Die Befugnis zu Eingriffen in die Rechtsstellung des einzelnen durch Betriebsvereinbarungen [1 ed.] 9783428489459, 9783428089451

Seit Jahren befinden sich der Tarifvertrag auf dem Rückzug und die Betriebsvereinbarung auf dem Vormarsch. Das Bedürfnis

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German Pages 389 Year 1997

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Die Befugnis zu Eingriffen in die Rechtsstellung des einzelnen durch Betriebsvereinbarungen [1 ed.]
 9783428489459, 9783428089451

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SEBASTIAN MÜLLER-FRANKEN

Die Befugnis zu Eingriffen in die Rechtsstellung des einzelnen durch Betriebsvereinbarungen

Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 151

Die Befugnis zu Eingriffen in die Rechtsstellung des einzelnen durch Betriebsvereinbarungen

Von Sebastian Müller-Franken

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

MüDer-Franken, Sebastian:

Die Befugnis zu Eingriffen in die Rechtsstellung des einzelnen durch Betriebsvereinbarungen / von Sebastian Müller-Franken. Berlin : Duncker und Humblot, 1997 (Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht; Bd. 151) Zug!.: Mainz, Univ., Diss., 1996 ISBN 3-428-08945-6 NE:GT

Alle Rechte vorbehalten © 1997 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Werner Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0227 ISBN 3-428-08945-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

9

Meiner Mutter und dem Andenken meines Vaters

Vorwort Die vorliegende Untersuchung hat dem Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften der Johannes Gutenberg-Universität Mainz im Sommersemester 1996 als Dissertation vorgelegen. Sie wurde angeregt und betreut von Herrn Professor Dr. Horst Konzen. Für die freundliche Aufnahme an der Mainzer Universität, seine vielfältige Unterstützung und stete Einsatzbereitschaft sowie die zügige Durchführung des Promotionsverfahrens danke ich ihm sehr herzlich. Besonders danken möchte ich auch Herrn Professor Dr. Hans Heinrich Rupp. Er hat mich zu einem Thema an der Schnittstelle zwischen dem öffentlichen und dem privaten Recht ermutigt, zusammen mit Herrn Prof. Dr. Horst Konzen den Fortgang der Arbeit unterstützt und das Zweitgutachten erstellt. Danken möchte ich auch Herrn Professor Dr. Peter Pecher für seine Förderung sowie Herrn Professor Dr. Friedhelm Hufen für seine wertvollen Amegungen. Herr Professor Dr. Hartmut Söhn hat mir an seinem Lehrstuhl den Freiraum gewährt, die Arbeit zu vollenden. Dafür möchte ich ihm ganz besonders herzlich danken. In Dank verbunden bin ich auch dem Land Rheinland-Pfalz, das die Entstehung der Arbeit durch die Gewährung eines Graduiertenstipendiurns gefördert hat. Danken möchte ich weiter meinen Kollegen an der Passauer Universität Christian Kimberger und Dr. Peter Gröschler, die mir bei der äußeren Gestaltung der Arbeit sehr geholfen haben. Schließlich danke ich von Herzen meiner Ulrike, die die enorme Last des Korrekturlesens auf sich genommen hat. Passau, im November 1996 Sebastian Müller-Franken

Inhaltsübersicht Erster Teil Einführung

§ 1 Problemstellung ............. ...................... ..................................... ........... ..... ..........

21 21

Zweiter Teil Die Legitimation der unmittelbaren und zwingenden Wirkung von Betriebsvereinbarungen

45

l. Kapitel: Durch die Selbstbestimmung des einzelnen ............................................

45

§ 2 Selbstbestimmung durch Selbstbindung .............................................................

47

§ 3 Selbstbestimmung durch Zurechnung fremden Handeins ....... ........... ..... ...... .....

51

§ 4 Selbstbestimmung durch Unterwerfung unter fremde Gestaltungsmacht ...........

55

§ 5 Selbstbestimmung durch Mitgliedschaft in einem Verband ...............................

63

2. Kapitel: Durch eine fremdbestimmte, heteronome Ordnung ............................... 102 § 6 Die Betriebsvereinbarung als außerstaatliche, private Rechtsnorm

102

Dritter Teil Die Legitimation von Eingriffen durch Betriebsvereinbarungen

I. Kapitel: Das Erfordernis einer besonderen Legitimation

162 162

§ 7 Die allgemeine Legitimation .................. .............. ........... ............ ....... ..... ...... .... 163 § 8 Die besondere Legitimation .......... ............................. ............ ....... ....... ..... .... .... 165

2. Kapitel: Der Nachweis einer Eingriffsgrundlage ....................... .......................... 216 § 9 Die allgemeine Regelungskompetenz in sozialen Angelegenheiten ............ ...... 217

§ 10 Die Mitbestimmung in den sozialen Angelegenheiten des § 87 BetrVG ........ 223 Ergebnisse .............................................................................................................. 338 Literaturverzeichnis ............... ............................................ ................... ..... ...... ..... 350 Sachverzeichnis ...................................................................................................... 385

Inhaltsverzeichnis Erster Teil

Einführung

21

§ 1 Problemstellung .................................................................................... ............

21

A. Gegenstand der Untersuchung .......................................................................

21

B. Praktische Bedeutung des Themas ................................................................

23

I. Schwächen des Tarifvertrages .................................................................

23

II. Stärken der Betriebsvereinbarung aus Sicht der herrschenden Meinung

27

III. Gefahren der neueren Entwicklung .........................................................

28

C. Das rechtliche Problem ..................................................................................

31

I. Einführung ...............................................................................................

31

II. Die bisherige Behandlung der Frage von Eingriffsbefugnissen betrieblicher Rege\ungsgewalt ..............................................................................

32

1. Überblick über den Meinungsstand .......................... .................... .....

32

2. Gründe für ein einheitliches Vorverständnis .....................................

38

IH. Ansatz der Untersuchung ........................................................................

40

D. Gang der Darstellung .....................................................................................

43

Zweiter Teil

Die Legitimation der unmittelbaren und zwingenden Wirkung von Betriebsvereinbarungen

45

1. Kapitel

Durch die Selbstbestimmung des einzelnen

45

§ 2 Selbstbestimmung durch Selbstbindung ..........................................................

47

A. Selbstbindung durch Se\bsthandeln.................................................................

47

12

Inhaltsverzeichnis B. Selbstbindung durch Innehaben der ParteisteIlung .............. ..........................

49

C. Ergebnis .........................................................................................................

50

§ 3 Selbstbestimmung durch Zurechnung fremden Handeins ...........................

51

A. Grundlegung: Stellvertretung und Selbstbestimmung ...................................

51

B. Der Betriebsrat als Vertreter der Arbeitnehmer .............................................

52

I. Gewillkürte Vertretung? ..........................................................................

52

11. Gesetzliche Vertretung? ..........................................................................

53

III. ,,Privatheteronomes Rechtsgeschäft"? .....................................................

54

C. Ergebnis .........................................................................................................

55

§ 4 Selbstbestimmung durch Unterwerfung unter fremde Gestaltungsmacht ..

55

A. Grundlegung ......... .... ............................. .................................. ........ ..... ..... ....

55

B. Anknüpfungspunkte ............................................................................. .........

56

I. Abschluß des Arbeitsvertrages und Eintritt in den Betrieb? ........ ............

56

11. Wahl des Betriebsrats? ............................................................................

59

C. Ergebnis .........................................................................................................

62

§ 5 Selbstbestimmung durch Mitgliedschaft in einem Verband .........................

63

A. Rechtliche Einordnung der Satzung des körperschaftlich organisierten privatrechtlichen Verbandes ......................................................................................

65

I. Vertragsrechtliche Betrachtungsweise .....................................................

67

11. Die Satzung als Rechtsnorm ...................................................... ..............

67

III. Unterscheidende Betrachtungsweise ("modifizierte Normentheorie") ....

70

IV. Stellungnahme .........................................................................................

71

I. Das Errichten der Satzung .................................................................

71

2. Die Verfassung des "ins Leben getretenen Verbandes" .....................

72

V. Ergebnis ....................................................................................................

75

B. Die Betriebsvereinbarung als Statut eines Verbandes ...................................

76

I. Der "Betrieb": ein Verband? ...................................................................

76

11. Der "Belegschaftsverband" .................................. ......... ............. ..... ........

77

Inhaltsverzeichnis

13

1. Eigener Name? .......................................................................... .........

79

2. Satzungsrecht in eigenen Angelegenheiten? ............ .................. .... ....

80

3. Vorhandensein von Organen? ........................................................ ....

83

4. Gemeinsamer Zweck? ................................................. .......................

87

III. Der ,,Betriebsverband" ........... ......... ........................ ................................

94

1. Unabhängigkeit vom Mitgliederwechsel? .................... .....................

95

2. Eigener Name? ...................................................................................

96

3. Satzungsrecht in eigenen Angelegenheiten? ......................................

97

4. Vorhandensein von Organen? ............................................................

98

5. Gemeinsamer Zweck? .............................................................. ......... 100 C. Ergebnis ........................ .................................................. ........................ ...... 101

2. Kapitel

Durch eine fremdbestimmte, heteronome Ordnung § 6 Die Betriebsvereinbarung als außerstaatliche, private Rechtsnorm

102 102

A. Grundlegung ................................................................................................. 102 B. Der Rechtsnormencharakter der Betriebsvereinbarung ................................ 105

I. Der Sprachgebrauch des Gesetzes .......................................................... 105 II. Die Merkmale einer Rechtsnorm .................................................... ........ 106 1. Der Begriff der Rechtsnorm ........................................................ ...... 106 2. Die einzelnen Merkmale ................................................................... 107 3. Der Staat notwendig Urheber des Norminhalts? ............................... 111 4. Zwischenergebnis ......................... ................................. ....... ........ .... 113 C. Die Quelle der Verbindlichkeit ..................................................................... 114

I. Die Lehre von der vorstaatlichen Rechtsetzungsgewalt ......................... 114 1. Die These .......................................................................................... 114 2. Die Begründung ........................ ........................................................ 115 a) Die genossenschaftliche Rechtslehre ............................................ 115 b) Der Gedanke der sozialen Selbstverwaltung ................................. 117 c) Das Subsidiaritätsprinzip ........................... .... ................... ..... ....... 119 II. Bedenken ................................................................................................ 120

14

Inhaltsverzeichnis 1. Das Zurechnungssubjekt ................................................................... 122 2. Staatliche Souveränität .....................................................................

123

a) Zur prinzipiellen Vereinbarkeit von privater Rechtsetzung mit staatlicher Souveränität ........................................ .......... ........ ....... 124 aa) Grundlegung: Der Begriff der Souveränität .......................... 124 bb) Das Bestehen eines Rechtsetzungsmonopols als Kennzeichen staatlicher Souveränität? ....................................................... 126

a) Das einfache Recht ........................................................... 127 ß) Die Verfassungsmäßigkeit des einfachen Rechts .............. 127

(1) Tarifautonomie ................................................ ............. 128 (2) Objektiv-rechtliche Grundrechtsgehalte ........ .......... ..... 129 (3) Sozialstaatsprinzip ........................................................ 13 1 (4) Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip? ....................... 132 (5) Verstoß gegen staatliche Souveränität? ........................ 134 b) Rechtsetzung Privater unabhängig von staatlicher Anerkennung?

135

aa) Die Einheit der Rechtsordnung ................ ............ ................. 135 bb) Die Frage der Rechtsgeltung .......................... .......... ............ 136

a) Das Erfordernis tatsächlicher Geltung .............................. 136

ß) Die Garantie tatsächlicher Durchsetzung

.......................... 138

y) Die Notwendigkeit einer staatlichen Zuordnungsentscheidung ..................................................................................

140

c) Nicht Rechtsetzungs-, sondern Rechtsanerkennungsmonopol als Kennzeichen staatlicher Souveränität ............................................ 140 3. Die Thesen von der Sozialautonomie und der Geltungskraft des Subsidiaritätsprinzips .................................... ............... ....... ........ ..... ....... 143 a) Soziale Selbstverwaltung .............................................................. 143 b) Subsidiaritätsprinzip ..................................................................... 145 III. Der staatliche Rechtsgeltungsbefehl für die betrieblichen Rechtsnormen.....................................................................................................

147

1. Übertragung staatlicher RechtsetzungsgewaIt? .... .................... ......... 147 a) Eigene HoheitsgewaIt in den Händen der Betriebspartner? .......... 150 b) "Verwandlung" hoheitlicher in private Gewalt? ...........................

157

2. Zweigleisige Entstehung privat gesetzten Rechts ............................. 158 a) Anerkennung der privat formulierten Regel als Rechtsnorm (F. Kirchhof) ................................................................................. 158

Inhaltsverzeichnis

15

b) Abgrenzung: Betriebsvereinbarungen weder Verweisungsobjekt noch Tatbestandsmerkmal einer staatlichen Norm ....................... 159 IV. Ergebnis ........................................................................... ........... ........... 161

Dritter Teil

Die Legitimation von Eingriffen durch Betriebsvereinbarungen

162

J. Kapitel

Das Erfordernis einer besonderen Legitimation

§ 7 Die allgemeine Legitimation

162 163

§ 8 Die besondere Legitimation ............................................................................ 165 A. Grundlegung: Die Parallele zu den Zwangskörperschaften des öffentlichen Rechts ........................................................................................................... 165

I. Gleiche Organisationsprinzipien in bei den Bereichen ............................ 165 11. Anforderungen an belastende außerstaatliche Rechtsetzung durch rechtsfähige Einheiten des öffentlichen Rechts: Der Vorbehalt des Gesetzes ................ ........................ ......................................................... 166 III. Die Betriebsvereinbarung: Private Rechtsetzung mit quasi-hoheitlicher Verbindlichkeit ............................................................................ 169

B. Geltung des Vorbehaltes des Gesetzes für eingreifende betriebliche Rechtsetzung ............................................... ........................... ........... ........... 171

I. Die Fundamente des Vorbehaltes des Gesetzes ...................................... 172 I. Allgemeines ................................................ ...................................... 172 2. Insbesondere: Der Bereich der außerstaatlichen öffentlich-rechtlichen Rechtsetzung............................................................................ 177 11. Der Vorbehalt des Gesetzes als Maßstab und Grenze betrieblicher Normsetzung ................................................................................... .... ... 180 I. Grundsätzliches ................................................ ........ ............. ..... ....... 180 2. Die den Vorbehalt des Gesetzes tragenden Gedanken ....... ....... ........ 183 a) Rechtsstaatlicher Eingriffsvorbehalt ....................... ....... ..... ...... .... 183

16

Inhaltsverzeichnis b) Schutzauftrag des parlamentarischen Gesetzes

185

c) Kompetentielle Bedeutung der grundrechtlichen Gesetzesvorbehalte ................................................................................................ 185 d) (Organ-) Souveränität des Parlaments .......................................... 187 e) Geltung des Vorbehaltes des Gesetzes nach Maßgabe der Wesentlichkeitstheorie (Waltermann)? ......................................... 188 f) Zwischenergebnis .......................................................................... 192 3. Das geringere Legitimationsniveau in der Betriebsverfassung im Vergleich zu dem der Selbstverwaltungskörperschaften .............. ..... 192 a) Die besondere Legitimation der Selbstverwaltung ....................... 192 b) Das Legitimationsniveau in der Betriebsverfassung ..................... 195 III. Gründe für die Entbehrlichkeit besonderer Eingriffsermächtigungen in der Betriebsverfassung? ..................................................................... 200 1. Betriebsvereinbarungen: ,,Privatautonomie auf höherer Ebene"? ..... 201 a) Die Argumentation ........................................................................ 201 b) Kritik ............................................................................................. 202 2. Kollision zwischen Grundrechten der Arbeitnehmer und denen des Betriebsrats? ..................................................................................... 207 a) Die Problematik .................................................................... ........ 207 b) Grundrechtsträgerschaft des Betriebsrats selbst? .......................... 209 c) Grundrechtskollision zu Lasten der Arbeitnehmer? ...................... 212 3. Mißachtung der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft? .......... 214 C. Ergebnis ........................................................................................................ 216

2. Kapitel

Der Nachweis einer Eingriffsgrundlage § 9 Die allgemeine Regelungskompetenz in sozialen Angelegenheiten

216 217

A. Die Argumentation ........................................................ ................. ....... ....... 2 I 7 I. Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ..................................... 2 I 7

11. Das zustimmende Schrifttum ................ .................................................. 219 B. Wahrung der Anforderungen an eine besondere Eingriffsgrundlage? .......... 220 C. Ergebnis und Folgerungen für praktische Fälle ............................................ 222

Inhaltsverzeichnis

17

§ 10 Die Mitbestimmung in den sozialen Angelegenheiten des § 87 BetrVG .... 223 A. Grundlagen ...... .... .................. ........ ................................ .......... ......... ..... ....... 223

I. Fragestellung .. .... .................................................................... ......... .... ... 223 H. Auswirkungen eines eingriffsorientierten Verständnisses betrieblicher Mitbestimmung ........................ .......................... .... ................ ....... .... ..... 226 IH. Zur Methode ....................................... .......................................... .......... 230 1. Vorbemerkung .................................................................................. 230 2. Die leitenden Auslegungsprinzipien .............. ................ ................... 231 3. Arbeitsrechtliche Besonderheiten? ................................................... 235 IV. Mitbestimmungsfreiheit materieller Arbeitsbedingungen? .................... 238 B. Eingriffsbefugnisse als Sinn betrieblicher Mitbestimmung ................ .......... 241

I. Präzisierung des inhaltlichen Ziels der Auslegung .......... ................ ....... 241 H. Anwendung der klassischen Methoden ........ .......................................... 242 1. Wortlautauslegung ............................................................................ 242 2. Logisch-systematische Auslegung .................................................... 247 3. Teleologische Auslegung .................................................................. 249 a) Der Schutzzweck ......... ................................ ............ ......... ............. 250 aa) Die Nachweisquelle: Der Bericht der Mitbestimmungskommission ............................ .... .... ... ........... ........... ..... ........ 250 bb) Der Inhalt des Schutzzwecks ................................................ 252 b) Der Teilhabezweck ....................................................................... 252 4. Zwischenergebnis und Gang der weiteren Untersuchung ........ ......... 254 C. Der Nachweis des Teilhabezwecks ................................................................ 256

I. Die Regelungsabsicht des Gesetzgebers ................................................. 256 H. Objektiv-teleologische Ansatzpunkte ..................................................... 257 1. Einschränkung der individual vertraglichen Ausweichmöglichkeiten des Arbeitgebers als eigener Zweck? .......... .................... ....... 257 a) Die Argumentation ........................................................................ 257 b) Schlüssigkeit der Ableitung? .............................................. .......... 258 2. Bestätigung durch das Initiativrecht des Betriebsrats? ..................... 261 3. Ausprägung betrieblicher Demokratie? ............................................ 265 a) Der Ansatz ................... ....................................... ..... ..................... 265 2 Müller-Franken

18

Inhaltsverzeichnis b) Demokratisierung der Gesellschaft - ein Gebot der Verfassung?

267

c) Demokratisierung der Gesellschaft: eine Frage politischer Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers ............................................ 275 4. Teilhabe als Gebot der Achtung der Menschenwürde? ...... ....... ....... 276 a) Der Ansatz .................................................................................... 276 b) Das Prinzip der Menschenwürde und sein Verhältnis zum betrieblichen Arbeitsverhältnis ......... ... ...... ....... ....... .......... ... ........ 277 c) Der Schutz der Menschenwürde im Rahmen des Betriebsverfassungsgesetzes ........................................................................... 280 d) Grundrechtliche Selbstbestimmung und § 87 BetrVG ..... ..... ..... ... 280 aa) Förderung grundrechtlicher Sebstbestimmung durch Teilhabe? ................................................. ....... ................. ....... 281 bb) Ist individuelle Eigenhabe ersetzbar durch kollektive Teilhabe? ...................................................................................... 285 cc) Notwendigkeit der Konsequenzen? ....................................... 287 111. Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern und Arbeitgebern .............. .... 288 I. "Parität" als Kennzeichen der Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten .. ...... ............ ........... ..... ............... ....... ... ....... ..... .... 289 2. Tatsächliche Ungleichbehandlung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern bei dem Begründen und Verändern von Leistungspflichten .. .... ....... .................. .................. ............. ......... .................... 289 3. Das rechtliche Gleichheitsproblem ................................................... 291 4. Beispiele ................................ .................. .... ......... ............ ............ .... 295 a) Das Umstellen von barer auf bargeldlose Lohnzahlung ................ 295 b) Die Einführung von Kurzarbeit ............................................. ....... 299 IV. Zwischenergebnis .................................................................................. 301 D. Weitere Lehrmeinungen zur Begründung von Eingriffsbefugnissen im Rahmen des § 87 BetrVG ....... .......... .................... ............. ....... ... ....... ... ....... 302 I. Mitbestimmung über materielle Annexregelungen ................................ 302

11. Erfordernisse der Praktikabilität? ..... ............................................ ... ....... 305 I. Die Aussage ........ .................. ............................. ......... ... ....... ... ......... 305 2. Stellungnahme .................................................................................. 306 a) Grundsätzliches zur Ergebniskontrolle ......................................... 306

Inhaltsverzeichnis

19

b) Überzeugungskraft des Praktikabilitätsarguments im vorliegenden Zusammenhang ....................................................................... 308 aa) Ausgangspunkt: Einheitlichkeit kein Selbstzweck ...... ...... .... 308 bb) Die Gegenfrage: sind individualrechtliche Ermächtigungen unpraktikabel? ....................... ...... .... .................. ......... ...... .... 310 3. Beispiel: Das Ablösen allgemeiner Arbeitsbedingungen .................. 317 a) Problemstellung ..... .............................. .......... .............. ....... ... ... .... 317 b) Originäre Belastungsbefugnisse als Abweichung von der actus-contrarius-Doktrin ............................................................... 320 c) Inhaltliche Besonderheiten allgemeiner Arbeitsbedingungen ....... 321 d) Individualrechtliche Lösungswege ............................................... 322 aa) Änderungsvorbehalte ...... .... ...... ................ ...... ....... ... ..... ... .... 322 bb) Ergänzendes Auslegen des Arbeitsvertrages ....... .......... ....... 329 cc) Das konkrete Einverständnis ................................................. 330 dd) Wegfall der Geschäftsgrundlage ........................................... 331 e) Zwischenergebnis ......................................................................... 332 III. Ausgleichsfunktion betrieblicher Mitbestimmung? ...... ......................... 333 E. Ergebnis und Folgerungen für praktische Fälle

336

Ergebnisse .............................................................................................................. 338 Literaturverzeichnis .............................................................................................. 350 Sachverzeichnis ...................................................................................................... 385

Abkürzungen Die hier verwendeten Abkürzungen sind die üblichen. Bis auf die folgenden Ausnahmen sind sie entnommen dem Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache von Hildebert Kirchner, 4. Auflage, 1993. EvStL ÖJT ÖZöR StlGHE ZHKR ZSchwR

Evangelisches Staatslexikon Österreichischer Juristentag Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht Entscheidungen des Ständigen Internationalen Gerichtshofs Zeitschrift für das gesamte Handels- und Konkursrecht Zeitschrift für Schweizer Recht

Erster Teil

Einführung § 1 Problemstellung A. Gegenstand der Untersuchung Finden sich in Betriebsvereinbanmgen lediglich organisatorische Regelungen oder solche zugunsten des einzelnen, so sind ihre Rechtswirkungen unter dem Aspekt des Individualschutzes nicht weiter bedenklich: Begünstigungen, die man nicht will, braucht man nicht entgegenzunehmen 1. Sobald aber Betriebsvereinbanmgen in die Rechtsstellung der Belegschaftsangehörigen belastend eingreifen, werden Gefahren für die Freiheit des einzelnen heraufbeschworen. Es stellt sich dann die Frage, ob und, wenn ja, unter welchen Voraussetzungen Eingriffe in die Rechtsstellung von Individuen zulässig sind. Dies ist das Thema der vorliegenden Untersuchung. Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts2 sowie die überwiegende Meinung im Schrifttum3 gehen in wohl seltener Einmütigkeit davon aus, daß eingreifende Betriebsvereinbarungen möglich sind, und zwar sowohl durch Be-

1 Allgemeiner Rechtsgedanke, vgl. etwa Richardi, KollektivgewaIt, S. 320 ftir die Betriebsvereinbarung sowie Sachs, VerwArch 74 (1983), 25, 35 für die normsetzende Vereinbarung im öffentlichen Recht (jeweils unter Berufung auf die ratio des § 333 BGB). 2 BAG, AP NT. 9 zu § 87 BetrVG 1972 - Arbeitszeit; AP NT. 23 zu § 77 BetrVG 1972. 3 Ahrend, FS HilgerlStumpf, S. 17, 25; Biberacher, Betriebliche Rechtsetzungsmacht, S. 140; W. Blomeyer, NZA 1985,641,645 f.; ders., DB 1987,634,637; Dietz! Richardi, BetrVG, § 77 Rnz. 125; Richardi, ZfA 1990,211,241; ders., ZfA 1992,307, 319; H. Hanau, Individualautonomie und Mitbestimmung, S. 128 ff.; P. Hanau, Gern. Anm. zu AP Nm. 4 u. 6 zu § 77 BetrVG 1972; Hilger/Stumpf, FS G. Müller, S. 209, 214 ff.; Jobs, DB 1986, 1120 ff.; Joost, RdA 1989,7,9,17 f. u. Fn. 114; Leinemann, DB 1990,732,735 fI.; Löwisch, DB 1983, 1709, 1710; ders., ZGR 13 (1984),272,283 f.; K.-P. Martens, RdA 1983,217,218 ff.; Rühle, ZIP 1984,411,415.

22

Teil 1: Einführung

triebsvereinbarungen im Rahmen der sog. notwendigen Mitbestirnrnung4 als auch durch sog. freiwillige Betriebsvereinbarungen5 . So hält man es beispielsweise fiir zulässig, Kurzarbeit durch eine Betriebsvereinbarung anzuordnen6 , Vertragsstrafen einzuführen7 , eine Betriebsbußenordnung zu erlassen8, Ausschlußfristen für das Geltendrnachen von nicht auf einer Betriebsvereinbarung beruhenden - Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis zu normieren9 , die Lohnzahlung von barer auf unbare Zahlweise umzustellen lO sowie aufgrund allgemeiner Arbeitsbedingungen gewährte Sozialleistungen zu kürzen)), ohne daß all dies das Vorhandensein einer entsprechenden individualrechtlichen Grundlage voraussetzte; Belastungsgrund sei vielmehr allein die Betriebsvereinbarung. Im Hinblick auf weitere Inhalte ließe sich daran denken, den Arbeitnehmern durch eine Betriebsvereinbarung die Kosten ihrer Arbeitskleidung aufzuerlegen 12 , eine sog. "Viertagewoche" einzuführen 13 oder etwa die zum Zwecke der Finanzierung der Pflegeversiche-

4 Notwendig ist die Mitbestimmung des Betriebsrats in den sozialen Angelegenheiten des § 87 BetrVG. Dies bedeutet, daß eine Maßnahme des Arbeitgebers nur wirksam ist, wenn der Betriebsrat mitbestimmt hat, so die h.M., vgl. Wiese, in: GK-BetrVG, § 87 Rnz. 91 mit umfassenden Nachweisen in Rnz. 92; a.A. Dietz, 1. FS Nipperdey, S. 147 ff. und ihm folgend Richardi. Kollektivgewalt. S. 291 ff. Das Mitbestimmungsrecht kann in den Angelegenheiten des § 87 BetrVG auch durch den Abschluß einer Betriebsvereinbarung ausgeübt werden, den beide Seiten notfalls über die Einigungsstelle erzwingen können, BAG, AP Nr. 21 zu § 77 BetrVG 1972; AP Nr. 6 zu § 87 BetrVG 1972 - Auszahlung; BAG (GS), NZA 1991, 749, 753; Lieb, Arbeitsrecht, S. 213; GalperinlLöwisch, BetrVG, § 87 Rnz. 34. 5 Freiwillige Betriebsvereinbarungen zeichnet demgegenüber aus, daß sie nur im Einvernehmen zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat geschlossen werden können, Wiese, in: GK-BetrVG, § 88 Rnz. 3. 6 BAG, NZA 1991,607. 7 BAG, AP Nr. 52 zu § 77 BetrVG 1972. 8 AP Nr. 1 zu § 56 BetrVG Betriebsbuße; AP Nm. 1 u. 12 zu § 87 BetrVG 1972 - Betriebsbuße. 9 BAG, NZA 1991,734. 10 BAGE 29, 40, 43 f.; AP Nr. 6 zu § 87 BetrVG 1972 Auszahlung; Dietzl Richardi, BetrVG, § 87 Rnz. 280; FittinglKaiseriHeitheriEngels, BetrVG, § 87 Rnz. 146. 11 BAG, AP Nr. 17 zu § 77 BetrVG 1972 (im Hinblick auf die mit Kürzungen verbundene Umstrukturierung im Rahmen des kollektiven GÜnstigkeitsvergleichs). 12 Ablehnend BAG, SAE 1994,316. 13 Dazu Löwisch, BB 1993,2371 (ablehnend).

Teil I : Einführung

23

rung im Jahre 1994 abgeschafften Feiertage durch Abschluß einer Betriebsvereinbarung wieder zu Tagen der Arbeitsruhe zu erklären!4.

B. Praktische Bedeutung des Themas Die Frage nach der Zulässigkeit eingreifender Betriebsvereinbarungen ist von einer gewissen Brisanz, denn das System der Kollektivverträge ist in Bewegung geraten. Seit Anfang der achtziger Jahre befmden sich der Tarifvertrag auf dem Rückzug und die Betriebsvereinbarung auf dem Vormarsch! 5. Unter den Schlagworten Dynamisierung, Flexibilisierung und Deregulierung von Wirtschaft und Arbeitswelt!6, Arbeitsplatzsicherung sowie "Wirtschaftsstandort Deutschland" artikuliert sich zunehmend das Bedürfnis nach Arbeitsbedingungen, die unter Berücksichtigung struktureller und geographischer Besonderheiten den individuellen Verhältnissen des einzelnen Betriebes angepaßt sind!7. I. Schwächen des Tarifvertrages Der Flächentarifvertrag ist zu grobmaschig, als daß er diesem Bedürfnis gerecht werden könnte. Auch lassen sich allein auf seiner Grundlage Belastungen aller Belegschaftsangehörigen wegen der für seine Geltung notwendigen Tarifbindung nicht erreichen (§§ 3 Abs. 1,4 Abs. 1 TVG)18, da nicht alle Arbeitnehmer einer Koalition angehören werden. Dies hat der problematische Fall der Arbeitszeitverkürzung ohne vollen Lohnausgleich im Rahmen des sog. "Leber-

14 Über die Einführung von Tagen der Arbeitsruhe wurde schon auf dem 43. Juristentag 1960 diskutiert, vgl. dazu Kauffmann, NJW 1961, 204, 205 (allerdings sollte dies nicht durch den Abschluß einer Betriebsvereinbarung, sondern durch einen gemeinsamen Beschluß aller Arbeitnehmer und des Arbeitgebers geschehen). Das Bundesarbeitsgericht hält die Einführung arbeitsfreier Tage zwischen Weihnachten und Neujahr auf der Grundlage von § 87 Abs. I Nr. 3 BetrVG für möglich, EzA § 1 LohnfortzG Nr. 71; anders zum alten Recht noch BAG, AP Nr. 14 zu § 56 BetrVG. 15 Kissel, NJW 1994,217,219. 16 Zöllner, ZfA 1988,265 ff. 17 Kissel,NJWI994,217,219. 18 Vgl. dazu auch Kissel, NJW 1994,217,219.

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Teil 1: Einflihrung

Kompromisses" am Ende der Tarifauseinandersetzung in der Metallindustrie des Jahres 1984 gezeigt l9 • Der Firmentarifvertrag, an den man im vorliegenden Zusammenhang ebenfalls denken könnte, wird diesen Aufgaben in gleicher Weise nicht gerecht. Für ihn spricht zwar, daß bei seinem Abschluß die Repräsentanten der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber völlig unabhängig sind. Dies folgt daraus, daß es sich auch beim Firmantarifvertrag zunächst einmal um einen "normalen" Tarifvertrag handelt, der - wie jeder Tarifvertrag - von außerhalb des Betriebes stehenden Gewerkschaftsvertretern abgeschlossen wird. Bei den Betriebsratsmitgliedern ist das beim Abschluß einer Betriebsvereinbarung anders, da diese stets dem jeweiligen Betrieb angehören. Ein Firmentarifvertrag ist jedoch grundsätzlich untemehmens- und nicht betriebsbezogen. Dadurch ist er aber nicht in gleicher Weise an die jeweiligen betrieblichen Besonderheiten angepaßt, wie eine Betriebsvereinbarung. Zwar gibt es auch betriebsbezogene (Firmen-) Tarifverträge2o • Jedoch werden auch diese Firmentarifverträge - wie alle Tarifverträge - von außerhalb des Betriebes stehenden Gewerkschaftsvertretern abgeschlossen, die mit den besonderen Verhältnissen und Bedürfnissen eines Betriebes nicht so vertraut sind wie Betriebsratsmitglieder21 . Die Folge ist auch hier, daß die individuellen Bedürfnisse des einzelnen Betriebes nicht in gleicher Weise zur Geltung kommen können, wie dies bei einer Betriebsvereinbarung der Fall wäre. Selbst wenn diese Schwierigkeiten bei einem Firmentarifvertrag gelöst werden könnten, stellen sich bei diesem Regelungsinstrument jedoch weitere Probleme. So lassen sich durch einen Firmentarifvertrag vereinheitlichte Arbeitsbedingungen für die gesamte Belegschaft nur mit Schwierigkeiten erreichen. Denn hierfür ist wiederum die bereits erwähnte "Tarifbindung", sprich die

19 BAG, AP Nr. 23 § 77 BetrVG 1972; vgl. dazu P. Hanau, NZA 1985,73; v. Hoyningen-Huene, NZA 1985, 9; Löwisch, DB 1984, 2457; Richardi, NZA 1984, 387; ders., FS Merz, S. 481,484 ff. 20 ZöllneriLoritz, Arbeitsrecht, S. 332. 21 G. Hueck, Die Betriebsvereinbarung, S. 18.

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Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft, aller Belegschaftsangehörigen notwendig (§ 3 Abs. 1 TVG), von der aber immer weniger ausgegangen werden kann22 . Der denkbare Weg, die Geltung der Regelungen eines Firrnentarifvertrages durch Bezugnahme individualvertraglich zu vereinbaren, vermag dieses Problem nicht zu lösen. Zunächst scheitert dies bei älteren Arbeitnehmern, die zu einer Zeit in den Betrieb eingetreten sind, als entsprechende Klauseln noch nicht formularmäßig vereinbart wurden. Ist aber die Bezugnahme eines Arbeitsvertrages auf die Regelungen eines (Firrnen-) Tarifvertrages vereinbart, so stellen sich zwei weitere Probleme ein. Zum einen bewirkt eine solche Bezugnahme für den einzelnen Arbeitnehmer keine Tarifbindung. Folglich bietet sie für diesen auch weniger Schutz: der Arbeitgeber könnte durch Kündigung des Arbeitsvertrages die Bezugnahmeklausel beseitigen und gleichzeitig mit dem Arbeitnehmer Arbeitsbedingungen vereinbaren, die unter Tarifniveau lägen23 . Zum anderen stellt sich die Frage, wie künftige Änderungen24 des Firmentarifvertrages für die einzelnen verbindlich werden können. Der hier denkbare Verweis auf die jeweils geltende Fassung des Firmentarifvertrages ("dynamische Verweisung"25), hilft nicht. Zwar hält das Bundesarbeitsgericht dynamische Verweisungen eines Arbeitsvertrages auf die jeweilige Fassung eines (frrmenübergeifenden) Tarifvertrages grundsätzlich für zulässig 26, was man auf den Verweis eines Arbeitsvertrages auf einen Firrnentarifvertrag wird übertragen können. Unverbindlich sind jedoch dynamische Verweisungen auf sog. "Überraschungsklauseln". Eine "Unterwerfung unter unbekannte spätere Regelungen decke immer nur solche Bedingungen, mit deren Aufstellung der Ar-

22 Der Organisationsgrad der Arbeitnehmer in der Industrie lag im Jahre 1992 unter 40 %, der der Arbeitgeber bei 80 %, ZöllneriLoritz, Arbeitsrecht, S. 66, 101. Die Tendenz ist fallend: die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder sank nach Schätzungen des Instituts ftir deutsche Wirtschaft im Jahre 1993 von knapp 14 auf weniger als 13 Millionen, HB Nr. 54 vom 17.3.1994, S. 4, im Jahre 1994 um eine weitere halbe Millionen, SZ NT. 52 vom 3.3.1995, S. 2. 23 Hu;cklNipperdey, Arbeitsrecht II11, S. 485; ZöllnerlLoritz, Arbeitsrecht, S. 66, 371. 24 Nikisch, Arbeitsrecht II, S. 276. 25 Vgl. dazu BVerfGE 73, 261, 272 f. (zur Frage der Annahme dynamischer Verweisungen in Betriebsvereinbarungen); Taupitz, Die Standesordnungen der freien Berufe, S. 736 ff. (zu dynamischen Verweisungen in Vereinssatzungen). 26 BAG, DB 1991, 1836 u. DB 1991, 1779.

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beitnehmer billiger- und gerechterweise rechnen konnte"27; doch brauche der Arbeitnehmer "billiger- und gerechterweise" schon dann nicht mit einer späteren Änderung zu rechnen, wenn neue Arten und Formen von Arbeitsbedingungen eingeftihrt würden. Der Grund ftir diese Einschränkung der Möglichkeiten dynamischer Verweisungen liegt darin, daß sich die Situation der dynamischen Verweisung in einem Arbeitsvertrag auf einen Tarifvertrag anders darstellt, als die - in weiterem Umfang als zulässig angesehene 28 - Verweisung in einem Tarifvertrag auf eine andere Rechtsquelle. Nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts sind Verweisungen in einem Tarifvertrag deshalb unbedenklich, da die Tarifvertragsparteien sich von der Verweisungsnorm jederzeit, u.v. sogar durch fristlose Kündigung des verweisenden Tarifvertrages, wieder trennen könnten, wenn sie eine in Bezug genommene Klausel ftir unbillig hielten. Dem Arbeitnehmer stehe diese Möglichkeit jedoch nur theoretisch offen, denn mit der Kündigung des bezugnehmenden Arbeitsvertrages setzt er seinen Arbeitsplatz aufs SpieF9. Aus diesem Grund seien Verweisungen zu beschränken. Da aber die "Überraschungsklausel" ftir den vorliegenden Zusammenhang die einzig interessante Klausel ist, erweist sich die dynamische Verweisung als ungeeignetes Instrument, das Problem künftiger Änderungen zu lösen3o . Letztlich würde sich aber auch aus verbandspolitischen Gründen der Firmentarifvertrag nicht als das vorrangige Instrument durchsetzen können, da die als legitim angesehene Kartellfunktion des Flächentarifvertrages 31 hierdurch ihr Ende finden würde 32 . Es ist nicht anzunehmen, daß die großen Verbände hierauf im Interesse ihrer Planungssicherheit und Wettbewerbsfähigkeit auf Dauer vollständig verzichten werden 33 •

27 BAG, AP Nr. 78 zu § 242 BGB - Ruhegehalt. 28 BAG, AP Nr. 8 zu § I TVG - Fonn. Demgegenüber erfaßt die Verweisung in einer Betriebsvereinbarung nur das, womit noch gerechnet werden konnte, BVerfGE 73, 261,272 f. 29 Löwisch, NZA 1985, 317. 30 Preis, Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, S. 400 ff. 31 Vgl. dazu Löwisch, FS Rittner, S. 381, 384 f.; Scholz, FS Rittner, S. 629, 632; Zöllner/Lori/z, Arbeitsrecht, S. 331. 32 Ähnliche Überlegungen zur parallelen Problematik im Verhältnis Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung bei Kempen, ArbR-GW 30 (1992), 97, 98. 33 Hromadka, FS 40 Jahre Der Betrieb, S. 241, 259.

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11. Stärken der Betriebsvereinbarung aus Sicht der herrschenden Meinung

Die sich hier auftuende Lücke soll die Betriebsvereinbarung schließen34 . Als das wichtigste Instrument der betrieblichen Mitbestimmung sind die in ihr enthaltenen Regeln für die einzelnen Arbeitsverhältnisse verbindlich, ohne daß es auf eine Tarifbindung oder eine individualvertragliche Bezugnahme ankäme. Dies ergibt sich direkt aus der Bestimmung des § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG: "Betriebsvereinbarungen gelten unmittelbar und zwingend". Was ihren Inhalt betrifft, so hat der Gesetzgeber den Beteiligten zwar nicht ausdrücklich einen umfassenden Regelungsauftrag erteilt35 , wie er dies etwa in der Generalklausel des Tarifvertragsgesetzes getan hat36 ; vielmehr fmden sich nur eine Reihe von Einzelermächtigungen verstreut über das Betriebsverfassungsgesetz37 . Ungeachtet dessen ist den Betriebspartnem38 inzwischen jedoch für die sog. sozialen Angelegenheiten von Rechtsprechung und Lehre eine umfassende Relegungskompetenz zugestanden worden39 • Diesen Begriff versteht man weit und faßt 34 Zur Geeignetheit der betrieblichen Ebene für eine Flexibilisierung des Arbeitsrechts Zöllner, ZfA 1988, 265, 274 ff.; krit. Loritz, ZfA 1991, I, 1l f. 35 Gamillscheg, Differenzierung, S. 26; Nikisch, Arbeitsrecht I1I, S. 276; E.R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht 11, S. 527; Neumann-Duesberg, Betriebsverfassungsrecht, S. 415 (die beiden letztgenannten leiten das Erfordernis einer gesetzlichen Ermächtigung al1erdings aus dem Gesichtspunkt der mit der Normenwirkung verbundenen Rechtsetzüngsqualität von Betriebsvereinbarungen ab, die eine gesetzliche Grundlage erfordere); a.A. Buchner, OB 1985,913,916 ff., der aus einem Umkehrschluß aus § 77 Abs. 3 BetrVG eine umfassende Regelungsbefugnis der Betriebspartner ableitet, deren Ausübung lediglich von einer Selbstbeschränkung der Tarifparteien abhinge; vgl. ferner Zöllner, ZfA 1988, 265, 276. 36 Vgl. § I TVG. 37 Vgl. §§ 39 Abs. I ,86,87,88,91,93,94,95,98, Abs. 1 u.4, 102 Abs. 6, 112 Abs. 1,4 u. 5, 112a Abs. 1,4 u. 5 BetrVG. 38 Der Ausdruck Betriebspartner ist problematisch, da er zum einen die Vorstel1ung von Gleichheit in der Rechtsstel1ung, zum anderen die eines Gleichlaufs der Interessen erweckt, was flir Arbeitgeber und Betriebsrat bei des umstritten ist, R. Weber, Vertrauensvol1e Zusammenarbeit, S. 28 ff., 34 ff. Da der Ausdruck eingebürgert ist, wird er beibehalten. Vgl. dazu Gast, Tarifautonomie und die Normsetzung durch Betriebsvereinbarung, S. 2, Fn. 2. 39 Seit BAG (GS), AP Nr. 1 zu § 57 BetrVG st. Rspr. Aus neuerer Zeit BAG (GS), AP Nr. 2 zu § 620 BGB - Altersgrenze mit (abI.) Anm. Joost. Aus der Li!. vgl. nur Fitting/Kaiser/Heither/Enge/s, BetrVG, § 88 Rnz. 2 f.; Säcker, ZfA 1972, Sonderheft, 41,45; krit. z.B. Lieb, Arbeitsrecht, S. 223.

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hierunter alles, was nicht zu den personellen oder wirtschaftlichen Angelegenheiten im engeren Sinne gehörr'°. Als Folge dieser großzügigen Auslegung des Begriffs der sozialen Angelegenheiten sollen damit im Ergebnis durch Betriebsvereinbarungen alle Arbeitsbedingungen im weitesten Sinne geregelt werden können41 . Vereinzelte Stimmen in der Literatur halten sogar die Essentialia des Arbeitsverhältnisses, Arbeitszeit und Arbeitslohn, nur noch für "kollektiv verhandlungsfähig" und dementsprechend nur noch auf der überindividuellen Ebene regelbar, wobei es sich bei dieser überindividuellen Ebene jedoch nicht um die tarifliche, sondern die betriebliche Ebene handeln so1l42. Reuter geht soweit zu sagen, das Gestalten der Arbeitsbedingungen sollte überhaupt umfassend den Betriebspartnern überantwortet werden43 . Die Betriebsvereinbarung geriete so zum primären Regelungsinstrument. IH. Gefahren der neueren Entwicklung

Begünstigt durch diese Entwicklung entfalten die Betriebspartner immer weitreichendere Aktivitäten44 • Diese Ausweitung betrieblichen Regelns ergreift die Rechtsstellung der Arbeitnehmer indes in einer Weise, wie sie bisher unbekannt war und in ihren Folgen noch nicht abschließend überblickt werden kann. 40 Bakopoulos, Zuständigkeitsverteilung zwischen tarifvertraglicher und innerbetrieblicher Norrnsetzung, S. 18. 41 BAG, AP Nr. 1 zu § 88 BetrVG 1972; Kreutz, in: GK-BetrVG, § 77 Rnz. 68. 42 In diesem Sinne Reuter RdA 1991, 193, 196 ff. 43 RdA 1991, 193, 197 f. Reuter revidiert allerdings seinen eigenen Standpunkt zur Frage der Regelbarkeit der Arbeitszeit durch Betriebsvereinbarung in demselben Beitrag auf der S. 198 (rechte Spalte), indem er sie entgegen seinen Ausführungen auf S. 197 u. 198 (linke Spalte) dann doch dem Individualarbeitsvertrag vorbehalten möchte. Hierauf hat Richardi, ZfA 1992,307,326 Fn. 61 hingewiesen. 44 Hierbei betreten sie auch Felder, die traditionell den Tarifpartnern vorbehalten waren. Diese Praxis verstößt beim Fehlen einer Öffnungsklausel gegen § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG, was jedoch nach dem Grundsatz "wo kein Kläger, da kein Richter" regelmäßig unberücksichtigt bleibt, Kissel, NJW 1994,217,219. Die sich aus dem Verhältnis zur Tarifautonomie ergebenden Probleme des § 77 Abs. 3 BetrVG und die hier in Betracht kommenden Verstöße sind jedoch nicht Gegenstand dieser Untersuchung. Zur Abgrenzung von tarifvertraglicher und innerbetrieblicher Norrnsetzung Bakopoulos, Zuständigkeitsverteilung zwischen tarifvertraglicher und innerbetrieblicher Norrnsetzung, passim, sowie Waltermann, Rechtsetzung durch Betriebsvereinbarung zwischen Privatautonomie und Tarifautonomie, S. 259 ff.

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So werden die Arbeitnehmer durch die Zunahme betrieblichen Regelns in ihrer Freiheit betroffen, ihr Rechtsverhältnis zum Arbeitgeber selbständig zu gestalten45 . Ursprünglich bestimmten den Inhalt des Arbeitsverhältnisses im wesentlichen Gesetze, Tarifverträge und Individualvereinbarungen46 • Dabei wird man hier sowohl für den Tarif- 47 als auch rur den Individualarbeitsvertrag48 sa45 Bei den erzwingbaren Betriebsvereinbarungen werden auch die Arbeitgeber in ihrer verfassungsrechtlich verbürgten Freiheit der unternehrnerischen Betätigung betroffen, was nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts in Grenzen hinzunehmen ist, AP Nr. I zu § 87 BetrVG 1972 - Werkmietwohnungen. Hier steHt sich die Frage, ob es nicht über den Umweg einer Ausweitung der betrieblichen Mitbestimmung durch extensive Auslegung der Mitbestimmungstatbestände letztlich zu einer paritätischen Mitbestimmung auch im unternehmerischen Bereich kommt, die das verfassungsrechtlich verbürgte Recht der Unternehmer auf unternehmerische Betätigung in unzulässigerweise einschränkte, vgl. dazu Schatz, NJW 1986, 1587 ff.; Papier, NJW 1987, 988, 989 ff. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung zum Mitbestimmungsgesetz 1976 die Verfassungsmäßigkeit der damals zur Überprüfung stehenden Regelungen maßgeblich auf das in dem Gesetz vorgesehene Letztentscheidungsrecht der Anteilseigner gestützt, BVerfGE 50, 290, 339 ff. Die hierin angesprochene Grenze für die Reichweite von Mitbestimmungsrechten der Arbeitnehmerseite ist jedoch nicht nur beim Mitbestimmungsgesetz 1976 zu beachten gewesen, sondern gilt in aHen Bereichen, in denen Mitbestimmung von Arbeitnehmern vorgesehen ist, jedenfaHs wenn sie den unternehmerischen Bereich tangiert, Kraft, FS Rittner, S. 285. Da es im Betriebsverfassungsrecht aber auch Bereiche gleichberechtigter Mitentscheidung der Arbeitnehmerseite gibt und dem Betriebsrat hier auch ein sog. "Initiativrecht" zusteht (ausführlich dazu Wiese, Das Initiativrecht nach dem Betriebsverfassungsgesetz, passim), er also von sich aus eine Regelung anregen und über die Einigungsstelle auch gegen den WiHen des Arbeitgebers erzwingen kann (§ 87 Abs. 2 BetrVG), hat diese Grenze damit auch Bedeutung für die Betriebsverfassung. Hierbei geht es aber i.E. um die Auslegung der einzelnen Mitbestimmungstatbestände und die Frage, ob die unternehmerische Freiheit eine ungeschriebene Schranke betrieblicher Mitbestimmung zugunsten der Arbeitgeber darstellt, so daß diese Problematik hier nicht weiter vertieft werden kann. Sie ist nicht Thema der Untersuchung. Vgl. näher Scholz, NJW 1986, 1587 ff.; Papier, NJW 1987,988,989 ff. sowie Laritz, ZfA 1991, 1, 15 ff. 46 Zu den weiteren, für das hier behandelte Thema nicht bedeutsamen arbeitsrechtlichen Gestaltungsfaktoren Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 61 ff. 47 Hönn, Kompensation, S. 202; Jahnke, Tarifautonomie und Mitbestimmung, S. 111; Richardi. KoHektivgewalt. S. 123. Zum individual-freiheitsrechtlichen Ausgangspunkt des Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG Konzen, FS Kisse1, S. 571, 578; Lerche, Verfassungsrechtliche Zentralfragen, S. 25; Schatz, Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, S. 41 ff.; ders., in: MaunzlDürig, GG, Art. 9 Rnz. 169. 48 H-P. Schneider, VVDStRL 43 (1985), S. 7, 20; Belling, DB 1987, 1888, 1890 (mit Blick auf das Günstigkeitsprinzip); Baemke, NZA 1993, 532 ff.; Richardi. KoHektivgewalt. S. 339; ders., RdA 1983, 201, 209; ders., ZfA 1988, 221, 238; ders., Be-

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gen können, daß sich der einzelne in jeder dieser Gestaltungsfaktoren - trotz aller Bedenken im einzelnen - privatautonom betätigt, ihre Geltung also jeweils einen Akt der Selbstbestimmung mit zur Voraussetzung hat4 9 : die Abgabe einer Willenserklärung zum Erwerb der Mitgliedschaft in dem privatrechtlichen Verband "Koalition", bzw. zum Abschluß des Arbeitsvertrages. Im Zuge der eben wiedergegebenen Entwicklung dominieren den Inhalt des Arbeitsverhältnisses jedoch zunehmend betriebliche Regelungen. Im Gegensatz zum Tarifvertrag ist bei diesen aber zweifelhaft, ob sich hier ein von der Selbstbestimmung des einzelnen getragenes Verhalten als Quelle der Legitimation nachweisen läßt50 • Vor dem Hintergrund der eingangs beschriebenen, in die Rechtsstellung des einzelnen belastend eingreifenden Regelungen ist diese Entwicklung rur die Arbeitnehmer jedoch bedrohlich. Man denke nur an die nicht seltene faktische Unterlegenheit eines Betriebsrats gegenüber seinem Arbeitgeber, da jener trotz gesetzlicher Garantien, insbesondere des Kündigungsschutzes, nach wie vor nicht völlig unabhängig von diesem ist und auch nicht sein kann51 .

triebsverfassungsrechtliche Mitbestimmung und Einzelarbeitsvertrag, S. 7, 32 f.; Jahnke, Tarifautonomie und Mitbestimmung, S. 10 I; Zöllner, AcP 176 (1976), 221, 234 ff.; umfassend zur Bedeutung der Privatautonomie im Arbeitsrecht Reichold, Betriebsverfassung als Sozialprivatrecht, S. 403 ff., 428 ff.; a.A. z.B. Reuter, RdA 1991, 193,196 ff. 49 Der Akt der Privatautonomie kann, dies sei an dieser Stelle vorweggenommen, nie alleiniger Geltungsgrund sein, da die einzelnen nicht in der Lage sind, Rechtsgeltung zu begründen; hierzu bedarf es stets der staatlichen Anerkennung durch einen Geltungsbefehl, vgl. Flume, Allgemeiner Teil 11, S. 1 ff., 5; Kelsen, Allgemeine Staatslehre, S. 84 f.; M. Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S. 23 f.; Zöllner, Die Rechtsnatur der Tarifnormen, S. 25; vgl. auch F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 133 ff., 138 ff. u. hier ausf. 2. Teil, 2. Kapitel, § 6 C 11 2 b, c, III 2 a, S. 135 ff., 140 ff., 158 f. Der privatautonome Akt ist jedoch Geltungsvoraussetzung, da erst durch ihn eine Beziehung zwischen dem Rechtsbefehl und dem einzelnen hergestellt wird. 50 Der Begriff der Legitimation ist mehrdeutig. In der juristischen Terminologie ist er hauptsächlich bezogen auf die Ausübung politischer, genauer: staatlicher Herrschaft, Würtenberger Gun.), Die Legitimität staatlicher Herrschaft, S. 79 ff., 88 ff., 94. Ob dies bei der Betriebsverfassung der Fall ist, ist zweifelhaft, kann hier aber noch dahinstehen. Vorliegend wird der Begriff der Legitimation in einem allgemeineren Sinne gebraucht: als die "Schaffung eines Grundes daftir", daß "ein Sein, ein Sollen, ein Wollen rechtliche Anerkennung verdient", lsensee, Der Staat 20 (1981),161. 51 BAG, AP Nr. 142 zu § 242 BGB - Ruhegehalt; Däubler, NZA 1988,857,861; G. Hueck, Die Betriebsvereinbarung, S. 17; Peters/Ossenbühl, Die Übertragung öffent-

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Gewerkschaftsvertreter aber sind vom Arbeitgeber völlig unabhängig, was ihre Verhandlungskraft im Vergleich zu der von Betriebsräten stärkt. Zudem sind jene regelmäßig gut geschult und in Verhandlungen mit Arbeitgebern erfahren, was ihnen gegenüber den Betriebsvertretungen zusätzlich einen Vorteil verschafft. Vor allem aber können sie ihren Forderungen durch die Möglichkeit des Streiks besonderen Nachdruck verleihen; für Betriebsräte gilt hier das Arbeitskampfverbot des § 74 Abs. 2 BetrVG52.

c. Das rechtliche Problem I. Einführung Im System des Gesamtvereinbarungsrechts sind damit faktische wie rechtliche DefIzite der betrieblichen gegenüber der tariflichen Ebene strukturell angelegt. Angesichts sich erweiternder betrieblicher Regelungsaktivitäten lenkt dies mit zunehmender Brisanz den Blick auf die rechtliche Grundfrage, ob die Betriebspartner überhaupt die Befugnis besitzen, Regelungen zu Lasten des einzelnen zu treffen. Die Zulässigkeit eines verstärkten Eindringens betrieblicher Regeln in die Freiheitssphäre von Individuen hängt nämlich entscheidend davon ab, aus welcher legitimierenden Quelle sich die Regelungsgewalt der Betriebspartner speist. Als legitimierende Quelle in Betracht kommen, das sei an dieser Stelle vorweggenommen, zum einen die Privatautonomie des einzelnen sowie zum anderen allein die staatliche Geltungsanordnung. Vorweggenommen sei auch, daß je nachdem für belastende Regelungen dann unterschiedliche Prinzipien Geltung beanspruchen: Ließe sich die Wirkung von Betriebsvereinbarungen privatautonom legitimieren, hinge ihre Verbindlichkeit nicht allein ab vom staatlichen Rechtsgeltungsbefehl 53 des § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG, sondern auch vom Willen des einzelnen Arbeitnehmers. Diesem würden nicht einseitig verbindliche Rechtsbefehle auferlegt, so daß betriebliches Regeln als solches kein Problem der Fremdbestimmung, sondern vielmehr als privatautonome Selbstgestaltung zu lieh-rechtlicher Befugnisse, S. 91; krit. gegen diesen Gedanken Kreutz, ZfA 1975,65, 77 ff. (gesamte Betriebsverfassung würde in Frage gestellt). 52 Kissel, NJW 1994,217,219. 53 Zu diesem Begriff F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 138 ff.

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begreifen wäre. Die hier im Mittelpunkt stehenden belastenden Regelungen wären damit zwar nicht völlig unbedenklich, jedoch hätte man etwaige Schutzmechanismen gegenüber privatautonom eingegangenen Lasten auf einer anderen Basis zu entwickeln, als dies gegenüber heteronomen Verhaltensbefehlen zu geschehen hätte. Fehlte es indes an einem Akt privatautonomer Selbstgestaltung des einzelnen, werden diesem unabhängig von seinem Willen einseitig verbindliche Verhaltensbefehle erteilt. Die Betriebsvereinbarung rückte damit in die Nähe der Rechtsnorm, da das einseitige Auferlegen abstrakt genereller Rechtsfolgen rechtsnormtypisch ist54• Es stellten sich dann die Fragen ihrer Legitimation55 : zum einen, wie das Setzen betrieblicher Rechtsnormen als solches in seinen Wirkungen erklärt und gerechtfertigt werden kann, zum anderen, welche Maßstäbe speziell für Regelungen zu gelten haben, die in individualrechtliche Freiheit eingreifen. II. Die bisherige Behandlung der Frage von Eingriffsbefugnissen betrieblicher Regelungsgewalt J. Überblick über den Meinungsstand

Den bisher vorliegenden Untersuchungen des Verhältnisses betrieblicher Regelungen zum Individualrecht der betroffenen Arbeitnehmer ist gemeinsam, daß sie nicht unterscheiden zwischen der Kompetenz, überhaupt eine Frage mit verbindlicher Wirkung für die Arbeitnehmer regeln zu können und der Befugnis, auch in deren Rechtsstellung einzugreifen. Das eine folgt aus dem anderen. Ihren Schwerpunkt legen sie vielmehr auf die Überlegung, an welchen Grenzen sich belastendes betriebliches Regeln zu orientieren hat. Das Bestehen einer Befugnis zu Eingriffen in Individualrechte als solche, wird hierbei stillschweigend vorausgesetzt56 . Mit anderen Worten: die Frage, ob eine Belastungsbefugnis überhaupt besteht, wird nicht untersucht. 54 Achterberg, Rechtsnonn, S. 183, 187; F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 84 ff.; Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 162; Wildhaber, ZSchwR 94 (1975), 1l3. 55 Zum Begriff der Legitimation siehe Fn. 50. 56 Bezeichnend Leinemann, Änderung von Arbeitsbedingungen, S. 145, 158, für den das Günstigkeitsprinzip "als Instrument genutzt (wird), um die Regelungszustän-

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So hat schon sehr bald nach der Entstehung der Bundesrepublik Siebert die Frage gestellt, ob die betriebliche Regelungsmacht durch eine ,,kollektivfreie Individualsphäre" begrenzt werde 57• Hierbei hat er jedoch - wie von selbsteine grundsätzliche Eingriffsbefugnis der Betriebspartner seinen Überlegungen zugrundegelegt und als solche nicht problematisiert. Andere sehen in der Fragestellung eine Grundrechtsproblematik. Entscheidend sei, ob und aufweiche Weise Grundrechte im Verhältnis zwischen Belegschaft und den Betriebspartnem gelten und dem betrieblichen Regeln Grenzen ziehen58 • Eine Reihe von Autoren halten dabei die Betriebspartner mit unterschiedlichen Begründungen für unmittelbar an die Grundrechte gebunden: bei der Betriebsvereinbarung handele es sich um Rechtsetzung, mithin sei Art. 1 Abs. 3 GG direkt anzuwenden59, der Staat delegiere seine durch Art. 1 Abs. 3 GG gebundene Rechtsetzungsmacht und könnte nicht etwas anderes übertragen, als was er selbst habe 6o, und schließlich beftnde sich der einzelne gegenüber dem Kollektivvertrag in einer gleichen Lage wie gegenüber der staatlichen Rechtsetzung, denn er sei der Norm der "sozialen Gewalt" ebenso unterworfen

digkeiten der Betriebsvereinbarungsparteien zurückzudrängen oder sie partiell oder ganz auszuschalten". Vgl. ferner Biberacher, Betriebliche Rechtsetzungsmacht, S. 114 ff.; Breidenstein, Grenzen des Betriebsrats beim Abschluß von Betriebsvereinbarungen zur Datenverarbeitung, S. 34 ff., 50 ff., 78 ff., 99 f., 124 ff.; Karakatsanis, Die kollektivrechtliche Gestaltung des Arbeitsverhältnisses, S. 122; W. Müller, Die Grenzen der normativen Gestaltungsbefugnis, S. 88 ff.; Nause, Die Grenzen der Regelungsbefugnis, S. 14 ff.; Staschik, Grundfragen zur Betriebsvereinbarung, S. 70 ff.; TravlosTzanetatos, Die Regelungsbefugnis der Betriebspartner, S. 75 ff. 57 BB 1953,241; 1. FS Nipperdey, S. 119 ff. 58 So Biberacher, Betriebliche Rechtsetzung, S. 114 ff.; W. Müller, Die Grenzen der normativen Gestaltungsbefugnis, S. 140 ff.; Nause, Grenzen der Regelungsbefugnis, S. 138 ff.; Rüthers, Betriebsverfassungsrechtliches Mitbestimmungsrecht, S. 7, 19 ff.; Travlos-Tzanetatos, Die Regelungsbefugnis der Betriebspartner, S. 75 ff. ("wichtigste inhaltliche Grenze"); vgl. hierzu auch die Darstellung bei Staschik, Grundfragen, S. 70 ff. sowie bei Waltermann RdA 1990, 138 ff., 141 f.; vgl. ferner auch BAG, AP Nr. 28 zu Art. 3 GG. 59 Biberacher, Betriebliche Rechtsetzung, S. 114; Travlos-Tzanetatos, Die Regelungsbefugnis der Betriebspartner, S. 75 ff.; W. Müller, Die Grenzen der normativen Gestaltung, S. 140 ff. 60 G. Küchenhoff, 2. FS Nipperdey 11, S. 317, 340 f.; Nause, Die Grenzen der Regelungsbefugnis, S. 147 ff., 155. 3 Müller·Franken

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wie der staatlichen Gewalt, beiden könne er sich nicht entziehen61 • Andere Autoren übertragen die verfassungsrechtliche Diskussion zur "Drittwirkung der Grundrechte" im Verhältnis von Bürger zu Bürger62 auf die Betriebsverfassung und legen Argumente dar Für und Wider einer unmittelbaren oder bloß mittelbaren Wirkung der Grundrechte in der Privatrechtsordnung 63 • Abgesehen von den methodischen Bedenken, die gegen das letztgenannte Vorgehen sprechen64 , änderte sich hingegen sogar auch bei Annahme einer unmittelbaren Drittwirkung nichts am Ausgangspunkt: der betrieblichen Regelungsmacht würde auch in diesem Fall grundsätzlich die Kraft zugemessen, den Schutzbereich eines Grundrechts einzuschränken. Unmittelbare Drittwirkung bedeutet nämlich zunächst nur, daß Grundrechte im Privatrecht unmittelbar wirken, ohne daß es hierfür einer "Einbruchstelle" oder eines wie immer gearteten interpretativen Zwischenschritts bedarf65 • Noch nicht entschieden ist damit, auf welche Weise Grundrechte nun im einzelnen Geltung entfalten, d.h. ob Betriebsvereinbarungen den Grundrechtsbereich überhaupt noch berühren dürfen 66, sie also etwa stets als Verbotsgesetze im Sinne von § 134 BGB anzusehen sind67 . Gerade das nahm aber niemand an. So sah etwa das Bundesar61 Gamillscheg, AcP 164 (1964), 385, 402 LV.m. 399 f.; Reuter, AcP 188 (1988), 649, 652 f.; ähnlich Konzen, FS G. Müller, S. 245, 248 f (für den Tarifvertrag); vgl. dazu auch Lerche, FS SteindortT, S. 897, 899, Fn. 18. 62 Die Diskussion um die Wirkung von Grundrechten in der Privatrechtsordnung bezieht sich richtigerweise nur auf das Horizontalverhältnis zwischen Bürger und Bürger sowie auf die Frage der Bindung des eine Privatrechtsstreitigkeit entscheidenden Richters; die Bindung des Privatrechtsgesetzgebers an die Grundrechte sollte außer Streit stehen, Art. lAbs. 3 GG, vgJ. BVerfDE 84, 9, 17 ff.; BVerfDE 75, 201, 218; BVerfDE 79,283,290; Canaris, AcP 184 (1984), 201, 212; Hager, JZ 1994,373,374 f; Krause, JZ 1984, 656, 657 f; Richardi, FG v. Lübtow, S. 755, 781; a.A. z. TI. Lerche, ZHR 149 (1985) 165, 167, Fn. 10 sowie wohl auch Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 82 Fn. 3. 63 Rüthers, Betriebsverfassungsrechtliches Mitbestimmungsrecht, S. 7, 19 f.; Staschik, Grundfragen, S. 70 ff.; F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 516 ff. 64 Dazu Rupp, Grundgesetz und "Wirtschaftsverfassung", S. 9; ders., AöR 101 (1976),161,168 ff. 65 Vgl. dazu Stern, Staatsrecht, II111, S. 1538 f. 66 Vgl. zu dem parallel gelagerten Problem bei Satzungen Chr. Starck, AöR 92 (1967),449,455. 67 Nipperdey sprach diesbezüglich von einer Stufenfolge der Anwendbarkeit von Grundrechtsnormen im Privatrechtsverkehr, Freie Entfaltung der Persönlichkeit, S. 741, 755. Auch das BAG sah z.B. Art. 3 Abs. 3 GG als Verbotsgesetz LS.v. § 134 BGB an (z.B. AP Nr. 26 zu § I KschG), meinte aber, hierdurch dürfe nicht die ebenfalls in der

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beitsgericht, von dem immer wieder gesagt wird, es habe lange Zeit sogar eine unmittelbare Drittwirkung der Grundrechte im Privatrecht befürwortet, in den von den Grundrechten geschützten Freiheitsbereichen keine absolute Eingriffsschranke für das Handeln Privater. Es entnahm den Grundrechten vielmehr lediglich Ordnungsgrundsätze für das soziale Leben, die in einem aus dem Grundrecht "näher zu entwickelndem Umfang" unmittelbare Bedeutung auch für den Rechtsverkehr der Bürger untereinander haben könnten68 • Mußte der Umfang der unmittelbaren Bedeutung jedoch erst aus dem Grundrecht unter Berücksichtigung der Ausgangssituation69 näher entwickelt werden, so wurden damit Wertungs- und Abwägungsspielräume eröffnet; je nach Art und Gewicht der betroffenen Interessen, namentlich dem Gesichtspunkt der beiden Seiten zustehenden Privatautonomie, waren damit aber auch Freiheitsbeschränkungen durchaus zulässig 7o . Dasselbe gilt erst recht für die Lehre von der "mittelbaren Drittwirkung" der Grundrechte im Privatrecht. Nach dieser - wohl als herrschend anzusehenden - Meinung wirken die Grundrechte über das Medium der privatrechtlichen Generalklauseln, bzw. der ausfüllungsfähigen und ausfüllungsbedürftigen Begriffe auf dieses Rechtsgebiet ein. Also keine unmittelbare, sondern nur eine mittelbare Wirkung über die sog. "EinbruchsteIlen" und dies auch nur insoweit, als das Grundgesetz in seinem Grundrechtsabschnitt zugleich Elemente einer objektiven Ordnung aufgerichtet hat, die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts und damit auch für das Privatrecht Geltung haben71 • In der Rechtsanwendung geht es somit dann auch bei dieser Lehre um Abwägungsprozesse 72 , die die Möglichkeit von Freiheitsbeeinträchtigungen einschließen; eine absolute Regelungssperre für Eingriffe in grundrechtliche Schutzbereiche besteht nicht.

Verfassung verbürgte privatrechtliche Gestaltungsfreiheit ungebührlich eingeschränkt werden. Die Verfassungssätze sind bei ihrer Anwendung auch im privatrechtlichen Bereich gegeneinander abzuwägen, BAGE 24, 438, 441. 68 BAG, AP Nr. 4 zu Art. 3 GG. 69 Chr. Starek, in: v. MangoldtIKlein/Starck, GG, Art. 1 Rnz. 197. 70 Vgl. dazu Chr. Starek, in: v. MangoldtIKleiniStarck, GG, Art. 1 Rnz. 191 sowie zu den Unterschieden zwischen der unmittelbaren Wirkung von Grundrechten gegenüber dem Staat und Privaten, Hager, JZ 1994,373,377. 71 St. Rspr. des Bundesverfassungsgerichts seit BVerfDE 7, 198, 205; ftir die Betriebsvereinbarung speziell BVerfDE 73, 261, 269. 72 Bleckmann, DVBI. 1988, 938, 943 f.; Stern, Staatsrecht III/I, S. 1572.

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Dasselbe gilt für den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Schranke betrieblichen Regelns 73. Auch hier wird lediglich die Zulässigkeit einer - als grundsätzlich möglich gedachten - Beschränkung individualrechtlicher Positionen an den Grundsätzen der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne gemessen. Der Eingriff als solcher wird jedoch nicht in Frage gestellt. Auch die Lehre, die die Betriebsautonomie durch ihren Schutzzweck begrenzen will, ist vom gleichen Vorverständnis getragen: sie erklärt Regelungen materieller Arbeitsbedingungen (lediglich dann) für unwirksam, wenn sie den Arbeitnehmer ausschließlich belasten74 • Tun sie das aber nicht "ausschließlich", hält diese Meinung belastende Wirkungen für zulässig. Schließlich will eine verbreitete Lehre betrieblichem Regeln mit Hilfe des arbeitsrechtlichen Günstigkeitsprinzips eine Schranke ziehen75. Betriebsverfassungsrecht sei Arbeitnehmerschutzrecht und solle das Funktionsdeflzit des Arbeitsvertrages ausgleichen. Sei der Arbeitnehmer jedoch in der Lage, selbst für sich bessere Arbeitsbedingungen auszuhandeln, als dies seine kollektive Vertretung für ihn hat tun können, so soll das von ihm Vereinbarte als das Günstigere vorgehen76 ; im Hinblick auf Art. 2 Abs. 1 GG genieße das Günstigkeitsprinzip Verfassungsrang 77. Diese Ansicht hat starke Argumente für sich und führt in den meisten Fällen auch zu vernünftigen Ergebnissen. Sie gerät aber in Begründungsschwierigkeiten, wenn sich im Arbeitsvertrag keine Regelung fmdet, die diesen als "günstiger" auszeichnen könnte, die Betriebsvereinbarung also in eine Lücke stößt oder überhaupt ein ganz neues Thema anschneidet. Die Anwendung des Günstigkeitsprinzips verlangt, thematisch zusammengehörige Regeln zweier Gestaltungsfaktoren (Kollektivvertrag auf der einen, Individualvertrag auf der anderen Seite) miteinander zu vergleichen. Betrifft die Betriebsvereinbarung Vgl. hierzu Kreutz, in: GK-BetrVG, § 77 Rnz. 265 m.w.N. BAG, BB 1959,777; Kreutz, in: GK-BetrVG, § 77 Rnz. 274. 75 Belling, Das Günstigkeitsprinzip im Arbeitsrecht, S. 111 fI.; ders., OB 1987, 1888; ders., DB 1982,2513; Söllner, Arbeitsrecht, S. 202 f.; tendenziell auch Lieb, Arbeitsrecht, S. 232 f. 76 Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 146 f.; Joost, ZfA 1984, 173, 175. 77 G. Küchenhoff, Rechtsgutachten, S. 4, 8; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht 11/1, S. 232 Fn. 38, 573 Fn. 2 b; Belling, Das Günstigkeitsprinzip, S. 64 fI.; Heinze, NZA 1991, 329,330. 73

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aber einen Regelungsgegenstand, der im Arbeitsvertrag nicht enthalten ist, kann es genaugenommen zu gar keinem Günstigkeitsvergleich kommen 78 ; die individualvertragliche Nichtregelung einer Frage im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung stets als Negativregelung eines bestimmten Sachverhalts zu begreifen79 , wird nicht immer überzeugend zu begründen sein. Und bestimmte man die günstigere Rechtsstellung des Arbeitnehmers aus seinem Arbeitsvertrag unter Hinzuziehung des diesen ergänzenden dispositiven Gesetzesrechts80, löst man sich von seinem Ausgangspunkt, dem Schutz der Individualautonomie in Art. 2 Abs. 1 GG. Nimmt man das Günstigkeitsprinzip beim Wort, hinge der Schutz des Arbeitnehmers vielmehr von dem Zufall ab, ob im Arbeitsvertrag bereits etwas Entsprechendes geregelt ist oder nicht. Damit bliebe er bruchstückhaft. Bezieht man zudem den Günstigkeitsvergleich - der ursprünglichen Bedeutung des Günstigkeitsprinzips entsprechend - (nur) auf das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung, bietet das Günstigkeitsprinzip wenig Hilfe, wenn es überhaupt um den Umfang der Verpflichtung zur Arbeit, den Umfang der geschuldeten Arbeitsleistung geht81 • Schließlich treten weitere Schwierigkeiten dadurch auf, daß der Große Senat des Bundesarbeitsgerichts bei der ablösenden Betriebsvereinbarung zudem auf einen kollektiven Günstigkeitsvergleich82 abstellt, der keinen Vorbehalt zugunsten der individuellen Vertragsfreiheit enthält83 .

78 So die Argumentation von Richardi, ZfA 1992, S. 307, 315 Fn. 25 gegen die Anwendung des Günstigkeitsprinzips auf die Einführung von Kurzarbeit; BAG, AP Nm. 17 u. 21 zu § 77 BetrVG 1972. 79 Fastrich, RdA 1994, 129, 133; vgl. auch ehr. Weber, SAE 319, 321, der aber das dahinterstehende Grundproblem der Reichweite der normativen Regelungsbefugnis der Betriebspartner nur unter Berücksichtigung des Zwecks der Betriebsvereinbarung für lösbar hält. 80 Fastrich,RdA 1994, 129, 133. 81 Richardi, ZfA 1990,211,218,232; ders., ZfA 1992, 307, 325. Die wohl h.M. beantwortet die Frage, ob der Arbeitnehmer durch KolIektivnorm zu einem anderen Umfang der geschuldeten Arbeitsleistung verpflichtet werden kann, ebenso nach dem Günstigkeitsprinzip, vgl. etwa Zöllner, DB 1989,2121,2124 ff.; Löwisch, BB 1991, 59 ff. 82 AP Nr. 17 zu § 77 BetrVG 1972. 83 Richardi, ZfA 1990,211,230; krit. z.B. Loritz, ZfA 1991, 1,30.

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Auch die sog. Billigkeitskontrolle von Betriebsvereinbarungen84 wendet sich dem Problem nicht im Grundsätzlichen zu. Dies versteht sich von selbst für diejenigen, die unter dem Stichwort der Billigkeit nur eine reine Rechtskontrolle durchführen. Denn hier geht es nur um die Grenzen, die sich ohnehin aus den allgemeinen Schranken des Rechts ergeben. Ein allgemeines Eingriffsverbot gehört hierzu aber nach herrschender Lehre gerade nicht. Wird darüberhinaus auch noch gesondert der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz geprüft85 , bedeutet Kontrolle am Maßstab der Billigkeit jedoch letztlich ebenfalls nur eine Rechtskontrolle, denn das Einhalten des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ist eine Rechtsfrage. Das "ob" belastender Wirkungen an sich, wird am Maßstab der Billigkeit also ebenfalls nicht thematisiert. 2. Gründe for ein einheitliches Vorverständnis Sämtliche in der Diskussion vertretenen Positionen gehen damit stillschweigend von einer in der Regelungswirkung enthaltenen Eingriffsbefugnis aus 86, der lediglich im einzelnen - mit unterschiedlicher Begründung - Grenzen zu setzen seien. So zu denken hat historische Gründe, da die unmittelbare Wirkung von Kollektivverträgen vergleichsweise neu ist. In den Anfängen des "korporativen Arbeitsnormenvertrages" konnte man sich im wesentlichen deren Wirken nur so vorstellen, daß die ,,Arbeitsnorm" in den Arbeitsvertrag eingehen mußte, was einen darauf gerichteten Willen voraussetzte87 • Erst das Hilfsdienstgesetz aus dem Jahre 1916 und kurz danach die Tarifvertragsverordnung aus dem Jahre 1918 haben Kollektivverträgen für die jeweiligen Bereiche erstmals die Wirkung beigelegt, objektives Recht zu setzen88 • Für ihre Geltung sollte es also seitdem nicht mehr darauf ankommen, ob der Inhalt des Kollektivvertrages in

St. Rspr. seit BAG, AP Nr. 142 zu § 242 BGB - Ruhegehalt. Vgl. dazu die Analyse bei Kreutz, in: GK-BetrVG, § 77 Rnz. 264. 86 Biberacher, Betriebliche Rechtsetzungsmacht, S. 134. 87 Sinzheimer, Der korporative Arbeitsnonnenvertrag, 2. Teil, S. 31 Cf. 88 Dietz, Freiheit und Bindung im kollektiven Arbeitsrecht, S. 13, 14 Cf. Zu den damaligen dogmatischen Konstruktionen, den Inhalt von Kollektivverträgen in das Einzelarbeitsverhältnis zu transformieren A. Hueck, JherJb 73 (1923), 33 Cf. Zur geschichtlichen Entwicklung des Rechts der Kollektivverträge E.R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte IV, S. 1251 Cf.; ders., Deutsche Verfassungsgeschichte VI, S. 1108 f. 84 85

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das individualrechtliche Arbeitsverhältnis umgesetzt worden ist. Der hier erstmals Anerkennung fmdende Gedanke der "Kollektivautonomie" hatte sich in den Jahrzehnten zuvor in einem mühevollen und zähen Ringen gegen die Macht des Staates, aber auch gegen die Privatautonomie des einzelnen durchzusetzen. Seine eigentliche rechtliche Absicherung erfuhr er dann in der Weimarer Republik89 . Um dieses von der Arbeiterschaft - in zum Teil harten Auseinandersetzungen - errungenen Erfolges willen, hatte man nun grundsätzlich bereit zu sein, in Grenzen auch die ein oder andere Freiheitsbeschränkung in Kauf zu nehmen90. Der Kollektivgedanke setzte seinen Siegeszug in den folgenden Jahren fort. Das Individuum aber geriet immer weiter in den Hintergrund. Der Mensch wurde "Kollektivmensch", ein "konkreter und vergesellschafteter Mensch"91. Es war Wert an sich, daß das kollektive Arbeitsrecht anerkannt wurde und sich vom bürgerlichen Recht weg zu einem neuen, sozialen Recht entwickelte92 . Arbeitsrecht war so nicht auf den einzelnen, sondern auf die Arbeitnehmer in ihrer "sozialen Verbundenheit" ausgerichtet93 . Sogar den Tarifvertrag begriff Sinzheimer nicht als ein Instrument privatrechtlicher Selbstbestimmung, sondern der Fremdbestimmung: "Gerade in dieser Fremdbestimmung, in dieser überindividuellen sozialen Lebensgestaltung liegt sein Eigenwert"94. Folge dieser Entwicklung war es also nicht, daß der Arbeitnehmer jetzt selbstbestimmt und unabhängig wurde, sondern daß er zusätzlich noch in Ab-

Reichold, Betriebsverfassung als Sozialprivatrecht, S. 236 ff. Sinzheimer sprach sogar von einer sozialen Pflicht sich zu koalieren, JW 1921, 305; zum geschichtlichen Hintergrund auch Löwenheim, ZHKR 91 (1928),62 ff. Zum Ganzen näher Gamillscheg, Differenzierung, S. 28 f. 91 Radbruch, Der Mensch im Recht, S. 12 ff.; vgl. auch A. Hueck, JherJb 73 (1923), 33f. 92 Reichold, Betriebsverfassung als Sozialprivatrecht, S. 238. 93 Potthoff, Die Einwirkung der Reichsverfassung in das Arbeitsrecht, S. 6: "Das neue Arbeitsrecht muß Kollektivrecht sein. Die Gemeinschaft handelt und ordnet die Verhältnisse der einzelnen. Diese einzelnen sind der Gemeinschaft unterworfen, müssen sich ihr fUgen; ihre Arbeitsbedingungen, ja ihre Arbeitstätigkeit, werden von der Genossenschaft bestimmt. Und es wäre unzeitgemäß, im Widerspruch zum Geiste der Verfassung, wenn der einzelne sich dem Gebote der Gesamtheit entziehen könnte." 94 Stnzheimer, FG der Berliner Fakultät 50 Jahre Reichsgericht, S. I, 12. 89

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hängigkeit geriet zu den ,,kollektiven Mächten"95; ein Ausscheren verbot sich aus Gründen der Solidarität. ill. Ansatz der Untersuchung

Diese Überlegungen können nicht mehr für die heutige Zeit gelten96 . Das kollektive Arbeitsrecht hat sich durchgesetzt97 . Die Koalitionsfreiheit genießt sogar Verfassungsrang, Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG, und die Kompetenzvorschrift des Art. 74 Nr. 12 GG enthält ein sozialpolitisches Bekenntnis zur Betriebsverfassung als Grundlage einer innerbetrieblichen Mitbestimmung98 . Das Anerkennen der zwingenden Wirkung des Kollektivvertrages durch den Staat ist nicht mehr bereits ein Wert an sich, für den der einzelne im Sinne des Kollektivs auch das ein oder andere Opfer zu erbringen habe. Im Unterschied zur Weimarer Reichsverfassung stellt die Verfassung des Grundgesetzes nicht Kollektive99 , sondern die Einzelpersönlichkeit mit ihrer Würde in den Mittelpunkt 100. Unter seiner Geltung sind Zusammenschlüsse nicht um ihrer selbst,

95 Belling, Haftung, S. 41 ff.; W. Blomeyer, GS Dietz, S. 147 ff.; Tomandl, Ambivalenz, S. 23, 26 ff. (unter besonderer Berücksichtigung der Entwicklung in Österreich). 96 Belling, Günstigkeitsprinzip, S. 21 f.; Biedenkop/, Grenzen, S. 75; Dietz, Freiheit und Bindung im kollektiven Arbeitsrecht, S. 13, 18; Reuter, FS HilgerlStumpf, S. 573, 577; krit. allerdings bereits Jacobi, Grundlehren, S. 232. 97 lsele, JR 1960, 289. 98 Schalz, Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, S. 7 f., wenngleich diese Norm keinen verbindlichen Verfassungsauftrag zur Einführung von betrieblicher Mitbestimmung enthält, BVerfGE 50, 290, 349 u. Scholz, Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, S. 8 Fn. 45; a.A. Bleckmann, DÖV 1983, 129, 131 (Art. 74 Nr. 12 GG enthält einen Gesetzgebungsauftrag). 99 Die Geltung der Grundrechte für juristische Personen war in der Weimarer Zeit freilich umstritten und wurde aufgrund der ablehnenden Haltung C. Schmitts, Verfassungslehre, S. 164 ff., eher verneint, vgl. die Nachweise bei Stern, Staatsrecht III/l, S. 1093 ff. Unabhängig davon war die Weimarer Zeit jedoch ausgesprochen kollektivfreudig und individualfeindlich, was der geltenden Verfassungsordnung widerspricht. 100 Dürig, in: Maunz!Dürig, GG, Art. 1 Abs. I Rnz. 15; ders., AöR 81 (1956), 117, 123; LeibhalzlRinck/Hesselberger, GG, Art. 19 Rnz. 91; Stern, FS Scupin, S. 627, 634 ff.; ders., Staatsrecht IlI/1, S. 15,27 ff.; v. Arnim, Staatslehre, S. 128 f.; vgl. auch den oft zitierten Art. 1 Abs. 1 des Herrenchiemseer Verfassungsentwurfs: "Der Staat ist um des Menschen willen da, nicht der Mensch um des Staates willen."

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sondern nur um der betroffenen Menschen willen legitimiert lol . Vor diesem Hintergrund muß von der Einzelperson aus gefragt werden, welchen Zwecken betriebliche Mitbestimmung und damit auch betriebliches Regeln dienen können, damit sich diese Institute in die Wertordnung der Verfassung einfügen lassen l02 . Die vorliegende Untersuchung rückt daher die Frage in den Mittelpunkt, ob und, falls ja, wie die Eingriffsbefugnis der Betriebspartner selbst begründet werden kann lO3 • Hierzu trennt sie zwischen der Regelungswirkung einerseits und der Befugnis zu Eingriffen andererseits. Sie prüft zuerst, woraus sich die Verbindlichkeit der Betriebsvereinbarung speist, ob aus einer privatautonomen Selbstgestaltung oder allein aus einer Rechtsnorm lO4 • Darauf folgt die Antwort auf die Frage, wie die hier interessierenden Eingriffsbefugnisse der Betriebspartner begründet werden können l05 • Fehlte der Betriebsvereinbarung ein privatautonomes Fundament, erschiene sie als eine Schöpfung des sozialgestaltenden Gesetzgebers l06 . Die Zugehörig101 Vgl. hierzu Dürig, in: MaunzJDürig, GG, Art. 19 Abs. III Rnz. I, 3; v. Arnim, Staatslehre, S. 133; wegen der Gefahr innergesellschaftlicher Freiheitsgefahrdungen erwachsen aus diesem Gesichtspunkt auch die Bedenken gegen die Lehre vom sog. "Doppelgrundrecht" des Art. 9 Abs. 3 GG, vgl. dazu näher Scholz, Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, S. 62 ff.; Konzen, AcP 177 (1977), 473, 494 f; Zöllner, AöR 98 (1973),71,78 ff. u. unten 3. Teil, 1. Kapitel, § 8 B III 2, S. 207 ff. 102 Vgl. Lieb, AcP 183 (1983),327,348; so auch bereits Isele, JR 1960,289; ders., JZ 1964, 113; demgegenüber wollte Däubler, der den "Weimarer Kollektivismus" für "die große Errungenschaft der ersten deutschen Republik" hält, schon 1988 einen Zeitgeist ausgemacht haben, der den einzelnen so sehr in Mittelpunkt gerückt hatte, daß demgegenüber eine Rückbesinnung auf die Werte des kollektiven Arbeitsrechts einzufordern sei, NZA 1988, 857 ff. 103 Vgl. zum Zusammenhang zwischen der Frage nach den Grenzen der Regelungsmacht und der Annahme einer umfassenden Gestaltungsmacht, Dietz, Freiheit und Bindung im kollektiven Arbeitsrecht, S. 13. 104 Zum kontradiktorischen Gegensatz von Rechtsnorm und privatem Rechtsgeschäft vgl. an dieser Stelle nur Tammelo, Untersuchungen zum Wesen der Rechtsnorm, S. 56 ff, 70 ff; Richardi, Kollektivgewalt, S. 21 ff.; Taupitz, Die Standesordnungen der freien Berufe, S. 557 f.; im Ansatz auch Lukes, Der Kartellvertrag, S. 5 ff. lOS Vgl. zum Zusammenhang zwischen der Frage nach den Grenzen der Regelungsmacht und der Annahme einer umfassenden Gestaltungsmacht, Dietz, Freiheit und Bindung im kollektiven Arbeitsrecht, S. 13. 106 Richardi, RdA 1972, 8, 10; ders., Recht der Betriebs- und Unternehmensmitbestimmung I, S. 2 f Allerdings steht die Entscheidung für eine Betriebsverfassung we-

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keit des einzelnen zu der durch das Betriebsverfassungsgesetz verfaßten Belegschaft ergäbe sich allein aus dem Gesetz. Dies lenkte den Blick auf andere Bereiche, in denen ebenfalls gesetzlich verfaßte Einheiten mit Pflichtmitgliedschaft drittbelastende Regeln treffen, nämlich die (Zwangs-) Körperschaften des öffentlichen Rechts l07 . Dort ist unbestritten, daß allein aus der zwingenden Wirkung von Satzungen eine pauschale Eingriffsermächtigung in die allgemeine Satzungsermächtigung nicht hineingelesen werden kann I 08. Vielmehr verlangt der Vorbehalt des Gesetzes fiir Eingriffe in die Freiheit des einzelnen eine spezielle, dem Bestimmtheitsgebot genügende parlamentsgesetzliche Ermächtigungsgrundlage. Es stellt sich aufgrund der Ähnlichkeit der beiden Sachbereiche daher die Frage, ob der Vorbehalt des Gesetzes nicht auch hier Geltung zu beanspruchen hat. Das Verhältnis des Vorbehaltes des Gesetzes zur betrieblichen Rechtsetzung wird im allgemeinen nicht näher untersucht lO9 • Dies hängt u.a. damit zusammen, daß das Betriebsverfassungsrecht ein Grenzgebiet ist zwischen öffentlichem und privatem Recht llO , fiir das sich die Vertreter beider Disziplinen gegenseitig die Verantwortung zuweisen: die Arbeitsrechtslehre verweist staats- und verfassungsrechtliche Fragen in die Kompetenz der Öffentlichrechtler lll , diese jedoch behandeln Verfassungsfragen privater Rechtsetzung nicht speziell unter dem Aspekt der hier interessierenden Betriebsvereinbarung l12 . gen des in der Kompetenznorrn des Art. 74 Nr. 12 GG ausgesprochenen sozialpolitischen Bekenntnisses zu ihr nicht im völligen Belieben des einfachen Gesetzgebers, Scholz, Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, S. 7 f. sowie noch weitergehend Bleclanann, DÖV 1983, 129, l31. 107 Konzen, Leistungspflichten, S. 32 f. 108 Vgl. hier zunächst nur Schmidt-Aßmann, KommunaIrecht, Rnz. 96. 109 Der Begriff des Vorbehaltes des Gesetzes wird im Stichwortverzeichnis der jüngsten (arbeitsrechtlichen) Habilitationsschrift über die Betriebsverfassung von Hermann Reichold, Betriebsverfassung als SoziaIprivatrecht, nicht erwähnt. 110 GalperinlLöwisch, BetrVG, § 1 Rnz. 48. 111 Vgl. Adomeit, Rechtsquellenfragen im Arbeitsrecht, S. l38. 112 F. Kirchhofwidmet in seiner Habilitationsschrift ,,Private Rechtsetzung", die die umfl!nglichste öffentlich-rechtliche Abhandlung zu diesem Thema darstellt, von 530 Druckseiten 12 der Betriebsvereinbarung. Hierdurch "passen" einfach viele Abschnitte seiner Arbeit nicht auf die Betriebsvereinbarung, so die entscheidende WeichensteIlung in der Schutzpflichtenproblematik, S. 522, 528, wonach der Staat den Grundrechten aller Betroffenen gerecht werden müsse, denen der Normadressaten und denen des privaten Rechtsetzers; es ist hier nämlich gerade die Frage, ob auch dem Betriebsrat

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Vor diesem Hintergrund wird es gerechtfertigt sein, das Thema der Betriebsvereinbarung ein weiteres mal aufzugreifen und unter möglicherweise neuartigen Aspekten zu untersuchen. Zusätzlich zur Frage des Vorbehaltes des Gesetzes als Maßstab und Grenze betrieblichen Regelns kommt noch ein anderer, zum Nachdenken anregender Gesichtspunkt hinzu: es gilt als das ideengeschichtliche Anliegen der Betriebsverfassung, den Arbeitgeber in seinen Befugnissen zu beschränken und dadurch Fremdbestimmung des Arbeitnehmers abzubauen 1l3 . Die Lesart der herrschenden Meinung erweitert jedoch auch die Befugnisse des Arbeitgebers ll4 . Mitbestimmung löst sich so von ihrer Wurzel, wird zum Wert an sich lls . Es wird damit auch zu untersuchen sein, was heute als Zweck betrieblicher Mitbestimmung anzusehen ist und ob belastende Betriebsvereinbarungen diesem Zweck entsprechen.

D. Gang der Darstellung Die Untersuchung stellt in ihrem nun folgenden 2. Teil zunächst die Frage, wie die unmittelbare und zwingende Wirkung der Betriebsvereinbarung an sich legitimiert werden kann. Dazu prüft sie alle Möglichkeiten durch, bei denen die Selbstbestimmung des einzelnen Geltungsvoraussetzung wäre (1. Kapitel). Hier ist zu erörtern, ob ein Akt der Selbstbestimmung der Arbeitnehmer darin zu sehen ist, daß diese sich beim Zustandekommen der Betriebsvereinbarung selbst binden (§ 2). Weiter könnte ein Akt der Privatautonomie dann anzunehmen sein, wenn das Handeln des Betriebsrats den Arbeitnehmern nach den Regeln der Stellvertretung privatautonom zugerechnet (§ 3), bzw. die Wirkung von Betriebsvereinbarungen unter dem Aspekt der freiwilligen Unterwerfung unter eine fremde Gestaltungsmacht erklärt werden könnte (§ 4). Schließlich könnte der Betrieb als privatrechtlicher Verband zu qualifizieren sein, so daß

selbst Grundrechte zustehen, auf die Rücksicht zu nehmen wäre, vgl. dazu ausführlich 3. Teil, 1. Kapitel, § 8 B III 2 b, S. 209 ff. 113 Nilcisch, Arbeitsrecht I1I, S. 57 f.; E.R. Huber, Grundgesetz und wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 36. 114 HuecklNipperdey, Arbeitsrecht 1112, S. 1392; Wiese, Initiativrecht, S. 74 ff. IIS Vgl. dazu v. Hoyningen-Huene, Betriebsverfassungsrecht, S. 5. Auch Wiese betont, daß die Befugnisse betrieblicher Vertretungen nicht Selbstzweck sein dürfen, FS Kisse1, S. 1269, 1277.

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Teil I: Einführung

über die Rechtsfigur der Mitgliedschaft eine privatautonome Legitimation abzuleiten wäre (§ 5). Sollte all dies zu verneinen sein, ist zu untersuchen, ob es möglich ist, betriebliches Regeln als heteronome, d.h. fremdbestimmende Regelungsgewalt zu erklären (2. Kapitel). Hier ist zu fragen, ob die Betriebsvereinbarung als außerstaatliche, private Rechtsnorm zu qualifIZieren ist und aus welcher Quelle sich ihre Verbindlichkeit speist (§ 6). Im 3. Teil der Abhandlung ist zu untersuchen, auf welche Weise Eingriffe durch Betriebsvereinbarungen zu legitimieren sind. Hier gilt es vorab zu klären, ob dafür überhaupt eine besondere Legitimation notwendig ist (I. Kapitel). Hier wird zunächst die allgemeine Legitimation in Erinnerung gerufen (§ 7), um auf dieser Grundlage die Frage nach der Notwendigkeit einer besonderen Legitimation beantworten zu können (§ 8). Sollte sie zu bejahen sein, muß im einzelnen untersucht werden, woraus sich besondere Ermächtigungsgrundlagen ergeben könnten (2. Kapitel). Hier ist zu prüfen, ob die allgemeine Regelungskompetenz in sozialen Angelegenheiten i.V.m. § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG den Anforderungen an eine besondere Eingriffsgrundlage genügt (§ 9). Ist dies zu verneinen, käme es in Betracht, der Mitbestimmung in den sozialen Angelegenheiten des § 87 BetrVG Eingriffsbefugnisse zu entnehmen (§ 10).

Zweiter Teil

Die Legitimation der unmittelbaren und zwingenden Wirkung von Betriebsvereinbarungen 1. Kapitel

Durch die Selbstbestimmung des einzelnen Ließe sich nachweisen, daß die Verbindlichkeit von Betriebsvereinbarungen für den einzelnen Arbeitnehmer (mit) abhinge von seinem Willen, würde er durch ihre Regelungen nicht fremdbestimmt. Fremdbestimmung setzt immer voraus, daß eine Verhaltensnorm gegen oder ohne den Willen desjenigen verbindlich ist, der ihr zu folgen hat l . Hinge die Geltung der Betriebsvereinbarung von einer willentlichen Entscheidung des einzelnen (mit) ab, so gestaltete er mit seiner - wie auch immer gearteten - Zustimmung ein Rechtsverhältnis. Damit betätigte er sich privatautonom, handelte selbstbestimmt. Selbstbestimmt gestaltete Rechtsverhältnisse werden jedoch von der Rechtsordnung grundsätzlich anerkannt: Selbstbestimmung ist ein von der Verfassung durch die Grundrechte der Rechtsordnung vorgegebener und von ihr zu verwirklichender Wert2 • Wäre daher ein von Selbstbestimmung getragenes Verhalten zu bejahen, so stellte sich die Frage nach einer "Befugnis zu Eingriffen in die Rechtsstellung des einzelnen" nicht oder jedenfalls in einem anderen Gewande: Selbstbestimmung bedeutet nämlich auch, daß es Sache des einzelnen ist, ob und wie er seine Interessen wahrt; sie gibt dem einzelnen das Recht zur Willkür, zum I Kelsen, Allgemeine Staatslehre, S. 84 f.; Schäffer, Gutachten flir den 5. ÖlT 1973, Bd. I, 1. Tl., B, S. 30 f.; F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 93. Es ist eine andere, demokratietheoretische Frage, daß in einer Demokratie Normen des Staates, die dem Bürger äußerlich heteronom entgegentreten, ihrem Inhalt und ihrer Verbindlichkeit nach nichts anderes sein sollen, als sein eigener Wille, wenn auch vielleicht sein "besserer", so doch jedenfalls sein und nicht ein fremder Wille, vgl. dazu Krüger, Souveränität und Staatengemeinschaft, S. 3 f. 2 Flume, Allgemeiner Teil 11, S. 1.

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Teil 2: Die Legitimation der unmittelbaren und zwingenden Wirkung

Belieben3 . Das Vorliegen eines rechtfertigungsbedürftigen Eingriffs würde dann durch die freiwillige Zustimmung des "Belasteten" ausgeschlossen4 . Gewiß wäre damit belastendes betriebliches Regeln nicht völliger Beliebigkeit überantwortet. Sofern es an den Funktionsvoraussetzungen der Privatautonomie fehlte, die (Vertrags-) Parität gestört wäre, ist das vielfältige Instrumentarium heranzuziehen, das vom Recht bereitgehalten wird, um derartige, durch Ungleichgewichtslagen verursachte Probleme zu lösen5 • Aber dies bedeutete nicht das automatische Ende von in Selbstbestimmung auf sich genommenen Belastungen, vielmehr reagiert das Recht differenziert. Die Umstände des einzelnen Falles müßten genau geprüft werden. Wäre also von privatautonomer Gestaltung eines Rechtsverhältnisses auszugehen, so drehte sich gewissermaßen die Argumentationslast für den Nachweis der Unwirksamkeit um: der Arbeitnehmer müßte jeweils dartun, warum die Voraussetzungen von Selbstbestimmung nicht vorgelegen haben. Bedürften demgegenüber die Betriebspartner rur jede Belastung einer speziellen Eingriffsgrundlage, so müßten sie deren Vorliegen aufweisen. Dies wäre eine für den einzelnen günstigere Ausgangslage. Möchte man die Verbindlichkeit von Betriebsvereinbarungen auf die Selbstbestimmung des Individuums zurückfuhren, so braucht man neben dem staatlichen Rechtsgeltungsbefehl6 des § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG eine Handlung des Arbeitnehmers, mit der dieser seine Zustimmung ausdrückt. Die Zustimmung des einzelnen hat es zu sein, was den Inhalt der Betriebsvereinbarung auf ihn erstreckt. Worin eine solche Selbstbestimmung verkörpernde Zustimmung gesehen werden kann, ist umstritten: sie soll liegen in einer Selbstbindung (§ 2), der privatautonomen Zurechnung fremden Verhaltens (§ 3), der Unterwerfung unter fremde Gestaltungsmacht (§ 4) sowie der Mitgliedschaft in einem Verband (§ 5).

v. Hippe/, Rechtsgeschäftliche Privatautonomie, S. 61 f. Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 99; PierothiSchlink, Grundrechte, Rnz. 168; Bleckmann, DVBI. 1988, 938, 943; Isensee, Das Grundrecht als Abwehrrecht und als staatliche Schutzpflicht, § 111 Rnz. 59, 89. 5 Canaris, AcP 184 (1984), 201, 207; umfassend Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität, passim. 6 Zu diesem Begriff F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 138 ff. 3

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Kapitel I: Durch die Selbstbestimmung des einzelnen

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§ 2 Selbstbestimmung durch Selbstbindung Basiert eine Rechtsordnung auf dem Grundsatz der Privatautonomie, so erkennt sie die "Selbstherrlichkeit" (Flume) des einzelnen in der Gestaltung seiner rechtlichen Beziehungen an. Bei dieser Ausgangslage liegt privatautonomes Handeln naturgemäß dann vor, wenn es der einzelne unmittelbar selbst ist, der sich rechtlich bindee. Eine solche rechtliche Selbstbindung der Arbeitnehmer käme beim Zustandekommen der Betriebsvereinbarung unter zwei Gesichtspunkten in Betracht: zum einen, weil sie hierbei selbst handelten (A), zum anderen, weil sie die betriebsverfassungsrechtlichen Beteiligungsrechte inne haben und deswegen selbst als Partei der Betriebsvereinbarung anzusehen seien (B).

A. Selbstbindung durch Selbsthandeln Soll sich in der Betriebsvereinbarung Selbstbestimmung des einzelnen in den Form des "Selbsthandelns" realisieren, kommt es darauf an, ob es die regelungsbetroffenen Arbeitnehmer selbst sind, die die Betriebsvereinbarung abschließen. Nach der gesetzlichen Regelung sind Betriebsvereinbarungen "von Betriebsrat und Arbeitgeber gemeinsam zu beschließen", § 77 Abs. 2 Satz 1 BetrVG. Am Zustandekommen der Vereinbarung auf der Seite der Belegschaft ist damit der Betriebsrat beteiligt, nicht der einzelne Arbeitnehmer. Daraus ist die schlichte Folgerung zu ziehen, daß dieser sich hier nicht selbst durch sein eigenes Handeln rechtlich bindet. Dem ist vereinzelt widersprochen worden. Jedenfalls für die Arbeitnehmer, die Mitglieder des Betriebsrates sind, stelle sich der Inhalt der Betriebsvereinbarung nicht als Fremdbestimmung dar, da sie an seinem Zustandekommen direkt und selbst beteiligt seien8 • Damit regelten sie nicht fremde, sondern eigene Angelegenheiten. Dieser Einwand überzeugt nicht. Zunächst geht er vorbei am Verständnis der Betriebsratsmitgliedschaft. Der Betriebsrat hat ein Amt inne9 • Es ist aber gerade

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Canaris, Vertrauenshaftung, S. 413 f.; Flume, Allgemeiner Teil 11, S. 7. Reichold, Betriebsverfassung als Sozialprivatrecht, S. 511. Loritz, ZfA 1991, 1, 10; ausfUhrlich Belling, Haftung, S. 170 ff.

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das Kennzeichen eines Amtes, daß der Amtswalter sich in seiner Amtsführung der gleichzeitigen Erledigung eigener Angelegenheiten zu enthalten hat lO • Ämter sind pflichtgebunden. Ausschließlich das Gesetz ist es, das dem Betriebsrat seine Aufgaben zuweist 1I. Es verpflichtet ihn dabei, die ihm zugewiesenen Rechte uneingeschränkt fremdnützig auszuüben. Diese rein fremdnützige Rechtsausübung wird zudem begrenzt durch die Gebote zur vertrauensvollen Zusammenarbeit und Verständigung, §§ 2 Abs. 1, 74 ff. BetrVGI2. All das spricht gegen ein Besorgen eigener Angelegenheiten seitens der Betriebsratsmitglieder. Weiter spricht gegen diese Thesen, daß die Einordnung der Wirkungsweise der Betriebsvereinbarung nicht für Teile der Belegschaft unterschiedlich ausfallen kann, je nach dem, ob sie dem Betriebsrat im Zeitpunkt ihres Zustandekommens gerade angehören oder nicht. Sie hat vielmehr einheitlich zu sein, da anderenfalls kaum lösbare Gleichbehandlungsprobleme entstünden. Im übrigen wird im Hinblick auf die Betriebsratsmitglieder selbst übersehen, daß für die Willensbildung im Betriebsrat das Mehrheitsprinzip gilt, § 33 Abs. 1 Satz 1 BetrVG. Im Mehrheitsprinzip ist aber die Möglichkeit angelegt, daß jedes Betriebsratsmitglied überstimmt werden kann. Infolgedessen kann der Inhalt einer Betriebsvereinbarung auch gegen den Willen von Betriebsratsmitgliedem zustandekommen und diese damit fremdbestimmen. Betriebsvereinbarungen sind für die Betriebsratrnitglieder also zumindest potentiell heteronom. Die rechtliche Beurteilung der Betriebsvereinbarung kann jedoch nicht von der Zufälligkeit abhängen, ob im Einzelfall ein Betriebsratsmitglied überstimmt wird oder nicht l3 • Die Legitimationsanforderungen müssen vielmehr im voraus feststehen l4 • Daher ist auch aus diesem Grunde eine einheitliche Betrachtung anzustellen, bei der für die Arbeitnehmer, die gerade dem Betriebsrat und der

10 Für das öffentlich-rechtliche Amt besonders deutlich WoljJlBachof, Verwaltungsrecht 11, (4. Aufl.), § 73 I c 1, S. 29. Auch wenn es sich beim Betriebsratsamt um ein privatrechtliches Amt handelt, unterscheidet es sich in diesem Punkt nicht von einem öffentlich-rechtlichen, vgl. E.R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht 11, S. 488 sowie Thiele, in: GK-BetrVG, (4. Aufl.), Einl. Rnz. 67. 11 Konzen, ZfA 1985, 1985,469,484; ders., ZHR 150 (1986), 387, 388. 12 Konzen, ZfA 1985,469,482. 13 F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 87. 14 F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 87 f.

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jeweiligen Abstimrnungsmehrheit angehören, nichts Abweichendes gelten kann.

B. Selbstbindung durch Innehaben der ParteisteIlung Ob sich der einzelne bei der Betriebsvereinbarung selbst bindet, ist auch noch davon abhängig gemacht worden, wem die betriebsverfassungsrechtlichen Beteiligungsrechte zuzuordnen seien. Vor allem Kreutz hat in seiner Habilitationsschrift die These aufgestellt, daß es "fiir die Dogmatik des Rechts der Betriebsvereinbarung ... eine Grundfrage" sei, "ob der Betriebsrat selbst oder die Belegschaft (in welcher rechtlichen Form auch immer) Partei einer Betriebsvereinbarung auf Arbeitnehmerseite" sei, "weil sich danach" entscheide, "ob Regelungsurheber und Regelungsadressat bei der Betriebsvereinbarung identisch" seien l5 . Je nachdem handele es sich bei der Betriebsvereinbarung dann um eine Ordnung der Selbst- oder der Fremdbestimrnung l6 . In der Tat werden die betrieblichen Beteiligungsrechte vielfach den Arbeitnehmern selbst zugeordnet l7 , woraus eine Reihe von Autoren zugleich auch die ParteisteIlung der Belegschaft bei der Betriebsvereinbarung ableitet l8 . Mit dieser Argumentation setzt Kreutz sich im einzelnen auseinander und kommt

Grenzen der Betriebsautonomie, S. 17. Grenzen der Betriebsautonomie, S. 17. Kreutz präzisiert jedoch am Ende dieses Paragraphen auf S. 40 unter Berufung auf Zöllner, Die Rechtsnatur der Tarifnormen nach deutschem Recht, S. 28, seinen Ansatz allerdings noch näher dahin, daß die Frage der Trägerschaft der Beteiligungsrechte zunächst nur darüber entscheide, ob Selbstbestimmung kraft Selbstbindung vorliege. Falls dies abzulehnen sein sollte, könne darüber hinaus auch flir ihn immer noch ein Fall von Selbstbestimmung vorliegen, etwa bei Stellvertretung oder freiwilliger Unterwerfung unter einen fremden Regelungswillen. 17 Dabei ist es umstritten, ob die Rechte den einzelnen Arbeitnehmern originär zustehen, so Ballerstedt, JZ 1951,486,491; Belling, Haftung, S. 110 ff., 115 ff.; Hueckl Nipperdey, Arbeitsrecht 11/2, S. 1085 f.; Jacobi, Grundlehren, S. 295; Paschke, AcP 187 (1987),60,76 oder der Belegschaft in ihrer Verbundenheit, so Fabricius, Relativität der Rechtsfähigkeit, S. 232 f; Neumann-Duesberg, Betriebsverfassungsrecht, S. 204 ff; Weitnauer, FS Duden, S. 705, 710 ff.; ZöllneriLoritz, Arbeitsrecht, S. 462. 18 GalperinlLöwisch, BetrVG, § 77 Rnz. 9; Gester, Die betriebsverfassungsrechtliche Stellung von Belegschaft und Betriebsrat, S. 38; HueckiNipperdey, Arbeitsrecht 1112, S. 1257; Neumann-Duesberg, Betriebsverfassungsrecht, S. 358 f; Strasser, Die Betriebsvereinbarung, S. 49; Travlos-Tzanetatos, Die Regelungsbefugnis, S. 43. 15

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4 Müller-Franken

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zu dem Ergebnis, daß aus verschiedenen Gründen Träger der Beteiligungsrechte der Betriebsrat als solcher sei, nicht aber es die Arbeitnehmer seien l9 , womit jedoch auch der Betriebsrat selbst Partei der Betriebsvereinbarung anzusehen sei 2o . Daraus folge, daß bei der Betriebsvereinbarung auch keine Selbstbindung vorliegen könne. Die von Kreutz als entscheidend angesehene Streitfrage, ob Rechtsträger der betriebsverfassungsrechtlichen Beteiligungsrechte die Belegschaft selbst sei mit der Folge, daß dann bei der Betriebsvereinbarung auch eine Selbstbindung der Arbeitnehmerschaft vorliege, ist fUr das Vorhandensein einer privatautonomen Geltungsvoraussetzung der Betriebsvereinbarung jedoch nicht erheblich und kann daher unentschieden bleiben. Denn selbst wenn die Beteiligungsrechte der Belegschaft zuzuordnen wären, bliebe diese als solche nicht handlungsfähig. Eine "Selbstbindung durch Handeln in Selbstherrlichkeit" ließe sich nicht begründen. Es käme allein darauf an, ob und auf welche Weise der Belegschaft das Handeln des Betriebsrats privatautonom zugerechnet werden könnte. Wie immer man dies auch konstruierte, fest stünde auf jeden Fall, daß ein individuell zurechenbarer Akt der Privatautonomie jedes einzelnen beim unmittelbaren Zustandekommen von Betriebsvereinbarungen damit nicht verbunden wäre. Aber nur darum geht es bei der Frage, ob Betriebsvereinbarungen eine willentliche Selbstbindung, ein Handeln in Selbstherrlichkeit beinhalten und bereits deswegen nicht nach einer eigenständigen Eingriffsbefugnis gesucht zu werden bräuchte. Die Problematik der Rechtsträgerschaft der Beteiligungsrechte spielt fUr die Frage einer individuellen Selbstbindung keine Rolle.

C. Ergebnis Die Wirkung von Betriebsvereinbarungen läßt sich nicht auf die Selbstbestimmung der Arbeitnehmer in der Weise zurückfUhren, daß diese sich selbst binden. Die Arbeitnehmer handeln beim Abschluß der Betriebsvereinbarung nicht selbst, was hierfUr Voraussetzung wäre; Handelnder ist allein der Betriebsrat. Für dessen Mitglieder kann man aber auch nicht von einer Selbstbindung sprechen, da sie als Inhaber eines Amtes sich der gleichzeitigen Er-

Grenzen der Betriebsautonomie, S. 30; ebenso BVerwGE 90, 304, 305. So auch die h.M., vgl. BAG, AP NT. I zu § 57 BetrVG; E.R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht 11, S. 519. 19

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ledigung eigener Angelegenheiten zu enthalten haben. Ob die Arbeitnehmer die Stellung der Partei der Betriebsvereinbarung innehaben, spielt rur die Frage "Selbstbestimmung durch Selbstbindung" keine Rolle.

§ 3 Selbstbestimmung durch Zurechnung fremden HandeIns A. Grundlegung: Stellvertretung und Selbstbestimmung Sucht man also weiter nach einer privatautonomen Geltungsvoraussetzung der Betriebsvereinbarung, kommt es darauf an, ob hier das Handeln Dritter privatautonom zugerechnet werden kann. Dies wäre der Fall, wenn es sich vorliegend um eine Form gewillkürter Stellvertretung handelte. Zwar wird das rur ein privatautonomes Gestalten von Rechtsverhältnissen charakteristische "Handeln in Selbstherrlichkeit" grundsätzlich darin gesehen, daß jemand rur sich selbst handelt21 . In der auf dem Grundsatz der Privatautonomie basierenden Rechtsordnung der Bundesrepublik gibt es daneben aber auch Regeln über die Stellvertretung. Hieraus ist abzuleiten, daß der einzelne jedoch auch dann selbstbestimmt handeln kann, wenn er einen anderen damit betraut, eine Regelung darüber zu treffen, was rur ihn rechtlich gelten soll22. Stellvertretung widerspricht nicht dem Prinzip der Privatautonomie, sondern ruhrt es konsequent weiter23 . Es kommt nur darauf an, daß das Vertreterhandeln seinerseits durch die Selbstbestimmung des Vertretenen autorisiert, die Vertretungsmacht also durch ein Rechtsgeschäft erteilt ist24 . Wächst dem Vertreter die Vertretungsmacht demgegenüber kraft Gesetzes oder von Amts wegen zu, so ist dies nicht Ausdruck selbstbestimmten Verhaltens des Vertretenen. Vertretung dient hier im Gegenteil dazu, die dem Vertretenen fehlende Möglichkeit, seine Geschicke selbst zu bestimmen, auszugleichen 25 . Liegt aber ein Fall gewillkürter Vertretung vor, so bestehen keine

21 22 23

Canaris, Vertrauenshaftung, S. 413 f.; Flurne, Allgemeiner Teil 11, S. 7. Flurne, Allgemeiner Teil II, S. 754. Flurne, Allgemeiner Teil II, S. 754; Larenz, Allgemeiner Teil, S. 585.

24

BVerfGE 72,155, 17l.

25

Flurne, Allgemeiner Teil 11, S. 754.

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Bedenken, die hier erzeugten Rechtswirkungen als Ausdruck der Selbstbestimmung des einzelnen zu betrachten26 .

B. Der Betriebsrat als Vertreter der Arbeitnehmer I. Gewillkürte Vertretung? Es kommt rur den Nachweis einer privatautonomen Geltungsvoraussetzung somit darauf an, ob der Betriebsrat als gewillkürter Vertreter der Arbeitnehmer angesehen werden kann. Auf den ersten Blick scheint hier die bereits erwähnte Frage angeschnitten nach dem Verhältnis des Betriebsrats zur Belegschaft, eine Frage, bei der der "feingesponnene Meinungswirrwarr"27 nach Ansicht Zöllners "Stoff fiir Satiren bietet"28. Vorliegend braucht dieser Meinungsstreit nicht vertieft zu werden, es geht um weniger: kommt es auf den Nachweis einer privatautonomen Geltungsvoraussetzung unter dem Aspekt der Stellvertretung an, so muß sich auf seiten der Arbeitnehmer nur ein Verhalten fmden lassen, das als Willenserklärung mit dem Inhalt einer Bevollmächtigung angesehen werden kann (vgl. § 166 Abs. 2 BGB). Hieran aber fehlt es: der Abschluß des Arbeitsvertrages mit dem Arbeitgeber zielt auf das Eingehen eines Arbeitsverhältnisses und der Eintritt in den Betrieb ist ein tatsächlicher Akt, der nicht auf das willentliche Begründen einer Gestaltungsmacht rur den Betriebsrat gerichtet ist. Gleiches gilt rur die Wahl zum Betriebsrat: da durch das Handeln des Betriebsrats sämtliche Arbeitsverhältnisse gestaltet werden, müßte im Wahlakt jedes einzelnen Arbeitnehmers eine diesem individuell zurechenbare Bevollmächtigung des Betriebsrats gesehen werden können. Die Betriebsratswahl ist jedoch auf den Grundsätzen der Verhältnis- (Mehrheits-) und der Listenwahl aufgebaut, § 14 BetrVG. Diese Grundsätze schließen individuell bestimmte Vollmachtgeber und Vollmachtnehmer aus 29 . Damit kann der Betriebsrat aber

26 Flume, Allgemeiner Teil 11, S. 754; Müller-Freien/eIs, Die Vertretung beim Rechtsgeschäft, S. 340 f.; Thiele, Die Zustimmungen, S. 56 ff., insbes. 58 f. 27 Vg\. den Überblick bei Thiele, in: GK-BetrVG, (4. Aufl.), Ein\. Rn. 75 ff. 28 FS 25 Jahre Bundesarbeitsgericht, S. 745, 752. 29 Strasser, Die Betriebsvereinbarung, S. 97.

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auch nicht als gewillkürter Vertreter des einzelnen Belegschaftsangehörigen qualifiziert werden30 •

11. Gesetzliche Vertretung? Ob der Betriebsrat als gesetzlicher3 ! Vertreter angesehen oder ihm die Stellung eines "sozialrechtlichen Vertreters", bzw. "sozialen Vormunds" zugesprochen werden kann, wie dies Ramm - bei der dort unbestritten mitgliedschaftlichen Legitimation - tUr den Tarifvertrag annimmt32 , braucht tUr Zwecke der vorliegenden Abhandlung ebenfalls nicht näher untersucht zu werden. Bei diesen Lehren handelte es sich lediglich um unterschiedliche Konstruktionen einer gesetzlichen Vertretung und damit schon im Ansatz nicht um privatautonome Formen des Gestaltens von Rechtsverhältnissen. Im übrigen sei erwähnt, daß diese Theorien unter der Geltung des Betriebsverfassungsgesetzes aus dem Jahre 1952 entwickelt wurden. Der Vorläufer des heute geltenden Betriebsverfassungsgesetzes aus dem Jahre 1972 enthielt aber noch keine Norm wie die des § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG, der seither die unmittelbare und zwingende Wirkung von Betriebsvereinbarungen anordnet. Indes war man sich auch schon unter Geltung des alten Rechts zumindest im Ergebnis darüber einig, daß der Betriebsvereinbarung eine solche Wirkung zukommen müsse. Die Meinungen gingen nur darüber auseinander, wie dies zu begründen sei. Die Lehre von der gesetzlichen Vertretung hatte ihren Ausgangspunkt darin, daß sie in der unmittelbaren und zwingenden Wirkung von Betriebsvereinbarungen eine Beschränkung der privatrechtlichen Handlungsfreiheit von Arbeitgeber und Arbeitnehmer sah. Aus diesem Grunde hielt vor allem Ernst WolfB hiertUr eine besondere gesetzliche Grundlage fiir erforderlich; die Absätze 1 und 3 des § 4 TVG seien als Ausnahmevorschriften nicht analogiefähig. Mit der Verabschiedung des § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG gibt es nun eine solche Norm, so daß der Hintergrund dieser Konstruktion entfallen ist. Dies gilt

30 BVerfG, AP NT. 31 zu Art. 9 GG; BAG, AP Nr. 2 zu § 1 BetrA VG Betriebsvereinbarung; Kreutz, in: GK-BetrVG, § 77 Rnz. 183; Strasser, Die Betriebsvereinbarung, S. 97; Bickel, ZfA 1971, 181, 189 ff.; v. Hoyningen-Huene, Betriebsverfassungsrecht, S. 46. 3! So E. Wolf, Anm. zu BAG AP NT. 138 zu § 242 BGB - Ruhegehalt. 32 1Z 1962, 78, 82; Die Parteien des Tarifvertrages, S. 89 f. 33 Anm. zu BAG AP Nr. 138 zu § 242 BGB - Ruhegehalt.

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jedenfalls im Hinblick auf die unmittelbare und zwingende Wirkung an sich. Bei der Frage der Zulässigkeit belastender Betriebsvereinbarungen wird jedoch auf den Gedanken des Vorbehaltes des Gesetzes noch einmal zurückzukommen sein. Aus heutiger Sicht wird man zur Lehre Ernst Wolfs sagen müssen, daß die These einer gesetzlichen Vertretung der Arbeitnehmer durch den Betriebsrat in den Angelegenheiten des Betriebsverfassungsgesetzes letztlich auf eine "Vormundschaft über Mündige" (Säcker) hinausliefe 34 . Das rechtliche Bevormunden eines Vollgeschäftsfähigen wäre jedoch nicht nur befremdlich, sondern widerspräche auch der Entscheidung des Grundgesetzes rur die Autonomie des Menschen: das Grundgesetz basiert auf der Vorstellung, daß der Mensch in seinen Entscheidungen frei ist und jeder Mensch die gleichen Rechte wie jeder andere besitzt35 • Die Verfassung setzt voraus, daß jeder in der Lage ist, seinen Lebensweg und sein Handeln selbst zu bestimmen36 . Die Selbstbestimmung, die einem freien Verhalten zugrunde liegt, seine Freiheitlichkeit ausmacht, ist das "Herzstück" (Stern) der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG). Als das "Herzstück" der Menschenwürde ist Selbstbestimmung aber das Leitprinzip rur das gesamte rechtliche Verhalten des einzelnen37 • Mit dieser verfassungsrechtlichen Grundentscheidung vertrüge sich aber keine, wenn auch nur partielle Entmündigung des Arbeitnehmers; sie verstieße zumindest gegen das verfassungsrechtliche Übermaßverbot38 .

In. "Privatheteronomes Rechtsgeschäft"? Die von Kreutz entwickelte Kategorie des privatheteronomen Rechtsgeschäfts39 sieht in der Betriebsvereinbarung keine Rechtsnorm, sondern ein Rechtsgeschäft. Durch dieses Rechtsgeschäft würden die betroffenen Arbeit34 Vgl. krit zu diesem Gedanken Säcker, Gruppenautonomie und Übermachtkontrolle, S. 247. 35 Bleckmann, Staatsrecht 11, S. 451. 36 Bleckmann, Staatsrecht 11, S. 451; Wintrich, FS Apelt, S. 1 f. 37 Stern, Staatsrecht 11111, S. 641. 38 Vgl. dazu Canaris, JZ 1987, 993, 996 ff. Canaris läßt es jedoch entgegen der hier vertretenen Auffassung offen, ob die Respektierung der Selbstbestimmung der Person in der Würde des Menschen wurzelt, Vertrauenshaftung, S. 414 (" ... möglicherweise auch in dem [Wert, Einfügung. vom Verf.] der Würde des Menschen."). 39 Grenzen der Betriebsautonomie, S. 99 ff., 105 ff.

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nehmer jedoch fremdbestirnmt, weshalb es ähnlich der Situation bei gesetzlichen Vertretern und Vermögensverwaltern als "privatheteronom" zu qualifIZieren sei. Die Parallele zu den gesetzlichen Vertretern und Vermögensverwaltern zeigt aber, daß die Theorie vom privatheteronomen Rechtsgeschäft letztlich nur eine Spielart der Lehre von der gesetzlichen Vertretung ist. Bereits aus ihrem Ansatz ergibt sich, daß sie keine privatautonome Geltungsvoraussetzung aufweisen möchte.

C. Ergebnis Das Wirken von Betriebsvereinbarungen läßt sich nicht über die Regeln der Stellvertretung privatautonom legitimieren, da der Betriebsrat kein gewillkürter Vertreter des einzelnen Arbeitnehmers ist. Ein hierfür notwendiges Verhalten, das als Willenserklärung mit dem Inhalt einer Bevollmächtigung angesehen werden kann, läßt sich nicht nachweisen. Da es für den Nachweis einer privatautonomen Geltungsvoraussetzung unter dem Aspekt der Stellvertretung darauf ankommt, daß das Vertreterhandeln seinerseits durch die Selbstbestimmung des Vertretenen autorisiert, die Vertretungsmacht also durch ein Rechtsgeschäft erteilt ist, scheiden gesetzliche Vertretung sowie die Kategorie des privatheteronomen Rechtsgeschäfts hier schon im Ansatz aus.

§ 4 Selbstbestimmung durch Unterwerfung unter fremde Gestaltungsmacht A. Grundlegung Die Rechtsfigur der gewillkürten Stellvertretung ist aber nicht die einzige Möglichkeit, die Geltung von Betriebsvereinbarungen auf eine privatautonome Geltungsvoraussetzung zurückzuführen. Selbstbestimmung des einzelnen kann daneben auch vorliegen im Fall einer freiwilligen rechtsgeschäftlichen Unterwerfung unter den Regelungswillen anderer4°. Bötticher hat in seinem Berliner Vortrag über "Gestaltungsrecht und Unterwerfung im Privatrecht" diesen Gedanken fruchtbar gemacht, um die Wirkung des Tarifvertrages zu erklären. Er

40 Waltermann, Rechtsetzung durch Betriebsvereinbarung zwischen Privatautonomie und Tarifautonomie, S. 88.

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verstand den Tarifvertrag als privatrechtliche Rechtsgestaltung durch Dritte kraft Unterwerfung, geregelt in § 317 BGB41. Der von der Selbstbestimmung getragene "Unterwerfungsakt" liege beim Tarifvertrag in den Beitrittserklärungen zu den Verbänden42 • Waltermann hat nun in seiner Habilitationsschrift die Frage aufgeworfen, ob dieser Gedanke auf die Betriebsvereinbarung übertragen werden könne43 . Denn ließe sich für das betriebliche Regeln ein privatautonomer Unterwerfungsakt nachweisen, wären Belastungen von der Zustimmung der Betroffenen getragen. Der einzelne Arbeitnehmer bestimmte sich selbst. Als denkbare Anknüpfungspunkte für einen entsprechenden Unterwerfungsakt kommen wiederum in Betracht der Abschluß des Arbeitsvertrages verbunden mit dem Eintritt in den Betrieb (B I) sowie die Wahl des Betriebsrates (B 11).

