalten, Leistungen in Höhe der festgelegten Entgelte zu erbringen. Unter den Voraussetzungen des § 133 II SGB V sind die Krankenkassen von dieser Verpflichtung befreit und dürfen ihre Leistungspflicht auf die Übernahme von Festbeträgen 119 beschränken. Nach § 133 II SGB V setzt eine Festbetragslösung voraus, dass den Krankenkassen oder deren Verbänden vor der Entgeltfestsetzung keine Gelegenheit zur Erörterung gewährt wurde (Nr. 1), dass in die Entgeltfestlegung Investitions- oder Vorhaltungskosten eingeflossen sind, die durch eine über die Sicherstellung des Rettungsdienstes hinausgehende öffentliche Aufgabe entstanden sind (Nr. 2) oder dass die Leistungserbringung im Verhältnis zum gesetzlichen Sicherstellungsauftrag unwirtschaftlich ist (Nr. 3). Auch diese Regelung wurde vor dem Hintergrund überdurchschnittlicher Preissteigerungen sowie wegen mangelnden Wettbewerbs mit privaten Leistungsanbietern in das SGB V aufgenommen. 120 Teilweise wird angenommen, die in § 133 II SGB V aufgezählten Bedingungen müssten kumulativ vorliegen, um die Festsetzung von Festbeträgen zu rechtfertigen. 121 Der Wortlaut der Norm, insbesondere die Verbindung der Nr. 1 bis 3 durch die Formulierung "oder" lassen indes darauf schließen, dass der Gesetzgeber vom alternativen Vorliegen der Voraussetzungen ausgegangen ist. Dieses Ergebnis wird vom Sinn und Zweck des § 133 II SGB V gestützt: die Beschränkung der Leistungspflicht der Kassen stellt sich im Ergebnis als kostendämpfende Maßnahme dar, für die ein hinreichender Anlass besteht, selbst wenn nur eine der genannten Voraussetzungen erfüllt ist. 122 119 Die Bestimmungung von Festbeträgen als mittelbare Festsetzung von Ankaufspreisen wird jedoch wegen Verstoßes gegen Art. 81 EG für wettbewerbswidrig gehalten, vgl. OLG Düsseldorf, NZS 1998, 567 (567), OLG Düsseldorf, PharmR 1999, 283, LSG NRW, 28.09.2000 (L 5 KR 11/95). Eine Entscheidung des EuGH steht noch aus. 120 Kranig in Hauck, SGB V, § 133, Rn. 27. 121 So Limpinsel in lahn/ Klose, SGB für die Praxis, § 133, Rn. 11, 12, der in seinen Ausführungen offenbar vom kumulativen Vorliegen zumindest der Nr. I und 2 ausgeht. 122 So im Ergebnis auch Hencke in Peters, Hb Krankenversicherung, § 133, Rn. 12, Kranig in Hauck, SGB V, § 133, Rn. 27, v. Maydell in v. Maydell, GK-SGB V, § 133, Rn. 50.

4 Abig

1. Teil: Krankentransporte und Rettungswesen in Deutschland

50

Wurde einer Krankenkasse bei der Entgeltfestsetzung keine hinreichende Gelegenheit zur Erörterung gegeben (Nr. 1), darf sie den Festbetrag selbst bestimmen. Ob die Kassen dieses Recht wahrnehmen, richtet sich nach dem Umfang ihrer Einbeziehung in das Rettungswesen, der sich im Einzelnen aus den Landesrettungsgesetzen ergibt. Die Festlegung von Festbeträgen ist ferner zulässig, sofern in die einseitige Entgeltbemessung Kosten eingeflossen sind, die über den Sicherstellungsauftrag hinausgehen. Dies ist der Fall, wenn die Investitions- und Anschaffungskosten - welche durch Zuschüsse der Länder zu finanzieren sind - auf die Benutzungsentgelte umgelegt werden. Daneben kann § 133 II Nr. 2 SGB Verfüllt sein, wenn öffentliche Einrichtungen mit einem weiter gefassten Aufgabenbereich (z. B. Bundeswehr, Bundesgrenzschutz oder Feuerwehr) Rettungsdienstaufgaben übernehmen, da es häufig Probleme bereiten wird, die Kosten der einzelnen Aufgabenfelder auseinander zu halten. 123 Letztlich steht den Krankenkassen das Recht zur Bestimmung von Festbeträgen zu, wenn die Leistungserbringung im Vergleich zum gesetzlichen Sicherstellungsauftrag unwirtschaftlich ist. Dies ist der Fall, wenn infolge von Fehlplanungen und einer zu großzügigen personellen und sachlichen Ausstattung des Rettungsdienstes ein Überangebot auf dem Rettungsmarkt besteht. Das Vorliegen dieser Voraussetzung kann naturgemäß nur dann ermittelt werden, wenn eine Vielzahl von Leistungserbringern ihre Dienstleistungen auf dem Markt anbietet, so dass ein Vergleich zwischen den einzelnen Einrichtungen angestellt werden kann. 124 Ein solcher Vergleich ist jedoch nur dann sinnvoll, wenn nicht nur die in den Rettungsdienst einbezogenen Organisationen, sondern auch andere Unternehmen auf dem Rettungsmarkt auftreten. § 133 II 1 Nr. 3 SGB V befindet sich insofern in einer Linie mit § 2 SGB V, der den Krankenkassen auferlegt, bei der Auswahl der Leistungserbringer deren Vielfalt zu beachten: auch diese Norm verfolgt den Zweck, einen kostendämpfenden Wettbewerb im Rahmen der Krankenversicherung zu schaffen und Monopole auszuschließen. 125 Die Höhe des Festbetrages muss sich an den Kosten vergleichbarer wirtschaftlich erbrachter Leistungen orientieren. Als Richtwert werden bestehende vertragliche Vergütungsregeln oder andere gesetzlich festgelegte, vergleichbare Vergütungen herangezogen. 126 Die Differenz zwischen dem Festbetrag und dem tatsächlich für die Beförderungsleistung zu entrichtenden Entgelt ist vom Versicherten zu tragen. Der Gesetzgeber ist dabei offenkundig davon ausgegangen, die Verpflichtung des Versicherten zur Entrichtung eines Eigenanteils könnte die die Gebühren festsetzenden Körperschaften dazu veranlassen, die Benutzungsentgelte an die Festbeträge der Kassen anzunähern. 127 Kranig in Hauck, SGB V, § 133, Rn. 27. BGHZ 114, 218 (236). 125 BGHZ 114, 218 (236 f.). 126 v. Maydell in v. Maydell, GK-SGB V, § 133, Rn. 54. 127 Limpinsel in Jahn/Klose, SGB für die Praxis, § 133, Rn. 2, v. Maydell in v. Maydell, GK-SGB V, § 133, Rn. 7, Wasem, BArbBl1989 (4), 27 (29). 123

124

B. Fahrkostentragung durch die gesetzliche Krankenversicherung

51

2. Bindungswirkung der bundesrechtlichen Preisbegrenzung

Ob die in § 133 14 SGB V vorgesehene Begrenzung der Preisentwicklung für die Leistungen des Rettungsdienstes eine Bindungswirkung für die landesrechtlich bestimmten Entgelte zeitigen, wird von den Ländern vielfach bestritten. 128 Den Ausgangspunkt der Argumentation bildet die grundgesetzliche Kompetenzverteilung: da der Erlass von Regelungen über den Rettungsdienst, einschließlich seiner Finanzierung als Aufgabe der Daseinsvorsorge in die Zuständigkeit der Länder flillt, greife § 133 I SGB V in diese Länderkompetenz ein. 129 Dem steht jedoch die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes für die Sozialversicherung aus Art. 74 Nr. 12 GG gegenüber. Aufgrund derer kann es dem Bundesgesetzgeber nicht verwehrt sein, Regelungen über die Kosten von Krankentransporten und Rettungsfahrten zu treffen, die in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen fallen. Es besteht mithin ein Spannungsverhältnis zwischen bundes- und landesrechtlichen Regelungen, das unter Abwägung sämtlicher involvierter Interessen aufzulösen ist. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollte § 133 14 SGB V ausdrücklich für die nach Landesrecht zustande gekommenen Vergütungen gelten. 130 Dies ist jedoch problematisch, da in § 133 I 1 SGB V ein Vorbehalt für abweichende landesrechtliche Vorgaben statuiert wurde. Somit stellt sich zunächst die Frage, ob sich dieser Vorbehalt auch auf § 133 14 SGB V erstreckt, den Ländern also die Möglichkeit des Abweichens von der Preisbegrenzung eingeräumt wurde. Zum anderen ist problematisch, ob § 133 14 SGB V nur auf die Vereinbarung der Beförderungsentgelte im Sinne von § 133 I SGB V oder auch auf deren einseitige Festlegung durch landes- oder kommunalrechtliche Bestimmungen im Sinne von § 133 11 SGB V Anwendung finden soll. Ersteres wird unter Hinweis auf die gesetzgeberische Intention verneint: Hintergrund der bundesrechtlichen Preissteigerungsgrenze sei das Bedürfnis, die Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen zu begrenzen, um das Gebot der Beitragssatzstabilität (§ 71 SGB V) zu befolgen. 13l Daher verdränge die konkurrierende Bundeskompetenz aus Art. 74 Nr. 12 GG für die Sozialversicherung gemäß Art. 72 GG insoweit die Zuständigkeit der Länder zur Bestimmung der Entgelte für Rettungsdienstleistungen. Die Länder müssten hinnehmen, dass die "Gefahrenabwehr im Rettungsdienst nicht um jeden Preis möglich" seL l32 Indes sind die Länder aufgrund ihrer ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz für das Recht der Gefahrenabwehr zur umfassenden Regelung des Rettungsdienstes, Vgl. dazu nur den Vorlagebeschluß an das BVerfG, 27. I. 1999 (2 BvL 8/98). Beschluß des Präsidiums des DRK in Lüttgenl Mendel, Handbuch des Rettungswesens, Bd. I, B.n.2.5. 130 BT-Drs. 12/3937, S. 8. 131 Denninger, RD 1993,945 (946). 132 So die Argumentation des vorlegenden Gerichts in BVerfG, 27. I. 1999 (2 BvL 8/98), Rn. 50. 128 129

4*

52

1. Teil: Krankentransporte und Rettungswesen in Deutschland

einschließlich seiner Finanzierung zuständig. Es liegt damit eine "Kompetenz-Kollision" zwischen der ausschließlichen Länderkompetenz und der konkurrierenden Zuständigkeit des Bundes für die Sozialversicherung vor. Diese ist zugunsten der Länder zu entscheiden, da es dem Bund anderenfalls möglich wäre, die Gesetzgebungskompetenzen der Länder auszuhöhlen. 133 Der Bund muss also bei Gebrauch seiner Gesetzgebungsbefugnis auf die bestehenden Befugnisse der Länder Rücksicht nehmen. Genau dies sollte mit der Einfügung des landesrechtlichen Vorbehaltes auch verdeutlicht und anerkannt werden. Teilweise l34 wird vorgebracht, der landesrechtliche Vorbehalt erstrecke sich nicht auf § 133 I 4 SGB V, da dieser erst nachträglich durch das GSG eingefügt wurde. Dem ist jedoch zu entgegnen, dass es im Interesse der Kostendämpfung zwar wünschenswert wäre, wenn die Länder dem Willen des Bundesgesetzgebers folgten. Eine Bindungswirkung lässt sich jedoch nur begründen, wenn dies mit Wortlaut und Systematik der Norm vereinbar ist. 135 Für eine systematische Auslegung kann es allein auf deren Sachzusammenhang ankommen. Die historische Entwicklung kann nur angeführt werden, soweit sie in der in Rede stehenden Norm einen Niederschlag gefunden hat. Dies ist hier aber nicht der Fall. Dass der landesrechtliehe Vorbehalt an den Anfang des § 133 I SGB V gestellt wurde, bildet ein eindeutiges Indiz dafür, dass der Bund die Modalitäten der Entgeltbestimmung und damit auch deren Höhe - grundsätzlich den Ländern überlassen wollte. Nur sofern das Landesrecht keine abweichenden Vorkehrungen trifft, sollen die Entgelte unter den in § 133 I SGB V vorgesehenen Bedingungen vereinbart werden. Der landesrechtliehe Vorbehalt erstreckt sich daher im Ergebnis auch auf die Preisbegrenzung des § 133 I 4 SGB V. Eine "abweichende landesrechtliehe Regelung" kann nur angenommen werden, falls die Rettungsdienstgesetze vorsehen, dass die Vereinbarungen nicht zwischen den Krankenkassen(verbänden) und "geeigneten Einrichtungen und Unternehmen" - den Hilfsorganisationen, privaten Transportunternehmen oder den Rettungsdienst selbst durchführenden Landkreisen und kreisfreien Städten - geschlossen werden sollen. 136 Die Frage, ob die Preisbegrenzung nur bei der Vereinbarung oder auch bei landes- bzw. kommunalrechtlicher Festsetzung der Entgelte Anwendung finden soll, wird ebenfalls unterschiedlich beantwortet. Es wird zum einen vertreten, dass dies jedenfalls dann der Fall sei, wenn die einseitige Preisbestimmung durch Satzung hilfsweise erfolgt, nachdem Entgeltverhandlungen gescheitert sind. § 133 I SGB V erfasse jede landesrechtliche Gestaltung, bei der grundsätzlich eine Vereinbarung der Entgelte vorgesehen ist. Im Gegensatz zu den originären Festsetzungsmodellen nach § 133 11 SGB V sei die Preisbegrenzung auf eine solche subsidiäre einseitige So auch Denninger, RD 1993, 945 (950). Vgl. die Auffassung des vorlegenden Gerichts in BVerfG, 27. 1. 1999 (2 BvL 8/98), Rn. 49. 135 Studenroth, NdsVB11995, 17l (174). 136 So auch Studenroth, NdsVB11995, 171 (174 f.). 133

134

B. Fahrkostentragung durch die gesetzliche Krankenversicherung

53

Festlegung anwendbar. 137 Nach der entgegenstehenden Auffassung des BVerwG spricht der Wortlaut des § 133 14 SGB V dafür, die Preisbegrenzung nur auf vereinbarte Transportentgelte anzuwenden. Die Entgeltbegrenzung des § 133 14 SGB V sei auf die "Preise" für Leistungen des Rettungsdienstes bezogen. Mit dem Begriff "Preis" könnten jedoch nur privatrechtlich vereinbarte Entgelte gemeint sein. 138 Die Logik spricht für diese Auffassung: Hintergrund der Preisbegrenzung war die Senkung der Ausgaben der Krankenkassen, die sich zum einen - im Falle einer Vereinbarung - durch die Anbindung der Preissteigerungen an die Entwicklung der Grundlöhne der Versicherten erreichen lässt. Zum anderen ist es den Krankenkassen nach Absatz 11 möglich, im Falle der einseitigen Entgeltbestimmung ihre Leistungspflicht auf Festbeträge zu begrenzen. Auch im Wege dieses Instruments kann der Beitragsstabilität Rechnung getragen werden, ohne dass die Preisbegrenzung des § 133 I 4 SGB V notwendig ist. 139 Dafür spricht auch die Systematik des § 133 I, 11 SGB V, der strikt zwischen der Vereinbarungs- und der Festbetragslösung differenziert. Die Preisbegrenzung ist nur in § 133 I SGB V angesprochen, knüpft also klar an den Abschluss von Vergütungsverträgen an. 140 Diese Argumentation kann jedoch angesichts des Wortlauts des § 133 I SGB V nicht aufrechterhalten werden. Nach Satz 2, der mit dem GRG 2000 141 eingefügt wurde, ist der Grundsatz der Beitragssatzstabilität auch bei einer hilfsweisen einseitigen Entgeltbestimmung zu beachten. Damit sollte nach dem Willen des Gesetzgebers sichergestellt werden, dass § 71 SGB V auch dann Rechnung getragen wird, wenn die Krankenkassen nicht an der Entscheidung über die Vergütung beteiligt sind. 142 Im Ergebnis findet die Preisdeckelung nur dann keine Anwendung, wenn eine einseitige Entgeltbestimmung originär vorgesehen ist, das Landesrecht also von vornherein keinen Raum für Preisvereinbarungen lässt. Ist dagegen die Vereinbarung der Entgelte im Landesrecht angelegt, findet die Preisdeckelung des § 133 14 SGB V Anwendung. 143

Argumentation des vorlegenden Gerichts in BVerfG, 27. 1. 1999 (2 BvL 8/98), Rn. 48. BVerwGE 101,177 (181), Anm. Hederich, NdsVB11996, 288 (288). 139 BVerwGE 101, 177 (182), Denninger; RD 1993,945 (951). 140 Steck, BKK 1994,665 (668), BayVGH, 25. 10. 1995 (4 N 94.854), Limpinsel in lahn/ Klose, SGB für die Praxis, § 133, Rn. 8. 141 GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000, 22. 12.1999, BGBI. I, S. 2626. 142 BT-Drs. 14/1245, S. 86; mit der Einfügung des § 133 12 SGB V durch das GRG 2000 hat der Gesetzgeber daher der Argumentation des BVerwG in BVerwGE 101, 177 (182 f.) Rechnung getragen, die Formulierung des § 133 SGB V müsse eindeutig zum Ausdruck bringen, dass auch eine hilfsweise Entgeltfestsetzung von der Preisbegrenzung erfaßt sein soll. 143 Zustimmend Dalhoff/ Rau, NZS 1995, 153 (159). 137 138

1. Teil: Krankentransporte und Rettungswesen in Deutschland

54

C. Rechtsbeziehungen unter den Beteiligten Bei der Durchführung von Krankentransporten oder Rettungsfahrten besteht ein "Beziehungsviereck" zwischen den Kreisen bzw. kreisfreien Städten als Träger des Rettungsdienstes, den Krankenkassen als Kostenträger, den Leistungserbringern und den Versicherten. Diese Rechtsbeziehungen weisen insofern Besonderheiten auf, als sie sich lange Zeit ohne entsprechende gesetzliche Regelungen entwickelt haben. Die Auseinandersetzung in Rechtsprechung und Literatur konzentrierte sich vor allem auf den Umfang der Einbeziehung von Fahrkosten in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung. Die rechtlichen Beziehungen unter den Beteiligten blieben dagegen lange Zeit nahezu unbeachtet. Ihre Analyse fristete neben den Auseinandersetzungen zu den "klassischen" Leistungserbringern, wie den Ärzten, Krankenhäusern, Apotheken oder Heil- und Hilfsrnittellieferanten, ein Schattendasein.

I. Vergütungsanspruch des vertraglich gebundenen Transportunternehmers Die Ausgestaltung der Rechtsbeziehungen, insbesondere der Schuldner des Transportentgeltes hängt davon ab, ob die Krankenkassen den Transport als Sachleistung oder nach dem Kostenerstattungsprinzip zu gewähren haben. Kennzeichnend für das Sachleistungsprinzip ist die Pflicht der Krankenkassen, dem Versicherten die geschuldeten Sachen oder Dienstleistungen als Naturalleistungen, d. h. so zur Verfügung zu stellen, dass dieser weder der Kasse noch dem Leistungserbringer gegenüber zur Zahlung verpflichtet ist. 144 Die Krankenkassen sollen sich bei der Leistungserbringung Dritter, namentlich der freien Berufe, der selbständig Tätigen und der freien Wirtschaft bedienen. 145 Ihrer Verschaffungspflicht genügen die Kassen, indem sie durch den Abschluss von Verträgen mit den Leistungserbringern die medizinische Versorgung ihrer Mitglieder sicherstellen. 146 Diese Versorgungsverträge werden teilweise als Verträge zugunsten Dritter 147 der Versicherten - eingeordnet. Zwischen den Versicherten und den Transportunternehmen bestünden dann keinerlei Vertragsbeziehungen. 148 Denn die an die Versicherten gewährten Leistungen hätten ihre rechtliche Grundlage in den leistungsrechtlichen Regelungen des SGB V und könnten folglich nicht Gegenstand BGHZ 82, 375 (386), Unger; SGb 1983, 340 (345). BGHZ 82, 375 (387, 389 f.), Dünisch, Erbringung nichtärztlicher Dienstleistungen, S. 144, Rosenthai, Leistungserbringer, S. 88, so auch schon RVA, AN 1914,379 (381). 146 BSG, SGb 1989, 518 (521), Dünisch, Erbringung nichtärztlicher Dienstleistungen, S. 172. 147 Dünisch, Erbringung nichtärztlicher Dienstleistungen, S. 177. 148 BSGE 59, 172 (177). 144 145

c. Rechtsbeziehungen unter den Beteiligten

55

einer vertraglichen Einigung sein. Dies werde bestätigt durch § 76 IV SGB V, wonach sich lediglich die Sorgfaltspflichten (des Arztes) nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts richten. Einer anderen Ansicht zufolge kommt zwischen Versichertem und Leistungserbringer gleichwohl ein dem Privatrecht zuzuordnender Behandlungsvertrag zustande. Dieser determiniere die Einzelheiten der Leistungserbringung, enthalte jedoch keine Vereinbarungen über die Vergütung. 149 Diese werde im Wege einer antizipierten Schuldübernahme 150 von der Krankenkasse entrichtet. Unter Geltung des Kostenerstattungsprinzips ist der Versicherte hingegen auf Selbstbeschaffung der Leistung verwiesen, er schließt folglich mit dem Transportunternehmer unmittelbar einen zivilrechtlichen Vertrag. Die entstandenen Kosten zur Vergütung des Leistungserbringers werden ihm - abzüglich der Eigenbeteiligung - von der Krankenkasse erstattet, ohne dass diese selbst in vertragliche Beziehungen zum Leistungserbringer tritt. Das Kostenerstattungsverfahren ist gemäß §§ 2 II 1, 13 I SGB V nur in den gesetzlich ausdrücklich (und abschließend) angeordneten Fällen zulässig, so etwa in §§ 291II 3 , 30 151 , 37 IV, 38 IV SGB V oder in den Fällen des § 13 II SGB V, der freiwillig Versicherten ein diesbezügliches Wahlrecht einräumt bzw. nach § 13 III SGB V, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder zu Unrecht eine notwendige Leistung abgelehnt und den Versicherten so zur Behandlung auf eigene Kosten gezwungen hat. 152 Ob auf Fahrkosten das Sachleistungs- oder das Kostenerstattungsprinzip Anwendung findet, ist stark umstritten. Zur Lösung des Problems ist zwischen der Rechtslage nach § 194 RVO und nach §§ 60, 133 SGB V zu differenzieren.

1. Rechtslage vor Inkrafttreten des Gesundheitsreformgesetzes (§ 194 RVO)

Gemäß § 194 I RVO waren die im Zusammenhang mit einer Krankenbehandlung erforderlichen Fahr-, Verpflegungs- und Übernachtungskosten für den Versicherten und eine erforderliche Begleitperson "von der gesetzlichen Krankenkasse zu übernehmen". Aus der Formulierung, die Kosten seien zu übernehmen, wurde gefolgert, dass Krankentransporte nicht von der Kasse zu beschaffen seien, sondern dass dem VerSchulin in Schulin, Hb Sozialversicherungsrecht, § 6, Rn. 116. v. Maydell in v. Maydell, GK-SGB V, § 133, Rn. 35, Henninger in Schulin, Hb Sozialversicherungsrecht, § 41, Rn. 15. 151 Die Geltung des Kostenerstattungsprinzips für kieferorthopädische Behandlung oder Zahnersatz ist umstritten, Darstellung des Streitstandes bei Schulin in Schulin, Hb Sozialversicherungsrecht, § 6, Rn. 8. 152 So genanntes "Systemversagen", vgl. BSGE 73, 271 (273). 149 150

56

1. Teil: Krankentransporte und Rettungswesen in Deutschland

sicherten lediglich ein Anspruch auf Kostenerstattung zustehe. 153 Hätten die Kassen Fahrkosten als Sachleistung zu erbringen, hätte dies in der Gesetzesfonnulierung deutlicher zum Ausdruck kommen müssen, etwa "Als Krankenhilfe wird gewährt . .. Krankentransporte ". 154 Dies werde auch dadurch bestätigt, dass die RVO keine Bestimmungen über die Rechtsbeziehungen zwischen Krankenkassen und Rettungsdiensten bzw. sonstigen Transportunternehmen enthielt. 155 Unter Hinweis auf den in § 194 I 2 RVO vorgesehenen Eigenanteil des Versicherten wurde vorgebracht, es handele sich nicht mehr um eine Naturalleistung, wenn der Versicherte einen Teil der Kosten für die ihm gewährte Leistung tragen muss. 156 Das Sachleistungsprinzip gebiete, dass der Versicherte von jedweden Kosten - sei es gegenüber der Krankenkasse oder gegenüber dem Leistungserbringer - freigestellt werde. Werde er jedoch an einem Teil der Kosten beteiligt, lägen "Leistungen eigener Art mit Kostenerstattung" vor. Dies gelte insbesondere für Fahrkosten, da diese nicht von der Krankenkasse übernommen werden, falls der Eigenanteil nicht erreicht wird, oder im Falle höherer Aufwendungen nur zu einer teilweisen Kostenübernahme berechtigen. Der Anspruch des Versicherten sei daher von vornherein gekürzt oder ausgeschlossen, so dass prinzipiell nicht von einer Sachleistung ausgegangen werden könne. 157 Letztlich wurde geltend gemacht, da jedwede Regelungen über die Rechtsbeziehungen zwischen Krankenkasse und Transportunternehmen - insbesondere eine Ennächtigung zum Abschluss von Versorgungsverträgen - fehlten, könne davon ausgegangen werden, dass zwischen diesen keine rechtlichen Beziehungen bestehen, wie dies unter Geltung des Sachleistungsprinzips der Fall wäre. 158 Der Versicherte habe die Krankentransportleistungen durch Abschluss eines zivilrechtlichen Beförderungsvertrages mit dem Transportunternehmer selbst zu beschaffen und sei somit alleiniger Schuldner des Beförderungsentgeltes; seine Aufwendungen seien nach § 194 RVO von der Krankenkasse zu erstatten. Beide Schuldverhältnisse seien strikt voneinander zu trennen. 159 Soweit die Krankenkassen gleichwohl Verträge mit Transportunternehmern geschlossen haben, in denen sie sich zur Direktabrechnung der erbrachten Leistungen verpflichten, enthalte dies keine eigene Verpflichtung der Kassen, sondern diene lediglich der Abkürzung des Abrechnungsweges. Die daraufhin erfolgten Zahlungen der Krankenkassen seien als Leistungen durch Dritte im Sinne von § 267 BGB zu qualifizieren. 160 Breuer, ZfS 1983,339 (340), Spieß, BIStSozArbR 1983,202 (203). Spieß, BIStSozArbR 1983,202 (203), Breuer, ZfS 1983,339 (339). ISS Gerlachl Kesselheim, DOK 1982, 58 (67). 156 Spieß, BIStSozArbR 1983, 202 (202 f.), LG Wuppertal, Urt. v. 24. 6.1987, KtR 8231; zur Terminologie "Sonderbeitrag" bzw. Einschränkung des Versicherungsschutzes vgl. Töns, DOK 1988,21 (25). 157 Spieß, BlStSozArbR 1983,202 (202 f.). 158 OLG München, Urt. v. 15.9. 1988, KtR 8247, OLG Stuttgart, Urt. v. 15. 1. 1988, KtR 8234. 159 Gerlachl Kesselheim, DOK 1982, 58 (67). 160 Spieß, BlStSozArbR 1983,202 (203). 153

154

C. Rechtsbeziehungen unter den Beteiligten

57

Dem wurde die Auffassung entgegengesetzt, die Fahrkosten seien als Nebenleistung zu einer von der Krankenkasse geschuldeten Hauptleistung von dem für diese geltenden Sachleistungsgrundsatz umfasst. 161 Zwar weiche der Wortlaut des § 194 RVO von der bei Sachleistungsansprüchen üblichen Formulierung ab. Indes sei das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung generell vom Sachleistungsprinzip geprägt, eine Leistung nach dem Kostenerstattungsprinzip sei daher eine Ausnahme. 162 Die RVO enthalte zwar im Gegensatz zu den anderen Leistungserbringern keine näheren Bestimmungen zur Ausgestaltung der Rechtsbeziehungen unter den Beteiligten, insbesondere nicht zum Abschluss von Rahmenverträgen zwischen Krankenkasse und Transportunternehmen. Dies sei indes nicht notwendig: bei den "unmittelbaren" Leistungserbringern, i. e. jene, die nicht lediglich Nebenleistungen erbringen, seien Arten und Möglichkeiten der Leistungserbringung derart vielfältig, dass sie einer umfassenden Regelung in Rahmenverträgen bedürften, deren abstrakte Vorgaben in den jeweiligen Einzelverträgen für den Einzelfall umgesetzt werden. Bei Krankentransporten und Rettungsfahrten stelle sich demgegenüber lediglich die Frage nach der angemessenen und wirtschaftlichen Vergütung für die gewährte Beförderung, der Umfang der zu erbringenden Leistungen sei jedoch überschaubar. 163 Ferner wurden die Landesrettungsgesetze zur Begründung herangezogen, in denen die Gemeinden als Träger der öffentlichen Aufgabe Rettungsdienst zum Erlass von Gebührensatzungen ermächtigt werden. Aus dem Wesen und Rechtscharakter einer Gebühr ergebe sich, dass diese nur von demjenigen erhoben werden kann, der die ihr zugrunde liegende Leistung tatsächlich in Anspruch genommen hat. 164 Dies sei jedenfalls der Versicherte, dem die Kasse infolge § 194 RVO zur Leistung verpflichtet sei. Eine unmittelbare Leistungspflicht gegenüber dem Transportunternehmer scheide daher aus. Da die in den Gebührensatzungen festgelegte Pflicht zur Entrichtung der Benutzungsgebühr mit dem Naturalleistungsprinzip unvereinbar ist, seien die Krankenkassen gezwungen, Verträge mit den Transportunternehmen abzuschließen. 165 Für Krankentransportleistungen nach § 194 RVO habe daher - sofern sie nicht mit Taxis, dem öffentlichen Nahverkehr oder privatem PKW durchgeführt werden - das Sachleistungsprinzip gegolten. Die von den Krankenkassen abgeschlossenen Verträge seien als privatrechtliche Verträge zugunsten Dritter i. S. d. §§ 328 ff. BGB zu qualifizieren. Dem161 Schneider; BlStSozArbR 1983, 118 (118), LG Dortmund, DOK 1976, 453, i. E. auch Brockmann, SozVers 1968,200 (200 f.), Siewert, SozVers 1975, 146 (147), Lippert/ Breitling, NJW 1988,749. 162 BSGE 73,271 (273 f.); 77, 119 (129). 163 Schneider; BlStSozArbR 1983, 118 (1l8). 164 Brockmann, SozVers 1968,200 (201). 165 Diese Ausführungen beziehen sich freilich nur auf die Fälle, in denen die Gemeinden Krankentransporte durch einen eigenen Krankentransportdienst durchführen. Das gewonnene Ergebnis wurde jedoch auch auf Transporte durch Privatunternehmer übertragen, da die Entgelte für Fahrten nach dem PBefG ebenfalls einseitig, nämlich durch Rechtsverordnung der Landesregierung bzw. der Gemeinden und Landkreise nach § 51 I PBefG, festgelegt wurden, vgl. Brockmann, SozVers 1968,200 (202).

58

1. Teil: Krankentransporte und Rettungswesen in Deutschland

nach könnten folgende Personenbeziehungen unterschieden werden: Zwischen Krankenkasse und dem Beförderungsunternehmen bestand ein zweiseitig verpflichtender Beförderungsvertrag, der als Werkvertrag im Sinne von §§ 631 ff. BGB zu qualifizieren sei. 166 Der unbestimmte Rechtsbegriff der "Erforderlichkeit" der Fahrt im Sinne von § 194 RVO wurde in diesem Vertrag konkretisiert, so dass sich der Eintritt des konkreten Beförderungsfalles insoweit als aufschiebende Bedingung nach § 158 I BGB darstelle, welche die Pflichten der Vertragsparteien mit der Entstehung des Beförderungsfalles auslöse. Aus diesem Vertragsverhältnis gehe ein Forderungsrecht des Versicherten gegenüber dem Transportunternehmer hervor, der dem daneben bestehenden Anspruch der Versicherten aus § 194 RVO gegenüber ihrer Krankenkasse entspreche. Gleichzeitig liege eine entgeltliche Geschäftsbesorgung im Sinne von § 675 BGB vor: 167 In dem Beförderungsvertrag verpflichte sich der Transportunternehmer zur Beförderung der Versicherten, die Kasse im Gegenzug zur Vergütung der notwendigen Transporte. Zugleich erfülle die Krankenkasse mit der Einschaltung des Beförderungsunternehmens den Sachleistungsanspruch ihrer Versicherten. Der Werkvertrag habe daher eine Geschäftsbesorgung - die selbständige wirtschaftliche Tätigkeit eines Vertragspartners innerhalb einer fremden wirtschaftlichen Interessensphäre 168 - zum Inhalt, da der Unternehmer nicht nur seine der Krankenkasse geschuldete Leistung erbringe, sondern gleichzeitig ein Geschäft besorge, dessen Erfüllung infolge der Sachleistungspflicht eigentlich der Krankenkasse obliege. Der Transportunternehmer habe daher gegenüber der Krankenkasse zum einen den Anspruch auf die vereinbarte oder - in Ermangelung einer Vereinbarung - die taxmäßige bzw. übliche Vergütung aus §§ 631 I, 632 I, 11 BGB. Daneben stehe ihm ein Anspruch aus §§ 675, 670 BGB auf Ersatz der erforderlichen Aufwendungen zu. Diese Aufwendungen seien jedoch in aller Regel in die vereinbarte Vergütung einkalkuliert und mit dieser abgegolten, so dass der Aufwendungsersatzanspruch letztlich gegenstandslos sei. 169 2. Rechtslage seit dem Inkrafttreten des Gesundheitsreformgesetzes 1989

Die Auseinandersetzung um den Rechtscharakter der Transportleistungen wurde im wesentlichem unter Geltung des § 194 RVO geführt; die dort angeführten Argumente sind bislang ohne Modifikationen auf die seit der Kodifizierung des SGB V durch das GRG bestehende Rechtslage übertragen worden. 17o Zur Begründung 166 Brockmann, SozVers 1968,200 (201), Schneider, BlStSozArbR 1983, 118 (119), Plute, Krankenkassen und Rettungswesen, 1991, S. 40. 167 Brockmann, SozVers 1968,200 (201). 168 Vgl. Schulte in Hk-BGB, § 675, Rn. 4, BGHZ 19,282 (292), 45, 223 (228). 169 Schneider, BIStSozArbR 1983, 118 (120). 170 Vgl. Schmitt, Leistungserbringung durch Dritte, S. 254, BGH, NJW 1990, 1531 f. sowie die einschlägigen Kommentierungen.

C. Rechtsbeziehungen unter den Beteiligten

59

wird auf den im Vergleich zu § 194 RVO nahezu unveränderten Wortlaut des § 60 I SGB V verwiesen. Demzufolge berufen sich die Befürworter des Kostenerstattungsprinzips171 weiterhin auf die Formulierung, die Krankenkassen seien zur Übernahme der Fahrkosten verpflichtet. Bei einigen der in § 60 SGB V erwähnten Beförderungsarten, insbesondere bei der Benutzung des öffentlichen Nahverkehrs oder eines privaten PKW, sei aufgrund der Vielzahl potentieller Leistungserbringer ein Verfahren nach dem Naturalleistungsgrundsatz ohnehin nicht möglich. Zudem wird behauptet, die Beschränkung des Gegenstandes der Versorgungsverträge auf Vergütungsregelungen spreche für das Kostenerstattungsprinzip.l72 Die Vorschriften über Verträge mit anderen Leistungserbringern sähen umfassende Vereinbarungen über Art und Weise der Leistungserbringung, das Abrechnungsverfahren und die Höhe der Vergütung vor. Die Eingrenzung des Geltungsbereiches des § 133 SGB V auf die Transportentgelte wäre nur verständlich, wenn für Fahrkosten das Kostenerstattungsprinzip gälte, die Kasse also lediglich eine Geldleistung zu erbringen hätte. 173 Die Vergütungsverträge seien eine Alternative zur staatlichen Preisfestsetzung, wie sie beispielsweise in der GOÄ 174 erfolgt. Zudem werde den Krankenkassen in § 133 I SGB V keine Pflicht zum Vertragsschluss auferlegt, was hingegen ein typisches Merkmal einer Sachleistung sei. Für die Geltung des Sachleistungsprinzips wird auf § 13 SGB V verwiesen. 175 Danach gelte das Kostenerstattungsprinzip nur in den gesetzlich ausdrücklich und abschließend geregelten Fällen. Das Gesetz verwende dabei stets ausdrücklich den Begriff der "Kostenerstattung" , so in den § § 13 II, 14, 17 II, 37 IV, 38 IV oder 64 IV SGB V. Überdies weise der Begriff "Übernahme" nicht eindeutig auf Kostenerstattung hin, da er nicht erkennen lasse, ob diese als nachträgliche Kostenerstattung oder durch Befreiung des Versicherten von der Leistungspflicht erfolgen SOll.176 Erbringen die Krankenkassen Leistungen nicht selbst, sondern durch vertraglich gebundene Unternehmer, liege ebenfalls eine "Kostenübernahme" durch die Kasse vor, ohne dass am Sachleistungscharakter gezweifelt werde. Ferner sei der Vertragsgrundsatz des § 133 I SGB V eine Konkretisierung des Sachleistungsprinzips, da die Krankenkassen dazu angehalten werden, mit Leistlmgserbringern Verträge abzuschließen, um den Versicherten durch diese Vertragspartner Dienstleistungen zur Verfügung stellen zu können. 177 Der Vertrags gegenstand sei zwar 171 Kranig in Hauck, SGB V, § 133, Rn. 5, Schmitt, Leistungserbringung durch Dritte, S.255. 172 v. Maydell in v. Maydell, GK-SGB V, § 133, Rn. 38. 173 v. Maydell in v. Maydell, GK-SGB V, § 133, Rn. 38, Kranig in Hauck, SGB V, § 133, Rn. 5, Schmitt, Leistungserbringung durch Dritte, S. 255. 174 Gebührenordnung für Ärzte vom 18. 3.1965, BGB!. I S. 89. 175 BGH, NJW 1999,858 (859), BSGE 77, 119 (129), Schellhorn in v. Maydell, GK-SBG V, § 60, Rn. 9. 176 Engelhard, DOK 1991,134 (135), BSGE 77, 119 (129). 177 BSG, SGb 2001, 193 (194).

60

1. Teil: Krankentransporte und Rettungswesen in Deutschland

auf Vergütungsregelungen beschränkt. Nach Sinn und Zweck des § 133 SGB V komme den Vereinbarungen jedoch insofern konstitutive Wirkung zu, als deren Abschluss Voraussetzung für einen Transport auf Rechnung der Krankenkasse sei. Weitergehende Regelungen in den Rahmenverträgen erübrigten sich, weil Einzelheiten zur Versorgung mit Rettungsdienstleistungen bereits Gegenstand der Rettungsdienstgesetze der Länder seien. l78 Dem Hinweis auf die Zuzahlungspflicht des Versicherten sei zwar zuzugeben, dass der gesetzgeberischen Intention - mit der Einführung der Eigenbeteiligung sollte die Nachfrage nach Transportleistungen gedämpft werden - am ehesten entsprochen würde, wenn der Versicherte sofort bei Inanspruchnahme des Transports seinen Eigenanteil an den Leistungserbringer entrichten müsste und die Kasse dem Versicherten nur die den Zuzahlungsbetrag überschreitenden Kosten ersetzen, mithin nach dem Kostenerstattungsprinzip verfahren würde. Gemäß § 60 11 3 SGB V werde die Zuzahlung des Versicherten jedoch von der Krankenkasse eingezogen. Dies sei nur sinnvoll, wenn die Abrechnung grundsätzlich zwischen Kasse und Leistungserbringer durchgeführt wird und der Versicherte keinen vertraglichen Beziehungen zum Transporteur unterliegt. 179 Wären lediglich die Kosten für die Transporte zu erstatten, müsste die Krankenkasse die Zuzahlung nicht einziehen, sondern würde dem Versicherten lediglich den über dem Eigenanteilliegenden Betrag ersetzen. Eine Beteiligung des Versicherten sei zudem bei vielen Leistungen vorgesehen, so z. B. bei Arzneimitteln, Heilmitteln oder der Krankenhausbehandlung, ohne dass dadurch der Charakter als Sachleistung beeinflusst werde. 180 Da der Eigenanteillediglich eine Komponente der Rechtsbeziehungen darstelle, leiteten sich die Rechtsbeziehungen nicht allein aus einer Zuzahlungspflicht ab. Der völlige Ausschluss von Ansprüchen des Versicherten, wenn die Fahrkosten die Zuzahlungsgrenze von 13,00 € unterschreiten, finde seine Entsprechung im Ausschluss von Bagatellarzneimitteln oder -heilmitteln nach § 34 IV SGBY. Deren Herausnahme aus der Leistungspflicht der Krankenkassen habe nach allgemeiner Ansicht keine Auswirkungen auf den Charakter einer Kassenleistung, solange die Höhe der Selbstbeteiligung keine Ausmaße erreicht, die den Versicherten aus finanziellen Gründen von der Inanspruchnahme der Leistung abhalten könnte. 181 Angesichts des geringen Zuzahlungsbetrages und der Härtefallregelungen in den §§ 61, 62 SGB V könne hiervon jedoch kaum ausgegangen werden.