B. Anknüpfungspunkte I. Abschluß des Arbeitsvertrages und Eintritt in den Betrieb? Man könnte daran denken den Abschluß des Arbeitsvertrages sowie den anschließenden Eintritt in den Betrieb als freiwilligen Unterwerfungsakt zu interpretieren. Hierbei schadet es zunächst nicht, daß eine Unterwerfung unter die betrieblichen Regeln bei diesen Verhaltensweisen nicht ausdrücklich erklärt wird, denn ausdrückliche Erklärungen werden auch in anderen, anerkannten Fällen von Unterwerfung unter eine Regelungsgewalt nicht abgegeben44 . Vielmehr tritt man oft einer Organisation einfach nur bei und es ist dann eine Frage der Auslegung des Gesamtverhaltens, ob in ihm eine Zustimmung zu einem Regelungskomplex gesehen werden kann oder nicht4 5• Für den Arbeitsvertrag hat dies im Hinblick auf betriebliches Regeln namentlich Meyer-Cording befürwortet. Er sieht im Abschluß des Arbeitsvertrages einen Statusvertrag, mit dem sich der Arbeitnehmer der präexistenten Rechtsordnung des Betriebs und 41 S. 20 ff. 42

Bötlicher, S. 21.

43 Rechtsetzung durch Betriebsvereinbarung zwischen Privatautonomie und Tarifautonomie, S. 88 f. (letztlich verneinend). 44 Vgl. dazu F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 93. 45 F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 93.

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ihren objektiven Ordnungskräften unterwirft46 . Als Statusvertrag ähnele der Arbeitsvertrag mittelalterlich-ständischen Statusverträgen. Auch der heutige Mensch unterwerfe sich zahlreichen Statusverhältnissen, und die Summe dieser Status-Segmente bilde den Gesamtstatus der Person in der Gesellschaft47. Der Arbeitsvertrag sei nämlich kein gewöhnlicher Austauschvertrag, sondern enthalte als personenrechtlicher Statusvertrag einen schuldrechtlichen Teil, in dem Leistung und Gegenleistung der Austauschbeziehung geregelt werden, sowie einen "normativen Teil", der die eigentliche Unterwerfung unter die institutionelle Rechtsordnung des Betriebes beinhalte. Der normative Teil des Vertrages ließe durch die in ihm enthaltene Unterwerfung die institutionelle Rechtsordnung des Betriebes als sog. Wahlnormen wie Gesetze verbindlich wirken48 . Das sog. "Betriebsrecht" wurzele damit in der Privatautonomie. Die Lehre Meyer-Cordings vom Arbeitsvertrag als Statusvertrag ist tiefgreifenden Bedenken ausgesetzt. Sie beginnen bei der Auslegung des Verhaltens der Arbeitnehmer beim Vertragsschluß. Für den Arbeitsvertrag sowie die Eingliederung in den Betrieb gelten, daß sie lediglich Angebote zum Zwecke der Einkommenserzielung darstellen49 • Diese Akte sind nicht auf dort vorhandene Regeln gerichtet, sondern verfolgen erkennbar nur die Intention, Einnahmen zu erwirtschaften. Bereits das spricht gegen die Annahme einer stillschweigenden Unterwerfung unter das betriebliche Regelwerk50 . An dieser Beurteilung ändert auch eine (etwaige) Unterwerfung unter das Weisungsrecht des Arbeitgebers nichts 51 . Gewiß ist dem Arbeitnehmer bewußt, daß er mit seiner Eingliederung in den Betrieb den Weisungen des Arbeitgebers untersteht, er sich diesen "unterwirft"52. Im Hinblick auf Betriebsvereinbarungen könnte man mit dieser Unterwerfung aber nur bei solchen Regelungen argumentieren,

Die Rechtsnonnen, S. 90. Die Rechtsnonnen, S. 103. 48 Die Rechtsnonnen, S. 89, 102. 49 F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 93. 50 Canaris, AuR 1966, 129, 139; HueckiNipperdey, Arbeitsrecht 1112, S. 1669; Richardi, Kollektivgewalt, S. 313 f. 51 Ob das Weisungsrecht des Arbeitgebers seine Grundlage in einer arbeitsvertraglichen Unterwerfung findet, ist umstritten, vgl. R. Birk, Die arbeitsrechtliche Leitungsmacht, S. 58 ff.; Bericht der Mitbestimmungskommission BT-Drucks. VI1334, S. 60. 52 Jahnke, Tarifautonomie und Mitbestimmung, S. 110 f. 46 47

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die sich im Rahmen dieses Weisungsrechts halten; die hier interessierenden Betriebsvereinbarungen liegen jedoch alle jenseits des Weisungsrechts des Arbeitgebers, wären also von der auf das Weisungsrecht bezogenen Unterwerfung gerade nicht erfaßt. Aber selbst wenn man in der Eingliederung in den Betrieb eine Zustimmung zu Betriebsvereinbarungen sehen wollte, wäre damit das Problem noch nicht gelöst. Denn von dieser Zustimmung erfaßt wären allenfalls die gegenwärtig vorhandenen Regeln. Zukünftige Regeln demgegenüber könnten noch gar nicht in den aktuellen Willen aufgenommen werden, weil sie noch gar nicht erlassen und vom Betroffenen folglich auch noch nicht zu erkennen sind53 . Aber auch wenn es theoretisch denkbar wäre, die Zustimmung bereits auf zukünftige Regeln eines Systems zu erstrecken54 , könnten diese dann aber gleichwohl gegen den aktuellen Willen des Betroffenen ergehen und ihn hierdurch fremdbestimmen55 . Besonders anschaulich springt dies ins Auge bei dem Eintritt in einen Betrieb, in dem zum Zeitpunkt des Eintritts noch gar kein Betriebsrat besteht. Wird jetzt später ein Betriebsrat eingerichtet, der mit dem Arbeitgeber Betriebsvereinbarungen erläßt, so wäre die Annahme einer zustimmenden Unterwerfung kaum mehr zu begründen56 . Weiter ist zu bedenken, daß über die Frage einer Unterwerfung nicht verhandelt wird und aufgrund des Bedürfnisses nach Gleichheit der Arbeitsbedingungen auch nicht verhandelt werden kann. Der einzelne Arbeitnehmer hat damit aber auch nicht die Möglichkeit, die Abgabe einer Unterwerfungserklärung abzulehnen. Damit fehlt es zumindest an einer freiwilligen Unterwerfung 57 • Vor allem verbietet es sich aber, in einem freiheitlichen Staat wie dem des Grundgesetzes im Abschluß eines Arbeitsvertrages einen personenrechtlichen

F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 94. Vgl. Hadding, FS Fischer, S. 165, 190. 55 F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 94. 56 F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 94 ("Fiktion"). 57 So auch die Mitbestimmungskommission in ihrem Bericht, BT-Drucks. V1/334, S. 61; vgl. dazu ebenso Gerd Sturm, FS Geiger zum 65. Geburtstag, S. 173, 184 zur Frage der Freiwilligkeit des - ansonsten anders gelagerten und nur eingeschränkt vergleichbaren - Grundrechtsverzichts: "Freiwillig ... kann ein Grundrechtsverzicht nur sein, wenn reale Verhaltensalternativen (Hervorhebung vom Verf.) die Selbstbindung als Emanation bürgerlicher Autonomie erkennen lassen." 53

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Statusvertrag zu sehen58 • Das Arbeitsverhältnis ist kein Statusverhältnis, in das sich der Arbeitnehmer nur mit der automatischen Folge einer Souveränitätseinbuße begeben kann. Zunehmend setzt sich wieder der Gedanke durch, daß auch das Arbeitsverhältnis dem Prinzip der Privatautonomie untersteht und sein Inhalt dem Vertragsprinzip folgt59 • In fundamentalem Widerspruch hierzu steht jedoch die Statuslehre Meyer-Cordings. Sie geht in ihrer Bezogenheit auf das Kollektiv noch über die in der Weimarer Republik entwickelten Vorstellungen hinaus und erinnert geradezu an archaisches Rechtsdenken. Frühere Rechtsordnungen begriffen den individuellen Menschen nicht als Rechtssubjekt, als eigenständigen Träger von Rechten und Pflichten; sie ließen ihm vielmehr nur als Glied seiner Gemeinschaften Rechte und Pflichten zukommen, erst die Gemeinschaft vermittelte ihm die Teilhabe am Rechtsleben 60 . Es ist ein Zeichen höherer Rechtskulturen, daß die individuelle Existenz zum Ausgangspunkt von Rechten und Pflichten genommen wird61 . Die in seinem Menschsein wurzelnde Personenhaftigkeit des einzelnen, seine Würde, werden aber in einer Vorstellung ausgeblendet, nach der der Mensch sich fortwährend verschiedenen Statusverhältnissen unterwirft und sodann ein Gesamtstatus aus den hieraus entspringenden Status-Segmenten gebildet wird. Die verfassungsrechtliche Wertentscheidung fiir Personalität, Selbstbestimmung und Fähigkeit zur Selbstgestaltung werden von der Lehre der permanenten Unterwerfung unter Statusordnungen Meyer-Cordings negiert; von ihr sollte Abschied genommen werden.

11. Wahl des Betriebsrats? Weiter könnten die Wahlen zum Betriebsrat einen selbständigen individualrechtlichen Unterwerfungsakt darstellen. Diese Hypothese wird zunächst nicht Kreutz, Grenzen der Betriebsautonomie, S. 63. H-P. Schneider, VVDStRL 43 (1985), S. 7,20; Belling, DB 1987, 1888, 1890 (mit Blick auf das Günstigkeitsprinzip); Boemke, NZA 1993,532 ff.; Richardi, Kollektivgewalt, S. 339; ders., RdA 1983, 201, 209; ders., ZfA 1988,221, 238; ders., Betriebsverfassungsrechtliche Mitbestimmung und Einzelarbeitsvertrag, S. 7, 32 f.; Jahnke, Tarifautonomie und Mitbestimmung, S. 101; Zöllner, AcP 176 (1976), 221, 234 ff.; umfassend zur Bedeutung der Privatautonomie im Arbeitsrecht Reichold, Betriebsverfassung als Sozialprivatrecht, S. 403 ff., 428 ff. 60 Vgl. Mitteis-Lieberich, Deutsche Rechtsgeschichte, S. 23. 61 Stern, Idee der Menschenrechte und Positivität der Grundrechte, § 108 Rnz. 4. 58

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von vornherein dadurch ausgeschlossen, daß bei der Frage der Stellvertretung das Vorliegen von Bevollmächtigungen nicht bejaht werden konnte. Im Unterschied zur Situation dort müßte hier nicht von seiten eines jeden Arbeitnehmers das individuelle Rechtsgeschäft "Bevollmächtigung" vorliegen, sondern hinreichend wäre bereits ein Verhalten, mit dem der einzelne eine Unterwerfung im Sinne einer pauschalen Akzeptanz betrieblichen Regelns seitens des Betriebsrats erklärte. Vor allem Jahnke hat die Auffassung vertreten, die Wahl des Betriebsrats habe eine dem Gewerkschaftsbeitritt vergleichbare legitimierende Funktion62 . Der Betriebsrat werde in freien, im Ermessen der Belegschaft stehenden und nicht erzwingbaren Wahlen errichtet63 • Der Wahlakt verschaffe dem Betriebsrat nicht nur eine Legitimation im Sinne des Demokratieprinzips, sondern bringe auch die Entscheidung der Belegschaft für die Errichtung und Beibehaltung eines Betriebsrats sowie ihr Einverständnis mit der Wahrnehmung ihrer Interessen durch diesen zum Ausdruck64 • Die Teilnahme der Belegschaft an der Betriebsratswahl trage zudem rechtsgeschäftliche Züge und wirke daher als freiwillige rechtsgeschäftliche Unterwerfung unter die Gestaltungsmacht der Betriebsvereinbarung 65 • Jahnke räumt freilich selbst ein, daß gegen seine Auffassung Bedenken bestehen: eine rechts geschäftliche Legitimation käme nur bei aktiver Teilnahme an der Wahl in Betracht, nicht jedoch für diejenigen, die der Wahl fernblieben. Die von ihm angenommene Legitimation bliebe insoweit also lückenhaft66 . Darüber hinaus erscheint jedoch auch die Annahme einer rechts geschäftlichen Unterwerfung für die Arbeitnehmer zweifelhaft, die sich an der Wahl beteiligen. Geht man davon aus, daß die Unterwerfung unter die Gestaltung anderer keine eigenständige Handlungsform der Rechtsgeschäftslehre darstellt, sondern nur in den von der Rechtsordnung zur Verfügung gestellten Formen erfolgen kann 67 , bedürfte es hierfür eines einseitigen Rechtsgeschäfts oder eines Vertrages 68 . Das einseitige Rechtsgeschäft "Bevollmächtigung" liegt nicht vor (siehe oben § 3 B I). Auch ein Vertrag kommt ernstlich nicht in BeTarifautonomie und Mitbestimmung, S. 111. Jahnke, Tarifautonomie und Mitbestimmung, S. 111. 64 Jahnke, Tarifautonomie und Mitbestimmung, S. 111. 65 Jahnke, Tarifautonomie und Mitbestimmung, S. 111. 66 Tarifautonomie und Mitbestimmung, S. 111 f. 67 Kreutz, Grenzen der Betriebsautonomie, S. 60. 68 Kreutz, Grenzen der Betriebsautonomie, S. 60. 62

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tracht, so daß es nur um ein sonstiges einseitiges Rechtsgeschäft gehen kann. Ein solches einseitiges Rechtsgeschäft könnte allenfalls in der Wahl enthalten sein. Daß es sich hierbei überhaupt um eine Willenserklärung handelt, ist unproblematisch: der einzelne bekundet im Wahlakt nach außen seinen Willen, an der Entstehung des Beschlusses "Wahl" seinen nach Beteiligungseinheit und quote bemessenen Teil beitragen zu wollen69 . Hier interessiert jedoch allein, ob ein darüber hinausgehender Rechtserfolg mit der Stimmabgabe gewollt wird. Um von einer Unterwerfung sprechen zu können, müßte die Erklärung auf einen bestimmten, nämlich den letztlich gewählten Betriebsrat bezogen sein. Betriebsräte werden, wie erwähnt, jedoch nicht nach dem Einstimmigkeitsprinzip, sondern nach den Grundsätzen der Verhältnis- oder der Mehrheitswahl gewählt. Bei den beiden letztgenannten Gestaltungen ist aber die Möglichkeit angelegt, daß ein Arbeitnehmer von der Mehrheit überstimmt und ihm ein Betriebsrat aufgezwungen wird, den er nicht gewählt hat. Die Teilnahme des einzelnen an der Wahl steht also m.a.W. unter dem Vorbehalt des Überstimmtwerdens durch die Mehrheit. Auch hat der einzelne keine Möglichkeit, dem Betriebsrat sein Mandat überhaupt zu verweigern7o . Damit kann jedenfalls schon einmal im Wahlakt der Arbeitnehmer, die mit ihrer Stimmentscheidung in der Minderheit geblieben sind, kein individueller Unterwerfungsakt unter den dann letztlich aus der Wahl als Sieger hervorgegangenen Betriebsrat gesehen werden. Dies gilt bei näherem Hinsehen aber auch für die Abstimmungsmehrheit. Der einzelne kann mit seiner Stimmabgabe aufgrund der beschriebenen Wahlgrundsätze nur die Wahlentscheidung insgesamt beeinflussen; eine bestimmte Entscheidung herbeiführen, kann er bereits aus Rechtsgründen nicht1 1• Die Willenserklärung ist aber defmiert als eine Willensäußerung, die einen Rechtserfolg herbeiführt, weil er gewollt ist72 • Kann man nun mit einer "Erklärung" (hier mit dem Wahlakt) bereits aus Rechtsgründen einen bestimmten rechtlichen Erfolg nicht erreichen, so kann, falls der Erfolg gleichwohl eintritt, keine hierauf bezogene Willenserklärung vorliegen: man wird sagen müssen, daß der Rechtsfolgenwille auch der Arbeitnehmer, die den aus der Wahl als Sieger hervorgegangenen Betriebsrat gewählt haben, nicht auf die

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70 71

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Baltzer, Der Beschluß als rechtstechnisches Mittel, S. 142, 144. Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität, S. 212. Baltzer, Der Beschluß als rechtstechnisches Mittel, S. 144 f. Jauernig, BGB, Vor § 104 Anm la.

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Teil 2: Die Legitimation der unmittelbaren und zwingenden Wirkung

konkrete Zusammensetzung gerade dieses Betriebsrats gerichtet gewesen sein kann. Denn was der einzelne aus rechtlichen Gründen - jederzeitige Möglichkeit des Überstimmtwerdens - von vornherein nicht erzielen kann, kann nicht aufgrund seines Willens eintreten. Insoweit fehlt es am Rechtsfolgenwillen und folglich an einem konstitutiven Merkmal der Willenserklärung 73 . Sieht man dies anders, so wird man zumindest anerkennen müssen, daß eine derartige rechtliche Unmöglichkeit dafür spricht, die Erklärung so auszulegen, daß ein derartiger Erfolg nicht gewollt gewesen sein kann. Im Ergebnis läßt sich damit im Zusammenhang mit der Wahl eine Willenserklärung mit dem Inhalt einer individuellen Unterwerfung unter einen bestimmten Betriebsrat weder für die Abstimmungsmehrheit noch für die Abstimmungsminderheit nachweisen.

c. Ergebnis Ein Unterwerfung unter die Gestaltungsmacht der Betriebspartner läßt sich nicht belegen. Den Abschluß des Arbeitsvertrages bzw. den Eintritt in den Betrieb in diesem Sinne zu interpretieren, ist nicht angängig. Im freiheitlichen Staat verbietet es sich, im Abschluß eines Arbeitsvertrages einen personenrechtlichen Statusvertrag zu sehen. Das Arbeitsverhältnis ist kein Statusverhältnis, sondern untersteht dem Prinzip der Privatautonomie; sein Inhalt folgt dem Vertragsprinzip. Aber auch die Wahlen stellen keinen selbständigen individualrechtlichen Unterwerfungsakt dar, da Betriebsräte nicht nach dem Einstirnmigkeitsprinzip, sondern nach den Grundsätzen der Verhältnis- oder der Mehrheitswahl gewählt werden. Bei den letztgenannten Gestaltungen ist aber die Möglichkeit angelegt, daß ein Arbeitnehmer von der Mehrheit überstimmt und ihm ein Betriebsrat aufgezwungen wird, den er nicht gewählt hat. Auch hat er keine Möglichkeit, dem Betriebsrat sein Mandat überhaupt zu verweigern.

73 Kreutz, Grenzen der Betriebsautonomie, S. 68 f. mit Fn. 92; BGHZ 45,376,379; RGZ 122, 138 140 u. Motive I, S. 126; krit. allerdings Hefermehl, in: Soergel, BGB, Vor 116 Rnz. 20.

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§ 5 Selbstbestimmung durch Mitgliedschaft in einem Verband Den Inhalt von Betriebsvereinbarungen meinte man auch dadurch auf das Prinzip der Privatautonomie zurückfUhren zu können, daß man die Betriebsvereinbarung mit dem Statut14 eines privatrechtlichen Verbandes verglich und sie diesem gleichstellte75. Dies deshalb, weil die Geltung von Statuten privatrechtlieher Verbände nach überwiegender Ansicht ein Rechtsgeschäft voraussetzt16 : möchte jemand die Mitgliedschaft in einem Verband erwerben, so treffe er hierüber eine privatautonome Entscheidung77 ; die Geltung des Verbandsstatuts sei dann deren selbstverständliche Folge. Damit ruhe das Verbandsstatut auf einem privatautonomen Fundament. Für den Gesellschaftsvertrag einer Personengesellschaft ist dies unbestritten78. Bei der Satzung eines körperschaftlich organisierten Verbandes wird man diese Ansicht durchaus ebenso als die herrschende ansehen können. Allerdings gibt es dort in der Literatur auch vereinzelte Stimmen, nach denen die Geltung der Satzung nicht auf einem Rechtsgeschäft, sondern einem normati-

74 Die Arbeit folgt hier der Terminologie Wiedemanns, Gesellschaftsrecht I, S. 158 ff., wonach der Begriff des Statuts der Oberbegriff zum Gesellschaftsvertrag einer Personengesellschaft und zur Satzung einer Körperschaft ist. 75 Verband meint hier nicht den gesellschafts- oder staatstheoretischen Begriff der Repräsentation organisierter Interessen, sondern eine gegenüber ihren Mitgliedern verselbständigte organisierte Wirkungseinheit im weitesten Sinne, also neben der Körperschaft auch die Personengesellschaft, die über ein Gesamthandsvermögen verfUgt, vgl. Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 4; Flume, Allgemeiner Teil 1/1, S. 4, 61; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 145 ff. 76 Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 162; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 67; Lutter, AcP 180 (1980), 84, 95, 97; Hadding, FS Fischer, S. 165, 188 ff; Flume, Allgemeiner Teil 1/2, S. 317 ff.; v. Thur, Allgemeiner Teil I, S. 504 f.; Weick, in: Staudinger, BGB, Vorbem zu §§ 21 ff Rnz. 38; Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil, 1. Halbband, S. 652 f.; van Look, Vereinsstrafen als Vertragsstrafen, S. 85 f., 89 ff.; Lukes, Kartellvertrag, S. 34 f; Köhler, BGB Allgemeiner Teil, S. 3. 77 Flume, Allgemeiner Teil 1/2, S. 317 ff; Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 162; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 69 f.; Lutter, AcP 180 (1980), 84, 95, 97; Hadding, FS Fischer, S. 165, 188 ff.; Weick, in: Staudinger, BGB, Vorbemzu §§ 21 ffRnz. 38; v. Thur, Allgemeiner Teil I, S. 504 f 78 Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 160, 162 ff.

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ven Geltungsgrund beruhen solle 79 • Zum Teil wird hieraus die Folgerung gezogen, daß der einzelne dann einer Bindung unterliege, die er nicht selbstbestimmt eingegangen sei8o . Die Ergebnisse der Diskussion im Gesellschaftsrecht über den Geltungsgrund von Gesellschaftsvertrag und Satzung werden neuerdings wieder verstärkt an die Dogmatik der Betriebsvereinbarung herangetragen. Mit zum Teil unterschiedlichen Begründungen wird die Ansicht vertreten, bei der Betriebsvereinbarung handele es sich um die "Verbandsordnung" eines körperschaftlich strukturierten Verbandes, dessen Inhalt als grundsätzlich freiwillig akzeptiert gelten könne 81 • Ziel der in diese Richtung argumentierenden Autoren ist es, die Eingriffsgewalt der Betriebspartner ("des Verbandes") gegenüber den Arbeitnehmern ("seinen Mitgliedern") zu erweitern; denn hinge die Verbindlichkeit des Inhalts von Betriebsvereinbarungen auch vom Willen des einzelnen ab, so müsse dies - wie auch hier vertreten - entsprechende Konsequenzen für eine Erweiterung der Eingriffsgewalt des Verbandes gegenüber seinen Mitgliedern zur Folge haben82 • Um diesen Ansatz würdigen zu können, ist es notwendig, sich mit der gesellschaftsrechtlichen Ausgangslage auseinanderzusetzen und zwar im Hinblick auf den unter dem Aspekt der Privatautonomie strittigen und hier relevanten Fall, die Satzung des körperschaftlich organisierten Verbandes (A). Denn wäre bereits der dort vertretene Ansatz nicht überzeugend, erübrigte sich die weitere Frage, ob bei der Betriebsverfassung die Dinge ähnlich liegen. Folglich ist erst 79 Meyer-Cording, Die Vereinsstrafe, S. 46 ff; ders., Die Rechtsnormen, S. 83 f, 90 ff; Reuter, in: Münchener Kommentar, BGB, § 25 Rnz. 10; Schultze-v. Lasaulx, in: Soergel, BGB, (11. Aufl.), § 25 Rnz. 15; Larenz, GS Dietz, S. 43,49; unklar: StejJen, in: RGRK, BGB, § 25 Rnz. 5. 80 Taupitz, Die Standesordnungen der freien Berufe, S. 564; F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 269 i.V.m. S. 93 ff.; anders wohl Meyer-Cording, Die Vereinsstrafe, S. 34, für den "sich nicht leugnen" lasse, "daß sowohl bei der Gründung wie im Beitritt Elemente von vertraglicher Natur zu finden sind." 81 Nebel, Die Normen des Betriebsverbandes, S. 124 ff.; Reuter, RdA 1991, 193, 196 ff.; ders., Ordo 33 (1982), 165, 167, 183; ders., Ordo 36 (1985), 51, 57, 69; ders., ZfA 1993,221,229 f; für eine verbandsrechtliche Betrachtungsweise auch Lunk, Die Betriebsversammlung, S. 62 ff. 82 Nebel, Die Normen des Betriebsverbandes, S. 245 ff., löst über die Konstruktion der akzeptierten Norm des Betriebsverbandes das Konkurrenzverhältnis von allgemeinen Arbeitsbedingungen und nachfolgenden Betriebsvereinbarungen im Grundsatz zugunsten der letzteren.

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im Anschluß hieran zu untersuchen, ob die Betriebsvereinbarung als Satzung eines privatrechtlichen Verbandes angesehen werden kann (B).

A. Rechtliche Einordnung der Satzung des körperschaftlich organisierten privatrechtlichen Verbandes Über die rechtliche Einordnung von Satzungen körperschaftlich organisierter privatrechtlicher83 Verbände besteht in der Gesellschaftsrechtslehre seit langem Uneinigkeit. Es wird darum gestritten, ob es sich bei der Satzung um eine Rechtsnorm, einen Vertrag oder eine Zwischenform handelt84 • An dieser Stelle der Untersuchung kommt es noch nicht darauf an, wie Rechtsnorm und Vertrag abstrakt gegeneinander abzugrenzen und welches die hierfür maßgeblichen Kriterien sind. Hier geht es nur darum, ob die Satzung, d.h. ihre Errichtung und Änderung sowie Maßnahmen, die auf ihr basieren und den Verbandszweck erreichen sollen, auf der Privatautonomie des einzelnen beruhen. Rechtssatz und Vertrag sind hier damit nur im Hinblick auf ihr Verhältnis zur Privatautonomie zu untersuchen und das heißt, auf ihre Geltungsvoraussetzungen oder - in der Terminologie der herrschenden Meinung - ihren Geltungsgrund85 . Gemeinsam haben Vertrag und Rechtsnorm zunächst ihren Charakter als rechtliche Imperative: sie statuieren ein verbindliches Sollen für menschliches

83 Öffentlich-rechtliche Körperschaften unterscheiden sich in Entstehungsakt, Zielrichtung, Mitteln und UnteIWorfensein unter staatliche Aufsicht so sehr von der privatrechtlichen Körperschaft, daß das Gesellschaftsrecht sie wegen der Unterschiedlichkeit der Konfliktsituationen und Lösungswege nicht in die Diskussion miteinbezieht, Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 12 f.; Lutter, AcP 180 (1980), 84, 87 f. Die Ermächtigung zum Erlaß von Satzungen öffentlich-rechtlicher Einheiten findet sich in einfachen förmlichen Gesetzen, die teilweise ihre Grundlage unmittelbar in der Verfassung haben, vgl. näher zu Begriff und Funktion der Satzung im öffentlichen Recht Ossenbühl, Rechtsquellen und Rechtsbindungen der VeIWaltung, Rnz. 63 f. Zur Frage öffentlich-rechtlicher Systemgedanken in der Betriebsverfassung siehe 3. Teil, 1. Kapitel, § 8 A I, S. 165 f. 84 Dieser Streit ist kein praxisferner akademischer Streit um Begriffe, sondern hat Konsequenzen für die Rechtsanwendung: Fragen der Auslegung, Teilnichtigkeit (§ 139 BGB), Revisibilität (§ 550 ZPO) und der richterlichen PTÜfungsbefugnis, insbes. im Hinblick auf die Herabsetzung einer Vereinsstrafe nach § 343 BGB hängen davon ab, ob die Satzung als Rechtsnorm oder Rechtsgeschäft zu begreifen ist, Hadding, in: Soergel, BGB, § 25 Rnz. 11 m.w.N. 85 Siehe zu dieser Unterscheidung oben I. Teil, § 1 B III, S. 30 Fn. 49. 5 Müller-Franken

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Verhalten86 . Der in einem Vertrag enthaltene Sollensbefehl ist für die an ihn Gebundenen jedoch nur deswegen verbindlich, weil sie sich hierauf freiwillig geeinigt haben87 . Die Urheber der Regelung und ihre Adressaten sind bei zwei Parteien identisch. Den Vertrag charakterisiert damit die freiwillige Einigung kraft Willensübereinstimmung. Der in einem Vertrag formulierte Verhaltensbefehl "gilt", d.h. ist rur den einzelnen nur dann verbindlich, wenn und weil er ihm willentlich zugestimmt hat8 8 • Mit dieser Zustimmung gestaltet der einzelne in Selbstbestimmung ein Rechtsverhältnis zu einem (oder mehreren) anderen89 . Zurecht wird daher der Vertrag als das Mittel zur Verwirklichung von Privatautonomie bezeichnet90 . Die Rechtsnorm zeichnet demgegenüber aus, daß die in ihr enthaltenen Verhaltensbefehle nicht einverständlich zwischen ihrem Urheber und ihrem Adressaten vereinbart werden91 • Regelungsadressat und Regelungsurheber sind bei der Rechtsnorm gerade nicht identisch. Vielmehr wird dem Adressaten einer Rechtsnorm vom Normgeber einseitig und ohne Rücksicht auf seinen Willen ein bestimmtes Verhalten auferlegt. Das Aufzwingen eines rechtlich verbindlichen Willens ist das Typische an einer Rechtsnorm. Die Rechtsnorm ist damit gekennzeichnet durch ihre Heteronomität, d.h. ihre Geltung gegen oder ohne den Willen des Betroffenen. Vor diesem Hintergrund gilt: die Satzung ruht auf einem privatautonomen Fundament, wenn ihr Inhalt - und zwar nicht nur der ursprüngliche, sondern auch ein möglicherweise geänderter - rur die Mitglieder nur deswegen verbindlich ist, weil sie dies wollen.

86

Kelsen, 2. FS Nipperdey I, S. 57, 67 ff.; Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre, S. 8,

211.

Flume, Allgemeiner Teil 11, S. 602; Wildhaber, ZSchwR 94 (1975), 113. Adomeit, FS Kelsen, S. 9. 89 M. Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S. 19. 90 Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil, I. Halbband, S. 98; Flume, Allgemeiner Teil 11, S. 12; Jahnke, Tarifautonomie und Mitbestimmung, S. 101. 91 BSGE 29, 254, 258; Achterberg, Rechtsnorm, S. 183, 187; Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil, 1. Halbband, S. 210; Wildhaber, ZSchwR 94 (1975), 113 f.; Richardi, Kollektivgewalt, S. 33; Tammelo, Untersuchungen zum Wesen der Rechtsnorm, S.71. 87 88

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I. Vertrags rechtliche Betrachtungsweise Die im gesellschafsrechtlichen Schrifttum herrschende Ansicht sieht in der Satzung eines körperschaftlich strukturierten Verbandes eine besondere Erscheinungsform des Vertrages92 • Die Gründer errichteten die juristische Person, indem sie über die Satzung beschließen. Diese sei ihre Verfassung. In jenem Akt konstituierten sie die juristische Person und setzten zugleich die Satzung in Geltung. Damit beruhe die Geltung der Satzung für die Gründer auf ihrer vertraglichen Vereinbarung, für spätere Mitglieder auf ihren Beitrittsverträgen93 ; sie sei die selbstverständliche Folge des Erwerbs der Mitgliedschaft, der seinerseits auf einer privatautonomen Entscheidung beruhe94 • Die privatautonom begründete Mitgliedschaft bedeute eine willentliche Zustimmung zum ursprünglichen Inhalt der Satzung, ihren späteren Änderungen sowie zu sämtlichen ihrem Vollzug dienenden Rechtshandlungen, hierbei namentlich auch den auf dem Mehrheitsprinzip basierenden Wahlentscheidungen. Denn gründeten die Mitglieder die Gesellschaft durch ein Rechtsgeschäft, so akzeptierten sie bereits bei der Gründung oder dem späteren Beitritt die Organisations- und Verfahrensregeln, wie sie sich aus dem Gründungsvertrag, der Satzung und dem Gesetzesrecht für die jeweilige Gesellschaftsform ergeben95 . Die Satzungserrichtung, deren zukünftige Änderungen und deren Vollzug durch spätere Mehrheitsentscheidungen seien daher sämtlich als privatautonome Gestaltungen zu qualifIzieren, weil sich ihre Geltung auf den Willen der Verbandsangehörigen zurückführen ließe, diesen zur Voraussetzung habe. Dies sei sogar der wesentliche Inhalt der Gründungs-, bzw. Beitrittserklärung. 11. Die Satzung als Rechtsnorm Die Gegenposition sieht in der Satzung eine Rechtsnorm, einen objektiven Rechtssatz96 und geht dabei zurück auf die Lehre Otto v. Gierkes. Dieser sah in Siehe oben Fn. 76. Lukes, Kartellvertrag, S. 34 f.; Enneccerus/Nipperdey, I. Halbband, S. 651 f.; Köhler, BGB Allgemeiner Teil, S. 3; v. Thur, Allgemeiner Teil I, S. 505. 94 Flume, Allgemeiner Teil 1/2, S. 317 ff. 95 Kreutz, Grenzen der Betriebsautonomie, S. 70. 96 Taupitz, Die Standesordnungen der freien Berufe, S. 565; F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 269; Meyer-Cording, Die Vereinsstrafe, S. 43 ff.; ders., Die Rechtsnormen, S. 83 f., 90 ff.; Reuter, in: Münchener Kommentar, BGB, § 25 Rnz. \0; Schul92 93

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der Gründung einer juristischen Person kein Rechtsgeschäft, sondern einen schöpferischen Gesamtakt, der eine Verbandsperson ins Leben rufe97 • Bei diesem Gesamtakt handele es sich nicht um eine Willensbetätigung der Gründer, sondern um den sich sukzessiv entfaltenden und verkörpernden Willen des werdenden Gemeinwesens, der in diesem Akt sich selbst bejahe98 . Geltungsgrund der Satzung sei nicht die privatautonome Entscheidung der Gründer, sondern eine nicht vom Staat abgeleitete Befugnis, sich selbst objektives Recht zu setzen, wobei Rechtsetzer der werdende Verband selbst sei99 . Auch wenn v. Gierke sich gerade in diesem letzten Punkt für das Vereinsrecht nicht hat durchsetzen können, hat seine These vom Normencharakter der Satzung bleibende Spuren hinterlassen loo . So ist die These vom Normencharakter nicht nur im Schrifttum lOI , sondern auch in der Rechtsprechung verbreitet l02 . In ihrer Argumentation stellen die heutigen Vertreter der These vom Rechtsnormencharakter der Satzung allerdings abweichend von der Gierke' schen Lehre vermehrt auf funktionale Gesichtspunkte ab. So heißt es, die Satzung unterscheide sich vom Vertrag zunächst in den Modalitäten ihres Zustandekommens\03. Sie sei nicht wie dieser das Ergebnis von Verhandlungen zwischen Individuen, die in einem Kompromiß ihre Interessen ausglichen l04 . Verbände seien auf Verselbständigung gerichtete Organisationen mit grundsätzlich offener Mitgliederzahl, die dem Mehrheitsprinzip unterstehen und die deswegen nach einer objektivierten Ordnung verlangten, die unabhängig vom

ze-v. Lasaulx, in: Soergel, BGB, (11. Aufl.), § 25 Rnz. 15; Steffen, in: RGRK, BGB, Vor § 21 Rnz. 32. 97 Genossenschaftstheorie, S. 133; Deutsches Privatrecht I, S. 486, 142 f., 148; Das Wesen der menschlichen Verbände, S. 31. 98 v. Gierke, Genossenschaftstheorie, S. 133. 99 v. Gierke, Genossenschaftstheorie, S. 133 f., 163, 182,714 f. 100 Vgl. dazu Coing, FS Flume I, S. 429, 430; Flume, FS Bötticher, S. 101, 112; Hadding, in: Soerge1, BGB, § 25 Rnz. 12 f. 101 Vgl. die in Fn. 96 genannten Autoren. \02 BGHZ 21, 373, 374 f; 47,172,179, f.; vgl. bereits RGZ 165, 140, 143 f. 103 Reuter, in: Münchener Kommentar, BGB, § 25 Rnz. 10; Meyer-Cording, Die Vereinsstrafe, S. 44 ff. 104 Reuter, in: Münchener Kommentar, BGB, § 25 Rnz. 10.

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Willen der Einzelvertragspartner seilos. Die Satzung richte sich daher an einen stets wechselnden Kreis von Mitgliedern und soll - wie die von ihr verfaßte Organisation selbst - Dauer und Bestand haben und die Verwirklichung eines überindividuellen Zwecks sicherstellen 106. Die Eigenständigkeit der Organisation habe zur Folge, daß nicht stets alle Mitglieder sämtliche Regelungen eigenverantwortlich aushandelten, sondern es vielmehr nach dem Mehrheitsprinzip dazu kommen könne, daß Regeln auch gegenüber denjenigen Mitgliedern gelten, die im Einzelfall nicht mit ihnen einverstanden seien l07 ; die Beziehung des

Mitglieds zu einem Verband trage daher Züge eines

Subordi-

nationsverhältnisses 108 . All dies spreche dafür, daß es sich bei der Satzung um eine Rechtsnorm handele 109 . Abweichend von der Gierke'schen Lehre wird die Satzung jedoch nicht als schöpferischer Gesamtakt eingestuft, sondern durchaus zunächst als ein von den Gründern geschlossener Vertrag llO . Im Gegensatz zur rein vertragsrechtlichen Betrachtungsweise durchlebt der Geltungsgrund der Satzung jedoch dann eine Metamorphose. "Tritt" der Verband "ins Leben", gelte seine Satzung fortan nicht mehr als Vertrag, sondern "als seine Verfassung, der sich die Mitglieder unterworfen haben und die für sie kraft Korporationsrechts gilt"lll. Als eigenständige korporationsrechtliche Norm des Vereinslebens löst sie sich völlig vom Willen der Verbandsrnitglieder und erlangt ein unabhängiges rechtliches Eigenleben, sie objektiviere fortan das rechtliche Wollen des Vereins und der Gründerwille trete hinter dem in der Satzung objektivierten Willen zurück.

\05 Säcker, Probleme der Repräsentation von Großvereinen, S. 39; Schulze-v. Lasaulx, in: Soergel, BGB, (11. Aufl.), § 25 Rnz. 15; StejJen, in: RGRK, BGB, Vor § 21 Rnz.32. 106 Meyer-Cording, Vereinsstrafe, S. 46. 107 Taupitz, Die Standesordnungen der freien Berufe, S. 561. \08 Leisner, Grundrechte, S. 380 ff.; Meyer-Cording, Vereinsstrafe, S. 48 f.; Stern, Grundrechte der Sportler, S. 142, 151. \09 Wobei allerdings festzuhalten sei, daß es sich bei dieser Rechtsnorm nicht um einen integrierenden Bestandteil des staatlichen Rechtssystems handele und sie deswegen auch nicht mit hoheitlich oktroyierten Normen in einem Atemzug zu nennen sei, Meyer-Cording, Vereinsstrafe, S. 35; Schulze-v. Lasaulx, in: Soergel, BGB, (11. Aufl.), § 25 Rnz. 14. 110 BGHZ 21, 370, 373; 47, 47,179; Kühler, Gesellschaftsrecht, S. \06. 111 BGHZ 21,370,373 f.; 47, 172, 179 ff.

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Vor diesem Hintergrund wird das weitere Vereinsgeschehen - freilich nicht von allen Vertretern der Rechtsnormenlehre l12 - als eine heteronome Ordnung im Sinne der oben beschriebenen Differenzierung begriffen. Die Unterwerfung des Mitglieds unter eine nur global vom Vereinszweck umrissene und begrenzte Mehrheitsherrschaft lasse nicht mehr die konkrete Reichweite der vom Einzelmitglied antizipierten Regelungsfolgen erkennen. Sie genüge damit nicht mehr den Voraussetzungen individueller und autonomer Willensbildung l13 .

III. Unterscheidende Betrachtungsweise ("modifizierte Normentheorie") Eine dritte, vermittelnde Auffassung differenziert zwischen der Satzungserrichtung einerseits und der durch die Satzung geschaffenen Verbandsverfassung andererseits l14 . Die Errichtung der Satzung sei als Rechtsgeschäft, die hierdurch geschaffene Verfassung des Verbandes demgegenüber als objektives Recht zu qualiftzieren. Folglich sei die Satzung wie eine Rechtsnorm auszulegen, revisionsrechtlich überprüfbar und auch die Frage ihrer Teilnichtigkeit sei wie bei einer Rechtsnorm zu behandeln (§ 139 BGB gelte nicht)1I5. Für diese Differenzierung wird vorgetragen: betrachte man allein die Wirkungsweise von Satzungsregeln und deren inhaltliche Gestaltung, so komme man nicht umhin, ihren Rechtsnormencharakter anzuerkennen. Hiervon dürfe jedoch nicht, wie dies bei der Lehre von der Satzung als Rechtsnorm geschehe und dort entscheidend sei, auch auf einen normativen Geltungsgrund der Satzung geschlossen werden: Satzungen, deren Änderung sowie die zu ihrer Ausführung ergangenen Gesellschafterbeschlüsse seien allesamt Rechtsgeschäfte, denn als privatrechtliche Vorgänge müßten sie sich durch privatautonome Einverständniserklärungen legitimieren lassen ll6 . Dies sei der Beitritt der Mitglieder zum Verband. Durch ihn akzeptierten sie freiwillig die Ver-

112 Reuter, in: Münchener Kommentar, BGB, § 25 Rnz. 11, verlangt nach einer privatautonomen Legitimation; ebenso Steffen, in: RGRK, BGB, § 25 Rnz. 5; Schulze-v. Lasaulx, in: Soergel, BGB, (11. Aufl.), § 25 Rnz. 15. 113 So namentlich Taupitz, Die Standesordnungen der freien Berufe, S. 564; ebenso F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 269 i.V.m. S. 93 ff. 114 K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 68. 115 RGZ 165, 140, 143; BGHZ 21, 370, 373 ff.; 47,172,179 f. 116 Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 162; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 69 f.

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bandsordnung und damit auch spätere Mehrheitsbeschlüsse; beidem könnten sie sich durch Austritt oder Veräußerung ihrer Mitgliedschaft wieder entziehen. Der Regelungsauftrag an die Verbandsorgane stamme also von den Mitgliedern selbst und werde von ihnen legitimiert l17 . Der Geltungsgrund der Satzung liege damit in der Privatautonomie der Mitglieder. IV. Stellungnahme

Sucht man eine Antwort auf die Frage, ob es bei der Satzung eines körperschaftlich strukturierten Verbandes um autonomes oder heteronomes Bilden von Regeln geht, empfiehlt es sich zunächst mit der vermittelnden Ansicht zwischen ihrer Errichtung (1) und der durch sie geschaffenen Verfassung zu unterscheiden (2). 1. Das Errichten der Satzung

Hier gilt zunächst, daß der Vertrag zur Gründung eines Verbandes als privatrechtlicher Vertrag anzusehen ist 118 . Zwar wird immer wieder betont, es handele sich um einen sog. "Organisationsvertrag" und dieser sei ein Vertrag besonderer Art119 . Da aber auch der Vertrag zur Gründung eines Verbandes, wie jeder andere Vertrag auch, durch das Zugehen von Willenserklärungen der Gründer zustandekommt, kann an dessen vertraglichem Charakter kein Zweifel bestehen l20 • Aber nur darum geht es. Nichts anderes gilt, wenn man aufgrund seiner besonderen Wirkung, die nach Meinung vieler darin liegt, daß er Rechtsnormen oder zumindest rechtsnormähnliche Regeln hervorbringt, von einer "rechtsetzenden Vereinbarung" spräche. Denn zum einen ist - jedenfalls rur den Bereich des Privatrechts - mit diesem Begriff kein eigener Erklärungswert verbunden l21 . Und zum anderen ist auch die sog. rechtsetzende Vereinbarung nach ihrem Zustandekommen ein Vertrag, denn auch sie soll durch Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 162. Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil, 1. Halbband, S. 636; Kübler, Gesellschaftsrecht, S. 108; Schulze-v. Lasaulx, in: Soergel, BGB, (11. Aufl.), § 25 Rnz. 15. 119 Hadding, in: Soergel, BGB, § 25 Rnz. 17; Schulze-v. Lasaulx, in: Soergel, BGB, (11. Aufl.), § 25 Rnz. 15; zum begrenzten Erkenntniswert dieses Begriffs Flume, Allgemeiner Teil 1/2, S. 318; ders., Allgemeiner Teil 11, S. 603. 120 Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre, S. 220 f. 121 G. Hueck, Die Betriebsvereinbarung, S. 42 ff., 45 ff. 117 118

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das Zugehen von Willenserklärungen zustandekommen, die nur nicht wechselseitig aufeinander bezogen, sondern gleichgerichtet seien 122. Das Errichten der Satzung ist aber das Kernstück des Gründungsvertrages l23 , so daß es folglich deren vertraglichen Charakter teilt. Die Satzung entsteht im freiwilligen Konsens der Gründer als rechtsgeschäftliche Vereinbarung. Formulierung und Inhaltsbestinunung der Satzung sind - jedenfalls in ihrem Ausgangspunkt - vom Willen der Gründer getragen, ruhen auf selbstbestinuntem Handeln des einzelnen. An der QualifIkation der Satzungserrichtung als Rechtsgeschäft ist daher nicht zu zweifeln. Regelproduzent und Regeladressat sind identisch.

2. Die Verfassung des" ins Leben getretenen Verbandes" Es fragt sich, ob dies auch rur die Zeit nach der Entstehung des Verbands gesagt werden kann. Denn die ursprünglich im Einvernehmen aller errichtete Satzung kann später von einer Dreiviertelmehrheit der erschienenen Mitglieder geändert werden und damit auch ohne oder sogar gegen den Willen der Abstimmungsminderheit (§ 33 Abs. I Satz I BGB). Die bei der Abstinunung Unterlegenen können sich zwar durch Austritt aus dem Verein der Bindungswirkung der Satzung entziehen, jedoch nur mit Wirkung fiir die Zukunft. Die Satzung kann zudem rur Mitglieder, die ihren Austritt schon erklärt haben, weitergelten, wenn sie die Wirkung der Kündigung hinausschiebt (§ 39 Abs. 2 BGB). Damit ist die Vereinssatzung rur ihre Mitglieder, nachdem sie einmal vereinbart worden ist, die Vereinsorgane bestellt und nach außen gehandelt wurde, wegen des Mehrheitsprinzips bei Änderungen zumindest potentiell heteronom 124. Denn eine Rechtsregel ist nicht erst dann potentiell heteronom, wenn sie tatsächlich ohne oder gegen den Willen eines ihr Unterworfenen ergangen ist, sondern bereits dann, wenn sie in einem Prozeß erzeugt wird, der die Regelbildung auch ohne oder gegen den Willen des Nonnadressaten gestatten würde 125 . Erzeuger der Regel und ihr Adressat fIelen dann auseinander.

122 123 124 125

Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre, S. 220 f. So auch Schulze-v. Lasaulx, in: Soergel, BGB, (ll. Aufl.), § 25 Rnz. 15. F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 267 f. F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 87 f.

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Potentielle Heteronomität eines Rechtsbefehls reicht im allgemeinen hin, um von anderen Voraussetzungen hier einmal abgesehen -, als Rechtsnorm zu qualifIzieren l26 • Denn, wie erwähnt, kann die Einordnung seiner Wirkungsweise nicht von der Zufalligkeit abhängen, ob im Einzelfall ein Normadressat überstimmt wird oder nicht l27 ; die Legitimationsanforderungen müssen vielmehr im voraus feststehen 128. ihn -

Bei der Satzung eines privatrechtlichen Verbandes muß aber die Frage gestellt werden, ob sie nicht deswegen gleichwohl als eine auf der Selbstbestimmung des einzelnen Mitglieds basierende Ordnung angesehen werden kann oder sogar muß, weil dieses bei seiner Zustimmung zur Satzung die Möglichkeit späterer Mehrheitsentscheidungen in seinen Willen mitaufnimmt, sie folglich privatautonom akzeptiert. Dem Gedanken, das Mitglied erkläre mit seinem Beitritt sein Einverständnis auch zu zukünftigen, noch nicht übersehbaren Entscheidungen der Vereinsorgane, ist vor allem von Ferdinand Kirchhof entgegen gehalten worden, er beruhe auf einer Fiktion l29 • Eine im Beitritt liegende Zustimmung zur Satzung beinhalte allenfalls eine Unterwerfung unter deren zur Zeit des Beitritts gültige Fassung. Künftige Inhalte könnten noch gar nicht in den gegenwärtigen Willen aufgenommen werden, weil sie noch nicht erlassen und folglich vom Adressaten noch nicht zu überblicken seien. Zwar könnte sich theoretisch eine Zustimmung auch auf zukünftige Regeln erstrecken, die künftigen Regeln könnten aber gleichwohl gegen den aktuellen Willen der Adressaten ergehen. Darauf komme es aber an. Sähe man die Dinge anders, gäbe man der Mehrheit einen Freibrief für ungehemmtes Normieren, nur um die QualifIkation heteronomer Regelbildung zu vermeiden. Um seine Gedanken zu veranschaulichen, bildet Ferdinand Kirchhof noch zwei Beispiele: zum einen habe für den staatlichen Bereich bislang noch niemand die Ansicht vertreten, das für Deutsche geltende Recht sei für Eingebürgerte deswegen keine heteronome Norm, weil diese mit der Einbürgerung allen zukünftigen Rechtsvorschriften zugestimmt hätten; zum anderen habe auch

126 F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 87 f.; vgl. auch Schäffer, Gutachten für den 5. ÖJT 1973, Bd. I, I. TL, B, S. 108. 127 F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 87. 128 F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 87 f.

129 Private Rechtsetzung, S. 94; ebenso Steffen, in: RGRK, BGB, Vor § 21 Rnz. 32 u. § 25 Rnz. 5.

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Teil 2: Die Legitimation der unmittelbaren und zwingenden Wirkung

noch niemand dem Beamtenrecht die Heteronomität abgesprochen, weil der Beamte freiwillig ein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis eingegangen sei. In die gleiche Richtung argumentiert Nicklisch, indem er für das Verbandswesen die Freiwilligkeit der Anerkennung in Zweifel zieht: private Regeln würden oft gar nicht freiwillig anerkannt werden, da der einzelne, der sich in einem von mächtigen Verbänden geordneten Lebensbereich betätigen will, oft gezwungen sei, sich der verbandlichen Regelbildung zu unterwerfen\3o. Es fehle deswegen an der Freiwilligkeit der Mitgliedschaft im Sinne der Freiheit zum Ein- und Austritt. Die Aussage der von Ferdinand Kirchhof gebildeten Beispiele aus dem Einbürgerungs- und Beamtenrecht kann m.E. nicht auf die Problematik der heteronomen Wirkung gesellschaftsrechtlicher Satzungen übertragen werden. Ihnen ist gemeinsam, daß der einzelne vorrangig etwas anderes anstrebt: will sich jemand einbürgern lassen oder Beamter werden, so kommt es ihm primär auf die hiermit verbundenen Vorteile an - eine ihn zwangsläufig außerdem noch treffende Normenwirkung ist von ihm nicht intendiert: der Einbürgerungsbewerber zielt mit seinem Einbürgerungsantrag darauf ab, als Deutscher das Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet, Freizügigkeit (Art. 11 Abs. 1 GG ,,Alle Deutschen ... ") sowie alle sonstigen an den Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit gekoppelten Rechte in Anspruch nehmen zu können (Art. 8 Abs. 1, 9 Abs. 1, 12 Abs. 1, 16 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 1 und 2,38, 54 Abs. 1 Satz 2 GG). Daß er bei einem (ihm nun möglichen) Hinzug in das Bundesgebiet kraft des Territorialitätsprinzips der gesamten bundesrepublikanischen Rechtsordnung sowie infolge des Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit auch der Personalhoheit der Bundesrepublik untersteht und ihn folglich ebenso die an die deutsche Staatsangehörigkeit gekoppelten Pflichten treffen (§ 1 WPflG), ist eine Nebenfolge, die er in Kauf nimmt; hierauf gerade ankommen, wird es ihm nicht. Dasselbe gilt für das Beamtenrecht gegenüber dem Beamten: der Bewerber um den Posten eines Beamten möchte eine gesicherte Position in den Diensten eines öffentlich-rechtlichen Gemeinwesens innehaben - daß er fortan auch dem Beamtenrecht untersteht, ist lediglich eine Nebenfolge, auf die sein Wille bei der Entgegennahme der Ernennungsurkunde nicht gerichtet ist I3I .

130 131

Nicklisch, Inhaltskontrolle von Verbandsnormen, S. 13,39 ff. Krit. auch Gerd Sturm, FS Geiger zum 65. Geburtstag, S. 173, 179 ff.

Kapitel I: Durch die Selbstbestimmung des einzelnen

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Anders im Gesellschaftsrecht. Man schließt sich zu einer Gesellschaft zusammen, um gemeinsam mehr zu erreichen, als man dies als einzelner könnte. Ist man aber zu mehreren, so bedingt dies ein Entscheidungsverfahren, das Handlungsfahigkeit gewährleistet. Entscheidungs- und Handlungsfahigkeit liegen damit im Interesse aller und sind folglich auch von allen gewollt. So wird man jedenfalls für das Gesellschaftsrecht kaum sagen können, der Gedanke beruhe auf einer Fiktion, die Gesellschafter stimmten auch künftigen, für sie noch ungewissen Mehrheitsentscheidungen zu. Wäre dies der Fall, so fehlte in vielen Bereichen des Gesellschaftsrechts dem Handeln geschäftsführender Gesellschafter oder sonstiger Organe mit Wirkung für die Gesellschaft eine rechtsgeschäftliche Grundlage, der einzelne unterstünde vielmehr einer korporativen Zwangsordnung 132• Dies verträgt sich aber nicht mit dem Grundsachverhalt, daß man sich freiwillig mit anderen zusammengeschlossen hat, um in der Verbundenheit Ziele erreichen zu können, die man allein nicht glaubt erreichen zu können. Man wird daher gerade umgekehrt mit Hadding sagen müssen: das Einverständnis zu Mehrheitsbeschlüssen oder zu Maßnahmen der zuständigen Vereinsorgange im Rahmen der satzungsmäßigen oder gesetzlichen Verfassung ist der hauptsächliche Inhalt der Beitrittserklärung zu einem Verband 133 • Selbstverständlich bleibt das Problem, welche Grenzen dieser Mehrheitsherrschaft zu ziehen sind, um den Gefahren einer im voraus schwer kalkulierbaren Wirkungsmacht zu begegnen, zumal in Fällen, in denen die Freiwilligkeit der Verbandszugehörigkeit (Nicklisch) zweifelhaft ist. Dies ist jedoch das Thema des Individual- und Minderheitenschutzes sowie der richterlichen Inhaltskontrolle von Verbandsnormen 134 . Am rechtlichen Ausgangspunkt einer privatautonom konsentierten Verbandsverfassung können diese Fragen jedoch nichts ändern.

v. Ergebnis Für die gesellschaftsrechtliche Ausgangslage kann mit guten Gründen davon ausgegangen werden, daß die Satzung auf einem privatautonomen Fundament ruht. Dies gilt nicht nur für ihre Errichtung, sondern auch für die Verfassung des ins Leben getretenen Verbandes. Man schließt sich zu einer Gesellschaft 132

133 134

Hadding, FS Fischer, S. 165,190. FS Fischer, S. 165,190 f. Vgl. dazu auch Adomeit, FS Kelsen, S. 9, 16 ff.

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zusammen, um gemeinsam mehr zu erreichen, als man dies als einzelner könnte. Da es hierfür im Interesse aller Entscheidungsverfahren geben muß, die Handlungsfähigkeit gewährleisten, ist das Einverständnis zu Mehrheitsbeschlüssen oder zu anderen Maßnahmen der zuständigen Vereinsorgange im Rahmen der satzungsmäßigen oder gesetzlichen Verfassung der hauptsächliche Inhalt der Beitrittserklärung zu einem Verband.

B. Die Betriebsvereinbarung als Statut eines Verbandes Die Untersuchung folgt der gesellschaftsrechtlichen Lehre, die vom Vorhandensein einer privatautonomen Grundlage bei Satzungen körperschaftlich organisierter Verbände ausgeht. Für den vorliegenden Zusammenhang ist somit der Boden bereitet. Es stellt sich nun die Frage, ob der Betriebsvereinbarung eine privatautonome Geltungsvoraussetzung auf die Weise zugrunde gelegt werden kann, daß man sie, entsprechend der Situation im Gesellschaftsrecht, als das Statut eines Verbands begreift. Wie erwähnt, mehren sich in neuerer Zeit wieder Arbeiten, die den Nachweis führen möchten, daß es sich bei der Belegschaft135 (11), bzw. bei einem sog. "Betriebsverband", d.h. den Arbeitnehmern unter Einschluß des Arbeitgebers l36 , um einen privatrechtlichen Verband handeln soll (I1I).

I. Der "Betrieb": ein Verband? Nicht näher eingegangen zu werden braucht allerdings auf die Frage, ob es sich beim Betrieb selbst um einen Verband handeln könnte l37 . Denn unter einem Betrieb im Sinne des Betriebsverfassungsrechts wird im allgemeinen lediglich "eine organisatorische Einheit verstanden, innerhalb derer ein Arbeit-

135 Lunk, Betriebsversammlung, S. 62 ff.; vgl. bereits Dietz, BetrVG, (I. Aufl.), Einf. Anm. III 1, S. 33. 136 Reuter, RdA 1991, 193, 196 ff.; ders., Ordo 33 (1982),165,167,183; ders., Ordo 36 (1985), 51, 57, 69; ders., ZfA 1993,221,229 f.; Nebel, Normen des Betriebsverbandes, S. 86 ff. 137 Vgl. Galperin, ArbR-GW 1 (1964), 75 ff.; Gester, Die betriebsverfassungsrechtliche Stellung von Belegschaft und Betriebsrat, S. 118 f.; Neumann-Duesberg, Betriebsverfassungsrecht, S. 171 ff.

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geber allein oder mit seinen Arbeitnehmern mit Hilfe von technischen und immateriellen Mitteln bestimmte, arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgt, die sich nicht in der Befriedigung von Eigenbedarf erschöpfen"138. Ein "Betrieb" ist m.a.W. ein tatsächliches Gebilde 139 • Damit fehlt es hier aber bereits an der Grundvoraussetzung, die jeden Verband kennzeichnet, gleich ob Verein oder Gesellschaft l4o : das nicht nur tatsächliche, sondern auch rechtliche "Untereinander-Zusammengeschlossensein" der Handelnden. Aber gerade dieser Gesichtspunkt spielt bei dem lediglich auf eine tatsächliche V erbundenheit abstellenden Begriff des Betriebs keine Rolle. Ernsthaft kann sich somit die Frage nach der Verbands eigenschaft nur für die Belegschaft oder einen darüber hinausgehenden Belegschaftsverband unter Einschluß des Arbeitgebers stellen. 11. Der "Belegschaftsverband" Für eine Qualifikation der Belegschaft als einen körperschaftlich organisierten Verband ist geltend gemacht worden, daß die betriebsverfassungsrechtlichen Beteiligungsrechte unabhängig von der konkreten Zusammensetzung der Belegschaft wahrgenommen würden. Hieraus wurde abgeleitet, die Belegschaft sei "körperschaftlich strukturiert"141. In der Tat: die Unabhängigkeit von einem konkreten Mitgliederbestand ist eines der Kennzeichen eines körperschaftlich strukturierten Verbandes 142 und die Frage, ob betriebsverfassungsrechtliche Beteiligungsrechte bestehen und wer diese wahrzunehmen hat, ist nicht davon abhängig, wie eine Belegschaft zusammengesetzt ist l43 . Der Belegschaft wird diese körperschaftstypische Eigenschaft somit zurecht zuge-

138 BAG, AP Nr. 9 zu § III BetrVG 1972; AP Nr. 6 zu § 4 BetrVG 1972; AP Nr. 4 zu § 64 BetrVG 1972; AP Nr. 3 zu § 1 BetrVG 1972; DietziRichardi, BetrVG, § 1 Rnz. 59; Kraft, in: GK-BetrVG, § 4 Rn. 5; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht I, S. 93; Nikisch, Arbeitsrecht I, S. 150 ff. 139 Schnorr v. Carolsfeld, Arbeitsrecht, S. 411, spricht vom Betrieb als einer "soziologischen Realität." 140 Galperin, ArbR-GW 1 (1964),75,76. 141 Lunk, Die Betriebsversammlung, S. 62. 142 Kübler, Gesellschaftsrecht, S. 20; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 147; Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 90 f. 143 Neumann-Duesberg, Betriebsverfassungsrecht, S. 191; Schnorr v. Carolsfeld, Arbeitsrecht, S. 414.

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sprochen. Auch mag man in der Belegschaft des Betriebes nicht nur eine faktische oder natürliche Interessengemeinschaft, sondern auch eine rechtliche relevante Personenmehrheit sehen l44 und dies - höchst zweifelhaft - aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz l45 , der betrieblichen Übung 146 oder der Betriebsrisikolehre 147 ableiten. Doch dies alles hat nichts mit einer körperschaftlichen Struktur der Belegschaft zu tun. Eine körperschaftliche Struktur setzt mehr voraus als nur die Unabhängigkeit vom Mitgliederbestand und - wie immer geartete - rechtliche Wirkungen (Rechtsreflexe) der beschriebenen Art. Sie verlangt vielmehr darüber hinaus auch noch nach einem eigenen Namen, unter dem die Körperschaft im Rechtsverkehr auftritt (1), einem Satzungsrecht in eigenen Angelegenheiten (2), der Fähigkeit, durch Organe einen einheitlichen Willen bilden und umsetzen zu können (3) sowie - und vor allem - das Verfolgen eines gemeinsamen Zwecks (4). Für die weitere Betrachtung soll es nur auf diese Kennzeichen eines körperschaftlich-strukturierten Verbandes ankommen, da sie nach allen vertretenen Meinungen als begriffsnotwendig für sein Vorliegen angesehen werden l48 • An einer solchen Übereinstimmung fehlt es indes beim dem Kriterium des Vorhandenseins einer verbandseigenen Sondervermögensordnung: für eine Reihe von Autoren im gesellschaftsrechtlichen Schrifttum ist es ein weiteres Kennzeichen eines privatrechtlichen Verbandes - und zwar sowohl des körperschaftlich strukturierten als auch des gesamthänderischen -, daß ein Sondervermögen existiert, das vom Vermögen der Mitglieder und ihren Interessen getrennt ist und das nur der Gemeinschaft und ihren Zwecken zur Verfügung stehen S01l149. Käme es auf dieses Merkmal an, wäre der Belegschaft die Ver144 Zöllner, FS 25 Jahre Bundesarbeitsgericht, S. 745, 752; ihm folgend Paschke, AcP 187 (1987), 60, 75 ff.; die Mitbestimmungskommission sprach in ihrem Bericht von der "soziale(n) und gesellschaftliche(n) Wirklichkeit des Betriebes als eines sozialen Verbandes, der "Betriebsgemeinschaft", BT-Drucks. V1/334, S. 58. 145 Zöllner, FS 25 Jahre Bundesarbeitsgericht, S. 745, 752. 146 Zöllner, FS 25 Jahre Bundesarbeitsgericht, S. 745, 752. 147 Zur Entwicklung des Gedankens der sozialen Arbeits- und Betriebsgemeinschaft in der Rechtsprechung Biedenkopf, Betriebsrisikolehre, S. 2 ff.; vgl. aber auch den andersartigen Ansatz von Gamillscheg, FS Fechner, S. 135, 150 f. (Gedanke einer allgemeinen Solidarität unter der Arbeitnehmerschaft). 148 Vgl. etwa bei Kübler, Gesellschaftsrecht, S. 20 f. 149 Für dieses Kriterium sprechen sich aus Kübler, Gesellschaftsrecht, S. 23; Lutter, AcP 180 (1980), 84, 93; Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 196 ff.

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bandseigenschaft sofort abzusprechen: die Belegschaft besitzt nämlich allenfalls eine partielle Rechtsfähigkeit im Hinblick auf die Innehabung der betriebsverfassungsrechtlichen Beteiligungsrechte l50 ; eine eigenständige allgemeine, über den Kostentragungsanspruch des § 40 Abs. 1 BetrVG151 hinausgehende Vermögensfähigkeit der Belegschaft als solcher, ist jedoch nicht anzuerkennen 152. Das Merkmal einer von den Mitgliedern verselbständigten Sondervermögensordnung ist indessen in der Gesellschaftsrechtslehre selbst nicht unbestritten. So hält es namentlich Karsten Schmidt fUr möglich, daß es Innengesellschaften geben soll, die - obwohl primär schuldrechtliche Sonderverbindung - , gleichwohl als Verbände organisiert sein können, ohne über ein Sondervermögen zu verfUgen (vgl. § 230 Abs. 1 HGB)153. Bei dieser Fragestellung handelt es sich jedoch um ein noch nicht abschließend geklärtes Problem des Gesellschaftsrechts, das nicht Gegenstand der vorliegenden Untersuchung sein kann. Auf dieses Kriterium soll daher im folgenden nicht weiter eingegangen werden. 1. Eigener Name? Eine Belegschaft trägt keinen eigenen Namen und etwas anderes ist auch noch nicht behauptet worden. Stattdessen hat jedoch Nebel vorgeschlagen, sich von dieser Begrifflichkeit zu lösen und auf die Funktion des Namens abzustellen: das Verleihen von Identität l54 . Die Belegschaft könne dann dadurch als mit einer Identität ausgestattet angesehen werden, daß man die Organisation der Arbeitnehmer an den Begriff des Betriebes i.S.d. § 4 BetrVG und die dazu entwickelte Definition der arbeitstechnischen Einheit ankoppelt I 55. Hierdurch erhielten der Betrieb und mit ihm die Belegschaft eine hinreichend bestimmte

150 So Die/z, OB 1952, 969, 971; Dielz/Richardi, BetrVG, § 1 Rnz. 5 ff.; Fabricius, Relativität der Rechtsfahigkeit, S. 222 ff; Fitting/KaiseriHei/heriEngels, BetrVG, § I Rnz. 166; dagegen z.B. Galperin, ArbR-GW 1 (1964), 75, 78, 80 f; Neumann-Duesberg, Betriebsverfassungsrecht, S. 199 ff.; Nikisch, Arbeitsrecht III, S. 15 f 151 Richardi, in: Staudinger, BGB, Vorbem zu § 611 ffRnz. 1330 m.w.N. 152 Vg\. Thiele, in: GK-BetrVG, (4. Aufl.), Ein\. Rnz. 72. 153 Gesellschaftsrecht, S. 148 f 154 Normen des Betriebsverbandes, S. 61. 155 Normen des Betriebsverbandes, S. 61.

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Identität, die es ennögliche zu entscheiden, ob ein Betriebsteil sich zu einem Betrieb i.S.v. § 4 BetrVG verselbständigt habe, bzw. welche Arbeitnehmer für welchen Betrieb wahlberechtigt seien, wenn der Arbeitgeber mehrere Betriebe unterhalte I 56. Die vorgeschlagene Anknüpfung des Namens an den Betriebsbegriff überzeugt indes nicht. Sie leistet allenfalls eine betriebsverfassungsrechtliche Zuordnung. Ein Name, unter dem die Belegschaft selbst im Rechtsverkehr nach außen auftritt, ist hiermit nicht verbunden I57 . Dieser "Identitätsleistung" ist eine - wie auch immer geartete - betriebsverfassungsrechtliche IdentifIkation von Betriebsteilen und Arbeitnehmergruppen nicht gleichwertig. Orientiert man sich aber an den Merkmalen des körperschaftlich-organisierten Verbandes l58 , so muß man konsequenterweise auch einen Namen für den Rechtsverkehr nach außen verlangen, da Körperschaften stets auch Außengesellschaften sind l59 . Hieran fehlt es aber. 2. Satzungsrecht in eigenen Angelegenheiten?

Noch problematischer ist das Bestehen eines Satzungsrechts in eigenen Angelegenheiten. Hierzu wurde vorgeschlagen, das Betriebsverfassungsgesetz selbst könne als Satzung des Belegschaftsverbandes angesehen werden l60 . Das Betriebsverfassungsgesetz ist der Belegschaft jedoch vorgegeben und beruht nicht auf ihrem eigenen Entschluß. Lediglich für einige organisatorische Fragen enthält es geringfügige Abänderungsmöglichkeiten in den §§ 12 Abs. 1, 14 Abs. 2, 38 Abs. 1, 47 Abs. 4 und 5, 72 Abs. 4 und 5 und 117 Abs. 2 BetrVG, was man jedoch nur mit Mühe als hinreichenden Entfaltungsraum für Autonomie der Belegschaft wird ansehen können. Selbst wenn man in diesem Punkt anders entschiede, müßte die Belegschaft aber zumindest fähig sein, die abdingbaren organisatorischen Nonnen des Betriebsverfassungsgesetzes allein Nebel, Normen des Betriebsverbandes, S. 61 f. Zu diesem Erfordernis Kübler, Gesellschaftsrecht, S. 20; Kraji/Kreutz, Gesellschaftsrecht, S. 3. 158 So Nebel, Normen des Betriebsverbandes, S. 53 ff.; anders Reuter, ZfA 1993, 221,229 f. 159 Deutlich Kübler, Gesellschaftsrecht, S. 22. 160 Galperin, RdA 1959, 321, 323 f.; HueckiNipperdey, Arbeitsrecht 1112, S. 1090 ("satzungsgleiche Rechtsgrundlage"). 156

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und selbständig zu ändern l61 • Aber das kann sie, abgesehen von zwei Detailfragen betreffend die Betriebsratswahl (§§ 12 Abs. 1, 14 Abs. 2 BetrVG), gerade nicht. Stets ist sie auf eine Verständigung mit dem Arbeitgeber angewiesen. Diese Beschränkung läßt sich jedoch nicht mit echter verbandsrechtlicher Autonomie vereinbaren 162. Die andere denkbare Alternative einer Satzung des Belegschaftsverbandes wird in der Betriebsvereinbarung gesehen l63 . Aber auch hier stellt sich das gleiche Problem: die Betriebsvereinbarung ist keine "Satzung" der Belegschaft allein, sondern - wenn überhaupt - , dann die eines "Betriebsverbandes", weil sie notwendig vom Arbeitgeber mitabgeschlossen wird l64 . Dieser Gesichtspunkt steht jedoch, wie gesehen, eigener Autonomie der Belegschaft entgegen. Es wurde versucht, dieses Gegenargument mit dem Hinweis zu entkräften, daß es beim Verein, dem Prototyp des privatrechtlichen Verbandes, überwiegend als zulässig angesehen wird, die Satzung der Zustimmung eines außenstehenden Dritten zu unterwerfen l65 • Diesen Gedanken könne man auf den Arbeitgeber im Verhältnis zur Belegschaft übertragen, wobei es sogar noch fraglich sei, ob der Arbeitgeber aufgrund seiner Eingebundenheit in den Betriebsverband überhaupt als außenstehender Dritter anzusehen sei l66 • Diese Überlegungen sind fiir den vorliegenden Zusammenhang nicht weiterführend. Die Frage der Zulässigkeit einer Bindung von Satzungs änderungen eines Vereins an die Zustimmung eines Dritten bezieht sich nur auf Fälle, in denen dem Dritten in der Satzung selbst die Mitgestaltungsmacht eingeräumt worden ist. In der Betriebsverfassung ergibt sich diese Macht des Arbeitgebers jedoch nicht aus einem Übertragungsakt seitens des "Belegschaftsverbandes",

Neumann-Duesberg, Betriebsverfassungsrecht, S. 197. Neumann-Duesberg, Betriebsverfassungsrecht, S. 197. 163 Galperin, RdA 1959,321,323 f. 164 Neumann-Duesberg, Betriebsverfassungsrecht, S. 197; Zöllner, FS 25 Jahre Bundesarbeitsgericht, S. 745, 754. 165 KG, OLGZ 1974,385,390; BayObLG, NJW 1980, 1756 f.; BAG, NJW 1982, 1773; Coing, in: Staudinger, BGB, (12. Aufl.), § 33 Rn. 8. Neuerdings unter Berufung auf BVerfGE 83, 341, 359 ff. einschränkend auf religiöse Vereine Weick, in: Staudinger, BGB, § 33 Rnz. 8. 166 Nebel, Nonnen des Betriebsverbandes, S. 80 f. 161

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sondern unmittelbar aus dem Gesetz 167 . Die Ausgangssituationen sind somit nicht gleichartig. Weiter wird vorgetragen, die Beteiligung des Arbeitgebers führe dazu, daß der Inhalt von Betriebsvereinbarungen lediglich "beeinflußt" werde durch Interessen des Betriebes 168 . Diese Beeinflussung der Satzungsautonomie der Belegschaft beruhe jedoch unmittelbar auf dem Gesetz und gegen derartige gesetzliche Einschränkungen sei die Verbandsautonomie auch im Gesellschaftsrecht nicht resistent 169 . Autonom sei mithin allein die Belegschaft. Auch diese Überlegungen können eine Satzungsautonomie der Belegschaft nicht begründen. Es entsteht zunächst ein unzutreffender Eindruck, wenn gesagt wird, bei der "Beteiligung des Arbeitgebers" gehe es lediglich darum, daß durch diesen der Inhalt von Betriebsvereinbarungen "beeinflußt" werde, und zwar in einer Weise, daß objektive Interessen des Betriebes ins Spiel gebracht würden. Unzutreffend hieran ist zunächst der Ausgangspunkt, durch die Beteiligung des Arbeitgebers würden allein oder zumindest vorrangig Interessen des Betriebes zur Geltung gebracht. Das Interesse des Arbeitgeber braucht nicht identisch zu sein mit dem des Betriebes, was sich aus § 2 Abs. 1 BetrVG entnehmen läßt l70 . Nach dieser Vorschrift arbeiten "Arbeitgeber und Betriebsrat ... vertrauensvoll ... zum Wohl der Arbeitnehmer und des Betriebes zusammen". Diese Norm setzt damit gerade voraus, daß das Interesse des Arbeitgebers und das des Betriebes auseinander fallen können. Sie begrenzt daher den Arbeitgeber bei der Verfolgung seiner Interessen durch das Gebot, mit dem Betriebsrat auch zum Wohle des Betriebes zusammenzuarbeiten. Der Betrieb im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes ist kein gegenständlich abgrenzbares Sondervermögen des Arbeitgebers, sondern eine Gesamtheit, die auch durch die dort arbeitenden Menschen mitgebildet wird 171. Vor allem aber geht es bei der Beteiligung des Arbeitgebers am Zustandekommen der Betriebsvereinbarung nicht darum, daß durch diesen deren Inhalt nur "beeinflußt" wird. Eine solche Sicht suggeriert die Vorstellung, bei der Betriebsvereinbarung handele es sich primär um ein Instrument der Wil-

167 168 169 170

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Dies räumt auch Nebel ein, Normen des Betriebsverbandes, S. 81. Nebel, Normen des Betriebsverbandes, S. 81. Nebel, Normen des Betriebsverbandes, S. 8 \. R. Weber, Vertrauensvolle Zusammenarbeit, S. 50. R. Weber, Vertrauensvolle Zusammenarbeit, S. 50.

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lensbildung der Arbeitnehmerseite, wobei dem Arbeitgeber seinerseits eine Art Beteiligungsrecht eingeräumt ist. Dies entspricht indes nicht der Konzeption des Gesetzes. Bereits nach der - insoweit unzweideutigen - Fassung des Gesetzeswortlautes in § 77 Abs. 2 Satz 1 BetrVG sind Betriebsvereinbarungen "von Betriebsrat und Arbeitgeber gemeinsam zu beschließen"; beide Seiten wirken also beim Zustandekommen der Betriebsvereinbarung gleichberechtigt mit - von einer bloßen Beeinflussung ihres Inhalts durch Beteiligung des Arbeitgebers kann nicht die Rede sein 172 . Betriebsvereinbarungen sind vielmehr das Produkt einer Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat, bei der beide Seiten ihre Vorstellungen gleichberechtigt einbringen können. Der die Betriebsverfassung tragende Gedanke der gleichberechtigten Partnerschaft würde geradezu auf den Kopf gestellt, nähme man wie Nebel an, das Gesetz beschränke die Belegschaft in ihrer Satzungs autonomie, indem es dem Arbeitgeber die Möglichkeit einräume, deren Willensbildung zu beeinflussen. Aus diesem Grunde kann eine Parallele zu den Fällen der gesetzlichen Einschränkung von Verbandsautonomie im Bereich des Gesellschaftsrechts nicht gezogen werden. Festzuhalten bleibt vielmehr: die Belegschaft verfügt über keine Satzungsautonomie 173 , ja, sie kann sich nicht einmal eine eigene Geschäftsordnung geben 174 . 3. Vorhandensein von Organen?

Ein weiteres Kennzeichen des privatrechtlichen Verbandes - und zwar jedes Verbandes, gleich ob Körperschaft, Gesamthandsgesellschaft oder Karsten Schmidt'scher Innenverband - ist das Vorhandensein von Organen I 75. Denn sollen Körperschaft und Gesamthandsgesellschaft als solche in zurechenbarer Weise am Rechtsverkehr teilnehmen können, müssen sie in der Lage sein, rechtlich relevantes Wissen und rechtlich relevantes Wollen an den Tag zu

G. Hueck, Die Betriebsvereinbarung, S. I. Konzen, ZfA 1985,469,484; Paschke, AcP 187 (1987), 60, 76; Zöllner, FS 25 Jahre Bundesarbeitsgericht, S. 745, 754. 174 Neumann-Duesberg, Betriebsverfassungsrecht, S. 197. 175 Für die Körperschaft: Kübler, Gesellschaftsrecht, S. 20; Flume, Allgemeiner Teil 112, S. 377; für alle Verbände: Wiedemann, Gesellschafsrecht I, S. 212 f., 262 f.; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 148 f., 212 ff. 172

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legen 176; eine Innengesellschaft wird für Karsten Schmidt überhaupt nur dadurch zum Innenverband im Sinne einer "überindividuellen Wirkungseinheit", daß sie die Fähigkeit besitzt, durch Organe einen einheitlichen Willen bilden und umsetzen zu können l77 . Gebildet wird dieser Wille herkömmlicherweise durch das Willensbildungsorgan des Verbandes l78 . Hauptbeispiel hierfür ist die Gesamtheit der Mitglieder als der Willensträger des Verbandes, zusammengefaßt in der Mitgliederversammlung; daneben gibt es weitere Beschlußorgane, etwa den Aufsichtsrat einer AG (§ 108 AktG) oder den (mehrgliedrigen) Vorstand. Die Existenz eines Belegschaftsverbandes hängt also davon ab, ob die Belegschaft über Organe verfUgt, die in einem rechtlich geordneten Verfahren ihre innere Ordnung sowie ihr Auftreten in der Außenwelt oder jedenfalls gegenüber ihren Mitgliedern nach dem Mehrheitsprinzip verbindlich festlegen l79 . Die Belegschaft selbst ist aber nicht in der Lage, einen solchen einheitlichen Willen zu bilden l80 . Ihr fehlt jedes Recht zur Selbstorganisation l81 . Die Betriebsversammlung l82 , an die man in diesem Zusammenhang denken könnte, kann ebenfalls nicht als ein derartiges Forum angesehen werden, das für eine solche Willensbildung geeignet wäre\83. Zunächst einmal hat die Betriebsversamm1ung keine nennenswerten Aufgaben oder ins Gewicht fallenden Befugnisse: sie kann den Betrieb betreffende Angelegenheiten lediglich "behandeln", dem Betriebsrat Anträge unterbreiten und zu seinen Beschlüssen Stellung nehmen (§ 45 BetrVG). Hierbei kann sie zwar auch Beschlüsse fassen l84 ; für den Betriebsrat verbindlich, sind diese jedoch nicht I 85. Diese UnK. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 212 f. Zur Willensbildung der Verbände vgJ. K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 353 ff.; Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 176. 178 Neumann-Duesberg, Betriebsverfassungsrecht, S. 192. 179 Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 176. 180 Nikisch, Arbeitsrecht III, S. 16; Paschke, AcP 187 (\ 987), 60, 76. 181 Nikisch, Arbeitsrecht III, S. 16. 182 Für G. Küchenhoff, Betriebsverfassungsgesetz, § 42 Rn. 1, tritt die Belegschaft in Gestalt der Betriebsversammlung unmittelbar selbst in Erscheinung, verfassungsrechtlich sei die Betriebsversammlung kein Organ der Belegschaft, sondern die Belegschaft selbst. 183 Neumann-Duesberg, Betriebsverfassungsrecht, S. 193 f. 184 Neumann-Duesberg, Betriebsverfassungsrecht, S. 193. 185 Kreutz, in: GK-BetrVG, § 45 Rnz. 74, 75. 176

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verbindlichkeit widerspricht jedoch allgemeinen verbandsrechtlichen Grundsätzen: im Verbandsrecht gibt es kein Willensbildungsorgan, dessen Willensbildung für das Ausfiihrungsorgan, hier den Betriebsrat, letztlich nicht bindend wäre l86 . Sind die Kompetenzen des an sich vorgesehenen Willensbildungsorgans eines Verbandes - wie hier - auf ein Minimum beschränkt, muß diesem dann aber zumindest das Recht verbleiben, die Mitglieder des nach außen handelnden Ausfiihrungsorgans - jedenfalls aus wichtigem Grund - abberufen zu können l87 . Dieses Recht hat nicht nur die Mitgliederversammlung des Vereins gegenüber dem Vorstand l88 , als der Urfigur der Körperschaft, sondern dies gilt für jede Körperschaft l89 • Selbst in der Aktiengesellschaft, deren Verfassung dadurch gekennzeichnet ist, daß der Vorstand stets weisungs frei und damit in der Sache unabhängig von Hauptversammlung und Aufsichtsrat 190 agieren kann (§ 76 Abs. 1 AktG), besteht für die Hauptversammlung die Möglichkeit, auf die personelle Besetzung des Vorstands einzuwirken l91 . Zwar wird der Vorstand ausschließlich vom Aufsichtsrat benannt und abberufen (§ 84 AktG), d.h. die sog. Personalkompetenz liegt (zunächst) allein beim Aufsichtsrat l92 . Jedoch werden die Aufsichtsratsmitglieder ihrerseits von der Hauptversammlung gewählt und können von dieser auch wieder vor Ablauf ihrer Amtszeit abberufen werden (§§ 101 Abs. 1 Satz 1, 103 Abs. 1 Satz 1 AktG). Entzieht die Hauptversammlung dem Vorstand das Vertrauen, insbesondere dadurch, daß sie ihn nicht entlastet (§ 119 Abs. 1 Nr. 3 AktG), so ist dies zwar nur ein Grund, aufgrund dessen der Aufsichtsrat den Vorstand abberufen kann, ihn aber nicht abberufen muß (§ 84 Abs. 3 S. 2, 3. Alt. AktG). In der Regel wird er dies jedoch tun, da er anderenfalls Gefahr läuft, seinerseits E.R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht 11, S. 487. Flume, Allgemeiner Teil 1/2, S. 189 ff.; E.R. Huber, WirtschaftsverwaItungsrecht 11, S. 487; Neumann-Duesberg, Betriebsverfassungsrecht, S. 193 f. 188 Neumann-Duesberg, Betriebsverfassungsrecht, S. 195; ausführlich auch zum Vorhergehenden. 189 Flume, Allgemeiner Teil 1/2, S. 189. 190 Der Aufsichtsrat hat zwar nach § 111 AktG die Geschäftsführung zu überwachen. Diese Überwachungspflicht gibt dem Aufsichtsrat aber nicht das Recht, der Geschäftsführung Weisungen zu erteilen, Hueck, Gesellschaftsrecht, S. 202; Kübler, GeseIlschaftsrecht, S. 185. 191 Flume, Allgemeiner Teil 1/2, S. 189. 192 HüjJer, AktG, § 84 Rnz. 1. 186

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wiederum von der Hauptversammlung abberufen zu werden l93 . Für die Abberufung des Aufsichtsrates braucht die Hauptversammlung über den schlichten Vertrauensverlust hinaus keine zusätzlichen Gründe l94 , und nicht einmal in der Satzung kann dieses Recht an besondere, einschränkende Voraussetzungen geknüpft werden l95 • Es hat also auch die Hauptversammlung der Aktiengesellschaft steten Einfluß auf die Zusammensetzung der Organe der Gesellschaft, da diese stets von ihrem Vertrauen getragen sein müssen. Der Betriebsversammlung steht aber auch dieses Recht nicht zu, da sie den Betriebsrat nicht abberufen kann. Fehlt aber einer Einheit, die als das Willensbildungsorgan eines Verbandes angesehen werden soll, dieses Recht, kann ihr diese Eigenschaft nicht zugesprochen werden. Aber auch der Wille des Betriebsrats kann nicht als Gesamtwille der Belegschaft angesehen werden l96 • Zwar wird er von der Belegschaft gewählt; nach der Wahl führt er jedoch ein Eigenleben, denn anders als zwischen Vereinsvorstand und Mitgliederversammlung fehlt es zwischen Betriebsrat und Belegschaft an jeder Abhängigkeit. Die Belegschaft hat keinerlei Einfluß auf die Tätigkeit des Betriebsrats, sie kann ihm keine Weisungen erteilen. Seinen Grund hat dies darin, daß der Betriebsrat seine Befugnisse und Kompetenzen nicht von der Belegschaft, sondern allein aus dem Gesetz ableitet l97 . Die Wahlen zum Betriebsrat beinhalten keine Übertragung oder Begründung von sachlichen Befugnissen, sondern vermitteln lediglich personelle Legitimation 198. Auch fehlt der Belegschaft das bereits erwähnte Recht, den Betriebsrat selbst - zumindest aus wichtigem Grund - abberufen zu können. Vielmehr kann lediglich ein bestimmtes Quorum von wahlberechtigten Belegschaftsmitgliedern (mindestens ein Viertel) beim Arbeitsgericht dessen Auflösung beantragen (§ 23 Abs. 1 BetrVG). Es gibt also kein "körperschaftsinternes" Verfahren, in dem sich die Belegschaft als das Hauptorgan von einem Be193 Vgl. H.-J. Mertens, in: Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, Vor § 76 Rnz. 3; Flume, Allgemeiner Teil 1/2, S. 189 f. 194 Hüffer, AktG, § 103 Rnz. 3. 195 Geßler, in: GeßlerlHefermehl/EckardtlKropff, AktG, § 103 Rnz. 9. 196 Neumann-Duesberg, Betriebsverfassungsrecht, S. 194 f.; Nikisch, Arbeitsrecht III, S. 16. 197 Konzen, ZfA 1985, 1985,469,484; ders., ZHR 150 (1986), 387, 388. 198 Zu den unterschiedlichen Formen demokratischer Legitimation flir den staatlichen Bereich vgl. Böckenforde, Demokratie als Verfassungsprinzip, § 22 Rnz. 14 ff.

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triebsrat trennen könnte. Zudem ist ein solcher Antrag in dem "körperschaftsexternen" Verfahren beim Arbeitsgericht an eine grobe Verletzung der gesetzlichen Pflichten geknüpft. Nicht ausreichend ist m.a.W. der schlichte Entzug des Vertrauens l99 . Die einem obersten Willensbildungsorgan zustehende Möglichkeit, von ihm abhängige andere Organe bei Vertrauensverlust abberufen zu können, ist jedoch - wie gesehen - schlechthin konstitutiv für das Vorhandensein eines solchen Organs. Fehlt der Belegschaft aber die Möglichkeit, den Betriebsrat zumindest aus wichtigem Grund selbst abberufen zu können2oo , wird man ihn nicht als "Organ" der Belegschaft ansehen dürfen. Ohne an dieser Stelle den Rechtscharakter des Verhältnisses der Belegschaft zum Betriebsrat zu vertiefen, muß vielmehr bereits aus diesem Grund seine Organeigenschaft abgelehnt werden. Damit gibt es aber auch aus diesem Grunde keinen Belegschaftsverband. 4. Gemeinsamer Zweck?

Weiter zeichnet es jeden privatrechtlichen Verband aus, daß sich seine Mitglieder in ihm zusammengeschlossen haben, um gemeinsam einen Zweck zu verfolgen2ol . Ihr Wille, einen gemeinsam deftnierten Zweck zu verfolgen und ein gemeinsam defmiertes Ziel zu erreichen, ist die Triebkraft ihres Zusammenschlusses: man tut sich zusammen, um mit vereinten Kräften mehr und anderes zu erreichen, als man dies in der Vereinzelung könnte. Welcher Art dieser Zweck ist (materiell oder ideell, punktuell oder weitgreifend), wie er verfolgt werden soll (vorübergehend oder dauernd) und worin die Pflicht zur Förderung des Zwecks durch den einzelnen besteht (Bareinlage, Sach- oder Dienstleistung bzw. schlichte Mitgliedschaft), spielt keine Rolle 202 • Vielmehr ist es allein der Initiative und Kreativität der Mitglieder überlassen, was für einen Zweck sie verfolgen wollen. In der Wahl des Zwecks und der Gestaltung seiner Erreichung verwirklicht sich wiederum Privatautonomie des einzel199

Fitting/KaiseriHeither/Engels, BetrVG, § 23 Rnz. I, 8.

Das Verfahren nach § 23 BetrVG schließt eine Abberufung des Betriebsrats durch die Belegschaft aus, Fitting/Kaiser/HeitheriEngels, BetrVG, § 23 Rnz. 1. 201 G. Hueck, Gesellschaftsrecht, S. I; Kübler, Gesellschaftsrecht, S. 30 ff.; Lutter, AcP 180 (1980), 84, 89 ff.; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 49 ff.; Wiedemann, GeseIlschaftsrecht I, S. 8 ff. 202 Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 9; ausführlich auch zu dem Vorhergehenden. 200

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nen203 . Die Verfassung schützt die Möglichkeiten der individuellen Persönlichkeit, sich in Gemeinschaften zu verwirklichen, im Grundrecht der Vereinigungsfreiheit des Art. 9 Abs. 1 GG204. Auch die Verfassung 205 ist für das Anliegen der Vereinigung offen206, sie präferiert keine bestimmten Zwecke. Diese Vorgabe aufnehmend, erkennt das geltende Recht private Verbände nur und allein um ihres Zweckes willen an207 . Für den "Belegschaftsverband" ist vorgeschlagen worden, seinen Zweck in der Verwirklichung der durch das Betriebsverfassungsgesetz den Arbeitnehmern verliehenen Mitwirkungsbefugnisse zu sehen208 . Dieser Zweck sei zwar vom Gesetz vorgegeben und die Arbeitnehmer seien auch darauf beschränkt, (nur) dieses vorbestimmte Ziel zu verfolgen, d.h. sie könnten also selbst keine neuen, eigenen und anderen Ziele defmieren. Das stehe der QualifIkation der Belegschaft als Verband jedoch nicht entgegen, da es noch einen anderen privatrechtlichen Verband gäbe, dessen Zweck ebenfalls vom Gesetz vorgegeben sei: den genossenschaftlichen Prüfungsverband. Dieser müsse, obwohl privatrechtlicher Verband, kraft Gesetzes zwingend die Prüfung seiner Mitglieder "zum Zweck haben" (§ 63b Abs. 4 Satz 1, 1. Alt. GenG). Auch schade es nicht, daß es sich bei diesem Zusammenschluß der Arbeitnehmer nach einer im Schrifttum verbreiteten Ansicht um eine zwangsweise herbeigeführte Einheit handele. Die Freiwilligkeit des Zusammenschlusses sei nämlich gleichfalls kein notwendiges Kennzeichen eines privatrechtlichen Verbandes. Denn auch das Privatrecht, dem das Betriebsverfassungsrecht nach heute überwiegender Meinung zuzuordnen sei209 , kenne zumindest einen Zwangsverband, eben wiederum den bereits erwähnten genossenschaftlichen 203 204

Lutter, AcP 180 {I 980), 84, 94 ff. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 9 Rnz. 11.

205 Vorbehaltlich verfassungsunmitte1barer, namentlich in Art. 9 Abs. 2 GG enthaltener Schranken. 206 Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 9 Rnz. 14; Merten, Vereinsfreiheit, § 144 Rnz. 37.

207 Vgl. §§ 21, 22, 57 Abs. 1 BGB, §§ 1,61 Abs. 1 GmbHG, § 23 Abs. 3 Nr. 2 AktG (Gegenstand des Unternehmens bei der AG), § 1 Abs. 1 GenG; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 52. 208 Nebel, Normen des Betriebsverbandes, S. 58; Lunk, Die Betriebsversarnmlung, S. 69; Paschke, AcP 187 (l987), 60, 86. 209 Zur Qualifikation des Betriebsverfassungsrechts als privates oder öffentliches Recht siehe unten 3. Teil, I. Kapitel, § 8 A III, S. 170 ff.

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Prüfungsverband des § 54 GenG, dem jede Genossenschaft anzugehören habe. Und dieser Prüfungsverband selbst wiederum solle gemäß § 63b Abs. 1 GenG in der Rechtsform des eingetragenen Vereins organisiert sein210 • Damit zeige sich beim genossenschaftlichen Prüfungsverband, daß die gesetzliche Verfassung eines Verbandes als Körperschaft mit Zwangsmitgliedschaft dessen Eigenschaft als privatrechtlicher Verband unberührt lassen könne. Auch für die Betriebsverfassung könne deswegen nicht argumentiert werden, die Unfreiwilligkeit des Zusammenschlusses der Arbeitnehmer stehe ihrer QualifIkation als Verband entgegen. Der Hinweis auf die Rechtslage sowie den Rechtscharakter des genossenschaftlichen Prüfungsverbandes als eines privatrechtlichen Verbandes aufgrund seiner Rechtsform hilft für die vorliegende Fragestellung nicht weiter. Zunächst gilt, daß er seine eigene Fragestellung aus dem Auge verliert: es geht um die Frage, ob die Betriebsvereinbarung auf die Privatautonomie des einzelnen zurückgefiihrt werden kann. Sucht man auf diese Frage nach einer Antwort, ist nichts damit gewonnen, daß man sie bejaht mit dem Argument, es kennzeichne Verbände, daß sich in ihnen Privatautonomie verwirkliche, sodann die Belegschaft zum Verband erklärt und dabei das Problem ihres Zwangscharakters mit dem Hinweis abtut, daß es noch einen anderen zwangsweisen Zusammenschluß des Privatrechts gebe, der gleichwohl vom Gesetz als privatrechtlicher Verein angesprochen werde. Eine derart auf den Verbandscharakter abstellende begriffliche Argumentation wirkt zirkelschlüssig. Die Frage ist allein, ob sich im sog. "Belegschaftsverband" Privatautonomie verwirklicht. Hier gilt: die einzelnen Arbeitnehmer sind es nicht, die untereinander privatautonom einen Verband gründen211 . Vielmehr ist es allein das Gesetz, das die Belegschaft verfaßt212 • Der einzustellende Arbeitnehmer erklärt bei Abschluß seines Arbeitsvertrages lediglich, er wolle eine bestimmte, gegebenenfalls durch Weisung näher zu konkretisierende Art von Tätigkeit erfiil-

210 Das Gesetz spricht nur von einem "Sollen"; im Rechtsalltag sind die Prüfungsverbände ausnahmslos als eingetragene Vereine organisiert, vgl. K. Müller, GenG, § 54

Rnz.1. 211 Konzen, Leistungspflichten, S. 32; vgl. bereits A. Hueck, JherJb 73 (1923), 35, 42. 212 Konzen, Leistungspflichten, S. 32.

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len213 • Nicht ist es jedoch gleichzeitig Inhalt seiner Erklärung, Mitglied eines Verbandes "Belegschaft" werden zu wollen214 . Gibt es aber keinen freiwilligen Beitritt zur Belegschaft, kann sie auch nicht als Verband angesehen werden215 . Die Betriebsverfassung ist vielmehr eine vom Gesetz an das Arbeitsverhältnis gekoppelte Zwangsordnung 216 . Damit fehlt es an einem privatautonomem Zusammenschluß, der das Verfolgen eines selbst gesetzten Zweckes zum Ziele hätte. Im übrigen sei erwähnt, daß der Hinweis auf die Rechtslage sowie den Rechtscharakter des genossenschaftlichen Prüfungsverbandes als eines privatrechtlichen Verbandes aufgrund seiner Rechtsform auch von der Sache nicht überzeugend ist. Dies gilt zunächst einmal im Hinblick auf die Freiheit in der Zwecksetzung dieses Verbandes. Der Zweck des "Belegschaftsverbandes" ist ausschließlich vom Gesetz vorgegeben, es besteht keine Satzungs autonomie in eigenen Angelegenheiten. Dies gilt für den Prüfungsverband indes nur zum Teil. Zwar ist auch er durch das Gesetz in der Freiheit der Wahl seiner Zwecke beschränkt und darf andere als die dort vorgesehenen nicht verfolgen, § 63b Abs. 4 S. 2 GenG. So muß er zwingend die Prüfung seiner Mitglieder zum Zweck haben, § 63b Abs. 4 Satz 1, 1. Alt. GenG (sog. Pflichtzweck). Neben diesem Pflichtzweck kann er aber "auch sonst die gemeinsame Wahrnehmung ihrer Interessen, insbesondere die Unterhaltung gegenseitiger Ge-

213 Die Weisungsgebundenheit des Arbeitnehmers gilt auch heute noch als (ein) Kennzeichen der ArbeitnehmersteIlung, Bericht der Mitbestimmungskommission BTDrucks. VI1334, S. 60; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht I, S. 41 ff.; Söllner, in: Münchener Kommentar, BGB, § 611 Rnz. 131 ff.; Söllner, Einseitige Leistungsbestimmung im Arbeitsverhältnis, passim; Zöllner, FS Fechner, S. 155, 156 f.; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 42 f., 68 f.; Reuter, FS Hilger/Stumpf, S. 573, 580; zweifelnd allerdings Lieb, Arbeitsrecht, S. 1 ff., der die Weisungsunterworfenheit auf Ort und Zeit der Arbeitsleistung beschränken, fachliche Weisungen jedoch ausblenden will; die vollkommen anersartige Konzeption Gasts, Arbeitsvertrag und Direktion, passim, der das Bestehen eines Direktionsrechts des Arbeitgebers überhaupt ablehnt, hat sich nicht durchsetzen können. 214 Zöllner, FS 25 Jahre Bundesarbeitsgericht, S. 745, 753 f. 215 Konzen, ZfA 1985, 469, 484; Richardi, Recht der Betriebs- und Unternehmensmitbestimmung I, S. 21 (Belegschaft kein Verband); v. Hoyningen-Huene, Betriebsverfassungsrecht, S. 63 (Belegschaft keine Gemeinschaft im Sinne von § 741 BGB). 216 Konzen, ZHR 150 (1986), 387, 388; Däubler, NZA 1988,857,860; H. Hanau, Individualautonomie, S. 69; vgl. bereits A. Hueck, JherJb 73 (1923),35,42.

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schäftsbeziehungen zum Zweck haben", § 63b Abs. 4 Satz 1, 2. Alt. GenG (sog. Freizweck). Der Freizweck der "gemeinsamen Interessenwahrnehmung" kann jedoch höchst vielschichtig ausgestaltet werden und braucht der Pflichtprüfung keineswegs untergeordnet zu sein217 • Die Vielfalt der hierunter subsurnierbaren freiwilligen Aufgaben218 eröffnet entsprechende Freiräume bei seiner näheren Festlegung in der Satzung (§ 63c Abs. 1 Nr. 1 GenG)219. Bereits in diesem Punkt unterscheidet sich der Prüfungsverband vom "Belegschaftsverband". Aber auch sonst verfehlt das Argument der Pflichtrnitgliedschaft im Prüfungsverband das vorliegende Thema, was durch einen Blick auf den tatsächlichen und historischen Hintergrund des Gesetzes deutlich wird. Ein erster Unterschied besteht darin, daß das Genossenschaftsgesetz nicht bereits kraft Gesetzes die Mitgliedschaft der eingetragene Genossenschaft in einem Prüfverband ausspricht, sondern lediglich jede eingetragene Genossenschaft verpflichtet, einem Prüfverband ihrer Wahl beizutreten220 . Beim belegschaftsangehörigen Arbeitnehmer kommt eine derartige Wahlfreiheit nicht in Betracht. Weitere Unterschiede werden deutlich, wenn man sich die Hintergründe der Pflichtprüfung in ihrer heutigen Form vor Augen führt. Das Genossenschaftsgesetz schreibt für die eingetragenen Genossenschaften weder ein festes Grundkapital (§§ 7 Abs. 1, 73 Abs. 2 GenG) noch zwingend die persönliche Haftung der Genossen vor (§ 6 Nr. 3 GenG). Aus Gründen des Gläubigerschutzes ist daher die Pflichtprüfung der hierfür unverzichtbare Ausgleich221 . Die Pflichtrnitgliedschaft soll nun lückenlos und einheitlich die fachgerechte Überprüfung der Geschäftsführung und der Vermögensverhältnisse aller Genossenschaften gewährleisten, die eingetragen sind. Ihre Einführung wurde notwendig, weil die 1889 anstelle der freiwilligen Verbandsrevision eingeführte Pflichtprüfung in ihrer ursprünglichen Ausgestaltung Schlupflöcher bot. Sie konnte nämlich bei der verbandsangehörigen Genossenschaft durch den Genos-

217 MeyeriMeulenbergh/Beuthien, GenG, § 63b Rnz. 4. 218 MeyeriMeulenbergh/Beuthien, GenG, § 63b Rnz. 5. 219 MeyeriMeulenbergh/Beuthien, GenG, § 63b Rnz. 4. 220 MeyeriMeulenbergh/Beuthien, GenG, § 54 Rnz. 1; K. Müller, GenG, § 54 Rnz.l. 221 MeyeriMeulenbergh/Beuthien, GenG, § 54 Rnz. 2.

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senschaftsverband und bei den nicht verbandsangehörigen Genossenschaften durch einen registergerichtlich zu bestellenden Revisor vorgenommen werden. Wurde die Verbandsprüfung streng durchgeführt, geriet die gerichtlich angeordnete mehr zu einer Formsache. Hierdurch hatten es die Genossenschaften in der Hand, sich durch Nichteintritt oder Austritt aus dem Genossenschaftsverband der unbequemen Verbandsprüfung zu entziehen. In der Weltwirtschaftskrise 1930/31 brachen dann vornehmlich auch solche Genossenschaften zusammen, die keinem Verband angehörten. Die Genossenschaftszusammenbrüche schädigten jedoch nicht nur die Mitglieder und Gläubiger dieser Genossenschaften, sondern waren allgemein dem Ansehen der Genossenschaften abträglich. Allein aus diesem Grunde wurde 1934 zusätzlich zur bereits bestehenden Pflichtprüfung die Pflichtmitgliedschaft jeder eingetragenen Genossenschaft in einem staatlich anerkannten Prüfverband eingeführt. Es ging also lediglich darum, daß Verfahren der gesetzlichen Pflichtprüfung gegenüber solchen eingetragenen Genossenschaften durchzusetzen, die sich sowieso nicht schon vorher freiwillig einem Prüfungsverband angeschlossen hatten. Der genossenschaftsrechtlichen Pflichtmitgliedschaft kam damit eine lediglich ergänzende Funktion zu. Dem nationalsozialistischen Gesetzgeber ging es mit der Schaffung dieses privatrechtlichen Zwangsverbandes also nicht darum, das System des privaten Verbandsrechts in der Weise weiter zu entwikkein, daß das Kriterium des privatautonomen und zweckgebundenen Zusammenschlusses nicht mehr als ein typusbestimmendes Merkmal des privatrechtlichen Verbandes anzusehen sein sollte. Abgesehen davon, daß dem Wirken auch des heutigen Gesetzgebers nicht die Funktion der Systemschöpfung zukommt222 , zeichnete rechtsdogmatisches Systemdenken in unserem heutigen Verständnis 223 die Gesetzgebung der Nationalsozialisten ohnehin nicht aus 224 . Aus diesem Grunde wird man folglich aus der Existenz des genos222 Zöllner, Die Rechtsnatur der Tarifnormen, S. 8; vgl. schon Eiseie, AcP 69 (1886), 275, 309. 223 Zur Unverzichtbarkeit und Leistungsfähigkeit juristischen System- und Theoriedenkens Canaris, FS Kitagawa, S. 59, 60 ff., 71 ff.; Larenz, Methodenlehre, S.

437 ff. 224 Im Gegenteil wird man sagen müssen, daß der nationalsozialistische Staat geradezu von Rechtsfeindlichkeit geprägt war, Rüthers, Die Ideologie des Nationalsozialismus, S. 17, 19. Den Nationalsozialisten ging es einzig um die unvermittelte Durchsetzung des von ihnen definierten "Gemeinnutzens", der auf politische Lenkung und Kontrolle der Staatsbürger, Unterdrückung von politischen Gegnern und Juden, Ver-

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senschaftlichen Prufungsverbandes nicht ableiten können, die Freiwilligkeit der Mitgliedschaft sei kein Kennzeichen eines privatrechtlichen Verbandes. Vielmehr gilt: die Freiwilligkeit ihrer Gründung sowie des Ein- und Austritts ist gerade das konstitutive Kennzeichen privatrechtlicher Verbände. Zwar stünde es auch dem heutigen Gesetzgeber frei, ausnahmsweise eine Zwangsmitgliedschaft in einer privatrechtlichen Vereinigung einzufiihren225 . Entschlösse er sich hierzu, griffe er zwar in das Grundrecht der von Art. 9 Abs. 1 GG mit gewährleisteten negativen Vereinigungsfeiheit ein226, was nur mit kollidierendem Verfassungsrecht zu rechtfertigen wäre 227 : die spezielle verfassungsun-

mehrung des eigenen Volkes sowie die innenpolitische Machtkonzentration und -erweiterung gerichtet war. Dies kollidierte mit denjenigen Teilen der Rechtsordnung, die eine grundsätzliche Respektierung normativer Schranken voraussetzte, kurz: die Rechtsordnung stand der Durchsetzung des Gemeinnutzes als lästiges Paragraphenwerk regelmäßig im Wege. Dementsprechend war die offizielle Einschätzung der Rechtsordnung gering, Stolleis, Gemeinwohlformeln im nationalsozialistischen Recht, S. 301 f. (besonders aufschlußreich die erst kürzlich publizierte Äußerung Ahlmanns gegenüber Larenz 1933 in Kiel: Die an die Macht gekommenen Nationalsozialisten hätten kein rechtes Verhältnis zum Recht; es sei deswegen seine Aufgabe, ihnen überhaupt erst eine Rechts- und Staatsphilosophie zu vermitteln, in der sie sich wieder finden könnten, wiedergegeben bei R. Dreier, JZ 1993, 454, 456). Die Weltanschauung hatte über das Gesetz gesiegt und folglich ersann man eine neue Rechtsquellenlehre, aus der man das erwünschte völkische Recht schöpfen konnte. An deren Spitze stand der Wille des "Führers", Rüthers, Entartetes Recht, S. 26 ff. 225 Aus verfassungsrechtlichen Gründen, insbes. wegen des Schutzes der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG), könnte der Staat nämlich auch gezwungen sein, eine Aufgabe staatsfern in den Händen Privater zu belassen und für den Zusarnmenschluß eine privatrechtliche statt einer öffentlich-rechtlichen Organisationsform zu wählen, Mronz, Körperschaften und Zwangsmitgliedschaft, S. 242, dort auch weitere Nachweise in Fn.79. 226 So die überwiegende Ansicht in der Literatur Bleckmann, Staatsrecht 11, S. 803; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rnz. 412; MaunziZippelius, Staatsrecht, S. 202; Merten, Vereinsfreiheit, § 144 Rnz. 58 ff.; Löwer, in: v. MünchlKunig, GG, Art. 9 Rnz. 19; PierothlSchlink, Grundrechte, Rnz. 816; Scholz, in: MaunzlDürig, GG, Art. 9 Rnz. 42; a.A. Friauf, FS Reinhardt, S. 389, 392. Das Bundesverfassungsgericht hat sich bislang überwiegend nur obiter für einen Schutz der negativen Vereinigungsfreiheit gegenüber privatrechtlichen Zwangskörperschaften durch Art. 9 Abs. 1 GG ausgesprochen, weil es in den bisherigen Verfahren ausschließlich um den Zusarnmenschluß in öffentlich-rechtlichen Zwangskörperschaften ging, so in BVerfGE 10, 89, 102; 10, 354,361; 12,319,323; 15,235,239; 38, 281, 297 f.; anders aber in BVerfGE 50, 290, 354. 227 Etzrodt, Grundrechtsschutz, S. 136 ff.

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mittelbare Schranke des Art. 9 Abs. 2 GG ist rur die negative Vereinigungsfreiheit nicht einschlägig und ein Gesetzesvorbehalt, der den Gesetzgeber ermächtigte, die Vereinigungsfreiheit einzuschränken, fehlt nach dem Wortlaut des Art. 9 Abs. 1 und 2 GG bei diesem Grundrecht228 . Aber auch in einem solchen Falle änderte der Gesetzgeber jedoch nichts am Ausgangspunkt, dem des Grundsatzes der Freiwilligkeit von Vereinigungsgründung, -eintritt und -austritt. Die Betriebsverfassung demgegenüber ist jedoch bereits insgesamt und von vornherein eine Zwangsveranstaltung229 , d.h. es gibt nicht, wie ursprünglich beim genossenschaftlichen Prüfungswesen, alternative, sprich: freiheitliche Formen, ihre Zwecke zu verwirklichen. Die Betriebsverfassung konstituiert sich vielmehr ausschließlich aus dem Willen des sozialgestaltenden Gesetzgebers. Dies bedeutet, daß mit einer Parallele zum genossenschaftlichen Prüfungsverband die Frage des Verbandscharakters der Belegschaft nicht beantwortet werden kann. III. Der "Betriebsverband" Unabhängig von der Frage des Bestehens eines Belegschaftsverbandes wird darüber hinaus in der Literatur das Vorhandensein eines Betriebsverbandes diskutiert. Dieser Betriebsverband soll sich aus den Arbeitnehmern und dem Arbeitgeber gemeinsam zusammensetzen230 . Für eine verbandsrechtliche Betrachtung der gesamten "Betriebsgemeinschaft" wird vorgetragen, daß die einzelnen Arbeitsverhältnisse nicht isoliert nebeneinander bestünden, sondern durch das Ziel der Erfiillung einer gemeinsamen Aufgabe miteinander verbunden seien23l . Hierdurch entstehe eine Organisation, die einem bestimmten gemeinsamen Zweck diene und die hinsichtlich der Beziehungen der Beteiligten

228 BVerfGE 80, 244, 253 ff.; Scholz, in: MaunzlDürig, Art. 9 Rnz. 113; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rnz. 416. 229 Beuthien, ZfA 1983, 141, 164; Richardi, Kollektivgewalt, S. 316; Wiedemann, GS Kahn-Freund, S. 343; H. Hanau, Inidividualautonomie, S. 69. 230 Galperin, ArbR-GW I (1964), 75 ff.; Nebel, Normen des Betriebsverbandes, S. 86 ff.; Reuter, Ordo 33 (1985),165, 167, 183; ders., Ordo 36 (1985), 51, 57, 69; vgl. ferner Lunk, Betriebsversammlung, S. 74 f. (unentschieden). 231 Reuter, Ordo 36 (1985), 51, 69; ders., Ordo 33 (1982),165,183; Nebel, Normen des Betriebsverbandes, S. 86 ff.

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zueinander durch die Annahme lediglich bilateraler Rechtsverhältnisse zwischen dem Arbeitgeber und den einzelnen Arbeitnehmern rechtlich nicht befriedigend erfaßt werde. Die "Betriebsgemeinschaft" sei deshalb nicht nur eine tatsächliche Gemeinschaft, sondern könne sachgerecht nur als Verband qualifIZiert werden232 . Zunächst wird man diesen Ansatz nicht schon deswegen ablehnen können, weil er in der Zeit des Nationalsozialismus besonders intensiv vertreten und auch in das Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit aus dem Jahre 1934 aufgenommen worden ist233 . Es gab ihn nämlich schon vor dieser Zeit. Letztlich geht er ebenfalls zurück auf die Genossenschaftstheorie Otto v. Gierkes, die dieser aus deutschrechtlichem Gedankengut für das Arbeitsleben weiterentwickelt hatte 234 . Zöllner hat zurecht darauf hingewiesen, daß so unverdächtige Zeitzeugen wie FlatowlKahn-Freund im Zusammenhang mit dem Betriebsrätegesetz von 1920 von einer "werdenden Betriebsgemeinschaft"235 gesprochen haben und sogar Hugo Sinzheimer vor dem Hintergrund des Art. 165 WRV über eine "Gemeinschaft von Arbeit und Eigentum" nachgedacht hatte 236 . Untersucht man jedoch auf der Grundlage des geltenden Rechts die Merkmale eines Verbandes für den Betriebsverband im einzelnen, vermag auch diese Lehre - jedenfalls heute - nicht (mehr) zu überzeugen. 1. Unabhängigkeit vom MitgliedelWechsel? Bereits die Unabhängigkeit vom Mitgliederwechsel als ein Merkmal des körperschaftlich organisierten Verbandes ist bei einem "Betriebsverband" problematisch. Geht man davon aus, daß Mitglied dieses Verbandes neben dem Arbeitgeber die Arbeitnehmerschaft als solche sein sollte, also eine - wie auch

Galperin, ArbR-GW I (1964),75,85 ff. Zöllner, FS 25 Jahre Bundesarbeitsgericht, S. 745, 756; vgJ. zur Arbeitsrechtslehre in der Zeit des Nationalsozialismus etwa Siebert, Die deutsche Arbeitsverfassung, S. 38 ff. sowie die §§ 1, 2 des Gesetzes zur Ordnung der nationalen Arbeit aus dem Jahre 1934, RGBJ. 1,45. 234 Deutsches Privatrecht I, S. 112 f., 142 ff.; siehe hierzu Richardi, Kollektivgewah, S. 13 ff. sowie Nebel, Normen des Betriebsverbandes, S. 3 ff. 235 Betriebsrätegesetz, S. 33. 236 Grundzüge des Arbeitsrechts, S. 208 ff. 232 233

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immer - zusammengeschlossene Gemeinschaft der Arbeitnehmer, so erfiillte ein diese beiden Mitglieder umfassender Verband nicht das Kriterium der Unabhängigkeit vom Mitgliederwechsel: jedenfalls das Mitglied ,,Arbeitnehmerschaft" könnte nicht wechseln, ohne daß der Verband seine Identität verlöre237 . Nähme man demgegenüber an, jeweils die einzelnen Arbeitnehmer seien Mitglieder des Betriebsverbandes, so läge bei dieser Betrachtungsweise keine rechtlich organisierte Einheit vor: "körperschaftsrechtliche" Beziehungen stellt das Betriebsveifassungsgesetz nur her zwischen dem Arbeitgeber und Betriebsrat238 sowie - allenfalls - zwwischen dem Arbeitgeber und der Gesamtheit der Arbeitnehmer, nicht jedoch zwischen dem Arbeitgeber und den einzelnen Arbeitnehmern239 . 2. Eigener Name?

Beim Merkmal "eigener Name" stellt sich beim Betriebsverband das gleiche Problem wie beim Belegschaftsverband24o • Die Existenz eines Namens, unter dem der Betriebsverband nach außen rechtlich handelnd in Erscheinung träte, ist ebenfalls noch von niemandem behauptet oder gar nachgewiesen worden. Nebel schlägt jedoch auch hier vor, die bereits erwähnte Funktion eines Namens in den Mittelpunkt zu stellen, ein Rechtssubjekt mit Identität auszustatten241 • Für diesen Zweck könne man beim Betriebsverband, ebenso wie schon beim Belegschaftsverband, auf den Betriebsbegriff des § 4 BetrVG abstellen. Dieser versehe die aus Arbeitgeber und Arbeitnehmern bestehende Einheit mit einer hinreichenden Identität, die sie fiir die Beteiligten von anderen Rechtskreisen hinreichend unterscheidbar mache. Nebel läßt allerdings offen, wer die 237 Bickel, ZfA 1971, 181, 188; im Hinblick auf die Norm des § 613a BGB ließe sich dies mit guten Gründen flir den Arbeitgeber anders beurteilen, vgl. dazu Nebel, Normen des Betriebsverbandes, S. 86 f. 238 Konzen, Leistungspflichten, S. 32. 239 Bickel, ZfA 1971, 181, 188 f. Die durch das BetrVG 1972 in den § § 81 ff. eingeflihrten Individualrechte der Arbeitnehmer sind als solche bereits aus der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers abzuleiten. Insofern handelt es sich flir den Bereich des Betriebsverfassungsrechts lediglich um eine KlarsteIlung, Wiese, RdA 1973, 1, 3 ff.; Fitting/Kaiser/Heither/Engels, BetrVG, § 81 Rnz. 2; DietziRichardi, BetrVG, vor § 81 Rnz. I f., 6; Galperin/Löwisch, BetrVG, vor § 81 Rnz. 2; Hess, in: HesslSchlochauer/G1aubitz, BetrVG, vor §§ 81-86 Rnz. 2; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 538. 240 Siehe oben BIll, S. 79 f. 241 Normen des Betriebsverbandes, S. 101 f.; vgl. dens. auch zum Folgenden.

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Beteiligten sein sollen. Da er jedoch davon spricht, daß das Gestalten der betrieblichen Verhältnisse durch Betriebsvereinbarungen, Regelungsabreden und Zustimmungen bei personellen Angelegenheiten keine Außenwirkung entfalte, muß man annehmen, daß er lediglich an einen Namen für die Unterscheidbarkeit des Verbandes "nach innen" denkt, also nur für seine Mitglieder. Das genügt jedoch nicht. Denkt man diese Konstruktion zu Ende, so liefe sie nämlich in der Frage der Namensgebung wieder auf einen reinen "Innenverband" hinaus in Parallele zu den Innen- (personen-) gesellschaften. Die Körperschaft ist jedoch notwendig auf ein Handeln nach außen angelegt, ist also stets zumindest auch Außenverband242 . Mit der Annahme einer Namensgebung nach innen ist für den Nachweis dieses Kriteriums nichts gewonnen.

3. Satzungsrecht in eigenen Angelegenheiten? Im Vergleich zum Belegschaftsverband ließe sich für den Betriebsverband in der Möglichkeit, Betriebsvereinbarungen zu erlassen, noch am ehesten ein Satzungsrecht in eigenen Angelegenheiten sehen. Denn der Umstand, daß der Arbeitgeber an ihrem Zustandekommen mitbeteiligt ist, wirft hier keine Probleme auf, da dieser ja gerade als Mitglied des Verbandes betrachtet werden könnte. Die Betriebsvereinbarung wäre jedoch nur. dann als die Satzung eines Betriebsverbandes anzusehen, wenn mit ihr Recht gesetzt würde innerhalb eines Verbandes, der Arbeitgeber und Betriebsrat in der Weise urnfaßte, daß dieser gesamtwillensfähig wäre und einen einheitlichen Zweck verfolgte. Es entspricht aber der bipolaren Struktur der Betriebsverfassung, daß Arbeitgeber und Betriebsrat mit der Betriebsvereinbarung jeweils unter Wahrung ihrer eigenen Interessen Recht setzen243 . Denn das Betriebsverfassungsgesetz stellt es Arbeitgeber und Betriebsrat frei, ihre Ziele unter Orientierung an ihren Interessen jeweils selbst zu definieren244 . Durch die Gebote der vertrauensvollen Zusammenarbeit und Verständigung (§§ 2 Abs. 1, 74 Abs. 1 BetrVG) werden sie hierbei lediglich auf bestimmte "Spielregeln" (Thiele) verpflichtet, die un242 Kühler, Gesellschaftsrecht, S. 20: "Vereine und Kapitalgesellschaften sind körperschaftlich verfaßt; sie bedürfen eines Namens, unter dem sie im Rechtsverkehr auftreten .... " 243 Thiele, in: GK-BetrVG, (4. Aufl.), Einl. Rnz. 83. 244 Thiele, in: GK-BetrVG, (4. Aufl.), Einl. Rnz. 60; vgl. dens. auch zum Folgenden. 7 Müller-Franken

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Teil 2: Die Legitimation der unmittelbaren und zwingenden Wirkung

bewegliche und einseitige Optimierungsstrategien möglichst ausschließen sollen. Diese vom Gesetz vorausgesetzte Unfähigkeit, einen Gesamtwillen bilden zu können245 , spricht gegen eine Deutung der Betriebsvereinbarung als Satzung innerhalb eines Verbands.

4. Vorhandensein von Organen? Wie dargelegt, zeichnet es jeden Verband aus, daß er in der Lage ist, einen einheitlichen Willen zu bilden, der ihm als Entscheidungseinheit zugerechnet werden kann246. Für den sog. "Belegschaftsverband" läßt sich ein solches Willensbildungsorgan jedoch ebenfalls nicht nachweisen: der Betriebsrat ist lediglich Repräsentant der Belegschaft, der ausschließlich die ihm vom Betriebsverfassungsgesetz zugewiesenen Rechte und Pflichten in deren Interesse wahrzunehmen hat247 ; die Aufgabe, einen einheitlichen Willen für den gesamten Betrieb zu bilden, kommt ihm nicht ZU248 . Dasselbe gilt für die Betriebsversammlung, denn auch sie kann keine Beschlüsse mit Wirkung fur den Verband treffen 249 . Und schließlich ist der Arbeitgeber - selbst wenn man ihn als "Organ" des Betriebsverbandes ansehen will - ebenfalls nicht in der Lage, allein für diesen Verband einen einheitlichen Willen zu bilden. Zu denken wäre daher allenfalls an ein gemeinsames Zusammenwirken von Arbeitgeber und Betriebsrat, wofür zwei Alternativen in Betracht kämen: Arbeitgeber und Betriebsrat könnten zum einen als Mitglieder ein und desselben Organs 250 , zum anderen aber auch als zwei verschiedene Organe verstanden

245 Neumann-Duesberg, Betriebsverfassungsrecht, S. 185; vgl. auch Zöllner, FS 25 Jahre Bundesarbeitsgericht, S. 745,757; Nikisch, Arbeitsrecht III, S. 273; G. Hueck, Die Betriebsvereinbarung, S. 31 ff. 246 Wiedemann, Gesellschaftsrecht 1, S. 176. 247 Konzen, ZHR 150 (1986), 387, 388. 248 Der Sprachgebrauch des Bundesverwaltungsgerichts in BVerwGE 90, 304, 307 vom Betriebsrat als einem "Organ der Betriebsverfassung", dürfte untechnisch gemeint sein, zumindest bezieht er sich nicht auf die Frage des Vorhandenseins eines Betriebsverbandes. 249 Siehe oben B II 3, S. 54. 250 So Neumann-Duesberg, FS Walter Bogs, S. 275, 281; ders., Betriebsverfassungsrecht, S. 184.

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werden, die nach Art eines "parlamentarischen Zweikammersystems" zwar äußerlich getrennte, inhaltlich jedoch übereinstimmende Beschlüsse faßten251 . Eine zusammenfassende Betrachtung von Arbeitgeber und Betriebsrat als nur ein "Willensbildungsorgan", etwa analog dem von Arbeitnehmervertretern mitbestimmten Aufsichtsrat, setzt voraus, daß das Betriebsverfassungsgesetz ein solches Organ überhaupt vorsieht und auch einen Namen dafiir bereithielte. Beides ist jedoch nicht der Fall, so daß bereits aus diesem Grunde die erste Alternative ausscheidet252 . Vor allem aber verkennen sowohl die Lehre vom einheitlichen Willensbildungsorgan als auch die in Anlehnung an das Gesetzgebungsverfahren des Bundes (Art. 77, 78 GG) entwickelte Lehre von den sog. "duae conformes" das Konzept des Betriebsverfassungsgesetzes. Die duae conformes-Lehre wurde entwickelt zur alten Gesetzesfassung des § 52 BetrVG. Dieser sprach in seinem Absatz I von "gemeinsam gefaßten Beschlüssen" und in seinem Absatz 2 davon, daß Betriebsvereinbarungen von Arbeitgeber und Betriebsrat "gemeinsam beschlossen" werden. Auch wenn heute noch das Betriebsverfassungsgesetz 1972 sowohl in der Überschrift des § 77 BetrVG als auch in dessen Abs. 2 Satz 1 von der "Durchfiihrung gemeinsamer Beschlüsse", bzw. von einem "gemeinsamen Beschließen" spricht, so hat es sich doch in § 77 Abs. 1 BetrVG zum Vertragscharakter der Betriebsvereinbarung bekannt, indem es dort schlicht von "Vereinbarungen" zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber spricht. Und dies ist auch einzig sachgerecht, denn nur eine vertragsrechtliche Deutung des Zustandekommens von Betriebsvereinbarungen entspricht der beschriebenen bipolaren Struktur der Betriebsverfassung253 : das Betriebsverfassungsgesetz stellt es Arbeitgeber und Betriebsrat frei, ihre Ziele unter Orientierung an ihren Interessen selbst zu setzen. Durch die Gebote zur vertrauensvollen Zusammenarbeit und zur Verständigung (§§ 2 Abs. 1, 74 Abs. 1 BetrVG) werden sie hierbei lediglich auf die erwähnten Spielregeln verpflichtet, die unbewegliche und einseitige Optimierungsstrategien möglichst ausschließen sollen. Das geeignete Instrument zum Ausgleich divergierender 251

Hersehel, JJb 2 (1961/62), S. 80, 89.

252 Ablehnend auch Konzen, ZfA 1985, 469, 482 f.; DietziRiehardi, BetrVG, § 1 Rnz. 20; HueekiNipperdey, Arbeitsrecht 1I/2, S. 1093 f. 253 Thiele, in: GK-BetrVG, (4. Aufl.), Ein\. Rnz. 83. Jedenfalls für die Frage des rechtlichen Zustandekommens hat sich die Vertragstheorie durchgesetzt, Kreutz, Grenzen der Betriebsautonomie, S. 15.

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Interessen in einer zweipolig angelegten Betriebsverfassung ist aber nicht der Beschluß, sondern der Vertrag. Hierzu passen aber weder die Vorstellung eines einheitlichen WiIlensbildungsorgans noch das Bild der duae conformes-Lehre. 5. Gemeinsamer Zweck?

Ein den Betriebsverband einender gemeinsamer Zweck wird mit der These begründet, Arbeitgeber und Belegschaft bildeten eine natürliche Interessengemeinschaft254 • Dies ist wenig überzeugend. Gewiß wird man sagen können, daß es im betrieblichen Bereich fiir beide Teile zahlreiche gleichliegende Interessen gibt255 . So sind etwa beide Seiten, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen, am Erfolg des Unternehmens interessiert. Den typischen Fall bildet jedoch der des Interessengegensatzes256 . Pointiert hat Zöllner formuliert, Arbeitgeber und Arbeitnehmer verfolgten "schon im Ansatz" unterschiedliche Interessen und gerade dies dürften sie rechtlich auch257 . Diese Gegenläufigkeit der Interessen von Arbeitgeber und von Arbeitnehmern ergibt sich aus folgendem Grundsachverhalt258 : dem Arbeitgeber ist daran gelegen, die Interessen des eingesetzten unternehmerischen Kapitals möglichst effektiv wahrzunehmen (Gewinnmaximierung). Die Arbeitnehmerschaft demgegenüber ist an einer steten Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen interessiert, namentlich an einer Erhöhung ihrer Arbeitsentgelte. Die Interessen der Belegschaft wirken sich damit negativ auf die Ertragsseite des Unternehmens aus, stehen also in diametralem Gegensatz zu denen des Arbeitgebers. Die Betriebsverfassung baut auf diesem Gegensatz auf2 59 : die Existenz der Einigungsstelle, das Verbot von Arbeitskämpfen und von Handlungen, die den Arbeitsablauf und den Betriebsfrieden stören (§ 74 Abs. 2 BetrVG), sind nur verständlich, wenn die Interessen der Betriebspartner vom Grundsatz her gegenläufig sind und daher ständig die Gefahr eines Ausbruchs offener Konflikte besteht260 • Demgegenüber darf im

Nikisch, Arbeitsrecht I, S. 151 f. R. Weber, Vertrauensvolle Zusammenarbeit, S. 32; ders. auch zum Folgenden. 256 Zöllner, FS 25 Jahre Bundesarbeitsgericht, S. 745, 756. 257 FS 25 Jahre Bundesarbeitsgericht, S. 745, 756. 258 Konzen, Anm. zu AP Nr. 1 § 87 BetrVG 1972 - Betriebsbuße; R. Weber, Vertrauensvolle Zusammenarbeit, S. 30 f. 259 R. Weber, Vertrauensvolle Zusammenarbeit, S. 34 f. 260 R. Weber, Vertrauensvolle Zusammenarbeit, S. 34 f. 254 255

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Gesellschaftsverhältnis zwar auch jeder Gesellschafter in bestimmtem Umfang eigene Interessen verfolgen; primär bleibt er aber immer an den gemeinsamen Zweck gebunden und zu seinem Beitrag zur Verfolgung dieses Zwecks verpflichtet261 . Die gemeinsame Richtung der Zweckverfolgung kennzeichnet gerade den Verband. Hieran fehlt es in der Betriebsverfassung. Hinzu kommt, daß das Arbeitsverhältnis nach wie vor "Subordinationscharakter" trägt (Zöllner) 262, der Arbeitnehmer zumindest also noch in bestimmten Bereichen den Weisungen des Arbeitgebers Folge zu leisten hat. Auch dies spricht gegen die Annahme eines Gemeinschaftsverhältnisses zwischen Arbeitgeber und Belegschaft. Die Betriebsgemeinschaft nicht als einen Mitgliederverband zu begreifen, hat schließlich auch teleologische Gründe für sich. Bringt man den Kerngedanken betrieblicher Mitbestimmung auf einen Punkt, so liegt er darin, die Rechtsstellung des Arbeitnehmers zu verbessern, Abhängigkeiten abzubauen und die einseitige betriebliche Entscheidungsgewalt des Arbeitgebers an eine arbeitnehmerseitige Mitwirkung zu binden, sie zu "filtern"263. Wäre die Betriebsgemeinschaft als ein Mitgliederverband zu deuten, so fUhrte dies aber zu einer rechtlichen Doppelbindung des Arbeitnehmers 264 : neben die Pflichten gegenüber seinem Arbeitgeber treten zusätzlich solche gegenüber dem Verband ("Treuepflichten"). Dies gereichte jedoch nicht notwendig nur zu seinem Vorteil, was damit dem Grundanliegen betrieblicher Mitbestimmung zuwiderliefe.

c. Ergebnis Weder der Betrieb als solcher noch die Belegschaft, noch ein Belegschaft und Arbeitgeber vereinigender Betriebsverband, können als privatrechtliche

261 Zöllner, FS 25 Jahre Bundesarbeitsgericht, S. 745, 756 f.; ders. auch zum Folgenden. 262 FS 25 Jahre Bundesarbeitsgericht, S. 745,757. 263 v. Hoyningen-Huene, Betriebsverfassungsrecht, S. 6; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht 1112, S. 1062 f.; Konzen, ZfA 1985,469,481 f; Lieb, Arbeitsrecht, S. 211; Richardi, Recht der Betriebs- und Untemehmensmitbestimmung I, S. 19 f; Söllner, Arbeitsrecht, S. 156; Waltermann, NZA 1993,679,681; Weitnauer, FS Duden, S. 705, 708; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 4, 443; Gast, Tarifautonomie und die Normsetzung durch Betriebsvereinbarung, S. 4. Zur Frage, ob sich mit der Betriebsverfassung weitere Zwecke verbinden, insbes. ein Teilhabezweck, siehe unten 3. Teil, 2. Kapitel, § 10 C, S. 256 ff 264 Zöllner, FS Fechner, S. 155, 166; auch zum Folgenden.

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Teil 2: Die Legitimation der unmittelbaren und zwingenden Wirkung

Verbände qualifIZiert werden. Der Betrieb ist ein tatsächliches Gebilde, bei dem es an sämtlichen Merkmalen eines Verbandes fehlt. Diese fehlen aber auch bei einem Belegschafts-, bzw. Betriebsverband: die hierfiir in Betracht kommenden Bereiche tragen keinen eigenen Namen, verfUgen über keine Organe und besitzen kein Satzungsrecht in eigenen Angelegenheiten. Insbesondere verfolgen sie keinen gemeinsamen Zweck: die Belegschaft ist kein privatautonomer Zusammenschluß zur Verfolgung eines selbst gesetzten Zieles, weil die Betriebsverfassung eine vom Gesetz an das Arbeitsverhältnis gekoppelte Zwangsordnung ist265 . Aber auch ein "Belegschaftsverband" ist kein solcher Zusammenschluß, weil Arbeitgeber und Belegschaft nicht miteinander verbunden sind, um gemeinsame, sondern gerade und typischerweise entgegengesetzte Interessen zu verfolgen. Bei letzterem fehlte es zudem am Merkmal der Unabhängigkeit vom Mitgliederwechsel. Damit läßt sich aber eine privatautonome Geltungsvoraussetzung betrieblichen Regelns auch nicht über die Rechtsfigur der Mitgliedschaft darstellen.

2. Kapitel

Durch eine fremdbestimmte, heteronome Ordnung § 6 Die Betriebsvereinbarung als außerstaatliche, private Rechtsnorm A. Grundlegung Die Wirkung der Betriebsvereinbarung fmdet ihre Legitimation nicht in einem Rechtsgeschäft des regelungsbetroffenen Arbeitnehmers. Dies hat die Untersuchung im 1. Kapitel ihres 2. Teils gezeigt. Das Besondere an der Betriebsvereinbarung, nämlich daß sie als Vertrag zwischen Privaten zustande kommt und gleichwohl Wirkungen fUr unbeteiligte Dritte hervorbringt, bedarf damit einer anderen "zureichenden Begründung"266.

265 Konzen, ZHR 150 (1986), 387, 388; Däubler, NZA 1988,857,860; H. Hanau, Individualautonomie, S. 69; vgl. bereits A. Hueck, JherJb 73 (1923), 35, 42. 266 So die allgemeine Umschreibung des Begriffs der Legitimation bei Zippelius, ARSP Beih. Nr. 15 (1981), 84. Zum besonderen Legitimationsproblem bei der Be-

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Für diese steht schon jetzt fest, daß sie jenseits des privatrechtlichen Systems liegen muß, da die Wirkungen der Betriebsvereinbarung einer Grundregel einer Privatrechtsordnung widersprechen, die auf dem Prinzip der Privatautonomie basiert, nämlich dem Verbot des Vertrages zu Lasten Dritter267 • Im Rahmen der Privatautonomie geschaffene rechtsgeschäftliche Gebote können sich nur auf die Rechtssubjekte erstrecken, die an deren Aufstellung mit ihrem Willen beteiligt sind268 . Denn Privatautonomie ist die dem einzelnen verliehene Möglichkeit, seinen Lebensbereich rechtlich selbst willentlich zu gestalten. Diese Möglichkeit hat er aber nur dann, wenn er an den Vorgängen, die fiir ihn Rechtswirkungen entfalten sollen, auch aktiv und willentlich beteiligt ist. Bei der Begründung der Wirkungen der Betriebsvereinbarung ist weiter zu beachten, daß der einzelne nicht beliebigen Rechtsetzungsgewalten ausgeliefert werden darf2 69 . Der demokratische Rechtsstaat kennt keine von den Zwangsunterworfenen nicht legitimierten Herrschaftsordnungen von Verbänden jeder Art, gleich ob solchen des privaten oder des öffentlichen Rechts 270 • In privatrechtlichen Rechtsbeziehungen gibt es Herrschaft über Mündige nur kraft freiwilliger rechtsgeschäftlicher Unterwerfung 271 ; in vom öffentlichen Recht regierten Rechtsverhältnissen gibt es Herrschaft über Menschen nur bei ausreichender demokratischer Legitimation dessen, der sie ausübt. Hierbei gilt auch fiir die öffentlich-rechtliche norrnsetzende Vereinbarung, daß es keine Freiheit zum Abschluß verbindlicher Verträge mit nachteiligen Rechtswirkungen fiir

triebsvereinbarung HueckiNipperdey, Arbeitsrecht 11/2, S. 1652; Käppler, FS Kissel, S. 475,480 f. 267 Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 335; Konzen, ZfA 1985,469,482. Zum Gedanken des Schutzes vor einem Vertrag zu Lasten Dritter im Zusammenhang mit der vertraglichen Erweiterung der Mitbestimmung vgl. auch Püttner, BB 1987, 1122 f. Zum Teil a.A. ist Bettermann, JZ 1951, 321 ff., der einen Vertrag zu Lasten Dritter für möglich hält. In der Sache kommt Bettermann aber zu keinen anderen Ergebnissen, da er zum Schutze des belasteten Dritten von diesem eine sog. "Verpflichtungsermächtigung" und damit eine privatautonome Grundlage fordert, JZ 1951, 321, 324 ff. 268 Adomeit, FS Kelsen, S. 9 f.; Lukes, Der Kartellvertrag, S. 7; ders. auch zum Folgenden. 269 Zöllner, Die Rechtsnatur der Tarifnormen, S. 21 f.; vgl. auch BVerfGE 44,322, 348. 270 Säcker, Gruppenautonomie und Übermachtkontrolle, S. 343 f.; ders. auch zum Folgenden. 271 A.A. Reuter, SAE 1983,201,202.

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unbeteiligte Dritte gibt272 . Derartige Vereinbarungen bedürfen vielmehr ebenfalls einer besonderen Rechtfertigung273 . Vor diesem Hintergrund ist es damit von vornherein unzureichend, sich mit dem Hinweis zu begnügen, in einem Betrieb mit Betriebsrat befmde sich der einzelne in kollektiven Angelegenheiten in einer "Sphäre verdünnter Freiheit"274. Nicht genügen kann auch die Feststellung, was der einzelne durch sein freiwilliges Einreihen in die einer bestimmten Aufgabe unterstellte Personenmehrheit einbüße, fmde sich in den Entscheidungsgremien der Vielheit wieder, hier in der Kompetenz des Betriebsrats275 . Der freiheitliche Verfassungsstaat duldet nämlich keine Zonen verdünnter Freiheit276 . Ebenso wie es das rechtsfreie besondere Gewaltverhältnis des Staatsdieners nicht mehr gibt277 , kann es im Privatrecht kein rechtsfreies Gewaltverhältnis des Arbeitnehmers geben278 . Die Betriebsvereinbarung ist daher besonders zu rechtfertigen, d.i. als gerecht zu erweisen279 . Scheidet die Selbstbestimmung des einzelnen hierfür aus, stellt sich für das Vorgehen auf der Suche nach dieser "zureichenden Begründung"280 die Frage, ob es sich bei den in einer Betriebsvereinbarung enthaltenen Verhaltensbefehlen um Rechtsnormen handeln kann. Dies setzte das Vorliegen der begrifflichen Voraussetzungen einer Rechtsnorm voraus (B). Das besondere Augenmerk ruht hierbei vor allem auf der Frage, aus welcher legitimierenden Quelle sich ihre Verbindlichkeit speisen kann (C).

272 Sachs, VerwArch 74 (1983), 25, 35; vgl. auch P. Kirchhof, FS 25 Jahre Bundesverfassungsgericht, S. 50, 91 ("strikt gesetzesgebunden"). 273 Sachs, VerwArch 74 (1983), 25, 35 ff. 274 So aber wörtlich Thiele, in: GK-BetrVG, (4. Aufl.), Ein\. Rnz. 51. 275 Thiele, in: GK-BetrVG, (4. Aufl.), Einl. Rnz. 51. 276 Däubler, NZA 1988,857,865. 277 Rupp, Grundfragen, S. 21 ff., 41 ff.; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 6 Rnz. 17 sowie § 8 Rnz. 28 ff.; Ossenbühl, Rechtsquellen und Rechtsbindungen der Verwaltung, § 6 Rnz. 59; Ehlers, Verwaltung und Verwaltungsrecht, § 4 Rnz. 21. 278 Söllner, JZ 1966, 803, 804; Isele, JZ 1968, 338, 340. Zu den Gemeinsamkeiten zwischen dem besonderen Gewaltverhältnis des Staatsdieners und dem privaten besonderen Gewaltverhältnis des Arbeitnehmers vg\. allg. Merk, VVDStRL 15 (1957), S. 193; Ule, VVDStRL 15 (1957), S. 219; Nawiasky, VVDStRL 15 (1957), S. 213; zu einigen Folgerungen hieraus allerdings zurecht krit. Stern, Staatsrecht III/1, S. 1591 f. 279 So die allgemeine Umschreibung des Begriffs "Rechtfertigen" bei Vogel, Der Staat 25 (1986), 481, 483. 280 Zippelius, ARSP Beih. Nr. 15 (1981), 84.

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B. Der Rechtsnormencharakter der Betriebsvereinbarung I. Der Sprachgebrauch des Gesetzes Möchte man den Rechtsnonnencharakter der Betriebsvereinbarung direkt dem Sprachgebrauch des Gesetzes entnehmen, so wird man enttäuscht. Im Gegenteil weist dieser eher in eine andere Richtung 281 • Das Betriebsverfassungsgesetz legt den in einer Betriebsvereinbarung enthaltenen Regelungen zwar unmittelbare und zwingende Wirkung bei, spricht ihnen aber den Charakter von Rechtsnonnen nicht zu. Anders als das Tarifvertragsgesetz, das den Begriff der Rechtsnonn gleich mehrfach verwendet282 , venneidet das Betriebsverfassungsgesetz diesen Ausdruck sogar in den Fällen, in denen er nahe gelegen hätte. So handelt das Gesetz bei der Frage der Nachwirkung in § 77 Abs. 6 BetrVG nur von "Regelungen in Betriebsvereinbarungen", nicht von Rechtsnonnen. Aber auch nach Erlaß des Betriebsverfassungsgesetzes hat es der Gesetzgeber vermieden, im Hinblick auf Betriebsvereinbarungen von Rechtsnormen zu sprechen. So ist etwa in § 613a Satz 2 BGB die Rede von Rechten und Pflichten, die "durch Rechtsnonnen eines Tarifvertrages oder durch eine Betriebsvereinbarung geregelt" sind. Auf all das hat Peter Hanau zurecht hingewiesen283 . Allerdings ist auch hier in Erinnerung zu rufen, daß es nicht Aufgabe des Gesetzgebers ist, rechts dogmatische Zweifelsfragen zu lösen284 • Seine Funktion ist allein, bisherige Zustände und Regelungen gemäß den Erfordernissen der Lage zu verändern oder zu verbessern285 . Ließe sich also nachweisen, daß die Betriebsvereinbarung die Merkmale einer Rechtsnonn aufweist, vennag ein abweichender Sprachgebrauch des Gesetzes keine andere Beurteilung zu rechtfertigen 286 .

P. Hanau, RdA 1989,207. §§ I Abs. 1,3 Abs. 2, 4 Abs. I Sätze I u. 2 sowie Abs. 5, 5 Abs. 4 TVG. 283 RdA 1989,207. 284 Zöllner, Die Rechtsnatur der Tarifnormen, S. 8; Eiseie, AcP 69 (1886), 275, 309. 285 Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 65. 286 Etwas anderes gälte nur dann, wenn der Gesetzgeber im Wege der Fiktion ("Gelten nicht als Rechtsnormen") oder der gesetzlichen Festlegung ("Sind keine Rechtsnormen") ausdrücklich eine andere Entscheidung getroffen hätte. 281

282

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11. Die Merkmale einer Rechtsnorm

1. Der Begriff der Rechtsnorm Möchte man entscheiden, ob eine Rechtsregel die Merkmale einer Rechtsnorm trägt, stellt man fest, daß der Begriff der Rechtsnorm verschieden gebraucht wird. Auch ist er nicht legaldefiniert oder als ein bis in Einzelheiten durchgeformtes Rechtsinstitut von der Rechtsordnung positiv vorgesehen287 . Damit entzieht er sich einer konturenscharfen Definition, die für alle seine Erscheinungsformen stets Geltung beanspruchen könnte 288 . Auch wenn die Rechtsordnung den Begriff der Rechtsnorm nicht präzise definiert, so verwendet sie ihn aber gleichwohl. So ist rür weite Bereiche des deutschen Rechts ausdrücklich festgelegt, daß unter einem Gesetz jede Rechtsnorm zu verstehen ist, vgl. Art. 2 EGBGB, Art. 2 EGHGB, § 12 EGZPO, § 2 EGKO, § 185 Abs. 2 FGO, § 116 Abs. 2 GBO, § 4 AO 1977. Die genannten Vorschriften greifen mit den Begriffen "Gesetz" und "Rechtsnorm" das alte definitorische Problem des Gesetzesbegriffs auf, das den Verfassungskonflikten des 19. Jahrhunderts entstammt289 . Der Begriff des Gesetzes hat hiernach eine doppelte Bedeutung. Er wird sowohl in formellem als auch materiellem Sinne verstanden 290 . Formelles Gesetz ist jede Rechtsvorschrift, die von den verfassungsrechtlich damit betrauten Staatsorganen in dem dafür vorgesehenen Verfahren erlassen wird; keine Rolle spielen deren Inhalt und Wirkung. Demgegenüber versteht man unter einem materiellen Gesetz jede Rechtsregel, die verbindliche Vorschriften für das Verhalten von Menschen aufstellt. Ist im Anwendungsbereich der zitierten Vorschriften unter einem Gesetz nur eine Rechtsnorm zu verstehen, so bedeutet dies, daß es auf den Inhalt des Ge-

F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 25 ff.; vgl. dens. auch zum Folgenden. Merten/F. Kirchhof, in: Staudinger, BGB, Art. 2 EGBGB, Rnz. 5; Ossenbühl, Rechtsquellen und Rechtsbindungen der Verwaltung, § 5 Rnz. 7 ff.; F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 25 f. 289 Merten/F. Kirchhof, in: Staudinger, BGB, Art. 2 EGBGB, Rnz. 1; siehe hierzu im einzelnen § 8 B I, S. 125 ff. 290 Merten/F. Kirchhof, in: Staudinger, BGB, Art. 2 EGBGB, Rnz. 1; vgl. dies. auch zum Folgenden. 287 288

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setzes ankommen soll, da eine Rechtsnonn darin enthalten sein muß291. Gesetz meint hier also stets das materielle Gesetz, die autoritativ-verbindliche Rechtsregel. Auch im vorliegenden Kontext kann auf diese Begrifflichkeit zurückgegriffen und es braucht nicht weiteren Bedeutungen des Wortes "Rechtsnonn" nachgegangen zu werden. Bei der "Befugnis zu Eingriffen in die Rechtsstellung des einzelnen durch Betriebsvereinbarungen" geht es eben gerade um für den einzelnen verbindliche materielle Verhaltensregeln und Vorschriften. Es kommt also darauf an, ob die Betriebsvereinbarung die Merkmale dieses Begriffs der Rechtsnonn erfüllt.

2. Die einzelnen Merkmale Über die so eben genannten Elemente des Begriffs der Rechstnonn, nämlich das Aufstellen verbindlicher Vorschriften für das Verhalten von Menschen, besteht Konsens 292 . So sehen Rechtsprechung und Literatur ein Kennzeichen der Rechtsnonn in ihrer Selbstherrlichkeit ("autoritativ-verbindliche Regel"), ihrer Geltung ohne Rücksicht auf einen zustimmenden Willen ihres Adressaten (Heteronomität). Hierauf ist bei der Abgrenzung von Rechtsnonn und Vertrag 293 in ihrem jeweiligen Verhältnis zur Privatautonomie als Geltungsvoraussetzung bereits eingegangen worden. Auch prägt es nach allgemeiner Ansicht die Rechtsnonn, daß sie eine Anordnung für menschliches Verhalten statuiert, einen Imperativ ausspricht294

291

H. Schneider, Gesetzgebung, Rnz. 14.

Merten/F. Kirchhof, in: Staudinger, BGB, Art. 2 EGBGB, Rnz. 2 ff.; H. Schneider, Gesetzgebung, Rnz. 14. 292

293 Im Hinblick auf die Frage, ob die Satzung eines körperschaftlich strukturierten Verbandes auf der Privatautonomie ihrer Mitglieder beruht, vgl. oben 2. Teil, 1. Kapitel, § 5 A, S. 65 ff. 294 Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre, S. 8, 13, 97; Wolff/BachopStober, Verwaltungsrecht I, § 24 Rnz. 7; Engisch, Die Einheit der Rechtsordnung, S. 4 ("Die Rechtsordnung besteht aus Sollenssätzen, aus Sätzen, die ... bestimmen, wie sich der Rechtsgenosse hier und jetzt verhalten soll"); Tammelo, Untersuchungen zum Wesen der Rechtsnorm, S. 69. Diesen Inhalt hat nicht jeder Rechtssatz. So gibt es neben Rechtssätzen mit Rechtsnormgehalt solche, die definieren, erläutern, einschränken, verweisen und fingieren, Kruse, in: Tipke!Kruse, AOIFGO, § 4 Rnz. I (Der Rechtssatz verhält sich zur Rechtsnorm wie das Allgemeine zum Speziellen).

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oder jedenfalls als Bestimrnungssatz eine Geltungsanordnung trifft, daß irgend etwas sein soll, "als sein-sollend gesetzt" wird295 . Die Rechtsnorm zeichnet sich zudem aus durch ihre Geltung296 . Erst seine Geltung gibt einem Verhaltensbefehl die Verbindlichkeit eines Sollenssatzes der Rechtsordnung und unterscheidet ihn dadurch von Sätzen der Moral, Sitte oder Religion297 . Da nach allgemeiner Auffassung allein schon die Tatsache der Rechtsgeltung das Recht von anderen Sollensordnungen unterscheidet298 , muß ein Verhaltensbefehl zumindest den realen Begriff von Rechtsgeltung erfüllen, um Rechtsqualität zu besitzen. Unter diesem Blickwinkel kommt einem Verhaltensbefehl Rechtsgeltung zu, wenn er von der Rechtsgemeinschaft beachtet und angewendet wird299 . Zusätzlich zu den genannten Kriterien wird ein weiteres wesentliches Merkmal der Rechtsnorm in ihrer Allgemeinheit gesehen3OO . Die Rechtsnorm intendiert, eine Vielzahl von Fällen zu regeln und eine Mehrzahl von Adressaten zu erreichen. Sie trägt abstrakt-generellen Charakter. Verbreitet werden als Definitionsmerkmal der Rechtsnorm schließlich materielle Anforderungen an den Inhalt einer Regel gestellt wie das "Streben nach Gerechtigkeit"301 oder die "Verwirklichung des Rechtsgedankens"302. Um der Definition der Rechtsnorm einen Maßstab zu geben, sind derart materielle Kriterien indes untauglich303 . Gewiß ist der gesamten Rechtsordnung 295 Larenz, Methodenlehre, S. 253 ff., 256 f.; Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil, I. Halbband, S. 200 f. 296 Merten/F. Kirchhof, in: Staudinger, BGB, Art. 2 EGBGB Rnz. 7 f., 14. 297 Bier/ing, Juristische Prinzipienlehre IlI, S. 3; G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 333; Larenz, Das Problem der Rechtsgeltung, S. 6; Coing, Grundzüge der Rechtsphilosophie, S. 234; R. Dreier, NJW 1986,890,891,894. 298 Henkel, Rechtsphilosophie, S. 118; Zippe/ius, Art. Rechtsphilosophie, EvStL, Sp. 2719,2739; in diesem Sinne auch WolfJIBachoJlStober, Allgemeines Verwaltungsrecht I, § 24 Rnz. 5; anderer Ansicht z.B. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 20 ff. 299 Henkel, Rechtsphilosophie, S. 118; F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 43. 300 H. Schneider, Gesetzgebung, § 3 Rnz. 32 ff.; Ossenbühl, Gesetz und Recht, § 61 Rnz. 11; O. Mayer, Allgemeines Verwaltungsrecht I, S. 66. 301 Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil, I. Halbband, S. 214; Tammelo, Untersuchungen zum Wesen der Rechtsnorm, S. 75. 302 Flume, Allgemeiner Teil 11, S. 5; Larenz, Das Problem der Rechtsgeltung, S. 22, 31 f., 37.

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das Streben nach Gerechtigkeit zu eigen304 . Der Begriff der Gerechtigkeit ist jedoch unscharf und enthält große W ertungsspielräurne305 • Auch setzt sich zunehmend die Einsicht durch, daß Gerechtigkeit im Einzelfall nicht bewiesen, sondern nur aufgewiesen werden kann306 . Ein derartiges Merkmal der positiven Rechtsregel birgt damit Risiken für die Verläßlichkeit und Sicherheit des Rechts, die Gefahr, daß das Recht seine Aufgabe verfehlt, menschliches Verhalten zu steuern307 . Außerdem wäre das Kriterium der Gerechtigkeit nur dann geeignet, die Rechtsnorm zu defmieren, wenn Gerechtigkeit nur bei ihr zu beachten wäre 308 . Aber gerade das ist nicht der Fall. So ist das gesamte Handeln des Staates dem - wie immer zu defmierenden - Gemeinwohl, der Rechtsidee und damit auch der Gerechtigkeit verpflichtet309 • Sein Wirken in die Breite durch Gesetz wie im Einzelfall durch Verwaltungsakt haben sich gleichermaßen stets auch am Maßstab der Gerechtigkeit zu orientieren. Aber sogar auch für das private Rechtsgeschäft wird man nicht sagen können, daß bei ihm materiale Gerechtigkeit keine Rolle spielte3lO • Die Rechtsordnung kann das selbstbestimmte Regeln der Rechtsbeziehungen unter Privaten nicht völlig unabhängig davon anerkennen, ob ein den Interessen beider Seiten angemessen Rechnung tragendes, gerechtes Ergebnis gefunden ist311 • Im Unterschied zum Handeln des Staates unterstellt die Rechtsordnung den Privaten jedoch nicht die Intention, eine in diesem Sinne gerechte, sondern nur

303 F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 96 ff., 35 ff; Kreutz, in: GK-BetrVG, § 77 Rnz. 184; Taupitz, Die Standesordnungen der freien Berufe, S. 552 f; Zöllner, Die Rechtsnatur der Tarifnormen, S. 34 ff. (nur heuristischer Wert). 304 Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre, S. 26; Taupitz, Die Standesordnungen der freien Berufe, S. 552; F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 36. 305 Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 718 (nicht definierbar). 306 P. Kirchhof, FS 25 Jahre Bundesverfassungsgericht 11, S. 50,51 m.w.N. 307 F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 35.

F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 97. F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 97; Isensee, Gemeinwohl und Staatsaufgaben im Verfassungsstaat, § 57 Rnz. I f., 8 u. Rnz. 23 zum Verhältnis des Gemeinwohls zur Gerechtigkeit. 310 Zöllner, Die Rechtsnatur der Tarifnormen, S. 35; Schmidt-Rimp/er, AcP 147 (1941), 130, 161; a.A. F/ume, Allgemeiner Teil 11, S. 5 f 311 Zöllner, Die Rechtsnatur der Tarifnormen, S. 35. 308

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eine ihren individuellen Interessen angepaßte Regelung erzielen zu wollen312 • Für den Normalfall geht es dabei davon aus, daß von Selbstbestimmung getragene Vereinbarungen auch zu solchen Ergebnissen führen werden3 \3. Ein solches Gewährenlassen setzt jedoch ein annäherndes Gleichgewicht der Kräfte voraus. Störungen des Verhandlungsgleichgewichts sind hier nur dann hinzunehmen, wenn sie zu keiner ungewöhnlichen Belastung führen 314 ; widerstreitet das von den Privaten im Falle einer Ungleichgewichtslage gefundene Ergebnis der Gerechtigkeit jedoch in grober Weise, verlangt dies nach einer richterlichen Korrektur315 • Die Rechtsnorm ist damit nur eine bestimmte Form unter all den Rechtsbefehlen, die die Rechtsordnung bilden316 . Das Besondere an ihr gegenüber sonstigen Rechtsbefehlen liegt allein in ihren Rechtsfolgen (Breitenwirkung) und ihrer Entstehungsweise (Heteronomität), nicht in ihren Inhalten. Auf materielle Kriterien kann es für den Begriff der Rechtsnorm nicht ankommen. Für die Betriebsvereinbarung gilt: Arbeitgeber und Betriebsrat können mit ihr einseitig gegenüber den Arbeitnehmern Regelungen treffen. Die Betriebsvereinbarung besitzt damit aus der Perspektive der Regelungsadressaten317 die für die Rechtsnorm begriffsnotwendige Eigenschaft der Heteronomität318 • Die unmittelbare und zwingende Wirkung der Betriebsvereinbarung verleiht dieser die Kraft, eine verbindliche Anforderung an das Verhalten der ihr Unterworfenen zu stellen, einen verbindlichen Beurteilungsmaßstab zu setzen. Die in Betriebsvereinbarungen enthaltenen Imperative enthalten damit kein Urteil über die Wirklichkeit oder eine Aussage darüber, ob etwas ist oder geschieht, sondern sie ordnen an, daß etwas sein oder geschehen soll. Ihre Sollensanforderungen werden von der Rechtsgemeinschaft beachtet und angewendet, so daß sie auch gelten. Betriebsvereinbarungen erfassen alle Angehörigen eines Be-

Zöllner, Die Rechtsnatur der Tarifnormen, S. 35. Zöllner, Die Rechtsnatur der Tarifnormen, S. 35. 314 BVerfGE 89, 214, 232. 315 BVerfGE 89, 214, 232; Heinrichs, in: Palandt, BGB, Einfv § 145 Rnz. 7, 13, 17. 316 F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 96. 317 Anderes gilt für den Arbeitgeber bei der freiwilligen Betriebsvereinbarung, da dieser sich dort selbst rechtlich bindet. 318 Bereits und aIlein aus diesem Grunde wird der Betriebsvereinbarung denn auch von Kreutz Normcharakter zugesprochen, in: GK-BetrVG, § 77 Rnz. 184. 312

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triebes 319 und wollen in einer Mehrzahl von Fällen angewendet werden. Sie enthalten damit abstrakt-generelle Regelungen320 . Selbst wenn man auch konkret-individuelle Bestimmungen in Betriebsvereinbarungen für möglich hält, ändert dies hieran nichts. Denn genausowenig wie das ausnahmsweise Vorkommen von Einzelfallgesetzen dem staatlichen Gesetz seinen allgemeinen Charakter nimmt321 , ändert die Möglichkeit einer Einzelfallbetriebsvereinbarung nichts daran, daß die Betriebsvereinbarung vorwiegend auf Breitenwirkung angelegt ist. Betriebsvereinbarungen weisen damit die erwähnten Merkmale einer Rechtsnorm auf. Indes kennzeichnet sie eine Besonderheit. Die in ihnen enthaltenen Rechtsbefehle werden zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat und damit im nichtstaatlichen, privaten Bereich inhaltlich festgelegt. Die Betriebspartner gestalten den konkreten Inhalt der Regel nach ihrem Willen. Ihre Formulierung ist endgültig, eine staatliche Genehmigung oder sonstige Mitwirkung am Entstehen der jeweiligen Norm ist nicht vorgesehen. Urheber der betrieblichen Regeln sind allein Private. Damit können Betriebsvereinbarungen nur dann Rechtsnormen sein, wenn der Begriff der Rechtsnorm nicht noch zusätzlich davon abhängig wäre, daß notwendigerweise der Staat als Rechtsetzer an ihrer Entstehung beteiligt sein muß 322 • 3. Der Staat notwendig Urheber des Norminhalts? Nähert man sich der Beantwortung dieser Frage an, so stellt man zunächst fest, daß es eine Reihe von Beispielen gibt, in denen der Staat den Inhalt von Verhaltensbefehlen nicht selbst formuliert. So gibt es außerstaatliche Regeln sowohl in öffentlich-rechtlicher, als auch in privatrechtlicher Form. Öffentlichrechtlich werden Sollensanforderungen im außerstaatlichen Bereich festgelegt z.B. in Form von Satzungen der Gemeinden oder der Einrichtungen der funktionalen Selbstverwaltung. Hier werden Rechtsvorschriften erlassen von Die in § 5 Abs. 2 u. 3 BetrVG genannten Personen ausgenommen. E.R. Huber, WirtschaftsverwaItungsrecht 11, S. 529, 530; G. Hueck, Die Betriebsvereinbarung, S. 70, 96 ff.; Fitting/Kaiser/HeitheriEngels, BetrVG, § 77 Rnz. 33; v. Hoyningen-Huene, Betriebsverfassungsrecht, S. 201, 203. 321 H. Schneider, Gesetzgebung, Rnz. 38 ff. 322 So O. Mayer, Allgemeines Verwaltungsrecht I, S. 66. 319

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nichtstaatlichen Körperschaften des öffentlichen Rechts 323 , die verbindlich sind rur ihre Mitglieder, bei Gebietskörperschaften darüber hinaus auch rur diejenigen, die in enge Berührung zu ihrem Gebiet treten, ohne Mitglieder zu sein324 . Aber auch im Privatrecht gibt es außerstaatliche Rechtsetzung. Ein Beispiel ist etwa das Geschäft zur Errichtung einer rechtsfähigen privaten Stiftung325 • Das Stiftungsgeschäft regelt Organisation und Verfahren der Stiftung und legt den Stiftungszweck fest 326 . Es bindet die Behörden bei der Stiftungsaufsicht, wirkt auf einen unbestimmten Kreis künftiger Mitglieder der Stiftungsorgane sowie schließlich gegebenenfalls auf die Destinatäre327 . Es entfaltet damit abstrakt-generelle Wirkung. Aus der Perspektive ihrer Adressaten ist diese Wirkung auch heteronom328 . So werden die Stiftungsorgane an den rur sie fremden Willen des Stifters gebunden, wie er in der Stiftungsverfassung niedergelegt ist. Ebenso werden die Destinatäre in den dort niedergelegten Zuwendungsregeln fremdgesteuert. Da die nach § 80 BGB erforderliche staatliche Genehmigung der Stiftungserrichtung sich jeder inhaltlichen Beeinflussung enthält329 , ist es allein der private Stifter, der hier die Sollensanordnung setzt. Dies zeigt, daß der Staat nicht notwendig inhaltsformulierend an der Entstehung einer privaten Regel beteiligt sein muß. Diesen Regeln die Rechtsnormqualität deswegen abzusprechen, weil der Staat ihren Inhalt nicht nach seinem Willen konkret gestaltet, erschiene dann angängig, wenn dies die wertenden Gesichtspunkte erforderten, nach denen der Begriff der "Rechtsnorm" gebildet wird. Für die Bildung des Begriffs der Rechtsnorm liegt der entscheidende Wertungsgesichtspunkt aber nicht in der Frage der Urheberschaft ihres Inhalts. Entscheidend ist vielmehr allein, daß

323 Die Körperschaft des öffentlichen Rechts ist der RegeIfall. In seltenen Fällen gibt es daneben auch Satzungen von Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts, H. Schneider, Gesetzgebung, Rnz. 278 f. 324 H. Schneider, Gesetzgebung, Rnz. 275. 325 F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 457 ff. 326 Der notwendige Inhalt des Stiftungsgeschäfts ergibt sich aus einem Zusammenspiel der §§ 80 ff. BGB und dem jeweiligen Landesstiftungsrecht, etwa für Baden-Württemberg § 6 Abs. 2 u. 3 StiftungsG Bad.-Württ., für Rheinland-Pfalz § 5 Abs. 2 StiftungsG Rh.-Pf. 327 F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 461 f. 328 F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 462. 329 Strickrodt, Stiftungsrecht, S. 34.

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bereits das einseitige Auferlegen von Rechtsbefehlen als solches besondere Risiken für die Freiheit des einzelnen in sich birgt. Diese ergeben sich aber allein daraus, daß die Rechtsnorm selbstherrlich abstrakt-generelle Verhaltensbefehle erteilt. Das aber ist unabhängig davon, ob der Staat den Inhalt eines Rechtsbefehls formuliert, d.h. als Rechtsetzer auftritt. Der Begriff der Rechtsnorm ist daher als bloße Form von Rechtsbefehlen330 nicht gekoppelt an einen bestimmten Urheber33 !. Da den erwähnten außerstaatlichen Regeln die für Rechtsnormen begriffsnotwendige heteronome Wirkung innewohnt, werden sie daher zurecht als solche bezeichnet332 • Da dies, wie gesehen, auch für die Betriebsvereinbarung gilt, ist sie konsequenterweise ebenfalls als Rechtsnorm zu qualifIZieren333 . 4. Zwischenergebnis

Die Betriebsvereinbarung setzt geltende, generell-abstrakte Imperative. Auch wohnt ihr die eine Rechtsnorm kennzeichnende heteronome Wirkung inne. Sie F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 96. So auch BVerfGE 44,322,341 rur den Tarifvertrag: "Der Tarifvertrag enthält in seinem normativen Teil Rechtsregeln, d.h. generell-abstrakte, nach Maßgabe des § 4 Abs. 3 TVG zwingende Bestimmungen .... Bei der Normsetzung durch die Tarifparteien handelt es sich um Gesetzgebung im materiellen Sinne, die Normen im rechtstechnischen Sinne erzeugt." 332 Für die (öffentlich-rechtliche) Satzung etwa Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 4 Rnz. 14; Clemens, FS BöckenfOrde, S. 259, 263 ff.; Wol.fJlBachofiStober, Verwaltungsrecht I, § Rnz. 46; MertenlF. Kirchhof, in: Staudinger, BGB, Art. 2 EGBGB Rnz. 30; rur das Stiftungsgeschäft Reuter, in: Münchener Kommentar, BGB, § 85 Rnz. 3; F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 462. 333 BVerfGE 73, 261, 269; BAGE 23, 257, 263 f.; R. Birk, Die arbeitsrechtliche Leitungsmacht, S. 112; FittinglAuffarthiKaiserlHeither, BetrVG, (17. Aufl.), § 77 Rnz. 19 ("Die Normen der BV"); G. Hueck, Die Betriebsvereinbarung, S. 27; E.R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht 11, S. 490, 520; F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 212; Lukes, Der KarteIIvertrag, S. 22; MerteniF. Kirchhof, in: Staudinger, BGB, EGBGB Art. 2 Rnz. 83; Ossenbühl, Gesetz und Recht, § 61 Rnz. 46; PeterslOssenbühl, Die Übertragung, S. 86; Richardi, Kollektivgewalt, S. 35; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, S. 1326; Söllner, Arbeitsrecht, S. 191 f.; insoweit wohl auch noch zustimmend P. Hanau, RdA 1989, 207, 208 f. Auch H. Schneider billigt Betriebsvereinbarungen Rechtsnormencharakter zu ("Betriebsvereinbarung mag Rechtsnormen enthalten"). Er verneint aber das Vorliegen von Rechtsetzung (Hervorhebung vom Verf.), da dies die Festlegung, die Setzung der Rechtsregel durch eine Autorität voraussetze, Gesetzgebung, Rnz. 30. 330 33!

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ist daher als Rechtsnonn zu bezeichnen und zwar, da die Betriebspartner Privatrechtssubjekte sind, als außerstaatliche, private Rechtsnonn. Dieser Qualifikation steht nicht im Wege, daß der Staat nicht Urheber des jeweiligen Nonninhalts ist.

C. Die Quelle der Verbindlichkeit I. Die Lehre von der vorstaatlichen Rechtsetzungsgewalt J. Die These

Woher aber Betriebsvereinbarungen diese Wirkung nehmen und ob der Staat auf andere Weise als inhaltsfonnulierend notwendig daran beteiligt sein muß, daß ein abstrakt-genereller Verhaltensbefehl die für eine Rechtsnonn wesentliche Heteronomität entfalten kann, ist eine andere Frage, der im folgenden nachzugehen ist. Ihre Beantwortung hängt davon ab, aus welcher Quelle sich die Verbindlichkeit der Betriebsvereinbarung als einer Rechtsnonn - wie jeder anderen Rechtsnonn - speisen kann. Nach einer punktuell in der Rechtsprechung 334 und vor allem früher in der Lehre 335 vertretenen Ansicht verfügen Betriebe über eine ursprüngliche, quasi

334 Das Bundesarbeitsgericht stützte in seiner Entscheidung zur Betriebsbuße, AP NT. I zu § 56 BetrVG - Betriebsbuße, die Rechtsetzungsmacht der Betriebspartner maßgebend auf den Gedanken, daß es sich hierbei um "einen Ausfluß der autonomen Gewalt der Betriebspartner im Bereich des insoweit autonomen Betriebsverbandes" handele, gleiche Einschätzung bei Walker, FS Kissel, S. 1205, 1215 u. Schumann, GS Dietz, S. 321, 331 ff. Von der Begründung dieser Entscheidung hat sich das Bundesarbeitsgericht nie distanziert, vgl. AP Nm. I u. 12 zu § 87 BetrVG 1972 - Betriebsbuße; auch der 7. Senat hat in seiner Entscheidung vom 28.4.1982, AP Nr. 4 zu § 87 BetrVG 1972 - Betriebsbuße, die Entscheidung AP Nr. I zu § 56 BetrVG - Betriebsbuße nicht ausdrücklich aufgegeben; in dieser Entscheidung verneinte er lediglich die Wirksamkeit einer Betriebsvereinbarung, die als Disziplinarstrafe eine Entlassung aussprach, weil eine Betriebsvereinbarung sich fUr eine derart gravierende Sanktion auf eine gesetzliche Ermächtigung zurückfUhren lassen müsse. Es darf deshalb davon ausgegangen werden, daß das Gericht noch heute dieser Ansicht folgt, so auch Walker, FS Kissel, S. 1205,1213. 335 Hersehel, Betriebsbußen, 26 f.; ders., FS Bogs, S. 125, 130 f. Steht nach Ansicht von Hersehel dem Betrieb Autonomie allgemein und ohne Einschränkung zu, so sprechen HueckiNipperdey, Arbeitsrecht I1/2, S. 1378 u. Neumann, RdA 1968,250,252 f.

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naturrechtliche Rechtsetzungsmacht, die unabhängig sei vom Staat. Dem Betrieb komme Autonomie 336 zu als die sprichwörtliche Befugnis, sich selbst Recht zu setzen. Diese Fähigkeit sei vom Staat weder abgeleitet, noch verliehen oder durch ein besonderes Gesetz zumindest konstitutiv anerkannt, ihm vielmehr vorgegeben337 . Für das Hervorbringen der fiir eine Rechtsnorm wesentlichen Wirkungen von Betriebsvereinbarungen sei eine Beteiligung des Staates nicht notwendig. 2. Die Begründung

a) Die genossenschaftliche Rechtslehre Die Begründung fiir eine autonome Gewalt der Betriebsgemeinschaft liefert die von Orto v. Gierke entwickelte genossenschaftliche Rechtslehre, auch wenn sich nicht alle Autoren ausdrücklich auf sie berufen338 • Der Gierke'schen Ge-

jedenfalls im Hinblick auf die Betriebsbuße von einer autonomen Satzungsstrafe, Galperin, BB 1970,933,936 von einem Fall echter autonomer Rechtsetzungsbefugnis einer Gemeinschaft und zwar der Betriebsgemeinschaft. Nach Meyer-Cording, NJW 1966, 225, 230 geht es um Sozialrecht im Sinne Dtto v. Gierkes, um von den Betrieben geschaffenes Personenrecht, w: Reuß, AuR 1968, 126, 127 u. Demokratie und Verwaltung, S. 517, 528 f. spricht von autonomen Recht des Betriebes. Für das Tarifrecht ebenso Molitor, Außerstaatliches Recht, S. 7, 15 ff. Nicht nur für das österreichische, sondern ebenso für das Recht der Bundesrepublik fordert Mayer-Maly Bereiche gesellschaftlicher Autonomie anzuerkennen, die neben der staatlichen Rechtserzeugung partikulär gültiges Recht setzen können, Österreichisches Arbeitsrecht, S. 151 f.; vgl. allerdings dens. auch S. 234 f. zur Problematik einer verfassungsrechtlichen Absicherung vor dem Hintergrund des Art. 18 der österreichischen Bundesverfassung. 336 Zu den Bedeutungsvarianten des Begriffs Autonomie Zöllner, Die Rechtsnatur der Tarifnormen, S. 13 ff. 337 Vgl. dazu U. Luhmann, Betriebsjustiz und Rechtsstaat, S. 73. 338 Ein ausdrücklicher Bezug auf v. Gierke findet sich nur bei Hersehel, Betriebsbußen, S. 26 f. u. BABI. 1954, 731 u. Meyer-Cording, NJW 1966, 225, 230. Zwischen den Zeilen ist jedoch die geistige Nähe zur Gierke 'sehen Lehre auch bei anderen Autoren unverkennbar, so wenn z.B. w: Reuß davon spricht, die Betriebsbuße sei eine ohne gesetzliche Ermächtigung zulässige Funktion des autonomen Rechts des Betriebes, AuR 1968, 126, 127. Der Gedanke einer originären Betriebsgewalt läßt sich aber auch bei den Autoren nachweisen, die die Gewalt des Betriebs in diesem Punkt vergleichen mit der Strafgewalt des Vereins wie HueekiNipperdey, Arbeitsrecht II/2, S. 1378; Galperin, BB 1970, 933, 936; Neumann-Duesberg, Betriebsverfassungsrecht, S. 490 f.; Neumann, RdA 1968, 250, 252; Kienapfel, JZ 1965, 599, 605, denn Strafgewalt und Satzungsau-

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nossenschaftstheorie zufolge ist jede "organische Gemeinschaft" bereits wegen ihrer sozialen Mächtigkeit und ihrer korporativ verfestigten Strukturen befähigt, sich selbst Recht zu setzen339 • Diese Rechtsetzungsmacht - und das ist der entscheidende Unterschied zur privatautonom verbandsrechtlichen Betrachtungsweise des Betriebs - ist jedoch nicht durch den Unterwerfungswillen des einzelnen legitimiert, sondern besteht als originäre Verbandsautonomie 34o . Sie wurzelt allein in der verfestigten Struktur und sozialen Mächtigkeit der Gemeinschaft, auf einen zustimmenden Willen des einzelnen kommt es nicht an. Dieses Gedankengut aufnehmend, argumentierte für den vorliegenden Zusammenhang vor allem Herschel, daß sich in einem Betrieb "kollektive Faktoren" in besonders starkem Maße auswirkten341 • Ein Betrieb habe nicht nur ein autonomes Recht, sich selbst zu formieren, sondern auch die Fähigkeit, Rechtsnormen zu erlassen. Seine im Kollektiven wurzelnde Gewalt habe sich der moderne Betrieb nicht irgendwie geschaffen, sondern er habe sie vorgefunden, gefestigt von einer sich über viele Jahrzehnte hinziehenden Tradition, die im allgemeinen Rechtsbewußtsein tief verankert sei. Dem Gesetzgeber sei diese Gewalt des Betriebes vorgegeben und in Normen wie den §§ 134b, 134c GewO a.F. habe er lediglich schon Bestehendes anerkannt, nicht jedoch habe er etwas Neues geschaffen oder verliehen. Parallel hierzu hat Herschel ebenso für das Tarifrecht ausdrücklich die Auffassung vertreten, daß die Sozialpartner auch ohne staatliche Ermächtigung die Fähigkeit besäßen, Normen zu setzen342 .

tonomie des Vereins werden von der Rechtsprechung ebenfalls häufig als Ausfluß einer selbständigen Gewalt begriffen, vgl. RGZ 49, 150, 155; BGHZ 13, 5, 11 (für den nichtrechtsfahigen Verein: dem Verein komme "eine selbständige Vereinsgewalt zu, die der Staat gelten läßt"); 21, 370, 375; krit. dazu Flume, FS Bötticher, S. 101, 108 ff., 112; für den Verein anderer Auffassung ist allerdings Habseheid, Vereinsautonomie, S. 158, 159 (gesetzlich verliehene Autonomie); zum Meinungsbild van Look, Vereinsstrafen, S. 37 f. 339 v. Gierke, Deutsches Privatrecht I, S. 119, 142; vgl. dazu U. Luhmann, Betriebsjustiz und Rechtsstaat, S. 72 ff. 340 Riehardi, Kollektivgewalt, S. 14; U. Luhmann, Betriebsjustiz und Rechtsstaat, S. 72. 341 Hersehel, Betriebsbußen, S. 26 f. 342 Hersehe!, FS Bogs, S. 125, 130 f.; für das Tarifrecht ebenso Molitor, Außerstaatliches Recht, S. 7, 15 ff.

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Gelegentlich wurde die These einer betrieblichen Autonomie mit zusätzlichen Überlegungen untennauert. So meinte man betriebliche Rechtsetzungsmacht auch mit dem Gedanken "sozialer Autonomie im Rahmen sozialer Selbstverwaltung"343 (b) sowie des Subsidiaritätsprinzips344 belegen zu können (c). Einer Darstellung dieser Argumente sei allerdings vorausgeschickt, daß hier Begriffe unscharf verwendet werden. Bei derartigen Herleitungen der betrieblichen Rechtsetzungsmacht wird - mehr noch als sonst - nicht unterschieden zwischen Regelungswirkung einerseits und Eingriffsbefugnis andererseits. Auch ist nicht immer klar, ob Autonomie im Sinne einer eigenständigen, bzw. jedenfalls nicht auf spezielle Gesetze angewiesenen oder abgeleiteten Rechtsetzungsmacht zu verstehen ist345 . Bei einer Beschäftigung mit diesen Erklärungsansätzen hat man sich dies stets vor Augen zu führen. Eingedenk dieser Ungenauigkeiten ist hierzu das Folgende zu sagen: b) Der Gedanke der sozialen Selbstverwaltung Die These von der "sozialen Selbstverwaltung" und "sozialen Autonomie"346 basiert auf der Vorstellung, der Staat habe sich von der Ordnung der Arbeitswelt zurückgezogen und das Feld den dort herrschenden gesellschaftlichen Kräften überlassen. Die Sozialpartner verwalteten dementsprechend ihre Ange-

343 Bogs, RdA 1956, I, 2 ff.; Hueek/Nipperdey, Arbeitsrecht H/l, S. 28; zu diesem Prinzip umfassend Bulla, 2. FS Nipperdey H, S. 79 f. (mit einem Schwerpunkt im Tarifvertragsrecht, S. 8 I ff.). 344 Vgl. Meyer-Cording, NJW 1966, 225, 229, 231; Hersehel, Betriebsbußen, S. 11; ders., 2. FS Nipperdey H, S. 221, 232; Galperin, FS Molitor, S. 143, 158 f; Lange, FS Mayer, S. 497, 502. 345 So bleibt bei Bogs, RdA 1956, I, 2 ff unklar, ob und in welcher Weise die von ihm beschriebene Sozialautonomie davon abhängt, ob der Staat sie anerkennt. So schreibt Bogs auf S. I: " ... Zusammenschlüsse von ArbGeb. oder ArbN. haben die Ordnung des ArbLebens nach Art einer verbandlichen Selbstverwaltung übernommen", auf S. 2 (linke Spalte) " ... Selbstregelungsanspruch der Verbände", aber auf der rechten Spalte derselben Seite: "Der Staat ... räumt bestimmten ... Gemeinschaften die Rechtsrnacht ein ... Recht zu setzen.". Auf Seite 5 heißt es dann noch einmal: " ... autonomes Betriebsrecht. " 346 Bogs, RdA 1956, I, 2 ff.; Hueek/Nipperdey, Arbeitsrecht II/I, S. 28; zu diesem Prinzip umfassend Bulla, 2. FS Nipperdey H, S. 79 f (mit einem Schwerpunkt im Tarifvertragsrecht, S. 81 ff.).

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legenheiten im Rahmen ihrer Sozialautonomie selbst. Soziale Selbstverwaltung bedeute danach das gemeinschaftliche Regeln sozialer Angelegenheiten durch die organisierte Arbeitnehmerschaft und die Arbeitgeberschaft347 . Die beiden "sozialen Gruppen" könnten hierbei sich ihnen stellende Fragen zum einen durch "bloßes Verwalten", zum anderen und darüber hinausgehend aber auch durch das Setzen von Normen gemeinsam beantworten ("soziale Autonomie")348. Ziel sei, daß die am Arbeitsleben unmittelbar Beteiligten in möglichst weitem Umfange ihre Angelegenheiten selbst und unter eigener Verantwortung regelten349 . Nach der überwiegenden Ansicht der deutschen Arbeitsrechtslehre üben die Sozialpartner (unter denen nicht nur die Tarif-, sondern auch die Betriebspartner zu verstehen seien) die Funktionen sozialer Selbstverwaltung als vom Staat abgeleitete Aufgaben aus. Der Staat überlasse den am Arbeitsleben Beteiligten "Aufgaben" zur eigenen Erledigung. Soziale Selbstverwaltung sei auf diese Weise der Sache nach mit der klassischen Selbstverwaltung im staatsrechtlichen Sinne kongruent35o . Spezielle gesetzliche Grundlagen für Rechtsetzung aufgrund und im Rahmen von sozialer Selbstverwaltung seien dabei dann allerdings nicht erforderlich. N ach Ansicht einiger Vertreter der österreichischen Arbeits- und Staatsrechtslehre übten die Sozialpartner die Funktionen sozialer Selbstverwaltung demgegenüber sogar als eigenständige, originäre Aufgaben aus, bei der es auf einen staatlichen Übertragungsakt nicht ankomme 351 . Im Ergebnis bedeutet dies vorstaatliche, originäre Autonomie.

Zacher, Sozialpolitik und Verfassung, S. 291 f. Bulla, 2. FS Nipperdey 11, S. 79, 80; zum Begriff vgl. auch Badura, RdA 1976, 275,281. 349 Nikisch, Arbeitsrecht 11, S. 47. 350 Bulla, 2. FS Nipperdey 11, S. 79, 82. 351 So Mayer-Maly, Österreichisches Arbeitsrecht, S. 150 ff. (originäre Autonomie); weitere Nachweise bei Schäffer, Gutachten rur den 5. ÖlT. 1973, Bd. I, I. Tl. B, S. 38. 347 348

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c) Das Subsidiaritätsprinzip Betriebliche Autonomie als eigenständige Rechtsetzungsgewalt wird schließlich abgeleitet aus dem Subsidiaritätsprinzip352. Das ursprünglich der katholischen Soziallehre entstammende Prinzip besagt in seiner klassischen Umschreibung in der Enzyklika "Quadragesimo anno", daß der einzelne Vorrang vor der Gesellschaft habe, ihm die Gesellschaft nur Hilfe leisten müsse, soweit er sich nicht allein behaupten könne 353 und daß eine größere Gemeinschaft keine Aufgabe übernehmen dürfe, die eine kleinere ebenso gut erfüllen könne 354 . Nicht nur Vertreter der katholischen Soziallehre, sondern auch einige ihr nahestehende Verfassungsrechtler möchten das Verhältnis von Staat und Individuum, von Staat und Gesellschaft sowie den inneren Aufbau des Staates und der Gesellschaft dem Subsidiaritätsprinzip entsprechend geregelt sehen355 . Speziell für das Arbeitsrecht wird aus diesem Prinzip eine Zuständigkeitsordnung abgeleitet, die den betrieblichen wie den überbetrieblichen Sozialpartnern bei der Gestaltung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen gegenüber dem Staat einen Vorrang zuweist und den Staat dementsprechend zu einer lediglich subsidiären Ordnungsmacht herabstuft356. Konsequenz dieser Lehre ist, daß das Gemeinwesen in eine korporative Gliederung zerfällt, die für den einzelnen Staatsbürger Abhängigkeiten hervorbringt, die weder auf staatliche Hoheitsgewalt noch auf eine privatautonome Ordnung zurückgeführt werden können, sondern unmittelbar auf einer originären Hoheitsgewalt der zuständigen Gemeinschaft beruhen357 .

352 Meyer-Cording, NJW 1966, 225, 229, 231; Hersehel, Betriebsbußen, S. 11; ders., 2. FS Nipperdey 1I, S. 221, 232; Galperin, FS Molitor, S. 143, 158 f.; Lange, FS Mayer, S. 497, 502. 353 Zsifkovits, Art. Subsidiaritätsprinzip, in: Katholisches Soziallexikon, S. 2995. 354 Herzog, Der Staat 2 (1963), 399, 401. 355 G. U. E. Küehenhoff, Allgemeine Staatslehre, S. 37 f., 93, 119,250,264; Süsterhenn, FS Nawiasky zum 75. Geburtstag, S. 141 ff., passim. 356 G. Küehenhoff, RdA 1959,201,205; ders., 2. FS Nipperdey 1I, S. 317, 341 ff.; ders., BB 1963,765 fT.; Hersehel, 2. FS Nipperdey 1I, S. 221,231 f.; vgl. auch Hueekl Nipperdey, Arbeitsrecht 1I11, S. 28,44; Wiedemann, RdA 1969,321. 357 Riehardi, Kollektivgewalt, S. 52. Für Rechtsetzungsbefugnisse unabhängig vom Staat aufgrund des Subsidiaritätsprinzips sprechen sich ausdrücklich aus: v. Nell-Breuning, Ordo 3 (1950), 211, 223; G. Küehenhoff, Betriebsverfassungsgesetz, § 77 Rnz. 16 i.V.m. 13 (anders ders. aber RdA 1959,201,205); tendenziell zustimmend Galperin, FS

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Teil 2: Die Legitimation der unmittelbaren und zwingenden Wirkung

Dieser aus dem Subsidiaritätsprinzip fließenden eigenständigen Gewalt des Betriebes wird die Kraft zugesprochen, Rechtsnormen in Verbindlichkeit erwachsen zu lassen. Dabei wird im einzelnen auch hier nicht differenziert zwischen der Regelungswirkung einerseits und der Befugnis zu Eingriffen andererseits. So wird dieser aus dem Subsidiaritätsprinzip fließenden Rechtsetzungsgewalt auch die Fähigkeit zuerkannt, die Freiheit des einzelnen zu beschneiden, wenn es etwa im Lehrbuch zum Arbeitsrecht bei HuecklNipperdey heißt, daß die Regelung der Arbeitsverhältnisse durch die Arbeitsverbände sachgemäßer und elastischer erfolge und auch "von den Parteien leichter ertragen" werde 358 : denn "ertragen", wenngleich nach Meinung der Autoren vergleichsweise leichter, braucht man nur, was einen nicht willkommen ist. 11. Bedenken

Die These einer originären, staatsunabhängigen Befugnis zur Rechtsetzung von Betrieben wirft zwei Fragen auf. Zunächst fragt sich, wer Inhaber dieser Rechtserzeugungsmacht ist, ihr Träger (1). Sodann stellt sich das Kernproblem, wie man es sich vorstellen soll, daß eine dem Staat vorgegebene, von ihm nicht verliehene oder konstitutiv anerkannte 359 Macht in der Lage ist, einem Verhaltensbefehl die für eine Rechtsnorm charakteristischen Wirkungen beizulegen. Die These einer originären Autonomie tritt nämlich in Konflikt mit der verbreiteten Dogma vom Bestehen eines staatlichen Rechtsetzungs-, bzw. jedenfalls Rechtsanerkennungsmonopols (2). Sind hierauf Antworten gefunden, werden zur Abrundung der Dogmengeschichte noch die Thesen der Sozialautonomie sowie des Subsidiaritätsprinzips auf ihre Stimmigkeit überprüft (3). Im Anschluß kann dann dargelegt werden, wie die Geltung von Betriebsvereinbarungen rechtskonstruktiv zu begründen ist (III). Gegen eine Auseinandersetzung mit der Frage vorstaatlicher Autonomie wird mit einiger Sicherheit der Einwand erhoben, dies erübrige sich. Jene Lehre sei zu einer Zeit entwickelt worden, als das BetrVG 1972 und damit auch Molitor, S. 143, 158 f.; für originäre, naturrechtliche Autonomie aufgrund des Subsidiaritätsprinzips allgemein Süsterhenn, FS Nawiasky zum 75. Geburtstag, S. 141, 151. 358

II/I, S. 28.

Wenn im folgenden von Anerkennung die Rede ist, so ist nur noch die konstitutive Anerkennung gemeint. 359

Kapitel 2: Durch eine fremdbestimmte, heteronome Ordnung

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dessen § 77 Abs. 4 Satz 1, der erstmals die unmittelbare und zwingende Wirkung von Betriebsvereinbarungen positiv-rechtlich anerkannte, noch nicht erlassen waren. Zwar sei der Betriebsvereinbarung auch schon nach dem alten Recht unmittelbare und zwingende Wirkung zugesprochen worden, jedoch nur als Folge eines ungeschriebenen Rechtssatzes des kollektiven Arbeitsrechts. Hätte es demgegenüber schon damals eine Norm wie den heutigen § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG gegeben, so hätte man direkt hierauf zurückgegriffen und nicht die Gierke'sche Lehre zu bemühen brauchen. Das neue Recht habe damit die Diskussion um vorstaatliche Autonomie erledigt. Dieser Einwand überzeugte nicht. Ihm kann entgegengehalten werden, daß die Norm des § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG auch eine lediglich klarstellende Bedeutung habe könne, indem sie eine bereits unabhängig vom Staat bestehende Rechtsetzungsgewalt nicht konstitutiv, sondern rein deklaratorisch anerkennt. Die Norm würde die Rechtsetzungsrnacht nicht statuieren, sondern als bestehend voraussetzen360 • So wurde in der Vergangenheit in dem ähnlich gelagerten Fall der "Gemeindeautonomie" in den Gemeindeordnungen oft nicht eine Delegation staatlicher Hoheitsgewalt gesehen, sondern die (deklaratorische) Anerkennung einer vorstaatlichen, ursprünglichen Hoheitsgewalt361 . Um die Frage beantworten zu können, ob die Rechtsetzungsgewalt der Gemeinden ursprünglich oder abgeleitet sei, mußten daher noch weitere Erwägungen angestellt werden. Führt man sich das vor Augen, so dürfte sich die Fragestellung für die Betriebsverfassung allein durch den Erlaß des § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG auch nicht erledigt haben362 .

360 Das gibt es auch an anderer Stelle. So wird in § 305 BGB die Vertragsfreiheit und die bindende Kraft des Vertrages nicht statuiert, sondern als bestehend vorausgesetzt. Die Bedeutung der Norm liegt darin, daß nur ein vom anderen Teil angenommenes Versprechen Rechtsbindungen erzeugt, einseitige Erklärungen demgegenüber grundsätzlich unverbindlich sind, Heinrichs, in: Palandt, BGB, Einfv § 305 Rnz. 3. 361 Preuss, Gemeinde, Staat, Reich als Gebietskörperschaften, S. 175 ff., 188; Hatschek, Die Selbstverwaltung, S. 73; Forsthoff, Die Krise der Gemeindeverwaltung, S. 11 f.; vgl. auch ders., Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 523 f. 362 Zur Situation der Gemeindeautonomie ähnlich Herzog, Allgemeine Staatslehre, s. 88 f.

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Teil 2: Die Legitimation der unmittelbaren und zwingenden Wirkung

J. Das Zurechnungssubjekt Bezugspunkt dieser originären Autonomie soll ein sog. "Betriebsverband"363 oder schlicht der "Betrieb"364 sein. Die vorliegende Untersuchung hat aber gezeigt, daß weder der "Betrieb" als solcher noch ein "Betriebsverband" als Verbände im Rechtssinne ausgemacht werden können. Verband könnte hier daher nur in einem weiteren Sinne verstanden werden, etwa als eine zu einer sozialen Einheit zusammengefügte Gruppe. Ein solcher Begriff verlöre aber jede Kontur. Selbst die Genossenschaftstheorie Otto v. Gierkes, die für das Vorliegen eines Verbandes nur eine "organisierte Gemeinschaft" voraussetzt365 , verlangt zumindest, daß diese eine gewisse korporative Geschlossenheit aufweist. An dieser fehlt es aber, wenn sich zwei Träger divergierender Interessen gegenüberstehen366 . Der Betrieb weist jedoch notwendigerweise eine polare Struktur aur 67 . Damit erfüllt er aber noch nicht einmal die Kriterien einer Gemeinschaft, auf der die genossenschaftliche Rechtsetzungstheorie aufbauen könnte. Die Lehre von der originären Autonomie hängt somit in der Luft368 . Es fehlt an einem Träger.

363 So das Bundesarbeitsgericht in AP Nr. I zu § 56 BetrVG - Betriebsbuße. 364 So etwa Hersehel, Betriebsbußen, 26 f. 365 Deutsches Privatrecht I, S. 142, S. 488. Für das Vorliegen einer Verbands"persönlichkeit", d.h. die von ihm so genannte juristische Person, verlangt v. Gierke Rechtsfahigkeit, die vom Staat durch Rechtssatz anerkannt werden muß, S. 469, 471. Der Staat entscheide bei einer solchen Anerkennung jedoch nur über die Rechtsfähig-keit, nicht über die soziale Tatsache, ob überhaupt ein Verband vorliege, Staat und Recht fänden die fertige Verbandsperson bereits vor, Genossenschaftstheorie, S. 22 f. Die juristische Personifikation solcher Gebilde sei zwar eine Rechtsfrage; sie unterliege jedoch nicht der WiIlkür des Staates, so daß eine juristische Person nicht nur durch staatliche Verleihung, sondern auch aufgrund eines einfachen Rechtssatzes entstehen könne, ja sogar auch aufgrund eines Rechtssatzes des Gewohnheitsrechts, Deutsches Privatrecht I, S. 487; ders., Genossenschaftstheorie, S. 21 ff. 366 E.R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht 11, S. 425; Konzen, Anm. zu AP Nr. I zu § 87 BetrVG 1972 - Betriebsbuße; Lukes, Der Kartellvertrag, S. 14. 367 Siehe oben 2. Teil, \. Kapitel, § 5 B III 5, S. 100 f. 368 Konzen, Anm. zu AP Nr. I zu § 87 BetrVG 1972 Betriebsbuße; ähnlich Seholz, Die rechtliche Ordnung der Betriebsjustiz, S. 311, 322; Weitnauer, FS Reinhardt, S. 179, 191 f.

Kapitel 2: Durch eine fremdbestimmte, heteronome Ordnung

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2. Staatliche Souveränität Vor allem aber stellt sich die für den vorliegenden Zusammenhang entscheidende Frage, wie eine dem Staat vorgegebene, von ihm nicht verliehene oder konstitutiv anerkannte 369 Macht in der Lage sein soll, rechtsnormative Wirkungen hervorzubringen. Die Behauptung einer originären Autonomie des Betriebes als einer außerstaatlichen Rechtsetzungseinheit widerspricht dem bereits erwähnten Dogma vom Bestehen eines staatlichen Rechtsetzungs-, bzw. zumindest eines Rechtsanerkennungsmonopols. Mit dem Entstehen des modemen Staates sah man in der Rechtserzeugung sehr bald die klassische Emanation seiner hoheitlichen Gewalt und ordnete sie dem Staat ZU370. Sie war Ausdruck seiner Souveränität. Es fragt sich deshalb, wie sich originäre, d.i. vorstaatliche Rechtsetzungsgewalt vereinbaren läßt mit dem Staatsmerkmal der Souveränität. Auch ein moderner Staat wie der Staat des Grundgesetzes ist auf Souveränität hin angelegt und befmdet sich in seiner "Normallage" im Zustand der Souveränität371 • Die Fähigkeit zu originärer Rechtsetzung einer nichtstaatlichen Einheit wäre somit dann von vornherein undenkbar, wenn es staatliche Souveränität kennzeichnete, daß allein der Staat befugt wäre, Recht zu setzen, es mit anderen Worten ein Rechtsetzungsmonopol des Staates gäbe (a). Eine originäre Autonomie wäre jedoch auch dann undenkbar, wenn der Staat zwar kein solches Monopol hätte, verbindliche Regeln inhaltlich zu formulieren, er aber aus Gründen seiner Souveränität jedoch zumindest an der Entstehung von Recht, bzw. der QualifIkation von etwas als Recht beteiligt sein müßte (b). Sollte letzteres zu bejahen sein, so fragt sich, aufweiche Weise der Staat beteiligt sein muß, damit eine Regel die Eigenschaft eines Sollenssatzes der Rechtsordnung erhält.

369 Wenn im folgenden von Anerkennung die Rede ist, so ist nur noch die konstitutive Anerkennung gemeint. 370 Quaritsch, Staat und Souveränität I, S. 252, 255 f. 371 Isensee, Staat und Verfassung, § 13 Rnz. 88. Allerdings folgt das Grundgesetz nicht mehr den starren Souveränitätsvorstellungen des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts, was sich bereits aus Art. 24 GG ergibt, Herzog, Art. Subsidiaritätsprinzip, EvStL, Sp. 3564, 3567.

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Teil 2: Die Legitimation der unmittelbaren und zwingenden Wirkung a) Zur prinzipiellen Vereinbarkeit von privater Rechtsetzung mit staatlicher Souveränität

aa) Grundlegung: Der Begriff der Souveränität

Eine Antwort auf die Frage nach dem Verhältnis originärer Rechtsetzungsgewalt privater Einheiten zur Souveränität des Staates verlangt, das heutige Verständnis des Begriffs der Souveränität offenzulegen. Auch wenn der Begriff der Souveränität im ausgehenden Mittelalter und der beginnenden Neuzeit konzipiert wurde und mit Unsicherheiten und Kritik behaftet ist, hat er als staatsrechtliche Kategorie überlebt372 . Die Kritik am Begriff der Souveränität hat ihre Ursache in Vorstellungen von der Bedeutung dieses Wortes, wie sie im 19. Jahrhundert geprägt wurden, etwa im Sinne einer schrankenlosen höchsten Gewalt des Staates nach innen und nach außen373 • Derartige Vorstellungen sind jedoch völlig überspitzt und haben dem historischen Verständnis nie entsprochen. Hierauf aufbauende Kritik mag daher auf sich beruhen. Indes stellen sich auch für den modemen Staat die Fragen, die mit diesem Begriff umschrieben werden374 . Frieden und Sicherheit durch eine oberste staatliche Gewalt nach innen zu gewährleisten (innere Souveränität) sowie nach außen mit ebenso strukturierten Verbänden gleichberechtigt auf der Ebene des Völkerrechts in Beziehungen zu treten (äußere Souveränität), sind Themen, die gleichermaßen mit Entstehung und Bestand auch des heutigen Staates verbunden sind. Um diesen Aufgaben gerecht werden zu können, ist auch die vom Grundgesetz verfaßte Staatlichkeit auf Souveränität angewiesen 375 . Legt man die Kategorie der Souveränität frei, ist zunächst festzuhalten, daß es keinen absoluten, apriori feststehenden Begriff der Souveränität gibt, sondern nur einen jeweils historisch bedingten376 . Der Begriff "Souveränität" bezieht sich auf das tatsächlich-historische Problem der Ausschaltung privater

Randelzhofer, Staatsgewalt und Souveränität, § 15 Rnz. 2,5. 7 ff. Vgl. dazu G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 476 ff. 374 Randelzhofer, Staatsgewalt und Souveränität, § 15 Rnz. 6 ff.; vgl. bereits schon G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 474. 375 Isensee, Staat und Verfassung, § 13 Rnz. 87 f.; Randelzhofer, Staatsgewalt und Souveränität, § 15 Rnz. 6 ff. 376 Dagtoglou, Art. Souveränität, EvStL, Sp. 3155; G. Jellinek, Allgemeine Staats372

373

lehre, S. 435,474 f.

Kapitel 2: Durch eine fremdbestimmte, heteronome Ordnung

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Gewalten und ihre Zusammenfassung und Ersetzung durch eine oberste, staatliche Gewalt377 . Souveränität wird so zu einer Eigenschaft des Staates, genauer seiner Staatsgewalt, die ihn von allen anderen Gebietsverbänden unterscheidet378 . Sie bedeutet ein "Zu-Höchst-Sein" (Krüger) des Gebietsverbandes Staat auf seinem Territorium379, was umschrieben wird mit "Einzigkeit" und "Einseitigkeit" seiner Staatsgewalt380 • "Einzigkeit" von Staatsgewalt meint, daß Über- oder auch nur gleichgeordnete Verbände neben der souveränen Staatsgewalt nicht bestehen können, da anderenfalls die souveräne Staatsgewalt sofort nicht mehr die höchste wäre 381 . Souveräne Staatsgewalt verlangt nach der Gewalt, letztverbindlich entscheiden zu können382 , nach der Herrschaft höchsten Ranges, die' allen anderen Gewalten im Staate rechtlich übergeordnet ist383 . "Einseitigkeit" von Staatsgewalt bedeutet ihre Fähigkeit, Entschließungen und Maßnahmen aus sich selbst hervorgehen und durch sich selbst verwirklichen lassen zu können384, also nicht an die Zustimmung Dritter, insbesondere die der Gewaltunterworfenen, gebunden zu sein. So äußert sich die innere Souveränität des modemen Staates an erster Stelle in seiner Rechtsetzungsbefugnis, d.h. seiner Macht, einseitig allen ihm unterworfenen Personen und Verbänden

Randelzhofer, Staatsgewalt und Souveränität, § 15 Rnz. 8. Burckhardt, Die Organisation der Rechtsgemeinschaft, S. 149 ff.; Haenel, Staatsrecht I, S. 113 ff.; Heller, Staatslehre, S. 236; Quaritsch, Staat und Souveränität I, S. 36 ff., 399. Vgl. auch Böckenförde, Die verfassungstheoretische Unterscheidung von Staat 377 378

und Gesellschaft, S. 30. 379 Krüger, Souveränität und Staatengemeinschaft, S. 1; vgl. ferner Heller, Die Souveränität, S. 127; G. Jel/inek, Allgemeine Staatslehre, S. 475; Kelsen, Allgemeine Staatslehre, S. 71 (bezogen auf die staatliche Rechtsordnung); Magiera, Parlament und Staatsleitung, S. 161. 380 Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 847 ff., 879 ff. 381 Randelzhofer, Staatsgewalt und Souveränität, § 15 Rnz. 35; Combothecra, Der Begriff der Souveränität, S. 9 f. 382 Quaritsch, Der Staat 1 (1962),289,298. 383 Haenel, Deutsches Staatsrecht I, S. 113; G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 475; Kelsen, Allgemeine Staatslehre, S. 71; Krüger, Souveränität und Staatengemeinschaft, S. 3; Magiera, Parlament und Staatsleitung, S. 161. 384 Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 879.

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Teil 2: Die Legitimation der unmittelbaren und zwingenden Wirkung

im Gesetz abstrakt-generell Rechte und Pflichten mit dem Anspruch auf Rechtsgehorsam auferlegen und auch durchsetzen zu können385 .

bb) Das Bestehen eines Rechtsetzungsmonopols als Kennzeichen staatlicher Souveränität? Es ist immer wieder behauptet worden, daß der Staat ein Rechtsetzungsmonopol besitzt386 . Versteht man unter "Recht setzen" ganz allgemein das Erzeugen verbindlicher, also mit Geltung ausgestatteter Verhaltensbefehle, so spräche man im vorliegenden Zusammenhang zunächst einmal präziser von einem RechtsnormsetzungsmonopoP87. Denn das Zivilrecht, wenn es den Vertrag als Rechtsinstitut privater Rechtsbindung zur Verrugung stellt, gestattet es Privaten ausdrücklich, verbindliche Verhaltensbefehle zu produzieren388 , ohne daß der Staat an der Erzeugung des jeweils konkreten Rechtsbefehls inhaltsformulierend beteiligt wäre 389 . Es kann damit nicht um ein Rechtsetzungsmonopol in diesem allgemeinen Sinne, sondern -

wenn überhaupt -

nur darum gehen, ob dem Staat ein Monopol zukommt, heteronome und zugleich generelle390 Verhaltensbefehle, d.h. Rechtsnormen, zu erzeugen. Die Existenz eines solchen Rechtsnormsetzungsmonopols des Staates bedeutete dann, daß dem Staat das exklusive Vorrecht zustünde, generelle Rechtsbefehle hervorzubringen. 385 RandelzhoJer, Staatsgewalt und Souveränität, § 15 Rnz. 39. Für Bodin war die Fähigkeit, für jedermann geltende Gesetze erlassen zu können, die Haupterscheinungsform von Souveränität, Sechs Bücher über den Staat, Bd. I, Kap. 10, S. 285 f., 292. Vgl. dazu Quaritsch, Staat und Souveränität I, S. 252, 255 f. 386 G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 326; Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 491 ff., 769 f.; Herzog, in: MaunzJDürig, GG, Art. 92 Rnz. 154 (grundsätzliches Monopol); Anklänge auch bei Lieb, Arbeitsrecht, (4. Aufl.), S. 75 u. 140. Schotz, FS juristische Studiengesellschaft zu Berlin, S. 691, 697 spricht zwar von einem staatlichen Rechtsetzungsmonopol, meint damit aber nur, daß der Staat privat gebildetes Recht entweder in staatliches Recht umsetzen oder durch staatliche Rechtsnormen rezipieren muß. 387 F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 108 f. 388 Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 261 ff. 389 F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 108 f. 390 Nur das Merkmal der Generalität eines Verhaltensbefehls unterscheidet den Rechtsnormbegriff der herrschenden Lehre von dem der Vertreter der Wiener Rechtstheoretischen Schule, Henkel, Rechtsphilosophie, S. 40; Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre, S. 45.

Kapitel 2: Durch eine fremdbestirnmte, heteronome Ordnung

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a) Das einfache Recht

Das Bestehen eines solchen Vorrechts des Staates läßt sich fiir das einfache Recht nicht nachweisen391 • Auf die entgegenstehende Rechtswirklichkeit des Stiftungsgeschäfts wurde bereits hingewiesen. Daneben ist aber auch gerade das Arbeitsleben ein Argument gegen ein solches Monopol. Dort bringen Private in Tarifverträgen unzweifelhaft generelle und, nach Ansicht der herrschenden Meinung, auch heteronome 392 Verhaltensbefehle hervor. Dies duldet der Staat nicht nur393 , sondern er fordert und veranlaßt solches privates Setzen von Rechtsnormen394 sogar, wenn er im Falle des Tarifvertrages in den §§ 1,4 TVG für die dort privat formulierten Verhaltensbefehle ausdrücklich den Begriff der Norm verwendet. Und da Betriebsvereinbarungen die begrifflichen Merkmale einer Rechtsnorm aufweisen, werden sie in der Praxis ebenfalls überwiegend als Rechtsnormen bezeichnet, auch wenn dieser Begriff nicht ausdrücklich vom Gesetzgeber verwendet wird395 • ß) Die Verfassungsmäßigkeit des einfachen Rechts Nun ließe sich der Standpunkt vertreten, eine solche Rechtspraxis spräche für sich allein noch nicht gegen die Annahme eines staatlichen Monopols, Rechtsnormen zu setzen, denn es sei immerhin möglich, daß dies alles gegen die Verfassung verstieße. In diesem Falle wäre nur das einfache Recht verfasOssenbühl, Gesetz und Recht, § 61 Rnz. 30. Adomeit, RdA 1967, 297, 305; HueckiNipperdey, Arbeitsrecht 1111, S. 534; Nikisch, Arbeitsrecht I, S. 253; F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 184. Abweichend von der Satzung der Körperschaft steht beim Tarifvertrag das Argument weniger im Vordergrund, ein Verfahren, das Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit sichere, liege im Interesse aller und sei deswegen konsentiert. Daher spräche insoweit einiges daflir, den Tarifvertrag in Einklang mit der herrschenden Meinung als heteronome Regelbildung zu bezeichnen. Indes ist die Mitgliedschaft in einer Koalition Ausübung individueller Freiheit, was dagegen spricht, den Tarifvertrag als Rechtsnorm zu bezeichnen. 393 P. Kirchhof, FS 25 Jahre Bundesverfassungsgericht 11, S. 50, 106. 394 Ossenbühl, Gesetz und Recht, § 61 Rnz. 31. 395 BVerfGE 73, 261, 269; R. Birk, Die arbeitsrechtliche Leitungsmacht, S. 112; FittinglAuffarthiKaiseriHeither, BetrVG, (17. Aufl.), § 77 Rnz. 19 ("Die Normen der BV"); G. Hueck, Die Betriebsvereinbarung, S. 27; E.R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht 11, S. 490; F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 212; PeterslOssenbühl, Die Übertragung, S. 86; Richardi, Kollektivgewalt, S. 35; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, S. 1686; Sö//ner, Arbeitsrecht, S. 196; krit. allerdings Hanau, RdA 1989, 207 ff. 391

392

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sungswidrig, es belegte jedoch nicht, daß es kein Rechtsnormsetzungsmonopol gäbe. Es kommt daher darauf an, ob die außerstaatliche private Normsetzung verfassungsgemäß ist. Es sprengte den Rahmen der vorliegenden Arbeit, wollte sie auf sämtliche verfassungsrechtlichen Implikationen der Zulässigkeit privater Rechtsetzung eingehen. Eine umfassende Untersuchung hierzu hat Ferdinand Kirchhof vorgelegt, auf die verwiesen werden kann396 • Für die Zwecke der vorliegenden Abhandlung reicht ist es, die folgenden Gesichtspunkte aufzuzeigen. (1) Tarifautonomie Zunächst verdient es festgehalten zu werden, daß die Verfassung selbst das Setzen von Recht durch Private vorsieht397 . So hat das Bundesverfassungsgericht schon früh entschieden398 , daß "das Grundrecht der Koalitionsfreiheit nicht nur den Zusammenschluß als solchen, sondern den Zusammenschluß zu einem bestimmten Zweck, nämlich den zu einer aktiven Wahrnehmung der Arbeitgeber- (Arbeitnehmer-) Interessen" betreffe. Dies bedeute "zugleich, daß frei gebildete Organisationen auf die Gestaltung der Löhne und Arbeitsbedingungen Einfluß nehmen, insbesondere zu diesem Zweck Gesamtvereinbarungen treffen" könnten. Die historische Entwicklung habe dazu geführt, daß solche Vereinbarungen in Gestalt "geschützter Tarifverträge mit Normativcharakter und Unabdingbarkeit" abgeschlossen werden. Aus der Zweckverfolgungsgarantie in Verbindung mit dem historischen Sinn der Koalitionsfreiheit folge, daß "im Grundrecht des Art. 9 Abs. 3 GG ein verfassungsrechtlich geschützter Kernbereich auch in der Richtung" liegen müsse, "daß ein Tarifvertragssystem im Sinne des modernen Tarifvertragssystems staatlicherseits überhaupt bereitzustellen" sei399 . Für das Bundesverfassungsgericht gehören damit zum verfassungsrechtlich geschützten Kernbereich der Koalitionsfreiheit auch das Tarifvertragswesen und damit private Regelbil-

Private Rechtsetzung, S. \07 ff., 112 ff. Ossenbüh!, Gesetz und Recht, § 61 Rnz. 31. 398 BVerfGE 4,96, 106. 399 Seitdem st. Rspr., vgl. weitere Nachweise bei LeibholziHesselbergeriRinck, GG, Art. 9 Rnz. 480. 396 397

Kapitel 2: Durch eine fremdbestimmte, heteronome Ordnung

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dung4OO • Allerdings wird man aus der Verfassung die Normwirkung des Tarifvertrages nicht unmittelbar ableiten401 , sondern ihr nur eine Verpflichtung des Gesetzgebers entnehmen können, im einfachen Recht ein Tarifvertragssystem überhaupt vorzuhalten und näher auszugestalten402 • (2) Objektiv-rechtliche Grundrechtsgehalte Für das private Formulieren von Normen, die in Betriebsvereinbarungen enthalten sind, fmdet sich in der Verfassung zwar keine entsprechende, ausdrückliche Garantie, wie für die tarifliche Rechtsetzung, jedoch verstößt auch das private Rechtsetzen in Betriebsvereinbarungen nicht gegen die Verfassung 403 • Das Bundesverfassungsgericht hat vielmehr im Mitbestimmungsurteil die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Ordnung und Befriedung des Arbeitslebens auch im Rahmen der Betriebsverfassung ausdrücklich für zulässig gehalten404 • Möglicherweise mindert der Staat seine Stellung als Träger der Rechtsordnung und Inhaber der Geltungsgewalt405 dadurch, daß er mit dem Rechtsinstitut der Betriebsvereinbarung ein weiteres privates Subsystem zuläßt4°6 . Der einfache Gesetzgeber ist aber durch die Grundrechte legitimiert, privates betriebliches Rechtsetzen zuzulassen407 • Die Grundrechte des Grundgesetzes sind zwar in erster Linie Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat zum Schutz privater 400 Pütlner, BB 1987, 1122, 1125; Zöllner, AöR 98 (1973), 71, 86 f., 88 ff.; Lieb, Arbeitsrecht, S. 128; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rnz. 416. 401 So aber Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 102 ff.; W. Weber, Koalitionsfreiheit und Tarifautonomie als Verfassungsproblem, S. 24; W. Reuß, DVBI. 1966, 422. 402 Peters/Ossenbühl, Die Übertragung öffentlich-rechtlicher Befugnisse, S. 13 ff.; Nikisch, Arbeitsrecht 11, S. 55; Zöllner, Die Rechtsnatur der Tarifnormen, S. 17; Spanner, DÖV 1956, 154, 156. 403 In der Sozialplanentscheidung, BVerfGE 73, 261, hat das Bundesverfassungsgericht zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der Rechtsetzungsform Betriebsvereinbarung kein Wort verloren. 404 BVerfGE 50, 290, 372. 405 Zu diesem Begriff siehe oben C 11 2 b bb ß, S. 97 f. 406 Vgl. dazu F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 506. Für Pernthaler "entäußert" sich der Staat bei der Zulassung des Tarifvertrages "eigener Hoheitsgewalt", ÖZöR 17 (1967),45, 80. Dies mag seine Souveränität gefährden. 407 BVerfGE 50, 290, 355; F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 511; vgl. auch P. Kirchhof, Mittel staatlichen HandeIns, § 59 Rnz. 95; zweifelnd Ossenbühl, Grenzen der Mitbestimmung, S. 28. 9 Müller-Franken

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Freiheit vor staatlichem Zugrif~08. Sie erschöpfen sich jedoch nicht in dieser Abwehrfunktion, sondern vermitteln dem Staat zugleich auch Befugnisse, rechts gestaltend tätig zu werden. Dies vor allem dann, wenn grundrechtliche Freiheit überhaupt erst ausgeübt werden und sich entfalten kann, nachdem der Staat hierfiir bestimmte Instrumentarien bereitgestellt und grundrechtliche Schutzbereiche ausgebildet hat409 • Immer mehr setzt sich die Erkenntnis durch, daß grundrechtliche Freiheiten der Aufbereitung und Ausgestaltung durch den Gesetzgeber, einer "positiven Ordnung" durch inhaltliche und organisatorische Vorkehrungen bedürfen41o • Dabei kommt es vorliegend nicht darauf an, wozu und inwieweit der Staat im einzelnen verpflichtet sein kann, gesetzgebend tätig zu werden. Denn unabhängig von der Frage, ob Grundrechten konkrete Handlungsaufträge entnommen werden können411 , ermächtigen Grundrechte den Staat auf jeden Fall, grundrechtliche Freiheit positiv zu fördern 412 • Diese in der Grundrechtsdogmatik inzwischen allgemein anerkannten sog. objektiv-rechtlichen Grundrechtsgehalte413 gestatten dem Gesetzgeber auch, den Bereich der Betriebsverfassung auszugestalten und dabei private Normsetzung zuzulassen. Menschenwürde, Persönlichkeitsentfaltung sowie insbesondere die Berufsfreiheit der Arbeitnehmer (Art. 12 Abs. 1 GG) bedürfen im Rahmen der abhängigen Arbeit der Absicherung und des Schutzes414 . Das Bundesverfas408 BVerfGE 7, 198, 204 f. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rnz. 303 ff. 4\0 BVerfGE 57, 295, 322 f.; Bethge, NVwZ 1983, 577; Rupp, AöR 101 (1976),

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161, 173 ff. 411 Hoffmann-Riem, FS H.P. Ipsen, S. 385, 389. Das Bundesverfassungsgericht läßt es offen, ob der Gesetzgeber in Erfullung seiner Schutzpflicht verpflichtet sein kann, betriebliche Mitbestimmung vorzusehen, NZA 1995, 129. 412 Isensee, Der Staat 20 (1981), 161, 162; Dürig, in: MaunzfDürig, GG, Art. 1 Abs. 3, Rnz. 99; Badura, FS Berber, S. 129 f.; Bleckmann, Staatsrecht 11, S. 267 f.; Hoffmann-Riem, FS H.P. Ipsen, S. 385,386 ff.; H.P. Ipsen, DVBI. 1956,358,360; Lerche, Grundrechtlicher Schutzbereich, Grundrechtsprägung, Grundrechtseingriff, § 121 Rnz. 5,31 ff.; Rupp, AöR 101 (1976), 161, 172 ff.; Scholz, Paritätische Mitbestimmung, S. 50 ff.; zweifelnd gegenüber dieser Kategorie Ossenbühl, Grenzen der Mitbestimmung, S.28. 413 Überblick bei Jarass, AöR 110 (1985), 363. 414 Badura, FS Herschel zum 85. Geburtstag, S. 21, 34 f.; vgl. dens., FS Berber, S. 11, 12 ff., 16 ff.; Hoffmann-Riem, FS H.P. Ipsen, S. 385, 397 ff.; Papier, DVBI. 1984, 801,813; Benda, FS Stingl, S. 35,40,43 f.; Hoffmann-Riem, FS H.P. Ipsen, S. 385,402 ff.; H.-P. Schneider, WDStRL 43 (1985), S. 7,40, 133; Kempen, AuR 1988, 271, 272 ff.; Kisker, FS Geiger zum 80. Geburtstag, S. 243, 248 ff.

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sungsgericht hat schon früh auf die Feststellung Wert gelegt, daß dieses Grundrecht "Bedeutung für alle sozialen Schichten" und "die Arbeit als Beruf für alle gleichen Wert und gleiche Würde" habe415 . Besonders die Verwirklichung des Gleichheitselements des Grundrechts der Berufsfreiheit läßt es gerechtfertigt erscheinen416 , daß der Gesetzgeber für den betrieblichen Bereich Gestaltungsbedarf sieht, sich bestehender DefIzite annimmt und betriebliche Rechtsetzung ermöglicht4 17 • Dabei spielt es an dieser Stelle keine Rolle, daß die Ausübung der Mitbestimmung durch die Betriebsräte als Repräsentanten der Arbeitnehmer erfolgt und somit infolge dieser Konstruktion keine individuelle Grundrechtsausübung vorliegt4 18 ; entscheidend ist allein, daß das staatliche Verhalten, hier das Anordnen, Sichern und Ausgestalten von Mitbestimmung, Rahmenbedingungen setzt, die die Chance des Entfaltens von Berufsfreiheit verbessern können419 . (3) Sozialstaatsprinzip Unabhängig von der Frage, wie weit das grundrechtliche Fundament betrieblicher Mitbestimmung im einzelnen trägt, kann außerdem auf das Sozialstaatsprinzip als zusätzliche Legitimationsgrundlage verwiesen werden42o • Betriebliche Mitbestimmung dient dazu, Abhängigkeitsverhältnisse abzubauen sowie wirtschaftliche Macht zu begrenzen, was man als Anliegen des Sozial-

BVerfGE 7, 377, 397. Vgl. dazu HojJmann-Riem, FS H.P. Ipsen, S. 385, 390 ff.; krit. allerdings zu Folgerungen aus dem Gleichheitsargument Pietzcker, NVwZ 1984, 550, 552 f. 417 Vgl. dazu Häberle, JZ 1984, 345, 352; HojJmann-Riem, FS H.P. Ipsen, S. 385, 402 f.; H.-P. Schneider, VVDStRL 43 (1985), S. 7, 24 f., 42 f. 418 Zutr. Ossenbühl, Grenzen der Mitbestimmung, S. 31 f. sowie im einzelnen 3. Teil, 1. Kapitel, § 8 B III 2, S. 207 ff. 419 Kisker, FS Geiger zum 80. Geburtstag, S. 243, 250; Benda, FS Stingl, S. 35, 43 f.; den grundrechtlichen Bezug ablehnend Ossenbühl, Grenzen der Mitbestimmung, S. 31 f. 420 Kissel, ArbR-GW 30 (1993), 21, 22; Richardi, in: Staudinger, BGB, Vorbem zu §§ 611 ffRnz. 1297; Dietz/Richardi, BetrVG, § 1 Vorbem Rnz. 22; Weitnauer, FS Duden, S. 705, 708; Obermayer, DB 1971, 1715, 1718 f.; Zacher, Sozialpolitik und Verfassung, S. 788 f. Vgl. allg. zur Mitbestimmung auch VerfGH Nordrhein-Westfalen, DVBI. 1986, 1196, 1197 sowie Püttner, BB 1987, 1122, 1123. 415

416

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staatsprinzips betrachten kann421 . Auch wenn sich dem Sozialstaatsprinzip nur sehr begrenzt konkrete Handlungsanweisungen entnehmen lassen, so stellt es zumindest einen Gesichtspunkt dar, von dem sich der Gesetzgeber bei seiner Willensbildung leiten lassen kann. Mit Peters/Ossenbühl wird man darüberhinaus sogar sagen können, daß sich diesem Gedanken auch eine Befugnis des Gesetzgebers entnehmen läßt, Rechtsetzung als intensivste Form der Mitbestimmung zu gestatten422 • Private im Betrieb zur Rechtsetzung zuzulassen, legitimiert sich damit aus grundrechtlichen und sozialstaatlichen Erwägungen, verstößt also - vorbehaltlich der sogleich zu erörternden der Frage der Souveränität - als solches nicht gegen die Verfassung. Damit ist freilich noch nicht gesagt, daß sich auch jedwedes, namentlich belastendes, betriebliches Regeln auf eine grundrechtliche Legitimation berufen könnte. Hierauf wird noch zurückzukommen sein. (4) Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip? Allerdings sei an dieser Stelle auch noch erwähnt, daß nicht etwa das Rechtsstaatsprinzip betrieblicher Rechtsetzung entgegensteht, was Kreutz meint. Für ihn beinhaltet das Rechtsstaatsprinzip die Trennung von Staat und Gesellschaft423 • Dieser Grundsatz verbiete dem Staat, seine Entscheidungsgewalt und damit auch Normsetzungsbefugnisse, die über die Regelung eigener Angelegenheiten hinausgingen, auf die Gesellschaft zurück zu verlagern424 . Aus diesem Grunde könne Betriebsvereinbarungen Rechtsnormqualität nicht zugesprochen werden, weswegen die Figur des privatheteronomen Rechtsgeschäfts heranzuziehen sei425 • Abgesehen von den schon erwähnten Bedenken ist der Lehre vom privatheteronomen Rechtsgeschäft auch aufgrund der letztgenannten Überlegungen entgegenzutreten. Sie gehen vom Dogma eines staatlichen Rechtsnormsetzungsmonopols aus426, was - wie gesehen - bereits im Ansatz in der Weise 421 422

So die in der vorigen Fußnote genannten Autoren. Die Übertragung von öffentlich-rechtlichen Befugnissen, S. 88 ff., insbesondere

S.90. 423 424 425 426

Grenzen der Betriebsautonomie, S. Grenzen der Betriebsautonomie, S. Grenzen der Betriebsautonomie, S. Grenzen der Betriebsautonomie, S.

93 ff. 97. 107 ff. 77.

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nicht haltbar ist. Aber auch die weiteren Deduktionen gehen an den Problemen vorbei. Das Grundgesetz geht zwar nicht von einer Trennung, wohl aber in der Tat von einer Unterscheidung von Staat und Gesellschaft aus. Dies hat allerdings nichts speziell mit "dem Rechtsstaatsprinzip" zu tun427 , sondern ist eine ungeschriebene Grundvoraussetzung des von ihm verfaßten freiheitlichen Staates überhaupt428 . An dieser Stelle sei nur so viel erwähnt, daß die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft einen grundlegenden Unterschied in den System- und Rechtsstrukturen beider Bereiche ausdrückt; sie verbietet, Prinzipien und Ordnungsmuster, in die der organisierte Staat der freiheitlichen Demokratie verfaßt ist, unverändert und unbesehen auf die Gesellschaft zu übertragen429 . Dies deshalb, weil der Staat auf gemeinwohlbestimmende Herrschaft, auf demokratische Gewinnung und Begründung von Allgemeinverbindlichkeit, die Gesellschaft demgegenüber auf Entfaltung grundrechtlicher Freiheit, auf individuelle Selbstbestimmung angelegt ist43o . Vor diesem Hintergrund ist das Problem einer Vertauschung der Ordnungsprinzipien von Staat und Gesellschaft angesprochen z.B. bei der Frage der Drittwirkung der Grundrechte sowie der Forderung nach Demokratisierung von Wirtschaft und Gesellschaft. Bei der Zulassung privater Rechtsetzung geht es aber nicht darum, daß allein hierdurch Ordnungsprinzipien des Staates auf die Gesellschaft übertragen und Private in das Korsett von Legitimation und Kontrolle organisierter Herrschaft gezwängt werden sollen431 . Vielmehr entspricht es an sich genau dem Sinn eines freiheitlichen Staates, gesellschaftlichen Kräften einen eigenen Entfal-

427 Zum Inhalt des Rechtsstaatsprinzips als ein staatseingrenzendes sowie die Struktur staatlichen und gesellschaftlichen Lebens formell und materiell ordnendes Prinzip, Schmidt-Aßmann, Der Rechtsstaat, § 24, passim. 428 Rupp, Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, § 28 Rnz. 27 f.; Karpen, JA 1986, 299; Böckenforde, Die verfassungstheoretische Unterscheidung von Staat und Gesellschaft als Bedingung individueller Freiheit, passim, insbes. S. 7, 31 f., 44; v. Arnim, Staatslehre, S. 174. 429 Rupp, NJW 1972, 537, 542. 430 Rupp, Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, § 28 Rnz. 26, 29 ff.; Isensee, Der Staat 20 (1981), 161, 166. 431 Man denke an die (privatautonom) legitimierte Rechtsetzung in Vereinen und durch die Tarifpartner; eine andere Frage ist es, ob nicht speziell der betrieblichen Rechtsetzung solche Fesseln angelegt werden sollten oder sogar müßten, dazu 3. Teil, I. Kapitel, § 8 B II, III, S. 181 ff., 20 I ff.

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tungsraum zu eröffnen, den diese auch regelbildend füllen können432 . Private Rechtsetzung umhegt die Freiheit des einzelnen und verwirklicht damit gerade ein Ordnungsprinzip, das fUr das Gesellschaftliche bestimmend ist. Das Thema Staat und Gesellschaft ist vorliegend höchstens unter einem ganz anderen Gesichtspunkt berührt, den Kreutz freilich nicht erwähnt. Angesprochen ist der Aspekt der Demokratisierung von Wirtschaft und Arbeitswelt, geht es doch bei der Betriebsverfassung darum, das einseitige Direktionsrecht der Betriebsleitung durch ein System "innerbetrieblicher Gewaltenteilung" einzuschränken433 . Unter diesem Blickwinkel steht aber die "Demokratisierung" betrieblicher Entscheidungsabläufe und damit die (betriebliche) Mitbestimmung überhaupt zur Diskussion. Hiermit zusammenhängende Sachprobleme werden verfehlt, richtete man das Augenmerk auf die private Rechtsetzung in Form von Betriebsvereinbarungen als eine einzelne Modalität, in der betriebliche Mitbestimmung ausgeübt wird. Auf die Frage, ob das Rechtsstaatsprinzip auf andere Weise und unter einem völlig anderen Gesichtspunkt betrieblichem Regeln Schranken zieht, wird allerdings noch zurückzukommen sein. (5) Verstoß gegen staatliche Souveränität?

Private Rechtsetzung widerspricht jedoch per se auch nicht dem Gedanken staatlicher Souveränität. Das die Souveränität kennzeichnende "Zu-HöchstSein" der Staatsgewalt fordert nur die Macht, das Recht der höchsten Stufe setzen zu können 434 . Die Fähigkeit, über das "letzte Wort" (Quaritsch)435 zu verfUgen, verlangt nicht, daß der Staat auch ausschließlich alle Regeln selbst bilden müßte 436 . Vielmehr kann sich der Staat von bestimmten Bereichen zurückziehen und sie außerstaatlichen Einheiten zur Regelung überlassen. Denn genauso wie das gesamte Völkerrecht auf einer (freiwilligen) Selbstbeschrän-

Ossenbühl, Gesetz und Recht, § 61 Rnz. 3 I. E.R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht 11, S. 477. 434 Heller, Staatslehre, S. 278; ders., Die Souveränität, S. 57 f. 435 Der Staat I (1962), 289, 298. 436 F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 118 f.; Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 492. 432 433

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kung der (äußeren) Souveränität des Staates beruht437 , ist es dem Staat ebenso möglich, seine (innere) Souveränität durch Verzicht auf seine Gesetzgebungsgewalt zu beschränken. Dies ist auch verfassungsrechtlich legitim, entspricht es doch wie erwähnt dem Sinn des freiheitlichen Staates, den Kräften in der Gesellschaft eigenen Entfaltungsraum zu eröffnen438 • Voraussetzung ist nur, daß der Staat stets die Normen der höchsten Stufe setzen kann, er die Möglichkeit des letztverbindlichen Zugriffs behält439 . Ist dies der Fall, so lassen sich staatliche Souveränität und Rechtsregeln von dritter, nichtstaatlicher Seite ohne Probleme miteinander vereinbaren. Staatliche Souveränität sperrt sich also nicht dagegen, daß Private überhaupt Rechtsbefehle formulieren. b) Rechtsetzung Privater unabhängig von staatlicher Anerkennung? Das Problem liegt jedoch darin, daß die Lehre von der originären Verbandsgewalt für die Betriebspartner die Fähigkeit in Anspruch nimmt, Normen nicht nur inhaltlich formulieren, sondern sie auch als Recht setzen zu können, ohne daß der Staat an letzterem in irgendeiner Weise mitwirken müßte. Diese Vorstellung stößt auf Bedenken im Hinblick auf die Einheit der Rechtsordnung (aa) und die Begründung von Rechtsgeltung (bb). Es könnte nämlich sein, daß im Begriff der Souveränität ein Rechtsgeltungsmonopol angelegt ist. aa) Die Einheit der Rechtsordnung

Zunächst tritt das Problem auf, wie sich bei einer unter diesen Prämissen bestehenden Vielfalt von Rechtserzeugern, deren Subsysteme nicht miteinander verklammert wären, eine Rechtsordnung ergeben soll, die aufeinander als Gesamtsystem abgestimmt ist«o. Das "Aufeinanderabgestimmtsein" eines Normensystems zu einer Einheit ist jedoch eine der Grundforderungen, die an eine Rechtsordnung zu stellen ist: eine Rechtsordnung hat stets eindeutige Befehle

437 So die tradierte Auffassung, StIGHE I, 103, 113; G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 476 ff.; Krüger, Souveränität und Staatengemeinschaft, S. 3 ff.; a.A. Heller, Die Souveränität, S. 121 ff. 438 Ossenbühl, Gesetz und Recht, § 61 Rnz. 31. 439 F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 118; Ossenbühl, Gesetz und Recht, § 61 Rnz.31. 440 F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 158.

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an die Rechtsunterworfenen zu richten44 !. Einzig eine so verstandene Einheit einer Rechtsordnung vermag einen unaufhebbaren Widerstreit unter ihren Teilen auszuschließen442 • Die Lehre von der originären Autonomie bietet fiir diese Frage kein Konzept: die einzige Schranke, die sie autonom gesetzten Recht zieht, ist das Verbot, nicht in das Recht eines höheren Verbandes einzugreifen443 ; unklar bleibt, wie sich die Vielfalt des auf gleicher Stufe befmdlichen autonomen Rechts zueinander verhalten soll. Im Mittelalter entsprach auf diese Weise den mit autonomer Rechtsetzung begabten Herrschaften ein "buntes Bild autonomer Satzungen"444. bb) Die Frage der Rechtsgeltung

Mit dem Problem der Einheit der Rechtsordnung zusammenhängend stellt sich die weitere Frage, wie solche autonomen Regeln Verbindlichkeit und damit Rechtsgeltung erlangen sollen. Es wurde bereits bei der Defmition des Begriffs der Rechtsnorm gesagt, daß sich Recht auszeichnet durch seine Geltung. Hinge nun die Geltung von Rechtsnormen von einer - wie auch immer im einzelnen ausgestalteten - konstitutiven staatlichen Anerkennung ab, so wäre die These einer originären betrieblichen Rechtsetzung nicht haltbar. a) Das Erfordernis tatsächlicher Geltung

Die vorliegende Untersuchung braucht zum Problem der Rechtsgeltung nicht abschließend Stellung nehmen. Da nach allgemeiner Auffassung allein schon die Tatsache der Rechtsgeltung das Recht von anderen Sollensordnungen unterscheidet445 , reicht für ihre Zwecke eine Beschäftigung damit, worin Rechtsgeltung besteht, d.h. ihrem realen Begriffl46 .

44! Burckhardt, Die Organisation, S. 130, 156 ff.; H. Schneider, Gesetzgebung, Rnz. 57 a.E.; Soml6, Juristische Grundbegriffe, S. 382 f.; Engisch, Die Einheit der Rechtsordnung, S. 41 ff., 68 ff. 442 Wenzel, VVDStRL 4 (1927), S. 136, 141. 443 v. Gierke, Deutsches Privatrecht I, S. 144. 444 Peters, Die Satzungsgewalt innerstaatlicher Verbände, § 79 S. 264, 270. 445 Henkel, Rechtsphilosophie, S. 118; Zippelius, Art. Rechtsphilosophie, EvStL, Sp. 2719, 2739; in diesem Sinne auch WoljJlBachof/Stober, Allgemeines Verwaltungsrecht I, § 24 Rnz. 5; anderer Ansicht z.B. Kriele, Einflihrung in die Staatslehre, S. 20 ff. Nicht eingegangen zu werden braucht hier daher auf die Frage der moralischen

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Damit Recht real gilt, ist notwendig, daß es beachtet und angewendet wird447 • Anderenfalls stünde es nur auf dem Papier und könnte seine Funktion, menschliches Verhalten zu steuern, nicht erfiillen448 • Freilich kann nicht verlangt werden, daß sich die einzelne Norm, noch dazu in jedem Anwendungsfall, stets durchsetzt449, denn sonst hätten es einzelne oder gesellschaftliche Gruppen in der Hand, die Rechtsordnung durch ihre Mißachtung aus den Angeln zu heben45o . Erforderlich ist nur, daß sich die Rechtsordnung in ihrer Gesamtheit durchsetzt, sie sich im Großen und Ganzen bewähft451 . Kann damit aber von der einzelnen Norm nicht verlangt werden, daß sie auch tatsächlich beachtet wird und verliert sie durch Mißachtung im Einzelfall nicht ihre Eigenschaft, geltendes Recht zu sein, wird man folglich unterscheiden müssen zwischen verschiedenen Modalitäten der Geltung: der der Rechtsordnung insgesamt und der einzelner Rechtssätze452 • Denn ist die tatsächliche gewöhnliche Befolgung nur fiir den Gesamtbestand einer Rechtsordnung zu verlangen, nicht aber fiir eine einzelne Norm, so kann deren Geltung nicht als tatsächliche, sondern nur als normative qualifiziert werden453 : maßgebend für ihre Geltung ist nur ihre Zugehörigkeit zu einem Normenkomplex, der durchschnittlich befolgt

Geltung, die sich mit dem Problem der Gewissensbindung, des Pflichtcharakters von Rechtsnormen beschäftigt, vgl. dazu Arthur Kaufmann, Grundprobleme der Rechtsphilosophie, S. 176 ff. 446 V gl. zur Unterscheidung zwischen Begriff und Grund von Rechtsgeltung Burckhardt, Die Organisation der Rechtsgemeinschaft, S. 170 ff. 447 Henkel, Rechtsphilosophie, S. 118; F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 43. 448 Burckhardt, Die Organisation, S. 172 f.; F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 43; RyfJel, Grundprobleme, Rnz. 371 ff. 449 Wenzel, VVDStRL 4 (1927), S. 136, 145; Burckhardt, Die Organisation der Rechtsgemeinschaft, S. 174 f.; Soml6, Juristische Grundlehre, S. 93 f., 105; Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre, S. 20 f.; vgl. auch bereits Kipp bei Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts I, § 15 S. 81 ff. Anm. 5. 450 F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 44. 451 Merten, VerwArch 73 (1982), S. 103, 107; Bucher, Zur Kritik an Kelsens Theorie, S. 47, 53 ff.; R. Dreier, Bemerkungen zur Theorie der Grundnorm, S. 38, 40; G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 337; Kelsen, Allgemeine Staatslehre, S. 99 ff.; Henkel, Rechtsphilosophie, S. 117 ff., 544 ff. 452 R. Dreier, Bemerkungen zur Theorie der Grundnorm, S. 38, 40. 453 F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 46.

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wird454 • Oder anders gewendet: die Geltung der einzelnen Norm basiert darauf, daß sie einem nach dem oben genannten Kriterien geltenden Normensystem zugerechnet wird455 .

ß) Die Garantie tatsächlicher Durchsetzung Die notwendige tatsächliche Befolgung einer Rechtsordnung läßt sich nicht allein darauf gründen, daß die ihr Unterworfenen sie freiwillig anerkennen. Ein bloßer Appell an Einsicht und Verständnis kann fehlschlagen456 . Sie verlangt deshalb noch nach einer Gewähr, daß sich die Rechtsregeln in ihrer Gesamtheit auch durchsetzen. Es muß durch eine Organisation gewährleistet sein, daß die Rechtsordnung durchschnittlich auch befolgt wird457 . Eine Organisation wird die tatsächliche Beachtung der Rechtsordnung jedoch nur dann gewährleisten können, wenn ihr die Möglichkeit offensteht, notfalls hierfür auch Zwang einsetzen zu können458 . Denn auch wenn die Mehrzahl der Rechtsgenossen freiwillig den Verhaltensanweisungen der Rechtsordnung Gefolgschaft leisten wird, ist die erforderliche annähernd lückenlose Beachtung nur dann verläßlich sichergestellt, wenn mit der Norm die Erwartung verbunden ist, sie werde notfalls auch mit physischer Gewalt durchgesetzt4 59 . Tatsächliche Geltung einer

454

Wenzel, VVDStRL 4 (1927), S. 136, 145; F. Kirchhof, Private Rechtsetzung,

S.46. 455 Bucher, Das subjektive Recht als Normsetzungsbefugnis, S. 46 ff.; ders., Zur Kritik an Kelsens Theorie, S. 47, 53. 456 Burckhardt, Die Organisation, S. 172 f.; Henkel, Rechtsphilosophie, S. 117 f.; Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 173; Merten, Rechtsstaat und Gewaltmonopol, S. 29; Soml6, Juristische Grundlehre, S. 103, lOS; F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S.46. 457 Burckhardt, Die Organisation, S. 176; Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 176; G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 334 ff.; Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 47 f.; F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 46 f. 458 Burckhardt, Die Organisation, S. 173 ff.; Brugger, AöR 119 (1994), I, 3 f.; Henkel, Rechtsphilosophie, S. 118 ff.; Kelsen, Allgemeine Staatslehre, S. 99 f.; Merten, Rechtsstaat und Gewaltmonopol, S. 31; Nawiasky, Staatslehre III, S. I; ders., Allgemeine Rechtslehre, S. 23 f.; Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 47 f.; F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 47; a.A. Heller, Staatslehre, S. 188; G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 334 ff. (auch rur Georg Jellinek ist eine Garantie allerdings notwendig, hinter der rur ihn jedoch nicht allein der Staat zu stehen braucht). 459 Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 176; F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S.47.

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Rechtsordnung ist mit anderen Worten abhängig von der Möglichkeit, sie auch grundsätzlich460 zwangsweise durchsetzen zu können461 ; dies muß garantiert sein. Eine solche Garantie übernehmen kann jedoch nur eine Organisation, die zu diesem Zwecke auch physische Gewalt anwenden darf und sich dabei zugleich effektiv gegen jede andere Macht durchsetzen kann462 . Diese Bedingungen deuten darauf hin, daß nur der Staat als Träger der Rechtsordnung in Betracht kommt463 . Physische Gewalt anwenden darf legalerweise nur der Staat. Er verfügt über das GewaltmonopoI464. Sein Monopol legaler Gewaltausübung verbietet einerseits außerstaatlichen Einheiten, Gewalt auszuüben465 . Andererseits weist es ihm das Gewaltrecht positiv ZU466. Als Gebietsverband höchster Stufe ist der Staat auch allen anderen Mächten auf seinem Gebiet notwendig überlegen, so daß für ihn auch die Effektivität der Durchsetzung gegen jede andere Macht zu bejahen ist. Daß dem Staat ein Monopol legaler Gewalt zusteht, hat seine Wurzel in seiner inneren Souveränität;467. Die im Merkmal der "Einseitigkeit" angelegte Befugnis, Personen innerhalb seines Territoriums Rechte und Pflichte auferlegen zu können, wird nur real, wenn der Staat auch die Macht hat, seine Befehle auch notfalls zwangsweise realisieren zu können. Die in seinem "Zu-HöchstSein" enthaltene "Einzigkeit" des Staates äußert sich darin, daß der Staat keine anderen Mächte neben sich duldet, seine Gewalt sich gegen alles und jeden im Konfliktsfalle durchsetzen muß. Historisch hatte das Streben des Staates nach

460 Das Zwangsmoment ist nicht jeder Rechtsnorm immanent, vgl. Merten, VerwArch 21 (1982), 103, 187, und die Rechtsordnung schließt die Durchsetzung ihrer Normen zum Teil sogar selbst aus, vgl. §§ 888 Abs. 2 ZPO, 255 Abs. I Satz I AO. Weiter gilt dies nur für die binnenstaatliche Rechtsordnung, nicht für das Völkerrecht, für das der Zwangscharakter nicht typisch ist. 461 Burckhardt, Die Organisation der Rechtsgemeinschaft, S. 166, 170; ders., Rechtszwang, S. 52,60; F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 47. 462 Burckhardt, Die Organisation der Rechtsgemeinschaft, S. 175. 463 F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 119; ders. auch zum Folgenden. 464 BVerfGE 69, 315, 360; 61,126,136; Isensee, Staat und Verfassung, § 13 Rnz. 74. 465 BVerfGE 61,126,136. 466 BVerfGE 69, 315, 316; G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 256 f.; Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 52 f. 467 Isensee, FS Eichenberger, S. 23, 25; ders., Das Grundrecht auf Sicherheit, S. 3 ff.; teilweise anderer Auffassung F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 120 ff.

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Souveränität gerade das Ziel, private Gewalt auszuschalten und durch eine oberste, staatliche Gewalt zu ersetzen, um Frieden und Sicherheit nach innen - und nach Möglichkeit auch nach außen - zu gewährleisten. Aufgrund seiner Souveränität ist damit notwendig der Staat Träger der Rechtsordnung, nur er kann aufgrund seines Gewaltmonopols ihre Verbindlichkeit garantieren (Geltungsgewalt). y) Die Notwendigkeit einer staatlichen Zuordnungsentscheidung

Beruht aber die Geltung eines einzelnen Verhaltensbefehls darauf, daß er zu einer tatsächlich geltenden, weil in ihrer Verläßlichkeit garantierten Rechtsordnung gehört, muß diese Zugehörigkeit von der Organisation hergestellt werden, die auch die tatsächliche Geltung der Rechtsordnung insgesamt zu garantieren hat4 68 . Dies ist der Träger der Gesamtrechtsordnung. Oben wurde festgestellt, daß mittels seiner Souveränität allein der Staat fähig ist, Regeln notfalls zwangsweise durchsetzen und er deswegen auch notwendig Träger der Rechtsordnung ist. Folglich kann damit auch nur er es sein, der eine Regel, soll sie denn Rechtsnorm sein, zum Bestandteil der Rechtsordnung erklärt, der sie ihr zuordnet4 69 • Ohne einen staatlichen Zuordnungsakt kann eine private Regel keine Rechtsgeltung erlangen. c) Nicht Rechtsetzungs-, sondern Rechtsanerkennungsmonopol als Kennzeichen staatlicher Souveränität Daraus folgt, daß es keine originäre, dem Staat vorgegebene Rechtsetzungsgewalt geben kann47o . Nichtstaatliche Einheiten - privatrechtliche wie öffentlich-rechtliche - können eigenständig den von ihnen formulierten Sollensanordnungen keine Rechtsqualität beilegen. Sie besitzen nicht die hierfür erforderliche Rechtsmacht, ihre Imperative der Rechtsordnung zuzuordnen. Auch 468 Rümelin, Die bindende Kraft des Gewohnheitsrechts, S. 33 f.; F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 133 f.; ders. auch zum Folgenden. 469 Pestalozza, IR 1973,279,280; ders., SAE 1973, 179. 470 Das hat nichts mit der Frage zu tun, ob es nicht dem positiven Recht und dem Staat vorausliegendes Recht gibt, wie dies z.B. vom HeStGH, HeStAnz 1956,552,554 und vom BayVGH, BayVGHE 2, 45, 47 im Hinblick auf den al1gemeinen Gleichheitssatz für möglich gehalten wurde. Derartiges vorstaatliches Recht stammte von keinem originären, außerstaatlichen Normgeber.

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die im Sprachgebrauch geläufigen sog. Autonomiebereiche, wie die Autonomie der öffentlich-rechtlichen Selbstverwaltungskörperschaften, der privatrechtlichen Vereine ("Vereinsautonomie"), aber auch die der arbeits-rechtlichen Koalitionen (" Tarifautonomie"), beruhen alle nur auf staatlicher Zulassung471 • So genießen die Gemeinden keine rechtliche Autarkie gegenüber dem Staat, sondern können Recht nur aufgrund eines staatlichen Rechtsakts setzen472 • Auch im privaten Verbandsrecht muß sich jede verbindliche Normsetzung auf den Staat zurückführen lassen, eine eigenständige Rechtsschöpfungsbefugnis der Verbände gibt es nicht4 73 . Schließlich läßt sich auch die Tarifautonomie nicht auf eine vorstaatliche Rechtsetzungsmacht zurückfuhren, sondern nur auf die staatliche Zulassung im Tarifvertragsgesetz474 • Originär im Sinne von unabhängig von einer vorherigen Zuweisung ist nur die Herrschaftsgewalt des Staates. Allein der Staat ist eine zur primären Rechtserzeugung berufene Autorität4 75 . Die auf dem Ideengut der Genossenschaftslehre Otto v. Gierke' saufbauende These von der Betriebsautonomie läßt sich damit nicht vereinen mit der Souveränität des modemen Staates. Kraft seiner Souveränität duldet der Staat keinen selbstherrlichen Verband oder sonstigen Rechtsetzer neben sich476 • Rechtsgeltung garantieren, Rechtsqualität begründen kann nur der Staat, denn er ist der einzige souveräne Verband auf seinem Hoheitsgebiet.

471 472

Stern, Verbandsautonomie, S. 23,25. Badura, DÖV 1963, 561. Zwar gehört das Recht, in eigenen Angelegenheiten

Satzungen zu erlassen, verfassungsfest zur Selbstverwaltungsgarantie und dementsprechend haben die Satzungsklauseln in den Gemeindeordnungen nur deklaratorischen Charakter, Schmidt-Aßmann, Kommunalrecht, Rnz. 95; Seewald, Kommunalrecht, Rnz. 73; Schröder, Kommunalverfassungsrecht, Rnz. 82; Clemens, FS Böckenförde, S. 259, 264. Da aber allein der Staat eine zur Rechtserzeugung berufene Autorität ist, ist eine Rechtsetzungsmacht auch der Gemeinden nur auf Grund und im Rahmen einer staatlichen Ermächtigung möglich, Badura, DÖV 1963, 561. Sie liegt in Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG, Maunz, in: MaunzfDürig, GG, Art. 28 Rnz. 44; a.A. insoweit Badura, a.a.O., der offenbar auf die Satzungsklausel abstellt. 473 Zöllner, Die Rechtsnatur der Tarifnormen, S. 14. 474 Spanner, DÖV 1965, 154, 156. 475 Zacher, Sozialpolitik und Verfassung, S. 296 f. 476 Richardi, Kollektivgewalt, S. 44; Biberacher, Betriebliche Rechtsetzungsmacht, S. 39 f.

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Teil 2: Die Legitimation der unmittelbaren und zwingenden Wirkung

Staatliche Rechtssouveränität bedeutet aber andererseits nicht, daß der Staat alles Recht auch selbst inhaltlich formulieren müßte477, sondern nur, daß ausschließlich er darüber entscheidet, ob Normen der Charakter objektiven Rechts zukommen so1l478. Neben dem Staat als Träger der Rechtsordnung, dessen generellen Regeln per se Rechtsqualität zukommt, kann es noch weitere Rechtserzeugungsquellen geben479 , da der Staat fremdes wie eigenes Recht in seinen Willen aufnehmen und seinen Zwang auch fiir das fremde Recht bereit halten kann48o . Ausschließlich dem Staat vorbehalten ist lediglich der Erlaß der Normen, die die verschiedenen Rechtsquellen zu einem einheitlichen und widerspruchslosen Gesamtsystem zusammenführen, da er als Inhaber der Souveränität die Einheit der Rechtsordnung herzustellen hat. Er allein bestimmt die Grundbedingungen des gesamten Gemeinwesens mit letzter Autorität4 81 . Weiter sind naturgemäß ausschließlich ihm vorbehalten der Erlaß der Normen, die nicht staatlich gebildete Regeln der Rechtsordnung zuordnen. Der Staat hat also kein Monopol, Rechtsnormen zu setzen, sondern ein Monopol, Rechtsnormen anzuerkennen482 . Können Private nur im Zusammenwirken mit dem Staat Recht setzen483 , ist die Lehre von der originären Betriebsautonomie, wie gesehen, nicht haltbar. Das Rechtsanerkennungsmonopol des Staates steht ihr entgegen. Auch soziale Selbstverwaltung, soziale Autonomie sowie das Subsidiaritätsprinzip allein können aus sich heraus keine eigenständige Rechtsetzungsbefugnis begründen. Ohne staatliche Beteiligung kann kein geltendes Recht entstehen. Damit Private Recht setzen können, muß der Staat notwendig die privat gebildete Regel anerkennen und sie durch einen Rechtsgeltungsbefehl der Rechtsordnung zuordnen. Dies sind die staatsrechtlichen Vorgaben für die Rechtsgeltung jeder privat 477 So aber wohl Heller, Staatslehre, S. 186 ff.; W. Jellinek, Gesetz, Gesetzesanwendung und ZweckmäßigkeitselWägung, S. 121. 478 Coing, Grundzüge der Rechtsphilosophie, S. 225; G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 367; Fr. Klein, Die Übertragung rechtsetzender Gewalt, S. 79, 109; Rümelin, Die bindende Kraft des Gewohnheitsrechts, S. 33 f.; Pestalozza, JR 1973, 279, 280; ders., SAE 1973, 179. 479 WengIer, FS Laun zum 70. Geburtstag, S. 719, 730. 480 Wenzel, VVDStRL 4 (1927), S. 136, 141 f. 481 Adomeit, Rechtsquellenfragen, S. 134; Richardi, Kollektivgewalt, S. 32. 482 Vgl. auch Pestalozza, JR 1973, 279, 280; ders., SAE 1973, 179. 483 Quaritsch, Der Staat I (1962),289,320; Pestalozza, JR 1973,279,280; ders., SAE 1973, 179.