BSGE 77,119 (125). BSGE 77,119 (129), LSG Nordrhein-Westfalen, Breith. 1999,395 (397). 180 Marburger; SGb 1985,318 (321), Engelhard, DOK 1991, 134 (136), Tiemann/Muschallik, NJW 1990,743 (745). 181 Engelhard, DOK 1991, 134 (136). 178 179

C. Rechtsbeziehungen unter den Beteiligten

61

3. Stellungnahme Trotz der auf den ersten Blick unübersichtlichen Rechtslage bietet das Gesetz Anhaltspunkte, die zur Klärung der leistungsrechtlichen Einordnung von Krankentransporten und Rettungsfahrten beitragen. Das Krankenversicherungsrecht ist vom Sachleistungsgrundsatz geprägt. Eine Verweisung des Versicherten auf Selbstbeschaffung von Diensten oder Sachen gegen nachträgliche Kostenerstattung ist gemäß §§ 2 II 1, 13 I SGB V nur in Ausnahmefällen gestattet. Dass die Durchführung des Sachleistungsprinzips bei einigen Transportarten, z. B. dem öffentlichen Nahverkehr oder bei der Benutzung des eigenen PKW durch den Versicherten, nicht möglich ist, kann nicht die Beförderungsarten, bei denen ein Vertragsschluss möglich ist, dem Kostenerstattungsprinzip unterwerfen. 182 Naheliegend ist vielmehr, Fahrkosten, die als Nebenleistung einer von der Krankenkasse geschuldeten Hauptleistung zu begutachten sind, ebenfalls als Sachleistung zu verstehen. Das Wortlautargument trägt zur Klärung der Rechtslage nicht bei, denn der Begriff "Kostenübernahme", dient sowohl den Vertretern des Sachleistungs- als auch denen des Kostenerstattungsprinzips zur Begründung ihrer Ansicht. Der Wortlaut des § 60 I SGB V stimmt zwar insoweit mit § 194 RVO überein, als die Krankenkassen zur "Übernahme" der Fahrkosten verpflichtet sind. Wurden aufgrund dieser Übereinstimmung die früher vorgebrachten Argumente auf die heutige Rechtslage übertragen, blieb unberücksichtigt, dass seit Inkrafttreten des GRG die leistungsrechtliche Norm des § 60 SGB V durch § 133 SGB V ergänzt wird. Danach werden bei der Bestimmung der Entgelte für Krankentransport- und Rettungsdienstleistungen nunmehr die landesrechtlich vorgesehenen Modalitäten berücksichtigt. Im SGB V wurde den Krankenkassen die Möglichkeit zum Abschluss von Verträgen mit Transportunternehmen eingeräumt, was unter Geltung der RVO noch ausgeschlossen war. Dagegen war die Möglichkeit vertraglicher Vereinbarungen zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern bei anderen Kassenleistungen ausdrücklich im Gesetz geregelt. 183 Ohne entsprechende gesetzliche Ermächtigung konnte - auch im Hinblick auf den insoweit eindeutigen Wortlaut des § 194 RVO daher nur nach dem Kostenerstattungsprinzip verfahren werden. 184 Diese grundlegend veränderte Systematik führt dazu, dass die zu § 194 RVO vertretenen Auffassungen nicht ohne weiteres auf die aktuelle Rechtslage übertragbar sind. 18S BSGE 77,119 (129). Vgl. §§ 184, 371 ff. (Krankenhäuser), 368 ff. (Kassenärzte), 376a (Hebammen), 185, 185b, 376b (häusliche Krankenpflege) und 376d RVO (Hei1- und Hilfsmittel). 184 LSG Niedersachsen, Urt. v. 17.9.1975, KtR 7939, OLG Stuttgart, Urt. v. 15. 1. 1988, KtR 8234, wo auf die mangelnde Ertnächtigung zum Vertragsschluss in § 194 RVO hingewiesen wurde: Solange diese fehle, könne nur nach dem Kostenerstattungsprinzip verfahren werden. 185 Auf den Unterschied zwischen der alten und der neuen Rechtslage wird auch vom OLG Stuttgart, Urt. v. 15. 1. 1988, KtR 8234 und dem SG Konstanz, Urt. v. 27. 2. 1989, KtR 7989 hingewiesen. 182 183

62

1. Teil: Krankentransporte und Rettungswesen in Deutschland

Die bloße Möglichkeit zum Abschluss von Vergütungsverträgen erlaubt indes noch nicht die eindeutige Zuordnung der Fahrkosten zu den Sachleistungen. Aus dem Wortlaut des § 133 SGB V folgt nicht, dass die Krankenkassen zum Abschluss von Vergütungsverträgen verpflichtet sind. Die Formulierung " ... schließen die Krankenkassen oder ihre Verbände Verträge ... " kann zwar dahin ausgelegt werden, der Bundesgesetzgeber habe den Vertragsschluss zwischen Kassen und Leistungserbringern als Regelfall angesehen. Ebenso lässt sich die Gegenauffassung vertreten. Die nicht eindeutig auf eine Form der Leistungserbringung hinweisende Formulierung lässt vielmehr darauf schließen, dass der Gesetzgeber von unterschiedlichen Abrechnungsmodalitäten für unterschiedliche Transportleistungen ausgegangen ist. Gemäß § 60 I SGB V erstreckt sich die Leistungspflicht der Krankenkassen auf die Übernahme der Kosten für Fahrten "einschließlich der Transporte nach § 133 SGB V". In Übereinstimmung mit der landesgesetzlichen Praxis sieht diese Norm verschiedene Formen der Entgeltfestlegung vor: zum einen die Vereinbarung zwischen Krankenkassen(verbänden) und Leistungserbringern unter Beteiligung der Landkreise und kreisfreien Städte als Träger der Aufgabe (Absatz I), zum anderen durch einseitige Bestimmung in einer kommunalen Satzung oder einer landesrechtlichen Verordnung (Absatz 11). Diese Differenzierung blieb in der Argumentation um den Rechtscharakter von Transportleistungen im Wesentlichen unbeachtet.

a) Abschluss von Vergütungsverträgen nach § 1331 SGB V Gemäß § 133 I SGB V sollen grundsätzlich Vergütungsverträge zwischen den Krankenkassen und den Leistungserbringern abgeschlossen werden. Mit dem Abschluss derartiger Verträge kommen die Kassen ihrem gesetzlichen Auftrag zur Sicherstellung der flächendeckenden rettungsdienstlichen Versorgung nach. Werden Transportleistungen auf der Grundlage eines solchen Vertragswerkes erbracht, bleibt kein Raum für das Kostenerstattungsprinzip:186 Die Leistung des Transportunternehmers erfolgt dann in Erfüllung des entsprechenden Vertrages. Im Gegenzug ist die Krankenkasse vertragsgemäß zur Leistung der Vergütung anstelle des Versicherten in Höhe der vereinbarten Tarife verpflichtet. Jedoch wirft die Frage nach der Rechtsnatur der Vergütungsverträge Probleme auf. Bislang wurde überwiegend vertreten, dass diese dem Zivilrecht zuzuordnen seien. 187 Zwar seien die Beziehungen der Krankenkassen zu ihren Mitgliedern 186 Eichenhofer; JZ 1999, 363 (364); Hencke in Peters, Hb Krankenversicherung, § 133, Rn. 5, ist dagegen der Auffassung, in den Verträgen nach § 133 I SGB V sei erst zu regeln, ob nach dem Sachleistungs- oder dem Kostenerstattungsprinzip zu verfahren ist. 187 BSGE 77, 119 (121); BGHZ 36, 91 (93), 82, 375 (381), 101,72 (75), 114,218 (220 f.), Rosenthai, Leistungserbringer, S. 80, so auch der Gesetzgeber: BT-Drs. 11/3480, S. 77, a. A. unter Hinweis darauf, dass die Krankenkassen mit Abschluss der Versorgungsverträge unmittelbar den öffentlich-rechtlichen Sachleistungsanspruch der Versicherten erfüllen Schulin,

C. Rechtsbeziehungen unter den Beteiligten

63

öffentlich-rechtlicher Natur, überdies nähmen die Kassen diesen gegenüber eine Aufgabe der Daseinsvorsorge wahr. Das Rechtsverhältnis der Kassen zu den Leistungserbringern sei jedoch strikt vom Versicherungsverhältnis zu trennen. 188 Wenn die Krankenkassen in Erfüllung ihrer hoheitlichen Pflichten gegenüber den Versicherten Leistungen auf dem Gesundheitsmarkt anböten oder nachfragten, gerierten sie sich wie Privatpersonen und stünden den Leistungserbringern daher in einem Verhältnis der Gleichordnung gegenüber. Diese Doppelqualifizierung des Handeins der Krankenkassen zwischen öffentlich-rechtlicher Aufgabenerfüllung und privatrechtlicher Beschaffungstätigkeit führe im Ergebnis dazu dass "je nach Blickrichtung, beanspruchter Klagegrundlage und Rechtsfolge" gleiche Sachverhalte unterschiedlich zu beurteilen seien. 189 Diese, noch auf der alten Rechtslage fußende Argumentation lässt sich nach der Neufassung des § 69 SGB V durch das Gesundheitsreformgesetz 2000 190 nicht mehr aufrecht erhalten. § 69 I SGB V sieht nunmehr vor, dass die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen(verbände) zu den Leistungserbringern abschließend im SGB V geregelt werden, und die Regelungen des BGB allenfalls ergänzend in analoger Anwendung herangezogen werden können, soweit dies mit den Vorgaben des SGB V, insbesondere den Aufgaben der Beteiligten vereinbar ist. Dem steht eine entsprechende verfahrensrechtliche Regelung in § 51 11 SGG gegenüber, durch welche sämtliche § 69 SGB V unterfallenden Rechtsbeziehungen der Kompetenz der Zivilgerichte - auch bei kartellrechtlichen Streitigkeiten - entzogen wurden. Als Konsequenz dieser Gesetzesänderung sind die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen zu ihren Leistungserbringern nunmehr dem öffentlich-rechtlichen Recht zugeordnet. 191 Für die Leistungserbringer in der Versorgung mit Heil- und Hilfsmitteln ist dies evident. Diese bedürfen, um überhaupt Leistungen zu Lasten der Krankenkassen an die Versicherten erbringen zu können, einer krankenversicherungsrechtlichen Zulassung nach §§ 124, 126 SGB V. Diese Zulassung erfolgt durch einen Verwaitungsakt,192 also durch einseitige hoheitliche Regelung, so dass eindeutig das für eine öffentlich-rechtliche Rechtsbeziehung typische Subjektionsverhältnis gegeben ist. Im Kapitel "Beziehungen der Krankenkassen zu den Leistungserbringern" ist in Bezug auf die Erbringer von Transportleistungen in § 133 SGB V dagegen nur der Abschluss von Vergütungsverträgen geregelt; die Zulassung der im Rettungswesen tätigen Unternehmer richtet sich nach Landesrecht. An JZ 1986,476 (480 ff.), Dünisch, Erbringung nichtärztlicher Dienstleistungen, S. 264 ff., sowie Rohwer-Kahlmann in FS Wannagat, S. 366. 188 BGHZ 82, 375 (383),97,312 (316),101,280 (285 f.). 189 BGHZ 102,280 (286), zustimmend Schultz, NZS 1998,269 (270). 190 Gesetz zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung ab dem Jahr 2000 v. 22.12. 1999, BGB!. I S. 2626. 191 Gassner; VSSR 2000, 121 (127), Boecken, NZS 2000, 269 (270), Knispel, NZS 2001, 466 (468 f.). 192 Bieback, NZS 1997,393 (394), Boecken, NZS 2000, 269 (269), Rosenthai, Leistungserbringer, S. 79.

64

1. Teil: Krankentransporte und Rettungswesen in Deutschland

die danach erteilten Genehmigungen sind die Kassen gebunden. Die Rechtbeziehungen der Kassen zu den Transportunternehmen sind aufgrund des eindeutigen Wortlauts des § 69 S. 1 SGB V als öffentlich-rechtlich qualifizieren. Insbesondere ist die in § 69 SGB V angeordnete ergänzende Anwendbarkeit des BGB ein Indiz, denn bei einer rein privatrechtlichen Rechtsbeziehung würde dieses unmittelbar und uneingeschränkt zur Anwendung kommen. 193 Gestützt wird dieses Ergebnis durch den in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck gekommenen Willen des Gesetzgebers. Die Rechtsbeziehungen zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern seien wesentlicher Bestandteil des Gesamtsystems der gesetzlichen Krankenversicherung, da die Kassen auf diese Weise ihrer öffentlich-rechtlichen Leistungspflicht gegenüber den Versicherten nachkämen. Leistungsrecht und Leistungserbringungsrecht bildeten eine Einheit. 194 Aus diesem Grunde sind die Beziehungen zu den Leistungserbringern - genau wie das Verhältnis der Krankenkassen zu den Versicherten - stets sozialrechtlicher und nicht privatrechtlicher Natur, so dass im Ergebnis auch die Beschaffungsverträge der Kassen als öffentlich-rechtliche Verträge zu qualifizieren sind. 195 Die Theorie von der Doppelnatur des Handelns der Krankenkassen ist nunmehr hinfällig. 196 Teilweise wird vertreten, die von den Krankenkassen abgeschlossenen Verträge seien als antizipierte Schuldübernahme im Sinne von § 414 BGB analog zu qualifizieren. 197 Der Versicherte schließe einen zivilrechtlichen Vertrag mit dienstvertraglichen Elementen, §§ 611 ff. BGB, mit dem Leistungserbringer ab. Dieser enthalte jedoch keine Angaben über die Vergütung der in Anspruch genommenen Leistungen. Zur Leistung dieser Vergütung anstelle des Versicherten habe sich die Krankenkasse in dem öffentlich-rechtlichen Rahmenvertrag verpflichtet, um dessen Sachleistungsanspruch sicherzustellen. Der öffentlich-rechtliche Rahmen werde also durch ein zivilrechtliches Rechtsgeschäft vollzogen. Diese Ansicht mag zwar im Vertragsarztrecht überzeugen; in Krankentransport und Notfallrettung kann ihr jedoch nicht gefolgt werden. Denn im Gegensatz zur ärztlichen Behandlung kann der Versicherte im Rettungswesen seinen Vertragspartner regelmäßig nicht frei wählen. Das Einsatzaufkommen wird vielmehr durch die Rettungsleitstelle koordiniert, welche die Transportanforderungen einzelnen Leistungserbringern zuweist. Gerade bei Rettungsfahrten besteht zudem die Möglichkeit, dass der Versicherte aufgrund seines Gesundheitszustands nicht in der Lage ist, sich einen Willen über das Transportunternehmen zu bilden, das er in Anspruch nehmen möchte. Ferner ist in § 60 SGB V der Inhalt seines Anspruchs bereits so weit determiniert, dass nahezu kein Raum für eigene Vereinbarungen zwischen Versichertem und TransKnispel, NZS 2001, 466 (468 f.). BT-Drs. 14/1245, S. 67 f. 195 Kranig in Hauck, SGB V, § 133, Rn. 13. 196 So auch die Intention des Gesetzgebers, der die aus der Theorie der doppelqualifizierten Handlung resultierenden Schwierigkeiten bei der Rechtswegzuweisung beseitigen wollte, BT-Drs. 14/1245, S. 68. 197 Henninger in Schulin, Hb Sozialversicherungsrecht, § 42, Rn. 25, § 41, Rn. 7 ff., 15. 193

194

C. Rechtsbeziehungen unter den Beteiligten

65

portunternehmer besteht. Geschuldet ist stets die Beförderung des Erkrankten oder Verletzten, begleitet durch Maßnahmen der Ersten Hilfe vor oder während des Transports. Der Versicherte kann sich nur in die nächst gelegene, geeignete Behandlungseinrichtung verbringen lassen. Ihm steht folglich kein Recht zu, das Ziel des Transports selbst zu bestimmen. Auch das Fahrzeug, welches im Einzelfall genutzt werden darf, ist durch das Gesetz vorgegeben. Der Leistungsanspruch des Versicherten beruht daher nicht auf einer Einigung mit dem Transportunternehmer, sondern stützt sich auf § 60 SGB V. Die Vergütungsverträge nach § 133 I SGB V zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern stellen sich demzufolge als Verträge zugunsten Dritter nach §§ 328 ff. BGB analog dar. Krankenkassen und Transportunternehmer einigen sich darüber, dem Versicherten ein eigenes Forderungsrecht gegenüber dem Transportunternehmer zu gewähren. Dieses korrespondiert mit seinem sozialversicherungsrechtlichen Leistungsanspruch gegenüber der Krankenkasse. Der Versicherte kann daher - obwohl er keinen eigenen Vertrag mit dem Transportunternehmer geschlossen hat - von diesem als Begünstigter nach § 328 BGB analog unmittelbar die Erbringung eines Krankentransports bzw. einer Rettungsfahrt fordern.

b) Einseitige Festlegung der Beförderungsentgelte nach § 133 Il SGB V Im Falle der einseitigen Festlegung der Beförderungsentgelte durch landesrechtliche Verordnung oder kommunale Satzung ist der Abschluss von Vergütungsvereinbarungen zwischen den Krankenkassen und den Leistungserbringern ausgeschlossen.1 98 Bei Vorliegen der in § 133 Il SGB V normierten Voraussetzungen können die Krankenkassen jedoch ihre Leistungspflicht auf Festbeträge an den Versicherten beschränken. Namentlich steht diese Möglichkeit offen, wenn den Kassen im landesrechtlichen Verfahren keine hinreichenden Mitwirkungs- bzw. Erörterungsmöglichkeiten eingeräumt wurden oder in die Entgeltberechnung Investitions- oder Vorhaltungskosten eingeflossen sind, die über den gesetzlichen Auftrag zur Sicherstellung eines funktionsfähigen Rettungsdienstes hinausgehen, oder wenn die Leistungserbringung gemessen an diesem Sicherstellungsauftrag unwirtschaftlich ist. Nimmt eine Krankenkasse diese Möglichkeit in Anspruch, trifft sie gegenüber dem Versicherten lediglich eine Zahlungspflicht in Höhe des vorgesehenen Festbetrages. 199 Diesen Zahlungsanspruch kann der Versicherte nur im Rahmen eines Kostenerstattungsverfahrens geltend machen. Er ist grundsätzlich auf Selbstbeschaffung der Leistung verwiesen und geht mit Abschluss eines Beförderungsvertrages eine eigene Verbindlichkeit gegenüber dem Transportunternehmer ein. Der Beförderungsvertrag ist als Werkvertrag im Sinne von §§ 631 ff. BGB zu qualifizieren, aus dem der Versicherte unmittelbar zur Leistung des Beförderungsentgeltes verpflichtet wird. Er ist dem Zivilrecht zuzuordnen, denn beim Vertrags198 199

5 Abig

Kranig in Hauck, SGB V, § 133, Rn. 1. Beuthien, MedR 1994, 253 (255), Eichenhofer, JZ 1999, 363 (365).

66

I. Teil: Krankentransporte und Rettungswesen in Deutschland

schluss stehen sich Versicherter und Krankentransportunternehmer in einem Verhältnis der Gleichordnung gegenüber. Aus dem Versicherungsverhältnis gegenüber der Krankenkasse resultiert sein Anspruch auf Erstattung seiner Aufwendungen in Höhe des Festbetrags, die darüber hinausgehenden Kosten muss er selbst tragen. Zwischen der Krankenkasse und dem Leistungserbringer bestehen in diesem Falle keine Rechtsbeziehungen. Mangels entsprechender Versorgungsverträge zwischen den Krankenkassen und den Verbänden der Transportunternehmer ist eine Erfüllung des Vergütungsanspruchs durch Leistung der Kasse ohnehin nicht denkbar. Insbesondere lässt sich nicht vertreten, der Versicherte verpflichte sich gegenüber dem Transportunternehmer nur zur Leistung in Höhe des Eigenanteils. Auf diese Weise würde eine einheitliche Leistung in einen sozialversicherungsrechtlich auszugleichenden und einen privatrechtlich zu tragenden Teil aufgespalten. Dies hätte zur Folge, dass der dem Privatrecht zuzuordnende Vertragsteil der freien Preisvereinbarung zwischen Patient und Unternehmer offen stünde, was der im Gesetz intendierten Beschränkung der Leistungsverpflichtung des Versicherten zuwider laufen würde?OO Falls die Kassen in der Praxis dennoch Verträge abschließen, etwa um den Leistungsweg abzukürzen und auf diese Weise den Versicherten zu entlasten, handelt es sich um eine antizipiert vereinbarte Leistung durch Dritte im Sinne von § 267 BGB analog?OI c) Fazit

In Rechtsprechung und Literatur wurde offenbar übersehen, dass die Regelungen zur Fahrkostenübernahme mit Einfügung des § 133 SGB V eine grundlegende Änderung erfahren haben und der Wortlaut des § 60 I SGB Van die neue Systematik anzupassen gewesen wäre. Nach aktueller Rechtslage hängt die Einordnung von Krankentransporten in das System der Krankenkassenleistungen von der konkreten landesrechtlichen Ausgestaltung ab. 202 Wegen der Grundentscheidung des Krankenversicherungsrechts für das Sachleistungsprinzip ist grundsätzlich nach diesem zu verfahren. Nur sofern den Kassen im landesrechtlich festgelegten Verfahren keine hinreichenden Mitwirkungsrechte eingeräumt wurden, ist unter den weiteren Voraussetzungen des § 133 11 SGB V ein Verfahren nach dem Kostenerstattungsprinzip unter Zugrundelegung von Festbeträgen zulässig. Eine Sonderstellung nehmen Fahrten mit dem eigenen PKW, mit Taxis oder dem öffentlichen 200 So im Ergebnis auch Tiemannl Muschallik, NJW 1990, 743 (745) am Beispiel zahnärztlicher Behandlungen. 201 LG Wuppertal, Urt. v. 24. 6. 1987, KtR 8231. 202 Eichenhofer; JZ 1999,363 (364 f.); i. E. so auch Plute, Krankenkassen und Rettungswesen, S. 41 und Fn. 188: schließt die Krankenkasse einen Vertrag mit dem Transportunternehmer, dann stellt sie ihren Versicherten den Transport als Sachleistung zur Verfügung; anders Hencke in Peters, Hb Krankenversicherung, § 133, Rn. 5, der davon ausgeht, dass das Abrechnungsverfahren und damit die Geltung von Sachleistungs- oder Kostenerstattungsprinzip in den Vergütungsverträgen nach § 133 I SOB V zu vereinbaren ist.

C. Rechtsbeziehungen unter den Beteiligten

67

Personennahverkehr ein. In diesen Fällen ist der Abschluss von Vergütungsverträgen nach § 133 SGB V nicht möglich. Zudem trifft die Krankenkasse keine Pflicht zur Sicherstellung der Beförderung ihrer Versicherten durch diese Verkehrsmittel, denn die Vergütungsregeln nach § 133 I SGB V betreffen nur die Fälle, in denen aus medizinischen Gründen ein Transport mit dem öffentlichen Nahverkehr oder dem eigenen Fahrzeug nicht in Betracht kommt. 203 Der Versicherte muss sich diese daher selbst beschaffen; das Abrechnungsverfahren richtet sich stets nach dem Kostenerstattungsprinzip. 204

11. Vergütungsanspruch vertraglich nicht gebundener Transportunternehmen im Falle der Entgeltvereinbarung durch Vergütungsverträge im Sinne von § 133 I SGB V Werden die Benutzungsentgelte für die Leistungen des Rettungsdienstes durch Vereinbarungen zwischen den Krankenkassen und den Leistungserbringern festgesetzt, stellt sich die Frage nach dem Vergütungsanspruch der Transportunternehmer, die nicht an den Verhandlungen teilgenommen haben und daher nicht in den Geltungsbereich des Vertrages einbezogen sind. Weil sich die Krankenkassen aufgrund der Regelungen in den meisten Rettungsdienstgesetzen auf den Vertragsschluss mit den hergebrachten Hilfsorganisationen beschränken, stellt sich diese Frage gegenüber Transportunternehmern, die gleichwohl Versicherte zur medizinischen Behandlung transportieren.

1. Vertragliche Ansprüche des Transportunternehmers gegenüber der Krankenkasse aus §§ 631, 640, 641 BGB Ein Vergütungsanspruch aus §§ 631, 640, 641 BGB setzt voraus, dass zwischen Transportunternehmen und Krankenkasse ein Beförderungsvertrag - i. e. ein Werkvertrag - zustande gekommen ist. Hat eine Krankenkasse gegenüber einem Unternehmen den Abschluss von Vergütungsverträgen nach § 133 I SGB V abgelehnt, kommt allenfalls ein Vertragsschluss durch den Versicherten oder durch den verordnenden Arzt als Vertreter der Kasse in Betracht. a) Vertragsschluss durch den Arzt

Teilweise wird vertreten, mit der Beförderung eines Versicherten komme stets ein Beförderungsvertrag zwischen Transportunternehmer und dem Versicherungsträger zustande. Zur Begründung des Vertragsverhältnisses wird auf die Verord203 204

5*

Kranig in Hauck, SGB V, § 133, Rn. 3. Eichenhofer, JZ 1999,363 (364).

68

1. Teil: Krankentransporte und Rettungswesen in Deutschland

nung des Transports durch einen Vertrags arzt bzw. die nachträgliche Bestätigung der Notwendigkeit des Transports abgestellt. 205 Die Feststellung des Eintritts des Versicherungsfalles der Krankheit und die Verordnung einer entsprechenden medizinischen Sach- oder Dienstleistung durch einen an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Arzt ist zwar Voraussetzung für die Entstehung eines Sachleistungsanspruchs. Die bloße Verordnung eines Transports durch einen Arzt kann jedoch nur zum Vertragsschluss führen und eine unmittelbare Leistungspflicht der Krankenkasse begründen, wenn dieser zur Abgabe bindender Willenserklärungen für die Kasse berechtigt ist. Eine solche Berechtigung kann aus einer im Gesetz statuierten Vertretungsmacht folgen oder durch eine rechtsgeschäftliche Vollmacht, §§ 164 ff. BGB, oder nachträgliche Genehmigung des vollmachtlosen HandeIns eines Vertreters, § 182 ff. BGB, begründet werden. Eine Rechtsgrundlage für eine gesetzliche Vertretungsmacht des Arztes ist nicht ersichtlich. Insbesondere enthalten die Krankentransportrichtlinien keine entsprechende Ermächtigung: sie dienen der Sicherstellung einer ausreichenden und zweckmäßigen Versorgung und sollen dem Arzt lediglich Hinweise auf das entsprechend der medizinischen Indikation zu verordnende Transportmittel geben, um eine einheitliche Versorgung der Versicherten mit Transportleistungen sicherzustellen?06 Auch die Konstruktion einer rechtsgeschäftlichen Vertretungsmacht begegnet Schwierigkeiten. Eine umfassende rechtsgeschäftliche Vollmacht an einzelne Ärzte wird von den Krankenkassen regelmäßig nicht erteilt. Nach einer Auffassung der Rechtsprechung lässt sich jedoch aus den öffentlich-rechtlichen Verträgen, welche die Krankenkassen mit der kassenärztlichen Vereinigung oder den Krankenhäusern zur Sicherstellung der ärztlichen bzw. der Krankenhausversorgung abschließen, eine generelle Vollmacht des (Krankenhaus-)Arztes ableiten, die diesen zum Abschluss bindender Verträge für die Krankenkasse berechtige?07 Überschreite der Arzt seine Vertretungsmacht, sei dies ein Problem des Vertragsarztrechts, nicht aber des Krankenversicherungsrechts, das sich ausschließlich auf das Rechtsverhältnis zwischen Versichertem und Krankenkasse bezieht. Dies hätte jedoch zur Folge, dass die Krankenkasse allein aufgrund der ärztlichen Anordnung, welche eine konkludente Willenserklärung zum Abschluss eines Beförderungsvertrages zugunsten des Versicherten auf Rechnung der Krankenkasse enthalte, zur Entrichtung des Beförderungsentgeltes verpflichtet wäre, ohne dass es auf die medizinische Notwendigkeit des Transports ankommt. Dies läuft der Intention des Gesetzgebers offensichtlich zuwider, so dass die Einräumung einer Vollmacht durch die Rahmenverträge der Vertragsärzte im Ergebnis abzulehnen ist. Einer anderen Ansicht zufolge ist ein an der vertragsärztlichen Versorgung nach §§ 73 11, 92 SGB V teilnehmender Arzt per Gesetz mit öffentlich-rechtlicher Bogs, unveröffentlichtes Gutachten, zitiert bei Siewert, SozVers 1975, 146 (147). Plute, Krankenkassen und Rettungswesen, S. 43, OLG München, NJW-RR 1988, 1013 (1014); LG Wuppertal, Urt. v. 24. 6.1987, KtR 8231. 207 LSG Rheinland-Pfalz, SozVers 1980,251 (252). 205

206

C. Rechtsbeziehungen unter den Beteiligten

69

Rechtsmacht beliehen, die ihn dazu ennächtigt, den Eintritt des Versicherungsfalles mit bindender Wirkung für Versicherten und Krankenkasse festzustellen und die medizinische Notwendigkeit einer bestimmten Behandlung festzulegen. 208 Der verordnende Arzt erfüllt zwar insofern die Anforderungen des aus dem allgemeinen Verwaltungsrecht abgeleiteten Rechtsinstituts der Beleihung, als er im Rahmen der Behandlung des Versicherten bindende Entscheidungen für die Krankenkasse trifft. Die Bindungswirkung tritt indes nur ein, wenn er sich an den Leistungsrahmen der gesetzlichen Krankenversicherung hält. Keinesfalls darf er dem Versicherten gegenüber seiner Krankenkasse einen Anspruch auf unberechtigte Leistungen vertraglich nicht gebundener Leistungserbringer vennitteln. 209 Dem Arzt steht daher nicht die für den Beliehenen typische umfassende öffentlich-rechtliche Rechtsbzw. Hoheitsmacht zu. Er ist vielmehr darauf beschränkt, innerhalb des Leistungsund Leistungserbringungsrechts zu handeln?1O Angesichts dessen ist die Anwendung des Rechtsinstituts der Beleihung im Krankenversicherungsrecht überflüssig. Denn der Anspruch des Versicherten auf die betreffende Leistung folgt bereits aus dem Gesetz und nicht aus der Beleihung des verordnenden Arztes? 11 Sollte man eine Vertretungsmacht des Arztes annehmen, ist diese jedenfalls auf den Vertragsschluss mit den von der Kasse ausgewählten Unternehmen beschränkt. Eine Duldungsvollmacht lässt sich allenfalls daraus herleiten, dass ein Arzt in Kenntnis der Kasse wiederholt Privatunternehmer beauftragt hat und die Kasse die entstandenen Kosten gleichwohl übernommen hat. Zur Annahme einer Anscheinsvollmacht käme man, wenn die Kasse bei pflichtgemäßer Sorgfalt hätte erkennen können, dass der Arzt als ihr venneintlicher Vertreter auftritt, was jedoch anhand der konkreten Umstände im Einzelfall zu ennitteln ist. Im Ergebnis muss ein Vertragsschluss durch Verordnung des Transportes durch den Arzt regelmäßig an der fehlenden Vertretungsmacht, im Zweifel auch am fehlenden Rechtsbindungswillen des Arztes gegenüber den Kassen scheitern?12 Allerdings bleibt es den Krankenkassen unbenommen, das vollmachtlose Handeln eines Arztes zu genehmigen. Diese nachträgliche Zustimmung würde einen mangels Vertretungsmacht schwebend unwirksamen Beförderungsvertrag nach § 184 BGB rückwirkend zur Wirksamkeit verhelfen. b) Vertragsschluss durch den Versicherten

Der Versicherte ist zum Abschluss bindender Verträge für die Krankenkasse nur berechtigt, wenn ihm eine gesetzlich oder rechtsgeschäftlich erteilte Vertretungsmacht zusteht. Ausdrücklich wird eine Krankenkasse ihren Versicherten keine sol208 209 210 211 212

BSGE 79,190 (194); 73, 271 (281). BSGE 73, 271 (282); 79, 190 (194). Schimmelpfeng-Schütte, SGb 2001,195 (196). So auch Schimmelpfeng-Schütte, SGb 2001,195 (196). Philipp, NZS 2001,129 (130), LSG Berlin, Breith. 1989, S. 277.

70

1. Teil: Krankentransporte und Rettungswesen in Deutschland

che Befugnis einräumen. Ebenso wenig lässt sich aus der Mitgliedschaft in der Krankenkasse der für die Annahme einer Anscheins- oder Duldungsvollmacht erforderliche Rechtsschein herleiten?!3 Dem Versicherten wird in der Regel auch der entsprechende Wille sowie das Bewusstsein fehlen, durch Inanspruchnahme eines Krankentransportes rechtserheblich tätig zu werden und Verträge für die Krankenkasse abzuschließen?!4 Wollte man auf diese Weise einen Vertragsschluss durch den Versicherten konstruieren, käme dies der Annahme eines Vertrags zu Lasten Dritter gleich. Dies widerspricht jedoch dem in § 311 I BGB verankerten Grundgedanken unserer Zivilrechtsordnung, wonach ein Schuldverhältnis nur zwischen den am Vertragsschluss beteiligten Parteien zustande kommen kann. Letztlich spricht auch das Wirtschaftlichkeitsgebot aus § 12 SGB V gegen die Möglichkeit des Abschlusses von Verträgen auf Kosten der Krankenkassen durch die Versicherten, da diese regelmäßig nicht ermessen können, wann die Grenze der Wirtschaftlichkeit erreicht ist. 2!5

2. Ansprüche des Unternehmers aus Geschäftsführung ohne Auftrag nach §§ 677, 683, 670 BGB analog

Möglicherweise kann der nicht an einen Vergütungs vertrag gebundene Transportunternehmer nach §§ 677, 683, 670 BGB analog von der Krankenkasse den Ersatz seiner Aufwendungen verlangen, wenn er Transportleistungen an einen Versicherten erbracht hat. Dazu müsste das zivilrechtliche Institut der Geschäftsführung ohne Auftrag auch im Sozialrecht - einem Teilgebiet des öffentlichen Rechts - anwendbar sein. Der in den §§ 677 ff. BGB vorgegebene Interessenausgleich enthält ein allgemeines Prinzip, dessen Geltung auch im öffentlichen Recht angemessen und vertretbar erscheint. Dementsprechend ist nach allgemeiner Auffassung 2!6 die Geschäftsführung ohne Auftrag auch im öffentlichen Recht zuzulassen, sofern sich aus den Besonderheiten dieses Rechtsgebietes nichts Entgegenstehendes ergibt. Ein Anspruch des vertraglich nicht gebundenen Transportunternehmers auf Aufwendungsersatz besteht gemäß §§ 683, 670 BGB analog nur, wenn dieser mit dem Transport eines Versicherten ein Geschäft der zuständigen Krankenkasse geführt hat und die Geschäftsführung dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen der Kasse entspricht. Wer eine Aufgabe erledigt, die nach Natur oder Inhalt in den Rechtsund Interessenkreis eines anderen fällt, nimmt ein objektiv fremdes Geschäft LSG Berlin, Breith. 1989, S. 277. Plute, Krankenkassen und Rettungswesen, S. 43, LG Duisburg, Urt. v. 7. 12. 1982, KtR 8220. 215 Siewert, SozVers 1975, 146 (148). 216 v. Einem, SGb 1991,345 (345) m. w. N.; BVerwGE 80, 170 (172 f.), BSGE 6, 197 (200); 15,56 (57); 67, 100 (100). 213

214

C. Rechtsbeziehungen unter den Beteiligten

71

vor?17 Im Sozialversicherungsrecht ist dies jedenfalls dann der Fall, wenn der Geschäftsführer kein Leistungsträger i. S. d. §§ 102 ff. SGB X ist, also kein Erstattungsanspruch aus sozialrechtlichen Normen besteht, er aber dennoch eine Aufgabe des sozialrechtlichen Leistungsträgers erfüllt hat. 218 Sieht ein Rettungsgesetz den Vertragsschluss zwischen Krankenkassen und Transportunternehmern vor, sind Krankentransporte von der Sachleistungspflicht umfasst. Im Verhältnis zu ihren Versicherten ist die Krankenkasse deshalb zur Erbringung dieser Leistung verpflichtet. Ein privater Unternehmer, der einen solchen Transport vornimmt, führt also ein der Krankenkasse obliegendes Geschäft. 219 Dass er dabei auch eigene Interessen, z. B. die Erfüllung von ihm nach den Landesrettungsgesetzen zugewiesenen öffentlich-rechtlichen Pflichten oder die Erzielung von Gewinnen verfolgt, ist nach allgemeiner Ansicht irrelevant. 220 Der Fremdgeschäftsführungswille des Unternehmers ist zu bejahen, wenn er bei Erbringung seiner Leistung davon ausgeht, die Krankenkasse sei gegenüber dem Versicherten zur Kostentragung verpflichtet. Die Voraussetzungen sind aus den Umständen des jeweiligen Einzelfalls zu ermitteln. Mangels Vergütungsvertrag, in dem die Krankenkasse dem Unternehmer zum Transport ihrer Versicherten ermächtigt hat, besteht in den zu erörternden Fällen auch kein die Geschäftsführung legitimierender Auftrag. Der Transporteur kann daher gemäß § 683 S. 1 BGB analog von der Kasse wie ein Beauftragter Ersatz seiner Aufwendungen erlangen, wenn die Übernahme des Geschäfts im Interesse der Kasse liegt und deren wirklichen bzw. mutmaßlichen Willen entspricht. Hat die Krankenkasse mit dem betreffenden Unternehmen keinen Vergütungsvertrag nach § 133 I SGB V abgeschlossen, deutet dies jedoch auf einen entgegenstehenden Willen der Kasse hin, etwa weil ihre Preisvorstellungen nicht mit denen des Unternehmers übereinstimmen. Dieser entgegenstehende Wille wäre nach § 679 BGB indes unbeachtlich, wenn andernfalls eine im öffentlichen Interesse liegende Pflicht des Geschäftsherm nicht erfüllt würde. Die Rettung von Personen aus lebens bedrohlichen Situationen oder der Transport Kranker, um ihnen die Inanspruchnahme ärztlicher Behandlung zu ermöglichen, liegt im öffentlichen Interesse, so dass selbst ein ausdrücklich erklärter entgegenstehender Wille der Kasse ohne Bedeutung wäre. 221 Der BGH hatte dementsprechend entschieden, dass wer einen verletzten Versicherten zu einer notwendigen medizinischen Be217

218 219

8244.

Schulze in Hk-BGB, § 677, Rn. 3. BSGE 67,100 (101); 6,197 (199 f.). Schneider, BlStSozArbR 1983, 118 (120), OLG Düsseldorf, Urt. v. 25. 2. 1988, KtR

220 so die Lehre vom "auch-fremden-Geschäft": BGH, NJW 1999,858 (860), BGHZ 30, 162 (167); 40, 28 (30); 54, 157 (160); 63, 167 (169 f.); Schulze in Hk-BGB, § 677, Rn. 3. 221 BGHZ 33, 251 (254 ff.), a. A. OLG Konstanz, Urt. v. 21. 1. 1986, KtR 8226, wonach nur die Transporte im öffentlichen Interesse liegen, die von den nach dem Landesrettungsdienstgesetz zuständigen Hilfsorganisationen bzw. den vertraglich gebundenen Unternehmen durchgeführt werden. M. E. ist jedoch auf das Element der Lebensrettung bzw. Gesundheitsvorsorge abzustellen, die stets - gleich von wem ermöglicht - im öffentlichen Interesse liegt.

1. Teil: Krankentransporte und Rettungswesen in Deutschland

72

handlung verbringt, als Geschäftsführer ohne Auftrag von der betreffenden Krankenkasse Ersatz für die ihm aus diesem Anlass entstandenen Schäden verlangen kann. 222 Ein Anspruch aus Geschäftsführung ohne Auftrag ist gleichwohl nicht gegeben, wenn das Verhältnis zwischen Geschäftsherrn und Geschäftsführer durch Sondervorschriften abweichend geregelt wurde oder wenn die maßgeblichen öffentlichrechtlichen Bestimmungen abschließenden Charakter aufweisen, so dass sich ein Rückgriff auf das Rechtsinstitut der Geschäftsführung ohne Auftrag verbietet. 223 Eine solche gesetzliche Sonderregelung könnte § 133 SGB V enthalten. Diese Norm regelt nicht nur die Vergütung vertraglich gebundener Transportunternehmen, sondern ordnet für den Fall, dass kein entsprechender Vertrag geschlossen wurde, das Recht der Krankenkasse an, ihre Leistungspflicht unter bestimmten Voraussetzungen auf Festbeträge zu beschränken. Diese Systematik verdeutlicht, dass der Gesetzgeber auch und gerade für Krankentransporte und Rettungsfahrten den Wirtschaftlichkeitsgrundsatz durchsetzen und einen verstärkten Wettbewerb unter den Leistungserbringern ermöglichen wollte. Wenn die Krankenkassen dazu angehalten werden, die Versorgung mit Leistungen des Rettungsdienstes weitgehend durch Verträge mit den Leistungserbringern sicherzustellen, sollen sie die Vergütungen unter Beachtung des Wirtschaftsgebotes aus §§ 133 I 7, 12 SGB V aushandeln und Verträge mit den günstigsten Anbietern abschließen können. Würde man einem vertraglich nicht gebundenen Transportunternehmen gegenüber der Krankenkasse einen Aufwendungsersatzanspruch aus Geschäftsführung ohne Auftrag zugestehen, wäre die Verhandlungsparität zwischen den Vertragspartnem beeinträchtigt. 224 Der Unternehmer könnte auf diese Weise der Krankenkasse einseitig seine Preisvorstellungen diktieren, wenn ihm das Angebot der Kasse zum Vertragsschluss zu niedrig erscheint. Wegen § 679 BGB hat die Krankenkasse daher zwar ein Interesse an der Transportleistung, jedoch nicht an deren Erbringung durch einen vertraglich nicht verbundenen Unternehmer. Etwas anderes kann allenfalls dann gelten, wenn ein Notfall vorliegt, d. h. auf ein Vertragsunternehmen nicht rechtzeitig zurückgegriffen werden kann oder sich die Kassen nicht um Vertragsabschlüsse bemüht, die Transporte aber auch nicht selbst durchführt?25 Im Ergebnis ist ein Anspruch des Transportunternehmers aus Geschäftsführung ohne Auftrag gegenüber der Krankenkasse im Regelfall abzulehnen.

BGHZ 33,251 (254 ff.). v. Einem, SGb 1991,345 (346); BGHZ 30,162 (169); 33, 251 (258); 98, 235 (242). 224 BSG, SGb 2001, 193 (195). 225 So auch OLG München, NJW-RR 1988, 1013 (1015), Schneider; BIStSozArbR 1983, 118 (121), Siewert, SozVers 1975, 146 (149). 222 223

C. Rechtsbeziehungen unter den Beteiligten

73

3. Ansprüche des Transportunternehmers aus § 812 I 1, Alt. 1 BGB wegen ungerechtfertigter Bereicherung der Krankenkasse

Letztlich könnte sich ein Anspruch des Transportunternehmers auf Aufwendungsersatz wegen ungerechtfertigter Bereicherung der Krankenkasse aus § 812 BGB ergeben. Dies setzt voraus, dass die Krankenkasse infolge der Durchführung des Transports durch ein nicht in die Vergütungsverträge einbezogenes Unternehmen durch die Leistung des Unternehmers etwas erlangt hat. Das "Erlangte" liegt in der Befreiung der Kasse von ihrer Pflicht zur Gewährung von Transportleistungen und dem daraus resultierenden Vermögensvorteil in Höhe der zu entrichtenden Vergütung. Ob dies im Wege einer Leistung, der bewussten und zweckgerichteten Mehrung fremden Vermögens 226 erfolgt ist, ist ausgehend von der Intention des Transporteurs im jeweiligen Einzelfall zu ermitteln. Der Anspruch setzt weiterhin voraus, dass sich die Krankenkassen nicht auf einen Wegfall der Bereicherung gemäß § 818 III BGB berufen können. Die Kassen machen regelmäßig geltend, durch die Einbeziehung vertraglich nicht gebundener Unternehmer in den Rettungsdienst sei die Stabilität der Beförderungstarife gefährdet: 227 Der nicht auf Gewinnerzielung ausgerichtete öffentliche Rettungsdienst erwirtschafte bei den einfachen Krankentransporten regelmäßig Überschüsse, mit denen hohe Betriebs- und Vorhaltungskosten in der Notfallrettung finanziert und auf diese Weise eine flächendeckende Versorgung zu günstigen Tarifen ermöglicht werden könnten. Denn aufgrund der hohen Vorhaltekosten könne die Notfallrettung nur dann zu angemessenen Preisen durchgeführt werden, wenn die dafür bereitgestellten personalen und sachlichen Mittel auch für die gewinnträchtigeren Krankentransporte genutzt würden. Diese wird damit durch jene quersubventioniert. Die Beteiligung zusätzlicher Unternehmen könne daher zu geringerer Effizienz des öffentlichen Rettungsdienstes und höheren Tarifen führen und gegebenenfalls nachträgliche finanzielle Zuschüsse des Trägers erforderlich machen. Allein die Möglichkeit einer ungünstigen Beeinflussung der öffentlichen Preis struktur vermag jedoch keine Entreicherung der Krankenkassen nach § 818 III BGB zu begründen. Die Kassen müssten im Einzelfall tatsächliche vermögensrechtliche Nachteile nachweisen, welche die zunächst aufgrund der Befreiung von der Leistungspflicht erlangte Bereicherung wieder entfallen lassen. Ein Wegfall der Bereicherung aufgrund der möglichen Gefahrdung der finanziellen Stabilität des öffentlichen Rettungswesens lässt sich jedenfalls nicht pauschal begründen, sondern wäre konkret nachzuweisen. Da die Herausgabe der von der Krankenkasse erlangten Befreiung von ihrer Sachleistungspflicht in natura nicht möglich ist, hat sie nach § 818 II BGB den Wert zu ersetzen. Die Höhe des Wertersatzes bemisst sich bei Dienstleistungen Schulze in Hk-BOB, § 812, Rn. 5. Vgl. statt vieler OLO Koblenz, Urt. v. 21. I. 1986, KtR 8226; OLO München, NJW-RR 1988, 10 13 ff. 226

227

74

1. Teil: Krankentransporte und Rettungswesen in Deutschland

nach der allgemein üblichen Vergütung. Einen Anhaltspunkt bieten die von den Kassen mit anderen Leistungserbringern in Rahmenverträge vereinbarten Entgelte?28 Gemäß § 814 BGB ist der Anspruch auf Herausgabe des zur Erfüllung einer Verbindlichkeit Geleisteten jedoch ausgeschlossen, wenn der Leistende positiv gewusst hat, dass er nicht zur Leistung verpflichtet ist. Eine Leistung "zum Zwecke der Erfüllung einer Verbindlichkeit" kann jedenfalls dann nicht angenommen werden, wenn sie bewusst gegen den Willen des Empfängers erbracht wurde?29 Hat die Krankenkasse einem Transportunternehmer den Vertragsschluss verweigert, ist dies zu bejahen. Hat ein Unternehmer in der Vergangenheit gleichwohl Transporte für die betreffende Kasse durchgeführt und dafür eine Vergütung erhalten, kann demgegenüber durchaus davon ausgegangen werden, § 814 BGB sei nicht erfüllt. Die Beweislastverteilung richtet sich nach den allgemeinen Grundsätzen des Bereicherungsrechtes; grundsätzlich hat also der Berechtigte die Voraussetzungen seines Anspruchs zu beweisen. In den Fällen des § 814 BGB trägt daher der Leistungsempfänger - die Krankenkasse - die Beweislast dafür, dass der Leistende die Leistung freiwillig in Kenntnis der Nichtschuld erbracht hat. 230 Grundsätzlich ist ein Anspruch aus § 812 I 1, Alt. 1 BGB jedoch ausgeschlossen, wenn ein Transportunternehmer nicht in die Vergütungsverträge der Krankenkasse einbezogen wurde.

4. Vergütungsansprüche aus §§ 33 i. V. m. 19,20 GWB Ein Vergütungsanspruch könnte sich ferner in Fonn eines Schadensersatzanspruches aus §§ 33 i. V. m. 19,20 GWB ergeben. Dieser steht unter der Voraussetzung, dass die Krankenkasse die nach dem Sachleistungsprinzip geschuldeten Transporte kartellwidrig nur an bestimmte Unternehmer vergibt. Lehnen die Krankenkassen die Einbeziehung eines privaten Krankentransportunternehmens in die von ihnen eingegangenen Vergütungsverträge ab, könnte darin eine kartell widrige Ausnutzung einer marktbeherrschenden Position im Sinne von §§ 19, 20 GWB liegen. Diese Nonnen müssten indes auf die Krankenkassen anwendbar sein. Entsprechend § 130 GWB findet das Wettbewerbsrecht auch auf Unternehmen Anwendung, die ganz oder teilweise im Eigentum der öffentlichen Hand stehen, von dieser betrieben oder verwaltet werden. Der Staat soll dort, wo er wie ein Privater auf dem Markt auftritt, den gleichen Regeln wie dieser unterworfen werden, sofern nicht besondere öffentlich-rechtliche Beziehungen bestehen, die eine Ausnahme von diesem Grundsatz rechtfertigen. § 130 GWB folgt einem funktionalen Unternehmensbegriff. Danach sind unabhängig von der gewählten Rechtsfonn sämtliche

229

OLG München, NJW-RR 1980, 1013 (1016). Schulze in Hk-BGB, § 814, Rn. 2, OLG Schleswig-Holstein, Urt. v. 22. 12. 1988, KtR

230

Schulze in Hk-BGB, § 814, Rn. 4 ff.

228

8249.