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gebildeten Rechtsnonn und damit auch einer solchen, die in Fonn einer Betriebsvereinbarung erlassen wird. 3. Die Thesen von der Sozialautonomie und der Geltungskraft des Subsidiaritätsprinzips

a) Soziale Selbstverwaltung Für die vorliegenden Zwecke braucht nicht im Detail darauf eingegangen zu werden, was unter sozialer Selbstverwaltung zu verstehen und ob das betriebliche Geschehen hierunter zu subsumieren ist484 • Von Interesse ist nur die

484 Soziale Selbstverwaltung bezeichnet an sich des Tarifvertragswesens und den Bereich der gesetzlichen Sozialversicherung, nicht die betriebliche Arbeitswelt. Kann es hier daher nur um einen Begriff der sozialen Selbstverwaltung in einem weiteren Sinne gehen, müßten, um zumindest irgendeinen greifbaren Bedeutungsgehalt zu haben, die Kriterien des Begriffs Selbstverwaltung erfüUt sein. Trotz aUer Vieldeutigkeit des Begriffs "Selbstverwaltung", gibt es eine Verständigung jedenfaUs in folgendem: juristische Selbstverwaltung muß (I) öffentliche Angelegenheiten zum Gegenstand haben und (2) in öffentlich-rechtlicher Rechtsform erfolgen, W Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, S. 117 ff.; Hendler, Das Prinzip Selbstverwaltung, § 106 Rnz. 24 ff.; WolfflBachofiStober, Verwaltungsrecht H, § 84 Rnz. 34, 37, 38, Personengemeinschaften in Privatrechtsform können keine Selbstverwaltung besitzen, Salzwedel, VVDStRL 22 (1965), S. 206, 208 f. Da die Betriebspartner Privatrechtssubjekte sind, scheitert Selbstverwaltung hier bereits an diesem Merkmal. Hinzu kommt, daß materieU öffentliche Angelegenheiten - bei aUen Schwierigkeiten einer Definition - sich jedenfaUs dadurch gekennzeichnen, daß sie dem Gemeinwesen und seinen Mitglieder als solchen eigen sind, WolfflBachofiStober, Verwaltungsrecht I, § 2 Rnz. 14, bzw. an ihrer Erfüllung die (durchaus auch personeU begrenzte) Öffentlichkeit maßgeblich interessiert ist, Peters, 2. FS Nipperdey H, S. 877, 878. Aber auch daran fehlt es: das betriebliche Geschehen entbehrt dieses grundsätzlichen und eindeutigen Öffentlichkeitsanspruchs, der etwa dem Handeln der Tarifvertragsparteien zukommt, Zacher, Sozialpolitik und Verfassung, S. 313. Staatliche und betriebliche Regelung der betrieblichen Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen sind nicht in demselben Maße vertauschbar, wie das für die staatliche und tarifvertragliehe Regelung der überbetrieblichen Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen gilt. Nennt man die Teilnahme der Beteiligten an der Gestaltung des Arbeitslebens gleichwohl soziale Selbstverwaltung, so kann man dies nur in einem sehr weiten, in dieser Ausdehnung ungebräuchlichen Sinne verstehen, Nikisch, Arbeitsrecht 11, S. 48, etwa im Sinne eines aUgemeinen Prinzips geseUschaftlicher und staatlicher Ordnung. Der hierdurch gewonnene diffuse Begriff beschreibt dann aber lediglich einen rechts- und sozialpolitischen Sachverhalt, als soziologisches ModeU verleiht er einem juristischen Ordnungs- und Zuständigkeitssystem indes keine Kontur, Scholz, Die rechtliche Ordnung der Betriebsjustiz, S. 311, 323; ders., Koalitionsfreiheit,

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Rechtsfolge, die sich hieran knüpfen soll. Für die hier im Mittelpunkt stehenden Fragen, ob soziale Selbstverwaltung Grundlage einer eigenständigen Rechtsetzungsgewalt sein kann und ob sich mit dieser außerdem Eingriffsbefugnisse verbinden, steht aber von vornherein folgendes fest: zunächst gilt auch hier, daß aus einem Recht zur Selbstverwaltung allein noch keine Rechtsetzungsgewalt entspringt. Bereits im staatlichen Bereich ist von sich aus mit Selbstverwaltung keine Rechtsetzungsmacht verbunden, sondern auch hier ist das staatliche Rechtsanerkennungsmonopol zu beachten485 . Gemeinden etwa können Recht nur setzen aufgrund konstitutiver staatlicher Anerkennung 486 • Vor allem aber - und das ist für den vorliegenden Zusammenhang das Entscheidende - begründet allein die Zugehörigkeit einer Materie zu einem Selbstverwaltungsbereich für dessen Träger keine eigenständigen Eingriffsbefugnisse. Die Tatsache etwa, daß eine Angelegenheit zu denen der örtlichen Gemeinschaft gehört, gibt einer Gemeinde noch kein eigenständiges Eingriffsmandat4 87 . Auch die institutionelle Gewährleistung der kommunalen Selbstverwaltung als verbindliche Strukturentscheidung des Verfassunggebers (Art. 28 Abs. 2 GG) wird nicht generell als ein den Individualrechtsschutz des Bürgers begrenzendes Prinzip in dem Sinne verstanden, daß dieser grundsätzlich hinter der Funktions- und Leistungsfähigkeit der kommunalen Selbstverwaltung zurücktreten müsse 488 . Dies bedeutet für die vorliegenden Zusammenhang: was immer man auch unter "betrieblicher sozialer Selbstverwaltung" verstehen mag, eine eigenständige Regelungsgewalt läßt sich hieraus nicht ableiten. Schon gar nicht ergeben sich aus einer betrieblichen Selbstverwaltung Eingriffsbefugnisse zu Lasten der betroffenen Arbeitnehmer. Sofern mit dem Adjektiv "sozial" die Vorstellung suggeriert werden soll, das Sozialstaatsprinzip äußere Drittwirkung in der Weise, daß es unmittelbar grundrechtliche Freiheit beschneide, die Betriebspartner sich also darauf berufen könnten, sie konkretisierten in ihren Regeln (lediglich) das Sozialstaatsprinzip, so wäre auch dies irreführend. Das Prinzip des sozialen

S. 159 ff (für die Tarifautonomie); E.R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht 11, S. 380 f; Adomeit, Rechtsquellenfragen, S. 132 f; Richardi, Kollektivgewalt, S. 2. 485 Badura, DÖV 1963,561. 486 Badura, DÖV 1963, 561. Sie liegt in Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG. 487 Schmidt-Aßmann, Kommunalrecht, Rnz. 9. 488 Hili, Gutachten D flir den 58. DlT. 1990, Bd. I, D 14.

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Staates enthält ebenfalls kein direktes und eigenständiges Eingriffsmandat"89. Auch wenn es im Rahmen der Auslegung einzelner Gesetzesbestimmungen heranzuziehen ist, darf dies nie so weit gehen, daß unmittelbar auf seiner Grundlage Eingriffe vorgenommen werden könnten49o . Dies bedürfte vielmehr einer ausdrücklichen Konkretisierung im Gesetz491 . b) Subsidiaritätsprinzip Ob das Subsidiaritätsprinzip eine verfassungsrechtliche Direktive fiir den inneren Aufbau von Staat und Gesellschaft darstellt, kann hier nicht abschließend entschieden werden. Von den hiergegen vorgetragenen Bedenken sei nur auf die folgenden hingewiesen: hielte man das Subsidiaritätsprinzip für so stringent und aussagekräftig, daß alleine aufgrund seiner Formulierungen jede beliebige Frage der Organisation und Zuständigkeitsverteilung im Gemeinwesen entschieden werden könnte, so liegt es mit diesem Inhalt dem Grundgesetz nicht zugrunde 492 . Die Verfassung weist in ihrem bundes staatlichen Aufbau dem Bund Aufgaben zu, die auch von den Ländern erfüllt werden könnten (Existenz und Gegenstände der konkurrierenden Gesetzgebung, z.B. Art. 74 Nr. 24, 1. Fall [Abfallbeseitigung]); andererseits behält es den Ländern Bereiche vor, in denen der Bund sinnvollerweise Mitspracherechte haben sollte (Bildungswesen). In seinem Grundrechtsteil schützt sie nur unvollkommen gegen die Verstaatlichung von Berufen493 und läßt sogar die Vergesellschaftung der Produktionsfaktoren Boden und Kapital zu (Art. 15 GG). Aber auch für das Arbeitsrecht läßt sich eine dem Subsidiaritätsprinzip folgende Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen den verschiedenen Ebenen nicht nachweisen. Denn in Abweichung hiervon haben dort die Koalitionen als die "höheren" und "größeren" Ebenen vom Gesetz gerade den Vorrang vor den

489 BVerfGE 59, 251, 263; Krause, JZ 1984,656,660. 490 BVerfGE 59, 251, 263; Krause, JZ 1984,656,660; vgl. auch Loritz, ZfA 1991, 1,14 f. u. Scholz, ZfA 1981,265,280. 491 BVerfGE 59, 251, 263; auch Isele, der die betriebsverfassungsrechtliche Gebundenheit des einzelnen durch das Sozialstaatsprinzip legitimiert sieht, weist die Befugnis, der Freiheit des einzelnen Schranken zu ziehen, dem Gesetzgeber zu, JR 1960, 289. 492 Zacher, Sozialpolitik und Verfassung, S. 223 f.; Herzog, Art. Subsidiaritätsprinzip, EvStL, Sp. 3567; vgl. dens. auch zum Folgenden. 493 Vgl. dazu BVerfGE 16,6,22; 73, 280, 294. 10 Müller-Franken

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Betriebspartnern als den "niedereren" und "kleineren" Einheiten zugewiesen bekommen (§ 77 Abs. 3 BetrVG)494. Vor allem aber widerspräche das Subsidiaritätsprinzip dem bereits erwähnten Grundsatz staatlicher Souveränität. Das Zu-Höchst-Sein des Staates erfordert, daß er jederzeit in der Lage sein muß, jedes beliebige Problem zum Gegenstand seiner Politik machen zu können (Kompetenz-Kompetenz). Dem liefe jedoch eine Vorrangregel zuwider, die sozialen Teilgewalten einen vom Staat selbständigen Bereich sichern sollte. Wenn überhaupt, ließe sich das Subsidiaritätsprinzip als ein echtes Prinzip begreifen, das keinen vollnormativen Charakter trüge, sondern das erst vermittelnd zu konkretisieren wäre. Diese Konkretisierung mag über die Grundrechte erfolgen495 . Für die Lösung konkreter Probleme wäre das Subsidiaritätsprinzip dann jedoch wegen seiner geringen Prägnanz wenig tauglich496 . Auch vermag es als Prinzip die Entscheidungsfreiheit der handelnden Organe nicht aufzuheben, sondern nur ihr Ermessen zu leiten497 . Aber auch selbst wenn man dem Subsidiaritätsprinzip mit der Gegenmeinung eine stringentere normative Kraft zubilligen wollte, könnte hiermit aus den genannten Gründen keine Rechtsgeltung abgeleitet werden. Schon gar nicht ließen sich mit ihm originären Eingriffsbefugnisse begründen: das Subsidiaritätsprinzip ist ein Prinzip, nach dem Aufgaben verteilt werden498 . Hätte hiernach die kleinere Einheit eine Aufgabe zu erledigen, besagte dies noch nicht, daß sie dadurch auch entsprechende Befugnisse erhielte. Es gilt als gesicherte staatsrechtliche Erkenntnis, daß der Schluß von einer Aufgabe auf eine entsprechende Befugnis zu belastendem Handeln unzulässig ist499 . Man wird sich daher auch für hier darauf zu verständigen haben, das dieses Prinzip als Aufgabenverteilungsregel einer unteren Einheit keine eigenständige Befugnis verschafft, in die Freiheit des einzelnen einzugreifen. Anderenfalls könnte eine 494 G. Küchenhoff, Betriebsverfassungsgesetz, § 77 Rnz. 13 spricht hier von einer "überspringenden Subsidiarität". 495 Jsensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, S. 313; auch zum Vorhergehenden. 496 Ronellenfitsch, Wirtschaftliche Betätigung des Staates, § 84 Rnz. 33. 497 So auch Jsensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, S. 313. 498 Herzog, Der Staat 2 (1963), 399,405. 499 Schoch, DVBI. 1991,667,672 f.; Gröschner, DVBI. 1990,619,628 f.; Gusy, JZ 1989, 1003, 1004; Tipke, in: TipkelKruse, AOIFGO, Vorb. vor § 1 FVG.

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untere Einheit einen Eingriff vornehmen, für die die nächsthöhere Einheit, hier der Staat, eine Ermächtigungsgrundlage bräuchte, die untere Einheit aber, vom Subsidiaritätsprinzip abgesehen, keine vorzuweisen hätte. III. Der staatliche Rechtsgeltungsbefehl für die betrieblichen Rechtsnormen Ein andere Frage ist es, wie man sich den Rechtsgeltungsbefehl konstruktiv vorzustellen hat. Je nachdem, wie der Staat an der Begründung von Rechtsgeltung beteiligt ist, entscheidet sich, wem - dem Staat oder dem privaten Rechtsetzer - die Wirkungen der privat formulierten Regel zuzurechnen sind. Da von dieser Zurechnung wiederum abhängt, auf welche Weise Grundrechte wirken, ob als Abwehrrechte gegen staatliches Handeln oder etwa als Schutzrechte, ist ihr nun hier näher nachzugehen. Bei der rechtskonstruktiven Erklärung des staatlichen Rechtsgeltungsbefehls ist umstritten, ob die staatliche Beteiligung an der Begründung von Rechtsqualität der privat formulierten Norm notwendig darin bestehen muß, daß mit dem Rechtsgeltungsbefehl Rechtsetzungsgewalt auf die Privaten übertragen wird (1) oder ob der Staat sich mit dem Geltungsbefehl darauf beschränken kann, die privat gebildete Norm in lediglich distanzierter Form anzuerkennen und sie damit zweigleisig entstehen zu lassen (2).

1. Übertragung staatlicher Rechtsetzungsgewalt? Nach der überwiegenden Meinung in Rechtsprechung 500 und LiteraturSOl kann der Staat privat gebildeten Normen Rechtsqualität nur auf die Weise zu500 BAGE 4, 240, 251; AP Nm. 4, 6, 7 zu Art. 3 GG (flir den Tarifvertrag); BAG, AP Nr. I zu § 399 BGB (flir die Betriebsvereinbarung). 50\ Adomeit, Rechtsquellenfragen, S. 137 f., 156; Biberacher, Betriebliche Rechtsetzungsmacht, S. 36 ff.; Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 71 (flir den Tarifvertrag); Belling, Anm. zu BAG EzA § 620 BGB Altersgrenze NT. 1; Bucher, Das subjektive Recht als Normsetzungsbefugnis, S. 48, 56, 87; HanaulAdomeit, Arbeitsrecht, S. 65; Hinz, Tarifhoheit und Verfassungsrecht, S. 137 f. (flir den Tarifvertrag); E.R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht 11, S. 521; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht 1111, S. 345 ff. i.V.m. 1112, S. 1650 ff.; dies., Arbeitsrecht, 1112, S. 1272, 1275 f., 1668 ff.; Krüger, Gutachten flir den 46. DJT. 1966, Bd. I, Tl. 1, S. 7, 14 ff.; W. Müller, Die Grenze der normativen Gestaltungswirkung, S. 71 ff.; Neumann-Duesberg, Betriebsverfassungsrecht, S. 371 f.; PeterslOssenbühl, Die Übertragung von öffentlich-rechtlichen

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kommen lassen, daß er Rechtsetzungsmacht auf den privaten Rechtsetzer überträgt; dieser übt dann eigene, wenn auch abgeleitete Rechtsetzungsgewalt in eigenem Namen aus. Die Zuordnung der privat formulierten Regel zur Rechtsordnung, die fiir deren Rechtsgeltung als "staatlicher Geltungsbefehl" notwendig ist, liege im Akt der Übertragung von staatlicher Rechtsetzungsmacht auf den privaten Rechtsetzer. Eine solche Übertragung von Rechtsetzungsmacht habe bei Tarifvertrag wie Betriebsvereinbarung gleichermaßen stattgefunden. Daneben heißt es in diesem Zusammenhang auch, "den Betriebspartnern werde eine Befugnis übertragen"502, "Rechtsetzungsmacht verliehen"503 oder diese würden zu "eigenständiger Rechtsetzung ermächtigt"504. Mit derartigen Formulierungen ist gemeint, daß den Privaten eine eigene Rechtsquelle erschlossen werde, was nicht auf der Weitergabe hoheitlicher Befugnisse, sondern der Zulassung einer eigenen Rechtsetzungsgewalt beruhe 505 . Die erstgenannte Ansicht basiert auf der Vorstellung einer Delegation: durch den staatlichen Rechtsgeltungsbefehl soll eine hoheitliche Kompetenz auf ein anderes Rechtssubjekt übertragen werden. Der Begriff der Delegation, wie er

Befugnissen, S. 15,23, 86, 88; Reuter, AcP 188 (1988), 649, 651; Strasser, Die Betriebsvereinbarung, S. 149; Wiedemann/Stumpf, TVG, Einl. Rnz. 131, 159; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 335 f.; Pech er, Anm. zu BAG AP Nr. I zu § 75 LPVG. 502 BAGE 4, 240, 251 (für den Tarifvertrag); ähnlich BAGE 56, 18, 31 (für die Betriebsvereinbarung); Krüger, RdA 1957, 201, 203; Nikisch, Arbeitsrecht III, S. 274; Scheuner, Ausländische Erfahrungen zum Problem der Übertragung, S. 145 (Tarifvertrag). 503 E.R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht II, S. 491 f.; A. Hueck, FG Nawiasky zum 70. Geburtstag, S. 187, 197. 504 Adomeit, Rechtsquellenfragen, S. 146; Fitting/Kaiser/Heither/Engels, BetrVG, § 77 Rnz. 13; Galperin/Löwisch, BetrVG, § 77 Rnz. 6; Nikisch, Arbeitsrecht III, S. 274; Peters, Die staatsrechtliche Ermächtigung, S. 68, 73; Säcker, Gruppenautonomie und Übermachtkontrolle, S. 344; ders., ZfA Sonderheft 1971, 41. 50; ders., AR-Blattei, Betriebsvereinbarung I C III 2. 505 Vgl. dazu H. Schneider, FS Möhring, S. 521, 523 ff.; ders., Gesetzgebung, Rnz. 277 im Anschluß an Fleiner, Institutionen des Deutschen Verwaltungsrechts, S. 80; anderer Meinung ist jedoch Peters, Die staatsrechtliche Ermächtigung, S. 840, der unter Verleihung ebenfalls die Übertragung materiell öffentlich-rechtlicher Befugnisse versteht; ihm folgen Fr. Klein, Verordnungsermächtigungen, S. 7 ff., Scheuner, Die Übertragung rechtsetzender Gewalt, S. 118, 122 u. F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S.160.

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durch Heinrich Triepel seine inhaltliche Festlegung und Abgrenzung für das öffentliche Recht erfahren hat506, verlangt einen Rechtsakt, durch den der Inhaber einer staatlichen Kompetenz diese auf ein anderes Rechtssubjekt überträgt. Da es bei einem Verlagern von staatlicher Rechtsetzungsmacht um einen dem öffentlichen Recht zuzuordnenden Vorgang geht, ist hier zu fragen, ob die Triepel'schen Kriterien einer Delegation erfiillt sind. Dies ist jedoch nur bei der zuerst, nicht jedoch auch bei der an zweiter Stelle genannten Position der Fall. Bei dieser soll an den Privaten mit der Verleihung, Einräumung, Ermächtigung, Privilegierung, Habilitierung etc. eine hoheitliche Befugnis nicht weitergegeben, sondern eine eigene Rechtsquelle erschlossen werden, was so viel wie die Zulassung einer eigenen Rechtsetzungsgewalt bedeutete507 • Diese Abweichung vom klassischen Delegationsbegriff soll dementsprechend auch durch Begriffe wie delegierte Autonomie oder Delegation im weiteren Sinne deutlich gemacht werden508 • Indes hat auch die zweitgenannte Auffassung mit den "klassischen Delegationslehren" etwas Gemeinsames. Die Gemeinsamkeit beider Auffassungen besteht darin, daß nach ihnen Betriebsvereinbarungen Rechtsgeltung nur auf die Weise zukommen kann, daß der Staat die Betriebspartner, sei es durch Übertragung, sei es aber auch durch Verleihung, Einräumung, Ermächtigung, Privilegierung, Habilitierung etc. mit eigener Rechtsetzungsgewalt ausstattet; die Betriebspartner erzeugen sodann Recht aus einer eigenen Rechtsquelle. Für die zweitgenannte Auffassung kommt die staatliche Beteiligung jedoch nicht zur privaten Regelbildung als eine zweite, für die Entstehung der Regel freilich wesentliche Komponente hinzu, sondern wird als eine den Gesamtvorgang erst veranlassende Rechtsvoraussetzung verstanden, die die Erzeugung der privaten Delegation und Mandat, s. 23. Vgl. dazu H. Schneider, FS Möhring, S. 521, 523 ff.; ders., Gesetzgebung, Rnz. 277 im Anschluß an Fleiner, Institutionen des Deutschen Verwaltungsrechts, S. 80. Anderer Meinung ist jedoch Peters, Die staatsrechtliche Ermächtigung, S. 840, der unter Verleihung ebenfalls die Übertragung materiell öffentlich-rechtlicher Befugnisse versteht; ihm folgen Fr. Klein, Verordnungsermächtigungen, S. 7 ff., Scheuner, Die Übertragung rechtsetzender Gewalt, S. 118, 122 u. F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S.160. 508 Kreutz, Grenzen der Betriebsautonomie, S. 77 f.; krit. zu diesem Begriff Schnorr, Die für das Arbeitsrecht spezifischen Rechtsquellen, S. 28 ff., 47 ff.; H. Schneider, FS Möhring, S. 521, 525; vgl. hierzu zum ganzen auch Säcker, Gruppenautonomie und Übermachtkontrolle, S. 243, Fn. 24. 506 507

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Norm vollständig umgreift und rechtlich programmiert509 . Beiden Ansichten liegt dabei die Vorstellung zugrunde, daß Private Rechtsnormen nur dann erzeugen können, wenn ihnen hierzu eine an sich staatliche Macht überlassen, bzw. eingeräumt worden sei, sie Regeln nur aufgrund dieser Teilhabe an einer genuin staatlichen Funktion erlassen könnten 5lO . Folglich geht es auch bei der zweitgenannten Lehre damit der Sache nach um eine Delegation von Rechtsetzungsgewalt auf die Betriebspartner511 . Dies rechtfertigt es, sie gemeinsam mit der "klassischen" Delegationstheorie unter einem (untechnisch zu verstehenden) Sammelbegriff der Übertragung von staatlicher Rechtsetzungsgewalt abzuhandeln 512 . Wegen dieser Funktionsgleichheit wird deshalb im folgenden einheitlich von der Übertragung von Rechtsetzungsbefugnissen gesprochen5 \3. Die argumentative Überzeugungskraft der Übertragungslehren hängt von ihrer Antwort auf die Frage ab, wie man sich die Übertragung, bzw. Verleihung in ihren Rechtswirkungen vorzustellen hat. Wird staatliche Gewalt auf einen Privaten übertragen, bzw. dieser mit staatlicher Gewalt ausgestattet, kann er die ihm vom Staat eingeräumte Macht konsequenterweise auch nur als eine öffentlich-rechtliche und nicht mehr als eine privatrechtliche Befugnis ausüben. Die sich hieraus ergebenden Probleme werden jedoch von niemandem befriedigend gelöst. a) Eigene Hoheitsgewalt in den Händen der Betriebspartner? Nach Ansicht einiger Vertreter der Übertragungslehre kann der Staat die rechtliche Verbindlichkeit der in Betriebsvereinbarungen enthaltenen Normen konsequenterweise nur auf die Weise herstellen, daß er hierfür hoheitliche rechtsetzende Gewalt auf die Betriebsparteien überträgt 514 . Diese hoheitliche 509

F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 162.

Nikisch, Arbeitsrecht 11, S. ~8. 511 Vgl. etwa Bickel, ZfA 1971, 181, 182 ff.; Kreutz, Grenzen der Betriebsautonomie, S. 76 ff. 512 So auch Bickel, ZfA 1971, 181, 182 ff.; Kreutz, Grenzen der Betriebsautonomie, S. 76 ff.; F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 160 ff. 513 Im Anschluß an F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 160 f. 514 E.R. Huber, WirtschaftsvelWaltungsrecht 11, S. 521; Dietz, BetrVG 1952, (4. Aufl.), § 52 Rnz. 47; Hess, in: HessiSchlochauer/Giaubitz, BetrVG, (3. Aufl.), § 77 Rnz. 6; Biberacher, Betriebliche Rechtsetzungsmacht, S. 36 ff.; W Müller, Die Gren510

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rechtsetzende Gewalt werde dann auch als solche von diesen wahrgenommen. Die Betriebsparteien selbst, und das ist vorliegend der entscheidende Punkt, blieben hingegen Rechtseinrichtungen des privaten Rechts 515 . Üben die Betriebspartner die ihnen übertragenen rechtsetzenden Befugnisse indes als hoheitliche aus, liegt es wiederum zwingend in der Konsequenz dieses Ansatzes, daß die Betriebsvereinbarung dann auch ihrerseits dem öffentlichen Recht angehören müßte 516 . In diesem Sinne qualifIzierte vor allem Ernst Rudolf Huber Betriebsvereinbarungen folgerichtig als öffentlich-rechtliche Normenverträge und die Betriebspartner entsprechend als beliehene Rechtsträger517 . Dieser Auffassung ist (zurecht) zugute gehalten worden, daß sie für sich in Anspruch nehmen kann, den Begriff der Delegation korrekt angewendet zu haben 518 . Aber gerade darin liegt jedoch auch ihr entscheidender Mangel: sieht man im Erlaß der Betriebsvereinbarung die Wahrnehmung einer öffentlich-rechtlichen Befugnis, die Betriebspartner aber weiterhin als Einrichtungen des privaten Rechts, so kann es sich bei diesen - mit Ernst Rudolf Huber - nur um beliehene Stellen handeln. Denn der Staat hat die Ausübung öffentlich-rechtlicher Befugnisse im Ausgangspunkt bei sich monopolisiert519 , Private können Hoheitsbefugnisse nur aufgrund besonderen Übertragungsakts ausüben. Dies ist die Beleihung. Eine Beleihung setzt aber notwendig zweierlei voraus. Zum einen muß sie durch oder aufgrund eines Gesetzes erfolgen520 und zum anderen muß der Beliehene bei der Wahrnehmung seiner hoheitlichen Befugnisse vom Beleihenden beaufsichtigt werden521 • Denn überträgt der Ver-

zen der normativen Gestaltungswirkung, S. 72 f.; Belling, Anm. zu BAG EzA § 620 BGB Altersgrenze NT. I, S. 27; ähnlich Adomeit, Rechtsquellenfragen, S. 136 ff. 515 E.R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht 11, S. 525. 516 Scholz, Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, S. 58. 517 Wirtschaftsverwaltungsrecht 11, S. 521. 518 Scholz, Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, S. 58. 519 E.R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht I, S. 534; WoljJlBachofiStober, Verwaltungsrecht I, § 23 Rnz. 36 i.V.m. § 2 Rnz. 26; vgl. auch dies., Verwaltungsrecht 11, § 84 Rnz. 39. 520 BVerwG, DÖV 1984, 1025; Ossenbühl, VVDStRL 29 (1971), S. 137, 169 ff.; Maurer, AJlgemeines Verwaltungsrecht, § 23 Rnz. 58; WoljJlBachofiStober, Verwaltungsrecht 11, § 104 Rnz. 6. 521 Scholz, Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, S. 58; Dürig, in: MaunzIDürig, GG, Art. I Rnz. 116; Zöllner, RdA 1964,443,446; Rehbinder, JR 1968,167,170; Richardi, Kollektivgewalt, S. 147 ff.

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fassungsstaat seine Hoheitsrnacht an Private, koppelt er dies notwendig mit staatlicher Aufsicht522 • Unterstellt man einmal, daß Rechtsetzungsbefugnisse überhaupt beleihungsfahig sind523 und erblickt in § 77 Abs. 2 und 4 BetrVG das beleihende Gesetz, so fehlt es fiir eine Beleihung jedenfalls am Erfordernis der staatlichen Aufsicht. Das Verhalten der Betriebspartner unterliegt nämlich keiner Aufsicht des Staates. Die Tätigkeit der betrieblichen Einigungsstelle (§ 76 BetrVG) - an die man in diesem Zusammenhang alleine denken könnte - hat mit staatlicher Aufsicht über die Betriebspartner nichts zu tun. Aufsicht bedeutet zunächst einmal all522 Badura, Verwaltungsmonopol, S. 251; Breuer, AöR 101 (1976),46,63 f.; E.R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht I, S. 544 f.; WoljJlBachof, Verwaltungsrecht 11, (4. Aufl.), § 77 11 3, S. 103; Forsthoff, Verwaltungsrecht I, S. 456; Schmidt-Aßmann, Kommunalrecht (Die Rechtsaufsicht gehört notwendig zum Körperschaftsstatus der Gemeinden); zu den Ausnahmen und der Frage, ob es für die Einrichtung von Aufsicht einer Rechtsgrundlage bedarf Brohm, Strukturen der Wirtschaftsverwaltung, S. 218 ff.; E.R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht 11, S. 380. Die Gegenansicht von Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht 11/1, S. 193 Fn. 48, ist abzulehnen. Nach ihrer Ansicht kenne der soziale Rechtsstaat keine prinzipielle Trennung von Staat und Gesellschaft. Dies rechtfertige es, den Begriff der Selbstverwaltung auf Vereinigungen auszudehnen, die öffentliche Aufgaben wahrnähmen, ohne staatlicher Aufsicht zu unterstehen. Dagegen weist Scholz, Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, S. 217, zurecht darauf hin, daß sich mit dem freiheitlichen Charakter eines Grundrechts das Element der Aufgabe nicht zu vereinen ist. Öffentlichkeit stellt zudem das Ergebnis freiheitlicher Grundrechtsausübung dar, ist kein aufgegebenes Ziel. Für ihre Ansicht können Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht 11/2, S. 1670 sich nicht auf Peters/Ossenbühl, Die Übertragung öffentlichrechtlicher Befugnisse, S. 101 ff. berufen. Peters/Ossenbühl behandeln lediglich die Frage, ob Art. 9 Abs. 3 GG es dem Staat verbieten würde, sich bei der Übertragung einer staatlichen Aufgabe auf die Tarifvertragsparteien Aufsichtsrechte vorzubehalten; nicht jedoch gehen sie ein auf die Frage, ob bei der Betriebsvereinbarung Aufsicht entbehrlich sein könnte. Der freiheitliche Staat kennt zwar keine Trennung, wohl aber eine Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, Rupp, Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, § 28 Rnz. 27 f.; Karpen, JA 1986, 299; Böckenforde, Die verfassungstheoretische Unterscheidung, S. 19; v. Arnim, Staatslehre, S. 174 sowie hier im einzelnen 3. Teil, 2. Kapitel, § 10 C 11 3 b, S. 268 ff. 523 Ausdrücklich verneinend WoljJlBachoflStober, Verwaltungsrecht 11, § 104 Rnz. 2. Gegen Beleihung spricht hier speziell weiter, daß es bei Beleihung um eine Form der Erfüllung öffentlicher, genauer: staatlicher Aufgaben geht, Ossenbühl, VVDStRL 29 (1971), S. 137, 144 f.; Stein er, JuS 1969,69, 70 f. Das betriebliche Geschehen hat jedoch schon nichts mit öffentlichen, geschweige denn staatlichen "Aufgaben" zu tun, Zacher, Sozialpolitik und Verfassung, S. 313 f.

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gemein Beobachtung und Beeinflussung des Aufsichtsunterworfenen, um dessen Handlungen mit vorgegebenen Maßstäben in Übereinstimmung zu bringen oder zu halten524 . Innerhalb der Verwaltungsorganisation der Bundesrepublik sichert Aufsicht speziell die Rechtmäßigkeit des Handelns sämtlicher Verwaltungsinstanzen 525 . Die Einigungsstelle kontrolliert aber nicht das Verhalten von Arbeitgeber und Betriebsrat auf seine Rechtmäßigkeit. Sie hat die Aufgabe, zwischen diesen bestehende Meinungsverschiedenheiten beizulegen. Zwar trifft die Einigungsstelle in einer Reihe von im Gesetz genannten Angelegenheiten526 auf Antrag einer Seite eine für die Beteiligten verbindliche Entscheidung, wenn zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat keine Einigung erzielt werden kann; ihr Spruch ersetzt in diesen Fällen die Einigung zwischen den Betriebspartnern (§ 76 Abs.

5 Satz 1 BetrVG). Die Einigungsstelle ist dabei jedoch weder ein Gericht noch eine staatliche Behörde 527 , sondern ein privatrechtliches Vertragshilfeorgan 528 . Ihre Entscheidungen ersetzen einen Vertragsschluß529. Allerdings sieht eine Gegenmeinung in der Einigungsstelle eine beliehene530 oder sogar eine staatliche Stelle 531 und qualifiziert deren schlichtende Tätigkeit als eine öffentliche532 , bzw. sogar als eine überbetriebliche, staatliche Aufgabe533 . Der staatliche Charakter dieser Aufgabe äußere sich darin, daß das ArTriepel, Die Reichsaufsicht, S. 1\0 f, 120 f Schröder, JuS 1986,371,372. 526 Aufzählung bei Kreutz, in: GK-BetrVG, § 76 Rnz. 15. 527 Insoweit auch Obermayer, DB 1971, 1715, 1719 f 528 Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 492; Weitnauer, FS Duden, S. 705, 715 ff (EinigungssteIle Dritter i.S. v. §§ 317, 319 BGB). 529 Vgl. auch BVerfG, AP Nr. 7 zu § 87 BetrVG 1972 - Auszahlung; BAG, AP NT. 3 zu § 87 BetrVG 1972 - Lohngestaltung. 530 E.R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht 11, S. 638; Obermayer, DB 1971, 1715, 1720. 531 G. Küchenhoff, Betriebsverfassungsgesetz, § 76 Rnz. 3. 532 E.R. Huber, WirtschaftsverwaItungsrecht 11, S. 638, allerdings ohne nähere Begründung. Hinter der Qualifikation der Tätigkeit der Schlichtungsstelle als öffentliche Aufgabe dürfte der Gedanke stehen, daß niemand Richter in eigener Sache sein kann und die Menschen daher notwendig auf den Staat angewiesen sind, der ihre Streitigkeiten schlichtet und dabei die Funktion eines neutralen Dritten übernimmt, Isensee, Gemeinwohl und Staatsaufgaben im Verfassungsstaat, § 57 Rnz. 58; Kriele, VVDStRL 29 (1971), S. 46, 53. 533 G. Küchenhoff, Betriebsverfassungsgesetz, § 76 Rnz. 3. 524 525

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beitsgericht den Vorsitzenden der Schlichtungs stelle zu bestellen habe, wenn sich Arbeitgeber und Betriebsrat nicht auf eine Person einigen könnten534 sowie weiter darin, daß ihre Spruche verbindlich seien535 . Diese Betrachtungsweise überzeugt indes nicht. Zunächst ließe sich gegen das letzte Argument einwenden, daß die Entscheidungen der Einigungsstelle erst dann zwangsweise durchgesetzt werden können, wenn sie von einem Gericht bestätigt worden sind, ihr Spruch selbst hierfiir also gerade nicht hinreicht. Damit fehlt der Einigungsstelle aber die einem Hoheitsträger typischerweise zustehende Befugnis, selbst einseitig und verbindlich einen Vollstreckungstitel schaffen zu können, wie dies mit der klassischen hoheitlichen Handlungsform der öffentlichen Verwaltung sonst - regelmäßig 536 - verbunden ist, dem Verwaltungsakt537 • Auch die Möglichkeit einer gerichtlichen Bestellung ihres Vorsitzenden vermag fiir sich genommen der Einigungsstelle keinen öffentlich-rechtlichen Charakter zu verleihen. Erinnert sei an den Fall der Notbestellung des Vereinsvorstandes durch das Amtsgericht (§ 29 BGB); auch dort erhält der Vorsitzende (lediglich) die Stellung eines privatrechtlichen Organs538 , eine öffentlich-rechtliche Natur seines Wirkens wurde - soweit ersichtlich - noch von niemandem angenommen. Weiter stellt das Gesetz mit der Regelung über die Einigungsstelle ein rechtlich geordnetes Verfahren zur Verfiigung, mit dem Meinungsverschiedenheiten unter den Betriebspartnern beigelegt werden können und man mag es als eine staatliche, zumindest aber öffentliche Aufgabe ansehen, Mechanismen vorzusehen, Konflikte zu lösen539 . Jedoch ist die einen Konflikt bereinigende Tätigkeit selbst nicht notwendig hoheitlicher Natur, was die Existenz privater Schiedsgerichte belegt54o . Allerdings ist der Gegenmeinung zuzugeben, daß der

G. Küchenhoff, Betriebsverfassungsgesetz, § 76 Rnz. 3. Obermayer, DB 1971, 1715, 1720. 536 Dies gilt freilich nicht für die feststellenden und rechtsgestaltenden Verwaltungsakte, da diese keinen vollstreckungsfahigen Inhalt haben. 537 Vgl. §§ 1,2 LVwVoIIstrG Rh.-Pf.; a.A. Obermayer, DB 1971, 1715, 1720, der im Spruch der Einigungsstelle wegen seiner Verbindlichkeit einen Verwaltungsakt sieht. 538 Heinrichs, in: Palandt, BGB, § 29 Rnz. 7. 539 Fiebig, Der Ermessensspielraum, S. 26. 540 Bettermann, Die rechtsprechende Gewalt, § 73 Rnz. 77. Dies mag bei den Konfliktrnittlem im Rahmen von Verwaltungsverhandlungen wegen des öffentlich-rechtli534 535

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Hinweis auf die privaten Schiedsgerichte nur begrenzt trägt, da deren Einsetzung auf Verträgen unter den Betroffenen beruht, die Einigungsstelle demgegenüber durch das Gesetz zu ihrer schlichtenden Tätigkeit legitimiert ist541 • Bedeutender ist aber schon der Umstand, daß die schlichtende Tätigkeit ihrerseits Befugnisse zum Gegenstand hat, die vor Einfiihrung der Mitbestimmung der Arbeitgeber alleine zu entscheiden hatte. Ist die Ausübung von Arbeitgeberbefugnissen dem Privatrecht zuzuordnen, so ist nicht recht einsichtlich, daß die wahrgenommenen Befugnisse dem öffentlichen Recht zuzuweisen sein sollen, wenn sie von der Einigungsstelle ausgeübt werden542 . Letztlich kann aber auch das Handeln der Einigungsstelle vor allem deswegen nicht als öffentlich-rechtlich angesehen werden, weil diese ihrerseits keine hoheitliche Stelle ist. Kennzeichen einer hoheitlichen Stelle sind mehr oder weniger enge Zielvorgaben durch den Staat, staatliche Errichtung, Eingegliedertsein in die staatliche Verwaltung, haushaltsrechtliche Überwachung des Finanzgebarens sowie ständige organisierte Staatsaufsicht543 . Die Einigungsstelle ist jedoch ebenfalls nicht in die staatliche Verwaltungsorganisation eingegliedert, sondern verbleibt im rein Privaten544 . Die Notwendigkeit einer Beteiligung des Arbeitsgerichts bei der Durchsetzung ihrer Sprüche, beschränkt sich auf eine gerichtliche Entscheidungs- und Hilfsfunktion. Eine Eingliederung der Einigungsstelle in das Staatsgeruge ergibt sich hieraus nicht545 . Auch wird sie nicht vom Staat von Amts wegen errichtet, sondern tritt nur zusammen, wenn beide Seiten oder wenigstens eine Seite dies will, § 76 Abs. 1, 5, 6 BetrVG. Schließlich fehlt es auch bei ihr an staatlicher Aufsicht 546 . Die bereits erwähnte Notwendigkeit einer Beteiligung des Arbeitsgerichts bei der

chen Charakters der zu schlichtenden Materie anders sein, Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991),329,347 m.w.N. 541 G. Küchenhoff, Betriebsverfassungsgesetz § 76 Anm. 3. 542 Leipold, FS Schnorr v. Carolsfeld, S. 273, 282; ihm folgend Fiebig, Der Ermessensspielraum, S. 26; vgl. zu diesem Gedanken auch Weitnauer, FS Duden, S. 705, 709. 543 Hesse, WDStRL 17 (1959), S. 11,34; Obermayer, DB 1971, 1715, 1720; F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 105; E.R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht I, S.104f. 544 Obermayer, DB 1971, 1715, 1720. 545 E.R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht 11, S. 491. 546 F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 225.

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Durchsetzung ihrer Sprüche, begründet keine Staatsaufsicht, sondern beschränkt sich auf eine gerichtliche Entscheidungs- und Hilfsfunktion547 . Damit unterliegen die Betriebspartner keiner Staatsaufsicht. Das Fehlen von Staatsaufsicht über das Verhalten der Koalitionen mag aus Gründen des Art. 9 Abs. 3 GG noch zu rechtfertigen548 und fiir Tarifverträge daher die Theorie der öffentlich-rechtlichen Vereinbarung nicht bereits aus diesem Grunde abzulehnen sein; fiir die Betriebsvereinbarung sind hingegen keine Anhaltspunkte ersichtlich, warum dort Aufsicht bei deren öffentlich-rechtlicher QualifIkation entbehrlich sein sollte549 . Zur Weimarer Zeit unter Geltung des Betriebsrätegesetzes550 warf die QualifIkation der Betriebsvereinbarung als eine öffentlichrechtliche Vereinbarung in diesem Punkt keine Probleme auf, da beim Abschluß einer Betriebsvereinbarung über eine Arbeitsordnung Rechtsaufsicht ausgeübt wurde (vgl. §§ 134e Abs. 1, 134f GewO a.F.)551. Hielte man aber auch heute noch an der QualifIkation als öffentlich-rechtlichen Normenvertrag fest, so liefe dies auf ein Ergebnis hinaus, das einem Grundprinzip der Staatsorganisation552 widerspräche 553 . Auslegung hat sich aber von der axiomatischen Feststellung leiten zu lassen, daß die Rechtsordnung ein sinnvolles Ganzes darstellt und auf innere Widerspruchs freiheit angelegt ist554 . Es kann

547 E.R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht 11, S. 491; vgl. für den privaten Schiedsspruch § 1042 Abs. 1 ZPO. 548 E.R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht 11, S. 380 f. 549 A.A. E.R. Huber, der Staatsaufsicht an sich als ein notwendiges Korrelat der Beleihung ansieht, Wirtschaftsverwaltungsrecht I, S. 544 f., diese aber bei den Betriebsvertretungen ausnahmsweise wegen eines dort mit der Beleihung zugleich gewährleisteten Freiheitsstatusses für ausgeschlossen hält, S. 536. 550 A. Hueck, JherJb 73 (1923), 33, 90; Flatow, Betriebsvereinbarung und Arbeitsordnung, S. 7; PotthojJ, Die Einwirkung der Reichsverfassung auf das Arbeitsrecht, S. 36,42,44; Sinzheimer, Grundzüge des Arbeitsrecht, S. 238 f. 551 Flatow, Betriebsvereinbarung und Arbeitsordnung, S. 30 ff. Die öffentlich-rechtliche Qualifikation bereite im übrigen jedoch auch schon damals Probleme, Reichold, Betriebsverfassung als Sozialprivatrecht, S. 293 ff. 552 Vgl. insoweit auch E.R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht I, S. 188: Aufsicht sei "unabdingbares Prinzip des Verwaltungsrechts". 553 Vehement ablehnend daher auch Sachs, VerwArch 74 (1983), 25,47 f. m.w.N. in Fn. 151 u. 152. • 554 BVerfGE 34, 269, 287; 44, 269, 273; 80,48, 52; 80,269,279; Kruse, in: Tipke/ Kruse, AOIFGO, § 4 Rnz. 93; WoljJlBachoJlStober, Verwaltungsrecht I, § 28 Rnz. 57; Brugger, AöR 199 (1994), 1,3.

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daher nicht davon ausgegangen werden, daß Betriebsvereinbarungen Rechtsqualität nur durch Delegation von Hoheitsgewalt an die Betriebspartner zukommen kann, wenn es noch eine andere Methode gäbe, betriebliche Normen widerspruchsfrei in die Rechtsordnung einzupassen. b) "Verwandlung" hoheitlicher in private Gewalt? Diese Unstimmigkeit möchte eine zweite Variante innerhalb der Delegationstheorie vermeiden. Der Staat beteiligt sich an der Rechtsentstehung zwar auch bei ihr dadurch, daß er seine Rechtsetzungsbefugnis auf die Betriebspartner überträgt, bzw. für die Betriebspartner eine eigene Rechtsetzungsgewalt begründet. Damit aber das von den Betriebsvereinbarungsparteien aus ihrer - jetzt eigenen - Rechtsquelle gesetzte Recht nicht an den Anforderungen gemessen wird, die an hoheitliches Handeln gestellt werden, qualifIziert sie die Betriebsvereinbarung um in privates Recht und beläßt damit die Befugnisse der Betriebspartner im rein Privaten555 . So zustimmenswert diese Lehre in ihrem Ergebnis sein mag, so unverständlich ist sie in ihrer Begründung, da sie den Vorgang der von ihr angenommenen Übertragung nicht zu erklären vermag SS6 • Denn überträgt der Staat Hoheitsbefugnisse an die Betriebspartner oder stattet er sie mit solchen aus, so werden diese zwangsläufIg in eine öffentlichrechtliche Funktion eingewiesen557 • Es bleibt unklar, wie sich die auf die Betriebspartner übertragene staatliche Gewalt in eine privatrechtliche Verhaltensweise verwandeln soll. Scholz hat für den Tarifvertrag überzeugend darauf hingewiesen, daß der delegierende Staat die Form der von ihm stammenden und übertragenen Rechtsetzungsmacht nicht festlegen kann. Ist seine eigene Rechtsetzungsmacht öffentlich-rechtlich, kann er sie nicht im Wege der Delegation in eine privatrechtliche verwandeln. Ein solches Ergebnis widerspräche dem Grundsatz der Konstanz der Rechtsverhältnisse. Dieser Grundsatz besagt, daß es ausgeschlossen ist, ein Rechtsverhältnis unter Wahrung seiner Identität 555 G. Hueck, Die Betriebsvereinbarung, S. 28; Neumann-Duesberg, Betriebsverfassungsrecht, S. 371 f.; Nikisch, Arbeitsrecht III, S. 274 f.; Strasser, Die Betriebsvereinbarung, S. 149, 151 i.V.rn. S. 88. 556 E.R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht II, S. 427; Nikisch, Arbeitsrecht II, S. 216 ff. (mr den Tarifvertrag); W. Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, S. 164 f.; Richardi, Kollektivgewalt, S. 142 f.; Scholz, Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, S. 58. 557 Scholz, Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, S. 58.

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vom öffentlichen Recht in das Privatrecht zu transportieren558 . Mit Bickel559 könnte man hier auch auf den Satz "nemo plus iuris transferre potest quam ipse habet" verweisen, wonach niemand mehr und damit auch nicht etwas anderes übertragen kann, als er selbst hat. Nähme man im übrigen die Gegenmeinung beim Wort, liefe sie auf privatrechtliche Hoheitsrechte hinaus; so etwas ist unserer Rechtsordnung bislang unbekannt560 . Von der Vorstellung einer Delegation von Rechtsetzungsgewalt sollte daher endlich Abschied genommen werden.

2. Zweigleisige Entstehung privat gesetzten Rechts a) Anerkennung der privat formulierten Regel als Rechtsnorm (F. Kirchhof) Die Lehren von der Delegation und der Befugniseinräumung überzeugen nicht. Aus staats- und normtheoretischen Gründen kann der Staat seinen für die Geltung einer privaten Norm notwendigen Rechtsgeltungsbefehl nicht auf die Weise erteilen, daß er seine Rechtsetzungsgewalt auf den Privaten überträgt, bzw. diesen mit eigener Rechtsetzungsmacht ausstattet, ohne ihn zugleich seiner Aufsicht zu unterstellen. Dies widerspräche Organisationsprinzipien der Rechtsordnung. Den Delegationstheorien steht deshalb eine andere Meinung gegenüber, derzufolge der Staat den privaten Rechtsetzer nicht auf irgendeine Weise mit eigener Rechtsetzungsgewalt auszustatten braucht, sondern er an dessen privatem Rechtsetzen in einer distanzierteren Form beteiligt ist. Hiernach bestätigt er lediglich die privat formulierte Regel, indem er sie als Rechtsnorm anerkennt561 . Geschehen kann dies auf zweierlei Weise: zum einen kann der Staat bereits bestehende gesellschaftliche Regeln dadurch anerkennen, daß er sie mit einem allgemeinen Geltungsbefehl ausstattet und sie so zu Rechtsnormen er558 Renck, JuS 1986, 268, 270; vgl. auch Tipke, in: TipkelKruse, AOIFGO, § 33 FGO Rnz. 5 (Die Eigenschaft eines Zahlungsanspruchs als öffentlich-rechtlicher oder privatrechtlicher wird durch dessen Abtretung nicht berührt) sowie Wo/jf, Verwaltungsrecht I, (I. Aufl.), § 22 III i. 559 ZfA 1971, 181, 184. 560 Nikisch, Arbeitsrecht 11, S. 217 Fn. 45 (für den Tarifvertrag); vgl. auch Zöllner/ Loritz, Arbeitsrecht, S. 337. 561 Pesta/ozza, JR 1973, 279, 280; ders., SAE 1973, 179.

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hebt562 . Beispiele hierfür sind die Vereinssatzung563 oder der Tarifvertrag 564 . Zum anderen kann der Staat aber auch bestimmte Rechtsetzungsformen überhaupt erst bereitstellen und in diesen gebildeten Normen allgemein einen Rechtsgeltungsbefehl erteilen; Private können dann hiervon Gebrauch machen und den Sollenssatz formulieren 565 . Für die Betriebsvereinbarung ist der Staat mit dem Erlaß des § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG den zweiten Weg gegangen. In dieser Vorschrift stellt er den Betriebspartnern die Rechtsetzungsform "Betriebsvereinbarung" zur Verfügung und versieht danach gebildete Regeln mit Rechtsgeltung 566 • Damit gilt fiir die Entstehung der Betriebsvereinbarung, was fiir das gesamte privat gesetzte Recht gilt: sie entsteht zweigleisig, die Privaten bilden die Regel und der Staat verleiht dieser Regel durch seine Anerkennung die Wirkungen einer Rechtsnorm567 . b) Abgrenzung: Betriebsvereinbarungen weder Verweisungsobjekt noch Tatbestandsmerkmal einer staatlichen Norm Die Anerkennung der Betriebsvereinbarung durch ErteiIung eines allgemeinen Geltungsbefehls hat nichts zu tun mit einer Verweisung eines staatlichen Gesetzes auf eine private Norm oder mit einer privaten Norm als Tatbestandsmerkmal eines staatlichen Gesetzes. Um eine Verweisung handelte es sich hier nur, wenn das staatliche Gesetz die von den Betriebspartnern formulierte Regel derart in ihren Normtext einbezöge, daß sie zu deren Bestandteil

562 Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 139.

s.

129; F. Kirchhof, Private Rechtsetzung,

563 BGHZ 29, 355 (ftir die Vereinssatzung); Weick, in: Staudinger, BGB, § 25 Rnz. 1; v. Thur, Allgemeiner Teil I, S. 503; Fr. Klein, Die Übertragung rechtsetzender Gewalt, S. 112 (ftir den Tarifvertrag); so noch E.R. Huber in der 1. Auflage seines Wirtschaftsverwaltungsrechts aus dem Jahre 1932, S. 128; vgl. auch schon Rümelin, Die bindende Kraft des Gewohnheitsrechts, S. 33 f. 564 HanauiAdomeit, Arbeitsrecht, S. 65; Schäffer, Gutachten ftir den 5. ÖJT 1973, Bd. I, 1. TI. B, S. 122; Herschel, FS Bogs, S. 125,130 f. 565 F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 139 f 566 BVerfGE 73, 261, 269; F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 212 f; Ossenbühl, Gesetz und Recht, § 61 Rnz. 46. 567 Vgl. hierzu schon A. Hueck, JherJb 73 (1923), 33, 89, 90 f; vgl. auch Flume, Allgemeiner Teil II, S. I f., 5 f; ders., Allgemeiner Teil 1/2, S. 318.

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würde 568 . Durch eine gesetzliche Verweisung inkorporiert das verweisende Gesetz den Inhalt einer anderen Regel (Verweisungsobjekt) in seine Verweisungsgrundlage 569 • In der Normenhierarchie teilt der inkorporierte Inhalt des Verweisungsobjekts - nicht dieses selbst - dann Geltungskraft und Rangstufe der Verweisungsnorm. Ist Verweisungsnorm ein staatliches Gesetz, gilt nicht die private Regel an sich, sondern ihr Wortlaut als Inhalt des staatlichen Rechts. Im Gegensatz zum Geltungsbefehl, der sich in der Zuerkennung der Rechtsnormwirkung erschöpft, übernimmt die Verweisung den Inhalt einer fremden Norm als eigenen und zu eigenen Zwecken, überführt diesen dadurch in ein anderes Regelsystem57o • Hat eine private Regel lediglich die Funktion eines Tatbestandsmerkmals des staatlichen Gesetzes, so wird sie weder in dieses Gesetz inkorporiert (also keine Verweisung), noch wird ihr eigenständige Rechtsqualität (also auch keine Anerkennung als Rechtsnorm) verliehen 571 • Knüpft das staatliche Gesetz an soziale Regeln als Tatbestandsmerkrnal an, so verändert es deren Rechtscharakter vielmehr überhaupt nicht572 • Ist beispielsweise in den §§ 157, 242 BGB, 346 HGB die Rede von der "Verkehrssitte" oder von "im Handelsverkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuchen", so werden diese sozialen Normen nicht selbst zum Rechtssatz erhoben, sondern der Rechtsanwender hat die soziale Regel als Tatsache zu ermitteln und im Rahmen des unbestimmten Rechtsbegriffs in lockerer Bindung zu berücksichtigen. Die hier bestehenden nicht nur begrifflichen, sondern sachlichen Unterschiede - Geltung nicht der privaten Regel selbst, sondern ihres Inhalts als Bestandteil und mit Rang eines staatlichen Gesetzes (Verweisung), lockere Berücksichtigung der Regel als Tatsache ohne Veränderung ihres Rechtscharakters (Anknüpfung an eine Regel als Tatsache im Tatbestand eines Gesetzes), Geltung der privaten Regel als eigenständige Rechtsnorm ohne zugleich in den Text der staatlichen Norm inkorporiert zu sein (Anerkennung durch Geltungsbefehl) - werden verkannt, wenn es heißt "der Abschluß der Betriebsverein-

Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzestechnik, S. 152. Brogger, VerwArch 78 (1987), 1,4 f.; ders. auch zum Folgenden. 570 F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 153. 571 Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzestechnik, S. 42 f.; Breuer, AöR 101 (1976), 46, 65 f. 572 F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 154 ff.; ders. auch zum Folgenden. 568

569

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barung (sei) Tatbestandselement eines staatlichen Gesetzes, die in den Arbeitsverhältnissen eintretenden Wirkungen (seien) unmittelbare Wirkungen dieses staatlichen Gesetzes"573. Eine solche Mischung aus Tatbestands- und Verweisungslehre wird der Systematik der Begründung von Rechtsgeltung privater Normen, wie hier der von Betriebsvereinbarungen, nicht gerecht. Das Gesetz spricht der Betriebsvereinbarung in § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG selbst Rechtsqualität zu, nicht etwa überfiihrt es sie in ein anderes, nämlich das staatliche Rechtssystem (damit also keine Verweisung); auch ist die Betriebsvereinbarung nicht nur als Tatsache bei der Anwendung einer anderen Norm zu berücksichtigen (kein Tatbestandselement), sondern ist selbst als Rechtsnorm verbindlich.

IV. Ergebnis Als Ergebnis kann festgehalten werden, daß eine ursprüngliche Autonomie des Betriebsverbandes oder der Betriebspartner sowie sonstige Rechtsetzungsbefugnisse, die sich nicht ausdrücklich auf das staatliche Recht zurückfUhren lassen, nicht anzuerkennen sind. Sie verstießen gegen die Souveränität des modemen Staates. Alles Recht entsteht nur, wenn der Staat daran mitwirkt. Er verleiht einem privat gesetzeten Verhaltensbefehl die Eigenschaft von Recht in der Weise, daß er ihn dem objektiven Recht zuordnet und seine Geltung garantiert (zweigleisige Normentstehung). Für das betriebliche Regeln bedeutet dies, daß zwingend und konstitutiv an eine Norm anzuknüpfen ist, die einen Geltungsbefehl erteilt. Dies ist § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG. Im folgenden kommt es nun darauf an, ob der allgemeine Geltungsbefehl des § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG auch hinreicht, belastende Betriebsvereinbarungen zu legitimieren.

573 So Bickel, ZfA 1971, 181, 193. 11 Müller-Franken

Dritter Teil

Die Legitimation von Eingriffen durch Betriebsvereinbarungen Der 2. Teil der Untersuchung hat gezeigt, daß sich die unmittelbare und zwingende Wirkung von Betriebsvereinbarungen als solche nur aus einem staatlichen Rechtsgeltungsbefehl zu ergeben vermag, wie ihn § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG erteilt. Allein aus dieser Quelle kann sich ihre Verbindlichkeit speisen. Da dies geklärt ist, kann sich die Abhandlung in ihrem 3. Teil dem Problem zuwenden, wie Eingriffe durch Betriebsvereinbarungen zu legitimieren sind. Hier ist zunächst zu fragen, ob und, wenn ja, warum Eingriffe, die durch Betriebsvereinbarungen vorgenommen werden, überhaupt einer besonderen Legitimation bedürfen (1. Kapitel). Sollte dies zu bejahen sein, ist zu prüfen, woher diese genommen werden kann (2. Kapitel). Hier liegt es nahe zu fragen, ob die Norm, die allgemein die Geltung von Betriebsvereinbarungen anordnet, auch eine hier notwendige Legitimation zu vermitteln vermag (§ 9). Verwaltungsrechtlich gesprochen, ob die Vorschrift des § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG zugleich auch Befugnisnorm sein kann. Sollte dies zu verneinen sein, ist nach anderen Möglichkeiten zu suchen (§ 10). J. Kapitel

Das Erfordernis einer besonderen Legitimation Geht es um die Frage, ob Eingriffe durch Betriebsvereinbarungen nach einer besonderen Legitimation verlangen, ist vorab in Erinnerung zu rufen, wie sich das - zunächst einmal nicht eingreifende - betriebsrätliche Handeln im allgemeinen dem einzelnen gegenüber rechtfertigt.

Kapitell: Das Erfordernis einer besonderen Legitimation

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§ 7 Die allgemeine Legitimation Im Gegensatz zur Satzungsgebung in Vereinen oder der Regelbildung durch die Tarifpartner l , ist das Handeln der Betriebspartner nicht durch einen privatautonomen Beitrittsakt legitimiert2 • Es ist allein das Gesetz, das die Belegschaft verfaßt. Auf einen freiwilligen Eintritt des Arbeitnehmers in die Betriebsverfassung als solche kommt es nicht an3 . Das Gesetz fmdet auch nicht eine natürliche Fähigkeit des Betriebsrats vor, einen Lebensbereich wirksam zu gestalten, sondern es begründet überhaupt erst dessen betriebsverfassungsrechtliche Rechtssubjektivität. Betriebsverfassung ist auf ganzer Linie eine Schöpfung des sozialgestaltenden Gesetzgebers.

Dem Betriebsrat wird seine Handlungsfahigkeit auch nicht dazu verliehen, damit dieser selbstbestimmt einen eigenen Lebensbereich gestalten, sondern überindividuelle, "kollektive" Angelegenheiten wahrnehmen kann. Hierbei vertritt er die Belegschaftsangehörigen oder die Belegschaft nicht als solche4 . Die Belegschaft wird durch die Betriebsverfassung vielmehr als "politischideelle Einheit" an der Ordnung des Betriebes beteiligt. Ihre Interessen sollen durch ein gewähltes Gebilde, den Betriebsrat, wahrgenommen werden5• An ihre Weisungen ist dieser nicht gebunden. Auch ist er der Belegschaft gegenüber nicht verantwortlich. Das Fehlen einer Weisungsbefugnis und das ,,vergegenwärtigen" von etwas, das nicht selbst anwesend ist, wie hier der Belegschaft

1 Im Normalfall sind tarifliche Regelwerke nur für Mitglieder der Koalitionen verbindlich, § 3 Abs. I TVG. Diese finden ihre Legitimation daher im privatautonomen Beitrittsakt des Gewerkschaftsmitglieds. Sollen Nichtmitglieder erfaßt werden, bedarf es dafür eines staatlichen Akts, der Allgemeinverbindlicherklärung des § 5 TVG. Dieser "Rechsetzungsakt eigener Art" (BVerfGE 44, 323, 340 ff.) stellt einen genuin hoheitlichen Legitimationszusarnmenhang her, da der Staat die von Tarifvertragparteien geschaffen Rechtsregeln in seinen Willen aufnimmt, BVerwG, DVBI. 1989, 562; BVerfGE 44, 433, 340 ff.; Scholz, Koalitionsfreiheit, § 151 Rnz. 86 (" ... insoweit handelt es sich um staatliche Gesetzgebung."). 2 Siehe dazu 2. Teil, 1. Kapitel, § 4 B I, 11, S. 56 ff. 3 Belling, Haftung des Betriebsrats, S. 54 ff., 57; Konzen, ZfA 1985, 469, 485; ders., Leistungspflichten, S. 32 f. 4 DietzlRichardi, BetrVG, § 1 Rnz. 14; zur Gegensätzlichkeit von Repräsentation und Vertretung Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 32 ff.; Maunz, in: Maunzl Dürig, GG, Art. 38 Rnz. 1. 5 Söllner, Arbeitsrecht, S. 158.

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Teil 3: Die Legitimation von Eingriffen

im Betriebsrat, sind Kennzeichen der Repräsentation 6 • Zurecht heißt es daher, daß das Verhältnis zwischen Belegschaft und Betriebsrat diesem Formprinzip entspricht? . Die Veranstaltung "Betriebsverfassung" verliert ihre Gesetzesabhängigkeit nicht dadurch, daß in den Betrieben Wahlen stattfmden. Bei einer Wahl geht es zunächst einmal nur darum, eine Person aus einer Mehrzahl von Kandidaten durch eine Mehrzahl dafür zuständiger Menschen zu bestimmen8 . Im demokratischen Staat ist sie das Hauptinstrument demokratischer Steuerung, mit ihr wird über die sein politisches Handeln bestimmenden Personen entschieden9 . Daneben gibt es Wahlen in Gewerkschaften, Verbänden, Sozialversicherungsträgern, Hochschulen und anderen Einrichtungen mit Selbstverwaltung. In vom öffentlichen Recht regierten Einrichtungen vermitteln Wahlen demokratische Legitimation in Form der personellen demokratischen Legitimation 1o . Kompetenzen und Befugnisse der Träger öffentlicher Gewalt ergeben sich aber nicht aus dem Demokratieprinzip als solchem, sondern erst aus verfassungsrechtlichen und einfachrechtlichen Spezialnormen 11. Das in der Wahl durch Mehrheitsentscheidung erteilte Mandat trägt nicht weiter, als die gesetzliche Funktion des Gewählten reicht l2 • Da nichts dafür ersichtlich ist, daß diese Grundzusammenhänge nicht ebenso für die Betriebsverfassung Bedeutung haben, vermag das Argument der Wahl für sich allein den Nachweis einer gesetzlichen Ermächtigung hier auch nicht entbehrlich zu machen \3. Es liegt daher in der Konsequenz ihrer Konstruktion, daß die betriebsrätliche Tätigkeit ihre Legitimation allein aufgrund und im Rahmen des Gesetzes emp-

6 Zu den Kennzeichen des Begriffs der Repräsentation Leibholz, Art. Repräsentation, EvStL, Sp. 2986, 2990. 7 Konzen, ZfA 1985,469, 486. 8 Westerath, Art. Wahlrecht, EvStL, Sp. 3931. 9 Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 191; Westerath, Art. Wahlrecht, EvStL, Sp. 3931. 10 v. Arnim, AöR 113 (1988), 1,6 f.; Böckenforde, Demokratie als Verfassungsprinzip, § 22 Rnz. 16. 11 ehr. Starck, NJW 1972, 1489, 1470; Böckenforde, Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung, S. 78. 12 Konzen, Leistungspflichten, S. 33 (am Beispiel der verfaßten Studentenschaft). 13 Belling, Haftung des Betriebsrats, S. 55; Käppler, FS Kissel, S. 475, 480; Richardi, ZfA 1992,307,329.

Kapitel 1: Das Erfordernis einer besonderen Legitimation

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fangt l4 . Bereits diese allgemeinen Strukturen sprechen dafür, auch für die belastende Rechtsetzung zumindest einen gesetzlichen Auftrag zu verlangen. Fraglich ist aber nun, ob noch hierüberhinausgehende Anforderungen und, wenn ja, welche an dieses legitimierende Gesetz zu stellen sind.

§ 8 Die besondere Legitimation A. Grundlegung: Die Parallele zu den Zwangskörperschaften des öffentlichen Rechts I. Gleiche Organisationsprinzipien in beiden Bereichen Für die belastende Rechtsetzung durch die Betriebspartner als legitimierendes Gesetz nur eine spezielle gesetzliche Ermächtigungsgrundlage genügen zu lassen, liegt nahe, wenn man das von ihnen gesetzte Recht vergleicht mit dem, das von Körperschaften des öffentlichen Rechts mit Pflichtmitgliedschaft gesetzt wird. Bereits die Bezeichnung Betriebsveifassungsgesetz ruft Assoziationen wach an die verfaßte Studentenschaftl5 , eine Zwangskörperschaft des öffentlichen Rechts l6 • Mit dieser hat der durch das Betriebsverfassungsgesetz verfaßte Betrieb gemeinsam, daß auch hier die einzelnen unabhängig von ihrem Willen zwangsweise zu einer Einheit zusammengefaßt und dem Handeln von Repräsentanten unterworfen werden l7 . Das Gesetz errichtet eine korporative Zwangsordnung für die Belegschaftsangehörigen l8 . Diese können den Kompetenzen des Betriebsrats bei ihrem Eintritt in den Betrieb ebensowenig durch eine dahingehende Erklärung entgehen, wie etwa der Student der

Konzen, ZfA 1985,469,484 ff.; vgl. dens. auch zum Folgenden. Konzen, Leistungspflichten S. 33. Bei der Bestimmung des Verhältnisses von arbeitsgerichtlichem Urteils- und Beschlußverfahren spricht das Bundesarbeitsgericht davon, "daß Fragen der Betriebsverfassung ... zu wichtig" seien, "um sie allein der Parteidisposition zu überlassen. Wie ein Streit um Verfassungsfragen im staatlichen Bereich undenkbar ist außerhalb der Offizialmaxime, so muß es auch der mit ihm vergleichbare Betriebsverfassungsstreit sein", BB 1957,545. 16 WolfflBachoJ, Verwaltungsrecht 11, (4. Aufl.), S. 321 f. 17 Vgl. dazu auch Belling, Haftung des Betriebsrats, S. 195,203. 18 Konzen, ZfA 1985,469,471; Belling, Haftung des Betriebsrats, S. 195,203. 14

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Teil 3: Die Legitimation von Eingriffen

Zwangsmitgliedschaft in der verfaßten Studentenschaft l9 . Betriebsverfassung ist also auch für sie eine an ein ursprünglich freiwillig 20 eingegangenes Rechtsverhältnis gekoppelte Zwangsordnung.

11. Anforderungen an belastende außerstaatliche Rechtsetzung durch rechtsfähige Einheiten des öffentlichen Rechts: Der Vorbehalt des Gesetzes Für die verfaßte Studentenschaft Zwangskörperschaft -

wie für jede andere öffentlich-rechtliche

gilt, daß sie nur im Rahmen ihrer gesetzlichen Auf-

gaben und Befugnisse handeln darf2 1• Dies erfordert nicht zuletzt der Schutz der Mitglieder, die kraft Gesetzes der Körperschaft angehören und sich dieser Zwangsrepräsentation nicht entziehen können. Und für diese Befugnisse gilt hier, wie in allen anderen Bereichen nichtstaatlicher Rechtsetzung durch gesetzlich verfaßte öffentlich-rechtliche Einheiten22 , daß eine allgemeine Rechtsetzungsermächtigung, Kompetenzzuweisung, generelle Satzungsklausel u.ä. ohne nähere normative Vorgaben als nicht ausreichend angesehen wird, belastendes Regeln zu rechtfertigen23 • Für Eingriffe in

Konzen, ZfA 1985,469,485. Das Arbeitsverhältnis mit dem Arbeitgeber wird freiwillig eingegangen, Dietzl Richardi, BetrVG, § 1 Rnz. 35, wie auch die Studenten die Mitgliedschaft zur Universität nur erwerben, wenn sie zustimmen, Wolff/Bachhof, Verwaltungsrecht 11, (4. Aufl.), § 93 VII c 5 A, S. 323 sowie BVerwGE 59, 231, 234. Das Bundesverwaltungsgericht meint jedoch (zurecht), daß aufgrund des Angewiesenseins des einzelnen auf die staatliche Leistung aus seiner Freiwilligkeit keine nachteiligen Schlüsse gezogen werden dürfen; ebenso Bachof, FS Laforet, S. 285,301. 21 BVerwGE 34, 69, 74 f.; 59, 231,239; 59, 242, 245; 64, 115, 117 ff.; 64, 298, 301; OVG Hamburg, DYBI. 1972,339,340; Grabitz, DYBI. 1972,342; Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht II, (4. Aufl.), S. 321 f. 22 Nicht jedoch bei privatrechtlichen Vereinen, da diese nicht gesetzlich verfaßt, sondern privatautonom konstituiert sind, Taupitz, Die Standesordnungen der freien Berufe, S. 696 f.; Canaris, JuS 1989, 161, 162; H.P. Westermann, Verbandsstrafgewalt, S. 93; Gubelt, in: v. MünchIKunig, GG, Art. 12 Rnz. 58. 23 Ossenbühl, Satzung, § 66 Rnz. 29, 26; ders., Rechtsquellen und Rechtsbindungen der Verwaltung, Rnz. 69; H. Schneider, Gesetzgebung, Rnz. 283, 285; Wolff/Bachofr Stober, Verwaltungsrecht I, § 25 Rnz. 49; Achterberg, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 16 Rnz. 65; Stern, Staatsrecht 11, S. 589 i.V.m. S. 571; a.A. Jakob, DÖV 1970,666, 670 ff. Für die Verordnungsgebung durch die Exekutive stellt Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG (der nicht für die Satzungsgebung gilt, BVerfGE 12,319,325; 37, 1,25) noch strengere 19

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Kapitel 1: Das Erfordernis einer besonderen Legitimation

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grundrechtlich geschützte Freiheitsbereiche ist vielmehr eine spezielle, dem Bestimmtheitsgebot genügende parlamentsgesetzliche Ermächtigungsgrundlage erforderlich, die Art und Richtung des Eingriffs vorzeichnet24 . Bei der außerstaatlichen Rechtsetzung in den Fonnen des öffentlichen Rechts gilt umfassend der sog. klassische Eingriffsvorbehalt. So können z.B. Gemeinden auf ihre allgemeine Satzungsennächtigung in den Gemeindeordnungen der Länder25 keine in Freiheit und Eigentum der Bürger eingreifenden Satzungen stützen, sondern bedürfen hierfiir besonderer sowie hinreichend bestimmter Ennächtigungen26 , wie sie sich etwa in der Regelung über den Anschluß- und Benutzungszwang in den Gemeindeordnungen27 oder in den Regelungen über Geld-

Anforderungen. "Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung" müssen hier "im Gesetze bestimmt werden." Die Anforderungen an die Bestimmtheit sind besonders hoch, wenn die zu erlassende Verordnung Eingriffscharakter trägt, Degenhart, Staatsrecht I, Rnz. 247; Pieroth, in: JarasslPieroth, GG, Art. 80 Rnz. 12. Private tarifliche Regelwerke werden zwar aufgrund einer Generalklausel erlassen, § 4 Abs. 1 TVG. Belastende Regeln findet dort ihre Legitimation aber nicht in dieser Norm, sondern im privatautonomen Beitrittsakt des Gewerkschaftsmitglieds. Sollen ausnahmsweise koalitionsfremde Dritte miteinbezogen werden, so stellt die Allgemeinverbindlichkerklärung einen Legitimationszusammenhang her, vgl. dazu oben § 7 Fn 1. Für diese gelten die Anforderungen des Art. 80 GG nicht, da allgemeinverbindliche Tarifnomen keine Rechtsverordnungen darstellen, BVerfGE 44, 320, 349. Zur verfahrensrechtlichen Kompensation von materiellen Bestimmtheitsdefeziten des ermächtigenden Gesetzes durch Mitwirkungsvorbehalte vgl. außerdem Ossenbühl, Rechtsverordnung, § 64 Rnz. 19. 24 Ossenbühl, Satzung, § 66 Rnz. 29; H. Schneider, Gesetzgebung, Rnz. 283, 285; WolfflBachofiStober, Verwaltungsrecht I, § 25 Rnz. 49; Achterberg, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 16 Rnz. 65; Stern, Staatsrecht 11, S. 589 i.V.m. S. 571;. Schmidt-Aßmann, Kommunalrecht, Rnz. 96; a.A. Jakob, DÖV 1970, 666, 670 ff. Der Grundsatz der Geltung des Eingriffsvorbehalts für Satzungen wurde zur Zeit der Geltung der WRV entwickelt, Peters, Die Satzungsgewalt innerstaatlicher Verbände, § 79 S. 264, 266 m.w.N. 25 V gl. etwa für Rheinland-Pfalz § 24 Abs. 1 Satz 1 GemO Rh.-Pf. oder flir BadenWürttemberg § 4 Abs. 1 GemO Bad.-Württ. 26 Schmidt-Aßmann, GS Martens, S. 249, 259 ff.; Bethge, FS v. Unruh, S. 149, 166 ff.; ders., NVwZ 1983,577,578 f.; Badura, DÖV 1963,561,562; Hili, Gutachten D für den 58. DJT. 1990, Bd. I, D 14. 27 Vgl. etwa für Rheinland-Pfalz § 26 Abs. 1 GemO Rh.-Pf. oder für Baden-Württemberg § 11 Abs. 1 GemO Bad.-Württ.; speziell hierzu Bleckmann, DVBI. 1987, 1085 ff. (tw. abweichend zur Frage der Bestimmtheit).

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Teil 3: Die Legitimation von Eingriffen

leistungspflichten in den Kommunalabgabengesetzen der Länder fmden28 • Der Grundsatz des Erfordernisses einer besonderen Eingriffsennächtigung gilt nicht nur für in Grundrechte eingreifende Satzungen von Gemeinden, sondern in allen Bereichen nichtstaatlicher Rechtsetzung. So setzen Satzungen der Universitäten29 , Berufskammern30 und sonstiger Körperschaften mit Pflichtmitgliedschaft31 bei Eingriffen eine besondere gesetzliche Grundlage voraus 32 . Schließlich sollen belastende normsetzende Vereinbarungen des Verwaltungsrechts, deren rechtliche Konstruktion der von Betriebsvereinbarungen entspricht33 , ohne spezielle gesetzliche Grundlage unzulässig sein34 . Dort ist es

28 BVerwGE 6, 247; Schmidt-Aßmann, Die kommunale Rechtsetzung im Gefüge der administrativen Handlungsformen und Rechtsquellen, S. 8 Fn. 18; ders., Kommunalrecht, Rnz. 96; Badura, OÖV 1963,561,562; Bethge, NVwZ 1983,577,578; Häberle, OVBI. 1972,909; Wolff/BachofiStober, Verwaltungsrecht II, § 86 Rnz. 80; Bleckmann, OVBI. 1987, 1085 ff.; v. Arnim, AöR 113 (1988), 1,24 ff.; a.A. Jakob, OÖV 1970,666, 670 ff. 29 BVerfGE 33, 303, 336 f., 346 f.; Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht 11, (4. Aufl.), § 93 IV d, S. 304 u. Wolff/BachofiStober, Verwaltungsrecht II, § 93 Rnz. 67. Zu der umstrittenen Kategorie der "Sonderverordnungen" Wolff/Bachhof, Verwaltungsrecht II, (4. Aufl.), S. 321 i.V.m. 306. 30 BVerfGE 33, 125, 158 f. 31 Auch die Gemeinde ist Körperschaft mit Pflichtrnitgliedschaft, die sich freilich in ihrem Status von den anderen unterscheidet, näher Meßerschmidt, Verw Arch 81 (1990), 55,80 ff. 32 ehr. Starck, NJW 1972, 1489, 1490; Häberle, OVBI. 1972, 909; ders., OÖV 1972, 729, 736; Bethge, NVwZ 1983, 577, 578; differenzierend Meyn, OVBI. 1977, 593, 599 f. Spezielle Anzeige- und Zustimmungserfordernisse können hinzukommen. So bedürfen z.B. sämtliche Prüfungs- und Promotionsordnungen der Universitäten der Zustimmung des Ministeriums, vgl. etwa §§ 51 Abs. I Satz 2, 54 Abs. 2 Satz 3 UnivG Bad.-Württ. 33 Oies ist z.B. der Fall bei den Normenverträgen im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung. Oas Rechtsverhältnis des Kassenpatienten zum Krankenhausträger ist - auch noch nach neuem Recht - privatrechtlich zu qualifizieren, Heinze, Beziehungen zu den Krankenhäusern, § 38 Rnz. 1 m.w.N.; zum alten Recht ebenso BGHZ 89, 250,253; Richardi, in: Staudinger, BGB, Vorbem zu §§ 611 ff Rnz. 1615 ff.; Söllner, in: Münchener Kommentar, BGB, § 611 Rnz. 71; a.A. BSGE 53, 160, 162 ff. Über diesen sog. privatrechtlichen Krankenhausaufnahmevertrag wölben sich sodann zahlreiche kollektive Normenverträge, die die Rechtsverhältnisse der Krankenhausträger zu dem Krankenkassen (§ 112 Abs. 2 Satz 2 SGB V) sowie zu den Vertragsärzten (§ 115 Abs. 2 Satz 2 SGB V) regeln. Diese wirken dabei unmittelbar und zwingend in jene Rechtsverhältnisse hinein, Heinze, Beziehungen zu den Krankenhäusern, § 38 Rnz. 32; Hess, in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 112 Rnz. 12 sowie § 115 Rnz.

Kapitell: Das Erfordernis einer besonderen Legitimation

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nicht möglich, allein aus der zwingenden Wirkung von Satzungen und der grundsätzlich umfassenden Zuständigkeit einer Körperschaft, ihre Angelegenheiten zu regeln, in eine allgemeine Satzungsregelung eine pauschale Eingriffsermächtigung hineinzulesen. Stets bedarf es einer besonderen Grundlage. III. Die Betriebsvereinbarung: Private Rechtsetzung mit quasi-hoheitlicher Verbindlichkeit Für den vorliegenden Zusammenhang soll die Frage gestellt werden, ob auch fiir die betriebliche Rechtsetzung die aus der öffentlich-rechtlichen Rechtsetzung bekannte Lehre vom Vorbehalt des Gesetzes Geltung beansprucht. Dies wäre dann sofort zu bejahen, wenn die Norm des Betriebsverfassungsgesetzes über die unmittelbare und zwingende Wirkung von Betriebsvereinbarungen eine solche des öffentlichen Rechts wäre. Ordnet man einen Sachbereich dem öffentlichen oder privaten Recht zu, so ist damit normalerweise auch der fiir seine Beurteilung erforderliche ganze RegeIkomplex aufgefunden, insbesondere die ungeschriebenen normativen Größen, Institute und allgemeinen Rechtsprinzipien35 . Öffentlich-rechtlich sind jedoch diejenigen Rechtssätze 36 , die Rechte und Pflichten ausschließlich einem Träger hoheitlicher Gewalt in gerade dieser Funktion zuordnen37 • Die Zuordnungs subjekte des § 77 Abs. 4 Satz

11. Bei diesen kollektiven Normenverträgen mit Drittwirkung rur privatrechtliche Rechtsverhältnisse handelt es sich um öffentlich-rechtliche Verträge, Heinze, Beziehungen zu den Krankenhäusern, § 38 Rnz. 4, 36, 58; ders., SGb 1990, 173, 176. 34 Sachs, VerwArch 74 (1983), 25, 26; Salzwedel, Die Grenzen der Zulässigkeit des öffentlich-rechtlichen Vertrages, S. 57 ff., 106, 134 ff. Für die oben beschriebenen Normenverträge in der gesetzlichen Krankenversicherung ist aufgrund ihrer Drittwirkung die Geltung des Vorbehaltes des Gesetzes unbestritten, Funk, Vertragsarztrecht, § 32 Rnz. 8; Ebsen, Rechtsquellen, § 7 Rnz. 120; ders., VSSR 1990,57,66; Papier, VSSR 1990,123,135. 35 Bydlinski, AcP 194 (1994), 319, 330 f.; D. Schmidt, Die Unterscheidung von Privatrecht und öffentlichem Recht, S. 164 ff. 36 Bei der Unterscheidung des öffentlichen Rechts vom Privatrecht geht es um die Klassifikation einzelner Rechtssätze, WoljJ, AöR 76 (1950/51), 205, 207; WoljJlBachof/Stober, Verwaltungsrecht I, § 22 Rnz. 25; Erichsen, Jura 1982, 537, 538; E. Wolf, FS Molitor, S. 1,5. 37 WoljJlBachof/Stober, Verwaltungsrecht I, § 22 Rnz. 27 (sog. materielle Sonderrechtstheorie); Bachof, FS 25 Jahre Bundesverwaltungsgericht, S. 1,7 ff. (auch zur Entwicklung); ähnlich Erichsen, Jura 1982,537,540.

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Teil 3: Die Legitimation von Eingriffen

1 BetrVG, Arbeitgeber und Betriebsrat, sind keine Hoheitsträger38 . Die hier entscheidende Norm gehört damit zum Privatrecht. Nur aufgrund einer Zuordnung dieses Rechtssatzes zum öffentlichen Recht, kann der Vorbehalt des Gesetzes damit nicht eingreifen. Gleichwohl verfügen die Betriebspartner über die im Privatrecht einzigartige Möglichkeit, einseitig ohne Beteiligung des einzelnen eine diesen bindende Rechtsfolge in Geltung zu setzen39 . Das einseitige Bewirken von Rechtsfolgen ist aber für das öffentliche Recht typisch4o . Den Betriebspartner werden deswegen auch zurecht quasi-hoheitliche Befugnisse zugesprochen41 • Weiter sind geheime und unmittelbare Wahlen des Repräsentationsorgans Betriebsrat durch die Arbeitnehmer (§§ 1, 14 BetrVG) Formen der Organisation, die stark der Willensbildung im staatlichen, im kommunalen wie auch in sonstigen (Selbstverwaltungs-) Bereich (en) ähneln42 . Auch wenn das Strukturprinzip der Repräsentation auf einer positiv-rechtlichen Entscheidung beruht, die aus Praktikabilitätsgründen getroffen wurde, um eine einheitliche Interessenvertretung aller Arbeitnehmer des Betriebs dem Arbeitgeber gegenüber und damit das Funktionieren der Betriebsverfassung überhaupt sicherzustellen43 ,

38 Die Betriebspartner sind weder organisatorische Einheiten, die die Rechtsstellung einer juristischen Person des öffentlichen Rechts innehätten, noch sind sie beliehene Private, die als solche über Hoheitsgewalt verfugen könnten. Das wurde ausführlich dargelegt, siehe oben 2. Teil, 2. Kapitel, § 6 C III 1a, S. 150 ff. 39 Dazu siehe oben 2. Teil, 2. Kapitel, § 6 A, S. 102 ff. 40 Zuleeg, VerwArch 73 (1982), 384, 393, 396; Hufen, Verwaltungsprozeßrecht, § 1 Rnz. 33; vgl. auch Belling, Haftung des Betriebsrats, S. 42 f.: " ... der Arbeitnehmer (wurde) weitgehend den Entscheidungen der Kollektivmächte unterworfen, und dadurch einer Macht ausgesetzt, die hinter der des Arbeitgebers kaum zurücksteht, sie ist sogar mit der hoheitlichen Macht des Staates vergleichbar". Vgl. auch Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts I, S. 113: "Der Unterscheidung des öffentlichen und des bürgerlichen Rechts liegt die Tatsache zugrunde, daß die im Recht erfaßten Sozialbeziehungen entweder auf Unterordnung oder auf Gleichordnung beruhen. Im ersten Falle ist der einseitige, mit Zwang verbunden Befehl, im zweiten das auf Willensautonomie beruhende Rechtsgeschäft das typische Gestaltungsmittel." 41 Belling, Haftung des Betriebsrats, S. 42 f.; Reuter, AcP 188 (1988), 649, 650, 652. 42 Das erkennt auch Weitnauer an, FS Duden, S. 705, 707. 43 Kraft, in: GK-BetrVG, § 1 Rnz. 10.

Kapitel I: Das Erfordernis einer besonderen Legitimation

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handelt es sich bei der Repräsentation in erster Linie um ein konstitutionelles Strukturprinzip des Staatsrechts44 • Im Zusammenhang mit dem Zustandekommen von Betriebsvereinbarungen fmden sich damit auch Ordnungsprinzipien, die sonst nur anzutreffen sind, wenn ein Bereich öffentlich-rechtlich organisiert ist45. Nimmt man diese Erkenntnisse zum Ausgangspunkt der weiteren Überlegungen, so liegt es nahe, den Vorbehalt des Gesetzes auch für die betriebliche Rechtsetzung zu beachten, obwohl sich diese in privatrechtlicher Form ereignet.

B. Geltung des Vorbehaltes des Gesetzes für eingreifende betriebliche Rechtsetzung Mit Blick auf die ThemensteIlung der Arbeit wird man sich der Antwort auf die Frage, ob der für die außerstaatliche Rechtsetzung in den Formen des öffentlichen Rechts geltende Vorbehalt des Gesetzes auch Bedeutung für die Rechtsetzung durch die Betriebspartner hat, am zweckmäßigsten dadurch nähern, daß man zunächst den Anwendungsbereich und die Fundamente des allgemeinen Vorbehaltes des Gesetzes (I 1) sowie - hierauf aufbauend - den Hintergrund des Vorbehaltes des Gesetzes speziell für die außerstaatliche Rechtsetzung freilegt (I 2)46. Denn erst wenn die hinter dieser Lehre stehenden

44 Schotz, Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, S. 170; Thiele, in: GK-BetrVG, (4. Aufl.), Ein!. Rnz. 81. Das anerkennt auch Kraft, in: GK-BetrVG, § 1 Rnz. 50; vg!. allerdings auch Jahnke, Tarifautonomie und Mitbestimmung, S. 104 (,,Begriff der Repräsentation verspricht dogmatisch keinerlei Gewinn"). 45 Mitbestimmungskommission in ihrem Bericht, BT-Drucks. V1/334, S. 61 f.; Konzen, ZfA 1985, 469, 470. vg!. auch GalperinlLöwisch, BetrVG, § I Rnz. 48 ("Das Betriebsverfassungsrecht ist damit ein Grenzgebiet"). 46 Die These Vogels in VVDStRL 24 (1966), S. 125, 151 f., wonach der allgemeine Vorbehalt des Gesetzes in den speziellen grundrechtlichen Vorbehalten aufgegangen sei, hat sich nicht durchgesetzt. Nach herrschender Ansicht stehen der allgemeine und die speziellen Vorbehalte nebeneinander: der allgemeine Vorbehalt des Gesetzes soll das Bestimmungsrecht und die Bestimmungspflicht des Gesetzgebers wahren und stärken, die grundrechtlichen Gesetzesvorbehalte sollen sich demgegenüber gegen den Gesetzgeber wenden und seine legislative Gestaltungsfreiheit nach dem Maße abgestufter Gesetzesvorbehalte einengen, Pietzner, JA 1973,341; ihm folgend Klöpfer, JZ 1984, 685,687; Ossenbühl, Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, § 62 Rnz. 7.

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Teil 3: Die Legitimation von Eingriffen

Gedanken zutage liegen, läßt sich entscheiden, ob es von den Wertungen her angezeigt ist, sie auf den vorliegenden Bereich zu übertragen.

I. Die Fundamente des Vorbehaltes des Gesetzes 1. Allgemeines

Das Thema des Vorbehaltes des Gesetzes hat zunächst einmal nichts mit Betriebsverfassung zu tun. Es betrifft die Abgrenzung der Wirkungsbereiche von Parlament und Exekutive und damit ein verfassungsrechtliches Kompetenzproblem47 • Hierbei werden im Geltungsbereich des Vorbehaltes des Gesetzes bestimmte hoheitliche Maßnahmen dem parlamentarischen Gesetz vorbehalten. Für die Exekutive hat dies zur Folge, daß sie nur bei Vorliegen einer entsprechenden gesetzlichen Ermächtigung handeln darf'8. In der deutschen Verfassungsgeschichte hat die Lehre vom Vorbehalt des Gesetzes eine lange Tradition, in deren Verlaufe ihre verfassungsrechtlichen Vorgaben einem steten Wandel unterworfen waren. Da ihr Umfang und Anwendungsbereich von diesen verfassungsrechtlichen Vorgaben abhängig sind, versteht man diese Problematik in ihrer gegenwärtigen Gestalt nur, wenn man einen Blick auf die Bedingungen ihrer historischen Entstehung und die sich hieran anschließende Verfassungsentwicklung wirft4 9 . In seinen Anfängen im konstitutionellen Staatsrecht ging es beim Rechtsinstitut des Vorbehaltes des Gesetzes darum, bestimmte Entscheidungen als formell gesetzliche zu kennzeichnen, um bei ihnen die Mitwirkung des Parlaments gegenüber der umfassenden materiellen Gesetzgebungshoheit des Monarchen durchzusetzen 50 . Zu diesen Entscheidungen gehörten vor allem Eingriffe in die persönliche Freiheit und das Eigentum der Bürger; hier war das

47

Ossenbühl, Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, § 62 Rnz. 7; Krebs, Jura 1979,

304. 48 Jesch, Gesetz und Verwaltung, S. I, 33 u. passim; Ossenbühl, Rechtsquellen und Rechtsbindungen der Verwaltung, Rnz. 7; Klöp!er, JZ 1984, 685; Krebs, Jura 1979, 304; Pietzcker, JuS 1979,710. 49 Ossenbühl, Rechtsquellen und Rechtsbindungen der Verwaltung, Rnz. 7. 50 Stern, Staatsrecht 11, S. 568; Ossenbühl, Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, § 62 Rnz. 13.

Kapitel I: Das Erfordernis einer besonderen Legitimation

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Gesetz "notwendige Bedingung" des Eingriffs 51 . Zugleich war die parlamentarische Mitwirkung aber auch nur auf Eingriffe in Freiheit und Eigentum beschränkt. Was nicht als Eingriff zu verstehen war, bedurfte keines Gesetzes, sondern unterfiel dem selbständigen Verordnungsrecht der Krone 52 . Auf der anderen Seite war es eine Folge der Verlmüpfung von parlamentarischer Mitwirkung mit dem Vorliegen eines Eingriffs in Freiheit und Eigentum, daß der Begriff des Eigentums vom dinglichen Eigentum gelöst und auf alle vermögenswerten Rechte erstreckt sowie der Begriff der Freiheit nicht auf die persönliche Bewegungsfreiheit beschränkt, sondern im Sinne einer allgemeinen Handlungsfreiheit verstanden wurden53 . Durch die volle Ausbildung der parlamentarischen Demokratie ist diese machtpolitische Fragestellung inzwischen entfallen. Im Verfassungsstaat ist das Parlament in den Grenzen der Verfassung zu vielfältigen Regelungen kompetent 54, man spricht von seiner potentiellen Allzuständigkeit55 • Die Fragestellung des Vorbehaltes des Gesetzes ist deswegen heute auch eine andere. Heute geht es nicht mehr darum, wann das Parlament eine Regelung treffen darf, sondern wann es selbst eine Regelung treffen muß und diese Aufgabe demzufolge auch nicht auf andere Rechtsetzer übertragen darf6. Angesichts dieser Wandelungen der verfassungsrechtlichen Lage ist die Frage aufgeworfen worden, ob der allgemeine Vorbehalt des Gesetzes unter der Verfassungsordnung des Grundgesetzes noch begründet werden kann57 . Geht man ihr nach, so stellt man zunächst fest, daß die Fortgeltung des allgemeinen Vorbehaltes des Gesetzes auch in der heutigen Verfassungsordnung nicht ernstlich bezweifelt wird 58 . So benötigt die Verwaltung auch unter der Verfas51 O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht I, S. 69 ff.; der andere große Bereich war das Budgetrecht, Rupp, Grundfragen, S. 27. 52 Rupp, Grundfragen, S. 26. 53 Herzog, in: MaunzlDürig, GG, Art. 20 Abschn. VI Rnz. 59. 54 Stern, Staatsrecht 11, S. 568; Badura, RdA 1974, 129, 134. 55 Herzog, in: MaunzlDürig, GG, Art. 20 Abschn. 11 Rnz. 84 u. Abschn. V Rnz. 79 mit Einschränkungen in Rnz. 81 ff. 56 Ossenbühl, Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, § 62 Rnz. 9; Pietzcker, JuS 1979, 710, 712; krit. Klöpjer, JZ 1984, 685, 690 f. 57 Pietzcker, JuS 1979,710,712; v. Arnim, DVBI. 1987, 1241, 1242. 58 ehr. Starck, Der Gesetzesbegriff des Grundgesetzes, S. 288 Fn. 4: "Eiserner Bestand der Staatsrechtsdogmatik"; Herzog, in: MaunzlDürig, GG, Art. 20 Abschn. V Rnz. 91: "Verfassungsgewohnheitsrecht"; Rupp, Grundfragen, S. 138 ff.; Schultze-Fie-

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Teil 3: Die Legitimation von Eingriffen

sungsordnung des Grundgesetzes eine parlamentsgesetzliche Ermächtigungsgrundlage für Eingriffe in den Rechtskreis des Bürgers (Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung)59. Uneinheitlich ist allerdings seine Begrundung. So wird darauf verwiesen, Art. 20 Abs. 3 GG setze den Vorbehalt des Gesetzes voraus, "weil sonst offenbliebe, in welchem Umfang die vollziehende Gewalt gebunden wäre und der Vorrang seinen Sinn verlöre"60. Das Grundgesetz habe den Vorbehalt des Gesetzes für Eingriffe aus der Verfassungstradition in das geltende Verfassungsrecht überführt61 , er sei zu Verfassungsgewohnheitsrecht geworden62 . Neben dem Hinweis auf Gewohnheitsrecht63 wird der Vorbehalt des Gesetzes auch abgeleitet aus aktuellen verfassungsrechtlichen Prinzipien, nämlich denen des Rechtsstaates und der Demokratie64 • Kern des Rechtsstaatsprinzips sei die Sicherung menschlicher Selbstbestimmung durch das Medium des Rechts 65 , sein Ansatzpunkt die individuelle Freiheit. Es schütze den einzelnen entsprechend seiner Tradition vor Eingriffen in seine Freiheit, indem es sie an rechtliche Vorgaben binde66 . Der Staat wahre auf diese Weise durch das Recht Distanz zwischen sich und dem einzelnen67 . Neben die rechtsstaatliche tritt die demokratische Komponente. Sie entzieht losgelöst vom Merkmal des Eingriffs bestimmte, politisch für das Gemeinwesen bedeutsame Angelegenheiten der Regelung durch die Exekutive und behält sie dem Parla-

fitz, Theorie und Praxis parlamentarischer Gesetzgebung, S. 157 f., dort auch m.w.N. in Fn.8-10. 59 Ossenbühl, Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, § 62 Rnz. 33. 60 Stern, Staatsrecht I, S. 805 unter Berufung auf Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rnz. 201 sowie BVerfGE 40,237,249 u. BVerwGE 58, 281, 285. 61 BVerfGE 40, 237, 249; Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20 Abschn. II Rnz.87. 62 So Herzog, in: Maun:dDürig, GG, Art. 20 Abschn. V Rnz. 91.

63 Kritisch dazu schon O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht I, (1. Aufl.), S. 79: "Aber wo ist dieser Rechtssatz? Wenn man gerade Auskunft begehrt, wird man sicher zur Auskunft erhalten: es sei Gewohnheitsrecht. Da wissen wir, was das bedeutet." 64 Ossenbühf, Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, § 62 Rnz. 32; Kföp!er, JZ 1984, 685,693 f.; vgl. auch BVerfGE 33, 125, 158. 65 Schmidt-Aßmann, Der Rechtsstaat, § 24 Rnz. 21 f. 66 Zu den Weiterungen Rupp, Grundfragen, S. 113 ff.; Pietzcker, JuS 1979, 709, 713 f. 67

Schmidt-Aßmann, AöR 113 (1991),329,335.

Kapitell: Das Erfordernis einer besonderen Legitimation

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ment vor6 8 . Bei diesen Angelegenheiten muß es sich in der Terminologie der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts um "wesentliche Fragen" handeln69 , was sich nach deren Relevanz für die Verwirklichung von Grundrechten bemesse. Der tiefere Sinn der demokratischen Wurzel des Vorbehaltes des Gesetzes und der "Wesentlichkeitstheorie" liegt in den Vorzügen des parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens7o, dem gewiß "aufwendigsten aller staatlichen Verfahren" (Magiera). So verbreitern parlamentarische Öffentlichkeit und Diskussion die sachliche Basis einer Entscheidung. Sie erhöhen die Chance, daß die erheblichen Gesichtspunkte erkannt und berücksichtigt werden sowie ein gerechter Ausgleich zwischen divergierenden Interessen gefunden wird 7l . Die Repräsentativfunktion des Parlaments gewährleistet zudem einen größeren Konsens 72. Die Rückbindung des Parlaments an den Wählerwillen und die Öffentlichkeit des Verfahrens, die eine politische Kontrolle durch die öffentliche Meinung sicherstellt, führen schließlich dazu, daß das Parlament gezwungen ist, die Grundrechte der Individuen in seinen Gesetzen zu optimieren, weil auch die Wähler selbst eine solche Optimierung anstreben werden73. Weiter wird der Gedanke des allgemeinen Vorbehaltes des Gesetzes auch als ein vor die Klammer gezogenes Prinzip den grundrechtlichen Gesetzesvorbehalten entnommen74 . Die grundrechtlichen Gesetzesvorbehalte träfen eine kompetenzrechtliche Aussage, indem sie die Einschränkung grundrechtlicher Freiheitsbereiche dem Parlament zuordneten7S. In ihnen würden nicht nur die Grenzen der Grundrechte zugunsten schutzwürdiger Gemeinschaftsgüter um68 Ossenbühl, Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, § 62 Rnz. 35 ff.; vgl. auch Klöp!er, JZ 1984, 685, 694. 69 BVerfGE 34,165,192; 40, 237, 248; 41, 251, 259; 45, 400, 417; 47, 46, 78; 48, 210, 221; 49, 89, 126 f. u. st. Rechtsprechung; krit. gegen die Wesentlichkeit etwa Klöp!er, JZ 1984, 685, 692 ("Was ist das Wesen des Wesens?") zur Problematik der Wesensargumente grundlegend Scheuerle, AcP 163 (1964),429 ff., passim. 70 Kisker, NJW 1977, 1313, 1315; Eber/e, DÖV 1984,485,489; v. Arnim, DVBI. 1987,1241,1243 ff.; bereits schon Häber/e, DVBI. 1972,909,912. 71 Eberle, DÖV 1984,485,489 f.; v. Arnim, DVBI. 1987, 1241, 1243 f. 72 Degenhardt, Staatsrecht I, Rnz. 41. 73 Bleckmann, DVBI. 1987, 1085, 1086. 74 Dies ist auch expressis verbis in verschiedenen Landesverfassungen geschehen, vgl. etwa Art. 58 Bad.-Württ. Verf.; Stern, Staatsrecht I, S. 805; krit. zu dieser Methode Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Abschn. V Rnz. 91; zweifelnd wohl auch SchmidtAßmann, Der Rechtsstaat, § 24 Rnz. 63. 7S Häberle, DVBI. 1972,909,913; vgl. auch BVerfGE 33,125, 159.

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Teil 3: Oie Legitimation von Eingriffen

schrieben, woraus gefolgert werden könne, daß Grundrechte überhaupt eingeschränkt werden könnten; vielmehr bestimmten sie zugleich auch, wer eine solche Einschränkung vornehmen dürfe, d.h. wer der Inhaber dieser Einschränkungsbefugnis sein solle76 . Allein das staatliche Gesetz als repräsentativ vermittelter Wille des Gesamtvolkes verfüge über die Legitimation, Grundrechte zu regulieren, nur ihm seien "Rang und Prädikat einer demokratischen Mehrheitsentscheidung eigentürnlich"77, nicht jedoch irgendwelchen Normen minderen Ranges 78. Die Einschränkung von Grundrechten verlange nach einer gesamtstaatlichen Legitimation79 , nur das rechtsstaatliche Bundesgesetz ermögliche durch seine Allgemeinheit die grundrechtlich geforderte Rechtsgleichheit8o . Der Gedanke dieser kompetenzrechtlichen Aussage ist wiederum getragen von einem formellen und materiellen Schutzanliegen81 . Formell, als hierdurch die beschriebenen besonderen Garantien und Vorzüge des parlamentarischen Verfahrens zum Tragen kommen; materiell, als es in erster Linie Sache Gesetzgebers sein soll zu entscheiden, welche Gemeinschaftsinteressen so gewichtig sind, daß das Freiheitsrecht des einzelnen zurücktreten muß 82 • Der demokratisch legitimierte Gesetzgeber wird verstanden als Hüter des Gemeinwohls gegenüber Gruppeninteressen, als Garant grundrechtlicher Freiheit. Diese funktionellen Vorteile des parlamentarischen Verfahrens wurden zunehmend erkannt, was die Akzente in der Argumentation verschob. Richtete sich der rechtsstaatliche Vorbehalt des Gesetzes früher gegen die Exekutive, so richtet sich der demokratische Vorbehalt des Gesetzes jetzt fordernd an das Parlament83 , seinem Gestaltungsauftrag nachzukommen. Für manche Autoren ist die rechtsstaatliche Komponente in den Hintergrund, die demokratische 76 ehr. Starck, AöR 92 (1967), 449, 456, 459; ders., NJW 1972, 1489, 1491; Bethge, NVwZ 1983,577,578 ff.; ders., FS v. Unruh, S. 149,166 f. 77 H.P. Ipsen, VVOStRL 10 (1952), S. 74, 75; Schultze-Fielitz, Theorie und Praxis parlamentarischer Gesetzgebung, S. 152; Bethge, NVwZ 1983, 577, 579; Schräder, Grundlagen und Anwendungsbereich des Parlamentsrechts, S. 330 f. 78 Bethge, NVwZ 1983, 577 579; Schräder, Grundlagen und Anwendungsbereich des Parlamentsrechts, S. 330 f. 79 Hili, Gutachten 0 für den 58. DJT. 1990, Bd. 1,0 14. 80 Lange, OVBI. 1979, 533, 536; Schultze-Fielitz, Theorie und Praxis parlamentarischer Gesetzgebung, S. 152 f. 81 Vgl. dazu Häberle, OVBI. 1972,909,913. 82 BVerfGE 33, 125, 159. 83 Ossenbühl, Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, § 62 Rnz. 38.

Kapitel I: Das Erfordernis einer besonderen Legitimation

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insbesondere im Zusammenhang mit der Diskussion um die "Wesentlichkeitstheorie" - in den Vordergrund getreten. Demgegenüber verdient festgehalten zu werden, daß das Kriterium der Wesentlichkeit nicht an die Stelle, sondern nur neben das des Eingriffs treten kann 84 ; der ungeschrieben fortgeltende Vorbehalt des Gesetzes (Parlamentsvorbehalt) für Eingriffe in Freiheit und Eigentum85 hat auch bei "unwesentlichen" Eingriffen zu gelten86 • Wird eingegriffen, so ruft dies den parlamentarischen Gesetzgeber allein aus rechtsstaatlichen Gründen auf den Plan; auf die Wesentlichkeit des Eingriffs kommt es dann nicht mehr an. Daß hiermit hohe Anforderungen an das Parlament gestellt werden, liegt auf der Hand; auch wird nicht verkannt, daß die Leistungsfähigkeit des Parlaments begrenzt ist, es nicht alles regeln kann 87 und diesem Problem auch durch das Wesentlichkeitskriterium abgeholfen werden sollte 88 . Das Kriterium der Wesentlichkeit wurde aber überhaupt nur entwickelt für Regelungenjenseits des Grundrechtseingriffs. Grundrechtseingriffe demgegenüber unterfielen schon immer dem Vorbehalt des parlamentarischen Gesetzes. Hier läßt es sich nicht vermeiden, den Gesetzgeber zu beanspruchen89 • 2. Insbesondere: Der Bereich der außerstaatlichen öffentlich-rechtlichen Rechtsetzung

Fragt man nach dem Grund für das Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage bei eingreifender außerstaatlicher Rechtsetzung, so zeigt sich bei näherem Hinsehen, daß die hinter dem allgemeinen Vorbehalt des Gesetzes stehenden Gedanken, die auch hier herangezogenen werden, nur teilweise befriedigende

84 Ossenbühl, Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, § 62 Rnz. 43 (gegen BVerfGE 47,46,78 f. u. Papier, VSSR 1990, 123, 126); W. Martens, Die öffentliche VelWaltung zwischen Gesetzgebung und richterlicher Kontrolle, S. 89 f.; Bachof, Die öffentliche VelWaltung zwischen Gesetzgebung und richterlicher Kontrolle, S. 90; H.H. Klein, Nachwort, S. 128. 85 So nachdrücklich Battis/Gusy, Einflihrung in das Staatsrecht, Rnz. 250. 86 Ossenbühl, Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, § 62 Rnz. 46. 87 Weiß, DÖV 1978,601,602 f. 88 Zu dieser Bedeutung der Wesentlichkeitstheorie Schmidt-Aßmann, Der Rechtsstaat, § 24 Rnz. 35. 89 Zu diesem Problem vgl. auch allg. Leisner, DVBI. 1981, 849, 853. 12 Müller-Franken

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Teil 3: Die Legitimation von Eingriffen

Antworten geben können. Ihre undifferenzierte Übertragung ist deswegen berechtigt in Frage gestellt worden90 . So wäre es nicht weiterführend, sich z.B. pauschal auf das Rechtsstaatsprinzip als eines der den Vorbehalt des Gesetzes tragenden Fundamente zu berufen und ihm die Forderung nach Rechtssicherheit in dem Sinne zu entnehmen, daß das Gesetz Handlungsrnaßstäbe setzen, Willkür verhindern und Kontrolle ermöglichen soll. Hiermit wäre nämlich noch nicht gesagt, warum exekutive Eingriffe außerstaatlicher Einheiten nicht auch auf von diesen selbst erlassene Rechtssätze gestützt werden könnten, sondern einer parlamentsgesetzlichen Grundlage bedürften91 . Denn unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit genügte für den Bürger bereits jeder Rechtssatz, der den hoheitlichen Eingriff im vorhinein klar normiert und damit vorhersehbar macht. Dies wäre bei exekutivischen Rechtssätzen, und - mit Blick auf die vorliegende ThemensteIlung - mutatis mutandis auch bei Betriebsvereinbarungen der Fall. Schwer übertragen läßt sich auch der Ansatz, der Eingriffsvorbehalt sei darin begründet, daß die Rückbindung des Parlaments an den Wählerwillen dieses dazu zwinge, Grundrechte der Individuen in seinen Gesetzen zu optimieren, weil auch die Wähler selbst eine solche Optimierung anstrebten. Denn mit diesem Argument könnte der Vorbehalt des Gesetzes für kein gewähltes Organ (Kommunalbereich, funktionale Selbstverwaltung, sowie aber auch nicht für Betriebsräte) greifen, da ja auch dort der sich aus der Abhängigkeit vom Wählerwillen ergebende Mechanismus wirksam würde 92 . Diese Gedanken helfen daher für diese Bereiche nicht weiter. Anders ist es bei der Lehre, die den einzelnen grundrechtlichen Gesetzesvorbehalten eine übergreifende Kompetenzaussage zugunsten des parlamentarischen Gesetzgebers abgewinnen Will93 . Ihr ist zwar entgegengehalten worden, sie setze voraus, daß der Gesetzesbegriff des Grundgesetzes eindeutig sei und

90 Ein insofern interessantes Ergebnis, als es bei der ganzen Diskussion um den Parlamentsvorbehalt vor allem darum ging, bestimmte Entscheidungen gerade im Bereich der Rechtsetzung der Verwaltung zu entziehen, vgl. BVerwGE 60, 162, 181; krit. zu dieser Einengung Bethge, NVwZ 1983, 577, 578. 91 Vgl. zu diesem Gedanken Eberle, DÖV 1984,485, 488 f. u. v. Arnim, DVBI. 1987,1241,1242. 92 Bleckmann, DVBI. 1987, 1085, 1086. 93 Rupp, JuS 1975, 609, 616; Krebs, Vorbehalt des Gesetzes und Grundrechte, S. 110 f., 119 f., 125; ders., Jura 1979,304,309 ff.

Kapitell: Das Erfordernis einer besonderen Legitimation

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nur einheitlich im Sinne von "Parlamentsgesetz" verstanden werden könne, was indes bekanntlich nicht der Fall sei94 . Aus diesem Grunde könne es nur auf eine Einzelanalyse ankommen, nicht jedoch könne den Gesetzesvorbehalten eine generelle kompetentielle Aussage entnommen werden95 . Das Schwanken des Gesetzesbegriffs des Grundgesetzes kann die These von der kompetenzrechtlichen Aussage der Gesetzesvorbehalte jedoch nicht entkräften. Denn auch wenn z.B. "Gesetz" im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG als Gesetz im materiellen Sinne zu verstehen ist, so bedeutet dies nur, daß auch Rechtsverordnungen und Satzungen dem Eigentum überhaupt Schranken ziehen können. Nicht gesagt ist damit, wann, in welchem Umfang und unter welchen Voraussetzungen dies zulässig ist. Diese Frage bemißt sich nach allgemeinen verfassungsrechtlichen Grundsätzen, darunter eben auch dem des Vorbehaltes des Gesetzes 96 . Denn auch wenn Beschränkungen "durch Gesetz" oder "auf Grund eines Gesetzes" ergehen dürfen, wie z.B. bei Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG, setzt dies stets voraus, daß sich eine Ermächtigung zu Beschränkungen durch materielle Gesetze in einem formellen Gesetze fmdet97 . Im Gegenteil wird man sagen können: gerade die in den grundrechtlichen Gesetzesvorbehalten enthaltene kompetenzrechtliche Aussage verbietet der exekutivischen Rechtsetzung das Eingreifen in grundrechtliche Freiheiten, da die grundrechtlichen Gesetzesvorbehalte diese Befugnis dem Parlament zuordnen98 . Es soll in erster Linie Sache des Gesetzgebers sein zu entscheiden, welche Gemeinschaftsinteressen so gewichtig sind, daß das Freiheitsrecht des einzelnen zurücktreten muß99. Seine Steuerungsvorgaben müssen die Rechte des

94 Das Grundgesetz verwendet den Ausdruck Gesetz selbständig oder in Zusammensetzungen über 300mal, vgl. bereits Magiera, Parlament und Staatsleitung in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes, S. 175; seine Bedeutung schwankt, mitunter auch in ein und demselben Artikel: Musterbeispiel Art. 14, dessen Abs. 1 Satz 2 mit Gesetz solche im materiellen, BVerfGE 8, 71, 79, dessen Abs. 3 nur solche im formellen Sinne meint, BVerfGE 56, 249, 261. 95 Eberle, DÖV 1984,485,486 im Zusammenhang mit Rechtsverordnungen. 96 So bedürfen schrankenziehende materielle Gesetze einer parlamentsgesetzlichen Grundlage, so für die gemeindliche Satzung, Schmidt-Aßmann, Kommunalrecht, Rnz. 96; umfassend ehr. Starck, AöR 92 (1967), 449, 462 ff. 97 Achterberg, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 16 Rnz. 65; Scholz, in: MaunzJDürig, GG, Art. 12 Rnz. 294,306 ff. 98 Häberle, DVBI. 1972,909,913. 99 BVerfGE 33, 125, 159.

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Teil 3: Die Legitimation von Eingriffen

einzelnen vor allem dort sichern, wo die geringe Distanz des Normgebers zu seinen Regelungsgegenständen die Gefahr einseitiger Normierungen heraufführt I00. Das Wahren von Distanz ist ein Anliegen des Rechtsstaats- wie des Demokratieprinzipslol. Im freiheitlichen Staat sind grundrechtliche Positionen auch gegen "demokratisierte" Teilordnungen zu verteidigen, die mit dem Recht zur Selbstgesetzgebung betraut sind l02 ; gegenüber diesen Bereichen kommt dem parlamentarischen Gesetz ein besonderer Schutzauftrag ZU103. Der demokratisch legitimierte Gesetzgeber wird gerade hier zum "Hüter des Gemeinwohls gegenüber Gruppeninteressen"I04; dieser Entscheidungspflicht kann er sich nicht entziehen unter Hinweis auf Wahlen ("Demokratieprinzip"), die in derartigen Teilordnungen abgehalten werdenlos. Schließlich wird man für die außerstaatliche Rechtsetzung auch einen zuletzt von Bleckmann aus dem Demokratieprinzip abgeleiteten Gedanken zu berücksichtigen haben: das Demokratieprinzip verlangt, daß alle Herrschaft auf einem Gesetz zu beruhen hat. Herrschaft ist die Ausübung von Hoheitsgewalt. Hoheitsgewalt manifestiert sich darin, daß ihr Inhaber berechtigt ist, einseitig Rechtsverhältnisse zwischen sich und dem Individuum zu regeln l06 . Da aber auch die abstrakt-generellen Regeln der nichtstaatlichen Rechtsetzung einseitig Regelungen treffen können, verlangt das Demokratieprinzip auch für die dort ausgeübte Herrschaft nach einer gesetzlichen Grundlage.

11. Der Vorbehalt des Gesetzes als Maßstab und Grenze betrieblicher Normsetzung J. Grundsätzliches

Die Frage, ob die den Vorbehalt des Gesetzes tragenden Gedanken seine Erstreckung auf die betriebliche Norrnsetzung erfordern, klingt zunächst unge100 So rur die gemeindliche Satzung Schmidt-Aßmann, Die Kommunale Rechtsetzung, S. 8. 101 Schmidt-Aßmann, AöR 113 (1991), 329, 335 f. 102 Vgl. Häberle, DVBI. 1972,909,910. 103 Schmidt-Aßmann, Die Kommunale Rechtsetzung, S. 8; allg. dazu auch Krebs, Jura 1979,304,307; Bethge, NVwZ 1983,577,578; BVerfGE 33,125,158 f. 104 BVerfGE 33,125,159. lOS Vgl. ehr. Starck, NJW 1972, 1489, 1491. 106 DVBI. 1987, \085, \086 f., 1089.

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wohnt. Dies deshalb, weil die Thematik des Vorbehaltes des Gesetzes, wie gesehen, in ihrem Ursprung ein Kompetenzproblem zwischen Parlament und Regierung beschreibt und die Frage betrifft, ob die Exekutive aus eigener Machtvollkommenheit handeln darf oder einer parlamentsgesetzlichen Ermächtigung bedarf. Der Vorbehalt des Gesetzes ist bezogen auf staatliches Handeln l07 . Dies wurde oben dargestellt. Die Betriebspartner haben aber mit der staatlichen Kompetenzordnung nichts zu tun. Das Thema des Vorbehaltes des Gesetzes scheint deshalb fern zu liegen, ja, man fühlt sich erinnert an die Worte von Roman Herzog, für den es eine "Umwertung aller verfassungsrechtlichen Werte" darstellte, wollte man den Vorbehalt des Gesetzes nicht auf die Exekutive beschränken, sondern auch auf den Bürger erstrecken l08 , und für den "ein ärgeres Mißverständnis zwischen dem Staat des GG und seinem Bürger ... kaum denkbar" wäre l09 . Derartige "Vorbehalte" gegenüber einer Anwendung des Vorbehaltes des Gesetzes im Privatrecht sind jedoch nur insoweit berechtigt, als das Zivilrecht wirklich dazu dient, die Individualinteressen der Bürger untereinander abzustimmen I 10. Kommen privatrechtliche Eingriffe in Individualfreiheiten öffentlich-rechtlichen gleich, stellt sich die Frage einer - jedenfalls entsprechenden - Anwendung des Vorbehaltes des Gesetzes für privatrechtliche Imperative und Eingriffe I 11. Hier hat sich gezeigt, daß das Betriebsverfassungsgesetz den Betrieb ähnlich einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft mit Pflichtrnitgliedschaft verfaßt hat. Bereits dadurch aber hat das betriebsrätliche Handeln seinen Legitimationsgrund nicht in dem der freiheitlichen Gesellschaft, sondern in dem des Staates, dem Gesetz. Damit paßt aber auch nicht das Bild des selbstbestimmten, privatautonom handelnden Bürgers, der davor geschützt werden muß, entsprechend den Geboten des Vorbehaltes des Gesetzes immer erst dann handeln zu dürfen, wenn ein Gesetz ihm dies erlaubt. Im Gegenteil sprechen die genannten strukturellen Parallelen gerade dafür, hier bei der quasi-hoheitlichen

107 !O8 109 110

111

Vgl. dazu Jesch, Gesetz und Verwaltung, S. 30,107,109. In: MaunzJDürig, GG, Art. 20 Abschn. VI Rnz. 100. Herzog, in: MaunzJDürig, GG, Art. 20 Abschn. VI Rnz. 100. Krause, JZ 1984, 656, 658, 660. Schwabe, AöR 100 (1975), 422, 466; Krause, JZ 1984, 656, 660.

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Teil 3: Die Legitimation von Eingriffen

Betriebsvereinbarung die auf die Bändigung hoheitlicher Befugnisse gerichteten Grundprinzipien zu beachten 112. Denn Hoheitsbefugnisse drücken sich aus in einseitiger Bestimmungsmacht l13 . Einseitige Bestimmungsmacht äußert sich jedoch auch in der betrieblichen Rechtsetzung, gelten ihre Nonnen doch unmittelbar und zwingend, also unabhängig von der Zustimmung des einzelnen. Verdankt aber der Betriebsrat - wie die staatlichen, gemeindlichen und anderen öffentlichrechtlich verfaßten Wirkungseinheiten - seine Legitimation einzig dem Gesetz, scheint es nicht angängig, nur das auf die Begründung seiner Wirkungsmacht gerichtete Prinzip anzuwenden, die Herstellung von Handlungsfähigkeit durch das Gesetz, nicht aber auch das auf seine Begrenzung zielende, den Vorbehalt des Gesetzes 114. Spräche man den Betriebspartnern umfassende, spezielle gesetzliche Grundlagen nicht benötigende Eingriffsbefugnisse zu 115, so erhielten sie de facto (de facto deshalb, weil eine öffentlich-rechtliche RechtssteIlung die Einbindung in die staatliche Organisation voraussetzte, an der es fehlt), die Stellung eines ungezügelten Hoheitsträgers 116. Die hiennit verbundenen freiheitsreduzierenden Effekte, denen für die Frage der Schutzbedürftigkeit des Individuums primäre Bedeutung zukommt, sind aber dann die gleichen, unabhängig davon, ob die Betriebsräte auch der Rechtsfonn nach als öffentlich-rechtliche Einheiten verfaßt oder als Privatrechtssubjekte zu quali-

112 Sogar Reuter, AcP 188 (1988), 649, 650 anerkennt: "Auch kann es (scil. das öffentliche Recht) u.U. mit Lösungsmodellen aushelfen, wo die private Rechtsetzung unter staatsanalogen Bedingungen stattfindet"; für die Betriebsvereinbarung speziell AcP 188 (1988), 649, 652; vgl. auch allg. Sachs, VerwArch 74 (1983), 25, 44 der die Grenzen der normsetzenden Vereinbarung bei Fehlen besonderer Vorschriften "im Anschluß an die Begrenzungen gewinnen will, die die Verfassung für Rechtsetzung im übrigen vorschreibt". Vgl. ferner Meyer-Cording, Die Rechtsnormen, S. 77 f., 102 f. 113 Zuleeg, VerwArch 73 (1982),384,393,396; Hufen, Verwaltungsprozeßrecht, § I Rnz. 33; ForsthofJ, Lehrbuch des Verwaltungsrechts I, S. I 13. 114 Das öffentliche Recht mit seinen Rechtsprinzipien ist zugeschnitten auf den Staat in seiner Eigenschaft als Hoheitsträger. Es dient der Begründung und Begrenzung von staatlicher Herrschaftsgewalt, legt ihr Fesseln an, Zuleeg, VerwArch 73 (1982), 384, 386, 396; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 3 Rnz. 13; Stern, Staatsrecht I, S. 7. 115 So die herrschende Meinung, siehe dazu das 2. Kapitel, § 9 A, S. 162 ff. 116 Den Hoheitsträger zeichnet aus, daß er über Befugnisse zur einseitigen Regelung gegenüber dem einzelnen verfügt, Zuleeg, VerwArch 73 (1982), 384, 392 f., 396; Hufen, Verwaltungsprozeßrecht, § 1 Rnz.33.

Kapitell: Das Erfordernis einer besonderen Legitimation

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flZieren sind l17 • Dies läßt es nicht nur als legitim, sondern als geboten erscheinen, vergleichbare Anforderungen auch an die betriebliche Regelungsgewalt zu stellen und entsprechend dem Prinzip des Vorbehaltes des Gesetzes jeweils den Nachweis einer konkreten Eingriffsgrundlage zu verlangen 118 . 2. Die den Vorbehalt des Gesetzes ~agendenGedanken

a) Rechtsstaatlicher Eingriffsvorbehalt Darüber hinaus legen es aber auch die tieferen Bedeutungsschichten der den Vorbehalt des Gesetzes tragenden Fundamente selbst nahe, die betriebliche Normsetzung an seinen Anforderungen zu messen. Im vorliegenden Zusammenhang angesprochen ist der Eingriffsvorbehalt rur belastendes Regeln: es geht um Eingriffe in die Freiheit (Betriebsbußen, Vertragsstrafen), die Selbstbestimmung der Arbeitnehmer, speziell die berufliche (Kurzarbeit), mitunter auch in deren Eigentum (Ausschlußfristen, Abtretungsausschluß, ablösende Betriebsvereinbarung). Gewiß gehen diese Eingriffe von Privatrechtssubjekten aus. Jedoch legitimiert sich das Handeln eines dieser Privatrechtssubjekte, des Betriebsrats, nicht aus der grundrechtlichen Freiheit des einzelnen, sondern allein einer staatlichen Ordnungsentscheidung. Sein Handeln ist damit lediglich in formellem Sinne als privatrechtlich zu qualifIZieren. Hätte der Gesetzgeber die Betriebsräte beliehen l19 , so stellte sich nicht die Frage der Geltung des Eingriffsvorbehaltes. Die Geltung des Eingriffsvorbehaltes ergäbe sich schlicht daraus, daß Betriebsräte als Beliehene mit Hoheitsgewalt ausgestattet wären und hierdurch den gleichen Bindungen unterlägen wie der sie beleihende Staat l20 ; ein Beliehener kann eingreifende Rechtsakte nur vor-

Ygl. zu dieser Überlegung Stern, Grundrechte der Sportler, S. 142, 151. Für eine Revision des Yorbehaltsdenkens im Privatrecht auch Schwabe, AöR 100 (1975),422,466; ders., DYBI. 1973,788,789; Krause, JZ 1984,656,660; Püttner, BB 1987, 1122, 1124. 119 Was E.R. Huber vertritt, Wirtschaftsverwaltungsrecht 11, S. 521. Ygl. dazu oben § 6 C III 1 a, S. 150 ff. 120 Ossenbühl, YYDStRL 29 (1971), S. 137,192. 117 118

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Teil 3: Die Legitimation von Eingriffen

nehmen, wenn ein Gesetz ihn hierzu befugt l21 • Der Gesetzgeber hat jedoch (zutreffend) von einer Beleihung abgesehen und mit dem Belassen des betrieblichen Regelns im außerstaatlichen Bereich eine freiheitlichere Lösung gewählt l22 ; das betriebliche Geschehen gehört auf die Agenden des Privaten, nicht die des Staates l23 . Das kann aber nicht davon ablenken, daß hier eine vom Gesetzgeber geschaffene Wirkungseinheit für den einzelnen verbindliche Normen inhaltlich gestalten soll. Fehlt einer solchen Einheit, wie hier, ein privatautonomes Fundament, können deren Amtswalter nicht aus eigener Machtvollkommenheit die Inhalte ihres Handelns definieren. Ihre Legitimation hierzu speist sich allein aus dem staatlichen Gesetz. Soll ein vom Gesetzgeber geschaffenes Gebilde rechtswirksam und rür den einzelnen verbindlich Eingriffe vornehmen können, so ist dies nur möglich, wenn der Gesetzgeber hierfür entsprechende Eingriffsgrundlagen zur Verfügung gestellt hat. Diese Ausgangslage ist strukturell gleich bei allen allein vom Gesetzgeber geschaffenen außerstaatlichen Einheiten, unabhängig davon, ob sie in der Rechtsform des öffentlichen oder des privaten Rechts organisiert sind. Bei öffentlich-rechtlich verfaßten Wirkungseinheiten verlangt der rechtsstaatliche Eingriffsvorbehalt ein gesetzliches Fundament für belastende Regelungen. Hierüber besteht Konsens. Entsprechendes muß konsequenterweise auch gelten, wenn eine privatrechtlich organisierte Wirkungseinheit belastende Regeln formulieren soll. Es ist nicht einzusehen, warum nicht auch hier der Rechtsstaat seinem "Doppelauftrag" nachzukommen hat, Freiheit nicht nur gegenüber der Staatsgewalt, sondern auch innerhalb der Gesellschaft zu gewährleisten I 24. Denn "die Verfassungsentscheidung für den Rechtsstaat ist zu allererst die Entscheidung für eine spezifische Struktur staatlichen und auch gesellschaftlichen Lebens: für eine Gestaltung nach Maßgabe des Rechts" (Schmidt-Aßmann) I 25. Die Freiheit des einzelnen bedarf auch gegenüber betrieblichen Regeln der Sicherung durch die

121 WolfflBachofiStober, Verwaltungsrecht 11, § 104 Rnz. 10; deutlicher noch WolfJ, Verwaltungsrecht 11, (3. Aufl.), S. 391. 122 Das Bundesverfassungsgericht gesteht dem Gesetzgeber grundsätzlich eine Wahlfreiheit zu, ob er mit zivilrechtlichen Mitteln oder mit öffentlichen-rechtlichen Instrumenten in die Gesellschaft interveniert, vgl. dazu Krause, JZ 1984, 656, 662 f. 123 Zacher, Sozialpolitik und Verfassung, S. 313 f. u. oben § 6 C 11 3 a, S. 143 Fn.418. 124 Vgl. dazu Schmidt-Aßmann, Der Rechtsstaat, § 24 Rnz. I. 125 Der Rechtsstaat, § 24 Rnz. 21.