C. Rechtsbeziehungen unter den Beteiligten

75

Wirtschaftssubjekte als Unternehmer anzusehen, die sich als Anbieter oder Nachfrager auf dem Markt betätigen, auch wenn damit die Ausübung einer hoheitlichen Tätigkeit einhergeht. 231 Nur falls die öffentliche Hand Leistungen anbietet, für die eine Pflicht zur Inanspruchnahme besteht - etwa in Form des kommunalen Anschluss- und Benutzungszwanges für die Abwasserreinigung - liegt mangels Entscheidungsfreiheit der Marktgegenseite kein dem GWB zugängliches Wettbewerbsverhältnis vor. 232 Die Versorgungsverträge der Krankenversicherungsträger wurden bislang in ständiger Rechtsprechung dem Zivilrecht zugeordnet. Daraus wurde gefolgert, dass die Kassen bei der Suche nach Vertragspartnern zur Regelung der Leistungserbringung gleich einer Privatperson als Nachfrager auf dem Markt aufträten, ungeachtet dessen, dass die Kassen mit dem Abschluss dieser Verträge einer öffentlich-rechtlichen Aufgabe nachkommen?33 Da nur die gesetzlichen Krankenkassen im Rahmen des Sachleistungsprinzips tätig werden und Rahmenverträge für Krankentransporte anbieten könnten, sähen sie sich bei Abschluss der Versorgungsverträge keinen weiteren Wettbewerbern gegenüber. Weil die gesetzliche Krankenversicherung etwa 90% der Bundesbürger erfasst, wurden die Sozialversicherungsträger für Leistungen der Heil- und Hilfsmittellieferanten sowie sonstiger ambulanter Dienstleister einhellig als marktbeherrschende Unternehmen auf der Nachfragerseite angesehen und daher in ihren wirtschaftlichen Aktivitäten §§ 19 ff. GWB unterworfen. 234 Dass ihr Monopol gesetzlich begründet ist, war insoweit ohne Belang?35 Der Gesetzgeber behandelt die Krankenkassen gemäß § 69 SGB V dagegen "nicht als Unternehmen im Sinne des Privatrechts, einschließlich des Wettbewerbsund Kartellrechts", da sie mit Aufnahme von Rechtsbeziehungen zu den Leistungserbringern lediglich ihren öffentlich-rechtlichen Versorgungsauftrag erfüllten. 236 Aufgrund des funktionalen Unternehmensbegriffes, der dem europäischen Wettbewerbsrecht, Art. 81 EG, aber auch dem GWB zugrunde liegt, kommt es jedoch gerade nicht darauf an, ob die wirtschaftliche Betätigung der in Rede stehenden Einrichtung die Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe oder die Wahrnehmung öffentlicher Interessen enthält. 237 Der funktionale Unternehmensbegriff wurde 231 BGHZ 36, 91 (102 f.), BGH, ZIP 1999, 1020 (1023), Mestmäcker; NJW 1969, 1 (3), Autenrieth in Benisch, GWB, § 98 I, Rn. 24, Bechtold, Kartellgesetz, § 130, Rn. 4. 232 Mestmäcker; NJW 1969, 1 (3). 233 Krauskopf, DOK 1972, 835 (835), Emmerich in lmmenga/Mestmäcker; GWB, § 130 Absatz 1, Rn. 19,38, Autenrieth in Benisch, GWB, § 98 I, Rn. 62, BGHZ 36, 91 (101), Bechtold, Kartellgesetz, § 130, Rn. 5; Steinmeyer; Wettbewerbsrecht im Gesundheitswesen, S. 96, Beuthien, MedR 1994,253 (256). 234 BGHZ 36, 91 (102 f.), BGHZ 69, 59 (60), BGH, NJW 1962, 196 ff., Krauskopf, DOK 1972, 835 (837), Steinmeyer; Wettbewerbsrecht im Gesundheitswesen, S. 96, Bechtold, Kartellgesetz, § 130, Rn. 7. 235 Bechtold, Kartellgesetz, § 19, Rn. 18. 236 BT-Drs. 14/1245, S. 68, ähnlich Rohwer-Kahlmann in FS Wannagat, S. 367 f. 237 BGH, ZIP 1999, 1021 (1023).

76

1. Teil: Krankentransporte und Rettungswesen in Deutschland

bewusst als Ausgangspunkt für die Anwendbarkeit des Kartellrechts gewählt, um die Gleichbehandlung aller auf dem Markt Tätigen zu gewährleisten. Wollte man dieses Kriterium aufgeben, stünde es dem Staat und seinen Institutionen frei, sich als Anbieter und Nachfrager zu gerieren, ohne dass sein wirtschaftliches Verhalten am Wettbewerbsrecht zu messen wäre. Der Staat stünde dann nicht im Wettbewerb, sondern darüber und wäre somit gegenüber anderen Teilnehmern am Wirtschaftsleben im Vorteil. Dieser Ansatzpunkt ist daher abzulehnen. Im neu gefassten § 69 SGB V könnte jedoch eine öffentlich-rechtliche Sonderregelung liegen, die die Anwendbarkeit des Kartellrechts im Leistungserbringungsrecht ausschließt. Gemäß § 69 SGB V sind die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen zu den Leistungserbringern nunmehr als öffentlich-rechtlich zu qualifizieren. Ob daraus zu folgern ist, dass das Krankenversicherungsrecht von vornherein aus dem Anwendungsbereich des GWB herausfällt, ist umstritten,z38 Die Herausnahme des Leistungserbringungsrechts aus dem Geltungsbereich des GWB wird überwiegend mit der Begründung bejaht, dass dessen Anwendbarkeit gemäß § 87 GWB eine bürgerlich-rechtliche Streitigkeit im Sinne von § 13 GVG voraussetzt. Diese liege aber wegen § 69 S. 1 SGB V gerade nicht vor,z39 Gegen diese Auffassung wird vorgebracht, dass Ansatzpunkt des Kartellrechts nicht das Rechtsverhältnis, sondern ein wettbewerbswidriges Verhalten ist. 24o Dies komme insbesondere in § 130 GWB zum Ausdruck, der auch öffentlich-rechtliche Akteure seinem Anwendungsbereich unterwirft, wenn und soweit sie als Anbieter oder Nachfrager am Wirtschaftsleben teilnehmen. Ferner hätten die im Zuge der Gesundheitsreform 2000 ergangenen Gesetzesänderungen lediglich die vormals unklare Rechtswegzuweisung präzisiert. Gemäß § 51 11 SGG seien nunmehr ausschließlich die Sozialgerichte zur Klärung von Streitigkeiten im Leistungserbringungsrecht zuständig. § 51 11 2 SGG schließe die Anwendbarkeit der §§ 87,96 GWB aus, so dass zwar der Rechtsweg zu den Zivilgerichten abgeschnitten, hingegen nicht die Anwendbarkeit des GWB generell ausgeschlossen sei,z41 Dagegen ließe sich einwenden, dass § 69 S. 3 SGB V lediglich die analoge Anwendbarkeit des BGB anordnet. Im Umkehrschluss könne somit davon ausgegangen werden, dass andere Anspruchsgrundlagen gerade nicht geltend gemacht werden können. Einen weiteren Anhaltspunkt für die intendierte Unanwendbarkeit des Wettbewerbsrechts bietet § 69 S. 4 SGB V, wonach die Regelungen des SGB V über die Rechtsbeziehungen im Leistungserbringungsrecht auch insoweit abschließend sind, als durch diese Rechtsbeziehungen die Rechte Dritter betroffen werden. Dementsprechend wird vertre238 Dass nunmehr statt der Zivilgerichte allein die Sozialgerichte zur Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten, die sich aus den in § 69 SGB Vergeben, befugt sind, ist angesichts der entsprechenden Ergänzung der §§ 87 I, 96 GWB nicht zu bestreiten, vgl. dazu BT-Drs. 14/1977, S. 189. 239 Knispel, NZS 2001,466 (469). 240 Neumann, WuW 1999, 961 (963). 241 Enge/mann, NZS 2000, 213 (221), LSG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 20. 7. 2000 (L 16 KR 65/98), BSGE 86, 223 (229 f.).

C. Rechtsbeziehungen unter den Beteiligten

77

ten, der Gesetzgeber habe mit § 69 SGB V n. F. eine Bereichsausnahme zum Kartellrecht geschaffen, die als lex posterior § 130 GWB in Bezug auf das Leistungserbringungsrecht relativiere. 242 Die Konstruktion einer solchen Bereichausnahme ist jedoch nicht erforderlich. Denn die Anwendbarkeit des GWB setzt einen gewissen Grad von Wettbewerb in der in Rede stehenden Rechtsbeziehung voraus. In der Gesundheitspolitik der letzten Jahre wurde im Interesse der Wirtschaftlichkeit und der Kostendämpfung zwar ein verstärkter Akzent auf wettbewerbliche Strukturen gesetzt. Die Beförderung kranker und verletzter Personen wurde aus dem Geltungsbereich des PBefG herausgenommen, um einen Wettbewerb zwischen öffentlichen und privaten Anbietem im Rettungs- und Krankentransportwesen herbeizuführen?43 Waren bei der Genehmigungserteilung nach dem PBefG nur Verkehrs- und Beförderungsaspekte von Relevanz, enthalten die Landesgesetze erhebliche Anforderungen an die sachliche Ausstattung der öffentlichen Rettungsdienste und die Ausbildung der Beschäftigten. Insbesondere wurde eine flächendeckende Bereitschaftspflicht "rund um die Uhr" statuiert. Dagegen konnten private Transportunternehmer ihre Einsatzzeiten und -orte frei wählen und sich somit auf lukrative Teilbereiche beschränken. Der Gesetzgeber befürchtete, dass aufgrund dieses Rosinenpickens eine Existenzgefährdung der öffentlichen Rettungsdienste einträte. Dies veranlasste ihn letztlich zur Änderung des PBefG?44 Die daraufhin novellierten Landesgesetze verbesserten im Ergebnis die Wettbewerbsposition des öffentlichen Rettungsdienstes. Von der Einführung eines Wettbewerbs kann nicht die Rede sein, vielmehr wurde den etablierten Leistungserbringem faktisch Bestandsschutz eingeräumt. Da Private nunmehr allenfalls subsidiär zum Rettungswesen zugelassen werden, sind Konkurrenten weitgehend vom "Markt" für Rettungsdienstleistungen femgehalten. Auch die soziale Krankenversicherung ist nach ihrem Gesamtkonzept nicht auf Wettbewerb angelegt: der Zugang der Leistungserbringer ist beschränkt und an eine spezielle Zulassung gebunden. Das "Angebot" der gesetzlichen Krankenkassen ist durch den gesetzlich festgelegten Leistungskatalog determiniert. Die Entgelte für die einzelnen Leistungen werden kollektivvertraglich festgelegt, Dabei werden im Interesse der Kostendämpfung gesetzliche Preisgrenzen festgesetzt. Die Grundprinzipien des freien Wettbewerbs - die Abwesenheit von Monopolen, ein allgemeiner Zugang sämtlicher Leistungserbringer zum Markt, sowie eine freie Preisbildung durch das Wirken von Angebot und Nachfrage 245 - sind im Recht der Krankenversicherung nicht gewollt. Überdies steht den Krankenkassen keine Privatautonomie zu: Ihr Recht (und ihre Pflicht!) zum Abschluss von Verträgen mit den Leistungserbringem beruht auf einer gesetzlich eingeräumten Ermächtigung 246 und steht vor dem Hintergrund, dass die Kassen die Versicherten nicht selbst in natura mit den erforderlichen Gesundheits242 243 244

245 246

Gassner, VSSR 2000,121 (129 ff.), im Ergebnis auch Boecken, NZS 2000, 269 (271). BT-Drs. 1112170, S. 9, 11 /4424, S. 6, Saekel. BKK 1993,303 (307).

BSGE 77,119 (127). Brault, Concurrence, p. 5 et s. Neul1Ulnn, WuW 1999,961 (965), Unger, SGb 1983,340 (343).

78

1. Teil: Krankentransporte und Rettungswesen in Deutschland

leistungen versorgen, und deshalb gezwungen sind, zur Sicherstellung der Versorgung auf die Gesundheitsberufe zurückzugreifen. Mangels wettbewerblicher Strukturen im Rechtsverhältnis zwischen den Krankenkassen und den Leistungserbringern im Rettungswesen ist das Kartellrecht also nicht anwendbar. Daher besteht auch kein Schadensersatzanspruch der nicht in die Vergütungsverträge einbezogenen Transportunternehmer aus § 33 i.Y.m. 19, 20GWB. 5. Freistellungsanspruch des Versicherten aus § 13 SGB V Ein Transportunternehmen, das nicht in die Rahmenverträge der Krankenkassen einbezogen ist, kann daher weder aus dem Leistungserbringungsrecht noch aus dem bürgerlichen Recht einen Anspruch gegen die Krankenkasse auf Zahlung des Transportentgeltes herleiten. Die Unternehmer sind vielmehr gehalten, ihre Ansprüche unmittelbar aus § 611 BGB gegenüber dem Versicherten geltend zu machen, mit dem sie einen Beförderungsvertrag geschlossen haben. Im Gegenzug steht dem Versicherten ein Freistellungsanspruch gegen seine Krankenkasse zu, wenn und soweit die Voraussetzungen des § 13 III SGB V vorliegen. Dieser Anspruch setzt voraus, dass dem Versicherten durch den Transport mit einem Fremdunternehmen Kosten entstanden sind. Wie festgestellt, kommt beim Transport durch Unternehmen, die nicht in die Rahmenvereinbarungen der Krankenkassen einbezogen sind, ein dem Zivilrecht zuzuordnender Beförderungsvertrag zwischen Versichertem und Transportunternehmer zustande. Die daraus hervorgehende Forderung des Leistungserbringers auf Entrichtung des Transportentgeltes nach § 611 BGB analog fällt unter den Kostenbegriff des § 13 III SGB V.247 Der Erstattungsanspruch des Versicherten setzt jedoch weiter voraus, dass die Kasse eine notwendige Leistung in einer für den Versicherten unaufschiebbaren Situation nicht rechtzeitig erbracht oder eine notwendige Leistung zu Unrecht abgelehnt hat. Das Unterlassen einer unaufschiebbaren Leistung kann nur angenommen werden, wenn die betreffende Leistung aus medizinischen Gründen sofort, i. e. ohne zeitliche Verzögerung, hätte erbracht werden müssen, dem Versicherten jedoch nicht in der angemessenen Zeit zur Verfügung gestellt wurde. 248 Dies ist typischerweise bei Notfällen zu bejahen, wenn das durch die Versorgungsverträge der Kassen begründete Naturalleistungssystem objektiv den Bedarf des Versicherten nicht befriedigt. 249 Der Tatbestand der zu Unrecht abgelehnten Leistung ist erfüllt, wenn eine Krankenkasse einer konkreten Leistungsverschaffungspflicht trotz Rechtsanspruchs des Versicherten nicht nachgekommen ist. 25o Falls der Transport, 247 248 249

250

Schimmelpjeng-Schütte, SGb 2001,195 (196). Noftz in Hauck, SGB V, § 13, Rn. 49 f. BSGE 79,190 (192 f.). Noftz in Hauck, SGB V, § 13, Rn. 51.

c. Rechtsbeziehungen unter den Beteiligten

79

für den über § 13 III SGB V Kostenerstattung begehrt wird, notwendig war, kann ein Systemversagen daher allenfalls dann angenommen werden, wenn die Krankenkasse kein Unternehmen mit der Erbringung von Transportleistungen an ihre Versicherten betraut hat und diese auch nicht selbst erbringt. Da die gesetzlichen Krankenkassen in der Praxis jedoch flächendeckend Versorgungsverträge abgeschlossen haben, wird diese Voraussetzung in der Regel nicht erfüllt sein. a) Derogation des § 13 111 SGB V durch das Wahlrecht des Versicherten

Somit stellt sich die Frage, ob vor dem Hintergrund des Wahlrechts der Versicherten unter den Leistungserbringern eine andere Lösung angezeigt ist. Die Freiheit der Versicherten, unter den Leistungserbringern zu wählen, korrespondiert mit der Verpflichtung der Kassen aus § 2 III SGB V, bei der Auswahl der Leistungserbringer deren Vielfalt zu beachten?51 Für die Ärzte hat dieser Grundsatz in § 76 SGB V eine Konkretisierung erfahren. Er steht im Einklang mit dem Selbstbestimmungsrecht der Patienten aus Art. 2 II 1 GG, welches dem Patienten ermöglicht, aufgrund des notwendigen persönlichen Vertrauensverhältnisses bei Heileingriffen letztlich selbst zu entscheiden, wer diesen vornehmen soll.252 Es steht jedoch zu bezweifeln, ob ein Versicherter bei einem Krankentransport eines derart weit reichenden Schutzes bedarf. Nach Auffassung des BGH überwiegt das Recht des Versicherten, unter den Leistungserbringern frei zu wählen, selbst unter Geltung des Sachleistungsprinzips die Interessen der Krankenkassen, ihre Vertragspartner zu bestimmen. 253 Insbesondere folge aus § 60 SGB V, der die Leistungspflicht der Krankenkassen für Fahrkosten ihrem Umfang nach bestimmt, nicht, dass eine Kostenübernahme ausscheidet, wenn ein Privatunternehmen den Transport durchgeführt hat, das in keinerlei vertraglichen Beziehungen zur Krankenkasse steht. 254 Jedoch liegt bei Krankentransporten die Interessenlage grundsätzlich anders als bei der ärztlichen Behandlung: hier besteht kein Spielraum über den Inhalt der Leistung, der Versicherte kann nur die Beförderung zur nächstgelegenen Behandlungseinrichtung verlangen. Der Transport ist in der Regel nicht mit Eingriffen in die körperliche Integrität verbunden, so dass anders als bei der ärztlichen Behandlung ein persönliches Vertrauensverhältnis zwischen Transporteur und Patient nicht besteht. Zudem ist die Zuverlässigkeit des Unternehmers durch das landesrechtliehe Genehmigungserfordernis gesichert, so dass für die Geltendmachung von Qualitätsunterschieden zwischen vertraglich gebundenen und nicht gebundenen Unternehmern kein Raum bleibt. Der Versicherte wird daher in der Regel keine Schulin in Schulin, Hb Sozialversicherungsrecht, § 6, Rn. 233. Noftz in Hauck, SGB V, § 2, Rn. 20. 253 BGH, NJW 1990, 1531, BGHZ 101, 72 (83), BGHZ 107, 40 (44 f.), für ein eingeschränktes Wahlrecht: OLG Stuttgart, Urt. v. 15. 1. 1988, KtR 8234, S. 7. 254 BGHZ 107,40 (44). 251

252

80

1. Teil: Krankentransporte und Rettungswesen in Deutschland

Argumente vorbringen können, welche die Inanspruchnahme eines Nicht-Vertragsunternehmers rechtfertigen. Infolgedessen ist ein Anspruch der Versicherten auf Benutzung eines bestimmten Transportunternehmens und Ersatz der entstandenen Kosten grundsätzlich ausgeschlossen. 255 Etwas anderes kann nur gelten, wenn dem Versicherten in dem Zeitpunkt, in dem sein Transport notwendig war, nachweislich kein Vertragsunternehmen zur Verfügung stand, welches die Beförderungsleistung hätte erbringen können. In diesem Fall kann er von seiner Krankenkasse über § 13 III Alt. 1 SGB V die Erstattung der ihm entstandenen Kosten verlangen. b) Abrechnungsweg

Teilweise wird vertreten, das vertraglich nicht gebundene Unternehmen könne den Erlass eines Gebührenbescheides gegen den transportierten Versicherten und die Abtretung des dem Versicherten aus § 13 III SGB V zustehenden Freistellungsanspruchs verlangen und somit gegenüber der Krankenkasse zumindest die "notwendige" Vergütung geltend machen. 256 In der Regel seien dies die in den Verträgen oder der kommunalen Satzung bestimmten Gebühren. Dem ist jedoch zu entgegnen, dass der Transportunternehmer seinen Vergütungsanspruch aus dem Beförderungsvertrag gegenüber dem Versicherten geltend machen und der Versicherte anschließend gemäß § 13 III SGB V Kostenerstattung von seiner Krankenkasse begehren oder die Freistellung von seiner Verbindlichkeit gegenüber dem Leistungserbringer im Sinne von § 257 BGB 257 verlangen kann. Voraussetzung für den Anspruch aus § 13 III SGB V ist, dass der Versicherte gegenüber der Krankenkasse einen Primäranspruch auf die betreffende Leistung hatte, den diese nicht erfüllt hat. 258 Dieser geht zu dem Zeitpunkt, da die Inanspruchnahme der Leistung unaufschiebbar und daher durch Selbstbeschaffung ermöglicht wurde, durch die selbst beschaffte Bedarfsdeckung unter, da der Anspruchsinhalt gegenüber der Kasse mit dem gedeckten Bedarf identisch ist. Der Kostenerstattungsanspruch hat insoweit die Funktion eines Schadensersatzanspruchs. Er ist durch Geldersatz nach § 251 BGB oder durch Freistellung von einer Verbindlichkeit im Sinne von § 257 BGB zu erfüllen. 259

LG Duisburg, Urt. v. 7.12. 1982, KtR 8220, S. 4. BSG, SGb 2001, 193 (195), zustimmend Schimmelpjeng-Schütte, SGb 2001, 195 (196 f.). 257 Noftz in Hauck, SGB V, § 13, Rn. 47. 258 BSGE 73,271, (276). 259 BSGE 73,271 (276). 255

256

C. Rechtsbeziehungen unter den Beteiligten

81

III. Anspruch privater Transportunternehmen auf Teilhabe am Rettungswesen Vor der Herausnahme der Krankenbeförderung aus dem Geltungsbereich des PBefG bestand bei Erfüllung der in § 13 PBefG enthaltenen Genehmigungsvoraussetzungen ein Rechtsanspruch auf Zulassung zur Personenbeförderung. 260 Die aufgrund dieses Bundesgesetzes erteilte Genehmigung war auch für die Länder bindend, weshalb der Unternehmer auch zum Krankentransport nach den Rettungsdienstgesetzen zuzulassen war. Mit der Änderung des PBefG hat der Bund auf die Ausübung seiner Gesetzgebungskompetenz für die auf Kranke und Verletzte bezogene Personenbeförderung verzichtet, um auf Landesebene einheitliche Anforderungen an den öffentlichen Rettungsdienst und die darin tätigen Privatunternehmer zu richten und so einen Wettbewerb im Rettungswesen zu ermöglichen. Dieser Intention des Bundesgesetzgebers wurde jedoch nicht entsprochen, denn die Länder haben in der Folge neue Rettungsdienstgesetze erlassen bzw. ihre bestehenden Rettungsdienstgesetze dahin modifiziert, dass eine Zulassung privater Krankentransportunternehmen zum Rettungsdienst zwar grundsätzlich möglich ist, in der Praxis jedoch nur in eng umgrenzten Fällen erteilt wird. Statt einer Öffnung des Rettungswesens für den freien Wettbewerb wurde lediglich die Position der bereits zuvor am öffentlichen Rettungswesen teilnehmenden Einrichtungen gestärkt, die der privaten Unternehmer dagegen geschwächt. Da sich die Krankenkassen beim Abschluss der Vergütungsverträge nach § 133 I SGB V stets an die Einrichtungen und Unternehmen halten, die über eine landesrechtliche Zulassung zum öffentlichen Rettungsdienst verfügen, ist zu untersuchen, ob ein privates Krankentransportunternehmen einen Rechtsanspruch gegen einen Landkreis bzw. eine kreisfreie Stadt auf Erteilung einer Zulassung und gegen die Krankenkasse auf Einbeziehung in Vergütungsvereinbarungen nach § 133 I SGB V hat. 1. Rechtmäßigkeit der Ausgestaltung des Rettungswesens als öffentliche Aufgabe

Dafür ist zunächst der Frage nach dem Rechtscharakter des Rettungswesens nachzugehen. Das Rettungswesen stellt in sämtlichen Ländern eine öffentliche Aufgabe dar, die von den Landkreisen und kreisfreien Städten als Aufgabenträger zu erfüllen ist. Liegt entgegen der Legaldefinition eine staatliche Aufgabe vor, liegt die Ausführungsverantwortung ausschließlich bei der öffentlichen Hand. Ein Rechtsanspruch privater Unternehmer auf Übertragung der Aufgabe ist dann von vornherein ausgeschlossen. Nach verwaltungsrechtlicher Doktrin kann eine Angelegenheit zur öffentlichen Aufgabe erklärt werden, wenn sie im maßgeblichen öffentlichen Interesse steht. 261 260 26\

6 Abig

Schulte, Rettungsdienst durch Private, S. 33. So die überwiegend anerkannte Definition aus BVerfGE 66, 248 (258).

82

1. Teil: Krankentransporte und Rettungswesen in Deutschland

Diese Definition ist wegen ihrer Unbestimmtheit zum Teil als unbrauchbar kritisiert worden. 262 Stattdessen solle eine Aufgabe dann als öffentlich zu qualifizieren sein, wenn der Staat die Verantwortung für ihre Erfüllung übernimmt. Dieser Ansatz, wonach es für den Rechtscharakter einer Aufgabe nicht auf deren Natur, sondern auf einen staatlichen Willensakt ankomme, widerspricht jedoch dem Grundgedanken der öffentlichen Aufgaben. Gerade weil diese öffentliche Interessen berühren, besteht eine Verpflichtung des Staates, für ihre Erfüllung einzustehen. Dieser Verpflichtung kann er sich nicht durch eine Willenserklärung - genauer: das gesetzgeberische Unterlassen, eine Materie als öffentlich zu definieren - entziehen. Ob eine öffentliche Aufgabe vorliegt, ist mithin daran zu messen, ob ihre Erfüllung einem besonderen öffentlichen Interesse, letztlich dem Gemeinwohl dient. Für die Daseinsvorsorge ist dies zu bejahen, wenn die Sicherung einer menschenwürdigen Existenz sämtlicher Bürger die Erfüllung der in Rede stehenden Aufgabe erforderlich macht. 263 Solche Aufgaben können zur Durchführung an nichtstaatliche Einrichtungen übertragen werden,264 gegebenenfalls unter Etablierung eines staatlichen Aufsichts- und Weisungs systems, um die Erfüllung der gesetzlichen Pflichten durch die privaten Akteure sicherzustellen?65 Im Gegensatz dazu sind die so genannten originären Staatsaufgaben für den Staat von solch zentraler Bedeutung, dass sie ihm kraft verfassungsrechtlicher Ermächtigung zur alleinigen Erfüllung zugewiesen sind?66 Als Beispiele sind das staatliche Monopol für die Rechtssetzung, Rechtspflege, Anwendung unmittelbarer Gewalt im Inneren oder die (militärische) Verteidigung nach Außen zu nennen. Eine Übertragung der Verantwortung für diese Aufgaben auf private Akteure ist von vornherein ausgeschlossen. Das Rettungswesen unterfällt diesem Aufgabentypus mangels grundgesetzlicher Aufgabenzuweisung offensichtlich nicht. Daher lässt sich kein originäres Mitwirkungsverbot zulasten privater Initiativen ableiten. In den Rettungsgesetzen der Länder wurden indes die Kreise und kreisfreien Städte mit der Sicherstellung einer flächendeckenden, bedarfsgerechten Versorgung der Bevölkerung mit den Leistungen des Rettungsdienstes beauftragt. Als wichtiges Glied der Rettungskette erfordere der Rettungsdienst vor allem im Hinblick auf die Bedrohung überragender Rechtsgüter, wie Leben und Gesundheit der Bevölkerung, die jederzeitige volle Einsatzfähigkeit und in hohem Maße aufeinander abgestimmte Koordination seiner Akteure. Dies rechtfertige die Ausgestaltung als öffentliche Aufgabe. 267 Dem Gesetzgeber steht es frei zu entscheiden, durch wen und auf welche Art und Weise diese erfüllt werden soll - sei es durch einen eigenen, hoheitlichen Rettungsdienst Hausner; Mitwirkung Privater am Rettungsdienst, S. 27. BVerfGE 66, 248 (258). 264 Häberle, AöR 1986,595 (604). 265 Vgl. die Argumentation in BVerfGE 66,248 (258 f.) zur Energieversorgung durch privatrechtIich organisierte Unternehmen. 266 Häberle, AöR 1986,595 (604). 267 BVerwGE 97, 79 (84 f.); OVG Berlin, Urt. v. 12. 2. 1992 (1 B 32.89), VG Göttingen, Urt. v. 6. 9. 1999 (4 B 4105/99). 262

263

C. Rechtsbeziehungen unter den Beteiligten

83

oder durch die Übertragung der Aufgabe unter weit reichender Einflussnahme durch Weisungs- und Aufsichtsrechte,z68 Es ist daher zu prüfen, ob ein Anspruch privater Krankentransportunternehmer gegen die Träger des Rettungswesens auf Zulassung zum Rettungsdienst besteht oder ob die Übertragung der Aufgabe ausschließlich an gemeinnützige Hilfsorganisationen gerechtfertigt ist. Aufgrund der Vielzahl und Vielfalt der in den Ländern existierenden Regelungen sei diese Frage nur in ihren Grundzügen untersucht. 2. Anspruch auf Zulassung zum öffentlichen Rettungsdienst nach den Rettungsgesetzen der Länder269 In sämtlichen Landesgesetzen ist die Übertragung des Rettungsdienstes auf Dritte - Hilfsorganisationen und Privatunternehmen - vorgesehen. In der Regel kann vom Aufgabenträger eine Genehmigung zur Durchführung von Krankentransporten und Rettungsfahrten erteilt werden, wenn der Unternehmer seine Zuverlässigkeit nachweist und über entsprechend ausgebildetes Personal sowie hinreichend ausgestattete Transportmittel verfügt. Bei Erfüllung dieser Anforderungen kann entsprechend der in den meisten Landesrettungsgesetzen enthaltenen Funktionsschutzklausei die Zulassung eines privaten Transportunternehmens zum Rettungswesen verweigert werden, wenn durch den Gebrauch der Genehmigung eine Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses an der Funktionsfähigkeit des Rettungsdienstes zu erwarten wäre. Um das Vorliegen dieser Voraussetzungen zu ermitteln, sind insbesondere die Entwicklung des Einsatzaufkommens und der Kosten der Einsätze, sowie die räumliche und zeitliche Verteilung der existierenden Rettungsdienste auf dem Gebiet des jeweiligen Landes zu berücksichtigen. In dieser Klausel könnte ein Verstoß gegen die Freiheit der Berufswahl aus Art. 12 I GG liegen.

a) Veifassungsmäßigkeit der Funktionsschutzklauseln Art. 12 I GG räumt allen Deutschen das Recht ein, ihren Beruf frei zu wählen und auszuüben. Als Beruf ist jede auf Dauer angelegte Tätigkeit anzusehen, die in ideeller und materieller Hinsicht dazu dient, sich eine Lebensgrundlage zu schaffen oder zu erhalten. 27o Krankentransportunternehmer erbringen ihre Leistungen gegen ein Entgelt, welches - je nach leistungs- bzw. landesrechtlicher Ausgestaltung 268

Denninger; OÖV 1987,981 (987).

Aufgrund des gesetzgeberischen Ermessens in Bezug auf die Schaffung und Ausgestaltung öffentlicher Aufgaben kann der Zulassungsanspruch nur aus den Rettungsdienstgesetzen, nicht aber unmittelbar aus den Grundrechten, insbesondere Art. 12 I GG resultieren, Orlowski, Rettungsdienst und Berufsfreiheit, S. 208 ff., BayVGH, Urt. v. 20. 12. 1988 (4 CE 88.1946). 270 BVerfGE 7, 377 (397). 269

6*

84

1. Teil: Krankentransporte und Rettungswesen in Deutschland

von den transportierten Personen oder der zuständigen Krankenkasse erbracht wird. Ihre Tatigkeit dient insoweit der Gewinnerzielung, der Sicherung einer Lebensgrundlage für den Unternehmer. Folglich weist die Betätigung als Krankentransportunternehmer Berufsqualität auf. Die Berufswahl umfasst die Entscheidung, einen bestimmten Beruf zu ergreifen, wogegen die Berufsausübung auf die Umstände der beruflichen Tätigkeit bezogen ist, also deren Form, Mittel, Umfang und Inhalt betrifft. 271 Bejaht die Zulassungsbehörde die flächen- und bedarfsdeckende Versorgung der Bevölkerung mit Rettungsdienstleistungen durch die bereits zum Rettungswesen zugelassenen Einrichtungen, ist nach der Funktionsschutzklausel die Erteilung einer weiteren Zulassung ausgeschlossen. Der Unternehmer kann dann nicht als Transporteur von Kranken und Verletzten tätig werden, da die ungenehmigte Erbringung von Krankentransport- oder Rettungsdienstleistungen als Ordnungswidrigkeit geahndet wird. Im Gegensatz zu den sonstigen Zulassungsvoraussetzungen, wie den Anforderungen an Ausbildung und Zuverlässigkeit des Transportunternehmers oder die Ausstattung seiner Fahrzeuge, die als subjektive Zu lassungsschranken dem Schutz von Gesundheit und Leben der zu Befördernden dienen und insoweit keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen,272 stellt sich die Ablehnung der Genehmigung unter Berufung auf die Funktionsschutzklause1 aus der Sicht des um Zulassung ersuchenden Unternehmers als objektive Berufszulassungsschranke dar,273 weil er auf deren Bedingungen keinen Einfluss nehmen kann. Ein Eingriff in den Schutz bereich des Grundrechts auf freie Berufswahl nach Art. 12 I GG ist daher zu bejahen. Gemäß Art. 12 I 2 GG kann die Berufsfreiheit durch oder aufgrund eines Gesetzes beschränkt werden, das Umfang und Grenzen des Eingriffs deutlich erkennen lässt. 274 Der Eingriff durch die in den Landesgesetzen verankerte Funktionsschutzklausel könnte daher gerechtfertigt sein. Zu den Anforderungen an die Rechtfertigung von Eingriffen in die Berufsfreiheit hat das BVerfG die Dreistufentheorie entwickelt. 275 Danach ist zwischen bloßen Berufsausübungsregeln sowie subjektiven und objektiven Zulassungsschranken als Stufen steigender Eingriffsintensität zu unterscheiden. Je intensiver der Eingriff in das Recht aus Art. 12 I GG, um so höher sind die Anforderungen an dessen Rechtfertigung. Objektive Zugangsbeschränkungen sind danach nur zulässig, wenn und soweit sie zur Abwehr einer schweren und unzumutbaren Gefährdung eines überragenden Gemeinschaftsgutes Jarass in Jarass I Pieroth, GG, Art. 12, Rn. 8. Meinhardt, LKV 1999,255 (256). 273 BVerwG, NJW 1996, 1608 (1609), VG Weimar, ThürVBI 1994, 164 (165), Orlowski, Rettungsdienst und Berufsfreiheit, S. 32, Meinhardt, LKV 1999,255 (257). 274 BVerfGE 73, 280 (294); Entgegen seinem Wortlaut umfaßt der Gesetzesvorbehalt des Art. 12 I 2 GG die Berufsfreiheit als einheitliches Grundrecht aus Berufswahl und -ausübung, BVerfGE 73, 280 (294). 275 BVerfGE 7,377 (405 ff.); BVerfGE 25, 1 (11 f.). 271

272

c. Rechtsbeziehungen unter den Beteiligten

85

zwingend geboten sind. Die Funktionsschutzklauseln sollen der Aufrechterhaltung eines funktionsfähigen Rettungsdienstes dienen. Sie zielen - ebenso wie die subjektiven Anforderungen an die Transportunternehmer - auf den Schutz der Bevölkerung vor Gesundheits- und Lebensgefahren. Diese Rechtsgüter haben in Art. 2 I GG Verfassungsrang erlangt; in ihrem Interesse müssen Beschränkungen der freien Berufswahl hingenommen werden. 276 Die Versagung weiterer Zulassungen im Falle einer flächendeckenden Bedarfsbefriedigung durch die vorhandenen Transportunternehmen müsste jedoch geeignet sein, um die Bevölkerung vor Gesundheitsgefahren zu schützen. In sämtlichen Rettungsdienstgesetzen wurde eine Pflicht der Aufgabenträger zur Vorhaltung eines rund um die Uhr einsatzbereiten Rettungsdienstes statuiert. Diese ist in der Regel sehr kostenaufwendig, da sie hohe personelle und materielle Mittel erfordert. Eine sinnvolle Finanzierung dieses Rettungsdienstes steht daher unter der Voraussetzung der hinreichenden Auslastung, welche im dünn besiedelten ländlichen Raum aufgrund niedrigerer Einsatzzahlen nur selten erreichbar ist. Mit der Zulassung einer unbegrenzten Zahl privater Anbieter würde ein Wettbewerb um die lukrativen Rettungsbereiche insbesondere auf dem Gebiet der weniger kostenintensiven Krankentransporte eröffnet, der - so die Argumentation der Aufgabenträger das finanzielle Gleichgewicht und damit die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Rettungsdienstes massiv bedrohe?77 Infolge des Konkurrenzdrucks stehe eine Minderung der (wirtschaftlichen) Leistungsfähigkeit der einzelnen Unternehmer zu befürchten, die letztlich dazu führen kann, dass sie um der Steigerung ihrer Einnahmen willen ihre Pflichten vernachlässigen?78 Um die Funktionsfähigkeit des Rettungsdienstes und den Schutz von Leben und Gesundheit der Versicherten zu garantieren, scheinen am Bedarf orientierte Zugangsbeschränkungen zumindest nicht ungeeignet. Der Eingriff müsste des weiteren erforderlich sein, d. h. es dürfte kein anderes, die Berufsfreiheit weniger einschränkendes Mittel zur Verfügung stehen, das gleichermaßen zum Erreichen des verfolgten Ziels führen kann?79 Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die befürchteten Gefahren auch durch Eingriffe auf einer geringeren Stufe, in Form von Berufsausübungsregelungen oder subjektiven Zulassungsbedingungen abgewendet werden könnten. Nach den Funktionsschutzklauseln der Rettungsgesetze ist die Zulassung weiterer Unternehmer zum Rettungsdienst zu verweigern, wenn durch deren Gebrauch die Funktionsfähigkeit des Rettungswesens beeinträchtigt wird. Der Zulassungsbehörde wird insofern ein Beurteilungsspielraum eingeräumt. Wird die Klausel so ausgelegt, dass eine Gefähr276

277

S.35.

BVerfGE 7,377 (414). V gl. die Begründung zum baden-württembergischen Rettungsgesetz, LT-Drs. 10 / 5817,

278 So auch BVerfGE 7,377 (414) (Apotheken), BVerfGE 11, 168 (184) (gewerbliche Personenbeförderung). 279 Statt vieler BVerfGE 80, 1 (30), BVerfGE 83, I (18).

86

1. Teil: Krankentransporte und Rettungswesen in Deutschland

dung der Funktionsfähigkeit des Rettungsdienstes durch eine Neuzulassung schon dann anzunehmen ist, wenn der Leistungsbedarf durch die bereits zugelassenen Leistungserbringer gedeckt ist, liefe dies auf einen Schutz der bereits im Rettungswesen Tätigen vor Konkurrenten hinaus?80 Auf diese Weise ließe sich freilich jeder Antrag eines privaten Unternehmers auf Zulassung zum Rettungswesen ablehnen. Dadurch würde die Berufsfreiheit der um Zulassung ersuchenden Privatunternehmer jedoch stärker einschränkt, als zum Schutze der Allgemeinheit erforderlich iSt. 281 Von dem Beurteilungsspielraum ist in verfassungskonformer Weise Gebrauch zu machen, so dass sämtliche kollidierenden Grundrechte gleichermaßen beriicksichtigt werden. So könnte einer Verminderung der Leistungsfähigkeit der Unternehmer infolge gesteigerten Konkurrenzdrucks dadurch vorgebeugt werden, dass deren personelle und materielle Ausstattung regelmäßigen Kontrollen unterzogen und erteilte Zulassungen gegebenenfalls zuriickgezogen werden. Überdies ist es aufgrund der Gewinnerzielungsabsicht privater Unternehmen wenig wahrscheinlich, dass sich bei einer Sättigung des Krankentransportmarktes weiterhin unbegrenzt neue Transportunternehmer etablieren, so dass unter wirtschaftlichen Aspekten kaum ein ruinöser Wettbewerb entstehen kann. Der Gefahr, dass private Transportunternehmer ihre Tätigkeit auf besonders einträgliche Gebiete, insbesondere die durch hohe Einsatzfrequenzen gekennzeichneten Ballungsräume, beschränken und ihre Leistungen nicht rund um die Uhr erbringen, ließe sich dadurch begegnen, dass die Zulassung zum Rettungsdienst mit entsprechenden Nebenbestimmungen versehen wird, die dem Unternehmer bestimmte Einsatzzeiten und -gebiete auferlegen. 282 Eine pauschale Versagung der Zulassung zum Rettungswesen, sobald die in den Funktionsschutzklauseln aufgestellten Kriterien erfüllt sind, ist zur Aufrechterhaltung eines funktionsfähigen Rettungsdienstes daher nicht erforderlich und greift damit in unzulässiger Weise in die Berufswahl der privaten Krankentransportunternehmer ein. Statt den wenig präzisen Begriff der "Funktionsfähigkeit" des Rettungsdienstes generell zum Maß aller Dinge zu machen, ist eine ausgewogene Einzelfallentscheidung zu treffen?83 Nur wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, dass die Zulassung weiterer Transportunternehmen die Funktionsfähigkeit des Rettungswesens gefährdet, kann gestützt auf die Funktionsschutzklausel deren Zulassung versagt werden 284 - mit der Möglichkeit des individuellen Rechtsschutzes vor den Verwaltungsgerichten.

Meinhardt. LKV 1999,255 (157). BVerfGE 7,377 (408); 11, 168 (188). 282 Orlowski. Rettungsdienst und Berufsfreiheit, S. 145. 283 BVerwG, NJW 1996, 1608 (1610), so auch BVerfGE 11, 168 (191) für die gewerbliche Personenbeförderung. 284 BVerwG, NJW 1996, 1608 (1610). 280

281

C. Rechtsbeziehungen unter den Beteiligten

87

b) Verfassungsmäßigkeit der Privilegierung der Hilfsorganisationen

Die privaten Krankentransportunternehmen könnten überdies in ihrem Anspruch auf Gleichbehandlung aus Art. 3 I GG verletzt sein, wenn die in den Landesgesetzen angeordnete Bevorzugung der hergebrachten Hilfsorganisationen bei der Aufgabenübertragung als ungerechtfertigte Diskriminierung der Privatunternehmer zu qualifizieren ist. Art. 3 I GG schützt die natürlichen und juristischen Personen des Privatrechts davor, dass sie in wesentlich gleich gelagerten Sachverhalten gegenüber anderen ungleich bzw. in wesentlich ungleichen Sachverhalten mit anderen gleich behandelt werden?85 Als juristische Personen des Privatrechts sind die privaten Krankentransportunternehmen jedenfalls vom Schutzbereich dieser Norm umfasst. Die privaten Rettungsunternehmen sind bei gleicher Eignung und Leistungsfähigkeit gegenüber den öffentlichen Rettungsdiensten als gleichartige Unternehmen anzusehen. Hilfsorganisationen sind gleich einem "gewöhnlichen" Krankentransportunternehmen Privatrechtssubjekte; eine Besonderheit kommt ihnen lediglich im Hinblick auf ihre karitative Grundausrichtung zu. Die von ihnen angebotenen Leistungen sind aber im Wesentlichen mit denen der Privatunternehmer identisch?86 Durch eine generell bevorzugte Zulassung der hergebrachten Hilfsorganisationen zum Rettungsdienst werden die privaten Krankentransportunternehmen diesen gegenüber ungleich behandelt. Den Unternehmern entstehen in der Konsequenz offensichtlich Nachteile. Denn ihnen wird es verwehrt, sich als Konkurrenten der Hilfsorganisationen auf dem Krankentransportmarkt zu betätigen. Die Ungleichbehandlung ist jedoch gerechtfertigt, wenn und soweit sie nicht willkürlich, sondern aus einem sachlichen Grund erfolgt. 287 In diesem Zusammenhang wird häufig vorgebracht, dass die landesweit operierenden Hilfsorganisationen gegenüber den Privatunternehmern mit einem häufig örtlich begrenzten Wirkungskreis die Gewähr für eine zuverlässige und kontinuierliche Aufgabenerfüllung böten. 288 Überdies seien sie als Akteure im Rettungswesen für ihre Zuverlässigkeit bekannt und hätten sich in der Vergangenheit bewährt. 289 Unter Anwendung dieser Argumentation hätten Neubewerber indes kaum eine Chance, sich selbst im Rettungswesen zu bewähren. 29o Vielmehr liefe dies im Ergebnis auf einen Bestandsschutz für überkommene Strukturen hinaus, der mit dem Diskriminierungsverbot des Art. 3 I GG jedoch nicht intendiert wird. Gestützt wird dies Jarass in Jarass I Pieroth, GG, Art. 3, Rn. 7. BGHZ 101, 72 (79), 114, 218 (230 f.), Steinmeyer, Wettbewerbsrecht im Gesundheitswesen, S. 97, Schulte, Rettungsdienst durch Private, S. 107. 287 BVerfGE 1, 14 (52), 71, 39 (53). 288 BayVGH, 20.12.1988 (4 CE 88.1946). 289 BVerwGE 97, 79 (86). 290 VG Weimar, ThürVBI 1994, 164 (166); vergleichbare Argumentation zu einem Sachverhalt aus dem Gewerberecht: BVerwG, GewArch 1984,265 (266). 285

286

88

I. Teil: Krankentransporte und Rettungswesen in Deutschland

durch die Auffassung des BVerfG, wonach "historisch gewachsene Unterscheidungen allein" nicht per se zur Verfassungsmäßigkeit von Ungleichbehandlungen führen können?91 Es müssten weitere Gründe hinzutreten, die diese Art von Bestandsschutz rechtfertigen können. So wird teilweise eine "Dankespflicht" des Staates gegenüber den Hilfsorganisationen angenommen, da erste Initiativen zur Etablierung von Rettungsdiensten im wesentlichen von diesen Organisationen ausgegangen seien und sie bereits vor der gesetzlichen Institutionalisierung des RettungswesenS in erheblichem Maße sachliche und persönliche Mittel aufgewendet hätten, um einen Rettungsdienst aufzubauen. 292 Die Initiativen der Hilfsorganisationen waren indes seit jeher von karitativen, gemeinnützigen Grundgedanken geprägt, die sicherlich auch bei der Etablierung erster Rettungsdienste eine Rolle spielten. Diese jedoch noch heute - zumal auf Kosten anderer Bewerber - über eine Privilegierung bei der Aufgabenübertragung zu "vergüten" ist verfehlt. Historische Verdienste können nicht Ungleichbehandlungen in der Zukunft rechtfertigen. In der Argumentation klingt ferner die Auffassung an, die Hilfsorganisationen seien zuverlässiger als die auf Gewinnerzielung ausgerichteten Privatbetriebe. Dies läuft jedoch auf eine sachlich nicht begründete Pauschalierung hinaus. Von den gesetzlichen Trägem wird vielfach vorgebracht, der bevorzugte Rückgriff auf die Hilfsorganisationen mache den Kreis der Akteure überschaubarer, was im Hinblick auf die Koordinierung der Einsätze VOn Bedeutung sei. Diese sei gefährdet, wenn private Transportunternehmer neben den anerkannten gemeinnützigen Hilfsorganisationen tätig würden. Nach der Rechtsprechung kann dieses Interesse eine unterschiedliche Behandlung privater Unternehmer rechtfertigen?93 Dem ist jedoch zu entgegnen, dass das Interesse der Träger an einer Vereinfachung des Auswahlverfahrens - im Sinne einer Venninderung des Verwaltungsaufwands bei der Auswahl der Leistungserbringer - das grundrechtlich geschützte Interesse der privaten Bewerber auf Durchführung einer Eignungsprüfung im Rahmen des Zulassungsverfahrens nicht überwiegen kann?94 Auch das BVerfG hat das Bedürfnis nach Gleichbehandlung grundsätzlich höher bewertet als Erwägungen der Verwaltungspraktikabilität: diese können nur in engen Grenzen eine Ungleichbehandlung rechtfertigen. 295 Letztlich wird die Bevorzugung der Hilfsorganisationen mit ihrer Mitwirkung im Zivil- und Katastrophenschutz gerechtfertigt. Aufgrund dieser Einbindung seien die Hilfsorganisationen zur Vorhaltung geeigneter sachlicher Mittel sowie ausgebildeten Personals verpflichtet, auf die auch im Rahmen des Rettungswesens zurückgegriffen werden könne. 296 Liegt jedoch eine den Einsatz des Kata291 BVerfGE 62, 256 (277 ff.) für die hergebrachte Differenzierung zwischen Arbeitnehmern und Angestellten. 292 BayVGH 20.12. 1988 (4 CE 88.1946). 293 OLG München, NJW-RR 1988, 1013 (1016). 294 Schulte, Rettungsdienst durch Private, S. 111, so auch BVerwG, NJW 1996, 1608 (1610). 295 BVerfGE 40,65 (82), 60, 68 (78). 296 BVerwGE 97, 79 (87).