Kapitel 1: Das Erfordernis einer besonderen Legitimation

185

ordnende Kraft des Rechts. Diese Kraft fmdet hier ihre Gestalt in der Geltung des rechts staatlichen Vorbehaltes des Gesetzes fiir belastende Betriebsvereinbarungen. b) Schutzauftrag des parlamentarischen Gesetzes Damit geht einher, daß fiir das betriebliche Regeln zudem der vom Bundesverfassungsgericht fiir die berufsständische Selbstverwaltung formulierte

Schutzauftrag des parlamentarischen Gesetzes gefordert ist, der überall Beachtung verlangt, wo Gruppeninteressen anstelle des Gemeinwohls Freiheiten des einzelnen beschneiden l26 . Auch im betrieblichen Geschehen fehlt es an Distanz zwischen den Betriebspartnern und ihren Entscheidungsgegenständen und droht die Gefahr einseitiger Entscheidungen. Die Aufgabe des Parlaments, Hüter des Gemeinwohls gegenüber Gruppeninteressen zu sein, wird aktuell. Das rechtsstaatliche Fundamentalprinzip der "Freiheitssicherung durch Distanz" bezieht sich nicht nur auf die staatliche Sphäre, sondern erstreckt sich auch auf den Schutz des einzelnen vor gesellschaftlicher Macht l27 . Dabei geht es hier genaugenommen noch nicht einmal um die Problematik des Schutzes vor gesellschaftlicher Macht ("intermediärer Gewalten")128, sondern um eine Macht, die sich - wie gesehen - nicht aus gesellschaftlicher Freiheit legitimiert, sondern ihre Entstehung allein einer staatlichen Ordnungsentscheidung verdankt und lediglich formalrechtlich als privatrechtliche zu qualifIzieren ist. Hier liegt aber schon von vornherein der Gedanke nahe, aus rechtsstaatlichen Gründen diese Macht dann auch durch das Gesetz zu bändigen. c) Kompetentielle Bedeutung der grundrechtlichen Gesetzesvorbehalte Zum Tragen kommt gegenüber freiheitsbeschneidenden Betriebsvereinbarungen weiter die kompetentieHe Bedeutung der grundrechtlichen Gesetzesvorbehalte. Es wurde schon darauf hingewiesen, daß die Gesetzesvorbehalte der Grundrechte nicht nur deren Grenzen zugunsten schutzwürdiger Gemein-

126

Pültner, BB 1987, 1122, 1124.

127 Schmidt-Aßmann, Der Rechtsstaat, § 24 Rnz. 25. 128 Für eine Verwertung der Erscheinung sozialer Macht als "antreibenden Hintergrundbegriff' Lerche, FS Steindorff, S. 897, 899 Fn. 18.

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Teil 3: Die Legitimation von Eingriffen

schaftsgüter umschreiben, d.h. die Aussage treffen, daß Grundrechte überhaupt eingeschränkt werden können. Zugleich bestimmen sie auch, wer eine solche Einschränkung vornehmen darf; hierbei legen sie fest, daß es im Ausgangspunkt Sache des parlamentarischen Gesetzgebers ist, grundrechtliche Freiheitsbereiche zu begrenzen l29 . Das Bundesverfassungsgericht hat in der schon erwähnten Facharztentscheidung 130 diese kompetenzrechtliche Aussage speziell an dem - hier besonders einschlägigen - Gesetzesvorbehalt des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG entwickelt. Weil das Grundrecht der Berufsfreiheit nur soweit eingeschränkt werden dürfe, wie es die Interessen der Allgemeinheit erforderten und das Grundgesetz diese Regelungsbefugnis in die Form des Gesetzesvorbehaltes gekleidet habe, übertrage es in erster Linie dem Gesetzgeber die Entscheidung darüber, welche Gemeinschaftsinteressen so gewichtig sind, daß das Freiheitsrecht des einzelnen zurücktreten muß. Der formelle Gesetzgeber muß dabei auch im Bereich der Berufsausübung das sachliche Programm der Regelung festlegen l3l. Diese kompetentielle Bedeutung des Gesetzesvorbehaltes des Grundrechts der Berufsfreiheit kann in ihrer Bedeutung nicht überschätzt werden l32 . Historisch handelte es sich gerade bei diesem Grundrecht nie allein um ein klassisches Abwehrrecht gegen den Obrigkeitsstaat, sondern auch um eine Freiheit, die in besonderer Weise der Reglementierung und Beschneidung durch gesellschaftliche Kräfte ausgesetzt war 133 . Der Gedanke einer Zuweisung an den Parlamentsgesetzgeber greift besonders im Verhältnis zur Betriebsverfassung. Der Gerechtigkeitskern des staatlichen Gesetzes liegt letztlich in der Verpflichtung, dem individuellen Interesse das Gemeinwohl vorzuziehen 134 • Nur aus Gründen des Gemeinwohls hat der einzelne Einschränkungen seiner Freiheit hinzunehmen. Die betriebliche Rechtsetzung verfehlt diesen Gerechtigkeitskern. Bei ihr geht es ausschließlich um einen Interessenkonflikt zwischen gesellschaftlichen Gruppen, nämlich den Interessen des Arbeitgebers, der Arbeitnehmer und des Betriebes. Das Gemeinwohl zu beachten und wohlmöglich über das eigene GruppeninVgl. ehr. Starck, NJW 1972, 1489, 1491. BVerfGE 33, 125, 158 ff. l3l Lerche, FS Steindorff, S. 897,909. 132 Vgl. als spätere Entscheidungen etwa BVerwGE 71, 183, 198 f. u. BVerfGE 76, 171, 184; zur Tarifautonomie vgl. auch Schatz, ZfA 1981,265,293 ff. 133 Vgl. dazu Hufen, NJW 1994,29\3,2914. 134 van der Ven, 2. FS Nipperdey 11, S. 681, 691 f. 129

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Kapitel I: Das Erfordernis einer besonderen Legitimation

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teresse zu stellen, wird von den Beteiligten nicht verlangt, das Gesetz legt sie vielmehr auf das Wohl der Arbeitnehmer und des Betriebes fest; eine Gemeinwohlklausel hat es nicht mehr mitaufgenommen (§ 2 Abs. 1 BetrVG). Ob dies die Betriebspartner überfordern würde J3S , mag dahinstehen. Eher wird man mit van der Ven sagen müssen, daß die Betriebspartner nicht in der Lage wären, den gleichen Hoheitsanspruch auf Vorzug eines von ihnen formulierten Gemeinwohls zu erheben, wie es der Staat - und dies auch nur unter gewissen Bindungen - vermag l36 . Soll es im Betrieb zu Einschränkungen kommen, hat vor diesem Hintergrund der Gesetzgeber das Gemeinwohl daher vorab zu formulieren und diese Entscheidung den Betriebspartnern an die Hand zu geben. Im Unterschied zur Tarifautonomie gibt es in der Betriebsverfassung auch keine konkrete verfassungsrechtliche Garantie, wie Art. 9 Abs. 3 GG, deren spezifischem Funktionssinn detaillierte gesetzgeberische Vorgaben widersprächen 137 • Hier muß das Postulat des Gesetzesvorbehaltes des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG voll zur Geltung kommen 138 • d) (Organ-) Souveränität des Parlaments Schließlich belegt auch der erst vor kurzem von Bleckmann betonte und hier bereits erwähnte Gedanke, im Demokratieprinzip sei die (Organ-) Souveränität des Parlaments verankert, die Notwendigkeit, den Grundsatz des Vorbehaltes des Gesetzes gegenüber betrieblicher Entscheidungsmacht durchzusetzen. Denn es ist eine Konsequenz aus dem grundgesetzlichen Demokratieprinzip, daß Hoheitsbefugnisse nur begründet werden können, wenn hieran das Parlament beteiligt ist. Gegen diese Aussage des Demokratieprinzips würde verstoßen, interpretierte man z.B. allgemeine Kompetenznormen des Betriebsverfassungsgesetzes gleichzeitig als Blankoeingriffsermächtigungen; es fehlte an einer substantiellen Beteiligung des Parlaments. Dies wird durch das Handeln der Betriebspartner nicht kompensiert, da diese - wie gesehen - als private Rechtsetzer nicht demokratisch legitimiert oder an demokratische Strukturen

J3S 136 137

138

Kreutz, in: GK-BetrVG, § 77 Rnz. 254. van der Ven, 2. FS Nipperdey II, S. 681, 692. Lerche, FS Steindorff, S. 897,909 f. Vgl. dazu Lerche, FS Steindorff, S. 897,910.

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gebunden sind J39 • Belastende Regelungsgewalt gegenüber den Arbeitnehmern bedarf damit letztlich auch aus diesem Grunde einer gesetzlichen Grundlage l40 . e) Geltung des Vorbehaltes des Gesetzes nach Maßgabe der Wesentlichkeitstheorie (Waltermann)? Fraglich ist, ob auch die sog. Wesentlichkeitsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verlangt, den Vorbehalt des Gesetzes auf die betriebliche Rechtsetzung zu erstrecken. Dieser Ansicht ist Waltermann l41 . Auch er beobachtet, daß die Regelungsbefugnisse der Betriebsparteien von ihren Zuständigkeiten abgeleitet werden l42 . Er hält diese Methode für unzulässig und untersucht, inwieweit Arbeitgeber und Betriebsrat im Rahmen ihrer "Selbstverwaltung"143 in Individualrechte der betroffenen Arbeitnehmer eingreifen dürfen l44 . Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach von Verfassungs wegen ein Vorbehalt des Gesetzes als Vorbehalt der Entscheidung grundlegender Fragen durch den Parlamentsgesetzgeber in dem hierfür vorgesehenen Gesetzgebungsverfahren bestehe l45 .

F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 506. 140 Vgl. auch Konzen, ZfA 1985, 469, 486; Käppler, FS Kissel, S. 475, 481; vgl. in anderem Zusammenhang allg. auch Pültner, BB 1987, 1122, 1124; gegen die Geltung des Vorbehaltes des Gesetzes jedoch Canaris, JuS 1989, 161, 167. 141 Rechtsetzung durch Betriebsvereinbarung zwischen Privatautonomie und Tarifautonomie, S. 148 ff, 154; NZA 1993,679,683; RdA 1993,209,215; Berufsfreiheit im Alter, S. 107; Gestaltung von Arbeitsbedingungen durch Vereinbarung mit dem Betriebsrat, S. 48, 60 f. 142 Rechtsetzung durch Betriebsvereinbarung zwischen Privatautonomie und Tarifautonomie, S. 14. 143 Waltermann hält den durch das Betriebsverfassungsgesetz verfaßten Betrieb rur einen "Selbstverwaltungsbereich", Rechtsetzung durch Betriebsvereinbarung zwischen Privatautonomie und Tarifautonomie, S. 6, 135 f, 187. Dies ist zumindest terminologisch unzutreffend, da man juristisch von Selbstverwaltung nur bei öffentlich-rechtlich verfaßten Einheiten sprechen kann, Salzwedel, VVDStRL 22 (1965), S. 206, 208 f. u. im einzelnen oben § 6 C 11 3 a, S. 143 Fn. 484. 144 Rechtsetzung durch Betriebsvereinbarung zwischen Privatautonomie und Tarifautonomie, S. 147 f 145 Rechtsetzung durch Betriebsvereinbarung zwischen Privatautonomie und Tarifautonomie, S. 148 ff.; NZA 1993,679,683; RdA 1993,209,215; Berufsfreiheit im Alter, S. 107; Gestaltung von Arbeitsbedingungen durch Vereinbarung mit dem Betriebsrat, S. 48, 60 f 139

Kapitel I: Das Erfordernis einer besonderen Legitimation

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Das Rechtsstaatsprinzip und das Demokratieprinzip forderten im Grundsatz, daß die wesentlichen Entscheidungen in einem Parlamentsgesetz als Ermächtigungsgrundlage enthalten sein müßten. Im Hinblick auf die Betriebsvereinbarung geht dann auch Waltermann zunächst davon aus, daß eine Begrenzung der Befugnis der Betriebsparteien zu verbindlicher Rechtsetzung durch den Vorbehalt des Gesetzes naheliege, wenn man die Rechtsetzung der Betriebsparteien mit der von öffentlich-rechtlichen Selbstverwaltungskörperschaften vergliche l46 . Ebenso hält er die Aussagen, die das Bundesverfassungsgericht in der Facharztentscheidung und in seinen späteren Entscheidungen zur autonomen Rechtsetzung durch Berufskammern getroffen hat, für verallgemeinerungsfähig. Sie seien nicht beschränkt auf grundrechtsbegrenzende Sätze objektiven Rechts, die von öffentlich-rechtlichen Selbstverwaltungskörperschaften erlassen werden, sondern beanspruchten ebenso Geltung, wenn objektives Recht von Privaten gesetzt werde. Auch private Fremdbestimmungsordnungen könnten besondere Gefahren für die Betroffenen und die Allgemeinheit mit sich bringen. Der Gesetzgeber dürfe sich daher nicht darauf beschränken, durch das Betriebsverfassungsgesetz den Betriebsparteien mit der Betriebsvereinbarung ein Instrument zu überlassen, daß diese zu jedwedem Regeln und hierbei auch zu belastendem ermächtige. Im Betriebsverfassungsrecht könnten keine anderen Grundsätze gelten als im Bereich der öffentlich-rechtlich organisierten Selbstverwaltung. Diese Aussagen Waltermanns zur Betriebsvereinbarung verdienen his hierher volle Zustimmung. Im Anschluß hieran nimmt er dann jedoch seinen Ausgangspunkt, wonach ein Vorbehalt des Gesetzes als Vorbehalt der Entscheidung grundlegender Fragen bestehe, wieder auf und meint, daß sich dementsprechend das zulässige Maß des Grundrechtseingriffs nach der Wesentlichkeitstheorie des Bundesverfassungsgerichts zu richten habe l47 • Hiernach müsse das zulässige Maß um so deutlicher in einer gesetzlichen Ermächtigung bestimmt sein, je empfmdlicher die betreffende Grundrechtsposition berührt werde. Damit seien "zugleich aber auch nachvollziehbare Kriterien gewonnen, mit denen die Reichweite der Regelungsbefugnis der Betriebsparteien - die Frage

146 Gestaltung von Arbeitsbedingungen durch Vereinbarung mit dem Betriebsrat, S. 48,60 f.; auch zum Folgenden. 147 Gestaltung von Arbeitsbedingungen durch Vereinbarung mit dem Betriebsrat, S. 48,61.

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nach den durch Betriebsvereinbarung regelbaren Gegenständen also zelfall bestimmt werden kann"148.

im Ein-

Diese Thesen verdienen Widerspruch. Hier ist nicht der Ort, die Wesentlichkeitsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu würdigen. In der wissenschaftlichen Diskussion hierzu besteht jedoch in dem Punkt Einigkeit, daß der Begriff der Wesentlichkeit allenfalls ein heuristischer Begriff ist l49 . "Nachvollziehbare Kriterien", mit denen die Reichweite der Regelungsbefugnis und Regelungspflicht des Gesetzgebers "im Einzelfall" bestimmt werden kann, lassen sich mit diesem "ebenso rhetorisch einprägsamen wie rechtlich unklaren"150 Begriff jedenfalls nicht gewinnen. Denn was wesentlich ist, ist doch stets die Frage l51 . Aber das kann letztlich auf sich beruhen. Denn selbst wenn die Grenzziehung zwischen wesentlich und unwesentlich gelingen dürfte, bekonunt Waltermann mit der Wesentlichkeitsrechtsprechung die Probleme, die er damit lösen will, nicht in den Griff. Diese Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hatte, wie erwähnt, das Ziel, den Vorbehalt des Gesetzes über den Bereich des traditionellen Eingriffsvorbehalts hinaus zu erweitern und die Notwendigkeit eines parlamentarischen Gesetzes für ein Handeln der Exekutive in bestinunten, grundrechtsrelevanten Fragen (staatliche Leistungen, insbes. Subventionen, Schule, Wissenschaft etc.) unabhängig von dem Kriterium des Eingriffs zu begründen. Dies wurde hier ausführlich dargelegt. Zugleich hatte sie aber, und das übersieht Waltermann, die Funktion, die staatliche Gesetzgebung zu entlasten und das Tätigwerden des Gesetzgebers auf die "wirklich wesentlichen" Fragen zu beschränken I52 . Die Wesentlichkeitstheorie bedeutete

148 Gestaltung von Arbeitsbedingungen durch Vereinbarung mit dem Betriebsrat, S. 48,61. 149 Ossenbühl, Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, § 62 Rnz. 44. 150 Klöpfer, JZ 1984,685,689. 151 Umbach, FS Faller, S. 111, 112 (Es ist "bislang niemandem gelungen, einleuchtend und stimmig darzulegen, was denn nun "wesentlich" in diesem Sinne sei"); Ossenbühl, Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, § 62 Rnz. 44 ("Es dürfte weithin Einigkeit darüber bestehen, daß es kaum gelingen wird, generelle Kriterien zu entwickeln, die ein verläßliches Urteil über die Wesentlichkeit einer Entscheidung ermöglichen"); Klöpfer, 1Z 1984, 685, 692 ("theoretisierende Bemäntelung freier richterlicher Dezision"). 152 Bachof, Die öffentliche Verwaltung zwischen Gesetzgebung und richterlicher Kontrolle, S. 90; W. Martens, Die öffentliche Verwaltung zwischen Gesetzgebung und richterlicher Kontrolle, S. 90; Ossenbühl, Der Vorbehalt des Gesetzes und seine Gren-

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damit zugleich auch eine Rücknahme des Vorbehaltes des Gesetzes. So hat das Bundesverfassungsgericht es z.B. hingenommen, daß für den Antrag nach §§ 23 ff. EGGVG durch eine Verwaltungsvorschrift ein zwingendes Vorverfahren eingeführt wurde I53. Ein solches Vorverfahren ist aber nicht nur eine Begünstigung, sondern - jedenfalls auch - eine Belastung l54 . Der Betroffene kann das Gericht nicht mehr unmittelbar, bzw. - wenn er die Frist versäumt - , überhaupt nicht mehr anrufen I55 . Das Bundesverfassungsgericht akzeptiert es also, daß eine Belastung, die unter Eingriffsaspekten dem klassischen rechtsstaatlichen Eingriffsvorbehalt unterfiele, ohne gesetzliche Ermächtigung durch eine Verwaltungsvorschrift eingeführt werden kann. Demgegenüber erfaßt der rechtsstaatliche Vorbehalt des Gesetzes alle Grundrechtseingriffe ohne Rücksicht auf Gewicht und Tiefe. Auch eine fmanzielle Belastung von DM 5 (Ossenbühl) bedarf hiernach einer formalgesetzlichen Grundlage 156. Bei den hier in Rede stehenden Fällen ist jedoch oft zweifelhaft, ob diese alle als derart "wesentlich für die Verwirklichung der Grundrechte"157 anzusehen sind, daß sie der Wesentlichkeitstheorie unterfielen und vom Parlament geregelt werden müßten. So ging es in dem Fall des Bundesarbeitsgerichts, in dem es über die Kostenbeteiligung von Arbeitnehmern an der ihnen gestellten Arbeitskleidung zu entscheiden hatte, wirtschaftlich um Kleinstbeträge l58 . Zurecht hat das Gericht dieser Betriebsvereinbarung aber die Wirksamkeit versagt l59 . Dieses Ergebnis hätte man jedoch nicht erzielen können, wenn man auf die Wesentlichkeitsrechtsprechung abgestellt hätte, denn es besteht insoweit

zen, S. 23 f.; Lerche, Bayerisches Schulrecht und Gesetzesvorbehalt, S. 60; vgl. auch Schmidt-Aßmann, Der Rechtsstaat, § 24 Rnz. 35. 153 BVerfGE 40, 237, 247 ff. 154 Bachof, Die öffentliche VelWaltung zwischen Gesetzgebung und richterlicher Kontrolle, S. 90. 155 Bachof, Die öffentliche VelWaltung zwischen Gesetzgebung und richterlicher Kontrolle, S. 90. 156 Ossenbühl, Der Vorbehalt des Gesetzes und seine Grenzen, S. 23 f.; H.H. Klein, Nachwort, S. 128. 157 BVerfGE 34,165,192; 40, 237, 248 f.; 41, 251, 260 f.; 47, 46, 79. 158 SAE 1994,316. Nach § 6 der damals streitigen Betriebsvereinbarung über die "Gestellung von Arbeitskleidung" hatte sich jeder gewerbliche Arbeitnehmer mit DM 3, 50 wöchentlich an den Kosten der ihm zur Verfügung gestellten Arbeitskleidung zu beteiligen. 159 Siehe dazu 3. Teil, 2. Kapitel, § 9 C, S. 223.

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Teil 3: Die Legitimation von Eingriffen

Einigkeit, daß als unwesentlich z.B. die Auferlegung geringfügiger Bußgelder anzusehen ist l60 . Die Wesentlichkeit eines Abtretungsverbots, einer Vertragsstrafe oder einer Ausschlußfrist dürfte auch nicht so leicht zu begriinden sein. Eingriffe in grundrechtliche Positionen sind dies jedoch allemal. All das zeigt, daß man freiheitsbedrohende Betriebsvereinbarungen überzeugend nur in den Griff bekommt, wenn man auf den rechtsstaatlichen Vorbehalt des Gesetzes abstellt und auf das - urspriinglich auf eine ganz andere Fragestellung zugeschnittene - Wesentlichkeitskriterium verzichtet.

f) Zwischenergebnis Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, daß die den Vorbehalt des Gesetzes tragenden Fundamente seine Anwendung auf die Betriebsvereinbarung erfordern. Dies gilt nicht in gleicher Weise für die Wesentlichkeitsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.

3. Das geringere Legitimationsniveau in der Betriebsveifassung im Vergleich zu dem der Selbstverwaltungskörperschaften a) Die besondere Legitimation der Selbstverwaltung Die vorstehenden Gedanken werden durch die folgenden Überlegungen weiter unterstützt. Im Unterschied zur Rechtsetzung durch die Betriebspartner l61 , genießt das Recht der Gemeinden zum Erlaß von Satzungen unmittelbaren Verfassungsrang. Das den Gemeinden in Art. 28 Abs. 2 GG verfassungsunrnittelbar gewährleistete Recht, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln, schließt auch die Möglichkeit ein, dies durch Rechtssätze in abstrakt-genereller Form zu tun 162 • Die Rechtsetzungshoheit der Gemeinden ist also von der Ge160 Ossenbühl, Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, § 62 Rnz. 46; Bachof, Die öffentliche Verwaltung zwischen Gesetzgebung und richterlicher Kontrolle, S. 90; W. Martens, Die öffentliche Verwaltung zwischen Gesetzgebung und richterlicher Kontrolle, S. 90. 161 Diese ist lediglich verfassungsrechtlich zulässig, 2. Teil, 2. Kapitel, § 6 C II 2 a bb ß (2), (3), S. 129 ff. 162 Allg. Meinung; BVerwGE 6, 247, 252; v. Mutius, Gutachten E zum 53. DIT. 1980, Bd. I, E 144; Schmidt-Jortzig, ZG 2 (1987), 193, 195. Allerdings muß auch hier wieder der Gesetzgeber, ähnlich wie bei der Tarifautonomie des Art. 9 Abs. 3 GG, für

Kapitell: Das Erfordernis einer besonderen Legitimation

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währleistung des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG mit umfaßt l63 • Zudem gilt, daß wenn der Staat einer Körperschaft des öffentlichen Rechts Autonomie verleiht - wie den Gemeinden, aber auch sonst - , er sich nicht nur von Detailregelungen entlastet und für eine effektive und leistungsfahige Verwaltungsstruktur sorgt, sondern er darüber hinaus Wirkungen entfaltet, die der Ordnung des Gemeinwesens in vielfältiger Weise dienen l64 : er aktiviert den gesellschaftlichen Bereich, weckt Eigenverantwortlichkeit der Angehörigen kleinerer Gemeinschaften für ihre eigenen Angelegenheiten, fordert und fördert demokratische Mitarbeit, stärkt das Bewußtsein der zusammengefaßten Menschen, verringert den Abstand zwischen Normgeber und Normadressat und verstärkt hierdurch den Einfluß der Adressaten auf den Inhalt sie betreffender Normen l65 . Diese Ziele ließen sich aber nicht erreichen, wenn der Staat bei der Verleihung der Satzungsgewalt schon alles selbst regeln müßte. Der Gedanke der Autonomie ist also gekennzeichnet durch eine gewisse Eigenständigkeit ihrer Handhabung 166. Dies spricht für eine Einschränkung der Vorbehalts lehre in diesen Bereichen. Da die Gemeinden Teile des Staates sind, Hoheitsgewalt ausüben und als Verwaltungsträger Bestandteil der Exekutive sind l67 , haben sie außerdem die verfassungsrechtliche Stellung der Exekutive inne 168 • Die Exekutive verfügt aber auch über eine eigenständige demokratische Legitimation, aufgrund desdie gemeindliche Rechtsetzung erst noch einen rechtlichen Rahmen zur Verfügung steilen, Badura, DÖV 1963, 561 f. 163 Schmidt-Aßmann, Kommunalrecht, Rnz. 19. 164 Chr. Starck, AöR 92 (1967), 449, 451 f.; vgl. dens. auch zum Folgenden. 165 In diesem Verringern von Distanz liegt jedoch wiederum ein besonderes Spannungsverhältnis, da Distanz ihrerseits Grundvoraussetzung rechtsstaatlicher Herrschaft ist, Schmidt-Aßmann, GS Martens, S. 249, 256. 166 BVerwGE 6, 247, 251; Chr. Starck, AöR 92 (1967), 449,458. 167 Schmidt-Aßmann, Kommunalrecht, Rnz. 8; ders., GS Martens, S. 249, 259 f. 168 Dies gilt entgegen früher anders lautender Äußerungen in älteren Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 21, 54, 62 f.; 32, 346, 361: Verlagerung von Rechtsetzungsbefugnis innerhalb der Legislative nur auf andere demokratisch legitimierte Gremien und nicht auf die Exekutive) nach inzwischen unbestrittener Ansicht auch für den Erlaß von Satzungen, Bethge, NVwZ 1983, 577, 579; H.H. Klein, FS Forsthoff zum 70. Geburtstag, S. 165, 183; Schmidt-Aßmann, Die kommunale Rechtsetzung im Gefüge der administrativen Handlungsformen, S. 7; vgl. heute auch BVerfGE 65, 283, 289; 78, 344, 348. 13 Müller-Franken

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Teil 3: Die Legitimation von Eingriffen

sen ein Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung anerkannt wird. Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts 169 und des Bundesverwaltungsgerichts 170 haben in diesen Punkten das Verständnis der Gewaltenteilung weiterentwickelt und hierbei die administrative Eigenverantwortung betont. Diese Zusammenhänge rechtfertigten gleichfalls ein Zurückdrängen des Vorbehaltes des Gesetzes l71 . Vor diesem Hintergrund gewinnt dann der Funktionsauftrag des Art.28 Abs. 2 Satz 1 GG i.V.m. der eigenen politischdemokratischen Legitimation des kommunalen Satzungsgebers nach Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG neue Bedeutung und Gewicht l72 und legt ebenfalls den Gedanken freierer rechtlicher Gestaltungsbefugnisse des örtlichen Satzungsgebers nahe 173 . Weiter auf Zurückdrängen der gesetzgeberischen Aktivitäten zielen die seit einigen Jahren wieder unter dem Schlagwort des Verwaltungsvorbehaltes diskutierten Fragen. Hierbei geht es um das Thema, ob es einen verfassungskräftigen, gegen Zugriffe des Parlaments gesicherten eigenen Gestaltungsbereich der Exekutive gibt l74 • Für einen solchen zentralen Gestaltungsbereich der Exekutive kommen an erster Stelle wiederum die Räume der Selbstverwaltung in Frage l75 . Dem Gedanken der Selbstverwaltung widerspräche es, den den Selbstverwaltungsträgern zugeordneten Wirkungsbereich durchzunormieren. Soll die Selbstverwaltung nicht ihren Sinn verlieren, müssen die gesetzlichen Vorgaben sich darauf beschränken, die Aufgaben grob zu umreißen und die Ziele zu formulieren, was besonders fiir die verfassungsrechtlich garantierten Selbstverwaltungsbereiche gilt, wie die kommunale Selbstverwaltung. Gleichwohl - und das ist fiir den vorliegenden Zusammenhang das Entscheidende - geben all diese Überlegungen sowie namentlich die Tatsache, daß eine Angelegenheit zu denen der örtlichen Gemeinschaft gehört, noch kein eigenständiges Eingriffsmandat l76 . Die institutionelle Gewährleistung der BVerfGE 61,82; 67,100,139; 68, 1,87; bereits 49,89,124 ff. BVetwGE 72, 300. 171 Klöp!er, JZ 1984,685,686. 172 Hili, Gutachten D für den 58. DJT. 1990, Bd. I, D 9. 173 Vgl. hierzu auch v. Arnim, AöR 113 (1988), 1,21 ff. 174 Schröder, DVBl. 1984,814,815. 175 Ossenbühl, Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, § 62 Rnz. 57; vgl. dens. auch zum Folgenden. 176 Schmidt-Aßmann, Kommunalrecht, Rnz. 8. 169

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Kapitel I: Das Erfordernis einer besonderen Legitimation

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kommunalen Selbstverwaltung als verbindliche Strukturentscheidung des Verfassunggebers wird nicht generell als ein den Individualrechtsschutz des Bürgers begrenzendes Prinzip in dem Sinne verstanden, daß dieser grundsätzlich hinter der Funktions- und Leistungsfähigkeit der kommunalen Selbstverwaltung zurücktreten müsse 177• Diese strengen Anforderungen gelten auch bei kommunalen Satzungen, obwohl die den Facharztbeschluß des Bundesverfassungsgerichts tragenden Gedanken, das Drohen von Gefahren für die Freiheit des einzelnen durch die Macht gesellschaftlicher Gruppen bei berufsständischen Satzungen178, hier nicht zutreffen, da die Gemeindeordnungen die Gemeinde und ihre Organe gerade ausdrücklich auf das Gemeinwohl verpflichten l79 . Nur der Umstand, daß auch bei der Gemeinde aufgrund mangelnder Distanz des Entscheidungsträgers zum Entscheidungsgegenstand und den betroffenen Personen die Gefahr einseitiger Entscheidungen l80 droht, macht eine gesamtstaatlich-parlamentarische Legitimation erforderlich l81 . b) Das Legitimationsniveau in der Betriebsverfassung All diese gegen eine Ausweitung des parlamentarischen Gestaltungsauftrags und für eine Stärkung der Regelungsbefugnisse des außerstaatlichen Rechtsetzers sprechenden Gesichtspunkte spielen in der Betriebsverfassung keine Rolle. Betriebsräte haben vielmehr im Vergleich zu den exekutiven Gestaltungsfaktoren eine wesentlich begrenztere Stellung: sie sind reine Funktionsträger, denen keinerlei Freiheiten, weder Privatautonomie, noch irgendwie anders geartete Handlungs- und Gestaltungsspielräume zustehen, was indes im Hinblick auf Handlungs- und Gestaltungs"spielräume" - bei der Verwaltung angenommen wird; Betriebsräte werden ausschließlich fremdnützig tätig und dies auch nur im Rahmen ihrer gesetzlichen Aufgaben, wenn sie die betriebsverfassungsrechtlichen Beteiligungsrechte ausüben 182.

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178 179 180

Hili, Gutachten D für den 58. DJT. 1990, Bd. I, D 14. BVerfGE 33, 125, 159 f. v. Arnim, AöR 113 (1988), I, 23 f. v. Arnim, AöR 113 (1988), 1,25; Hili, Gutachten D für den 58. DJT. 1990, Bd. I,

D 16. 181 182

Hili, Gutachten D für den 58. DJT. 1990, Bd. I, D 14. Konzen, ZfA 1985,469,485.

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Teil 3: Die Legitimation von Eingriffen

Betriebsräte verfügen hierbei auch weder - wie die Exekutive, speziell die Gemeinden 183 - , über eine verfassungsunmittelbare, noch - wie andere Selbstverwaltungskörperschaften - über sonstige demokratische Legitimation 184 . Die im Betriebsverfassungsgesetz vorgesehenen Wahlen verleihen den Betriebsräten gegenüber den betroffenen Arbeitnehmern keine demokratische Legitimation im staatsrechtlichen Sinne, was in Analogie zu den Selbstverwaltungskörperschaften möglicherweise für eine Erweiterung ihrer Eingriffskompetenzen hätte sprechen können. Begriff und Erfordernis demokratischer Legitimation beziehen sich in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes nur auf die Ausübung von Staatsgewalt, Art. 20 Abs. 2 GG185, nicht jedoch - zumindest nicht ausdrücklich - auf eine "allgemeine Lebensform Demokratie" oder eine "Demokratisierung der Gesellschaft"186. Wegen seiner fehlenden Eingliederung in die staatliche Organisation hat das betriebsrätliche Handeln aber von vornherein nichts zu tun mit der Ausübung von Staatsgewalt im Sinne von Art. 20 Abs. 2 GG, so daß sich die Frage seiner demokratischen Legitimation nicht stellt. Nur wenn man mit Papier 187 der Auffassung ist, jenseits von Art. 9 Abs. 3 GG fordere das Demokratieprinzip allgemein und für jede materielle Rechtsetzung demokratische Legitimation und parlamentarische Verantwortlichkeit, ist die betriebliche Rechtsetzung an diesen Maßstäben zu messen. Sie würde ihnen dann aber nicht gerecht: die Betriebsräte sind nämlich vor keinem demokratisch legitimierten Gremium verantwortlich und unterstehen auch keiner demokratisch-verantwortlich ausgeübten staatlichen Aufsicht l88 .

183 Deren verfassungsunmittelbare Legitimation sich zum einen in Art. 28 Abs. 2 GG, v. Arnim, AöR 113 (1988), I, 7 f., zum anderen aber auch in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG findet. 184 Es versteht sich von selbst, daß dadurch, daß in der Betriebsverfassung Wahlen vorgesehen sind, den Betriebsräten keine zusätzlich Legitimation gegenüber der Allgemeinheit zuwächst, Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 439. Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), 329, 338 f. Stern, Staatsrecht I, S. 627 ff.; Herzog, in: MaunzlDürig, GG, Art. 20 Abschn. I Rnz. 51 f.; dazu im einzelnen 3. Teil, 2. Kapitel, § 10 C 3 b, S. 267 ff. 187 RdA, 1989, 137, 142. 188 Papier, RdA 1989, 137, 142. 185

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Aus dem oben Gesagten folgt, daß die immer wieder vorgetragene These von der "demokratischen Legitimation" der Betriebspartner ohne Aussage bleibt l89 . Nur der Vollständigkeit halber sei aber erwähnt, daß auch eine nur auf die Ausübung der betriebsverfassungsrechtlichen Beteiligungsrechte bezogene "Binnendemokratie", die sich aus den Wahlen und der übrigen Verfassung des Betriebes ergeben könnte, sich nicht begründen läßt l9o • Das Fehlen demokratischer Strukturen in der Betriebsverfassung kann man am besten dadurch verdeutlichen, daß man sie dem wohl noch am ehesten vergleichbaren Fall der Körperschaft der funktionalen Selbstverwaltung gegenüberstellt. Anzusetzen wäre dabei zum einen am Begriff des "Volkes" im Sinne von Art. 20 Abs. 2 GG sowie zum anderen an den Anforderungen an eine effektive demokratische Legitimation. Nach Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG muß alle Staatsgewalt vom "Volke" ausgehen. Versteht man unter dem Begriff des Volkes nur das gesamte Staatsvolk oder zumindest eine "unbestimmt-gleichheitliche Allgemeinheit" I91 , nicht aber auch sog. funktions- und aufgabenbezogene "Teilvölker"I92, so fehlte vorliegend eine auf das gesamte Staatsvolk oder strukturähnliche Allgemeinheit bezogene personelle demokratische Legitimation: die demokratische Legitimation der Betriebsräte leitet sich allein von der Belegschaft und damit nur einem Teil, nicht aber der Gesamtheit des Volkes ab und dieser Teil ist dabei auch nur nach rein persönlichen Merkmalen gebildet, stellt also keine unbestimmte Allgemeinheit dar. Der Begriff des Volkes im Sinne des Art. 20 Abs. 2 GG ist hingegen umstritten. So wird auch die Gegenansicht vertreten, daß er ebenso die bereits erwähnten sog. Teilvölker meine, demokratische Legitimation also nicht unbedingt vom gesamten Staatsvolk auszugehen brauche, sondern auch nur von rein funktional zusammengefaßten Teilen ausgehen könne l93 . Die Annahme eines 189 Anders aber vor allem Jahnke, Tarifautonomie und Mitbestimmung, S. 109 f.; im Ansatz auch Kempen, ArbR-GW 30 (1993), 97, 108. 190 Belling, Die Haftung des Betriebsrats, S. 55 f.; Rüthers, Betriebsverfassungsrechtliches Mitbestimmungsrecht und Individualbereich, S. 7, 29; andere Auffassung sind Kempen, ArbR-GW 30 (1992), 97, 108 u. Jahnke, Tarifautonomie und Mitbestimmung, S. 109, beide ohne Begründung. 191 Bäckenforde, Demokratie als Verfassungsprinzip, § 22 Rnz. 31 ff. 192 Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, S. 322 ff. 193 VerfGH Nordrhein-Westfalen, DVBI. 1986,1196; Herzog, in: MaunzJDürig, GG, Art. 20 Abschn. 11 Rnz. 54 ff.; Brohm, Strukturen der Wirtschaftsverwaltung, S. 243 ff.

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solchen - nicht allgemein gebiets- (wie bei den Gemeinden), sondern personenbezogenen (wie bei den Einrichtungen der funktionalen Selbstverwaltung) - Teilvolkes wird davon abhängig gemacht, daß bei dem in Rede stehenden Personenkreis gemeinsame Angelegenheiten und Interessen vorhanden sind, die sich von denen des Gesamtvolkes abheben und gesonderter Behandlung zugänglich sind, sowie daß sich die Handlungen von Gremien derartiger Teilvölker nur auf dieses selbst, nicht auch auf außenstehende Dritte beziehen l94 • Das Vorhandensein "gemeinsamer Angelegenheiten und Interessen, die sich von denen des Gesamtvolkes abheben und gesonderter Behandlung zugänglich sind", sowie daß sich die Handlungen des "Gremiums" Betriebsrat nur auf das "Teilvolk" Belegschaft beziehen, wird man hier noch annehmen können, so daß man mit dieser weit gefaßten Lehre vom Teilvolk das Merkmal "Volk" als Ausgangspunkt demokratischer Legitimation für das betriebliche Geschehen noch bejahen könnte. Demokratische Legitimation verlangt aber weiter, daß nicht nur die Errichtung von Herrschaft auf die Unterworfenen zurückführbar ist, sondern daß auch aktuell die Wahrnehmung und Ausübung der so begründeten Befugnisse von diesen ausgehen muß. Herrschaftsgewalt darf, nachdem sie eingerichtet wurde, nicht "autonom" werden, sondern muß sich vielmehr stets in angebbarer Weise auf den Willen der Betroffenen zurückführen lassen und gegenüber diesen verantwortet werden (V gl. Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG: "Sie wird vom Volke durch besondere Organe ... ausgeübt.") 195. Das Volk soll nicht nur Ausgangspunkt aller staatlichen Gewalt, sondern es soll über Steuerungs- und Kontrollkompetenzen in die fortwährende Ausübung derselben fest eingebunden sein. Wahlen sind nur die Grundlage demokratischer Legitimation; ihre Erfüllung fmdet sie erst in einer dauerhaften Rückkoppelung an den Wähler l96 . Gewiß sind in der repräsentativen Demokratie mit dieser Rückkopplung nicht Weisungen gemeint, so daß die fehlende Weisungsgebundenheit der Betriebsräte insoweit unschädlich wäre. Soll das Volk aber seine Herrschaft durch besondere Organe ausüben, so muß es diese Organe kontrollieren können und diese müs-

Pütlner, DÖV 1988,357,359,361. BVerfGE 47, 253, 275; Böckenforde, Demokratie als Verfassungsprinzip, § 22 Rnz.11. 196 Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), 329, 348, 352. 194

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sen sich vor ihm verantworten. Parlamentarische Kontrolle und Verantwortung sind deshalb weitere unverziehtbare Elemente demokratischer Legitimation. Hieran fehlt es jedoch in der vom Betriebsverfassungsgesetz vorgesehenen Ordnung. Die Kompetenzen der Betriebsversarnmlung, an die man in diesem Zusammenhang denken könnte l97 , reichen nicht hin, um die notwendige permanente Rückbindung der "Herrschenden" an die "Beherrschten" herzustellen l98 • Sie haben im wesentlichen nur Informationsfunktionen für die Belegschaft l99 • Der Betriebsrat muß die Betriebsversarnmlung zwar jedes Kalendervierteljahr einberufen und ihr einen Tätigkeitsbericht erstatten (§ 43 Abs. 1 Satz 1 BetrVG), wobei ihm auch gelegentlich schon einmal "unangenehme Fragen" gestellt werden können2OO • Auch kann die Betriebsversammlung dem Betriebsrat Anträge unterbreiten und zu seinen Beschlüssen Stellung nehmen (§ 45 Satz 2 BetrVG). Diese Maßnahmen haben jedoch keine rechtlichen Wirkungen, sondern nur den Charakter von Anregungen20I • Vor allem - und darauf kommt es in der Konsequenz effektiver Ausübung von Herrschaftsgewalt durch die Unterworfenen an - ist die Betriebsversarnmlung nicht befugt, ein rechtlich erhebliches Mißtrauensvotum gegenüber dem Betriebsrat oder einem seiner Mitglieder auszusprechen202 • Bei nur unverbindlichen Kontrollrechten und Fehlen eines ausreichenden Bestandes an Entscheidungs- bzw. Steuerungsbefugnissen sind aber nicht mehr die Anforderungen an grundgesetzliehe Demokratie erfiillt203 . Einmal eingerichtet, wird die Herrschaftsgewalt des Betriebsrats "autonom" im bezeichneten Sinne, so daß von "demokratischer Legitimation" der Herr-

197 Für v. Hoyningen-Huene, Betriebsverfassungsrecht, S. 109, ist die Betriebsversammlung "unmittelbarer Ausdruck des demokratischen Prinzips innerhalb der Betriebsverfassung" ("Basisdemokratie"). 198 Helling, Haftung des Betriebsrats, S. 56. 199 ZöllnerlLoritz, Arbeitsrecht, S. 474. 200 So v. Hoyningen-Huene, Betriebsverfassungsrecht, S. 109. 201 FittinglKaiserlHeitherlEngels, BetrVG, § 42 Rnz. 10; Fabricius, in: GK-BetrVG vor § 42 Rnz. 5 u. § 45 Rnz. 75. 202 BVerfG, NJW 1979, 1875; FittinglKaiseriHeitherlEngels, BetrVG, § 42 Rnz. 10. 203 Vgl. dazu auch Herzog, in: MaunzJDürig, GG, Art. 20 Abschn. 11 Rnz. 82.

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schaftsrechte der Betriebsräte durch die ihm Unterworfenen nicht gesprochen werden kann204 . Vor diesem Hintergrund wird man aber sagen müssen: wenn schon der Vorbehalt des Gesetzes bei gesetzlich verfaßten Zwangskörperschaften Geltung beansprucht, die demokratisch legitimiert sind, dann muß er erst recht auch in der Betriebsverfassung gelten, einer Zwangskörperschaft ohne demokratische Legitimation ("argumentum a fortiori"205).

In. Gründe für die Entbehrlichkeit besonderer Eingriffsermächtigungen in der Betriebsverfassung? In der Betriebsverfassung fehlen auch die sonstigen Freiheitssicherungen, die in den parallel gelagerten Fällen der Satzungen öffentlich-rechtlicher Zwangskörperschaften zum Standard gehören: so gibt es keine Staatsaufsicht sowie Anzeige-, Genehmigungs- oder Rechenschaftspflichten, keine Beteiligung der Öffentlichkeit oder der Betroffenen an der Normentstehung, kein - wie immer geartetes - (parlamentarisches) Verfahren, keine Haftung der Betriebsräte für normatives Unrecht sowie schließlich keine prinzipale Normenkontrolle 206 . Warum das so ist und welche Folgen sich auch hieraus für die Reichweite betrieblichen Regelns ableiten lassen, kann hier nicht vertieft werden. Vertieft werden muß aber die Frage, ob es Gründe geben kann, daß in der Betriebsverfassung besondere Eingriffsermächtigungen207 entbehrlich sein könnten. So meinen manche auf besondere gesetzliche Eingriffsermächtigungen in der Betriebsverfassung mit dem Argument verzichten zu können, daß dort Wahlen vorgesehen seien208 . Im Rahmen der Untersuchung der Strukturgleichheit der Betriebsverfassung mit öffentlich-rechtlichen Zwangskörperschaften ist hierzu bereits das Notwendige gesagt: Wahlen entscheiden nur über die Personen, die 204 Vgl. dazu die Aussage von F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 506: "Private Rechtsetzer sind nicht demokratisch legitimiert oder an demokratische Strukturen gebunden." 205 Zur Struktur dieses Arguments WolfJlBachof/Stober, Verwaltungsrecht I, § 28 Rnz.67.

206 Vgl. § 47 VwGO. 207 Hier einmal abgesehen von der Betriebsbuße, für die auch die h.M. eine Ermächtigung verlangt. 208 Säcker, Gruppenautonomie und Übermachtkontrolle, S. 344 f.; lahnke, Tarifautonomie und Mitbestimmung, 111 f.

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ein Amt innehaben sollen, nicht aber verleihen sie diesen ihre Befugnisse. Dies bleibt allein Sache des Gesetzgebers. Weiter meinen manche auf Eingriffsermächtigungen verzichten zu können mit den Schlagworten der "Privatautonomie auf höherer Ebene" (1), des auf die "betriebliche Ebene projizierten Tarifvertrages" (2), der Grundrechtsträgerschaft des Betriebsrats (3) sowie der Trennung von Staat und Gesellschaft (4). 1. Betriebsvereinbarungen: "Privatautonomie auf höhere Ebene "? a) Die Argumentation Das arbeitsrechtliche Kollektivvertragsrecht verdankt seine Entstehung der verbreiteten These von der gestörten Vertragsparität zwischen dem Arbeitgeber und dem einzelnen Arbeitnehmer209 • Zwischen den Beteiligten bestehe ein soziales, politisches, wirtschaftliches, intellektuelles etc. Ungleichgewicht, das ein Funktionieren des Vertragsmechanismus verhindere. Dieser Befund ist nahezu einhellige Meinung, unabhängig von der Position, die zur Funktion, Bedeutung und Aufgabe von Verträgen vertreten wird: für die Anhänger der Lehre von der materiellen Richtigkeitsgewähr2 \O (Schrnidt-Rimpler) gewährleistet der Vertrag zwischen einem Arbeitgeber und dem ihm auf vielfältige Weise unterlegenen Arbeitnehmer keine "richtige", d.h. eine dem Interesse beider Seiten angemessene Regelung; dies wecke das Bedürfnis nach Kompensationen211 . Aber auch für die Verfechter der (restriktiveren) Lehre Flume's, für den der Vertrag nur der Verwirklichung der Selbstbestimmung der Beteiligten dient212 , kann der Vertrag hier nicht seine Funktion erfüllen: aufgrund der ungleichen Machtlage zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer fehle es an den Voraussetzungen von Selbstbestimmung, so daß auch hier der Individualvertrag 209 Belling, Haftung' des Betriebsrats, S. 41; Gast, Arbeitsvertrag und Direktion, S. 28, 40 ff.; Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität, S. 192 ff., 207 ff.; Jahnke, Tarifautonomie und Mitbestimmung, S. 101 fT.; Richardi, Kollektivgewalt, S, 114 f., 122 ff.; Säcker, Gruppenautonomie und Übermachtkontrolle, S. 201 ff.; krit. aber Zöllner, AcP 176 (1976), 221, 227, 230 ff.; erneut ders., AcP 196 (1996), 1, 15 ff. 2\0 So die Funktion des Vertrages für Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130, 155 f.; ders., FS Raiser, S. 3,5 f.; ders., 1. FS Nipperdey, S. 1 ff. 211 In seinen Grundlagen auf Schmidt-Rimpler aufbauend etwa Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität, S. 12 f.; auch Gast, Das Arbeitsrecht als Vertragsrecht, S. 55 ff., 62 ff., spricht von "Richtigkeit" des Vertrages. 212 Allgemeiner Teil H, S. 7 f., 10.

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durch kollektive Entscheidungen ersetzt oder jedenfalls ergänzt werden müsse 213 . Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung seien nun in gleicher Weise geeignet, dieses Funktionsdeftzit des einzelnen Arbeitsvertrages auszugleichen und die auf der individuellen Ebene verlorengegangene Privatautonomie auf einer kollektiven wieder herzustellen214 : gleichgewichtige Verhandlungspositionen auf höherer Ebene ermöglichten materielle Vertragsfreiheit und -gerechtigkeit215 , der einzelne Arbeitnehmer verwirkliche sich selbstbestimmt216 . Hierbei seien beide Institutionen - Tarifvertrag wie auch die Betriebsvereinbarung "Ausdruck der allgemeinen Vertragsfreiheit in einer grundsätzlich staatsfreien Sphäre", wenn auch "ihre Wirkung über die unmittelbar Handelnden hinausginge" und mit der "traditionellen Rechtsgeschäftslehre nicht zu erfassen" sei217 . Auf der Grundlage dieser Gedanken ist es nur noch ein kleiner Schritt, mit dem Schlagwort der Privatautonomie auf höherer Ebene belastendes betriebliches Regeln gegenüber dem einzelnen zu legitimieren. So etwa, wenn es heißt, die individuelle Selbstbestimmung werde durch eine kollektive Selbstbestimmung ersetzt, ein hierin liegender Zwang sei gerechtfertigt "zugunsten einer kollektiven Selbstbestimmung"218. Diese Gedanken rufen Kritik hervor. b) Kritik Die vorliegende Untersuchung hat die These von der gestörten Vertragsparität beim Einzelarbeitsvertrag nicht zum Gegenstand, so daß hier nicht abschließend zu ihrer Richtigkeit Stellung zu nehmen ist. Aus den nachstehenden Überlegungen heraus wird sie vielmehr im folgenden zugrundegelegt: zunächst mag man mit Zöllner der Meinung sein, daß auch derjenige, der ihm vorgelegte

213 Jahnke, Tarifautonomie und Mitbestimmung, S. 101 f. 214 Jahnke, Tarifautonomie und Mitbestimmung, S. 119, 121; K.-P. Martens, JuS 1987,337,341. 215 Belling, Die Haftung des Betriebsrats, S. 42; K.-P. Martens, JuS 1987,337,341; Däubler, NZA 1988,857,859. 216 Wiese, FS Kissei, S. 1269, 1284. 217 Kissel, NZA 1986, 73 ff.; Jahnke, Tarifautonomie und Mitbestimmung, S. 106. 218 A. Hueck, 1. FS Nawiasky, S. 187, 194, 197 ff.

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Bedingungen ohne Gegemede akzeptiert, privatautonom handelt219 . Man wird jedoch nicht bestreiten können, daß der einzelne Arbeitnehmer faktisch keine Chancen hat, den Arbeitgeber von dessen Vorstellungen über den Vertragsinhalt abzubringen. In dieser Ungleichgewichtslage beschränkt sich die Vertragsfreiheit des Arbeitnehmers auf das Akzeptieren der von seinem Vertragspartner vorformulierten Bedingungen. Tritt aber einseitige an die Stelle beiderseitiger Inhaltsbestimmung, sind die Funktionsvoraussetzungen von Privatautonomie in Frage gestellt22o . Aufgrund der fehlenden Möglichkeit des Arbeitnehmers, auf den Vertragsinhalt einzuwirken, wird man nicht umhin können, der These von der gestörten Vertragsparität jedenfalls insoweit zuzustimmen, mag auch in der Akzeptanz der Vorstellungen des Arbeitgebers noch ein Rest von Privatautonomie liegen. Auf der Basis dieser Überlegungen ergeben sich auch die Funktionen des Kollektivvertragsrechts: dem Arbeitgeber auf der kollektiven Ebene ein wirksames "Gegengewicht" entgegenzustellen, um auf diese Weise für die Arbeitnehmer günstigere Arbeitsbedingungen aushandeln zu können221 . Bis hierher besteht kein Dissens. Widersprochen werden muß jedoch der These, daß "auch die Betriebsvereinbarung ... Ausdruck der allgemeinen Vertragsfreiheit" sei 222 . Oben konnte nachgewiesen werden, daß das Handeln des Betriebsrats seine Legitimation ausschließlich aus dem Gesetz erfährt. Das schließt aber Freiheiten bei der betriebsrätlichen Amtsführung und damit auch Freiheiten im Zusammenhang mit dem Abschluß von Verträgen ("Vertragsfreiheit") - zumindest im Rahmen der mit Drittwirkung versehenen Betriebsvereinbarungen - aus 223 •

AcP 176 (1976), 221, 234 ff.; ders., RdA 1989, 152, 157. 220 BVerfGE 81, 242, 254 f.; 85, 191,213; 89, 214, 232 f.; Flume, Allgemeiner Teil II, S. 10; Larenz, Allgemeiner Teil, S. 52,55; Bleckmann, DVBl. 1988,938,943 f. 221 Larenz, Allgemeiner Teil, S. 55; Richardi, JZ 1978, 485, 485; ähnlich auch Däubler, NZA 1988,857,859; H. Hanau, Individualautonomie und Mitbestimmung, S. 103 (m.w.N. in Fn. 3). 222 So aber Kissel, NZA 1986, 73, 75; vgl. auch Jahnke, Tarifautonomie und Mitbestimmung, S. 121. 223 Konzen, ZfA 1985, 469, 486; Belling, Haftung des Betriebsrats, S. 55; DietzlRichardi, BetrVG, § 1 Rnz. 36; Nikisch, Arbeitsrecht III, S. 276; Richardi, Kollektivgewalt, S. 322; ablehnend zur These der Privatautonomie auch Reuter, SAE 1983,201, 202. 219

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Irreführend sind aber auch andere Begriffe wie "Privatautonomie auf höherer Ebene", "kollektive Selbstbestimmung" oder "kollektive Privatautonomie". Sie wecken nicht nur die (unzutreffende) Assoziation, dem Betriebsrat selbst stünde Privatautonomie zu; vielmehr rufen sie darüber hinaus den Eindruck wach, die Privatautonomie des einzelnen Belegschaftsangehörigen befinde sich im betriebsrätlichen Handeln auf einer höheren Ebene und verwirkliche sich dort. Dies wird man jedoch nicht sagen können224 . Zunächst folgen die Bedenken hiergegen weniger aus der Tatsache, daß die Vorstellung der "Realexistenz" von kollektiven Persönlichkeiten, Kollektivkörpern oder Kollektivseelen etc. im von Gierke'schen Sinne225 heute überholt ist226 . Auch wird man nicht sagen können, daß es so etwas wie kollektive Selbstbestimmung, kollektive Privatautonomie etc. nicht geben kann. Im Gegenteil: das Handeln mehrerer in Gemeinschaft ist nicht bloß die Summe isolierter Einzelhandlungen227 ; Ganzheiten sind ein aliud im Verhältnis zur Summe ihrer Teile. Es kann daher durchaus Selbstbestimmung und Ausübung personaler Freiheit darstellen, an einem solchen Kollektiv Anteil zu haben, sich in diesem, mit diesem und durch dieses freiheitlich selbst zu verwirklichen - "Freiheit durch Geselligkeit" (Suhr)228. Voraussetzung ist allerdings, daß auch ein auf die Freiheit des einzelnen rückfohrbarer Ableitungszusammenhang vorhanden ist. So sieht etwa auch Gast die Notwendigkeit, daß das betriebsrätliche Tun dem einzelnen "aufgrund eines (zu erfragenden) Ermächtigungszusammenhanges "zugerechnet" werden kann"229. Aber gerade dieser "Ermächtigungszusammenhang" ist das Problem, denn: damit von Privatautonomie auf höherer Ebene etc. gesprochen werden kann, müßte dieser Ermächtigungszusammenhang auf die grundrechtliche Freiheit des einzelnen zurückführen. Im zweiten Teil der Arbeit konnten aber keine privatautonomen Anknüpfungspunkte nachgewiesen werden; das Notwendige ist

224 Biberacher, Betriebliche Rechtsetzungsmacht, S. 136 f.; Richardi, ZfA 1992, 211,241.

225 Das Wesen der menschlichen Verbände, passim. 226 Vgl. dazu im Zusammenhang mit der Geltung der Grundrechte für juristische Personen Dürig, in: MaunzlDürig, GG, Art. 19 Abs. 3 Rnz. 3. 227 Dürig, in: Maun:zJDürig, GG, Art. 19 Abs. 3 Rnz. 3; vgl. dens. auch zum Folgenden. 228 EuGRZ 1984, 529 ff., passim. 229 Gast, Arbeitsvertrag und Direktion, S. 41.

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hierzu bereits gesagt230 • Die Wahl, auf die sich der Zurechnungszusammenhang allein beschränkt, ist nicht Ausdruck grundrechtlich-privatautonomen Handelns, da sie bereits im Gesetz vorgesehen ist; zudem trifft sie nur eine personelle Auswahl. Aufgaben und Befugnisse des Betriebsrats werden diesem allein vom Gesetz eingeräumt. Die hierdurch vermittelte Legitimation seines Handelns ist damit aber - weil gesetzlich vermittelt - unter diesem Blickwinkel demokratischen, nicht grundrechtlichen Ursprungs23\. Eine andere Konstruktion scheidet aus, da es im grundgesetzlichen Gemeinwesen nur diese beiden Möglichkeiten der Legitimation gibt232 • Aber selbst wenn man bildlich von einer "kollektiven Selbstbestimmung" oder "kollektiven Privatautonomie" sprechen möchte, darf der mit dem Instrument des Kollektivvertrages intendierte Machtausgleich nicht zum Selbstzweck werden. Es gehört zu den charakteristischen Gefahren organisierter Interessenvertretung, daß sie dazu tendiert, Individualinteressen unter das - wie immer defmierte - Gesamtinteresse unterzuordnen233 • Auch bringt jedes Handeln für andere Interessenkonflikte mit sich234 , ja, sie sind in einem Bereich wie dem vorliegenden institutionell und geradezu unausweichlich235 • Dieses Problem hat der Gesetzgeber, wenn überhaupt, dann nur in Ansätzen gesehen (§ 75 Abs. 2 BetrVG); er hat vielmehr unterstellt, daß der Betriebsrat stets das wohlverstandene Interesse des einzelnen im Auge haben werde 236 . Ebenso hat das Verhältnis der Selbstbestimmung des einzelnen zur Macht des Kollektivs auch in der wissenschaftlichen Diskussion keine bedeutende Rolle gespielt237 . Haben Kollektivverträge aber die verlorengegangene Privatautonomie des einzelnen 230 Vgl. bereits H. Huber, ZSchwR 74 (1955), 173, 184 Fn. 50: "Das (seil. eine modeme Erscheinungsform der Vertragsfreiheit) ist sie aber nicht, gerade weil es an der Selbstbestimmung fehlt und ohne jede Rücksicht darauf, ob die Unabdingbarkeit auf gesetzlicher Vorschrift beruht oder auf sozialer Verbandsmacht beruht." 231 V gl. auch Richardi, ZfA 1990, 211, 241. 232 Zu dieser Alternativität lsensee, Der Staat 20 (1981), 161, 162, 168. Vgl. im übrigen zur demokratischen Legitimation der Betriebsverfassung oben 3. Teil, 1. Kapitel, § 8 B II 3 b, S. 195 ff. 233 Reuter, Betriebs- und Unternehmensverfassung, S. 197, 199. 234 Rüthers, Betriebsverfassungsrechtliches Mitbestimmungsrecht und Individualbereich, S. 7, 11. 235 W. Blomeyer, GS Dietz, S. 147, 156. 236 v. Hoyningen-Huene, ZRP 1978, 181, 183 f. 237 Reuter, Betriebs- und Unternehmensverfassung, S. 197,209.

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Teil 3: Die Legitimation von Eingriffen

wiederherzustellen, so muß Gewißheit darüber bestehen, daß Betriebsräte stets und immer nur dem Menschen, nicht einem wie auch immer gearteten Kollektiv zu dienen haben; ihre Funktionen sind vom einzelnen her zu bestirnmen238 . Das schließt es aber nach hier vertretener Auffassung aus, mit der These der Privatautonomie auf höherer Ebene belastende Regelungen jenseits des Direktionsrechts des Arbeitgebers zu legitimieren. Zugleich ergibt sich hieraus, daß die oft zitierte Metapher, bei der Betriebsvereinbarung handele es sich um einen auf "die betriebliche Ebene projizierten Tarifvertrag" (Jacobi)239, als irreführend zurückzuweisen ist. Sie suggeriert eine Gleichartigkeit der kollektiven Gestaltungsfaktoren Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung und verlangt unter dem Schlagwort der Wahrung der "teleologischen Einheit", beide einheitlich zu behandeln24o . Hierbei soll dem Tarifvertrag sogar eine gewisse Leitbildfunktion für die Betriebsvereinbarung zukommen, was getragen ist von dem Gedanken, den Betriebspartnern mit diesem Argument weite Regelungsspielräume namentlich im Bereich der materiellen Arbeitsbedingungen zu erschließen; Bedenken unter dem Aspekt des Schutzes der Individualautonomie werden zerstreut, da der Tarifvertrag auf einem privatautonomen Fundament ruht241 . Diesen Thesen ist zu widersprechen und man wird im Gegenteil sagen müssen: von der Gemeinsamkeit im Hinblick auf die Urheberschaft abgesehen242 , je ein arbeitsrechtliches Kollektiv, ist aufgrund der unterschiedlichen Legitimationsgrundlagen gerade die teleologische Gegensätzlichkeit von Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung herauszustellen243 . Der Tarifvertrag gilt nur für die Mitglieder der Tarifvertragsparteien, § 3 Abs. 1 TVG. Der Erwerb der Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft ist jedoch ein Akt der Privatautonomie244 , so

238 Kauffmann, NJW 1960, 1645, 1649; Rüthers, Betriebsverfassungsrechtliches Mitbestimmungsrecht, S. 7, 33. 239 Grundlehren des Arbeitsrechts, S. 345; Jacobi beschrieb freilich mehr die Unterschiede als die Gemeinsamkeiten dieserbeiden Regelungsinstitute. 240 So vor allem Jahnke, Tarifautonomie und Mitbestimmung, S. 101 ff.; Säcker, Gruppenautonomie und Übermachtkontrolle, S. 344. 241 Säcker, Gruppenautonomie und Übermachtkontrolle, S. 343 f. 242 ZöllneriLoritz, Arbeitsrecht, S. 70. 243 Richardi, ZfA 1990, 211, 241 f.; ders., ZfA 1992, 307, 320. 244 Richardi, Betriebsverfassung und Privatautonomie, S. 8 ff.

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daß die Geltung der Tarifnormen für den einzelnen in der Tat auf seiner privatautonomen Entscheidung beruht245 . Demgegenüber konnte in der Betriebsverfassung ein privatautonomer Zusammenhang weder für den "Erwerb der Mitgliedschaft" noch sonst für die Geltung der Betriebsvereinbarung nachgewiesen werden; Legitimationsgrundlage ist allein das Gesetz. Darüberhinaus kann der einzelne de facto aus der Betriebsverfassung im Gegensatz zur Gewerkschaft auch nicht austreten; er ist deswegen noch enger an das Kollektiv gebunden, als im Koalitionsrecht246 . Daraus folgt aber zwingend, daß Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung gerade verschieden behandelt werden müssen. Hierbei genügt es auch nicht etwa wie Richardi zu sagen, "dem Gedanken der Privatautonomie (stehe) die Tarifautonomie näher als das durch Gesetz geschaffene Betriebsratsamt"247, sondern man wird sagen müssen: im Tarifvertrag verwirklicht sich Privatautonomie, während die Betriebsvereinbarung mit Privatautonomie - zumindest der des einzelnen Arbeitnehmers 248 - schlicht gar nichts zu tun hat. 2. Kollision zwischen Grundrechten der Arbeitnehmer und denen des Betriebsrats?

a) Die Problematik Fraglich ist, ob den Betriebspartnern eine weitgehendere, ungebundenere und selbständigere Regelungsgewalt als dies hier vertreten wird mit dem Argument zugesprochen werden könnte, der Betriebsrat selbst sei Grundrechtsträger249 . Zu denken wäre hierbei etwa an das Grundrecht der allgemeinen Hand245 Ausführlich Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität, S. 202 ff., 205; Canaris, AcP 184 (1984), 201, 243 f.; Richardi, Betriebsverfassungsrechtliche Mitbestimmung und Einzelarbeitsvertrag, S. 18. 246 Rüthers, Betriebsverfassungsrechtliches Mitbestimmungsrecht und Individualbereich, S. 7,27; Belling, Haftung des Betriebsrats, S. 54. 247 Betriebsverfassung und Privatautonomie, S. 13; deutlicher ders. in ZfA 1990, 211,241: "Sie (seil. die Betriebsvereinbarung) ist nicht Teil des Vertragsrechts und insbesondere auch keine Form kollektiver Privatautonomie." 248 Das mag für den Arbeitgeber anders sein, vgl. BVerfGE 73, 261, 271. 249 Vgl. zu diesem Ansatz F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 516, 522; vgl. auch in diese Richtung Jahnke, Tarifautonomie und Mitbestimmung, S. 113, der aber widersprüchlich argumentiert: zum einen dürfe das Schutzinteresse des einzelnen nicht gegenüber der Wahrnehmung von Kollektivinteressen zurücktreten, zum anderen

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Teil 3: Die Legitimation von Eingriffen

lungs- (Art. 2 Abs. 1 GG)250 oder das der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) als Grundlagen einer auf Betriebsvereinbarungen bezogenen vertraglichen Gestaltungsfreiheit251 . Betrachtet man hierzu das Meinungsbild, so gewinnt man den Eindruck, daß - völlig ungeachtet des damit aufgeworfenen Kollisionsproblems252 - fiir manche die grundrechtliche Welt erst dann in Ordnung zu sein scheint (Schrnidt-Aßmann), wenn sich möglichst jeder und damit auch der Betriebsrat auf Grundrechte berufen kann253 . Sucht man eine Antwort auf die Frage nach der Grundrechtsträgerschaft des Betriebsrats, dürfte es sich empfehlen, sich für den Blickwinkel der vorliegenden Thematik vorab ihre Funktion klar zu machen. Hier gilt: Grundrechtsträgerschaft hätte hier nicht die Funktion, staatliche Eingriffe abzuwehren, sondern dem Betriebsrat eine "drittgerichtete Kompetenz" zu verschaffen, der gegenüber die Arbeitnehmer im Umgang "Konkordanz" schuldig wären254 . Denn machte man den Betriebsrat selbst zum Grundrechtsträger, stellt sich die Frage, ob hierdurch die Grundlage für eine freiheitsbeschränkende Grundrechtskollision gelegt ist: betriebsrätliche Zuständigkeit nicht bloß als die gebündelte Ausübung der den einzelnen in ihrer Verbundenheit zustehenden Rechte, nicht bloße Treuhänderschaft seines personalen Substrats, sondern

gewährleiste Art. 2 Abs. 1 GG neben der Inidividualautonomie in gewissem Umfang aber zugleich auch die Kollektivautonomie, weswegen die Betriebsvereinbarungsautonomie nicht als Fremdbestimmungsordnung abqualifiziert werden dürfe, wenn das Gesetz in bestimmten Umfang auf einen individualrechtlichen Unterwerfungsakt verzichte; zur Bedeutung des Begriffs des Grundrechtsträgers, Scholz, Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, S. 134. 250 Jahnke, Tarifautonomie und Mitbestimmung, S. 34 ff. 251 Zur grundrechtsdogmatischen Einordnung der Vertragsfreiheit Höfling, Vertragsfreiheit, S. 4 ff. (Vertragsfreiheit als Hilfsrecht der grundrechtlichen Hauptgewährleistung); krit. zu diesem Ansatz allerdings Canaris, FS Lerche, S. 873, 874. 252 Zum Kollisionsproblem: Isensee, Anwendung der Grundrechte auf juristische Personen, § 118 Rnz. 65; Konzen, AcP 177 (1977), 473, 494 f.; Scholz, Koalitionsfreiheit, § 151 Rnz. 73 ff.; Zöllner, AöR 98 (1973), 71, 78 ff.; rur ein freiheitsbeschränkendes Nebeneinander z.B. Jahnke, Tarifautonomie und Mitbestimmung, S. 113. 253 Für Grundrechtsträgerschaft etwa Dütz, Grundrechtsschutz, S. 30 ff.; Ladeur, in: Altemativkommentar, GG, Art. 19 Rnz. 31; Gamillscheg, Arbeitsrecht 11, Nr. 352 (2), S. 230; Herschel, ZfA 1984, 65 f.; partiell auch DietziRichardi, BetrVG, § 1 Rnz. 21. 254 Suhr, AuR 1988, 65, 66 (Anspruch auf Konkordanz gegen Dritte als Folge der Zuerkennung von Grundrechtsträgerschaft).

Kapitel I: Das Erfordernis einer besonderen Legitimation

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selbständige Innehabung von Grundrechten255 . Der Kollektivität würde Eigenwert und eigenständige Bedeutung verliehen256, so daß - je nach Geschmack - die Grundrechte der Arbeitnehmer mit denen des Kollektivs kollidieren könnten257 : Grundrechtsträgerschaft gegen Grundrechtsträgerschaft. Bei einer solchen Betrachtungsweise träten dann in der Betriebsverfassung - bei freilich völlig anderer Legitimationsgrundlage - dieselben Probleme auf, die von der Theorie des "Doppelgrundrechts" bei Art. 9 Abs. 3 GG bekannt sind: die Gefahr, daß grundrechtliche Freiheit der Arbeitnehmer gekürzt wird zu Gunsten des Kollektivs 258 . Für das weitere Vorgehen stellen sich daher zwei Fragen. Zum einen, ob der Betriebsrat Grundrechtsträger ist (b), zum anderen, ob sich aus der Grundrechtsträgerschaft einer juristischen Person eine "drittgerichtete Kompetenz" gegen ihre Mitglieder ableiten läßt. b) Grundrechtsträgerschaft des Betriebsrats selbst? Ausgangspunkt für die Beantwortung der Frage, ob Betriebsräte Grundrechtsträger sein können, ist Art. 19 Abs. 3 GG. Hierbei tritt das erste Problem auf beim Begriff der juristischen Person. Gewiß: der verfassungsrechtliche Begriff der juristischen Person ist eigenständig zu entwickeln und knüpft nicht an eine allgemeine zivilrechtliche Rechtsfähigkeit an. Das Fehlen einer "umfassenden Rechtsfähigkeit"259 des Betriebsrats wäre damit insoweit unschädlich26o . Aber auch wenn man die Anforderungen an diesen Begriff herabsenkt, bereitet die Annahme einer juristischen Person gleichwohl Schwierigkeiten. So verlangt Z.B. Dürig zumindest einen Zusammenschluß von Personen, 255 Bleckmann, Staatsrecht II, S. 102 f. (Trennung der Rechtssphären); Isensee, Anwendung der Grundrechte auf juristische Personen, § I 18 Rnz. 3; Stern, Staatsrecht 111/1, S. 1117 f.; Bethge, Die Grundrechtsberechtigung juristischer Personen, S. 15,

25 f.

256 Vgl. zum - insoweit - paraIlel gelagerten FaIl des Art. 9 Abs. 3 GG Zöllner, AöR 98 (1973), 71, 79. 257 Scholz, Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, S. 62 ff. 258 Scholz, Koalitionsfreiheit, § 151 Rnz. 73 ff.; Zöllner, AöR 98 (1973), 71, 78 ff.; Richardi, AöR 93 (1968), 243, 265; Rupp, Verfassungsrecht und KarteIle, S. 187, 206 f. 259 Die es ohnehin nicht gibt, da Rechtsfahigkeit stets relativ ist, Rupp, Grundfragen, S. 8 I ff., dort auch weitere Nachweise. 260 Isensee, Anwendung von Grundrechten auf juristische Personen, § 118 Rnz. 23; Dürig, in: MaunzfDürig, GG, Art. 19 Abs. 3 Rnz. 29; Scholz, ebenda, Art. 9 Rnz. 25. 14 Müller·Franken

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Teil 3: Die Legitimation von Eingriffen

der von der Rechtsordnung als Zuordnungssubjekt für eigene Rechte und Pflichten anerkannt ist261 . Unter diesem Blickwinkel könnte man bereits an der Qualität des Betriebsrats als juristische Person zweifeln, folgte man der Lehre, die die betriebsverfassungsrechtlichen Beteiligungsrechte der Belegschaft, dem Betriebsrat demgegenüber nur Wahrnehmungszuständigkeiten zuordnet262 ; es fehlte dann an der Innehabung eigener Rechte. Betrachtete man dann das Verbleibende, gesetzlich zugewiesene Kompetenzen, so wäre deren Grundrechtsschutz problematisch: im - in diesem Punkt eine Parallele aufweisenden Fall der Grundrechtsfähigkeit der juristischen Person des öffentlichen Rechts, hat das Bundesverfassungsgericht Kompetenzen als prinzipiell nicht grundrechtlieh schützenswert angesehen, da mit ihnen keine grundrechtlichen Freiheiten ausgeübt würden263 . Speziell im Hinblick auf die Aufgaben und Kompetenzen des Personalrats hat das Gericht dessen Grundrechtsfähigkeit verneint mit dem Argument, daß zum einen seinen Mitgliedern selbst keine eigenen Grundrechte im Interesse der Erfüllung ihrer Ausgaben zur Seite stünden, zum anderen aber auch dessen Aufgaben nach dem Personalvertretungsgesetz diesem nicht das Mandat gäben, ganz allgemein Grundrechte der Bediensteten wahrzunehmen (damit auch keine Grundrechtstreuhänderschaft)264. Bei dieser Ausgangslage stand das Gericht nun vor dem Problem, daß andererseits subjektiv-rechtliche Positionen leerzulaufen drohten, da die kollektiven Beteiligungsrechte wiederum auch nicht von ihrem Rechtsträger, den Arbeitnehmern, geltend gemacht werden können265 . Nur um dies zu verhindern, sprach nach seiner Meinung nun einiges dafür, in Anlehnung an die Figur der Partei kraft Amtes 266, dem Betriebsrat gleichwohl das Recht zuzusprechen, Grundrechte in eigenem Namen geltend zu machen267 . Diese Überlegungen waren jedoch rein verfahrensrechtliche Hilfskonstruktionen im Hinblick auf die Abwehr staatli-

261 Dürig, in: MaunzIDürig, GG, Art.19 Abs. 3 Rnz. 8; ihm folgend Dietz/Richardi, BetrVG, § I Rnz. 21; Bethge, AöR 104 (1979), 54, 75 f.; ähnlich v. Mutius, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 19 Abs. 3 Rnz. 43 ff., 67 ff. 262 VgJ. dazu 2. Teil, l. Kapitel, § 2 B, S. 49 f. 263 BVerfGE 68,193,206; Broß, VerwArch 77 (1986), 65, 75. 264 BVerfGE 21, 314, 322 f.; DVBJ. 1992, 610, 611; für den Betriebsrat vgl. BVerfG, NZA 1995, 129, 130. 265 Dütz, Grundrechtsschutz, S. 42. 266 BVerfGE 27, 326, 333; 51, 405, 408; 65,182,190. 267 Dütz, Grundrechtsschutz, S. 42 ff.

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cher Einwirkungen, die über materielle Wertungen keinen Aufschluß geben sollten; sie sind nicht in der Lage, die sich unter dem Aspekt der Innehabung eigener Rechte aufgezeigten Zweifel zu beseitigen. Demgegenüber lassen es manche für den Begriff der juristischen Person genügen, wenn sich eine Organisation zu einer Entscheidungs- und Handlungseinheit verdichtet sowie sich gegenüber den sie tragenden Menschen relativ verselbständigt hat268 . Angesichts seiner eigenständigen Wirkungsmöglichkeiten und seiner gegenüber der Belegschaft unabhängigen Stellung (vgl. § 23 Abs. 1 BetrVG), mag man davon ausgehen, daß der Betriebsrat diese Kriterien erfüllt. Allerdings wird zusätzlich zu diesen rechts technischen Anforderungen durchgängig noch eine rechtsethische erhoben: die Organisation bedarf einer grundrechtlichen (privatautonomen) Fundierung269 . Nur wenn "die Bildung und Betätigung einer juristischen Person Ausdruck der freien Entfaltung der privaten natürlichen Personen sind, wenn insbesondere der Durchblick auf die hinter den juristischen Personen stehenden Menschen es als sinnvoll und erforderlich erscheinen läßt, ist es gerechtfertigt, juristische Personen als Grundrechtsinhaber anzusehen und sie kraft dessen in den Schutzbereich bestimmter materieller Grundrechte einzubeziehen"270. Diese ungeschriebene Voraussetzung ist der (letztlich) hinter Art. 19 Abs. 3 GG stehende materiale Gedanke: die Bildung der juristischen Person ihrerseits muß - direkt oder indirekt Ausdruck grundrechtlicher Freiheit natürlicher Personen sein271 . Das Handeln eines sozialen Gebildes gelangt nur dann in den Schutz der Grundrechte, wenn es aus dem Individualwillen originärer Grundrechtsträger fließt, nicht aber aus dem Willen der staatlich verfaßten Allgemeinheit272 • Es bedarf m.a.W. eines Legitimationszusammenhanges zwischen dem Wirken der Organisation und der grundrechtlichen Individualfreiheit273 . Dies ist bei der juristischen Person

Isensee, Anwendung der Grundrechte auf juristische Personen, § 118 Rnz. 27. Isensee, Anwendung der Grundrechte auf juristische Personen, § 118 Rnz. 27. 270 BVerfGE 61,82, lOt. 271 BVerfGE 21, 362, 369; 61, 82, lOl; 68, 193, 205 f.; 70, I, 20; Bethge, Die Grundrechtsberechtigung juristischer Personen, S. 26 f.; Isensee, Anwendung der Grundrechte auf juristische Personen, § 118 Rnz. 24. 272 Isensee, Anwendung der Grundrechte auf juristische Personen, § 118 Rnz. 24. 273 Isensee, Anwendung der Grundrechte auf juristische Personen, § 118 Rnz. 26. 268

269

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des Privatrechts regelmäßig der Fa1l274 : sie beruht auf einem Gründungsakt, der seine Wurzeln in der Privatautonomie hat. Ihre Entstehung wie auch ihr Wirken nach der Gründung können verstanden werden als eine Verlängerung der Privatautonomie in die juristische Person hinein. Anders bei der juristischen Person des öffentlichen Rechts. Sie wird durch Gesetz oder anderen öffentlich-rechtlichen Kreationsakts geschaffen, privates Handeln hat allenfalls Amegungs- oder Anstoßfunktion, scheidet als Entstehungsfaktor jedoch aus 275 . Sie ist deshalb prinzipiell nicht grundrechtsfähig276 . Betriebsverfassung, wie gesehen, ist nicht Ausdruck grundrechtlich-freiheitlichen Selbsthandelns der Gesellschaft, sondern das, was man unter "Sozialordnung des Staates" versteht. Es ist hier der Gesetzgeber, der durch das Schaffen einer Institution Grundrechte der einzelnen schützen will. Dies wurde oben im einzelnen dargelegt. Ist der Betriebsrat aber nur ein staatlich geschaffener Mittler der Freiheit der hinter ihm stehenden Arbeitnehmer, spricht jedoch - von der verfahrensrechtlichen und auf Staatsabwehr gerichteten Hilfsüberlegung abgesehen - nichts dafür, ihn selbst als Zurechnungsendpunkt von Grundrechten anzusehen277 . c) Grundrechtskollision zu Lasten der Arbeitnehmer? Selbst wenn man jedoch dem Betriebsrat eigene Grundrechtsträgerschaft zusprechen wollte, stellte sich immer noch die Frage, ob die Rechtsstellung des Kollektivs das Übergewicht gegenüber der des einzelnen gewinnen kann. Allgemein gilt: spricht man einer juristischen Person Grundrechte zu, so schulden ihr Dritte im Umgang Konkordanz, d.h. einen wechselweisen Ausgleich der miteinander in Kollision tretenden beiderseitigen Grundrechtspositionen278 . Zweifelhaft ist nur, ob dies auch im Verhältnis zu den die 274 Ausnahme etwa der Landesinnungsverband des § 80 HandwerksO oder der bereits im 2. Teil, I. Kapitel, § 5 B 11 4, S. 88 ff. erwähnte genossenschaftliche Prüfungsverband. 275 Stern, Staatsrecht HI/I, S. 1083 f. 276 BVerfGE 21,362,369; 61, 82, 100 f.; 68, 193,206; zu den Ausnahmen Bethge, Die Grundrechtsberechtigung juristischer Personen, S. 77 ff.; Stern, Staatsrecht III/1, S. 1150ff. 277 Reichold, Betriebsverfassung als Sozialprivatrecht, S. 448, 495, 502, 533, 548. 278 Suhr, AuR 1988,65 f.; allg. auch Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rnz. 72,317ff.

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juristische Person konstituierenden Mitgliedern gelten kann. Dies wird in der Tat für das Grundrecht der Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 GG vertreten: das eigene Grundrecht der Vereinigung sei geeignet, die negative und auch die positive Koalitionsfreiheit des einzelnen zu beschränken279 • Die Konsequenzen solcher Lehren, wie die vom "Doppelgrundrecht" des Art. 9 Abs. 3 GG, stehen jedoch im Widerspruch zum Grundkonzept des Art. 19 Abs. 3 GG und sind deshalb nicht nur dort, sondern überhaupt abzulehnen28o : nach der Grundidee der Grundrechtsträgerschaft der juristischen Person bedarf diese der individualgrundrechtlichen Legitimation, die nur dann gegeben ist, wenn Existenz, Struktur und Wirken einer Organisation vom Willen der beteiligten Menschen gedeckt sind. Dieses Erfordernis hat seinen Grund vor allem gerade darin, daß nur so sichergestellt ist, daß kein Widerspruch eintritt zwischen den Grundrechten der juristischen Person und denen der sie tragenden Menschen. "Die Grundrechtsfähigkeit der juristischen Person darf nicht dazu führen, daß privatautonome Zusammenhänge aufreißen, daß sich die Organisation von ihrem personalen Substrat löst und sich zu ihrem Nebenbuhler oder Vormund aufschwingt" (Isensee)281. Denn letztlich sind die Grundrechte der juristischen Person dazu bestimmt, grundrechtliche Freiheit der beteiligten natürlichen Personen zu stärken oder zu ergänzen, nicht aber, sie zu gefahrden282 . Dies gilt für die "frei" gebildeten juristischen Personen. A fortiori wird man dies aber auch von der Betriebsverfassung sagen müssen, denn bei ihr handelt es sich ja nur um eine Zweckkonstruktion des Gesetzgebers, eine Zwangskörperschaft. Ihr Zweck ist es, durch Schaffung einer Institution die Stellung des Individuums im Arbeitsleben zu stärken, seine Grundrechtsträgerschaft zu fOrdern. Vor diesem Hintergrund geht es aber nicht an, die um des Freiheitsschutzes des einzelnen willen errichtete Betriebsverfassung zusätzlich grundrechtlich aufzuladen, um sie anschließend gegen den einzelnen wenden zu können283 •

279 Vgl. dazu (krit.) Scholz, Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, S. 62 ff.; Isensee, Anwendung der Grundrechte auf juristische Personen, § 118 Rnz. 65. 280 Scholz, Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, S. 62 ff.; Konzen, AcP 177 (1977),473,494 f. 281 Anwendung der Grundrechte auf juristische Personen, § 118 Rnz. 29. 282 Bleckmann, Staatsrecht 11, S. 100. 283 Vgl. dazu auch Bleckmann/Helm, DVBI. 1992,9, 12.

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Teil3: Die Legitimation von Eingriffen

Machte man den Betriebsrat zum Grundrechtsträger, so darf Freiheit der Arbeitnehmer nicht verkürzt werden. Seine Grundrechtsträgerschaft ginge nur soweit, wie seine betriebsverfassungsrechtliche Legitimation reichte284 ; wie weit diese reicht, ist aber gerade die Frage und nach hier vertretener Ansicht nur aus dem Gesetz selbst zu entwickeln. Eine Erweiterung der Kompetenzen des Betriebsrats, hier vor allem seiner Regelungsgewalt, kann damit nicht aus dem Argument abgeleitet werden, er sei Grundrechtsträger. Grundrechtsträgerschaft folgt weder aus einer gesetzlichen Kompetenzzuweisung, noch folgen eigenständige Kompetenzen oder Befugnisse aus einer Grundrechtsträgerschaft285 . Grundrechtsfähigkeit führt also in keinem Fall dazu, daß sich die juristische Person von ihren Mitgliedern emanzipiert, ein privatrechtlich nicht gerechtfertigtes Eigenleben beginnt und ihre satzungsmäßigen oder gesetzlichen Bindungen sprengen könnte 286 . Der Gedanke des Grundrechtsschutzes gar der Zwangskörperschaft gegen ihre Mitglieder, stellte die freiheitliche Idee der Grundrechte vollends auf den KopP87. Ihm ist die Gefolgschaft zu versagen. 3. Mißachtung der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft?

Aus dem Gesagten ergibt sich, daß die Forderung nach einer ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigung rür belastende betriebliche Regeln auch nicht die den freiheitlichen Staat konstituierende Unterscheidung von Staat und Gesellschaft mißachtete oder ihrer Einebnung das Wort redete. Gewiß ließe sich an eine solche Einebnung denken, verbietet dieses Prinzip doch, unbesehen Ordnungsprinzipien des Staates auf die Gesellschaft zu übertragen288 ; und eine solche Übertragung könnte hier darin liegen, daß dem Vorbehalt des Gesetzes Geltung für die betriebliche und damit eine nichtstaatliche, sondern private Rechtsetzung verschafft werden soll. Aber ein solcher Einwand wäre widersprüchlich, denn es wäre nicht zu rechtfertigen, den Schutz der Freiheit durch 284 BVerfG, NZA 1995, 129, 130; Dütz, Grundrechsschutz, S. 46 f.; Hersehel, ZfA 1984,65,66; Däubler, AuR 1982,6, 10. 285 BVerwGE 59, 231, 239 f.; Dürig, in: MaunzJDürig, GG, Art. 19 Abs. 3 Rnz. 29, 40; v.. Mutius, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 19 Abs. 3 Rnz. 69 f. 286 Isensee, Anwendung der Grundrechte auf juristische Personen, § 118 Rnz. 13. 287 Vgl. Bethge, Die Grundrechtsberechtigung juristischer Personen, S. 118 ff. (zu den öffentlich-rechtlichen Zwangsverbänden). 288 Rupp, NJW 1972,537,542.

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das Recht gegen Gefahrdungen aus der staatlichen Sphäre zu fordern, für unfreiwillige Belastungen aus dem Bereich der Gesellschaft den Schutz der Freiheit durch das Recht jedoch für entbehrlich zu halten289 • Das Rechtsstaatsprinzip ist zwar defmiert als ein staatsgerichtetes Prinzip, das abzielt auf eine Ordnung des staatlichen Handelns nach Maßstäben und in den Bahnen des Rechts29o . Und zudem gilt, daß eine freiheitliche Gesellschaftsordnung sich gerade dadurch auszeichnet, daß der Staat auf ein Reglementieren privatautonomer Handlungs- und Gestaltungsbefugnisse verzichtet und - so ließe sich einwenden - eben hier sei betriebliche Rechtsetzung anzusiedeln. Die Untersuchung hat aber gezeigt, daß das Handeln des Betriebsrates privatautonomen Handlungs- und Gestaltungsbefugnissen, d.h. "den Agenden der freiheitlichen Gesellschaft", nicht zugeordnet werden konnte 291 • Allein die Tatsache, daß das Arbeitsverhältnis dem Privatrecht zuzuordnen ist, Betriebs"vereinbarungen" wie Verträge zustandekommen und die hier maßgebliche Norm des § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG als eine solche des Privatrechts zu qualifizieren ist, konnte für diese Wertung nicht hinreichen. Die Betriebsverfassung stellt eine gesetzliche Zwangsveranstaltung dar, der der einzelne nicht entgehen kann. Und die in den Betrieben abzuhaltende Wahl, die in diesem Zusammenhang stets bemüht wird, bezieht sich - wie jede Wahl und bereits erwähnt - nur auf Personen, nicht auf Inhalte an sich, und auch die als herrschend anzusehende Meinung räumt insoweit mitunter immer wieder ein, daß der Betriebsrat nur im Rahmen seiner gesetzlichen Kompetenzen soll tätig werden dürfen 292 , womit sie allerdings ihren eigenen Ausgangspunkt verläßt. Das Geschehen im Rahmen der Betriebsverfassung folgt damit aber von vornherein nicht den Prinzipien freiheitlicher Selbstordnung und Selbstgestaltung, die ja gerade für den Bereich der Gesellschaft kennzeichnend sind.

289 Vgl. Rupp, NJW 1972, 1537, 1543 f; Stern, Grundrechte der Sportler, S. 142, 147 ff; H. Huber, ZSchwR 74 (1955), 173, 183, 196 f 290 Vgl. Stern, Staatsrecht I, S. 781, auch zu den materiellen Zielen der Definition. 291 Das betriebliche Geschehen als solches freilich gehört auf die Agenden des Privaten, vgl. oben 2. Teil, 2. Kapitel, § 6 C 11 3 a, S. 143 Fn. 484. 292 HueckiNipperdey, Arbeitsrecht 11/2, S. 1091 f.; Nikisch, Arbeitsrecht III, S. 276; Neumann-Duesberg, Betriebsverfassungsrecht, S. 415; E.R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht 11, S. 527; v. Hoyningen-Huene, Betriebsverfassungsrecht, S. 205.

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Teil 3: Die Legitimation von Eingriffen

Demgegenüber verstellt gerade umgekehrt die traditionelle Vorstellung vom Staat als dem Feind des Individuums den Blick dafür, daß dessen Freiheit nicht minder durch nichtstaatliche Institutionen gefährdet werden kann293 • Für den Rechtsstaat, der die Anerkennung und den effektiven Schutz elementarer Rechte des einzelnen als Richtmaß staatlicher Ordnung begreift, kann es jedoch nicht mehr nur um die Bändigung der Staatsrnacht, sondern muß es auch um die Bändigung der Macht gesellschaftlicher Organisationen gehen294 . Die Verfassungs entscheidung für den Rechtsstaat bedeutet daher nicht nur eine Entscheidung für eine spezifische Struktur staatlichen, sondern auch des gesellschaftlichen Lebens 295 . Die Forderung nach dem Vorbehalt des Gesetzes für das betriebliche Regeln mißachtet demnach nicht die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft.

C. Ergebnis Als Ergebnis dieses Kapitels kann festgehalten werden, daß Eingriffe, die in Betriebsvereinbarungen vorgenommen werden, einer besonderen Legitimation bedürfen. Es hat sich gezeigt, daß der Vorbehalt des Gesetzes für eingreifende Regelungen Geltung beansprucht. Im Einzelfall bedarf es für Eingriffe in grundrechtlich geschützte Freiheitsbereiche des Nachweises einer speziellen, dem Bestimmtheitsgebot genügenden parlamentsgesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. Gründe, die dies entbehrlich sein ließen, sind nicht ersichtlich.

2. Kapitel

Der Nachweis einer Eingriffsgrundlage Im folgenden soll nun der Frage nachgegangen werden, woher die erforderliche Eingriffsgrundlage genommen werden kann. Die Rechtsprechung stellt hierbei in zahlreichen Fällen ab auf die unmittelbare und zwingende Wirkung von Betriebsvereinbarungen, die auf dem Gebiet der sozialen Angelegenheiten erlassen werden. Hier ist daher zuerst zu prüfen, ob § 77 Abs. 4 293 294 295

Burmeister, DÖV 1978, I; H. Huber, ZSchwR 74 (1955), 173, 196 f. Burmeister, DÖV 1978, 1; Stern, Grundrechte der Sportler, S. 142, 147 ff. Schmidt-Aßmann, Der Rechtsstaat, § 24 Rnz. 21.

Kapitel 2: Der Nachweis einer Eingriffsgrundlage

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Satz 1 BetrVG in Verbindung mit den Nonnen über die Kompetenz in sozialen Angelegenheiten diese Legitimation entnommen werden kann.

§ 9 Die allgemeine Regelungskompetenz in sozialen Angelegenheiten A. Die Argumentation I. Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts Das Bundesarbeitsgericht stellt in seinen Entscheidungen häufig ab auf die unmittelbare und zwingende Wirkung von Betriebsvereinbarungen in Verbindung mit einer Regelungskompetenz in sozialen Angelegenheiten, um eine Eingriffsbefugnis der Betriebspartner zu begründen296 • Zunächst spricht es den Betriebspartnern durch eine Zusammenschau der §§ 77 Abs. 3, 88 BetrVG in sozialen Angelegenheiten eine Regelungskompetenz zu, die grundsätzlich umfassend sei297 • Der Begriff der sozialen Angelegenheit sei weit zu verstehen 296 Der davon unabhängige, zweite Begrundungsweg argumentiert mit den Mitbestimmungsrechten des Betriebsrates. Dieser ist Gegenstand des § 10,2. Kapitel, 3. Teil, S. 223 ff; vgl. dazu BAG, AP Nr. 9 BetrVG 1972 § 87 - Arbeitszeit; EzA § I LohnfortzG Nr. 71. Die Argumentation mit den Mitbestimmungsrechten läßt sich von der vorliegenden trennen. In den Angelegenheiten, in denen der Betriebsrat lediglich freiwillige Betriebsvereinbarungen schließen kann, stehe den Betriebspartnern eine umfassende Eingriffsbefugnis zu, die bereits für sich als hinreichend angesehen wird. Besteht außerdem ein Mitbestimmungsrecht, so kommt dieses in den entsprechenden Fällen als eine weitere argumentative Stütze hinzu. Der hiervon abweichenden früheren Rechtsprechung des 6. Senats des BAG, AP NT. 4 zu § 77 BetrVG 1972, nach der nur in den Fällen der erzwingbaren Mitbestimmung nach § 87 BetrVG Eingriffsbefugnisse bestehen sollten, ist der Große Senat des BAG nicht gefolgt, AP Nr. 17 zu § 77 BetrVG 1972: die Abgrenzung von erzwingbaren gegenüber freiwilligen Betriebsvereinbarungen betreffe nur das Verfahren, auch "im Bereich des § 88 BetrVG" seien "vollwertige Betriebsvereinbarungen" möglich. Vgl. auch den Aufbau der Entscheidung BAG, SAE 1994, 316; an der Argumentation des 6. Senats hält weiterhin fest Leinemann, DB 1985, 1394, 1397 u. DB 1990,732,736 ff. 297 BAG, AP Nr. 52 zu § 77 BetrVG; NZA 1991,734735; NZA 1991,607 f.; BAG, (GS), NZA 1992, 749, 753; AP Nr. 46 zu § 77 BetrVG 1972: die Rechtsetzungsgewalt ergebe sich "aus allgemeinen Grundsätzen des Betriebsverfassungsrechts, die in § 77 Abs. 3 (Tarifvorrang) und § 88 BetrVG (freiwillige Betriebsvereinbarungen) zum Ausdruck kommen". Mitunter spricht das Gericht auch von Regelungszuständigkeit, AP NT. 2 zu § 620 BGB - Altersgrenze sub B I. Dieser - offensichtlich - an das Verwaltungsrecht angelehnte Sprachgebrauch ist ungenau: Zuständigkeit meint (nur)

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Teil 3: Die Legitimation von Eingriffen

und es sei hierunter alles zu fassen, was nicht zu den personellen oder wirtschaftlichen Angelegenheiten im engeren Sinne gehöre298 . Diese grundsätzlich umfassende Regelungskompetenz in sozialen Angelegenheiten schließe nun auch die Befugnis ein, über die in Rede stehende Frage eine belastende Vereinbarung zu treffen299 • Um dies zu belegen, wird nun ausdrücklich auf den Wortlaut des § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG verwiesen. Das Gesetz spreche in dieser Norm die Eingriffs gewalt der Betriebspartner unmittelbar aus, wenn es den von diesen in der Form der Betriebsvereinbarung getroffenen Regelungen unmittelbare und zwingende Wirkung beilege3OO • die Zuordnung einer Aufgabe zu einem Wahrnehmungssubjekt, Kompetenz, das, was nach diese Zuordnung dem Subjekt zusteht, die wahrzunehmende Aufgabe selbst, WolfflBachof, Verwaltungsrecht 11, (4. Aufl.), § 72 I b, c, S. 14 f. 298 BAG, (GS), AP Nr. 1 zu § 57 BetrVG 1952; AP NT. 1 zu § 88 BetrVG 1972; Bakopoulos, Zuständigkeitsverteilung, S. 18. In der - insoweit - vereinzelt gebliebenen Entscheidung AP Nr. 46 zu § 77 BetrVG sprach das BAG sogar von sozialen und personellen Angelegenheiten (Hervorhebung vom Verf.). Nur in der Wortwahl, nicht aber sachlich differierend, spricht es auch davon, "die Betriebspartner könnten in der Betriebsvereinbarung alle Fragen regeln, die auch in einem Arbeitsvertrag geregelt werden könnten", AP Nm. 23, 52 zu § 77 BetrVG 1972 oder ihnen stehe die "gleiche Regelungsbefugnis zu wie den Tarifpartnern", NZA 1991,734,735; AP Nr. 46 zu § 77 BetrVG 1972. 299 So heißt es in der Entscheidung über die Zulässigkeit der Regelung von Vertragsstrafen, die Betriebspartner seien "befugt", "in einer BV alle Fragen zu regeln, die auch Inhalt des Arbeitsvertrages sein können, soweit nicht der Vorbehalt einer tariflichen Regelung nach § 77 Abs. 3 BetrVG eingreife ..... Danach können in Betriebsvereinbarungen auch Vertragsstrafen im Sinne des § 399 BGB (gemeint ist § 343 BGB, Anm. des Verf.) zu Lasten der ArbN des Betriebes normiert werden", BAG, AP Nr. 52 zu § 77 BetrVG. Oder in einer Entscheidung über die Zu lässigkeit von Ausschlußfristen kurz: die "Befugnis" zu ihrer Vereinbarung "folge" ... "darüber hinaus aus der grundsätzlich umfassenden Regelungskompetenz der Betriebspartner", NZA 1991, 734 735. 300 In einer neueren Entscheidung zur Einflihrung von Kurzarbeit durch Betriebsvereinbarung spricht das Gericht davon, daß eine "Änderung der Arbeitsverträge hinsichtlich der Dauer der Arbeitszeit und der Lohnzahlungspflicht flir die Dauer der Kurzarbeitsperiode ohne Rücksicht auf den Willen der Arbeitnehmer jedoch nur durch eine förmliche Betriebsvereinbarung nach § 77 11 BetrVG herbeigeflihrt werden (kann)". "Nur sie wirkt gern. § 77 IV BetrVG unmittelbar und zwingend auf die Arbeitsverhältnisse ein .... ", NZA 1991,607 f.; ebenso BAG, (GS), NZA 1992,749,753; zur Kurzarbeit aus früherer Zeit AP Nr. 2 zu § 87 BetrVG 1972 - Arbeitszeit; AP Nr. 1 zu § 32 SchwBeschG; AP Nr. 13 zu § 615 BGB - Betriebsrisiko; AP Nm. 1, 2 zu § 615 BGB - Kurzarbeit; AP Nr. 2 zu § 56 BetrVG - Arbeitszeit.

Kapitel 2: Der Nachweis einer Eingriffsgrundlage

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Treffe eine Betriebsvereinbarung auf eine bereits bestehende vertragliche Regelung, wie z.B. bei der Kurzarbeit oder der sog. ablösenden Betriebsvereinbarung, so drückt das Gericht diesen Gedanken gelegentlich auch so aus, daß § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG die "maßgebende Kollisionsnorm" darstelle. "Nach dieser Bestimmung gelten BVen unmittelbar und zwingend. Die Inhaltsnormen einer BV verdrängen danach vertragliche Regelungen", wobei dieses Verdrängen so zu verstehen sei, daß an die Stelle der vertraglichen Regelung die Regelung trete, die in der Betriebsvereinbarung vorgesehen sei. Für diese verdrängende Wirkung sei es auch unerheblich, ob die Betriebsvereinbarung auf Arbeitnehmer treffe, die bereits bei ihrem Erlaß in dem Betrieb beschäftigt seien, oder ob sie erst später eingestellt worden sind. So hat das Gericht in seinem Urteil zur Zulässigkeit eines Abtretungsausschlusses in einer Betriebsvereinbarung entschieden, das die Wirkung dieser Betriebsvereinbarung sich auf alle Arbeitnehmer erstrecke, neben den bereits zum Betrieb dazu Gehörigen auch auf die, die erst nach dem Abschluß der Betriebsvereinbarung in den Betrieb eingetreten seien30I . Das Bundesarbeitsgericht ist damit nicht bemüht, für beschwerendes Regeln der Betriebspartner eigenständige Eingriffsgrundlagen nachzuweisen, die als zusätzliche und qualitativ andersartige Befugnisnormen zu deren allgemeiner Regelungskompetenz, bzw. zu der im Gesetz angeordneten Wirkung der von diesen formulierten Normen hinzuträten. Für das Bundesarbeitsgericht folgt vielmehr das eine aus dem anderen: sind die Betriebspartner für eine Frage nur kompetent, so verfügen sie auch über eine entsprechende Regelungsbefugnis. Das letztlich schlagende Argument liefert dann der Wortlaut des § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG, der die Eingriffsgewalt der Betriebspartner ausspreche, wenn er den von ihnen in der Form der Betriebsvereinbarung getroffenen Regelungen unmittelbare und zwingende Wirkung beilege. 11. Das zustimmende Schrifttum Weite Teile des Schrifttums folgen dem Bundesarbeitsgericht und gehen mitunter sogar noch über dessen Position hinaus. So spricht sich etwa Fastrich für die offene Anerkennung der verschlechternden Betriebsvereinbarung zur Änderung arbeitsvertraglicher Einheitsregelungen aus 302 . Er begründet dies mit 301 302

BAG, AP Nr. 4 zu § 399 BGB. RdA 1994, 129.

220

Teil 3: Die Legitimation von Eingriffen

einer allgemeinen Verschlechterungskompetenz, die er der Funktion der Betriebsvereinbarung als Instrument der Betriebsverfassung entnehmen will. Der Betriebsverfassung sei die Ordnung der Zusammenarbeit der Arbeitnehmer und des Verhältnisses der Belegschaft als Gruppe zum Arbeitgeber aufgegeben und insoweit gehe es nicht nur darum, Mindestarbeitsbedingungen zu setzen303 . Joost stützt die Befugnis der Betriebspartner zum Erlaß verschlechternder Betriebsvereinbarungen zwar in erster Linie auf die "Mitbestimmungskompetenz" des Betriebsrats, die diesem nicht nur in § 87 BetrVG, sondern auch in § 88 BetrVG zugewiesen und in beiden Bereichen gleich sei304 . Daneben verweist aber auch er schlicht auf die zwingende Wirkung von Betriebsvereinbarungen305 . Schließlich meinen FittinglKaiserlHeitherlEngels, Gegenstand der Betriebsvereinbarung müsse nicht notwendig eine Regelung zugunsten der Arbeitnehmer sein, vielmehr könne der Betriebsrat "im Rahmen seiner Beteiligungsrechte auch in die Rechtsstellung des einzelnen eingreifen"306.

B. Wahrung der Anforderungen an eine besondere Eingriffsgrundlage? Es stellt sich die Frage, ob ein solches Vorgehen den Anforderungen des Vorbehaltes des Gesetzes gerecht wird. Im Wortlaut des § 77 Abs. 4 Satz I BetrVG sind Belastungsbefugnisse nicht ausdrücklich ausgesprochen worden. Er ist ganz allgemein fonnuliert. Auch fehlt es an Vorgaben wann, unter welchen Voraussetzungen und zu welchem Zweck etc. Belastungen ausgesprochen werden können. Daß Belastungsbefugnisse in einem Gesetz ausdrücklich ausgesprochen werden, gibt es aber. Möchte der Gesetzgeber außerstaatlichen Einheiten die Befugnis zu belastendem Regeln verleihen, so schreibt er beispielsweise in die Gemeindeordnungen hinein, daß die Gemeinde bei öffentlichem Bedürfnis durch Satzung für die Grundstücke ihres Gebietes den Anschluß an Wasserleitung, Abwasserbeseitigung, Straßenreinigung sowie die Benutzung dieser

303 304 305 306

RdA 1994, 129, 135; ähnlich bereits HilgeriStumpf, FS G. Müller, S. 209 ff. RdA 1989,7,17 f. RdA 1989,7, 19mitFn. 123.

BetrVG, § 77 Rnz. 59 sowie § I Rnz. 231.

Kapitel 2: Der Nachweis einer Eingriffsgrundlage

221

Einrichtung verbindlich anordnen kann307 • In seinem Entwurf eines Arbeitsvertragsgesetzes hat der Arbeitskreis "Deutsche Rechtseinheit im Arbeitsrecht" auf dem Deutschen Juristentag in Hannover 1992 auch für die Betriebsverfassung erstmals in diesen Kategorien gedacht. Er hat dort für das umstrittene Problem der ablösenden Betriebsvereinbarung eine Regelung in einer eigenständigen und ausdrücklichen Ermächtigungsgrundlage vorgeschlagen308 . Dies ist aber noch nicht Gesetz. Legt man dagegen an das geltende Recht, d.h. hier an § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG in seiner Auslegung durch das Bundesarbeitsgericht die Maßstäbe an, die sonst an die Rechtsetzung nichtstaatlicher Einheiten angelegt werden, so genügt es ihnen nicht. Es handelte sich um eine Blankettnorm, eine Generalklausel, die mangels Bestimmtheit als Eingriffsgrundlage nicht in Betracht käme. Das gleiche gilt für die "Kompetenzvorschriften" der § 77 Abs. 3, 88 BetrVG. § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG beschreibt in seinem Ausgangspunkt die Abgrenzung der tariflichen von der betrieblichen Rechtsetzung, indem er Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, der Betriebsvereinbarung entzieht. Lediglich durch einen Umkehrschluß aus dieser Norm sowie des 2. Satzes des Absatzes 3, in der die Möglichkeit einer tariflichen Öffnungsklausel vorgesehen ist, kann die Zone der betrieblichen Rechtsetzung erschlossen werden. Eine den Anforderungen des Vorbehaltes des Gesetzes genügende Ermächtigungsgrundlage wird man in dieser Norm aber nicht sehen können. Eingriffe sind schon gar nicht ihr Thema. Nicht anders bei § 88 BetrVG. Diese Norm beschreibt zwar ihren Anwendungsbereich, den der freiwilligen Betriebsvereinbarung 309 , mit bestimmten Merkmalen; bei den dort vorgesehenen "zusätzlichen Maßnahmen zur Verhütung von Arbeitsunfällen" (Nr. 1), der "Errichtung von Sozialeinrichtungen" (Nr. 2) und den "Maßnahmen zur Förderung der

307 Vgl. etwa rur Rheinland-Pfalz § 26 Abs. 1 GemO Rh.-Pf. oder rur Baden-Württemberg § 11 Abs. 1 GemO Bad.-Württ. 308 Vgl. § 116 des Entwurfs eines Arbeitsvertragsgesetzes des Arbeitskreises Deutsche Rechtseinheit im Arbeitsrecht, Gutachten D zum 59. DJT. 1992, Bd. I, D 123: "AlIgemeine Arbeitsbedingungen können durch Betriebsvereinbarung oder durch Sprechervereinbarung geändert werden, wenn sich der Arbeitgeber rechtswirksam eine Änderung vorbehalten oder wenn Gründe rur eine Änderungskündigung vorliegen. "; dazu Fastrich, RdA 1994, 129 ff. 309 Zu diesem Begriff siehe oben 1. Teil, § 1 A Fn. 5.

222

Teil 3: Oie Legitimation von Eingriffen

Vennögensbildung" (Nr. 3) handelt es sich jedoch ausschließlich um Unternehmungen zugunsten der Arbeitnehmer31o . Sofern mit Hilfe des Adverbs "insbesondere" aus § 88 direkt311 oder aus § 88 i.V.m. § 87 312 indirekt weitergehende Eingriffsbefugnisse abgeleitet werden sollen, bestehen gegen diese Methode hingegen die gleichen Bedenken, die hier auch gegen die gängige Interpretation des § 77 Abs. 4 Satz I BetrVG geltend gemacht wurden. Denn § 88 BetrVG erhielte so ebenfalls die Funktion eines Blankettatbestandes und genügte damit als Pauschalennächtigung nicht den aus dem Vorbehalt des Gesetzes abzuleitenden Anforderungen 313 ; Eingriffe in die Freiheit des einzelnen wären auch hier nicht hinreichend nonnativ fundiert. Aus § 88 BetrVG und den beschriebenen Weiterungen können daher keine Eingriffsbefugnisse abgeleitet werden314 .

C. Ergebnis und Folgerungen

für praktische Fälle

Sowohl die These von der umfassenden Rechtsetzungskompetenz als auch der Hinweis auf den allgemeinen Geltungsbefehl vennögen fiir sich genommen den Betriebspartnern keine Eingriffsbefugnis zu verleihen. Aus verfassungsrechtlichen Gründen ist rur belastende Nonnen vielmehr in jedem Einzelfall eine spezielle gesetzliche und hinreichend bestimmte Ennächtigungsgrundlage nachzuweisen. In Betracht kommt insoweit nur noch die Nonn über die Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten, § 87 BetrVG. Die Fragestellung der Untersuchung spitzt sich damit zu auf das Problem, ob den Mitbestim-

310 Dtto, NZA 1992,97,101; Leinemann, OB 1990,732,736; Richardi, ZfA 1990, 211,236; ders., ZfA 1992,307,321. 311 So offenbar K.-P. Martens, RdA 1983,217,218 ff. 312 Löwisch, OB 1983, 1709, 1710; ders., ZGR 13 (1984), 272, 283 f.; Rühle, ZIP 1984,411,415; P. Hanau, Gern. Anm. zu AP Nm. 4 u. 6 zu § 77 BetrVG; Joost, RdA 1989,7,9,17 f. u. Fn. 114; Biberacher, Betriebliche Rechtsetzungsmacht, S. 140. 313 Anderer Ansicht ist Biberacher, Betriebliche Rechtsetzungsmacht, S. 140, der sich damit allerdings in Widerspruch zu seinen eigenen Prämissen auf den S. 136 ff. setzt. 314 Im Ergebnis ebenso H. Hanau, Individualautonomie und Mitbestimmung, S. 130; Dtto, NZA 1992, 97, \01; Leinemann, OB 1990, 732, 736; Richardi, ZfA 1992, 307, 321; Jobs, OB 1986, 1120, 1124 f.

Kapitel 2: Der Nachweis einer EingrifIsgrundlage

223

mungstatbeständen in den von ihnen geregelten Fällen eine eigenständige Eingriffsermächtigung entnommen werden kann. Hieraus folgt, daß in der Praxis übliche Regelungen, die allein mit § 88 BetrVG, einer Zusammenschau der §§ 88, 77 BetrVG und dem Hinweis auf eine sich aus diesen Normen ableitende umfassende Regelungskompetenz in sozialen Angelegenheiten begründet werden sollen, sich nicht auf eine hinreichend bestimmte gesetzliche Grundlage berufen können. Die eingangs erwähnten Beispiele von Betriebsvereinbarungen über Vertragsstrafen, Ausschlußfristen, Abtretungsverbote 315 sowie Kosten der Arbeitskleidung, die mit diesen Normen gerechtfertigt werden316 und die sich nicht unter die - u.U. geeignetere - Norm des § 87 BetrVG subsumieren lassen, sind daher bereits aus diesem Grunde nach der hier vertretenen Konzeption als unzulässig anzusehen. Aber auch Betriebsvereinbarungen über solche Gegenstände, die zwar in § 87 BetrVG erwähnt sind, aber allein mit § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG gerechtfertigt werden sollen, sind unwirksam. Letzteres spielte etwa eine Rolle, wollte man z.B Kurzarbeit oder ein Betriebsbußenordnung nicht unter dem Aspekt der Mitbestimmung, sondern allein aufgrund der zwingenden Wirkung der Betriebsvereinbarung einfUhren.

§ 10 Die Mitbestimmung in den sozialen Angelegenheiten des § 87 BetrVG A. Grundlagen I. Fragestellung In Betriebsvereinbarungen können entsprechend der Lehre vom Vorbehalt des Gesetzes belastende Regelungen nur dann aufgenommen werden, wenn es eine gesetzliche Grundlage gibt, die diesen Fall hinreichend bestimmt regelt. Als eine derartige Ermächtigungsgrundlage in Betracht kommt hierfUr derzeit nur die Norm des § 87 Abs. 1 BetrVG betreffend die Mitbestimmung in sozia-

Ebenso Larenz, Anm. zu AP Nr. 4 zu § 399 BGB. Bzw. gerechtfertigt werden könnten, da im Fall der Kosten der Arbeitskleidung auch das Bundarbeitsgericht die Auferlegung dieser Kosten durch Betriebsvereinbarung abgelehnt hat, SAE 1994, 316. 315

316

224

Teil 3: Die Legitimation von Eingriffen

len Angelegenheiten317 • Nur sie enthält in ihrem Katalog konkret und abschließend umschriebene Tatbestände, die Themen berühren, die die Rechtsstellung des einzelnen auch negativ betreffen können. So kann man die Frage stellen, ob unter dem Aspekt der Mitbestimmung in "Fragen der Ordnung des Betriebes und des Verhaltens der Arbeitnehmer" (Nr. 1) eine Betriebsbußenordung eingeftihrt 318 oder den Arbeitnehmern die Kosten ihrer Dienstkleidung auferlegt319 werden kann. In Betracht käme weiter, auf der Grundlage der Mitbestimmung über die "vorübergehende Verkürzung der Arbeitszeit" Kurzarbeit einzuftihren (Nr. 3)320 oder der über "Zeit, Ort und Art der Auszahlung der Arbeitsentgelte (Nr. 4)" die bare Lohnzahlung auf unbare umzustellen321 und den Arbeitnehmern hiermit verbundene Kosten aufzuerlegen322 . Schließlich könnte man prüfen, ob unter dem Aspekt der Mitbestimmung über die betriebliche Lohngestaltung und Festsetzung leistungsbezogener Entgelte (Nr. 10, 11) Sozialleistungen, die aufgrund allgemeiner Arbeitsbedingungen gewährt wurden, im Wege einer umstrukturienden Betriebsvereinbarung gekürzt werden können323 .

317 W Blomeyer, NZA 1985,641,645 f.; ders., DB 1987,634,637; Dietz/Richardi, BetrVG, § 77 Rnz. 125; Richardi, ZfA 1990,211,241; ders., ZfA 1992,307,319; Leinemann, DB 1990, 732, 735 ff.; Jobs, DB 1986, 1120 ff.; HilgeriStumpf, FS G. Müller, S. 209,214 ff.; Ahrend, FS Hilger/Stumpf, S. 17, 25; H. Hanau, Individualautonomie und Mitbestimmung, S. 128 ff. 318 So BAG, AP Nr. 1 zu § 56 BetrVG Betriebsbuße; AP Nm. 1, 12 zu § 87 BetrVG 1972 - Betriebsbuße. 319 Dies verneint BAG, SAE 1994,316.

320 So BAG, AP Nm. 2, 9 zu § 87 BetrVG 1972 - Arbeitszeit; AP NT. 58 zu § 1 LohnfortzG; P. Hanau, Gern. Anm. zu AP Nm. 4 und 6 zu § 77 BetrVG, BI. 438: "Die Mitbestimmung führt bei § 87 NT. 3 zu einer Verschlechterung der Rechtsstellung des einzelnen"; Fastrich, RdA 1994, 129. 321 So BAGE 29, 40, 43 f.; AP Nr. 6 zu § 87 BetrVG 1972 - Auszahlung; DietzlRichardi, BetrVG, § 87 Rnz. 280; Fitting/Kaiser/Heither/Engels, BetrVG, § 87 Rnz. 146. 322 Dies wird vom BAGE 29, 40, 43 f. u. AP NT. 6 zu § 87 BetrVG 1972 - Auszahlung verneint. Bejahend z.B. WiedemanniMoll, Anm. zu BAG, AP NT. 1 zu § 87 BetrVG - Auszahlung. 323 So BAG, AP Nr. 17 zu § 77 BetrVG 1972 für die mit Kürzungen verbundene Umstrukturierung im Rahmen des kollektiven GÜnstigkeitsvergleichs.

Kapitel 2: Der Nachweis einer Eingriffsgrundlage

225

Die Vorschrift regelt jedoch, anders als der erwähnte § 116 des Entwurfs eines Arbeitsvertragsgesetzes324, nicht ausdrücklich, daß Betriebsvereinbarungen belastend in die Rechtsstellung der Arbeitnehmer eingreifen können. So spricht z.B § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG in seinem Normtext nur davon, daß der Betriebsrat in Fragen der Ordnung des Betriebes und des Verhaltens der Arbeitnehmer ein "Mitbestimmungsrecht" hat, von Betriebsbußen ist nicht die Rede 325 • Das Gesetz enthält damit - im Unterschied zum früheren Rechtszustand326 - zumindest keine ausdrückliche Regelung mehr über deren Zulässigkeit. Auch bei § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG wird man dem Wortlaut nicht eindeutig entnehmen können, daß Mitbestimmung in der Angelegenheit "vorübergehende Verkürzung oder Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit" bedeutet, daß die Betriebspartner auch eine entsprechende Anordnungsbefugnis besitzen. Das Gesetz beschreibt die Wirkungen auch der übrigen Mitbestimmungstatbestände nicht näher327 , wenn es lediglich davon spricht, daß in den bezeichneten Angelegenheiten "mitzubestimmen" sei. Was Mitbestimmung in diesen Tatbeständen jeweils zu bedeuten hat, muß daher durch Auslegung ermittelt werden328 .

Vgl. 3. Teil, 2. Kapitel, § 9 B, S. 164 Fn. 13. Anders liegen die Dinge im Seerecht. Dort hat der Kapitän entsprechend § 106 SeemG die volIe Ordnungsgewalt über seine Besatzungsmitglieder. Der Grund hierfUr liegt darin, daß die Schiffahrt öffentlich-rechtlich verfaßt ist, Schalz, Die rechtliche Ordnung der Betriebsjustiz, S. 311,316 Fn. 28. 326 Die Gewerbeordnung von 1891, RGB\. 261, enthielt in den §§ 134b Abs. 1 Nr. 4 u. Abs. 2, 134c Abs. 2 S. 2, 3 u. Abs. 3 Bestimmungen über Betriebsstrafen. Das gleiche galt fUr das Betriebsrätegesetz von 1920, RGB\. I, 147, das Betriebsstrafen in den §§ 75, 78 NT. 3, 80 Abs. 1 u. 2, 104 Abs. 4 regelte sowie das Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit aus dem Jahre 1934, RGB\. I, 45, das in den §§ 27 Abs. 1 Nr. 4, 28 Abs. 1 entsprechende Bestimmungen enthielt; hierzu U. Luhmann, Betriebsjustiz und Rechtsstaat, S. 43 ff. 327 M. Starck, Leistungspflichten, S. 19,25. 328 Auch ein "eindeutig" formuliertes Gesetz wäre i.ü. auszulegen, es gewährte dem Richter lediglich einen engeren Spielraum zur Bildung seiner Entscheidungsnorm als die weniger eindeutig formulierte, Larenz, Methodenlehre, S. 343; v. Olshausen, JuS 1973,217,218 f.; Wank, ZGR 17 (1988), 314, 331; Kruse, in: TipkelKruse, AOIFGO, § 4 Rnz. 72, 78 (Eindeutigkeit ist erst das Ergebnis von Auslegung, die Mehrdeutigkeit bleibt oft unbemerkt). Vg\. auch Nawiasky, AlIgemeine Rechtslehre, S. 133; Saml6, Juristische Grundlehre, S. 379 f. 324

325

1.5 Müller-Franken

226

Teil 3: Die Legitimation von Eingriffen

Die entscheidende Frage lautet damit, ob § 87 BetrVG so auszulegen ist, daß durch Mitbestimmung in die Rechtsstellung des einzelnen auch belastend eingegriffen werden darf. Ist dies zu bejahen, kommt auch den in Vollzug eines entsprechenden Mitbestimmungstatbestandes abgeschlossenen Betriebsvereinbarungen belastende Wirkung zu329. Denn die Betriebsvereinbarung ist nach einhelliger Meinung "das Instrument, eine mitbestimmungspflichtige Angelegenheit für den Betrieb zu regeln"330. 11. Auswirkungen eines eingriffsorientierten Verständnisses betrieblicher Mitbestimmung Bevor im folgenden untersucht wird, was "mitbestimmen" im Rahmen des § 87 BetrVG bedeutet, soll vorab dargelegt werden, was aus einer Auslegung folgt, die Eingriffsbefugnisse bejahte: entnimmt man der Norm des § 87 BetrVG unmittelbare, d.h. weder individual- bzw. tarifvertraglich noch (anderweit) gesetzlich oder behördlich vermittelte Belastungsbefugnisse331 mit der Folge einer "neuen Zuständigkeitsordnung"332, so werden über den Mechanismus des Initiativrechts auch die Befugnisse und Gestaltungsmöglichkeiten des Arbeitgebers erweitert. Aufgrund der strikt paritätisch ausgestalteten Mitbestimmungsordnung des Betriebsverfassungsgesetzes haben in diesen Angelegenheiten beide Seiten und damit auch der Arbeitgeber die Möglichkeit, über die Einigungsstelle zu einer Regelung auch gegen den Willen des anderen Betriebspartners zu gelangen, §§ 87 Abs. 2, 76 Abs. 5 BetrVG333. Diese Konsequenz stünde infundamentalem Widerspruch zu der verbreiteten These über den Sinn der Mitbestimmung. Dieser wird vor allem darin gesehen,

329 P. Hanau, Gem. Anm. zu AP Nm. 4 und 6 zu § 77 BetrVG, BI. 438. 330 Allg. Meinung; vgl. BAG, AP Nr. 21 zu § 77 BetrVG 1972; AP Nr. 6 zu § 87 BetrVG 1972 - Auszahlung; BAG, (GS), NZA 1991,749,753; Lieb, Arbeitsrecht, S. 213; Galperin/Löwisch, BetrVG, § 87 Rnz. 34. Umstritten ist nur, ob das Mitbestimmungsrecht statt durch eine Betriebsvereinbarung auch durch eine Regelungsabrede ausgeübt werden kann, was bejaht wird, BAGE 12, 117, 122. Zum Ganzen DietzlRichardi, BetrVG, § 87 Rnz. 52 f. 331 Eine anderweitige Eingriffsermächtigung ist etwa die Zulassung von Kurzarbeit durch das Landesarbeitsamt nach § 19 Abs. 1 KSchG. 332 Der Begriff stammt von Wiese, in: GK-BetrVG, § 87 Rnz. 89. 333 BAG, AP Nr. 1 zu § 87 BetrVG; NZA 1986, 432; Wiese, Initiativrecht, S. 74 ff.; ders., in: GK-BetrVG, § 87 Rnz. 135; Fastrich, RdA 1994, 129, 139.