C. Rechtsbeziehungen unter den Beteiligten

89

strophenschutzes erfordernde Großschadenslage vor, erhöht sich auch die Einsatzfrequenz des konventionellen Rettungsdienstes. Sind die personellen und sachlichen Kapazitäten der Hilfsorganisationen aber im Katastrophenschutz gebunden, können Engpässe in der Notfallrettung entstehen, sofern die humanitären Organisationen als einzige Leistungserbringer vorgesehen sind. Ihre Einbindung in den Katastrophenschutz lässt sich mithin auch als Argument für eine verstärkte Einbeziehung weiterer Leistungserbringer in das Rettungswesen heranziehen. Zudem sind die Helfer im Zivil- und Katastrophenschutz überwiegend ehrenamtlich tätig. Die Professionalisierung des Rettungswesens hat jedoch dazu geführt, dass dort in der Mehrzahl hauptberufliche, umfassend ausgebildete Rettungssanitäter bzw. Rettungsassistenten eingesetzt werden. Es kann daher nicht die Rede davon sein, dass für die Notfallrettung lediglich bestehende Kapazitäten des Katastrophenschutzes mobilisiert werden müssen,z97 Für die Bevorzugung der gemeinnützigen Hilfsorganisationen im Rettungswesen bestehen also keine Rechtfertigungsgründe. Enthält ein Rettungsgesetz eine solche Privilegierungsklausel, ist diese wegen Verstoßes gegen das Recht der Transportunternehmer auf Gleichbehandlung aus Art. 3 I GG als verfassungswidrig einzustufen.

c) Schlussfolgerungen Da die Zulassung Privater nach den Landesrettungsgesetzen regelmäßig durch Ermessensentscheidung erfolgt, besteht zwar kein genereller Anspruch der Beförderungsunternehmen auf Einbeziehung in den Rettungsdienst. 298 Die Genehmigungsbehörden sind jedoch gehalten, ihr Ermessen fehlerfrei zu betätigen. Bei der Bescheidung eines Zulassungsgesuchs haben sie die Grundrechte der privaten Transportunternehmer auf Gleichbehandlung, Art. 3 I GG und freie Berufswahl, Art. 12 I GG in der Abwägung zu berücksichtigen. Die bislang in die Entscheidung einbezogenen Argumente können nicht überzeugen.

3. Pflicht zur öffentlichen Ausschreibung von Rettungsdienstleistungen durch die Landkreise Die Einbeziehung privater Krankentransportunternehmer würde erheblich erleichtert, wären die Träger des Rettungsdienstes verpflichtet, vor der Übertragung dieser Aufgabe auf Dritte ein öffentliches Ausschreibungsverfahren in Gang zu setzen. Diese Pflicht könnte sich aus § 97 I, VI GWB i.Y.m. §§ 1,4 I VgV299 und §§ 1, la VOLl A300 ergeben. 297 298 299

Im Ergebnis auch Schulte, Rettungsdienst durch Private, S. 113. OVO Lüneburg, DÖV1981, 227 (228). Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge vom 9. 1. 2001, BOB!. I S. 110.

90

1. Teil: Krankentransporte und Rettungswesen in Deutschland

§ 97 GWB verpflichtet öffentliche Auftraggeber bei der Vergabe von Waren-, Bau- und Dienstleistungsaufträgen zur Durchführung eines transparenten Verfahrens entsprechend den Vergaberegelungen. Insbesondere ist nach § 97 V GWB der Zuschlag dem wirtschaftlichsten - dem gemessen am Preis-Leistungsverhältnis günstigsten - Angebot zu erteilen. Die geforderte Transparenz des Verfahrens wird in erster Linie mit der Durchführung einer Ausschreibung i. S. d. VOLl A erreicht, im Wege derer die Anbieter Kenntnis von den zu vergebenden Aufträgen erhalten. 30 ! Zudem ist der Auftraggeber nach § 97 11 GWB gehalten, sämtliche Teilnehmer am Vergabeverfahren gleich zu behandeln. Die bislang praktizierte Bevorzugung der Hilfsorganisationen - die erwiesenermaßen unwirtschaftlicher arbeiten als Privatunternehmer302 - wäre danach ausgeschlossen. Insbesondere gebietet das Diskriminierungsverbot auch eine Pflicht zur Gleichbehandlung von Anbietern aus dem EU-Ausland mit deutschen, welcher nicht zuletzt dadurch Rechnung getragen werden kann, dass die Ausschreibung europaweit erfolgt. 303 Als öffentliche Auftraggeber kommen gemäß § 98 Nr. 1 GWB die Gebietskörperschaften in Betracht. Gebietskörperschaften setzen sich aus einem vom einzelnen Mitglied unabhängigen Mitgliederstamm zusammen und nehmen öffentliche Aufgaben innerhalb eines bestimmten Hoheitsgebietes wahr. 304 Bei den Landkreisen und kreisfreien Städten, welche die Trägerschaft des Rettungswesens innehaben, handelt es sich um solche Gebietskörperschaften,305 so dass eine Auftragsvergabe durch diese grundsätzlich dem GWB unterfällt.

Die Zulassung privater Transportunternehmer zum Rettungsdienst müsste des Weiteren mit einem öffentlichen Auftrag i. S. d. Vergaberechts einhergehen. Laut § 99 GWB sind unter öffentlichen Aufträgen jedoch nur entgeltliche Verträge zwischen einem öffentlichen Auftraggeber und einem Liefer-, Bau- oder Dienstleistungsunternehmen zu verstehen. Als Vertragsgegenstand kommt jedwede Dienstleistung in Betracht. 306 Nach weit verbreiteter Auffassung 307 müssen die Verträge zur Aufgabenübertragung zivilrechtlicher Natur sein; die Auftragsvergabe im Wege eines öffentlich-rechtlichen Vertrages sei von vornherein nicht vom Vergaberecht erfasst. Die Übertragung des Rettungsdienstes an Dritte erfolgt in der Regel 300 Verdingungsordnung für Leistungen, Teil A vorn 17. 8. 2000, BAnz 24. 10. 2000, in der die Richtlinie 921 50/EWG des Rates vorn 18.6. 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge, ABI. Nr. L 20911 vorn 24. 7. 1992 umgesetzt wurde. 30! Bechtold, Kartellgesetz, § 97, Rn. 6. 302 Vgl. die Wirtschaftlichkeits betrachtungen bei Rau, ASP 1993, 17 ff. 303 Bechtold, Kartellgesetz, § 97, Rn. 7. 304 Waechter, Kommunalrecht, Rn. 023. 305 Bechtold, Kartellgesetz, § 98, Rn. 5, Dreher in lmmengal Mestmäcker, GWB, § 98, Rn. 11. 306 Ullrich, ZVgR 2000, 85 (87). 307 OLG Celle, NZBau 2000, 299 (300), Bechtold, Kartellgesetz, § 99, Rn. I, Dreher, DB 1998, 2579 (2587).

C. Rechtsbeziehungen unter den Beteiligten

91

durch öffentlich-rechtlichen Vertrag, zuweilen als Beleihung durch einen Verwaltungsakt, welcher den mit der Durchführung des Rettungsdienstes betrauten Unternehmer in die Lage versetze, im eigenen Namen und auf eigene Rechnung im Rettungsdienst tätig zu werden. Dies werde insbesondere dadurch deutlich, dass er entsprechend den Rettungsdienstgesetzen der Länder für seine Leistungen Benutzungsentgelte erheben soll. Diese sind indes nicht vom öffentlichen Auftraggeber, sondern vom Nutzer der Rettungsdienstleistungen an das beauftragte Unternehmen zu entrichten. Die Vergabepraxis erfolgt mithin im Wege eines Dienstleistungskonzessionsvertrages. Dies sind Verträge zwischen dem Staat und Unternehmen, in denen diese zur Erbringung von Dienstleistungen im öffentlichen Interesse verpflichtet werden, das entsprechende Entgelt jedoch nicht vom Staat, sondern vom Nutzer der Dienstleistung zu entrichten ist. 308 Das Vergaberecht ist nach ganz h. M. auf derartige Verträge nicht anwendbar. 309 Zur Begründung wird die Systematik der EU-Vergaberichtlinien herangezogen: 310 während in der Richtlinie zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge311 Konzessionsverträge für Bauleistungen ausdrücklich erwähnt sind, fehlt eine entsprechende Regelung in der Vergaberichtlinie für Dienstleistungsaufträge. Die Konzessionsverträge weisen darüber hinaus insofern eine Besonderheit auf, als sie Dienstleistungen von solchem öffentlichen Interesse betreffen, die eigentlich durch die öffentliche Hand selbst zu erbringen sind. Der beauftragte Unternehmer wird mit der Aufgabenübertragung quasi zum Erfüllungsgehilfen des Staates. Er nimmt einen gewichtigen Teil öffentlicher Verantwortung selbst wahr. Das Vergaberecht könne dem erforderlichen vertrauensbildenden Prozess vor der Aufgabenübertragung nicht in genügendem Maße Rechnung tragen. 312 Diese Auffassung wird gestützt durch die Präambel der Richtlinie 92/50 EWG, die in das nationale Vergaberecht umgesetzt wurde: diese beansprucht für "Aufträge" Geltung, sofern sie nicht aufgrund Gesetz, Verordnung oder Arbeitsvertrag erteilt werden. Da die Betrauung privater Transportunternehmen mit der Erbringung von Rettungsdienstleistungen jedoch aufgrund der landesrechtlichen Vorgaben in den Rettungsgesetzen erfolgt, verbleibt für die Anwendung der Richtlinie kein Raum. 313 Die Aufgabenträger sind daher nicht gezwungen, vor der Betrauung Privater mit der Erbringung von Leistungen des Rettungsdienstes ein Ausschreibungsverfahren durchzuführen.

Ullrich, ZVgR 2000, 85 (85); Schulte, Rettungsdienst durch Private, S. 54. OLG Celle, NZBau 2000, 299 (301), Opitz, ZVgR 2000,97 (110), Ausschuß Rettungswesen, Weiterentwicklung der Luftrettung, S. 18, Dreher in ImmengalMestmäcker; GWB, § 99, Rn. 47, Schulte, Rettungsdienst und Private, S. 143. 310 Statt vieler: Ullrich, ZVgR 2000,85 (88). 311 Richtlinie 93/37 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, ABI. 1994 L 199, S. 54 ff. 312 Ullrich, ZVgR 2000,85 (97), im Ergebnis auch Opitz, ZVgR 2001,97 (110). 313 So auch OLG Celle, NZBau 2000, 299 (300). 308

309

92

I. Teil: Krankentransporte und Rettungswesen in Deutschland

4. Anspruch der Transportunternehmer aus § 133 I SGB V314 auf Abschluss eines Vergütungsvertrages mit der Krankenkasse Da die nicht in die Vertragswerke der Krankenkassen einbezogenen Transportunternehmer keinerlei Vergütungs- oder Aufwendungsersatzansprüche für Transporte von Versicherten gegen die Kassen geltend machen können, stellt sich die Frage, ob § 133 I SGB V die Kassen zur Einbeziehung dieser Unternehmer in einen Vergütungsvertrag verpflichtet. § 133 I SGB V verpflichtet die Krankenkassen, unter Beachtung des Gebotes der Beitragsstabilität, § 71 SGB V, Versorgungsverträge mit "geeigneten Einrichtungen und Unternehmen" abzuschließen. Somit liegt die Vermutung nahe, den Krankenkassen sei es gestattet, die Eignung der Anbieter zu prüfen. Indes bedürfen Unternehmen, die Krankentransporte oder Rettungsfahrten durchführen, nach sämtlichen Rettungsdienstgesetzen einer Genehmigung. Deren Ertei1ung ist an die Zuverlässigkeit des Unternehmers, hinreichende berufliche Qualifikationen seines Personals und die ordnungsgemäße Ausstattung der Transportfahrzeuge gebunden. Unabhängig von der konkreten Ausgestaltung des Genehmigungsverfahrens für die Zulassung zur Leistungserbringung gilt in allen Ländern, dass die Krankenkassen an die nach Landesrecht erteilten Zulassungen gebunden sind. 315 Im Allgemeinen ergibt sich die Eignung eines Unternehmers daher bereits daraus, dass die Kriterien für die Erteilung einer Genehmigung nach dem jeweiligen Rettungsdienstgesetz erfüllt sind. Eine nochmalige Eignungsprüfung durch die Krankenkassen ist weder notwendig noch wünschenswert. Denn anderenfalls liefe die Kompetenz der Genehmigungsbehörden der Länder ins Leere. Nur soweit die Rettungsgesetze ein Genehmigungsverfahren für die Erbringer von Rettungsdienstleistungen nicht vorsehen, ist es den Krankenkassen unbenommen, eigene Eignungskriterien aufzustellen. Die an den Leistungserbringer zu stellenden Anforderungen dürfen sich jedoch ausschließlich auf die Erfüllung der rettungsdienstlichen Aufgaben beziehen. Relevante Kriterien können damit allein die Qualifikation des Personals, die Ausstattung der Fahrzeuge sowie die Zuverlässigkeit und Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung sein; insbesondere müssen die rechtliche Ausgestaltung oder ideelle Ausrichtung des Trägers außer Betracht bleiben. 316 In Bezug auf einfache Krankentransporte durch Taxen oder Mietwagen ist die Eignung anzunehmen, wenn eine Genehmigung zur Personenbeförderung nach dem PBefG 314 Nach BSGE 77, 119 (121 f.) stellt § 133 SGB V unmittelbar die Grundlage für Ansprüche auf Abschluss eines Vergütungsvertrages. Der landesrechtliche Vorbehalt stehe dem nicht entgegen, soweit das Landesrecht die Möglichkeit des Vertragsschlusses einräume. Soweit ein Rettungsgesetz das Festsetzungsmodell im Sinne von § 13311 SGB V vorsieht, muss ein Anspruch von Transportunternehmen auf Abschluss von Vergütungsvereinbarungen naturgemäß ausscheiden. 315 Henninger in Schulin. Hb Sozialversicherungsrecht, § 42, Rn. 17, v. Maydell in v. Maydeli. GK-SGB V, § 133, Rn. 19. 316 Henninger in Schulin. Hb Sozialversicherungsrecht, § 42, Rn. 9.

C. Rechtsbeziehungen unter den Beteiligten

93

erteilt wurde. Die Eignungsprüfung obliegt daher allein den Trägem des Rettungsdienstes bzw. der nach dem PBefG zuständigen Behörde. Als Teil der Exekutive sind die Krankenkassen bei der Entscheidung, ob und mit welchen privaten Anbietern sie Versorgungsverträge abschließen wollen, gemäß Art. I III GG an die Grundrechte gebunden. 317

a) Verstoß gegen Art. 3 I GG durch Privilegierung der freiwilligen Hilfsorganisationen

Da § 133 I SGB V die Krankenkassen zum Vertragsschluss mit geeigneten Einrichtungen und Unternehmen verpflichtet, könnten sie das Grundrecht der Krankentransportunternehmer auf Gleichbehandlung, Art. 3 I GG, verletzen, wenn sie sich von vornherein auf die freiwilligen Hilfsorganisationen als Vertragspartner beschränken. Art. 3 I GG gewährleistet allen natürlichen und juristischen Personen des Privatrechts das Recht, in wesentlich gleich gelagerten Sachverhalten mit anderen gleich behandelt zu werden. 318 Indem die Krankenkassen die etablierten Hilfsorganisationen beim Abschluss der Vergütungsverträge bevorzugen, werden private Krankentransportunternehmen rechtserheblich anders behandelt, obwohl sie aufgrund des gemeinsamen Leistungsspektrums als wesensgleich einzustufen sind. Durch die Ungleichbehandlung werden die Privatunternehmer benachteiligt: während die Kassen Transportleistungen mit den vertraglich gebundenen Leistungserbringern direkt abrechnen, sind die nicht gebundenen Unternehmen gehalten, die Entgeltforderung gegenüber dem Versicherten zu erheben. Dies hat insofern negative Auswirkungen auf deren Marktchancen, als Versicherte von der Inanspruchnahme ihrer Leistungen abgeschreckt werden können, um nicht das "lästige Kostenerstattungsverfahren,,319 beanspruchen oder - angesichts der Regelungen des § 13 SGB V gar ihre Transportkosten selbst tragen zu müssen. Diese Gefahr besteht, selbst wenn das in Rede stehende Unternehmen die Leistungen zu einem günstigeren Preis anbietet als eine Hilfsorganisation. Durch die Privilegierung der gemeinnützigen Organisationen greifen die Krankenkassen also in das Grundrecht der Privatunternehmer auf Gleichbehandlung aus Art. 3 I GG ein. Diese Ungleichbehandlung ist gerechtfertigt, wenn sie objektiv nicht willkürlich erfolgte und ein sachlicher Grund für eine Differenzierung vorgewiesen werden kann. 32o Werden Personengruppen ungleich behandelt, ist ein strenger Prüfungsmaßstab anzulegen, die zwischen den Gruppen bestehenden Unterschiede müssen von solcher Art und solchem Gewicht sein, dass sie eine Ungleichbehandlung Behrends, Grenzen des Privatrechts, S. 230. Jarass in JarasslPieroth, GG, Art. 3, Rn. 7. 319 So BGHZ 114,218 (231). 320 Jarass in Jarassl Pieroth, GG, Art. 3, Rn. 15 ff.

317

318

94

1. Teil: Krankentransporte und Rettungswesen in Deutschland

rechtfertigen können. Die Ungleichbehandlung und der zu ihrer Rechtfertigung herangezogene Grund müssen in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen. 321 Dazu sind die Interessen aller Beteiligten unter Berücksichtigung der durch das SGB V vorgegebenen Zielrichtung gegeneinander abzuwägen. 322 Die privaten Unternehmer haben ein Interesse am freien Zugang zum Markt für Krankentransportleistungen. Sie dürfen bei ihrer Betätigung auf diesem Markt nicht gegenüber ihren Wettbewerbern benachteiligt werden. Auf Seiten der Krankenkassen als "Nachfrager" ist zu berücksichtigen, dass es für diese von Vorteil sein kann, Aufträge gebündelt an bestimmte Anbieter, beispielsweise solche mit flächendeckenden Versorgungsmöglichkeiten, weiterzuleiten oder auch eine bewährte Zusammenarbeit fortzusetzen. 323 Von den Kassen wird in diesem Zusammenhang zumeist vorgebracht, dass gestützt auf eine Gesamtkostenbetrachtung die Intervention privater Unternehmen die Auslastung des öffentlichen Rettungsdienstes gefährden und letztlich zu höheren Kosten führen würde?24 Infolge ihrer Einbindung in den Zivil- und Katastrophenschutz hielten die Hilfsorganisationen geeignete sachliche Mittel sowie ausgebildetes Personal vor, auf die auch im Rahmen des Rettungswesens zurückgegriffen werden könne. Die Einbeziehung der Hilfsorganisationen in den Katastrophenschutz vermag aufgrund der daraus resultierenden Bindung ihrer personellen und sachlichen Mittel jedoch die Diskriminierung privater Krankentransportunternehmer nicht sachlich zu rechtfertigen. Zudem ist es den Kassen aufgrund § 133 I 7 SGB V versagt, globale Wirtschaftlichkeitsprüfungen vorzunehmen. Die Verpflichtung, die Preisvereinbarungen an den preisgünstigsten Versorgungsmöglichkeiten auszurichten verdeutlicht lediglich, dass individuelle Preisvergleiche zwischen den einzelnen in Betracht kommenden Einrichtungen anzustellen sind. 325 Dabei geht § 133 I SGB V von einem Nebeneinander zwischen öffentlichem Rettungswesen und privaten Krankentransportunternehmen aus, indem "Leistungen des Rettungsdienstes einerseits ... und Entgelte für Krankentransporte mit dafür geeigneten Einrichtungen und Unternehmen andererseits ... " als Gegenstand der Vergütungsverträge bestimmt werden. Die in § 133 11 SGB V zugunsten der Krankenkassen vorgesehene Möglichkeit, ihre Leistungspflicht im Falle der einseitigen kommunalrechtlichen Entgeltfestsetzung auf Festbeträge in Höhe vergleichbarer wirtschaftlich erbrachter Leistungen zu begrenzen, setzt zudem einen Preisvergleich voraus, der nur bei einem vielfaltigen Leistungsangebot praktikabel ist. 326 Im Übrigen sollen die Kassen gemäß § 2 III I SGB V bei der Auswahl ihrer Vertragspartner die Vielfalt der Leistungserbringer beachten BVerfGE 82, 126 (146). Die Krankenkassen müssen sich in der Abwägung insbesondere das Wirtschaftlichkeitsgebot aus § 12 SGB V, sowie den Grundsatz der Beitragsstabilität entgegenhalten lassen, Steinmeyer; Wettbewerbsrecht im Gesundheitswesen, S. 99. 323 Steinmeyer; Wettbewerbsrecht im Gesundheitswesen, S. 98. 324 So auch die Argumentation der Krankenkasse in BGHZ 114,218 (232). 325 BSGE 77,119 (125). 326 BGHZ 114, 218 (236). 321

322

C. Rechtsbeziehungen unter den Beteiligten

95

- zum einen, um eine wirtschaftliche Leistungserbringung sicherzustellen, zum anderen um der Wahlfreiheit der Versicherten zu genügen. 327 Dass sie sich bei der Auswahl ihrer Vertragspartner von vornherein auf bestimmte Anbieter beschränken, ist mit dieser Verpflichtung schwerlich in Einklang zu bringen. Teilweise wird zwar vertreten, die Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit eines Unternehmers könnten einen sachgerechten Differenzierungsgrund bilden, den die Krankenkassen nicht zuletzt im Interesse des Gesundheitsschutzes ihrer Versicherten bei der Auswahl ihrer Vertragspartner heranziehen dürften?28 Indes bieten die Hilfsorganisationen nicht per se die Gewähr für eine höhere Zuverlässigkeit als private Unternehmer. Nach Erteilung der landesrechtlichen Zulassung ist es den Kassen überdies versagt, Sachkunde und Zuverlässigkeit eines Transportunternehmers anzuzweifeln, da sie an die Entscheidungen der landesrechtlichen Genehmigungsbehörden gebunden sind. Im Ergebnis lässt sich kein sachlicher Grund für eine Bevorzugung der Hilfsorganisationen beim Abschluss von Vergütungsverträgen nach § 133 I SGB Vermitteln, so dass die Benachteiligung der privaten Krankentransportunternehmer einer sachlichen Begründung entbehrt. Der Eingriff in ihr Grundrecht auf Gleichbehandlung aus Art. 3 I GG ist daher nicht zu rechtfertigen. Die Kassen sind somit verpflichtet, karitative Hilfsorganisationen und auf Gewinnerzielung ausgerichtete Unternehmen gleichermaßen in ihre Vergütungsverträge aufzunehmen. b) Eingriff in die Berufsfreiheit des Transportunternehmers aus Art. 12 I GG

Mit der Weigerung, einen privaten Transportunternehmer in die Rahmenverträge über die Vergütung von Krankentransportleistungen einzubeziehen, könnten die Krankenkassen die Berufsfreiheit des Unternehmers aus Art. 12 I GG verletzen. In Art. 12 I GG wird die Freiheit des einzelnen, sich einen Beruf frei zu wählen und diesen ohne unverhältnismäßige Reglementierungen auszuüben, geschützt. 329 Als Tätigkeit, die dem Unternehmer zur Erwirtschaftung von Gewinnen und damit der Erhaltung einer Lebensgrundlage dienen soll, kann die Erbringung von Krankentransport- und Rettungsdienstleistungen als Beruf gemäß Art. 12 GG eingeordnet werden. Krankentransportunternehmen, denen gegenüber die Kassen die Vergütung verweigern, sind faktisch auf die Erbringung ihrer Leistungen an Selbstzahler beschränkt. Dass darin bereits eine in die Freiheit der Berufswahl eingreifende, objektive Berufszulassungsschranke zu sehen ist, ließe sich im Hinblick auf den noch verbleibenden Kundenkreis mit dem Hinweis ablehnen, dem Transportunterneh327 328 329

Beuthien, MedR 1994,253 (259,260). Behrends, Grenzen des Privatrechts, S. 233. BVerfGE 7, 377 (397).

96

1. Teil: Krankentransporte und Rettungswesen in Deutschland

men bleibe noch ein hinreichendes Betätigungsfeld, sofern man nicht ein Berufsbild des "zugelassenen Leistungserbringers" anerkennen wollte. Für das Berufsfeld des Arztes ist dies mit der Rechtsprechung des BVerfG abzulehnen: die Tätigkeit als Kassenarzt könne im Vergleich zu einem frei praktizierenden Arzt nicht als eigenes, abgrenzbares Berufsbild qualifiziert werden, da sie sich in ihrer Ausgestaltung im Wesentlichen nicht von der des freiberuflich tätigen Arztes unterscheide. 33o Für die Leistungserbringer auf dem Heil- und Hilfsmittelmarkt hat demgegenüber das BSG festgestellt, dass deren Zulassung zur Versorgung der Versicherten eine solche Bedeutung einnehme, dass sie der Berufswahl nahe kommt. Denn gemäß §§ 124, 126 SGB V dürfen nur Inhaber einer Zulassung Leistungen zu Lasten der Krankenkasse an die Versicherten erbringen?31 Krankentransportunternehmen dagegen erhalten die Zulassung nicht durch die Krankenkassen, sondern von den Landkreisen als Aufgabenträger. Wird diese nicht erteilt, können sie Krankentransportleistungen allenfalls unter Begehung einer Ordnungswidrigkeit erbringen, so dass insoweit die Berufswahl beeinträchtigt wäre. Verweigert die Krankenkasse dagegen den Abschluss eines Vergütungsvertrages, kann der betreffende Unternehmer grundsätzlich seiner Tätigkeit als Erbringer von Krankentransportleistungen nachgehen, wenngleich sein Kundenkreis auf Selbstzahler beschränkt wäre. In der Regel werden dies Mitglieder einer privaten Krankenversicherung sein, die angesichts der Mitgliedschaft von etwa 90% der Bevölkerung in der gesetzlichen Krankenversicherung eine zahlenmäßig geringe Gruppe bilden. Gleichwohl ist es nicht ausgeschlossen, die Leistungen an gesetzlich Versicherte zu erbringen. Ein Eingriff in die Freiheit der Berufswahl ist daher nicht gegeben, wohl aber eine Beeinträchtigung der Berufsausübung: die Freiheit der Berufsausübung ist nicht erst betroffen, wenn die berufliche Betätigung durch staatliche Maßnahmen gänzlich unterbunden wird; vielmehr genügt es, wenn der Beruf nicht in der gewünschten Weise ausgeübt werden kann. 332 Während Vertragsunternehmer die Möglichkeit haben, die von ihnen erbrachten Leistungen direkt mit der Krankenkasse des transportierten Versicherten abzurechnen, sind die Unternehmer, die nicht in einen Vergütungsvertrag nach § 133 I SGB V eingebunden sind, gezwungen, ihre Vergütung gegenüber dem Transportierten geltend zu machen, welcher sich seine Aufwendungen nur im Ausnahmefall von seiner Krankenkasse ersetzen lassen kann. Für den Unternehmer steht angesichts dessen der Verlust von Kunden zu befürchten. Ob darin bereits eine Beeinträchtigung mit "objektiv berufsregelnder Tendenz,,333 nach Art. 12 I GG oder lediglich ein Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 I GG liegt, ist problematisch. Nach Auffassung des BSG ist ein Eingriff mit objektiv berufsregelnder Tendenz zu bejahen, wenn die in 330

BVerfGE 11,30 (41).

331 BSGE 77, 108 (114).

BVerfGE 82, 209 (223). I. e. eine Regelung, die im engen Zusammenhang mit der Berufsausübung steht, BVerfGE 70,191 (214),52,42 (54). 332 333

C. Rechtsbeziehungen unter den Beteiligten

97

Rede stehende Regelung tatsächliche Auswirkungen auf die Art und Weise der Berufsausübung hat. Für die Erbringer von Gesundheitsleistungen ist es von maßgeblicher Bedeutung, ob sie ihre Leistungen freiberuflich, d. h. durch den Abschluss zivilrechtlicher Verträge mit den Leistungsempfängern, oder zu Lasten der Kostenträger der gesetzlichen Krankenkassen erbringen dürfen. Wird einem Leistungserbringer die Einbeziehung in das Sachleistungssystem der gesetzlichen Krankenkassen verwehrt, liege daher ein Eingriff in die Freiheit der Berufsausübung aus Art. 12 I GG vor. 334 Die Auffassung des BSG verdient Zustimmung: die Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung nehmen tendenziell bevorzugt Sachleistungen in Anspruch, um sich ein aufwendiges, mit einer vollen Vorleistungspflicht der Versicherten verbundenes Kostenerstattungsverfahren zu ersparen. Angesichts des Anteils von ca. 90%, den die gesetzlich Versicherten an der Gesamtbevölkerung einnehmen, wird dem auf freiberufliche Erbringung von Gesundheitsleistungen verwiesenen Unternehmer zwar nicht unmittelbar durch rechtliche Regelungen, wohl aber durch die Ausgestaltung des gesamten Leistungserbringungssystems ein großer Kundenkreis abgeschnitten, der ihn bei der Möglichkeit der Sachleistungserbringung möglicherweise in Anspruch genommen hätte?35 Mit der Weigerung, einzelne Krankentransportunternehmen in die Vergütungsverträge über Krankentransport- und Rettungsdienstleistungen einzubeziehen, greifen die Kassen demzufolge in die Berufausübungsfreiheit dieser Unternehmer aus Art. 12 I GG ein. Gemäß Art. 12 I 2 GG sind Beeinträchtigungen der Berufsfreiheit nur durch oder aufgrund eines Gesetzes möglich, der Eingriff in das Grundrecht bedarf also einer hinreichend bestimmten Rechtsgrundlage in einem förmlichen Gesetz, einer Rechtsverordnung oder einer Satzung. 336 Möglicherweise besteht eine solche Rechtsgrundlage in § 133 I 3 SGB V, wonach die Krankenkassen die flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit Leistungen des Rettungsdienstes sicherzustellen haben. Die Kassen sind daher verpflichtet, mit einer hinreichenden Zahl von Anbietern Verträge abzuschließen, um den Versicherten jederzeit die Inanspruchnahme von Kranken- und Rettungsfahrten zu ermöglichen. 337 Aus der Verpflichtung zur Sicherstellung der flächendeckenden Versorgung ergibt sich jedoch keine Befugnis der Krankenkassen zur Bedarfsprüfung. 338 Diese fällt in die alleinige Kompetenz der Landkreise und kreisfreien Städte, die als Träger des Rettungswesens für dessen Funktionsfähigkeit einzustehen haben. Als Kostenträger können die Kassen die flächendeckende Versorgung lediglich im Rahmen der VerBSGE 86, 223 (228 f.). Vgl. auch die Argumentation in BVerfGE 11,30 (43); 82, 209 (229), Beuthien, MedR 1994,253 (261). 336 Jarass in Jarass/Pieroth, GG, Art. 12, Rn. 21 f. 337 v. Maydell in v. Maydell, GK-SGB V, § 133, Rn. 20, Kranig in Hauck, SGB V, § 133, Rn. 22. 338 BSGE 77,119 (121), BGH, NJW 1990, 1531, v. Maydell in v. Maydell in GK-SGB V, § 133, Rn. 41, Henninger in Schulin, Hb Sozialversicherungsrecht, § 42, Rn. 17. 334 335

7 Abig

98

1. Teil: Krankentransporte und Rettungswesen in Deutschland

gütungsverträge, also bei der Preis gestaltung berücksichtigen. 339 Die Verpflichtung zur Sicherstellung der flächendeckenden Versorgung mit Leistungen des Rettungsdienstes aus § l33 I SGB V stellt daher keine zulässige Rechtsgrundlage für einen Eingriff der Krankenkassen in die Berufsfreiheit der Krankentransportunternehmen aus Art. 12 I GG dar. c) Ergebnis

Im Ergebnis sind die Krankenkassen aus § 133 I SGB V verpflichtet, zumindest mit den Krankentransportunternehmen Vergütungsvereinbarungen einzugehen, deren Preisangebote die bestehenden Vergütungssätze nicht überschreiten. 34o Der Abschluss derartiger Verträge darf jedenfalls nicht mit dem Argument abgelehnt werden, es liege kein Bedarf für die Zulassung weiterer Leistungserbringer vor. Dies hat zur Folge, dass die Krankenkassen gegenüber sämtlichen geeigneten Unternehmern einem Kontrahierungszwang unterliegen, also gezwungen sind, jeden leistungsfähigen Leistungserbringer in ihre Vergütungsverträge einzubeziehen. 341 Dieser wird allenfalls durch § 133 I 7 SGB V beschränkt, wonach sich die Kassen bei der Auswahl der Vertragspartner an den preisgünstigsten Versorgungsmöglichkeiten zu orientieren haben. Sind die Entgeltvorstellungen eines Anbieters weit höher als die anderer Transportunternehmen, sind die Kassen daher nicht verpflichtet, einen Vergütungsvertrag mit diesem abzuschließen. 5. Ausschreibungspflicht der Krankenkassen vor Abschluss der Vergütungsverträge

Das Wettbewerbsrecht ist zwar im Rahmen der Entscheidung der Krankenkassen über die Einbeziehung eines Transportunternehmens nicht anwendbar, jedoch könnte es über das Vergaberecht Eingang in deren Rechtsbeziehungen finden, wenn die Krankenkassen zur Durchführung eines Ausschreibungsverfahrens verpflichtet sind, bevor sie Vergütungsverträge im Sinne von § 133 I SGB V abschließen. Gemäß § 22 SVHV 342 sollen die Sozialleistungsträger vor dem Abschluss von Verträgen über Lieferungen und Leistungen grundsätzlich eine öffentliche Ausschreibung entsprechend dem in den VOL vorgesehenen Verfahren durchführen. Davon sind jedoch die Verträge ausgenommen, die ein Versicherungsträger mit Dritten schließt, in welchen sich diese zur Erbringung einer gesetzlichen oder satzungsmäßigen Versicherungsleistung an die Versicherten verpflichten. Nach Sinn und Zweck dieser Norm fallen nur Verträge über solche Leistungen unter die AusBSGE 77,119 (121), BGH, NJW 1990, 1531. BSGE 77,119 (122). 341 BGHZ lOl, 72 (83). 342 Verordnung über das Haushaltswesen in der Sozialversicherung vom 21. 12. 1977, BGBI. I, S. 3147. 339 340

C. Rechtsbeziehungen unter den Beteiligten

99

nahmevorschrift, bei denen mehrere Anbieter miteinander konkurrieren, unter denen der Versicherungsträger seinen Vertragspartner auswählen kann. 343 Auf dem Markt für Krankentransport- und Rettungsdienstleistungen stehen eine Vielzahl privater Transportunternehmen im Wettbewerb zu den Hilfsorganisationen oder anderen Einrichtungen des öffentlichen Rettungsdienstes. Unter diesen Anbietern treffen die Krankenversicherungsträger vor dem Abschluss ihrer Vergütungsverträge eine Auswahl. Folglich liegt ein Vertrag im Sinne der Ausnahmevorschrift vor, so dass eine Ausschreibungspflicht der Krankenkassen im Rahmen ihrer Beschaffungstätigkeit scheinbar nicht in Betracht kommt. § 22 SVHV ist jedoch durch die Fortentwicklung des Rechts, insbesondere durch die mit der Umsetzung der Vergaberichtlinien der Europäischen Union einher gegangene Etablierung des Kartellvergaberechts in den §§ 97 ff. GWB überformt worden und somit bei gegenläufigem Wortlaut als lex inferior bzw. lex prior gegenstandslos. 344 Möglicherweise sind die Krankenkassen also aus §§ 97 ff. GWB zur Durchführung eines Ausschreibungsverfahrens vor dem Abschluss von Verträgen über die Vergütung von Krankentransport- und Rettungsdienstleistungen verpflichtet. a) Krankenkassen als öffentliche Auftraggeber nach § 98 GWB

Zunächst müssten die Kassen als öffentliche Auftraggeber i. S. d. §§ 97 ff. GWB zu klassifizieren sein. Nach § 98 Nr. 2 GWB kommen als öffentliche Auftraggeber juristische Personen des öffentlichen bzw. privaten Rechts in Betracht, "die zu dem besonderen Zwecke gegründet wurden, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art zu erfüllen" und die durch den Staat oder andere Einrichtungen des öffentlichen Rechts finanziert werden. In § 4 SGB V sind die Krankenkassen als rechtsfähige Körperschaften des öffentlichen Rechts definiert; sie verfolgen den - mangels Gewinnerzielungsabsicht nichtgewerblichen Zweck, ihre Versicherten im Krankheitsfalle mit den Geld- und Sachleistungen zu versorgen, die notwendig sind, um ihre Arbeitsfähigkeit zu erhalten oder wiederherzustellen. Diese Zielsetzung müsste dem Allgemeininteresse dienen. Die Auslegung dieses offenen Rechtsbegriffs ist umstritten, da sich weder im deutschen Vergaberecht noch in den europäischen Vergaberichtlinien entsprechende Anhaltspunkte finden. Sie hat sich jedoch an den Vorgaben und Zielsetzungen des Europarechts zu orientieren, was aus der mit Art. 86 11 EG vergleichbaren Wortwahl deutlich wird, denn im Gegensatz zum Europarecht wird im nationalen Recht vorwiegend der Begriff des öffentlichen Interesses verwendet. 345 Das Allgemeininteresse an der AufBrandtslWirth, Haushaltsrecht der Sozialversicherung, 250 § 22, Rn. 6. Die SVHV bleibt jedoch weiterhin anwendbar bei Aufträgen, deren Wert den in §§ 100, 127 GWB vorgesehenen Schwellenwert nicht überschreiten, Heße, SozVers 1997,88 (88 f.), Brandts I Wirth, Haushaltsrecht der Sozialversicherung, 250 § 22, Rn. 31. 345 Dreher; OB 1998, 2579 (2581), Bechtold, Kartellgesetz, § 98, Rn. 11. 343

344

7*

100

I. Teil: Krankentransporte und Rettungswesen in Deutschland

gabenerfüllung ist zu vermuten, wenn das Handeln der betreffenden juristischen Person in öffentlich-rechtlicher Rechtsform erfolgt und einer öffentlichen - in Abgrenzung zu einer rein privaten, individuellen - Zwecksetzung dient. Für die gesetzlichen Krankenkassen liegt dies auf der Hand: die Gewährung von Leistungen zur Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit, entsprechend den Grundsätzen von Solidarität und Eigenverantwortung der Versicherten, sowie das Bemühen um eine Verbesserung der Lebensverhältnisse, wie es § 1 SGB V den Kassen auferlegt, weist die öffentliche Zweckrichtung in kaum bestreitbaren Umfang auf. Problematisch ist indes das Kriterium der Finanzierung oder Beherrschung durch Gebietskörperschaften oder Verbände im Sinne von § 98 Nr. 1,3 GWB. Dieses Kriterium ist erfüllt, sofern die juristische Person zu mehr als der Hälfte von einer solchen Körperschaft oder einem Verband finanzielle Zuwendungen erhält oder wenn die beherrschende Einheit so weit reichenden Einfluss hat, dass sie ihren Willen hinsichtlich der Unternehmens- und Geschäftspolitik der beherrschten Einheit durchsetzen kann?46 Die in Frage stehenden monetären Zuwendungen beziehen sich dabei auf den Rechtsträger als Träger der staatlichen Aufgabe, nicht hingegen auf die Erfüllung der Aufgabe selbst. 347 Die gesetzliche Krankenversicherung wird gemäß § 3 SGB V durch Beiträge finanziert, die auf das Arbeitseinkommen der Versicherten erhoben und anteilig von diesen und deren Arbeitgebern zu entrichten sind; nähere Bestimmung hierzu enthalten die §§ 220 ff. SGB V. Aus dem Wortlaut des § 3 SGB V geht eindeutig hervor, dass die Beiträge der Finanzierung der Leistungen und sonstigen Ausgaben der Krankenkassen dienen. Eine Beteiligung des Staates oder einer anderen Gebietskörperschaft an der finanziellen Last der Krankenkassen ist demgegenüber nicht vorgesehen, so dass die Kassen möglicherweise nicht unter den Auftraggeberbegriff des § 98 Nr. 2 GWB zu fassen sind. Die EG-Vergaberichtlinie für Bauaufträge enthält in ihrem Anhang jedoch eine Liste öffentlich-rechtlicher Einrichtungen, bei denen die Eigenschaft als Auftraggeber zu vermuten ist. Die Einrichtungen der Sozialversicherung, mithin auch die gesetzlichen Krankenkassen werden in dieser Aufzählung ausdrücklich genannt. 348 Nach Auffassung des EuGH genügt die Erwähnung in einer solchen Liste, um die Anwendbarkeit des Vergaberechts auszulösen,349 so dass die Krankenkassen als öffentliche Auftraggeber nach § 98 GWB zu betrachten sind. 35o

Bechtold, Kartellgesetz, § 98, Rn. 15. Dreher; DB 1998,2579 (2583). 348 Vgl. die Übersicht bei Dreher in ImmengalMestmäcker; GWB, § 98, Rn. 18,75. 349 EuGH, Urt. v. 11. 7. 1991, Slg. 1991 1-3693, Rn. 40, ebenso Dreher; DB 1998,2579 (2579) demzufolge die EG-Vergaberichtlinien zur Auslegung des nationalen Vergaberechts 346 347

heranzuziehen sind. 350 Bejahend BrandtslWirth, Haushaltsrecht der Sozialversicherung, 250 § 22, Rn. 32.

C. Rechtsbeziehungen unter den Beteiligten

tOl

b) Leistungen des Rettungswesens als Dienstleistungen im Sinne von § 97 eWB Die Durchführung von Krankentransporten und Rettungsfahrten müsste eine Dienstleistung im Sinne des Vergaberechts darstellen. Die Dienstleistungen, die dem Regelungsbereich der europäischen Vergaberichtlinie 92 I 50 EWG unterfallen, sind in den Anhängen IA und IB dieser Richtlinie enumeriert. Das europäische Vergaberecht folgt dem Prinzip der zweistufigen Anwendung, d. h. nur die im Anhang IA aufgeführten Dienstleistungskategorien sind der vollen Anwendung der Richtlinie 92/50 EWG unterworfen. Bezüglich der in Anhang IB enumerierten Leistungsarten sind dagegen nur Mindeststandards bei der Vergabe einzuhalten. Insbesondere besteht keine Verpflichtung, die Aufträge öffentlich auszuschreiben. 351 Dieser Grundsatz wurde ins nationale Vergaberecht mit der VOLl A und VOLIB übernommen. Die Anhänge, in denen die Dienstleistungen nur beispielhaft genannt werden, erfahren eine Konkretisierung durch die Zentrale Gütersystematik der Vereinten Nationen (CPC),352 in welcher sämtliche Dienstleistungen umfassend kategorisiert sind. Bezüglich der Rettungsdienstleistungen kommt eine Qualifizierung als Dienstleistungen des Gesundheits-, Sozial- und Veterinärwesens im Sinne von Nr. 25 Anhang IB ("ambulance services" gemäß Nr. 93192 CPC), als auch als Dienstleistungen des Landverkehrs nach Nr. 2 Anhang IA ("non-scheduled road transport services 0/ passengers" nach Nr. 64229 CPC) in Betracht. Erstere Kategorie bezieht sich nach Auffassung des EuGH ausschließlich auf die medizinischen Aspekte der Dienstleistung. 353 Die CPC definiert die ambulance services als human health services, die mit dem Transport des Patienten in einern Krankenwagen verbunden sind, gleich ob dieser mit Geräten zur Reanimation ausgestattet oder mit medizinischem Personal besetzt ist. 354 Die medizinischen Aspekte stehen beim Krankentransport grundsätzlich hinter dem Beförderungsaspekt zurück, wogegen sie im Bereich der Rettungsfahrten klar überwiegen. 355 Als gemischte Leistung lässt sich das Rettungswesen daher weder der einen noch der anderen Kategorie eindeutig zuordnen. 356 Gemäß Art. 10 Richtlinie 92/50 EWG soll in derartigen Fällen die CPC-Kategorie zur Anwendung kommen, welche dem Charakter der Dienstleistung am ehesten gerecht wird. Hierzu ist ein Vergleich zwischen den verschiedenen Gesichtspunkten der Leistung anzustellen, mit Hilfe dessen der schwerwiegendere Anteil herauszustellen ist. 357 Der Schwerpunkt einer Rettungsfahrt bzw. eines Notfall351 352 353 354 355 356

357

Benedict, EuZW 1999,77 (78). UN-Dokument ST / ESA / STAT / SER.M /77. EuGH, EuZW 1998,660 (663) (Tögel). Explanatory note zum CPC code, subc1ass 93192. OLG Schieswig-Hoistein, Urt. v. 22. 12. 1988, KtR 8249. EuGH, EuZW 1998,660 (663) (Tögel). Benedict, EuZW 1999,77 (80).