Kapitel 2: Der Nachweis einer Eingriffsgrundlage

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von den Arbeitnehmern Gefahren abzuwehren, die ihnen daraus drohen, daß betriebliche Arbeitsbedingungen vom Arbeitgeber einseitig gestaltet werden können. Das Betriebsverfassungsgesetz gebe den Arbeitnehmern zu diesem Zweck Einfluß auf die Führung des Betriebes und beschränke den Arbeitgeber dort in seinen Rechten, wo er früher allein zu befmden hatte334 • Als ein weiterer Leitgesichtspunkt der betrieblichen Mitbestimmung gilt, daß sie in erster Linie dem Interesse und Freiheitsraurn des einzelnen zu dienen habe335 • Es gehe bei der betrieblichen Mitbestimmung nicht darum, daß sie möglichst weitgehend sei, sondern zu einer möglichst dem einzelnen nutzbringenden Partizipation fiihre 336 • Hiermit tritt aber in Konflikt, daß durch das Erweitern von Befugnissen des Arbeitgebers die Arbeitnehmer Belastungen ausgesetzt werden können, denen sie im betriebsratslosen Betrieb nicht ausgesetzt sind. So könnte beispielsweise der Arbeitgeber im betriebsratslosen Betrieb Kurzarbeit nicht einseitig einfüh-

334 Nikisch, Arbeitsrecht II1, S. 57 f.; Weitnauer, FS Duden, S. 705, 708; Söllner, RdA 1968,437; ders., Einseitige Leistungsbestimmung, S. 13,66 f., 116 f.; ders., Die Änderung von Arbeitsbedingungen durch Weisung, S. 13,27; Brosette, ZfA 1992,379, 412; Richardi, FG v. Lübtow, S. 755, 760, 762, 779; ders., ZfA 1990, 211, 236; Galperin, FS Molitor, S. 143, 150; FittinglKaiserlHeitheriEngels, BetrVG, § 87 Rnz. 26 ("Hat der ArbGeb. keinen Rege1ungsspielraum mehr, so entfällt das MBR"); Hess, in: Hess/Schlochauer/G1aubitz, BetrVG, § 87 Rnz. 1; Lieb, Arbeitsrecht, S. 211, 235; sogar auch K.-P. Martens, RdA 1983,217,219: " ... primärer Schutzzweck ist das Arbeitnehmerinteresse an der mitbestimmungsrechtlichen Reglementierung der Arbeitgeberbefugnisse."; LöwischiRieble, EzA Nr. 11 zu § 87 BetrVG; Loritz, ZfA 1991, 1, 22; Pleyer, Anm. zu § 87 BetrVG 1972 Nr. 6 - Auszahlung; ZöllnerlLoritz, Arbeitsrecht, S. 512 f.; so auch Wiese, FS Kisse1, S. 1269, 1280: " ... es im Betriebsverfassungsrecht um die Beschränkung von Arbeitgeberbefugnissen geht .... "; ders., FS 25 Jahre Bundesarbeitsgericht, S. 661, 662 (anders ders. aber S. 663); Waltermann, Rechtsetzung durch Betriebsvereinbarung zwischen Privatautonomie und Tarifautonomie, S. 178; ders., NZA 1993, 679, 681; vgl. auch den Bericht der Mitbestimmungskommission, BT-Drucks. VI/334, S. 59: "Er (seil. der Arbeitnehmer) wird durch die Institutionen des Betriebsverfassungsgesetzes vielmehr in die Lage versetzt, eigene Initiativen ... in dem Bereich zu entfalten, in dem ... der Arbeitgeber allein entscheidet."; BAG, SAE 1990, 18,20 f.; AP Nr. 14 zu § 87 BetrVG 1972 - Ordnung des Betriebes; BAGE 50, 85, 90; 68, 127, 134, 136; BVerwGE 90, 304, 307 f. 335 Rüthers, Betriebsverfassungsrechtliches Mitbestimmungsrecht, S. 7, 33; Loritz, ZfA 1991, 1,7,9. 336 Loritz, ZfA 1991, 1, 11.

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Teil 3: Die Legitimation von Eingriffen

ren337, sofern dies nicht im Arbeitsvertrag eigens vorgesehen ist. Nach dem beschriebenen Mitbestimmungskonzept soll ihm das aber auch ohne eine entsprechende Regelung im Arbeitsvertrag möglich sein338 . In der Konsequenz bedeutete dies eine Verschlechterung der Situation der Arbeitnehmer gegenüber ihrer Situation in einem Betrieb ohne Betriebsrat339 . Dies alles käme einer partiellen Entmündigung des Arbeitnehmers gleich. Denn mit einer "neuen Zuständigkeitsordnung" in den sozialen Angelegenheiten des § 87 Abs. 1 BetrVG käme es auf seinen zustimmenden oder etwa entgegenstehenden Willen in Angelegenheiten mit Kollektivbezug340 nicht mehr an. Es würde ohne ihn entschieden, unabhängig davon, ob er in concreto seine Belange selbst wahrnehmen könnte oder nicht. Es braucht nicht näher dargelegt zu werden, daß dies einen nicht unerheblichen Eingriff in die Handlungsfreiheit des einzelnen darstellte (Art. 2 Abs. 1 GG). Bei der Auslegung des § 87 BetrVG besteht Einigkeit weiter darüber, daß Mitbestimmung nie Selbstzweck, sondern stets nur Mittel zur Verwirklichung sonstiger mit ihr verfolgter Zwecke sein darfl 41 . Dies ist eine Selbstverständlichkeit, die erwähnt zu werden an sich nicht verdiente. Der Selbstzweckvorwurf wird jedoch immer wieder erhoben und jede Auslegung muß sich daher an ihm messen lassen342 • Eine hier zur Diskussion stehende eingriffsbejahende Auslegung wird nun teilweise mit Argumenten verteidigt, die unter diesem Blickwinkel bedenklich sind. So wenn es heißt, die Frage der Erweiterung der Rechte des Arbeitgebers könne dahingestellt bleiben, da der Arbeitgeber diesen Machtzuwachs "nur im Verfahren der Mitbestimmung" verwirklichen könnte 343 . Das gleiche gilt fiir das Argument, die Unterordnung ab337 BAG, NZA 1991,607; Richardi, ZfA 1992,307,314; Waltermann, NZA 1993, 679,680. 338 BAG, AP Nm. 2, 9 zu § 87 BetrVG 1972 - Arbeitszeit; AP Nr. 58 zu § 1 LohnfortzG; P. Hanau, Gern. Anm. zu AP Nm. 4 und 6 zu § 77 BetrVG, BI. 438: "Die Mitbestimmung fUhrt bei § 87 Nr. 3 zu einer Verschlechterung der Rechtsstellung des einzelnen."; Fastrich, RdA 1994, 129. 339 Loritz, ZfA 1991, 1,33. 340 P. Hanau, Gern. Anm. zu AP Nm. 4 und 6 zu § 77 BetrVG 1972, BI. 438. 341 Rüthers, Betriebsverfassungsrechtliches Mitbestimmungsrecht, S. 7,31; H. Hanau, Individualautonomie und Mitbestimmung, S. 111; Hurlebaus, Fehlende Mitbestimmung, S. 25; Wiese, ZfA 1989,645,650; ders., FS Kissel, S. 1269, 1283. 342 Vgl. etwa Hurlebaus, Fehlende Mitbestimmung, S. 24. 343 Wiese, FS 25 Jahre Bundesarbeitsgericht, S. 661, 663 Fn. 9.

Kapitel 2: Der Nachweis einer Eingriffsgrundlage

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weichender Individualinteressen unter das vom Betriebsrat wahrgenommene kollektive Interesse sei der "Preis der Mitbestimmung"344, die Gegenansicht "schrecke" nur vor den Konsequenzen des Teilhabegedankens echter paritätischer Mitbestimmung zurück und bleibe allein dem Schutzgedanken verhaftet345 . Diese Formulierungen erwecken den Eindruck, als handele es sich bei Mitbestimmung um eine Institution: eine Einrichtung, deren Bestand auszubauen und zu sichern sei und aus der sich institutionelle Pflichten und Bindungen ergäben346 . Bei einem Verständnis von betrieblicher Mitbestimmung, das diese als Ermächtigung begreift, Grundrechte zu beschränken, muß geprüft werden, wie es sich gegen den Selbstzweckvorwurf abgrenzt. Davon abgesehen muß sich eine Ansicht, die Eingriffsbefugnisse bejahte, fragen lassen, "ob der Betriebsverfassung inzwischen auch die Aufgabe zugewachsen ist, zum Nachteil der Arbeitnehmer deren individualrechtliche Position zu verändern"347. Die Antwort hierauf hängt davon ab, worin man den Sinn der betrieblichen Mitbestimmung sieht. Gewiß lassen sich aus Grundsätzen und Prinzipien Schlußfolgerungen für die zahlreichen Einzelfragen der praktischen Rechtsanwendung nur begrenzt ziehen348 . Es ist eine Banalität, daß Mitbestimmung nur nach Maßgabe des durch Auslegung zu ermittelnden Inhalts der einzelnen Angelegenheit des § 87 BetrVG stattfmdet349 und eine gegebenenfalls in einer einzelnen Norm getroffene Wertung des Gesetzgebers nicht unter Berufung auf allgemeine Grundsätze übergangen werden dürfte 35o . Nur: was gilt, wenn sich eindeutige Interessenbewertungen im gesetzlichen 344 345

Wiese, in: GK-BetrVG, § 87 Rnz. 105. Wiese, in: GK-BetrVG, § 87 Rnz. 117.

346 Zum institutionellen Grundrechtsverständnis Merlen, VerwArch 21 (1982), 103, 111. Loritz, ZfA 1991, 1,29. Söllner, RdA 1968,437,439; Loritz, ZfA 1991, 1,2 f.; sehr krit. Wiedemannl Moll, Anm. zu BAG AP Nr. 1 zu § 87 BetrVG - Auszahlung ("angeblich übergreifende Prinzipien"); grundsätzlich anderer Auffassung P. Hanau, RdA 1973, 281: "Von der wissenschaftlichen Bearbeitung des neuen Betriebsverfassungsgesetzes 347 348

wird man vor allem den Nachweis allgemeiner Grundsätze erwarten, die dem Gesetz zugrundeliegen oder doch eine Orientierungshilfe rur seine Auslegung sein können." 349 BAG, AP Nr. 1 zu § 87 BetrVG; GalperinlLöwisch, BetrVG, § 87 Rnz. 3; Wiedemann/Moll, Anm. zu BAG AP Nr. 1 zu § 87 BetrVG - Auszahlung; Wiese, in: GKBetrVG, § 87 Rnz. 91. 350 Söllner, RdA 1968,437,439; WiedemanniMoll, Anm. zu BAG, AP Nr. 1 zu § 87 BetrVG - Auszahlung.

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Teil 3: Die Legitimation von Eingriffen

Einzeltatbestand nicht nachweisen lassen? Hier dürfte für eine systematisch geleitete Rechtsanwendung kein Weg an den Fragen vorbei führen, ob dem Gesetz bestimmte (Grund-) Prinzipien, Regeln, Leitgedanken, Sachgesetzlichkeiten, Wertungen etc. 351 zugrundeliegen und welche Auslegung des Gesetzes derartigen Zweckvorstellungen am ehesten gerecht wird352 . Skeptikern wie WiedemannlMoll ist entgegenzuhalten, daß Recht auf Prinzipien beruht353 • Prinzipien schaffen zunächst ein übersichtliches und folgerichtiges System, machen das Recht einsichtig; Regellosigkeit demgegenüber schafft Unordnung. Prinzipien schaffen außerdem aber überhaupt erst das Maß für die Anwendung des Gleichheitssatzes und damit für ein Hauptanliegen des Rechts 354 . Für Klaus Tipke kann ohne Regeln Recht sogar schon nicht entstehen355 • 111. Zur Methode 1. Vorbemerkung

Bevor geklärt werden kann, ob es der Sinn des § 87 BetrVG ist, auch zu Lasten des einzelnen gehende Regelungen zu sanktionieren, bedarf es noch einiger Bemerkungen zum methodischen Vorgehen, da bekanntlich das Ergebnis der Auslegung eines Gesetzestextes abhängt von der hierbei angewendeten Methode356 . Eine dogmatische Untersuchung hat daher ihre Methode offenzulegen. Allerdings ist es dabei nicht ihre Aufgabe, einen eigenständigen Und neuen Ansatz entwickeln, den sie gegen widerstreitende Lehren der aktuellen Methodendiskussion zu verteidigen hätte. Vielmehr kann es nur darum gehen,

351 Die Begriffe werden hier synonym gebraucht, vgl. Tipke, Steuerrechtsordnung I, S. 111; die rechtstheoretische Unterscheidung von Regel und Prinzip wird hier nicht aufgenommen, vgl. dazu Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 71 ff., insbes. 75 ff. 352 P. Hanau, RdA 1973,281. 353 Tipke, Die Steuerrechtsordnung I, S. 111; vgl. dens. auch zum Folgenden. 354 Henkel, Rechtsphilosophie, S. 401 f.; Canaris, FS Kitagawa, S. 59, 61. 355 Die Steuerrechtsordnung I, S. 111. 356 Konzen, Rechtsverhältnisse, S. 99 u. Fn. 14 m.w.N. auch zu dem Dilemma der Gefahr einer "Miniaturrnethodenlehre" einerseits und den Nachteilen stillschweigend vorausgesetzter Prämissen andererseits; vgl. dens. auch zum Folgenden.

Kapitel 2: Der Nachweis einer Eingriffsgrundlage

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auf der Basis der heute gesicherten Erkenntnisse die gewählte Vorgehensweise zu erläutern357 . 2. Die leitenden Auslegungsprinzipien Im Mittelpunkt der modernen Methodenlehre steht die Kernaussage, daß es sich bei der Rechtsordnung um ein offenes und ergänzungsbedürftiges System handelt und daraus für den Charakter jeder Rechtsanwendung folgt, daß diese nicht nur einen Erkenntnis-, sondern zugleich auch einen Willensakt darstellt358 und daß Rechtsanwendung immer zugleich Rechtsfortbildung ist359 . Jede richterliche Entscheidung ist letztlich eine höchstpersönliche Entscheidung, bei der ein Mangel an letzter Begriindungsflihigkeit bleibt360 . Den gängigen Auslegungskriterien kommt in diesem Prozeß die Funktion zu, den zur Rechtsfortbildung erforderlichen Willensentschluß mit rationalen und einsichtigen Überzeugungsargumenten zu begriinden361 . Der Richter steht dabei nicht über dem Gesetz, sondern bleibt - bereits von Verfassungs wegen an Gesetz und Recht gebunden, Art. 20 Abs. 3, 97 Abs. 1 GG362. Aus diesem Grunde hat er sich nur für eine der möglichen Deutungen des Normtextes zu

357 Konzen, Rechtsverhältnisse, S. 100. Die hier maßgebenden Gesichtspunkte bleiben notwendig willkürlich und bruchstückhaft. 358 Kruse, in: TipkelKruse, AOIFGO, § 4 Rnz. 71; Krie/e, Theorie der Rechtsgewinnung, S. 65; Esser, Grundsatz und Norm, S. llO ff.; Adomeit, Rechtsquellenfragen, S. 31; P. Hanau, ZfStSozAR 1985,17,18; Peter, RdA 1985,337,341; wohl auch Larenz, Methodenlehre, S. 5, 204, 315; BVerfGE 34, 269, 287 ("Akt des bewertenden Erkennens, dem auch willenhafte Elemente nicht fehlen"); BAG, (GS), BAGE 48, 122, 137 ("Die Aufgabe der Rechtsprechung kann es ... erfordern, Wertvorstellungen ... in einem Akt bewertenden Erkennens, dem auch willenhafte Elemente nicht fehlen, ans Licht zu bringen und in Entscheidungen zu verwirklichen."); vgl. auch BAG, OB 1985, 2197,2198 f. 359 Kruse, in: TipkelKruse, AOIFGO, § 4 Rnz. 72; Wieacker, JZ 1957,701,705; Esser, Grundsatz und Norm, S. 117; Send/er, DVBI. 1988, 832; Rupp, NJW 1973, 1769, 1770 ("Akt der Rechtsschöpfung"). 360 Larenz, Methodenlehre, S. 295; Kruse, in: TipkelKruse, AOIFGO, § 4 Rnz. 88c; Hruschka, Verstehen von Rechtstexten, S. 70 ff. 361 Rupp, NJW 1973, 1769, 1773; Kruse, in: TipkelKruse, AOIFGO, § 4 Rz. 88b; WolffIBachoJlStober, Verwaltungsrecht I, § 28 Rnz. 54. 362 Larenz, Methodenlehre, S. 210; Rupp, NJW 1973, 1769, 1770 f.; Konzen, Rechtsverhältnisse, S. lOl; Kruse, in: TipkelKruse, AOIFGO, § 4 Rnz. 72, 88d; WolffI BachoJlStober, Verwaltungsrecht I, § 28 Rnz. 54.

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Teil 3: Die Legitimation von Eingriffen

entscheiden363 . Durch den Zwang zur Begründung wird seine Rechtsanwendung transparent, nachvollziehbar und so die erforderliche Akzeptanz einer Entscheidung sichergestellt364 . Bedeutet ein Gesetz auslegen, sich seine verschiedenen Bedeutungsmöglichkeiten vergegenwärtigen und fragen, welche die richtige ist365 , so gilt heute der Zweck des Gesetzes als das entscheidende Indiz bei der Sinnermittlung366 . Da der Zweck eines Gesetzes jedoch selten im Gesetz selbst angegeben ist367 , bedeutet Auslegen vor allem Zweckermittlung368 • Dabei ist das Ziel der Auslegung nicht der Sinn des Gesetzes, den es nach den Vorstellungen des Gesetzgebers bei der Normsetzung haben sollte, sondern sein heute maßgeblicher, sein sog. "normativer" Gesetzessinn369 . Der normative Gesetzessinn ist jedoch historisch gebunden, so daß vor einem Zurückgehen auf objektiv-teleologiche Kriterien zuerst Regelungsabsicht und Zwecke des Gesetzgebers zu ermitteln sind37o . Dies deshalb, weil Gesetzen Entscheidungen von Menschen über bestimmte Zwecke zugrundeliegen371 und in der gewaltenteilenden repräsentativen Demokratie diese Entscheidung nach der Verfassung den gesetzgebenden Organen zusteht372 . Die Funktionenteilung im gewaltenteilenden Staat verlangt, daß der Rechtsanwender eine Entscheidung des Gesetzgebers dann respektiert. Und um sie respektieren zu können, hat er sie aber zunächst einmal überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. Larenz, Methodenlehre, s. 204; Kruse, in: Tipke/Kruse, AOIFGO, § 4 Rnz. 88d. Rupp, NJW 1973, 1769, 1773; Hili, JZ 1988, 377; Kruse, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 4 Rnz. 88d. 365 Larenz, Methodenlehre, s. 204; Kruse, in: TipkelKruse, AOIFGO, § 4 Rnz. 75. 366 Konzen, Rechtsverhältnisse, S. 99; Zippelius, FS Larenz, S. 739, 748; WolJJlBachofiStober, Al\gemeines Verwaltungsrecht I, § 28 Rnz. 60 ("wohl wichtigste In363

364

terpretation").

Kruse, in: Tipke/Kruse, AOIFGO, § 4 Rnz. 96. Coing, in: Staudinger, BGB, Einl. Rnz. 198; Kriele, Recht und praktische Vernunft, S. 77; Feststel\ung auch bei Kruse, in: TipkelKruse, AO/FGO, § 4 Rnz. 88a (in367 368

soweit krit.). 369 Larenz, Methodenlehre, S. 318; Bydlinski, Juristische Methodenlehre, S. 436; Säcker, in: Münchener Kommentar, BGB, Einl. Rnz. 108; Kruse, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 4 Rnz. 84. 370 Larenz, Methodenlehre, S. 344; Bydlinski, Juristische Methodenlehre, S. 449 ff. 371 Zippelius, Methodenlehre, S. 47; Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre, S. 129 f. 372 Zippelius, Methodenlehre, S. 47; Nawiasky, Al\gemeine Rechtslehre, S. 129 f.; vgl. dies. auch zum Folgenden.

Kapitel 2: Der Nachweis einer Eingriffsgrundlage

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Nach der Regelungsabsicht des Gesetzgebers ist die objektive Teleologie zu ermitteln. Als ratio legis braucht sie dem Gesetzgeber nicht immer bewußt gewesen zu sein, oft wird sie von der Wissenschaft erst nachträglich herausgearbeitet373 . Sie ergibt sich zum einen aus den Sachstrukturen des Normbereichs, zum anderen aus dem "inneren System" des Rechts (Heck)374, den der Rechtsordnung immanenten Rechtsprinzipien (objektive Zwecke des Rechts)375. Bei ihrer Ermittlung spielen Wertungen eine nicht unerhebliche Rolle 376, in die persönliche Überzeugungen des Urteilenden einfließen377 . Die moderne Methodendiskussion steht insoweit aber ebenso auf dem Standpunkt, daß es auch Wege eines wertorientierten Denkens gibt, die dazu verhelfen, vorgegebene Wertungen nachzuvollziehen und neu geforderte Bewertungen wenigstens innerhalb bestimmter Grenzen an vorgefundenen Bewertungen zu orientieren378 . Allerdings ist man sich darüber einig, daß bei der objektiven Auslegung keine Exaktheit möglich ist, der maßgebliche Norminhalt also immer noch mehrdeutig bleiben kann379 ; gerade hier zeigt sich das schon beschriebene Fehlen von Gewißheit. Da sich notwendigerweise aber eine Entscheidung gleichwohl als die "richtige" durchsetzen muß, kann dies nur eine Entscheidung sein, die "intersubjektiv nachvollziehbar" die "besseren", tragfähigeren und überzeugenderen Gründe rur sich hat, als alle anderen denkbaren Lösungen380 . Um bei der Auswahl der - dann letztlich maßgebenden - rechtsethischen Prinzipien381 zu einer größtmöglichen Akzeptanz der Entscheidung zu gelangen382 , 373

Larenz, Methodenlehre, S. 336, 344; Bydlinski, Juristische Methodenlehre, S.

434.

374 Begriffsbildung und Interessenjurisprudenz, S. 142 ff. 375 Larenz, Methodenlehre, S. 333 ff.; Bydlinski, Juristische Methodenlehre, S. 454 f. 376

377 378 379 380

Canaris, FS Kitagawa, S. 59, 71. Larenz, Methodenlehre, S. 5. Larenz, Methodenlehre, S. 6. Bydlinski, Juristische Methodenlehre, S. 430. v. Olshausen, JuS 1973,217,219 f.

381 Die Thesen von der Wertgebundenheit des Rechts und vom Charakter der Verfassung als einer wertgebundenen Ordnung prägen die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, z.B. BVerfGE 6, 32, 40 f.; 7, 198, 205; 12, 45, 51; 33, 23, 27; 35, 202,225; 35, 366, 376; 36, 174, 188; 37, 57, 65; 39, 1,43 und weite Teile des Schrifttums,vgl. vor allem Dürig, in: MaunzlDürig, GG, Art. 1 Abs. I Rnz. 1 ff.; Stern, Staatsrecht I, S. 44, 96 f.; vgl. ders. auch in Staatsrecht III/I, S. 22 f.; auf die Gegenposition Böckenfördes, FS Spaemann, S. I, 11 ff., kann hier nur hingewiesen werden.

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Teil 3: Die Legitimation von Eingriffen

ist das Element der persönlichen Wertung auch hier so weit es geht zurückzudrängen. Dies bedingt, daß sich der Richter bei der Auslegung vor allem an solchen Rechtsprinzipien orientiert, über die der denkbar breiteste Konsens besteht. Da die Verfassung des Grundgesetzes in hohem Maße Wertentscheidungen enthält, ist dies der Fall bei den Rechtsprinzipien, die zu Verfassungsrang erhoben sind383 . Der Richter hat sich daher im Rahmen der (objektiv-) teleologischen Auslegung an Werten, Prinzipien und Grundsatzaussagen der Verfassung zu orientieren. Letztlich folgt die Verpflichtung hierzu auch aus dem Prinzip der verfassungskonformen Auslegung384 . Bei verfassungskonformer Auslegung denkt man zunächst und vor allem an das Vermeiden eines Widerspruchs zwischen einer Norm des einfachen Rechts und der Verfassung, ihrer Verfassungswidrigkeit (,,Ausgrenzungsfunktion")385. Daneben ist mit dieser Methode aber auch eine Auslegung gemeint, die unter mehreren denkbaren Bedeutungen diejenige bevorzugt, die mit den Prinzipien der Verfassung am weitestgehenden übereinstimmt386 . Die Verfassung als höherrangige Norm ist nicht nur Geltungsgrundlage nachrangiger Normen, sondern programmiert auch deren Inhalt in den Grundprinzipien vor387 • Natürlich darf das Verwenden von Verfassungsartikeln bei der Auslegung nicht dazu führen, daß der im Gesetz zum Ausdruck gekommene politische Wille des Parlaments über das Maß hinaus negiert oder verändert wird, das die Verfassung anordnet388 . Man muß sich davor hüten, zu meinen, jede Einzelfrage aus der Verfassung ableiten zu können. Die Verfassung ist kein ,juristisches Weltenei" (Forsthoff)389, der fiir alles und jeden bereits fertige Antworten entnommen werden könnten. Aufgrund ihrer Funktion sind Verfassungen vielmehr notwendig fragmentarisch und offe~ formuliert; sie können und sollen keine Einzelfragen lösen. Im Gegenteil: stetes Deduzieren aus der Verfassung gefährdet die Selbständigkeit und Ei382 Vgl. die in Fn. 364 genannten Autoren. 383 Stern, Staatsrecht I, S. 44; ehr. Stark, ARSP Beih. 37 (1990), 47, 57 f.; Zippelius, Methodenlehre, S. 15; Larenz, Methodenlehre, S. 339,344. 384 Larenz, Methodenlehre, S. 339, 344. 385 BVerfGE 2, 266, 282; Leibholz/Hesselberger/Rinck, GG, Einf. Rnz. 13 m.w.N. 386 BVerfGE 8, 210, 221; LeibholziHesselberger/Rinck, GG, Einf. Rnz. 14. 387 Zippelius, FS Bundesverfassungsgericht 11, S. 108, 109. 388 Badura, FS Berber, S. 11, 13. 389 Der Staat der Industriegesellschaft, S. 144.

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genständigkeit des einfachen Gesetzesrechts390, es verwischt die sich aus dem Vorrang der Verfassung ergebende Differenzierung und Distanz zwischen den Normebenen391 • Um zu vermeiden, daß positiven Rechtssätzen regelmäßig ein unmittelbarer verfassungsrechtlicher Einzelfallvorbehalt beigefügt wird, wird vielmehr zurecht auf den Grundsatz hingewiesen, daß der Verfassungsabhängigkeit des einfachen Rechts durch spezifische Regelungen im Gesetzesrecht zu genügen ist392 • Allerdings gibt es Grenzen der AusformuIierbarkeit verfassungsrechtIicher Anforderungen im einfachen Recht; sind sie erreicht, kann ein Durchgriff auf verfassungsrechtliche Werte unabweisbar werden393 • Gleiches gilt, wenn sich die Regelungsabsicht der Gesetzesverfasser nicht ermitteln läßt. Auch dann bleibt für das Ermitteln des Zwecks eines Gesetzes nur der Rückgriff auf objektive Werte des Rechts, so daß aus den genannten Gründen ein Rückgriff auf Verfassungsprinzipien und -werte nicht zu vermeiden sein dürfte. Bei der Ermittlung der objektiven Teleologie des § 87 Abs. 1 BetrVG wird also nicht nur darauf zu achten sein, daß die Auslegung dieser Norm nicht zu Ergebnissen führen darf, die der Verfassung widersprechen, sondern auch, daß bei verschiedenen Ergebnissen die Auslegungsvariante vorzuziehen ist, die den Prinzipien des Grundgesetzes am weitestgehenden entspricht. Wer meint, bei dieser Ausgangslage voIitive Elemente der Rechtsfmdung anders zurückdrängen und juristisches Werten auf andere Weise methodisch disziplinieren zu können, möge dies begründen.

3. Arbeitsrechtliche Besonderheiten? Die vorstehenden Ausführungen beziehen sich auf den Stand, der in der allgemeinen Methodendiskussion erreicht ist. Die skizzierten Prinzipien werden der Auslegung des Zivilrechts wie des öffentlichen Rechts gleichermaßen zugrunde gelegt394 • Im Arbeitsrecht wird die Frage erörtert, ob auch dort die her-

Wahl, NVwZ 1984,401,403,407 ff. Wahl, Der Staat 20 (1981),485,486 f., 502 ff. 392 Wahl, NVwZ 1984,401,407 f. 393 Wahl, NVwZ 1984,401,408. 394 Für das Zivilrecht Z.B. Larenz, Methodenlehre, S. 320 ff., flir das öffentliche Recht z.B. WoljflBachoJlStober, Verwaltungsrecht I, § 28 Rnz. 56 ff. Ob dies auch flir 390 391

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Teil 3: Die Legitimation von Eingriffen

kömmlichen Methoden angewendet werden können oder ob es für diese Materie einer eigenen Art des Vorgehens bedarf, die von den klassischen Lehren abweichen müßte. Hintergrund dieses Gedankens ist die Vorstellung, daß das Arbeitsrecht sich nicht in den Bahnen der klassischen Dogmatik entwickle, da es durch zahlreiche "technische" Gesetze einen ständigen Wandel erfahre395 . Auch sei dieses "Sonderrecht" enger mit ökonomischen Veränderungen gekoppelt als das klassische Zivilrecht. Vor allem aber seien besonders im Arbeitsrecht die Zielvorstellungen des Gesetzgebers unvollständig normiert, so daß die fiir den Einzelfall erforderliche Regel oft nicht abgeleitet werden könne. Der Richter müsse deshalb hier - häufiger als sonst - selbst die Regel aufstellen, die ihm im konkreten Fall eine gerechte Entscheidung erlaube396 . Demgegenüber habe die große Bedeutung der herkömmlichen Methoden fiir das klassische Zivilrecht ihren Grund in dem dort geltenden Kodifikationsprinzip: das Zivilrecht verfUge über eine ursprünglich geschlossene Gesamtkodifikation, die gründlich vorberaten und systematisiert sei, auf leitenden Prinzipien beruhe und einer Zeit entstamme, in der mehrheitsfähige Wertentscheidungen wesentlich leichter zu formulieren waren als heute 397 ; dies fordere dem Richter weniger an Eigenwertung ab. Vor diesem Hintergrund kämen vielmehr die Gebote der Gleichheit und Rechtssicherheit besonders zum Tragen, die nur ein Nachvollziehen der gesetzgeberischen Wertungen im Rahmen des einheitlichen Systems verlangte. Das Arbeitsrecht demgegenüber beruhe auf Kompromißlösungen, die nach schweren politischen Auseinandersetzungen als Minimallösungen erkämpft wurden398 • Infolgedessen ließen arbeitsrechtliche Gesetze eine einheitliche Regelungssystematik oft nicht erkennen399 • Vor allem Schlachter hat hieraus in ihrer Monographie ,,Auslegungsmethoden im Arbeitsrecht - Am Beispiel von § 87 BetrVG" gefolgert, daß sich das Arbeitsrecht fiir die klassischen Metho-

das Verfassungsrecht gilt, ist umstritten; daflir Larenz, Methodenlehre, S. 360 ff.; differenzierend und z.TI. anderer Meinung Stern, Staatsrecht I, S. 123 ff., 130 ff., m.w.N. 395 Moritz, RdA 1977, 197,200 f.; ders. auch zum Folgenden. 396 Hilger, FS Larenz, S. 109, 113; Schlachter, Auslegungsmethoden, S. 64. 397 Schlachter, Auslegungsmethoden, S. 115 ff.; vgl. dies. auch zum Folgenden. 398 Schlachter, Auslegungsmethoden, S. 115. 399 Söllner, RdA 1985, 328, 329; Peter, RdA 1985, 337, 345 f.; Schlachter, Auslegungsmethoden, S. 15, 91, 116 ff.; speziell flir das Betriebsverfassungsgesetz v. Hoyningen-Huene, Betriebsverfassungsrecht, S. 45.

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denlehren als Materie nicht eigne4OO : da die klassischen Methoden auf systematisierte und auf einem geschlossenen Konzept beruhende Rechtsgebiete bezogen seien, beim Arbeitsrecht dies aber nicht der Fall sei, gehe es dort letztlich nur um Zulässigkeit und Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung40I • Diesen Thesen kann in ihrer Allgemeinheit so nicht zugestimmt werden. Gewiß gibt es im Arbeitsrecht Felder, in denen Gesetze völlig fehlen und wo infolgedessen der Richter, will er nicht das Recht verweigern, zur eigenständigen Rechtsfmdung in besonderem Maße aufgerufen ist4°2 • Das bedeutet aber nicht, daß der Richter dort, wo es Gesetze gibt, einer geringeren Bindung unterläge403 • Die fiir die "freiere Stellung" des Arbeitsrichters im allgemeinen vorgetragenen Gründe treffen hier nicht zu, außerdem verstießen sie gegen Art. 20 Abs. 3, 97 Abs. 1 GG. Für den vorliegenden Bereich heißt das, daß sich der Norm des § 87 Abs. 1 BetrVG mit den klassischen hermeneutischen Mitteln genähert werden muß404 . Im übrigen geht Schlachter bereits in ihrer Prämisse fehl, wenn sie meint, Methoden hätten (einzig) die Aufgabe, den gesetzgeberischen Willen herauszuarbeiten405 . Sie folgt damit einer rein subjektiven Auslegungstradition, die den derzeitigen Diskussionsstand nicht zur Kenntnis nimmt4° 6. Denn die heute deutlich überwiegende Meinung spricht sich zumindest fiir eine Kombination von subjektiver und objektiver Auslegungstheorie aus. Jedenfalls wenn sich ei-

400 401 402

Schlachter, Auslegungsmethoden, S. 91, 117 f. Schlachter, Auslegungsmethoden, S. 64 f. m.w.N., S. 91 ff., 124. Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 76.

Trifft die These vom "Richter als dem Herrn des Arbeitsrechts" somit bestenfalls auf Sachverhalte zu, die überhaupt nicht unmittelbar geregelt sind, so muß bei der Auffindung derartiger Lücken zuvor die klassische Methode der systematischen Auslegung angewendet und das Arbeitsrecht nicht als Sonderrecht, sondern als Bestandteil einer einheitlichen Rechtsordnung begriffen werden. Eine Lücke liegt also erst dann vor, wenn auch in der außerarbeitsrechtlichen Gesamtordnung eine passende Regelung nicht zu finden ist, Reuter, FS Hilger/Stumpf, S. 573, 587 ff. 404 Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 76; Reuter, FS Hilger/Stumpf, S. 573, 579 ff.; in dem Punkt einschränkend wohl auch Schlachter, Auslegungsmethoden, S. 2. 405 Auslegungsmethoden, S. 91 (Anspruch der von der klassischen Methodenlehre entwickelten Auslegungskriterien, den "Willen des Gesetzgebers zu ermitteln"), 113 "das vom Gesetzgeber Gewollte"), 116 ("Entscheidungen des Gesetzgebers ... konkretisieren"); 118 ("Erkenntnis der gesetzgeberischen Wertung") u. öfter. 406 Richardi, Betriebsverfassungsrechtliche Mitbestimmung und EinzeIarbeitsvertrag, S. 15 ("Rechtswissenschaft ist nicht nur Materialiensuche"). 403

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Teil 3: Die Legitimation von Eingriffen

ne Regelungsabsicht des Gesetzgebers nicht nachweisen läßt, ist der heute maßgebliche normative Sinn eines Gesetzes aus dessen objektiver (immanenten) Teleologie zu entwickeln. Die objektive Teleologie zeichnet sich dann aber gerade dadurch aus, das sie dem Gesetzgeber nicht bewußt gewesen zu sein braucht, sondern diesem bestenfalls unterstellt werden kann. Die Frage lautet dann, ob es eine Methode gibt, objektive und zugleich wertungsabhängige Zwecke eines Gesetzes zu ermitteln. Diese Frage wird bejaht, was jedoch alles nichts mit spezifisch arbeitsrechtlichen Besonderheiten zu tun hat und schon gar nichts damit, ob dies eine Abkehr von den klassischen Methoden erforderte. IV. Mitbestimmungsfreiheit materieller Arbeitsbedingungen? Legte man § 87 BetrVG in der Weise aus, daß durch Mitbestimmung in die Rechtsstellung des einzelnen belastend eingegriffen werden darf, so würden dadurch in einigen Fällen, wie Z.B. dem der Kurzarbeit (Nr. 3) oder dem der leistungsbezogenen Entgelte (Nr. 11), zugleich materielle Arbeitsbedingungen geregelt. Es stellt sich die Frage, ob die Möglichkeit eingreifender Betriebsvereinbarungen bereits aus diesem Grunde abzulehnen ist. Unter Geltung des § 56 BetrVG 1952 hatte Siebert gelehrt, ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht bestehe nur bei formellen, nicht aber bei materiellen Arbeitsbedingungen407 . Der Betriebsrat sollte nicht an der Festlegung des Verhältnisses von Leistung und Gegenleistung beteiligt werden; eine nach den §§ 56 Abs. 2 i.V.m. 50 Abs. 4 BetrVG 1952 mögliche Zwangs schlichtung bei materiellen Arbeitsbedingungen sei unvereinbar mit der in Art. 9 Abs. 3 GG garantierten freiheitlich-sozialen Arbeitsverfassung408 . Zudem gingen die in § 56 BetrVG 1952 aufgeführten Angelegenheiten historisch auf die nach § 134a GewO 1891 zu erlassende Arbeitsordnung zurück. Die Arbeitsordnung sei aber ausschließlich auf Fragen der Ordnung des Betriebes und damit formelle Arbeitsbedingungen bezogen gewesen. Diese Position ist heute abzulehnen. Das Betriebsverfassungsgesetz aus dem Jahre 1972 hat (jedenfalls) mit den Nm. 3 und 11 des § 87 Abs. 1 BetrVG ma407 GalperinlSiebert, BetrVG, (3. Aufl.), Vorbem vor § 56 Rnz. 18; ihm folgte das Bundesarbeitsgericht in AP Nr. 3 zu § 56 BetrVG - Wohlfahrtseinrichtungen; AP Nm. 1, 2 zu § 56 BetrVG - Arbeitszeit u. öfter. 408 HueckINipperdey, Arbeitsrecht 1112, S. 1359.

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terielle Arbeitsbedingungen in den Katalog der erzwingbaren Mitbestimmung aufgenommen409 • Es kann seither also z.B. nicht mehr argumentiert werden, nur weil es sich bei der Einführung von Kurzarbeit um eine materielle Arbeitsbedingung handele, sei diese Angelegenheit allein aus diesem Grunde mitbestimmungs frei. Das positive Recht ist insofern eindeutig 410 . Daß sich eine in Vollzug der Mitbestimmung geschlossene Betriebsvereinbarung automatisch auf materielle Arbeitsbedingungen erstreckt, ist dementsprechend im Grundsatz unproblematisch. Gelegentlich hiergegen vorgetragene historische Kritik4 11 verfangt nicht: gewiß ist die Betriebsvereinbarung in ihren Anfangen im Betriebsrätegesetz aus dem Jahre 1920 stets auf Fragen der Ordnung und des Verhaltens im Betrieb und damit auf formelle Arbeitsbedingungen bezogen gewesen412 • Auch ist es zutreffend, daß das Betriebsrätegesetz seinerseits an die Arbeitsordnung des 19. Jahrhunderts angeknüpft hatte, die ebenfalls überwiegend formelle Arbeitsbedingungen zum Gegenstand gehabt hatte413 .

409 Einhellige Meinung; DietzlRichardi, BetrVG, § 87 Rnz. 27; Wiese, in: GKBetrVG, § 87 Rnz. 32. 410 Jedenfalls was die Frage betrim, ob es überhaupt Mitbestimmung bei materiellen Arbeitsbedingungen geben kann. Hiervon zu unterscheiden ist die Frage, ob § 87 Nr. 3 BetrVG auch eine eigenständige Ermächtigungsgrundlage für das Einführen von Kurzarbeit abgibt, was überwiegend bejaht wird, BAG, AP Nr. 9 BetrVG 1972 § 87 Arbeitszeit; EzA § I LohnfortzG Nr. 71; P. Hanau, RdA 1973,281,282; ders., Gern. Anm. zu AP Nm. 4 und 6 zu § 77 BetrVG, BI. 438; H. Hanau, Individualautonomie und Mitbestimmung, S. 143 f. i.V.m. S. 130; Richardi, ZfA 1992,307,315 Fn. 25; ders., BetriebsverfassungsrechtIiche Mitbestimmung, S. 21 f.; M. Starck, Leistungspflichten, S. 88. Über die materielle Arbeitsbedingung "Einführung von Kurzarbeit" wäre immer noch mitzubestimmen, wenn eine solche Maßnahme nur aufgrund einer anderweitigen individual- oder tarifvertraglichen, bzw. gesetzlichen oder behördlichen Ermächtigung zulässig wäre, Brosette, ZfA 1992, 379, 411 ff. Eine andere Frage ist auch, ob die Unterscheidung als Wertungsgesichtspunkt herangezogen werden kann, wenn es um die Frage der originären Begründung von Pflichten durch Mitbestimmung geht, so ZöllnerlLoritz, Arbeitsrecht, S. 508 f.; für eine Beibehaltung der Trennung grds. auch Konzen, BB 1977, 1307, 1311 f. 411 Richardi, ZfA 1992,307,316; Niebier, Inhalt und Reichweite der Betriebsvereinbarungsautonomie, S. 275 ff. 412 Niebier, Inhalt und Reichweite der Betriebsvereinbarungsautonomie, S. 277; Jacobi, Arbeitsrecht, S. 326 f. 413 Hromadka, Die Arbeitsordnung, S. 3.

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Die Arbeitsordnung des 19. Jahrhunderts als Vorläufer der Betriebsvereinbarung würde in ihrem sachlichem Gehalt jedoch verkannt, wollte man sie auf formelle Arbeitsbedingungen beschränken. Übersehen würde, daß der Arbeitsordnung in ihren Anfangen neben der Regelung der Fabrikordnung noch andere Aufgaben zukamen: bei der Einfiihrung der Gewerbefreiheit hatte sich der Gesetzgeber einer Regelung des Arbeitsvertrages enthalten414 . Weil den Arbeitgebern an vereinheitlichten Arbeitsbedingungen gelegen war, suchten sie dieses Ziel über die Arbeitsordnungen zu erreichen. Aus diesem Grund regelten sie hierin nicht nur Ordnungsfragen, sondern der erstrebten Vereinheitlichung willen auch sämtliche materiellen Arbeitsbedingungen415 • Rechtstechnisch in Geltung gerieten Arbeitsordnungen auf individualvertraglichem Wege 416 • Der Arbeitgeber machte ein Angebot, sei es durch Aushändigung, sei es durch Aushang der Arbeitsordnung, das die Arbeitnehmer annahmen, entweder ausdrücklich durch Unterschrift oder stillschweigend durch Eintritt in den Betrieb in Kenntnis der Arbeitsordnung. Arbeitsvertrag war damit praktisch die Arbeitsordnung. Vor diesem Hintergrund greift es zu kurz, die Betriebsvereinbarung wegen ihrer historischen Wurzeln in der Nachfolge der Arbeitsordnung auf formelle Arbeitsbedingungen beschränken zu wollen. Eine Beschränkung der Betriebsvereinbarung auf formelle Arbeitsbedingungen kann man auch nicht mit dem Argument begründen, daß man statt auf den Begriff der Arbeitsordnung auf die Regelungsmacht der Betriebspartner abstellt und sagt, historisch sei diese nur auf formelle Arbeitsbedingungen bezogen gewesen. Hieran wäre richtig, daß es gleichberechtigte Einflußnahme auf den Inhalt der Arbeitsordnung weder in der Zeit vor noch nach der Novelle zur Gewerbeordnung vom 1.6.1891 gegeben hat, da der Arbeitgeber die Arbeitsordnung auch nach der Novelle (zumindest de facto) einseitig erlassen konnte417 • Ein Hromadka, Die Arbeitsordnung, S. 3 m.N. in Fn. 2; Richardi, JA 1986,289,291. Hromadka, Die Arbeitsordnung, S. 3; ders., ZfA 1979,203,204,208. 416 Hromadka, Die Arbeitsordnung, S. 3; vgl. dens. auch zum Folgenden. 417 Gleichwohl war die Novelle zur Gewerbeordnung ein großer Fortschritt. Sie machte den Erlaß einer Arbeitsordnung dem Arbeitgeber zur (öffentlich-rechtlichen) Pflicht. Ziel war es, den Arbeitgeber in seinen Handlungsmöglichkeiten zu binden. Für die Arbeitnehmer bedeutete dies Rechtssicherheit, vor allem im Bereich des betrieblichen Strafenwesens, Hromadka, ZfA 1979, 203, 207; ders., Die Arbeitsordnung, S. 414 415

Kapitel 2: Der Nachweis einer EingrifIsgrundlage

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Mitbestimmungsrecht über den Inhalt der Arbeitsordnung brachte erst das Betriebsrätegesetz von 4.2.1920418 , das jedoch, anders als bei der Arbeitsordnung des 19. Jahrhunderts, überwiegend nur formelle Arbeitsbedingungen vorsah. Dieses historische Argument - Tradition des BRG - überzeugt aber ebenso nicht, da sich die Praxis daran nicht hielt. Dort waren üblich nach wie vor Regelungen über materielle Arbeitsbedingungen419 . Die Betriebspartner hielten sich zumindest selbst stets für kompetent und auch befugt, materielle Arbeitsbedingungen zu regeln.

B. Eingriffsbefugnisse als Sinn betrieblicher Mitbestimmung I. Präzisierung des inhaltlichen Ziels der Auslegung Die Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten beinhaltet originäre Eingriffsbefugnisse für den Betriebsrat, wenn dies dem Sinn, der Bedeutung des § 87 BetrVG entspricht. Gewiß mag jeder Einzeltatbestand der Nm. 1 bis 12 BetrVG eine eigene Teleologie haben, die es in einem konkreten Fall zu ermitteln gälte420 . Vorliegend kann und soll dies jedoch nicht geleistet werden, da aufgrund der enormen Stoffiille und der großen Zahl betriebsverfassungsrechtlicher Einzelprobleme sämtliche Einzeltatbestände nur höchst unvollständig untersucht werden könnten421 . Aus diesem Grunde wird die vor die Klammer gezogene Frage gestellt, ob es ein systemtragendes Prinzip der Mitbestimmung gibt, das unmittelbare Eingriffsbefugnisse den Betriebspartnem entweder zuweist oder abspricht. Der Nachweis eines solchen übergreifenden 10 f.; da § 134d GewO ein Anhörungs-, bzw. ein Äußerungsrecht für die Arbeitnehmer vorsah, ist es unpräzise, wenn Niebier, Inhalt und Reichweite der Betriebsvereinbarungsautonomie, S. 276 f., meint, ein Arbeiterausschuß sei arn Erlaß der Arbeitsordnung "nicht beteiligt" gewesen. 418 Vgl. §§ 78 Nr. 3, 80 Abs. 1 i.V.m. 75, 104 Abs. 4-6 BRG. 419 Hromadka, Die Arbeitsordnung, S. 20; krit. gegen diese Praxis bereits Jacobi, Arbeitsrecht, S. 326 f. 420 Joost verneint das Vorliegen von besonderen Mitbestimmungszwecken, sondern geht nur von besonderen Regelungsgegenständen im Rahmen eines allgemeinen Mitbestimmungszwecks aus, ZfA 1993, 257, 265; anders etwa Brosette, der zunächst allgemeine Zwecke der Mitbestimmung formuliert, ZfA 1992, 379, 411, und dann Einzelzwecke eines konkreten Tatbestandes herausarbeitet, ZfA 1992,379,414 fI. 421 Vgl. Loritz, ZfA 1991, I, 13. 16 Müller-Franken

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Teil 3: Die Legitimation von Eingriffen

Auslegungsprinzips ist das inhaltliche Ziel der Auslegung, die hier vorgenommen werden so1l422.

11. Anwendung der klassischen Methoden 1. Wortlautauslegung Ein Gesetz auslegen heißt, den Sinn, die Bedeutung der Gesetzesworte zu ermitteln und klarzustellen423 . Ausgangspunkt jeder Auslegung, so wird gelehrt, habe damit der Gesetzeswortlaut zu sein424 . Worte eines Gesetzes sind aber nur Träger von Ideen425 , symbolisieren den Gesetzeszweck, zielen auf seine Verwirklichung 426 . Ist aber das Ermitteln des Sinns einer Norm gleichzusetzen mit dem Ermitteln ihres Zwecks, kann die Bedeutung der Wörter nicht durch Wortphilologie, durch wörtliches Überlegen, sondern nur von ihrem Zweck her erfaßt werden427 . Wortlautargumente sind deshalb stets unvollkommen, so daß die hier vorliegende Frage allein durch den Gesetzeswortlaut nur begrenzt in die eine oder in die andere Richtung entschieden werden kann428 . Der Wortlaut des Gesetzes steckt aber andererseits auch die Grenzen des Auslegens ab 429 • Jedes Sinndeuten, das über den möglichen Wortsinn hinaus-

422 Die Suche nach Grundlinien der Auslegung des § 87 BetrVG ist üblich, vgl. P. Hanau, RdA 1973,281 ; Wiese, in: GK-BetrVG, vor § 87 Rnz. 4-10; Loritz, ZfA 1991, 1, 2 f. (allgemeine Prinzipien, Zielsetzungen); auch das Bundesarbeitsgericht argu-

mentiert mit allgemeinen, tatbestandsunabhängigen Zwecken der Mitbestimmung, etwa BAG, AP Nr. 14 zu § 87 BetrVG 1972 - Ordnung des Betriebes (,,zweck der in § 87 BetrVG normierten Mitbestimmungsrechte des BR ist es - je nach Mitbestimmungstatbestand -, die Ausübung des Direktionsrechts an die Beteiligung des BetrR zu binden [Zitat]."). 423 Stern, Staatsrecht I, S. 124; Kruse, in: TipkelKruse, AOIFGO, § 4 Rnz. 76; WoljJl BachofiStober, Verwaltungsrecht I, § 28 Rnz. 53. 424 Larenz, Methodenlehre, S. 320, 343; Zippelius, FS Larenz zum 80. Geburtstag, S. 739,742 f.; BGH, (GS), BGHZ 62, 340, 346 ff. P. Kirchhof, NJW 1987,3217,3222. 426 Tipke, Steuerrechtsordnung III, S. 1246. 427 Tipke, Steuerrechtsordnung III, S. 1245 f. 428 Tipke, Steuerrechtsordnung III, S. 1246. 429 Larenz, Methodenlehre, S. 343; F. Müller, Juristische Methodik, S. 153; a.A. Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, S. 223. 425

Kapitel 2: Der Nachweis einer EingritTsgrundlage

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geht, ist nicht mehr Auslegen, sondern abänderndes Fortbilden des Rechts430 . Rechtsfortbilden contra legern ist aber nur unter engen Voraussetzungen zulässig, namentlich wenn ein Auslegungsergebnis der materiellen Gerechtigkeit widerspricht (Art. 20 Abs. 3 "Gesetz und Recht')431. Also nicht um den Sinn der Nonn zu erfassen, sondern nur um die äußersten Grenzen funktionell vertretbarer Sinnvarianten zu markieren, ist es notwendig, den Wortlaut des § 87 Abs. 1 BetrVG zu betrachten. Im Blickpunkt steht dabei die Frage, ob die These von der "neuen Zuständigkeitsordnung" noch vom Wortlaut der Nonn erfaßt ist. Zum Nonntext des § 87 Abs. 1 BetrVG ist hier schon mehrfach gesagt worden, daß er dem Betriebsrat - anders als § 116 Eden beiden Betriebspartnern - jedenfalls nicht ausdrücklich Eingriffsbefugnisse zuweist. Auch begründet er nicht ausdrücklich eine "neue Zuständigkeitsordnung". Es heißt dort lediglich, daß der Betriebsrat "in folgenden Angelegenheiten mitzubestimmen" hat, ohne daß dieses Mitbestimmen zugleich in seinen Wirkungen beschrieben wird. Ein spezifischjuristischer Sprachgebrauch des Wortes mitbestimmen läßt sich nicht nachweisen. Der Begriff wird in unterschiedlichen Gesetzen verwandt (BetrVG, MitbestG v. 4.5.1976, Montan-MitbestG vom 21.5.1951 ergänzt durch das MitbestimmungsergänzungsG für Holding-Gesellschaften vom 7.8.1956), ohne daß er legaldefmiert wäre oder sich sonst eine einheitliche, juristisch fixierte Bedeutung herausgebildet hätte432 . Es ist daher an den allgemeinen Sprachgebrauch anzuknüpfen. "Mitbestimmen" ist dort aber so zu verstehen, daß es zunächst einmal überhaupt etwas zu bestimmen geben muß, woran jemand dann mitbestimmend beteiligt werden kann433 . Übertragen auf betriebliches Mitbestimmen heißt dies, daß der Arbeitgeber irgendwelche Weisungs-, Anordnungs- oder sonstige Gestaltungsrechte i.w.S. haben muß, bei

430 F. Müller, Juristische Methodik, S. 183 tT.; Zippelius, FS Larenz zum 80. Geburtstag, S. 739, 743. 431 BVerfGE 34, 269, 286 f.; Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 175; Kruse, in: TipkelKruse, AOIFGO, § 4 Rnz. 132. 432 v. Hoyningen-Huene, Betriebsverfassungsrecht, S. 1 tT.; ZöllneriLoritz, Arbeitsrecht, S. 438 (gesellschaftspolitisches Grundprinzip). Überblick über die verschiedenen Bedeutungen bei Richardi, Art. Mitbestimmung, EvStL, Sp. 2161 tT. 433 Hromadka, OB 1988, 2636, 2641; Söllner, Anm. EzA § 1 LohnfortzG Nr. 71; Pleyer, Anm. zu BAG AP Nr. 6 § 87 BetrVG 1972 - Auszahlung; tendenziell wohl auch H. Hanau, Individualautononmie und Mitbestimmung, S. 110; vgl. auch Neumann-Duesberg, Betriebsverfassungsrecht, S. 58.

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Teil 3: Die Legitimation von Eingriffen

denen der Betriebsrat mitbestimmen kann. Mitbestimmung in Fragen, die jenseits des Weisungsrechts anzusiedeln sind, wäre damit nicht mehr vom Wortlaut des § 87 BetrVG gedeckt. Mäße man dieser umgangssprachlichen Bedeutung des Wortes "mitbestimmen" nun - entgegen des hier vertretenen Ansatzes - sinnstiftende Bedeutung zu434, so hätte dies Konsequenzen. Denn schließt der Arbeitgeber in einer Situation, in der er einem Arbeitnehmer einseitig eine Weisung erteilen, also "bestimmen" könnte, statt dessen einen Vertrag, ließe sich bei einer reinen Wortlautinterpretation die Meinung vertreten, daß hier schon gar nicht mehr vom Arbeitgeber etwas bestimmt würde, also auch nichts mitzubestimmen wäre. Soll in Fällen, in denen an sich eine Weisung denkbar wäre, auch der Vertragsschluß erfaßt sein, so wäre dies nur bei einer erweiternden Auslegung möglich, die sich auf den Zweck des Gesetzes zu stützten hätte, etwa unter dem Blickwinkel der Umgehungsabwehr. So ließe sich argumentieren, daß der Vertragsschluß erfaßt sein müßte, da sonst die Mitbestimmung vom Arbeitgeber umgangen werden könnte. Mit dem Wortlaut ließe sich eine solche Deutung vereinbaren, wenn man in diesen Fällen ein erweitertes, sinngetragenes Verständnis des Wortes "mitbestimmen" zugrunde legte. Das per defmitionem zunächst einmal notwendige Bestimmen läge hier dann darin, daß der Arbeitgeber kraft seiner faktischen Überlegenheit im Rahmen einer Vertragsänderung trotz der formalen Willensübereinstimmung des Arbeitnehmers die Bedingungen einseitig diktierte. An dieses so gesehen auch hier vorliegende "Bestimmen" könnte Mitbestimmung dann (akzessorisch) anknüpfen. Eine breite Strömung in Rechtsprechung und Literatur geht denn auch davon aus, daß "mitbestimmen" i.S.v. § 87 Abs. 1 BetrVG stets einseitige Anordnungs-, Weisungs-, Gestaltungsbefugnisse etc. des Arbeitgebers voraussetzt435 . Gegen diese Wortlautinterpretation wird vor dem Hintergrund einer logischsystematischen Einzelanalyse der Tatbestände der Nm. 1-12 eingewandt, daß dem Arbeitgeber nicht in allen Bereichen des § 87 BetrVG einseitige Befugnisse zustünden, so etwa bei der Anordnung von Kurzarbeit (Nr. 3), der Regelung der Art der Auszahlung der Arbeitsentgelte (Nr. 4) oder den Fragen des

434 Wie etwa Wiese, in: GK-BetrVG, vor § 87 Rnz. 5, freilich mit anderem Ergebnis. 435 Vgl. die in Fn. 433 genannten Autoren.

Kapitel 2: Der Nachweis einer Eingriffsgrundlage

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Arbeitsentgelts (Nm. 10, 11)436. Hier sei er normalerweise auf die Zustimmung des Arbeitnehmers angewiesen. Soll die Norm aber auch in diesen Fällen anwendbar sein, müßten den Betriebspartnern zumindest hier entsprechende Eingriffsbefugnisse zustehen. Weise das Gesetz den Betriebspartnern aber überhaupt Eingriffsbefugnisse zu, spräche einiges dafiir, im gesamten Anwendungsbereich des § 87 BetrVG eine neue Zuständigkeitsordnung zu sehen, wonach die Betriebspartner Betriebsvereinbarungen schließen könnten, ohne daß es auf die Mitwirkung des einzelnen ankäme. Gegen eine Anlehnung der Mitbestimmung an - wie auch immer geartete - einseitige Befugnisse des Arbeitgebers spreche weiter, daß die Norm nicht von Anordnungen des Arbeitgebers rede, sondern vielmehr generell die Mitbestimmung des Betriebsrats bei der Regelung bestimmter Angelegenheiten begründe. Insofern weise bereits der Wortlaut die Interpretation der Norm in Richtung einer "neuen", von den Betriebspartnern gemeinsam zu gestaltenden "Zuständigkeitsordnung" im Bereich der sozialen Angelegenheiten. Folglich seien dort nicht nur Individualverträge ausgeschlossen, sondern den Betriebspartnern ständen Entscheidungsbefugnisse unabhängig davon zu, ob die Angelegenheit durch vertragliche Vereinbarung geregelt werden sollte oder sogar nur könnte 437 . Der erstgenannte Hinweis ist insofern zutreffend, als der Arbeitgeber in den erwähnten Fällen auf die Zustimmung des einzelnen angewiesen ist. Allerdings ist es konstruktiv ohne weiteres vorstellbar, daß dem Arbeitgeber bereits im Arbeitsvertrag auch in diesen Punkten im vorhinein einseitige Anordnungs-, Änderungs- oder Gestaltungsrechte etc. eingeräumt worden sind; ist dies der Fall, könnte Mitbestimmung hieran dann wiederum angekoppelt werden. Aber auch in Fällen, in denen es an einer derartigen, im vorhinein vertraglich geschaffenen Eingriffsgrundlage fehlt, läßt sich kein grundsätzlicher Einwand gegen die hier skizzierte Interpretation herleiten. Sofern man auch diese als von der Norm erfaßt ansehen will, ließe sich an das oben Gesagte anknüpfen. Es müßte auf einen späteren Vertragsschluß abgestellt und das erweiterte Verständnis des Wortes "mitbestimmen" zugrunde gelegt werden. Das notwendige Bestimmen läge hier dann wieder darin, daß der Arbeitgeber kraft seiner fakti-

436 Richardi, FG v. Lübtow, S. 755, 760, 762; M. Starck, Leistungspflichten, S. 120 f.; Hurlebaus, Fehlende Mitbestimmung, S. 92. 437 Wiese, in: GK-BetrVG, vor § 87 Rnz. 5 i.V.m. Rnz. 9 f.

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Teil 3: Die Legitimation von Eingriffen

schen Überlegenheit im Rahmen eines späteren Vertrags schlusses trotz des fonnalen Konsenses des Arbeitnehmers die Bedingungen einseitig diktierte. Da den bezeichneten Tatbeständen bei dieser Sichtweise aber auch in den Fällen ohne vorherige vertragliche Ermächtigung ein Anwendungsbereich bliebe - eben der spätere Vertragsschluß zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer - , sind diese kein überzeugendes Argument gegen die These von der Abhängigkeit der Mitbestimmungsrechte von einseitigen Bestimmungsrechten des Arbeitgebers 438 . Ob dieses einschränkende Verständnis die Norm ihres "eigentlichen" Anwendungsbereiches beraubte und zur Bedeutungslosigkeit verdammte, ist eine andere Frage, der hier unter dem Aspekt "Erfordernisse der Praktikabilität" gesondert nachgegangen werden so1l439. Zu den zweitgenannten Bedenken ist zu sagen, daß das Wort mitbestimmen auch so verstanden werden kann, daß damit nicht die bloße Zustimmung des Betriebsrats zu einer vom Arbeitgeber geplanten Maßnahme, sondern die Regelung der betreffenden Angelegenheit durch beide Betriebspartner im Sinne eines gemeinsamen und gleichberechtigten inhaltlichen Gestaltens gemeint ist44o . Die Annahme einer Zuständigkeitsordnung ist m.a.W. im Wortlaut nicht zwingend angelegt. Vor allem ließe sich gegen dieses Wortlautargument sagen, daß eine andere und präzisere Formulierung näher gelegen hätte, wenn der Gesetzgeber den Betriebspartnern den Bereich der sozialen Angelegenheiten zu gemeinsamer Gestaltung hätte zuweisen wollen, wie z.B. "die Betriebspartner regeln die folgenden Angelegenheiten gemeinschaftlich". Im Ergebnis wird man daher festhalten können: der Wortlaut des § 87 BetrVG erfaßt mit Sicherheit den Fall der einseitigen Weisung, Gestaltung, Anordnung etc. Aber auch den Fall des Vertrags schlusses wird man bei erweiternder Auslegung des mitbestimmungsrelevaten "Bestimmens" als vom Normtext abgedeckt ansehen können. Die Zuweisung einer von einer arbeitgeberseitigen Bestimmungsmacht abgekoppelten neuen Zuständigkeitsordnung

Lieb, Arbeitsrecht, S. 235. 439 Siehe dazu unten § IOD II, S. 305 ff. 440 So das BAG, AP Nr. 21 zu § 77 BetrVG 1972; BAGE 51, 217, 233; vgl. auch Joost, RdA 1989, 7, 9, 17 Fn. 114 (der Betriebsrat soll seine Vorstellungen einbringen können). 438

Kapitel 2: Der Nachweis einer Eingriffsgrundlage

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läßt sich dem Wortlaut nicht unmittelbar entnehmen. Der allgemeine Sprachgebrauch spricht sogar eher hiergegen. 2. Logisch-systematische Auslegung

Die logisch-systematische Auslegung441 knüpft an die bereits erwähnte axiomatische Feststellung an442 , daß die Rechtsordnung ein sinnvolles Ganzes darstellt und auf innere Widerspruchsfreiheit angelegt ist. Auf dieser Grundlage will sie Erkenntnisse über den Sinn eines Rechtssatzes aus seiner Stellung im Paragraphenzusammenhang, im Gesetzesabschnitt, im Gesetz sowie in der Rechtsordnung insgesamt gewinnen. Der so beschriebene Bedeutungszusammenhang fördere zunächst ganz allgemein das Verständnis der spezifischen Bedeutung eines Ausdrucks im Textzusammenhang, zugleich wahre er die Übereinstimmung zwischen den verschiedenen Normen der Regelung443 . Letztlich sei die Auslegungsalternative eines Rechtssatzes zu ermitteln, die ihn in einen widerspruchsfreien Sinnzusammenhang zu anderen Rechtsnormen und Rechtsbegriffen stellt444. Für den vorliegenden Zusammenhang bedeutete dies folgendes: aus logischsystematischen Kriterien leitete sich die These von der Befugnis zu Eingriffen in die Rechtsstellung der Arbeitnehmer durch Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten dann ab, wenn sich (nur) so ein widerspruchsfreier Sinnzusammenhang zwischen den verschiedenen Beteiligungsrechten des Betriebsrats herstellen ließe. Dies erforderte zum einen den Nachweis einer systematischen Konzeption des Gesetzgebers bei der Ordnung der betrieblichen Beteiligungsrechte und zum anderen, daß nur durch die Annahme der bezeichneten Auslegungsalternative ein Widerspruch innerhalb des Systems zu vermeiden wäre. Hierbei müßte das System vorsehen, daß betriebliche Mitbestimmung nicht nur auf die Rechtsstellung und Handlungsmöglichkeiten des Arbeitgebers be441 Kruse, in: TipkelKruse, AOIFGO, § 4 Rnz. 93 weist zurecht daraufhin, daß es lediglich eine terminologische Frage ist, ob man zwischen logischen und systematischen Kriterien trennt (so Wol.ff/BachoJlStober, Verwaltungsrecht I, § 28 Rnz. 56 f.) oder sie zusarnmenfaßt (so Engisch, Einflihrung in das juristische Denken, S. 79 und Bartholomeyczik, Kunst der Gesetzesauslegung, S. 62). 442 Siehe oben 2. Teil, 2. Kapitel, § 6 C III 1 a, S. 156 f. 443 Larenz, Methodenlehre, S. 325. 444 Wol.ff/BachoJlStober, Allgemeines Verwaltungsrecht I, § 28 Rnz. 56 f.; Kruse, in: TipkelKruse, AOIFGO, § 4 Rnz. 93a.

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Teil 3: Die Legitimation von Eingriffen

zogen ist, sondern auch auf das Beschränken der Rechtsstellung des Arbeitnehmers. Nun ist immerhin anerkannt, daß im Bereich der Mitbestimmung bei personellen EinzeImaßnahmen (§ 99 BetrVG) das Verweigern der Zustimmung seitens des Betriebsrats nicht nur zu Lasten des Arbeitgebers, sondern auch zu Lasten des Arbeitnehmers ausschlagen kann445 • Ob diese Regel auf § 87 BetrVG übertragen werden kann, ist allerdings fraglich; dies setzte einen systematischen Zusammenhang zwischen den beiden Bereichen in dieser Frage voraus, was umstritten ist44 6 . Jedoch lassen sich diese Fragen aufgrund einer logisch-systematischen Auslegung allein nicht entscheiden. Nicht weil sich, wie immer wieder vorgetragen wird, gerade im Arbeitsrecht besonders schwer begründen ließe, daß dem Gesetzgeber eine systematische Konzeption vorgeschwebt habe 44? Das Problem liegt vielmehr darin, daß wollte man die logisch-systematischen Kriterien von den teleologischen trennen, man ihre Anwendung beschränken müßte auf die formale Stellung der auszulegenden Norm in deren Gesetzesurnfeld, also das "äußere System" des Rechts. Ausgeblendet blieben teleologische Kriterien, Prinzipien und Wertungen des Gesetzes sowie der Rechtsordnung insgesamt, das "innere System" des Rechts. Dem "äußeren System" läßt sich für die Rechtserkenntnis jedoch nur insoweit etwas entnehmen, als es dem "inneren" entspricht, es verschafft Übersicht, nicht Einsicht (Tipke )448. Einsichten über das widerspruchslose Einfügen einer einzelnen Norm in den dazugehörigen Gesetzesabschnitt, Paragraphenzusammenhang, das gesamte Gesetz sowie die Rechtsordnung insgesamt, lassen sich vielmehr nur dann gewinnen, wenn man das innere System, d.h. die maßgebenden Prinzipien, Wertungen, Leitideen, Grundsätze etc. berücksichtigt449 • Nur wenn man sie kennt,

Allg. Meinung; vgl. FittinglKaiserlHeitherlEngels, BetrVG, § 99 Rnz. I m.w.N. Vgl. Wiese, ZfA 1989,645,649 und Hurlebaus, Fehlende Mitbestimmung, S. 22, 46 f., die bei der Frage der Rechtsfolgen fehlender Mibestimmung nur eine Argumentation aus § 87 BetrVG für möglich halten. 447 Schlachter, Auslegungsmethoden, S. 15, 115 ff.; v. Hoyningen-Huene, Betriebsverfassungsrecht, S. 45; dagegen zutr. Joost für die sachlichen Umfang der Mitbestimmung, Anm. zu BAG, AP Nr. 2 § 620 BGB - Altersgrenze. 448 Die Steuerrechtsordnung I, S. 105. 449 Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 79; Larenz, Methodenlehre, S. 327 f.; F. Müller, Juristische Methodik, S. 212; Zippelius, Methodenlehre, S. 50. 445

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Kapitel 2: Der Nachweis einer Eingriffsgrundlage

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kann man die Bedeutung einer Norm ennitteln, die ihr widerspruchsloses Einfügen in den normativen Gesamtzusammenhang gewährleistet. Dies bedeutet, daß bei der Interpretation der Norm aus dem Bedeutungszusammenhang, dem Auffmden und Vermeiden von Widersprüchen, stets die Teleologie des Gesetzes mitgedacht werden muß. Logisch-systematische und teleologische Kriterien sind ineinander verwoben, sie lassen sich nicht trennen450 . Aus diesem Grunde gilt es nun, die Zwecke des Gesetzes offenzulegen.

3. Teleologische Auslegung Der Mitbestimmung des § 87 BetrVG werden, freilich mit kleineren Unterschieden in der Formulierung, im wesentlichen zwei Zwecke zugrundegelegt: ein Schutzzweck451 und ein TeilhabezwecIc452. Vor allem der Teilhabezweck wird herangezogen, um mit der Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten verbundene Eingriffsbefugnisse zu Lasten der Arbeitnehmer zu rechtferti-

450 Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 79; Larenz, Methodenlehre, S. 327 f.; F. Müller, Juristische Methodik, S. 212; Zippelius, Methodenlehre, S. 50. 451 Hess, in: HessiSchlochauer/Glaubitz, BetrVG, § 87 Rnz. 7; HueckiNipperdey, Arbeitsrecht 1111, S. 26 und 11/2, S. 1062 f.; Neumann-Duesberg, Betriebsverfassungsrecht, S. 127 f.; Jahnke, Tarifautonomie und Mitbestimmung, S. 2; Hurlebaus, Fehlende Mitbestimmung, S. 57 ff.; v. Hoyningen-Huene, Betriebsverfassungsrecht, S. 190; H. Hanau, Individualautonomie, S. 134 f.; Richardi, FG v. Lübtow, S. 755, 760, 762; Wiese, FS Kissel, S. 1269, 1277 f.; ZöllnerlLoritz, Arbeitsrecht, S. 447; Lieb, Arbeitsrecht, S. 224. 452 Wiese, FS Kissel, S. 1269, 1278 ff., dort auch mit zahlreichen Nachweisen in Fn. 45; Jobs, DB 1986, 1120, 1121; Hurlebaus, Fehlende Mitbestimmung, S. 72 ff.; v. Hoyningen-Huene, Betriebsverfassungsrecht, S. 190 (der Sache nach). Der von Hueckl Nipperdey, Arbeitsrecht 11/2, S. 1064 f. als wichtigstes Ziel der Beteiligung der Arbeitnehmer genannte Partnerschaftsgedanke unterscheidet sich nicht vom Teilhabegedanken, sofern mit ihm die gleichberechtigte Beteiligung der Arbeitnehmerseite bei der Regelung betrieblicher Verhältnisse gemeint ist; seine zweite Bedeutung, das Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit, ist kein eigener Zweck der Betriebsverfassung, sondern ein Leitprinzip seiner Durchführung. Auch der von DietziRichardi, BetrVG, § 87 Rnz. 7 herausgestellte Integrationszweck ist nur ein anderer Ausdruck für den Teilhabezweck, als er "eine gleichberechtigte Berücksichtigung der Arbeitnehmerinteressen bei der Gestaltung dieser (betrieblichen) Ordnung" meint; vgl. zum Ganzen Wiese, FS Kissel, S. 1269, 1281 f.

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Teil3: Die Legitimation von Eingriffen

gen453 . Im folgenden geht es nun darum zu prüfen, ob sich diese Zwecke nachweisen sowie ob sich belastende Wirkungen mit ihnen begründen lassen. Ausgangspunkt der Zweckermittlung ist die Regelungsabsicht des Gesetzgebers. Dies ergibt sich aus der oben skizzierten Funktionenteilung im gewaltenteilenden Staat, wonach der Rechtsanwender Entscheidungen des Gesetzgebers zu respektieren und sie dafür zunächst eirunal zur Kenntnis zu nehmen hat. a) Der Schutzzweck aa) Die Nachweisquelle: Der Bericht der Mitbestimmungskommission

Die amtliche Begründung des BetrVG 1972 enthält zu den Zwecken des § 87 Abs. 1 BetrVG und speziell zu der hier interessierenden Frage, ob in der Mitbestimmung unmittelbar Eingriffsbefugnisse enthalten sind, keine eigenen Aussagen. Sie erwähnt aber in ihrem allgemeinen Teil ausdrücklich, daß bei den gesetzgeberischen Vorarbeiten .,auch die Ergebnisse des Berichts der Mitbestimmungskommission berücksichtigt (wurden), soweit sie betriebverfassungsrechtliche Fragen betreffen. "454 Dort ist die Rede von der .,wichtigen Rolle (der kollektiven Vereinbarung) bei der gegenständlichen Begrenzung des Weisungsrechts und beim Schutz4 55 des Arbeitnehmers vor ungerechtfertigter Inanspruchnahme der Leitungsbefugnis"456. Mitbestimmung verstanden als Abbau einseitiger Machtstellungen fuße auf einer wertbezogenen Entscheidung. Die aus Sachgegebenheiten heraus unvermeidliche Fremdbestimmtheit des Arbeitnehmers in Betrieb und Unternehmen sei nur bei einer mitbestimmten Ausgestaltung seiner Stellung zu vereinbaren mit dem Grundsatz der Selbstbestimmung, der Freiheit der Person und der Achtung vor der Würde des Menschen457 . Diese Passagen des Berichts der Mitbestimmungskommission beziehen sich nicht speziell auf die Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten des § 87

453 Zu nennen ist hier vor allem Wiese, in: GK-BetrVG, vor § 87 Rnz. 10 und § 87 Rnz. 89 f. und ders., FS Kisse1, S. 1269, 1278 ff. 454 BR-Drucks. 715170, S. 31. 455 Hervorhebung vom Verf. 456 BT-Drucks. V1/334, S. 64. 457 BT-Drucks. V1/334, S. 64 f.

Kapitel 2: Der Nachweis einer Eingriffsgrundlage

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BetrVG, sondern ganz allgemein auf Mitbestimmung im Betrieb wie im Unternehmen. Da die Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten aber die intensivste Form der Beteiligung des Betriebsrats darstellt und gelegentlich sogar als "Mitbestimmungsrecht im engeren Sinne" bezeichnet wird458 , wird man die Aussagen der Kommission hierauf übertragen459 und als Erkenntnisquelle für den Willen des Gesetzgebers nutzen können460 . Diesen Ausführungen im Bericht der Mitbestimmungskommission läßt sich als Regelungsabsicht des Gesetzgebers des Betriebsverfassungsgesetzes unschwer der Schutz der Arbeitnehmer entnehmen461 . Hervorgehoben zu werden verdient dabei, daß die Mitbestimmungskommission mit Schutz keinen Kollektiv-, sondern einen Individualschutz meint. Sie leitet das Erfordernis der überbetrieblichen unternehmerischen wie der betrieblichen Mitbestimmung nämlich ab aus dem Gebot der Achtung der MenschenWÜTde462 • Menschenwürde kann aber immer nur dem einzelnen, nie einem - wie immer gear-

458 v. Hoyningen-Huene, Betriebsverfassungsrecht, S. 192; H. Hanau, Individualautonomie und Mitbestimmung, S. 128 (Die betriebsverfassungsrechtliche Mitbestimmung bilde den "Kernbereich" der Mitwirkung des Betriebsrats, § 87 BetrVG sei ,,zentralvorschrift"). 459 Dies ist üblich, vgl. etwa Wiese, in: GK-BetrVG, vor § 87 Rnz. 5; ders., FS KisseI, S. 1269, 1278; Loritz, ZfA 1991, 1,5. 460 Dahinstehen kann damit vorliegend die Kontroverse zwischen Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 95 und Larenz, Methodenlehre, S. 329 darüber, ob die gesamte amtliche Begründung den Willen des Gesetzgebers verkörpert (Engisch) oder dieser sich mit ihrer Hilfe nur eine Meinung bildet über die zutage liegenden Grundabsicht des Gesetzes (Larenz). 461 Einen deutlichen Akzent auf den Schutzzweck legte auch Wiese noch in RdA 1973, I, 2 rechte Spalte. 462 BT-Drucks. VII334, S. 56 "Die Mitbestimmung der Arbeitnehmer leitet sich vielmehr aus dem richtigen Verständnis von der normativen Gestaltung des Arbeitsverhältnisses und der Stellung des Arbeitnehmers im Unternehmen und damit einer Wertentscheidung ab. Gegenstand dieser Wertentscheidung ist die zutreffende Gestaltung der Stellung des Einzelnen (Hervorhebung vom Verf.) in der organisierten Gemeinschaft Unternehmen. Inhaltlich beruht diese Wertentscheidung auf dem grundlegenden Bekenntnis zur Würde der Person, zu den unveräußerlichen und unverletzlichen Menschenrechten als Grundlage jeder staatlichen Gemeinschaft und zum Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. I und 2 GG)."; vgl. weiter S. 65, 66.

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Teil 3: Die Legitimation von Eingriffen

teten - Kollektiv zukommen463 ; dieser Gesichtspunkt wird oft nicht gesehen. Auf ihn wird zurückzukommen sein. bb) Der Inhalt des Schutzzwecks

Fraglich ist nun, ob es dem Schutzzweck der Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten entspricht, Eingriffsbefugnisse aus ihr abzuleiten. Dies wird man nur dann sagen können, wenn sich die Regelungsabsicht des Gesetzgebers nur auf diese Weise konsequent zu Ende denken ließe. Schutz bedeutet, die sich aus der Zugehörigkeit des Arbeitnehmers zu einem Arbeitsverband ergebende tatsächliche und rechtliche Abhängigkeit zu beseitigen oder jedenfalls abzuschwächen464 • Es geht um den Ausgleich und Abbau einseitiger Machtstellungen465 . Die Lehre von der Kompetenzzuweisung verschafft dem Arbeitgeber jedoch auch dort Rechtsgrundlagen fiir sein Handeln, wo sie sonst fehlen 466 • Aus der Perspektive des einzelnen bedeutete dies ein Mehr an Fremdbestimmung, zusätzliche Lasten und damit eine Schlechterstellung gegenüber der Lage vor Einführung der Mitbestimmung. Dies widerspräche dem Schutzzweck467 . b) Der Teilhabezweck Belastungsbegründende Wirkung wird dem Schutzzweck denn auch von niemandem zugesprochen. Im Mittelpunkt der Diskussion steht hier die andere Zweckrichtung, der Teilhabezweck. Ausgangspunkt für das Herausbilden eines eigenständigen Teilhabezwecks ist die Überlegung, daß der Schutzgedanke der 463 Stern, Staatsrecht III/1, S. 11 f.; Hofmann, JZ 1986, 253, 259; Wintrich, FS Apelt, S. 1,2; v. Mangoldt-Klein, GG, (2. Aufl.), Art. 1 Anm. III 3 c S. 150; Kunig, in: v. MünchIKunig, GG, Art. 1 Rnz. 17; vgl. bereits Nipperdey, Die Würde des Menschen, S. 3,24 f. i.V.m. 9 f. Dies gegen Wiese, der in ZfA 1989,645,656 meint, daß mit der Bejahung des Schutzzwecks noch nicht entschieden sei, ob § 87 dem Individualoder Kollektivschutz diene. Das Überwiegen eines Kollektivinteresses ist eine Frage, die unter dem Stichwort der Ausgleichsfunktion der Mitbestimmung zu diskutieren ist, siehe dazu unten § IOD III, S. 333 ff. 464 Wiese, FS Kissel, S. 1269, 1277. 465 Mitbestimmungskommission, BT-Drucks. VI/334, S. 65. 466 So deutlich Hess, in: Hess/Schlochauer/G1aubitz, BetrVG, § 87 Rnz. 11. 467

Hess, in: Hess/Schlochauer/Glaubitz, BetrVG, § 87 Rnz. 11; v. Stebut, RdA

1974,332,343; Brosette, ZfA 1992,379,412 f.

Kapitel 2: Der Nachweis einer Eingriffsgrundlage

253

Vorstellung verhaftet bleibe, der Arbeitnehmer sei durch geeignete Maßnahmen vor dem Arbeitgeber zu schützen468 . Der einzelne sei weiterhin Objekt und nicht handelndes Subjekt, und zwar das Objekt ihn schützender Regelungen, an deren Gestaltung er selbst keinen Anteil habe 469 . Sogar im Hinblick auf die Tätigkeit des Betriebsrats bleibe der Arbeitnehmer unter dem Blickwinkel des Schutzzwecks Objekt eines Schutzes durch Dritte, wenn auch durch seinen eigenen Interessenvertreter47o . Solle aber der Achtung des Arbeitnehmers als Persönlichkeit und seiner Würde Rechnung getragen werden, so komme es darauf an, die Arbeitnehmer selbst zu mitwirkenden Subjekten bei der Gestaltung des betrieblichen Geschehens zu machen471 . Der Teilhabezweck wandle die Stellung des Arbeitnehmers als die eines Objekts in die eines Subjekts um und ersetze das "Prinzip formaler Gleichheit" durch das "Prinzip materialer Gleichberechtigung"472. Dies geschehe auf die Weise, daß die Arbeitnehmerseite durch den Betriebsrat im Bereich der sozialen Angelegenheiten des § 87 BetrVG eigenverantwortlich und gleichberechtigt an der Gestaltung der betrieblichen Ordnung beteiligt werde. Da § 87 BetrVG diese Teilhabe nicht dem einzelnen, sondern der Arbeitnehmerseite im Ganzen gewähre, sei dieser Bereich nur den Betriebspartnern zur eigenverantwortlichen und gleichberechtigten Regelung zugewiesen, dem einzelnen Arbeitnehmer fehle bei Angelegenheiten mit kollektivem Bezug die einzelvertragliche Regelungskompetenz473 . Diese Zuständigkeitsverteilung habe Folgen fiir den Schutzgedanken. Vor deren Hintergrund werde der Schutzzweck allein dadurch verwirklicht, daß die individualrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten des Arbeitgebers eingeschränkt würden. Es gehe also nicht um den Schutz einzelner Arbeitnehmer hinsichtlich ihrer materiellen Interessen, sondern um einen Schutz der Arbeitnehmer insgesamt474 • In der Konsequenz bedeute dies, daß unter Berufung auf den Schutzzweck nicht gefolgert werden könne, Mitbestimmung dürfe nicht zu Wiese, ZfA 1989, 645, 650. Wiese, ZfA 1989,645, 650. 470 Wiese, FS Kissel, S. 1269, 1278. 471 Wiese, FS Kissel, S. 1269, 1278; anders noch ders., RdA 1973, 1,2 rechte Spalte. 472 Wiese, Initiativrecht, S. 11. 473 Wiese, ZfA 1989, 645, 653; vgl. auch bereits Adomeit, Rechtsquellenfragen, S. 143 ("private Umverteilung der Zuständigkeiten"). 474 Wiese, ZfA 1989,645,657; ders., FS Kissel, S. 1269,1282. 468

469

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Nachteilen des einzelnen fUhren. Vielmehr komme es auf die formalrechtliche Sicht an, die Beteiligung an den Gestaltungsmöglichkeiten des Arbeitgebers. Die Ziele des Teilhabezwecks stehen dabei aber nicht getrennt neben denen des Schutzzwecks. Vielmehr sei "durch Teilhabe" der Schutz der Arbeitnehmerseite gegenüber dem Arbeitgeber zu verwirklichen475 . Dem Schutzgedanken werde selbst dann Rechnung getragen, wenn bei kollektiven Regelungen im Einzelfall Individualinteressen einzelner dem vom Betriebsrat defmierten Kollektivinteresse weichen müßten476 . Hierdurch werden die Arbeitnehmer jedoch nicht partiell entmündigt477 . Der Gesetzgeber habe sich vielmehr im Hinblick auf das von ihm generell bejahte SchutzbedÜIfnis und "zwecks Verwirklichung der Teilhabe" der Arbeitnehmer am Betriebsgeschehen rur die Interessenwahrung durch den Betriebsrat entschieden. Werden hierbei Interessen einzelner untergeordnet, sei dies der (bereits erwähnte) "Preis der Mitbestimmung"478. 4. Zwischenergebnis und Gang der weiteren Untersuchung

Die Frage "Eingriffsbefugnisse als Folge von Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten" steht und fallt also im wesentlichen damit479 , ob es gelingt, das Vorliegen eines Teilhabezwecks nachzuweisen sowie, ob ihm die beschriebenen Wirkungen zuzusprechen sind. Die weitere Untersuchung wird auch hier zunächst die Regelungsabsicht des Gesetzgebers herauszufmden haben (C I). Sodann wird zu prüfen sein, ob die objektive Teleologie der Norm für einen Teilhabezweck spricht (C 11). Nach Auffassung Wieses sei die verbreitete Grundthese unrichtig, der Zweck betrieblicher Mitbestimmung beschränke sich auf den Schutz der Arbeitnehmer vor einseitigen Maßnahmen des Arbeitgebers. Vielmehr bezwecke sie eigenständig, die Vereinbarungsbefugnis des Arbeitgebers einzuschränken. Bereits das spreche aber dafür, daß § 87 BetrVG dann auch letztlich auf die Schaffung einer über die Einschränkung einseitiger Gestaltungsbefugnisse des Arbeitgebers hinausgehenden Zuständigkeitsordnung 475 Wiese, in: GK-BetrVG, § 87 Rnz. 90; ders., ZfA 1989,645,649,657; ders., FS Kisse1, S. 1269, 1282. 476 Wiese, FS Kissel, S. 1269, 1282. 477 Wiese, in: GK-BetrVG, § 87 Rnz. 105. 478 Wiese, in: GK-BetrVG, § 87 Rnz. 105. 479 Zu den anderen Lehrmeinungen unten D, S. 302 ff.

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gerichtet sei480 (C 11 1). Auch ließe sich ein umfassendes Initiativrecht des Betriebsrats nicht begründen, wenn die Mitbestimmung nur den Schutz der Arbeitnehmer vor Maßnahmen des Arbeitgebers beabsichtige (C 11 2). Vor allem aber verlange die Achtung vor der Würde des Menschen, den Arbeitnehmer vom Objekt eines Schutzes zum selbsthandelnden Subjekt zu machen, das im Rahmen der Teilhabe gemeinsam mit dem Arbeitgeber den Bereich gestalte, der beiden Seiten normativ zugewiesen sei (C 11 4). Da der Begriff der "Teilhabe" an einstmals populäre Forderungen nach Demokratisierung von Wirtschaft und Gesellschaft erinnert, empfiehlt es sich, vor dem letztgenannten Argument Wieses zunächst auf das Schlagwort der "betrieblichen Demokratie" einzugehen (C 11 3). Denn die Antwort hierauf ist die Grundlage, um sich mit dem Argument des Schutzes von Würde und Selbstbestimmung auseinandersetzen zu können. Da Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Hinblick auf den Schutz vor den Folgen von Mitbestimmung im Ergebnis unterschiedlich behandelt werden, ist die Teilhabelehre schließlich auch noch unter einem weiteren objektiven Zweck des Rechts zu untersuchen: dem Gebot der Gleichbehandlung (C IV).

480 So der Kerngehalt seiner Theorie in GK-BetrVG, vor § 87 Rnz. 9, 10 und § 87 Rnz. 90; FS 25 Jahre Bundesarbeitsgericht, S. 661, 663; Initiativrecht, S. 75 f. Ausgeblendet seien die hierzu im Widerspruch stehenden Ausführungen Wieses, in denen der Eindruck entsteht, als stelle er ausschließlich auf die Beschränkung von Arbeitgeberbefugnissen ab, so etwa in FS 25 Jahre Bundesarbeitsgericht, S. 661, 662: "Der Zweck des § 87 besteht somit vor allem darin, ... die dem Arbeitgeber an sich zustehenden Gestaltungsbefugnisse ... zu ersetzen" oder S. 663: "Handelt es sich um Normen, die ... den Arbeitgeber binden und seine individualrechtlichen Befugnisse einschränken, so ist ... ein Schutz ... nicht mehr erforderlich. Hat der Arbeitgeber überhaupt keine rechtliche Möglichkeit, ... allein frei zu entscheiden oder zweiseitig individualrechtlich vorzugehen, sondern ist kraft Gesetzes oder Tarifvertrags sein Regelungsspielraum eingeschränkt, so entfallt damit auch die notwendige Mitbestimmung ,., ", Vgl. auch FS 25 Jahre Bundesarbeitsgericht, S, 677 f. sowie FS Kissel, S, 1269, 1280: "Vor allem wird durch den Gedanken er betrieblichen Demokratie nicht hinreichend deutlich, daß es im Betriebsverfassungsrecht um die Beschränkung von Arbeitgeberbefugnissen , .. geht."

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C. Der Nachweis des Teilhabezwecks I. Die Regelungsabsicht des Gesetzgebers In den Materialien ist von einem eigenständigen Teilhabezweck an keiner Stelle die Rede. Allerdings hält es die Mitbestimmungskommission in ihrem Bericht für zulässig, im Zusammenhang mit der privatrechtlichen Bewältigung der Autoritätsbeziehung im Unternehmen von "Demokratisierung" zu sprechen481 . Jedoch auch wenn man einen Bogen vom Begriff der Demokratisierung zu dem der Teilhabe zieht482 , läßt sich allein aus dem Gebrauch dieses Begriffs nichts für einen Teilhabezweck im hier beschriebenen Sinne ableiten. Die Kommission stellt nämlich sogleich klar, daß die Formel von der "Demokratisierung der Wirtschaft" nur insoweit verwendbar sei, als darunter die Grundsätze der Selbstbestimmung und der Achtung vor der Würde des Menschen verstanden werden483 . Sie erwähnt sogar ausdriicklich, daß es (nur) um den Abbau und Ausgleich einseitiger Machtstellungen durch Kooperation der Beteiligten und die Mitwirkung an Entscheidungen durch die von der Entscheidung Betroffenen gehe484 . Damit bezieht sie den Begriff der Demokratisierung also nicht auf eine allgemeine demokratische und egalitäre Mehrheitsherrschaft, eine "Partizipation aller an Angelegenheiten aller", sondern auf grundrechtliche und damit individuelle Selbstbestimmung485 . Teilhabe, verstanden als Zuweisung eines bestimmten Zuständigkeitsbereichs zur eigenverantwortlichen und gleichberechtigten Regelung an die Betriebspartner, die dem einzelnen die ihm noch verbliebenen individuellen Selbstbestimmungsmöglichkeiten nehmen soll, läßt sich somit jedenfalls aus dieser Stellungnahme der Kommission nicht ableiten. Gewiß fmdet sich im Bericht der Mitbestimmungskommission auch der von Wiese als Beleg für seine Ansicht zitierte Satz, der Arbeitnehmer könne nicht "auf seine Freiheit verwiesen werden, Verträge zu schließen oder ihren Ab-

BT-Drucks. VI/334, S. 65. Zum Zusammenhang von Demokratisierung und Teilhabe Isensee, Der Staat 20 (1981),161,164; Rupp, NJW 1972, 1537 ff.; ders., AöR 101 (1976), 161, 180 ff. 483 BT-Drucks. VI/334, S. 65. 484 Mitbestimmungskommission BT-Drucks. VI1334, S. 65. 485 Vgl. zu der Alternativität dieser beiden Formen von Legitimation Isensee, Der Staat 20 (1981), 161, 162 ff. 481

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schluß zu verweigern"486. Dieses Zitat bezieht sich jedoch auf die Frage eines vertraglichen Begründens der Planungskompetenz des Unternehmens und des Weisungsrechts des Arbeitgebers überhaupt4 87 . Die Kommission geht davon aus, daß Planungskompetenz und Weisungsrecht dem Arbeitsverhältnis immanent seien, eine rechtliche Ordnung des Arbeitsverhältnisses diese strukturellen Gegebenheiten vorfände und nur im Hinblick hierauf der Arbeitnehmer nicht auf seine Vertragsfreiheit verwiesen werden könne. Im Bericht der Kommission fmdet sich jedoch nichts zu der Frage, die Wiese mit diesem Satz belegen will, nämlich ob jenseits von Planungskompetenz und Weisungsrecht des Arbeitgebers, also des hier interessierenden Bereichs, die Vertragsfreiheit des einzelnen zugunsten einer Mitbestimmungsordnung zu weichen habe. 11. Objektiv-teleologische Ansatzpunkte

1. Einschränkung der individualvertraglichen Ausweichmöglichkeiten des Arbeitgebers als eigener Zweck? a) Die Argumentation Der Teilhabezweck kann damit nur ein objektiv-teleologischer Zweck des Gesetzes sein. Als ein erster Beleg für dieses Verständnis des § 87 BetrVG dient die These, die verbreitete Aussage über den Zweck der Mitbestimmung als Schutz vor einseitiger Gestaltungsbefugnis des Arbeitgebers sei unvollständig und widerspräche "Sinn und Zweck" der Norm488 . Sie sei zu ergänzen um den Satz, daß Mitbestimmung daTÜberhinaus auch auf den Schutz des Arbeitnehmers vor einzelvertraglichen Regelungen mit dem Arbeitgeber abziele 489 . Anderenfalls könne der Arbeitgeber Mitbestimmung umgehen, indem er auf Einzelverträge ausweiche. Die allgemein anerkannte Notwendigkeit der Abwehr von Umgehungen belege aber die Unrichtigkeit der These, Mitbestimmung bezwecke (nur) den Schutz der Arbeitnehmer vor einseitigen Maßnahmen des Arbeitgebers. Sie bezwecke vielmehr eigenständig, den Arbeitgeber dabei zu beschränken, auf diesen Gebieten Verträge mit den Arbeitnehmern

486 BT-Drucks. VII334, S. 61. 487 BT-Drucks. VI/334, S. 61. 488 Hromadka, SAE 1990,22,23; Wiese, in: GK-BetrVG, vor § 87 Rnz. 8. 489 Wiese, in: GK-BetrVG, vor § 87 Rnz. 8; Hromadka, SAE 1990,22,23. 17 Müller-Franken

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zu schließen. An Stelle von Arbeitgeber und Arbeitnehmer hätten Betriebsrat und Arbeitgeber die notwendigen Vereinbarungen zu treffen. Sei in der Nonn damit aber eine neue Zuständigkeitsordnung angelegt, eröffne dieses Verständnis ihres Inhalts die Möglichkeit, sie auch noch weitergehend so auszulegen, daß die Regelungsbefugnis der Betriebspartner über den Bereich hinausweise, der vom Arbeitgeber einseitig oder durch Vertrag geregelt werden könne. Es sei dem Gesetz jedenfalls kein Anhalt dafür zu entnehmen, daß die Vereinbarungsbefugnis der Betriebspartner auf diese beiden Konstellationen beschränkt sein solle49o • b) Schlüssigkeit der Ableitung? Ob Mitbestimmung nicht nur einseitige Gestaltungs-, sondern auch Vereinbarungsbefugnisse des Arbeitgebers einschränken, sowie sogar darüber hinaus eine von einseitigen Gestaltungsrechten und Vereinbarungsmöglichkeiten unabhängige neue Zuständigkeitsordung schaffen will, wird man nur dann beurteilen können, wenn man sich die Bedeutung des oben491 skizzierten Schutzzwecks vor Augen führt. Denn Ausgangspunkt der Mitbestimmung des Betriebsrats ist - auch für die Gegenposition - die Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers. Ist sie zu bejahen, besteht auch ein Bedürfnis nach Mitbestimmung. Man wird daher diese Kernaussage auf die denkbaren drei Fallkonstellationen anwenden müssen: (1) der Arbeitgeber verfügt über ein einseitiges Bestimmungs-, Anordnungs- oder Gestaltungsrecht; (2) Arbeitgeber und Arbeitnehmer schließen in dieser Lage einen Vertrag; (3) ausschließlich Arbeitgeber und Betriebsrat einigen sich im Rahmen der neuen Zuständigkeitsordnung, ohne daß der einzelne in irgendeiner Weise mitwirken müßte. Im Fall (1) liegt die Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers auf der Hand. Sie ergibt sich aus der Gefahr, daß der Arbeitgeber seine einseitige Befugnis mißbräuchlich oder zumindest rücksichtslos ausübt492 • Hiervor soll der Arbeitnehmer durch das Mitbestimmungsrecht geschützt werden.

490 Wiese, in: GK-BetrVG, vor § 87 Rnz. 9, 10 und § 87 Rnz. 90; ders., FS 25 Jahre Bundesarbeitsgericht, S. 661, 663; ders., Initiativrecht, S. 75 f. Zu seinen hierzu in Widerspruch stehenden anderen Äußerungen vgl. die Nachweise in Fn. 164. 491 B II 3 a bb, S. 252.

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Hromadka, FS 40 Jahre Der Betrieb, S. 241,250; K.-P. Martens, RdA 1983,217,

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Schließt nun der Arbeitgeber mit dem Arbeitnehmer in dieser Lage einen Vertrag (Fall 2) anstatt ihm eine Weisung zu erteilen, so gefährdet der Arbeitnehmer an sich nur sich selbst. Hierbei wäre er jedoch der zu vermutenden Übermacht des Arbeitgebers ausgesetzt493 • Das läßt ihn wiederum als schutzbedürftig erscheinen. Bezöge sich Mitbestimmung nun nicht auch auf den Fall des Vertragsschlusses, ergäbe sich eine Schutzlücke: der Arbeitgeber könnte die Mitbestimmung durch einzelvertragliche Abmachungen umgehen. Die ratio des § 87 BetrVG gebietet daher nur unter dem Aspekt der Umgehungs abwehr, die Norm auch auf vertragliche Abmachungen über Gegenstände der notwendigen Mitbestimmung anzuwenden494 • Allerdings schneidet dabei die aus dem Gedanken der Umgehungsabwehr erweiterte Mitbestimmungszuständigkeit nicht nur zusätzlich in die Gestaltungsmöglichkeiten des Arbeitgebers. Sie greift darüberhinaus sogar auch - reflexhaft495 - in die Vertragsfreiheit des Arbeitnehmers ein. Da eine Umgehung der gesetzlichen Mitbestimmung aber anders nicht abgewendet werden kann, muß der Eingriff in die Vertragsfreiheit der Arbeitnehmer als unvermeidbar hingenommen werden. Völlig anders liegen die Dinge, wenn sich ausschließlich Arbeitgeber und Betriebsrat vertraglich einigen (Fall 3): hier fehlt es an jeder Mitwirkung des Arbeitnehmers; sei es, daß von ihm die Initiative zu einer Vereinbarung mit dem Arbeitgeber ausgegangen wäre, sei es, daß er sonst sein Einverständnis mit einem Regelungswunsch des Arbeitgebers erklärt hätte. Die Vereinbarung würde über seinen Kopf hinweg getroffen. Der Zweck der Norm, den Arbeitnehmer vor dem vermutet übermächtigen Arbeitgeber zu schützen, griffe in dieser Konstellation nicht ein; von diesem könnte alleine - ohne die Mithilfe des Betriebsrats - gar keine Gefahr ausgehen. Entsprechend handelte es sich auch nicht um einen Fall des Schutzes des Arbeitnehmers vor sich selbst. Auch Hromadka, SAE 1990, 22, 23. BAGE 14, 164, 173; 41, 200, 205; AP Nr. 5 zu § 56 BetrVG; NZA 1986,841; Brosette, ZfA 1992,379,411; Hromadka, SAE 1990,22,23; Richardi, FG v. Lübtow, S. 755, 764 f.; ebenso Wiese, in: GK-BetrVG, vor § 87 Rnz. 8 ("Anderenfalls hätte es der Arbeitgeber in der Hand, durch vertragliche Einheitsregelungen die Mitbestimmung des Betriebsrats zu umgehen") und § 87 Rnz. 111 ("Durch gleichlautende - U.u. unter dem Druck von Änderungskündigungen abgeschlossene - Einzelverträge könnte sonst die notwendige Mitbestimmung umgangen werden, was dem Zweck des § 87 Abs. 1 zuwiderlaufen würde. "). 495 Allg. zu Reflexwirkungen der Betriebsverfassung im Individualbereich Isele, RdA 1962, 373 ff.; Konzen, Leistungspflichten, S. 84. 493

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würde nicht in die Gestaltungsmöglichkeit des Arbeitgebers eingegriffen, dessen Rechte würden vielmehr erweitert (vgl. z.B. die Fälle des § 87 Abs. 1 Nm. 3,4). Schließlich wäre der Eingriff in die Gestaltungsmöglichkeiten des einzelnen nicht lediglich ein Reflex, sondern hauptsächlicher Inhalt des Gesetzes. Sähe man umgekehrt in der Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten keine Zuweisung eines eigenständigen Entscheidungsbereichs an die Betriebspartner, bliebe die Handlungsautonomie des einzelnen gewahrt. Er könnte ein Vertragsangebot seines Arbeitgebers wenigstens ablehnen496 oder aber, was oft übersehen wird, einem Vertragsangebot zustimmen497 und dadurch verantwortungsbewußt seinen Willen zur Kooperation betätigen. Freilich hätte der Betriebsrat eine solche Zustimmung des Arbeitnehmers schützend zu begleiten (Stichwort der abstrakten Gefahr aufgrund latenter Übermacht); der Arbeitnehmer wäre aber immerhin selbst und unmittelbar in den Prozeß integriert. Betrachtet man nur die Argumentation mit der Umgehungsabwehr, so zeigt sich, daß mit ihr die These von der Zuständigkeitsordnung nicht belegt werden kann: verfolgte die Mitbestimmung das Eindämmen vertraglicher Gestaltungsmöglichkeiten des Arbeitgebers als einen eigenen Zweck, so fiele die Einzelabrede bereits unmittelbar unter § 87 BetrVG, es bedürfte gar nicht eines Abstellens auf den Gedanken der Umgehungsabwehr4 98 • Vielmehr wird mit dem Argument der Umgehungsabwehr mittelbar anerkennt, daß § 87 BetrVG gerade keine allgemeine und unmittelbare Beschränkung der Vertragsfreiheit von Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Sinne einer hiervon unabhängigen Zuweisung normativer Entscheidungsbereiche an die Betriebspartner beinhaltet. Dem Umgehen eines Gesetzes den Erfolg zu versagen, ist lediglich das Ergebnis teleologischer Auslegung oder jedenfalls einer hier gebotenen Analogie: jedes zweckorientierte Anwenden eines Gesetzes verbietet, sein Umgehen abzusegnen. Und gleich ob teleologische Auslegung 499 oder Analogie 500 : beide

Brosette, ZfA 1992,379,413. Gast, Arbeitsvertrag und Direktion, S. 363. 498 Richardi, FG v. Lübtow, S. 755, 766, 784. 499 Die Umgehung allein durch Auslegung abzuwehren zu können, indem der Gesetzeszweck uneingeschränkt zur Anwendung gebracht wird, meinen Becker, StuW 1924, 145, 151, 154; ders., StuW 1924,441,443 (abgeschwächt in StuW 1935,363, 371 f.) sowie Hefermehl, in: Soergel, BGB, § 134 Rnz. 37. 500 Teichmann, Die Gesetzesumgehung, S. 89 ff. 496 497

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Begründungsmethoden erfordern in jedem Fall, den Gesetzeszweck herauszuarbeiten 50I • Es zeigt sich also, daß sich das Einschränken vertraglicher Gestaltungsmöglichkeiten des Arbeitgebers als eigener Zweck des Gesetzes nicht stimmig darlegen läßt. Natürlich muß Mitbestimmung hier erweitert werden und zwar weil der Zweck des Gesetzes, die Abwehr abstrakter Gefahren vom schutzbedürftigen Arbeitnehmer502 , dies verlangt und anderenfalls das Gesetz umgangen werden könnte. Man kann aber nicht sagen, weil die vertragliche Gestaltungsbefugnis in diesen Angelegenheiten ohnehin aufgehoben sei, dürften Arbeitgeber und Betriebsrat stets auch über den Kopf des einzelnen hinweg Regelungen treffen. Dies widerspräche dem allgemein anerkannten Satz, daß sich aus dem Mitbestimmungsrecht kein Recht zur Mitgestaltung von Arbeitsverträgen ergibt503 . Vielmehr muß die Frage lauten, ob auch hier der Primärzweck des Gesetzes greift, der Schutz des Arbeitnehmers. Der Schutz ist der Zweck, die Mitbestimmung nur das Mittel. Erklärt man aber die Teilhabe zu einem eigenständigen Zweck und postuliert eine neue Zuständigkeitsordnung, ohne daß vom Arbeitgeber irgendwelche Gefahren ausgehen, liegt der Selbstzweckvorwurf nahe. 2. Bestätigung durch das Initiativrecht des Betriebsrats?

Ein über den Schutzzweck hinausweisender Teilhabezweck werde nach Ansicht Wieses außerdem bestätigt durch das sog. Initiativrecht504 . Er argumentiert folgendermaßen: allgemein anerkannt sei, daß den Betriebspartnern in sozialen Angelegenheiten ein Initiativrecht zustehe505 . Hierunter versteht man das 501 Bereits das Feststellen einer Gesetzeslücke wie auch ihre Ausfüllung bedürfen eines Eingehens auf den Gesetzeszweck, denn eine Lücke liegt nur vor, wenn die Regelung eines bestimmten Sachbereichs keine besondere Bestimmung für eine Frage enthält, die nach dem gesetzlichen Grundgedanken, der dem Gesetz immanenten Teleologie, hätte mitgeregelt werden müssen, Kruse, in: TipkelKruse, AOIFGO, § 4 Rnz. 113. 502 Hromadka, SAE 1990,22,23. 503 SiebertlHilger, in: Hilger, Probleme des Akkordrechts, S. 93, 109; Richardi, FG v. Lübtow, S. 755, 779; a.A. Jobs, DB 1986, 1120, 1121 u. Joost, RdA 1989, 7, 9, 17 Fn. 114 (zwingende gesetzliche Kompetenzen, die durch Einzelvertrag nicht verdrängt werden können). 504 In: GK-BetrVG, § 87 Rnz. 90. 505 BAG, NZA 1986, 432 (beide Seiten haben im Rahmen der Mitbestimmung gleiche Rechte, damit haben auch beide Seiten bei § 87 Abs. I Nr. 3 ein Initiativrecht).

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Teil 3: Die Legitimation von Eingriffen

ungeschriebene Recht beider Seiten, in einer als regelungsbedürftig angesehenen Angelegenheit notfalls einseitig über die Einigungsstelle eine verbindliche Entscheidung erreichen zu können506 • Hätte Mitbestimmung nun lediglich die Bedeutung, den Arbeitnehmer vor Maßnahmen des Arbeitgebers zu schützen, ließe sich ein umfassendes Initiativrecht des Betriebsrats nicht begründen507 ; es hätte keinen Sinn. Einen Sinn erhielte ein Initiativrecht des Betriebsrates jedoch dann, wenn man es einbettete in einem größeren Zusammenhang, eben den neuen Zuständigkeitsbereich, der den Betriebspartnern zur Regelung zugewiesen sei. Erst dort könnten die Möglichkeiten zum Tragen kommen, die sich mit dem Initiativrecht für beide Seiten verbinden und sich die in ihm angelegte Wirkkräfte entfalten, als ein für beide Betriebspartner gleichermaßen geeignetes Instrument, eigenverantwortlich und gleichberechtigt zu einer Regelung in sozialen Angelegenheiten zu gelangen. Zunächst ist gegen das Argumentieren mit einem ungeschriebenen Rechtsgrundsatz, wie dem des Initiativrechts, als solches nichts einzuwenden. So ist es auch in anderen Rechtsgebieten durchaus üblich, aus einer Mehrzahl ausdrücklich normierter Vorschriften ungeschriebene Rechtsgrundsätze abzuleiten, die dann wiederum dazu dienen, andere (geschriebene) Vorschriften in bestimmter Weise auszulegen. Erinnert sei an den Grundsatz der Bundestreue. Auch hier wird aus einem ganzen Normenkomplex, der bundesstaatlichen Kompetenzordnung, mit dem Grundsatz der Bundestreue ein ungeschriebener allgemeiner Rechtsgrundsatz abgeleitet. Dieser wird sodann dazu genutzt, andere Normen der Verfassung in einer, seinem Gehalt entsprechenden Weise auszulegen, in dem etwa Rechte und Pflichten begründet, bzw. modifIziert, vor allem aber der Ausübung von Kompetenzen Schranken gesetzt werden508 . In der Sache wird man hier jedoch vorab sagen können, daß ein Initiativrecht beider Seiten nicht sinnlos wird, wenn man den Betriebspartnern keine neue Zuständigkeit zuweisen würde. Vielmehr bliebe ein Initiativrecht als solches in zugegeben eingeschränkterem Umfang - auch dann sinnvoll, wenn es an

506

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Wiese, in: GK-BetrVG, § 87 Rnz. 121. In: GK-BetrVG, § 87 Rnz. 90.

508 Stern, Staatsrecht I, S. 702 f.; BVerfGE 12,205,239; 14, 197,215; 21, 312, 326; 32, 199,238; 34, 9,44; 34, 216, 231 f.; 43, 291, 348; VerfGH Nordrhein Westfalen, NVwZ 1982, 188 f.

Kapitel 2: Der Nachweis einer Eingriffsgrundlage

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individual- oder tarifvertrag lieh, bzw. (anderweit) gesetzlich oder behördlich vennittelte Handlungsbefugnisse gekoppelt wird. Dies wurde bereits dargelegt. Läßt man sich aber einmal auf die Argumentation Wieses ein und folgt ihm in der These, daß sich die neue Zuständigkeitsordnung als notwendige und zwingende Konsequenz aus dem Initiativrecht des Betriebsrats ableitete, dann wird man verlangen dürfen, daß zumindest das Initiativrecht selbst, mit dem argumentiert wird, als solches überzeugend dargetan werden kann. Denn sollte sich das Initiativrecht seinerseits als zweifelhaft oder zumindest als nicht sicher bestehend erweisen, wäre nicht recht einzusehen, wieso sich aus einem solchen Institut, die skizzierten systemtragenden und i.E. den einzelnen belastenden Konsequenzen sollen ergeben können. Aber gerade in diesem Punkt wird man von Wiese enttäuscht. Er selber war es, der eindringlich aufgezeigt hat, daß das Initiativrecht weder ausdrücklich geregelt noch aus dem Wortsinn des Gesetzes zwingend zu erschließen sei509 . Auch sei dem Bedeutungszusammenhang des Gesetzes nicht zu entnehmen, welcher Sinn der mehrdeutigen Formulierung des § 87 Abs. 1 BetrVG zukomme, der Betriebsrats habe in den dort bezeichneten Angelegenheiten "mitzubestimmen"510. Freilich lassen sich dem Gesetzgebungsverfahren gewisse Hinweise für eine grundsätzliche Anerkennung eines Initiativrechts entnehmen. So setzte sich in den Beratungen vor allem der Entwurf der CDU/CSU-Fraktion nicht durch. In diesem Entwurf war eine Differenzierung vorgesehen zwischen solchen sozialen Angelegenheiten, in denen dem Betriebsrat ein "echtes Mitbestimmungsrecht" einschließlich eines Initiativrechts zustehen sollte und solchen, die zwar ausschließlich von der Initiative des Arbeitgebers abhängen, dafür aber nur mit vorheriger Zustimmung des Betriebsrats durchgeführt werden sollten. Eine solche Differenzierung wollte man nicht. Aus diesem Umstand sowie den Debatten im Bundestag 511 kann damit aber abgeleitet werden, daß das Institut des Initiativrechts jedenfalls im Grundsätzlichen anerkannt war512 . Keine Aussage kann der Entstehungsgeschichte jedoch zu der hier interessierenden Frage entnommen werden, ob sich aus dem Initiativrecht auch eine 509 Initiativrecht, S. 26 f. 5\0 Initiativrecht, S. 27 f. 51\ Vgl. dazu bei Wiese, Initiativrecht, S. 29. 512 Wiese, in: GK-BetrVG, § 87 Rnz. 127; ders., Initiativrecht, S. 28 ff.

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umfassende Regelungsbefugnis für die Betriebspartner ableiten läßt. Dessen ist sich auch Wiese bewußt und er verweist deshalb darauf, daß das Initiativrecht daher im übrigen aus dem "Wesen der Mitbestimmung" als eine gleichberechtigte Teilhabe gefolgert werden müsseS\3. Dieser Gedankengang wirkt zirkelschlüssig: soll die gleichberechtigte Teilhabe durch das Initiativrecht bestätigt werden, so soll sich zugleich das Initiativrecht seinerseits aus dem "Wesen" der gleichberechtigten Teilhabe ergeben. Hier folgt also das eine aus dem anderen und umgekehrt. Gibt die Entstehungsgeschichte des Gesetzes keine Anhaltspunkte für Ableitungen aus dem Initiativrecht zu Lasten der Arbeitnehmer, so fehlt es auch sonst an überzeugenden Argumenten. Der Hinweis auf das "Wesen gleichberechtigter Teilhabe" ist jedenfalls nicht so überzeugend514, als sich aus ihm nur die eine Folgerung zwingend ableiten ließe, daß mit dem Initiativrecht des Betriebsrats eine neue Zuständigkeitsordnung mit derart erweiternden Wirkungen verbunden sein müsse. Wiese hält Ableitungen aus dem Initiativrecht im übrigen selbst nicht für so zwingend. Weil das Initiativrecht nämlich nur aus dem Wesen der Mitbestimmung als gleichberechtigter Teilhabe geschlossen werden könne, sei dessen Verhältnis zur unternehmerischen Entscheidungsfreiheit durchaus offen. Zum Schutz der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit vor betrieblicher Mitbestimmung könne das Initiativrecht daher eingeschränkt werden 515 . Ist dies dort aber dar Fall, so fragt sich, warum das Initiativrecht gegenüber den Arbeitnehmern nur so unflexible und i.E. diese belastende Lösungen zulassen soll. Dies vor allem deshalb, weil Mitbestimmung sich - jedenfalls in der Grundtendenz - bereits ohnehin grundsätzlich und intentional gegen die UnS\3 Wiese, in: GK-BetrVG, § 87 Rnz. 123, 127. 514 Wiese muß sich bei seiner Argumentation mit dem Wesen der gleichberechtigten Teilhabe die Frage von Scheuerle nach dem Wesen des Wesens entgegenhalten lassen. Scheuerle hat nachgewiesen, daß das Wesensargument ein Kryptoargument ist, das die zugrundeliegenden Wertungen verdeckt, AcP 163 (1964),429 ff., passim. 515 GK-BetrVG, § 87 Rnz. 127: "Ebensowenig ist aber das Initiativrecht ausdrücklich in § 87 geregelt, sondern gleichfalls nur im Gesetzgebungsverfahren grundsätzlich anerkannt worden und im übrigen aus dem Wesen der Mitbestimmung als gleichberechtigter Teilhabe ... zu erschließen. Damit ist aber das Verhältnis von unternehmerischer Entscheidungsfreiheit und Initiativrecht durchaus offen und die Ableitung des Initiativrechts aus der Mitbestimmung nicht einfach eine Frage der begriffsnotwendigen Kongruenz ... oder der logischen Deduktion .... "

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temehmerfreiheit richtet, gegen die Freiheit des Arbeitnehmers hingegen nur ausnahmsweise und das zudem auch nur reflexhaft. Vor diesem Hintergrund hätte es eigentlich nahe gelegen zu fragen, warum nur die Freiheit des Unternehmers und nicht auch die des einzelnen vor den Wirkungen des Initiativrechts geschützt werden muß (Art. 3 Abs. 1 GG). Dies alles ist nicht stimmig. Damit fehlt es an einem wirklich überzeugenden Nachweis für das Initiativrecht, so daß die Argumentation hiermit kein derart tragfähiges Fundament errichtet, das die von Wiese hierauf gestützte neue Zuständigkeitsordnung mit den aus ihr abgeleiteten Konsequenzen tragen könnte. 3. Ausprägung betrieblicher Demokratie?

a) Der Ansatz Weiter ist zu prüfen, ob das Anliegen des Teilhabegedankens mit dem Verjassungsprinzip der Demokratie legitimiert werden kann. Hierüber nachzudenken scheint zunächst femzuliegen, hat doch die Mitbestimmungskommission in ihrem Bericht die Formel von der "Demokratisierung der Wirtschaft" nur insoweit für verwendbar erklärt, als darunter "die Grundsätze der Selbstbestimmung und der Achtung vor der Würde des Menschen" verstanden werden516, also gerade nicht eine allgemeine demokratische und egalitäre Mehrheitsherrschaft gemeint ist517 . Demgegenüber geht es dem Teilhabezweck gerade um das privative Umverteilen von Entscheidungszuständigkeiten, das Entziehen von Regelungskompetenzen in den Angelegenheiten des § 87 Abs. 1 BetrVG und deren Zuweisung an die Gesamtvereinbarungspartner zur einverständlichen Ausübung S18 • Die Interessen des einzelnen sollen in ein Kollektiv eingebracht und BT-Drucks. VI/334, S. 65. Vgl. zu der Alternativität dieser beiden Formen von Legitimation Isensee, Der Staat 20 (1981),161,162 ff. 518 Für Wiese, FS Kissel, S. 1269, 1279 bringe der Gedanke der betrieblichen Demokratie das Anliegen des Teilhabezwecks nicht hinreichend deutlich zum Ausdruck, den er (wie auch auf S. 1282) in der Beschränkung von Arbeitgeberbefugnissen sieht; er widerspricht damit seinen eigenen Ausführungen in GK-BetrVG, vor § 87 Rnz. 4 ff., wonach die Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten gerade unabhängig von Gestaltungsmöglichkeiten des Arbeitgebers sei, den Betriebspartnern der gesamte Bereich 516 517

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an die Disposition der Mehrheit519 überantwortet, der Sache nach also das demokratische Ordnungs- und Entscheidungsinstrumentarium auf sämtliche Abläufe und Willensbildungsprozesse im Betrieb übertragen werden. Es verwundert nicht, daß im Zusammenhang mit betrieblicher Mitbestimmung denn auch von betrieblicher Demokratie gesprochen wird52o . All das steht jedoch in Widerspruch zu den erwähnten Aussagen der Mitbestimmungskommission, so daß sich ein solches Verständnis nicht auf den Gesetzgeber stützen kann. Der Teilhabezweck könnte damit nur im Rahmen der objektiven Teleologie auf das Demokratieprinzip zurückgeführt werden, wenn dieser Verfassungsgrundsatz einen hier maßgeblichen objektiven Zweck des Rechts darstellte. Sollen im folgenden zur gesellschaftsprägenden Kraft des Demokratieprinzips Aussagen getroffen werden, so gilt es allerdings auch für den vorliegenden Zusammenhang zu beachten, daß dies nicht auf der Grundlage eines abstrakten Begriffs der "Demokratie" (wie sollte der aussehen?, wer ihn festlegen?, etc.), sondern nur nach Maßgabe einer bestimmten Verfassung geschehen kann 521 . Die Notwendigkeit einer solchen Konkretisierung ergibt sich vordergründig aus der Tatsache der Vielfalt der Bedeutungsinhalte, die sich in der allgemeinen Staatslehre mit dem Begriff der Demokratie verbinden. Hier folgt sie vor allem daraus, daß eine normative Aussage im Rahmen verfassungskonformer Auslegung unter dem Aspekt verfassungskonformer Zwecksetzung getroffen werden soll. Bei dieser Aufgabenstellung kann es von vornherein nicht um einen ab-

vielmehr zur eigenverantwortlichen und gleichberechtigten Regelung zugewiesen sei; auf dieser Grundlage hätte eine nähere Beschäftigung mit dem Thema der Demokratisierung nahegelegen, zumal das von Wiese für seine Konzeption vorgeschlagene Fundament, Art. I und 2 GG, sein Ergebnis nicht zu tragen vermögen, dazu sogleich. 519 Vgl. dazu allg. Geck, VVDStRL 27 (1969), S. 143, ISS. 520 Neumann-Duesberg, Das Mitbestimmungsrecht, S. 373, 376; ders., Betriebsverfassungsrecht, S. 60 ff., unter ausdrücklicher Betonung der Vorrangstellung des kollektiven Interesses gegenüber dem Einzelinteresse auf S. 59; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II12, S. 1062 ff.; E.R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht 11, S. 477 f.; vgl. auch E. Stein, in: Altemativkommentar, GG, Art. 20 Abs. 1-311 Rnz. 49. 521 Doehring, VVDStRL 29 (1971), S. 1 \0; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rnz. 127; Stern, Staatsrecht I, S. 589.

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strakten Grundsatz der Demokratie, sondern nur um einen konkreten Begriff gehen, den des Grundgesetzes 522 • b) Demokratisierung der Gesellschaft - ein Gebot der Verfassung? Es kommt also auch vorliegend auf die bekannte Frage an, ob das Verfassungsprinzip der Demokratie nicht nur ein Ordnungsprinzip des Staates, sondern ein übergreifendes Formprinzip für Staat und Gesellschaft darstellt. Es wäre dann fiir das Gemeinwesen im ganzen verbindlich, beanspruchte überall Geltung und hätte die Auslegung des § 87 Abs. 1 BetrVG in dem bezeichneten Sinne zu leiten. Die Diskussion hierüber wurde vor allem im Zusammenhang mit der Einfiihrung der paritätischen Unternehmensmitbestimmung, aber auch der Reform der Universitäten ("Drittelparität") gefiihrt. Da es vorliegend nur um die betriebliche Mitbestimmung geht und hierbei auch nicht um den Arbeitgeber und das "Bändigen seiner gesellschaftlichen Macht", sondern speziell um den Arbeitnehmer und das "Demokratisieren" seiner privaten Freiheit, braucht sie nicht in allen Einzelheiten nachgezeichnet zu werden. Vielmehr genügt es, die verfassungsrechtlichen Kemaussagen speziell zu dieser Fragestellung herauszuarbeiten523 • Normative Aussagen knüpfen an Rechtsnormen an. Dies ist banal und bräuchte nicht erwähnt zu werden, wenn nicht gerade im vorliegenden Zusammenhang diese Grundregel juristischen Argumentierens besonders häufig mißachtet würde 524 . Daher gilt: entnommen werden könnte ein Verfassungsgebot zur Demokratisierung der Gesellschaft - wenn überhaupt - nur Art. 20 Abs. 1 GGS2S. Vor allem Abendroth stellte die These auf, diese Norm proklamiere und postuliere mit dem demokratischen und sozialen Staat die gleichschrittliche Entfaltung von Demokratie in der staatlichen und gesellschaftlichen Sphäre. Dem StaatsEmde, Die demokratische Legitimation, S. 34. Spezielle und hier nicht weiter einschlägige Probleme werfen etwa die Demokratisierung der Universität, vgl. dazu Rupp, VVDStRL 27 (1969), S. 113, 121 f., sowie der Presse und des Rundfunks auf, vgl. dazu Herzog, in: Maunz!Dürig, GG, Art. 5 Abs. I, II Rnz. 184 ff., 191, 241 b ("Binnenpluralismus 524 Vgl. die eindrucksvollen Beispiele bei Schwerdtfeger, Untemehmerische Mitbestimmung, S. 71 f. (Demokratie als besseres Betriebsklima etc.) 525 Vgl. zur ausschließlichen Staatsbezogenheit der Absätze 2 u. 3 des Art. 20 GG Herzog, in: Maunz!Dürig, GG, Art. 20 Abschn. I Rnz. 51 f. 522

523

U

).