102

1. Teil: Krankentransporte und Rettungswesen in Deutschland

transports liegt auf der Wiederherstellung der Transportfähigkeit des Verunglückten; es sind also in jedem Fall zunächst medizinische Behandlungsleistungen erforderlich. Der anschließende Transport in ein Krankenhaus hat die schnellstmögliche Fortsetzung dieser Behandlung zum Ziel. Vor diesem Hintergrund überwiegen klar die medizinischen Aspekte. Anders stellt sich die Situation hingegen bei den Krankentransporten dar: hier soll der Patient umgehend zur nächst gelegenen Behandlungseinrichtung transportiert werden. Medizinische Hilfe wird nur bei einer Verschlechterung des Gesundheitszustands des Beförderten im Einzelfall notwendig, so dass bei einem Krankentransport im Ergebnis die Transportleistung grundsätzlich überwiegt. Werden verschiedene gemischte Dienstleistungen auf diese Weise in einem Auftrag zusammengefasst, fragt sich, wie der überwiegende Aspekt der Leistung zu ermitteln ist. Zum einen ließe sich die Bündelung ignorieren, mit der Folge, dass die einzelnen Bestandteile des Auftrags verschiedenen Anhängen der Richtlinie 92/50 zuzuordnen wären. Zum anderen könnte so zu verfahren sein, dass die Dienstleistungsanteile zwar getrennt zu ermitteln, im Ergebnis aber zu addieren sind, um so eine einheitliche Zuordnung zu einem Anhang der Richtlinie zu erreichen. 358 Die letztgenannte Verfahrensweise ist augenscheinlich weniger kompliziert und entspricht am ehesten der in der CPC-Nomenklatur vorgesehenen Typisierung;359 im Einzelfall - wie dem vorliegenden - ist sie jedoch schwer handhabbar. Für das Rettungswesen bietet möglicherweise die Änderung des PBefG einen Anhaltspunkt, mit der im Jahre 1992 Krankentransporte und Rettungsfahrten aus dem Geltungsbereich dieses Gesetzes herausgenommen wurden. War der gesetzgeberische Akzent vormals auf den Beförderungsaspekt gesetzt, hat der Bund den Ländern nunmehr die Möglichkeit eingeräumt, diese Materie in den Rettungsgesetzen zu regeln. Dies bildet ein Indiz dafür, dass die Intention des Gesetzgebers nunmehr dahin geht, dass die medizinische Komponente die des Transports überwiegt. Zudem ist im Sinne einer richtlinienkonformen Auslegung der Vergaberechts zu berücksichtigen, dass dieses nur für solche Dienstleistungen Geltung beansprucht, die im Wege eines öffentlichen Auftrags vergeben werden; andere Grundlagen für die Auftragsvergabe - insbesondere Gesetze oder Verordnungen - fallen nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie. Der Abschluss von Vergütungsverträgen mit Leistungserbringern im Krankentransportwesen ist indes in § 133 I SGB V als Regelfall vorgesehen. Das Rechtsverhältnis zwischen Krankenkassen und Transportunternehmern, sowie der Inhalt der abzuschließenden Verträge ist daher durch Gesetze determiniert, so dass der Schluss nahe liegt, die Versorgungsverträge nicht dem Auftragsbegriff des GWB zu unterwerfen. 360 Überdies erfasst das Vergaberecht lediglich die Auftragsvergabe durch zivilrechtliehe Verträge; mit der Neufassung des § 69 SGB V ist jedoch klargestellt worden, dass die Versorgungsverträge 358 359 360

Benedict, EuZW 1999,77 (80). EuGH, EuZW 1998,660 (663) (Tögel). So auch Heße. SozVers 1997,88 (92).

D. Zusammenfassung

103

zwischen gesetzlichen Krankenkassen und den Leistungserbringern nunmehr ausschließlich dem öffentlichen Recht unterfallen. Damit liegt kein "Auftrag" im Sinne des Vergaberechts vor, die Krankenkassen sind somit nicht verpflichtet, vor dem Abschluss der Vergütungsverträge nach § 133 I SGB V ein öffentliches Ausschreibungsverfahren durchzuführen. Auch hier wäre es nicht zuletzt im Hinblick auf das Wirtschaftlichkeitsgebot aus §§ 12,4 III SGB V und die Einbeziehung von Transportunternehmern aus dem Ausland erstrebenswert, ein solches Verfahren freiwillig durchzuführen.

D. Zusammenfassung Deutschland verfügt über ein leistungsfähiges Rettungswesen, welches aufgrund der Kompetenz der Länder zur Regelung der Daseinsvorsorge in den Ländern erheblich divergiert. Gleichzeitig fallen die Kosten für Krankentransporte und Rettungsfahrten als Fahrkosten in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Erbringer dieser Leistungen sind damit nicht lediglich in der Daseinsvorsorge tätig, sondern sind in das Gefüge der nichtärztlichen Leistungserbringer nach dem SGB V einbezogen. Die unterschiedlichen organisatorischen Ansätze der Länder wirken sich insoweit auf die Position der Rettungsberufe als Leistungserbringer in der gesetzlichen Krankenversicherung aus. Jedoch auch der Leistungscharakter wird durch die landesrechtlichen Vorgaben beeinflusst. Im Leistungsrecht selbst sind weitgehend zufriedenstellende Regelungen getroffen worden. Allein der Ausschluss grenzüberschreitender Rücktransporte und das daraus resultierende Gebot zum Abschluss einer privaten Krankenversicherung bei Auslandsaufenthalten begegnen Bedenken. Schwierigkeiten im Zusammenhang mit den Vergütungsverträgen zwischen Krankenkassen und Transportunternehmern reflektieren vornehmlich mangelhafte Vorgaben in den Rettungsgesetzen der Länder. Diese statuieren überwiegend einen Bestandsschutz zugunsten der bereits im Rettungswesen etablierten Hilfsorganisationen und hindern so private Krankentransportunternehmer daran, ihre Leistungen zu erbringen. Dadurch werden Einsparpotenziale vernachlässigt, die sich auch auf die Finanzen der gesetzlichen Krankenversicherung positiv auswirken könnten. Dass Handlungsbedarf zu einer Reform des Rettungswesens besteht, lässt sich mithin nicht bestreiten. Möglicherweise bieten die französischen Erfahrungen Anhaltspunkte für Verbesserungen. Doch auch das Europarecht könnte Optionen zur Ausgestaltung des Rettungswesens vorgeben.

Zweiter Teil

Krankentransporte und Rettungswesen in Frankreich Krankentransporte und Rettungsfahrten sind Bestandteil des droit de La santi publique. Im Code de la Santi Publique (CSP) wird grundsätzlich zwischen der notfallmedizinischen Hilfe (aide medicale urgente) und Krankentransporten (transports sanitaires) unterschieden. Die aide medicaLe urgente hat die Notfallbehandlung Kranker, Verletzter und Gebärender entsprechend ihrem Gesundheitszustand zum Gegenstand, Art. L 6311 - 1 CSP. Den transports sanitaires sind demgegenüber alle Transporte von kranken und verletzten Personen sowie Gebärenden zuzuordnen, die zum Zweck der Behandlung oder Diagnose, aufgrund einer medizinischen Verordnung oder in Notfällen, mit Hilfe von speziell zu diesem Zweck eingerichteten bodengebundenen, Luft- oder Wassertransportmitteln durchgeführt werden, Art. L 6312-1 CSP. Beide können sich mithin in Notfällen ereignen; sie unterscheiden sich jedoch insofern, als die aide medicale urgente über spezielle Transportmittel, moyens lourdes, verfügt, die mit speziell ausgebildetem Personal besetzt sein müssen, weIches die notwendigen Behandlungsleistungen am Unfallort erbringt.' Die transports sanitaires erfolgen demgegenüber grundsätzlich ohne medizinische Betreuung. Die Ausstattung der Fahrzeuge muss jedoch im Notfall die Erbringung von Erste-Hilfe-Maßnahmen während des Transports erlauben. 2 Unter transports nonsanitaires fallen solche Transporte von kranken oder verletzten Personen, die nicht in einem speziell ausgestatteten Fahrzeug, gleichwohl auf ärztliche Verschreibung erfolgen. Als Transportmittel kommen Taxis, der persönliche PKW oder öffentliche Verkehrsmittel in Betracht. Gemäß Art. 34, al. 4, 5° const. 3 sind die Grundprinzipien des Rechts der sozialen Sicherheit durch Gesetz zu regeln. Dieses wird vom Parlament beschlossen, weiches sich nach Art. 24 const. aus der Assembli Nationale (Nationalversammlung) I Vgl. im einzelnen arr. du 25 novembre1985 deterrninant la nature et les eonditions d'utilisation des moyens mobiles de seeours et de soins d'urgenee, JO 6 deeembre 1995, eire. DGS/3E/DH9C 335 du 31 Mars 1988 relative a I'intervention des personneis en eas d'urgenee ou d'aeeident. 2 Arr. du 20 mars 1990 fixant les eonditions exigees pour les vehicules et les installations materielles affeetes aux transports sanitaires terrestres, JO 12 juin 1990, eire. DGS / 3E 1740 du 12 juillet 1990. 3 Constitution de la V. Republique du 4 oetobre 1958 (Verfassung der V. Republik).

2. Teil: Krankentransporte und Rettungswesen in Frankreich

105

und dem Senat zusammensetzt. 4 Der Begriff der sozialen Sicherheit ist weit auszulegen; er umfasst sämtliche Sozialversicherungszweige (i. e. die Sicherung im Falle von Krankheit und Mutterschaft, Invalidität, Arbeitsunfällen und Alter, ferner die Familienleistungen) sowie die verschiedenen Sondersysteme für einzelne Berufsgruppen oder Vorsorgesysteme wie die mutuelles. 5 Das Parlament ist nur zur Regelung der Grundprinzipien berechtigt, es darf daher lediglich einen gesetzlichen Rahmen vorgeben. Darunter fallen insbesondere die Voraussetzungen der Versicherungspflicht, die Grundlagen der Beitragspflicht, die Arten der Sozialleistungen oder die Organisation der Sozialversicherungszweige. Schließlich ist nach Art. 34, al. 6 const. die Finanzierung der sozialen Sicherheit, insbesondere unter Berücksichtigung des finanziellen Gleichgewichts und der Ausgabenbegrenzung, Gegenstand eines vom Parlament zu erlassenden Gesetzes. Als Teil der protection civile, i. e. der Zivil- und Katastrophenschutz, stehen die organisatorische Grundprinzipien des Rettungswesens ebenfalls unter dem Vorbehalt eines Parlamentsgesetzes, da sie die Errichtung öffentlicher Einrichtungen im Sinne von Art. 34, al. 2, 6° const. betrifft. Für sämtliche Bereiche, die nicht dem pouvoir legislatif des Parlaments unterliegen, besteht gemäß Art. 37 der pouvoir reglementaire der Regierung,6 welche Regelungen in Form eines decrets erlassen kann. 7 In der sozialen Sicherung obliegt ihr vor allem die Festlegung des konkreten Inhalts und Wertes der zu gewährenden Leistungen sowie der Beitragshöhe. 8 Es liegt mithin in der Zuständigkeit des Parlaments, die Übernahme von Fahrkosten durch die gesetzliche Krankenversicherung als Kategorie in den Leistungskatalog einzuführen und in einer Generalklausei ihre Gewährung zu regeln. Die konkrete Umsetzung dieser Grundprinzipien, insbesondere die Festlegung der einzelnen Fallgruppen fällt demgegenüber in die Zuständigkeit der Regierung. 9 Auf der Ebene der Departements 4 Die Nationalversammlung setzt sich aus 577 Abgeordneten zusammen, die in freien, allgemeinen Wahlen für einen Zeitraum von fünf Jahren gewählt werden. Der Senat umfasst 321 Senatoren. Diese werden durch indirekte Wahl - durch den auf Departementebene angesiedelten college electoral - für jeweils neun Jahre bestimmt, vgl. Pactet, Les Institutions Fran~aises, S. 21 f. 5 Luchaire / Conac: La Constitution de la Republic Fran~aise, p. 770. 6 Die Regierung kann auch in den Bereichen tätig werden, in denen nach Art. 34 eigentlich ein Parlamentsgesetz zu ergehen hat: Art. 38 ermöglicht eine Delegation der Gesetzgebungskompetenz - auf Antrag der Regierung, beschlossen durch Parlaments gesetz - und versetzt die Regierung so in die Lage, entsprechende Regelungen in Form einer ordonnance zu treffen. Im Wege der ordonnances werden vor allem technische Regelungen getroffen, mit denen das Parlament nicht belastet werden soll, wie der Harmonisierung bestehender Gesetze, z. B. bei der Neuordnung des CSP, ordonnance 2000-548 du 15 juin 2000, JO 22 juin 2000. 7 Historisch betrachtet ist diese Befugnis Ausfluß der Regelungen, die die Regierung mit der Ausführung der Gesetze betrauten; der pouvoir reglementaire ist daher dem Bereich der Exekutive zuzuordnen. Dementsprechend enthalten die decrets Regelungen zur Präzisierung und Anwendung eines loi, Debbasch, Constitution V' Republique, p. 170. 8 Luchaire/Conac: La Constitution de la Republic Fran~aise, p. 770. 9 VgJ. Pritot, Dr. Soc. 1986,258 (261).

106

2. Teil: Krankentransporte und Rettungswesen in Frankreich

wird schließlich der Präfekt per Parlamentsgesetz oder decret mit einigen Kompetenzen betraut, die er durch den Erlass von arretes (Erlasse) ausübt. Darunter fallen unter anderem die regionale Planung des Gesundheitswesens, die Verwaltung des öffentlichen Krankenhauswesens (service public hospitalier) oder die Zulassung von Krankentransportunternehmen. Der Präfekt repräsentiert in den Departements unmittelbar die Staatsgewalt; seine Befugnis ist vornehmlich administrativer Art. Letztlich erlassen die Krankenkassen intern verbindliche circulaires (Rundschreiben), welche die leistungsrechtIichen Regelungen präzisieren und auf diese Weise deren einheitliche Anwendung ermöglichen.

A. Organisation des Krankentransportund Rettungswesens Das Rettungswesen ist in Frankreich einheitlich organisiert und detaillierten gesetzlichen Regelungen unterworfen. Kennzeichnend ist eine strikte Unterscheidung zwischen der aide medicale urgente als dem Krankenhauswesen zugeordneter staatlicher Rettungsdienst und den transports sanitaires als überwiegend von Privatunternehmern wahrgenommenes Krankentransportwesen.

I. Historische Entwicklung Die Regelungen sind das Resultat einer umfassenden Reform des Rettungswesens im Jahre 1970. Zuvor existieren weder gesetzliche Anforderungen an die berufliche Qualifikation von Krankenwagenfahrern noch an die Mindestausstattung der Rettungsfahrzeuge. Einrichtungen zum Zivil- und Katastrophenschutz existierten in Frankreich bereits seit dem 18. Jahrhundert. Bis Mitte des 20. Jahrhunderts lag die Verantwortung für den Zivilschutz als Teil der Verwaltungspolitik vorwiegend bei den Bürgermeistern. In Reaktion auf die bei den Weltkriege in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde er in den 1950er Jahren weiter ausgebaut und fortentwickelt, um auf die Risiken in Friedenszeiten, wie Unfälle und Naturkatastrophen reagieren zu können. Dazu wurde der Katastrophenschutz zunächst per decret vom 17. November 1951 zentralisiert. Den Feuerwehren wurde erstmalig 1953 im Einvernehmen zwischen Gesundheits- und Innenministerium die medizinische Versorgung und Rettung von Brand- und Unfall opfern als Aufgabe zugewiesen. Die Feuerwehren schufen daraufhin innerhalb ihrer Organisationsstrukturen die services de sante et de secours, die diese Aufgabe wahrnehmen sollten. 1O Daneben beteiligten die Gendarmerie Nationale, städtische und private Krankenwagen sowie diverse - national oder regional agierende - Organisationen wie das Rote Kreuz 10

Brivet, gazette n° 1373 (1996),14 (15).

A. Organisation des Krankentransport- und Rettungswesens

107

oder der Malteser-Orden an der medizinischen Versorgung von Unfallopfern. ll Ab Mitte der 1950er Jahre richtete die Politik ihr Augenmerk von der bloßen Beförderung auf die zunehmend medizinische Ausrichtung der Rettung. Gleichzeitig wurde mit dem Plan ORSEC durch die Aufteilung der Departements in Rettungsbezirke erstmals eine solide Planung im Rettungswesen erzielt, die neben den Feuerwehren auch andere, namentlich die Krankenhäuser, einbezog. 12 Mit der Errichtung der Services d'Aide Medicale Urgente (SAMU) in den 1960er Jahren wollte das Gesundheitsministerium die Organisation des Rettungswesens wieder seiner Kompetenz unterwerfen. 13 Jedoch bestanden Probleme in der Abgrenzung der Zuständigkeiten: Krankentransporte wurden weiterhin in erheblichem Maße von den Feuerwehren durchgeführt. Die öffentlichen Krankenhäuser erbrachten dagegen nur einen geringfügigen Anteil der Transportleistungen, obwohl sie 1965 per decret zur Einrichtung von so genannten Services Mobiles d'Urgence et de Reanimation (SMUR) verpflichtet wurden. 14 Zudem existierten weder gesetzliche Anforderungen an die berufliche Qualifikation von Krankenwagenfahrern noch an die Mindestausstattung der Rettungsfahrzeuge. Das Krankentransportwesen entwickelte sich folglich weitgehend unkontrolliert. Aufgrund der mangelhaften Ausbildung der Krankenwagenfahrer und einer Ausstattung der Fahrzeuge, mit welcher nicht alle im Rahmen einer Rettungsfahrt anfallenden Aufgaben erfüllt werden konnten, konnte die Sicherheit der Transportierten nicht mehr garantiert werden, obwohl gleichzeitig die Zahl der Krankentransporte und Rettungsfahrten erheblich angestiegen war. 15 Aufgrund dieser Mängel wurde 1970 das Rettungswesen reformiert. 16 Erstmalig wurde ein Kapitel zu den transports sanitaires in den CSP aufgenommen. Natürliche und juristische Personen, die einen Rettungsdienst betreiben wollten, konnten nunmehr beim Präfekten eine Zulassung als Krankentransportunternehmer beantragen. Die Beantragung einer solchen Zulassung wurde in das Belieben der Unternehmen gestellt, da der Conseil d'Etat eine obligatorische Zulassung für mit den Regeln des "gesunden Wettbewerbs" unvereinbar hielt. 17 Die Genehmigung war zu erteilen, wenn der Antragsteller bestimmte Qualifikationen, namentlich das certificat de capacite d'ambulancier l8 nachweisen konnte und die Ausstattung der Fahrzeuge einem Mindeststandard genügte. Die zugelassenen Unternehmen waren unter Decr. 53 -170 du 7 mars 1953, vgl. Chenillet/ Pretot, RDSS 1983, 657 (659 et s.). Chenillet/ Pretot, RDSS 1983,657 (663). 13 Brivet, gazette n° 1373 (1996),14 (15). 14 Decr. 65 -1045 du 2 decembre 1965. Dieser Verpflichtung konnten die Krankenhäuser durch die Vorhaltung von eigenen Rettungsfahrzeugen und Einrichtungen zur Notfallbehandlung oder durch den Abschluss von Verträgen mit öffentlichen und privaten Einrichtungen, die über entsprechende Mittel verfügten, nachkommen. 15 Rapport Troisier; doc. AN n° 1081 du 29 avril 1970, p. 3. 16 Loi du 10 juillet 1970 relatif a I'agrement des entreprises privees de transports sanitaires. 17 10 AN (deb.) 1970, p. 1852. 11

12

108

2. Teil: Krankentransporte und Rettungswesen in Frankreich

anderem zur Teilnahme an einem service de garde verpflichtet, einem Bereitschaftsdienst, der innerhalb kürzester Zeit auf Notrufe reagieren sollte. Nicht zugelassene Transportunternehmen trafen demgegenüber keine Verpflichtungen. Dennoch war die Beantragung der Zulassung von Vorteil: nur zugelassene Unternehmen durften Verträge mit den öffentlichen Krankenhäusern abschließen, die ihnen eine bevorzugte Stellung bei der Vergabe von Rettungsfahrten unter höherer Vergütung gegenüber nicht zugelassenen Unternehmen einräumten. Zudem war es diesen Unternehmen vorbehalten, nach den so genannten "tiers payant"-Regelungen zu verfahren. Danach werden die Versicherten von ihrer Vorleistungspflicht befreit und die Transportunternehmer rechnen ihre Leistungen direkt mit den Krankenkassen ab. 19 Die Rolle des öffentlichen Krankenhauswesens in der Sicherstellung eines Rettungsdienstes wurde mit der gesetzlichen Verankerung der SAMU nochmals bekräftigt. Diese sollten nunmehr den am service public hospitalier teilnehmenden Einrichtungen angegliedert werden und haben die Aufgabe, mit Hilfe eines eigenen Rettungsleitsystems und unter Einsatz der SMUR auf jedwede Notrufe zu reagieren. 2o Die Reform wurde vor allem kritisiert, weil die Zulassung zum Krankentransportwesen nicht obligatorisch zu erteilen und überdies auf private Unternehmen beschränkt war. 21 Dieser Kritik wurde entgegengehalten, die Zulassung eines öffentlichen Krankentransportunternehmens durch die öffentliche Verwaltung sei zum einen lebensfremd?2 Zum anderen seien die den privaten Akteuren auferlegten Pflichten gemäß Art. L 51 - 3 CSP auch für die öffentlichen Einheiten bindend, jedoch ohne dass diesen das Erfordernis der Zulassung zum Krankentransportwesen auferlegt würde?3 Nach vereinzelter Auffassung waren gemeinnützige private Organisationen nicht in den Geltungsbereich des Gesetzes einbezogen, da der Gesetzeswortlaut lediglich zwischen "Unternehmen" und service public differenzierte. 24 Es handelte sich insofern jedoch um eine unbeabsichtigte Unterlassung des Gesetzgebers. Die Hilfsorganisationen konnten mithin auf der Grundlage des Gesetzes Rettungsdienstleistungen erbringen, jedoch ohne an das Zulassungserfordernis gebunden zu sein. 25 18 Um dieses Zertifikat zu erhalten, muss eine Zusatzausbildung zum Rettungssanitäter in einem öffentlichen Krankenhaus absolviert werden, Rapport Troisier, Doc. AN n° 1081 du 29 avril 1970, p. 10 et s. 19 Rapport Jean, BO Services Premier Ministre, octobre 1982, p. 7, zu den Modalitäten der Abrechnung vgl. arrete du 30 septembre 1975, JO 24 octobre 1975. 20 Chenilletl Pretot, RDSS 1983,657 (666 et s.). 21 Statt vieler: rapport Jean, BO Services Premier Ministre, octobre 1982, p. 14; Rollandin, Quot. Med., 8 juin 1983, p. 7. 22 Texier, AJDA 1982,491 (491 et s.). 23 Texier, AJDA 1982,491 (491 et s.), Art. L 51-3 CSP lautete: "Les droits et les obligations definis par I' articIe L 51 - 1 ... sont applicables aux services publics assurant des transports sanitaires". 24 Modeme, Petites Affiches du 30 novembre 1983, 11 (12). 25 Rapport Jean, BO Services Premier Ministre, octobre 1982, p. 18.

A. Organisation des Krankentransport- und Rettungswesens

109

Für weitere Kritik sorgte ein Erlass vom 29. Januar 1979. Dieser ermächtigte die Feuerwehren, ohne vorherigen Vertragsschluss mit den öffentlichen Krankenhäusern Krankentransporte durchzuführen. Es wurde befürchtet, dass durch diese Ermächtigung die privaten Krankentransportunternehmen benachteiligt werden könnten. Indes sollte das Tätigkeitsfeld der Feuerwehren nicht dahin erweitert werden, dass die Durchführung von Krankentransporten eine ihrer Hauptaufgaben würde?6 Vielmehr sollte ihnen die neue Regelung ermöglichen, in den Fällen Krankentransporte durchzuführen, in denen deren Erbringung durch andere Einrichtungen nicht garantiert war. 27 Um den Konkurrenzproblemen entgegenzutreten, wurde mit circulaire des Gesundheitsministeriums vom 6. Februar 1979 ein comite departemental de l' aide medicale urgente et des transports sanitaires geschaffen. Es setzte sich aus Vertretern von Ärzteschaft, Krankenhäusern, Feuerwehr, Krankentransportunternehmen und Polizei zusammen, die unter Vorsitz des Präfekten eine departementale Politik der Notfallrettung definieren und umsetzen sollte. Gleichzeitig wurden die so genannten Centres 15 etabliert: eine Rettungsleitstelle, die unter einer einheitlichen Telefonnummer sämtliche medizinische Notrufe koordinieren und - unter der Prämisse absoluter Neutralität zwischen öffentlichen und privaten Sektor des Gesundheitswesens - weiterleiten sollte. Der Aufgabenbereich der Centres 15 beschränkte sich auf die medizinischen Notfälle, die bislang von den SAMU bearbeitet wurden. Ihre Einrichtung konnte daher nicht dazu beitragen, den Dualismus zwischen Rettungsrnaßnahmen im Rahmen der allgemeinen Verwaltung unter Autorität des Bürgermeisters und Rettungsrnaßnahmen im Rahmen des service public hospitalier unter Autorität des Präfekten zu beseitigen. 28 Vor diesem Hintergrund und den daraus resultierenden organisatorischen, administrativen und finanziellen Konflikten wurden Rufe nach einer neuerlichen Reform des Rettungswesens laut. Diese wurde mit dem loi 86 - 11 29 auf den Weg gebracht, durch welches die Regelungen zur Organisation von Rettungsdienst und Krankentransporten in den CSP Eingang fanden. Das Reformgesetz beschränkte sich nicht auf organisatorische Fragen, sondern regelte zugleich, ob und wenn ja: welche Fahrkosten als Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung zu erbringen seien und versuchte so, die finanziellen Zu26 Rep. min., JO AN (Q) du 14 avril 1980, p. 1544; vgl. allgemein zum Problem der Konkurrenz zwischen privaten Transportunternehmen und öffentlichen Akteuren: Modeme, Pet. Aff. du 30 novembre 1983, p. 11 et s. 27 Conseil d'Etat du 19 septembre 1980 ("Lemarquand"). Die Krankentransporte sind zudem von den evacuations d'urgence abzugrenzen, welche eine Fortsetzung der den Feuerwehren zugewiesenen Aufgaben der Brandbekämpfung darstellen und als solche naturgemäß von diesen durchzuführen sind, Rapport Jean, BO Services Premier Ministre, octobre 1982, p. 17. Diese stellten schon begrifflich keine Krankentransporte dar und fielen aufgrund ihres Charakters als öffentliche Aufgabe nicht unter die durch die Krankenversicherung zu erstattenden Kosten, Modeme, Petites Affiches du 30 novembre 1983, 11 (14). 28 Chenillet/ Prerot, RDSS 1983,657 (676 et s.). 29 Loi N° 86 - 11 du 6 Janvier 1986 relatif a I' aide medicale urgente et aux transports sanitaires, 10 7 Janvier 1986; Gesetzesmaterialien: 10 AN (deb.) du 12 decembre 1985, p. 6130, 10 AN (deb.) du 18 decembre 1985, p. 6360.

2. Teil: Krankentransporte und Rettungswesen in Frankreich

110

ständigkeiten zu klären, Art. 283 CSS a. F. Nach diesem Gesetz ist zwischen Transporten im Rahmen der aide medicale urgente, Art. L 6311 et s. CSP und transports sanitaires, Art. L 6312 et s. CSp30 zu unterscheiden. Beide Arten des Transports folgen verschiedenen Organisationsmustem. Sie sind jedoch gleichermaßen der Kontrolle durch das comite departemental de I'aide medicale urgente et des transports sanitaires unterworfen, welches gemäß Art. 6313 - 1 CSP in jedem Departement einzurichten ist. Aufgabe des comite ist die Sicherstellung der gleichmäßigen Versorgung mit Rettungs- und Krankentransportleistungen, deren Anpassung an die Bedürfnisse der Bevölkerung sowie die Sicherstellung der Kooperation zwischen den verschiedenen natürlichen und juristischen Personen, die am Rettungs- und Krankentransportwesen teilnehmen; es wird vom jeweiligen Präfekten geleitet. 31

11. Aide medicale urgente Mit der Reform von 1986 wurde die aide medicale urgente der Zuständigkeit des service public hospitalier unterstellt, Art. L 6112-1, 6° CSP. Auch wenn es anderen Akteuren freigestellt ist, sich im Wege von Verträgen an den SAMU zu beteiligen und trotz der Zusammenschaltung der Notrufzentralen der SAMU mit denen von Polizei und Feuerwehr, ist auf diese Weise ein faktisches Monopol der öffentlichen Krankenhäuser für die Entgegennahme und Weiterleitung von Notrufen geschaffen worden. 1. Grundzüge des service public hospitalier

Das öffentliche Krankenhauswesen wurde durch Gesetz vom 31. 11. 1970 etabliert. Neben den "klassischen" Gesundheitsleistungen - Untersuchung, Überwachung und Behandlung von Kranken, Verletzten und Schwangeren, Gesundheitserziehung und Prävention, Art. L 6111-1 CSP - sind ihm weitere Aufgaben zugewiesen, so zum Beispiel die Ausbildung von Ärzten und anderen medizinischen Berufen sowie die medizinische Forschung?2 Wie alle öffentlichen Dienste Frankreichs ist auch das Krankenhauswesen von den Grundsätzen der Kontinuität (continutie'), der Gleichbehandlung (egalite'), der Neutralität (neutralite') und der Anpassungspflicht (mutabilite') - den so genannten "lois de Rol30 früher Art. L 51-I bzw. L 51-3 CSP; geändert durch ord. 2000-548 du 15 juin 2000 relative la partie legislative du Code de la Sante Publique (jedoch ohne inhaltliche Änderung). 31 Näheres zur Zusammensetzung des comite, vgl. decr. 87 - 964 du 30 novembre 1987 relatif au comite Departemental de I' aide medicale urgente et des transports sanitaires, JO I er decembre 1987. 32 Stingre, Service public hospitalier, p. 35 et S., Paire et al., Droit Hospitalier, n° 133 et s.

a

A. Organisation des Krankentransport- und Rettungswesens

III

land" - unterworfen,33 welche eine nähere Präzisierung durch die Rechtsprechung erfahren haben. Der Grundsatz der Kontinuität umfasst die Verpflichtung, im allgemeinen Interesse die ununterbrochene Gewährung der Dienstleistungen sicherzustellen - ihren Ausdruck findet diese Pflicht u. a. in Art. L 6112-2 CSP, wonach die Behandlung und Überwachung der Krankenhauspatienten Tag und Nacht sowie in Notfallen zu garantieren ist. Des Weiteren soll die Sorge für den Patienten nicht mit dem Krankenhausaufenthalt enden, sondern auch die Gewährung von Präventionsmaßnahmen sowie Vor- und Nachsorgeuntersuchungen umfassen. 34 Daneben folgt aus dem Kontinuitätsprinzip eine Einschränkung des Streikrechts der im Gesundheitswesen Beschäftigten. 35 Der Gleichbehandlungsgrundsatz verbietet jedwede Diskriminierung unter den Patienten in Bezug auf den Zugang zur medizinischen Behandlung sowie deren Qualität und Ausgestaltung. 36 Er steht im Zusammenhang mit der Neutralitätspflicht, welche die im öffentlichen Dienstleistungssektor Beschäftigten dazu verpflichtet, die Benutzer unabhängig von ihrem Glauben und ihrer Meinung gleich zu behandeln. Der Grundsatz der mutabilite besagt letztlich, dass die öffentlichen Dienstleistungen regelmäßig an die Bedürfnisse ihrer Benutzer und die Interessen der Allgemeinheit anzupassen sind. 37 Der service public hospitalier beschränkt sich gemäß Art. L 6112-2 CSP nicht auf öffentliche Einrichtungen (1°), sondern umfasst auch zugelassene private Institutionen (2°). Durch die Zulassung zum öffentlichen Krankenhauswesen werden private den öffentlichen Einrichtungen gleichgestellt, sowohl in Bezug auf die Einweisung von Patienten als auch die Überwachung der Einrichtung sowie deren finanzielle Unterstützung durch staatliche Subventionen, ohne dass sie dadurch ihren Status als dem Privatrecht unterworfene Institutionen verlieren. 38 Im Rahmen des Zulassungsverfahrens wird zwischen gemeinnützigen, d. h. nicht auf die Erzielung von Gewinnen ausgerichteten Einrichtungen, die Behandlungsleistungen an alle Personen erbringen, die ihrer bedürfen und die ein projet d'etablissement erstellt haben,39 und sonstigen Institutionen unterschieden. Erstere werden durch einen acte unilateral, die einseitige Entscheidung des für das Gesundheitswesen 33 Paire et al., Droit Hospitalier, n° 141, dazu eingehend: Rivero/Waline, Droit administratif, n° 483. 34 Barthelimy, Juris-Classeur Administratif, fase. 229-1, n° 161. 35 Conseil d'Etat, 7 janvier 1976 (CHR d'Orleans). 36 Barthelemy, Juris-Classeur Administratif, fase. 229-1, n° 158. 37 Belloubet-Frier, AJDA 1994, 270 (276). 38 Paire et al., Droit Hospitalier, n° 142, Stingre, Service public hospitalier, p. 36 et s. 39 Dieser Plan definiert die allgemeinen Ziele der Einrichtung und soll neben dem medizinischen Bereich, auch Elemente der bio-medizinischen Forschung, der Sozialpolitik, der Entwicklung und Verwaltung, sowie die Erstellung eines Informationssystems beinhalten. Insbesondere sind im projet d'etablissement die personalen und sachlichen Mittel anzugeben, welche die Einrichtung benötigt, um diese Ziele zu erreichen, Art. L 6161-9 i. V. m. L 6143-2 CSP.

112

2. Teil: Krankentransporte und Rettungswesen in Frankreich

zuständigen Ministers, zugelassen, sofern sie die in Art. R 715-6-3 et s. CSP niedergelegten Voraussetzungen erfüllen, Art. L 6161-6 CSP. Letztere Einrichtungen - gemeinnützige wie auch gewinnorientierte - erhalten die Konzession durch einen acte contractuel, i. e. einen Vertrag mit dem Staat vertreten durch die agence regionale de l'hospitalisation4o , welcher dem Verwaltungsrecht zuzuordnen iSt. 41 Gegenstand des Konzessionsvertrages ist zum einen die Verpflichtung des Staates, im näheren Umkreis der Einrichtung für einen näher zu bestimmenden Zeitraum keine weiteren Krankenhäuser gleichen Charakters zuzulassen, soweit dies den Vorkehrungen in der carte sanitaire42 entspricht. Im Gegenzug muss sich die private Einrichtung verpflichten, die bereits erwähnten Grundprinzipien des service public hospitalier zu beachten, sämtliche dem öffentlichen Krankenhauswesen obliegenden Aufgaben (Art. L 6111 - 1 bis L 6112 - 2 CSP) zu erfüllen und die zur Erfüllung dieser Aufgaben notwendigen personalen und sachlichen Mittel vorzuhalten, sowie jede Person aufzunehmen, die der Behandlung bedarf, Art. L 6161-9,2° i.Y.m. Art. L 6161-5 CSP. Die Finanzierung der öffentlichen Krankenhäuser sowie der dem service public hospitalier angegliederten privaten Einrichtungen erfolgt durch die so genannte dotation globale, die den Teil der zwingend von der gesetzlichen Krankenversicherung zu übernehmenden Kosten repräsentiert, Art. R 714-3-26 CSP. 43 Die Höhe dieses Budgets wird jährlich durch Erlass der agence regionale de I 'hospitalisation festgelegt, Art. L 174-1 CSS. Die dotation globale deckt nicht die gesamten Kosten des Krankenhausaufenthaltes ab. Vielmehr werden die Versicherten mit einem Eigenanteil (ticket moderateur) i. H. v. 20% teilweise an den von ihnen verursachten Kosten beteiligt. In bestimmten Fällen kann eine Befreiung vom Selbstbehalt gewährt werden, so z. B. wenn der Krankenhausaufenthalt 30 Tage überschreitet - eine Befreiung erfolgt in diesen Fällen allerdings erst ab dem 31. Tag - oder im Falle einer lang andauernden Erkrankung (vgl. Art. D 322-1 CSS).44 Daneben 40 Errichtet durch Art. 10 Ordonnance 96-346 du 24 avril 1996. Die Agence Regionale de I'Hospitalisation ist eine administrativ und finanziell autonome juristische Person des öffentlichen Rechts und setzt sich aus Vertretern des Staates und der Assurance Maladie zusammen. Sie steht unter direkter Aufsicht der für das Gesundheitswesen und die soziale Sicherheit zuständigen Ministerien, Art. L 6115 - 2 CSP, und soll die Grundsätze der regionalen Krankenhauspolitik definieren und deren Vollzug in Gang setzen, Art. L 6115 - 1 CSP. 41 Paire et al., Droit Hospitalier, n° 144; C.E. 4 novembre 1981, RDP 1983, 230 (230). 42 Vgl. Art. L 6121-1 CSP: Die carte sanitaire ist Bestandteil der Krankenhausplanung; in ihr werden "zones sanitaires" etabliert und die Nachfrage der Bevölkerung nach einzelnen Behandlungsleistungen ermittelt. Letztlich soll dieser Plan dazu dienen, das Angebot an Gesundheitsleistungen dem Bedarf in der jeweiligen Region anzupassen und nicht zuletzt den öffentlichen und privaten Krankenhaussektor zu koordinieren; vgl. dazu Barthilemy, JurisClasseur Administratif, fasc. 229 - I, n° 75 et s. Die Zuständigkeit liegt bei den mit dem Gesundheitswesen und der sozialen Sicherung befassten Ministerien bzw. beim directeur de l'agence regionale de l'hospitalisation, Art. L 6121- 8 CSP. 43 Eingehender zur dotation globale: Deves, AJDA 1984,478 et s., Stingre, Service public hospitalier, p. 116. 44 Paire et al., Droit Hospitalier, n° 298.

A. Organisation des Krankentransport- und Rettungswesens

113

haben die Versicherten einen pauschalen Tagessatz iforfait joumalier) zu leisten, der die "Hotelkosten" des Krankenhausaufenthaltes abdecken soll, Art. L 174-4, L 322 - 2 CSS und dessen Betrag durch jährlichen Erlass des zuständigen Ministers festgelegt wird. 2. Organisation der Notfallrettung und Übertragung der Aufgabe an Dritte

Art. L 6112 - I, 6° CSP verpflichtet den service public hospitalier zur SichersteIlung der Notfallrettung in Zusammenarbeit mit praktischen Ärzten, nichtärztlichen Gesundheitsberufen und sonstigen Organisationen. Die Vorhaltung von Einheiten, die am SAMU teilnehmen, ist den öffentlichen, sowie den zum öffentlichen Krankenhauswesen zugelassenen privaten Krankenhäusern vorbehalten, Art. L 6112-5, L 6112-2 CSP. Die SAMU verfügen neben den mobilen Rettungseinheiten, den SMUR, über ein System ärztlich besetzter Leitstellen, die gemäß Art. L 6112-5 CSP mit den Notrufzentralen der Feuerwehr und der Polizei verbunden sind. 45 Organisation und Aufgaben der SAMU haben im decr. 87 - 1005 46 eine Präzisierung erfahren. Nach Art. 3 et s. decr. 87 -1005 haben sie Rettungsrufe entgegenzunehmen und schnellstmöglich die der entsprechenden Situation angemessenen Maßnahmen zu veranlassen;47 insbesondere sollen die SAMU unter Berücksichtigung des Wahlrechts der Patienten48 deren Transport und die Aufnahme in stationäre Einrichtungen sicherstellen. Zur Erfüllung ihrer Aufgaben verfügen sie nicht nur über die mobilen Rettungseinheiten der SMUR, sondern ein telefonisches Leitsystem, eine eigenständige Patientenaufnahme sowie über Behandlungseinrichtungen oder zumindest den Zugang zu einem Krankenhaus, in das der Patient aufgenommen werden kann. 49 Die Transporteure haben zwar grundsätzlich das Recht des Patienten auf freie Wahl unter den Leistungserbringem, insbesondere das Wahlrecht zwischen öffentlichen und privaten Einrichtungen zu achten. Personen, die im Rahmen des Rettungsdienstes transportiert werden, sind jedoch vordringlich in öffentliche Krankenhäuser zu transportieren - es sei denn, diese sind aufgrund ihrer Ausstattung nicht in der Lage, dem Patienten die notwendigen Behandlungen zukommen zu lassen. 50 45 Dazu näher Art. 8 Mcr. 87 -1005 du 16 decembre 1987,10 17 decembre 1987, Circ. du 12 decembre 1994,10 21 janvier 1995. 46 Decr. 87 - 1005 du 16 decembre 1987 relatif aux missions et a l' organisation des unites participant au service d'aide medicale urgente appellees SAMU, 10 17 Decembre 1987. 47 Daneben sind sie für die Koordinierung von Rettungsaufgaben über die Grenzen der Departements, die medizinische Überwachung größerer Menschenansammlungen sowie für die Gesundheitserziehung, Prävention und Forschung zuständig. 48 Dazu näher Barthilemy, 1uris-Classeur Administratif, fase. 229-1, n° 39 et s. sowie Art. L 257 (für den behandelnden Arzt), L 271, L 272, L 275 CSS (für Krankenhäuser etc.). 49 Chenillet I Pretot, RDSS 1983,657 (666). 50 Rep. min., 10 Senat (Q), seance du 24 septembre 1968, p. 674.

8 Abig

114

2. Teil: Krankentransporte und Rettungswesen in Frankreich

Der Transport wird in den meisten Fällen von den SMUR durchgeführt. Diese sind jeweils einem Krankenhaus angegliedert51 und verpflichtet, permanent die notwendigen medizinischen Mittel vorzuhalten, um Patienten außerhalb des Krankenhauses zu reanimieren bzw. anderweitig notfallmedizinisch zu versorgen und soweit notwendig in eine Einrichtung zu transportieren, wo sie weiterbehandelt werden können, Art. R 712 - 71 - 1, 1° CSP. Darüber hinaus sind sie für die Verlegung von Patienten in andere Behandlungseinrichtungen zuständig, sofern diese während des Transports der ständigen medizinischen Überwachung bedürfen, Art. R 712-71-1, 2° CSP, und werden im Rahmen des Katastrophenschutzes tätig, Art. R 712-71-2 CSP. Bodengebundene Krankentransporte im Rahmen der aide medicale urgente können neben den SMUR auch von anderen Einrichtungen, wie privaten Rettungsdiensten oder Krankentransportunternehmen, erbracht werden. Unter privaten Unternehmen werden alle nichtöffentlichen verstanden, mithin auch die Rettungsdienste der Hilfsorganisationen oder gemeinnützige Vereine. Sämtliche Unternehmer müssen eine staatliche Zulassung als Krankentransportunternehmen vorweisen können, deren Erteilung sich nach den Regelungen des decr. 87 - 965 richtet. 52 Daneben sollen die betreffenden Krankenhäuser Verträge mit der association departementale de reponse Cl I 'urgence abschließen. 53 Sie hat die Aufgabe, die Aktivitäten sämtlicher privater Krankentransportunternehmen zu koordinieren. Den Unternehmern steht es frei, sich der association anzuschließen und sich damit den Regelungen der Konvention zu unterwerfen, Art. l er circ. 98-483. Die privaten Transportunternehmen sind verpflichtet, sämtliche personalen und sachlichen Mittel vorzuhalten, die zur Sicherstellung eines den Bedürfnissen der Bevölkerung angemessenen Rettungswesens nötig sind, Art. 10 decr. 87 -1005. Auch die Feuerwehren sind berechtigt, mit Krankenhäusern eine Vereinbarung einzugehen, die sie zur Teilnahme an der Notfallrettung berechtigt.

3. Finanzierung der Notfallrettung Da die Notfallrettung Teil des service public hospitalier ist, erfolgt ihre Finanzierung durch die dotation globale. Dementsprechend sind auch die Kosten für Transporte im Rahmen der aide medicale urgente im Budget der öffentlichen und zugelassenen Krankenhäuser enthalten, Art. R 714-3-19 lit. c) CSP. Der Staat 51 Die Errichtung eines SMUR steht jedoch unter der Voraussetzung, dass die Einrichtung über einen Service d'Accueil et de Traitement des Urgences (SAU) oder eine Unite de Proximite d'Accueil, de Traitement et d'Orientation d'Urgences (UP) - i. e. eine Notaufnahme innerhalb des Krankenhauses - verfügt, Art. R 712-63 CSP. Die SMUR werden demgegenüber nur außerhalb des Krankenhauses tätig, vgl. dazu Paire et al., Droit Hospitalier, n° 91. 52 Decr. 87 - 965 du 30 novembre 1987 relatif I' agrement des transports sanitaires terrestres, JO 1er decembre 1987. 53 Zum Muster einer Konvention vgl. circulaire 98-483 du 29 juillet 1998 relative a la participation des transports sanitaires prives I' aide medicaIe urgente (non paru au JO).

a

a

A. Organisation des Krankentransport- und Rettungswesens

115

finanziert Einrichtungen des Katastrophenschutzes, die den Rettungsdiensten zur Verfügung stehen. Die Notfallhilfe bei Unfällen, schweren Verletzungen oder lebensbedrohlichen Erkrankungen ist für die Patienten grundsätzlich kostenlos.

IH. Transports sanitaires Die transports sanitaires bilden das Gegenstück zur aide medicale urgente. Sie haben in den Art. L 6312-1 et s. CSP eine Regelung erfahren. Anders als die Notfallrettung sind Krankentransporte nicht Bestandteil der Aufgaben des öffentlichen Krankenhauswesens. Die Durchführung der transports sanitaires wird vielmehr von privaten Transportunternehmen unter Autorität des comite departemental sichergestellt. 1. Zulassung von Krankentransportunternehmen

Gemäß Art. L 6312 - 2 CSP bedürfen Personen, die Krankentransporte durchführen, einer Genehmigung durch die zuständige Verwaltungsbehörde. Die Voraussetzungen für die Zulassung ergeben sich - wie für die bodengebundenen Transporte im Rahmen der Notfallrettung - aus dem decr. 87 -965. Als Unternehmer im Krankentransportwesen können natürliche oder juristische Personen zugelassen werden, die über das notwendige Personal verfügen, um eine hinreichende Besetzung der Transportfahrzeuge zu garantieren, und die Halter eines Rettungsfahrzeugs, Krankenwagens oder vehicule sanitaire Ziger (VSL, i. e. Fahrzeuge, die für den Transport maximal dreier Personen im Sitzen geeignet sind) sind, Art. 4 decr. N° 87-965. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass das französische Recht ausdrücklich die Zulassung von Transportunternehmern, die Staatsangehörige der Mitgliedstaaten der EU oder des EWR sind, vorsieht. Die näheren Bedingungen des Zulassungsverfahrens werden durch Erlass des Gesundheitsministers festgelegt, vgl. Art. 18 - 1 decr. 87 - 965. 54 Die Zulassung kann sowohl für das Krankentransportwesen als auch für die Teilnahme an der aide medicale urgente beantragt werden. Die interessierten Unternehmer müssen lediglich nachweisen, dass sie die in ihrem Herkunftsland geltenden Ausbildungs- und Qualitätsanforderungen erfüllen. Insbesondere ist es nicht erforderlich, dass sie ihren Wohnsitz nach Frankreich verlegen. Existiert im Herkunftsland kein spezieller Ausbildungsgang für die in der Notfallrettung tätigen Personen, wird ihnen die Teilnahme an entsprechenden Weiterbildungsmaßnahmen in Frankreich ermöglicht. Während der 54 Arrete du 10 janvier 1996 relatif a I'exercice de I'activite d'ambulancier des ressortissants des Etats membres de I' Union europeenne et des autres Etats parties a I' accord sur I' espace economique europeen, JO 23 janvier 1996, p. 1114.

8*

116

2. Teil: Krankentransporte und Rettungswesen in Frankreich

Ausbildungszeit dürfen sie jedoch bereits Krankenfahrten durchführen. Krankentransportunternehmer aus EU und EWR sehen sich damit keinen nennenswerten Schwierigkeiten ausgesetzt, wenn sie ihre Tätigkeit in Frankreich ausüben wollen. Die im Einzelfall notwendigen Ausbildungsmaßnahmen dienen lediglich der Erzielung eines landesweit einheitlichen Qualifikationsstandards für die Beschäftigten im Rettungswesen. Neben der Zulassung des Unternehmens zum Krankentransportwesen ist nach Art. L 6312 - 4 CSP eine Erlaubnis des Präfekten des jeweiligen Departements für das Betreiben der Krankentransportfahrzeuge erforderlich. 55 Diese ist nach Art. L 6312-4, 2e al. CSP zu verweigern, wenn die Zahl der bereits zugelassenen Krankenfahrzeuge - gemessen an den demografischen und geografischen Besonderheiten der betreffenden Region, dem Einsatzaufkommen sowie der Zahl der bereits vorhandenen Transportunternehmen - zur Versorgung der Bevölkerung ausreicht. Weitere Krankentransportunternehmer dürfen mithin nicht zugelassen werden, wenn die in der Planung vorgesehene Höchstzahl von Unternehmen erreicht ist, die entsprechend den Bedürfnissen der Bevölkerung nach Krankentransportleistungen festgelegt wurde. Betreibt ein Transportunternehmer gleichwohl derartige Fahrzeuge, kann ihm die Erlaubnis zur Durchführung von Krankentransporten entzogen werden. Grund für diesen numerus c1ausus war ein extremer Anstieg der Ausgaben für Krankentransporte in den 1980er Jahren, der mit der Beschränkung der Zahl der zugelassenen Fahrzeuge eingedämmt werden sollte. 56 Nach Art. 10 ctecr. 87 - 965 hat der Patient ein Recht auf freie Wahl unter den Transportunternehmen, ohne Diskriminierung zwischen verschiedenen Patientengruppen. 2. Finanzierung der transports sanitaires

Da die transports sanitaires von privaten Unternehmern erbracht werden, sind die Kosten grundsätzlich von der transportierten Person zu tragen. Die Aufwendungen werden jedoch in bestimmten Fällen teilweise von der gesetzlichen Krankenversicherung erstattet. Eine weiterreichende Finanzierung durch die öffentliche Hand erfährt das Krankentransportwesen nicht.

55 Zu den Einzelheiten dieser Erlaubnis vgl. decr. 95 - 1093 du 5 octobre 1995, JO 12 octobre 1995. 56 Cour de Comptes, La securite sociale, p. 377.

B. Fahrkostentragung durch die gesetzliche Krankenversicherung

117

B. Fahrkostentragung durch die gesetzliche Krankenversicherung Fahrkosten sind Bestandteil des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung; sie sind den Mitgliedern der gesetzlichen Krankenkassen in bestimmten, vom Gesetz vorgesehenen Fällen zu gewähren.

I. Grundprinzipien der gesetzlichen Krankenversicherung Frankreichs Die soziale Sicherung in Frankreich wurde durch ordonnance vom 19. Oktober 1945 errichtet. 57 Zuvor boten die im 18. Jahrhundert errichteten caisses d'epargne (Sparkassen) sowie private Versicherungsunternehmen die Möglichkeit, sich durch das Ansparen von Vermögenswerten gegen die finanziellen Folgen sozialer Risiken abzusichern. 58 Diese erwiesen sich jedoch als ungeeignet, einen umfassenden Schutz der gesamten französischen Bevölkerung sicherzustellen, da sie zum einen auf dem Prinzip der Freiwilligkeit sowie der Versicherung des individuellen Risikos beruhten. Sie entsprachen mithin nicht den Grundsätzen einer solidarischen Sicherung; zum anderen erforderten sie den Einsatz bereits vorhandener finanzieller Mittel, so dass gerade die am meisten Bedürftigen nicht von diesen Institutionen profitieren konnten und auf die Unterstützung durch ihre Familien oder karitative Organisationen angewiesen waren. Neben den genannten Organisationen entwickelten sich im Laufe des 19. Jahrhunderts die so genannten Sociites de Secours Mutuels, Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit, die ihren Mitgliedern vorübergehende finanzielle Unterstützung anboten sowie Beerdigungskosten übernahmen, ohne auf die Erwirtschaftung von Gewinnen ausgerichtet zu sein. 59 Mit Gesetzen vom 15. Juli 1850 sowie vom 26. März 1852 wurde erstmals ein rechtlicher Rahmen für die Tätigkeit dieser Vereinigungen geschaffen, der jedoch relativ strenge Kontrollen und Reglementierungen enthielt. So war die Bestimmung des Vorstandes der mutuelles dem Präsidenten der Republik vorbehalten. 6o Mit dem Lai Mutualiste vom 1. April 1898 wurde die Position der Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit gestärkt, indem die strengen Kontrollmechanismen gelockert und die mutuelles insbesondere ermächtigt wurden, ihren Mitgliedern Ruhestandsrenten, Lebens-, Unfall- und Hinterbliebenenversicherungen oder Leistungen im Falle von Arbeitslosigkeit (Geldleistungen, Arbeitsvermittlung und Ausbildung) anzu57 Ordonnance 45 - 2454 fixant les regimes des ass urane es sociales applicable aux ass ures des professions non-agricoles, JO 20 octobre 1945, p. 6722, ergänzt durch decr. 45-6179 du 29 decembre 1945 portant reglement d' administration publique pour I' ordonnance 45 - 2454, 10 30decembre 1945, p. 8707. 58 DorionlGuionnet, La Securite Sociale, p. 5. 59 Laigre et al., Code de la Mutualite, p. 19. 60 DorionI Guionnet, La Securite Sociale, p. 6.

118

2. Teil: Krankentransporte und Rettungswesen in Frankreich

bieten, sowie Krankenhäuser und Apotheken zu errichten. Ungeachtet des daraufhin erfolgenden Aufschwungs der gegenseitigen Hilfe konnten auch die mutuelles nicht zu einer umfassenden solidarischen Sicherung der Bevölkerung beitragen, da auch sie auf dem Prinzip der freiwilligen Mitgliedschaft beruhten. Das Angebot der mutuelles wurde durch die staatliche assistance publique ergänzt. In deren Rahmen waren die Regionen verpflichtet, arbeitsunfähigen Bedürftigen finanzielle Unterstützung, vor allem in Bezug auf die Krankenbehandlung, sowie den Unterhalt von Kindern, Alten und Behinderten zu gewähren. Mit der Errichtung einer Pflichtversicherung für Arbeiter durch Bismarck im Jahre 1881 war in Deutschland die Idee der Sozialversicherungen geboren. Von dieser Initiative inspiriert, wurde in Frankreich durch Gesetz vom 9. April 1898 erstmalig eine obligatorische Versicherung für Arbeitsunfälle geschaffen, die von der grundsätzlichen Verantwortlichkeit des Arbeitgebers für sämtliche mit der für ihn erbrachten Arbeitsleistung im Zusammenhang stehenden Risiken ausging. Erste Ansätze zur Errichtung einer Rentenversicherung für Arbeiter und Bauern in den Jahren 1905 und 1910 blieben wegen zu geringer Beitragssätze und Renten nahezu bedeutungslos; die Gewährung von Familienleistungen hing vom Wohlwollen der Arbeitgeber ab. 1928 wurde erstmals ein Gesetz verabschiedet, welches die Errichtung einer Sozialversicherung nach deutschem Vorbild für die Risiken Krankheit, Mutterschaft, Invalidität, Alter und Hinterbliebenenschaft vorsah. 61 Der Anwendungsbereich war auf Arbeitnehmer beschränkt, deren Lohn unter einer bestimmten Grenze lag. Zudem konnte das System aufgrund der Währungskrise zu Beginn des zweiten Weltkrieges nur eine ungenügende finanzielle Sicherung vorweisen, da die Höhe der ausgezahlten Renten in Abhängigkeit vom Durchschnittslohn ermittelt wurde, welcher zu diesem Zeitpunkt äußerst gering war. Einen weiteren Impuls erhielt die französische Sozialpolitik durch den Beveridge-Report, infolge dessen 1942 in Großbritannien eine universelle Sicherung zugunsten sämtlicher Einwohner in allen Sozialversicherungszweigen sowie auf dem Gebiet der Familienleistungen eingeführt wurde. Daraufhin wurde 1945 in Frankreich unter Federführung von Pierre Laroque, einem Mitglied des Conseil d'Etat, der "Plan de la Securite Sociale" erarbeitet, nach dem der gesamten französischen Bevölkerung die notwendigen finanziellen Mittel zum Lebensunterhalt gewährt werden sollten. 62 Die Leistungen sollten die Risiken der Arbeitslosigkeit, des Familienunterhalts, des Einkommensverlustes infolge von Krankheit, Invalidität, Mutterschaft und Arbeitsunfällen, sowie den Zugang zur medizinischen Behandlung umfassen, um die Arbeitsfähigkeit wiederherzustellen. Dieser Plan fand schließlich Eingang in die bereits erwähnte ordonnance vom 19. Oktober 1945.

61 Loi du 5 avril 1928 sur les assurances sociales, JO 12 avril 1928, p. 4086, geändert und ergänzt durch loi du 30 avri11930, 10 30 avril 1930, p. 4819. 62 Dorion/Guionnet. La Securite Sociale, p. 10.

B. Fahrkostentragung durch die gesetzliche Krankenversicherung

119

1. Geschützter Personenkreis

Die gesetzliche Krankenversicherung Frankreichs ist vom Versicherungsgrundsatz geprägt und knüpft, ähnlich dem deutschen System, an die Arbeitnehmereigenschaft des Versicherten (regime general) an. Daneben bestehen zahlreiche Sondersysteme, so das regime agricole für die Angehörigen landwirtschaftlicher Berufe, die regimes speciaux für bestimmte Berufsgruppen, wie z. B. Arbeitnehmer der staatlichen Eisenbahnen (SNCF), Bergleute oder Beamte. Der Umfang des Versicherungsschutzes in den regimes speciaux variiert je nach System. Letztlich sind die regimes autonomes oder regimes des professions non salaries non agricoles zu erwähnen, welche sich in das System für Beschäftigte in Industrie und Handel, für Künstler sowie die freien Berufe untergliedern. Ein Wahlrecht der Versicherten unter den verschiedenen Krankenkassen besteht nicht. Gemäß Art. R 312 - 1 CSS richtet sich die Mitgliedschaft in einer CPAM vielmehr strikt nach dem Wohnsitz der versicherungspflichtigen Person. Die dem Versicherten zustehenden Ansprüche erstrecken sich im Rahmen der Familienversicherung auf die ayants droit. Darunter werden alle Personen verstanden, die als Paar, i. e. Ehegatten, Partner im Rahmen eines PACS 63 , oder als nichteheliche Lebenspartner mit einem Versicherten zusammenleben - sofern sie tatsächlich von diesem unterhalten werden. Ferner sind unterhaltsberechtigte Kinder sowie unter bestimmten Voraussetzungen auch weitere Familienmitglieder als ayants droit zu qualifizieren. 64 Der Versicherte eröffnet seinen ayants droit einen eigenen Anspruch auf die betreffenden Sozialleistungen. 65 Ehegatten sind unter der Voraussetzung anspruchsberechtigt, dass sie nicht selbst sozialversichert sind und keine Erwerbstätigkeit ausüben, die eine Pflichtversicherung auslösen würde, Art. L 313 - 3 CSS. Erfüllt der versicherte Ehegatte die Anspruchsvoraussetzungen des Systems, in dem er selbst versichert ist, nicht, wird er nicht als Anspruchsberechtigter aus eigenem Recht betrachtet, und es werden ihm Leistungen als ayant droit aus der Versicherung des Ehepartners gewährt. 66 Unter den in Art. L 313 - 3, R 313 - 12 ff. CSS genannten Voraussetzungen 67 sind die nicht erwerbstätigen Kinder des Versicherten bzw. seines Ehegatten von der Familienversicherung umfasst. Dies gilt gleichermaßen für eheliche, nicht eheliche, Adoptiv- oder vom Versicherten betreute Waisenkinder. Sind beide Elternteile versichert, können 63 PACS: pacte civil de solidarite, eine Art "eingetragene Partnerschaft" von Personen verschiedenen oder gleichen Geschlechts, die als Paar zusammenleben und deren Partnerschaft nach allgemein verbreiteten Maßstäben als stabil und beständig anzusehen ist, vgl. Loi N° 99-944 du 15 novembre 1999,10 16 novembre 1999, Art. 515 -8 C.Civ. 64 Sarrut I Moricaud-Sarrut I Vaillaut, Dictionnaire Permanent Social, Volume 2, p. 3376. 65 Sarrutl Moricaud-SarrutIVaillaut, Dictionnaire Permanent Social, Volume 2, p. 3376. 66 SarrutIMoricaud-SarrutIVaillaut, Dictionnaire Permanent Social, Volume 2, p. 3377. 67 Grundsätzlich liegt die Altersgrenze bei 16 Jahren. Befindet sich das Kind in der Berufsausbildung liegt sie bei 18 bzw. im Falle höherer Bildung bei 20 Jahren. Behinderte oder chronisch kranke arbeitsunfähige Kinder sind bis zum 20. Lebensjahr familienversichert.

120

2. Teil: Krankentransporte und Rettungswesen in Frankreich

sie bestimmen, von welchem der Versicherungssysteme die Kinder erfasst werden sollen. Andere Familienmitglieder, namentlich Enkelkinder, Eltern und Großeltern sowie Verwandte bis zum dritten Grad, können Leistungen im Rahmen der Familienversicherung in Anspruch nehmen, wenn sie mit dem Versicherten zusammenleben, den Haushalt führen und mindestens zwei Kinder unter 14 Jahren erziehen, Art. L 313 - 3, R 313 -13 CSS. Die Familienversicherung gilt für diese Personen auch dann, wenn sie aus medizinischen Gründen die genannten Voraussetzungen nicht erfüllen können. Im Jahre 1995 sollte die gesetzliche Krankenversicherung grundlegend reformiert werden. Der "Plan luppe" - benannt nach dem damaligen Premierminister Frankreichs - sah ursprünglich die Einführung einer allgemeinen, steuerfinanzierten Krankenversicherung vor. 68 Diese Absicht scheiterte jedoch daran, dass sich einige Interessengruppen nur ungenügend in die Beratungen einbezogen fühlten. Im Ergebnis wurde die berufsbezogene und gruppenspezifische Sicherung lediglich um den universellen Krankenversicherungsschutz (Couverture Maladie Universelle, CMU69 ) ergänzt. Mit der Einführung der CMU sollte allen in Frankreich lebenden Personen ein umfassender Schutz im Falle einer Krankheit und die Abdeckung der durch Krankheit entstehenden Kosten garantiert werden. In der CMU sind alle Personen ab 16 Jahren, die bislang in keines der hergebrachten Krankenversicherungssysteme einbezogen sind, im regime general pflichtversichert, sofern sie sich regelmäßig und rechtmäßig in Frankreich aufhalten. Dies betrifft vor allem die Personen, die auf die an die Sozialhilfe angegliederte aide medicale angewiesen sind. Die CMU wird über streng einkommensabhängige Beiträge der Versicherten finanziert, sofern das Einkommen über einer bestimmten Grenze liegt. Gleichwohl ist die Gewährung von Sachleistungen weder an Mindestbeitragszahlungen noch an die Erfüllung Wartefristen gebunden. 7o Sollten Versicherte schuldhaft keine Sozialversicherungsbeiträge leisten, werden Ansprüche auf Naturalleistungen der Krankenversicherung ausgesetzt. 71 Daneben besteht eine beitragsfreie Zusatzversicherung (couverture complementaire) zur Übernahme des SeIbstbehalts und von Teilen der Zuzahlungen, insbesondere für Zahnersatz oder andere individuell angepasste Hilfsmittel wie z. B. Brillen. Diese Regelung soll verhindern, dass Personen, die über ein geringes Einkommen verfügen und nicht durch einen Zusatzversicherer gesichert sind, aufgrund des Eigenanteils von der Inanspruchnahme medizinischer Leistungen absehen. Die entsprechenden Leistungen können sowohl von einer caisse primaire d'assurance maladie (CPAM) als auch bei einer mutuelle oder Privatversicherung verlangt werden. Diese dürfen die in Rede stehende Kostenübernahme nicht verweigern, sofern sie eine entsprechende Erklärung abgeKaufmann, SozSich 1999,363 (364). Loi N° 99-641 du 27 juillet 1999 portant creation d'une couverture maladie universelle, 10 No 172 du 28 juillet 1999. 70 Kaufmann, SozSich 1999,363 (365). 71 Sarrutl Moricaud-SarrutIVaillaut, Dictionnaire Permanent Social, Volume 2, p. 3374. 68

69

B. Fahrkostentragung durch die gesetzliche Krankenversicherung

121

geben haben. 72 Die Finanzierung erfolgt durch Beiträge der Zusatzversicherer und durch Staatszuschüsse, die in einen speziellen Fonds eingezahlt werden. Das Gesetz zur Errichtung der CMU wurde teilweise als verfassungswidrig betrachtet. Unter anderem wurde geltend gemacht, die Einkommensgrenze für eine beitragsfreie Absicherung durch die CMU verstoße gegen das Recht auf gleichen Zugang zu den Leistungen der Krankenversicherung, da ihr Betrag unterhalb der Armutsgrenze liege. Zudem wurde das Gesetz als der institutionellen Struktur und der Finanzierung der sozialen Sicherung zuwiderlaufend erachtet. 73

2. Organisation des regime general

Die Krankenversicherung des regime general umfasst die Risiken von Krankheit, Mutterschaft, Invalidität und Hinterbliebenenschaft. 74 Sie wird auf drei verschiedenen Ebenen verwaltet: vor Ort durch die caisses primaires d'assurance maladie (CPAM), auf regionaler Ebene durch die caisses regionales d'assurance maladie (CRAM) sowie auf nationaler Ebene durch die caisse nationale d'assurance maladie des travailleurs salaries (CNAMTS). Den Krankenkassen steht prinzipiell weit reichende Autonomie zu; sie stehen jedoch unter der Aufsicht des für die soziale Sicherung zuständigen Ministers. Die CNAMTS ist gemäß Art. L 221-2 CSS eine nationale Einrichtung der öffentlichen Verwaltung; sie ist eine juristische Person mit finanzieller Autonomie und steht unter direkter staatlicher Kontrolle. Zu ihrem in Art. L 221-1 CSS definierten Aufgabenkreis zählt die Finanzplanung auf nationaler Ebene sowie das Bemühen um die Aufrechterhaltung des finanziellen Gleichgewichts der Krankenversicherung, die Förderung von Aufklärungs- und Präventionsmaßnahmen bei Krankheiten und Arbeitsunfällen, die Koordinierung der action sanitaire et sociale der CRAM, ferner der controle medicale. Die CNAMTS verhandelt darüber hinaus den Abschluss der Konventionen mit den Leistungserbringern nach Art. L 162 - 6 CSS und teilt den CPAM die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Mittel zu. Den CRAM fallen vor allem koordinierende Aufgaben zu, welche die Interessen der CPAM in ihrem Zuständigkeitsbereich berühren, Art. L 215 - 1 CSS, so im Bereich der Verhinderung von Arbeitsunfällen oder der action sanitaire et sociale. Daneben sind die CRAM an der Berechnung der dotation globale für die öffentlichen Krankenhäuser beteiligt. 75 72 Kaufmann, SozSich 1999,363 (366); Mercier; Bulletin d'actualite (LAMY) N° 131 du Mai 1999, p. I. 73 Dazu eingehender Delalande, Bulletin d'actualite (LAMY) W 134 du Septernbre 1999, p.1. 74 Lefebvre, Docurnentation Pratique, A I 420. 75 Lefebvre, Docurnentation Pratique, A I 480.

122

2. Teil: Krankentransporte und Rettungswesen in Frankreich

Auf lokaler Ebene sind schließlich die CPAM für die Sicherstellung der Leistungsgewährung zuständig; dabei sind die Leistungen im Falle von Krankheit, Mutterschaft, Invalidität und Tod und solche im Falle von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten getrennt zu verwalten. Entsprechend Art. L 211-2 CSS fallen insbesondere die Aufnahme der Sozialversicherten, die Gewährung konkreter Leistungen sowie der Abschluss von Verträgen mit den Leistungserbringern in die Zuständigkeit der CPAM. Sowohl die CRAM als auch die CPAM sind juristische Personen des Privatrechts, die jedoch mit der Wahrnehmung einer öffentlichen Aufgabe betraut sind. Aus diesem Rechtscharakter folgen umfassende Kontrollbefugnisse des Staates, die insbesondere die finanziellen Auswirkungen der Erfüllung der Aufgaben der Kassen betrifft. 76 3. Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung

Die französische Krankenversicherung gewährt dem Versicherten und den ayants droit Naturalleistungen (prestations en nature) zur Behandlung von Krankheiten, sowie bestimmte Vorsorgeuntersuchungen und Impfungen. Daneben werden Geldleistungen gewährt, die vor allem den aufgrund einer vorübergehenden Arbeitsunfähigkeit entgangenen Lohn abdecken sollen, Art. L 321 CSS. a) Anspruchsvoraussetzungen

Ein Anspruch auf die Natural- oder Geldleistungen der Krankenversicherung besteht, wenn der Versicherte in der gesetzlich festgelegten Referenzperiode eine bestimmte Zahl von Arbeitsstunden erbracht oder bestimmte Mindestbeiträge geleistet hat, Art. L 313 -1, R 313 -1 CSS. Verliert eine Person ihre Versicherteneigenschaft, so besteht der Anspruch auf Geldleistungen für weitere 12 Monate und der Anspruch auf Naturalleistungen für weitere 4 Jahre fort, Art. L-161- 8, R 161-3 bis 5 CSS. Voraussetzung für den Leistungsanspruch ist das Bestehen eines pathologischen Zustands, der infolge einer Krankheit oder eines Unfalls eingetreten ist. Ausgenommen sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten, Militärschäden und andere spezialgesetzlich geregelte Fälle sowie nicht der Behandlung einer Krankheit dienende medizinische Untersuchungen. 77 Fügt sich der Versicherte absichtlich Verletzungen zu, sind Ansprüche auf Geldleistungen aus der Krankenversicherung ausgeschlossen; unter bestimmten Voraussetzungen werden auch Selbstmordversuche als willentlich zugefügte Verletzungen angesehen. Wurde die Erkrankung 76 77

Lefebvre, Documentation Pratique, A I 14000, 14060. Sarrut/Moricaud-Sarrut/Vaillaut, Dictionnaire Permanent Social, Volume 2, p. 3379.

B. Fahrkostentragung durch die gesetzliche Krankenversicherung

123

durch einen Dritten verursacht, gewährt die Krankenkasse ihren Versicherten sämtliche Leistungen, sie hat jedoch einen Rückgriffsanspruch gegen den Schädiger, Art. L 376-1 CSS.

b) Kostenerstattungsprinzip und Selbstbehalt des Versicherten Die Behandlungsleistungen werden nach dem Kostenerstattungsprinzip gewährt. Der Versicherte beschafft sich die erforderlichen Leistungen selbst, rechnet diese also direkt mit dem Leistungserbringer ab - der Versicherte hat ein Recht auf freie Arztwahl, Art. L 162-2 CSS - und lässt sich die Kosten gegen Vorlage eines entsprechenden Nachweises von der Krankenkasse erstatten. Dem Versicherten verbleibt gemäß Art. L 322 - 2 CSS grundsätzlich ein Selbstbehalt (ticket modirateur), dessen Höhe in Art. R 322-1 CSS festgelegt ist. Dieser kann indes durch eine Zusatzsicherung bei einer mutuelle oder einer privaten Krankenversicherung vermindert werden. 78 Zudem kann die Selbstbeteiligung des Versicherten gemäß Art. L 322-3 CSS vermindert oder aufgehoben werden, wenn dies angesichts der Natur der gewährten Leistung oder der besonderen persönlichen Situation des Versicherten bzw. der ayants droits angemessen erscheint. Die einzelnen Fallgruppen sind in Art. L 322 - 3 CSS enumeriert, darunter fallen u. a. langfristige Krankenhausaufenthalte, bestimmte Hilfsmittel oder kostenintensive längerfristige Behandlungen. Gemäß Art. R 322-9 CSS werden die Kosten für die Behandlung Schwangerer oder Gebärender zu 100% erstattet. Die näheren Bedingungen für die Minderung oder Aufhebung des ticket modirateur werden durch decret vom Conseil d'Etat festgelegt. Zudem sieht Art. R 322-5 CSS eine Ausnahme vom Eigenanteil für die Behandlung langwieriger Erkrankungen vor, die in Art. D 322 - 1 CSS aufgelistet sind. Die Entscheidung darüber, wie lange der Versicherte von der Leistung des Eigenanteils ausgenommen ist, trifft die Krankenkasse nach einer Empfehlung des controle medical. Leidet der Versicherte an einer Krankheit, die nicht in Art. D 322 - 1 CSS enumeriert ist, kann die CPAM gleichwohl von der Leistung des ticket modirateur absehen, wenn die Behandlung über sechs Monate andauert und dem Versicherten nach Konsultation des controle medical bestätigt wurde, dass seine Erkrankung mit einer der in Art. D 322-1 CSS genannten vergleichbar ist. Die Befreiung vom Selbstbehalt ist in diesen Fällen für maximal 24 Monate möglich?9 Letztlich kann der ticket modirateur im Rahmen der action sociale als ergänzende Leistung (prestations supplementaires) von der 78 Die Mitgliedschaft in einer mutuelle ist freilwillig, zuweilen wird sie jedoch auf betrieblicher Ebene durch Kollektivvereinbarung für alle Arbeitnehmer eines Unternehmens obligatorisch. Die Funktionsweise der Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit beruht auf dem Grundsatz der Solidarität, gegenseitiger Hilfe und Gleichbehandlung, d. h. den mutuelles ist es insbesondere verwehrt, ihre Versicherten in Bezug auf die Beitragshöhe oder den Leistungsumfang unterschiedlich zu behandeln, sofern dies nicht aufgrund der individuellen Risikowahrscheinlichkeit gerechtfertigt ist, Laigre et al., Code de la Mutualite, p. 22 et s. 79 Raux/Serizay, LAMY Protection Sociale, 2000, p. 752.

124

2. Teil: Krankentransporte und Rettungswesen in Frankreich

Krankenkasse übernommen werden, wenn die finanziellen Mittel des Versicherten nicht ausreichen.

11. Historische Entwicklung der Fahrkostenübernahme Durch die ordonnance vom 19. Oktober 1945 wurde in Frankreich erstmals eine einheitliche soziale Sicherung etabliert. Davor richtete sich die Übernahme von Fahrkosten zunächst nach den individuell mit den mutuelles oder anderen Versicherern getroffenen Vereinbarungen. 8o Auch im loi sur les assurances sociales vom 5. April 1928 81 wurden keine Regelungen zur Übernahme von Fahrkosten durch die obligatorische Krankenversicherung getroffen. Der Leistungskatalog war vielmehr auf die Erstattung der Kosten für die ärztliche Behandlung, pharmazeutische Produkte und medizinische Apparate, Krankenhaus- und Kuraufenthalte, sowie Operationen beschränkt (Art. 4 - 1), wobei sich die Einzelheiten der Kostenübernahme - insbesondere die Gewährung von Sachleistungen oder das Verfahren nach dem Kostenerstattungsprinzip sowie die Höhe des Eigenanteils des Versicherten - nach den Verträgen mit den jeweiligen Leistungserbringern richten sollte, Art. 4-5. Mit Gesetz vom 30. April 193082 wurden die bestehenden Regelungen zur Sozialversicherung ergänzt, teilweise auch modifiziert. Nunmehr waren den Versicherten gemäß Art. 4 - 1 neben den bereits vorgesehenen Aufwendungen auch die Fahrkosten zu gewähren; der Versicherte sollte mit 20% an den Kosten beteiligt werden, Art. 4 - 5. Ob die Kasse diese Kosten vorschießt oder erstattet, sollte wiederum Gegenstand der mit den Verbänden der Leistungserbringer abzuschließenden Verträge sein, Art. 4-4. Die Regelung, dass den Versicherten Fahrkosten unter Eigenbeteiligung in Höhe von 20% zu erstatten seien, fand schließlich in Art. 22, al. a), 24, 25 ordonnance vom 19. 10. 1945 83 Aufnahme. Jedoch erfolgte wiederum keine Präzisierung der Bedingungen und Modalitäten der Fahrkostenerstattung; entsprechende Regelungen wurden erst durch Erlass vom 2. September 1955 84 getroffen. Nach dessen Art. I stand den Versicherten und ihren ayants droit, die ihren Wohnhort oder den Ort ihrer Beschäftigung verlassen mussten, um sich bestimmten Untersuchungen 80 Aufgrund der Vielzahl der damals bestehenden Systeme sind nähere Angaben hierzu nicht möglich. 81 10 12 avri11928. 82 Loi modifiant et completant la loi du 25 avril 1928 sur les assurances sociales, JO 1er mai 1930. 83 Ergänzt durch decret 45 - 6179 du 29 decembre 1945 portant reglement d' administration publique pourl'application de l'ordonnance du 19 octobre 1945, JO 30 decembre 1945. 84 Arrete du 2 Septembre 1955 relatif au remboursement des frais de transport exposes par les assures sociaux, JO 14 Septembre 1955, p. 1954; dazu im einzelnen: Harichaux, RDSS 1985, 229 et s.

B. Fahrkostentragung dureh die gesetzliche Krankenversicherung

125

oder Behandlungen zu unterziehen, in folgenden Fällen ein Anspruch auf Erstattung Fahrkosten ZU: 85 - Transporte in eine Pflege- oder Behandlungseinrichtung, wenn die Einweisung in diese zuvor ärztlich verordnet wurde und die stationäre Behandlung von der Sozialversicherung zu tragen war (l0) - Fahrten zu einer vorher verschriebenen Behandlung (2°) - Fahrten, die zur Anpassung von Prothesen und Hilfsmitteln notwendig wurden (30)

- Fahrten zu Rehabilitationseinrichtungen (4°) - Fahrten zu Untersuchungen durch den controle medicale, die nach den Regelungen der Sozialversicherung vorgeschrieben waren (5°) - Fahrten von Empfängern einer Alters- und Invalidenrente zu medizinischen Kontrollen, welche die Begutachtung des Gesundheitszustandes im Hinblick auf diese Rente zum Zwecke hatten (6°,7°) Die Kostenerstattung umfasste auch den Rücktransport des Versicherten an seinen Wohn- oder Arbeitsort, Art. 2, einen der Höhe nach vom Verwaltungsrat der Krankenkassen zu bestimmenden Satz für Zehr- und Hotelkosten, Art. 3, sowie einen Ausgleich für entgangenen Lohn, sofern die Fahrt des Versicherten mit einer Unterbrechung seiner Arbeit einherging, Art. 7. Mit dem loi 86 - 11, welches die bereits erwähnte Reform des Rettungswesens mit sich brachte, wurden auch die Regelungen zur Fahrkostenübernahme im CSS geändert. Namentlich entfiel das Erfordernis, dass der Versicherte seinen Wohnoder Arbeitsort verlassen musste, um einen Erstattungsanspruch bezüglich seiner Fahrkosten zu erhalten. Der Erlass vom 2. September 1955 wurde schließlich durch das decr. 88 - 678 86 ersetzt, welches als Art. R 322 - 10 bis R 322 - 11 Eingang in den CSS fand. Diese Gesetzesänderung brachte einige Einschränkungen der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen mit sich: unter anderem war die Erstattung der Zehrkosten nicht mehr vorgesehen, da die Fortentwicklung der Transportmittel kürzere Transportzeiten ermöglichte. 87 Des Weiteren war in der Neuregelung der Ausgleich für entgangenen Lohn nicht mehr enthalten, nachdem der Conseil d'Etat entschieden hatte, dass diese Kosten keine Fahrkosten im eigentlichen Sinne darstellten. Insofern ersetzt dieses decret den Erlass vom 85 Vgl. auch die dazu ergangene Rechtsprechung: cass. civ. 16 mars 1964, Bull. Civ. 11 n° 250, cass. eiv. 23 avril 1964, Bull. Civ. 11 n° 326. 86 Decret 88 - 678 du 6 mai 1988 relatif au remboursement des frais de transport exposes par les assures soeiaux et modifiant notamment le Code de la Securite Sociale, 10 8 mai 1988. 87 Cire. CNAMTS n° 2285/88 du 27 decembre 1988; Im Übrigen wurde das Ermessen der Krankenkassen, im Einzelfall eine Kostenerstattung zu gewähren, selbst wenn keine der enumerierten Fallgruppen vorlag, beschränkt, vgl. dazu note sur cass. soe. 3 decembre 1986, D. 1987 somm 161.

126

2. Teil: Krankentransporte und Rettungswesen in Frankreich

2. September 1955 nicht vollständig. Dessen Art. 7 bleibt daher in Kraft, jedoch nur betreffend den entgangenen Lohn des Versicherten, nicht hingegen seiner Begleitperson. 88

III. Übernahme von Fahrkosten durch die gesetzliche Krankenversicherung Gemäß Art. L 321-1, 2° CSS werden Fahrkosten, die einem Versicherten oder dessen ayants droit an lässlich medizinischer Untersuchungen, der Inanspruchnahme von Behandlungsleistungen sowie im Rahmen von gesetzlich angeordneten Gesundheitskontrollen entstehen, von der gesetzlichen Krankenversicherung getragen. Es werden jedoch nur die Kosten erstattet, die gemessen an der Entfernung am geringsten sind. Ferner muss das preiswerteste Transportmittel gewählt werden, das mit dem Gesundheitszustand des Versicherten vereinbar ist, Art. L 322 - 5 CSS. 1. Abgrenzung der zu übernehmenden Fahrkosten je nach Leistungserbringer Nicht alle Kosten, die im Zusammenhang mit Krankentransporten und Rettungsfahrten entstehen, werden den Versicherten durch die gesetzliche Krankenversicherung erstattet. Die einzelnen Fallgruppen sind im CSS abschließend enumeriert; jedoch ist auch in Bezug auf den Kontext des Transports zu differenzieren. Sind die transports sanitaires im CSP als Transporte von Kranken, Verletzten oder Gebärenden in einem bodengebundenen, Luft- oder Wasserrettungsmittel definiert, fallen unter die nach dem CSS erstattungsfähigen Krankentransportkosten nur solche, die mit bodengebundenen Fahrzeugen erbracht werden, sowie die Kosten der transports non-sanitaires. Der CSS schweigt zur Übernahme der Kosten für Fahrten, die von den SAMU und den Feuerwehren durchgeführt werden. a) Kosten der aide medicale urgente Im Rahmen des Art. R 322 - 10, 1° CSS ist strikt zwischen Transporten, die von den SMUR im Rahmen der aide medicale urgente durchgeführt wurden und sonstigen Patientenbeförderungen zu differenzieren. Erstere fallen grundsätzlich nicht in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung, sondern werden aufgrund ihrer organisatorischen Eingliederung in den Krankenhausbetrieb durch die dotation globale des betreffenden Krankenhauses umfasst. Nach Auffassung der Rechtsprechung dürfen die SMUR nur in den Fällen eingesetzt werden, in denen das Leben der zu transportierenden Person unmittelbar 88

Circ. CNAMTS n° 2239/88 du 17 juillet 1988, nD 2285/88 du 27 decembre 1988.

B. Fahrkostentragung durch die gesetzliche Krankenversicherung

127

gefahrdet ist. 89 Die Kosten von Transporten mit den SMUR können jedoch in keinem Fall zu Lasten des Versicherten gehen, auch wenn sich nachträglich ergibt, dass deren Einsatz gemessen am Gesundheitszustand des Transportierten nicht notwendig war, insbesondere also ein "leichteres" Transportmittel hätte eingesetzt werden können. 9o Der maßgebliche Beurteilungszeitpunkt liegt bei Beginn des Transports: die Rettungsmittel der SMUR dürfen also eingesetzt werden, wenn sich die Situation der zu transportierenden Person objektiv und apriori als lebensgefährlich darstellt. Werden Fahrten der aide mMicale urgente von einem Privatunternehmen durchgeführt, dass aufgrund eines Vertrages am Rettungsdienst eines Krankenhauses teilnimmt, sind die Kosten gemäß Art. 15 circ. 98 - 483 als prestation en nature von der Krankenkasse zu übernehmen. Dies gilt jedoch nur für die transports nonmMicalises, also Fahrten, bei denen keine medizinische Behandlung erfolgt. Wird diese während des Transports notwendig, fallen die Kosten dem Krankenhaus zu, dessen SMUR die Behandlungsleistung hätte erbringen müssen, Art. 15 circ. 98-483. b) Kosten der Luftrettung

Die nach dem CSS zu übernehmenden Fahrkosten beschränken sich auf bodengebundene Transporte im Krankenwagen oder VSL (transports sanitaires terrestres), sowie auf transports non-sanitaires, also Fahrten in nicht unmittelbar für den Krankentransport eingerichteten, gleichwohl für die Fahrt zum Behandlungsort geeigneten Fahrzeugen. Hierzu zählen private PKW, Taxis und öffentliche Verkehrsmittel, einschließlich Linienflugzeuge oder -boote. 91 Die Kosten der Luftrettung fallen grundsätzlich nicht in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung. Sie können im Einzelfall gleichwohl Gegenstand des Kostenerstattungsanspruchs des Versicherten werden, jedoch ist in diesem Zusammenhang strikt zwischen Primär- und Sekundärtransporten zu differenzieren. Erstere umfassen den Transport eines Kranken oder Verunglückten vom Einsatzort in die nächstgelegene Behandlungseinrichtung und sind vom Staat zu finanzieren, da sie in den Zuständigkeitsbereich der protection civile bzw. der gendannerie fallen. 92 Die Kosten von Verlegungstransporten durch Rettungshubschrauber, die "sekundäre Luftrettung", sind entsprechend der unter Geltung des decr. 73 - 384 herrschenden Verwaltungspraxis erstattungsfähig. 93 Danach kann 89 Relevant ist insoweit die objektive Beurteilung des Gesundheitszustands zum Zeitpunkt des Transports, d. h. eine nachträgliche Überprüfung scheidet aus, cass. soc. 13 decembre 1990, pourvoi n° 88-17.443. 90 Cass. soc. 19 decembre 1990, Bull. Civ. V n° 672, cass. soc. 13 decembre 1990, D. 1991, somm. 339. 91 Katz/Vial, LAMYprotection sociale 2001, n° 1496. 92 Rep. min., Doc. AN n° 62787 du septembre 1985, p. 4221; Katz/Vial, LAMY Protection Sociale 2001, n° 1496; Lefebvre, Documentation Pratique, D I 21230.

128

2. Teil: Krankentransporte und Rettungswesen in Frankreich

die Krankenkasse die Kosten eines Lufttransports übernehmen, wenn der Transport - nach Einschätzung des controle medicale - in einem anderen Fahrzeug zu lang dauerte, aufgrund geografischer Bedingungen nicht stattfinden konnte oder den Gesundheitszustand des Transportieren gefährdet hätte oder wenn sich der Lufttransport im Vergleich zu einem dem Gesundheitszustand angemessenen Bodentransport als kostengünstiger erweist. 94 Werden sekundäre Lufttransporte auf Anforderung eines SAMU durchgeführt, sind diese durch die dotation globale der Einrichtung zu finanzieren, an welche diese angegliedert sind. 95 Erfolgt der Sekundärtransport außerhalb eines SAMU, kann ausnahmsweise eine Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung erfolgen, falls der Gesundheitszustand des Versicherten einen solchen Transport erfordert. Der zu erstattende Betrag ist auf denjenigen beschränkt, der bei Benutzung eines Krankenwagens eines zugelassenen Privatunternehmens angefallen wäre. 96 Da die Verwaltungspraxis zur Übernahme von Luftrettungskosten indes lediglich auf den - nur intern wirksamen - circulaires und {eUres ministerielles beruht und insbesondere der CSS keine einschlägigen Regelungen enthält, liegt hier eine reine Ermessensentscheidung der Kassen vor. Das heißt, dass dem Versicherten kein Rechtsanspruch auf Erstattung dieser Kosten zusteht. 97 Die Kosten eines transport non-sanitaire in einem Linienflugzeug können nur unter der Voraussetzung erstattet werden, dass die Nutzung eines Flugzeuges die in Bezug auf den Gesundheitszustand des Versicherten einzig angemessene Art des Transports ist. Jedenfalls ist vor einem transport non-sanitaire entsprechend Art. L 322-10 CSS die vorherige Zustimmung der Krankenkasse einzuholen, sofern die Strecke 150 km überschreitet oder sofern mehrere Transporte aufeinander folgen.

c) Kosten derevacuatiuons sanitaires durch die Feuerwehren

Die Sevices Departementaux d'lncendie et de Secours (SDIS), die auf departernentaler Ebene für die Vorbeugung und Bekämpfung von Bränden zuständig sind - es handelt sich dabei entsprechend den Vorkehrungen des loi 96 - 396 um Einrichtungen des öffentlichen Rechts - stehen in direkter Konkurrenz zu den SAMU und den sonstigen mit der Rettung befassten Institutionen, was in der Praxis zu vielfältigen Problemen geführt hat. 93 Decret 73 - 384 du 27 mars 1973, JO I er avril 1973, teilweise außer Kraft gesetzt durch decret 87 - 965 du 30 septembre 1987 relatif aI' agrement des transports sanitaires terrestres; eine Neuregelung der Zulassung von Krankentransportunternehmen, die auf dem Luftweg agieren, ist bislang nicht erfolgt. 94 Lettre min. du 13 aofit 1980, BI UCANSS n° 41- 1980; Katzl Vial, LAMY protection sociale 200 1, n° 1496. 95 Lefebvre, Documentation Pratique, D I 21240. 96 KatziVial, LAMYprotection sociale 2001, n° 1496. 97 cass. soc. 12 mars 1992, pourvoi n° 89-19.116.