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fragment sei es zur Aufgabe gestellt, demokratische Willensbildung in rechtsstaatlicher Weise auch im sozialen Leben zu verankern526 . Träfe diese These absolut und ohne Abstriche zu, ließe sich auf ihrer Grundlage § 87 BetrVG im Sinne der neuen Zuständigkeitsordnung auslegen. Möchte man Art. 20 Abs. 1 GG ein entsprechendes Demokratisierungsgebot als Auslegungsziel des § 87 BetrVG entnehmen, müßte man sich zunächst allerdings darüber hinweghelfen, daß die Nonn von der Bundesrepublik Deutschland als einem demokratischen Bundesstaat spricht. Ist dort aber die Rede von einem demokratisch verfaßten Staat, ließe sich der Anwendungsbereich der Nonn nur dann auf das betriebliche Geschehen ausdehnen, wenn man "Staat" hier nicht als Gegenbegriff zu "Gesellschaft" verstünde, sondern als einen beide Bereiche vereinigenden Oberbegriff im Sinne von Gemeinwesen 527 • Eine solche Interpretation des Staatsbegriffs des Art. 20 Abs. 1 GG wäre freilich nicht von vornherein undenkbar. So könnte man sich hierfür z.B. berufen auf ein Verständnis des Rechtsbegriffs der Verfassung, welcher Verfassung auf das Gemeinwesen insgesamt bezieht als dessen "rechtliche Grundordnung"528 oder "grundlegenden, auf bestimmte Sinnprinzipien ausgerichteten Strukturplan"529. Da man darüber streiten, was für ein Verfassungsbegriff der Nonn des Art. 20 Abs. 1 GG zugrunde liegt, ließe sich unter Bezugnahme auf einen 526 Staatsverfassung und Betriebsverfassung, S. 103, 107 f. Abendroth beruft sich hierzu auf Hermann Heller, der in der Spätphase der Weimarer Republik die Auffassung vertreten hatte, daß auf die Dauer politische Demokratie und undemokratische Struktur der Gesellschaft unvereinbar seien und daß deshalb demokratische Rechtsstaatlichkeit nur dadurch bewahrt werden könne, daß die Formeln demokratischer Willensbildung in die Gesellschaft und ihren demokratischen Unterbau übertragen werden. Emde, Die demokratische Legitimation, S. 37, schreibt die gleiche These Ridder zu, Die soziale Ordnung des Grundgesetzes, S. 48. Bei diesem findet sich allerdings der Zusatz, daß Staat und Gesellschaft "vom Recht in der Weise unterschiedlich ausgerüstet bleiben, daß "Kompetenz" (zu rechtsverbindlicher Entscheidung) das Signum der staatlichen und "Freiheit" das Signum der "gesellschaftlichen" Sphäre ist". Diese wichtige Einschränkung läßt Emde leider weg. 527 Zu dieser Frage Herzog, in: MaunzJDürig, GG, Art. 20 Abschn. I Rnz. 52. VgI. zu den zwei Aspekten der "identischen Sache Staat" allg. auch Isensee, Gemeinwohl und Staatsaufgaben im Verfassungsstaat, § 57 Rnz. 7; für den vorliegenden Zusammenhang in diese Richtung vor allem Ehmke, FS Smend, S. 23, 26 ff. und passim. 528 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rnz. 17. 529 Hollerbach, Ideologie und Verfassung, S. 46. Das Grundgesetz hat nicht nur das staatliche Leben, sondern auch die Gesellschaft verfaßt und zwar durch die Grundrechte, Krüger, Der Regierungsentwurf, S. 27. Dazu sogleich im Text.

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der letztgenannten Begriffe "Staat" mit "Gemeinwesen" gleichsetzen und auf diese Weise unter dem Begriff des Staates auch die Gesellschaft mit einbeziehen. Ginge man so vor, hätte man allerdings noch nicht die Probleme gelöst, die sich bei den anderen in der Norm mitaufgezählten Staatsstrukturmerkmalen ergeben. Denn was für das Merkmal der Demokratie gilt, müßte konsequenterweise auch für die anderen gelten. Ein Erstrecken üedenfalls) der Prinzipien der Bundesstaatlichkeit oder der Republik auf die Gesellschaft, ergäbe jedoch kaum einen Sinn530 . Diese Grundsätze sind sinnvollerweise notwendig staatsgerichtet. Ist dies aber bei den Staatsstrukturprinzipien Bundesstaat und Republik der Fall, so dürfte bereits systematisch einiges dafür sprechen, daß sich Art. 20 Abs. 1 GG insgesamt an den Staat wendet und das Grundgesetz dementsprechend Demokratie als Staats- und Regierungsform begreift und das demokratische Prinzip damit lediglich Geltung für das Handeln der organisierten Staatlichkeit beansprucht53 \. Soll vor diesem Hintergrund Art. 20 Abs. 1 GG gleichwohl eine normative Aussage für die Gesellschaftsverfassung entnommen werden, so käme dies nur für diejenigen Prinzipien in Betracht, bei denen so etwas überhaupt denkbar ist. Im Gegensatz zu den Prinzipien der Republik und der Bundesstaatlichkeit ist dies bei denen des Sozial-, und des Rechtsstaates jedoch nicht völlig undenkbar. Diesen könnte eine mittelbare Auswirkung für den Bereich der Gesellschaft zuzusprechen sein, was auch für das Prinzip der Demokratie vorstellbar ist. Denn immerhin ist der grundgesetzlichen Ordnung ein Ausstrahlen von Verfassungsnormen über das vertikale Verhältnis zwischen Staat und Bürger in andere Bereiche hinaus auch sonst nicht völlig fremd 532 • Prominentestes Beispiel hierfür sind die Grundrechte, die nahezu unbestritten auch das gesamte gesellschaftliche Leben durchdringen533 . Die verfassungsrechtliche Grundent-

Herzog, in: MaunzlDürig, GG, Art. 20 Abschn. I Rnz. 52. Herzog, in: MaunzJDürig, GG, Art. 20 Abschn. I Rnz. 52. 532 Zu leeg, RdA 1978,223,227; Emde, Die demokratische Legitimation, S. 37; vgl. auch E. Stein, in: Altemativkomrnentar, GG, Art. 20 Abs. 1-311 Rnz. 47. 533 BVerfGE 6, 55, 72; 10,59,81 (st. Rspr.). 530 531

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scheidung für die Demokratie könnte dementsprechend ebenso eine Richtschnur für das gesellschaftliche Geschehen im Staat darstellen 534• Das Grundgesetz hat sich der Frage einer Erstreckung des demokratischen Prinzips über den Bereich der organisierten Staatlichkeit hinaus indes in einem besonderen Rechtssatz angenommen. So ist die einzige Vorschrift, die das Erstrecken demokratischer Grundsätze auf eine Erscheinung der Gesellschaft verlangt Art. 21 Abs. 1 Satz 3 GG. Nach dieser Bestimmung hat die innere Ordnung der Parteien demokratischen Grundsätzen zu entsprechen535 . Bereits die Existenz dieser Norm zeigt aber, daß sich die Parteien in einem Bereich bewegen, der außerhalb demokratischer Legitimation bedürftiger Staatlichkeit liegt536 ; anderenfalls wäre sie entbehrlich. Seinen Grund hat dies in der besonderen Stellung, die die Verfassung den Parteien zuweist. Die Parteien sind hiernach "Bindeglieder" zwischen der Willensbildung des Staates und der politischen Willensbildung des Volkes 537 . Eine repräsentative Demokratie, wie die grundgesetzliche, ist notwendig auf sie angewiesen. Nur die Parteien besetzen den Bundestag sowie die Bundesregierung und bestimmen damit über die Politik, die von diesen staats leitenden Organen zu betreiben ist; sie befmden sich in einer besonderen Nähe zum Staat538 . Kommt den Parteien, vom Verfassunggeber durchaus gewollt, diese besondere, staatsgestaltende Rolle zu und soll vor diesem Hintergrund das demokratische Prinzip im Staat funktionieren, muß es notwendigerweise auch auf die Parteien erstreckt werden 539 • Dieser Zusammenhang macht jedoch bereits deutlich, daß es bei den Parteien genaugenommen noch nicht einmal um eine verfassungsrechtliche Demokratisierung der Gesellschaft geht, sondern um die demokratische Formung einer Willensbildung, die sich im Vorfeld der allgemeinen staatlichen Demokratie ereignet540 • 534 So E. Stein, in: Alternativkommentar, GG, Art. 20 Abs. 1-3 11 Rnz. 48; Zu leeg, RdA 1978, 223, 227 spricht nicht von einem Demokratisierungsgebot, sondern lediglich einer Ermächtigung an den Gesetzgeber. Zu dieser Frage sogleich unter c). 535 Die von Art. 28 Abs. I S. 2 GG demokratischen Prinzipien verpflichteten Kreise und Gemeinden verbleiben im Bereich des Staatlichen und gehören deshalb nicht hierher, Krüger, Der Regierungsentwurf, S. 24 f. 536 Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), 329, 347. 537 Stern, Staatsrecht I, S. 628. 538 Herzog, in: MaunzIDürig, GG, Art. 20 Abschn. 11 Rnz. 118. 539 Stern, Staatsrecht I, S. 628; Krüger, Der Regierungsentwurf, S. 25. 540 Scholz, Paritätische Mitbestimmung, S. 29.

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Aus dem Vorhandensein dieser NormS41 dürfte vielmehr abzuleiten sein: enthielte das Grundgesetz ein universales und totales Demokratisierungsgebot, wäre es überflüssig, dies für die Parteien eigens noch einmal auszusprechen. Sie würden ohnehin von diesem Gebot erfaßt. Dies legt aber die Vermutung nahe, daß sich die Verfassung implizit gegen ein solches Gebot ausgesprochen hatS42 . Bleibt nur die These Abendroths, das Verankern des demokratischen Staates in der Verfassung bedinge die umfassende Demokratisierung der Gesellschaft als notwendige normative Folge. Hier wird man zunächst sagen müssen: daß dem Verfassungsprinzip der Demokratie eine grundsätzlich ablehnende Haltung gegenüber einem - zunächst einmal ganz neutral gesprochen - Ausbauen und Weiterentwickeln seiner Gehalte zuzusprechen wäre, dürfte nicht anzunehmen seinS43 . Hiergegen spricht, daß Demokratie als Bestandteil des dynamischen Vorgangs staatlicher Integration (Smend)S44 ein nie abgeschlossener Prozeß ist, "stets auf dem Wege bleibt"S4s. Und dieser Prozeß hält sich auch nicht von selbst im Gange, sondern nur, wenn eine optimale Beteiligung der "Betroffenen" als politische Aufgabe begriffen und wahrgenommen wirds46 . Und schließlich wird man diesen nicht abgeschlossenen Vorgang auch nicht allein auf die Ebene des politischen Systems beziehen könnens47, da das Gelingen von Demokratie nicht völlig unabhängig ist von gesellschaftlichen VoraussetzungenS48 . Die Frage ist aber, ob die Verfassung vorschreibt, daß sich dieser Prozeß gerade in Gestalt einer synchronen Demokratisierung von Staat und Gesellschaft zu ereignen hätte.

541 Insoweit aber auch aus Art. 28 Abs. I GG, Krüger, Der Regierungsentwurf, S. 23; zum Verhältnis von Art. 28 zu Art. 21 Abs. I Satz 3 GG vgl. Maunz, in: Maunz) Dürig, GG, Art. 21 Rnz.56. 542 Krüger, Der Regierungsentwurf, S. 24. 543 So auch - die ansonsten ablehnenden - W Weber, FS Gehlen, S. 393, 407 und W Weber, DÖV 1974, 289, 297 Fn. 59; auf der ganzen Linie scharf ablehnend allerdings Krüger, Der Staat 10 (1971), I, 19. 544 Verfassung und Verfassungsrecht, S. 119, 136 ff., 189 ff. 545 Bäumlin, Art. Demokratie I, EvStL, Sp. 458,466. 546 Bäumlin, Art. Demokratie I, EvStL, Sp. 458,466. 547 Bäumlin, Art. Demokratie I, EvStL, Sp. 458,466; Badura, RdA 1976, 275, 279. 548 Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, § 22 Rnz. 8,60,63 ff.

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Dies ist zu verneinen. Zusätzlich zu den systematischen Bedenken ergibt sich das aus der bereits an verschiedenen Stellen dieser Arbeit angesprochenen verfassungsrechtlichen Unterscheidung von Staat und Gesellschaft. Auch der grundgesetzlichen Ordnung liegt die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft zugrunde 549 . Sie verlangt, die beiden Sphären als Funktionsbereiche und Funktionsweisen zu unterscheiden550 und steht damit einem in allen gesellschaftlichen Bereichen gleich geltenden und alle Beteiligten irgendwie einbeziehenden Mehrheitsprinzip entgegen551 . Gewiß konstituiert die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft die grundgesetzliehe Ordnung nicht im Sinne ihrer ursprünglichen Bedeutung. Der Dualismus von Staat und Gesellschaft ist eine der eigentümlichen Kategorien der deutschen Staatsrechtslehre, die geprägt wurde vom juristischen Positivismus der konstitutionellen Monarchie des 19. Jahrhunderts. Er beschreibt das Gegenüber des Staates, der mit dem Monarchen und dem von ihm gelenkten bürokratischen Apparat gleichgesetzt wurde und der Gesellschaft, die von politischer Bestimmung und Gestaltung weithin ausgeschlossenen blieb und die sich mit den ihr startdessen gewährten bürgerlichen Freiheitsrechten in eine staatsfreie Sphäre zurückgezogen harte 552 . Im Sinne dieser Begrifflichkeit ist die Unterscheidung im geltenden Verfassungsrecht nicht mehr haltbar. "Staat" steht heute nicht mehr nur für einen Monarchen mit seinem Beamtenapparat, sondern auch für das Volk als Basis der Staatsgewalt, ebenso wie Gesellschaft heute nicht mehr nur mit dem Bürgertum, sondern ebenfalls mit dem gesamten Volk gleichzusetzen ist 553 . Stets geht es um ein und denselben Verband, der sich lediglich in verschiedenen ,,Aggregatzuständen" (Herzog)554, Funktionen, Rollen befmdet: einmal als Volk, das die Staatsgewalt innehat, das andere mal als Gesellschaft, die sich unorganisiert selbst reguliert. Aber gerade wegen dieser verschiedenen Rollen, die den in einem Staat verbundenen Menschen zukommen, müssen auch noch heute Staat und Gesellschaft als zwei real vorhandene und nebeneinander stehende OrdHerzog, in: MaunzlDürig, GG, Art. 20 Abschn. I Rnz. 46 ff. Herzog, in: MaunzlDürig, GG, Art. 20 Abschn. I Rnz. 45. 551 Rupp, NJW 1972,1537,1541 f. 552 Rupp, Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, § 28 Rnz. 4 f. 553 Herzog, VVDStRL 29 (1971), S. 114; vgl. auch Böckenforde, FS Hefermehl, S. 11,20. 554 Allgemeine Staatslehre, S. 141, 145 ff., 353. 549

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nungszusammenhänge unterschieden werden. Denn solange hoheitliche, sprich allgemeinverbindliche, Herrschafts- und Entscheidungsgewalt bei einer Organisation vereinigt ist, auf der anderen Seite das Zusammenleben der einzelnen auf der Grundlage von Freiheit und Gleichheit als ein in sich nicht politisches stattfmdet, gibt es die Strukturen, die dem, was man unter Staat und Gesellschaft versteht, entsprechen555 • Bei der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft geht es daher mit anderen Worten heute um die Unterscheidung zweier Willensbildungssysteme mit unterschiedlichen Verfahrensprinzipien556 : Öffentlichkeit und Mehrheitsprinzip, Amt und Gleichheit einerseits, Privatheit und Selbstbestimmung, Freiheit und Ungleichheit andererseits. Freiheit und Privatheit, als fiir die Gesellschaft eines freiheitlichen Staates kennzeichnende Ordnungs strukturen, würden aber ausgehöhlt, unterwürfe man die Gesellschaft totaliter dem Demokratieprinzip 557. Gleichheit und Mehrheitsprinzip eignen sich nur fiir die Willensbildung im Staat, nur dort kann und muß eine strikte, schematische Gleichheit formalen Charakters zugrundegelegt werden, während die Gesellschaft gerade von Verschiedenheit und Pluralismus geprägt ist558 . Das Grundgesetz verfaßt die Gesellschaft vielmehr mit den Grundrechten559 . Grundrechte sichern dem Bürger einen Bereich eigenverantwortlicher Lebensgestaltung und Einflußnahme auf die ihn umgebenden gesellschaftlichen Lebensverhältnisse. Durch das Garantieren von Grundrechten sichert der Staat diese Freiheit, schirmt die Individualsphäre des Bürgers ab gegen staatliche Ingerenz und schafft in der Summe dieser Individualsphären zugleich einen freien Raum fiir gesellschaftliches Leben und damit fiir gesellschaftliche Selbstgestaltung und Selbstregulierung560 • Aber gerade daraus läßt sich ablesen, daß nach der grundgesetzlichen Ordnung die Gesellschaft der Ort des Beliebens, der Selbstbestimmung, der individuellen Selbstentfaltung sein S011561 .

555 Böckenforde, FS Brunner, S. 248, 254 Fn. 24; Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 53; zur weiteren Begründung ders. in: MaunzlDürig, GG, Art. 20 Abschn. I Rnz. 46 f. 556 Herzog, in: MaunzfDürig, GG, Art. 20 Abschn. II Rnz. 25. 557 Rupp, NJW 1972, 1537, 1541; Doehring, Sozialstaat, Rechtsstaat und freiheitlich-demokratische Grundordnung, S. 25; lsensee, Der Staat 20 (1981), 161, 164 ff. 558 lsensee, Der Staat 20 (1981), 161, 166. 559 Krüger, Der Regierungsentwurf, S. 27. 560 Herzog, in: MaunzlDürig, GG, Art. 20 Abschn. I Rnz. 47. 561 lsensee, Der Staat 20 (1981),161,164 ff. 18 Müller·Franken

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Während Demokratie im staatlich-politischen Bereich Selbstbestimmung und politische Freiheit des einzelnen überhaupt erst herstellt und die einzige der Freiheit gemäße Form politischer Herrschaft ist562 , liegen die Dinge im Bereich der Gesellschaft gerade umgekehrt. Dort geht jedes Demokratisieren der Gesellschaft auf Kosten der Freiheit und damit zugleich ganzer Lebensbereiche, die ohne Freiheit ihren materialen Gehalt überhaupt nicht zu entfalten vermögen563 . Die Ingerenz aller in die Angelegenheiten aller zersetzt die freiheitlichen Schutzschichten des Privaten564 . Es bleibt daher festzuhalten: das Grundgesetz gebietet keine totale Erstrekkung des demokratischen Prinzips auf die Gesellschaft565 • Dies bedeutete das Ende individueller Freiheit. Das Begrenzen des demokratischen Prinzips auf die staatliche Herrschafts- und Entscheidungsgewalt ist gerade die Grundbedingung der Sicherung individueller und gesellschaftlicher Freiheit566 . Freilich steht dies nicht einem punktuellen Erstrecken demokratischer Strukturen auf repräsentative Interessenvertretungen entgegen, namentlich solchen, die auf staatliche Entscheidungen einwirken (Verbändediskussion) oder für das wirtschaftliche Leben bedeutsame Rahmendaten setzen und sich dabei in einer Art Zwischenbereich zwischen zweckbestimmter Interessenrepräsentation und politischer Organisation bewegen, wie etwa die Koalitionen 567 . Ob für derartige Wirkungseinheiten eine transparente Organisation und eine wirksame Kontrolle gefordert werden sollte, dürfte aber eher eine Frage der Ausgestaltung der grundrechtlichen Vereinigungsfreiheit und weniger der Demokratie sein, wenngleich man dabei auch auf demokratisches Ideengut zurückgreifen mag 568 .

562 Böckenforde, Demokratie als Verfassungsprinzip, § 22 Rnz. 35 ff; ehr. Starck, Grundrechtliche und demokratische Freiheitsidee, § 29 Rnz. 10 ff 563 Leibholz, VVDStRL 29 (1971), S. 105; ihm folgend Stern, Staatsrecht I, S. 632. 564 Zacher, Der Staat 9 (1970), 161, 179. 565 Emde, Demokratische Legitimation, S. 38 f. 566 Rupp, Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, § 28 Rnz. 27 f.; Karpen, JA 1986, 299; BöckenfOrde, Die verfassungstheoretische Unterscheidung, passim, insbes. S. 7,31 f, 44; v. Arnim, Staatslehre, S. 174; Stern, Staatsrecht I, S. 633. 567 Kriele, VVDStRL 29 (1971), S. 46, 77; Scholz, Paritätische Mitbestimmung, S. 29. 568 Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), 329, 347 mit Fn. 69; Stern, Staatsrecht I, S. 628.

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c) Demokratisierung der Gesellschaft: eine Frage politischer Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers Nun ist der Gesetzgeber aber nicht gehindert, demokratische Instrumentarien in sinngerechter Anwendung, d.h. nicht im konstitutionell-demokratischen Organisationssinne, sondern zur Sicherung gesellschaftlicher Freiheit und zur Kontrolle gesellschaftlicher, insbesondere wirtschaftlicher Macht einzusetzen569 . Man mag daher davon sprechen, daß die betriebliche Herrschaftsgewalt des Arbeitgebers, seine "ökonomische Macht", durch Betriebsverfassung "demokratisch gebunden" und so gesellschaftliche Freiheit der Arbeitnehmer gesichert worden ist570 . Der neuen Zuständigkeitsordnung geht es, wie gesehen, jedoch um etwas anderes. Sie hat nicht nur die Bestimmungsmacht des Arbeitgebers im Visier, sondern auch die individuelle Entscheidungszuständigkeit des Arbeitnehmers. Auf seinen zustimmenden Willen soll es in den aufgeführten Materien nicht mehr ankommen, individualrechtliche Grundlagen sollen ersetzt werden durch die Mehrheitsentscheidung der Gruppe, der noch verbliebene Restposten individueller Freiheit in eine kollektive Entscheidungs- und Verfügungs gewalt überführt werden. Es geht also nicht um das Zähmen einer - wie immer gearteten - gesellschaftlichen Macht, die, weil der staatlichen vergleichbar, auch einem demokratischen Entscheidungsverfahren unterworfen werden müßte. Das telos der Demokratisierungsbewegung, Herrschaft und jedwede Autorität könne nur durch die Beherrschten selbst in Unmittelbarkeit innegehabt und ausgeübt werden 57 ! , wird hier bereits im Ansatz verfehlt572 • 569 Scholz, Der Staat 13 (1974),91,96; Herzog, in: MaunzJDürig, GG, Art. 20 Absehn. II Rnz. 119 f; vor allem Abendroth, Staatsverfassung und Betriebsverfassung, S. 103, 106 f; zweifelnd Schwerdtfeger, Unternehmerische Mitbestimmung, S. 186 ff; freilich setzen ihm die oben genannten Grundsätze, hier namentlich die Grundrechte, Grenzen, Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, § 22 Rnz. 8. 570 Vgl. HueckiNipperdey, Arbeitsrecht II12, S. 1062 fT.; E.R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht II, S. 477 f; Thiele, in: GK-BetrVG, (4. Aufl.), Ein!. Rnz. 21 ("Die Verwendung des Demokratisierungsbegriffs ... ist ... zumindest unzweckmäßig. Sie macht aber deutlich, daß die Einräumung von Mitbestimmungs- und Mitwirkungsbefugnissen nicht bloß ein rechtstechnisches Mittel ist, um die Machtsituation im Betrieb möglichst auszugleichen .... U). 57! So etwa eine Beschreibung bei Krüger, Der Regierungsentwurf, S. 23. 572 Zu diesem Ergebnis dürfte auch E. Stein kommen, da auch er Art. 20 Abs. 1 GG ein Gebot zur Demokratisierung nur von solchen Gesellschaftsbereichen entnimmt, in

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Wenn überhaupt aber, ließe sich mit dem demokratischen Prinzip Partizipation an Entscheidungen des Arbeitgebers rechtfertigen. Hat der Arbeitgeber aber kein - wie auch immer eingeräumtes - einseitiges Bestimmungsrecht, bzw. kommt es nicht zu der ebenfalls Herrschaft verkörpernden vertraglichen Einigung, so gibt es schon gar keine Entscheidung des Arbeitgebers und von dieser Betroffene, zu deren Schutz der Betriebsrat beteiligt werden müßte; es fehlt an Herrschaft und Macht zu deren Begrenzung ein demokratisches Verfahren wirken könnte. Einem Erstrecken des Demokratieprinzips in alle Bereiche des Gemeinwesens und damit freiheitsvernichtende Fremdbestimmung steht die Verfassung jedoch entgegen. Das verfassungsrechtliche Demokratieprinzip ermöglicht es damit nicht, die Auslegung des § 87 BetrVG in Richtung des Teilhabegedankens fortzudenken. 4. Teilhabe als Gebot der Achtung der Menschenwürde? a) Der Ansatz Ist es nicht das demokratische Prinzip des Grundgesetzes, das die mit dem Teilhabezweck verfolgten Auslegungsziele zu legitimieren vermag, kommt nur eine grundrechtliche Hedeitung in Betracht573 . So möchte denn auch Wiese die Teleologie seiner Auslegung des Begriffs "mitbestimmen" den Verfassungsgeboten des Schutzes und der Achtung der Menschenwürde (Art. I Abs. I GG) und der freien Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) entnehmen574 . Nur wenn man der betriebsrätlichen Tätigkeit einen Teilhabezweck zugrundelege, werde diesen Grundrechten "des Arbeitnehmers" angemessen Rechnung getragen, da erst hierdurch "die Arbeitnehmer selbst zu mitwirkenden Subjekten bei der Gestaltung des betrieblichen Geschehens" gemacht würden.

denen es Macht und damit Möglichkeiten ihres Mißbrauchs gibt, Altemativkommentar, GG, Art. 20 Abs. 1-311 Rnz. 46,48 f. 573 Isensee, Der Staat 20 (1981), 161, 162, 168: "Die Fundamentalalternative des Verfassungsrechts ist damit gekennzeichnet: grundrechtliche oder demokratische Legitimation. Alle Lebensäußerungen des grundgesetzlichen Gemeinwesens müssen sich der einen oder anderen Sphäre zuordnen lassen. Tertium non datur." 574 FS Kissel, S. 1269, 1278; ders., ZfA 1989, 645, 649, 950 f.; ders., in: GKBetrVG, vor § 81 Rnz. 3 und Eint. Rnz. 43 ff.; ders., Initiativrecht, S. 11.

Kapitel 2: Der Nachweis einer Eingriffsgrundlage

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b) Das Prinzip der Menschenwürde und sein Verhältnis zum betrieblichen Arbeitsverhältnis Es bedarf keiner Hervorhebung, daß der Grundsatz der Menschenwürde als Zentrum der Wertordnung des freiheitlichen Verfassungsstaates 57S stets eine die Auslegung leitende Maxime darstellt576 . Auch die Mitbestimmungskommission sieht den Legitimationsgrund unternehmerischer wie auch betrieblicher Mitbestimmung in den Grundsätzen der Menschenwürde und Selbstbestimmung577 . Die Verfassung hat den sittlichen Wert der Menschenwürde in ihren Text übernommen und ihn damit zu einem Rechtswert gemacht578 . Auch wenn es sich in der juristischen Terminologie bei dem Begriff der Menschenwürde um das handelt, was man einen unbestimmten Rechtsbegriff nennt, ist er doch Rechtsbegriff5 79 . Aufgrund der "außerordentlichen Interpretationsbreite" (Häberle)580 des Wortlauts der Norm bereitet eine positive Bestimmung des materiellen Gehalts dessen, was Menschenwürde inhaltlich ausmacht, jedoch Schwierigkeiten. Die Rechtspraxis hat sich hier damit beholfen, daß sie den 575 Der wertphilosophische Hintergrund der Menschenwürde prägt die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, z.B. BVerfGE 6, 32, 40 f.; 7, 198,205; 12,45, 51; 33,23,27; 35, 202, 225; 35, 366, 376; 36,174,188; 37, 57, 65; 39,1,43, und weite Teile des Schrifttums, vor allem Dürig, in: MaunzJDürig, GG, Art. 1 Abs. I Rnz. 1 ff.; 16 ("ethische Unruhe"); Stern, FS Scupin, S. 627, 630, 632 ff.; ders., Staatsrecht I1I/l, S. 22 f.; Bethge, Die Grundrechtsberechtigung juristischer Personen, S. 15 f. (Sinnmitte des Verfassungssystems). Auf die Gegenposition Häberles, Die Menschenwürde als Grundlage der staatlichen Gemeinschaft, § 20 Rnz. 38, kann hier nur hingewiesen werden. 576 Häberle, Die Menschenwürde als Grundlage der staatlichen Gemeinschaft, § 20 Rnz. 56: "Achtung und Schutz der Menschenwürde als "Grund(rechts)pflicht" des Verfassungsstaates ist die Prämisse für alle rechtsdogmatischen Einzelfragen." 577 BT-Drucks. VI/334, S. 65. Dem Exegeten kann hier nicht der Vorwurf gemacht werden, er betrete mit der Menschenwürde das unsicherste Terrain unter den objektiven Zwecken des Rechts. Er hat vielmehr lediglich die Regelungsabsicht des Gesetzgebers konsequent zu Ende zu denken. 578 Dürig, AöR 81 (1956), 117 sowie ders., in: MaunzlDürig, GG, Art. 1 Abs. I Rnz.l. 579 Kunig, in: v. MünchlKunig, GG, Art. 1 Rnz. 18. Skeptisch allerdings Hoerster, JuS 1983, 93, 95 f. (Erfordernis eines moralischen Werturteils lasse das Menschenwürdeprinzip weitgehend zu einer LeerformeI werden). 580 Häberle, Die Menschenwürde als Grundlage der staatlichen Gemeinschaft, § 20 Rnz.33.

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Teil 3: Die Legitimation von Eingriffen

Begriff negativ vom Vorgang der Verletzung her bestimmt581 • Als Leitlinie durchgesetzt hat sich die sog. Objektformel Dürigs582 , wonach die Menschenwürde betroffen ist, wenn der konkrete Mensch zum Objekt, zu einem bloßen Mittel, zur vertretbaren Größe herabgewürdigt wird583 • Da allerdings auch keine allgemeinen Maßstäbe angegeben werden können, wann der Mensch wie eine Sache dem Staat oder aber auch gesellschaftlichen Kräften ausgeliefert ist, veranschaulicht man den Gehalt der Norm durch Fallgruppen584 • Neben den ganz offenkundigen Mißachtungsfallen, wie denen der Folter, Erniedrigung, Brandmarkung, Verfolgung, Ächtung etc. 585 , verstößt es etwa auch gegen die Menschenwürde, wenn der einzelne zum Objekt eines staatlichen Verfahrens gemacht wird 586 .

581 Dürig, in: MaunzlDürig, GG, Art. I Abs. I Rnz. 28; ehr. Starek, in: v. MangoldtiKlein /Starck, GG, Art. I Abs. I Rnz. 13,27 ff.; Kunig, in: v. MünchlKunig, GG, Art. I Rnz. 22; Stern, Staatsrecht II11l, S. 24 (lediglich konstatierend). Häberle, Die Menschenwürde als Grundlage der staatlichen Gemeinschaft, § 20 Rnz. 46 ff., bestimmt den Inhalt von Menschenwürde positiv im Sinne von Personwerdung/Identitätsbildung; da aber auch flir ihn der Begriff der Menschenwürde mit abstrakten Formeln nur annähernd umschrieben werden kann, greift auch er zur Veranschaulichung auf die Beispielsmethode zurück, Rnz. 83, 99. 582 AöR 81 (1956), 117, 127 sowie MaunzlDürig, GG, Art. I Abs. I Rnz. 28. Ihm folgend Stern, Staatsrecht III/1, S. 24; Kunig, in: v. MünchlKunig, GG, Art. I Rnz. 22; Häberle, Die Menschenwürde als Grundlage der staatlichen Gemeinschaft, § 20 Rnz. 38,43,99; ehr. Starek, in: v. MangoldtIKleinlStarck, GG, Art. I Abs. I Rnz. 13. Aus der Rechtsprechung BVerfGE 9,85,95; 27, 1,6 f.; 50,166,175; 63,133,143; abweichend nur BVerfGE 30, 1,25. 583 Die Objektformel Dürigs ähnelt der Würdekonzeption Kants. Man kann sie aber nicht, wie Hoerster, JuS 1983, 93 f. meint, mit ihr gleichsetzen. Kant spricht dem Menschen Würde nämlich nicht allein kraft seines Menschseins zu, sondern nur aufgrund seiner Moralität, seiner sittlichen Autonomie, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 435 f. Das widerspricht jedoch der Konzeption des Grundgesetzes, das Menschenwürde an keine subjektiven Voraussetzungen knüpft, vgl. im einzelnen Stern, Staatsrecht III/1, S. 7 ff. m.w.N. in Fn. 23. 584 Dürig, AöR 81 (1956), 117, 127 ff. sowie ders., in: MaunzlDürig, GG, Art. I Abs. I Rnz. 29 ff.; ehr. Starek, in: v. MangoldtIKleinlStarck, GG, Art. I Abs. I Rnz. 13, 28 ff.; letztlich auch Häberle, Die Menschenwürde als Grundlage der staatlichen Gemeinschaft, § 20 Rnz. 83,99. 585 BVerfGE 1,97,104; Dürig, in: MaunzlDürig, GG, Art. I Abs. I Rnz. 30. 586 Dürig, AöR 81 (1956), 117, 128 f. sowie ders., in: MaunzlDürig, GG, Art. lAbs. I Rnz. 34 ff.; BVerfGE 9, 89, 95; 57, 250, 274; 63, 332, 337 f.

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Die Diskussion um "Menschenwürde und betriebliche Mitbestimmung" setzt bei dieser Fallgruppe an. Dürfe der einzelne nicht Objekt eines staatlichen Verfahrens sein, so dürfe er nach Auffassung von Häberle auch nicht einem "gesellschaftlichen Verfahren" unterworfen werden587 • Die "emanzipatorische Kraft" des Menschenwürdeprinzips habe sich auch am Arbeitsplatz zu entfalten, Menschenwürde habe hier eine leistungsrechtliche Dimension, die die Untemehmerfreiheit angesichts grundrechtlich legitimierter Mitbestimmungsforderungen zurücktreten lasse 588 • Ob der Arbeitnehmer an seinem betrieblichen Arbeitsplatz einer derartigen Fremdsteuerung unterworfen ist, daß von ihm als dem Objekt eines "gesellschaftlichen Verfahrens" gesprochen werden kann, vor dem ihn der Staat in Analogie zu einem staatlichen Verfahren schützen muß, mag hier dahinstehen589 . Denn hat der Staat auch auf nichtstaatliche Gefahrdungen der Menschenwürde zu achten und sind hierbei Fälle denkbar, in denen er verpflichtet sein kann, zu ihrem Schutz gegen Bedrohungen aus dem Bereich der Gesellschaft aktiv zu werden, so wird man ihn jedenfalls als berechtigt ansehen dürfen, auch bei u.u. geringeren Gefährdungen aktiv zu werden und etwa Mitbestimmung im Betrieb vorzusehen 590 • Man wird sagen können, daß aufgrund der Fremdsteuerung des einzelnen im Betrieb die betriebliche Mitbstimmung ihre Legitimation - zumindest auch - im Gebot der Achtung der Menschenwürde fmdet.

587 VVDStRL 30 (1972), S. 43, 85 Fn. 18\. Ihm folgend Däubler, Das Grundrecht auf Mitbestimmung, S. 155 ff.; auf die Objektrolle stellen auch ab E.R. Huber, Grundgesetz und wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 35 ff. (das Sozialstaatsprinzip fordere eine Gestaltung der Arbeitsverhältnisse, durch die der Arbeitnehmer aus seiner ObjektsteIlung befreit werde) sowie Neumann-Duesberg, Betriebsverfassungsrecht, S. 59. 588 Häberle, VVDStRL 30 (1972), S. 43,85 Fn. 181, S. 86. 589 Ausdrücklich ablehnend vor allem ehr. Starck, in: v. MangoldtIKleiniStarck, GG, Art. I Abs. I Rnz. 12 und Schwerdtfeger, Untemehmerische Mitbestimmung, S. 175 ff. (keine Pflicht des Staates); zweifelnd auch v. Nell-Breuning, Wirtschaft und Gesellschaft heute, S. 147. Hiergegen spricht, daß sich der Arbeitnehmer immerhin selbst verpflichtet zur Aufnahme seiner Tätigkeit, Stern, Staatsrecht III/I, S. 30 f. und Hoerster, JuS 1983,93,94. 590 Scholz, Paritätische Mitbestimmung, S. 52; Loritz, ZfA 1991, I, 7. Ablehnend gegenüber dieser Herleitung Ossenbühl, Grenzen der Mitbestimmung, S. 28, für den der Hinweis auf Grundrechte jenseits eines Verfassungsgebots nur politische, keine rechtliche Bedeutung hat. Nach hier vertretener Ansicht leiten Grundrechte die Auslegung und haben damit jedenfalls insoweit auch rechtliche Bedeutung.

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Teil 3: Die Legitimation von Eingriffen c) Der Schutz der Menschenwürde im Rahmen des Betriebsverfassungsgesetzes

Im betrieblichen Zusammenhang lassen sich Achtung und Schutz der Menschenwürde am ehesten dadurch verwirklichen, daß mmungskommission -

so die Mitbesti-

"dem Betroffenen Möglichkeiten der Einwirkung auf

die Gestaltung der Leitungs- und Organisationsgewalt" eingeräumt werden591 . Diesen Gedanken hat der Gesetzgeber des Betriebsverfassungsgesetzes in den sog. Individualrechten der §§ 81 ff. BetrVG aufgegriffen. Der einzelne erhält durch die ihm dort gewährten Unterrichtungs-, Erörterungs-, Anhörungs-, Vorschlags-, Einsichts- und Beschwerderechte die Möglichkeit, selbst unmittelbar zum gestaltenden Subjekt seiner betrieblichen Umgebung zu werden. Anders liegen die Dinge bei § 87 BetrVG. Diese Norm gewährt ihre "Einwirkungsmöglichkeiten"592 nicht dem einzelnen Arbeitnehmer, sondern der Arbeitnehmerseite insgesamt, repräsentiert durch den Betriebsrat593 . Die Beteiligung des einzelnen beschränkt sich auf dessen Wahl. Gewiß werden durch das Handeln des Betriebsrats objektive Rahmenbedingungen gesetzt, die die Ausübung der Berufsfreiheit des einzelnen verbessern können, zumal die Weisungsrechte des Arbeitgebers beschränkt werden594 . Es ist aber die Kernfrage der gesamten Teilhabekonzeption, ob eine Befreiung des einzelnen aus seiner Objektrolle auch durch nicht vom ihm selbst, sondern aus seiner Perspektive lediglich mittelbar seitens der betrieblichen Interessenvertretung wahrzunehmende Beteiligungsrechte anzunehmen ist595 , da nur mit diesem Argument die neue Zuständigkeitsordnung legitimiert wird. d) Grundrechtliche Selbstbestimmung und § 87 BetrVG Kann durch Teilhabe an der Willensbildung eines Repräsentativorgans grundrechtliche Selbstbestimmung des einzelnen gefördert werden? Bedenken 591 BT-Drucks. VI/334, S. 65. 592 So in der Terminologie der Mitbestimmungskommission. Mitbestimmung im Sinne von § 87 BetrVG bedeutet indes nicht nur einwirken, sondem darüberhinaus ("echtes") mitgestalten. 593 Auf die Frage der Rechtsträgerschaft der Beteiligungsrechte soll es hier nicht ankommen, vgl. dazu 2. Teil, 1. Kapitel, § 2 B, S. 49 f. 594 Vgl. dazu 2. Teil, 2. Kapitel, § 6 C 11 2 a bb ß (2), (3), S. 129 ff., 131 f. 595 Zweifelnd etwa Hurlebaus, Fehlende Mitbestimmung, S. 36, 72.

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hieran ergeben sich, wenn man sich die Situation im betriebsratslosen Betrieb vor Augen führt. Dort ist der Arbeitgeber in den für die "neue Zuständigkeitsordnung" interessanten Fällen, insbesondere dem der Kurzarbeit (§ 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG), aber auch dem des Ändems allgemeiner Arbeitsbedingungen in den Angelegenheiten des § 87 BetrVG, stets auf die individuelle Zustimmung des einzelnen angewiesen. Der Frage, ob individual-freiheitliche Selbstbestimmung nun ersetzt werden kann durch Teilhabe an einer Kollektiventscheidung, soll in drei Schritten nähergekommen werden. In einem ersten Schritt soll die Argumentation Wieses, als des prononciertesten Vertreters dieser Ansicht, in ihren Aussagen nachgezeichnet werden (aa). In einem zweiten Schritt soll sie speziell in den Fällen auf ihre Überzeugungskraft untersucht werden, in denen sie eine an sich notwendige und auch mögliche Individualentscheidung durch die Teilhabe an einer Kollektiventscheidung ersetzen will (bb). In einem dritten Schritt schließlich sollen die aus ihr abgeleiteten Konsequenzen auf ihre Folgerichtigkeit untersucht werden (cc). aa) Förderung grundrechtlicher Selbstbestimmung durch Teilhabe?

Es entstünde ein verzerrtes Bild, wenn eine Darstellung der Position Wieses nicht vorab auch auf dessen eigene Einschränkungen hinwiese. So räumt er ein, der Gedanke, daß das modeme Arbeitsrecht die Rechtsposition des einzelnen Arbeitnehmers stärke, um ihn gleichberechtigt die Arbeitsbedingungen mitgestalten zu lassen, werde "dadurch etwas verdeckt", daß dies weithin nur durch eine kollektive Interessenvertretung möglich sei596 . Man könne darüber streiten, ob es nicht auch im Sinne dieser Konzeption gelegen hätte, die Rechtsposition des einzelnen über die §§ 81 ff. BetrVG hinaus auszubauen597 • Die derzeitige Lage mag von einem "rein individualistischen Standpunkt aus unbefriedigend sein". Hieraus erwüchsen jedoch keine prinzipiellen Einwände gegen das Teilhabekonzept. Für dessen Überzeugungskraft sprächen vielmehr die folgenden Argumente:

ZfA 1989, 645, 651. Die CDU/CSU-Fraktion hat einen entsprechenden Entwurf im Gesetzgebungsverfahren zur Diskussion gestellt, BT-Drucks. VI/1806, S. 3 ff., 30, 34. Vgl. dazu Wiese, in: GK-BetrVG, vor § 81 Rnz.9. 596 597

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- die betriebsrätliche Interessenvertretung bewirke psychologisch eine grundlegende Veränderung der Stellung "auch des einzelnen Arbeitnehmers" gegenüber Betrieben ohne Betriebsrat mit monokratischer Struktur598 ; - auch wenn es im Sinne von Menschenwürde und Selbstbestimmung läge, die individualrechtliche Position des einzelnen Arbeitnehmers de lege ferenda zu stärken, sei maßgebend für die Auslegung allein das geltende Recht; und selbst wenn dieses nur einen kollektiven Schutz599 vorsehe, ließe sich nicht bezweifeln, daß die Arbeitnehmerseite im Rahmen der Reichweite der Mitbestimmung zum gleichberechtigten Subjekt der Betriebsverfassung geworden sei. Es komme nur eine kollektive Interessenvertretung in Betracht, weil der einzelne keine dem Arbeitgeber vergleichbare Machtposition habe und es außerdem bei Regelungen, die andere Arbeitnehmer oder die Belegschaft insgesamt beträfen, nicht nur um das Wahrnehmen individueller Interessen gegenüber dem Arbeitgeber gehe, sondern zugleich um einen Interessenausgleich unter sämtlichen betroffenen Arbeitnehmern. Diese Überlegungen stimmen bedenklich. Das Argument der Veränderung der psychologischen Stellung leidet zunächst darunter, daß es heißt, "auch" die Stellung "des einzelnen" solle sich verbessern. Soll sich "auch" die Stellung des einzelnen verbessern, darf man daraus folgern, daß sich daneben auch die Stellung der Arbeitnehmerseite insgesamt grundlegend verändern soll. Und es scheint, als solle dieser Aspekt dem Argument zusätzliche Überzeugungskraft verleihen. Ob sich die psychische Situation der Arbeitnehmerseite aber insgesamt verbessert hat, was zunächst das Vorhandensein einer Kollektivseele, psyche oder ähnliches voraussetzte 600, kann und muß vorliegend dahinstehen. Beim Thema "Menschenwürde" kann es nur darauf ankommen, ob sich die psychische Befmdlichkeit des einzelnen verbessert, da Menschenwürde, wie erwähnt, immer nur dem einzelnen, nie einem - wie immer gearteten - Kollektiv zukommt60 l .

FS Kissel, S. 1269, 1279. In der sonstigen Terminologie Wieses müßte es wohl "nur eine kollektive Beteiligung" heißen. 600 Die Anklänge an v. Gierke sind hier unverkennbar. 601 Stern, Staatsrecht III/l, S. 11 f.; Hofmann, JZ 1986, 253, 259; Wintrich, FS Apelt, S. 1,2; v. Mangoldt-Klein, GG, (2. Aufl.), Art. 1 Anm. III 3 eS. 150; Kunig, in: v. MünchlKunig, GG, Art. 1 Rnz. 17. Vgl. bereits Nipperdey, Die Würde des Menschen, S. 3, 24 f. i.V.m. 9 f. 598 599

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Für die psychische Situation des einzelnen gilt aber folgendes: in der amtlichen Begründung des Regierungsentwurfs zum Betriebsverfassungsgesetz selbst ist zu lesen, daß trotz der umfassenden Interessenvertretung der Arbeitnehmerschaft durch den Betriebsrat beim Arbeitnehmer in größeren Betrieben vielfach die Gefahr einer bloßen Objektstellung weiterbesteht602• Der erhoffie psychische Entlastungseffekt ist also nicht eingetreten. Ob man sogar umgekehrt sagen muß, gerade weil es Betriebsräte gibt, denen Befugnisse an die Hand gegeben werden, die die des Arbeitgebers im betriebsratslosen Betrieb übersteigen und über die Einigungsstelle dann auch noch zu einer Erweiterung der Befugnisse des Arbeitgebers fiihren, verschlechtere sich die psychische Situation des einzelnen Arbeitnehmers sogar, mag ebenso dahinstehen. Daß sich all dies psychologisch für den Arbeitnehmer immer noch positiv auswirkt, weil der Arbeitgeber diesen Machtzuwachs nur im Verfahren der Mitbestimmung verwirklichen kann603 , ist Spekulation. Denn immerhin hat der Arbeitgeber nach dieser Konzeption den beschriebenen Machtzuwachs und zur psychischen Verfaßtheit des Arbeitnehmers ist in der Begründung des Regierungsentwurfs das Notwendige gesagt. Mit der "grundlegenden Veränderung" der psychologischen Stellung "auch" des einzelnen, kommt man damit nicht weiter. Zu dem zweiten Argument sei zunächst eine grundsätzliche Bemerkung erlaubt. Gewiß ist für die Auslegung nur das geltende Recht maßgebend604 • Und ebenso gewiß ist auch, daß zusätzliche, über die §§ 81 ff. BetrVG hinausgehende Individualrechte eine Frage de lege ferenda sind. Aber welcher Inhalt dem geltenden Recht, sprich § 87 BetrVG, beizulegen ist, ist doch gerade der Streitpunkt. Man gewinnt hier den Eindruck, für den Exegeten käme nur eine bestimmte Auslegung in Betracht, weil er an den Teilhabezweck gebunden sei und dieser Zweck feststehe. Es war indes das Anliegen dieses Paragraphen 602 Begründung des Regierungsentwurfs zum BetrVG 1972, BR-Drucks. 715170 , S. 47 sowie schriftlicher Bericht 10. Ausschuß zu BT-Drucks. VI/2729, S. 9. Dazu ausführlich Pleyer, RdA 1968,447 f. sowie auch Wiese RdA 1973, I, 2. 603 Wiese, FS 25 Jahre Bundesarbeitsgericht, S. 661, 663 Fn. 9. 604 Sieht man einmal ab von auslegungsrelevanten sog. Vorwirkungen von (zukünftigen) Gesetzen, vgl. dazu Klöpfer, Vorwirkung von Gesetzen, S. 168 fT. Zu denken wäre hier an § 116 des Entwurfs eines einheitlichen Arbeitsgesetzbuches des Arbeitskreises Deutsche Rechtseinheit im Arbeitsrecht des 59. DJT. 1992. Da es sich beim Deutschen Juristentag aber um eine private und nicht um eine staatliche Institution handelt, auslegungsrelevante Vorwirkung aber nur staatlichen Gesetzen zukommen kann, ist dieser Frage hier nicht weiter nachzugehen.

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zu zeigen, daß die Ennittlung des Gesetzeszwecks das eigentliche Problem der Auslegung ist. Hier zeigt sich, daß Zwecke nur selten feststehen, sondern es in der Regel keine Eindeutigkeit, sondern immer nur Annäherungen an und Ringen um eine richtige Lösung geben kann. Aber auch die hierzu vorgetragenen Überlegungen überzeugen nicht. Denn daß nur eine kollektive Interessenvertretung in Betracht kommt, weil der einzelne keine dem Arbeitgeber vergleichbare Machtposition habe, stimmt nur zum Teil. Hält man eine individualrechtliche Grundlage für erforderlich und verweigert der Arbeitnehmer seine Zustimmung, stünde dem Arbeitgeber nicht der Weg über die Einigungsstelle offen, um diese zu ersetzen. Er befände sich damit in einer schwächeren Position. Eine kollektive Interessenvertretung, präziser: Repräsentation der Arbeitnehmer, ist aus einem ganz anderen Grunde notwendig. Es müssen nämlich Entscheidungen getroffen werden, die sich der Verfügung des einzelnen entziehen und bei der ein Konsens der gesamten Belegschaft nicht herstellbar ist. So könnte etwa über die Vergabe der einzigen Werkmietwohnung nicht in einem Verfahren entschieden werden, in dem die Zustimmung aller erforderlich wäre; entsprechendes gilt rur die Festlegung individueller Urlaubszeiten. Will man in diesen Fällen überhaupt zu einer Entscheidung kommen, ist ein Ausgleich der unterschiedlichen Interessen innerhalb der Belegschaft unumgänglich. Dies erfordert Repräsentation der Arbeitnehmer. Hierauf ist zurückzukommen. Aus individualrechtlicher Sicht ist gegen die letztgenannten Beispiele nichts zu erinnern. Denn im betriebsratslosen Betrieb würde der Arbeitgeber zulässigerweise einseitig über die Vergabe der Wohnung oder die Festsetzung individueller Urlaubszeitpunkte entscheiden. Wird ihm hier eine von den Arbeitnehmern gewählte Repräsentation entgegengesetzt, mag man von einer Verbesserung der psychologischen Situation sprechen605 • Ob sich hier auch die Selbstbestimmungslage verbessert hat, mag sogar dahinstehen; verschlechtert hat sie sich jedenfalls nicht.

605

Zweifelnd Loritz, ZfA 1991, 1, 7 f.

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bb) Ist individuelle Eigenhabe ersetzbar durch kollektive Teilhabe? Das besondere Augenmerk ruht indes auf den Fällen, in denen nach allgemeinen Grundsätzen die individuelle Zustimmung des einzelnen notwendig wäre, wie namentlich bei der Kurzarbeit oder dem Ändern allgemeiner Arbeitsbedingungen in den Angelegenheiten des § 87 BetrVG; hier werden betriebliche Belastungsbefugnisse für den einzelnen real spürbar. Zunächst einmal ist Wiese zuzugeben, daß wenn man dem betriebsrätlichen Handeln eine schützende Tendenz unterstellt, der einzelne insoweit Objekt des Handelns Dritter sein mag. Wie sich das allerdings allein dadurch ändern soll, daß dem Handeln des Betriebsrats nicht die Intention des Schutzes, sondern der Modus der Teilhabe unterlegt wird606, ist allerdings nicht so leicht begreiflich. Denn - gleich ob Schutz oder Teilhabe - sowohl sein Handeln als auch das des einzelnen bleiben unverändert. Die Veränderung der (grund-) rechtlichen Lage der Arbeitnehmer soll allein das telos bewirken, das von außen an das Verhalten des Betriebsrats herangetragen wird607 • Aber selbst wenn man das rechtliche Urteil über das - äußerlich völlig gleichbleibende - Handeln des Betriebsrats abhängig machte von der Zweckrichtung, die ihm vom Betrachter zugrundegelegt wird, so sticht doch folgendes ins Auge: hält man eine individualrechtliche Grundlage in den hier zur Diskussion stehenden Fällen für unverzichtbar, bleibt der einzelne insoweit (neben seiner sich aus dem Schutz ergebenden "Objektrolle") stets unmittelbar handelndes und entscheidendes Subjekt, als es für das Verändern seiner persönlichen Rechtsstellung auf sein Zustimmen ankommt. Die Wiese'sche Konzeption will dem einzelnen diese Rolle des selbstgestaltenden Subjekts nun nehmen und gegen Teilhabe an dem Verfahren der Mitbestimmung eintauschen. Aus grundrechtstheoretischer Sicht ist jedoch unklar, wie aus allseitiger Mitentscheidung grundrechtskonstituierende Wirkung hervorgehen soll. Grundrechte gewährleisten für den einzelnen freiheitliche Selbstbestimmung in seiner Individualität6°8 . Inidividualfreiheit ist das Nicht-Abstimmbare, unterliegt nicht dem Mehrheitsprinzip. Unter dem Etikett "Teilhabe" geschieht jedoch letztlich genau das, was bei der Frage der Demokratisierung des Betriebs als der Unter606 So aber Wiese, FS Kissel, S. 1269, 1278; ders., ZfA 1989, 645, 650; ders., Initiativrecht, S. 11. 607 Vgl. Loritz, ZfA 1991, 1,9. 608 Isensee, Der Staat 20 (1981), 161, 164; ders. auch zum Folgenden.

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scheidung von Staat und Gesellschaft widersprechend angesehen wurde: das "Demokratisieren grundrechtlicher Individualfreiheit", d.h. das Einbringen der Freiheit des einzelnen in ein Kollektiv und deren Überantwortung an die Disposition der Mehrheit, wofür dem einzelnen zum Ausgleich ein Stimmrecht gewährt wird609 • Mitbestimmung wiegt Selbstbestimmung jedoch nicht auf, egalitäre Teilhabe entschädigt nicht für individuelle Selbsthabe610 . Es ist eines der vielen Verdienste Hans Heinrich Rupps in Erinnerung gerufen zu haben, daß Teilhabe gerade der Gegensatz freiheitlichen Eigenhabens ist6 11 • Unter dem Rubrum der Teilhabe gehen Selbstentscheidung, Selbstverwirklichung und Selbstverantwortung des einzelnen auf in lediglich passiver Partizipation. Ein derartiges Verständnis von Grundrechten als Teilhaberechte widerspricht jedoch der Auffassung von grundrechtlicher Freiheit des Verfassungsstaates. Das hieraus entwickelte Konzept von Mitbestimmung verkennt nicht nur den Grundunterschied zwischen grundrechtlicher Selbstbestimmung und Partizipation an kollektiver Fremdbestimmung, sondern gibt Mitbestimmung geradezu aus als "kompensatorische Erfiillung des freiheitlichen Sozialstaates" (Rupp). Das Freiheitsdeftzit des Arbeitnehmers dadurch auszugleichen, daß man ihn an den Freiheiten der anderen mitbestimmen läßt, gibt aber letztlich niemandem Freiheit, sondern vernichtet vielmehr die letzten Reste noch vorhandener Freiheit und schadet damit allen. Vor einer Identiftkation von Freiheit mit Teilhabe und dem Versprechen von mehr Freiheit durch derartige "Kompensationen", kann also nur gewarnt werden. Dem Charakter grundrechtlicher Individualfreiheiten als Selbstverfiigungsrechte wird es nicht gerecht, wenn man den "Betroffenen" Teilhabe an kollektiver Fremdverfiigung gewährt und ihnen die Vorstellung vermittelt, Teilhabe an kollektiver Entscheidung sei die beste Garantie individueller Freiheit. Die Gegenposition wäre nur dann überzeugend, wenn Würde und Selbstbestimmung nicht nur dem einzelnen, sondern auch einem Kollektiv an sich zukommen könnte. Und in der Tat gewinnt man den Eindruck, daß so gedacht wird, wenn es etwa heißt, die Arbeitnehmerseite sei in einem bestimmten Bereich eigenverantwortlich und gleichberechtigt an der Gestaltung der Betriebs-

Isensee, Der Staat 20 (1981),161,164. Isensee, Der Staat 20 (1981), 161, 164. 611 AöR 101 (1976), 161, 180; ders. auch zum Folgenden (speziell zur Mitbestimmung S. 187). 609

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verfassung zu beteiligen612 • Es ist jedoch schon mehrfach in dieser Untersuchung darauf hingewiesen worden, daß es gerade das fundamentale Prinzip des freiheitlichen Staates ist, daß Würde und Selbstbestimmung nur dem einzelnen zukommen6 \3. Unter diesem Vorzeichen ist der Würde des einzelnen jedoch nicht gedient, wenn ihm - an sich vorhandene - Möglichkeiten zur Selbstbestimmung genommen und den Arbeitnehmern in ihrer Gesamtheit zum Ausgleich dafiir Beteiligungsrechte gewährt werden. Eine andere Frage ist, ob der individualrechtliche Weg zu umständlich, unpraktikabel u.ä. ist und eine kollektive Entscheidungsgewalt den Vorzug der Praktikabilität fiir sich hat. Soll mit solchen Überlegungen Mitbestimmung als ein effektives Gestaltungsmittel des betrieblichen Alltags eingesetzt werden, so sollte man dies aber offen sagen und nicht die bei dieser Lesart betriebsrätlicher Mitbestimmung eintretende Fremdbestimmung - psychologisch geschickt mit dem rur viele wohlklingenden Begriff der Teilhabe verschleiern. Denn das im Betrieb ohnehin schon vorhandene Freiheitsdeftzit des einzelnen wird bei dieser Sichtweise nicht nur eingetauscht gegen neue Fremdbestimmung, sondern unter dem Deckmantel der Teilhabe sogar noch vergrößert, indem im Wege der Mitbestimmung Freiheitsbeschränkungen vorgenommen werden können, die im betriebsrats losen Betrieb dem Arbeitgeber nicht möglich wären. ce) Notwendigkeit der Konsequenzen? Aber noch aus einem weiteren Grunde bestehen Bedenken gegen die Teilhabelehre Wieses. Denn unterstellt ein Teilhabezweck ließe sich nachweisen, so muß sich die Gegenposition fragen lassen, ob der Teilhabezweck den Schutzzweck überspielen oder mit den Worten Wiese's: Schutz durch Teilhabe gewährt werden könnte. Das wird man jedoch kaum sagen können, da der einzelne hierdurch ja noch mehr Objekt würde, als er es ohnehin schon wäre. Kam es vorher auf seine Selbstbestimmung an, soll sie nun entbehrlich sein. Das wird man jedoch kaum aus Art. 1 Abs. 1 GG ableiten können, sondern wenn überhaupt folgt aus dieser Norm ein Mehr an Selbstbestimmung. Oder anders

612 Wiese, in: GK-BetrVG, § 87 Rnz. 89; ders., ZfA 1989, 645, 649, 657; unklar auch in FS Kissel, S. 1269, 1278: Soll indessen der Achtung des Arbeitnehmers ... seiner Selbstbestimmung ... Rechnung getragen werden, kommt es darauf an "die Arbeitnehmer selbst zu mitwirkenden Subjekten ... zu machen" (Hervorhebung vom Verf.). 613 Siehe die Nachweise Fn. 601.

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gewendet: man mag aus Art. 1 Abs. 1 GG einen Teilhabezweck ableiten; nicht jedoch wird man mit Hilfe dieser Norm dem Teilhabezweck die Effekte beilegen können, die Wiese der Teilhabe gerne beilegen möchte. Sie bewirkten nämlich gerade das Gegenteil dessen, was eigentlich erreicht werden soll und widersprächen damit den Prämissen. Von der selbst gewählten Prämisse her hätte eine andere Konzeption näher gelegen. Konsequenterweise hätte es nämlich eines Stärkens der Rechte des einzelnen bedurft. Das Verlagern des Mitwirkungsrechts auf das kollektive Repräsentationsorgan ist also bereits ein Kompromiß und damit nicht konsequent. Daß diese Inkonsequenz aber auch noch zusätzliche Eingriffe rechtfertigen soll, ist nicht recht einsehbar. Will man die Selbstbestimmungschancen des einzelnen verbessern, darf man sie nicht in den wenigen Feldern, in denen es auf sie ankommt, abschaffen. Wer es ernst meint mit der Objektrolle und trotzdem aber dem Teilhabegedanken eine solche Bedeutung beirnißt, möge begründen, wie eine solche Auslegung bei den beschriebenen verfassungsrechtlichen Vorgaben eher dem Grundgesetz entspricht als eine, die Belastungsbefugnisse abspricht. UI. Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern und Arbeitgebern Schließlich ist die Wiese'sche Teilhabelehre noch aus einem weiteren, objektiv-teleologischen Aspekt Bedenken ausgesetzt und zwar unter dem des Gleichheitssatzes. Im Hinblick auf den Schutz vor den Folgen von Mitbestimmung sollen Arbeitgeber und Arbeitnehmer verschieden behandelt werden614 • Die unternehmerische Freiheit habe unter dem Schlagwort "Schutz der unternehmerischen Entscheidung" von Mitbestimmung verschont zu bleiben, die Individualfreiheit ihr demgegenüber aber kraft des Teilhabezwecks offenzuliegen. Es fragt sich daher, ob nicht die Annahme eines eigenständigen Teilhabezwecks mit den daraus abgeleiteten Konsequenzen gegen das - stets zu beachtende - objektiv-teleologische Gebot der Gleichbehandlung verstößt. Führte die Auslegung der Norm zu einer rechtlich relevanten Ungleichbehandlung,

614 Für die Kurzarbeit Wiese, in: GK-BetrVG, § 87 Rnz. 317 f.; anders ders. aber für die Kosten bargeldloser Lohnzahlung in: GK-BetrVG, § 87 Rnz. 379 i.V.m. Rnz. 36 ff.

Kapitel 2: Der Nachweis einer Eingriffsgrundlage

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spräche dies außerdem noch gegen die Annahme des beschriebenen Teilhabezwecks. 1. "Parität" als Kennzeichen der Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten

Die betriebliche Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten wird als "paritätisch" bezeichnet, womit die gleichberechtigte Stellung von Arbeitgeber und der durch den Betriebsrat repräsentierten Belegschaft gemeint ist6 15 • Es gilt als ein besonderer Fortschritt, daß beide Seiten in den dort bezeichneten Angelegenheiten gleichartige und gleichberechtigte Positionen innehaben. Dies äußere sich konkret z.B. darin, daß der Betriebsrat einer Regelung des Arbeitgebers nicht nur zustimmen, sondern sie gleichberechtigt inhaltlich mitzugestalten hätte616 . Auch das schon erwähnte Initiativrecht wird aus dem "Wesen gleichberechtigter Beteiligung" abgeleitet6 17 • Der Gedanke der Parität lenkt nun den Blick hierüber hinaus auf das Problem allgemeiner Rechtsgleichheit der Betriebspartner. 2. Tatsächliche Ungleichbehandlung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern bei dem Begründen und Verändern von Leistungspjlichten

Bereits im Zusammenhang mit dem Initiativrecht ist ein Problem allgemeiner Rechtsgleichheit zutage getreten618 • So soll nach Meinung einiger Autoren dem Betriebsrat bei der Einführung von Kurz-, bzw. Mehrarbeit deshalb kein Initiativrecht zustehen, weil dies eine Entscheidung über den Umfang der Produktion und damit einen Eingriff in die unternehmerische Entscheidungsfreiheit bedeute619 • Die "eigentlich unternehmerischen Entscheidungen" gelte es von der Mitbestimmung freizuhalten, Mitbestimmung beziehe sich nur 615 BVeTfG, AP NT. 7 zu § 87 BetrVG 1972 - Auszahlung; BVerfGE 50, 290, 326; Richardi, ZfA 1990, 211, 227; v. Hoyningen-Huene, Betriebsverfassungsrecht, S. 193. 616 BAG, AP Nr. 21 zu § 77 BetrVG 1972; BAGE 51, 217, 233; Joost, RdA 1989,7, 9,17 Fn. 114. 617 Wiese, in: GK-BetrVG, § 87 Rnz. 123,127. 618 Siehe § 10 C 112, S. 264 f. 619 Wiese, in: GK-BetrVG, § 87 Rnz. 318 f.; DietziRichardi, BetrVG, § 87. Anderer Ansicht ist das Bundesarbeitsgericht in AP Nr. 3 zu § 87 BetrVG. 19 Müller-Franken

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Teil 3: Die Legitimation von Eingriffen

auf das "wie", nicht das "ob" unternehmerischer Tätigkeit62o . Eng damit verknüpft ist der Gedanke, daß Mitbestimmung nicht dazu diene, zusätzliche vermögenswerte Leistungspflichten des Arbeitgebers zu begründen621 . So enscheide der Arbeitgeber mitbestimmungsfrei etwa über die Höhe der Mittel, die er für eine Sozialeinrichtung bereitstellen will (den "Topf'), während der Betriebsrat erst über das gerechte Verteilen des Bereitgestellten nach § 87 Abs. 1 Nr. 8 BetrVG622 mitzubestimmen habe. Wird nun aber die strikte Parität der Mitbestimmung, die Gleichberechtigung der Betriebspartner, immer wieder betont, so ist nicht recht einzusehen, wieso nur der Unternehmer in seinen Entscheidungen über die Begründung von Leistungspflichten zu schützen ist623 , nicht aber entsprechend auch der Arbeitnehmer624 . Denn spiegelbildlich zu den Leistungspflichten des Arbeitgebers stehen die Pflichten des Arbeitnehmers. Den Arbeitnehmer hier dem Arbeitgeber gleichzustellen, drängt sich geradezu auf, wenn man bedenkt, daß sich Mitbestimmung im Grundsatz zunächst einmal ohnehin gegen die Freiheit des Arbeitgebers wendet, nicht jedoch - abgesehen von den schon erwähnten, lediglich reflexhaften Wirkungen - gegen die des Arbeitnehmers. Mitbestimmung soll dem Arbeitnehmer - und zwar dem einzelnen - dienen und deshalb den Arbeitgeber in seinen Gestaltungsmöglichkeiten beschneiden. Es ist nicht nachvollziehbar, daß der Arbeitgeber als eigentlicher Adressat der Mitbestimmung stärker vor ihr zu schützen sein soll, als der Arbeitnehmer, der an sich durch Mitbestimmung Begünstigte. Hinzu kommt, daß die Freiheit des einzelnen Arbeitnehmers in den meisten Fällen ohnehin "schützenswerter" ist, als die des Arbeitgebers, da es hier um berufliche Freiheit geht. Berufliche Freiheit ist eine besondere Ausprägung des Grundrechts der freien Entfaltung der Persönlichkeit, die eng auf die Würde und die Verwirklichung der Person bezogen

Wiese, in: GK-BetrVG, § 87 Rnz. 126 ff. Wiese, in: GK-BetrVG, § 87 Rnz. 34 ff.; M. Starck, Leistungspflichten, S. 25 ff. 622 St. Rspr.; vgl. BAG, AP Nm. 1,3 zu § 87 BetrVG - Werkmietwohnungen; AP Nm. I, 2, 3, 4 zu § 87 BetrVG 1972 - Altersversorgung. 623 Vgl. nochmals Wiese, in: GK-BetrVG, § 87 Rnz. 34 ff. 624 Darauf weist nur M. Starck hin, Leistungspflichten, S. 77, 78 f. Zur Gleichheit von Arbeitgeber und Arbeitnehmer allg. bereits HofJmann-Riem, FS H.P. Ipsen, S. 385, 390 f. sowie Häberle, JZ 1984, 345, 351. 620 621

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ist625 . Dieser personale Grundzug des Art. 12 Abs. 1 GG fehlt jedoch in der Regel bei größeren Unternehmen, den in der Rechtspraxis bedeutsamen Arbeitgebern626 • 3. Das rechtliche Gleichheitsproblem Der allgemeine Gleichheitssatz in seiner ursprünglichen Bedeutung wendet sich zunächst an die rechtsanwendenden Organe und verlangt, Gleichheit vor dem Gesetz zu gewährleisten, das Recht gleichmäßig anzuwenden627 . Den Weg dazu öffnet, wie hier praktiziert, die objektiv-teleologische Auslegung, innerhalb derer bei der Bestimmung der objektiven Zwecke des Gesetzes dem Verfassungs gebot der Rechtsanwendungsgleichheit genüge getan werden kann628 . Denkt man eine lediglich die Unternehmerfreiheit schonende Auslegung der Mitbestimmungstatbestände konsequent zu Ende, so werden die Arbeitnehmer ungleich behandelt: ihre Selbstbestimmung hat nicht die Funktion, dem Verändern ihrer Leistungspflichten durch Mitbestimmung Grenzen zu setzen. Diese Ungleichbehandlung wäre fiir Art. 3 Abs. 1 GG relevant, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Hinblick auf die zu überprüfende Rechtsfolgenanordnung vergleichbar wären629 • Das ist der Fall: die gleichheitsrechtliche Vergleichbarkeit folgt hier daraus, daß Arbeitgeber und Arbeitnehmer im betrieblichen Arbeitsprozeß beide ihre Berufsfreiheit betätigen, sich freiheitlich selbstverwirklichen. Der eine, indem er ein Unternehmen gründet und betreibt63o, der andere, indem er arbeitsteilig an der Erstellung von Gütern und

625 BVerfGE 7, 377, 398 f; 54, 301, 322; Wendt, DÖV 1984,601 f.; Hufen, NJW 1994,2913,2914; H.-P. Schneider, VVDStRL 43 (1985), S. 7, 15; Häberle, JZ 1984, 345, 351; Badura, FS HerscheJ, S. 21, 23 ("Das Grundrecht der Berufsfreiheit muß ... zum zentralen Grundrecht der persönlichen Lebensftihrung werden .... "). 626 BVerfGE 50, 290, 362; Benda, FS Stingl, S. 35,43; Badura, FS Herschel, S. 21, 25 f. (" ... die Untemehmenstätigkeit ... größerer Unternehmen [sieht sich] in eine schwächere Position verwiesen .... "). 627 ehr. Starck, in: v. MangoldtIKleiniStarck, GG, Art. 3 Rnz. 190; Schoch, DVBI. 1988,863,868,873. 628 Larenz, Methodenlehre, S. 333 f, 344. 629 Wendt, NVwZ 1988, 778, 782. Zur Problematik der Vergleichsgruppenbildung Robbers, DÖV 1988, 749, 751; Schoch, DVBI. 1988,863,873 f. 630 Papier, NJW 1987,988,994; Ossenbühl, AöR 115 (1990),1,3,5 ff

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Teil 3: Die Legitimation von Eingriffen

Leistungen mitwirkt631 • Selbständige wie unselbständige Berufsausübung sind gleichwertig. Beschränkungen abhängiger Arbeit sind prinzipiell nicht anders zu beurteilen, als diejenigen der selbständigen Erwerbstätigkeit632 . Diese Ungleichbehandlung verstieße nicht gegen Art. 3 Abs. I GG, wenn es trotz der Vergleichbarkeit von Arbeitgebern und Arbeitnehmern zwischen diesen beiden Gruppen von Nonnadressaten Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht gäbe, daß sie diese ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten633 • Mit diesem Maßstab wendet sich der Gleichheitssatz zunächst einmal an den Gesetzgeber. Er gilt aber auch fiir die Gerichte, da diese im Wege der Auslegung gesetzlicher Vorschriften nicht zu Differenzierungen gelangen dürfen, wie sie dem Gesetzgeber verwehrt sind634 . Hierbei ist der Gleichheitssatz "bereichsspezifisch" anzuwenden635 • Dies bedeutet, daß die Frage, ob und inwieweit bestehende Verschiedenheiten zum Anknüpfungspunkt einer Ungleichbehandlung gemacht werden dürfen, nicht nur von Grund, Zweck und den Auswirkungen der Regelung, sondern auch von der Eigenart des betroffenen Sachbereichs abhängt636 . Bei ihrer Beantwortung ist allerdings die verfassungs gerichtliche Kontrolldichte zurückgenommen, was nicht nur für die Kontrolle des Gesetzgebers, sondern auch die der Gerichte gilt. Letzteren kommt zwar nicht wie dem Gesetzgeber bei der Auswahl der Differenzierungskriterien eine Einschätzungsprärogative zu; da aber das Bundesverfassungsgericht nicht die Funktion einer "Superrevisionsinstanz" hat, ist nicht schon jede fehlerhafte und damit sofort gleichheitssatzwidrige Gesetzesanwendung für einen verfassungsrechtlich relevanten Verstoß gegen den Gleichheitssatz hinreichend. Vielmehr ist ein "spezifischer Verfassungsverstoß" erforderlich637 . Bei diesen Maßstäben

631 Hoffmann-Riem, FS H.P. Ipsen, S. 385, 400; Häberle, JZ 1984,345,350 ff.; H.P. Schneider, VVDStRL 43 (1985), S. 7, 14; Lecheier, VVDStRL 43 (1985), S. 48, 64; Papier, DVBI. 1984, 801. Vgl. auch BVerfDE 5, 9, 12 (Vergleichbarkeit von Lehrherr und Lehrling in der Frage der Beurteilung von Vertragsverletzungen sei zu bejahen). 632 Wendt, DÖV 1984, 60 I, 606; Hege, Das Grundrecht der Berufsfreiheit, S. 13 f. 633 BVerfGE 55, 72, 88 (sog. "neue Formel") u. st. Rspr.; vgl. dazu Herzog, in: MaunzIDürig, GG, Art. 3 Anh. Rnz. 6. 634 BVerfGE 58, 369, 374 f.; 74,129,149; 84,197,199. 635 BVerfDE 75, 108, 157; 76, 256, 329; 78, 249, 287. 636 BVerfGE 63, 255, 262; Wendt, NVwZ 1988,778,782. 637 BVerfGE 18,85,92 f.; Herzog, in: MaunzlDürig, GG, Art. 3 Anh. Rnz. 17 f.

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genügt fiir Art. 3 Abs. 1 GG nicht, daß ein Urteil Rechtsfehler enthält, sondern es muß sich der Schluß aufdrängen, daß das Urteil auf sachfremden Erwägungen beruht638 • Einen solchen spezifischen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG durch die Rechtsprechung stellt es jedoch dar, wenn der Richter die vom Gesetzgeber gewählte Sachgesetzlichkeit, bzw. den im Gesetz selbst zum Ausdruck gebrachten Systemgedanken mißachtet639 • Art. 3 Abs. 1 GG ist zwar kein generelles Systemerhaltungsgebot zu entnehmen, so daß nicht schon jede Systemwidrigkeit automatisch einen Gleichheitsverstoß darstellte 64o • Der Verstoß gegen das vom Gesetzgeber geschaffene System indiziert jedoch eine Verletzung des Gleichheitssatzes, sofern dieser nicht auf Gründe gestützt werden kann, die ihrerseits einer Prüfung am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG standhalten64l . Selbst wenn man nicht sagen kann, daß dem Gesetzgeber im Arbeitsrecht allgemein und im Betriebsverfassungsrecht speziell, eine einheitliche und konzeptionelle Systemvorstellung vor Augen gestanden hat642, wird man jedenfalls für den hier interessierenden Zusammenhang immerhin einen zentralen Systemgedanken ausmachen können: Mitbestimmung richtet sich gegen Gestaltungsbefugnisse des Arbeitgebers, nicht gegen die des Arbeitnehrners643 . Eine Auslegung, die lediglich die Freiheit des Arbeitgebers und nicht auch die des

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BVerfGE 3, 1 ,6 f

ehr. Starck, in: v. MangoldtIK.leiniStarck, GG, Art. 3 Rnz. 190. Wendt, NVwZ 1988,778,783. 641 Wendt, NVwZ 1988, 778, 783. 642 Vgl. dazu § 10 A III 3, S. 235 ff 643 BAGE 50,85,90; 68,127,134,136; SAE 1990,18,20 f; AP Nr. 14 zu § 87 BetrVG 1972 - Ordnung des Betriebes; BVerwGE 90, 304, 307 f.; Bericht der Mitbestimmungskommission, BT-Drucks. VI/334, S. 59; Nikisch, Arbeitsrecht III, S. 57 f.; Weitnauer, FS Duden, S. 705, 708; Söllner, RdA 1968, 437; ders., Einseitige Leistungsbestimmung, S. 13,66 f., 116 f.; ders., Die Änderung von Arbeitsbedingungen, S. 13,27; Brosette, ZfA 1992,379,412; Richardi, FG v. Lübtow, S. 755, 760, 762, 779; ders., ZfA 1990, 211, 236; Galperin, FS Molitor, S. 143, 150; FittinglKaiserlHeitheriEngels, BetrVG, § 87 Rnz. 26; Hess, in: HessiSchlochauer/Glaubitz, BetrVG, § 87 Rnz. 1; Lieb, Arbeitsrecht, S. 211, 235; K.-P. Martens, RdA 1983,217,219; LöwischiRieble, EzA Nr. 11 zu § 87 BetrVG; Loritz, ZfA 1991, I, 22; Pleyer, Anm. zu § 87 BetrVG 1972 Nr. 6 - Auszahlung; ZöllnerlLoritz, Arbeitsrecht, S. 512 f; Waltermann, Rechtsetzung durch Betriebsvereinbarung zwischen Privatautonomie und Tarifautonomie, S. 178; ders., NZA 1993, 679, 681; E.R. Huber, Grundgesetz und wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 36. 639

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Teil 3: Die Legitimation von Eingriffen

Arbeitnehmers zu schonen sucht, verstieße gegen diese vom Gesetzgeber selbst gewählte Sachgesetzlichkeit. Rechtfertigungsgrunde, die ihrerseits Art. 3 Abs. 1 GG genügen, sind hierfiir nicht ersichtlich. Der Unterschied zwischen den Vergleichsgruppen Arbeitgeber und Arbeitnehmer in der Risikotragung bezüglich eingesetzten Kapitals und persönlicher Haftung 644 , der in der Frage der Unternehmensrnitbestinunmung stets hervorgehoben wird, reicht nicht hin. Ob diese Sicht dort zutreffend ist, muß hier nicht abschließend entschieden werden. Erwähnt sei aber, daß gegen sie Einwände erhoben wurden645 . Sie stelle die Risikofrage zu einseitig, da sie diese ausschließlich auf das Kapitalrisiko beziehe. Außer acht gelassen werde, daß die Rechtsordnung Gestaltungsmöglichkeiten enthält, dieses Risiko abzuschwächen. Denke man an den Extremfall des wirtschaftlichen Ruins, so schlüge das Risiko arbeitsteiligen Zusammenwirkens faktisch nicht geringer auf die Arbeitnehmer durch, als auf die Inhaber des Unternehmens. Zudem vermag diese Betrachtungsweise Mitbestimmung nur unter dem Aspekt der Außenaktivität des Unternehmens zu erfassen, in dem es sie an das marktbezogene Haftungsrisiko ankoppele. Mitbestimmung sei jedoch nicht allein ein Problem der Kapitalverwertung, bzw. der Verlustverteilung, sondern - zumindest auch - der Abstimmung im Unternehmen vertretener Interessen. Wie immer man diese Unterschiede bei der Frage der Unternehmensrnitbestimmung auch bewerten mag, eine Ungleichbehandlung bei der Begrundung von Leistungspflichten durch betriebliche Mitbestimmung vermögen sie nicht zu rechtfertigen. Es dürfen nur solche bestehenden Verschiedenheiten zum Anknüpfungspunkt einer Differenzierung genommen werden, die einen sachlichen Bezug zu der Ungleichbehandlung aufweisen. Zwischen Risikotragung des Arbeitgebers, verstanden als Kapital und Haftungsrisiko im Außenverhältnis, und freiheitsbeschneidender Wirkungen betrieblicher Mitbestimmung im Innenverhältnis besteht jedoch kein Zusammenhang. Eine etwa auch bei der Frage des inneren Zusammenhangs zuruckgenommene verfassungsrechtliche Kontrolldichte vermag hieran nichts zu ändern. Denn immerhin gilt, daß dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der Anwendung des Gleichheitssatzes dort engere Grenzen gezogen sind, wo es um Auswirkungen auf die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Freiheit der be-

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Papier, WDStRL 35 (1977), S. 55, 91 ff. und LS 10-12. HojJmann-Riem, FS H.P. Ipsen, S. 385,404, dort auch m.w.N.

Kapitel 2: Der Nachweis einer Eingriffsgrundlage

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ruflichen Tätigkeit geht6"6. Aus den genanten Gründen gilt dies für die richterliche Bindung an den Gleichheitssatz entsprechend647 . Nach hiesiger Ansicht spricht somit einiges dafür, daß die von Wiese vorgeschlagene Differenzierung gegen den Gleichheitssatz verstößt. Aber auch wenn man die hier kritisierte Ungleichbehandlung noch nicht als einen verfassungsrechtlich erheblichen Fehler bei der Anwendung materiellen Rechts ansieht648 , sei daran erinnert, daß es jedenfalls Ziel objektiv-teleologischer Auslegung ist, das unterschiedliche Gewichten wertungsmäßig gleichliegender Tatbestände zu vermeiden649 . Hält man den Schutz der Unternehmerfreiheit aber für richtig, so darf der dem Unternehmer zugesprochenen Schutz den Arbeitnehmern nicht versagt werden. Tut man dies doch, so ist die Teilhabelehre - neben den oben vorgetragenen Bedenken - außerdem noch wegen eines Verstoßes gegen den Gleichheitssatz, bzw. das objektiv-teleologische Gebot der Gleichbehandlung von Gleichartigem abzulehnen65o . Diese ungleiche Gewichtung sei erläutert an zwei Beispielen: dem Umstellen von barer auf bargeldlose Lohnzahlung (a) und dem Einführen von Kurzarbeit (b). 4. Beispiele

a) Das Umstellen von barer auf bargeldlose Lohnzahlung Es gilt als anerkannt, daß unter der Alternative ,,Art der Auszahlung der Arbeitsentgelte" des § 87 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG die bare Lohnzahlung auf bargeldlose umgestellt werden kann651 . Schließen Arbeitgeber und Betriebsrat hierüber eine entsprechende Betriebsvereinbarung, so ist der Arbeitgeber berechtigt,

646 BVerfGE 62, 256, 274. 647 BVerfGE 58, 369, 374 f.; 74,129,149; 84,197,199. 648 Zumal die genannten restriktiven Formeln über ihren verfahrensrechtlichen Ursprung hinausweisen und sich der Sache nach zu materiellen Grundsätzen des Verfassungsrechts ausgewachsen haben, Herzog, in: Maunz)Dürig, GG, Art. 3 Anh. Rnz. 18. 649 Larenz, Methodenlehre, S. 334; Zippelius, Methodenlehre, S. 13. 650 Larenz, Methodenlehre, S. 334, 344; Canaris, FS Kitagawa, S. 59,61. 651 BAGE 29, 40, 43 f.; AP Nr. 6 zu § 87 BetrVG 1972 - Auszahlung; Dietz/ Richardi, BetrVG, § 87 Rnz. 280; Fitting/Kaiser/Heither/Engels, BetrVG, § 87 Rnz. 146.

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Teil 3: Die Legitimation von Eingriffen

abweichend vom Grundsatz der baren Auszahlung des Lohnes 652 , diesen auf ein bestehendes Konto des Arbeitnehmers zu überweisen. Dies gilt als unproblematisch653 • Jenseits dieses einmütig als unproblematisch angesehenen Bereichs werden allerdings zwei Fragen kontrovers diskutiert: zum einen, ob die Mitbestimmung sich auch auf die mit dem Überweisungsvorgang zusammenhängenden Kosten erstreckt (Überweisungs-, Abhebungs- und Kontoführungsgrundgebühr) und zum anderen, ob ein Arbeitnehmer, der kein Konto unterhält, verpflichtet wird, eines einzurichten. Das Bundesarbeitsgericht bejaht beide Fragen654 . Der Betriebsrat habe auch über die Frage der Kosten mitzubestimmen und ein Arbeitnehmer, der noch kein Konto unterhalte, habe gegebenenfalls eines einzurichten. Für den Arbeitnehmer ergäben sich hieraus keine Belastungen, da der Betriebsrat sein Mitbestinunungsrecht nur dahingehend ausüben könne, daß der einzelne sein Entgelt ungeschmälert erhalte. Der Umfang des Mitbestimmungsrechts decke sich mit der einzelvertraglichen Rechtsposition des Arbeitnehmers. Nach Zivilrecht habe aber der Arbeitgeber die Kosten der Überweisung, der einmaligen AbheHadding, Anm. zu BAG, AP Nr. 1 zu § 36 BAT. Bei näherem Hinsehen zeigt sich aber, daß - zusätzlich zu der sogleich zu behandelnden Gleichheitsproblematik - bereits das Umstellen der Zahlungsweise als solche für den einzelnen von Nachteil ist und folglich nach hiesiger Terminologie einen Eingriff in dessen Rechtsstellung darstellt. So hat er ab jetzt zusätzlich das Risiko einer Zahlungsunfahigkeit seiner Bank, die Gefahr, daß seinem Anspruch gegen das Kreditinstitut Einreden und Einwendungen entgegengesetzt werden können sowie die erhöhte Gefahr der Pfandung von Buchgeld gegenüber der von Sachgeld zu tragen, Hadding, Anm. zu BAG, AP Nr. 1 zu § 36 BAT, wenngleich in der Praxis i.d.R. auf das Arbeitseinkommen üblicherweise durch Pfandung der Gehaltsforderung gegen den Arbeitgeber zugegriffen wird. Wird ihm der Lohn bar ausgezahlt, steht er sich besser. Man muß sich daher fragen, ob es nicht bereits auch hier einer anderweitigen Ermächtigung des Arbeitgebers bedarf, aufgrund derer er auf unbare Lohnzahlung übergehen kann. Daß sich mit den Worten "mitbestimmen über die Art der Auszahlung der Arbeitsentgelte" die Befugnis für den Arbeitgeber verbirgt, abweichend von der baren Lohnzahlung via Einigungsstelle (§§ 87 Abs. 2, 76 Abs. 5 BetrVG) auf die unbare umzustellen, ist mehr eine auf der These der neuen Zuständigkeitsordnung aufbauende petitio principi, denn eine sachliche Begründung. Sofern Rationalisierungs- und Effektivitätsüberlegungen dahinterstehen, wird auf sie eigens eingegangen. Nach hier vertretener Ansicht ist bereits die Zulässigkeit der Umstellung als solche zweifelhaft und, weil belastend, konsequenterweise abzulehnen. Der Übergang von barer zur bargeldloser Zahlung ist damit nur bei Vorhandensein einer anderweitigen Rechtsgrundlage oder per Änderungskündigung möglich. 654 BAGE 29, 40, 45. 652

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Kapitel 2: Der Nachweis einer Eingriffsgrundlage

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bung sowie die der Kontoführung zu tragen, so daß ihm die zwangsläufig mit der Überweisung anfallenden Gebühren aufzuerlegen seien. Hinzukomme, daß durch Überweisungen regelmäßig Kosten anfallen und sich die Frage der Einführung bargeldloser Zahlung von der nach der Tragung der Kosten nicht trennen lasse. Dies stimmt bedenklich. Der in der Kostenfrage letztlich maßgebende Gedanke der materiellen Annexkompetenz655 , wonach die eine Frage nicht sinnvoll ohne die andere geregelt werden könne, überzeugt nicht. So braucht bei der Umstellung auf bargeldlose Lohnzahlung jedenfalls über Kontofiihrungsgebühren nicht mitentschieden zu werden, wenn man hierin lediglich die Ermächtigung des Arbeitgebers sieht, den Lohn auf ein schon bestehendes Konto des Arbeitnehmers zu überweisen. Hat ein Arbeitnehmer dagegen kein Konto, hätte es dann dabei zu bleiben, daß der Arbeitgeber ihm den Lohn bar auszuzahlen hätte 656 . Notwendig über die bezeichneten Kosten mitzubestimmen ist vielmehr nur dann, wenn die Mitbestimmung über die Frage der Umstellung auf bargeldlose Zahlung für den Arbeitnehmer die Pflicht begründet, ein Konto einzurichten657 . Die Frage heißt also nicht, ob § 87 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG ein Mitbestimmungsrecht über die Frage der Kontoführungsgebühren begründet, sondern: ergibt sich aus der Einführung bargeldloser Lohnzahlung die Pflicht, auch ein Konto einzurichten?658 Ist dies der Fall, wird mit der Umstellung auf bargeldlose Lohnzahlung automatisch und immer auch über die Kontoführungsgebühren mitenschieden. Denn auch wenn keine ausdrückliche Regelung der Kostenfrage getroffen wird, wird über sie gleichwohl entschieden und zwar in der Weise, daß sie automatisch der Arbeitnehmer zu tragen hätte 659 .

655 Das Bundesarbeitsgericht beruft sich auf diesen Gedanken ausdrücklich und zitiert P. Hanau, RdA 1973, 281, 283. 656 Wiese, in: GK-BetrVG, § 87 Rnz. 380. 657 WiedemanniMoll, Anm. zu BAG, AP Nr. 1 zu § 87 BetrVG - Auszahlung. 658 Die Mehrzahl der Bundesbürger wickelt ihren Zahlungsverkehr bargeldlos ab und verfUgt dementsprechend über ein Konto, so daß diese Frage bei ihnen von keiner allzu großen praktischen Bedeutung ist. Sie spielt aber eine Rolle bei den - immer mehr zunehmenden - Grenzgängern. Da diese Frage zudem ein al1gemeines Problems aufwirft, sol1 sie beispielhaft erörtert werden. 659 WiedemanniMoll, Anm. zu BAG, AP Nr. 1 zu § 87 BetrVG - Auszahlung.

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Teil 3: Die Legitimation von Eingriffen

Das Bundesarbeitsgericht bejaht die oben gestellte Frage und hält sein Ergebnis unter dem Gesichtspunkt des Arbeitnehmerschutzes fiir unbedenklich. Es stellt ab auf die Überlegung, daß der Betriebsrat sein Mitbestimmungsrecht nur so ausüben könne, daß der Arbeitnehmer entsprechend der zivilrechtlichen Situation sein Gehalt ungeschmälert erhalten müsse, weswegen folglich der Arbeitgeber alle Kosten zu tragen habe. Dieser Ansatz ist problematisch660, da seine zivilrechtlichen Prämissen nicht frei von Zweifeln sind. Nach allgemeinem Schuldrecht hat der Geldschuldner die Kosten der Übermittlung des Geldes zu tragen (§ 270 Abs. 1 BGB). Zu den Übermittlungskosten gehören aber nur die Kosten der Überweisung, nicht mehr die des Abhebens oder der Kontofiihrung 661 • Der Geldschuldner hat nur dafiir zu sorgen, daß der geschuldete Betrag ungeschmälert bei seinem Gläubiger ankommt. Dies ist aber schon dann der Fall, wenn der Arbeitgeber die Überweisungsgebühr übernimmt, da der Arbeitnehmer dann Verfiigungsgewalt über die volle Summe erlangt. Die Abhebungs- und Kontofiihrungsgrundgebühren kann man mit diesem Argument also gerade nicht erfassen, so daß es nach allgemeinem Schuldrecht keinen Grund gibt, warum die Kosten der Kontofiihrung sowie der Abhebung notwendig der Arbeitgeber zu tragen hätte. Um zu entscheiden, wer sie dann zu tragen hat, müßte der Grundsatz aktiviert werden, daß durch Mitbestimmung verursachte Kosten von dem zu tragen sind, in dessen Sphäre sie anfallen662 . Da es bei den Kosten der Kontofiihrung sowie denen der Abhebung nicht um zusätzliche betriebliche Kosten663 , sondern um Auf-

660 Abgesehen von den grundsätzlichen Bedenken, die sich aus einer Aufbürdung der mit einer Überweisung verbundenen Nachteile via Mitbestimmung ergeben, siehe dazu oben Fußnote 653. 661 OVG Bremen, ZBR 76, 90; BAG, AP Nr. I zu § 36 BAT mit insoweit zust. Anm. Hadding = BAG, AP NT. 1 zu § 1 TVG - Arbeitsentgelt mit zust. Anm. Wiedemann; BVerwG, AP Nr. 88 zu § 611 - Fürsorgepflicht; Heinrichs, in: Palandt, BGB, § 270 Rnz. 11. Das Bundesarbeitsgericht in BAG, AP Nr. 135 zu § 1 TVG - Auslegung sowie Pleyer in seiner Anmerkung zu § 87 BetrVG 1972 Nr. 6 - Auszahlung stützen die Kostentragungspflicht des Arbeitgebers auf eine Auslegung des die bargeldlose Lohnzahlung anordnenden Tarifvertrages und lassen die Norm des § 270 BGB ausdrücklich dahingestellt. 662 BAG, SAE 94, 317; Wiese, in: GK-BetrVG, § 87 Rnz. 36; M. Starck, Leistungspflichten, S. 38 f. 663 Die der Arbeitgeber zu tragen hätte, BAG, AP Nr. 1 zu § 87 BetrVG 1972 Vorschlagswesen.

Kapitel 2: Der Nachweis einer Eingriffsgrundlage

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wendungen in der Sphäre des Arbeitnehmers geht664, hat dieser sie zu tragen. Folglich bedeutete die Einführung unbarer Lohnzahlung durch Mitbestimmung für den Arbeitnehmer die Begründung materieller Belastungen, sie griffe in

seine Freiheit ein. Sollen Belastungen beider Seiten aber gleich gemessen werden, müßte auch der Arbeitnehmer entsprechend von derartigen Kosten verschont werden. Durch das Umstellen von barer auf bargeldlose Zahlweise wird der Arbeitgeber daher lediglich ermächtigt, auf ein schon bestehendes Konto des Arbeitnehmers zu überweisen. Ein Arbeitnehmer, der kein Konto hat, muß seinen Lohn demgegenüber weiter bar ausgezahlt erhalten665 . b) Die Einführung von Kurzarbeit Ein anderes Beispiel für das ungleiche Behandeln von Arbeitgeber und Arbeitnehmer ist die Einführung von Kurz-, bzw. Mehrarbeit. Hier soll nach Meinung vieler dem Betriebsrat kein Initiativrecht zustehen, Kurz-, aber auch Mehrarbeit im Betrieb einzuführen, etwa um eventuell vorangegangene Lohnausfälle der Arbeitnehmer auszugleichen666 . Dies wäre Mitbestimmung über den Umfang der Produktion und damit über einen Gegenstand der untemeh-

664 Insofern liegt der Fall auch anders als der betreffend Kosten einer betrieblichen Kleiderordnung, die das Bundesarbeitsgericht in SAE 1994, 316, 317 zutreffend der Sphäre des Arbeitgebers zugewiesen hat, ehr. Weber, SAE 1994, 319, 320. Die im Hinblick auf die Kontoftihrungsgebühren gegensätzliche Argumentation W. Blomeyers zu LAG Düsseldorf, EzA § 87 BetrVG Nr. I Lohn u. ArbeitsentgeIt mit der Steuerfreiheit von Erstattungen der Kontoftihrungsgebühren durch den Arbeitgeber als Auslagenersatz nach § 3 Nr. 50 EStG (so noch BMWF-Erlaß v. 5.4.1972, DStR 1972, 313 sowie BMWF-Schreiben vom 22.\0.1973, DStR 1973,727 f. [wirtschaftliches Interesse des Arbeitgebers]), trifft nicht mehr zu (dagegen schon BVerwG, AP Nr. 88 zu § 611 BGB - Fürsorgepflicht). Die Finanzverwaltung erfaßt die Erstattung von Kontoftihrungsgebühren heute als steuerpflichtigen Werbungskostenersatz und verweist sie damit als Arbeitslohn in die Sphäre des Arbeitnehmers, Abschnitt 70 Abs. 2 Nr. 13 LStR 1990 u. OjJerhaus, BB 1990, 2017, 2022. Aufgrund der unterschiedlichen Teleologie der beiden Rechtsgebiete ist gegenüber steuerrechtlichen Argumenten im Arbeitsrecht i.ü. ohnehin Vorsicht geboten, vgl. v. Bornhaupt, StuW 1990, 46, 53 zum umgekehrten Fall. 665 Wiese, in: GK-BetrVG, 87 Rnz. 380; M. Starck, Leistungspflichten, S. 46 ff., S.92. 666 Boewer, DB 73, 522; Wiese, in: GK-BetrVG, 87 Rnz. 318 f.; DietziRichardi, BetrVG, § 87 Rnz. 249.

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Teil 3: Die Legitimation von Eingriffen

merischen Entscheidung. Betriebliche Mitbestimmung sei jedoch nur bezogen auf die Modalitäten der Durchführung einer betrieblichen Maßnahme, so daß diese Entscheidungen von ihr freizuhalten seien Ganz anders werden demgegenüber die Dinge bei den Arbeitnehmern gesehen. Dort heißt es, § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG beinhalte eine eigenständige Ermächtigungsgrundlage zur Einführung von Kurzarbeit6 67 . Dadurch wird aber i.E. der Umfang der Leistungspflicht des Arbeitnehmers unmittelbar der betrieblichen Mitbestimmung unterworfen. Einen Grund für diese Differenzierung gibt es nicht. Daß § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG nur eine vorübergehende Verlängerung, bzw. Verkürzung anordnet, mag zwar für sich gesehen dafür sprechen, wegen der Geringfügigkeit des Eingriffs den Betriebspartnern eine originäre Eingriffsbefugnis zuzuweisen. Nur: eine Differenzierung zwischen der Eingriffsbefugnis in die Rechte des Arbeitgebers einerseits, die der Arbeitnehmer andererseits, vermag dies nicht zu rechtfertigen, da der vorübergehende Charakter der Maßnahme dem Arbeitgeber ebenso zugute käme. Die Differenzierung überzeugt vor allem auch dann nicht, wenn man sich den Grundsatz in Erinnerung ruft, daß Beschränkungen der abhängigen Arbeit nicht anders zu beurteilen sind, als die der selbständigen Erwerbstätigkeit668 . Denn soll dort das "ob" unternehmerischer Tätigkeit mitbestimmungsfrei, das "wie" demgegenüber mitbestimmt sein, so ist nicht einzusehen, warum aus der Perspektive des Arbeitnehmers das "ob" der Einführung von Kurzarbeit seine Grundlage originär in der Mitbestimmung fmden, diese also auch hier nicht lediglich auf das "wie", die konkrete zeitliche Lage, bezogen sein soll. Denn allgemein gilt, daß der Inhalt des rechtsgeschäftlichen Leistungsversprechens mitbestimmungsfrei zu bleiben habe 669 • Kern des rechtsgeschäftlichen Lei-

667 BAG, AP Nr. 9 BetrVG 1972 § 87 - Arbeitszeit; EzA § I LohnfortzG Nr. 71; P. Hanau, RdA 1973,281,282; ders., Gern. Anm. zu AP Nm. 4 und 6 zu § 77 BetrVG, BI. 438; H. Hanau, Individualautonomie und Mitbestimmung, S. 143 f. i.V.m. S. 130; Richardi, ZfA 1992,307,315 Fn. 25; ders., Betriebsverfassungsrechtliche Mitbestimmung, S. 21 f.; M. Starck, Leistungspflichten, S. 88; DietzlRichardi, BetrVG, § 87 Rnz. 259; Jene, Kurzarbeit, S. 306 ff.; Farthmann, RdA 1974,65,69 f.; v. Stebut, RdA 1974, 332,337 ff.; Wiese, in: GK-BetrVG, § 87 Rnz. 313. 668 Wendt, DÖV 1984,599,606. 669 Richardi, ZfA 1990,211,235 ff.; ders., ZfA 1992,307,325 f. Richardi hält die Einftihrung von Kurzarbeit aufgrund einer Betriebsvereinbarung auf der Basis von § 87 Abs. I Nr. 3 BetrVG jedoch ftir zulässig, ZfA 1992,307,314 f. Fn. 25.

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stungsversprechens ist aber das Festlegen des Inhalts der Leistungspflicht, hier der zeitliche Umfang der Arbeitspflicht. Was für den Arbeitgeber die unternehmerische Freiheit ist, ist für den Arbeitnehmer die individuelle Selbstbestimmung über seine im Synallagma stehende Leistungspflicht. Soll der Arbeitnehmerseite aber über den Betriebsrat kein Mitbestimmungsrecht zustehen, so verstößt es gegen Art. 3 Abs. 1 GG, wenn der Arbeitgeber ohne eine individualrechtliche Grundlage Kurzarbeit einfUhren darf. Damit ist die Lehre von der neuen Zuständigkeitsordnung auch wegen eines Verstoßes gegen den Gleichheitssatz abzulehnen. IV. Zwischenergebnis

Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, daß Eingriffsbefugnisse nicht mit Hilfe eines Teilhabezwecks begründet werden können. Ein solcher Zweck läßt sich jedenfalls mit den ihm hier zugesprochenen Wirkungen weder aus dem Willen des Gesetzgebers noch aus objektiv-teleologischen Überlegungen ableiten. Das gilt zunächst einmal für das Argument, die Norm bezwecke eigenständig, die individualvertraglichen Ausweichmöglichkeiten des Arbeitgebers einzuschränken; dies ist schlicht nicht der Fall, da es hier nur um das Problem der Abwehr einer Gesetzesumgehung geht. Aber auch durch das Initiativrecht des Betriebsrats wird ein solcher Teilhabezweck nicht bestätigt. Der Gedanke betrieblicher Demokratie gibt hier ebenfalls keine Rechtfertigung ab. Eine wie immer geartete Demokratisierung der Gesellschaft ist kein Gebot der Verfassung, sondern liegt in der politischer Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers. Dabei verbietet das Grundgesetz eine totale Erstreckung des demokratischen Prinzips auf die Gesellschaft, da dies das Ende individueller Freiheit bedeutete. Ein Teilhabezweck mit der beschriebenen neuen Zuständigkeitsordnung ergibt sich aber auch nicht aus dem Gebot der Achtung der Menschenwürde. Eine Befreiung des einzelnen aus seiner Objektrolle durch nicht vom ihm selbst, sondern aus seiner Perspektive lediglich mittelbar durch die betriebliche Interessenvertretung wahrzunehmende Beteiligungsrechte ist in den Fällen, m denen es sonst auf seine Zustimmung ankommt, nicht zu begründen.

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Teil 3: Die Legitimation von Eingriffen

Aus allseitiger Mitentscheidung kann keine grundrechtskonstituierende Wirkung hervorgehen. Grundrechte gewährleisten für den einzelnen freiheitliche Selbstbestimmung in seiner Individualität. Individualfreiheit ist aber das NichtAbstimmbare, unterliegt nicht dem Mehrheitsprinzip. Hält man den Grundsatz der Mitbestimmungsfreiheit unternehmerischer Entscheidungen für richtig, verstieße eine solche Auslegung zudem gegen Art. 3 Abs. 1 GG, da Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Hinblick auf den Schutz vor den Folgen von Mitbestimmung verschieden behandelt werden sollen.

D. Weitere Lehrmeinungen zur Begründung von Eingriffsbefugnissen im Rahmen des § 87 BetrVG Um die Frage nach Belastungsbefugnissen als Folge von Mitbestimmung in den Angelegenheiten des § 87 BetrVG abschließend beantworten zu können, sind hier noch die weiteren Lehrmeinungen zu erörtern, die dieser Norm mit anderen Begründungen Eingriffsbefugnisse entnehmen möchten. Denn nicht nur mit dem Teilhabezweck versucht man Eingriffsbefugnisse im Rahmen von § 87 BetrVG zu begründen. Daneben wird zu dieser Vorschrift die Ansicht vertreten, Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten erstrecke sich auf die dazugehörigen "Annexangelegenheiten" und lasse dabei Belastungen zu (I). Weiter heißt es, Eingriffsbefugnisse im Rahmen von § 87 BetrVG seien ein Erfordernis der Praktikabilität (11). Schließlich komme der Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten eine sog. "Ausgleichsfunktion" zu, die gleichfalls Belastungen rechtfertige (III). I. Mitbestimmung über materielle Annexregelungen Einen anderen Weg, Belastungsbefugnisse der Betriebspartner durch Mitbestimmung zu begründen, ist Peter Hanau mit dem Begriff der materiellen Annexregelung gegangen670 • Aufgrund einer Einzelanalyse der in § 87 BetrVG geregelten Fälle der Mitbestimmung über materielle Angelegenheiten hat er aus der Norm zunächst den allgemeinen Grundsatz herausgearbeitet, daß der Gesetzgeber Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten immer dann, aber auch nur dann auf materielle Angelegenheiten erstreckt habe, wenn diese mit for-

670

RdA 1973,281,282 f. Vgl. dens. auch zum Folgenden.

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mellen in engem sachlichen Zusammenhang stünden. So ergänze z.B. die Mitbestimmung über die Dauer der Arbeitszeit bei der Kurzarbeit (materielle Arbeitsbedingung) die über deren Lage (formelle Arbeitsbedingung) oder die Mitbestimmung über die Geldseite von Leistungslöhnen die über deren Zeitseite. Im übrigen betrachte das BetrVG die Regelung materieller Angelegenheiten nach wie vor als Domäne der Tarifvertragsparteien. Der in den ausdrücklich geregelten Fällen ausschlaggebende enge sachliche Zusammenhang zwischen formellen und materiellen Arbeitsbedingungen bestehe jedoch nicht nur dort, sondern auch in vom Gesetz nicht ausdrücklich geregelten Fällen. Letztlich ließe sich bei allen Tatbeständen des § 87 Abs. 1 BetrVG ein enger sachlicher Zusammenhang zu materiellen Folgeregelungen aufzeigen, die als (ungeregelte) materielle Annexregelungen bezeichnet werden könnten. Als Beispiele nennt Peter Hanau etwa die Kosten von Dienstkleidung im Fall des § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG671, die Kontoführungsgebühren im Rahmen des § 87 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG oder die Frage der Vergütung brauchbarer Vorschläge im Rahmen der Mitbestimmung über Grundsätze des betrieblichen Vorschlagswesens nach § 87 Abs. 1 Nr. 12 BetrVG. Es spreche nun eine Vermutung dafür, daß sich die Mitbestimmung auf alle genannten Annexregelungen erstrecke, "weil das eine nicht sinnvoll ohne das andere entschieden werden kann". Diesen Thesen ist zu Recht entgegengehalten worden, sie vertrügen sich nicht mit dem der Norm des § 87 Abs. 1 BetrVG zugrunde liegenden Enumerationsprinzip, wonach der Gesetzgeber detailliert und erschöpfend die Reichweite der Mitbestimmung geregelt habe 672, sie verwischten die Konturen der einzelnen Mitbestimmungstatbestände673 , schufen die Gefahr nicht absehbarer Nebenleistungspflichten und erzeugten erhebliche Rechtsunsicherheit, weil schwer zu entscheiden sei, in welchen Fällen ein ausreichend enger Sachzusammenhang zwischen zwei Materien bestehe674 . All das braucht hier nicht noch einmal dargelegt zu werden.

671 Das Bundesarbeitsgericht hat es rur unzulässig erklärt, in einer Betriebsvereinbarung die Kosten der Dienstkleidung den Arbeitnehmern aufzuerlegen, SAE 1994, 316. 672 Binkert, ArbN 1977,465. 673 M. Starck, Leistungspflichten, S. 41. 674 Kreutz, Betriebsautonomie, S. 217 Fn. 96.

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Teil 3: Die Legitimation von Eingriffen

Vorliegend soll die Lehre von den Annexregelungen unter der spezifischen Fragestellung dieser Abhandlung auf ihre Überzeugungskraft untersucht werden. Hierbei ist zu beginnen mit der Analyse, die Peter Hanau zu den gesetzlich geregelten Fällen der Mitbestimmung über materielle Arbeitsbedingungen anstellt. Hier zeigt sich, daß bereits seine Grundannahmen nicht überzeugen. Peter Hanau versteht unter materieller Annexregelung nämlich nicht nur ein sachliches Erstrecken betrieblicher Mitbestimmung auf Materien, die zu den materiellen Arbeitsbedingungen zählen, sondern auch das Begründen einer Befugnis zu Eingriffen in die Rechtsstellung des einzelnen. Es geht also nicht um eine Annexkompetenz, sondern um eine darüber hinaus gehende Annexbefugnis 675 • Hier gilt aber, worauf schon an verschiedenen Stellen dieser Arbeit aufmerksam gemacht wurde, daß über materielle Arbeitsbedingungen mitbestimmt werden kann, ohne daß hiermit zugleich und originär Leistungspflichten begründet, bzw. Eingriffsbefugnisse ausgeübt werden müßten676 . Gewähren Arbeits- oder Tarifvertrag, bzw. das Landesarbeitsamt677 dem Arbeitgeber das Recht, einseitig Kurzarbeit einzufiihren, um bei diesem Beispiel zu bleiben, so kann der Betriebsrat in diesen Fällen über eine materielle Arbeitsbedingung nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG mitbestimmen, ohne daß die Änderung von Leistungspflichten in der Mitbestimmung ihren Rechtsgrund haben müßte. Die von Peter Hanau stillschweigend zugrundegelegte Prämisse, mit dem Mitbestimmungsrecht verbinde sich automatisch auch eine Eingriffsbefugnis, kann aus der Norm also nicht mit dem Argument abgeleitet werden, sie hätte sonst keinen Anwendungsfall. Die von ihm vorausgesetzte Prämisse ist vielmehr gerade die Frage, die er nicht beantwortet. Mit anderen Worten: nur weil § 87 Abs. 1 Nr. 3 sich auf materielle Arbeitsbedingungen bezieht, bedeutet dies nicht automatisch, daß sich damit auch Eingriffsbefugnisse verbinden müßten. Das Vorverständnis, das der Lehre von der Annexkompetenz zugrundeliegt, nämlich daß die Mitbestimmung über eine materielle Arbeitsbedingung automatisch eine Eingriffsbefugnis nach sich ziehe, trifft nicht zu.

675 Wenn in der arbeitsrechtlichen Literatur von Annexkompetenz die Rede ist, vgl. etwa M. Starck, Leistungspflichten, S. 39 ff., ist damit der Sache nach ebenfalls zusätzlich eine Annexbefugnis gemeint. 676 W Blomeyer, Anm. zu LAG Düsseldorf EzA § 87 BetrVG Nr. 1 Lohn u. Arbeitsentgelt. 677 § 19 KSchG.

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Die gleichen Bedenken bestehen demzufolge auch gegen die These von der Mitbestimmung über materielle Annexregelungen. Bei ihr kommt noch hinzu, daß das Argument, das eine ließe sich nicht sinnvoll ohne das andere entscheiden, einfach nicht stimmt678 • So braucht z.B. bei der Umstellung auf bargeldlose Lohnzahlung nicht über Kontofiihrungsgebühren entschieden zu werden, wenn man hierin lediglich die Berechtigung des Arbeitgebers sieht, daß dieser den Lohn auf ein bestehendes Konto des Arbeitnehmers überweisen darf, ihm den Lohn aber bar auszahlen muß, wenn dieser kein Konto hat679 . Die Lehre von der Mitbestimmung über materielle Annexregeiungen680 ist daher neben den erwähnten Gründen auch aus dem vorliegenden abzulehnen. 11. Erfordernisse der Praktikabilität?

J. Die Aussage

Weiter werden Belastungsbefugnisse als Inhalt der Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten legitimiert mit der Praktikabilität des Ergebnisses681 . Versage man den Betriebspartnern in den Angelegenheiten des § 87 Abs. 1 BetrVG die Befugnis, direkt auf die Rechtsstellung der Arbeitnehmer einzuwirken, so M Starck, Leistungspflichten, S. 42. Wiese, in: GK-BetrVG, § 87 Rnz. 380. 680 Gleiches gilt für die Lehre von der materiellen Annex,,kompetenz" von Wiedemann/Moll, Anm. zu BAG AP Nr. 1 zu § 87 BetrVG 1972 - Auszahlung. Nach Ansicht dieser Autoren bestehe eine materielle Annexkompetenz (sprich: -befugnis), wenn die mitbestimmungspflichtige Frage vorgreiflich sei für eine andere. Vorgreiflich für eine andere Angelegenheit sei eine mitbestimmungspflichtige Angelegenheit dann, wenn sie über die andere Frage in jedem Fall und notwendigerweise auch dann (mit-) entscheide, wenn sie keine Regelung über sie treffe. Träfe sie eine Regelung, werde über einen vom Mitbestimmungstatbestand bereits miterfaßten Gegenstand nur ausdrücklich entschieden. Ein Beispiel sei § 87 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG. Die Umstellung auf bargeldlose Lohnzahlung sei vorgreiflich für die Frage, wer die durch Einführung bargeldloser Lohnzahlung verursachten Kosten zu tragen habe. Denn auch wenn keine Entscheidung getroffen werde, werde über die Kostentragung mitentschieden, da sie dann der Arbeitnehmer zu tragen hätte. Ob es bei dieser Norm eine solche Vorgreiflichkeit gibt, ist jedoch wiederum gerade die Frage. Ihre Annahme steht und fällt mit der These, § 87 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG begründe für den Arbeitnehmer die Handlungspflicht, ein Konto einzurichten. Dies wurde hier abgelehnt, da § 87 Abs. 1 Nr. 4 gar nicht die Frage der Verpflichtung zur Eröffnung eines Kontos regelt. 681 BAG, AP Nr. 142 zu § 242 BGB - Ruhegehalt; Rühle, ZIP 1984,411,414 f.; P. Hanau, Anm. zu BAG AP Nm. 4 und 6 zu § 77 BetrVG 1972. 678 679

20 Müller-Franken

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Teil 3: Die Legitimation von Eingriffen

würde ein solches Auslegungsergebnis den Bedürfnissen der betrieblichen Praxis nicht gerecht682 . Die Notwendigkeit einer individualrechtlichen Legitimation, sei es durch eine vorherige Ermächtigung im Arbeitsvertrag, sei es durch dessen einverständliche nachträgliche Änderung, bzw. (Massen-) Änderungskündigung, fiihre im betrieblichen Alltag zu erheblichen organisatorischen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Es sei anzuerkennen, daß eine Reihe von Regelungen aus praktischen wie rechtlichen Gründen einheitlich sein müßten. Legte man der Mitbestimmung nicht den Einzelvertrag ändernde Wirkung bei, nähme man einigen Tatbeständen ihre eigentliche Bedeutung683 , ein solches Ergebnis gefährde die Mitbestimmung684 .

2. Stellungnahme a) Grundsätzliches zur Ergebniskontrolle Bevor zu diesen Thesen in der Sache Stellung genommen wird, soll vorab auf die methodische Zulässigkeit einer derartigen Ergebnis- oder Folgenbetrachtung eingegangen werden. Sie ist grundsätzlich zu bejahen. Dies hängt schlicht damit zusammen, daß das Recht seine Aufgabe, menschliches Zusammenleben zu ordnen685 , nicht erfüllen kann, wenn es zu Ergebnissen fUhrt, die in der Rechtswirklichkeit nicht umgesetzt werden können686. Dies stellte seine Normativität in Frage. Eine Auslegung hat daher ihr Ergebnis legitimerweise auch daraufhin zu überprüfen, ob es überhaupt realisiert werden kann oder nicht. Dabei kommt es auch nicht nur darauf an, daß überhaupt ein Anwendungsfall denkbar bleibt; verlangt werden darf darüberhinaus, daß dieses Ergebnis auch nicht "schlechthin unsinnig" ist687 oder "den Anforderungen des Gesellschaftslebens nicht gerecht wird"688.

682

Rühle, ZIP 1984,411,415.

683 So z.B. für § 87 Abs. 1 Nr. 3 Wiese, in: GK-BetrVG, § 87 Rnz. 316. 684 Jene, Kurzarbeit, S. 306. 685 Engisch, Einheit der Rechtsordnung, S. 6 f.; Haenel, Deutsches Staatsrecht I, S. 115; Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 32 f. 686 Vgl. allg. Rupp, AöR 101 (1976), 161, 162 f., wobei, um Mißverständnisse zu vermeiden, darauf hinzuweisen ist, daß die bloße "wirtschaftliche Unsinnigkeit" eines Ergebnisses kein Auslegungsargument abgibt, Jesch, JZ 1963,241, 243. 687 Vgl. dazu Schlachter, Auslegungsmethoden, S. 21 ff. Ob eine derartige Folgenbetrachtung angestellt wird unter dem Aspekt der teleologischen Auslegung, Engisch,

Kapitel 2: Der Nachweis einer Eingriffsgrundlage

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Kriterien wie "schlechthin unsinnig" oder ,,Anforderungen unseres Gesellschaftslebens" sind jedoch denkbar unbestimmt. Sie verweisen den Rechtsanwender damit notwendig auch auf sein Rechtsgefiihl689 • Um nicht auf diesem Wege dem Rechts- und Wertbewußtsein des Richters erneut zu große Freiräume zu eröffnen, setzt Ergebnisbetrachtung methodisch daher stets voraus, daß ein Entscheidungsergebnis überhaupt schon gefunden ist69o • Nicht gestattet sie, das Ergebnis einer erst noch zu leistenden Auslegung und deren Begründung vorwegzunehmen691 • Sie ist damit kein Auslegungskriterium neben anderen, sondern lediglich ein Indikator fiir die Richtigkeit eines anderweit aus dem Gesetz gewonnenen Ergebnisses692 • Muß der Rechtsanwender die oben skizzierten Fragen verneinen, so hat er den Auslegungsprozeß zu wiederholen, wobei er das Resultat seiner Ergebnisbetrachtung miteinbeziehen darf693 . Auch benötigt das Argumentieren mit der Praktikabilität eines Auslegungsergebnisses Auslegungsmaterial jenseits des Normtextes, was zu einem Zerfließen der Grenzen zur offenen Rechtsfortbildung694 und, damit einhergehend, ei-

Einführung in das juristische Denken, S. 77; Larenz, Methodenlehre, S. 333 f., der Einzelfallgerechtigkeit als Ergebniskontrolle, EnnecceruslNipperdey, Allgemeiner Teil, I. Halbband, S. 334 f.; sowie ebenfalls Larenz, Methodenlehre, S. 348 ff oder des argumentum ad absurdum, Bydlinski, Juristische Methodenlehre, S. 458; Enneccerusl Nipperdey, Allgemeiner Teil, I. Halbband, S. 334 Fn. 11, mag dahinstehen. Denn gleich ob man darauf abstellt, daß das Recht im Zweifel so auszulegen sei, daß es den Anforderungen unseres Gesellschaftslebens und unserer gesamten Kultur möglichst gerecht werde, EnnecceruslNipperdey, Allgemeiner Teil, I. Halbband, S. 334 f; Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 77, einem Gesetz die Intention zugrundeliege, eine der Gerechtigkeit genügende Lösung zu ermöglichen, EnnecceruslNipperdey, Allgemeiner Teil, 1. Halbband, S. 334 f. oder das Recht nicht zu schlechthin unsinnigen Ergebnissen führen dürfe, ändert am Ergebnis nichts: eine Auslegung, die schlechthin nicht im betrieblichen Alltag umsetzbar wäre, würde weder als gerecht anzusehen sein, noch würde sie den Anforderungen unseres Gesellschaftslebens gerecht; sie wäre auch "absurd". 688 EnnecceruslNipperdey, Allgemeiner Teil, 1. Halbband, S. 334 f; Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 77. 689 Kruse, in: TipkelKruse, AOIFGO, § 4 Rnz. 101. 690 Kruse, in: TipkelKruse, AOIFGO, § 4 Rnz. 101. 691 Kruse, in: TipkelKruse, AOIFGO, § 4 Rnz. 101. 692 Larenz, Methodenlehre, S. 349. 693 Larenz, Methodenlehre, S. 349; Kruse, in: TipkelKruse, AOIFGO, § 4 Rnz. IOIa. 694 Vgl. zum Zusammenhang zwischen Rechtsfortbildung und Folgenbetrachtung Adomeit, Rechtsquellenfragen, S. 34 f.

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Teil 3: Die Legitimation von Eingriffen

nem Abnehmen der Akzeptanz einer Entscheidung fii1ut695. Eine "intersubjektiv-nachvollziehbare" Entscheidung ist in Anbetracht der irrationalwertenden Elemente in dieser Auslegungsphase daher nur schwer zu erzielen. Steht das "ob" dieser Methode also außer Zweifel, konzentriert sich die Frage daher auf das "wie", d.h. bis zu welchem Grade mit dem Topos der Praktikabilität argumentiert werden kann, ohne die Akzeptanz einer Entscheidung zu gefahrden696 . So wird Übereinstimmung noch am ehesten darüber zu erzielen sein, daß eine Auslegungsvariante wegen offenbarer Ungerechtigkeit (sprich Unpraktikabilität) auszuscheiden hat. Anders liegt es, wenn nachgewiesen werden soll, daß eine bestimmte Variante von der Praktikabilität geradezu positiv gefordert werde. Denn die Überzeugungskraft einer solchen Argumentation wird umso geringer, je mehr das Betrachten des Ergebnisses nicht lediglich dem Ausgrenzen einer eindeutig unpraktikablen Auslegungsalternative dient, sondern positiv die Interpretation der Norm bestimmt werden so1l697. Insoweit gilt auch hier der allgemeine Satz, daß praktische Bedürfnisse allein die positive Entscheidung für eine bestimmte Auslegung einer Norm nicht zu rechtfertigen vermögen698 . Sie gibt es auch in anderen Bereichen und auch dort gilt, daß allein die Tatsache, daß es praktische Bedürfnisse gibt, nicht ausreicht, ein bestimmtes Auslegungsergebnis zu begründen699 . b) Überzeugungskraft des Praktikabilitätsarguments im vorliegenden Zusammenhang aa) Ausgangspunkt: Einheitlichkeit kein Selbstzweck Daß sich die Betriebsvereinbarung in der betrieblichen Praxis vorzüglich eignen würde, vereinheitlichte Arbeitsbedingungen in den Materien des § 87 BetrVG herzustellen, wurde schon mehrmals in dieser Untersuchung bejaht

Schlachter, Auslegungsmethoden, S. 24. Rupp, AöR 101 (1976), 161, 163. 697 Coester, BB 1984, 797 f.; Schlachter, Auslegungsmethoden, S. 22 f.; P. Hanau, Anm. zu AP Nm. 4 und 6 zu § 77 BetrVG 1972. 698 Dietz/Richardi, § 77 Rnz. 122-124; Richardi, Betriebsverfassungsrechtliche Mitbestimmung, S. 13; vgl. auch Däubler, AuR 1984, 1, 16. 699 Vgl. etwa BAGE 45,208,216. 695

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Kapitel 2: Der Nachweis einer Eingriffsgrundlage

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und wird man auch nicht abstreiten können7OO • Im Gegenteil war es gerade dieser Vereinheitlichungseffekt, aufgrund dessen man der Betriebsvereinbarung einen besonderen Ordnungszweck zusprach: die Betriebsvereinbarung als Instrument zur Herstellung einer betrieblichen Ordnung 70I • Inzwischen wird ein Ordnungszweck jedoch nicht mehr als eigenständiger Zweck der Mitbestimmung angesehen702 , auch wenn ein Vereinheitlichen der Arbeitsbedingungen in bestimmten Fällen wünschenswert, wenn nicht gar erforderlich sein mag 703. Es hat sich nämlich die Erkenntnis durchgesetzt, daß sich bei der Annahme eines eigenständigen Ordnungszwecks ideengeschichtlich gar nicht erklären ließe, wieso es dann überhaupt gerade des Herausbildens betrieblicher Mitbestimmung bedurfte: vor Einfiihrung der betrieblichen Mitbestimmung hatte der Arbeitgeber ohnehin in der Arbeitsordnung einheitliche Arbeitsbedingungen geschaffen 704 . Die Einheitlichkeit der Ordnung sozialer Angelegenheiten an sich, kann also nicht das besondere Anliegen der betrieblichen Mitbestimmung sein. Wenn überhaupt, kann sie nur das Ergebnis ihrer Ausübung auf der Grundlage eines anderen Zweckes sein705 • 700 Das erkennen auch Loritz, ZfA 1991, 1,29, Brosette, ZfA 1992,379,413 und Hurlebaus, Fehlende Mitbestimmung, S. 44, an. 701 Nipperdey, FS Lehmann, S. 257 ff.; BAG, AP Nr. 87 zu § 242 BGB Ruhegehalt. 702 Aufgegeben in BAG, AP Nr. 142 zu § 242 BGB Ruhegehalt; Wiese, ZfA 1989, 645, 650; ders., FS Kissel, S. 1269, 1274 f.; a.A. Jobs, OB 1986, 1120, 1121; Fastrich, RdA 1994, 129, 135: "Die Funktion der Betriebsvereinbarung als Instrument der Betriebsverfassung ist jedoch primär eine andere. Der Betriebsverfassung ist die Ordnung der Zusammenarbeit der Arbeitnehmer und des Verhältnisses der Belegschaft als Gruppe zum Arbeitgeber aufgegeben". Anders wohl auch Löwisch, OB 1983, 1709, 1710 ("Die Unterstellung ... unter die Mitbestimmung ... dient deshalb nicht nur dem Schutz der Arbeitnehmer, sondern auch der Herbeiflihrung einheitlicher Bedingungen unter Wahrung dieses Schutzes."). 703 Hurlebaus, Fehlende Mitbestimmung, S. 78, 83; Wiese, FS Kissel, S. 1269, 1274 f. (anders aber noch ders., in: GK-BetrVG, § 87 Rnz. 82: " ... angestrebte einheitliche betriebliche Ordnung ... wäre so kaum zu verwirklichen"); pro Ordnungszweck Jobs, OB 1986, 1120, 1121;Fastrich,RdA 1994, 129, 135;Löwisch,DB 1983, 1709, 1710. 704 Flatow, Kommentar zum BRG, § 80 Anm. 1 nannte die Arbeitsordnung "gleichsam das Sinnbild der einseitigen Regelung der Arbeitsverhältnisse durch den Arbeitgeber". Auch wenn die Arbeitsordnung im 19. Jahrhundert von der Rechtslehre als Vertrag angesehen wurde, ändert dies gleichwohl nichts daran, daß der Arbeitgeber die Bedingungen einseitig festlegen konnte, Hromadka, Die Arbeitsordnung, S. 3; ders., ZfA 1979, 203, 204. 705 Wiese, ZfA 1989,645,650.

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Teil 3: Die Legitimation von Eingriffen

Sieht man einmal vom - als solchen wenig bedeutungsvollen - Aspekt der Einheitlichkeit der Arbeitsbedingungen ab, bleibt die Aussage, daß die Betriebsvereinbarung fur die Praxis jedenfalls ein höchst effIzientes Mittel des Änderns von Arbeitsbedingungen darstellt, insbesondere über den Weg des beiderseitigen Initiativrechts. Jedoch gilt auch hier, daß allein mit dem Aspekt, daß die Änderbarkeit von Arbeitsbedingungen durch Betriebsvereinbarung höchst effIzient und praktikabel ist, sich die positive Entscheidung fiir die Auslegungsvariante, die Eingriffsbefugnisse vorsieht, nur schwer begründen ließe. Dies wäre vielmehr eher dann der Fall, wenn sich nachweisen ließe, daß die einzig andere Auslegungsalternative, der Weg über den Individualvertrag, zu schlechthin unsinnigen Ergebnissen fuhrte.

bb) Die Gegenfrage: sind individualrechtliche Ermächtigungen unpraktikabel? Die Frage ist also, ob es zu einem schlechthin unpraktikablen Ergebnis fuhrt, wenn man fur belastende Regelungen im Rahmen der Mitbestirnmung in sozialen Angelegenheiten stets eine - wie immer geartete - individualrechtliche Ermächtigungsgrundlage fur nötig hielte. Zunächst bietet es sich auch hier an, sich als Kontrollüberlegung die Situation in einem Betrieb vor Augen zu fuhren, der zwar betriebsratsfahig ist, in dem aber kein Betriebsrat eingerichtet ist. Dort zeigt sich jedoch, daß es höchst streitig ist, ob der Arbeitgeber überhaupt Möglichkeiten hat, das - fur ein Vermeiden unpraktikabler betrieblicher Verhältnisse notwendige - Errichten eines Betriebsrats in die Wege zu leiten706 • Das Gesetz weist die Initiative zur Einleitung einer Betriebsratswahl den Arbeitnehmern zu. Nur diese können zu der hierfur notwendigen Betriebsversammlung einladen (§ 17 Abs. 2 BetrVG), nach der - wohl - überwiegenden Ansicht nicht jedoch der Arbeitgeber707 . Bei dieser Ausgangslage liegt aber der folgende Einwand auf der Hand: ist es ein Ziel der betrieblichen Mitbestimmung im Rahmen des § 87 Abs. 1 BetrVG, eine unpraktikable, den Bedürfnissen des Arbeitgebers nicht gerecht werdende

706 Dagegen z.B. Fitting/Kaiser/HeitheriEngels, BetrVG, § 17 Rnz. 9; daflir z.B. Kreutz, in: GK-BetrVG, § 17 Rnz. 14, jeweils m.w.N. 707 Fitting/Kaiser/Heither/Engels, BetrVG, § 17 Rnz. 9. Ein dahingehender Antrag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist im BT-Ausschuß flir Arbeit und Sozialordnung abgelehnt worden, BT-Drucks. VI 2729, S. 21 zu § 17.

Kapitel 2: Der Nachweis einer Eingriffsgrundlage

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Gestaltung der sozialen Angelegenheiten abzuwenden, so hätte es nahe gelegen, konsequenterweise auch diesem ein Initiativrecht bei der Errichtung eines Betriebsrats einzuräumen. Da das Gesetz für den Arbeitgeber diese Möglichkeit aber nicht vorgesehen hat, steht das Argument, der individualrechtliche Weg sei als schlechthin unpraktikabel vom Gesetz nicht gewollt, auf schwachen Füßen708 . Diese konzeptionelle Unstimmigkeit könnte auf sich beruhen, wenn die von den BefUrwortern von Eingriffsbefugnissen vorgetragenen Beispiele überzeugten. Hier werden vor allem das Ändern allgemeiner Arbeitsbedingungen im Bereich des § 87 BetrVG709 sowie das EinfUhren von Kurzarbeit genannt1 IO • Könne z.B. Kurzarbeit nicht auch unabhängig von einer individualrechtlichen Grundlage eingefUhrt werden, fUhre dies zu eminent unpraktischen Ergebnissen; der Norm würde zudem ihre Bedeutung genommen 711. Für den letztgenannten Aspekt gilt zunächst, daß der Norm auf jeden Fall sogar mehrere Anwendungsfälle blieben: die Mitbestimmung über die einseitige Einfiihrung von Kurzarbeit im Rahmen von tariflichen, gesetzlichen, behördlichen und individualvertraglichen Ermächtigungen sowie - in teleologischer Auslegung - über Verträge, die einer entsprechenden Umgehung dienen. Wer vor diesem Hintergrund noch meint, der Norm würde jede praktische Bedeutung genommen, erweckt den Eindruck, daß es ihm eher darauf ankommt, daß der Mitbestimmungstatbestand überhaupt und möglichst oft zur Anwendung kommt, was - bliebe nur dieses Argument zweckvorwurf nahelegte.

den eingangs erwähnten Selbst-

Aber auch das mag dahinstehen, wenn der individualrechtliche Weg schlechthin unsinnig wäre. Hier wird argumentiert: das Erfordernis des Einholens der individuellen Zustimmung jedes Arbeitnehmers ist zu umständlich; zudem werde es immer Arbeitnehmer geben, die sich den betrieblichen Erfordernissen widersetzen 712 .

Däubler, AuR 1984, 1, 19. 709 BAG, AP Nr. 142 zu § 242 BGB - Ruhegehalt; Hromadka, DB 1985,864 ff. 710 Fastrich, RdA 1994, 129, 133, 134; Jene, Kurzarbeit, S. 310 f.; vgl. auch Wiese, in: GK-BetrVG, § 87 Rnz. 315. 711 Wiese, in: GK-BetrVG, § 87 Rnz. 316. 712 BAG, AP NT. 142 zu § 242 BGB - Ruhegehalt; Hromadka, DB 1985,864,865; Loritz, ZfA 1989, 1,5. 708

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Teil 3: Die Legitimation von Eingriffen

Zum erstgenannten Punkt ist zunächst zu bemerken, daß das Schließen eines Vertrages kein "umständliches Ritual" ist7\3. Verträge werden grundsätzlich formlos geschlossen. Auch müssen die hierfür notwendigen Erklärungen nicht ausdrücklich abgegeben werden, sondern auch schlüssiges Handeln reicht hin. Gerade rur das Arbeitsrecht sind Formlosigkeit und schlüssiges Verhalten kennzeichnend. Will ein Arbeitgeber etwa sämtliche Arbeitsverträge in seinem Betrieb nachträglich um freiwillige Zuwendungen ergänzen, so geschieht dies regelmäßig in der Weise, daß er sich mit einer formlosen Erklärung am "schwarzen Brett" an seine Arbeitnehmer wendet und ihnen hierbei entsprechende Leistungen verspricht. Ein solches Leistungsversprechen des Arbeitgebers erfiillt die Kriterien einer auf einen Vertragsschluß gerichteten Willenserklärung, da die begünstigten Arbeitnehmer dem Verhalten des Arbeitgebers von ihrem Empfängerhorizont aus einen Verpflichtungswillen entnehmen dürfen. Diese Erklärung nehmen die Arbeitnehmer sodann zumindest schlüssig an; auf den Zugang hat der Arbeitgeber verzichtet (§ 151 BGB). Die Vertragsergänzung ist perfekt (sog. Gesamtzusage)114. Es sei daher hier noch einmal die Frage aufgeworfen, warum sich der Arbeitgeber nicht auch einmal zum Zwecke einer nachteiligen Änderung von Arbeitsbedingungen mit einem Aushang am "schwarzen Brett" unmittelbar an seine Arbeitnehmer soll wenden und diese ein entsprechendes Angebot durch schlüssiges Verhalten sollen annehmen können715 . Das Umständlichkeitsargument bestäche dann nicht z.B. bei der Kurzarbeit oder der Änderung allgemeiner Arbeitsbedingungen im Bereich des § 87 BetrVG. Zudem wahrte der individualrechtliche Weg die Autonomie des einzelnen. Auf diesen Aspekt zu verweisen, mag man individualistisch nennen. Wer dies fiir schlechthin unsinnig hält, sollte folgendes bedenken: hinter der These von der Unpraktikabilität des individualrechtlichen Weges steht ein ganz bestimm-

713 Gast, Arbeitsvertrag und Direktion, S. 363. Vgl. dens. auch zum Folgenden. 714 Sogar die Betriebsübung wird von der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts als Vertrag angesehen, vgl. zuletzt BAG, NZA 1989,55,56; NZA 1993,749. Zur Gegenposition Lieb, Arbeitsrecht, S. 17 ff. 715 So im Ansatz auch Wank, Einvernehmliche Änderung, S. 35, 53. Für eine stärkere Berücksichtigung der Vertragsänderung eingehend Hromadka, RdA 1992, 234, 245 ff. Vgl. zur Vertrauensgrundlage am "schwarzen Brett" Zöllner, ZfA 1988, 265, 280. Anderer Ansicht ist das Bundesarbeitsgericht, BAG, AP NT. 2 zu § 305 BGB; AP Nr. 142 zu § 242 BGB - Ruhegehalt; zweifelnd auch Löwisch, SAE 1987, 185, 186.

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tes vorrechtliches Bild des Arbeitnehmers. Es ist nicht das eines verantwortungsbewußten und zur Kooperation bereiten Menschen, sondern das des "störenden, hinderlichen Querulanten, gegen dessen Hang zur Obstruktion rechtliche Barrieren zu errichten sind"716. Ob ein solches "Negativbild" des Arbeitnehmers der Wirklichkeit entspricht, ist aber bereits zweifelhaft. Im Gegenteil ist bekannt, daß Arbeitnehmer gerade auf betrieblicher Ebene immer häufiger bereit sind, sich den unvermeidlichen Realitäten entsprechend zu verhalten und notwendigenfalls Rechtsverluste zu akzeptieren717. Daneben widerspricht diese Sicht aber auch einer rechtlichen Kategorie des Grundgesetzes: der Verfassungserwartung eines gemeinwohlgemäßen Gebrauchs grundrechtlicher Freiheit7 18 . Als ein freiheitlicher Staat basiert der Staat des Grundgesetzes auf dem axiomatischen Vertrauen in die Gemeinwohlfähigkeit und Urteilskraft seiner Bürger (Isensee)119. Um überhaupt lebensfähig zu sein, muß er von seinen Bürgern nicht nur erwarten, daß sie ihre grundrechtliche Freiheit nicht mißbrauchen, sondern er muß von ihnen vielmehr auch positiv erwarten können, daß sie ihre Freiheit ethisch, d.h. gemeinwohlgemäß gebrauchen 720 • Diese Erwartung ist freilich kein Rechtsgebot an den Grundrechtsträger, dessen Mißachtung rechtliche Sanktionen nach sich

Gast, Arbeitsvertrag und Direktion, S. 363. Vgl. die Einschätzung auch von Löwisch, SAE 1987, 185, 186 und Coester, BB 1984,797,798. Zu einem Beispiel aus der Praxis siehe HB NT. 12 vom 17.1.1995, 716

717

S.4. 718 Isensee, Grundrechtsvoraussetzungen und Verfassungserwartungen an die Grundrechtsausübung, § 115 Rnz. 3, 6, 163 ff. Gewiß läßt sich nicht jedes Prinzip eines "guten" Grundrechtsgebrauchs als von der Verfassung erwartet darstellen, sondern nur ein solches, das die Verfassung ausdrücklich normiert oder schlüssig als die notwendige Bedingung gemeinwohlverträglichen gesellschaftlichen Handeins zu erkennen gibt, Isensee, Grundrechtsvoraussetzungen und Verfassungserwartungen an die Grundrechtsausübung, § 115 Rnz. 169. Ob das vorliegend der Fall ist, mag man bestreiten. Im Folgenden soll mit der Kategorie der Verfassungserwartung jedoch eine neue Denkrichtung aufgezeigt werden. 719 Isensee, Gemeinwohl und Staatsaufgaben im Verfassungsstaat, § 57 Rnz. 86; ders., Grundrechtsvoraussetzungen und Verfassungserwartungen an die Grundrechtsausübung, § 115 Rnz. 3,233. 720 Isensee, Grundrechtsvoraussetzungen und Verfassungserwartungen an die Grundrechtsausübung, § 115 Rnz. 86,231 f.; Krüger, FS Scheuner, S. 285, 301, 304 spricht sogar von einem "Aufruf' zu einem solchen Gebrauch.

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Teil 3: Die Legitimation von Eingriffen

zöge 721. Erwartung und Rechtspflicht schließen einander aus 722. Diese Erwartung der Verfassung steht aber notwendig in einer Wechselbeziehung zu der Freiheit, die sie in den Grundrechten gewährt123 . Der vom Grundgesetz verfaßte Staat hat das "gute Leben im Gemeinwesen"724 nämlich nicht selbst hervorzubringen725 . Die Verantwortung hierfiir fallt vielmehr vorrangig den Individuen zu, die das Gemeinwesen bilden. Rechtstitel der Bürger, das Gemeinwohl hervorzubringen, sind die Grundrechte 726 . In dem durch sie eröffneten Freiraum liegen die vitalen Grundlagen des Gemeinwesens. Sein Bestand und Gedeihen hängen davon ab, wie die Bürger von ihrer Freiheit Gebrauch machen727 . An diesem Leben nimmt der Staat nicht teil, sondern er kann hierfiir nur die äußeren Bedingungen schaffen und sicherstellen, soweit sie seiner Verfiigbarkeit unterliegen; das Gelingen des Experiments der Freiheit gewährleisten, kann er nicht.

721 Isensee, Gemeinwohl und Staatsaufgaben im Verfassungsstaat, § 57 Rnz. 86; ders., Grundrechtsvoraussetzungen und Verfassungserwartungen an die Grundrechtsausübung, § 115 Rnz. 3,164; Krüger, FS Scheuner, S. 285, 302, 304. 722 Isensee, Grundrechtsvoraussetzungen und Verfassungserwartungen an die Grundrechtsausübung, § 115 Rnz. 165,183,224. 723 Isensee, Grundrechtsvoraussetzungen und Verfassungserwartungen an die Grundrechtsausübung, § 115 Rnz. 165. 724 Als ein nach sittlicher Rechtfertigung seiner selbst fragender Staat hat sich der Staat des Grundgesetzes die Idee des Gemeinwohls zur Maxime seines gesamten Handelns gemacht, Isensee, FS Dürig, S. 33, 34; hierin findet er seine ethische Legitimation. Als Begriff von hoher Abstraktheit entzieht sich die Idee des Gemeinwohls einer abschließenden Definition. Auch die Verfassung bestimmt seine Inhalte, wie das Wohlergehen der Bürger, Menschenwürde, soziale Gerechtigkeit, nur sehr zurückhaltend. Gemeinwohl ist letztlich das Ziel, das hinter allen Staatszielen steht und sie zusammenfaßt. Als Inbegriff aller Staatsziele ist es stets aufgegeben und aufs neue zu konkretisieren, Isensee, Gemeinwohl und Staatsaufgaben im Verfassungsstaat, § 57 Rnz. 2, 3, 7, 32 f., 104 ff. und passim. 725 Isensee, Gemeinwohl und Staatsaufgaben im Verfassungsstaat, § 57 Rnz. 78; ders., Grundrechtsvoraussetzungen und Verfassungserwartungen an die Grundrechtsausübung, § 115 Rnz. 3; Krüger, FS Scheuner, S. 285, 302. 726 Isensee, Gemeinwohl und Staatsaufgaben im Verfassungsstaat, § 57 Rnz. Rnz. 81 ff., 170 ff.; ders., Grundrechtsvoraussetzungen und Verfassungserwartungen an die Grundrechtsausübung, § 115 Rnz. 164. 727 Isensee, Grundrechtsvoraussetzungen und Verfassungserwartungen an die Grundrechtsausübung, § 115 Rnz. 164,201; Krüger, FS Scheuner, S. 285,287.

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Hat der freiheitliche Staat das Gemeinwohl aber nicht selbst hervorzubringen, sondern aufgrund der grundrechtlichen Ordnung seinen Bürgern zu überlassen, so muß er darauf vertrauen, daß sie die grundrechtlich abgeschirmte Freiheit mit Urteilskraft und Tatkraft erfüllen, daß sie erkennen, daß von der Art ihres Gebrauchs von Freiheit das Gedeihen des Gemeinwesens abhängt und sie sich deswegen zu einem gemeindienlichen Gebrauch entschließen728 . Wird dieses Vertrauen enttäuscht, scheitert der Verfassungsstaat. Die Verfassungserwartung eines gemeinwohlgemäßen Gebrauchs grundrechtlicher Freiheit läßt einen zunächst an das Ganze des Gemeinwesens denken, das Wohl der Allgemeinheit729 • Grundrechtlicher Ethos erschöpft sich aber nicht in der "großen Dimension"; er entfaltet sich gerade auf der horizontalen Ebene zwischen den Bürgern, im Miteinander der Menschen, in ihren Austauschbeziehungen, ihrer Zusammenarbeit, im Gebrauch ihrer Privatautonomie 730. Das Gemeinwesen ist nur lebensfähig, wenn die Bürger ihre Freiheit gerade in der Zuwendung zum Nächsten mit Verantwortung erfüllen731. Hier bedeutet gemeinwohlgemäßer Gebrauch von Freiheit etwa Selbstbindung, Treue 732 , aber auch freiwillig geleisteter Verzicht zugunsten eines gemeinsamen Interesses733. Gast hat deshalb zu Recht darauf hingewiesen, daß gegen "die vermeintliche Notwendigkeit, den Arbeitnehmer zu dirigieren", die rechtlich begründete Ver-

728 Isensee, Grundrechtsvoraussetzungen und Verfassungserwartungen an die Grundrechtsausübung, § 115 Rnz. 3,181,222. 729 Isensee, Gemeinwohl und Staatsaufgaben im Verfassungsstaat, § 57 Rnz. 17 f. 730 Isensee, Grundrechtsvoraussetzungen und Verfassungserwartungen an die Grundrechtsausübung, § 115 Rnz. 201, 232. 731 Isensee, Grundrechtsvoraussetzungen und Verfassungserwartungen an die Grundrechtsausübung, § 115 Rnz. 201. 732 Isensee, Grundrechtsvoraussetzungen und Verfassungserwartungen an die Grundrechtsausübung, § 115 Rnz. 232. 733 In der Verfassungstheorie werden als Grund ftir das Vertrauen in die Freiheit zwei Modelle diskutiert, das Tugend- und das Interessenmodell. Letzteres sieht ihn in der Erwartung, der einzelne werde aus wohlverstandenem Eigennutz Opfer bringen, um die Rahmenbedingungen seines Eigennutzes sicherzustellen, Isensee, Grundrechtsvoraussetzungen und Verfassungserwartungen an die Grundrechtsausübung, § 115 Rnz. 237.

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Teil 3: Die Legitimation von Eingriffen

mutung 734 gesetzt werden kann, der Arbeitnehmer werde Veränderungen seiner Arbeitsbedingungen, deren Unvermeidbarkeit ihm vor Augen geführt wird, auch akzeptieren735. Entsprechend werde auch der Arbeitgeber dazu angehalten, um für Verständnis für unvermeidbare Veränderungen zu werben. Wer vor diesem Hintergrund den individualrechtlichen Weg weiterhin für schlechthin unpraktikabel hält, muß sich fragen, wie er zu dem für den freiheitlichen Staat konstitutiven Vertrauen in die Urteilskraft und Gemeinwohlfähigkeit seiner Bürger steht. Es ist gerade das dem Bürger des freiheitlichen Staates Gemäße, auf an ihn gerichtete Erwartungen und Forderungen selbständig zu antworten, als durch einen heteronomen Verhaltensbefehl hierzu gezwungen zu werden 736 . Vermag man in der Kategorie der Verfassungserwartung nicht den Schlüssel für die vorliegende Problematik zu sehen, so sei die vielleicht vertrautere These vom Menschenbild des Grundgesetzes in Erinnerung gerufen737 . Auch hier gilt, daß der freiheitliche Staat mit einem optimistischeren Menschenbild rechnet1 38 : das Grundgesetz geht aus von einem Menschen als einer mit Würde ausgestatteten Persönlichkeit139 • Die Begriffe Würde und Persönlichkeit sind jedoch seit jeher der christlich-philosophischen Anthropologie, der christlichen Gesellschaftslehre und der säkularisierten Humanitätslehre verhaftet, da sie als Rechtsbegriffe des Verfassungsrechts unbekannt waren und das Grundgesetz sie diesen Traditionen entlehnt hat. Diese Wurzeln in den tieferen Schichten der philosophisch-theologischen Tradition des Abendlandes machen die Re-

734 Gast spricht "von Vermutung", Arbeitsvertrag und Direktion, S. 363. Im Sinne der hiesigen Gedankenflihrung wäre es zutreffender, stattdessen von Erwartung zu sprechen. 735 Arbeitsvertrag und Direktion, S. 363. 736 Vgl. dazu Krüger, FS Scheuner, S. 285, 304. 737 Auf das Menschenbild verweist Gast, Arbeitsvertrag und Direktion, S. 363; vgl. auch Krüger, FS Scheuner, S. 285, 300. Kritisch Isensee, Grundrechtsvoraussetzungen und Verfassungserwartungen an die Grundrechtsausübung, § 115 Rnz. 178 ("gemeinplätzige Formel"). 738 Vgl. dazu den ständigen Hinweis auf BVerfDE 4, 7, 15 f.: "Das Menschenbild des Grundgesetzes ist nicht das eines isolierten souveränen Individuums; das Grundgesetz hat vielmehr die Spannung Individuum - Gemeinschaft im Sinne der Gemeinschaftsbezogenheit und Gemeinschaftsgebundenheit der Person entschieden, ohne dabei deren Eigenwert anzutasten." 739 Dürig, JR 1952,259 ff.; ders. auch zum Folgenden.

Kapitel 2: Der Nachweis einer Eingriffsgrundlage

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zeption der dort gefiihrten Diskussion für seine Auslegung unentbehrlich 740 . Hauptaussage der Persönlichkeitslehre ist jedoch die Vorstellung, der Mensch sei auf eine innerlich begründete Gemeinschaftsbindung, auf Verantwortlichsein angelegt. Mit diesem innerlich begründeten Verantwortlichsein als Kern des verfassungsrechtlichen Menschenbildes ist es aber auch nicht zu vereinbaren, grundsätzlich davon auszugehen, der einzelne werde rücksichtslos, uneinsichtig und verantwortungslos seine Eigenbelange dringenden Erfordernissen seiner betrieblichen Umgebung und damit mittelbar überindividuellen Gemeinwohlbelangen voranstellen. Als mit Menschenwürde ausgestattete sittliche Person wird er auch hier den erforderlichen Verzicht von sich aus leisten. Wer ihm dies zumindest anzubieten rur schlechthin unsinnig hält, möge begründen, wie eine solche Position eher als die hier vorgetragene der Bedeutung der Menschenwürde als dem - allgemein anerkannten - rechtsethischen Fundament von Mitbestimmung gerecht werden soll. 3. Beispiel: Das Ablösen allgemeiner Arbeitsbedingungen a) Problemstellung Neben den Fällen der Kurzarbeit und des bargeldlosen Zahlens von Arbeitslohn stellt vor allem das Verändern aufgrund allgemeiner Arbeitsbedingungen741 gewährter Sozialleistungen742 ein Hauptbeispiel rur die Unent740 Häberle, Die Menschenwürde als Grundlage der staatlichen Gemeinschaft, § 20 Rnz.33. 741 Für die FragesteJIung der vorliegenden Untersuchung ist von einem korrekten Ablauf des Mitbestimmungsverfahrens beim Zustandekommen der abzulösenden vertraglichen Regelung auszugehen. Nicht eingegangen wird auf das Problem des Zusammentreffens einer Betriebsvereinbarung mit einer Regelung, bei der das nicht der FaJI ist. Ob es hier überhaupt zu einer KoJIision verschiedener Gestaltungsfaktoren kommt oder die Betriebsvereinbarung gewissermaßen ein freies Feld vorfindet, was Jobs, DB 1986, 1120 f. meint, betrifft das Problem der Rechtsfolgen der Verletzung von Mitbestimmungsrechten, spezieJI die Lehre von der Mitbestimmung als Wirksamkeitsvoraussetzung und deren Einschränkungen. Für den Großen Senat des Bundesarbeitsgerichts, AP Nr. 17 zu § 77 BetrVG 1972, gibt es keine einheitliche Sanktion, die im FaJIe belastender Betriebsvereinbarungen eine KoJIisionsregel entbehrlich machte, da dem Arbeitgeber kein Vorteil aus einer betriebsverfassungsrechtlichen Pflichtwidrigkeit erwachsen dürfe. 742 Soziale Leistungen sind Zuwendungen, die nicht unmittelbar das Entgelt für erbrachte Leistungen darsteJIen, wie z.B. Gratifikationen, Jubiläumszuwendungen, Darle-

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Teil 3: Die Legitimation von Eingriffen

behrlichkeit originärer kollektiver Belastungsbefugnisse dar. Ausgangspunkt ist der allgemeine Gedanke, Arbeitsverhältnisse dürften nicht "versteinern"743. Ein Rechtsverhältnis, das wie das Arbeitsverhältnis 30 bis 40 Jahre dauern solle, könne nicht wie ein "eratischer Block" (Hromadka) den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandel überdauern744 . Wie bei jedem Dauerschuldverhältnis, gäbe es auch beim Arbeitsverhältnis das Bedürfnis, dieses an geänderte rechtliche und wirtschaftliche Rahmenbedingungen anzupassen 745. Seine Fähigkeit hierzu sei Voraussetzung, daß es die Zeitläufte überdauern könne 746 . Dies gelte in besonderem Maße für soziale Leistungen des Arbeitgebers. Derartige Leistungen hätten einen weit in die Zukunft reichenden, langfristigen und schwer überschaubaren Charakter747 . Infolgedessen seien sie besonders abhängig von rechtlichen, wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen und anfällig für deren Veränderung 748 . In Zeiten der Hochkonjunktur versprochen, werden sie für die Unternehmen bei sinkender Ertragslage mit den Jahren zu einer existenzbedrohenden Last1 49 . Aus Gründen der Gleichbehandlung ist bei erforderlichen Anpassungen darauf zu achten, daß diese ebenfalls wieder ein aufeinander abgestimmtes System herstellen, das namentlich alle Arbeitnehmer bei einer notwendigen Kürzung miteinbezieht1 5o . Geht es dabei (nur) um das Ablösen einer Betriebsvereinbarung durch eine andere, wirft dies keine Probleme auf. Hier gilt die lex

hen, Zuschüsse, freie Tage etc., BAG, AP Nr. 17 zu § 77 BetrVG 1972 und vor allem die Leistungen der betrieblichen Altersversorgung. Für diese gelten zum Teil Besonderheiten, Hromadka, RdA 1992, 234, 235, so das Verzichtsverbot des § 3 Abs. 1 BetrAVG rur das einvernehmliche Ändern erdienter Anwartschaften, vgl. AP Nr. 13 zu § 17 BetrAVG. 743 BAG, AP Nr. 142 zu § 242 BGB - Ruhegehalt; Hromadka, RdA 1992, 234, 235; Lieb, Arbeitsrecht, S. 23. Krit. zum "Versteinerungsargument" Pfarr, BB 1983, 200 I, 2002 f. 744 RdA 1992, 234, 235; krit. Däubler, AuR 1984, I, 16. 745 Fastrich, RdA 1994, 129, 130, 135; Reuter, RdA 1991, 193, 195; Hromadka, DB 1985,864. 746 Hromadka, RdA 1992, 234, 235. 747 Lieb, SAE 1983, 130, 132; Coester, BB 1984,797,799. 748 Höhne, RdA 1983,233,234; Ahrend, FS HilgerlStumpf, S. 17,26. 749 Hilger/Stumpf, FS G. Müller, S. 209, 213 f. 750 BAG, AP NT. 142 zu § 242 BGB - Ruhegehalt.

Kapitel 2: Der Nachweis einer Eingriffsgrundlage

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posterior Regel, wonach die spätere Norm eine frühere verdrängeSt. Da das Ändern der Vereinbarung hier durch die Rechtssubjekte erfolgt, die sie geschaffen haben, der einzelne Arbeitnehmer hieran aber nicht beteiligt war, stellt dies alles auch keinen Eingriff in dessen individuelle Vertragsfreiheit dar 752 • Die Anpassung gilt indes als ein Problem, wenn soziale Leistungen aufgrund allgemeiner Arbeitsbedingungen753 gewährt werden754. Man befürchtet auf individualrechtlichen Wegen die notwendige Einheitlichkeit nicht erzielen zu können. Widersetzten sich einzelne einer Änderung, müßte der Arbeitgeber Massenänderungskündigungen aussprechen755 • Der Prüfungsmaßstab des Kündigungsschutzprozesses sei aber ein individueller, bei dem Auswirkungen auf die Gesamtheit der Betroffenen nur am Rande zur Sprache kämen. Nach der Geschäftsverteilung der Gerichte für Arbeitssachen könnten die einzelnen Prozesse außerdem vor verschiedene Kammern kommen, was widersprechende Urteile ermögliche. Dies alles gefährde die aus Gleichbehandlungsgründen gebotene Einheitlichkeit und Systematik der Änderung. Es bestehe daher ein praktisches Bedürfnis, die Betriebsvereinbarung für das Abbauen von allgemei-

75t BAG, AP Nr. 142 zu § 242 BGB - Ruhegehalt; AP Nr. 9 zu § I BetrA VG Ablösung; Rühle, ZIP 1984,411,414; Leinemann, Änderung von Arbeitsbedingungen, S. 145, 146; Löwisch, DB 1983, 1709. 752 Richardi, RdA 1983,201,203. 753 Unter allgemeinen Arbeitsbedingungen versteht man den Einheitsarbeitsvertrag, die Gesamtzusage und die betriebliche Übung. Vorliegend soll es nur um die beiden erstgenannten Erscheinungsformen gehen. Die Lösung von der betrieblichen Übung wirft keine weiteren Probleme auf und wird hier nicht weiter verfolgt: ist dem Arbeitgeber aufgrund veränderter Umstände ein Festhalten an der Übung nicht mehr zuzumuten, kann er sie widerrufen. Grund ist, daß die Bindung an die Übung nur eintritt aufgrund eines Vertrauenstatbestandes nach Treu und Glauben, so daß die Bindung hieran auch nicht weiter gehen kann, als dies Treu und Glauben entspricht, Canaris, Vertrauenshaftung, S. 407; ZöllneriLoritz, Arbeitsrecht, S. 68; Lieb, Arbeitsrecht, S. 19. Denkbar ist auch, grundsätzlich einen stillschweigenden Vorbehalt zur Änderung durch Betriebsvereinbarung anzunehmen, Wenzeck, Die verschlechternde Betriebsvereinbarung, S. 195; Hromadka, NZA Beil. 3/1987, 2,11. 754 Dem noch vom 3. Senat des Bundesarbeitsgerichts in AP, Nr. 142 zu § 242 BGB - Ruhegehalt sub B IV 2 b flir möglich gehaltenen Weg, eine Gesamtzusage in eine Betriebsvereinbarung unverändert umzuwandeln und diese "alsdann" durch eine weitere Betriebsvereinbarung zu ändern, hat der I. Senat mit seiner Entscheidung vom 21.9.1989 AP, NT. 43 zu § 77 BetrVG 1972 einen Riegel vorgeschoben. Ablehnend auch Hromadka, RdA 1992, 234, 250. 755 BAG, AP Nr. 142 zu § 242 BGB - Ruhegehalt; auch zum Folgenden.

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Teil 3: Die Legitimation von Eingriffen

nen Arbeitsbedingungen nutzen zu können. Das setze jedoch in der Mitbestimmung angelegte originäre Eingriffsbefugnisse notwendig voraus. b) Originäre Belastungsbefugnisse als Abweichung von der actus-contrarius-Doktrin Es wird hier nicht bestritten, daß das Konzept der ablösenden Betriebsvereinbarung zu einer praktikablen Lösung des eben wiedergegeben Problems führt. Zutreffend ist auch, daß das Recht praktikable Lösungen für soziale Interessenkonflikte bereithalten muß 756 • Praktikabilität allein reicht aber nicht, um Belastungsbefugnisse zu begründen757 • Das "praktische" Auslegungsergebnis muß vielmehr sämtlich Wertungen und Vorgaben des rechtlichen Umfeldes beachten758. Zu diesem Umfeld gehört aber zunächst einmal die Lehre vom actus contrarius. Hiernach sind für das Ändern und Aufheben einer Regelung diejenigen und nur diejenigen Rechtssubjekte zuständig, die sie geschaffen haben 759 . Eine kollektivrechtliche Lösung verstieße hiergegen, bezöge sie doch den am Zustandekommen der Regelung ursprünglich unmittelbar beteiligten Arbeitnehmer in das Änderungsverfahren nicht mit ein. Gewiß ist ein Abweichen von der actus-contrarius-Doktrin denkbar760• Jedoch bedürfte auch das einer besonderen Rechtsgrundlage. Eine derartige Rechtsgrundlage, die ausdrücklich normiert wäre, gibt es nicht1 61 . Daneben könnte sich diese Rechtsgrundlage zwar auch aus einer ungeschriebenen Rechtsnorm ergeben, die mit Hilfe von Prinzipien der Auslegung und Rechtsfortbildung abzuleiten wäre 762 . Das Suchen nach einer solchen Rechtsgrundlage ereignet sich aber in einer Rechtsordnung, die auf den Fundamenten der Privatautonomie, der Selbstbestimmung

756 Fastrich, RdA 1994, 129, 130; Larenz, Methodenlehre, S. 332 f.; Henkel, Rechtsphilosophie, S. 47 f.; Brugger, AöR 119 (1994), 1, 2, 6 Cf. spricht von Zweckmäßigkeit. 757 DietziRichardi, BetrVG, § 77 Rnz. 123. Gegen das Praktikabilitätsargument auch Coester, BB 1984, 797 f. 758 Richardi, NZA 1987, 185, 191. 759 Canaris, RdA 1974, 18, 24 f. Allgemein zum kompetenzielIen Gehalt der actuscontrarius-Doktrin auch B/eckmann, JuS 1988, 174, 176. 760 Canaris, RdA 1974, 18, 25. 761

Siehe oben 3. Teil, 2. Kapitel, § 9 B, S. 220 Fn. 308, § 116 E.

762

Canaris, RdA 1974, 18,25.

Kapitel 2: Der Nachweis einer Eingriffsgrundlage

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und dem Vertrauen in einen gemeinwohlverträglichen Gebrauch von Freiheit beruht. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob dies nicht alles gegen die Zulässigkeit einer Abweichung von der actus-contrarius-Doktrin spricht. Bei allen Meinungsverschiedenheiten - im Detail wie im Grundsätzlichen - wird man sich darauf verständigen können, daß dies zumindest dann der Fall wäre, werui sich mit individualrechtlichen Mitteln die gleichen Ergebnisse erzielen ließen wie mit einer ändernden Betriebsvereinbarung. Um die Leistungsfähigkeit des Individualrechts beim Abändern allgemeiner Arbeitsbedingungen beurteilen zu können, bietet es sich an, sich zunächst die Charakteristika von Einheitsregelungen in Erinnerung zu rufen und diese mit denen einer "echten" Individualabrede zu vergleichen. Auf dieser Basis können sodann die individualrechtlichen Lösungswege gewürdigt werden (d). c) Inhaltliche Besonderheiten allgemeiner Arbeitsbedingungen Allerdings braucht hierfiir nicht das "sattsam bekannte und bis zum Überdruß erörterte" Problem der allgemeinen Arbeitsbedingungen763 ein weiteres Mal ausgebreitet zu werden. Für den vorliegenden Zusammenhang reicht es, auf die rur den individualrechtlichen Weg wichtigen Besonderheiten hinzuweisen. Denn auch wenn in Einheitsregelungen und Gesamtvereinbarungen gewährte Sozialleistungen einen individualrechtlichen Ursprung haben, weisen diese Gestaltungsformen Besonderheiten auf, die sie von rein individual-vertraglich begründeten Ansprüchen unterscheiden: allgemeine Arbeitsbedingungen sind dadurch gekennzeichnet, daß sie auf einem Leistungsplan beruhen, der die den einzelnen Arbeitnehmern zukommenden Leistungen untereinander in ein Bezugssystem setzt164 . Dieses beruht auf zwei Grundentscheidungen: der über die Höhe der einzusetzenden fmanziellen Mittel und der über die Verteilungsgrundsätze 765 • Beide Entscheidungen sind nur in einem geschlossenen

763 So Canaris schon im Jahre 1974 in RdA 1974, 18. Zöllner nannte die Diskussion zur Ablösungsproblematik im Jahre 1988 "exzessiv", ZfA 1988,265,279. 764 Hilger/Stumpf, FS G. Müller, S. 209; Pfarr, BB 1983,2001,2004. 765 BAG, AP Nr. 17 zu § 77 BetrVG 1972; auch zum Folgenden. 21 Müller-Franken

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Teil 3: Die Legitimation von Eingriffen

System erreichbar und müssen notwendigerweise verfehlt werden, wenn die Ansprüche der Arbeitnehmer isoliert betrachtet würden. Jeder Arbeitnehmer kennt diesen kollektiven Charakter der Zusage und weiß seinen Anspruch eingebunden in dieses großflächige System766 • Die stärkere Anfälligkeit eines solchen Systems bei Veränderungen der wirtschaftlichen Grundlagen im Vergleich zu rein individuellen Ansprüchen ist für ihn offenkundig. Dies auch deshalb, weil Leistungswerke weit in die Zukunft greifen und damit in ihren Auswirkungen nicht ausreichend vorhersehbar sind. Das Vertrauen der Zusageempfänger in den unveränderten Fortbestand der Leistungsordnung ist folglich in dem Maße weniger ausgeprägt ist, als beiden Parteien der ständige Wandel des sozioökonomischen Umfeldes und dessen Einfluß auf die Finanzkraft des Arbeitgebers bewußt ist167 . Diese inhaltlichen Besonderheiten vertraglicher Einheitsregelungen haben zwar keinen Einfluß auf die "Rechtsnatur" der daraus erwachsenen Ansprüche. Diese "sind und bleiben" individualvertraglich begründete Ansprüche. Gleichwohl aber bedingen diese Aspekte sachimmanent die Anpassungsfähigkeit der Einheitsordnung und schwächen ihre rechtliche Bestandskraft768 . d) Individualrechtliche Lösungswege aa) Ä'nderungsvorbehalte

Vor diesem Hintergrund liegt es nahe, daß die Parteien des Arbeitsvertrages bereits im Arbeitsvertrag dem Arbeitgeber ausdrücklich ein einseitiges Änderungs- oder Widerrufsrecht bzw. - noch weitergehend - den Betriebspartnem ein Recht zur Ablösung der Einheitsregelung durch Betriebsvereinbarung

Coester, BB 1984, 797, 799. Lieb, SAE 1983, 130, 132; Löwisch, DB 1983, 1709, 1710; ders., SAE 1987, 185, 186; ders., NZA 1988,633,642 f. Vgl. auch den Hinweis von Höhne, RdA 1983, 233, 233, 234 auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, JZ 1982, 190, 191, zur Rentenanpassung, wonach bei einem Eingriff in schon bestehende Anwartschaften ,,zu berücksichtigen (ist), daß in ihnen von vornherein die Möglichkeit von Änderungen in gewissen Grenzen angelegt ist"; vgl. auch BVerfD, NJW 1980,692,693. 768 Coester, BB 1984,797,799. 766 767

Kapitel 2: Der Nachweis einer Eingriffsgrundlage

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vorbehalten haben769. Auf diese Weise wäre die Anpassungsfähigkeit von vornherein gewahrt. Ist das nicht der Fall, dürfte es die Konsequenz des oben Gesagten sein, bei sozialen Leistungen regelmäßig einen entsprechenden konkludenten Vorbehalt anzunehmen770 . Der Arbeitgeber bietet bei der Zusage von Sozialleistungen dem einzelnen Arbeitnehmer eben nicht eine nur auf ihn zugeschnittene Sonderzuwendung an. Er wendet sich an ihn vielmehr als Mitglied der Belegschaft mit dem Versprechen einer Leistung, die Bestandteil eines aufeinander abgestimmten Pakets und als solche durch die beschriebenen Unwägbarkeiten gekennzeichnet ist. Bereits aus der Tatsache, daß eine Sozialleistung angeboten werden soll, ergibt sich direkt, daß deren immante Bestandsschwäche konkludent miterklärt ist. Der Arbeitnehmer weiß um das vielfältige Eingebundensein des an ihn gerichteten Angebots. Nimmt er es an, beinhaltet seine Erklärung auch die Annahme des im arbeitgeberseitigen Angebot mitenthaltenen Änderungsvorbehaltes. Konsequenz auch eines derartigen konkludenten vertraglichen Vorbehaltes ist, daß notwendig werdendes Ändern privatautonom legitimiert ist1 71 . Weiter

769 Sog. "betriebsvereinbarungsoffener" Arbeitsvertrag, BAGE 39, 295, 302; Däubler, AuR 1984, I, 17. Widerrufs- und Änderungsvorbehalte sind auch bei Versorgungsordnungen zulässig. Sie stehen einer Pensionsrückstellung nur dann nach § 6a Abs. 1 Nr. 2 EStG im Wege, wenn sie in das freie Belieben des Arbeitgebers gestellt sind, vgl. BMF-Schreiben vom 30.6.1975 BStBl. I 1975,716,720 f. und Abschn. 41 Abs. 2 EStR. Da die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts in AP NT. 6 zu § 242 Ruhegehalt Unterstützungskassen jedoch dazu übergegangen ist, auch einen nicht an spezielle Voraussetzungen geknüpften Widerruf (steuerunschädlich) auf eine wesentliche Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage zu beschränken, gelten für Ruhegelder im Ergebnis damit keine Besonderheiten. 770 Coester, BB 1984, 797, 801; Wank, Einvernehmliche Änderung, S. 35,46 (akzeptierte man nur antizipierte Vertragsänderungen, würde kautelarjuristische Findigkeit privilegiert; es müssen daher auch nicht ausdrückliche ÄnderungsvorbehaIte anerkannt werden); Ahrend/Förster/Rühmann, BB Beil. 7/1987, 1, 13. In der Frage der Änderbarkeit entscheidend auf die Auslegung des Arbeitsvertrages stellen ab Isele, JZ 1964, 113, 117, 120; G. Hueck, FS Molitor, S. 203, 227; Neumann-Duesberg, JZ 1960, 525, 526; ders., Betriebsverfassungsrecht, S. 397 f.; Richardi, RdA 1983, 278, 287; DietziRichardi, BetrVG, § 77 Rnz. 124. Zweifelnd Hromadka, DB 1985, 864, 865 sowie ablehnend Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 79 u. Däubler, AuR 1984, I, 22. 771 Kemper, DB 1987,986,987. Das anerkennt auch Fastrich, RdA 1994, 129, 132. Letztlich dürfte das auch für die Ansicht von Lieb, SAE 1983, 130, 132 gelten, der dem Arbeitgeber in den Fällen weit in die Zukunft reichender und damit in ihren Auswir-

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Teil 3: Die Legitimation von Eingriffen

gelangt man auf diese Weise aber auch zu einer einheitlichen neuen Ordnung: ist das Änderungsrecht in einem "betriebsvereinbarungsoffenen" Arbeitsvertrag den Betriebspartnem direkt vorbehalten, hat die Rückführung der Gesamtdotation von vornherein mit dem Betriebsrat abgestimmt zu werden, wodurch die innerbetriebliche Leistungsgerechtigkeit gewährleistet wird. Aber auch der weniger weitgehende einseitige Widerrufs- bzw. Änderungsvorbehalt zugunsten des Arbeitgebers hat diese Wirkung. Zunächst steht es dem Arbeitgeber frei, auch diesen Vorbehalt von vornherein nur gemeinsam mit dem Betriebsrat durch eine Betriebsvereinbarung auszuüben 772. Geschieht dies nicht und macht der Arbeitgeber von dem ihm zustehenden Recht alleinigen Rückführens der Gesamtdotation Gebrauch, ist zu beachten, daß ein Kürzen der Gesamtdotation das innerbetriebliche Leistungsfiige betrifft; damit ist stets auch ein neuer Leistungsplan aufzustellen. Zur Wahrung der innerbetrieblichen Verteilungsgerechtigkeit hat der Betriebsrat über diesen dann aber (vorweg) mitzubestimmen 773 . Im Ergebnis kann damit ebenso ein Widerruf nur einheitlich gegenüber allen Arbeitnehmern ausgeübt werden. Damit gelangt man auch bei allen dem Arbeitgeber einseitig vorbehaltenen Maßnahmen i.E. zu einer einheitlichen neuen Ordnung. Auch das Bundesarbeitsgericht neigt verstärkt der Annahme konkludenter Vorbehalte zu. In einer zum Ruhegeldrecht ergangenen Entscheidung fiihrte das Gericht bereits im Jahre 1962 aus, das sich das (damals noch maßgebliche) Ordnungsprinzip "regelmäßig" aus der Auslegung der vorhergehenden Einheitsregelung bei Berücksichtigung ihres kollektiven Ursprungs ergebe774 . Der Große Senat des Bundesarbeitsgerichts ging in seiner Entscheidung zur ablösenden Betriebsvereinbarung sogar so weit zu sagen, daß allein der kollektive Bezug einer Zusage die Prüfung nahelege, ob sich der Arbeitgeber das Recht

kungen nicht ausreichend vorhersehbarer Regelungen ein einseitiges Widerrufsrecht zugestehen will und dies ausdrücklich auf der individualrechtlichen Regelungsebene ansiedelt. 772 Wenzeck, Die verschlechternde Betriebsvereinbarung, S. 174, 195; Hromadka, NZA Beil. 3/1987,2, \0 f. 773 Blomeyer, NZA 1985,641,645; Pfarr, BB 1983,2001,2007 f.; Lieb, SAE 1983, 130,132 f.; Coester, BB 1984,797, 803; Joost, RdA 1989,7,22 f. 774 AP NT. 87 zu § 242 BGB - Ruhegehalt mit zust. Anm. G. Hueck.

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vorbehalten wollte, die vertraglichen Zusagen später durch nachfolgende Betriebsvereinbarung zu ändern 775. Und was dieses Prüfen betrifft, so muß man den Großen Senat letztlich so verstehen, daß auch er regelmäßig zur Annahme konkludenter Änderungsvorbehalte gelangen wird. Das Gericht spricht diese Erkenntnis zwar nicht offen aus. Man wird sie jedoch einem konsequenten Zuendedenken seiner Entscheidung zur ablösenden Betriebsvereinbarung entnehmen müssen: es entwikkelt dort neben der - von einem (u.u. auch konkludenten) Änderungsvorbehalt abhängigen - verschlechternden noch eine zweite Variante belastender Betriebsvereinbarungen, die sog. umstrukturierende Betriebsvereinbarung. Bei dieser wird die - der Höhe der Gesamtdotation nach unverändert bleibende - Zuwendung unter den Belegschaftsangehörigen zwar lediglich neu verteilt, wobei individuelle Anspruchspositionen jedoch gekürzt werden können. Grund hierfiir seien die erwähnten inhaltlichen Besonderheiten freiwilliger sozialer Leistungen. Das Günstigkeitsprinzip stehe dem nicht im Wege' da es im Rahmen der sog. umstrukturierenden Betriebsvereinbarung auf einen sog. kollektiven Günstigkeitsvergleich ankomme, der die Gesamtheit der Arbeitnehmer im Auge habe und lediglich ein Herabsenken der Gesamtdotation verbiete. Der einzelne ist aber nicht völlig schutzlos, da er sich auf einen derartigen, u.U. mit einer Kürzung verbundenen kollektiven Günstigkeitsvergleich nur einzulassen brauche, wenn die kollektive Gestaltung der Zuwendung für ihn erkennbar war. Diese Erkennbarkeit sei jedoch bereits immer dann gegeben, wenn die Zuwendung aufgrund einer Gesamtzusage des Arbeitgebers den Arbeitnehmern gewährt werde. Daneben werde der einzelne aber regelmäßig sogar auch bei einer vertraglichen Einheitsregelung erkennen, daß der Arbeitgeber ihm die freiwillige soziale Leistung nicht aus individuellen Gründen, sondern nur als Mitglied des Betriebs oder einer Arbeitnehmergruppe angeboten habe. Macht der Große Senat Belastungen im Rahmen des kollektive Günstigkeitsvergleichs vom Kriterium der Erkennbarkeit des Kollektivbezugs abhän-

775 BAG, AP Nr. 17 zu § 77 BetrVG 1972 sub C 11 1 c; a.A. insoweit G. Hueck, FS MoIitor, S. 203, 227, der dem kollektiven Charakter allein einen Änderungsvorbehalt nicht entnehmen will. Zu konkludenten Änderungsvorbehalten vgl. ferner AP Nr. 25 zu § 77 BetrVG 1972.

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Teil 3: Die Legitimation von Eingriffen

gig, handelt es sich hierbei der Sache nach aber um nichts anderes, als einen vertraglichen Änderungsvorbeha1t776 • Bis hierher verdienen die Ableitungen des Großen Senats daher volle Zustimmung. Nicht zugestimmt werden kann seiner Argumentation jedoch, als er bei seinen Anforderungen an die subjektiven Voraussetzungen differenzieren will zwischen einer umstrukturierenden und einer verschlechternden Betriebsvereinbarung. Bei der umstrukturierenden Betriebsvereinbarung soll die bloße Erkennbarkeit des Kollektivbezugs ausreichen, während für einen vertraglichen Änderungsvorbehalt bei der verschlechternden Betriebsvereinbarung offenbar noch etwas zusätzliches hinzukommen muß 777 . Diese Differenzierung ist aus - auch vom Großen Senat als entscheidend angesehenen - individualrechtlichen Griinden nicht nachvollziehbar778 . Es bleibt offen, worin aus der Perspektive des einzelnen 779 der Unterschied liegen soll zwischen einer ablösenden Betriebsvereinbarung, die zu einer Verschlechterung der Gesamtdotierung führt und einer Betriebsvereinbarung, die aufs Ganze gesehen zwar nur eine Umstrukturierung bewirkt, seinen individuellen Anspruch aber kürzt1 80 . Aus der Sicht des einzelnen, im konkreten Fall nachteilig betroffenen Arbeitnehmers, ist es unerheblich, ob seine Sozialleistung wegen eines Herabsetzens der Gesamtdotierung oder "nur" aufgrund eines Umstrukturierens der Leistungsordnung verringert wird. Konsequent ist daher nur die folgende Lösung: für die Zulässigkeit von Einschnitten in individualrechtliche Positionen kommt es allein auf die Erkennbarkeit des Kollektivbezugs an. Die ist bei Sozialleistungen regelmäßig

Richardi, NZA 1987, 185, 190; ders., ZfA 1992,307,325. Löwisch, SAE 1987, 185; Hromadka, NZA Beil. 3/1987, 2,10. 778 Es sei nur hingewiesen darauf, daß das Erfordemis des Gleichbleibens der Gesamtdotation auch dem Arbeitgeber nichts bringt, kommt es so doch nicht zu einer wirklichen Entlastung, Loritz, ZfA 1991, 1, 30. Vor allem aber ist das kollektive Günstigkeitsprinzip dogmatisch nicht überzeugend, geht es bei dem Günstigkeitsprinzip doch um den Schutz der individuellen Vertragsfreiheit, was indes mit einem kollektiven Günstigkeitsprinzip nichts zu tun hat, Belling, OB 1987, 1888, 1893 f.; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 79 f.; Däubler, AuR 1987,349,353 ff. 779 Daß es mitbestimmungsrechtliche Gründe geben mag, die hier eine Differenzierung zu rechtfertigen vermögen, wie Richardi, NZA 1987, 185, 190 f. und NZA 1990, 331, 334 herausgearbeitet hat, dürfte nach dem selbstgewählten individualrechtlichen Ansatz des Bundesarbeitsgerichts keine Rolle spielen. 780 Löwisch, SAE 1987, 185. 776

777

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gegeben. Damit ist die individualrechtliche Ablösbarkeit, weil vorbehalten, der Regelfall. Gegen die Lösung des Problems mit Hilfe konkludenter Änderungsvorbehalte wurde eingewendet, sie führe zu Rechtsunsicherheit181 , arbeite mit Fiktionen782 und bilde das Recht letztlich fort 783 • Der Vorwurf der Rechtsfortbildung erstaunt zunächst, begreift sich doch die ablösende Betriebsvereinbarung von ihrem Selbstverständnis her selbst als Rechtsfortbildung 784, was sie auch muß, versucht sie doch eine ungeschriebene Rechtsgrundlage fiir ein Abweichen von der actus-contrarius-Doktrin nachzuweisen. Aber auch in der Sache ist er nicht zutreffend 785 • Rechtsfortbildung soll hier darin liegen, daß wenn ein entsprechender "wirklicher" Wille nicht feststellbar sei, der Änderungsvorbehalt nur mit dem hypothetischen Parteiwillen begründet werden könne 786 • Das Zurückgreifen auf den hypothetischen Parteiwillen schaffe jedoch Normen objektiven Rechts, wenn es um ein fiir den gesamten Vertragstypus charakteristisches, sich bei diesem allgemein und nicht nur im Einzelfall stellendes Problem gehe. Ein solches allgemeines Problem läge hier vor. Diese Kritik überzeugt nicht. Die Annahme eines konkludenten Vorbehalts hat mit einem hypothetischen Parteiwillen nichts zu tun. Es geht vielmehr allein darum, ob ein bestimmtes Verhalten als Willenserklärung aufzufassen ist und welchen Inhalt die so ermittelte Erklärung hat787 • Gegenstand der BetrachFastrich, RdA 1994, 129, 131 f.;Joost, RdA 1989,7,22. 782 Fastrich, RdA 1994, 129, 131; w: Blomeyer, FS Hilger/Stumpf, S. 41, 50 f.; Säcker, Gruppenautonomie und Übermachtkontrolle, S. 300 f. 783 Fastrich, RdA 1994, 129, 132. 784 Für die ablösende Betriebsvereinbarung ausdrücklich etwa BAG, AP NT. 141 zu § 242 BGB - Ruhegehalt sub III 3 ("Diese Lücke muß im Wege richterlicher Rechtsfortbildung geschlossen werden"); Hromadka, OB 1985, 864, 866 ("verdeckte Regelungslücke 785 Abgesehen von der ohnehin gegebenen Legitimität richterlicher Rechtsfortbildung, Bettermann, Die rechtsprechende Gewalt, § 73 Rnz. 28; vgl. auch §§ 132 Abs. 4 GVG, 45 Abs. 3 ArbGG, 11 Abs. 4 FGO, 11 Abs. 4 VwGO, 41 Abs. 4 SGG. 786 Fastrich, RdA 1994, 129, 131 (auch zum Folgenden). Sein Hinweis auf Canaris, RdA 1974, 18, 19 trägt seine Ansicht nicht. Canaris beschäftigt sich nur mit der Frage des Lösens eines allgemeinen Problems unter Rückgriff auf den hypothetischen Parteiwillen nachdem er das Vorhandensein eines wirklichen Willens verneint hat. Der schlüssige Vorbehalt beschäftigt sich indes alleine mit dem realen Willen. 787 Heinrichs, in: Palandt, BGB, § 157 Rnz. 2. 781

U

).

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Teil 3: Die Legitimation von Eingriffen

tung ist also gerade der reale, wenngleich auch nur schlüssig erklärte Wille. Auf den hypothetischen Willen käme es demgegenüber erst an, wenn der Vertrag eine Lücke enthält, es also auch keine konkludente Willenserklärung gibt1 88 • Nach hier vertretener Ansicht ist in den Erklärungen, die im Zusammenhang mit dem Zustandekommen von Vereinbarungen über soziale Leistungen abgegeben werden, ein schlüssiger Vorbehalt jedoch real miterklärt. Erst wenn es an ausreichenden Anhaltspunkten für einen Änderungsvorbehalt fehlte, stellte sich die Frage, ob der Vertrag ergänzend auszulegen wäre. Rechtssicherheit gehört zu den höchsten Zielen des Rechts und ist eine das juristische Auslegen leitende Zielvorgabe789 . Rechtsunsicherheit gilt es zu vermeiden. Jedoch entsteht die hier beklagte Rechtsunsicherheit allein dadurch, daß man in früheren Jahren bei der Auslegung und rechtlichen Würdigung freiwilliger Leistungen des Arbeitgebers wenig behutsam vorgegangen ist und ihm individualrechtlich die Möglichkeit genommen hat, freiwillige Leistungen zu reduzieren 79o . Der Betriebsverfassung ist dann die Aufgabe zugewachsen, die Lücke zu rullen, die sich dadurch auftat, daß man Einheitsregelungen und Gesamtvereinbarungen als kollektive Phänomene zwar individualrechtlich erklärte, aus ihrem kollektiven Charakter aber nicht die entsprechenden Konsequenzen bereits auf der individualrechtlichen Ebene gezogen hat1 91 ; man meinte, der kollektive Charakter zwinge zu einem Ausweichen auf die kollektive Ebene. Damit ergab sich aber ein Konflikt mit der These, materielles Umverteilen sei nicht Aufgabe der Betriebspartner, denn eine solche Aufgabe lasse sich weder aus der gesetzlichen Regelung noch aus den dahinterstehenden Zielsetzungen ermitteln792 • Mit zunehmender Unzufriedenheit über die kollektivrechtlichen Lösungen besann man sich daher auf den individualrechtlichen Ursprung des Problems zurück; dieses Rückbesinnen war indes nur halbherzig, was zu der - mit Recht - beklagten Rechtsunsicherheit fiihrte. Damit geht es aber im Kern einzig darum, wie dieses Phänomens auf der Ebene des Einzelvertrages zu erfassen ist. Hier ist alle Rechtsunsicherheit in dem Augenblick beseitigt, in dem man sich dazu bekennt, daß allgemeinen Arbeitsbedingungen

788 789 790 791 792

Heinrichs, in: Palandt, BGB, § 157 Rnz. 2,7. Vgl. nur Brugger, AöR 119 (1994), 1,2 ff. Loritz, ZfA 1991, 1,29. Loritz, ZfA 1991, 1, 29 f. Loritz, ZfA 1991, 1, 30.

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aufgrund ihres Kollektivbezugs für die Betroffenen erkennbar eine gewisse Bestandsschwäche eignet. Zwischen den Beteiligten besteht hierüber Konsens, was für eine Ablösung über Änderungsvorbehalte spricht. Ist man sich hierüber einig, dürfte auch der Vorwurf der Fiktion, des "so tuns, als ob"793, entkräftet sein. Es wird nicht so getan, als sei den Beteiligten erkennbar, daß es sich bei Sozialleistungssysteme um kollektive Phänomene handele, sondern nach hier vertretener Ansicht ist dies den Beteiligten erkennbar, sie wissen hierum und akzeptieren es.

bb) Ergänzendes Auslegen des Arbeitsvertrages Sofern sich im Einzelfall ein konkludenter Vorbehalt nicht nachweisen läßt, d.h. der einzelne den kollektiven Bezug nicht erkennen und dementsprechend von einer individuellen Zusage ausgehen konnte, wäre zu prüfen, ob es andere individualrechtliche Möglichkeiten gibt, Widerrufs-, bzw. Änderungsbefugnisse des Arbeitgebers oder der Betriebspartner zu begründen 794 . Der Vertrag wäre hier lükkenhaft. Damit wäre er aber ergänzend auszulegen, da ergänzende Vertrags auslegung zum Ziel hat, Regelungslücken in einem Vertrag zu schließen795 . Maßstab ist der hypothetische Parteiwille, d.h. die Frage, welche Regelung die Parteien im Hinblick auf den mit dem Vertrag verfolgten Zweck bei sachgerechter Abwägung ihrer beiderseitigen Interessen nach Treu und Glauben und unter Berücksichtigung der Verkehrs sitte getroffen hätten 796. Wäre den Beteiligten der Kollektivbezug bewußt gewesen, wird man sagen müssen, daß sich die begünstigten Arbeitnehmer bei Zugrundelegen der genannten Kriterien (Abwägung der beiderseitigen Interessen, Treu und Glauben und Berücksichtigung der Verkehrssitte) auf einen entsprechenden Vorbehalt eingelassen hätten 797. 793

Vaihinger, Die Philosophie des Als-ob, S. 46 ff.; v. Thur, Allgemeiner Teil I,

S.24. 794 Richardi, RdA 1983,278,288; ders., NZA 1987, 185, 189; ders., Betriebsverfassungsrechtliche Mitbestimmung, S. 39 ff.; DietziRichardi, BetrVG, § 77 Rnz. 124. Vgl. auch Wank, Einvernehmliche Änderung, S. 46 f. 795 Heinrichs, in: Palandt, BGB, § 157 Rnz. 2, 3. 796 BGH, NJW-RR 1990, 819; Jauernig, BGB, § 157 Anm. 2 c; Heinrichs, in: Palandt, BGB, § 157 Rnz. 7. 797 Kemper, BB 1987, 986, 987 f.; HöferIKisters-KölkerlKüpper, DB 1987, 1585,

1589.

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Nach hiesiger Konzeption dürfte ergänzendes Auslegen nur im Einzelfall notwendig werden. Damit kann die These von Canaris auf sich beruhen, daß dieses Rechtsinstitut dort nicht in Betracht komme, wo es um ein Problem gehe, das für einen gesamten Vertragstypus charakteristisch sei und sich bei diesem allgemein und nicht nur im Einzelfall stelle. Es möchte sein, daß in einem derartigen Fall unter dem Deckmantel des "hypothetischen Parteiwillens" in Wahrheit im Wege der Rechtsfortbildung dispositive Normen des objektiven Rechts geschaffen werden 798 . Das sich "typischerweise stellende Problem" kann nach hier vertretener Ansicht aber schon durch Auslegung des realen Parteiwillens gelöst werden. ce) Das konkrete Einverständnis

Sollte einem Arbeitsvertrag auch nicht durch ergänzendes Auslegen ein Änderungsvorbehalt entnommen werden können, könnte der Arbeitgeber immer noch konkret das Einverständnis des Arbeitnehmers zu einer Vertragsänderung einholen799 . Nach dem oben zum Thema "Verfassungserwartung" Gesagten dürfte es nicht angängig sein, grundsätzlich davon auszugehen, der einzelne werde sich einem notwendigen Ändern widersetzen8OO • Denn hält man die Anpassungsfähigkeit allgemeiner Arbeitsbedingungen für ein Gebot der Vernunft, ist nicht einzusehen, daß sich diese Vernunft erst mit Hilfe der Betriebsvereinbarung auf kollektiv-rechtlicher Ebene soll Bahn brechen können und dies nicht auch schon auf der individualrechtlichen Ebene möglich sein S01l801. Siedelte man das Problem demgegenüber auf der individualrechtlichen Ebene an, fügte eine solche Lösung sich ein in die Grundprinzipien der (Privat-) Rechtsordnung: sie verwirklichte Privatautonomie und wahrte zudem die Zuständigkeit zum actus contrarius. Canaris,RdA 1974, 18, 19. Für das Ruhegeldrecht gelten hier Besonderheiten. So steht nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts das Verzichtsverbot des § 3 Abs. 1 BetrAVG einem einvernehmlichen Ändern erdienter Anwartschaften entgegen, BAG, AP Nr. 13 zu § 17 BetrAVG; W. Blomeyer, Die Änderung von Versorgungsordnungen, S. 193, 199 f. 800 EbensoLöwisch,SAE 1987, 185, 186;Däubler,AuR 1984,1, 16f. 801 Coester, BB 1984, 797, 798. Dies belegen Beispiele aus der Praxis. So haben die 778 Beschäftigten der Gewerkschaft HBV flir die Jahre 1995 und 1996 auf Löhne und Gehälter in Höhe von DM 1, 3 Mill je Jahr verzichtet (ca. 1.700 DM pro Beschäftigter im Jahr), HB Nr. 12 vom 17.1.1995, S. 4. 798

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dd) Wegfall der Geschäftsgrundlage

Sofern auch dieser Weg fehlschlagen sollte, wäre noch inuner nicht ein Ausweichen auf die kollektivrechtliche Ebene notwendig, sondern es käme des weiteren Wegfall der Geschäftsgrundlage in Betracht802 . Auch das Rechtsinstitut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage verwirklicht das Prinzip der Selbstbestimmung mit seinem Subprinzip der Privatautonomie. Dies verstand sich von selbst, solange das Willensdogma die Vertragslehre beherrschte und dementsprechend die Geschäftsgrundlagenlehre allein auf den Parteiwillen abstellte 803 . Aber auch ihre Weiterungen um Gesichtspunkte objektiver Vertragsgerechtigkeit kommen nicht umhin, den Parteiwillen, den vertraglichen Risikorahrnen und die privatautonom ausgehandelte Leistungsäquivalenz zur Grundlage sowohl der Tatbestands- als auch Rechtsfolgenseite dieser Vertragskorrektur zu nehmen804 . Werden aufgrund einer normativen Kontrolle in Fällen schwerwiegender Äquivalenzstörungen die Beteiligten aus der Vertragsbindung entlassen, wird das Prinzip der privatautonom ausgehandelten Leistungsäquivalenz nicht angetastet, sondern gerade bestätigt805 . Im vorliegenden Zusammenhang ist ein besonderes Augenmerk auf den Aspekt der wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Arbeitgebers zu legen806 • Während Geldmangel im allgemeinen einer Partei nicht das Recht zur Anpassung des Vertrags gibt807 , ist beim Arbeitsverhältnis eine andere Betrachtungsweise angezeigt. Das Arbeitsverhältnis unterscheidet sich von sonstigen Schuldverhältnis sen dadurch, daß Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeinsam von den Erträgen des Unternehmens leben und diese Erträge gemeinsam erar-

802 BAG, AP Nr. 17 zu § 77 BetrVG 1972; Hromadka, NZA Beil. 3/1987, 1, 12; Däubler, AuR 1984, 1, 18 f. 803 Zu nennen ist hier Windscheid, Die Lehre des römischen Rechts von der Voraussetzung, passim. 804 Nicklisch, BB 1980, 949 ff., insbesondere 952 f. m.w.N. 805 Häsemeyer, FS Weitnauer, S. 67, 78. Vgl. bereits Schmidt-Rimpler, 1. FS Nipperdey, S. 1,3 ff. 806 Die wirtschaftliche Notlage war der Dreh- und Angelpunkt rur die Forderung nach der ablösenden Betriebsvereinbarung HilgerlStumpf, FS G. Müller, S. 209, 213 f. Speziell rur die betriebliche Altersversorgung Höhne, RdA 1983, 233, 234 ff.; Rühle, ZIP 1984,411,414. 807 Prinzip der unbegrenzten Vermögenshaftung, Heinrichs, in: Palandt, BGB, § 242 Rnz. 126, 140 u. § 279 Rnz. 4.

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Teil 3: Die Legitimation von Eingriffen

beiten808 ; insoweit trägt es gesellschaftsähnliche Züge809 • Hromadka hat daher vorgeschlagen, ein Leistungskürzungsrecht für überobligationsmäßige Leistungen bei Gewinnverfall, für das eigentliche Entgelt jedenfalls bei Existenzgefährdung anzunehmen 8lO • Die Ertragskraft des Unternehmens wird so zur Geschäftsgrundlage zugesagter Leistungen811 • Eine Betriebsvereinbarung griffe hier nicht mehr selbständig in Rechte der Arbeitnehmer ein. Sie brächte vielmehr nur die Rechtsfolgen äußerlich zum Ausdruck, die sich ohnehin bereits aus dem Wegfall der Geschäftsgrundlage ergeben812 • e) Zwischenergebnis Auf individualrechtlichen Wegen lassen sich damit die gleichen Ergebnisse erzielen, wie bei einem offenen Anerkennen der verschlechternden Betriebsvereinbarung 8l3 • Aus Gründen der Praktikabilität ist die Anerkennung originärer Belastungsbefugnisse damit nicht zwingend.

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Hromadka, RdA 1992,234,259. Hanau/Adomeit, Arbeitsrecht, S. 156 f. RdA 1992, 234, 259; ebenso Däubler, AuR 1984, I, 18 (wirtschaftliche Notla-

ge). 811 Hromadka, RdA 1992,234,259 f. Auch das Bundesarbeitsgericht ist bereit, bei der Anpassung von Sozialleistungen einen großzügigen Maßstab bei der Annahme des Wegfalls der Geschäftsgrundlage anzunehmen. Der Große Senat zitiert in seinem Beschluß zur ablösenden Betriebsvereinbarung (AP Nr. 17 zu § 77 BetrVG 1972) sub IV 2 die Rechtsprechung des 3. Senats in AP Nr. 6 zu § 1 BetrA VG - Ablösung zur Anpassung einer Überversorgung im Ruhegeldrecht. Während Wegfall der Geschäftsgrundlage bei der Zusage einer von ungewissen Faktoren abhängigen betrieblichen Altersversorgung im allgemeinen schwerwiegende und nicht vorhersehbare Veränderungen dieser Faktoren voraussetzt, soU es hier nur auf ein Überwiegen des Änderungsinteresses des Arbeitgebers gegenüber dem Beharrungsinteresse des Arbeitnehmers ankommen. 812 BAG, AP Nr. 17 zu § 77 BetrVG 1972 sub IV 2: "Der Anspruch wird kraft Gesetzes eingeschränkt oder faHt ganz weg". Zweifelnd aHerdings Fastrich, RdA 1994, 129, 133. 813 Das anerkennt im Grundsatz auch Fastrich, RdA 1994, 129, 132.

Kapitel 2: Der Nachweis einer Eingriffsgrundlage

333

ill. Ausgleichsfunktion betrieblicher Mitbestimmung? Schließlich wurde eine Befugnis der Betriebspartner zu Eingriffen in die Rechtsstellung des einzelnen im Rahmen von § 87 Abs. 1 BetrVG mit dem Gesichtspunkt einer besonderen Ausgleichsfunktion der betrieblichen Mitbestimmung begründet814 . Bei der Norm des § 87 Abs. 1 BetrVG gehe es auch um einen horizontalen Interessenausgleich unter den Arbeitnehmern, bei dem diese untereinander zu Solidaropfern verpflichtet seien. Die Privatautonomie des einzelnen sei hier überfordert. Nur eine auch fiir den einzelnen verbindliche Mitbestimmung sei geeignet, die Ausgleichsfunktion gegenüber widerstreitenden Individualinteressen durchzusetzen. Zu diesen Thesen ist folgendes zu sagen: auch wenn mit den bisher vorgetragenen Überlegungen ein dem Schutzzweck im konkreten Einzelfall vorgehender Teilhabezweck815 nicht ausgemacht werden konnte, so bedarf andererseits auch die These eines unbedingten Individualschutzes durch betriebliche Mitbestimmung der Einschränkung. Es hieße die Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten mißverstehen, wenn man meinte, das Interesse des einzelnen müßte sich nicht auch dem "Kollektivinteresse", genauer: dem Interesse eines anderen Arbeitnehmers oder einer Mehrzahl anderer Arbeitnehmer, unterordnen. Ein Blick auf den Katalog des § 87 Abs. 1 BetrVG zeigt, daß eine Reihe der dort geregelten Mitbestimmungstatbestände Interessenkonflikte innerhalb der Belegschaft betrifft, bei denen zwangsläufig die Interessen des einzelnen gegebenenfalls hintanstehen müssen816 . So können beispielsweise bei der Festsetzung der zeitlichen Lage des Urlaubs fiir einzelne Arbeitnehmer verschiedene UrlaubsWÜDsche mehrerer Arbeitnehmer miteinander konkurrieren (§ 87 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG)817; ähnliches gilt bei der Verwaltung von So-

H. Hanau, Individualautonomie, S. 105 ff. 815 Auch wenn Schutz- und Teilhabezweck nicht isoliert zu betrachten seien und sich Schutz durch Teilhabe verwirkliche, könne dem Teilhabegedanken durchaus der Vorrang gegenüber dem Schutzgedanken zukommen, Wiese, FS Kissel, S. 1269, 1282. 816 Hurlebaus, Fehlende Mitbestimmung, S. 74; Wiese, ZfA 1989, 645, 652; Reuter, ZfA 1975,85,87 f. 817 Hurlebaus, Fehlende Mitbestimmung, S. 100 f.; H. Hanau, Individualautonomie, S. 140; Reuter, ZfA 1975,85,88. 814

334

Teil 3: Die Legitimation von Eingriffen

zialeinrichtungen (§ 87 Abs. 1 Nr. 8 BetrVG)818 oder der Zuweisung von Werkmietwohnungen (§ 87 Abs. 1 Nr. 9 BetrVG)819. Hier versteht es sich von selbst, daß nicht alle Arbeitnehmer zur gleichen Zeit Urlaub nehmen oder etwa bei einer begrenzten Kapazität an Sozialeinrichtungen, bzw. einem beschränkten Kontingent an Werkmietwohnungen alle Interessenten mit ihren Wünschen zum Zuge kommen können; notwendig müssen in diesen Fällen die Interessen einzelner zurückgestellt werden. Aufgabe des Betriebsrats ist es dann, auf eine Lösung dieser Fälle nach dem Maßstab der sozialen Gerechtigkeit zu dringen820 . Es kann mit anderen Worten hier nicht nur darum gehen, Belange des einzelnen gegenüber dem Arbeitgeber zu wahren, sondern auch darum, einen Interessenausgleich innerhalb der Belegschaft sicherzustellen821 . Mitbestimmung kann in diesen Fällen also im Ergebnis durchaus auch zu Lasten des einzelnen gehen. Mag man dies als Konsequenz der kollektiven Einbindung des Arbeitnehmers in den Betrieb betrachten822 , dies einen horizontalen823 , bzw. kollektiven Interessenausgleich nennen oder eben hierin das Wirksamwerden einer ,,Ausgleichsfunktion"824 sehen. In der Sache geht es nur um Lösungen des faktischen Problems begrenzter Mittel und Möglichkeiten. Mit diesen Beispielen läßt sich aber nicht eine Ausgleichsfunktion belegen, die jenseits dieser Fälle Belastungen etwa bei der Kurzarbeit oder der Umverteilung vom Arbeitgeber gewährter Leistungen rechtfertigte: betrachtet man die beschriebenen Fälle genauer, so zeigt sich nämlich, daß es in ihnen stets nur darum geht, divergierende und konfligierende Interessen der Arbeitnehmer untereinander und gegeneinander auszugleichen. So muß etwa in dem erwähnten Fall, in dem nur eine Werkmietwohnung vergeben werden kann, ent-

818 Hurlebaus, Fehlende Mitbestimmung, S. 100 f.; H. Hanau, Individualautonomie, S. 140; Reuter, ZfA 1975,85,88. 819 Hurlebaus, Fehlende Mitbestimmung, S. 100 f.; H. Hanau, Individualautonomie, S. 140; Reuter, ZfA 1975,85,88. 820 Reuter, ZfA 1975, 85, 87; ReuterlStreckel, Grundfragen der betriebsverfassungsrechtlichen Mitbestimmung, S. 25. 821 Loritz, ZfA 1991, 1, 22; Wiese, in: GK-BetrVG, § 87 Rz. 90; Blomeyer, GS Dietz, S. 147, 158. 822 Hurlebaus, Fehlende Mitbestimmung, S. 74. 823 H. Hanau, Individualautonomie, S. 105. 824 H. Hanau, Individualautonomie, S. 105.

Kapitel 2: Der Nachweis einer Eingriffsgrundlage

335

schieden werden, wer sie erhalten soll. Damit diese Entscheidung getroffen werden kann, brauchen jedoch nicht über das Vehikel der Mitbestimmung Rechtspositionen und Gestaltungsmöglichkeiten des Arbeitgebers erweitert werden. Denn gäbe es keine betriebliche Mitbestimmung, so hätte der Arbeitgeber die fraglichen Angelegenheiten alleine zu regeln, also etwa die Werkmietwohnung unabhängig von der Mitwirkung Dritter zu vergeben (Nr. 9). Ebenso verwaltete der Arbeitgeber im betriebsratslosen Betrieb Sozialeinrichtungen alleine (Nr. 8) und setzte konkrete Urlaubszeitpunkte alleine fest (Nr. 5)825.

Die Notwendigkeit eines Ausgleichs in diesen Fällen ist aber noch kein Grund, mit Hilfe einer Ausgleichsfunktion der Mitbestimmung auch in anderen Fällen weitergehende Befugnisse des Arbeitgebers zu begründen. Daher könnte man auch nur insoweit von einer neuen Zuständigkeitsordnung sprechen, als der Arbeitgeber nicht mehr alleine entscheiden kann. Die Zustimmung des einzelnen bleibt in einer Reihe von Fällen zudem weiter erforderlich, so für den Abschluß des Mietvertrages über eine Werkmietwohnung oder die konkrete Inanspruchnahme einer Sozialeinrichtung. Sofern es bei der Festsetzung des konkreten Urlaubszeitpunktes auf den Konsens des einzelnen nicht ankommt, hat dies nichts mit der "neuen Zuständigkeitsordnung" der Betriebspartner zu tun, sondern dies ergäbe sich auch im betriebsratslosen Betrieb. Denn auch dort kann der Arbeitgeber den Urlaubszeitpunkt, wie erwähnt, notfalls gegen den Willen des einzelnen festsetzen. Wiese hat im Ergebnis daher völlig recht, wenn er sagt, daß der Gesetzgeber nicht gezwungen ist, die Betriebsverfassung ausschließlich an Individualinteressen zu orientieren, bzw. diesen bei der Auslegung der Mitbestimmungstatbestände stets Vorrang zukommen müßte, es vielmehr stets sorgfältiger Auslegung des einzelnen Tatbestandes bedarf, welches Interesse der Gesetzgeber hat schützen wollen826 • Nur: mit Ein825 BAG, AP Nr. 10 zu § 7 BUrlG, wobei der Arbeitnehmer nach § 7 Abs. 1 BUrlG allerdings einen Anspruch gegen den Arbeitgeber hat, daß dieser seine Urlaubswünsche nach Maßgabe betrieblicher Erfordernisse und sozial vorrangiger Urlaubswünsche anderer Arbeitnehmer berücksichtigt. 826 ZfA 1989,645,652. Vgl. auch Loritz, ZfA 1991, 1, 10 ff. (Mitbestimmung nur bei solchen Gegenständen, bei denen sie geeignet sei, die Position des einzelnen überhaupt nennenswert zu schützen oder bei denen die Interessen des einzelnen mit denen der anderen oder des Arbeitgebers in Einklang gebracht werden müßten. Wobei nicht nur in der rechtspolitischen Diskussion, sondern auch bei der Interpretation des geltenden Rechts zu fragen sei, ob eine Norm dem Betriebsrat ein Beteiligungsrecht zur Ver-

336

Teil 3: Die Legitimation von Eingriffen

griffsbefugnissen, die jenseits der Gestaltungsmöglichkeiten anzusiedeln wären, die dem Arbeitgeber auch im betriebsratslosen Betrieb zustehen, hat das alles nichts zu tun.

E. Ergebnis und Folgerungen für praktische Fälle

Als Ergebnis kann damit festgehalten werden, daß § 87 BetrVG auch nicht mit dem Argument einer materiellen Annexkompetenz, der Praktikabilität oder einer Ausgleichsfunktion unmittelbare Eingriffsbefugnisse entnommen werden können. Dies hat Folgen für praktische Fälle. So können mit Hilfe der Mitbestimung im Rahmen des § 87 BetrVG durch Betriebsvereinbarung weder Kurzarbeit eingeführt noch die Lohnzahlung von barer auf unbare umgestellt, noch den Arbeitnehmern damit zusammenhängende Kosten auferlegt werden. Aber auch die Finanzierung von Arbeitskleidung kann so nicht auf die Arbeitnehmer überbürdet werden. Weiter wäre es unzulässig, im Rahmen einer umstrukturierenden Betriebsvereinbarung Sozialleistungen zu kürzen, die aufgrund allgemeiner Arbeitsbedingungen gewährt wurden. Schließlich könnte auch eine Betriebsbußenordnung nicht eingeführt werden. Nach der Lehre vom Vorbehalt des Gesetzes sind all diese Regelungen mangels gesetzlicher Grundlage unwirksam. Für die Zukunft richtungweisend sind Vorschriften wie § 116 des Entwurfs eines Arbeitsgesetzbuches für das vereinte Deutschland. Dort bestimmte der Gesetzgeber selbst, unter welchen Voraussetzungen die Arbeitnehmer sich Kürzungen gefallen lassen müßten. Solange es solche Vorschriften jedoch nicht gibt, bedürften derartige Regelungen zusätzlich einer individualrechtlichen Grundlage. Die Untersuchung hat hier gezeigt, daß sich auf individualrechtlichen Wegen die gleichen Ergebnisse erzielen lassen, wie bei einem offenen Anerkennen der verschlechternden Betriebsvereinbarung827 . Man sollte daher damit aufhören, stets die mangelnde Leistungsfähigkeit des Individualrechts zu behaupten und das Heil im Kollektivrecht zu suchen. Die hier vorgeschlagene Betrachtungsweise machte Ernst

besserung der Rechtsstellung des einzelnen oder zu einem anderen Zweck zuweise und ob die Interpretation dieser Zielsetzung gerecht werde). 827 Das anerkennt im Grundsatz auch Fastrich, RdA 1994, 129, 132.

Kapitel 2: Der Nachweis einer Eingriffsgrundlage

337

mit den Thesen vom Arbeitnehmer, der seine Angelegenheiten kompetent selbst regeln kann828 . Sie machte sich den Lehrsatz zunutze, Freiheit und Mündigkeit des Arbeitnehmers könnten im Arbeitsverhältnis gerade durch ein Ausrichten des Kollektivrechts am Grundsatz der Subsidiarität gefördert werden829 • Auf diese Weise würde nicht nur dem ideengeschichtlichen Anliegen, sondern auch der verfassungsrechtlichen Grundlage betrieblicher Mitbestimmung entsprochen: der Selbstbestimmung des einzelnen zu dienen.

828

829

BiedenkopJ, FS Coing 11, S. 21, 29. Hromadka, FS 40 Jahre Der Betrieb, S. 241, 263.

22 Müller-Franken

Ergebnisse A. Für die unmittelbare und zwingende Wirkung der Betriebsvereinbarung ist die Selbstbestimmung des einzelnen keine Geltungsvoraussetzung. Sie fmdet ihre Rechtfertigung allein im staatlichen Rechtsgeltungsbefehl.

I. Die Wirkung von Betriebsvereinbarungen läßt sich auf die Selbstbestimmung der Arbeitnehmer nicht unter dem Aspekt der Selbstbindung zurückführen, da diese beim Abschluß der Betriebsvereinbarung nicht selbst handeln; Handelnder ist allein der Betriebsrat). Für dessen Mitglieder kann man ebenfalls nicht von einer Selbstbindung sprechen, da diese sich als Inhaber eines Amtes der gleichzeitigen Erledigung eigener Angelegenheiten zu enthalten haben. Ob die Arbeitnehmer die Stellung der Partei der Betriebsvereinbarung innehaben, spielt fiir Selbstbestimmung qua Selbstbindung keine Rolle 2• 11. Eine privatautonome Legitimation nach den Regeln der Stellvertretung kommt auch nicht in Betracht, da der Betriebsrat kein gewillkürter Vertreter des einzelnen Arbeitnehmers ist. Ein hierfur notwendiges Verhalten, das als Willenserklärung mit dem Inhalt einer Bevollmächtigung angesehen werden kann, läßt sich nicht nachweisen3 . Da es fiir eine privatautonomen Geltungsvoraussetzung unter dem Aspekt der Stellvertretung darauf ankommt, daß das Vertreterhandeln seinerseits durch die Selbstbestimmung des Vertretenen autorisiert, die Vertretungsmacht also durch ein Rechtsgeschäft erteilt ist, scheiden gesetzliche Vertretung sowie die Kategorie des privatheteronomen Rechtsgeschäfts hier schon im Ansatz aus 4 . III. Eine Unterwerfung unter die Gestaltungsmacht der Betriebspartner läßt sich nicht belegen. Den Abschluß des Arbeitsvertrages bzw. den Eintritt in den Betrieb in diesem Sinne zu interpretieren, ist nicht angängig 5. Im freiheitlichen ) 2. Teil 2. Teil 3 2. Teil 4 2. Teil 5 2. Teil

2

I. I. I. I. I.

Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel

§ 2 A, S. 47 ff. § 2 B, S. 49 f. § 3 B I, S. 52. § 3 B 11, III, S. 53 ff. § 4 B I, S. 56 ff.

Ergebnisse

339

Staat verbietet es sich, im Abschluß eines Arbeitsvertrages einen personenrechtlichen Statusvertrag zu sehen. Das Arbeitsverhältnis ist kein Statusverhältnis, sondern untersteht dem Prinzip der Privatautonomie; sein Inhalt folgt dem Vertragsprinzip. Auch die Wahlen zum Betriebsrat stellen keinen selbständigen individualrechtlichen Unterwerfungsakt dar, da Betriebsräte nicht nach dem Einstimmigkeitsprinzip, sondern nach den Grundsätzen der Verhältnis- oder der Mehrheitswahl gewählt werden6 . Bei den letztgenannten Gestaltungen ist aber die Möglichkeit angelegt, daß ein Arbeitnehmer von der Mehrheit überstimmt und ihm ein Betriebsrat aufgezwungen wird, den er nicht gewählt hat. Der Arbeitnehmer hat auch keine Möglichkeit, dem Betriebsrat sein Mandat überhaupt zu verweigern. IV. Die Betriebsvereinbarung läßt sich auch nicht dadurch auf das Prinzip der Privatautonomie zurückführen, daß man sie dem Statut eines privatrechtlichen Verbandes gleichstellt. 1. Zwar ruhen gesellschaftsrechtliche Satzungen auf einem privatautonomen Fundament und dies nicht nur bei ihrer Errichtung, sondern auch als "Verfassung des ins Leben getretenen Verbandes"7. 2. Aber weder der Betrieb als solcher noch die Belegschaft, noch ein Belegschaft und Arbeitgeber vereinigender Betriebsverband, können als privatrechtliche Verbände qualiflziert werden. Der Betrieb ist ein tatsächliches Gebilde, bei dem es an sämtlichen Merkmalen eines Verbandes fehlt 8 . Diese fehlen aber auch bei einem Belegschafts-, bzw. Betriebsverband: Die hierfür in Betracht kommenden Bereiche tragen keinen eigenen Namen, verfügen über keine Organe und besitzen kein Satzungsrecht in eigenen Angelegenheiten. Insbesondere verfolgen sie keinen gemeinsamen Zweck: Die Belegschaft ist kein privatautonomer Zusammenschluß zur Verfolgung eines gemeinsamen, selbst gesetzten Zieles9 • Aber auch ein "Betriebsverband" ist kein solcher Zusammenschluß, weil Arbeitgeber und Belegschaft nicht miteinander verbunden sind, um gemeinsame, sondern um typischerweise entgegengesetzte Interessen zu verfolgen. Bei letz2. 7 2. 8 2. 9 2. 6

Teil Teil Teil Teil

1. Kapitel I. Kapitel 1. Kapitel 1. Kapitel

§ 4 B H, S. 59 ff. § 5 A IV, S. 71 ff. § 5 B I, S. 76 f. § 5 B 11, S. 77 ff.

340

Ergebnisse

terem fehlte es zudem am Merkmal der Unabhängigkeit vom Mitgliederwechsepo. B. Die Betriebsvereinbarung ist als Rechtsnorm zu qualiftzieren und zwar, da die Betriebspartner Privatrechtssubjekte sind, als außerstaatliche, private RechtsnormlI. Sie setzt geltende, generell-abstrakte Imperative, denen die für Rechtsnormen typische heteronome Wirkung innewohnt. Dieser Qualiftkation steht nicht im Wege, daß der Staat nicht Urheber des jeweiligen Norminhalts ist l2 .

c.

Die Verbindlichkeit der in Betriebsvereinbarungen enthaltenen Normen speist sich allein aus dem staatlichen Rechtsgeltungsbefehl. I. Eine ursprüngliche Rechtsetzungsgewalt der Betriebspartner sowie sonstige Rechtsetzungsbefugnisse ("soziale Selbstverwaltung"), die sich nicht ausdrücklich auf das staatliche Recht zurückführen lassen, sind nicht anzuerkennen. Sie verstießen gegen die Souveränität des modemen Staates 13. Souveränität sperrt sich jedoch nicht grundsätzlich gegen nichtstaatliche Rechtsetzung, sie bedeutet kein Normsetzungsmonopol des Staates. Auch die Verfassung der auf Souveränität hin angelegten Bundesrepublik läßt nichtstaatliches, privat gesetztes Recht vielmehr ausdrücklich ZU14. Die Betriebspartner formulieren die in Betriebsvereinbarungen enthaltenen Sollensanordnungen, so daß sie auch deren Rechtsetzer sind; Betriebsvereinbarungen sind keine Tatbestandsmerkmale oder Verweisungsobjekte einer staatlichen Norm l5 . 11. Staatliche Souveränität verlangt aber, daß der Staat zwingend an der Entstehung von Recht mitwirkt und zwar in der Weise, daß er es als Recht anerkennt I6.

10

2. Teil I. Kapitel § 5 B I1I, S. 94 ff.

11

2. Teil 2. Kapitel § 6 B 11 2, S. 110 f. i.V.m. S. 106 ff.

12

2. Teil 2. Kapitel § 6 B 11 3, S. 111 ff.

13

2. Teil 2. Kapitel § 6 C 11 2,11 2 C, S. 123 ff., 140 ff.

14

2. Teil 2. Kapitel § 6 C 11 2 a bb

15

2. Teil 2. Kapitel § 6 C III 2, S. 160 f.

16

2. Teil 2. Kapitel § 6 C 11 2 c, S. 140 ff.

ß, S.

128 ff.

Ergebnisse

341

Dies ergibt sich daraus, daß die für eine Rechtsnonn konstitutive Rechtsgeltung nur von demjenigen garantiert werden kann, der alles Recht notfalls effektiv durchsetzen kann l7 . Das ist kraft seiner Souveränität der Staat. Er hat hierdurch kein Rechtsetzungs-, sondern ein Rechtsanerkennungsmonopol (Rechtsgeltungsmonopol) 18 • III. Den notwendigen Rechtsgeltungsbefehl erteilt er bei der Betriebsvereinbarung nicht dadurch, daß er staatliche Rechtsetzungsgewalt auf die Betriebspartner delegiert. 1. Die Betriebspartner sind Privatrechtssubjekte und müßten, um auf sie delegierte Hoheitsgewalt innehaben zu können, als Beliehene zu qualiftzieren sein und staatlicher Aufsicht unterstehen. Beides ist nicht der Fa1l 19 . Eine Delegation kann sich aber auch nicht in der Weise vollziehen, daß der Staat bei der Übertragung seiner hoheitlichen Gewalt diese in eine "privatrechtliche Hoheitsgewalt" verwandelt, da der delegierende Staat die Fonn der von ihm stammenden und übertragenen Rechtsetzungsmacht nicht festlegen kann20 • 2. Der Staat verleiht einem privat gesetzten Verhaltensbefehl die Eigenschaft von Recht vielmehr in der Weise, daß er ihn durch einen Geltungsbefehl dem objektiven Recht zuordnet und hiermit seine Geltung garantiert (sog. zweigleisige Nonnentstehung)2l. Für das betriebliche Regeln bedeutet dies, daß zwingend und konstitutiv an eine Nonn anzuknüpfen ist, die eine derartige Zuordnung vornimmt. Dies ist hier § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG zu entnehmen. D. In Betriebsvereinbarungen enthaltene Eingriffe bedürfen einer besonderen Legitimation, da der Vorbehalt des Gesetzes für eingreifende betriebliche Regelungen Geltung beansprucht22 . Es kommt darauf an, ob sich im Einzelfall bei einem Eingriff in grundrechtlich geschützte Freiheitsbereiche eine spezielle, dem Bestimmtheitsgebot genügende parlamentsgesetzliche Ennächtigungsgrundlage nachweisen läßt.

17

2. Teil 2. Kapitel § 6 C 11 2 b bb

ß, S.138 ff.

18

2. Teil 2. Kapitel § 6 C 11 2 c, S. 140 ff.

19

2. Teil 2. Kapitel § 6 C III 1 a, S. 150 ff.

20

2. Teil 2. Kapitel § 6 C III 1 b, S. 157 f.

21

2. Teil 2. Kapitel § 6 C III 2, S. 158 f.

22

3. Teil I. Kapitel § 8 B 11, S. 180 ff.

342

Ergebnisse

I. Im Zusammenhang mit dem Zustandekommen von Betriebsvereinbarungen fmden sich Ordnungsprinzipien, die sonst nur anzutreffen sind, wenn ein Bereich öffentlich-rechtlich organisiert ist:

1. Der einzelne kann der korporativen Zwangsordnung und den Kompetenzen des Betriebsrats bei seinem Eintritt in den Betrieb ebensowenig durch eine dahingehende Erklärung entgehen, wie der Student der Zwangsmitgliedschaft in der öffentlich-rechtlich verfaßten Studentenschaft23 . 2. Geheime und unmittelbare Wahlen des Repräsentationsorgans Betriebsrat durch die Arbeitnehmer sind Formen der Organisation, die stark der Willensbildung im staatlichen, im kommunalen und in sonstigen (Selbstverwaltungs-) Bereich( en) ähneln24 . Das Strukturprinzip der Repräsentation ist in erster Linie ein solches des Staatsrechts. 3. Arbeitgeber und Betriebsrat sind keine Hoheitsträger, sondern Privatrechtssubjekte, § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG damit kein Rechtssatz des öffentlichen Rechts 25 . Die Möglichkeit der Betriebspartner, einseitig ohne Beteiligung des einzelnen eine diesen bindende Rechtsfolge in Geltung zu setzen, ist jedoch für das Privatrecht einzigartig. Sie verfugen über quasi-hoheitliche Befugnisse, da das einseitige Bewirken von Rechtsfolgen gerade für das öffentliche Recht typisch ist26 . 11. Der Betriebsrat verdankt - wie staatliche, gemeindliche und andere öffentlich-rechtlich verfaßte Wirkungseinheiten - seine Legitimation einzig dem Gesetz27 . Dann kann aber diese Wirkungsmacht ihre Grenzen ebenfalls nur imVorbehalt des Gesetzes finden 28 . Anderenfalls erhielten die Betriebspartnern de facto die Stellung eines ungezügelten Hoheitsträgers. Die hiermit verbundenen freiheitsreduzierenden Effekte, denen für die Frage der Schutzbedürftigkeit des Individuums primäre Bedeutung zukommt, sind aber unabhängig davon, ob die Betriebsräte auch der

23

3. Teil I. Kapitel § 8 A I, S. 165 f.

24

3. Teil I. Kapitel § 8 A III, S. 169 ff.

25

3. Teil I. Kapitel § 8 A III, S. 169 ff.

26

3. Teil I. Kapitel § 8 A III, S. 169 ff.

27

3. Teil I. Kapitel § 7, S. 163 ff.

28

3. Teil I. Kapitel § 8 BIll, S. 180 ff.

Ergebnisse

343

Rechtsfonn nach als öffentlich-rechtliche Einheiten verfaßt oder als Privatrechtssubjekte zu qualifizieren sind29 • III. Die Wesentlichkeitsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts braucht für den vorliegenden Zusammenhang nicht herangezogen zu werden, da diese nur das Ziel hatte, die Notwendigkeit eines parlamentarischen Gesetzes für ein Handeln der Exekutive in bestimmten, grundrechtsrelevanten Fragen auch unabhängig von dem Kriterium des Eingriffs zu begründen30 . IV. Vorliegend ist schon direkt der Eingriffsvorbehalt angesprochen, da es um Eingriffe in die Freiheit (Betriebsbußen, Vertragsstrafen), die Selbstbestimmung der Arbeitnehmer, speziell die berufliche (Kurzarbeit), mitunter auch in deren Eigentum (Ausschlußfristen, Abtretungsausschluß, ablösende Betriebsvereinbarung) geht3 !. Zudem ist der vom Bundesverfassungsgericht formulierte SchutzauJtrag des parlamentarischen Gesetzes gefordert, der überall Beachtung verlangt, wo Gruppeninteressen anstelle des Gemeinwohls Freiheiten des einzelnen beschneiden32 . Im betrieblichen Geschehen fehlt es an Distanz zwischen den Betriebspartnern und ihren Entscheidungsgegenständen und droht die Gefahr einseitiger Entscheidungen33 . V. Zum Tragen kommt gegenüber freiheitsbeschneidenden Betriebsvereinbarungen weiter die kompetentielle Bedeutung der grundrechtlichen Gesetzesvorbehalte 34 • Die Gesetzesvorbehalte der Grundrechte umschreiben nicht nur deren Grenzen zugunsten schutzwürdiger Gemeinschaftsgüter, d.h. treffen die Aussage, daß Grundrechte überhaupt eingeschränkt werden können. Zugleich bestimmen sie auch, wer eine solche Einschränkung vornehmen darf; hierbei legen sie fest, daß es grundsätzlich Sache des parlamentarischen Gesetzgebers ist, grundrechtliche Freiheitsbereiche zu begrenzen. Diesem ist die Entscheidung darüber zugewiesen, welche Gemeinschaftsinteressen so gewichtig sind, daß das Freiheitsrecht des einzelnen zurücktreten muß.

29

3. Teil!. Kapitel § 8 BIll, S. 180 ff.

30

3. Teil!. Kapitel § 8 B I 1, S. 172 ff., 11 2 e, S. 188 ff.

31

3. Teil!. Kapitel § 8 B 11 2, S. 183 ff.

32

3. Teil !. Kapitel § 8 B 11 2 b, S. 185.

33

3. Teil 1. Kapitel § 8 B 11 2 b, S. 185.

34

3. Teil!. Kapitel § 8 B 11, B 11 2 c, S. 172 ff., 185 ff.

344

Ergebnisse

Das Gemeinwohl zu beachten und nach Lage der Dinge über das eigene Gruppeninteresse zu stellen, wird von den Beteiligten nicht verlangt. Das Gesetz legt sie vielmehr auf das Wohl der Arbeitnehmer und des Betriebes fest; eine Gemeinwohlklausel hat es nicht mehr mitaufgenommen (§ 2 Abs. 1 BetrVG)35. VI. Im Demokratieprinzip ist die (Organ-) Souveränität des Parlaments verankert. Es ist eine Konsequenz dieses grundgesetzlichen Prinzips, daß Hoheitsbefugnisse nur begründet werden können, wenn hieran das Parlament beteiligt ist36 • Gegen diese Aussage würde verstoßen, interpretierte man z.B. allgemeine Kompetenznormen des Betriebsverfassungsgesetzes gleichzeitig als Blankoeingriffsermächtigungen; es fehlte an einer substantiellen Beteiligung des Parlaments37 . Dies wird durch das Handeln der Betriebspartner nicht kompensiert, da diese nicht demokratisch legitimiert oder an demokratische Strukturen gebunden sind38 • VII. Die Gründe, die für eine Zurücknahme des Vorbehaltes des Gesetzes in außerstaatlichen öffentlich-rechtlichen Bereichen sprechen, nämlich das besondere Legitimationsniveau der Selbstverwaltung oder die Lehre vom Verwaltungsvorbehalt, treffen sämtlich auf die Betriebsverfassung nicht ZU39. VIII. Es gibt keine speziellen betriebsverfassungsrechtlichen Gründe, die besondere Eingriffsermächtigungen entbehrlich machten. Bei den Betriebsvereinbarungen geht es nicht um Privatautonomie auf höherer Ebene, da es an einem individuellen, auf die Privatautonomie des einzelnen rückfiihrbaren Akt fehlt"°. Der Betriebsrat ist nicht selbst Grundrechtsträger; sieht man dies anders, so wäre es zumindest verfehlt, eine Kollision zu Lasten der Grundrechte der Arbeitnehmer anzunehmen41 • Den Vorbehalt des Gesetzes hier zu beachten, mißachtete auch nicht die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft"2. 35 3. Teil 1. Kapitel § 8 B II 2 C, S. 185 ff. 36 3. Teil 1. Kapitel § 8 B I I, B II 2, S. 171 ff., 183 ff. 37 3. Teil!. Kapitel § 8 B II 2, 183 ff. 38 3. Teil 1. Kapitel § 8 B II 3 b, S. 195 ff. 39 3. Teil!. Kapitel § 8 B II 3 a, b, S. 192 ff., 195 ff. 40 3. Teil 1. Kapitel § 8 B III I b, S. 202 ff. 41 3. Teil 1. Kapitel § 8 B III 2 b, c, S. 209 ff., 212 ff. 42 3. Teil 1. Kapitel § 8 B III 3, S. 214 ff.

Ergebnisse

345

E. Sowohl die These von der umfassenden Rechtsetzungskompetenz als auch der Hinweis auf den allgemeinen Geltungsbefehl vermögen den Betriebspartnern keine Eingriffsbefugnis zu verleihen. I. Die allgemeine Regelungskompetenz in sozialen Angelegenheiten i.V.m § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG in seiner Auslegung durch das Bundesarbeitsgericht genügt nicht den Anforderungen an eine besondere Eingriffsgrundlage, die sonst an die Rechtsetzung nichtstaatlicher Einheiten angelegt werden43 • Es handelt sich um eine Blankettnorm, eine Generalklausel, die mangels Bestimmtheit als Eingriffsgrundlage nicht in Betracht kommt«.

11. Das gleiche gilt für die "Kompetenzvorschriften" der §§ 77 Abs. 3, 88 BetrVG. § 77 Abs. 3 Satz I BetrVG, der in seinem Ausgangspunkt die Abgrenzung der tariflichen von der betrieblichen Rechtsetzung beschreibt, stellt keine den Anforderungen des Vorbehaltes des Gesetzes genügende Ermächtigungsgrundlage dar45 . Aber auch § 88 BetrVG kommt als Eingriffsgrundlage nicht in Betracht. Diese Norm beschreibt zwar ihren Anwendungsbereich mit bestimmten Merkmalen; bei den dort vorgesehenen Maßnahmen handelt es sich aber ausschließlich um Unternehmungen zugunsten der Arbeitnehmer. Sofern mit Hilfe des Adverbs "insbesondere" aus § 88 BetrVG weitergehende Eingriffsbefugnisse abgeleitet werden sollen, bestehen gegen diese Methode die gleichen Bedenken, die hier auch gegen die gängige Interpretation des § 77 Abs. 4 Satz I BetrVG geltend gemacht wurden. § 88 BetrVG erhielte die Funktion eines Blankettatbestandes46 . III. Hieraus folgt, daß in der Praxis übliche Regelungen, die allein mit § 88 BetrVG, einer Zusammenschau der §§ 88, 77 BetrVG und dem Hinweis auf eine sich aus diesen Normen ableitende umfassende Regelungskompetenz in sozialen Angelegenheiten begründet werden sollen, sich nicht auf eine hinreichend bestimmte gesetzliche Grundlage berufen können. Die eingangs erwähnten Beispiele von Betriebsvereinbarungen über Vertragsstrafen, Ausschlußfristen Abtretungsverbote und Kosten der Arbeitskleidung, die mit die-

43

3. Teil 2. Kapitel § 9 B, S. 220 ff.

44

3. Teil 2. Kapitel § 9 B, S. 220 ff.

45

3. Teil 2. Kapitel § 9 B, S. 220 ff.

46

3. Teil 2. Kapitel § 9 B, S. 220 ff.

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Ergebnisse

sen Normen gerechtfertigt werden, sind daher bereits aus diesem Grunde als unzulässig anzusehen47 . F. Auch dem § 87 BetrVG kann in den von ihm geregelten Fällen eine eigenständige Eingriffsermächtigung nicht entnommen werden. I. Das Betriebsverfassungsgesetz aus dem Jahre 1972 hat (jedenfalls) mit den Nm. 3 und 11 seines § 87 Abs. 1 materielle Arbeitsbedingungen in den Katalog der erzwingbaren Mitbestimmung aufgenommen, so daß seither nicht mehr argumentiert werden kann, weil es sich z.B. bei der Einführung von Kurzarbeit um eine materielle Arbeitsbedingung handele, sei diese Angelegenheit allein aus diesem Grunde mitbestimmungsfrei. Dies bedeutet aber nicht automatisch, daß § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG auch eine eigenständige Ermächtigungsgrundlage für das Einführen von Kurzarbeit darstellen muß, weil über diese materielle Arbeitsbedingung immer noch mitzubestimmen wäre, wenn eine solche Maßnahme nur aufgrund einer anderweitigen individual- oder tarifvertraglichen, bzw. gesetzlichen oder behördlichen Ermächtigung zulässig wäre48 .

11. Der Wortlaut des § 87 BetrVG spricht eher gegen als für Eingriffsbefugnisse 49 . Mitbestimmen bedeutet, daß es zunächst einmal überhaupt etwas zu bestimmen geben muß, woran jemand dann mitbestimmend beteiligt werden kann. Der Normtext erfaßt so den Fall der einseitigen Weisung, Gestaltung, Anordnung etc. Aber auch den Fall des Vertrags schlusses wird man bei erweiternder Auslegung des mitbestimmungsrelevaten "Bestimmens" als vom Normtext abgedeckt ansehen können. Die Zuweisung einer von einer arbeitgeberseitigen Bestimmungsmacht abgekoppelten neuen Zuständigkeitsordnung läßt sich ihm nicht unmittelbar entnehmen. III. Als Zweck des Gesetzes wird man nach dem Willen des Gesetzgebers, der dem Bericht der Mitbestimmungskommission entnommen werden kann, den Schutz der Arbeitnehmer ausmachen können 50 . 1. Gemeint ist hier mit Schutz kein Kollektiv-, sondern ein Individualschutz, da die Mitbestimmungskommission das Erfordernis der überbetrieblichen un-

47 48 49 50

3. Teil 2. Kapitel 3. Teil 2. Kapitel 3. Teil 2. Kapitel 3. Teil 2. Kapitel

§ 9 C, S. 222 f. § 10 A IV, S. 237 ff.

§ \0 BIll, S. 242 ff.

§ lOB II 3 a aa, S. 250 f.

Ergebnisse

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ternehmerischen wie der betrieblichen Mitbestimmung ableitet aus dem Gebot der Achtung der Menschenwürde. Menschenwürde kann aber immer nur dem einzelnen, nie einem - wie immer gearteten - Kollektiv zukommen5 I. 2. Dem Schutzzweck der Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten widerspräche es, Eingriffsbefugnisse aus ihm abzuleiten. Schutz bedeutet, die sich aus der Zugehörigkeit des Arbeitnehmers zu einem Arbeitsverband ergebende tatsächliche und rechtliche Abhängigkeit zu beseitigen oder jedenfalls abzuschwächen. Die Lehre von der Kompetenzzuweisung verschafft dem Arbeitgeber jedoch auch dort Rechtsgrundlagen fiir sein Handeln, wo sie sonst fehlen. Aus der Perspektive des einzelnen bedeutete dies ein Mehr an Fremdbestimmung, zusätzliche Lasten und damit eine Schlechterstellung gegenüber der Lage vor Einführung der Mitbestimmung52 • IV. Eingriffsbefugnisse können nicht mit Hilfe eines Teilhabezwecks begründet werden, da sich ein solcher Zweck jedenfalls mit den ihm hier zugesprochenen Wirkungen als Bedeutung des Wortes mitbestimmen weder aus dem Willen des Gesetzgebers53 noch aus objektiv-teleologischen Überlegungen ableiten läßt. 1. Die Norm hat die Einschränkung von individualvertraglichen Ausweichmöglichkeiten des Arbeitgebers nicht zum eigenen Zweck. Bei den hiermit zusammenhängenden Auslegungsfragen geht es vielmehr nur um das Problem der Abwehr einer Gesetzesumgehung54 . 2. Auch durch das Initiativrecht des Betriebsrats wird ein solcher Teilhabezweck nicht bestätigt, da dessen Grundlagen zumindest im Hinblick auf die hier aus ihm abzuleitenden Wirkungen nicht überzeugend genug dargetan sind55 . 3. Der Gedanke betrieblicher Demokratie gibt für den Teilhabezweck ebenfalls keine Rechtfertigung ab 56 • Eine wie immer geartete Demokratisierung der Gesellschaft ist kein Gebot der Verfassung, sondern liegt in der politischen

51

3. Teil 2. Kapitel § 10 B I13 a aa, S. 250 f.

52

3. Teil 2. Kapitel § 10 B II 3 a bb, S. 252.

53

3. Teil 2. Kapitel § 10 C I, S. 255 ff.

54

3. Teil 2. Kapitel § 10 C 11 I, S. 257 ff.

55

3. Teil 2. Kapitel § 10 C II 2, S. 261 ff.

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3. Teil 2. Kapitel § 10 C 11 3, S. 265 ff.

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Ergebnisse

Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers. Dabei verbietet das Grundgesetz eine totale Erstreckung des demokratischen Prinzips auf die Gesellschaft, da dies das Ende individueller Freiheit bedeutete. Seine Begrenzung auf die staatliche Herrschafts- und Entscheidungsgewalt ist Grundbedingung individueller Freiheit. 4. Ein Teilhabezweck mit der beschriebenen neuen Zuständigkeitsordnung ergibt sich aber auch nicht aus dem Gebot der Achtung der Menschenwürde. Eine Befreiung des einzelnen aus seiner Objektrolle durch Beteiligungsrechte, die nicht vom ihm selbst, sondern aus seiner Perspektive lediglich mittelbar durch die betriebliche Interessenvertretung wahrgenommen werden, ist in den Fällen, in denen es sonst auf seine Zustimmung ankommt, nicht zu begründen 57 • Aus allseitiger Mitentscheidung kann keine grundrechtskonstituierende Wirkung hervorgehen. Grundrechte gewährleisten für den einzelnen freiheitliche Selbstbestimmung in seiner Individualität. Individualfreiheit ist das Nicht-Abstimmbare und unterliegt nicht dem Mehrheitsprinzip 58. Die Gegenposition wäre nur dann überzeugend, wenn Würde und Selbstbestimmung nicht nur dem einzelnen, sondern auch einem Kollektiv an sich zukommen könnte. Es ist aber gerade das fundamentale Prinzip des freiheitlichen Staates, daß Würde und Selbstbestimmung nur dem einzelnen zukommen. Unter diesem Vorzeichen ist der Würde des einzelnen jedoch nicht gedient, wenn ihm - an sich vorhandene - Möglichkeiten zur Selbstbestimmung genommen und den Arbeitnehmern in ihrer Gesamtheit zum Ausgleich dafür Beteiligungsrechte gewährt werden59 . 5. Hält man den Grundsatz der Mitbestimmungsfreiheit unternehmerischer Entscheidungen für richtig, verstieße eine solche Auslegung zudem gegen Art. 3 Abs.l GG, da Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Hinblick auf den Schutz vor den Folgen von Mitbestimmung verschieden behandelt werden sollen6o .

57 58 59 60

3. Teil 2. 3. Teil 2. 3. Teil 2. 3. Teil 2.

Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel

§ 10 C II 4 d bb, S. 285 ff. § 10 C II 4 d bb, S. 285 ff. § 10 C II 4 d bb, S. 285 ff.

§ 10 C III, S. 288 ff.

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6. Dem § 87 BetrVG können auch nicht mit dem Argument einer materiellen Annexkompetenz, der Praktikabilität oder einer Ausgleichsfunktion unmittelbare Eingriffsbefugnisse entnommen werden61 • V. In der Konsequenz rur praktische Fälle bedeutet dies, daß mit Hilfe der Mitbestimmung im Rahmen des § 87 BetrVG durch Betriebsvereinbarung weder Kurzarbeit eingefiihrt noch die Lohnzahlung von barer auf unbare umgestellt, noch den Arbeitnehmern damit zusammenhängende Kosten auferlegt werden können. Aber auch die Finanzierung von Arbeitskleidung kann so nicht auf die Arbeitnehmer überbürdet werden. Weiter wäre es unzulässig, im Rahmen einer umstrukturierenden Betriebsvereinbarung Sozialleistungen zu kürzen, die aufgrund allgemeiner Arbeitsbedingungen gewährt wurden. Schließlich könnte auch eine Betriebsbußenordnung nicht eingeruhrt werden. Nach der Lehre vom Vorbehalt des Gesetzes sind all diese Regelungen mangels gesetzlicher Grundlage unwirksam. Für die Zukunft richtungweisend sind Vorschriften wie § 116 des Entwurfs eines Arbeitsgesetzbuches rur das vereinte Deutschland. Dort bestimmte der Gesetzgeber selbst, unter welchen Voraussetzungen die Arbeitnehmer sich Kürzungen gefallen lassen müßten. Solange es solche Vorschriften jedoch nicht gibt, bedürften derartige Regelungen zusätzlich einer individualrechtlichen Grundlage. Die Untersuchung hat hier gezeigt, daß sich auf individualrechtlichen Wegen die gleichen Ergebnisse erzielen lassen, wie bei einem offenen Anerkennen belastender Betriebsvereinbarungen62 • Die Einbeziehung des einzelnen rur schlechthin unsinnig oder unpraktikabel zu halten, widerspricht der Verfassungserwartung eines gemeinwohlgemäßen Gebrauchs grundrechtlicher Freiheit, dem axiomatischen Vertrauen des freiheitlichen Staates in die Gemeinwohlfahigkeit und Urteilskraft seiner Bürger63 . Es ist also nicht erforderlich, dem einzelnen - psychologisch geschickt - unter dem Deckmantel der "Teilhabe" letzte Reste von Selbstbestimmung zu nehmen.

61

3. Teil 2. Kapitel § 10 D, S. 302 ff.

62

3. Teil 2. Kapitel § 10 D II 3 d, S. 322 ff.

63

3. Teil 2 Kapitel § IOD II 2 b bb, S. 310 ff.

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Sachverzeichnis Abtretungsverbot, S. 219, 223 actus-contrarius-Doktrin, S. 320 ff. Allgemeine Arbeitsbedingungen - und ablösende Betriebsvereinbarung, s. 317 ff., 336 - und Änderbarkeit durch Betriebsvereinbarung, S. 22, 336 - und Änderungsvorbehalte, s. 322 ff. - und individualrechtliche Änderung, s. 322 ff. - inhaltliche Besonderheiten, S. 321 f. - und Wegfall der Geschäftsgrundlage, s. 331 f. Amt, S. 47 f. Annexkompetenz, S. 297, 302 ff. Arbeitsbedingungen, materielle und Mitbestimmung, S. 237 ff. Arbeitskampfverbot, S. 31 Arbeitskleidung, Kosten der, s. 22, 223, 336 Arbeitsordnung, s. 239 f. Arbeitsvertrag - und Änderungsvorbehalte, s. 322 ff. - ergänzende Auslegung, S. 329 f. - und Inhalt des Arbeitsverhältnisses, S. 29 f. - und Privatautonomie, S. 30 - und Unterwerfung unter Normen, S. 56 ff. Auslegung von Gesetzen - und Akzeptanz, S. 233 - und Arbeitsrecht, S. 235 ff. - Begriff, S. 231 - und Ergebniskontrolle, S. 306 ff. - logisch-systematische, S. 247 ff. - und Praktikabilität, S. 305 ff. - teleologische, S. 249 f. - verfassungskonforme, S. 233 ff. - und Wortlaut, S. 242 ff. - und Zweckermittlung, S. 231 ff. - Ziele, S. 241 Ausschlußfristen, S. 22, 223

Autonomie, vorstaatliche, S. 114 ff., 121 f., 135 f., 140 ff. Belegschaftsverband - körperschaftliche Struktur, S. 77 ff. - und eigener Name, S. 79 f. - und Organe, S. 83 ff. - und Satzungsrecht in eigenen Angelegenheiten, S. 80 ff. - Zweck, S. 87 ff. Beleihung, der Betriebspartner, S. 151 ff. Beleihbarkeit von Rechtsetzungsbefugnissen, S. 152, Fn. 523 Beteiligungsrechte, Zuordnung der, S. 49 f. Betrieb als Verband, S. 76 f. Betriebsbußenordnung, Einführbarkeit durch Betriebsvereinbarung, S. 22, 336 Betriebspartner,S.27,Fn.38 Betriebsrat - Arbeitgeber, Verhältnis zum, S. 30 f. - als Grundrechtsträger, S. 207 ff., 209 ff. - als gesetzlicher Vertreter, S. 53 f. - als gewillkürter Vertreter, S. 52 - und Initiativrecht, S. 261 ff. - und Wahlen, S. 59 ff. - als Zwangsrepräsentation, S. 165 f. Betriebsratsamt, S. 47 f. Betriebsverband - und eigener Name, S. 96 f. - körperschaftliche Struktur, S. 95 ff. - und Organe, S. 98 ff. - und Satzungsrecht in eigenen Angelegenheiten, S. 97 f. - und Unabhängigkeit vom Wechsel der Mitglieder, S. 95 f. - Zusammensetzung, S. 94 - Zweck, S. 100 f. Betriebsvereinbarung - ablösende, S. 218 - und Billigkeitskontrolle, S. 38

386

Sachverzeichnis

Eingriffe durch, S. 162 ff. als Instrument betrieblicher Mitbestimmung, S. 27 und öffentlich-rechtliche Strukturen, S. 165 f., 169 ff. als öffentlich-rechtlicher Normenvertrag, S. 151 ff. als Rechtsnorm, S. 102 ff. als Tarifvertrag des Betriebs, S. 206 als Tatbestandsmerkmal, S. 159 ff. umstrukturierende, S. 325 f. als Verbandsstatut, S. 65 ff. als VelWeisungsobjekt, S. 159 ff. und Vorbehalt des Gesetzes, S. 180 ff. Wirkungsweise, S. 169 ff., 218 ff. Bezugnahmeklauseln, S. 25 f. Delegation von Rechtsetzungsgewalt, S. 147ff. Demokratieprinzip und betriebliche Demokratie, S. 265 ff. und Betriebsverfassung, S. 195 ff. und Vorbehalt des Gesetzes, S. 174 ff., 180, 187 f. Begriff des Volkes, S. 197 ff. Demokratisierung der Gesellschaft und politische Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, S. 275 f. Verfassungsforderung, S. 196 ff., 267 ff. Dynamische VelWeisung, S. 25 f. Einheit der Rechtsordnung private Rechtsetzung, S. 135 f. Einigungsstelle, S. 153 ff. Eingriffsgrundlage Anforderungen an, S. 166 ff., 220 ff. Kompetenz in sozialen Angelegenheiten als, S. 217 ff. und Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten, S. 223 ff. - Notwendigkeit, S. 165 ff. - Vorhandensein, S. 216 ff. Fremdbestimmung, Voraussetzungen S. 45 Geltungsgrund eines Rechtsbefehls, S. 30, Fn.49 Geltungsvoraussetzung, S. 30, Fn. 49

Genossenschaftstheorie, S. 67 ff., 95, 115 ff., 122 f., 141 Genossenschaftlicher PTÜfungsverband, S. 88 ff Gleichbehandlung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, S. 288 ff. und Mitbestimmung, S. 288 f. Grundrechte - des Betriebsrates, S. 207 ff., 209 ff. und Eigenhabe, S. 285 ff. und gemeinwohlgemäßer Gebrauch, S. 313 ff. als Grenze betrieblichen Regeins, S. 33 ff. Gesetzesvorbehalte, S. 175 f., 179 f., 185 ff. - juristischer Personen, S. 209 ff. Kollision von, S. 206 ff., 212 ff. objektiv-rechtliche Gehalte, S. 129 ff. und Selbstbestimmung, S. 281 ff. und Teilhabe, S. 281 ff. und VerfassungseIWartung, S. 313 ff. Günstigkeitsprinzip, S. 36 ff. Günstigkeitsvergleich, kollektiver, S. 22, Fn. 11,38 Hilfsdienstgesetz, S. 38 Individualrechtliche Ermächtigungen und Praktikabilität, S. 310 ff. Koalitionsfreiheit, S. 40 Kollektivautonomie, S. 39 Kollektivfreie Individualsphäre, S. 33 Kollektivverträge, S. 23 Korporativer Arbeitsnormenvertrag, S. 38 Kurzarbeit Einflihrung von, S. 22, 218, 299 ff., 336 und materielle Annexkompetenz, S. 302 ff. und Mitbestimmung, S. 238 Legitimation Begriff, S. 30 Fn. 50 von Betriebsvereinbarungenlder Betriebsverfassung, S. 162 ff., 195 ff. demokratische, S. 196 ff. der SelbstvelWaltung, S. 192 ff. - durch Wahlen, S. 164

Sachverzeichnis Lohnzahlung und materielle Annexkompetenz, S. 303 Umstellung auf unbare Zahlweise, S. 22, 295 ff., 303, 336 Mehrheitsprinzip, S. 48 Menschenwürde und betriebliches Arbeitsverhältnis, S. 277 ff. und Betriebsverfassungsgesetz, S. 280 von Kollektiven, S. 282 Selbstbestimmung, S. 54, 282 und Teilhabe, S. 276 ff. und Verfassungserwartungen, S. 316 f. Mitbestimmung Ausgleichsfunktion, S. 333 ff. betriebliche, S. 27, 226 ff. freiwillige, S. 22, Fn. 5 ideengeschichtliches Anliegen, S. 309 materielle Annexregelungen, S. 302 ff. notwendige,S.22,Fn.4 personelle, S. 248 - untemehmerische, S. 29, Fn. 45, 294 - Wortlautbedeutung, S. 243 ff. Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten als allgemeine Eingriffsgrundlage, S. 217 ff., Begriff, S. 27 f. und Gleichheitssatz, S. 288 ff. und Parität, S. 289 und Praktikabilität, S. 305 ff. Schutzzweck, S. 250 ff. als spezielle Eingriffsgrundlage, S. 223 ff. Teilhabezweck, S. 252 ff. Normsetzende Vereinbarung, S. 21, Fn. 1 Normenverträge, S 168, Fn. 33. Privatautonomie Arbeitsrechtliche Gestaltungsfaktoren, S. 29 f. Betriebsvereinbarung, Verhältnis zur, S. 45 ff. auf "höherer Ebene", S. 201 ff. kollektive, S. 203 ff. Stellvertretung, S. 51 f.

387

Privatheteronomes Rechtsgeschäft, S. 54 f. Rechtsanwendung - und Auslegungskriterien, S. 231 - und Rechtsfortbildung, S. 230 f. Rechtsgeltung - Begründung von, S. 30, Fn. 49, 158 ff. Garantie tatsächlicher Durchsetzung, S. 138 ff. staatliche Zuordnungsentscheidung, S. 140 ff. vorstaatliche Autonomie, S. 135 ff. Rechtsnorm Betriebsvereinbarung als, S. 102 ff. Merkmale, S. 106 ff. und Rechtsgeltung, S. 114 ff. und Staat als notwendiger Urheber, S. 111 ff. Rechtsstaatsprinzip - und private Rechtsetzung, S. 132 ff. - und Vorbehalt des Gesetzes, S. 174 Regelungsbefugnis, S. 32 f., 41, 217 ff. Regelungskompetenz, S. 32 f., 41, 217 ff. Satzung, öffentlich-rechtliche und Legitimation von Eingriffen, S. 166 ff. und Vorbehalt des Gesetzes, S. 177 ff. und Zwangskörperschaften, S. 42 Satzung, privatrechtliche - des "lebenden Verbandes", S. 72 ff. - modifizierende Normentheorie, S. 70 f. - rechtsnormative Deutung, S. 67 ff. - Errichtung, S. 71 f. - und vertragsrechtliche Deutung, S. 66 f. Selbstbestimmung - Bedeutung, S.45 ff. - kollektive, S. 203 ff. und Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten, S. 281 ff. und Selbstbindung, S. 47 ff. und Stellvertretung, S. 51 f. und Unterwerfung, S. 55 ff. und Wahlen, S. 59 ff. Selbstbindung

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Sachverzeichnis

-

und Innehaben der Stellung einer Vertragspartei, S. 49 ff. - und Selbsthandeln, S. 47 ff. Selbstgestaltung, S. 32 Souveränität, staatliche - Begriff, S. 123 ff. - Geltungsbegründung, S. 140 ff. - private Rechtsetzung, S. 134 f. - Rechtserzeugung, S. 123 f. - Rechtsetzungsmonopol, S. 126 ff. Soziale Selbstverwaltung, S. 118 f., 143 Fn. 484, 143 ff. Sozialstaatsprinzip, S. 131 f., 144 f. Staat und Gesellschaft - und Demokratisierung der Gesellschaft, S. 270 ff. - und Rechtsstaatsprinzip, S. 132 ff., S. 152,Fn.522 - und Vorbehalt des Gesetzes bei betrieblicher Rechtsetzung, S. 214 ff. Stellvertretung - gesetzliche, S. 53 f. - gewillkürte, S. 52 - und Selbstbestimmung, S. 51 f. Stiftung, S. 112 Streik, S. 31 Subsidiaritätsprinzip, S. 119 f., 145 ff. Tage der Arbeitsruhe, S. 23 Tarifautonomie, S. 40 f., 128 f., 196 Tarifbindung, S. 23, 24 f. Tarifvertrag - Firmentarifvertrag, S. 24 - Flächentarifvertrag, S. 23 - als Instrument der Fremdbestimmung, S.39 - und Kartellfunktion, S. 26 - Öffnungsklausel, S. 28, Fn. 44 - Rechtsetzung durch, S. 127 ff. - und staatliche Aufsicht, S. 156

Tarifvertragsverordnung, S. 38 f. Teilhabezweck - Bedeutung, S. 252 ff. und Beschränkung des Arbeitgebers, S. 257 ff. - und betriebliche Demokratie, S. 265 ff. - und Eigenhabe, S. 285 ff. - und Initiativrecht des Betriebsrats, S. 261 ff. und Menschenwürde, S. 276 ff. und objektiver Gesetzeszweck, S. 257 ff. und Wille des Gesetzgebers, S. 255 ff. Überrasschungsklauseln, S. 25 f. Verband, privatrechtlicher, S. 30 Verbandsstatut, S. 62 ff. Vereinigungsfreiheit, S. 88,93 f. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, S. 36 Vertragsstrafe, S. 22,223 Viertagewoche, S. 22 Vorbehalt des Gesetzes - Anforderungen an Eingriffsgrundlage, S. 165 ff., 221 ff., 336 - und Betriebsvereinbarung, S. 42, 180 ff., 336 - Fundamente des, S. 172 ff. - und Grundrechte, S. 175 - und öffentlich-rechtliche Satzungen, S. 166 ff. - und Rechtsstaatlicher Eingriffsvorbehalt, S. 172 ff., 183 ff. - und Wesentlichkeitstheorie, S. 174 f., 188 ff. Zwangskörperschaften, S. 42, 164 ff., 200