B. Fahrkostentragung durch die gesetzliche Krankenversicherung

129

So war bezüglich der von der Feuerwehr im Rahmen ihrer hergebrachten Aufgabenfelder98 durchgeführten Rettungsfahrten lange Zeit umstritten, in welchen Fällen die entstehenden Kosten von der Krankenversicherung zu tragen sind. Hintergrund der Auseinandersetzung waren die Vorkehrungen des Kommunalrechts: gemäß Art. L 131-1, L 131-2,1°,6° C.Com. sind die Brandbekämpfung und die Sicherung des Straßenverkehrs der police municipale unter Autorität des Bürgermeisters zugewiesen. Als Aufgabe des service publique ist diese entsprechend Art. L 221-2, 7° C.Com. von den Gemeinden zu finanzieren, so dass sich in der Konsequenz eine Beteiligung des Transportierten an den entstandenen Kosten aufgrund des Prinzips der Kostenfreiheit des service publique verbietet. 99 Dieser Auffassung hat sich der Conseil d'Etat in der Rechtssache Lemarquand 100 angeschlossen: die Durchführung von Krankentransporten falle nicht in das Aufgabenfeld der Feuerwehr. Transportieren die Feuerwehren Verletzte in ein Krankenhaus, handele es sich daher schon begrifflich nicht um einen Krankentransport im Sinne des CSP. Die SDIS intervenierten vorwiegend in Notfällen, unter Einsatz spezifischer Rettungsmittel, die auf die Brandbekämpfung oder die Bergung bei Unfällen im Straßenverkehr ausgerichtet sind. Krankentransporte seien demgegenüber nicht als Rettungsmaßnahme einzuordnen, sondern als bloße Beförderung eines Kranken oder Verletzten unter medizinischer Aufsicht. 101 Wird im Anschluss an einen Feuerwehreinsatz eine verletzte Person in eine Behandlungseinrichtung transportiert, so handele es sich um die Fortsetzung der gewöhnlichen Aufgaben der Feuerwehr. 102 Der Erlass vom 29. Januar 1979 sollte lediglich klarstellen, dass es den Feuerwehren nicht verwehrt ist, Krankentransporte durchzuführen, die sich im Rahmen der ihnen zugewiesenen Aufgaben als unerlässlich erweisen. Überdies wäre es lebensfremd, von den SDIS zu verlangen, gerettete Opfer am Unglücksort zurückzulassen, wo sie auf das Eintreffen eines privaten Krankentransportunternehmens warten sollten. 103 98 Art. L 1424 - 2 Code general des Collectivites Territoriales: "prevention, ... protection et ... lutte contre les incendies" (loi 96-369 du 3 mai 1996,10 4 mai 1996); decr. 97 -1225 du 26 decembre 1997,1028 decembre 1997: "service de sante et de secours medical et des services operationeis, administratifs ou techniques ... " (Art. 1er). 99 ChenilletlPretot, ROSS 1983,657 (681). 100 C.E. 3 octobre 1980 (Lemarquand et Ecole d'ambulanciers de ['ordre de Malte), Rec. Leb. 1980, 356; Gegenstand des der Entscheidung zugrunde liegenden Rechtsstreites war die Frage, ob die Ausbildung von Feuerwehrleuten, die Krankentransporte durchführen, den Anforderungen an die Ausbildung privater Krankentransportunternehmen genügen muss. Oer Kläger hatte den arrete vom 29. Januar 1979 als mit Art. L 51-3 CSP in der Fassung des loi 70-615 unvereinbar angesehen, welcher bestimmte, dass die Rechte und Pflichten des Art. L 51 - I CSP auch auf services publics anwendbar seien, wenn sie Krankentransporte durchführen. In dem in Rede stehenden arrete wurden gleichwohl abweichende Regelungen zugunsten der SOlS getroffen; zur Begründung wurde angeführt, die von den Feuerwehren erbrachten Transportleistungen fielen aufgrund ihrer Regelung im C.Com. nicht in den Geltungsbereich des CSP. 101 MassotlPretot, ROSS 1981,43 (51). 102 c.E. 3 octobre 1980, Rec. Leb. 1980, 356, so auch cass. soc. 5 janvier 1983, O. 1983, jur. 371, note Pretot, C.E. 5 decembre 1984, AJOA 1985, 104 (105 et s.). 103 Massot I Pritot, ROSS 1981, 43 (46).

9 Abig

130

2. Teil: Krankentransporte und Rettungswesen in Frankreich

Aus der Regelung des Art. L 6312-1, al. 2 CSP, wonach die Beförderung von Kranken im Rahmen militärischer Einsätze keine transports sanitaires im Sinne des CSP darstellen, könnte zwar ebenso gut gefolgert werden, die Regelungen seien auf sämtliche von anderen öffentlichen Transporteuren - mithin auch von Feuerwehren - erbrachten Transporte anwendbar. 104 Diese Auffassung ist jedoch vor dem Hintergrund der Gesetzesbegründung abzulehnen. Denn in den Verhandlungen ist deutlich der Wille des Gesetzgebers zum Ausdruck gekommen, die von den Feuerwehren durchgeführten evacuations d'urgence aus dem Anwendungsbereich des Gesetzes herauszunehmen, die sich als Fortsetzung der hergebrachten Aufgaben der Brandbekämpfung darstellen. 105 Die zulässigerweise von den Feuerwehren erbrachten Transportleistungen im Rahmen ihres angestammten Tätigkeitsfeides sind für den Transportierten stets kostenlos - und zwar auch dann, wenn der Transport von einem anderen, namentlich einem privaten Unternehmen hätte durchgeführt werden können. 106 Die auf diese Weise entstandenen Kosten sind also nicht als Fahrkosten von der Krankenkasse zu übernehmen. Eine Ausnahme besteht freilich, wenn die Feuerwehren in Anwendung des decr. 80-284 vertraglich in die SMUR eines Krankenhauses eingebunden sind und in diesem Rahmen Krankentransportleistungen für die betreffende Einrichtung erbringen. 107 Die Kosten dieser Interventionen gehen zu Lasten des betreffenden Krankenhauses und werden von der Krankenkasse erstattet. Derartige Interventionen sollen jedoch Ausnahmecharakter haben. 108 2. Die einzelnen Fallgruppen

In den Art. R 322 - 10 sind die Fallgruppen, die als Fahrkosten erstattet werden, abschließend enumeriert. Danach haben die Versicherten in folgenden Fällen einen Kostenerstattungsanspruch gegen ihre Krankenkasse: - Transporte im Zusammenhang mit einem ärztlich angeordneten 109 Krankenhausaufenthalt, Art. R 322 - 10, I °CSS. Wurde diese Norm durch die Krankenkassen anfangs noch weit ausgelegt und insbesondere als Fahrten zu Vor- und Nachsorgeuntersuchungen im Zusammenhang mit Operationen umfassend betrachtet, ist nach ständiger Rechtsprechung der notwendige Zusammenhang zwiChenillet/Pretot, RDSS 1986,206 (214), Jamevic, Pet. Aff. du 17 juin 1999, 17 (18). Gesetzesbegründung zitiert bei Jamevic, Pet. Aff. du 17 juin 1999, 17 (19), i. Ü. vgl. 10AN (deb.) du 12 decembre 1985, p. 6140, Rapport Lareng, Doc. AN n° 3157 du 5 decembre 1985, p. 22. 106 10 AN (deb.) 12 decembre 1985, p. 6133, so auch note sur C.E. 5 decembre 1984, AJDA 1985, 104 (106). 107 Pretot, RFDA 1985, 522 (524); Lefebvre, Documentation Pratique, D I 21310. 108 10 AN (deb.) du 12 decembre 1985, p. 6133; cass. soc. 5 janvier 1983, D. 1983, jur. 371. 109 Katz/Vial, LAMYprotection sociale 2001, n° 1496. 104

105

B. Fahrkostentragung durch die gesetzliche Krankenversicherung

131

sehen Transport und stationärem Aufenthalt nur bei der Hin- und Rückfahrt aus dem Krankenhaus gegeben. 1 \0 Die Übernahme der Kosten des Rücktransports steht überdies unter der Voraussetzung, dass der Krankenhausaufenthalt mindestens 24 Stunden andauert. 111 Fahrten zur Voruntersuchung oder Nachbehandlung bei chirurgischen Eingriffen stellen nach neuerer Auffassung des Kassationsgerichts also keine Krankentransporte im Sinne des Gesetzes dar, da sie eben nicht auf einen Krankenhausaufenthalt gerichtet sind. 1I2 Die Transportkosten werden in diesen Fällen gleichwohl von den CPAM erstattet, wenn der Krankenhausaufenthalt zum Zeitpunkt der Fahrt nicht länger als zwei Monate zurückliegt. 113 Die Kosten des Interhospitaltransfers werden von der Krankenkasse grundsätzlich nicht erstattet; sie sind im Globalbudget des betreffenden Krankenhauses enthalten. Dauert der Transfer indes länger als 48 Stunden (" transfer definitif"), wird der Patient als vorübergehend aus dem Krankenhaus entlassen betrachtet, so dass die Fahrkosten in diesem Falle als Kosten des Rücktransports von der Krankenkasse zu übernehmen sind. 114 Ziel des Rücktransports muss nicht notwendig der Wohnsitz des Versicherten sein. Ihm steht es frei, sich zu einem Mitglied seiner Familie transportieren zu lassen, wo er gepflegt wird, sofern nachgewiesen ist, dass er der Hilfe bei den Verrichtungen des täglichen Lebens bedarf, weIche ihm von diesem gewährt wird. Im Einklang mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot des Art. L 322 - 5 CSS wird jedoch maximal der Betrag erstattet, der notwendig gewesen wäre, um die eigene Wohnung aufzusuchen. 115 Transporte im Zusammenhang mit Behandlungen oder Untersuchungen bei lang andauernden Krankheiten nach Art. L 324-1 CSS, Art. R 322-10, 2° CSS. Fahrten im Krankenwagen, sofern der Gesundheitszustand des Patienten einen Transport im Liegen oder ständige Beaufsichtigung erfordert, Art. R 322-10, 3° CSS. In diesem Fall werden die Fahrkosten stets, d. h. über die ausdrücklich genannten Fallgruppen (Krankenhausaufenthalt, lang andauernde Krankheit) hinaus, erstattet. - Transporte über Strecken über 150 km, Art. R 322-10, 4° CSS. - Transporte in Serie, sofern sie sich auf ein und dieselbe Behandlung beziehen und innerhalb von zwei Monaten mindestens vier Transporte über 50 km erforderlich sind, Art. R 322 - 10, 5° CSS. Pedrot, ROSS 1997, 171 (174), cass. soc. du 19 juin 1997, arret n° 2569. UCANSS, Guide Assurance Ma1adie, n° 373 - 21, Katz/Vial, LAMY protection sociale 2001, n° 1555. 112 Statt vieler: cass. soc. 9 juillet 1998, RJS 1998, n° 1061, 16 decembre 1993, O. 1994, jur. 102, note Saint-Jours, 19 juin 1997, Bull. Civ. V n° 234, abweichend - jedoch ohne Begründung: cass. soc. 3 avri11997, Bull. Civ. V n° 140. 113 Circ. CNAMTS n° 2239/88 du 18 juillet 1988. 114 Circ. CNAMTS n° 2285/88 du 27 decembre 1988. 115 Cass. soc. 16 novembre 2000, pourvoi n° 99-10.550. 110

111

9*

132

2. Teil: Krankentransporte und Rettungswesen in Frankreich

Transporte zu Hilfsmittellieferanten zur Anpassung der Hilfsmittel, Art. R 322-10-1,1° CSS. Transporte zu Kontrolluntersuchungen des controle medical, Art. R 322-10-1, 2° CSS. - Fahrten, die durch eine Vorladung zur Commission regionale d'Invalidite nach Art. R 143 -1 CSS veranlasst wurden, Art. R 322-10-1,3° CSS. Fahrten zur Aufsuchung eines medizinischen Experten, Art. 322-10-1, 4° CSS. Diese Fallgruppen beziehen sich gemäß Art. R 322 - 11 CSS auch auf transports non-sanitaires, während derer keine medizinische Intervention notwendig ist. Gemäß Art. R 322 - 11 - 1 CSS werden auch die Fahrkosten für eine Begleitperson des Versicherten übernommen, wenn diese ein Kind unter 16 Jahren begleitet oder einen Kranken, der aufgrund von Invalidität oder seines Alters der ständigen Aufsicht eines Dritten bedarf. Im letzteren Fall ist die Auffassung des controle medicale über die Betreuungsbedürftigkeit einzuholen, es sei denn die zu begleitende Person ist Empfänger einer Alters- oder Invalidenrente. 116 Die Erstattung der Fahrkosten von Begleitpersonen ist jedoch nur bei Fahrten in öffentlichen VerkehrsmitteIn vorgesehen und erfolgt zudem streng akzessorisch unter der Voraussetzung, dass die Fahrkosten der zu begleitenden Person selbst von der Krankenkasse getragen werden. 117 Letztlich kann der Versicherte im Rahmen der Fahrkostenerstattung auch eine Entschädigung für entgangenen Lohn geltend machen, sofern mit dem Transport eine Unterbrechung seiner Arbeitsleistung und damit ein Lohnverlust einhergeht. Dieser Anspruch resultiert aus Art. 7 des Erlasses vom 2. September 1955, welcher insoweit nicht durch das decret vom 6. Mai 1988 abgeändert wurde. Der Lohnersatz darf jedoch nicht höher sein als der zweifache Tagessatz (indemnite journaliere) der gesetzlichen Krankenversicherung, wenn der Transport außerhalb des Wohn- oder Arbeitsortes des Versicherten durchgeführt wird. In allen anderen Fällen darf seine Höhe maximal gleich dem Tagessatz sein. 1l8 Die Zahlung des Lohnausgleiches kommt ebenso in Betracht für Personen, die ihre Arbeit unterbrechen müssen, um ein minderjähriges Kind zu einer medizinischen Untersuchung zu begleiten. Der Betrag kann von der Krankenkasse direkt an den Arbeitgeber gezahlt werden, sofern dieser die Lohnzahlung während der Abwesenheit des Arbeitnehmers fortgesetzt hat. Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass gemäß Art. L 431 - 1, 1°, L 442 - 8 CSS auch die Fahrkosten im Zusammenhang mit der medizinischen Behandlung bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten von den Krankenkassen getragen wer116 117 118

Lefebvre, Documentation Pratique, D I 21450. Katz/Vial, LAMY Protection Sociale 2001, n° 1498. UCANSS, Guide Assurance Maladie, n° 373 - 81.

B. Fahrkostentragung durch die gesetzliche Krankenversicherung

133

den. 119 Dies stellt jedoch insofern keine systematische Besonderheit dar, als sämtliche mit diesem Risiko zusammenhängenden Leistungen in die Zuständigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung fallen, vgl. Art. L 431- I, 2e al. CSS.

3. Voraussetzungen und Umfang der Kostenerstattung

a) Medizinische Notwendigkeit des Transports

Naturgemäß übernehmen die Krankenkassen nur Fahrkosten, die im Hinblick auf die Erkrankung des transportierten Versicherten erforderlich sind; hierzu enthält der CSS mehrere Anhaltspunkte. Gemäß Art. L 322 - 5 CSS sind nur die Kosten der gemessen am Gesundheitszustand des Transportierten preisgünstigsten Transportart zu erstatten. Zudem beschränkt Art. R 322-10-6 CSS die erstattungsfähige Summe auf den Betrag, der notwendig ist, um den nächstgelegenen Behandlungsort aufzusuchen. Der Arzt darf sich bei der Verschreibung eines Transportmittels - welche sowohl die Transportunternehmen in Bezug auf die Leistungserbringung als auch die Versicherten und die Krankenkassen in Bezug auf den Kostenerstattungsanspruch bindet - einzig von medizinischen Erwägungen leiten lassen. Diese Normen reflektieren das Wirtschaftlichkeitsgebot, welches auch das französische Krankenversicherungsrecht bestimmt. 120 Nach ständiger Rechtsprechung sind die zu übernehmenden Fahrkosten in den in Art. L 322 - 5 CSS aufgeführten Fallgruppen abschließend geregelt. I2I Darüber hinausgehende Transporte werden nicht als medizinisch notwendig erachtet, sondern sind den allgemeinen Lebenshaltungskosten des Versicherten zuzurechnen. Gleichwohl können Fahrkosten abgesehen von den ausdrücklich genannten Fällen durch die CPAM als Zusatzleistungen erstattet werden, wenn der Transport unerlässlich und aus medizinischer Sicht gerechtfertigt war und eine Kostenerstattung unter Einschätzung der finanziellen Situation des Versicherten angemessen ist. l22 Die medizinische Notwendigkeit des Transports gilt namentlich dann als nicht erwiesen, wenn die Behandlung von einem näher beim Wohnsitz des Erkrankten ansässigen Arzt hätten erbracht werden können, wenn der Transport durch den Wunsch des Erkrankten motiviert war, von seinem langjährigen Arzt behandelt zu 119 Nach der Rechtsprechung des Kassationsgericht können Fahrkosten im Zusammenhang mit Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten auch dann erstattet werden, wenn sie nicht unter die in Art. R 322-10 CSS aufgeführten Fallgruppen fallen, cass. soc. du 20octobre 1994, BuH. Civ. IV n° 288. 120 Vgl. Art. L 162 - 2-1 CSS: " ... la plus stricte economie compatible avec la qualite, la securite et l'efficacite des soins." 121 Statt vieler: cass. soc. 16 decembre 1993, RJS 1994, n° 182, cass. soc. 19 juin 1997, BuH. Civ. 1997 V n° 234. 122 Rep. min., JOAN (Q) 5 decembre 1988, p. 3559, circ. CNAMTS n° 1129/81 du 1er juin 1981.

134

2. Teil: Krankentransporte und Rettungswesen in Frankreich

werden oder wenn ein Kind von seinem Ferienort nach Hause transportiert wird, um näher bei den Eltern zu sein, obwohl die Behandlung auch am Ferienort hätte erbracht werden können. Insbesondere hat die Rechtsprechung die Konstruktion der "psychologisch geeigneten" nächst gelegenen Behandlungseinrichtung abgelehnt: es komme allein auf die medizinischen Anforderungen an die zu erbringende Behandlung an. Familiäre, psychologische oder finanzielle Aspekte könnten insoweit nicht in die Abwägung einfließen. 123 Wird der Versicherte in einer anderen als der nächst gelegenen Einrichtung behandelt, hat er in Ansehung des Wirtschaftlichkeitsgebotes nur einen Anspruch auf Erstattung der Kosten, die zum Transport in die nähere Einrichtung entstanden wären. 124 Der Krankenkasse steht in diesem Zusammenhang ein Anspruch gegen den Versicherten aus ungerechtfertigter Bereicherung nach Art. 1134, 1376 C.Civ. (repetition de l'indu) zu, sofern sie dem Erstattungsbegehren des Versicherten bereits nachgekommen ist, sich später aber herausstellt, dass eine näher gelegene, gleichsam geeignete Behandlungseinrichtung zur Verfügung stand. 125 Ferner hat die Krankenkasse nicht für die Kosten des Transports eines Versicherten von seiner Wohnung zum Wohnort eines Familienmitglieds aufzukommen, selbst wenn er dort gepflegt wird: die Tatsache, dass ein Versicherter allein lebt und Hilfe bei den Verrichtungen des täglichen Lebens bedarf, genügt nach allgemeiner Auffassung nicht, um eine Übernahme der Fahrkosten durch die Solidargemeinschaft zu rechtfertigen. 126 Befindet sich der Versicherte nicht an seinem Heimatort, sondern muss von einem Ort überführt werden, an den er sich aus persönlichen Gründen, z. B. im Rahmen einer Urlaubsreise, begeben hat, übernimmt die Krankenkasse unter bestimmten Voraussetzungen die Kosten für die Rückfahrt in sein temporäres Domizil oder an seinen gewöhnlichen Wohnsitz, der in Frankreich oder im Ausland liegen kann. Allerdings ist die Kostenerstattung davon abhängig, ob der Transport nach Einschätzung des medecin-conseil einen Krankenhausaufenthalt am Aufenthaltsort abkürzt oder nicht. Wird durch den Rücktransport ein Krankenhausaufenthalt verkürzt, sind die Kosten auf der Grundlage des verschriebenen und dem Gesundheitszustand des Patienten angemessenen Transportmittels zu erstatten. In jedem Fall werden vom Erstattungsbetrag die Kosten abgezogen, die der Versicherte normalerweise hätte aufwenden müssen, um wieder zurück an seinen Heimatort zu gelangen. 127 Wird durch den Rücktransport ein Krankenhausaufenthalt nicht abgekürzt, kommt lediglich eine Erstattung der Beförderungskosten zur Entlassung aus der stationären Einrichtung in Betracht, begrenzt durch die bei der Einlieferung zurückgelegte Entfernung und das dem Gesundheitszustand angemes123 Cass. soc. 19 mars 1992, pourvoi n° 89-15.337, cass. soc. 4 juin 1986, pourvoi n° 84-15.640,20 janvier 1988, pourvoi n° 86-10.387, cass. soc. 14 janvier 1999, Gaz. Pa!. du 21 novembre 1999,29 (29 et s.). 124 Cass. soc. 19 mars 1992, pourvoi n° 89-15.337. 125 Cass. soc. 18 juin 1998, RJS 1998, n° 1062. 126 Cass. soc. 18 mars 1993, pourvoi n° 91 - 12.831. 127 Lettre CNAMTS du 12juillet 1993, BJ UCANSS n° 31-1993.

B. Fahrkostentragung durch die gesetzliche Krankenversicherung

135

sene Transportmittel. 128 Dies gilt jedoch nicht für Rücktransporte an seinen Heimatort aus persönlichen Gründen. Kann der Versicherte vollständig geheilt aus dem Krankenhaus entlassen werden und ist er daher in der Lage, sich selbständig an seinen Wohnsitz zu begeben, werden ihm keinerlei Kosten für den Rücktransport erstattet. 129 In Anbetracht des Rechts der Patienten auf freie Wahl des Leistungserbringers wurde vorgebracht, dass die Vorschrift, wonach ein Versicherter sich auf Kosten der Krankenkasse stets nur zur nächst gelegenen Behandlungsmöglichkeit transportieren lassen könne, gegen dieses Prinzip verstoße. Das Kassationsgericht hat hierzu entschieden, das Wahlrecht könne nicht zur Folge haben, dass die Krankenkasse dem Versicherten zur Kostenerstattung für Leistungen verpflichtet sei, die sich nicht im gesetzlichen Leistungskatalog finden. l3O Die Versicherten sind also gehalten, ihr Wahlrecht unter Rücksichtnahme auf die Interessen der Solidargemeinschaft auszuüben. Sofern bezogen auf das Transportmittel eine Verletzung des Patientenwahlrechts geltend gemacht wird, ist dem zu entgegnen, dass sich das Wahlrecht lediglich auf das Transportunternehmen, nicht aber auf das Transportmittel bezieht. Hier ist der Versicherte an die Verordnung des Arztes gebunden, welcher nur das Transportmittel verschreiben darf, das gemessen an der gesundheitlichen Verfassung des Patienten das preisgünstigste ist. Wählt der Versicherte ein anderes als dieses, hat er die darüber hinausgehenden Kosten selbst zu tragen. b) Vorherige Zustimmung der Krankenkasse

Die Fahrkosten werden nicht vollständig von der Krankenkasse erstattet; dem Versicherten verbleibt ein Selbstbehalt von 35%, Art. R 322-1, 6° CSS. Voraussetzung für die Kostenübernahme durch die Krankenkasse ist die Vorlage einer Rechnung des Transportunternehmers, Art. R 322-10-4 CSS, sowie der ärztlichen Verschreibung, aus der hervorgeht, welches dem Gesundheitszustand des Versicherten angemessene Transportmittel am kostengünstigsten ist und dass der Gesundheitszustand des Versicherten die Benutzung des verschriebenen Transportmittels erfordert. 131 In Notfällen kann die ärztliche Anordnung auch nachträglich durch den behandelnden oder den Krankenhausarzt erteilt werden, Art. R 322-10-2 CSS. Im Falle von Transporten über 150 km sowie bei Transporten in Serie ist der Versicherte gemäß Art. R 322-10-3 CSS - unabhängig vom benutzten Fahrzeug sowie dem Ziel und Hintergrund der Fahrt - stets gehalten, die vorherige ZustimKatz/Vial, LAMYprotection sociale 2001, n° 1497. Circ. CNAMTS n° 35/94 du 7 juin 1994. 130 Cass. soc. 20 janvier 1988, pourvoi 85 - 18.026. l3l Art. R 322-10-2, R 322-11-2 CSS; in den Fällen des Art. R 322-10-1 CSS wird die ärztliche Anordnung durch die Vorladung zu der Kontrolluntersuchung bzw. die Einladung zur Hilfsmittelanpassung ersetzt. 128

129

136

2. Teil: Krankentransporte und Rettungswesen in Frankreich

mung der CPAM einzuholen. 132 Die Entscheidung der Krankenkasse ist für diese und für den Versicherten bindend. Einmal erteilt, kann sie nicht nach Inanspruchnahme der Leistung widerrufen werden, auch wenn sich nachträglich herausstellt, dass der Kasse im Rahmen ihrer Entscheidungsfindung ein Fehler unterlaufen war. 133 Äußert sich die Krankenkasse auf einen Zustimmungsantrag nicht binnen zehn Tagen, gilt die Genehmigung als erteilt. 134 Eine nicht eingeholte Genehmigung lässt sich nach allgemeiner Ansicht der Rechtsprechung auch nicht durch die spätere Bestätigung der medizinischen Notwendigkeit der in Anspruch genommenen Behandlungsleistung ersetzen. 135 Das Genehmigungserfordernis entfällt naturgemäß in Notfällen; es wird durch eine entsprechende Bestätigung des Arztes, dass ein Notfall vorliege, ersetzt. Die Einschätzung des den Transport anordnenden Arztes über das Vorliegen eines Notfalls ist für die Krankenkassen bindend, und kann daher insbesondere nicht Gegenstand einer späteren Überprüfung der medizinischen Notwendigkeit des in Rede stehenden Transports werden. 136 Fehlt die Bestätigung des Arztes über das Vorliegen eines Notfalles, scheidet ohne die Einholung einer Genehmigung der Krankenkasse eine Kostenerstattung für die erbrachten Leistungen aus. 137 Die Kasse hat dem Versicherten die Kosten gleichwohl zu ersetzen, wenn der verschreibende Arzt seine beruflichen Pflichten verletzt und trotz fehlender Zustimmung der CPAM einen Transport angeordnet hat. Hintergrund ist, dass dem Versicherten ein Verschulden Dritter nicht anzulasten ist; der Kasse stehen jedoch Schadensersatzansprüche aus Art. 1382 C.Civ. gegen den verschreibenden Arzt oder den Transporteur zu. 138 c) Kostenerstattung für grenzüberschreitende Transporte

Grundsätzlich ruhen die Leistungsansprüche der Versicherten des regime general, so lange sie sich außerhalb Frankreichs aufhalten, Art. L 332-3, al. I CSS. Diese Regelung steht jedoch unter dem Vorbehalt abweichender internationaler Verträge. 132 Cass. soc. 4 mars 1999, RJS 1999, n° 581, 17 octobre 1991, RJS 1991, n° 1366,21 juillet 1994, pourvoi n° 92 - 14.041. I33 Cass. soc. 5 mars 1992, BuH. Civ. V n° 164. 134 Lefebvre, Documentation Pratique, D I 21750. 135 Cass. soc. 27 avri11983, BuH. Civ. V n° 216, cass. soc. 4 mars 1987, pourvoi n° 8510.462. 136 KatziVial, LAMY protection socia1e 2001, n° 1506, Lefebvre, Documentation Pratique, D I 21620, cass. soc. 5 mars 1992, RJS 1992, n° 511, cass. soc. 31 mai 1989, pourvoi n° 87 -10.747. 137 Cass. soc. 29 fevrier 1996, pourvoi n° 93-16.619, 8 fevrier 2001, pourvoi n° 991.899. 138 Cass. soc. 28 mai 1998, pourvoi n° 96-15.035.

B. Fahrkostentragung durch die gesetzliche Krankenversicherung

137

Befindet sich ein Versicherter vorübergehend auf dem Territorium eines EUMitgliedstaates und tritt dort ein unerwarteter Krankheitsfall auf, hat er gemäß Art. 22 I lit. a) VO (EWG) 1408171 einen Anspruch auf Gewährung der erforderlichen Krankenkassenleistungen nach den rechtlichen Vorkehrungen des Aufenthaltsstaates. Die Verwendung des Terminus "Krankenkassenleistung" - im Gegensatz zu "Behandlungsleistung" - deutet darauf hin, dass hierzu auch Kosten für Krankentransporte zählen, die sich in der reinen Beförderung eines Kranken in die nächst gelegene Behandlungseinrichtung erschöpfen, ohne dass eine Behandlung erbracht wird. Der Versicherte kann sich daher auf Kosten seiner Krankenkasse in die nächst gelegene Behandlungseinrichtung transportieren lassen. Auch der Rücktransport des Versicherten an seinen Wohnort ist entsprechend den kranken versicherungsrechtlichen Regelungen des Aufenthaltslandes sicherzustellen. Sieht der Leistungskatalog des Aufenthaltsstaates keine Kostenübernahme für den Rücktransport vor, kann die zuständige CPAM gemäß Art. 34 V VO (EWG) 574172 auch ohne Leistungsaushilfe die Kosten für den Rücktransport erstatten. Der Erstattungssatz darf in diesen Fällen jedoch nicht höher liegen als die tatsächlich entstandenen Kosten. Jedenfalls werden die ursprünglich für die Rückreise vorgesehenen Kosten vom Erstattungsbetrag abgezogen. 139 Möchte sich ein Versicherter lediglich aus persönlichen Gründen an seinen Wohnort begeben, ist eine Kostenerstattung ausgeschlossen. Ob die CPAM von der Möglichkeit des Art. 34 V VO (EWG) 574/72 Gebrauch macht, liegt in ihrem Ermessen. Verweigert sie die Kostenübernahme, hat sie dies dem Versicherten jedoch rechtzeitig unter Hinweis auf mögliche Rechtsmittel mitzuteilen. 140 Kann ein Versicherter zur Herstellung seiner Gesundheit erforderliche Leistungen in Frankreich nicht erlangen, darf er diese mit Zustimmung der zuständigen CPAM auf dem Gebiet eines EU-Mitgliedstaates in Anspruch nehmen. Sein Anspruch auf Kostenerstattung resultiert in diesen Fällen aus Art. 22 I lit. c) VO (EWG) 1408171. Außerhalb der Europäischen Union kommt gemäß Art. R 332 - 2, al. 2 CSS eine Kostenerstattung in Betracht, sofern der französische Krankenversicherungsträger nach Autorisierung durch die für Gesundheit und soziale Sicherung zuständigen Minister eine entsprechende Vereinbarung mit dem betreffenden Leistungserbringer im Ausland eingegangen ist. Nach Art. R 332 - 2, al. 3 CSS kann außerhalb derartiger Vereinbarungen in Ausnahmefällen und nach positivem Bescheid des controle midicale eine Kostenerstattung erfolgen, sofern der Versicherte nachweisen kann, dass ihm die Inanspruchnahme der Behandlungsleistungen innerhalb Frankreichs nicht möglich war. Die für die Auslandsbehandlung zu erteilende Genehmigung bezieht sich auch auf den notwendigen Hin- und Rücktransport, dessen Kosten entsprechend der Vorgaben der Art. R 322 -10 et s. CSS erstattet werden. 141 139 140 141

Circ. CNAMTS n° 35/94 du 7 juin 1994. Circ. CNAMTS n° 35/94 du 7 juin 1994. Circ. CNAMTS n° 35/94 du 7 juin 1994.

138

2. Teil: Krankentransporte und Rettungswesen in Frankreich

Hält sich der Versicherte zum Zeitpunkt seiner Erkrankung außerhalb der EU auf, hängt sein Anspruch auf Leistungsgewährung von dem zwischen Frankreich und dem Aufenthaltsstaat abgeschlossenen Sozialversicherungsabkommen ab. Besteht kein solches Vertrags werk oder fällt eine in Anspruch genommene Leistung nicht in den Geltungsbereich eines Sozialversicherungsabkommens, ist der zuständigen CPAM in Art. R 332-2, al. I CSS ein Ermessensspielraum eingeräumt. Dieser erlaubt es im Einzelfall, Kosten für im Ausland in Anspruch genommene Leistungen über einen Pauschalsatz zu erstatten. Der fakultative Charakter der Norm schließt einen korrespondierenden Rechtsanspruch des Versicherten auf Kostenerstattung in diesen Fällen aus und deutet darauf hin, dass die Kosten für im Ausland erfolgte medizinische Behandlungen nur in Ausnahmefällen nach einem entsprechenden Votum des controle medicale zu erstatten sind. 142 Nach Auffassung des Kassationsgerichtshofes gilt Art. R 322 - 2, al. I CSS indes nicht für Fahrten im Krankenwagen oder andere Krankentransporte, da nach dem Wortlaut der Norm nur die Kosten für die medizinische Behandlung ("soins Gegenstand der Erstattung durch die CPAM sein können. Die Beförderung von Kranken könne zwar unter Umständen für die Fortsetzung einer Behandlung unerlässlich sein. Für sich genommen stelle sie aber keine Behandlungsleistung im Sinne dieser Norm dar. 143 Dennoch wird die Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung in der Regel gewährleistet, wenn die im Ausland vorhandenen Einrichtungen nicht in der Lage sind, die notwendigen Behandlungsleistungen zu erbringen. Zuvor ist jedoch, abgesehen von Notfällen, eine Stellungnahme des service medical der CPAM einzuholen. H

)

d) Erstattung der Kosten von Fehleinsätzen

Transporte, in deren Verlauf der Versicherte verstirbt, werden gemeinhin nicht als Fehleinsätze angesehen. Das gleiche gilt, sofern Hintergrund eines Transport die - ärztlich verschriebene - Einweisung in ein Krankenhaus war, welche letztlich jedoch aus vom Versicherten nicht zu vertretenden Gründen nicht erfolgt, z. B. weil das Krankenhaus nicht über hinreichende Kapazitäten verfügt oder die nach dem Transport erbrachten Behandlungsleistungen den Krankenhausaufenthalt erübrigen. In beiden Fällen werden die entstandenen Fahrkosten von der gesetzlichen Krankenversicherung übernommen, sofern die sonstigen gesetzlichen Voraussetzungen für die Kostenerstattung erfüllt sind. 144 Im Falle missbräuchlicher Notrufe oder Verschreibungen trägt die Krankenkasse die Beweislast für das Vorliegen eines Missbrauchs. Bestätigt sich der Verdacht jedoch, so kann der verschreibende Arzt mit Sanktionen entsprechend Art. L 142 Lefebvre, Documentation Pratique, D I 4990, cass. soc. 10 decembre 1986, Bull. Civ. V n° 589. 143 Cass. soc. 5 avril 1990, Bull. Civ. V n° 179. 144 Circ. CNAMTS 017 / 96 du 26 novembre 1996, p. 2, so auch die Rechtsprechung: cass. soc. 17 octobre 1991, pourvoi n° 89-17.959.

B. Fahrkostentragung durch die gesetzliche Krankenversicherung

139

315 - 3 i. V. m. R 142 - 7-7 et s. CSS belegt werden. Wird lediglich ein dem Gesundheitszustand des Versicherten nicht entsprechendes Fahrzeug verschrieben, kann die Krankenkasse dem Versicherten gleichwohl die Kostenerstattung nicht verweigern, da die Verschreibung unter alleiniger Verantwortung des behandelnden Arztes erfolgt und es dem Versicherten nicht obliegt, deren Richtigkeit zu überprüfen. 145 4. Bestimmung der Erstattungssätze

Die Gebühren, welche die Krankentransportunternehmer für ihre Leistungen verlangen dürfen, werden gemäß Art. L 6312-3 CSP durch Erlass der für Finanzen, Verbrauch, Wirtschaft und Finanzierung der sozialen Sicherheit zuständigen Minister festgelegt. Hält ein Transportunternehmen diese Tarife nicht ein, kann dies zur Aufhebung der Zulassung zum Krankentransportwesen führen. Die Festlegung der Modalitäten der Kostenerstattung für medizinische Dienstund Sachleistungen ist bereits seit Erlass des loi 71-525 vom 3. Juli 1971 im Wege von Verträgen zwischen den Krankenkassen und den Verbänden der Leistungserbringer üblich. Die Verpflichtung zum Abschluss derartiger Konventionen mit den Verbänden der Krankentransportunternehmer resultiert aus Art. L 322-5-2, L 322-5-3, 2° CSS. Bis 1996 wurden die Erstattungssätze für Krankentransporte durch ministeriellen Erlass festgelegt, der die in den Vertrags werken getroffenen Regelungen ergänzte. Mit dem Gesetz über die Finanzierung der sozialen Sicherung von 1997 wurde dieses System geändert: die Transportentgelte werden gemäß Art. 322-5-3, 2° CSS nunmehr jährlich in Verhandlungen zwischen Krankenkassen und Transportunternehmern ausgehandelt und finden als Annex Eingang in die erwähnten Verträge. 146 Dabei gehen - basierend auf einer vom zuständigen Minister vorgegebenen Mustervereinbarung 147 - die CNAMTS mit den nationalen Berufsverbänden der Krankentransportunternehmer die" convention nationale destine a organiser les rapports entre les transporteurs sanitaires prives et les caisses d'assurance maladie" ein, welche auf lokaler Ebene von den CPAM und den in deren Zuständigkeitsbereich ansässigen Unternehmern übernommen wird. Der Abschluss dieser Konvention steht sämtlichen privaten Krankentransportunternehmen offen, die auf dem Gebiet des französischen Staates tätig sind und über eine Zulassung nach Art. L 6312-2 CSP verfügen. 148 Folglich ist es den Krankenkassen verwehrt, den Vertragsschluss mit einem interessierten Unternehmer abzulehnen, was Ndrot, ROSS 1997, 171 (173). Zu den Einzelheiten der Tarifstruktur vgl. UCANSS, Guide Assurance Maladie, n° 373-41-32. 147 Arrete ministeriel du 1er mars 1997, JO 14 mars 1997. 148 Vgl. die Präambel der convention nationale, wonach jede Diskriminierung unter den Transportunternehmen unzulässig ist und jedem Unternehmen das Recht eingeräumt wird, ihre Leistungen nach den in der convention vorgesehenen Modalitäten zu erbringen. 145

146

140

2. Teil: Krankentransporte und Rettungswesen in Frankreich

auch in der Praxis bislang nie geschehen ist. Den Unternehmen steht demgegenüber naturgemäß das Recht zu, sich nicht vertraglich an die gesetzliche Krankenversicherung zu binden. 149 Will sich ein Unternehmer vertraglich binden, so muss er dies binnen eines Monats nach Veröffentlichung der convention bzw. seiner Niederlassung als Krankentransportunternehmer mitteilen. Voraussetzung für das Inkrafttreten der Verträge ist deren Billigung durch einen Erlass des für die soziale Sicherung zuständigen Ministers, Art. L 162-15 CSS. Ist diese erfolgt, entfalten sie Bindungswirkung für sämtliche Leistungserbringer, die dem betreffenden Zweig angehören - es sei denn ein Leistungserbringer verweigert ausdrücklich seine Unterwerfung unter die gesamte Konvention oder er wurde aufgrund der Verletzung seiner Pflichten von der zuständigen CPAM aus deren Geltungsbereich ausgeschlossen. ISO In diesen Fällen werden die Tarife gemäß Art. 322-5-4 CSS einseitig durch den zuständigen Minister festgelegt. In einigen Departements können die Krankenkassen auch mit Taxiunternehmen Preisvereinbarungen eingehen; diese treten jedoch erst nach Genehmigung durch den Präfekten in Kraft, Art. L 322-5, 4e al. CSS. Außerhalb dieser Verträge bemisst sich die Höhe des von den Krankenkassen zu erstattenden Transportentgelts nach den aktuell gültigen Tarifen der Taxiunternehmen. Treffen Krankentransportunternehmen und CPAM abweichende Preisabsprachen über Krankentransporte, welche höher liegen als der in der convention nationale vorgesehene Erstattungssatz, so liegt nach der Rechtsprechung ein Verstoß gegen die Wettbewerbsregeln vor, da diese Absprachen den Zweck verfolgen, den freien Wettbewerb auf dem Markt zu stören. ISI

C. Ausgestaltung der Rechtsbeziehungen Infolge der Ausrichtung auf das Kostenerstattungsprinzip sind die Versicherten der französischen Krankenversicherung gehalten, sich die notwendigen Gesundheitsleistungen selbst zu beschaffen und sich ihre Auslagen anschließend unter Abzug des Eigenanteils von der zuständigen Krankenkasse erstatten zu lassen. Der Versicherte geht also einen zivilrechtlichen Vertrag mit dem Leistungserbringer ein, aus dem dieser zur Erbringung der vereinbarten Leistung, jener zur Entrichtung der Vergütung verpflichtet wird. Aus seinem Versicherungsverhältnis erwächst sodann ein Anspruch auf Kostenerstattung gegenüber seiner Kasse. Dieser Anspruch ist - obwohl die CPAM juristische Personen des Privatrechts sind - stets öffentlich-rechtlicher, genauer: verwaltungsrechtlicher Natur, da die (Pflicht-)Mit149 In der Praxis treten jedoch sämtliche Transportuntemehmer der Konvention bei - nicht zuletzt aufgrund der zahlreichen wettbewerblichen Vorteile, die z. B. die "tiers payant"-Regelungen bieten, näheres dazu s. u. 150 Lefebvre, Documentation Pratique, D I 13540. 151 e.e. 30 novembre 1999, BOCCRF 2000,198 (202).

C. Ausgestaltung der Rechtsbeziehungen

141

gliedschaft in der Sozialversicherung durch einen administrativen Akt, die immatriculation, begründet wird. 152 Die deliktische Verantwortlichkeit der Krankenkassen richtet sich demgegenüber nach Zivilrecht. 153 Für die Inanspruchnahme von Krankentransport- und Rettungsdienstleistungen erfährt dieses Muster einige Modifizierungen: so ist entsprechend der konzeptuellen Trennung zwischen aide medicale urgente und transports sanitaires zwischen beiden Leistungen zu differenzieren. Zudem wirken sich auch die zwischen den Krankenkassen und den Leistungserbringern vereinbarten Verträge, nach denen der Versicherte von seiner soeben geschilderten Vorleistungspflicht befreit werden kann, auf die Rechtsnatur der Beziehungen unter den Beteiligten aus.

I. Rechtsnatur der im Rahmen eines transport sanitaire eingegangenen Vereinbarungen In der Analyse der Rechtsbeziehungen ist zwischen dem Regelfall - Selbstbeschaffung der Leistung gegen anschließende Kostenerstattung - und dessen Modifizierung durch den Abschluss einer convention tiers payant zu differenzieren. 1. Rechte und Pflichten des Versicherten

Grundsätzlich schließt der Versicherte bei der Leistungsverschaffung zunächst einen eigenen Vertrag mit dem Leistungserbringer, welcher dem Zivilrecht zuzuordnen ist. Gegenstand der Vereinbarung ist die Erbringung einer Beförderungsleistung gegen Entrichtung der entsprechenden Vergütung; es liegt damit ein contrat de transport im Sinne der Art. 1782 et s. C.Civ. vor. 154 Dieser stellt eine Sonderform des louage d'ouvrage, also eines Werkvertrages nach Art. 1710 C.Civ. dar/ 55 in dem sich ein Transportunternehmer dazu verpflichtet, gegen Entgelt eine Person oder Sache an einen anderen Ort zu befördern. 156 Mit dem Abschluss dieses Vertrages wird der Versicherte unmittelbar zur Entrichtung der Vergütung an den Transporteur verpflichtet. 157 Seine Aufwendungen kann er sich anschließend im oben bestimmten Umfang von seiner Krankenkassen erstatten lassen. Dupeyroux, Droit de la Securite Sociale, n° 299. Lefebvre, Documentation Pratique, AI 18005. 154 Ergänzt durch den Code de Commerce, betreffen die Regelungen des Code Civil über den Transportvertrag lediglich Fragen der Haftung des (professionellen) Transporteurs für vom Fahrgast eingebrachte Sachen, so dass hier nicht im einzelnen auf diese eingegangen wird. 155 Veaux, Juris-Classeur Civil, Fase. 30, n° 35. 156 Comu, Voeabulaire Juridique, p. 875. 157 Jamevic, Pet. Aff. du 17 juin 1999, 17 (22), Lefebvre, Documentation Pratique, D I 9370. 152 153

142

2. Teil: Krankentransporte und Rettungswesen in Frankreich

2. Rechtsnatur von tiers payant-Vereinbarungen Die Beziehungen zwischen der Krankenkasse und dem Transportunternehmer werden, wie bereits erwähnt, durch die convention nationale nach Art. L 322 - 5-2 CSS bestimmt. In diesem Vertrags werk sind unter anderem die Pflichten der Krankenversicherungsträger und der Unternehmer sowie die Modalitäten der Überwachung der Einhaltung dieser Verpflichtungen, die Bedingungen der Einbeziehung von Krankentransportunternehmen in den Geltungsbereich der Konvention, sowie das Verfahren zur Abrechnung von Fahrkosten zu regeln.

a) Zulässigkeit der Derogation des Kostenerstattungsprinzips Besondere Bedeutung kommt den conventions tiers payant zu. Darunter sind die Regelungen der conventions zu verstehen, nach denen der Versicherte von seiner Pflicht zur Vorleistung des geschuldeten Entgelts befreit werden kann. 158 Wird ein entsprechender Antrag eines Versicherten durch die zuständige CPAM positiv beschieden,159 zahlt diese die geschuldete Vergütung direkt an den Leistungserbringer, 160 jedoch nur in Höhe des dem Versicherten geschuldeten Betrages, d. h. insbesondere unter Abzug des ticket moderateur. Damit wird eines der tragenden Prinzipien des französischen Krankenversicherungsrechts, nämlich die Selbstverschaffungs- und Vorleistungspflicht des Versicherten, modifiziert. Zum Teil wird die Zulässigkeit dieser Derogation mit dem Argument bestritten, die Befreiung des Versicherten von seiner Vergütungspflicht greife in die Rechte der freien Medizin ein und führe zu einer Verstaatlichung des Gesundheitswesens. Zudem werde dieses Instrument nahezu inflationär gebraucht, so dass die Patienten zur übermäßigen Inanspruchnahme medizinischer Leistungen verleitet würden. 161 Nach Auffassung des Kassationsgerichts stehen dem tiers payant- Verfahren jedoch keine gesetzlichen Vorgaben entgegen, sofern sich dessen Anwendung zum Vorteil des Versicherten auswirkt. Dies gelte indes nur für die Sonderregelungen, die im Wege eines Vertrages der Sozial versicherungsträger getroffen wurden. 162 Zudem wird durch das Verfahren als solches keines der Grundprinzipien der freien Medizin, wie die freie Wahl des Patienten oder die Verordnungsfreiheit des Arztes, außer Kraft gesetzt. Gegen das Argument, mit dem tiers payant- Verfahren gehe ein übermäßiger Konsum medizinische Leistungen einher, kann überdies ebenso gut eingewendet werden, dass bei Bestehen der Vorleistungspflicht finanziell schlechter gestellte Versicherte von der Inanspruchnahme notwendiger Behandlungen abVgl. Art. 4 convention nationale. Zu den Fonnalien des Antrags, vgl. Art. 5 convention nationale. 160 "Tiers payant" bezeichnet den "zah1enden Dritten", bezieht sich mithin auf die CPAM. 161 Vgl. die Übersicht über die Argumentation bei Tabuteau, Dr. Soc. 1992, 125 (125 et s.). 162 Cass. soc. 16 fevrier 1987, D. 1987 somm. 160; cass. soc. 8 novembre 1990, Bull. Civ. V n° 538. 158

159

C. Ausgestaltung der Rechtsbeziehungen

143

geschreckt werden. Die Vergütungspflicht kann daher auch zu einer Beschränkung des freien Zugangs zu Behandlungsleistungen führen, was letztlich dem im Krankenversicherungsrecht immanenten Solidaritätsprinzip zuwiderläuft. 163 Tiers payant-Regelungen sind bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten vorgesehen (Art. L 432 -1 CSS); sie finden im Wege von Rahmenvereinbarungen mit den Berufsverbänden jedoch auch auf die Kosten von Medikamenten, Laboranalysen (Art. L 162-13-1 CSS) und Krankentransporten (Art. L 322-5 CSS) sowie Krankenhausaufenthalten (Art. L 162 - 22 - 1 CSS) Anwendung. 164 Der Rechtscharakter dieser Vereinbarungen ist umstritten. Da ein Muster der convention nationale durch ministeriellen Erlass vorgegeben wurde, kommt dieser jedenfalls ein charactere reglementaire zu. Die Musterkonvention dient als Basis für den Abschluss von Verträgen auf lokaler Ebene zwischen den CPAM und den örtlichen Krankentransportunternehmen, die im Wortlaut mit dem Mustervertrag identisch sind. Davon ausgehend liegt die Vermutung nahe, der Regelungscharakter erstrecke sich auch auf letztere Vereinbarungen und beeinflusse mithin auch das Rechtsverhältnis bei der Vertragsparteien zum Versicherten. So wurde vertreten, dass die von den CPAM geschlossenen Verträge die convention nationale lediglich regional umsetzten, die CPAM bei Vertragsschluss also für die CNAMTS aufträten, welche als juristische Person des öffentlichen Rechts die Entscheidungen der CPAM überwachen und koordinieren SOll.165 In Literatur und Rechtsprechung ist inzwischen jedoch weitgehend anerkannt, dass die conventions tiers payant der CPAM zivilrechtlicher Natur sind. 166 Hintergrund ist die Ausgestaltung CPAM als juristische Personen des Privatrechts: schließen zwei Privatrechtssubjekte im eigenen Namen Verträge, sind diese notwendig dem Zivilrecht zuzuordnen, auch wenn eine der Parteien damit eine öffentlichen Aufgabe erfüllt, mit deren Wahrnehmung sie betraut ist. Ebenso wenig ist von Bedeutung, dass die Verträge den Inhalt der Musterkonvention vollständig reproduzieren. 167

b) Qualifizierung als Vertrag zugunsten Dritter Mit der Einbeziehung einer dritten Partei werden die aus dem Transportvertrag resultierenden Verpflichtungen modifiziert. Im französischen Schuldrecht hat dies insofern Folgen, als dieses auf dem Grundsatz beruht, ein Vertrag könne immer nur Rechte und Pflichten zwischen den Personen entfalten, die ihn geschlossen haben, sofern nicht ausdrücklich ein Vertrag zugunsten Dritter (stipulation de contrat Tabuteau, Dr. Soc. 1992, 125 (126). Ruet, JCP (0) du 20 janvier 1993, com. I 3642, p. 27 et s. 165 Übersicht über die Argumentation bei Trib. confl. 10 janvier 1983, JCP (0) 1983 11 n° 19938. 166 Boissard, Dr. Soc. 2001. 276 (276), Ruet, JCP (0) du 20 janvier 1993, com. I 3642, p. 27; C.E. 13 decembre 1963, AJDA 1964,43 (43). 167 Trib. confl. 10 janvier 1983, JCP (0) 1983 11 n° 19938. 163

164

144

2. Teil: Krankentransporte und Rettungswesen in Frankreich

pour autrui) im Sinne von Art. 1121 C.Civ. vereinbart wurde, Art. 1165 c.CiV. 168 Ob die convention, in der sich die Krankenkassen zur Leistung des Transportentgelts an den Unternehmer - mit befreiender Wirkung für den Versicherten - verpflichten, als Vertrag zugunsten Dritter nach Art. 1121 C.Civ. qualifiziert werden kann, scheint zweifelhaft: Die stipulation pour autrui beschreibt einen Vertrag zwischen stipulant ("Versprechensempfänger") und promettant ("Versprechender"), in welchem sich letzterer verpflichtet, einem Dritten, dem tiers beneficiare, eine Leistung zu gewähren. Der Dritte wird mithin Gläubiger des Versprechenden, ohne an den Vertrags verhandlungen beteiligt gewesen zu sein. 169 Die stipulation pour autrui kann nach Art. 1121 C.Civ. jedoch nur in zwei Fällen zur Anwendung kommen: wenn die Vereinbarung zugunsten eines Dritten aus der Sicht des stipulant Voraussetzung für einen eigenen Leistungsanspruch gegenüber dem promettant oder für eine von ihm im Zusammenhang mit dem Geschäft zu gewährende Schenkung ist. 170 Keiner dieser beiden Fälle liegt hier vor. Auch in systematischer Hinsicht deckt sich das Instrument des Vertrags zugunsten Dritter nicht mit der convention nationale. Durch diese wird eine GläubigersteIlung des Transportunternehmers gegenüber der Krankenkasse des Versicherten begründet, allein dieser könnte als begünstigter Dritter angesehen werden. Dies setzte indes eine entsprechende Vereinbarung zwischen Alt- und Neuschuldner, hier dem Versicherten und der Krankenkasse voraus, die im Falle der convention jedoch gerade nicht Vertragsparteien waren. Eine Konstruktion der stipulation pour autrui dahin, dass der Versicherte insofern durch eine Vereinbarung zwischen Kasse und Unternehmen begünstigt wird, als er von seiner Verpflichtung zur Vergütung des Transporteurs befreit wird, muss scheitern. Denn durch die Einigung nach Art. 1121 C.Civ. wird eine Schuld des Versprechenden gegenüber dem Begünstigten begründet, die dieser auch einklagen kann. 171 Der Versicherte wird durch die convention indes kein Gläubiger der Krankenkasse. Kennzeichnend ist vielmehr, dass der Versicherte mit der Befreiung von seiner Leistungspflicht und der Vergütung des Unternehmers durch die Kasse seinen Kostenerstattungsanspruch gegen diese verliert. Im Ergebnis stellt die convention nationale daher keinen Vertrag zugunsten Dritter nach Art. 1121 C.Civ. dar.

168 Diese Grundregel gilt freilich nicht so strikt wie im Römischen Recht, welches davon ausging, dass sämtliche Forderungsrechte höchstpersönlicher Natur seien und daher nicht durch Übertragung aus der konkreten Rechtsbeziehung zwischen den Vertragsparteien herausgelöst werden könnten, vgl. dazu Zweigert/ Kötz, Rechtsvergleichung, S. 439 ff. Nach der französischen Doktrin kann eine schuldrechtliche Verpflichtung vielmehr als Sache angesehen und wie eine solche übertragen werden, vgl. Malaurie / Aynes, Cours de Droit Civil, n° 1201. 169 Temil Simler/ Lequette, Les obligations, n° 486, Martin, D. 1994, chron. 145 (145). 170 Die beiden Fallgruppen wurden von der Rechtsprechung sehr extensiv ausgelegt, so dass sich der Anwendungsbereich der stipulation pour autrui z. B. auch auf Lebensversicherungsverträge erstreckt, dazu näher Terre/Simler/Lequette, Les obligations, n° 491. I7I Lucas, Code Civil, Art. 1121, n° 8, Terre!Simler/Lequeue, Les obligations, n° 501.

C. Ausgestaltung der Rechtsbeziehungen

145

c) Subrogation personnelle des Transportuntemehmers

in die Rechte des Versicherten

Ferner wird vertreten, der Versicherte subrogiere den Transportunternehmer in seine Rechte gegenüber der Krankenkasse, übertrage ihm also seinen sozialversicherungsrechtlichen Kostenerstattungsanspruch, den der Unternehmer seinerseits über Art. 1250 C.Civ. gegenüber der CPAM geltend machen kann. l72 Der Begriff der subrogation steht synonym für "Ersetzung" oder "Substitution", wobei zwei Arten zu unterscheiden sind: die subrogation reelle, welche die innerhalb einer Rechtsbeziehung vorgenommene Ersetzung einer Sache durch eine andere mit denselben Eigenschaften, Rechten und Lasten beschreibt. Die subrogation personnelle bezieht sich dagegen auf die Ersetzung einer Person durch eine andere innerhalb einer Rechtsbeziehung in der Weise, dass diese ermächtigt wird, die der anderen Person zustehenden Ansprüche geltend zu machen; letztere ist an die Gewährung einer Zahlung gebunden. 173 Durch die subrogation personnelle wird es dem tiers solvens ermöglicht, die Rechte des Gläubigers geltend zu machen, der durch seine Leistung befriedigt wurde. 174 Dieses, dem deutschen Zivilrecht fremde Rechtsinstitut l75 bezeichnet genau genommen lediglich den Effekt einer Zahlung: zahlt ein Dritter auf eine fremde Schuld, so erwirbt er die Forderung des Gläubigers, wenn dieser damit einverstanden iSt. 176 Dem Dritten steht mithin das Recht zu, in Höhe der geleisteten Zahlung gegen den ursprünglichen Schuldner vorzugehen. l77 Gemäß Art. 1249 C.Civ. kann die subrogation nur durch Vertrag oder gesetzlichen Forderungsübergang eintreten. Dies beruht auf der Tatsache, dass eine Zahlung im Regelfall zum Erlöschen einer Schuld führt; ihr Fortbestehen bedarf daher einer gesonderten Anordnung. Die subrogation conventionnelle kann zum einen nach Art. 1250, 1° C.Civ. durch Einigung zwischen solvens - auch als subroge bezeichnet - und dem Gläubiger, i. e. der subrogeant, herbeigeführt werden, indem letzterer im Zeitpunkt der Zahlung erklärt, dass er den Dritten in seine Rechtsposition gegenüber dem Schuldner subrogiere (subrogation ex parte credito172 Circ. CNAMTS °2460/90 du 26 fevrier 1990; Lefebvre, Documentation Pratique, D I 9500; sowie cass. soc., Bull Civ 1987, V 191 (bezogen auf die tiers payant-Vereinbarungen der Apotheker). 173 TerriiSimler/ Lequette, Les obligations, n° 1264, Mazeaud et al., Le«ons de Droit Civil, n° 841; Mestre, Subrogation Personnelle, 1979. 174 Comu, Vocabulaire Juridique, p. 836. 175 Nach Guyon-Toursel, RGAT 1995, 1011 (1012) ist der Anwendungsbreich der subrogation zum Teil von §§ 398 ff. BGB erfaßt. Der Anwendungsbereich der subrogation legale korrespondiere dagegen weitgehend mit dem Rechtsinstitut der Legalzession im Sinne von § 412 BGB. 176 Zweigert/ Kötz, Rechtsvergleichung, S. 448; Gleichzeitig stellt die subrogation einen Modus zur Übertragung der Rechte eines Gläubigers dar, jedoch ohne an die strengen Vorgaben der cession nach Art. 1689 et s. C.Civ. gebunden zu sein. Hier interessiert sie indes nur unter dem Aspekt der Leistung durch einen Dritten. 177 Malaurie / Aynes, Cours de Droit Civil, n° 1206. 10 Abig

146

2. Teil: Krankentransporte und Rettungswesen in Frankreich

ris). Nach Art. 1250,2° C.Civ. kann ein Dritter auch durch Erklärung des Schuldners in die Rechte des Gläubigers subrogiert werden, wenn der Schuldner vom Dritten eine Geldsumme leiht, um seinerseits die Schuld tilgen zu können (subrogation ex parte debitoris). Effekt der subrogation ist die Übertragung des getilgten Anspruchs auf den Dritten - insoweit liegt eine Parallele zur Abtretung nach Art. 1689 et s. C.Civ. vor - mit sämtlichen ihr verbundenen Sicherheiten und Lasten. Dem subroge stehen in der Folge sämtliche Rechtsansprüche des Gläubigers zu, die unmittelbar vor der erfolgten Zahlung mit der Schuld verbunden waren. 178

Teilweise wird vertreten, kraft der convention tiers payant trete ohne weitere Erklärung die subrogation ein, wenn ein Transportunternehmer erstattungsfähige Krankentransportleistungen i. S. d. CSS an einen Versicherten erbringt. 179 Diese Auffassung widerspricht indes dem klaren Wortlaut des Art. 1250 C.Civ., wonach die sub rogation stets ausdrücklich zu erklären ist, und von dem die Rechtsprechung auch keine Ausnahme erlaubt. 180 Die Funktion der subrogation, einem solvens die Wahrnehmung der Rechte des Gläubigers gegenüber dem Schuldner zu ermöglichen, ist zudem eng und unerlässlich an eine Zahlung geknüpft. Der Dritte muss "anlässlich der Zahlung, in seinem Namen und auf eigene Rechnung" handeln. Begleicht er die Schuld im Namen und auf Rechnung des Schuldners, bleibt kein Raum für eine subrogation, denn die Schuld kommt in diesem Falle durch Leistung des Schuldners - vertreten durch den Dritten - endgültig zum Erlöschen. 181 Dass die Kassen, wenn sie den Erbringer einer Krankentransportleistung direkt vergüten, im eigenen Namen und nicht als Vertreter der Versicherten handeln, ist offensichtlich. Problematisch ist indes der fehlende zeitliche Zusammenhang der Leistung der Vergütung und der Vereinbarung der conventions tiers payant. Nach Auffassung des Kassationsgerichts kann die subrogation zwar auch antizipiert erklärt werden, sofern ein entsprechender Wille des subrogeant eindeutig hervorgetreten ist, z. B. in einem früheren Dokument. 182 Dies wird in der Literatur unter Hinweis auf den Wortlaut des Art. 1250, al. 1 C.Civ. abgelehnt: dieser verlange, dass die subrogation zeitgleich mit der Zahlung zu erklären iSt. 183 Im Übrigen 178 Mazeaud et al. , Le~ons de Droit Civil, n° 858 et S., cass. civ. 15 mars 1983, Bull. Civ. I n° 96, cass. civ. 7 decembre 1983, Bull. Civ. I n° 291. 179 Cass. civ. 23 octobre 1984, Bull. Civ. I n° 276. 180 Cass. soc. 18 octobre 1990, pourvoi n° 87 -17.746. 181 Mestre, La subrogation personnelle, n° 43. 182 Cass. civ. 29 janvier 1991, Bull. Civ. IV n° 48. 183 Cass. civ. 14 decembre 1965, Gaz. Pa!. 26 avri11966, 278 (278), Billiau, JCP (G) 1993 doctr. 3684, vgl. auch Mestre, Subrogation Personnelle, n° 52 et S., der allenfalls das antizipierte Versprechen der subrogation anerkennt. Die Wirksamkeit der subrogation stehe dann jedoch unter der Voraussetzung, dass der "Versprechensempfanger" im Zeitpunkt der Zahlung seine Pflichten gegenüber dem Vertragaspartner erfüllt und somit zum Ausdruck bringt, dass er diesen noch immer in seine Rechte subrogieren will, ebda., n° 54.

C. Ausgestaltung der Rechtsbeziehungen

147

wäre eine Folge der subrogation das Einrücken der CPAM in die Rechte des Transportunternehmers gegenüber dem Versicherten. Dies hieße, dass die CPAM nach der Vergütung des Unternehmers ein Regressanspruch in Höhe der von ihr geleisteten Zahlung gegenüber dem Versicherten zustehen würde. Dies widerspricht der intendierten Wirkung der tiers payant- Vereinbarungen: der Versicherte soll - abzüglich des ticket moderateur l84 - von seiner Leistungspflicht befreit werden. Ein Regressanspruch der CPAM wäre damit nicht vereinbar. Nach Auffassung der Rechtsprechung steht dem Leistungserbringer zudem aufgrund Art. L 322-5 CSS kein Rechtsanspruch gegen die CPAM zu, seine Vergütung von dieser einzuklagen. Die CPAM ist infolge dieser Norm nur zur Leistung an den Versicherten oder an seinen privaten Zusatzversicherer verpflichtet,185 so dass ein Einrücken des Transportunternehmers in den Erstattungsanspruch über Art. 1249, 1250 C.Civ. nicht denkbar ist. Das Rechtsinstitut der sub rogation personnelle stimmt demzufolge weder mit den Entstehungsmodalitäten noch mit den Wirkungen des tiers payant- Verfahrens überein, 186 so dass es zur Klärung des Rechtcharakters der conventions nicht geeignet ist.

d) Delegation im Rahmen eines mandat Möglicherweise stellt der in den conventions tiers payant vorgesehene Zahlungsmodus eine delegation dar. Darunter ist ein Rechtsgeschäft zu verstehen, durch das ein Schuldner (delegant) eine andere Person (delegue') beauftragt, sich gegenüber einem Dritten (deligataire) zu verpflichten. In der Folge entsteht zwischen diligui und diligataire ein neues Rechtsverhältnis, welches auf den zuvor bestehenden Rechtsbeziehungen beruht, indes nicht die Einreden und Einwendungen mit diesem teilt. 187 Im C.Civ. ist die dilegation in den Art. 1275, 1276 geregelt. Es sind zwei Arten zu unterscheiden: die deligation parfaite, bei der - die Zustimmung des diLegataire vorausgesetzt - an die Stelle der ursprünglichen Schuld eine Schuld des diligue gegenüber dem Gläubiger entsteht. In diesem Falle tritt eine befreiende Wirkung zugunsten des Altschuldners ein. Durch die diligation imparfaite wird der Schuldner nicht befreit; seine Schuld besteht neben der Verpflichtung des diligui gegenüber dem diligataire fort. Der Gläubiger hat nunmehr zwei Schuldner, an die er sich zur Durchsetzung seines Anspruches halten kann. 188 Grundsätzlich tritt - wie auch aus Art. 1275 C.Civ. hervorgeht - eine diligation imparfaite ein; für eine schuldbefreiende Wirkung bedarf es der ausdrücklichen Erklärung des Gläubigers. Daneben ist eine Unterscheidung zwischen 184 Vgl. Art. 4, 2e al. convention nationale. 185 Cass. soc. 12 decernbre 1973, Bull. Civ. V n° 657. 186 187 188

10*

Ruet, JCP (G) du 20 janvier 1993, corno I 3642, p. 32. Malaurie / Aynes, Cours de Droit Civil, n° 1290 et s. Mazeaud et al., Le90ns de Droit Civil, n° 1250.

148

2. Teil: Krankentransporte und Rettungswesen in Frankreich

der deligation certaine und der deligation incertaine zu treffen: im ersten Fall bezieht sich die neue Verpflichtung des delegue auf ein konkretes Rechtsgeschäft und eine konkrete Summe, im letzten Fall verpflichtet sich der delegue, alles zu zahlen, was der ursprünglicher Schuldner dem delegataire schuldet. 189 Ziel der convention tiers payant ist letztlich die Übertragung des Anspruchs des Versicherten gegen seine Krankenkasse auf Erstattung der Kosten für notwendige Krankentransportleistungen auf den Leistungserbringer. Folge der convention sei, dass der Versicherte dem Transportunternehmer von vornherein nicht als Schuldner gegenüber stehe. Der Dispens des Versicherten von seiner Leistungspflicht sei daher mit der Abwesenheit jedweder Zahlung vergleichbar, so dass im Ergebnis nur die erbrachte Transportleistung Gegenstand eines Schuldverhältnisses sei. Bei der Erbringung dieser Leistung handele der Transportunternehmer im Namen und auf Rechnung des Versicherten und in dessen alleinigem Interesse und erfülle damit die Voraussetzungen des mandat (Auftrag) im Sinne der Art. 1984 et s. c.Civ. 190 Die Leistungsgewährung an einen Versicherten stelle die causa der convention tiers payant dar, da sie den gewünschten Effekt - die Befreiung des Versicherten von seiner Leistungspflicht - und die damit einher gehende delegation herbeiführe. 191 Der Anspruch des Versicherten auf Kostenerstattung gegen die CPAM verbleibe beim Transportunternehmer in seiner Position als mandant. Die tiers payant- Vereinbarung beziehe sich mithin nur auf die Vergütung des Unternehmers. Diese Konstruktion sei mit dem römischen Rechtsinstitut der procuratio in rem suam vergleichbar, welche die im Römischen Recht normalerweise nicht vorgesehene "Umleitung" einer Schuld möglich machte, indem der Gläubiger einen anderen damit beauftragte, seine Forderungen gegen einem Schuldner einzuklagen. Tiers payantVereinbarungen seien daher als mandat zu betrachten, die die deligation einer Schuld nach sich ziehen. 192 Diese Ansicht ist jedoch problematisch, denn grundsätzlich steht dem Auftraggeber - dies ist nach der soeben erläuterten Position der Versicherte - gemäß Art. 1993 C.Civ. gegenüber dem beauftragten dem Transportunternehmer die actio mandati zu, aufgrund derer er von diesem die Herausgabe des Erlangen - hier: der von der CPAM erstattete Betrag - verlangen kann. Ist dagegen eine procuratio in rem suam vereinbart, beinhaltet diese das Recht des Prokurators, das Empfangene für sich zu behalten. Der Vertreter / Beauftragte handelt in diesem Falle im eigenen Interesse. 193 Die procuratio in rem suam spiegelt zwar die Interessenlage des \89 Mazeaud et al., Le~ons de Droit Civil, n° 1238 et s., Malaurie/ Aynes, Cours de Droit Ci vii, n° 1290 et s. \90 Gemäß Art. 1984 C.Civ. handelt es sich bei einem mandat um einen Rechtsakt, mit dem eine Person (mandant) einer anderen (mandataire) die Befugnis überträgt, etwas für sie und in ihrem Namen zu tun. \9\ Ruet, JCP (G) du 20 janvier 1993, com. I 3642, p. 31. \92 Ruet, JCP (G) du 20 janvier 1993, com. I 3642, p. 32. \93 Jörs/ Kunkel/Wenger, Römisches Recht, S. 277 f.

C. Ausgestaltung der Rechtsbeziehungen

149

Transportunternehmers wider, indes verkennt die Ansicht die Systematik der tiers payant-Vereinbarungen. Es ist zwar zuzugeben, dass die Vereinbarungen zwischen den Kassen und den Transportunternehmern - dies lässt sich indes bereits aus der Bezeichnung tiers payant ableiten - nur die Vergütung des Leistungserbringers regeln sollen. Jedoch soll der Versicherte nicht gänzlich seiner Schuldnerposition gegenüber dem Transportunternehmer enthoben werden. Ausweislieh der in den conventions tiers payant getroffenen Vereinbarungen 194 bleibt dieser unmittelbar zur Entrichtung des Eigenanteils an den Transportunternehmer verpflichtet, wobei der Eigenanteil einen Teil des Vergütungsanspruches des Unternehmers aus dem mit dem Versicherten eingegangenen Transportvertrag repräsentiert. Die Befreiung des Versicherten von seiner Vorleistungspflicht beinhaltet somit keineswegs die Abwesenheit jeglicher Zahlungsverpflichtungen. Auch die Konstruktion, dass mit der Leistungserbringung im Wege eines mandat eine delegation der Zahlungspflicht des Versicherten an die CPAM einhergehe, ist nicht schlüssig. Die durch einen Beauftragten erbrachte Leistung kann nicht dazu führen, dass ursprünglich bestehende Rechtsverhältnisse automatisch ersetzt oder modifiziert werden. Ein mandat soll - im Gegensatz zur Leistung durch Dritte - die ursprünglich zwischen den Parteien bestehenden Rechtsbeziehungen gerade nicht berühren. 195 Überdies wird im Wege der delegation stets eine neue Schuld begründet, nicht lediglich eine bestehende Schuld übertragen. 196 Aufgrund der weiterhin bestehenden Verpflichtung des Versicherung zur Entrichtung des Eigenanteils - welche die soeben geschilderte Ansicht rechtlich gar nicht zu erklären vermag - würde die Annahme einer delegation im Rahmen eines mandat im Ergebnis zu einer Komplizierung der Rechtsbeziehungen bei der Leistungserbringung führen, was im Interesse der Versicherten und der Transportunternehmer gerade nicht intendiert war. Diese Auffassung kann daher nicht aufrechterhalten werden.

e) Direktvergütung des Transportunternehmers als Leistung durch Dritte Möglicherweise ist in der Verpflichtung der Krankenkasse gegenüber dem Transportunternehmer, das vom Versicherten geschuldete Transportentgelt direkt an diesen zu zahlen, die Begleichung einer Schuld durch einen Dritten - also eine Person, die nicht Vertragspartei ist - zu sehen. Dieses Rechtsinstitut hat in Art. 1236 C.Civ. eine Regelung erfahren. Danach kann jeder Dritte, der ein Interesse daran hat, die Schuld eines anderen begleichen; beispielhaft werden der Bürge oder der cooblige ("Mitschuldner") genannt. Gemäß Art. 1236, 2e al. C.Civ. kann ein Dritter jedoch auch ohne eigenes Interesse am Erlöschen der Schuld diese begleichen, sofern er - hier werden die Parallelen der 194 195 196

Vgl. Art. 4, 2e al. convention nationale. Catala, Nature Juridique du Payement, n° 106. Malauriel Aynes, Cours de Droit Civil, n° 1203.

150

2. Teil: Krankentransporte und Rettungswesen in Frankreich

Leistung durch Dritte zur Stellvertretung (representation) deutlich - im Namen und auf Rechnung des Schuldners handelt. Dieses Erfordernis ist bereits dann erfüllt, wenn der Dritte mit Wissen des Schuldners die Zahlung an den Gläubiger vornimmt. 197 Tritt der Dritte hingegen im eigenen Namen auf, ist die Tilgung einer fremden Schuld mit befreiender Wirkung für den Schuldner nur möglich, wenn der Zahlende nicht in die Rechte des Gläubigers subrogiert ist, d. h. sofern er nicht infolge Substitution den Anspruch des Gläubigers selbst innehat. 198 Für die Leistungen durch einen Dritten ist das Einverständnis des Gläubigers nicht erfordt;rlieh; es ist ihm sogar verwehrt, die Zahlung durch andere Personen als den Schuldner abzulehnen, wenn diese dem Inhalt seines Anspruchs entspricht. 199 Die zulässige Leistung durch einen Dritten hat zur Folge, dass der Anspruch, auf den hin geleistet wurde, erlischt, so als hätte der Schuldner die Leistung selbst erbracht. 200 Vergütet eine CPAM einen Transportunternehmer, der einen ihrer Versicherten einer Behandlungseinrichtung zugeführt hat, interveniert sie als solvens in das aus dem Transportvertrag zwischen Unternehmer und Versichertem resultierende Schuldverhältnis. Die Voraussetzungen der Leistung durch Dritte nach Art. 1236 C.Civ. scheinen damit erfüllt. Eine befreiende Wirkung zugunsten des Versicherten hätte diese jedoch nur, soweit infolge dessen keine subrogation nach Art. 1249 et s. C.Civ. eingetreten ist, durch die gemäß Art. 1236, 2e al. C.Civ. das Erlöschen der beglichenen Schuld verhindert würde. Vergütet eine CPAM auf Antrag eines Versicherten den von ihm in Anspruch genommenen Krankentransportunternehmer, kann - aus den bereits dargestellten systematischen Gründen und der vorliegenden Interessenlage - keinesfalls eine sub rogation der Kasse in die Rechte des Unternehmers gegenüber seinem Schuldner aus dem Transportvertrag konstruiert werden. Damit hat die von der CPAM an das Transportunternehmen erbrachte Zahlung gemäß Art. 1236, 2e al. C.Civ. befreiende Wirkung zugunsten des Versicherten. Da Leistungen in Erfüllung eines Vertrages, einschließlich der befreienden Leistung durch Dritte nach französischem Rechtsverständnis auch als Vertrag zu qualifizieren ist,201 der zum Erlöschen eines Schuldverhältnisses führt, stellt sich die convention tiers payant letztlich als antizipierter Erfüllungsvertrag zwischen CPAM und Unternehmer dar. Art. 1236, 2e al. C.Civ. enthält jedoch keine Angaben über die Rechtsfolgen einer Leistung durch Dritte, insbesondere über das Bestehen eines Rückgriffsanspruchs des Leistenden gegenüber dem eigentlichen Schuldner. Zum Teil wird dieser Anspruch bejaht; seinen Grund habe er in der bloßen Leis197 198

TerrilSimlerl Lequette, Les obligations, n° 1220. Catala, Nature Juridique du Payement, n° 182.

199 Eine Ausnahme gilt nur, sofern der Anspruch keine Geld- sondern eine andere Leistung zum Gegenstand hat, TerrilSimlerlLequette, Les obligations, n° 1220. 200 Catala, Nature Juridique du Payement, n° 106, cass. civ. 8 decembre 1976, Bull. Civ. I n° 395. 201 Der Schuldner bietet gewissermaßen die Erfüllung an, die vom Gläubiger angenommen werden muss, vgl. statt vieler TemfiSimlerlLequette, Les obligations, n° 1218.

C. Ausgestaltung der Rechtsbeziehungen

151

tung des Dritten,z°2 Diese Rechtsprechung wurde inzwischen dahin korrigiert, dass die Zahlung des Dritten allein noch keine Regressansprüche eröffnen kann, vielmehr muss dieser nachweisen, auf welcher Grundlage und mit welcher Motivation er seine Leistung erbracht hat. Die causa der Zahlung muss für das Bestehen des Rückgriffanspruchs quasi auf einen Vertrag zwischen solvens und Schuldner schließen lassen, aufgrund dessen jener diesem zum Ersatz verpflichtet ist - bei Gefälligkeiten, Freundschaftsdiensten oder spontanen Zahlungen ist ein solcher Anspruch grundsätzlich abzulehnen, während er im Falle der Leistung durch einen Bürgen bejaht wird. Leistet ein Dritter auf eine fremde Schuld, ohne in die Rechte des Gläubigers subrogiert zu werden, so steht ihm ein Rückgriffsanspruch gegen den Altschuldner also nur zu, wenn und soweit dies mit den Motiven für seine Zahlung vereinbar ist. 203 Hintergrund des tiers payant- Verfahrens ist die Befreiung des Versicherten von seiner Vorleistungspflicht zur Vergütung des Transportunternehmers; damit soll zum einen verhindert werden, dass Versicherte notwendige Leistungen zur Behandlung ihrer Erkrankungen mangels finanzieller Mittel nicht in Anspruch nehmen; zum anderen soll ihnen das Kostenerstattungsverfahren erspart, der Leistungsweg zwischen Leistungserbringer, Versichertem und Krankenkasse abgekürzt werden. Bestünde keine entsprechende Vereinbarung, wäre die zuständige CPAM zur Kostenerstattung an den Versicherten verpflichtet, ohne dass ihr Gegenrechte gegen diesen zustünden. Vor diesem Hintergrund wäre es nicht einzusehen, dass den Kassen unter Geltung des tiers payant- Verfahrens Regressansprüche gegen den Versicherten zustehen sollten. Die Vergütung des Transportunternehmers durch die Krankenkasse beinhaltet im Ergebnis eine befreiende Leistung durch Dritte im Sinne von Art. 1236 C.Civ. ohne Rückgriffsmöglichkeiten der leistenden Kasse gegen den ursprünglichen Schuldner des Unternehmers. Da durch die conventions tiers payant die Pflicht des Versicherten zur Leistung des Eigenanteils nicht berührt wird und der Transportunternehmer mit seiner Unterwerfung unter die convention dem zugestimmt hat, muss er sich entgegenhalten lassen, dass sein Vergütungsanspruch durch die Leistung der CPAM - die gemessen an der Gesamthöhe seines Vergütungsanspruches nur eine Teilleistung ausmacht - in Höhe des vereinbarten Erstattungssatzes erloschen ist. Bezüglich des Eigenanteils muss er sich an den Versicherten halten, wobei der Eigenanteil insoweit die bestehende Restschuld aus Art. 1710 C.Civ., i. e. dem contrat de transport als Sonderfonn des louage d'ouvrage, repräsentiert.

Cass. civ. 15 mai 1990, D. 1991 jur. 538. Delebecque, note sur cass. civ. 2 juin 1992, D. 1992 somm. 407 (408); Virassamy, note sur cass. civ. 15 mai 1990, D. 1991 jur. 538 (539). 202 203

152

2. Teil: Krankentransporte und Rettungswesen in Frankreich

3. Rechtsbeziehungen unter Beteiligung eines Zusatzversicherers das Rechtsinstitut des tiers payant delegue

Die tiers payant- Vereinbarungen sind tenninologisch strikt vom Institut des tiers payant delegue abzugrenzen, das in Art. L 322-1, R 362-1 CSS eine Regelung erfahren hat und welches das Verhältnis des Versicherten und der zuständigen CPAM zu einem privaten Zusatzversicherer regelt, sofern der Versicherte mit diesem Vereinbarungen zur Übernahme des Eigenanteil oder zur Befreiung von seiner Vorleistungspflicht getroffen hat. 204 Nach Art. L 322-1 CSS kann die zuständige CPAM den dem Versicherten geschuldeten Erstattungsbetrag entweder direkt an diesen oder an die Organisation leisten, die eine delegation vom Versicherten erhalten hat, sofern der Erbringer der betreffenden Leistung eine entsprechende Abmachung mit dieser Organisation eingegangen ist, welche ihrerseits den vertraglichen Vereinbarungen der assurance maladie - das sind die in den Art. L 162 - 5 et s. CSS niedergelegten Anforderungen, insbesondere betreffend die Tarife und Abrechnungsmodalitäten 205 - genügen muss. Statt des Versicherten kann sich nunmehr der Zusatz versicherer, welcher den Leistungserbringer mit dessen Einverständnis vergütet hat, an die gesetzliche Krankenkasse des Versicherten halten, um seine Aufwendungen erstattet zu bekommen. Das klassische Dreiecksverhältnis der sozialen Krankenversicherung zwischen Krankenkasse, Versichertem und Leistungsempfänger wird auf diese Weise zu einer Vierecksbeziehung erweitert. Die Rechtsbeziehungen zwischen dem Versicherten und seinem Zusatzversicherer - sei es eine mutuelle oder ein auf Gewinnerzielung ausgerichteter Privatversicherer - werden durch einen privatrechtlichen Versicherungsvertrag bestimmt, dessen Inhalt weitgehend durch das statut, i. e. die "Verfassung" des Versicherers detenniniert wird?06 Im Unterschied zur Versicherung im regime general liegt also ein rein zivilrechtlich detenniniertes Rechtsverhältnis vor. Zwar wird vertreten, dass eine Differenzierung zwischen dem Institut des tiers payant und dem des tiers payant delegue aufgrund ihrer Ähnlichkeit nicht notwendig sei, so dass die zum Rechtscharakter der conventions tiers payant gewonnenen Ergebnisse insofern übertragen werden könnten?07 Diese Auffassung ist entgegenzuhalten, dass sich im ersten Falle die CPAM durch Vertrag mit dem Transportunternehmer zur direkten Leistung an diesen verpflichtet. Im zweiten Falle einigt sich dagegen der Versicherte mit seiner privaten Zusatzversicherung, dass diese den Leistungserbringer vergüten soll. Die CPAM ist dabei aufgrund Art. L 322 - I CSS zur Leistung an den Zusatzversicherer verpflichtet, ohne dass sie selbst eine 204 Boissard, Dr. Soc. 2001, 276 (276), sowie cass. soc., LS du 25 juin 1999, jurisprudence n° 637. 205 Boissard, Dr. Soc. 2001, 276 (279), cass. soc. 15 avri11999, Bull. Civ. V n° 181. 206 Laigre et al. , Code de 1a Mutua1ite, p. 22. 207 Ruet, JCP (0) du 20 janvier 1993, corno I 3642, p. 31.

C. Ausgestaltung der Rechtsbeziehungen

153

Willenserklärung abgibt. Die Konstruktion differiert also erheblich, obwohl sie den gleichen Effekt haben: die Befreiung des Versicherten von seiner Leistungspflicht, so dass sich für diesen der Krankentransport als Sachleistung darstellt. a) Zulässigkeitsvoraussetzungen der Direktvergütung des Leistungserbringers durch eine Privatversicherung

Die Regelung des Art. L 322-1, R 362-1 CSS wurde auf Initiative der mutuelles in das Gesetz aufgenommen. Ihre Zulässigkeitsvoraussetzungen sind umstritten, was seinen Grund in der unklaren Formulierung des Gesetzestextes hat: Nach Art. L 322 - I CSS kann die zuständige CPAM die Kostenerstattung an die Organisation erbringen, die eine delegation vom Versicherten erhalten hat, sofern der mit dieser Organisation ... " getrofLeistungserbringer darüber eine Einigung fen hat. Die Rechtsprechung interpretiert die Norm so, dass sich der tiers delegue mit der zuständigen CPAM zu einigen hat, denn aus Art. L 322-5-1 CSS folge, dass eine Befreiung des Versicherten von seiner Vorleistungspflicht nur im Wege eines Vertrages mit den regimes obligatoires d'assurance maladie vereinbart werden kann, zu welcher private Versicherer gerade nicht gehören?08 Auch seitens der gesetzlichen Krankenkassen wurden die gesetzlichen Voraussetzungen mit circulaire vom 22. 12. 1995 dahin präzisiert, dass der Mechanismus des tiers payant delegue nur bei den Leistungserbringern zum Einsatz kommen kann, deren Verbände vertraglich mit den gesetzlichen Krankenkassen gebunden sind?09 Diese Auslegung ist jedoch abzulehnen: offenbar haben Kassationsgericht und CNAMTS, wenn sie annehmen, dass eine delegation allein im Wege einer Konvention der Krankenkassen zustande kommen kann, bei der allein die Leistungserbringer zulässige Vertragspartner der Krankenkassen in Betracht kommen, das Erfordernis einer strikten Unterscheidung zwischen tiers payant deLegue und dem bereits erörterten tiers payant- Verfahren nicht beachtet und beide Fälle fälschlicherweise gleich behandelt. 210 Im Einklang mit dieser Auffassung wurde der circulaire der CNAMTS vom Conseil d'Etat wegen Überschreitung der Regelungsbefugnis für nichtig erklärt: die gesetzlichen Krankenkassen dürften sich dem tiers payant delegue Verfahren nicht entgegenstellen und sich in den Geltungsbereich zivilrechtlicher Verträge einmischen, in denen sie selbst nicht Partei sind. 211 H' • •

Im Ergebnis setzt die Anwendung des tiers payant delegue Verfahrens nach Art. L 322 - I CSS also lediglich voraus, dass die in Anspruch genommenen Leistungserbringer Verträge mit den Zusatzversicherern eingegangen sind, welche wiederum die Regelungen der von der gesetzlichen Krankenkasse verabschiedeten VertragsCass. soc. 8 novembre 1990, D. 1991, somm. 339. Zitiert bei Boissard, Dr. Soc. 2001, 276 (277). 210 So der commentaire zu cass soc. 8 novembre 1990, D. 1991, somm. 339. 211 C.E. 29 decembre 2000, Dr. Soc. 2001, 280 (280 f.), ebenso cass. soc. 15 avril 1999, BuH. Civ. 1999 V, n° 181. 208

209

154

2. Teil: Krankentransporte und Rettungswesen in Frankreich

werke zu beachten haben. Um das Verfahren anwenden zu können, ist eine delegation vom Versicherten nach Art. R 362 - 1 CSS erforderlich, da dieser Inhaber eines Erstattungsanspruchs gegenüber dem Zusatzversicherer ist, über den Dritte ohne dessen Einverständnis nicht verfügen können.

b) Qualifizierung als cession de dette Möglicherweise lässt sich der Vertrag zwischen dem Versicherten und seinem Zusatzversicherer als cession de dette, i. e. die Abtretung einer fälligen Schuld, qualifizieren. Der Versicherer könnte sich - vergleichbar mit dem Rechtsinstitut der Schuldübernahme nach § 414 ff. BGB - also dazu verpflichtet haben, die aus dem contrat de transport resultierende Vergütungspflicht des Versicherten zu übernehmen. Obwohl durchaus ein praktisches Interesse an der Übertragung der Schuldnerposition besteht,212 hat die cession de dette bislang keinen Eingang in den Code Civil gefunden. Daher wird diskutiert, ob im Wege einer Analogie zur cession de creance nach Art. 1689 et s. C.Civ. ein Vertrag zwischen ursprünglichem und neuem Schuldner konstruiert werden kann, mit der die Schuld übertragen und der Altschuldner von seiner Verpflichtung befreit werden soll, ohne dass eine Mitwirkung des Gläubigers erforderlich ist. Nach der Systematik des Code Ci vii ist die cession dem Kaufrecht zugeordnet. Der Zedent wird also als Verkäufer, der Zessionar als Käufer einer Forderung angesehen,213 so dass die Folgerung naheliegt, aufgrund des Prinzips der Vertragsautonomie sei es den Parteien unbenommen, auch solche - unter Umständen einseitig belastende - Vereinbarungen zu treffen. Aus diesem Grunde wird die Zulässigkeit der cession de dette befürwortet, wenngleich sie eine bindende Wirkung nur im Innenverhältnis zwischen altem und neuem Schuldner entfalten solle. Dem Gläubiger könne sie nur dann entgegen gehalten werden, wenn dieser den Neuschuldner kennt und die Übertragung der Schuld akzeptiert hat. 214 Dieser Auffassung steht indes das den Code Civil beherrschende Prinzip der incessibilite de la dette entgegen. Danach kann eine Schuld allein nicht Gegenstand einer rechtsgeschäftlichen Übertragung sein?15 Zum anderen werden auch praktische Bedenken geltend gemacht, der cession de creance ein solches Korrelat gegenüber zu stellen. Während bei der cession de creance die "Bereicherung" einer dritten Person bezweckt ist, wird bei der cession de dette das Vermögen des Dritten belastet. Überdies könne einem Gläubiger nicht gegen oder ohne seinen Willen ein anderer Schuldner aufgezwungen werden, dessen Solvenz und Verlässlichkeit er unter Umständen nicht beurteilen kann. 216 Abhilfe ließe sich hier zwar durch Ein212 So bei der Übereignung von Sachen, vgl. Malaurie / Aynes, Cours de Droit Civil, n° 1262. 213 Vgl. hierzu Zweigert/ Kötz, Rechtsvergleichung, S. 445. 214 Carbonnier, Droit Civil, n° 322. 215 Malaurie/ Aynes, Cours de Droit Civil, n° 1262. 216 Carbonnier, Droit Civil, n° 322, Mazeaud et al. , Le~ons de Droit Civil, n° 1277.

C. Ausgestaltung der Rechtsbeziehungen

155

holung der Zustimmung des Gläubigers schaffen; jedoch war auch eine von allen Seiten konsentierte cession de dette vom Gesetzgeber nicht gewollt. Das Schweigen des Code Civil in Bezug auf ein solches Rechtsinstitut war insofern vom Willen motiviert, eine Übertragung von Pflichten in dieser Form nicht zuzulassen. 217 Ein mit der Schuldübernahme nach § 414 ff. BGB vergleichbares Rechtsinstitut sollte gerade nicht geschaffen werden,218 so dass im Ergebnis eine Qualifizierung des tiers payant delegue- Verfahrens als cession de dette ausscheiden muss.

c) Das tiers payant deLegue-Verfahren als mandat nach Art. 1984 C.Civ. Gemäß Art. 1239 C.Civ. sind Zahlungen stets an den Gläubiger oder eine von diesem autorisierte Person zu leisten. Eine solche Autorisierung könnte darin liegen, dass der Versicherte eine mutuelle oder private Zusatzversicherung mit der Vergütung des in Anspruch genommenen Leistungserbringers und der anschließenden Einziehung des ihm von der CPAM geschuldeten Erstattungsbetrages beauftragt,219 so dass den tiers payant delegue-Vereinbarungen der Rechtscharakter eines mandat im Sinne von Art. 1984 C.Civ. zukäme. Die Zusatzversicherer würden dadurch in die Lage versetzt, im Namen und auf Rechnung des Versicherten den Transportunternehmer zu vergüten und sich ihre Aufwendungen durch die CPAM erstatten zu lassen. Damit resultieren bereits aus der Systematik des Gesetzes Bedenken gegen diese Auffassung: wie bereits festgestellt, hat der mandataire gemäß Art. 1993 C.Civ. alles bei Erfüllung des Auftrags Erhaltene - in der vorliegenden Konstellation den von der CPAM eingezogenen Erstattungsbetrag - an seinen Auftraggeber, den Versicherten, herauszugeben. Die private Versicherung würde damit zwar nicht auf ihren Kosten zur Vergütung des Transportunternehmers sitzen bleiben, da sie über Art. 1999 C.Civ. wiederum einen Anspruch gegen den Versicherten auf Ersatz aller zur Ausführung des Auftrags notwendigen Kosten hätte. Die Konstruktion eines mandat würde sich insofern als Umweg erweisen, um den mit dem tiers payant deLegue- Verfahren intendierten Zweck zu erreichen, nämlich dass der Versicherte von den finanziellen Folgen seiner Inanspruchnahme von Krankenkassenleistungen verschont wird. Darüber hinaus spricht gegen die Annahme eines mandat, dass dieses gemäß Art. 2003 C.Civ. mit dem Tod des mandant endet. In der Praxis wird diese Überlegung relevant, wenn der Versicherte nach Leistungserbringung, jedoch 217 So jedenfalls Mazeaud et al., Le,